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€beologifde
Quartalfchrift.
Sn Verbindung mit mehreren Gelebrten
herausgegeben
ben
D. ». Drey, D. finn, D. fele, D. Welte
unb
D. Bukrigl,
Brofefioren ber kath. Theologie an der K. Univerfität Tübingen.
Zuweiunddreißigſter SYabrgang.
—
Erfies Quartalheft.
Tübingen, 1850.
Verlag der ὦ, Laupp' ſchen Buchhandlung.
(Laupp ὦ Giebel.)
Drud von $. Laupn.
I.
Abhandlungen.
1.
Weber die Entſcheidung der Synode von Antiochie
(269) in Betreff des Wortes ὁμοούσιος.
Im Berlaufe der Arianifchen Streitigfeiten hatte fid)
zwifchen die orthodoxe Parthei, bie mit Etrenge an den
Beltimmungen des Gonciliumá von Nicäa fefthielt und
befonders auch an dem Worte οὐμοούσιος“ als Bezeichnung
des Weſens des Sohnes im Berhältniß zum Vater, unb
zwifchen die eigentlichen Arianer, welche bie Gleichweſentlich—
feit des Sohnes mit dem Vater geradezu fdugneten unb ben
Sohn für ein Θεόν! (ποίημα) des Vaters erflärten, eine
mittlere Barthei, bie fogenannten Semi - Arianer, geftellt,
welche zwar im Wefentlichen bie Entfcheidungen ber Nicäs
nifchen Synode annahm, ten Logos nicht für erichaffen,
fonbern für erzeugt aus bem Weſen des Vaters erkannte,
aber das Wort „ouoovasog“ nicht gebrauchen wollte, fons
bern ben Ausdruck „Ouossvorog“ für richtiger hielt zur Bes
zeichnung biefer Lehre. Der Streit mit tiefen von Seite
der Fatholifchen Xehrer war mehr ein Streit um das Wort,
um ben Ausdrud für die Lehre, al8 um die Lehre, um
die Sache jelbft, in ber fie im Wefentlichen übereinftimmten.
: (9
6 Die Verwerfung des ὁμοούσιος μὲ Autlochlen
Theilen beffelben.* Bafilius zeigt hierauf, wie mam in
Beziehung auf Gott und auf das Berbältnig von Vater
unb Sohn bem Worte biefe Bedeutung nicht geben bürfe
und fónne.
Spätere Kirchenbiftorifer baben aber bieg zu bedenk⸗
fid) gefunden, daß eine frühere Synode einen Ausdruck aus
dem kirchlichen Sprachgebrauch verwiefen haben follte, ber
fpäter zu folher Bedeutung , folder Wichtigleit gelangte.
Sie ftelten daher in Wbrebe, bag wirklih zu Antiochia
geichchen, was bie SemisArianer behaupteten, und ſuchten
aud) mit ben, was bie Bäter hierüber fügen, fertig zu
werben durch Hinweifung auf bie vielen Unerftärlichfeiten,
die fid) daraus ergäben.
G6 müffe, fagen fie, eine folche Verwerfung des „ano-
0.0.05“ überhaupt undenkbar erfcheinen, wenn man bie
* Berhältniffe jener Zeit betrachte. Ungefähr neun oder zehn
Sabre vor dem Goncifium von Antiochia war Dionyſius,
Bifchof von Alerandria, wegen feiner unpaffenden Gleich:
nifje bei ber Beftreitung der Sabellianifchen Lehre von
Ehriften ber Ventapolis zu Rom beim Papſt Dionyfus
verklagt worden. Diefer fohrieb an den Aleranpriner, in
gleicher Weife wie ben Gabelliuó fo aud) bie verdam⸗
mend, welde fagten, der Sohn {εἰ gefchaffen (ποέημαλ und
nicht mefenégleid) mit dem Vater (ὁμοούσιος). Dionyſius
von Alerandria erwieberte: allerdings [εἰ ber Sohn gleiches
Weſens mit dem Vater, b. i. ρμὐμοούσιος“, ein Wort,
welches er zwar weder bei den Vätern noch in der Schrift
finde, mit befjen Gehalte aber doch feine gegebene Dars
ftelung übereinftimme. Wie fónnte man mit biefer Er»
zählung vereinigen, was einige Jahre nachher zu Antiochia
geichehen fein ſoll? Unmittelbar vor der Synode von
Die Berwerfung bed. ὁμοούσιος zu Antiochien. 7
Antiochia ſtimmte Alles darin überein, daß der Sohn ὁμο-
οὐσιος [εἰ mit dem Vater, und e8 war ein Verbrechen
bieB zu [dugnen; follten nun die Väter von Antiochia
dieß nicht gewußt, und geglaubt haben, ὁμοούσιος bezeichne
eine Gubftany, getheilt in mehrere SBerfonen ; und follte
ihnen nicht befannt geworden fein, was zwifchen ben zwei
bebeutendften Kirchen, der Römifchen und Aleranbrinifchen,
vorging, was bod) allgemeines Aufſehen erregen mußte?
Ddgr follten fie gar feine Rüdficht genommen haben auf
bie zwei größten Batrlarchen ber Ehriftenheit? Sm Gegen»
theil, fie richten ihren Brief an alle Bifchöfe, unb nament:
lid an Dionyfins von Rom unb an Marimus, ben Nach-
folger des Dionyfius von Alerandria. Ein Beweis, daß
fie glaubten, Nichts getban zu haben, was bem zuwider
wäre, was in beiden Kirchen, b. i, in ber allgemeinen
Kirche gelehrt wurde. Es war aud) unmöglich, daß biefe
angebliche Berwerfung von „owoovarog“ verborgen bleiben
fonnte, ihre Neuheit mußte Aufmerffamfeit erregen, weil
fie baó verwarf, was bisher als das Gebiegeníte und
Natürlichfte galt, bie Gottheit Chrifti auszubrüden. Deß⸗
ungeachtet vergingen, befrembenb genug, beinahe 90 Jahre,
tbe dieſes Urtheil der Antiochenifchen Synode zur Sprade
gebracht ward. So lange follten die Arianer gewartet
haben, ehe fie auf den Widerfpruch ber frühern Antiochenie
fhen Synode mit der Nicänifchen aufmerkffam machten;
denn weder zu Nicäa (325) mod) zu Antiochia (341)
geſchah dieß! Noch auffallenber fei aber, bag Eufebius ein.
fo entfchiedener Gegner des „Onoovasog“ von biejer angebs
lichen Verdammung gänzlich ſchweige, während er in feinem
Genbídreibeg bald nad) der Ricänifchen Synode befennt,
daß alte Schriftfteler dieſes Wort gebraucht hätten, unb —
8 Die Berwerfung des ὁμοούσιας zu Antlochlen.
einen Theil ber Antiochenifchen Synodalacten fogar in feine
Kirchengefchichte einrüdt! Auch bie Yeußerungen der drei
genannten Kirchenväter feien bei näherer Betrachtung von
feinem großen Gewichte und zeugen nur Davon, daß fte
von den Vorgängen auf der Eynode zu Antiochia feine
genauere Stenntniß hatten und daß ihr SugeftánbniB nur
ein Nachklang der Semi: Arianifhen Behauptung fel.
Athanafius und Hilarius wußten nichts Näheres von jener
Synode unb maßen nur ber Ausfage der Semi - Arianer
Glauben bei. Athanaſius fage ausdrücklich, er habe fid)
das Schreiben der Synode von Antiochia nicht verfchaffen
und beffen Inhalt daher nicht unterfuchen fónnen, und
man febe durchaus aus feinen Worten, daß er früher von
einer Verwerfung des „omoovorog“ Nichts vernommen.
Hilarius fage ebenfalls nicht, daß er das Schreiben bet
Biichöfe zu Antiochia gelefen, und es feheine ganz, daß
er εὖ nicht gefehen, denn er fehreibe bem Paulus von
Samofata einen ganz andern, ja entgegengefeten Srribum
zu als die Väter von Untiochia an ihm verbammt haben.
Während nämlich Athanafius glaubt, Paulus son Samofata
babe das Wort οὁμοούσιος“ in's KXächerliche gewendet,
nehme im Gegentheil Hilarius an, Baulus habe fi) des
ὁμοούσιος“ in fehlechtem Sinne bedient und behauptet,
der Sohn unb der Vater fei die nämliche Perſon, weicher
Irrthum aber entgegengefegt. fei dem des Artemon, beffei
Lehre Paulus erneuert habe, indem er ber Angabe ber
Väter des Gonciliumó zufolge behauptet, Ehriftus fei nur
ein Menfch. Baftlius endlich fage zwar ohne Beziehung
auf die Synode von Ancyra, man habe zu Antiochia das
Wort οὁμοούσιος““ als unpaffenb (ὡς οὐκ εἴσημον) ges
tabelt, aber der Grund, ben er angibt, fcheine zu verrathen,
Die Verwerfung des ὁμοούσιος zu Antiochlen. 9
ba aud er von biefem Tadel nichts Sicheres wußte,
Denn eben das feltfame Motiv, das in bem Synodal⸗
fehreiben von Ancyra für bie Verwerfung des οὐμοούσιος"“
angeführt wird, fehreibe er den Vätern von Antiochia zu,
námlid): das Wort enthalte die Vorftellung von einem
göttlichen Urweſen, welches zwifchen Vater und Sohn ger
tbeilt worden fei.
G6 lafje fi überhaupt nicht recht einfehen, was bie
Eynode von Antiochia in ber δεῦτε des Paulus von
Samofata zu jenem Schritte veranlagt haben foll, und
unwahrſcheinlich [εὖ e, taf. fie ba& Wort οὐμοούσιος“
bío$ darum verworfen, um fophiftifchen Solgerungen, bie
Paulus daraus ableitete, zu entgehen, wie Athanafius
vermuthet. Gerade das Gegenteil. von dem, was das
Wort feinem urfprüngliden Sinne nad) bedeutet, nämlich
bag Vater und Sohn Eines Wefens feien, fol Paulus
aus demfelben gefolgert haben, daß biefem Ausprude gemäß
drei Wefen feien, Ein urfprüngliches und zwei daraus
hervorgegangene; und biefer abfurden Gopbiftif wegen
follten bie verfammelten Väter einen in der Kirche fchon
tecipirten dogmatifchen Ausdruck verworfen haben! Cher
fónne man vermuthen, Baulus felbft habe das Wort οὐμο-
ororos“ zur linterftügung feiner Irrlehre gebraucht, und
deßhalb bie Synode e8 virworfen. Er fonnte fagen, daß
ber Logos υὑμοούσιος τῷ πατρὶ“ fei, in dem Sinne einer
bío8 unperfönlichen Vernunft Gottes ohne alle hypoftatifche
Subfiften,. Damit würde ber Grund ber Verwerfung dies
ſes Wortes zu Antiochia übereinftimmen, den Hilarius 1)
anfübrt. Er fagt nämlich zu ben Semi⸗Arianern: id
1) Hilar. Pict. de Synod. c. 81.
40 fle Benwerfung des ὁμοούσιος zu Antiochlen.
quoque addidistis, quod Patres nostri, cum Paulus Samo-
satenus haereticus pronuntiatus est, eliam homoousion
repudiaverint: quia per hanc unius essentiae nuncupalio-
nem: solitarium atque unicum sibi esse Patrem et Filium
praedicabat.^ Allein in den von Eufebius. angeführten
Theil des Antiochenifchen Synodalberichts fteht vielmehr
die Befchuldigung: Paulus von Samofata erneuere beu
Irrthum des Artemon und behaupte, ber Sohn ftamme von
der Erde unb fel nicht vom Himmel. Alles berube am
Ende auf bem Zeugniffe des Biſchofs, ber das Echreiben
im Namen der Verfammlung zu Anchra verfaßte, unb bie
Worte des Antiochenifchen Concils nicht ſelbſt anfübrte.
Das llebrige beftehe in bloßen Conjecturen, durch welche
bie drei genannten Väter die vermeintliche Verwerfung des
„ouoovorog“ zu erklären fuchten; daher bie Schwierigfeit
ihre 9Meuferungen hierüber unter einander in Uebereinſtim⸗
mung zu bringen, ein Umftand, ber. bod) dafür zeuge,
daß fie bie Thatfache, um bie e8 fid) handelte, nicht
anders fannten, aló nur burd) das Zeugniß ber Semis
Arianer. Das find bie vorzüglichften Gründe, bie gegen
bie Wirklichkeit jener von den Semi-Arianern behaupteten
Thatſache vorgebracht werben, und gewiß läßt fid) ihnen
große Scheinbarfeit nicht abfprechen ). Die Sache läßt
fid) (nbe& aud) nod von einer andern Geite betrachten,
und im Folgenden fol ber Verfuch gemacht werben, bie
hiftorifche Glaubwürdigkeit bet von bem Goncil von Ancyra
behaupteten und von ben Vaͤtern zugegebenen Thatfache
Darzuthun.
1) Prudentius Maranus, dissertation sur les Semiariens in
Joan. Vogtii bibliotheca hist. haeresiologicae 1733 Hamburgi.
Doͤllinger, Qanbbud) der Kirchengefchichte 80. 1.. Abth. 1, S. 269 ἢ.
Die Berwerfung bed ὁμοούσιος zu Autiehle. LI
Vor Allem müffen wir bemerken, daß wir uns biefen
Bedenklichkeiten, Vermuthungen und Unerflärlichkeiten
gegenüber, ohne beftimmtes Datum, ohne deutliche Ausfage
irgend einer hiftorifchen Auctorität, ftügen können auf bic
flare Behauptung der Ancyrenifchen Synode und die bes
flimmten Weußerungen der SKirchenväter. Was aber jene
Bedenklichkeit betrifft, bag eine frühere Synode gerade ben
Ausdruck ans dem firdjliden Sprachgebrauch verwiefen
baben follte, ber fpäter zu fo hoher Bedeutung gelangte,
fo fcheint fie mir unnótbig. Auch bie genannten Väter
haben bie nicht für zu bedenklich gefunden, und die Thats
fade zugegeben, und fie fo gut als möglich zu erflären
gefucht. Das Wefentlihe der firchlichen Lehre fchien
ihnen baburd) nicht gefährdet, da es fid nur um ben
Ausdrud derfelben handelte; hätten fie biefelbe gefährdet
geglaubt, fo würden fie entweder jene Thatſache als uns
möglich um feinen Preis zugegeben haben, ober fie hätten,
wenn fie gleichwohl bie frühere Thatſache nicht in Abrede
fichen fonnten, obwohl fie biefelbe mit der fpätern zu
Nicäa in unverföhnlichem Widerfpruch glaubten, fie hätten,
fage ich, für eine verlorene Sache gekämpft. Was bie
Väter zugaben, können und dürfen auch wir zugeben.
Daß εὖ fdon barum undenkbar fein folle, bag das
Wort „ouoovoros“ von der Antiochenifchen Synode aus
dem firchlichen Sprachgebrauche ausgefchloffen wurde, weil
es ſchon zuvor in der Kirche gebraucht wurde in den Briefen
ber zwei hervorragenditen Biſchoͤſe, ift nicht abzufehen.
Gebraucht mußte es in der Kirche wohl (don irgendwie -
worden fein, fonft hätte «8 bie Synode nicht aus bem
firchlichen Sprachgebrauch ausfchließen fónnen. Die Bir
Ihöfe von Rom und Alerandria mochte die Synode hierüber
—
12 Die Verwerfang des ὁμοούσιος ju Antiochien.
ſo wenig vorher fragen, als fie diefelben fragte, wie
fie über die Lehre des Paulus von Samoſata entfcheiden
follte; fie entfchieh über des Paulus Lehre, verwarf (te
und fuchte bie firchliche ere nach befter Einficht vor Ein-
ſchwaͤrzung biefer häretifchen zu bewahren, vorzüglich durch
Abweifung des Wortes „onoovaros.“ Grft nachher ward
ber Bericht hierüber an die Bifchöfe und namentlich an
ben von Rom gefandt. Wenn man fagt: Alles flimmte
damals im Gebrauch des „ouoovorog“ überein, fo ift damit
zuviel behauptet. Wohl wurde biefeó Wort in bifchöflichen
Schreiben gebraucht, aber in den firchlichen Sprachgebrauch
im ftrengen Sinne war ἐδ noch keineswegs recipirt. Es
wurde vor ber Hand nur gebraucht, wie jeder andere für
paffenb gehaltene Ausdrud zur Darftellung der chriftlichen
δεῦτε, Darum fonnte ed auch nidbté fo Unerhörtes, allgemein
Auffallendes fein, wenn bíefer Ausprud abgelehnt wurde,
als nicht ganz paffenb, weil leicht Mißdeutungen fähig.
Auffallend ift es nun allerdings, daß der Artanifche
Streit, in dem das „ouoovorog“ eine fo große Rolle fpielte,
fo lange geführt ward, ehe man auf jene Thatfache zu
Antiochia zu fprechen fam, unb daß weder zu Nicaͤa, nod)
zu Antiochia oder anderswo vor ber Synode von Anchra
davon die Rede war. Allein fo gut Athanaftus, ber bod)
einer der Iinterrichtetften jener Seit war, auch nod) viele
Sabre nach der Ricänifchen Synode fid) bie Acten jener
Berfammlung nicht verfchaffen konnte und daher nichte
Genaueres von ber Sache wußte, fo konnte biefe& auch
den andern Bifchöfen gefchehen. Je länger ber Streit gez
führt ward, befto mehr faf man fid) veranlaßt, auf die
früheren SBeftimmungen in der Kirche zurüdzugehen, bie
hriftliche Vergangenheit zu burchforfchen, wie es ja bei
Die Verwerfung bel ὁμοούσιος zu Antiochien. 13
jedem firchlichen Streite der Sall ift, und fo fam man
endlich aud) auf Die Vorfälle zu Antiochia. In ber fangen
Zeit von dem Goncilium zu Antiochia bis zum Ausbruch
bet. Arianifchen Streitigkeiten (mehr als 50 Sabre) war
von ὁμοούσιος nicht mehr bie Rede. Wenn wir den
Berlauf der Berhandlungen zu Ricda betrachten, fo fcheint
ἐδ wohl, daß das Wort auf jene Entfcheivung zu Antiochia
bin außer Firchlichen Gebraud) gefommen fei. Diefe Ser;
muthung liegt nicht ferne; denn daß e8 zur Zeit ber Synode
von Ricka keineswegs in den Sprachgebrauch der Kirche
aufgenommen war, ergibt fid) bod) zuverläßig daraus,
daß zu Nicaͤa dieſes Wort nicht fogleich zur Bezeichnung
der Fatholifchen Lehre gewählt, fondern erft andere Formeln
verfucht wurden. Erft als man fab, daß alle bieje bie
Arianer nach ihrem Sinne zu deuten muften, verftand
man fid) dazu, „ouoovosog“ als das unzweideutigfte, ſo⸗
phiftifchen Deutungen unzugänglichfte zu wählen. Wozu
nun das lange Zaubern das Wort in den kirchlichen Sprach
gebrauch im firengeren Sinne aufzunehmen, wenn ed ohnes
bin (don in bemfelben fid) fand? Deutet nicht biefe& auf
einen Vorfall in Betreff des „ouoovarog“ bin, wie ber ijt,
ber und von ber Eynode von Antiochia berichtet wird?
Daß wirklich in der früheren Zeit ber Kirche von biefem
Ausdrude ſchon bie Rede war, daß bieB zu Antiochia
gefchehen mußte, ift gewiß. Hier mußte von „Ouoovasog“
bie Rede fein in irgend einer Seife, wenn bie verfammels
ten Bifchöfe nicht gerade von bem fchweigen wollten, um
befientwillen fie zufammengefommen waren. Es wurde
befannt(id) über des Antitrinitariers Paulus von Samofata
Lehre dort verhandelt und gerichtet. Wie folfte nun ba
nicht bie Rede gewefen fein vom Weſen Gottes und von
14 Die Verwerfung be& ὁμοούσιος zu Antiochten.
dem Berhältniß deflelben zu den göttlichen Perfonen, unb
diefer zu einander? Das war ed ja eben, was bie ganze
Reihe der Antitrinitarier hervorrief, daß man fürchtete,
burd) bie 2ebre von drei Perfonen auch drei Wefen unb
alfo drei Götter [ebren zu müffen, weil man fi immer
nur an ben logifchen Wiverfpruch hielt, ber darin liegt,
daß Ein Gott, Ein göttliches Wefen und doch drei Pers
fonen (aber gleichwefentliche) fein! Sollte es nun da,
wo über Diefes Berathung gepflogen wurde, nicht möglich
oder vielmehr nothwendig gewefen fein, daß von ὁμοούσιος
von „Aöyog ὁμοούσιος τῷ πατρὶ" bie Rede war? Sollte
fd die Berfammlung begnügt haben, blo8 von Zahlen zu
reden, das Zahlenverhältniß Eins und Drei auszufprechen,
in das Tiefere ber Lehre von Gott aber nicht einzugehen
unb vom Verhäftniß ber Perfonen zum Weſen zu ſchwei⸗
gen? Eine Beratjung über das „ouoovorog“ fand alfo
in früherer Zeit, und zwar zu Antiochia, wie fid) zeigt,
fhon flatt, und welchen Ausgang fie nahm, läßt fid)
aus dem Verlaufe ber Verhandlungen zu Nicäa vermuthen.
Wenn auch bie bafelbft verfammelten Väter von jenem
Vorfalle nichts Beſtimmtes wußten, das einzelne Factum
nicht genau Fannten, fo trugen fie doch das kirchliche
Bewußtſein in fid, wie es fid nach jener Synode bis zu
der von 9ticáa gebildet hatte, und biefem gemäß entfchloßen
fie [ὦ nicht gleich anfangs ohne Bedenken zur Aufnahme
des Wortes ὁμοούσιος“ in bie Firchlich-Dogmatifche Sprache,
fondern erft als fie faben, daß fle anders die fid) eins
fehleichende ober verbergenbe Irrlehre nicht fo gut abweh⸗
ren fonnten. Daß Eufebius in feiner Kirchengefchichte unb
in feinem Schreiben an feine Gemeinde Nichte von dieſer
Beftimmung zu Antiochia in Betreff des οὐμοούσιος“ fagt,
Die Verwerfung be8 ὁμοούσιος zu Antiochten. 19
ift zwar auch befrembend, keineswegs aber unerflärlich.
Sn feine Kirchengefchichte ift zwar ein Theil der Synodals
acten von Antiochia, eingerüdt, in bem über biefen Aus»
bruf nichts beftimmt ift, aber Daraus fann man mod)
nicht fdjiegen, bag aud) in bem nicht eingerüdten Theile
derſelben nichts davon enthalten war! 1) ine befondere
Aufforderung , gerade biefe Stelle berfelben hervorzuheben,
mar zur Zeit ber Abfaffung biefer Stirchengefchichte noch
nicht ba, da fie jedenfalls vor dem Eoncil von Sticda voll;
endet wurde, das οὐμοούσιος“ alfo feine große Wichtigkeit
noch nicht erlangt batte. Was jenes Schreiben nad) ber
Synode von Sticáa betrifft, fo will ſich befanntfid) Euſebius
in bemfefben bei feiner Gemeinde rechtfertigen, daß er das .
»ὑμοούσιος““, wenn auch voiberftrebenb, bod) angenommen,
und Das Belenntniß, in bem es enthalten, unterzeichnet
habe. Er zeigt darum, daß ja diefes Wort fein fo uns
erhörtes fei, da εὖ bod) ſchon von frühern Vätern ge»
braucht worden ἢ. Zur Erreichung des Zwedes, ben
Eufebius in biefem Schreiben verfolgt, wäre es durchaus
unbienlid) gewefen, des Vorfalls zu Antiochia — wenn er
ihm damals wirklich fon bekannt geweſen — zu erwähnen,
— —
—
1) In tem Briefe an die Bifchöfe, den Euseb. (h. e. I. VII. 30)
in feine Kirchengefchichte einteift, ift überhaupt die Lehre des Paulus
von Samofata nur ganz furz berührt, und iff in Betreff ihrer und bet
Entfcheidung des Conciliums über biefelbe auf ble Acten ber Synode
verwiefen, bie fid) aber bei Eufebius nicht finden. In diefen mußte von
ὁμοούσιος die Rebe fein. Im genannten Briefe namentlich an Tios
nyſius von Rom und Marimus von Alerandria ift größtentheild nut das
äußere Leben und Wirken des Paulus gefchilbert.
2) Euseb. Caes. in epist. apud Socrat. h. e. Lib. I. c. 8 ἐπεὶ καὶ
τῶν παλαιῶν τινας λογίους καὶ ἐπιφανεῖς ἐπισκόπους καὶ συγγραφέας. ἔγνωμιεν
ἐπὶ τῆς τοῦ πατρὸς καὶ υἱοῦ ϑεολογίας τῷ τοῦ ὁμοουσίου συγ χρησαμένους
ἀγόματι.
16 Die Berwerfung des ὁμοούσιος zu Antiochien.
denn dadurch hätte er ja das, was er zu feiner Entſchul⸗
bígung aus frühern Vätern vorgebracht hatte, wieder
paralyfirt.
Ge ijt auch Feineswegs fo ganz unmöglich eine Gt»
flárung zu finden für das Echweigen beiber ftreitenden
Partheien, ber Katholifen und ber ftrengen Arianer, über jene
Entſcheidung über das „ouoovosos“ zu Antiochia, — wenn
fie wirklich im Laufe des Streites noch vor ber Zufammens
funft der Semi» Nrianer zu Ancyra davon ſollten Kunde
erhalten haben. Daß bie Arianer nichts davon fagten,
wenn fie es auch erfuhren, daß zu Antiochia das οὐμο-
ovorog“ als Firchlicher Ausdrud nicht angenommen wurde,
läßt fid) vielleicht daraus erflären, daß bie Antiochenifchen
Synodalacten zuverläßig nicht jene Zurüdweifung dieſes
Wortes allein enthielten, fondern zugleich eine nähere Erklaͤ⸗
rung über baó Verhaͤltniß des Eohnes zum Vater, die fo
befchaffen war, baf fie ber Lehre der Arianer wiberfprady,
fo daß, wenn fie jenen Vorfall in Betreff des οὐμοούσιος"
zur Sprache brachten, zugleich jene naͤhere ihnen ungünftige
Erklärung hierüber, ober dieXehre ber Synode zur Sprache
fam. Die Satbolifen hinwiederum mochten jener Entfcheis
dung zu Antiochla, wenn fte wirffid zur Kenntniß ders
felben früher famen, feine Erwähnung thun, weil fie
zwar ber Sache, nicht aber bem Ausdrude nach mit bere
felben übereinftimmten. Gie hielten an dem Worte „Ouo-
ovoros“ mit der größten Strenge feft, und bief war natür-
lich nicht geeignet fte zu veranfaffen, jenen Vorfall alf»
gemein befannt zu machen. Zum Beweifen der Fatholifchen
Lehre fonnten ihnen aber die Acten jener Synode nicht
viel dienen, wenn fte fid) auch darauf beriefen, weil bie
Arianer, wenn fie in'6 Gebrdnge famen, ihre innere Ges
Die Berwerfung be& ὁμοούσιος zu Antiohten. 17
finnung und Lehre unter die firchliche Sprache verbargen
unb fid) nur der Annahme des οὐμοούσιος“ hartnädig wei
gerten, worin ihnen gerade jene Eynode zur Seite ftlanb,
Ganz anberó dagegen verhielt ἐδ fid mit den Semi⸗
Arianern. Diefe konnten zu ihrem Vortheile ber Synode
febr wohl Erwähnung thun und fid) darauf berufen, weil
fie fowohl der Eache nach mit derfelden übereinftimmten —
alfo ihre Bekanntmachung und nähere Unterfuchung nicht
zu fcheuen brauchten —; al6 aud) bem Worte nad) ihr
beiftimmen wollten, indem fie fid) ebenfalls weigerten das
Wort „ouoovasog“ zu gebrauchen. Daß die SemisArianer
Betrug wollten, indem fte ὦ auf eine Thatfache beriefen,
die feine wirkliche fondern blos fingirte war; ober aud)
nur daß fie in Uebereilung das, was fie vom Hörenfagen
vieleicht von jenem Concilium Unbeſtimmtes erfuhren, zu
einer beftimmten Thatſache umbildeten und fid darauf
beriefen als auf eine Autorität, entbehrt der Wahrfchein-
lichkeit. Die Semi- Arianifchen Bifchöfe waren, wie bie .
Väter ſelbſt bezeugen, feine fo unehrliche oder aud) un⸗
befonnene, gebanfenfofe Männer, daß (id Solches von
ihnen annehmen ließe. Wie hätten fie ed aud) wagen
folfen, ein Sactum von biefer Wichtigfeit im Angefichte ber
ganzen Kirche zu fingiren, ober auch nur leichtfinnig zu
behaupten ohne hinreichende Beweife? Und wie hätten bie
Väter und die ganze Kirche fid) nicht dagegen erflärt als
einer Erdichtung? Mußten die Eemi-Arianer nicht jeden
falls vorausfegen, daß man ihre Behauptung prüfen werbe,
und daß ihre Gegner, deren Tüchtigfeit fie Fannten, wenn
fie auch für ben Augenblid das Nähere von jener Synode
nicht wußten, Nichts unterlaffen würden, fid) beftimmte
Kunde davon zu verfchaffen? Die Väter haben aber jene
Angabe, wie fdjon oben gezeigt, nicht für E erflärt;
Seo. πανία τί. 1850. I. Heft.
18 Die Verwerfung des ὁμοούσιος zu Antiochien:
daß fie aber leichtgläubig, ohne Nachforfchung den Gemis
Arianern blos nachgefprochen, kann ich durchaus nicht zu⸗
geben. Athanafius fügt, er habe das Echreiben jener
Eynode nicht ſelbſt gefehen, fid) nicht verfchaffen können;
das deutet doch (don darauf hin, daß er nicht leichtgläubig
das Behauptete nachgefprochen, fondern darüber nachges
forfcht und wenigftens Nichts erfahren habe, was im
Widerfpruch mit bem von ben Semt-Arianern Behaupteten
ftünde. Hilarius zweifelt durchaus nicht, bag es mit jener
Angabe der Ancyrenifchen Synode feine Richtigkeit habe,
und fudt, wie Athanafius, fid) jenes actum. aus den
gegebenen Umftänden zu erklären. Klar und beftimmf
fpricht fid) aber Bafilius aus in ber fd)on oben citirten
Stelle: xol yaQ τῷ ὄντε, οἱ ἐπὶ Παύλῳ τῷ Zauoverei
συνελθόντες διέβαλον τὴν λέξιν (ὁμοούσεος) ὡς οὐκ
&vgruo» fagt er. Da ift doch jede Vermuthung unmög-
ih, als hätte aud) er nichts Näheres von bem eigentlis
hen S8organge zu Antivchia gewußt! Diefes »καὶ γὰρ τῷ
Ovrt^ fegt bod) voraus, daß er fid) genauer um bie Gadje
erfundigt, und baburd) zur llebergeugung gekommen fet,
daß bie Eemi-Arianer -Feine falfche Angabe fid) erlaubt
haben; fv daß ber Gedankengang der ift: δῷ forfrhte
darüber nach und fand, daß es fid in ber That fo vers
halte. Einen andern Einn fann jene Belkräftigungsfgrmel
nicht haben.
Was ferner den Umftand betrifft, auf ben man fo
viel Gewicht legt, daß bie Angaben ber Väter über ben
Grund, ber bie Bifchöfe zu Antiochia beftimmte, das Wort
„Ouoovarog“ aus bem bogmatifchen Sprachgebrauch aus-
zufchließen, nicht miteinander übereinftimmen und dadurch
fi) zeige, daß fie von ber Sache nichts Beftimmtes wuß-
= Φ
Die Verwerfung ves ὁμοούσιος zu Anttochten. 419
ten, fondern nur muthmaßten, fo behaupte ich, daß bie
Gründe, bie fie angeben, keineswegs fo widerfprechend find
und unvereinbar, wie man gewöhnlich annimmt. Atha-
naftus !) fagt, bie Bifchöfe zu Antiochia hätten das Wort
ὑμοούσεος deswegen vermieden, um ben fophiftifchen Fol⸗
gerungen des Paulus von Samofata zu entgehen; fte thas
ten ἐδ, fagt er: „weil Baulus fophiftifch behauptete, wenn
Ehriftus nicht menfchlichen Urfprung habe, fo fei er, als
Gott, gleichwefentlich mit dem Vater, und nothiwendig
feien dann drei Wefen, das Eine al8 das urfprüngliche
und zwei von bemjelben abftammenbe.* Der Folgerung
alfo wollten fie entgehen, die Paulus zog, daß, wenn fte
mehr göttliche Perſonen Iehrten als Eine, und bod) zugleich
behaupteten, es fei nur Ein göttliche Wefen, die goͤttli⸗
den Perfonen alfo gleichwefentlich (010070200); fie dann
das Eine göttliche Grundwefen in zwei theilen müßten
für Vater und Eohn, damit fie gleichwefentlich und doch
zwei feien. Ganz benfelben Grund gibt aber auch Safiliue 2)
ald den an, ber die Väter zu Antiochia zu ihrem Befchluß
beftimmt habe: „fie fagten nämlich, ba& Wort „owuoovarog“
biete den Sinn- dar: eines Wefens und ber Theile, in
die daffelbe getheilt fei“. Baftlius fügt bei, dieß fel wohl
der Fall bei bem Metall unb den daraus geprägten Münzen
1) Athanas. de Synod. Arim. et Seleuc. c. 45. . . τοῦ Παύλου
σοφίζεσϑαί τε ϑέλοντος καὶ λέγοντος" εἶ μὴ ἐξ ἀνθρώπων γέγονεν ὃ yolarog
ϑεὸς οὐκοῦν ὁμοούσιός ἐστι τῷ πατρὶ καὶ ἀγαγκὴ τρεῖς οὐσίας εἶναι, μίαν
μὲν προηγουμένην, τὸς δὲ δύο ἐξ ἐκείνης.
2) Basil. ep. 52. . . ἔφασαν γὰρ ἐκεῖνοι (bie Bifchöfe zu Antiochia)
τὴν τοῦ ὁμοουσίου φωνὴν — ἔννοιαν οὐσίας Te καὶ τῶν ἀπ᾽ αὐτῆς
ὥστε καταμερισϑεῖσαν τὴν οὐσίαν παρέχειν τοῦ ὁμοουσίου τὴν προφηγορίαν
τοῖς ei; ἃ διηρέϑη. :
20
20 Die Verwerfung des ὁμοούσως qu πη σέων;
nicht aber bei Gott; ta gebe εὖ fein älteres, urfprünge
liches, beiben dem Vater und Sohn vorangehendes Weſen.
Man fiebt, daß beibe Väter, Athanafius und Baſilius in
9(ngabe des rundes übereinftimmten. Bei Athanaflus
zieht Baulus von Gamofata bie Folgerung den Bifchöfen
gegenüber, bag bei ihrer Lehre von einer perfönlichen Ver⸗
- fdjiebenBeit von Vater und Sohn das ὁμοούσιος nuth>
wendig den Sinn haben müfle, einer Theilung be& ur»
fprünglichen göttlichen Weſens; bei Bafllius geben bie
verfammelten Väter bie Möglichkeit einer folchen Solgerung
ju, und entföhließen fi), das Wort zu vermeiden. Wenn
aber Hilarius denfelben Grund der Ablehnung diefes Aus⸗
brudé, ber von ben zwei oben genannten Bätern der Sy⸗
nobe von Antiochia zugefchrieben wird, feinerfeits αἰ folchen
anführt, ber den Semi-Arianern al8. Stüge ihrer Weige⸗
rung diente, das „Ouoovorog“ anzunehmen, indem fie fag:
ten, fie müßten fid befjen weigern: „quia per verbi
hujus enuntiationem substantia prior intelligeretur, quam
duo partiti essent; fo ift das bod) noch fein Beweis,
bag bie Väter nichts Beftimmtes wußten von bem Vorfall
zu Antiochia. Konnten denn die Semi» Arianer nicht
denfelben Grund haben das „Ouoovaog“ nicht anzuneh⸗
wen, wie bie Bifchöfe zu Antiochia? Iſt εὖ nicht viel»
mehr wahrfcheinlih, ja ganz natürlich, daß fie benfelben
Grund dafür anführten, wenn fie fid einmal auf jene
frühere Eynode beriefen? Wir fehen alfo, daß bie drei
genannten Bäter Feineswegs von einander abweichen. Der
ganze Unterfchied befteht nur darin, daß Athanafius ale
ein Räfonnement des Paulus von Samoſata angibt, was
Bafilius als Keflerion und beftimmenden Grund den vers
fammelten Vätern felbft zufchreibt. Daraus folgt aber
De Verwerfung des ὁμοούσιος zu Antiothien. 41
nur einfach Died, daß fid) bie Väter zu Antiochia beftims
men liefen in der Wahl ihres dogmatifchen Ausprude
durch jenes Rälonnement des Paulus von Samofata. Aus
Hilarins ergibt fd) ebenfo einfach, daß aud) bie Gemis
Arianer ben Bifchöfen zu Antiochia wie im Abweifung des
ὁμοούσιος, fo aud) in Betreff des dazu beftimmenden Grun⸗
bes beipflichteten.
Ader, wendet man Bier ein, auf ſolche abfutbe So;
phiſtik fonnten bie Väter unmöglich Rüdficht nehmen, denn
bie Semi-Arlaner wohl fonnten dieſen Grund als Bors-
wand ihrer Weigerung in Betreff des ὑμοούσιος anführen;
ἐδ laͤßt fid aber nicht einfehen, was bie Antiochenifche
Synode von 269 dazu veranlaßt haben follte; denn in
ber Lehre des Paulus von Eamofata [ag Nichts, was
gerade biefe Deutung begünftigen konnte. Gerade das
Gegentheil von dem, was das Wort feinem urfprüngliden
Ginne nad) fagt, daß Water und Sohn Eines Wefens
feien, foll Paulus aus demfelben gefolgert haben, nämlich
daß drei Wefen feien, Ein urfprüngliches und zwei daraus
hervorgegangene. Diefer Sophiſtik wegen fonnten bie Väter
faum einen in der Kirche ſchon recipirten dogmatifchen
Ausdrud venperfen. Ich meine aber, was die abfurbe
Sophiftif des Baulus betrifft, fo ift es an fid fdon nicht
unwahrfcheinlich, daß bie Väter bel ber Wahl ihres Aus:
bruds darauf Rüdficht nahmen, da Baulus jedenfalls ein
in jener Gegenb febr beveutender Mann war, fdjon ale
Biſchof von Antiochla, einer der erften Kirchen des Drients,
bann aber auch durch feine perfönlichen Eigenfchaften,
feine geiftige Gewandtheit und feinen Anhang. So wie
fih fpäter die Bifchöfe zu Nicka durch bie Gopbiftif des
Artus und feiner Anhänger beftimmen ließen in der Wahl
22 Se Berwerfung bed. ὁμοούσιος zu Antiochier.
ihrer Ausprüde, und namentlich in der Wahl des ,ὁμο-
ovoros“; ebenfo fonnte dieß auch zu Antiochia gefchehen,
namentlich auch in Betreff des ὁμοούσιος. Jene Folgerung
aber erfcheint fo abjurb, fo unlogifch nicht, fonbern viel
näher liegend, wenn man bie firchliche Lehre in ihrer Voll⸗
ftändigfeit betrachtet. Nicht blos von Einem göttlichen
Wefen, fondern auch von den göttlichen Perfonen war bie
Rede, von Vater und Sohn. Diefes nun gab dem Pau:
lus VBeranlaffung zu jenem Räfonnement. Daß bie zwei
göttlichen SBerfonen von einander verfchieden und doch jede
das gleiche, nämliche Wefen haben follte, ſchien ihm
unmöglich und fein Berftand jog aus ber behaupteten
Bleichwefentlichfeit zweier Perfonen die Gonfequenz, daß
bienad) das Eine gleiche Wefen unter bie zwei SBerfonen
vertheilt fei, fo daß zwar beide göttliche Perfonen gleiches
Wefen, aber nicht jede das nämliche habe. Diefe Folgerung
mochte er aus ber Lehre der Väter ziehen, daß brei gött:
liche Perſonen feien und doch nur Ein göttliches Weſen.
Die Mehrheit göttlicher Perfonen, wollte er beweifen, fei
mit der Homooufie unvereinbar, ober. führe zu jenen Gons
fequenzen. Dagegen ift e8 fehr wahrfcheinlich, bag er
behauptete, ber Ausdruck ὁμοούσιος pajje ganz für feine
Lehre, und führe nothwendig zu derfelben. Er (dugnete
nämlich bie Perfönlichfeit des Logos, unb Ite ibn nur
für eine unperfönliche göttliche Kraft gelten; unb fo fonnte
er freilich fagen, daß bie Homooufle des Logos mit bem
Vater bei ihm zu feiner Theilung des göttlichen Wefens
unter zwei Berfonen führe Daß Paulus wirklich das
»0u00v005“ als für feine Lehre paffenber in Anfpruch
nahm, deutet auch bie ſchon früher angeführte Stelle bei
—
Die Verwerfung de ὁμοούσιος zu Antiochien. 23
Hilarius 1) an, wo gefagt wird, bie Väter zu Antiochia
hätten das οὐμοούσιος““ barum zurüdgewiefen: quia "per
hanc unius essentiae nuncupationem solitarium aique uni-
cum sibi esse Patrem et Filium praedicabat ( Paulus
Samosatenus ). Daß «8 bei Eufebius heißt, Paulus
von Samofata erneuere den Irrthum des Artemon, bes
weist Nichts gegen biefe Auffaffung feiner Lehre; denn
dort ift nicht gefagt, daß nach Paulus ber λόγος von bet
Erde ftamme, fondern bag ber Sohn (υἱὸς) von Unten,
von ber Erbe fei. Der λόγος war ihm, eine göttliche
Kraft, alfo von Dben. Den Antitrinitariern war es ja
überhaupt eigenthümlich, „Sohn“ und „Logos“ zu unters
ſcheiden, eben weil ihnen ber λόγος feine Berfon, unb
nicht vom Water gegeugt war, alfo nicht Sohn (υἱὸς) ges
nannt werden fonnte ohne bie Verbindung mit bem von
ber Erde ftammenden, von der Jungfrau geboruen Mens
ſchen Jeſus, durch bie er erft Sohn wurde.
Sd) glaube nun durch biefe Unterfuchung hinlaͤnglich
gezeigt zu haben, daß jene Bedenken, Unerflärlichfeiten
und Schwierigfeiten, durch bie man jene von den Semi⸗
Arianifchen Bifchöfen behauptete und von ben drei genann⸗
ten SKirchenvätern zugegebene Thatfache in Betreff dee
„ouoovoros“ in Abrede ftellte, keineswegs fo unlösbar
fen, bag fie uns berechtigten, fo gewichtige hiftorifche
Zeugniffe zu verwerfen.
1) Hilar. de Syn. c. 81.
Dr. Srobfhammer.
\ 2.
Die Ketzertaufe.
Zweiter Artikel.)
3. Das Borhergehende hat das Dogma von ber
Ketzertaufe vorgeführt und hiftorifch gerechtfertigt. Es
bleibt übrig, daß noch eine innerliche Rechtfertigung, Rechts
fertigung des Dogma vor der Vernunft, gegeben werde.
Eyprian bat gegen bie Gültigfeit der Ketzertaufe
wohl Alles vorgebracht, was fid) dagegen fagen läßt. Es
ift Folgendes. Erſtens bie Adminiſtration der Taufe ift,
fhon an fif, eine Verrichtung, welche vorzunehmen bie
Keper unfähig find. Die Taufe ift ein factifches Befennt-
nif des Glaubens an ben breifaftigen Gott. Aber gerade
diefen Glauben befigen bie Keber nicht oder haben ihn
bod) gänzlich verberbt, bis zur Unfenntlichfeit entfte(It. Wie
fónnten fte die Taufe verrichten, welche ein Ausdruck jenes
Gíaubené ift! Wie fónnte Marcion im Namen des dreis
faltigen Gottes taufen, da er ja nicht an biefen glaubt 9!
Wohl wird eingewendet, und muß zugegeben werben, daß
bie eger bie rechte Formel anwenden, den Worten nad
im Namen des breijaltigen Gottes taufen. Allein hierauf
1) Siehe Jahrgang 1849, Heft 4.
2) Ep. 73, 4, 5. Ep. 74, 7.
Die Kepertaufe, 25
ift zu erwidern, (te thun dieß nur, um zu täufchen unb
Gott noch mehr zu läftern; ein wirkliches und ernftge
meinte& Defenntniß des dreifaltigen Gottes darf darin
‚nicht erblidt werden‘). Aber gefe&t auch, fie haben in
Betreff Gottes den rechten Glauben — was 3. 9. bei ben
Domeftifen der Wall it —, fie find dennoch unfähig,
gültig zu taufen, weil fte fid) außerhalb der Kirche
befinden?) Dieß ifl das Weitere und Entfcheidende.
Die Kirche, fagt Goprian, ift ebenfo Eine, wie Ehriftus
Einer ift, und ebenfo ausfchließlich Vermittlerin des Heiles,
wie e8 bie Arche gewefen. Folglich ift in ihr alle Wahrs
heit und alle Gnade, et gratia et veritas omnis 5); und
alfo auch in ihr allein bie Taufe ), bie erfte aller Gnas
denerweifungen 5. Es gibt nur Eine Taufe, unb biefe
(ft bei ung, ift innerhalb, ift ber Kirche allein durch αὐτί
liche Erbarmung jugeftanben 9). Folglich gibt e außerhalb
ber Kirche feine Taufe, und alfo auch feine Adminiftration
ber Taufe). Wer die Taufe nicht befipt, ber fann fie
nicht geben, und wo fie nicht gegeben werden fann, ba
fann fie auch nicht empfangen werben 5). Kurz: wenn
die Kirche Eine ift, und daran iít bod) wohl nicht zu
zweifeln, dann kann es außerhalb der Kirche feine Taufe
1) Ep. 75, 7. 10. 11. (Diefer Brief des Firmilian darf ohne
Anftand als ein Eyprianifcher befanbelt werden, denn er if mur ein Echo
der Eyprianifchen Argumentationen).
2) Ep. 76, 7.
3) Ep. 71, 1.
4) Ep. 74, 11.
5) Ep. 73, 12. 24 cf. Ep. 74,8
6) Ep. 74, 3.
7) Ep. 70, 1.
8) Ep. 71, 1.
26 | Die Kehertaufe.
geben ). Es müßte denn nur fein, daß entiweber bie
Taufe von der Kirche getrennt ober die Kirche fetbft zer⸗
theilt werden Fönnte. Allein das Eine wie das Andere ift
rein unmöglich *?). Wenn daher bie Gegner die Gütigfeit
der fepertaufe mit Berufung auf die Einheit der Taufe
-behaupten, fo weiß Eyprian gar nicht, was fie fügen
wollen und muß unbegreiflihe Verblendung darin ers
bliden 9), — Eyprian geht noch weiter. Die $teger, fagt
er, find nicht nur und nicht einfach außerhalb der Kirche,
fondern fie find Feinde Chrifti, wirfen dem chriftlichen
Heilswerke geradezu entgegen. Wenn aber dies: wie koͤn⸗
nen fie dann im Stande fein, chriftliche Gnade zu ver;
mitteln ! *)
Hiemit find wir bei bem Zeiten angelangt. Zum
Zweiten nämlich find bie Keger unfähig, gültig zu taufen,
weil fie Das nicht geben können, was durch die Taufe
vermittelt wird — Sündennachlaß und Kindfchaft Gottes,
Sn der Taufe und durch biefelbe werben erftens bie Süns
den nachgelaffem Nun aber Bat der Herr die Macht,
Sünden: nachzulaffen, nur ber Kirche, nur bem Petrus
und ben übrigen Apofteln gegeben, und außerhalb ber
Kirche gibt có feine Sünden-Nachlaffung, kann weder gez
bunden noch gelöst werben. Solglich befinden fid) außers :
halb der Kirche auch nicht bie Mittel zur Suͤnden⸗Nach⸗
lafjung, namentlich alfo nid)t bie Taufe, und fann fomit
„von den Häretifern nicht getauft werden 5. Mit ber
1) Ep. 71, 1.
2) Ep. 73, 25. Ep. 74, 4.
3) Ep. 71, 1. cf. Ep. 73, 21.
4) Ep. 70, 3.
9) Ep. 70 passim. Ep. 73, 7.
Die Kebertaufe, 27
CünbenzStadjlafung (ft verbunden zweitens bie Wieder⸗
geburt, nativitas secunda; in ber Taufe ift e&, daß Gott
Kinder geboren werden durch Ehriftus. Wie kann man
wun aber fagen, dieß fónne in ber Härefie gefcheben!
Nicht bie Härefie, fondern bie Kirche ift bie Braut Chriſti;
unb folglich ift cà durch bie Kirche allein und in derfelben,
daß jene (geiftige) Geburt vermittelt wird ἢ). Deßhalb
ift unbegreifli, wie Stephanus zu der Behauptung komme,
bie Härefie fönne_Kinder gebären, welche bann bie Kirche
fi aneigne und auferziehe ?). Wie könnte εὖ auch anders
fein? Sündennachlaß und Wiedergeburt find .9Berfe unb
Gaben des heil. Geiſtes; aber gerade am heil. Geifte ift
es, daß bie Härefie nicht ben mindeften 9Intbei hat. Wie
fönnte fie alfo die Gaben des hi. Geiftes verleihen! Nies
mand fann geben, was er felber nicht befigt 3).
Damit hängt zufammen, daß anerkannter Maßen bie
Häretifer nicht fähig find, das Gacrament der Firmung
zu ertheilen *), Hier ift ἐδ, daß Eyprian feinen Gegnern
mit bem Vorwurf ber Inconfequenz ftark zu Leibe geht.
Können, fagte er, die Keger taufen, fo müffen fte auch
firmen fónnen, und ihr irrt, wenn ihr egtereó. in Abrebe
ſtellt. Können fie aber, wie ihr der Wahrheit gemäß zus
gebet, das Cacrament der Firmung nicht ertheilen, bann
offenbar aud) das der Taufe nicht, denn es ift ein unb
1) Ep. 74, 6.
2) 1. c. Befonders dem Firmilian fcheint erwähnte Meinung bes
Stephanus geradezu abfurb und lächerlich zu fein.
3) Ep. 74, 5. Ep. 75, 8. 13. Ep. 76, 11; Ep. 75, 9. Ep. 70, 2.
4) Ep. 70, 2. Diefe Stelle ift. theilweife corrupt, und, wie εὖ
ſcheint, nicht wieder herzuftellen. vgl. Migne Patrol. III, 1040—1042.
Das im Tert Gefagte aber liegt flat und unzweifelhaft darin.
28 Die Repertauf
verfelbe heil. Geift, ten fie hier wie dort nicht mittheilen
fönnen. Es ift nicht möglich, daß ein Theil ihrer Functios
nen nichtig, ein anderer gültig fe!) Wer den von
Ketzern Getauften die Firmung, aber aud) nur biefe ers
tBei(t, handelt fo, wie wenn Rechtfertigung und Kindfchaft
Gottes durch eines der beiden Gacramente erlangt wer»
ben fónnte. Das ift aber falfh, da gefchrieben fteht:
Mer nicht wiebergeboren ift aus dem SBaffer und bem
heit. Geifte 1c. ἢ. Kann alfo ba& eine biefer Sacramente
nur in der Kirche ertheilt werben, dann nothwendig auch
das andere. Ja man muß nod) weiter gehen und bes
haupten: Wird ben Kegern die Taufe geftattet, bann
muß ihnen alles Uebrige geftattet, zugegeben werden, daß
fie alle Firchlichen Bunctionen vornehmen Finnen, denn
die Taufe ift der erfte und infofern wichtigfte Akt ber
Rechtfertigung, fo daß wer ihn vornehmen kann, alle an⸗
dern vorzunehmen fühlg ift 5).
Diefe Argumente unterftügt Goprian , wie wir fdon
im Fruͤhern gefehen haben, mit zahlreichen Gitaten der heit.
Schrift. Hauptfächlich find es das abgegränzte Paradies,
die Arche, Der verfchloffene Garten des hohen Liedes
(Cant. 4, 12. 13.), worauf er fid) beruft; Gfore, Dathan
und Abiron (Num. 16) find ihm ein Beifpiel dafür, daß
Unberufene nicht ungeftraft priefterliche Bunctionen vers
richten; beweifend für ibn find ferner alle jene Stellen,
welche Verdammung über bie Verächter Gottes, Unglaͤu⸗
bige unb Abtrünnige ausſprechen; Apg. 10, 48 liefert ibm
1) Ep. 70, 8. 71, 1. 73, 6. 74, 5.
2) Ep. 72, 1.
3) Ep. 73, 12.
Die Kepertaufe; 29
ben Beweis, die Taufe könne nicht gefpenbet werben ohne
gleichzeitige Mittheilung des 6. Geiftes, und Apg. 19 den nod)
fhlagenderen, bag bie Apoftel eine fremde Taufe nicht als
gültig anerfannt, Befonderes Gewicht wird auf Matth.
16, 19; Sob. 20, 22. 23 gelegt u. f. τὸ.
Gegen diefe Beweife hat fdon ber im Fruͤhern
mehrgenannte anonyme Zeitgenofie Goprianó außer ber
Tradition Folgendes geltend gemacht. Erftend: bie von
Ketzern verrichtete Taufe hat ein Analogon an der von
Cünbern verrichteten.. Wenn Keber deßhalb nicht taufen,
nicht Sünden nachlaffen und ben heil. Geift mittheilen
fónnen, weil fie mit jenen felbft behaftet find, biefen aber
nicht befigen, fo fónnen auch Sünder innerhalb ber
Kirche, ſündhafte SBriefter, Bifchöfe ꝛc. nicht taufen, denn
bei diefen findet ja baffelbe Statt, wie bei jenen. Spricht
man aber biefen bie Fähigfeit zu taufen nicht ab — und
Xiemanb thut e —, bann darf man fie confequent auch
Jenen nicht abfprechen (cap. 10). Der Grund aber, zweis
tens, warum man bie Sepertaufe, fo fie nur im Ramen-
Jeſu vollzogen ijt, anerfennen muß unb fomit nicht wier
berbolen darf, Liegt in der Majeflät und Kraft des Nas
mens Jeſu. Diefer Name ift fo fráftig, bag er Großes
wirkt, auch wenn er von falfchen Propheten ausgefprorhen
wird. Es ift alfo eine Beeinträchtigung ber dem Namen
Jeſu fehuldigen Ehrfurcht, wenn man bie in demfelben,
bon wen immer, vollzogene Taufe nicht gelten läßt (c. 12).
Der Einwurf, drittens, "löst fid) Leicht, welcher von bem
Umftande hergenommen ift, daß die Keger nicht bie Faͤhig⸗
fet befigen, das Sacrament der Firmung zu ertbeilen.
Allerdings gehört bie Firmung wefentlich, ald Ergänzung,
wu der Taufe, die Geiftestaufe zu ber Waſſertaufe. Allein
36 | Die Regertanfe.
beide find doch aud) trennbar; es fann die Waſſertaufẽ
ohne bie Geiftestaufe und biefe ohne jene ftattfinden; im
einen wie im andern Salle hat bann bie andere al8. Er-
gänzung hinzuzutreten. Die heil. Schrift gibt hievon
mehrere Beifpiele. So hat der Eenturio Cornelius juerft
bie Geiftestaufe, erft nachher bie 9Baffertaufe durch Petrus
"empfangen. Umgefehrt haben bie Samariter, der äthio-
piſche Eunuche, ja die Apoftel felbft zuerft die Waffertaufe,
und erft geraume Zeit nachher die Geifte&taufe erhalten.
Daſſelbe findet fehr Häufig auch innerhalb der Kirche
ftatt: fo oft nämlich nicht ber Bifchof, fonbern ein
Anderer tauft, welcher nicht zugleich ba8 Sacrament ber
Firmung ertheilen kann (c. 3 f£).
Hiemit hat ber Anonymus einige ber Hauptpunfte
berührt, worauf εὖ bei Beurtheilung vorliegender Frage
anfommt. Indeſſen ift nicht nöthig, länger bei ihm zu
verweilen. Seine noch lüdenhafte Beweisführung wird
uns fogleich in einer mehr ausgebildeten Geftalt begegnen
— bei dem 5. Auguftin. Diefem ift die Aufgabe zuge-
fallen, bie rage von ber Kepertaufe wiffenfchaftlich — bie
auf einen gewiffen Grab. — zur Entfcheidung zu bringen.
a) Das Hauptgewicht legt Auguftin, wie billig, auf
bie Ueberlieferung, SBeftimmtbeit und Sicherheit der Kir,
deníebre. Sollte ich, fagt er, auch nicht vermögen, bte
von Eyprian und beffen Freunden vorgebracdhten Gründe
‚zu entfräften, id) würde dennoch mit Entſchiedenheit und
Zuverficht an ber Kirchenichre fefthakten 1). — Damit hängt
eine Bemerkung zufammen, welche wir ein vorläufiges
Argument nennen möchten. Auguftinus weist nämlich auf
εν 1) De bapt. c. Don. IH, 1 (2).
Die Repertaufe, 3f
bie llebereinftimmung bin, womit affe Menichen, bie Häs
retifer wie die Katholifen, die SBicbertdufer verabfcheuen !).
Solcher Lebereinftimmung liegt immer etwas Richtiges,
fo zu fagen, ein Gefühl der Wahrheit, zu Grunde; und
unter den Vorausſetzungen, wovon bie Wiffenfchaft auss
jugehen in ber Regel genöthigt ijt, ift dieſe eine ber qus
verläßigften und ftattfafteften.
b) Nach diefem behauptet Auguftin bie Gültigkeit ber
Kegertaufe mit der Berufung auf bie Thatfache, daß die
von’ fündhaften Katholifen, Prieftern, Bifchöfen ertheilte
Taufe allgemein ald gültig arierfannt werde. Vom dritten.
bis fiebenten Buch der Schrift: De baptismo contra Do-
natistas, wo Auguftin bie Argumente des Cyprian und.
ber Bifchöfe des dritten Gouciló von Karthago widerlegt,
fehrt biefer Beweis immer wieder durch alle Snftangen;
Wird gefagt, es [εἰ den Häretifern nicht erlaubt, zu tau⸗
fen, fo antwortet Auguftin: Allerdings; aber eben fo wenig
auch den llugeredbten und Frevlern ἢ. Wird näher bei:
gelebt, bie Häretifer und ESchismatifer fónnen nirht ben
heil. Gift ertheilen und nicht Sünden nachlaffen, weil fie
jenen nicht befigen, mit bicfen durch und durch behaftet
feien: fo entgegnet Auguftin, daffelbe fei der δαί bei den
Sündern und Frevlern innerhalb der Kirche. Könnten
alfo aus genanntem Grunde Sene nicht taufen, dann auch
Diefe nicht. Iſt er aber für Diefe nicht ein Hinderniß,:
bann aud) nicht für Sene. Die Häretifer und Schisma⸗
tifer find einfach Sünder, und unterjcheiden fid) von ben
Sündern innerhalb der Kirche nicht wefentlich, fonbern
1) I. c. V, 5 (6).
2) c. Donat. III, 10 (13).
32 Die Regertaufe.
graduell. Sünde ift Trennung von der Kirche, Unhellig«
feit im Gegenfag gegen bie Heiligfeit der Kirche. Diefe
Trennung fani nun zweifach fein: innerlich und äußerlich,
separatio spiritualis et corporalis. Innerlich von der .
Kirche getrennt, spiritaliter separati, find bie gewöhnlichen
Sünder: Wucherer, Geizige, Ehebrecher, Diebe 2c.; Außer:
lic getrennt, corporaliter separati, find die Häretifer und
Schismatifer. Jede diefer Trennungen hat wieder mehrere
Stufen; ἐδ fann Einer durch mehr oder weniger, durch
größere oder Kleinere Sünden innerlih, und ebenfo burd)
mehr oder weniger Glaubeneirrtbum und WBerfehrtheit
äußerlich von der Kirche getrennt fein. Aber al’ das
macht die Sünde nicht zu etwas Anderem. Allerdings ift
bie Außerliche Trennung, find Härefie unb Schisma eine
größere, gefährlichere Sünde, als jede Sünde innerhalb
der Kirche; bie Häretifer und Schiömatifer find, well fie
nicht bloß spiritaliter, fondern auch corporaliter getrennt
find, mehr getrennt, separatiores, aló bie übrigen Sünder ;
allein im Wefen unterfcheiden fie fid von diefen nicht.
Folglich hängt bie Frage nach ber Gültigfeit ber Kepers
taufe von ber Entfcheidung ber allgemeineren Frage ab,
ob Sünder überhaupt gültig zu taufen vermögen. Da nun
diefe Frage allgemein, auch von ben Gegnern der Keber-
taufe, bejaht ift, fo fant man bie Gültigfeit der Ketzer⸗
taufe nicht beanftanden H.
c) Es ift leicht zu fehen, dieſe Beweisführung bes
b. Auguftin könne eben fo gut aum Gegentheile, nämlich
zu der Behauptung benüßt werden, daß nicht nur bie von
Kepern und Schismatikern ertheilte, fondern auch diejenige
᾿ 1) Donat. IV, 1—5; VII, 51. 52.
Die Kebertaufe. 33
Saufe ungültig fel, welche von Günbem innerhalb ber
Kirche abminiftrirt worden. Sind die gewöhnlichen Suͤn⸗
ber den Häretifern und Schismatifern wefentlich gleich zu
achten, und fónnen [eptere nicht gültig taufen, dann Fön
nen eó aud) jene nicht. Daher ift näher nachzumei-
fen, daß Sünder überhaupt zu taufen fähig felen. Daß fte
ben Taufaft vornehmen fónnen, ift ffar unb eines Bes
weifes nicht bebürftig; das fann jeder Menfch. "Die rage
ift, ob fie jenen Akt fo vorzunehmen im Stande feien,
daß ihm die intendirte Wirkung folge. Wie fónnen
Sünder den heil. Geift mittheilen, ba fie felbft ihn nicht
befigen; wie Sünden nadjíafféen, ba fte felbft-eben von
Sünden befledt find; wie Jemanden mit der Kirche ver-
binden, ba fie felbft, fei ed innerlich oder äußerlich, von
ihr getrennt find? Zur Beantwortung biefer Frage fchei-
bet Auguftin, im Gegenfag zu Goprian, bie Wirfung
bet Taufe von ber Sauffanb[ung unb bem Befip
ber Taufe. Sene fällt ganz auf Seite Gottes; auf Seite
des Menfchen fallen nur die legteren. Nun ift. zwar bie
SBirfung von ber Taufhandlung und bem Befig ber Taufe
infofern abhängig, als natürlicher Weife ohne Taufe feine
Wirkung ber Taufe ift; ja noch mehr: es ift bie Wirkung
Heil oder Verderben, je nachdem ber SBefiger würdig ober
unwürbig ift. Aber daß die Taufe überhaupt eine Wir-
fung bat, ift lediglich Gott zuzuſchreiben, und hängt nicht
vom Willen des Menfchen ab, hängt nicht ab 1) von dem
Befiger ber Taufe, denn ob derſelbe wolle ober nicht wolle,
die Taufe wirft nach feiner Würbigfeit ober Unwuͤrdig⸗
feit; und 2) eben fo wenig von dem Spender berfelben;
ob diefer felbft bie Gnade, befige ober nicht befige, ift für
ben Empfänger vollfommen gleichgültig: Das ZUM
Theol. Quartalſchrift. 4850. L Heft.
94 Die Kebertaufe.
ertheilt Gott dureh Menſchen, böfe wie gute; bie Gnade
des Sacramentes aber erteilt er ohne Vermittlung oder
vermittelft feiner Heiligen ἢ). Mit andern Worten: εὖ
fann wahrbafte Taufe, fann das Gacrament vorhanden
fein, wenn auch bie intenbirte Wirkung fehlt, wenn Wie⸗
dergeburt nicht erfolgt; fo .wie auch umgefebrt, freilich
ausnahmsweiſe, wie y. B. bei dem befehrten Mitgefreuzigs
ten, das Heil vorhanden fein fann ohne das Sacrament.
Kurz: das Sacramentum und bie Conversio cordis find
nicht fo vereinigt, bag aus dem Fehlen des Einen auf
das Fehlen des Andern gefchloffen werben dürfte 9. Hie⸗
mit ift bie erwähnte Ginrebe zurüdgewiefen, deren Haupts
ftärfe darin (ag , die Wirkung der Taufe mit diefer ſelbſt
fo zu verbinden, daß ohne biefe(be feine Taufe wäre und
folglich demjenigen bie Tauffähigkeit abgefprochen werben
müßte, welcher, felbft unheilig, nicht im Stande ift, Hei⸗
ligfeit zu geben. Hat eine Taufe feine Wirfung oder
wirft fie ftatt zum eile, vielmehr zum Berderben, fo hört
fie doch nicht auf, wahre Taufe zu fein; hat fie aber bie
intendirte Wirkung, weil ber Empfänger derfelben würdig
ift, fo ift diefe Wirkung nicht bem Spender der Taufe zus
zufehreiben, fonbern ber Taufe als foldyer ober, genauer,
Gott. In jedem Falle alfo hat der Laufende das Sarras
ment ber Zaufe vollzogen. Wreilid nur dieſes; aber um
bieB allein handelt es fid) bei ber Frage nad) der Statt:
haftigfeit der SBiebertaufe.
1) L c. V, 21 (29): ,Quapropter Sacramentum gratiae dat Deus
etiam per malos; ipsam vero gratiam non nisi per se ipsum vel per
sanctos suos.*
2) 1. e. IV, 25 (32) „Nec si unum horum defuerit, ideo putare
debemus consequens esse, ut οὐ alterum desit."
Die Kepertaufe. 35
Indeſſen fann die fo zurückgewieſene Ginrebe fid) nod)
weiter fortfegen: Allerdings kann jeder Menſch, bet
fhlechtefte wie ber gute, die Handlung vornehmen, welche
die Taufe tft, und ebenfo jeder das Waffer in biefer ber
Kimmten Weife empfangen. Aber follte nicht Gott bie
Wirffamfeit der Taufe, obgleich biefelbe gang in feiner
Hand, davon abhängig gemacht haben, daß bie Taufe
von Heiligen ebenfo gefpendet ald empfangen werde?
3ft denkbar, taf fid Gott unheiliger Menfchen als Werks
guge zur Vermittlung irgend einer Wirkſamkeit bediene ?
Zur Beantwortung biejer Frage macht Auguftin zundchft
auf die allgemein anerfannte Thatfache aufmerfam, daß
dur Sünde, fogar die Sünde der Apoftafle, bie vorher
empfangene Taufe nicht verloren gehe, und macht geltend:
wenn die Taufe fefbft, bann bleibt auch die Fähigkeit, bie
Taufe zu ertbeilen : wenn, wie allgemein zugegeben wird,
ber Sünder, ja ber Apoſtate fortfährt, bie Taufe zu bes
figet, dann fährt er auch fort, fähig zu fein, biefelbe Ans
deren zu geben, denn es läßt (id nicht benfen, daß zwar
bie Taufe fefbft bleibe, bie Ordination Dagegen (Tauffähig-
feit) , welche mit derfelben zugleich empfangen worden,
verloren gehe. Entweder gehen beide mit einander verlos
ren, ober εὖ bleiben beide, denn fie find nicht ohne einans
der I. G6 läßt ſich aud) gar nicht abfehen, warum Gott,
1) L. c. 1,1: Potest extra catholicam communionem dari baptis-
mus, quemadmodum et extra eam potest et haberi. Nullus autem
illorum negat hebere baptismum etiam apostatas, quibus utique re-
deuntibus . .. non redditur, amitti non potuisse judicatur. . . .
Quodsi haberi foris potest, etiam dari cur non potest? Si dicis:
mon recte foris datur, respondemus: sicut non recte foris habetur,
et tamen habetur, sic non recte foris datur, sed tamen datur...
3%
360 — Die Kebertaufe,
wie überhaupt, fo ins Befondere zur Vermittlung bet
Saufgnabe fid) nicht fündhafter Menfchen als Werkzeuge
bedienen follte. Wirkt Gott überhaupt Etwas durch Men-
fhen, bann notfwenbig aud, weil von felbft, durch fünds
Dafte Menfchen, aus dem einfachen Grunde, weil εὖ
andere Menfchen nicht gibt; und wer mill in ber Stufens
feiter der Sündhaftigfeit die Grenglinie ziehen, unter
welcher die Fähigkeit, über welcher die Ilnfähigfeit liege,
Gott a(8 Werkzeug zu dienen? Gerade durch Anerkennung ber
von Sündern, Häretifern ꝛc. ertheilten Taufe zeigen wir,
daß wir wiffen, was wir wiffen müffen, dies nämlich, daß
die Taufe nicht in ben SBerbienften Derjenigen beftehe,
welche dieſelbe verwalten oder welchen fie ertheilt wird,
daß fie vielmehr ihren Beftand in eigener Heiligfeit und
Wahrheit habe, wegen befien, ber fie angeorbnet hat, an»
geordnet zum Verderben für Diejenigen, welche fihlechten,
zum eile aber für Diejenigen, welche guten Gebrauch
davon machen 1); daß, mit andern Worten, die Taufe im
Namen des 93. u. ded ©. u. b. b. ©. nicht irgend einen
Menfchen, fondern Güriftum zum Schöpfer habe 3); daß
Sacramentum enim baptismi est quod habet qui baptizatur, et Sacra-
mentum dandi baptismi est quod habet qui ordinatur. Sicut autem
baptizatus, sı ab unitate recesserit, sacramentum baptismi non amittit,
sic etiam ordinatus, si ab unitate recesserit, sacramentum | dandi
. baptismi non amittit. Es verhält fid) damit, wie mit ber Nota mili-
taris. ib. c. 4 (5).
1) Contra Crescon. Donat. IV, 16 (19): Non eorum meritis,
a quibus ministratur, nec eorum, quibus ministratur, constat baptismus,
sed propria sanctitete et veritate, propter eum a quo institutus est,
male utentibus ad perniciem, bene utentibus ad salutem.
2) Contra Lit. Petil. II, 25 (57): Baptismus in NP. et F. et
Sp. s. Christum habet auctorem, mon quemlibet hominem ; et Christus
est veritas, non quilibet homo. -
Die Kebertaufe. 37
ebenbefbalb bie Taufe Ehrifti, geweiht durch bie evanges
lifchen Worte, nicht durch irgend eines Menfchen Verkehrt⸗
heit verfehrt werden fónne '); weßhalb Goprian im Srrtbum
it, wenn er meint, bie Anerfennung ber fegertaufe ents
halte eine Gonceffion an die Keber; gerade dad Gegen;
theil ift wahr Ὁ.
d) Diefer Schluß des vorgeführten Arguments wirft
uns auf den Anfang zurüd. Man fann zugeben, bie
Taufe Ehrifti bleibe, was fie an fich ift, wer immer, wenn
ein auch noch fo großer Sünder, fte ertheile oder empfange.
Aber offenbar fann nur ein Solcher fle ertheilen, ber fid)
da befindet, wo fie ift. Nun aber tft fie, eben ale Taufe
Gbrift in ber zulegt angegebenen 98eife, nur innerhalb
der Kirche, auf feine Weife außerhalb derſelben. Macht
alfo aud) bie Sünde ber Härefie und des Schisma nicht
an (id) oder als Sünde einen Menfchen unfähig, die
Taufe gültig zu abminiftriren, fo ift dagegen folche Uns
fähigkeit darin begründet, bag ein häretifcher und ſchisma⸗
tifcher Menſch fich auf einem Gebiete befindet, wo die
Zaufe Chriftt gar nicht if. Diefer Gebanfe ift ed vor;
jugsweife, was bem B. Eyprian bei feiner Argumentation
gegen die Keßertaufe vorgeſchwebt. Aber auch hierauf hat
Auguftin genügenbe Antwort. Wie er im Vorhergehenden
bie (relative) Trennbarfeit ver Taufe von der Wirfung
1) De bapt. c. Donat. V, 4: Christi baptismus verbis evange-
licis consecratus non fit cujuslibet hominis perversitate perversus.
2) 1. c. IV, 11 (17): Non itaque patrocinatur haereticis qui
non eis tribuit, quod si et apud eos, non tamen ipsorum esse cog-
noscit. Non nos concedimus haeretico baptismum, sed illius baptis-
mum, de quo dictum est: Hic est qui baptizat; ubicunque invene-
rimus, agnoscimus.
38 ᾽ Die Kehertaufe.
der Taufe bargetjan, fo jest ble Srennbatfeit ber. Taufe
von ber Kirche. Cyprian hat gefagt, Taufe und Kirche
fónnen ſchlechterdings nicht von einander getrennt werben,
separari a se et dividi omnino non posse baptismum et
Ecclesiam. Das beftreit Auguftin und beweist das Gegen»
theil. Die Taufe, fagt er, fann von bem Getauften
nicht getrennt werden; ber ein Mal Getaufte bleibt für
immer getauft. Der Getaufte aber Tann fid) von ber
Kirche trennen, durch allerhand Sünden zuerft geiftig, und
zulegt auch äußerlich durch 9ipoftafte. Iſt aber ber Ges
taufte von der Kirche getrennt, bann von fefóft auch bie
Taufe, die ja mit ihrem Träger fortgehen mußte, ba fie
mit ibm ungertrennlich verbunden ift D, Der Brage, wie
Etwas, was Ehrifti fei, außerhalb der Kirche fein könne,
ba doch Ehriftus nur ba fei, wo bie Kirche, biefer Frage
fest Auguftin eine andere entgegen: wie ift e8 möglidy,
dag Etwas, mas des Teufels ift, innerhalb der Kirche
fei. Kann 2egtere&. fein, und e8 muß fein fönnen, denn
es ift υἱ ὦ, bann auch Erfteres; und wir müffen davon
überzeugt fein, wenn wir e8 auch nicht begreifen *). —
Den einzelnen Einwürfen an biefer Stelle ift. leicht zu
begegnen. Go wenn die Kirche mit dem Paradieſe, unb
die Taufe mit ben Strömen verglichen wird, welche jenes
bewüfjerten, fo entgegnet Auguftin richtig, jene Ströme
1) De bapt. Donat. V, 15. 16 (10).
2) De bapt. c. Don. IV, 7 (10): Si foris nemo potest aliquid
habere quod Christi est, nec intus quisquam potest aliquid babere
quod diaboli est. — ib. c. 9 (13): Sicut ergo et intus quod dia-
boli est, arguendum est, sic et foris quod Christi est, agnoscendum
est. An extra unitatem Ecclesiae non habet sua Christus, et in uni-
tate Ecclesiae habet sua diabolus?«
Die Kepertaufe. 49
feien nicht blos in bem Paradiefe, fondern auch außerhalb
geflofien. Wohlfein und Gluͤckſeligkeit feien freilich nur
innerhalb, nur in bem gefchloffenen Garten; aber er fage
ja aud? nicht, ba das Heil, fondern nur, daß bie Taufe
außerhalb der Kirche zu finden fel '). — Wird ferner die
Kirche mit ber Arche Noah verglichen, jo ift zu entgegnen,
hiedurch werde unfere rage nicht berührt. Allerdings wird
außerhalb der Kirche fo wenig al6 außerhalb ber Arche
Semanb gerettet. Aber son dieſem ift ja bier gar nicht
bie Rede; um was es fid) handelt, ift nur bie Frage, ob
bie von Kebern recht Getauften noch ein Mal zu taufen
feien oder nicht. Daß fie in die Kirche aufgenommen
werden müffen, wenn fte gerettet werben follen, ift feine
Frage). — Gin Haupigewicht legt Goprian auf bie Eins
heit des ἢ. Geifteó. und ber Taufe; auffalfenber Weife, ba
(don Stephanne, wie wir gefehen, auf biefefbe Einheit bie
Gültigfeit der Segertaufe gegründet hat. Yuguftin
führt diefes Argument gegen Eyprian weiter aus. Wie
innerhalb der Kirche ber Sünder unb ber Gute Eine
Taufe haben können, während fie bod) nicht einen und
denfelben Geiſt beftgen, fo fónnen der Katholik und ber
Häretifer eine und Diefelbe Taufe befigen, während fte
nit Eine Kirche befigen 9). Der Apoſtel fagt wörtlich,
es fei Ein Gott und Gin Ehriftus und Eine Hoffnung
and Ein Glaube, Eine Kirche und Eine Taufe. Run gab
(δ aber. fchon zu ber Kpoftel Zeiten Viele, welche zwar
Eine Taufe, nicht aber Eine Hoffnung hatten. Gerade
1) I. c. IV, 1 δ, |
2) L c. V, 28 (39); vgl. cont. Donat. Ep. (de unit. Eccles.) c. 9.
3) De bapt. c. Don. V, 21 (29).
40. Die Kebertaufe,
fo fann e& aud) Solche geben, weiche bei Einerfei Taufe
nicht Eine Kirche haben !). Die Einheit ber Taufe ruht
auf der Objectivität berfelben, darauf,. daß, wie Auguftinus
fagt, nicht irgend ein Menſch, fondern ber Eine Chriftus
Schöpfer derfelben ift. Taufen Häretifer, fo ift, was fte
abminiftriren, gang baffelbe, was die von Fatholifchen Bis
fchöfen abminiftrirte Taufe, bie Eine Taufe Ehrifti. Ges
rabe deßhalb ift bie Kebertaufe als gültig anzuerkennen ?).
— Die Berufung auf act. 19, 5 ift unftatthaft. Paulus
bat nicht bie Taufe Ehrifti, fonbern bie Taufe des Sos
hannes — nicht wiederholt, fonberm durch eine andere
Taufe, durch die Taufe Ehrifti erfegt. Wären die Bes
treffenden auf den Namen bes Vaters ıc. getauft geweſen,
b. b. hätten fie die Eine chriftliche Taufe gehabt, Paulus
würde fie nicht getauft haben. So fönnte unb müßte
aud) bie Taufe des Häretifers eríegt werben, wenn fie
feine Taufe wäre, Allein bem ift nicht fo; denn wenn
er anders wirflich tauft, fo ift, was er verrichtet, nicht
fein, fondern Ehrifti Werk, das bleibende Werk des Einen
Ehriftus 9).
e) Auch diefeg Refultat befriedigt nicht. Sft nicht ber
taufenbe Menfch, fondern Chriftus der eigentlich Taufenbe,
fo ift offenbar wirflihe Taufe nur ba, wo Ehriftus ift.
Chriftus aber ift in der Kirche, unb nur in ihr; ja, will
man genau fprechen, fo muß man fagen: bie. Kirche ift
Ehriftus; außer ihr ift er nicht qu. finden. Somit bleibt
trog aller Gegenreden wahr: «8 gibt wirkliche Taufe nut
1) |. c. V, 26 (37).
.. 2) l. c. IV, (jf. oben).
3) l c. V, 9—15.
Die Ketzertaufe. 4
in ber Kirche, und die Taufe der Häretifer und Schiömatis
fer ift als nichtſeiend zu erflären. Die gleich Anfangs
entgegengeworfene Bemerkung, daß, fireng genommen, bie
gewöhnlichen Eünder gleichfalls nicht zur Kirche gehören,
it nicht entfcheidend. Sind fie auch nicht Ichendige Glie⸗
ber am Leibe Ehrifti, fie find bod) Glieder, während bie
Häretifer und Schigmatifer auch nicht einmal mehr dieſes
find. Das begründet einen wefentlichen Unterfchied,, fo
daß recht wohl bie von Sündern innerhalb der Kirche et»
tbeilte Taufe anerfannt, bie &egertaufe dagegen verworfen
werden fann. Hierin ift bie Cpige ber Oppoſition gegen
. bie Gültigkeit ber Kebertaufe zu erbliden. — Gbenfo ift aber
auch bie Widerlegung dieſes Argumentes bie Spige ber.
Rechtfertigung, welche biefelbe Güttigfeit von Seite Auguftins
erfahren bat. Auguftinus gibt, wie er auch nicht anders
fann, bie Richtigfeit des Argumentes an fid) zu, corrigirt
aber ben Begriff der Kirche unb ben ber Theilnahme an
berfelben. Die Häretifer und Schismatifer find allerdings
aus ber Kirche getreten und ftehen fomit außerhalb ders
felben; aber nicht ohne Weiteres, nicht abfolut. (G8 iſt
möglich, daß fie Dies unb Jenes mitnehmen und behalten;
und infofern hängen fie bann mit ber Kirche noch zus —
fammen. PVöllig gefchieden find fte nur infofern und ins
foweit, al8 fie nicht gemeinfam mit ber Kirche Etwas
haben !). So gehören Häretifer zur Kirche inwiefern unb
1) De bapt. I, 1 (2): In quo enim nobiscum sentiunt, in eo
etiam nobiscum sunt; in eo autem a nobis recesserunt, in quo a nobis
dissentiunt. .. . Si ergo qui recessit ab unitate, aliquid aliud agere vo-
luerit, quam — in unitate percepit, in eo recedit atque disjungi-
tur; quod autem ita vult agere sicut in unitate agitur, ubi hoc ac-
cepit et. didicit, in .eo manet atque conjungitur.
42 Die Ketzertaufe.
in wieweit fie das Evangelium beflgen und befennen.
Insbeſondere findet (i häufig, daß Häretifer, auch fótms
lich excommunicirte (praecisi) bie Gaframente mit ber
Kirche gemein haben, und infofern find fie dann ale
Giieber ber Kirche zu betrachten ). So gibt εὖ wenige
Häretifer, weldye fid) nicht der rechten Taufformel bebiens
ten. Eher taufen fie gar nicht, als nicht recht (de bapt.
VL 25). Taufen fie aber recht, fo taufen fie ald Glieder
der Kirche; bie Taufe, bie (te adminiftriren, ift als kirch⸗
(ide Handlung in Wahrheit nicht außerhalb, fondern inner⸗
halb der Kirche. Schon Stephanus hatte gefagt, bie
Haͤreſie vermoͤge Kinder zu gebären; Sache der Kirche ſei
es dann, die ſo geborenen aufzunehmen, zu ernaͤhren, zu
erziehen und zu legitimiren. Cyprian hatte dies beſtritten.
Auguſtin beweist nun die Richtigkeit der Anſchauung.
Die Söhne, welche Jacob mit den Mägden zeugte, und
welche ganz ebenfo, wie bie von δία und Rachel Gebores
nen erbberechtigt waren, find ein Beweis für bie Richtig,
feit der aufgeftellten Behauptung. — 9lud) Sómael ward
nicht wegen feiner Abftammung, fondern wegen feines
Uebermuthes verftoßen. So erzeugt die Härefie ber Kirche
Kinder, nicht inwiefern fie von der Kirche getrennt, fonbern
inwiefern fie mit ihr verbunden -ift in ber Einen Taufe.
Es if Eine Kirche, bie einzige fatfolifde; und wenn ihr
butd) bie Härefie Kinder erzeugt werben, fo ift in Wahr⸗
beit fie felbft die Mutter, fie felber zeugt, zeugt baburd)
baB Etwas von ihr in ber Härefie ift. Nicht alfo das
©etrenntfein der Härefieen zeugt, fondern dasjenige in
ihnen, was fie von der katholiſchen Kirche beibehalten
1) c. Donat. Ep. (de unit, Eccl) c. 74; de bapt. 111, 19 (26).
Die Kekertaufe. 43
haben. Laflen fie auch dieſes fahren, bann erzeugen fie
nicht. Sie alfo, die Kirche, erzeugt in Allen, wenn und
inwiefern ihre Sacramente beibehalten werden. Kurz: bie
Kirche erzeugt Kinder nicht nur aus ihrem eigenen Schooße,
fenber aud) aus dem Echooße ber Mägde, durch bie
gleichen Sacramente, welche fozufagen der Saame ihres
Saiten find ). Die Kirche, fagt Auguftin an einem
andern Orte, ift es, welche Alle erzeugt (als Kinder Got
tes), fei e8 aus ihrem eigenen Schooße, fei es aus frem⸗
bem durch ben Saamen ihres Gatten. Wenn wir daher
die Taufe ber Häretifer und Schismatiker (Donatiften)
annehmen, fo nehmen wir nicht eine Taufe von Häretifern
an, denn nicht Werk der Häretifer und Schigmatifer ift
die Taufe, fondern Werk Gottes unb ber Kirche, wo immer
fie fich finden und woher fie fommen möge *).
Hiemit (jt bie fehwierige Frage, wie Chriftus außer
halb ber Kirche fein fónne, eine Stage, welche früher nur
mit einer Gegenfrage beantwortet werben fonnte, bireft
und genügend beantwortet. Wie Gfriftuó nicht blos als
perfönlich erfcheinender, fondern unfichtbar von Anfang an
in der Welt gewefen und gewirft hat: fo ift und wirft er
auch jebt und fortwährend nicht blos in der Kirche, fons '
bem auch außer berfefben, in ber ganzen Well. Wie
nicht bios bie von unmittelbarer Offenbarung Gotte& ges -
tragene Entwidlung Sfraeld, fondern die Gefchichte aller
vorchriftlihen Völker eine Gefchichte ber Vorbereitung auf
Ehriftus, bie Gefchichte gleichfam des werdenden Chriftus
war: fo ift nad) Ehriftus bie ganze Menſchheit infofern
1) De bapt. I, 10 (14).
2) L c. cap. 14: 15 (22 seq.) und V, 24 (35).
44. Die Ketzertaufe.
Kirche, als fie nicht nur bie Beflimmung hat, fondern
‚beftändig im Begriffe ift, vom chriftlichen Geifte durch⸗
drungen zu werben, fid zum Leibe Chrifti zu geftalten.
Was bie eigentliche Kirche in voller Wirklichkeit, das ift
bie gefammte Menfchheit der Möglichkeit nad. Das ἰ e$,
warum man fagen muß, Chriftus [εἰ auch außerhalb ber
Kirche; und in biefer Wahrheit ift bie Möglichkeit gültiger
Taufe burd) Häretifer zulegt gegründet.
f) Aber, wie man ftebt, nicht nur durch Häretifer,
fondern durch jeden Menfhen. Auguftin hat biefje
Eonfequenz erkannt, aber nicht gewagt, unummunben aus
zufprechen.. Einer Seits fonnte er fid) von dem Gebanfen
nicht recht losmachen, von welchem er ausgegangen war,
daß bie Häretifer die Fähigkeit zu taufen deßhalb beftgen,
weil fie beim Abfall von ber Kirche bie Taufe felbft und
mit ihr auch bie Fähigkeit behalten haben, bie Taufe zu
ertbeilen; anderer Seits fehlte folcher Behauptung ber
Stügpunft Firchlicher Entſcheidung; die Kirche hatte fi
noch nicht über bie Gültigfeit ber von Suben und Heiden
ertbeilten Taufe ausgefprochen; ohne ſolche Gtüge aber ΄
wagte Auguftin überhaupt entfchiedene Behauptungen nicht.
(δ) pflegt, fagt er, bie Frage aufgeworfen zu werben, ob
jene Taufe anzuerkennen fei, bie von Einem ertheilt wird,
welcher felber nicht getauft ift; und fährt dann, nachdem
er nod) einige andere, gleich fehwierige Fragen erwähnt
bat, fort: „das Sicherſte ift, nicht mit vermegener Meis
nung bervorzutreten in Betreff folcher Bunkte, welche nicht
auf einem Provincialconcil erörtert, nicht durch ein als
gemeines Concil entſchieden find;“ und fegt bann bei, er
würde, fragte man ihn auf einem Goneil nach feiner Mei⸗
nung, antworten, baf er bafür-halte, alle diejenigen bes
Die Kehertaufe. 45
figen die wahre Taufe, welche blefefbe wo immer unb von
wen, wenn nur mit den evangelifchen Worten adminiftrirt,
empfangen haben, ohne Heuchelei und mit einigem Glau⸗
ben ). Daß diefe Meinung des heil. Auguftin durd
nadjberige Entfcheidung der Kirche gerechtfertigt worden,
bat das Frühere gezeigt. Die wiffenfchaftliche Rechtfertis
gung berfefben wird fich, foweit fie nicht (don in bem
futy vorher Beigebrachten enthalten ift, im Folgenden von
felbft ergeben. |
4) Fragen wir aber jrgt, am Schlufie der weitläufis
gen Argumentation: was ift erwiefen, fo erhalten wir eine
Antwort, welche für ben Augenblid bie aufgemanbte Mühe
ale vergebliche erfcheinen läßt, Borftehende Argumentas
tion hat nicht blos für die Taufe, fondern für fámmte
lide Sacramente bewiefen. Denn nicht nur von ber
Taufe, fondern von fämmtlichen Sarramenten gilt das,
worin ber Kern des Argumentes liegt: daß nämlich ber
Minister Sacramenti Organ Gottes, und daß εὖ befbalb
gleichgültig fei, welche und welcherlei Menfchen bie Gacra«
mente miniftriren, Sehr gut fagt der heil. Auguftin nicht
blos in Betreff der Taufe, fondern aller &acramente ohne
Unterfehied: „Wenn Gott in den Sacramenten und in
feinen Worten (wirffam) ift, durch wen immer fie vers
waltet werben mögen, fo find bie Gacramente Gottes überall
gut, bie ſchlechten Menfchen aber, denen fie Nichts nügen,
überall verfebrt ?). Aber damit bricht er feinem fo feharfs
finnig durchgeführten Beweife die Epige, Daß alle
1) De bept. c. Donat. VII, 53 (101. 102) vergl. c. Epist
Parmen. IL, 13 (30). |
2) De bapt. c. Don. Y, 19 (27). .
46 Die Seperteufe.
Sarramente durch Häretifer, Suben, Helden gültig vers
waftet werben können, wollten wir nicht beweifen; das ift
zuviel. Ebendeßhalb aber ift ber Beweis wenn nicht vers
fehlt, fo bod) ungenügend. Was wir wiffen wollten, ift
nicht nur der Grund, warum bie Taufe durch Häretifer 1c.
gültig abminiftrirt werden fónne, fondern zugleich auch
der Grund, marum von ben übrigen ober von andern
Sarramenten nicht das Gleiche gelte, ba bod) alle Gacra;
mente gleichen Wefens find. Diefe Vollendung des Argus
mentes bat Auguftinus feinen Rachfolgern überlaffen.
Diefe aber begnügten fid größtentheild mit ber Wies
derholung der Auguftinifchen Argumente Was fie hinzu⸗
getban, befteht faft nur theils in Schärfung der Logik
durch abftractere Haltung des Ausdrucks, wie befonders
bei Duns Scotus 1); tbeilá in fuftematifcher Ordnung des
bei Auguftin zerftreut Liegenden — worin fid) unter ben
nachfcholaftifchen Theologen befonders Berti auszeichnet ἢ);
tbeifó in forgfältig Diftorifer Begründung, wie befonders
bei den großen franzöfifchen Theologen des 17. unb 18.
Sahrhunderts. Nur Thomas und Bonaventura haben
biefe beftimmte Frage, um bie es hier fid) Handelt, feft
in's Auge gefaßt und zu beantworten gefucht.
Thomas, nachdem er, an Auguftin Kd) anfchliegend,
ausgeführt hat, daß 1) ber Taufende blos Minister (quasi
ö— ——
1) ad Sentt. L. V. Wenn indeſſen Scotus zu Sentt. IV, D. VI,
qu. 5 n. 10 fagt, der völlig Ungläubige fónne ebenfogut einen Menfchen
mit der chriſtlichen Sefte verbinben, b. h. taufen, als der Gläubige einen
. Menfchen mit der jübifdjen Gefte verbinden, b. B. befchneiven fünne: fo
fpricht er einen Gebanfen ans, durch ben er weiter wittbe gefährt wore
ben fein, wenn er ihn verfolgt Hätte. Aber er hat — nicht verfolgt.
2) Theol. hist. dogm. Lib. 31, c. 14.
Die Ketzertauſe. 4
instrumentum) fei, und Chriſtus fi) jedes beliebigen Men⸗
fben als Ministri bedienen fónne, unb 4) näher jeder
Saufenbe inwiefern er die Intention der Kirche habe, ale
Minister Ecclesiae gelten müffe: fo gibt er an, εὖ fei bie
Nothwendigkeit ber Taufe, was fragliche Erfcheinung
begründe !). Bei diefem Grunde find bie Theologen,
wenn fie anders auf bie rage eingingen, ftehen geblieben.
So insbefondere bie Berfafler des römifchen Katechismus 2).
Näher angefeben aber dürfte er fohwerlich genügen. Zwar
gibt er bie Nothwendigkeit fraglicher Thatfache an: Gott
müffe bie von Ungläubigen (Nichtehriften) ertbeilte Taufe
anerfennen, nachdem er ein Mal 1) wolle, daß alle Menſchen
felig werden, und 2) die Erlangung ber Seligfeit vom
Empfang der Taufe abhängig gemacht habe; eine Nöthis
gung, welche in Betreff der übrigen Gacramente nicht vors
banden fei, weil diefen nicht bie gleiche Unentbehrlichkeit
zufomme 5. Allein man fónnte (id) verfucht fühlen, bier
anzuwenden, was Plato und Ariftoteles über ben Νοῦς des
Anaragoras bemerken ἢ. Die Nothwendigfeit ber
1) Sum. P. III, qu, 67. art. 5 vergl. art. 3. 4. $8. art. 5 ad 3:
Ad tert. dic. quod alia sacramenta non sunt tantae necessitatis, sicut
baptismus; et ideo magis conceditur, quod nonbaptizatus pessit
baptizare, quam quod possit alia sacramenta suscipere.
2) P. IL c. Il. qu. 23: Nam cum hoc sacramentum necessario
ab ommibus percipiendum sit, quemadmodum aquam ejus materiam
instituit, qua nihil magis commune esse potest: sic etiam neminem
ab ejus administratione excludi voluit. Vergl. Perrene Tract. de
bapt. c. 3. prop. 2, Obj. 3.
3) S. Thom. 1. c. art. 3: Resp. dic. quod ad misericordiam ejus
qui vult omnes homines salvos feri, pertinet ut in his quae sunt de
necessitate salutis, homo de facili remedium inveniat n. f. w.
4) "Avotayóga; τε γὰρ μηχανῇ χρῆσαι τῷ νῷ πρὸρ τὴν κοσροποιΐαν,
18 Die Keytzertaufe.
Taufe für Die Menfchen fteht zu ber Thatſache, welche
zu erflären ift, nicht in birefter, oder beffet, in gar feiner
Beziehung, Tann alfo nicht der wirkliche Grund derſelben
fein. Die Taufe fann von Jedermann, andere Sarramente
nur von Gliedern bee Kirche, näher fogar nur von Gliedern
der Hierarchie gefpenbet werben. Das läßt fid) nur bann
erflären, wenn die Taufe an fid) (ganz abgefeberi von
. deren Rothwendigfeit für bie Menfchen) von jenen andern
Sarramenten irgendwie unterfchieden ift. Findet fid) fols
cher Unterſchied nicht, bann läßt fid) jene Thatfache nicht
begreifen, .und wir thun befler, einfach bei der Firchlichen .
Praxis ftehen zu bleiben, ohne nad) einem Erflärungss
grunde aufer bem hiftorifchen zu fragen. Zu welcher Bes
griffsverwirrung es führe, wenn bieje ebenfo einfache als
unbeftreitbare Wahrheit nicht beachtet und gewürdigt wird,
bat (don das Frühere (bie Erörterung über bie manus
impositio) batgetban, unb möge bier beftimmter an einem
Beifpiel aus ber neueften Literatur gegeigt werben. G6
ftebt uns reiche Auswahl zu Gebote. Wir wählen bie
Dogmatif von 3Berrone, weil fie zu ben angefehenften ges
hört. Diefelde hat folgende Propositio: „In sacramento-
rum ministro ad valide conferenda sacramenta non est
necessaria fides, adeoque validus baptismus ab haereticis
rite collatus;^ und fagt bann zu deren Begründung:
„Haec propositio quod spectat ad baptismum de fide est“
(Trid. can. IV de bapt.) .... ,Quod vero attinet. ad
sacramenta reliqua (si poenitentiam excipiat, non quidem
xol ὅταν ἀπορήσῃ διὰ ti αἰτίαν à ἀγάγκης ἐστὶ, τότε παρέλκει αὐτὸν,
ἔν δὰ τοῖς ἄλλοις πάντα μᾶλλον ἀιτιᾶται τῶν γιγνομένων ἢ vow. Ariste
Met. I, 4. gl. Plato Phaed. p. 97.
[4
Die. Kegertaufe. 49
ex defectu fidei, sed ex defectu jurisdictionis, qua carent
haeretici) certa est ac fidei proxima. Licet enim nulla
expressa habeatur de illis Ecclesiae definitio, jam ex
communi consensu probatur atque ejusdum Ecclesiae praxi
pluribus saltem abhinc saeeulis confirmata, ut suo loco
ostendemus ἢ). Eadem sane ratio, quae suffragatur
calori baptismi collati ab haereticis, suffragatur pariter
valori caelerorum sacramentorum, quae omnia Christi
sunt *). Quare quae de baptismo dicuntur, ob intimam
analogiam de reliquis sacramentis dicta etiam intelligi
debent?) Was hier SBerrone von einem communis con-
sensus und praxis ecclesiae fagt, ift eine Behauptung,
deren Unwahrheit fo offenbar und fo befannt ift, daß man
über deren Aufftelung nicht genug fid wundern fanm.
Wo in aller Welt ift es Kirchliche Braris, es als Admini⸗
fitation der Firmung, Delung, Priefterweihe unb Euchariftie
gelten zu faffen, wenn etwa Nichichriften Akte vornehmen,
in weldyen die Adminiſtration genannter Gacramente nach⸗
geahmt iſt! Freilich Perrone redet nicht von Nichtehriften
im firengen Sinn des Wortes, fonbern von Häretifern,
und verfteht vielleicht unter dieſen abgefallene unb ers
communicirte, auch fufpenbirte Bifchöfe und PBriefter. Ab⸗
gefehen aber von. ber großen Begrifföverwirrung, bie er
hiemit erzeugte, und abgefehen davon, daß εὖ febr zu bes
zweifeln fel, ob ſolche Häretifer die Gacramente (Taufe
1) Diefes Verfprechens hat fih 9B. fpäter nicht erinnert.
2) Diefes Argument findet fi) bei far allen Dogmatifern. Wer
einen Begriff von ber Leichtfertigfeit haben will, welche fie fid) bamit zu
Schulden Fommien Iaffen, fefe u. A. Sardagna, Theol dogm. polem.,
Tract. VI. de Sacram., art..I. Controv. 7.
3) Tract. de sacr. in gen. c. 3. prop. L _
Theol. Ouartalfigeift. 4850, I. Heft. 4
%0 Die Ketzertauſe.
"nb Ehe ausgenommen) gültig verwalten fónnen, sugegeben,
fie fönnen es, unb zwar nicht nur in ber eren Generation,
fondern auch in den folgenden und entfernteren (man denke
an den Streit in Betreff der englischen Bilchöfe) : fo würde
died für unfere rage gar Nichts entſcheiden. Es handelt
fid ja nicht um ſolche eger allein, überhaupt nicht blos
um Schismatifer und eger im eigentlichen Sinne, und
vollends nicht allein um Zmeifelnde, Ungläubige inner
halb ber Kirche, fondern um Unglaͤubige im Allgemeinen,
um Richtchriſten. Nicht blos Un⸗ unb Irrgläubige inner
halb ber Kirche, auch nicht bío8 Sieger, fondern Juden
und Heiden vermögen gültig gu taufen, keineswegs aber
bie übrigen Sacramente (tie (6e ausgenommen) zu fpen-
ben, Wer (τοῦ des Mangeld an Glauben dieſe Abrigen
Sacramente gültig verwalten fann, find weder Nichtchriften
od) Keper, fondern nur Angläubige ’innerbalb ver
‚Kirche. Ale biefe Unterſchiede bat Perrone nicht gemacht,
und argumentirt mit vollfommener Begriffsverwirrung.
Hätte er nur beachtet, was er felbft in Betreff der Buße
zu gefteben fid bewogen findet, er hätte fa müffen auf
bie Wahrheit fommen. Die Keper können das Gacrament
der Buße nicht verwalten, weil fle. feine Syuridbiction
haben. Aber warum haben fie denn. feine Jurisdietion? -
Ohne Zweifel beffalb, weil fle an fid) unfähig find,
ſolche zu befigen, b. D. au fid) unfähig, das Gacrament
der Buße zu adminifiriren. Waͤren fie an fid trog ihrer
Stellung außerhalb der Kirche, dazu fähig, bann fiebt
man nicht ein, warum nicht bie und da Einem ble nöthige
Surisdietion gegeben ober — fupplirt werde. Nicht bie
Jurisdiction an fid) macht zur Verwaltung des Bußſacra⸗
ments fähig, ſondern Diefelbe wird nur Golden -ertheilt,
Die Ketzertaufe. 51
welche. vermöge ihrer Stellung in der kirchlichen, näher
hierarchifchen Ordnung jene Fähigfeit an fid befigen.
Diefe Stellung ift.e6, was den Kebern abgeht, und dies
ferner ἰβ e8, was fie an fich unfähig macht, das Buß⸗
faerament zu verwalten. |
Bleiben wir der. Wahrheit getreu. (δ ift Thatfache,
daß Das Sacrament der Taufe (unb ber Ehe) von Jeder⸗
mann, die übrigen Gacramente dagegen allerwenigften®
nicht von Juden und Heiden (id) brüde mich fo aus, um
feinen Streit zu veranlaſſen) adminiftrirt werden koͤnnen.
Diefe Thatfache Iäpt fid) aus bem Einen, allen Sacramen⸗
ten gemeinfamen Weſen des Sacramentes offenbar nicht
genügend erklären, muß vielmehr, wenn fie überhaupt ber
gründet ift, darin begründet fein, daß Taufe (und Ehe)
aufer bem allen Gacramenten ®emeinfamen noch etwas
Unterfcheidendes, und gerade fo Etwas an fid) haben,
was ba möglich macht, daß fie von Nichtchriften abminiftrirt
werben, während das allen Sarramenten Gemeinfame nur
die Möglichfeit einer Adminiftration durch Sünder unb .
Ungläubige innerhalb ber Kirche involvirt. Nach jenem
Beſondern und Unterfcheidenden der Taufe (und, wie wir
bald fehen werben, auch ber Ehe) Baben wir uns alfo
umzufehen. Nur fo dürfen wir Antwort auf unfere Srage
erwarten.
Mer dies zuerft erkannt Bat, (ft Bonaventura. Es
ift, fagt er, 1) bei allen Gacramenten zu gültiger Vers
waltung erforderlich bie Intention, qua quis intendat
facere quod Christus instituit ad humanam salutem, vel
seiten facere quod facit Ecclesia — was im Grund dass
felbe if. Dies fordert bie rectitudo juris (weil nämlich
das Heil ganz von Ehriftus abhängt). Ueberdies beftebt
: 4 %
62 | ‚Die Kepertaufe.
2) unter den einzelnen Eacramenten ber Unlerſchied, daß
einige nur von Bifchöfen, andere nur von 5Brieftetn, unb
noch andere endlich von Nichtprieftern verwaltet werden.
Die erfte Glaffe bilden bie SBrieftermelbe und Sirmung;
die zweite die Buße, Euchariftie und Delung; bie dritte
die Taufe und Ehe. Dies, fagt Bonaventura, erfordert
ber ordo dignitetis b. b. ἐδ hat feinen Grund in der fpes
eififchen Unterfchiedenheit der Sarramente. Jener ordo
nämlich fordert, ut majora majoribus, minora minoribus et
media mediis committantur. Nun find aber bie Priefter-
weihe und Firmung Gacramente, quae respiciunt. excel-
lentiam virtutis s. dignitetis, fteben infoferne am höchften
(suprema) unb fónnen deßhalb nur von Bilchöfen vete
waltet werden. Taufe und Ehe fteben umgefebrt auf ber.
niedrigften Stufe, infima, inwiefern fie Garramente find,
quae, respiciunt indigentiam necessitatis, unb fónnen befs
halb verwaltet werden a quibuscunque ordinibus: et per-
sonis inferioribus. Die drei übrigen Sarramente fteben in
ber Mitte, und können deßhalb nur pon Prieſtern verwals
tet werden, quae inter episcopos et inferiores personas
sunt quasi in medio constituti, @nbli 3) erfordert bie
securitas salutis, ut res sic fiat, ut in dubium non cadet,
b. f. daß bie Gültigfeit der Gacramente nicht von ber
perfönlichen Befchaffenheit, Gläubigkeit unb Tugendhaftigkeit
bes Verwalters abhängig {εἰ — was natürlich mit 9tüdficbt
auf das Vorhergehende gefagt fein muß !).
Hiemit ift ein Verfuch gemacht, bie in Frage ftehende
Differenz auf eine Differenz zurüdzuführen, welche unter
ben Sarramenten felber- und an fif) beftebe. Wir können
1) Breviloqu. VI, 5.
*
e'
De Repertaufe. 53
uns nicht damit begnügen, denn die angegebene Unter⸗
febiedenheit der Sacramente ift nicht genügend begründet
und nicht fo beſtimmt bezeichnet, daß fid) daraus bie That-
fache vollftändig erklärte, welche zu erflären iſt. Gefegt
aber auch, e& wäre überzeugend bargetban, 1) daß Taufe
and Ehe auf der niebrigften Stufe in Betreff der Würde
fiehen, unb daß 3) der Stufe, worauf ble Sacramente in
Betreff der Würde &eben, bie Würde ber Ministri in an»
gegebener Weile entfprechen müfle unb fónne: fo ifl bod)
nod) nicht erwiden, daß Keber, Juden unb Heiden jene
zwei nicbrigften Sacramente verwalten fönnen. Unter den
Brieftern ſtehen nod) viele Menfchen, bis man an die
genannten fommt — bie 6 Ordines in ber Hierarchie ab»
wärts, bann bie Laien, Männer, Weiber —, unb man
fieht nicht ein, warum nicht bei biefen müffe ftehen geblies
ben werben; ja fon das Herunterfleigen auch nur auf
bie Laien ift durch bie angegebene Abftufung der Sacras
mente nicht genügend erflärt. Darin mag denn auch der
Grund liegen, daß Bonaventurg, ber fo wundervoll fpfte»
matifche, confequente und beitimmte Dogmatifer, in biefem
Kapitel etwas fdwanfenb ijt und feine im Ganzen voll»
kommen flare Anfchauung trübt, indem er, [ὦ felbft zus
wider, das eine Mal einen {{π|ετ[ εν zwifchen Taufe unb
Ehe in Betreff des fraglichen Punktes zu fegen, das andere
Mal das von Taufe und Ehe Geltendgemarhte auf alle
Sarramente auszubehnen frheint, und endlich bod) zuletzt
norzugsweife bie von Thomas geltend gemachte Rothwens
digkeit burchbliden läßt. Aber trug alle bem hat er uns
doch den Weg gezeigt, auf dem, wenn überhaupt, zu finden
ift, was gefucht wird.
Um möglichft beftimmt und deutlich zu fein, müffen wir
$4 qe fepettoufe:
wit ber Behauptung beginnen, es gelte in Betreff des hier
erörterten Punktes von ber Che baffelbe wie von der Taufe,
eine Behauptung, bie im Sofgenben wird zu beweiſen fein. —
Hiernächft werden wir als unbezweifelte und allgemein
anerkannte Wahrheit ausfprechen bürfen: Wer eigentlich
und primitiv bie Gacramente verwaltet unb. fpenbet, ift bie
Kirche als Repräfentantin Ehrifi ἢ, Demnach fnb bie
einzelnen Menſchen als Ministri Sacramentorum . Drgene,
Snftrumente der Kirche. Daraus folgt, εὖ Tönne,. obgleich
an fid) ber Menfch als folcher bie erforberliche Faͤhigkeit
befigt, nicht Seber ohne Ausnahme, fordern nur Derjenige
bie Cacramente verwalten, welcher befähigt iſt, ber. Kirche
als Drgan bei biejer Yunftion gu dienen; und biefes
wiederum beißt nichts Anderes, als: berjenige, welcher
fähig ifi, die Intention ber Kirche ober bie Jntention zu
haben, das zu tun was bie Kirche tbut ἢ. Kat mm
bie Kirche bei allen Sacramenten die gleiche Intention,
ober verrichtet fie in allen ohne Unterſchied das Gleiche?
Wenn nicht, fo ift bie Möglichkeit gegeben, daß ein Menſch
das eine oder andere Sacrament verwalten könne, anbere
aber nicht, denn wer ber einen oder anbern Smtention ber
Kirche fähig iff, ift damit nod) nicht jedwe der fähig.
Co ift εὖ in ber That. Was die Kirche in ber Spendung
des Tauf⸗ und EherSarramentes verrichtet, ift jeber Menſch
ohne Ausnahme, ma fie dagegen in den übrigen 5 Sarras
menten verrichtet, find nur Mitglieber der Kirche, genauer
fogar nur Glieder der Hierarchie zu intendiren fähig. Das
ift der Grund ber zu erklärenden Thatfache.
1) cf. Cat. rom. P. IL c. 1. qu. 18.
2) Conc. Trid. S. VIL. de sacr. in gen. ec. 10 md 14. :
Die Ketgerdaufe. 35
Aber tiefer Grund wird fofort felbft begründet wers
ben müflen. Warum find bei ben übrigen 5 Sacramenten
mr Glieder ber firchlichen Hierarchie, bei Taufe unb Ehe
aber alle Menfchen fähig, bie erforderliche Intention gu
haben? Der Grund diefer Thatfache liegt ohne Zweifel
Bırin, ba erflere wefentlih und nur Mitgliedern ber
Kirche, letztere Dagegen ebenſo wefentlich folgen Menfchen
ertheilt werben, welche (id) außerhalb der Kirche befinden.
Zuvörderft in Betreff der Taufe ift das zuleht Ges
fagte an fi fíar und bedarf eines Beweiſes nicht. Der
Sáufling ift wefentííd ein außer ber Kirche ſtehender
Menfch, ein Richtehrift; nur ein NRichichrift kann getauft
werben; burd) bie Taufe eben ift e$, bag der Richtchrift
zum Chriſten, zum Mitglied ber Kirche wird. Waffen wir
nun fegíeid) bie in& Auge, fo erfcheint der Zäufling ale
ein Menfch, über welchen die nichtchriftliche Welt zu verfügen,
zu beſtimmen bat; er befindet (id) auf einem Gebiete,
weiches das Gigentbum der nichtehriftlichen Welt ift, unb
ift fomit ſelbſt das Eigenthum der Iegtern; er ift folglich,
mit Einem Wort, fo befchaffen, daß nur Solches an und
mit ihm vorgenommen werben fann, was Nichtchriften zu
verrichten im Etande find, oder, was baflelbe ift, Daß die
Nichichriften Alles zu verrichten im Stande find, was an
ibm, burd) wen immer, vorgehen kann. Daraus folgt:
wenn ber Richtchrifl getauft werden fann, fo fann er aud)
durch Geineógleiden, durch einen Nichtehriften getauft
werben. — Geben wir näher auf die Sache ein. Seder
Menſch wird mit ber weientlichen Beftimmung geboren,
Gori zu werden; jeder geborne Menfch ift ein zu taus
fender Menfch; denn in Beziehung auf Chriſtus ift es
ja, daß dad Menfchengefchlecht forteriftirt; wäre nicht bet
58. Die Seytlaufe.
Erlöfer, fo würde Adam in demfelben Momente, als er
fündigte, geftorben fein und es wäre fein Menfch geboren
worden. Hat aber jebet Menfch, ber in bie Welt eintritt,
bie wefentliche Beftimmung, Ehrift zu werden, fo befigt er
von felbft das Recht, unb zwar ein abfolutes Recht, aus
ber nichichriftlichen Welt in die chriftliche überzugehen, aus
dem Zufammenhang mit dem natürlichen, abamitifchen
Seichlechte aus, und in ben Zufammenhang mit bem
chriftlichen Gefchlechte, in bie Kirdye einzutreten. Dieſem
Rechte muß irgend eine Pflicht entfprechen. Es ift leicht
zu feben, diefelbe fei in doppelter Geftalt vorhanden; einer»
feits ift e& die Pflicht (unb eben damit auch das Recht)
ber Kirche, einen ſolchen Menfchen an fid) zu ziehen und
in fid aufzunehmen; anbererfelt& die Pflicht (unb eben
damit aud) das Recht) der nichtehriftlichen Welt, der nas
türlichen Menfchheit, benfelben zu entlaffen, in bie chriftliche
Welt hinübergehen zu (affen. Das Eine. wie das Andere,
diefe Entlaffung wie jene Aufnahme, gefchieht durch einen
und denfelben 9(ft, die Taufe. — (ὁ fragt fld) freilich
noch, ob diefem Recht resp. Pflicht eine Fähigkeit entfpreche.
Sn Betreff der Kirche wirb daran nicht gezweifelt. . Aber
ed muß auch in Betreff der Nichtchriften behauptet wer:
ben. Sunddjft fónnte gefagt werben, fowohl bie aufnefs
menden Ehriften, als bie entlaffenden Richtchriften gewähren
bem aus ber einen in bie andere Welt llebertretenben
bloße Unterftügung und biefe habe auf beiden Seiten, hier
wie dort, denſelben Charakter,. woraus folge, daß bie
Fähigkeit dazu für bie Nichtchriften ebenjo, als für bie
Ehriften ein )tefuftat aus dem vorhin genannten Rechte
fein müffe. Vielleicht aber erfcheint Died al& ein zu aͤußer⸗
liches NRaifonnement. Sehen wir baber bie Sache näher
Die Repertaufe. 51
απ: Jeder geborne Menfch bat bie wefentliche Beftimmung,
Chriſt zu werben, ift alfo ein wefentlich zu taufenber
Menſch. Sagt man biernach, er habe das Recht, getauft
zu werden oder. fid taufen zu laflen, fo ift Mar, dies
Recht {εἰ nicht ein ihm aͤußerlich angehängtes, fondern in
feinem Weſen begründetes, mit feiner Grifteng von felbft
gegebenes Recht. Folglich ein Recht, welches bie Faͤhig⸗
feit zur Verwirklichung beffen, worauf es fid) bezieht, nicht
erft als Hinzugelommenes zu empfangen braucht , fondern
wefentlich in fid) begreift. Recht und Faͤhigkeit fallen ger
vabezu zufammen; das Eine ift in bem Andern; genauer
fegar {πὸ có nur zwei Ausdrüde für eine und biefelbe
Sade, für das genannte Weſen jedes gebornen Menfchen.
Solglich würde jeder geborne Menfch fid ſelbſt taufen
fónnen, wenn nicht bie Gelbfttaufe aus irgend einem hier
gleichgültigen Grunde unmöglich wäre. Da diefer Grund,
welcher die Gelb(ttaufe unmöglich macht, bie an einem
Andern vorzunehmende Taufe nicht berührt, fo bleibt alfo
bem zu taufenben Menfchen die Fähigkeit zu taufen übers
haupt; unb wir haben den Sag: jeder geborne Menfch
ift wie ein zu taufenber, fo aud) ein zu taufen fähiger
Menfch, und zwar ift er Lebteres, weil er Erfteres ift.
Der zu taufenbe Menſch aber ift wefentlich Nichtchrift.
Folglich ift ber Nichtchrift fähig, bie Taufe zu verrichten. —
Wendet man ein, bie Häretifer, Schismatifer, Juden at.
farà bie Nichtchriften begeben, wenn fie taufen, eine Grenz⸗
Veberfchreitung, indem fie auf das Gebiet der Kirche bin»
über greifen: fo ift bas richtig, denn in ber That nehmen
fie bie Taufformel, welche in der. Kirche und Eigenthum
der Kirche ift, vom Gebiete ber Kirche hinweg. Allein das
Refultat, welches wir gefunden haben, wird baburd) nicht
48 Die Ketzeriaufe.
beirrt. Daß die außerfirchlicden Menfchen Mancherlei —
Schren, Gebräuche, religidfe Akte x. — aus ber ird
befigen und befigen fónnen, ift allbefannt; jebe Haͤreſie
nimmt bei ihrem Ausſcheiden mehr oder weniger mit fid,
vorzugsweiſe fchriftliche Urfunden des kirchlichen Bewußt⸗
fein&, die heil. Schrift und andere. Daß die Taufformel
zu dem, was fo außerhalb der Kirche fein kann , gehören
müffe, hat das Vorhergehende gezeigt. Daß aber hiemit
nicht gefagt fein wolle, ἐδ finde außerhatb der Kirche wirkliche
Rechtfertigung Gtatt, (ft lángft vom 5. Auguftin genügend aute
einander gefebt. — Man fann an berührter Orenzüberfchrei«
tung oder Gebietéverfegung fion deßhalb feinen Anftoß nef»
men, weil eben folche ftattfinbet auch bei ber von Mitgliedern
der Kirche verrichteten Taufe. Nehmen die taufenben Richts
chriften Etwas vom Gebiet der Kirche auf das außer⸗
hriftliche hinaus, nämlich bie Taufformel, fo nehmen bie
taufenden Gbriften Etwas vom außerchriftlichen Gebiet. in
das chriftliche Gebiet herein, nämlich eben den zu taufens
ben Menfchen. τε {Ὁ begeht babel die Kirche fein Un⸗
tet, weil jeder Menfch bie Beflimmung hat, Ehrift zw
werben, ſomit wefentlich ein zu taufender Menſch ik und
folglich der Kirche das Recht verleiht, ihm die Taufe ju
geben. Aber gerade diefe Beichaffenheit des Menfchen IR
(ὁ auch, was ben Nichtchriften das Recht verleiht, bit
Grenze zu überfchreiten, um bie Taufformel aus ber Kirche
heraus zu holen, denn weil und inwiefern die nichichrifl«
lichen Menfchen weſentlich zu taufende Menfchen finb, fo
und infofern ftebt ihnen ein Anſpruch an bie Taufformel
zu. (Ebenfo gut, als an Anderes, was ihnen etwa zur
Vorbereitung auf bie Eonverfion dienen kann; wie denn
Niemand Anftoß daran nimmt, wenn z. B. ein Qribe die
Die Kehertnufe. m
chriſiliche Dogmatik und Gefrbichte ftubirt, um fid die chriſt⸗
liche Lchre anzuetgnen u. dgl.). In der Unvermeidlichkeit
hefagter Grenzüberfchreitung , welche fi) bei der Taufe;
wer immer diefe verrichten möge, findet, tritt in der That
bie Möglichkeit einer von Nichtchriſten zu verrichtenden
Zaufe am anfchaülichften zu Tage, weil hiebei am ents
fihiedenften : und reinften. der Menfch erfcheint als particis
pirend an beiden Welten, ber nichtchriftlichen und ber
&hriftlichen, an dem Reiche der Natur und dem Reich ber
- Gat. T
Daffelde Stefultat, welches wir hiemit in Betreff der
Taufe gefunden haben, wird eine kurze Erörterung aud
in Betreff der Ehe geben. Wäre freilich wahr, was
Melchior Canus aufgebracht und feither viele Theologen
behauptet haben, daß nämlich ber bie Brautleute benedicis
rende (genauer: trauende) “Priefter Minister Sacramenti
Matrimonii fei, [6 könnten wir uns alle weitere Erörterung
erfparen, Allein εὖ ift nicht wahr, und zwar fo entfchies
den, daß εὖ keineswegs, wie bie Mehrzahl meint, ale
tbeofogi(dbe Meinung pafftren darf, fondern als falfche
Meinung zu verwerfen tft. Da bogmatifd) beftimmt ift,
ber mutuus consensus contrahentium (regulariter per verba
expressus) [εἰ bie Causa efficiens Matrimonii 1); da ferner
bie Causa matrimonii von jelbft aud) causa sacramenti
matrim. ift; und da enblid) Niemand an der Stelle bet
Gontrafenten ven Consensus geben fann: fo fullte im
biefem Punkte fein Zweifel berrfihen. Um indeffen nicht
1) Decret, Eugen. IV. ad Armen. Harduin IX. p. 440. vgl. Cat,
rom, P, II. c, 8. qu. 4. pO
. 6x Die Ketzertaufe.
in theologiſche Streitigkeiten verwidelt zu werden, halten
wir und ganz an Thatfächliches. Es ift Thatfache, baf
bie in der Kirche feiende Ehe Cacrament fei, freilich nur
biefe, aber auch jede ohne Ausnahme; b. b. wenn nur
bie. Eheleute Mitglieder der Kirche und von der Kirche ale
Eheleute gefannt und anerkannt find, fo ift ihre Ehe ein
Sacrament. Daher die zweite Thatfache, daB wenn ein
häretifches, jüdiſches, heidnifches Ehepaar in ble Kirche
eintritt, die Ehe deffelben ohne Weiteres, ohne revalibirt
ober benebicirt zu werben, facramentale Ehe, ein Sacra⸗
ment it). Nur das Eine wird erfordert, daß eine folie
Ehe an fid) wahre Ehe fei, entfpredyenb den fanvnifchen
Ehegefegen. Darin liegt, daß bie Ehe ſolcher Berfonen
fchon vorher Sacrament geweſen, natürlich nicht τοἰ ὦ,
aber potentiell, der Möglichkeit nach. Der einfache Eins
tritt in Die Kirche wirft nicht etwas Neues — die Ehe
bleibt diefelbe —, fondern macht nur, und zwar ganz uns
mittelbar , gleichfam paſſiv, das möglichfeiende Sacrament
zu wirklichfeiendem oder auch das erft bem Wefen nad
vorhandene zu eriftentem, Alfo haben aud) In diefem Falle
Häretifer, Heiden 1c. ein Sarrament verwaltet. Wie bie
außerhalb der Kirche gegebene und empfangene Taufe fo
lange, als der Träger: berfe(ben außer ber. Kirche weilt,
der Wirkungen entbehrt, bie ber kirchlichen Taufe zukom⸗
men, fo verhält. es ὦ aud) mit ber außerfirdhlichen Ehe
— die berfelben entfproffenen Kinder treten nicht ohne
1) Q6 ift mit nicht unbelannt, baf ba unb bort, namentlich in
Frankreich, die Ehe folder Eheleute, welche mit einander convettiren,
folemnifirt werbe. Aber auch nur dies. Noch Niemand hat εὖ für nothe
wendig erklärt, und Niemand bafür gehalten, ba damit ble Che ετῇ
geſchloſſen ober baburd Sacrament werde.
Die Ketzertauſe. | fi
Meiteres in den Schoos der Kirche und ble Anwartſchaft
des Helles ein, bie Treue ift nicht abfolut, barum bie
Ehe nicht unauflöslich, alfo nicht ſchlechthin Monogamie
- ſ. w. —; allein das ändert, wie wir in ber Erörterung
über bie Taufe gefehen haben, an der Sache Nichts.
Man fónnte fagen: fo Tange nicht bie vollen Wirfungen
ber Sacramente vorhanden find, fo lange find bie Sa⸗
cramente feft nicht in voller Wirklichkeit vorhanden. Das
iR richtig, wir müffen es zugeben: Allein es ift ein großer
Unterfchied, ob Etwas gar nicht, ober ob es nur in noch
nicht vollfommener Wirklichkeit vorhanden fci. Allem, was
nicht Gott ift, fommt wefentlich zu, vollfommene Wirklich
feit nicht von Anfang au zu fein, fonbern zu werben, und
folglich als Seiendes gelten zu müjfen, che es als voll,
fommene Wirklichkeit if. Wolte man nur legtere ale
Seiendes „anerkennen, dann dürfte man in der Welt Wenig
oder Richts als feiend prädiciren. -
Scheint es (id) hiernach mit ber Ehe ganz ebenfo zu
verhalten, wie mit. ber Taufe, fo nämlich, daß das Sacra⸗
ment der Ehe bann von Nicdhtehriften verwaltet werbe,
wenn Suben, Heiden sc. von Ghriften dagegen, wenn
Chriſten εἰπε Ehe eingehen: fo müflen wir jet fogat
weiter gehen, biefen Schein für falſch erflären und be
haupten, das GBejacrament werde burchgängig, wer immer
bie Brautleute fein mögen, von Nichtchriſten abminiftrirt.
Die Richtigkeit biefer Behauptung liegt auf flacher Hand,
Wie das Sarrament ber Taufe, fo kann aud) das ber
Ehe nur von Richichriften empfangen werden. Die Empfäns
ger ber Ehe aber find, im llnter(d)ieb von den Empfängern
der Taufe, zugleich bie Verwalter bes Sacramentes. Folg⸗
lid) können nur Nichtchriften Verwalter des Eheſacramentes
ge ; Die δον,
fein. Wan fibt, es fommt bier auf ben Veweis bes
Oberſatzes an. Berfuchen wir ihn. An der Ehe iſt ne
nähft das Gacramentale von bem Natärlichen, pber εὖ
it bie Ehe als Sarrament von ὦ felbft als folder zu
unterfeheiden. Jenes bat Diefed zur Borausfegung und
Unterlage; nur Sofche fónnen baó Sacrament der Ehe
empfangen, welche bie Ehe als fold)e, als natürliche Vers
bindung gefchloflen haben. Anderer Seite aber find beide
Elemente nicht von einander zu trennen; dad Sarramen-
talifche faͤllt mit bem Natürlichen unmittelbar zufammen.
Die Schließung der Ehe als folder nun ift ein Aft des
natürlichen Menfchen, oder des Menfchen, inwiefern er
Blied des natürlichen Cadamitifchen) Gefchlechtes (ft, alfo
des nichtchriftlichen Menfchen. Folglich ift bie Sadye des
nichtchriſtlichen Menſchen aud) die Schließung der Ehe als
facramentaler Verbindung, weil, wie gefagt, biefe mit ber
natürlichen Ehe, obgleich von ihr unterfdjieben, unmittelbar
zuſammenfaͤllt. Es ſcheint eine parabore Behauptung zu
Rin, daß das Gacrament der Ehe von nichtehriftlichen
-Menfchen empfangen werde, wenn doch chriftlicde Braut
leute baffelbe empfangen. Aber das Sacrament der Ehe
:wird eben von Denen empfangen, welche bie natürlich
eheliche Verbindung eingehen, und zwar in dem Momente
‘und gerabe baburd) empfangen, Daß fte jene Verbindung
‚eingehen; letztere ift nur das Logiſch⸗Fruͤhere. Die Ein-
‚gehung ber natürlichsehelichen Verbindung aber (ft wefent-
1i ein natürlicher Akt oder ein Aft des Naturmenſchen;
nur ber Naturmenfch, nicht aber der Gbrift als folder
Tann fid) ehefich verbinden. Folglich empfängt der Menſch,
ob er getauft fei ober. nicht getauft, das Sacrament ber
Die Kehettaufe 63
Ehe nicht als Ehrift, fondern ale Mensch, als abamitifdyer
oder natürlicher Menfch.
Alſo verhält e8 (id) mit ber Ehe ganz auf die gleiche
Weife, wie mit der Taufe, nur Nichtehriften fónnen fie
empfangen. Folglich iff der vorgeführte Syllogismus
richtig. Denn, haben wir in Betreff der Taufe bie Mögr
lichfeit, tag Richtchriften gültig taufen, darin erblidt, baf
weſentlich Nichtehriften ‚vie Empfänger der Taufe find, fo
muͤſſen wir in Betreff der Ehe baffelbe behaupten und die
Eheleute als fähige Ministri Sacramenti matrim. anerfennen,
obgleich fie al Menſchen, bie bie Ehe fchfießen, und in bem
Momente, wo fie diefes tbun, Nichtchriften find. Zugleich
aber haben wir bort bie Möglichkeit, von genannter Fähig-
feit Gebraud) zu machen, darin gefehen, daß jeder geborne
Menfc bie wefentliche Beſtimmung habe, Gorift zu were
den, wefentlich ein zu taufender Menfch fei, und folglich
Anſpruch auf tie ber Kirche gehörende Taufformel habe.
Gan; fo verhält εὖ (id) auch bei ber Ehe; bie Ausübung
ber nach Borftehendem allen Menfchen zufommenden Faͤ⸗
higfeit, das Ehefacrament zu verwalten, ift darin begrüns
bet, daß bie natürlihe Ehe bie wefentliche Seftimmung
hat, Sacrament zu fein, fo daß fie nur ift, um Gacrament
zu werden. Die Ehe ijt ein Geheimniß, eine Gnadenan⸗
Halt, ein Sacrament nur in Gbrifto und durch (δ τ βιά.
An fid) if ein fo natürliches, fo ganz in bet Beſchaffen⸗
heit der Natur gegrünvetes Berbältnig, wie bie Ehe if,
fein. Gebeimnig. Diefes und damit ein Sacrament kann
Die Ehe nur Dadurch werden, bag zu bem Ratürlichen
Etwas hinzukommt. Dies gefchieht burd) Chriftus; und
es if nichts Anderes, als dies, daß ber Che, deren alte
Form unverändert. bleibt, ein anderer Inhalt, eine, neue
64 Du Kepertauft.
Subflanz gegeben wird, daß ihr nicht mehr einfach natürs
liche, fondern wefentlich zu erlöfende Menfchen, nicht Gite
ber des adamitifchen, fonbern des chriftlichen Gefchlechtes
entfproffen; daß demgemäß die Verbindung der Gbeleute
nicht mehr bloß bie in ber Gefchlechtlichfeit begründete ift,
deren Zweck und Erfolg in der Fortpflanzung des natürs
fiden Menfchen und fofort in Gründung ber Familie, ber
Gefellfchaft, des Staates unb was damit zufammenhängt,
liegt, fondern eine Verbindung, aus ber auch geiftige Ges
butt, Wiedergeburt erfolge, fo bag fie jum Abbilde ber
Verbindung Ehrifti und der Kirche wird; daß alfo, mit
Einem Wort, die Ehe aufhört, bloßes Naturverhältniß zu
fein und zu einer Gnabenanftalt umgefchaffen wird, eine
beſtimmte Stelung und function in dem Erlöfungs- unb
Mechtfertigungswerfe erhält. Diefe Bedeutung bat die Ehe
durch Chriftus empfangen, denn von Ehriftus geht bie
Rechtfertigung aus. Aber dem Wefen nach hat fie bieje[be
von bem Augenblide an, nachdem das Urtheil über bie
Bollbringer ver erften Sünde auf Erden gefprochen war.
Wie fo? Wenn nicht Ehriftus, wenn nicht Reftitution des
Mentchen wäre, fo gäbe es feine Ehe, weil keine Men
fhen, bie diefelbe fchlößen, weil fein Geſchlecht, das (br
entfproßte. Nach ber Sünde lebten und pflanzten (id) bie
erften 9Renfden nur in Folge befjen fort, daß fte begna⸗
digt waren, daß bereits Chriftus in ihnen wirkte. Die
Adamitifche Ehe nad) ber Sünde und bie nadjabamitifde
Ehe bat zunächft bie Geftalt, bie Vererbung der Sünde
zu vermitteln. Aber eben damit ijt fie auch SBermitt[erin
der Erloͤſungsgnade; ohne diefe gäbe es feine Erbfünde,
gäbe es nicht einen Tod, der fortwährend burd) das. Leben
überwunden. wird (denn bas ift bie Erbfänbe), fonbern
‚Die Kebertaufe. 65
lediglich Tod. Sagen wir es mit Einem Wort: Bor ber
Sünde war die Ehe nicht ein Geheimniß, fondern ein
einfach natürliches Verhaͤltniß; nad) ber Sünde aber wurde
fie unmittelbar ein Geheimniß, ein Gacrament, weil eine
Anftalt zur Vermittlung der Erlöſungsgnade. Sn biefer ihrer
Beichaffenheit fonnte fie nun freilich vollfommen wirklich erft
nad) Ehriftus werben, weil bie volle, vollfommen wirffiche
Erloͤſungsgnade erfi von dem perfönlicden Gbriftue au;
geht. Aber barum Hört fie nicht auf, von Anfang an
wefentlich Daffelbe zu fein, eben das zu fein, was fte
burd) Chriftus ift. Damit haben wir die Einficht, mmt;
liche Menfchen, welche die natürlichseheliche Verbindung
einzugeben fähig find und wirflich eingehen, fünnen nicht
nur, fonbern müffen das Sacrament ber Ehe abminiftriren;
ein Sacrament freilich, das dann erft in der Kirche, wo
ber ganze Chriſtus ift und wirft, eine vollendete Wirklich⸗
(ichfeit wird.
Hiemit haben wir, wie uns fcheint, ben Gag bewies
fen, wovon wir ausgegangen, bie Möglichkeit einer Ad⸗
mintftration der Gacramente, der Ehe und Taufe, liege
darin, daß dieſe Sacramente wefentli Nichtchriſten ges
fpenbet werden. Was an Nichtehriften vorgeht, fann von
Nichtchriſten ‚verrichtet werden. Hat ἐδ zugleich eine wer
fentliche Beziehung auf Ehriftus, ber Art, daß es übers -
haupt nur in diefer Beziehung und burd) biefelbe ift, fo
fann es Sacrament fein, und ift es wirklich, wenn
es in der Kirche Saerament ift. AU das trifft zu bei ber
Taufe unb Ehe. Somit ift berotefen, was zu beweifen war.
Zur Vollendung des Beweiſes mug nur nod ein
furger Blick auf die fünf übrigen Sarramente geworfen
werden. Diefe fónnen nur Mitgliedern der Kirche ertheilt
Theol. Ouartalfärift. 4850. I. Heft. 5
"66 Die Kegzertaufe.
werden. Folglich nur innerhalb ber Kirche, Kolglich nur
turd) folche Menſchen, welche Mitglieder ber Kirche find
(denn air diejenigen, welche innerhalb der Kirche fteben,
haben die außerfirchlichen Menſchen fein Recht). Folglich
näher durch folhe, die von ber Kirche dazu auserwählt,
beftelt, autorifirt find, benn Alles, was innerhalb her
Kirche vorgeht, fann nicht nur, fondern muß von ber
Kirche als folcher beftimmt, angeorbnet, feitgefegt fein,
dermaßen, bag als Organ ber Kirche für irgenpwelde
Function Immer nur derjenige gelten Tann, der als folches
von der Kirche felber aufgeftelit if.
Somit haben wir, um Alle furg zufammenzufaffen,
ben Gag: was bie Kirche bei Ertheilung des Tauf⸗ und
EhesSarramentes vornimmt oder verrichtet, fónnen alle
Menfchen ohne Ausnahme, was fie dagegen bei Ertheilung
ber übrigen Sacramente verrichtet, fónnen nur Mitglieder
der Kirche und zwar näher nur folche, bie von ber Kirche
eigens dazu beſtellt und autorifist find, vorzunehmen ober
zu verrichten intendiren, unb zwar biefes deßhalb, weil
jene beiden Sacramente den Nichtehriften, dieſe aber nur
den Mitgliedern der Kirche gefpenbet werden. Darin dfi
bie Thatfache gegründet, die wir zu erklären hatten.
Es wäre ber Mühe wertf und intereffant genug, vot»
ftehende Erörterung fo abzufchließen, bag fie Moment
einer alle Sarramente umfaflenden Erörterung würbe.
Allein Das würde eine eigene, und zwar umfaffenbe Ab⸗
. handlung erfordern. Wir begnügen uns deßhalb, folgende
Theſen auszufprechen: 1) Rechtfertigung unb Heil bet
Menfchen find dadurch bedingt, Daß er Mitglied ber Kirche
-
Die Regertaufe. et
fei; 2) Mitglied ber Kirche wirb ber einzelne Menſch
burd) ble Kirche; 3) alfo ift nöthig, daß juerft bie Kirche
fd. 4) Die Kirche ift die von Chriſtus abftammenbe
Menfchheit. 5) Diefe Abftammung geht fo vor fi, daß
bie mit ber nicht aufzuhebenden Abftammung von Adam
gefehte Sorm ber Menfchheit unverändert bleibt. 6) Folg⸗
lid ift die Subſtanz der von Chriſto abftammenben
Dienfchheit eine andere, als bie übrig gebliebene Form
anzeigt; es hat Transfubftantiation ftattgefunben, 7) Sos
mit i die Bildung ber Kirche, ald Verwandlung des
adamitifchen in chriftliches Geſchlecht, ein Sacrament , ἐπε
wiefern formel da6 Wefen des Sarramentes Transfubs
flantiation iſt. 8) Diefes Eine Sacrament, weldyes bie.
Grundlage ber Rechtfertigung bildet, ift nicht ἐπ᾿ Diefer
Allgemeinheit, fondern vollzieht fid) durch mehrere Mos
mente hindurch. 9) Diefe find bie fieben Eacramente.
Das erfte if die Priefterweihe; es müjfen vor Allem Res
präfentanten Ehrifli vorhanden fein, um welche ſich bie
Gläubigen wie um Mittelpunfte fchaaren, wie bie erften
Btäubigen: fih um Chriftus felbit verfammelt haben. Es
iſt flat, bie Beftelung folcher Repräfentanten Chriſti fónne
nut durch Ehriftus felhft, und fofort immer nur von Oben
ausgehen, fo daß bie Bifchöfe vom Papft, bie Priefter
von ben Biflchöfen gefegt werden. Woraus folgt, daß
Sarrament der Prieſterweihe könne nur von Bifchöfen
gefpenbet werden. Ebenſo klar ift aber amd), daß bie
Prieſterweihe ein. anderes Sarrament vorauéfepe , nämlich
bie Taufe, bie Berwandlung des natürlichen Menfchen in
einen chriſtlichen Menſchen, denn nur der chriſtliche Mann
fann Prieſter werben. Die Taufe wiederum ſetzt ebenſo
ein anderes Satrament vorqus, die. (Eie nämlich, als bir
5*
68 Die Kehertaufe.
Quelle, woraus zu taufende Menfshen entfpringen, Hat
fi durch Verbindung von Gläubigen mit den Prieftern
(und burd) biefe mit ben Bifchöfen und bem Papft) bie
Kirche gebildet, ober find Menfchen Mitglieder der Kirche
geworben, fo handelt es fi fofort barum, biefefben zu
befeftigen, damit Jedem als felbftfländigem Gliede bes
ftimmte Stellung und Yunction angemiefen werden fónme;
ein Gefchäft, welches rechtmäßig nur durch Die verrichtet
werben fann, bie zwar vom Papfte abhängig, aber bod)
unmittelbar von Ehriftus berufen find, durch bie Biſchoͤfe
(Zirmung). Endlich dienen bann die drei übrigen Sacras
mente dazu, das fo Gegtünbete und Befeftigte zu erhalten,
im Einzelnen zu pflegen, etwaige Störungen immer wieber
gut zu machen, aud) noch im Augenblid des Todes bie
Subftanz zu beſchützen unb zu erhalten, welche unter ber
Form des adamitifchen Menfchen, unter jener Form, bie
eben jept zerbricht, verborgen liegt. Die Verwaltung diefer
drei Sacramente fällt ausfchließlich fold)en Mitgliedern
ber Kirche zu, welche eigens dafür von ber Kirche beftelit
und autorifirt find, nämlich den Prieftern, und zwar aus
dem einfachen Grunde, weil fie innerhalb der Kirche ftatts
findet. 10) Demnach erfcheinen die Taufe und bie Ehe
als zwei Sarramente, welche, wenn es erlaubt ift, fo au
fagen, früher find, als das erfte Sarrament. Darin iit
εὖ begründet, daß viefelben außerhalb der. Kirche admini⸗
firirt werben fónnen, während die Adminifiration aller
übrigen ausfchließlich in bie Kirche fällt.
Hiemit [εἰ die Apologie der Kebertäufe gefchloflen.
Darüber Etwas beizubtingen, bag unb warum diejenige
Ketzertaufe, uͤberhaupt diejenige Taufe, welche nicht in der
2
Die Kepertaufe. 69
rechten Form unb Intention verrichtet worden, ungültig
unb als nicht gefchehen zu betrachten fei, wäre überflüffig.
Dagegen fónnen wir nicht fchließen, ohne noch ein Mat,
wie fchon Anfangs, darauf aufmerffam zu machen, daß
gar viele ber gegenwärtigen Geften bie Taufe ald leere
Geremonie behandeln und weder in der rechten Korm, noch
mit ber Intention verrichten, das zu vollbringen, was bie
Kirche vollbringt, indem fie tauft.
Dr. Mattes,
Prof. in Hildesheim.
3,
Kritik ber Difchinger’fchen „Principien der fpecula-
fiven Teinitätölchre, mit Rückſicht auf Zukrigl.“
Zweiter Artifel.)
Bisher haben wir gefehen, daß Difchinger den theos
gonifchen Prozeß gänzlich undenkbar gefunden und dieß
aus folgenden KHauptgründen: weil es auf biefe Weife
in Folge des angenommenen Werdens feine gleiche Gig:
feit, fein wahres Sneinanberfein, feine organifche Lebens»
“verbindung und zulegt feinen. wechfelfeitigen Lebensverkehr
der göttlichen Hypoſtaſen geben foll, — Wir haben alle
biefe erhobenen Bedenklichfeiten zu löfen verſucht. Indeß
meint Difchinger in unferer Reconftruction ber. Trinität
nicht bloß bie linbenfbatfeit des theogonifchen Prozeſſes,
fondern zugleich aud) eine Menge von Widerfprüchen und
fogar von der Kirchenlehre abweichende Refultate, d. B.
Härefien zu finden. Diefe follen fid) aber auf unfere Auf⸗
faffung des BVerhältnifies der Einheit zur Dreiheit, bann:
des Verhältniffed des Wefens zu ben Perfonen und endlich
des gegenfeitigen SSerbáltniffe8 ber drei Perfonen zu eins
ander beziehen. |
1) Siehe Jahrgang 1849, Heft 3.
Kritik b. Otfchtuger’fchen Prinzip. b. ſpeticlativ. Trinttätölchresc. 71
Wir wollen nun feben: ob wirklich jene Widerfprüche
und von der Kirchenlehre abweichende NRefultate, deren
Difchinger uns befchuldigt, aus unferer Reconftruetion
hervorgehen.
a) Erftlich entbedt Difchinger in unferer Reconftruction
bes theogonifchen Proceſſes eine SBiereinigfeit, Wir jollen
nämlich zwifchen Perſon und Individuum einen realen
Unterſchied jegen, und daher auch zwifchen Dreiheit unb
Einheit, wodurch fobann eine Vierheit entſtehe. Θ΄ 30 ber
Bonner Kath. Bierteljahresfchrift für Wiflenfchaft unb Kunft
(Neue Holge. 3. Jahrgang. 1. Heft 1849) fagt er: „Is
bem wir zwifchen der Einheit und ber Dreibeit ein ideales
Verhaͤltniß anfegen, müflen wir ein reales ausjchließen;
denn dieſes fegt zwifchen die Einheit und bie Dreiheit
einen fachlichen Unterfchied, wornach eine Vierheit in dems
felben Objecte anzunehmen wäre. Zufrigl fonnte auf feinem
duafiftifchen Ctanbpunfte nicht zur Einficht gelangen, bafi
man von einer Sache zugleich dieſes, wie jenes praebiciren
fónne, fondern er mußte, ba ihm die Einheit entichwunden,
einen realen Unterfchien annehmen.“
Worin befteht aber unfer realer Unterſchied zwifchen
SBerfon und Individuum?
Wir fagten (S. 249 in unferer Schrift): „Die Berfon
ift ein fi als Realgrund erfafiendes, denfendes unb wiſ⸗
fendes freies Sein; das Individuum dagegen ift ein Gub»
ject an ſich, aber nicht für fid), ber Perſon eignet daher
das Selbftbewußtfein und das Grunbbenfen, dem Indivi⸗
buum „(Raturfubjerte)* bloß das Bemwußtfein und das
Schemadenken“.
Darauf erwidert Oiſchinger ©. 31: „Wäre dieſes
wahr, fo fónnte man von Gott nie bie untheilbare Einheit
T2 Kritik ber Oiſchinger ſchen Principien
— indivisa unitas, ἀτόμος — wovon Individuum nur bie
Umfchreibung ift, präbieiren.“ Nach Oiſchinger foll alfo
das Eine unb felbe abfolute Prinzip nach einer Beziehung
eine Dreiperfönlichfeit und nach der andern Beziehung ein
Snbibibuum fein; legteres follen wir aber negiren. Darauf
entgegnenwir: Wir verneinen feineöwegs, daß Gott nad)
ber einen Beziehung eine Dreiperfönlichfeit und nach ber
andern nur Ein Wefen fei, und daß diefes eine Dreis
perfönlichfeit conftituire, aber bieg müffen wir bemers
fen, daß für bie Bezeichnung der Wefenseinheit Gottes
das Wort; Individuum, unpaffend fet, ba εὖ im eigents
lichen Sinne nur den Naturfubjecten eignet, bie aber
gerade divisa membra der Einen bifferengirten Naturfub-
ſtanz find; das Weſen Gotted dagegen ift in der Trinität
nicht real zertheilt, fo bag bie drei Hypoftafen drei Theils
ganze wären; das abfolute Princip fegt fi im Sohne in
feiner Ganzheit entgegen. (ὁ ift demnach in allen: drei
Hppoftafen biefelbe und Eine Subftang (reale Einheit)
. gang vorhanden (Unitas in trinitate), und zugleich find bie
drei Hypoftafen unjertrennlid) mit einander verbunden unb
conftituiren fo Einen Lebensorganismus (Trinitas in unitate)
b. b. ein Wefen für fid) unb in Bezug auf Anderes. Daher
ift von Gott bie untheilbare Einheit — indivisa unitas —
aud) nad) unferer Reconftruction zu prábiciren. Da nun
aber nad) unferer Anfchauung die Einheit nicht als etwa
Reales für ſich der Dreiheit gegenübertritt und fteht,
fondern die Dreiperfönlichkeit das Reale felbft ift, wie
fann dann Difchinger und ber 9Biereinigfeit zeihen ? Sagt
ja das vierte Lateran-Boncil: „Et ideo in Deo solummmodo
trinitas est, non quaternitas , quia quaelibet trium perso-
narum est ill res, videlicet substantia, essentia, seu n&-
der ſpetulativen Teinktätälchee ac. 73
tura divina.“ Heißt có denn nicht im unſerer Schrift
6. 255: „Ein unb daſſelbe Princip (reale Einheit) ale
ſolches {εἰ dreimal in den drei Perſonen real gefegt?“
Wo wird denn hier angedeutet, daß das abfolute Princip
αἰ reale Einheit noch aufer, über ‘oder neben den drei
Berfonen fubfiftire?
Wie fann Difchinger jene Stelle fo commentiren €.31:
„Wenn Zufrigl einen realen Unterfchied zwiſchen ber Gin»
beit und ber Dreiheit, mag er letztere als breimaliges
Gegen oder Selbfipotenziren, oder wie immer faffen, ans
nimmt, fo kann er der Biereinheit, weld)e von der Kirche
verworfen wurde, nicht entgehen, oder e8 entfteht ihm eine
abfolute Einheit mit drei Lebendäußerungen, womit bie
Dreiperfönlichkeit aufgehoben if. Wenn er eine reale
Einheit annimmt, fo fann er nur Vierfaches zählen; denn
wenn er auch die Einheit mit ber Dreiheit verbunden fein
läßt, fo ift fie immerhin real von ber Dreiheit verfchieben,
wenn aud) nicht gefchieden.“ Bann ©. 32: „Wie man
fiet, ift nach Zufrigl nur barum feine Viereinheit vorhans
den, weil das Abfolute nicht von ben drei Elementen ges
trennt ift. Aber dieſes ift durchaus ungenügend; denn es
ift aud) bie eine Poſon von ber andern, 3. 3D. der Vater
von bem Sohne, nicht getrennt, unb bod) ijt eine Mehr;
heit vorhanden.“ Wo haben wir eine fulche Behauptung
aufgeflelit? Wir fagten ja felbft (€. 298 in unferer
Schrift): Man könne „pas in allen drei Perfonen immas
nente, ine, gleiche und felde göttliche Wefen nicht von
biefen fcheiden, und fo als Viertes über ihnen , gleichfam
wie bie Gattung über ihren Individuen (b. i. mittelft ber
Stefleríon, weil fonft die Gattung in ber Eoncretheit nicht
für fid, fondern mur in ben Snbivibuen eriftirt)* bina.
14 Kritik bee Oiſchinger'ſchen Princkpien
ſtellen, weil es ja nicht vor, neben ober über unb aufer
ben Verfonen ig, ba Es von Ewigfeit „(in benfefben)*
fi felbft bewußt war.* Denn bie Dreiperfönlichkeit if
ja die Griftenyform des abfoluten S3rincipeé. Deßhalb bes
merften wir auch: „Das Abfolute ift ben Momenten feiner
Selbftobjectivirung, b. t. ben Perſonen immanent.“ Ge ift
bemnad) nicht mit benfelben nur fo verbunden, wie Difchins
ger uns aufbürbet, Das Abfolute: ift ja in ben Proceß
ſelbſt eingegangen, und hat nur in ben drei Perfonen fein
Dafein, und außer biefem nicht. Wir haben alfo die
Kirchenlehre von der Dreieinigfeit Gottes nicht im Ges
ringften verlegt. Wenn aber Difchinger meint, daß unfere-
Anficht im vierten Lateran-Boncile verdammt werde, fo
irrt er fid) gewaltig. Denn aud) wir behaupten ja mit
dem Goncil und dem Petrus Lombarbus, „quod una quae-
dam summa res est, quae veraciter est Pater, et Filius et
Spiritus sanctus." Die summa res ift eben hier unfere
reale Einheit, bie Eine unb felbe abfolute Subftang, welche bem
Bater,Sohne und h. Geiſte immanent ift. Sie wirb aber erftbiefe
dreiperfönliche Beftimmtheit, b. b. fie entfaltet fid) als Vater,
Sohn unb b. Geift burd bie Subjectobjeetivirung = durch den
tbeogonifchen Proceß, = Zeugung ume Doppelhauchung.
Denn früher ift fie unbeflimmtes Sein. Da fie aber
ſchlechthiniges Sein if, fo ift fie auch Beftimmen burd
Sich, mithin ift. diefe Unbeftimmtheit von Ewigkeit aufges
hoben, indem fie als absoluta res nicht zu warten. bat auf
ihre Differenzirung burch ein anderes Sein, deßhalb ift
fie von Ewigfeit wirklicher Bater, Sohn und 8. Geift.
Daher fagen aud) wir: „tres simul personae ac sigillatim
quaelibet earundem,^ ba das Prius und Pofterius im
abfoluten Subjectobjertivirungsprocefie ein abfolutes if,
ber ſpeculativen Irinttätdlehee se. ^. 18
und zwifchen: ihnen nicht bloß ein Sneinanbeto, fonbern
auch ein Nebeneinander Statt findet. Auch verſtoßen wir uns
nicht gegen ben Gag: sed est Pater, qui generat — wenn
Difhinger 8.33 fagt: „Ganz unrichtig unb verfehrt ift der
Ausdrud:. das abfolute Princip, bie Einheit, bie Einperföns
lichkeit erzeugt u. ſ. w.“ Denn nach unferer Anſchauung ift ja
eben vor der Differenzierung ba& unbeſtimmte abfolute Brincip
ber potentielle Vater, nad) der Differenzirung aber wird e$
burd bie Entgegenfegung (Gommunicirung feines abfoluten
Seins) im Sohne gum wirklichen Vater. Somit fann man im;
merbin fagen: das abfolute. Princip als potentieller Vater
erzeuge den Sohn. Daß aber das abfolute Princip als
Einperfönlichleit ben Eohn erzeuge, haben wir nirgends
behauptet, da ἐδ ja erft nach ber Gelbftobjectioirung durch
die Beziehung zum fubjeetiven = perfönlidhen Vater wird.
As unbeflimmted reines Sein (f. das abfolute Princip
vor ber Differenzirung fonder Zweifel weder generans, noch‘
genita, nod) procedens zu nennen. And ebenfo if fie
nidt an fi unb für fi, fonbem nur im potentiellen
Bater als generans, unb im Gobne als genita und im
b. @eifte als procedens zu benfen ). Dieß hebt aber das
Gonci[ deßhalb hervor, um bie Sybee der Riereinigfeit zu
befeitigen, da leicht irgend Einer meinen koͤnnte: daß bie
summa res als abjo[ute Einheit den Bater, Sohn unb.
h. Geift. fege, und fobann außer biefen Berfonen für fiib
noch ftehen bleibe. Wenn aber. Difcyinger S. 33 und $4
1) Die Pradicate: generans, genita unb procedens fallen demnach iu
bie gewöhnliche Dafeinsform des abfoluten Principes (summa res), abet nicht
in fein Sein, als folches (substantia, essentia, seu natura divina). Denn
das Wefen ift in allem drei Hypoſtaſen daffelbe unt glei abſolut.
16 Kritik der Oiſchinger ſchen Principien
bemerfi: „Nach der Kirchenlehre find die Einheit unb
Dreiheit ibeale Unterſchiede, während Zufrigl und Etaus
benmaicr eine Verbindung beider als Biereinheit annehmen.
Das Mittelglied bildet der theogonifche Broceß, der gerade
durch bie angeführte Decretale auf das SBeftimmtefte vete
pónt ift:* — fo Bat er ganz überfehen, daß εὖ darin auch
heißt: sed est Pater, qui generat etc. Sft ba ber Proceß
wohl negirt: Gewiß nicht. Negirt man den theogonifchen
Proceß, fo fann man nimmer mit Recht fagen: daß Gott
Dafein burd) Sich ift. Und ba wir weiterhin nirgends
einen realen Unterfchieb zwifchen ber Einheit und Dreiheit
maden, b. B. bie reale Einheit neben ber Dreiheit Bins
ftellen, fo ,entfebt uns auch nicht, um ber Biereinheit zu
entgehen, eine abfolute Einheit, mit drei ebenéduferungen,
womit die Dreiperfönlichfeit aufgehoben tft.“
b) $ed) Difchinger meint: Wir haben nicht: bloß
eine 9Biereinigfeit Gottes, weil nad) unferer Anſchauung
dad abjolute Princip mit drei Perfonen verbunden fein
fell, fondern aud) zugleich eine Wierperfönlichkeit. Denn
€. 36 unb 37 fagt er: „Läßt man bie abfolute Perfön-
lichfeit oder das abfolute Princip gegen bie drei Perſonen
thätig fein, fo entftebt entweder eine Quaternität, oder Die
Dreiperfönlichfeit wird zu einer Erfcheinungsform ber Eins
perfönlichkelt gemacht.“ Wir (οἴει! alfo „von einem abfos
(uten Brincipe gegenüber den drei Perfonen fprechen unb
Daher Gott in Gott eintragen,“ weil wir fagen: „Wird
das abjolute Prineip fid) offenbar durch Wefens-Entgegens
, und Gleichfegung, fo Tann und muß es fi aud in
mehreren Perfönlichfeiten wiffen.*
Weiter bemerkt Difchinger: „Zufrigl nennt diefes Ab⸗
folute auch substantia prima, alfo find bie drei Perſonen
ger ſpeeulativen Schtitatefelire ae, 7. 7
Viefer abfolnten Subſtanz gegenüber. fecuntáre Subflangen.
Beide vertragen fid) nicht gufammen; benn weiß fi) das
Wbjofute in den drei Subftanzgen, fo liegt viefelbe
Anſchauung, wornach bie pantheiftiiche Philoſophie fagt :
Gett weiß fi im Menfchen, zu Gründe Wie bier, fo
ift dort bie Gelbftftánbigfeit fowohl des abfoluten Brincipes,
als ver drei relativen aufgehoben. Wie aber kann fid)
etwas in einem andern wiflen? wie ift eine fole Imma⸗
nen; und Gonfufion benfbar?4 Allein wo ift da eine
Duaternität, wenn das abfolute Prineip fi entgegen»
und gleichfegt, und nicht außer und über unb neben feinen
Bofitionen fleht, fondern eben bieje reale Triplicirung If?
Wo fagten wir wohl: daß das Eine abfolute Brineip
gegen bie drei Perſonen thätig fei, auf welche Weife fe»
bann vier abfolute Subftanzen entflünden, von benen das
abfofute Brineip bie substantia prima, unb bie drei Perfos
nen biefer gegenüber fecundäre Subftangen wären? Wenn
wir nad) bem 9Borgange von Strauß hier das Abfolute
substantia prima nennen, fo bat Difchinger weder Strauß
nod) und verftanden. Wir wollten biemit nur anbeuten, —
ba Gott nicht zu denken {εἰ als Gattungefubftany, welche
fib real zertbeilend in Individuen verwirflit und ihre
Eriftenz bat. Auch fónnen die Perfonen nicht im Gegens
fage zum abfoluten unbeftimmten Brincipe fecunbdre Subs
fangen genannt werben, ba fie ja eben die Objectivirung
beffelben (ber substantia prima), und im Weſen Eins und
alle gleichewig find. Difchinger folgert daher auch mit
Unrecht : „daß fid „Cauf biefe Art)“ bae Abfolute in den
drei Subftanzen sCObpoftafen)* als in einem Andern weiß?
Daß fid Gott in der Dreiheit wiflen könne, wird Nies
wand befireiten, ber erkannt hat, baf aud) das Natuw
"8 fusi ter ODifchluger ſchen Meineigien
princip in einer Vielheit von finnbegabten Synbipibuen um
feine Erfeheinungen weiß. Wie follte e$ aud) anders fein,
wenn das Eine abfolute Princip fi in allen drei
Hppoftafen real objectivirt bat; denn diefe find ja feine
Eriftenzform. Aber diefes Sichwiflen des abfoluten Brin-
cipes in ben drei Hypoftafen, ald Water, Sohn unb ἢ. Geift
— heißt nimmermehr: Sich in einem wefentlich Andern
wiſſen. Gott weiß (id) nur in fid. Der Subjectobjectivi⸗
rungsproceß des Abfoluten (ft bemnad) nad dualiftifcher
Anfchauung ein wefentlich anderer, als nach ber monile
fchen. Dort fet fid) das abfolute Princip in feiner Gans;
heit entgegen und ebenfo gleich, unb bie in fid) felber,
aber nimmer in einem Andern. Hier aber geht das abfo-
lute Brincip in eine reale Zertheilung ein, in die Befon-
derung und zwar in ber Weltwendung ober in feiner
Verendlichung. G8 entfaltet fid) zuerft in den bret Natur⸗
reichen, unb dann fid) fteigernb in einer unenblichen Biels.
: heit von Menfcheniudisiduen, in welchen εὖ fein Selbfibes
mwußtfein gewinnt und nad Strauß fo allperfönlich wird.
Welche Differenz daher zwifchen beiden !
Sft aber nad) unferer Anficht das abfofute Princip
weder als unbefimmtes Sein noch ald Einperfönlichfeit
gegen bie breit Perſonen thätig, da jenes mit biefen Eine
ἐξ, und nicht früher für fid) eriftirte, fo haben wir aud)
gar nicht „die Dreiperfönlichkeit zu einer Erfcheinungsform
der Einperfönlichkeit gemacht.“ Nach unferer Anfchauung fann
ja das unbeftimmte abfolute SBrincip nie ale perfönlich
aufgefagt werden, ba es durch ben Gelbftobjectiois
rungsproceß erft abfolutes Subject, abfolute Perſoͤnlichkeit
wird, b.. b. eben burch feine Selbflunterfcheidung in ben
drei Hypoſtaſen. Würden wir eine abfolute Einperfünlich
der ſpeeulativen Teinitätälchre se. i.
feit, unb dazu noch eine abfolute Dreiperfönkichfeit anneh-
men, bann müßten wir einen doppelten Subjectobjectivi⸗
‚rungsproreß in Gott. ftatuiren; davon bat aber Oiſchinger
gewiß nichts im unferer Schrift gelefen. Darum hat
Difchinger nur aus einem Mißverfländniß eine Vierper⸗
fóntid)feit in unferer Reconftruction gefunden. Er dufeet
€. 37: ,3ubem ift eine jede SRerfon ein felbibewußtes
und toollenbeó und thätiges SBefen. Wenn aber in (br
das abfolute Prineip weiß, und will und handelt, wie ift
fie nod) cine Perſoͤnlichkeit? Es entfleht eben alsdann
eine vierfache Perſönlichkeit; denn zu ber dreifachen fommt
nod) bie abfolute hinzu, welche diefe dreifache gleichlam
zufammenhäft und als das Gentrum fie.vereinigt. Sie ift
das Band, welches zwar von ihnen nicht getrennt ift, aber
bod) in ihnen gemeinfam benft und daher das abfolute
Bewußtſein begründet. Wie ift fo etwas, abgefehen von
dem Widerfpruche mit bem Dogma, je nur denfbar? Wenn
das Eine und baffeíbe abfolute Princip jeglicher Perſon
immanent ift, wie es S. 26 (in unferer Schrift) heißt, fo
gebt entweder bie Dreiperfönlichfeit in ber abfoluten, ober
biefe in jener auf.“ Da nad) unferer Auffafiung das ab;
folute Princip vor feiner Differenzgirung keineswegs ale
abfolute Einperfönlichkeit eriflirt, fo kann fid felbe aud)
nicht in ber Dreiperfönlichfeit denken. Denn bieß wäre
allerdings unmöglich, wenn wir ed behauptet hätten, was
aber eben nicht der Kal iſt. Stein Brineip bat eine dop⸗
yelte Subjertobjectivität. Es fann fid) eine Perſoͤnlichkeit
nicht in der andern benfen, fonberm fie muß fid) ſelbſt in
fidy benfen unb wiffen. Daher haben wir aud) nicht eine
abfolute Einperfönlichfeit als ein Viertes neben bet Dreis
perfönlichkeit hingeſtellt, und fie mit diefer verbunden, bas
B0 Kritik der Oiſchinger ſchen Brinelplen
mit fie {εἶδε gleichfam zufammenhalte. Denn wir fagten
nur: bag eben biefe abfolute Dreiperfönlichfeit in ver
begrifflichen Einheit bie abfofute PBerfönlichkeit conftituite,
und daß deßhalb die abfofute und dreifache Berfönlichkeit
daffelbe, aber nur jedesmal naq einer andern Beziehung
ausgebrüdt, fei.
c) Wiederum follen wir nadj Difdjinger ben Tritheis-
mus fchlecht widerlegen, dann felbft hiedurch in benfefben
:gerathen, und endlich abermals in bie Quaterniät zus
rüdfinfen. So heißt e8 €. 38: „Weil ber Gattung:
begriff „nach uns nämlich)“ auf Gott nicht anwendbar
i£, follen nicht drei Götter in dem Subjectobjectivirungss
procefie entfteben. Der Gattungsbegriff foll aber ber Nas
tur allein zufommen, „(und Gott nicht)", eine durchaus
(rige und neuerfundene Behauptung“ Dann G. 39:
„Welches (ft aber nad) biefer neuen Theorie der Unter⸗
ſchied zwifchen ber Gattung, welche Gott, und zwifchen ber
Gattung, welche ber Natur beigelegt wied? Der Unter:
fehied befteht in dem Logifchen unb realen Allgemeinen, ober
bort fol bie Gattung nur in ben Individuen, bier aber
als reale Einheit wirklich fein, fo daß dort die Indi⸗
bibuen getrennt, hier aber die Merfonen durch die
reale Einheit wie durch Klammern zufammengehalten wers
ben.“ „Alfo gibt es immerhin, wenn auch feine Drei ge:
trennte, fo bod) Drei verbundene Götter. Der Tritheismus
ift alfo nicht widerlegt. Es wurde aber fion bewiefen,
daß feine reale Einheit gegenüber der Dreiperfönlichkeit,
wenn aud) damit verbunden, angenommen werden Tann,
:ohne eine Quaternität zu behaupten.“
| Difchinger verfennt ganz den Sinn in unferer Be
"Bauptung, „daß ber reale Gattungébegriff auf das Abſo⸗
der jpeculatinen Trinitätslehre 1c. δι.
[ute gar nicht amvendbar ift.“ Er fagt: „Wie albern ift
bie Behauptung, daß ὦ nur im Naturgeblet bie Gattung
finde? Oder heißt nicht Gott und bie Greatur Wefen und
Geijt und Berfon ?* Meint Difchinger wirflih, daß bie
reale Gattung auch aufer der Natur ftatifinbe, bann. muß
er auch den Traducianismus zugeben, und annehmen, daß
bie Geifter erzeugt und nicht gefchaffen werden. Sa noch
mehr: er muß dann ftatuiren, daß bie abfolute Eubflanz
durch bie Defonderung in drei Individuen fid) differenzirt
habe, woburd drei Theilganze entſtehen, b. b. drei ges
trennte göttliche Individuen, in welchen die göttliche Gat⸗
tung als Immanenz ihre Grifteng bat. Denn wo reale
wirkliche Gattung, ba ift Individualiſirung (reale Zertheis
(ung unb Befonderung), weil nur fo bie Gattung wirflich
wird und ift. Nun aber wiſſen wir, daß bas abfolute
Princip in feinem Subjeetobjestivirungsprocefie in feiner
Ganzheit fid entgegen- und gleichfegt, jedoch jedesmal in
einer andern Dafeinsform, alſo fid) nicht inbivibualiirt; —
daher aud) bie Hypoſtaſen nicht von einander getrennt,
fondern in einander eriftiren, indem fie eben nur einen
abfoluten Lebensorganismus bilden. Wie fann bann
Difchinger und aurufen: wir hätten awar feine getrenn⸗
ten, aber drei verbundene Götter? Haben wir wohl je
behauptet, daß der Vater, Sohn und b. Geift drei von
einander unabhängige Weſen für fid) find? Conſtituiren
fie nicht in ihrer Immanenz nur Ein 9Befen? Gags
ten wir nicht felbft: es gibt drei immanente göttliche
Factoren, . oder SBerfonen, welche im Weſen Eins find?
Kann aber der reale Gattungsbegriff nicht auf Das
Leben Gottes angewendet werben, fo fann man auch nicht
behaupten, daß εὖ drei getrennte Götter gebe, da ja über«
“θεοί. Quartalſchrift. 1950. 1. $eit. 6
82 Kritik der Oiſchinger'ſchen Sfrinclpien"
haupt die Gattung eine beliebige Mehrheit von Indivi⸗
buen befaffen Fann. Und nur daraus, weil dad abfolute
Leben nicht als Gattungsproceß aufgefaßt werden Tann,
ift es begreiflich: wie das Athanafiſche Symbol fagen
fann: Ita Deus Pater, Deus Filius, Deus Spiritus s. et ta-
men non ires Dii, sed unus est Deus. %ände aber ber
Gattungsproceß Statt, fo gäbe εὖ drei getrennte, unb wenn man
will, auch mehrere Gottheit⸗Individuen. Daher haben wir al«
ferbing$ dadurch ben Tritheismus widerlegt gegen jene , welibe
ber Kirchenlehre bie Behauptung aufbürben, daß nach ihr das
Abſolute als Onttungsfubftang fich in drei getrennten Indivi⸗
buen verwirfliche, und fomit drei getrennte Götter bilde.
Veberbaupt kennt Difchinger noch nicht den Unter⸗
ſchied zwifchen bem realen und dem fubjeetiven (bem [v-
gifchen vber formalen) Gattungsbegriffe. Sn legterer Der
ziehung laflen fid) allerdings verfchiedene Dinge unter einen
gemeinfamen Ausbrud bringen. Denn fo ift wohl, wie
Difchinger behauptet, Gott ein Wefen und der creatürlicye
Gift aud), aber beffatb find fie bod) nicht von Eine
Gattung, b. i. von derfelben Eubflanz durch Befonderung
(Individualiſtrung) entftanden. Hier ift alfo nur das lo
gif Allgemeine gemeint. Man fami auch nicht fagen,
daß es eine allgemeine Geiftesfubftang gibt, welche fid) in
bie einzelnen Menfchengeifter befonbert Bat und noch hinfort
befonbert. Daß aber ber Geift Allgemeinbegriffe bilde, fonunt
nur daher, weil er mit der Raturpfyche im Menfchen vers
bunden if; e6 Dat baher ber Typus des Süaturlebené
einen Einfluß auf fein Denken, ba er von demjelben ge
wiffe Bormen entlehnt.
Was aber den Alnterfchied zwifchen der Gattung,
welche Gott, und zwifchen der Gattung, welche der Natur
ber fpeculativen Trinitätölehre ic. 83
beigelegt wird, anbelangt, den Difchinger uns aufbürbet,
fo müfjen wir bemerfen, baf wir einen foldyen nirgends
aufgeftelt haben. Denn die Gattung bat nad) unjerer
Anfchauung ftet& nur in den Individuen und zwar in
getrennten ihr Daſein; fie ift nur als ein immanentes Realr
Allgemeines (durch bie Befonderung in ben Smpividuen),
aber nie als reale tranfcendente Einheit (Monade) vore
banden, ba fie fid) ja eben burd) bie Beſonderung real
zertbeilt Hat. Deßhalb wiffen wir auch von feiner Gattung,
welche Gott beigelegt wird. Denn nach unferer Auffaflung
gibt es ja aufer den Perſonen feine Gottheit (Gattung),
welche als reale Einheit beftehen und dann als folie bie
drei Berfonen zufammenhalten würbe, wie eine Klammer.
Denn die Dreiperfönlichkeit ift eben das abfolute reale
Prineip, ober bag reale ab[olute Eine Wefen. Frage: we
find wir dann wieder in eine Quaternität zurüdgefunfen ?
d) Aber nun findet Difchinger, daß wir uns in der
Durchführung unferer Resonftruction aud) des Modalismus
fhuldig gemacht haben, da wir den Tritheismus wider:
(egen wollten. Er fagt €. 43: „Wil Zufrigl, ber mit
bem Sabellianismus den Tritheismus widerlegen will,
beide überwinden, [o muß er bie Selbftpotenzirung und
den theogonifchen Proceß perhorredeiren, der dem Refultate
nach ganz mit ber hegel’fchen Dialektik zufammenfällt, wo:
nach Gott nichts weiter, als dieſer Iogifche, fid in drei
Regationen bewegende SBroce ift, ber Ausdruck, daß Gott
als Say (Vater), Gegenfag (Sohn) und Gleichſatz (Deiliger
Geift) in 2ebenóeinbeit eriftirt, ift ganz mobaliftifch; denn
man fagt zwar Gott Bater, Gott Sohn, unb Bott heiliger
Gift, aber nimmer: Gott als Vater, al& Sohn und als
heiliger Geift, weil dieſes nur einen Modus Gottes aud;
6 &
84 ᾿ Kritit der Oiſchinger'ſchen Principien
brüdt, wie die Ausprüde: ber Menfch als benfenbeó, als
fühlendes u. f. w. mobaliftifch find.“ Difchinger meint
demnach, daß wir und Gott in einer dreifachen formalen
Zuftändlichfeit ober Erfcheinung oder Thätigkeit benfen;
woburd) bie drei Hypoftafen als Selbftheiten aufgehoben
find und wobei Gott al8 Einperfönlichfeit dreifach thätig
it, indem er in ein breifaches Serbáltnig mit ber Welt
als Schöpfer, Erlöfer und Heiligmacher eingeht, und dieſes
dreifache Verhältniß fel dann bie Dreieinigfeit Gottes.
Hier hat aber Difchinger vergeffen, daß wir früher
ſtets von einer weſenhaften Entgegen» und Gleichfegung
des abfoluten Principes gefprochen. Es find bemnad) Vater,
Sohn und Heiliger Geift nicht bloße Thätigfeiten des Einen
ihnen immanenten, abfoluten Brineipes, fondern reale Poſi⸗
tionen. Wie fann er und dann im Widerfpruche mit feiner
frühern Anfchuldigung, bag wir eine Quaternität behaups
ten, auch nod) Sabellianigmus und Modalismus. vor»
werfen ? | ze
Und enolih: warum follte man nicht fagen können:
Bott eriftirt al Vater (Sag), Sohn (Gegenjag) unb δεῖν
liger Geift (Gíeid)fag) in Lebenseinheit? Wer kann wohl
von Gott ben verfchiedenen modus existendi negiren ὃ
Sind die drei Hypoftafen etwas Anderes als bie drei vers
ſchiedenen wefenhafte perfönliche Dafeinsweifen des abfolu-
ten Principes, welche zufammen deffen Eine und felbe (weil
nicht getrennt) Wefenseriftenz bilden? Damit ftimmt ja
auch Peronne überein P. Diefer modus existendi Gottes
1) Praelect. theolog. Vol. IV. pag. 269. Divinae personae non
diversa, sed eadem existentia fruuntur, etsi modus existendi distinctus
sit in qualibet persona; nec tres personae, proprie loquendo suni
tria entia, sed idem ens divinum trina subsistentia donatum.
der fpeeulativen Trinitätslehre c. 85
ift bod) wahrhaftig nicht eins mit dem Modaliomus ber
Häreſie. Denn nach Cimon'$ modaliftifcher Auffaffungs-
weile der Trinität find ja Vater, Sohn und heiliger Geift
bfoße Aeußerungs⸗ oder Erfcheinungsweifen, Formen ders
felben einigen göttlichen Perfon (Epiph. Haer. 11, 2); nad)
Eabellius aber nur trei Namen oder Erfcheinungsweifen
einer und berfelben Perſon (Ev μιᾷ ὑποστάσει τρεῖς 0vo-
μασίαι. Dann: Mia ὑπόστασις, τρεῖς ἐνέργειαι).
Drum ift Difchingerd Anflage eine völlig ungerechte:
daß wir den Tritheismug durch ben Modalismus zu wibers
legen. fuchen. |
Deßhalb Dufbigen wir nod) keineswegs dem Moda:
líómud , wenn iir eine Analogie von ber Potenzirung
gebrauchen, um dadurch anfchaulich zu machen, wie ein
und baffebe abjolute Wefen fid) dreimal feßen unb infofern
vervielfältigen und entfalten, und doch dabei Eins bleiben
fann, weil bie Vervielfältigung eine immanente und das
abfofute Brineip (bie reale Einheit) nicht real entzweit,
fondern in der Eubjectobjectivirung in feiner Ganzheit
gefeßt wird. Wenn wir hiezu das Beißpiel: Eins zur
dritten Potenz erhoben, bleibe immer Eins, ungeachtet des
breimafigen Multiplication —, gewählt:- jo wollten wir
hiemit nur eine Analogie geben und nicht mehr, daher
hieraus keineswegs einen ftringenten Beweis ableiten.
Sagt aber Difchinger hierauf €. 42: Es „werben bier
bie Berfonen gezählt, ber Vater und der Sohn und ber d
heilige Geift, ober e8 greift bie Addition, nicht aber bie
Muftiplication ober Botenzirung Plag“. Und bann: baf
„Eins nicht zur dritten Potenz erhoben werben fónne.*
„Bei Gott fónne von Feiner Erhebung — wohl aber Ents
äußerung bie Nee fe“: fo ift unfere Bemerfung: Wir
86 - Kritik der Difchinger'fchen Principien »
wollten ja eben nicht ben Polytheismus begründen, fondern
nur die dreifache reale Dafeinsweife des Einen und, felben
abfoluten Brineipes Cin drei Hypoftafen) verfinnbilden.
Deshalb fagten wir auch: das abfolute SBrincip auf ber
erften Stelle heißt Vater, auf der zweiten Eohn, auf ber
dritten heiliger Geift. Wenn aber Difchinger meint: bie
abfolute Eelbftpotenzirung fei bei Gott. eine abfolute Un⸗
möglichfeit, und befbalb feien wir in ben Modalismus
verfallen: fo ift es nur eine Gelbfttäufhung von ihm.
Denn wer bat Gott wohl in's Dafein überfegt, als er
jd) felbft? Wie follte nun eine Potenzirung nicht möglich
fein, wenn Gott in der zweiten und dritten Entwicklungs⸗
und Dafeinsftufe mehr Beftimmtheit al& in der erften unb
endlich in allen dreien feine volle Beftimmtheit erhält?
Wenn aber Difchinger entgegnet €. 42 und 43: nad
unferer Reconftruction „gibt e8 nur Entwidlungsftufen und
Momente oder Eriftenzformen der Einen und ungetheilten
Verfönlichkeit, aber nie drei Perfonen; denn bie Potenzi⸗
rungéform A, und A? unb 905 weift nur biefen Proceß
nad), wodurs das Eine SBefen wächst unb fid) entfaltet.
Tritt es in das zweite Stadium ein, fo ift bie erfte Form
verfchwunden, und ift es im dritten, fo find bie zwei vor
hergehenden nicht vorhanden. Von ba an aber freift có
wieberum — bem jus und abnehmenden Monde vergleiche
bat — zu A zurüd unb beginnt den Kreislauf von Neuem“:
jo hat er ganz außer Acht aefaffen, bag nach unferer Recon⸗
ftruction des abfoluten Subjectobjectivirungsproceffes nicht
blos formale, fondern wefenhafte Entwidlungsftufen (wirkliche
Hypoftafen) eintreten müffen, ba wir ja flets eine wefen-
hafte Entgegens und Gleichfegung des abfoluten Principes
behaupteten, indem -fonft bie Idee der abfoluten Berfönlichs
der fpeeulativen Trinitätälehre ac. 581
feit gar nicht erreicht wird, wenn Gott fid) nicht als
Bater, Sohn unb bi. Geift weiß. Deßhalb verfchwinden
die. Entwidlungsftufen gar nicht, fonbern fte bleiben. Das
abfolute Brineip muß allerdings auf der zweiten Entwick⸗
lungsſtufe eben zufolge beríelben zu einem andern perföns
lichen Factor fid) conftituiren, als auf ber erften. Daffelbe
gilt bann aud von der dritten Entwidlungsfiufe Um
aber bie bleibende Subſtanz jeder Hypoſtaſe angubeuten,
wählten wir bie Bezeichnung: 15 =1Xx<1X1=1. Nur
wenn wir unfere Reconflruction allein auf diefe Analogie
gegründet hätten, fónnte für Difchinger ein Zweifel ents
ſtehen, ob wir nicht etwa bem Modalismus huldigen.
Wohl find nad) unferer Anfchauung bie llebergangeformen
des abjofuten Principes, b. b. beffen reale Entgegen» und
Gicid)fegung nothwendig, damit e$ fich al& Sein fchlechthin
wiffen fann, aber nur verfchwinbet feine, fonbern jede bleibt
ftehen, weil jede poftulirt wird, ba zum göttlichen Lebens⸗
organismus unb zum abfoluten Selbftbewußtfein drei reale
perfönliche Factoren gehören. Es find alfo die Formen
permanent und nicht vorübergehende Erfcheinungen „ver
Einen ungetheilten Perfönlichfei“. |
Ebenfo bürbet uns Difchinger mit Unrecht einen ftetis
gen Kreislauf eines mobdaliftifchen Lebensprocefies Gottes
auf. Sft der abjolute Subjectobjertivirungsproceß Gottes
von Ewigkeit fertig, wozu hätte er dann nöthig, denfelben
zu wiederholen? Es fällt ja im Abfoluten bie DBerinnes
rung mit der rcalen Hypoftafirung gufammen. Wir haben —
demnach nicht Urfache, bie Selbfipotenzirung (bie Selbfts
überfegung des abfoluten Seins in feine dreifache reale
und perjónlide Dafeinsform) aufzugeben, wenn wir ben
Eabellianismus überwwinden wollen. Denn unfere Botenzis
88 Kritik der Difchinger'schen Principien
rung des abfoluten Prineipes ift eine bleibende, wejenhafte
fBofition, verbimden mit Wachsthum in ber Entfaltung,
da ſelbes ja in ber Entgegenfegung zugleich fein Eein real
ſchaut, unb in der Gleichſetzung eine reale llebergeugung
von ber Sbentitát beà Giegenjapeó mit fid), al8 bem Principe
(Cape) gewinnt.
e) Nun prüft Difchinger unfere Reconſtruction in
Betreff des SSerbáltnijje8 ber Perfonen zu einander, und
jebt entbedt er fogar darin einen verborgenen neun⸗ oder
zwölfperfönlichen Gott. Er bebucirt dies €. 44 alfo: „brei
SBerfonen find nur dann vorhanden, wenn eà drei erfennenbe,
wollende und thätige Selbftheiten gibt. Es ergibt fid)
daher, daß ber Eine Eelbftbewwußtfeinsproeeß fi mit ber
Dreiperfönlichfeit nicht verträgt. Denn da jede Berfon einen
Selbitbewußtfeinsprocch zu befteben hat, fo muß das, was :
Zufrigl von dem Gelbftbewußtfeinsproceß des Abfoluten
überhaupt fagt, auch von jeder göttlichen Perfon gelten.
Wenn nun Zufrigl hier drei Dafeinsweifen nach ber Ana⸗
Iogie des menfchlichen Selbftbewußtwerdend, refpretive brei
Perſonen entftehen läßt, fo müflen, da jede Perſon einen
folhen Proceß durchzumachen hat, neun oder zwölf folcher
unnennbaren Broducte entftehen, je nachdem man das abfos
[ute Princip dazu rechnet ober nicht. Es entwidelt fid)
alfo ein neun» oder zwölfperfönlicher Gott“. Hierauf ἐξ
unfere Entgegnung: Wir nannten die Hypoftafen (Goef»
ficienten) im Subjectobjectivirungsproceffe des Abfoluten
auch reale Momente unb dieß keineswegs ohne Grund.
Hätte Difchinger den Sinn dieſes Wortes bedacht, fo
τοῦτος er nicht gejagt haben: „da jede SBerfon einen Selbft:
bewwußtfeinsproceß zu beftehen hat, fo muß das, was Zufrigl
von dem Eelbftbewußtfeinsproceffe des Abſoluten überhaupt
der ſpeculativen Trinitaͤtoͤlehre ic. 89
fagt, auch von jeder göttlichen SBerfon gelten“. Difchinger
vergaß fid) hier zu fragen: Warum und wozu foll beim
ein Moment (Eoefficient) im Proceſſe des Abfoluten, wenn
es auch ein reales Moment (Hypoftafe) ift, ben ganzen
Proceß des Abfoluten wiederholen, als ob εὖ fcin Moment,
fondern das abfolute SPrincip felber wäre? Sft. denn bie
nidjt gegen alle Borausfegung? Was vom Principe (von
der Gottheit) als folchem (Anfichfein) gilt, Tann nimmer
von jedem Momente, wenn cà auch principielles Kürfichfein
ift, gelten, da fonft dieſes zu jenem, b. D. das principielle
Sürfich (ber Coefficient) zum principielfen Anftchfein ges
macht würde. Sft aber dieß richtig, fo fann Difchinger
und nimmer mit Grund vorwerfen, bag unfere Recons
ftruction zu einer Neun » ober Zwölfperfönlichfeit des Ab⸗
foluten führe. Es ift bier wohl zu merfen: das formale
Dewußifein der einzelnen Hypoftafen im Leben des Abfolus
tn im Gegenfape zur Geneſis derſelben (reales Celbft»
bewußtfein fonft aud) von und genannt) ift blos eine 9te«
confiruction oder DVergegenfländigung des abgelaufenen
Procefies. Denn ein formaled Selbftbewußtfein fommt ja
sur dadurch zu Stande, daß ein Realprineip feine Thätig>
feiten auf Sich als Baufalität bezieht, b. b. Sich ale das,
was: ed. bereits ift, erfaßt. Sene Thätigfeiten find nun
aber theils reale Emanationen, theils Relationen (Wechſelbe⸗
ziehungen), in welche eben die Principe (Hypoftafen als
emanirende und emanirte) zu einander getreten, weil fte
ja lebendige find und bleiben. Auf biefe Weife werden.
bann bie realen Gefchiedenheiten zu formalen Unterſchieden,
bie jedes Princip oder jede Hypoſtaſe an ihm felber trägt
und befikt.
Wenn aber Difchinger weiter fortfährt €. 46: „Es
90 Kritik der Difchinger'fchen Principien
muß der Vater, welcher das Object für ten Eohn ift,
auch zugleich bie Veräußerung und die Setzung des Eohnes
fein“; fo ift dieß allerdings wahr, aber nur in einem andern,
b. 5. formalen Sinn. Denn wie das Abfolute durch ben
Sohn (Object) zum Vater (Subjeet) wird, fo wird aud)
umgefehrt ber formalesfubjective Bater zum formalen Objecte
des Eohned._ Diefer fept den Vater mit, ber ja ohne
Sohn blos SDrincip bliebe, und dieſes Mitfeben wird aud)
vom Sohne erfaßt, b. ἢ. formal gefegt. Der Sohn (Gegen:
fag) fann fid nicht als folchen benfen, erfennen und wiflen,
ohne zugleich den Vater als reale Lebensbedingung von
feinem Dafein vorauszufegen, infoferne (ft demnach ber
Vater eine formale €cgung vom Sohne. Die Eekung des
Vaters ift als angefchaute (veräußerte und gefegte) vom
Sohne fonder Zweifel bie That des Anſchauenden, b. f.
eben die Gegung tes Sohnes. Aber diefe Anſchauung ale
formaler Broceß kann nimmer den realen Broceß zur Nach⸗
fegung, fondern muß benfefben zur Borausfegung haben.
Wie das formale Selbftbewußtfein der einzelnen Hypoſtaſen
fid) bildet, ift ein anderer Proceß (weil blos logiſcher =
Bergegenfländigung = Reconftruction), als der genetifche
des realen Selbftbewußtfeine. Sener formale Broceß muß
f nothmwendig nad) andern Kategorien und nach: einer
andern Analogie conftituiren, als fegterer, ba ja ein ans
derer Zwed zu erreichen ift. Bei bem realen Gelbftbe,
wußtjeinsproceffe des abfoluten SBrincipe& muß die Mög-
lichkeit einer Wefenfchauung conftruirt werden, daher die
Nothwendigfeit der realen. Hypoftafirung , da eben ba$
Eharafteriftifche des abfoluten Selbftbewußtfeinsg darin bes
fteht, Daß das abfolute Princip fein Wefen ſchaut, alfo nicht
blos formal fein Sein weiß, wie ber bedingte creatürliche
ber fperulativen Trinitätälehre ic. 91
Gif. Bei tem formalen Gelbftbemuftieinéproceffe Dagegen
it tie Möglichkeit aufzuzeigen, wie jede einzelne Hypoftafe
fif als abfolutes 9Befen wiſſen fónne (ober wie fie zum
Eubjeete wird) unb bann zugleich in feiner eigenthümlis
Gen Dafeinsform (id erfaffe, ober wie fid) jede formal
von den andern felbft unterícbeibe. Mithin ift bier nur
formale, aber nicht emanirenbe Thaͤtigkeit.
SR jedoch ber Broceß der wefenbaften Entgegen ^ und
Gleichſetzung nur für das abfolute Princip nótbig, fo folgt
aus unferer Reconftruetion keineswegs, wie Difchinger
€. 46 meint, daß ber Sohn unb der Heil. Gieift ob dem
Mangel dieſes ganzen Proceſſes zu bloßen Erfcheinungss
oder „Bewußtfeinsmomenten“ ber Einperfönlichkeit des Vaters
herabfinfen. Der Sohn ift ja das buplicirte oder coms
municirte Eein des abfoluten Brincipes, alfo ein wefens
bafter göttlicher Lebensfactor. Und baffelbe gilt auch von
dem heil. Geifte, ba diefer der reale doppelte Ausgang ift.
(ὁ ift fonach nicht blos eine einzige SBerfon (der Vater),
fondern auch ber Sohn und 5. Geift find wirkliche Perfonen.
f) Weiter bemerft Difchinger S. 46 und 47, daß wir
die Behauptung aujftelfen: man folle ven abjoluten Subject»
vbjectivirungsproceß Gottes nicht nach der Togifchen Analogie
des menfchlichen Selbftbewußtfeins conftruiren, unb bod) bes
folgen voir diefe Regel felber nicht, ba wir bie Dreiperföns
lichkeit mit den logifchen Elementen ibentificiven, indem wir
den Bater als Sag, den Sohn ald Gegen(ag; unb ben b. Geijt
als Gleichſatz bezeichnen. „Es ift aber Mar, daß alle drei
Glieder zufammen nichts Anderes, als der logifche Aus⸗
brud von einem wirklichen Sage find. Wo ift hier ein
llebergreifen über das logifche Denfen? Mag „Zufrigl“
auch bicíe drei Momente noch mit dem Eelbftbewußtfein
92 Kritik der Difchinger’fchen Princhpien
verbinden, fo gelangt er nicht weiter, ald zu einer Analyfe
des felbfibewußten Ich. In biefem falle ift ber Gag das
Borftellende, ber Gegenfag das Borgeftellte, und endlich
ber Gleichfap das in biefem fid) einheitlich erfennende
Sch, ober vielmehr ein und baffelbe Ich, foferne es fid)
feibft denft“. Allein Difchinger irrt, wenn er meint, wir
haben deßhalb unà „über das reflexive Erkennen nicht ers
hoben“, weil wir den Vater Eag, den Eohn Gegenfag
und den heil. Geift Gfeidjfag nennen. Denn nad) unferer
Anfchauung find ja Gag, Gegenfag und Gleidfag nicht
etwa blog formale Bewußtfeinsmomente (— Borftellendes
-- Vorgeftelltes + das fid) als Einheit zwifchen. beiden
erfennende Ich — Vorftelung), fondern reale, alfo weiens
bafte Hypoftafen. Wir bemerften ja, daß bie logifche Ana»
logie des menfchlichen Selbftbewußtfeins nur eine Anwen⸗
dung finden fann auf den actuellen. forınalen Eelbftbewußts
feinsproceß der Hypoftafen, fomit hat unfere Reconftruction
nicht blos eine „einzige SBerfon* zur Folge Es ift bem:
nach ganz unrichtig, daß wir mit -ben Bezeichnungen ber
Hypoſtaſen als Sag, Gegenſatz und Gleichſatz nichts Andes
res, als bie logifche Analyfe des felbftbewußten Sch ge-
winnen. Denn nad) unferer Anficht ift ja der Gegenfag
im realen abfoluten Eelbftbemußtfeinspreceffe nicht etwa
blos die gegemübergeftellte Vorſtellung des Ich's be8 ab:
fofuten Principes (des Sapes), fondern ein wefenhaftes
Object, welded cben deßhalb durch bie Relation (auf ben
Bater) zur Perfönlichfeit wird. Difchinger hat unjere Re:
conftruetion nichts weniger, als vollfommen aufgefaßt;
denn fonft würde er darin: bag wir den Vater Cag, den
Sohn Gegenfap, und dei h. Geift Gleichſatz nennen, etwas
anderes, als bie böchfte (eere Abſtractheit erfannt haben.
ber jpeculativen Trinitätölchre ic. 93
Es ift ibm noch nicht bie Idee Har, daß bie Momente:
Sag, Gegenſatz und Gleichfag in dem Gubjectobjectiviz
rungsproceſſe eines jeden Lebensprincipes vorfommen , und
zwar als notwendige fid) einftellen, und daß felbe quati
tativ verfchieden fid) bei Gott und der Ereatur geftalten
müſſen. |
g) Allein, fährt Difchinger fort: auch die vorgefihla-
gene Analogie des genetifchen Selbſtbewußtſeinsproceſſes
des menfchlichen Geiſtes rechtfertigt unfere Reconftruction
der Trinität nicht. Und wie fo? „Nehmen wirt, fagt
er ©. 78, „auf das Eelbftbewufitwerden, alfo nicht auf
den Selbſtbewußtſeinsact Rückſicht, fo fann wohl bei
relativen, aber nimmer bei dem abfoluten Weſen ein folches
Setbftbewußtiwerden angenommen werden. Denn zu Diefem
wird erfordert, daß ein felbftbemugter Geift auf ben nod)
bewwußtlofen, wenn auch fihon innerlich lebendigen Geijt
einwirfe, und ihn zur peripherifchen SBetbátigung vermöge.
Wo ift aber bei Gott jener Geift, der ihn in biefen Proceß
verfegt? Aber da entgegneft Du mir: Gott verfet fich
fetbft in dieſen SBrocef ; ich vagegen antworte Dir: wenn
Gott ſich ſelbſt in den Proceß verſetzt, ſo iſt er bereits
tbátig; wozu alfo noch dieſes in Thätigkeit Setzen ?«
Allerdings ift Gott thätig, wenn er fid in den reafen
GSubjectobiectivirungsproceß verfeBt; denn als ein ſchlecht⸗
bin ift er auch Beftimmen durch Sich, aber nur fällt biefe
Thätigfeit eben zuſammen mit feiner differenzirenden Thaͤ⸗
tigfeit in der realen Entgegens und Gleichfegung, babet
fann man nicht fagen, daß Gott thätig ift vor feiner Difs
ferenzirung; bat aber diefe begonnen mit feiner realen
Hypoftafirung, fo ift mit derfelben fein abfoluter Selbſtbe⸗
wußtfeinsproceß noch nicht vollendet, deßhalb ijt cin neues
94 Kritik der Oiſchinger'ſchen SBrincipien
in Thätigkeit Segen αἱ nothwendig wohl begründet. Denn
es läßt ji bei bem abfofuten Subjertobjectivirungsprocefie
Gottes unterfcheiden zwifchen feiner emanirenben und fors
malen Thätigfeit. Letztere kann erft nad) ber erfteren eins
treten. 90r der Differenzirung fann aber Gott al8 uns
beftimmtes Sein nicht als thätig gedacht werden, fondern
nur mit ber Beflimmung zur Thätigkeit. Da aber Gott
Cein ſchlechthin ift, fomit Beſtimmen und Wiflen durch
Cid) allein, fo ift er auch von Ewigkeit bifferenzirt, und
fomit auch tbátig. So mie anderfeits das abfolute Princip
erft dann wahrhaftig Gott ift und genannt werben fann,
. wenn εὖ burd) feine vollbradyte Differenzirung feine volle
Deftimmtbeit in der BDreiperfönlichkeit erreicht hat. Sg
aber das abfolute SPrincip von Ewigkeit burd) Sich bif:
ferenzirt, fomit ein beftimmtes Sein, fo ift εὖ aud) von
Ewigkeit Bott. Es gibt demnach allerdings ein Selbſt⸗
bewußtwerden Gottes, aber nicht in relativer, fondern, in
abfoluter Zeit. Nun wiffen wir, daß die Schheit = Selbſt⸗
bewußtfein, b. b. fid) wiffendes Sein; bie Perfönlichkeit
dagegen das fid als felbftbewußt bethätigende Sein ift,
daher fónnen wir fagen: jede Hypoſtaſe ift. perfönlich, weil
fie im Zumalfein mit den andern ftd) als das betbátigt,
was fie ift, b. D. felbftbemuft. Doch folgen Selbſtbewußt⸗
fein und Gelbflbetbátigung in abfoluter Zeit aufeinander,
b. f. fie fallen zufammen; fe wie auberfeitó bie Eelbftbes
thätigung der felbftbewußten Hppoftafen urjprünglid) nur
innerhalb des abfoluten Lebens vor fid) geht.
Diichinger gibt uns auch zu verftehen, als hätten wir
den Begriff ber Verfönlichkeit bei den göttlichen Hypoſtaſen
nicht erfchöpft, und bieg in Folge unferer einfeitigen Auf
faffung der Perfönlichfeit des Menfchengeiftes, als bios
der ſpeculativen Irinitätslehre ic. 95
fid) wiflendes und als ſolches beihätigendes Sein; da wir
blos das Sichwiſſen bderfelben, aber nisht auch zugleich
ihre Eelbftunterfeheidung von einer fremden Berfönlichfeit
geltend machen, und ſelbe aufzeigen innen. Er fagt &. 49:
„Vielmehr gelangt an dem Du der Menfch zum Ich unb
it nur fo perfönlich, daß er fid) zugleich von einer zweiten
Perfönlichkeit unterfcheidet. — Er ift nicht allein wiflend,
fondern zugleich wollend. Hier erftredt fid) alfo das Ber
wußtfein viel weiter, als auf das bloße Celbftmifien, fonbern
ed enthält in fid) auch bie Thätigfeit auf das Du, unb bie
lebendige Beziehung beider.“
Allein war außer Gott fein Ecin vor ber Weltfchöpfung,
fo muß er fid) durch Sich ind Selbftbewußtfein verfegt und
zur Dreiperfönlichfeit geftaltet haben, baher hatte er auch
nicht nótbig, urfprünglich fid von einer fremben Berföns
lichfeit zu unterfcheiden. Aber befen ungeachtet ift in Gott
tod) eine Selbftunterfrheldung der PBerfonen von einander,
ba ja alle zugleich, in Folge bed ewigen Procefles, coexiſti⸗
ren. Denn fo erfennt und weiß fid) 3. B. ber Vater nicht
blos Eins int Wefen mit bem Sohne und Db. Beifte, ſondern
er unterfcheivet fid) auch in der Relation von benfelbein,
und erkennt (id) fo als Nicht-Sohn unb Nicht⸗h. Gift,
Die Geneſis des Eelbftbewußtfeins unb bie Celbft;
bewußtfeinsthätigfeit confunbiren wir. aber keineswegs,
was Difchinger €. 48 an und rüget, fondern aud) wir
unterfcheiben beide, fowohl bei bem creatürlichen Gieijte,
ale bei Gott. Denn bie Genefis des Eelbfibewußtfeins bei
dem endlichen Geifte ift bedingt von der Einwirfung eines
andern felbfibewußten Geiſtes, wodurch die Differenzirung
in Receptivität und Epontaneität gefchieht, welche er fos
tann auf Eich bezieht, wodurch er Sich ald Sein, Träger
96 Kritif der Oiſchinger'ſchen Principien
und Cauſalität diefer Erfcheinungen erfennt, und fomit ein
fichwiflendes Sein (Ich) wird. Bon nun an beginnt bie
Seldftbewußtfeinsthätigkeit. Jetzt ijt allerdings feine Dif-
ferenzirung mehr. nöthig, noch eine Einwirkung von Außen
zur Wedung des Selbftbewußtfeind. Und ebenfo ift in
Gott die Hupoftafirung (die Geneſis des realen Selbft-
bewußtſeins) unb dann ber formale Selbſtbewußtſeinsproceß,
jowie die actuelle Selbftbewußtfeinsthätigfeit der einzelnen
Hppoftafen zu unterfcheiden. Bei dem creatürlichen Geiſte
geht das Sein voraus, und das Sichwiflen folgt erft fpäter
nad. Bei Gott aber ift das Eein mit dem Sichwiſſen
coincibent.
Difchinger fagt €. 48 und 49: „Man fann nur nad)
der Eelbitbewußtfeinsberhätigung, aber nimmer nad) der
Eelbftbewußtfeinsgenefis das abfolute Selbftbewußtjein res
conftruiren.“ Und warum nicht? weil nad) Difchinger in
Gott Fein Werden denkbar if. ,llebrigenó* fügt er hinzu,
„bleibt fid) Zufrigl nicht conftant, fondern er redet bald
von dem Selbftbewußtfein, bald von dem Selbſtbewußt⸗
werden.“ Wir haben jedoch das abfolute Werden erwiefen,
daher ift bie Reconftruetion nach der Geneſis des Selbft-
bewußtfeins nicht unmöglich. Wir meinen aber: man
fónne anf beide Analogien, auf bie Geneſis des Selbft-
bewußtfeing und auf bie Selbftbewußtfeinsbethätigung Rüd-
fit nehmen, nad) der erfteren das reale abfolute Gelbfts
‚bewußtfein Gottes (die Hypoftafirung) und nach ber zweiten
das formale Selbftbewußtfein der einzelnen Hypoſtaſen (wie
ἐδ fid) jegt fort unb fort vollzieht) reconftruiren, bod) mit
ſtetem Hinblid auf ble Realiſirung ber Idee des abfofuten
Selbftbewußtfeind. Diefe unterfcheidende Rüdfichtnahme
bei unſerer Reconftruction legt Difchinger uns als ein
bet fpecufatiben. Xxinttatelefee ac. 97
Hin s und Herſchwanken zwifchen beiden zur Saft Hätte
Difchinger biefe Ruͤckſichtnahme beachtet, fo könnte er nicht
fragen ©. 50: „Wie follte bei Bott eine Veräußerung,
bie nur in folge ber Einwirkung eintritt, und damit eine
Berinnerung möglich fein?“ Allein eben deßhalb fagten
wir: wollen wir bei Gott die Beräußerung (Objectivirung)
begreifen, (o dürfen wir nicht bie Togifche, fonberm bie
genetifche Analogie des menfdjliden Selbfibewußtfeins zu
Grunbe legen. Wenn aber Difchinger ausruft: Wie foll
bei Gott eine Veräußerung möglich fein, ba biefe nur (n
Folge einer Einwirkung von Außen eintreten fann: fo hat
er gar nicht bedacht, daß Gott, wenn er das Sein fchlechthin
ift, aud) das Beftimmen bird) Sich fein müffe, mithin
gar nicht ber Einwirkung von einem fremden Sein bebürfen
fann. Und fann ein Realprincip nur durch Selbftobjectivie
tung zu feiner Eubjertivität gelangen, fo ift bie Veraͤuße⸗
rung aud) bei Gott nöthig, wenn er feine abfolute Sub;
jectivitaͤt burchfegen ſoll.
Doch Difchinger geht noch weiter, S. 50 bemerkt
er: „Gehen wir auf bie einzelnen Momente (des tbeogo»
nifchen Proceſſes) über, fo finden wir auch bier bie Barallele
unrichtig durchgeführt.“ Hierauf ift aber zu erwidern:
Der abfolute Lchensproceß wird nimmer durch die Analogie
(allein), fonbern burd) Eontrapofition, weil Negation alles
und jedes ereatürlichen Lebensproeeſſes, des logiſchen wie
des ideellen, erfchloffen. Jenes Analogifiren des abfoluten
Selbſtbewußtſeinsproceſſes mit dem relativen ift nur ein
begriffliches Verfahren mit ibeellen Erfenntniffen, zu welchen
nun einmal der Menfch a(6 Synthefe genöthigt ift, daher
nur fecunbár am Gotteögedanfen, ber primär burd) das
Sel. Duartalſchrift. 1860. 1 Grit. 04
98 Sxitit bet Oiſcingerfſtchen Prinzipien
gerade Grgentheil der Analogie, durch Gontrapofttton (abſo⸗
[ute 9tegatton des creatürlichen Ichgedankens) gewonnen wird.
Deshalb fagten wir auch: der Typus der Genefls
des menfchlihen Selbftbewußtfeins fónne nicht unbedingt
und nicht ohne wefentliche Modification auf das Leben
Gottes übertragen werden. Der . abfolute Selbſtbewußt⸗
‚feinsproceß involvirt drei Gocfficlenten (ober Elemente):
ba$ entgegenfegenbe, bann: das entgegengeleßte, und end⸗
lich: das. gleid)gefegte abfolute Prineip. Wir nennen biefe
Goeffícienten oder Elemente auch reale Momente, weil ffe
ben Einen abfoluten Lebensorganismus confituiren, und
qufammen die abfolute Perſoͤnlichkeit.
Die Entgegen: und Gleichſetzung des abfofuten Prineipes
(ft feine Veräußerung. Wir fehen alfo, daß εὖ im abfoluten
Subjeetobjectivirungsproceffe zwei Stufen ber Cutwidfung
gibt: Veräußerung und Süerinnerung. Die Veräußerung
enthält die Acte der wefenhaften Entgegen » und Gleich:
fegung, wo bie Thefis fdjon vorausgefegt ift. Die Vers
innerung dagegen enthält bie Acte der formalen Gelbft;
bewußtfeinsbethätigung aller drei Hypoſtaſen.
Nur infoferne ift. zwifchen dem abfoluten und bem
relativen Eubjertobjeetivirungsproceffe allerdings eine Aehn⸗
lichkeit, daß fowohl bei bem erften, als bei dem zweiten
eine Veräußerung (Öbfectivirung) und Verinnerung (Gub.
jeetivirung) eintritt, wobei bie Elemente (oder anders:
Momente): Gat, Gegenfag unb Gleichſatz vorfommen. Aber
die Veräußerung und Berinnerung wird in beiden qualitativ
verfchieden fein, da ja die Principe qualitativ verfchieden
find. Darum find dort wefenhafte Objeetivirung unb reale
Elemente (ober. Momente), bier dagegen nur formale Ob⸗
jeetivirung und eben ſolche Elemente (oder Momente).
der fpecufattoem. Zrinttätälchte δεν 90
Dort conftituirt fi bei der Verinnerung eine Dreiperfön-
fichfeit, bier dägegen nur eine Einperfönlichkeit.
h) Indeß Difchinger findet in biefer Debuction nichts
als Widerfprüce, da er bie Sbee des abfoluten Selbſt⸗
beiwußtfeind noch nicht gewonnen hat. Deßhalb fann er
ἐδ auch micht begreifen, warum gerade bei Gott die Selbſt⸗
obfjeetisirung und die Identität (Gleichſatz) zwiſchen bem
abfoluten Subject (Sag) und Object (OegenjaB) eine reale
(*oefenbafte) fein müfle Und daher findet er als legte8
Refultat feiner Kritik, bag unfere Reconftruetion zu nichts
weiter leitet, als: bag bie drei göttlichen Perfonen blos
drei Acte find. Denn ©. 51 und 52 fagt er: „Ohne
neuen 9Biberfprud) Bringt εὖ biefe Theorie au nichts ea»
fem. Denn bei bem Menfchen ergeben fid) Wete, eigentlich
Momente, Erfeheinungen genannt; bei Gott aber fol dag,
was bei bem Menfchen ein Net ift, eine Subftanz fein.
Denn nur fo ſcheint die Dreiperfönfichkeit gewonnen werden Ὁ
zu können.“
Run meint er aber S, 53: „Soll das relative Bes
wußtfein das Steconftructionépríncip für das abfolute bils
"ben, fo muß fid) eine volifommene Parallele ergeben, bei
weicher bie Verſchiedenheit nicht ausgefchloffen ift. Diefe
fann fich aber nicht foweit erfiteden, daß bier ein anderes
Glied oder eine durchaus andere Relation eintritt. Die
Barallefe ift taber aufgehoben, wenn bei Gott fubftantiafe,
bei den Menfchen dagegen phänomenifche SBtobucte anges
nommen werden. Denn wenn auch bie Bethätigung Got
te eine wefenhaftere ift, als bie menfchliche, fo ift fie
bod) im Verhaͤltniſſe zur fid) entäußernden Subftanz nicht
weienhafter, al& ber Aet des Menfchen in Bezug auf feine
Subſtanz, und bleibt folglich ein Het. Die Barallele wird
1%
100 Kritik der Difiginge fen. SBrineiplen
daher aufgehoben, wenn tort. eine Gubftanjfegung , bier
eine pure That angenommen wird.“ — ©. 54: „Nichts
zu fagen davon, daß fie („die Perfonen“) nut drei Mete
find; denn richtig durchgeführt, Teitet bie — Analogie
nicht weiter.“
Hätte Difchinger mehr erwogen: daß der ctreatuͤrliche
Geift fic bei feiner Differenzirung nur aus der formalen
Erfcheinung als Sein erfaßt und weiß, aber dieſes Sein
nimmer real zu fdjauen vermag, unb ba eben befbalb
feine Berfönlichkeit eine unvollendete und bedingte ift, fo
würde er bald bie 9iotbwenbigfeit der Aufhebung jener
vollfommenen Parallele erkannt haben, da ja biefe Ber
fhränftheit (Negativität) bei Gottes Eelbftbewußtfein meg:
fallen muß, wenn ed wahrhaft ein abfolutes fein fol. Denn
erfaßt fi Gott auch nut aus der formalen Erfcheinung
als Sein, fo hat er vor ber creatürlichen Berfönlichfeit des
Menfchengeiftes gar nichts abfolut Charakteriftifches voraus,
unb feine PBerfönlichfeit hat durchaus nicht die Unbedingtheit
und Vollendetheit erreicht. Daher {8 unfere Behauptung
nidjté weniger als gewagt: Soll Gott fid) als Sein fchlecht-
hin wiffen, fo muß er auch fein Wefen real fdjauen, ba
nur fo eine volftändige Selbfterfaffung unb Selbfterfenntniß
gegeben ift. Sft aber dieß gegründet, fo ift auch bie weſen⸗
bafte Eelbftobfectivirung und wefenhafte Identität Gottes
in feinem Selbftbewußtfeinsproceffe, wie fie unfere Recons
firuetion aufftellt, gerechtfertigt. Hiemit Baben wir aber
feineswegs etwa bie Acte des menfchlichen Selbftbewußts
feins hypoſtaſirt. Denn die realen Elemente (oder Momente)
poftulirt nicht bie Analogie des menfchlichen Selbftbewußt:
feinsproceffes, fondern bie Idee des vollfommenen unb fo:
mit des abfoluten Selbftbewußtfeins. Deßhalb [affen fi)
bei fperulatioen Trinitatelehre sc. 101
Difdinger'é Einwendungen, welche er €. 53 erhebt, nod).
immer löfen. „Gott (vl. fid) fubftantial fegen ober vers
boppeín unb fo ber Cat (SBater) und ber Gegenfag (Cohn)
enifteben. — Man fieht daher, daß fid) das abfolute Princip
zugleich in bemfelben Acte af Bater und Sohn fegt. Diefes
iR aber in der Wirklichfeit nicht möglich, fondern ift nur
die Analyfe der einen Handlung, welche einen Setzer unb
ein Gefegteó erfordert.“ Frage: wie [oll das nicht möglich
fein in der Wirklichkeit? So lange das abfolute Princip
fib nicht bifferengirt hat, ift e8 wohl ber potentielle Vater,
aber noch nicht der wirkliche. Denn erft, nachdem das abfolute
Prineip fid im Sohne objectivirt hat, wirb es zum wirt»
lihen Bater. Bor der Zeugung ift ber Menfch bod) nicht
Bater zu nennen? — Nun aber nach der realen Eintgegens.
fegung des abfoluten PBrincipes ift fonder Zweifel ber (wirks
lide) Bater und Sohn gegeben. Zur Entgegenfebung
bedarf ἐδ allerdings nur Eines Actes; denn das abfolute
Princip ift ja bereits (als Thefe), e8 braucht nicht erft
gefept zu werden. Somit ift bier nicht bloß eine „Iogifche
Analyfe der einen Hantlung, welche einen Setzer und ein
Geſetztes erfordert.“. Es ift hier ein realer Proceß, welcher
in der & rift mit den Worten au&gebrüdt ift: „Du bift
mein Sohn, heute babe ich bid) gezeuget.“ I. Pſ. 88. 7.
Dann: „Gleichwie der Bater das Leben in (id) felbft hat,
alfo bat er auch bem Sohne gegeben, das Leben in (idy
ſelbſt zu haben.“ Sob. 5, 26.
Wir nannten den Proceß ber Berbopplung (Objectivi⸗
rung) .im erften Abfchnitte unferer ftritif auch eine abfolute
Befenamittheilung. Allein biefer Ausprud ift nicht fcharf-
genug, und barf deßhalb nicht premirt werben, da er leicht
um Mißverſtaͤndniſſe leiten könnte, ald ob bie Weſensmit⸗
402 Ri be Olfäiinger'fäpen Brincpien
theilung im abfoluten Lebensprocefle eine Wefenstheilung
vorausſetzen würde. Dieß negiren wir aber, weil baé
JV. Goncil von Lateran fagt: „substantia Patris indivisibilis."
Hier liegt der Grund, weßhalb wir ſtatt: Wefensmittheilung
auch den Ausdrud: Verdopplung der abſoluten Subſtanz,
oder Potenzirung gebrauchten. Denn im Sohne iſt die
abſolute Subſtanz ganz und zwar in der Form des Gegen⸗
ſatzes, alſo nicht theilweiſe. Allein hier bemerkt Oiſchinger
€. 53: „Zukrigl geht aber noch weiter, indem er. vom
Ga&e und Gegenfage fpricht, und abforbirt bie fegende
Subjectivität, indem er fie zum Gage begradirt.“ Dieß
ift nur Difchinger’s Erfindung. Denn nach unferer Ans
fchauung fann das abfolute Prineip vor feiner Differenzis
rung gar nicht Subjectivität genannt werben, ba «6 nod)
reines (unbeftimmtes) Sein (ft, daher haben wir felbes
auch nicht feiner Subjectivität beraubt und fo gleichlam
begrabirt. Das abfolute Princip wird ert zum .Eubjecte
(Bater) dur bie reale Entgegenfegung (Zeugung) im
€obne (dem Objecte). Darum tritt auch erſt nach ber
Differenzirung das wahre, wirkliche Leben im Abfoluten
ein, bei welcher bie Spontaneität die Grunbibütigfeit ift.
Allein weil bie Differengirung Gottes von Ewigkeit ger
fhehen, fo muß man fagen: Gott if in ber Wirklichkeit
bas lirleben unb Lirfelbftbewußtfein. Und weil ferner bie
Monaden (Bater, Sohn unb heil. Gieift) Momente eines
abfoluten Procefies id, fo fanm man aud) fagen: taf
fie zumal thätig, und aufeinander angetotefen ſind. Snfos
fern ift Gott bie lirtbütigfeit. Die Angewieſenheit ber
Hopoftafen aber ift bie Angewiefenheit des Abfoluten auf
fid felber. Allein befungeadotet bleibt bie Ordnung und
Glieberung ber einzelnen Hypoſtaſen im abjoluten Lebens:
ber ſpetulativen Arialtäpsichrr v. 108
organismus bod) fteben. Denn der heil. Geift kann nie
vot. bem Sohne ale defien reale Lebensbedingung weder
gedacht, nod) gefebt werden, fo daß ber Bater im heil.
Beifte ben. Sohn erzeugte. Darum bemerften wir früber-
fhon: Nähmen wir aud) an, daß có wahr wäre, was
Difchinger fagt: „Selbft in jedem Sage, in bem (id bie
genannten drei Glieder“ (Gag, Gegenfag und Gleichſatz)
„finden, benft man fich bie @inheit, die Gopula, nach Zukrigl
ben Gíeidfag unmittelbar nach bem erften Gifiebe und zus
gleich mit bicfem. verbunden, Noch Harer wird dieſes auß
ber mathematifchen Zeichenlehre 4. 3B. a zz x, wo bie Gins
beit nicht am Gnbe, fonbern in ber Mitte fteht“ — fo find
derlei Beifpiele bod) nur Analogien und noch feine ſtrin⸗
genten Beweife, daß man mit Difchinger zu (agen. berechtigt
wäre, baß ber heil. Geift auch die zweite Stelle in ber
Zrinität einnehmen koͤnne. Denn jene von Difchinger an»
geführten Analogien fprechen gerade für unfere Behauptung.
Und wie fo? Denn auch der grammatifalifche unb matbes
matiſche Gleichfag (Gopula und = als 9(uébrud einer
gefchehenen Vermittlung von Gegenfäßen) [egt ja den Gegen;
faß voraus, ber als Gleichſatz erfaunt und bezeichnet wird.
Darum laͤßt fid das Verhaͤltniß ber drei göttlichen opes
Hafen zu einander immerhin al6 Say (weil der Vater uns
erzeugt), Gegenſatz (meit ber Sohn das Ebenbild des Baters
und geyeugt if), und Gleichſatz (weil ber b. Geift bie Doppel⸗
baudung von Bater und Sohne ift) beftimmen und bie Bes
zeichnung ift nichts weniger als leere, logiſche Abftrartheit.
Wenn naher Difibinger S. 34 ih verlautet: „Bier bigegnet
uns ein Unterſchied zwiſchen der alten Schule und der neueti
Speculation. Denn jene nimmt nur eine Tchätigfeit bc8
erfien Brineipes an, unb. unterfcheipet fonach eine doppelte
104 fili! der Oifinger fen Priniepin. Ὁ
Ihätigkeit, während dieſe bie Dreiperfönlichfeit, alſo aud)
den Vater, gefebt werben läßt. Zwifchen beiden ſchwankt
Zufrigl in der Mitte, fid) bald diefer, bald jener anfchließend,“
— fo ift unfere Entgegnung : Unfere Reconftruction läßt ben
Bater keineswegs erft gefegt werden. Denn das abfolute
SBrincip ift ja der potentielle Bater, daher ſchon feiend, fomit
nicht erft gefegt worden. Nur wird Durch die reale Entgegens
fegung das abfolute SBrincip zum wirklichen Bater. Real gefegt
ift ja nur ber Eohn (weil gezeugt) und ber b. Geift (weil ges
haucht), allein beide von Ewigkeit; daher alle drei Perſo⸗
nen gleichewig find, und als wefenhafte felbftbewußte Goefs
ficienten nimmer bloß drei Acte einer ungetheilten abfoluten
Einperfönlichfeit fein fónnen, wie Difchinger uns vorwirft.
Wir haben fonach erfehen, daß Difchinger durchaus
mit unferer Reconftruction der Trinität unzufrieden ift, und
aus Mißverftändniß eine -Maffe von Widerſpruͤchen darin
gefunden. Er hat uns bereits ſelbſt eine Reconftruction
gegeben, und zwar nad) der Analogie einer brennenden
Kerze, und dann von drei Kreifen. Wir haben auch fes
nen gelernt, wie weit wir in der Gntbüllung des Myfteriums
der Trinität Dieburd) vorgebrungen find. Er gibt uns
zulegt noch eine 9teconftruction nach einer dritten Analogie,
und zwar von ben Hauptfräften des Menfchengeiftes: von
Gedaͤchtniß und Phantafte, bann von ber Intelligenz und
endlich: dem Willen. Diefe follen eine Nachbildung ber
Trinität fein. Wir wollen nun in biefe Reconftruction
ber Trinität von Difchinger näher eingeben.
Er jagt €. 55: „Wir müffen auf bie Auguftinifche
Unterfcheidung des Menſchen nad) Gebádotnif, Intelligenz
und Willen zurüdgehen. Denn aufer tem Willen und
der Erkenntniß, welche Kar unterfchieden und verfchieden
bet ſpeeulativen Ixinitätslehre 1c. 105
find, gibt e& noch eine dritte SBerduferung ober Sunetion
im Menfchen, bie Bhantafie, das Gedaͤchtniß, ble ſchaffende
Kraft, welche nicht mit ben beiden andern zufammenfällt.“
„Legen wir ben Unterſchied von Sntelligeng und Wille
jt Grunde und gehen davon aus, fo ergibt fib, daß fie
in der Wurzel nicht gleich, fondern verfchieden fein müffen;
denn eine verfchiedene Erfcheinung erfordert nothwendig eiue
verfhiedene Wurzel. Es kann alfo feine Monas geben,
wovon Intelligenz; und Wille nur bie Yunctionen find,
Wir müſſen daher eine wurzelhafte Intelligenz; und Wils
[enéfraft annehmen. Haben wir diefen wurzelhaften Dua⸗
lismus gewonnen, fo erfennen wir, daß er allein nicht
brebt, fonbern noch eine dritte Wurzel erfordert, bie zus
gleich mit ihnen gegeben iſt. Diefes erfchliegen wir bars
aus, weil ber Dualismus nirgends urfprünglich vorkommt
und nur in Folge einer Srübung und SSerrenfung des
Organismus eintritt und zwar hier in der Erfcheinung
fid manifeftirt. Ebenfo können wir, wenn wir eine Idee
des Lebens haben, nicht vom Dualismus unb nicht vom
Monismus ausgehen. Daher haben mir drei Wurzeln mit
drei entfprechenden unctione zu einem Organismus vers
bunden, unb wir nennen ihn Geift. Wie baber ber Wille
unb bie Intelligenz; Entäußerungen find, aber zugleich
Wurzeln, bie fidj entäußern, fo müffen wir ber britten
Wurzel aud) eine entfpredenbe Function zufchreiben und
umgefehrt müffen wir annehmen, baf bem Gebächtniffe
und der Phantafie gleichfalls eine Wurzel entfpredoe.*
Eo weit lautet die Analogie unb nun erfolgt die Durch⸗
führung ber Retonfiruction. |
©. 57: „Nachdem wir den Ausgangspunft zurecht»
gerichtet, mäfien wir auf das. Endziel der Gonftruction
106 Kritik der Oifibitger fien Brinchplen
zurüdgehen. Gott, das urlebendige Wefen, muß. in hoͤch⸗
fter. Weife das befigen, was der Ereaturgeift auf enblidbe
Weiſe an fi hat. Da nun bie drei Wurzeln des Greas
furgeiftes befchränft find, fo müfen fie bei Gott δῇ
vollfommen vorhanden fein. Höchft vollfommen find fie
aber nur vorhanden, wenn Wurzeln und Thätigleit ſich
erfchöpfen unb wenn bie drei Wurzeln felber iunigft vet»
bunden ſind. Daher wird ed dort eine thätige Subſtanz
geben, bie zugleich eine fubflantive, weil natürliche unb
centrale Thaͤtigkeit if. Eine folde Subftanz ift aber eine
SBerjon. Aber bie höchfte Einheit ber drei Wurzeln if
gleichfalls bie in ber Natur der Wurzeln gegründete, und
fo bilden bie drei Berfonen Ein Leben, die brei Selbft-
heiten Ein Wefen.“ Warum bildet aber der: Geift, wenn
er ebenfalls wie Gott drei Wurzeln hat, nur eine Einper;
fönlichkeit? Darauf antwortet Difchinger ©. 57: „Der
Ereaturgeift tft nur Eine Perfon, weil hier die. Functionen
nicht unmittelbar bie Wurzel berühren, fonbern bie Wur⸗
zeln fid) erſt entäußern und hier fammeln miüffen, um bie
@inperfönlichkeit zu begründen. Dieſes peripherifche Ber:
halten des Greaturgeiftes läßt nur eine einzige Perſoͤnlich⸗
feit zu.“ Un diefer Analogie befrembet und, wie Difchinger
behaupten kann: bag bie Yunctionen (Kräfte) Phantafie
und Gedächtniß, Sntelligeny, und Wille drei verfdytebene
Wurzeln, b. b. bier drei verſchiedene Monaden zu Girunbe
haben follen. Denn in der Intelligenz ift ja aud) Spon;
taneität, und umgelebrt. Die grabtuell verfchienene @rfcheis
nung berechtigt nod) nicht zu diefer Annahme. Dann aber muß
jedes Sein gedacht werden mit Empfänglichfeit für Sin⸗
brüde von Außen, und mit der Kraft, auf jede Einwirkung
von Augen zuruͤckzuwirken. Diefe Kräfte find nun bei
“-.
der fyerulatiben Trinit aMalehre se. 101
bem creatürlichen Geiſte Bernunft = Sinn für Gott unb gétt«
liche Dinge (Intelligenz) und ber freie Wille. Daher ijt
ἐδ falfo, wenn Difchinger €. 56 fagt:^ „E6 Tann feine
Monas geben, wovon Intelligenz und’ Wille nur bie
Functionen find.“ Er Bat Bieburd) nichts weniger, als bie
gewöhnliche Pfychologie, wie er vorgibt, rectificirt.
Hierauf ift nad) feiner Anfchauung der Geift bie Les
benseinheit von drei verfchiedenen Monaden (Wurzeln),
von denen bie erfte ber Träger von Gebächtniß unb Phan⸗
tate; ble zweite ber Träger von ber Intelligenz, unb bie britte
ber Träger von bem Willen ift. Er ift fonad) ein „Or⸗
ganismus“ von drei Wurzeln, mit drei entfprechenden
Functionen. Wäre num ber Gieift wirffich ble Einheit von
drei Monaden (Wurzeln), fo müßte er nothwendig fid -
aud) als breifaches Sd) wiffen. Denn jede Monade (Sein)
muß zum Wiſſen um fib fommen. Es weiß aber ber
Denkgeiſt nur von einem Ich, fomit auch nur von einem
Sein (Sonate). Denn der Sdjgebanfe ift der Gebanfe
bes Geifle& von (id) als Sein: Daher: fo viele Ichgedan⸗
fen, fo viele Sein. Allein ber Geift weiß (id) durchaus
nicht als ein dreifaches Sch, daher er auch nicht ald bie
Sebenéeinbeit von einem dreifachen Sein (von drei Wur⸗
gn) beftimmt werben fann. Dann if εὖ fonberbar: im
Menfebengeifte find bie drei Wurzeln Feine Berfönlichkeiten,
weit dieſelben beichränft find; als ob bie Beſchraͤnktheit
ein Hinderniß von ber Verfönlichkeit fein Fönnte. Jede crea».
türlide Berfönlichkeit ift ja befchränft, weil bedingt im Sein,
Difchinger tadelt an uns, daß wir bie Parallele zwiſchen
abfolutem und reíativem Selbftbewußtfein nicht vollſtaͤndig
. durchgeführt haben, was nad) uns gar nicht gefordert
werben fami; Hier fónnten wir ihm auch bemerklich
108 Kritik der Olfäpinger’fihen Peinciplen
machen, daß er in feiner NReconftruction ebenfalls bie Par
rallele nicht vollftánbig ‚durchgeführt habe. Denn er hätte
fonft fagen müflen: ber Menfchengeift ald Abbild Gottes,
ift eine dreifache befchränfte Perfönlichfeit; Gott aber, als
vollkommenſtes Wefen ift eine dreifache unbefchränfte Per⸗
fönlichkeit. Allein nach feiner Auffaffung wird ber Geift
nur als trinärer Organismus von Monaden (Wurzeln)
beflimmt, deren feine felbitbewußt = Ich ifl, fondern deren
Ichheit nur in ihrer Zumalheit und als NRefultat ihres
Ineinanderwirkens beftehben fol. Es find demnach nad
Oiſchinger in Gott bloß deßhalb brei 3Berfonen, weil bie
Wurzeln (Monaden) in. ihm unbefchränft und innigft mit
einander verbunden find. Der Bater ift nad) biefer Re⸗
confiruction das wurzelhafte Gebddytni und bie wurzels
hafte Phantafle, ber Sohn die wurzelhafte Intelligenz; und
ber b. Gieift der wurzelbafte Wille in Gott. Damit meint
Difchinger den Begriff der Perföntichfeit Gottes beffer ers
faßt unb erfchöpft und feine Lebendigfeit tiefer ergrünbet
zu haben. Es ift aber fein Beweis: daß Gott breiper(óns
lich fein müffe, nichts weniger al& ftringent. Denn es
gilt keineswegs durchgängig: „raß Gott, das urlebenbige
Mefen, in bédjfter Weife das befigen müfle, mas ber
Greaturgeift auf endliche Weife an fi hat,“ ba ja @ott
und ber menfchliche Geift als qualitativ von einander ver»
fchieden, nach ber chriftlichen Anſchauungsweiſe gedacht
werben müffen. Somit fann Gott nicht alle Eigenfchaften
mit dem Menfchengeifte theilen. Denn fonft könnte Giner
biseaus auch bei Gott bie Einperfönlichkeit folgern, wie es
bie Deiften noch immer. getban, und zwar fo: ber Sgen;
fdengeif { eine niebere, Gott aber bie hoͤchſte Einperföns
lichfeit mit bem vollfommenften Gedächtniß unb ber voll»
der ſpeculativen Trinitätsichie se: ‚209
fommenften Phantafle, íobann mit ber vollfommenfen
Intelligenz und mit dem vollfommenften Willen.
Dazu macht ftd Difchinger felber nod) eines Wider
fpruch8 in feiner Neconftruction der Zrinität fchuldig.
Denn einerfeits behauptet er S. 56: „Eine verfchiedene
Erfcheinung erfordert nothwendig eine verfehledene Wurzel,“
und anderfeits weiß er auf den felbfigemachten Einwurf,
ber wohl begründet ift, ©. 57; „daß, wenn ber Bater
mit dem Gebächtniffe, der Sohn mit der Intelligenz unb
der Geift mit dem Willen in Parallele fommt, alödann
der Vater des Willens und der Intelligenz ermangle," —
nichts anderes zu entgegnen, ald ©. 57. u. 58): „daß
aud) im Menfchen drei Functionen bei jeder Wurzel vor;
fommen. Wir verweifen dabei nur auf die Intelligenz,
wobei die Vernunft, ber Verftand und die einfache Ans
ſchauung vorfommt.“ Hiemit aber widerfpricht er offenbar
feiner eigenen Grundanfchauung, weil ber bee einer Mos
nabe, und zugleich feinen eigenen Worten S. 56: „Es
fann feine Monas geben, wovon —À unb Wile
nur bie Functionen find.“ ἢ
Hieraus mag ber. Lefer felber urtheilen, in wie weit
das wahr fei, was Difchinger zum Schluſſe feiner Recon:
ſtruction der Trinität ©. 58 fagt: „daß durch das trinäre
Θυβε das Dogma in feinem vollen Gehalte bewahrt
und erfchloffen, ber Gíaube mit dem Wiſſen verföhnt, und
die das Gbriftentbum verflachende dualiſtiſche Gpeculation
überwunden wird.“
Ein jeglicher wird bier erfennen, daß Oiſchinger's
Theorie nichts anderes ift, als Monadismus, mobiflcirt
aber durch den Begriff des Organifchen, beffen weſentliche
Sorm die Dreieinigfeit oder „das trindre Zumalſein ber
110 Kritik ber Difdjiiger fien Vrincivien
Monaden fein fol. Frägt man abet: welcher Lnterfchieb
ift fobann nad) ihm zwifchen Gott unb Welt? — [ὁ fann
e6 nur ber fein: Die größere oder geringere Energie bet
zumaffeienden Monaden. Es ift Demnach nur ein quam
titativer Unterfchied. Denn Gott ift ein „trinäres Zumal⸗
fein von Monaden (Wurzeln), bie central. thätig find,“
und deßhalb dreiperfönlich. Jedes Weltwefen aber ift als
Abbild Gottes auch ein trinäres Zumalfein von Mona⸗
den, aber nur „in peripherifcher Thätigfeit,“ wefbalb ber
Greaturgeift nur Einperfönlichfeit ift. Denn „Wurzel und
Thätigfeit erfchöpfen fid) in ihm nicht, wie in Gott.“ Die
bloß peripherifche Thätigfeit Bat jedoch ein bloß peripheri⸗
fche8 Berbundenfein ter Weltmonaden zur Zolge, das [92
bann um’ fo fofer und loderer wird, je tiefer bie Welt⸗
wefen geben, daher am meiften in ber. fogenannten utor»
ganifchen Ratur.
Nach diefer Darftellung wird nun auch ein Seber
begreifen, weßhalb Difchinger gegen uns beftänbig geltend
zu machen fucht: „daß die göttlichen Perſonen wohl inein-
ander, nicht aber nebeneinander :beftehen, weil fie fonft
drei Weſen und nicht wefensgleiche Perſonen wären.“ Er
verfteht unter Weſen „dad trinäre Zumalfein von Mo⸗
den.“ — (δ᾽ find demnach weſensgleiche Monaden (nein;
ander, unb nur verfchiedene Weſen find nebeneinander.
Infofern -fchließt bann freilich jedes Smeinanderfein das
Kebeneinander aus.
Uebrigens hat Difchinger bie Dreiperfönlichkeit Gottes
auch Durch eine andere Analogie noch zu begründen ver
fudjt, welche Reconftruction aber eben fo wenig ftringent
i. €. 58 heißt ἐδ: „Sa, nod) mebr, wir gewahren felbft
einen Anklang ber Dreiperjönlichfeit im Menfchen. Denn
m
der fpeeulativen Trinitätslehre ac. 111
im Gewiffen fünbet fi ein Zuſtand an, ben wir fühlen
und babet thätig find. Wir vermögen e6 aber, aufer
diefem Fühlen uns nod) geiftig daflelbe vorzuftellen,
darüber nachzudenfen, und außerdem nod das Gefühl
der Freude oder Reue zu erweden.“ „Wir bürfen
uns aber nicht wundern, daß in Gott btefe Drei Nach⸗
Hänge von Berfönlichfeit im Menfchen drei voll,
fommene Perſonen find, wenn wir den Abftand
erwägen, der zwifchen dem Menſchen und dem Thiere bes
ſteht. Diefes Außert fih burd bloße Klänge ohne
innewohnenden Geift, ohne Einn, und offenbart fonach, daß
esohne centrales Leben ift, während ber Menfch feine
centrale Xebendigfeit beweist, indem er ein lebens
diges Product erzeugt. Diefer Abftand bered-
tigt uns zur Annahme, daß im Centrum ein Leben
in drei Berfonen ftd ausfprechen müffe“
Hiemit fchließen wir unfere Kritif und Defenfive zus
gleich, und bemerfen nur nod) das Eine gegen Difchinger,
bag bie „nualiftifche Cpeculation* durchaus nicht, wie er
meint, bas Ehriftenthum „zu verflachen“, fonbern im Gegen»
tbeil mehr ibeel zu erfaffen fuche. Deßhalb muß man dies
fetbe nicht fogleich verbád)tigen unb verbammen, wenn ihr
auch wärflich nicht alles_bei ber Gr» und Begründung ber
Dogmen am vollfommenften gelungen wäre. Denn Frage:
bat die Scholaftif gar nie geftrauchelt? —
Zufrigl.
M.
Wecenfionen.
1.
Wnterfudjungen über die kirchlichen Buflände in den kai-
ferlid) öfterreichifchen Staaten, die Art ihrer Entflehung
und die in Anfehung diefer Buflände wünfdenswerthen
Reformen. Von Dr. Ignaz Beidtel, kaiſerlich oͤſterreich.
Appellationsrathe und ehemaligen Profeffor des Kirchenrechts
an der hohen Schule zu Ollmüg. Wien, 1849, Verlag von
Carl Gerold. XVI u. 328 ©. gr. Octav, Pr. Aıhlr. 2 —
fl. 3. 36 Er.
Unter dem Bielen, was in Defterreich anders werben
muß, fliehen die Religionsverhältniffe ziemlich oben an.
Viele alte Schäden find bier zu heilen, viel ſchweres Un⸗
recht ift wieder gut zu machen, viele harte SBebrüdungen
und Beichränfungen ber Breiheit find aufzuheben. In Zei-
ten eines fo großen Umſchwungs hat Jeder, der fid) ber
Senntni und Fähigkeit, mitzufprechen und Rath zu geben,
bewußt ift, bem Baterlande gegenüber die Pflicht, auch
wirklich feine Stimme zu erheben und das Seinige zur
Herbeiführung einer befieren Zukunft zu thun. Dieb hat
Betbtel, bie kirchlichen Zuftände in Oeſterreich. 113
aud) ber SSerfaffer gefühlt unb geübt, und ſowohl feine ges
genwärtige Stellung als. höherer Gtaatébeamter, mie feine
frühere Laufbahn als SBrofefjor des Kirchenrechts gaben
ibm bie volle Befähigung, über bie kirchliche Regeneration
Oeſterreichs auch fein Urtheil und feine Anſichten aue»
zuſprechen. Dabei zeigt fid) überall, daß nicht bloß
ein theoretifcher Gelehrter hier fpricht, vielmehr ein
Mann, ber fchon oft unb viel und mit praftifchem
Einne über bie kirchlichspoltifchen Berhältniffe Defterreiche
nachgebacht, bie darauf bezüglichen Ctaatégrunbfáge in ih⸗
ten Wirkungen beobachtet und fie in ben Kreis einer lang,
jährigen fFritifchen Unterfuchung gezogen hat. Sind wir
recht unterrichtet, fo bat unfer 9Berfaffer (don in früheren
Schriften ohne deutliche Nennung feines Namens verſchie⸗
bene Theile des öfterreichifchen Staatslebens beleuchtet, unb
nur bie Feſſel der Genfur, welche bisher alle öfterreichifchen
Intelligenzen nieberhielt, hinderte ihn feither, auch über
die öfterreichifche Kirchenfrage öffentlich mit feinen
Ideen, Planen und -Rathfchlägen hervorzutreten. So kommt
(ὁ, bag das vorliegende Werk, in manchen feinen Partien
fon feit zwanzig Jahren fertig, jegt erft erfcheint, obgleich.
nicht zu zweifeln, bag, wenn es früher hätte erſcheinen
können, dem öfterreichifchen Staate dadurch leichtlich großer
Ruben zugegangen wäre, weil in ben legten Regierunge-
jahren des Kaiſers Franz verfchiedene Plane zu kirchlichen
Reformen beftauben.
Dem Befagten gemäß ift die vorliegende Schrift ihrem
Sauptcharafter nad) Firchlichspolitifcher Natur. Aber
fie i zugleich aud) hi ſtoriſch. „Da nämlich bei Beurs
tbeilung ber jegigen Zuftände fo viel darauf anfommt, zu
willen, wann fie entftanben, warum fie entftanben unb
S&rel. Ouartalſqhrift. 1850. I. Heft: 8
*
) 6 U - |— Beidtel,
welchen Grad von Feſtigkeit ſie Haben, mußte das gegenwaͤrtige
Werk einem großen Theile nach eine oͤſterreichiſche
Kirchengefchichte des legten Jahrhunderts ent:
haften, dabei aber mußte fictó ber Zuftand des Kirchen
rechts unb der Politik bie Hauptfache fein. Nur auf dieſe
Art (dft fid) der jepige Suftanb mit allen guten und
fehlechten Ausfichten, welche er eröffnet, erllaͤren. Gin
Hauptgefichtspunft aber muß ftetó aud) ber fein, diejeni⸗
gen Reformen, welde jest von ber Politif und ber
Wiſſenſchaft empfohlen werden, anzugeben.“ (Borr. S. V.)
Dem Werke find 40 Urkunden, großentheits Abdruͤcke
öfterreichifcher Gejege enthaltend, beigegeben. Den Grund
davon gibt ber Verfaſſer (I. c.) feibft alfo an: „Mein
-Urtheil Über die Regierungen von Marin Therefia und
Sofeph IL. weichen febt von ben herfömmlichen ab, unb in
folchen Faͤllen iſt es gut, über das, was man behauptet,
auch Beweife zu liefern. — Ueberdieß beweifet oft eine Urs
funte mehr als bie umftändlichfte Anseinanderfegung. In
Anfehung der fpäteren Regierungen war c8 wieder noth⸗
wendig, ben Beweis zu liefern, bafi. fid) unter ihnen in
. Kirchenfachen nichts Wefentliches geändert habe.“
Außer diefem lirfunbenbud) hat das Werk 6 Bücher
und eine Einleitung. Diefe, bie Einleitung, enthält eine
lleberficht des öfterreichifehen Kirchenrecht, wie e$ unter
den Regenten aus dem Haufe Habsburg bis zum Regie
rungéantritte Marien Therefiens war, und es Bird hier
gezeigt, wie, während in Defterreich noch immer das alte
fanonifche Recht volle Geltung befaß, auswärts bereits bie
Grundfaͤtze verbreitet wurden, welche nachmals die Quint⸗
efienz bed fogenannten- Öfterreichifihen Kirchenrechts aut;
machen follten. Die erften Anfänge biefer Grunbfäge
die kirchlichen Zuſtaͤnde in Oeſterreich. 115
treffen wir ſchon in den Zeiten des großen abendlaͤndiſchen
Schismas am Ende des 14ten unb Anfange des 15ten
Sabrbunberté. Weil nämlih mehrere Päpfte damals
zugleich Gehorſam forderten und das Entgegengefeptefte
befahlen, fo wußten bie Landesherren, um der Berwirrung
zu fleuern, keinen andern Rath, als daß fie einen päpftlis
chen Befehl nur dann zu vollziehen erlaubten, wenn ders
felbe zuvor aud) ihre Suftimmung und Billigung erlangt
haben würde. So bat das Schisma die deutfchen Fürften
auf das fogenannte (anbeóbetrfide Placet geleitet. Die
wahre und fruchtbare Mutter der oben angebeutetein
Grunb(ige wurde aber bie Reformation mit ihrer Aufs
ftelung einer Tandesherrliden Suprematie über
bie Kirche. Die Bebrängniß, worin fid) die Püpfte im
Reformationgzeitalter vielfach befanden, bewirkte zugleich,
daß fie gegen einzelne Fathofifche Staaten, bie nun auch
die Suprematie über die Kirche ausüben wollten, zuviel
nachgeben mußten, und fo wurden immer mehr und mehr
fatholifche Regierungen nach einer, der proteftantifchen
analogen, Kirchengewalt füftern, Der Janfenismus und
Sallifanismus untergügten bieB Streben ber Regierungen
und ihre DOppofition gegen Rom, ja das gallifanifche
Syſtem fegte bereitó den Papft zu einem fraftlofen Ehren-
figuranten herab und übergab alle wirkliche Kirchengewalt
theils den Regenten, tbeiló den Bifchöfen.
Sprach der Elerus fofde Grundfäge aus, fo war
e$ fein Wunder, daß auch bie Fatholifchen Staatsmäns
ner bie von ben Proteftanten ausgegangene Theorie
von ber unumfchränften landesherrlihen Ges
walt annahmen. Sn bie öfterreichifche Gefeggebung vor
Maria Therefla ging aber von allen biejen neuen Grund⸗
85
116 Beidtel,
fägen, obgleich bereits nicht wenige unter ben hohen Staats»
beamten denfelben huldigten, nur febr wenig über, indem
ihre derartigen Beftrebungen durch den Einfluß, ben das
mals die Sefuiten auf das Faiferliche Gabinet und auf
den Entſchluß des Kaifers ſelbſt ausübten, paralyfirt wers
ben fonnten und wurden. Go gelang es ihnen denn nur
Einzelne burdjgufegen, namentlich Verfügungen, welche
die Geiftlichfeit bei WVeräußerungen des Kirchenvermögeng,
fetbft werin alle Forderungen des kanoniſchen Rechtes be;
friedigt waren, noch an die Suftimmung ber Gtaatégemalt
banden. Auch bemerkte man Epuren von ber Behauptung,
ohne das Placetum regium dürfe fein Kirchengefeg Funds
gemacht werben, und über einzelne PBunfte des Eultus
fprach ſchon zuweilen die Regierung ein wichtiges Wort
u. dgl. Befonders waren unter Joſeph I. und Gart VI.
gallifani(e Grundfäge der Regierung nicht unbefannt.
Bei alle dem fegte aber bie Geiftlichfeit unbegrenztes Ver⸗
trauen auf bie Regierung, fie betrachtete dieſelbe als eine
Säule der Kirche und hielt es für faum denkbar, baf ber
Feind der Kirche einft gerade im faiferlichen Gabinete fein
Hauptquartier auffehlagen werde. Am entfchiedenften waren
bie Bifchöfe, vom Hofe ernannt, wieder an den Hof ge
fettet, meiftens Männer aus dem hohen Adel, gewöhnfich
ſtreng fatbolif im Glauben und fittlich im Leben, aber
gewöhnfich ohne tüchtige theologifche und kanoniſche Bils
dung, mehr Siguranten, als Regenten der Diöcefen. Auch
unter der übrigen Eerulargeiftlichfeit fand fid) nicht gar
viel Wiffenfchaft und Energie, fo daß eigentliche Lebens:
fraft nur ned) in den Klöftern, befonders bei den Sefuíten,
zu finden war. Dieß Gemerften auch bie Gegner ber
Beiftlichfeit, und haben barum, fobald fie an’s Ruder
bie kirchlichen Zuſtande in. Oeſterreich. 417
famen, ihre Angriffe vorzugsweiſe auf den Megularfierus
gerichtet.
Eine ganz neue Zeit begann für bie Kirche in Oeſter⸗
reich unter Maria Therefia, deren lange Regierung
gewöhnlich für eine ſtreng Fatholifche gehalten wird, obs
gleich nichts weniger al& diefes ber Fall war. Die Haupts
gebanfen, welche unfer Berfafler in biefer Bezichung ente
widelt, laufen in $ofgenbem zufammen. Die SKaiferin
felbft war eine fromme Frau, aber εὖ fehlte ihr ble nótbige
Einſicht, um bie firchenfeindlichen Plane ihrer Räthe und
Minifter zu durchſchauen. Un ber Spige diefer ſtand
Graf Wenzel von Kaunig, der allmächtige Rathgeber
ber faijerin, der, obgleich eigentlich Minifter des Aeußern,
feinen Einfluß aud) auf alle wichtigen innern Angelegens
heiten ausdehnte und (te nach feinen Anfichten beftimmte
unb regelte. „Diefer Minifter,“ fagt unfer Berfafler, „huls
bigte ben Ideen der franzöfifchen Philofopie; ber Hofabel
brachte etwas von biefen Ideen aus Paris, wehin man
ber Mode wegen junge Leute zur Vollenduflg ihrer Gr;
ziehung fenbete, zurüd, unb bie Geringfchägung ber vater:
länpdifchen Einrichtungen fam — baburd) in bie höheren
Klaſſen. Einzelne fähige Männer aus ben niedern Klaſſen
bemerften dieß, fie fd)dpften an der franzöfiichen Literatur,
und. theilweife auch an ber deutfchen, deren Gentralpunft
unter Sriedrich 11. Berlin wurde, und bie Abneigung gegen
das Pofitive begann. Man fand es bald nothwendig, um
bie großen Reformplane zur Emporhebung ber Staates
madjt in Ausführung zu bringen, und bie zerftreuten
Elemente der gallifanifchen, janfeniftifchen, proteftantifchen
unb philofophifchen Barthei zu begünftigen, und fo begann
anfangs langfam, bann aber in immer mehr befchleunigter
118 Beidtel,
Bewegung die Ausführung des Planes, an die Stelle des
früheren Syftems einen febr entwidslten Gallifas
nismus zu fegen, bei welchem bem Papfte ber Name des
Oberhauptes ber Kirche mit einigen unbebeutenden Rechten
bliebe, das wahre Oberhaupt ber Landeskirche aber ber
Regent ſei.“ ©. 37.
Aus NRüdficht auf die perfönliche Srómmigteit ber
Kaiferin wagte (id) diefes Syſtem jedoch nicht offen hervor,
fondern e& fuchte fid unter ber Maske des Staatsnutzens
geltend zu machen. Mit Kaunig wirkte befonders ber
Kaiferin Leibarzt, van Swieten ber ältere, cin fatbos
lifer Holländer. Inter dem Vorwand, auf das Befte
ber Studien fehen zu müflen, erließ bie Regierung im
Jahr 1752 einen neuen Studienplan, welcher bereits in
febr wichtigen Punkten bie 9Birffamfeit der Geiftlichfeit
auf ber Lehrfangel befchränfte. Bald darauf (1753 — 58)
jog bie Regierung bie Genfur auch ber theologifchen Werke
an fi, und feither zeigten viele von biefen bie gallifas
nifche Richtung. Gin päpftlicher Legat zur Bifitation ber
öfterreichifchen VBisthümer wurde nicht mehr angenommen
(1749), unb im Jahr 1754 fing bie Regierung an, in
Sachen des Eultus den Papft nur als Nathgeber, fid)
felbft aber als bie anorbnenbe Gewalt anzufehen. Ihre
Barbe wurde immer entfchiedener die gallifanifche, und
wer fid von ben Geiftlichen geltend machen wollte, bes
kannte fid) jegt zu diefer Richtung. Viele thaten bief
und wurden nun Werkzeuge der aufgeflärten Staatömänner,
von ihnen gebraucht und — veracdhtet. Die meiften Bis
fhöfe faben mit Widerwillen, was geſchah, waren aber
zu wenig gebildet, um ein Gegengewicht abgeben zu koͤn⸗
nen. uch erfannten fie nicht, daß alles, was gegen bie
ble διε Zufibe in Defterreich. 118
Kirche geſchah, ein gefchloffenes Syſtem fei, bielten «6
vielmehr nur für eine Wirkung vorübergehender Hofränfe,
weiche fie nun durch andere 9tánfe unwirffam zu machen
verfuchten. Zugleich trugen fie jet gegen jede Neuerung,
auch bie befte, offen einen bittern Haß zur Schau, und
famen fo in ben doppelten Ruf, Räntemader und Finfters
linge zu fein. Aehnlich ging es ben übrigen Geiftlichen;
bie Tagsliteratur unb jene Wiffenfchaften, aus denen die
Reuerungspartei ihre Waffen holte, wurbe son ihnen nicht
ftubitt, und fie hatten fo gegen bie Angriffe feine wiſſen⸗
ſchaftliche Waffe. Einzelne Bifchöfe, wie bie beiden Wiener
Erzbifchöfe, Graf Srautbon und Graf von Migazıi _
(legterer bis 1765) wurden fogar im Stillen bie Haupts
befótberer ber Neuerung. Die Sefuiten verloren jegt bie
Beichtoäterftellen bei Hofe und im Sabr 1759 auch bie
Direktion. der philofophifchen unb theologifchen Studien an
ber Wiener Univerfität, welche nun an ihre Gegner, van
Swieten und den Domherm von Stod überging. Miles,
was je Schlimmes gegen bie Jeſuiten irgendwo gefagt
worden war, wurde nun in Defterreich gefammelt und
verbreitet, unb fobald Rom das Breve Dominus ac re-
demptor (1773) eríaffen, wurde ber Orben in Oeſierreich
ungefäumt aufgehoben. Aehnliches Schickſal drohte ben
übrigen Orden. :
Noch rafcher ging ed mit ber Aufklärung, feit Jos
ſeph IL nach bem Zope feines Vaters rang I. (1765)
deutfcher Kaifer und in Defterreich Miütregent feiner Mut⸗
tet Daria Therefia wurde. Kurz vorher war Febronius
erſchienen, und während bie gutgefinnte @eiftlichfeit Oeſter⸗
reichs darüber einen Schrei des Entfegens ausſtieß, freies
ten fich bie Gitaatómánner und bewirften, daß diefe Schrift
120 Beihtel,
oͤffentlich verlauft werden durfte. Sie fand ungeheuren
Abſatz, unb wer fein Gluͤck im geiſtlichen Stande machen
wollte, mußte jegt Webronianer fein. Ganz auf bie Wes
bronianifchen Grundſaͤtze geftüßt fchrieb 1770 der böhmifche
Benediktinerminh, Stephan Rautenftraud, fein
Compenbium des Tanonifchen Rechtes, und obgleich bie
Beiftlichfeit auch hierüber laut Flagte, wurde Rautenftrauch
von der Regierung zum Abte von Brzevnov bei Prag,
zugleich zum Referenten über bie geiftlihen Studien und
Hofrathe ernannt, und war von num an eine Hauptperfon
bei allen Neuerungen des Kaifere. Bon ihm rührt befons
ber6 aud) ber neue theologifche Studienplan her, ver fid)
fo lange in Uefterreich erhalten hat, unb zum Verfall bet
Drthoborie und der wahren Wiftenfchaft fehr vieles Deis
trug (©. 54). Durch Webroniué und Rautenftrauch fam
in Befterreich bie Meinung empor, bie Kirche habe burd)
den Ehrgeiz ihrer Vorſteher Zerrüttung in alle Staaten
gebracht, und Wachſamkeit gegen „ihre Unternehmungen“
fei eine unerläßlihe Pflicht jeder Regierung. Zugleich
wurde ber Kirche nur das Dogma und bie Moral ale
ihre Sphäre angewiefen, die Vergebung der Benefizien
dagegen, bie Lehranftalten u. bg(., das Alles zog bie Re
gierung an fi, unb ließ fo der Kirche feine Unabhängig«
feit mehr. Als Hauptbollwerf des neuen Syſtems wurbe.
das Placet ín ausgedehnteftem Sinne in Anfpruch genom⸗
men unb bie Verhängung ber Ercommunifation ohne Zus
flimmung des Staates verboten. Auch wurden bie neuer
richteten Lehrkanzeln des Naturrechtö und der ypolitifchen
Wiffenfchaften benügt um bie neuen Sbeen unter bie (tubirenbe
Jugend, befonders unter bie Syuriften zu bringen. Unter Ans
berem wurde in biefen Gollegien gelehrt, daß die Regierung
bie kirchlichen Zuflände in Oeſterreich. 121
fi) der Schulen zu bemaͤchtigen $abe, und fie verfolgte auch
in der That tie Ziel immer deutlicher, beginnend (1770) mit
ber Errichtung von Rormalfchulen zur Bildung aufgellärter
Schulmeifter. Bier Sabre fpäter ftanben ble Schulen fchon
nicht mehr unter den Geiftlichen, fondern unter einem von
der Regierung beftellten Oberauffeher, unter den Kreis⸗
ämtern und Gubernien. Sm Sabre 1772 wurde der alte
Caniſius aus den Eulen verdrängt und zuerſt bet.
Sagan’fche Eatehismus eingeführt, von Ignaz Bel
biger, dem Brälaten von Saga, verfaßt. Ihn vers
drängte wieder 1778 auf Befehl der Regierung der auf
den Felbiger’fchen gebaute fogenannte öfterreichifche Kate⸗
diémué, der feitvem das Religionshanpbuch für bie uns
teren und mittleren Schulen Oeſterreichs geblieben. Unſer
Berfaffer urtbeilt über ihn alfo: „Ganz im Geifte bes
Proteſtantismus fehte ber von ber Regierung au£gegangene
Katechismus alle mißfälligen Lehren in den Hintergrund,
oder erwähnte fle nur mit wenigen forgfältig abgerwwogenen
Worten, man [46 taber Außerft wenig von bem päpftlichen
Primat, der Verehrung der Mutter Gottes, den evangelis
fhen Rathfchlägen und bem Werthe der Tradition, bie
Sprache war troden und auf eine mündliche Erflärung,
bei ber man den Katechismuslehren fo manches Fremdar⸗
tige unterfchieben Konnte, angelegt und da man zu gleicher
Zeit an den Bolfefchulen bie folratifche Methode
einführte, gemäß weldyer fid) das Kind felbft gewifiermaßen
feine Religionsfäge finden mußte, war zu mancherlei fpäter
hervorgetretenen Erfcheinungen, und unter andern zu bem
Rationalismus in Religionsfahen der Grund
gelegt ..... Ebenfo folgenreich war ed, daß man bie Kenni⸗
nif von den Schidfalen der Kirche auf bie fogenannte,
122 Seidtel,
bibliſche Geſchichte beſchraͤnkte. Es war, als wenn alles
Spätere, z. B. die Entſtehung der Hierarchie und ber
geiftlichen Orden, bie Einführung des Bölibats und ber
fateini(en Kirchenſprache 1€. von gar feiner Wichtigkeit
für einen Satholifen wäre.“ ©. 51. 52. |
An bie Stelle des Rautenflrauch’fchen Eompendiums
trat im Sahre 1776 das ausführliche Lehrbuch des Kir
chenrechts von Riegger. Weil ber offene Febronia⸗
nismus vielfach NAuftoß erregt hatte, wurbe εὖ jebt
mit bem Gallifaniémus verfudt, unb Riegger’s Werf
trägt durchaus die gallifanifche Farbe. An allen linivers
fitäten, bifchöflichen und Klofterfchulen mußte jegt nad
biefem Werke das Kirchenrecht gelehrt werden, und. zugleich
wurde im Sabre 1776 „unter bem Titel einer Synopie
eine offizielle Zufammenftelung der Grundfäge, welche in
den Erbländern der Kaiferin im Kirchenrechte gaben, allen
Geiftlichen und Erhulen mit der Weifung augefertigt, bei
Disputationen feine andere ale bicje Sätze zu wäblen.
Es find unverhält, zum Theil fogar mit benfelben Worten,
bie GOrundfäge ber Gallifanifen Declaration von 1682,
jevoch im Einzelnen fon mehr entwidelt.“ &, 56.
Am Schluffe des eriten Buchs gibt unſer Berfaffer
noch eine furge theologifche Jufammenftellung anderer unter
Maria Therefia zur Beeinträchtigung der Kirche unb bes
Clerus erlaflenen Berordnungen.
Das zweite Buch befchäftigt fid) mit ben kirchlichen
Reformen Joſephé IL, ber feit bem Tobe feiner Mutter
(1780) Alleinregent war. Er huldigte für feine Berfon
den Anfichten Voltaires, war wohl mit maucherlei Kennt
niffen verfehen, aber bod) nur oberflächlich gebildet, hatte
wohl Patriotismus, drang aber das, was er für bad
die kirchlichen Zuftände in Oeſterreich. 128
BeRe hielt, tem Volke tyranniſch auf. „Die bereis vor»
handene Aufflärungepartei bemübte nun bie Schwaͤchen bes
Kaifere, um ihn immer vorwärts zu drängen. Eein Alter,
feine Ruhmtiebe, feine Empfindlichfeit und fein Temperas Ὁ
ment waren das, was fie benügte, und fie wurde dabei
durch bie immer mehr hervortretende Geiftlofigfeit des Adels
und ber Bifchöfe unterftägt, welche einen Schlag nad
dem andern geduldig hinnahmen, aló wenn er nothwendig
bet lebte fein müßte, und dort, wo ἐδ auf den Kampf ber
Grundfäge anfam, zu fleinen erbitternden Hofränfen ihre
Zuflucht nahmen. — Sofeph war zugleich das Werfzeug
und das Opfer ber Aufflärungspartei, deren Häupter
Sonnenfelsd, Martini, Krefel, van Swieten
bf, Rautenftraucd,Gebler, Born u.A.waren.“ 8.61.
Sofepbe Firchlihe Reformen gefchahen durch einige
hundert nad) unb. nad) erfchienene Hofbefrete, und hatten
Ne Shwärhung des römifchsfatholifhen Sys
feme zur Abſicht, ohne bag ein anderes pofitives Syſtem
an defien Stelle gefegt_ wurde. Den Regularclerus
anfangend wurde fchon „in ben Sabren 1782—85 ein
beträchtlicher Theil der Klöfter aufgchoben; einzelne Orden
verſchwanden dabei gang, andere verloren viele ihrer
Häufer, ihre Mitglieder aber wurben theils penfios
irt, tbeilá auf andern angemeflenen Poften verwens
det. Diefe Aufhebungen gefchahen oft mit viel Sfanbal;
wichtiger für bie fpätere Zeit war aber bie ganz veräns
bete. SOrganifation, weldye den beibehaltenen Klöftern zu
Theil wurde.“ Der Zufammenhang ber Klöfter mit ben
auswärtigen Obern hörte auf, ebenfo alle Eremtionen,
die fBorfleber mußten von nun an periobifd) gewählt wer:
ben, bie Disciplin wurde geſchwaͤcht und die Aufnahme
124. fDeibtel,
von Novizen ohne Zuftimmung ber Regierung unteríagt.
Viele Klöfter vourben fo bem Ausfterben nahe gebracht.
Auch wurden jept alle frommen Sruber(daften unb
Gongregationen (1783) aufgehoben, unb bie dafür eins
zuführende einzige (in ber That einzige!) Bruberfchaft der
thätigen Nächftenliche wurde nie lebensfräftig. Echon Jahre
zuvor (1782) war ber dritte Orden unb Des ESapesubete
leben. verboten worden.
Auch auf beu Secularelerus eredi fid bie
Reform. Bon ben eingegogenen Gütern ber Klöfter unb ber
beneficia simplicia wurde ber Neligionsfond gegründet
(1782), bie Stolgebühren wurden aufgehoben, bie päpft-
lien Refervatrechte für kraftlos erklärt, bie fanonifate
in den Papalmonaten von der Regierung befegt, feine
einzige Pfründe mehr vom Papſte vergeben, bie Geiftlichen
zu vielen Stantegefchäften (3. B. Eonfeription) verwendet.
Der Studienplan von Maria Therefia wurde in bem
gleichen, Geifte noch weiter fortgebildet, in ber Kirchenge-
fhichte Dannenmayer, im Kirchenrecht Pehem ein-
geführt; „in ber Hermeneutik ſchien das Streben, alle
bibliſche Erzählungen von Wundern durch bie gewaltfamfte
Gregeje natürlich zu erklären, bie Hauptaufgabe, Die Mo»
tal war fowohl dort, wo fie (treng war, als dort, wo fie
bie Strenge ablegte, den Wünfcen des. Sofephinifchen
Megierungsfuftems angepaßt; die Paſtoraltheologie endlich
erihien als ein Inbegriff trivialer Klugheitsmarimen ;
aber was noch wichtiger war, ale biefe Lehrbücher, war
für den Augenblick der Geift der Vorlefungen. In biefen
fBorlefungep waren Läfterungen gegen Rom, die Mönche
unb bie alten Regierungsmarimen das Glewóbulide* €. 69.
Die bifchöflicden Schulen und Seminarien wurden aufge
1
ble kirchlichen Zuſtaͤnde in Oeſterreich. 125
hoben und dafür in ben Städten, wo hohe Schulen waren,
fogenannte Generalfeminarien errichtet, welche für
mehrere Didcefen eines geroiffen. Bezirks beflimmt waren.
Sie waren, wie bie theologifchen Schulen, ganz unabhäns
gig von den Bifchöfen, hatten ſchon in ben gedrudten Rer
glementé manches Verdächtige, und galten für die wahren
Pflanzſchulen des Sanfenismus oder des Unglaubens. An
fie ſchloßen fid) bie fogenannten Priefterhäufer an, in des
nen der Theologe nach feinem Austritt aus dem Generals
feminar noch ein Jahr zu verweilen hatte, um fif ben
neuen Geijt der Seelforge ganz anzueignen. Der Einfluß
der Bifchöfe auf den Herifalifchen Nachwuchs war auf Null
redurirt. ©. 69.
An bie Spipe des ganzen Studienweſens flellte Joſeph
die fogenannte Studienhofcommiffion unter bem
Borfipe des jüngern van Swieten, eines Sanfeniften, und
ein Derret vom 3. Febr. 1785 verlangte, daß bei ber
theologifchen Promotion jeder neue Doctor fchwören müfie,
daß er bie «hriftliche Religion läutern und namentlich
von den nüchternen Meinungen ber Echolaftifer reinigen
wolle; dagegen wurde bie Verpflichtung der SSrofefforen
auf die Professio fidei tridentina aufgehoben (GS. 71).
Die Schulen wurden vollends ganz von ber Kirche
getrennt und jeber Tadel der Regierung durch bie Genfur
unterbrüdt. Bon befonders großer Wirkung war ba6 be;
teitö genannte Wert SBebem' δ, das, von 1785—1810 in
ganz Defterreich vorgefchrieben, mit feiner frómmelnpen
Sprache alle Verlegungen der Kirchenfreiheit zu bedecken
und zu befchönigen fuchte. SBefem ging fegar in manchen
Beriehungen weiter ald Febronius, und überantwortete
durch feine Theorie von dem flaatlichen Jus supremae in»
126 | Deldtel,
spectionis (worin das Veto inbegriffen) und bem Jus ad-
vocaliae ecclesissticae bie Kirche in allen, nur nicht ger
radezu dogmatifchen Fragen, durchaus ber Etaatsgewalt.
Als Folge tiefer zwei Grundrechte habe bie Gtaatéregie:
rung, behauptete er, das Recht, den Sufammenbang ber
inländifchen Kirchen mit ben ausländifchen auf das uns
umgänglich Nothwendige zu beſchraͤnken, ben Erlaſſen ber
Kirchenobern Geltung zu geftatten oder zu verfagen, bie
Größe und Grenzen der kirchlichen Bezirke zu beftimmen,
ben Gotte&bienft zu otbnen, bie Klöfter zu reformiren u. dgl.
Pehem beweist auch, daß dem päpftlihen Stuhl das Recht,
die Bifchöfe zu confirmiren, entzogen werben fönne, Daß
das @ölibat eine höchft bedenkliche SKircheneinrichtung fet,
daß jeder Bifchof in feiner Diözefe von den Disciplinar:
vorfehriften ber Päpſte und allgemeinen Concilien diſpen⸗
ren fónne u. f. f. Θ. 73.
Auf biefe Grundfäge geftügt reformirten Jofeph und
feine Räthe den Fatholifchen Gottesdienſt. Viele Heinere
Kirchen, beſonders Walfahrtsfirchen wurden gefperrt, alle
feierlichen Wallfahrtszuͤge bei polizeilicher Strafe unterfagt,
in ben Klofterfirchen bae Predigen für das Volk verboten,
alle befondern Andachtsübungen zu Ehren gewiffer Heili-
gen abgeftelt und durch die Gottesdienſtordnung vom
Jahr 1783 große Armuth und Monotonie in den fonft
fo herrlichen Cultus der fatholifchen Kirche gebracht. Sm
Jahr 1787 wurbe auch bei Ausipenbung der Sacramente
die [αἰεἰπί δε Kirchenfprache abgeftelt. Daran ſchloß fid
eine neue €taatégefeggebung über bie Ehe, deren
Hauptgedanke war, daß dem Staate allein die Aufftellung
ber trennenden Ehehinderniffe auftebe. Bon ben
pielen das Kiccheneigenthum betreffenden Gefegen aber
Die firchfichen Bufüwbe in Oeſterreich. 127
ging die Tendenz fichtlich tabin, ben Kirchen bie Erwer⸗
bung von @igenthum, namentlich ben Anfauf von Grund
eigentbum außerordentlich ſchwer zu machen, unb jede
Ausgabe der Kirche ſtaatlich zu controliren.
Bei feíden Belinnungen verftanb fid) faft von ſelbſt,
daß die Bifchöfe nur durch das Minifterium Binburd) mit
Rom correfpondiren und fein Fatholifcher Theologe außers
halb Defterreichs fludiren durfte. 9Bie die pápft(iden
Erlafte, fo wurden auch die bifchöflichen zum Theil bem
Placet unterworfen und ber Einfluß des päpftlichen Stuhls
auf die Konfirmation der Bifchöfe und einige Difpenfen
befchränft. S. 77. Die öfterreichifche Nationalkirche
war fertig.
Grít am Ende feines Lebens fab, Sofepb ben großen
Fehler ein, ben er burd) feine flürmifchen Neuerungen,
befouberó aud) in Religionsfachen gemacht, und manches
wurde von ihm felbit, anderes von feinem Bruder und
Nachfolger 3eopolb IL zurüdgenommen , von befjen Res
gierung das dritte Buch handelt.
Kaifer Leopold (1790-1792) war ber Zeitgenofie bet
frangöfifchen Revolution; aber während in Sranfreich ber
Gallikanismus fammt der alten abfoluten Monarchie
vernichtet unb im Gleruó, fowie in einem Theile des
Volkes Sehnfucht nach Eirchlicher Freiheit erwachte, wurde
diefer neue Geift der Kirchenfretheit in Defterreich von
den Bifchöfen wie vom Hof ganz ignorirt, bie jojephinis
(den Grundſätze dauerten fort und .nur das Gireliite
und Auftößigfte ber jofephinifchen Einrichtungen wurde
abgeändert. Die Iateinifche Sprache beim: Eultus wurde
wieder hergeftellt, Schmähfchriften gegen die Fatholifche Res
ligion nicht mehr gebulbet, Feine (offer mehr aufgehoben,
1128 Beldtel,
feine Kirchen mehr ihrer Koſtbarkeiten beraubt. Das Dies
E penfationsrecht des Papſtes bei Ehehinverniffen vourbe wies
"ber in größerem Almfange anerfannt, und das alte Ehr⸗
erbietungsceremonielfl gegen Rom wieder angenommen, die
Generatfeminarien hörten auf und bifchöfliche, Geminarien
mit theologifchen Yacultäten verbunden durften voleber
eutfteben. Doch mußten auch in dieſen bifchöflichden Schus
len die Lehrbücher und Methoden biefeíben, wie an ben
Stantsuniverfitäten, fein. Die jofephinifche Gottesdienſt⸗
ordnung blieb zwar Regel, doch war εὖ den Biſchoͤfen
unbenommen, mit 3uftimmung der politifchen Be
bórben einzelne Andachten und Lieder einzuführen. Obne
- alle Concurrenz der Staatsgewalt Fonnten fie nur Hilfe
priefler verfegen, ©. 98. Der Clerus klagte wieder über
Einzgelnes, aber dad ganze Syſtem griff Niemand an,
und fo blieb es, fo unfatholifch e& auch ift, in unbean⸗
ftanbeter Geltung. @inen kurzen Wbrig deſſelben gibt bet
Verfaſſer S. 101 (f. Warum aber ſchwieg der Bapft?
„Die Antwort“, fagt der SBerfajfer, jit leicht zu geben.
Qo lange in Frankreich bie Revolution tobte, und zugleich
alle Fatholifchen Staaten ähnliche Orundfäge befolgten,
verſprach ber Widerftand von Rom nichts als neues Ins
heil, und Berwahrungen waren ohnehin in den Wften.
Auch bie rage ſcheint nahe zu liegen, warum bie Bifchöfe
gegen einen folchen Zuftand nicht Ginfpradje erhoben.
Allein, wer viele Alten gelefen bat, welche die Bifchöfe
biejer Periode betrafen, fennt bie geiftige Höhe, auf wel
cher diefe Männer ſtanden; viele derfelben glaubten im
Ernſt, daß die Regierung nur ihre Rechte wahrnehme,
viele meinten, der beflebenbe Suflanb [εἰ denn bod) ned)
beffet, als jener, ben bie franzoͤſtſche Revolution gefchaffen
. bie Eirchlichen Zuſtaͤnde in Oeſterreich. 129
babe; fei bie Kirche noch etwas, fo habe fie e8 nur nod
bem Negenten zu banfen, weil der Zeitgeift wefentlich ít»
seligiöß fei u. dgl.“ ©. 108.
Dabei mar bie Lage ber öfterreichifchen Bifchöfe unb
ber ganzen Geiftlichfeit eine hoͤchſt traurige; ohne eigene
Gewalt waren fie von den weltlichen Gubernien und
Beamten durch und durch abhängig, und mußten biefe
Abhängigkeit in geringfchägiger Behandlung oft bitter er:
fahren S. 109—111. Die Religion felbft erfchien nur
aí8 ein Mittel, bie Maſſe zu bändigen, und bie ganze
Verachtung gegen die öfterreichifche Polizei wurbe all⸗
maͤhlig aud) von Vielen auf bie Bolizeireligion übers
getragen. Daß babet die fchlechten Sitten und ber Unglauben
zunahmen, verftand fid) von fe[bft. S.118. Kaifer Leopold
farb (don 1792; bevor aber bie Lage ber Kirche unter
feinen Rachfolgern befprodyen wird, gibt der Verfaſſer ju»
vor im Aten Buch eine Ueberficht über bie zwiſchen 1792—
1848 im Ausland vorgegangenen kirchlichen DBerändes
rungen und ber daraus entflandenen Veränderung in den
Grundlagen und Sbeen des Kirchenrechts. Darauf wendet
er fid im Sten Buche zu den Firchlichen Zuftänden ber
öfterreichifchen Staaten unter der langen Regierung des
Kaifers Franz (1792—1835)., Mit völligem Unrecht
glaubte man vielfach im Ausland und Inland, daß unter
Stanz das öfterreichifche Regiment wieder fatholifch gewors
ben fei. Allein in der That „blieb alles beim Alten“ und
die jofephinifchen Grundſätze wurden keineswegs aufgegeben,
ja fie waren fdjon fo verbreitet und fo febr in das Leben
übergegangen, daß nur Wenige üt Defterreich die Unkirch⸗
lichkeit diefes Syſtems durchſchauten.
Wie aber. Kaiſer Leopold an ben —m Eins
Theol. Quartalſcqhrift. 1650. Heft I.
130 Beibtel,
richtungen bae Anftößigite änderte, fo machte es Auch fein
Eohn Franz, und befierte und mifderte Einzelnes, während
bie Grundlage, das Syſtem felbft und das jofephinifche
Kirchengefegbuch im Ganzen geblieben ift. Su ben frühe
ften Veränderungen des Kaifers Franz gehören die Wies
derherftellung der monaftifchen Ordnung in ben Sofern,
bie Erlaubniß zur Novizenaufnahme unb zu ungefchmälertem
Fortbeftand, befonberó aber auch bie Faiferliche Yürforge
für Stipendien, theologifche Lehranftalten und Gonvifte,
Damit der Fatholifche Clerus nicht, wie wirklich Gefahr
drohte, völlig in Defterreich ausfterbe. Auch wurden bie
Referate in geiftlichen und Schulangelegenheiten nunmehr
an Geiftliche vergeben und in den einzelnen Kreifen deß⸗
halb fogenannte geiftliche Regierungss oder Gubernialraͤthe
auch geiftliche Referenten bei ter Hofftelle und dem
Staatsrathe aufgeftelt. Da aber aus der Reihe bdiefer
Männer meiftens die bifchöflichen Stühle befeht wurden,
fo erhielt Defterreich eine Reihe von Kanzleiminnern
zu Bifchöfen, Schreiber nicht Theologen, die dad
jofephinifche Kirchenrecht als das Nefultat tiefer Regie
rungsweisheit anfahen und nur im Steinen etwa auf
Veränderungen hinwirkten. Neben den Stanzleimännern
machten unter Saifer Franz befonders auch die geiftlichen
Schulmänner, oft von ratienaliftifder Faͤrbung, auf
falfenbeà Glück, beftiegen fogar bifchäfliche unb ergbifchöfliche
. Stühle, die der Kaifer vergab. Bei folchen 3Befegungen
fab Franz immer auf „die Männer des Mittelwegs.“
Nicht eine Far ausgefprochene thevlogifche Richtung, nicht
Popularität in der Diöcefe, nicht der Ruf der Gelehrſam⸗
feit und hoher Vorzüge fam dabei in Betracht, dagegen
galt es als eine große Empfehlung zu einem Bisthume,
bd
bie Firchlichen Suftánbe in Oeſterreich. 131
wenn ber Ganbibat die beftehenden Verordnungen auf's
Benauefte vollzog, mit BBorfchlägen zum Beffern feiner
Behörde fáftig war, bie Anhänglichfeit an den Monarchen
jm Hauptdogma der Fatholifchen Religion machte und
von dem, was im Auslande unb in andern Diöcefen ges
fab, Feine Notiz nahm. ©. 174 f.
Die Volksſchulen ftellte Franz wieder unter die
Aufficht des Elerus, aber nicht bie Biſchöfe, fondern ihre
Gonfiftorien follten biefelbe führen, und zwar wieder
in Unterordnung unter das weltliche Gubernium. An die
Opmnafen famen nad) bem Ausfterben ber Grjefuiten
vielfach weltliche Lehrer, an ben Stubienplanen wurde
Einzelnes geändert, wohl auch Schritte zum Beſſern ges
than, allein einen wahren Fortſchritt machte fchon ie
berufene Studienhofeommiffion unmöglich. Die
Mitgliedfchaft an diefer hohen Stelle war nur ein Nebens
gefhäft für andere Beamte, wenn fie auch vom Lehr⸗
amt nicht das Geringfte verftanben, und wer zu nichts
mehr taugte, wurde Mitglied der oberften Studienbehörve.
Und ein folches Collegium hatte die Stubien ber ganzen
Monarchie unter ὦ, und beherrfchte fie in's Einzelne
durch Studiendireftoren und Prüfungscommiffäre, bie oft
ebenfo wenig Männer vom Fache waren, wie bie Hofräthe
Kiber. Kein Wunder, wenn die Geiftlofigkeit unter
dem jegt wieder zahlreicher gewordenen Elerus immer mehr
überhband nahm, unb Jeder verfolgt wurde, ber auf bie
beftehenden Mängel Dingubeuten wagte.
Bon nicht geringem Einfluß auf die Fefthaltung und
Berfnöcherung des Sofephinismus war das im Jahr 1807
sum erften Mal erfchienene Handbuch des öfterreichifchen
Kirchenrehts von Georg Rechberger, bifchöflichen
g*
132 : Beidtel,
Conſiſtorialkanzler zu Linz. Ueber das Verhaͤltniß von
Kirche und Staat, von Papſt und Biſchoͤfen, waren darin
die Anſichten Pehem's durchaus feſtgehalten, das Ganze
«ber viel kürzer und eleganter gearbeitet, ein bequemes
Handbuch für Jedermann. Schon im Jahr 1810 wurde
es allgemein vorgefchriebenes Vorlefebuch für Theologen
und Suriften, und hat, wie der Verf. behauptet (S. 170 f.),
viel wichtigere Kolgen gehabt, ald man gewöhnlich vers
muthet. Aus Pehem's Werk erhielten die Lefer doch nod)
‚einige Kenntniß von den Forderungen des canonifchen
Rechts, indem Pehem baffelbe ftet& beftritt. Rechberger ba;
gegen ignorirte e$ gänzlich, unb fo hörte auch biefe fchwache
Kenntniß des canonifchen Rechtes jegt auf. Ja man fab
bald Bifchöfe, deren Firchenrechtlichen Senntniffe fif auf
das Handbuch von Nechberger befchränften. Eine weitere
Folge war, daß bie Geiftlichen, wo fie im Rechberger’fchen
Buche binblidten, Kirchengefege fahen, bie der Staat et»
[affen hatte. Es war darum natürlich, daß fie (id jept
alfmáblig ganz in bie Klaffe ber Staatsbramten
ftellten, unb bie periodifchen Berichte, bie Fuͤhrung ber
Regiftratur und ber Normalienbücher für den wichtigften
Theil des pfarrlichen Amtes anfaben. Sie wurden — wie
bet uns — Schreiber in der Kirche Y. Erft in den
fpätern Zeiten des Kaifers Franz begann ein Firchlicherer
Gift auch in Deftreih, zumal unter dem jüngern Gleruó
"unb dem Bolfe fid) zu regen, und felbft vom Hofe aus
gefchah Einzelnes, was das Wachsthum dieſes neuen
Geiftes förderte, 3. 3B. die 3ulaffung der Redemptoriften
und Sefuiten.
1) Vergl. Hierüber die treffliche Abhandlung von Brof. v. Drey,
im Jahrgang 1829 bet Duartalfchrift, ©. 38 ff.
die kirchlichen Zuftände in Oeſterreih. 133
Als Kaifer Ferdinand im Jahre 1835 die Krone
erbte, blieben die Minifter feines Bater und damit das
frühere 9tegterungéfoftem. Die gilt auch, wie das 6te
Buch zeigt, ven ben Firchlihen Suftánten. Das Meiſte
blieb, wie và war; bod bemerkte man, befonbers im Kreiſe
ver Bifchöfe, eine Zunahme der religiöfen Gefinnung, ober
wenigftend der Neigung zur hierarchifchen Ordnung. Ebenfo
machte bie Firchliche Richtung aud) unter dem Volke einige,
aber nur einige Sortfchritte. Dagegen ftanb das Anfehen
bes Clerus fortwährend auf niedriger Stufe, unb er vers
jüngte fid auch meiftenó nur aus ben untern SKlaffen bet
Sefellfchaft.
Als im November 1837 bot Ereigniß mit bem Eölner
Erzbifchofe eintrat, glaubte bie öftreichifche Regierung, bie
Sache werde weiter feine Wichtigkeit haben unb in wenigen
Wochen Niemand mehr davon fprechen. Sie hoffte alfo,
in ihrem behaglichen status quo in ecclesiasticis bleiben zu
fönnen. Aber bie Sache ging ganz anders, und fie faf
fi jet genöthigt, mit Rom in Unterhandlungen zu treten,
um bie Angelegenheit ber gemifchten Ehen auch für bie
öfterreichifchen Staaten zu regeln. Die fihönen Tage von
Aranjuez , wo die Regierung alle& Solches allein that,
waren vorüber. Als aber bie preußifchen und bayrifchen
Biſchöfe bald darauf freien Verkehr mit Rom erhiel-
ten, fonnte fid) das Fatholifche Defterreich (Ὁ) zu fol:
dem Wagftüc nicht entfdjliegen. Allein, wenn aud) bie
Regierung überall noch ihren jofephinifchen Radſchuh ein:
zulegen fuchte, fo verbreitete fid) bod) immer mehr die Sehn-
fucht nad) Eirchlicher, mie nach politifcher Freiheit, fammt
ber Ueberzeugung, daß das bisherige unter dem Titel
„Schuß ber fatbolifden Kirche“ ausgeübte Syſtem
Pd
18d Beidtel, bie ktrchlichen Zuflänbe in Oeſterreich.
nur eine läftige Bevormundung und unbefugte Einmengung
ber Staatögewalt in bie innern Kirchenangelegenheiten fei.
Mit diefem Rufe nad Freiheit ber Fatholifchen
Kirche verband fi ber Ruf nad Bleichftellung
aller Religionsparteien im Staate, felbft von
eifrigen &atbofifen erhoben; und gerade fie waren es auch,
welche bie Aufhebung ber alten, aud) bie Kirchenfreiheit
(áfmenben Genfur aufs 2autefle verlangten.
Go fam es, bafi unter ben Geiftlichen unb unter dem
Bolfe immer Mehrere und Mehrere von ben jofephinifchen
Anfichten abfielen, unb ben neuen freieren Ideen ſich zus
. wenbeten, (o daß man ὦ nicht mehr verwundern darf,
wenn nach ben Märzereigniffen vom Jahr 1848 bie Ideen
von Religionsfreiheit, Gleichftelung ber verfdjiebenen Relis
gionsparteien und Freiheit ber Preſſe fogleich in Wien und
überall in Defterreich mit großem Geräufche laut wurden,
Diefe neuen Sbeen machen e8 zur abfoluten Notbwendigfeit,
daß bie feither beftanbene Gitaatégefeggebung in Firchlichen
Dingen fid) durchgängig ändere; aber das Rechte zu treffen
und das Beſte anzuordnen ift eine febr ſchwierige Cache,
und hiebei nad) Wiffen und Gewiffen guten Rath zu geben,
Dat fid) unfer Verfaffer im 7ten Buch zur Aufgabe gefcgt.
Wir wüníden nur, daß nicht _blos bie öfterreichifchen,
fondern auch andere deutfche Staatsmänner diefe Rath—
fhläge lefen und beherzigen möchten.
Aus all dem Gefagten erhellt, baf wir bie vorliegende
Schrift nicht nur für eine intereffante, fondern auch für
eine höchft wichtige erachten; leider ift fie aber da und
bort durch Drudfehler entftelt, und aud) auf fyliftifche
Vollkommenheit nicht bie gehörige Rüdficht genommen.
Hefele.
Megefken δὲν ſchweizeriſchen Klöftes und Kirchen. 135
rj 2,
διε Wegeflen der Archive in der fchweizerifchen Eidge-
noffenfchaft. Auf Anorbnung δὲς fchmeizerifchen ges
ſchichtsforſchenden Gefellfchaft Herausgegeben von Theodor
von Mehr, geweſenen Bunbesftatthalter, Mitglied der
fchweizerifchen geſchichtsforſchenden Gefellfchaft 2c. Erſter
Band, Iftes Heft: Die Regeſten der Senebiktiner-
Abtei Einficdeln; 2t8 Heft: Die Regeflen ber Alöfler
und kirchlichen Stifte beo fhantono Bern. Chur, bei
His. 1849. Groß Quart. Preis be8. erfien Heftes
2 fl. 20 fr. des zweiten 2 fl. 42 tr.
Nur in der Kenntniß des Detaild liegt bie Mögs
fichfeit zum wahren Verftändniß der Gefchichte; bie Details
fenntniß aber wird nur möglich durch Befanntfchaft mit
huntert und taufend Urfunden, welche in ben berühmteren
Archiven als foftbare Schäge aufbewahrt find. Wollte man
nun bicfe Urkunden alle, um fie allgemein zugänglich zu
machen, in extenso bruden laflen, fo würde dieß bie uns
geheuerften Koften verurfachen, und Werke hervorrufen,
deren Anfchaffung nur den reichften Bibliothefen möglich,
und teren Benügung ob ber Mafle des Volumens Jedem
erfhwert wäre. ín febr zweckmaͤßiges Gurrogat aber für
diefe Urfundenabdrüde find die Regeſten, b. t. Urkunden
auszüge in chronologifcher Ordnung; und gerade in
unferer Zeit haben die Regeſtenwerke von Dr. Böhmer in
Stanffurt, Chmel in Wien und Andern zur Aufbellung
der mittefatterfiden &efchichte ungemein viel beigetragen.
Bon ter Nüglichkeit folder Negeften überzeugt, befchloß
die ſchweizeriſche gefchichtöforfchende Geſellſchaft fon im
Jahr 1844 bie Herausgabe eines allgemeinen Regeftens
138 Sala ber idperigriiden δῶβις ταῦ δίνδιαι.
vrielbeachteien Sclir Hemmerlin (Himmel) von Zũrch,
wüden man unter Mc iegenannıen σε πίε ber Refor⸗
manes zu rednen yélegt ").
Tas pecie Heit des veríicaentes S3erfet, Die Regeſten
ir ver ber Reiormation im Okkie des alt Kantons
theiles ron Bern bciüanberen δ, πεὺ fnmdjdyen Etifte
it ren bem fürzlih werkerbenen Srietrid €tettler,
Breicner tes Staaterechas urb Santené-Pelrn.Gommijór
zu Bern Fearbeitet. Ticies fet yriällt wieder im 8 εὶς
mete Sibrbeilunsen, welche tie Rogeien
3) br$ €t. Vincenzitifies μὲ Bern,
2) des Síeiteré. Ruragiökerg,
3) e$. Gherferrnitied. Amiclrizgen,
4) des Priorats auf ver Er Petere⸗Iniel im Bieler
Er, DBittbums Lanlar.nc,
5) ver "Propitri. TDärkketeen,
6) des Frauenflcherd zu Frauenfappeien,
7) be8 Männer » urb Sraucnfieilerd zu 3ateviafen,
und endlich
8) des Johanniterhauſes Sufbie catbilt.
Bei weiten am meiſten Anöbente gewährte hiebei das
Archiv des Männcrlichrrö Interlefen, während dagegen
antere Ctiite, 3. Ὁ. rad Bineenzmünfer zu Bern, fi
auffallend arm an lirfumben zeigten. Als terminus ad
auem nahen aud H. Ctettier überel die Reiormationggit
an. Seine Behandlung ber Cade ik ber des Paters
Mori dieíid), grip aber ctas geringere archivaliſche
Siccarateiie.
Hefele.
1) Ber. διῖε Genmnta von Zink, δεαιδεῖωε von Balthefar
Βεῖει. Zürch 1946.
— — — —
Staudenmater, die kirchliche Aufgabe der Gegenwart. 139
3.
Bie kirchliche Aufgabe der Gegenwart. Don Dr. f. X.
Staudenmaier, Großherzoglich Badiſchem Geheimen Otatbe,
Domcapitular und orbentl. öffentl. Profeffor der Theologie
an der Univerfität Freiburg im Breidgau. Freiburg.
Friedrich Wagner’fche Buchhandlung 1849. Preis 1 fl.
Der berühmte Hr. Verf. bewegt fid bier auf einem
Gebiete, dem. er bekanntlich fion feit längerer Zeit feine
Aufmerffamfeit zuwenbet, inb in Bezug auf das er auch
in der That ſchon manches beherzigungswerthe Wort ges
fpteden bat. Auch Die vorliegende Schrift {{ voll von
Solchem, was einleuchtender Maaßen zu etwas Beſſerem
führen mußte, wenn ed von denen, welde die öffentlichen
Zuftände zu ordnen berufen find, in erforderlichem Grade
beachtet und gewürdiget würde. Leider (eint dieß unge⸗
achtet ver ernften Mahnungen, welche die Geſchichte in
neuefter Zeit wieder gegeben hat, von manchen Seiten
nicht erfannt werben zu wollen. [πὸ es ift wirftich zum
Verwundern, daß man aud jegt noch nicht einguftben
vermag, wo allein Seftigfeit und Dauer zu finden, umb
von woher allein der ſchwer bedrohten Ordnung ber bürger-
lihen und ſtaatlichen Verhäftniffe tfe und Heil erwachſen
fönnte. Die vorliegende Schrift Hrn. Ste. hat das Verdienft,
dieſes für jeden nur nicht gerade ganz SBerbtenbeten ober
Dfinden in's hellſte Licht gefept zu haben. Breilich zeigt
fie zugleich auch, wie ſchwach begründet bie etwaige Hoff
mung wäre, daß man das naheliegende Heilmittel nody
jeitig genug nnd in rechter Seife benützen unb nicht viels
mehr feindſelig bekaͤmpfen und lieber im Strubel ber
136 Recgeſten der ſchwelzeriſchen Kloſter und Kirchen.
werfes ber ganzen Schweiz, und bie meiften eidgenöffifchen
Regierungen verfprachen nicht bloß freie Benügung ihrer
Archive, fondern auch anfehnliche Gelbbeittüge, welche zu
derartigen Werfen faft immer erforberlih find. Zu Haupts
redaktoren wurden Brof. Auguft Matile in Neuenburg,
unb Herr von Mohr in Chur ernannt, fepterer für die
deutfche, erfterer für bie romanische Schweiz. Außer ihnen
unb unter ihrer Leitung follten Spezialrebaftoren bie Regeften
der einzelnen Archive bearbeiten. So übernahm denn
ber rühmtichft befannte Pater 8 allus Morel, Gonventual
und Gubprior zu Einftedeln, bie Regeften dieſer Benebiftiner:
abtei, und das Refultat feiner fleißigen Arbeit ift das vor:
liegende erfte Heft. (ὁ enthält Auszüge aus ungefähr
1300 lirfunben, bie vom Jahre 946 bis 1526 gehen.
- Weiter wollte nämlih H. Morel feinen Gegenftand nicht
verfolgen, weil in biefem Sabre (1526), wo Ludwig
Blarer Abt zu Einfiedeln vourbe, für biefe& Klofter eine
ganz neue unb von ber frühern feft verfchiedene Aera
begann. Die meiften diefer 1300 Urkunden fanden fid)
in Einftedeln felbft; einzelne dagegen find das Eigenthum
anderer Archive in der Schweiz, und wurden dem Herrn
Pater Morel von andern helvetifcheh Gelehrten, namenilid)
Archivar Gerold v. Meyer von Knonau, Archivar Wegelin
in €t. Gallen, Prof. Eutych Kopp und Archivar Joſeph
Schneller in Luzern mitgetheilt. Bei jeder Urkunde ift
genau Ort und Datum, Urheber und Befchaffenheit des
Cígillá x. angegeben. Die Hauptfache aber ift der kurze
Snbalt, der bei den wichtigerern Urkunden mit größerer,
bei den minder bedeutenden mit fleinerer Ausführlichkeit,
bei erfteren in 8— 14; bei [egteren. oft nur in 2 ober ὃ
Zeilen, ja felbft in einer Zeile mitgetbeilt ift. ft eine
Regeſten der ſchweizeriſchen Ktöfter und Kirchen. 137
ber Urkunden bereits irgendwo in einer Sammlung ober
vergleichen ganz abgebrudt, fo bat ber Herausgeber aud)
biefes notirt, und zugleich in biefem Salle feinen Auszug
and naheliegendem Grunde etwas Fürzer gehalten. Am
wenigften zahlreich find die lirfunben aus dem 11. und
12. Sabrbunbert, indem auf erftered nur 10, auf letzteres
nur 14 fommen, während die ältere Zeit, bie zweite Hälfte
des schnten Jahrhunderts, deren 22 aufzuzählen hat. Nur
wenig zahlreicher werben fie im breizehnten Jahrhundert,
dagegen lieferte das 14te über 400, baé 15te über 550,
das erfte Viertheil des 16ten Jahrhunderts ungefähr 150
Nummern. Mehrere Feuersbrünfte, PBlünderungen und
andere Unfälle Einfiedelng, namentlich in ben Jahren 1090,
1226, 1813, 1467, 1577 und zuletzt zur Zeit der frans
zoͤſiſchen Revolution haben viele hundert weitere Urkunden
jerftört. Leid war es uns, daß gerade zur Gefchichte ber
Gonflanget unb Basler Synode, bie doch nicht in weiter
Entfernung von Ginftebefn abgehalten wurben, gar nichte
irgend Bedeutendes dafelbft vorhanden if. Das Wichtigſte
ift noch, daß die Einwohner von Schwyz ben Saifer Sigis⸗
mund in feiner Verfolgung des Herzogs Friedrich von Defter-
reich, weil er bem SRapfle Johann XXIII. zur Flucht vet;
bolfen, Träftig unterftügten und dafür im Jahr 1415 von
Sigismund verfchiedene Privilegien erhielten. Cine zweite
Urkunde aus diefer Zeit fagt ung, daß der Einſiedler⸗Abt
Hugo von Nofenegg i. J. 1417 bem großen Benediktiner⸗
fapitel zu Betershaufen bei Gonftany, welches während des
Gonftanzer Concils abgehalten wurde, anmwohnte, als ber
sweite Abt bem Range nad), und daß 373 Benediftiner
dafelbft verfammelt waren. Ein paar weitere Urkunden,
Ar. 722 und 801 beziehen fid) auf den feit neuefter Zeit
188 ϑιερεβαι der ſchwelzeriſchen Kloſter und Kuchen,
vielbeachteten ἢ εἴ ἐσ Hemmerlin (Hämmerli) von Zürd,
welchen man unter die fogenannten Vorläufer der Refor⸗
mation zu rechnen pflegt !).
Das zweite Heft des vorliegenden Werkes, bie Regeften
ber vor ber Reformation im Gebiet des alten Kantons
theiles von Bern beftandenen Klöfter und Firchlichen Stifte
ift von bem Fürzlich verftorbenen Friedrich Gtettler,
Profeſſor des Staatsrechts und Kantons⸗Lehen⸗Commiſſär
zu Bern bearbeitet. Diefes Heft zerfällt wieder in 8 klei⸗
nete. Abtheilungen, welche bie Regeften
1) des St. Vincenzftiftes zu Bern,
2) des Kloſters Rueggisberg,
3) des Chorherrnftiftes Amfolbingen,
4) be8 Priorats auf der St. Peters⸗Inſel im Bieler
Gee, Bisthums Laufanne,
5) der Propſtei Därftetten,
6) des Frauenflofters zu Srauenfappeten,
7) des Männer » und Krauenflofters zu Smterlafen,
unb enblich
8) des Sohanniterhaufes Buchſee enthält.
Dei weitem am melíten Ausbeute gewährte hiebei das
Archiv des Männerflofters Iuterlafen, während dagegen
andere Stifte, 3. B. das Bincenzmünfter zu Bern, (id)
auffallend arm an lirfunben zeigten. Als terminus ad
quem nahm auch H. Stettler überall. bie Reformationgzeit
«n. Seine Behandlung der Gadje ifl der des PBatere
Morell ähnlich, zeigt aber etwas geringere archivalifche
Accurateſſe.
| Hefele.
1) Vergl. Felix Hemmarlin von Zürdg, bearbeitet von Balthaſar
Meber. Zürch 1846,
— — —
Staudenmaier, die kirchliche Aufgabe der Gegenwart. 139
3.
Die kirchliche Aufgabe der Gegenwart. Von Dr. f$. X.
Staudenmaier, Großherzoglich Badiſchem Geheimen Otatbe,
Domcapitular und ordentl. öffentl. Profeffor der Theologie
an der Univerfität Freiburg im Breisgau. Breiburg.
Friedrich Wagner’fche Buchhandlung 1849. Preis 1 fl.
Der berühmte Hr. Verf. bewegt fid) hier auf einem
Gebiete, bem er befanntlich fd)on feit längerer Zeit feine
YAufmerffamfeit zuwendet, und in Bezug auf das er aud)
in der That ſchon manches beherzigungswerrhe Wort ges
ſprochen bat. Auch bie vorliegende Schrift ift voll von
Goldem, was einleuchtender Maaßen zu etwas SBefferem
führen mußte, wenn ἐδ von denen, welche bie öffentlichen
Zuftände zu orbnen berufen find, in erforberlidem Grade
beachtet: und gewürdiget würde. Leider frheint bic unge⸗
adjtet ver ernflen Mahnungen, welche die Gekbidte in
neuefter Zeit wieder gegeben bat, »on manchen. Seiten
nicht erfannt werben zu wollen. Und es ift wirftich zum
Verwundern, bag man aud jegt noch nicht eingufeben
vermag, wo allein Seftigfeit und Dauer zu finden, und
von woher allein ber ſchwer bebroften Orbnung ber bürger-
lichen und ftaatlidjen Verhältniffe Hülfe unb Heil erwachſen
könnte. Die vorliegende Schrift Hrn. St8. bat das Verbienft,
biefes für jeden nur nicht gerade ganz Verblendeten ober
Blinden in's helifte Licht gefegt zu haben. Freilich zeigt
fie zugleich auch, vote ſchwach begründet bie etwaige Hoff
mung wäre, daB man Das nahebtegende Heilmittel noch
zeitig genug und in rechter Weife bemügen und nicht viel:
mehr feinnfelig Befänpfen und lieber im Strudel ber
140 — Gtaudenmaler,
Revolution untergehen, als bei der Kirche einen fichern
Schutz gegen diefelbe fuchen verbe.
Daß die Kirche allein einen folchen gewähren fönne,
wenn man fie ihre fegenéreidje Wirkfamfelt ungehindert
entfalten faffe, zeigt Hr. St. auf unwiderfprechliche Weife,
fowie zugleich auch, daß fie ihn längft gewährt und ben
jebigen beflagenswerthen Zuftänden vorgebeugt hätte, wenn
man nicht feit [ange ihre 9Birffamfeit in allen Hauptrichtuns
gen gelähmt und im Volfe alle Achtung vor firchlicher und
göttlicher 9luctoritát zu vernichten gefucht hätte, unbegreif«
licher Weife nicht einfebenb, daß menfchliche Auctoritäten
unb Gefege derjenige nicht mehr achten fann, ber bie gótt»
lichen verachten gelernt bat. Die Nachweifung dieſes
Punktes ift jedoch Hrn. St. nicht die Hauptfache; er will
vielmehr zeigen, was tie Kirche in gegenwärtiger Zeit zu
thun habe, um nicht b(o8 gegen die Angriffe ihrer Yeinde
unerfchütterlich Stand zu halten, fondern fetbft für jene, bie
nichts von ihr hören und wiflen wollen, eine befiere Zus
funft vorzubereiten und jene Gefinnungen und Strebungen
un Volfe wieder zu voeden unb in Gang zu bringen, welche
allein das ΘΙ der Nationen bedingen und den Beftand
bet Reiche und Throne verbürgen. Die dießfaßfige Auf:
gabe der Kirche bezeichnet er al& eine doppelte, bie Kirche
muß erftens bie ihr von Gottes und Rechts wegen gebuͤh⸗
rende Freiheit fid) wieder erringen unb. zweitens die erruns
gene dazu gebrauchen, wozu fie ihr von Gott gegeben ift.
Hr. €t. freut fic), daß „der, welcher den Gebanfen ber
Freiheit verfündigte, Pius IX. ift, ber Vater der Fatholifchen
Ehriftenheit, bie Liebe und Freude der Menfchen, unb bet,
defien Namen alle gebildeten Nationen eben fo mit Gbr»
furcht als Entziden nennen“ (S, 1), und daß „bie Gegen:
die Tirchliche Mufgabe der Gegenwart. 441
wart, welche Freiheit verlangt, auch bie Freiheit ber
Kirche als eine Forderung ausgefprochen hat“ (G. 89.).
Er fucht zunächft zu zeigen, baf-bie Kirche ebenfo noths
wendig frei fein müfle, als fie vermöge ihres Weſens und
ihrer Sendung auf die wahre Freiheit der Menfchen unb
Bölfer hinwirfe, unb daß Hemmungen und Beeinträchtis
gungen biefer Freiheit nod) immer böfe Früchte gebracht
unb zum Nachtheil und Unheil ber rune. [εἰδῇ aus⸗
gefchlagen haben. -
Daß aber bie Kirche witlich von jeher auf die Freiheit
unb Civiliſation der Voͤlker und Aufhebung der Sclaverei
bingearbeitet habe, hat Hr. St. in feiner Schrift über das
Weſen der fatboli(den Kirche S. 130 —157 ge
zeigt und hebt hier nur mit befonderem Nachorud hervor,
daß diefelbe flet die wahre Freiheit gewollt babe und
wolle, welche in lebendiger Verbindung mit der Religion
fiehbe und in ber That und Wahrheit die Völker beglüde,
nicht aber bie falfche, bie nur in der Lüge beftebe, und an
ber nur jener Theil der Gefelfchaft Freude habe, „der bie
Hefe, ber Auswurf und der Zeind des Volfes genannt
werben muß, ber ftetS bereit ftebt, fein Tyrann zu werden
und die Freiheit aller llebrigen in Sktlavenfefleln zu fchlar
gen. Niemand hat mehr die Sreiheit im Mund als Solche,
aber fie wollen nicht aufrichtig bie Freiheit, fonbern fte
heucheln und lügen fie auf die unwuͤrdigſte Art unb arbei-
ten ununterbrochen an ihrem Untergange. Während fie
vorgeben, bie Unfreiheit zu befeitigen und bie Tyrannei
anszutülgen, reißen fie, zu ihrem eigenen Bortheil, bie
Souveränität an fid, unb fnedjten alle Andern nach Luſt
und Laune, fie üben dabei alle mögliche perfönliche Rache,
geben aber ftet6 vor, alle ihre Handlungen nach Gewiflen
142 Gitautenmaler, -
unb Pflicht ju vollbringen. Die Natur der Freiheit, bie
fie verfprechen, erfennt man an der Natur ber. Apoftel,
welche die Freiheit verfünben. An die Stelle ber Gerech⸗
tigkeit tritt bei ihnen das volle Maaß der Ungerechtigkeit.
Gefegliche Bormen werden bei Gerichten nur noch zum
Scheine eingehalten. Jedes freie Wort, überhaupt, und
inébefonbere gegen fie gefprochen, wird als Aufruhr be:
handelt, und fefbft die innerften G'ebanfen wollen fie einem
anfehen, um daran Klage auf Hochverrath zu fnüpfen.
Tugend, Talent, Wiffenfchaft, Kunft unb Reichthum werben
für Berbrechen gehalten und als folche gerichtet. Die
Grundhandlungen find Raub und Mord‘ (S. 11 f). Sul
bie Kirche die wahre Freiheit anftreben und ver falfchen
Widerſtand leiften fónnen, fo muß fie, wie ohne weitern
Beweis einleuchtet, felbft frei fein. Daher fordert Hr. St.
die Freiheit „in ihrem weiteften limfange ſchon deß⸗
wegen, weil nur ble volle, nad allen Seiten gewährte
Freiheit der Kirche auch die volle, nach allen Seiten fid)
erftredende Thätigfeit ber Kirche ermöglichen fann* (©. 63),
unb es ift ibm babel nicht um bie Firchliche Freiheit allein
zu thun, fonber eben fo auch um bie bürgerliche Freiheit
des Volkes und um „pas Glüd, das Anfehen, die Würde
und das fegenvolle Wirken des Königthums, jenes Königs
thums, welches feiner Idee entfpricht unb im hoͤhern Sinne
frei und edel (don dadurch iR, bag «à jede von Gott ges
fommene "Freiheit achtet und ungefchmälert gewähren läßt“
(S. 62). Er bedauert aber, daß, wenn e8 fi) um das
Recht und die gerechten Forderungen ber. Kirche Handelt,
bie Regierungen fo wenig einfehen, daß bie Kirche nichts
anderes verlangt, als nur eine von Gott ihr auferlegte
die Tirchliche Aufgabe der Gegenwart. 148
Pflicht erfüllen, unb das thun zu bürfen, was fie tbun
muß (E. 35 f.).
Um an IThatfachen zu zeigen, wie ſchlimme Früchte
alle Hemmungen und Beſchraͤnkungen ber Firchlichen Freiheit
ihren eigenen Urhebern bringen, erinnert Qr. St. an ben
fatholifchen Kirchenrath, bie galicanifchen Freiheiten unb
den Joſephinismus.
Sn Betreff des erfteren fagt er: „die Staaten- und
Kirchengefchichte weist nach, wie proteftantifche Regierungen
gefucht haben, das altproteftantifche Syſtem unbefugterweife
aud) auf die Fatholifche Kirche anzuwenden, unb in der —
neuern Zeit hat man zur Ausführung des Planes ein
ganz eigenes Organ, unter der Benennung fatbolifdoer
Kirhenrath“ gefhaffen, welcher letztere fid endlich zum
»tatfolifden DOderfirhenrath“ hinaufgefehwungen
fat. Diefer Name (ff. ganz unpaffend, wenn die damit
bezeichnete Behörde, wie man anfangs glaubte; nur bie
Aufgabe hatte, das Infpertionsrecht des Staates auf bie
Kirche in 9tuétbung zu bringen. Aber bie. Sache wandte
fb bafb genug anders, und es zeigte fi, bag eben btefe
Stelle das Mittel fem folfte, durch welches ber Staat
Körend und verlehend in die Freiheiten und Gerechtſame
der Kirche eingreife. Es foll nicht verfannt werben, taf
diefe Behörde mehrmals auch, wie e& in Württemberg vet
Fall war, zu Gunſten ter. Kirche gewirkt hat, aber mehr
nur im finanzielfen und Sfonomifden Sinne, als im gei-
figen und gelftfien. Immerhin ift das Borhandenfein
biefer Steffe nicht in ber Natur der Sache begründet, unb nur
zu leicht glauben mit ſolchem Amt betraute Katholiken in
mißverftandenem Sntereffe des Staates gegen das ber Kirche
444 Gtaubenmaler,
fühlen, venten, fprecyen, fchreiben und handeln zu müffen*
(G. 44 f.).
Sn Betreff der gallikaniſchen Freiheiten fagt er: „Als
in Frankreich König Ludwig XIV. in unmürbiger und
unföniglicher Erhebung von fid felber auéjagte: „der
Staat bin ich“, und ihm daran lag, nicht nur ber
Staat, fondern überhaupt Alles zu fein, forgte er, um
aufer dem Etaate auch nod) bie Kirche fein zu fónnen,
für die Aufftellung jener Artifel, durch welche, unter bem
. Stamm der gallifanifchen befannt, er Die Kirche
Frankreichs zu fein vermochte. Die fogenannte galli-
kaniſche Kirche ift nichts Anderes, a(8 bie Kirche Frank:
reidó , welche unter dem Drude des franzöfifchen Könige
ftanb, Man bat freilich aud) hier einen andern Namen
für eine ſchlechte Sache zu fchöpfen gefucht, indem man
die gallifanifche Sklaverei gallifanifche Breiheit,
und jene obigen gallifanifchen Unterdrüdungsartifel gallis
fanifde Freiheiten nannte. Was ift inbeg aus Allem
entftanben? Diefe Brage ijt febr leicht zu beantworten.
Kaum hatten die fogenannten kirchlichen Freiheiten, hinter
welchen fid) nur unwuͤrdige Sklaverei verbarg, zu wirfen
und die Kraft der Kirche niederzuhalten angefangen, als
ſchon das verruchtefte aller Syſteme, ber Atheismus im
Schatten des Staates, von den Miniftern und Freunden
der Könige genährt und gepflegt, emporwuchs unb jene
Summe von unnennbaren Uebeln für König und Volk
zugleich herbeiführte, von welchen bie Gefchichte ein fo
hoͤchſt trauriges Gemälde durch lange Zeit hindurch auf»
geftelt bat, und deren allerlegte Zudungen noch nicht
vorüber find, ja die nach allem Bisherigen vieleicht noch
mals aus bem nod) nicht gefchlofienen Grabe auffteben,
e
ble τ τε Aufgabe bey Gegenwart. 145
um noch einmal die Gemüther mit Entfegen zu erfüllen, und
ben Boden Frankreichs mit Blut zu trünfen* (S. 46 f.). .
Ausführlicher verbreitet fi) Hr. €t. über ben Joſephi⸗
nismus und entwirft feine Grundzüge nad) Maafgabe ber
giftigen Schrift, welche der bösartige Apoftat Lanjuinais
an Kaifer Zofeph IL. richtete, um ihn fir die Orundfäge
bet franzöfifchen Freidenfer zu gewinnen, unb zur ned
tung und allmähligen Bejeitigung der Kirche und des
Ehriftenthums zu bewegen. In Betreff feiner Folgen fagt
er unter Anderem: „die Entwürfe des Staiferé, ber wenigftens
einen guten Theil jener Grundfäge in's Leben einzuführen
fih die unbanfbate Mühe gab, feheiterten, und der Regent
erndtete als natürliche Früchte Dual und Leiden in Menge.
Was die Niederlande in kurzer Zeit von dem Körper feiner
übrigen Lande ablöste, das bewirkte in eben biefem Körper
eine immerwährende Auflöfung, bie in unfern eigenen
Sagen zu ihren legten Erfolgen fommen zu wollen ſcheint 1),
War aud) der religiöfe Geift des öfterreichifchen Regentens
hauſes in großem bebeutenbem Widerfpruche mit bem Geifte
des Buches von Lanjuinais; tiefer legtere boͤſe Geift hatte
dennoch Platz für feine Wirkfamfeit im Miniftertum fowohl
al in einer weitverzweigten, Alles beherrfchenden, und bie
bürgerliche Qreifeit, wie bie der Kirche, nieberbrüdenben
Beamtenwelt gefunden, an deren Epige in ber neueften
Zeit der czechiſche Graf Kolowrat mit dem befannten rein
negativen Talente ftanb. Wir brauchen nicht bie ſchmach⸗
vollen Wiener-Ereigniffe der neueften Tage in's Gedaͤchtniß
1) Im jepigen Augenblit würde Hr. St. fidj wohl etwas andere
ausbrüden , deßhalb bleibt jedoch feine —— im Ganzen un⸗
angefochten. ac
Theol. Quartalſqhrift. 1950. I. Heft. 10
146 Staudenmaler,
zurückzurufen, ſie ſind noch ganz friſch in demſelben erhalten.
Alles aber, was geſchehen, es iſt nur naturnothwendige
Folge des Joſephinismus, der, wie wir geſehen, eben jenes
Syſtem iſt, welches, wie es von Lanjuinais gegründet iſt,
in feinem erften Stadium gegen die fire, in feinem
jweiten gegen das SBürgertbum, in feinem dritten aber
gegen das Königthum Sturm läuft, um von Grund aus
Alles zu gerftóren, und nichts wieder zu bauen“ (S. 60 f.).
Indem aber Hr. St. die Freiheit der Kirche wünfcht,
(ft er weit entfernt, bie völlige Trennung derfelben vom
Staate zu wollen, fo daß fie aud) des ftaatlichen Schuges
völig verluftig gienge Er fucht ausführlich zu zeigen,
wie die MWirkfamfeit der Kirche in biefem Kalle duferfi
erfchwert und felbft ihre Eriftenz; da unb dort gefährdet
werden könnte, weil das im Anfang indifferent fcheinende
Verhältniß des Staates zur Kirche bald in ein feindliches
übergehen unb der irreligids und heidnifch gewordene Staat
gegen bie Kirche fid) nad) Kurzem nicht anders betragen
würde, als das alte Heidenthum. Bei ®elegenheit biefet
Erörterung erhält unter andern namentlich auch Hr. Dr.
Otto Meier, Prof. ber Rechte in Königsberg,
feine wohlverbiente Zurechtwelfung. Der rechtskundige
Mann meint nämlich, bie kirchliche Freiheit werde auch
der „fatholifchen Parthei“ zugeftanden werben müffen, wenn
man fie der „evangelifchen Kirche“ gewähre, und ftimmt
daher für jenes, verlangt aber zugleich, daß bie frei ges
worbene proteftantifche Kirche fid) des rechtlichen Schupes
von Seite bed Staates erfreue, die Fatholifche Dagegen δεν
felben verluftig gehe. „Das ift feine geringe Schmad,“
fagt Hr. St., „feine geringe Schande, bie ein Mann, zudem
ein Zeutfcher, ein Gelehrter, fogar ein öffentlicher Lehrer
bie Eirchliche Aufgabe δεῖ Gegenwart. 141
ber Rechte?!) auf fid) ladet, das ift Feine geringe
Bornirtheit des Geiftes und des Herzens. — — Das juris
ftifche Gewiſſen ahnt bei biefer ftatuirten Alngleichheit nicht
einmal eine Ungerechtigkeit, e8 ift ohne alle Celbftanflage
unb ganz felig, wenn nur gelingt und ausgeführt
wird, was vorgefhlagen wird, Losgetrenniheit und Schups
Iofigfeit der Fatholifchen Kirche“. Daraus, fügt er bei,
fönnen bie Katholiken, welche völlige Trennung ber Kirche
vom Staate wollen, lernen, „was fie unmittelbar mit jener
Trennung Preis geben“ (S. 76 f.). Fuͤr ben δα! jebodj,
daß der Staat fid zu feinem Glauben befenne, und biefeó
negative Bekenntniß in feine Gefeggebung aufnehme, hält
Hr. St. die völlige Trennung ebenfo für Pflicht, als das
Deharren bei der frühern Berbindung für Günbe.
Was fofort ten Gebrauch ber Firchlichen Freiheit
betrifft, fo foll bie freigeworbene Kirche mit allen ihr zu
Gebote ftehenden Mitteln hinwirken auf „vie Erfüllung und
treue Darftelung der Idee des Ehriftenthums im Erkennen
und Leben“ (Ὁ. 93). Die dießfallfige Thätigfeit der Kirche
it theild eine negirenbe theild eine teformirenbe.
Die Negation ift gerichtet gegen alles, was ber Idee
des Chriſtenthums nicht entfpricht, ober was fie nicht felbft,
was nicht ein Moment von ihr ift; aljo im Gebiete bes
chriſtlichen Erfennens gegen alles Unwahre, unb im Gebiete
bes chriftlichen Lebens gegen alles linBeilige. nbem aber
die Kirche gegen alles biefeó, was fie negirt, nothwendig
auch ankämpfen muß, um es zu überwinden unb zu be;
feitigen, wird ihre Negation eine Polemik gegen Unwahres
und Unheiliges oder gegen Srribum und Sünde.
„der Endzwed ber in der Kirche unaufhörlich walten-
hen Negation ift.aber die ftete Reformation“. „Kirchliche
10 5
148 | Staubenmaler,
Reformation aber ift jene von und in der
Kirhe vorgenommene und burdgefübrte
Wiedergeftaltung der Dinge, durch welde
Alles, wad von bet Sbee des Gbriftentbumó
abgemiden ift, oder ihren Borberungen nidt
mehr entfpricht, auf fie gurüdgeführt und mit
ibr ausgeglichen wird“. „Die Negation verneint
nämlich nicht, nur um zu verneinen, fondern fie verneint,
damit an die Stelle des SBerneinten das Wahre und Gute
gefegt werde“ (S. 100). Die wahre und fegenbringenbe
Reformation muß aber in der Kirche und Durch fte vor:
genommen werden, in jedem anterm Falle wird (ie ver-
berblid). „Wie gegenwärtig 9Biele nad) Wreibeit vers
langen, aber bie wahre freiheit weder fennen πο lieben,
indem fie nach jener frechen Willtühr haſchen, burd) welche
alíe gefeglide Ordnung in der Menfchheit in den furdts
barften Abgrund gezogen wird; ebenfo führen in ber
Gegenwart nicht Wenige aud) bie Reform im Munde,
verftehen aber unter ihr nicht bie wahre, bie kirchliche, bie
beils und fruchtbringende, fondern die, welche, entweder
vom Materialismus, ober vom PBantheismus, ober vom
vulgären Rationalismus und Indifferentismus geboten, alle
pofitive Wahrheit, fo wie das darauf gebaute fittliche und
fociale Leben auflöst. Mit diefen Reformern fónnen unb
wollen wir nichts zu fehaffen haben, mit ihnen haben wir
nur das Wort, aber nicht die Sache, nicht den Inhalt,
nicht das Weſen, nicht den Gedanken, nicht bie Gefitnung,
nicht bie Abſicht und nicht den Wunfch gemein. Um befto
beharrlicher aber glauben wir auf ber Firchlichen als auf
derjenigen befleben zu müffen, bie zu keiner Zeit gänzlich fel
len fol, zu der einen aber mehr, als in der andern nothwendig
“ὦ
Gitaubenmaler, ble kirchliche Aufgabe der Gegenwart. 149
erfeheint“ (S. 101). Wir können dem Hrn. Verf. nicht
mehr weiter in’8 Einzelne folgen und bemerfen nur nod
in ffizzirender Form, daß ihm zufolge die Kirche bei ihrer .
Reformation theild als lehrende, theils als regierende
thaͤtig ſein ſoll. In erſterer Beziehung ſoll ſie „ganz
neue Lehrſtühle«“ gründen, und zwar für bie chriſt⸗
lide Philoſophie, oder bie Philofophie des
Chriſtenthums; bier foll bie Metaphyſik als ber
wichtigfte Theil obenan fteben, und ihr bie chriſtliche
Philoſophie der Geſchichte und die chriftliche Recht δε
philofophie zur Seite treten. Won der regierenden
Kirche erwartet Hr. St. zunächft in Deutfchland den Zus
fammentritt des beutfden Epifcopats zu einer ^
Berathung, wofür có an wichtigen Gegenftánben nicht
fehle; von demſelben Epifcopat erwartet er die Einführung
des Synodalinftituts gemäß ber trientifchen Vorfchrift,
und endlich einen Antrag beim heiligen Vater auf Abhals
tung eines allgemeinen Concils, beffen Hauptziel
bie MWiedervereinigung ber getrennten Gonfefflonen mit ber
Kirche fein follte.
Diefe wenigen Mitiheilungen dürften genügen, um
fi von dem reichen Gehalte biefer Schrift unb dem Geifte,
in welchem fle verfaßt ift, eine ungefähre Vorftelung zu
bilden, und nur Diefes bezwedte die gegenwärtige Anzeige.
Bei Gegenftänden , die gleich den bier behandelten bie
Aufmerkfamfeit und das Stad)benfen gar Mancher, befchäfr
tigen, ift Verſchiedenheit der Anfichten unausbleiblich, und
wenn wir in einzelnen ohnehin meiſtens nur untergeorbnes
ten Punkten anderer Anficht find als ber Hr. Berf., fo
fheint uns das fo wenig einen erheblichen Tadel gegen
‚2‘
150 Schmid,
feine Arbeit zu begründen, daß wir Tieber feine Anfichten
etwas ausführlicher darlegen, als unfere dagegen ftehenden
Meinungen vertbeidigen zu follen glaubten.
4,
Hiftorifcher Matechismus ober: ber ganze Katechismus im
Hiftorifchewahren Exempeln für Kirche, Schule und Haus.
Bon Iohann En, Schmid, Katecheten der Urſuliner⸗
Maͤdchen⸗Hauptſchule zu Salzburg. 1. Band. (Grfte8. unb
zweited® Hauptſtück). Zweite Auflage. Salzburg, 1849.
In Gommiffon der Mayr'ſchen Buchhandlung. Drud
der Zaunrith'ſchen Buchdruckerei. XXVI und 344 ©.
Preis 1 fl. 24 fr.
Es ift zu feiner Zeit mehr gelehrt, gefchrieben und
gelefen worden als in unfern Tagen, und bod fibt εὖ — —
von den Berbildeten gar nicht zu reden — bei unferm Volke,
was. feine religiöfe Bildung anbelangt, nichts weniger αἱ
glänzend aué. Ein Grund diefer traurigen Erfcheinung
dürfte in der vielfältigen Vernacdhläffigung des katechetiſchen
Unterrichts liegen. Man ift zwar von der Wichtigkeit des
fatechetifchen Amtes überzeugt, man anerfennt, ta alle
fpätere SBaftoration auf dem’ Girunbe fuße, den man in ben
fatechetifchen abren gelegt, daß der befte Prediger, ber
ein faufer, gewiflenlofer Katechet war, ober einen foldben
zu feinem Vorgänger im Amte hatte, nichts ausrichten
wird ; aber biefe llebergeugung und Anerkennung ift gar
oft nicht im Stande, aus jener Lethargie und Intereffes
hiſtoriſcher Katechismus, 151
Iofigfeit herauszureißen, welche die Sugenbbilbung als
Bagatellſache behandelt. Wenn aber aud) eifrige Kateches
ten über fchlechten Erfolg ihrer Bemühungen, über Zer⸗
ftteutbeit und Abgeftumpftheit der Katechumenen Flagen, fo
bürfte, theilmeife wenigftens, die Echuld darin liegen, daß
fie von bem Wege Umgang nehmen, welchen ber Berfafler
des vorliegenden „biftorifchen Katechismus“ eindringlichft
empfiehlt. Herr Joh. Ev. Schmid ging von ber Ueber⸗
geugung aus, daß ber alte und bewährte Satz Senela's:
longum iter per praecepta, breve et eíficax per exempla,
befonder8 im Religionsunterrichte der Jugend feine Ans
wendung finden müfje, tag durch Beifpiele bie Aufmerk-
famfeit der Katechumenen gewedt und ihre Phantaſie ans
geregt werde, daß die beizubringende Wahrheit dadurch
zur lebendigen Anfchauung gelange, unb bie erbabenz
ften Lehren unferer bl. Religion wie fpielend durch Erempel
in bie jugendliche Seele einziehen. Dem gemäß fammelte
er zu feinem Fatechetifchen Gebrauche einen Borrath von
Erempeln und ordnete fie, um bei der Vorbereitung zu
den einzelnen. .Katechefen des langen Nachſuchens überhoben
zu fein, nad) bem Lehrgange beó Katechismus. Da die
Cammíung immer mehr anwuchs und ber Hr. Verf. Die
llebergeugung gewann, ed dürfte das, was ibm ben Fates
chetiſchen Unterricht erleichterte und fruchtbar machte, aud)
andern Katecheten nicht unmillfommen fein; fo entfchloß
er fi, feinen Vorrath forgfältig auszufcheiden und ges
fichtet bem Drude zu übergeben.
Der Hr. Berf. gibt nun dem fo entftantenen Buche
die Bezeichnung „hiftorifcher Katechismus“; daß uns alfo
etwas Anderes geboten werden wolle ald ein Katechismus
von gewöhnlichem Schlage, Darauf weijt bereit das Epitheton
452 Ä Schmid,
„biftorifcher“ Hin, unb ſchon ein flüchtiger fid in das Buch
überzeugt uns aud) hievon. Der Katechismus in feiner
gewöhnlichen orm wird überall von unferm Buche vor;
auégefebt, e8 fchließt fid) an ihn an nad Gang und Eins
theilung als befebenber Gommentar, jedoch nicht fo, αἱ
würden alle bie dogmatifchen und moralifchen Wahrheiten,
weldhe im Katechismus, in ber Worm von ragen unb
Antworten niedergelegt find, darin weiter ausgeführt, bes
gründet und erläutert, wie bief 4. B. in den Fatechetifchen
Handbüchern ber Sall ift; es wirb vielmehr an mehreren
Beifpielen gezeigt, wie die einzelne dogmatifche ober mora»
fifde Lehre im Leben Geftalt gewonnen, welchen Einfluß
fie ausgeübt, welche Wirkungen fie hervorgebracht babe;
wie diefe ober jene Tugend ausgeübt unb gepflegt worden xc.
Ein paar Beifpiele mögen das Gefagte veranfchaulichen.
Wenn ber gewöhnliche Katechismus ba, wo von den Eigen
fhaften des Glaubens die Rede ift, lehrt, 3.3. daß unfer
Glaube feft fein muß, fo wird dieß im „hiftorifchen fate;
chismus“ dadurch veranfchaulicht, daß in kurzen Beifpielen
Glaubenshelden des Alten Teſtaments fowie ber erften
Ehriftenheit, ber neuern und neueften Zeit vorgeführt wer»
ben. Wenn im gewöhnlichen Katechismus der 9te. Glau-
bensartifel abgehandelt wird, fo fommt im biftorifchen
Katechismus unter Anderm Folgendes zur Sprache: 1)
Zeugniffe der älteften Zeit über das römlfche Oberhaupt;
2) ein uraltes Denkmal über den Primat Betri: 3) felbft
Proteftanten fprechen für ben Primat; 4) bie 9tufeinanber:
folge der Päpfte; 5) Infignien ber päpftlichen Würde;
6) was gefchieht, wenn ber Papſt flirbt? 7) wie wird ein
Papft gewählt? 8) wie witb ber neue Papſt gekrönt?
In Betreff der Gemeinfchaft der Heiligen wird noch bel
hiſtoriſcher Katechiömus. - - 153
gefügt: 1) Attefle Art ber Heiligfprechung ; 3) gegenwärtige
Art der Seligfpredhung ; 3) gegentodrtige Art der Heilig:
fprechung; 4) Strenge bei ber Prüfung der Wunder. Zur
sten Bitte des Vaterunfers arrangirt der Verf. unferes
hiftorifchen Katechismus das Materiale, das er bann von
€. 283—296 in gebrängter Kürze auseinander legt, alfo:
Wir follen bitten und beitragen, daß das Reich Gottes
1) nach Außen vergrößert werbe. a) die Propaganda in
Rom; b) ber poner Berein; 6) der Berein ter hi. Kinds
beit; d) ber bi. Franz Xaver. als Apoftel von Indien;
e) über die Leiden und Freuden der SXifflonáre; 2) nach
Innen. a) Kaifer Heraflius und fein weifes Urtheil;
b) ber unermübliche Franz Xaber; c) der Eifer des heit.
Bincenz von Paula; d) des hi. Franz von Sales SBefeb;
runjéeifer; e) der bi. Magdalena und der hi. Therefia
Gebet; f) ba8 legte Vaterunfer vor dem Schlafengehen;
g) der Prediger mit der ſchweren Zunge; h) ter unver:
brofjene Beichtvater ; i) felbft Heiden arbeiten für das
9teid) Gottes 1x.
Aus bem Gefagten dürfte bereits einleuchten, daß
ba6 vorliegende Buch mit allem Bug ein ,biftorifber
Katechismus genannt wird; nicht fingirte Hiftörchen, ἡ
nicht mehr ober weniger glaubliche Legenden werden darin
aufgetifcht; der Verf. richtet vielmehr fein Augenmerk auf
hiftorifhye wahre Beifpiele, und nur hie und ba, wo
ibm die Bibel, fowle die Kirchen s und Profangefchichte
feine folche darbot, nahm er zu fingirten Beifpielen feine
Zuflucht. Die reichlichfte Ausbeute gewährten ihm bei
Auswahl feiner gefchichtlichen Beifpiele — außer der
Bibel — 8ohner’s instructissima bibliotheca concionatoria.
3 tomi. Editio sexta; ferner Richter’ kirchenhiſtoriſche
Gdagfammer, Stolberg’s Religions - und Serautt
Bercaftel’s Kirchengefchichte, Herbſt's Grempelbudy,
Cilbert'$ katholiſches Hausbuch, Gerambe Reife nad
Setufalem, Jahn's Archävlogie, fowie noch fehr viele
andere bei den einzelnen Grempe(n citirte Werke.
Wenn etwa vermuthet werben follte, der „hiftorifche
Katechismus“ dürfte nur für bie Satecheten brauchbar fein,
welche bei ihrem Religionsunterrichte eben den Katechismus
gebrauchen , nad) welchem der „hiftorifche“ geordnet ift; fo
ift hiegegen zu bemerfen, daß der zu Grund gelegte Kate
chismus fein anderer ift, als ber des B. Ganifiué. Bon
bem Gang unb ber Eintheilung biefes aber. weichen bes
fannt(id die meiften Statechismen nur wenig ab; zu al’
bem aber ift das Suchen und Herausfinden des einfchlägi:
gen Materials durch das fehr genaue und ins Detail gehende
Snhaltsverzeichnig (S. IX — XXVI) des hiftorifchen Kate
diemus ungemein erleichtert. Will man nicht unbillig fein,
fo muß man geftehen, daß der Hr. Verf. bei biejer Blumen-
(efe im Ganzen mit recht gutem Gefdymade und praftifchem
. &acte zu Werfe ging; bie einzelnen Beifpiele, welche bei
jeder Lehre geboten werben, find recht geeignet, biejelbe zu
veranfchaulichen; daß dabei bie biblifchen Beiſpiele als
mehr befannt, gewöhnlich nur kurz angedeutet find, ift
ganz in der Drbnung; ebenfo fünnen wir e$ nur billigen,
daß auch bei den andern Erempeln meiftend auf Kürze
gefchaut wurde, denn lange ober breit erzählte Beifpiele
rauben zuviel Zeit, (enfen bie Aufmerkfamfeit der Katechu⸗
menen von ber Lehre, zu deren Beranfchanlichung das
Erempel dienen foll, zu febr ab und verwöhnen wohl aud)
bie Jugend. Um Raum zu erfparen, lieb ber Berf. bei
ben einzelnen Beifpielen die moralifchen oder katechetiſchen
hiſtoriſcher Kateiämms. 156
Reflerionen weg; dieß wollen wir gerabe nicht tadeln,
jeder Katechet fann und wird fie wohl felber machen, bod)
hätte es uns beſſer gefallen, voeun bie moraliſchen Nutz⸗
anmenbungen, wie ed auch wirklich öfters gefchehen if,
furz angedeutet worben wären; weit eber- hätte nach unfe-
ter Anficht baburd) Raum erfpart werben fónnen und follen,
daß den Erempeln weniger viele Musfprüche ter bl. Väter
unb namentlich der großen Denter des Qitertbumó, ſowie
wenigere Gileid)nifje beigegeben worden wären. So über:
rafchend und intereffant. für den Katecheten auch manche
Dicta der alten Weltweiſen, Blato’s, Gypiftetó, Genefaté
x. f. w. fein mögen, fo haben fie tod mit 9tüdfibt auf
die gewöhnfichen Katechumenen gewiß nur einen unterge-
ordneten Werth. Bei der Bülle des hiftorifchen Stoffes
und bei der Abficht des Verf., fo viele Exempel, Gleichniffe
und Ausfprüche in das Buch aufzunehmen, um für mehrere
Sabre daran Borrath zu haben, begreift es fib leicht, daß
eber zu viel als zu wenig Material ausgewählt murbe,
‚wie denn auch der ganze hiftorifche Katechismus 3 Bände
umfaffen wird; gleichwohl findet ber eine und andere Bunft
entweder nicht bie verdiente oder gar feine Berüdfichtigung,
es müßte denn nur fein, daß noch Einiges, was ftreng
genommen in den erften Band gehört, in ben noch 2 übris
gen Bänden, bie bi$ gegen den Anfang des Jahres 1850
erfcheinen follen, nachgeholt wird. So finden wir fein
hiſtoriſches Zeugniß, feine patriftifchen Ausfprüche unb auch
— feine Gleichniffe für bie €ebre von der Tradition, für das
fBerbáltni von Schrift unb Tradition 1c.; aud) ba, wo
ber Berf. S. 114 ff. von’ den Engeln, ihrer Zahl unb
ihrer Liebe zu uns Menfchen redet, ift der Abbildungen
und Embleme der Engel mit feiner Sylbe Erwähnung
156 Schmid, Hiftorifäher Katechlsmus.
gethan; da, wo von der Errichtung ſogenannter Krippen
bie Rede ἰῇ S. 136, wären wohl ein paar Worte
über ben Ehriftbaum am Plage geweien u. f. Ὁ. Die
Angabe €. 9, daß Petrus im Jahre 66 geftorben fei, ift
unridjtig; bag Clemens von 93—101 auf dem päpftlichen
Stuhle gefeflen €. 23 und 220, ift febr unwahrſcheinlich,
auch bie Erzählung ber Bekehrungsgeſchichte sc. des Herzoge
Gozbert von Würzburg S. 91 f. fann vor ber hiftorifchen
Kritif nicht beftehen !).
Sehen wir von derartigen unbebeutenben Fehlern ab,
fo können wir den hiftorifchen Katechismus, wenn, woran
nicht zu zweifeln ift, bie 2 nod) nachfolgenden Bände eben
fo ausfallen, wie ber vorliegende erfte, allen Katecheten
nur beftens empfehlen; es wird jedem an. ber Hand δεῖς
felben leicht werden, ble abftraften Begriffe und Saͤtze des
‚gewöhnlichen Katechismus zu veranfchaulichen, und bie durch
geeignete SBeifpiele zur lebendigen Anfchauung gebrachte
Lehre haftet Dann auch fdnelfer und dauerhafter im Ge:
dächtniffe; denn was bei feinem erften Eintritte in bie
Seele angenehm angefprochen, wird lieber, unb weil bie
Theorie durch das Erempel plaftifde Geftaltung ges
wonnen unb ber Begriff zur Anfchauung geworben,
auch leichter und länger behalten, f. &. ΠΥ. Während
ein trodenes Moralifiren oft Groß und Klein ermübet, wird
bie Katechismuserflärung, fügt man ihr in jeder Stunde
nur ein ober zwei geeignete Beifpiele hinzu, gewiß immer
mit Aufmerkfamfeit angehört werben. Befonders wird jeber
Katechet in der Anführung von Erempeln im Fatechetifchen
1) vergl. Hefele, Geſchichte der Ginfübrung des Chriſtenthums im
ſüdweſtlichen Deutſchland ᾿ς. S. 375 ff.
Buß, der Kampf bec Kirche gegen den Staat. 15T
Unterrichte ein Mittel baben, auch auf ben Willen ber
Katechumenen einen mächtigen Einfluß auszuüben, benu
ob aud) alt doch immer wahr ift ber Spruch: verba
movent, exempla trahunt. In den religiöfen Erempeln
(tet fid ja, wie ber Berf. richtig bemerkt, das Eittengefeh
als zur Wirklichkeit geworden, als im Leben ausgeprägt
unb wie verförpert bar, unb ber befonders bei bet Jugend
vorberrídenbe Rahbahbmungstrieb wirb baburd
mächtig gewedt und angefpornt. Schließlich nod) die Bes
merfung : fo febr wir dem Hiftorifchen Katechismus bag
Wort reden, fo febr wir es billigen, daß im. homiletifchen
und Fatechetifchen linterrid)te das eine und andere Erempel
aus ben (don genannten Gründen eingeflochten werde;
fo entfchieden müßten wir jenes Verfahren mißbilligen, das
nur nach Beifpielen hafchte, um angenehm zu unterhalten ıc,
Rep. Kris.
9.
Der Rampf der fürde gegen den Staat um ihre Freiheit
in franhteid) und in Teutfchland. Dargelegt in einem
Hirtembrief des Cardinal⸗Erzbiſchofs Herrn von Bonald,
und in vier Tagesfchriften ber Herren v. Gormenin, v.
Gaudjo, v. Montalembert, und in vier Senbfchreiben an
deren Berfaffer. Von Dr. Buß, 1c... Schaffhaufen, Verlag
der Hurter'fchen Buchhandlung. 1850.- VIII. u. 675 ©,
in Octav. Preis 3 fl. 45 fr.
€6 find. jegt ungefähr drei Sabre, daß Hr. Buß den
Entſchluß gefaßt hat, in einer ausführlichen. Darftellung
18. ^^ |. Buß, por US FAS
zu zeigen, wie bie fatbofifde Kirche in Deutfchland
gerade diefelben Kämpfe gegen ben Staat zu beftehen habe
wie in Frankreich. Gr wies dich zuerft an dem Kampfe
um die Zeitung bed öffentlichen Unterrichts nach,
und wie er bie getban, bat unfere Quartalfhrift im
Sahrgange 1848, Heft 1. berichtet. Sm vorliegenden Bande
nun befchreibt er den Kampf zwifchen Kirche unb Staat um
bie Breibeit der Kirche, um auch bier Franfreich und
Deutfchland mit einander in Parallele zu ſtellen. So bils
den denn bie bereits erfchlenenen zwei Bände nur verfchies
bene Abtheilungen eines zufammenhängenden größeren Wer⸗
feó, und Hr. Buß bat fie barum mit Recht unter bem
gemeinfamen, freilich auch fehwerfälligen. Titel zufammens
gefaßt: „Die Gemeinfamfeit ber Rechte unb ber
Intereffen des Katholicismus in Franfreich
und in Veutfhland, nadgemiefen an den
jüngften und midtigften Streitigfeiten
jwifchen Kirche und Staat“.
Die Behandlungsart des Gegenftanbe& ift in beiden
Bänden der Hauptfache nad) bie gleiche, denn auch in bem
neuen Theile gibt Hr. Buß zunaͤchſt eine lleberfegung ber
wichtigften über feinen Gegenftand in Sranfreich erfchienenen
Schriften. Es find tief bier 5 Schriften von 4 berühmten
Berfafiern:
1) Der Hirtenbrief des Cardinals Bonald, Erzbifchofe
von Lyon, bie Genfurirung des hochrenomirten Dupins
ſchen Manuel du droit public ecclesiastique francais,
vom Sahr 1844;
2) Sa und Nein in Betreff ver ll(tramontanen und
der Gallifaner, von Timon (b. i. Herr. von
Gormenin).
ber Kampf der Kirche gegen den Staat. 159
8) Feuer! $euer! von demfelben.
4) Betrachtungen über bie religiöfen Drben, ge
richtet an bie Freunde der Wiffenfchaft, von Baron
Wuguftin Cauchy. |
5) Bon der Pflicht der Katholiken bei den Wahlen,
von Montalembert.
Diefen Weberfegungen hat fobann Herr Buß vier von
ihm felbft verfaßte Genbfd)reiben an bie 4 eben genannten
frangöfifchen Autoritäten beigefügt, und zwar gibt er
1) in dem Sendfchreiben an den Gardinal Bonald
zuerſt eine Art Refume über defien Hirtenbrief, unb fudit
fodann zu zeigen, daß eine kirchliche Genfur über bie
firdliche Literatur gerade in der Gegenwart fehr notf»
wendig fet. Auch werben babet treffende Bemerkungen über
bie frühere fehmähliche Handhabung der ftaatlichen Eenfur
in Deutfchland eingemifcht.
2) Das Sendfchreiben an Herrn Eormenin (Sinon)
befpricht bie Freiheit ber Kirche in Frankreich unb Deutfch-
land, gibt namentlich das franzöftfche Goncorbat vom Jahre
1801 in extenso, befchreibt dann bie beutfchen Firchlichen
Zuftände feit beim Sabre 1801, bie Bemühungen der pro»
teftantifchen Staaten, tie fatholifche Kirche um ihre Freiheit
zu bringen, die hierauf zielenden berüchtigten Verhandlungen
iu Frankfurt (1818), die unehrliche theilweife Nichtvoll⸗
jiehung bet von den Staaten felbft angenommenen pápft:
lihen Bullen (namentlich ber Ergänzungsbulle ad Dominici
gregis custodiam vom 11. April 1827 für bie oberrhei-
nifhe Seirchenprovinz) u. dgl. Sehr intereffant ift. biebei
namentlich auch die Vergleichung der Napoleon’fchen fo:
genannten organifden Artikel vom Jahr 1802 mit
Wr verrufenen Frankfurter Kirhenpragmatit
T ET *7 - -
vom 30. Januar 1830. Wie Napoleon durch erftere fein
mit dem Bapft abgefchloffenes Goncorbat winerrechtlich und
treulos theild abichwächte, theils aufhob, fo follte ad) bie
Sranffurter Pragmatif den Satbolifen in der oberrheini-
ſchen Kirchenprovinz (i. e. ben Bisthümern wretburg, Rot⸗
tenburg, Mainz, Fulda und Limburg) jene Rechte wieder
nehmen, welche in der Convention mit Rom, b. i. in ber
Annahme und Beftätigung der päpftlichen Bullen, ihnen
zugefichert worden waren. — Auch dad fugenannte landes⸗
herrliche SBatronat, die Eingriffe bed Staats in bie geifts
lichen Unterrichtsanftalten, bie Säcularifation, die Ent-
firchlichung ber Volfsfchulen u. dgl. fommt in diefem langen
Sendfchreiben an Hrn. v. Gormenin zur Sprache.
3) 3m dritten Sendfchreiben an Baron v. Gaudyy
bandelt Hr. Buß von der Wiedereinführung ber religiös
fen Orden in Deutfchland, und gibt dabei eine ziem⸗
lich ausführliche und interefiante Ueberſicht über alle bie
vielen Mannes und Srauenorben, welche bie verfchiebenften
Arten ber Wohlthätigkeit: Krankenpflege, Unterricht, Gr»
ziehung, Miſſion 2c. zu ihrer Aufgabe gewählt haben. -
4) Das vierte Sendfchreiben enblid) ift an ben bes
rühmten Grafen DMontalembert gerichtet ‚und enthält eine
lange lange Klage über die Echläfrigfeit ber deutſchen
Katholiken, über ihren Mangel an feftem. Sufammenbalten
unb über ihre Gleichgültigfeit in allen politifchen Ange:
genheiten. Dabei zeigt der Hr. Berfafler, wie er fic alle
Mühe gegeben habe, dieß anders zu machen, wie er naments
lich die fatboli(d)en Vereine, bie fogenannten Biusvereine
in'6 Leben gerufen, Verbindungen derfelben mit den katho⸗
lifchen Vereinen Frankreichs und Englands angeftrebt, bie
Viſchöfe dafür gewonnen, ja ſelbſt ble päpftliche Beſtaͤtigung
e
ber Kampf der Kirhhe gegen den Staat. 161
erwirkt habe, was auf ber erften. Generalverſammlung ber
Biußvereine zu Mainz, der er präfidirte, befchloflen worben
κί, wie er in Frankfurt für Großdeutſchland und für einen
Kaifer aus bem Habeburgifchen Haufe gewirkt habe u. bgl.;
wie er aber aud) mißkannt worden fel, wie man. feine
Bemühungen nicht unterftügt habe, wie namentlich feine
Würtemberger Freunde ben Plan, auf dem Hohenftaufen
im Februar 1849 eine große Katholifenverfammlung zu
falten, nicht gebilligt hätten, wie fein Vorſchlag, bie Pius⸗
vereine aud) bei den politifchen Fragen, fofern fie bie Kirche
berühren, zu betheiligen, nicht angenommen worden fet, ja
wie fogar ber Vorort des Fatholifchen Vereins Breslau bem
Coͤlner Verein wegen deſſen Theilnahme an der Bolitif
eine Rüge ertheilt habe.
Manches, was Buß in biefer epistola galeata ben
Deutfchen vormirft, ift völlig wahr und begründet; befunges
achtet wäre e8 wohl gut geweien, wenn der eifrige Mann
fein Sendfchreiben bei ruhigerem Blute noch einmal
durchlefen und geprüft hätte. Manches, was jet ben Lefer
wicht gut anfprechen fann, wäre dann ficherlich getilgt und
abgefchnitten worden; ber Eindrud des Ganzen aber hätte
durch größere Mäßigung gewiß nur gewinnen können. Um
wur ein Kleines Beifpiel anzuführen: ber Spott, womit bíe
Würtemberger wegen ber projektirten Berfammlung auf
dem Hohenftaufen auf S. 634 behandelt worden, ift ebenfo
ungerecht als unverbient, und ich bin noch jet der nämli-
den Meinung, die ich damals, wenn id) nicht iste, gegen
Hr. Buß ſelbſt ſchriftlich ausfprach. |
Sm ein paar Tagen läßt (i) feine ſolche große Ber:
ſammlung arrangiren, dazu hätte bie Aufforderung von
$. Buß vid früher ergehen feUen, Dann aber (ft. ber
Lpesl. Oxartalfeift. 1850. 1. δε! — 11
102 Buß,
Hohenftaufen dazu gar feine paffenbe Lofalität, unb nur
die romantifhe Ruͤckſicht auf das alte ſchwäbiſche Kaifer-
gefchlecht konnte zur Wahl biefe& Berges führen, in defien
Nähe fo wenige ftatbolifen wohnen. Weingarten, im Herzen
des fatholifchen Oberlandes, wäre dazu hundertmal geeigs
neter gewefen. Wer aber darf hoffen, im Winter, im
Februar () auf einem fonft fablen, jegt ſchneebedeckten
Berge unter freiem Himmel eine große Bolföverfammlung
abhalten zu können? So viel Feuer haben allerdings bie
Schwaben nicht, um auf dem Hohenftaufen im Schnee zu
fteben, während fonft überall. im Winter alle Berfamm-
lungen unter Dach gehalten werben. Endlich hätten fid
am 19. Februar gerade nur wenige Geiftliche betheiligen
fónnen, weil fie Tags zuvor, als an einem Sonntage,
nothwendig Refidenz halten mußten. — Uebrigens verzeihen
wir bem hoͤchſt rühmlichen Eifer δε H. Buß gerne, was
er uns in biefem Punkte Unrecht getban, und für ihn
ſelbſt mögen, wenn er diefes fein Senpfchreiben auf Reue
durchliest und da unb dort vielleicht über etwas errörhet,
die Worte des Pfalmiften zelus domus tuae comedit me
zur Entſchuldigung bienen.
Auch in den drei andern Senpfchreiben des H. Buß
fónnen wir nicht Alles billigen. Neben fehr vielem Guten
und Richtigen trafen wir aud) hier einiges. Ertravagante,
Einfeitige und llebertriebene. Namentlich rechne id) hieher
die ungerechte Geringfchägung der beutfchen Theologie,
verbunden mit einer wahren Bergötterung der. römifchen
Methode (S. 354 ff). Man kann der wärmfte SBerebrer
von Rom fein, unb bod) glauben, daß Pater SBerrone'?
Methode in ber Dogmatik nicht bie aller vorgüglichfte fel;
und man fann gewiß ber befte römiſch⸗ katholiſche Chrift
. der Kampf der Kirche gegen den Staat. 4163
fein, und doch fogar bie Anficht hegen, daß eingelne theo-
logiſche Fächer in Deutfchland beffer gelehrt werden, als
in Rom. Herr Buß aber meint, von Rom aus folle man
von Zeit zu Zeit Muftertheologen in alle Gegenden der
Welt fehiden, welche dann als PBrofefforen in den geiftlichen
Bildungs-Anftalten bie „einzige Methode“ zur allherrſchen⸗
den machen ſollen. Es wäre, glaube ich überflüffig, bicfe
Anficht des Weiteren zu beftreiten; ihr Analogon aber hat
fie in dem Borfhlag (S. 359) daß in Rom eine Gentral;
zeitung beftehen follte, „welche bte Ereigniffe des
Tages für bie ganze fatbolifde Welt vom
Standpunft des Katholicismus behandelte“
Die deutſchen katholiſchen Publiciften dürften bann wohl
nur noch überfeßen und wiederfauen !
Ebenfo müffen wir ung gegen das ausſprechen, was
H. Buß an der belgiſchen Bildungsweiſe der Geiſtlichen
beſonders lobt. Er berichtet naͤmlich S. 405, daß alle
belgiſchen Prieſter in den biſchoͤflichen Knabenſeminarien
einen vollſtaͤndigen theologiſchen Unterricht erhalten (wir
fügen bei: bod) wohl nicht in ben Knabenſeminarien?)
und nad) erftanbenem Gramen fogleich bie heil. Weihen
empfangen. Die ſchwachen und mittelmäßigen Köpfe treten
dann fofort unmittelbar in die Eeelforge über; bie talent»
volferen dagegen kommen jegt erft an die Univerfität Löwen
u. f. f. — Hat der Berfafler hier recht berichtet, fo können
wir biefe befgifche Praxis ja nicht für nachahmungswürdig
erachten, und würden unà mit aller Kraft entgegenfeßen,
wenn auch bei ung eine ähnliche Einrichtung, eine Faften-
mäßige Spaltung der Geiftlichfeit in wahre presbyteri
simplices und eruditi eingeführt werden wollte.
Weiterhin geben wir dem Hrn. — zu, daß bie
e %
164 RU Buß,
Frankfurter Kirchenpragmatik allerdings den Bifchof zum
bloßen Bräfidenten des Kapitels berabjegen und bem Stim-
menmehr feiner Räthe habe unterwerfen wollen (S. 407);
aber foviel mir befannt, ift es faktiſch bod) gerade nicht
foweit gefommen, und ber fragliche perverfe Grundſat ift
von feinem oberrheinifchen Bifchof je anerfannt worden.
Vebrigens ift εὖ nicht unfere Abfiht, an ber Buß’:
fchen Echrift blos das einzelne Tadelnswerthe hervorheben
und darüber das viele Gute und Treffliche vergeflen zu
wollen. Sm Gegentbeile hat uns Manches, fowohl in
den überfegten Stüden als in ben eigenen, febr gut gefallen.
Wir rechnen hieher namentlich, was der Garbinal Bonald
gegen das Iandesherrliche Placet für päpftlicde Bullen fagt.
„So darf alfo, ruft er S. 42 aus, alle Morgen bet
frivolfte Schriftfteler feine Seullletoné und Neuigkeiten
unter das S ubfifum fchleubern; er darf fie in Pie [egten
Winkel hireinwerfen, und ber Statthalter Sefu Chrifti darf
nicht ohne Erlaubniß der Stantögewalt an feine Brüder
fhreiben, um den Srrtbum zu verbammen, die Unterwürfig⸗
feit. unter die Obrigkeit zu lehren, die reine eren. ber
Religion zu erklären u. f. f.“ — Bortrefflich ift auch, was
über die gallitanifchen Artifel und ihre Unverträglichkeit
feb mit der politifchen Freiheit gefagt it, &. 27
und 314, denn gewiß wäre es ja eine grobe Beeinträchtis
gung der legtern, wenn mich ein Staatogeſetz zwingen
wollte, zu glauben und zu feren, daß ein allgemeines
Gonci über bem Papſte ftehe u. dgl. Nicht minder fchlas
gend äußert fi Buß G. 371 gegen bie Rationalfirchen
alfo: „wie fi bie Kirche fn ben nationalen Bereich ein⸗
iB, gab fie fid) gewalt gefangen, well chen
ber Kampf der Kirche gegen den Staat. 105
geht alfo bie Kirche i bie nationale Begrenzung ein, fo
verliert fie ihre GCelbfiftánbigfeit an den €taat. Das haben
wir geſehen an der gallifanifchen Kirche; je mehr fie fi
gallifanifirte, befto. mehr ſank fle in den Defpotismus des
abfolutiftifchen Königthums hin.“
Ganz richtig befchreibt auch Buß ©. 632 ff. bie Art
unb Weife, wie der König ven Würtemberg, ter wohl
einem Habsburger, aber nicht einem Hohenzollern
fi unterwerfen wollte, durch eine fünftlid) angelegte Volks⸗
bewegung geswungen wurde, bie Frankſurter Reichsver⸗
faffung fammt dem preugifden Grbfaifertbum an»
zuerkennen.
Endlich haben wir noch in einem Punkte eine mid
tige Ergänzung beizufügen. Auf ©. 314 f. fpridbt Buß
von der Iandesherrlichen SBeftátigung der auf die Grridy
tung ber oberrheinifchen Kirchenprovinz beziiglichen Bullen.
Er fah mit Recht, daß bieje Bullen, namentlich bie fo:
genannte Ergänzungsballe vom 11, April 1827 δ. 5 unb 6,
befonders $. 6 Grunbídge enthalten, welche mit ber Frank⸗
furter Pragmatif durchaus im Widerfpruche ftehen, und er
weiß barum G. 315 nicht, ob mehr über bie Unwiſſenheit
ober Unehrlichkeit der Iandesherrlichen Abgeordneten geklagt
werben müffe. Diefer Zweifel wird fid) aber Iöfen, wenn
wir bie bieber gehörigen Worte mittheilen,, welche der
föniglich voürtembergifche Commiſſär, Minifter v. Schmiblin,
in amtlicher Eigenfchaft fprach, als er am 19. Mai 1828
die Fundation des Bisthums Rottenburg feierlich in An⸗
wefenheit des Bifchofs und Domfapitele vollzog. Er äußerte
fib nämlich alfo: ,biefe beide Bullen Provida solersque
und Ad Dominici gregis etc. haben unter dem 24. October
v. 3. die königliche Genehmigung, jedoch nur in fo weit
P4
166 Buß, der Kampf der Kirche gegen bem. Staat,
erhalten, als folche bic Bildung der oberrheinifchen Kirchen:
proving, bie Begrenzung, Ausftattung und Einrichtung der
dazu gehörigen 5 SBietbümer mit ihren Domfapiteln, fowie
bie Beſetzung der erzbifchöflichen und bifchöflichen Stühle
unb ber Ddomftiftifchen Präbenden zum Gegenftand haben,
Sie werden nicht überfeben, meine Herrn
(nämlich ber Herr Bifchof und die Domfapitularen), baf
bierunter namentlich der 5te und 6te Artifel
ber Ergänzungsbulle (Ad Dominici gregis etc.)
nicht begriffen, unb fomit von der Gtaaté:
tegierung nicht anerfannt find.“
Das ift, meinen wir, beutlid. Die nicht anerfann-
ten Artikel lauten: ' |
Art. 5: „In dem erzbifchöflichen oder bifchöflichen
Seminarium wird eine, ber Größe und bem Sebürfniffe
des Sprengels entfprechende, nach bem Ermeflen des Bifchefs
zu beftimmenbe Anzahl Kleriker unterhalten, und nach ter
Borfchrift der Defrete des Conciliums von Trient gebildet
und erzogen werden.“
Und Art: 6: „Der Berfehr mit dem heil. Stuhl in
firchlichen Geſchaͤften wird frei fein, und der Erzbifchof in
feiner Diöcefe und Firchlichen Provinz, tie auch bie Bis
fchöfe, jeder in der eigenen Didrefe, werben mit vollem
Rechte die bifchöfliche Gerichtsbarkeit ausüben, welche ihnen
nach den canonifchen Borfchriften unb der gegenwärtigen
Kirchenverfaffung zufteht.“ —
Hefele
Dupanloup, bie weltliche Souveränetät des Papftes, 167
6.
Keber die weltliche Souveränetät des Papfles. Don Abbe
Bupanloup. Ueberſetzt von F. X. füarker, Curat bel
St. Urfula in Breslau. — Als Beilage: Die Allocution
be8 heiligen Vaters vom 20. April 1849. Breslau,
bei G. Ph. Aderholz. 1849. Preis 27 Er.
Es fonnte nicht fehlen, daß bie weltliche Souveränetät
des Bapftes, welche durch bie revolutionären Bewegungen
im Kirchenftaate in Frage geftellt fchien, mehrere Schriften
wie dagegen fo auch dafür hervorrief; ‘zu ben leßtern gehört
bie vorliegende von bem berühmten Abbe Dupanloup, einem
ber ausgezeichnetften geiftlichen Redner Frankreichs, nun:
mehrigem Biſchof von Orleans. Außer der inneren Bes
deutfamfeit des Gegenftandes fand er fid) dazu noch befonberó
veranlaßt Durch eine gewagte und gefährliche Anficht über
den betreffenden Gegenftand, bie in Frankreich Geltung zu
gewinnen fudte. Schon feit dem Anfang der dreißiger
Jahre hatten bie Herausgeber und Mitarbeiter des Avenir
Grundfäge vertheidigt, welche eine gänzliche Trennung ber
Kirche vom Staate bezivedten, bie Anhänger diefer Grund-
fige bemächtigten fid) nun jegt ber Frage über bie- weltliche
Eouveränetät des Papftes, und gelangten zu bem Refultate,
dag nur bie vollftändigfte Scheidung des Weltfichen vom
Geiſtlichen, alfo bie Säcularifation des Sirchenftaats zum
Segen und Gedeihen der Kirche audfchlagen fónne; das
Journal L'Ere nouvelle war das Hauptorgan biefer Grund»
füge. Diefem Treiben, wodurch nur der Umfturzpartei in
in die Hände gearbeitet wurde, trat nun Dupanloup mit
feiner Echrift entgegen, welche juerft. in bem. Ami de la
Religion erfchien, hierauf von tem Wahlcomite für religiöfe
168 Dupanloup,
Freiheit als VBereinsfchrift in Umlauf gebracht, in das
Englifche und Stalienifche und von Herrn Karfer in das
Deutfche überfegt wurde.
ı Die Grundanfchauung des Werfaflers ſowohl vom
SBapfttbum überhaupt als von deffen polltifcher Unabhaͤn⸗
gigfeit, deren Bedingung bie weltliche Souveränetät ift, tft
bie Auffaſſung beffelben als eines providentiellen Wunders,
eines Wunders von achtzehn Jahrhunderten, des dritten
nach ber Schöpfung und Erlöfung, welches Gott in ber
Gefchichte durch Menfchen fortfegt, ba er jene burd) fid)
felbft vollbrachte, eines Wunders für einen unvergäng-
lichen Zwed, weldyes barum bleiben wird bis an das Ende
der Zeiten. Sn biefer llebergeugung fügt er dann bei:
wenn die Römer, jest der Anarchie verfallen, dahin fámen
in den linglauben zu verfinfen, fo würde bod) ber Nache
folger des heil. Petrus, ber Bifchof von Rom das Haupt
ber ganzen Kirche fein. Er Fönnte bie Meere durchſchiffen,
unb in ber einen Hand das Evangelium, in ber andern
bie Gefege der Kirche, fich niederlaffen in einer Stadt ober
in einer Wüfte ber neuen Welt; ble Kirche würde mit
ihm reifen, mit ibm landen, mit ihm fid nieberlaffen, und
wir würden mit bem heil. Ambrofius ausrufen: mo Petrus,
ba bie Kirche; er felbft noch immer der Mittelpunkt, zu
welchen die Geifter aus allen Theilen ber Welt fid zu
wenden nicht aufhören volitben, fónnte mit bem unbeftreits
barften Rechte fagen: Rom ift. nicht mehr in Rom, es ift
ganz wo ich bin.
Auf biefem Standpunft unterfucht ber Verf. zuerft bie
Stage: welches waren die Motive ber göttlichen
Borfehung, als fie die weltliche Souveränetät des Pap⸗
fies gründete? und bie Antwort faßt er in folgender
ble weltliche Seuberaͤnetat bed Papfleb. 169
Kettenfehtuß zufammen: zur Sicherheit der Kirche unb ber
einzelnen Gläubigen mußte das Oberhaupt ber Kirche frei und
unabhängig fein; um unabhängig zu fein, mußte e8 Souve⸗
ränetät befigen; um frei zu fein, mußte e& nicht blos einen
Schein (den Ramen) der Freiheit, fonbern bie Freiheit in ber
Wirklichkeit haben; endlich mußte es unabhängig unb feet
fein nach Innen wie nach Außen. Seber Cab diefer Kette
wird bann aus der Natur des Gegenſtandes entwidelt,
unb mit Beweifen aus der Gefchichte und den Zeugniflen
ber geachtetftien Männer beftátigt. |
Der Bapft muß frei und felbfifländig fein — alà das
Dberhaupt ber Kirche, ber SBater der G(Aubigen, ber Doll»
metſcher des göttlichen Geſetzes, ber oberfte Leiter ber Ges
wiffen, beffen Breiheit um diefes Verhaͤltniſſes willen bie
.unerläßliche Bedingung der religiöfen Freiheit aller Kathos
lifen ift, denn wenn ter Bapft, ber bódjfte Richter, bie legte
Inſtanz, das lebendige Organ. des Fatholifchen Gejegeó und
Glaubens nicht frei iR, fo find es aud) alle Katholifen
nicht. Aus diefem Gefichtspunft ift die Sreiheit unb Sou⸗
veränetät des Papftes fein römifches, aud) fein blos ita»
lienifches, fonbern ein europdifches, ein univerfelles Inftitut. —
Aber um wahrbaft frei zu fein, muß. ber. Papft auch
Eouverän fein. Wäre er Unterthan irgend eines Monars
den, fo müßten alle Katholifen fürdien, es mit ibm zu
werden, was bie übrigen Monarchen nicht zugeben fónnten,
weßhalb der SBráfibent Henaut fagte: ber Papſt gibt Beſcheid
an Alle, welche auf Erden befehlen, folglich darf Niemand
(m befeblen. Der Berf. verweist ferner auf die Lage
der SBatriardyen von Gonftantinopel, welche willenlofe Spiels
zeuge ber arianifchen, moenotheletifhen, bilberftürmenbem
Kaifer waren, er erinnert an. ble Worte Fleurys — Hist.
170 Dupanloup,
eccles. t. XVI. 4. disc, wenn, feit Europa unter mehrere
Fürften getbeift ift, ber SBapit zu Einem berfelben in Unter-
thänigfeits + Verhältniffen gejtanben hätte, fo wäre zu bes
fürchten gewefen, daß bie anderen ihn nicht als gemein:
famen Bater anerfannt, und fomit nicht felten Spaltungen
Statt gefunden hätten. Bor diefem Unglüde, wie vor
jener orientalifchen Schmach hat den Bapft feine Sonveränetät
bewahrt. Zwar, fet Dupanloup bci, ift bie Wahrheit, ob
aud) gefangen, noch immer Wahrheit, unb bie Vorſehung
"Bönnte durch Wunder aud) den gefangenen Bapft in ber
Wahrheit erhalten, aber dies Wunder bat Gott bisher
nicht gewollt, fonbern bie Sreiheit des Papſtes auf natüt:
lichen Wegen gefichert.
Der Papft muß endlich nicht blos frei unb ou bern
fein nad Außen, er muß ἐδ unb noch mehr fein nad
Innen, b. b. in Beziehung auf fein Berbältniß zu feinen
eigenen lintertbanen, und biefer zu ibm. Der Berfaffer
berührt bier bie unmittelbaren Urfachen ber neueften römi-
fchen Revolution, πάπι ἐπε das Verlangen nach einer
conftitutionellen RepräfentativsBerfaffung , und dann mad
einer Republif mit gänzlicher Entfleivung bes Papftes von
alfer weltlichen Gewalt, und Unterwerfung beffelben unter
ben römifchen Senat mit einem Zriumpirat. Der Berf.
zeigt mit fehlagenden Gründen und fiegender SSerebtfamteit,
daß eine folche Stellung den Einfluß unb das Anfehen bed
Bapftes nod) weit mehr gefährden müßte als feine Leber:
wachung burd) eine auswärtige Großmacht; er zeigt dies
burdj Hinweiſung auf die Folgen, welche eine ſolche Stel;
lung für bie Freiheit: der heil. Gongregationen in ihren
Berathungen und Befcheiden, für die Freiheit ber Papſtwahl
und bie Unabhängigfeit des Gonclaves haben würde; er
ble weltliche Souveränetäf des Papftes. 171.
jeigt dies, indem er hervorhebt, wie wenig δὰδ römifche
Bolf andern Völkern gegenüber berechtigt fei eine Herrfchaft
über den Papſt auszuüben, ein eines Wölfchen, lediglich
von fremder Hand emporgehoben, wie es fid) aud) nur
durch fremde Hände in der Reihe ter Staaten erhielt; er
jeigt bie& auch vorzüglich, indem er aus feinem Verhalten
durch bie ganze Revolutiongzeit bie vollftánbigfte linfáfig:
feit zu einer felbftftändigen Role nachweist, wie ed .ben
Papſt auf ben Straßen verfolgte, ihn in feinem Pallaſte
belagerte, feinen. Minifter ermorbete, fein Haus. in Brand
zu ftedden, feine treueften Diener zu tödten drohte, und ihn
fo entweder abyubanfen ober zu fliehen zwang. Was Hr.
Dupanloup in all biefen Beziehungen fagt, beftätigt et
jugleich Durch Meußerungen von Thiers, Hutter, Lanjuinais,
Roffi, Charles Dupin und Napoleon felbft, unb führt am
Schluſſe folgende Stelle aus bem Schreiben des SSráfbenten
Louis Rapoleon an: die weltliche Souveränetät des efr;
würdigen Oberhaupts ber Kirche ift auf das Innigſte ver:
bunden wit ber Herrlichkeit des Katholicismus, wie mit
der Freiheit und Unabhaͤngigkeit Italiens.
Im zweiten Theile unterfucht ber Berf. die Wege,
auf welchen die göttliche Vorfehung ihren Plan mit der
Kirche unb ihrem Oberhaupte verwirkfichte, das Reſultat
im Ganzen faßt er in bie Worte Bofjuets und des Grafen
de Maiftre zufammen; ber erfte fagt: gibt es auf Erben,
gab εὖ je durch alle Jahrhunderte herab eine Macht, deren
Urfprung fo rein und edel, einen Staat, der am fonnens
hellen Tage auf fo rechtmäßigem Fundament, auf fo ehren:
wertben Thatfachen aufgebauet geweſen wäre, als bie Sous
veränetät des Papſtes? und faft wörtlich übereinftimmenb
δε Maiftre: e& gibt in Guropa feine gerechtfertigtere Sou⸗
172 ὍΝ, Tutpantonp,
veränetät al& die ber Bäpfte, fie it wie das göttliche Gefetz
gerechtfertigt in fid) ſelbſt.
Das erfte Moment biefer Rechtfertigung liegt darin,
daß bie Bäpfte Souveräne wurden, ohne e$ wahrzunehmen,
ja wider ihren Willen; ein unfichtbares Gefe& erbob ben
Stuhl von Rom. In den erften Sahrhunderten, den Zeis
ten der Berfolgung, befeftigte fid) das geiftliche 9Infeben
ber römifchen Bifchöfe ald die Grundlage ihrer weltlichen
Herrfchaft, Eonftantin räumte den Thron in Rom, Odoaker,
Theodorich, bie Könige ber Kongobarden, welche nad) . ibm
in Stalien geherrfcht, getrauten fid) nicht ibn zu befteigen,
wie durch eine unfichtbare Macht davon zurüdgehalten,
während bem bie Päpfte [εἰ nod) immer an ber Aufrecht:
haltung der Macht ber Kaifer von Eonftantinopel arbeiteten,
bis biefe Rom aufgaben, und: die Paͤpfie ermächtigt wur⸗
ben, bei den Königen ber Franken € dug zu fuchen, weldye
dann zu bem mad) unb mad) bedeutend angewachfenen
Brivatbefig ber römischen Kirche einen Territorialbefig hin»
zufügten. So wurden bie Paͤpſte Couberáne von Rom,
ohne es zu wiffen unb zu wollen, obne eat. ohne
Intriken, ohne Berträge.
Ein anderer unbeftreitbarer Anfpruch ber Bäpfte auf
bie weltliche Souveränetät liegt darin, baf fle den Vöffern
fib nicht nur nicht aufgeprängt, fondern vielmehr Diefe,
von ben Barbaren geängftigt und von ihren ehemaligen
Herren verfaffen, bei den Bäpften Schub, Hlife und Ret⸗
tung gefucht haben. Der Verf. erinnert daran, was bie
Paͤpfte während ber Voͤlkerwanderung, inébefonbere bet
Stadt Rom waren, wie namentlich Leo ber @roße fie vor
ber Wuth Attila's und Genferich® gerettet, Gregor b. Or.
durch fein Anfehen und feine Berebtfamfeit während fiebzehn
ble weltliche Gouveräustät des Papſtes 412
Sabren. bad Schwert δεῖ Longobarden von (Br abgehalten,
Agapit L den Frieden zwilhen bem Oſtgothen Theubat und
dem Kaifer Zuftinian zu Gunften ber Bölfer Italiens tnter:
handelt, Gregor II. bafje6e mit Karl Martel und bem
Longobarden Rachis gethan. Die Briefe dieſer beiden
Väpfte, aud) einige Caſſiodors find voll von Belegen, wie
fie auf das Verlangen ber Bölfer und Städte Italiens ftd;
mit allen Zweigen der weltlichen Gefchäfte befaflen mug:
ten, fo Daß Gregor I. an bie Kaiferin Gonftantine, Gemahlin
des St. Mauritius Hagend fchrieb, fein eben {εἰ getheilt
zwifchen dem Amt eines Hirten umb. dem eines weltlichen
Fürften. Seit Gregor II. gab e$ eine weltliche Souveraͤ⸗
netät ber Päpfte, welche die Gelehrten eine proviforifche
nennen, welche aber eine faftifd)e und wirkliche war; durch
Pipin und Karl ven Großen erhielt fie ihre Vollendung,
indem jener den König Sliftulf zwang, bie von ihm erober-
ten Städte dem Bapfte zurüdzugeben, biefer aber nach ber
Zerkörung des Longobardifchen Reichs die Schenkungen
feines Vaters nicht nur beftätigte, Hone mit neuen unb
bedeutenden vermehrte.
Der britte Theil oder Abſchnitt der Schrift enthält
biftorifchspolitifche Betrachtungen darüber, was Rom, Stallen
unb Europa ohne ben SBapft wären, ober geworben wären?
— In Beziehung auf Rom [ἐδ fefe wir folgende Bes
trachtungen. Rom an fid) it nur bie vierte ober fünfte
Stadt Italiens, minder groß als Neapel, minder prachtvoll
als Florenz, minder fehenswürbig als Venedig, bie erfte -
Stadt iſt Rom nur ald Sie des Papſtes, nehmer blefen
hinweg, fo πῇ fie zur Unbedeutenheit herab, Rom ift in
feinen vor Alters bewohnteften Quartieren, dem Balatin,
dem Auentin, dem Viminal, dem Sorum (don jegt eine
114 27 05 Φιρραπίσι,
Einsde, wolft ihr nod) den Quirinal unb Batifan hinzu
fügen? Erinnert euch, bag bie Näpfte nicht ein einziges
Mal Rom verlaffen haben, ohne daß nicht darauf Ber
armung und Entbölferung eingetreten wäre; während ihres
Aufenthalts in Avignon fanf bie Bevölkerung der Stadt
auf die Hälfte, während der fünfjährigen Gefangenfchaft
Pius VII. auf 113,000, betrug aber unter Gregor. XVI.
fchon wieder 170,000. Es ift wahr, Rom mit bem Bapft
(ft weder ein politifcher Mittelpunft, nod) eine inbuftriclle
Stadt, noch ein bedeutender Handelsplatz; aber glaubt man,
ed könne dies alles werden ohne ben Papſt? Rom ohne
Hafen, ohne Landfiraßen, ohne induftriellen unb. Arbeits-
geift? Rom mit bem Papſte war immer groß und einzig
durch bie Schöpfungen, ble bae Papſtthum bervorrief, burd)
feine fieben Baſiliken, feine dreihundert fünf unb ſechszig
Kirchen, durch St. Peters einzigen Dom, durch feine dítern
und neueren päpftlichen Pallaͤſte, burd) feine älteren unb
neueren Kunftwerfe; was fol und was müßte aus bam
Allem werben, wenn ber Papft nicht mehr in Rom ift?
Umfonft fagen die revolutionären Römer: der Bapft fann
in Rom bleiben als Bifchof und Oberhaupt der katholiſchen
Ehriftenheit, und im Lateran wohnen wie unter Gonftantin;
denn würden fie ihn dort wohnen laffen ohne Eingriffe in
fein geiftliches Amt, würden bie Gonfuln oder SBráfbenten
neben ihm wohnen können, ober er neben ihnen?
Was wäre Stalien ohne ben Bapft? Rom mit bem
Papft ift ba6 Haupt Italiens, ohne Rom und. ohne den
Papſt (ft Italien’ enthauptet, dies haben bie 9tevolutiondre
ſelbſt gefühlt, als fie in einer ihrer Anwandlungen aus
dem Papfte das Haupt eines itatienifchen Bundes machen
wollten, ein folder (ft wie bie vollfommene politifche Einheit
ble weltliche Couterdnetdt des Days. - 175
Staliens feit Jahrhunderten unmöglich, und vieleicht nod)
für lange Zeit; was aber möglich war, ift durch bie Paͤpſte
geſchehen. Bor Allem ift Rom allein und zwar durch bie
Paͤpſte italienifch geblieben, während andere italienifche
Provinzen durch fremde Völker befegt, und auswärtige Prin⸗
gn auf die Throne gefommen find; fobann haben bie
Paͤpfte im Mittelalter den italienifchen Städten bie Unab⸗
hängigfeit. errungen, bie nicht durch ihre Schuld verloren
ging, und noch im ſechszehnten Jahrhundert haben einzelne
Päpfte für die Unabhängigkeit gekämpft; fie wollte auch
Pius IX. aber auf andern Wegen al6 bie Bührer der Parteien,
und Dupanloup glaubt, wenn man feiner Führung gefolgt
wäre, fo würde jegt Oberitalien ein flarfer und herrlicher
AR des conftitutionellen öfterreichifchen Kaiferreiche, und das
übrige Italien ein mächtiger Bund der Souveräne fein.
llebrigené ift Rom auch in bem Zuftande ber Zerrifienheit,
worin fid) Stalien feit drei Jahrhunderten befindet, bod)
ber nationale Mittelpunft geblieben, weil es ber. religiöfe
Mittelpunkt ift, und ibm ift es zu einem großen Theile zus
jufchreiben, daß bie Neapolitaner weder Normannen noch
Spanier, die Lombarden weder Spanier noch. Deutfche,
bie SBiemontefer und Korfen feine Franzoſen geworben find,
obwohl biefe Sremden Jahrhunderte lang in Stalien ges
berrfcht haben und noch herrfchen, weil bie Religion zu
Rom ihnen einen Mittelpunft gibt, ber fte ben italienifchen
Namen, bie italienifchen lleberlieferungen , bie italienifche
Cpradje nicht vergeffen läßt.
Das VBerhältnig des Bapftes zu Europa wird In
folgende Säte zufammengefaßt: Europa ohne ben Papft,
wäre Europa ohne feinen fteten Heerd ber Givilifation unb
des Lichtes; Europa ohne den Papft, wäre Europa ohne
-116 Dupanloup, Vie wtilije Gouverinelát ded Papſtes.
das alte ehrwärbige Band der Nationalitäten, ohne einen
gemeinfamen Mittelpunft des Friedens, der Eintracht und
des Gíaubené ; Europa ohne den Papfl, wäre Europa ofme
die erhabenfte SBerfonification der beiten größten unb Bei;
ligften Dinge, deren Europa jebt fo febr bedarf, b. b. ber
Auctorität und des Gehorfams; Europa ohne den Papft
wäre, man beobachte wohl, eine ungeheure foriale und
teligiófe Revolution. Das wäre vielleicht ber Fluch des
eutopüifben Bodens. Diefe Säge entwidelt ber Verfaſſer
durch Zeugniffe der gewichtigften Männer, Lanjuinais,
Guizots, Chateaubriande u. A. Referent fchließt feine
Anzeige, indem er feine Refer. einladet, bie hoͤchſt intereffante
Schrift {εἰδῇ zu leſen, aus welcher wegen der geiftvollen
"Behandlung und des vorherrfchenden rebnerifchen Stils εὖ
fdwer hält, einen Auszug zu geben.
Drey.
Q beologifde
Guartaljdrift.
In Verbindung mit mehreren Gelehrten
herausgegeben
von
D. v. Drey, D. Auhn, D. Hefele, D. Welte
unb
D. Bukrigl,
Brofefforen ber kath. Tpeologie an der K. Univerfität Tübingen.
Zweinnddreißigfter Jahrgang.
Bweites Quartalheft.
Tübingen, 1850.
Berlag der H. Laupp’fchen Buchhandlung.
(9auyp & Giebel.)
Drud von $. Laupp.
I.
Abhandlungen.
1.
Die germaniſchen unb romanifden Völker in ihren
Verhaͤltniſſe zur Kirche !).
Es iſt eine alte Sage — ſie geht ſchon manch' Jahr⸗
zehent um — für die romaniſchen Voͤlker, die Spanier,
Italiener, Franzoſen, und was an ihnen haͤngt und mit
ihnen zuſammenhaͤngt, eigne ſich das Weſen der roͤmiſchen
Kirche. Den Voͤlkern deutſchen Stammes ſei der Prote⸗
ſtantismus die entſprechende Weiſe ihres Denkens und
Lebens — und die Slaven ſeien an die griechiſche Glaubens⸗
und Kirchenform von Natur gewieſen. Wie in Wirklich⸗
keit die drei Hauptſtämme Europa's ſich in die Glaubens⸗
formen, deren Stamm das Chriſtenthum ſei, aus⸗ und
eingetheilt haben, ſo verlange es die Natur — ihre Natur.
Laßt uns dieſer alten Sage naͤher auf den Grund ſehen,
ob ſie nicht etwa als grundlos ſich bewähre.
Es iſt eine alte Sage, die beſonders im Norden von
1) Geſchrieben im Februar 1849, als das Frankfurter Barlament
ποῦ in Bläthe Aland. «X. d. 9t.
12*
180 Die germanifchen und romanifdjen Völker
Mund zu Munde geht, auch im Süden ber Anhänger unb
Nachbeter nicht wenige zählt, dem fáftern, verftandesfcharfen,
nüchternen Bewohner der nördlichen Länder Guropa'6 [age
proteftantifcher Glauben und Leben vorzugsmeife zu. Darum
habe hier auch im Zeitalter ber fogenannten Reformation ber
neue Gíaube den alten fiegreich aus bem Feld gefchlagen — ihn
für immer gezwungen, aus Ländern auszuwandern, denen er
feiner Zeit nur aufgebrungen und aufgezwungen worben.
Dagegen für ben warmen, phantaflereichen und phantafti-
fhen Bewohner des Südens, für ben oberflächlichen, nad
äußerm Schein und Schimmer hafchenden Sübländer [εἰ
der Katholicismus die entfprechende Weiſe feiner Gottes»
verehrung. Da nun aber die Völfer deutfchen Stammes
ben Nordweften und Norden, die Völker romanifcher Zunge
den Süden und Gübmeften Europa’s inne haben, fo fallen
bie germanifchen, nordifchen, proteftantifchen Völker unter
einem Begriffe zufammen, wie die romanifchen, füblidjen,
Fatholifchen Voͤlker zufammenfallen.
Es ijt eine alte Sage, bie längft Derumgetragen
wurbe, baf das Griechenthum als Religion fid) überlebt,
daß aud) ber Katholizismus feine Zeit vollendet, und daß
jest in ber Welt das Zeitalter des Proteſtantismus walte
unb fid verlaufe. Drei Alter babe bie Kirche — eine
alte — eine mittlere, eine neue Zeit. In ihrem erften
Alter — etwa bis zum Abſchluß der SSolfermanberung
unb bem Auffommen der Lehre Muhamed's haben bie
Grieden und Morgenländer ihren Geift in bie Kirche
auégegoffen. Der flüffige und flüchtige Geift [εἰ ausge
flofjen — aus dem Fluffe eine ftarre und fleife Form ger
worben, Der Geift fei entflohben — die Form geblieben.
Im zweiten Alter ber Kirche haben ber europäifche Süden
in ihrem DVerbältuiffe zur Kirche. 181
und die romanifchen Völker ihren Geift über bie Kirche
auégegoffen. Die etwaige Lebensfülle, bie in der mittlern
Zeit durch Europa gegangen, fei aber wefentlich aus ber
Bermifchung der lebensfrifchen Germanen mit ben alterne
den Römern hervorgegangen. — 3ulegt [εἰ aber das Bers
einigte wieder in feine Gegenfäge auseinander gegangen.
Die Germanen haben fid) emancipirt von bem Römerthum,
von ber römtfchen Kirche, von bem flarr und lebenslos
gewordenen Katholizismus. Eigentlich hätten zu ber Zeit
der Reformation alle Völker aus der fogenannten Kirche
ber Knechtfchaft austreten, in bie Kirche des freien unb
neuen Geiftes übertreten folfen, Allein bie alternden, die
fabmen unb welfen romanifchen Voͤlker feien flarr und
unb ftehen geblieben in der veralteten und verfnöcherten
römifchen Kirche. Seitdem aber leben fie aud) fein wahrs
haft chriftfiches Leben mehr. Sie nähren fid — manbelnbe
Sobtengerippe — von einer tobten Worm — und alles
Ringen und Mühen fónne fie nicht mehr einführen in bie
Strömung des neuen und frifchen Lebens,
Doch wolle man damit nicht fagen, daß ber Prote⸗
flantismus (dn an dem Ende feiner Entwidlung ange
langt fei. Auf bem beften und ficherften Weg wandle er
— aber den ganzen Weg habe er noch nicht zurüdgelegt.
Wie in Petrus, in Paulus, in Johannes ἐδ vorgebilbet,
wie Petrus in fid) das Vorbild der alten und mittlern
Zeit geweien, Baulus aber ber Mann des Strebens unb
Widerſtrebens den Urproteftantismus in fid) vorftelle, fo
werde fommen ein Zeitalter des Johannes, eine Zeit des
Briedens unb ber iunern Ruhe nad) bem langen, bem un;
feligen Gireite. Go geht bie Sage. Lafjet uns berfelben
etwas näher auf ben. Grund fehen, ob fie nicht etwa ale
182 Die germanifihen und romanifihen Völker
eine grunb(ofe Mähre fid) erweife — ald eine fd:oiflernbe
Hülle, die in fid) feinen Leib, nicht Fleiſch unb nicht Blut
birgt.
Es if eine alte Sage, bie in ber. lebten Zeit in
deutfchen Landen laut ausgerufen, als ein unfehlbares
Evangelium geprebigt wurde — daß, wie jedes Zeitalter
fi fein eigenes eben, fo aud) fein eigenes chriftliches
Leben fchaffe. Das Gfriftentbum felbit ift fähig einer uns
endlichen Vervollkommnung — εὖ ift eine perfeftible Größe.
Es gibt, um im Geifte des Ammonius Saccas, des Neu-
platoniferó und chriftlidhen Eflektifers aus dem dritten
Sahrhunderte, und mit Herrn von Ammon, dem Bicepräs
fibenten des Oberconfiftoriums und Oberhofprediger des
49ten. Jahrhunderts zu fprechen, „eine Kortbildung des
Ehriftenthums zur Weltreligion“. Es gibt, um zu fpres
hen mit Strauß dem Ghriftusleugner, „ein Bleiben des
unb Vergängliches im Griftentbum.* Wenn dies „Ders
gängliche vergangen, fo fann εὖ {εἴ} ber Romantifer auf
„dem Throne der Gáfaren* nicht mehr in's eben rufen.
Es muß, wenn wir Herrn Bogt, bem ungläubigen Reichs»
᾿ pat(amentérebner, glauben, das Ehriftenthum, welches feiner
Zeit vom Himmel herabgefommen, wieder in den Himmel
zurüdfehren, damit e8 von ber Erbe verfehwinde. Und
vollends Herr von Beisler, der unvergleichliche Eultmis
nifter, möchte bie getrennten SBefenntniffe dadurch in ein:
ander fließen, unb barum zerfließen laſſen, daB er fie in
einer großen Staatsumarmung an fein warmes bureaus
Pratifches Herz brüdte, daß er alle zu einer Staatskirchen⸗
verfammlung um fid vereinigte. Natürlich! müßte ber
Korporalftod des Polizeiftaates hier das Präſidium führen
— und (id über die gemifchte Geſellſchaft hinabſtreckend
in ihrem Berhältniffe zu der Kirche. 188
den Wiberbaarigen ein drohendes „quos ego“ zuherrſchen,
bie Willigen und „Befinnungstüchtigen“ aber gegen etwaige
Eingriffe ihrer kirchlichen SSorgefegten in Echup nehmen.
Ein von Bolizei wegen befohlenes: Te Deum in ber WVeife des
Bir glauben al’ an einen Gott
Sub", Ehrifl, Heid’ und Qottentott
würde bem großen’ Gonfujtonéwerfe bie Krone aufjegen.
gaffet uns fehen, was an fothanem Fortfchritte be8 Chris
ftentbums liege — ob ein folcher Fortfchritt nicht ein
- wahrhaftiger Rüdfehritt, ein allmäliges Hinfchwinden unb
Berfchwinden des Chriftens und Kirchenthums fein würde.
Worauf fügt fid) bie obige Behauptung, wornach
der Katholizismus den Romanen, der Proteflantismus ben
Germanen entfpreche und zufage? Offenbar wohl auf bie
Geſchichte. Sie bietet vielen Schein — fie bietet ben
feheinbaren Beweis für die Behauptung felbft. Die un-
bedeutenden Ausnahmen fónnen ben Beweis felbft nicht
umftoßen, denn jede Regel bat ihre Ausnahmen, die in
vorliegendem δα! erft nicht fo fchlimm, vielleicht in Wahr⸗
heit nur Annahmen, nicht Ausnahmen find. In Epanien
und Portugal, heißt es, hat nad) kurzem, meift politifchem
Kampfe i. S. 1522 die Reformation ein frühzeitiged Ende
genommen. Spätere Verfuche, fle dort einzuführen, ſchei⸗
terten alle, wie an bem Widerftande ber erzfatholifchen
Regierung, fo auch im Grunde an ber Gleichgiltigfeit unb
Aeußerlichfeit des Volks. Noch in den legten Jahren hat
fid das. SBerbáltnig nicht verändert. Die Hoffnungen ber
Ginen, die Befürchtungen ber Andern, bag ber Kampf bet
fpanifchen Regierung mit Rom zu einem unverjöhnlichen
Bruche forifchreiten werde, haben ὦ als voreilig eriwielen.
Spanien — Regierung und Bolf — ift fo katholiſch, ale
184 Die germantfihen und romanifchen Möller
es je geivefen. Gin wandernder Donguirote IL, nicht auf
hohem Rofle, fondern auf niedrigem Maulefel babintrabenb,
hat der englifche Bibelcolporteur Bulwer bie fpanifchen
Lande freug und quer durcdhfchnitten und burdyritten. Am
Ende feiner Wanderfchaft aber ift er ohne ein erfledliches
Grgebnif feiner evangelifirenden Thätigfeit aus Spanien
abgefchwebt, und bat, um bod) etwas getfan zu haben, in
zwei Bänden bem verehrten SBublifum feine Kreuzzuͤge durch
die „fpanifchen Dörfer“ erzählt.
Sn Stalien hat bie Reformation feine tiefere Wurzeln
fchlagen fónnen, weil das Volt felbft zu wenig tiefen
Gauben befaß unb befigt — um bie Glaubensverbeſſerung
in fich aufzunehmen. Wie Papft Leo X., ber 3eitgenoffe
Luthers , wenn mir diefem unb feinen Nachrednern glauben,
Glauben und Gbriftentbum über die Achfel anſah, fo bie
Staliener feiner Zeit. Die wenigen Männer jenes Volks,
welche an der Reformation (id) betheiligten, beflerten nicht
ben Glauben, fondern fegten ihn weg. Campanus und
Giordano Bruno, Valentin Gentilis und Ochin, Fauſtus
und Lälius Sorinus, u. a. m. waren Pantheiften, Athei⸗
ften, Deiften — feine Chriften. Sie wurden mit Recht
verfolgt von Land zu Land, mit Freiheits- und andern
Etrafen belegt, fo man ihrer habhaft werden konnte. Sie
bauten nicht, fie zerftörten das Ghriftenthum. Die Maffe
des italienifchen Volkes aber gab fid) damals, wie fpäter,
feiner Gieidbgiltigfeit, feinem „füßen Nichtsthun“ in Sachen
des Glaubens und chriftlichen Lebens bin. Es hatte fid)
gewohnheitsmaͤßig in bie alten halbheibnifchen Formen des
Katholizismus bineingelebt — fchleppte biefeben mit fid —
unb ließ fid von ihnen fortfchleppen burch feine öde, lang»
weilige Geſchichte. Italien ift geiftig tobt feitbem. Was
. in ihrem Verhaltniſſe zu der Kirche. 185
son germanifchem Blute noch in feinen Adern rollte, das
ik burd) ben ſchlimmen Wind und bie glüfenbe Sonne
jenes Himmels völlig auégeborrt unb ausgetrodne. Das
Wort feines großen Dichters: „ihr, bie ihr burd) mich
eintretet, laflet fahren alle Hoffnung,“ geht auch auf
dieſes Bolf.
Sranfreich, das dritte romanifche Volk im Bunde, hat
nod am cheften Driene gemacht, durch bie Aufnahme ber
Reformation (id) felbft in Aufnahme zu bringen. €ine Zeit
lang (dien εὖ, als (lege das Licht, al6 ziehe bie römifche
Kirche aus dem Herzen „der Alteften Tochter ber Kirche“.
Allein was war e&? Branfreich blieb fleben auf halbem
Wege. (6 that nicht den entfcheinenden Schritt aus jenem
mittelalterlichen Haufe. Es glaubte, mit Halbheiten und
Unentfchievenheiten fid und feiner Stellung in ber Ge;
[dichte genügen zu fónnen. G8 fpielte einige Jahrhunderte
bie eitle Farce einer fogenannten „galifanifehen Kirche“,
bie im Grunde bod) nur eine neue verfchlimmbeflerte Auf-
lage der römifchen Kirche war — und heutzutage fid)
überlebt und ausgelebt hat — nachdem ein Ludwig XIV.
und ein Rapoleon vom Schauplape abgetreten find. Es
fpielte den „Sommernachttraum“ eines Sanfeniómuó, ber,
weil er nicht duferlid und innerli mit der Kirche zu
brechen vermochte, nad) und nach an feiner eigenen hohlen
Innerlichkeit zufammenbrach. — Zwar an drei Millionen
zählt auch heute noch das „reine Evangelium“ Anhänger
in Sranfreih. Sie find wie ein Sauerteig in ber trägen
und faulen SXaffe ber Afterchriften. Aber biefe faffen fid)
eben von bem Sauerteige nicht durchfäuern. Noch in ber
Charte von 1830 glaubte man ber unerleuchteten Maſſe
das Zugeftänpnig machen zu müffen: „die fatholifche Re⸗
186 Die germaniſchen und romaniſchen Völker
figion ifl die Religion der Mehrheit der Franzoſen“. Die
Berfuche von Genf, Bafel, England, durch Bibelvertheis
lung und apoftolifche Wanderungen Frankreich zu ,evanges
lifiren“, haben feine große aͤußere Erfolge gehabt. So
lange bie Franzoſen nicht gläubige und innerliche Ehriften
geworden, ift von ber Belehrung des Landes wenig zu
hoffen. Auch biefe& noch befte — romanifche Volk ift in
der römifchen Kirche hängen und fleden geblieben. — Das
gegen in ber romanifchen Schweiz, ba, wo die Romanen
in unmittelbarer Berührung und Bermengung mit ben
Germanen lebten, ba hat das Evangelium geftegt über bte alte
Kirche. Die Wallachen oder Rumänen in Siebenbürgen, ber
Moldau unb Wallachei find ein zu getrennter Zweig des roma-
nifchen Etammes, als daß fie hier in Betracht fommen könnten.
Drei Hauptvölfer des romanifchen Stammes haben
im fechözehnten Jahrhundert und fpäter den Ruf nad
Gíaubends und Kircyenverbefferung gehört und überhört.
Sbr bürgerliches und religiöfes Leben aber fonnte feitbem
zu wahrhaftiger Kraft, zu Brifche und Fülle, zu einer Gir»
neuerung und Wiedergeburt nicht vorbringen. Wie fie
theilweife Trümmer ber Vergangenheit find, wie fie bie
mittelalterliche Kirche vorzugsweife ausgebildet und getra-
gen haben, fo fonnten fie fi in bie Gíaubenéerneuerung
nicht finden. Die Reformation fand an ihnen nicht wache,
lichtbärftende, nach geiftiger Freiheit ringenbe Völker, fons
dern [ebenómübe Stämme, deren Zeit. vergangen war.
Man liebt e8, aus einem gemiffen Triebe der Selbſt⸗
beräucherung oder Selbftbereicherung, zu fagen, bie romae
nifchen Bölfer feien abgelebt ). Ja wohl, gefagt ift das
1) Kölle, Italiens Zukunft, Stuttgart bei Gotta. Die 8.1. Grund»
beſtandtheile bre romanifchen Voͤller. I. Spuren ber Alterung,
in irem Verhaltniſſe zu der Kirche. 187
bald, unb auch leicht ift εὖ, für diefe Behauptung ſcheinbare
Gründe beizubringen. Wir fragen aber fogleich, wenn
bem fo iR, wenn in ben romanifchen Völkern weniger Les
benéfábigfeit und Lebenskraft vorhanden ift, als in ben
germanifchen, ſo muß fid) das befonberé nach der Seite
zeigen, daß das Glermanentfum, wo es in Berührung und
Stadjbarfdjaft mit ben Romanen tritt, allmälig die leßteren
zurüddrängen, durch feine geiftige Uebermacht biefelben
abforbiren und fid) affimiliren wird. Sft das ber Fall?
Es muß fid nad ber Seite bin al8 wahr erweifen, daß
dentfche 9Infiebfer und Anwohner, bie in romanifchen án;
dern fid) niebergelaffen, oder von Romanen umwohnt finds
ifr deutſches Weſen ungefchwächt und ungefchmätert fid)
{εἰ erhalten, wenn auch feine Eroberungen durch ihr
Fräftigeres Volfsthum wegen etwaiger Ueberzahl der Um⸗
wohner machen, (id tod) unverfehrt und ungemindert in
der Fülle ihres eigenen Wefens burd) der Seiten auf ers
halten werden. Werden umgefebrt germanifche Boltstheile
von romanifchen umfchlungen, verfehlungen, auf engere —
©renzen gedrängt und zurüdgefchoben, fo dürfte man cher
den entgegengefegten Schluß machen. Man dürfte bann
fehließen, daß bie romanifchen Bölfer lebensfräftiger feien,
dag bie „Spuren ber Alterung“ und des Ablebens fid) bei
den Germanen finden; . daß darum das Berharren ber
Romanen in der römifchen Kirche fein Beweis eines ftarren
und flagnirenden Lebens, fein Beweis eines Scheinlebens
und nabenden Todes fei. So aber ift es in Wirklichkeit,
wie eben angedeutet. Sehen wir Doch, wie an ben Grenz
marfen des deutſchen und italienifchen Tyrols bie italieniſche
Sprachgrenze allmälig, in langfamen Kreifen und Kreus
jungen fid gegen Norden vorwärtsfchiebt, daß fie Schritt
188 Die germanifchen und romaniſchen Völker
für Schritt über die deutfchen Sprachgebiete vorbringend,
bie [egtere von Rüdfchritt zu Rüdfchritt zwingt. Und zwar
ift biefer Kortichritt nichts Gezwungenes, nichts Gemachtes
— er erfolgt nicht unter Verhaͤltniſſen, welche die Italiener
in günftigerer äußerer Lage") erfcheinen faffen, als bie
ihnen benachbarten deutfchen Tyroler, biefer Kortfchritt ber
italienifchen Sprachgrenze gegen Norden iſt ferner einem
Volle abgewonnen, welches von allen Seiten zu ben kraͤf⸗
tigften und unverfehrteften ber. germanifchen Stämme ges
rechnet wird, an welchem faft am wenigften eine Spur
von Alterung entbedt wird. Dürfte hier nicht bie befcheidene
frage fid) ftellen lafien: ift ed vielleicht der frifchere, ber
lebenbigere Geift, ift ἐδ das regere Leben, welches bie τὸν
manifchen Staliener folde ftille unb friedliche Triumphe
über die benachbarten Deutichen feiern läßt? — In Spas
nien wurden unter Karl IL — 1759—1788 durch Aranda
und Dlavides in ber Sierra Leona beutíde Eoloniften
angefiedelt — die Golonie Carolina — und mit allen
erwünfchten Privilegien ausgeftattet. Sie hatten fich aud
nicht über Eingriffe in ihre Rechte, über Verfümmerung
ihrer Sreiheit und Religion zu beflagen. Bisher [a6 man
in Geograpbien, gefchichtlichen Werken, Reifebefchreibungen
und bergl. von ben bíüfenben beutfchen Colonien in
Spanien. Aber bei Gelegenheit der jüngft angeregten
Srage, ob man nicht neue Gofoni(ten, fel εὖ Snlánber
ober Deutſche, in bem verbdltnigmáfig dünn bepólferten
Spanien anſiedeln fónnte, erfuhren .wir zu unferer Ber
wunderung, daß jene alten Deutfchen ihre Eprache ver
1) Seife in Tyrol in fonbfdjaftl. unb flaatlicher Beziehung. B.
Mathias Koch. Karleruhe 1846.
im ihrem Verhältniffe zu der Zirche. 189
geſſen, und bamit ihre Nationalität verforen haben, Es
gab — jebt gibt εὖ Feine deutfche 9Infiebler mehr in
Spanien. Sie find Spanier gemorben.
Und wie febt có benn in Frankreich? Hat bier etwa
bad deutfche, ober das romanifche Element im Laufe bet
Zeit Kortfchritte gemacht? Schweigen wir vom Eifaß
unb feiner allmäligen Entdeutfchung. Noch vor 80 Jahren
war in bem burd) Berrath be8. falfchen Moriz von Sachfen
an Kaifer unb an Reich vom Reiche [o&getvennten. Mep
beutiche Sprache — heutzutage verfteht das lebende Ges
(hlecht nicht mehr die Sprache feiner Väter. G6 ift ein
tauriger Anblid, wenn ein Deutfcher durch bie Straßen
von Meb wandelt, wenn er die wenigen alten. von Wind
und Wetter vergilbten deutfchen Snfdyriften neben den fris
(en frangöfifchen (lebt. Er fiebt, wie das alte deutfche
Element dort in feinen legten Zügen liegt. So wird εὖ
früher oder fpäter im Elfaß werben. Wie fat franzöflfche
Cprade und. Sitte ganz Belgien unterminirt und übers
ſchwemmt? Seit furzer Zeit erft will das flämifche, alfo
beutfche Leben fi) wieder emporarbeiten. Nein fo [ange
in dem grund und urfprünglich deutſchen Belgien bie
franzoͤſtſche Sprache bie offizielle ift, fo lange in ben hohen
wb höchften Sreifen der Gefellfchaft fie allein waltet,
wird man nicht fagen, daß das germanifche Element zum
Siege gelangt fel.
Angefichts dieſer Thatfachen ift ſchwer einzufehen, ins
wiefern bie romanifchen Stämme den germanifchen gegen»
über an Alterung und töbtlicher Schwäche leiden follen.
Nun könnte man und allerdings mit einem fcharfen
Einwande entgegentreten, ber von der neuen Welt heruͤber⸗
genommen if Seht dort — wie die Worbamerifaner, bie
190 Die germaniſchen und romanifihen Wölker
man doch den germanifchen Völkern zutheilen mug, über
die alten Romanen in Florida, auf ben weftindifchen Snfeln,
in Teras unb in Merico Herr werben — wie in wenigen
Jahren das alterémübe Romanenthbum vor ben jugend»
fráftigen und lebensfrifchen Germanen erliegt, wie «8 vot
der fiegreich fortfchreitenden Macht des neuen Geiftes
fpurlos verfchwindet — wie in wenigen Jahren ber brei-
hundertjährige fpanifche Romanismus daſelbſt von bem
kaum hundertjährigen Germanentum untergraben und be
‚graben wird. — Einmal, meinen wir, Haben wir nad —
unferer Veberfchrift bloß von ben romanifchen Völkern in
Europa zu fprechen unternommen. Sodann geben wir
nicht zu, daß fid aus ber Vermifchung der Spanier mit
den alten Amerikanern ein romanifches Volk gebilbet habe,
Allerdings — zu Eolonien, zu geiftiger Uebermältigung
fremder Bolfsftämme haben bie Spanier feine fonderlichen
Anlagen gezeigt. Sie ftehen darin hinter den Griechen
und Römern, und hinter den Engländern weit zunäd.
Aber — mit den eigentlichen Deutfchen fónnen fie bod
noch die Probe aushalten. Auch unfere bilpfamen und
Ichensvollen Deutfchen, wenn fle auswandern, verlieren
ihre Sprache felbft in Amerika fion im zweiten und dritten
Geſchlechte. Seit vielen Jahrhunderten, befonders aber
feit der Reformation, welche bod) erft das germaniſche
Element in Deutfchland zu rechtem Leben, su unbe
ſchraͤnkter Herrfchaft erhoben, welche die Deutfchen erft zu
ihrem bisher verpuppten und verhüllten Selbfibewußifeis
gebracht haben foll, feit diefer Reformation haben ff die
Deutfchen in Sachen der Golonifirung fehr linkiſch unb
ungeſchickt bewiefen. Die fogenanten frieblichen Eroberungen
der Deutichen, die Auerodung ber Wälder, ver Anbau
. δὲ rem Verhaltniſſe qu bet irte. 191
voüfer Qanbfireden, befonders in flavifchen Ländern, fallen
vor die Zeit ber Reformation, fo daß wenigftens in Diefem
SBunfte die reinen, die Urdeutſchen vor den romanifchen
Spaniern nichts voraus haben. Es ift febr zu bezweifeln,
ob die Deutfchen, wenn Columbus i. ἢ. 1492 für fie
Amerila entbedt, wenn bie Nachfolger des Columbus, ein
Sernando Eortez, ein Pizarro und andere Helden unb
Abentheurer für fie Amerifa erobert hätten, ob die Deuts
fchen baé eroberte Amerifa von 1492 bis 1824 behalten hätten.
Wir behaupten nun — bie Lebenskraft und innere
Jugend eines Volks zeigt fid) vor allem in ber Erhaltung
und Ausdehnung feiner Rationalität. Wenn bie lebtere
bei den romanlichen Völkern fid) früftig erweist, fo werben
die romanischen Bölfer nicht deßwegen in ber alten römi-
ſchen Kirche fteben geblieben fein, weil fte felbft abgefebter,
als bie germanifchen waren — und weil biefe abgelebte -
römifche Kirche nur gebenémüben und zur Verweſung
reifen Bölfern nod) ein Genügen leiften fonnte. Das
Gegentbeil muß nad) ben vorftebenben Andeutungen die
Wahrheit fein. Sene Völker blieben in ber römifchen
Kirche, weil bie legtere ſelbſt belebenber und mächtiger ift,
als bie von ihr abgewichenen ober abweichenden SBefennts
nige. Obgleich feit ber Reformation mehr als drei Jahr⸗
hunderte verflofjen find, obgleich bie romanifchen Völker in
bem Laufe diefer Jahrhunderte fo wenig, wie in bem Ans
fange des Reformationszeitalters, eine Luft in fid) verſpuͤr⸗
ten, aus ihrer alten Kirche herauszutreten, umb von den
Früchten des neuen in ber. Welt aufgerichteten Daumes
der Erfenntniß des Guten und Boͤſen zu verfoften, fo find
fie dennoch trot be& neuen Zumachfes von drei Jahrhunderten
11 ihrem ohnehin hohen Lebensalter, nicht Ichensmäder
*
192 Die germaniſchen imb romaniſchen Völker
und abgefebter geworben. Der Beweis davon liegt aber
in dem Vorſtehenden. Sie haben trog und nad) ber Res
formation Eroberungen — befonders im Gebiete des gei⸗
fligen Lebens gemacht. Ihnen fagt bie römifche Kirche
nicht barum zu, weil fie fel6ft gealtert, weil fie an geiftiger
und fittlicher Kraft hinter den Germanen: zurüdftehen —
nein barum, weil fle. {εἰδῇ in ber alten Kirche bleiben
wollten, weil Feine Außere Gewalt fie aud der alten Kirche
hinauslog, hinausbetrog, hinausängftigte, hinausfchlug unb
binausswang. Dover vielleicht — denn gewiß fónnen wir
ἐδ nicht fagen, — weil bie feine Lift und bie unfeine Ge
walt bei ihnen einen flärfern, einen fliegenden Widerſtand
gefunden hätte, einen S9Biberftanb, vor welchem jene Ge;
walt erlegen wäre, welche einem großen Theile der germas
nifhen Völker ihre Kirche abgerungen und entipunben hat.
Denn — und damit geben wir zu ben germanifchen
Stämmen felbft über — nun müffen wir ber Behauptung
näher treten, und ihr auf den Grund fehen — daß bie
germanifchen Voͤlker bie Reformation aus fid) felbft ge
fchaffen, daß fte bie Fatholifche Kirche willig, freudig und
entfchieden von fid) ausgeftoßen, fie abgelegt haben, wie
man ein Gewand ablegt, über welches man hinausgemwachfen
ift, und das fid) fofort als eine Zwangsjacke, als ein
fpanifches Hemd um den gefolterten und gemarterten Leib
berumfegt. Zu den germanifchen Voͤlkern gehören die
Mehrzahl ber Schweizer, bie Belgier und die Holländer,
bie Engländer unb die Schottländer, die Dänen, Schwe
ben unb bie Norweger, endlich — abgefehen von ben ein
geínen Vorpoften ober verfornen Schildwachen des Deutfch-
thums in Ungarn, in Siebenbürgen, in ben ruffifchen
Oſtſeeprovinzen, unb fonf in flavifden Ländern — bie
in ihrem Berhaltniß zu der Kirche. 193
eigentlichen Deutfchen im dem flaffich geworbenen „Klein⸗
deutfchland.“ Wenn ber Broteftantismus, im weiteften Sinne
des Worts, nicht bloß ben Bewohnern von Kleindeutfchs
(anb, und den Bewohnern von Deftreichifch « Deutfchland,
nieht bloß den Deutfchen, foweit bie „deutfche Zunge“ Klingt,
fonbern fomeit bie ftammoermanbten Zungen Hingen, bie
eigenthümliche, bie naturgemäße Glaubensweife fein fol;
fo müffn im Zeitalter der Reformation diefe Deutfchen
alle ein Herz und eine Seele gewefen fein — in der Ans
nahme des neuen Glaubens. Es müffen nirgends — oder
bod) nur ausnahmsweife Lift, Trug, Gewalt, und andere
unfreie Mächte in das Spiel gekommen fein, durch welche
ber Proteftantismus diefen Völkern, dieſem großen Volks⸗
flamine übergeben wurde. Es muß ber freie und ber bes
freite Geift mit Freuden dem neuen Lichte unb Leben ent;
gegengelommen fein. Das feiner Bande, feiner unnatürs
lichen Unterbindung entledigte Herz des germanifchen Vol⸗
feó muß in Liebe und Luft emporgefchlagen haben, als bie
im Rathſchluſſe einer bóbern Macht vorbeftimmte Stunde
gefchlagen Hatte, welche den alten falſchen Dienft ftürgen,
ben neuen Dienft Gottes aber, ber ihn im Geifte und in
ber Wahrheitehren unb anbeten lehrte, fid erheben fah. War
dem nicht fo, waren bie germanifchen Stämme paffio zur
Seit der Reformation, haben fie vielleicht fogar, foweit es
in ihren Kräften fag, fid) mit aller Kraft der Einführung
ber Reformation bei ihnen wiberfegt; fo. wird man nicht
behaupten dürfen, : daß der Proteftantismus die ihnen zus
fagende, bie naturgemáfe Glaubensform und Glaubensnorm
fei, die wie für fle gefchaffen war, welche fie aus fid)
felbft gefchaffen hatten. War ferner nach einiger Zeit des
Aufenthalts in ber neuen „hellen“ Kirche einzelnen Zwei⸗
Tpeol. Quartalſqhrift. 4850. IL Heft, 13
194 Die. germaniſchen umb. romanifehen Volker
gen- des germanifchen Stamm biefes Licht zu gre, und
diefer Tag zu Dell, kehrten fie wieder in das Halbbunfel
ber frühern Zeit, in bie mittelalterliche Zinfterniß zuruͤck;
fo wird biefer Umftand in bie obige zunerfichtliche Behaup⸗
tung eine nette Breſche Hineinfchießen, die Bertheibiger ber
Behauptung aber mögen zufehen, wie fle bie an vielen
Drten angefchoffene und durchlöcherte Feſte halten mögen,
War ferner ein bedeutender Theil der germanifchen fBolfer
in der katholiſchen Kirche zurüdgeblieben, fo wirb man
biefeó Bleiben, man wirb biefe große Zahl von vielen
Millionen nicht für Ausnahmen halten dürfen. Diele
Theile der germanifchen Völker vielmehr, welche fid) ſelbſt
ausgenommen haben von ber Zahl ber aus ber alten
Kirche ausfcheidenden Germanen, werben ver obigen Ber
bauptung eine neue Gtüge entziehen, nach welcher bet
Proteftantismus die naturgemäße Glaubenónorm der ger
manifchen Völfer [εἰ — und zuletzt wird jene Behauptung
ein guftgebifbe fein, beffen Unterlage und Inhalt bloße
Luft ift.
Um mit Behauptungen und Gegenbehauptungen in
das Reine zu kommen, werden wir einen, menn auch fut;
gen Ueberblick geben müflen über bie Mittel und Wege,
auf welchen im Zeitalter ber Reformation ber neue Glaube
ben germanifchen Völkern mitgetheilt, ber Art und Weife,
wie er von ihnen aufgenommen wurde. Es tft bei bie
fem Lieberblide, wie und bebünft, gleichgiltig, mit welchem
Volke weit anfangen, mit wefdem Volke wir aufhören.
Mir wollen aber den Weg von Welten nad) Norboften
einfchlagen, barum fprechen zuerft von England und Schott
land, zu den Niederlanden übergehen, hierauf bie Schweiz
und Deutfehland behandeln und burchivandeln, fo weit e$
in Ihrem Berhaͤltniß zu Der Sire. 193
unferm Plane zufagt, ſodann mit den brei ffanbínaviféen
Königreichen zu Ende fommen.
In England wurde bie Reformation: eingeführt unter
den Regierungen Heinrich VIII. 1509 — 1547, Eduard VI,
1547 — 1553 und der Königin Eliſabeth 1558 — 1603.
Nahm das englifche Volt die Reformation mit Freuden
auf, trat εὖ willig aus dem baufälligen Haufe ber roͤmi⸗
khen Kirche in ben neuen Glauben hinüber ? Oder waren
Rift, Trug, Gewalt, Gonfiéfationen ded Vermögens, graus
fame Hinrichtungen und eine langwierige Verfolgung ber
Weg, welcher bem. neuen Glauben den Eingang in das
Hm des englifchen Volkes bereitete? Wir wollen nicht.
ven Fatholifchen Gefchichtsichreiber Englande, Lingard, als
Zeugen aufrufen ; auch nicht den gegen die Hochfirdhe ers
bitterten Gobbet 5. Wir wollen einen Gemábrémanm
einführen, welcher heutzutage bei unfern Gegnern. ſchwer⸗
ih in dem Geruche des Kryptofatholizismus, einer eins
feitigen Vorliebe für bie alte römifche Kirche ftebt. Herr
Dahlmann fei unfer Zeuge und Führer. ?)
Sn ben erften: zwei Sahrhunderten der Reformation
in England wurde bie politifche Freiheit des Volks unters
druͤckt. Schon biefer Umftand dürfte bie Vermuthung rechts
fertigen, daß bie Freiheit überhaupt zur Zeit der Einführ
rung der Reformation, und in der Art diefer Einführung
nicht in bem Bordergrunde geftanben fel. Denn fagt Dahls
mann: „Am höchften fchlagen wir bie linterbrechung einer
unter den großen Eduarden ftetig zur Freiheit fortfchrei-
tenden Entwidlung an. Zwar ihre Formen beftanben fort,
1) Cobbet, Geſch. b. p. Ref. in Engl. u. Ic. 9. d. E. Offenb.
3. Ausg. 1839.
2) Dahlınann, Gefdj. b. englifchen Revolution. 5. Aufl. Leipzig 1848;
13 ®
196 Die germanifchen und romanifchen Bölfer
dum großen Heile für bie Zukunft, aber der Oeift des
innern Sriedens und ber Berföhnung war dahin, und zwei
. Syabrbunberte vergingen, bevor er auf wunderbar verfchlun-
genen Pfaden wieder gefunden wurde. Diefe zwei Jahr⸗
hunderte follen uns befchäftigen.“
Es ift befannt, daß Heinrich VIIL wegen ber Anna
Boleyn, um der Scheidung willen von feiner rechtmäßigen
Gemahlin Katharina von Nragonien fid) ſelbſt unb fein
Reich von ber römifchen Kirche ſchied, für welche er vorher
durch Wort, Schrift und That in bie Schranfen getreten
war, unb für deren Beriheidigung er von Pabſt Leo X.
und Glemens VI. den ebrenben. Beinamen defensor
fidei — Bertheidiger des Glaubens — erhalten hatte.
Diefes Ieugnet im Ernfte Niemand. Nur fucht man dem
Unternehmen des Königs dadurch edlere Beweggründe zu
unterlegen, daß man behauptet, jene Eheſcheidung {εἰ bie
Folge innerfter Weberzeugung, jene Scheidung von ber Kirche
fei Die Folge einer geiftigen limftimmung gemwefen, welche
den König feine früheren Irrthümer einfehen unb verbeffern
ließ. Doc das find εἰς Ausflüchte. Daß der König
nicht von feinem guten Gewiffen in diefem ganzen böfen
Handel getrieben wurde, geht aud) aus bem limftanbe
hervor, daß berfelbe fury vor wirklich vollyogener Scheis
bung wegen Furcht des Todes kurze Zeit. wieder katholi⸗
fden Uebungen oblag, und, nachdem bie Gefahr für fein
Leben glüdlich überftanben war, dann erft zu feinem alten
Plane zurüdfehrtee Denn „Wolfen“ erkannte, feine Uns
gnabe {εἰ unvermeidlich, wenn bie Scheidung nicht vor fid
ginge, unb er befchloß unter biefen bänglichen Umſtaͤnden
fid einem Ziele, beffen Erreichung er fürchtete, moͤglichſt
langfam zu nähern; jedoch mit allem Außern Scheine. des
in ihrem Verhaͤltniß zu ber Kirche. 497
Eifers. Hierin traf er mit dem Pabſte zuſammen; und
beiden arbeitete ' eine gefährliche Seuche in die Hände,
weldye in England auóébradj, bie fogenannte Schweiß⸗
Eranfheit. Heinrich fürchtete ernftlich für fein Leben, (lef
auf einmal ganz ruhen, was er feine geheime Angelegen-
beit nannte, nahm an den Andachtsübungen der Königin
Theil, beidbtete täglich. Als aber bie Krankheit wich,
und Anna, welche das Uebel glüdlich auf bem Landfige
ihres Vaters überftanben hatte, wieber am Hofe erfchien,
war Alles wie zuvor. (Dahl. ©. 45.)
Da Helnrih an fid) mit der Kirche nicht zerfallen
war, wenn fie ihm nur den Gefallen tbun wollte, ihn von
der Königin Katharina zu erlöfen, fo hoffte er lange auf
irgend eine Weife, durch Schmeidyelei oder Drohung zu
feinem Ziele zu fommen, vhne bie Kirche zu verlaffen.
(τῇ als dieſes nicht ging, als bie großen Stöße von Gut;
achten, welche er von.den hohen Schulen Italiens, Deutfch-
lanbé, Frankreichs mit großen Koften einzog, ihn feinen
Schritt weiter brachten, „da regten fi in des Königs
Bufen heftige Entwürfe, welche fi zunächft in ungemeſſe⸗
nen Srobworten gegen Pabft und Pabſtthum Luft mach-
ten.“ (€. 48.) Das llebrige übergehen wir als alibes
fannt, und treten dem allgemeinen Urtheile Dahlmann’s
über bie Trennung von Rom durch Heinrich VIIL bei,
wenn er fagt: „So ergriff er mit roher finnlicher Sauft
einen Gegenftanb, welcher in Deutfchland im innerften
Gemüthe getragen (Ὁ) unb beivegt (!) ward, unb rein auf
ben Außerlichen Erfolg 'geftellt, brachte er eine Ausdehnung
ber fónigémadt zu Stande, bie zu welcher bie Fühnften
Hoffnungen feines Vaters fid) nicht verftiegen, und welche
allen Tudors zu gut gefommen ifl" Das heißt, burd
19B Die germaniſchen unb romaniſchen alter
welche unbefchränfte Königsmacht nachher beſonders bie
lang unb glüdlich regierende Elifabeiha Tudor das Werk
ihres Vaters Heinrich und ihrer Mutter Anna Boleyn
erft zum Erfolge und zum Ziele führte. Denn bie ſinn⸗
(ofe unb unmenfchliche Graufamfeit des achten Heinrich,
unter welchem „derfelbe Galgen Anhänger Luther's und des
Babftes trug“ D, die Räthe des ſchwachen und fdmint
füchtigen Eduard VL, vermochten den Fatholifchen Glauben
nicht aus bem Herzen des englifchen Volks zu vertreiben.
Als nach bem frühzeitigen Ableben des legtern die fatbor
lifche Draria ben Thron von England beftieg 1553 — 1558,
foftete es fie trot mancher unerwarteten Schwierigfeiten
feine fonderlihe Mühe, das unfreiwillig, das mit Gewalt
und Blut von Rom getrennte England wieder mit Rom
zu vereinigen. Wenn das englifche Volk als folches bie
Sieformation gewollt, und aus fid) heraus gefchaffen hätte,
wie hätte bie Latholifche Maria, die ohnehin burd) ihre
eheliche Verbindung mit dem fpanifchen Philipp VI. ben
Engländern den geringften Gefallen erwies, es dahin
bringen fónnen, daß ohne einen erheblidhen Widerſtand
das Pabftthum wieder eingeführt wurde? Damals muß
baé berüchtigte no — popery Gefchrei in England nod
ſchwach gewefen fein, denn das ganze Volk nahm dad
SBabfttfum, bie Wiedervereinigung mit der römifchen Kirche
mit Freuden auf. Denn „man mar (Sablm, S.79.) in
bie neue Lehre ohne Prüfung hineingerathen auf Könige
befehl, großen Theild ohne innern Drang, viele wider
Willen. Wenige waren durch eigenes Nachdenken fo fehr
darin zu Hanfe, daß fie fid) ihrer nicht Teichten Kaufe
. Ἢ) Haſe δ. Q. VI, A. S. 413.
in ihrem Verhaͤltniß zu der Kirche. 190
hätten entfchlagen mögen.“ Das Parlament flellte ver
allen Dingen (S. 80.) die Ehe Heinrich’s VII. mit Kar
iharina wieder ber, gab dann feinen Willen dazu, daß ber
Seld) den Laien entzogen, Daß ber Gólibat ber Geiftlichkeit -
wieder eingeführt ward. Die Kirche (S. 81.) ward feiers
lid) wieder mit bem pábftlien Stuhle vereinigt; ed ge»
(dab das auf Antrag beider Häufer des SBarlamenté.
Diefe Maßregel war Bielen im Lande nicht erwünfcht,
allein da gleichzeitig bie Kirchengüter ausprüdlich unb mit
Geftattung des Pabftes ihrem Schidfale überlaffen wurden,
eine Sache, die das Vermögen von Taufenden betraf, fo
ging fie bei den Lords ohne Widerſpruch burd. Das
Unterhaus mochte bamalà etwa 320 oder 330 Mitglieder
zählen; εὖ erhuben fid) nur 2 Stimmen dagegen, bie aud)
bald verftummien. Es hieß in bem Barlamentsbeichluffe:
„man gebenfe mit Reue und Leidwefen des Abfalls.“ Sn
feierlicher Sigung beider Häufer (1554) und in Gegen:
wart beó Königspaars löfte nun der pübftliche Legat,
Garbinal Pole, das Königreich England von bem Fluche
der Keperei. Den Schluß machte ein Te Deum in ber
SBataftfapelle.
Daß man ben frühern Abfall nun aud) hart beftrafte,
hat feine Erflärung zum Theile in dem Geifte der Zeit,
wir aber fönnen εὖ nur beflagen. Go viel ift gewiß,
wäre Maria länger am Leben geblieben, fo wäre England
fatholifch geblieben, wie es vor ihrer Thronbefteigung trot
Heinrich und Eduard Farholifch war.
Erft bie lange und ruhige Regierung der Königin
Elifabeth, eine Regierung von nahe 50 Jahren, unb ale
in diefer langen Zeit angewandten Mittel der blutigen
Verfolgung gegen die Kirche fonnten bem englifchen Volfe
200 Die germanifgem und romaniſchen Volker
feinen alten Glauben rauben. Die Söhne derer, welche
von Sofef nichts wußten, welche in der Trennung von ber
Kirche herangewachfen waren, gewöhnten fid) nach und
nach an bie Hochfirche, weil die alte Kirche vor ber Selbſt⸗
herrfcherin aller Engländer feine Gnade gefunden hatte.
Zwar fe lange Maria lebte, ging Eliſabeth fleißig in vie
Meſſe, wie ihr SBater bie Meſſe befuchte, ba ber Sob ihn
bedrohte. Sie wußte ihre Rolle gut zu fplefen. Die
Masfe ward erft dann nam) als fte nichts mehr
nügen konnte.
„Die große Mehrzahl beider Parlamentshäufer legte
gegen die Königin Gefinnungen an den Tag, wie fie die
Krone ergebener nicht wünfchen fonnte. (66. 86.) 3. 1559.
Die fóniglid)e Gewalt ward ganz auf ben Fuß Heinrich’s
‚VID. zurüdgebracdt, Teineswegs bloß durch Verneinung
des päbftlichen Einfluſſes, fondern pofitiv als das Recht
unumfchränkter Herrfehaft über Kirchenverfaffung und Dogma,
"unb ber Suprematseid ward (n alle Wege wieder herge⸗
ftetit. Eliſabeth wollte Regiererin der Kirche (governess
of the church) fein und bleiben, und verlangte, wie ihr
Bater, den Suprematdeid von jedem Engländer, ber in
einem öffentlichen Amte ftand, unb feit 1571 namentlich
auch von ben Geiftlichen. Sie verfprach bie Kirche zu
Tegieren nach ber Grundlage der 39 Artifel (S. 111).
Von diefen 39 Artikeln follte feine Abweichung geduldet
werben, unb gegen die Nonconformiften oder Diffentere
aller Art wurden ſchwere Strafen verhängt“ — „denn bie
Reformation bedurfte nod) immer einer Vertheidigung burd)
das Schwert des Scharfrichters“ !).
1) Haſe q. . O. Q. 412,
in ihrem Verhaͤltniß zu der Kirche. 291
Jemehr Elifabeth an Alter vorfchritt, jemehr fie ihre
frühern Feinde überwunden ober überlebt hatte, um fo
rüdfichtslofer und graufamer ftrafte fie jeden Widerftand
gegen ihre Hochkirche nicht bloß an Katholifen, fonbern
aud an Nonconformiften. „Ihr hoher Gommiffionébof
erfannte in ihren fpätern Jahren öfter als fonft Strafen
gegen SBuritaner und Katholifen, nicht bloß wegen fegeris
fer Meinungen, fonbern auch wegen ber Abmwefenheit vom
eingeführten Gotteóbienfle, unb wegen des Beſuchs von
Eonventifeln“ !),
Nah ver Hinrichtung der Maria Stuart 1587
— nach ber Lieberwindung „ber unüberwinblichen fpanis
hen Armada“ 1588 —, nachdem ein unerhörtes Glüd
fi an bie Fußpfade ber Eliſabeth angehängt hatte, nad
bem bie Katholiken ihrer Zande in ihrem Eifer unb in
ihren Opfern für England mit ben übrigen lintertbanen
gewetteifert hatten, — da erft ließ Elifabeth ihre wahre
Ratur walten, bie feinen Widerfpruch bulbete, bie allen
Widerftand in dem Blute derer erftiden wollte, welche ben
Glauben ber 39 Artifel nicht zu dem ihrigen machen woll-
ten. „Wirklich heillos war ed (fagt Dahlmann G. 130),
daß nach ſolchen Bewährungen eines wahrhaft Föniglichen
Berhaltens in Glaubensfachen jegt Elifabeth- bie Linterfus
dungen gegen Katholifen wieder anhob, unb bie Strafen
gegen ihre fogenannten Recufanten, bae heißt Weigerer,
mochten fie nur bloß bie Gotteshäufer der Staatöfirche
nicht befuchen ober gar ben Supremat verwerfen, recht
eigentlich als Finanzquelle benügte. Ihre Tare war 20
Pfund monatlich von jedem Recufanten, unb fie trieb un-
1) Dahlm. a. a. ©. ©. 113.
202 Die germaniſchen unb. romanifdjen Völler
barmberjig ein von allen, die in bem Verzeichniſſe ftanben,
welches in jeder Graffchaft gefertigt werden mußte. Wir
finden einen Kal angemerkt, ba man einem Edelmann 69
Monate narhrechnete, in welchen er: bie Kirche nicht befucht
hatte, deren Gebräuche mit feinem Glauben ftritten, und
er mußte 1380 Pfund büfen. Auf das Anhören einer
Mefte ftanden 100 Mark, und einjährigee Gefaͤng⸗
níg. Ertappte man bei den häufigen Hausfuchungen einen
fatholifchen Briefter in einem Haufe, fo verwirkte ber
Hausherr fein ganzes Vermögen. Wie denn aber feine
Sünde ohne Nachkommenſchaft bleibt, fo gefellte fid zu
der Habfucht bald die Graufamfeit. — Unvermeidlich war
«8, daß ber entdedte Priefter noch fehwerer büßen mußte,
als fein Hehler: es blieb nichts übrig, als ihn zu tóbien.
Doctor Lingarb erzählt in feiner Gefchichte von England,
und belegt e8 zum Theil, daß in ben vierzehn Jahren
von ber Bezwingung ber Armada bi8 auf den Sob ber
Königin über Hundert feiner Glaubensgenofien ben Tod
erlitten, nämlich 61 SBrieger, 47 Layen, 2 Evelfrauen. llnb
mit biefem Strafverfahren war ber Greis Burleigh ganz
einverftanden ; bod) fei mit bem Hängen der Priefter ge
nug gethan — das Schleifen zum Richtplaßze und das
Viertheilen unterbleibe beffer.“
Miliner (letters to a prebendary) weift nad), baf
‚man vor 1588 an 1200 Katholifen zählte, welche ber Vers
folgung zum Opfer fielen. Sn den lebten 20 Jahren ihres
"Lebens wurden 142 Priefter getödtet — — gefüpft, audge-
weidet, geviertbelit — 90 SBriefler und Layen ftarben im
Gefüángnig, 105 wurden für immer verbannt, 62 angeje
bene Layen erlitten den SRartertob, ἢ)
1) Weber u. Welte III. 533,
in Ihrem Verhältniß zu ber Kirche 203
Im Angefichte vorſtehender Thatfachen wird ein ges
rechter Mann bod) nicht behaupten, daß das englifche Volt
bie Reformation mit Freuden aufgenommen habe. Nein
— fie wurde ihm aufgebrungen und aufgegwungen. Ueber
dem Blutgeruͤſte errichtete fi ber Bau der Hochlirche.
Gehen wir nun zu Schottland über. Wir fellen vie
Brage: bat das Bolf von Schottland freiwillig bie alte
Kirche serfaffen, und dem neuen Glauben fid) zugewandt?
Iſt das fihottifche Bolt von ber alten, für e$ veralteten
Kirche gerne abgefallen, ober iR es aus ihr hinausgetrie⸗
ben unb hinausgeftoßen worden ?
Wir führen über die Art der Einführung der Refors
matien in Schottland einen Gewährsmann an, welder,
fo wenig wie Dahlmann, in dem Gerude fieht, baf ihm
bie Fatholifche Kirche in das Herz gewachſen fel, — Sos
Bann &nor, der vielgenannte SReformator war ἐδ, ber daß
fogenannte Verdienſt bat, bie Reformation in Schottland
eins und durchgeführt zu haben, ber mit unverföhnlichem,
vor feinem Mittel zuruͤckſchreckendem Haſſe bie Kirche θεῖν
folgte, welcher der armen Maria Stuart nicht einmal in
ihrer Hausfapelle den Fatholifhen Gottesdienſt geftatten
toollte, welcher bie Königin jelbft als eine unverbegerlidge
Papiſtin verfolgte, unb nicht ruhte, bis fle des Thrones
entfegt war. M’Crie, ein fchottifcher Geiftlicher, Bat in
ber Weife eines Panegyriferd das Leben des Knox befchrie
ben, unb ber Göttinger Profeſſor Planf hat feiner Zeit
das Werk in einem Auszuge in bas Deutfche überfegt. ')
—
1) Life of John Knox containing. illustrations of the history of
the reformation in Scotland, by Thomas M’Crie, Minister of the
gospel. Third edition. Edinburg 1814. Vol. L IL. In bet Ueber⸗
fegung. Göttingen 1817,
204 Die germanifchen und romanifchen Bölfer
Wir wollen in unferm Auszuge barum. etwas aut;
führlicger fein, weil bie Art und Seife der Einführung
der Reformation in Schottland weniger befannt ift. In
dieſer Schrift heißt e (5. 49): „Mit noch größerer Kühn-
heit taftete man die Kirche in bramatifchen Borftellungen
an, welche mehrmals vor der Töniglidhen Familie, vor bem
Adel und vor einer zahlreichen Menge von Zufchauern
aus bem Volke zum großen Aerger und zu nod) größerem
Nachtheile des Elerus öffentlich aufgeführt wurden.“ (S. 51.)
„Man bat fchon oft angeführt, daß vorzüglich das Ber:
langen, fi .in bie Reichthümer ber fatfolifden Kirche zu
theilen, in Verbindung mit ben Künften unb Sntriguen
des englifchen Hofes, ben fchottifchen Adel in bie Refor⸗
mation hineingezogen habe. ὅπ einer fpätern Epoche fonnte
dies auch vielleicht nicht ganz ohne Grund vermutbet werden.“
Im Sabre 1546 wurde der Cardinal Bethune, eine
Stüge der Kirche in Schottland, ermordet. Diefen Mord
bilfigte nor. „Er hatte, fagt M’Erie, den Gruntfag,
daß an ſolchen Berbrechern, welche durch ihre Frevelthaten
nad) allen göttlichen und menfchlichen Gefegen das Leben
verwirft hatten, wie 3. 9B. an notorifchen Mörbern und
Syrannen, die Todesftrafe von jeder Perfon volffommen
rechtmäßig in bem Falle vollzogen werben fónne, wenn fid)
in bem orbnungsmäßigen Rechtsgange feine Hilfe gegen
den Berbrecher erwarten laſſe. Dies war fein andere,
als das Princip ber alten Griechen und Römer von ber
Rechtmäßigkeit des Tyrannenmordes, das aud) von bem
Freunde Knorens, Buchanan, in feinem berühmten Dias
[oge, vertheidigt wurde. ) Es ift auch, was man nicht
' 1) Buchanan, de jure regui apud Scotos.
in ihrem Verhaltniß zu ber Kirche, 205
leugnen darf, ein fBrincip, das in der Anwendung ums
endlich gefährlich werden kann, weil e8 aufrührerifche, fa»
natifche und verzweifelte Menfchen nur allzu leicht als Vor⸗
wand zu Begehung ber abjdjeulid)ften Handlungen mif»
brauchen fönnen.“
Nach folchen Grunbídgen handelte nor in vorfom»
mendem Falle, nad) ihnen wurde bie Reformation in Schotts
land burchgeführt, wurde gegen bie Wittwe Jakobs IL, bie
Königin Mutter Maria, und deren Tochter Marla Etuart
von ber Gongregation, b. B. von der aufrührerifchen Par;
thei bes Adels gehandelt; wurden mißliebige Perfonen aus
bem Wege geſchafft. Es wurde Fein Mittel gefcheut, um
ben neuen Glauben zu unbebingter Herrfchaft zu erheben.
Dazu fam leider, wie anderswo, auf fatfolifder Seite
viele €aubfeit unb Halbheit, die den Feinden in bie Hände
arbeitete, — dazu famen. befonders bie, gelind gefagt, be»
trübenómertben Mißgriffe, welche bie unglüdliche und übel»
berathene Maria Stuart machte, und wodurch fie ihren
eigenen Seinben die Waffen gegen fid) in bie Hände lies
ferte — dazu bie über alles Maaß treulofe- Bolitif ber
englifchen Eflifabeth, welche ble Feinde des Throns und
des Glaubens in Schottland auf jedem Wege unterflügte,
und welche Hilfe zuletzt den Thron unb bie Kirche in
Schottland ftürzte.
G6 waren vor allem die politifchen Kämpfe, welche
der Reformation in Schottland zum Siege verhalfen. Der
Adel fand gegen den Thron, unb befiegte ben Thron. Im
Sabre 1554 wußte mit Verdrängung des Grafen von
Arran die Regentfchaft an fif zu reißen Maria Guife,
bie Königin Mutter. Nur hatte ble Königin Mutter in
einer frühern Periode fid ben Proteftanten günftig gezeigt:
228 Die gmänkfgen. und tomaniſchen Volker
Sa um fie bei ihrer Parthei zu erhalten, hatte fie ihnen
ναὸ Verfprechen ausgeftellt, daß fle gegen bie Berfolguns
geu des Gleru& von ihr gefchügt werben follten. (M’Erie
€. 224.) Sie fand εὖ immer noch nötbig, fie auf ihrer
Eeite zu behalten, um fie bem Clerus gegenüber zu ſtellen,
ber unter bem Einfluffe feines Primaten für ihren Gegner,
den Arran, Barthei genommen hatte; taber fuhr fie aud)
jept nod) fort, fie heimlich zu unterftügen, wodurch fie [ἤδη
genug wurden, ihre Gefinnungen wieder öffentlich zu Außern.“
Zwifchen der englifhen Maria und ber fchottifchen
waltete Feindfchaft ob. „Darum fanden von ben Prote⸗
ftanten, welche aus Frankreich flüchteten, nun mehrere
Schutz in Schottland; ja man geftattete ihnen nicht nur
einen ruhigen und ungeftörten Aufenthalt, fonbern die Nach⸗
füht ber Regentin, und bie (nbolente Sicherheit des Clerus
verfehaffte ihnen auch ble Freiheit, ihre Lehre im Verbor⸗
genen auf das Neue auszuftreuen. Manche von ihnen
jogen wieder von Ort zu Ort umher, gewannen der Wahr⸗
beit Hunderte von neuen Profelgten.“ Unter biefen günfti«
gen Lmftänden fam Knox vom Feftlande nad) Schottland
(1555). In bem Haufe eines Preundes zu Gbinburg
„kamen alle Freunde ber Reformation zufammen, um feinen
Unterricht zu benügen. Bon den Einwohnern der Stadt
waren zwar nicht viele darunter, weil bis jeßt nur wenige
Bürger von Gbinburg die Reformation angenommen Bat
ten.“ Dann zug Knor prebigenb durch das Land, und
ſchloß bie Proteflanten an einander, indem er fie burd
feinen Einfluß ganz beherrſchte. Zugleich fd)loffen die
Gbelleute einen Bunb, eine Gongregation, zu gemeinfchafts
licher Durchführung und SSertbeibigung ihrer Sntereffen.
Die Königin Regentin wußte das Alles, aber ließ es ge
m 1 — —— — Ba ὁ --
in Ihrem Verhaltniß gu bet tirée, 207
ben. Alle äußere Gewalt war jest ſchon in der Hand
ber. Broteftanten, der Clerus ftanb verlaften da Und bie
Hoffnungen der Katholifen wurden täglich mehr berabges
flimmt. „Der Elerus durfte auch nicht ben ſchwächſten
Verſuch machen, den Knor zu flören.“ Sa Knor fchrieb
an bie SRegentin felbft einen Brief, fie auffordernd zum
llebertritt. Diefen Brief veröffentlichte er mit feharfen
Demerfungen, und bie Regentin that feinen Schritt dages
gen. Im Juni 1556 ging for nach Genf — und war
auf dem Feſtlande abwefenb bis 1559. Der erfte Troms
petenftoß, welchen Snor im Sabr 1557 von Genf aus
gegen das „monftröfe Weiberregiment“ ertönen ließ, that
feine Wirkung auf die fchottifchen Großen. Sie befchloflen
— December 1557 — einftimmig zu Gbinburg, „pie Sache
ber Reformation mit vereinigten Kräften zu fördern, unb
unterzeichneten eine neue Afte, wodurch fie fich unter eins
ander feierlich dazu verpflichteten.“ (S. 287.) Das war
die Gongregation.
„Während bed Kriegs mit England, ber im Herbfte
des S. 1556 anfing, und das ganze folgende Jahr forte
dauerte, genoffen bie SBroteftanten febr. viel Freiheit, welche
fie mit großem Eifer, und mit glüdlihem Erfolge benuͤtz⸗
ten. An foldjen Orten, über welche ihnen grunpherrliche,
oder Batronatrechte zuftanden, trieben fie das Selbfirefors
miven, und führten zunaͤchſt bie englifche Liturgie ein.“
Die ſchwache Regentin Eonnte und wollte nichts dagegen
haben,
Knor febrte auf dringendes Verlangen feiner Freunde
im 3. 1559 nad Schottland zurüd. Obgleich er die eben
auf ben Thron gelangte englifche Elifabeth aufs töptlichfte
tur feinen erfien Trompetenſtoß beleidigt, (n welchem et
208 Die germäntfchen und romaniſchen Voͤlker
allen Weibern nach goͤttlichem und menſchlichem Rechte das
Regieren abſprach, fo wußte man fid) bod) bald zu vers
gleichen — denn man bedurfte einander. Denn, fagt M’Erie
(6. 305), „wirklich war es bie gefundefte und befonnenfte
Bolitif, welche Elifabeth beftimmen mußte, den Proteftans
ten in Schottland Hilfe zu gewähren, bie fie ihnen im 3.
1560 zufommen ließ. Es war tiefe Hilfe, was ihr einen
Einfluß auf Schottland verfchaffte, wie fid) ihn Feiner ihrer
Vorgänger weder durch bie Gewalt feiner’ Waffen, nod
durch bie flärfere Anziehungskraft feines Geldes verfchaffen
. fennte* Das heißt, Elifabeth unterftüßte unb hielt auf;
‚recht die Empörung der Großen in Schottland, fie half
βάσει und ftürzte den Thron bafelbft, damit bie Königin
von England’ aud) herrſche über Schottland.
In die Sabre 1559 und 1560 fällt bie durch ben
Sieg ber Parthei ber Adeldcongregation bewirkte Durchs
führung der Reformation in Schottland. Der Adel hatte
fid ber Regentin Maria lange bedient zu ‚feinen Zweden
Zuletzt, als er fte nicht mehr bedurfte, warf er fie weg.
„Die Gntbedung der Falfchheit ber Regentin Maria (S. 310)
. nämlich jog bie wichtigften Folgen nad) fid. Sie ent
fernte von ihr bie Gemüther ber SBroteftanten auf immer,
und erwedte unter ihnen felbft jenen Geift bes entfchloffe
nen unb vereinigten SBiberftanbeó gegen ihre hinterliftige
Ῥβο und gegen ihre Gewaltſtreiche, ber zuletzt bie völs
lige Einführung der Reformation im Königreiche eramang.*
Sa, erzwang, fagt M’Erie; Gewalt vig ben alten Bau
nieder, Gewalt richtete deu neuen auf.
Nachdem Knor in einer feharfen SBrebigt zu Perth
(G. 324.) „das Wbgöttifche des katholiſchen Meſſeleſens
und bed Bilderdienſtes ausführlich geſchildert, nachdem
in ihren Berhältniffe zu ber Kirche. 209
hierauf em Briefter ſich zum Lefen einer Meffe anfchiden
zu wollen ſchien,“ (S. 326.) „fo waren in wenigen Mis
nuten. der Altar, ble Bilder, und alle Verzierungen ber
Kirche nieder, und in den Staub getreten.“ Der dadurch
entftandene Lärm zog bald einen zufammengelaufenen großen
Haufen herbei; da biefer in der Kirche nichts mehr zu
thun fand, fo Ffehrte er von bem plöglichen unb unis
verftehlichen Inſtinkt eines fanatifchen Gifer& getrieben feine
Wuth gegen die Klöfter, und weder bie Borftelungen bet
' Brediger, noch das Anfehen der obrigfeitlichen Berfonen
fonnten dem rafenden Poͤbel eher Einhalt tbun, als bis bie
Häufer der grauen und ſchwarzen SBettelmóndje, und baé
foftbare Karthhäufer Klofter völlig zerflört waren. Bon
den rechtlichen Mitgliedern der Gemeinde und von ben
angefehenften Bürgern der Gtabt nahm jebod) Niemand
an bem unverfehens entflandenen Tumulte Theil, fonbern
es waren bloß bie niebrigern Bolföklaffen, ober wie Knor
[εἰδῇ fagte, ber verworfenfte Poͤbel, der allein dabei hans
beíte! Dies erinnert an das Gebahren Luther’s vor und
nach bem Bauernfriege.
Die Königin Regentin machte Miene, die Schuldigen
rafen zu wollen. Das litten die von ber Gongregation
durchaus nicht, und erhoben fi, Gewalt, wie fie meinten,
mit Gewalt abzuweifen. Zuerft „fchrieben fie (S. 329)
an bie Königin Mutter, an ben katholiſchen Adel, und an
ihre eigenen Glaubensgenoſſen, und befchworen fte bei
Allem, was Jedem theuer war, fid) eines gewaltfamen An⸗
griffes auf frienliche lIntertbanen zu enthalten, welche nur
bie Freiheit des Gewiſſens und eine Verbefierung ihrer Re-
ligion zu erhalten fuchten. Als aber alles dies fruchtlos
war, faßten fie freilich den Entſchluß, fü unb. ihre
Theol. Duartalſq;rifi. 1850. Heft II. 14
210 Die germaniſchen und romaniſchen Mäller
fürüber bem Morbflahle ihrer Feinde nicht mit gebünbenen
Händen Breis zu geben, und machten daher auch ihrerfeits
Sinftalten, bie Stadt gegen bie Regentin zu vertbeibigen ;
und bei dieſen Anſtalten gingen fie mit einer fo rafden
und fräftigen Entfchlofienheit zu Werke, bag bie Regentin
bei ihrer Ankunft ed der Klugheit gemäß fand, anftatt beó
gebrobten Cturmeó auf die Stadt, Eröffnungen zu einem
Bergleich zu machen.“
„Schon vor der Zeit, ba bie Häupter der Proteftan-
ten bie feindfeligen Gefinnungen der Regentin durchſchaut
hatten, waren fie eifrigft bemüht gewefen, bie Anzahl bet
Freunde und Anhänger, auf die fie rechnen fonnten, mit
Genauigleit auszumitteln, eine beftändige Gommunifation
unfer ihnen anzulegen, und fid) burd) bie ftärfften Bande
unter einander vereinigt zu halten. Daher erhielt die Bar:
thei den Namen ,Gongregation* (€. 333). „Anfang
Suni 1559 hielten fie eine 3ufammenfunft, um fid) über
bie Maßregeln zu berathen, welche jegt zu ihrer eigenen
Sicherheit, unb zu ber Beförderung ber Reformation ge:
nommen werben müßten.“ (δ᾽ mußte je&t von Seiten
ber Anhänger der Reformation ein Entfchluß gefaßt wer:
ben, ob man bie Kette, an welcher man fie gefcklofien bal
ten wollte, mit knechtiſcher Geduld noch länger tragen,
ober ob man fie mit einem fübnen und fráftigen Stoße
mit einem Dale fprengen foffte? und das lebte war e$,
was die Häupter ber Gongregation jegt beſchloſſen. Sie
vereinigten fich, bag Jeder von ihnen in ben Dertern,
über welche fid) feine Gerichtsbarkeit und fein Einfluß er
ftredte, ohne längern Auffchub ſelbſt reformiren, bie papi
ftifche Form des Gottesdienftes abfchaffen, umb bafür in
alien Kirschen: die proteftantifche einführen follte, wenn fib
34 » T
‚In forent. Varhaltnifſe zu δὲν Airche. 011
anders "bie Einwohner nicht allzu widrig Dagegen gefinnt
zeigen würden. Diefer Schritt ging vielleicht nicht über
bie Befugnifie hinaus, welche das damals noch in Schott«
land beftehende Lehensrecht jedem Baron über feine Vaſal⸗
len, und jedem Häuptlinge feines Stammes über feinen
Clan zugeftand; aber bie befte Rechtfertigung davon ging
aus ber duferften unb bringenbften Noth hervor, bie ihn
erzwang.“
St. Andrews, die katholiſche Haupiſiadt Schottlando,
war zu dem Orte beſtimmt (S. 335), „wo man die be⸗
ſchloſſenen Operationen anfangen wollte.“ Doch da die
Bewohner noch „ungewiſſer Stimmung“ waren, unb „ſelbſt
Gewalt zu drohen fehienen, (o fchien offenbar das Spiel
gar zu zweifelhaft.“ (€, 336.)
Doch fnor trogte der Gefahr. Und ſolche Wirkung
thaten feine Worte, „daß alle Bilder und Gemälde fogleich
aus der Kirche fortgeichafft (S. 339), fo wie alle Klöfter
in der Stadt niedergeriffen wurden.“ Zugleich waren die
Broteftanten „fo fdnell und zahlreich aur Hilfe herbeigeeilt,
daß fie fi ber Armee ber Regentin gegenüberftellen konn⸗
ten, worauf biefe, die es nicht rächlich fand, eine Schlacht
gu wagen, in den Schluß eines Waffenftillftandes willigte.“
Dann „marfchirten bie Broteftanten nach Perth, bemächr
tigten fich der Stadt Stirling, unb rüdten gegen bie Haupt:
ſtadt (Gbinburg) vor, von welcher fie ebenfalls Belig
nahmen, indem fid bie Jiegentin, fowie fte fid) näherten,
nad Dunbar zurüdzog:“
„Das Beifpiel, das man zu Gt. Andrews durch bie
Abſchaffung des papiſtiſchen Unweſens gegeben hatte, wurde
aber jegt in andern Theilen des Königreichs fchleunigft
nmachgeahmt, und in wenigen Wochen waren auch zu Grail,
: 14%
212 . Die germaniſchen und somanifchen Möfker
u Cupar, zu Stirling, zu Liellghgew und zu Edinburg
bie Häufer der Mönche zerftört, und die Werkzeuge ver
nichtet, bie man bisher zur Ilnterhaltung ter Abgoͤtterei
und des Aberglaubens gebraucht hatte.“
Knor befand fid) bei der Armee der Gongtegation,
als fie der Armee der Regentin bei Eupars Moore gegen-
über ftanb. Er begleitete fie auf bem Zuge nach Perth,
unb fam aud) ju Ende Sunt mit ihr in Gbinburg an.
Den 7. Zuli verfammelten fid) bie proteftantifchen Eins
wohner, unb wählten ibn zu ihrem Prediger. „Noch vor
Ende September b. S. 1559 (6. 348) waren in adt
Städten orbenilid)e Kirchendiener angeftellt, in mehreren
andern war dies zu ihrem größten Bebauern nur deßwe⸗
gen nod) nicht gefchehen, weil man feine befommen fonnte.“
„Dafür aber (€. 349) Hatte man fid aud) in ber
Zwifchenzeit immer mehr überzeugen müfjen, daß bie dup,
ter der Gongregation es ſchwerlich möglich finden würden,
fi ohne fremde Hilfe durch den Kampf durchzufchlagen,
in den fie verwidelt waren. Schon von ber Mitte des
Suni an hatte daher Knor aufs neue daran. gearbeitet,
feinen Brüdern Hilfe aus England zu verfchaffen, und mit
Heinrich Percy, ber den Sberbefebl über bie an den eng:
liſchen Grenzen flationirten Truppen hatte, [Φυ ὦ unb
mündlich darüber unterhandeln laſſen. Perey aber war
von dem Staatsfefretär Cecil vorläufig aufgemuntert wor
ben, die Verbindung mit den fehottländifchen Proteftanten
zu unterhalten.“
Nun fihrieb Knor (S. 350) {εἴδ an den englifchen
Ctaatéfefretár, „und [egte einen Brief an bie Königin Eli⸗
fabet bei, worin er einen Verfuch machte, ben Unwillen
einigermaßen zu befänftigen, ben ſie gegen ihn wegen feb
in Ihren Verhaltnifſe zu der Kirche. 219
nes unbéffidben Ausfalles auf alle Weiberregierungen ge:
faßt hatte.“ Gecil glaubte, fid) mit &nor felbft einlaffen
zu müſſen, und befteffte ihn (S. 351) „auf ben zweiten
Auguft zu einer geheimen Zufammenfunft mit Percy nad)
Alewid.“ Knor wirkte ein eigenes Schreiben des Staater
fefretärs an bie fchottifchen Großen ber Gongregation aus.
Da dies aber „weiter nichts, als allgemeine Verſprechun⸗
gen enthielt,“ fo richtete nor einen neuen Brief an Gecil,
„mit einem Nachdrude, ber nicht ohne Wirkung blieb.“
Die Lords ber Gongregation erhielten fogleich bie Anwei⸗
fung, „daß fie eine beträchtliche Summe Geldes in Empfang
nehmen fónnten, womit fie die Königin zu der Bortfegung
des Krieges zu unterftügen bereit fei.“ Zu gleicher Zeit
wurden ieitere geheime Unterhandlungen zwiſchen „ihnen
unb bem Londoner Hofe inftruirt, welche enblíd) auch baé
Einrüden einer englifchen Hilfsarmee in Schottland zur
Folge hatten.“ (€. 352.)
„Die Agenten der englifchen Regierung preßten bes
ftändig bie Anführer ber fchottifchen Gongregation (S. 355),
daß fie bie Regentin angreifen follten, noch ehe fie frifche —
Hilfstruppen aus Franfreich erbielte. Sie tadelten bie Lang⸗
famfeit: ihrer Operationen. Sie beflagten fid), daß fte ihre
Gorrespondenz mit England nicht geheim hielten. Erbit-
tert und gereizt beftanben aber bie Schotten defto hartnädis
ger darauf, daß fie (von England) nicht nur Gelb, fon-
dern auch Truppen haben müßten.“
„Bon ber 9totfmenbigfeit der [egtern war jedoch Snor -
fo lebhaft überzeugt (S. 356), daß er fib burd) das Ber:
langen, fie der englifchen Regierung abzupreflen, felbft viel-
leicht etwas- tiefer, als ed bem Theologen ziemte, in die
Krümmungen einer politifchen Gafuiftif. hineinzieben ließ.
214 Die germantfchen und romanifchen Völker
„Wenn ihr, fehrieb er nach England, ja nicht öffentlich mit
der franzöfifchen Regierung brechen wollt, fo fann εὖ euch
doch nicht (deer werben, ein taufend Mann oder nod)
etwas mehr zu uns herüber zu ſchicken, ohne daß bie Fran⸗
sofen über eine SBerlegung des zwifchen euch befteBenben
Bertrages freien dürften. Ihr dürft ja nur fagen, daß
ihr eure Unterthanen nicht hindern könnt, in ben Colb jeder
friegführenden Macht zu treten; wenn fie aber Died Vor⸗
geben für ein bloßes Spiel halten wollen, fo könnt ihr εὖ
ja fo weit treiben, daß ihr bie zu und übergegangenen für
Rebellen erklärt, fobald ihr nur erfahren habt, baf fie bei
uns angefommen find.“
Angeſichts biefer Herzendergießungen des arglofen und
auf Gott allein, barum auch nicht auf bie englifche Gti
fabetb, bauenden Mannes Gottes, fei c6 und vergónnt,
ein englifhes Hört! Hört! dazwiſchen zu rufen. Selb
Gecil und Percy fonnten. nicht umbin, in bittere Spoͤtte⸗
teien über biefe Taubeneinfalt des fchottifchen Reformators
fid) zu ergießen.
Den 21. Oktober fam εὖ zu einer zahlreihen Ber-
fammlung von Gbíen, Baronen und Deputirten ber Ge
meinden zu Gbinburg. Nachdem Kuor darauf angetra⸗
gen, „daß man fchon voraus befchließen müffe, bie Auto-
rität der Regentin wieder anerkennen zu wollen, fobald
fte aufrichtige Reue über das Vergangene dufere, und fid
bereitwillig bezeigen werbe, fid) burd) bie Räthe des Koͤ⸗
nigreich8 leiten zu laffen, faßte (S. 363) bie SSerfammlung
den einftimmigen feierlichen Beſchluß, daß bie Regentfchafte-
gewalt der Königin Mutter bió zu der Zufammenfunft
eines freiem Parlaments als fuspendirt zu betrachten, unb
in Kraft biefe& Schlufies wirklich fwépenbirt fei; aud
in Ihrem Verhaltnifſe zu ber Kirche. 215
wählte fie fogleich ein Eonfeil, ba& in der Jwifchenzeit bie
Regentichaftsgefchäfte verwalten follte, und dieſem Collegio
wurden auch vier Theologen, unter ihnen Knox, als fon:
fultirende Räthe für alle mit der Religion in Verbindung
fiehende Gegenftánbe zugegeben.“
Dod erlitt bie Gongregation zuerft im Felde gegen
bie Regentin mehrere Niederlagen. „Ihre Anzahl nam
daher mit jedem Tage ab (C. 364), und ber unter fid
uneinige boffnungés und muthlofe Ueberreft faßte an bem
Abend des 5. Nov. den Entfchluß, Edinburg zu räumen,
und zog fid mit fehmählicher Eilfertigkeit nad) Stirling
prüd.* In Stirling wurde „großer Rath gehalten, und
nad einem von &nor gefprochenen Gebeie einftimmig be:
ſchloſſen, bag Wiliam Maitland nah London gefchict
werben follte, um von Eliſabeth einen ihrer Lage anges
meſſenen ‚Beiftand auszuwirfen.*
, Bald bedte e8 fi) der ganzen Parthei auf, „wie das
Unglüd, durch das fie gezwungen worden waren, bie Bes
lagerung von Leith aufzuheben, und Goinburg zu räumen,
zum Vortheil ihrer Sache ausfchlagen follte. (ὅδ᾽ bewog
nämlich ben englifchen Hof, die Maßregeln jener furdhtfas
men Politik, bie er bisher in Anfehung ihrer befolgt hatte,
mit entfchloffenern zu vertaufchen. Die Sendung Maits
landis nad) London hatte den Erfolg, daß Elifabeth ben
27. Zebr. 1560 einen neuen Vertrag mit den Anführern
‚der Gongregation ſchloß, wodurch fie ſich verpflichtete, eine
Armee nach Schottland zu ſchicken, welche ihnen helfen
follte, die Sranyofen aus bem Lande zu jagen. Diefe vers
fprochene englifde Hilfsarmee rüdte auch wirffid zu Ans
fang des Aprils in Schottland ein, und nöthigte bie fran-
zoͤſtſchen Truppen, welche fid) fchon über Glasgow hin,
216 Die germanifchen und romanifden Bäller
auögezogen hatten, nad) Leith zurüdzufcehren, und fid) in
bie Feſtungswerke diefes Orts einzufchließen. Hier wur;
ben fie zu Waſſer und zu Land belagert. Die franfe Kö-
nigin Regentin aber farb zu Evinburg während ber Des
lagerung.“
Den 7. Zuli wurde ein Traftat zwifchen Frankreich
unb ben fchottifchen Großen abgeichloffen, ber unter anberm
befagte, „daß alles (€. 372), was den fonftigen Zuſtand
des Königreich betreffe, von einem zu verfammelnden Par⸗
[ament beftimmt und angeordnet, und daß während der
Abwefenheit des Königs und ber Königin bie ausübende
Macht von einem Gonfeil verwaltet werben follte, befjen
Mitglieder zur Hälfte von ihnen, zur Hälfte von ben
Ständen der Ration zu ernennen fein. Den 10. Suli
fchifften fich bie frangöfifchen Truppen zu Leith ein, unb
den- 19. verfammelte fid) bie Gongregation in ber St. Egis
dienfirche zu Gbinburg, um Gott ihren feierlihen "Dant
für den ganzen Erfolg darzubringen, mit welchem ihre Bes
mübungen unter feinem Beiftande gekrönt wurden. So
endigte fid) der bürgerliche Krieg, ber bie Reformation von
Schottland begleitete, nachdem er 12 Monate gedauert
hatte.“ (S. 373.)
Am fdlimmften „Ichlug das für den Katholizismus
aus (S. 376), daß in dem Traktate wegen der Religion
und ber religiöfen Partheien gar nichts feftgefeßt war.
Die Proteftanten blieben nun im DBefiße der Uebermacht,
welche fie erlangt hatten.“
„Sp ftürzte denn in dem Augenblide, da bie fremben
Truppen das Königreich verließen (S. 377), das ganze
Gebäude der Fatholifhen Kirche, ba6 Sabrbunberte in
Schottland geftanden war, zufammen. Das Parlament,
in ihtem Berhäftniffe zu der Kirche. 217
das fi) im Auguft verfammelte, hatte bann, um ben relis
giöfen Zuftand des Landes zu reguliren, weiter nichts mehr
zu thun, als daß es allem, was bereits gefchehen war,
das heißt der Abfchaffung des Pabſtihums, und ber Eins
führung ber proteftantifchen Religion noch bie erforderliche
gefegmäßige Sanction gab.“
Diefem Parlamente vourbe eine von febr vielen Pros
teftanten unterfchriebene Bittfehrift übergeben (G. 379),
„daß das Parlament bie Macht, welche die Vorfehung in
feine Hände gegeben, dazu verwenden möchte, daß bie ans
tichriftlichen Lehren des Pabſtthums abgefchafft, daß ein
reiner äußerer Cultus, unb auch bie urfprüngliche 88er;
faffung der Kirche mit ihrer Disziplin wieder hergeftellt
werde.“ „Denn bie, bie fid) bisher ben Namen des Cle⸗
rus angemaßt, müßten wegen ihrer Inechtifchen Unterwür⸗
figfeit unter den römifchen Stuhl in feinem reformirten
Lande mit Sicherheit gebulbet, und nod) weniger in einem
Berbältniffe, das fte zur Ausübung irgend einer Gewalt
berechtigte, gelafjfen werben.“ Den 24. Auguft wurde
durch einen Schluß des Parlaments bie päpftliche Juris⸗
biftion im Königreich und über das Königreich abgefchafft,
bie gottesdienftliche Feier ber Mefle unter gewiffen Stras
fen verboten, und alle Gefege abgefchafft, welche jemals
zum Vortheil der römifch»Fatholifchen Kirche und gegen
bie refotmirte Religion erlaffen worden waren.“
Die „gewiffen Strafen,“ unter denen das Mefjelefen
unb Meflehören verboten wurbe, waren für ben erften Ue⸗
bertretungéfall die Einziehung des Vermögens, für ben
zweiten die Verbannung, für den dritten der Tod.
Damit war die Kirche in Schottland überwunden,
und faft verfchwunden. Im Hinblidde auf ihre Ueberwin⸗
218 Die germanifihen und romanlſchen Möller
dung werben billige Beurtheiler nicht behaupten wollen,
baß das Bolf von Schottland bie alte Kirche freiwillig
verlafien, und fid) ber neuen ebenfo willig gugewenbet habe.
Kein 1), die phyſiſche Gewalt führte bie fegtere ein und
durh. „Der Broteftantismus, fagt der Broteftant Hafe,
wurde im Momente feines Sieges verfolgungsfüchtig, eine
9Reffe foftete Gut und Blut, frommer Vandalismus wil
thete gegen bie Denkmale der Kirche.“ 2)
Geben wir jegt zu Holland über. Sn diefem Lande
gelangte die Reformation ebenfo auf politifchem Wege zum
Siege, wie in England und Schottland, Der Abfall von
Spanien unb der Krieg mit Spanien, aus welchem Hol
land fiegreich und felbfiftändig hervorging, brachte bie Res
formation zum Cíege. Wir berufen uns wieder auf einen
Gewährsmann, der bei ben Gegnern nicht in bem Geruche
des Kryptofatholizismus ftebt — auf Schiller’). „Alle
bie Taufende, fagt er *), welche die Graufamfeit ber fü
niglichen Statthalter aus den fübliden Niederlanden, ber
Hugenottenfrieg aus Franfreich, unb ber Gewiſſenszwang
aus andern Gegenden Europens verjagten, alle gehörten
ben Rieberländern. Ihr Werbeplag war bie ganze chrif-
lide Welt. Für fie arbeitete ber. Fanatismus der Ber
folger, wie der Berfolgten. Die frifche Begeiſterung einer
neu verfündeten Lehre, Rachfucht, Hunger und heffnungs-
Iofed Elend zogen aus allen Diftrikten Europa’s Aben⸗
theurer unter ihre Bahnen. Alles, was für die neue Lehre
1) John Parker Lawson, the Roman catholic church in Scot-
land. Edinb. 1836. Hifl. pol. Bl. L Br. €. 90.
2) ἃ. δ. VI. A. €. 414.
3) Sefchichte des Abfalls ber vereinigten Nieverlande, Werke VIII.
B. Gotta 1837.
4) €. 14,
In Ihrem Berhäftniffe zu der Kirche. 219
getonnen war, was von bem Deepotismus gelitten, ober
noch fünftig von ihm zu fürchten hatte, machte das Schids
fat diefer neuen Republik gleihfam zu feinem eigenen.
Sebe Kränfung, von einem Tyrannen erlitten, gab das
Bürgerrecht in Holland. Man drängte fid) nach einem
Sande, wo bie Freiheit ihre erfreuende Fahne aufftedte,
wo der flüchtigen Religion Achtung und Sicherheit, und
Rache an ihren Unterbrüdern gewiß war. Die republis
fanifche Armee war vollgählig, ohne taf man nöthig ges
habt hätte, ben Pflug zu entblößen.“
Ferner fam den Nieverlanden zu Etatten die Eifer
fudit der Mächte auf Spanien, „Diefe Eiferfucht (S. 20)
gewann e8 diesmal über die politifche Sympathie, und die
erften Mächte Guropa'ó traten, lauter oder fliller, auf bie
Seite der Freiheit. Kaiſer Marimilian IL, obgíeid) dem
fpanifchen Hofe durch Bande ber Wreunbfdjaft verpflichtet,
gab ihm gerechten Anlaß zu der Befchuldigung, die Par:
thei der Rebellen insgeheim begünftigt zu haben. — Unter
einem Saifer, der bem fpanifchen Hofe aufrichtig ergeben
gewefen wäre, hätte Wilhelm von Oranien fehwerlich fo
viele Truppen und Gelder aus Deutfchland gezogen. Frank⸗
reich, ohne den Frieden offenbar und förmlich zu brechen,
ftellte einen Bringen von Geblüte an bie Spige der nieders
ländifchen Rebellen; die Operationen der letziern wurden
größtentheils mit franzöfifchem Gelde und Truppen vollfübrt.
Elifabeth von England übte nur gerechte Rache und Wie:
dervergeltung aus, da fie bie Aufrührer gegen ihren redit
mäßigen Oberherrn in Schug nahm. Mit biefen beiden
Mächten ſtand Philipp damals nod im Bündniſſe des
Friedens, und beide wurden zu VBerräthern an ihm.“
Die durch fo viele Außere Hilfsmittel erlangte hollän⸗
220 Die germanifchen und romanifchen Möller
difhe Unabhängigkeit ftürzte bafelbft auch bie Fatholifche
Kirche. Sie erlag vor der fiegenden dufern Macht. Nach
ber fogenannten enter SPacififation 1576 follte bie
Religionsübung frei fein — diefe Freiheit garantirten fif)
gegenfeitig bie zum gemeinfchaftlichen Kampfe gegen Spa;
nien verbündeten Etaaten, Städte und Stände. Da wo
aber die Proteftanten das Uebergewicht hatten, fümmerten
fie fid) überall nicht um bie vielfach und gegenfeitig ga-
rantirte Religiongfreibeit. Cie vertrieben die Katholiken
aus bem Befige ihrer Kirchen, und fegten fid felbft in
den Beſitz ber Firchlichen Gebäude, und fonftigen Güter.
Daß alle Klöfter audgefogen und aufgehoben wurden, vers
fteht fi) von ſelbſt. Noch in demſelben Sabre, wo alle
Provinzen, auch bie füdlichen und in der Mehrzahl katho⸗
liſch gebliebenen, gemeinfchaftliche Sache gegen Spanien
gemacht hatten, verbot ber Prinz Wilhelm von Dranien
bie Ausübung des Fatholifchen Gottesbienftes in Holland.
Doch erbiclt fid) eine große Menge Katholifen in dem ges
gen fie unbulbfamen Holland.
Geben wir über zu der Schweiz. War εὖ der freie
Wille des Fatholifchen Volfes in ber Schweiz, bag es vom
alten Glauben abs unb bem neuen zuflel?
Wir wollen uns wieder auf einen Proteftanten afe
Gewährsmann berufen, ber bei unfern Gegnern nicht in
dem Geruche verborgenen Katholizismus fteht, wenn bet»
felbe auch ein hiftorifches Gewiſſen zeigt, unb ber offe
baren biftorifchen Wahrheit nicht in das Angeſicht fchlägt
— es ift der Profeffor Hafe in Sena. ἢ , Surd) Zwing-
lis Einwirkung, fagt er in feiner furgen, fernigen Sprade?),
1) ei SRH 6te Auflage. Leipzig 1848.
4) €
In Ihrem Berhättuife zw der Kirche. 221
gebot ber große Rath von Zürich, daß alle Prediger ſich
an bie göttliche Schrift halten, aber von zufälligen Satzun⸗
gen und Neuerungen fchweigen follten“ (i. S. 1520). Eine
Disputaion (26.—28. Oft. 1523) enifchied gegen Silber
unb Meßopfer, durch die Behauptung des alleinigen Bes
weifes aus ber durch die heilige Schrift erflärten heiligen
Schrift war ein leichter Sieg auf Ceiten der Reformas
tion. Zwingli achtete jebe Gemeinde, foweit fie aus ber
heiligen Schrift unterwiefen, für vollfommen berechtigt
gegen bie ganze Hierarchie. Der große Rath, auf bie
Bolfsmeinung geftügt (b. b. auf feine phyfifche Gewalt),
führte unbefümmert um bie Proteftationen des Bisthums
Konftanz die neue Kirchenordnung ein (1524). Die Lands-
gemeinde in Appenzell Außerrhoden beſchloß, daß allen
Mredigern, welche lehrten, was fid) nicht aus der Schrift
erweifen laffe, Brod, Mus unb Gdug genommen fein
folle. Bern fuchte fid) über bem Streite zu halten, indem
ber Rath, bie gróbflen Mißbräuche auf eigner Kauft ab»
ftellenb, bie fchriftgemäße Predigt, unb aud) den alten
Glauben gebot. Aber eine halbe Stellung war damals
unmöglich. Nachdem bet große Rath wieder bie höchfte
Gewalt an fid) genommen hatte, wurden beide 3Bartbeien
zu einer Disputation eingeladen, welche von allen refors
matorifchen Wortführern des Landes befucht, fo entfcheidend
wirkte (1528), daß alsbald ein Rathsbefchluß den Biſchoͤ⸗
fen abfagte, und ben Gógenbienft abtbat. In Baſel fiegte
die Reformation mit dem Siege der Zünfte (1529). Die
Stadt St. Gallen trat (1528) zum Evangelium, der Abt
entwich, bie Gotteshausleute richteten ihr Gemeinwefen ein
unter Zürich unb Glarus als Schirmherrn. Wo einmal
das Neue flegte, wurde alles Widerſtreben do hart
298 Die germaniſchen unb. romaniſchen TWBälker
bezwungen. Die Altäre wurben abgebrochen, bie Géyen
verbrannt. Nur in Graubündten nad) der Disputation
zu Slanz (1526) gab das Giefeg einem Jeden bie Wahl
zwifchen dem alten und neuen Glauben. Uber al& ver
lautete, daß ber Abt Schlegel von St. Luzi SBertatb anges
fponnen hatte mit dem Gaftellan von Muſſo zur Bewältis
gung der Keber in Chur, wurde der Abt entbauptet (1529).
Wie jm ber deutfchen, fo wurde in ber franzöfifchen
Schweiz der alte Glaube überall mit Gewalt abgefchafft,
bod) befchäftigen wir uns hier nur, mit germanifchen 98olfe;
Ränmen. ἢ
Wie bie Schweiz, fo war Deutichland zur Zeit ber
Reformation in eine Menge Herrichaften zerfallen und
serfpalten. Es mußte barum. in eben fo vieler Herren dm
bern. reformirt werden, fo daß wir uns hier mit ber allges
meinften Leberficht begnügen muͤſſen. Die Verbote mehr
rerer Reichötage, bie eigenmächtigen Reformen einguftellen,
wurden nie vollzogen, weil bie Reichstagsbeſchlüſſe über,
haupt weder beachtet wurden, noch fid) Achtung durch irgend
einen Bollftreder zu verfchaffen mußten. - Als endlich nad
langen, langen Jahren der in allen Ländern, im vielen
Kriegen, und in drei Welttheilen zugleich befchäftigte Kais
fer Karl V. Zeit fand für ben fogenannten ſchmalkaldiſchen
Krieg, welchen wir als einen politifchen Krieg, nicht alf
einen religiöfen Unterdrüädungsfampf gegen die Proteſtan⸗
ten anzufehen das Recht haben, fo war ber SBroteftantit:
mus ſchon längft zu feft gewurzelt, ala baf er burd) bit
Niederlage der ſchmalkaldiſchen Bunbeshäupter einen ge
1) 8. Riffel. Chr. Kirchengefch. feit der Reformation. — HII. Ban,
ber bie gewallfame Ginftärung der Reformation in bet en bie zum
fy 1891 eiit Being 1640. AT.
in ren Verhaltuitſe zu ber Kirche. 223
fäßrlichen Stoß erlitten hätte. Ohnedem wurben Karl V.
in fürger Zeit die Früchte feines Siege aus den Händen
gewunden. Die Landesfürften groß und Hein, bie Räthe
bet freien Städte, ble Ritter, die Grafen, die Herzoge, bie
Ehurfürften hatten freie ungehinderte Hand, in langem Lauf
be8 16. Jahrhunderts nad) Sieben. und Belieben ble Res
formation in ihren Gebieten. einzuführen. Ging es auf
das erfte Mal nicht, erlag bie Kirche nicht auf den erften
Schlag, fe wußten die Reformluftigen fid) zu gebulben,
die Tommenden Gelegenheiten abzuwarten, in langfamem
und bebächtigem Schritte fib für ben erfimals mißlungenen
„rühnen Griff“ zu entfehäidigen. Mit Ausnahme des Haus
fes Habsburg, und des Hauſes Wittelsbach, fowie einis
ger Heinerer führten alle Herren der deutſchen Lande, ohne
ihr Volk zu fragen, die Reformation durch in ihren Ges
bieten, unb liegen fid) bie eingezogenen Kirchengüter als
beimgefallene Lehen trefflich zufagen.
Snbem wir einen Blid auf die Durchführung ber
Reformation in Deutfchland werfen, ſo rufen wir zu ber
Bewahrheitung unferer Angaben wieder. auf unverbächtige
Zeugen — in vorliegendem Yale die Reformatoren ſelbſt,
welche bei unfern Gegnern gewiß nicht in dem Geruche
des geheimen Katholizismus ftehen.
Die Macht, in geiftliden Dingen zu reformirem,
weiche Luther ben weltlichen Herren qubefretirt hatte, et»
griffen biefe mit beiden Händen. Er berühmt fid) felber '),
„wenn ich fonft nichts Gutes gethan hätte, denn baf ich
das welilich Regiment oder Obrigkeit fo erleuchtet unb
gezieret habe, fo folkten fie bod) um des einigen Stüdes
‚AMD.
224 Die germaniſchen unb. romanifchen Böller
halber mir banfen unb günflig fein. Denn foldyen Dank
unb Ehre babe id) von Gottes Ginaben davon, daß ſeit
der Ayoftel ‚Zeit fein Doktor nod) Gfribent, fein Theolos
gus ober Surift fo herrlich unb Flärlich bie Geroiffen ber
weltlichen Obrigkeit beftätigt, unterrichtet und getröftet hat,
als ich gethan durch fonbere Gnade Gottes, denn aud) St
Auguftinus, nod) St. Ambroftus, bie bod) bie beften find
in biefem Städe, mir nicht hierin gleich find.“ Die welt
lichen Fürften ſollten nach Luther vie dreifache Gewalt
üben: bie fatbofide Kirche verdrängen, bie neue Lehre
einführen, und in ihrer Reinheit fie fügen. Denn mit
Irrlehrern fole man nicht viel Dieputirens machen, for
dern fie auch unverbört und unverantwortet verbammen
(3fuel. Ὁ. 82. Pſ.), da die weltliche Obrigkeit Schwert
und Gewalt dahin zu wenden habe, baf bie Lehre rein,
ber Gottesdienft lauter und unverfälfcht, und Friede und
Einigkeit erhalten werde.
Diefe Grundfäge aber durften bie Fatholifchen Fürften
nicht anf (id) anwenden, denn bie (proteftantifchen) Fürften
feien ebenfo wenig fdjulbig, bie Befehle des Kaifers, umb
die Befchlüfle ber Reichstage gegen bie neue Lehre unb
deren Anhänger zu vollftreden, als es Jonathan gebührt
habe, ben David zu tödten. Wollten die fatbolifdyen Für:
Ren ben alten Glauben fdügen und βάθει, fo galt εὖ als
audgemachte Wahrheit, daß fie aus Gigennut und andern
fchlechten Motiven mit Wiffen, Vorbedacht und Hartnädig-
feit den Srrtbum, bie Lüge unb ben politifchen Greuel
fhüsten, während bie proteftantifchen Stände nur bie am
erfannten Irrthümer abfchafften, der Gottesläfterung und
dem Gópenbienft wehrten, unb das reine, lautere Evans
gelium lieb hatten. Die Sathollfchen Regenten find Thoren,
—
in ihrem Verhaͤltniſſe zu ber Kirche. 225
bie ihre Macht und ihre Gewalt über den Himmel, über
Gott und fein Wort führen, bie Gewiffen regieren, auch
was man glauben oder nicht glauben follte, gebieten wol»
len (Aust. b. 18. f. des 2. Buch Mofis, Pf. 101); fie
wollen in's Teufeld Namen immer Chriftum lehren und
meiftern, wie er feine Kirche und geiftlich Regiment foll
führen. Straft man bie großen Hanfen, Fürſten und
Herren dieſer Welt deßhalb, fo fol es Aufruhr heißen.
Und doch find bie lintertbanen nicht fehuldig, Geborfam
wu leiften, wenn fie bie Leute mit Gewalt treiben und
zwingen zu des Pabftes Abgötterei, zu dem abgöttifchen
Weſen mit Gee(meffen, Ablaß, Heiligen anruffen, und ans
berm. Alſo ift jegt ber liebe Kayfer Garoluó umgeben
mit fo viel Teufeln, böfen Pfaffen, gottlofen Bifchöfen
unb dürften; bie treiben ihn dahin, daß er gebeut, das
ihm nicht gebühret, nämlich man folle Gott nicht geben,
was Gottes ift, und bem Pabft gehorfam fein. Wie fäme
ber Kayfer dazu, daß er meinem Glauben regierte? Hat
ber römifche Kayſer Gewalt und Macht zu gebieten, daß
man glaube, was er will, fo-hat ber türfifche Kayfer auch
folhe Gewalt und Macht, und ein jeglicher Edelmann im
Dorfe bat Macht, feine Unterthanen zum Glauben zu zwin⸗
gen, wie er will, befgleien aud) ein jeglicher Hausvater
im Haufe. Mit ber Weife würden fo viel und mancherley
Glauben auffommen, fo viel unb mancherley Köpfe auf
Erden find. Darum find unfere Widerfacher toll unb (ἢ ὅσ
richt, bag fie ihre Gewalt fo mißbrauchen.“
Daß Luther mit folchen Worten fid) felbft ſchlug, war
ihm gleichgiltig, wenn nur der Zwed, bie Niederbrüdung
ber Kirche, unb bie Erhebung feiner Lehre erreicht wurbe.
Die Fürſten und Herren reformirten nad) dem Wunfche
Theol. Quartalſchrift. 4850. 11. Heft. - 48
226 Die germantfchen und romaniſchen Volker
des Neformators, regierten die Kirche nach feinem Munfche,
welchen er freilich fpäter gern anders geftellt hätte, und zogen
das nach Aufhebung ber Stifte und Klöfter herrenlos ges
worbene Kirchenvermögen in ihre Kaflen ein. Daß «6
nachher ben proteftantifchen Predigern, ihren Frauen und
Kindern oft an bem nothduͤrftigen Unterhalt fehlen dürfte,
hatte Luther und die andern Reformatoren in ihrem groß-
artigen Bertrauen zu den weltlichen Herren und „großen
Hanfen“ weder gewollt noch vorausgefehen. Daß die
weltlichen Herren in dem SBefige des reichen Kirchenver⸗
mógené nicht einmal bie nöthigen Summen zu Haltung
von »driftliden Schulen“ auswerfen würden, hatte man
gleichfalls nicht erwartet. Die Klöfter wurden eine allges
meine Beute, um welche fi) Städte, Adel und Würfteit
firitten.. Seder nahm im „Rappus“, was er befommen
fonnte, unb fo gelangten die geiftlihen Güter an „geigige
MWänfte“. Den Pfarrern und Bredigern aber, wenn fie
des Hungers fid) erwehren wollten, blieb faft nichts übrig,
„als das Wort Gottes fahren zu [affen, und fid) zu einem
Handwerf, ober fonft wegzuthun.“ Auch die Gemeinden
hielten auf das neue Evangelium und deſſen SBrebiget fo
wenig, daß Luther fagen mußte: „Und bie wir follten mit
aller Koft von ber Welt Ende holen, die Halten wir fehwer,
wie ber reiche Mann ben armen Lazarus hielt, und vers
mögen nu nicht brep fromme, gelehrte, ehrliche Prediger
zu erhalten.“ Diefe Klagen halfen zu nichte. Darum
mußte Luther fih an den Kurfürften von Sachſen wenden,
daß er feine lintertbanen. zwinge zu Unterhaltung ihrer
Kirchen und Schulen — „denn wo fle wollen Pfarrberren
haben, ift des Kurfürften Amt, fle dahin zu halten, daß
fie dem Arbeiter aud) lohnen, wie das Evangellum fegt.
in ihrem Berbältnifie zu ber Kirche. 227 .
Weil uns aber, fonderlicy der Obrigkeit geboten ift, für
allen Dingen doch ble arme Jugend, fo täglich geboren
wird, und daher wächft, zu ziehen unb zu Gottesfurcht
und Zucht halten, muß man Schulen und Prediger und
Dfarrherren halten. Wollen bie Aeltern ja nidjt, mögen
fie immer zum Teufel hinfahren.“ „Ru aber in €, Kurs
fürft. Gnaden Sürftentbum päbftlich und geiftlicher Zwang
und Ordnung bin ift, und alle Klöfter und Stifte E.
Kurf. D., als bem oberften Haupt, in die Hände
fallen, fommen zugleih mit auch bie Pflicht und Bes
fihwerve, folches Ding zu ordnen; denn 6 fonft Niemand
annimmt, nod) annehmen Fann, noch fol.“
Nach folchen Grunbfágen wurde denn von weltlicher
Dbrigfeit in ganz Deutichland ohne Befragen des armen
Volks bie Reformation eins und durchgeführt. Die uns
gemeffene Gewalt, bie nad) Sertrümmerung: der geiftlichen
Ordnung in bie Hand ber. Fürften gefallen war, ber zum
Leben gewordene Grundfag — cuius est regio, illius et
religio — hat in Deutfchland zum "größten Theile bie
Reform eingeführt, und bie alte Kirche vertrieben. Dieſes
geſchah, mit geringen Mobififationen, überall auf demſel⸗
ben Wege. .
Wenn fid) das Volk an vielen Orten nicht mit Ges
walt ber Abichaffung des Katholizismus widerſetzte, fo lag
einfach der Grund darin, daß man e8 betrog dub belog
um feinen Glauben, daß man ihm bie Echaale unb das
äußere Wefen ließ, ben Kern aber nach und nach aus ber
Schaale herausgefchält hatte. Das Volk wußte nichts
barum, daß man ihm aus ber Mefle die Wandlung Dine
weggenommen hatte. Denn bie Aufhebung — die Elevas
tion — des gefegneten Brodes und Weines ließ bie neue
55
. 228 Die germantfchen unb romanifchen Volker
Furfächfifche Gottesdienft- und Kirchenorbnung ftehen, weil
fle, nach Luther, „fein mit dem beutfdjen Sanctus flimmt
unb bedeutet, bag Ehriftus befohlen Bat, fein zu gebenfen.*
(Weiſe, dr. Meile zu b. 9. S. 1523.) Das Volk mußte
nichts barum, daß biefe Aufhebung nur, um ben Schwas
chen zu fchonen, noch: belaffen wurde; nur den Predigern
war aufgetragen, „in den Golleften und in dem Canon
alle Worte zu meiden, welche auf ein Gacrifictum lauten.
Denn folches ift nicht ein Ding, das frei fei gu thun ober
zu laffen, fondern es muß und foll ab feyn, εὖ ärgere fid)
daran, wer da will. Es fann aber ber Prieſter ſolches
‚wohl meiden, daß ber gemeine Mann nimmer ers
fährt, und ohne Aergerniß ausrichten.“ Zur Vervoll-
ftändigung dieſes „frommen Betrugs, in welchem ber Zwed
die Mittel heiligen mußte,, machte Luther in feiner „Teut⸗
fhen Meffe und Ordnung be6 Gottesdienftes,“ welche
Schrift für das Volk beftimmt war, mit feinem Worte
auf bie Auslaffung des Canons aufmerffam. In bem
Unterricht an die Vifitatoren ber Kirchen heißt e8: „Weß
fid) bie Priefter mit bem Canon halten folfen, wiffen (te
wohl. aus andern Schriften, ift auch nicht vonnótben, ben
Layen viel davon zu predigen.“ Co ftahl man „zur grös
Bern Ehre Gottes“ dem guten Volke feinen Glauben weg.
Achnliche Lift wurde in allen andern Stüden des „ots
teödienftes“ angewandt, um 'bíe Schwachen nicht zu ärgern.
Prediger unb Layen inbef, bie fid nicht in gutem Willen
in die neue Ordnung fügten, wurden rüdfichtslos gezwun⸗
gen, verbannt, und fonft an Leib und Gut geftraft. Don
vielen nur das eine Beifpiel. Georg Wizel, Prediger zu
9tiemed bei Wittenberg, wurde im J. 1530 auf Befehl
des Kurfürften von Sachfen in das. óffentlide Gefängniß
N
%
in ihrem Verhaͤltniſſe zu ber Kirche: 229
gefperrt, und daſelbſt lange Zeit ohne Linterfuchung mif»
handelt. Das Gerücht war gegangen, er huldige bem Irr⸗
thum des Campanus, ber in der Schrift bie göttliche Drei⸗
einigfeit nicht fand. Es fand fid) aber, daß Wizel biefe
Irrlehre nicht einmal gefannt hatte ἢ).
Am fangfamften, bedächtlichften, aber auch mit ber
größten Heuchelei wurde bie Reformation in Kurfachfen
burchgeführt — darum auch mit geringerm äußern Scheine
der Gewaltthätigfeit, denn anderswo. Schaͤrfer unb [πεῖν
fer ging es (don in dem Lande be8 Landgrafen Philipp
von Heſſen. Philipp meinte: „der Canon ift Gotteslaͤſte⸗
rung nach meinem Bebunfen, und ein fpöttlih Ding, unb
andere Seiten des Firchlichen Glaubens und Lebens feien
Anmaßung geiftlicher Jurisdiktion und wider Gottes Gebot.
Gr wirfte barum. pofttiv für bie Abfchaffung des alten
Glaubens. Er ließ das Vermögen ber Kirchen und Kloͤ⸗
fer aufnehmen, ſchickte allenthalben bin gelehrte Prediger,
empfahl den Pfarrern, das Evangelium lauter und rein
ju predigen, unb dem Volke Gehorfam gegen bie weltliche
Obrigkeit einzufchärfen. Er meinte, εὖ fei. Pflicht zu wi-
berfteben ber von Gott abgefallenen Kirche, ob auch Aer⸗
gerniß entfiehet. Wo Unterweifen und Predigen nicht
heifen will, darf man das Aergerniß nicht anfehen; wer
ewig ſchwach bleiben und dem Arzte nicht folgen will, ber
foll. nicht andern bie evangelifche Wahrheit zur Lüge unb
die Freiheit zum Gefängniffe machen.“ Philipp war Stif-
ter und Haupt des Torgauer Bündniffes, 1. Mai 1526 —
„zur Aufrechthaltung des heiligen Wortes, und zur Ab-
ſtellung der Mißbraͤuche des Gottesdienſtes gegen alle Wis
1) Döllinger, die Reform. 1. 8. ©. 22.
230 Die germanifihen und romaniſchen Völker
derfacher auf Leib und Gut, Land und Leute.“ Auf bem
Steidjátage zu Speyer (1526) erwirfte insbefondere Philipp
den für die 9teformatoren fo günftigen Befchluß, „daß bie
zu dem binnen Sabreófrift zu felernben. allgemeinen Gon»
cit jeder Reichsftand fid) fo verhalten follte, wie er ἐδ
gegen Gott und Faiferliche Majeftät zu verantworten ges
denfe.“ Nun berief er ale geifllihen und weltlichen
Stände feines. Reich nad) Homburg (21. Oft. 1526),
„um fid) mit ihnen in Sachen ben Glauben und chriftlich
Religion belangend, fo vil von Gott verliben, zu vers
gleichen.“ Dabei wurde ber Grunbíag aufgeftellt, ber
weltlichen Obrigfeit fomme es zu, zu wachen, ba bie Kirche
das Wort Gottes rein bewahre, es anhöre und darnach
urtheile. Alfo war der Landesherr das geiftliche Ober:
haupt ber Kirche. Er durfte den Glauben einführen unb
abfchaffen. Dazu {εἰ der Fuͤrſt ausdruͤcklich bepolimádtigt
durch den Reichstag zu Speyer. Einwendungen dürfe
man machen, aber, lediglich aus Stellen ber heiligen Schrift.
Das bie, fid) ben Sieg febr leicht, und ben Katholiken
unmöglicy machen. Denn wer entfchied in letzter Inſtanz
über bie Erflärung der Schriftftelen? Doch wohl Nie
manb anderer, als wieder bie weltliche Obrigkeit, Sie war
in dem fampfe Parthei und Richter zugleich. Ein auf
bem Gonvent zu Homburg wiberfprechender Franziskaner
wurde mit den Worten angelaffen: „Hinaus mit biefem
Vieh — expellatur illa bestia. Wer giebt dir das Recht,
frech zu fein und ungehorfam ber weltlichen Obrigfeit, wels
cher alles Fleifch unterworfen iſt. Wehe, wehe bir, fo
bu nicht Buße tbuft. Die Hand des Herrn wird über
bid) fommen, unb bid) zermalmen. Die ganze Kirche betet
für bich, damit bu nicht auf ewig verloren geheft. Amen.“
in ihrem DVerhältniffe zur Kirche. 231
Es wurde nun eine neue Kirchenorbnung in Heſſen ent:
worfen, bie unverzüglich namentlich in allen Bunften aus-
geführt wurde, welche auf Abfchaffung ber Fatholifchen Kirche
fi bezogen. Sie hat ben Site: „Reformation der Kirchen
in Qeffen, nad ber ficherften Richtſchnur des’ göttlichen
Wortes, angeordnet von ber ehrwürdigen Synode, bie Durch
den gnädigften Fürften von Hefien, Philipp — 20. ὍΝ.
1526 — gehalten wurde, und welcher ber Fürft felbft an-
wohnte.“ — (à wurden nun die „ungöttlichen Menfchen-
fagungen für immer abgethan.“ „Die wiverfpenftigen Bauern
wurden [darf zu Paaren getrieben, damit bie chriftliche
Freiheit nicht zum Muthwillen gezogen, und von vorwißis
gen angehenden Predigern und folgen unruhigen Köpfen
zu Epaltungen mißbraucht werde,“ ben Fatholifchen Pfar-
tern wurde jeder Unterhalt entzogen. Weil aber bie $0»
fter bod) nod) sin Bollwerk der Kirche waren, fo mußten
fie aufgehoben werden. Die Ordensglieder wollten frei:
willig nicht austreten, — darum mußten fie ausgetrieben
werden. Daß bie Austreibung leichter von Statten gebe,
ſollten die Adelichen und Städte einen Theil der Beute
befommen, unb fo ihnen ber Mund verftopft werben. Ein
Landtag von 1527 beftätigte bie Aufhebung der Klöfter,
denn „die meiften Nonnen und Mönche feien YUusländer.
Biele, durch das Evangelium belehrt, hätten fion ihre
Drden verlaffen. Andere feien in Zwiefpalt und Uneinig⸗
feit, und es brofe Gefahr der Zerfplitterung der Güter.“
Wer (id) nicht fügen wollte, bem ließ Philipp bie Wahl,
„entweder Gbriftum zu befennen, ober das Land zu ver-
faffen.« Bekannt ift die Art, wie der Landgraf i. 3. 1539
die Elifabethenfirche in Marburg beraubte. Er drang
eines Sonntags „aus Srömmigfeit“ mit großer Begleitung
232 Die germanifchen unb romaniſchen Volker
ein — er [ie das foflbare Grabmal der heiligen Gli(as
betb, und einen Wandfchranf, der ibr Haupt enthielt, ges
waltfam aufbrechen, nahm bie Gebeine der Heiligen her
aus unb fagte: „Das malt Gott; das ift Glifabetben.
Heilthum, mein Gebeins, ihre Knochen; fomm ber Muhme .
Els, das ift meine Aeltermutter; e. ift ſchwer, wollte, daß
e8 eitel Kronen wären, es werben bie alten ungarijchen
Dufaten fein.“
Oft: unb Weftpreußen, und ein Theil von Pommern,
das Gebiet des geiftlichen deutfchen Ritterordens, wurde
durch den Abfall des damaligen Hochmeiftere, Markgrafen
Albrecht von Brandenburg, von ber Kirche losgeriffen, und
in die Reformation bineingezogen. Im Sy. 1523 fandte
Luther auf Albrecht's Wunfch zwei Reformatoren nad
Preußen, „damit auch biefe& Reich bem Reiche des Ga;
tané Lebewohl fagen möge.“ „Die abgöttifchen Gebräuche“
wurden willführlich abgefchafft, Pöbelhaufen drangen in
die Kirchen, riffen bie Altäre nieder, zerftörten Bilder und
Etatuen. Die Klöfter wurden ausgeplündert. Die Ans
mahnung futber'á an Albrecht, zu heirathen, fehließt mit
ben Worten: „Nur frifd und getroft binan, Gott für Aus
gen gefegt im rechten Glauben, und der Welt mit jrem
Rumpeln, fdarren unb poltern den ruden geferet, nicht
hören nod) feben, wie Sudoma unb Gomorra binder uns
verfinfen, ober wo fie bleiben.“ Durch den Vertrag von
Cracau — 8. April 1525 — wurde ber Abfall befiegelt,
das Deutfchmeifterordensgebiet ein weltlich Lehenherzogthum
der Krone Polen. Die wenigen Ordensritter und Doms
herren, bie fid) dem Abfalle wiberfegten, wurden gezwuns
gen mit Gewalt, -oder burd) namhafte Summen abgefer:
tigt. Den 6. Juni 1525 erfchien das erfte Religionsehift
in ihrem Verhältniffe zu ber Kirche: 233
bes neuen weltlichen Herzogs, in dem es heißt: „Welcher
biefer unferm chriftenlichen befehlich nicht nachfolgen wird,
"Sonder anders, dann was Chriftus Wort find, (erem. thut,
oder zu (eren. geftattet, denfelbigen wollen wir mit nidten
yn unjerem Herczogthumb czu Preußen leyden, Sondern
uns dermaßen mit Etraff gegen yhm erjeygen, wie unà
benn baó Ampt des Schwerdts wider bie Ungehorfamen,
und fonderlich wider bie Auffrürifchen, czu gebrauchen von
“ Gott aufgelegt und befoblen ift.“ Aus Rüdficht gegen ben
fatholifchen König Sigismund von Polen wurden im Anfange
mehr jchlaue, als gemalttfátige Mittel zu Sieberbaltung
alles katholiſchen Unweſens angewandt. Bei einer Zufams
menfunft mit bem ‚polnifchen Könige ſcheute fid Albrecht
nicht, ber Mefie angumobnen, Weihwaffer zu nehmen und
andere katholiſche Gebräuche mitzumachen. Die Bifchöfe
wurden — dem Namen nad) noch eine Zeitlang beibehals
ten. Die fatbolijd) gebliebenen Pfarrer aber wurden, weil
fie die Beflimmungen „ver allgemeinen heiligen Kirche“
und bie- eingeführte Qanbedorbnung verlegten, abgelegt,
vertrieben, verbannt... Die Ordensgeiftlichen wurden gleich-
[αἴ δ vertrieben, und irrten als Bettler durch bie Welt.
Ein großer Theil des eingezogenen Kirchenguts wurde zu
Bezahlung der enormen Privatfchulden Albrecht's verſchwen⸗
det. An Kirchenfilber wurden 12,800 Mark [otbig ein-
gebracht. Der Beſuch eines Walfahrtsortes „rer heiligen
Linde“ wurde „unter Strafe ded Strange“ verboten. Das
Befchrungsmittel wurde wirfli an Ginigen — „Andern
zum Schreden“ vollzogen, Seit 1587 erloſch der Name
ber Bifchöfe in Preußen. Daß εὖ dem Albrecht in feinem
neuen Gíauben zeitlebens nicht wohl und gebeuer war,
ift eine ausgemachte Sache, wenn auch ber von Aug. Theiner
234 Die germanifchen und romani(djen Volker
verſuchte Beweis, er fel vor feinem Tode in bie Kirdye
zurüdgetreten, mangelhaft ift ἢ).
An-Medienburg wurde die Reformation auf ähnliche
Weiſe durchgeführt. Am 30. Des. 1530 erließ der Magis
ftrat von Roftod ein Gbift, in welchem er fid als Her
des Glaubens einfübrte. „Wer bewährter Schrift nicht
folgen wolle, unb fid) ber Afterreden nicht enthalte, {εἰ
bem Rathe anzuzeigen, damit diefer ihn als Störer des
gemeinen Friedens ftrafet.“ Als die Tatholifchen Geiftlis
chen fid) biefem Mandate nicht fügten, erging ber Befehl
an fie, aller gottesdienftlichen Berrichtungen fid) zu ent:
halten. Den Mönchen wurde verboten, Binfüro mit ihren
Mönchefutten auszugehen, und fid) unter ben Leuten fehen
zu laflen; wollten fte ja öffentlich erfcheinen, fo dürfe es
nur im ſchwarzen Bürgerfleide gefchehben, amit fie ja
Niemand Hergerniß geben, und fid) nicht ſelbſt Schimpf
und Echande bereiten mögten.“ Endlich erging an alle
katholiſchen @eiftlichen bie Weiſung (24. Sept. 1531),
„nachdem ihre Lehre al8 falich befunden, und. mit Gottes
Wort ftreite, follten fie ihre Predigten, Beichthören, Mefles
halten u. f. wv. gaͤnzlich einftellen ; würden fie im Gering:
(ten. miberfpenftig befunden, jo würde ein ehrfamer Rath
mit der Hilfe der ganzen Bürgerfchaft ihnen ceheftens ein
Anderes ſehen laſſen.“ Die Katholifen flagtien bei ben
beiden Herzogen von Medienburg. Diefe entfchieven, εὖ
feien „bie katholiſchen Geiftliden wieder einzufeßen, alles
Entwendete zurüdzugeben.“ Dagegen erklärten die Bros
teftanten, „daß fie Feine andere, denn Luther's Lehre bulben
1) Albrecht's erfolgte Rückkehr zur kathol. Kirche, v. A. Theiner.
Mugeb, 1846.
⁊
in ihrem Verhältniffe zu der Kirche. 235
wuͤrden, und lieber das Leben verlieren würden, benn ben
Geifllichen bie Wiedereinfepung geftatten.“ Sie rüfteten
f zum Kampfe, fchafften Waffen herbei, führten das
grobe Befchüg auf dem Markte auf, fperrten ble Straßen,
unb ließen nun ben Fürften fagen, „fie felen nicht geneigt,
bem Befehle Zolge zu leiften.* Heinrich war lutherifch,
Albrecht allein fonnte nichts durchführen. So war bie
Kirche in Roftod burd) ble Gewalt gefchlagen, unb ers
fhlagen. Allen Einwohnern wurde unter Strafe verbos
ten, den Gotteóbienft in benachbarten Tatholifchen Kirchen
zu befuchen. Auf gleiche Weife ging ἐδ in ber Stadt
Wismar. | | ὶ
In Öftfriesland wurbe bie Reformation im J. 1528
durch Graf Gnnoll. ín ber gewohnten Weife eingeführt. Die
Kloͤſter, bie dem alten Gíauben treu bleiben wollten, beraubte er
ihrer Schäpe und fofibaren Geräthichaften, unb z0g ihre
Güter ein. Der Graf verwendete, (τυ Einfprache des
Adels und des Volfes, bie eingezogenen Güter als fein
Eigenthum. Der katholifche Gottesdienft wurde verboten.
— Herzog Grnft von Lüneburg führte von 1521 bis 1527
bie Reformation allmählig ein. Im 3. 1527 wurden ble
faiboli(den Geiftlichen von den Bfarrfirchen ausgetrieben.
Auch bier feifteten die Klöfter am meiften SBiberftanb.
Viele SOrbenégfieber, endlos von oben unb unten bebrángt,
wanderten aus. Die Ausharrenden wurden aller Sub⸗
fftenymittel beraubt. Die Stadt Lüneburg wiberftand
lange bem ihr angefonnenen Abfalle.. Die legten Klöfter
unterlagen enblich der rohen Gewalt. — Im Herzogthum
Sachſen fonnte, fo lang ber Herzog Georg lebte, wegen
feiner Anhänglichfeit_an bie Kirche, bie Reformation feinen
296 Die germaniſchen unb romanifchen Völker
Boden finden. Im 3. 1537 fam ber lutheriſche Heinrich
zur Regierung: In feinem Seftamente verpflichtete Georg
feinen Bruder Heinrich und beffen Söhne, bie alte Kirche
zu erhalten und zu fdügem — wo nicht, fo folle baà
Land an ben Kaifer, und beffen Bruder Werbinanb übers
gehen. Die damald gut Fatholifchen Leipziger jubelten
darüber — Heinrich aber, ber lachende Erbe, meinte, was
Gott ihm befchieden, werde ihm Gt. Peter nicht nehmen.
Die Erinnerungen des Kaifers und feined Bruders. δεῖν
binanb blieben unbeachtet. Heinrich verbot den Tatholifchen
Beiftlihen und Mönchen. das Predigen. Die Altäre wurs
den abgebrochen, die Bilder eritfernt, bie foftbaren Geräthe
verfauft oder zerftört. Im Lande wurde feiner geduldet,
ber- nicht des Meffelefens fid) enthalten wollte: Dem Bis
fchofe von Meißen wurde die befonbere Gnade zu Theil:
„fein gottlofes Fürhaben und alten papiftifchen Gottes»
greul und Brauch in feiner Haufung zu Stolpen öffent:
lich zu üben.“ Sn der Domfirche zu Meißen murbe der
neue Gottesdienſt gewaltfam eingeführt. Luther aber gab
das Gutachten: „Herzog Heinrich muß bie drgfte Abgöts
terei, bie Meſſe, ald von Gott gefegter Schirmherr abthun,
und darf feine Winkelmeffe leiden, weder zu Meißen, nod)
su Stolpen, nod) zu Wurzen.“
Sn bet Mark Brandenburg hielt der katholifche Joachim T
den alten Gíauben. Seine beiden Söhne, Joachim der
Süngere, unb Sohann, hatten vor Ableben des Vaters
in- einer feierlichen Urfunde heilig, eidlich, mit Unterſchrift,
Urfund und Siegel verfprochen, den alten Glauben halten
zu wollen. Nach dem Tode des Vaters — 1535 — wurde
bie ausgeftellte Urkunde nicht weiter berüdfichtigt. Aus
in ihrem Verhaͤltniſſe zu ber Kirche, 237
der Reumarf vertrieb Johann alle Fatholifchen Mönche
und Brediger. Weniger ftürmifch verfuhr Joachim IL. ín
ber Ehurmarf im Anfange — er hatte mehr Rüdfichten zu
nehmen. Auf Allerheiligen des S. 1539 empfing Joachim
das erftemal zu Spandau das Abendmahl unter beiden
Geftalten. Nun wurde im Gebiete ber Marf mit befanns
ter Gewalt reformirt. 3. DB. in Sranffnrt a. b. Ὁ. gins
gen bie Bürgermeifter mit den Kämmerern in das Bars '
füßerflofter, unterfagten dem Prediger beflelben bie Kanzel,
nahmen die Softbarfeiten und andere Befigthümer des Klo⸗
ers in Verwahr, und verboten ferner bie Meffe. Go
allentbalben. Eine Gottesdienftorpnung, in welcher nod) viele
fathofifche Geremonien beibehalten wurben, ließ Joachim II.
nad feinem eigenen Zuſchnitte Dinaudgeben. In der
Borrede, bie Joachim felbft verfaßt, hieß ἐδ: „Man habe
zur Berhütung ungewohnter Neuerungen, und daraus ent»
ſtehenden Aergerniffes, fo wie der Ordnung, Zierde und
Zucht wegen das Unfchuldige in ben alten Formen beibe-
halten,“ Denjenigen, bie bei ben von ihnen beliebten Vers
aͤrderungen nach eigenem Sinne handeln würden, ftehe ἐδ
frei, daS Land zu verfaffen, und nach Gegenden zu ziehen,
wo man Luft habe, fie ihrem Dünfel folgen zu laſſen.“
Die Geiftlihen und Domherren, bie wiberftanben, wurden
mit Gewalt entfegt. Diejenigen Ktöfter, melde man nod)
ausfterben ließ, durften feine Novizen aufnehmen. — In
Braunfchweig « Wolffenbüttel reformirten nach gewaltfamer
Vertreibung Herzog Heinrich des Süngern (1542) Johann
Friedrich von Ehurfachfen und Bhilipp von Heflen. Das
Land blieb bis zu der. Schlacht von Muͤhldorf (1547) in
ihrer Hand. In ber Churpfalz wurde mit weniger Gewalt
teformirt, barum blieb dort bie Mehrzahl ber Einwohner
238 Die germanifchen und romanifchen Völker
in ber Kirche. Markgraf Georg von Anſpach⸗Baireuth
reformirte in Verbindung mit Nürnberg im ἃ. 1528.
Gegen den Kaifer entfchuldigte er fid mit den Worten:
„Was er getban, babe er auf Gottes Befehl getban, ber
ben Obrigfeiten gebiete, nicht nur für den 2eib, fondern
aud) für bie Seelen ber Unterthanen zu forgen. Zwar
“hätte er gewünfcht, daß die Bifchöfe, denen bieje Sorge
zuſtehe, bier einfchreiten möchten, bod) fei ihm in allem
das Wort Gottes, ja Chriftus felbft, Die einzige unb ger
wifje Richtfcehnur gemefen.* — Im Herzogthume Württem;
berg wurde bie Reformation durch den Sieg Ulrich's bei
Lauffen und feine Rüdkehr in das Land eingeführt. Nach
bem Bertrage von Kadan follten zwar im Herzogthume
alle, und befonders bie im Umkreiſe des Landes wohnenden
unmittelbaren 9lebte mit ihren Leuten und Unterthanen
ungeftórt in Ausübung ihres Glaubens belafjen werden.
Aber Ulrich nahm es Damit nicht genau. Er verbot ben
Klöftern bie Aufnahme neuer Mitglieder, verbot ben fa:
tholifchen Gottesdienft, befahl, bag Mönche und Nonnen
‚ihre Ordenskleider ablegen, 4og alle Güter und Einfünfte
an fib, bezahlte mit den eingezogenen geiftlichen Gütern
feine Schulden, und vertrieb „vie Hartnädigen“ aus bem
Lande. Die alten Gebräuche wurden abbejtellt, neue Spree
biger eingefegt, bie natürlich feine Meſſe [efen durften.
Auch die Tübinger Univerfität wurde auégereinigt, jene
Lehrer wurden entlaffen, welche das „rechte Wort Gottes“
nicht annehmen wollten.
- Wie in den größern Herren Ländern bie Herrn biefer
Länder bie Reforimation in ber Regel bei ihren Untertha⸗
nen mit Gewalt einführten, fo thaten es ihnen bie Heinen
Herrn, bie dürften, Grafen, Barone, und andere Gbelleute
In Ihrem Verhaͤltniſſe zu der Kirche. 239
sor ober nad. fonnte tiefe Fleinen Stirchenverbeflerer
bei ihren ſchwachen Mitteln nicht auf eigene Waug über
bie alte Kirche, und bie Anhänglichkeit ihrer Unterthanen
an diefelbe Herr werden, fo fehlte es nicht an freundnach-
barlicher Hilfe ihrer größern Brüber.
Wie in ben Gebieten der Fürften durch biefe, fo
wurde in ben Reichsftädten meift ,burd) ben hohen 9tatb«
ναὸ Todesurtheil über bie alte Kirche ausgefprochen —
und von ben Nämlichen, bie es gefprochen, zugleich ale
Nach⸗ und Scharfrichtern vollzogen. Wir wollen kurz
über biejeó traurige Hochgericht Dinmeggeben. In Mag⸗
beburg wurde reformirt 1524 — 1526; in Nürnberg das
Werk vollendet im Sabre 1528. Ju Ulm wurde das
Mebopfer aló entgegen „dem Verdienſt und der Eins
ſetzung Chrifti“ verdammt im S. 1531. Zwei und fünf»
dg Aktäre im Münfter wurden abgebrochen. Im S. 1533
verbot der Rath von Wranffurt bie Meffe in allen Kirchen
bet Stadt. 3n Augsburg wurde im 3. 1537 bie Meffe
vom Rathe abgefchafft — um diefelbe Zeit in andern {δε
beutíd)en Reichsſtädten. Im S. 1525 wurde in Bremen
„das abgättifche Unweſen“ abgefdjafft. Zu Hamburg vers
langte ein Theil der Bürger von bem SRatbe, nur eine
Religion in der Stadt zu dulden, damit bie Ruhe und
Einigkeit der Bürgerfchaft nicht geftórt werde; — fo muß;
ten die Fatholifchen Geiftlichen weichen. In Lübel wurde
ble Mefle im S. 1530 in allen Bfarr- und Klofterfirchen,
und zulegt auch im Dome abbeftellt.
Rah bem Borftehenden mögen wir uns⸗zu Genüge
überzeugt haben, daß das Bolt von Deutichland bie Res
formation nicht mit offenen Armen aufgenommen habe,
240 Die germani(djen und romanifchen Völker
fondern daß fie ihm aufgeziwungen vourbe von feinen welt⸗
tichen Fürften.
Wir geben über zu ber Einführung der Reformation
in Dänemark, Norwegen und Sélanb. Hier war εὖ ber
mit Nero verglichene Tyrann Ehrifian IL, welcher im Ges
fühle und im Streben nach einer unbefchränkten Herrichaft
über bie Leiber unb über die Seelen, über Gut und Leben
feiner ungluͤcklichen Unterthanen die Reformation als ein
beguemes Mittel ergriff, um ber ibn beengenben Firchlis
den Freiheit und Selbftfländigfeit 108 zu werden. Alle
Gewaltherrſcher haben von jeher gegen jene geiftige Frei⸗
heit, deren Mutter und SBflegerin bie vom Himmel begrüns
bete Kirche ift, am meiften angefämpft, und fie nach bet
ihnen zu Gebote ftehenden Macht rüdfichtslos niedergetres
ten. Ehriftian IL, ber ben Schweben gegenüber ber Kirche
als eines Mittels fi bedienen wollte, um in Schweben
berríden zu können, bediente fid) ber gegen bie Kirche ftreis
tenden Refurmatoren als εἰπε Mittels, um in Dänemark
nach feinen Gelüften herrfchen zu fönnen. „Chriftian, feit
1513 erwählter König, ein Tyrann unter den Tyrannen
ber Mutter feiner Buhlerin, etniebrigte bie Großen, erhob
das Volk, und begünftigte bie Reformation, um ber Bis
fehöfe Herr zu werden D. Er verfdrieb fid) zu biefem
Zwede Theologen aus der Wittenberger Schule (1521).
Er erhielt einen gewiffen Magifter Martin zugefandt,
weicher früher PBriefter in Würzburg gemefen. Diefer
trat als Priefter ber Reformation in Kopenhagen auf.
Bei ber bostigen Univerfität rief fein Walten ftarfen Ge»
genfampf hervor. Auch bie allgemeine Stimmung war
1) Dahlmann, Geſchichte von Dänemark, O8. III. ©. 350.
In Ihrem VDerhalinifſe zu der iride. - " 24V
tin fo wenig günftiger Boden für ben von ihm ausgeflreuten
Samen, daß er in kurzer Brift es für gerathen fand, wie»
der von bannen zu. ziehen. Ghriftian meinte, das erfte
ffiflingen babe feinen Grund in der Untüchtigkeit ber
Berfon, und wünfchte barum, daß Luther felbft, das Haupt
der Reformation, nach bem Abzuge feines verunglüdten
Schülers einen zweiten Verſuch zur Bekehrung feiner ſtarr⸗
finnigen Dänen mache. Luther aber erfchlen nicht. Indeß
— Chriftian ließ fid) die Mühe nicht verbrieBen. Den
Beichtvater feiner Gemahlin, die eine Schwefter Karl's V.
war, vertrieb er aus feinen Landen. Der lniverfität Kos
penbagen verbot er, die Schriften Luther's zu verwerfen,
‚oder gegen fie zu fehreiben; ben @eiftlichen verbot er, in
ihren Streitfachen die Entfcheidung in Rom nachzufuchen,
und Güter anzufaufen, wenn fie nicht etwa in den Ehe⸗
ftand treten wollten. So weit hatte ber germanifche Geiſt
des dänifchen Volks fid von freien Stüden ber Reformar
tion in ble Arme geworfen, als ber freiheitsliebende Chris
βίαι i. S. 1523 wegen feiner Gewaltthätigfeit von ben
Ständen des Reiches entfegt, und außer Landes zu ziehen
genöthigt wurde; ber Oheim Chriftian’s, Friedrich, bisher
Herzog von Holftein, folgte ihm: Weltliche und geiftliche
Stände hatten unter den Gründen ber Abfepung Chriſtian's
auch feine Gewaltthätigfeiten gegen die Kirche genannt,
Ebenfo Hatten fich bei der Thronbefteigung Friedrich's bie»
felben (id) feierlich da6 Berfprechen von ibm geben laflen,
er wolle fchügen die Fatholifche Kirche, er wolle erhalten
die. Geiftlichkeit in ihren alten Rechten und Gütern. Auch
der Pabſt mahnte ihn und feinen Sohn zum treuen Hals
ten an der Kirche (1525). - Diefes Mahnfchreiben hat
allerdings für unfere gegenwärtigen Zwede feine ſonderlich
Theol. Quartalſqhriſt. 1850. 1L eft. 16
ME Die germianifigen und romaulſchen IBolfer
beweifende Kraft. Allein bei Friedrich wirkte ver Ginfiuf
feines Sohnes Ehriftian, ber in Deutfchland fif mit der
Reformation perfönlich befreundet hatte, wirkten die augen
fkheinlichen Bortheile an Gut und Macht, welche ben melts
lichen Yürften auftelen, wenn fle. fi der Verkündigung
des reinen Evangeliums perfönlich annahmen. Der ſchim⸗
mernde Gewinn zog mehr, als heilige Berfprechungen
jurüdhielten. Doch heimlich und Ieife ſchritt Briebrich zuerft
voran. . Cr wollte zuwarten, bi8 die Schaar ber Neuglaͤu⸗
bigen zu einer Macht im Reiche herangewachfen wäre,
Viele Adelige, gelodt durch augenblidlichen Gewinn, vice
Mönche, gelodt durch bie Freiheit der Welt, traten über.
„Die Reformation verbreitete fid unter bem -SBolfe, fo daß
ber König bie bürgerliche Gleichheit der Proteftanten und
Katholiken, die Priefterehe und die Unabhängigkeit ber Bi⸗
fchofswahlen von Rom burd fegte — auf bem Reichs⸗
tage zu Odenſe im S. 1527. (Hafe a. a. Ὁ.) Den Bi
fhöfen ward es zum ftrengen Gefege gemacht, die Pallien
nicht mehr von Rom, . fondern vom Könige zu beziehen,
an ben fofort auch bie SBalliengefber entrichtet werden muß
ten. Diefelben erhielten bie Anweifung, „das Evangelium
lauter und rein zu prebigen.* Sm 3. 1530 war eine
Religionsdifputation, in welcher fid) der König die Befug-
nig der Gntfdjeibung nad) der heiligen Echrift zulegte
Frievrih farb im S. 1533. Sein Sohn Chriſtian IH,
ein firenger utberaner, ging energlfcher als fein alter
Bater vor, um ben Gógenbienft zu vernichten. Mit fur
ger Politik fefelte er bie weltlichen Stände in ihrem In⸗
terefle an feine Bläne — und ifolirte bie Bifchöfe. Gt
berief — 20. Aug. 1536 — einen Reichstag der welt:
lichen Grofen — an bemjelben Tage ließ er heimlich alle
v
da threm Verhältniffe μὲ et Kuche. 248
Bifchöfe in das Gefaͤngniß werfen. Dem Abel warb ber
Mund verfperrt durch das Berfprechen einer reichen Wut»
beute der geiſtlichen Schäße — bie der König gnädig mit
ihm theilen wollte. Damit verlangte und erlangte der
lifige Chriftian freie Hand, ben Bifchöfen zu tbun nad
feines Herzens Luſt. Das arme Volk aber — εὖ wurde
weder befragt ned) beachtet. Bon Bolföfreibeiten und
Volksrechten hat trot ber taufendfachen Verficherungen des
'Gegentbeió feine Zeit weniger Notiz genommen, als die
Zeit ber Reformation. Mit einem Echlage follte jest das
alte Gebáube ber Kirche niebergemorfen werben. Die ges
fangenen Biſchoͤſe mußten ihrem Rechte und ihrer Würde
entfagen für ihre perfönliche Freiheit und für ihr Eigen»
tum. Sie mußten verfprechen, ihrem Wiberftande gegen
die Reformation zu entfagen. „Der BifchofRönnow von
Roeskild ift, um der Kirche nichts zu vergeben, ein Märs
wrer im Kerker geftorben (1544). Die Krone und ber
Adel theilten fid in die Reichthümer der Kirche“. (afe
aa. Ὁ. 410). Die Bröbfte und Pfarrer wurden alle
abgefegt, wenn fie fid) zur Annahme der neuen Lehre nicht
bequemen wollten. Das ift nicht Freiheit, das ift Despo⸗
tismus, welcher bie Reformation bem dänifchen Volke aufs
gezwungen hat. Seit 1537 war ber Fatholifche Glaube
verbannt aus Dänemark. Unter Todesſtrafe wurde ber
Aufenthalt und die Beherbergung Fatholifcher Geiftlichen
verboten. — Sn Norwegen waltete und fchaltete diefelbe
Macht. Bis nach Island drang die Gewalt. Gegen bie
ZJumuthung, von ihrem Glauben abjufallen, erhoben fid
bier bie Katholiten mit den Waffen in ber Hand. Sie
wurden befiegt — ein Bifchof, Son Arefen, enthauptet.
Den Unterjochten wurde baé neue Evangelium aufgezwungen,
16 *
244 Die gérmániffen unb romanifihen Bälkır
Das war nicht der Sieg der Freiheit, fondern der Gewalt:
Swar heißt ἐδ: „wer das Schwert ergreift, der fol ums
fommen durch das Schwert.“ Aber es heißt auch: „Fürch⸗
tet euch nicht vor denen, die den Leib tödten, der Seele
aber nichis ſchaden fónnen.* Wer ben Menfchen ihr Hei⸗
ligftes, ihren Gíauben entreißt, ber ruft den Widerſtand
hervor — ben Widerſtand der Nothwehr fuͤr das Leben
der Seele.
Kommen wir endlich zu Schweden, dem Ur⸗ und
Stammlande germanifcher Völker — von wo Gotben, Ges
piben, Dänen, 9termannen, Waräger u. f. f. im Laufe
ber Zeiten ausgegangen find. Schon der alte Auszieher
ber gothifchen Geſchichte des Gafftobor, ber Biſchof Jor⸗
nanbeó von Ravenna, nennt biefe große Inſel Scanzia
„gleichfam eine Werkſtaͤtte der Völker, ober gewiß cine
Wiege der Nationen“ ἢ. Daran bat aber im Grunde
faum Jemand gezweifelt, daß ber ſtandinaviſche SBolfeftamm
zu dem großen germanifchen Völferftamme gehöre, ja nicht
wenige [affen bie Germanen überhaupt aus Gfanbinabien
flammen. Auch bat, wenn in irgend einem Lande nad)
Zurüddrängung des tfchudifch-finnifchen Stammes, bie gers
manifche Natur in Schweden fi rein und ungetrübt ers
halten. In Schweren alfo mußte, wenn je ber Proteftans
tíémué bie eigentliche, bem germanifchen Wefen 3ufagenbe
Weile des Glaubens ift, das Bolf von freien Stüden
bie ihm ‚gebotene Reformation ergreifen. Allein wir finden;
dag Guftao Wafa, der fehwenifche Reformator, biefelben
tyrannifchen Zwangsmaßregeln anwenden mußte, wie fte
1) Quasi officina gentium , aut certe velut vagina nationum —
Jornandes de Gothorum origine et rebus gestis es Migne Pat. T. 70)
cp. 4.
%
Ma
in ihrem Verhaliniſſe zu ber. Kirche 245
‚anderöwo zum Behufe der gewaltthätigen Berbrängung
des Katholizismus angeiwendet wurden ἢ. Sit Theiner’s
Schrift find aus unwiderleglichen Urkunden bie haarſtraͤu⸗
benden Sraufamfeiten gefhildert, welche ben Untergang des
alten Glaubens erzwingen halfen. Die Geiftllichfeit unb
‚das Voll widerfegten fü in gleicher Weife bem ihnen ans
gefonnenen und aufgegwungenen Abfalle. Blos Peters:
fohn und ber Reichöfanzier Andersſohn boten fi bem
Guſtav Waſa ald gefügige Werkzeuge dar. Guſtav trat
um fo entfchiedener auf, nachdem er im S. 1523 zum Koͤ⸗
‚nige ernannt worden war. Während Guſtav alle Mittel
‚zum Abfalle ber Kirche anwendete, fchrieb er an ben Pabſt:
„iſt ba6 geídeben (find bie erledigten Bisthümer befegt)),
fo wird den Forderungen Eurer Heiligkeit in Betreff der
‚Kepereien und Srriehren vollfommen Genüge geleiftet wers
ben, unb Wir werben Alles tun, was nur immer ber
‚heilige Stuhl von uns und unferm Volfe verlangen wird.“
In feinem Religionsedikt ließ er fid alfo vernehmen: „Um
nun aber vorzüglich jene verderbliche Lehre der Hufliten,
die ein gewiffer Martin Luther, Yuguftiner Ordens, zum
Nachtheil ber öffentlichen Ruhe eines jeden chriftlichen Staa⸗
tes aufs Neue aufbringt, fo ſchnell -ald möglich auszu⸗
rotten, fo befehlen voir Allen, und jedem insbefondere unter
unfern linteribanen bei Strafe bed Verluſtes aller Güter
und felbft des Lebens, ba Niemand für bie Zufunft je
mehr fich erfühne, die Lehre Martin Luther’s zu verbreiten,
die Schriften beffelben in unfern Staaten einzuführen, zu
verfaufen und zu faufen, noch auch (id) ihrer zu bedienen.“
1) Theiner, Schweden unb feine Stellung zum heiligen Gtuble,
2 Th. Augsburg, 1838 — 39. — Glarus, Se PM unb id
Mainz 1847. 2 br.
246 Die germantfigen und romaniſchen Bühler
Sof und fein Bruder Lorenz Peteröfohn hielten für
ihren Glauben Religionsgefpräce. Sie wurden von ben
Katholiken gründlich widerlegt — es konnte aber nicht
fehlen, daß ihnen ber König in der Regel den Steg zus
fprad. Rechtmäßiger Erzbifchof von Upſala war Johann
Magnus, päbfllicher Nuntius. Er, und Johann Brasle,
Biſchof von Lieföping, waren Säulen der Kirche, würdig
ber Liebe aller Jahrhunderte Zwanzig Sabre nad). feiner
Verbannung ftritt und litt Magnus für bie Kirche. Kurz
vor feinem Tode fchrieb er: „Ich finde, und wi aud
in ber That nichts anders finden, als Dornen und Gta;
def, unb bie Wundmale meines Herrn Jeſus Chriftus,
pie ich fortwährend wegen ber Wiederherfiellung des chrift-
lichen Gíaubene an meinem Körper trage.“ Er ftarb zu
Rom. Die beiden Bilchöfe, Peter Jakobsſohn von We⸗
fteräs und Magnus Knut, ermwählter Erzbiſchof von Ups
fala, bie mit den Dalefarliern gegen Guſtav geftanben,
wurden hingerichtet. Iafoböfohn wurde mit einer Stroh⸗
frone auf bem Haupte, unb mit einem halbzerbrochenen
Säbel von Holz, Knut mit einer Snfel von Baumrinde
und abgetragenen Chorgewändern, beide auf abgemagerten
Pferden, durch die Straßen von Stodholm geführt. Alnter
den fchmählichften Mißhandlungen wurden fte an ben Pran⸗
ger geftellt, mußten mit dem Scharfrichter trinfen, wurben
noch für einige Zeit in den Kerker geführt, hierauf Dinge
richtet — 1527 — ihre Leichname ben Raubvögeln zur
Speiſe ausgeſetzt. Beſonders bie fchwebilchen Ronnen von
Wadſtena zeichneten fi) durch ihren Heldenmurh aus.
Die Dalefarlier, welche einft ben vor Gbriftian fliehenden
Guſtav bei fid) aufgenommen, erhoben fid) gegen ben Raͤu⸗
ber ihres Glaubens in ben Waffen. ‚Ste. moiberflanbeu,
- μι ὅταν Berhältuife zu der Ride, - 247
oft getäufcht, unb. bis auf ben Sob gehetzt, i6 3. 3, 1543.
Die Weſtgothlaͤnder ſprechen in. ihrem Manifefe gegen
ben König: „er babe bem Baterlande bie &egerei. aufge
brungen, feinen Gib gebrochen unb vie fire unb ben
Clerus feiner alten Privifegien und Wärben beraubt, bie
Biſchoͤfe aus ihren Diszeſen vertrieben und erilirt, die Kir⸗
chen und Klöfter auégeraubt, bie Klöftet nad) gewaltfamer
Bertreibung ihrer Bewohner dem Boden gleich gemacht,
Mönchen und Nonnen zum Hohne der alten Disziplin ber
Kirche die Ehe erlaubt, bie Meffe verftümmelt, und in
ſchwediſcher Sprache halten laſſen, die Anzahl, Bedeutung
und den Gebrauch der Sakramente geändert und verkehrt,
bie herkömmliche Priefterweihe, bie Ohrenbeichte, bie bei
lige Firmung und bie Anrufung der Heiligen abgefchafft,
unb die Obfervanz der alten Waftengebote aufgehoben.“
Auf dem Reichstage zu Wefteräs (1527) erreichte
Guítao freie Hand gegen die Kirche. Er heuchelte, bie
Krone weglegen zu wollen, auch verlangte er die Gelder
zurüd, bie er aufgewendet. Man fürchtete bie Anarchie —
man bat ihn zu bleiben. Man beließ ibm zu feiner Ents
fhädigung Die Beftgungen der Bisthümer und Klöfter.
Der Adel befam feinen Theil an dem Raube — der Clerus
ging leer aus. Nun verlangte Guftav, daß man das reine
Wort Gottes achten folle. Eine Liturgie in der Landes»
fprache wurde eingeführt — der Cölibat wurde abgefchafft.
Bei ben Worten der Einfegung folle man noch bie Hoftie
und ben Kelch in bie Hand nehmen — um der Einfältis
gen willen — man hielt dad Volk in abſichtlicher Täus
(dung. Zu Derebro (1529) wurde das Werk vollendet.
Lorenz Petersfohn wurde Bifchof zu Upfala (1531).
Nach bem Gefagten wird fein billig Denfender behaupten,
248 ' Die germanififen und romanifchen Böker ıc.
das ſchwediſche Volk habe die Reformation frei und freudig
aufgenommen. Rein — fie wurde ibm aufgebrungen und
t fgegtoung en. c.
Aus ber Gefchichte der Einführung ber Reformation
bei den germanifchen Voͤlkern aber ergiebt fib, wie viel
"Wahrheit in der Behauptung liegt, daß ber Proteſtantis⸗
mué bie den germanifchen Voͤlkern entfprechende Weife des
‚Glaubens fei. Die Wahrheit ift, daß jene Behauptung
“eine Unwahrheit ift.
Dr, Sams,
Profeſſor in Hildesheim.
Ehrenrettung des Dionyfins Petavius und der katho⸗
Kitchen Auffaffung der Dogmengefchichte.
Die Darftelung, welche Petavius von der vornieänifchen
Trinitätslehre gibt, befonders aber das in einigen Stellen
derfelben ausgefprochene fcharfe Urtheil über mehrere Lehrer
diefer Periode Bat ihm Freunde erworben viel fchlimmer
als feine offenften Gegner, Lobredner feiner Gelehrfamteit
und Unpartheilichkeit auf Koften feines Tirchlichen Stand-
punkts und (εἰδῇ feines perfönlichen Charakters. Während
bet hochkirchliche ©. Bullus!), wenn er ihm vorwirft,
daß feiner Darftelung zufolge die gemeine Lehre bet. vors
nicänifchen Väter in der Hauptfache arianiſch gewefen fet,
die von Petavius nachgeiwiefene, von ber überwiegenden
Mehrzahl der Lehrer biefer Periode begeugte Lieberlieferung
ber ddjten Lehre gänzlich überfieht; geht der Socinianer
Sandius Ὁ zwar von berfelben Annahme aus, aber weit
entfernt diefes vermeintliche Ergebniß feiner dogmengeſchicht⸗
lichen Nachweiſung bem Petavius zum Fehler anzurechnen,
glaubt er vielmehr bie hieraus von ſelbſt fid) ergebende
Folgerung: daß nicht bie trinitas ὁμοούσιος des Nicänums,
fonbern die arianifche Guborbinationélebre chriftlicher Glau⸗
bensartifel (et, al8 bie wahre innere Ueberzeugung des Pe⸗
1) Defens. fid. nic. ed. J. E. Grabe. Lond. 1703. prooem $ 8.
2) Nuel. hist. eccles, I. p. 156 bei Bullus a. a. Ὁ.
- 250 Detavius
tavius bezeichnen zu dürfen, eine llebergeugung, von ber
' blefer das Gegentheil nur deßhalb ausprüdlich gelehrt habe,
um Berfolgungen wegen Abfalls von ber Fatholifchen Kirche
jur arianifchen Gecte zu entgehen.
Epätere gleichlautende Lrtheile, wozu eine fo pifante
Gntbedung immer Anlaß gibt, übergehen wir !); auch das
bes Hrn. Dr. Baur?) hätte uns eine eingänglichere Er⸗
Örterung nicht abgezwungen, wäre εὖ nicht in Zufammens
bang gebracht mit einer Schilderung ber von ihm ale
„aͤcht Fatholifch“ bezeichneten Auffaffung der dogmengeſchicht⸗
lichen Entwidlung, bie, felbft wenn fie wahrer und ſcho⸗
nender wäre als fie wirklich ift, eine nähere Beleuchtung
‚nicht überflüfftg machte.
Wenn Hr. Dr. Baur bem berüßmten katholiſchen
Dogmenhiſtoriker das Zeugniß gibt, der Einſeitigkeit und
Beſchranktheit des katholiſchen Standpunkis nicht unter
legen, ja ſogar über die Graͤnzen des katholiſchen Lehr⸗
ſyſtems hinausgegangen zu fein, fo erweist er ibm eine
Ehre, auf bie biefer Gelehrte ebenfo wenig Anfpruch macht
imb bat, al6 ber Fatholifche Standpunkt ben bogmenbiftes
τίει Proceß aufzufaſſen das abfchägige Urtheil verbient, .
das Hr. Baur auf ihn wirft. Dies zu zeigen, und Sebem
das Seinige zu geben, ift ber Zwed viefer Abhandlung.
L
Hr. Dr. Baur unterfcheidet dreierlei Auffafiungen des
Dogmengefchichtlichen Proceſſes: Die glaubig firchliche, bie
1) Bol. Möhler, Athanaſins ber Große und -bie Kirche feiner
Zeit. Mainz, 1827. ©. 49. f. Anm.
. 2) Die dyrifilide Lehre von ber Dteieinigkeit und Bosius
Gottes. Tükingen, 1841—43. 1. Bd, ©, Hu
und die kathol. Degmengeſchichte. 251
‚fubjeetig raifennirende und die fritijfg ſpeculative. Eni⸗
weder. nämlich fieht man, ibm zufolge, in der Geſchichte
des Dogma .nur einen (ubftanglellen Inhalt sbue bie Be
wegung, in welcher daB Leben der Gejchichte beſteht, ober
eine biofe Bewegung und Beränderung ohne bie {ιν
Ranzielle Realität, bie der Inhalt der gefchichtlichen Bes
iwegung fein muß, und ba nun biefe beiden Stanbpunfte
für die gefchichtliche Betrachtung gleich einfeitig find, fo
Tann ire Einfeitigfeit nur auf einem Standpunkte aufs
gehoben werben, auf welchem bie gefchichtliche Bewegung
al6 die nothwendige DBermittlung des Inhalts mit fid
felbft, ober als bie objectioe Selbftbewegung des Begriffe
erisheint !).
Im Berfolg ber weitern Schilderung der .erften ufo
faſſung kommt Hr. Dr. Baur auf Petnvius zu fprechen,
und ba có aud) une nicht bío8 um dieſen einzelnen
katholiſchen Gelehrten, fondern bauptfächlich um die „Acht
katholiſche“ Anficht von. bem dogmengeſchichtlichen Proceß
zu thun ift; fo können wir nidyt umbin, bie ganze Stelle
bieber zu fegen. „Auf bem erften Standpunft, fährt Hr.
Daur fort, hält man (id) demnach nur an bie Subflanz
ber Cade, bie ber Inhalt der Gefchichte ift, unb bie ges
ſchichtliche Bewegung ift nur bie fortgehende Seentitát des
‚fubftanzielen Inhalts mit fid) felbft, b. b. eine Bewegung,
bie in Wahrheit feine Semegung ift, eine Veränderung,
in weldyer fid) nichts verändert. Gine andere SBerduberung
al eine folche, bie rein formelle. Art ik, fann es auf
diefem Gtanbpuntte in ber Gefchichte deswegen nicht geben,
weil bie geſchichtliche Betrachtung von ber Vorausſetzung
1) Baur a. α. Ὁ. 1. ©. 108,
252 Belavius
ausgeht, bag die fubflanzielle Wahrheit, die ber Inhalt
ver Geſchichte ift, von Anfang an eine fo febr in fid
vollendete und abgefchlofiene ift, daß fie in ihrer Uns
mittelbarfeit nicht erft einer SSermittfung bedarf. Die
Subjerte, in welche die Bewegung der Gefchichte falit,
fónnen fi daher in ihrer Stellung zur Sbjeetivitdt
der Gefchichte, zu der unmittelbar gegebenen Wahrheit,
nur receptiv glaubig verhalten. Jede Bewegung, durch
welche ver Inhalt fid) wefentlich verändern, fid) aus fid)
fetéft. herausbewegen, nicht mehr als ber unmittelbar ges
gebene erfcheinen würde, fónnte nur außerhalb der Gub,
ftanz der Sache erfolgen, und ebendeswegen ihr Prinzip
nur im Unglauben haben. Diefe glaubig Firchliche, vein
dogimatifche Anficht von der Gefchichte hat ihren vollkom⸗
menften Repräfentanten in Georg Bull, deffen befannte
Vertheidigung des nicänifchen Glaubens darthun follte, daß
bie vornicänifchen Väter fchon ganz daſſelbe gelehrt haben,
was der Inhalt des nichnifchen Glaubens if. Alle Difs
-ferenzen der δεῦτε werden für eine blofe Verſchiedenheit
ber Form und Darftelungsweife erffärt, über welche man
mit biligem Auge hinwegfehen müfle. Da, was fir bie
vornicänifche Zeit gelten foll, auch für bie nachnicänifche
geltend gemacht werden fann, und überhaupt, wer einmal
in dem nicänifchen oder nicänifch » conftantinepolitantfchen
Symbol den authentifchen Ausdrud ber göttlich geoffenbarten
Lehre erblidt, mit bemjelben jede Vermittlung des Dogma
für geſchloſſen halten muß, fo fann εὖ in der ganzen Ger
ſchichte des Dogma feine Bewegung geben, bie nicht das
Princip des Irrthums und des Unglaubens in fid) hätte.
Obgleich ©. Bull ein Mitglied der englifchen Episcopals
firche war, fo ift bod) feine Anficht ale bie Acht Fatholifche
unb ble kathol. Deogmengefchichte. 28
ansufehen, und er (δῇ machte fie ala ſolche gegen ben
berühmten Dogmenhiftorifer der roͤmiſch⸗katholiſchen Kirche,
Dionyfius Petavius, geftenb, welchem fein hiftorifches Ges
wiſſen nicht erlaubt hatte, bie thatlächliche Lehrverſchieden⸗
heit der vornicänifchen Periode völlig mwegzuläugnen. Per
tavius gibt wenigftens fo viel zu, daß bie anfangs nod)
ſchwankende Lehrweife .erfi burd) bie nicaͤniſche Synode
Babe feftgeftellt werben müften, ja fogar, daß es bem
Arius unter den Kirchenlehrern der frühern Zeit feine»
wegé an Borgängern für feine ketzeriſche Lehre gefehlt
babe !) Sn ber That feheint auch Petavius in dieſer
Behauptung über die Gonfequeng des Fatholifchen Lehr⸗
ſyſtems hinausgegangen zu: fein, und felbft bie neueren
fatholifchen Dogmenhiftorifer glauben daher eine folche
1) Hiezu bemerft Baur in ber Note 31 auf &. 110: „Man vers
gleiche ba& Opus de theol. dogmatibus de trinit. I. 5, 7. 8, 2. Pla-
nissme constat, fagt Petavius in bec letztern Stelle, germanum Pla-
tonicum Arium extitisse, tum illorum veterum, secutum esse dogma,
qui nondum patefacta constitutaque re ad eundem errorem oflen-
derunt. Nam et illi productum a Deo patre verbujn non tamen ex
aeternitate docuerunt etc. — Quomobrem, quod Arium illius dog-
mais architectum fuisse, cujusmodi hactenus auditum non erst,
Alexander in epistola queritur, aliique Patres, qui contra hanc hae-
resim scripsere, oratorio modo et per exaggerationem dici arbitror:
siquidem magna est a nobis producta copia priscorum, qui idem
quod Arius ante tradiderunt.^ — Die hochkirchliche Gehaͤſſigkeit, bie
Baur an diefer Stelle nod) zum Wort fommen läßt, um bie „Unhalts
barfeit des ganzen Principe“ (der Fatholifchen Auffaffung des dogmen⸗
geichichtlichen Proceſſes) zu zeigen, gibt Hiezu nicht einmal einen Fingers
zeig, wohl aber flellt fie bie Behauptung, Bullus habe feine (von Baur
als die acht fatfolifdje bezeichnete) Siuffaffung als ſolche gegen Petay
geltend gemacht, al& eine irrige heraus, e6 müßte denn Baur unter ben
„acht Katholifchen” bie Catholici — wie Bullus und die Angli⸗
canet. ſich nennen, verſtehen wollen.
254 07 iitáeuse
Beeinträchtigung ber durch alle Zeiten hindurch fich gleich
bleibenden Stabilität ihres Dogma nicht zugeben zu bürfen.*
(Baur, a. a. Ὁ. 1. ©. 108—111)
Rah Hr. Dr. Baur fat fid) -bie Anficht des Betas
sinds in zwei Säge zufammen: 1) bie anfangs nod
ſchwankende Lehrweiſe mußte erft durch die nicäniiche Sys
node feftgeellt werden; 2) bem Arius fehlte es für feine
kezeriſche Lehre nicht an Vorgängern unter ben ag
vätern der frübern Zeit.
Wie verhalten fid) beide Sätze zu einander? Wäre
ber zweite, von Petavius wörtlich ausgefprochene, fo ges
meint, wie ihn Bull und Sand verftehen oder vielmehr
verdrehen , fo fünnte der erfte neben ihm nicht beftehen.
Denn wenn, was Artus nochmals geltend machte, bie
gemeine Lehre ber vornicänifchen Väter war, dann bes
ftand fein Schwanfen in ber Lehrart, dem die nicänifche
Synode hätte ein Ende machen können, fonbern bicfe hätte
die eigene, biöher nur ausnahmsweiſe vorgetragene Lchre
an bie Stelle der früher herrfchenden gefegt. Umgekehrt
aber, wenn vor bem Nicänum einzelne Lehrer, und biefe
nicht durchwed, Arianiſches vorgetragen, während bie übris
gen, und vielleicht ſelbſt jene in einigen Stellen ihrer
Schriften, die von bem Nicänum ſanctionirte Lehre als bie
von Anfang überlieferte und darum allein Achte bezeugen,
fo fliehen beide Säge ohne Widerſpruch neben einander,
und ergänzen und begrängen ftd) gegenfeltig. Denn je
verbreiteter bie arianifche Anficht unter ben frühern Lehrern
angenommen wird, deſto ernfllicher wird man aud von
einem Schwanken der Lehrweiſe und deſto eigentlicher von
einer Feſtſtellung berfelben durch bie nicänifche Synode
fpreden müffen, unb umgekehrt. Erſt bann, wenn man
unb bie kathol. Dotgmengeſchichte. 283
der Anſicht ig, bag bie gemeine Lehre der vornicánifden
Väter in der Hauptfache bie arianifche gewefen, und daß
diefe ben burd)berrídyenben Trieb ber dogmengefchichtlichen
Gnheidlung in ber vornicänifchen Periode bilde — kann
von dem erften Cape nicht mehr die Rede fein. Diele
Anficht fcheint aber Hr. Baur bem Petavius nicht beilegen
wu wollen, fonft hätte er wohl jenen Gag viel fchärfer
ausgedrüdt unb im zweiten nicht blos gejagt, es habe,
nad) Petavius, dem Arius nicht an Vorgängern ges
fehlt; denn das iff bod) in Wahrheit etwas febr. Unver⸗
fängliches. Allein gerade das flebt unfrer Borausfegung
entgegen. Wie käme Hr. Baur dazu, einen Mann mie
Betavius der lleberídoreitung des Fatholifchen Lehrfufteme
zu zeihen, wenn er in beffen Auffaffung nicht mehr fand,
ale das eben Gefagte? — Leber diefe fid) gegenfeitig vers
brängenden Erwägungen fommen wir nur hinaus, wenn
wir annehmen, baf Hr. Baur anftatt des getreuen Bildes
der Fatbolifchen Gefchichtsauffaffung die Garrícatur bet»
felben in dem Anglicaner Bulus gezeichnet und zugleich
jene €áge in einer weitern Ausvehnung und größern
Schärfe genommen hat, als wozu ihn bfe Anficht des
Petavius berechtigte.
Diefe ift erft nad) einer Seite üt den zwei Stellen
audgefprochen, auf bie fid) Baur nad Bull's Vorgang beruft
(ob. S. 253 Anm); und menn man diefe beiden Stellen
vollſtaͤndig berückſichtigt was weder von Bullus ned)
von Baur gefchehen ift — und in ihrem Zufammenhange
würdigt, fo mag zwar das in ihnen Dervertretenbe negas
five Ergebniß der Forſchung immer noch flärfer erfcheinen,
als durch. den objectiven Thatbeftand gerechtfertigt werben
fann, aber mit bem pofitinen — das von jenen gänzlich
256 Pttaãvius
Abergangen iſt — ſteht es gleichwohl fo wenig im. Wider⸗
ſtreit, als bie ganze, aus beiden reſultirende Anſicht des
Petavius dem katholiſchen Standpunet fremd (ft.
An ber erſten — von Baur blos eitirten — Stelle
(de trin. I. 5, 7) faft Betavius alles zufammen, was er
in der Lehre „einiger“ vornicänifcher Bäter Arianifches
oder Arianifirendes gefunden. inige, fagt er bier, hegten
von der Gottheit und dem Berfonenunterfchled in ihr bie
Meinung, ἐδ fel ein höchfter, ungezeugter und unfichts
barer Gott, welcher ben λόγος, ben er in fid) verfchlofien
hielt (ἐνδιάϑετος), aus fid) entließ ald Wort, aber nicht
wie ein menfchliches, das vorüber geht unb verhallt, fon»
dern in fid) beftefenb und gleichfam verkörpert, das alle
übrigen Dinge in's Dafein rief. - Damals, als Gott bie
Schöpfung biefeó Weltalls bei fi) befchloß, wurde ber
λόγος von ihm hervorgebracht, um ihn gleichfam als Ges
hülfen bei ber Schöpfung zu gebrauchen. Go Athenagoras,
Tatian, Theophilus, Tertullian und Lactantius. Diefe
fowohl als aud) andere, wie Origenes, ftellten ben λόγος
nach Würde und Macht unter ben 9Bater, und obgleich
fie ihn aus“ ber Subftanz des Baters herleiten —
wodurch allein er von ben übrigen Dingen, die aus
Nichts gefchaffen find, unterfchieden ift — fo. glaubten
fie doch, taf er wie bie übrigen Dinge zu fein anges
fangen babe, und nahmen feineswegs an, baf er für
fid, als eigene Hypoftafe von Ewigkeit her fel. Bon
den Alten — fo fdliegt Petavius bie Gtelle — {εἰ e&
weniger befrembfid), bag fie in folder Seife über bie
Hervorbringung des göttlichen Wortes fid) geäußert Dabens
aber wenn Seno von Berona nod) fo fpredje — sc. nad,
bem der Arkanismus in Nicka verworfen, und volle Klars
und bie kathol. Dogmengefchichte. 257
i
beit und Beſtimmtheit in das Trinitäts-Verhaͤltniß ges
gebracht worden fei: „patefacta constitutaque re^ — fo
fönne man fid nicht genug verwundern.
In ber zweiten Stelle (de trinit. I. 8, 2) ift es wies
berum bie Nichtewigfeit des λόγος, die SBetaviu& als das
Arianifche einiger vornicänifcher Xehrer befonders hervor-
hebt ἢ). Allein obgleich er, wie wir nachher zeigen werden,
etwas zu voreilig jene Nichtewigfeit der arianifchen Zeit:
lichfeit des Sohnes gleichgefegt, unb deßhalb bie genannten
vornicänifchen Lehrer offenbar zu hart beurtheilt hat; fo
macht er doch diefen Fehler baburd) gewiſſermaßen wieder
gut, daß er nun aud das bem Artus Eigenthüm⸗
liche, was vor ihm jene Lchrer gar nicht behauptet, oder
‚wovon fie das Gegentheil behauptet haben, auébrüdlid)
1) Die Stelle ift von Gun. Dr. Baur nicht ganz mitgetheiltz fie
lautet vollfländig fo: In ea vero professione planissime constat etc.
(f. ob. ©. 253 Anm.) Nam et illi productum a Deo Patre Verbum, non
tamen ex aeternitate, docuerunt, sed antequam mundum fabricaret,
"ut illó administro ad hujus molitionem operis uteretur. Non enim
per sese ac sine interjecto aliquo procreasse putabant omnia; quod
et Philo in libro de Opifice mundi secutus est. Quamobrem — ante
tradiderunt (f. 56.). Nisi forte hoc iste praecipuum habeat, quod
Verbum Dei ac Filium ἐξ οὐκ ὄντων, ex nihilo creatum palam, ac
dissertius quam unquam alias asseveraverit. Nam plerique illi, quos
supra (I. 5, 7) citavi, non id aperte declarant, sed Filium sive λόγον
sjunt ex Patris substantia profluxisse; ut Athenagoras, Theophilus
: Antiochenus, Tatianus. Origenes autem et Dionysius Alexandrinus,
etsi reipsa idem quod Arius sentiunt, non tamen expresse ac verbo
declarapt , ἐξ οὐκ ὄντων Filium esse factum. Tum illud forte vel
"peculiare vel prae ceteris Arius habuit, quod Filium Dei natura esse
mutabilem et in deterius verti posse defenderet. Itaque Sosomenus
quaedam, ait, Arium docuisse, quae a nullo haclenus usurpata fue-
rant, videlicet Filium Dei ex non existentibus esse factum ac
fuisse quondam , cum nondum esset. Item libero suo arbitrio ne-
quitiae ac viriutia capacem esse, el creaturam atque opificium. .
Theol Quartalſchrift. 1850. II. Heft. 17
258 Petavlus
hervorhebt. Bei Hrn. Baur wie bei feinem Vorgaͤnger
Bull bricht aber bae Gítatgerabe an bem Buncte
ab, wo das linterfdeibenbe des Arius von ben
getadelten vornícánifden Lehrern aufgeführt
wird. Die ftarfe Stelle: daß eine große Zahl ber Altern
Lehrer baffelbe, was Arius, fdon früher gelehrt babe —
wird fo fort geführt und dadurch wefentlich gemildert:
Wenn er (Arius) nicht etwa das voraus hat, bag er offen
und ausbrüdlicher ale irgend fonft Jemand lehrte, ber Sohn
fei aus Nichts gefchaffen; denn bie meiften von jenen
Vätern lehren, ber Sohn fel aus ber Subftanz des
Vaters hervorgegangen, wie Athenagoras, Theophilus,
Satian; Drigened aber und Dionyſius von Alerandrien,
obgleich fie ber Sache nach von Arius nicht abweichen,
febren bod) nicht ausbrüdfich, daß ber Sohn aus Nichts
gefehaffen fei 1), Sodann ift auch das vieleicht bem Arius
— — — —
1) Indeſſen bemerkte Petavius kurz vorher (de trinit. I. 5, 7)
auch von Drigenes ausbrüdlich, daß er bem Eohn aus ber Gubflan
des Vaters — mithin nicht aus Nichts — hervorgehen (age; iu Sua
fehung. des Divnys von Alerandrien aber, der nah Baſilius zuerft
den Samen des Artanismus ausgeftreut, teferitt er, daß biefer fid) von
der gegen ihn erhobenen Anklage gereinigt und feinen im Gifer gegen
Sabellins gebrauchten (arianifchen) Ansfprüchen einen guten Sinn ges
geben, aud) gegen das Ende feines Lebens von bem Geheimniſſe bet
Trinität richtig gedacht, wenigfteus geſprochen babe (de trin. I.
4, 10). Dagegen uttfeilt Petavius von bemfelben Dionys in der praefat.
c. 4. 6. 4 nicht nur milder, fondern aud) ganz anders: er habe im
Eifer gegen Sabellius bie Gränzen ber Fatholifchen Lehrweife überfprungen
— ohne jedoch aud) nur einmal den Sohn aus bem Nichtſeienden here
vorgehen zu laffen — auf die dagegen erhobene Einſprache aber fij
ganz zufrienenftellend erklärt und aud) bie legte Spur arianiſcher Irr⸗
lehre ausgetilgt. Petavius fchließt: Sed hujus Dionysii alia loca jam
attulimus (I, 4, 10. IH, 11. IV, 5), in quibus citra calumniam recta
est et germana trinitatis confessio. Solche fd) wiberfirebende Urtheile
-
und die ἔα οἵ, Dogmengefchichte. 239
eigen, bag er behauptete, der Sohn [εἰ feiner Natur nad)
veränberlih und mit ber Yählgfeit fi zum Boͤſen zu
wenden behaftet. Deshalb erzähle auf Sozomenuß,
Arius habe Einiges gelehrt, was bis dahin Feiner gewagt
babe, vorzubringen (nämlich eben jenes).
Das find bie Zeugniffe, auf welche bin man ben
Petavius des Abfalls von bem Gtanbpunct der Fatholifchen
Auffaffung ber Dogmengefhichte befchuldigt hat. Sie
find, obwohl von ung ſchon ergänzt, noch nicht vollftánbig ;
es fehlt bie ganze, viel reichere Parthie derjenigen Auss
fagen, die in die andere Wagfchale fallen, und um [ὁ
fierer den Ausfchlag geben, als jene nicht viel wiegen.
Denn was fol es beweifen, wenn Petavius zugefteht, daß
vor Arius Arianifches gelehrt worden? Wenn Baur auf
tatholifche Dogmenhiftorifer binmeifen wollte (a. a. Ὁ. 1.
S. 112. Anm.), bie ängftlicher waren αἱ Petavius, fo
hätte er fió mit Klee begnügen follen; Möhler ftebt
hinter Petavius in biefer Beziehung nicht zurück!). Aber
finden ſich bei Petavius häufig; fie find niebergefchrieben nach bem uns
mittelbaren Eindruck, den das eben bei den Alten Gelefene auf ihn
machte. Sein Werk de dogmat. theolog. ift nicht überarbeitet, es ijt
aus feinen Gollectaneen mehr nur aufammengefelit. Wer iffu uad) eine
zelnen Stellen beurtheilt, geht daher nicht felten völlig Irre. Das hätten
Bullus und Baur bevenfen follenz fie find in gleicher Weile ohne all»
Kritik zu Werk gegangen.
1) G6 wird fi dies and bem Verfolg unferer Darftellung ergeben.
Möhler fagt (S. 56) folgendes: „Bon bem Kirchenglauben müflen wir
bie fpeculativen Grürterungen Cinzelner trennen; was geglaubt werben
felt, ig Ueberlieferung, und im biefer flimmen alle mit einander überein.
Wie der Glaube aber mit fBernunftibeen in Uebereinſtimmung | gefegt
werden koͤnne, geht den Kirchenglauben nichts an. Fehler und Ginfeitig«
keiten in tiefen. Verſuchen Tünnen nichts gegen die allgemeine Kirchen»
lehre beweifen: ja felbft ans den fehlerhaften Conſtructionen und Des
monfitationen leuchtet biefe klar hindurch: man ficht, daß die Vaͤter ble
170
280 | Petavluß
auch wenn er aufer jenem !) noch andere zu nennen hätte,
die in dem Streben, auch das offenbar Diffonirende εἰπε
zelner Bäter in die Harmonie der allgemeinen Kirchenlehre
aufzulöfen, mit ihm weitteiferten, fo wäre damit überall
noch nichts bewiefen. Diffonangen folcher Art hat man
in der Fatholifchen Kirche von jeher anerfannt, ohne zu
fürchten, dem Fatholifchen Gtanbpunct im mindeften etwas
Dadurch zu vergeben. Fragt nicht Auguftin, beffen Urs
theil auch in biefer Sache von entfcheidender Bedeutung
—— — — — —
wahre Gottheit des Sohnes als die Lehre der Ehriſten beweiſen wollen,
obſchon ber Beweis irrig fein mochte. Hätten bie Apologeten bem Glauben
an bie Gottheit et erfunden, wie man fagt, fo hätten fie ſich ja felbft
Schwierigfeiten in ber Bertheivigung des Chriftenthums gemacht. Aber
Niemand, ber etwas vertheidigen will, erfchwert fid) die Vertheidigung
ſelbſt. Sie vertheidigten alfo die Gottheit Chriſti, weil fie biefen Glauben
votfanben." Aus den Aeußerungen des Petavius, bie wir weiter unten
anführen, ift zu erfehen, wie fid) bie Apologeten dieſe Schwierigkeit zu
erleichtern fuchten, und wie gerade biefer Verfuch, ben chriftlichen Glauben
an bie Buttheit des Sohnes und Geifleá den Heiden mundgerecht zu
machen, fie von der firengen Lehrart ablenfte.
1) Einmal auf die SBergleidjung Hingebrängt, räumen wir gerne
ein, daß zwifchen Petavius und Klee manche frappante Differenz fid)
nachweifen ließe. Während ἡ. 9. Klee (bei Baur 1. ©. 112 Anm.)
fubotbinattani(d) Flingende Stellen bei Origenes auf Rechnung eines uns
befaunten Faͤlſchers zu feben geneigt ift, conjecturirt Petavius gerade das
Gegentheil, daß bie fireng orthobor gehaltenen Stellen bei Origenes,
deren Athanafius einige anführt, als unterfchoben betrachtet werben
fönnien, wenn nicht ber Nefpert vor Athanafius im Wege flánbe (de
trinit. I. 4, 6). Andererfeits treffen fie auch wieder ebenfo [διε zus
fammen. Wenn Klee bie Erfcheinung, bag bie Dorftellung der Apolo⸗
geten bald mit dem Scheine des Tritheismus, bald mit dem des Cub»
ordinatianismus behaftet iff, aus der Unvollkommenheit ber menfchlichen
Sprache überhaupt und ber theologifchen Sprache jener Zeit im Beſon⸗
dern erklärt, fo begegnet er hierin dem Petavius auf demſelben Wege,
nur daß bie Erklärung des fegterm. concreter it, gebaut auf gef chicht⸗
dide — "t fid ungefucht darbieten (f. unt.).
[ —
und bie Fathol. Dogmengefchichte. 261
ift: Nunquid perfecte de Trinitate disputatum est, ante-
quam oblatrarent Ariani? Und Hieronymus gibt bie
Autwort: Certe antequam in Alexandria quasi daemo-
nium meridianum Arius nasceretur, innocenter quaedam
et minus caute loculi sunt, ei qwae nun possint per-
versorum hominum calumniam declinare. Die chrift
lie Forſchung und ihr Gelingen ift bedingt durch ben
Glauben, feine Gntwidlung und Seftftelung. So lange
ber Glaube durch bie Irrlehre nicht beunruhigt, und folg⸗
lich auch gegen die mannigfachen Abwege verfelben noch
nicht ausbrüdlich verwahrt ift durch bie Ausfprüche unb Gr»
flárungen der Kirche, werben bie Verfuche über ihn zu
fpeeuliren defto unficherer und fchwanfenter fein, je ſorg⸗
[ofer und freier fie unternommen und ausgeführt werben
fonnten. Mit folhen Gevanfen ging Petavius an bie
Nachweiſung des Mangelhaften und Berfehlten in ben
Auseinanderfegungen der vornicänifchen Lehrer; er beruft
fi dabei ausdrüdlich auf bie fo eben angeführten Stellen
Auguftin’d und Hieronymus, und verfichert (id) fo ber
llebereinftimmung feiner Auffaffung mit der altfirchlichen,
bie er nicht überbieten will !). WAusprüdlich erinnert er
1) De Trinit. I. 3, 1: Nunc de ceteris (— nam alii sunt, quos
ne Christiana quidem dignos appellatione censeat, qui exactius de
eo judicare voluerit, ut haeretici-), qui vel perpetuo catholici fue-
runt, vel inter eos aliquando floruerunt, prima esse debet inquisitio,
ut plerosque, quod dixi, constet de sanctissima Trinitate Platonico
pene more sensisse, vel loquendi genere ipso nonnihil ad eum im-
plicatos videri posse. Quod posterius ad sanctos potissimum atque
omni dignos veneratione Patres attinet, quos neque culpare debeo,
aut in haeresis nefariae crimen adducere, neque, si quid minus ab
iis accurate diclum extat atque ab catholica norma dissidens, possum
praetermittere. Die Qütetifer von Haus aus ftets ftreng fcheidend von
ben Fatholifchen Lehrern, fagt Petavius von dieſen: Sed us erant tem-
262 | Petavius
am Schluſſe dieſer Nachweiſung, daß ſie nicht ſo verſtanden
werden dürfe, als ob er nichts Geſundes und Katholiſches
in den Schriften ber Väter gefunden hätte. Nam plurima
reperiri faleor, e quibus nonnulla relulimus. Denn
e8 fei nicht feine Abficht gerefen, barzuftellen, was fie,
abfolut genommen, über bie Trinität gedacht, ſondern
dasjenige bemerflich zu machen, was in ihren Schriften
Berbächtiges und Gefährliches vorfomme. So habe ja
auch Auguftin vieles, was er früher gelehrt, in feinen
Netrartationen getadelt, und gewiß wäre es fein unnuͤtzes
Unternehmen für die Fatholifche Sache und bie Theologie,
und fónnte nicht afé unerlaubte Tadelſucht ‚gegen jene
alten und heiligen Männer angefehen werden, wenn 3e:
manb daſſelbe Gefchäft an ihren Werfen vollgöge. !).
pora, nondum mysterio illo salis liquido cognito, nonnulla peri-
culose dicta jecerunt. Die Sicherheit und Beftimmtheit in ber Aufr
faffung des Dogma, das feiner Subſtanz πα in bem Bewußtfein bet
Kirche ſtets ungefchwächt vorhanden ift, wurde erft Durch bie Dazwifchens
funft der Härefie nach und nach erreicht: Posteaquam seditiosarum ac
pestilentium linguarum veluti flabellis ventilata fidei est illa quaestio,
multum ad ejus dogmatis professionem constantiae ac perspicui-
latis accessit, tumque illud evenit, quod bene animadvertit Augus-
tinus (de civit, Dei XVI. 2): Multa quippe ad fidem catholicam
pertinentia, dum haereticorum callida inquietudine agitantur, ut ad-
versus eos defendi possint, et considerantur diligentius et intelliguntur
clarius et instantius praedicantur, et ab adversario mota quaestio dis-
cendi existit occasio.
1) De Trinit. L 6, 4. Petavius fchließt biefe Stelle mit beu ber
merfenswerthen Worten: Multo ergo minus improbari factum meum
oportet, si in paucis duntaxat sanctis catholicisque scriptoribus (nam
reliqui, quos eadem censura complexus sum, pro haereticis mani- _
festis, aut contagione pravi dogmatis afflatis communi judicio cen-
sentur) idipsum praestiterim, maxime cum non tam de reipsa , quam
de vocabulis ac loquendi more modoque complures appellati a me
fuerint et hac qualicunque castigatione perstricti, |
unb die Eathol. Dogmengefchichte. 263
Sn allen biefen Aeußerungen liegt indeffen nod) viel
Unbeftimmtes fowohl in Bezug auf bie Zahl derer, denen
Petavius Ungenaues ober Verfehrtes in ber Trinitätslehre
beimigt, als in Bezug auf bie Befchaffenheit der ihnen
zur Laſt gelegten Abweichungen von der gemeinen Lehrs
weife. Petavius bleibt ben nöthigen Auffchluß nicht ſchuldig.
Diele unter den Alten, fagt er 5, bie wir als Zeugen
des Slaubens bezeichnen, haben befonders auch in bem
Lehrſtück von der göttlichen Trmität nicht wenig, was von
bem allgemeinen Glauben abweicht, gefchrieben. Solcher
aber, die in bem Weſen ber Sache abweichen, find es nur
ganz wenige. — Außer den offenbaren SHäretifern unb
Sertenftiftern, wie Tatian und nad) bem Urtheile ber Alten
aud) Tertullian, finden ftc) einige, welche den gemeinfamen
wahren Glauben ber Subftanz nach zwar fefthalten, aber
in einigen Folgefägen von ber Regel abweichen; andere,
bie mehr nur im Ausdrude fehlgreifen. Won der erftern
Art find e8 drei — nicht mehr — Zuftin, Athenagoras
unb Theophilus *) ; von der andern Art Srendué, Clemens
Aer., und, nad) dem Zeugniffe des Bajilius, Gregor von
Neucäſarea (Thaumaturgus) 9), endlich Methodius. Dazu
1) De Trinit. praef. c. 1. 6. 12.
2) Petavius fommt auf fie, denen er ben hier fo hart beurtfei(ten
Tatian ohne weiteres beifügt, fpäter noch einmal im Allgemeinen zu
fprechen; praef. c. 3. $. 3 fagt er: De hoc (Theophilo) vero idem
quod de Athenagora et Justino atque etiam Tatiano, secundi omnibus
saeculi scriptoribus asseverandum est, eos omnes dogmatis caput et
substantiam ipsam sine ulla labe tenuisse, atque ex tam concordi de
tribus in divinitate sententia, quoquo tandem ea genere locutionis
expresserint, vim occultae et ab Apostolis transfusae traditionis colligi.
3) Gin weiteres Beifpiel zu bem fo eben bemerften unb ein neuer
Beleg für den fdjon oben von uns ausgefprochenen Gag, daß bie Aıt
der Entſtehung und bie Gigentbümlidjfelt des opus de theolog. dogmat.
264 Petavius
mag man noch fügen Tertullian und Origenes, die in den
meiften Stellen ihrer Schriften offenbar häretifch find, von
Laetantius gar nicht zu reden, ber fi, wie Hieronymus
bezeugt, mehr durch bie Eleganz feiner Echreibart, als
durch genaue Kenntniß ber chriftlichen Lehre empflehlt.
Wiewohl fie aber gar mandycé, was nur mit Vorſicht zu
gebrauchen ift, in ihren Echriften auégebreitet, fo findet
fib doch auch Gefunbeó und mit ber Fatholifchen Regel
Vebereinftimmendes bei ihnen; und felbft aus jenen Abs
weichungen leuchtet ba& Wefentliche be& gemeinfamen ächten
Gíaubenébefenntniffe8 hervor. Ja fogar aus ben abens
teuerlichen SBerunftaltungen des Trinitätsdogma bei ben
Häretifern und jenen Echriftftellern, bie unter biefem Namen
verworfen find (nad) Betavius: Tatian, Tertullian und
Drigenes), tritt etwas hervor, waé für die wahre und
unverändert fid) gleichbleibende Weberlieferung zeugt).
nicht erlauben, aus einzelnen Stellen auf bie Anfiht des Petavius zu
fließen! Wer könnte zweifeln, daß Petavins in Betreff des Gregorius
Thaumaturgus dem Urtheil des Bafilius hier beipflichte? Und bod) ift
das Gegentheil wahr] Dal. de trinit. I. 4, 10 praef. c. 4. €. 5 (Cujus —
Gregorii Thaumat. — Catholicum dictum frustra in suspicionem vocari
a Basilio, dixi in primo libri de Trinitate) c. 3. 4. 6.
1) Die Stelle lautet in ihrem Schluſſe vollftändig fo: De his ita-
que, qui Ecclesiae Patres vulgo censentur et in auctoritatem asciti
sunt, ita judico: tametsi quaedam in usu cavenda de inysterio hoc
nostro suis in libris adsperserint, alia quoque sana et consentanea
Catholicae regulae iisdem in scriptis edidisse; tam in illis ipsis, quae
abhorrentia videntur, elucere nihilomnius communis et integrae pro-
fessionis summam. Dicam aınplius, vel in illis portentis errorum,
quibus Trinitatis dogma vitiarunt haeretici et eo rejecti nomine Scrip-
tores, apparere tamen aliquid, quo communis fidei et traditionis ve-
ritas ac constantia probatur. Hier fat Petavius feine Anficht über
bie vornicanifchen Väter auégefprodjen, wie im feiner einzelnen Stelle
fonft. Auf fie mußten fid Bull und Baur beziehen, wenn es ihnen galt,
ihn wegen feiner Auffaffung zu loben oder zu tadeln.
unb bie kathol. Dogmengefchichte. 265
Die Abweichungen der Apologeten des zweiten Yahrs
hunderts, bie ihm nach dem faum Angeführten am weis
ieften zu gehen (dienen, glaubt nun PBetavius auch nod)
auf folche Weiſe erflären zu können, woburd fie ben in
ihren Darftelungen unangefochtenen Vätern merflich näher
gerüdt werden. Um nämlich den chriftlichen Glauben ben
gelehrten, mit der (platonifchen) Philoſophie vertrauten
Heiden annehmlicher zu machen, hätten jene Schriftfteller
die innerften und geheimften Züge des Trinitätsglaubens
nicht mit voller Genauigfeit und Echärfe ihren für bie
Deffentlichkeit beftimmten Schriften anvertraut, und zu
gleicher Zeit denfelben der platonifchen Theologie fo viel
möglich angepaßt.!) Aus diefem unb feinem andern Grund
hätten fie, dem Beifpiel des Apofteld Paulus in Athen
folgend, auf bie alten heibnifchen Theologen zurüdge:
tiefen, Orpheus, Mercurius und befonders Plato, um
an der Yehnlichfeit ihrer Lehre von ber dreifachen Grund⸗
urfache des Seienden den MWieberftand gegen das chriftliche
Dogma zu brechen ἢ. Habe ja bod) fefbft ber große
1) De Trinit. praef. c. 3. $. 3 (Bortfegung ber obigen Stelle):
ἂς mihi videntur ili, cum adversus gentiles doctos et philosphiae
deditos pro Christiana fide disceptarent, quo eam vendibiliorem fa-
cerent ac magis persuaderent, minus accurate ac subtiliter illius
intima et arcana commisisse libris istis, quos emanare in vulgus cu-
perent; atque ad Platonis decreta eamque quam illi combiberant
Theologiae formulam Christianum istud conformasse mysterium. Ita
plane sese res habuit ut idem in hoc instituerent dogmate fidei, quod
in plerisque aliis longe etiam postea factum novimus ab iis, qui
rudes ad Christianam religionem imbuebant animos, et iis sermonibus
erudiebant quos χατηχητικούς appellant. Nam initio sic illa tradebant,
ut prima duntaxat adumbrarent eorum lineamenta, et ex communibus
placitis atque insitis ex usu philosophorum notionibus colorem illis ac
plausibilem speciem captarent,
2) L. c. 6. (4 u.) 5: Certe cum unius ac trinae deitatis fidem
266 Petavius
Athanaſius, dem vor allen Vaͤtern die genaueſte und
klarſte Einſicht im das katholiſche Dogma nach bem ruͤh⸗
menden Anerkenntniß ſeiner Zeitgenoſſen verliehen worden;
dieſer wachſamſte und eifrigfte Vertheidiger des chriftlichen
Geheimniffes gegen die Arianer habe, wenn er ble Menfch-
werbung des Wortes und feine Gottheit den Heiden zur
llebergeugung zu bringen fuche, zu Vorftelungen feine Zus
flucht genommen, bie er aus der platonifchen Philofophie
entlehnt, weil fie den heibnifchen Leſern geläufig waren,
obgleich er felbft am beften eingefehen hätte, bag biefelben
weit mehr ber arianifchen als ber fatbolifdyen Lehre anges
mefien feien. Aus folder Genbefcenbeng feien aber aud)
Nachtheile entftanden; Mancher habe damit fid) felbft,
öfters noch Andere in SrriDum und Taͤuſchung geführt.
Indem man die chriftlichen Dogmen auf ähnliche ebrfáge
der heidniſchen PBhilofophie angewandt, habe man nicht
felten dieſe in jene übergetragen und als dhriftlichen Inhalt
unbewuft mit angenommen. Darauf hätten fid dann bie
Häretifer, namentlich bie Arianer geworfen, und zur Bes
fhönigung ihrer Srríebren bie aus jenen Quellen ftam-
menden YAeußerungen älterer, angefehener Lehrer und Väter
Berbeigegogen !). |
Allein bie Zahl derer, denen mangelhafte oder vers
contra gentiles tuentur Veteres ilii, uti non incredibilem eam aut
absurdam egse demonstrent, antiquos illorum Theologos proferunt,
Orpheum, Mercurium, Platonem vero maxime, ac deinceps ceteros
tam poetas quam generis alterius Scriptores, ab quibus illud idem
dogma traditum et scriptis vulgatum fuerit. Sic Athenagoras, Cle-
mens Alexandrinus, Origenes, Cyrillus et omnes ad unum fecere,
qui in eo argumento versati sunt, ut ex primis capitibus libri nostri
de Trinitate primi perspicuum erit.
1) L. c. $. 6.
und ble kathol. Dogmengefchichte, 267
ferte Vorflelungen des Trinitätsverhäftniffes zur aft
fallen, ftebt in feinem Verhaͤltniß mit ber SRaffe ber Zeugen
für die von Anfang an vorhandene und gleichmäßig an⸗
erkannte, endlich gegen bie Arianer auf der nicänifchen
Synode feft und unzweideutig ausgefprochene llebertiefes
rung ἢ. Den Beweis führt Petavius durh 4 Kapitel
feiner S8orrebe (capp. 2, 3, 4, 5), an deren Schluß er
fagt: Durch biefe Maffe der Zeugen, heiliger und ges
lehrter Männer, dürfen wir glauben unfer Wort gelöst,
und was wir und vorgefeßt (vgl. c. 1. $. 11 u. 13),
volftändig geleiftet zu haben: ut catholici de Trinitate
dogmatis fidem omnes intelligerent per traditionis seriem
ac veluti canalem a Christo et Apostolis ad Nicaena cu-
currisse tempora, a quibus deinceps ad extrema usque
mundi saecula plenis velis et cóntinusto cursu provehitur.
Ac tametsi nonnulli ex iis, quos appellavimus, iisdem
ilis in libris, unde testimonia protulimus, quaedam ad-
miscuerint haud satis sincera, quae Arianorum errori gra-
tificari videntur, siAt/ hoc perpetuitati incorruptae tra-
ditionis officit, sed miro quodam modo magis eam
commendat et illustrat. Denn alle jene Irrthuͤmer unb
mangelhaften Privatmeinungen beftänten entweder mehr
nur in der Ausdrucksweiſe als in ber Sache felbft, ober
1) L. c. c. 1. €. 13: Verum quod ad rem magnopere spectat
et nostra potissimum interest , praeter paucos illos, quos nominatim
percensui, quamplurimi sunt, quorum scripta aut non multa restant,
aut eorum fragmenta ab aliis descripta patribus, aut qui ab iisdem,
omissis eorum verbis, testes citantur fidei illius, quam ab Arianorum
calumnia vindicabant; sive nomine ipso ac sigillatim appellati sunt,
sive generatim et hac comprehensi formula: ut antiquos patres ita,
ut ipsimet credebant, qui illos laudabant, et sensisse de Trinitate et
scriptis docuisse testentur,
--
268 Petavius
bezögen ſich nicht auf die Subſtanz des Dogma, ſondern
auf einzelne Momente und Folgeſaͤtze, oder ſie beruhten
lediglich auf der beſondern Auslegungsweiſe, indem über
das Weſen des Trinitaätsgeheimniſſes ſelbſt, worin alle im
Glauben übereinſtimmen, der eine dieſe, ber andere eine
andere Erklärung verfucht hätte ).
Angefichts biefer ebenfo häufigen als Haren unb feften
Erflärungen wird wohl Hr. Dr. Baur von bem obe ab;
ftehen, das er bem Petavius unverbienterweife gezollt, und
fi entfchließen müffen, „ven berühmten Dogmenhiftorifer
ber römiſch⸗katholiſchen Kirche“ zurüdzuftellen in die Reihe
feiner Glaubenégenoffen, bie ihre „aͤcht Fatholifche Anficht“
mit ihrem „hiftorifchen Gleviffen* volftändig im Einklang
wiſſen.
Die bei Petavius immer wiederkehrende Unterſcheidung
der Subſtanz des Dogma von den Folgerungen daraus
und bem was fid) als ihm gemäß daran knüpft“?), fo
wenig fdarf und durchgebilvet fie bei im noch ijt, bildet
bie Grundlage feiner Auffaffung des dogmenhiftorifchen
Mrocefles. Diefer ift ihm deßhalb nicht, gleich ber dom bes
1) Praef. c. 6. 6. 1. eun nun Möhler (Athanaſ. 1, ©. 57)
bei den vornicänifchen Vätern feinen. andern als ben. nicánifdjen Glauben
findet, wenn er nur im Ausdruck und Begriff Schwanfendes unb Uns
klares zugibt (wie Baur ihm vorrüdt); fo unterfcheivet er fich hierin
jedenfalls nicht von Petavius, und Baur hätte fich nicht durch ein Paar
Stellen, bie von bem Giferer Bull aufgeföbert worben waren, verleiten
laffen follen, zwifchen biefem unb den neuern fatfolifdgen Dogmenhiſto⸗
rikern eine Kluft zu befefligen, bie in Wirklichkeit nicht eriflirt. MWenu
Möhler (ebendaſelbſt) weiter fagt, daß man fich in der fpeculativen Er⸗
Örterung des Trinitätsglaubens durch platonifdje Ideen habe irre führen
leffen, fg Bat aud) dies Petavius ſchon vot ihm bemerkt, wie wir kurz
zuvor nachnewiefen.
2) De Trinit. praef. c. 1. ©. 10.
und die kathol. Dogmengefchichte. 269
Heraclit, ein abfolut Fließendes und Veränderliches, fonbern
. in dem Wechfelnden ift ein Beharrliches, in bem Berän«
derfichen ein Bleibendes, bie Subſtanz des Dogma, wie
fie durch bie hi. Schriften volltànbig gegeben, und baun
durch die Tradition in ihrer Reinheit und Bolftändigfeit
erhalten, ober zugleich durch biefe mitbeftimmt und fofort
in ihrem vollen und wahren Sinne erflärt wird). Das
MWechfelnde, was, als foldyes unmittelbar Gegenftanb ber
Geichichte ift, obwohl es an bem Beharrrlichen zur Gt»
fheinung fommt, hebt bieje bod) als folches nicht auf,
fondern beweist es als ſolches, und infofern ift auch bie
fi gleichbleibende Subftanz Gegenftand der Gefchichte,
Sie wäre ein blos Borausgefegtes, beliebig Angenom⸗
menté, wenn der gefchichtliche Beweis ihres Dafeins nicht
geführt werden fónnte; unb wie anders follte er geführt
werben, als aus ber Reihe aller der Darftellungen, die
fie zu ihrem Gegenftande haben? Die Härefie hat auch
bie Gíaubenéjubftang zu ihrem Gegenftanbe, unb ift infos
fern ein weſentliches Moment ber Dogmengefchichte; aber
zwifchen ihr und der SOrtboborie tritt ber wefentliche Unter⸗
fchied ein, daß fie bie Cubftang des Glaubens um ihr
Dafein bringen, fie aufheben und ein anderes Prineip an
ihre Stelle (egen, nicht wie jene ihr Dafein beweifen, be:
fráftigen und fie bewahren (conferviren) will. Der biet»
aus zwifchen ihr und der Orthodoxie entítebenbe Kampf
ift nicht ein Streit um bloße SBorftellungen betfelben Sache,
um verfchiedene Erflärungen unb Anwendungen; εὖ ift ein
SBrincipienfampf, ber SBiberfreit der Grundüber
jeugungen, des unmittelbaren Glaubensbewußtfeine.
n—— v
1) L. c. c. 1. $. 2 seqq.
270 B s Pelavius
Es fónnen hin und wieder die Vorſtellungen und Erfläs
rungen auf beiden Seiten nahezu ganz diefelben fein, und
bod) fteben fic ihre Repräfentanten feinblid) entgegen, weil
fie fid) entgegengefegter Principien bewußt find.
Wenn wir biemit nun eine Gonfequen ber von Petavius
aufgeftellten Unterſcheidung der Subftanz des Dogma von den
daraus gezogenen Folgerungen oder darauf gebauten Theorien
und Erflärungsverfuchen ausfprechen; fo wiflen wir bod,
daß er felbft derfelben vergeffenb fid) wiederholt zu Urtheilen
hinreißen 1äßt, bie auf feinem eigenen Gtanbpuntt. ihre
Erledigung und Widerlegung leicht finden. Wäre ihm jene
Unterfceheidung ebenfo fíar geworben, als fie ihm geláuftg
war, fo hätte er in anfcheinend geringfügigen Unterfchies
ben den Gegenfag ber Prineipien, des verfchiedenen Glau⸗
bensftandpunetes audgebrüdt gefunten, und bie Mangel:
haftigfeit ober felbft Verkehrtheit mancher Borftelunge-
weifen und Erflärungsverfudhe als folche erkannt unb
billiger gewürdigt. |
Diefes unfer Urtheil fönnen wir nicht beffer begrün-
ben, als wenn wir gerade auf diejenigen Auseinanderfeßuns
gen ded Berhältniffes zwifchen dem Bater und Sohn
innerhalb des göttlichen Weſens, welche Petavius an ben
vornicänifchen Vätern am Schärfften getabelt hat, zurüd:
gehen. Alle Lehrer ohne Ausnahme, bie das Doppel
verhaͤltniß des Sohnes zum Vater — das ber Einheit
feines Wefend mif biefem und das ber Verfchiedenheit von
ihm als eigene Hypoftafe — aus ber Doppelbedeutung
des Wortes λόγος im biblifchen Eprachgebrauche (oratio
[sermo, verbum] und. ratio [mens, sapientia]) nadj
weifene nehmen nur ben λόγος ἐνδιάϑετος ald συναΐδιος
τῷ πατρὶ an unb behaupten, ver Sohn al eigene, felbft:
unb bie kathol. Dogmengefchichte. 271
ftánbige Hypoftafe neben tem Vater, der λόγος προφορικὸς
eriftire erft feitbem Gott den Entfchluß gefaßt, die Welt
zu ſchaffen, und er fei unmittelbar vor der Weltfchöpfung
zum Behufe derfelben aus bem Bater hervorgegangen !).
Diefe Nichtewigkeit des Sohnes im Vergleich mit ber
Ewigkeit des Vaters fest nun Petavius geradezu auf dies
felbe Linie mit der von Arius behaupteten fchlechthinigen
ZeitlichFeit beffelben, indem er dabei den von ihm felbft
angegebenen wefentfidben Umftand ganz außer Berechnung
läßt, daß während bie vornicänifchen Väter wie aus einem
Munde den Sohn aus ber Subftanz des Baters
hervorgehen laflen und von einer Schöpfung beffelben
aus Nichts nichts wiffen, Arius umgekehrt ihn ftets ἐξ
οὐκ ὄντων gefchaffen fein läßt und feinen llrfprung aus
bem Wefen des SBateró ausprüdtich verwirft, ba er nad)
ibm vielmehr dur den Willen des Baters wie alle
QGreatur if. Es trennt alfo Petavius hier zwei Momente,
die fchlechterdings zufammen gehören, fi gegenfeitig et»
gänzen und zur Einheit des Begriffs fortbeftimmen, und
nur mittelft biefer wibernatürlichen Trennung war ed ihm
möglich, bie vornicänifchen Väter einer arianifchen €ebrart
zu zeihen, da fie doch mit ihrer beftändigen Annahme des
Hervorgangs des Sohnes aus dem Wefen des Vaters in
ſchaͤrfftem Gegenfage zu der von Arius behaupteten Schoͤ⸗
pfung beffelben aus Nichts getreten waren. Wenn nun -
aud) jene wie biefer die Grifteny des Sohnes mit bem
Moment unmittelbar vor der Weltfchöpfung beginnen
lafen; fo ift doch das was in ihm zur eigenen Eriftenz
gefommen nach den vornicänifchen Vätern der mit bem
1) Petav. de trinit. L 5, 75.8.2,
Li
272 Petavius
Vater gleich ewige Logos, hingegen nad) Artus eine zeit⸗
liche Greatur, bie nicht von Natur der göttliche Logos ift,
fondern fo nur heißt und dur Gottes Gnade es ge
worden tft, deren wesentliche Verfchiedenheit von ber
Gott immanenten Weisheit, von bem feiner Natur nad
göttlichen Logos ausdrüdlich von ihm behauptet wird 5.
Wenn man alfo auch ganz auf den Buchftaben hinauf:
figen will, fo läßt fid) das Verhältniß der vornicänifchen
Lehrer zu Arius in biefer Srage bod) nur fo beftimmen:
ber Sohn ift auf bie Worm feines befondern, eigenen
Dafeins angefehen nach jenen Lehrern erft vor der Welt-
fhöpfung ba, aber das was er ift, ift von Ewigkeit her,
wogegen er nach Artus zugleich feinem Weſen und feiner
eigenen Erifteng nach zeitlich ift. Nun frage ich jeben
unbefangenen Forſcher: liegen bier nicht ganz verfchiedene
Anfichten über den Sohn und fein Berhältnig zum Vater
vor, und ift jene Unterſcheidung der vornicänifchen Lehrer
etwas mehr ald eine nicht febr glüdlich gewählte Vers
anfchaulichungsweife ihres Glaubens an die göttliche
Wefenhaftigfeit des Sohnes in eigener SBerfónlicofeit,
eine mangelhafte Borftelung einer unmangelbaft geglaub:
ten Wahrheit, fury eine philofophifche aber feine bogmatifde
Srrung? |
Es ift nicht richtig, wenn man behauptet, bie Eriftenz
des Sohnes werde von den vornicänifchen Vätern als eine
zeitliche angenommen; nur ber Begriff der Ewigkeit in
ihrem höchften und reinften Sinne gefaßt als das fchlechthin
Uranfaͤngliche ift nicht auf ben Aft des Hervorgange
des Sohnes aus dem Bater angewendet. Es war ſchwer,
1) Petav. de trinit, L 8, 1. 2,. —
unb bie kathol. Dogmengefchichte. 273
und gelingt nur dem angeftrengteften Denken, etwas Θὲ
ſchehendes nicht als irgend einmal gefchehen zu faflen,
es über bie Zeit zu erheben; nod) fchwerer fällt ἐδ, die
llríadye nicht früher zu denken als das Berurfachte. Sene
Bäter trugen unbebenflid), wenn fie von bem Hervorgang
bes Sohnes aus dem Bater fpraden — und fomit nicht
das ruhige, unveränderliche göttliche Sein, mit bem ber
Begriff der Gipigfeit wie von felbft fid) verbindet, vor
Augen hatten — die zeitliche Eucceflion in das Gebiet
ber Ewigfeit hinein. Es erftredt fid, nad) ihrer finn»
lihen Vorſtellung, die Ewigkeit oder vielmehr Vorzeit
lichfeit vom Uranfang (Ewigkeit) bis zur Weltfchöpfung
hin; in ben Uranfang fegen fie dad göttliche Sein,
in biejen , gleichfam fpätern Moment, unmittelbar vor
Erfhaffung ber Dinge, dad Heraustreten des Logos aus
feiner Immanenz in Gott, die göttliche Zeugung bed
Eohnes. Go wenig ihnen die Borftelung: damals faßte
Gott ten Entfchluß der Weltfchöpfung — verfünglih und
mit bem abfoluten Wefen Gottes unverträglich fehlen, ebenfo
wenig glaubten fie bie Sbee des Sohnes Gottes zu trüben,
den Glauben an feine göttliche Wefenhaftigfeit zu vers
fümmers, wenn fie fid) vorftellten, daß der Sohn damals
als für fid) feiend ind Dafein getreten fei. Die biblifche
Schöpfungslehre, wornach Gott durch fein Wort (Aoyog) ἡ
bie Welt nad) dem zuvor von ihr in feiner Weisheit
(oopia) gefaßten Gedanken ins Dafein rief, ift ber Quells
punct diefes ganzen Erklaͤrungsverſuchs, ber, wenn man
ihn nur als folchen betrachtet und das zu Grf(ürenbe, das
ibm zur Grundlage dient, davon unterfdeibet, nicht nur
nicht anftófig, fondern durch feine Einfachheit und Tiefe
gleich fehr beachtungswerth if. Auch finden fid) deutliche
Theol. Ouartalſqhriſt. 1850. II. Geft. 18
274 Betavins
Gyuren, wie einzelne Väter bie. behufs ber SBeranidan:
lichung des Deppelverhältnifies de Sehnes jum Vater
aufgeſtellte Unterſcheidung τεῦ. λόγος ἐδεάϑεεος unb προ-
φορικὸς fofert wieder in Rd) dbi απῇδίει. Wenn fe
ben λόγος ἐνδιάϑετος αἷδ ad bem λόγος προφορεκὸς ct;
füllende Weſen Peftimmen, und fomit biejen, ber ald per:
fóntid) auf Die Grenzicheide peijden Ewigkeit und Zeit
geRcht iR, in das ewige göttlide Sein wieder zurüd⸗
nehmen; fc brechen üc, gan; gemäß ter wahren dialecti⸗
fhen Bewegung des Begriffe, bie Nerhbrüde ber Bor
Rellung (was au ifr τοῦ Mangelbate unb ein Nothbehelf
des ἐπ δεν SerRante& id, vergl. m. Einleitung in bie
Tegmat. €. 53), nadjbem Ne ihren Zwei erfüllt, und ber
Gerunfe and der Ilmmüreibarkit des Glaubens zum De
4 πᾷ über 4e weygckbritten ii, binter δῷ ab N).
Die versicäuiiien Bater (Sütbenagereó , Ihesphilus,
Origenes, Terrallian, Yanrantınd x). Mat Retavins?),
Rellen ben geqe£ nad Zeil, Würde unb Mad
unter ben Bater. — Ben ier jeltlidgen Ilnteread-
wung haben wir je chen acnat. δα e mur eine ſchein⸗
bare, tek Re sur cz tialernide οιδέεδαπε für fe
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39 U 7 Là 2.
und bie kathol. Dogmengefchichte. 97
Hypoſtaſe angenommene Nichtewigkeit beffdben hat ihr
Gofrectio an der göttlichen Gubftantialitát, Die fie ihm
fiet beilegen ; die Regation feine Gefchaffenfeins aus
Nichts läßt jene Annahme nicht in den arianifchen Irrthum
der Zeitlichfeit des Sohnes außfchreiten. Hatten jene
Lehrer bie Idee des göttlichen Logos, des vom Vater gezeug⸗
ten, mit ihm einigen unb doch von ihm verfdicbenen Eohnes
mittel eines in der Giwigfeit verlaufenden, bis zum
Moment vor ber Weltfchöpfung fich erftredenden theogo⸗
nifchen Proceſſes zu verdeutlichen gefucht; fo mag biefe
Loͤſung des Problems eine febr unvollfommene und fogar
mangelhafte fein — was wir übrigens nicht einräumen ἢ) — ;
bie wefentliden Bedingungen ber wiffenfchaftlichen Aufgabe
ſehen wir, wenigftens formell, in ihr erfüllt. Einmal neh⸗
men fie das Ganze des bogmatifchen Inhalts nach einer
beftimmten Seite hin zum Ausgangspunete — das doppelte
Berbältniß des Sohnes zum Bater, die Einheit und den
Unterfchied — fodann fuchen fie zu dem Abfiractum
diefes Inhalts bie ihm entfprechende Anfchauung, unb
gewinnen fo einen klaren Begriff; indem fie aber drittens
ben in bem veranfchaulichenden Bilde ftedenden Gegenſatz
tbeil8 aufheben, theils vermitteln und zur Einheit forts
beflimmen, erheben fie ὦ zum wahren und concreten
Begriff.
Sn der Subordination des Sohnes unter den Vater
binfichtlih ber Würde und Macht fteft bie Anlage der
1) Daß diefer Weg fpátet fo gut wie ganz verlaffen wurde, kommt
mut von bem Abfchen gegen ben Arianismus Der, ber bie Werkzeuge zur
Qrridtung und Begründung feines Irrthums aus ber tfeologifdyen Rüſt⸗
Banımer diefes Väter geholt unb zu feinem Truge mißbraucht fat.
18*
276 Beisint
Löfung eines andern Broblems, das bem Rad:
benfen über ben Inhali des Trinitãtsglaubens Rd) aufs
bringt. Wan hat dieſe Uaterordaung tritteiiijd) gebeutet,
während ἧς gerade darauf abzich, ben Monsıheismus
des Irinitätöglaubens zur Klarheit des Begriffs qu εἰ:
heben. Der Eohn it απὸ ver göttlichen Cuban; , aber
e ſicht unter dem ater, ter baé höchile, ungegrugte, uns
ũchtbare Weſen iR. Iſt aljo ter göttliche Logos ein
Theil ber göttlichen unıheilbaren Subjtan;? ober if er
bieie Enbitanz zwar ganz, aber depotenzirt im Acte
ber Zeugung, gleichwie bic gucfikhen Gmanatiouen in dem
Mate ald &c Rd wervieliältigen cin deſto ſchwächeres
Vroduct liefen? Beide Beritcliungen find von ben vor:
niräniichen Vätern auctrüdiid verwerten. Die Schöpfung
and Nichts trennt Gettlihed umb Weltliches in Bezug
auf Eubflantialität durch eine unenblide Kluft, und wenn
gleichwohl bie Belt nicht in einer foridauernden Flucht
wet Gett begriffen ik, io femmt Died micht baber, daß fie
«m6 (inem Weſen irgend etwas empfangen bat, fonbern
baber, daß εἰ Re burd) feinen aflmächtigen und lichevolien
Villen an jid) hält, burd denſelben Willen, bem fie
ijr Daſein verbanft. Wie aber burn ben chriftlichen
Schopfungsbegriff bie um Das göttliche Beſen herum fin-
gürten Kreiſe des gnojtüben Emanatiömus burchichnitten
wab zerriiien &mb; ie i ber chriſtliche Gottesbegriff zu
lauter unb erheben, um innerhalb bed Göttlichen ſelbſt
irgend einer Theilung, Berringerung oder Depotenzirung
Kaum ju geben. Dazu fommt, daß ber von Anfang an
zur Menſchwerdung beflimmte und ſich beimmente Sohn
Gotted auch von Anfang an derjenige iit, in meldjem bie
Gottheit zur Welt in unmütelbare Bezichung tritt, in
und bie fato, Dogmengeſchichte. 277
thr erfcheint:u. f. w., während fie in ihrem ewigen Ans
fi als unfichtbares Wefen von ber Welt abgefehrt
it; bag alfo der λόγος προφορικὸς wie ihm als ſolchem,
in feinem Ilnterfchiede vom Water, das MPBrädicat ver
Ewigfeit sensu eminentissimo vorhin abgefprochen wurde,
nun weiterhin auch bie Brädicate des unftchtbaren , ans
fangéfofen, ungezeugten, überhaupt abfoluten Wefens ent»
behren muß. War einmal in folcher Weife der Verſuch
gemacht, die Einheit und den Unterfchied des Eohnes im
SBerbáftnig zum Vater zu begreifen, fo lag zur Begrüns
bung ber Einheit Gottes, ungeachtet der Zweiheit
oder Sreibeit ber Hypoftafen, nichts näher, als das was
im Sohne das Wefen am fid) ift, was er aus dem Bater
und mit ihm gemein hat, in den Water hineinzunehmen,
und Darauf die Einheit Gottes zu bauen, in dem dagegen,
was ihn von dem Vater unterfcheidet, ihn unter ihn zu ftellen
als von ihm gezeugt, als vor ber Weltfchöpfung aus ihm Der»
vorgegangen, als fein Diener und Gehülfe bei biefem Werke
u. f. vo. Wären fid) die vornieänifchen Väter dieſer Tren⸗
nung Des Sohnes Gottes von dem bem Vater immanenten
λόγος ἐνδιάϑετος, und damit von bem abfofuten Weſen
jeibft, als einer bios abftractzdialectifchen nicht bewußt ges
mefen, wäre ihnen der Sohn Gottes, den fie bem Vater
unterotbgen, der ganze nach allen Seiten in fid) abger
fchloffene göttliche Logos ; dann hätten diejenigen Recht,
welche ihnen ben Subordinatianismus und den Tritheis⸗
mus aufbürden. Da aber beides nicht ber Ball, ba
fie vielmehr, wenn fie den Sohn dem Vater fofern er
von ihm verfchieden ift unterorbnen, ihn feinem Weſen
nach im Vater geborgen wiffen mit allen den Prädicaten,
bie biefem, ὃ, b. dem höchften Gotte zufommen; fo war
278 —— ffrtatius
ihr chriftlicher Glauben faloirt, unb bie Spröbigfeit des
Ausdruds, die hinter dem fpaltenben Gebanfen und feinen
bialectifben Wendungen zurüdbleibende Sprache verurfachte
ihnen feine Unruhe.
Auf bie Supereminenz des Baterd δαὶ man aud
fpäter nod), nachdem ín Sticda bie Wefensgleichheit ber
göttlichen SBerfonen ſchon auégefprodyem und vollfommen
aufgeklärt war, ben Beweis der Einheit Gottes gebaut,
indem man fagte, bie drei Perfonen feien deßhalb nur
ein Gott, weil aus Einem alle, weil Sohn und Geift in
in den ungezeugten Bater, al8 in ihre einheitliche Gpipe
auslaufen. Diefe Auffaffung, obfchon um eine Stufe höher,
ift bod) nicht viel beffer als jene. Denn jene einheitliche
Cpige ift der Bater blos als erſte Hypoſtaſe, gleichlam
losgetrennt von feinem Weſen, δίοδ ald ingenitus unb
generans, weil, wenn man das Wefen bingunimmt, ber
Eohn und Geift gleichfalls mitgefeßt, und fomit bie Dreis
heit in bie Einheit aufgelöst ift, ftatt bag fie auf viele
binauégefüfrt werben follte. Die logifhe Trennung ift
alfo bier in ähnlicher Weife beim SBater vorgenommen,
wie dort beim Sohne, wiewohl wir zugeben, daß dies ein
Fortſchritt if im Vergleich mit der vornicänifchen Begriffs
arbeit. Daß bie vornicänifchen Bäter bie jedenfalls noth⸗
wendige Trennung an der Idee des Logos vollzogen, das
hat feinen Grund aufer anderem gewiß aud) darin, daß
ihnen die Homooufte deſſelben mit dem Bater nod) nicht
fo geläufig und Har war, wie fie den fpätern Bätern aus
dem Kampfe gegen ben Arianismus es geworben if. Gie
wuften mit vollfommenem flarem Bewußtfein nur um
die Homooufie des λόγος ἐνδιάϑεεος mit dem Bater; bie
Homooufie des Sohne® mit dem Vater war ihnen eine
und bie kathol. Dorgmengefchichte. 219
blos mittelbare, durch ben λόγος ἐνδιάϑετος vermittelte,
unb hatte daran gewilfermaßen eine Schranfe. Denn
wenn gleich ber Gedanke ober bie Weisheit in Gott reell
nichts andered als das göttliche Weſen felbft fein fann,
fo ift fie bod) als Eigenfchaft von ihm unterfchieden. Das
trübte den Begriff der göttlichen Wefenhaftigfeit des
Sohnes, und es bedurfte der grellen, ausjchreitenden
Berfolgung der vornicänifchen Vorftelungsweife im Arias
nismus, um bis zu ber fíaren und unverrüdbaren
Sbee der Wefensgleichheit, der Homoouſie des Sohnes
mit bem DBater, zu gelangen. Eine Unflarheit und Unſicher⸗
beit in der begrifflihen SDeftimmung des unmittelbaren
Glaubensbewußtfeins ift das Meußerfte, was man den vors
nicänifchen Lehrern vorwerfen kann. Wenn ihre Sar»
ftelungen dem Arianismus viel näher liegen als dem
Cabellianiémuó und den verwandten Denfweifen bis zurüd
auf den Gnoſticismus und Ebionitismus; fo liegt eben
in dem Umftande, daß diefe Denfweifen das chriftliche Bes
wußtfein durch Beftreitung ſei's der göttlichen Wefenhaftig-
feit {εἴ 8 der götilichen Perſönlichkeit Ehrifti aufs unmits
telbarfte und tieffte verlegten, ein von Petavius nicht
berührter aber nicht minder ald bie von ihm angeführten
einleuchtender Erflärungsgrund für das weite Ausfchreiten
jener Väter nach der entgegengefegten Geite. Aus bem»
felben Grunde erklärt fid bie in manchen fpätern Dars
ftellungen, nachdem der Sabellianismus erlofchen und an
feine Stelle der entgegengefebte Irrthum des Arianismus
getreten war, fichtbare, nicht minder bedeutende Hinneigung
zu der fabellianifchen Erflärungs » und Ausdrucksweiſe.
Man kann als Beleg hiefür das früher verworfene, fpäter
zum Schlagwort erhobene Ouoovosos anführen. Aber fo
280 Ä Vetavius
wenig es gelingen wird, dieſen Darſtellungen die ſabellia⸗
niſche Denkart zu unterſtellen, ebenſo wenig liegt jenen
die arianiſche zu Grunde.
Das iſt die Auffaſſung des dogmengeſchichtlichen Pro⸗
ceſſes an einem Beiſpiel, die wir als bie „Acht katholiſche“
anerfennen, und zu ber ſich, wie wir gezeigt zu haben
glauben, auch Betavius bekennt. Haben wir bicfem damit
die Ehre entzogen, bie ibm Hr. Baur ermiefen, fo foll ibm
biefer Berluft auf einer andern Seite zum Gewinn aue:
fchlagen , indem wir es jet verfuchen bie Unehre abzu-
wehren, bie wie zur Vergeltung bes bem „berühmten
Dogmenhiftorifer der römifchsfatholifchen Kirche“ geſpen-
beten Lobes derfelbe Gelchrte der Fatholifchen Geſchichts⸗
auffaffung zugedacht Dat. Ξ
II.
„Auf diefe Weife — fährt Hr. Dr. Baur in ber Eins
gangé mitgetheilten Stelle fort — verfchwindet aus ber
Geſchichte jede lebendige Bewegung: es gibt für bie fa
tholifche Betrachtung nur Seer, deren verberbtide Irrlehre
in feinem natürlichen Zufammenhang mit bem fubftanziellen
Inhalt des Dogma ftebt, und Rechigläubige, bie, menn
auch in andern Ausdrüden und Formeln, bod) ohne irgend
eine wefentliche Verſchiedenheit ber Lehre, fort unb fort
Dafielbe wiederholen.“
Hr. Dr. Baur anerkennt den Dualidmus, welchen. die
Gefchichte be8 Dogma in bem Gegenjage der wahren und
falfchen Lehre aufzeigt, fo wenig, als er ben Gegenfah
von Gut und Bös als einen mefentliden , die Subjecte
abfolut trennenden gelten ließe. ein Standpunet ift ber
ber abfoluten Idee, bie fid) nad) ihren verfchiedenen Mes
unb bie kathol. Dogmengefchichte. 281
menten mit ftd) felbft vermittelt (1. S. 101), ber Stands
punct des abfoluten Erfennens, auf welchem das Unwahre
nur als etwas Einfeitiges und Negatives, übrigens Nas
türliches, ja fogar Nothwendiges erfcheint. Der Geift
muß, wenn er feine höchfte Aufgabe vollzieht, das an fid)
Seiende feinem Bemwußtfein zu bewähren, vie objectipe
Wahrheit zur fubjcetiven Gewißheit zu bringen, zwei gleich
einfeitige Richtungen — eine fubjective und eine objective
— durdlaufen, bi8 er „aus diefer noch unwahren unb
unmwefentlichen Geftalt feiner felbft zu feinem wahren Selbft
zurüdfehren und in ber Objectivität ver abloluten dee
mit freier Celbftbeftimmung ft mit fid) felbft zufammen
fhließen fann* (Baur, L ©. 102). Ein Dogma im
Sinne der chriftlichen Kirche (aud) ber proteftantifchen),
als objective abfolute Wahrheit, gibt εὖ nad Hrn. Baur
nicht ; bie Unterfeheidungen, worauf ber Begriff des Dogma
beruht, zwifchen göttlich geoffenbarter und menfchlicher
Bernunftwwahrheit , zwifchen der fubjectiven und barum
fehlbaren Thaͤtigkeit der einzelnen kirchlichen Organe
und der unfehlbaren Thätigkeit der Kirche als der von
Chriſtus geſtifteten und vom bl. Geiſte geleiteten Gemein⸗
ſchaft ber Gläubigen, gelten ihm als einſeitig unb unwahr.
Ausdruͤcklich gehört nach ibm bie Dogmenbildung der eins
feitigen und unwahren Öbjectivirung ber abfoluten
Wahrheit an. „Der von dem Inhalt ber abfoluten Sbee
erfüllte und Durchdrungene Geijt hat zwar den Drang in fic,
aus fi) heraus zu gehen, ben objectiven Inhalt der Idee
aus fid herauszuſtellen, und fid in ihn hineinznbilden,
fi feltft in ihm zu objectiviren, um jenen Inhalt, nad)
feinen verfchiedenen Momenten, fid) felbft zum Bewußtfein
zu bringen; aber biefe Sbjectivitit, in welcher der Gift
282 Detavins
fid) felbft gegenftändlih wird, trägt nod) das Gepräge
einer blos vorgeftellten Objectivität an fid. Die Bors
ftellungen, Urtheile, Reflerionen, in welche der Inhalt bes
religiöfen Bewußtfeind umgefegt und auseinandergelegt
wird, gelten in ber Form von Gíaubenéfágen
und Glaubenslehren als objective, unmittels
bar gegebene Beflimmungen ber abfoluten
Wahrheit, während fid in ibnen nur bit
Subjectivität des vorftellenden Bewußtfeins abfpie
gelt“ (Sur, I. $. 102 u. 103). Indem aber ber Geift affe
fit ſelbſt gegenftändlich wird, verliert er tod) das Bes
wußtfein feiner Selbft nicht. Wie er fid) in bie Objectis
yitit gleichfam hineingefegt und in ihr verborgen hat, fo
zieht er (id wicber aus ihr zurüd, reißt fid) von ihr 108,
zerfällt mit ihr. Sened ift der Character der díteften
Meriode des chriftlichen Dogma, die vorherrſchende Rich
tung auf das Objertive geht bis zur Reformation fort;
mit der Reformation tritt "die andere Richtung ein, bet
Gieift wendet fib in fein eigenes Selbſt zurüd und vertieft
fib in den Inhalt des fubjertiven Bewußtſeins (Baur, 1,
©. 105). „Se tiefer aber das Subject in fich felbft zuruͤck⸗
geht, deſto gewifler muß in ibm das Bemwußtfein einer
über alles Subjertive binauégebenben Objectivität erwachen.
Der Gegenfag, in welchen erft bie neuere Zeit zu jener rein
fubjectiven Richtung fid fepte, und bie hohe objective Bedeu⸗
tung, welche der Trinitätslehre, als ber wefentlichften Lehre
des Chriftenthums, auf dem Standpuncte der fpeculativen
Theologie gegeben wird, zeigt, bag nunmehr auch für
biee Dogma eine neue, mit dem allgemeinen Wenders
punst der neuern Philofophie und Theologie aufs engfle
und die kathol. Dogmengefchichte, 283
zufammenhängende Epoche kegonnen bat* (Baur, I. ©.
106 f.).
Dies ift nach Hrn. Dr. Baur die „objective Selbft-
bewegung des Begriffs,“ die durch wefentliche Veraͤnde⸗
rungen und Ilmgeftaltungen hindurch fid) gleid)bfeibenbe
fubflantiele Wahrheit, wie fle uns in der Gefchichte nach
Eritifch fpeculativer Auffaffung entgegentritt. Wie alle
geiftige Bewegung erft mit der „fperulativen Theologie“
nach Hegel'ſcher Beſtimmung zum Abſchluſſe fommt, [ὁ
aud) die Trinitätslehre; wobei nur nicht zu vergeffen, baf
der faum bezeichnete Entwidlungsgang im Großen, fich
in jeder Periode im Kleinen wiederholt, und folglich
Baur und Hegel nicht ganz ohne Vorgänger, wenn
gleich von feinem erreicht find. Binden fid) biefe auch mets
flens und vorzugsweife in ber 9teibe der Srrlehrer, als
deren eifrigen Batron fid) deßhalb Baur überall zeigt, fo
ftreifen bod) felbft unter den höchft geachteten Vätern, ben
Steprdfentanten der „einfeitig objectiven Richtung“ manche,
3.3. fogar ber hi. 9tuguítin, an bie GCpige volfenbeter
fpeeulativer Erfenntniß an.
Es fann nicht davon bie Rede fein, den Fatholifchen
Dogmenhiftorifern diefe Auffaffung des dogmengefchicht-
lichen Brocefies zu »inbiciren, in ber wir nichts erfennen,
als das legte Ctabium der einfeitig fubjectiven Richtung,
welche nach Hrn. Dr. Baur die Reformation im Ge:
genfage ber ältern Zeit djarafterifitt. Die Fatholifche Auf .
faffung des Dogma und feiner Entwidlung ift durch bie
tieffte Kluft von ihr getrennt; auf ben Dualismus von
Wahrheit und Syrrtbum, wie von Gut unb 9868, auf ben
Unterfehied von göttlicher und menfchlicher Wahrheit, ber
fubjectio fehlbaren Tchätigfeit de8 Einzelnen und ber obs
284 ΓΝ Petavius
jectiv unfehlbaren Thaͤtigkeit der Kirche gebaut, if fie
principiell eine ganz andere). Wir haben in dieſer Ma
terie mit Hrn. Baur nichte gemein, als den allgemeinen
Begriff der Gefchichte, und nur von biefem aus fónnen
wir gemeint fein, bie Fatholifche Auffaffung des dogmen⸗
gefchichtlichen Proceſſes gegen feine Anflagen zu vertbeb
digen. Sener Prineipienftreit bleibt auf der Seite liegen,
weil, wie Thomas von Aquin fagt, contra principia ne-
gantem nicht zu bifputiren ift; um ihn aufzunehmen, müß- —
ten wir erft eine gemeinfame Grundlage auffuchen, two:
durch wir unà nur von der Hauptaufgabe entfernen würben.
Die Beränderungen, deren zeitliche Aufeinanderfolge,
urfähliche Auseinanderfolge und pragmatifchen Zufam-
menhang bie Gefdjidóte darſtellt, müffen einerfeits wirt»
lihe Veränderungen, unb dürfen anbererfeits nicht bloße
Veränderungen fein; εὖ muß fid) durch fie ein rotber Fa⸗
ben, eine fubftanticlle Realität binburd) ziehen, in ber baé
Gemeinfame und Beharrliche bei aller Berfchievenheit zu
Tag tritt; die Veränderungen müffen folche fein, bie nicht
außerhalb ber Sache, fondern entweder an ihr felber, ober
in Bezug auf fie in der Art und Weife ihrer Manifefta-
tion vor fid) gehen. Da ber Inhalt ber Gefchichte, von
ber wir reben, ein geiftiger ift, bie Wahrheit als Gegen
ftand der Erfenntniß, fo wird dad Berhältniß des Veraͤn⸗
berliden zu dem Beharrlichen, je nachdem dieſe Wahrheit
auf bem Wege ber Erfahrung allmählig gewonnen, erweis
1) Auch der orthobore Proteftantismns, obgleich er ſchon ven Bes
geiff des Dogma einfeitig fubjectio beflimmt, ſteht gegenüber von Hrn. Baur
tod) ganz entjchieden auf unfrer Seite; weßhalb denn auch biefer über
$agenbad) unb Thomafins nicht weniger als über Möhler um
Klee feine Klage erhebt. (T. €. 112. Anm.)
͵ und bie kathol. Dogmengefchichte, 283
tert und berichtigt, ober ald eine von vorne herein geges
bene in dad Bewußtfein aufgenommen und für baffelbe
bewährt wird, ein wefentlich verfchiedenes, unb fonach auch
ihr Begriff ein anterer fein. Die Wahrheit des Trinitaͤts⸗
glaubens ift als eine geoffenbarte von ber legtern Art.
Sie wird al® folche weder durch Erfahrung gewonnen,
noch aus ber Vernunft entwidelt, fondern tft als eine abs
folute, weder der Erweiterung noch ber Läuterung fähige,
Gegenftanb unbebingter Annahme im Glauben, unb ver-
hält fid) als bie unveränderliche Subftanz, an ber fid) ber
dogmengefchichtlihe Proxeß vollzieht. Bon welcher Art
find nun die in biefem begriffenen Veränterungen? Sind
fie, wie Baur behauptet, notbmenbig bloß formeller Art,
nur verfchiedene 9fuébrüde und Wormeln deſſelben wefents
lichen Inhaltes? Sft bie gegebene Glaubenswahrheit, wie
er weiter behauptet, auf biefem Gtanbpunfte „eine fo febr
in [ὦ vollendete und abgefchlofiene, bag fie in ihrer Un⸗
mittelbarfeit nicht erft einer Vermittlung bedarf“, daß „jede
Bewegung, durch welche der Inhalt fid) aus fid felbft
herausbewegen würde, nur außerhalb der Subſtanz ber
Sache erfolgen, und ebendeßwogen ihr Prineip nur im
Unglauben haben könnte?“ Diefe Bragen fiebt fid) Baur,
um feinen Widerfpruch gegen bie „firchlich glaubige“ Aufs
faffung zu begründen, insgefammt zu bejahen genótbigt.
Wir verneinen fie; und menn εὖ uns gelingt, diefe "Ber:
neinung zu begründen, fo ift jener Widerſpruch als ein
grunbfofer erwiefen.
Weil bie geoffenbarte Wahrheit mit dem Ans
fpruch der Abfolutheit auftritt, deßhalb foll fie einer
Vermittlung nicht bebürftig, ja fogar nicht fähig fein!
Was .verfieht man.da unter Vermittlung ὃ Offenbar eine
288 Petavius
wefentliche Veraͤnderung, wie denn Baur beides als gleich⸗
bedeutend neben einander ſtellt (1. S. 109), alfo eine Gr:
weiterung oder eine Berichtigung, wovon das eine wie
das andere durch den Begriff der Abfolutheit allerdings
ausgeſchloſſen iſt. Aber wie? wenn die „nothwendige Ver⸗
mittlung“ ver Idee eine weſentliche Veraͤnderung ihres
Inhalts bedingt, dann iſt ja offenbar die geſchichtliche Be⸗
wegung „eine bloße Bewegung und Veränderung ohne bie
ſubſtanzielle Realität“, bann tritt mit jevem Stabium ber»
felben etwas anderes und neues ein; dann ift „die abfolute
Wahrheit, bie auf bem Wege des fpeculatiben Denfens
zur abfoluten Gewißheit des Geifteó gelangen foll“ (I. &. 102),
nur ein Name, ein abftracter, inhaltslofer Begriff, unb
die Gefchichtsbetrachtung des Hrn. Dr. Baur tritt auf bie
Stufe der „fubjectiv raifonnirenden“ zurüd, die er ale
einfeitig und unwahr felbft ausbrüdlich verwirft. — Das ift
nicht bie Frage zwifchen ihm und uns, ob bie gefdhichtliche
Entwidlung des Dogma in Veränderungen fich fortbewege,
bie jid) als wahrhafte Verfchievenheiten, und nicht bloß
ald Aenderungen des Ausdruds unb ber Formeln fid) ans
kündigen — denn das behaupten aud) wir unb hat man
fatholifcherfeits immer eingeräumt ), — fondern ob biefe
1) Vincen. Lirin. Commonit. cap. 28: Bed forsitan dicit ali-
quis: Nullusne ergo in Ecclesia Christi profectus habebitur re-
ligionis? Habeatur plane et maximus. Nam quis ille est tam invides
hominibus, tam exosus Deo, qui istud prohibere conetur? Sed ita
tamen, ut vere profectus sit ille fidei, non permutatio. Si quidem
ad profectum pertinet, ut in semetipsam unaquaeque res amplificetur ;
ad permulationem vero, ut aliquid ex alio in diiud transver-
(atur. Crescat igitur oportet, et multum vehementerque proficiat
tam singulorum, quam omnium, tam unius hominis, quam totius
Ecclesiae aetatum ac saeculorum gradibus intelligentia, sciemis,
sapientia; sed in suo dunigset genere, in codem suilivet dog-
unb bie kathol. Dogmengeſchichte. 287
Veränderungen nothwendig Beränderungen der ſubſtan⸗
tiellen Wahrheit des Dogma feien und eine wefentliche
Verſchiedenheit der Lehre einfchließen. Das fáugnen wir.
So weit die Dogmengefchichte (ebiglid) das Kirchliche
Gfaubenébefenntnig der bervorragenbften Perfonen unb bie
Symbole der Goncilien berichtet, ift ihr Inhalt allerdings
„die fortgehende Sbentitdt des fubftanziellen Inhalts mit
fid) ſelbſt“, b. b. bie ununterbrochene lleberlieferung unb
Bezeugung berfelben Wahrheit — eine 9Xonotonie, die burd
bie Mannigfaltigfeit ber äußeren Umftände, unter weichen.
fie auégefproden und abgefaßt worden, nicht wahrhaft bes
feitigt wird. Aber das ift nicht ber alleinige Inhalt ber
Dogmengefchichte. Die Grundftriche, welche den Prin⸗
eipienfampf der kirchlichen Wahrheit mit bem häretifchen
Irrihum darſtellen, find bie eigentlichen Grundzüge bes
dogmengefchichtlichen Gemaͤldes. Diefes wird um fo leben⸗
biger, je umfaffender fomobI bie verfcehiedenen Gtanbpunfte
berüdfichtigt werden, von denen aus bie ausgezeichnetern
Zeugen der Firchlihen Wahrheit den Häretifchen Irrthum
befämpften, als auch die verſchiedenen Seiten des fegtern,
gegen welche ihre Angriffe gerichtet waren. Nimmt man
dazu noch, daß in einer längern Periode ber häretifche
Irrthum fich von verfchiedenen, zum Theil geradezu ents
gegengeíegten Seiten der Firchlihen Wahrheit entgegen-
ftelite, unb die kirchlichen Lehrer bieburd) veranlaßt waren,
die von ihnen feftgehaltene Wahrheit in Gemáfbeit biefer
wechſelnden Gegenfäge, folglich ftetd wieder aus einem
neuen Gefidtépunfte auseinander zu fegen; [0 haben wir
eine zufammenhängende Reihe von Bewegungen und Bers
mate, eodem sensu, eademque sententia. Vergl. meine Dogmatik,
1. 491. 1. Abthlg. ©. 402.
298 ms Petavius
aͤnderungen, die den Wechſel, die Mannigfaltigkeit des
Geſchehenden beurkunden, und einen Grund der Veraͤn⸗
derungen, einen Mittelpunkt der Bewegungen als das
Eine in bem Mannigfaltigen, ald das Beharrliche in bem
Wechſel, welches eben das ift, was in dem Gefdebenben
gefchieht. Die Ginfeitigfeiten, von denen Baur fpricht,
find hier sollfommen befeitigt; bie Dogmengefchichte, bie
das vorhin Befchriebene zu ihrem Inhalte hat, zeigt weder
bloße Bewegung und Veränderung ohne bie fubftantielle
Realität, nod) einen fubftantiellen Inhalt ohne Beiweguug,
fondern alle die Veränderungen, von denen fie erzählt, find
ebenfo viele Manifeftationen derfelben Wahrheit gegen ven
ihr entgegentretenden häretifchen Sertbum, und zwar fort:
laufende, ununterbrochene Manifeftationen berfeíben, waͤh⸗
‚send bie Härefle nur ftrid)s und flellenweife auf bem efte
der Gefchichte erfcheint. Und die Härefie felbft ift eine
Manifeftation ber Wahrheit, wenn gleich eine unfreiwillige,
nicht fowohl dadurch, daß fie in ihrem Widerfpruch gegen
die Wahrheit Zeugniß für ihr Dafein ablegt, als vielmehr
dadurch, baf fie im SBiberíprud) mit fidg felbft — der
Arianismus mit dem Sabellianismus, der Pelagianismus
mit dem Manichäismus ꝛc. — [4 felbft widerlegt unb
befeitigt, und fo bie Wahrheit von ihrem —
befreit.
Die Bewegung in dem dogmengeſchichtlichen roce
tft aber nicht blos relativer Artz fie beftebt nicht allein
in der wechfelnden Gegenfáglidfeit de8 Dogma gegen bie
verfchiedenen häretifchen Aufftelungen, fonbern auch in ber
Mannigfaltigfeit der fubjectiven Verfuche, ben überlieferten
Glaubensinhalt, das Gemeingut der Kirche, zu ergründen,
zu vermitteln, fi) und andern verftändlich zu machen. Das
und bie kathol. Dogmengefchichte. 299
(ft die eigentliche Wurzel der dogmengefchichtlichen Bewer
gung, der Quellpunft aller Veränderungen, von benen bie
Geſchichte des Dogma erzählt. Die Härefie fel6ft ift faft
durchgängig in ihrer Cntftejung nichts als ein verun«
glüdter Verſuch, das Firdhliche Dogma mit bem anderweir
tigen Wiffen und fonft Gewiffen in Einklang zu bringen,
baffelbe vor biefem zu rechtfertigen, überhaupt zu erklären
unb zu begreifen. Gelang es nicht, fo fuchte ber Häretis
fer, der als folder von Haus aus nur mit fchwachen Bans
den an dem kirchlichen Glauben, mit befto feftern an feinem
eigenen Sd) hängt, ben Fehler nicht auf der Seite feines
fubjeetiven Geiftes, des über bem Dogma errichteten wiſſen⸗
ſchaftlichen Gebäudes, fondern in ben Fundamenten. Diefer
Irrthum bedingt die Vollendung der Härefie. ^ Der dre
tifer verändert nun bicfe Fundamente, oder legt ganz neue,
eben folche, welche jenes Gebäude erfordert, damit es in
fich -felbft haltbar fei. Man fann mit ihm baffelbe wiſſen⸗
fchaftliche Gerüfte errichten, und finden, daß es ben Suns
bamenten nicht ganz gemäß i(t, daß ἐδ zu mweit oder zu
enge ift, um mit ihnen als ein einheitliches, in fid) zus
fammenbángenbeó, fid) gegenfeitig flügendes und tragendes
Werk zu gelten; aber ber, welcher in dem empfangenen
Glauben feftftebt und in ihm als ber abfoluten Wahrheit
beharrt, erträgt bie Mangelhaftigfeit feiner wiſſen⸗
fchaftlichen Grfenntnig, wohl wiffenb, daß, wie Clemens
von Alerandrien fagt D, bie Lehre des Eriöfers in
fd) felbft volfommen (avroseArs) und keiner lnterftügung
bebürftig ift (ἀπροςδεὴς), ba fie „göttliche Kraft unb
Weisheit“ ift 1 Gor. 1, 24; wogegen ber. Häretifer feine
. 1) Stromet. lib. L p. 819 ed. Potter.
Deol. Ouartalfrift. 1850. Heft II. 19
290 Petavius
Einſicht für volllommen haltend, fid) von ifr aus gegen
die ewige Wahrheit wendet und fle nad) feinem Gutbünfen
ändert. Nicht auf die Theorie fommt es an, fondern auf
ihre Grundlage und Borausfegung, auf den Glauben.
Eine mangelhafte und felbft falfche Theorie macht nodj
nicht zum Häretifer, fondern der mangelhafte und verkehrte,
mit Hartnädigkeit feftgehaltene Glaube. — Nehmen wir dies
alles zufammen, was auf beiden Seiten zur @rflärung
und Rechtfertigung des chriftlichen Glaubens von Anfang
an zu Tag gefördert worden, fo finden wir eine Mafle
von verſchiedenen Anfichten, welche nicht leicht ein Gefchichts
ſchreiber vollftánbig bewältigen wird, und derjenige gar
nicht bewältigen fann, ber in jeder derfelben etwas „anderes“
finden will. Wiefen fte nicht zurüd auf gemeinfame fefte
Vorausfegungen, fo wären fie dem Ehaos zu vergleichen,
in welches Licht und Ordnung zu bringen der Gefchicht-
fhreiber vergeblich arbeitete.
Indeſſen alle diefe Verfuche, bie Glaubenswahrheiten
zu erklären, zu rechtfertigen, überhaupt zu begreifen, gehören
als folche gar nicht in bie Dogmengefchichte, fondern in
die Gefchichte ber Dogmatif — ein Unterfchied, den die Dogs
menbiftorifer, fo viel mis befannt, theils gänzlich über
feben, theils wenigftend nicht feft und fíar beflimmen.
Was fie zum Gegenftanb ber Dogmengefchichte macht, das
ift ihr Verhältniß zu der von Zeit zu Zeit nothwendig
werdenden ausdrüdlichern Sormulirung des Firchlichen Glaus
benébefennthniffeó, zu der Firchlichen Lehr⸗Entwicklung unb
Seftíegung (explicatio et definitio). Erklaͤrungsverſuche,
die wiflenfchaftlich genommen einen fehr geringen Werth
haben, fónnen auf viefen praftifchen wed febr wirkſam
influiren, während wiffenfchaftlich bedeutungsvolle Auſtren⸗
unb ble kathol. Dogmengeſchichte. 804
gungen vielleicht nichts dazu beitragen ober gat ftótenb
einwirfen. Der Dogmenhiftersifer kann feine Aufgabe: bie
@eftaltungen des Dogma im Firchlichen Glaubensbekenntniß
nicht bloß einfach factifch aufzuführen, fonbern auch in
ihrem allmähligen Werden nachzuweiſen und bieburd) innere
lid) gefchichtlich zu erflären, — nicht mit ber notbmwenbigen
Klarheit vollziehen, ohne bei jedem Schritte jene Unter⸗
ſcheidung auf's forgfältigfte zu beachten. Inwiefern jedoch
dasjenige an den wifienfchaftlichen Verſuchen, was wir fo
eben ber Dogmengefchichte als ſolcher (im Alnterfcehiede von.
ber Gefchichte ber Dogmatif) zugewiefen haben, fid) vors
zugeweife im Gebiete des Gegenſatzes δεῖ firj»
fien Auffaffung des Glaubens gegen die häretifche ber
wegt und (omit ber fury zuvor aufgeftellten Betrachtung
des bogmengefchichtlichen Proceſſes zufällt; fo bleibt une
nur nod) die andere Seite jener Verfuche fury zu berühren
übrig. Die Beränderungen, auf ble wir bei den verfchies
denen. Erflärungs» und Bermittlungsverfuchen ftoBen, find
allerdings bloß formeller Art: es ift bie Wortbemegung de
in allen als der gleiche vorausgefepten pofitiven Ins
baltó aus ber Unmittelbarfeit feines Gegebenſeins burch
das vorftellende Bewußtfein hindurch zum concreten SBegriff, .
oder bet dialectiſche Proceß, in beffen Folge nichts an»
bereó, fondern diefelbe Wahrbeit anders gewußt wird.
Dennoch aber laufen materiell verfchiedene Momente mit
. unter, wodurch fid) ein Berfuch wejentlich von dem andern
unterisheidet, nämlich bie allgemeinen Vorausſetzungen, auf
Die man ba6 Dogma bafirt, unb mit welchen fein [pecieller
Inhalt in Uebereinſtimmung gebracht unb fo als ein vers
nünftiger. gewußt wird, Dean vergleiche à. B. nur bie
Verſuche der platonifirenden Kirchenväter in der Trinitaͤts⸗
19 *
febre mit denjenigen, welche bie Grfenntni und das Ders
ſtaͤndniß des Trinttätsglaubens, in Anlehnung an bie
biblifche Schöpfungsdarftellung, auf bie allgemeine Idee des
göttlichen Logos, nach Analogie des menfchlichen, begründen.
Hr. Dr. Baur, indem er auf die berührten verfchie,
denen Seiten des dogmengefchichtlichen Proceſſes nicht achtet,
hat fid) bie Sache, unferes Erachtens, viel zu leicht ger
madjt. Er hält ben einen Geftd)tópunct ber bialectifchen
fBermittlung feft, unter den fid) der ganze dogmengeſchicht⸗
liche Proceß nicht bringen läßt. Und biefe dialectiſche
Bermittlung, tiefe „objective Selbftbewegung des Begriffs,“
was if fie ihm anders, als das Hinftreben des im ihr
wirkſamen benfenben. Geiftes zu dem Hegel’fchen Begriff,
unter allmähliger Befeitung der Sache {εἰδῇς im Sinn und
Bewußtſein derer, bie (te gläubig fefthalten unb fid) toiffen»
ſchaftlich über fie zu verftánbigen fudjen? Was ift fte
anders, als die allmählige Selbftaufldfung des
dogma? Baur hat feinen andern Begriff von ber Dog-
mengefchichte, als ibn Strauß an der Stelle, wo er fid)
auf ihn aud) auébrüdíid) beruft, mit ber ihm eigenen
Schärfe und rüdhaltlofen Offenheit befchreibt: „Es (das
Dogma) ift in unbefangener, unbeftimmter Geſtalt vor:
Handen in der Schrift; in ber Analyſe und nähern Ber
flimmung deſſelben tritt ble Kirche in Gegenfáge aus εἰπε
ander, die wohl auch in häretifche Ertreme auslaufen;
fofort erfolgt die Firchliche Sirirung im Symbol, unb bie _
Symbole werben zur kirchlichen Dogmatik verarbeitet; bens
naͤchſt aber erwacht allmählig die Kritik, der Geift unter
fcheidet fid) von ber Realität, ble er fid) in ber kirchlichen
Lehre gegeben, das Subject zieht (id) aus ber Subftanz
feines bisherigen Glaubens heraus, und negirt diefe ab
und bie kathol. Dogmengefchichte, 293
feine Wahrheit. Dies wird es aber nur thun, weil ihm,
wenn auch zunächſt nur an (id und in unentwidelter
(orm, eine andere Wahrheit aufgegangen ift; und εὖ hängt
nun alles an ber rage, ob biefe neue, fpefulaltive Wahr⸗
heit diefelbe mit ber alten firdjliden fei, ober ihr fremb
unb entgegengefegt, ober ob ein Mittleres zwifchen beiden
ftattfinbe !) 730 Die Antwort fennen wir! — Go ift bann
aber in ber That, außer bem von Anfang an, aber bes
wußtlos, zu biefent Ziele hinftrebenden objectiven Geifte, in
ber ganzen Dogmengefchichte feine fubftantielle Realität
ober Wahrheit, fondern lauter Veränderung und nichts als
Beränderung — eine Auffaffung der Gefdidte, bie Hr.
Dr. Baur die „fubjeetiv raifonnirenbe* nennt und als eins
feitig und unwahr felbft verwirft.
1) Strauß, Slaubenslehre I. &. 71 f.
Dr. Kuhn.
ΤΙ.
Wecenfionen.
1
Schrbuch der katholiſchen floral von Dr. ftoureb
Martin, orbentlichem Profeſſor der Tatholifchen Theologie
und Inſpector des katholiſch⸗theologiſchen Konvictoriums
in Bonn. Mainz, Verlag von Kirchheim und Schott.
1850. XVI unb 694 ©. Preis fl. 4. 40 fr.
Der VBerfafler des obbefagten Werkes ift bereits
rühmlichft befannt durch fein „Lehrbuch ber Fatholifchen
Religion für höhere Lehranftalten, zunächft für bie oberen
Klaften der Gymnaſien“. Und wir müffen befennen, daß
auch diefes fein neues Werk: „das Lehrbuch ber katholiſchen
Moral“, eine ausgezeichnete geiftung auf bem Gebiete der
theologiſchen Literatur ift. Wir können zwar hier, ba e$
der Raum biefer Blätter nicht geftattet, nur auf eine Ans
zeige der Grundzüge beffelben eingehen, indeß wird ber
gefer ὦ felbft aus diefer kurzen Skizzirung der Grunds
zuͤge bereitö überzeugen können, daß wir nicht zu viel bes
hauptet haben. Was den 9Berfaffer zur Herausgabe feines
Werkes bewog, und welchen Gtanbpunft er in der wiflen-
fhaftlichen Behandlung der chriftlichen Moral Diebel eins
zunehmen fuchte, fpricht er in ber Vorrede S. V fetóft
aus: „Die Rothwendigfeit, bie chriftliche Moral aus ber
Martin, NMoral. 295
Bevormundung des philofophifcken Rationalismus zu bes
freien, wird fion längft anerfannt; auch find in dieſer
Ahficht bereits verſchiedene Verfuche unternommen worden.“
Allerdings. Denn den Beleg haben wir an ben Morals
werfen von Hirfcher, Stapf, Lomb, Filſer und Probſt.
Run, fährt ber Berf. fort, „mit der Herausgabe vorliegen»
ben 2ehrbuches besweden wir, uns biefen befleren Cr»
fheinungen anzufchließen, und den angebahnten Weg nad)
Kräften weiter zu verfolgen und durchzuführen.“ Des
Berf. Hauptzwed ift demnach: die chriftliche Moral auf
pofitiv » chriftlich » firchlicher Grundlage aufzubauen, und
hiermit den Ganbibaten der Theologie einen Leitfaden zum
„überfichtlichen Studium“ derfelben zu bieten.
Wir übergehen nun zur Skizzirung des Hauptideens
ganges von feinem Werfe. In der Einleitung gibt ber
Verf. S. 2 folgende Definition ber Fathol. Moral: -Sie
(t „die Wiffenfchaft, welche (ert, wie das fittliche geben
eingerichtet werden folle nad) der Lehre unb dem Beifpiele
Jefu Grifti, volftändig und unfehlbar aufbewahrt und
erflärt Durch bie Kirche.“ Gut ift. in biefer Definition
das Specifiſche der fatholifchen Moral hervorgehoben gegen
ble rationaliftifche Richtung, durch ben Zuſatz: „nach ber
Lehre Chriſti, aufbewahrt und erklärt burd) die Kirche.“
Denn eben dadurch ift bie pofttive chriftfatholifche Moral
unterfchieven von ber rationaliftifchen, daß biefe bloß das
fttlidye Leben nach der primitiven VBernunftoffenbarung
betrachtet und (omit bie Lehre Ehrifti nur innerhalb dieſer
Graͤnze aboptirt, weßhalb fie faft alle pofitiven Pflichten
der ſecundaͤren Offenbarung (ver Erlöfung) ausſcheidet,
indem fie bie richtige Deutung berfelben von der wahren
Kirche verfhmäht, daher man nach ihrer Anweiſung bie
298 Martin,
fittliche SBeftünmung nad) dem alle nichts weniger als
vollfommen zu erreichen vermag.
Der Berf. bemerkt hierauf €. 2: „Die Moral felbft
theilte man häufig wieder ein in die Gtbif und Afcetif.“
Indeß meint er: „Diefe Trennung unb abgefonberte Der
handlung der Ethik und Aſcetik möchte jebod) ſchon deßhalb
unzuläßig erfcheinen, weil bie Tugend, in ber Wirflichfeit
nicht beftebt, wenn nicht aud) bie rechten Sugenbmittel
angewendet werben. Die Anwendung der rechten Tugend»
mittel ft mithin in ben Kreis des fittlih Guten felbft
hinein, fo wie umgefchrt eine jede fittlich gute Handlung
wieder das Mittel ift zu andern fittlich guten Handlungen.
Eine genaue Abgrenzung zwifchen Ethik und Afcetik ift
daher aud) nicht thunlich unb ber Berfuch einer folchen
führt zu mannigfaftigen Snconveniengen und fann für bie
Sache felbft nur von Nachtheil fein.“ Deßhalb verbindet
er mit der Tugendlehre (Pflichteniehre) zugleih bie Zus
gendmittellehre (Aſcetik). So betrachtet er bei ber Pflicht
des Gebetes dafjelbe zugleich aló Tugendmittel S. 402, und
befpricht auch bie Meditation S. 410, „als eines der wichtig⸗
fien Mittel, um das innere religiófe Leben vor Verdorrung
zu bewahren und den wahren Gebetögeift in fid) lebendig
zu erhalten.“ Auf gleiche Weiſe befpricht er das Baften
al8 Zugendact und Tugendmittel &. 522, bie Wallfahrten
€. 469, u. f. w. Und daher handelt er auch bie Qebre
von „den Verhalten des Gbriften in Abficht auf bie Ga;
framente^ in ver Ethif bereitd ganz ab, welche andere
Moraliftien, wie Klee, Stapf, Riegler und £omb, in ble
Aſcetik fegten. Doch verftießen fid felbe, wie 3. 3B. Riegler,
2omb gegen ihr Syftem dadurch, daß fie ben Stoff beider
Gebiete nicht firenge geſchieden. Denn bie Aufzeigung
Moral. 297
der Pfliht des Empfanges ber Saframente gehört offenbar
nicht in die Aſcetik, fondern in bie Ethik. Die Aſcetik
befpricht mehr die Art und 9Beife der Theilnahme an den
Sacramenten, um Dieburd bie innere Heiligung und Bers
-vollfommnung zu gewinnen. Wir haben jedoch gegen bie
Berbindung ber Ethik und 9f(cetif des Verfafſers gerade nichts
Erhebliches einzuwenden. Denn fie fann immerhin ges
fchehen; auch Hirfcher bat biefen Weg eingefchlagen. Rur
meinen wir, daß auch bie andere Darftelungsweife ber
Moral, welche Ethik und Aſcetik fcheidet, Keine verfehlte
ift. Daß die Tugend in der Wirklichkeit nicht ohne Ans
wendung ber Tugenbmittel beftehen fann , ift allerdings
wahr; aber nur ift dieß noch fein ftringenter Beweis für
die unumgängliche Nothwendigfeit der feientififchen Verbin⸗
bung der Ethik und 9jcetif. Denn die Wiflenfchaft muß
wegen der Verdeutlichung ihres Inhaltes manches trennen,
was im Leben verbunden ift, wie bie der Verf. felbft in
Betreff der chriftl. Gefinnung und Wirkfamfeit anerkennt.
Dann darf: bie Abgrenzung zwifchen Ethik und Afcetif
nicht nothwendig zu lauter Inconvenienzen führen, indem
* bie allzugroße Wiederholung nod) immer vermeibbar ift
wenn man ben Stoff ordentlich, b. ἢ. ben Begriffen von
beiden entfprechend zu ſcheiden verftebt. Denn es handelt
ja bie Afcetit von den Sinberniffen der Tugend, fowie
von ber Art und Weife der Befeitigung berfelben. Alle
biefe Hinderniffe können bei ber Lehre von ber Berfuchung,
und bei den einzelnen Pflichten nicht aufgeführt werben;
mithin wird fold? eine allgemeine Darftellung feineswegs
etwas abfolut Weberfläffiges fein. Hiezu fómmt, daß eine
überfichtliche Zufammenftelung ber Sugenbmittel ein in-
tellectuelles SSebürfnig , bann: die fpezielle Anweiſung zur
[]
298 : Martin,
Bildung des fittlichen Charaktere, um hiedurch ben hoͤchſten
Gipfel der fittlichen SBollfommenbeit zu erreichen, gewiß
nicht ohne Nugen für Seglichen, insbefondere aber für
den Ceelforger ift; fowie auch bie Lehre: wie weit bie Ders
einigung mit Gott auf Erden durch heilige lebe erreicht wers
ben fann, und von welchen Erfcheinungen bet außerordent⸗
lichen Gnabengaben fie bei dem vollendeten Tugendhaften
begleitet ift, bier beachtet werden muß, wenn man bem
möftifchen Elemente der Moral nicht in einer eigenen
Hauptabtheilung derſelben, was richtiger ift, Rechnung
tragen will. Auch hätte fonft Klee, ein feharfer Denker,
bie fpecielle Ethik nicht abgetheilt: L in bie Pflichtenlehre,
unb IL in bie Mittellehre. &tapf fat nur eine abfolute
Scheidung berfefben a(8 unmöglich erfannt. Denn ©. 203
(Epit. Theol. Moralis. T. I.) fagt er: ,Etiamsi Ethica cum
Ascesi confundenda non sit, fieri tamen haud potest, ut
prorsus separentur; eoquod necessaria virtutis subsidia
veri nominis officia constiluant, et vicissim unaquaeque
virtus exercitium reliquarum multum promoveat. Hinc
generalem quidem acquirendae perfectionis methodum se-
paratim exponam; quae vero officia singula concernunt,
suo quaeque loco in ipsa Ethica indigitare juvet.^ (56
gibt demnach noch immerhin KRechtfertigungsgründe für
bie Trennung. Denn beachtenswertb ift auch, was omb
hierüber (Chriſtkathol. Moral S. 292) fagt: „Es fcheint
zwar, was in ber chriftlichen Aſcetik abgehandelt voirb,
befier bei jeder einzelnen Pflicht und Tugend eingereiht
werden zu können. Allein in der chriftlichen Aſcetik et
feinen die Hinderniffe und Hilfsmittel ber Tugend mehr
in ihrer foftematifchen Sufammenftellung und mehr als ein
Ganzes, fo taf deren lleberficbt eben dadurch erleichtert
Moral. | 9090
unb ber Zwed ber chriftlichen Aſcetik cher befördert wird,
welcher (ft: zur wirklichen llebung ber Tugend in ihrer
vielfachen Aeußerung und Geftaltung, nicht bloß nach einer
einzelnen ſittlichen Richtung, nicht als Enthuflasmus für
einzelne flttliche Handlungen, burd) Darftelung der Haupts
binberniffe biefer Tugendsllebung fowie die Haupthilfe-
mittel derfelben anguíeiten.* Deßhalb fcheint uns in ber
Behauptung: daß die Scheidung (Abgrenzung) zwifchen
Ethik und Aſcetik „für bie Sache nur von Rachtheit fein
fann*, zu viel gefagt zu fein.
Der Berf. theilt weiter im δ. 9 die ganze Moral,
wie gewöhnlich, in zwei Theile, nämlich „in einen allges
meinen und befonderen.“ Die allgemeine Moral befchäftigt
ſich „mit bem fittlich Guten in feiner Einheit und Allge⸗
meinheit“, und faßt von diefer Seite auch „ven. Gegenfaß
des Guten, das fittlich Böfe“, auf. Er ſchließt fid) hier
an den b. Thomas von YAquin an. Der befondere Theil
(oder bie fogenannte angewandte Moral) gründet fid) nad)
ibm darauf, weil das fittlid) Gute und ebenfo auch ber
Gegenſatz des fittlih Guten, das fittlich Böfe „unter bem
Gefichtspunfte der Mannigfaltigkeit und SBefonberbeit*
betrachtet werden muß. — In Bezug auf den allgemeinen
Theil ber Moral wählt er folgende Anordnung des Stoffes.
Suerft handelt er S. 28 und 29 „vom höchften Princip
des fittlich Guten“; bann: betrachtet er „die Bedingungen,
unter welchen das fittlih Gute wirflidh werden Fann.
Diefe find aber theils objectiver Art (bie göttliche Geſeh⸗
gebung), tbeiló fubjectiver Art (Bewiffen und Breiheity.“
Hieran fchließt er „die Lehre von bem wirflich fittlichen
Guten und feinem Gegeníage, dem fittlich Boͤſen, im All:
gemeinen“ an. Deßhalb zerfällt er das Ganje in zwei
900 Martin, ν᾽
Abtheilungen: „1) bie Lehre von dem Princip des futtid)
Guten und den Beringungen feiner Verwirklichung; 2)
bie Lehre vom fittlich Guten und feinem Gegenfage, bem
ſittlich Böfen, im Allgemeinen.“ Andere Moraliften, wie
ἃ. 9, Stapf und Lomb, haben auch bie Lehre vom fittlichen
Gerichte über das Gute und Böfe, ober von ber flttlichen
Zurechnung unb ber Vergeltung zu einer Obers oder Haupts
abtheilung gemacht. Der Verf. bat biefe Lehre als Unter⸗
abtheilung eingereiht und amar bei bem δ. 57, welcher
„von ben moralifchen Handlungen überhaupt“, handelt.
Nachdem er nämlich gezeigt, daß eine und biefelbe Hand»
(ung eine menfchliche (im engeren Sinne) heißt, „infofern
fie von der freien Willendfraft des Menfchen gewirkt wird,
moralifch (aber), infofern fie eine Beziehung zum Sitten
gefege hat;“ fügt er hinzu G. 148: „eine Handlung ift
imputabel, weil fie eine freie Handlung ift und in Bes
jiehung zum Gittengefege ſteht.“ Er Tonnte bieB hier
immerhin thun, aber nicht unpaflend wäre es vielleicht
geweien, wenn er außerdem auch noch bie anderen Momente
vorher abgehandelt hätte, welche bie menfchlichen Handlun⸗
gen eben als fittlich gute ober als fittid) böfe conftituiren,
weil bie Smputation auch als Beflimmung ber Girófe
des fittlichen Verdienſtes ober der fittlihen Schuld nicht
bloß von ber Freiheit, fonbern auch von bem Grabe ber
Erfenntniß des Gittengefegeó , von ber Qualität der Ge
finnung (Intention), der Motive, ber Umſtaͤnde unb ber
Kraftanftrengung , fowie der Pflicht, und beren eins ober
vielfachen Verbindlichkeit abhängt. Uebrigens ift es gut,
daß der Berfafler bie Lehre von ber fittlichen Zurechnung
nicht wie Stapf an’8 Ende ber allgemeinen Moral geftellt
bat, weil hiedurch die nöthigen Vorbegriffe unb ber Maßſtab
Moral. $04
bereitö gegeben find, um fobann in ber: Lehre vini bet
Tugend und der Sünde die Größe von beiden, b. b. ben
Grad der fittlihen Güte und Bosheit (SBermerflidyfeit)
folgerichtig und mit Sicherheit beftimmen zu fónnen.
Doch wir wollen nun feben, wie der Berf. bie erfte
(Haupt) Abtheilung der allgemeinen Moral durchgeführt
Bat. — Er fpridjt unb zwar im erften. Hauptabfchnitte
im $. 10—18 zuerfi von bem hoͤchſten Principe des fittlich
Guten. „Der lebte Grund“ (heißt e& S.29), „von bem
alles fittlich Gute in ber Menfchenwelt ausgehet, auf ben
alles futfid Gute zurüdigeführt werden muß, nennt man
das höchfte fBrincip des fittlih Guten.“ Trefflich bemerkt
er biebei: „Unrichtig bat man das hoͤchſte Princip des
ſittlich Guten oft für ibentifd) genommen mit bem foges
nannten oberften Princip der Moral, woher mande Bers
wirrungen und falfche Anfichten entftanden find. Das
oberfte Prineip ber Moral ficht freilich mit dem höchften
SBrincip des fitilid Guten in Verbindung, aber es ift mit
ihm keineswegs identifch; denn das, was man gewöhnlich
oberſtes Moralprincip nennt, i£ ein Cas, aus welchem
die fperielle Moral alle ihre Säge betleltet, bergeftalt, daß
fie ſelbſt nur bie wiffenfchaftliche Erplanation diefes oberften
Satzes ift; biefer oberfie Sag aber ift aus dem höchften
Princip des Guten felbft wieder abgeleitet, näher oder
entfernter.“ Er beftimmt bemnad) Gott als das -höchfte
Princip des fittlih Guten, da er der einzig abfolut guts
feiende if. „Alles creatürliche Gut» Sein hat, wie alles
treatürliche Sein, feinen lebten Grund nur in Gott; Gott
ift bas höchfte Princip des Ereatürlich » Guten.“ Weiterhin.
unterfeheidet ber Verf. zwifchen höchftem Ideal⸗ und hoͤchſtem
Realprincip des fittlich Guten (8. 12) „Das erftere ift
308 : Mastie,
der letzte Moͤglichkeits⸗, das (egtere if ber Ichte Wirklich
feitögrund des Guten.“ Jenes [αὶ er in folgende For
mel: „Alles ift gut, was unb weil e6 einer göttlichen bet,
was unb weil εὖ ber göttlichen Heiligkeit unb Volllommen⸗
beit entfpricht;“ “ dieſes aber lautet: „Alles ift gut, was
bem ausgefprochenen göttlichen Willen entfpricht, {εἰ εὖ,
dag diefer Wille ein ausdrüdlich gebietenber, ober baf er
ein bloß rathender if.“ Wir fehen fonach, daß Gottes
Heiligkeit und Bolllommenheit das höchfle Sbealprincip
des fittlich Guten ift, ba ein tieferer Grund der ftitlichen
Güte fid nicht auffinden läßt; weßhalb es auch thöricht
ift, wenn man in unferer Zeit das fitt(id) Gute von Gottes
Willen losreißen will, unb ben legten Grund hievon allein in
der menfchlichen creatürliden Vernunft fucht, indem man
fagt: „Gut ijt nur, was unb weil es vernunftgemäß ift^
— ohne zu bebenfen, daß Gott als abfolute Vernunft bod)
auch Urheber des Vernunftgefeges im menfchlichen Geifte
ift. Deßhalb ift e$ den SBebürfniffen ber Zeit ganz ent
fprechend, taf ber Verf. €. 13 auf bie Gegenjdge von ber
Qebte, daß Gott das höchfte Princip des ſittlich Guten
ift, aufmerffam gemacht hat. Er fagt €. 38 und 34:
„Das Beitreben, das Gittlid) » Gute von Gott, als feinem
höchften Princip, loszureißen, fann man ben Nationalismus
in der Moral nennen. (δ᾽ haben fid aber in ber Ge
(dide der drift. Moral befonders zwei Perioden dieſes
Rationaliemus bemerflih gemacht. Die erfte Periode if
bie ber fogenannten Naturrechislehre, welche (id) an Hugo
Grotius und an Samuel Bufenvorf anlehnend ihren Rar
tionalismus zu verfchleiern wußte, indem fie den Willen
Gottes als hoͤchſten Verpflichtungsgrund in ber Sbee ans
etfannte, in bet. That aber ihn nicht zu Recht kommen
oral. $08
He. Die Brincipien, die fie an die telle des göttlichen
Willens einfchob, find theils gefchichtlicher, tbeil& materia;
tiftifcher Art.“ Zur erfen Klaſſe rechnet er: a. Das Princip
der llebereinftimmung aller $Bólfer; b. das PBrincip der
bürgerlichen Gefeggebung. Zu ber legten. Klafle: a. das
Princip ber G(üdfeligfeit und zwar entweder der gemeinen
ober der raffinirten (Epicuräismus und Eudämonismus);
b. das Princip der perfönlichen Nuͤtzlichkeit ober des Eigen-
nugeó (Egoismus im engeren Sinne); c. das Princip
ber. allgemeinen Nüßlichfeit oder ber allgemeinen Wohlfahrt.
Weiter bemerkt ber Verf.: „Die zweite Periode des Ras
tionalismus in der Sittenlehre, welche man bie ‘Periode
des Nationalismus im engeren Sinne nennen fann, ward
durch fant eingeleitet. An die Stelle Gottes wurde bie
Vernunft als andere Göttin eingefchoben. Die Formel
für das höchſte Princip des Guten lautet demnach: gut
ift, was und weil es vernunftmäßig if. Aus diefer Sore
mel des höchften Brincips des Guten wird dann folgerecht
folgendes höchftes Princip der Moral hergeleitet: Handle
fo, wie ἐδ der Vernunft angemeffen ift.
Bisher hätten wir fonach erfannt, daß das Gute
feinem legten. Princip nad) in Gott rubt. Indeß das
Gute. foll. im Menfchen auch wirklich werben, ba e& in
der Schrift heißt: „Seid heilig, weil auch ich euer Gott
heilig bin;“ befbatb übergeht jegt ber Verf. $. 14 zu ber
Lehre von ben Bedingungen des fittlichen Lebens. S. 36
fagt er: „Die erfte SBebingung ift, daß Gott feinen Willen,
mit dem unfere Gefinnungen und Handlungen übereins
ſtimmen follen, uns funbtjue.* Daher beftimmt er: bie
göttliche Geſetzgebung als bie objective Girunbbebingung
deo fittfichen Lebens. S. 44 und 45 beſpricht er aud) bie
x
804 Martin,
Controders zwifchen Augufinus und Hieronymus über die
(rage: ob bie Verbindlichkeit des. alten Ceremonialgeſetzes
mit dem Tode Chrifti bloß einfach aufgehört, ober ob aud
bie Beobachtung diefes Gefegeó von nun an ganz unzus
Käfig und [ἀπο gewefen. Er tritt bier der Meinung
des ἢ. Thomas bei. „Diefer unterfcheidet mit Auguftinus
drei Zeiten; vor dem Leiden Sefu Ehrifti, fagt er, waren
bie Legalien weder tobt, noch tobtbringenb; nad) der Vers
breitung des Evangeliums find fie tobt und tobtbringenb;
in bem zwiſchen bem Leiden Chrifti und ber Ausbreitung
des Evangeliums in der Mitte liegenden Zeitraume aber
waren fie zwar tobt, aber nicht tobtbringend.“ Ebenſo
intereffant ift die Löfung der Frage: ob bie Kirche aud
tirecte innere Handlungen gebieten fónne? Hierüber bes
merkt der Berf.: „Der nächfte Zwed der kirchlichen Gewalt
ἐξ bie geiftige Wohlfahrt; biefe hängt aber gewiß ebenfo
febr von inneren als von äußeren Handlungen ab, daher
man auch bie gejeggebenbe Gewalt der Kirche auf das
Gebiet der äußeren Handlungen nicht befchränfen darf;
endlich fehreibt bie Kirche auch wirklich birecte innere Hand»
lungen vor, wenn fie den Glauben an beftimmte Lehren
gebietet. Papſt Snnoceng XI‘ bat. begfalb auch folgende
Propofition des Michael Molinos verworfen: Risu digna
est doctrina quaedam nova in Ecclesia Dei, animam quoad
interna gubernari debere per Episcopos..... Quia Ecclesia
non judicat de internis."
4, 25 beftimmt ber Verf. ben Geſammtausdruc der
göttlichen Geſetzgebung. Denn nachdem geſagt worden iſt,
daß Gott durch ſeine Geſetzgebung uns ſeinen Willen zu
erkennen gegeben hat, fo frägt es ſich, was ber Inhalt
der göttlichen Geſetgebung ſei. Hierüber äußert er S. 62:
Moral. 305
„Eine ausführliche Beantwortung biefer Frage fam bier
nicht erwartet werben, indem die gefammte fpectelle Moral
fi) mit diefer Aufgabe zu befaffen bat; was hier gefeiftet
werden fann, ift nur die fummarifche Bezeichnung dieſes
Snfalte8 oder die 9fufftellung eines Eapes, worin bie
Summe der göttlichen Gelege enthalten und woraus bie
einzelnen göttlichen Gefege folgerecht ὦ entwideln faffen.
Ungenau bat man oft einen folhen Gag den oberften
Grunbfag ober das oberfte Princip der Moral genannt;
er ift fireng genommen nicht das Princip, fondern nur bie
Summe ber. in der Moral wiffenfchaftlich darzuftellenden
göttlichen Gefege.* Darauf bat aud) fdon Stapf aufs
merffam gemacht, indem er fagt, daß man das oberfle
Princip der Moral in einem dreifachen Sinne verfteben
fónne, nämlich (in feiner chriftl. Moral. 1841. ©. 239):
„a. Welches ift der oberfte und abfolute Grund alles Sitt⸗
lichen (principium essendi) ?: b. Welches ift das höchfte
unb untrügliche Kriterium, um zu erfennen, was ſittlich
gut ober böfe fei (principium formale)?. c. Auf welchen
Gefammtauébrud Iaffen fid) ale fittlichen Forderungen,
fowohl Gebote als NRäthe, zurüdführen (principium ma-
teriale) ? * Auch wir find ber Anficht mit Stapf und
unferm Berf., daß in diefer rage nach bem oberften Princip
ber Moral genau unterfchieden werden müffe, und zwar
fo, daß Gott als das höchfle Prineip des Sittlichen bee
flimmt werbe, mithin fein Wille, ber fein Normativ in
feiner abfoluten SBollfommenbeit hat; weßhalb auch bie
Schule fagt, daß Gott ber höchfte Sbeal^ und der höchfte
Realgrund des fittlichen Guten if. Dann aber meinen
wir: hätte auch der Verf. nad) bem 9Borgange von Stapf
feicht ein Erfenntnißprineip des natürliches und pofitiv
Theol. Ouartalſqhriſt. 4850. 11. δεῖ» 20
906. Martin,
Sittlich⸗ Guten aufftelen und beifügen fónnen, und zwar
die lehrende Kirche, weil er felber die Fathalifche Moral
als Wiſſenſchaft befinirt, welche lehrt, wie das fittliche
Leben eingerichtet werben folle nad) der Lehre Ehrifi,
vonftändig und unfehlbar aufbewahrt und erklärt durch
die Kirche; unb weil er ferner in der fpecieflen Moral bie
firchliche Gefinnung als einen „eigentlichen Beftanbtheil
einer wahrhaft chriftlichen Gefinnung“ anerkennt und bes
geichnet. Denn was wir dem göttlichen Willen gemäß.
thun müffen, um unfere fittlihe Beftimmung nad) dem.
Falle zu erreichen, fónnen wir nimmer aus ber bloßen
Bernunft allein, fondern nur von ber durch ben b. Geift
geleiteten unfehlbaren Kirche wiflen; daher aud Hirfcher
(Chriftl. Moral 1845. B. 2. €. 35 — 325) die Erzie⸗
bungsthätigfeit der Kirche bei ber Heiligung des Menſchen
fo febr accentuírt hat. Originell ift der Verf. in der Aufs
ftelfung des Gefammtausdrudes ber göttlishen Gefeggebung,
der aud) uns als richtig erfcheint. Er fordert von. dem
oberften Grunbíage ber Moral im Sinne des Gefammts
ausbrudes der chriftlichen Lebensgefege folgende Eigen»
ſchaften (S. 62 u. 63): 1) Diefer Sag muß ein „durchaus
pofitiver chriftlicher“ fein, weil eben bie (rage ift: „was
nach ber Lehre des Ehriftenthums bie Hauptaufgabe uns
fereß Lebens fei“ 2) Er muß ein „fpecififch chriſtlicher
ober chriftfatholifcher“ fein. 3) Er muß nicht „nur bie
Hauptaufgabe unferes Lebens, fonhern aud) den Weg bes
zeichnen, wie wir biefe Aufgabe realifiren können.“ 4) Er
muß fowohl „materiell, al8 formell“ fein, b. b. „nicht bloß:
fummarifch ausprüden, was ἰᾧ als Fatholifcher Chriſt thun,
fondern aud) in welcher Abficht und aus welchem Beweg⸗
gzunbe ich. es tun fol,“ Diefe Forderungen fieht nus;
Moral, 897
"er Verf. in folgendem Satze erfüht (S, 64): „Wiebers
‚geboren aus dem Wafler unb bem D. Θείβε berodfre bid)
durch einen in ber Liebe thätigen Glauben al Achten Nach⸗
feiger. Sefu Ehrifti, um Gott zu verberrlichen und ber
rigen Geligfeit dich würdig zu machen.“ Wir müffen
Dbefennen, daß biefer oberfte &runbfag der Moral unter ben
Bisher gang unb gäbe gewefenen am beften das ſpecififch
Gbrift(ide hervorgehoben hat. Doch ſtellen wir nicht in
Abrede, daß aud) noch andere ähnliche Formeln aufgeftelltwers 7
den fónnen, bie mehr ober weniger das Speciftfche des Ehrift-
lichen und Katholifchen in ber fittlichen Lebensaufgabe erfaffen.
Mas aber bie objectiven Bedingungen des fittlichen
Lebens anbelangt, fo ift nod) zu bemerken, taf ber b. Tho⸗
mas hiezu nicht bloß das göttliche Gefeg, fonbern auch bie
‚göttliche Gnade rechnet. Der Berf. hat das Element der
Gnade angebracht bei der zweiten fubjertiven Bedingung
des fittlichen Lebens, nämlich bei der Wteibeit, $. 52, wo
er von ber Befchaffenheit berfelbet vor und nach bem Falle
ſpricht, wahrfcheinlich, weil an biefer Stelle ihre Nothwen⸗
‚digkeit viel Harer erkannt wird. Gut ift es, daß der Berf,
hierauf aufmerkfam gemacht, ba man heutzutage immer aus
f$ allein (itid) zu werden unb fid) ohne Einfluß Gottes
zu vollenden vermeint, ohne zu erwägen, daß ber Menſch
fein Sein durch Sich, daher auch fein Dafeln unb Vollenden
burd Sich if. Dies hat aud) Probft treffend Cin feiner
fathol. Moral 1848) berüdfichtigt, wo er ©. 518 unb 519
son bem „Berhältniffe ber Gnade zu den Tugenden“, unb
S. 520 unb 521 über „die Stadien des Gnabenftandes“ fpricht.
Sehr glänzend befchreibt in derſelben Abficht Hirfcher (DB. 1.
S. 37) „die Wirkungsweiſe des heil. Geiftes“, fo wie
4S. 389—392) „das Berhältniß der. Gnade und Freiheit.“
20 *
308 Martin,
Eine weitere Frage jet ift: Wie fünbiagt fid) wohl
das Sittengeſetz im menfchlichen Gelbfibemupt(ei an? Die
Antwort hierauf ift: mit dem kategoriſchen Imperativ:
Du folft; daher mit Auferlegung einer Verbindlichkeit.
Deshalb fpricht mun ber Verf. „von ber unmittelbaren
Wirkung der göttlichen Gefepgebung.* Er {πρὶ (δ. 27):
„das göttliche Gefeg ift ber Ausdruck des göttlichen Wils
lens. Der göttliche Wille fann aber entweder gebietenb
ober nur einfabenb fein, im erften Salle ift das göttliche
Geſetz bie Quelle der Pflichten, im zweiten ift e8 die Quelle
der Räthe.“ So gelangt er hierauf zur Eintheilung ber
Pflichten, fo wie zu ber Lehre von ber Pflichtencollifton,
. die er mit paffenben Beifpielen beleuchtet. Doch gründlicher
und ausgezeichnet hat er bie Lehre von den Räthen be
handelt (δ. 30 S. 69— 81). Er nahm hier bie nöthige
Nüdficht auf bie Lehre ber Väter. Treffend ift die Be
merfung S. 67: daß ein indirectes Zeugniß für bie Rea⸗
lität des Nathbegriffes auch bie Firchliche Unterſcheidung
wifchen einer vollfommenen und unvollfommenen Liebe,
und die Erklärung ift, daß. aud) die leptere zur Seligfeit
ſchon genügend ift. Sehr Iefenswerth ift ber 8$. 32, wo
er bie gegen bie Realität des 9tatbbegriffe8 erhobenen
Einwendungen widerlegt.
Nachdem der Berf. gezeigt, daß Gott durch feine Ges
febgebung dem Menſchen eine wirkliche Lebensaufgabe ges
ftelt, fómmt er im IL Abfchnitte zu der Lehre von ben
fubjeetiven Bedingungen des fittlichen Lebens, ba er die
Stage flelft: ob unb wie ber Menfch in den Stand geſetzt
fei, dieſe feine Lebensaufgabe zu realiſitren? Er ſagt (S. $3):
„Hiezu ift vor Allem nicht nur erforberlih, bag er bag
göttliche Geſetz als bie objective Richtfehnur feiner Hands
Moral. 309
lungen überhaupt erfennen fónne*. (welches Vermögen er in
feiner Vernunft befigt)," fonbern er muß auch das erfannte
göttliche Geſetz auf bie einzelnen Fälle, wo er handeln foll
oder wo er gehandelt bat, anwenden fünnen; er bebarf
fena auch einer fubjectiven Regel, welche ihm vom Ges
wiffen ‚gegeben ift.“ Diefes ift daher nad) dem Verf, die
erfte fubjectioe Bebingung des fittlichen Lebende. — C. 82 be;
merft er: „Stimme Gottes im Menſchen fann das Ges
mien genannt werben, weil in feinem Ausſpruche das
göttliche Gefeg felbft wiederklingt.“ Dies ift richtig, weil
eben Gott in der Wefenheit des Geiftes feinen Willen
auégebrüdt, Indeß glauben wir, daß das Gewiffen aud)
nod aus einem andern Grunde bie Stimme Gottes ger
nannt werben fünnte. Diefer Grund ift angebeutet bei
Joh. L 9. Denn wie follte der Logos wohl jeglichen
Menichen, ber da in bie Welt kommt, erleuchten? wie
anders, als durch bie Vernunft und in&befonbere durch das
Gewiſſen. Es ift demzufolge ein dynamiſcher Verfehr amis
fben dem Logos unb bem Geifte eines jeden einzelnen,
indem ber legtere befonberó nad) ber 9tegation des Sitten»
gefeges bie Vorwürfe in feinem Innern wider feinen Willen
ftehen laſſen muß, weßhalb er fie auf eine äußere, ihm
gegenüberftehende höhere -perfönliche Macht zu beziehen ges
noͤthigt ift, welche nur fein Herr, Gebieter und Retter fein
fann. Man fónnte dies Gewiffen zum Ilnterfchiede von
dem erften (fubjectiven) das objective nennen 1). Ὁ
An bie Lehre von bem wahrfcheinlichen Gewiſſen
fnüpft ber Berf. bie Lehre vom eigentlichen Probabilismus,
bann: vom Nequiprobabilismus, Tutiorismus unb Pros
1) Siehe: Adalbert Maier, Gommentar über das Eyangelium des
Johannes. 1.8. €. 156. 137.
310 | Martin,
babiliorismus. Dieſe Lehre ift febr klar, gründlich unb
uͤberſichtlich dargeſtellt; und hiedurch geeignet für einen
jeden zur ſicherern Orientirung. Den Ref. hat dieſe Par⸗
thie ſehr interreſſirt und befriedigt. Wir wollen hier vom
Verf. nur einen Punkt ſeiner Widerlegung des ſtrengen
Probabilismus anführen. S. 102 heißt es: der Proba⸗
bilismus macht für fid) den Grund geltend: „Wenn das
Handeln nad) der probabferen und nad) der probabelften
Meinung zuläjfig ift, fo iſt's auch das Handeln nad) ber
einfach probablen Meinung, denn in letter Inſtanz (ft nicht
die bloße Wahrfcheinlichkeit, fondern bie Wahrheit entfcheis
benb; bie objective Wahrheit fann aber ſich ebenfowohf
auf Seiten der bloßen Brobabitität, als auf Seiten ὑεῖ
größern und größten Probabilität finden.“ Hierauf erwies
bert ber Berf.: „Rann darüber feine Gewißheit erreicht
werden, wo fid) bie objective Wahrheit finde, fo fann ἐδ
fi einzig fragen, auf welcher Seite der Handelnde fie
eber fuchen müfle, ob auf Eeiten der bloßen Probabilität,
ober auf Seiten der größern Probabilität. Doch offenbar
auf der fegteren. Er darf daher auch, wofern er feiner
llebergeugung folgen will, nicht nad) der weniger probabien
und weniger ficheren, fondern er muß nach ber probableren
und fichereren Meinung handeln.“
Bei der zweiten fubjectioen Bedingung bes fittlichen
Lebens: der Freiheit, Dat er viele Rädficht auf bie Wis
berlegung ber Irrlehren des Janfenius und Bajus genom⸗
men, um bie libertas a necessitate zu erweifen.
Die zweite (Haupts) Abtheilung ber allgemeinen Moral
enthält bie Lehre vom fittlich Guten und feinem @egenfage;
bem fittlich SBofen, im Allgemeinen: Der Berf. fagt €. 146:
„Denken wir an bie Gliederung biefer zweiten Sibtbeilung,
oral. 313
fo it vor allem die Bemerkung wichtig, daß das fittlih
Bute und das fitilid) Böfe beim Dienfchen (δε [δ als vors
übergehende Handlung, theild als beharrlicher Zuftand
vorfommen fann. Zunächft fommt das moralifche Handeln
in Betracht, weil bie moralifchen Handlungen ble Erzeus
gerinnen moralifcher Zuflände find. Die moralifch guten
wnb die moralifch böſen Handlungen aber haben mit eins
ander gemeinfam den Charakter der Moralität. Diefen
beiden gemeinfamen Charakter werben wir guerft ἐπ᾿ δ Auge
faffen, und daher handeln von ben moralifchen Handlungen
überhaupt; fobann betrachten wir beide von einander ges
fondert zugleich mit ben Zuftänden, welche durch fie bebingt
wefden, und handeln daher zweitens von den moralifch
guten Handlungen und dem moralifch guten Zuftande (bem
habituellen Guten) und drittens endlich von den moralifch
böfen Handlungen unb dem moralifch bofen Zuftande (bem
habituellen Bofen).“ Die erfte Unterabtheilung befaßt bie
δεῦτε von ben moralifchen Handlungen überhaupt (©. 147).
Hieran fnüpfte der Verf. zugleich bie Xehre von ber Sm
putation; auch handelte er hier, um die Wiederholung zu
vermeiden, bie Hinderniffe der Yreithätigfeit ab, welche
andere Moraliften unmittelbar auf die €ebre von den fubs
jectiven Bedingungen des fittlichen Lebens folgen laffen,
weßhalb fie bei ber Smputation wieder auf fle zu fprechen
fommen müffen. Die zweite Unterabtheilung enthält zuerft
bie Lehre von ben einzelnen {ΠῚ guten Handlungen,
und fobann: von ber chriftlichen Tugend. Nicht unnüg
(t bier bie Löfung ber Frage (S. 195): ob aud) bie
Leichtigkeit, womit bie Pflicht erfüllt wird, für bie Beftims
mung des Grades ter Tugend maßgebend fei. Die dritte
Unterabfheilung handelt vom Begriffe und Wefen bet
312 .. Martin,
aetuellen Sünde, bann: von bem Unterſchieden, Urſachen
und Folgen der Suͤnde, und zuletzt von der habituellen
Sünde. Interreſſant ift 6. 80, ber eine Kritik der falſchen
Auffaffungsweifen ber Eünde enthält. Den Schluß macht die
Lehre von ber Sünde gegen den hi. Geift, welche ber Verf.
als bie höchfte Stufe der habituellen Sünde beftimmt,
Wir fteben nun bei ber Würdigung ber Darftelung
der befonderen Moral. Der Verf. beftimmt diefelbe S. 260:
„als bie wiffenfchaftliche Entwidlung des fogenannten hoͤch⸗
fien Moral» Principe.“ Er fagt: „demnach wird (id) bie
befondere Moral zuerſt zu verbreiten haben über bie Wies
bergeburt aud dem Waffer unb f. Geifte: des chriftlichen
Lebend Anfang. In biefem Anfang des drift. Lebens ift
zwar fdon ber Keim zu feiner Vollendung enthalten, denn
was über bie Wiedergeburt hinausliegt, ift theild nur Bes
thätigung berfelben, theild nur weitere Entfaltung und
ftufenweife Ausbildung.“ (ὁ ift Dies allerdings richtig.
Denn fo wie der Urmenfch bie Aufgabe hatte, fid) in ber
urfprünglichen Xiebeseinheit zu Gott freithätig zu bewal)s
ren, fte zu bethätigen, zu vervollfommnen und zu vollen
ben; alfo ift cà aud) die Beftimmung des Menfchen nad
ber Taufe, bie Cegung Gottes in betielben freithätig zu
affirmiren. Hierauf fährt der Verfaſſer fort: „Es fommt
beim drift. eben ein Doppeltes in Betracht, bie innere
Gefinnung und bie Bethätigung tiefer Gefinnung.^ In
ber Formel feines Moralprincips ift beides au&gebrüdt,
wenn εὖ heißt: „Bewaͤhre bid) als Nachfolger Sefu (δ
‚ durch einen Glauben, ber da thätig ift in ber Liebe. Der
bloße Glaube genügt nicht, er muß belebt fein durch bie
Liebe, aber auch bie bloße Liebe genügt nicht, fie muß
wirffam fein oder fid) beihätigen durch Werke.“ Nachdem
Moral. 313
er fo den Anfang ober das Werben bes chriftl. Lebens
befehrieben, hält er es für feine Aufgabe, „vieles Leben
κι in beiden genannten Beziehungen zu gergliebern unb
in feinen weiteren Entwidelunger darauftellen.“ Der ge
dachten Formel gemäß zerlegt fib daher bie befondere Moral
in zwei größere Abtheilungen: I in bie Lehre von ber
drift. Gefinnung; IL in bie Lehre von ber drift. Wirk⸗
famfeit; tiefen beiden @intheilungen geht aber „gleichfam
als Einleitung voran bie Lehre von der Wiedergeburt aus
dem Wafler unb dem heil. Geifte.* Mit biefer Zerlegung
der befonbern Moral fónnen wir nur einverftanden fein. —
Doc, wie handelt der Verf. die Lehre von der chriftl. Ge;
finnung in ber erften Abtheilung ab? dies lefen wir ©. 267.
Er ſagt: „In ber aufgeftellten Kormel des hoͤchſten Morals
Prineips find zwei Tugendgefinnungen namentlich aufges
führt: der Glaube unb bie Liebe. Aus bem Glauben
aber entwidelt fid) die Hoffnung, welche durch bie Liebe
ihre Vollendung erlangt. Die nothwendige Borausfegung
diefer drei Tugenden ift bie Demuth.“ „Sie werden vom
h. Θείβε der Seele eingegoffen, unb auch ‚Durch feine
fortdauernde Wirkfamfeit in der Seele erhalten. Dem⸗
gemäß wurzelt bie drift. Gefinnung in ber Gemeinfchaft
unb dem bleibenden Lebensverfehre mit dem h. Geiſte.
Und da endlich die gnabenreiche Wirkfamfeit des b. Geifteó
ordentlicher Seife nur vermittelt wird durch bie Kirche,
fo wird die wahrhaft chriftliche Geſinnung zugleich aud)
eine wahrhaft Tirchliche fein.“
Wir können es nur loben, daß ber Verf. das chriftlich
fittfiche Leben auf feine Grundidee zurüdgeführt hat, bie
eben darin beficht, daß felbes nach bem Vorbilde Chriſti,
dem zweiten Adam, fid geftalten müfle, wenn es Gott
314 Martin,
wahrhaft wohlgefällig fein fof; und baf es zugleich ven
ber Demuth, dann vom Glauben, son der Hoffnung unb
gicbe, fo wie von der Gnade des f. Geiſtes unter ber Lei⸗
tung ber Kirche getragen werde. Doc, dürfte es gut go
weſen fein,owenn er bie Pflichten gegen Ehriftus noch mehr
hervorgehoben hätte (wie es Hirfcher getban), ba er ja in
dem Moralprincipe von ber Nachfolge Chriſti fpricht. Denn
für das fittliche Leben des Chriſten ift ohne Zweifel bae
von ber größten Wichtigfeit, was er ©. 625 bemerft:
„Dan vergleiche oft, was man ift, mit bem, was man
fein foll; man vergleiche fid) und feine Handlungen mit
bem Gefege Ehrifti, mit feinem Beiſpiele. Man [εἰ eifrig
bedacht, jeden Tag irgend etwas zu thun, was uns Ebrifto
gleichförmiger macht. Denn nur infofern wir Gbrifto gleich⸗
förmiger werden, werden wir vollfommener oder Gott wohl
gefälliger, indem Gott an uns nichts liebt, als fein Ebenbilb
unb bie Nehnlichfeit mit feinem Eohne, an dem er allein
Wohlgefallen hat.“ Der Verf. gebt ſonach, wie wir ge
fehen, von ber Grunbgefinnung bes chriftlich fittlichen
Lebens au&, ALS blefe bezeichnet er die Demuth. Nun
ift dies allerdings wahr: foll der bereits erwachfene nicht»
getaufte Menfch zum Glauben ans Goriftentbum gelangen
unb fich fittlich befehren, fo muß er zuvor nothwenbig feine
iBebingtbeit von Gott, fo wie feine fittliche Verderbtheit
und Schwäche ers und anerfennen, mithin bie Einficht ges
. wonnen haben, daß er fid) durch fid) allein nicht vollenden
fann, ba er fid) weder von ber futliden Schuld felber zu
exlöfen, ned ohne bie göttliche Gnabe im Guten zu bes
harren vermag. Snfofern. ift bie Stellung der Demuth
vom Berf. an die Spige der fpeciellen chriftl. Moral ges
rechtfertigt. Er bemerkt hierüber mit Recht S. 268: „Um
oral: ᾿ 315
glanbenswällig zu fein, wird erfordert, bag man für bie
Idee des Chriſtenthums, b. b. für bie Idee der Erloͤſung
ein lebendiges Sutereffe beſtze. Diefes lebendige Intereſſe
it aber wieder bebingt von dem Gefühle feiner eigenen
Griófangóbebürftiafeit, und blefe& Gefühl eigener Erloͤ⸗
fungébebürftigfeit ift erft in unb mit der Demuth gegeben;
wozu allerdings auch bie Furcht ber göttlichen Strafgerech⸗
tigfeit etwas beiträgt. Allein ble Demuth gilt nur bei
einem. @rwachfenen, welcher erft im die chriftliche Kirche
eintritt, als bie erffe Girunbduferung ber fittlichen Gefins
nung; bei bem. im Schoße der Kirche Gebornen und aló
Kind [don Getauften. ift dagegen bie erſte Grunbduferung
der chriftfich- fittlichen Gefinnung der Glaube, der geftügt
auf die Hoffnung durch bie Liebe fi zu aftualifiren fucht;
deshalb if hier bie Demuth auf andere Weife der Stüg«
und Haltpunft des chriftiich » fittlichen Lebende; und zwar
infofern: fol bie gläubige Gefinnung fid) fortan bei bem
fittlich fid) entwidelnden Ehriften erhalten, fo fann vie
nur gefhehen, wenn fie ftet von ber Demuth getragen
wird. Daher fann auch hier die. Behauptung des Verf. :
„die Demuth ift bie. Grundlage der Grundlage“ (nämlich.
des Glaubens), nur in biefem Sinne genommen, aud) αἱ
richtig anerfannt werben. Zu biefen primären Gefinnuns.
gen fügte er weiter πο hinzu: bie Gefinnung ber Selbfls
und Naͤchſtenliebe, bie aus ber Gefinnung ber Gottedliehe
zum Theil hervorgehen. Er bat fomit die gefammte chriſt⸗
lich » fittliche Geſinnungsweiſe dargefielt. Wir finden bie&
ganz gegründet, da Ehriftuß felber bingebeutet hat, daß
*a6 ganze chriftliche Leben darin beftehe: Gott über alles
und ben Näachſten wie fid felbft zu lieben; indem in beg |
316 Martin,
That alle andern Pflichten nur die Darftellung und €t
weife blefer Grundgefinnungen find.
Doch blieb ber Verf. in biefer Abtheilung bei ber Dat»
fellung der Lehre von der drift. Gefinnung nicht immer
bei der Aeußerungs⸗Sphaͤre berfelben fteben, fonbern ſchweifte
zuweilen aud) in das Gebiet ihrer Bethätigung (b. b. in
bie Lehre von ber drift. Wirkfamfeit) hinüber. Denn fo
fpricht er 3. 3B. $. 147 von ben Erweifen ber Gotteéliebe,
als: bem Gehorfame, bem Eifer für Gottes Ehre, von
ber Danffagung; dann im δ. 152 von ben vornebmften
Erfcheinungsweifen der chriſtl. Nächftenliebe, als Liberalität,
chriſtl. Humanität, bann von ber toleranten Liebe, von
der banfbaren Liebe gegen Wohlthäter. Hier find offenbar
fdon äußere Manifeftationen der innern liebenden Geſin⸗
nung gegen Gott und ben Nächften berührt. Wir willen
wohl, daß εὖ der Berfafler wahricheinlich deßhalb gethan,
weit fi Gefinnung unb Bethätigung nicht fo leicht trens
nen faffen, und um ber Wiederholung ausguweichen. Auch
hat εὖ ber Verf. felber erfannt, daß er zumeilen bie Grengen
der Geſinnung bei der Darftelung überfdoritten, daher er
im ὁ. 156: „Ordnung ber Liebe, S. 378 bemerkt:
daß er,. „um bie allgemeinften Grundfäge über die Ord⸗
nung der Liebe zu bezeichnen, über das Gebiet der Liebes
gefinnung öfters in's Gebiet der thätigen Liebe werde bin,
übergreifen müffen, indem gerade bei diefer fegteren. ger
dachte Grunbídge am meiften Anwendung finden.“ Indeß
meinen wir: eó würde beffer gewefen fein, wenn er mit
Hintanfegung aller diefer Rüdfichten bei ber urfprünglich
ſchoͤn und richtig angelegten Anordnung feines Syſtems
fireng geblieben wäre. — In ber zweiten Abtheilung ber
befonberen Moral entfaltet der Verf. die Lehre von ber
Moral. 917
drift. Wirkſamkeit. Seine Gntwidfung ift folgende: Gt
fagt €. 381 unb 382: „In der „bisher“ befchriebenen
driftí. Gefinnung beftcht das wahre Leben der Geefe, ihre
Verbindung mit Gott. Jedes wahre Lehen aber dufert
f thaͤtig; thätig wird fid) daher auch bie chriftl. Geſin⸗
nung äußern, aus der geheiligten Gefinnumg werben Werke
hervorgehen, welche ber Beweis, bie Frucht und bie Bollens
bung diefer Gefinnung find. Fragt man aber, wie bie
drift. Gefinnung fid) betbátigen müffe, ober welches bie
f. Werke feien, bie aus einem geheiligten Innern wie aus
ihrer fruchtbaren Quelle gleid)fam von felbft hervorfließen ;
fo find, um biefe foftematifch barguftellen, bie fittlichen
Sphären in’d Auge zu faffen, innerhalb deren ber Menfch
überhaupt zu wirfen hat. Der Menſch nimmt eine fittliche
Stellung ein theils gegen Gott, theild gegen bie vernünfs
tigen, der Seligfeit theilhaftigen oder fähigen Gefchöpfe
Gottes.“ Zu dieſen aber gehören: „die eigene Perfon;
bie Mitmenfchen- auf Erden; bie Seelen im Fegefeuer unb
bie Engel und Seligen im Himmel. Zu. feinen Mitmens
fchen auf Erden nimmt der Ehriſt wieder eine Stellung
ein: a. im Allgemeinen, infofern ale Menfchen Kinder
Gottes und feine Miterben ber. Seligfeit find; unb b. im
Befonderen, indem er Glied ihrer eigenen gefelfchaftlichen
Berbindungen if. Die Grunbformen aller geſellſchaftlichen
Berbindungen aber find: Familie, Staat, Kirche.“ Nun
gibt ber Verf. den Grund an: weßhalb er bie Lehre von
ber Bethätigung der chriſtl. Gefinnung gegen bie Kirche
ber Lehre von der Bethätigung ber doriftl. Gefinnung gegen
Goit unmittelbar angefchloffen hat. Denn Stapf 3. 9.
bat fie unter der Rubrik der Socialpflichten (Saeietates
publicae) angebracht und ebenfo Klee Und Lomb. Der
318 θεῖα,
Berf. fagt: „Unter dieſen gefellfchaftfichen Orbnungen i$
jedoch bie Kirche, obwohl als fireitende auf Erben nur
aus Menſchen beftebenb, nicht rein menfchlich, vielmehr iR
fte göttlich und menfchlich zugleich, beides in ungetrennter
Einheit. Und da ihre göttliche Seite bie höhere ift, wird
«à am zweckmaͤßigſten fein, die Lehre von ber Bethaͤtigung
der chriſtl. Geſimung gegen die Kirche ver Lehre von
per Bethaͤtigung der chrifil. Gefinming gegen Gott. um
mittelbar anzufchließen.“ Ebenſo gibt ber Verf. auch einen
Grunb an, weßhalb er die Verehrung der Engel und Hei
digen als mittelbare Gottesverehrung behandelt. Er be
merkt: „die Verehrung der Heiligen, als der nächften
Sreunde Gottes, in denen fid) feine Herrlichkeit am glám
zendften abfpiegelt, ift ihrem legten Grunde nach fe(bft nur
wieder Verehrung Gottes und wird daher am zwecnmaͤßig⸗
ften gleich nad) diefer behandelt als mittelbare Gottes
verehrung.« Hiemit haben wir eine Ueberſicht der ganzen
Ansrbnung der Lehre von der chriftl. Wirkfamfeit erhalten.
Was aber noch die. Frage betrifft: ob ber Gbrift aud)
Pflichten gegen bie Thiere habe? fo bemerkt der Verf.
€. 382.: „Da bie Thiere, nach ‚Lehre der Offenbarung,
bem Menfchen nur Mittel zur Erreichung feiner Zwede
find, fo nimmt der Menſch gegen dieſe als foldye Feine
fittlihe Stellung ein, er bat gegen fie im -firengen
Sinne des Wertes Feine Pflichten;“ er fchuldet bie „ver
nünftige und gottgefällige Art ihres Gebrauches nicht dieſen
unsermänftigen Gefchöpfen als folchen.“
Bei ber Durchlefung des L Abſchnittes, mo ber Verf.
die Bethaͤtigung der drift. Gefinnung in der Richtung
auf Get und auf bic Kirche, als bic unmitielbare Stell,
,, lm behendelt, ſchien es une, d¶ß see gui
»
Moral. 819
geweien, wenn er bie Pflichten gegen Gott, αἵδ᾽ ben. "Drei;
einigen, noch mehr betont hätte, wie dies Stapf (in feiner
Moral 1841. 2. 9. im $. 136, 137 unb 188) gethan.
— 9tüglid) ift hier bie Bemerkung des Berf. für die Seel»
lerger (S. 293), daß Innocenz XL die Theſe conbemnirt
bat: „Absolutionis capax est homo quantumvis laboret
imorantia mysteriorum fidei et etiamsi per negligentiam
elium culpabilem nesciat mysterium sanctissimae Trinitatis
ei incarnationis Domini nostri. — Schön macht ber Verf.
ferner auf die verfchiedenen Stufen des Gebete& (8. 170),
wie fe ble δ. Therefia dargeſtellt hat, aufmerffam. Dies
höhere geiftige religiöfe Leben, wäre allerdings für uns
fete Zeit, wo man rein nur in die Außenwelt vertieft ift,
behergigungswerth. — Doch am meiften inftructiv hat bet
Berf. bie Lehre über das Verhalten des Chriften in Abſicht
auf die Saframente der Euchariftie und Buße durchge⸗
führt. Beachtenswerth ift bier für bie Seelforger bie 8 δε
fung ber Frage (S. 428): wie oft ber Ehrift bie B. Com»
munion empfangen folle. Nicht minder wichtig ift für fte
ſodann audy bie Bemerkung des Verf. in Betreff ber. Stage:
ob die Einthaltung von der Bommunion ben Steubefebrten
als Buß⸗ unb Befferungsmittel aufzuerlegen fei. Er fagt
€. 429: „Gewiß ift das feine Buße, die den Sünder des
nothwendigen Mittels“ (ber Communion) „beraubt, im
Stande ber Buße zu verharren. Man will, daß der Büßer
über feine böfen Gewohnheiten, über die eingemurzelien
fündhaften Neigungen und über alle Beinde feined Heiles
Regen folle, und entfernt ihn doch von ber Quelle ber
Onaben ;. mitten unter ben heißeften Kämpfen eniwaffnet
wan ihn unb gerade in dem Zeitpuntte, wo feine Kräfte
am meiften Gefahr laufen, wieder zu erliegen, entzieht man
820 Martin,
ihm das Brod, das beftimmt ift, dieſelben aufzufriſchen
und neu zu befeben.“ Doch weit mehr Auffchlüffe für bie
Praris werden die Seelforger noch in ber Lehre vom Ga;
framente der Buße finden, wo ber Verf. mit Nüdficht auf
die Entfcheidungen der Goncilien von Trient, Florenz,
fowie von ber IV. 2ateranjonobe jene Punkte befprochen
bat, worin bie Moral und Paftoral fich berühren. Zum
Delege verweife id) auf G. 436, 446, 452, 453, 454,
456, 463. Was die Bethätigung ber chriftl. Gefinnung
in Bezug auf die Kirche betrifft, fo hat ber Serf. (Ὁ. 471)
trefflich hervorgehoben, daß der Chrift auch im Geifle des
Kirchenjahres leben müfle. |
Kurz wollen wir nun noch angeben, wie er bie Pflichten
des Gbriften gegen fid) {εἴ unb den Nächften abzuleiten
unb zu gliedern fudjt. Er fagt ©. 525: „In ber Ber
tjátigung ber chriftl. Gefinnung gegen fid) felbft beftebt
bie wahre thätige Selbflliebe ; in ber Bethätigung ter chrifil.
Gefinnung gegen die Mitmenfchen auf Erben und die Seelen
im Fegefeuer beftcht die wahre Nachſtenliebe“ Daher
felit er folgende 9tubrifen auf: 1. „Sorge für das eigene
wie ba6 fremde leibliche Leben und für alle Bedingungen
des leiblichen Lebens, bod) in linterotbnung des Leibes
und ber leiblichen Güter unter. die Seele. 2. Sorge für
bie Seele und alle Kräfte der Seele, der eigenen, wie der
meines Mitmenfchen, doch in Unterorbnung der Seele unter
Bott. 3. Bethätigung der Liebe gegen bie. Seelen. im Fe⸗
gefeuer.“ Zum Schluffe fügt er Hinzu: die Sorialpflichten
(in der gamile und im Staate). Bor biefen behandelt er
bie Grunbbebingungen des gefellfchaftlichen Verkehrs übers
haupt: 41. Wahrfcheinlichfeit und Treue, 2. Glauben unb
Moral, 321
fBerirauem in. Beziehung auf den gefellfchaftlichen Verkeht
"ber Menfchen unter einander. 3. Halten auf Ehre unb
guten Namen ;“ fo wie: „die Gorge für das gefellfchafts
liche Wirken ober für eine angemeffene Berufsthätigfeit.“
Was aber die Anficht des Verf. über einige Zeit
fragen betrifft, ald: Warum ed nothwendig fei, daß ber
Menſch perfönliches Gigentbum befige? fo ftimmt er der
Meinung des b. Thomas bei (S. 565). Dann: in der
Trage über ben Urfprung des Staates, verwirft er bie So;
cialtheorie, welche er mit vieler Gründlichfeit (S. 667—669)
widerlegt. Wir haben fonach beiläufig einen Blick in den
Inhalt des Werkes vom Hrn. 9Berfaffer gewonnen. Wir
eriehen hieraus, daß das Eigenthümliche feiner Begrüns
dung ber Sittenvorfchriften hauptfächlich darin beftebt, daß
er biebei nicht bloß auf bie Ausſprüche der 5. Schrift
und der Vernunft, fondern aud) auf die Entfcheidungen
der Concilien, der PBäpfte, auf bie wiflenfchaftliche Tradi⸗
tion der Moral, auf bie Lehren ber Väter unb ber Scho⸗
faftifer (im befferen Sinne) Rüdficht nimmt. Es ift fomit
diefes Moralwerf ein febr. inftructives, ba der Verf. in
demfelben aud) viele cafuiftifche Fragen entfchieden und ihm
ale Anhang eine Sammlung ber firdjlid conbemnitten
Moralfäpe beigefügt bat, welche nicht bloß für die Wiflens —
(daft, fondern auch für bie Praxis nothwendig unb nüglich
ift. Es enthält diefes Lehrbuch ohne Zweifel bie Zuſam⸗
menftelung des Wiffenswürbigften aus ber chriftfatholiichen
Moral, welche fo zum überfichtlichen Studium für Akade⸗
mifer fich treffend eignet. Da es uns fcheint, daß fid
gegen das Werk des Hrn. SSerfafferá nur Rügen von fehr
geringer Bedeutung erheben laſſen; fo glauben wir daß
Theol. Quartalſqhrift. 1850. IL Heft, :21
322 Deutinge
ſelbes im Gebiete der theologiſchen Literatur gewiß εἰπὲ
febr. ehrenvolle Stelle einnehmen wird.
Dr. Zukrigl.
nn ee A
2.
Die älteren Matrikeln des Bistums Sreyſtng. Heraus⸗
gegeben von Dr. Martin v. Beutinger, Dompropft in
München. Zweiter Band. München 1849. Verlag ber
erzbifchöffichen Oxbinartats- Kanzlei. 617 ΘΟ. Subferip«
tionspreis geb. 2 fl. 42 fr. |
Diefer Band enthält die zweite Hälfte ber Schmidt,
ſchen Matrifel, oder Vol. IH. bis Vol. V. des Manuferipts
in Folio. G8 find bier bie Landderanate Aibling, Dorfen,
Dachau, Gindifofen, Ginzelhofen, Gráfing, Hirtelbach,
Snfofen, 9tameréborf, Schwaben, Tölz, mit ihren Pfar⸗
reien und Beneficien auf dieſelbe Weife befchrieben, wie
in der Anzeige des erflen Bandes ©. 541 ff. der Quartals
fhrift vom vorigen Jahre angegeben ift; bie Decanate
Warngau, Wafferburg und Rottenbuch folgen im dritten
Dand. Als bie größten Decanate erfcheinen Ginzelhofen
mit 24 und Hirtelbah mit 26 Pfarreien, bie Fleinften
Stottenbud) mit adt und Schwaben mit fleben Pfarreien,
wobei jedoch zu bemerken ift, was fihon a. Ὁ. ©. 543
angeführt wurbe, taf eine Menge Bilialfirchen regelmäßigen
ober mit andern wechfelnden Gottesbienft" mit eigenen
Prieftern haben. Die dem Umfange nad) größte Pfarrei
der Erzdiöcefe München und Breyfing ift Velden im Des
canate Dorfen. Sie bat 19 Filialfirchen, in derer mehrern
das erwähnte DVerhältniß ftattfindet, zu welchem Zwecke
Matrikeln. 308
ber Pfarrer aud) brei Gorporatoren zu halten verpflichtet‘
if. Die fleinflen nach ber Seelenzahl find bie Bfarreien
Dbers Marbach mit 50, Poigenberg mit 76, Wenigmündyen
mit 98 Gommunicanten.
Die in ber Schmibt’fchen Matrifel dargeftellte Gin;
tbeilung ber Decanate und Pfarreien hat felt dem Jahr
1749 mandyerlei Wbänderungen erlitten, welche in den
Roten überall angegeben find. So machte die Größe ein»
zelner Decanate und die Errichtung neuer Pfarreien bie
Bildung neuer Decanate nothwendig, wie aus bem Des
canat Aibling das neugebilbete Decanat Rofenheim abges
fchieden wurde, aus bem Decanate Dorfen wurden zwei
Decanate gebildet: Dorfen und Belden; aus dem Decanate
Hirtelbach die Decanate: Sittenbach und Scheyern. Rod)
bedeutender war die Vermehrung der Pfarreien, fie wurde
nothwendig durch bie große Menge von Bilialfirchen mit
eigener Paftoration, nod) mehr nach der Aufhebung bet
Stifte und Kiöfter, wo bie bis dahin incorporirten
Pfarreien neu organifirt, und andere ganz neu gegründet
werben mußten. Diefe Veränderungen hatten zur Folge,
baf einzelne Pfarreien andern Decanaten zugetheilt, auch
wohl benachbarten Diöcefen, Augsburg und Regensburg,
{εἴ auswärtigen wie Salzburg und Briren überlaffen
wurden, |
Für bie geiftige Bildung der Breifing’fchen Geiftlich-
feit bietet bie vorliegende Matrifel zwei bemerfenswerthe
Grídeinungen bar, eine in ber Altern unb eine in ber
neuern Zeit; jene beftebt in der anfehnlichen Zahl gras
duirter Herren, gicentiaten und Doctoren nicht nur ber
Theologie, fondern in gleichem Berhäftniffe auch beider
Rechte und der Pbilofophie, und dies nicht fowohl in
| 21%
324 Deutinger,” Süáttife[n.
ben Reiben des höhern Klerus, two man εὖ cher erwarten
fonnte, ald in jenen der Euratgeiftlichfeit ; biefe zählte im
Decanate Freifingen 5, im Decanate Münden 10, im
Decanate Landshut 8, und aud) in ben übrigen Deca⸗
naten durchſchnittlich 9 bis 3 graduirte Pfarrer und Bes
neficiaten. Diefe für ben iwiffenfdjaftliden Sinn der
baierifchen Geiftlichfeit in jener früfern Zeit zeugende
Erfcheinung erflärt fih wohl daraus, daß die Theologen
ihre Studien weniger auf Lycaͤen als auf ber Univerſitaͤt
machten, welche ihrem wiflenfchaftlichen Streben mehr als
ein Gebiet auffchloß. Was aus ber neuern Zeit bier eine
Erwähnung verdient, ift die anfehnliche Zahl hiſtoriſch⸗
ftatiftifcher Einzeln» Befchreibungen (Monographien) von
ganzen Decanaten und einzelnen Pfarreien, welche fich in
biftorifchen Sammlungen oder in Schriften von Privaten
gebrudt vorfinden, ober handfchriftlid bel bem Ordinariat
vorliegen, und worauf in ben Noten verwiefen wird. Diefe
in mehr a(8 einer Hinſicht verdienftlichen Arbeiten gehören
wohl mit zu den Früchten der durch Maichelbed und Wes
ftenrieber zuerft angeregten Diftorifen Studien in Baiern,
welche neben ben befannten Forſchungen über bie baierifche
Urgefchichte mancher fleißigen Geiftiden auf foldhe Orts⸗
und Bezirfö-Befchreibungen geführt haben.
Was Referent in der Anzeige des erftien Bands bin:
fihtlich der Parochialverhältniffe αἱ bemerfenswerth Seite
541 ff. auégefoben hat, das fommt natürlich in biefem -
zweiten Bande alles wieder, manchmal im verftärkten
Maße vor. Referent will nur ein - Beifpiel anführen,
Zehentbezüge betreffend. Die Pfarrei Egmating im Decanat
Schwaben hat 7 Filiale (mit Kapellen); in biefen Orten
zuſammen theilen (id) mit bem Pfarrer nicht weniger als
Brandes, ber Papft als Fuͤrſt. 825
24 Mitzehenter in ben. Zehnten, welche Zahl δερτεί
wird, wenn man liedt, bag darunter mehrere privat;
Perfonen begriffen find, und bie Theilung nach Höfen,
ſelbſt nad) einzelnen Aeckern geſchah. Wie verbrießlidy-
mußte ein folcher Bezug fein ?
Drey.
3,
Ber Papſt als Sürfl des Kirchenflants. Ein Hiftorifch-
politifcher Verſuch von P. Karl Brandes, O. S. B,
Profeffor ber Sefchichte unb des Kirchenrechts. Einflebeln,
1849, Drud und Verlag von Gebrüber K. u. N. Benziger.
VIII. und 62 ©. Preis 18 ἔν.
Sn bem Vorworte bemerft der Verfaſſer, daß feine
Cdrift aus mehrern Auffägen in dem hiſtoriſch⸗kirchlichen
Mochenblatte: dem Pilger, hervorgegangen ift, indem bei
ber Bearbeitung jener Aufläge bie hohe Bedeutung bes
Gegenftandes fid ihm noch lebendiger vergegenwärtigte,
und fo habe, was dort nur theilweife ausgeführt oder
auch nur angedeutet werden fonnte, hier eine weitere Bes
fprehung gefunden. Da jebod) ber wichtige Gegenftanb
auch bier keineswegs erfchöpft werben fonnte, fo läßt ber
fBerfaffer bie Abitcht durchbliden, bei größerer Stufe das
Snftitut der päpftlihen Eouveränetät in allen Epochen
feines Beftandes zu beleuchten, unb bie Gefege zu er
foríden, nach denen bei gegebenen Veränderungen der polis
tiichen BVerhältniffe in Europa, aud darin eine llmges
Raltung erfolgen. fónnte.
In ber vorliegenden Schrift wirb bie weltliche Sou⸗
veraͤnetaͤt des Papſtes nur in zwei Beziehungen beſprochen,
326 o3 Brandes,
nämlich in Beziehung auf ihre Bedeutung ober ihre
moralifche Nothwendigfeit und politifche Berechtigung, und
in Beziehung auf die gefhichtlihe Gntftebung und
Bildung des Kirchenſtaats. Borangefchidt find Bes
merfungen über ven politifchen Charakter beffelben; ber
Verfaſſer macht nämlich gleich Andern, welche fid) über
bie obfchwebende Frage oͤffentlich haben vernehmen laffen,
darauf aufmerffam, daß biefe tage völlig verfchieden fel
von der Frage ber Firchlichen Euprematie des Papftes;
biefe iff von dem Stifter ber Kirche felbft gegründet, ber
Kirchenftaat nicht, in der Verwaltung des Firchlichen Pri⸗
mats hat das Papſtthum höhere SBerbeifungen, in ber
Berwaltung feines weltlichen Ländergebiets hat es feine;
darum war biefe Verwaltung von jeher benfefGen Gebrechen
und llebe[ftánben audgefept wie andere Staaten, barum
bedurfte fie wie andere Regierungen von Zeit zu Zelt
beffernder Nachhilfe und Reformen, unb Bius IX. unters
nahm es, foche nothwendig gewordene Reformen durchzu⸗
führen, übrigens im völligften Ginberftánbniffe mit ben
andern europäifchen Sürften, worauf er fid) in feiner Als
Iocution vom 28. April 1848 ausprüdlich beruft. Der
fBerfaffer zeigt fofort, wie biefer Reformen ungeachtet e$
einer zwar Kleinen, aber thätigen und verwegenen Umſturz⸗
partei gelingen fonnte, bie größere aber paflive Mehrheit
ber Bevölkerung, namentlich bie Sugenb zur offenen Res
volution fortzureißen.
Ueber die Bedeutung der weltlichen Souveränetät
des PBapftes und feines Sitzes in Rom bemerkt der Ber
faffer zuerft, daß bie fatbotifd)e Kirche beffelben mit wefents
licher Nothwendigkeit nicht bebürfe, da ber Bapft nicht bet
politiſche, fondern ber moralifche und geiftige Mittelpunkt
der Papſt als δυτῇ. 327
ber Kirche ift, biefer aber ebenfo gut in Gaeta, in Mars
jorfa, in Philadelphia oder Peking liegen fónnte, wie zu
Rom, daher wenn auch bie Römer in Abfall unb Uns
glauben verfinfen würden, der Papſt (nicht wie der Bers
faffer fid) ausdrückt, Bifchof von Rom in partibus infidelium
bleiben, ber Papft ift nie ein blofer Titularbifchof) dann
Bifchof derjenigen Stadt heißen würde, in welcher er
feinen bleibenden Wohnſitz nehmen würde: ubi Petrus, ibi
Roma. Dennoch aber. habe e8 ber göttliche Gründer und
Lenker feiner heiligen Kirche fo gefügt, bag fein irdifcher
Stellvertreter, ber oberfte Hirte feiner Qeerbe, in Rom
ein Haus und in ber Petersfirche einen Altar, und im
Batifan einen Thron fand, ber durch feine mäßige Macht
feinen andern Herrfcher beunruhigen, feinen. in Verfuchung
führen fonnte, barnad) zu gelüften, dennoch aber hinreichte,
um dem höchften Richter und Oberhaupt der Goriftenbeit
eine freie und unabhängige Stellung zu gewähren. Rad
biefer einleitenden Bemerkung entwidelt der Verfaſſer bie
inneren und äußeren Gründe für bie Entftehung unb den .
hiſtoriſchen Beftand ber weltlichen Herrfchaft der Päpfte.
Den erften Grund, ber infofern Fein Grund ift, weil
das Rothwendige fid) feld begründet, findet er in ber
biftorifchen Nothwendigfeit, mit welcher fi bie weltliche
Souveränetät der Päpfte bildete. Durch drei Sabrbum
berte vor allen andern Bifchöfen der Verfolgung ausgefegt
(dreißig Bäpfte farben ale Märtyrer), in den naͤchſtfol⸗
genden Zeiten in alle kirchlichen Bewegungen, bald aud) in
bie politifchen Angelegenheiten Roms und Italiens hinein»
gezogen, wurden fie allmälig Landeöherren, ohne daran
zu denken, one εὖ zu wollen, und man fann fagen, tro
ihres drei Jahrhunderte langen SOiberftrebené. Ihre zeit
328 ' Brandes ,
liche Souveränetät ift daher wie das Walten der göttlichen
Fürfehung gerechtfertigt in. fid). felbft.
Der zweite Grund der morali(djen Nothwendigkeit
liegt darin, daß der Papſt in ſeiner weltlichen Souveraͤnetaͤt
gegen den Andrang und Einfluß der übrigen Souveräne
eine zeitliche Gewähr und äußere Sicherheit nöthig hatte,
um fo durch feine perfönliche Unabhängigkeit auch die Uns
abhängigfeit des Gewiſſens aller Gläubigen wahren, und
Allen eine fichere Freiftätte bieten zu koͤnnen. Und biefer
durch feine Inabhängigkeit bedingten Freiheit bedurfte ber
Papſt, nicht nur um für fid felbft frei zu fein, er mußte
auch nad Außen in Jedermanns Augen frei und unabs
hängig erfcheinen, um moͤgliches Mißtrauen und bars
aus entftehenden Ungehorfam der Gläubigen, Entzweiung
der chriftlichen Nationen und partielle Schismen zu vers
hüten; biefen Grund hebt Pius IX. in feiner Proteftation
befonders hervor, indem er fagt: unter den Gründen, bie
und zu der Entfernung aus Rom bewogen haben, ift bet»
jenige der wichtigfte, daß wir bie volle Freiheit in Aus⸗
übung der Gewaltfülle des heiligen Stuhles bewahren,
indem εὖ unter den gegenwärtigen Umſtaͤnden dem fatbos
liſchen Erdfreife (deinen fónnte, als [εἰ biefelbe nicht mehr
voll und frei in unferen Händen.
Aber der Papft muß in feinem Land, in feiner Stadt
ebenfo frei und unabhängig fein, wie er dies nach Außen
fein muß; zwar muß er feinerfeitd als weltlicher Fuͤrſt fein
Land fo regieren, daß die Inftitutionen, bie er ihm gibt,
burd) eine gewifle patriarchalifche Weisheit das reine Vers
hältniß des Regierenden zu den Regierten ausbrüden;
aber dagegen follen auch feine Unterthanen ihn nicht in
der freien Ausübung feines erhabenen Amtes ftören ober
bet Papft als Fürſt. 329
beirren, denn εὖ ijt Har, daß wenn ber Bapft in feinen
Staaten Gewalt (eben. müßte, wenn ber tolle Eigenfinn
ber Menge oder bie vermegenen Anfchläge einer überfrechen
Partei ihn unter ihr tyrannifches Joch zu zwingen vers
möchten, bie Ruhe und Sicherheit ber ganzen Kirche ges
ftért und aufs tieffte erfchüttert werben müßte Zum
Schluß erinnert der Verfaffer daran, wie ber Leichtfinn
und Hochmuth der Römer gegen den Papft jedesmal die
Urfache der Zerrüttung und Berddung von Rom felbft
geworden, bie Könige aber, die fid) am Gefalbten des
Herrn vergriffen, ihren eigenen Thron erfchättert und ums
geftoßen haben, wogegen bie jüngften Gewaltthaten ber
Römer ein allgemeines Sntereffe und eine allgemeine Theils
nahme für ben Bapft hervorgerufen haben, zum beutlichen
Beweife, bag ber Kirchenftaat ein univerfales, ein euros
päifches, ein Fatholifches Suftitut if. Unſere gefer werben
hieraus entnehmen, dad P. Brandes nach Dupanloup
gearbeitet, wie er aud) bie befräftigenden Zeugnifle von
Thiers und Dupin derfelben Quelle entnommen hat.
Ausführlicher und felbftftändiger hat er ben zweiten
Bunft, die gefchichtlihe Gntítebung unb Bil-
bung bes Kirchenftaats behandelt, obwohl auch bier bie
von Dupanloup nur furg gezeichneten Hauptgedanken zu
©runde liegen. Hr. Brandes unterfcheidet in ber Bildungs
Gefchichte des Kirchenftaats adit Zeitftufen. Die erften
Spuren der weltlichen Unabhängigfeit der Paͤpſte findet er
in den Folgen ber Thatfache, daß Gonftantin den Si
feiner Regierung nad) Byzanz verlegte, und damit Rom
gewiflermaßen dem oberften Lenker. ver Kirche überließ,
woburd) bie Päpfte in bie Lage famen, baf fte die von
den erften chriftlichen Kaiſern den Biſchoͤfen überlaffene
80 Brandes,
Berwaltung vieler bürgerlicher Verhaͤltniſſe nicht nur in
einem größern Umfange führen, fonbern auch bel ber zu⸗
nehmenden Schwäche des Kaiſerthums in den folgenden
Zeiten der Völkerwanderung durch ihr Anfehen und bie
großen Befigungen ber römifchen Kirche das bebrángte
— SRo(f fohügen konnten; wovon ale das erfte Beifpiel bie
freilich noch immer Fägliche Begünftigung angeführt wirt,
dag Marich nad) der Eroberung Roms wenigftens der
Kirchen und ber darein Geflüchteten fchonte.
Sn den folgenden vier Nummern wird ausgeführt,
was bie Päpfte bis auf Gregor IL für Rom und Stalien
getban; und welchen politifchen Einfluß ihnen bie Zeitums
ftände verfchafft haben; zuerſt wie Leo Ὁ, Gr. in der un
günftigften age des babinfinfenben römifchen Weftreiches,
ald Wetius mit dem Reſte des Heeres nod) in Gallien
ftand, burdj den Ginbrud feiner Berfönlichfeit und feiner
Würde den Hunnenfürften Attila beflimmt, nach ben
untern Donaugegenden zurüdzufehren, und baburd) Rom
vor dem Schidfal Aquileias und Stalien vor den Set;
müftungen bewahrt, welche Gallien dur ihn erfahren
hatte. Minder erfolgreich aber barum nicht minder aners
fennungswerth waren bie Beftrebungen der Bäpfte e
lagius L, PVigilius und Johann IIL für die Stadt Rom
während ihrer SBebrdngung dur Totila. Ausgezeichnet
erfcheint aber in biefer Beziehung Gregor ber Große; biefet
Papſt, von beffen Sorgfalt für bae Wohl ber Kirche, für
die chriftliche Bildung und Erziehung feine Schriften unb
befonders feine Briefe Zeugniß geben, fand in feinem
reichen Geifte die Mittel, auch für das leibliche Wohl
feiner Mitmenfchen, für die Sicherheit und ben grieben .
Staliens zu forgen; er gab Borfchriften für bie Bewirth⸗
der Papft als Fürfl, 331 -
fhaftung der Patrimonialgüter der Kirche wie feiner
eigenen, für bie Regierung der Provinz, für die Befeftis
gung unb Vertheidigung ber Städte, denen er SBroviant,
Magiftrate, fefbft Militärtommandanten fchidte, und ihnen
bie gemeſſenſten Befehle ertheilte, und endlich als die gries
chiſchen Saifer weder den Krieg nachdruͤcklich führen, noch
Wriebe fchließen wollten, unterhandelte er felbft mit Aigilulf
einen Separatfrieden für fid) unb bie römifchen SBefigungen.
Go erſchien er als Mittelpunkt der Regierung und Ordner
aller politifchen Verhaͤltniſſe in san ohne Jemands
-Einfprache.
Während ber Periode ber monotheletiſchen Haͤndel
und der Bilderſtuͤrmerei nahm die Sorge für die geſunde
Lehre unb die Abwehr der befpotifen Eingriffe der by»
zantinifehen Kaifer in das Firchliche Gebiet bie ganze Thäs
tigfeit der Paͤpſte in Anfpruch, mittlerweile hatte aber in
Stalien die Macht der Longobarden mehr und mehr um
fid gegriffen, und bebrobte Rom felbft mit den Ver⸗
gewältigungen, wie früher die Oftgothen fie geübt hatten.
Da nun von den Kaifern Feinerlei Hilfe mebr zu erwarten
war, wandte fid) PBapft Gregor IIl. an den fränfifchen
Major-domus Karl Martell, welcher ihm auch durch eigene
Boten feinen Schug zufagen ließ, von einem Feldzug aber
nach Stalien durch andere Staatsrädfichten abgehalten wurde;
bod) trug dies dazu bei, daß König Quitprand fid) bes
wegen ließ, vier der bedeutendften Städte des ducatus ro-
manus (Romagna) dem Papſte Zacharias zurüdzugeben.
Eben biefer, von ben Bewohnern des Erarchats, in welches
Zuitprand eingebrochen war, um Hilfe unb 9Bermittefung
angegangen, bewirkte, bag der König ihm das Gebiet von
Ravenna und Gefena in gleicher Weife wie bie vier Städte
332 , Brandes,
ber Romagna überließ. In allen diefen Berhältniffen
handelten die Päpfte felbfiftändig, ohne Auftrag von Seite
ber Kaifer, mit dem Vertrauen der Völker bechrt, und
als Auctorität von den Yürften anerkannt.
G6 mag babingeftelit fein, ob man darin fdjon eine
volftändige Souveränetät ber Päpfte erbliden könne ober
nicht; jedenfalls bildeten dieſe Verhältniffe eine fer bes
deutfame Grundlage dazu, und rafcher drängten fid bie
Greigniffe von nun an der Entfcheidung entgegen, durch
welche jene Souveränetät förmlich ausgefprochen werben
follte. König Rachis, ber neue Einfälle in das päpftliche
Gebiet gemacht hatte, gab zwar auf bie perfönliche Vor⸗
ſtellung des Papftes das Eroberte zurüd, aber nicht fo
Aiftulph, der das Erarchat mit der Hauptſtadt Ravenna
neuerdings weggenommen hätte. Da alle Vorſtellungen
des Papftes Stephan IL wirfungslos blieben, war biefer
gensthigt, fid) an Pipin, nunmehr König der Franken, zu
wenden, und begab fid), von diefem burch eine befonbere
Gefandtfchaft eingeladen, im November 753 felbft nad)
Sranfreí, wo er über den Winter blieb; im Srühjahr
zog Pipin mit einem Kriegsheer über bie Alpen, und
würde wohl jebt fion bie Macht der Songobarben gänzs
lich gebrochen haben, wenn nicht der Papſt zur Milde ges
ſtimmt hätte, er begnügte fid daher mit einem Vergleiche,
in welchem Aiftulpb und feine Genoffen eidlich verfprachen,
Rom und die Umgegend nicht ferner beunrubigen, und
die widerrechtlich genommenen Städte herausgeben zu
wollen. Aber Aiſtulph biet nichts von Allem, 204. viels
mehr im folgenden Jahre felbit gegen Rom, welches er
drei Monate lang belagerte; der Bapft fab fih zum
jweitenmale genótbigt, die Hilfe ver Franken anzurufen,
der Papft alb Für, 333.
die aber feiner ungeltigen Kachficht wegen diesmal nicht
fo bereitwillig erfolgte, er mußte breimal bitten. Doc
erfchien Pipin im S. 756 mit feinen Sranfen , fchlug bie
Longobarden gänzlich und zwang fte, alle von ihnen wider⸗
rechtlich in Befig genommenen Städte, einundzwanzig an
der Zahl, in feine Hände zu überliefern, bie er bann an
den Papſt zurüdgab; Died ift bie berühmte Pipinifche
Schenkung, woburd) bie biöherige factiſche Souveränetät
des Papftes einen juriftifchen Charakter erhielt, unb ber
Kirchenftaat eigentlich gegründet wurde. Die fortgefegten
Umgriffe und Ränfe Dietrichs (aud) Defiverius genannt)
nöthigten endlich den Papſt Hadrian fid) an Karl b. Gr.
. zu wenden, woelder in einem Feldzuge bem Reiche ber
Longobarben ein Ende machte, bei feinem feierlichen Ems»
pfange in Rom die Schenfungsurfunde feines Vaters fid)
vorlefen ließ, unb fie nicht nur beftätigte, fonberm aud
noch neue Befihungen, unter andern das Herzogthum
Spoleto hinzufügte.
Died als furyr Auszug aus ber Biftorifden Dars
flelung des SBerfafferó, worin man ben Sprofeffor bet
Gefchichte erfennt. Wiewohl nad) der ausgefprochenen
Abſicht mehr ein Grundriß als eine erfchöpfende Darftels
fung, ift doch das Gegebene reich an Details unb Nebens
umftänden der $auptbegebenbeiten, anziehend durch bie
Charakterſchilderungen der Päpfte, welche zur Begründung
ber weltlihen Souveränetät beigetragen, wie auch ber
gothifchen, Iongobardifchen und fränfifchen Könige, welche
in biefer Gefchichte fid) einen Namen gemacht; aud) an
biftorifchen Reflerionen fehlt εὖ geeigneten Ortes nicht.
Bei der Earen und lebendigen. Darftelung überficht man
es gern, wenn hie und ba die Farben etwas flarf aufges
334. ἜΝ Neander,
tragen ſind, ſo z. B. kann die Verwuͤſtung, welche Alarich
in Rom angerichtet — S. 16 — nicht ſo vollſtaͤndig ge⸗
weſen ſein, wenn die Gothen unter Teja noch vollbringen
konnten, was S. 25 erzählt wird; ebenſo wenn S. 30
geſagt wird, was die Longobarden aus Rom gemacht
haben würden, wenn Gregor I. nicht geweſen wäre, —
einen Schutthaufen wie Ninive oder Sibeben..
Drey.
4.
Antignoftihus, Geifl des Gertullienuo und Einleitung in
deffen Schriften. Eine Monographie als Beitrag zur
Gefchichte der Glaubens⸗ unb Sittenlehre In den erften
Jahrhunderten von Dr. Auguff Beander. Zweite, zum
Theil umgearbeitete Auflage. Berlin‘, Ferd. Dümmier’s
Buchhandlung 1849. ΧΙ. u. 467 ©. Groß Octav,
Pr. 4 ff. 6 fr.
G6 find jegt gerade 25 Jahre verfloffen, feit 9teanber
bie erfte Auflage feines Antignoftifus veröffentlichte"), unb
tro des berühmten Namens Neander waren doch nod
immer Gremplare vorhanden; ein Beweis, wie befchränft
bei monographifchen Werken der Preis — ich will nicht
fagen der Leſer, aber bod) der Käufer ift. Ein befonderer,
für bie firchenhiftorifche Wiſſenſchaft leider ungünftiger Um⸗
ftand, veranlaßte biefe neue Auflage. Neander, jegt 61 Jahre
alt, leidet nämlich feit längerer Zeit fo febr an ben Augen,
1) Eine Kecenfion jener erfien Auflage findet ſich fchon im Jahr⸗
nt der Quartalſchrift, €. 646 — 604, aus ber Beber des fel.
—
Zertaltten. 385.
daß er fein großes Werk über allgemeine Kirchengeſchichte
nicht mit ber gewünfchten 9tüftigfeit fortfegen, feit 1845
feinen neuen Band mehr davon liefern konnte. Sie geht
jest in 10 Theilen oder 5 Bänden bis Papft Bonifaz VIIL
(S. 1300). Unter ſolchen Umſtänden wandte Neander
feine Aufmerkſamkeit auf die Vervollkommnung feiner
älteren Werke, was er mit Hülfe frember Mugen leichter
vollbringen fonnte, und fo erhielten wir denn neue Aufs
lagen feiner Monographien über St. Bernhard, über
Ehryfoftomus und jet über Tertullian. Die Anlage des
Ganzen ift biefelbe geblieben. Die febr kurze Einleitung
gibt a) den Ctreitpuntt Tertulians im Allgemeinen
und beffen BVerhäftniß zu den vorherrſchenden Geiftess
richtungen feiner Zeit in febr bündiger Weife an, unb
liefert darauf b) eine Furge Weberficht der Lebensgefchichte
Tertullians. Sofort zerfällt das eigentliche Corpus des
Werks in 3 Abfchnitte. Sm erften Abfchnitte CS. 15—135)
werben bie apologetifchen und verwandten Schriften
Tertuflians, b. i. alfe jene, weldye fi auf den Verkehr
ber Chriften mit ben Heiden beziehen, kurz charakterifirt,.
und Auszüge daraus in deuticher Leberfegung oder Par
tapbrafe gegeben. Diefer Abſchnitt ſelbſt aber zerfälit
wieder in 2 Unterabtheilungen, deren Scheivepunft Ter⸗
tullians llebertritt zum Montanismus bildet, fo bag in ber
erften Anterabtheilung dig apofogetifben Schriften Ter⸗
tullians aus feiner vgrmontaniften Zeit, in ber zmeiten
bie feiner montaniftifchen Periode befprochen werben. Die
gleiche Zweitheifigfeit zieht fid) aud) burd) die beiden ans
dern Abfchnitte hindurch. Handelt barum der zweite größere
Abfchnitt (€. 185—308) von jenen Schriften Sertulliane,
weiche fih auf Gegenfünbe des chriſtlichen und
-
898 - Neander,
kirchlichen Lebens unb ber firdengudt bejichen;
fo hat hievon die erſte Unterabtheilung in specie die vor⸗
montaniftiíden, die zweite bie montaniftifchen
Schriften tiefer Kategorie zum Gegenftanbe, Der britte
Abſchnitt enbíid) (S. 308—463) ift ben bogmatt(den
unb bogmatifdspolemifden Werken Tertullians zus
gewiefen, unb es werden biefe wiederum in vormontas
niftifche und montaniftifche abgetbeift. Den Schluß des
Ganzen bildet ein Ereurs über ben legten Theil der Schrift
adversus Judaeos. Schon Semmler hatte auf die ver
bächtige Befchaffenheit dieſes Stüds aufmerkſam gemacht,
Neander aber führt jest den wohl nicht umjuftürgenben
Beweis, daß Tertullian das fraglihe Bud im Anfange
des neunten Gapiteld nad) ben Worten incipiamus igitur
probare nativitatem Christi a prophelis esse nunliatam unb
nach Anführung der Stelle aus Iſaias 7, 13 (f., burd
irgend einen Zufall unvollendet gelaffen und den ange
fünbigten Beweis aus ben Propheten nicht mehr geführt
habe. Ein fpäterer Verehrer Tertullians nun fand, baf
in befjen Werf adv. Marcionem, Lib. IIL eine ähnliche Ber
weisführung geliefert fei, und benügte nun biefe zur €t»
gänzung des Bruchſtücks adv. Judaeos, ohne zu bebenfen,
bag, was gegen Marcion paßte, nicht auch gegen bie
Juden gepaft hätte, unb bie Einwürfe, welche Tertullian
dem Marcion in den Mund legt, unmöglich auch von ben
Juden hätten erhoben werben fónnen. So ift denn ber
Schluß des Buchs adv. Judaeos allerdings tertullianiſch;
aber aus einer andern Schrift Tertullians entlehnt und
bier unpaflend angeflift.
Das obenberührte Augenleiden Neanders erklärt εὖ
wohl, wenn das vorliegende Werk in biefer neuen Auflage
Tertulilan. 394
nicht jene durchgreifende Umgeſtaltung erfahren Kat, beren
es wohl bebürftig gewefen wäre. So bereitwillig wir
nämlich das viele Schöne im Antignoftitus anerkennen,
und namentlich eine ganze Reihe actftooller Gedanken unb
trefflicher Bemerfungen unverkennbar bari entbeden, fo
müffen wir bod) behaupten , bag das Buch nicht bas ift,
was man unter einer Monographie gewöhnlich erwartet.
Bor Allem ift bie Lebensgefchichte Tertullians gar
zu compenbids ausgefallen, namentlich tjt fein SBerbáltnif
wu den Montaniften, und befonbers zur Partei ber Set
tullianiften nicht befprochen und bie Frage, ob er
fpäter zur Kirche zurüdgefehrt fel oder nicht, ne minimo
berührt worden. Weiterhin find von ben einzelnen Schriften
Tertullians wohl einzelne Stellen mitgetheilt, aber es ift
nicht von jebem Buche, wie man wänfchen muß, der Blan,
oder Grundriß, bie ganze Anlage und Gompofition anges
- geben worden. Was mitgetheilt wird, find nur Stag:
mente, während nad) unferer Meinung ein fortlaufenver
zufammenhängender Auszug hätte gegeben werben follen.
Roch mehr vermifien wir ble Erörterung ber fritifchen,
biforifchen und Einleitungsfragen, über Aechtheir, Zwei -
und Abfaffungszeit eines Buches, über fein Berhältniß
jt andern Schriften Tertullians u. f, vo. Um in concreto
ju reden, wollen wir beifpielßweife den Apologeticus in’s
Auge fafen. Neander beftimmt Seite 58 bie Abfaffung
biefer berühmten Schrift nur ganz im Allgemeinen ohne
irgend ein näheres und beftimmteres chronologifches Datum
anzugeben. Und bod) läßt fid bier bie Abfaffungszeit
ohne gar große Schwierigfeiten ermitteln, wie bereits von
Mehreren, von uns aber ausführlich in ber Quartalfchrift,
Jahrgang 1838, S. 62—82 verſucht worden ift, — Eine
Sil. Dxartalfärift. 1850. 11. Heft. 22
995 Sunt, -
zweite Gage, bie fib in’ Betreff des Apologotieus bàn
fetbft aufmirít, betrifft deſſen Werhältniß zu ben zwei
SBüdjern ad naliónes. Neander aber befchränft fich bier
auf bie wenigen Worte: „Er hatte zuerſt eine an bie
Heiden überhaupt, nicht befonberó an die Obrigkeiten ger
richtete, nicht für einen offiziellen Zwed beftiunmte Apologie
geſchrieben, feine zwei Bücher ad nationes, welche nicht
ohne üde auf und gekommen find.“ Sd) bin nun zwar
auch ber Anficht, daß bie Vermuthung, der Apologelicus
fet fpáter, aíó die 2 Bücher ad nationes, die größere
Wahrfcheinlichkeit babe; wer aber mit biefem Dingen be
fannt ift, weiß, daß auch bie entgegengefegte Hypotheſe
verfchiedene Gründe für (id) aufbringt, und es ift wohl
nicht zu zweifeln, Daß eine Monographie über Set»
tullian der Unterfuchung diefer Streitfrage fid) gar nicht
entziehen fann. Ganz anders als Neander ift. Hier. 9e
Roursy verfahren, der in feiner berühmten. Dissertatio in
Tertulliani Apologeticum alle Eritifchen, hiſtoriſchen, chro⸗
nologifchen und ähnliche Fragen, welde hier auftauchen
koͤnnen 1.., forgfältig unterfucht bat. — Gewiß erwartet
tian weiterhin von jeder Monographie eines Kirchenvaterd,
daß fie fi aud) über bie Aechtheit der einzelnen ihm
sugefchriebenen Werke ausfpreche, die Achten vertheibige,
bie undchten zuruͤckweiſe. Bon allem dem aber finden
wir in ber vorliegenden Schrift wieder nichts, ben Greurt
über den Schluß des Buchs adv. Judaeos allein abge
rechnet. Neander führt nach und nach alle ächten Schriften
Tertulllans auf, fpridt aber nie ein Wort über ihre
Uechtheit, und berührt bie unterfchobenen mit feiner Silbe,
Sd) fagte, er führe jene Süder nad) unb nad) auf,
b. b. er gibt nirgends, und e6 iſt dieß gewiß wieber ein
" wi
Mangel, eimen eigentfichen Ucberblick über bie geſammte
ſchriftſtelleriſche Thaͤtigkeit Tertulliane. Wie fehlerhaft εὖ
aber fei, daß et fid) gar nicht mit Fritifchen ragen bes
faßte, geht aus folgendem Beifpiel hervor. Das Buch
de oratione war viele hundert Sabre unvollftändig, bis
Muratori in einem fogenannten Ambrofianifchen (Mais
fánber) Gober bie 10 [egten Capitel entbedte. Mit biefem
Zuwachs erfchien bie Schrift zuerft in ber Gemmler (den
Gefammtausgabe der Werfe Tertullians, während dieſe
10 Gaypitel nod) in. ber Ausgabe des Rigaltius, alfo ges
sade in ber berühmteften Ausgabe Tertullians fehlen.
Reander nun hebt auch aus biefen Legtern Gapiteln mehrere
Stellen in Ueberfegung aus, aber er verfchweigt es gänzlich,
daß alle alten Editionen biefe Schlußcapitel nicht befäßen
und wer fie entbedt Habe und bgL, fo daß eim Beſitzer
der. Rigaltiana, wenn er Neander’s Buch liest, gar nicht
begreifen . fant, woher benn Lepterer diefe Gapitel ge⸗
nommen babe. Heißt dieß in bie Lektüre ber Schriften
Zertullians einleiten? Wollte aber Neander feinem auf
dem Titelblatt. gegebenen Berfprechen: „Einleitung in
deffen Schriften“ nadfommen, fo mußte er weiterhin
ben Lefer aud) mit bem vorhandenen Gobiceó, mit beu
befieren Ausgaben, Commentarien und lleberfegumgen ber
fannt machen. Alles dieſes gefchieht fonft in den Sono
grapbien, und muß darin gefchehen. Endlich flebt εὖ
einer Monographie febr gut an, wenn fie eine Anzahl
der ſchwierigſten Stellen des Autors aufhellt, unb bei
Tertullians wäre bief nun doppelt am fB(age gewefen, ba
bei ihm ohnehin ber Ausdruck báufig höchft dunkel und
zudem noch ber Gert ber Handichriften oft Frank ig.
9teanber. bat :eudy in ber That in diefer Beziehung Einiges
229. —
840 Meander,
geleiſtet; aber unendlich mehr wäre zu thun übrig ger
blieben, unb bie und ba fdeint e$ fogar, als habe er bie
ſchwierigſten Stellen abfichtlih in feiner lleberfegung ober
Baraphrafe vermieden. PBrächtig 4. B. und eine Haupts
"elle im Apologetifus Sertullianó ift bie Ironie, womit
er (Kapitel 2) bie Ungerechtigkeit. in bem Gerichtsver⸗
fahren gegen bie Chriften geißelt. „Andern Berbrechen,“
fagt er), „laßt ihr nachfpüren, bei den Chriften dagegen
. gilt feit Trajan. das Gefeg: man darf fie nicht. auffuchen,
werben fie aber angezeigt, ſo müflen fie geftraft werben.
Wie fann man aber das aufammenreimen, daß die Chriften
Verbrecher feien und doch nicht aufgefucht werden follen ?
Gerner, wenn ihr einen Verbrecher eingefangen habt, fo
foltert ihr ihn fo lange, bis er geftebt. Habt ihr aber
einen Chriften eingezogen, wie ift es bann? Wenn er
(áugnet, fo laßt ihr ihn frei; wenn er aber geftebt, fo
fpannet ihr ihn auf bie Folter und wendet alle Quals
mittel an, damit er ja läugnen foll. Euer Berfahren
gegen bie Chriften ift alfo gerade ber Gegenfag zu eurem
gewöhnlichen Gerichtöverfahren. Aber, benf' ich wohl,
ihr wollt eben nicht, daß wir zu Grunde gehen, wenn
ihr uns aud) für noch fo fchlimm haltet.“ Er fährt bann
in diefer Ironie alfo fort: „wenn ihr einen Mörder ge
fangen habt, fo fagt ihr wohl auch zu ihm (wie zu
den Ehriften): [dugne, unb einen Tempelfchänder faffet
ifr wohl foltern, wenn er fortfahren will, einzugeftehen.
Wenn ihr aber gegen biefe Schuldige nicht alfo vers
fahrt, fo müßet ihr unà für febr unfchuldig halten, ba
ihr nicht wollt, daß wir bei unferem Belenntniß blei⸗
1) Wie geben Hier muc feine Gedanken, nit feine Worte.
Tertullian, 341
ben 1... — Diefe fchöne Argumentation ift aber in ben ^
Editionen durch einen Fleinen Terteöfehler im letzten Cage
ganz verunftaltet. Es heißt nämlich überall in den Aus⸗
gaben: Si non ita agilis circa sos nocentes, ergo nos in-
nocentissimos judicatis etc. Durch jenes erfte nos ift bie
Stelle finnío8 geworden; man darf aber dafür nur hos
lefen, fo ift das volle Verſtändniß des Sapes wieder fer»
geftellt; hos unb nos aber kann in ben alten, fomobl
Uncials als Minuffelhandfchriften leichteftend verwechſelt
werben, Ä
So gibt ἐδ noch unzählige Stellen bei Tertullian,
deren 9fufbelfung und Berichtigung einer Monographie
febr wohl angeftanden wäre; aber Neander Bat nur, um
bie Sache mit einem Worte zu fagen, biefe wie die meiften
anderen Schwiertgfeiten, welche auf feinem Wege lagen,
geradezu umgangen, unb weniger die Bedürfniffe der Ges
lehrten, ‚ald etwaige Wünſche des gebildeten Publikums
überhaupt im Auge gehabt. Der wiffenfchaftliche Theologe
jedoch, und jeder der (id) gründlich mit patriftifchen Studien
befchäftigt, wäre ihm gewiß banféar geweſen, wenn er ftatt
feiner vielen polemifd)en Ercurfe gegen die katholiſche
Kirche ebenfoviele gelebrte Ercurfe über bie Schriften
Tertullians hätte geben wollen. Nicht felten hat 9teanber |
in feiner Polemik fogar mit Winbmühlen gefämpft unb
Streiche geführt, welche nicht uns, fonbern nur die Luft
treffen fonnten.. Auf S. 18 3. B. rüfmt er ed an Sete
tullian, bag er „von jener fchwärmerifchen Verehrung des
Märtyrerthums frei gewefen fei, welche in den SBefeunetn
(beſſer: in ben Märtsrern) nicht mehr bie ber Sünde nod)
unterworfenen ſchwachen Menfchen fehen ließ.“ Ein Theo⸗
lege wie Neander follte aber toiffen , daß bie Kirche ntes.
342 Neander,
mals einen Märtyrer für fündlos gehalten, fo wenig,
als fie je einen Brofeffor für irrthumslos hielt. —
Henn Neander weiterhin bie Bhrafe, bie fatholifche Kirche
fel ans einer Vermifchung bes alts und neuteftamentlichen
Standpunttes entftanben, mit fo fichtlicher Vorliebe wiebers
bolt, fo genügt uns Biegegen bie Bemerfung, daß die
iteratio feine probatio fei, und εὖ wäre ficherlich überflüffig,
wenn wir hundertmal Bewiefenes heute abermal beweifen
wollten. Die proteftantifchen Antinomiften freilich haben
alles Altteftamentliche, auch bie zehn Gebote Gottes, aus
bem neuen Bunde eliminiren wollen; auf eine fo rabifale
Ausmerzung alles Altteftamentlichen aber macht allerdings
bie Fatholifche Kirche feinen Anfpruh. Ramentlich wiffen
wir auch, daß im alten Bunde und feinen Einrichtungen
der neue Bund mit feinen Snftitutionen prdformirt, und
wie in einem Prototyp voraus angedeutet worben fei, fo
daß das altteftamentliche SBrieftertbum allerdings ein Bors
bild des neuteftamentfidyen war, nicht aber , wie Neanber
meint, in der chriſtlichen Kirche urfprünglid) fein eigentlis
des Sprieftertbum beftand, und ſolches erft fpäter durch
Mißverftand und Gopirung des Judenthums eingeführt
wurde. Gerade Tertullian ift für uns entfchiedener Zeuge,
unb widerfpricht durchaus der Behauptung Reanbers
(S. 99), daß urfprünglich alle Ehriften bie heiligen anb:
lungen (e8 ift vom Df. Abenpmahl die Rede) zu vollziehen
fähig fein folften. Im Gegenfa& zu diefer unbiftorifchen
Behauptung äußert fi Tertullian fo, wie fid) heute nod
jeder Katholit äußern muß: naͤmlich de corona c. 3 fagt
er: eucharistiae sacramentum — nec de aliorum manu,
quam praesidentium sumimus; b. b. „die hi. Euchariſtie
empfangen wir nur aus ber Qanb ber Kirchenvorſteher.“
Italien. 343
Bon der Taufe bagegen- behauptet er (de beptigmo c. 17)
ale: dandi quidem habet jus summus sacerdos, qui esl
episcopus; deinde presbyteri ac diaconi, non tamen sine
episcopi auctoritate . . .; alioquim etiam laicis jus est;
b. 5. im Nothfall dürfen aud) bie Laien taufen, aber ber
"ordentliche Adminiftrator des Saframents ift der Bifchof
und mit deflen Erlaubniß bie PBriefter und Diafonen. —
Wie Tertullian bier die Fatholifche Kirchenordnung bezeugt,
fo thut er εὖ noch an gar vielen anderen Stellen; aber ftatt
darauf. zu fehen, wie oft unb mie ftarf Tertullian gegen
den Proteftantismus proteftire, fucht Neander ängftlich ein
paar Aeußerungen aufammen, und tbut ihnen alle Gewalt
an, um zu zeigen, baf es [don zu Zertulliand Zeit Leute
gegeben habe, welche nur bie Sihrift, nicht auch ble Sta:
bition hätten gelten laſſen wollen.
Zum Schluffe wollen wir noch auf einen Punkt aufs
merlſam machen, wo 9teanber bem alten Tertullian offenbar
unrecht getban hat, ©. 92 fagt Neander: „Er (Zertuls
lian) ſtellt den Grundfag auf: „„Was nicht ausprüdlich
erlaubt worden in der bI. Schrift, ift verboten.“ ine
Art zu fchließen, von ber fi freilich auch andere Beiſpiele
bei Tertullian finden.“ — 9teanber weist dabei auf das
Buch de corona c. 2 bin; allein er hat bier den Autor
firherlich mißverftanden. Tertullian wollte nicht zugeben,
bag ein Ehrift einen Blumenkranz — nad heidnifcher
Sitte — auf dem Haupte trage, Dagegen wurde ihm
eingewenbei: „wo ἰβ es denn in ber bi. Schrift verboten,
einen Kranz aufzufegen ?“ Tertullian entgegnet: dem
Gage, es [εἰ alles erlaubt, was die Schrift nicht aus⸗
drücklich verbietet, könne man mit eben fo viel Recht ben
Gap enigegenhalten; es if alles verboten, was pie Schrift
344 Bähring,
nicht ausbrüdtich erlaubt. Er (doigt fomit bier den Begner
mit der gleichen Waffe, aber. keineswegs behauptet er für
fi und als feine eigene Meinung jenen Gat, ben Neander
auf feine Rechnung fchreibt. : |
Hefele.
$.
Chomas von fiemprn, der Prediger der Aachfolge Chriſti.
Nach feinem äußeren und inneren. Leben dargeftellt von
fernharb Bühring. Berlin, bei Hermann Schulge,
1849. XII und 392 ©. gr. 8. Preis 1!/ Thlr.
Hr. Bähring hat für die vorliegende Schrift einen Stoff
gewählt, welcher einer herrlichen Behandlung und Bearbeitung
fähig war. Unftreitig ift ja wohl Thomas von Kempen bie
fehönfte und reinfte Erfcheinung unter den Myſtikern des
Mittelalters, wie die Gefellfchaft ber Clerici vitae communis,
denen er feine Bildung und Geiftesrichtung verbanft, viels
leicht bie lieblichſte und anziehendſte afcetifche Genoſſenſchaft
jener Jahrhunderte ift. lino beide, biefe Genoffenfchaft
unb jener einzelne große Mann find ber Gegenftand des
vorliegenden Werkes. Etifter ber Clerici vitae communis
wurde Gerhard Groot aus Deventer in Dbergffel (in
Holland), geboren 1340, Als der Sohn eines febr ans
geſehenen Bürgers ftublerte er zu Paris und Góln, wurde
an jener Univerfität Magifter, trat dagegen an diefer {εἰδῇ
als Lehrer auf und erhielt bald mehrere eintráglidye Pfruͤn⸗
den. Aber wie die meiften reichen Weltgeiftlichen jener
Zeit führte aud) Groot ein ziemlich weltliches Leben. Als
Thomas von Kempen. 345
er jedoch εἰπῇ einem Schaufpiele beimohnte, richtete ein
Unbefannter bie ernften Worte an ihn: „was ftebft bu
bier auf eite Dinge aufmerffam? Du ſollſt ein auberer
Menſch werben.“ Und was ber linbefannte begonnen,
feste ein Jugendfreund Groot’8, Heinrich von Kalkar,
jest Prior der Karthauſe Moͤnchhauſen bei Arnheim in
Geldern, weiter fort. Auf feine Ermahnungen bin befchloß
nun root, ein ganz anderes Leben anzufangen, gab feine
Bräbenden auf und verfchloß (i in bie genannte Karthaufe,
um alle Uebungen biefes ftrengften aller Moͤnchsorden zu
theilen. Da jedoch fein Körper zu ſchwaͤchlich dazu war,
mußte er nad) drei Jahren wieder austreten und erbielt
nun vom Bifchofe von Utrecht bie Grlaubnif, als Bredi«
ger in der ganzen Diöcefe umberzureifen, unb von Station
zu Station innere Mifftonen zu halten. Er war bamalé
Diafonus, und blieb e8 auch; denn feine hohe Achtung
vor der priefterlichen Würde hielt ihn ſtets von Erlangung
derfelben zurüd.
Im Jahre 1378 unternahm er feine Reife nad) Paris
und durch Brabant, und Iernte bier im Ganonifat Grüns
that bei Brüflel den berühmten Myſtiker Ruysbroef, Prior
dafelbft, fennen. Die Ordnung, welche berfelbe in feinem
Klofter Cregulirter Chorherrn vom bf. Auguftin) eingeführt
fatte, geftel ihm über bie Maßen, fo daß er etwas Achns
liches felber zu gründen beſchloß. Nach feiner Rückkehr
errichtete er nun vorerft in feiner Vaterſtadt Deventer ein
Shwefternhaus für fromme und fittfame Mädchen, eine
Art Beguinage, wie ‘ed damals in den Niederlanden faft
gabifofe gab. Außerdem verfammelte er aber aud) junge
Glerifer und andere Studierende um fich, um fte unter feiner
Aufficht zu befchäftigen und das SBerberben ber Welt von
346 Baͤhring,
tönen ferne zu halten. Das Gleiche thaten einige feine
gleichgefinnten Freunde, namentlich Floörentius Rabe
win (Rabewin’s Eohn) aus Leerbam, der fein Ganonitet
an ber St. SBeterfirde zu Utrecht mit einer SBifarfteffe zu
Deventer vertaufchte, um ganz in ber Nähe Giroot'é. [eben
zu fönnen. Auch Sobann Binferinf und Johannes Gironbe;
zwei ausgezeichnete Geiftliche, gehörten zu biefem Bunde.
Aber erft nach einigen Jahren wagten (le εὖ auf den Bars
ſchlag beó Glotentius, bie gemeinfame Lebensweife unter
fi einzuführen, ohne eigentliche Mönche werben zu wollen,
(root fürchtete wegen biefer Neuerung und diefes Halb«
mönchthums die Angriffe der eigentlichen Mönche, und fie
blieben aud) nicht aus; aber Florentius beftegte feine Bes
benfen und das erfte Fraterhaus entftand nun zu Des
genter. Doch nicht lange, fo ahmten auch andere Städte
diefe Einrichtung nad) und erhielten Gofonien aus Deven⸗
ter, fo daß in Bälde nicht blos bie Niederländer, fonbetn
auch faft alle bedeutenden Städte Deutſchlands, zuerk
Cöln, Münfter und Wefel, Zraterhäufer der Cleriei vitae
communis hatten. Ohne durch Gelübde gebunden zu fein
lebten. dieſe Cleriker, theils Briefter, theils Diakonen, nad
einer Art mönchifcher Regel freiwillig in gemeinfamen
Häufern, um fid) felbft gegenfeitig geiftig zu heben und
- wm anbererfeitö zugleich auch jüngere Glerifer und Stu⸗
dierende chriftlih zu erziehen. Auch diefe ihre Zöglinge
nahmen fie, wo möglich, in das Fraterhaus auf, war dies
aber nicht zureichend, fo wurden fie in der Stadt bei ben
sechtichaffenften Bürgern oft 8 bis 10 in einem Haufe
untergebracht. Sie befischten die gewöhnliche Gelehrten»
fehule der Stadt, wenn bie Brüder nicht eine eigene errichtet
hatten; aber auch im erfteren Salle. fianden dieſe frommen
Thomas von Kempen, 847
Baͤter mit ber Schule in ber engften Bezlehung, und fud:
ten überall ble Lehrer und Rektoren für ihre ſchoͤnen Plane
zu gewinnen unb fich zu Freunden zu machen. Was neben
ben Schulftunden an Zeit übrig blieb, mußten ble 3óg»
finge unferer G(erifer bei biefen felbft zubringen; Arbeit,
Gebet und Kirchenbefuch werhfelten miteinander abs befon«
ders beichäftigten fid) Alle, die Väter und bie 30g?
linge, mit Bücherabfchreiben, um dadurch bie nöthigen
@ummen für bie vita communis herbeizufchaffen. Am aller
meiften aber nüste den Zöglingen das gute Beifpiel ber
Brüder, ihre unaffeftirte Demuth, evangelifche Armuth,
innige Srómmigfeit und innerliche Chriftlichkeit,, ſo daß
fie ein wahres Salz für den Weltelerus wurden, aber auch
auf den Moͤnchsſtand fegendreich einmirften. Während
nämlich viele ihrer Zöglinge fpäter als Weltgeiftliche zum
Theil febr bedeutende Stellen einnahmen, 3. B. Nicolaus
von Guía, Gabriel Biel u. A., wöünfchten Andere fido in
bie eigentlich -Flöfterliche Stille zurüdzuziehen, und bam
auch für fie geforgt werde, hatten ble Brüder eine Anzahl
Klöfter, regulirte Ganonifate bes hi. Auguftin, theils ets
tichtet, theild reformirt, worin ein befferer Geift, ftrengere
Zucht und größere Froͤmmigkeit berrfchte. Das erfte biefet
neuen Ganonifate war das zu Windesheim bei Zwoll
in Oberyſſel, fortan der Mittelpunft ber fogenannten Wins
besheimer Gongrtegation regulirter Ehorherrn, welche
fió über die Niederlande und einen großen Theil ven
Rorvdeutfehland erftredte. . Schon im Jahr 1398 aber
wurde in ber Nähe von Windesheim auf dem St. S gne
tenberge bei Zwoll ein zweites folches Ganonifat ges
gründet, unb bier verweilte Thomas yon Kempen . über
drei Viertheile feines Lebene, ^ qe eg
348 Bahring,
Thomas Hamerken (Malleolus) wurde im Jahre
1380, alſo um die Zeit, wo Groot den erſten Grund zur
Brüderſchaft des gemeinſamen Lebens legte, in dem chur⸗
eoͤlniſchen Städtchen Kempen, einige Meilen unterhalb
Góoín, von duͤrftigen Eltern geboren. Er hatte noch zwei
Brüder, Zohannes und Gobelinus, welche beide ebenfalls
bei ben Clerikern des gemeinfchaftlichen Lebens ihre Bildung
erhalten hatten. Der ältere, Johannes, war bereit6 Gas
sonifué in Windesheim, und mit feiner Empfehlung fam
nun ‚Thomas (1393), αἰ ein Knabe noch, nach Deventer
zu Bater Florentius. Diefer nahm ihn unter feine Zoͤg⸗
linge auf, gab ihn zugleich in bie Stabtfchule, in Wohs
nung aber in ein frommes bürgerliche Haus, wo Thomas
6 Jahre zubrachte, bis er im "ten. in ba8 Braterhaus
felbft aufgenommen werden konnte. Im Jahre -1400 aber
trat er, nachdem er mit Vater Slorentiuó feinen Beruf
gründlich erforfcht batte, in das Klofter auf bem Agnetens
berge ein, unb lebte Bier nicht weniger als 71 Jahre, bis
er im Sabre 1471 in einem Alter von 91 Jahren verfchieb.
Sein dufereó Leben war ſtill und geräufchlos, und
verlief ohne alle Merkwuͤrdigkeit; deſto reicher war aber
fein inneres Leben, und nicht nur unter feinen Zeits
genoffen haben (id Hunderte an feinem reichen unb tiefen
Geiſte erbaut und neu belebt; er hat vielmehr burd) alle
Jahrhunderte fortgewirft und Taufende und Hunderttaus
jende fchöpfen fortwährend aus feinen herrlichen Schriften
Stabrung für Herz und Gemüth. Seine ſaͤmmtlichen Werte
füllen in ber beften Ausgabe des Sefuiten Sommalius
(Antwerpen 1600. 1607. 1615, neu von @ufebius
Amort beforgt, (δίῃ 1728) einen Quartband, find fämmts
lich Inteinifch gefchrieben und zerfallen in vier Kategorien:
Thomas yon Kempen. 948
a. Reden: 30 Reben an bie Novizen, neun an bie
Brüder, und 36 Reben allgemeinen Inhalts;
b. &raftate: bie vier Bücher von der Rachfolge
Ehrifti, das Selbftgefpräch der Seele, das 9tofen;
-gärtlein, das Lilienthal, der Traktat von ben
drei Hütten ber Armuth, Demuth und Geduld,
von ber Zucht der Klofterleute, von bem treuen
Haushalter, bie Heerberge der Armen, ein Ge;
fpräch ber Novizen, geiftliche Uebumgen, Lehrbuch
für Sünglinge, das Büchlein von ber wahren
Serfnirfdung des Herzens, von ber VINE
unb vom Stillfchweigen ;
c. Gedichte, namentlidy über das Leben eines "-
$Rónd$; -
d. Biographien: des Gerhard Groot, Florentius
Radewin, der übrigen älteften Mitglieder ber
Bruderfchaft, auch ber heil. Jungfrau Lidwigis
ober Lidwina.
Ein Anhang enthält nod) 6 Briefe und einige geift-
liche Lieber. Außerdem fchrieb aber Thomas auch ein
Chronicon Monasterii S. Agnetis, welches Heribert Rosweyd
t. 3. 1615 zu Antwerpen bruden, ließ. Am berühmteften
unter allen Schriften unferes Thomas ift übrigens bekannt⸗
[ld) fein goldenes Werk von ber Nachfolge Ehrifti. Herr
Bähring bat barum baffebe auch am weitläufigften berüd»
ſichtigt, und aud) bie Frage über den Verfafler von Neuem
in Unterfuchung genommen. Ziemlich viele Gelehrte, bes
fonders Srangofen wollten bie Ehre ber Autorfchaft dieſes
Werkes dem berühmten Pariſer Kanzler Johann Charlier
von Gerfon (t 1429) zuwenden, und ftügten fid) babel
auf ein paar alte Handſchriften ber Nachfolge-Ehrifti, na»
900 id iibris,
mentlich bie ſalzburger vom Sahre 4463. . Altein - εἶπε
ſolche vereinzelte Notiz in einer oder zwei Handſchriften
berechtigt nod) nicht zu einem ficheren Schluffe, und auf
ieden Kal flimmen Sprache und Geiſt des Büchlein von
ber Nachfolge Ehrifti wenig mit ben uͤbrigen Schriften
Berfons zufammen. — Andere wollen ben Johannes Gerfen,
einen Abt in Stalien, über 200 Sabre älter ala Thomas
von Kempen, für den Berfaffer erklaͤren. Derfelbe hieß
auch Zohannes de Banabaro, und es wollen darin bie
Einen das jegige Dorf Cavaglia bei SBercelli, bie Andern,
namentlich der bayrifche Domherr Weigl das bapyrifche
Dorf Rohrbach erfennen. In der Nähe von Rohrbach
(Cana = Rohr) aber liege das Dorf Gerzen, und beide
Ortfchaften hätten früher einem adelichen Gefchlechte gehört,
bae fid) unter den Dttonen und Friebrichen in ber Lom⸗
bardei niebergelafjen, unb bem wohl auch ber Abt Johannes
Gerſen angehört habe. Zur Begründung der Gerſen⸗
Hypothefe berufen ftd aber ihre Vertheidiger (aufer und
vor Weigl befonders ber Branzofe, H. von Gregory) auf
zwei alte Hanbdfchriften, deren eine den Johann Gerfen
als Verfaſſer angebe, bie andere aber die Notiz enthalte,
dag das Buch fdon lange vor 1350 eriftirt habe. Wäre .
dem wirklich alfo, fo Tönnte freilich unfer Thomas, meldet
erft 1380 geboren wurde, nicht ben geringften Anfpruch
an bie Autorfchaft Haben. Aber bod) fprechen die weitaus
wichtigeren Gründe für ihn. 1) Fürs Crfte bat fi im
Agnetenklofter bie beftimmtefte Leberlieferung erhalten, Tho⸗
mas habe das Buch gefchrieben. 2) Das Agnetenklofer
beſaß ehemals mehrere Exemplare der Nachfolge Chriſti
von des Thomas eigener Band gefchrieben, unb baó eine
davon befindet fü jegt μι Antwerpen, bas andere zu
Thomas von Hempen. 951
Löwen. Daß Thomas auf einem berfelben fb blos Ab⸗
fchreiber nennt, beweist wichts gegen feine. Autorſchaft,
benn ber bemütbige Mann that dieß auch bei andern uns
beftritten ihm angehörigen Büchern. 3) Die Zeitgenofien
des Thomas behaupten auébrüd(id), bap et ber Verfaffer
fei; namentlich fagen dieß a. ber gelehrte Johann von Buſch,
welcher fängere Zeit mit Thomas in Zoll gelebt hatte,
unb 8 Sabre nach ihm ftarb; b. der Canonikus Beter Schott
von Straßburg, welcher in feiner 1488 veranftalteten Aus⸗
gabe ber Werfe Gerſons das Buch von ber Nachfolge
Chriſti ausdrüdfich bem Gerfon abiprid)t unb bem Thomas
guetfennt; c. ber Abt Mauburnus von Windesheim, wel;
cher unter ben Augen des Thomas "im Agnetenklofter fein
Geluͤbde abgelegt hatte, und ihn in mehreren Stellen feiner
Schriften al8 Berfaffer jenes Buches nennt; d. ber große
Prediger Bailer von Kaiferberg in Straßburg, welcher
im feinen Predigten über Gebaftian Brandt’s Rarrenfchiff
bafielbe Zeugniß an zwei Stellen ablegt; endlich e. ber
gelehrte Johann von Trittenheim in feinem 1494 verfaßten
Merle de scriptoribus ecclesiasticis. 4) Weiterhin wird
Thomas in febr vielen andern (nicht von ihm ſelbſt bets
tübrenben) alten Handfchriften des Werts ausdrüdlich ala
fBerfafier bezeichnet und wenn man endlich 5) „bie Sprache,
ben Inhalt und ben Geig des Buchs von ber Nachfolge
Chriſti betrachtet, fo findet fich darin nicht nur nice,
was mit den übrigen Schriften des Thomas fid) nicht zus
fammenveimen ließe; im. Gegenteil, diefelbe mit Germas
nisinen reichlich durchzogene Latinität, biefelbe Art, in
ſchlagenden furgen Sentenzen zu reden, ber naͤmliche Mangel
aller Eleganz und fchulmäßigen Beredtſamkeit, daſſelbe
Wohlgeſallen an Anhäufung von Seis und Gegenfdgen,
,
an-Sifenangem und Reimen, kurz berfelbe Bau und Klang
der Sprache, wie er in ber Nachfolge Ehrifti herrfcht, geht
aud) durch alle Übrigen, bem Thomas von Kempen nie
mals abgefprochenen Schriften“ (S. 193). Wie febr aber
der Inhalt.ver Nachfolge Chriſti mit dem der übrigen
Traftate und Reden des (eligen Thomas übereinftimme,
zeigt Bähring ausführlich und im Einzelnen bei. Dars
ftelung der Hauptideen und des weientlichen Inhalts aller
Schriften unferes großen Myftifers (Kap. VI— X).
Aus Allem fehen wir, wie anziehend ber Stoff des
vorliegenden Werkes ift; aber leider müffen wir beifügen,
daß bie Behandlung beffelben durch „Herrn Bähring und
beffen ganze Manier keineswegs unferen Beifall vetbient.
Vor Allem hat er feinen Gegenftand viel zu febr. zerrifien,
fo taf ber Lefer bie disjecta membra ert mübfam zuſam⸗
menfuchen muß, um ein deutliches Bild, namentlid von
der Entftehung und dem Berlaufe der Brüderfchaft ber
Clerici vitae communis zu erhalten. Der zweite Haupt
mangel aber beftebt in der — trop ber freundlichen Vor⸗
rede — überall burdjbredenben polemifchen Richtung bes
Verfaſſers, bie fid) hinter allerlei pietiſtiſche Phrafen vers
ſteckt. Dan fónnte oft glauben, einen S3rdbifanten aus
ber Reformationszeit zu hören, ber bei feinen Schifderuns
gen des Papſtthums unb ber alten Kirche ble Farben band»
hoch aufzutragen gewohnt if. Schon ©: 3 leſen wir 2. B.,
das Mittelalter babe die Geligfeit nicht abhängig gemacht
vom Glauben und der Belehrung des Herzens zu Gott,
unb habe lafterhafte Menſchen ale Muſter der Rechtgläus
bigfeit und Heiligkeit aufgeftellt. — Solche Sleuferungen
fónnte man nur einem polternden Zeloten, nicht aber einem
Gelehrten verzeihen, . :. | Hefele .
Cheslogi (de
Cuartalfdrift.
Sn Verbindung mit mehreren Gelehrten
herausgegeben
von
D. v». Drey, D. Anhn, D. Hefele, D. Welte
unb
D. Bukrigl,
Brofefloxen ber kath. Theologie an ber. K. Univerfität fübingen.
Sweiunbbreifigiter Jahrgang.
Drittes Quartalheft.
Tübingen, 1850. :
Berlag der ὦ. Laupp ſchen Buchhandlung.
(9aupp & Sichel.)
I.
Abhandlungen.
1.
Nachklaͤnge der Lehre vom Primat bei den 9teffo-
rianern und Monophpfiten des Orients,
Se mehr mit der PBeröffentlihung lange ruhender
Handfepriften bie Bunbgruben des Orients aud) bem Theo⸗
logen ftd aufthun, befto mehr wächst für ibn die Pflicht,
bie fo reichlich fid) darbietenden Schäge, welche ber Fleiß
früherer Forſcher bei weitem nod) nicht vollftändig beniügt
bat, für feine 9Biffenfdaft auszubeuten. Die Neftorianer
und Monophyfiten des Drients haben uns fo zahlreiche
Documente der Tradition aus ber Zeit vor ihrer Trens
nung aufbewahrt, daß man allerdings ihre itteratur mit
‚jener neuentbedten Goldregion vergleichen fann, wo man
um fo mehr Golbfórner. findet, je mehr man im Schlamme
wuͤhlt. Fuͤr bie Lehre vom Meßopfer, von den Sacra⸗
menten, von ber Verehrung. der Heiligen, vom Gebete für
bie Verſtorbenen bieten ihre Liturgien und theologifche
Schriften zahlreiche Belege dar. Was aber wohl das
23 *
356 Neftortanifche und Monophyſitiſche Zeugniſſe
lleberrafdyenbíte auf bem Felde der morgenländifchen theos
logifchen Litteratur feyn mag, ift, daß fid) in derfelben auch
nicht unbedeutende Lleberbleibfel der Lehre vom Primat
nachweifen laffen. Da diefelben bis jet noch nicht zus
fammengeftellt worden find und bie Herausgabe neuer
Quellen manches noch Unbenügte an den Tag gefördert
hat, möchte e$ nicht ohne 9tugen feon, das hierüber Vor⸗
handene zu fammeln und Fritifch zu würdigen.
Als minder richtig dürfte fid) fchon bie Anficht εἴς
weifen, als hätten die Stifter jener beiden Gecten bie fuc;
torität des Paͤbſtlichen Stuhles_ direct angegriffen. Im
Gegentbeil, fie waren fo weit davon entfernt, daß fie ans
fangs fid an denfelden wandten, um Beflätigung ihrer
Behauptungen. von ihm zu erlangen.
Neſtorius ſchrieb zuerſt und nod) ehe Cyrillus ih
gegen ihn nad) Rom wandte zwei Briefe an Gófeftin L,
in welchen er unter dem Vorwand über Sultan und andere
Pelagianiſche Bifchöfe, bie nach Eonftantinopel gefommen
waren, Auffchluß zu erhalten, gelegenheitlich auch die Sor-
gen erwähnte, welche ihm gewiſſe Geiflesverwandte ber
Apollinariften und der Arianer verurfachten, welche beide
Naturen in Ehriftus vermifchten und die Jungfrau Got;
teögebärerin nánnten 9. Göleftin, der indeflen von Cy⸗
rillus über den neuen Irrthum aufgeflärt worden war,
ſchrieb an Neforius zurüd, er folle ben Spruch befolgen:
Arzt, heile dich felbft, unb den eigenen Srrtbum beffern 3),
Dennoch wagte es Neftorius immer nod) nicht offen zu
widerfiehen und fuchte in einem dritten Brief Coͤleſtin gu
1) Epp. 6. 7. inter epp. Coelestini ap. Coustant ἃ Galland,
2) ep, 19, |
füt den Primat. “8357
überzeugen, daB man das Wort „Gotteögebärerin? meiden
müffe, um nicht damit den Apoflinariften in die Hände
zu arbeiten '), Keineswegs aber fpricht er in blefem Brief
dem Römifchen Stuhl bie Auctorität ab, welche Cöleſtin
laut genug in feinen Echreiben an ihn und an die Kirche
von Gonftantinopel fi beilegte. - | i: :
Nicht anders verfuhr Eutyches, αἷδ er von Domnus
von Antiochien und Eufebius von Doriläum wegen feiner
Irrthümer fid angegriffen faf. Er fchrieb an Pabft Leo
einen Brief, worin er in allgemeinen Ausdrücken gegen
folhe Klage führte, welche ben Syrrtbum des Neftorius
erneuten, und erlangte in ber That von Leo ein Schreiben,
"worin ihn diefer wegen feines Eifers belobte?). Als er
bon der Synode des Flavian verurtheilt wurde, .berief er
fid auf das Urtheil eo' und verfprach Das zu befolgen,
was diefer beflimmen würde; auch fihrieb er deßfalls an
Leo einen zweiten Brief 9), worin er vom Urtheil der Sys
node appellirt und den Römifchen Bifchof um Entfcheidung
der Streitfrage und um Schug für feine SBerfon anruft.
Als nun der Bäbftliche Stuhl ben Srrtbum biefer beis _
den Härefiarchen verurtheilte, fchieden fie fid) zwar von
einer Kirche ab, deren Lehre fie fid) nicht unterwerfen wol,
ten, aber fie fcheinen deßhalb ben Primat derfelben nicht
geradezu geläugnet zu haben; und auch ihre Anhänger
fheinen biefe Lehre bei der Spaltung mitgenommen, und
fo febr fie fid) auch nad) unb nach vom Gebanfen an eine
Unterwerfung unter den Römifchen Stuhl entwöhnten,
‚dennoch nicht alle Erinnerung an diefelbe verloren zu haben.
1) ep. 15. ] |
2) ep. 20. ed. Ballerin.
3) ep. inter Leoninas 21.
358 Neſtorianiſche und Monsphufttifche Seugniffe
Bon einer birecten. Belämpfung der Primatialgewalt
(diefes ift wohl vor allem feftzuftellen) findet fid) lange
Seit nach der Trennung feine Spur. Durchgehen wir
die Bullen Eugens IV. über bie Wiebervereinigung der
Hegvyptifchen und Syriſchen Syacobiten, der SMetbiopen und
Neftorianer, fo ftetit fid) durchaus nicht heraus, bag man
fi veranlaßt gefehen hätte, ihnen, wie ben Griechen, hiers
über eine befondere Belehrung zu ertheilen, obgleich andere
viel unbebeutenbere Dinge befprochen werden. . 9ted läns
aere Zeit nachher, nachdem der SDábftfide Stuhl fdyon ófs
ter8 ihnen gegenüber feine Rechte geltend zu machen ges
fucht hatte, finden fid) in den Berichten der Miflionäre
und älteren €driftfteller über bie Irrthümer der Oriene
talen binfichtlich einer irrthümlichen Anficht über ben Primat
nur febr befchränfte ober ſchwankende Ilrtheile, obgleich
blefe fonft fehr vorurtheilsvol und fireng in ihren Anfichten
über bie Drientalen fid) zeigen, und felbft die Keinften
rituellen Berfchiedenheiten hervorheben. So fagt ber Gars
melite Thomas a Jeſu in feinem Werke de conversione
omnium gentium procuranda, worin er alles Fruͤhere ges
fammelt bat, von ben Sacobiten, Gopbten, Abyfiiniern
unb Armeniern: Imprimis fere omnes non firmiter sentiunt
de primatu Romani Pontificis. Sm benfelben ?luébrüden
fpridbt fpeciell von ben Aethiopen ber SYefuite Alvarez in
feiner Aethiopiſchen Gefchichte. Den Cophten wird von
Thomas a Sefu nur vorgeworfen, fte meinten, der Pabſt
fónne in Gíaubenéfadjen irren, wenn er gottloß fei. Den
Georgianern wird vom Theatiner P. Avitaboli bei Gas
lanus !) nur ber Srrtbum binfichtlich des Primats beiges
1) Clem. Galanus Cler. reg. Conciliatio ecclesiae Armenae cum
Romana. Bomae 1650. T. I. p. 134.
fie ben Primat. "o" 859
legt, er könne nur in Heineren Sachen bifpenftten u. f. w.
Nur bei den Armeniern finde ich einen offenen, birecten
Widerſpruch gegen den Primat. Ihre Schrififteller Bartan,
Mehtitar und Gregor Dattierenfis haben ex professo das
gegen gefchrieben. Allein viefer fchärfere SBiberiprud bei
den Armeniern läßt fid) leicht daraus erklären, daß fie mehr
in Berübßrung mit den Griechen famen unb daß bei ihnen
früher und häufiger Bereinigungöverfüche und theilweife
Bereinigungen ftattbatten, daher auch ver Widerfpruch mehr
gewedt wurde; wie denn auch jene drei Schriftfteller in
einer Zeit febten, a[8 die Armenier fif) bereit mit ber
Romiſchen Kirche unirt und wieder von ihr getrennt hatten.
Und ſelbſt diefe fchärfften Gegner des Primats liefern mits
unter Zeugniffe für denfelben, indem fte ben älteren Schrifts
ftellern der Nation das von diefen zu Gunften beffelben
Gefagte aus althergebrachter Gewohnheit nachſprechen.
Diefes vorausgefept, können wir einen Schritt weiter
gehen. Die Neftorianer und Monophufiten des Drients
Haben aud) in ihren Sammlungen ber Canones alled, was
zur Anerkennung des Primats war feftgefegt worden, Deis .
behalten; ihre Liturgien und ibre- theologifchen Schriften
enthalten nicht nur alle Sätze, bie zum Beweis des Pris
mats dienen, fondern fie fprechen aud) benfelben mehr ober
minder fíar aus.
Die Monophyfiten und Nefterianer des Drients legen
häufig dem Apoftel Petrus den Titel eines Apoftelfürften,
eines Hauptes der Kirche, eines Grundſteines des Glaus
bens u. f. τὸ. beit). Bon welcher Ratur biefer Vorrang
1) Lit. Alexandrim. 8. Basilii in eratione ad absolutionem ap.
Renaud. Lit. Or. T. L p. 77. ed. Francofurt. Fragm. Aethiopicum
Psoudoignatianum ap. Cureton, Carpug Ign. p. 238. Bibl. Or. T. I.
*
360 ^. Neftortanifche und Monophyſtůſche Beugniffe
nach ihrer Anficht fei, darüber fann fein Zweifel beftehen,
wenn wir die Art in Erwägung ziehen, wie fie bie bes
treffenden biblifchen Stellen zu erflären und anzuwenden
pflegen. Das Vorrecht des Apoftelfürften ift nach ihnen eine
Stellvertretung Ehrifti auf Erben, ein oberftes Prieſterthum,
eine Regierungsgewalt über alle Gläubige und Biſchöfe.
Man vergleiche folgende Stelle ) aus den Gedichten
des Neftorianifcheg Biſchofs Elias don Tinbara (um 920):
Quaerunt erudili non ignari veritatis: cur Simonem Bar
p. 95. Galenus, T. TIL pag. 242. Go ber ſchismatiſche Armenier Gee
gins: Beatum Petrum apostolorum caput ac ducem fideique funda»
mentum Christus constituit. Ueber bie Armenifchen Ouelleu glaube ἰῷ
folgende Bemerfung beifügen zu müffen. Οὐ verfteht fih won feld,
δαβ wir bei Anführung bet betreffenden Beweisſtücke mit der größtmägs
fichen kritiſchen Schärfe zu Werke gehen müffen. Nur ſolche Documente
fönnen zum Beweiſe des Satzes bienen, daß ble Serten des Orients bie
Lehre vom Primat als eine im Vten Jahrhundert allgemein anerkannte
bewahrt haben, welche fie entweder zur Zeit ihrer Lootrennung beides
halten haben, ober die (falls fie einer fpäteren Zeit angehören) über der
Verdacht erhaben find, bei irgend einer theilweifen ober zeitweiligen Wie⸗
dervereinigung mit Rom ſich in bie Literatur jener Bölfer eingefchlichen
zu haben. Bei den Armeniern findet fich eben ber Sall, daß bie €djiér
matifchen ſelbſt, die bem Primat ganz offen wieberfpradgen, dennoch iu
igrer Liturgie mit den Mömifchen Weihen auch den Schwur bes Geor,
fans gegen bie Mömifche Kirche beibehalten und biefem Gebrauch von
ihrem Apoftel, dem HI. Gregor bem Wrleuchter oder vom Hl. Pabſt Gre
got ableiten (Gal. T. III. p. 234. T. L p. 108.). Dahin gehört and)
das Tugbtan taschans ober der Bundesbrief des P. Sylveſter und bes
BL. Gregor, ein apocryphes Machwerk, das offenbar um bie Unabhängig
feit des Armenifchen Patriarchen vom Eonftantinopolitanifchen zu wahren,
wohl nach den Zeiten Gregors VIL. erfunden worben. Huch bae Bud
Gisrrentir, eine Sammlung von Erzählungen und Qomilien der SDáter,
und das Menologium fcheinen mir nicht ganz zuverläßig. Ich gebrauche
daher nur Gtellen, welche Schiematifche Armenier and eigenem
M unde fprechen, und die offenbar alte Sammlunz der Cauones.
1) Bibl. Or. T. 3: P. 1. p. 260. :
für den eina, ° - 361
ἴαμα Salvator Cephem appellavit? Quum Christus ipse
redemptor magnus sit, petra veritatis, quare ergo alterum
Petram et caput aedificii nuncupavit? Eadem appellatione
eodemque nomine Simonem Petrae. cognomento decoravit,
quemadmodum Christi salvatoresque populi in lege plures
dicli sunt, unus autem est Christus, verus idemque sal-
vator magnus, qui caeleris tamen pro suo cuique tempore
momen istud accomodatum dedit. Quia nimirum futurum
erat, ul Christus, petra veritalis in coelum se reciperet,
ibique ab humanis sese oculis absconderel, propterea vi-
carium suum: [o Su] in terra conslituit, eumque
Petram aedificii appellavit. Is igitur magistri dominique
sui in terris gerit imaginem et personam [beffer: est icon
et imago, lato 1102. ] et mediator est inter nos et
Filium et pontifex prototypo suo similis. Et quidem sum-
mus et magnus pontifex est Christus et nostri Patrisque
mediator atque in coelesti Sancto Sanctorum ad dexteram
Patris sacerdotio fungitur, Deumque cognatis suis homi-
nibus propitiat alque noster est apud Patrem advocatus.
Is vero elegit et constituit in terris epitropum s. procu-
ratorem ecclesiarum [ zs. ieo:521 ] Simonem senem,
Jenae filium, fidei fundamentum. Illum porro ex propria
appellatione Peiram nominavit: non enim antéa Petra quis-
quam vocabatur: ipse vero futurus erat Ecclesiae funda-
mentum et caput aedificii. Non eum Christus salvatorem,
suo nempe nomine appellavit, quoniam .plures fuerant in
populo salvatores. At enim Bar Jonae potestatem 'haud-
quaquam cessare fecit Christus, quemadmodum illorum
potestatem abrogaverat. Sed neque Simonem Christum
appellavit, quia plures in J uda fuerant Christi, quos Dei
4
362 Neſtorianiſche und Monophofliifche Zeugniſſe
filius abstulit. Cepham vero haudquaquam cum ipsis ex-
eidere fecit.
In folgender Stelle!) der neuerdings herausgegebenen
Sammlung der Banoned des Reftorinnifchen Metropoliten '
von Niſibis Góebjefu (E. XIIL. A. XIV. Jahrh.) find die
genannten Stellen zwar auf bie Patriarchalgewalt anges
wendet. Da aber derfelbe Ebedjeſu, wie wir fpäter fehen
werben, mit dem 44ten arabifchen Canon son 9ticda bem
Nömifchen Bifchof biefelbe Gewalt über die Patriarchen
zugefieht, welche tiefe über bie Gläubigen und Bifchöfe
ihrer Sprengel ausüben, fo ift diefe Stelle ganz geeignet,
uns bie Vorftelung, welche bie Neftorianer von der Pris
matialgewalt des Petrus und feiner Nachfolger haben, flat
ju machen. Es war eben im Vten Jahrhumdert nod) fein
befonderer Titel für das Kirchenoberhaupt gangbar, man
nannte ihn Erzbifhof oder Patriarchen. Ebedjefu will
dort zeigen, wie und wann Gbriftuó bie verſchiedenen Kirs
chenämter felbft ausgeübt oder vorgebildet habe: Patriar-
chatum demum, fagt er am Schluß, qui est principatus
principatuum in eeclesia, designavit per traditionem cla-
vium regni coelorum, quas Simoni dedit, cum principem
apostolorum ipse Redemptor eum constituit et praesiden-
tiam super communitatem ipsorum dedit ei verbis illis:
Tu quoque aliquando convertere et confirma fretres tuos.
Potestatem autem super totam communitatem eorum, qui
instituuntur (christianorum) concessit ei in pastione agno-
rum, ovium et ovicularum.
Nicht minder klar brüden fid) ble Armeniſchen Mono⸗
phoſiten aus über bie Debeutung des Titels eines Haupies
1) Ebedjesu Col. can. ap. À. Majum T. * nov. coll, seriptt,
vett, 6 codd. Vaticanis p. 107.
für den Primat. 33.
bet Apoſtel, den fie bem Petrus beilegen. Der ſchismatifſche
Armenier Johannes (Oradniensis) fagt in feiner Homilie
über ben bl. Apoftel Petrus ), ber Herr babe vier ihm
eigenthümlich zufommende Eigenfchaften bem Petrus mit»
geteilt; das Fundament ber Kirche, das Haupt aller
Oläubigen, der Hirt der Kirche und Richter zu feyn. Se-
cunda, fagt er, esse caput omnium fidelium, ut idem
testatur Apostolus, et hanc Petro dedit, cum ei dixit: Tu
vocaberis Cephas, quod significat capul (er benft an ba
Griechiſche κεφαλὴ), quia Petrus caput erat apostolorum,
weicher beigegebene Grund beweift, daß er baó omnmium
fidelium abfolut verfteht. «Und weiter unten fügt er hinzu:
Sol significat Petrum, qui est fons luminis et caput apo»
siolorum. Anveres Achnliche nicht zu erwähnen, das man
bei Galanus finden fann, das ich aber nicht anzuführen
wage, weil ich aus Mangel an kritifchen Vorarbeiten das
Achte vom Inächten nicht ganz ficher trennen fann.
Ebenſo gilt e$ ben Drientalen al8 ausgemachte Eache,
daß Petrus Bifchof von Rom gewefen [εἰ ). Zwar lies
ben e8 bie Chaldaͤiſchen Chriften aus Nationaleitelfeit das
Babylon im zweiten Brief Petri im eigentlichen Sinne von
bem ihrigen zu erflären ?). Allein dieſes gehört nach ife
tem Sinn in das Antiochenifche Patriarchat des Apoftels
fürften und es foll damit nicht geläugnet werden, daß er
fpäter in Rom das Hirtenamt geübt habe, wie denn Ebed⸗
jefu ausdrüdlich bemerkt, Rom und bie umliegende Gegend
babe bie Händeauflegung von Simon Gephas erhalten,
der dahin von Antiochien fid) begeben habe und Lehrer
1) Bei Galanus T. IIL p. 243.
2) Galan. T. IIl. p. 277. 243.
8) Bibl. Or. T. IL p. L p. 587. T. Il. P. II. n. 2
364. Neſtorianiſche und Monophyſluͤſche Seuguiffe
nnd Lenfer der Kirche gewefen fei, ble von ihm dort und
in ber Umgegend gegründet worden !). Daß er al6 folder
zu Rom des Märtyrertodes - geftorben fei, war eine im Vten
Jahrhundert unbezweifelt angenommene Thatfache, unb blieb
e8 auch bei den Gecten Ὁ).
τὸς Was nun die nothwendige Folgerung aus biefen Praͤ⸗
miſſen iſt, daß ber Roͤmiſche Biſchof als Nachfolger des
Petrus Inhaber des Primats ſei, dieſes findet ſich in den
Orientaliſchen — der Canine ‚mehrfach aues
gefprochen. .
- Bir Tönen und deßfalls "- im | Allgemeinen auf
den Bericht des großen Kenners Drientalifcher Denkmäler,
Renaudot, -berufen, :der wiederholt 5) bie Thatfache- bezeugt,
daß bie Jacobiten und Neftorianer in ihren Sammlungen
ber Canones alle Befchlüffe beibehalten haben, bie (id) auf
bie- Brärogativen der Römifchen Kirche begehen, und daß
fie alle und felbft bie Muhamedaner biefen Vorrang dem.
paͤbſtlichen Stuhle als bem Stuhle Petri zugeftehen, aber
nur benfelben, ald ber Härefle verfallen, verabfcheuen.
Was das Nicänifche Concil im Einzelnen angeht, fo
behauptet zwar der Maronite Abraham Echellenfis, die
fyrifche Verfion habe ben Beifag im Gten Ganon: Ecclesia
Romana semper habuit primatum. Sch fann aber hierauf
fein beſonderes Gewicht legen, indem Renaudot dieſes bes
"ivveife(t und den SBeifag ober Titel in der alten Floren⸗
tinifchen Handfchrift nicht vorfanb. Höchftens, meint er,
fónnte biefe in einigen jüngeren Handfchriften ber Vall
1) Ebedjesu 1. c. p. 7.
2) B. 0. T. I. p. 568. 630. -
8) Lit. Or. T. L p. 234. 354.
" für den. Primat. A 885
4ebn Ὁ. Dagegen feinen die Syrier den Vorfib im Goncil
dem Römifchen Pabſt zuzufchreiben. Johannes Maro (um
100), nach der gewöhnlichen Anficht Monothelet, nennt in
feiner Schrift gegen die Härefien ben Pabft Sylveſter ben
praefectus ober princeps des Nicänifchen Concils 3). Zwar
nennt bie hiftorifche Einleitung vor ben arabifchen Canones
als Borfigenden ben Bifchof Alerander von Nlerandrien.
Allein daß biefeó unbefdabet des Primats zu verftehen
fti, geht hervor aus bem, was diefe Einleitung vorher ers
zählt: Julius, (sic) Bifchof von Rom, habe wegen feines
Greiſenalters dem ®oneil nicht beiwohnen fünnen, babe
aber zwei Briefter bingefandt, ut ejus tenerent locum et
ea, quae in concilio a consacerdotibus decernerentur con-
firmarent 5. Sn ben Subferiptionen des Concils fteben
auch nach. der fyrifchen vnogabe bie Römifchen Legaten
zuerſt 9).
Die Sammlungen der fyrifchen Syacobiten und Armes
nier enthalten bie Ganoneó von Sardica über bie Apels
lationen an ben Römifchen Stuhl. Der 3te Ganon des Iten
Gonciló von Gonftantinope(, in welchem bem Bifchof von
Byzanz ber zweite, dem Römifchen ber erfte Rang zuges
landen wird, findet fi in den Sammlungen der efto,
rianer, der Aleranbrinifchen und der forifden Sacobiten
unb ber Armenier. Die Armenifhe Sammlung hat fol»
genden Canon, ber aus dem ganzen Inhalt des Ephefinis
ſchen Concils gezogen zu ſeyn feheint: Si quis ex eccle-
- 4 Perpétuité de la foi, ed. Migne Tom. III. col. 1162.
2) ap. Abr. Echell ad can. arab. Nic. Mansi Coll. Conc, T. IL.
eol. 1072.
3) Mansi Coll. T. IL tol. 1061. 1062.
4) Ebedjesu ed. Maji p. 37. .
$
905 Neftortanifche und Monophyſttiſche Seugnif
* siastieis adversatus fuerit Caelestino Romano pontifici, de-
ponatur. Sonderbarerweife hat bie Jacobitiſche Sammlung
auch die Canones von Ehalcedon bis auf bie bogmati[den,
ein Beweis, daß die Monophyſiten biefe Synode nicht gam
verwarfen. Nur fehlen bei ihnen die Canones 28 und 29
über ben Vorrang des Eonftantinopolitanifchen Patriarchen
vor bem Alerandrinifchen" unb bem Antiochenifchen, ein Ber
weis, daß diefe Beichlüffe wegen des Widerſpruchs von
Rom lange Zeit im Orient für ungültig gehalten wurden !).
Befonders bemerfenswerth find aber für unfern 3wed
bie fogenannten Arabifchen Eanones des Ricänifchen Gon
cil6, eine apocrppbe Ausgabe, welche bei allen Voͤlkern
des Orients verbreitet ift, indem fie nicht nur Arabiſch,
fondern aud Gyrifd und Aethiopiſch fid) vorfinbet, und
den Gopbten, ben Jacobiten in Syrien, ben Aethiopen und
ben Reftorianern als Rechtsquelle dient. Ste fdyeinen ur
fprünglich griechifch gefchrieben worden zu fen; jedenfall
nach dem Chalcedonenſiſchen Eoncil, von bem fie mehrere
Stellen enthalten, und nach der Herausgabe und Verbrei⸗
tung des Pſeudo⸗Dionyſius, ben fie citiren, febod) nod
zu einer Zeit, al& ber Ehrgeiz bes Bifchofs von Byzanz
erſt dahin firebte, der zweite nach bem erften zu feyn. Im
9ten. Jahrhundert waren fie ſchon im Orient weit verbreitet.
Photius kennt fie fon; Pſeudo⸗Jſidor hat ihre Eriften
von Leuten aus dem Drient erfahren und gebraucht fie
mehrmals. Renaudot meint, unter ben Richt-Griechen Bát:
ten fie die Melchiten zuerft angenommen, indem ber. erfte,
1) Ueber das Einzelne fiche Renaudot, Perpétuité col. 1161 ἢ,
Galenus T. II. p. 235. 280. 286. Beruer Careten, Corpus Ignat,
p.342. Bibl Or. T. II. P. II. p. 378 eto
x
für von Vrinat. — 381
bet fie erwaͤhne, der Melchitifche Patriarch Eutychius ven
Alerandrien (geft. 939) fei, während ber Sacobite Severus,
Bischof der Aſchmonin, der Zeitgenofle des Eutychius, nod
nichts von ben vielen Canones und ber damit verbundenen
‚Babel von 2048 Bilchöfen weiß. Bei den Neftorianern
finden fie fid) jedoch auch fehr bald, obgleich fie allerdings
diefelben von den Melchiten erhalten haben mögen. Sie
‚behaupten, ber SBijdyof Maruthas von Majpherfata, ber
aut Zeit des zweiten öcumenifchen Goncil& lebte, babe eine
Geſchichte des Nicänums gefchrieben und 73 (Kanone
beflelben in das Sprifche überfegt. Diefe Erzählung, weiche
das Dafeyn ber apocryphen Canones vorauéfegt, findet
fich Schon im 9tomocanon des Neftorianifchen Biſchofs Elias
von Damascus (um 693) 5. Später mögen fie die ägypr
tifchen Sacobiten angenommen haben. Sm XIIL Jahrhun⸗
bert waren fie aber bereits bei den Melchiten, Neftorianern,
aͤgyptiſchen und ſyriſchen Jacobiten in vollem Anfehen, vole
der Sacobite Ebnaffal in feiner Sammlung der Gonftitus
tionen der Kirche von SMeranbrien auebrüdlid) berichtet *).
Soviel geht aus dem Geſagten unzweifelhaft hervor,
daß biefe Ganonró von den Drientalifchen Serten zu einer
Zeit angenommen wurden, als fie unbeftritten (bon von
ber Römifchen Kirche wegen der Lehrverfchiedenheiten über
bie Menfchwerbung getrennt waren, daß fie alfo immer
noch eine llebergeugung von ber göttlichen Ginjegung des
Primats haben mußten, um dieſes Machwerk anzunehmen,
das ben Borrang des Römifchen Viſchofs auf eine ſo ent⸗
sss 3
1) B. O. T. I. p. 195. T. III. P. II. p. 74. 513, Gin Auszug
ver Geſchichte des Pſeudomaruthas bei Gbebjefu p. 29.
2) Ueber bie arabifchen Ganones ficbe Renaudot, deis col.
1168 f. Abr. Ech. bei Mansi Coll. T. M. δαὶ. 1065...
368 Neſtorianiſche und Monophyſitiſche Zeugnifie
ſchiedene Weife ausfpricht. Diefe Erfiheinung ift alters
dings fo auffallend, baf Abraham Echellenfis fte al& einen
rund für bie Aechtheit diefer Canones benügen zu dürfen
glaubte, indem, wie er fagte, die Sectirer unmöglich dieſe
Canones erfunden haben koͤnnten, welche gegen ſie ſpraͤchen.
Einen richtigeren Schluß glauben wir daraus gezogen zu
haben. Fe |
9m 37ten Canon diefer Sammlung nad) der Recens
fion des Abraham Echellenſis heißt e8 nun, es follen ‚vier
Patriarchen fegn, wie εὖ vier Weltgegenden unb vier Evans
geliften gibt. Et sit princeps ac praepositus ipsis Dominus
sedis Divi Petri Romae, sicut praeceperunt apostoli ').
Diefer Ganon fehlt zwar in ber Ausgabe des Turrianus,
welche überhaupt fürger ift. Allein ἐδ ijt offenbar, daß
bie Weglaffung des Canons in ber Abficht gefchehen ift,
alles was auf den Vorrang des Eonftantinopolitanifchen
Patriarchen vor bem Alexanprinifchen Bezug hat, zu tilgen.
So fehlt bie Einreihung des Epheftnifchen Biſchofs in bie
Zahl ber Patriarchen, bie Verſetzung dieſes Patriarchal⸗
figes von Ephefus nach Eonftantinopel und. der Lifte Ga»
non, worin bem Bifchof von Byzanz ber zweite Plag und
bem von Alerandrien nur der dritte eingeräumt wird. Das
Grempíar des Turrianus war in ber That aus ber Bis
bliothef des Patriarchen von Alerandrien, während bie ans
dere Ausgabe eine Melcitifche it. Daß bem Anfehen des
Mömifchen Pabftes nichts genommen werben fol, fehen
wir au& folgendem Canon, bem 39ften ber Ausgabe von
' &urrían: Ille, qui tenet sedem Romae, caput est et prin-
ceps omnium patriarcharum, quandoquidem ipse est primus
Ἢ) Mansi 1, c. col 992,
für den Primat. 369
sicut Petrus, cui data est potestas in omnes principes
Christianos et omnes populos eorum, ut qui sit vicarius
Domini nostri super cunctos populos et universam eccle-
siam Christianam et quicunque contradixerit a synodo ex-
communicatur !). Derfelbe Canon findet fi in ber es
cenfion des Abraham Echellenfis als ber d4(te in folgens
ber form: Et quemadmodum patriarcha potestatem habet
super subditos suos, ita quoque potestatem habet Romanus
pontifex super universos christianitatis principes et con-
cilia ipsorum: quoniam Christi vicarius est super redem-
plionem, ecclesias et curatos populos ejus. Quicunque
autem sanclioni huic contradixerit patres synodi anathe-
mate illum percellunt ἢ. Dan wende nicht ein, baf
Abraham Echellenſis mitunter nicht gang genau ift in fei;
nen @itationen aus Drientalifchen Quellen. 9(ud Res
naudot glaubte diefem Ginwanb begegnen zu müffen. Qr
bemerkt aber aus eigener Einficht der KHandfchriften, daß
nicht nur alles, was jener über ben Primat vorbringt, [ὦ
darin vorfinde, fondern auch noch weit mehr ὃ. Nuch find
wir jegt durch bie von Bardinal Majo beforgte Heraus«
gabe fyrifcher Nomocanones in den Stand geſetzt, ſelbſt
darüber zu urtheilen.
Doch noch ein Bedenken bleibt zu [ófen übrig. Auch
bie Melchiten haben die Canones, welche wir zum Beweis
unferer Behauptung angeführt haben. Scheint es nicht,
als ob biefe Drientalen die alten Canones blindlings ab
ſchrieben, weil fie biefelden einmal in ben Sammlungen:
1) Bid. col. 949. ὃ
2) Ibid. col. 995. |
3) Perpétuité 1. c. col. 1184. ^^- p Eu
Theol. Duartalfgrift. 1850. Heft ΠΙ. 24
370 Neſtorianiſche unb Monophoſiäiſche Seugnife -
fanben und über ben Inhalt derfelben nicht viel reflectirten,
oder benfelben fich auf irgend eine Weife erflärten? Wir
' -gefteben gerne, daß wir bie älteren Ganones allein nicht
für einen vollgültigen Beweis anfehen würden, obgleich
fie zu einer vollftändigen “Darftelung der Anſichten ber
Drientalen über den Primat nothwendig gehören. Ein
ganz anbercó Licht werfen aber bie Arabiichen Canones
über unfere Trage. Hier befinden fid) bie Neflorianer unb
Monophyfiten durchaus nicht in gleichem ale mit ben
Melchiten. Denn biefe hatten bie Canones [don vor ber
Zrennung und behielten fie bei wie bie Armenier ihre
Weihen und ihren Bundesbrief. Die anderen Drientalen
nahmen fie zu einer Zeit an, ba fie bereits im Glauben
vom Päbftlichen Stuhle getrennt waren. Sn der älteren
ſyriſchen Eammlung befinden fie fid) nicht, wie Renaudot
ausdrüdlich bezeugt, wie hätten fie fid) dieſes Machwerl
gefallen laffen, wenn ber Primat, den es in fo deutlichen
Yusdrüden ausfpricht, ihnen eine durchaus fremde Sache
gewefen wäre: G8 ift ferner nicht richtig, daß biefe Gus
nones bloß in Sammlungen vorfommen, worin bie Sy
nodalbejchtüffe in hiſtoriſcher Folge wieder und wieder ab
geichrieben werben, fondern fie finden fid) auch in Samm⸗
lungen, bie nach Sachordnung angelegt find, worin alío
bie Sammler die aufzunehmenden Ganones nach eigeue
Anficht auswählten und einreihten. Gbebjefu, der mehr
erwähnte Neftorianifche Metropolit von Riſtbis, hat den
3Tften !) unb ben 44ften?) Canon in feine Sammlung
1) Tr. 9. cap. 1. ap. Majum 1. c. p. 155, — — ES
T. II. P. IL. p. 349.
2) Tr. 9. c. 5. Lc. p. 165.
e ^
Co: für den Prima, (75 $1
bei ber Darfielung der verfchiedenen Stufen ber Hierarchie
aufgenommen, und zwar in ciner Waffung, bie fid) ber
Ausgabe des Abraham. Echellenfis mehr nähert. In [ege
terem Ganon ift ἐδ, wo cr fagt, ber Römifche Bifchof habe
biefelbe Gewalt über alle Patriarchen, wie der Patriarch
über feine lintergebenen, wodurch obiger 9luóbrud: „bie
Bürften der Ehriftenheit und ihre Goncilien* von ihm Elarer
gegeben wird. Ebenſo hat Gregorius Abulfaragius Bar
Hebräus, Sacobitifcher Maphrian ober Catholicus des
Jorienté im XIII. Jahrhundert, in feinem Nomocanon ben
Ten im Auszug). Hiezu fómmt endlich, daß Gbebjefu
wit eigenem Munde den PBrimat ausfpricht in ber Eins
keitung nämlich zum Tractat von ben. Batriarchen, unb
dieſes fcheint mir feinen Zweifel darüber zu laffen, in
welcher Weife bie Canones über ben Primat von den
Drientalen angenommen worden. Er fagt 5, εὖ feien fünf
Patriarchate von den Apofteln eingefegt worden unb zwar
in folchen Stäbten, bie befonders berühmt und Mutterftäbte
gewefen: feien, nämlich in Babylon, der erften Stadt und
Wer Qauptftabt des affyrifchen Reiche, in Alerandria, dad
yon Alerander dem Großen erbaut worden, in Antigonig,
das von feinem Erbauer Antigonus bdiefen und von Ans
tiochus, ber εὖ vergrößerte, den Namen Antiohia erhalten
habe, in Rom, das von Romulus gegründet worden, in
Byzanz, das von Eonftantin den Namen Eonftantinopel
belomuen. Dann fährt er fort: Et quoniam praedictis
civitatibus non ex principatu et antiquitate solummodo pa-
triarchalis dignitas et praerogativa accessit, sed etiam
— —
- 4) Cap. 7. sect. 1. ap. Majum L c. p. 39.
. ., 9) Tr. 9. cap 1. p. 19.
E à; 24 *
\
3172 Neftorianifche und Monophyſtülſche Zeugniffe
propter apostolum, qui in ea docuit et regem, qui in ea
regnavit, magnae Romae data fuit (scil. praerogativa)
propter geminas columnas in ea positas: Petrum, inquam,
apostolorum principem et Paulum, doctorem gentium:
ipsaque est sedes prima et caput patriarcharum. Secunda
aulem sedes est Alexandrina, tertia est Ephesina, quarta
est Antiochena. Reapse causa propria hujus rei est ex-
cellentia apostolorum, qui illas sedes condidere atque re-
xere. Man fage nicht, daß er ben Vorrang des Roͤmi⸗
fen Bifchofs davon ableitet, daß es bie Faiferliche Stadt
geweien; er fagt bloß im Allgemeinen von ber Ertheilung
der Patriarchenwürde, daß hiebei auch auf die politifche
Bedeutung der Ctabt Rüdficht genommen worden fei und
biefe8 ift ganz richtig, indem Bonftantinopel vorzugsweiſe
deshalb zum Patriarchenfige gemacht wurde, und auch bie
Apoftel bei der Wahl biefer Mutterftäpte gerade politifche
-Mittelpunfte vorzogen, Die 9tángorbnung verfelben leitet
er mehr von der Würde des Apofteld ab, ber den Gig
gegründet, und beßhalb fteht hier ftatt des Gonftantinos
politanifchen Sitzes Ephefus, das Johannes inne gehabt
hatte, und deffen PBatriarchat nach Byzanz verfegt worden
feyn fol. Dazu dient auch der nadjbrudévolle Schluß:
Reapse causa propria etc. Wie er fidj aber ben Borzug
des Petrus vor ben übrigen Apofteln dachte, haben wir
oben gefehen, und darnach ift feine Anfiht vom Vorrang
bes Amtsriachfolgers des Apoftelfürften zu bemeffen, wie
er denn als einzigen Grund für defien Vorrang nur Die
beiden Säulen, die zu Nom gefegt worden, angibt. Ä
Solche Erfcheinungen berechtigen ung wohl zum
Schluß, daß die 9teorianer und Monophyſiten des Drients
bem Primat, urfpränglich nicht direct entgegen: geweſen
für den Primat, 373
ſeyn mochten, unb daß fid) noch -Iange Zeit Nachflänge
oder dunkle Erinnerungen defjelben bei ihnen erhalten has
ben, ja fogar mitunter eine überrafchende Anerfennung
bervortritt, welche bie Grenzen eines bloßen ftumpfen Nach»
fprechens übertritt, Ein offener Widerfpruch, und auch
diefer nur theilweife, tritt erft verhältnißmäßig febr [pdt
an ben Tag bei ſolchen Stämmen,. bie in nahe Berührung
mit den Griechen famen. und ihren Patriarchalfig gerade
im Griechifchen Gebiet. hatten, "us von ber Union wieder
abgefallen waren.
Es läßt (i auch benfen, daß. die Erinnerungen an
die frühere Vereinigung mit Rom und an bie Borrechte
des Brimatialftuhles bie Wiedervereinigung, bie mehrmals,
theilweife ober ganz ftatthatte, febr. befördern mußten. Leis
ber haben wir zu wenig detaillirte Berichte hierüber. Ses
doch fällt in den Schreiben, welche die Cectirer fchon vor
der Union an die jeweiligen Päbfte, erließen, bie Bereits
willigfeit auf, womit ihnen alle Primatialrechte beigelegt
werden ). Hält man damit zufammen, bag in den Aufs
nabmébullen durchaus fein Irrthum über ben Primat hers
vorgehoben wird, fo umftändlich bie Belehrungen auch feyn
mögen, fo fcheint es faft als finde fid) hierin eine Beftäs
tigung der Vermuthung, daß bie Gectirer bie Wiedervers
einigung aus althergebrachter llebergeugung von bem Bors
tang des Päbftlichen Stuhles verlangten oder annabmen.
Beſonders verdient ermähnt zu werden, wie der SJacobitifche
Patriarch Johannes von Antiochien zur Zeit des Florens
tinifchen Concils mit feinen Iintergebenen. fib benahın. Als
1) Eiche Hinfichtlich der erften Bereinigung der Neftorianer_ uub
Sacobiten Raynald ad ann. 1247. n. 32 f., ferner die Acten des Flo⸗
zentinifchen Goucilé. ub ct
314 Neftortan. u. Stonopbyfit. Beugniife f. b. Primat.
er einen Brief von Eugen IV. erhalten hatte, worin tfm
diefer zum Beitritt zur Union aufforberte, ließ er denfelben
in das Syriſche überfegen und vor feinen Bifchöfen und
dem gefammten Clerus und Volk in der Kirche vorlefen,
Mit [autem Breudenruf und Thränen fogar wurde, wie
er in feiner Antwort an Eugen !) erzählt, bie Leſung ais
gehört. Die Titel, die er bem Pabfte gibt, find zum Theil
wörtlich aus den arabifchen Banones genommen, nämlich:
principum Christi sedium princeps. Noch auffallender ift
die Sprache ber Aethiopifchen Gefanbten 9. Sie behaups
teten ‘geradezu, nicht fie feien Schuld an der Epaltung
gewefen, wie die andern fchismatifchen Kirchen, weldye befis
halb auch daniederlägen, während bie ihrige nod) bluͤhe,
fondern daran fei bie Nachläßigfeit ber Paͤbſte ſelbſt Schuld,
welche feit 800 Jahren, wie ἐδ bei ihnen heiße, auch nicht
die mindefte Bürforge für fie getragen hätten. Kein Bolt
babe cine fo innige Verehrung für ben Römifchen Stuhl,
wie das ihrige, und wenn fie nach 9fetbioplen zurüdfehrs
ten, würde ihnen alles entgegenziehen, ihnen bie Füße
füffen und Stüde von ihren Kleidern als Reliquien ab»
reißen, wenn man höre, daß fie vom Römifchen Pabſte
fämen, und Aehnliches mehr.
Mögen diefe Nachflänge ber Lehre vom SBrimat εἰπῇ zur
gänzlichen Zurüdführung jener Voͤlker in den Schooß der.
Kirche, indefien aber zum Beweis der allgemeinen Ans
nahme dieſes Lehrſatzes in den Zeiten vor ihrer Lootren⸗
nung dienen. Denn wie Zertullian in den PBräferiptionen
fagt: Nemo mentitur in suum dedecus sed in honorem.
Prof. Dr. Heinr. Denzinger in Würzburg.
1) Labbe Coll. Conc. T. X. col. 1019, :
2) Ibid. col, 1031.
2.
Erklärung von Gen, 4, 3—7.
Ein Beitrag zur Theologie des Alten Teftaments.
»9tad) einer Frift brachte Kain von der Feldfrudht
Jehovah ein Opfer bar, und auch Abel brachte dar von
den beften Erftlingen feiner Heerde. Und es faf) Sebovab
auf Abel und auf fein. Opfer, aber auf Kain und auf
fein Opfer fab. er nicht. Da zürnte Kain febr und fab
finfter aus. Und Jehovah fprad zu Kain: Warum zürs
neft bu, unb warum fiehft du finfter aus?!“ — Diele
Gen, 4, 3-6 ftehenden Worte find fo einfach und fchlicht,
ba fie kaum eines Kommentars bedürfen. Cie werden
bier nur mit in Betracht gezogen, weil fie mit der Fort⸗
fegung ber von Gott an Kain gerichteten Worte in 9B. 7
in innigem SufammenBange ftehen. Diefer Vers erheifcht
nämlich eine gang befondere Beachtung, ba berfelóe, wie
unten wird angegeben werben, fowohl im @inzelnen αἱ
im Ganzen auf die mannigfaltigfte Weife bis jept erfärt
worden ift.
Schon Philo de sacrif. Ab. et Caini $$. 13. 27. hat
auf eine Verfchiedenheit der Opfergaben des Brüderpaares
aufmertfam gemacht. Während Abel von ben beften
&rftlingen feiner Heerde darbrachte, opferte Kain fehlechte
376 Erklärung von Gm. 4, 3— 7.
weg von der Feldfrucht. Diefen Unterfchied im Werthe
der Opfergaben ſcheint aud) der Berfafler der Genefid
recht gefliffentlich hervorgehoben zu haben durch eine ges
wiffe Weitfchweifigfeit in Befchreibung der Opfergabe Abels;
diefer fucht fein Opferflüd unter den Erftlingen feiner
Heerde, und zwar unter den ausgezeichneten Erftlingen
(2395). Der Grund, weßhalb Boit nicht faf auf tain
unb auf fein Opfer, liegt aber keineswegs in dem gerins
gern Werhe feiner Opfergabe, fondern in ber böfen, von
Gott abgewandten Gefinnung Kains, welche fid) denn aud)
in der geringern Sorgfalt beim Auswählen feiner Opfers
gabe ausgefprochen haben mag. Kain war ein Gün
ber; denn.auf der Sünder Opfer fieht Gott nicht WO
15, 8. Θίταῷ 34, 23).
Bor Alters bat man fion gefragt, woran Kain es
erkannt habe, daß Gott auf ſein Opfer nicht geſehen habe.
Hieronymus ſagt darüber Quaest. hebr. in Gen.: Unde
scire poterat Cain, quod fratris ejus munera suscepisset
Deus, et sua repudiasset, nisi illa interpretatio vera essel,
quam Theodotion posuit: „Et inflammavit (ἐνεπύρισεν)
Dominus super Abel et super sacrificium ejus, super Cain
vero et super sacrificium ejus non inflammavit?“ Ignem
autem ad sacrificium devorandum solitum venire de coelo,
et in dedicatione templi sub Salomone legimus, et quando
Elias in monte Carmelo construxit altare. Warum aud
nicht? Es ift ja möglich; wiewohl wir und gern δε είς
den, die Sache im Dunkel zu faffen, ba der Sert nichte
darbietet, worauf εἰπε Behauptung gegründet werden fónnte.
GConberbarer kann nichts fein, ald was Philo zur Beants
wortung ber rage vorgebracht bat Quaest. in Gen. lib. I.
8. 63. Weil den Kain nad) vollendetem Opfer eine ge
Erklärung von Gm. 4, 37. 377
wiſſe Traurigkeit überfiel, meint Philo, fo fónnte er wohl
aus diefer unmwillführlichen Traurigkeit gefchloffen haben, —
daß fein Opfer Gott nicht angenehm gewefen fei. Der
Set fagt grade das Gegentheil: weil Kain fab, baf fein
SOpfer nicht wohlgefiel, fo zürnte er febr und fab finfter aus.
Kain fucht den Grund der ungnädigen Aufnahme
feines Opfers nicht in fi; er flebt darin vielmehr eine
:unverdiente perfönliche frdnfung und unbegründete Zurüds
fegung gegen feinen bevorzugten Bruder, und barum zürnt
er und fieht finfter aus. Wenn fi num Gott Berabláft
an Kain die Worte zu richten: „Warum zürneft bu, und
warum fiehft du finfter au“, und bann feine Rebe nod)
weiter fortfegt, [o folfte man meinen, daß in ber fortges
fegten Rede Gottes zum wenigften der Gebanfe ausge⸗
ſprochen liege, Kain habe feinen Grund zu zürnen weder
gegen Bott noch gegen feinen Bruder. Abel, fondern bie
Nichtannahme feines Opfers fei bie nothwendige Folge feis
ner perjönlichen Cünbfaftigfeit. So ift es auch wirklich;
unb doch gibt e8 nur wenige Stellen, ber Echrift, bei
deren Erklärung die Meinungen mehr auseinander gehen,
als bei Gen, 4, 1.
Der Augenfchein Ichrt, und alle Licherfeger und Gr»
Härer fimmen darin überein, daß Gen. 4, 7 zu Anfang
einen fragenden, zu Ende einen behauptenden Eng ents
halte. Doch bis zu weldem Worte geht der fragende
Sag, und mit welchem Worte fängt ber REDRupienbe
Ca& an?
Die LXX ziehen nod) das Wort DiNDn in ben Frage⸗
ſatz, unb überfegen fo: Οὐκ ἐὰν ὀρϑωῶς προσενέγκῃς, 00-
ϑῶς δὲ μὴ διέλῃς, ἥμαρτες; Diefer Veberfegung [ρὲ
fein vom maforetifchen verfchiedener Urtert zu Grunde;
NV
378 &rklärung von Em. 4, 8—7.
denn auch der ſamaritaniſche PBentateuch, welcher in ben
Abweichungen durchgängig mit LXX übereinftimmt, ent»
fernt fid) bier nicht vom maforetifchen Terte, nur iſt der
famaritanifche Sert in der Londoner Polyglotte entftellt
durch eine aufgenommene Randgloffe, aus welcher hervor
geht, tag einige famaritanifche Codices das Wort 2nbn
vor ΠΏΡΡ ausließen, während andere εὖ hatten. LXX aber
haben feldft diefes HUHN vor Augen gehabt, benn ihrem
ὀρϑῶς διέλῃς entfpricht Ja das famaritanifche nnp5 aan.
Su ber obigen lleberfegung famen LXX aber auf fol
gende Weife. Sie fegten voraus, Gott gebenfe in ©. T.
der geringen Sorgfalt, welche Kain bei der. Auswahl {εἰν
nes Opferftüdes bewies, da er fchlechtiweg von der Feld⸗
Frucht opferte, und wie mit Weglaffung des 5 vor bem
Infinitiv Pf. 33, 3 132 999771 heißt bene canite fidibus,
fo verbanden fie zunächft ΝΣ 2n EN und überfeßten
ἐὰν ὀρϑῶς προσενέγκῃς, zumal ΜΡ) häufig genug in ber
fBebeutung attulit, apportavit vorkommt. Bei der Außern
Darbringiingabded Opfers hatte Kain es an nichts fehlen
laffen, aber er hatte nicht den rechten Theil feiner
Feldfrüchte zum Opfer ausgewählt. Diefen letztern Ges
danken glaubten LXX in den gleich folgenden Worten
(uden zu müffen. Darum lafen fle nicht nppb (an ber
Thür), fondern ΠΡ, ſchloßen biefen Snfiniti» enge an
Som w5 ew), unb überſetzten ὀρϑώς δὲ μὴ διέλῃς. Das
Wort np aperuit, fommt nämlich in Phrafen vor, in
‚welchen e8 fid durch das griechifche διαιρεῖν ausprüden
‚läßt; fo fagt der Hebräer wörtlich vincula alicujus aperire
i e. solvere, διαιρεῖν, aud) aliquem aperire i. e. solvere
‚a vinculis. Da in folden Nebensarten das Wort vom
‚Geblärung. von Gm. 4, 37T. 319
KTrennen bet Berbundenen, vom Losmachen des einen
som andern gebraucht wird, fo glaubten bie LXX e$ aud)
auf das Theilen ber Wefofrudt, unb auf das Abfons
dern des einen Theil zum Opfer beziehen zu Fönnen.
MWenigftens hat fo Philo die LXX an unferer Stelle vers
‚ftanden. Er fagt zu ihrer Erklärung Quaest. in Gen.
lib I. $. 64: Non oportet priora, quae dantur in creatis,
Sibi, secunda vero sapientissimo (creatori) offerre: quae
‚est divisio (διαίρεσις) vituperanda el improbanda, prae-
posterum referens ordinem. — lm endlich zu won
ein Verbum zu haben und den Ga& abzufchließen, laſen
LXX nit atom (Sünde), fonbern DRUM, ἡμαρτερ.
Die lleberfegung ber LXX ift aber unftatihaft, felbft
wenn wir bie Worte an und für fid unb außer ihrer Bers
Bindung mit dem Folgenden betrachten. Denn 1) wenn
nop apernit unter Umftänden dem Griechifchen διαιρεῖν
-und dem lateinifchen solvit, divisit gleichbedeutend ift, fo
darf es bod) nicht ohne weiteres auf jedes Theilen bes
zogen werden, fondern nur auf ein ſolches, mit welchem
der Begriff des Oeffnens wenigftens. einigermaßen aufants
menfällt, wie 3. B. auf das Deffnen, Auseinanderbrin⸗
gen, Zertheilen der Feſſeln. — 2) Hätte ber SSerfaffer
gewollt, bag nip DEN zufammengenommen einem fol;
genden nno» 2"n No entfprechen follte, fo hätte er nntwb
gefchrieben, ba mmbb folgt, ober er hätte das eine wie
das andere Mal 5 fortgelaffen, wiewohl die Weglaffung
des b nur ausnahmaweife bei Dichtern vorfomint (Gesen.
Lex. Man. s. v. 32) Hifil). |
Die falfche Auffaffung der LXX zeigt fid) aber νοῦς.
züglich darin, daß das Ende von V. 7 bei ihnen nahe
-7
380 Vrkfärung von Gen. 4, 3—7.
unverftänblich ift. Sie überfegen: Ἡσύχασον. πρὸς σε
ἡ ἀποστροφὴ αὐτοῦ, καὶ σὺ ἄρξεις αὐτοῦ. Diefed ἡσύ-
ago» (γ [οἵ nad) Philo l. c. $. 65 heißen: Set nicht
hochfahrend und rühme bid) nicht deiner Sünde, als hättef
bu etwas Rechtes getban: thue vielmehr Buße. Die
übrigen Worte muß Jeder fo verftehen, als ob Gott bem
Sünder Kain die Herrſchaft über den frommen Abel zus
fihert. Das fah auch Philo. Darum ftelit er bie Frage:
„Cur bonum in manum tradere mali videtur, quum dicit:
Ad te conversio ejus (πρός 08 ἢ ἀποστροφὴ cvro?)?*
unb gibt 1. c. $. 66. folgende Antwort: Non in manum
tradit, sed est variata auditio: quoniam non loquitur de
pio sed actione peracta, dicens ad eum: hujus impietatis
conversio el respectus apud te est. Noli ergo necessi-
tatem eaussari, sed morem tuum; ut et istic voluntarium
repraesentel. Illud vero fu princeps eris illius iterum
annuit ad operationem: primum utique inique agere in-
cepisti, οἱ ecce magnam injuriosamque iniquitatem sequitur
alia quoque injugtilia. Itaque praecipuum omnis injuriae
voluntariae id esse existimat arguitque. Wenn wir biefe
Worte, deren gqriechifches Original uns nicht erhalten ift,
recht auffaffen, fo will Philo ben (id) aufbringenben aber
unangemefienen Sinn des legten Satzes in LXX baburd)
fortbringen, daß er bie beiden αὐτοῦ nicht auf Abel, fon»
dern daß erftere auf bie bereitd begangene Ende Kains,
das [egtere auf bie etia noch zu begehenden Cünben defs
felben deutet. Die begangene Eünde nämlich fci nicht ges
floffen aus einer bem Kain inwohnenden Nothwendigfeit
zu fündigen, fondern fie ſchaue qutd d und müffe
bezogen werden auf Kain als ihren freien Lirheber;
auch das fernere &ünbigen haͤnge ab (ἄρξεις) von Kain.
— (hilitung von Gen. 4, 37, 381.
Das Wilführliche unb Gegmungene ber LXX fonnte
nicht verborgen bleiben. Darum fuden (id bie andern
griechifchen Ueberfeger jeber auf feine Art zu helfen. Theo⸗
botion fehließt ben Sragefag mit bem Wort 23, und übers
fegt: Οὐκ av ἀγαθῶς ποιῇς, δεκτὸν, xal ἂν μὴ ἀγαθῶς
ποιῇς, ἐπὶ ϑίρας ἁμαρτία ἐγκάϑηται; πρός 08 ὁρμὴ αὐ-
τοῦ, καὶ σὺ ἄρξεις αὐτοῦ. Dieſes δεκτόν, acceptum, ac-
ceptabile, fann allerdings im Worte NY liegen, da ΝΣ)
auch accepit, sumsit heißt; auch paßt die Bedeutung recht
gut zum Borhergehenden. Gott würde dann námlid)
zu Kain fagen: „Warum zürneft bu, unb warum ſiehſt
du finfter aus? — Winbet. nicht Annahme des Opfers flatt,
wenn: du Gutes thuft, wenn bu als frommer Mann mit
einem Opfer vor mir erfcheinft?* Doc ba6 Folgende
paßt nicht im mindeften zu may = δεκτὸν. Wenn auf
Guteétbun Annahme des Opfers erfolgt, fo müßte nad)
Logik und Kontert auf Böfesthun Zurüdweifung be
Dpfers erfolgen, εὖ erfolgt aber nach der Auffaffung bed
Sbeobotion daB Sigen der Sünde an der Thür.
Da in biefem Ausdrucke der Begriff von Zurückweiſung
nicht liegen fann, fo folgt daraus, daß Theeodotion das
Wort Axt, ober wohl gar ben ganzen Vers faljd) vers
Randen fat. — Eymmachus läßt den Frageſatz ebenfo
weit gehen als Theodotion, und überfept: AM ἐὰν cya.
ϑύνῃς, ἀφήσω" ἐὰν dà um ἀγαθϑύνῃς, παρὰ ϑύραν duag-
vía ἐγκεῖται Sym zweiten Theile des Verſes bat Gyms
‚machus, nach der gleicblautenten Stelle Gen. 3, 16 zu
fehließen, für nown ἢ ὁρμὴ geíegt. Sehen wir vorläufig
ab von der Umwandlung des Fragefages in einen behaupe
tenben ,. fo müffen wir geftehen, daß .ayrow, „ich werbs
3" Qutijung won Ben. 6; 3-7.
verzeihen“, ſehr qut zum „Liegen der Sünde an der
Thür* paßt. my nämlich kann wohl condonatio heißen,
va D fiy x) condonavit peccatum alicujus bedeutet; und
da nen von ber Sündenftrafe gebraucht wirb, fo läßt
fif das Liegen ber Eüindenftrafe an ber Thür ohne Zwang
deuten vor dem afébalbigen und unverzüglichen Eintreffen
ber Strafe (vergl. yaf. 5, 9.). Aber wenn gleich diefe
Ausprüde zu einander paffen, fo paffen fie doch febr
fchlecht zum Vorhergehenden. Um zwiſchen V. 6 und 7
einen Zufammenhang berzuftellen, fah fid Symmachus ges
nöthigt, den Sragefag des Originals in einen behauptenden
umzuwandeln, und ibn mit ἀλλὰ an 9. 6 anzufnüpfen.
In ben Worten Gottes Tiegt nach ber Weberfegung des
Symmachus diefer Sinn: Warum zürneſt bu, und
warum fichft du finfter aus, weil id auf bein Opfer
nicht geliehen habe? Du bift ja ein Eünber, und eine$
Sunders Opfer kann ich nicht annehmen. Doch (ala)
wenn bu fortan Gutes tbuft, fo werde ich deine
bisher begangenen Sünden verzeihen, wenn bu aber
wie bisher Boöſes thuft, fo wird bie Strafe aí6s
bald erfolgen. Das wilführlich hingefegte abverfative
ἀλλὰ weist nämlich auf einen nicht aufgefprochenen, aber
aus dem Kontert leſcht zu ergänzenden Gag hin, in weldem
Kaln auf feine Sünde al$ den Grund der Nichtannahme
feines Opfers aufmerkfam gemacht. wird. Sm Original
aber ift bie Ergänzung eines den Zufammenhang vermite
telnden Sapes unmöglich, da V. 7 zu Anfang feinen ads
verſativen, fondern einen mit non eingeleiteten : Frageſah
enthält. Wäre in B. 7 von Annahme unb 3urüdweifung
eine. Opfers bie Rede, das fónnte man gelten laſſen; von
Erklaͤrung yon Gen. 4, 8— 7. 333
Berzelhung und Beftrafung der Sünden fann im Original
faum die Rede fein. — Wie Aquila den erften Theil
von $8. 7 überfegt hat, ift nicht befannt. Was beu zweis
ten Theil anbelangt, fo merkt Hieronymus Quaest. hebr.
in Genesin bei der gleichlautenden Stelle Gen. 3, 16 an,
dag Aquila für mpw/m [ege societas, b. ἰ. συνάφεια nad)
der Angabe Stontfaucon'ó aus bem Codex Evislinianus.
Da die alte Iateinifche Ueberfegung des A. T. aus
LXX gefloßen war, fo las man im Abendlande bis Qieros
nymus an unferer Stelle in folgender Weife: „Nonne si
recte offeras, non recie autem dividas, peccasti? Quiesce,
ad te conversio ejus οἱ tu dominaberis ejus.^ Hierony⸗
mus wurde burd) biefe lleberjegung nicht zufrieden geftelit.
Zu Zufammenftelung der Worte zu Sägen folgte er ben
andern griechifchen lleberfegern, und gibt, indem er von
bem einen diefes, von bem andern jenes aufnimmt, in
Quaest hebr. in Gen. folgende lleberfegung der Stelle:
„Quare irasceris? et quare concidit vultus tuus? Nonne,
si bene egeris, dimiltetur tibi (ag»cco Symm.): et, si non
bene egeris, ante fores peccatum tuum sedebit (ἐγκαάϑη-
"τας Theodot.)? et ad te societas (συνάφεια Aqu.) ejus:
sed tu magis dominare ejus. — Zu dieſer lleberfegung
gibt er dann gleich ben folgenden Stomuuentat: Quare
irasceris, et invidiae in fratrem livore cruciatus vultum
demittis in terram ? nonne, si bene feceris, dimittetur tibi
omne delictum tuum, sive, ut Theodotion ait, acceptabile
erit, id est munus tuum suscipiam, ut suscepi fratris tui?
quodsi male egeris, illico peccatum ante vestibulum tuum
sedebit, et tali janitore comitaberis. Verum, quia liberi
arbitrii es, moneo αἱ non tibi peccatum, x tu peccato
domineriS. ——
384 Erklarung von Gen. 4, 3—7.
Was fol man zu blefer lleberfegung fagen? Hiero⸗
nyınus felbft hat das Mißliche darin gefühlt, fie aufgegeben
und in ber Vulgata fo überfegt: „Nonne si bene egeris,
recipies, sin autem male, statim in foribus peccatum aderit?
Sed sub te erit appetitus ejus, et tu dominaberis illius."
Hieronymus bezog in ber Vulgata das nt? alfo nicht wie
Theodotion auf bie Annahme des Opfers von Seiten
Gottes, fonbern auf ben Empfang des Lohnes von Sei
ten des Srommen, und zu biefem recipies flimmt audj
ganz qut das peccatum als die Sünbenftrafe, welce
den Gottlofen ereift. — Jedoch NNY vom Empfange beó 205;
nes zu deuten, ift durch ba6 Vorhergehende nicht mög»
li, und mm barf wegen des Folgenden nicht ale
&ünbenftrafe gefaßt werden. Kain ift ja gotnig unb fieht
finfter aus, nicht weil ihm eine Belohnung entgangen ift,
fondern weil Gott. fein Opfer nicht angenommen hat.
Wollte man nun auch behaupten, ſchon die Annahme des
Opfers bei Gott fei ein Lohn für ben Tugenphaften, und
bie Nichtannahme deffelben eine Ctrafe für den Sünder,
fo fpricht bod) das Ende des Berfes deutlich von einem
appetitus ber Sünde und einer dominatio über ble Sünde.
tft alfo im Verſe ficher nicht von Sündenftrafen bie
Rede, fo wird aud) fehwerlih darin etwas fteben vom
Lohne für die Tugend.
Die Schwierigkeiten und PVerlegenheiten vermindern
ſich auch nicht, wenn man mit Geſenius und Andern
Di, durch elatio scil vultus wiedergibt. Elatio vultus
fónnte als Gegenfag zu ber demissio vultus, dem finſtern
Ausfehen, nur Froͤhlichkeit, Heiterkeit bezeichnen, Diefe
Deutung ift aber burd) das Folgende verwehrt, „Be
Sllärung von Gm. 4, 3— 7. 385
Gutes thut, ift fröhlich und heiter; wer nicht Gutes thut,
fiebt finfter aus“ {σε man erwarten, aber man
liest „an der Thür liegt bie Cünbe.*
Baffen wir das Bisherige fury zufammen, fo fat fid)
herausgeſtellt: 1) Bei lleberfegung von Gen. 4, 7 weicht
bie LXX mit der aus ihr gefloffenen alten Iateinifchen _
lleberfegung von allen übrigen lleberfegungen ab in ber
Berbindung der Wörter zu Sägen und in der Bofalifas
tion des Textes. 2) Die übrigen lleberfeger unb die neuern
Erflärer flimmen durchaus nicht überein. 3) Alle anges
führten lleberfegungen und Erklärungen des Verſes leiden
an offenbaren Mängelı. — Unter fofden Umſtaͤnden
mag ed und vergönnt fein, auch unfere Meinung über ben
Vers laut werben zu lajfen. Wir ändern an bem übers
lieferten maforetifchen Sext. nicht das allerminbefte, felbft
nicht bie maforetifche Suterpunftion, und ftellen beffenuns
geachtet bie Wörter anders zu Sägen zuſammen, als ἐδ
Theodotion, Symmachus, die Bulgata und bie neuern Ers
färer thun. Auch werben wir eine neue ethymologifche
Erklärung des fo verfchieden gebeuteten Wortes NNY vor»
legen, welche an und für fid) wenigftens bie gleiche Bes
rechtigung bat, wie die oben angeführten, und obendrein
durch ben ganzen Kontert gefichert iſt.
Den Fragefag in 98. 7 fchließt LXX mit dem Worte
nwon, bie übrigen Lleberfeger und Erflärer mit bem Worte
y2^, welches ben Athnach unter fid) hat, wir dagegen
laffen ven behauptenden Gag ſchon mit dem Worte nnpb
anfangen. Aber der Athnach unter y^? — Wenn ein
Vers zwei felbftändige Säge enthält, fo ftebt der Athnach
nicht immer am Ende des erften Sapes, fondern bisweilen
Theol. Daartalfärift. 1850. IL Heft. 25
386 Erklaͤrung von Ben. 4, 3-7.
innerhalb des einen Satzes. Als fehlagenden Bes
weis führen wir an Sof. 3, 13: „Wenn bie Bußfohlen
der PBriefter, welche bie Lade Jehovah's, des Herrn ber
ganzen Erde, tragen, fid) in das Waſſer des Jordan nie
derlaffen, wird das Waſſer des Jordan verfihwinden. Das
von oben herabfommende Waſſer — (Athnach) — ἐδ wird
fichen wie ein Haufen.“ Der Athnach unter ya ift alfo
fein Hinderniß, ben behauptenden Satz fdjon mit bem Worte
none) beginnen zu (affen. Läßt man ben Frageſag bis
zum Athnach fortgeben,. fo ergeben fib, wie wir gefehen
haben, große Echwicrigfeiten in ber Beflimmung ber Ber
deutung des Wortes riy.
Sm unferm Sragefag ift affe& deutlich, wenn fich nur
dem Worte MN eine dem Kontert angemeffene Bedeutung
geben läßt. Bon Ni73 extulit hat der fubftantivifch ges
brauchte Infinitiv ANY die abitrafte Bedeutung elatio,
oder in neutralem Sinne eminentia, excellentia ((Gesen.
Lex. Men. s. v.). Wie alle dergleichen Abftrafta Fonnte
das Wort aud) in Fonfretem Sinne gebraucht werben, und
dient zur Bezeichnung εἰπε Bledens auf der Haut
(Lev. 13, 2. 10. 19. 28. 43), nicht bloß eines franfbaften,
fondern auch eines Brandfledens (B. 28), nicht bloß einer
durch Gefchwulft und Entzündung aufgetriebenen, empors
gehobenen Ctelle, fondern felbft einer franfhaften Vers
tiefung (2. 3. 4. 20. 25. 26.). ὮΝ in concreto ift
alfo etwas von feiner Umgebung Abftechendes, Berfchies
denes, unb barum leicht in die Augen Fallendes; feine
abftracte Bedeutung wird darıım nicht ganz richtig burdj
eminentia ober excellentia auógebrüdt, weil man mit biefen
bett : den. Begriff des Höherfeins, Größerfeins verbindet,
Erklaͤxrung von Gen. 4, 3—7. . 987
während rwip aud) das Niedrigerfein einfdfiegt und wies
derzugeben ift durch das allgemeinere differentia, Verfchies
benbeit, Unterſchied. Diefe etymologifch mögliche Bes
deutung des Wortes ift dem Kontert ganz vorzüglich ans
gemefien. Gott fpricht nämlich zu Kain: Warum zür—
neft bu, und warum fiehft bu finfter aus, weil
ich auf deines Bruders Opfer gefeben, und auf das bei»
nige nicht gefehen. babe? Sft es nicht ein Inter»
fhied, menu bu Gutes t&uft, und wenn du nicht
Gute& thuft? b. 5. muß ich nicht einen Unterſchied
sachen zwifchen bem ame be& Frommen und bem Opfer
des Eünders?
Nicht minder vortrefflih fügt fid) ber zweite Theil
beó Berfes, unfer behauptender €ag, dem Ganzen an.
Eeine erften drei Worte, bis zum Athnach, laſſen wir einfts
weilen ruhen. Das llebrige wird fid) um fo ficherer deuten
[affen, ba fi dazu eine herrliche Parallele Gen. 3, 16
findet. Wenden wir uns barum vor Allem zu diefer Parallele.
Gen. 3, 16 fpricht Gott zuerft von den Mühen und
Beſchwerden des Weibes aló der Kindesgebärerin, fobann
pon bem gegenfeitigen Verhältniß zwilchen Mann und
Weib. Der Mann. hat bie Herrfchaft über das Weib,
und des Weibes npw/n ift an ihren Mann, ober zu
ihren Manne, Die griechifchen Ueberſetzer weichen bei
biefem Worte des hebr. Tertes wieder febr. von einander
ab. Die LXX haben ἀποστροφή, Aquila συνάφεια, Eyms
madjué 7 ὁρμη,, Theodotion (nad) Gen. 4, 7 zu fchließen)
ebenfalls ὁρμὴ. Die Bulgata gibt sub viri potestate eris,
et ipse dominabitur tui, unb bringt eine Tautologie in
bie Stelle, welche im Urtert nicht liegen Tann. Das Wort
250
388 Erffäruig von. Gen. 4, 8— 7.
Bat aber fof. €. 7, 11 bie Bedeutung Wunſch, Berlans
gen, Schnfuchtz wenden wir diefes auf unfere Stelle an,
fo lautet fie: „An deinen Mann (mag ergehen) dein
Wunſch, er aber ift gebietenber Herr über did.“
Beſſer kann doch ba6 gegenfeitige Verhältniß zwifchen Dann
und Weib nicht auégebrüdt werden. Des Mannes aus⸗
gefprochener Wille ift für das Weib Gefeg und Befehl;
das Weib kann bem Manne gegenüber nur S8ünídje laut
werden [affen, deren Erfüllung ober Abweifung vem Manne
anheimgeftellt ift.
Diefelben Worte, welche Gen. 3, 16 Austrud des
gegenfeitigen Berhältniffes zwifchen Mann und Weib find,
werden Gen. 4, 7 gebraucht, um auszufprechen, welches
Berhältniß zwiſchen ANEM und bem Menfchen, unb ums
gefebrt ſtattfinde. Es Bat nämlich bereits Hieronymus in
Quaest. hebr. in Gen. angemerft, daß bie Masfulinfuffire
in IND und 12 fid) auf das vorhergehende ngu bes
geben, und es fann auch nicht anders fein. Zwar ift
diefes Wort der Endung und dem Gebraude nach fonft
ein Bemininum, aber der Kontert ift. von ber Art, daß
wir auf einen beftimmten Grund fchliegen fónnen, aue
welchem ber SSerfaffer fi) bewogen fand, e$ als Masku⸗
línum zu gebrauchen. G6 ift nämlich bier nicht bie Rede von
der abftraften Sünde, aud) nicht von einer fündhaften
That ober Ilnterlaffung, aud) nicht von einer Sündenfhuld,
fondern muß an unferer Stelle ein lebendes
Werfen fein, ba es im Stande ift einen Wunſch, ein Bers
langen zu äußern, und ben Menfchen um Erfüllung deſ⸗
felben anzugehen ἢ. Auch das Thier ift im Stande bem
1) Wenn das R. T. von ϑέλημα unb ἐπιϑυμία τῆς σαρκὸς ſpricht
Gıflärung von Ger. 4, 8— 7. 989
Menfchen ein Berlangen fund zu thun, bod) fann dieſes
niemald eine Aufforderung fein zur Eünde, zur llcberires
tung des Geſetzes Gottes. Dazu aber fordert dem Namen
und bem Sonterte nach wien den Menfchen auf, und muß
barum ein perfönliche8 Wefen fein, welches ber Hebräer
fif) nicht denken fonnte als weiblichen Gefchlechtes, und
befen Namen er barum als Mastulinum bekandelte 1).
Wie nun das Wort nad ungeachtet feiner Beminins
Endung eine männliche Perſon bezeichnet unb ber Pre—
diger heißt, fo bedeutet wie. als Maskulinum: der
Sünder, der Böfe, 0 πονηρός. - Eine gleiche Berändes
rung des Genus läßt fid) am Worte bb nachweifen.
Urfprünglih Nihtswürdigfeit bedeutend bleibt es ten
Gefegen der febr. Sprache gemäß Femininum al& Kollek⸗
tivum: nichtswürdige, fehlechte Menfchen (2. San. 23, 6),
und in der neutralen Bedeutung : Nichtswürdiges, Schlechtes
Rabum 1, 11), ift aber Maskulinum als Berfonbezeich-
nung (Nahum 2, 1) und aus 2. Kor. 6, 15 wiffen wir,
daß Βελέαλ einer ber vielen Namen des Teufels war. —
Die zunächft in Betracht gezogenen Worte des bebauptens
ben Satzes in Gen. 4, 7 lauten demnach: „An bid) ers
geht fein (des Böfen) Wunfch, vu aber Haft Macht
über ihn“ b. b. εὖ ift ganz in deine Hand gegeben,
das Berlangen des Boͤſen zu erfüllen, oder zurüdzuweifen.
(Eph. 2, 3; Sal. 5, 16. 17), fo flellt es den lebenden äußern Mens
ſchen mit feinen Lünen und Begierden, die σάρξ, bem innern geifligen
Menſchen gegenüber.
1) Wollte man bier eine perfönlich gedachte Gánbe annehmen,
fo if dagegen einzuwenden, daß die Perfonififationen ber Abfirafta in
allen €pradjen das grammatifche Genus der letztern beibehalten, unb
zwar beibehalten nıäflen.
890 Erklärung von Gm. 4, S—T.
Da die Bedeutung von nen bereits feftgeftclit ift,
fo lauten die erften Worte des bebauptenben Satzes: „An
der Thür bat ber Böfe fein Lager.“ — An weflen
Thür? Möglicherweife an feiner eigenen. — Zu welchem
Zwede [{ er an feiner Thür? Möglicyerweife um zu
wachen, daß fein Befig ihm bleibe. — Und wen hält er
eingefchloffen? Ohne Zweifel bod) den Kain, an welchen
die Worte gerichtet (inb, aber möglicherweife auch alle
übrige Menfchen. Das 9t. X. freilich lehrt ausprüdlich,
bag die Menfchen inégefammt unter der Gewalt des Cas
tan ftanben, und durch Chriftus daraus befreit worden
find (Hebr. 2, 14. 15); ja Satan bewacht die in feinem
Hofe eingefchloffenen Gefangenen, wird aber von Ehriftus
überwunden, und feine Gefangenen werden frei (Luf.
11, 14 folgd. befonders B. 21. 22), Im N, S. hängt
bie Lchre von der Gefangenfchaft ber Menfchen” unter der
Gewalt des Satan mit der Lehre von der Erbfünde zu«
fammen; da aber auch das 9. S. lehrt, daß ber Menfch
als Sünder und Unreiner im Mutterleib empfangen und
geboren wird (Pf. 51, 7. vergl. Hiob 14, 4), fo darf
eine Erwähnung ber Gefangenfchaft unter Satan im 9f. T.
nicht befremben. Wenigftens wird Niemand beftreiten, daß
diefer Sinn in den Worten liegen fónne.
Gejegt, bie erften Worte des behauptenden Satzes
find richtig gedeutet, fo ift bie Konjunftion Ὑ vor OR in
abverfativer Bedeutung zu nehmen. Denn Kain ift zwar
G'fangener des Satan, aber Satan fann ihn nicht zum
Günbigen zwingen. Der ganze Cag lautet bemnad) in
Deberfegung: „Bor ber Thür bat ber Böfe fein
Lager; doch andich ergeht fein Wunſch, buaber
baft Macht über ihn.“ Daß aber der ganze behaup⸗
Erklaruug von Gen. 4, 3—7. 391
tende Cap nad) unferer Erflärung zum Konterte paie,
fann feine Frage fein. Gott muß einen Unterfchied machen
jwilchen dem Dpfer be Sünders und bem Opfer des
Üremmen; denn wenn ber Menfch auch Gefangener des
Catan ift, fo bat er doch bie Macht, bie von diefem aus;
gehenden Berfuchungen zur Eünde abzumweifen — darin
iR bod) vernünftiger Zufammenhang. llebrigenó ift εὖ
nicht Lehre des A. T., daB ber ald Eünder im Mutterleib
empfangene und geborne Menfch aus eigner Kraft bem
Satan widerſtehen fónne, fonbern, daß ber Menſch Weinb
und Gegner des Satan zu fein vermag, ift nad) Gen. 3, 15
Werk des erbarmungsreichen Gottes.
Daß unfere 9fuffafjung von Gen. 4, 7 richtig fei,
dafür fónnen wir einen alten guten Gewährsmann ftellen,
und zwar feinen geringern, als den Apoftel Jakobus, den
Bruder des Herrn; denn das altteftamentliche Gitat Jak.
4,5 ift nichts anderes als eine Berufung auf den zweiten
Sag in Gen. 4, 7 in dem von ung erläuterten. Sinne.
Der Apoftel befämpft folche, welche behaupteten, ber
Menfch babe nicht bje Macht fid von Sünden fern zu
halten, fonbern wie der Menfch durch Gottes Kraft dag
Gute thue, fo fámen auch bie Verfuchungen zum Böfen
von Gott (1, 13). Jakobus dagegen lehrt: Bon Gott
fommen nur gute Gaben, in ihm ift nichts als Licht
(1, 16. 17). 3anf und Streit, [0 wie alles Boͤſe fom;
men nicht von Gott, fondern bie unordentliche Einnlichkeit
i zunächfi als bie Quelle alles beffen anzufehen (1, 14.
15; 4, 1). Wer die Welt lieb haben, feinen Lüften nach»
leben. will, ber ift ‚weit davon entfernt, Gottes Willen zu
tbun, er wird vielmehr chen dadurch ein Feind und Wis
berfacher Gottes (4, 4). Zum Beweife deffen beruft fidi
392 Erklärung von Gen. 4, 3—7.
Safobus auf eine Stelle des A. T., und fagt (4, 5):
„Ober glaubt ihr, daß umfonft bie Schrift fagt: Πρὸς
φϑόνον ἐπιποϑεῖ τὸ πνεῦμα, ὃ κατῴκησεν ἐν ἡμῖν; “
Der Geift, welcher in oder bei Safobus$ unb ben
erften Leſern des Briefes, t. b. üt ober bei Ehriften (ἐν
ἡμῖν) feinen Wohnfig hatte (κατῴκησεν), ift nicht ber
heilige Geift, denn diefer wohnt in ben Chriften (οὐκεῖ
Roͤm. 8, 9. 11; 1 Kor. 3, 16; ἐνοικεῖ 2 Tim. 1, 14);
es fann nur der böfe Geift fein, in beffen Gemalt fie
waren, bevor fie Ehriften wurden; in oder bei Gbriften
hat er feinen feften Wohnfig, fondern geht umber, fu»
hend wen er verfchlinge (1 Betr. 5, 8).
Serner, nad) befannter griechifcher Redensart ift. οὐδεὶς
φϑόνος in bem vorhanden, unb wird ov φϑονεῖν von bem
gefagt, welcher fid) nicht weigert, eine an ihn gerichtete
Bitte zu erfüllen, ober einen Dienft zu leiften, wozu er
fühig ift, und ben man von ihm erwartet, fondern es recht
gern und bereitwillig thutz φϑόνος und φϑονεῖν ift
natürlich das Gegentheil: fid) weigern eine Bitte qu
erfüllen ober einen Dienft zu leiften, Das jedoch ift feft
gufalten, φϑόνος wie οὐδεὶς φϑόνος ift nicht bei bem
Bittenden und Grwartenben zu fuchen, fonbetn bei bem,
an welchen die Bitte gerichtet ift, oder von welchen man
etwas erwartet. Wie nun in ber Redensart ἁμαρτάνειν
πρὸς ϑάνατον (1 Sob. 5, 16) das πρὸς ϑάνατον ben
Grad, die Stärke des Sündigend angibt, nämlich fo febr,
fo ſchwer fünbigen, daß ber Tod des Sünders erfolgt, fo
brüdt aud) πρὸς φϑόνον aus, wie febr, wie ftarf, mit
welcher Kraft Satan an ben Menfchen durch bie Ginns
lichkeit fein Begehren ftele; fein Begehren ift nämlich nicht
ein ἐπιποθεῖν πρὸς βίαν, bem Zwange gleichfommend,
Erklaͤrung von Gen. 4, 3—7. 393
fondern ein ἐπιποϑεῖν πρὸς φϑόνον, defien Erfüllung vers
weigert werben fann. Daß dur πρὸς φϑόνον bie
Stärke des ἐπιποθεῖν au&gebrüdt werden folle, dafür
i noch beweifend 1) die μείζων χάρις in $8. 6. Der
Beiftand Gottes, welcher dem Menfchen zu Theil gewors
den ift, it nämlich größer, ftärfer, vermógenber, als das
enrınodeiv des Satan. 2) Die Aufforderung dem Teufel
zu miberfteben, 9. 7, nachdem man fid) durch voll,
fommene Unterwerfung unter Gott beffen Gnabenbeis
ftant erworben hat: Satan, als ber fehwächere Theil,
werde alsdann fliehen.
Es ift wahr, wörtlich findet fid) das Gitat Saf. 4, 5
nicht im A. T.; aber das ijt ausgemacht, daß ber Apoftel
Jakobus in irgend einer Stelle des U. T. den Gag au;
gefprochen fand, daß das vom Teufel an ben Menfchen
geftellte Begehren nicht zwingend fei, fondern abgewiefen
werben fönne. Bekanntlich hat man weit und breit nad)
diefer Stelle herum geſucht. Wir fchmeicheln - uns, das
Gitat bei Jakobus richtig erflärt, und fein Original in
Gen. 4, 7 nachgewiefen zu baben.
Lic. theol. Krüger,
Profeffor am Lyceum Hoflanum in Sraunéberg.
3,
Weber die scientia media unb ihre Verwendung für
bie 8efre von der Gnade und Freiheit.
L Artikel.
Begriff der scientia media und die Beweife für viefelbe.
Ein Blid in die dogmatifchen Hanpbücher auch ber
neueſten Zeit zeigt, bag bie Anfichten über die scientia
media und ihre Bedeutung für die Lehre von der Gnade
und Freiheit nod) [ange nicht zu ber Ginftimmigteit ger
langt find, ble man nach einem fo lange unb mit fo vie»
lem Eifer geführten Kampfe hätte erwarten follen. Deß⸗
halb möchte eine nochmalige Durchficht ihrer pofitiven
Grundlagen in Schrift und Tradition, eine Darlegung
der betreffenden Verhandlungen und eine Fritifche Beleuch⸗
tung berfelben wohl nicht ganz zwecklos erfcheinen, am
alferwenigften aber für ben, ber ἐδ zu ber Einficht ges
bracht bat, daß das menfchliche Berftändniß ber geoffens
barten Wahrheit in der Kirche eben durch die gegenfeitige
fBefámpfung und Reibung der Gegenfäge unb verfchiedenen
Meinungen den Proceß einer ftetigen Fortentwidlung und
Vervollfommnung durchmaht. Wer immerhin an ber
Weiterführung dieſes SSerftánbniffcó, an dem Ausbau dies
ſes geiftigen Gotteshauſes mitzuwirken fi berufen fühlt,
Weber die scientia. media. 595
für ben muß es als unerläßliche SBebingung erfcheinen,
baf er von bem bereité ausgeführten mitfammt dem Grunds
riß fid) die gehörige Kenntniß verfchafft, und nicht ſolche
Steine heranzutragen fi abmüht, welche von ben Baus .
meiſtern (ángftbin als falfche reprobirt worden find. Dazu
fommt für unfern Gegenftand nod) das fpezielle Interefie,
daß die allgemeinere Trage nach dem Verhältniffe des
Menschen in feinen verfchledenen Beziehungen zu Gott bie
Garbinaffrage in den Firchlichen und religiöfen Beweguns
gen des Abendlandes gewefen (ft, und auch bei bem Tohu
va Bohn religiöfer Zwiftigfeiten unferer Tage vielleicht
noch ift.
A. Begriff der scientin media 1).
Die scientia media war bem Molina, ber die Bes
zeichnung derfelben in. die Wiffenfchaft zuerft eingeführt zu
haben fcheint, und denjenigen, welche feine Theorie weiter
zu entiwideln fuchten, dasjenige Moment der göttlichen —
Erfenntniß, welches diejenigen Erfcheinungen und Thätigs
feiten der freien Greatur zum Sbjecte hat, bie wirflich
werben würden, wenn bie nöthige Bedingung dazu von
Ceite Gottes gefegt würde. Die Scholaftif war nämlich
bei der Eintheilung der göttlichen Erfenntniß in die
scientia simplicis intelligentiae und bie scientia visionis,
wenn wir fegtere bier bloß auf das Reale in ber endlichen
Welt neben und außer dem göttlichen Sein felbft beziehen,
von der Borausfegung ausgegangen, daß Gott biefe end⸗
liche Welt nach Subftanzg und Accidenz, nad Sein und
Dafein zunächft als eine rein intelligible und mögliche ges
1) Vergl. Syſtem der kath. Dogmatik von Dr. Berlage 1. Th,
4. Abtheil. S. 271 u. (οἷα. Münfler 1846.
896 Ueber ble seientia media.
badt, unb bann erft in Folge feines Willensentſchluſſes,
fie aus der formalen Idealitaͤt in die reale Wirklichkeit
zu überfegen, biefelóe als eine wirkliche gefchaut habe.
Zugleich faßte fie, wenn wir das Wirkliche auf bie ends
liche Welt einfchränten, das @ebict der scientia. simplicis
intelligentiae a[8 ein weiteres und umfangreicheres, infos
fern Gott nicht alles Mögliche wirklich gefchaffen, und aud
nicht alle möglichen Weltorvnungen hat wirklich werben
laffen. Die gótt(ide Weltihöpfung war ibt eine freie
Actnalifirung und Einfchränfung der göttlichen Allmacht
auf diefe beftimmte Welt hin neben andern möglichen, und
bie göttliche Leitung und Regierung dieſer Welt fomie bie
göttliche Offenbarungs⸗ und übernatürliche Gnabentbátigteit
in bicfer Welt war ihr eine folche, bie auch fo ober anders
hätte ausfallen können, bie auch andere mögliche Weifen
neben fid) hat. Damit war bem Molina unb feiner Schule
ber Anfnüpfungspunet für eine nähere Beitimmung und —
Abgrenzung des Gebietes alles rein Möglichen gegeben.
Faßt man nämlich das Mögliche nicht bloß von Seite
Gottes auf, als das Gebiet und Object feiner unbefchränt
ten, unendlichen Allmacht, fonbern aud) von Seite ber
endlichen von Gott gefchaffenen Ereatur als das Gebiet
von jenen Erfcheinungen und Xebensäußerungen, wozu bie
endliche Subftanz die reale Potenz in fid) trägt, bie aber
nur deßhalb nicht wirklich werden, weil die dazu nöthige
Einwirkung unb Wedung von Außen fehlt, oder weil die
freie felbftfländige Greatur eben nur fo und nicht anders
ihre freie Epontaneität offenbaren will; fo ergibt fid)
von fe(bft ein beſonderes, in fi) abgefchloffenes Gebiet von
Möglihem, das Molina und feine Schule um fo mehr
betonen zu müjfen glaubte, als bie reformatorifche Lehre
Ueber die scientia medie. | 397
von ber Alleinwirffamfeit der Gnade Gottes darauf’ Bin»
ausging, die Celbftftánbigfeit und felbftftändige Wirkfams
feit der endlichen Eubftanzialität zu untergraben, und die
chriftliche Weltanfchauung in die Srrgänge des Pantheis⸗
mus hineinzutreiben. Zunächft alfo ergab fich fo ein Gies
biet von Möglichem auf dem Grunde der endlichen Cub;
ftanzialität in Geifter« Natur: und DMenfchenreich, wozu
bie potentielle Urſache bereits wirflich vorhanden, ober doch
als fpäter wirklich eintretend vorauegefegt wird, und des
halb das Gebiet des Phnfifch . Möglichen im Unterfchiede
von dem bloß Metaphyſiſch⸗Moͤglichen, ober auch in Bezug
auf das vorweltfiche Tafein Gottes das Gebiet des Bes
bingts Zufünftigen im Unterſchiede von bem des Abfoluts
Zufünftigen genannt wurde. Auch. von der Staturfubftang
ift deßhalb eine beftimmte Ephäre des Phyſiſch⸗Moͤglichen
zu präbiciren, weil auch fte a[8 ein lebendiges Princip
zu benfen ift, Das den ganzen Reichthum feines innern
Lebensgrundes nicht gerade adäquat und vollftánbig in
der gegenwärtigen Erfcheinungs»s Welt objectivirt Dat, αἱ
ein foldyes Princip, das auf den Ruf des allmächtigen
Gottes auch andere Erfcheinungen hervorzubringen im
‚Stande ift, das da feufzt unter bem Fluche ber Sünde
nad) jenem Tage, wo dad Kleid der Verklärung auch ihm
gu Theil werden wird. Um biefer lebendigen und felbfls
ftändigen Mitwirkſamkeit der Naturfubftanz bei ber ers
vorbringung ihrer Erfceheinungss Welt Rechnung zu tragen,
fatte die Scholaftif bereit eine creatio secunda von ber
ereatio prima unterfchieden, unb nur bie fegtere ber goͤtt⸗
lien Wirkſamkeit ausfchließlich vinbicirt. Daffelde gilt
denn aud) von ber phhfifch möglichen Erfceheinungs s Welt
auf dem Grunde ber gefchaffenen Naturfubftan. Der
988 ; Ueber bie scientia. media.
Möglichfeitegrund dazu liegt fowohl in ber allmächtigen
Eimwirfung Gottes einerfeits, al8 in der lebendigen Rüds
wirfung des Naturprincips andrerfeits, und Gott kann
überhaupt feine neue Erfcheinung in bem geben. der Natur
hervorrufen, wenn nicht wenigftens eine potentielle Mit
urfache davon bereitó in bem Raturprincipe vorliegt; fte
fónnte ja fonft feine Erfcheinung an und in der Natur,
noch auch mit ihrem Leben verflochten fein. Gott wird
alfo aud) das Gebiet des Phyſiſch⸗Moͤglichen im Bereiche
der wirklichen Naturfubftang nicht ausfchließlich von Seite
feiner allmächtigen 9Birffamfeit aus erkennen, fondern aud
von Seite ber in der Natur zu Grunde gelegten Kräfte
und gefeglihen Wirffamfeiten ber. Da aber bie Kräfte
in der Natur nach bem Belege ber 9totbwenbigfeit wirken,
und in Folge einer Sollicitation von Außen oder eines
fchöpferifchen Eingreifend Gottes in dieſelbe eben nur fo
und zwar nothwendig reagiren müflen, da ihre Wirkſam⸗
keit eine von Gott prädeterminirte ift, bie von der Natur
fetbft nisht alterirt werden fann, fo laflen fid bod) aud)
alle möglichen Erfcheinungen innerhalb des 9taturiebené
wenigftens mittelbar auf bie göttliche Allmacht zurückfuͤh⸗
sen, unb es ließe (id) eine Ausſcheidung des Gebietes des
Phyfifchs Möglihen auf dem Boden des Naturprineips
von ber weitern Sphäre des Bloß Metaphufifch Möglichen
nur aus dem fpeculativen Sntereffe rechtfertigen, bie von
Gott gefchaffene Natur als eine für fid) beſtehende, leben
bige Subftangialität neben und außer Gott feftzuhalten.
Anders aber verhält es fi) auf bem Gebiete des freien
Geiſtes. Diefer ift nämlich nicht bloß wie die Natur ein
lebendiges Prinzip, das ju vielen möglichen Erfcheinungen
ben reafen Moͤglichkeits⸗Grund in fid trägt unb zu beren
liber bie scientia media. 899
Hervorbringung durch eine entfprechende Einwirkung ven
Außen bedingt ift, fonbern er trägt auch zugleich mit feiner
Freiheit das Bewußtſein in fid, auch bei benfelben Eins
wirfungen und Anregungen von Außen, bei benfelben Um⸗
fländen und Zeitverhäftniffen fein Lchen anders entwidelt
und geftaltet haben zu können, als εὖ wirklich geſchehen
it. Es gibt daher auf bem Gebiete des freien Geiftes
einen Kreis von möglichen Erfcheinungen, der umfangs
reicher ift als der ber wirklichen, wenn und infofern e$
verichiedene mögliche Einwirkungen und dußere Lebens⸗
fBerbáltnijfe, und anbrerfeit& eine freie, diefen entfprechende
oder aueh nicht entfprechende Rüdwirkung des Geiſtes gibt.
Zugleich ift diefes Phyfiich« Mögliche nicht ausſchließlich
ein Object der göttlichen Allmacht wie das Metaphyſiſch⸗
Mögliche, fonbern Gott bat dem Geifte mit ber freiheit
die Macht gegeben, auf jegliche Einwirfung von Außen
fo oder anders reagiren zu können. — C'est ce qui fait voir,
fagt Boſſuet in feiner Schrift: „Trait6 du libre arbitre*
€. 2. en passant, que celte liberté dont nous parlons,
qui consisle à pouvoir faire ou ne faire pas, ne procéde
précisément ni d'irrésolution ni d'incertitude, ni d'aucune
autre imperfeclion, mais suppose que celni qui l'a au sou-
verain degré de perfection, esl souverainement indépen-
dant de son objel et a sur lui une pleine supériorité.
Um nun biefen hohen Eharafterzug des creatürlichen Geis
ftes, für welchen bie reformatorift$e Gnabentebre feinen
Raum mehr übrig ließ, aud) auf bem Gebiete des Phys
fifchs Möglichen geltend zu machen, und ber göttlichen
Süwiffenbeit und Allmacht gegenüber feftzubalten, führte
Molina zwar nicht. den Begriff aber bod) bie neue Bes
zeichnung unb genauere Beflimmung der scienlia media
200 Ueber die seientin media.
in die Wiflenfchaft ein, und er wählte im Anfchluß an ble
Scholaftif gerade dieſen Ausdrud, weil fie fich zwiſchen
- bie scientia simplicis intelligentiae und scientia visionis
ald ein drittes unb zugleich als vermittelndes Moment
einreihen ließ. inerfeits nämlich fällt dad Gebiet, wel;
ches von ber scientia media beherrfcht wird, bem limfange
nach in bie Mitte zwifchen bem ber scientia visionis unb
bem ber scientia. simplicis intelligentiae. Letztere umfaßt
alles der göttlichen Allmacht überhaupt Mögliche, bit
scientia media aber bloß bie möglichen Grfdeinungen ber
gefchaffenen ober zu ſchaffenden Breaturen und befonberé
die möglichen Erfcheinungen, welche bie freie Creatur unter
gewiffen Bedingungen und Anregungen von außen realis
. firen würde, unb bie scientia visionis mit Ausfchluß des
göttlichen Seins nur bie wirflide Welt nad) Vergangen⸗
heit Gegenwart und Zukunft. Andrerſeits hat das Object
der scientia media gleichfam einen Zwitter » Charakter; es
ift theils möglich, infofern es eben nicht wirklich wird,
theils aber párticipirt e& an dem Charakter des Wirklichen,
infofern die potentielle Urfache dazu bereits. wirklich vors
handen ift, und infofern es gerade wie bie abfolut zukünf⸗
tigen freien Thätigfeiten bes endlichen Geiſtes nicht aut
fchließlich von Seite der göttlichen Almacht aus erkannt
wird, fondern aud) von Seite der freien Entfcheidung ber
Greatur ber. Diefelben Schwierigkeiten, welche bel bem
BVerfuche einer Bereinigung des göttlichen Vorherwiſſens
freier Thaͤtigkeiten mit der Breiheit felbft fich ber menſch⸗
lichen Vernunft in den Weg ftellen, febren auch bei ber
scientia media wieder, ja vielleicht noch mit größern Ge
wichte, wie fich aus dem weiter unten Folgenden ergeben
wird. Fürs dritte wurbe bie scientia media als bie scientia
Ueber die scientia. media. 401
directrix aufgefaßt, die dem göttlichen Dekrete über bie
Weltordnung ber freien Gefchöpfe im Allgemeinen unb
über das zeitliche und ewige Loos jedes einzeln gleichfam
voranleuchte. Bon diefem Geftchtöpunfte aus fielen auch
bie abfolut zukünftigen freien Erfcheinungen in ber Geifter-
unb Menfchenwelt in das Gebiet ber scientia media, ins
dem diefelben unabhängig und gleichfam vor bem Defrete
Gottes nur als bedingtszufünftige von Gott erfannt ters
ben können. Man ging nämlich von ber Anficht aue,
daß wenn Gott einen feften unabänderlichen Weltplan feft-
geítellt, und das Xoo$ jedes Einzelnen unabänderlich bes
ftimmt habe, bie Freiheit des Geiftes gar nicht mehr feft:
gehalten werden fónne, wenn nicht Gott vorher bie freien —
Entfcheidungen ber Ereatur als bedingtszufünftige erfannt,
und mit Rüdficht auf biefelben feinen Weltplan im Allge⸗
meinen wie im Einzelnen firirt habe. Dann aber fiel wies
berum bie scientia media gerade in bie Mitte zwifchen ber
scientia simplicis intelligentiae, welche mit der Erfenntniß
Gottes von fid) felbft unb feiner unendlichen Allmacht uns
mittelbar gegeben ift, unb ber scientia visionis, welche in
Beziehung auf bie endlichen Dinge bie I Defreta
zur Borausfegung hat.
ER. Bibliſche Grundlage der scientia media.
Nachdem der Begriff ber scientia media im Sinne
ihrer Bertheidiger, unb die Berechtigung fowie die Ans
knuͤpfungs⸗Puncte zu der neuen Bezeichnung derfelben an-
. gegeben worden find, entftebt zunächft die Frage, ob aud)
bie bI. Schrift ein derartiges Gebiet von Bedingt-Zufünfs
tigem fenne und die Erfenntniß beffelben von Gott prd
dicire. Die Offenbarung enthält nun allerdings Stellen,
Theol. Quartalſqhrift. 1850. Heft III. 26
402 Ueber ble scientia media.
(unb die Vertheidiger der scientia media haben ben Bes
weis dazu gründlich genug geführt), wo ein ſolches Ges
biet von bedingtszufünftigen Thätigfeiten, welche bie freie
Ereatur unter andern Bebingungen und bei andern Gna⸗
ben-Erweifungen gefegt haben würde, deutlich genug ans
erfannt, und bie gewifle Erfenntniß beffelben Gott aud»
druͤcklich zugefprochen wird. Wenn wir 1) bei Math. 11,21
lefen: „Wehe dir forojaim! wehe bir Bethfaida! denn
wenn zu Tyrus und Cibon die Wunder gefchehen wären,
welche bei euch gefchehen find, fo würden fie längft in
Gad und Afche Buße gethan haben“, fo fchreibt fi) Ehri-
ſtus der Gottmenfd) an diefer Stelle offenbar bie beftimmte
Erfenntniß von bem zu, was die Tyrier unb Giboniet
gethban haben würden, wenn ihnen biefelbe Gnaden⸗Wirk⸗
famfeit Gottes zu Theile geworden wäre, bie ben Ber
wohnern von Korozaim und Bethfaida wirklich zu Theile
geworden ift. Wollte man von Seiten derjenigen, bie
eine llnterídeibung ber scientia media von ber scientia
simplicis intelligentiae geradezu beftreiten, dieſe Stelle fo
erklären, daß Chriftus bier nur bie Erfenntniß eines bloß
Metaphufifch-Möglichen von fid) behaupte, nämlich desje⸗
nigen, was er durch feine Wunderthätigfeit und gratia
victrix in se b. i. durch feine den menfchlichen Willen uns
widerftehlich nöthigende Gnade von den Tyriern und Sis
boniern habe erwirfen, oder vielmehr erzwingen Tónnen;
fo ift eine folche Gregefe, abgefeben von ber linfaltbarfeit
jener dogmatifchen SSorauéfegung, nad) bem Wortlaut unb
Zufammenhang unferer Stelle gar nicht zuläffig. Denn
ed heißt ja nicht: „Wenn in Tyrus und Gíbon bie
Wunder gefchehen wären, bie bei euch gefchehen find, fo
würde bieje meine Wunderthaͤtigkeit verbunden mit ber
ueber ble scientia. media. 403
innern Gnade bei den Bewohnern von Tyrus und Sivon
mit unwiderftehlicher Nöthigung die Buße und Befehrung
erwirft haben“; fondern Chriftus fpricht vielmehr von ber
freien Mitwirkung der Tyrier unb Gíbonier mit feiner
Gnade: „Sie, bie Tyrier und Sidonier würden in Sad
und Aſche Buße gethan haben, wenn fie bie Wunder gez
fehen hätten, bie in Korozaim und Bethfaida gefchehen
find. Aber nicht das allein. Chriftus ber Herr fpricht
ausdrüdlich bae Wehe aus über bie Bewohner von Kos
rozaim und Bethfaida, nicht deßhalb, weil fte eine inners
lich nöthigende Gnade von Gott nicht erhalten hätten,
fondern weil fie die empfangenen Ginaben freiwillig vers
fcherzt, und ihm, dem Gottmenfden, bie Anerkennung vete
fagt hätten. Bon ben Tyriern und Sidoniern hingegen
fagt er im folgenden Verſe, daß es ihnen am Tage bes
Gerichtes gelinder ergehen würde als ben Bewohnern von
Korozaim und fBetbíaiba. Was hätte denn biefer Aus-
fpruch des Herrn noch für einen Sinn, wenn er im vors
hergehenden Verſe nicht an das freie fittliche Verhalten
der Tyrier und Gibonier daͤchte und von ihnen behauptete,
daß fie gegenwärtig beffer disponirt feien als bie Juden,
vor denen er feine Wundermacht offenbarte, und daß fte
ihre freie Anerkennung und Mitwirkung ficher nicht vers
fagen würden, wenn fie die Wunder gefehen und diefelben
Gnaben empfangen hätten? Wollte man aber von einem
andern Ctanbpuncte aus unferer Stelle bie Deutung ges
ben, daß Ehriftus fi Bier nur eine wahrfcheinliche Er-
fenntniß von bem habe beilegen wollen, was bie Tyrier
und Gibonier unter andern Verhältniffen geihan haben
würden, und biefe Deutung dadurch motiviren, daß ἐδ
auch bei vorauégefegter Wunderthätigkeit und Gnaden⸗
: 26 ?
404 Ueber bte scientia. media.
wirkſamkeit Chrifti dennoch immerhin zweifelhaft bliebe,
ob ihm wirklich bie freie Zuftimmung und Anerkennung
von Eeiten der Tyrier und Sidonier zu Theile geworden
wäre, fo ift auch einer ſolchen Auslegung ein Zweifaches
zu entgegnen. Einmal gibt bie grammatifche Gonftruction
des Sages an unferer Stelle, fo wie in der Parallelftelle
bei uc. 10, 13 für eine fofde Ausdeutung gar feine
Anfnüpfungs » Buncte, vielmehr ift ber Sinn nad) vorlies
gender Gonftruction, wenn im Borberfage εἰ mit einem
Präteritum des Indicativs und im Nachſatze av mit bem
Aoriſt verbunden ift, nur ber, bag wenn bie fragliche Des
— bingung eingetroffen wäre, bie aber jegt nicht eingetroffen
ift, die Tyrier und Gibonier wirklich Buße gethan hätten. - |
Sum Andern fordert e8 unfere Sbee von ber Vollkommen⸗
heit der göttlichen Crfenntniß, wie unten gezeigt werben
foQ, daß biefelbe auch auf dem Gebiete des Bedingt» Zur
fünftigen nicht al8 eine menſchliche Wahrfcheinlichkeite-
Rechnung, fondern als eine unfehlbare unb abfolut gewiſſe
zu denfen iſt. Wenn die menfchliche Vernunft, mit Be
zug auf das Gebiet des Wirflichen, bie unfehlbare gött-
liche Borausficht der abfolut zukünftigen, freien Erſchei⸗
nungen in ber Beifters und Menfchenwelt mit der creatürs
lichen Freiheit nicht in Einflang zu bringen und in Einem
Gedanfen zufammen zu faflen vermag, fo tft fie keineswegs
deshalb (don berechtigt, das eine ober andere Moment in
ber wiffenfchaftlichen Reconftruction zu läugnen, fondern
nur ihre eigne Unzulänglichfeit anzuerkennen, und an einer
annähernden Löfung des Problems und Entfernung ber
Widerfprüche unausgefept zu arbeiten. So wie alfo Gott
bie abfolut zukünftige freie Entfcheivung der Greatur nicht
bloß nad) ihrem Entweder⸗Oder, b. 5. nicht bloß als eine
Ueber die scientia media. 405
mögliche erkennt, bie in ber Wirflichkeit entweder fo ober
aud anders ausfallen fann, fondern als eine unfehlbar
nur fo zutreffende, ohne ihr damit den Charakter der vor;
bergehenden Nothwendigkeit aufgubrüden, fo erkennt er
aud bie bedingt» zufünftige freie Zuftimmung der Greatur
nur als eine freie, aber zugleich al& eine fole, bie uns
fehlbar erfolgen würde, wenn biefe ober jene Bedingung
gefegt würde,
2) Mit terfefben Entfchiedenheit gibt bie Offenbarung
von ber scientia media in bem bezeichneten Sinne Zeugs
nif im 1. B. der Kin. 23, 7—14. Nachdem David (id)
vor Saul in den feiten Plab Eeila geflüchtet, und „nun
merfte^, heißt es weiter in ®. 9: „daß Saul heimlich
Boͤſes wider ihn vorhabe, fprach er zu Abiathar, bem Prie⸗
fer: Bring das Ephod her! Und David fprah: Herr
bu Gott Israels! dein Knecht hat gehöret das Gerücht,
das Saul fid) anfchide, gen Eeila zu fommen, um dieſe
Stadt zu verderben meinethalben. Werden die Männer
von Gei(a mich in feine Hände liefern? wird Saul herabs
fommen, wie bein Knecht gehöret hat? Herr, bu Gott
Israels, gib es Fund deinem Knechte! And ber Herr
fora: Er wird Derabfommen (descendet, ^3). Und
David fprad: Werden die Männer Ceilas mich über:
geben fammt ben Männern, bie bei mir find, den Händen
Sauls? And ber Herr fpra: Sie werden euch über»
geben (tradent, vv3pY).* David jog nun wirklich von
Geifa ab, Saul fam nicht dorthin und bie Geiliten übers
gaben ben David alfo auch nicht. Hier verlangt demnach
David von Gott auf ganz feierliche Weife die zuverläßige
Gewißheit Darüber, ob Saul herabfommen und bie Geis
liten ihn uͤberliefern wuͤrden, menm er in Geila bliebe,
406 Ueber ble scientia media. .
und Gott gibt ihm biefe Gewißheit wirklich als eine
fchlechthinige und ganz beftimmte, und deutet mit Feiner
Sylbe irgend eine bloße Wahrfcheinlichkeit an. Auch fann
die Beweisfraft biefer Stelle nicht dadurch verflüchtigt
werben, bag man bie infallible Erfenntniß Gottes bloß
auf etwas Wirkliches, auf die gegenwärtige Stimmung
des Saul und der Geiliten beziehen will. Vielmehr vers
langt David eine ganz beftimmte Grfenntnig nur darüber,
was Saul unb bie Geiliten als freie Wefen unter ber
Bedingung thun würden, wenn er in Geila bliebe, wähs
rend er über baó gegenwärtige Vorhaben des Saul nad
den ausdrüdlichen Worten des B. 9 gar nicht in Zwei⸗
fel war.
3) Mit berfelben ausdruͤcklichen Gewißhelt wird die
scientia media im 3. B. der Kön. 11, 2 eingeführt, mit
Bezug auf 2. Mof. 34, 16. , Gebet nicht zu ihren Weis
bern, unb laflet fie nicht gehen zu euern Weibern; denn
wahrlich fie werben eure Herzen abwenden, daß ihr ihren
Göttern nachgehet (certissime enim avertent corda vestra,
Dan wu
4) Was denn endlich bie Stelle aus bem Buche
ber Weisheit 4, 11 angeht, wo e$ heißt: „Er ift binges
rafft worden, damit die Bosheit feinen Verſtand nicht
verblenden, und bie 9frglift feine Seele nicht verderben
möchte; fo fónnte man bie Beweiskraft derfelben für die
Scientia media nur baburd) entfernen, daß man ber Sinn;
lichfeit eine innerlich nöthigende Gewalt über ben menfch-
lichen Willen zufchriebe. Dann wiirde freilid)" Gott nad)
biefer Stele nur etwas Bloß - Mögliches erfennen, abet
man würde zugleich eine VBorausfegung machen, bie auf bem
Standpuncte ber. Offenbarung feiner SBiberlegung bedarf,
9
Ueber ble scientia media. 407
€. Lehre der Väter über die selentia media, insbe⸗
fondere die des bl. Auguſtin.
Da die Vertheidiger ber scientia media den Vorwurf
ber Neuheit ihrer Anftcht gründlich genug durch einen um»
faffenden Nachweis zurüdgewiefen haben, daß bie ange:
fehenften Kirchenväter wenn auch nicht bem Namen, doch
der Sache nad) von der göttlichen Erkentniß des Bedingts
Zufünftigen auf das deutlichfte Erwähnung thun, und
biefelbe zur Beleuchtung ver göttlichen Weisheit und Liebe
in ber Leitung freier Weſen benilgen D; fo möchte εὖ wohl
nicht unzweckmaͤßig erfcheinen, bie Lehre des hl. Auguftin
über biefen Gegenftanb im Einzelnen darzulegen, weil ges
rabe ihm im Verlaufe der femipelagianifchen Streitigfeiten
bie fSeranfaffung gegeben wurde, bie Frage liber bie scientia
media und ihre Verwendung für bie Gnabenlefre ex pro-
fesso zu behandeln. Aus biefer Darlegung wird fid) nicht
nur der Begriff ber scientia media fchärfer herausftellen,
fondern fid) auch ber Schlüffel zur Beurtheilung ber Streis
tigfeiten in der neuern Zeit ergeben, fowie bie Orenzlinien
erbellen, welche bie Anwendung jener scientia media nicht
überfchreiten darf. Die Maffilianer oder Semipelagianer
glaubten nämlich, wie wir aus bem Schreiben des Prosper
unb Hilarius an ben hi. Auguftin erfehen, durch bie aus
guftinifche Gnaden⸗ und Präpeftinationslehre das chriftliche
Intereſſe nach zwei Seiten verlegt, indem einestheild bie
freie Gnadenwahl zu einer Willführ gefteigert werde, bie
mit unferer bee von ber Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe
1) Wir verweilen auf die bei Petavius „de deo deique propr.
IV. c. 8. unb bei Tournely „de deo et divinis attributis ^ qu. 16.
art. 5. citirten Stellen aus Gregor v. Nyffa, Gregor dem Großen,
Ehryſoſtomus u. a.
408 Ueber die scientia media.
Gottes gegen alle Menfchen in Widerfpruch gerathe, und
anderntheild bie Gewißheit und Unabänderlichfeit der Präs
beftination forie die Stotbwenbigfeit der vorhergehenden
Gnade bie Freiheit des Menfchen nicht mehr neben fid)
fteben (affe, unb ein fittlihes Ringen und Streben über
flüffig made. Um nun biefen beiden Klippen, welche
man aus Mißverftändnig mit der auguftinifchen Lehre nicht
umfchiffen zu können glaubte, in möglichft weiter Ferne zu
bleiben, um ſowohl ber Gerechtigkeit und Liebe Gottes gegen
-alle Dienfchen als auch der menfchlichen Freiheit ihre volle
Rechnung zu tragen, ftellte man eine Theorie auf, welche
bie chriftliche Gnadenlehre wefentlich veríegte, und in cons
fequenter Durchbildung nur mit bem vollen Pelagianismus
geendet haben würde, Wie ein Kranker, fo [ebrten. fie,
um das Nöthige hier Furz zu berühren, nur bann Anſpruch
auf Heilung machen fónne, wenn er ben Arzt rufen [afe,
und der Arznei mit feinen natürlichen Kräften entgegens
fomme, wie ein in ben Brunnen Gefallener das darge,
reichte Seil ergreifen müfle, menn er gerettet werben wolle,
jo müffe aud) ber in Adam gefallene und durch bie Erbr
— fünbe erfranfte Menfch mit feinen ihm noch übrig geblies
benen fittlichen Kräften ber Allen gleich zugänglichen Gnabe
Chrifti entgegenfommen, um dur ſchwaches Verlangen
und Sehnen bie volle Gnade des Glaubens wenigftens
einigermaßen zu verdienen. Das ſchwache initium fidei fel
allein Sache be8 Menfchen, unb werde mit ber vollen
Gnade des Glaubens von Gott belohnt. Ebenfo fei aud
bie Beharrlichfeit im Stande der Gnade nur Folge einer
rein menfchlichen Anftrengung und fein donum divinum.
Deßhalb gebe ἐδ hiernach auch feine willkührliche Präpes
ftination mehr, Gott fei feinerfeits bereit, allen Menfchen
Ueber die scientia. media. 409
feine Gnade zu geben, aber er beftimme unb. prábeftinire
nur ben zum Glauben an Gbrifluó, bei bem er jenes
initium fidei al& rein natürliche Thätigfeit vorhergefehen, ἢ
und präbeftinire nur den zur ewigen Geligfeit, bei bem
er bie perseverantia als natürliche Tugend und einfeitig
menfchliche Anftrengung voraus erkannt habe, ja Gott
werde einzig und allein von dieſer Borausficht geleitet unb
beftimmt, ob er Semanben präbeftiniren ober. reprobiren
folie. Weil fle aber bei unmünbigen Kindern, von benen
einige thatfächlich das Gaframent ber Taufe und bamit
bie Anwartichaft auf den Himmel erhielten, andere aber
ohne biefe Gnade vor ben Sabren der Vernunft dahin⸗
ftarben, feine derartigen natürlichen Verdienſte auffindig
machen fonnten; fo nahmen (te ihre Zuflucht zu ber scientia
media unb ftellten bie Lehre auf, bag Gott biefe8. Kind
nur nach erhaltener Taufgnade von biefer Welt nehme,
weil er wifle, daß e8 fid) im Halle eines längern Lebens
das SBerbienft des initium fidei und ber perseverantia zu
eigen machen würbe, bem andern aber diefelbe Gnade vere
weigere, weil er wifle, bag es im alle eines längern
Lebens nur Mißverdienfte fid) fammeln würde D. Auf
. 1) „Cumque“, ſchreibt Prosper an den hi. Auguftin, „inter haec
innumerabilium illis multitudo objicitur parvulorum, qui utique ex-
cepto originali peccato, sub quo omnes homines similiter in primi
hominis damnatione nascuntur, nullas adhuc habentes voluntates,
nullas proprias actiones, non sine Dei judicio secernuntur; ut ante
discretionem boni ac mali de usu vitae istius auferendi, alii per
regenerationem inter coelestis regui assumantur haeredes, alii sine
baptismo inter mortis perpetuae transeant debitores: tales ajunt perdi,
talesque salvari, quales futuros illos in annis majoribus, si ad acti-
. vam servarentur aetatem , scientia divina praeviderit. Nec conside=
rant se gratiam Dei, quam comitem non praeviam humanorum volunt.
410 Ueber ble scientia media,
dieſelbe Weife glaubten fie aud) das freie Wohlgefallen
Gottes bei Austheilung ber Gnade des Evangeliums gänzs
lich entfernen zu müffen, unb die thatfächliche Bevorzugung
des Einen Volkes, das von dem Evangelium Kunde et»
hielt, vor einem andern, bem diefe Gnade verweigert wurde,
dadurch vollftánbig motibiren zu fónnen, daß Gott nur
denen das Evangelium prebigen faffe, von denen er vers
möge feiner scientia media vorhergewußt habe, daß fie
bei der Anhörung des Evangeliums die Anfänge des Glau⸗
benó mit ihren eignen natürlichen Kräften_bervorbringen
würden, unb bag biefe Vorausficht das adäquate Motiv
der Prädeftination zum Glauben fet 5. Alten übrigen
alfo verweigere Gott nur beffalb und einzig deßhalb bie
Gnade des Evangeliums, weil er gewußt, bag fie ber
äußern Predigt des Wortes mit ihren natürlichen Kräften
nicht entgegen fommen unb ben Glauben nicht aus fid) et»
jeugen würben.
Gegen eine folche Verwendung der scientia. media
trat nun Auguftin mit Recht auf das Entfchiedenfte in bie
Schranken, und bekämpft fie in feinen Schriften: „De prae-
destinatione sanctorum ^ und „de dono perseverantiae*,
befonders aus zwei Geſichtspuncten:
1) SBebingtzaufünftige Verdienfte oder Mißverbienfte
an unb für (id reichten keineswegs bin, des Menfchen
esse meritorum, etiam illis voluntatibus subdere,'quas ab ea, secun-
: dum suam phantasiam, non negant esse praeventas.
1) Cum autem, ſchreibt Hilarius an ben 81, Auguflin, dicitur eis,
quare aliis vel alicubi praedicetur, vel non praedicetur, vel nunc
praedicetur quod aliquando pene omnibus, sicut nunc aliquibus gen-
tibus non praedicatum sit; dicunt id praescientiae esse divinae, ut
eo tempore, et ibi, et illis veritas annuntiaretur, vel annuntietur,
quando et ubi praenoscebatur esse credenda.
Ueber ble scientia media. 411
ewige Belohnung oder SBeftrafung von Seite Gottes volls
fländig zu motiviren.
2) Wie überhaupt zu bem wirflidyen initium fidei
unb zu jebem wahrbaften Heildwerfe die vorangehende
übernatürlicde Gnade nöthig fei, fo erfenne Gott auch bie
bedingt» zufünftigen SSerbienfte nur unter der Bedingung
einer vorhergehenden übernatürlichen Gnabe, keineswegs
aber [don unter ber bloßen Bedingung eines längern Les
benó ober bloß unter ber Bedingung . der äußern Predigt
des_Evangeliums.
Dom ſſten Gefichtspuncte aus bemerft Auguſtinus:
a. Anſtatt daß man durch eine ſolche Theorie von
bedingt » zukünftigen Verdienſten und Mißverdienſten für
ein vermeintliches Fatum ober für eine unerflärliche Will⸗
führ bie Gerechtigkeit Gottes in der Gnaden⸗Austheilung
walten fafie, bebe man vielmehr bie Gerechtigfeit Gottes
ganz auf, wenn er ſchon wegen bebingt zukünftiger Mißs
verbienfte, bie aber nicht wirklich werden, bie ewigen Stras
fen verhänge, ober wenn er nicht aus Gnade, fonbern bloß
wegen bedingt » zukünftiger SSerbienfte zur Gribeilung des
ewigen Lebens volftändig motivirt werde. Sa das ganze -
fittliche eben des Menfchen, das man recht hervorheben
wolle, verliere allen Werth und alle Bedeutung, wenn:
fon fein bedingt-zufünftiges Handeln hinreichte, um fein
ewiges 2008 zu entíd)eiben. An eo redituri sumus, fagt -
Aug. de dono pers. c. 9. n. 22., ut adhuc disputemus,
quanta absurditate dicatur, judicari homines mortuos etiam
de his peccatis, quae praescivit eos Deus perpetraturos
fuisse, si viverent? Quod ita abhorret a sensibus chri-
stianis, aut prorsus humanis, ut id etiam refellere pudeat.
Cur enim non dicatur, et ipsum Evangelium cum tanto
412 Ueber ble scientia. media.
labore passionibusque sanctorum frustra esse praedicatum,
vel adhuc etiam praediceri; si judicari homines poterant
etiam non audito Evangelio, secundum contumaciam. vel
obedientiam, quam praescivit Deus habituros fuisse, si
audissent? Hieher gehören aud) bie Stellen, wie de
praed. ss. c. 14 und andere, wo Auguſtin bie scientia
media gänzlich zu beftreiten fcheint, wo er in ber That
aber nur behaupten will, daß Gott das Bedingt-Zufünftige,
was nicht wirklich wird, nicht als Abfolut » Zufünftiges
erfenne, und daher auch nicht im eigentlichen Sinne des
Worts vorhermifle.
b. So wie jene Theorie ble Geredtigfelt Gottes
zur Thorbeit mache, fo bringe fie aud) die göttliche Liebe
und Barmherzigkeit in Berruf, denn wenn Gott. ble bes
Dingtszufünftigen Sünden erfenne, fo müffe er fie aud)
vergeben fónnen, ba er ja aud) wirklich begangene Suͤn⸗
ben vergeífe. Wergleiche de praed. ss. c. 12. n. 24. Qui-
cunque enim dicit, puniri tantum posse Deo judicante fu-
tura peccata, dimitti autem Deo miserante non posse,
cogitare debet, quantam Deo faciat gratiaeque ejus inju-
riam; quasi futurum peccatum praenosci possit, nec possit
ignosci. Quod si absurdum est, magis ergo futuris, si
diu víverent, peccatoribus, cum in parva aetate moriuntur,
lavacro, quo peccata diluuntur, debuit subvenire.
c. Die hl. Schr. fpreche allerdings bei Matth.
11, 21 von bedingtszufünftigen 9Berblenften, aber fte füge
im folgenden Verſe ausbrüdiid) bei, bag Gott auf Grund
berfelben ben Tyriern und Sidoniern nicht die ewige Ges
ligfeit verleihe. Secutus enim (conf. de dono pers. c. 9.
n. 23.) Dominus ait: ,Verumtamen dico vobis, Tyro et
Sidoni remissius erit in die judicii, quam vobis. Severius
Ueber ble scientia. media. 413
erga punientur isti, illi remissius; sed tamon punientur.
— — Falsum est igitur et secundum ea mortuos judicari,
quae facturi essent, si ad viventes Evangelium perveniret.
Et si hoc falsum est, non est, cur dicatur de infantibus
qui pereunt sine -Baptismate morientes, hoc in eis eo me-
rio fieri, quia praescivit eos Deus, si viverent, praedica-
tumque illis fuisset Evangelium infideliter audituros. Selbft
wenn man bie Stelle fo erf(áren wolle, bag Gott unter
bet Tyriern und Sivoniern beffalb die Wunder nicht ges
wirft Babe, weil er erfannt habe, daß fie von dem Gíaw
ben doch wieder abfallen, und auf diefe Weife eine um
fo fchwerere Schuld fid zuziehen würden; fo frage fid)
immerhin noch, warum fie Gott nicht vor bem Abfalle
von biefer Welt genommen habe. Syebenfalló aber bleibe
auch bei diefer Erklärung fo viel gewiß, daß Gott ben
Menfchen nicht nach den bedingt » zufünftigen Mißverbiens
ften richte. Qui enim dicit, bemerft Auguftin, relicturis
fidem beneficio fnisse concessum, ne habere inciperent
quod graviore impietete desererent, satis indicat non ju-
dicari hominem ex eo quod praenoscitur male fuisse fac-
turus, si ei quocunque beneficio ut id non faciet consu-
latur. Hier mag denn aud) die Bemerfung ihren Plag
finden, wie entfchieven 9fuguftin bie scientia media anets
faunte, und nur bje verfehrte Anwendung derfelben von
Seiten der Gemipelagianer befämpfte.
d. Was bie Stelle aus dem Buche der Weisheit
4, 11 betreffe, welcye die Semipelagianer aus dogmatifcher
Befangenheit als uncanonifche abweifen wollten (cf. Ep.
Hilari n. 4.), fo walte über deren Ganonizität in ber
Kirche fein Zweifel ob, und fie fpreche durchaus gegen bie
Anficht von ber Verwerfung wegen bedingt «zukünftiger
414 Ueber ble scientia media.
Bergehen, da ja ber gerechte Yüngling, von bem Im Buche
ber Weisheit die Rede fei, von biefer Welt hinwegberufen
werde, damit er nicht bei Tängerem Leben in Sünden falle
und beó ewigen Lebens verluflig gehe. Si enim judica- -
rentur homines, fagt Aug. de praed. ss. c. 14. n. 29,
pro meritis suae vitae, quae non habuerunt morte prae-
venti, sed habituri essent, si viverent, nihil prodesset ei,
qui raptus est, ne malitia mutaret intellectum ejus; nihil
prodesset eis qui lapsi moriuntur, si ante morerentur;
quod nullus dicere christianus audebit.
e. Mit ibrer Anficht von ben bedingtszufünftigen
Verdienften unb Mißverbienften arbeiteten fie nur ben e
lagianern in die Hände, die mit um fo mehr Grund die
Erbfünde beftreiten fónnten, weil Gott ja nur nach ben
bebingt-zufünftigen Handlungen das ewige Loos des Men-
fen entfcheide, und deßhalb bie Erbfchuld bei den unmün-
digen Kindern gar nicht zu berüdfichtigen brauche. Conf.
de praed. ss. c. 13. n. 25. Hoc si auderent Pelagiani,
non jam laborarent negando originale peccatum, quaerere
parvulis extra regnum Dei nescio cujus suae felicitatis
locum etc.
f Schließlich hatten fif ble Gemipelaglanet nad
bem Berichte des Hilarius auf einzelne Stellen aus einer
Schrift des bf. 9luguftin contra Porphyrium (Epist. 102.)
berufen, wo er bie Frage behandelt, warum Ehriftus fo
fpät in die Welt gefommen fei. Auguftin wiederholt biefe
Stelle felbft (de praed. ss. c. 9. n. 17.) alfo: Proinde cum
Christo .non objiciant, quod ejus doctrínam non omnes
sequuntur; quid respondebunt, si excepta illa altitudine
sapientiae et scientiae Dei, ubi fortassis aliud divinum con-
silium longe secretius latet? sine praejudicio etiam aliarum
Meber hie scientia. media. 415
forie caussarum, quae a prudentibus vestigari queunt, hoc
solum eis brevitatis gratia in hujus quaestionis disputa-
lione dicamus, tunc voluisse hominibus apparere Christum,
el apud eos praedicari doctrinam suam, quando sciebat,
el ubi sciebat esse qui in eum: fuerant credituri? ...
Quid ergo mirum, si tam infidelibus plenum orbem ter-
rarum Christus prioribus saeculis noverat, ut eis apparere
vel praedicari merito nollet, quos nec verbis, nee miraculis
suis credituros esse praesciebat? Neque enim incredibile
est, tales fuisse tunc omnes, quales ab ejus adventu usque
ad hoc tempus tam multos fuisse atque esse miramur...
Ac per hoc ei quibus omnino annuntiata (salus) non est,
non credituri praesciebantur; et quibus non credituris
lamen annuntiata est, in illerum exemplum demonstrantur;
quibus autem credituris annuntiatur, hi regno coelorum
el sanctorum angelorum societati praeparantur. Aus biefer
Darftelung, bie unfer Kirchenlehrer in den genannten
Schriften gegen die Semipelagianer theils erläutert, theils
aber aud) befchränft, folgten aber keineswegs bie Conſe⸗
quengen, welche die Semipelagianer daraus ziehen wollten,
vielmehr woalteten zwifchen ihrer Lehre und ber obigen
Darftellung nod) bedeutende Differenzen ob. Auguſtin
Ipricht hier |
«) nur von einer negativen NReprobation unb amar iut
Nähern von ber Borenthaltung ber unverbienten Gnade
des Evangeliumd, bie er baburd) motivirt, daß diejenigen,
denen fie vorenthalten wird, biefelbe doch nicht benugl,
fondern nur eine um fo größere Schuld contrahirt haben
würden, während bie Semipelagianer ble wirkliche Vers
bammung ber unmündigen Kinder durch biefe göttliche Er⸗
fenntniß adäquat begründen wollten.
416 Ueber ble scientia. media.
A) Selbft bei der Borenthaltung der unverbienten
Gnade des Evangeliums macht Auguftin die bezeichnete
scientia media nicht als einziged und abdquate& “Motiv
‚geltend. — Gott verweigerte nicht bloß deßhalb vielen Men:
fen ble Kunde vom Evangelium, weil er gewußt, bof
fie demfelben bod) feinen Glauben fdyenfen würden, viel
‚mehr hebt Auguftin hervor, daß e& auch andere verborgene
Grünbe gebe, auf bie er hierorts nicht näher eingehen
wolle. And menn er an ber obigen Stelle fagt, daß Gott
Alle, zu denen die Predigt des Evangeliums nicht ges
fommen, als folche erfaunt habe, bie demfelben nur wider
fireben würben, fo befchränft er biefe feine frühere Wut;
fage in der Echrift de dono pers. c. 9. n. 23. Si enim
quaeratur a nobis cur apud eos tanta miracula facia sint
qui videntes ea non fuerant credituri, et apud eos. facta
non sini qui crederent si viderent; quid respondebimus?
Numquid dicturi sumus, quod in libro illo dixi, ubi sex
quibusdam quaestionibus Paganorum, sine praejudicio tamen
alarum caussarum, quas prudentes possunt vesligsre,
Tespondi?.. item paulo post in eodem libro, atque in
eadem quaestione: ,Quid mirum“, inquam, „si tam infi-
delibus plenum orbem terrarum Christus prioribus saeculis
noverat, ut eis praedicari merito nollet, quos nec verbis,
nec miraculis suis crediluros esse praesciebat ?^ Haec
certe, fügt er jegt zur Ginfdjrdnfung bei, de Tyro et
-Sidone non possumus dicere, et in eis cognoscimus ad ess
caussas praedestinationis haec divina judicia pertinere, sine
quarum caussarum latentium praejudicio tunc ista respon-
dere me dixi. ... Numquid possumus dicere, etiam Tyrios
et Sidonios talibus apud se virtutibus factis credere noluisse,
aut credituros non fuisse, si fierent? cum eis Dominus
,
Ueber die scientia media. 417
attestelur, quod acturi essent magnae humilifatis poeni-
lentiam, si in eis facta essent divinarum illa signa virtutum.
y) Rod weniger fimmte Auguftin auch am obiger
Stelle mit den Semipelagianern darin überein, daß bet
vorbergejehene bedingt» zukünftige Olaube von Seite ber
Menfchen Gott das adäquate Motiv dazu Dergebe, biefen
dad Evangelium wirklich prebigen zu laffen, indem letzteres
thatſaͤchlich auch ſolchen gepredigt werde, die nicht glauben
wollen. Wer immerhin Kunde von dem Heile in Chriſto
erhalte, der habe nicht ſeinen eigenen Verdienſten dieſe
Gnade zu verdanken, ſondern nur im Herrn ſich zu ruͤh⸗
men. Wären die menſchlichen Verdienſte für Gott der
adäquate Beweggrund zur Ertheilung der Gnade, fo wäre
bamit ber Begriff ber Gnade überhaupt aufgehoben, zu
deren Weſen die Gratuitaͤt gehöre. Proinde, fo heißt εὖ
de dono pers. c. 11. n. 25., sicut Apostolus ait: „Non
volentis neque currentis, sed miserentis est Dei“, qui et
parvulis, quibus vult, etiam non volentibus, neque cur-
rentibus subvenit, quos ante constitutionem mundi elegit
in Christo, daturus eis gratiam gratis, hoc est, nullis eorum
vel fidei vel operum meritis praecedentibus; unb c. 12.
n. 28: Dendo enim quibusdam, quod non merentur, pro-
fecto gratuitam, et per hoc veram suam gratiam esse
voluit; non omnibus dando !), quid omnes merentur osten-
dit. Non eis remanet, heißt εὖ in bemfelben Buche c. 13.
n. 32., cur dicant, quod in Pelagianis damnavit, et ab
ipso Pelagio damnari fecit Ecclesia, gratiam Dei secundum
1) Um ben Belagianern unb Semipelagianern die Gratultät bet
Enade zu beweifen, beruft fid) Auguflin hier, fo wie an vielen andern
mifeerflanbenen Stellen, auf bie gratia specialis der Präbeftinirten, ohne
Darum bie gratia sufficiens für Mile Iäuguen zu wollen.
Seo. Duaztalfgrift. 4850. IL. Heft. 27
=
418 Uber ble scienkig medii.
merita nostra dari; cum videant ahos parvulos non rege-
meralos ad aelernam mortem, alios autem regeneratos ad
meternam vitam tolli de hac vita; ipsosque regeneralos,
slios perseverantes usque in finem hinc ire, alios quo-
nsque decidant hic teneri, qui utique non decidissent,
Si antequam laberentur hinc exisseni; et rursus quosdam
lapsos quousque redeant non exire de hac vita, qui uli-
que perireni, si antequam redirent exirent.
2) Aber auch mit all bem Gejagten glaubte unfer
Kirchenlehrer bie femipelagianifche, Theorie von ber scientia
média noch nicht vollftändig genug befämpft, unb auf alle
ihre Schwächen und. Irrthlimer aufmerkffam gemacht zu
haben, Hatte ec námlid) aud) bei der Berufung auf bie
oben citirte Stelle aus feinen frühern Schriften darauf
hingewieſen, daß xb Gott bei der SRráübeftination zum
Stauden nicht vollftónbig von ber. Vornusſicht ber bebingb
zufinftigen Verdienſte leiten und beftimmen laſſe, bof er
«ud) folche: berufen... son denen er gewußt, ba fte feine
&nade nicht einmal. annehmen würben, bag er überhaupt
nur aus Guaden zum Gíauben berufe und Dies aan augen
fhreinlichften bei unmündigen Kindern zeige; fe war nob
iwmet awd bes Hauptirrthume zu begegnen, ben bit
Seniyelagianer aus einer falfchen Gnadenlehre heruͤber⸗
genommen hatten. Wenn nämlich: das mitium fidei fowie
Mt perseverantia nach ihrer. Anſicht einzig und allem
Sache bed Menfchen ift, wodurch biefer fid) Anſprüche auf
bie Gnade unb ewige Geligfeit verdient, fo befam bie
oben erwähnte Stelle aus Auguftins Schriften den Sinn,
dag Ehriftus eben zu ber Zeit in bie Welt gefommen fei,
und den Menfchen fein Evangelium habe prebigen laſſen,
weil er ald Lages frajt feiner. scienlia media. ‚von. eju
w
Veber vie scientia: media 419
erkannt habe, daß fle den Glauben felbftfländig aus fid
erzeugen würden, wenn fie von dem Evangelium Kunde
befämen. Ermwächst aber das initium fldei auf bem Boden
ber menfdjliden Natur nicht ohne vorangehende Befruch⸗
tung durch bie göttliche Gnade, unb ift überhaupt feine
übernatürliche, verdienftliche Heilshandlung ohne bie vor»
ausgehende göttliche Gnade möglich; fo erfénnt auch Gott
in Bezug auf bie unmünbigen Kinder noch gar feine bes
bingt «aufünftigen Verbienfte unter ber bloßen SBebingung
eines längern Lebens, nod) erkennt er den Glauben an
fein Evangelium fchon bei ber einzigen Beringung, baf
et daffelbe äußerlich prebigen läßt. Wie überhaupt Beides
mur wirklich werden fann, wenn Gott mit feiner uͤberna⸗
türlichen Gnaden⸗Wirkſamkeit dem Menfchen: innerlich zus
vorfömmt, fo fani er baffelbe auch nur unter ber- SBebine
gung feiner anregenben, zuvorlommenden Gnade erfennen.
Wälnend daher unfer uter in ber Schrift contra Por-
phyrium gejagt batte: tmc voluisse honiimibus apparere
Christum, et apud eos praedicari doctrinam suam, quando
sciebat, οἱ ubi sciebat esse qui in eum fuerant credituri;
fügt er jept mit Bezug auf bie femipelagianifche Anficht
hinzu: Sed utrum prgediceto sibi Christo a se ipsis ha»
bituri essent fidem, an Deo donante sumpturi, id est, utrum
taatummodo eos praescietit, an etiam praedeslinaver#
Deus, quaerere atque disserere tunc necessarium non pu-
tavi (conf. de praed. ss. c. 9. n. 18.). Hatte er früher
behauptet: Salutem religionis hujas nulli unquam defuisse
ui digmas fuit, et dignum non fuisse, cui defuit; fo be,
merkt er jet: (eodem loco c. 10. n. 19.) si discutistur
δὶ quaeratur unde quisque sit dignus, non desunt qui
dicant, toluniste humeda; nos autem dicimws gratia vel
> | 27*
420 Neber ble scientia. media.
praedestinatione divina. Damit war aber bie scientia
media unb ihre Bedeutung für bie Gnabenlebte nicht gaͤnz⸗
lich aufgehoben, fonbern nur richtiger und fd)drfer beftimmt
worden. Während bie Semipelagianer Gott mehr auf das
freie Thun des Menfchen Rüdficht nehmen -liefen, und
des [egtern SSebingtbeit und Unzulänglichleit für das lieber
natürlich- Gute nicht genug anerkannten, fo galt εὖ bem
Auguſtin nunmehr, bie Bedingungen recht deutlich hervor
guheben, welche nach der Gnadenlehre dazu erforberlic
find, damit das wahrhaft verbienft(idbe Handeln des Mens
fchen wirklich werben und son Gott erfannt werben fann.
Daher war der Gebanfe unfereré Kirchenlehrers mit Süd»
fidt auf obige Stelle biefer: Gott bat bei ber Sinorbuung
feines Weltplans auf das freie Thun des Menfchen allers
Dinge Rüdficht genommen, ohne jedoch fid) hierdurch allein
adäquat beftimmen zu faffen, und er orbnete deßhalb bie
Zeit der Ankunft unfers Herrn fo an, daß wenn er in
bie Welt fomme, fein Evangelium prebige, und mit feiner
Gnade bie Herzen. innerlich erleuchte und erwärme,- aud)
von Vielen gläubig aufgenommen würde; ober mit andern
Worten: Gott erfannte vermöge feiner scientia media, ob
und welche Menfchen nad) erlangter Kunde vom Grange
lium und mit Qüífe der zuvotkommenden göttlichen Gnade
Das Opfer des Glaubens bringen wuͤrden, und neben am
bern Rüdfichten hat er auch mit Bezug auf blefe Erfennt
niß feinen Weltplan geordnet, und den Zeitpunct ber Er
ſcheinung Ehrifti beftimmt. ὅτε ὦ ſcheint Auguſtin im
folgenden 10. Gapitel der erwähnten Schrift de praed. ss.
bie Wirkſamkeit und Kraft der göttlichen Gnabe fe zu 5e
tonen, als wirfe fie allein im Menfchen den Glauben, ober
treibe ihn mit Rothwendigkeit zum. Glauben, usb ala ἐν
lieber ble scientia. media. 421
fenne Gott daher aud) den Glauben nur aus und in ber
allvermógenben Kraft feiner Gnade. Praedestinatione quippe
Deus ea praescivit,. fagt er, quae fuerat ipse facturus.
Aber er Hatte auch im Vorhergehenden gefagt: Utrum
praedicato sibi Christo a se ipsis habituri essent fidem,
an Deo donante sumpiuri, id est, utrum daniummodo eos
praescierit, an etiam praedestinaverit Deus, quaerere atque
disserere tunc necessarium non putavi, und de praed. ss.
6. 11. n. 22. fügt er hinzu: Ideo enim haec (ἐδ ift vom
Glauben unb den guten Werfen ble Rede) et nobis prae-
cipiuntur, et dona Dei esse monstrantur, ut intelligatur,
quod et nos ea facimus, el Deus facit, ut illa faciamus.
Auguftin hebt alfo nur aus polemifchen Rüdfichten bie
Kraft der göttlichen Gnade ganz bejonberó hervor, weil
fie von den PBelagianern gänzlich geläugnet wurde, und
er hätte nur bann bie scientia media in ihrem Unter⸗
fhiede von ber scientia simplicis intelligentiae und visionis
aufgeboben, menn er bie Gnaben s Wirkfamfeit Gottes in
ber fittlichen Welt für eine folche angefeben hätte, ble mit
immanenter 9totbyoenbigfeit und Umgehung ber menfchlichen
Freiheit das Sittlich- Gute hervorbringt, wie etwa ble götts
liche Wunderkraft die Wunder in der äußern Natur. Go
lange dies aber nicht bewieſen werden Tann, fo lange
bleibt bie sciehtia media aud) im auguftinifchen Lehrbegriff
u Recht befleben. So lange dem Menſchen überhaupt
irgend eine felbfiftändige freie Mitbetheiligung an bem
„Werte feines Heils zufömmt, fo [ange erfennt aud) Gott
das Heilswert im Ganzen wie im Einzelnen als ein. bes
Dingtszufünftiges nur aus der Kraft feiner Gnade aló
caussa principalis und ber freien Meets des Menfihen
als caussa secundarie. :
492 Ueber ble scientia. mollia.
Welche Bedeutung und Geltung behält denn nun
wed die scientia. media im auguftinifiben Lehrbegrifft
Die Lehre von bem tiefen Gebeimnifje der SBrábeftination,
wie fie Auguftin nad) ber Lehre ber bi. Schr. und bet
Bäter näher entwidelt batte, führte befonders zwei Schwie⸗
gigfeiten mit fid, welche bereits oben als felche bezeichnet
‚worden find, woran bie Semipelagianer Anſtoß genommen,
Q6 waren bie Fragen: 1) Wie bleibt bei dem unabänbers
lichen Ratbfehluffe Gottes, dieſe beftimmte Menfchen zu
befeligen,, noch bie freie fittliche Berbätigung derfelben bes
fieben? und 2) woher erklärt fich bei der gleichen Berfchuls
bung affer Menfchen durch die Sünde Adams bie ungleiche
Behandlung von Seiten Gottes, daß er diefen durch bes
fondere Gnaden zum ewigen Leben führt CBrdbeftination),
und jenem diefe befondern Gnaden vorenihält (negative
Reprobation) ?
Beide Fragen vermag bie menfchliche SBernunft nicht
fo zu beantworten, bag überhaupt feine Schwierigkeit für
bie menfchliche Auffaſſung mehr übrig bleibt, und unfer
Kirchenlehrer weifet eine folche Brätenfion der Bernunft
immer entſchieden zurück. Nichte deftoweniger aber geht
er auf eine Beleuchtung der Fragen und eine theilweiſe
gófung der Schwierigfeiten mit Hülfe ber scientia. media
näher ein, und fagt in Bezug auf die erfte rage, daß
der unabänderliche Rathſchluß Gottes über das Heil eines
einzelnen Menfchen die Sreibeit des Menfchen vellfommen
beftehen (affe, weil Gott vermóge feiner scientia media
vorher fehon erfannt habe, ob ber Menfch mit bem ibm
zuertheilten Ginabenmafe auch freithätig mitwirken würde.
Gott bat erkannt, bag bie Tyrier und Gibonier in Gad
unb Aſche Buße thun würden, wenn ſie bit Wunder Chriſti
Ueber Die scientia medi 428
(eben und bie Gnaben. erhalten würden, welche bie Juden
verſcherzt hätten. Was binbere εὖ alfo. die Yreibeit ber
Tyrier und Sidonier, wenn Gott fie wirklich prábeftinitt
und ihnen die Gnaben zu verleihen befchloffen hätte, welche
fie fiher zur Bekehrung und Buße geführt haben würde?
Quid enim est verius, jagt er de praed. ss. c. 9. n. 18. quam
preeseisse Christum, qui et quando et quibus locis in eum
fuerant credituri? b. b. nad) bem Folgenden: fidem deo
donante sumpturi. Anderwärts brüdt Auguftin benfelben
Gedanken in ähnlicher Weife fo aus: Wenn Gott einmal
befchloffen hat, biefen ober jenen Menfchen zu befeligen,
oder zu einem beſondern Organe feiner Offenbarung zu
machen, fo fann feine Abficht durch bie Freiheit des Mens
fchen nicht vereitelt werden, weil er nicht bloß eine belie-
bige Auswahl von Gnuaben s Erweifungen in Bereitfchaft
bat, fondern auch weiß, welcher Gnade der Menfch. feine
freie Sufimmung geben würde, unb mit Rüdficht hierauf
feinen Entfchluß gefaßt bat. An forte (fo heißt εὖ libr. 1.
ad Simpl qu. 2. n. 12—13.) illi, qui hoc modo vocati
non consentiunt, possent alio modo vocati accomodare
fidei voluntatem, ... ut illud verum sit: „Igitur non vo-
lentis neque currentis sed miserenti$ est Dei“, qui hoc
modo vocavit, quomodo aptum erat eis, qui seculi sunt
vocationem? ... Non potest effectus misericordiae Dei
esse in hominis potestate, ut frustra ille misereatur, si
homo nolit; quia si vellet etiam ipsorum misereri, potest
ita vocare, quomodo illis aptum essel, et ut moverentur
et intelligerent et sequerentur. ... lli enim vocali, qui
congruenter vocati eic. Sn bemfelben GCinne heißt εὖ
Lib. L op. imp. contra Jul. c. 93: Absit, ut impediatur ab
homine ommipotenlis et cuncia praescientis intentio.
424 Ueber bie scientie medie.
Was aber bie 2. Frage betrifft, bie aud) in Bezie⸗
Bung auf unmündige Kinder geftellt werden kann, warum
Gott bei gleicher Berfchuldung Aller biefe& Kind zur Taufe
gelangen faffe, jenes aber vor dem Empfang des Sakra⸗
ments von diefer Welt rufe, warum er dieſen das Evan
gelium prebigen lafle, jenen aber nicht, marum er biefen
im Stande ber Gnade zu [Ὁ rufe, jenen aber in Sünden
fterben lafle; fo weifet Auguftin zunächft darauf hin, daß
fid in biefem ungleichen Verhalten Gottes gegen die Men⸗
ſchen, jedoch unbefdjabet der Binreidjenben Gnade für Alle,
gerade die Oratuität der Gnade offenbare, die durch eine
faliche Anwendung der scientia. media nidjt verflüchtigt
werden dürfe. Nüdfichtlich ber unmünbigen Kinder bürfe -
bie scientia media überhaupt gar nicht angewandt werben,
auch nicht um jenes ungleiche Verhalten Gottes nur in
Etwas zu motiviren, höchftens ftelle fie die Liebe Gottes
unb die Gratuitdt ber Gnade nur in ein um fo hellered
Licht, wenn Gott ein Kind nach erhaltener Saufgnabe qu
fi rufe, von bem er erfannt, daß es im Falle eines län
gern Lebens den Berfuchungen unterliegen würde. „(rt
ift dahingerafft worden, damit bie Bosheit feinen Sinn
nicht verblenbe.« Daſſelbe gilt denn auch von der Gnade
eines (eligen Todes bei Erwachfenen, wenn Gott von
ihnen erfannt fat, daß fie im Falle eines längern 2e
bens in ſchwere Sünden fallen würden. Jedoch ſchreibt
Auguftin mit Rüdfticht auf die Erwachjenen der scientia
media in bem oben ‚näher bezeichneten Sinne aud) bie
Bedeutung zu, daß fie ben Praͤdeſtinations⸗ ober negativen
. Reprobationg » Befchluß Gottes in Etwas motipire und bi
rigire, jedoch mehr noch ben lehtern als den erflern, weil
bei biefem immer bie Gratuität feftgeBalten werben muß.
τ Yieber die scientia media. 425
Sn ber oben citirten Stelle aus der Schrift contra Por-
phyrium hatte Auguftin behauptet, daß Gott alle diejenigen,
weiche von dem Evangelium Feine Kunde erhielten, als
folche erfannt hätte, die demfelben bod) feinen Glauben
fihenfen würden, und wenn er diefen Erflärungs »3Berfud)
in dem Buche de dono pers. c. 9. n. 23 mit Rüdficht
auf 9Ratb. 11, 21 auch in Etwas einffjrünft, daß man
von ben Tyriern und Sidoniern baffelbe nicht behaupten
könne, fo ldft er benfelben bod) als einen folchen gelten,
ber jenem verfchienenen Verhalten Gottes in den meiften
Fallen den Borwurf der Willführ nimmt. Und in ber
That find bie in Stage ftebenben bedingtszufünftigen SRif»
verbienfte wirklich von der Art, daß fie jene verfdbiebene
Behandlung ber Menfchen von Seite Gottes wenigftené
theilweife motiviren, weil fie mit ber wirklichen ftttlichen
Beichaffenheit des Menfchen in der innigften Beziehung
fteben, und gleichfam ber Potenz nach in bem böfen Willen
des Menfchen bereits wirklich vorhanden find. “Diejenigen,
von denen Gott die Verwerfung des Evangeliums als bes
dingt-zufünftig vorhergefehen hat, find in ber Regel bereits
wirflich fdyon folche, von denen ſich, menfchlicher Weife zu
reden, nichts SBeffereó vermuthen läßt, und bie fid) über
bie Borentbaltung jener Gnabe nicht beklagen fónnen. Se
mehr alfo bie bedingt= zukünftigen Mißvervienfte zu bet
gegenwärtigen wirklichen fittlichen Befchaffenheit des Mens
ſchen in Beziehung ftehen, defto mehr find fie geeignet, uns
jenes verſchiedene Verhalten Gottes erflärlich zu machen.
B. Speculative Gründe für bie scientia media.
1) Wenn εὖ ein Gebiet des Phyſiſch⸗Moͤglichen
oder Bedingt» Zufünftigen gibt, und eine fidere Erfennts
426 Ueber bie scientia media,
niB auf biefem Gebiete möglich ift, fo forbert unjere Idee
yon ber abjolut vollkommenen Erfenntniß Gottes aud) eins
fhließlich bie des SBebingteJufünftigen. Sft aber ber end:
liche freie Oei zunaͤchſt ein potenzielled bebingte& Sein,
das die reale Potenz zu mannigfachen Erfcheinungen und
Lebensäußerungen in fid) trägt, unb den Charakter feiner
SBebingtbeit immerfort darin offenbart, daß es nur in Folge
beftimmter Einwirfungen von Außen, unmittelbar von Gott
ober von ber Welt, fo ober anders fpontan reagitt ;.[p
muß auch angenommen werben, baf ber einzelne Gig
unter andern Bedingungen, andern 2ebenóverbáltniffen und
andern Influenzirungen von Seite Gotteó ober ber Welt
ein anderes Leben aus fid) geftalten und andere Thaͤtig⸗
feiten entwideln würde. Es gibt mithin ein Gebiet von
Phyſiſch⸗Moͤglichem auf bem Grunde des endlichen Geiftee
von größerem Umfang als das des Wirklichen, wenn Gott
bie Einwirkungen auf den einzelnen Geift fo georbnet hat,
daß auch andere außer denjenigen, welche wirklich erfolgen,
möglich gewefen wären, und wenn es ber freie Geift in
der Gewalt hat, auf die erfolgte Einwirfung fo ober ans
ders zu reagiren. Iſt aber Lebteres der Ball, fo ift das
Phyſiſch⸗Moͤgliche zugleich nicht ein bloß Mögliches, ein
fchlechthiniges Object der göttlichen Allmacht, jonbern hat
vielmehr zwei Faktoren zu feiner lInterlage, einerfeitö bie
unmittelbar ober mittelbar göttliche Einwirfung auf ben
endlichen Geift, unb andrerfeits bie freie Rüdwirfung def
felben endlichen Geiftles. Die nähere Frage fann babe
nur bie fein, ob auf bem Gebiete diefes Bedingt - Zufünf
tigen eine ſichere Erfenntniß möglich if. Daß εὖ ife.
baupt ein Objeet der Grfenntni$ fei, davon gibt unà die
menfchliche Berechnung und Grfenntnifraft Zeugniß.genug,
Mébst bie scientik mellin. 421
. bie eben barin ihre Weisheit ſucht, von ben fid) tarbies
tenben Mitteln immer dasjenige zu wählen, das am beften
zu dem Ziele führt, und bie fid) off mit ber Grmittelung
deſſen befbádftigt, was für einen Einfluß dieſes oder jenes
Geſetz, biefe ober jene Begebenheit auf die Befchide eines
Bolfes oder das Leben eines Einzelnen haben werde. Nur
Tíebt der menfchlichen Berechnung in biefec Beziehung eine
Ungewißheit und Unficherheit an, und zwar dieſelbe, welche
auch dem menfchlichen @rfchließen wirflich-zufünftiger Bes
gebenheiten anbängig. ift. Wie aber diefe Unvollkommen⸗
heit der ‚göttlichen Borausficht abfolutszufünftiger und zwar
zufälliger Begebenheiten (contingenter futurorum) nicht
anklebt, jo muß auch bie göttliche Erfenntniß des Bedingts
— Zufünftigen untrüglich unb ber Möglichfeit einer Taͤuſchung
durchaus enthoben fein. Wollte man bie hier entftehende
Schwierigkeit, wie Gott das Bebingt- Zukünftige auf uns
trügliche Weife erfeimen könne, ba εὖ doch vom Stand⸗
puncte ber menfchlichen Freiheit aus betrachtet fu ober aus
ders ausfallen fónne, mit ber Behauptung befeitigen, daß
Bott baffelbe von Seiten feiner allwirkſamen ober phylifch«
prábeterminirenben Gnade aus auf unfehlbare Weiſe ets
fenne, fo bat eine folche Löfung nicht mehr Geltung als
biejenige, welche bie göttliche Vorausſicht ber freien ab;
folut zufünftigen Begebenheiten aus der GrfeintniB ber
beterminirenden Ilmftände und Lebens⸗Verhaͤltniſſe berleitet.
Vielmehr erfennt Gott das. Bedingt: Zufünftige auf adaͤ⸗
quate Weile, b. b. al& folches, das unfehlbar aber barum
bob nicht auf nothwendige Weife zutreffen würde, wenn
bieft oder jene Bedingung von. feiner Seite gefegt würde,
2) 6 ift eine nothwendige Annahme unferer Vers
aunft, Gott ald den weiſen Lenker und Regierer auch ber
428 Ueber die scientia. media.
filtlihen Welt, unb ihrer Entwicklung und Vollendung 18
benfen. Wenn aber unfere Idee von Gott als dem Aller
eolífommenften und Unveränderlichen ben Gedanken auds
fchließt, als fónne fein Wiſſen durch bie freie ſelbſtſtaͤn⸗
dige Entfcheidung ber Ereatur enttäufcht, oder fein Rath⸗
ſchluß über bie. fittliche Weltorbnung butd) bie Dppofition
ber freien Greatur in der Zeit alterirt, mobificirt ober gat
vereitelt werben, fo werben wir wie von felbfl zu der Ans
nahme geführt, daß Gott zunächft bie freien Entſchließun⸗
gen der Greatur als bedingtrzufünftige erfannt, unb bat»
nach feinen Rathſchluß beftimmt habe, fo daß dieſer durch
bie freie Tchätigkeit des Gefchöpfes nicht nur nicht alterirt,
fondern geradezu ausgeführt wird. Will man bem freien
endlichen @eifte nicht jebe ſelbſtſtaͤndige LXebensäußerung
rauben, und Daneben auch bie Entwidlung, Geftaltung und
fBollenbung ber fittlichen Weltorbnung nicht dem Zufall
ober den endlichen gefchaffenen Wefen felbft überlaffen unb
damit auch preisgeben, jo fann man ber Borausfekung
nicht entgehen, daß bem Rathſchluſſe Gottes bie Grfennts
nig der freien Lebensäußerung der Greatur. zu Grunde
liege und gleichfam vorangehe.
3) Die religiöfe Anfchauungsweife jedes einzelnen
Menfchen, befonberó des Srommen, über fein eignes Leben
und bie göttliche Würforge in bemfelben, treibt ihn bei
Leiden und Drangfalen, und Überhaupt bei der Entbehrung
eines zeitlichen Gutes ganz unwillführlich zu bem Gebanfen,
daß der liebe Gott ihm das vermißte Gut nur deßhalb
vorenthalten habe, weil er- erkannt, daß ber Beſit befielben
ibm nicht zum eile feiner Seele gereichen würde. Das
religiöfe Gemüth des Menfchen benft fi überhaupt bie
Bärforge Gottes, obne deſſen Willen fein Haar von unferm
Ueber ble scientia media 429
Haupte fällt, als eine (οἵδε, die gerade immer das Beſte
für uns thut, die mit Weisheit und Liebe unà immer in
bie Lebens⸗Verhaͤltniſſe verfegt, welche für bie Gewinnung
unfered Heiled uns am geeignetften find‘, bie uns immer
die Gnaben und Güter zuführt, mit denen wir am fichers
Ren und beften unfer Ziel erreichen fónnen, bie unter vielen —
andern Heilsmitteln und Gütern gerade foldje für uns
auswählt, welche bie geeigneiften und beften find. Diefe
Auswahl aber fest gerade die Grfenntnig bei Gott voraus,
welche als bie scientia bezeichnet worden tft, vermóge wels
cher Gott weiß, was der SRenjd in andern Lebens » Bet»
hältniffen, mit andern Gnaben unb Heilsmitteln wirfen
würde. Und diefe troͤſtliche Anfchauungsweife von ben
weifen und liebevollen Sügungen Gottes fommt nur bei
ber Borausfegung zur vollen Berubigung unb Zufrieden⸗
heit, wenn jened Wiſſen in Gott um das Bebingt-Zukünfs
tige feine bloße menfchliche Wahrfcheinlichteits » Rechnung,
fondern ein gemifie und untrüägliches ift, das aud). bie
Möglichkeit aller Täufchung ausſchließt.
IL Artikel.
Yerwendung der scientia media für die Gnadenlehre.
Nachdem bie Anwendung ber scientia media für bie
Lehre ven ber Gnade und Prädeftination von 9tuguftin
bereits in den Streitigkeiten mit den Gemipelagtanem
erörtert und namentlich in ihre gehörigen Grenzen zuräds
gewiefen war; wurbe bie pofitive Ausbildung unb tiefere
Begründung biefer von Auguſtin gleichſam nur hingewor⸗
͵
4930 Udbes: wie scientia mollis.
fenen Andeutungen von ber. mittelaltertidjen Theologie bei
Seite gefeBt. Die pofitive Anwendung der scientia. media
erfchien bei Auguftin überhaupt nur ale eine gelegentliche
und Anderen wiederum nur ald eine Art von Sugeftánbnif
gegenüber ber femipelagianifchen Lehre, während bie eigent;
liche wiſſenſchaftliche Entwidlung der Gnabenlebte bei ihm
mehr Darauf hinausgehen mußte, bie abfolute Nothwen-
digkeit, Gratuitát und Wirkſamkeit der Gnade nad) allen
ihren Seiten zu beftimmen unb. hervorzuheben, als die nod)
surüdgebliebenen guten natürlichen Kräfte im Menſchen
sur Anftrebung der natürlichen Sittlichkeit, unb ble ba:
durch ermöglichte fogenannte negative Diepofition für
die Gnade wie Mitwirkung mit verfelben zu betonen und
in ihren. einzelnen Stabien zu verfolgen. In biefer Bes
ziehung bat die Scholaftit das Sbrige getban, um bit
Schulden abzutragen, welche ihr Der große Kirchenichrer -
beo Abendlandes hinterlaflen hatte, und fie fand bagu Aus
$en Anlaß genug in ber Sefümfung präbeftinatianifcher
Irrthümer, welche in Gottichalf zunächft eine theoretifche,
und in ben fpätern Sekten bes Mittelalters mehr eine
praktifhe Ausprägung erhielten. Als aber (egtere im 16.
Sabrhundert in dem großen Abfall von ber Kirche ihren
Ausgang nahmen, und die Kirche auf dem C. Trid. vielen
Reſultaten der Scholaftif in genannter Beziehung das
Siegel ber Unfehlbarfelt aufbrüdte, ba war nicht nur eine
ſichere Grundlage gegeben, auf weldger bie scientia media
geltend. gemacht werben founte, fondern aud Anlaß genug
geboten, die Garbinalfrage ber Zeit, bie Lehre -von be
Gabe und Freiheit, bis ins Einzelnfte zu verfolgen. Ab⸗
geichen jedoch von den außerkirchlichen Lehren ber Stefore
matoren, namentlich eines Gnivin und Deza bie zu (oret
"Ueber ble scientia media. 431
Gegenfüflern dem Arminius und Epiſcopius, fotole eines
Bajus und Yanfenius, find hierorts nur die Streitigfeiten
zu berädfichtigen, welche fid) auf Firchlichem Boden um
das bezeichnete punctum. quaestionis bewegten.
A. Verwendung der scientia media für die Erklärung
der gratia efficax.
Die Differenzpuncte zwiſchen thomiftifcher unb feott-
ftifcher Schule oder ber ber Dominikaner und Franzisfaner,
welche mich einzelne wichtige dogmatifche Fragen berührten,
führten im 16. Jahrhundert befonders über bie Gnaben:
(ebre zu neuen heftigen Streitigfeiten, als ber Dominifanet
Dannez, Lehrer zu Salamanca, bie 9Birffamfeit der Gnade
aus einer praemotio und praedeterminatio physica zu er»
Mären, und damit bie eigentliche Lehre des heil. Thomas
vet (darf herauszuſtellen glaubte, Dagegen erhob fid)
großentheilg auch ber neue Drben der Sefuiten, welcher in
den dogmatifchen Streitpuneten über die Gnadenlehre unb
unbefledte Empfängniß Mariens die Partei der Franzis
faner ergriff, und Molina veröffentlichte zu Ende des 10.
Sahrhunderts fein berühmtes Buch: Liberi arbitrii cum
gratiae donis, divina praescientia, providentia, praedesti-
aalione el reprobatione concordia. Einerſeits wurde bier
im Anfchlug an bie fcharfe Unterſcheidung des status na-
turae purae von dem status naturae elevatae bei Dunfcotus
gelehrt, tag ber Menfch unter dem allgemeinen Einfluß
Gottes ohne befondere äbernatürliche Gnade (gratia
supernaturalis ordinis) ein natuͤrlich-gutes Werf fegen und
bie natürliche Sittlächleit erfireben Tönne, unb bag Gott
demjenigen, ber mit feinen παι ἀπ ει Kräften das natuͤr⸗
lid Gute zu erringen ſtrebe, auch. die zuvorkommende Gnade
432 Ueber ble scientia media.
zum übernatürlichen Leben in Heiligkeit und Gerechtigkeit
ertheile, nicht aló wenn ber Menfch bie Gnade burd feine
natürliche Würbigfeit irgendwie verdiene, fondern weil die
GnadensAustheilung nach diefem Gefege eine ber göttlichen
unb menfchlichen Vernunft gemäße ift. Anderfeits wurde
bie Wirkfamfeit der zuvorkommenden actuellen Gnade zu
einem natürlichsguten Werfe wie auch ber übernatürlichen
Gnade zu jevem Heildwerfe fo gefaßt, daß bie voranges
hende Gnade zwar in actu primo wirffam in und burd
fi felbft fei, b. b. daß fie ben Menfchen erleuchte, ev
wärme, erfchüttere u. f. w. daß aber ihre Wirkfamfeit in
actu secundo, wenn baó gute Werk wirflid gu Stande
' fomme, feinen. objectiven Linterfchied ihrer eignen innern
Kraft und Energie vorauófege, fondern nur davon abhäns
gig fel, ob ber Menfch in freier Selbftentfcheidung mit ber
Gnade mitwirfe, ober biefelbe verwerfe. Da aber Gott
vermöge ber scientia media, welche Bezeichnung er zuerſt
in die Wiſſenſchaft einführte, auch (don vor ober vielmehr
unabhängig von bem Befchluße, biefe beftimmte Gnade zu
ertbeilen, woiffe, ob der Menſch berjelben feine Zuftimmung
geben werde oder nicht, fo [εἰ aud) im erflern Kalle bie
zuvorfommende Gnabe infofern eine efficax. zu nennen, alt
mit dem göttlichen Entfchluße, dieſe Gnabe zu eribeilen,
bie unfehlbare Erfenntniß verbunden {εἰ ober vielmehr dem⸗
felben vorangehe, daß fie durch bie freie Zuftimmung bed
Menfchen von Erfolg fein werde, Ausdrücklich werbe hier
bie scientia media angerufen, benn Gott πε, ebe er
einen beftimmten Entſchluß über ble Gnaben-Austheilung
fefe, unfehlbar erkennen, von welchem Erfolge biefe ober
jene Gnade in ber moralifchen Welt wie in bem Leben
jedes Einzelnen fein werde, und außerdem als ber lieber
-Meber ble scientia media, 433
bolrfie Pater aud) die Crfenntnig baben, mit welchen Gina,
benmitte[g ber Einzelne am beften fein Ziel erreichen Fönne,
eine gratia Sufficiens verleihe, bie paa iebesmalige Können
Des Gutes bewirft, daß er aber dur wirklichen Ausführung
chen Willens hervorbringt. Dieſe gralia efficax ſei nicht
blog Objectip von ber gralia sufficiens verfchieden und Aug:
flu$ eineg befonbern Wohlwollens Gottes, ſondern bringe
auch durch eine phyſiſche Praͤdetermination (im Gegenſatz
des letztern hervor, ſo daß der freie Wille, wenn jene
Gnade ertheilt wird, b. i. in sensu composito, Nicht mehr
1) €» fagt per DL Thomas p. 4. 4. 111. a. 2: Sq —
efficaciter potest movere Voluniates , angelus autem et homo P
dum Suadentis,
eol. Ouartalſqrift. 1850. ΠΙ, Ger. 23
434 Ueber ble scientia media.
un concurs qui soit prét à tout indifféremment, et qui
devienne ce qu'il nous plaira; encore moins de lui faire
attendre à quoi noire volonté se portera, pour former
ensuite à jeu sür son décret sur nos résolutions. Cer
sans ce foible ménagement, qui bruille en nous ioute
l'idée de premiere cause, il ne faut que considérer que
la volonté divine, dont la vertu infinie atteint tout, non
seulement dans le fond, mais dans toutes les maniéres
d’etre, s'accorde par elle-méme avec l'effet tout entier,
οὐ elle met tout ce que nous y concevons, en ordonnant
quil sera avec toutes les propriétés qui lui conviennent.
Damit wurde felbftredend bie scientia media gänzlich um
gangen, unb anfangs von ben Thomiften fogar beftritten.
Vielmehr wurde Gott als folder vorftellig gemacht, ber
vermöge feiner scientia simplicis intelligentiae erfenne,
welche Gnade in und aus fid) felbft bie Kraft habe, ben
freien Willensact des Menſchen hervorzubringen, und
welche dasfelbe nicht vermöge, und in der Ertheilung biefer
oder jener Gnade einzig und allein von feinem eignen
freien Wohlgefallen geleitet werde,
Das war im Kurzen der Differenzpunet über bie
Wirkfamfeit der Gnade zwifchen thomiſtiſcher und molini⸗
ftifcher Schule, der bald einen fo heftigen Streit und ge
genfeitige Verbächtigungen bervorrief, daß fid bie Päpfe
bewogen fanden, zur etwaigen Löfung und Seilegung ber
obwaltenden Streitigkeiten bie befannten congregationes
de auxiliis abhalten zu laffen, welche nicht die Verwerfung
ber einen ober andern Anficht, fonbern nur das Verbot
gegenfeitiger Berbächtigungen zur Folge hatten. Nichts
beftomeniger trugen biefe Gongregationen, fomie bie zahl
reichen polemifchen Schriften 93ie(eó dazu bei, bad gegen
Ueber bie scientia media. 435
feitige Verſtaͤndniß, bie tiefere Begründung ber entgegen:
gefegten Anfichten und bie theilweife Annäherung berfelben
zu befördern. Die Moliniften hielten ifrerfeitó bem tho⸗
miſtiſchen Syfteme bejonberá bie Schwierigfeiten entgegen,
wie fie in ähnlicher Weiſe auch fehon In ben Streitigkeiten
Wuguftiná mit den Semipelagianern berührt worden find,
nämlich :
1) Wie könne bei biefer phuftfchen Prävetermination,
wenn bie Gnade durch fid) felbft ben guten Willensact
hersorbringe, nod) bie Freiheit des Menfchen und damit ὦ
die Verdienftlichkeit des guten Willensactes beftehen, und
wie fónne in einem andern Falle, wo Gott die Gnabe
verweigert, ohne welche feine gute Handlung gefegt werben
fann, noch von einer Schuld und einem Mißverdienfte bie
Rede fein?
2) Wie fónne die em inefficax, welche Gott Nies
manden verweigert, nod) eine eigentliche gratia sufficiens
genannt werben, ba fie in feinem Falle volftändig dazu
binreiche, eine gute Handlung wirklich zu vollbringen ?
Bon der andern Seite machten aber auch bie Thos
miften gegen bie Theorie des Molina bedeutende Einwen⸗
dungen und Bebenfen geltend, welche nicht nur nähere
Erfiärungen nöthig machten, fondern auch eine theilweife
Modifizirung der ganzen Anftcht veranfaßten. Unter An-
derem bemerften fie Folgendes:
1) Die moliniftifche Anſicht mache bie Gnade zu einer
gralia versatilis b. b. zu einer ſolchen, welcher ber Menfch
durch feine freie Mitwirkung Kraft verleihe und zu ihrer
Wirkſamkeit verhelfe, ober burd) fein Widerftreben in bem
Suftanb ber bloßen Sufficienz laſſe. Der Menfch fei εὖ
daher mn, ber 3. Ὁ. bie bargebotene Gnade der Buße
28 **
*
436 lieber ble scientia. medie;
entweder zu einer das Herz wirklich befchrenden mache,
ober fie zurüdweife.
Darauf erwiebderten die Moliniften, daß fie ble zuvor:
fommende Gnade keineswegs ale ein bloß Außerlich dar
gebotenes Gut betrachteten, das ben Menfchen völlig in
different [affe, unb erft durch bie Mitwirfung des leptern
eine Kraft und Wirkfamfeit befomme. Im Gegenthell er:
greife bie göttliche zuvorfommenve Gnade ben menfchlichen
Geift auf lebendige Weife, unb gebe biefem vie nöthige
Erleuchtung, Kraft und Energie, etwas Gutes zu thun,
fowie bie übernatürliche Weihe, wodurch er fähig werde,
wahrhaft llebernatürlid)eó und für das ewige Heil Gr
fpriedliches zu leiften. Was aber das Beifpiel von ber-
SBefebrung betreffe, fo gebühre nach ihrer Anficht ber
Gnade nicht bloß bie Initiative und das Schlußmoment,
bie @ingießung der heiligmadyenden Gnade einzig und
allein, fonbern ihr gebühre aud) unter dem Gefichtspuncte
des Zuſammenwirkens mit dem menfchlichen Willen der
wichtigere und entfcheidendere Antheil. Ihre eigenthüm-
liche Anficht beftebe nur darin, daß jede zuvorfommende
Gnabe, fo febr fie auch den menfchlichen Geift erleuchten,
ftärfen und erheben möge, immer ein moralifcher Einfluß
bleibe, der eó bem menfchlichen Willen vollig anheim ger
ftellt fein Taffe, ob er feine freie Suftimmung zu einem
beftimmten guten Werfe geben wolle ober nicht, ob et,
Tad den Worten beó C. Tr. s. VI. cap. 5 unb can. 4.
affentiren ober biffentiren wolle. Nur well Gott dieſes
ſchon vor bem Defrete, biefe beftimmte Gnade zu ertheilen,
vermöge ber scientia media erfannt habe, fo {εἰ fle im -
erften Falle eine gratia efficax, bie unfehlbar in actu se-
lieber bie seientia media. 437
cundo von Erfolg fein werde, unb im andern Falle nur
eine gratia sufficiens. |
2) Wenn bie Thomiften weiterhin darauf hinwiefen,
daß die moliniſtiſche 9Ínfid)t ben Act der Selbftbeftimmung
des Menfchen von ber Gnabe gänzlich entblöße und los⸗
reiße, unb als ſolchen barftelfe, der einzig unb allein Durch
bie Thätigfeit des Menfchen zu Stande fomme, fo gaben
bie Moliniften gerne zu, daß bie zuvorkommende Gnade
die freie Juftimmung des menfchlichen Willens erft moͤg⸗
(id) mache unb vorbereite, fowie daß bie gratia adjuvans
und concomitans im Momente ber Selbftentfcheinung für
das Gute mit dem menfchlichen Willen zufammenwirfe,
Sa letztere unterließen nicht zu bemerfen, daß bie gratia
praeveniens im tbomiftifden Sinne die gratia adjuvans ober
concomitans überflüffig mache, ober bod) mit legterer cons
funbirt würde, während bod) vom C. Tr. ausbrüdlich biefe
Unterfcheivung gemacht werbe 1).
3) Nichts beftomeniget [iege der ganzen moliniftis
ſchen Theorie eine verfehrte Anficht von ber fittlichen Freis
heit des Menfchen zu Grunde. Wie bie Pelagianer- die
natürliche fittliche Breiheit des Menfchen als ein aequi-
librium mit einer durchaus gleichen Hinneigung zum
Guten wie zum Böfen, fogar vom gefallenen Suftanbe
behauptet hätten, fo gehe aud) bie moliniftifche Theorie
darauf hinaus, obgleich fte bie Nothwendigkeit ber zuvor:
fommenben Gnade anerfenne, ihre Mitwirkfamfeit nur
infofern zu poftuliren, als nothivendig fei um jene Indifs
ferenz und durchaus gleichmäßige Hinneigung zum Guten
1) Bergl. s. VI. cap. 16. Quae virtus bona eorum opera semper
antecedit, et comitatur et subsequitur.
438 Ueber bie scientia: medie.
wie zum Böfen im Menfchen ju Stande zu bringen.
Gehöre aber zur fittlichen Freiheit hier auf Erden nur bie
Möglichkeit der Wahl zwiſchen Gut und Boͤſe, unb {εἰ
bie völlig gleiche Hinneigung zu dem @inen wie zu bem
Andern eine reine Abftraction, die fehr viele Grade nad
ber einen wie nach der andern Seite hin neben fid) bulben
muß, fo fei auch gar nicht abzufehen, warum bie zuvor,
fommenbe Gnade jeden Menfchen auf relativ gleiche Weiſe
erregen müfle, wie bod) von den Moliniften angenommen
würde. Nur bann, wenn man für bie fittlidye Selbftent-
fdeibung des Menfchen immer eine durchaus gleichmäßige
Hinneigung zum Guten wie zum Boͤſen erfordere, fónne
von einer relativ gleichen Gnade für Alle bie Rede. fein,
bie dem jedesmaligen Willen des-Menfchen gerabe fo viel
Kraft gibt, bag. er der Ginabe ebenfo gut bie freie Zuſtim⸗
mung geben als aud) verweigern fann.
4) Go wie alfo bie fittlid)e Wreibeit nod) Raum
genug (affe für ein verſchiedenes Maß von zuvorkommen⸗
der Gnabe, fo fpreche auch bie BI. Schrift und namentlich
ber bl. Auguftin, beffen Gnabentebre in der Kirche fletó
das größte Anfehen genofien babe, von einer befonbern
Gnade für bie Auserwählten, und [eite bie Wirkfamteit
der Gnade nicht von der Zuftimmung des Menfchen for
dren von ber Kraft ber Gnade {εἶδ} ber D. Was ins
befondere die Lehre Auguftins betreffe, fo behaupte er nicht
bloß, daß Gott auf die wirffamfte Weife in und das
Wollen unb Vollbringen wirfe?), fondern er berufe fid)
1) Bergleiche Ezech. 36, 26. Joh. 6, 44, Philipp. 2, 13.
2) De gr. et lib. arb. c. 16, n. 32. Ille facit, ut faciamus,
praebendo vires efficacissimas voluntati.
Ueber ble seientia media. 439
bei der Erklärung ber Wirkfamleit der Gnade geradezu
auf den allmächtigen Willen Gottes, wie wenn er de corr.
εἰ gr. c, 14, n. 45 fagt: Non est itaque dubitandum,
voluntati Dei, qui in coelo et in terra omnia, quaecunque
voluit, fecit, et qui etiam illa, quae futura sunt, fecit,
humanas voluntates non posse resistere, quominus faciat
ipse quod vult; quando quidem etiam de ipsis hominum
voluntatibus, quod vult, cum vult facit), ober auf bie
unergründlichen Rathichlüffe Gottes, wenn er 3. 38. De sp.
el lit. c. 34. n. 60. fage: Jam si ad illam profunditatem
scrutandam quisquam nos coarctet, cur ille ita suadeatur,
εἰ persuadeatur, illi autem non ita, duo sola concurrunt
interim, quae respondere mihi placeat: O altitudo divitia-
ram, et Numquid iniquitas. apud Deum ?) ? Wolle man
auch von einzelnen Stellen aus den Schriften Augufting,
namentlich von ber vielfach controvertirten Stelle aus De
corr. es gr. c. 12. über das adjutorium quo im Unter⸗
fihiede von dem adjutorium sine quo, Abftand nehmen, fo
[εἰ bod) fo viel aus ber auguftinifchen Xehre ganz unziveis
felhaft, daß er ben Prädeſtinations⸗Beſchluß Gottes über
das Heil eines einzelnen Menfchen für eine Manifeftation
einer befonbern Liebe und Erbarmung anjebe, bie Gott aus
freiem Wohlgefallen nur Einzelnen zu Theil werden laffe,
und daß: er auf biefelbe Weife den wirffamen göttlichen
Entfchluß erkläre, den Menfchen in einem einzelnen Falle
zu einem beftimmten guten. Werke zu führen. In biefem
Sinne heiße e8 De dono pers. c. 9: Ex duobus itaque
1) Zu vergleichen De gr. Christi c. 24, n. 25. De praed. ss.
c, 8, n. 13,
2) Zu vergleichen De gr. Christi c. 47, n. 52. II. de pecc. rem,
et mer, ὁ. 5, n. 6. u. a.
-
| 440 leber bie scientia. media.
parvulis originali peccato obstriotis, cur isle assumatur,
ille relinquatur; et ex duobus aetate jam grandibus impiis,
cur iste ita vocetur, ut vocantem sequatur, ille aulem
mon vocelur, aut non ita vocetur; inscrutabilia sunt judicia
Dei Ex duobus autem piis, cur huic donetur perseve-
ranlia usque in finem, illi non donelur, inscrulsbiliora
suni judicia Dei.
Dur bieje Einwendungen wurben bie Gegner ber
thomiftifchen Theorie allmählig dahin gebrängt, ihr Syſtem
in Etwas ju mobificiren, uud das des fogenannten Gon»
gruismus zu aboptiren. Wenn die Moliniften auch bie
Zaufgnade bei unmündigen Kindern, fowie das donum
perseverantiae im pafliven Sinne αἱ Berbindung des
Todes mit bem Zuftande ber heiligmadpenden Gnade nur
aus bem verfchiedenen Verhalten Gotte$ gegenüber ben
Menfchen, alfo aus einem befondern göttlichen Erbarmen
erklären fonnten, fo wollten fie bod) eine ähnliche Aus⸗
theilung ber zuvorfommenden Gnade nach bem freien
MWohlgefallen Gottes nicht anerkennen, fondern — lebrten,
daß jeder Menfch zu bem beflimmten guten Werfe, welches
Gott eben von ihm fordert, eine hinreichende Gnade er:
halte, und daß bie Vollbringung oder Vernachläffigung
befielben einzig davon abhängig fel, ob ber Menfch ein
flimme, unb mit ber begleitenden Gnade das Werk voll:
führe, oder ob er bie Gnade von fich weife. Dagegen
lehrten nun die Gongruiften, Bellarmin, Vasquez u. a.
pear aud, daß jeder Menfch eine hinreichende Gnade ers
halte, ber Sünder, daß er bem Rufe zur SBefebrung folgen,
unb ber Gerechte, baf er in ber heiligmachenden Gnade
beharren könne, unb daß er es nur ftd) felbft zuzufchreiben
habe, wenn er bie Gnade nicht benuge und verloren gehe,
Neber bie scientia niedis. 441
aber fie ferien. auch, bafi derjenige, welcher ver Gnade
wirftid) Folge leiftet, ein relativ größeres Maß von vor»
angehender Gnade erhalten Babe, al& ein anderer, ber zu
demfelben guten Werke nicht gelangt. In diefer Hinficht
fagt Bellarmin Lib. 1. de gr. et lib. arb. c. 13: Potest qui-
dem fieri, ut duo homines eadem interna motione -accepla
eundem concionatorem audiant, et eadem signa videant,
el unus credat alter non credat; tamen non polest fieri
ut si eandem omnino graliam excitantem duo homines
accipiant, unus credat, alter non credat. Siquidem ad
graliam non solum pertinel motio sive excitatio interna,
sed circumstantia loci, temporis, personae eic. Si enim
eadem motione accepta unus credit, alter non credit, sine
dubio unus accipit molionem eo modo, loco ac tempore,
quo Deüs praevidit ejus ingenio congruere, alter nom ita
accipit, ac per hoc longe majorem habuit Dei gratiam is,
qui credit, quam qui non credit. Qui enim non credidit,
habuit gratiam, per quam potest credere, qui autem cre-
didit, habuit gratiam, qua posset et vellet credere.
Damit war alfo einestheild anerfannt, bag Gott
Einzelnen aus ganz befonderm Wohlwollen eine fpectelle
Gnade (gratia congrua) zuerfannt habe, von ber er vers
möge ber scientia media erfannte, baB fie in Folge ihrer
Angemefienheit für bie aͤußern Umftände (congruitas ex-
terna), und für bie fittlihe WillenssBefchaffenheit des
fraglihen Subjects (congruitas interna) unfehlbar bie freie
Zuftimmung des Menfchen erlangen werde, während jede
andere zuvorfommende Gnade wohl eine hinreichende im
elgentlid)en Sinne des Worts fei, aber infofern eine gratia
incongrua, als fie als folche erfannt wird, die bie freie
Einwilligung des Willens nicht zur Zolge haben wird,
442 Ueber Wie scientia. media.
Anderntheils vourbe baburd) auch das unnatärliche Verhaͤli⸗
niß Gottes zur fittlichen Welt, deren Verlauf und Gefchichte
im Einzelnen wie im Ganzen nach der moliniftifhen Ans
fiht bloß von ben freien Entfcheidungen der Greatur abs
hängig war, in ein ber göttlichen Majeflät angemeffeneres
verwandelt, indem Gott fowohl eine freie Vertheilung feiner
objecto verfchiedenen Gnaden anheimgeftellt, al& auch eine
wenigftend moralifche Herrichaft über bie Freiheit ber
Ereatur zugefchrieben wurde, welcher er durch Ertheilung
oder Entziehung der gretia congrua. Nachdruck verleihen
fann. 3ulept war es aud) leichter, bieje Anficht mit ber
auguftinifchen Lehre in Einklang zu bringen. Während
nämlich Molina den aligemeinen Willen Gottes, Ale
felig zu machen und Allen hinreichende Gnaben zu geben,
an bie Gpibe geftellt hatte, und ben befondern Entſchluß
Bottes, dieſen einzelnen Menfchen zur ewigen Geligteit
oder zu einem beflimmten guten Werke zu führen, baburd)
entfteben ließ, daß Goit den guten Gebrauch der gleich⸗
mäßig vertheilten Gnade erfannte; ging Yuguftin immer
von der freien Auserwählung einzelner Menfchen zur ewigen
Celigfeit, wie aud) zu einem beflimmten Heilswerfe, und
von einer befonbetn Vorliebe GotteB gegen biefelben aus.
Wenn er aber die Frage erörtert, wie biefe freie Auser⸗
wählung Gottes in ber fittlichen Welt nicht zu Schanden
werde und unfehlbar ihr Ziel erreiche, fo beruft er fid
zwar gewöhnlich fchlechtweg auf die Allmacht Gottes,
welcher der menfchliche Wille nicht zu widerftehen vers
möge!), aber er zieht auch, wie oben im 1. Artikel gezeigt
1) Bergleiche die oben citirten Stellen aus; De corr, et gr. c. 14.
de gr. Christi c. 24, n. 25. de praed, ss. c. 8, n. 19, ᾿
Veber Dis seientin media. 443
worden ift, an andern Stellen bie scientia media herbei,
und zwar als caussa directrix in ber Weife, bag Gott
jenen freien Entſchluß nur in Bezug auf diejenigen fafle, .
son denen er bie freie Zuſtimmung als bedingt »jufünftig
worhergewußt, ober daß Gott jenen freien Entfchluß unbe⸗
ſchadet der menfchlichen Freiheit durchzuführen wifje, weil
er erfenne, mit welchen Gnabenmitteln der Menſch mito
wirfen würde"). |
5) Mber auch gegen dieſes Syſtem des Eongruismus
erhoben die Thomiften immerhin noch das Bedenken, daß
in demſelben ver menschliche Geiſt als folder betrachtet
würde, der als eine gleichfam cbenbürtige Urſache neben
und mit Gott gemeinfchaftlich das Sittlich- Gute in ber
Welt hernorbringe, während bod) das richtige Verhaͤltniß
darin beftebe, daß Gott, al& bie abfolute .Urfache, mit feis
ner Gnaben » Wirkfamfeit die endlichen Urfachen unmittels
bar treffe und beivege, und durch fie feine Zwede realifire
und das Sittlih ; Gute in der Welt bewirke?). Damit
war ber Streitpunet über bie Art und Weiſe ber Wirk⸗
famfeit ber Gabe, welche bisher hauptfächlich vom rer
ligiös-fittlichen Gtanbpuncte aus in Betracht gezogen war,
auf das Gebiet der Metaphyfif hinübergefpielt. Hier di
zuvoͤrderſt fo viel gewiß, bag ὦ das Berhaͤltniß Gottes
zur Greatur, ald Schöpfer und Erhalter der enblichen Sub⸗
ftanzen, auch in feiner OnadensWirffansfeit ald folches bes
thätigen wirb, wornady Gott, als bie abfolute Urſache über
und hinter den endlichen Urfächlichfeiten Kehend, durch diefe
1) Bergl.: De praed. ss. c. 9., I. lib. ad Simpl. qu. 2. n. 12—13,
L lib. op. imp. contra Jul. c. 93.
2) Aus biefem Gefichtspunete erklärt fih aud) das Beftreben der
Thomiften, die Sünde blog ale etwas Negatives geltend zu machen,
444 Ueber die scientia. media.
legteren feine Zwede reatifirt. Aber dieſes Berhältnig if
wiederum nicht fo zu urgiren, als habe bie enb[ide Subs
fan; feine. felbfitändige Lebensäußerung, oder als habe
die freie geiftige Greatur nicht bie Macht, ihre freie Bes
thätigung bem göttlichen Gefege und ber göttlichen Gnaden⸗
Wirkſamkeit einzufügen ober davon loszureißen und damit
eine verantwortliche That zu fegen. Gnade und Freiheit
dürfen weber in ein fo Außerliches Verhältniß zu einander
gebracht werden, als gebübre ber zuvorfommenden Gnade
nur die Zubereitung und Geneigtmachung des menfchlichen
Willens, wie etwa den SBelebrungen und Aufmunterungen
eines andern 9Renfden, nod) auch in ein fo inniges, daß
die freie Mitwirkung des Menfchen ganz unb gar auf bie
Kraft ber zuvorkommenden Gnade zurüdgeführt wird. Merk⸗
würdig ift die Thatfache, und fie fann uns zur Löfung
biejer Frage etwas weiter führen, daß bie nähere Beſtim⸗
mung bed Berhältnifies von Gnade und Freiheit in inniger
Beziehung ftaub zu dem wiflenfchaftlichen Verftänpniß über
Gift und Leib im Menfchen. Und in der That war hierin,
fowie in ber perfönlichen Einheit von göttlicher und menſch⸗
licher Natur in Ehrifto Jeſu eine Analogie fowie ein Res
gulativ für das Verhältniß von Gnade und Freiheit φέρε;
ben. Nahm man nämlich ben Ausdrud des bi. Thomas,
daß der Geiſt die forma corporis fei, in bem Sinne, ale
[εἰ der Geift das einzige Lebensprincip im Menfchen, das
den Leib: belebe, bilde und bewege, fo fonute man aud)
bei des wiſſenſchaftlichen Beſtimmung des S8erbáltniffeó
von Gnade unb Breiheit leicht den Fehler begeben, daß
man erftere als das ben menfchlichen Willen auf abfolute
Weiſe beberrfchende, beftimmende und prädeterminirende
Prinzip bezeichnete, und dabei ber. freien Mitwirkung des
Ueber bie scientias mellis. 445
endlichen Geiſtes nicht ble gehörige Rechnung trug. Brachte -
man aber Gieift und Leib durch eine zu fcharfe - Scheis
bung in einen bloß Außerlichen Zufammenhang, ben Carr
tefius burd) fortwährendes unmittelbared Dazwiichentreten
Gottes (Derafionalismus) und eibnig aus einer präfes
bilirten Harmonie zu erflären fuchte, fo wandte man bie
ſes atomiftifche erlegen zweier wechfelfeitig ineinander
greifender Lebensprinzipien aud) auf das Serbáltni von
Gnade und Freiheit an, und fuchte in ähnlicher Weiſe bie
Verbindung beider durch eine práftabilirte Harmonie auf
bem Gebiete des Beringt-Zufünftigen zu erflären, vooburd)
allerdings Manches, aber bod) nicht der lebendige Zuſam⸗
wmenhang von Gnade und Freiheit beteuchtet wurde, Die
neuere Philofophie hat das Leben von Seele und Leib im
Menfchen alà einen lebendigen Wechfel- Verkehr ‘zweier zu
einer fubftangiellen Einheit verbundener Brincipien bes
trachtet, und venfelben nach ber Analogie in ber dufietn
Natur einen organifchen Lebens s Verkehr genannt. Sn
ähnlicher Weiſe greifen denn aud) auf unferm Gebiete bie
gnabenpolle Thätigfeit Gotted und die freie Mitwirkung
des endlichen Geiſtes zu einem organifchen Lebens⸗Verkehr
ineinander, bei welcher der Gnade bie Initiative unb Bräs
valeng gebührt, nicht blog deßhalb, weil Gott der Abſolute,
und der menfchliche Geift ein endliches Wehen, foubern
auch deßhalb, weil bie fittlichen Kräfte des Menſchen durch
bie Erbfünde eine Schwächung erlitten, und ſich überhaupt
in Bezug auf pas Lebernatürlich- Gute in dem 3uftanbe
einer gänzlichen Unzulänglichfeit befinden. Nach diefer Ans
fhauungsweife geht bem Abfchluffe eines jeden guten Wer⸗
fes im Menfchen ein Proceß verfchiedener Stimmungen
von den leifeßen Anfängen einer Geneigtheit au bie zum
446 ler bie scientia media.
foͤrmlichen Entſchluß unb ber Außern That vorfer, welder
durch einen andern parallelen Proceß der Gnadenwirſam⸗
feit Gottes wefentlich bebingt ift, aber organifch in bens
felben bineingreift, fo zwar, bag die Gnade eine caussa
efficiens der jedeömaligen nachfolgenden Mitwirkung des
Menſchen, wenn aud) nicht die adäquate, unb bie freie
Zufimmung und Polgeleiftung des Menfchen nur eine
caussa meritoria 1) für die jedesmalige nachfolgende Gnade
if. Nur bei diefer Anficht gewinnen bie Worte eines hi.
Bernhard ihre Rechtfertigung und ihr volles SBerftünbnif,
wenn er de gr. et lib. arb. c. 14. fagt: Non partim gratia,
partim liberum arbitrium, sed totum singula opere indi-
viduo peragunt, totum quidem hoc, et totum illa; sed ut
totum in illo, sic totum ex illa. Sft bem alfo, bann haben
be Thomiften darin gefehlt, bag fie bie zuvorkommende
Gnade für bie einzige causa efficiens adaequata ber freien
Zuſtimmung des Menfchen erflárten, unb bie Moliniften
barin, daß fte bie Selbftentfcheidung des menfchlichen Wils
lens aus dem organifchen Berbande mit ber Gnade heraus⸗
rigen, und biefelbe als ein eigentliches Wirkfammachen,
als eine effective, felbftftánbige Verwendung ber zuvorfoms
menden Gnade anfahen, und baburd) dem Menfchen zu
ziel des Rühmens ließen. Iſt aber das Juftimmen und
Mitwirken unferes Willens mit der Gnade mehr ein freus
Diges Aufnehmen und Folgeleiften, ein Unterordnen und
Einfügen unferer Lebens, Heußerungen in bie göttliche Gina;
den⸗Wirkſamkeit, um dadurch für immer Fräftigern Gnaben
Raum zu machen, fo braucht man auch mit den Eongruiften
acht dazu feine Zuflucht zu nehmen, der zuvorkommenden
1) Die actuelle Gnade kan nur de congruo verdient werben.
ueher bie scientia medie. 447
Ginabe im Falle des Erfolges ſchon gleich bei ihrem erften
Stadium eine objectio größere Kraft beiguiegen, als bei
ihrer Berwerfung von Seiten beà Menfchen. Bielmehr
(ft jede zunorfommende Gnade eine gratia congrua im
firengften Sinne des Wortes, und auch der ſchwere Sins
der wird, wenn aud) nicht in biefem Leben, doch ficher am
Tage ded Gerichts bie Wahrheit geftánbigen müffen, daß
bie Führungen unb Gnaden Gottes für ihn immer bie
beiten und awedmäßigften gewefen felen, wenn er nur das
Seinige getan babe. Nichts beftomeniger ift bie Ginabe,
welche ein einzelnes gutes Werk im Menſchen wirffid) zu
Stande bringt, eine fpecielle, nicht weil der Menfch fic
Dazu macht, fondern weil er fie fid) durch fortfchreitendes
Einwilligen zu eigen macht. Andererſeits verweigert Gott
diefelbe nicht fehlechtervings aus Mangel an Liebe, fonbern
nur, weil ber Menfch fie nicht annehmen will!). Wenn
demnach auch die freie unabhängige Vertheilung ber mans
nigfach verfchiedenen Gnaben, fowie bie öftere Anwendung
ganz außerordentlicher Ginaben » Ermweifungen durch Gott
nicht geläugnet werben foll, fo ift bod ber gewoͤhnliche
Weg, daß Gott Jeden auf die angemeflenfte Weile gerade
zu folch einem guten Werke ruft, welches für den befons
bern $eilómeg des Beireffenden am geeigneten if, unb
daß bie [peciclle wirffame Gnade erft dann erfolgt, wenn
1) Sn derfelben Weile ſprichl der HI. Anfelm von der Gabe der
Beharrlichfeit de casu diaboli c, 3: Hoc igitur mon dare, non est
caussa non accipiendi, et tamen si pono non me dedisse, caussa est
consequendi, illum non accepisse. — Quapropter non ideo non ha-
buit (diabolus) bonam voluntatem perseverantem, aut non accepit,
quia Deus non dedit, sed ideo Deus non dedit, quia ille volende,
quod non debuit, eam deseruit, et.eam deserendo noa tenuit.
448 Ueber ble scientia media.
ber Menfch fie durch willfährige Annahme möglich tad,
und mit feiner entfprechenden Rüdwirfung auf die zuvor:
fommenbe Gnade nicht zurüdbleibt. Nur infofern fann
ble zuvorkommende erfolgreiche Gnade gleich anfangs eine
gratia congrua im linterfchiede von einer gratia. incongrua
genannt werben, als Gott vermöge ber scientia. media et»
fannte, daß fie bie Suftimmung des menfchlichen Willene
erlangen werde. Was leiftet denn nun bie scientia media
zur theilweifen 9luffellung der bier obwaltenden Schwie
rigfeiten ? |
Auch bier waren εὖ wiederum zwei Hauptfragen, um
bie ὦ der theologifche Streit bewegte, nämlich
1) Wie bleibt da nod) Raum für die freie fittliche
Bethätigung des Menfchen, wenn bie Gnade dad bewirs
fenbe Prinzip in der fittliden Welt und namentlich in bem
@ebiete des Webernatürlich » Guten ift?
2) Hat die menfchliche Vernunft bei der verfchiedenen
Bertheilung der göttlichen Gnaben (id) bleß auf das freie
Wohlgefallen Gottes zu berufen, ober vermag fie nod)
andere Gründe geltend zu machen ὃ
SHinfichtlich der erften Srage wird fo viel aus ben
vorgeführten Streitigkeiten erfichtlich fein, bag durch bie
bloße Anwendung der scientía media das Verhaͤltniß von
Gnade und Freiheit voeber im Einzelnen erflärt, noch aud
genau beftimmt wird. Denn wenn es überhaupt eine prä
ftabilirte Harmonie von Gnade und Freiheit auf bem Ges
biete des Bebingt-Zufünftigen gibt, fo wirb Gott ein ein
zelnes gutes Werk duch nur fo práftabiliren, wie es fid)
als Product zweier wechfelfeitig in einander greifender
Baftoren in der Wirklichkeit herausficht. Gott wird aljo
auch baffelóe gute Werk nur aus dem vor ber Hand by
Tibet: die seientia. media, 449
yothetifchen Wechfeis Verkehr von Gnade und Freiheit afe
bebingtszufünftig erfennen, wie er wirklich werden würde,
wenn Gott εὖ will, Da εὖ vieleicht unmöglich ift, durch
eine abfiracte Formel das organifche Verhältniß ven Gnade
unb Sreiheit für alle Fälle genau zu beftimmen, fo fol
bierortö die Anwendung ber scientia media nur infofera
vertreten werden, ald durch fie irgend eine freie ſelbſtſtaͤn⸗
bíge Bethätigung des menfchlichen Willens "bel jedem gus -
ten Werke ausprüdlich feftgefalten und nicht ganz unb gar
auf bie zuvorfommende Gnade als wirffame. Urfache zu⸗
fütfgefübrt wird. Namentlich foll bier bie Anficht, wozu
ber Ausdruck des Bedingt⸗ZZukuͤnftigen Anlaß. geben könnte,
außgefchlofien werben, als: [εἰ bie zuvorfommende Gnade
mur eine entferntere Bedingung, welche ber Menfch erf
butd) fein felbftftändiges Schalten und Walten zu ihrem
Ziele führe. Dann ift der behandelte Differenz « Bunft,
Den wir. nach ben. Einwendungen ber. Thomiſten fiufen-
-weife verfolgt haben, mit Rüdficht auf bie scientia media
auf die Frage zurüdzuführen, ob Gott unmittelbar. aus
bem Bereiche des Bloß⸗Moͤglichen feinen freien Entfchluß
über: ein einzelnes gutes Werk faffe, ober ob bem legtern
die Erfenntniß des Bedingt- Zufünftigen vorangehe. Im
biefer Hinficht aber ift es durchaus über allen Zweifel,
baf die menídlide Bernunft den feften unabänderlichen
Entfchlug Gottes, durch feine Gnade ein beftimmtes "gutes
Merk hervorzurufen, mit ber freien Willensmacht ded Men⸗
ſchen, jede Gnade zu verwerfen ober ihr feine Einwilligung
t geben, nur burd) die Annahme in Harmonie bringen
fant, daß Gott vor jenem unabänberlichen Entfchlufle es
unfehlbar erkannte, ob bie bem Menfchen zugebachte Gnade
des letziern freie Zuſtimmung erlangen werde ober. nicht.
Tpeol. Quartalſhriſt. 1830. Heft II. 29
450 Mot bie seienlin media,
Diefe Erkenntniß wäre nur dann ibentifch mit der des
Bloß Möglichen, wenn Gott einzig unb allein durch feine
Gnade das Gute in der Welt bervorbrächte.
Was die zweite Frage nach der geheimnißreichen Ber
theilung der göttlichen Gnaden betrifft, fo gibt und bie
scientia media zunächft darüber ein tiefere& SDevigánbnif,
daß Gott feinen Auserwählten gerade foldhe Gnaden gibt,
von deren Erfolg er unfehlbar gewiß ift, unb die Gefahren
und Berfuchungen von ihnen fern hält, bie ihnen unfehl⸗
bar zum Falle gereichen würben. Sn Betreff der übrigen
aber darf nicht gefagt werden, daß Gott ihr Heil nidt
ernftlich wolle, unb ihnen bie angemefjenen. Hillfomittel
verweigere, fondern er gibt auch biefen βεὶδ eine folde
auoorlommende Gnade, welche für ihre Lebens⸗erhaͤltniſſe
unb fittliche Beichaffenheit am paflendften ift, wenn fie aud)
durch bie freie Thätigkeit des Wenfchen vereitelt wird.
Was aber insbefondere die Verſchiedenheit der Ginaben.
angeht, welche durch bie gefchichtliche Eintwidelung ber
Gmnaben » Ordnung auf Ehriftus und durch Chriſtus ent
ſteht, wo 3. B. die actuelle Gnade des Blaubens wenig
ſtens gewöhnlich erſt in Folge der äußern Predigt ertheilt
wird, fe gibt bie scientia media hierüber wenigfteng bie
Erklaͤrung, daß. Gott jeden Menſchen in die Beziehung
gu der bezeichneten Gnaden⸗Ordnung (ret, wie fie gevabe
für fein Seelenheil am bienlichften fein wird oder bod
fein könnte, wenn er der Stimme Gottes nur folgte. _
Qiott verweigert 3. B. fefc Vielen, abgefehen von ans
dern berborgenemGrünben, wie ber bi. Auguſtin fagt, nur
deßhalb bie Gnabe des Glaubens und bie Predigt δε
Evangeliums, weil er erkannte, daß fie biefelbe body nicht
benugen wärben. inb biefe Verweigerung kann im Gr
Ueber bie scientia media. 451
biete des Wirklichen ben Charakter einer Strafe annehmen,
wenn ber Menfch den propädeutifchen Gnaden auf ben
Glauben hin feine fdjulbige Mitwirkung nicht leiſtet.
E. Verwendung der scientia media für bie Lchre oou
der Prädeftination.
Diefelben letzthin bezeichneten Bragen treten in ihrer
Allgemeinheit aud) bei der Lehre von der Prädeſtination
wieder auf, welche von ben verfchiedenen Parteien eine
ähnliche Ausbeutung erfahren mußte, wie bie Lehre von
ber Wirkfamfeit ber Gnade in einem einzelnen Falle. Die
Einen wollten ben ewigen unabänderlichen Rathſchluß Got;
tes, eine beflimmte Anzahl von Menfchen durch wirkfame
Heilmittel zur ewigen Seligfeit zu führen, als einen
durchaus unbebingten geltend machen, ben Gott auf bem
Gebiete des Bloß Möglichen bloß aus freiem Wohlgefallen
entweder fafle oder nicht fafle, und damit präpeßinire oder
negativ reprobire, wiewohl er hier bie ewige SDefeligung
Aller eben fo gut als möglich erkenne, wie bie Verwerfung
Aller. Die Andern wollten das fittliche Streben be6 Mens
fehen, wodurch er fid hienieden den Himmel verbienen fell,
aud) in bem PrädeftinationssBefchlug Gottes berückſichtigt
woiffen, unb riefen veßhalb, jedoch in verfchiedener Weife,
ble scientia media zu Hülfe, wiewohl fie bie Anficht ber
Erflern in Bezug auf die unmünbigen Kinder unangefoch-
ten. ſtehen ließen. Wenn nämlich die fittliche 2Beltorbuung
im Ganzen wie im Einzelnen das Gigenthümliche hat,
beg fie in ber gnadenvollen Wirkfamfeit Gotted und ber
Mitwirkung des freien Menfchen ihre zwei, wenn aud
ungleichen Faltoren hat, fo Bat der ewige, unabänderliche
Entſchluß Gottes über bie Befeligung eines freien fittlichen
29 9
452 Weber die scientia" media.
Weſens nur dann nichts Wiberfprechendes, wenn er fid
über den Erfolg feiner Gnade auf bem Gebiete bed. Bes
dingt-Zufünftigen vergemiffert, ober wenn er erfannt hat,
daß bie bem Menfchen zugedachte Gnade mit der freubigen
Aufnahme und Mitwirkung von Seiten des [egtern. zufans
mentreffen werde. Dadurch wird weber bie Freiheit Got;
tes, fellg zu machen, wen er will, mehr eingefchränft, ale
et εὖ felbft durch die Schöpfung freier Wefen gewollt hat,
nod) aud) der Gratuität der Prädeftination das Mindefe
genommen, weil Gott die menfchlichen Verdienfle überhaupt
nur unter ber Bedingung feiner Gnade als bebingt-zufünfs
tig erfennt, und weil bebingt zukünftige Verdienfte obet
Mißverbienfte eine richterliche, b. i. belohnende ober be
firafende Thätigkeit Gottes nicht motiviren fónnen, wie
. oben bei den femipelagianifchen Streitigkeiten gezeigt wors
den ift. Auch bie faft von allen Kirchenlehrern in bet
Prädeftination erfannte befondere Vorliebe Gottes gegen
feine Auserwählten blieb ungehindert neben ber unenblis
hen göttlichen Liebe gegen alle Menfchen und wahrhaft
binreichenden Gnade für Alle beftehen und gang fperiel
babin erHlärt, daß Gott bei andern Verhaͤltniſſen unb ans
dern Ginaben auch ba6 Heil Anderer, wie ber Tprier und
Sidonier nach Math. 11, 21 ale bebingt-zufünftig erfenne,
und dennoch nur feinen Auserwaͤhlten folche Gnaden er
theife, mit denen ber Menſch bis zum Ende ausharren
wird, und folche Gefahren von ihnen abwendet, in beneht
fie für Immer firaucheln und fallen würden. Endlich konnte
auch die Lehre des bL. Auguſtin und Thomas, ba bie
wabrbaften SBerbienfte des Menſchen (merita gratiae) ein
Ausflug unb eine Folge ber SBrábeftination feien, firenge
feftgehalten werben. Die Borftellungsweife war ndmiid)
Ueber ble scientia media. . - 453
. jebt biefe: Gott. erkennt nach feiner scientia media, ob unb
. mit welchen Gnaden- Mitteln ber. einzelne Menfch fid Vers
blenfle für das ewige Leben fammeln, bis zum Ende im
Guten beharren und die ewige Seligfeit erlangen wird,
Bon diefen wählt Gott nach feinem freien Wohlgefallen
und feinen unergründlichen Rathichlüfien eine beftimmte
Anzahl heraus, prábeftinirt fie zum ewigen Leben und bes
ſtimmt für fie [οἵδε Gnaben, welche fie unfehlbar zum
festen 3lele binfübren und bie nöthigen Verdienſte fervore
rufen. werden. Nach diefer Anficht, wie fie von Bellarmin,
Suarez und Andern vertreten wurde, gab es alfo eine
praedestinatio post (ohne caufale Bedeutung) praevisa me-
rita conditionate futura, aber ante praevisa merita absolute
— fetura. Und in der That war man hiemit von der Lehre
Auguſtins nicht im Mindeften abgewichen, der in feiner
Schrift de dono perseverantiae c. 14. die S3rübeftination
alfo definirt: Praedestinatio est praescientia et praeparatio
beneficiorum Dei, quibus certissime liberentur, quicunque
liberantur. Das heißt aber doch: Gott erfennt (vermöge
der scientia media), mit welchen Gnaden⸗Miteln diefer ober
jener Menſch zur ewigen Geligfeit gelangen wird, und er
beftimmt dieſe wirklich für feine Auserwaͤhlten, indem er
fie praͤdeſtinirt. Mit dieſer Anfchauungsweife erflärten
fi aber Leffius u. a. noch nicht zufrieden. Sie beftritten
keineswegs in Gott bie fichere Erfenntniß von dem, was
δεῖ Menfch mit biefen ober jenen Gnaden thun würde,
aber fie forberten nicht bloß eine praedestinatio post prae-
visa merita conditionate futura, fondern eine post praevisa
merita absolute futura, infofern fie nämlich eine Praͤdeſti⸗
nation zur ewigen Geligfeit fei. Man unterfchied nämlich
bie praedestimatio ad vitam aeternam von ber praedesti-
454 : Ueber die scientia media.
natio adaequata, b. i. ad gratiam et vitam aeternam und
behauptete von bet erftern, daß fie abhängig fei von ber
göttlichen Vorausſicht der menfchlichen Verdienſte ale ab»
folut zufünftiger. Denn einerfeits werde das ewige Leben
wirklich als Lohn für bie Dieffeitigen Verdienſte ertheilt,
und andrerfeitd werde bei der gegentheiligen Anficht eine
Willkuͤhr von Gott prábicirt, bie durch die Anwendung
ber scientia media nod) greller hervortrete. Vermoͤge bie
fet Erfenntniß nämlich fenne Gott für jeden Menſchen
ſolche Berhältniffe und folche Gnaben, womit jeber uns
fehlbar felig werden würde, und wiederum aud) ſolche Be
dingungen und Lebenslagen, wobei jeder unfehlbar νεῖν
loren gehen würbe. Auf biefe legte Ginreenbung, welche
in Beziehung zu unferm Thema fteht, ift zunächft das zu
antworten, daß es fid) dei bem Objeete der scientia media
nicht um folche Bedingungen handelt, die mit ber freien
Selftentfcheidung ber Creatur in keine Berührung fom
men, unb nicht um folche Einwirkungen Gottes auf bie
Welt, denen bie Freiheit des Menfchen Nichts zu geben
und Nichts zu nehmen hat, wie es bei unmilnbigen Kin-
dern wirffich ber Sall ift. Object der scientia media ift
nur dasjenige, was Gott ald das Product zweier Faktoren
und ihres gegenfeitigen Lebensverkehres erkennt, feiner
Gnade unb ber freien Mitwirkung des endlichen Geiftet.
Wenn aber ber Menſch in feiner Freiheit die Macht hat,
jeder Gnade feine Zuflimmung zu verweigern, fo i εὖ
eine ganz unbemiefene Annahme, baf Gott die Befeligung
aller Menfchen auf fittlichem Wege als etwas Bedingt
Zufünftiges erkenne, obſchon nicht geläugnet werden Tann,
daß vieleicht Viele unter andern Bedingungen, welche
Gott aus verborgenen Gründen nicht fegt, auch auf fit
Uber ble scientia. media. 455
lichem Wege zum Himmel gelangt wären. Ganz gewiß
jedoch if εὖ, daß diefe es nur fi ſelbſt zugufchreiben
"haben, wenn ihnen bie ertbeilten Gnaben. nicht zum Heile,
fondern nur zum Gerichte gereichen. Weiterhin ift aud)
Das zu bemerken, daß die obige Anwendung ber scientia
media nicht in dem Sinne verftanden werben darf, ale
wenn Gott δίοβ aus dem Gefichtöpunfte feine Gnaben
vertheilte, ob und durch welche Gnaden er endlich bie freie
Zuftimmung des Menfchen erlangen und feine Mitwirkung
gewinnen fónne. Gottes eigene Verherrlichung md bie
lebendige Darftelung aller feiner Eigenſchaften ift ja ber
legte Zwed aller feiner Offenbarungen nach Außen, fowie
aud) der geheimnißreichen Vertheilung feiner Gnaden. Aber
bei diefer Anstheilung bleibt e& ihm nicht unbefannt, und
fann e8 nicht bleiben, von welchem Erfolge diefe oder jene
Gnaden in der fittlihen Weltorbnung fein würden, wenn
er fie wirklich ertheilen will. IA nun dieſe unfebfbare
Erfenntniß wirffid) in Gott, auch unabhängig unb vor
feinem Weltplane, fo wird Gott aud) in einem unb ben
ſelben Alte zum ewigen Leben als dem letzten Ziel unb
Ende, und zu den ald wirffam erfannten Gnadenmitteln,
namentlich zum donum perseverantiae präbeftiniren. Weil
aber bie ewigen Alte in Gott burd) ihre Beziehung zu ben
geitfichen, endlichen Dingen und Berhältniffen einen virtuell
verſchiedenen Eharafter annehmen, fo kann auch ber gegens
theitigen Anficht fo viel zugegeben werben, daß ber fpes
tielle Entfchluß Gottes, diefem ober jenem Menfchen das
ewige Leben als Lohn für feine SBerbienfle bier auf Erden
zu verleihen, die Borausficht biefer Verdienſte als abfolut
zefänftiger zur Borausfegung bat. In ähnlicher Weife
gebt die Musfährung diefes Entfchluffes, bie richterliche
456 ueber bie scientia media.
Thätigkeit Gottes erft bann vor fi, wenn bie Verdienſte
in ber Zeit wirfflich erworben worden find, und ein wirt
licher Thatbeſtand vorhanden ift.
€. Berwendung der scientia media für die Lehre von
ber Neprobation.
Das fegtbin Glefagte findet fofort feine Anwendung
auf bie Lehre von ber Reprobation. Inſofern biefe bat
ewige Dekret Gottes ift, diefen beflimmten SRenjden bie
ewige pofttive Verdammung zu geben, muß fte die Bor
ausficht ber abfolutszufünftigen Sünden zur Borausfehung
haben, weil ja auch ble pofitive Beftrafung in der Zeit
erft da ftattfinbet, wo bereits eine wirfliche Schuld vor;
liegt. Dazu fommt nod), daß Gott an der Gontrabirumg
der Schuld durchaus feinen. thätigen Antheil bat, und deß⸗
halb bie pofitive SBeftrafung einzig unb allein durch menſch⸗
liches Verſchulden auf moralifchem Wege verurſacht wird,
wogegen die Brädeftination auch bie Zubereitung ber Gnas
benmittel in fid) ſchloß, welche unfehlbar bie ewige Beſe⸗
ligung des Menfchen herbeiführen. Ob e6 nun außer
biefer pofltiven Reprobation noch eine negative gibt, das
hängt von der Wrage ab, ob ein befonderes Gnabenmaf
für bie Auserwählten anzunehmen ift. ober nicht. Wenn
biefe Srage bejabenb zu beantworten ift, wenn namenilid)
die wirffame Gnade der Beharrlichfeit bis zum Ende ber
Ausflug einer befondern Vorliebe Gottes für feine Auser⸗
wählten ift, fo gibt εὖ auch eine SSorentfaltung dieſer
fpegiellen Gnade der Beharrlichfelt (reprobatio negativa
radicalis) und damit auch eine Vorenchaltung der eigen
Geligfeit (reprobatio negativa formalis). Und gerade gum
tiefern SBerflánbnig dieſer negativen Meprobation wurde
Weber ble scientia. media. 491
bie scionlia media in Anwendung gebracht. Gott erfennt
nämlich, daß er ungeadbtet aller Guabenmittel dennoch bel
Bielen die Befeligung nicht ervoirfen Eönne. Sn biefer ums
fehlbaren @rfenntniß voirb er zwar nicht ein Motiv für
irgend eine Beftrafung finden, aber er wirb bie in (rage
ſtehenden Menſchen auch nicht zum ewigen Leben präde-
fliniten fónnen, b. b. negativ reprobiren, ihnen ba6 denum
perseverantiee unb damit die ewige Seligkeit vorenthalten
müffen, ohne ihnen barum die hinreichende Gnade zu ente
ziehen. Es befteht alfo in Gott eine reprobatio nogaliye
post praevisa mala merita conditionate futura, aber ante -
praevisa mala merita absolute futura. Denn fobald Gott
weiß, daß ber Menfch mit ben ibm zu eribeifenben Gnaden
nicht mitwirfen voürbe, obwohl er es fónnte, wird er ihn
auch nicht zum ewigen eben prábeftiniren, fonbern negativ
reprobiren. Selbftredend kann mithin bei ber Anwendung
ber scientia media nur bie negative Reprobation folcher
zur Sprache fommen, welche zum wirklichen, Gebrauche
ihrer Freiheit gelangen werben.
Neue Schwierigkeiten entſtehen jedoch dieſem Erklaͤ⸗
rungo⸗Verſuche, wenn dieſelbe Einwendung erhoben wird,
die bei der Lehre von der Praͤdeſtination beruͤhrt worden
iſt, warum naͤmlich Gott auch ſolche negativ reprobire,
von denen er erkannte, daß ſie unter andern Bedingungen
ihr Heil wirken und ſelig werden würden. Wenn dieſe
Schwierigleit mehr fein ſoll, als bie allgemeine Frage,
warum: Bett überhaupt das Boͤſe zulaſſe, und wenn. fie
bieß gegen bie Anwendung der scientia media erhoben
werben fell, fo muß fie darauf befchräntt: werben, wie. bes
reits oben gezeigt (t, warum Gott Vielen nicht foldpe
Gnaden ertheile, von denen er weiß, daß fie bie freie Zu⸗
458 ueber ble scientià media,
ſtimmung und Mitwirkung des Menſchen bis zum Ende
zur δοίρε haben würden. Sft ba& Seſagie aber wirklich
Object ber scientia media, tann folgt nur fo viel, daß die
&cientia media nicht einfeitig als ausſchließlicher Geſichto⸗
punct geltend gemacht werben darf, wornach Gott bit ges
beimnißreiche SBertbeilung feiner Gnaben anorbnet. Aller
bing8 verbreitet bie scientia media auch über. diefen Punct
ein helleres Licht, infofern fie uns deutlich madpt, wie bie
unendliche Liebe Gottes für feine Auserwählten gerade bie
GSnaden findet, von deren Erfolg bis zum Ende des Lebens
er volkommen gewiß ift, und die Gefahren fern hält, in
denen fie für immer erfiegen wärden, wie fte den Repros
birten folche Ginaben vorenthält, durch deren Verwerfung
fie nur eine um fo größere Schuld auf fich laden würden.
$8» bicfe práferbirenbe Liebe nicht zur Offenbarung kommt,
wie wenn Gott einen bereits ©erechtfertigten in Sünden
fallen läßt, und von bier ruft, ben er auch vorher im
Stande ber Gnade hätte abberufen fónnen, da wollte Gott
feinerfeit6 bod) nur das Beſte des beireffenden Dienfchen,
und Hätte e$ wirklich erreicht, wenn biefer ber Gnabe feine
fhuldige Mitwirkung nicht verfagt hätte. Wreilich hätte
Gott dad Heil dieſes Menfchen durch einen früfern Xo
wirklich herbeiführen können, aber der Menfch fann daher
feine Anklage gegen ble Liebe Gottes erheben, weil bit
befondere Vorliebe, welche er für feine Muserwählten hat
auch an ibm zur. Offenbarung gefommen wäre, wenn εἴ
nur dem Zuge der Gnade bereitwillig gefolgt wäre. Sw
guftin fut bie genannte Schwierigfeit Dadurch ad absur-
dam zu führen, daß, wenn Gott alle Menfchen im Stande
der Onabe fterben ließ, überhaupt Fein fittliches Leben und
Streben mehr möglich (ei, und eine falfche Sicherheit au
Ueber die scientia. media.‘ 459
befien Stelle trete. Vergl. de dono pers. c. 13, Wenn
man demnach nur nicht zu viel von der Anwendung bet
scientia media verlangt, fo leiftet fie allerdings das Ihrige,
und in das Berftänpnig diefer fchwierigen Fragen bet
Theologie tiefer einzuführen.
Schwane.
Wecenfionen.
1.
Heber die Provincial- Concilien und Diöceſan - Synoben.
Bon Iofeph Seiler, Dr. der Theologie, fürſtbiſchoflichem
Gonfiftortalrath, Profefjor ber Kirchengefchichte und des Kir
henrechts zu Brixen. Mit hoher Approbation bes fürft»
biſchoͤflichen Ordinariats daſelbſt. Innsbruck, 1849. Verlag
von Felician Rauch. VI. u. 268 S. Preis 54 kr.
Der Verf. leitet in der Vorrede ſeine Schrift mit den
Worten ein: Es find in jüngfter Zeit fo viele Schriften
. fiber bie Synoden aufgetaucht, daß einiger Muth dazu
gehört, mit einer neuen hervorzuireten. Da ich mir jebod
einen Gegenftand zu behandeln vorgenommen, ber in feiner
diefer neuen Schriften befprochen wird, fo dürfte biefe Ars
beit nicht ganz überflüßig erfcheinen. Die Synobal s gite
ratur ber jüngften Zeit befaßt fid) bi&ber nur mit ber
Didcefan » oder SBietbumé » Synode. 3d) babe auch das
Provincial⸗Concil, unb zwar in feiner natürlichen unb
nothiwendigen Gtelfung zur DidcefansSynode, fo wie nad)
feiner ganzen Firchenrechtlichen Seite in den Kreis meiner
Feßler, Provinziale. und Diöcefan» Gonobern. AB
Unterfuchung aufgenommen. Referent glaubt, das fefenbe
Publicum werbe die Rechtfertigung bea Verf. befriedigend
finden, und ba feine Schrift gut gefchrieben ift, und des
Guten und Neuen viel enthält,: fo bat auch Referent bie
Anzeige derfelben gern itbernommen.
Ueber feinen Stanpunft und bie feitenden Ideen bei
biefer Unterſuchung erklärt er fid dahin, daß er. vor Allem
das biftofifd) beſtehende (pofitive) Sedit. aus den Kirchen,
rechtlichen Quellen und den bewährteften Kirchenrechtsleh⸗
rern der: früher Zeit zu ermitteln gefucht, aber auch jebet»
mal angebeutet habe, wo eine allgemeine Fortentwidelung
nah dem Bebürfniffe ver Zeit ihm ſtatthaft gefd)lenen
babe; jenes habe er für notbwenbig gehalten, weil ein
Umfturz alles Beftehenden eine Revolution auf kirchlichem
Gebiete fein würde, welche von Anderem abgefeben um
fo weniger zuläßig wäre, als das mit bem Geiſte bes
Chriſtenihums im Einklang Stehende, durch bie Geſetzge⸗
bung und llebung ber Kirche Geheiligte, burd bie Zeit
ehrwürdig Gewordene, durch unerwiefene Machtſprüche
nicht befeitigt werben fónne; durch bie bemerkten Anbeus
tungen aber habe er der inneren Berechtigung einer: als
mäligen Entwickelung Rechnung getragen, da’ ja in menſch⸗
lichen Dingen nichts volifommen fei, — Ueber die Diss
eeíans Synoden wird bemerft, bag bei ihrer Schilderung
(Eonfiruetion) ein gewiffe® Idealiſtren nothwendig fet, bief
bürfe jedoch fein einfeitiges ‚fein, fonbern müffe alle δας:
toren ber Synode gleichmäßig umfaflen, aber aud) bie
Wirklichkeit pürfe neben bem Ideal nicht aus bem Auge
gelaffen und dahin gewirkt werben, die vielleicht wider⸗
firebenne Wirklichkeit bem: Ideal ftetd näher und näher
zu bringen. Die National⸗Synode ließ bir Berf. un⸗
40 Γ᾿ tes δεβέει, ᾿
berfüdfdtigt, well fie nàd) bem lanoniſchen Necht b Beine
neihwendigen Beziehung zu bem Provincial⸗Ceneil unb
ber Didcefan »Cunobe ftebt, unb eine nahe Ausficht auf
dieſelbe nidjt vorhanden ift.
Der Inhalt der Schrift zerfällt in drei Abſchnitte,
er erſte handelt €, 1—104 von ben Gentilien und Sy
oben überhaupt, der zweite S. 105— 164 von ben Pre
vincial⸗Concilien, ber dritte S. 165—268 von ben Dice
ſan⸗Synoden. Meferent wird über den zweiten Abſchniit
‚wasführlidger berichten, aus ben zwei andern aber das
Weſeniliche nebft bem diefer Schrift nn aut
heben.
Im erſten Abſchnitt beſpricht der Verf. — den ſeit
zwanzig Jahren vernehmbaren Ruf nad) Synoden, und
‚bie verſchiedenen babel funbbar gewordenen Tendenzen, wu
fommt bann auf bie Bedeutung der Synoden nad Fire
licher Anſchauung; durch bie Prüfung ber hiſtoriſchen
Duelien gelangt er zu bem Refultate: daß ble Syuoden
eine Kirchliche Einrichtung göttlichen Urſprungs find zu
bem Zwecke, um alle wichtigen unb fchwierigern Angeles
genheiten ber Kirche durch bie von bem Herm mit bet
Kirchengewalt Betrauten in gemeinfchaftlichen Verſamm⸗
hingen zu verhandeln, und dadurch die kirchliche Eintracht
und Einheit zu ſichern; in ſolcher Weiſe haben bie Apoſtel
gehandelt, und ihren Nachfolgern ein Muſter und Vorbild
hinterlaſſen. In Beziehung auf die beſondern Zweige der
Kirchengewalt bemerft ber Verf., daß bie älteren Synoden,
welche groͤßtentheils Pronvincial⸗ ober andere größere Con⸗
eitien waren, bie kirchliche Regierungsgewalt in ihrem
gangen Umfange geäbt, bie Wirkfammteit aber ber Diöcefans
Synoden in ber aͤlteſten Seit ich auf bie Bezeugung des
Provinzial⸗ und Sibeeſan⸗ Synoden. £58
Maubeng und das Urtheil über Briefter, Kleriker und
Laien beſchränkt habe, exit im fechften Jahrhundert [ἀβὲ ſich
von ihnen auch bie Entwidelung einer geſetzgebenden Thär
tigfeit jedoch in untergeorpnetem Kreiſe nachweifen.
Sm weiteren zeigt die Schrift, warum trot der wies
verholten Einfchärfung der Synoden burd) bie Synoden
feb diefe dennoch außer Uebung gekommen feien. Im:
der erſten Hinficht. werben in [anger Reihe die allgemeinen
und Broninzials Goncilien aufgeführt, welche bie beftimms
teſten Vorſchriften über die regelmäßige Abhaltung. von
Synoden gegeben haben, denen gemäß ble Provinzial⸗Con⸗
cilien vom vierten bis in das fiebente Jahrhundert aljähr«
lid) zweimal, von da bis in bae fünfzehente wenigftene
einmal, und von ba bis quf das Concil von Trient wenige :
ſtens alle drei Jahre einmal fich verfammeln ſollten. Yür
-bie Discefan » Synoden, baren in den Acten der größern
Geondlien er& um bie Zeit Erwähnung geſchieht, als biefe
bereits anfingen nur einmal im Jahre zufammenzufommen,
beftand bie Borfchrift, daß fie nach dem Provinzial⸗Con⸗
cilium gehalten werden follten, um deſſen Beichlüffe und
andere Belehrungen des Bilchofs zu vernehmen, In ber
‚Unterfuchung. ber lirjaden, welche die Nichtbeachtung
dieſer kirchlichen Vorſchriften herbeigeführt haben, gebt ber
Barf. von ber richtigen Bemerkung aud, daß zunaͤchſt nad)
den Urfachen des Berfalls der Provinzial⸗Coneilien gefragt
‚werben müffe, da durch biefen Verfall die Didcefan Sys
noden gleichfam ihren Boden verlieren, und hier wirb nun
zuerſt die befannte Anfchuldigung, daß bie Päpfte burd)
‚ihr Streben nad) Abfolutigmus und Schwächung der Macht
‚ver Yilchöfe den Verfall der Synoden veranlaft, auf eine
‚glänzende Weiſe dadurch widerlegt, ba der Verf. burd)
464 ö | ele, : ;
De ganze Reihenfolge ber Päpfte von Bitter L bis auf
Benedict XIV. und Pius IX. herab, mit urfunb[idyen Bes
legen beweist, daß bie Päpfte ftet& auf bie Abhaltung von
Provinzial s Goncilien gebtungen haben. Als bie wahren
Urfachen werden angegeben aufer ber menfchlichen Schwach⸗
heit, bie nur von feltenen großen und heiligen Männern
überwunden wird, äußere mächtige inberniffe, wie Striege
unb Unglüdsfälle anderer Art, Behinderung durch weltliche
Sorgen, ober burd) bie Staatsmacht, bie llebertragung
der kirchlichen Gerichtsbarkeit und Gefeggebung an. flehende
Behörden, und damit Ginlenfung in bie büreaufratifche
Bahn nah Art der Staaten.
Mit großer Berebtfamfeit verbreitet fl ber SBerfaffet
febann über die 9totbipenbigfeit, das alte durch ein Zus
farnmenwirfen der ungünftigften Verhaͤltniſſe verfatlene
Synodalinſtitut wiederherzuftellen.. Ausgehend von der
feierlichen Erklärung der 56 Biſchoͤſe aus Deutfchland und
Deftreich zu Würzburg, führt er aus, daß dies ber fo oft
"und nachdruͤcklich ausgefprochene Wille der Kirche fel, bet
jedem Bifchofe heilig fein muͤſſe; daß bie größten Paͤpſte
unb Bifchöfe aller Jahrhunderte biefe8 [aut anerkannt,
daß bie Bluͤthezeit unferer Kirche mit ber Zeier ber Gt
noben im engften Zufammenhange ftehe, unb bie [eptere
ein befonderes Wahrzeichen der Fatholifchen fel, wie im Ge
gentheile ber Verfall derfelben ber Kirche flets große Nach⸗
tbeile gebracht habe. Ganz befonders müffe bie Wichtig.
feit der Synoden in der Gegenwart einleuchten, als δα
Mittel, durch welches bie Kirche ihrer Aufgabe, wie fie
jegt fid geftaltet, allein vollkommen zu entfprechen vermöge.
Sept nämlich gelte e& den gefunfenen Glauben wieder herr
zuflellen, ber. eingeriffenen Gittenfofígfeit zu ſteuern, ben
Provinzial» und Dibcefan » Spnoben, 465
Gefegen durch eine neue Begründung wieder Achtung zu
verfchaffen, und zu blefem Zwecke ben Inſtanzenzug von ben
Provinzial: Goncifien durch die Diöcefan - Synoden zu ben
fogenannten judices Synodales wieder zu ordnen, enb[id)
wie die Macht des Epifcopats fo aud) des Clerus durch
ihre Bereinigung wieder zu flärfen. Zum Schluffe zeigt
der Berf., daß weder die bifchöflichen Bifitationen, noch
die geiftlichen Erercitien des Clerus, nod) bie Thätigfeit
ber bifchöflichen Eonftftorien und Kanzleien, fo nothwendig
jedes biefer Inftitute für feine befondern Zwecke fein möge,
. die Wirffamkeit ber Synoden erfegen fónnen.
Den Abfchnitt befchließt ble wohl motivirte Erinnerung,
daß bei der Wiedereinführung der Synoden an ben kirch⸗
lichen Rormen feftgehalten werden müſſe; biefe Normen
faffen fid) bis in bie erften Seiten der Kirche hinauf vers
folgen, beftehen ihrem Haupttheile nach noch jept zu Rechte,
und fónnen überhaupt nicht nad) der Willkuͤhr Einzelner,
fondern nur durch bie gefebgebende Gewalt der Kirche abs
geändert werden. Diefe gefegliche Normen, welche vielfach
unbefannt find, wollte der Verf. deßhalb in ben folgenden
Abfchnitten fury und Har zufammenftellen.
Dies gefchieht nun zunächft im zweiten Abfchnitt, wo
ber Verf. zuerft bie vornehmften Provinzial» Eoneilien der
festen Jahrhunderte aus allen Ländern als bie Quellen
bezeichnet, aus welchen er die Normen für die Abhaltung
fünftiger Provinzial⸗Concilien geſchöpft hat. Diefen ger
mäß ftcht das Recht ihrer Berufung bem Metropoliten,
pber in deſſen Grmanglung dem Alteften Bifchofe der Pro⸗
vinz zu; in Stalien bebarf es jedenfalls einer Anzeige an
die Congregatio de concilio und ihrer Genehmigung. Res
grimáfig foll das Provinzial» Concil alle drei Jahre, am
Theol. Quartalſchrift. 1850. III. Heft. 30
466 Feßler,
Metropolitanfige ober auch einem andern für ble Suffra⸗
gane bequemen Drte gehalten werden. Zu berufen find
erftend alle (beftätigte, wenn auch noch nicht confecrirte)
Suffragane, auch ber Kapitel-Bicar eines erledigten bifchöfr
liden Sitzes, wie eremte Bifchöfe nad) der Beftimmung
des Conciliums von Trient (Sess. XXIV. c. 2. ref.); ferner
jene Aebte, Pröpfte ober Prälaten, welche über ein eigenes
feinem Bifchof unterworfenes Gebiet eine ber. bifchöflichen
gleihe Zurisdictionsgewalt mit den dieſer anhängenden
Rechten befigen, andere Aebte können, aber müffen nicht
berufen werben, dagegen haben alle Domcapitel der Pros
vinz ein Recht zu verlangen, daß. fie eingeladen werden,
aber feine DBerpflichtung babel zu erfdeinen, wiewohl fie
berfómmlid) fid durch einen oder zwei Abgeorduete vers
treten ließen. Wo übrigens in einer Provinz noch Andern
nad Recht ober Gewohnheit bie Theilnahme am Brovins
zial⸗Concil zuftände, wären auch biefe zu berufen, wohin
die Gewohnheit zu rechnen (ft, bag bie Biſchoͤfe Tcheofogen
beiziehben; ber B. Barolus Borromäus wollte, daß jeber
-feiner Bifchöfe zwei Theologen mit fid bringe, deren Einer
bie Wiffenfchaft, ber Andere bie Baftoral-Erfahrung zu vers
treten fähig fei, Laien, wie fie in der dltern Zeit, wie
wohl unter fehr verfchiedenen Verhäftniffen, auf Goncilien
erfchienen, koͤnnen auch jet noch beigezogen werden, jebod
hängt ihre Zulaffung lediglich von tem Ermeflen ber Bis
fchöfe ab, jedenfalls fteht ihnen nie ein Recht der Ent
ſcheidung zu. |
Üeber die rechtliche Thätigfeit der Theilnehmer
an bem Eoneil leſen wir Folgendes. Der Borfig und die
geitung führt der Metropolit, wenn zwei Kirchenprovinzen
fi zu eingm gemeinfamen Concilium vereinigen, wozu
Provinzial» und Didcefan» Synoben. 467
aber die päpftliche Erlaubniß erfordert wird, beide abwech⸗
felnd; bie Biſchoͤfe, die Aebte mit bifchöflicher Syurióbiction
und bie Kapitelvicare haben eine entfcheidende Stimme,
eine folche fónnen auch bie Stellvertreter der Bifchöfe
haben, wenn ba8 Goncil ihnen eine fulche verleihen wil;
bie Abgeordneten ber Domfapitel mit den übrigen Prälaten
und Theologen haben nur eine berathende Stimme, die
anweſenden Laien nur bann, wenn fte von den Bifchöfen
ausdrüdfich zur Theilnahme an ber Berathung eingeladen
werben; indem ber Verf. nachweist, bag ihnen weder ein
innered nod) ein Außeres hiftorifches Recht aufomme, rein
Kirchliche Angelegenheiten zu entjcheiden. In ber Abflims
mung, wenn feine Gínbelligfeit zu erzielen ift, gibt bie
Stimmenmehrheit den Befchluß, bem fid) bie Minderheit
und ber Erzbifchof felbft, falla er fid) in derfelben befindet,
fügen unb ihn gleich den übrigen Befchlüffen in feinem
Namen befannt machen muß, nur ftebt ihm in biefem Falle
das Rechtsmittel ber Appellation an den Papſt zu. Gámmte
fiche Befchlüffe müffen von Allen, welche eine entfcheidende
Stimme haben, fónnen aber aud) von den übrigen Mit⸗
gliedern unterfchrieben werben, mit dem Unterſchied in ber
Sormel ı definiens subscribo — consentiens subscribo.
Der Gefhäftsfreis des Eoncils begriff nad
den vorliegenden Normen die drei Gegenftánbe: Glauben
and Lehre, Gacramente und Eultus, Gefege und Disriplin;
ber Berf. beftimmt ihn nad) ben vier Kategorien, Geſetz⸗
gebung, Beauffichtigung, Abftellung von Misbraäuchen, unb
firchliche .Geridtebarfeit, Die Gefebgebung Tann daß
Concil auf dreifache Weife üben, indem es bie in ben
frühern allgemeinen Gonci(ien, befonderd bem von Trient,
ſowie in den päpftlichen Conftitutionen enthaltenen, aber
30 *
468 j Beßler,
häufig vergeffenen oder ganz unbefannten Seftimmungen
aufs neue einfchärft, wo diefe nicht ausreichen, fann e$
auch eigene Gefege erfaffen, jedoch nicht contra sed praeler
jus commune, endlich wenn es ihm ſcheint, bag einzelne
Beſtimmungen des gemeinen Rechts durch neue erfeht wet»
den follten, kann es dem Oberhaupt ber Kirche unter Vut»
führung ber Verhältniffe darüber Vortrag erftatten und
um Mohilfe bitten; in ber Schrift find alle drei Buncte
durch Beifpiele erläutert. Das Auffichtsrecht führt das
Eoneil über die einzelnen Bifchöfe der Brovinz in ben
vom Tridentinum Sess, XXI—XXV. angezeigten Beziehuns
gen, es fann jedoch nur ermabnen, und noͤthigenfalls bem
SRapfte bie Anzeige machen. Die Mishräuche, mit deren
Abftelung die Provinzial:Eoneilien fid) befonders befchäfs
tigen follen, find von demfelben Tridentinum Sess. XXV.
in den Decreten de invoc. Sanct. und de indulg. bezeichnet,
unb der Verf. führt das erfte Provinzial⸗Concil des bf.
Karl Borromäus und das Concil von Tours vom Sy. 1583
als Beifpiele an, wie die Provinzial» Goncitien den Papft
um Abftellung von Misbräuchen bitten follen. Die Oc
tidjtébarfeit der Provinzial» Goncilien (ft zwar burd) das
neuere Recht, welches bie causas graviores bem Papſte
und bie Appelationen in zweiter Snftang dem Metropolis
tangericht zumeist, ziemlich befchränft worden, doch bleiben
ihnen bie causae minores und das nicht unwichtige Red,
bie judices in partibus für bie in höchfter Inftanz zur Ents
ſcheidung fommenben Bälle bem Papfte nambaft zu madjen.
Die Form, in welcher ein ProvinzialsConcilium ab
gehalten werben foll, ift in dem Pontificale Romanum und
bem Ceremoniale Episcoporum (beide von Benedict XIV.
durchgefehen) ausführlich befrhrieben. Hinfichtlich ber Vor⸗
Provinzial» und Diöcefan « Shynoben. 469
bereitung gebenft der Berf. ber öffentlichen Ankündigung,
ber frommen llebungen, um bie göttliche Gnade für das
Goncil zu erflehen, der Weife, wie bie einzelnen Bis
ſchoͤfe ὦ von ben Zufländen ihrer Diöcefe eine genaue
Kenntniß verfchaffen, bie Mittel zu ihrer Berbefferung in
den bisherigen Kirchengefegen auffuchen oder auf neue
Bedacht nehmen, der Erzbifchof aber auf ähnlicher Grund⸗
lage ein entſprechendes Schema entwerfen foll, wonach
bei dem Boneil vorzugehen wäre. Die Berhandlungen
felbft werden in der Form von Gongregationen und eigent-
lichen Sigungen gepflogen, in jenen werben die zu faffene
den Befchlüffe vorbereitet, in biefen werden fte. förmlich
gefaßt und verkündet, jene follen täglich zweimal ftattfin»
ben, biefer follen während des Concils Drei gehalten wers
ben, jene in ter erzbifchöflichen Wohnung, blefe in ber
Kathedralkirche. Die Gongregationen [ἐδ find theils
private, in welchen nur die Bifchöfe erfcheinen unb beras
then, theils öffentliche (wöchentlich drei), zu welchen auch
bie übrigen berechtigten Mitglieder beigegogen, und in wel»
hen die 9tefultate der bifchöflichen Privatberathungen bes
forochen werben. Der Eröffnung des Concils geht eine
vorbereitende Gongregation voraus, auf welcher bie Beam⸗
ten des Gonciló ernannt werben, ihr folgt eine zweite, in
welcher bie Ausfchüfie, je aus einem Bifchof und einigen
Theologen beftehend, niedergefegt werben. In ber erften
Sitzung wird das Goncil eigentlich eröffnet, das triden⸗
tinifche Gíaubenébefenntni& und das Gelöbniß des Oehor⸗
ſams gegen den Papfl abgelegt, unb die herfömmlichen
Difeiplinarbeerete verleſen. Von einer Sigung zur andern
bleibt ein Zwifchenraum von 8 — 10 Sagen für bie Bes
tathungen, bie lebte ſchließt mit Einfchärfung ber vom
x
410 | "Ser,
Goncil von Trient vorgefhriebenen Decrete, der Beeibigung
ber Synodalzeugen, einer Anfprache des SRetropoliten, und
den vorgefchriebenen Gebeten.
Die Beſchlüſſe des Provincial⸗Concils müflen zufolge
einer Gonftitution Sirtus V. vom 22. San. 1587 bem
Bapfte zur Einficht und Prüfung vorgelegt werben, das
Concil kann aber aud) um deren fürmliche Beftätigung
bitten, durch welche jedoch, wenn fie erfolgt, ihre SBerbinb
lichkeit nicht über bie Örenzen der betreffenden Kirchenproving
ausgedehnt wird; erft wenn bie Beichlüfie burchgefehen
unb (wo uöthig) verbeflert find, erfolgt ihre Beröffents
lihung durch den Erzbifchof, wobei εὖ nicht ungmweds
mäßig erfcheint, wenn bie bie Laien angehenden Deerete
außer ber lateinijcen auch in der Volksſprache gebrudt
würden. Die Verbindlichkeit der Beichlüffe erftredt ſich
auf alle geiftlichen und weltlichen Perſonen ber ganzen
Kirchenprovinz, auch auf bie Didcefe, deren Bifchof etwa
bem Concil nicht beigewohnt hätte; dieſelbe Verbindliche
feit. erlifcht auch nicht mit bem Tode ber Bifchöfe des Gom
cils, denn bie Gonciliarbejcolüffe find als wahre Gefepe
zu betrachten, und hören beffalb nur auf zu verbinden,
wenn fie entweder ausbrüdlich zurüdgenonmen, ober burd)
neue widerfprechende Gefege aufgehoben werben. Am Schluße
widerlegt der Verf. bie Anficht derjenigen, welche bie Der
erete der ProvinzialsEoncilien für bloße SBónalgefege halten.
Drer dritte Abfchnitt beftimmt zuerſt die Aufgabe der
. Dideefan-Sypnoden. Beltimmung ber Dogmen fant
ihre Aufgabe fdjon darum nicht fein, weil hierüber ben
Brieftern Fein entſcheidendes Urtheil zufteht, wohl aber
fol über bie befte Art ber Verkündung, Verbreitung und
Bertheidigung der Eirchlichen Glaubenslehre verhandelt, bie
Provinzial» unb Didcefan= Synoben. 471
Kirchliche Gejeggtbung aus bem blos gefihriebenen Buch⸗
faben wieder in das lebendige Wort übertragen, und das
mit fie im Ginfíange mit bem übrigen Epifcopat und bem
Oberhaupt der Kirche bleibe, die Befchlüfle ber Provinzials
Concilien, auch bie neueren Gonftitutionen ber Päpfte unb
bie Entfcheidungen. ber. römifchen Gongregationen. befannt
gemacht werben. Eine befonbere Sorgfalt aber Bat bie
Synode ber Befolgung ber Giefege zugumenden, theils durch
bie gegenfeitige Ermunterung aller würdigen Prieſter auf
bet Synode, theild burd) Ueberwachung derjenigen, deren
Wandel ober Amtsführung gerechtem Tadel unterliegt.
Da bie firchliche Gerichtsbarkeit fid) jegt in den Händen
ſtehender Behörden befindet, fo hat ber Bifchof auf bet
€pnobe für die dritte Snftang befondere Richter zu bes
fielen; ob aber ber Verſuch, Brivatftreitigfeiten unter Geifts
lien und Körperfchaften auf ber Synode beizulegen, große
. Refultate gewähren könne, bezweifelt Referent ebenfo, ale
daß bie Synode auf bie gute Befegung der Pfarreien einen
bebeutenben Einfluß werde haben können, fu lange bie Pas
tronatrechte beftehen.
3n der Beantwortung der Frage, mer der Diöcefans
Synode anzuwohnen habe, bezeichnet ber Verf. zuerft nach
ber beſtehenden Gefeggebung und llebung als Theilnehmer
den Bifchof unb fein Kapitel, die Geiftlichen überhaupt
und befonberó bie GCeeljorger, von ben Drdensgeiftlichen
alle aud) fonft eremte, bie unter feinem Generalcayitef,
oder in der Seelforge fteben, mit befonderer Sorgfalt unb
Gruͤndlichkeit behandelt er aber bie Frage, ob auch ben
Laien eine Theilnahme an ber Synode rechtlich zuftehe?
€t geht auf die Gründe ein, womit bie neueften Laien-
vertreter H. v. Weflenberg, Dr. Haitz und Dr. Hirfcher
472 Feßler,
ihre Forderung unterflügen, und zeigt, daß aus ben von
ihnen hieher gezogenen Bibelftelen fein unbebingter Antheil
der 2aien an den Synoden und noch weniger an ber cigents
lichen SKirchengewalt, fonbern nur foviel folge, daß bie
Apoftel in gewiflen Fällen auf bie Wünfche ber Gläubigen
foviel möglich Rüdficht nahmen, eine Rückſicht, die aud
beut zu Tage noch flattfinden könnte. Befonders treffend
ift bie Widerlegung der aus dem DBeifpiel unb den Schrifs
ten des heil. Gyprian hergenommenen Beweiſe; der Berf.
zeigt durch die fíarfte Auseinanderfegung der damaligen
Zeits und Sachverhältniffe, daß bie Beiziehung der Laien
zur Kirchenregierung bei dem heil. Eyprian theils als eine
tein. perfönliche, tbeilà, infofern fie ihm mit den andern
Bifchöfen feiner Zeit gemeinfam ift, als eine ganz außer
ordentliche Maßregel erfcheine, wobei nicht einmal gewiß
fei, ob dieſe Beiziehung auf eigentlichen Synoden oder auf
andere Weife geſchah. Auf bie übrigen Gründe: daß bie
Laien für Firchliche Anordnungen fein Sntereffe haben,
ihnen feine Unterftügung leiften, zu feinem Gehorfam willig
fein werben, wenn fie nicht zur Synode beigegogen wer
den, — wird geantwortet, Sntereffe für eine Sache ent:
fiehe aus der den Berftand und das Herz anfprechenden
Darlegung berfe[ben oder durch eigenes Nachdenken darüber;
bie größten Männer hätten fid für Dinge intereffirt, wo
fie nicht mitzufprechen hatten, und jeder werbe biefe Er⸗
fabrung an (id felbft gemacht haben. Was ben Geboríam
betreffe, fo fenne er ald Chriſt nur einen zweifachen Ges
borfam, einen, der fid vor Gott und Gottes Gebot beugt,
felbft wo er bie Gründe des Gebots nicht einfieht, wie
der Gehorſam Abrahams, unb ben Gehorfam, welder auf
flarer Einficht ber inneren Gründe des Gebotes beruft,
Provlnzlal⸗ unb Didceſan⸗Synoden. 473
‚wie der Geborjam Chriſti; der Geborfam aber, welcher
fi nur herbeilaffen will, wenn er das Gebot ſelbſt ges
geben hat, biefer Gehorfam ftamme nicht aus bem Chri-
fentbum, fondern aus bem unbändigen Geiſtesſtolze, ber
Krankheit unferer Zeit, wo jeder befehlen und feiner ges
horchen will, einer Krankheit, welche nur durch die Rüds
febr der Welt zum Gehorfam unter die höhere Auctorität
geheilt werben fónne.. Sn ähnlicher Weife antwortet ber
Berfafier auf bie Borftelungen, daß durch den Zuzug ber
Laien die Parteiungen unter den Geiftlichen ausgeglichen,
ihre Beratungen gefördert und geleitet werben fónnten;
mit Recht wird erwiebert:s wenn ber kindliche Geborfam
fo ganz verfhmwunden ift, wie jene fagen, fo fehle auch
alle Seldfiverläugnung und Beherrſchung der felbftifchen
gcibenfdjaften, und bei biefem Zuftande fónnte barum bie
vorgefchlagene Maßregel nur zu noch größerer Verſchlim⸗
merung führen. Der.Berf. fchließt mit den Worten: es
fieht feft, daß in ben lebten drei Jahrhunderten bei ben
Didcefan-Synoden Laien als mitwirfende Theilnehmer ober
Mitglieder berfelben nicht zugelafien wurden, gegen biefe bes
fiehende Kirchliche llebung fónnte alfo fein Bifchof ben
Laien irgend eine Stinnme bei den DiöcefansSynoden eins
räumen — ohne Zufimmung des apoftolifden
Stuhles. Referent febt bei: ber apoftolifche Stuhl hat
fib bereits über bie in Rede ftebenben Borfchläge ausge,
fproden, und aus bem Fatholifchen Klerus ift eine nams
bafte Zahl fehr adtbarer Stimmen dagegen aufgetreten,
fo daß man annehmen darf, bie aufgeregte Frage werde
vorderhand ruben,
Die Berufung der ordentlichen Theilnehmer zur Sy
node ‚geht vom Bifchofe aus, er beftimmt auch die Zeit
474 Feßler,
und den Ort der Zuſammenkunft, und da in unſeren
deutſchen Disreſen nicht alle Prieſter, ja kaum alle Seel
forger (Pfarrer) erfcheinen Tönmen, fo trifft der Biſchof
unter Rüdfprache mit ben Defanen eine Auswahl beret,
welche an der Synode jedesmal perfönlich Theil nehmen,
unb derer, welche zur Berwaltung der Seelforge zu Haufe
bleiben follen; dies Alles (ft ben beftehenden Geſetzen unb
Gewohnheiten gemäß. Dagegen ift von einer anbeten
Seite, derfelben, welche bie Laien beigiehen will, ber Bor
ſchlag gemacht worden, biefe Auswahl durch den Klerus
vornehmen zu [affen. Unfer Berfaffer bemerkt dagegen,
bag bie zur Unterſtützung dieſes Vorſchlags beigebrachten
Grünbe febr [Φιοα feien und zum Theil auf falfıhen Vor⸗
ausfegungen ruhen, daß der Borfchlag, abgefeben von feiner
Neuheit, geeignet fet, Mibtrauen gegen den Bilshof zu ers
weden und zu náfren, ſchaͤdlichen Tendenzen und Leidens
fchaften Einfluß auf bie Wahl unter ber Maſſe des Klerus
zu eröffnen (der Bifchof wäre jedenfalls nur Ein Maun),
Barteien im Klerus hervorzurufen und ble bereits beſtehen⸗
ben zu verftärfen, enbíid) den Synoden felbft eine bemos
Fratifche Färbung zu geben, welche mit ber Grundverfaffung
der Fatholifchen Kirche unvereinbar if. Dad ift der Veif.
nicht entgegen, daß die Bifchöfe jeder Kirchenprovinz fi
über bieje rage verftánbigen, und wenn fie es für noͤthig
erachten, die rage dem heiligen Stuhl zur Entfcheidung
vorlegen.
. Meder die Art und den Grad ber Betheiligung bet
verfchiedenen Mitglieder an ber Synode wird ber einzig
richtige Grunbfag aufgeftellt: bie Stellung der Briefer
zum Bifchofe iff auf ber Diöcefans Synode die nämliche,
wie außer berfelben; bie Synode gibt an und für fij
Beodinztal» und Dideefan » Synoben. 475
feine neuen und befonbern Rechte, infofern ihnen folche
nicht ausdruͤcklich von. einem allgemeinen Gonci[, ober von.
bem römifchen SBapft ober dem Bifchofe felbft innerhatb
ber Schranfen feiner Befugniflfe eingeräumt‘ werben. Dem
gemäß bleiben bie den Domkapiteln vermóge ber Kanones
zuſtehenden Rechte auch rückſichtlich der Synoden vorbes
halten, den übrigen Prieſtern ſteht auf der Synode eine
berathende, dem Biſchof allein aber die entſcheidende Stimme
zu, ſowohl bei der Geſetzgebung als in der Ausuübung bed
Richteramts, obwohl er die richterliche Gewalt nach dem
ſtaͤten Herkommen an gewiſſe Prieſter auf widerrufliche
Weiſe übertragen kann, welche ſie dann als eine delegirte
Gewalt ausüben. Der Verf. beleuchtet aber auch ſehr
gründlich den neuerlichen Verſuch, ven PBrieftern auf bet
DideefansSynode eine entfcheidende Stimme zu vindieiren,
er weist: aus der Analogie πα, daß das in einzelnen
Stellen des neuen Teftaments vorfomntenbe Wort πρεσ-
βυτέροε für bie entfcheidende Stimme unferer Priefter nichts
beweife, er geigt auf eine fchlagende Weife, baf bie aus
Cyprian beigebrachten Gitate unrichtig gedeutet, ober von
ben. BrovinzialsBoncilien auf die Dioͤceſan⸗Synoden übers
tragen, ober gar alterirt, wo nicht gar gefälfcht worben
find. In ähnlicher Weife werben auch bie aus willfihre
lichen Reflerionen abgeleiteten Beweiſe abgetiefen.
. . Referent muß zum Schluße eilen, unb kann baber
über bie lebten Paragraphen ber Schrift in Kürze nur
Folgendes bemerfen. In bem $. 16, weicher von ben
Vorbereitungen zur Synode handelt, verdient das über bie
Beziehung des Provinzial» Coneild zur Diöcefan » Eynode
fowie über bie Bifitation Gefagte befondere Beachtung;
über bie Worm der Abhaltung der Didcefan» Synode bes
416 Feßler, Brovinzial- und Didceſan⸗Syuoden.
fchränft fich ber Verf. auf bie Grunbrifie, indem er auf
das Pontificale Romanum und das Ceremoniale Episco-
porum. verweist, und an bie Worte Benedict des XIV. ers
tanert: ein einfidotévoller Bifchof werde fid in dem,‘ wo :
er nicht durch ein höheres Kirchengefeb gebunden ift, nad
Zeit und Srt. richten, und wohl auch Einiges, was früher
ublich war, unterlafjen, je nachdem er es für bie gute
Regierung ‚feiner Diöcefe erfprießlicher fürden werde, Syn.
Dioec, lib. V. c. 3. n. 7. — Aus tem Schlußworte nod
Folgendes: das Berlangen nad Synoden ift. in unferet
Zeit allgemein, wenn aud) Manche dem allgemeinen Ber
bärfniß ihre eigenen Gebanfen und Wuͤnfche unterfchieben ;
bie Bifchöfe haben Synoden in Ausficht geftellt, ein fiches
ws Zeichen, daß fie folche für möglich halten, und dazu
geneigt find; bie. Synode von Piftoia hat gezeigt, wohin
bie Berlaffung ber altfirdhlichen Bahn und bie Reuerungss
ſucht führe, barum haben bie Bifchöfe Frankreichs, fid) an
Die firdjfid)en Normen Baltenb, mit der Abhaltung von
Brovinzials@oneilien begonnen; damit muß auch bei und
angefangen werben. Aber bie Brovinzials Eoncilien wie
ble Diöcefan« Synoden müflen wohl vorbereitet werben,
unb biefe Vorbereitung braucht Zeit; darum wolle Ries
mand, ber ἐδ mit der Kirche gut meint, bie Bifchöfe zu
febr drängen, damit das Werf nicht überftärgt werbe, unb
feine Früchte zu SBerfuft geben. Der Unterzeichnete zählt
das vorliegende Werk zu den beften, welche üt der jüngften
Zeit über die Genoben erfchienen find.
Drey,
€*
Kirche u. Staat in Bayern. Abel u. f. Nachfolger. 477
2.
Kirche und Staat in Bayern unter bem Miniſter Abel
und feinen Wachfolgern. Eine Eirchlichspolttifche Denke
(drift. Schaffhaufen. Verlag ber Qurter’fchen Buchhand⸗
lung. 1849. X. u. 428 €. in 8. Pr. 2 f. 42 fx.
Wie interefant der Stoff des vorliegenden Werkes fet,
zeigt fon der Titel. Um aber zur Beurtheilung der fper
siellsbayrifcyen Tirchenrechtlichen Zuftände einen feſten Bo⸗
ben zu gewinnen, ftellt der Berfafler eine allgemeine Abs
handlung über bie €ntftebung von Kirche und Staat und
ijr SBerbáftni zu einander an die Spige feines Buches.
Nachdem er hier die Aufgabe und das Ziel ber Kirche
im Allgemeinen fe&geftellt und namentlich gezeigt hat, baf
die Kirche nicht Weinbin ber Wreibelt, vielmehr ihre eigent-
liche Schägerin und Pflegerin fei; fucht er das Weſen des
Staates näher fennen zu lernen und geht dabei auf eine
fehr logifche und gründliche Weife auf bie Anfänge feiner
Cnifiebung unb. Entwidlung zurüd, im Gegenfag zu ben
vielen Theoretifern, bie den ‚Staat unb fein Gebäude bios
nach Abftractionen und vorgefaßten Begriffen ohne Berüds
fihtigung ber Sachlage der Gefchichte conftruiren. Sofort
wird gezeigt, welche Aufgabe bie Kirche bem Staate ger
genüber hatte, wie (id) biefe Aufgabe in verfchiebenen Zeiten
verfehieden nach dem Grade der Bildung und Bildungs
fähigfeit der Völker mobificirte, wie bie Kirche beſonders
im Mittelafter, beffen vorgebliche Schattenfeiten er auf ihr
gerechted Maaß reducirt, bie germanifchschriftliche Gocietdt
auf die Stufe zu erheben fuchte, daß in ber Tommenden
Zeit „dur felbfändige lintererfung des Geifteó im
Glauben der Abfolutism des Willens, burd) freie Aner⸗
48 — co Rude gu Cant In Dae coc 5
fenmung einer innern und höhern Macht ber Abfolutism
der Gewalt, wie burd) bie freie Unterordnung unter die
höhere Idee ber Gemeinſchaft der gebenégüter durch freie
Berzichtfeiftung auf biefelben der Abfolutism des Beſitzes
in fich felbft überwunden werde“. Daß aber biefer beris
fache Abfolutism, namentlich ber Abfolutism der Gewalt
£d) feit ber fegenaunten „Reformation“ immer mehr aue;
gebreitet und in fatfolijden wie proteflantifhen Laͤndern
eingebürgert babe, ift vom Hrn. SSerfaffer an ber Hand
ber Gefchichte bargetban, und gezeigt, daß auf bie peli,
tische Härefle ber Sürften: ihre abfolute Gewalt, die fe
pflichtvergeſſen an fid) geriffen und mit ber fie herrfchten
nad) Willkühr, {εἰ von Gott und jede ihrer Handlungen
trage göttlichen Charakter in fi, „pie Gewalt rube alfo
nur in ihnen“, als Gegeníag bie andere Haͤreſie fommen
wußte: bie Gewalt ber Kürften fomme vom Volk, unb vie
»Sürften feien don bes Volkes Gnaden“. Diefen beiden
politifchen Härefien gegenüber wird fobann bie Wahrheit
verfochten, daß wohl alle Gewalt von oben fomme, aber
wicht einfeltig in einer der Spähren ber politifchen Socie⸗
tät allein ruhen könne, fondern in jeber nur in befonderer
Weiſe. Zulept wird noch feftgefept, welche Aufgabe bet
Staat, nachdem er eigentlich aufgehört, ein dhriftficher
oder Fatholifcher zu fein, in der Gegenwart habe, und wie
son ber Loͤfung dieſer Aufgabe Gluͤck oder Verderben
abhaͤnge.
Rah dieſer lichtvollen Einleitung, in welcher bet
khönfte Bragmatismus ber. Gefchichte zu Tage tritt, wirft
der Hr. Berf. einen Dli auf die kirchlich⸗politiſchen Zus
Hände ber früheren, bem Minifterinm Abel vorausgehenden
Periode und. zerſtoͤrt bier bie Illuſton, at& οὗ Bayern ein
: Abel und feine Nachfolger. 4
katholiſcher Staat geivefen wäre. Er zeigt, fele man
fi in Bayern beftrebte, wie in politifcher, fo in kirchlich⸗
politifcher Hinficht bie abfolute Eouveränetät nad) abflrarten
Theorien eines alles von Born anfangenden hohlen Phi⸗
loſophismus der Illuminaten mit der frechſten SBillfübr
burchzufeßen. Daher das Beftreben, „den reinen Guítue
der chriftlichen Religion einzuführen“, „ven. Geiftlichen zu
feiner urfprünglichen Befimmung zurädguführen“, d. B.
ben Clerus völlig zu entwürdigen unb in eine Art Poli⸗
jeimannfchaft umzuwandeln, das Kirchengut zu färularis
firen und jeglide Stiftung als Staatseigenthum zu er»
Hären, taber neben der polizeilichen Bevormundung bet
Kirche auch bie des Privat⸗ und öffentlichen Lebens; aud)
bie Collifion Des Goncorbateó unb der Gonftitution, bie
Verationen eined Sailer, Savigny, Wittman, Baader sc.
und nod) manche andere in unferm Buche befprorhene
Erfgeinungen zeugen von dieſem abfolutiftiihen Streben.
Daß unter der Regierung des Königs Ludwig auf pelitis
ſchem voie Firchlichem Gebiete eine beffere Zeit fam, ſtellt
ber Hr. Verf. nicht in Abrede, aber bie beigebrachten Data
jeigen auch, wie der Eirchenfeindliche Geift immer wieber
fi) geltend machte, wie namentlich das Miniſterium Wal⸗
lerſtein ſeine Aufgabe nicht begriffen.
Bon S. 107—226 werden bie: Zeiten des Miniſteri⸗
ums Abel dem Lefer vor Augen gefübrt. Mit bem Kölner
Ereigniß war in Deutfchland ein Ermaden zum kirchlichen
Bewußtfein, zum fampfe, bie religiöfe Freiheit gegenüber der
Omnípoteng des Bolizeiftaates zu erringen, eingetreten, unb
Bayern hätte bie Aufgabe erhalten: „vie religiöfe Freiheit
ber Gonfefftonen überhaupt zu wahren , um jeglichen Ueber⸗
griff ber weltlichen Macht einerfeits felbR zu vermeiden
2290 $i: und Staat In Vahern.
and anderſeits auch jedem verfolgten. Rechte Schuß und
Schirm zu gewähren®. Diefe Aufgabe ber Löfung näher
zu führen, fam eben dem Minifterium Abel zu, und gerabe
die Darftelung und Gritif der Art und Weife, wie biefe
Aufgabe geíóft wurde, bildet den Kern der Denkfſchrift.
Um entfcheiden zu fóunen, „ob bie ſchon oft vorgebrarhten
Befchuldigungen wahr feien, ob. wirllich Abel den Staat
der Kirche untergeotbnet, ob wirklich Bayern von ben Prie⸗
fern. beherrſcht worden, ob wirklich bic übrigen Berfium-
nie und Bebrüdungen auf Rechnung der übermäßigen,
ale Bluͤthen ertötenden Herrichaft des Ultramonatismus
femmen, ober ob fid) dieß nicht anders verhalte, ob nicht
in umgelehrter Weiſe auch fortan ned) bie Kirche under
ten Bolizeiftante geftanden unb ob nicht aud) fie gerechte
Urſache hatte zu Hagen und nach Befreiung fi. zu ſeh—⸗
nen“, — beflimmt zuerft der Hr. Berf. bie Aufgabe Abel
und feines Miniſteriums und vergleicht damit fein Wirken.
Das durch eine gründliche Nachweiſung vom Hrn. Berf.
gewonnene Refultat können wir in folgenden Sag faffen:
das Winifterium Abel that allerdings, namentlich in ber
erben Zeit Bieles, was den Geiſt ter Negation und des
Antichriſtenthums gegen Rd) herausrufen mußte, während
es bei Männern, die gerecht und billig denken, nur Aner⸗
fennung finden fann; andererfeits war aber Abel fo ganz
ein Mann bes bureaufratifchen Gentraliſationoſyſtemes, ber,
wenn gleich ber Kirche von Herzen und mit Leberzeugung
sugeihan, auch Bieles, was einen Eirchlichen Aufſchwung
hätte beförbern koͤnnen, vernachlaͤßigte, ober bewirkte, daß
jene Einrichtungen, welche pofitiv auf eine Neubelebung
bes chriftlichen Geiles wirken follten, oft eine einſeitige,
in fij geichwächte, ja vielfach kraͤnkelnde Entwicklung
Abel und feine Nachfolger. 481
nahmen. Auf gleich fare Weife hat ber Verf: ebenfalls ben
Rachweis geliefert, daß aud) das politifche und ſtaatsöko⸗
nomifche Wirken Abeld allerdings viele Blößen barbietet,
daß aber diefe nicht auf Rechnung des llítramontaniémué
gefchrieben werben können, fonbern ihre Quelle in Abels
abfolutiftifcher Richtung haben, mit der er bei der fcharfen
Faſſung des manarchifchen Princips ben Rechten des Volkes
und ber Stände zu nahe trat. Ebenfo zeigt der 9Berf.,
dag auch bie Proteftanten unter Abel in ihrer refigiófen
Freiheit mannigfach beeinträchtigt und beengt waren, daß
dieß jedoch nie zu Gunften der Katholiken gefchehen fei,
und daß die von proteftantifcher Seite erhobenen Klagen
weitaus übertrieben feien. Bei biefer Sachlage findet man
e$ begreiflich, wenn die Denkfchrift fagt, bie legte Zeit fei
wie Alpdruk unheimlich auf den Gemütbern gelegen, unb
Biele hätten lieber einen offenen Bruch zwifchen Kirche
und Staat als eine folche Mesalliance beider, lieber ben
offenen Krieg als den unheimlichen und faulen Frieden
gejehen. Diefer Sturm kam wirklich mit dem Lola Don
tanismus, unter welchem die Schleußen langverhaltenen
und nur bie unb ba ausgebrochenen Aergers einer protes
flantifen und pfeubofiberalen Richtung geöffnet wurden
und Fluthen über bie unglüdlichen lltramontanen und
Sefuiten beranbrangen, um, wenn thunlich, fte fämmtlich
im „&olameere“ der Freiheit zu erfäufen; alle Lärm- unb
Poltergeifter wurden losgelaffen, bie ganze 9tüftfammer
von Lüge und Berläumdung geöffnet, um die vorgebliche
Sinfterníg und Defpotie des Ultramontanismus und ber
Hierarchie zu beiämpfen. Den nähern Berlauf diefer „Zeit
des Lola⸗Montanismus, der Morgenröthe und ber neuen
Freiheit" (egt ter Hr. Berf. von S. 227— 381 näher
Theol. Quartalſqhriſt. 1850. Heft II. 31
482 Kirche und Staat tu Bahetn.
alío dar: Zuerſt vertbeibigt er das Miniſterium Abel we
gen bes befannten Memerandums gegenüber der Schand-
prefie, bann führt er die in Umlauf gefegten Begriffe von
» Ultramontantsmus und Sefuitismus*, womit eigentlich
nur das neu erwachte Tatholifche Leben von einer gewiffen
proteßantifhen Fraction und dem ganzen pſeudoliberalen
Chor in Mißcredit gebracht werden wollte, an und rectifls
eirt fle, ebenfo finden die den Ultramontanen gemachten
Hauptvorwürfe ihre Würdigung. Um zu zeigen aber,
daß bie vielgepriefene Morgenröthe nur „die Schamröthe
gewefen, die bie Schande, bag Bayern durch eine Lola
Monte, regiert werbe, jedem fittlichen Manne ind Geſicht
trieb“, betrachtet er die Gaben, welche die „rofenfingerige
E08 des Minifteriums Maurer Zu⸗Rhein verheißen“, uns
terwirft fie einer Gritif vom katholiſchem Standpunkte aus
und ftelit eine Bergleihung an zwiſchen den gemachten
Hoffnungen und den Thatfachen. In diefer Vergleichung
weißt bie Denffchrift auf fihlagende Weife nach, wie wenig
man fid) für verpflichtet hielt, bie gemachten Verfprechuns
gen ben SKatholifen gegenüber zu halten, wie partheiſch
namentlich die Preſſe gehandhabt, wie wenig bie Kreibeit
ber Wiffenfchaft, und bie religiöfe Freiheit refpectirt wurde,
wie felbft die inbuftrielle Aufgabe vom Minifterium „der
guten Hoffnung“ aufer Acht gelaften, die Rechtspflege aber
durch Acte der Τρ ἀν in Folge lolaiſcher llfafe nicht ve»
fondern beformirt wurde. Mochte e8 auch unter den neuem
Miniſtern Walerftein und Bergks in dem einen und ans
bern Punfte etwas beffet geben, im Ganzen wurde bod,
wie ber Verf. zeigt, „das Syſtem abfichtlicher Täuſchung
und Lüge“, mit welcher das Miniftierium Mauser Zus
Rhein bem König gegenüber begonnen, vor aller Welt
Abel und feine Nachfolger. 483
forigefegt unb erweitert; und wenn aud in $olge der
Märzerrungenfchaften unter dem Einfluffe des min „fous
deränen“ Bolfes das Miniſterium ein anderes wurde, ber
Hr. Berf. aber behauptet, daß man in Bayern trog ber
Märzerrungenfchaften und Freiheiten nod) immer auf bem
alten Boden des Drufs der Bolizeibevormundung und des
Staatskirchenthums ftebe, als deſſen belebende Seele nod)
immer die bewußte unb unbewußte Täufchung und Ge
ſpenſterſeherei des Ultramontanismus erfcheine; fo ſpricht
leider bie Erfahrung für ihn. Zwar find einzelne Sterne
einer befferen Zufunft am kirchlichen Himmel Bayerns aufs
gegangen, wir erinnern nur an die Reactivirung der unter
dem Lolas Montanismus abgefehten Brofefloren ꝛc., aber εὖ
bat nod) Vieles zu gefchehen auf dem firchlichen, politis
ſchen und focialen Gebiete, fol -anbeté eine beffere Zukunft
eintreten.
Zum Scluffe feiner Denkfchrift felit ber Hr. Verf.
mod) eine Betrachtung an über bie Gegenwart im Großen
unb Gange unter Angabe des ihm wahrfcheinlichen Ents
wicklungsganges der nächften Zukunft, von S. 382—425.
Sein Schiboleth lautet dieß Falls: „extra ecclesiam nulle
salus^. Nach feiner Geſchichts⸗ und Weltanfchauung fa»
men ihm nämlich bie Ereigniffe der Neuzeit nicht uners
wartet — unerwartet war ihm nur wie vielen Andern,
die Sturmeseile, in welder fie fid) drängten — die Ges
genwart ift ihm vielmehr nur bie Entwidlung ber legten
unb duferften Folgen, bie in und mit der Reformation
smbryonifch grundgelegt wurden, infofern die chriftlichen
MWölfer, nachdem fie im Gebiete des Geiftes und ber Gr»
fenntnig, im Gebiet des Willens und der Gewalt und
&enfo im Gebiete bed. Lebens eine falfehe Richtung «ins
31° !
484 Kirche und Staat in Bayern.
gefchlagen, zu diefer Auflöfung der frühern Orbnung im
mer mehr hingebrängt wurden. Wie man diefer Auflöfung
auf allen drei Gebieten zu begegnen fuchte, aber aud) ben
Orund. des Mißlingens fraglicher Beſtrebungen, Bat er
aufgebedt; unb menn er fofort zu erweifen fucht, daß bie
Menfchheit jegt an einer Stufe angelangt fei, bie alle
Achnlichkeit habe mit ber römifchen Welt in den erften
Jahrhunderten unferer Zeitrechnung, bag jebt namentlich
flatt des geheimen, frieneheuchelnden Krieges des Polizei⸗
flantes ein offener und ebenfo heftiger Kampf wie gegen
alles pofitive Chriftenthbum, fo bejonberé gegen bie Kirche
fommen werbe; fo find allerdings ſchon mandye Border
[ἅδε zu biefen Solgerungen gegeben; aber bie Gefchichte
der Bergangenheit berechtigt auch zu ber Hoffnung des
Hm. Berf., daß bie Kirche, und alle, bie an fie fi ans
fehließen, aus dem Kampfe mit dem modernen Heibenthum,
wenn aud) erft nach vielen Leiden und Berfolgungen, fiegs
reich hervorgehen werben.
Gebr beherzigenswerth ift. enblid), was ber Verf. eins
zelnen kirchlichen Ultras gegenüber in Betreff der Knaben
- ftminarien (&. 159 — 163) und einer ,,franf$aften Pſeudo⸗
Aſceſe“ (S. 163 ff.) fagt.
Rept. &tip.
3.
Wie Weilfagung Jacobs über das zukünftige glückliche Coos
bre Stammes Inda unb deſſen großen Nachkommen
Schilo, 1. Mof. 49, 8—12. Eine eregetifch- hiſtoriſche Abs
handlung v, feur. Reinke, Dr. ber Philofopbie u, Theologie,
9teinfe, Welffagung Jacobs. 485
ordentlichen öffentlichem Profeſſor ber Theologie und orientalis
fihen Sprachen an ber koͤnigl. preuß. 9 fabemie zu Münfter
in ZBeftpbalen. Münfter. 1849. Berlag der Coppenrath'ſchen
Buch⸗ unb funflfjanblung. Br. 1 fl. 27 fr.
Die hier befprochene Weiffagung Jacobs ift eine bet
wichtigften und fchiwierigften von den meffianifchen Weiſſa⸗
gungen des A. T., unb es find bis jegt felbft diejenigen,
bie fid) für bie von Vielen geläugnete meffianifche Bezies
hung derſelben enticheiden, in Auffaffung des Einzelnen
nicht einig, Dadurch ift eine neue und ausführliche Bes
handlung derjelben, wie fie hier vorliegt, fehon hinlänglich
gerechtfertigt. Der gelehrte Hr. Verf., bereits durch mebs
rere eregetifche Monographien rühmlich befannt, fpricht
zuerft in einer furzgen Einleitung von ber Wichtigfeit ber
fraglichen Weiffagung, wobei er namentlich hervorhebt,
daß diefelbe ſchon fíarer und beftimmter fel, als bie früs
heren ebenfallà- auf die meffianifche Zeit bezüglichen patri»
archalifchen Verheißungen, indem fte ben Segen jener Zeit
von einem einzigen großen Ariedebringer ausgehen unb
fiber alle Völker fid) verbreiten faffe, unb legt bann nod)
. einen furzen Plan feiner Monographie vor.
Diefelde Handelt zuerft von den „Beweisgründen übers
haupt, nad) welchen über bie Meffianität einer Stelle
entfihieven werden müfje*. Unter biefe gehören zundchft
tie Namen und Präpdicate, bie eine Perſon erhalte; wenn
ihr nämlich „folche Eigenfchaften, Namen, Handlungen
und Berrichtungen beigelegt werben, bie von feinem ans
dern als von bem Meſſias ausgefagt werden fönnen und
bie nur in ihm ihre Erfüllung erhalten haben“, fo fiege
hierin ein wichtiger Beweisgrund für die Meffianität einer
Weiffagung. Ein anderer Beweisgrund fónne in Parallels
486 | tinte,
ftellen liegen; wenn fich nämlich zwei ober mehrere ter,
felben auf einerlei Perſon beziehen und die eine ober antere
erweislicher Maaſſen mefftanifch fei, fo fei bie ein Beweis
für bie Meffianität aud) ber übrigen. Ein britter und ber
bebeutenbfte Beweisgrund für foldhe Meffianität liege aber
in dem Zeugniß des neuen Teftamentes, wobei nur unters
fehieden werben müffe, ob eine altteftgmentlidye Stelle im
eigentlichen Sinne und ausfchließlich von bem Meſſias und
feinem Reiche erklärt, ober in ihr nur „etwas Vorbildli⸗
ches, Typiſches und Sbeelle& * gefunden werde, „was in
der Geſchichte Gorifti und feines Reiches erft feine voll:
fommene Grfüllung erhalten ſollte“. Gin vierter Beweis
grund endlich liege in ber Erklärung des jübifden unb
chriſtlichen Alterthums. Mit Recht wird das Hauptgewicht
auf den dritten und zum Theil auch auf ben vierten Bunft
gelegt; denn bie erften beiden Punkte kann aud) derjenige
zugeben (und gibt fie ohne Zweifel zu), der nirgends eine
meffianifche Weiflagung anerkennt, weil er in jebem eim
zelnen Sale eben nicht zugibt, bag bie fraglichen Namen,
Eigenfchaftenze. bloß vom Meſſias ausgefagt werben fóm
men, unb bie etwa zu viel fagenben Ausdrüde als poetifche
llebertreibungen ꝛc. auffagt. In Betreff der jüdiſchen
Ausleger war die Bemerkung nicht überflüßig, daß man
fi bauptfächlich an die älteren berjelben zu halten habe,
weil diefe noch an ber eregetifchen Tradition der Vorzeit
fefthielten, welche von ben fpätern in Folge ihrer Polemik
mit den Chriften nicht felten verfaffen worden fei.
An bie Darlegung der Beweismittel für bie Meſſia⸗
nität altteftamentlicher Stellen fehließt fid) bie Nachweifung
ber Aechtheit der Weiffagung Jacobs (Gen. 49.). Hr. 9i.
zeigt zuerſt, bag bie Geneſis überhaupt Acht [εἰ und ihre
Weiſſagung Jacobs. 481
hiſtoriſche Nachrichten durchaus Glauben verdienen, unb
bann, daß diefes inébejonbere vom Segen Jacobs gelte.
Fuͤr feinen Zwed ijt Letzteres bie Hauptfache und er fucht
ausführlich zu zeigen, ejnerjeitó bag ber Inhalt des frags
lihen Segens „der Zeit und den Umftänden Jacobs ganz
angemefien [εἰ und Manches von einem fpäteren Berfaffer
nicht hätte gefagt werden fönnen“, und andererfeits daß
bie gegen bie Acchtheit vorgebrachten Gründe ohne Beweis,
fraft feien. . Die Rachweifung ift im Ganzen befriedigend,
wenn auch gegen bie eine oder andere Gingelbeit fid) nod)
Dedenklichfeiten erheben ließen. So folgt 4. B. aus der
Infeprift auf dem Stirnblech des Hohenprieftere (rob.
39, 30.) noch nicht, daB auch auf dem Siegelringe Suba'6
(Genef. 38, 18. 25.) eine Buchftabenfchrift fid) befunden
babe, fo wie aud) aus ben fchriftlihen Aufzeichnungen
Moſe's unb dem damaligen Vorhandenſein ber coU
nicht folgt, daß ſchon vor mehr al& 400 Jahren die hebräis
hen Batriarchen bie Buchftabenfchrift gefannt und von ihr
Gebrauch gemacht haben.
In dem hierauf folgenden „Verzeichniß befonderer
Schriften, welche über 1 Mof. 49, inébefonbere über 2.
10 erſchienen find“ hätten noch mehrere andere genannt
werden fónnen, wie Ludwig Werranb (Cogitationes in Re-
ligionem Christianam, complectentes Prophetias Jacobi et
Danielis de adventu Messiae etc. Paris. 1679.), Aug. Bes
renius (De Sceptro Judaeorum non auferendo. Rostock.
1648), Seb. Gbgarb (Jacobi Patriarchae de Schiloh va-
ticinium etc. von Hrn. R. nachher felbft erwähnt ©. 124)
und andere (cf. Le Long Bibliotheca sacra. II. 1085 sq.).
Wenn fofort die Stelle Genef. 49, 8-12. im Urterte
unb deutfcher Weberfehung gegeben und dann noch ble
488 Reinke,
übrigen alten Ueberſetzungen mitgetheilt werben, nämlic
bie alerandrinifche, ſyriſche und famaritanifche, bie lateini⸗
ffe des Hieronymus, bie arabifbe ded Gaon Saadia und
das Targum des Onfelos, fo hätten die beiden andern
Targums, das jerufalemifche unb das des Pfeupojonathan
ebenfall6 beigefügt zu werben verbient, weil fie bei ber
fraglichen Stelle weder unter (i noch mit Onfelos übers
einftimmen, Nebenbei [εἰ bemerkt, daß das legterwähnte
Targum, das wiederholt, ald das des Jonathan Ben
Viel angeführt wird, nicht von dieſem herrührt, fondern
wahrfcheinlich nur eine befonbere Recenfion des jerufalemis
fchen Targums ift (vergl. Herbft, Einleitung, I. 180. Zunz,
die gottesdienſtlichen Vorträge ber Juden. S. 66 ff. Hirſch⸗
feld, der Gieift der erften Schriftausfegungen ober: bie
Hagadiſche Eregefe. S 263 f.).
Set erft folgt Hrn. Reinke's Kommentar über 1 Mof.
49, 8-12. „Die Verſe 8 und 9 machen feine große
‚Schwierigkeit; am wichtigften ift 9B. 10. unb bier wie
berum handelt es fid) hauptfächlich um das Wort bw
und bann um die Ausbrüde Du) unb ppm und npp*
Herr R. führt die verfchiedenen Meinungen der Ausles
ger an unb beurtheilt‘ fie je nach Umftänden bald fur
bald ausführlih. 1927 nimmt er nicht im firengen Sinne
als Königsfcepter und Symbol fóniglid)er Würde, fondern
nur als Zeichen bet nationalen gortbauer und Phylarchie
ded Stammes Juda bis zur Zeit Chrifti, und fucht bie
übrigen Auffaſſungsweiſen zu befeitigen. Yard, was fchon
bie alten Ueberſetzer fehr verfchiebenartig wiedergeben, nimmt
er mit Hieronymus in der Bedeutung » Gefeßgeber “, fiedt
fid aber bann genöthigt, das Way) nam einfach im Sinne
Welffagung Jacobs. 489
von 1390 zu nehmen, was (id) bod) nicht genügend rechts
fertigen läßt. Am beften würde dem parallelen DI ges
genüber bie Bebeutung „Herrfcherftab“ paflen, nur erregt
der limftanb einiges SBebenfen, baf feiner der alten Ueber⸗
feber e$ in diefer Bebeutung genommen hat. mop als
stat. , constr. bon nm? leitet er vom ungeräuäckgen np
E 589, gehorchen, ab, fo daß es bie Bedeutung „Ges
horſam“ erhält. Am wictigften ift das Wort by und
wird von Hrn. R. am ausführlichen (S. 94—129) bes
fprodjen. Er hält es für einen Namen des Meffias, ges
bildet von nou (ruhig fein) in ber Bedeutung „ Berubiger,
Sriebebringer ^, wie ja ber Meſſias auch fonft gerne als
Urheber des Friedens (Mich. 5, 4.), ald Briedensfürft
(Sef. 9, 5.) bezeichnet werde. Die verfchiedenen abweis
enden Deutungen fucht Hr. R. zu widerlegen, namentlich
die fdon in alten lleberfegungen ausgedrüdte Leſeart
Sy=ndf.v a. "/w, bann die Meinung, baf
unter row) nicht eine Perſon, fondern bie Stadt Silo ger
meint fei, wo bie Bundeslade längere Zeit war u. dgl.
In einem eigenen $. wird fofort ausführlich gezeigt, daß
für bie Meflianität der Stelle nicht bloß ber eine und andere
der anfangs nambaft gemachten bieffall(tgen Beweisgründe,
fondern affe zufammen fich geltend machen laffen. Dabei
wird namentlich aud) auf bie traditionelle Auslegung des
jübifden und chriftlichen Alterthums Gewicht gelegt und
durch eine Menge von Stellen aus alten jüdifchen Aus⸗
legern und Sirchenvätern dargethan, daß Huetius mit
Recht habe fagen fónnen: Venturi Messiae praedicationem
his inesse constans est et perpetua Christianorum omnium
490 Meinle,
opinio. ldem quoque primorum Judaeorum arbitrium futt
(δ. 158). | |
Hierauf werden noch die verfchiedenen Meinungen ders
jenigen befeitigt, welche Schilo zwar als Name einer Perfon,
jedoch einer andern als des Meflias anfehen. — Ginige
derfelben halten nämli ben Schilo für Mofes, andere
für David, andere für Salomo, andere für SYeroboam,
andere fogar für Nebufadnegar. Es konnte Hrn. 9t. nicht
fchwer fallen, bie völlige Unhaltbarkeit diefer Anfichten ins
Licht zu ſetzen. Wenn unter Schilo eine Perſon gemeint
ift, fo fann εὖ nur der Meſſtas fein. Selbft wenn man
non für bp und diefes für foy anfehen wollte, Könnte
man bod) vermöge des Zufammenhanges, bei Berüdfichtis
gung ber befannten hifterifchen Verhättniffe des Stammes
Juda, nur an den Meffias denken.
Die Angaben rabbinifcher Auslegungen bürften zus
weilen genauer fein. So heißt e8 3. 3, S. 80, wo ba$
Wort aV erklärt wird: „Dom Principat und der Herr
Schaft erflären biefe Etelle ber Talmud im Tractat Gan;
bebrin Fol. 5, col. I, Rabbi Salomon (Sardi, Bere
fhit 9tabba Fol. 100, Ramban (I. ult. Jad. c. 4),
Rabbi Bechai in bem SBentateud) Fol. 73, Rabbi D.
Kimchi u. f. m. BIW :.* Mein fofern e6 fich biet
um dad Wort τ)“ handelt, fo erfíürt ber Talmud
dasfelbe nicht allgemein von SBrincipat und Herrfchaft,
überhaupt nicht von etwas Abftractem, fonbern von ben
Babylonifchen Grilfürften: 5322w mo3 ww*; Bereſchit
tabba dagegen verftcht Fol. 85. col 3 (nicht Fol. 100)
unter τ das Eanhedrin, denn es heißt: ΣΦ "o" xD
mm nam vw Op vows; Rabbi D. Kimi
Weiſſagung Jacobs. 491
über, um von ben fpätern 9tabbinen nur dieſen zu nennen,
läßt in feinem Sepher Schoraschim auf bie allgemeine
Bemerfung ni) Sunan ὙΥῚ ^2 Dar enim won ip
yr2 029 gleich bie Worte vo ba2w no x5 als Bes
Iegftelle folgen. Doch vergleichen find nur Nebenfachen,
durch bie bem Werth unb der Brauchbarfeit des Ganzen
fein wefentlicher Eintrag gefchieht.
Aus diefen wenigen Bemerkungen dürfte (don ers
fihtlich fein, ba man durch die vorliegende Monographie
über den Stand ber Eregefe in Betreff der behandelten wichtis
gen Stelle allfeitig und erfchöpfend inftruirt und mit bem
Werth ober Unwerth der verfhiedenen Auslegungsweifen
derfelben in erforderlichem Manße befannt gemacht wird.
Ind dieß gefchieht zugleich auf eine Weife, daß für jeden
mut etwas Gadjfunbigen das nótbige Material geboten
wird, um fich über bie fragliche Ctelle ein ſelbſtſtaͤndiges
eregetifches Urtheil zu bilden, verſchieden vielleicht im einen
und andern Punfte von dem des Hrn. Verf. felbft.
99 εἴ te.
4.
Weber den fprifd) - epbraimiti(d)en firieg unter Iotham und
Abas. Gin Beitrag zur Gefchichte Israels in der aſſyri⸗
ffe Zeit und zu ben Fragen über die Glaubwürdigkeit bey
Chronik unb ben Plan des Sejaja, Don Dr. €. 9. Cafpari,
Lic. und Lektor ber Theologie an ber norwegifchen Univerfität
(Univerſitaͤts⸗ Programm für das zweite Halbjahr 1849)
Chriſtiania. Gebruft bei 58. T. Malling. 1849. Pr. 57 Er,
Der fyrifchsephraimitifche Krieg zur Zeit Jeſajas unter
ben juͤdiſchen Königen Jotham und Achas ig eines δεῖ
492 ' — Cafparl.
folgenfchwerften Ereigniffe der israelitifchen Gefchichte, unb
ber doppelte Bericht über benfelben in den Büchern ber
Könige und ber Ehronif von der Art, daß er bie Gregeten
von jeher in Betreff verfihiedener Punkte in SBerfegenbeit
geíept hat. Es ift daher eine ausführliche monographifche
- Behandlung diefed Krieges, bie Nachweifung feiner Bes
deutfamfeit und Folgen, verbunden mit ber Aufhellung und
gófung der eregetifchen Schwierigkeiten, welche bie biblifche
Berichterftattung über denſelben barbietet, feine. überflüßige
oder unbedeutende, fondern im Gegentheil eine febr dans
fenswerthe Arbeit.
Hr. Eafpari hat fid, wie fdon in manden andern
Leitungen im Gebiete der altieftamentlichen Echriftauds
legung, jo auch hier feiner Aufgabe gewachfen gezeigt.
Die Bebeutfamfeit des fraglichen Krieges wird nach allen
Seiten beleuchtet und derfelbe nicht mit Unrecht als bet
große Wendepunkt in ber ®efchichte Israels bezeichnet, mit
welchem bie fchon im Pentateuch gebrobten göttlichen Strafs
gerichte für Gefehesübertretung und Abfall durch fremde
heidnifche Nationen endlich einzutreten begannen und mit
wenigen linterbredjungen fid) fortfegten, bis die nationale
Grifteng Sérael8 vernichtet war und das Volk in frembem
Lande unter” heidnifchen @ebietern für feinen frühern Abs
fall büßen mußte. Phekach, König von Jorael, wollte
námíid dem Reiche Juda ein Ende machen und verband
fi zu biefem 3mede mit den bisherigen Erbfeinden 36;
raels, mit ben Syrern; der jübifdbe König Achas dagegen,
der fid) ben zwei verbünbeten Königen gegenüber zu ſchwach
fühlte und ohne Gttoertrauen war, wandte fi an Sig:
lathsPilefer, König von Aflyrien, um Hülfe Die nächte
Folge davon war bie Vernichtung des fyrifchen Reiches
der ſyriſch⸗ eyhralmitiſche Krieg. 493
durch die Affyrier und ber Verluſt eines großen Theils
des israelitifchen Gebietes an biefefben, fo wie auch ble
Zindbarfeit Isſsraels an Aſſyrien und die bald darauf εἴς
folgende Unterjohung unb Wegführung des Volfes durch
ben afiyrifchen König. Salmanaffar. Dem Könige von Juda
war auf foldhe Weiſe gegen feine Feinde zwar geholfen,
aber bie Hülfe war mehr nur eine fiheinbare als wirk⸗
liche, denn der affyrifche König, welcher fie geleiftet, wollte
die günftige Gelegenheit, aud) Juda in feine Gewalt gu
befommen, nicht unbenügt vorüber (affen, unb Achas mußte
von feinem vorgeblichen Befchüger den Frieden mit großen
Gefbfummen und fdjmerem Tribut erfaufen. Ein fpäterer
Verſuch des Königs Hiskia, das aflyrifche Sod) abzur
fihütteln, bat beinah den Untergang des jüdifchen Reiches
zur Folge gehabt. Und obwohl für den Augenblid abge»
wendet, nabte derfelbe bod) unauffaltiam heran und wurde
endlich durch bie Ehaldäer, bie inzwiſchen bie Affyrier ale
Weltmacht abgelöst hatten, wirklich herbeigeführt. p"
hierauf bezüglichen Ginje[nDeiten werden von Hrn.
forgfältig ine Licht gefegt, und zugleich mit —
Rückſicht auf bie damaligen Propheten zu zeigen geſucht,
daß ber ſittlich religiöſe Zuſtand des SBo(fe8 ein ſolches
Schickſal zur nothwendigen Folge gehabt habe. Daß uͤbri⸗
gens die erſten fünf Kapitel des Jeſaja dem ſechsten der
Zeit nach wirklich vorangehen und in den ſpätern oder
legten. Jahren der Regierung Uſſta's entſtanden ſeien (©.
4 f. 74), will ung nicht recht einleuchten, weil nach uns
ferm Dafürhalten das 6te Kapitel gar gu augenfällig bie
Einweihungsviften des Propheten befchreibt unb bie bes
ſchraͤnkte Beziehung dieſes SBorgangeà bloß auf „die Mifs
ἔσῃ, bem verftodten Jörael anzulündigen, daß «8 fi) von
494 00700 Met,
nun an verfioden foIfe unb müjfe* (S. 74 f.), nicht
ohne Willführlichfeit ablaufen fann.
Sn Betreff der zwei Berichte über den fraglichen
Krieg fagt Hr. €. zunächft: „es find immer nod) ſchwe⸗
bende unb zum Theil (gon ältere Streitfragen: ob ber Ehronifl
wahre Gefchichte erzählt oder ob er das, was er erzählt,
sein erbichtet Bat und ob er fi, wenn ihm bieß leptere
nicht beigemeffen werben barf, nicht doch wenigftens in
feinem Berichte mehr ober weniger ber llebertreibung ſchuldig
gemadt bat; ob, wenn das, was er erzählt, ganz oder
im Wefentlichen ber Wahrheit gemäß ift, bie Greignifit,
von denen in beiden Berichten gehandelt wird, in zwei
verfchiedene Feldzüge ober in einen unb benfelben
fallen; ob, wenn bie erftere Anficht als bie richtige fid)
erweist, das in der Chronik Erzählte bem erften unb das
in den Büchern der Könige unb Sef. 7 Erwähnte bem
zweiten Feldzuge angehöre ober umgekehrt; ob enblich, falle
man bagegen ber zweiten Anficht den Vorzug zu geben
hat, das in ber Ehronif Glemelbete bem in den Büchern
der Könige Angeführten oder vielmehr Diefes Syenem vor
angegangen iſt“ (OC. 28). Diefe Streitfragen, fo weit
möglich, aufs Reine zu bringen, macht fif) fofort Hr. €.
zur Aufgabe und prüft zuerſt den Bericht der Ehronik in
Beziehung auf Glaubwürbigfeit. Das Ergebniß ift bit
vollfommene Glaubipürbigfeit des chroniftifchen Berichtes,
bie theild daraus hervorgehe, daß gerade ble Kauptfädhs
ficften Ihatfachen in demfelben „entweder anderweitig ober
burch ihre eigene Beichaffenheit ober aud) durch Beides
sugleich als Acht Biftorifch verbürgt werden“, tbeiló daraus,
„daß alles gegen feine Glaubwuͤrdigkeit Angeführte bel
näherer Betrachtung nicht Stich halte“ (Ὁ. 31). Die
der ſyriſch⸗ ephraimktifche Krieg. 493
Nachweifurg iR in beiderlei Beziehung befriedigend, ma»
mentlich werben einzelne Einwendungen gegen die Gfaub;
telirbigfeit des Berichtes zam Theil fehr treffend eutfráftet,
wie 3. 3D. die Bemerkung, der Chronift faffe den Achas
mehrere Söhne opfern (2 Gfron. 28, 3.), während bie
Bücher ber Könige nur von Einem reden‘, ober er lafft
einen Sohn des Achas erfchlagen werben (2 Ehron. 28, 7.),
wo biefer bod) nod) feinen ftreitbaren Sohn haben fonnte;
Hr G. zeigt, tag im erften Salle der Plural (199) nur
ein rbetorifcher fei, und im zweiten das Done7 im weis ^
teren Sinne nir überhaupt einen ftónlgefobn, einen koͤnig⸗
lichen Prinzen, nicht aber gerade einen Sohn des Achas,
Bezeichne. Auch ber Vorwurf, daß bie viefen in der Chronik
von Bropheten, Königen und Prieſtern gehaltenen Reden
vom Ehroniften erdichtet feien, weil fie in Gebanfen, Aus
buf und Sprache fewohl mit einander aí$ mit den Ge
Panfen, bem Ausdrude und ber Sprache des Ehroniften
felber durchaus ähnlich feien, wird durch nähere Unter⸗
ſuchung einzelner Beifpiele gut: befeitigt und bie fragliche
Aehnlichkeit aus der felbfifländigen Darſtellungsweiſe ves
Ehroniften und der formel freien Behandlung feiner
Quellen erklärt.
Nachbem bie Wahrheit und Glaubwuͤndigkeit des dore»
aiſtiſchen Berichtes batgetban ift, geht Hr. C. zu ber weis
teren Frage über, ob der ſyriſch⸗ephraimitiſche Krieg in zwei
Feldzuͤgen beftanben habe ober blog in Einem. Die Erſteres
behaupten, theilen fid) in zwei Klaſſen, indem fie entweder
in ber Chtonik (2 Gron. 28, 5—8.) den erften und im
2ten Buch der Könige (16, 5—9.) den zweiten Feldzug
befchrieben finden, ober umgelchrt. Lebteres hält Hr. €;
wit Recht für unbeningk verwerflich, well jo der 2 Kon. 16,
4% 0... Gafpati,
befchriebene Feldzug durch bie Dazwiichenfunft der, Aſſyrier
beendigt unb ben beiden verbiindeten Königen bie Fort⸗
fegung oder Wiederholung desfelben unmöglich gemacht
wurde. Sofort handelt εὖ fif) nur noch barum, ob in
ber Chronik der erfle und im 2ten Buch ber. Könige ber
zweite, oder ob an beiden Stellen ein und derſelbe Feldzug
befchrieben werde. Eine genaue und forgfältige Abwägung
der Gründe, bie für bie eine und andere Anficht fprechen
der zu fprechen feheinen, führt endlich zu dem Ergebnifle,
daß bie erftere Anficht wohl den Vorzug verdienen würde,
wenn nicht in Sef. 7, 6. ein triftiger Grund für lebtere
läge. Diefer Grund fofi in ben Worten Wax roypo)
liegen. „Nach diefen Worten war nämlich Syubda beim
Beginne des Feldzuges in 2 Kon. 16 und -Sef. 7 nod
ganz intact, was nad) einem Feldzuge, wie ber war, von
bem 2 Chro. 28 berichtet wird, unmöglich mehr ber Fall
fein fonnte. Freilich, bezöge fidy das Guffix in maypa
nicht auf Suba, fonbern auf Serufalem, wie Gefenius
gu Jeſ. 7, 6 will, oder wäre riyp2» mit und lajfet
uns es theilen zu überfegen, na nod Movers a.
a. Ὁ. Θ. 153 thut, fo würde ber aus den in Rebe ſtehen⸗
den Worten gegen die Anficht, daß in ben beiden Berichten
von zwei verfchiedenen Feldzuͤgen, unb für bie, bag in ihm
(ihnen) von bemfelben gehandelt werde, entnommene Grund
wegfallen. Allein jene Annahme ift wilführlich unb bid
Ueberſetzung fprachwidrig. Das Guffir in 2 kann nur
auf das vorhergehende Suba felber gehen und dieſes nur
das Land Juda fein (f. Hipig, δ. €t), und ypa ijt nie
etwas anderes als eine Stadt, ihre Thore erbrechend, ein
nehmen (f. 4. 9. 2 Gron. 32, 1, wo das B. wie in
gef. 7,.6 mit IR verbunden wird), ein anb, feine if
der forifch » ephraimitifche Krieg. 497
(y wp yt? Ser. 15, 7) ftürmenb, erobern (2 Ehron. 21,17),
eigentlich fie, es Tpalten, öffnen“ (S. 98). Allein wollen
wir bie Sache genauer anfeben, fo wird fid) die Behaup⸗
tung, daß die Movers’fche Ucberfegung „ſprachwidrig“ fet,
ſchwerlich vertheidigen laffen. Denn yp2 fommt zwar aller-
bingé auch von Eroberung von Städten und Ländern vor,
aber die Behauptung: ,Yp2 ijt nie etwas anderes als
eine Stadt, ihre Thore erbrechend, einnehmen 1c. * ift nicht
richtig. yp23 kommt im Kal 16 mal vor (τοῦ. 14, 16.
Richt. 15, 19. 2 Gam. 23, 16. Jeſ. 34, 15. 48, 21.
63, 12. Ge. 29, 7. Amos 1, 13. Bf. 74, 15. 78, 13.
141, 7. Kohel. 10, 9. Nehem. 9, 11. 1: Chron. 11, 18.
2 Ehron. 21, 17. 32, 11.) aber nur zweimal (2 Chron.
21, 17. 32, 11.) in ber erwähnten Bedeutung; im Niphal
fommt e815 mal vor (Genef. 7, 11. τοῦ. 14, 21. Rum.
16, 31. 1 Kön. 1, 40. 2 Stön. 25, 4. ef. 35, 6. 58, 8.
59, 9. Serem. 52, 7. Ezech. 30, 16. Zac. 14, 4. Sob
26, 8. 32, 19. Spruͤchw. 3, 20. 2 Chron. 25, 12.), aber
nut 2 Kön. 25,4. (unb in ber Barallelftele Jerem. 52,7.)
und Geb. 30, 16., alfo im Grunde aud nur zweimal,
in jener Bedeutung; im Biel fommt es 12 mal vor (Genef.
22, 3. 1 Sam. 6, 14. 2 $n. 2, 24. 8, 12. 15, 16.
Stef. 99, 5. Gied. 13, 11. 13. Hof. 13, 8. Habak. 3, 9.
Pf. 78, 15. Job 28. 10.), aber nicht ein einziges Mal
in jener Bedeutung, Sm Hiphil fommt ἐδ nur zweimal
vor, außer Jeſ. 7, 6. nod) 2 Kön. 3, 26., aber an fegterer
Stelle vom Durchdringen durch das feindliche Heer gegen
den König von Gbom hin, und biefe Richtung wirb durch
"bw auégebrüdt, Bei Sefaja fann das —bw bie ganz
gleiche SBebeutung nicht Haben. Da nun das Verbum vom
Spalten, vom Theilen in 2 Theile, gar a gebraucht
Theol. Quartalſchrift. 1850. 1H. Heft.
498 Gafpatl,
wird, fo läßt fid nicht abfeben, warum es nicht aud
Se. 7, 6., wo es gerade um zwei Könige unb um dad
Theilen Juda's unter fie fi handeln würde, fo ges
braucht fein könnte. — Gejegt jedoch εὖ fei nicht fo gebraucht,
fondern habe die Bedeutung „erobern, einnehmen“, fo
fpricht Sef. 7, 6. immer nod) nicht gegen einen zweimali-
gen Welbgug. Allerdings ift „in bem ganzen fechsten Verſe
von den Plänen die Rebe, die die Feinde in bem Augen
blide hatten, wo Sef. 7, 4 ff. ſprach“‘ (S. 99.); allein damit
ift nicht ausgefchloffen, daß ihre Pläne ſchon weit früher
gefaßt und fdon in einem früferm Welbyuge zu verwirflis
den gefucht worden feien, und jebt ein zweiter Feldzug
zum nämlichen Zwecke unternommen werden follte So
liegt dann ber (ex hyp.) früher gefafte, aber durch ben
erften Feldzug noch nicht realifirte Plan auch dem zweiten
Feldzuge zu Grunde. Das fónnte nun freilich nicht fein,
wenn dem IN zufolge Juda beim Beginne des Feldzuges,
um ben εὖ fid) bier und 2 Kön. 16. handelte, „noch ganz
intact^ gewefen wäre, dann fónnte ber 2- Ehron. 28. be
fdriebene Beldzug nicht vorausgegangen fein. Allein durch
Voy ΠΝ) iit keineswegs vorausgefegt, daß Juda bisher
noch nichts von ben Feinden gelitten habe, fonbern nut,
daß εὖ noch nicht völlig fammt feiner Hauptftabt in ihre
Hände gefallen fei; denn ber Ausdrud bezeichnet, wenn er
von Eroberung gebraucht ift, eine folche Eroberung dee
ganzen Landes fammt feiner Hauptftabt (fo lang blefe nod)
fteht, ift auch das Xanb, wenn gleich etroa mit Feinden
uͤberſchwemmt, nod) nicht erobert), in Folge deren, wie
7, 6b. zeigt, ein von Ephraim und Syrien abhängiger
Bafallenkönig hätte aufgeftellt werben fónnen. So weit
aber war bie Sache in bem 2 Chron. 28, 5—8. befchriebenen
der ſyriſch⸗ ephraimitiſche Krieg. . 499
Feldzuge noch nicht gediehen, unb biefer fann fomit immer;
bin zu ber Zeit, um die es fid) Sef. 7, 6. handelt, voraus
gegangen fein, ohne daß ber fragliche Ausdrud baburd) -
unftatthaft würde. Wenn Herr G. nod) bemerft, nad
. 2 Kön. 16, 5. Jeſ. 7, 1. fei Subda zur Zeit, al8 Rein
und Phekach gegen Serufalem heraufzogen, noch unbe:
geungen und unerobert gemefen und Achas Babe nod)
Streitkräfte in Fülle gehabt; fo ift erfteres richtig, weil
' ja die Eroberung der Zwed des Feldzuges war, was aber
einen (rübern Feldzug zu gleichem Zwede nicht ausfchließt,
legtereó dagegen liegt nicht in den beiden angeführten
Stellen, vielmehr deutet der ungeheure Schreden, ber nad)
Sef. 7, 2. auf die Kunde vom Herannahen ber beiden
Könige im ganzen Volfe entftunb, gerade auf ba& Gegens
theil bin. Damit wollten wir jedoch nicht eine definitive
Entfcheidung über bie ſchwierige Frage geben, fonbern nur
bemerklich zu machen fuchen, daß bie von Herrn (δ, bes
támpfte Anficht doch wohl noch nicht endgiltig widerlegt fet,
fo fehr wir auch bem Scharffinn unb der glüdlichen Combi⸗
nation, bie er in Befämpfung derfelben, fowie in der ganzen
vorliegenden Schrift an den Tag gelegt bat, Anerkennung
fehuldig find.
Welte.
32%
500 Done,
5.
Sateinifche und griechifche Meffen aus dem zweiten bis
fechsten Jahrhundert. Herausgegeben von Sranz Iofeph
Mone, Archivpirector zu Garlerufe, Mit einer Schrift⸗
tafel. Frankfurt a, M. Verlag von Carl Bernhard Lizius.
1850. 170 unb VS. 4. Preis 4 ff. 30 fr.
Unter biefem Titel hat ber ruͤhmlichſt befannte Vers
faffer mehrere Fragmente älterer Liturgien herausgegeben,
welche ibm bei Gelegenheit feiner antiquarifchen Forfchungen
vorfamen, unb von denen das Sebeutenbfte eilf Mefien
aus einem alten Gothifch » Galficanifben Gacramentarium
find. Den Sragmenten find forgfältig gearbeitete Abhand-
(ungen über die Gallicanifche, Africanifche und Römiſche
Meſſe beigegeben,, fowie paläographifche Unterfuchungen
über bie gebrauchten Handfchriften; namentlich aber find
bie Erörterungen über das Galliſche Bulgärlatein, in wels
dem die Gallicanifchen Meffen abgefagt find, febr geeignet
ba6 Antereffe der Eprachforfcher zu erregen.
9n ber Vorrede fucht bet Herr Verfaſſer fid) zu recht.
fertigen, daß er ald Laie fid) in das Heiligthum ber Theo
logie wage. Wir find nicht fo überhierarchifch gefinnt,
daß mir fo treffliche Mitarbeiter, die eine feltene Glaubens⸗
treue und Befcheidenheit mit einer nicht minderen Gelehr⸗
famfeit verbinden, abzumeifen uns erlaubten, und Beiträge
fo bedeutender Art nicht mit Freuden annehmen follten.
Zwar glauben wir das Alter ber Gallicaniſchen Fragmente
nicht fo bod) anfegen zu dürfen, als es Herr Mone gethan
hat. Sicher fcheint εὖ uns aber zu fein, bag er ble älteften
unter allen bis jest befannten Gallicanifchen Mefjen ente
bedt hat, ein Denkmal der Tradition von hohem Alter
Iatelnifche und griechifche Mefien. $01
und großem bogmati(dem Werth — und biefe&. ift Ver⸗
bienft genug und Grund genug bem geehrten Herausgeber
barob Glück zu wünfchen.. linfer Urtheil wird fid) nad
feinen beiden Seiten rechtfertigen, wenn wir in Kurzem
das Alter der Fragmente einer nochmaligen Brüfung unters
werfen.
Wangen wir mit dem Gober, ber Abfıhrift an, fo hat
Herr Mone mit überzeugenden Gründen dargethan, daß
fie nicht. jünger fein fann als das fiebente Jahrhundert.
Sie wurde in einem Reichenauer Codex rescriptus gefuns
ben; das darüber Gefchriebene aber, der Gommentar des
heil. Hieronymus zu Matthäus, gehört feinem Anfang
nach bereit in bie genannte Zeit. Beides alſo, bie Abs
forift des Commentars und bie der Liturgie, muß älter
fein als das Klofter Reichenau, das um 724 geftiftet wurde
unb ter Balimpfelt möchte von dem Etifter des Klofters,
bem heil. Birmin, aus feinem Baterlande Auftrafien mite
gebracht worden fein. Doch wir müffen noch höher hinaufs
fteigen. Auf bent legten Blatte finden fi zwei Gebete,
melde auf einen Einfall fremder DBölfer Bezug haben.
Cie find mit Merovingifcher Schrift des VI Jahrhunderts
geichrieben. Ferner, bie Meſſe des bi. Germanue, Bifchofe
von Yurerre {{ am Ende von einer andern, etwas jüngeren
Hand beigefügt. Daraus läßt fid mit Recht fchließen,
daß bieje Meſſe erft (páter, al8 die Verehrung des genannten
Heiligen auffam, a(8 eine neue zu bem urfprünglichen Gober
beigefegt wurde. Da nun ber heil. Germanus 448 ftarb,
fo fann ber ältere Haupttheil, námlid) bie zehn erften
Meſſen, nicht [ange nach ber Zeit Des heil. Germanus
gefchrieben morben fein, fonbern eher früher. Daß abet
feine weitere Meſſe zu Ehren eines jüngeren. Heiligen ale
502 Mone,
Germanué dem Meßbuch beigefügt worden, fteht feft, ins
bem die Mefje viefes Heiligen mitten in der Seite, unb
mit ihr ber Gober aufhört. Dieſes Alles beftätigt bie
Bergleichung ber Schrift. Nach Mone's hierin durchaus
competente Lirtheil gehört ble Mefle des heil. Germanus
nach ihrer Schrift in die zweite Hälfte des V. ober in ben
Anfang des VI. Jahrhunderts, bie Schrift der erften zehn
Meſſen aber ift. in bie erfte Hälfte des V. Sahrhunderts
zu feßen. =
So viel von der Abfchrift ber Meffen! Nun fragt
es fid) weiter, wie alt bie Liturgie fe(bft ift: und dieſe
Frage ift bei weitem dunfler und fehwieriger zu (Ofen.
Herr Mone führt uns hinauf bis in das II. Jahrhundert.
Brüfen wir bie Gründe, welche er für feine Anficht beis
bringt! |
Das Mepbuh, fagt er, hat wenig Mefien. Die
Mefien haben in ber Handfchrift Orbnungszahlen. Bei
der dritten ftebt bie Zahl V, bei ber vierten VL Gonad
fónnen vorne nur zwei Mefien fehlen. Es ift alfo ber
Gober wahrhaft ein libellus, wie man öfters bie Mebs
bücher bei Altern Schriftftellern genannt findet. ‘Die we
nigen Mefien haben feine Beziehung auf irgend einen fpes
ciellen Tag. Don Heiligenmeffen findet fi aufer einer
Erwähnung der unfchuldigen Kinder und des Elias im
ben Gonteflationen der Sten und Oten Meffe, und ber
fpäteren Meffe des heil. Germanus, feine Spur. Diefes
it ganz der Character der Griechifchen Liturgie, welche
ebenfalló wenige Meffen mit befonberer Beziehung auf ben
Tag bat, während alle Occibentatifdjen, felbft bie Alteften,
bereitö viele Heiligenmeflen haben. Aus der Griechifchen
Liturgie ift aber bie Gallicanifdje entftanden. Alſo geben
Yateinifche und griechtfche Meffen. 503
unfere Meſſen ganz nahe bem Urſprung ber Gallicanifchen
Liturgie.
3d) weiß nicht, ob es fo ficher feftfteht, bag nur zwei
Mefien verloren gegangen find. Die Orbnungszahl fann
für eine befondere Glaffe von Meſſen, nicht für das ganze
Buch, gegolten haben. Sn ber That find in allen. vore
bandenen Gallicaniſchen Liturgien am Schluß mehrere
missae dominicales over quotidianae. Einige der Mone’s
iden find Todtenmeflen, wie der geehrte Herausgeber felbft
angibt. Daraus würde zugleich Far werden, warum bie
Mefien durchaus feine Beziehung auf einen befondern Tag
haben. So find die missae dominicales unb quotidianae
in ten bereits herausgegebenen Gacramentarien. auch bes
ſchaffen. Gelten nun die Orbnungszahlen blos für biefe
Mefien, fo kann das Meßbuch noch viele andere de tem-
pore und de sanctis enthalten haben. — Stone fagt, es fei
ganz unwahrfcheinlich, bag ber heil. Martinus in btefem
Meßbuch erwähnt worden fel. Warum aber? Mir it bae
Gegentheil viel wahrfcheinlicher. Denn wer bie Meffe des
heil. Germanus beifügte, ber muß ficherlich aud) bie des
in ganz Gallien gefeierten Martinus gehabt haben. Sollte
man in einer Zeit, wo alle oceidentalifchen Liturgien
Heiligenmeffen in großer Anzahl hatten, in Süpfranfreich
allein eine Liturgie beibehalten haben, die fo wenige ente
biet? Auch hat bie Meffe des heil. Germanus bie Ord⸗
nungszahl VII, bie nicht zu ben übrigen paßt. Diefed
möchte zum Schluß berechtigen, bag ſechs andere Meffen
diefer Art vorangingen. Ueberhaupt Iäßt fid) aus einem
ſolchen Bruchftüd fein ficherer Echluß auf bie Befchaffen-
beit des Ganzen zichen.
Doch bie Zeit, in welcher bie eiturgie abgefaßt wurde,
504 Ó , Done ,
foll. ſich nad) darin vortommenden Stellen deutlich alà eine
erweifen, in welcher e8 nicht nur in jenen Gegenden nod)
Heiden gab, unb not feine Verbindung zwifchen Staat
und Sirche befand, fondern auch bie Berfolgungen nod)
toütbeten; und zwar follen deutliche Anfpielungen auf bie
Berfolgung ber Kirchen von 9pon unb Vienne zur Zeit
des heil. Srenduó fid) darin vorfinden. In einem Gebet
der 4ten Meffe heißt εὖ nämlich: praesta veraciter te
credere, rationabiliter confiteri, si tentatio ingruat, non
negare. In ber Tten Meſſe: afflictos poenis et vexatio-
nibus ...... exaudire dignetur. Am deutlichften aber fpreche
die Contestatio ber 5ten Mefie. Nullae quidem, heißt e$,
nobis adhuc citharae personant. Sancti tui, qui (dieſes
qui foll. überflüffig fein ober ein Zeitwort fehlen) bestiam
saeculi hujus concordia virtutum perseverante vicerunt.
(Sp fegt Mone die Snterpunction.) Nullum de nobis Moysi
canticum, qui inter fluctus adhuc istius saeculi volutamur.
Nula vox angelorum, nisi forte laudare nos possunt
(ftatt deſſen will Mone possumus leſen) cum filii tui di-
lectissimi corpus sacramus et sanguinem. Sed pia cura
pro populo et sancta pro salute plebis oratio et mens
cullui intenta divino, si non potest majestatem tanti operis
explicare, nitilur tamen usum concessi muneris frequentare.
Und weiter unten: Quid loquar? ad tuorum cineres mar-
tyrum torquentur incorporeae (ftatt beffen folf corporeae zu
leen. fein) potestates; urit hic limus quos flamma non
tangit, torquet favilla, quos ungulae poena non invenit,
auditur gemitus, quorum tormenta non cernimus. Diele
Säge follen fid alle auf nod) gegenwärtige Verfolgungen
besiehen. Der Suftanb der Ehriften wird mit ber aͤgyp⸗
tifhen und ber babylonifchen Gefangenfchaft der Juden
lateiniſche und griechifche Meffen. 505
verglichen. Noch tönen ihnen nicht bie Sionsharfen, eine
Anfpielung auf Pfalm 136, noch fann fein Befreiungss
gefang wie ber des Mofes angeftimmt werden. Mit Mühe
werten Meßopfer und Agape (pia cura pro populo) ab;
gehalten, umfonft bemüht fi) ber Ehrift bie Mafeftät feines
Gottesdienſtes öffentlich zu zeigen, mens cului intenta
divino, si non potest tanti operis explicare majestatem,
nititur tamen usum concessi operis frequentare. Wir
fónnen dich zwar [oben, fingt die fBrüfation, aber unfer
Meßopfer nicht mit englifdem Gefang begleiten, b. f.
frei und laut dein Lob fingen: nulla vox angelorum etc.
Noch fallen Martyrer ald Opfer der Verfolgung: Sancti
tui etc. und ad tuorum cineres martyrum etc.
Allein mit allem Berlangen dem Herrn SBetfaffet
entgegen zu fommen, fónnen wir und unmöglich überzeugen,
daß letztere Stelle den angegebenen Einn habe, bie ägyp-
tifche und die babylonifche Gefangenfdjaft find hier offenbar
bfof Bilder des jepigen Lebens im Gegenfag zur himm⸗
lifchen Seligfeit, und es foll nur foviel damit gefagt wers
den, daß wir zwar auf Erden Gott nod) nidyt mürbig
preifen fóunen, wie es im Himmel die Heiligen jegt thun
und auch. wir es eint thun werden, aber dennoch uns
bemühen wollen, das Mögliche zu leiflen. Zwar, fagt bie
Liturgie, erklingen und noch nicht bie Harfen (des himm⸗
lifchen Serufalem), deine Heiligen, welche ble Beftie dieſer
Welt beftegt haben, fingen uns noch nicht ein Moſeslied,
bie wir noch in den Wellen biefer Zeit hins unb herge-
worfen werden. Beide Säge gehören zufammen : bie Hei⸗
ligen nehmen Bier die Stelle des Mofes ein; da ihr Volk,
das chriftliche, nod) nicht durch das Meer tiefer Welt
an's jenfeitige Ufer gelangt ift, fónnen fie den Siegspdan
506 τὰ Mone,
noch nicht fingen. Roc erſchallt, fährt bie Liturgie fort,
feine Stimme von Engeln, wenn nicht etwa uns loben
koͤnnen (possunt ift beizubehalten) jene, welche unter une
fein mögen, wenn wir deines geliebten Sohnes Leib und
Blut weihen: ein Gedanke, der fid) aud) bei Chryſoſtomus
findet. Doc bie fromme Fürforge für das Volk (bier
eine geiftige) und das heilige Gebet für des Volfes Heil
und ber um ben göttlichen Dienft beforgte Sinn, wenn er
aud) eines folchen Werkes Majeftät nicht auszufprechen
ober gang zu entfalten vermag, bemüht fid) dennoch ber
gefpenbeten Gabe Gebrauch häufig zu wiederholen. Man
fiebt, es handelt fid) bier um die innere Schwierigkeit,
Gott würdig zu preifen, nicht um dufere Hinderniffe.
Was bie zwei anderen Stellen angeht, fo fcheinen fie
auch mir &d auf Verfolgungen zu beziehen. Allein aus
tiefen. Andeutungen läßt fid dennoch nicht beweifen, baf
bie Liturgie in ihrer ganzen jetzigen Geftalt aus ben Zeiten
ber Verfolgungen Derftamme, Denn aud) in den zwei
Mabilonifchen Liturgien ) wird am Charfreitag für bie
Brüder, welche um Chrifti willen verbannt, zu ben Minen⸗
arbeiten verurtheilt ober in den Sterfer geworfen find, gebetet.
Es find dieſes allerdings ältere Stüde, welche in der Liturgie
fid erhielten, bie aber feineswegs beweifen, bag fie ganz
in jene Zeiten gehöre. Auch bat es noch im VI. Jahr⸗
hundert und fpäter Gefahr des Abfalles umb SBerfolgungen
von Seite der Arianifchen Barbaren gegeben.
Herr Mone fühlte wohl felbft, daß man ibm Solded
vorhalten und namentlich bie Contestatio der 5. Meſſe auf
obige Art erklären fónne, Er ift daher biefer Ginmenbung
nn RT
1) Liturgia Gallicana p. 244. Mus. Ital. T. 1. p. 320.
lateiniſche und artechifche Meſſen. 307.
auvorgefommen mit ber Antwort, die gefchichtlichen Ber
ziehungen feien viel zu beftimmt, um eine folche Deutung
zuzulaffen. Sämmtliche Stellen follen Züge enthalten, bie
ftd) nur auf die Verfolgung vom Sabre 177 beziehen Föns
nen. Es wird alfo auf eine genaue Prüfung biefer Bes
weife anfonumen.
Bon ben übrigen Verfolgungen, fagt Mone, ift nicht
befannt, daß Ehriften dabei abgefüllen fein, was bod
notfmenbig ift, um ein Gebet zu motipiren, mit welchem
biefeó Unglück abgewendet werden fol. Diefes erzählt
aber der befannte Brief der Gemeinden von Lyon und
Bienne ausdrüdlich von der Verfolgung zur Zeit des Df.
Srendué, Bei jener Gelegenheit gaben der geheime Gots
teóbienft der Chriften und die Agapen Veranlaffung zur
Verläumdung, als äßen fie Menfchenfleifch und trieben
Blutfchande. Auchrin der Eonteltation werben der geheime
Gottesdienft und bie Agapen erwähnt. Es werden darin
bie Märtyrer sancti genannt, weil fie, wie ber Brief ers
zählt, aus chriftlicher Demuth den Ramen „Märtyrer“
abgelehnt hätten, daher auch ber Brief bei Eufebius fte
gewöhnlich nur Heilige nenne. Die Märtyrer jener Ver⸗
folgung wurden von Thieren im Amphitheater zerriffen.
Dies gibt ber Gonteftation Veranlaſſung, den Teufel, mit
dem fie Fämpften, und ber bie Verfolgung bervorbrachte,
bestia hujus saeculi zu nennen. Auch bie concordia per-
severans virtutum wird im Brief wie in ber Bräfation
hervorgehoben. Eine Hauptftelle fol aber jene fein: ad
tuorum cineres martyrum torquentur incorporeae potestates,
urit hic linus quos flamma non tangit, torquet favilla etc.
Statt incorporeae potestates will Mone gelefen wiſſen cor-
poreae potestates. Es fónnten nicht bie böfen Geifter fein.
508. : Mone,
Denn wie fünne man von diefen fagen, die Flamme quäle
fie nicht, ba diefes offenbar ber Bibel widerfpreche (Matth.
25, 41)? Und ba die Teufel überhaupt feine Ehriftens
serfolgung erdulden, fo müffe hier ein Schreibfehler fein.
Die corporeae potestates feien bie πόλεως ober πολιτικαὶ
ἐξουσίαι, von welchen der Brief ber Gemeinden fpridt.
Bei quos, welches mit potestates im Genus ohnedies nicht
übereinftimmt, {εἰ dann ein neuer Eat anzufangen, ber
8d auf Zeitgenofien beziehe, bie in ber Noth nicht flands
haft blieben. Warum aber bie Qeiber ber Märtyrer gerade
Aſche unb limus genannt werden, biefeó erkläre fü) leicht
aus den Vorgängen bei ber Berfolgung von 177. Bie
Heiden verbrannten die Xeiber und warfen bie Afche in die
Rhone.
Sch muß geſtehen, daß id immer noch nicht über
zeugt bin: ich habe ein gewiſſes Mißtrauen gegen Erflä
rungen, bie auf fo vielfacher Aenderung ber Lesart unb
Auseinanderreißung der Säge berufen. Die meiften ber
angeführten Züge find folche, die fid) in jeder Verfolgung
wiederfinden. Stets ift Gefahr des Abfalled damit ver-
bunden, flets gibt es Märtyrer, bie einmüthig ber höfli-
fben Beſtie wiverftehen, ſtets ift der Gotte&bienft. ge
bemmt u. f. w. Die einzigen völlig Flaren Züge. müßten
in jener Stelle ad tuorum cineres etc. liegen, welche aud)
allein wirklich von Märtyrern rebet^ Hinfichtlich dieſer
müflen wir vor Allem 'bemerfen, daß es durchaus nicht ans
geht, incorporeae in corporeae zu ändern. Dagegen fleht
nicht, daß ἐδ heißt, biefe Mächte würden nicht von der
Flamme berührt. Denn die Anfichten waren hierüber nie
fo einftimmig , daß man daraus einen Grund entnehmen
fónnte, eine Lesart zu ſtreichen. Das andere Hauptfuns
Inteinifche und griechifche Meſſen. 509
bament der Mone’fchen Erklärung tft, bag bie Religuien
Lehm genannt werben, was fi nur aus dem enplichen
Schickſal der Märtyrer von yon erflären laſſe. Der Zu:
fammenfang der Stelle führt und auf ein ganz anderes
Refultat. Es wird dort Gott wegen der Grídjaffung des
Menfchen gepriefen; aus Lehm Babe er ihn gemacht, und -
dennoch, welche Würde ihm gegeben! Huic limo leges
(das mofaifche Gefeg), huic limo profetarum oracula, an-
gelorum ministeria ministrarunt, huic limo ipse Dominus
Jesus...., cruce sui corporis triumphavit, unb endlich
quid loquar, ad tuorum cineres martyrum elc. Syebets
mann ftebt, daß ber Leib ber Märtyrer in feinem andern
Sinne limus heiße, al8 ter Menfch überhaupt, deſſen nies
brigen Urfprung die Liturgie in Gegenfag bringt mit bem, —
was Gott aus ihm gemacht hat.
Hiemit fol nicht geläugnet werden, taf einzelne Stüde
aus früheren Zeiten flammen, wie bereitá von ben zwei -
andern Stellen, welche von Berfolgung fprachen, gefagt
wurde. Daun ift auffallend, daß. in ber praefatio ber
Tten Mefle, wo für alle Stufen ber Hierarchie und alle
Stände der Kirche im Einzelnen gebetet wird, feine Cr»
wähnung von ürften gefchieht, dagegen gerade in bem»
felben Gebete bie afflicti poenis et vexationibus aufgeführt
werden, Aber für bie SBeftimmung des Alterd der ganzen
Meſſen fann ich dieſes nicht für maßgebend halten, indem
fehlagende Gründe beweifen, daß fie nad) bem nicänifchen
Eoneil und wohl noch ein Jahrhundert fpdter abgefaßt
fein müffen.
Schon ber Ausdruck trias, trinitas, der beinahe auf
jeder Seite vorkömmt, beweist, daß ble Meffen nicht aus
dem IL Jahrhundert feyn können, in welchem biefer Aus»
*
. 910 Mone,
brud eine große Seltenheit war. Er fómmt yuerft bei
Theophilus von Antiochien und zwar nur Einmal vor
und bann bei Tertullian. In ber Collectio ber 3. Meffe
haben wir ferner das Nicänifche ὁμοούσιον : filium cum
patre semper extantem omnia saecula cumsuödstantialiter
et aequaliter dominantem etc. In ver Contestatio bet;
felben 3Xefje wird "ber bí. Geift genannt ex patre et filio
mystica processione subsistens. Die SBeifegung dieſes
- Sitel8 , bie offenbar ebenfo aus dogmatifcher Abſichtlichkeit
hervorgegangen ift, wie bie bed Consubstantialis beim
Sohne, fcheint zufammenzuhängen mit der Hinzufügung
des Beifages filioque zum Symbolum, welcher Gebraud
zuerft in den fpanifchen Kirchen auffam, um die Gottheit
bes hl. Beiftes gegen bie einmanbernben Arianer zu be
haupten, unb von ba fid nad) Sranfreid und Deutfchland
verbreitete. Das erfte Goncií, welches das filioque zum
Symbol fügte, war das Spanifche gegen Prifeillian von
441. (δ fann biefer SBunft in Süd - Frankreich nicht zur
Sprache gefommen fein vor dem Einfall der Arianifchen
Barbaren im Anfange des V. Jahrhunderts, fo daß unfere
Stelle jedenfalls eine febr frühe Spur biefet dogmatiſchen
Formel fein muß. :
Auf daſſelbe Refultat führte mich eine nähere Erwägung
ber von Mone zu Gunften feiner Hypotheſe angeführten
Stelle, worin εὖ heißt, böfe Gleifter erbulbeten große Bein
und heulten am Grabe der Märtyrer. Diefes muß fid
wohl auf ein oder mehrere beſonders auffallende facta
beziehen, welche ber Abfaffung der Liturgie vorausgegangen
waren. Diefen Eindrud macht wenigftens biefer fo fpecielle
Zug mitten unter einer Zahl anderer fehr allgemein ge
Baltener Beweife der Würde des Menfchen. Gregor von
Intelnifche und griechifche 9Xeffen. 511
Tours erzählt nun in feinem Buch de gloria martyrum !),
daß bie Energumenen, wenn fie zum Grabe des hl. Märtyrere
Julian gebracht wurden, (plerumque) gegen den Heiligen
fi heftig beffagten , daß er zu feinem Feſte alle Heilige
zufammenrufe, ben Martinus, ben Privatus, ben Ferreolus,
feine Genoffen u. f. w., um fie noch ärger zu quälen. Bon
einem Energumenus wird erzählt 2), er [εἰ vor ben Reli⸗
quien des hi. Julian geflohen und habe gerufen: quod
martyris Juliani virtute exureretur. Bon einem andern,
daß er zu Tours vor Reliquien des Heiligen zum heiligen
Martin gerufen Babe, warum er auch noch den Sultan
berbeirufe?). Man ftebt, εὖ handelt fid) von einem tactum,
das fid) häufig wiederholt haben fol, von einem hochges
feierten Märtyrer, tem Gregor das ganze zweite Buch
feines Werkes über bie Herrlichfeit der Blutzeugen geweiht
bat. Run ftarb Julian des Märtyrertodes in der Ders
folgung unter Diorletian. Durch Gombination der vers
ſchiedenen Erzählungen und Beobachtung der Reihenfolge
derfelben bei Gregor ift εὖ mir außerdem fehr wahrfchein«
li geworden, daß biefe Wunder hauptfächlich in ber über
feinem Grabe gebauten SBafilica geſchahen, und daß biefe
erft nach dem Einfall ber Burgunder, alfo nach den erften
Sahren des V. Jahrhunderts errichtet vourbe *).
Go febr ich alfo überzeugt bin, daß die gallicanifche
Liturgie überhaupt aus ben Zeiten bed bI. Srenduó her-
ftammt und aud) in unferen Meffen die Grundzüge und
viele Theile älteften Urfprungs find, fann, ich fie dennoch
1) I. 2. c. 80.
2) c. 44.
. 8) 6. 84,
4). Bol. e. 7. 9.
512 . tne,
nach ihrer jegigen Geftalt nicht vor bem Anfang des V.
Sahrhunderts abgefaßt fein [affen.
Doc Tann die Liturgie auch nicht nad) dem Chalce⸗
donenfifchen Goncil, alfo nach 451 zufammengefegt worden
fein. Zu biefer Annahme beftimmt mich folgende Stelle
aus ber ziveiten Contestatio der 6. Meſſe: Salutare verbum
misit e coelo, quod humani corporis immixiione con-
cretum perditas saeculi partes et vulnera antiqua curaret.
Es ift nicht wohl mabrídeinti, bag man nach ben Des
finitionen gegen Eutyches einen ſolchen Ausdruck in einer
giturgie bätte ftehen laffen. Hiezu find noch bie oben
angeführten Mone’fchen Gründe für bie Zeit ber Hands
fehrift beizufügen, worauf nach allem zu fchließen unfere
giturgie in bie erfte Hälfte, wohl in das zweite Viertel
des V. Jahrhunderts zu fegen ift.
Dennoch bleibt fie die ältefte aller bis jet befannten
gothifch-gallicanifchen iturgien. Denn ble vom fel. Gar:
dinal Thomafius ") unb von Mabillon in ber Liturgia
Gallicana ?2) herausgegebene ift fpäter ald 687, indem ber
bl. Leodegarius, ber in biefem Jahre farb, darin vorfommt.
Eine andere gothifch-gallicanifche Liturgie, welche Mabillon
im Museum Italicum herausgab 5), ift aus dem Ende beó
VI und Anfang des VIL Jahrhunderts. — Ginige Feine
Fragmente, die Kardinal Majo entbedt hat?), find zu uns
bedeutend um bier in Betracht zu fommen. Die anderen
Arten der gallicanifchen Liturgie, bie fränfifche unb bie
mittelgallifche Meſſe find jüngere Formen.
1) Codices Sacramentorum Romae 1680 p. 263.
2) Liturgia Gall. p. 188.
3) Museum Italicum T. I. p. 278.
4) Scriptt. Vett. nova coll. Romae 1838. T. III. p. 24.
Iateinifche und griechlfche Meſſen. 513
Groß ift ferner bie dogmatifche MWichtigfeit ber von
SRone entdedten liturgifchen Wragmente. Außer deutlichen
Beweiſen für Meßopfer, Gebet für bie Todten, Verehrung
ber Heiligen und Reliquien finden fid) noch folgende für
bie Transfubftantiation, die wir ihrer Bedeutung halber
befonders herausheben. In der 3. Meffe wirb Gott ges
beten, ut haec oblatio in Christi corpore et cruore cos-
versa proviciat, unb ferner ut panis hic mutatus in carne
el calex iranslaius in sanguine sit totius gratia etc.; üt
ber 4, Meffe, ut fiat nobis legitima eucharistia in trans-
formatione !) corporis et sanguinis Domini.
Snbem wir auf biefe Weife ben wahren Werth des
Mone'ſchen Bundes hergeftellt haben, glauben wir bem ges
ehrten Herausgeber bie befte Anerkennung von Seite eines
Recenſenten haben widerfahren zu laffen — ein unpars
teiiſches Qob.
Zum Schluffe erlaube ich mir bei diefer Gelegenheit
1) Ueber diefen Ausdruck ſiehe meine Kritik der BVorlefungen vou
Thierſch ὃ. IIL ©. 111.9 Forma, μορφὴ war bei den Alten fo viel wie
οὐσία. Zu dem dort ald Beweis Beigebrachten fann man hinzufügen den
Anfang der Metamorphofen des Ovid: In nova fert animus mutatas
dicere formas corpora, während doch feine Metamorphofen bie Subs
fang betrafen. Diefes fdjien den Auslegern des Ovid fo auffallend, taf
Scaliger εὖ einen unglüdlichen Berfuch nannte, Boffius eine Hypallage
annahm. Ueber diefen und ben ähnlichen Ausprud transfiguratio vgl.
man folgende höchſt inftructive Stelle aus Tert. adv. Prax. c. 27. Qt
will beweifen, daß das Wort fid) bei der Menfchwerbung nicht verändert
babe: Deum immutabilem et informabilem credi necesse est, ut
aeternum. Transfiguratio autem interemptio est pristini. Omne
enim quodcunque (ranafiguratur in aliud, desinit esse quod fuerat,
et incipit esse, quod non erat . .. Sermo autem Deus et Sermo
Domini manet in aevum, perseverando scilicet in sua forma . . . Si
enim Sermo ex transfiguralione εἰ demultatione substantiae caro
factus est, una jam erit substantia Jesu ex duabus.
Theol. Quartalſqchrift. 1880. II. Heft. 33
514 Stone, lateiniſche und griechifche Meſſen.
einiger Sragmente einer Gelafianifchen Liturgie zu ermwähs
nen, welche mir in die Hände gefommen find. Sie bieten
eine Liturgie dar, welche am meiften mit ber ®elafianifchen
übereinftinmt, welche der Abt Gerbert in feinen Monumen-
Ais veteris liturgiae alemamnicae aus einem ober von
Rheinau vom VHL Jahrhundert unb zwei jüngeren von
Gt. Gallen herausgegeben hat. Als Gelaſianiſch erweiſen
fie fib burd) bie vielen Praͤfationen, welche bier nod
contestaliones genannt werden wie im Gerbertifchen Coder
von Rheinau. Ferner baburdj, daß fie bie oratio super
populum auch außerhalb der Waftengeit haben und endlich
durch bie Erwähnung der fieben Meſſen pro scrutiniis,
welche (id) im Gregorianifhen Sarramentar nicht mehr
vorfinden. Leider find εὖ nur ſechs Mefien und Stüde
von zweien. Außerdem findet fid ber Echluß ber Traditio
symboli ad catechumenos wie bei Gerbert im IL Band
©. 3 unb eine Nubrif über bie Mefien pro scrutinüs, bit
fif) nicht bei Gerbert vorfindet, wohl aber bei Martene
de antiquis ecclesiae ritibus in ber zweiten Taufordnung
(Band 1. €, 101), nur daß unfere Stubrif das Ende ab
für. Die Sragmente finden fid) in zwei Pergamentfolios
bögen, wovon ber eine der Univerfitätsbibliothef zu Würzs
burg, der andere dem hiftorifchen Verein dafelbft angehört,
Die Schrift ift aus der Mitte des IX. Jahrhunderts.
Dr. Denzinger,
Profefior in Würzburg.
Literarifcher Anzeiger
Nr. 3.
— —m "Ej
Die bier angezeigten Schriften findet man in der H. Laupp'ſchen
Buchhandlung (faupp ἃ Siebech) in Tübingen vorräthig, fo
wie alle Erfcheinungen ber neueften Literatur.
C." In unferm Berlage erfheinen nadbenannte wichtige Tas
tbolifche Zeitfchriften : "
Sion. Eine Stimme in der Kirche für unfere
(it. Herausgegeben mit einem Berein von Katholifen, burd)
. 9. Ginal und Dr. 9. Zinsler. 19. Jahrg. 1850. 156
ummern mit 24 Beilagen unb 24 Kath. Piteraturblättern. —
Gr. Quart. Abonnementspreis auf den Pofämtern aller
Staaten und in allen Buchhandlungen nur 6 fl, rhn. — 5 fl.
&:R. — 4 Thaler. — Diefe, nun 19 Sabre beftepenbe, fi) allein
rehtmäßig fo nennende „Sion“ übertrifft unter der gegenwär⸗
tigen Redaktion durch ihre Fülle ver gebiegenften Originat-XMuffage
und Correfponbengeu aus allen Ländern, namentlid aud Bayern,
allen Zheilen des Kaiferth. Defterreih, der Schweiz, Preußen,
vom Rhein, Belgien 2c., wopl alle ábnliden Blätter; jeder Geifts
life follte fie daher lefen. Wir können mit Berufung auf die
fon vorliegenden Hefte von 1850 nur bitten: Tolle, lege; in
jeder Buchhandlung und durch jedes Poſtamt faun man Probe:
batter erhalten.
Qiloab. Beitfrift für religiöfen Fortſchritt
inner der Kirche. Redigirt vou Dr. SR. Dentinger und
M, Suttler. 1. 3afrg. 1850. 104 Nummern mit 53 Beilagen
und 24 Kathol. Literaturblättern, Gr. Oktav. Abonnementspreis
auf ben Poften aller Staaten und in allen Buchhandlungen
9 fl. rhein. — 4 fl. 10 fr. EM. — 3 Thlr. Preuß. Der Titel
biefer Zeitfehrift deutet deren Zendenz und Inhalt als eine fole
an, bei deren Verwirklichung fif jeder denkende, wiſſenſchaftlich
regfame Geiſtliche unb kirchlich gefinnte Laie aus Gewifienspflicht
um fo mehr eifrig betbeiligen follte, als Keiner bie ber Kirche
brobenben Gefahren der Jestzeit verlennen wird. Die vorliegen:
den £efte beweifeu zur Evidenz, auf welche geniale, verſtändliche
und gründliche Beife die „Siloah* ihre verfündigte Aufgabe
löfet. Zn den Beilagen werben meifterhafte Srebigtmufter
auf alle Sonn» und Feiertage gegeben. — Die Preife diefer beiden
Zeitſchriften bürfen, laut Staatsverträgen, auf feiner poft ev:
höpet werben, Falle vom Gegentheil beliebe man und zur Abhülſe
fofort anzuzeigen. Auf allen Boften gilt Halbjähriges X bonue:
ment, die Berfendung gefhieht bann ftüd weite, im Buchhandel
heftweis alle 14 Ζαρε.
Augsburg, Ende März 1850. "
Sarl Rollmaun’iche Buchhandlung.
2
In |
| WILHELM BRAUMUELLEN’S
Buchhandlung be8 f. f. Hofes und ber Faiferl. Afa-
demie bet Wiſſenſchaften in Wien, ift [o eben erfchienen:
9 f c t e n ft ἢ de,
bie bifchöfliche Verſammlung zu Wien
betreffend.
(9t, 8. Brofdirt: 12 Nor.
Anhalt der Verhandlungen:
. Einleitende Grfíárung ber verfammelten Bifchöfe,
. Meber den Unterridt.
: in tircplihe Verwaltung, geiftliche Aemter unb Gottes
btenft.
. Weber die geiftlihe Gerichtsbarkeit.
. Erledigung von Seite bet T. f. Minifteriums.
Aus dem a. u. Bortrage des Miniſters des Cultus und
Unterrichts vom 7. April 1850.
OO gu» gato
Bei Gebr. Karl und Nikolaus Benziger in Einfie
de m find erfehienen unb fónnen durch affe Buhsanblungen bezogen
werben:
Bier Bücher von ber Nachfolge Ehrifti von
Thomas von Kempen. And ein voll(tánbigeó Ge
betbuch im Geifte ber Nachfolge Ehrifti. Beine Ausanbe
mit fech8 Bildern. 18. 480 Seiten. 7 9tgr. ober 21 fr.
Die vier Bücher ber Nachfolge Eprifti find von zwei frommen
unb gelehrten fatpotifijen Prieftern aus bem Lateiniſchen überfept,
mit 3enupung ber beflen bereits gedrudten deutſchen Weber
fe&ungen. Das QGebetbud) ift aud ben vorzüglichſten Gebeten
im Gelfte ber Nachfolge Chriſti ſorgfältigſt gefammelt unb (εὖτ
umfangreid. Hiezu find fünf Regifter in ver Weiſe finnreid
geordnet, bag der ganze Inhalt gar leicht um fo mannigfaltiger
anziehend unb leprreich benust wird. Das ganze Werk erfgeint
bier in 480 Seiten Heinen, niedlichen Formats (wovon 286 Ὁ εἰ»
ten bie vier Bücher der Nachfolge Eprifti umfaflen.) ift mit ganz
neuen, ſehr Teferliden Typen auf fein weiß Drudpapier gedrudt
und mit ſechs fo fhönen aid geeigneten Bildchen geziert: Alſo
wird man fif durch Bergleihung bald Überzeugen, bag feine
einzige deutfche Ausgabe der Nachfolge Chriſti ſammt Gebetbud,
von allen bisher erfchienenen, fo gediegen, forreft und ums
ΤΕΥ fo zwedmäßig und niedlih — und zugleid
9 toblfeil fei, wie diefe Einfiedler- Ausgabe.
3
Leben und — — δεῖ ekſtatiſchen
Jungfrau Eliſabetha Eppinger zu Rieverbronn,
jetzt genannt Alphonſa Maria. Zweite, durch zwölf
neue Briefe vermehrte Ausgabe. Mit dem Bildniſſe der
ἐπα {εἰ Jungfrau. 12. 242 Seiten. 7 9tgr. 21 fr.
Mennel, Fr., Reyetent am Konvift zu Rottweil, bet
heilige Aloyſius als Vorbild und Patron der chrift-
lichen Jugend. in Buch der Erbauung und ber Andacht.
Eingerichtet nad) den SBebürfniffen ber in der Welt [ὦ
benben chriftlichen Jugend. 18. 431 Seiten. Mit Bild,
1 Ngr. oder 21 Er:
Ackermann, Sof. ehemaliger Pfarrer in Emmen, Troft
ber armen Seelen. Belchrungen und Beifpiele über
ben Zuftand der Seelen im Fegfeuer. Sammt einem voll;
ftändigen Gebetbud) zum Troſt derfelben. Mit 2 Bildern.
12, Ste Auflage. 330 Seiten. 7 9tgr. oder 21 tr.
93m Verlage der K. Kollmann’ihen Buchhandlung in Augs⸗
burg ift fo eben erfchienen und in allen Buchhandlungen ju haben:
Der Prophet 3eremias
und feine Klagelieder.
Für unfere Zeit erklärt und angewendet in Kaften-
prebigten
von
Gran; Xaver Waulbuber, Th. Dr., |
b. 3. Prediger an der Stadtpfarrfiche zu St. Moris in Ingols
ftadt u. f. w.
Gr. Med. Oktav, in Umfchlag geb. 30 fr. ober 9 Gar.
Der als febr beliebter Prediger, gleihwie durch meh
rere gebaltooffe Predigt: unb gefchichtliche Werte rühmlichſt betannte
Herr Serfaffer, wurde durch Setradtung unferer 3eitumftüáube
veranlaßt, feinen heurigen Faften- Predigten die Klagelieder
geremiä zum Grunde zu legen, welde fo ganz auf unfere
gegenwärtigen Zuftände paflen und dennoch von feinem frühern
ebner für biefen 3wed benust worden find.
Der außergewöhnliche Beifall des höchſt zahlreichen Auditos
riums bewog ren Herrn Serfaffer, biefe Kaftenpredigten — in
welchen eine propbetifche Begeifterung weht, — vurd ben Druck
einem πο größern Kreife zugänglich zu machen, mit bem Raibe
unb ber Bitte: bag man diefelben mehr beten, als lefen
folte, um den Inhalt recht zu erfaffen und daraus für bie heit.
Faſten⸗ und Oflerzeit große Früchte zu ziehen.
4 \
- Bei Gebr. feri und Nikolaus Bengiger in Ginſie⸗
bel Vi erídienen unb fónnen durch alle Buchhandlungen bezogen
werden:
Tſchopp, P. Athanas, bie hriftliche Seele im
ebete. Ein Andachtsbuch für Katholifen. Mit
kithogr. Titelbild und Goldtitel. @ilfte Auflage.
12. (252 Ceiten.) 9 Ngr. oder 15 fr.
— Daffelbe, Belinpapier. Mit 8 Bildern in Golbeinfaffung
und Warbentitel. 12 Nor. oder 36 fr.
Verein, geiftlicher, zur ewigen Anbetung be
foftbaren Blutes Jefu Gorifti im heiligften Saframente
des Altard. Mit 2 fdónen SRercinébilbern. vom feft
baren Blute und vielen Bignetten. Stebente Auf:
lage. Ausgabe in feinem Drud. 12, (180 Seiten.)
A!» Nor. oder 14 fr.
— Daffelde, fiebente, ftat£ vermehrte Auflage
in größerem Drud. Ebenfalls mit 2 fchönen 93erciné:
bildern. 12. (276 Seiten.) 7 Sigr. oder 21 fr.
— Dafielbe, fecbfte Auflage. Wohlfeile Ausgabe
in größerm Drud. Ebenfalls mit 2 fdónen Bereinss
bildern. 12. (108 Seiten.) Steif broſch. ANgr. ob. 12 Fr.
Vergnügen in der Andacht. Gin Fatholifches Gebet
bud) für Alle, die hier glüdlich und dort felig werden
wollen. Dritte von DP. Alois Adalbert Waibel ver
befferte und vermehrte Auflage. 12. (216 Seiten.)
9 !/» Nor. oder 10 fr.
Bei Kirchheim & Schott in Mainz erfgeint und if
burd alle Buchhandlungen zu beziehen:
Stolberg, r 2. Graf zu, Gefchichte der Re
igion die tt Chriſti, fortgefegt von F. v. Ser, und
nach defien Tode weiter geführt von Dr. S. 90. Briſchar.
46r der Fortfegung 33r Band. gr. 8 Hamburger Auss
gabe fl. 2. 24 fr. 8. Wiener Ausgabe fl. 2.
Durh das im Dezember 1848 erfolgte Ableben des ehr
würdigen ὅτ. v. Herz hat eine Unterbredung in bem Erſcheinen
ber Sortfegung diefed Werkes ftattgefunben, die jedoch jest ber
fettigt (ft, da Herr Dr. Briſchar, Verfaſſer ber getrónten Preis
ſchrift „Leurtheilung ber Controoerfen Sarpi's und Pallaniein!’e
5
in ber Geſchichte bed Tridentiner Concils“ die weitere Bearbeitung
und Herausgabe bereitmilfigft. übernommen hat. — Die rafde
Erfcheinung ber weiteren Bände iff baburd geficdert, und die
Lebensfrifhe des neuen Bearbeiters für bie Beendigung dieſes
wahrhaft claffifiben Werkes eine fihere Bürgfdaft.
Der foeben unter der Preſſe befinplide Band enthält ben
Schluß ver Gefhichte der Kreuzzüge und wird (n einigen Monas
ten evrídeinen, fo. wie auch die Kinrichtung getroffen wurde, daß
jährlich zwei Bände erfdeinen werden.
Um bie Anfchaffung ber bid fept von ber Kortfebung erſchie⸗
nenen Bände zu erleichtern, fo laffen wir folgende Preisermäßis
gung eintreten:
a) bei Abnahme der 32 Bände gar. 8. Ausgabe erfaffen wir ben
Band zu fl. 1. 48 fr. und der 8. Ausgabe zu fl. 1. 30 kr.;
b) Bei Abnahme von 10 unb mehreren Bänden ber ar. 8. Aus⸗
gabe bem Band zu fl. 2. und der 8. Ausgabe zu f. 1. 40 fr.
Wirſt du auch
ein
Deutfhkatholik?
8. geb. 6 fr.
95681, Dr., Priefter, Leben und goldene Sprüche des
Ieligen Aegidius von Aſſiſt. 2te umgearbeitete Auflage.
8. 21 fr. rhn. 18 fr. 6, M. 6 ον. '
-— — Leben ber heil. Katharina ». Siena! ?te umge,
. arbeitete Auflage. 8. 48 fr. rhn. 15 Near. I
ἰεδί, Pfarrer, kathol. Glaubens⸗ und Sittenlehre in
Denfreimen, Ate vermehrte Auflage Mit Approb. 9 fr.
Schmid, Sonfapitulat, Liturgif. 3 Theile. Dritte ganz
neu bearbeitete Auflage. gr. 8. Herabgefegter Preis
4 fl. 30 fr. Nah Ende Mai 1850 tritt wieder ber
Ladenpreis mit 9 fl, ein.
ber Fr. 28 : 88 bi in reibur i.
— — agner'ſchen Buchhandlung in F 0
Bergleihende Beurtheilungneneres Kate
bismen von einem Geiftlichen der Diöcefe Freiburg,
mit einem Vorwort von Alban Stolz. gr. 8. brochirt.
Preis 15 fr,
6
Bei
WILHELM "BRAUNCELLER,
Buchhändler des f. f. Hofes unb ver faiferf. Akademie der Wien:
fhaften in ®ien, er(djeint in biefem Cjabte 39850, un
werden daſelbſt fo wie in allen Buchhandlungen des Insund
Auslandes vorläufig Befellungen angenommen auf bie
Zeitichrift
für bie geſammte
Fatholifche Theologie.
Herausgegeben von ber
theologischen Facultät in Wien.
S8 etactíon: )
Dr. 9, Scheiner um Dr. 3. M. Säusle,
Mitglied des Profefferens@ollegiums, Mitglied des Doftoren: Col;
legium? ber tbeologifden Facultät.
Die neue 3eitffrift wird nicht nad Safrgángen, fonbern
nad Bänden berechnet, und erfcheint in Heften von je 10 Bogen
in mürbiger odi." 8 Sefte bilden einen Band, anf
beu man mit 8 fl. (ΩΣ, ober 5 Nthl. pränumerirt. Im
Caufe des Jahres 1850 wird 1 Band von 3 Heften erfcheinen, in
bem darauf folgenden Jahre aber 2 Bände mit 6 Heften.
dX Der ausführliche Profpectus biefer für ben
gefammten Clerus höchſt wichtigen Erfcheinung
(ft durch alle Buchhandlungen zu haben, und wird
auch allen theologifchen Journalen beigelegt werben.
Go eben ift bet 88, Ὁ. Sauerländer in Frankfurt a. M.
erihienen:
Wilhelm Zoezek,
Domprediger zu St. Stephan in Wien,
homiletiſche Aehrenleſe.
Ein Cyclus von Sonntag⸗, Feſt- und Faſten-Predigten.
Preis: Rihlr. 1, 5 Sgr. fl. 2 rhein.
Yreoipectn 8
E EE |
Altf für die gefammte katholiſche Cheolagie.
u Herausgegeben
* bee theslagiſchen FZarnitdt in Wien.
Der akademiſche Lehrförper und das Doctoreũcollegium der hie⸗
figen theologifchen Sacultdt haben nad) ‘ihrer füngft erfolgten Con⸗
ſtituirung befchloſſen, ihre Theilnahme für ble Fatholifche Wiffen-
fſchaft zuvoͤrderſt burd) die gemeinfchaftliche Heransgabe vine the v⸗
Toglifdien Zeitſchrift zu bethätigen.
Diie gemeinſchaftliche Herausgabe dieſer Zeitfchrift foll. εἰπεῖν
ſeits das frendige Jeugniß geben daß beide Eollegien einander ge»
genüber fi ald Gin: Ganzes begreifen unb ald folches fortwaͤh⸗
rend ihre Identität mit der alten theologifchen Facultät darzuſtellen
fuchen; andererſeits ſoll baburd, daß bie gefammte theologifche Fa⸗
cultaͤt die Kräfte in ihrem eigenen Schooße zur gemeinfamen Herans-
“gabe tiefer. Zeitfchrift einiget unb für bie kirchliche Haltımg und
wiſſenſchaftliche Gediegenheit ber in blejefbe aufgenommenen Aufs
faͤtze eine höhere moralifche Gewährleiftung übernimmt, auch die
möglichfte Einigung und Betheiligung aller theologifhen
ebrfrádfte Defterreichs an dieſem gemeinfamen Unternehmen
herbeigeführt und überdies jedes ftrebfame Talent in und
aufer beu Seelforgerftande, in und außerhalb Defter-
reich zur Lieferung literariſcher Beiträge aufgemuntert werden.
Die beantragte Zeitfchrift wird, eben weil fie von einer afa:
Vbemifden Körperjchaft herausgegeben wird und bem Zeitbe«
*birfniffe Rechnung tragen fol, wiffenfhaftlih und praktiſch
"zugleich fein. Sie wirdden Geift aͤchterWiſfenfchaftlichkeit
vornehmlich dadurch offenbaren, daß fie einerfeits eine fortwährende
und-gewiffenhafte Rüdfiht auf bie einfchlägige ältere und
neuere Literatug; unb auf den gegenwärtigen Stand—
punct ber Theologie dberfaupt unb: ihret einzelnen Fächer insbes
fondere zu nehmen ſucht, und antererfeit erclufive theologifche Rich⸗
tungen baburd) zu befeitigen trachtet, bag fie jeder tbeologi(den
Anficht, infoweit e inner ben orthodoxen und Fischlichen Graͤnzen
gefshehen fann, ihre freie Bewegung geftattet. Die wahrhaft prak⸗
tíjde Richtung der Zeitfchrift wird ſich nicht duch Mit
theilung förmlicher Ausarbeitungen homiletifcher ober asfetifcher
Vorträge u.f. w.; fendern vielmehr durch eine weiſe Bexechnung aud
der ftrenge wiffenfchaftlichen Abhandlungen für bte theologifde
Fortbil dung unb für die wegen ber Zeitumftände fid) heraus⸗
ſtellenden nächften geiftigen Benürfniffe des Glerue, unb
vor Allem durch eine wifjenfhaftlih flare und dabei
prägnante Diction aller Auffäge djarafterifiven. Defter wieder
fehrende, dabei aber furz und. bündig gehaltene Abhandlungen auf
. bem Gebiete ber. gejammten praftifchen Theologie, ferner .eine fletige
aber Auge Berüdfichtigung der kirchlichen oder Firchlich » politifchen
‚Zeitz und Zageöfragen werben Ear erweifen, daß die Zeitſchrift
ebenmäßig für bie Theorie unb die Braris einzuftehen unb bie
Wiſſenſchaft mit dem Leben zu vermitteln ſtrebe.
. (δ verfteht fid) übrigens von ſelbſt, daß der Geift einer Zeit:
ſchrift, welche durch eine katholiſch⸗theologiſche Facultaͤt herausgege⸗
ben wird, nur aͤcht kirchl ich fein kann und. daß dieſelbe politiſchen
Diatriben jeder Art fremd bleiben muß. Sie wird fid) demnach [εἰ
auf ſtrengkirchlichem Boden bewegen und niemals zur Trä-
. gerit von Anſichten hergeben, welche ber Fatholifchen Glaubens⸗ und
Sittenlehre oder ben firchlichen Kanonen zuwider. wären. Dadurch
fol aber ber $reiheit und Selbftftändigfeitder Wiffen
.fdyaft Fein Abbruch gefchehen; vielmehr foll (id) der befannte Sag:
In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus charitas, an det
Zeitſchrift vollfommen ermabren, Dienädfte Verantwortlich—
keit für jeden einzelnen Artikel, welcher in der Zeitfchrift erfcheint,
fallt vor der Kirche und. dem Staate bem betreffenden Ber
faffer sur aft. Derfelbe hat aud) für feinen eigenthümlichen wiffen-
ſchaftlichen Standpunct dem gelehrten Bublicum gegemüber einzu
fiehen. (66 mítb deßhalb jedem felöftfkändigen Auffabe ohne Unters
ſchied der Name des Verfaſſers im ‚Hefte felbft beigebrudt werben.
Eine ber Facultät und ber Wiffenfchaft würdige, durch Maͤßi⸗
gung, Beſcheidenheit und Anſtand fid) charakteriſirende Haltung und
Faſſung iſt unerlaͤßliche Dering für bie TATE eines Aufſatzes
in die Zeitſchrift.
Es ift bei der wifienfchaftlichen und praftifchen Seit der
Zeitfhrift ganz naturgemäß, wenn bie gefammte Theologie
mit bem ganzen Refjort der biblifchen, hiftorifchen, fofte
matifhen und fpeculativen Disciplinen, ferner mit ber
Theorie ber Homiletik, S&atedetiE, Liturgif und Pa-
floral in ihren Kreis gezogen wird. Sie wird felbft liturgiſche,
canoniftifde und ethifche Fälle, fo wie überhaupt Erfah:
rungen aus bem feelforgerlichen Leben nicht ausfchließen,
und eben fo bildet baa Kirdhen- und das f&irdenftaatéredt
einen integrivenden Beſtandtheil derfelben. Der Worm nad) zerfal⸗
len die Auffäge der Zeitfhrift 1. in felbfiftändige Abhand—
lungen und Fleinere Auffäße wiffenfchaftlichen oder prafti-
ſchen Inhaltes, 2. in literarifche Weberfichten und Recen-
fionen und zwar Leptere regelmäßig in der Form beurtheilen-
der Anzeigen. Damit aber die Grünblichfeit und die Mannig-
faltigfeit ber Auffäge in der Zeitfchrift gleichmäßig gefichert fei,
wird die größte Ausdehnung eines ungegliederten Aufſatzes höchſtens
6 Bogen betragen; längere Auffäge werden mit ihren Fortfegungen
ſtets in Drei Hefte, jedoch fo vertheilt, daß Anfang und Fortfeßungen
^in den nämlichen Band fallen. Endlich wird jedes Heft wenigftend
Einen felbftftändigen Artifel enthalten, und jowohl Aufſätze vorwie⸗
gend wifienfchaftlicher Richtung als vorwiegend praftifcher Natur
Án möglichfter Abwechfelung bringen. Die praftifche Richtung ber
Zeitfcheift fcheint überdieß.3. eine eigene Rubrik für interefjante, ftet$
hiftorifch gehaltene „Mittheilungen aus bem Firdliden
Leben“ unb zur Aufnahme kirchlicher Actenftüde ber Ge
genwart zu verlangen. Und. nicht minder dürfte 4. burd) das
SBerbáltnig ber Zeitfchrift zu der theologifchen Facultaͤt bie Griff
mung einer eigenen Rubrik unter bem Titel: „Facultaͤt sarchiv⸗
erwünfchlich fein. (ὅδ muß jedoch ſowohl diefe Rubrif als jene für
Mittheilungen aus bem kirchlichen Leben raͤnmlich im [o todt $e
ſchraͤnkt werden, daß beide —— nicht Mr zwei Be.
‚gen des Einzelheftes hinausgehen.
Die Sprache der Jeitſchrift (t in der Hegel beutfió,
Urkunden amb Actenſtücke erfcheinen fttt6 in der Driginalfprame.
Geeignete Beiträge zur Zeitfchrift oder Bücher, bere Bes
fpredjung in derfelben gewünfcht τοῖν, werben, unter Dic Adreſſe:
„An die 9Oebaction der Wiener theologifchen Zeit-
ſchrift,“ von ber Verlagshandlung bereitwillig aber nur feaitte
übernommen.
Die Rüdfendung nicht ausprädiich befteliter und aríc Aufnahme
nicht geeigneter Auffäge, ferner aller eingefchidten, aber nicht befpto-
chenen ober nicht befprechbaren Schriften erfolgt ſtets auf Koften
des urfprünglicyen Ginjenberé.
Alle in die Zeitfchrift aufgenommenen ſelbſtſtaͤndigen 'Auffäge
‘werben angemefien honoriert. Das Honorar wird ſtets nach .
amd der Bogen zu 576 Zeilen berechnet.
Wien, am 31. December 1849.
Die verantwortlidhe Redaction:
Dr. 3. Scheiner,
— bes —
r. Sy. M. Häusl
Mitglied des Doctoren-Coltegtume bet theologi [ὅκα Facultät,
Dem Obigen erlaubt fid) der Unterzeichnete beisnfilgen, daß er
ten Verlag der theologifhenZeitfchrift übernommen hat. Sie
wird nicht πα Jahrgängen, jonbern nad) Bänden berechnet umb et
fcheint heftweife, das Einzelheft zu 10 Bogen, gr. Octav, auf huͤb⸗
ſchem Papiere und Drud im Formate des Profpertus. Drei Hefte
bilden einen Band. Man pränumerirt per Band mit
3f. G. M. ober 4 Rthlr.
Im Laufe des Jahres 1850 wird bet Erfie Band zu drei
Heften erfcheinen; in ben darauf folgenden Jahren aber wer
ben je zwei Binde, jeter zu drei Heften, ausgegeben werben.
\ Wilhelm Braumäller
; I. f. Hofbuchhaͤndler. |
— A Gebrudt bei 3. 8. Sollingers Witwe
Cheoisgifde
Quartalfchrift.
$n Berbindung mit mehreren Gelehrten
nt «τῇ st
(oU M herausgegeben
e " astu « x
“4. " *
von
D. v. Drey, D. Auhn, D. Hefele, D. Welte
und s
D. Bukrigl,
Brofefforen ber fatg. Theologie an ber f£, Univerfität Tübingen.
Zweinnddreißigfter Jahrgang.
Viertes Quartalheft.
Tübingen, 1850.
Perlag der H. Lauppſchen Buchhandlung.
(8aupp & Siebe.)
Drud von H. Baupp.
I.
Abhandlungen.
Zur Homiletik.
Sn einem intereffanten fchon etwas älteren Werfe
über ben Lehr⸗ und Erziehungs-PBlan der Gefellfchaft Sefu 1)
finde ich eine Stelle, an welche vielleicht einige Bemer⸗
fungen über die Behandlung ber Homiletif nicht unpaffend
angefnüpft werden könnten. Snbem der Venrfaſſer diefe
. religiöfe Genoſſenſchaft darin zu vertheidigen fucht, daß fie
in ihrem linterrídtéplan von einem @urfus der Baftorals
theologie nichts weiß, ruft er aus: „wozu eine bändereiche
Homiletif unb Katechetik ober gar eine voluminöfe Liturgif?!
Dogmatik, Moral unb Kirchenrecht bilden in ihrer Summa
bie Eine große Theorie, welcher habhaft der Priefter Theo-
foge ift. Diefe Theorie gibt ibm den großen Inhalt für.
die Predigt, für bie SKatechefe, für den Sranfenbefud)
u. f. w., welche Bunftionen rein nur Braris find. Wie
folche gethan werden follen, läßt in wenige Linien fib
bringen. Gibt man auch viele Regeln, fo werben fie
1) Der Sortetät Iefu Lehr» und Erziehungsplan ıc. Landshut bei
S. Thomann, 2 Bände, 1835,
34 *
518 Zur $omiletif. —
wiederum vergeffen. Wer, wenn er eine Predigt verfaßt,
benft wohl an auch nur Eine ber homiletifchen Regeln ?!
Hat er bie Theologie wohl inne, weiß er, was des Gau
bens ift, fennt er das Wefen unb die Arten der Tugend
und des Lafters, ift er funbig ber Schrift und der heiligen
Väter, ift er ein Dann des Glaubens und von der Achten
Dortrin und ihrem Achten Geifte burd)brungen, fo wird
er mit Geift prebigen und mit Macht. Die Rhetorik unb
Logik werden den göttlichen Worte bienftbar fein. — Anſtatt
nun bie Zeit mit Aufftellung und Erlernung zu vergeuben,
follen junge Theologen im Abfaffen unb im Vortrage geift
licher Reben recht fleißig geübt werben: bie Uebung macht
den Meifter.“
So wenig nun Schreiber diefer Zeilen gemeint fein
fann, ber in vorliegendem Urtheil enthaltenen Mebertreis
bung das Wort zu reden, fo fanm er bod) andrerfeitd
feine llebergeugung nicht verhehlen, bag es viel Wahre
enthält. Es ift nun einmal fo der Braud, daß bie Pro-
legomena einer jeden Disciplin wenigftens einen $. über
bie Nothwendigfeit, die Wichtigkeit und ben 9tugen ber
felben aufgenommen haben. Go muß εὖ aud) in der Ho
miletif ber Kal fein, Nichtsdefto weniger will eg, wie die
Erfahrung beweist, oft nicht recht gelingen, namentlich
bei ben befferen Köpfen unter den Priefter-Amts>-Eanbidaten
der llebergeugung zum Durchbruch zu verhelfen, daß bad
homiletifche Zach von befonderer Wichtigfeit fei. Ja nicht
felten mag der Fall fein, daß ein aufftrebendes Talent,
das fid) im Befige einer rhetorifchen Ader fühlt, beim
Studium der homiletifchen Regeln an die mephiftophelifhe
Lobrede auf bie Wiffenfchaft der Logik fid) erinnert:
Zur Homiletik. 519
„Da wird ber Geifl auch recht dreſſirt,
„In fpanifche Stiefel eingefchnürt,
„Daß ex bebüdjtiget fo fortan
„Hinfchleiche bie Gebanfenbafn, -
„Und nicht etwa bie Kreuz und Quer
„Irrlichterire hin und ber."
G6 erweist fid) eben auch hier bie Wahrheit des alten:
qui nimium probat, nihil probat. Wir glauben, daß ber
$. über ben Werth unb Nugen ber Homiletif in einem
befcheidenen Tone abgefaßt fein müffe Wenn e& aud
febr einfeitig und ungerecht wäre, biefen Werth unb 9tugen
in Abrede fielen zu wollen, fo dürfte er bod) ber Natur
ber Sache gemäd mehr ein negativer als ein pofltiver fein.
Fehler vermeiden lernen, das fann man, wenn man bie
bomiletifchen Regeln fid einprägt; Gebanfen an die Hand
‚geben wird das Studium ber Homiletit nicht überflüßig.
Wer 3. Ὁ. nicht einigen Mutterwig und einen gemifjen
Reichthum der Phantafie fehon mitbringt, den wird δα
Anhören des ganzen Traktatus über bie Redefiguren faum
zur Hervordringung eines einzigen Tropus befruchten, waͤh⸗
rend einem Andern die erhabenften Redefiguren zufließen,
ohne daß er an jene Abhandlung mit ihren Ad» unb Unters
abtheilungen aud) nur entfernt zu denken fid) bie Zeit
genommen hätte. ya, was müßten wir von einem Prediger
xribeilen, ber, wo er in einem Vortrag Affefte in ben
Zuhörern hervorbringen, rühren und erfchüttern will, bore
her genau und ängftlich berechnete, welche Redefigur, welche
thetorifche Wendung jebt wohl am geeignetften wäre bie
beabfichtigte Wirkung hervorzubringen? Nicht nur daß ein
ſolches Verfahren ein bem Wefen aller Achten Beredtfamfeit
geradezu wiberfprechender Pedantismus genannt werben
müßte, es wäre inébefonbere nod) eine den Begriff bet
—
520 Sut Homiletlk.
heiligen Berebtfamfeit vernichtende Effekthaſcherei. Denn
daß die Predigt des göttlichen Wortes nicht in überrebenben
Morten menfchlicher Weisheit, fonbern in Erweifung bes
Geiſtes und ber Kraft beftehen müffe, ift eine fo wefentfiche
Forderung, bag das Gegentheil, t. ἢ. das gefliffentliche
Auffuchen von rhetorifchen Kunftftüden und draſtiſchen
Erregungsmitteln ein Ehebruch am Worte Gottes („adulte-
rantes verbum Dei“ 2. Kor. 2, 17.) genannt werden
fann. — Wie bei den Redefiguren, fo ift εὖ übrigens
aud) mit andern Anweifungen der Homiletif. Der Eingang
heißt e& 3. 99. (oll intereffant fein. Das ift nun aber
fehwer zu machen, wenn ἐδ, wie man ὦ auszubrüden
pflegt, nicht am Holz ift, wenn bie Begabung und bie
Kenntnifle fehlen, ohne welche Einer nie intereffant fprechen
wird. Umgekehrt gibt fi für den, welcher Kenntniſſe
und lebhaften Geift hat, bie Regel fo ziemlich von jelbfl,
dag man im Anfange ber Rede, wo εὖ fich alfo barum
handelt, die Aufmerffamfeit der Zuhörer zu meden, vor
nichts ὦ mehr hüten muß, ald vor langweiliger, breiter
und trivialer Darftelung. ine von den fchwächften qat,
thien der homiletifchen Disciplin fcheint uns namentlich
auch bie zu fein, wo von ber Rührung des Herzend
und von ber Bewegung ded Willens gefprocden
wird, in welcher Beziehung wir uns beifpielßweife nur
auf bie fonft recht brauchbare neuefte Auflage der Paftoral-
theologie von Gollowitz berufen (f. &. 141 ff). Was
bier gefagt ift, verfteht fid) fo ganz von felber, daß man
nichts Befferes thun fann, ald Alles, was vom bezeichneten
Ὅτι an bis ©. 148 gefagt ift, geradezu überfchlagen und
fid hauptfächlich an bie €. 149 aus OQuinctilian geholte
Wahrheit halten: „summa circa movendos affectus in hoc
Bur Gomiletit. 521
posita est, ut meveamur ipsi,“ Wie ijt εὖ möglich, müffen
wir fragen, die unerträglichften Tautologien zu vermeiden,
‚wenn in der Homiletik ernftlich bie Stage beantwortet wird:
wie kann und foll der Prediger religiöfe Gefühle (neben
den äfthetifchen, fympathifchen u. f. Ὁ.) ermeden? Die
Antwort muß fid) nothwendig in bemfelben Grade ganz
von felbft verfteben, als die Frage überflüffig ijt.
Wir haben nur einige Belege dafür angeführt, daß
in den Eingangs citirten Bemerfungen manches Körnlein
von Wahrheit liegt, In der That fcheinen viele Regeln
und Borfchriften der homiletifchen Dieciplin einzig bie
Beſtimmung zu haben, ignerirt zu werden. Das faun
bed) aber nur deswegen fein, weil fid) darunter viel un»
verdaulicher und bódjt überflüffiger Wormelfram
findet, ein widerlicher, langweiliger Ballaft, ber nichts
Befleres verdient als fortgefchafft zu werden. Die Logif
muß bod) offenbar vom Homiletifer vorausgefegt werben,
unb SSeftimmungen, welche im Grunde nichts Anderes
befagen, αἰ daß der Prediger bie allgemeinen Denkgeſetze
achten müfle, finden in ber Homiletif feinen biefer Dis-
ciplin würdigen Platz.
Wer aud) nur ein Lehrbuch ber Homiletif durchgelefen
δαί, kann bicfe Bemerkung gewiß nicht überflüffig finden.
Sch nebme in diefer Beziehung auch bie Homiletif von
Laberenz nicht aus, wenn ich auch fonflige Vorzüge an
biefem Buche gern anerfenne Man vergl. 3. B. nur
daſelbſt ben Abfchnitt von ben Thellungen, ©. 190. f.
Was folfen bod) in aller Welt Regeln wie: „Die Eins
theilung enthalte feine ſolche Theile, welche gar nicht Theile
des im Hauptfage ausgefprochenen Ganzen find“ ober:
„Man beachte bei ber Eintheilung, daß die Theile wirklid
522 Zur $omilettf.
feien, was fie fein follen, b. ἢ. Theile eines Ganzen,
daß fomit der Inhalt eines Theiles nicht gleich fel bem
Ganzen“ ober: „bie Theile .feien nur unmittelbare Theile
des Ganzen“ oder: „es dürfen bie Theile fid nicht wider
fprechen, fonft wird die Wahrheit des Ganzen verleht“
Und wie pedantifch ift nicht der Grundſatz von ber Gum:
metrie der Abtheilungen, der G. 204. 9tr. 12. geltend
gemacht ijt! Wahrlich folde Dinge mit wiffenfchaftlichem
Ernfte behandeln, muß einem jeden wohl organifirten Kopf
das Studium ber homiletifchen Disciplin entleiden. Und
was von bet Logik gefagt ift, gilt im Grunde aud) von
der Rhetorik. Sie muß vorauégefegt werden. Es ift
unthunlich, daß man geradezu ganze Paſſus aus ihr herüber;
[Φτείθε. Man fann wohl 2. 98. bie verfchiedenen Rede
figuren anführen, aber es muß obiter et transeundo ge
ſchehen und vor Allem der große Unterfchied zwifchen ber
weltlichen und geiftlichen Beredtfamfeit in biefem Punkte
nachgewiefen werden. Was das Fernehalten eines dürren
und trodenen Bormalismus betrifft, muß der Standpunft,
von welchem Sailer feine „Anleitung für angehende Pre
biger gegeben, unbedingt anerfannt werben. Er hat bie
Sefiein der Schule gebrochen und feinen Gegenftanb mit
Geift und Xeben behandelt. Das höhere Syntereffe, welches
er auch für trodene Gegenftände zu erweden weiß, wiegt
ble formellen Vorzüge, deren fid) andere Schriftfleller in
ber Homiletit rühmen mögen, bei Weitem auf. Der leben
bige Geiſtes⸗Quell, der in feinen Blättern fpringt, treibt
auch in bem Sande abftraft formaliftifd)er Fragen, mit
denen fid) ber Homiletifer abgeben muß, Tiebliche Dafen
hervor. Was aber gewiffe Materien betrifft, 3. 9. nament⸗
lich die Entwidelung des Begriffs der homiletifchen Popu⸗
Zur Gomifetif, 523
larität, bat Sailer in Ausführımg und Darftellung Taeffliches
geleiftet.
Wir möchten übrigens mit bem Gefagten nicht mif»
verftauben werden, Nie fann e& uns einfallen, die Ho⸗
miletif als Theorie in Mißeredit bringen zu wollen ober
zu verlangen, daß fie gewiſſe Gegenflünbe, mit denen fie
fid bisher abgegeben, fallen (affe, 3. B. ber Abfchnitt
von den Redefiguren muß bleiben. Wenn demnach ber
Benediftiner Jais in feinen immerhin lefenówertben Be
merfungen über die Seelforge, befonders auf dem Lande
fagt: „Wenn ed uns Ernft ift, wenn wir vom Herzen
reden und zum Herzen fprechen, — unfern Zwed erreichen
wollen, fo dürfen wir wegen ber rhetorifchen Figuren une
befümmert fein. Der einfältigfte Bettler, welcher von feinem
Elend durchdrungen und von der Wohlthätigfeit des Mens
chen, ben er um Hülfe anfpricht, überzeugt ijt, bebient
fi ber (dünften Figuren“ -— fo if er in Etwas zu weit
gegangen, fofern er anzunehmen fdjeint, bag in ber Ans
leitung zur geiftlichen SBerebtfamfeit von den Figuren gar
Nichts erwähnt werben folle.
Zwar kann unmöglich beftritten werden, was @ißbert
fagt, daß die Figuren, deren fid) .ein chriftlicher Redner
bedient, vom Eifer und vom Geifte Gottes eingegeben fein
müffen, nicht aber von der Kunft und einem geymungenen
Weſen; bod) wird bie Lehre von den Tropen immer das
Gute haben, daß fie ben Geſchmack einigermaßen bildet,
bie paffenberen und mit Erfolg anzuwendenden Rebefiguren
bezeichnet» vor Webertreibungen in Anwendung berfelben
warnt.
Die Kenntniß der rhetorifchen Figuren iſt alfo τεῷ
unb zu loben; bei ber Abfaffung einer Predigt aber ängfts
524 . Bur Homileilk.
lich grübeln, welche je&t gerade bie giüdlichfte Wirkung
tun könnte, ift eines chriftlichen Vredigers unwürdig. Die
instructiones praedicationis verbi Dei des hi. Earl Borro⸗
mäus empfehlen überhaupt das Studium der ,rhetorica
ecclesiaslica, warnen aber den Prediger nachbrüdlich: in-
struat atque exornet non verborum vel lectissimorum sonitu
inani et sermone nimis elabofato et paene calamistrato el
fucato, quo nihil potest esse infructuosius, sed gravi pleno-
que sanctae docirinae ac referto disciplina, quae vere
christiana praestansque sit^ und an einer andern Stelle:
„elocutionis genus exquisitum non affectet.* Wie aud) ber
b. Auguftin in fo fdóner unb beherzigenswerther Weife
zu ber Stelle bei Matth. 10, 19. bemerft: ber Prediger
folle erft lernen, was zu lehren ift, und fid) eine Fähigkeit
zu reden verfchaffen, wie fie einem Manne der Kirche
zufommt. Den Yugenblid aber, da er zu fprechen habe,
ba folle er fid) guten Muthes erinnern an das Wort: benfet
nicht, wie oder was ihr reden werdet. —
Sn ber Eingangs eitirten Stelle aus bem Buche über
ben Erziehungsplan der Jeſuiten ijt die Anſicht ausgefprochen,
daß, wenn ber Theologe über den nothwendigen Stoff
zu gebieten habe, bie auptbebingung tüchtiger Verwaltung
beó Predigtamtes gegeben fei, im Mebrigen komme ἐδ
bauptfächlich auf die llebung an, welche ben Meifter mache.
Diefer Anficht zu Folge follte man in ber Homiletif das
Was, bie Sache in ben Vordergrund flellen, indem baé
Wie, die Form fid) fo ziemlich von felbft gebe. Wenn in
seuefter Zeit Dieringer in Bonn ἢ) ber Homiletif bie
- 1) Bergl. feinen Artitel „Homiletik“ im Aſchbach'ſchen Kirchen
Bericon.
But Homiletlk. 525
Aufgabe ftellt, ihre Aufmerkfamfeit in welt höherem Grade,
als dies bisher der Kal gewefen, tem Stoffe zuzuwenden,
fo liegt diefe Anficht von ber in jenem Buche entwidelten
nicht zu weit ab. Der linterfdjieb Tiegt nur darin, daß
dort aus der Bedeutung, welche dem Stoffe beigelegt wird,
der Schluß auf ben untergeordneten Werth ber homiletifchen
Disciplin gezogen werden will, während Dieringer ber
Homiletif gerade Durch die von ihm geforderte größere und
umfaffendere Berüdiichtigung des Stofflichen einen höhern
Werth zu fichern verfucht.
Fragen wir nun, was an der erften Anficht Wahres
ift. Sd) zweifle febr, ob wir fie geradezu von der Hand
weifen können. Gebt und einen tüchtigen Theologen! Er
babe bie Dogmatif und Moral in ihrem pofttiven Charakter
gründlich gefaßt, die traditionellen und andern Beweis-
arten für bie chriftliche Wahrheit feien ihm nur wie man
e8 wünfchen fann geläufig, er fei wohlbewandert in bet
bl. Schrift, dabei erfreue er fid) eines fdónen Sabes
von firdjenbiftorifen Kenntniffen. Was hindert anzunehmen,
daß unter ben gegebenen Verhältniffen feine Bildung zu
einem tüchtigen Prediger fid) auf dem einfachften und fürgeften
Wege ergeben wirt, wenn er den golbenett Epruch: „usus
optimus magister gebührend berüdfichtigen will? Einer
ber wichtigften loci in der Homiletif 4. 99. ijt die Lehre
von ber Auffindung des Stoffes. Nun burdfdaue
man aber die Regeln, welche zum Zwede diefer ,inventio*
3. Ὁ. bei Laberenz aufgeftellt werden. Wenn es hier
3. 99. heißt: „bei dogmatifchen Grundgedanfen febe man
auf bie dogmatiſche Wahrheit felbft, ihren Sinn, ihren
Inhalt,“ ober „auf ihr moralifches Moment“ ober. „auf die
irtige Auffefiung der dogmatifchen Wahrheit,“ oder „auf
526 Zur Homiletik.
ihre Unbegreiflichfeit unb. doch Bernunftmäfigfeit j^ was
wird mit diefen Regeln dem in der Dogmatif und Moral
wohl bewanderten Theologen für ein befonberer Aufſchluß
gegeben? Wenn ich auch nicht láugnen will, daß fie in
Etwas von Nupen fein mögen, fo dürfen wir ihn bod)
nicht zu hoch. anídjlagen, denn bei jeder dogmatifchen ober
moralifchen - Materie kommen die Gefichts- Punkte, nad)
welchen ben anfgeftellten Regeln zufolge der Stoff aufge>
funben werden fol, ohnehin zur Sprache. So wird, um
nur ein Beifpiel zu nennen, gewiß feine Tugend im ber
Moral befprochen, obng daß zugleich ihre Beweggründe
entwickelt würden. — Was aber fofort bte Dieringer’fche
Anficht betrifft, fo beruht fie auf einer handgreiflichen Wahrs
heit, fie ift bie Reaetion der gefunden Anſchauungs⸗Weiſe
gegen ben einfeitigen Sormaliómus der Homiletit, ber das
Allerunpraftifchefte auf bem praftifchen Gebiet genannt wer⸗
ben muß. Ob e$ aber thunlich fel, bie ftoffliche Frage in ber
Homiletif in ausgebehntem Sinne zu behandeln, darüber
ließe ὦ vielleicht ftreiten. Geht nämlich die Meinung
dahin, daß bie Homiletif an der Hand des Kircheniahres
den Kreis der Gegenftánbe zu verzeichnen und beftimmen
babe, welche im Ablauf eines Jahres auf ber Kanzel bes
fprochen werden follen, fo hieße das ber Homiletik eine
Aufgabe fegen, bie fid) vollftànbig gar nicht (ὄξει läßt.
Auch würden diejenigen, welche ben wiffenfchaftlichen
Charakter der Homiletik premiren, fchwerlich zufrieden fein,
wenn fid) biefe theologifche Disciplin fo ganz zur Verfolgung
praftifcher Zwede herabließe. Will aber nur fo viel ges
fordert werden, daß bie Homiletif im Allgemeinen, im
Großen und Ganzen die Winfe entwidle, welche das
Kirchenjahr bem Homileten für bie Darftellung der evans
Sur $omiletif, 527
gelifchen Wahrheit an bie Hand gibt, fo wird fie fid)
hierüber um fo mehr in Kürze faffen fónnen, als in ber
giturgif ganz weitläufig von bem Kirchenjahr bie Rede ift,
und zwar fo, daß daraus bie praftifchen. Folgerungen für
Predigt, Katecheie, Beichtftuhl und dgl. zu ziehen auch für
einen fchwächern Kopf nicht zu fd)mer werben faun.
Praftifche Anleitungen für den Geelforg » Geiftfiden,
welche Stoffe zum Bredigen die verfchiedenen heiligen Zeiten
varbieten, unb wie fie aus ben betreffenden Sonn- und
Sefttagsperifopen entwidelt werden mögen, find freilich
nicht weniger aí8 zu verachten. Schade nur, daß wit
deren nicht fonderlich viele und gute haben, unb daß fo
manche Themate welche in Predigtmagazinen und fonft
ausgeboten werben, feine probhaltige Waare find, b. b.
wenn man fte ausführen will, fich durchaus fprobe ermeifen.
Aber wenn man fo zum praftifchen Detail Derunterfteigen
wollte, was würden biezu jene Paſtoraltheologen fagen,
welche der Homiletif um jeden Preis ben Charakter ftrenger
Wiffenfchaftlichfeit gewahrt wiſſen wollen? Würden
fie nicht einen Verſuch, fo unmittelbar praftifch Nugbares
in bie Homiletif einzuführen, als eine Art von Beleidigung
ber freien S«Biffenfdjaft, ale eine Herabwürbigung berfelben
vom einfeitigen Nüglichfeits 4 Princip aus erklären? Es
ift in neuefter Zeit dafür nicht wenig gefchehen, daß bet
Organismus der theologifchen Wiflenfchaft in. möglichfter
Vollſtaͤndigkeit bargeftelit werde. In Folge diefes Streben
folte auch die praftifche Theologie mit bem Nimbus ber
ſtrengen Wiffenfchaftlichfeit umgeben werben; fie follte nicht
mehr bie bloße Brüde bleiben, die Vermittlung zwifchen
ber Theorie und bem vielgeftaltigen Leben. Man bemühte
fl ben nothiwendigen Innern Zufammenbang der einzelnen
528 Zur Gomifetif,
Disciplinen der praftiíden Theologie unter fid unb mit
bem Ganzen bet theologifchen Wiffenfchaft darzulegen. Wenn
biefe Bemühungen innerhalb der Grenzen einer gemiffen
Befcheivenheit bleiben, fo billigen wir fie; wenn aber auf
biefe Funktion des Drganifirensund Syflematifirens
ein ganz außerorbentliches Gewicht gelegt wird, als ob
mittels ihrer ganz neue Bahnen gebrochen werden fónnten,
fo finden wir das übertrieben unb in praftifder
Beziehung ſchädlich. Nein, vie praftifche Theologie
wird in Beziehung auf wiffenfchaftliche Haltung Faͤchern,
wie bie Dogmatif und Moral find, nie als ebenbürtig
an die Seite zu ftellen fein; find ja biefe beiden Wiſſen⸗
ſchaften {εξ nicht einmal auf ganz gleicher Stufe, weil
die Moral weit mehr an bie Zufälligkeiten des Lebens
gebunden ift. Die praftifche Theologie vollends, bie fid
fo ganz und gar auf das vielförmige Leben mit al?’ feinen
Unebenheiten und Zufälligfeiten angewiefen findet, wie
vermöchte fie fi, ohne fid unnatürlich aufzublafen und
ein gewifles verrenftes Wefen anzunehmen, im reinen Aether
der Wiftenfchaft zu halten? Richt als fiele uns ein, eine
unüberfteigliche Kluft zwifchen Wiffenfchaft und Leben ans
zunehmen, nein die theologifche Wiflenfchaft muß — das
ift ihr charafteriftiich — ſtets praftifche Beziehung haben,
unb bie theologifche Praris muß durchaus auf ber Wiflen-
fchaft al& unbeweglichem Wunbament ruhen. Aber es ift
jweierlei, verlangen, bag eine Theorie überall
und durchaus in wilfenfchaftlihem Geifte, b. B.
im Einklang mit ben Ergebniffen ber Wiffen-
fhaft, und gebaut aufihre Orundfäge, entwidelt
werde, undverlangen, daßfiealsftrenge Wiffens
Schaft beganbelt werde. Das Leste ift hinfichtlich
Zur $omiletil. $29
Homiletif unb anderer praftifch theologifcher Disciplinen
fruchtlofes Beftreben und geradezu unmöglich; das
ὁ muß fireng gefordert werden. Die allgemeinen Prins
" der Homiletit find freilich einer wiffenfchaftlichen
ianb(ung fähig; geht aber biefe Disciplin auf’8 Einzelne
fo wird fie Technik unb muß norhwendig den ftreng -
enfchaftlichen Eharafter verlieren. SOber wird z. B. von
Regeln, nad) welchen memorirt, beflamirt, agirt ac. c.
ven fol, Jemand im Grnfte behaupten wollen, daß fie
αὐ mit der Wiffenfchaft gemein haben ?
Einen andern Punkt möchten wir noch binfichtlich
IBeife, wie die Homiletif zu behandeln ift, hervorheben.
Verwaltung des apoftolifchen Lehramtes ift eine weſent⸗
firchliche. Funktion, bie ununterbrochene Verwirklichung
göttlichen Wortes: euntes ergo in universum mun-
etc. etc. Deswegen muß fi der Homiletifer bei
a Schritte, ben er thut, erinnern, daß er auf pofis
m Boden ftebt. Nie darf er vergeffen, daß ble
je Schrift, bie heiligen Bäter, bie Befchlüffe ber
yen = Berfammlungen die Quellen find, aus denen er
gsweiſe zu fchöpfen hat. Die Lehrbücher ber homiletifchen
iplin wiffen und mit Kraft und Entfchievenheit auf
"eig rein und unverjleglich fließenden Quellen hinzu-
n, aus welchen der chriftliche Prediger 2} fchöpfen
ob fie aber auch felber immer dem, was fie lehren,
ommen, felber ftetà bie pofitive Disciplin pofttiv be-
εἴμ ὃ Hier dürfte noch manche Lücke auszufüllen, nod)
ber Sebler zu verbeffern, noch manche firchliche Quelle
zu benügen fein! G8 muß in manchem Lehrbuch ber
ifetif erft noch nachgezählt werden, che man ficher ift,
die Bl. Schrift darin öfter «itirt wird, a(& ein Cicero
$30 Sut $omitetit.
oder Quinctilian. Iſt das nicht unnatürlih? Wenn es
fid) barum fanbeít, bie Sbee des chriftlichen Predigers zu
entwerfen, warum wird bie b. Echrift zu dieſem Zwede
fo wenig unb unvollftändig benügt, da fie bod) eine wahre
Fundgrube der tiefften und praftifch fruchtbarften Gebanfen
über die Bedeutung des Previgt-Amtes iſt? Wenn es fid)
barum handelt, jene Gegenftände im Allgemeinen zu vers
zeichnen, auf welche die Prediger immer und immer wieber
zurüdfommen müffen, wenn fie wahrhaft fegensreich wirken
wollen, fann man feine Aufgabe beffer löfen, αἵδ᾽ menn
man unter Sugrunblegung ber biesfälligen Beſtimmungen
ber Trienter Synode 1) auf gewiffe Coneilienverorbnungen,
namentlich aber auf bie ber MailändersPBrovincials
coneilien (unter dem hi. Borromäus), hinweist? Das
wäre auch nad) unferer Meinung ble rechte Ὁ ἐς
rüdfichtigung des Stofflichen, welche Dieringer
- Will, fofern bie Firchlichen Anweifungen tiber bie Verwaltung
des Predigtamtes weit mehr noch den Gioff betreffen, als
die Wotm. Setner wenn es unbeftritten ift, daß über das
Wefen einer jeden Kunft derjenige die beften Auffchlüffe
zu geben im Stande ift, welcher (te lange mit bem beften
Erfolg betrieben; werden wir noch zweifeln fónnen, ob
bie Heiligen Gottes, bie wie Niemand das zweifchneipige
Schwert des Wortes gehandhabt, bie in ber wunberbarften
Weiſe feine Kraft in der Belehrung von Hunderten unb
Zaufenden erprobt, bie ja nicht blos im Werfe, fondern
auch im Worte fi mächtig erwiefen, fel es, daß fie bie
Donner ber göttlichen Gerichte über den ſchuldbeladenen
Häuptern rollen ließen ober in bie nad) Erlöfung feufzenden
1) Sess, V. de reform, c. 2. cf. sess. XXV. in decr. de purgat.
Zur Homiletik 531
en den Frieden eines Gottes ausgoſſen, der nicht
it im Sturmwind, fondern im fieblidyen Säufeln ber
— ich fage, wäre cà vernünftig zu zweifeln, ob uns
Jeiligen Gottes, bie felbft fein Wort verfündet,
bie rechte Verwaltung des. apoftolifchen Lehramtes
manche verborgene Weisheit zu erfchließen vermöchten ὃ
ben goir nicht, daß unfere Anleitungen zur SBerfünbigung
zöttlichen Wortes vielfach einen anziehenderen Inhalt
, wenn fie mehr auf das Leben und bie Beifpiele
Männer, welche in Berkündigung des göttlichen Wor⸗
a6 Höchfte geleiftet, Rüdficht nehmen würden? Ja
n wir uns überzeugt, daß mancher tiefere Blick in
Weſen ber Sache bem Homiletifer nothwendig entgehen
, wenn er die reichen Schäge von Belehrung, welche
einen Zwed in ben Ausfprüchen unb in bem Verfahren
yeiligen Prediger liegen, auf bet. Seite läßt! Sa
bie erhabenften biblifchen Worte über das Predigt⸗
werden vollftändig nur erfaßt, wenn fie in ihrer
ng burd) bie Heiligen gefchaut werben. Quid est
orum vita, quam Evangelium ad praxin reductum ?*
Wort des Apofteld „meine Rede und meine SBrebigt
ib nicht in überredenden Worten menfchlicher Weisheit, -
m in Erweifung des Geiftes unb der Kraft, damit
Glaube nicht auf Weisheit ber Menfchen, fondern auf
ἐδ Kraft berufe Y.«“ — Diefes Wort ift ber Grunbs
ber fish burd) bie Predigt aller apoftolifchen Arbeiten
zieht. Aber es ift ein tieffinniges und geheimnißvolles
:, das eined Kommentars bedarf, unb den finden wir
t SBrebigtmetbobe ber auserwählten Rüftzeuge Gottes
) 1. Cor, 2, 4. 5.
cel. Quartalſqchrift. 1850. Heft IV. 35
532 But Homllelik.
jedenfalls am vollftánbigften und frifcheften gegeben. Man
fann nichts Dagegen einmenden, wenn bie und ba eine
wichtige homiletifche Regel in dem Gewande gegeben wird,
in welchem wir fie bei Gicero oder Quinctilian finden.
Warum fchweigt man bann aber auf ber andern Geite
nicht felten von ben oft fo treffenden Sentenzen der Väter
oder anderer Gottedmänner, welche denjelben Gegenftand
behandeln? (ὁ ift 3. 38. wohl der Mühe werth, daß ber
junge Theolog fi) den Gag eines Seneca. einpräge:
»lang ift der Weg durch Vorſchriften, fury und fräftig
durch Beifpiele, denn bie Menſchen glauben mehr ben Augen
αἷ den Ohren ;“ aber jedenfalls auch des Behaltens werth
ift das Wort des Hl. Bernhardus: „eine lebendige unb
wirffame Rede ift die mufterhafte That, denn fie macht
im höchften Grade faßlich, was als thunlich ertefen wird“ 1),
unb bie Vergleichung des bL. Chryfoftomus, wenn er
fagt, daß der Prediger, bei welchem Lehre und Lebens:
wandel nicht miteinander übereinftimmen, ein Komoͤdiant
fe. „Einer ftelft. im Luftfpiele die Perſon des Königs,
eines Ritters, eines Reichen vor, unb ift weder König,
nod) Ritter, noch reich; fo ift derjenige, weldyer nur mit
Worten predigt. Du ftelift jebr gut bie Demuth bar, aber
bu bift nicht demüthig; du ftellft febr gut die Verachtung
ber Welt unb ber Ehre bar, aber bu haft weder bie Welt,
noch bie Ehre gänzlich verachtet; bu bift ein Komoͤdiant,
aber fein Prediger des Evangeliums“ 9. Der bi. Bafis
lius braucht in berfelben Beziehung das Bild des Malers,
ber einen fchönen Menſchen auf feine Tafel malt, während
—
1) Sermo in S. Benedictum.
2) Homil. in act. f.
Zur Homiletik. ὦ 533
er felber haͤßlich ift. Ihm gleiche 3.8. ein Schwäger, ber
viele gute Sachen vom Stillſchweigen fprechen Fönne. Auch
die Vergleichung, welche ber bI. Auguftinus anführt,
um diejenigen zu geißeln, welche, was fie lehren, felbft nicht
thun, ift würdig, dem Gedächtniffe eingeprägt zu werben.
Er vergleicht fie nämlich den auf ben Straßen aufgeftellten
Wegweifern, welche dem Wanderer den Weg zeigen, ben
fie gehen follen, felbft aber unbeweglich bleiben !), Cbenfo
wenn die Eregeten aus bem Worte ber hi. Schrift: „Jesus
coepit facere et docere* die Wahrheit ziehen, daß ber
Prediger, ſolchem Beifpiele folgend, zuerft ba& Geſetz bes
folgen müffe, dann erft verfünden dürfe, fo ift diefe furge
Stelle mit ihrer treffenden Auslegung für den angehenden
Prediger jedenfalls fo vielfagend ald das oben belobte
Wort Seneca’e. |
. δὲ ift eine alte, aber von bem Prediger nie genug
zu beherzigende Wahrheit, ba man, um Andere zu rühren,
felbft gerührt fein müfje, „summa circa movendos affectus
in hoc posita est, ut moveamur ipsi“ fo brüdt fie Quinc⸗
tilian aus, und wer fennt nicht das borazifche: „si vis
me flere, dolendum est primum ipsi tibi^? Diefe Stellen
fehlen denn auch in ber Regel in den Anweifungen zur
geiftfichen SBerebtfamfeit nicht. Nun wohl, das ift nicht
zu tabe[n. Aber haben wir über biefen Punkt nicht auch
trefflicye dicta probantia von Autoritäten, bie und unver⸗
gleichlich höher fteben, als Quinetilian unb Horaz? „Wer
nicht brennt“, fagt ber b. Gregor bündig und treffend,
„der zündet nicht an.“ Der große Prediger Thomas von
Villanova pflegte oft bie Worte zu wiederholen: „wie
rn
1) Serm. 14. de temp.
35 *
534 Zur Homiletik.
it «6 möglich, daß aus einer Falten Bruft brennende Worte
fonmen ?*« !) Weitläufiger, aber gar paſſend drüdt fid)
darüber Rodriguez aus: „Nur bad Feuer verbrennt
und das Wafler macht nag: Nichts fanm einem Andern
die Wärme geben, bie εὖ felbft nicht bat, denn Niemand
gibt, was er nicht hat. Was du nicht. haft, wie follft bu
es Andern mittheilen und einbrüden? Du wirft fein, wie
Kanonen und Bombarden, ohne Kugel geladen: fie erfüllen
zwar die Luft mit donnerähnlichem Gefrache, ftürzen aber
bie Mauern nicht um und tóbten feinen Feind. So find
die Prediger, welche nichts Anderes, als Worte haben ;
Alles endet im Getöfe und Wiederball von Worten. Sie
find, um in den Worten der Schrift zu reden, wie Einer,
ber in die Luft fehlägt. Sie peitfchen, fagt ber b. Paulus,
die Luft mit ihrem Gerede, werfen aber Keinen zu Boden
oder vermunben bie Herzen; denn es ift feine Kugel, nichte
MWefentliched, weder Kraft nod) Geift darin; und gerade
das iſt's, mas allem Uebrigen 9tadjbrud und Wirkfamfeit
verleiht.“
Es gibt, bie Wahrheit zu fagen, faum einen wichtigen
Punkt in der Homiletif, über ben fid) nicht die größten
Predigerauctoritäten hätten vernehmen laflen, ober ben fie
nicht durch ihre Beifpiele klar gemacht. Spricht alfo 3. 98.
ble Homiletif von den fittlichen Dispoſitionen, welche zur
Verwaltung bed Predigtamtes mitgebracht werden müffen,
fo ift εὖ gewiß febr zweckmäßig, an bie Antwort zu erin-
nern, welche ber in ascetifchen Büchern fo oft genannte
Avila einem Priefter auf bie Frage gegeben, was er thun
müffe, um gut zu prebigen: „Gott lieben ift bie erfle und
1) In vita cap. 8.
Zur Homiletik. 935
wichtigfte Regel, gut zu prebigen.“ Auch das claffifche
Wort des hi. rang von Sales mag hier am Sorte. fein,
welcher bem feine Nachläßigkeit im Predigen mit feiner
unberedten Zunge entfehuldigenden Seelforger zuruft: „nihil
impossibile amanti Deum. Ama toto corde: pectus est,
quod dissertos facit.^ Ueber die Kunft, fi) Eingang in
bie Gemüther ber Zuhörenden zu verfchaffen, fagt ber apos
ftolifche Mann Vinzenz v. Ferreris, dies gefchehe am beften
fo, „si verba tua non videantur procedere ab animo su-
perbo vel indignanti, sed magis ex visceribus caritatis
et pielatis paternae: sicut pater cohdolet peccantibus filiis,
vel infirmitate gravi vel fovea grandi jacentibus, quos
nititur extrahere et liberare et fovere sicul mater. Talis
enim modus consuevit esse proficuus auditoribus.^ Und
daß auch ba, wo ber Prediger fid) genöthigt fiet, zu
tabeín und Vorwürfe zu machen, Feines feiner Worte einen
andern Geift ald den des Erbarmens und ber Liebe athmen
dürfe, das brüdt ber hi. Franz Borgias treffend alfo aue:
„Ipsa reprehensio .commiserationem ostendat, non indigna-
lionem aut odium cujusquam. Incredibile dictu est, quanto
studio daemon evangelico melli fel admiscere in repre-
hendendo conetur, ut multos hac ratione ab audiendis
concionibus deterreat, vel invidiam et odium zelotis eccle-
siasticis conciliet.^ Hieher gehört auch das Sprüchwort
des hi. Franz Sales: „mit einem einzigen Tropfen Honig
werden mehr Fliegen gefangen, ald mit einem ganzen Faß
Effig.“ Und wie bie Irrgläubigen in ben Schoß der Kirche
zurüdgeführt werden fónnen und follen, dafür fohnt ἐδ
fid bod) auch der Mühe, als Mufter. den eben genannten
heiligen Bifchof, der fo viele Saufenbe von Galviniften
befehrt bat, anzuführen. „As ich zu Paris“, erzählt er
536 Zur Somiletik.
von fid felber, „in ber Kapelle ber Königin von bem
jüngften : Gericht predigte, befand fi Frau Ὁ. 9B. (eine
Hugenottin) unter den Zuhörern. Die Neugier hatte fie
zwar hingeführt; inbeffen blieb fte in bem geiftigen Nee
hängen und fafte auf dieſe Predigt bin den Vorſatz, fid)
unterrichten zu laſſen, worauf fie drei Wochen fpäter mit
ihrer ganzen Familie zu mir zur Beicht fam; ich aber
gab ihnen allen bann bie bf. Firmung. Sehen Sie nun,
biefe Predigt war nicht gegen bie Ketzerei gerichtet, dennoch
wirkte ſie gegen biefelbe; denn Gott verlieh mir damals
ben Geift der Stärfe zum Heil biefet Seelen. — Geitbem
aber fagte ich immer: wer mit Liebe predigt, ber prebigt
hinreichend gegen bie Srrgläubigen, ob er auch nicht mit
einem Worte gegen fie ftreite.“
Die eben angeführte Stelle ift aus der vortrefflichen
Schrift des vertrauteften Freundes des Heiligen, des 3i
fchofs Gamué von Belley, betitelt: Geift des BI. Fran
von Sales. Wie fte überhaupt jedem Prieſter zu einer
eben fo belehrenden als erbauenden Lefung empfohlen zu
werden verdient; fo bietet fie in&befonbere bem Homiletifer
und Prediger viele Belehrung durch bie Hervorhebung am
muthiger Züge aus dem Leben des Heiligen. Wir erlau
ben uns in diefer Beziehung zu verweifen auf den erften
Theil das 19. Kapitel, auf den zweiten Theil das 7., 8.
15., 26. unb 27. Kapitel, auf ben dritten Theil Kapitel
5 unb 9, auf den fechsten Theil 7. Kap., auf ben zehnten
Theil 2. Kap., auf den 14. Theil 5. Kap., auf ben 16. u
7. und 21. Kap.
Von biefem großen und heiligen Yürftbifchof von
Genf haben wir aber nicht blos einige benfiodrbige Wut:
fprüche über die Verfündigung des göttlichen Wortes. Er
Zur Homileiik. 537
hat überdies einem Bifchofe zulieb, ber ihn um eine fure.
Anweifung zur Berwaltung des Predigtamtes gebeten, eine
Abhandlung über das Predigen gefchrieben, welche in
9 Hauptftäden den Gegenftanb fury, aber praftifd) und fo
behandelt, daß fid) auch unfere Zeit nicht ſchäämen darf,
davon Kunde zu nehmen. Alle wichtigeren Gegenftände,
bie in der Homiletif zur Sprache fommen, find in biefer
Abhandlung wenigftens kurz berüdfichtigt, auch bie Aktion,
Sprache und das Rituelle. Schön und gemüthlich ift ber
Schluß, wo ber Heilige bem neuconfecrirten Bifchofe warm
zufpricht, fid) burd) feine Schwierigfeiten unb Einwendun⸗
gen von der Ausübung jener Funktion abbringen zu faffen,
welche dad Eoneil von Trient potissimum Episcopi munus
nennt. „Quanto citius rem auspicaberis“, muntert er ihn
auf, „tanto felicius illa tibi proderit, et praedicare fre-
quenter unicum est, quo magnus ea in parle evadas.
Potes, Domine, et debes; vox tibi accomodata est, scientia
sufficiens, habitus corporis conveniens, ordo vero in ec-
clesia illustrissimus; Deus id vult, angeli exspectant, gloria
Dei ea est et tua salus. Eja, Domine, macte; sic te Deus
amet et tu Deum. Cardinalis Borromaeus, non habens
decimam talentorum tuorum partem, praedicat, aedificat,
sanctum se reddit. Non noster nobis honor quaerendus
est, sed Dei; tum Deo rem committamus, quaeret ille
nostrum. Incipe, illustrissime domine, semel in ordinum
colletione, tum interdum in aliqua communione. Dic pri-
mum quatuor verba, tum octo, denique duodecim usque
ad mediam horam; post haec cathedram conscende. Nihil
impossibile amori.“
Wir finden in bem Leben und in ben Schriften ber
Heiligen oft Ausſpruͤche und Begebenheiten, welche geeignet
538 ur $onmiletif.
find, in uns die tiefften Anſchauungen vom SPrebigt-
amte zu voeden, wenn fie auch nicht von unmittelbar prat
tifcher Anwendbarkeit find, ja fogar nicht ohne Verwegen⸗
heit zur Danachachtung empfohlen werben Eönnten.: Don
dem hi. Auguftinus 3. B., diefem unermüdeten Verfündiger
des Wortes Gottes — er predigte oft zweimal des Tages,
oft mit erfchöpften Leibesfräften — wird erzählt, er habe
eines Tages die Beiftlichen feiner Kirche, - mit denen cr
vita communis führte, gefragt, ob fie wohl bemerkt hätten,
wie er mitten in ber Predigt den Gegenftanb, von bem er
gefprochen, verlaffen habe, und auf einen ganz anderen
gerathen [ες Als fie nun geftanden, daß ihnen Solches
allerdings aufgefallen, fo habe er den Gedanken geäußert,
Gott habe feine SSergeffenbeit und Verwirrung vielleicht
entftehen faffen, auf daß durch das, was er in biefem
Zuftande gefagt, irgend einer feiner Zuhörer von einem
Irrthum befreit werden follte. Kurze Zeit darauf fel. ein
gewifler Firmus gefommen, ber bisher ein Anhänger der
manidjdifden Sefte gewefen, und habe befannt, daß ihm
eine der legten Predigten des Heiligen die Augen geöffnet,
wobei fif herausgeftellt, daß gerade bie Abfchweifung
Beranlafiung und Urſache feiner Belehrung geworben,
Welches Vertrauen auf den über bem chriftlichen Prediger
waltenden heiligen Geift fpricht fid) nicht in ber zuverſicht⸗
lichen Erwartung des großen Bifchofs aus, daß fein Fehler
von oben zum Nugen der Zuhörer werde geleitet worden
fein! — (ὅδ᾽ fügte fid) einmal, daß ber Lektor aus Lieber
feben eine andere Schrififtelle vorlag, als die, über welde
er zu predigen fich vorgenommen hatte. Er fal) hierin
einen göttlichen Wink, auf die wirklich, wenn aud) itt
hümlich, verlefene Stelle erläuternd einzugehen. Er war
4
Zur Oomiletif. 939
überhaupt, wie alle apoftolifchen Prediger, auf's tieffte von
ber llebergeugung burdjbrungen, daß der SSerfünbiger des
göttlichen Wortes fid) verlaffen dürfe auf das Wort: „non
vos estis, qui loquimini etc.“ und irgendwo ſpricht er
geradezu von einer Offenbarung an den Prediger: „ad
apostolicam lectionem aures et animam allendat sanctitas
vesira, adjuvante nos affectu vestro apud Dominum Deum
nostrum, ut ea, quae illic nobis reyelare dignetur, ad vos
apte atque salubriter proferre possimus ^ "). Auch eine
merfhpürbige Aeußerung Gregors b; Gr. mag bier Pag
finden: „Non hoc temeritate adgredior“, fagt er hom. 19.
in Ezech. p. 1144, „sed humilitate. Scio enim, quia ple-
rumque multa in sacro eloquio, quae solus intelligere non
potui, coram fratribus meis positus intellexi.^ Und von
dergleichen 9leuferungen und Begebenheiten, wie bie vor⸗
ftebenben find, glauben wir, dürfe derjenige nicht geradezu
Umgang nehmen, welcher das Wefen der chriftlichen Pre:
bigt tiefer erfaffen mill, — Gewiß ijt zu feiner Zeit bie Ser;
fündigung des Wortes al Charisma ganz audgeftorben.
Bon jeher war ein Ringen und Streben, in der Kirche
die rechte Mitte zu treffen zwifchen ber homiletifchen Rich-
tung, welche allem Schmude der Beredtfamfeit gram ift,
und derjenigen, welche bie Künfte der weltlichen Berebts
famfeit in ben Dienft der chriftlichen Predigt gegogen fehen
möchte. Die Einen glauben nicht genug auf Ginfads
heit, Shmudlofigfeit des Ausdrucks und größt-
mögliche Bopulärität dringen zu fónnen, bie Anderen vers
langen, ἐδ folle mehr „Atticismus“ in bie chriftliche
Predigt kommen.
1) Serm. 46. de temp. cf. de doctr. christ, IV. cap. 15. '
30.2 Bur HGomiletik.
Sn jüngfter Vergangenheit faben wir zwei Schriften
entftehen D, welche im Tone jugendlicher Begeifterung, aber
aud) — das ift unfere Meberzeugung — nicht ohne Eins
feitigfeit bie Nothwendigfeit einer Umgeſtaltung der Kanzel
berebtfamfeit und insbefondere ber deutfchen Stanzelberebts
famfeit ausfprechen. „Atticiemus und Toscanismus“, fo
lefen wir in ber einen béefer Schriften, „find bie beiben
Borfchulen, bie man burdjmanbern muß, um fid jenem
geiftigen Standpunfte des Göttlich- Menfchlichen anzunähern.
Diefer geiftige Standpunft des Heilandes“ (er foll in bet
wechfelfeitigen Durchoringung und Einigung des 9teali;
mus und Idealismus beftehen) ift auch das höchfte unb
nie aus ben Augen zu verlierende Ziel des chriſtlichen
Homileten, wenn er bie Menfchen mit bem Netze, nicht abet
mit Harpunen fifchen will.“ Mufter fol für ihn in biefet
Beziehung Jeſus fein, von dem gefagt ift: „Jeſus be
flätigte durch feine Redeweiſe alle die Gigenfdjaften, bie
wir oben an Perifles gerühmt haben (!). Seine im ftteng:
ften Sinne attifche Redeform, wofern er nicht nothgebruns
gen, um einem verbildeten Volke verftändficher zu fein,
bisweilen bie Metaphern der Schule einfließen laffen mußte,
war bon jener Gemüthsinnerlichkeit durchdrungen, bie wir
unter dem Toscanismus und in urfprünglicher Verwandt
fehaft mit der altjüdifchen Sübjeftivität barftellten.* „Die
attifche 9tebeform , wie felbe Thucydides gebraucht und
Salluſt nachgeahmt hat, erlaubt bir in einer halbftündigen
1) Chryſoſtomus. Gin Oteformplan der Fatholifchen Kanzelber
rebtfamfeit. Bon S. A. Nüdiſſer. Lindau 1845. unb: '
Chryſoſtomus unb bie übrigen berühmteſten Firchlichen Redner
alter und neuer Zeit 2c. von. Joſeph ug, Priefter. Tübingen 1846
bei Laupp.
Zur Homiletik. ^. 541
Predigt einen Reichthum der fruchtbarften und einbringen:
ften Gebanfen in der fíarften Ordnung und in ber gebils
deiften Sprache vorzutragen. Dadurch befriebigft du das
Publieum, verlängerft den Gotte&bienft nicht über bie Zeit
unb madft dir dad Memoriren leicht.“ Um aber ſolchen
Atticismus fid) eigen zu machen, genügt e8 natürlich nicht,
blos aus Büchern zu fchöpfen.“ „Man muß daher felber
periodifch größere Reifen machen, und befonders wäre εὖ
für den Landfeelforger angezeigt, aus bem engen Dunfts
freife feines Dorfes ober Städtchens periodifch hinauszu⸗
treten und feine durch Zimmerftubien gefammelten Anfichten
und Begriffe an dem ficheren Probirfteine erweiterter Con⸗
verfation zu läutern und zu bewähren.“ — Wenn audy
ſolcher Gallimatbia& der zweiten von den angezeigten Schrifs
ten fremd ift, fo theilt fie doch auch mit ber erftern bie Sen;
' beng, ble Reform namentlich ber deutfchen Kanzelberedtfamfeit
in formeller Beziehung dadurch anbahnen zu helfen, „daß
wir den claffifchen Styl der Alten uns aneignen“. „Daß
wir eine Reihe großer kirchlicher Redner im Fatholifchen
Deutfchland erhalten, bie durch allfeitig claffifche Bildung
in vollendeter Form die Herrlichkeit unferer Kirche bem
Bolfe zur Anfchauung bringen, das muß Jeder wünfchen,
ber e8 mit feiner Kirche wohl meint, und auf ben Modus
diefer limgeftaltung unferer Sanjelberebtfamfeit bingeroiefen
zu haben, wird Keiner für unbefcheiden unb anmaßend
halten“ 2),
Diefer fdjarfen Betonung ber (orm gegenüber, weldje
fie fid im Sntereffe der Kirche erlauben zu müffen glauben,
1) 9i. a. Ὁ. δ. 404.
2) Ebendaſ.
542 Zur Homiletif,
mug mit noch größerer Schärfe bie fundamentale Wahrheit
ausgefprochen werden, welche ber HI. Auguftin in den Cat
fleidet:- bag. man den Worten den innern Sinn vorziehen
müffe, wie bie Seele dem Körper vorgezogen werde 5,
Demnach tritt in der chriftlichen Beredtfamfeit bie orm
überall vor der Sache zurüd, und wenn einmal
ein Prediger biefeó Verhältniß von Form und Inhalt nicht
. mehr achtet, wenn er hinfichtlich ber Worm biefelbe Aengſt⸗
lichfeit an den Tag legt, bie man dem weltlichen 9tebner
gar nicht verargen fann, fo fällt er aus ber Rolle, benn
er hat feine ofung vergeffen, die da lautet: non in per-
suasibilibus verbis hujus mundi, sed in ostensione spiritus
el virtutis, vetgeffet das große Wort des bl. Auguftinus:
non sectamur lenocinia rhetorum, sed veritates piscatorum,
vergeffen den evangelifchen Ausfpruch, daß Durch bie Worts
weisheit das Kreuz Ehrifti entfräftet wird (1. Cor. 1, 17).
Wie reimt fid) mit foldden Ausfprüchen der „Atticiömus“,
wie die vollendete elaffifche Form zufammen, bie neuers
dings verlangt werden wollen? Man beruft fid) hiebei
auf bie heiligen Väter, auf einen Auguftinus, auf einen
Chryſoſtomus. Es ift wahr, bei bem erftern findet fid)
eine Stelle (wir meinen de doctr. christ. II. c. 40), wo
ber Gebanfe auégebrüdt ift, wie εἰπῇ die Juden auf götte
liche Anordnung bei ihrem Auszug aus dem Aegyptenland
fid) mit den goldenen und filbernen Gefäffen ihrer Dränger
bereichert hätten, fo könne und folle derjenige, welcher aus
bem Heidenthume in bie Gemeinfchaft der Chriften uͤber⸗
trete, von dort Manches mitbringen, was ihm für feine
neuen SSerbá(tniffe von Stugen fein könne, nämlich: „freie
, 1) De catech. rudib. c. 9.
lli.
Zur Homileiik. 543
Künfte, welche der Wahrheit paffenbe Dienfte leiſten können,
und einige febr nügliche Sittenvorfchriften, ja fogar einige
wahre Begriffe von der Verehrung eines einzigen Gottes.“
Sind nun unter diefen Schägen, bie dem großen Kirchen-
lehrer zufolge mit hinüber in das chriftliche Lager genommen
werden fónnen, die Formen einer fophiftifhen Beredtſam⸗
feit gemeint, durch welche im Heidenthum ber Lüge das
Gepráge der Wahrheit gegeben werden wollte? ᾿ Nein
gewiß nicht, denn was diefen Punkt betrifft, dachte er
nicht anders als Bafilius b. Gr., welcher in ber 3.
Homilie über dad Heraämeron fagt: „Niemand vergleiche
das Einfache unb Ungefünftelte der geiftlichen Reden mit
dem fpisfindigen Grübeln derjenigen, welche über ben
Himmel gelehrte Unterſuchungen angeftelft haben, Denn
[0 weit die Schönheit jüdtiger Sungfrauen
über die feilen Dirnen erfaben ift, ebenfo weit
übertreffen auch unfere Reden jene der Heiden.
Denn dieſe verichaffen ihren Anfichten eine erzwungene
MWahrfcheinlichkeit; bier aber wird bie Wahrheit ohne Küns
βείεί vorgetragen.“ Die Anfchauungsweife des heiligen
Bifchofs erhellt ja aufs Klarfte aus feiner Abhandlung de
doctrina christiana (cf. IV. 10. 11. 14. 28.), in welcher
er das (dóne Bild braucht: was ein goldener Schlüffel
nüge, wenn er nicht aufmache? Dagegen was ed fehabe,
dag ein Schlüffel von Holz fei, wenn er wirflich öffne?
Unter dem erftern verftche er eine gefchmüdte unb aufges
pupte Rede, bie nicht verftanden werde, unter dem legten
eine folche, bie wegen ihrer Einfachheit und Popularität
Jedermann zugänglich fei. Im weitern Verlaufe fomunt
er auf jene Eigenfchaft einer Rede zu fprechen, welche die
Nhetoren numerus nennen unb warnt Davor, ein zu großes
544 Zur $omilettf.
Gewicht darauf zu legen „cavendum est, ne divinis gravi-
busque sententiis, dum additur numerus, pondus detrahatur.*
Er führt fobann aud) eine Stelle aus des bI. Goprianue
Brief an Donatus an, welche fid) durch Wohlflang und
Numerus auszeichnet, und mucht bie Semerfung, daß bie:
jenigen, welche an folchen rhetorifchen Künften Gefallen
finden, glauben, e8 fónne fid) Jemand berfeben nur bann
entichlagen, wenn er fich auf biefelben nicht verftehe. „OQua-
propter,^ fährt er bann fort, „iste vir sanctus et posse
se ostendit- sic dicere, quia alicubi dixit, et nolle, quo-
niam postmodum nusquam.^ Und im 14. Sapitel (a. a.
D.) flebt er, Gott möge von feiner Kirche fernhalten ben
„spumeum verborum ambitum^ unb zeigt, daß bie gefunbe
chriſtliche Lehre bie SBerebtfamteit von ber Schwulſt zum
Ernft und zur Einfachheit (modestia) zurüdgeführt: habe.
Sm 20. Kapitel aber (cbendaf.) bemerft er von dem „grande
dicendi genus,^ welches von bem chriftlichen Prediger am
zuwenden fei, daß εὖ fid) nicht ſowohl durch Zierlichfeit
ber Worte, ale vielmehr durch bie Erregung ſtarker Af⸗
fefte auszeichne. „Capit etiam illa ornamenta paene om-
nia !), sed ea si non habuerit, non requirit. Fertur quippe
impetu suo et elocutionis pulcritudinem, si occurrerit, vi
rerum rapit, non cura decoris assumit. Snébejonbere
bringt ber Heilige auf bie Berftánblid feit unb fagt,
biefem Zwede feien alle anderen untergeorbnet, ohnehin
der Zwed durch fchöne Form zu gefallen. „Evidentiae
diligens appelitus aliquando negligit verba cultiora: nec
curat, quid bene sonet, sed quid bene indicet, atque
1) Sinn: bie erhabene Redeweiſe weiß fid) mit bem Kedeſchmuck
wohl zu vertragen, aber. . . ..
a Sur Gomitefif, 545
intimet, quod ostendere intendit.* Hier führt er aud) ein
merfwürdiges Beifpiel an, indem er fragt, warum es bem
Prediger nicht erlaubt fein follte ossum ftatt os zu fagen,
damit feine Zuhörer nicht an ein Bein denfen, fonbern
an baé, was gemeint ift, ben Mund 5* Von iin fommt
ja die befannte Eentenz: vituperent grammatici, dummodo
intelligant populi.*
Was ben b. JZoannes Ehryfoftomus betrifft, vers
fteht εὖ (i) von ſelbſt, bag er nicht umfonft zu ben Fuͤßen
des Libanius gefeflen, und daß biefer heidnifche Rhetor
nicht umfonft geklagt, „die Ehriften hätten ihm feinen beften
Schüler genommen.“ Wollte aber behauptet werden, baf
ed biefem großen Prediger um bie Form mehr ober aud)
nur ebenfofehr zu thun gewefen als um bie Sache, fo
müßten wir dies entfchieden in Abrede ftellen. Die Wahr:
beit ift, daß bie chriftliche Beredtſamkeit, fo unveränderlich
fie ihrem Wefen nach ift, [ὁ doch in Beziehung auf die.
Sotm in ber Regel etwas Wechfelndes, ben Zeitverhälts
niffen Angepaßtes hat. Wer wollte läugnen, daß an ber
SBerebtfamfeit des b. Chryſoſtomus Manches ἱβ, das nicht .
ohne Fehler nachgeahmt werden könnte? Wir haben Hos
milien von ihm, bie gerade deswegen, weil fie von rheto⸗
tifden Künfteleien nicht ganz frei find, weniger Werth
babet und weniger anfprechen. Aber für alle Zeiten ohne
Unterfchied wird er als leuchtendes Mufter zur Nachahmung
auffordern durch feine feltene Deutlichfeit und Popularität,
durch feinen praftifchen Sinn, durch feine apoftolifche Frei⸗
mütbigfeit und durch den Seeleneifer, der in feinen Predigten
einen fo glänzenden Ausdrud gefunden. Seine Gebanfen
1) L c. cap. 10. Gewiß weit gegangen.
546 Sut Homiletik. |
werben nie fterben in ber Kirche, bie Ginffeibung berfelben
fann auf folche Auszeichnung nicht in allweg Anſpruch
machen. Dem 5. Joannes Ehryfoftomus waren übrigens
die rhetorifchen Yormen, in denen er fid bewegt, wie
natürlich; fie waren ihm vermöge feiner ganzen Jugend⸗
bildung in Saft und Blut übergegangen ; er brauchte, daß
fie fid) zu feiner Verfügung ftellten, nicht mühfam zu ftu:
biren. Hätte er nach biefem Gewande feiner Gebanfen
ängftlich fuchen müflen, er hätte εὖ gewiß nicht gewählt.
lleberdies war er ein Feuerkopf, bem, wenn er von einer
"Sache einmal lebhaft ergriffen ift, bie rhetorifchen Figuren
von felbft zufließen. Was er von den Predigern, welche
durch fehöne Worm und gefuchten Revefhmud bie Ohren
der Zuhörer zu figeln und Beifall zu erndten fuchen, unb
von bem Publifum urtbeilt, welches in der Predigt vor
Allem nad) Ohrenſchmaus begierig ift, Das entnehmen wir
am Beßten aus feiner 30. Homilie über: die Apoftels Ge:
fhichte, wo er fagt: „das bringt den Kirchen den linters
gang, daß ihr nicht nad) Worten der Serfnírídung und
Reue verlanget, fondern nach folhen, welche durch ihren
Klang, durch ihre Stellung und 3ufammenbang eudy er-
göpen, als ob ihr Sänger und Eitherfpieler hörtet. Lind
wir find fo falte und armfelige Menſchen, daß wir euren
Neigungen dienen, ba wir fie befämpfen follten. Wir
fuden nach fihönen Worten, nad fchönen Zufammens
fegungen und nad Harmonie ber Sprache, um euch
zu ergópen, nicht um euch zu nügen, nicht um eud
zu unterrichten; um euch zu unterhalten, nicht um Buße
bei eud) zu erweden; um mit eurem lauten DBeifalle
wegzugehen, nicht um eure Sitten zu bilden. Wir
verfahren dabei, wie wenn ein Water. feinem weld;
Zur Homiletik. 541
lichen, franfen Söhnchen einen Falten Kuchen reicht unb
Anderes, was biefen blos ergögt, aber auf das Nuͤtzliche
feine Sorgfalt verwendet und dann, von den Nerzten
darüber gefcholten, zur Entfchuldigung fagen will: was foll
id? ich kann den Knaben nicht weinen fehen. — Gieuber,
Unglüdlicher, Verraͤther! Einen folchen möchte ich feinen
Pater nennen. Wäre es nicht weit bejfer, er ließe feinen
Sohn eine furze Zeit trauern, ftellte ihn aber wieder ganz
her, al8 daß bie ſchnell vergängliche Willfährigfeit bie
Urfache fteter Traurigkeit wird? Das thun auch wir, indem
wir vergeblich nad) einer gefmüdten Rede unb nach Har⸗
monie und Wohlklang fuden .... Das Lärmen (ἐδ ift
das Beifallflatichen der Zuhörer gemeint) gehört für das
Theater, für bie 9Babeanftalten, für bie öffentlichen Aufs
gige, für ben Marft; wo aber folche Reden vorgetragen
werden, muß Friede, Ruhe und Stille fein. Dies recht
zu bebenfen, bitte ich euch alle; venn aud) id) ſelbſt gebe
mir ale Mühe, bie Mittel zu finden, durch welche ich
euren Seelen am Meiften nügen fann. And ein nidyt
unbedeutendes Mittel feheint mir biefeó zu fein, nicht allein
euch, fondern auch uns zu nügen. So werden auch wir
felbft uns nicht zum Dünfel und dahin verleiten laffen,, «
Lob und Ehre zu lieben; unb fo werben wir nicht reden, -
was zur linterba(tung bient, fondern was nügt und werben
den ganzen Verlauf der Zeit nicht auf. 3ujammenfegung
und Schönheit der Redensarten, fondern auf die Kraft
der Gedanken verwenden. Deshalb werfen und auch bie
Heiden vor, daß wir Alles zum Prunfen und Glänzen
tbun.« — Aus diefer höchſt belehrenden Stelle des berebtes
ften aller griechifchen Väter könnte Einer die Behauptung
zu begründen fuchen, daß berfelbe wirklich bem „Atticis⸗
S eof. Quartalſchrift. 1850. IV. ‚Heft. 36
548 Zur Gemiletif.
mus“ ergeben gewefen. Aber wenn die Worte fo premirt
werden, in welchen er von (id) fagt, daß er nad) fchönen
Ausprüden unb Jufammenfegungen, nad Harmonie bet
Sprache fude, warum überfieht man, daß er an eben
biefer Stelle einen Vorwurf gegen fib, eine Selbftanffage
erhebt? Indeſſen glaubten wir für unfern Theil die Ehre
furcht gegen ein fo großes Kirchenlicht zu verlegen, wenn
. wir bie ganze Stelle nicht als einen Ausdrud der tiefen
Demuth des Heiligen, als eine offene Darlegung ber
Berfuchungen betrachten würben, mit welchen er zu kaͤmpfen
hatte. Das iff ganz fo, wie wenn ber D. Gregor von
Nazianz, ber in feiner Abſchieds⸗-Rede der Gemeinde von
Gonftantinopel über ihren Hang zu glänzenden und prunte
vollen Vorträgen ftarfe Wahrheiten fagt unb fie freimüthig
tadelt, daß fie nicht Briefter, fonbern Redekünſtler (οὐχ
ἱερεῖς, ἀλλὰ ῥήτορας) fuchen, fie felber fo entfchuldigt:
„Wir felbft haben fie fo verzogen; wir wollten Allen Alles
werden — ich weiß felbft nicht, mehr um Alle zu retten
oder um Alle zu verberben !).
Gà ift feine unnótbige Arbeit, bie SBerebtfamfeit eines
b. Chryſoſtomus mit ber eines Demofthenes zu vergleichen;
. aber über der Einheit vergeife man ja nicht ben Unterfchieb.
Man will finden, daß ber blofe Lefer ber Predigten von
Chryſoſtomus nicht wohl verfucht fei, ibm ben ganz außer;
ordentlichen Beifall zu zollen, ber ibm von feinen Zuhörern
gefpendet worden. Das fei aber auch nicht zu verwundern,
weil, ba wir feine Homilien blos lefen, unfer Urtheil nicht
„beitochen (!)“ werde „durch feine SBerfónficbfeit, durch ein
Aeußeres, wo etwa jeder Gefichtezug ausdrucksvoll, jebe
Bewegung fchön, wo das Auge funfelnd oder milde zum
1) Orat. 32. pag. 510 sqq.
Sur Homiletik. 549
voraus fehon des Sieges gewiß ift,“ wir hören nicht etwa
eine helle, biegjame, ftarke, an Lieblichkeit Alles übertreffende
Stimme, nod) fehen wir eine Aktion, bie dem SBortrage
angemeffen if“). So fónnte man, báudyt ung, wohl von
einem weltlichen Redner fprechen, nicht aber von einem ἢ
Lehrer der Kirche, welcher vom Geifte Gottes angewebt ift.
Warum berichten und bie Biographien des Heiligen nichts
von feiner Aktion und Deffamation ?)? Ohne Zweifel
deswegen, weil fie der ganz richtigen Meinung gewefen,
bei einem folchen Manne fei das Alles Nebenfache gegen-
über von bem „Erweife des Geiftes und ber Kraft,“ welchen
bie Predigt eines apoftolifchen Mannes kennzeichnen müfle.
Alſo von bem Zauber feiner Stimme reden feine Biographen
nicht, wohl aber erzählen fie: „Wenn Ehrpfoftomus mit
vieler Mühe feine Reden ausgearbeitet hatte, banfte er
bem ἢ. Paulus, feinem Vorbilde, wie feinem Schugengel,
bot fie ibm an und fagte: nimm bie Arbeit, ift fie deiner
Gnade würdig, fo banfe id) Gott; wo nicht, fo verzeibe
mir“ 3). Darf man demnach, ohne in bie größte Einfeitigkeit
zu verfallen, blos die natürlichen Agentien der Bes
rebtfamfeit eines Kirchenvaters in Rechnung bringen,
ohne ber höhern Kräfte zu gebenfen, welche über feine
Bemühungen den befruchtenden Thau ergofien. „Was
follte die Predigt helfen, wenn fie nicht mit dem Gebete
verbunden wird? Erft das Gebet, dann das Wort, fo
wollen es bie Apoftel“ *). — Das war der Grundfag beó
Heiligen, von bem die 9tebe, und gewiß fuchen wir ver-
1) 2u&, Chryſ. &. 229.
2) Gbenbaf. &. 395.
3) Gbenbaf. ©. 228.
4) Homil. 3. de incomprehensib. Dei.
36°
550 Sut omiletif.
geblich nad) einem großen Redner, ber nicht von ifm ganz
unb gar durchdrungen gewefen, die berühmten franzöftfchen
Prediger unter Ludwig XIV. nicht ausgenommen. „Das
Herz verfchaffet uns weit mehr Worte, ald das Gedaͤcht⸗
nig; ja e8 hat fogar eine Sprache, welche diefem unbekannt
ift. Ein beiliger Briefter, bem bie Ehre Gottes und bae
Heil ver ihm anvertrauten Seelen am Herzen liegt, findet
in der Lebhaftigfeit feines Eifer und in bem Leberflufie
feines Herzens Ausdrüde, bie von dem hi. Geifte, ber ein
Geift ber Liebe und des Lichtes ift, herrühren und taufenbs
mal gefchidter find, einen Eindrud auf die Sünder zu
machen, und fie wiederum auf den rechten Weg zu bringen,
als alle diejenigen, bie ein mühfames Nachvenfen unb die
nichtige Kunft ber menfchlichen SBerebt(amfeit verfchaffen
fann. Saget alfo nicht mebr,.eó mangle euch an ber
Geídjidtid)feit (zum Predigen). Wir verlangen keineswegs
die Geſchicklichkeit eines 9üebner8 von euch, fondern bie
Gefdidiidfeit eines Vaters. Und was für eine Geſchick⸗
lichkeit bat wohl ein Water, wenn er mit feinen Sinbern
. reden will, fonft nótbig, als die Gefchidlichkeit feiner Liebe
zu ihnen unb bie Gefchidlichkeit des Verlangens, fid) ihnen
nüglich zu ermeifen )? Go dachte und urtheilte derjenige
unter ben berühmten Bredigern zur Zeit Ludwigs XIV.,
welchem wir, um feiner Gewalt auf die Gemüther zu wirken,
ben erften Platz unter benfelben einräumen möchten. Glaubt
man benn vielleicht ein Lob auszufprechen, wenn man fagt:
„Um vollendeter Redner zu werden, mühte fid) ein Flechier
mit der größten Anftrengung ab, fein minder gutes Organ
durch paffenbe Auswahl ber Worte und prächtigen Perioden⸗
bau zu erfegen?* Aber wir glauben nicht, daß e8 fo geweſen,
1) Aus ben Synodalreden Maſſillon's.
Zur Homiletik. 551
weil auf folche Weife durch das Zufammenfuchen wohl:
Hingender Worte und fdón gerundeter Perioden nod)
feine einzige große Rede entftanden. Der Strom
heiliger SBegeifterung muß ben Prediger erfaffen und mit
fi) fortreißen; ie. Weile. fommt nach, taugt aber auch
nachher nichts, wenn fie zu ängftlicy angelegt iſt. Zwifchen
‚einem Rebner, der glänzen will, und einem Diener Sefu
Ehrifti und Augfpender feiner Geheimniffe ift ein himmel⸗
weiter Unterfchied. „Eine troftlofe Wittwe,“ fagt Fenelon,
„trägt Fein Trauerfleid mit vieler Stiderei und mit einer
Menge von Bändern. Ebenfo wenig foll aud) ein apo»
ftolifcher Mifftonair aus dem Worte Gottes ein Wort voll
eiteln Prunkes und gefünftelter Zierrathen machen.“ „Se
mehr ein SDeffamator ὦ Mühe gäbe, mich durch bie
Sauberbilber feiner Rede zu verblenden, befto mehr würde .
er mid) gegen feine Eitelfeit empéren: fein Beftreben, bie
öffentliche Bewunderung auf fi) zu ziehen, würde ihn in
meinen Augen gerade aller Bewunderung unwuͤrdig mae
dent .... Gin biumenreicher Deklamator entfräftet bie
größten Wahrheiten burd) eine eitle, zu gezierte Wendung.
Der wahre Redner hingegen fdmüdt feine Rede nur mit
lichten Wahrheiten, mit edlen Gebanfen, mit ftarfen und
dem, was er fühlbar machen will, angemefienen Ausbrüden.
. Er denkt, er fühlt und das Wort folgt! Er hängt nicht
von ben Worten ab, fondern bie Worte bangen von ihm
ab“), So unterrichtend und anziehend demnach Manches
ift, was uns in der Echrift, „Ehryfoftomus“ dargeboten
wird, und fo viele Anerfennung aud) bie darin an ber
1) Aus einem Briefe Fenelon's an den Sefretair der franzöf. Afas
bemle, enthalten in bem Buche „des Erzbifchofs Fenelon Gefpräche über
die SBerebtfamieit", überjegt von Schaul,
552 Zur Homiletik.
Tag gelegte ausgehreitete SBefanntfdjaft mit den großen
Rednern des Altertbums wie der neueren Zeiten ift, fo
verdient bod) das darin entfchiedenen Tadel, daß ber Geift
der chriftlichen SBerebtfamfeit in feinem fpeeififchen Unterſchiede
von ber antífeir und profanen nicht vollftändig erfaßt ijt,
und fo manche hoͤchſt mißverftändliche Andeutungen gegeben
werben, welche blos ben Geift ber Gitelfeit und Ruhmſucht
in jungen Predigern zu nähren geneigt find.
Um noch einmal auf Ehryfoftomus zurüdzufommen,
deffen Homilien ut ganz bejonberá als Beleg anführt,
daß bie rechte Kanzelberentfamfeit auf bie claſſiſche Form
jurüdfommen müfle, fo finden wir εὖ bei ibm nicht anders,
als bei allen chriftlichen NRednern ohne Ausnahme, daß
ihm bie Sache immer über bie orm ging, und baf et
von ber Sunft nur mäßigen Gebraud) machte, während
er fi gern jenen rhetorifchen Wendungen und Formen
bingab, welche ber Herzensfprache natürlich find. Auch
finden wir die Hindeutung, daß ihm zu feiner rebnerifchen
Bildung bie äußern Berhältniffe von Gon(tantinopel einen
vorzüglichen Dienft geleiftet hätten, unangemeffen; das
von einem ἢ. Eifer erglühte Herz des Heiligen hätte fid
überall, aud) im fleinften Dorfe in berebtem Zeugniffe für
‘die Sache des Herrn geoffenbart, nur bie Form feiner
Beredtfamfeit wäre eine anberegemorben; obwohl
man fagen muß, fein Streben nad) Deutlichfeit und Pos
pularität ift fo groß geweien, daß man ibn überall ver:
ftanden bátte. Was ihm, ale er von ber erften. Predigt
weg bit Kanzel verließ, ein gutmüthiges Weib fagte: Deis
liger Bater, predige in Zukunft fo, daß ich e8 auch vers
ftehe — das vergaß er nie wieder. Lu glaubt ihn wegen
mancher Sehler und Mängel in der Darftellung tabeln zu
Sur Homiletif, ] 553
müfen, er habe fid) oft zu weit heruntergelaffen und brat.
Mag fein, er hielt eben wie jeder chriftliche Prediger an
bem Girunbíage: utilitas sumffna lex esto! Und im llebrigen
liegt gerade in den vielen Mängeln ber Darftellung, welche
fid in feinen Homilien finden, ber ffarfte Beweis, daß
ihm bie Form das lintergeotbnete gewefen. Und fomit
bürfte fid) herausftelen, daß auch der f. Joannes Chry⸗
fotomus nicht ausgenommen ift, wenn der mit ben Vätern
fo vertraute Weiffenbach über ihre Previgtweife ganz
allgemein das Urtheit fällt: 1) Man wird bei den meiften
Vätern vergeblich nach attifcher Weinheit und römifcher
Reinheit fuchen, fie befolgen lieber bie Worte des Apoftele:
meine Rede und meine Predigt beftanben nicht in überrebenben
Worten menfchlicher Weisheit, fonbern in Erweifung dee
Beiftes unb der Kraft.“ — Um auch nod) ein Wort von
ben berühmten franzöfifhen Predigern unter Lubds
wig XIV. zu fagen, bemerfen wir, daß ihre Stellung eine
fo eigenthümliche war, daß fie mit bem gewöhnlichen Maas»
Nabe nicht gemeffen werden können. Der Ctanbpunft ber
Bildung, auf welchem ber Hof ftanb, mußte berüdfichtigt
werden, entmeber fo, daß gezeigt wurde, bie chriftliche
Anfhauungsweife bemme ben Flug der Gedanken nicht,
fondern berge eine fole Fülle von Geift, daß alle Geifts
reichigfeit des Unglaubens davor erblaffe, ober fo, daß der
Eleganz ber Bildung die chriftlichen S been in großartiger
Einfachheit, gleichfam in bem erhabenen Reize ihrer Nackt⸗
beit entgegengeftellt wurben. Beide Wege find wirflich
betreten worden; welcher mit größerem Erfolge ift. zweifel⸗
Daft. So viel ift aber gewiß, wo jene Prediger die Seele
in ben tiefften Tiefen erfehüttern, ba bedienen fie fid jenes
grande genus dicendi, welches der b. Auguftin fo treffend
554 Zur Homiletik.
fchildert, und beffen Charakter erhabene Einfachheit mit
Verfehmähung des Redeſchmuckes ift, weswegen ed aus
ber b. Schrift, befonberó aus den prophetifchen Büchern
und den Briefen des Db. Paulus beffer erlernt: wird, ale
aus den Schriften des claffifchen Altertbums. — Und wenn
fie alfo fprachen, dann rigen fie bin, beſonders Maflillon,
von bem ug felber fagt: „Um Vortrag, um Redefchmud
fümmerte er fid) wenig, es lag ihm blos daran, mit Ein:
fachheit, Würde und Galbung zu reden, dann mochte die
Wirkung feiner Predigten fein, daß bie Kritif verftummte,
oder aus ber Bruft des Königs fid) ein Wort loswand,
wie er e8 εἰπῇ zu Maffilon gefprochen: „fonft wohl war
id) mit ben Predigern zufrieden, bie ich hörte, feitbem ich
aber Sie höre, bin ich mit mir felbft unzufrieden.“ Seien
wir aber überzeugt, daß biefe großen Männer bie Schwierig.
feit ihrer Stellung recht wohl begriffen und daß bie aft
ihrer Berantwortlichfeit oft fehwer auf ihnen lag. „Wir
felbft mildern auf ber Kanzel,“ ruft; Maffilon in wehmuths⸗
vollem Zone aus, „die Strenge ber heiligen Gebote burd
menfchliche Einfälle, fcheuen zu beftreiten, was wir be
ftreiten follten; unter dem Vorwande nicht ganz gegen bie
Wahrheit einzunehmen, zeigen wir die Wahrheit in einer
ganz unfenntlichen Geftalt.4 „Laſſet ihr Redner,“ ermahnt
Doffuet, „auf euere heilige Reden den Balfam ber From:
migfeit und ftatt jener Spipfindigfeiten bie lebhafte majer
ftärifche Ginfalt, bie fügen Verheißungen und bie Galbung
des Evangeliums fallen.“ -— Diefer Mahnung fam ber
Miffionär Bridaine in ausgezeichneter Weife nach, bet
vor ber böchften Gefellfchaft der Hauptſtadt eine Predigt
einmal alfo begann: „In Betracht eines für mich fo neuen
Publikums folte ich, meine Brüder, wie es -fcheint, ben
Zur Homiletik. 555
Mund nur öffnen, um euch um Nachſicht zu bitten zu
Gunften εἰπε armen Mifltonärs, der entblöst ift von
jenen Talenten, bie ihr verlanget, wenn man Gud) von
Eurem Seelenheil fprechen will. Sch bin jebod) heute
ganz anders geftimmt, und wenn ich gebemütfigt bin, fo
hütet euch, zu glauben, bag ich mid) zu ben efenben Bes
' unrubigungen ber Eitelfeit erniedrigen [afje. Möge Gott
4 verbüten, daß ein Diener des Himmels je einer Entjchuls .
digung bei Euch zu bebürfen benfe! Denn wer Ihr aud)
fein möget, Ihr feid, was ich, Sünder. Bor Euerem
Gott und dem meinigen fühle id) mich gebrungen in biefem
Augenblide an meine Bruft zu jagen. — Bis daher
babe ich bie Gerichte des Allerhöchften in Kirchen, wit
Stroh bebedt, verfünbet; ich habe bie Strenge ber Buße
Unglüdlichen geprebigt, bie fein Brod hatten, id) habe
ben guten Bewohnern des Landes bie erfehredendften Wahrs
heiten meiner Religion -verfünbet. Was habe ich gethan,
ich Ungluͤcklicher! Sd habe bie Armen betrübt, bie beften
Sreunde meines Gottes; ich habe ben Schreden unb ben
Schmerz in biefe einfachen und treuen Seelen getragen,
bie ich hätte bemitleiden und tröften follen. —- Hier dagegen
fallen meine Blide nur auf Große, auf Reiche, auf Unters
drüder ber [eibenben Menfchheit oder verwegene unb pere
härtete Sünder; adj! hier allein ift es, wo ich das heilige
Wort in ber ganzen Sraft feined Donners erfchallen laffen,
und neben mich auf biefe Kanzel einerfeitS den Tod mite
nehmen follte, der uns droht, anbrerfeit meinen großen
Gott, ber Euch richten wird. Sch halte heute Euren
Urtheilsfpruch in der Hand; zittert alfo vor mir, ſtolze
und übermüthige Menfihen, bie Ihr mich hoͤret! Die
Rothwendigkeit des Heiles, bie Gewißheit des Todes, bie
-
556 Zur Homileiik.
Ungewißheit biefer für Euch fo fchredlichen Stunde, die
enblide Unbußfertigfeit, das legte Gericht, bie fleine Zahl
ber Auserwählten, die Hölle und dazu die ganze Ewig-
feit — die Ewigkeit! febet hier bie Gegenftände, von denen
ἰῷ Euch unterhalten will, und die ich ohne Zweifel für
(ud) allein hätte auffparen follen. Und was habe id
Euren Beifall nothwendig, ber mich vielleicht verbammen
würde ohne Euch zu retten? Gott wird Euch erjdyüttern,
während fein Diener zu euch fprechen wird, denn ich habe
feine Barmherzigfeit erfahren. Alsdann, durchbrungen von
Gdreden wegen Eurer begangenen Ungerechtigfeiten, werdet
Sbr Euch in meine Arme werfen, Thränen ber Jerknir⸗
fhung und Reue vergießend, und in folge von Gewiſſens⸗
biffen werdet Ihr auch mich hinlänglich berebt finden.“
Welche Erhabenheit, einzig eingegeben durch das Bewußt⸗
fein apoftolifcher Sendung. Ban ftebt, es gibt eine Ein
fachheit, welche mit der Würde ibentifd ift. —
Den Atticismus als die von den heutigen S3rebigern
anzuftrebende Form ber Verkündigung des göttlichen Wortes
betrachten, heißt aber nicht b[o8 ben Charakter ber drift
lichen Predigt: überhaupt (al6 welche fi ble ihrem Inhalte
entfprechende Form von felbft fdjaffen muß), ſondern na
mentlich bie Bebürfniffe ber Gegenwartverfennen,
welche offenbar faft mehr, als je fonft ber Fall gemefen,
eine durch Gemeinverftindlichfeit und Acht volfsthümliches
Weſen auf bie Maffen berechnete Bereptfamfeit fordert.
Sie find ja leider bem Ehriftenthume verloren gegangen
oder es bieten wenigftens die Mächte ber Kinfternig Allem
auf, um fie unwiederbringlich von Chriftus abzufehren;
fie alfo müffen wieder gewonnen werben, und baé wird
gefchehen, wie die zu Würzburg verfammelten Väter fid)
Zur Somifetif. 557
ausfprechen, „nicht mit eitlem Wortgepränge, fonbern mit
ber Kraft ber Wahrheit und der Wärme der Ueberzeugung
in der Sprache ber δ. Schrift, im Geifte ber Kirchenväter
und nad bem Borbilde eines Chryfoftomus, eines Aus
guftinue, Bernardus und fo vieler Meifter der chriftlichen
SBerebtjamfeit.* Lug meint, es liege in der nämlichen Rich»
tung, bie Glaffifer der Griechen und Römer und die
Kirchennäter nachzuahmen; fo wefentlich aber heibnifche
und chriftfiche Kunft von einander verfchieden, ebenfo groß
muß ber Unterſchied zwifchen antifer und chriftlicher Bes
redtfamfeit gedacht werden. Auch bier gilt, bag Allee.
feine Zeit bat; ber junge .Studirende muß bie vollendeten
Formen des antifen Heidenthums fennen lernen, es ift
dies für ibn eine treffliche Geiftesgumnaftif, und namentlich
wird er durd fie von ber Gefchmadtofigfeit erlöst, bie fid)
mit feiner Art von Beredtfamfeit verträgt. If er aber
geiftig erftarft, fo muß feine Nahrung fein die heilige
Schrift und ihre Auslegung in den Schriften der Väter.
Hohe Beachtung verdient von allen Predigern des 5.
Alphonfus Schreiben an einen befreundeten. Ordensgeiftlichen,
„worin der Verfaffer darüber handelt, wie man auf apos
ftolifche Weife einfach und mit Vermeidung des erhabenen
und verblümten Styled predigen müfle.“ In biefem bis
zur Größe einer Abhandlung angemwachfenen Briefe, in
welchem bie Firchlichen Auftoritäten maffenhaft benuͤtzt find,
fämpft er gegen bie Behauptung, daß man fid in ber
Predigt nicht zu einer durchaus populären Ausprudsweife
Berunterfaffen, fouberm in einem höhern Style bewegen
folle, „weil bie Gebildeten unter den Zuhörern mehr Rüd;
fit verdienen, als bie llnmiffenben, und ein fo ausge:
fprochenes Sichherablaflen zum Bolfe ber Würde ber Kanzel
558 Zur Homiletik.
entgegen wäre unb das Wort Gottes berabfepen würde.“
Zuerft beruft er fid) auf die befannten Ausfprüche der 5.
Schrift, bie dagegen ftreiten, bann führt er gegen feinen
Gegner, einen gewiflen Gelehrten, defien Rame in dem
Schreiben nicht genannt ift, den getwichtigen Namen eines
Muratori in den Kampf, ber ein Büchlein von ber
populären 3Berebtfamfeit gefdbrieben. Aus diefem führt er
bie fdjlagenbften Stellen an, in welchen ber große italienifche
Gelehrte feine Meinung dahin abgibt, daß bie Prediger
der populären SBerebtjamfeit vor ber erhabenen ben Borzug
geben follen, auch wenn fie in Städten prebigen. Dieſe
nämlich charakterifirt er fo, daß fie [Ὁ mit vieler theologiſcher
Wiffenfchaft, mit geiftreichen Bemerkungen, fcharffinnigen
Ausihmüdungen, prachtvollen Amplificationen , einem ers
habenen Style, abgerundeten SBerioben, häufiger Anwendung
ber Tropen und Figuren, fury mit alf bem befaffe, befjen
fid) bie alten heidnifchen Redner zu bedienen pflegten, —
„aber das Alles (inb Auszierungen und Spielereien, weld
die Schönheit und Würde des Wortes Gottes erftiden.“
Die populäre Beredtfamfeit dagegen erfennt er darin, baf
fi bie Verwalter der göttlichen Geheimniffe zum Ber:
ftändniffe des Volkes herablaflen und zu bemfelben auf eine
Weiſe reden, bag Jedermann fie leicht verftehen fan. Und
zu einer folchen gemeinverftänblichen unb fib zur Faſſungs⸗
fraft des Volkes herablaffenden Redeweiſe [εἰ der Prediger
nach Röm. 1, 14. verpflichtet, denn wenn er vor einem
Publikum, das jedenfalls zu zwei Drittheilen aus linge
bildeten beftehe, erhabene Dinge vortrage, fo fättige ef
nur Wenige, laffe aber ben größten Theil feiner Zuhörer
hungrig von bannen gehen. Im Uebrigen werde, hofft
er, bie populäre Kanzelberedtfamfeit aud) ben @ebildeten
Zur Homiletik. 559
πάθει und gefallen; man miüfje alfo eine SSerebtfamteit
anwenden, bie Allen zum Segen gereiche, Gebilbeten und
Unwiffenden, und dazu werde mehr Geift erfordert, als
wenn man nur den Glebifbeten zu niüpen und ihnen allein
zu gefallen fuhe. Es fei feine Rede davon, daß
bie populäre Serebtfamfeit ber Rhetorif ente
bebren fónne, nein fie bebürfe berfelben, aber
nicht um bie Predigt mit Phraſen anzufüllen,
fondern bamit man lerne, wie man ben Zuhörer
überzeugen und rühren fónne. Gelbft den Zwed
der Grgógung des Gieifteó, welchen man ber Predigt neben
denen der Bewegung des Willens und der Belehrung
vorfeße, ignorire bie populäre SBerebtfamfeit nicht, wenn
man ibn nicht fälfchlich in den fchönen Schmud ber Rebe,
in die geiftreichen Bemerfungen, in die zierlichen Perioden
und ähnliche Sunftgriffe, fondern wie e8 fid ziemt, in
jenes geiftige Vergnügen fee, welches aus dem Anhören
einer auf Herz und Willen voirfenben Predigt von felber
entfpringt. Als Mufter einer folchen gemeinfaßlichen und
volfsthümlichen Beredtſamkeit ftelt er dann vie heiligen
Baſilius, Auguſtinus und inébefonbere Ehryfoftomus auf,
während er ben hi. Petrus Chryfologus tabeít, weil fein
Streben zu fefr darauf gerichtet gewefen, durch Gegenſaͤtze
und geiftreiche Betrachtungen einen zierlidhen Styl zu ete
langen. Der Figuren, meint biefer Gelehrte, müſſe fid)
der Prediger allerdings „bedienen, aber fie folen zweckmaͤßig
und ber Kaflungs»s Kraft der gemeinen Leute angemefjen
fein, wie dies beim ἢ. Auguflinus ber Fall gewefen, ber
ganz vertraulich zum Volke gefprochen, fid kurzer Säge
bebient, oft fragweife geredet und überhaupt bie leichts
faßlichften Figuren angewendet habe, Auf Muratori aber,
560 Zur $omiletif,
ben er um feiner von Riemand beftrittenen Auctorität willen
bejonberó nachdruckſam hbervorhebt, läßt er dann eine Reihe -
von gewichtigen Gewährsmännern folgen, deren Urtheile
er zur Befräftigung des von ihm vertfeibigten Satzes am
führt, daß der Prediger gefuchte Erhabenheit ber Gedanken
und bie zu große Zierlichfeit des Ausdrucks vermeiden miüfft.
Um der Wichtigkeit der Sache willen fann ich mir nicht
verfagen, einige diefer Urtheile anzuführen. Natalie
Alerander mad über den Gert 1. Gor. 2, 1, bit
Bemerkung: „Es ift nicht zu verwundern, daß die Predigten
Sener, welche auf nichte Anderes bedacht find, als fie
mit wohltlingenden Worten und fpigfinbigen Gebanfen aut
zufhmüden, ohne alle Frucht bleiben; denn wer es [
macht, ber weiß nichts von bem gefreugigten Jefus, indem
er academifche Redner zu feinem Mufter wählt.“ Der b.
Philippus Neri, Stifter ber Oratorianer Congregation,
erhob εὖ für biefe zum Gefeg, nur Nügliches und leicht
Verſtaͤndliches von ber Kanzel vorgutragen, unb wenn ihm
Einer feiner Untergebenen biefem Gebote entgegenbanbelte,
fo befahl er ihm von ber Kanzel zu fleigen, wäre er aud)
mitten in ber SBrebigt gemefen. Der große Thomas
von Aquin pflegte zu fagen, bie Sprache des Predigers
müfje fo Far fein, bag fie auch bem befchränfteften Ber
flanbe zugänglich fei; und was er in diefer Beziehung von
Andern verlangte, übte er felbft, indem er im Predigen
bem fuge feines hohen Geiftes Einhalt that und Solches
vorbrachte, was die Herzen zu entflammen geeignet war.
Der 5. Binzenz von Paul prebigte nicht nur felbft ſehr
einfäch, fondern verlangte diefe Predigtweife auch dringend
von ben Seinigen. Comelius a Lapide (in Luc. 6, 26.)
bemerft, daß ble Brediger, welche in gefuchter Weife pre
Sut Somiletif. 561
bígen, (i ſchwer verfündigen, weil fie ihr hohes Amt
zu Erlangung eigener Ehre mißbrauchen und das Heil ber
ihnen anvertrauten Seelen geradezu hindern, bie fid) bes
fehren würden, wenn man ihnen das Wort Gottes auf
apoftolifche Weife predigte. Von dem großen Diener Gottes,
bem b. Franz von Sales, führt er folgende Worte
aus einem Briefe beffelben an eine Gdywefter des Ordens
von der Heimfuchung an: „Sch habe am Ehrifttage in der
Kapuzinerkirche in Gegenwart der Königin gepredigt ; ich
verfichere Sie aber, daß ich vor all diefen Fürften unb
Bürftinnen nicht befler prebigte, als in unferer Fleinen
ärmlichen Kirche von Anneey.“ Deswegen urtheilte auch
die Frau von Montpenfier von ihm: Die Anderen ſchweben
mit ihren Reden bis in die Luft empor, ber Bifchof von
Genf läßt (id) dagegen bis auf die Erde herab, um feiner
Leute habhaft zu werden.“ Liguori führt in dem belobten
Schreiben aud) ben befannten Zug aus bem eben Tauler's
an, ber Anfangs in erhabenem Style prebigte, fpäter aber,
da er durch eine llnterrebung mit einem Bettler, den ihm
Gott zu feinem Führer gefendet, zu einem pollfommeneren
Leben bewegt worden war, und mehrere Jahre gar nicht
gepredigt hatte, hierauf, als er dem Berlangen des Beits
lers nachgebend bie Kanzel wieder beftieg, feinen erhabenen
Styl in einen ganz populären umgewandelt hatte. Noch
ein anderes recht fprechendes Faktum mag bier angeführt
werden. Als ber Zefuit Franz Regis in Buy bie Mifs
fion gab, hielt ein anderer Prediger in ber Doms Kirche
bie Baftenpredigten; diefer wunderte fih, wie man ibn
verlaffen könne, um jenen armen und unmwiffenden Mifftonär
anzuhören. Deshalb begab er (id) zu bem Provincial der
Sefuiten und fagte: der Pater Regis mag immerhin ein
562 Zur Homiletik. 4
Heiliger fein, aber feine Art zu prebigen ziemt fid) nicht
für die Würde ber Kanzel; feine Sprache ift. fo gemein,
und was er fagt, fo trivial, daß er fein heiliges Amt
wirklich entebrt. Der Brovincial antwortete: ehe wir ihn
verurtheilen, wollen wir beide feiner Predigt anmohnen.
Nun wurde aber ber Brovincial von ber Kraft, womit
ber Heilige bie Wahrheiten des Evangeliums darlegte, fo
ergriffen, daß er während ber ganzen Predigt nicht auf
hörte zu weinen. Beim Herausgehen aus der Kirche wandte
er fid) an feinen Gefährten und fprach: Wollte Gott, mein
Bater, daß alle Prediger eine foldye Sprache führten!
Laffen wir ihn immerhin in feiner apoftolifihen Einfachheit
fortprebigen, bier ift ber Singer Gottes! Auch jener Pre
diger war fo ergriffen, daß er ftatt ben Heiligen zu tabeln,
ihm je&t das verdiente Lob nicht mehr verfagte.“
Am vollftánbigften und georbnet(ten aber finden wir bie
Firchlichen Bingerzeige und Vorfchriften, nach welchen fid) der
Homilet (und nicht weniger der Homiletifer) zu richten Dat,
“in den „instructiones praedicationis. verbi Dei“ zuſammen⸗-
geftellt, welche nad) Verabredung ber auf bem dritten Pro-
vincial⸗Concil zu Mailand verfammelt gewefenen Bifchöfe
auf Befehl des ἢ. Karl Borromäus, Erzbifchofs von Mai-
land, ald Norm für die Verwaltung des Firchlichen Lehr:
amtes allen Predigern ber Provinz Mailand zugegangen.
Sie find in bem von Baftor Dr. Weſthoff wieder neu
aufgelegten Werfe: „S. Caroli Borromaei S. R. E. Cardi-
nalis et Archiepiscopi Mediolanensis Pastorum instructiones
el epistolae (Deiters in Münfter) abgebrudt zu finden,
unb müffen jedem Seelforger dringend empfohlen werben,
denn fie find nichts mehr und nichts weniger als eine
vollfländige praftifhe Homiletik. Der erfte Titel
Sur Gomilettt. 563
diefer insiructiones praedicationis verbi divini handelt von
ben Berfonen, welchen das Predigtamt obliegt. Der
Biſchof fleht bier voran, wie ja auch die Beftimmungen
der Synode von Trient befagen, und wenn es ihm vermöge
feiner übrigen Laft von Gefchäften nicht möglich it zu
predigen, fo foll er wenigften8 nach alt apoftolifchem Brauch
von Zeit zu Zeit Hirtenfchreiben an feine Gläubigen ers
lafien und Sorge tragen, daß nur tüchtige Priefter und
Diafonen (melde lestere nicht zu jung fein follen) mit
dem PBredigtamte betraut werben. — Der zweite Titel
handelt von dem fittliden Wandel der Prediger.
Wie nämlich an ber Bundeslade bie beiden Eherubim fo
angebracht waren, daß fie einander gegenüber frhauten, fo
follen Lehre und Wandel beim Prediger einander entfprechen,
er fol ohne Unterlaß fid) das Wort des f. Gregor gefagt
fein laffen „mundari prius oportet, quam mundare,“ er foll
mit allen Tugenden geziert fein (was nad) bem ἢ. Joannes
Chryfoftomus ausgeführt ift) und von fid) fagen fünnen
mit bem Ayoftel: mihi mundus crucifixus est et ego mundo. —
Der folgende Titel handelt in febr einläßlicher Weife von
ber Wiffenfchaft des Predigers. Die Anforderungen,
welche bier” geftellt werden, find ſehr bedeutend. Neben
dem, was gewöhnlich und zuerſt verlangt wird, finden
wir bier noch andere Bebürfniffe zur fegendreichen Vers
fünbigung des göttlichen Wortes hervorgehoben.
Der Prediger (oll. in der KirchensGefchichte, nament⸗
(ih im geben der Heiligen bewandert fein, bie kirchliche
Liturgie verftehen und ihrer Bedeutung mächtig fein, er
fol cafuiftifche und befonber& in ber Moral tiefgehende
Kenntniffe haben, es follen ihm zu Gebot ftehen die „loci,
quibus auditorum animi commoveri atque excitari solent
Theol. Duartalſqhrift. 1850. IV. Heft. 37
564 Zur Homilell.
ad Dei amorem, ad coelestis patriae desiderium, ad poe-
nitentiam, ad scelerum detestationem, ad virtutum studium,
ad metum divini judicii, ad spem misericordiae, ad mise-
ricordiam caritalemque erga proximum et ad caeteras
praeterea affectiones, quae ad coelum excilatae christianas
virtutes pariunt. Locos etiam illos tenebit, quae saepis-
sime usu veniunt, utpote de divitiarum et honorum des-
picientia, de condonandis injuriis, de rebus adversis con-
stanti christianoque animo ferendis, de immoderatis sumtibus :
alisque morum erroribus eripiendis.^ Gut íft es, wenn
ber Prediger aud) hebräifh unb griedjifó verfebt, um
bie hl. Schrift gründlicher auslegen zu fónnen. Er follte
fletá einen Vorrath von populären Gteichniffen aus der
uns umgebenden ſichtbaren Natur, alfo vom Aders und
Weinbau, vom Samen, von Sonne, Mond und Gteruen,
von den Bäumen und Pflanzen überhaupt hergenommen,
haben unb gu diefem Zwede aud) bie verfchiedenen Hand-
tbierungen der menfchlichen Gefellfchaft ausbeuten, je nad
dem Zubörerfreife, der ihn umgibt. Aus ber Kirchlichen
SRBetorif (ex ecclesiasticae rhetoricae praeceptis) foll er
fid) über bie SBebeutung und Stellung des Exordiums,
über die rechte Art zu bifponiren, über bie Mittel einer
flaren unb beutlichen Sarftellung belehren unb fid) an einen
angemeffenen Vortrag gewöhnen.
Bevor er fein Amt antritt, foll er feine Kräfte fennen
lernen, bamit er fid) weder an ein Thema wage, bem et
nicht gewachfen, noch eine Darftellung affeftire, bie feiner
Individualität gar nicht angemefjen. Zu biefem Behufe
fol er etwa einen fachfundigen Freund zu Rathe ziehen,
ber ihn freimüthig unter vier Augen auf feine Fehler im
Predigen aufmerkſam made. Auch mag er fid) einen
Bur. Homiletik. 565
vorzüglichen Prediger zum Mufter nehmen, übrigens nur
in bem, was wirflich gut und trefflih an ihm, nicht aud)
in feinen Einfeitigfeiten. Als bleibende Mufter, nach denen
er fi) zu bilden, foll er übrigens bie heiligen Väter fid)
vorfegen; an Gregor b. Gr. und Gfrpfoftomus8 ahme er
nad den praftifhen Sinn und die Behandlung der Moral,
an eo b. Gr. und Bafilius bie Erhabenheit, an Gregor
von Razianz das Eindringliche, an Gregor von Nyffa die
Feinheit, an Auguftinus bie Schärfe, an Ambrofius ben
ruhigen Fluß der Rede, an Bernarbus bie füße und frommme
Sprache, vor Allem aber halte er fi) an die ganz be»
tounberungérodrbige und göttliche Beredtfamfeit des Hl.
Paulus, in welchem bie gelehrteften Väter, Auguſtinus
und Ehryfoftomus, bie höchften Vorzüge eined Prebigers,
ja fogar eines Redners vereiniget finden, was fie mit vielen
trefflichen Beifpielen belegen. — Der Hauptzweck aber,
ben ber Prediger in jeder Predigt verfolgen fol, ift bie
Rührung und Bewegung ber Gemüther, weil die Meiften
nicht etwa deswegen fündigen, weil fie bie Wahrheit nicht
fennen, fondern weil fie von fchlechten Affeften beherrfcht
find. Deswegen bie goldene Bemerkung; dabit igitur
operam, ut, quemadmodum per singula corporis membra
sanguis diffunditur, ita in omnibus concionis suae partibus
quaedam insint, quae ad commovendum valeant.* Gailer
fiberfebt biefe Stelle in feinen „vermifchten Lehren eines
erfahrenen Predigers an angehende Prediger“ (PBaftorals
theofogie IL (6, 217) auf eine recht lefenswerthe Weiſe. —
Der 4. Titel fpricht von der Vorbereitung des Prebigers,
bie er zur fegenvollen Verwaltung feines Amtes mitbringen
fol. Ohne Unterlaß muß er jene Wahrheiten vor Augen
haben, welche ihm die Erhabenheit ſeines Berufes vor
87 9
566 Zur Φο
Augen legen, 3. B. bie Wahrheit, daß er ber Diener
' Gottes fel, durch welchen fein heilig Wort aus bem Borne
des. göttlichen Geiftes zur SBewáfferung der Seelen übers
geleitet werde; bie Wahrheit, daß εὖ fein anderes Amt
fei, al8 das ber Heiland felbft zum eile der Welt vers
waltet. Gedenfend aber des herben Kampfes, ber ihm
unabläffig vom Satan und ber Welt bereitet ift, foll er
fi& nie auf feine eigene Kraft verlafien, fondern beharrlich
fein im Gebete und im Faften. Am meiften ermutbige ihn
in beiligem Dienfte da8 Wort: qui converti fecerit pec-
catorem ab errore viae suae, salvabit animam ejus a morte
el operiet multitudinem peccatorum. Er flehe befonders
um die Gnabe, allen Geift der Eitelkeit unb ber Ruhm
fudt aus bem Herzen bannen zu fónnen, auf daß bie
reine Abficht bie Ehre Gottes und das Heil des Nächften
zu fördern immer Platz in, ihm finde. Weit fei von ibm
entfernt das Streben nach einer vornehmeren Kanzel, ba
ja fein Herr und Meifter, wie dad Evangelium berichtet,
ale Flecken und Dörfer ald Prediger durchzogen ). —
. πὶ 5. Titel wird in ganz concreten Beziehungen verans
fchaulicht, wie ber Prediger fein eben einrichten
foll, nachdem er fein heiliges Amt wirtlid am
getreten. In feinem ganzen Äußeren Verhalten, im
Gang unb in jeder Eörperlichen Gebaͤrde zeige er jene Würde,
welche fein Stand fotbert, ebenfo im Geſpraͤch, in ber
Kleidung. Sein Tifch fel einfach, nie entbinde er fid
von den fírdjlid) vorgefchriebenen Faſten, weil er beren
Beobachtung fonft nicht mit Erfolg einfchärfen fann, Eins
fabungen zum Efjen und Trinken befonberó bei Laien
1) Fuit haec quondam incredibilis ambitio ethnicorum oratorum!
Zur $omiletif. 567
fchlage er aus, überhaupt vermeide er allen vertrauten
Umgang mit biefen, bie größte Vorftcht aber übe er gegen»
über von weiblichen Perfonen. Er fei wohlthätig, und
helfe, wo und wie er im Stande ift, durch Unterſtützung,
Rath, Troſt; aus allen Kräften fliehe er den Vorwurf
ber Habs und Geminnjudt und deswegen nehme er für
feinen erbabenen Dienft nichts Zeitliches, nicht einmal
Effen und Trinfen, e8 {εἰ denn ein Entfchuldigungs:-Grund
ba, 3.2. förperliche Schwäche, „non vestem, non indusia,
non sudoriala, non caetera id generis sibi quaeritabit.“
Er halte fein Gemütf frei von allem Teidenfchaftlichen
Weſen, als von Zorn, Eiferfucht auf folche Prediger, welche
mehr Anklang finden, und wenn feine Zuhörerfchaft nur
flein an Zahl, fo (affe er deswegen nur ja den Muth
nicht finfen, denn auch ber erhabenfte Lehrmeiſter Ehriftus
begnügte fid) mit wenigen Schülern, ja bie unb da war
ibm auch nur eine heilbegierige Seele nicht zu wenig, ihr
das Wort des Lebens zu verfünden, wie die Samaritin
am Jakobs⸗Brunnen. VBegeifterung und Muth follen. ihn
durchglühen, fo daß er, wenn es nothwendig ift, nicht nur
Beichimpfung und Anfeindung für den Namen des Herrn
ftandhaft zu dulden, fundern fogar bem Tode ftd) zu unters
ziehen bereit ijt. lm fo große Gnaben von Gott zu erlangen,
fol er der Entrichtung der canonifchen Tagzeiten mit Eifer
unb Gewifienhaftigfeit obliegen, ber Betrachtung ergeben
fein und täglich, wenn er nicht gefegmáfig verhindert ift,
das b. Opfer barbringen. — Der 6. Titel befpricht bie
Borbereitung auf die einzelne Predigt Bor
Allem muß hier verlangt werden, daß ber Prediger nicht
mit einer ſchweren Sünde belaftet fein Amt ausübe und fo
ben bi. Geift betrübe. Bor bem Studium bete er nad
568 Zur Honetlstik,
dem Vorbild eines b. Thomas von 9íquin. Um in ber
Meditation, welche bem Goncipiren ber Predigt vorausgehen
muß, mit Zeuer erfüllt zu werden, [01 er fid) das Bild
des gefreuzigten Heilandes oder des Völferapofteld Baulus
vor Augen halten. Bevor er bie Kanzel betritt, ftelle er
fih, um feinen Eifer zu beleben, fein Auditorium als eine
hungrige Menge vor, die τοῦ von ihm betitelt, oder als
eine Menge von Kranfen und Prefthaften, von Blinden,
Lahmen, Tauben u. f. w., bie Heilung bei ihm fuchen.
Sich felbft betrachte er als einen Fifcher, ber mit bem
9leg ber Predigt fo viele Seelen ald móglid) dem Unter⸗
gang entreißen fol. Weil das, was man {εἰδῇ Durchdacht,
und innerlich erlebt hat, mehr Eindrud hat, fo nehme er
feine Zuflucht nicht zu fremden Arbeiten. Er befruchte
feinen Geift durch bie Lefung der Väter, und nehme Bedacht,
das D. Teuer, das er aus der Betrachtung, aus dem Ges
bete, aus ber andächtigen Celebration gewonnen, unvers
mindert mit auf die Kanzel zu nehmen. — Der folgende
Titel befpricht, was der Prediger an der heiligen
Stätte felbft zu beobadjten Dat. Es wird ihm
empfohlen fid) Ehriftum bem Herrn vorguftellen, als ob er bem
Prediger gegenüber ale Richter im Gange feiner Majeftät fid)
befinde, auf daß er in feinem b. Amte beffen nie vergeffe, der
einft Rechenfchaft von feiner Haushaltung ihm abforbern
wird. Auch nach der Predigt fidere er ihre Frucht durch das
Gebet. — Sm 8. Titel wird ber Predigtritus in Bes
ziehung auf bie kirchliche Kleidung xc. genau befchrieben.
Der 9. Titel handelt von den Zeiten wann geprebigt
werben foll. An unb für fid) find gar feine befonberen
Zeiten dafür ausfchließlich feftgefegt, weswegen apoftolifche
Männer wie Dominifus, Branziefus, Bincentius jede Ge:
Bur Homiletik. ; 569
fegenheit ergriffen haben, auch auf Feld und Acer zu prebigen.
Zumal ber Bifchof foli immer unb überall bie (id) ihm
barbietende Gelegenheit benügen, feine Heerde mit ber Nah⸗
sung δε göttlichen Wortes zu verfeben, alfo namentlich
an den Quatember Tagen, bei Gelegenheit von Bittgängen,
bei Jubiläumisfeierlichfeiten, aus Veranlaffung der Synodals
Feier, bei ber folennen Gyenbung von Gaframenten ‚' bei
feierlichen Weihungen und Segnungen, überhaupt bei febet
bifchöflichen Funktion, deren Geheimniß eine Grflárung
fordern dürfte. Wird ber Bifchof von einem Amts⸗Bruder
befucht, fo foll er ibn zur Predigt einfaben, wie eine alte
Kirchenfakung verlangt. — Der folgende Titel ift. einer
ber wichtigften, er behandelt ble Srage, woher ber Pre
biger feinen Stoff zunehmen babe. Sn ber Regel
aus ber evangelifchen Perifope, tod) foll er von Zeit zu
Zelt aud) bie Epiftel be Tages benügen. Defters erkläre
er auch ben Gläubigen bie jeweilig treffenden Kirchens
gebete; wird aber ein Heiligenfeft gefeiert, fo Debe er
aus bem Leben des Heiligen einige paffenbe Züge zur
Nachahmung hervor. Er unterlaffe nicht, nach Kräften
feine Zuhörer in ben Sinn unb Geift ber firchlichen Liturgie
einzuführen und fomme von Zeit zu Zeit auf ble Erklärung
des Symbolums, des Vaterunſers und englifchen Grußes,
der 10 Gebote unb der heiligen Saframente zu fprechen.
Die Behandlung fubtiler Fragen vermeide er, auch behandfe
er feine lächerfiche, unnótbige, unpraftifche, der heiligen
Stätte unangemeffene Gegenftánbe, bringe Nichts vor, was
nicht mit den Einrichtungen, Gebräuchen und altehrwürs
digen Gewohnheiten der Kirche und mit den Lehren ber
berodfrteften Firchlichen Auftoritäiten harmonirt, er nehme
Nichts auf aus apofruphifchen Büchern, aus ſchlecht bes
570 Zur Homiletik.
glaubigten Legenden, dagegen fude er in dem Leben bet
Heiligen gerne das, was einem Jeden individuell. Er
maße fid nicht an, als Prophet aufzutreten, 3. B. bie
Zeit des jüngften Gerichte 1c. näher zu ‚beflimmen. Brofans
fchriftfteller gehen ihn auf ber Kanzel Nichts an, nur ganz
felten und mit großer Vorficht kann er heipnifche Bhilofophen,
Dichter 1€. anführen, wo ihre Ausſpruͤche mit der chriftlichen
Wahrheit zufammenftimmen. Neuere Eirchliche Autoren führe
er auf der Kanzel nicht an. Die Eitate aus den Vätern
feien fur. Er gebe fid) nidt dazu her, Berords
nungen der weltlichen Gewalt u. drgl. von ber
Kanzel zu verfünden. Dann folgen die trefflichften
Vorfchriften für die Bälle, da ber Prediger tadelnd und
jurechtweifend auftreten zu müflen glaubt: ne quenquam
nominatim insectetur vel ita- verbis depingat, ut quo de
loquatur, facile possit auditor animadvertere. Ne in or-
dinem ullum aut statum aut vitae genus ab ecclesia receptum
invehatur. Ne Episcopos aliosve praelatos nec vero civi-
les magistratus in concione asperius objurget; sed si quando
occasio tulerit, pie potius admoneat .... Ne statim, cum
concionari ingressus est, sed postquam aliquot concionibus
habitis prudentis docti atque religiosi concionatoris nomen
adeptus, est ad vitia acrius inseclanda se conferat ^ —
Der 11. Titel befpricht bie Sünden unb after, welche
am häufigften begangen werden, und deswegen durch
bie Bemühung vor andern ausgerottet werden (ollen. Sum
Eingang heißt e& hier: „universe peccata omni increpatione
exagitet, cruciatus tormentaque perennia ac sempiterna
damnatorum exaggeret; saepe mundi res caducas brevi-
que interituras et ejus infinita incommoda ad omnem ex-
agitationem studiose proponat ac recenseai calamitates.
Zur Φοπ ζει, 571
Dann werben bie gewöhnlichen ſchweren llebertretungen
des göttlichen Geſetzes namhaft gemacht, gegen welche ber
Prediger zu Felde ziehen muß, was jedoch nicht zu allgemein,
fondern auf eine concrete und individuelle Weife
zu gefchehen hat. Schließlich werden die Sophismen
nambaft gemacht, durch welche man fid) bei Nichterfüllung
der evangelifehen Gebote beruhigen zu fónnen. glaubt, weil
ἐδ eine befonbere Aufgabe des Prebigers ift, viefelben in
ihrer Nichtigkeit und Schädlichfeit aufzuzeigen. — Im
12. Titel if bie Rebe von ben fhlimmen Gewohnheiten
unb verführerifhen Gelegenheiten, woraus bie
Sünden hervorgehen. Gemeint find Theater, Tanz und Spiel,
Kleider, Pracht, Gaftgelage und drgl., wogegen ber Vers
fünbíger des göttlichen Wortes mit dem Schreden des
Evangeliums bewaffnet immer und immer wieder auftreten
fol. — Der folgende Titel handelt febr ausführlich von
der Pflicht des Predigers, die Gläubigen zum
Empfang der heiligen Gaframente einzuleiten.
Hier mag hervorgehoben werden, daß bem Prediger namente
lich aud) an's Herz gelegt ift, feine Untergebenen über bie
Dedeutung der Priefterweihe zu unterrichten und
ihnen daraus die Pflicht finbfider Ehrfurcht und gläubigen
Gehorſams gegenüber von dem Clerus, insbefondere bem
Bifchof und Pfarrer, abzuleiten. Er fehärfe nad) bem Vor;
. gange des ἢ. Vapftes Clemens ein Das „episcopo subjecti
estis velut Domino, nam ipse vigilat pro animabus vestris,
ut qui rationem Deo redditurus sit.“ An ben Quatembers
und andern 9Beibetagen folfen die Gläubigen
zu eifrigem sffentlichen und Privat» Gebet für
Pie zu Weihenden angehalten werden. Go werden
dann alle heiligen Gaframente durchgegangen; Hinfichtlich
$72 Sur $ontietif.
bes ἢ. Ehe⸗Sakraments (oll. ber Prediger bemüht fein, bie
in vielen Gegenden herrfchennen groben Mißbräuche, bit
bei Einfegung der Ehen ftattfinden, abzufchaffen. — Im
14. Titel werden heilfame Winfe gegeben, wie ber Pres
biger zu ben driftliden Tugenden und guten Wer
fen anleiten foll. Er hat das nicht nur fo im Als
gemeinen unb. obenbin, fondern ganz fpeciei und fo zu
ibun, daß er auf bie Einzelnheiten des Lebens eingeht.
Dft fomme er auf bie evangelifchen Räthe zu fpreden
und empfehle fie mit Stadbrud, auf bie Werke ber (tib
lichen Barmberzigfeit, auf bie zur Uebung der chriftlichen
Liebe beftebenben Bereine. Ueber bem leiblichen Almofen
vergefie er aber nicht, das geiftige einzufchärfen, bie brüder
liche Zurechtweifung nämlihd. Er führe zu ber rechten
und weifen Abtödtung des Fleiſches am, fehärfe dringend
das Waften ein, namentlich fo weit εὖ von ber Kirche
geboten ift, empfehle nachdruckſam das Lefen guter und
frommer Bücher, fünbige dagegen den fchlechten ben Krieg
an, eifere gegen ungüchtige heibnifche Bilder und Statuen,
Bei der Behandlung moralifcher Materien gehe er (peciell
auf bie verfcehiedenen Standeöpflichten ein, monebit saepis-
sime parentes, liberos, virum, uxorem, dominum, servum,
clericum, laicum, privatum, magistratum ejus officii, quod
cujusque proprium eri.^ Dann werden Winfe gegeben,
wie bie Reichen und Armen, bie VBornehmen und Geringen
und einzelne Stände auf den Weg des Heiled gewieſen
werben follen. — Im folgenden Titel wird ber Prediger
belehrt, wie er bie Gläubigen mit ben kirchlichen Gc
bráuden unb mit ber Art und Weile befannt
machen folle, ihrer Gebetspflicht zu genügem
ihr Morgen und Abend» Gebet und die übrigen täglichen
Zur $omiletif | $19
Gebete, namenitidg aud) bie für ble SBerftorbenen recht au
verridten, Wenn das Gíodengeiden zum ἢ. Mebopfer
gegeben. wird, follen diejenigen, welche bemfelben beizu⸗
wohnen verhindert find, angehalten werben, einen Alt der
Reue zu ertoeden. Auch die Beobachtung der Geremonien,
welche das Gebet begleiten follen, fol ber Prediger bem
Gläubigen nadbrudjam an'$ Herz legen. — Der folgende
Titel materrichtet ben SBrebiger, wie er fid) Mühe zu geben
bat, SRifbrdude in der Gemeinde zu heben und
firdlide Einrichtungen, Gewohnheiten, Ge
brauche zu fördern, unb wie er bei ſolchen Bemühungen
in Vebereinftimmung mit bem bifchöflichen Kirchenregimente
handeln foll. Das Grfie muß immer fein, daß ber Pres
biger ba, wo er auftritt, fid) nach den daſelbſt im Schwange
gehenden Laftern und üblen Gewohnheiten forgfältig ers
funbigt und bann mit aller Kraft fo (ange gegen biejelben
bonnert, bis er fie mit Gottes Hülfe ausgerottet bat. Oft
foll der Prediger feinen Zuhörern auch bie Beichlüffe unb
Verordnungen des Concils von Trient auseinander
fegen, ebenfo fei er unermüdlich in Einfchärfung der ἰός
cefanverordnungen. — Die 4. legten. Titel handeln von
ber Form der Predigt, von der Schidlichkeit, bie
ber Prediger βειδ im Auge haben muß (daß er foldje
Dinge, welche (einer Publikum nicht angemeffen find, vers
meide), von ber fpradjtiden Darftellung, enblid)
bon ber Aktion und Deflamation. Kein wichtigerer
Punft, der bier zur Sprache fommen fann, ift übergangen,
überall wird aufs Einzelnfte eingegangen. In bem Abfchnitt
„de elocutione“ wird vor gefuchter, gefchmüdter, bomba:
ftifcher, au bilverreicher, aber auch vor trivialer, tautolos
giicher Sprache gewarnt, „Fati, fortunae infortunii nomina
574 Zur δοηη
aliaque id generis ab ecclesiae usu jampridem explosa
ómnino cavebit.^ Nur mit großer Vorficht fpreche er von
den Sünden gegen das 6. Gebot; fpricht er von einem
Heiligen, fo nenne er ihn auch als foldyen; er vermeibe
jede zweideutige, zu concife und bunfíe Redeweiſe. In
Beziehung auf den Bortrag wird der davon handelnde
legte Titel alfo eingeleitet: „De pronuntiatione, gestu,
actione ab antiquis rhetoribus permulta tradita sunt: quae
exquisito quodam studio perinde consectari, quasi in iis
ipsis bene concionandi finis positus sit, hoc longe alienum
esse debet a concionatore verbi Dei, cum ii praesertim
motus corporis aliquos commonstrarint non modo leves,
pueriles sed plane histrionicos ob eamque rem indignos
et persona concionantis et autoritate suggesti; qui locus
gravissimus est. Quae igitur de toto illo genere isti
praeceperunt, eorum tantum, quae ad gravitatis decorique
laudem insignia sunt, delectum quendam a concionatore
haberi conveniens est, ut aliquid etiam adjumenti inde
Sibi comparet ad fidelium animos inflammandos studio
rei, de qua concionem institui. Dann folgen bie elt
zelnen aud) dad Stleinfte nicht überfehenden Regeln. —
Go viel über bie lintermeifungen, welche über bit
richtige Verwaltung des Predigt-Amtes eine Firchliche Auf:
torität gibt, der man von jeher nicht blos ‚für die Pro
vinz Mailand, fondern für bie ganze Kirche Bedeu
tung zugeflanden. Wir find ber feften Weberzeugung,
dag wenn jeder Prediger fid) mit ihnen befannt machen,
und fie als unverrüdbare Richtſchnur feiner Tchätigfeit
achten würde, die Klagen über bie Vergeblichfeit des Pre
bígené abnehmen würden. &8 liegt eine Zeit hinter und,
ba auf die Predigt ein Gewicht gelegt wurde, baf bie
L3 Wü. um YE τὸ -.- uw
But Homiletik. 575
Bedeutung anderer Cult⸗Theile dagegen verkuͤrzt wurde,
und deswegen iſt die Predigt auch bei manchen Guten in
eine Art von Miß⸗Credit gefommen. Aber mit , großem
Unrecht, denn wie ber bf. Franz von Sales fagt, wenn
nur ret gepredigt wird, fo fann faum zu oft
gepredigt werben. Der Fehler (ft vielfach, bag wir
nicht einfach, nicht populär, nicht nach den von der Kirche
fo deutlich gegebenen Fingerzeigen prebigen, fo daß unfere
geiftlichen Reden über bie Köpfe hinweggehen, und nicht
in bie Herzen eindringen. Sollte εὖ mir gelungen fein,
durch biefe Blätter einen Eleinen Beitrag zu der Erfennts
nig zu liefern, bag die Homiletif eine durch und burd
pofitive Disciplin fei, und deswegen auch vor Allem aus
pofitiven Quellen zu fchöpfen babe, fo ſollte e& mich recht
freuen. Nicht als ob ich glaubte, damit eine großartige
Gntbedung gemacht zu haben, ber Gag von bem pofltiven
Charakter fener Disciplin ig wohl allgemein zugegeben,
aber ob bie daraus zu ziehenden Wolgerungen überall durchs
gebrungen, daran muß ich im Hinblid auf unfere Gom»
penbien der Homiletif einigermaffen zweifeln. Den Borwurf
fann man zum wenigften gegen bie Mehrzahl unferer Schrift,
fteller über Homiletif erheben, daß fie bie Eirchlichen Quellen
nicht gehörig ausgebeutet und anftatt ber grünen Weide,
welche viefe fo reichlich barbieten, auf den bürren und
langweilenden Bormalismus ber Schule zu hohen Werth
gelegt haben. Es ift und bleibt nun fo, daß die Regeln
der Homiletif, wenn fie nicht fyarfam und concret. geftellt
und unabläffig durch Beifpiele erhellt werden, zu nichts
Anderem ‚gegeben zu fein feinen, a(8 daß fie unbeachtet
bleiben und vergeflen werben. 9 aft.
Il.
Wecenfionen.
1.
febrbud) der katholifchen Dogmatik. Bon Dr. £. X. Bir-
ringer, orbentl. öffentl. SDrofeffot der katholiſchen Theologie
an ber Untveriität Bonn, wirkl. Erzb. Geiſtl. Math unb
Vicariatsrath zu Köln, Ehrenmitglied ber Tai. theol. Fa⸗
eultät der liniverfität Prag. Zwelte vermehrte und ver
befferte Auflage. Mainz, Berlag von Kirchheim und Schott.
1850. Preis 4 fl, 40 kr.
Daß von biefem Lehrbuche, deſſen erſte rfiheinung
in dem breifigften Jahrgang unferer Zeitfchrift, 1848 ©.
279 f. angezeigt wurde, nach zwei Jahren eine zweite
. Auflage nothwendig war, ift wohl ber befte Beweis nicht
nur feines vielfachen Gebrauchs fonbern auch feiner Brauch⸗
barfeit. —
lieber das Verhaͤltniß dieſer zweiten, vermehrten und
verbeſſerten Auflage zur erſten bemerkt der H. Verfaſſer
ſelbft voran, daß die ganze Syſtematiſirung dieſelbe ge
blieben fei, und ſetzt bei: Hätte ich ben Fingerzeig eines
Beurtheilers in Bruns „Neuem Repertorium“ XIV. 3. folgen
Dieringer, ratholiſch⸗ Dogmatik. 377
wollen, ſo mußte freilich eine radicale Revolution vorge⸗
nommen werden. Da aber die katholiſche Kirche weder einem
myſtiſchen, noch einem ſpeculativen Pantheismus zugethan
iſt; ſo konnte ich von dieſen Rathſchlaͤgen keinen Gebrauch
machen. Sm andern Stüden habe ich gerne bie Bemerkungen
jenes Beurtheilers berüdfichtiget. Seine zwei Behauptungen, -
erftens ich [εἰ ftodfatholifch, und zweitens, aud) bei mir
κί „das katholiſche Princip bereits durch die Wiſſenſchaft,
wie fie unter dem Einfluffe ber evangelifchen Kirche fid
geftaltet habe, gebrochen,“ heben fid) gegenfeitig auf, unb
alle von ihm angerufenen Belege habe ich burd) Lehrents
fheivungen ber Fatholifchen Kirche gebedt. Solche evans
gelifirende Neuerung gibt er mir 3. DB. in dem Gage
Schuld: bie Neue wirkte auch ohne Vollziehung des Sacras
mentes, wenn nämlich biefe nicht möglich fei, Sünden»
vergebung. Ich aber hatte gefagt, bag bie Kirche ber
»volifommenen,4 das Begehren nad) dem Sacrament eins
fhließennen, Reue die Gnade ber Sündenvergebung zus
fpreche, unb hatte mich hiefür auf Conc. Trid, Sess. XIV.
cap. 4. de poenit. bezogen, wo dieſe Lehre Klar unb bes
ſtimmt vorgetragen ift.
Die erheblichften Veränderungen in diefer neuen 9fuf»
lage beftehen in Bereicherung des ben Noten zugetheilten
Materials, in genauerer Ausführung einzelner dogmatiſcher
Beſtimmungen mit Rüdfichtuahme auf die jüngften lites
rarifchen geiftungen, und in der Ausfülung einzelner (id)
darbietender Lüden. Die Bereicherung ber Noten entftebt
aus der Bermehrung der beweifenden Schriftftelen, im
. Bleihen aus Zufägen von Väterftellen, bisweilen werben
sur Erläuterung aud) philologifch » eregetifche Erklärungen
beigefügt, ober εὖ wird an geeigneten Orten das Eigen⸗
$18 - Dieringer,
thümliche ber Altern fcholaftifchen S/beofogen in ber Behand⸗
lung gewifler Begriffe bemerflich gemacht.
Eine genauere Ausführung einzelner Dogmatifcher Bes
flimmungen findet fid) in ber Lehre von ber Erſchaffung
und dem Abfall ber Engel, fo wie in ber Vorbereitung
ber Erlöfung. Zu $. 138, welcher von ben Sacramen
talien handelt, (ft S. 650 eine Anmerkung hinzugekommen,
in welcher. να ὁ Verhältniß zwifchen den Sacramenten unb
Sarramentalien furg und treffend fo angegeben wird: 1.
Beide beruhen auf der göttlihen Sendung ber Kirche,
jene beruhen auf fpecieller göttlicher Unordnung, diefe auf
der ihr im Allgemeinen gewordenen Stellung unb Er
mádtigung. 2. Beide gründen im SBerbienfle des Erloͤſers,
und vermitteln feine Gnabe: jene beziehen fid) vornämlidh
auf bie Heiligung des Geiftes, biefe auf bie Erhebung
der leiblichen Greatur und auf die allgemeine. Ausfcheidung
unb Ausftattung und Kräftigung des Geifles. 3. Beide
find um unferes Helles willen: jene find gemäß göttlicer
Stiftung nothwendig, biefe förderlich. 4. Beide haben
ihre Wirkung fraft göttlicher Verheißung und nicht blos
aus ber fubjectioen Würbdigfeit des Spenders unb Empfän
gers: jene aber vermittelt bie Kirche in fategorifdoer, dieſe
in beprecatori(djer Weife. 5. Beide befigen Materie und
Form: jene in gebundener, blefe in ber von ber Kirche
erwählten Ordnung.
Die bebeutenbften Zufäbe hat ber 4. 139 erhalten,
welcher von ber Leitung der Gemeinde durch das Firchlice
HDirtenamt handelt. Hier waren in ber. erften Ausgabe
bie Sunctionen diefes Amtes nad) der zweifachen Seite ber
Kirche, als einer rechtlichen Gorporation mit einer beflimmten
von Gott felbft gegebenen Berfafiung, und zugleich als
katholiſche Dogmatik, 579
einer rein ethifchen (religiös -ethifchen) Lebensverbindung,
nur angedeutet worden; hier in ber zweiten Auflage (ft. die
Begründung ber rechtlichen und fittlichen Beftimmungen,
welche durch die hirtenamtliche Wirkfamfeit zum Vollzuge
"gebracht werben, in folgende Hauptfäge ald ble Dogmatifche
Grundlage des chriftlichen Kirchenrechts und der Ethik zu-
fammengefagt: 1. Die Kirche hat das unveräußerliche Recht
ber Eriftenz und ber Vollziehung ihrer Aufgabe; denn ba
fie eine unmittelbar göttliche Stiftung ift, unb ihre Sen,
bung auf alle Zeiten lautet, fo fann es fein höheres Recht
geben, ‘wodurch ihre Berechtigung aufgehoben, und feine
Beranlaffung, burd) welche ihr Beruf als erlofchen befeitigt
würde. — 2. In Beziehung auf bie Ordnung des forialen
(ftaatlichen) Lebens, in welchem Berhältniffe zu ihr bie
Kirche fi aud) immer befinden möge, bleibt fte in ber
fBolfftredung ihrer Sendung durchaus felbftftändig und
unabhängig; denn von ber fünbbaften Welt darf fie jtd)
nicht beftimmen unb beherrfchen faffen, unb ba wo Ehriftus
die Welt fid) unterworfen bat, fann es ohnehin feine
höhere Auctorität geben, als bie, womit Chriftus felbft feine
Stellvertreter betraut bat. — 3. In Allem, was auf uns
mittelbar göttlicher Anordnung beruht, befígt Das Hirtens
amt der Kirche nur das Recht der Dollmetſchung und
Vollziehung. Dazu hat die Kirche den Geift empfangen,
damit fte in das, was Ehrifti ift, ein» unb nicht von bem»
felben abgeführt voerbe; deshalb bewahrt fie bie heilige
Hinterlage unverbrüchlich, hält das Weberfommene feft in
feiner Urſpruͤnglichkeit, [ἐδ auf die Gefahr hin, daß fte
das Widerftrebende ihrer Gemeinfchaft berauben müßte. —
4. 3n Allem, was nicht göttlichen Rechtes ift, bat fie die Ges
walt durch gefeggebenbe, regierenbe und richterliche Thätigkeit
Theol. Duartalfärift. 1850. IV. Heft. 38
580 Staubenmater,
ihre Sendung an den Gläubigen zu vollziehen. Dieß folgt
aus ber Stellung ber Kirche, ἔταξε deren fie von Gott
unmittelbar mit Aucrorität ausgerüftet ift, um fo mehr,
als felbft diejenige Nuctorität, welche nur mittelbar gött-
licher Anordnung ift (ble weltliche), innerhalb ihrer Sphäre
mit folcher Gewalt ausgerüftet it. Daher befigt und übt
bie Kirche bae Recht ber Gefehgebung in Sitten und Zucht,
fie leitet und führt bie Gemeinden nach dem göttlichen und
Eirchlichen Recht, fie erkennt in den einfchlagenden Rechts⸗
fragen, und entfcheidet mit richterlicher Machtvollkommenheit.
— Durch diefe auf der göttlichen Sendung ber Kirche
rubenben Principien hängt die Dogmatik mit der chriflichen
Ethik und dem Kirchenrechte aufammen.
Drey.
2.
Die Grundfragen der Gegenwart, mit einer Entwicklungs⸗
gefchichte der antichriftlichen Principien in intellectueller,
religtöfer, {ΠῚ εν und focialer Hinſicht, von ben Zeiten
des Gnofticemus an bis auf uns herab, Von Dr. Sr.
A. Staudenmaier, Domfapitular, Geh. Rath und Pro-
feffor der Theologie an der Univerfität Breiburg. Freiburg
im Brelögau, In ber Fried. Wagner'ſchen Buchhandlung.
1851. XXXII u. 530 ©, 8. Preis 2 fl. 42 fr.
Schon vor 5 Jahren, als ber Herr Verfaſſer feine
Schrift „zum religiöfen Frieden der Sufunft* herausgab,
wies er mit aller Kraft auf das falfche, antichriftliche, ja
daͤmoniſche Prineip hin, das felt b. S. 1789 in ber Welt
ble Grundfragen der Gegenwart. 581
zur Geltung gekommen fei und eine fehredliche ftataftropbe
nothwendig nach [ὦ führen müffe, wenn man nicht ſchleunig
ju bem einzigen Rettungsanfer, dem pofttiven Chriſten⸗
thume greife. Biele und febr Viele theilten damals fdjon
die gleiche llebergeugung; aber gerade von denen, welche
am Staatsruder faßen, wurden fofde Mahnungen meift
nicht beachtet, denn manche von ihnen waren blefem falſchen
und antichriftlichen Princip felbft innerlich verfallen und
bienftbar. Im Wahne, den Glanz der Krone zu vermehren,
haben fie den Kampf gegen den Altar nicht ungerne gez
feben, oft fogar eifrig unterftügt (videatur bie ftaatliche
Hätfchelung des Rongeanismus), und den Triumph ihrer
Staatsweisheit in Lähmung, Schmälerung und Nieder;
haltung einer warmsreligiöfen llebergeugung gefucht. Sie
haben Kälte gewünfcht, unb. Sturm befommen. Die Bolgen
ihres thörichten Treibens find ja nicht ausgeblieben und
ed hat fid) dabei gezeigt, baf der Altar fefter ftebe ala ber
Thron, und daß der Angriff auf den erftern am meiften
dem letztern fdjabe. — Manche der früher bethörten Staats»
männer fehen bieg jet ein und namentlich hat jene katholiſche
Großmacht, welche früher den Kleinern ale Mufter unb Beis
fpiel der Kirchenfnechtung und Verkehrtheit voranleuchtete,
jegt ba& Panier ber wahren Staatöweisheit, bie zugleich
mit ber Geredjtigfeit nur ibentifd) ift, ruhmwürdig aufs
gepflanzt. Leider fónnen wir nicht das gleiche Xob bis
jegt auch allen Heinern Staaten fpenben, und wenn mande
ihrer politifchen Künftler gegenwärtig zu unferem Verwun⸗
dern häufig von Nothwendigkeit ber Religiofität und des ὦ
pofitiven Ehriftenthums reden, fo will uns dieß oft gar
zu febr nur an die Scheinbefehrung eines Sünvers auf
bem &ranfenbette gemahnen. Andere dagegen zeigen deutlich
38 9
582 Staubenmaler,
und offen, daß fie nicht das Geringfte in biefer Beziehung
gelernt haben, daß bie zwei legten Jahre an ihrem Geifte
fpurlo8 vorübergegangen, und daß fie, fobald fie wieder
feft figen, das thörichte Epiel unverändert aufs Neue a
fangen wollen. Da wird wieder tabellifirt, rubricirt, inftruirt,
organifirt und modificirt — aber εὖ bleibt beim Mechani-
firen und Mackhiavellifiren, und ftatt bie Kirche in ihrer
Einwirfung auf die Menfchheit angelegentlichft zu unter
flügen, damit endlid wieder jener befiere Grund gelegt
werde, auf bem erft alle Sürgertugenben aufblühen können,
ftatt deffen ift mancher Staatshämorrhoibarius wieder voll
Eiferfucht auf bie Kircye, und befchnipfelt ihre Rechte wieder
mit größerer Wonne, ald ber Schacherjude die Dufaten.
Herr St. hat wohl Gelegenheit gehabt, dieß in ziems
licher Nähe zu fehen, deßhalb tritt er nochmal als relígioss
politifher Schriftfteller auf und zeigt in dem vorliegenden
Werke, daß jenes falfche, dämonifche und unheilfchwangere
Princip nicht erft feit der franzöfifchen Revolution i. 3.
1789, fondern fchon feit 18 Jahrhunderten unter uns (pudt,
daß εὖ bis jegt ftetó bie gleichen Wirkungen hervorgebradt
und ſtets biefelben unglüdlichen Folgen im Leben und in
der Gefchichte gehabt Babe.
Diefes falfche, daͤmoniſche Princip ift aber nichts ans
bere8, als ber Abfall vom Gfriftentbum, vom chriftlichen
Geíe& unb ber chriftliden Ordnung, das moderne Heiden
ijum und das moderne Subentbum, beide von ben gleich⸗
namigen großen Erfcheinungen des Alterthums wefentlid)
verfchieden und viel tiefer ftebenb, viel irreligisfer als biefe.
Diefer Abfall vom Chriſtenthum aber begann mit bem
Gnofticismus und Manihäismus, welche nicht etwa zwei
chriſtliche Härefien im gewöhnlichen Sinne des Wortes,
die Grundfragen der Gegenwart. 983
zwei unrichtige Auffaffungen ber chriftlichen Wahrheit, fons
dern zwei abfolut feindliche Gegner des Gbriftentbuma
waren und find. „Wie nämlich das Chriftenthum fid) ben
Zweck fept, das Heidenthum aufzuheben; fo fegen fid) ber
Gnofticismus und Manichäismus — biefe neuen Geftalten
des Heidenthums — den Zweck, alles Ehriftliche zu zer-
ftören, feine Dogmen wie feine Sitten zu vernichten.
Diefe beiden Syfteme find ihrem Weſen und ihrer Gr»
fiheinung nad) bie verworfenften und fdyredfafteften geiftigen
Geftalten, die in ber Zeit aufgetreten find unb gewirkt
haben. Es trat in ihnen, wie nod) nie, ein Geiſt ber
Blasphemie, ber Züge, ber Unfittlichfeit unb
Gefeglofigfett auf, welcher bie zügellofeften Ausſchwei⸗
fungen des Sleifches nicht für Sünde, fonbern für etwas
Erlaubtes erflärte .... Der Triumph ber Kirche über dieſe
Geſtalten ift zugleich zum Triumphe der Menfchheit über
ihren Argften Feind geworden. Denn im umgefehrten Falle,
im Balle des Sieges nämlich biefer daͤmoniſchen Geftalten
über die Kirche unb bie Menfchheit felber, wäre über bie
(egtere eine Kataftrophe hereingebrochen, die ficher allem
wahrhaften menfchlichen Sein und Leben, jedem fittlichen
Gefeg unb aller heiligen Ordnung ein Ende gemacht hätte.“
S. XXIV.
Glücklicher Weife hat bie Kirche den Gnoſticismus
und Manichäismus beftegt; allein fte hat beíbe „war bes
Περί, aber nicht gerftórt; fie leben fort, und c8 fehlte nod)
nie an ihren Beftrebungen, eine ftets furchtbare Macht
des Böſen zu entwideln, um in ber Menfchheit und mit
ihr zu bem geftedten verderblichen Ziele zu gelangen.“
S. XXV. Als folche Zortfegungen des Gnoſticismus und
Manihäismus erfennt Herr St, nicht blos bie befannten
584 ' GStaudenmaler,
manichäifchegnoftifchen Syſteme des Mittelalters, vielmehr,
und das ift eben fein Hauptfag, verband fid) ber
Gnoficismus unb Manihäismus mit der Phis
Lofophie, bejonberó der pantheiftifchen, unb erzeugte
fodenAntinomismus, Gommuniómudsunb Socia—⸗
lismus. Sa, die ganze Grundanfchauung unferer irre⸗
geführten Zeitgenoffen ift gnoftifd manichäifh. — Den
Beweis für diefe Behauptung fol die gegenwärtige Schrift
liefern und zugleich zeigen, „welches bie Natur der Princis
pien fei, an die man fid) heute fo fehr hingibt, in welcher
Weiſe biefe Prinripien unter allen Imftänden, an allen
Drten und in allen Zeiten wirfen, und wie fte Fünftig bie
ganze fittliche und fociale Ordnung zerftören werben, mem
man fie fortwirfen läßt.“ ©. XXVII.
Der SBerfaffer hat jedoch diefen gefchichtlichen Beweis
nicht in ber gewöhnlichen Weife geführt, fo bag er mit ber
Echilderung ded Gnofticismus und Manichäismus ange
fangen und das Fortwuchern diefes falfchen Principe unb
AntichriftenthHums im Ablauf ber Zeiten ftetig dargeſtellt
hätte. Er hat vielmehr einen andern Weg eingefchlagen,
hat in 3 großen Abhandlungen a) bie religiófe, b) die
fittliche, unb c) bie fociale Gefahr ber Gegenwart
gefchildert, und in tiefer Schilderung zugleich die des Gnos
fticiómue und Manichaͤismus mitgegeben. Daß diefes Ver:
fahren nicht Jedermann ganz gefallen werde, hat der Verf.
felb(t geahnt, übrigens handelt e$ fid ja unferes Erachtens
nicht fo faft barum, ob bie falfchen und antichriftlichen
Theorien und Beftrebungen ber Gegenwart mehr ober we
niger mit dem Gnofticismus und Manichäismus verwandt
find oder nicht, bie Hauptfache ift, zu zeigen, daß fte bit
Religion, Sittlichkeit unb Sorietät in Deutfchland v ir fli d)
bie Grunbftagen der Gegenwart. 585
gefährden, unfere ganze Bildung unb Gefittung untergraben
und fte umjuflürgen drohen, und dieß hat ber Hr. Verf.
wirklich getban und geleiftet.
Sn ber erften. Hauptabtheilung, ber übrigens nod)
eine fleinere Abhandlung über bie Bedeutung, den Ernft
und die Gefahr der Gegenwart im Allgemeinen vorangeht,
zeigt er, wie die Religion Deutfchlands in hohem Grade
bedroht fei: a) von ber pantheiftifchen Philofophie Hegel’s
und noch mehr Ludwig Feuerbach's, aus beffen Schrifs
ten veichliche Auszüge beigebracht werden; b) von ber
negativen Kritik ber HH. Strauß, Bruno Bauer
u. 9., deren Richtung und Refultat der Hauptſache nach
gefdilbert wird. Die Religion Deutfchlands fei bann
weiter bedroht c) durch das Herüberwirken des Pantheis⸗
mus und Atheismus auf das Gebiet ber Politik, ber
Raturwiffenfhaften unb Poeſie. Hier find es ble
politifchen Schriften und SBeftrebungen der Gebrüder Bruno
und Edgar Bauer, ferner Proudhon's und G.
Grün’s, fodann die materialiftifchphyftologifchen Briefe
des befannten Carl Bogt, endlich bie poetifchen Werfe
von ὅτι v. Sallet, Gugfom und Leopold Scheffer,
welche als Beweife für bie Grifteng jenes antichriftlichen Brin-
cips von unferem 9Berfaffer aufgeführt, gefchilvert und tbeils
weife ercerpirt werden. — Man flieht leicht, wie viel des
^ Sntereflanten ſchon dieſe Abtheilung enthält.
Bis hieher war vorliegende Schrift ſchon früher, vor
dem Jahr 1848, in ber Freiburger Zeitfchrift für Theologie
(Band XVIL Heft 1.) erfchienen, und ber große Zeitintervall,
der zwifchen ber Abfafiung diefer unb ber folgenden Abs
theilungen verlief, bat einzelne Ilngleichartigkeiten unb Wie⸗
derholungen gewiflermaffen nothiwendig zur Sofge gehabt.
586 Gtaubenntater, .
Namentlich gehört das hiftorifche Moment: die Anktnüpfung
ber falfd)en Weisheit unferer Zeit an den Gnofticiömus -
unb Manichäismug, eigentlich erft ben fpäteren Abtheilungen
des vorliegenden Werkes, nicht auch fchon ber älteren
Partie an.
Sn der zweiten Haupt-Abtheilung, von ber fittlichen
Gefahr handelnd, wird gezeigt, wie zundchft der alt
gnoftifche und manichäifche Abfall vom Gbriftentbum, wie
fobann fpáter im Mittelalter eine ganze große Reihe vers
wanbter Seften, namentlich bie Brüder und Schweftern des
freien Geiftes und zahlreiche falfche und pantheiftifche Myſti⸗
fer, alle Fundamente des fittlichen Lebens untergraben,
namentlich Eigenthum unb Ehe aufgehoben, Güter» und
Srauengemeinfchaft eingeführt, und ben concubitus promis-
cuus, felbft Blutſchande, nicht blos für etwas Adiaphos
riftifches, fondern fogar für einen D. Aft erflärt, unb in
ihren Eultus aufgenommen haben. Hier ift fichtlich ber
grelfte Gegenjag gegen die chriftliche Dioral. — Aber aud)
die fpätere pantheiftifche Philoſophie feit Spinoza, zeigt ber
fRerfaffer weiter, bat eine oppofitionelle Stellung gegen
das fittliche Leben und drohet diefem nicht geringe Gefahr.
Zum Belege dafür werden ziemlich reichliche Auszüge
aus Gpinojya, Hegel und feinen Schülern und Anhängern
mitgetheilt, und gezeigt, wie von biefem Syſtemen und
Männern der Begriff ber Sünde aufgehoben, die ϑὲ οἱ ἢ»
wenbigfeit ber Sünde und des Boͤſen ‚gelehrt, unb bie
Sünde ald ein „wmefentliches und nothwendiges Moment
im Proceſſe ber bee, alfo im göttlichen Lebensproceß,“
oder „als das Infichgehen des natürlichen Dafeind bes
Gieifte&^ aufgefaßt worden fei. Auch vergaß der SBerfaffet
nicht, bie befannte leichte Hegel’fche Sündenabfolution an
die Grundfragen der Gegenwart. 587
zuführen. Hegel meint nämlich, „der Menfch folfe und
. müffe fi mit bem Allgemeinen, und dem was hiefür
zu thun ift, nicht aber mit fid) unb feiner Sünde befchäftigen.
Wem nun aber jenes fchlechte Ideal (das chriftliche unb
afcetifche) vorſchwebe, ber finde freilich bie Meenfchen immer
mit Schwäche und Verderbniß behaftet; bie gewöhnlichen
Menfchen machen nämlich aus €umpereien eine Wichtigfeit,
worauf fein Vernünftiger fehe, und meinen irrig, folche
Schwachheiten und Fehler feien noch vorhanden, haften
noch, wenn man fid) auch nichts mehr daraus mache. —
Der Menſch, ber fie hat, fährt Hegel fort, ift uns
mittelbar durch fid felbft abfolvirt, infoferner
nichts daraus macht.“ (Θεῷ. b. Philof. Bb. II. S. 274.)
Zum Schluffe befpricht ber Verfaffer noch jene Theorien
ber Sleifchesemancipation, welche in unfern Tagen
von Literaten, Halbphiloſophen, Dichterlingen und Polis
tifafterá8, namentlich ben „Literaturjuden“ vertreten,
ben Olymp ber chriftlichen Moral zu ftürmen gefucht haben.
Als ihr Hauptrepräfentant wird Heinrich Heine auf
geführt, unb unter Anderem aus feinem „Salon“ (1I, 132 f.)
felgenbe febr bezeichnende Stelfe mitgetheilt: „Wir Fämpfen
nicht für bie Menfchenrechte des Volkes, fonbern für bie
Gottesrechte des Menfchen. Wir wollen feine Sanscülotten
fein, feine frugalen Bürger, feine wohlfeilen Präftdenten;
wir ftiften eine Demofratie gletchherrlicher, gleich
heiliger, 'gleichbefeligter Gótter. Ihr verlanget
einfache Trachten, enthaltfame Sitten und ungewürzte Ges
nüffe; wir hingegen verlangen Nectar unb Ambroſia,
Burpurmäntel, Foftbare Wohlgerüde, Wolluſt
und ταδί, lachenden 9tompbentang Muſik und
Komödien.“
$88 Staudenmaler,
Aus dem bisher Ausgeführten fonnte nun ber Ser
faffer ein Facit in Betreff auch ber foctalen Verhaͤlmiſſe
ziehen. Wenn nämlich das falfche Princip, das fo vice
unferer Zeitgenofien beherricht, einerfeits die Religion,
und andrerfeits bie Sittlichfeit untergräbt, fo ergibt
fif daraus mit Nothwendigkeit auch der Umſturz der focia-
len Verhaͤltniſſe; bie religiöfe und bie fittliche Gefahr hat
auch bie fociale zu ihrer nothiwendigen Folge. Der aw
theismus erzeugt Atheismus und Materialismus, vers
nichtet dadurch die Religiofität und Sittlichfeit, untergrábt
aber damit zugleich bie Fundamente der bürgerlichen Ge
ſellſchaft. So einleuchtend dieß aber (d)on an fid) ift, fo
bat ber H. Verf. doch für gut gefunden, es in großer
Ausführlichfeit ex professo noch nachzuweifen und hat barum
in der dritten Hauptabtheilung, bei weitem ber größten
und umfangreichen, bie ſociale Gefahr gefchilvert,
die aus bem irreligiöfen und widerchriftlichen Principe zu
alien Zeiten entftanben [εἰ und entftehe. Diefe Abtheilung,
vielleicht bie anziehendfte im ganzen Buche, enthält eine
Menge fehr intereffanter Details über die flaatögefährs
lichen Dortrinen der Antinomiften, Soeialiften und Pans
theiften aller Zeiten. Außer den alten und mittelalters
lichen Gecten werden aus dem Beginne der fogenannten
Reformationgzeit bie Wiedertäufer, die Libertiner
und David Zoris bier aufgeführt und ihre Theorie
und Braris gefchilder. Darauf wendet fid) ber Ret
fafter zu den pbifofopbifd)en Syſtemen von Hobbes
und Spinoza, bann zu ben ebenfo gefährlichen als ober
flächlichen Lehren der Yreidenfer: Thomas Morgan,
" &olanb, Boltaire, Helvetius,Rouffeau, Sieyed,
Mably, Briffot u. A. — Noch intereffanter find fofort
die Gruntfragen der Gegenwart. 589
feine Mittheilungen über den SaintzGimoniémuse,
über ben Sorialiemus von Fourier, Robert Owen
unb Proudhon, über das Syſtem Lamennai’s, bie
Theorien von Gouffin, Jouffroy, Michelet, er
minier u. 9. Auch das Syftem Hegel’s und feiner
Schüler fommt wieder zur Sprache und fein deftruirender
Einfluß auf die fociale Orbnung wird gefehildert. Den
Schluß biefer Abtheilung endlich bilden Mittheilungen über
bie Lügens und Betrugsliteratur der neueften Zeit, bie
fogenannten Enthüllungen über bie Geburt und ben Sob
Ehriftt 1c. betreffend. Auch die Beftrebungen und Plane
ber demofratifchen Arbeitervereine werden nicht vergeffen.
Mit Beendigung diefer dritten Hauptabtheilung hatte
der Berfaffer wie und fcheint, feinen Zwed eigentlich er»
reicht und feinen Grunbgebanfen durchgeführt. Er fchließt
jebod) noch zwei weitere Abhandlungen an, wovon bie eine
„das Bild ber Gegenwart,“ bie andere „bie einzige
Rettung“ überfchrieben ift. Auch hierin treffen wir wieder
viel Schönes, Wahres und Beachtungswerthes, nur will
uns fcheinen, daß bie Schilderung des Syſtems von Ma;
zini und Anderes mehr in den Abfchnitt von ber focialen
Gefahr, als an biefen Pla gepaßt hätte. Ganz einvers
ftanben find mir dagegen mit bem Hauptinhalte des Kapitels
über „die einzige Rettung,“ daß nämlich biefe nur liege
im „pofitiven Ehriftentbum, welches in ber von
Gott geftifteten Kirche ift, wirft und lebt.“
Hefele.
/
.590 Amberger,
3.
Paftoraltheologie. Durch Dr. Iof. Amberger, Sgen im
Klerikalfeminar in Regensburg. Erſtes Buch, Grundlegung.
Mit oberhirtlicher Gutheißung. Regensburg, Papier, Drud
und Derlag von ὅτ. Puſtet. 1850. 224 €. Pr. 54 fr.
Die theologifche Literatur fowohl der Katholiken ald
Shroteftantet hat aus den [egten Jahrzehnten verfchiedene
Werke aufzuweifen, bie fid) tfeiló über ba6 Ganze theild
über einzelne Zweige der PBaftoraltheologie verbreiten. Aber
diefelbe al8 eine eigene Wiffenfchaft neben ben andern
theologifchen Wiffenfchaften zu behandeln, darauf haben
beinahe Alle entweder ftillfchweigend ober ausbrüdlich ver
zichtet, Unter den Katholifen bat Graf in feiner Schrift:
„Kritiſche Darftelung des gegenwärtigen Zuftandes der
practifchen Theologie. Tübingen bei 9aupp 1841“ auf
biefen Uebelftand mit Nachdrud aufmerkfam gemacht, und
bie Möglichkeit, ja Nothwendigkeit einer wiffenfchaftlichen
Behandlung ber practifchens ober Baftoraltheologie darzus
thun gefucht. Allein Graf ift bei diefem Fritifchen Theile
fteben geblieben, unb hat die wiflenfchaftliche Gonftruction der
practifchen Theologie nach ben von ihm aufgeftellten PBrincis
pien bisher wenigftend nod) nicht and Tageslicht treten
laffen. Es fann ihm aber das 9Berbienft nicht abgefprochen
werben, zu einer neuen Behandlung der Paftoraltheologie
einen Anftoß gegeben zu haben, ein SBerbienft, das aud)
der proteftantifche Theologe Alex. Schweizer 1) anerkennt.
Amberger hat den Grundgedanken Graf aboptirt, und
1) Siehe: Homiletik ber. evangelifch « proteftantifdjen Kirche,
Syftematifch dargeftellt von Aler. Schweizer, Dr. u. prof. ber Then
Paſtoraltheologie. 591
ſucht nun in einem Paſtoralwerke, von dem die erſte Ab⸗
theilung vor uns liegt, auf bemfelben ein wiſſenſchaft⸗
liches Gebäude ber Paftoraltheologie aufzubauen. Bon
diefer erften Abtheilung zu fchließen, bie nur bie Grund-
legung ber Baftoraltheologie enthält, darf man von bem
Berfafler etwas recht Gutes erwarten.
Die Baftoraltheologie ift ibm „pie Wiſſenſchaft
ber goͤttlich-menſchlichen Thätigkeit ber Kirche
für den Auf» und Ausbau des Reiches Gottes
auf Erden.“ Man ftebt alfobald, daß biefe Definition
von denen wefentlich abweicht, weiche wir in ben Baftorals
theologien von Schwarzel, Reichenberger, Hinterberger,
Herzog, Gallomig, Brodmann und A. finden; nad) biefen
ift fie weiter nichts als eine Anleitung zur Ausübung des
geiftlichen Berufes, eine Zufammenftellung von Regeln
für den Prediger, Satedeten, Liturgen u. f. w., fte ift
weder Wiflenfchaft, nod) madt fie Anfpruch darauf, εὖ
zu ſeyn. Demgemäß wäre die Paftoral in ter Reihe ber
theologifhen Wiffenfchaften nicht ein nothwendiges Glied,
fonbern eine zufällige Disciplin, bie eben fo gut auch fehlen
könnte, wenn es nicht unter den Theologen einige Ungeſchickte
gäbe, bie für ihre PBaftoration einer Anweifung und Ans
leitung bebürften. Es ift nicht zu leugnen, baf bei ders
artigen Anleitungen der geiftliche Beruf leicht ben Anfirich
von etwas Handwerksmäßigem befömmt. Nur dadurch,
daß die Paftoraltheologie auf einen hoͤhern Standpunft
erhoben, und aus ben rechten Principien abgeleitet und
auf benjelben aufgebaut wird, gewinnt man auch eine
höhere Anfchauung von bem geiftlichen Berufe unb ben
geiftlichen Thaͤtigkeiten.
Der Begriff, wie ihn unfer Berfafler von ber φαβοταῖν
599 : Amberger,
theologie aufftellt, faͤllt faft wörtlich mit bem von Graf Ge;
gebenen zufammen, welcher bie praftifche Theologie als „pie
Wiffenfchaft ber Firdliden, gótttidsmenfd»
lichen Thätigfeiten zur Erbauung der Kirche“)
erklärt. Mit blefer SBegriffebeftimmung fann man fid) zus
frieden erflären, man fommt mit berfelben wenigftens hinaus
über bie bisherig gewöhnliche oberflächliche Auffaffung bet
praftifchen Theologie; fie verläßt den Boden eines bloßen
Regulativs für bie geiftliche Berufsthätigkeit, und fucht
fih eine Grundlage zu geben, auf ber aufgebaut fte als
eine ſelbſtſtaͤndige theologifche Wiffenfchaft neben den andern
auftreten Tann. Diefe Wiflenfchaft ift dann nicht bloß
eine Anleitung für beu geiftlichen Stand zur Einführung
in feine Amtsthätigfeit, fonbern ift fid Selbftzwed, fie hat
Sntreffe , die göttlichsmenfchliche Tchätigkeit der Kirche um
ihrer felbft willen varzuftelen. Daß biefe Darftelung zur
‚gleich für denjenigen, ber in das geiftliche Amt eintritt,
eine Anregung, richtige Auffaffung feiner Amtsthätigkeit
und Einweifung in biefelbe enthält, ift ber untergeorbnete
Zwed. Sol die praftifche Theologie zur ebenbürtigen
Wiſſenſchaft mit den llebrigen in dem Syſteme ber theo«
Iogifchen Disciplinen erhoben werben, fo muß man fid) von
dem Gedanken losmachen, als ob fie bloß für diejenigen
bafeí, welche in ben paftoralen Beruf eintreten wollen,
oder (don eingetreten find. Wie bie Dogmatik den in ber
‚Kirche liegenden Glaubensftuff foftematifch orbnet und bare
ftelit, unb.in btefer Darftelung ihre nächite Aufgabe ets
füllt, fo muß auch bie praftifche Theologie in ber fuftematifchen
Darftellung des ihr zugewiefenen Stoffes in der Kirche
1) Graf, Kritiſche Darfellung xc. p. 126.
Paſtoraltheologie. 593
ihre naͤchſte Aufgabe und ihren hoͤchſten Zweck erkennen;
und wie die Dogmatik außer jenem erſten Zwecke auch die
Aufgabe hat, diejenigen, welche ein kirchliches Amt über⸗
nehmen wollen, allſeitig in ben Glauben der Kirche ein⸗
zuführen, fo foll auch bie practifche Theologie befonders
ben. Kirchendienern nupbringend fegn. Mit ber Begriffö-
beftimmung hat unfer SSerfaffer den alten Boden verlaffen,
aber durch verfehievenerlei Aeußerungen, die fid) an diefelbe
anfchließen, macht er fid von ber bisher gewöhnlichen
Anfhauung, a(8 ob bie PBaftoraltheologie nur eine Ans
weifung enthalte, „wie ber Geiſtliche als Stellvertreter
Chrifti und als Organ der Kirche walten folle“ p. 9,
nicht ganz (o8, unb wir müffen wohl auch zugeben, daß
bie practifche Theologie mehr als jede andere theologifche
Wiffenfchaft auf bie Brauchbarfeit und Nutzbarkeit für
denjenigen Rüdficht nehmen muß, der zur Bührung eines
geiftlichen Amtes in der Kirche (id) befähigen will. —
Ob in der Definition ber Beifag „für ben Auf⸗
unb Ausbau des Reiches Gottes auf Erden“
ald Zwedbeftimmung der in der PBaftoraltheologie zu bes
ſchreibenden Sbütlgfeit, ganz paffenb fep, will id) dahin⸗
geftellt feyn Taffen. Es fónnte fcheinen, als ob Predigt,
Katechefe und Liturgie nicht in fid) felbft ihren Zwed und
ihr Genüge fünden, fonbern nur die Kirche in die Zukunft
hineinbildeten. Zudem ift bei biefem Beifage ber Thätigkeit
der Kirche auf bie Einzelnen und die Gemeinden nicht
Bedacht genommen und ift er fomit doch nicht genügend.
Wir würden daher biefen SSeifag weglafjen unb etwa fagen:
„die practifche Theologie ift bie wifjenfchaftliche Darftellung
des fortgefepten. Wirkens Chrifti in ber Kirche burd) m
ftelloertretenben Organe, —
Die in Rebe ftebenbe Wiffenfchaft wird von bem Bet»
faffer Paftoraltheofogie genannt, unb er rechtfertigt dieſe
Bezeichnung, wenn er p. 33 fagt: „die Kirche erbauet (id),
das ift: Jeſus Ehriftus, ber gute Hirt, ber fein Leben
bingegeben bat für feine Schafe, fammelt fi) fort und fort
durch die Kirche und in ber Kirche feine Heerbe, fuchet auf
die verlornen Schafe, weibet fie durch fein Wort, nährt _
fie mit feinem Blute, wachet über fie, unb bietet fid) als
Opfer für fie bar. So führt mit Recht biefer Zweig ber
Theologie ben fchönen, bebeutungóbollen Namen: Baftorals
theologie.“ Wir verfennen nicht, daß dieſe Bezeichnung
für eine Wiffenfchaft, welche bie gottmenfchlichen Thaͤtig⸗
keiten, alfo das Wirken Jeſu Chrifti in ber Kirche bars
auftellen fich zur Aufgabe macht, ihre Begründung findet
darin, daß Chriftus fid) mit Rüdficht auf fein erlöfendes
Wirken auf Erden „nen guten Hirten“ nannte. Allein
wie jedes Bild etwas Inadäquates hat, und oft nur Eine
Seite des zu bezeichnenden Gegenftandes mit 9tadjbrud
bervorbebt, fo ift e& auch bier, nennt fit) ja Chriſtus nad)
einer andern Seite hin auch „Weinftod“ u. A. — Die Bezeich⸗
nung „practifche Theologie“ dürfte daher nicht zu verwerfen —
feyn, gegenüber der Bezeichnung „PBaftoraltheologie,“ welche
allerdings ben bisherigen Gebrauch mehr für fid bat. Wollte
man fagen, unter practifcher Theologie müßte man ftreng
genommen auch die Moral und das Kirchenrecht einbegreifen,
fo beftreiten wir biefeó, infofern bie erfte Wiffenfchaft das
Erfennen des auf dem «hriftlichen Glauben beruhenden
fittlichen Lebens nach feinen pofitiven Beſtimmungen vers
‚mittelt, die zweite aber die ganze Organifation und Ber
faffung der Kirche mit den verfchledenen rechtlichen Normen
und Beftimmungen der wiflenfchaftlichen Erkenntniß nabe
Paſtotaltheologie. 395
zu bringen fucht. Dagegen Bat aber unfere Wiffenfchaft
vor allen Andern im theologifchen Gebiete die göttlich:
: menfchlihen Thätigfeiten in ber Kirche zum Gegen
flande ihrer Därftelung, und ift fo αἷδ theologifche
Wiſſenſchaft practifch, gegenüber den andern, welche bie
hiſtoriſche Entwicklung ober das innere Wefen der Kirche
nach ihrem Glauben und nad) ben Vorfchriften und Bes
fimmungen für das fittliche Leben, oder auch ihre Orga⸗
nifation und Durch Rechtsnormen beftimmte Eriftenz barftellen.
Zu leugnen ift allerdings nicht, daß Manches in das
Kirchenrecht hereingezogen zu werben pflegt, was ftreng
genonmen in ba6 Gebiet ber practifchen Theologie fiele.
Im Uebrigen finden wir bie Bezeichnung „Paſtoraltheologie“
für diefen Zweig der Theologie nicht verwerflich, nur wäre
gu wünfcen, taf man einmal über eine beftimmte Bes
zeichnung biefer Disciplin in Reine käme. —
Sm Ganjen find wir alfo mit dem Sunbamente, auf
welchem der SBerfaffer feine Paftoraltheologie zu conſtruiren
unternimmt, einverſtanden. Wenn gleich nur die Grund⸗
linien zu dieſer eigentlich neuzubauenden Wiſſenſchaft vor
uns liegen, ſo ſehen wir doch daraus, daß ein Mann die
Sache in die Hände genommen, der ſeine Aufgabe mit
Geiſt und Leben loͤſen wird. Nachdem der Verf. ſich uͤber
den Begriff, die Aufgabe, Name der Paſtoraltheologie
Verhaͤltniß derſelben zu den andern theologiſchen Disciplinen,
über die Nothwendigkeit derſelben u. ſ. w. verſtaͤndigt hat,
geht er uͤber zu den Quellen der Paſtoraltheologie, (Bau⸗
ſteine nennt er ſie, da er an dem Bilde in ſeiner Deſinition
der Paſtoraltheologie fefthält.) —
Sn Betreff biefer. Quellen bemerft er p. 45: „ber
Gift und Wille Chriſti ift demnach bie erfte und lete
Spes. Duastalfgeift. 1850. eft IV. - 39
596 Amberger,
‚Quelle der Paftoraltheologie; aus dieſer Duelle ſchoͤpfet
fie lebendiges Waller. Sie will nicht und lann nicht wollen
mancherlei Klugheitöregeln und Kunftgriffe für bie Seel⸗
forge erfinnen; fie will nur und fann nur wollen forfchen
nad dem Geifte und Willen Chrifti. Dieß ift das reiche,
unerfshöpfliche SBergwerf, aus bem fie echtes Silber unb
Bold zu Tage zu fördern hofft. — Unmittelbare Kunde
vom Geiſte und Willen Ehrifti erhalten wir durch bie hei
ligen Schriften, mittelbare burd) das Wort und das
Leben ber Kirche. Ihr Wort fpricht bie Kirche burd) bit
allgemeinen Kirchenverfammlungen, durch ihr Oberhaupt
und burd) bie heiligen Väter und Lehrer und durch bad
fanonifche- Rechtöbuch ; ihr Leben offenbart. fid) in ihren
Feſten, in ihren Ginridtungen und Gebräuchen, in ihren
Ritual: und Bönitenzialbüchern, in frommen Gewohnheiten,
bie fid) gebildet haben im Ablaufe der Sabre, und die be
währten Erfahrungen ber Seelforger. Das find bie einzelnen
allgemeinen Quellen der Paftoraltheologie, liebliche Bäche,
Sämmtlich aus der Einen Urquelle entfpringend.“
In bem erften Abfcpnitte biefer Grundlegung ber Pas
ftoraltbeologie wird beinahe jedem S. eine Stelle aus ber
heiligen Schrift zunächft aus ben Evangelien an bie Syipr
geftellt 4. 9. 4. 15 „forfehet in ben Schriften“ Joh. 5, 39,
4. 19 „darnach verordnete ber Herr noch andere zwei und
fiebenzig u. f. ὦ. Zur. 10, 1. $. 20 „die Grubte ift groß,
bie Arbeiter aber wenig“ Luc. 20,1. Nachdem Die Stelle
aus den Evangelien, welche auf das Leben der Prieſter
Bezug haben, als bag Wort Chrifti an bie Seelforger
enthoben find, geht er hann auf I. Betr. 5, 1. über eli
das Wort des erften Oberhauptes an bie Kirche. Sofort
von $. 35—39 tritt ber OG offerapoftel alo Pakoral
Paſtoraltheologie. | 597
febret auf, und εὖ werden aus feinem Leben und aus
feinen Briefen zur weiteren Erörterung Greigniffe und
Stellen herbeigegogen, welche für einen Seelforger belehrende,
anregende und ermunternde Momente enthalten. Endlich
wird in biefem Abfchnitte noch in drei 88. 40— 42 das
Beifpiel und Wort des Apoſtels der Liebe zum Gegenftanbe
der Betrachtung gemadt. —
Was uns in biefem Abfchnitte aufgefallen, tft die,
daß, was in der heiligen Schrift aufgezeichnet ift, nämlich
in den Evangelien und in den Briefen ber Apoftel αἱ
das unmittelbare Wort Ehrifti genau von dem Wort
und Leben der Kirche gefihieven wird. Das Wort Ehrifti
in der heil. Schrift ift uns ja gerade durch bie Schrift
. unb beziehungsweife durch bie Apoftel vermittelt, unb
infofern nicht unmittelbares Wort Chrifti. Sodann
werben auf dieſe Weife bie Evangeliften unb Apoftel gewiffer-
maßen von der Kirche abgefchnitten, während fie bod) bie
Grundlage oder vielmehr das erfte Glied in ber Reihe ber
Tirchlihen Entwidlung find. ebenfalls könnte aber eine
folche Abfcheidung zu großen Mißverftändnifien Anlaß geben,
weil e8 den Anſchein gewinnen fónnte, als 06 das burd)
die Kirche vermittelte Wort Gottes ein Anderes, ein von
dem unmittelbaren zu Unterfcheidendes fep. —
Was die Ausführung im Einzelnen anbetrifft, fo ift
diefelbe in ihrer Art ausgezeichnet. Der Verfaſſer läßt
meiftens Andere reden, nämlich bie Väter und Schriftfteller
ber Kirche, woburd) bie Darftelung einen durchaus obs
jeetiven Charakter erhält. Die Auswahl der aufgenommenen
Stellen ift meift febr. gut getroffen, und das was der Vers
faffer zur weitern Ausführung ober jur Verbindung und
Aneinanderreihung ber angeführten Schrift unb Bäterftellen
39*
598 . Üimbetger,
fagt, ift flet6 ganz angemeffen. Sd) mache, da e8 zu weits
läufig. wäre, einen ganzen Paſſus aufzunehmen, neben vielem
Andern recht Schönem auf $. 32 aufmerffam, wo zu ber
fBibelftelle „Eine Stadt, bie auf einem Berge ftebt, faun
nicht verborgen bleiben“ Matth. 5, 14 eine herrliche Stelle
aus ber Erflärung des Hohenliedes vom heil. Bernhard
aufgenommen ift; ferner auf $. 34, wo bie Stelle I. Petr.
9, 1. „Weidet die euch anvertraute Heerde Gottes und
beforget fie nicht aus Zwang, fondern freiwillig, nad)
Gottes Willen, nicht um fdüánbfiden Gewinnes willen,
fondern aus Liebe“, in vortreffliher Weife eregetifch homi⸗
fetifch ausgeführt ift; ebenfo beacdhtenswerth ift aud) 5. 42,
wo unter bem Titel „allgemeine Kirchenvifitation“ bie erften
Derfe von Apoc. 2 in ähnlicher Weife, wie δ. 34 IL Petr.
5, 1. durchgegangen find. Doc, biefer Abſchnitt enthält
des Trefflihen und Guten foviel, daß ich zur Lefung des
Buches ſelbſt ermuntern muß. — Gigentbümfid) berührt εὖ
allerdings, daß in einem Buche, welches in gewiffer Weife
bie Prolegomena zu einer Wiffenfchaft enthält, foviel ges
predigt wird. 3.8. p. 15, 32 unb 33, ferner p. 47 unb
ber ganze $. 37 find faft förmliche Predigten, gehalten an
Priefter ober Priefteramtscandidaten. Faſt fónnte es daher
feinen, anftatt das wiffenfhaftlihe Erkennen ber
göttlich-menfchlichen Thätigkeit zum Aus⸗ und Aufbau ber
Kirche zu vermitteln, begmede dieſes Buch die Auferbauung
felbft unb zwar im ascetifchen Sinne. Es ift daher Vieles
fehr wahr und fchön gefagt, aber nicht ganz am rechten
Orte. Wir wollen übrigens dieſes nicht fo febr tadeln,
denn wenn andere Paftoraltheologien zu fleif und troden
find und daher leicht ermüben, findet man fif) durch bie
“Φ
Paſtoraltheologie. 599
Darſtellung Amberger's, die ſehr ſalbungsvoll iſt, vortheil⸗
haft angeſprochen.
Der zweite Abſchnitt der in Rede ſtehenden Schrift
ſpricht von den Quellen der Paſtoraltheologie, wie ſie aus
dem Wort und Leben der Kirche entquellen. Der erſte 8.
nämlich 43 handelt von der kirchlichen Richtung, bie fid)
in den SKlerifern geltend machen foll nach den Ritualien,
corpus jur. can. etc. $. 44 weift auf bie Kirchenverfamm:
lungen, $. 45 auf das Wort des Oberhauptes, $. 46
auf das Wort des Bifchofs, auf das bie &lerifer zu achten;
$. 47 auf das Wort der Väter. Sn biefem $. find ben
Prieftern Vorbilder aufgeftelt in den Vätern wie SBafiliue,
Arhanafius, Ephrem und ihre Anfichten und Grundſätze
über Eigenfchaften und Pflichten ber Seelforger dargelegt.
— Die folgenden $$. enthalten Fortfegungen von bem
Morte ber Väter, e8 ift hingemwiefen auf die apoftol. Väter
und find aus ihnen einfchlägige Stellen citirt, (obann auf
bie fpätern Kirchenväter unb ihre für die Paftoraltheologie
bedeutenden Schriften. Es werden auch die Schriften bet
fpätern SKirchenfchriftfteller nambaft gemacht, welche auf
bie Baftoraltheologie Bezug haben oder einen Theil derfelben
behandeln bis zur Sirchenverfammlung von Trient. Es
ift mit biefer Angabe ber Literatur zugleich eine furge Ges
ſchichte des Firchlichen Lebens gegeben und fehließt mit
einem Rüdblid. —
Mit diefer Schrift ift eine Art geſchichtlicher Grund—⸗
fegung für bie practifche Theologie oder Paftoraltheologie
gegeben, wie fie bisher vermißt wurde, unb fie enthält
des Schätenswerthen, Trefflidhen und Wahren fo vieles,
daß fie gelefen zu werden verdient. Es wird fein flerifer
fie mit Aufmerkfamfeit durchgehen fónnen, ohne innerlich
608 Deutsche gedichte
heilfam bewegt unb angeregt zu werben. Referent hat nur
ben Wunfch, daß ber Verfaffer auf diefe Grundfegung bie
Wiffenfchaft ber Baftoraltbeologie nach den hier aufgeftellten
Srundfägen und Principien bald folgen laſſen möge. —
Bendel, Gonbvictébirector.
4.
Deutsche gedichte des ΧΙ, und xrr. Jahrhunderts. Aufge-
funden im regulierten chorherrenstifte zu Vorau in der Steier-
mark und zum erstenmale mit einer einleitung und anmer-
kungen herausgegeben von Joseph Diemer, scriptor an
der k.k. universitäts-bibliothek in Wien, wirklichem mitgliede
der k. academie der wissenschaften und ehrenmitgliede des
vereins für die geschichte und landeskunde Kürntens. Mit vier
nachbildungen der handschrift. Auf kosten der kais. academie
der wissenschaften. Wien. Bei Wilhelm Braumüller, k. k. tioF-
buchhündler. 1849. 8. Preis 5 fl. 50 kr.
Zu ben wichtigften Gntbedungen, welche in den [egten
Jahren auf bem Gebiete der altveutichen Litteratur gemacht
worden find, gehört ohne Zweifel bie ber fegenannten
Borauer Handſchrift. Die nachfolgenden Zeilen beabfich-
tigen davon in Kürze Bericht zu erflatten, infowelt bie
Sache auf bie religiöfe Litteratur Bezug hat.
Das tegulierte Chorherrenftift zu Vorau liegt in ber
nördlichen Steiermark nahe an der öfterreichifchsungarifchen
Grenze und wurde im S. 1163 vom Marfgrafen Otolar
VIL und beffen Gemahlin Kunigunde aus Freude und
des xí. und xu. jahrkuriderts. ὃ» Ὁ 60f
Dankbarkeit über die Geburt ihres Sohnes gegründet und
mit reichlichem Beſitze ausgeſtattet. Es hat fid) bei allen
Stürmen und Werhfelfällen des Schickſals, welche Steier
trafen, dur alle Sahrhunderte bí8 in bie neuefte Zeit
aufrecht erhalten und bildet nun eine ber fehönften Zierden
des Landes. Sjanb[doriften und Bücher der Bibliothek find
gleich ordentlich aufgeftellt und in fleißig gearbeiteten Ka⸗
tologen verzeichnet. Die große Anzahl der Handſchriften
vom eilften und zwölften Jahrhundert an bis zur Erfindung
ber Buchdruderfunft unb bie vielen Sncunabeln. unb fpäteren
Druckwerke aus allen Theilen ber. SBiffenftbaft bis in bie
neuefte Zeit zeigen, daß dem Stifte Sinn und Liebe für
wiffenfchaftliche Ausbildung niemald fremd geblieben ift.
Sm Sabre 1841 ward der bermalige Scriptor an
ber f. f. Univerittätsbibfiothel und Akademiker in Wien,
Joſeph Diemer auf eine biefer Hanpfchriften befonders aufs
merfíam, welche zwar im Stifte febr wohl befannt, aud
im Berzeichniffe ber Manuferipte aufgeführt war, bie man
aber in ber Borausfegung, daß ihr Inhalt längft gebrudt
fei, wozu die am Anfange befindliche Kaiferchronif beitragen
mochte, unbeachtet auf ihrem Platze ließ. Abgeſehen davon,
daß auch bie erft 1849 durch Maßmann in Berlin erftmals
herausgegebene faiferdyronif damals nod) nicht gebrudt - —
war, entbedte Hr. Diemer in dem Buche noch eine Reihe
anderer Gedichte, welche für bie Geſchichte der älteren
deutfchen Litteratur in mehr als einer Nüdficht von hoher
Bedeutung find und fdritt fogleich zu den Vorbereitungen
zur Beröffentlichung feines Fundes.
Folgendes ift feltber durch dieſe Bemühungen auf
Koften der faif. Akademie ber Wiffenfchaften in Wien vers
öffentlicht worden. 1) Die Kaiserchronik nach der ältesten
602 ; : Deutsche gedichte
handschrift des stiftes Vorau, aufgefunden mit einer eine
leitung, anmerkungen und den lesearten der zunächst
_ stehenden hss. herausgegeben von Joseph Diemer. Theil L
Urtext. Wien, bei Braumüller 1849. 8. (Der zweite
Theil ift noch nicht erfchienen.) 2) Das in ber Heberfchrift
genannte Züerf, von beffen Sete bier zunaͤchſt weiter
die Rede ſein ſoll.
Die Vorauer Hſ. Num. XI, von verſchiedenen Haͤnden
in verſchiedenen Perioden des 12ten Jahrhunderts geſchrieben,
enthält zu Anfang bie ſchon erwähnte Kaiſerchronik, am
Schluſſe das Leben. Kaifer Friedrichs L durch Dito von
Sreifingen, in der Mitte Fleinere Stüde, nämlich 1) eine
freie metrifche . Bearbeitung der Bücher Mofis. Das
Gedicht beginnt mit der Erfchaffung ber neun Engelchöre,
geht bann auf Lurifers dall. und feine Verfegung in bie
Hölle über, berichtet ferner bie Schöpfung ber Erbe, bet
Paradiefes und des erften Menfchen, um jene Kluft in
ben Engelchören, bie burd) ben δα! Satans entflanden,
wieder auszufüllen. Dann geht ἐδ weiter auf bie Eva,
den Sündenfal u. f. f. in abgefürzter Behandlung δε
Bibeltertes bis zum Tode ber Rachel, ber Frau Jacobs;
ferner die Geſchichte Joſephs, ziemlich genau übereinftiumenb
mit der ſchon von Hoffman aus einer Wiener Handfchrift
herausgegebenen ähnlichen Paraphraſe. (ὅδ᾽ folgt der ges
fchichtliche Theil ber übrigen Bücher Mofis in noch mehr
. verfürgter Form und mit vielen Beziehungen auf baó neue
Seftament und insbefondere auf ben Meffias unb bie ἢ.
Sungírau, auf welde legtere ein Hymnus eingefügt if,
bie Geſchichte Balagms, die Schilderung be israelitiſchen
Heers, der Stiftshütte, Bundeslade, des flebenarmigen
Leuchter mit Angabe feiner geheimnißvollen Bedeutung,
des xx. und xi. jahskunderts. 009
zum Theil aus Iſidors Eiymologteen. Einen wahrſcheinlich
hierher gehörigen Abfchnitt über ben Antichrit und das
füngfte Gericht hat der Abſchreiber wohl übergangen, weil
er dieſe Stüde paſſender fpäter dem Leben Jeſu —
pi koͤnnen dachte.
2) Ein Gedicht von der Schöpfung in 32 Abfägen
und etwa 340 Zeilen.
3) Ein Loblied auf Salomon. Der unbefannte
Derfaffer beginnt nad): einer Anrufung des h. Geiftes mit
ber Bitte zum Herrn, ihm die Weisheit Salomons zw
fehenken, und geht bani auf den Tempelbau Aber. ‘Dabei
wird die. Sage von einem Drachen in Jeruſalem erzählt,
ber alle Brunnen auégetrunfen . babe und ben. niemand
bezwingen fonnte, bis Salomon auf den Einfall gerieth,
alte Gifternen mit Met und Wein zu füllen. Der Drache
fam, tranf wie gewöhnlich und warb fo beiäubt, daß man
ibn gewältigen und binden fonnte. Hierauf redete er unb
verfprach dem Könige, [αἴ er ihn wieder frei ließe, eim
Mittel anzugeben, woburd) er den Tempelbau in fürgefter
"rift vollenden fónnte. Der König ging die Bedingung
ein und der Drache befchrieb ibm ein Thier auf bem Berge
Libanon, aus beffen Eingeweiden man eine Schnur madjen
feli, welche bie härteften Steine mit der größten Leichtigkeit
durchichneiden werde. So geichah ἐδ, daß beim Tempels
bau fein Geräufh von Hammer und Säge vernommen
ward. 3 Reg. 6, 7. Hierauf wird die große Pracht an
Salomons Hofe unb der Beſuch der Königin von Gabe, -
fowie der ftreng geregelte Hofdienſt geihildert. Das Bericht
fchließt in überrafchender Weife mit allegorifeher Deutung:
Salomo .begeichne Gott ben Herrn, die Königin aber bie
Kirche, die vielen Diener enblich bie Biſchoͤſe und bie
Briefter.
3) Die Gefdidte der drei Männer im feu
sigen Ofen und der Judith mit etwa 200 3eilen
fcheint mehr ein Mbfchnitt aus einer alten Bearbeitung ber
Bibel und gehört wohl tief ins eilfte Jahrhundert.
4) Darauf folgt eine jüngere unb ausführlichere Ges
fchichte ber Subitb, mehr im Stile ber deutſchen Geneſis
m der Wiener Handfehrift und ber vorauifchen Bücher
Moſis, eine freie Ueberſetzung bes Bibeltertes. Diemer
will fie gleidbfalló in das 11te Jahrhundert gurüdbatiren.
5) Das epifche Gedicht über Mlexanber den Großen
nad) einer lateinifchen Quelle gehört nicht hieher.
6) Gin Gedicht vom Leben und Leiden Sefu,
vom Antichrift und dem jüngften Gericht, weiches
nach einer fpäteren Handſchrift fen in H. Hoffmanns
Sundgruben (1, 127 ff.) abgebrudt if; wo übrigens noch
eine Einleitung mit der Geſchichte Johannis des Taͤufers
voraudgebt..
7) Ein Loblied auf bie Sungfrau Marta.
8) Die vier Evangelien, fo nennt menigftene
ber Herausgeber biefet nur etwa 300 Berszeifen umfaſſende
Gedicht. Der Berfaffer beginnt mit der Erfchaffung des
Menfchen, gebt dann fogleich auf ben Günbenfall unb
beffen Folgen über, weiter auf Johannes ben Täufer, auf
bie Geburt Chriſti, fein Leben, feine Wunder, fein Leiden,
feinen Tod und bie Auferflehung, und ſchließt mit ben
Vorbildern des alten auf das neue Teflament.
9) Loblied auf den heiligen Geift, bem bei Daniel
3, 52—90 nachgebildet.
10) Gin Gedicht vom — Serufalem
des xj πὰ xn. jekshunderis. ᾿ 605
nad der Offenbarung 21, 22 in vollkommen freier Bes
arbeitung. Der zweite Theil von ber Kraft und mpftifchen
Bedeutung der zwölf Grunbfteine deſſelben ward aus ben
Werfen des Marbodius entnommen.
11) Bruchſtuͤck eines gereimten — oder Ge⸗
betes einer Frau.
12) Gebete in Proſa. |
- 13) Sequentia de S. Maria deutſch, Bruchſuid
Damit endet der deutſche Theil der Handſchrift.
Fragt man nach den Verfaſſern dieſer Dichtungen, ſo
ſteht ſchon aus bem vorzugsweife religisſen Inhalte unb
aus den Zeitverhältniffen, wo der Kern der Bildung unb
Wiffenfchaft in ben Stiftern und Klöftern feinen Sis hatte,
zu vermutben, daß die meiften von ihnen Geiftliche wareıt.
Rur in den wenigen Stüden wird ein Name genannt:
im Alerandersliede der Pfaffe Lambrecht, im Lobliede auf
den h. Geiſt ein Prieſter Arnolth, in welchem der Heraus⸗
geber einen oͤſterreichiſchen oder vielleicht eher einen ſteiriſchen
oder kärntiſchen Dichter aus ber Mitte des 12ten Jahr⸗
bunbertó vermutbet, Leber den Urfprung des Lebens Jeſu
äußert fi das Gedicht felbft am Schluffe (292, 13) fo:
Dizze buoch dichtöte
zweier chinde muoter,
diu sagôten ir disen sin.
miohel mandunge was under in,
der muoler wáren diu chind liep.
der eine von der werlt schiet.
nu bitte ich iuch gemeine,
müchel unde chleine,
swer ditze buoch lese,
daz er stner séle — wünikeade- wee.
606 .' "Beutsche gelichts :- '
umbe den einen, der noch lebet
unde er !) in den arbeiten strebet,
dem wunsket gnáden
und der mueter Ava.
b. 5. Diefes Buch dichtete bie Mutter zweier Söhne, welche
ihr folche Weisheit mittheilten. Große Wreube war unter
ihnen, die Mutter hatte bie Kinder lich. Der eine davon
IR aus diefer Welt gefchieven. Darum bitte ich euch alle-
fammt, ®roße und Kleine, die ihr diefes Buch fefet, um
Gnade für feine Seele zu fleben. Auch für ben-anbern,
ber nod) lebt und in biefen Mühfalen fámpft, tbut Kürbitte
unb für feine Mutter Ava.
Mir haben affo bier eine Frau, bie mit Beihilfe ihrer
Soͤhne das Gedicht zu Stande gebracht hat, und Ava if
unzweifelhaft ber Altefte befannte Name einer eigentlich
deutfihen Dichterin, denn Hroswitha die Nonne von Gar»
dersheim im 10ten Jahrhundert fchrieb befahntlich nur [as
teinif. Nach Anleitung einiger Daten in den Zeits und
Todtenbüchern öfterreichifcher Klöfter vermuthet Diemer,
blefe Ava {εἰ eine inclusa. gewefen, welche wahrfcheinlich
in Melt, Neuburg oder Zwettel lebte und am 7. Febr.
1127 ftarb. In ben beiden Söhnen Avas will Diemer
bie befannten Dichter Harimann , ber den Glauben, und
Heinrih, ber bie [Φόπε Litanei und das Gedicht von ber
Erinnerung an ben Tod verfaßt Bat, wiederfinden. Es
(ft bier nicht der Ort, ble ausfüßrlichen fcharffinnigen und
gelebrten Unterfuchungen weiter zu verfolgen, womit Diemer
diefe Bermuthung zu wunterfügen unb weitered- Licht über
dad Leben dieſer frommen und in ihrer Zeit bedeutenden
1) ? amde der in ober utde in.
-des xi. und xx, jahrhundents. .- - : 007
Männer zu verbreiten fid) bemüht bat. Es möge ſchließlich
nod) geflattet. fein aus ber ausführlichen Einleitung des
Herausgebers noch ein paar Worte über bie SBebeutung
br in ber Borauer Handfchrift enthaltenen Dichtungen
auszuheben, foweit wir damit übereinftünmen Tönnen.
Diefe Dichtungen bilden durch Alter, Sprache, Geiſt
und gleiche Richtung eine eigene Epoche, eine befonbery
Gattung in unferer Litteraturgefchichte unb find um fp
intereffanter, als fie zeigen, wie Deutfchland nad) ben
großartigen Kämpfen des 11ten Jahrhunderts fih allmaͤhlig
zu erheben anfteng, wie mit dem Frieden Wohlkand und
Sitte, Wiffenfchaft und KHunft ihren Auffhwung nahmen
unb baburd) auch auf bie Sprache einen Einfluß gewannen,
ber einen wefentlichen Fortjchritt herbeiführte.
Der Gegenftanb der fraglichen Dichtungen ift, ba$
über Mlerander ausgenommen, durchaus mehr ober minder
religiös. Selb die Kaiferchronik wird das goles liet ger
nannt und verdient dieſen Namen wenigftens infoferne,
als fromme Sagen und Legenden einen großen Theil ders
ſelben ausmachen. Die übrigen entnehmen ihren Stoff
theild aus der heiligen Schrift, wie bie Judith, das Leben
Jefu, bie Bücher Mofis, tbeil& aus ben Apokryphen, aus
Iſidors Etymologieen und bem herrfchenden frommen Glauben
ber Zeit und haben vorwaltend den Zwed zu belehren unb
zu erbauen.
Der Stil ift. einfach, oft erbaben, häufiger troden
unb hart. Der Gedanke wird meift kurz und ſchmucklos
bingeftellt, oft nur mehr berührt ober angebeutet, als (ng
Breite ausgebehnt. Nirgend Schnörfel und Künfleleien,
fein eitles Hafchen nach Erfolg. Der Sapbau if gleiche
förmig, ungezwungen; manches hat fid) aus bem Althoch⸗
608 Deutsche ge&idite des xx. und χη, jakrhunderis.
deutfchen erhalten unb erinnert an Oifrids Hangreiche (dint
Sprache, aber häufiger tft das alte Gbenmaf geftört und
gebrochen. Die Verſe namentlich find minder gerecht gebaut,
ſtatt der regelmäßigen vier oft mit zwei, brei, aber aud
mit fünf und mehr Hebungen; ble Reime find febr willfürlid)
und ungenau und bilden mehr einen Anklang als Gleich
flang; aud) die Alliteration ſcheint 3. $8. in der Schöpfung
noch zuweilen nachzuwirken. Was aber diefen Dichtungen
von ber Sung, Negelmäßigfeit und Glätte der Sprache
bes brelyebnten Jahrhunderts fehlt, erfegen fie zum Theile
durch die Urſpruͤnglichkeit ber Gebanfen, burd) bie Kraft
des Auodruckes, ber oft an bie alten Heldenlieder gemahnt,
durch einfache Darftelung und rafchen Gang der Erzählung.
Beſonders die „Schöpfung“ und die „vier Coangelien*
zeichnen fif vortbeiffaft aus. Sowohl in der ganzen Ans
lage, als in. ber Durchfuͤhrung berrfcht eine feltene Eben
maͤßigkeit und Gewanbtbeit. Nimmt man dazu die Erhaben,
bet und Zierlichfeit des Stiles, fo wird, wer mit ber
Sprache und Anfehauungsweife ber Zeit hintänglich vertraut
if, ben Kunſtwerth biefer Dichtungen nicht gering am
Klagen. Der ganze Glaube und die Geheimnißlehre des
WWittelalters iſt darin in den feinften Beziehungen enthalten,
aud) das Heidenthum fpielt noch herein’ in ben Stellen
von ber Schöpfung des Menſchen. Weberrafchend kunſtreich
ift das „Lob Salomos;“ erhaben fchön und edel Vieles
in den Büchern Mofls und im obliebe auf den B. Geift,
befonders vie Hymne gegen das Ende des Gedichte.
An dem Gedichte Jeruſalem ift beſonders der erhabene
Eingang zu rühmen. Die jüngere Subitb hält fid) mehr
an die ἢ. Schrift, ift jedoch in fo freier Bearbeitung ger
geben, baf-men fie nicht bloß als Lcherfehung betrachten
Güntner, Hermenentica biblica generalis. 609
kann. Das Lob ber Zungfrau Maria und bie übrigen
Stüde gehören mehr in das Gebiet. frommer Andachts⸗
übungen und machen weniger Anfpruch auf vichterifchen —
Gehalt. Sie zeichnen {ὦ aber durch die darin herrichenbe
wahre Srömmigfeit und Gottergebung aus, die allen Rebes
prunf verfchmäht und nur in Gott und im innerflen Drange,
im zu dienen, ihre Befriedigung, ihr höchftes Ziel findet.
Was bie Herausgabe dieſer Gedichte burd Herrn
Diemer betrifft, fo genüge bie Bemerkung, daß ber Abdruck
mit urkundlicher Treue den hanpfchriftlichen Text wieder
gibt. ' Für das Verſtaͤndniß ift Durch reichliche Anmerkungen
geíorgt, auch findet der der Sprache nod) minder funbige
Leſer eine Erleichterung durch bie beigegebene neuhochdeutiche
lleberfegung der Gedichte „nie Schöpfung“ und „Die vier
Cpangelien.* Die Ausftattung des Buches im Druck if
jorgfältig unb prachtvoll. Die Officin, aus welcher dieſes
ſchoͤne Buch hervorgegangen ift, gehört I. 5B. Golfingeré
Wittwe in Wien.
ὅ.
Hermeneutica biblica generalig juxta principia Catholica. Edita
a Gabr. Joanne B. Güntner, s. ordinis Praemonstratensium
in Canonia Teplena Presbytero, ss. Theologiae Doctore et studii
biblici N. T. in Caesareo-Regia Universitate Carolo-Ferdinandea
Pragae Professore publico ordinario. Pragae, 1848. In Com-
missione apud F. A. Credner & Kleinbub. Preis 2 fl. 6 kr.
Sm verflofienen Desennium find von katholiſchen Theo
Ingen mehrere Schriften ber. bibliſche Qermeneutit veröffen
'610 $ Güntaer ,
licht worden, namentlih: Francisci Xaverii Patritii
e societate Jesu de interpretatione Scripturarum sacrarum
Liber I. et IL. Romae, 1844; bann: Grundlinien bet bib
κει Hermeneutif. Herausgegeben v. Ant. Schmitter,
Pfarrer und Priefterhaus- Direktor in Dorfen, ehemaligem
Profeſſor ber Theologie in Freifing. Regensb. 1844; ferner:
Hermeseutica biblica Catholica edita a Casparo Unter-
kircher, olim Professore studii biblici N. T. in Seminario
Tridentino. Editio tertia reformata et aucta cura J. V. Hof-
mann, Professoris Theologiae in Seminario Brixinensi οἱ
Consiliarii Eccl. act. Oeniponte, 1846 (die erfte Ausg.
erſchien 1830); ferner: Biblifche Hermeneutik παῷ den
©rundfägen ber Fatholifchen Kirche bargeftellt von Konrad
2omb, Doctor ber Theologie, Dompräbendat, Lehrer der
‚Moral, biblischen Hermeneutif unb neuteftamenttichen Gregefe
an der theologifchen Lehranftalt zu Fulda. Bulda, 1847;
endlich bie vorliegende Hermeneulica biblica generalis von
Dr. Güntner.
Das erfigenannte Wert, welches Hr. Güntner in feiner
succincta historiae disciplinae hermeneulicae delinealio
($. 21) nicht erwähnt, ift bei weitem das umfaffenbfte unb
reichhaltigſte, und gibt in 2 Büchern juerft eine Theorie
ber Schriftauslegung, und bann eine beiſpielsweiſe Ans
wendung derfelben, richtet fi aber dabei noch nad ber
älteren Weife, wonach die Hermeneutif fi faft nur mit
dem Sinne der Schrift, den verfchiedenen Arten beffelben,
ihrer Grfennbarfeit ic. befchäftigt, unb es gebricht ihr etwas
an einer ftreng Iogifchen Ordnung. Hrn. Schmiltere
Hermeneutit, obwohl febr compendioͤs gehalten, hat den
Borzug befierer Orbnung und fuftematifcherer Behandlung
des Gegenfanbró, Die Lehre vom Sinne der Hi. Schrift
Hermeneutica biblica generalis. 611
unb feinen verfchiedenen Arten macht bier den erften Theil
aus, ben zweiten bie Lehre von ber Auffindung dieſes
Sinnes unb ben dritten bie ebre von der Darftellung ober
Mittheilung beffefben. Ziemlich Ahnlich ift bie von Herrn
Hofmann herausgegebene Unterkircher'ſche Hermeneutif im
Ganzen eins und abgetheilt. Sie handelt in zwei Seien
von ber Auffindung bes Sinnes und der Darftellung des
gefundenen; vorläufige Erörterungen aber über den Sinn
der Schrift überhaupt liefert. fie im Procemium, wo fie
auch beffer an ihrem Platze find. Hrn. Lomb's Hermeneutif
zerfällt in zwei Theile, wovon ber erfte von den Eigens
fchaften ber Echrift, ber zweite von ber Auffindung (und
Darftelung) des Sinnes berfelben handelt. Jener befaßt
fi mit Gegenftánben, welche bie biblifche Sermeneutit
wohl auch berühren, aber eigentlich in die biblifche Eins
leitung gehören, und fireng genommen verdient ben Namen
Hermeneutik erft der zweite Theil. Wenn' daher Hr. Güntner
verfichert, er [εἰ zur Beröffentlihung feiner Hermeneutif
burd) bie Beobachtung veranlaßt worden, daß bie neuern
hermeneutifchen eiftungen der Katholifen theild nur die
Gíemente der biblifchen Hermeneutif enthalten, theils bie
foftematifche Drbnung vermiffen laſſen, fo trifft wirklich
bie eine ober andere Seite biefe8 doppelten Sabelà bie eben
genannten hermeutifchen Schriften, wenn wir etwa bie
Hofmann’fche ausnehmen, welche fid) befonders durch gute
Ordnung unb fíare Darftelung auszeichnet; und Herrn
Güntner& Bemühung, eine von jenen beiden Mängeln freie
Hermenentif zu liefern, darf nicht als unnöthig bezeichnet
werden. Uebrigens ift er felbft weit entfernt von bem Hoch⸗
mute, die eigene Leiftung für fehlerfrei und unverbeflerlich
zu halten und feine Einrede gegen biefelbe dulden zu wollen.
Ses. Quartalſqriſt. 1860. Heft IV. 40
612 Günther,
Die erften zwei Kapitel enthalten Prolegomena zunächft
über ben Begriff und die Aufgabe ber Hermeneutif über
haupt und ber bibfijden Hermeneutif insbefondere. Der
Begriff der Hermeneutica überhaupt als ars aut scientia
interpretandi wird näher dahin beftimmt hermeneutica, ob-
jective spectata, est systema, subjective vero considerata,
Scientia regularum, ad quas sensus orationis rite invenien-
dus aliisque exponendus est (p. 7). Daraus ergibt fid
für bie biblifche Hermeneutif im objectiben Einne von feld
der Begriff, fie fei systema regularum, juxta quas libro-
rum biblicorum sensus rite tum inveniendus tum exponen-
dus est. Se nachdem (ie fid) mit alfen, ober nur mit
einem oder einigen biblifchen Büchern befaßt, ift fte wieber-
um im erften alle hermeneutica biblica generalis, im
zweiten specialis. ‘Das supremum hermeneuticae communis
principium, baé zugleich in imperativer Form die Aufgabe
der Hermeneutif ausfpricht, lautet: Sensum loquentis ope
usus loquendi, orationis contextus, nec non conditionis
tam internae quam externae loquentis cognosce et pande
(p. 8). Wie’ nad) bem Begriff ber Hermeneutif überhaupt
auch ber Begriff der biblifchen beftimmt wurbe, fo haben
wir nach Angabe des supremum principium von jener aud
das von biejer erwartet, aber nicht gefunden. Mag fid
(egtereó aus jenem von felbft ergeben, die Vollſtaͤndigkeit
forderte, es bier ausprüdlich zu formuliren. Sm 2ten Kap.
wird gezeigt, daß bie chriftliche Lehre auf ber Sirabition
beruhe unb in der Schrift nicht voliftánbig enthalten, [egiert
auch überdieß nicht überall deutlich fei, wie fd)on dad
befannte Diftichon von Werenfels :
Hic liber est, in quo sua quaerit dogmata quisque,
Invenit et pariter dogmata quisque sua,
AC
Hermeneutice biblica generalis. 613
bintünglid) beweife, unb baber eine authentiſche Auslegung
nótbig fei, welche eben von der Kirche gegeben werbe, und
nur von ibr gegeben werben könne; worauf bann nod) ber
Unterſchied zwifchen katholiſcher und rationaliftiicher Aus⸗
legung beleuchtet und bie gegen jene erhobenen Vorwürfe
befeitigt werben.
Die ermeneuti£. fe(bft zerfällt bier, wie bei Hofmann, .
in zwei Theile, wovon ber erfte von ber Auffindung des
Sinned, ber zweite von der Darftelung befielben handelt.
Der erfte zerfällt wieder in drei Unterabtheilungen unb
handelt von der Auffindung des Sinnes 1) durch ben
Sprachgebrauch, 2) durch den Zufammenhang, 3) burd)
die limftánbe und Berhältnifie des Redenden oder Schreis
benden. Vom zweiten Dagegen heißt ed: Altera pars
divisione in sectiones non indiget, quia paucis absolvi
possunt, quae de variis sensum repraesentandi modis di-
cenda sunt (p. 38). ]
Bor Allem alfo handelt e$ ὦ um ben Sprachgebrauch.
Daß diefer bei Auslegung einer Rede ober Schrift bie
ere Berüdfichtigung verdiene, ift Har, fo wie auch, daß
er, im erforderlichen Grabe aysgemittelt, ein ficherer Fuͤhrer
(e. Die biblifche Hermeneutif hat daher zunaͤchſt bie Frage
au beantworten, wie der Sprachgebraud bereits ausge⸗
forbener Sprachen, und zwar insbeſondere der biblifchen
Urforachen, ber hebräifchen und griechifchen, unb ber Ießtern
bauptfärhlich in jener Zeit und in jenen Gegenden, wo
die griechiſch geſchriebenen beuterofanoni(doen und bie neus
teftamsentlihen Bücher entſtanden find, erkannt werben
fónne. Hr. ©, behandelt hiefen Punkt mit Recht etwas
ausführlich , ſcheint uns aber babet das 9. Sj. verhaͤltniß⸗
mäßig au wenig berüdfichtigt au haben. = ). 99, gleich
614 Gäntner,
über die unmittelbaren und mittelbaren Quellen zur Er⸗
forfchung des Sprachgebrauche gefagt wird (p. 45 sq.)
fann man in Bezug auf das neue Teflament wohl in der
Ordnung finden, in Betreff des alten aber fdyeint fid) bie
Sache bod) anders zu verhalten. Wenn die unmittelbaren
Quellen zur Erforfhung des Sprachgebrauchs Lerica,
Scholien, Gloſſen, Berfionen und Gommentarien aus jener
Seit find, wo die au&geftorbene Sprache nod) eine febenbe
war, fo haben wir in Betreff des altteftamentlichen Hebrais-
muß feine folche Quellen; und wenn die mittelbaren Quellen
Lerica, Scholien ıc. aus jener Zeit find, wo bie ausge
ftorbene Sprache nod) von denen gelehrt vourbe, deren
Mutterfprache fie war, ober bie fte bod) von foldyen gelernt
‚hatten, bie fie noch als Mutterfprache kannten, fo haben
wir in Betreff jenes Hebraismus auch feine mittelbaren
Quellen des Spradjgebraudó. Denn die Zeit, wo bie
hebräifche Sprache nur nod) von ben Rabbinen als gelehrte
‚Sprache betrieben wurde, fann nicht mehr zu den Lebzeiten
der Sprache gezählt werden. Hr. ©. bezeichnet jedoch
weiter unten, wo von ben @rfenninißquellen des hebr.
Sprachgebrauchs inébefonbere ble Rede ift, als mittelbare
Quellen defielben bie von gelehrten Juden traditionell forte
gepflanzte Kenntniß der hebr. Sprache, und nimmt fomit
dort ben 9(uébrud mit Recht in etwas weiterem Sinne.
Referent würde ben Erfenntnißquellen des biblifchrhebräifchen
Sprachgebrauch ohne Bedenken auch die verwandten Dias
Tecte beigdbten, fo fehr e& auch mit ber Bemerfung Hrn. Θ.
feine Richtigfeit bat, daß einerlei Wort in verfchiedenen
Dialerten manchmal auch verfchledene Bedeutungen erhalten
"habe, denn in gar vielen Fällen flimmen die Dialecte eben
bod) in ber Bedeutung von einerlei Wort auffallend zu⸗
Hermeneutica biblica generalis. 615
fammen, unb nicht felten fann bei gehöriger Berüdfichtigung
des Zufammenhanges mit Hülfe der Dialecte die wahre
Bedeutung eines Wortes mit ziemlicher Sicherheit ermittelt
werden. Manchmal freilid) Fönnen bie Dialecte bei uns
vorficgtigem Gebrauch irre leiten, aber baffelbe ift auch ber
Fall mit ben alten lleberfegungen unb der rabbinifchen
lleberlieferung. Uebrigens ift e8 nur infofern von Bedeu⸗
tung, ob man hier Quellen (fontes) ober bloße Huͤlf⸗⸗
mittel (subsidia) anerfenne, als [egteren bei folcher Ent:
gegenfegung eine wefentlich niedrigere Dignität und Brauch⸗
barfeit als den erfteren zuerfannt wird.
Sn bet weiteren Erörterung dieſes Punktes wird fos
fort, nach Bejahung ber 93orfrage, ob εὖ einem Fatholis
fhen Ausleger erlaubt fei, auf bie llrterte zurüdzugehen,
von ber eigentbümliden Befchaffenheit der Sprache im
N. T. und bann fpecielf von ben Quellen und Hülfsmitteln
zur Erforfchung des Sprachgebrauchs fowohl in ben alts
als neuteftamentlihen Schriften gehandelt. Wir fónnen
jedoch auf bie dießfallfige Beleuchtung ber fpäteren griechis
ſchen Sprache überhaupt, und befonberó in derjenigen
Geftalt, wie fie uns in ber alerandrinifchen Weberfegung
unb im 9t. T. vorliegt, nicht näher eingehen und nur bes
merfen, daß die vielen zur Sprache fommenden Einzelns
heiten, wie namentlich die Hebraismen, Aramäismen,
Alerandrinismen zc. auf eine febr gründliche und lehrreiche
Weiſe behandelt werden, und überall tüchtige Sprachkennt⸗
niffe an den Tag treten. In Betreff der altteftamentlichen
Schriften wird bie ſchon erwähnte rabbinifche Tradition
mit Recht gefunden in den alten lleberfegungen, in ben
Schriften des Joſephus, Drigenes, Hieronymus unb Ephräm,
und namentlich in ben älteren rabbinifhen Commentarien
616 Güntner,
unb Gloffarien. In Betreff der letzteren find begreifild)
ble Entftehungszeiten nicht gleichgültig, und je Alter ein
Gommentator oder Lericograph ift, um fo mehr verbient
er, ceteris paribus, Zutrauen. Es wäre baher in den
bieffallfigen Zeitangaben mitunter etwas mehr Genauigteit
zu wünfchen gewefen. Wenn 4. 8. von Menahem ben Saruf,
dem erften hebrälfchen Lericographen, gefagt wird, er habe
im Anfang des bten Jahrhunderts gefchrieben, fo hätte
ftatt des bten das 11te Jahrhundert genannt werben folfen,
wenn nicht etwa VI nur ein Drudfehler ift ftatt XI. (cf.
Rabbi Davidis Kimchi radicum liber etc. Berol. 1847.
p. XXXL 8, Dufes, literaturhiftorifche SDtittbelfungen über
die Alteften hebräifchen Eregeten, Grammatlfer und Lericos
grapben, Stuttg. 1844. ©. 119). Ebenſo hätte aud) bei
Rabbi Jona ben Gannach, ober Abulwalid, füglich bemerkt
werben können, daß er am Ende des 11ten SabrBunberté
geboren worden fel, und bei Juda ben Karifch (wahrſchein⸗
licher Koreiſch auszuſprechen, DD, Tr daß er um
die Mitte des 11ten Sahrhunderts geblüht babe, — Wo
bie hebräifchen Goncorbangen aufgezählt werden, hätte bie
neuefte und befte von Julius Yürft nicht übergangen wer»
ben follen. — Als Erfenntnigquellen des biblifch-griechifchen
Sprachgebrauche werden zunächft überhaupt bie Schriften
griechifcher Scholiaften und Lericographen, und griechifcher
Schriftfteller hauptfächlich aus jener Zeit, aus welcher ber
griechifche Bibeltert herrührt, bezeichnet, unb für bie hebrai-
firende Gräcität insbefondere ble alerandrinifche lleberfegung,
die Schriften des Fl. Joſephus und Philo, unb bie alt⸗
unb neuteitamentlichen Apofryphen. Endlich werden nod
bie beften Hülfsmittel (Sprachlehren und Wörterbücher)
-
Hermeneutica biblita generalis. 617
zur Erlernung der griechifchen, namentlich ber neuteftaments
lich griechifchen, bann ber hebräifchen, chaldaͤiſchen, foris
fchen, arabifchen und rabbinifchen Sprache namhaft gemacht.
Sn Betreff ber bebr. Sprache wird aber der Thesaurus
philolegicus criticus linguae hebraeae et chaldaeae veteris
testamenli von Geſenius, ber alle frühere geiftungen im
Gebiete der bebräifchen Lericographie weit übertrifft, mit
Stillſchweigen übergangen.
Als ein zweites Mittel zur Auffindung des Sinnes
der Schrift wird ber Gontert bezeichnet und eine doppelte
Eintbeilung beffelben gegeben, nämlich 1) ratione loci seu
distantiae eorum, quae cohaerent, in proximum, remotio-
rem et remolissimum; 2) respectu modi, quo orationis
partes cohaerent, in logicum, psychologicum, historicum
et opticum. Sn ber weiteren Ausführung fcheint jedoch
bem Hrn. Verf. bier eine logifche Ungenauigfeit begegnet
zu fein, indem guerft A) Contextus logicus, I. proximus,
H. remotior; bann B) Contextus psychologicus, historicus
et.opticus; endlich C) Contextus remotissimus zur Sprache
gebracht, unb fo ein Glied ber erften Eintbeilung ben
Thellungsglievern der zweiten coordinirt wird, während
zwei Glieder von jener einem Theilungsgliede von biefer
fuborbinirt werden. Doch if das nur ein Yormfehler.
Sehr gut und beachtenswerth iff was in biefem Abfchnitt
über die angeblichen Widerfprüche in ber bI. Schrift und
das nöthige Verhalten des Eregeten in Betreff berfelben
gefagt wird.
Endlich fommt bei ber Ausmittlung des Sinne in
Betracht bie Lage und bie Verhältniffe des Redenden ober
Schreibenden. Hier wird in zwei Kapiteln gerebet: 1) de
conditione loquentis externa und 2) de conditione loquentis
618 Günther,
interna. In erfterer Hinficht handelt es fich haupfiſaͤchlich
um das Zeitalter und Vaterland, bann um die Sprache,
bie Thaten und Schidfale des Redenden und die innern
und äußern Zuftände derjenigen, zu denen er rebet, in
fegterer um die Abficht und Gemütbeftimmung, ben morali,
fchen Charakter und bie fittlihe und moralifche Bildung
befjelben. H. ©. zeigt ausführlih, wie durch beide, bie
conditio externa et interna, eines Schriftftellers, unb naments
lich durch legtere, fowohl der Inhalt als bie Form feiner
Schrift bedingt und beftimmt werde, und daher bie dieß⸗
fallſigen Kenntniffe demjenigen unerläßlich feien, ber bie
Schrift richtig verftehen und deuten wolle; zugleich gibt
er auch bie Wege an, auf denen fid diefe Senntniffe ers
langen faffen.
Der zweite Theil, über die Darftelung des Sinne
ber Schrift, ift ungleich fürzer al& ber erfte. Seine Auf
gabe wird nad) Maaßgabe des anfangs aufgeftellten Prin⸗
cips ber Hermeneutif dahin beftimmt: Cum jam supremum
hermeneuticae principium interpretem sensum loquentis
pandere jubeat, sequitur: 1. Interpretem in exponendo
sensu jta versari debere, ut non sua, sed loquentis cogi-
tata, eaque non perfectiora, nec tenuiora, non plura, neque
pauciora proponat, quam loquens manifestare voluit, seu
paucis: In expositione sensus fides servanda est, Praeterea
2. expositione sensus efficiendum, ut audientes vel legen-
tes sensum loquentis clare cognoscant, quia secus, si illis
quidquam obscurum maneret, sensus loquentis non revera
panderetur; hinc expositio etiam perspicuitate gaudeat,
necesse est. Inde elücet, in altera interpretationis functione
sequentem normam observandam esse: In sensus expo-
sitione fidem serves, et perspicuitati studeas (p. 158).
*
Hermeneutica biblica generalis. 619
Dann werben die variae sensus exponendi species bes
fprochen: Species, quibus sensus fit expositio, variae sunt,
et dependent ium a find, in quem, tum ab indole per-
sonarum, in. quarum graliam, ium a forma, qua inter-
pretatio suscipitur. Sn erfterer Hinficht ift die Darſtellung
des Ginneó (sensus expositio) entweder bloß tfeoretifd)
oder zugleich praftifch, je nachdem bloße Belehrung oder
zugleich fromme Anregung und Erbauung ber Endzweck ik.
Sn zweiter Hinficht ift bie Auslegung entweder eine popus :
laͤre oder eine gelehrte, je nachdem fte für wiſſenſchaftlich
Gebildete, ober für Leute ohne höhere Bildung beftimmt ift.
In dritter Hinficht endlich fann bie Darftellung des Ginne$
in mehrfacher Worm gefchehen, entweder durch bloße eins
fade lleberjegung (versio), oder durch eine umfchreibende
unb erflärende lleberjegung (paraphrasis), ober durch er«
läuternde Bemerkungen über unflare Stellen unb Ausdrücke
(annotationes), ober endlich durch ausführliche ben Tert in
fortlaufendem Zufammenhang begleitende und fich ſelbſt
rechtfertigende Erklärungen (Commentarii). ᾿
lieber bieje vier Darftelungsformen wird fofort nod)
befonderd gehandelt. Die Anforderungen an eine Bibel:
überfegung find richtig geftelit, wiewohl fewer zu erfüllen,
und Hr. ©. fann am Schluffe derfelben mit Recht fagen:
Ex dietis simul patet maxima versionis biblicae exacte
conficiendae difficultas; etenim fidem cum perspicuitate ife
jungere, ut utrique suum tribuatur, summae arlis est
labor, cui feliciter perficiendo par non existit, nisi saga-
cissimo ingenio donatus, sensu religioso ei aesthelice
subtilissimo animatus, amplo eruditionis apparatu instructus,
in interpretationis negotio versatissimus, et accuratissima
utriusque linguae (textus et versionis) cognilione imbutus;
620 Guntner,
nam qui his dotibus unitis caret, nunquam eo perveniet,
ut in abditissimos quasi loquentis recessus penetret, ejus
eogitandi, sentiendi et loquendi veluti habitum induat,
Sicque ejus personam exacte referat, et talibus tandem
ubique utatur vocibus ac formulis, quae non tantum legi-
bus linguae respondeant, sed et auctoris mentem et ani-
mum ad amussim repraesentent. Hinc mirum non est,
nullam huc usque prodiisse librorum biblicorum versionem,
quae omnibus numeris esset absoluta (p. 160 sq.). Nach
Mittheilung eines furgen. Berzeichniffes alter und neuer
Bibelüberfegungen wird auch bie Aufgabe ber SBarapbraften,
Annotatoren und Commentatoren näher beftimmt, unb die
Grundfäge und Regeln feftgeftellt, welche fie zu befolgen
haben, endlich noch ein Verzeichniß der bebeutenberen alten
unb neuen Commentatoren mitgetheilt, das natürlich auf
— SBeliftánbigfeit keinen Anfpruch macht, in dem wir aber
deßungeachtet unter der Auffchrift: , 38. Ratione singulorum
librorum biblicorum* 3.3. die Pfalmenerflärung Bellarmins,
das fchöne Werf von Pradus und Billalpandus über Ezechiel,
bie zum Theil treffliben eregetiffhen Leiftungen des Ric.
Serarius u. a. ungern vermißt haben.
Ein Appendix handelt noch de erroneis quibusdam
s. Scripturam interpretandi principiis et modis, und zwar
1. de interpretatione mystica; 2. de lumine interno Pieti-
starum; 3. de morali; 4. de mythica interpretatione.
Als myftifche Auslegung wird bezeichnet illa s. Scriptu-
ram interpretandi ratio, quae cum effatis ejus praeter
sensum literalem notiones religiosas sive immediate sive
mediate conjungit. Sie wird nicht ſchlechthin verworfen,
vielmehr unter gewiflen Bedingungen geftattet und zu
homiletiſchen und erbauliden Zweden ſogar empfohlen,
Hermeneutica Diblien generalis. 621
daneben aber mit Recht aud) darauf aufmerffam gemacht,
daß fie nur im uneigentlichen Sinne ald Auslegung, in-
terpretatio, bezeichnet werden fónne, weil biefe den Sinn
des Redenden auffinden und darlegen müffe, nicht aber
feinen Worten foldje Gebanfen unterfchleben bürfe, bie
ihm nie in ben Gin gefommen. Sie wirb daher aud
geradezu und mit Recht αἵδ᾽ unzuläffig erklärt, wenn unb
foweit ihr Ergebniß ohne Weiteres als der wirfliche unb
wahre Sinn, ber von den heiligen Schriftftellern mit den
Tertesmworten verbunden worden fet, bezeichnet wird. Verum-
enimvero si quis cogitata, quae certis s. Scripturae locis
ope tractationis mysticae subjicit, ab ipso suctore vel
Spiritu s. ibi spectata esse contendat, iisque ad compro-
bandas veritates religionis uli velit, interpretatio mystica
approbari nequit, idque eo minus, ac rationes, quas pa-
troni ejus proferunt, speciosae potius, quam solidae in-
veniuntur (p. 178). Sofort werben die zu Gunften bet
muftifchen Auslegung vorgebrachten Gründe ber Reihe nad
aufgeführt und entfräftet und babel namentlich bemerft,
bafi ber myſtiſche Ausleger fid) des Unterſchiedes zwifchen
dem buchftäbfichen und myftifchen Sinne flet bewußt blei⸗
ben müffe und nicht beide einander gleichftellen oder mit
einander vermengen dürfe. Mit Recht wirb auch an bie
bieBfallà verfchiedenen Anfichten und Berfahrungsweifen ber
Kirchenväter erinnert und namentlich an bie fchöne Stelle
in Auguſtins Doctrina christiana L. I: c. 37: Quisquis in
Scripturis aliud sentit, quam ille, qui scripsit, illis non
mentientibus fallitur; sed tamen, si ea sententia fallitur,
qua aedificet caritatem, quae finis praecepti est, ita falli-
tur, ac si quis errore deserens viam, eo tamen per agrum
pergat, quo etiam via illa perduci. Corrigendus est tamen,
622 Gtataer,
ei quam sit utilius viam non deserere demonstrandum est,
ne consuetudine deviandi etiam in transversum aui per-
versum ire cogatur.
Die pletiftifd) » quäferifche Auslegung, als Ausfluß
bet vorgeblid Innern Erleuchtung durch den heiligen Gift,
wird mit Recht ziemlich fur; abgethban. Tota haec de
lumine interno, sensu Quakerianorum accepto, ejusque
effectibus senlentia inter dolenda falsi spiritualismi e!
mysticismi deliria pertinet, nemini sobrio arridere po-
les, ei revera non numerosa gaude asseclarum calerva
(p. 184).
Unter moralifcher Auslegung wird hier nicht, wie e$
zuweilen auch gefchieht, bie Anwendung des buchftäbfichen
Schriftfinnes auf das praftifche eben, fondern jene Aus
legungsweiſe verftanden, welche fchon durch Lode angebahnt
befonders aber durch Kant’8 „Religion innerhalb ber Graͤn⸗
zen der bloßen Vernunft“ in Aufnahme gebradyt worden
— ift, und welcher zufolge bie hf. Schrift nichts anderes fagen
darf, aíó was mit ben Prineipien der praftijdyen Vernunft
im Ginflange fteht. Es fonnte Hrn. G. nicht ſchwer wer
ben, biefe durchaus willführliche und oberflächliche Auf⸗
faffung und Behandlung der Schrift gründlich zu wider
legen, wie er denn eine foldye SBiberlegung auch wirklich
gegeben hat.
Auch die mythifche Auslegung wird kurz aber gründlich
gewürdigt. Hr. ©. beginnt mit dem N. S. und zeigt
zunaͤchſt, daß bie durchaus mythiſche Auffaffung ber new
tekamentlichen Geſchichte, wie man fte bei Strauß, Br. Bauer
u. a. findet, nur auf falfchen Deutungen und nichtigen
Borausfepungen berube und durchaus verfehrt und uns
haltbar fei. Hisce perpensis patet, Straussii systems
Hermeneutica biblica generalis. 623
mythicum fictione niti, et omnia ejus fulcra non esse, nisi
, imaginaria, quae historiae halitu evertuntur (p. 201).
Danı befpricht er die theilweis mythifche Auffaffung, welche _
jene ©efchichte für eine zwar wirkliche aber mit mutbifchen
&lementen vermifchte anfiebt, und -dedt ebenfalls ihre
Grunbíofigfeit auf. Endlich zeigt er, bag aud) in ben
altteftamentlichen Schriften feine Mythen fid) finden, unb
Daß namentlich bie Wunbderberichte in benfefben, die zur
Annahme von Mythen den Hauptanlaß gegeben ‚haben,
nicht im Geringften dazu berechtigen. Hinc in V. T.
quoque mythos relinquimus eis, qui mundum sibi con-
fingere malunt, quam a Deo creatum, dispositum ac rectum
agnoscere.
9tad) vielen Mittheilungen wird ed faum mehr ber
fBemerfung bebürfen, daß bie vorliegende Hermeneutik,
ungeachtet einzelner Mängel von untergeorbneter Bedeutung,
ihre Aufgabe im Ganzen auf Iobenswerthe Weife [Dje, und
jebem, ber fid) in biefer Disciplin gründlich orientiren
will, empfohlen werben dürfe.
$$ elte.
4 Gel u. Hoͤfliger,
| " |
1) Die Trennung der Schule vou der füirde — in ihrem
Weſen und ihren Folgen betrachtet von Seul, Studien⸗
Direktor der rheinifchen Mitter » Akademie zu Bebburg; Köln
1850, bei Bachem. Preis 42 fr.
2) Die dirifllie firdje und ihr Verhältniß zum Statt,
bargeftellt von 3. Höfliger , geiftl. Rath und Domtapitular
zu Et. Gallen. St. Gallen u. Bern bei Huber u. Comp.
1850. Preis 21 fr.
Zwei Schriften, Hein von Umfang, aber febr widy
tigen Inhalts, denn fie befprechen zwei der bebententfte
ragen, welche bie Gegenwart beivegen. Dürfen Staat
und Kirche, Kirche und Schule fid) trennen, und was wird
die Folge folder Scheidung fein, fo fragt gegenwärtig
-jeder benfenbe, für die Zukunft beforgte Mann; fo fragt
namentlich jeder Ehrift, jeder Qauébater und Priefer.
Beide vorliegende Schriftchen nun fprechen (id) entfchieben
gegen die abfolute Trennung von Kirche und Staat aus,
Nr. 1 (nóbr(onbere aber fdoilbert auch mit großer Wärme
und edlem Ernfte bie nicht blos nachtheiligen, fonbern fo:
gar zerftörenden Folgen jeder Losreißung ber Schule
von ber Kirche. Beiden SBerfaffetn bat der Eifer für bie
gute Sache, und die Sorge für dad wahre Wohl ber
Menfchheit die Fever geführt, unb babel hat Höfliger
mehr in paränetifcher, Seul mehr in wiffenfdaft
‚licher Weife gefprochen. Das Botum des fegteren gegen
bie Trennung der Schule von der Kirche ift aber um fo
wichtiger, alà er felbft ein Laie, und weltlicher Studien
bireftor einer höheren (katholifchen) Bildungsanftalt iR. Die
Trennung von Staat, Kirche und Schule. 625
Durchleſung feiner Schrift bat uns in ber That febr vielen
Genuß gewährt, denn Hr. Seul Bat feinen Gegenftanb
nicht auf der Oberfläche, fondern i& feiner Tiefe ange-
griffen, unb bie fpegielle Schulfrage nur in Verbindung
betrachtet einerfeitd mit dem wahren Wefen des SRenfdyen
(feiner fupranaturalen Seite), anberereltá mit der ganzen
großen hiſtoriſchen Geftaltung und Entwicklung ber Menfch«
heit feit Ehriftus und durch das Chriftenthbum. Auf
Diefe Weife hat fid) ihm ergeben, baf bie Trennung ber
Schule von der Kirche nicht eine vereinzelte, mehr oder .
wentger nüßliche oder fchädliche Maßregel, nein, baf fte
vielmehr ber legte große Schritt wäre in ber Entchrift-
fichung ber Menfchheit, ber fete Hebel, um das alte
Gebäude der chriftliden Gefittung, chriſtlichen Bil
bung und chriftlihen Ordnung vollends aus ben Bugen
zu heben und in Trümmer zu werfen. Kein Wunder,
wenn bie Sprache des Verfaſſers oft fo Fräftig und voll
iónt, wenn er fo dringend mahnt umb beſchwört. Es
handelt fid) ja nach feiner innigften llebergeugung um das
höchfte Gut der Menfchheit, um das wabre Wohl von
Kirche und Staat. Mag man ber Kirche fonft nod) fo
viele Eonceffionen machen, meint er, fo man ihr dabei bie
Schule nimmt, fo bat fie bie Zufunft verloren: „mögen
jene Güter der Freiheit noch fo hoch angefchlagen werben,
mag ihre Reftitution bie gerechteften Motive, die wohl⸗
wollendſte Anerfennung und tieffte Auffafiung ihrer Wirk⸗
ſamkeit beweifen, die Entziehung des Rechtes auf bie Schule
Gebt jene Anerkennung, jenes Wohlmollen, jene Geſchenke
auf unb erinnert an bie befannte Löwentheilung.“ ©. 11 f.
Der gleiche Gedanke, unb er iſt gewiß ein richtiger,
wird fofert auf S. 43 f. in folgenber Weife ausgeführt:
; 626 É Geul u. Sofiger,
„Der Staat δαὶ grundfäglich die perſoͤnliche Freiheit als
hoͤchſtes Geſetz garantirt, hat die Freiheit, Unabhaͤngigkeit
unb Selbſtſtaͤndigkeiſder Religionsgenofienfchaften gewaͤhr⸗
leiſtet. Wenn er dann hintenher die ganze Jugend durch
alle Bildungsſtufen für ſich in Anſpruch nimmt und ſie
in die Auffaflungss und Anſchauungsweiſen, wie er fie
will, eingewöähnt, bie Kirche nur, fo weit er es für gut
hält, zuläßt, fo beißt das, das innerfte Wefen Firchlich-
religidfer Freiheit captiviren, es heißt mit ber einen Hand
geben, mit ber andern nehmen, es heißt ber jebigen
Generation Religionsfreiheit geben und fie burd) ein ans
deres Schulfyftem ber künftigen unmöglich machen, es heißt,
ben Bogel einfangen und ihm bie Flügel bredyen, damit
er nicht fliegen will, weil er nicht fann, weil er ble Faͤhig⸗
feit eines Bogeld verloren bat. Wenn ber Bolizeiftaat bie
Kirche in ihrem innern Heiligthum, in den heiligen Gafra;
menten und bem Gultus angriff, fo war das ein Eingriff,
der als Fehler erfannt und verbeffert. wurde (utinàm!);
bier aber erfcheint nod) ein tieferer Eingriff des congitutios
nellen Staates, ber auf bie Grundlage jeder Breiheit und
recht eigentlich auf die Eriftenz ber Kirche hingeht. Möge
auch er erfannt und gebefiert werben! Denn was würde
die garantirte perfönliche Freiheit bedeuten, wenn butd
ein Staatsſchul⸗Syſtem bie erfte Jugend ἐπ geiftige Befleln
gelegt werden, und benfen, fühlen und handeln [ernen
follte, wie εὖ die (wir fügen bei: [egt grunbgefeglid
indifferentiftifche) Staatsgewalt (adde: vielleicht ein
jübifcher oder pantheiftifcher Eultminifter) vorfchreibt? Was.
würde übrig bleiben von religiöfer Wreibeit und Gelbg
ftánbigfeit, wenn ber Unterricht und die Erziehung bie
Jugend mit etwas allgemeiner Religion nach Staatszwecken
Trennung von Staat, Kirche und Schufe. 627
jurihten dürften? Was follte aus dem Menfchen, was
aus der Menfchheit, was aus den Ehriften werden, wenn
eine Staatsfchule nad) der Willführ unb ber wechfelnden
Richtung philofophifch conftruirter Gtaatébegriffe, ohne ble
ewigen Grundlagen der Religion, erziehen bürfte? Was
foflte aus Europa werden, wenn ed gelänge, ber Kirche
und dem Chriftenthbum fo ben Boden unter den Füßen
wegzuziehen? Es ift nicht abzufehen, wohin folde Bers
ſuche, gegenüber der chriftlichen Kirche in unferen Tagen,
wo nichts mehr feftfteben und feinen Standpunkt behaupten
wil, führen follen. .. Wenn ber in religiöfen Dingen
indifferente Staat, Bier im fonfreten Falle, der inbifferente
Minifter, von welchem es nach ber Neugeftaltung des
Staats leicht möglich ift, tag er ein Sube ober ber
Kirche feindlich gefinnter Ehrift fei, bie Prüfungs » Gom:
mifftonen aller Lehrer zu beflimmen Bat. und in ber
Confequenz des Staatserziehungs » Syftems bie Prüfungss
Commiffariert nad) dem vorgeftedten 3iefpunfte auswählt,
wenn er die Einrichtung ber Lehrers Seminarien, welche
ibm allein obliegt, nad) ber Richtung der Staats»
iwede trifft und orbnet, fi alfo 30,000 Lehrer unter
300 Schulinfpeftoren (der SBerfaffer hat Preußen im Auge)
nad) feinem Schnitt heranbilden [dft, wenn berfelbe Minifter,
fei er Chrift ober Jude, Theift oder Atheift, ven Lehrftoff
der Volkoſchule nach feinen Staatszweden ordnet, bie Lehr,
bücher wählt, ihre Anwendung und Ausdehnung beftimmt,
die Bibel, ben Katechismus, das chriftliche Gefangbud)
auöweist, wie er muß, weil er darin (in der Religion)
nicht unterrichten laffen darf, wenn er bie Methode beim
Unterricht, bie Behandlung ber Schüler, fury Unterricht
und Erziehung, nad) feinem berrfchenden Geſichtspunkte
Tpesl. Duartalſchrift. 1850. IV. Het. 41
623 | ' el u. Höfliger,
anorbnet unb leitet, wenn ber Miniſter überbief auch durch
den Schulzwang und burd) bae Recht, die Pflichten der
Eltern in Bezug auf das Maaß ber erreichten Schul⸗
fenutniffe im Privat » Unterrichte zu überwachen, alle Kin
ber des ganzen Staates, fage alle, alfo die ganze Jugend
in feiner Gewalt bat und nad) Staatszwecken unterrichten
unb zufchulen läßt, wenn er, damit er jedes Privat⸗Gewiſſen
ober Gelüfte im Entftehen unmöglich machen Tönne, bie
Gemeinde» unb, wo fie nicht ausreichen, ble Staats⸗Fonds
zur Difpofition fat, ja, wenn damit er nicht in Aus
Abung feiner Gewalt etwa nachfichtig handeln fómme, die
Boltsfchulen unentgeltlich fein müffen; fo fann man jede
Behauptung darüber einräumen, nur bie nicht, daß per
fönliche Gewiflens » unb Religionsfreiheit damit verträglich
feien. Wenn eine folde Staatsfchuleinrichtung , Die wie
ein fefter und dichter Zaun feine Maus durchläßt, in einer
freifinnigen, Eonftitutionellen Verfaffung, welche Gebanfen,,
Gewifſens⸗, Religionsfreiheit und alle unveräußerlichen
Menfchenrechte garantirt, Blay finden fann, fo müffen wir
befennen, daß wir feinen Begriff, noch Verſtand mehr
Haben, um das zu begreifen ac.
Bekanntlich find Manche der gutmüthigen Anſicht,
wenn aud bie Schule grundgefeglich von. der Kirche
getrennt fei, fo bleibe ja bod) nad ben Unterricht
gefegen dem Geifllidgen noch immer das Recht, ben Reli
gionsunterricht in ber Schule zu ertbeilen, und bamit
{εἰ fchon bie nótbige religiófe Bildung ber heranmwachfenden
Geſchlechter gefihert. Ja, nod mehr: in bem meiftea
Faͤllen werde überbieg der Geiſtliche, weil oft ber eim
Mage gebildete Mann im Orte, fünftig auch bei bet
reinen Staatsſchule bod) zum Inſpektor ernannt werben
-
^— μηδ won Staat, Kirche und Schule. 629
müffen, und fo bleibe ber Kirche ein großer Einfluß auf
bie Schule immerhin bewahrt. — Der Hr. Verfaſſer hat
auch diefe ebenfo gefährliche als fchwächliche und ober;
flaͤchliche Anſicht an verfchiedenen Stellen widerlegt, und
vor Allem klar gemacht, welch’ himmelweiter Unterſchied
[εἰ zwifchen einer Schule, in ber wochentlich in ein paar
Stunden von einer Art Fachlehrer Religionsunterricht ers
theilt wird, und einer Schule, bie als Vorhalle der Kirche
bie chriftliche Erziehung und Bildung der Jugend zu ihrem
Prinzipe und zu ihrer Hauptaufgabe Bat. Dort ift ber
Religionsunterricht nur ein Spezialfach, ein Nebenfach,
und nur vom chriftlihen Unterrichte, nicht von ὦτί
fier Erziehung if bie Rede; in ber Firdlichen
Schule dagegen ift Religion, nad? Seite des Unterrichts
und ber Erziehung die Hauptfache. In der Firchlichen
Schule fol ber Menſch für das Reich Gottes, in der
Staatsſchule nur für das Bürgertbum erzogen werden.
Was ἰβ ba6 Höhere und was gibt bie größeren Garan⸗
tieen für das fittliche Leben, für Privat: unb Bürgertugens
den? Die Antwort fami nicht ſchwer fein.
Aber der Sintbeil, ben bie moderne Staatsweisheit
fünftig der Kirche in Bezug auf bie Schule noch gönnen
will, ift, unb das ift bie zweite Seite der Betrachtung,
nur ein prefärer, ein Stüd Bettlerbrod, denn wenn bie
Spule dem Staate allein gehört, grund geſetzlich, unb
aus Bas Unterrichtsgefep ber Kirche noch eine Antheils⸗
particula zuwirft, fo Tann auch diefe Feine Gonceffton
burd) ein. neues Alnterrichtögefeß ihr wieder entzugen und
vem omnipotenten modernen Staate alfeó summa summarum
ſelbſt eingefadt werden. Wer darum mit biefem Bettler:
biffen und Ginabepbrobe fid) begnügen unb abfinden laſſen
41°
630 Seul 1. Höfliger, Trennung von Staat, Kirche u. Schule.
will, ber verfauft fein Erftgeburtsrecht um ein Linfenmus,
das man ihm vielleicht zudem wieder nimmt, bevor er e$
zur Hälfte genofien bat. — Die in Würzburg verfammelten
deutfchen Bifchöfe verdienen darum bie Anerfennung jedes
Ehriften, nicht blos des Katholifen, wenn fie bie Anrechte
der Kirche auf die Schule Fräftig veriheidigten. In gleichem
Geifte fprachen fid) aud) die preußifchen Bifchöfe in ihrer
Denkfchrift vom Juli Ὁ. S. aus, und Herr Seul hat fo
wohl bie denkwürdigen Worte der Einen wie der Andern
dem erften Sapitel feiner Schrift einverleibt.
Schon oben haben wir bemerkt, daß ber SBerfaffet
feinen Gegenftand nicht vereinzelt und auf ber Oberfläche
betrachtet, fonbern bie rage nach ber Trennung ber Schule
von ber Kirche mit der gefammten falfchen und unchriſt⸗
lichen Zeitftrömung in Verbindung gebracht habe, ‚Der
Rieſen-Irrthum, fagt er hierüber, beruht in der
Meinung, daß es im Qcben, namentlich im Staatsleben
ein anderes Heil geben fónne, als in Jeſus Chriſtus,
unferem Herrn, als in unb mit feiner hl. Kirche in ihrer
ganzen Wirkſamkeit; er beruht in der Meinung, daß in
Europa Staaten blühen fónnten ohne Ehriftenthum, und
daß bann auch bie Schule ohne Ehriftenthum erziehen könne
und müfle, indem fie für den Staat erziehe. Der Irrthum
dehnt fi) aus über die ganze Lebens» und Weltanfchauung,
geht zurüd auf die erften Prinzipien und hebt den Grund
auf, worin das Leben Werth und Bedeutung Bat^ ©. 55.
„Diefer Rieſen⸗Irrthum mühet ὦ nämlich ab, den Mens
fchen als ein Naturgewähs aufjufaffen und das Thier
gleich den andern Beftien nach gefebten Zwecken zu bes
handeln und mit allmöglichen Verfuchen zu beglüden” &.55.
Ge ift richtig, wenn bie fupranaturale Seite des Menſchen
Vredigtwerke. 631
verfannt unb er bloß als der Erde gehörig betrachtet wird,
dann will allerdings die irdiiche Orbnung, ber Staat, ihn
ganz befigen, ganz leiten unb ausfchließlich erziehen, während
die Vertreterin ber jenfeitigen Ordnung, bie Kirche, ale
"etwas Fabulöfes, Unreales und damit Unberechtigtes bine
ausgefchoben wird.
Mir fónnen ed uns faum verfagen, auch bie fchöne
hiftorifche Darftelung, wie burd gode, 9touffeau und
Peſtalozzi das gane Erziehungswefen der Neuzeit ein
unchriftliches Prinzip erhalten habe, bier noch aufzunehmen.
Es gehört biefer Paſſus unbeftreitbar zu den fchönften und
lehrreichſten Bartien des Buches (6. 78 ff.) und muß,
wie biejeó felbft, jedem Geiftlichen und Schulmanne zu
ernfter Erwägung empfohlen werden.
. Hefele.
1.
I. Die evangelifchen Bericopen an den Sonntagen und feften
des Herrn, eregetifch-homiletifch bearbeitet von M. A. Wikel,
Doctor ber Theologie, geiftlichem Mathe und Regens des
Klericalfeminars in Main. V—IX. Tell. 184850.
Sranffurt bei Sauerlaͤnder. Preis pr. Band 2 fl.
I füuftrprebigten der hatholifchen Kanzelberedfamkeit
Deutichlands aus der neuern und neueflen Beit. Ges
wählt und Herausgegeben von A. Hungari, Pfarrer zu
Möpeiheim im Großherzogthume Heſſen. Mit Sifchöflicher
Approbation. XIX—XXIL Band. 1848— 49. Frankfurt
632 Brebighber®e,
$d Sauerlander. — Muſterpredigten von Hungari,
zweite gänzlich umgearbeitete Auflage. I--IV. Band.
Frankfurt bei Sauerländer. 1850. Brei pr. Band
2 ᾳ. —
Ill. Predigten auf die Sonntage des hatbol, Kirchenjahrs,
in ber Bomhird)e zu Breslau gehalten von Dr. f. fórfter, -
Domberrn, Domprebiger, Fürftbifchöffichem Vikariatsamts⸗
und Gonftftorialrathe. Zweite verbefierte Ausgabe. In
zwei Bänden. Breslau bei F. Hirt. 1849. — Preis
4 f. 24 f ;
IV. Homilien auf die Sonntage des hathol. fiirdjenjabro,
gehalten in ber Domlirche zu Breslau 9. Dr. fj. fórfler x.
wie oben. Zweite Ausgabe, in zwei Bänden. Breslau
bei Hirt. 1849. Preis 4 fl. 24 ἔτ,
V. Ein Umblick von der Warte der Beit von Dr. fj. fór-
fler γος. Breslau. 1849, 12 G. Preis fl — 12 Er.
VI. Katholifches fRirdjenthum, behandelt in zwanzig Kanzel
reden, mit befonderer Eritifcher Wahrnehmung des ſoge⸗
nanten Deutfchtatholtzismus, nebft einem Anhange: Stesken
aus dem Aireuzgange. — Bon Wilhelm Gärtner, Operar
und Feiertagsprediger an ber kaiſ. koͤnigl. Wiener » Univer-
fitätsfirche. Wien, 1849. Berlag von Karl Gerold. —
315 €. Preis 3 fl. 10 fr.
VIL Homiletifche Achzenlefe, Ein Chelus von Sonntag, Sel
und Faflenprebigten von Wilhelm Dscrh, Domprebiger zu
St. Stephen in Wien. Mit fuͤrſt⸗erzbiſchoͤflicher Appro⸗
bation. Franffrt am Main bei Sauerlander. 1900. —
802 €. Preis 2 fl. —
MPreblgtwerke. 638
VIII. Die ſocialen Fragen der Gegenwart. Sechs Predigten,
gehalten im hohen Dom zu Mainz von Wilhelm von
fietteler, Pfarrer zu opften, Mitglied des deutſchen Reichs⸗
tages. Das Honorar zum Beſten des wohlthaͤtigen Vereins
vom heil. Vincenz von Paul zu Mainz. Mit Approbation
des hochw. biſchoͤfl. Ordinariats. Mainz, Verlag v. Kirch⸗
heim und Schott. 1849. 92 €. Preis fl. — 24 tr.
I. Bon den eregetifchshomiletifchen Bearbeitungen ber
evangelifchen Pericopen von Nidel find bereits vier Bände
in diefer Zeitfchrift befprochen, unb ift das Gute an bern:
{εἴδει anerfannt worben. Die vorliegenden 5 Bände ents
‚hatten die Erklärungen der fonns und fefttäglichen Bericopen
des Kirchenjahres vom erften Sonntage nach Oſtern bie
zum zehnten Sonntage nad) Bfingften. Die Art und Weiſe
ber Behandlung, die Anordnung unb Anfammlung des
‘Stoffes ift in biefen Bänden bie gleiche geblieben. Es ift
in jedem Bande für jede Pericope eine unendliche Maſſe
von Stoff zufammengebradt. Ein Band enthält in ber
Regel auf ungefähr 500 Seiten nur bie Erflärungen von
vier Bericopen. Nach vorausgeftelltem Terte der SBericope
fchließt fid) an jeden Vers berfelben eine Eregefe an. Diefe
Gregeíe ift. meiftens ganz practifcher Natur, paránetifd) unb
adcetifch, bisweilen etwas gelehrt. Der betreffende Vers
wird bann nach allen für einen Gebanfen zugänglichen
Seite betrachtet und angefehen, oft nach feinen einzelnen
' Worten. Der Berfafler nimmt zu wiederholtenmalen einen
Gedanten» Anlauf, und fpinnt benfelben fort, fo weit εὖ
thunlich ober notbipenbig fdeint. Go ift an den Worten:
„Friede ſey mit Euch“ fo oft wieder eine neue Seite heraus⸗
gefucht und bargefielít, bag e8 Band V von p. 1-17
634 Predigtwerke
reicht. Des oͤftern iſt an die Erklaͤrung einzelner Verſe
‚eine foͤrmliche Homilie angeſchloſſen. So ſind unter die
reichlichen exegetiſchen Erklaͤrungen des Evangeliums auf
den erſten Sonntag nach Oſtern fünf vollſtaͤndige Homilien
aufgenommen.
Daraus iſt leicht abzunehmen, wie reichhaltig dieſe
Erklaͤrungen der Pericopen ſind. Abgeſehen von den aus—
gearbeiteten Homilien, die aufgenommen ſind, bieten die
anderweitigen oft nur in kurzen Abſaätzen aufgenommenen
Erklärungen von SKirchenvätern oder andern erleuchteten
Eregeten einen faft unerfchöpflichen Stoff zu Meditationen,
zu Predigt-Thematen wie zu Prebigtausarbeitungen. (8
muß anerkannt werden, baf ber in ber kirchlichen Literatur
fo rühmlich befannte SBerfaffer für biefe feine Arbeit febr
forgfältig und mübfam gefammelt Dat. Aber auf weitere
als ein Sammelwerf in biefem Gebiete kann fie nicht Ans
fpruch machen. Denn was man öfters ſtark vermißt, iR
gerade eine rechte Verarbeitung unb fyflematifche Zuſammen⸗
reihung des maflenhaft angehäuften Stoffes. Bei einer
man möchte faft fagen zufällig fid) ergebenden Aneinander⸗
reihung des eregetifchen Materiald über einen Vers ober
über einen Abfag einer 5Bevicope ift e$ unmöglich, daß nicht
Wiederholungen ein und beffelben Gedankens oft beinahe
in gleicher orm vorfommen. Auch fonnte e& nicht fehlen,
' baf neben ben vielen febr guten Abfchnitten auch wohl
etwas leere fich finden, fo daß man ziemlich viel Sand
durchwühlen muß, um auf Goldförner zu ftoßen. Deßhalb
ermübet e& aud) nicht wenig, bie Erklärungen einer einzigen
SBericope ununterbrochen bis zu Ende zu lefen. Dagegen
unterbrochen und Stüd für Stüd gelefen, findet man
recht viel Gute und Anregendes. —
Predigtwerke. 635
Der Berfafler fagt in der Vorrede zu feinem Werke,
«daß von ihm nicht viel Eigenes dabei fey. Deffenungeachtet
vermißt man doch bei ben Eleinern Erklärungsftüden bie
- Angabe der Quellen, aus denen fie genommen find. Meift
nur bei den Homilien, bie vollftändig aufgenommen wurden,
find bie Ramen ber Autoren angegeben. Am meiften bar»
unter fommen vor: Bafilius M., Ehryfoftomus, Auguftin,
Beda, Albertus M., Thomas von Aquin, Eanifius, Ludwig
von Granada, aud) Sailer und Veith. —
Der Referent, wenn er gleich ber Anficht ift, das
Bolumen des Werkes hätte (id unbefchadet feiner Zweck⸗
mäßigfeit um ein Namhaftes verringern und ebendamit der
. Preis erniedrigen lafien, ftebt bod) nicht an, baffelbe für
das Studium ber Prediger zu empfehlen. Sie finden hier
zwar feine oder nicht vorzugsweiſe ausgearbeitete Predigten
und Homilien wie in der Sammlung von Hungari, unb
fein fo leicht verlodendes Ruhepolfter, wohl aber fehr viel
Stoff, den fie mebitirend burcharbeiten und wobei fie für
fid fdüne Gebanfen, Bilder, wohl aud) Anleitung: zu
Ausführungen herausfinden fönnen. —
Am Schluffe der Erklärung einer Pericope find immer
eine Reihe von ffizzirten Thematen zu Predigten angefügt.
Das Himmelfahrtsfeft hat nicht weniger als 69, das
SPüngftfet 63, unb ein gewöhnlicher Sonntag zwifchen 30
und 50. Biele berfelben, wenn auch nicht Alle, find in
ber Auswahl des Themas und ber Difpofition gelungen,
und werden manchem PBrediger willfommen ſeyn. Sie find
bier von um fo größerem Werthe, als man zu ihrer Aus⸗
führung in ben vorausgehenden Girflárungen den angemefs
fenen Stoff finden fann, —
IL Ueber den Werth ber von Hungari gefammelten
636 Vredigtwerke.
Predigten iſt in ber Quartalſchrift feit bem Erſcheinen des
erſten Bandes ſchon ein paarmal von andern Referenten
geſprochen worden. Im Weſentlichen ſchließe ich mich ihrem
Urtheile uͤber die ganze Sammlung an. Die vor uns
liegenden Baͤnde XIX—XXI enthalten die Predigten für
bie Heiligens$efte. Der erfte Band dieſer Aten Abtheilung
ber Predigtſammlung beginnt mit neun Prebigten auf dad
Feft Allerheiligen, denen fid fleben Predigten auf den Ge
bächtnißtag Allerfeelen, zehn auf das Weft der heil. Schup-
engel und fechs über bie Verehrung der Reliquien ber
Heiligen anfchließen. Hierauf folgen Predigten auf bie
Feſte einzelner Heiligen. Wiele derfelben haben zwei, drei
unb vier Predigten erhalten, 3. B. die bL. Anna, Antonius
von Padua, Benediet, Bernhard, Franz von AR, Franz
Xaver, Georg, Johannes der Apoftel, Johann von Stepemuf,
Johann ber Täufer, ber bi. Sofeph, bie Hi. Thereſia,
Stephanue, Ulrich u. a. Der dritte Band ift zur Hälfte
mit Predigten auf dad Felt der HI. Apoftel Petrus unb
Baulus gefüllt; εὖ find 24 Predigten in fünf Reihen
abgetheilt. Die erfte Reihe aus vier Predigten beftehend,
bat „vie Befehrung“ ber beiden Apoftel zum Gegenftanbe.
Die Predigten find von Sailer, Schwäbl, Fürft Alerander
Hohenlohe und Weinzierl. Die zweite Reihe gleichfalls
vier Predigten enthaltend — befpricht „Die Feier bes
Gedächtnißtages der beiden Apoftelfürften.“ Die
Verfaſſer ſind Veith, Saffenreuter, Dinkel und Beer. Die
dritte Reihe hat zum Gegenſtande: „die Kirche Jeſu Chriſti
auf Erden“ in 3 Predigten, von N. Weis, A. Guͤgler,
S. Pletz. Die vierte mit adjt Predigten (Mad, Schloͤr,
Ziegler, 2üft, Riffel 2, Dür, Bode) „nen Brimat bet
beit. Vetrus“; bie fünfte „nass Bekenntniß des
Vrchignwerh. 637
driftlidjen Glaubens“ mit fünf Prebigten von 5ηῇ,
Sailer, 9Reríg und Eberl. —
Die Methode, welche in biefen Predigten beobatotat
(ft, muß bei der Mannigfaltigfeit des Stoffes unb bei bet
9B erfchiedenheit ter Verfaſſer eine verfchiedene feyn. Die
Einen nehmen die bifdliche Darftelung des Heiligen mit
den einzelnen Attribnten zur Unterlage ihrer Predigt, wie
beim BI. Aloyfius bie ilie, das Grucifir, das Ordens⸗
gewand nebft Geißel und Sornenfroue und den Todtens
ſchaͤdel, und fuden an ſolchen äußern Vehikeln das Leben
des Heiligen erbaulich und für bte Zuhörer nupbringend
darzuftellen. So wird auch die Heiligkeit des Antonius
von Padua fennbar und anfchaulich gemacht an feinem
Bildniffe, indem darauf Binbeute bie weiße ille, das ge
fchlofiene Buch und das Sefuéfinb. Andere geben zuerfl
einen Eurzen Umriß der äußern Verhaͤltniſſe, in welchen
‚der Heilige gelebt, und zeigen bann, wie blefer oder jener
in feinen ihm eigenthümlichen Verhäftniffen für das Heil
feiner und anderer Seelen geeifert habe 3. B. giguort ;
ober führen im erften Theile das Leben, Wirken und Sterben
des Helligen vor, um im zweiten Theile bie entfpredenben
Lehrftüde für bie Gläubigen abzuleiten; ober (le orbnen
den Stoff gerade nad) den einzelnen Lebensperioden - be8
Heiligen, 3. Ὁ. bei Suidbertus, bei dem 1. feine Jugend
unb fein Klofterleben, 2. fein apoftolifehes bifchöfliches Amt
unb 3. fein feliger Tod betrachtet wird. Solche Mannig⸗
faltigfeit in der Behandlung des Stoffes ift eine treffliche
Vorſchule für ben Prediger und wird ihn bei ernftem und
aufmerffamem Studium gewiß jeberzeit die rechte WBeife
und Methode finden laffen.
Da nad bem Willen der Kirche die Gläubigen durch
638 Vredigtwerle
bie Heiligenfeſte zu gleichem Eifer in ber Nachfolge Ehrifi
angefeuert werben follen, fo wird über ben großen Werth
und 9tugen guter eiligenprebigten überall Fein Zweifel
feyn. Allein folche Gelegenheiten werden oft gar nicht ober
nur fo benügt, daß man im Eingange etwa ben Namen
des Heiligen nennt und einige Gfügen aus feinem Leben
beibringt, im llebrigen aber irgend ein moralifches Thema
breitfchlägt. Hungari Bat febr wohl gethan, nur folce
Predigten über Heilige aufzunehmen, „deren Leben wirklich
in ber Darftelung erzählt und nach feinem Dafürhalten
in rebnerifcher Ausführung würdig und barum mufterhaft
behandelt if.“ Indeſſen kann nicht geläugnet werben, baf
fid aud unter dieſen Heiligenpredigten manche finden, die
den Namen einer Mufterprebigt durchaus nicht verdienen.
διε ὦ hatte Hungari unter den neuern Prebigern, wenn
er nicht zu den Altern zurüdgreifen wollte, in dieſem Ge
biete nur fpärlich fließende Quellen. Dabei gebührt ihm
jedenfalls das Verdienſt, das Beflere gefammelt und ben
Publikum leichter und bequemer zugänglich gemacht zu
haben. —
Mit bem 22ften Bande beginnt die fünfte umb legte
Abtheilung der Sammlung, nämlich bie Gelegenheit#
reden. Soviel bem Referenten befannt, find don alle
Dände der Gelegenheitsreden, fünf an der Zahl, erfchienen
und ift fomit bie ganze Sammlung damit abgefchloffen.
Dem Referenten kam indeß bisher nur ber erfte Band
(QUOI Bd.) zur Hand. Diefer enthält Predigten über ben
Ablaß, Abſchiedsreden, Antrittöreden und zwar von Bi
ſchoͤſen, S3farrern und Domprebigern, Aureden bei Aufnahme
von Häretifern in bie Kirche,. bei Errichtung von einem
Dischum, bei. Biſchoſswahl und Biſchofsweihe, Predigten
Predigtwerke. 639
über die Bruderfchaften, über Eid und Meineld, Firmungs⸗
reden, Anfprachen bei der ewigen Anbetung, bei Hinrich,
tungen. Wie der Stoff biefer Gelegenbeitéreben ein ziemlich
buntes Gemifch ift, fo find fie auch felber. Ge fehlt zwar
in neuerer Zeit, feitbem man angefangen hat, bei jeder .
©elegenheit eine Standreve zu halten, nicht an Reben,
Allein da die Gelegenheiten und Anläffe, bei welchen bets
artige Anfprachen gehalten zu werden pflegen, oft mit
eigenthümlichen Umftänden begleitet find, fo machen bie
Reben gerade nur mit Rüdficht auf die bem Auge fid)
aufdringenden ober das Herz ber Zuhörer nahe berübrenben
Umftände einen bedeutenden Ginbrud, während fie ben
fenen eigenthümlichen Umftänden ferne ftebenben Leſer fat
[affen, vielleicht aud) anmwidern. Daher gefchieht e& leicht,
daß eine Gelegenbeitórebe, welche bei ber zutreffenden Ber,
anlaffung febr gut erfunden wurde, einem fpätern, nüchternen
und unbefangenen 2efer ganz unvollfonunen und mangelhaft
erfcheint. —
Wir geftehen, wir waren durch bie im erften Bande
ber Gelegenbeitéreben aufgenommenen Stüde nicht befriedigt,
fo anfehnlich auch bie Verfaſſer einzelner Predigten find.
Die Ablaßpredigten gehören im Ganzen zu den beften biefeé
Bandes, und erfchöpfen den Gegenflanb vollfánbig. Es
wäre aber bed) zu wäünfchen gewefen, bag anftatt fünf
Predigten über ben Ablaß im Allgemeinen aufzunehmen,
eine Bredigt wenigftens über eine 6efonbere Ablaßertheilung
aufgenommen worden wäre. Sn ben Predigten vun €,
Gireltb, Domdekan in St. Gallen, „neue Apologien und
Kanzelreden“ findet ft 4. 3B. eine Predigt auf das Por⸗
tiuneulafeft, die im zweiten Theil nur vom Bortiunculas
Ablaß handelt, Nebenbei (el εὖ bemerft, ba ber Bortiunculas
$48 Vredigtwerke.
Ablaß nit auf das Feſt des hi. Sram *. WIR (att,
wie Rußwurm in feiner Predigt S. 23 fagt, fonbern auf
den 2. Auguſt. Ebenfo ἰβ in der Ablaßpredigt von Helm
unrichtig bemerkt, bag durch ben Ablaß nur bie zeitlich
göttlihen Strafen nachgelafien werben; denn εὖ wer
ben aud) die Kirchenfirafen nachgelaflen, fo weit fit
poenae vindicativae find.
Am wenigften haben mir bie Abſchiedoreden zugefagt,
obgleich ihre Verfafier größtentheils fpäter in die Reihe bet
Kirchenfürften traten. Solche Mufter fónnten einen minder
geishidten Nachahmer febr irre führen. Am beften ift wohl
bie Predigt von Jais mit der befannten @intheilung:
4, 3 gebe gern von Euch, 2. ich gehe nicht gern von
Gud, Anders ausgeführt, als e& von Jais gefchehen,
und eima von einem Bicar, ber kaum ein Sabe in einer
Pfarrei wirkte, angewendet, mag fie wiberlid werben. —
Die Bfarrantrittspredigten find beffer.
Aufgefallen (ft bem Referenten, daß die Bruderſchaften
neben dem Zielen, bae ihm unnöthig aufgenommen fchien,
€ fo fihlechte Vertretung gefunden haben. Gigentlid)
handelt nur die Predigt von Zarbi von den Bruderfchaften,
und zwar nur im Allgemeinen. Die andere Predigt von
Guͤgler ift nur ein allgemeines Gerede von der chriſtlichen
fBetbruberídaft, es ift gerade wie eine Rede über bie
Bruderfchaft der chriftlichen Nächftenliebe ; denn wie burd
bie Liebe, fo follen wir als Gbriften auch durch das Gebet
verbunden ſeyn. Οὐδ gibt babet feine eigene chriftliche Bet
bruderichaft, es feo denn, bag fib einzelne Ehriften zur
Verrichtung eines befondern Gebetes zu begümmtem
Zwecke verbinden, wie des Roſenkranzes. Mich duͤnkt
48, bier wären Predigten, vole fie für einzelne heſtehende
* o 89 Eos — T-- wur vu e
Prebigtwerke: 644
Bruderſchaften und Bruderfchaftsfefte gehalten werden, nicht
übel am Platze.
Doc wir wollen bie Kritik im Einzelnen abbrechen,
fie würde zu weit führen. Bei bem mannigfachen Uns
volfommenen, das in die Sammlung einen Weg gefunden,
darf das viele Gute nicht verfannt werden, das fie hat,
Und dem Herausgeber fann das SSerbienft nicht flreitig
gemacht werden, mit vieler Mühe aus ber Maſſe des
Borhandenen dasjenige herausgelefen und gewählt zu haben,
was bei einer fo großartig angelegten Sammlung jedem
Sreunbe der homiletifchen Literatur einen leichten lleberb(id
über bie beffern Leiftungen Fatholifcher ftangelrebner Deutfch-
lands gibt, und dem gewöhnlichen Prediger ift durch bie
Darbietung fo vieler ausgearbeiteten Predigten fein Amt
erleichtert. Indeſſen, glaube ich, fann man gerade burd)
diefe Sammlung die Ueberzeugung gewinnen, daß wir bei
vielen guten und mitunter vorzüglichen Leiftungen bod)
im Ganzen auf unfere Predigtliteratur nicht zu ſtolz feyn
dürfen. Daß aber die Veranftaltung einer folden Samm⸗
lung, wie fie Hungari ausgeführt, zwedmäßig war, zeigt
ber Umſtand, dag (don mit einer zweiten Auflage begonnen
wird. Und es ift fein Zweifel, wenn H. manches minder
Gute weggelaffen und baburd bie Zahl ber Bände um
ein Bebeuitendes verringert hätte, fo wäre ber Abgang nod
größer. — |
Don der zweiten Auflage find bereità 4 Bände in
unfern Händen (fiehe oben nr. 2.) Der Herausgeber fcheint
aber gerade entgegengefegter Anficht von uns zu feyn.
Wir hätten eine genauere Ausfcheidung ber Predigten ges
wänfcht, er aber projectirt bie Aufnahme von noch mehr
Bredigten, als fid) im ber erften Auflage fanden. Die
642 Vre digtwerke.
neue Auflage ſoll wieder aus 5 Abtheilungen beſtehen.
Die erſte Abtheilung fol in 6 Bänden Predigten auf bie
Siete des Herrn, die zweite Abtheilung in 4 Bänden
Predigten auf bie Sefte der feligften Jungfrau Maria, die
dritte Abtheilung in 10 Bänden Predigten auf: alle Sonn⸗
tage, bie vierte Abtheilung in 4 Bänden Predigten auf
bie efte der Heiligen Gottes, bie fünfte Abtheilung in
6 Bänden Gelegenbeitéprebigten enthalten. Das Ganze
würde fomit 30 Bände umfaflen, 4 mehr ald bie erfte
Auflage. Wir hätten gegen biefe Bermehrung nichts, wenn
nicht ebenbaburd) Mancher, ber biefe nugbare Prebigts
fammlung wünfchte und brauchte, von ber ?infdjaffung
berfelben zurüdgefchredt würde, —
Daß die zweite Auflage nicht bloß ein 9 bbrud ber
erften werden wird, ober daß nicht bloß weitere Predigten
angehängt ‚werben, fieht man aus. den erften vier Bänden.
(ὁ ift eine andere pafjenbere Stellung der Predigten nebft
ihrer Vermehrung bei den einzelnen Feſten vorgenommen
worden. So find im erften Bande ber zweiten Auflage
bie Predigten auf das feft des heiligen Stephanus weg:
gelaffen, wahricheinlih um fie in bie vierte Abtheilung
aufzunehmen, wohin (te auch gehören. Dagegen find „Ans
reden in ber bl. Ehriftnacht“ aufgenommen. Die Predigten
find aber ber Art vermehrt, daß in ber zweiten Auflage
bei den Hauptfeften gewöhnlich wenigfiens nod) fo viel
Predigten fid) finden als in ber erften Auflage. Auf das
Weihnachtsfeſt waren in der erften Auflage 12 Predigten,
in ber zweiten 25; auf den Schlußabend des bürgerlichen
Jahres in der erften Auflage B, in der zweiten 18 u. f. f.
Die Predigten der erften Auflage wurden mit wenigen
Ausnahmen beibehalten, unb benfelben nur neue in zweds
Predigtwerke. 643
mäßigerer Aneinanderreihung beigefügt. Bei den Weib:
nachtöpredigten ijt eine Predigt von Halver weggelaffen,
die in der erften Auflage einen Platz gefunden hatte, und
bie imferó Erachtens neben den Neuaufgenommenen ihren
Platz wohl mod) hätte behaupten fónnen.
Die vorhandenen vier Bände der zweiten Auflage
umfaffen beinahe alle Sefte des Herrn, indem fie mit bem
Dreifaltigkeitsfeft fchließen, und es erübrigen für bie zwei
weitern Bände biefer Abtheilung nur nod) das Fronleich⸗
naméfeft, das Feſt des Herzens Sefu umd Kreuzerhoͤhung,
wenn der Herausgeber nicht noch Anderes herbeizieht.
Was das Materielle biefer neuen Auflage ‚anbelangt,
fo laͤßt fid) über dafjelbe nicht viel Neues fagen. (δ gilt
davon, was in biefen Blättern [ὦσι des Deftern von der
erften Auflage gefagt worden if. Man muß zugeftehen,
daß fi H. unverprofien eine große Mühe gibt, das
Befte in unferer Prebigtliteratur zufammenzuftellen, und
wenn er nicht mehr Vorzügliches zu bieten vermag, fo ift
er nicht Schuld daran. Während in ber erften Auflage
Arbeiten von 478: Berfaflern mitgetbeilt wurden, fol in
der zweiten die Anzahl berfefben um ein Sebeutenbeó vers
mebrt werben; auch „vorzügliche“ Orginalarbeiten follen
bereit liegen. |
ML Förfter Bat als Prediger bereits einen folchen
Ramen in Deutfchland, bag eine Gefammtausgabe feiner
SBrebigtioerfe wohl gerathen fchien. Als erfter und zweiter
Band zu biefer Sammlung erfchienen „bie Seltprebigten*
oder „der Ruf der Kirche in ber Gegenwart ).* As
Fortfetzung reiht fid) an biefelben an bie zweite Ausgabe
1) Vrgl. Quartalſchrift 1848. p. 691.
Thesl. Duartal[rift. 1950. IV. eft. 42
Bad ffrebighyerty.
von ben oben bezeichneten Sonntagäprebigten. In erfier
Wuffage erfchienen fie im 3. 1843. Diefe Predigten gehören
unbeftreitbar zu dem Beften, was die neuere deutfche Pre⸗
digtliteratur aufzuweifen hat. Er vereinigt einen erhabenen
Schwung und eine fteté edle Haltung der Rebe mit wünfchens-
wettber Bopularität. Hiefür nur ein Beifpiel 3b. I p.
336: „daß unfer Lebensweg ein Weg ifl in den Tod, wie
Zefu Hingang nad) Serufafem ein Weg war in ben Tod,
daß jeder Tag uns dem Ende unferd Erdenſeyns zuführt,
dag wir mit jeder Stunde bem Grabe näher kommen,
wiffet Ihr Ale, meine Geliebten! Unaufhoͤrlich fcheiden
Sreunde unb. Mitmenfchen aus unfern Kreifen. Täglich
bringt ber Ton ber Sterbeglode an unfer Ohr. An die
Pforten der Hütten und Paläfte pocht des Todes falte
Hand. Aus den Reihen der Kinder und Greife holt er
feine Opfer. Daß wir aber unfere Aufmerkfamfeit von
dieſen fteten. Tobeömahnungen twegwenden, daß wir über
bie zunehmende Nähe unferes Scheidens uns ſelbſt täufdhen,
bag wir von ber Wahrheit: unfer Lebensweg ἰβ ein Weg
qum Tode, fchüchtern uns abfefren wie ſolche, bie zu ihr
in feiner Beziehung ftehen: das ändert in ihr ſelbſt nichts.
Die Zeit flieht barum: nicht langfamer dahin, weil wir
ihre Flucht nicht gewahren. Die ellenben Stunden reißen
uns nicht weniger fchnell mit fort, weil voir ihre Schnelle
nicht achten. Wir kommen barum nicht eine Minute fpdter
an das Ziel, weil wir von biefem Ziele nicht mifen
mögen. Ja ich fage Euch, der Sob wird uns um fo
ſchrecklicher erſcheinen, je plöglicher er fommt, unb je uns
vorbereiteter er uns findet. Darum fagt der hi. Gregor
von Sipffa: „Das Leben des wo Ehriften iR ein fleter
Topeögedanfe.“ —
4
v
Bald iſt e$ der rubige und einfache Ton ber 8e
wachtung, bald ift es ein fireng logiſches aber babel lebendiges
Deduciren und Dialeetifiren, um zu belehren unb zu über
zeugen, bald ift εὖ ber Ausdrud der Begeifterung, um
ju erregen und mit fortzureißen. Die SBrebigten Foͤrſters
ſtnd rheterifch fo gelungen, wie wir unter ben neuern
Deutſchen Wenige beflgen. Der Schwung ber Rede ver
leitet ihn aber bie und da zu Rebefiguren und Wortftellungen,
bie etwas gefucht und affertirt erfcheinen fónnen. So
beruͤhrt bie ziemlich herrfchende Gewohnheit ben Beſtimmungs⸗
Caſus (Genetiv) vor das zu beftimmende Hauptwort zu
fegen 3. DB. „des Adventes heil. Wartezeit,“ ein einfaches
Ohr unangenehm. —
Indeſſen kann man ifm nicht nachfagen, daß er bloß
verba facere wolle, unb fid) begnüge, bloß mit Worten
einen hohen Klug zu nehmen, fondern feine Gedanken
entfprechen ben Worten. Er weiß in ber Regel das Thema,
baé er fid) fiellt, febr gut zu disponiren, und, treffend
auszuführen. Neben einer großen Gewanbiheit in Sprache
unb Ausdrud ftebt ihm ein großer Vorrath von Gebanfen
nad Ideen, eine genaue Belanntfchaft ber bi. Schrift unb
wohl aud) der Väter zu Glebot, obwohl er lehtere feltener
anzieht. Bis zum. Schlufle weiß er den Zuhörer durch ben
- fchönen und geordneten Gang der Entwidlung. und geift
Teide intrefjamte Behandlung in Spannung zu erhalten.
A6 wird zwar nicht jeder Prediger einen unmittelbaren
Gebrauch von tiefen Predigten machen können, ba Be
nit einer jeden Individualität angeben; aber junge Bro
diger werben. durch das Studium berfelben zu.ihrer eigenen
Ausbildung unzweifelhaft viel gewinnen. —
Zum Schluffe bemerfe ish. nody ing birfe zweite Auf⸗
42*
648 Vredigtwerkr
lage bet fonntäglichen Predigten im Weſentlichen ein uns
veränderter Abdruck der erften Auflage ig, ba der Berf.
zu einer durchgreifenden Umaͤnderung feine. Muße hatte.
Aehnliches findet auch ftatt
IV. „bei ben Homilien auf bie Sonntage bes
fathol. ftirdenjabresC, welche in ber Gefammtausgabe
ben 5ten und 6ten Band bilden. Die erfte Auflage war
erfchienen im 3. 1845 1). Die Vorzüge, bie wir an ben
Bredigten Förfters herausgehoben, gelten aud) in ihrer
Art von feinen Homilien. Diefe Homilien gehören zur
Klaffe ber fogenannten Homilien höherer Art. G6 if
außer aller Frage, daß derartige homiletiiche Vorträge
fruchtbringender gemacht werben können ale Prebigtvorträge
nach firengen Regeln und es ift febr zu wünfden, baf
Prediger, welche öfters vor ihrer Gemeinde zu erfcheinen
haben, abwechfeln möchten. Die vorliegenden Homilien
von Förfter gehören entſchieden zum Beften, was in biefer
Art erzeugt worden ift. Eine fehöne Darftelung, logifche
natürliche Aneinanderreihbung, flare anregende Ausführungen
zeichnen dieſe Homilien aue.
Bevor er an bie Gruirung eines Themas aus ber
fBericope geht, fucht er den Zuhörer recht lebendig an ben
Ὅτι des Vorgangs, bet im berfelben befprochen wird, zu
verfegen, eine Berfahrungsweife, bie fchon ber bf. Ignatius
bei feinen geiſtlichen Uebungen dringend empfiehlt. Wie
meifterhaft Foͤr ſter dieſes verftebt, zeige nur ein Beifpiel,
Bd. II. p. 164: „Es gefchah aber, fo erzählt ber Goangelift,
als fie babingogen, daß Sefu& in einen Zleden fam. Den
Flecken fennen wir, er heißt Bethanien, eine Stunde von
1) Quartalſchrift 1846, p. 680.
Predigtwerke 647
Serufalem, auf ber andern Seite des Delbergs gegen
Morgen hin. Dort wohnte ber Feine Gefchwifterfreis, in
welchen das Evangelium uns einführt. Die Genoffenfchaft
fóeint nur aus drei Perfonen befanden zu haben, aus
einem Bruder und zwei Schweftern, Lazarus den Bruder
lernen wir erft fpäter fennen, ald des Meifters Machtwort
ihn vom Tode erwedte. Mit den beiden Schweftern bes
freundet uns der heutige Schriftabfchnitt. Martha, die
Aeltere, leitet das Hauswefen, und ift wohl die eigentliche
Berwalterin der Heinen Wirthſchaft. Maria, bie Jüngere
geht ihr dabei zur Hand. Beide lieben den Meifter, unb
ber Meifter liebte Martha und ihre Schwefler und den
Lazarus, erzählt uns Johannes und mochte wohl während
den Feftzeiten, wenn er Serufalem befuchte, gern bei ben
frommen Schweftern herbergen, wie einft Elias bei ber
armen Wittwe zu Sarepta, und ΘΙ ἀπὸ bei ber reichen
Sunamitin u. f. w.“ —
Bon ber Art und Weife, wie fchön unb einfach der .
Berfaffer feine Themate erhebt, will ich ein Beifpiel ans
führen, 98b. II p. 219: „Ein Reich, ein Königreich,
ein Himmelreich nennt Sefuó. feine heilige Kirche, unb
wie bezeichnend find biefe Namen. Ein Reich ift ble
Kirche, denn fie umfaßt nicht, wie eine Bamilie ober eine
bloße Gefellfchaft nur einen engen Kreis, fie umfaßt Mil
lionen; fie erftredt fi) nicht bloß über ben einen ober
andern Landftrich, fle dehnt über die Welt fib aus, in
ihr wird nicht gewaltet und gemirft nad) 9Billfür unb
Laune, εὖ find heilige Vorfchriften, es find göttliche Glefepe,
denen dieſes Reiches Glieder gehorchen.
Ein Königreich ift bie Kirche, denn Ehriftus ig
der König, ber fie weihend und fegnenb regiert; der auch
848 Peebigterie.
unſichtbar durch ſeinen ſichtbaren Stellvertreter auf Erden
die Einheit bewahrt; der durch ſeine Apoſtel und ihre
Nachfolger die Gemeinden leitet, der durch die, welche er
geſendet hat, wie ihn der Vater geſendet, ſeine Heilsgaben
austheilt. —
Gin Himmelreih ift ble Kirche, ben für ben
Himmel arbeitet fie, zum Himmel führt fie, im Himmel
weift fie das Ziel nach, dem alle ihre Beitrebungen ge
widmet find, unb verbeißt dort ewige Triumphe allen
denen, die fchon hier auf Erden wandeln, gleich als wie
im Himmel.
Wie Gott die Menſchen zu dieſem Reiche eingeladen,
wie fie fid) als Geladene bezeigt haben, und tweiche Folgen
dieſes Bezeigen habe — das, m. Gel., ſtellt uns das
heutige Evangelium dar, wenn wir es in ſeinen einzelnen
Theilen uns vorführen und mit Aufmerkſamkeit betrachten.“ —
Eine befonders fchöne Stofferhebung für bie Homilie
findet fij auch Bd. IL p. 106, wo er nad) einer kurzen
treffenden Einleitung fagt: „Die Hauptpuntte des Evans
geliums habe ich Euch bereits bezeichnet, fie find aud) bit
Hauptpunfte unferer Betrachtung :
Jeſu Weinen, Sefu Klagen, Jeſu Strafen, fol uns
beute den Stoff bieten für unfer Nachdenten, den Gegen
Rand für unfre Erbauung, ben Quell für ben Segen
u. f. o. * —
Wie bie Siufflellung ber Betrachtungspunfte aus ben
Slericopen beinahe durchgängig fehr treffend unb ‚gut ift
fe ift es dann nicht minder die Ausführung derfelben.
Darum trage id) fein SDebenfen, fie jedem Seelforger ju
empfeblen, der zugleich das Predigtamt zu verwalten bat,
wm fid an ihnen gu büben und fich zu gewöhnen, ftat
Prodigtwerke. 649
immer wieberfehrenber trodener Abhandlungen über laͤngſt
breitgefchlagene Prebigtihemate bie unb da auch eine nutz⸗
bringenbe Homilie über bie einfchlägige Evangelien, Bericope
ober nach -Umftänden auch über die Epiftel zu halten. —
V. Das Jahr 1848 war in feinem Ablaufe ein inhalt
ſchweres und folgenreiches, εὖ i daher gewiß nicht unpaffenb,
wenn ein Prediger von ber heiligen Warte aus am Schluffe
befielben einen kleinen Um⸗ und Rüdblid thut, denn fo
weltlih auch das Treiben jenes genannten Jahres war,
bietet e$ bod) bem chriftlichen und bem Eirchlichen Befchauer
manche Seiten zur Betrachtung dar. Eine folche Betrach⸗
tung angeftelt von einem Manne wie Foͤrſter, ber mit
flatem Geiſte mitten -in ben Bewegungen des Jahres 1848
barinftanb, ift doppelt interefjant. Und in ber That if
biefe einzelne Predigt wie ein Zeugniß feiner großen Redner⸗
gabe, fo ein Beweis feiner tiefen Einficht in die ganzen
Zeitverhältnifie. Wie er auf der einen Seite ble Schäden
der vorausgehenden Regierungsmarimen nicht verhehlt, bei
denen bie Abficht ber Wächter auf den Zinnen des alten
Stantegebäudes nicht unklar war, bie Fatholifche Kirche
in ihren Grundfeften zu erfchüttern und auf ihren Zrüms
mern das Babel einer neuen Allerweltsreligion zu gründen,
fo tabelt er eben fo offen das ungeflümme, unflare und"
in feinen Elementen vielfach unreine Vorwaͤrtsdraͤngen bet
Umfturgmänner. Rüdblidend auf die Bewegungen des
Sabre und auf bie in demſelben vielgebrauchten PBhrafen,
gibt et auf bie Fragen: find wir freier geworben ? find
wir einiger geworden? find wir wohlhabender geworden ?
fub wir weifer geworden € find wir glüdlicher geworben ?
furze aus dem Sachverhalt gefchöpfte ſchneidende Antworten.
Borwärts blidend in bie Sufunft hat er wenig Sroft:
858 Predigtwerke,
„Wo bie Grunblagen des Chriſtenthums, der Glaube, [ὁ
lange: Zeit hindurch untergraben, wo bie Yundamente
wahrer Sittlichfeit (o tief erfchüttert, wo bie Begriffe von
Wahrheit und Recht fo gewaltig verwirrt, wo das Bers
trauen ringsum fo gar gelähmt, wo alles Eigenthum, alle
Ordnungen, id möchte fagen, alle bisher beftanbenen
Berhältniffe fo in trage geftellt find, da leidet bie Geſell⸗
fdjaft an einer Krankheit, vie fid durch feine fompatbetifchen
Mittel und feine Zauberjprüche befchwören läßt, das Uebel
nimmt feinen natütliden Verlauf und muß ihn nehmen,
foll anders eine wirfliche Genefung je wieberfehren; ber
Körper muß alle bie Krämpfe, bie Schmerzen, bie Spe
rationen leiden, durch bie der Gang der Sranfbeit ihn
hindurchführt u. f. w.“ — Eine fichere Ausficht bietet ihm
für ben Augenblid nur die Kirche unb ber Gíaube in ihr:
„So, meine Brüder und Schweftern im Herrn! fehen wir
in der dunfeln Zukunft — in die wir heute binübertreten aus
bem alten, (deren, prüfungéreiden Jahre — nur Einen
fier Hafen, die Kirche, nur Einen fichern Stab, ihren
Glauben, und nur Eine fichere Leuchte, ihr Evangelium.“ —
VI. Die Reden, bie unter Ar. 6 oben aufgeführt find,
zerfallen wefentlich in amet Theile ober in zwei von eins
ander unterfchievene Reihen. Beide find zwar apologetifcher
Katur, unterfcheiden fid aber baburd) von einander, daß
bie erfte Reihe von Reden (bie erften zehn) gegen den
Deutfchkatholicismus als eine beftimmte Form ber Uns ober
MWiderfirchlichfeit gerichtet find, bie zweite Reihe dagegen,
bie wieder aus zehn Reven befteht, derartige Wahrheiten
zum Borwurfe genommen Dat, bie an ber Eatholifchen
Kirche zu verfchiedenen Zeiten und auf ver(dyiebene Weife
überhaupt angefochten zu werben pflegten.
Vrebigtwerke. 651
Man fónnte glauben, es {εἰ ein gang unnäthiges
Unternehmen, jebt noch gegen einen Deutſchkatholicismus
fechten zu wollen, ba er bereits überall, wo er auch ein
wenig aufgefladert bat, wieder vollftändig erlofchen ift und
fd) tit» und lebensunfähig erwiefen hat. Allein in Wien
ſchien er im Jahre 1848 ein neues Leben gewinnen zu
wollen, und ed war Zeit, daß die Wächter 3ioné. fid)
regten. Möchte aud) uns, bie wir bie genannte Gecte
[ἀπο als verfchollen anzufehen gewohnt find, eine gewoͤhn⸗
liche Widerlegung , {εἰ e& in einer Abhandlung ober in
Reden, ohne Snterefje fein, fo Tann es die vorliegende
nicht, denn fie Bat fo viele anziehende Eigenthuͤmlichkeiten
und Vorzüge, daß Niemand gerne δα Buch aus der Hand
legen wird, ohne bie zehn Reden gegen bie Deutfchfathos
titen zu Ende gelefen zu haben. Der Berfaffer. behanbelt
ben fonft fo abgedrofchenen Gegenftand mit fo viel Geift,
Witz unb Gemüth, daß man von dem Effect oft überrafcht
ift. Er bat nicht unmwahr gefprochen, wenn er in bet -
Ginfeitungérebe fagt: „Die Perfon und ihr Recht {εἰ une
unantaftbar, bie Perfon darf uns nichts angeben ; bie Ber»
fonen fónnen ganz gute Menfchen fein, (eine verzeibliche
eaptatio benevolentiae in der bortmaligen age) und irgend
eine Weberzgeugung ift. mir immer noch lieber, als gar
feine; ein irgenwie fließendes Wafler lieber ale ein —
Sumpf; aber mit ber Sache if6 was Andere. An ben
Rock des Deutfchkatholifen rühre feinen Singer, aber ber
Lehre — Deutfchfatholicismus genannt, — der ziehen wir
den ttügerifdjen Bub ihrer Lappen fehonungstos herab; —
ben hohlen, inhaltslofen Deutſchkatholicismus felbft, dieſes
angebliche Gefaͤß voll Weisheit, diefen Kürbis, ben
fpalten, beh zerfegen wir, fo gut mir' nut im Stande
633 Perbigtiserke,
ind; das Weſen des Deutfchlatholicismus ſelbſt, daß hauen
wir, fo gut wir immer können, in die Pfanne.“ —
Der Berfaffer macht ſich zuerfi die Punkte Har, um
bie es fid) beim Deutſchkatholicismus handelt, unb auf bie
legterer. fein Hauptgewicht legt. Bor Allem ig εὖ bet
Blaube unb ber Glaubenógrunb, die Satanglogie, die
Kirchenfprache, ver Bibelgebraucdh, Bergleichung des Deutſch⸗
katholicismus mit dem Heidenthume, unb die gefährlichen
Gonfequenzen befjelben u. a., worüber er ben Deutfchkatholis
eismus zur Rede felit, und in. feiner Erbärmlichfeit dar⸗
ſtellt. Oft iſt e. nur eine derbe humoriftiiche Wendung,
bie flatt eines weitläufigen trodenen Beweiſes niederfchlägt,
4. Ὁ. p. 26: „Die SBernunft fo läßt er ben deutſchkatholi⸗
schen Dogmatiter fprechen, „bat ben vollen Erweis Gottes,
t6 braucht dazu nichts ale die Vernunft; — diefen Beweis
muß (id aber ein Jeder felber fuden. Es fann aber auch
gefchehen, daß mancher diefen Beweis nicht findet, ober
daß ihm mitunter ber Faden diefer Bernunftficherheit aus⸗
geht; das thut aber gar nichts; ein folcher Tann ſchon mit
dem Spinnefaden Ahnung zufrieden fein. Und fraft
biefer Ahnung und Schwanung glaubt er tapfer darauf
[οὐ und glaubt ὦ in bie Sicherheit hinein, das nennen
wir dann die Anwendung des Menfchenverfan,
des auf ben Gíauben, und das iR unfer Slaw
bensprincip. — Die Indianer in Amerika gerben ble
Haͤute des erlegten Großwildes mit beffen eigenem Hirn;
jo haben wir jest das Giaubenéprincip jenes Büchleine
wit feinem eigenen Hirn, mit feinem eigenen Geifte kritiſch
gegerbt.“ Folgender Beweis gegen bie leere SBetnunfte
religion ift gewiß treffend p. 30: „Run macht e& aber ber
Dentfihlatholiciemus mit der Vernunft feines Jüngere fo,
Br 3 653
wie εὖ einft Jemand mit einem Bettler machte, ber ihn
angefprochen batte. — Wie, rief er, bu betle(ft * bab, weißt
bu nicht, daß bu von Rechtswegen fo reich δ} als ber
Reichfte; zweifle nicht, ihr armen Wichte feib lauter geborne
Midionäre, lautet geborne Könige. So fprach ber Manu
- amb ging weiter. Sn ähnlicher Weife fpricht ber Deutſch⸗
latholicismus: Laß bir an deiner Vernunft genügen; beine
Bernunft fagt und demonftrirt bir alles, was bu brauchfl,
beine Vernunft ift eine Milliondrin, eine geborne Königin,
ift fouberain. Sobald Sie aber die fíeine Münze, ben
Pienning eined einzigen panzerfeften, gemeinfaßlichen Bes
weiſes für Gottes Dafein verlangen, fo zudt er vie Achſelm
Enspft bie (eere Tafche zu und trolít (id) weiter“ — |
Dagegen läßt er fid auch üt ausführliche Gegen,
beweife und Widerlegungen ein. DBefonders gut ift bet
Beweis von ber Ewigkeit des Böfen aus der Freiheit bet
- gefchaffenen Geifter Gott gegenüber bewiefen. Unter: An⸗
derm fagt er p. 37: „Nur Eine Ginroenbung bliebe nod)
übrig. Man könnte fagen: Sd) kann mir’s nicht benfen,
baB einem folchen unglüdfeligen Geifte nicht einmal bet
Moment femmen follte, da er zu Gott und Tugend zurüds
febren mag, zumal folche Geifler bod) ein großes Wien
haben möchten. Ich antworte auf diefe etwas fentimentale
Ginwenbung: damit iſt's noch nicht gefagt, daß ein folcher
Beift je zurüdfehren muß; ein Müffen wäre ba, wenn
feine Grfenntnig je eine über alle Befangenheit fchlechters
bing8 erhabene wäre, b. B. wenn er je fdjaute, wie Gott
(εἰδῇ ſchauet; Das wäre aber ein unendlihes Schauen.
Das des endlichen Geiftes bleibt aber immer und ewig
nut ein endliches, befchränftes.* —
„Ich antworte zweitens: in bem Grabe, als Kraft
654 Vredigtwerle.
und Wiſſen groß und groͤßer ſind, mag leichtlich auch die
Macht der Verſuchung und das Wagniß groß ſein und
‚größer, als wir in unſerm leiblichen Stande jegt ahnen
Sonnen. Ein Wink hierüber könnte uns jene Stelle des
9, 3. fein, bie ba redet von einem Attentate ver Engel
gegen Gott, zu welchem fie Hoffart, b. i. geiftige, viel;
leicht fauftifche, aber in noch ganz höherem, ungefannten
Maaße — fauftifche Ueberhebung trieb. *
» Sd) antworte drittens: wie ift εὖ faum zu bezweifeln,
ba je länger ber Fall, befto tiefer ber Fall, aud) die
Kraft zum Guten von Stufe zu Stufe binab ermattet,
dagegen bie im Boͤſen fort umb fort geübte Kraft an
Schärfe und-Hartnädigfeit gewinnt, zumal e& aud) drüben
im Reiche der Geifter es geben muß eine Aflociation ber
Geifter zum Böfen wie zum Guten. Endlich fagt bie
Kirche nirgends: der legte Grund, warum es für den
Teufel nicht 9tüdfebr und Rettung gebe, liegt in @ott,
liegt im Verdammungsakt Gottes; fie fagt nicht: biefer
fBerbammungéaft muß aufrecht erhalten werben , felbft wenn
ber Verdammte fid) beflern fónnte. und wollte. ... Die
Kirche fagt: es gibt einen Zuſtand des gefchaffenen
Geiſtes, ber ba macht, daß Gott, ber auch mit feiner
Gnade Haus hält, biefe Gnade jenem Geift nicht länger
anträgt, fonbern den Geift fid) fefbft überläßt. Und jener
Suftanb biefeó Geiftes ift ein folcher, ber ba zwar nicht
abfolut unb im Geifte ſelbſt unmöglich macht bie 9tüdfebr
zu Gott, ber wohl aber die 9tidtrüdfebr und ben Fall
ohne Ende vor Gott vorausfichtlih und faftifd gewiß
macht, u. f. 19. * — Go ift auch ber Beweis für die Gott;
feit Chriſti p. 97 fg. fer populär und fchlagend. Die
Reden find voll berber Hammerfrhläge gegen ben Deutſch⸗
Prebigtwerke. 655
katholiciomus, bie mit tiefer Einficht in die befprochene
Materie und oft mit treffendem Humor geführt werben.
Dabei muß man es dem Wiener fdjon zu gute halten,
wenn er einige Wiener⸗Witze mit unterlaufen läßt, bie fid)
auf ber Kanzel eigenthHümlich ausnehmen mögen, 3. 9B.
„ven Deutfchlatholicismus von ber Zinne des Fatholifchen
Kirchthums mit dem Storchenfchnabel bemefien,“ „daß er
gegenüber dem Deutfchfatholicismus vor Luther den Hut
ziehe,“ „die Eindliche Hoffart jener Jahre, wo der Menfch
nod) alle Tage ein paar Sadtücher braucht,“ „pie Kirche
fei auch ein Marfchall Borwärts“ unb der Schluß einer
Rede p. 52: „Indem ich zurüdfehe auf bie Nichtigkeit
dieſes Büchleins vom Anfang bis zu Ende, fällt mir eine
öffentliche Difputation ein, die in dem fiebzehnten abt»
hundert in der Pfalz zwifchen einem Sefuiten und einem
proteftantifchen Gotteögelehrten ftattfand. Diefer ganze
Difput fcheiterte an ber (rage: Hat er gewedelt oder hat
er nicht gewebelt? Es war eben bie Rede von dem Hunde
des Tobias in der Bibel. So geiftreichen Inhalts fcheint
mir das ganze Büchlein ; — e8 hat eben gewebelt. Amen.“ —
Die legten. zehn Reden über das katholiſche Kirchthum
überhaupt find zwar voll fchöner, kräftiger, wahrer Ges
banfen, unb bie redneriſche Darftellung ift gelungen bie
auf bie legte Rede p. 236 — 272, welche faft in eine Ab»
handlung ausläuft. Deflenungeachtet haben fie bod den»
günftigen Eindruck nicht gemacht wie ble zehn erften Reben.
Die Zurüdführung des prophetifchen Amtes in der Kirche
auf ihre Grfenntniffraft, des priefterlichen auf ihre Willens»
fraft, und des Föniglichen auf ihre Gemütbefeite fcheint
befondera in Kanzelreden etwas gefucht, obgleich die Durchs
führung als geiftteid und tief eingehend anerfannt werden
558 Beetgtwerke.
muß. Befonders ift die Bedeutung des Priefterihums in
der fatb. Kirche febr tief und fdón aufgefaßt und bar;
geſtellt. —
„Die Fresken aus dem Kreuggange“ find nod) eine
fhöne Zugabe, darin beflebenb, bag an jede der vierzehn
Stationen eine flete Betrachtung in ber Beith’fchen Manier
angehängt ift. |
Tadelnswerth ift, daß der Berf. fo viele Fremdwoͤrter
gebraucht, bie bei Kanzelreden niemals gut fteben, und
auch für ben Sall nicht zu billigen find, wenn er vor
fauter Studenten gefprochen haben follte, was aber nicht
anzunehmen ift. Ueberhaupt bürften fid) bie Reden gegen
Deutfchfatholiciemus bei aller Trefflichkeit wegen bes nicht
felten etwas Boffirlichen mehr für eine Berfammlung in einem
Saale, als auf bie Kanzel eignen.
Die Ausftattung und ber Drud find fehr fchön. —
VIL. Die oben aufgeführte homiletiſche 9lebrentefe von
Zorzet hat, obgleich von demfelben Drte ausgehend, bod
einen ganz andern Gfarafter, als bie vorausgehende Samm⸗
tung, nicht nur in ber Auswahl des Stoffes, fondern in
der ganzen Darſtellungsweiſe. Während bei Gärtner in
der Darftellung alles Iebendig und durch Herbeijichung
von heiterm und ernftem Material aus dem gewöhnlichen
Leben und aus der Geſchichte frif und bunt iR, bewegt
uch Zoezek ruhig und gemeffen vorwärts und nimmt nur
Me und da einen Heinen Aufſchwung zu gehobener Sprache.
Er fprid)t dieſes aud) als Girunbíag für den chriflichen
fBrebiger aus in feiner Vorrede p. VI: „Wer nicht nad
der gleißenden Schale, wer nad bem gefunden Fräftigen
‚Kerne. verlangt, der wirb fid) gerne an bie. alte, gefunbt,
kernvolle Sprache bea Alterthums Halten, unb dieſes meli
Kredbigtwerke. 657
aud) ber fRerfaffer vorliegenter Predigten feinen geneigten
Zuhörern unb wohlmeinenden Leſern barbieten. Ein Wels
tereö hierüber findet ber wohlwollende Beurtheifer diefer
ungefünftelten, einfachen, homiletifchen Ausarbeitungen in
ber Predigt für ben erften Adventfonntag, welche er zu⸗
gleich ala Vorrede zu biefer homiletifchen 9febrentefe anzus
feben bitte.“ — Ä
Wir find auch damit einverflanden, daß bie Ber;
kündigung des göttlichen Wortes fo einfach als möglich,
aber dabei fráftig und eindringlich fei, wir find namentlich
damit einverftanden gegenüber jener Predigtweiſe, welche in
tchönen Phraſen und bochtrabenden Ausdrücken unbefümmert
um Gedanken und Wiedergabe des göttlichen Wortes ibr
Sauptverbienft fucht. Dagegen fann man es bod) nicht
verwerflich finden, wenn der Eine je nach feiner Indivi⸗
dualität einen mehr oratorifchen Fluß unb erhabenere Sprache
bat οἵδ der Andere, wenn er nur das Wort Gottes in
feiner Kraft und Wahrheit wiedergibt. —
Was unfere Predigten anbelangt, fo haben fte bei
aller. Einfachheit und id) möchte fagen bei der faft zu ab»
ſtrakten Darftelungsweife einen gebiegenen, fräftigen und
firchlichen Gharafter. Sie find gebanfenreid) und ganz
auf bem biblischen runde des göttlichen Wortes aufgebaut.
Sa bie SBenügung biblifcher Stellen ift fo reichlih, daß
man auf mancher Seite nur eine Bibelftelle an ble andere
gereiht findet; ebenfo find auch bie Väter bemügt. Im
einigen Predigten macht der Tert der Bibel⸗ und Bäten
ſtellen bei weitem mehr aus, als was ber Verfaſſer zu ihrer
fBerbinbung und Aneinanderreihung gefagt hat. Wenn bie
angeführten Stellen auch meiftens gut unb zutreffend find, fo -
läßt fi Boch ein gewiſſes Haſchen darnach nicht verkennen. —
658 Prebigiwerke.
Der Heraudgeber feheint bei feiner Sammlung feinen
beftimmten Zwed verfolgt zu haben, da einige Reden auf
Sonntage, einige auf Heiligenfeſte, unb einige auf befon-
dere Beranlafjungen zugerichtet find. Die erften neun
fBrebigten gehören auf ben L IIL IV. Sonntag im Advent,
ben Sonntag in der Weihnachtsoctav, 1. u. IL. Sonntag
mad) der Erfcheinung, auf den Sonntag Septuagefimä,
Scragefimä und Quinquageſimaͤ. An diefe reihen fich
Predigten auf das (eft des h. Leopold, Landpatrons von
Deftreih, ber Heimfuchung Mariä, auf das Säcularfeft
der Einweihung der Pfarrkirche zum ἢ. Karl Borromäus,
eine Bredigt zur Eröffnung des Feſtes ber dritten Säcular-
feier ber Gründung bet ehrwuͤrdigen Urfuliner-Klofterfrauen
durch die heil. Jungfrau Angela Merict, eine Predigt zur
Eröffnung des δεβεδ der fiebenhundertjährigen Säcular-
feier (1) des Giftergienfer » Stiftes Zwettel, eine Anrede bei
der feierlichen Einfegnung einer Jubelehe, eine Brebigt am
Schluſſe der Säcularfeier der Eongregation des allerbeilig-
fen Erlöfers, endlich eine Predigt über die SBerbreitung
der fatfo(. Religion in Nordamerika. Man flebt, die
Iegtern find meiftené Ehrenprebigten, und man muß ge
fiehen, der Verfaſſer Bat. feine Sache gut gemadt. Wenn
man auch hie unb da etwas mehr Specialifirung unb In⸗
bipibualifirung wünfchen. könnte, fo haben bod) die Bor
träge, bie mehr Homilien als Predigten find, mitunter
genügend Leben und Friſche. Nur auf Eines möchte id)
aufmerffam machen, was in fpdtern Zeiten als Anachronis⸗
mus erfcheinen könnte. Die Sammlung trägt die Jahrzahl
1850 an ber Stirne; in ber Predigt auf das Feſt des
hi. Leopold nun ift p. 173 ein Preis auf die Verbältniffe
unter ber Regierung „Ferdinands des Giütigen,^ unb fo ale
P
Predigtwerke. 659
ob dieſelben bis jetzt fortdauerten. Es iſt dieſe Rede eben
vor dem Maͤrz 1848 gehalten worden, aber bei der Her⸗
ausgabe hätte es bemerkt ober die betreffende Stelle abs
geändert ‚werben follen.. Gbenjo ift p. 261 von Herrn
Alphons Liguori bie 9tebe, während er (don 11 Sabre
heilig “gefprochen ift, unb man von SHeiligen ten Titel
„Herr“ nicht paffend braucht. —
VI. Seitdem 98. v. Ketteler als Mitglied des Reiche:
tags und Bfarrer zu Hobften bie ſechs Predigten über bie
großen focialen Bragen ber Gegenwart im Dome zu Mainz
níó Gaft gehalten hat, ift er nun αἱ Biſchof daſelbſt eins
gezogen. Die Kragen aber, von denen er bortmals in
bewegter Zeit zu Mainz gefprochen, find noch nicht gelöst,
fondern fchweben noch als drohende Gefpenfter über unfern
Häuptern. Und die Worte, bie bortmaló fo günftig aufs
genommen wurden, verdienen auch jest noch gehört zu
werden; denn fie find nicht bloß von flüchtiger vorüber>
gehender Bedeutung, fondern enthalten chriftlihe Wahr-
heiten, bie nie genyg eingeprägt unb beherzigt werben
fünnen. Und Ketteler hat fie dargelegt mit einer Kraft
und Beftimmtheit, die ihres Zieles nicht verfehlen fann. —
Die zwei erften: Predigten befchäftigen fid) mit ber
fathol. Lehre vom Eigenthumsrechte. Der Berfaffer fucht
richtig bie Verwirrung in biefem Gebiete in dem Abfalle
vom Ghriftenthbume, und die Heilung nicht in den were
fdjebenen von das und dorther gemachten Borfchlägen.
„Das ift der wefentliche Unterſchied der Lehren des Chriften-
thums und ber Lehren ber Welt. Diefe hat nur dufere
Mittel, bie bie Quelle des Uebels nicht heilen fónnen, das
Chriſtenthum heilt bie Quelle des Uebels, bie Gefinnung
ber Menfchen. Nicht in der äußern Noth liegt unfer
Theol. Duarialfärift. 1860. IV. Heft. > 43
660 Predigtwerke.
ſociales Elend, ſondern in ber innern Geſinnung. Jener
waͤre leicht abzuhelfen, wenn nur die Geſinnung eine an⸗
bere wäre. Die beiden gewaltigen Seelenübel, an denen
unfere gefeligen Beziehungen franf barnieber liegen, find
theild bie unerfättliche Genuß⸗ und Habgier, theild bie
Selbſtſucht, welche bie Nächftenliebe zerftört fat. -Die
Krankheit hat bie Reichen und Armen ergriffen. Was
vermögen da Steuervertheilungen und Gparfafjen, fo lange
dieſe Geſinnung fortbefteht“ p. 26. Er führt bann im
Einzelnen ganz fchön aus, welche Ausſpruͤche Sefu ‚Chrifti
und welche Grundfäge ber Kirche die rechte Anfchauung
vom Eigenthum lehren, unb wie durch biejelbe bie Wurzeln
aller focialen Uebel in unferer Seele ausgeriffen werben
konnten. — |
Die dritte Predigt befpricht bie kathol. Lehre von ber
Freiheit des Menfchen, bie vierte von ber Beſtimmung beó
Menfchen, bie fünfte die Lehre von ber Ehe und Familie,
bie fedjóte bie von ber Wuctoritát ber Kirche. Sämmtliche
behandeln (nterefjante und für die gegenwärtige Zeit febr
beveutfame Themate; fie: find auch voll (doner, fráftiger
unb burdbringenber Gebanfen; bie Darftellung immer edel,
gewählt und ſchoͤn, unb fie dürfen deßhalb Jedermann zur
Lektüre febr empfohlen werben.
DBend el, Convietsdirector.
II.
Ahtenft id e.
Allerunterthänigfter Vortrag des Minifters des
Cultus und Unterrichts, Grafen Thun
über bie
mit den katholifchen Bifchöfen wegen Regelung der kirc-
lichen Angelegenheiten gepflogenen Werbanblungen.
Allergnädigfter Herr!
Unter ben vielen wichtigen Fragen, deren Röfung bei ber
Steugeftaltung Defterreich8 — der fihmweren aber erhabenen Auf⸗
gabe der Regierung Euerer Majeftät — nicht umgangen were
ben fann, iff ble Frage von dem Verhältniffe des Staates zur
Kirche eine der allerwichtigften, denn (te berührt bie veligiöfen
Meberzeugungen, das unantaftbare Heiligthum des Ginzelnen,
und zugleich ble gewaltigfte unb nachhaltigfte von allen Mächten,
welche den Entwidelungsgang von Völkern und Staaten bee
flimmen. Einem Zuflande innerer Auflöfung gehen Völker unb
Staaten entgegen, wo bie religiöfen LUeberzeugungen Ihre Macht
auf die Gemüther verloren haben. So Lange fie aber Macht
üben, wirken die Eischlichen Angelegenheiten vielfach, eingreifend
und unabweislich zurüd auf das bürgerliche Leben. Staat unb
Kirche haben es mit denſelben Menfchen zu thun. Die Kirche
beſtrebt fi, durch ben Einfluß ber Religion dem Gewiſſen
eine Nichtfehnur zu geben. Die Staatögemalt Hat das ernfte
Amt empfangen, die Rechtsordnung nöthigen Falls durch An⸗
werbung Außeren Zwanges zu ſchirmen. Doch wenn das Pflicht.
439
662 Altenſtuͤcke.
gefühl ihren Anoronungen nicht zur Stüße dient, fo ift ihre
Macht gelähmt. Anderer Seits bedarf ble Kirche auch äußerer
Hilfsmittel Ihrer Thaͤtigkeit, und fpricht bei Grmerbung und
Bewahrung berjeben den Schu der Gitaatégemalt an. Von
allen Seiten ber fommen daher Staat und Kirche mit einan=
der in Berührung. Ehen deßhalb muß jebe große Bewegung,
welche auf dem Gebiete des einen Theiles vor jid) gebt, ihre
Rückwirkung in den Bereich des andern erfireden, und in ber
Stellung, welche fie zu einander einnehmen, Aenderungen θεῖς
vorbringen. Auch von der Bewegung, welche Oeſterreich er»
griffen Dat, fonníe das Verhältnig be8 Staates zur Kirche
nicht unberührt bleiben. In den Tagen der Gährung murben
von verſchiedenen Seiten her Stimmen laut, welche in völlig
entgegengefehter Abficht Trennung des Staates von der Kirche
forderten, und fie find nod) nicht ganz verftummt, Allein vie
Oteglerung Euerer Majeftät, welche in dem großen Augenblide,
als (te Defterreichs neue Verfaffung in's Leben rief, alle vie
mannigfachen Wünfche und Beftrebungen mit ruhiger limflcht
zu wägen verpflichtet war, durfte nicht daran benfen, auf eine
Beftaltung einzugehen, welche in einem durchgebildeten Staats⸗
Veben niemals und nirgends zur Wahrheit geworben if. Wohl
gibt ε Länder, wo eine regelmäßige Verbindung nur zwiſchen
der Kirche und den Gemeinden, nicht aber zwifchen ber Kirche unb
ber Regierung beftebt, wo vielmehr jede Berührung zwiſchen
diefen beiden forgfältig vermieden wird, unb e8 fehlt nicht an
Vertheidigern diefer Einrichtung, ob (te gleich bie Probe bet
nad) Jahrhunderten rechnenben Gefchichte noch nirgend beftanden
fat. Mit der gefchichtlichen Gntoidfung und bem gegebenen
Zuftänden Oeſterreichs fteht fie aber jedenfalls in einem Wider:
fpruche, welcher ihre Durchführung zur Unmöglichkeit macht. Die
Beziehungen ber Regierung zur Kirche in Defterreich fünnten
nur fcheinbar für aufgehoben erklärt voerben, aber feine Macht
der Erde wäre im Stande, diefe Aufhebung in Wahrheit zu
verwirklichen. Wohl aber würde ſchon eine foldje Erklärung
einerfeits die religiöfen Angelegenheiten ber. Völker Oeſterreichs
‚namenlofer Verwirrung Preis geben, während fie anbererfelts
unvereinbar wäre mit der Aufrechthaltung mwohlerworbenener
Otedjte feiner Megenten, auf welche zu verzichten bie Megierung
Euerer Majeftät niemals rathen koͤnnte. Das begründete Bet»
langen, daß ble freiere- Bewegung, bie auf allen Gebleten zu
Altenſtücke. 663
gewähren Bebüurfniß und Nothwendigkeit war, aud) der Kirche
nicht verfagt werde, mußte daher beachtet werden, ohne doch
vorſchnell mit der Bergangenheit zu brechen und Unausführ-
bares zu verheigen. Das Patent vom 4. März 1849 verbürgte
burd) €. 2 jeder gefeßlich anerkannten Kirche und Meligiond«
gefellfchaft das Recht, ihre Angelegenheiten felbfiftánbig zu orbnen
unb zu vermalten, fo wie dad Recht der gemeinfamen öffent«
fien. Religtonsübung, und das Vereinsgeſetz entbanb die Ders
fammlungen, welche die Ausübung eines gefeglich geftatteten
Eultus zum außsfchlieglichen Gegenftanbe haben, von ben Be
ſchraͤnkungen, welche für Volksverſammlungen aufgeftellt wurden;
aber derſelbe ἢ. 2 des obigen PBatentes fprach zugleich aus, daß
jede Kirche im Beſitze und Genuffe der für ihre Eultus-, Untere
richts⸗ und Wohlthaͤtigkeitszwecke beftimmten Anftalten, Gif»
tungen und Fonde verbleibe, unb wie jede Gefellichaft den alle
gemeinen Staatögefegen unterworfen fel. Dadurch war gefeglich
feftgeftelft, daß bie Staatöregierung die Kirchen und Religions⸗
gefellfchaften als folche anerfenne und ſchützen werde. Es ij
bie Entwicklung ber firchlichen Verhältniffe auf Grundlage ihres
factifchen Beſtandes und ihrer rechtlichen Beziehungen zur Staats⸗
segierung gewahrt.
Nachdem aber Euere Majeſtät durch den $. 13 des εἴν
wähnten Batentes vom 4. März 1849 Allerhoͤchſt Ihren treus
gehorfamften Minifterrath beauftragten zur Durchführung ber
Beſtimmungen deffelben bis zum Buftanbefommen organifcher
Geſetze proviſoriſche Verordnungen zu entwerfen und Gueret
Dajeftät zur Sanction vorzulegen, fo Danbefte e8 ὦ batum,
diefem Allerhöchften Auftrage auch hinſichtlich der im $. 2 ente
baltenen Zuſicherungen nadjgufommen. Der. treugehorfamfte
Minifterrath erfannte ble Nothwendigkeit dabei vor Allen feine
Aufmerkfamkeit auf die Angelegenheiten der Eatholifchen Kirche zu
lenfen, welche die große Mehrzahl ber Defterreichifchen Staats⸗
bürger zu ihren Befennern zählt, und im ganzen Reiche für
die fittliche Grundlage des Volkslebens von ber höchflen Bes
deutung tft. Die Eirchlichen und politifchen Beziehungen waren
durch die frühere Gefeßgebung vielfach in einander verfchmolgen;
follten nicht bedenkliche Störungen eintreten, fo mußten bie
burd) δ. 2 aufgeftellten Girunbfüge auf ba8 Einzelne der bas
durch berührten Verhältniffe mit forgfamer Umſicht angewandt
werben. Ueberdieß war durch die Stellung In welcher bie. fas
664 πολ.
tholiſche Kirche Draft 6. 2 anerkannt if, die Deofinsentigfeit
gegeben, die Neugeftaltung ihres DVerhältnifjes zum Staate im
Mege ber Vereinbarung durchzuführen, Die Negierung Guerer
WMajeſtaͤt glaubte daher bem Auftrag, welcher ihr durch $. 13
des Alterhöchften Batentes vom 4. März geworben tft, hinſicht⸗
fi der katholiſchen Kirchenangelegenheiten nicht erfüllen zu
tönnen, bevor fie fij nicht mit den gejegmágigen Bertretern
der katholiſchen Kirche darüber in's Einvernehmen gefegt babe,
und eríteg am 31. März v. I. an die Bifchöfe der Länder,
für welche bie am 4. März gewährten allgemeinen Bürgerrechte
fund gemacht wurden, bie Einladung fid) nadj Wien zu bes
geben, damit bas Minifterium zur Berathung der Stellung,
welche die Tatholifche Kirche auf Grundlage jener gefeßlichen
Beitimmungen künftig im Reiche einnehmen werde, mit ben»
felden in unmittelbaren Verkehr treten Tünne. Es wurbe ver
Einladung mit Bereitwilligkeit entfprochen, und bie verfam-
melten Bifchdfe hielten vom 30. April bis zum 17. Sunt Bes
tatfungen, deren MRefultat fie dem Minifterium unter bem
80. Mai unb bem 6, 13., 15. unb 16. Sunt nıittheilten.
Bevor fie bie Verfammlung fchlogen, erwählten fte ein Gomité,
welches aus dem Garbinal und Fürſt-Erzbiſchof von Salzburg,
ben Fürftbifchdfen von Gedau unb Laibach, bem Feldbiſchofe
und bem Bifchofe von Brünn befteht, und faut ber am 17. Ju⸗
nius gemachten Mittheilung die Beſtimmung Dat, über bte von
der Verſammlung behandelten Gegenftánbe mit der Regierung
Euerer Mafeftät zu verkehren. Die fchriftlichen Aeußerungen,
welche bie Verfammlung dem Pinifterium vorlegte, haben zum
Gegenſtande:
1. Eine einleitende Erklaͤrung.
2. Die Regierung und Verwaltung der Kirche, die geiſt⸗
lichen Aemter und Pfründen, das Patronatsrecht, bte Pfarr⸗
Concursprufung und den Gottesdienſt.
3. Die geiſtliche Gerichtsbarkeit.
4. Den Unterricht.
5. Das Kloſterweſen.
6. Die Ehefrage. —
7. Den Religions, Studien⸗ und Schulfond.
8. Das Pfründen» unb Botteshaus-Vermögen.
Schon aus diefen Andeutungen erhellt, wie reichhaltig ber
Inhalt ijt, und wie υἱεῖς und wichtige Verhältniffe derſelbe
.— m. — — — — — — -
— -- -- -— -- — .. --
Attenſtacte. 665
berhßrt. Die bifchöfliche Verſammlung bat, während fie bie
Anfprüche der Kirche mit Eifer vertrat, in anerkennenswerther
Meile dad Streben beurfundet, die Geltendmachung der kirch⸗
lichen Rechte mit den wefentlichen Interefien des Staates in
Einklang zu ſetzen. Demungeachtet unterliegt die Erledigung
ihrer Eingaben manchen Schwierigkeiten.
Die Angelegenheit ber Religions⸗Studien⸗ und Schulfonde
bedarf umftändlicher Erhebungen, welche noch im Zuge find;
die neue Regelung der Verwaltung des SKirchenvermögend unb
der Patronats⸗Verhaͤltniſſe, ift durch ble auf anderen Gebieten
vot fid) gehenden Reformen bevingt. Das Klofterwefen wünfchen
bie Bifchöfe in einer, ben Beduͤrfniſſen ber Zeit entfpredjenben
Weiſe feiner Tirchlichen Beſtimmung gemäß zu beleben und zu
prbnen, und bie Liebelftände, melche daraus erwachfen, bag aus
vielen Orden der Geift ihres Inftitutes entwichen ift, fónnen
jenes Beitteben nur wünfchenswerth erfcheinen Iaffen. Die voraus⸗
fichtlichen πάει Wirkungen vefielben, unb die Schwierigkeiten,
welche fid) daraus ergeben dürften, machen es jedoch nothwendig,
diefe Angelegenheit noch weiterer Verhandlung vorzubehalten.
Hinſichtlich der Ehefrage werben von den katholiſchen Bifchöfen
nicht ohne Grund Aenvderungen in der biöherigen Gefeßgebung
in Anfpruch genommen. Auch bte Superintendenten und evan⸗
gelifchen Vertrauensmärmer, welche die Regierung Euerer Mas
jeftät gleichfall3 zu einer Berathung über die Angelegenheiten
ihrer Glaubensgenoſſen eingeladen bat, haben in ihren vor⸗
Hegenden Eingaben Wünfche ausgefprochen, welche forgfältige
Berückfichtigung erheifchen. Die Regierung Euerer Majeftät Hat
die dadurch angeregten wichtigen Sragen, bie einer gemeinfamen
Erledigung bepürfen, bereits einer gründlichen Prüfung unter
zogen. Sie behält (id) vor, barüber mit bem Ausfchuffe ber
Bifchöfe bemnddjft in nähere Verhandlung zu treten, welche
ihren Abſchluſſe jedoch nicht ohne ein Einvernehmen mit bem
papftlichen Stuhle zugeführt werden kann. Auch nod) in andern
Beziehungen ftellt ſich bie Nothwendigkeit eined foldden bar.
Die Statt gehabte Verſammlung war feine Tirchliche Sy⸗
node, und fonnte daher nicht ihren Mitgliedern und nod) weniger
ben Nachfolgern verfelben eine Rechtsverbindlichkeit zur Beob⸗
adjtung ber gefaßten Befchlüffe auflegen. Hinfichtlich derjes
nigen Angelegenheiten, deren zweckmaͤßige Neugeftaltung durch
Zuſicherungen von kirchlicher Seite bedingt tft, unb mo aud
666 Afteiftiiike.
von der bifchöflichen Verſammlung entſprechende Zuſicherungen
gegeben worden find, wird daher gleichwohl die Bürgjchaft
vermißt, daß bie gefaßten Beichlüffe überall und dauernd zur
Richtſchnur der bifchöflichen Verfügungen dienen werben. Diefe
Bürgfchaft wird nur durch ein Einvernehmen mit dem päpft-
lien Stuhle erzielt werben fónnen, abgefehen davon, baf
einige Fragen eine unmittelbare Verhandlung mit bemjelben
erfordern.
Mehrfache Rückfichten mißrathen jedoch jede Erledigung in
der Tirchlichen Angelegenheit fo lange zu vertagen, bi8 für alle
darin begriffenen Gegenſtaͤnde die Vorbedingungen befinitiver
Entſcheidung erfüllt find. Alle, welche an der Eatholifchen Kirche
lebhaften Antheil nehmen, Darren. mit Ungeduld einer baldigen
Berroirklichung der In bem Patente vom 4. März enthaltenen
Zufagen, und fo feft der eingetretene Auffchub Durch ble Sach⸗
lage gerechtfertiget wird, fo müßte bod) eine längere Merzögerung
Das Vertrauen in ble Abfichten der Regierung beeinträchtigen.
Zudem wirft der Zufland von Unentfchtevenheit laͤhmend auf
ba8 Innere Leben der Kirche, deſſen fráftigere Entwidlung ein
immer allgemeiner gefühlte® Bebürfnig ift, während es ben
Stagtsbehörden überall, wo bie alte Orbnung mit den neuen
Principien nicht im Ginffange flieht, und burd) deren Verkün⸗
bung erfchüttert ijt, an feften Megeln für ihr Benehmen in
Betreff Tirchlicher Angelegenheiten gebricht. -
Der treugeborfamfte Minifterrath iff daher nach reiflicher
Erwägung der Gadjfage der Anſicht, dag ohne weiterem Verzug
vorläufig alle biefenigen von ber bifchöflichen Verſammlung
angeregten, Sagen erlebiget werben follen, deren Grlebigung
bereitö möglich ift, Hinfichtlih ber übrigen aber die Verhand⸗
lungen mit dem Ausfchuffe der Bifchöfe fortgefegt und ble πὸ
thigen Vorbereitungen für ein Concordat nit bem päpftlichen
Gtubfe, in fo weit ein folches erforderlich ift, getroffen werben,
und erbittet ſich Hierzu in tiefflee Ehrfurcht die Ermächtigung
Euerer Majeſtaͤt.
Die verfammelten Bifchöfe haben in ihrer einleitenden Gr»
klaͤrung vom 30. Mat vo. I. fid) zuvörderſt im Allgemeinen
über die Stellung ausgefprochen, welche bie Eatholifche Kirche
in Anfpruch nimmt, und bie Ueberzeugung ausgebrüdt, baf
die Regierung Euerer Mafeftät, während fle andern Religions-
geſellſchaften neue Mechte verleiht, bie alten wohlerworbenen
m τὰ wen κα΄
Altenſtucke. ^ 661
P d ber katholiſchen Kirche anerfenne und zu fügen ber
reit {εἰ
Euere Majeftät dürften den treugehorfamften Minifter des
Guítuá und Linterrichtes zu der Erklärung ermächtigen, daß
die Biſchoͤfe [ὦ im dieſem Vertrauen nicht täufchen. Die Res
gierung Euerer Majeftät ift von dem Grunbfape ausgegangen,
daß bie Meberzeugungen, welche ben Menfchen mit einer höhern
Welt verknüpfen, dem heiligſten Bereiche ber Freiheit angehören,
und enthielt fich auf blefelben auch nur mittelbar einzumirken,
unter der Vorausſetzung, Daß ed fih um wahrhaft religiöfe
Ueberzeugungen, alfo um folche handle, welche den Pflichten,
ohne deren Heilighaltung ein wohlgeordnetes Stautsleben uns
mbglid) ift, zur feften Stüße dienen. - Deßwegen wurden bie
bürgerlichen unb politifchen Rechte von bem Religionsbekenntniſſe
unabhängig gemacht, und binfichtlich ber Nechte, werhe $. 2.
be8 mehrerwähnten Patente vom 4. März zufichert, alle ges
feglich anerkannten Kirchen und Neligiondgefellfchaften einander
gleichgeftellt. Dadurch find aber bie beſonderen Nechtsverhältniffe,
welche (id) zwiſchen Defterreichs Herrfchern und der Eatholifchen
Kirche feit Jahrhunderten entwidelt haben, weder aufgehoben
nod) in Brage geftellt. Auch muß bie Negierung Euerer Mas
jeftät ſich aufgefordert fühlen, während fle jeder Religionsge⸗
fellfchaft bie gefeglich zugeficherte Freiheit gewährt, der Kirche,
von welcher eine fo große Mehrzahl der Staatöbürger für [o
wichtige geiftige Intereffen Befriedigung erwartet, ſtets befonbere
Berückſichtigung zuzumenden.
Die verfammelten Bifchöfe Haben ferner den Zufag jenes
$. 2, dag die Kirchen und Heligionsgefellfchaften, wie jede
Geſellſchaft den allgemeinen Stantögefegen "unterworfen feien,
zum Gegenftanbe einer Erläuterung gemacht, unb fie beziehen
ihn ganz im Sinne des Gefehgeberd auf die Erfüllung jener
allgemeinen Bürgerpflichten, welche ben. Wirkungskreis der Kirche
nicht beeinträchtigen, fondern vielmehr durch das Sittengeſetz,
welches fte verfündigt, geheiliget werden. Die Fatholifche Kirche
zuht übrigens auf bem feften Grunde ber Ueberzeugung, daß
fie nicht nur ihre Glaubens⸗ und Sittenlehre, fondern auch
die Grundzüge ihrer Verfaffung durch göttliche Offenbarung
empfangen habe, fie fann daher nicht mie andere Gefellfchaften
ihre eigenen Gefege willkürlich ändern. Jede Stantögewalt, ble
eine Verftändigung über ihre Beziehungen zur Fatholifchen Kirche
688 Altenſtuͤcke.
wunſcht, muß demnach fene Geſetze anerkennen und die Regierung
Euerer Majeſtaͤt Dat dieſe Nothwendigkeit niemals verfannt.
Bet den In den weiteren Eingaben der biſchoͤflichen Ver⸗
fammlung angeregten ragen handelt e8 fld zunaͤchſt barum,
blejenigen bisher gültigen Gefege und SBorfdjriften, welche ver
Berwirklihung der im $. 2 des Allerhoͤchſten Patentes oom
4. März 1849 der Kirche angersiefenen Stellung entgegenfleben,
zu befeitigen, und durch neue Beſtimmungen zu erjeßen.
Der treugehorfamfte Dinifterrath erlaubt fid) zu dem Ende
bte beiliegende Verordnung ber Allerhöchften Genehmigung Euerer
Majeſtaͤt ehrfurchtsvoll zu unterbreiten,
Zur Erläuterung und Begründung ihres Inhaltes gerufen
Euere Majeſtaͤt dem ehrerbiethigft Unterzeichneten nachſtehende
Bemerkungen zu geftatten:
Der Verkehr mit dem päpftlichen Gtuble war durch bie
bisherige Gefeßgebung mit gehäuften Vorfichtsmaßregeln umftellt.
Jeder päpftlihe Gríag — nur bie Rosfprechungen ber
Pönitenziarie ausgenommen — unterlag bem. Tanbesfürflichen
Placet; es wurde nur jenen Grläffen ertheilt, bie durch Ber
mittelung der in Rom aufgeftellten k. k. Agentie erwirft waren,
und dieſe durfte ftd) nur in Angelegenheiten verwenden [affen,
welche durch die Stantsbehörben, ober mit deren Bewilligung
an fie geleitet wurben.
Der Verkehr der Bifchöfe mit ihren Dibeefen unterlag
eingreifenden Befchränktungen. Kein Hifchöflicher Erlaß durfte
ohne Regterungs - Benilligung | gebrudt, und jene Hirtenbriefe
und Kreisfchreiben, in melchen irgend eine Verbindlichkeit aufs
gelegt wurde, mußten nicht nur ber Landesftelle vorgelegt, ſon⸗
dern auch von diefer mit ihren allfälligen Bemerkungen bet
politiſchen Hofftelle eingefendet werben.
Die verfammelten Biſchöfe haben In ihrer beiltegenden Ein⸗
gabe vom 16. unt bie Vorausfegung außgefprocdhen, bag burd,
δ. 2 der Grundrechte die Hemmniffe, melee ihrem Verlehre
mit dem beiligen Stuhle bisher im Wege fanden, vollkommen
gehoben feien, unb weder für fle, noch für bie Ihnen unterfle
henden Gläubigen fernerhin eine Schwierigkeit obwalten were,
ftd) im geifllicden Dingen an den Papft zu wenden, ober bie
Üfnotbnungen und Entfcheidungen bejjel6en zu empfangen. Sie
brüden ferner Die zuverfichtliche Erwartung aus, bag in Folge
der zugeficherten Selbſtſtaͤndigkeit der Kirchenverwaltung ihnen
Altenſtucke. 608
Pets werde geftattet fein über Gegenftanbe Ihrer Amtsgewalt an
ihre Gemeinden ohne vorläufige Genehmigung der Stantöbes
börden Ermahnungen und Anorbnungen zu erlaffen.
Die Wortbauet der bisher beftandenen Befchränfungen tft,
nad) dem Grachten des treugehorfamften Minifterrathes, in bet
That nicht Länger zuläflig. Sie find Beſtandtheile einer Ges
feßgebung, die In den Verhältniffen ver Seiten, in welchen fte
fid) entwickelte, ihre Erklärung findet, aber unvereinbar {{ mit
den wefentlich geänderten Zuftänden ver Gegenwart. Sene Ges
feßgebung war beftimmt, durch eine confequente Bevormundung
auf allen Gebieten des geiftigen Lebens jedem Mißbrauche freier
Selbſtthatigkeit vorzubeugen. Ihre Wirkſamkeit berubte eben
auf ihrer Allſeitigkeit. G8 war folgerecht fle auch ber Kirche
gegenüber in Anwendung zu bringen. Uber bie der Kirche
gefegten Schranten allein hätten nie flaatögefährlichen Mißbrauch
zu verbüten vermocht, unb fte Haben (f immer ohnmächtig
erwiefen, mo bie Träger der Kirchengewalt fle. mißbraudhen
wollten, und die politifchen Ereigniffe dazu Gelegenheit boten,
während (le unter andern Verhältniffen zu nugfofen. Foͤrmlich⸗
Zeiten berabfanten. Immer Tähmten (le aber auch die heilfame
GSelbitthätigkeit, die überall nur aus bem Gefühle ſelbſtſtaͤndiger
Verantworilichkeit entfpringt, und nährten jenen Gelft des Miß⸗
trauend und Argwohnes, der der Kirche wie bem Staate Nach⸗
tbe. bringt. Diefen unerfreulichen Geiſt haben Euere Majeftät
aus der Oeſterreichiſchen Gefeßgebung verbannt. Ihn nur der
Kirche gegenüber feflzuhalten, wäre der Regierung Euerer Ma⸗
jeftät eben fo unmwürbig, als unvereinbar mit den im $. 2
des Alterhöchften Patentes vom 4. März 1849 verbürgten
Rechten.
Dagegen verlangt e8 ble innige Verbindung, welche zwiſchen
dem Oefterreichifchen Staate und ber Tatholifchen Kirche beftebt,
und welche auch bie Bifchöfe nicht gelöft zu fehen wünfchen,
dag fte auch fernerhin, im Einvernehmen mit ber. Regierung
Handeln, und daß daher jene bifchäflichen Erläfie, welche äußere
Wirkungen nach fich ziehen, ober öffentlich funb gemacht wer»
den follen, gleichzeitig den betreffenden Regierungsbehoͤrden mite
getheilt werden. Wenn übrigens bie Vifchöfe nicht mehr ge»
zwungen werben, ὦ im Verkehr mit dem päpftlichen Stuhle,
ausfchlieglich des f. f. Agenten in Rom zu bebienen, fo ijt εὖ
doch febr wünfchenswerth, bag (le fid) feiner in Partetfachen
610 Altenſtucke.
aus eigener Wahl auch fünftigbin bedienen, um dadurch bie
Unzufömmlichkeitn zu vermeiden, meldje mit der Benützung
gewinnfüchtiger Privat Agenten häufig verbunden find.
Die verfammelten Bifchöfe haben angezeigt, daß fie bie
Provinzials@oncilien wiener ins Leben zu rufen gebenfen, unb
ihre Abficht angedeutet, bie Diöcefan » Synoben unter gemijjen
Bedingungen zu erneuern. Die DOefterreichifche Regierung bat
bie Abhaltung von Provinzial-Concilien und Diöcefan-Synoden
niemals verboten; um fo weniger Eönnte fle gegenwärtig Dinbern,
daß blefe Verfammlungen unter ben durch ba8 Kirchengeſetz vors
geichriebenen Bedingungen wieder Statt finden. Es ijt jonad)
in diefer Beziehung fein. Anlaß zu einer gefeglichen Anordnung
vorhanden ; bie Regierung Euerer Mafeftät Dat jedoch Grund
zu wünfchen, und ein Recht zu erwarten, baf bie Beflimmungen,
nach welchen bie Einberufung gefcheben foll, ihr befannt ges
geben, und dag bie Anordnungen, ‚welche von dem Provinzial»
Goncillum oder auf ber Didcefan- Synode getroffen werden, ben
Oteglerungébefórben in fo weit, und in berfelben Weiſe, wie
die bifchöflichen Erläffe mitgetheilt werben.
Geruben Euere Majeftät zu genehmigen, bag diefe Erwartung
in der Erledigung der bifchöflichen Eingaben ausgefprochen werde.
Die geiftliche Gerichtsbarkeit erfuhr in Defterreich em»
mungen, in Folge beren fie thatfächlic beinahe aufgehoben
wurde. Die Grenzlinie ihrer SulájfigEelt wurbe in der Unter
ſcheidung rein geiftlicher Angelegenheiten im Gegenfage zu rein
bürgerlichen oder gemifchten gefucht.
Da aber alle Gegenftände kirchlicher Gefeggebung in bem
Maße ihrer Wichtigkeit aud) eine Ruckwirkung auf das Staatd«
leben äußern, fo mußte durch jene Unterſcheidung die Gompeten;
der geiftlichen Gerichte [αἱ gänzlich verfchwinden. So wurde
die Disciplinargewalt über bie Diener der Kirche faſt ganz bet
gemeinfchaftlichen Amtshandlung weltlicher und geiftlicher Be⸗
hörden zugewiefen.
Mit ben Kirchenftrafen verband ble ältere Geſetzgebung
‚bürgerliche Nachtheile. Hievon nahm man Beranlaffung, vie
Verhängung von Kirchenftrafen von bem Ermeſſen ber Staats⸗
bebótben abhängig zu machen, und an dieſer Beſchraͤnkung
wurde aud) dann feflgehalten, als bie Gefege, welche mit ben
Kirchenſtrafen bürgerliche Folgen verfnüpften, außer Kraft ges
fegt waren.
Aktenſtücke. | 671
Die verſammelten Biſchöfe Haben in ihrer Zuſchrift vom
16. Juni erflärt, Daß, menn bie Lebensthätigfelt der Kirche
ſich kraftvoll erneuern folle, fie auch hinftchtlich der geiftlichen
Gerid)tébarfelt wieder in bte Uebung ihres Mechtes eintreten
miüjje, und ὦ über bie Stellung, welche fte in dieſer Bezie⸗
Hung in Anfpruch nehmen, in folgender Weiſe audgefprochen :
„Ueber ble Nechte und Verbindlichkeiten, welche ben. Mitgliedern
der katholiſchen Kirche entweder als folchen, ober Kraft eines
$on denfelben übernommenen Kirchenamtes zuftehen und ob»
Tiegen, Hat die Kirchengewalt παῷ Richtſchnur ber. Kirchenge⸗
fee zu entſcheiden. Wenn das Mitglied einer Gefellfchaft die
Pflichten, bie ihm αἵδ᾽ folchem obliegen, nicht erfüllet, fo Tann
*8 aud) nicht verlangen, an ben Vortheilen, weldye die Ges"
fellfchaft gewährt, Theil zu nehmen. Wenn der Beamte εἰπεῖ
Geſellſchaft dem erhaltenen Auftrage zuwider handelt, fo Tann
et unter Bedingungen, welche durch bte Geſellſchafts⸗Verfaſſung
näber zu beflimmen find, feines Amtes und der damit verbun-
denen Vortheile beraubt werden. Die katholiſche Kirche, welche
eine fo erhabene und fegenreiche Sendung zu erfüllen hat, Fann
um fo weniger auf Befugniffe verzichten, welche ihr mit jeder
‚gefeglichen Gefellfehaft gemein find. Die geiftliche Gewalt bat
alfo das Recht, Kirchengliever, welche bie Ihnen als folchen
obftegenben Verbindlichkeiten verlegen, ganz ober tbeilmelife von
dem Genuffe der Eirchlichen Wohlthaten auszwichließen, und dieß
Hefchteht Durch den größeren und fleineren Bann. - Da bie ftit»
chenſtrafen eine Ruckwirkung auf bürgerliche Mechte nicht mehr
üben, fo fällt der Grund Dimveg, auf melchen ble Staatsgewalt
[ὦ berief, als fte bie Verhaͤngung Tirchficher Strafen mehr oder -
minder von threr Zuftimmung abhängig machte. Was namente
lich bte Tirchlichen Feierlichkeiten des Begräbntffed betrifft, fo
flieht e8 der Kirche allein zu, darüber zu verfügen, und zwar
nicht blos in Folge ihrer Strafgewalt, fonberm aud), well ihr
allein zufteht, Eirchliche Gebete und Segnungen anzuorbnett,
Doc verkennen ble verfammelten Bifchäfe nicht, bag die Kirchen⸗
ftrafen, wenn fle ihrem Zwecke gemäß den Ernft des chriftlichen
Lebens unb den Eifer der chriftlichen Gemeinde förbern follen,
mit weiſer Berudfichtigung ber gegebenen Verhältniffe angewandt
‘werden müffen, und machen e8 {Ὁ zum Gefeke, ihre Strafge-
walt ftet8 mit umfichtiger Klugheit zu üben. ^
Die geiftliche Gewalt allein Bat Das Recht, jene, weldhe
e.
673 ' Atenſtucke.
die Kirchenaͤmter nicht der übernommenen Verpflichtung gemäß
verwalten, in ber burd) das firdjengeíeg beftimmten Form zu
fufpendiren, oder abzuſetzen, und thnen bie mit bent Amte ver
bundenen Einkünfte zu entziehen. Die verfammelten Bifchäfe
fegen voraus, bag bie Gtaatágemalt zur Durchfegung von lit»
theilen, welche bie Tirchlichen Gerichte inner dem angebeuteten
Bereiche und mit Beobachtung aller gefeglidjen Erforbernifie
fällen, ihre Hilfe nótfigm Falles nicht verfagen werben. *
Der treu gehorfamfte Minifterrath ift. des ehrfurchtsvollen
Erachtens, baf auch in diefen Beziehungen die biäherige Geſetz⸗
gebung nicht länger haltbar fei. Wohl ift es ſehr wünfchend-
werth, bag die Kirche unb bie Staatögewalt in ihrer Amtd-
handlung nie bie Untrennbarkeit ihrer beiberfeitigen Interefien
unbeachtet Lafien. Auch im Familienleben begibt fid) aber Vieles,
wa$ auf den Staat mittelbar einen mächtigen Einfluß übt, und
was er bod) feiner Entſcheidung nicht vorbehalten Tann, ohne
fowohl alle Breiheit zu vernichten, als aud) etwas fchlechthin
Unmoͤgliches anzuftreben. Daſſelbe gilt von ber Kirche. Ohne
mit dem $. 2 des Allerhöchkten Patentes in Widerſpruch zu
gerathen, kann der Kirche nicht Länger verwehrt werben, [ἃ
felbfifländig der Strafgewalt zu bedienen, die fle aus ber. ihr
inwoBnenben Macht zu fchöpfen, und ohne Anwendung äußeren
Zwanges zu üben vermag. Wenn fie aber Ihre Erkenntniſſe
durch äußere Zwangsmittel vollzogen willen will, fo darf tie
Staatsgewalt ihr ben weltlichen Arm nicht leihen, ohne Bürg-
[haft zu haben für den gerechten Vorgang ber geiftlichen Ges
richte. Die verfammelten Bifchöfe bemerken hierüber: „Da bei
bem gerichtlichen Verfahren auf bie Gewohnheiten und Beduͤrf⸗
nifle der chriftlichen Länder Ruͤckſicht zu nehmen, tn ihren Dii;
cien aber die Entwicklung des dießfaͤlligen Gewohnheitsrechtes
durch bie vieljährige Unterbrechung ber geiftlichen Gerichte gehemmt
worben fel, fo würden alle Einleitungen getroffen werben, um
auf gefeglichem Wege die nöthigen Näherbeflimmungen zu et»
zielen.“ Die Regierung Euerer Mafeftät muß wünfchen, baf
bleje Einleitungen fo fehr als εδ bie Verhältniffe geftatten, be»
ſchleunigt und bte Ergebnifje ihr mitgetheilt werden. Vorlaͤufig
muß fie (id) aber vorbehalten, wofern bie geiflliche Behörde eine
Unterflügung von Seite der Staatögemalt anfpricht, im bie
Unterſuchungs⸗Aeten Einficht zu nehmen, und fich ble Ueberzeu⸗
gung zu verſchaffen, baf ber Vorgang den Kirchengefegen, auf
Mienſiicke. 673
welche e8 babel allein anfümmt, vollkommen entſprechend fe.
Se mehr Breihelt aber ber Kirche gewährt ift in bem Gebrauche
ihrer eigenen Macht, befto wichtiger ift e8 für ben Staat, baf
bieje Macht nicht Händen anvertraut verbe, bie fie in einer ber
bürgerlichen Geſellſchaft gefährlichen Weife migbraudjen. In fo
fern ein [older Mißbrauch bie Natur eines Verbrechens ober
Vergehens annimmt, verfällt der Schufbige bem weltlichen Strafe
gerichte.. Allein dem Diener der Kirche find Befugniffe einge»
räumt, durch deren Mißbrauch ev, aud) ofue eben den Strafr
gefeßen zu verfallen, dem Staate gefährlich werben Tann, und
feine Oteglerung darf folchen Mißbrauch dulden, ohne ber Pflicht
untreu zu werben, die ihr als Hüterin der Ordnung obliegt.
Die verfammelten Bifchöfe Haben im Geifte ber Kirche,
welche (le vertreten, e8 auögefprochen, daß geiftlicher Aemter und
Pfründen nur Solche würdig feien, welche geeignet find, wie
in jeder chriftlichen Tugend, fo aud) in Erfüllung der Pflichten
gegen die bürgerliche Obrigkeit der chriftlichen Gemeinde mit
Wort und Beifpiel vorzuleuchten. Die Regierung Euerer Ma⸗
jeftät glaubt darauf vertrauen zu dürfen, bag bie Vorfteber der
tatholifchen Kirche diefen Grundſatz ſowohl bei Candidaten von
geiftlichen Aemtern, als auch bei fchon angeflellten Geiftlichen
hurchführen, unb jeder Zeit ble Hand bieten werben, um Geiſt⸗
libe, welche ihren heiligen Wirkungskreis auf eine dem Siagte
gefährliche Weiſe mißbrauchen, unfdjábfid) zu machen. inter
diefer Borausfegung glaubt fie εὖ durch ble der katholiſchen
Kirche ſchuldige Achtung geboten, daß, wenn folche. traurige
Bälle jid) ereignen, ſtets zunaͤchſt im Einverſtaͤndniſſe mit bem
betreffenden Bifchofe, oder beziehungsmelfe mit dem päpftlichen
Stuhle gegen die Pflichtvergeffenen vorgegangen voerbe.
Geruhen Euere Majeftät demgemäß allergnaͤdigſt anzuord⸗
nen, daß, menn ein Geiftlicher feine Stellung und ble Ihm in
derfelben für Eirchliche Zwecke zuſtehenden Befugniffe zu anderen
Zwecken in ver Art mißbraucht, bag feine Entfernung vom
Amte [ὦ ber Regierung als nothwendig barflellt, ble weltlichen
Behörven fid) deßhalb oorerft mit feinem kirchlichen Vorgeſetzten
ἐπ᾿ 8 Einvernehmen zu feßen haben.
Die biſchoͤfliche Verfammlung bat e8 mit Recht für am»
gewmeſſen erfannt, daß, wenn ein Geifllicher von ben weltlichen
Gerichten wegen Verbrechen ober Vergeben verurtheilt wird, der
Biſchof in ble Möglichkeit werfegt werde, bevor er eins geiſtliche
674 Altenſtucko.
Strafe verhängt, ven Grab der Schuld, welche ber Verurtheilte
der Kirche gegenüber auf ſich geladen, felbfiftännig zu beurthei⸗
Im. Daß er zu dem Ende vor Vollzug der Strafe von der
fBerürtBellung in Kenntnig gefeßt werde, ift Bereits burd) die
beftebenben Gefege. angeorbnet. Die verfammelten Bifchöfe haben
ben Wunfch ausgenrüdt, bag aud) bie Mittheilung ver Ver⸗
handlungssActen, menn fie verlangt wird, nicht verweigert werbe.
Euere Mafeftät dürften fid) bewogen finden allergnäbigft zu ge
nehmigen, bag biefe Mittheilung der Acten, obgleich (ie audj
Bisher nicht verweigert vourbe, den Gerichten ausbrüdfid) zur
Pflicht gemacht werde.
Die Gegenftände, welche ihre gemeinfame Erledigung in
der anliegenden Verordnung finden, find in8gefammt ſolche,
hinſichtlich welcher e8 fid) nur um Befeltigung der durch bie
bisherige Gefeßgebung aufgerichteten Schranken handelt.
Die anderen gegenwärtig zu erfebtgenben Buncte ber bifchäf-
fien Eingaben verlangen abgefonvert behandelt zu werden. Der
ehrfurchtsvoll Unterzeichnete erlaubt fid) bie Unterrichtsfrage einem
eigenen allerunterthänigften Vortrage vorzubehalten, über die
übrigen Gegenftände aber Nachflehenves zu bemerken:
Die verfammelten Bifchdfe haben in ihrer Zufchrift vom
30. Mat o. S. erflätt: , ba ffe alle Rechte ehren, welche bie
Staatögewalt der Kirche gegenüber anfprechen Pann, ſowohl jene,
welche aus ber Natur der Staatsgewalt hervorgehen, ala aud
jene, welche der Monarch ἔταξε befonderer Rechtsgründe erwor⸗
ben hat. Diefer Erklärung getreu zolfen fle auch dem landes⸗
fürftlicden Rechte, bie Perfon des zum Blsthume zu Erhebenden
zu bezeichnen, ihre Anerkennung; doch Balten fle dafür, ba
dies Recht als ein rein perfönliches müffe betrachtet werben,
und glauben durch die politifdyen. Verhaͤltniſſe fid) aufgeforbert,
die ehrfurchtsvolle bod) dringende Bitte zu ftel(en: , Guere Maje⸗
ft wolle Sich bereit erklären, das erwähnte Otedjt. nicht pe
Beirath Eatholifcher Bifchdfe. zu üben, und bie Biſchoͤfe ber
Kirchenprovinz, welcher der erledigte Gig angehört, babet nie
mald zu übergeben. ^
Unftreittg ift Dies wichtige Recht von bem perfönlichen
Berhältniffe abhängig, in welchen ber Eatholifche Landesfürft
zur Tatholtfchen Kirche ſteht; denn einem nicht katholiſchen gan»
desfürften tft e8 niemals und nirgends zuerkannt worden. Auch
legt e& am Tage, baf es zu zweckmaͤßiger Hebung -peffelben don
Aktenftürke. 675
großem Nugen fet, fid) des Mathes von Biſchoöfen zu bedienen,
und baf ble Bifchöfe ber Kirchenprovinz, wo dad Bisthum er-
[ebiget ift, mit ben zu beachtenden Berhältniffen in der Negel
am beften befannt ſeien. Euere Majeftät dürften fi) daher
bewogen finden, bem Ausfchuffe ber bifchöflichen Verſammlung
in diefer Beziehung eine beruhigende Erflärung ertheilen zu Taffen. .
lleber bie Form, in welcher biefe Ernennungen fünftig zu
gefchehen haben, ftellen fich nähere Beflimmungen als wünfchens-
werth dar. Dieß gilt auch von ben Rechten, welche bem Lan-
desfürften in Betreff ber SBefegung anderer Firchlichen Aemter
unb Pfründen zuſtehen. Guere Majeftät dürften daher anzu-
orbnen geruhen, bag über bie (orm, in welcher bie Tandesfürft-
lichen echte In Betreff der Belebung Firchlicher Aemter unb
Pfründen fünftig geübt werben follen, eine Verhandlung εἰπε
geleitet und in fo meit e8 erforberlich ift, im Einvernehmen
mit dem päpftlichen Stuhle herbeigeführt werde.
Dieſes Einvernehmen dürfte [Ὁ aud) auf bie Negelung
des Einfluffes zu erftreden Haben, wefdjer ber Regierung Eurer
Majeftät gewahrt werden muß, um von geiftlichen Uemtern unb
Pfründen, zu welchen nicht Euere Majeftät ernennen, Männer
ferne zu Halten, deren Wirkfamfeit ber bürgerlichen Orbnung
Gefahr drohen mürbe.
Ueber bie Befähigung zu Domberrnftellen haben bie θεῖς
fammelten Btfchöfe erklärt: „Damit bie Dom» Eapitel ihrem
Zwede genügen, und ihre bevorzugte Stellung In mwürbiger
MWeife behaupten fünnen, fet e& nothwendig, bie Bürgfchaften
für ble vorzugsweife Befähigung ihrer Mitglieber nicht zu vete
mindern, fondern zu vermehren. Ste erfennen baber die Heil⸗
ſamkeit der beftehenden Anordnung, in Folge derer zu Erlangung
von Dombernftellen eine zehnjährige Eirchliche Dienftleiftung er-
forderlich ift, unb verfprechen bte nöthigen Einleitungen zu treffen,
um biefe von der Stantögewalt erlaffene Beſtimmuñg auf δα
firchliche Geblet zu übertragen.“ Der Regierung Euerer Ma-
jeftät fann e8 nur wünfchenswerth fein, daß eine Verfügung,
durch welche man bem Verdienſte und der Erfahrung den Vor⸗
zug zu fichern ſtrebte, Die kirchliche Anerkennung erhalte.
In demfelben Geifte haben die verfammelten Bijchöfe fid)
dahin geäußert: „Die Eatholifche Kirche fet fletd von dem Grund»
fage ausgegangen, baf bei Verleihung von Firchlichen Aemtern
unb Pfründen nur auf Froͤmmigkeit, Kenntniffe und Verdienſte
Theol. Quartalſchrift. 1850. IV. Heft. 44
676 Aktenſtucke.
Nüdficht zu nehmen fel; (le wunſchen daher und werben dahin
wirken, daß auch jene Domberrnftellen, zu deren Erlangung
noch abefid)e Abſtammung gefordert wird, an ben würbigften
ohne Rückſicht auf feine Geburt verliehen werben; bod) folle
big auf gefeglihem Wege, und ohne Verlegung von bereits
erworbenen Rechten gefchehen. *
Sie fügen Hinzu: „Nicht nur um die Lüden auszufüllen,
melde durch ba8 allmählige Erlöfchen ber Domicel(arsGanonicate
in ben Wahlcapiteln zu Salzburg unb Ofmüg entflehen werben,
fondern auch um ber Wahl größere Würde zu geben und ben
Zufammenhang der Bifchöfe mit dem Metropolitan» Gite feſter
zu fnüpfen, ſtelle e8 fich al8 wünfchenswerth bat, baf bie Bi⸗
[δε ber Kirchen-Provinzen Salzburg und Olmüg das Stimms
recht bei Erwählung des Metropoliten erhalten. Um ble Wähler
auf eine größere Zahl, — allenfalls auf fünfundzwanzig —
zu bringen, würde es zweckmaͤßig fein, einer entfprechenven Zahl
von Ehrendomherren dad Wahlrecht zu verleihen. *
Der Regierung Euerer Majeftät Tann es nur willlommen
fein, wenn ein Grunbíag, an welchem fie bei Verleihung von
Saatsämtern ftet3 fefthalten wird, auch in Bezug auf firchlice
Würden volle Geltung erlangt. Auch bie Beftimmungen, welde
bie verfammelten Biſchofe bei der Wahl der Erzbifchöfe von
Salzburg und Olmüg eingeführt zu fehen wünfchen, exfcheinen
als vollfommen zweckmaͤßig.
Geruhen Euere Majeftät allergnädigft zu genehmigen, baf
den Bifchöfen zur Durchführung biefer Beſtimmungen die kraͤf⸗
tigfte Unterflügung der Regierung, in fo weit fie dazu mil
wirken berufen tjt, zugeſichert werbe.
Das Kirchengefeß verorbnet, bag zu SBefegung erledigter
Pfarren ein Goncurs ausgefehrieben , und die Befähigung ber
Bewerber durch dazu beftellte Eraminatoren geprüft werde. Diefe
zweeimäßige Maßregel ward in Defterreih von der politifchen
Geſetzgebung gänzlich in ihren Bereich gezogen.
Stoatöverorbnungen regelten bie Art und Welfe der Shri»
fung, fo wie bte Verbindlichkeit, fich verfelben zu unterziehen,
unb bie Zeit; für melche die mit Erfolg beftanbene Prüfung
Geltung hatte; vom Staate waren ble Profefforen der theo⸗
Iogifchen Lehranftalt al8 Eraminatoren aufgeftellt, nur der ταν
minator aus der Dogmatik blieb bem Bifchofe zu freier Au
Pa)
Aktenſtücke. 677
wahl überlaſſen, an die Landesregierung hatte man ſich um
Diſpens von der Concursprüfung zu wenden.
Die verſammelten Bifchöfe haben das Recht, die Befäht-
gung zur Uebung ber Seelforge zu beurthetlen, für die geiftliche
Gewalt in Anſpruch genommen, und bie Stantögewalt kann
ihr im Hinblick auf $. 2 des Allerhöchften Patentes vom
. 4. März 1849 dieſes Recht nicht ftreitig machen. Allein auch
für den Staat iff es von Wichtigkeit, daß bie Befähtgung von
Männern, welche a[8 Pfarrer wirken folfen, auf eine zweckmaͤßige
Weiſe geprüft werde; die Megierung muß wünfchen, daß in
dieſer Beziehung in den verfdjlebenen Didcefen ein gleichmäßiger
Vorgang beobachtet werde. Sie muß wiſſen, welche Bürgfchaft
für die Befähigung ber Seelforger durch die Einrichtung bet
Goncuréprüfung geboten ift, um beurteilen zu fónnen, in wie
weit unb unter welchen SBebingungen fle ihnen ihrerſeits in Be⸗
ziehung auf bie Schule, das Armenweſen und die Ehe-Angele-
genheiten Sunctionen übertragen Tann, deren Verbindung mit
dem geiftlichen Amte für den Staat, mie für die Kirche wün«
ſchenswerth ijt.
. fie Regierung Euerer Majeftät darf und muß daher das
Verlangen ftellen, daß bie über bie Concurd-Prüfungen zu ete
laffenden Verfügungen, bevor fie in Ausführung fommen, zu
ihrer Kenntniß gebracht werben, damit fie dad, was fle von
ihrem Standpunkte aus wünfhen muß, in Anregung bringen,
unb auf allfällige Schwierigkeiten aufmerkfam machen fónne.
Die verfammelten Bifchöfe Haben nicht verfannt, daß bie für
die Pfarr-Coneurd- Prüfung bisher geltenden Anordnungen vieled
Swedmáfige enthalten, und daß e8 nothwendig fet, überall,
wo nicht ausnahmsweiſe SBerBáltniffe eine Ausnahme begründen,
ein übereinſtimmendes Verfahren zu beobachten. Deßhalb Haben
fie fid) über folgende Beſtimmungen gertniget :
„Die Pfarr⸗Concurs⸗Prüfung ſoll in jeder Diöcefe jährlich
zum wenigſten einmal und amar münblih unb ſchriftlich oot»
genommen werben. ^
„Gegenftände biefer Prüfung find: 1. Dogmatif, 2, Gr.
Täuterung der heiligen Schrift nach ber Bulgata, 3. Moral
und Paftoral fammt giturgif mit vorherrfchenn praftifcher Nich-
tung, 4. Kirchenrecht, 5. Bollftändiger Entwurf unb theilwelfe
ee. einer Predigt, 6. Mündlicher Vortrag, 7. Kates
efe.* . ; a
44*
678 Altenſtuͤcke.
„Zur Erlangung jedes Amtes ſelbſtſtaͤndiger Seelſorge iſt
erforderlich, daß der Bewerber die Pfarr⸗Concurs⸗Prüfung mit
gutem Erfolge beftanden habe.“
„In wie fern für Ganonicate, mit welchen zwar die Ber
pflichtung zur Seelforge, aber Fein felbfifländiges Seelſorgsamt
verbunden ift, die Pfarr-Goncurd- Prüfung nothwendig fel, bleibt
dem Ermeflen des Didcefan-Bifchofes überlaffen. ^
„Zur Pfarr-Eoncurs-Prüfung follen nur Solche augelaffen
werben, welche feit wenigftend drei Jahren die Befugnig zur
Berwaltung der Seelforge erlangt Haben. ^
„Die Eoncursprüfung Bat in der Negel für fedj8 Jahre zu
gelten, doch fann burd) Provinzial-Eoneiltum ein Tängerer ober
kürzerer Zeitraum beflimmt werben. ^
„Nur ble bienfitDuenben oder emeritixten Profefforen der
Theologie, jene Doctore der Theologie, welche zu Erlangung
biefer Würde (id) den firengen Prüfungen unterzogen, unb folde
Männer, welche ὦ in einem theologifchen Fache als Schrift
ftellev ausgezeichnet haben, dürfen von Ablegung ber Pfarr
Eoncurd-Prüfung diſpenſirt werden. ^
„Don Wiederholung derſelben fann ber Bifchof auch Solche
loszaͤhlen, welche als Seelforger ober in anderer Welfe ihre
theologiſchen Kenntniffe hinreichend erprobt haben.“
„Kein Bifchof ift verbunden, die Pfarr-Eoncurs- Prüfung,
welcher fid) ein Bewerber in einer fremden Dipcefe unterzogen
hat, als für Pfründen feines Sprengeld genügend anzuerkennen.
Diefe Anordnungen enthalten nichts, wogegen Die Regie⸗
rung Einfprache erheben müßte; im Gegentheile genügen fte jedem
Intereffe, welches der Staat an ber Einrichtung biefer Prüfung
haben fann. Allein e8 liegt Feine Bürgfchaft vor, baf bie ge
faßten Befchlüffe von ben Bifchöfen und ihren Nachfolgern, al?
fle rechtlich verbindend angefehen werben, Mit Müdficht auf
bleje8 Verhaͤltniß glaubt ber treugehorfamfte Minifterrath den
ehrfurchtsvollen Antrag ftellen zu follen, Guere Majeftät geruben
anzuordnen, bag die vollftändige Durchführung ber oon den
verfammelten Bifchöfen über die PfarrsConcurs-Prüfung ge
troffenen Beflimmungen Fein Hinderniß finde, unter dem Vor⸗
behalte, daß biefelben nicht ohne mit der Regierung gepflogene
Rüdfprache abgeändert werden, unb bag wo und in fo weit
als dieſe Veichlüffe nicht zur Michtfehnur genommen werben,
LI
Aktenſtüucke. 679
bet bet Pfarrs-Eoncurd- Prüfung nad) den biöherigen Anordnun⸗
gen vorgegangen werbe.
' Bon der Anficht ausgehend, daß Alles, was auf ben
Staat Einfluß nehmen Tonne, ber Verfügung be8 Staates unter-
ftehe, erließ ble Oeſterreichiſche Gefeggebung über ben Gottes⸗
bienft der Fatholifchen Kirche Die genaueften Anordnungen,
deren viele jedoch Tängft in Vergeſſenheit gerathen find. Das
gegen erklären ble. verfammelten Biſchöfe mit Berufung auf $. 2
der Grundrechte, baf (te fernerhin den Gottesdienſt, und alles
darauf bezügliche inner der Grdngen der allgemeinen Staats⸗
gefege felbftfländig anorbnen, und nur ben Geiſt und bie Gefege
der Eatholifchen Kirche babel zur Richtſchnur nehmen werden.
Der treugehorfamfte Minifterratd muß den von ben Bifchöfen
erhobenen Anfpruch ald begründet erkennen.
Allerdings tft e8 für Die Negierung von Wichtigfeit, bag
ba8 Necht, ben Gotteüblenft zu orbnen, ſtets mit welfer Vor⸗
ficht geübt werde, um fo mehr, ba bie Verfammlungen, welche
bie Ausübung eines gefeßlich geftatteten Guftu8 zum ausſchließ⸗
Vichen Zwede haben, von ben gefeglichen Beichränfungen des
Verſammlungsrechtes entbunben find. Auch Dat bie Staats⸗
gewalt unftreitig wie das Recht, fo bie Pflicht, Würfotge zu
tragen, bag nicht unter dem Vorwande gotteßdienftlicher Hand⸗
lungen ble Ruhe geftört, oder bie Sicherheit gefaͤhrdet verbe,
und ber treugehorfamfte Minifterrath behält (id) vor, zu biefem
Zwede Euerer Majeftät gefegliche Beſtimmungen vorzufchlagen,
melche [ὦ auf den Gottesdienſt aller Religionsgeſellſchaften zu
beziehen haben werben. Aber bie verfanimelten Bifchöfe haben
ausgefprochen, daß fie e8 (id) zur Pflicht machen, Alles, was
am ber beſtehenden Gottesdienſtordnung zweckmäßig und Deiljam
ift, forgfam aufrecht zu halten, unb daß feine Abänderung ohne
Zuftimmung der Provinzial- Synode gemacht werben folle; fte
haben audgefprochen, bag fie in ber veränderten Stellung ber
Gefeßgebung eine doppelte Aufforderung finden, jeber willfür-
fidjen Neuerung und jenem Mißbrauche, welcher fich beim Gottes⸗
dienſte einfchleichen könnte, mit unermüblicher Thätigkeit zu bes
gegnen. Zwar kehrt auch Dier bie Schwierigkeit Hinfichtlich ber
Geltung der Befchlüffe zurüd. Dennoch glaubt ber treugehor«
famfte Minifterrath in Berudfichtigung be8 der Kirche verbürg-
ten Rechtes, bie Ttrchlichen Angelegenheiten, zu welchen der Gotteds
bienft vor allem Andern gehört, felbftftändig zu orbnem, darauf
4A
680 Aktenftüde
einvathen zu follen, Euere Majeftät gerufen. zu genehmigen, baf
e8 jedem Bifchofe freiftehe, den Gottesdienſt feiner Diöcefe im
Sinne ber eben erwähnten, von den verfammelten Bifchöfen ges
foßten Beichlüffe zu orbnen und zu leiten.
Die verfammelten Bifchöfe Haben endlich auch bie Bitte
geftellt, „Daß die Megierung Euerer Majeftät der Feier des
Gonntage8 unb ber wenigen fatfoli(jen Feiertage ihren
Schug nicht entziehe, unb wie bisher Alles, was die Heiligung
diefer Tage ftórt, ferne halte.“
Der treugehorfamfte Minifterrath erfennt die Nachtheile
und Störungen, melche entfteben müßten, wenn diefer Gegenftand
dem Bereiche polizeilicher Auffiht gänzlich entzogen würde, und
die Staatögewalt in Feiner Beziehung bie Rückſichten, welche bie
Staatsbürger einander Hinfichtlich der äußern Darftellung ihrer
religlöfen Ueberzeugung ſchuldig find, durch ihr Einfchreiten
aufrecht halten wollte. Die eigenthümlichen VBerhältniffe einzelner
Kronländer bieten jebod) in diefer Beziehung Schwierigkeiten,
welche es nothwendig machen, ble genaue Reglung des Gegen-
ftanbe8. einem fpäteren Seltpunfte vorzubehalten; Euere Majeftät
dürften fid) jedoch bewogen finden, anzuorbnen, daß tnbeffem bie
Behörden angewiefen werben, auf Grundlage der beftehenven
Geſetze darüber zu wachen, daß an Orten, wo ble Eatholifche
Bevölkerung die Mehrzahl bildet, bie Beier ber Sonn- unb
Feſttage nicht Durch geráufd)ool(e Arbeiten ober durch öffentlichen
Handelöbetrieb geftört mwerbe.
Geruhen Cuere Majeftät den geftellten Anträgen bte Aller
höchfte Genehmigung zu ertheilen, und ben ehrfurchtsvoll Unter-
zeichneten zu ermächtigen, bie Eingaben ver bifchöflichen Ver⸗
fammlung in Gemäßheit der in btefem allerunterthänigften Vor⸗
trage entwidelten Anflchten zu erledigen.
Mien, am 7. April 1850. & pum,
Auf biefen Vortrag erließ ber Kaifer nachftehende zwei
allerhöchfte Verordnungen :
ὶ Α
Koiferl. Verordnung vom 18. April 1850,
betreffend das BVerhältniß ber fotfolifdjen Kicche zur Gtaatégewalt.
, Zum Vollzug der durch $. 2 des Patented vom 4. März
1849 ber Fatholifchen Kirche verbürgten Nechte, genehmige Ich
Hetenftüdke, 681
über Antrag Deines Minifters des Eultus und Unterrichtes und
auf Einrathen Meines Minifterrathes für alle Kronlänver Meines
Neicheß, für welche jenes Patent erfloffen ift, nachſtehende Bes
flimmungen: |
4.1. Somohl den Bifchöfen, als ben ihnen unterftehen-
den Gläubigen flieht e8 frei, fid) in geiftlichen Angelegenheiten
an den Papft zu wenden, und die Cntfdjeibungen und Anord⸗
nungen be8 Papftes zu empfangen, ohne dabei an eine vorläus
fige Zuftimmung der weltlichen Behörden gebunden zu fein,
6. 2. Den Eatholifchen Bifchöfen flet es frei, über Ges
genftánbe ihrer Amtögewalt und innerhalb der Gränzen berfel-
ben an ihren Elerus und ihre Gemeinden ohne vorläufige Ges
nehmigung der Staatsbehörde Ermahnungen und Anordnungen
zu erlaſſen; fte haben jebod) von ihren Erläfien, in jo ferne
fie äußere Wirkungen nach fid) ziehen, ober öffentlich funb ges
macht merben follen, gleichzeitig den Negierungsbehörben, in
deren Bereich die Kundmachung erfolgen, oder ble Anwendung
gefcheben fol, Abfchriften mitzutheilen.
6. 3. Die Verordnungen, durch welche bie Kirchengewalt
bisher gehindert war, Kirchenftrafen, bie auf bürgerliche Mechte
feine Rückwirkung üben, zu verhängen, werben außer Kraft geſetzt.
6. 4. Der geiftlichen Gewalt fleht ba8 Necht zu, Sene,
welche bie Kirchenämter nicht der übernommenen DBerpflichtung
gemäß verwalten, in der durch das Kirchengefeg beflimmten Form
zu fufpenbiren ober abzufegen, und fie der mit bem Amte θεῖε
bundenen Einkünfte verluftig zu erflären.
$. 5. Zur Durchführung des Erkenntniſſes fanm die Mit-
wirkung der Staatsbehörden in Anſpruch genommen werben,
wenn benfeben der orbnungsmäßige Vorgang ber geiftlichen
Behörde durch Mittheilung der Unterfuchungsaeten nachgewiefen
wird. .
$. 6. Mit ber Durchführung dieſer Veſtimmungen tft
Mein Minifter des Eultus unb Unterrichtes beauftragt.
Meine Behörben find anzuweifen, bag, wenn ein Tatholifcher
Belftlicher feine Stellung unb bie ihm in derfelben für fitdjs
liche Zwecke guftebenben Befugnifie zu anderen Zweden in ber
Art mißbraucht, bag feine Entfernung vom Amte für nothwen⸗
big erfannt wird, fte ſich deßhalb vorerſt mit feinen Firchlichen
Vorgefehten Ins Einvernehmen fegen.
Den Gerichtsbehörden ift zu verorpnen, bag, wenn ein
682 9fftenftü de.
katholiſcher Geiftlicher megen Verbrechen ober. Vergehen verur⸗
theilt wird, dem Bifchofe die Verhandlungsacten auf fein Ber:
langen mitgetheilt werden.
In ber Mir zuftehenden Ernennung der Bifchöfe" erkenne
Sd) ein von Meinen erlauchten Vorfahren überfommene8 Recht,
welches Ich gewiffenhaft zum Helle und zum Frommen der
Kirche und be8 Meiches auszuüben gebenfe, Um bei ber Aus
wahl ber Perfon das SBejte der Kirche zu wahren, werde 3d
ſtets geneigt fein, bei Befegung von Bisthümern, vote bief auch
biöher in Uebung war, den Rath von Bifhöfen, und nament-
lich von Bifchdfen der Kirchenprovinz, in welcher das Bisthum
erlediget ift, zu hören. _
Meber bie bei Ausübung der Yandeöfürftlichen Rechte in
Betreff der SBefegung geiftlicher Aemter und Pfründen zu θεοῦ»
achtende Form Dat Dein Minifter des Eultus und Unterrichtes
Mir bie geeigneten Anträge zu erflatten.
Zur Durchführung ber von ber Berfammlung der Bifchöfe
in Betreff ver 3Bebingung zur Erlangung von Domherrnſtellen,
der Domtcellar-Banonicate, dann in Betreff ver Wahl-Eapitel
zu Olmütz und Salzburg befchloffenen Maßregeln find bie Bis
fhöfe, in fo weit Meine Regierung dazu mitzuwirken berufen
ift, fráftigit zu unterſtützen.
Die vollftändige Durchführung ber von der Berfammlung
ber Bifchöfe über die Pfarr⸗Concurs⸗Prüfung getroffenen Be
flimmungen foll, unter bem Vorbehalte, daß dieſelben nicht ohne
mit ber Regierung gepflogene 9tüd[prad)e abgeändert werden,
fein Hinderniß finden, jedoch foll dort, wo, und in fo welt,
als jene Beſchlüſſe nicht zur Richtſchnur genommen werben, bei
bet Pfarr-Concurd-Prüfung nach ben biäherigen Anordnungen
vorgegangen werben.
3d) genehmige, bag ed jedem Bifchofe freiftehen foll, ben
Gottesdienſt in feiner Diöcefe Im Sinne ber von der Verſamm⸗
lung ber Bifchöfe gefaßten Befchlüffe zu orbnem unb zu leiten.
Meine Behörden find anzuweiſen, auf Grundlage ber be
ſtehenden Gefepe darüber zu wachen, bag an Orten, wo bit
tatholifche Bevölkerung ble Mehrzahl bildet, bie &eler ber Sonn-
und katholiſchen Feſttage nicht durch geraͤuſchvolle Arbeiten ober
durch öffentlichen Handelsbetrieb geftört werde.
Im llebrigen nehme Ich den Inhalt der Mix vorgelegten
Eingaben der Berfammlung der Bifchöfe zur Kenntniß, unb
Aktenftüde. . 683
ermächtige Meinen Minifter des Eultus unb Unterrichtes, folche
in Gemäßheit der in dieſem Vortrage entwidelten Anftchten zu
erledigen. Ueber bie nod) unerledigten ragen find Mir die
geeigneten Anträge mit thunlicher Befchleunigung zu erftatten,
unb infoferne ein Einvernehmen mit dem paͤpſtlichen Stuhle
notfwenbtg ift, find hiezu bie nöthigen Vorbereitungen und
Einleitungen zu treffen.
Diefed Einvernehmen wird fid) auch auf bie Negelung des
Einfluffes zu erſtrecken haben, ber Meiner Otegierung gewahrt
werden muß, um von geiftlichen Aemtern und Pfründen im
Allgemeinen Männer fern zu falten, welche ble bürgerliche Ord⸗
nung gefährden fünnten,
Min am 18, April 1850.
rans Joſeph. m. p.
Thun. m. p.
Katferl. Verordnung vom 28. April 1850,
betreffend das Berhältniß der Kirche zum öffentlichen Unterricht.
In Erwägung der $8. 2, 3 und 4 des Patented vom
4. März 1849 genehmige Ich, nadj dem Antrage Meined Mi-
nifter8 des Cultus unb Unterrichtes und über Einrathen Meines
Pinifterratbes, für alle Kronländer, für welche jened Patent
erfloffen ift, nadjftebenbe Beſtimmungen:
$. 1. Niemand fann an nleberen. ober höheren öffentlichen
Lehranftalten als katholiſcher Religionslehrer oder Profeffor bet
Theologie wirken, ohne die Ermächtigung Diegt von dem Bi⸗
ſchofe erhalten zu haben, in beffen. Diöcefe (id) die Anftalt be»
findet.
6. 2. Der Bifchof fann ble Iemanden ertheilte Ermaͤch⸗
tigung jederzeit wieder entziehen; die bloße Entziehung diefer
Ermächtigung macht jedoch einen von ber Otegterung angeftellten
Lehrer nicht des Ihm gefeglich zuftehennen Anfpruches auf einen
Nuhegehalt verluftig.
$. 3. Es bleibt Sache ber Oteglerung, Männer, welche
vom Bifchofe bie Ermächtigung zum Vortrage der Theologte
erhalten haben, an ben theologifchen Facultäten zu Profefforen
zu ernennen, ober als Privatdocenten gugulaffen, und dieſe vers
walten tbr Amt nadj Mafigabe der alavemifchen Geſetze.
684 Altenſtucke.
F. 4. Dem Biſchofe ſteht es frei, feinen Alumnen bie
Vortraͤge, welche ſie an der Univerſitaͤt zu beſuchen haben, und
deren Reihenfolge vorzuzeichnen, und ſie darüber in feinem Se⸗
minarium prüfen zu lafien.
6. 5. Zu bm firengen Prüfungen der Gandivaten bet
theologifhen Doctorswürde ernennt der Bifchof die Hälfte bet
Prüfungs-Commiffäre aus Männern, welche felbft den theolo⸗
gifchen Doctorsgrad erlangt haben.
€. 6. Es fann Niemand die tbeo[ogijdje Doktorswürde
erlangen, ber nicht vor bem Bifchofe, oder bem von ibm Bes
auftragten, das tridentinifche Glaubensbekenntniß abgelegt bat.
Mit der Durchführung dieſer SSeftimmungen ift Mein Mis
nifler des Cultus und Unterrichtes beauftragt.
Franz Joſeph m. p.
Thun m. p.
Rah Gmanirung diefer beiden Faiferl. Defrete ließ
endlich das F.-F. Minifterium im Auftrag Sr. Majeftät
den hochw. Bifchöfen nachftehende Eröffnung auf ihre Gin:
gabe vom 30. Mai 1849 zugehen:
Die verfammelten Bifchöfe haben e8 für nöthig erachtet,
fd in ihrer Zufchrift vom 30. Mat vorigen Jahres zuvoͤrderſt
im Allgemeinen über bte Stellung zu erklären, welche die fa»
tholifche Kirche in Anfpruch nimmt, und bie Ueberzgeugung aud»
gebrüdt, bag bie Regierung Seiner Majeftät, während [ an»
deren Religionsgeſellſchaften neue echte verleibe, bie alten,
wohlerworbenen Rechte der katholiſchen Kirche anerfenne und
zu beſchützen bereit fel.
Sie werden in biefem. Bertrauen fich nicht täufcgen. Die
Regierung Seiner Majeftät ift von dem Girumbjage ausgegangen,
daß bie lieberzeugungen, welche ben Menfchen mit einer höheren
Welt verfnüpfen, dem heiligften Bereiche der Freiheit angehören,
und enthielt fid) auf biefelben auch nur mittelbar einzumirken,
unter der Vorausſetzung, bag ed (id) um wahrhaft religiöfe
Meberzeugungen, alfo um folche handle, welche ben Pflichten,
ohne deren Erfüllung ein wohlgeorbnetes Staatsleben unmöglich
it, zur feflen Gtüge dienen. Deßwegen wurben hie bürger
lihen und politifchen Nechte yon bem Religionsbekenntniſſe uns
Altenftüde. 685
abhängig gemacht, und hinſichtlich ber Mechte, welche ber $. 2
des mehrerwähnten a. D. Patente® oom 4. März 1849 zuflchert,
alle gefeglih anerkannten Kirchen und NReligiondgefellfchaften
einander gleichgeftellt.
Dadurch find aber bie befonderen Nechtöverhältniffe, welche
fij zwifchen Oeſterreichs Herrfchern und der Fatholifchen Kirche
jet Jahrhunderten entwicelt haben, weder aufgehoben noch im
Frage geftellt. Auch wird bie 9tegierung Gr. Majeftät, während
fle jeder Neligiondgefellfchaft bie geſetzlich zugeficherte Freiheit
gewährt, ber Kirche, von welcher eine fo große Mehrzahl bet
‚Staatöbürger für fo wichtige, geiftige Intereffen Befriedigung
erwartet, fletd bie’ forgfamfte Berüudfichtigung zuwenden.
Die verfammelten Biſchoͤfe haben ferner den Zufak, baf
bie Kirchen und Neligionsgefellfchaften wie jede Geſellſchaft ben
allgemeinen Staatögefegen unterworfen feien, zum Gegenftanbe
einer Erläuterung gemacht, unb [ie beziehen ihn ganz im
Sinne des Gejeggeberà auf die Erfüllung jener allgemeinen
Bürgerpflichten, welche den Wirkungskreis der Fatholifchen Kirche
nicht beeinträchtigen, fondern vielmehr durch ihre Lehren unb
Ermahnungen geheiligt werben.
Im llebrigen Dat die Regierung Seiner Majeftät niemals
verfannt, bag bie katholiſche Kirche auf dem feften Grunde ber
Ueberzeugung, daß fie nicht nur Ihre Glaubens⸗ unb Gitten-
lere, fondern auch die Grundzüge ihrer Verfafjung durch gött«
fide Offenbarung empfangen babe, nicht wie andere Gefells
ſchaften ihre eigenen Gefege willführlich ändern fünne, und baf
daher jede Staatögewalt, bie eine SBerftánbigung über ihre Bes
ziehungen zur Eatholifchen Kirche wünfcht, jene Geſetze anets
kennen müſſe.
Die verſammelten Bifchöfe gehen von ber Vorausſetzung
aus, bag durch $. 2 der Grundrechte bie Hemmniſſe, welche
ihrem Verkehr mit dem Heiligen Stuhle bisher im Wege ſtan⸗
den, vollfommen gehoben feien, und weder für fie, nod) für
die Ihnen unterftehenden Gläubigen fernerhin eine Schwierigkeit
obwalten werde, fld in geiftlichen Dingen an ben Papft zu
wenden, ober ble Cntfdjeibungen und Anordnungen bejjelben zu
empfangen.
Ste fprechen ferner die zuverfichtliche Erwartung aus, bag
in Folge der zugeflcherten Selbftftänbigfeit der Kirchenverwal-
tung ihnen fletö werde geftattet fein, über Gegenftänbe ihrer
686 Aktenftüde.
Amtsgewalt an ihre Gemeinden ohne vorläufige Genehmigung
der Staatöbehörden Ermahnungen und Anorpnungen zu erlafien.
Die Taiferliche Regierung erkennt biefe Anforderungen für
wohlbegründet, und hält jenes Mißtrauen gegen ben. heiligen
Stuhl unb den Fatholifchen Episkopat ihrer unmürbig.
Darum ift in der sub A *) anrufenben Verordnung vom
18. 1. M. Hinfichtlich des Verkehrs mit Nom feftgejept worden:
» Sowohl den Fatholtfchen Bifchöfen, als den ihnen untere
ſtehenden Gläubigen ftebt es frei, fid) in geiftlichen Angelegen-
beiten an den PBapft zu wenden, und bie Entjcheidungen unb
Anoronnngen des Papftes zu empfangen, ohne babel an eine vor»
läufige Zuſtimmung der weltlichen Behörden gebunden zu fein. *
Diefe gefehliche SBeftimmung wird in dem Sinne, in welchem
fle gegeben ward, und ohne Fleinliche Verfümmerung durchge
führt werben; bod) hält das Miniſterium e8 für wünfchensmerth,
dag bie hochwürdigſten Bifchöfe aus eigener Wahl fid) beftimmt
fühlen, in Parteifachen (id) τοῖς bisher des zu Nom angeftellten
Taiferlichen Agenten zu bedienen.
Eine vieljährige Erfahrung hat für die Unzufömmlichkeiten,
welche mit der Benügung von Privatagenten verbunden find,
Binreidjenbe Beweiſe gegeben unb die elgennítgigen Berechnungen,
deren biefefben ὦ nicht felten fdjufbig machen, bringen nicht
nur ben betreffenden Parteien Nuchtheil, fondern veranlaffen
auch ungerechte Beſchwerden miber den päpftlichen Stuhl.
Auch In Betreff des Verkehrs, welcher zwiſchen bem Bi⸗
ſchofe und der ihm anvertrauten Diödcefe zum Behufe der Ober:
leitung einzutreten Dat, tft ben Wünfchen ber hochwürdigſten
Bifchöfe entfprochen: denn Seine Mafeftät haben laut obiger
Beilage zu verordnen gerubt:
„Den katholiſchen Bifchöfen fteht es frei, über Gegenftände
ihrer Amtögewalt, und innerhalb der Gränzen verfelben, an
Ihren Clerus und ihre Gemeinden ohne vorläufige Genehmigung
der Gtaatübefürbe Ermahnungen und Anordnungen zu erlaflen;
fte haben jedoch von ihren Erlaͤſſen, infofern fle äußere Wirs
tungen nad) (td) ziehen, ober öffentlich fund gemacht werben
follen, gleichzeitig ben Negterungsbehörben, in deren Bereich
bie Kundmachung erfolgen, ober die Anordnung gefchehen foll,
Abfchriften mitzuteilen. ^
*) Siehe oben lit. A.
WA BÀ. o VQ ἘΞ τὰ τὸ * wu. , 3
Ἂς
rn. Dan RZ Zu 2 3
bac --——— A. —M 9
Aktenſtuͤcke. 687
Provinzialconeillen und Diöcefanfpnoben zu Halten, Dat
die öfterreichifche Regierung niemals verboten.
Umfoweniger wird fie jet Dinbernb entgegentreten, ba (te
unter ben von den Kirchengefegen vorgefhriebeuen Bedingungen
wieder abgehalten werben,
Jedoch erwartet bie Regierung Seiner Majeftät, taf ihr
vorher bie Beitimmungen, nach welchen fle einberufen werben
follen, werben bekannt gegeben, und daß die auf denfelben bes
ſchloſſenen Anordnungen, infofern fie äußere Wirkungen nad)
fich ziehen, ober öffentlich funbgemadjt werden follen, den Re⸗
gierungsbehörven werden mitgetheilt werben.
Die verfammelten Bifchäfe haben in ihrer Zuſchrift vom
16. Sunt v. 3. erklärt, baf wenn ble Lebensthätigkeit ber Kirche
fid) fraftool( erneuern foll, jte auch in Betreff der Gerichte.
barkeit wieder in Uebung ihres Mechtes eintreten müſſe.
Die Regierung Seiner Majeftät geht von dem Grunbfage
aus, daß, gemäß $. 2 des Allechöchften Patentes vom 4. März
1849, über Firchliche Angelegenheiten von den kirchlichen Bes
hörden, unb nach Maßgabe ber firdjengefege zu entſcheiden ſei.
Die hochwürdigſten Bifchöfe deuten jedoch felbft auf bie
Nothwendigkeit Din, Einleltungen zu treffen, um über einige
wichtige Punkte der geiftlichen Gerichtsordnung nähere Beſtim⸗
mungen zu erzielen, nachdem bie Entwidlung des Gewohnheits⸗
rechted in ihren Diöcefen durch vieljährige Unterbrechung der
geiftlichen Gerichtsbarkeit gehemmt wurde.
Die Oteglerung darf Π ber Erwartung Hingeben, bag
diefe Einleitungen fo [πεῖ ald e8 bie Natur der Sache ge -
flattet, werben getroffen und deren Grgebnijje ihr mitgetheilt
werden.
PVorläufig mug fie jedoch für den Ball, bag die geiftliche
Behörde eine Unterflügung von Gelte ber Gtaatügewalt anfpricht,
fij vorbehalten, in die Yinterfuchungsacten Einflcht zu nedmen
unb fich bie Meberzeugung zu verichaffen, bag ber Vorgang den
Kicchengefeßen, auf welche e8 babet allein anfómmt, vollkom⸗
menb entfprechend fe. Demgemäß find über die geiftliche Ges
richtsbarkeit durch bie $$. 3 bi8 5 der Allerhoͤchſten Verordnung
vom 18. I. M. nachftehenne Beflimmungen getroffen worden:
„Die Geſetze und Verordnungen, welche der Kirchengemwalt
verwehrten, Kicchenftrafen, die auf bürgerliche Mechte Teine
Rückwirkung üben, zu verhängen, werben außer Kraft ge[egt. "
688 Aktenſtücke.
„Der geiſtlichen Gewalt ſteht das Recht zu, Sete, welche
die Kirchenaͤmter nicht der übernommenen Verpflichtung gemäß
verwalten, in ber Durch das Kirchengefe beflimmten Form zu
fufpenbiren ober abzufehen, und (fe ber mit bem Amte ver
bundenen Einkünfte verluftig zu erklären. ^
„Zur Durchführung des Erkenntniffes fann die Mitwir⸗
tung bet Staatöbehörden in Anfpruch genommen werben, wenn
denfelben der ordnungsmaͤßige Vorgang der geiftlichen Behörde
durch Mittheilung der Unterfuchungsacten nachgewiefen wird. *
Die verfanmelten Bifchöfe haben im Gelfte der Kirche,
welche (le vertreten, es ausgeſprochen, daß geiftlicher Aemter
und Pfründen nur Solche würdig íepen, welche geeignet find,
wie in jeder chriftlichen Tugend, fo aud) in Erfüllung ber
Pflichten gegen die bürgerliche Obrigkeit ber. chriftlichen Ge.
meinbe mit Wort und Beifptel vorzuleuchten.
Die Regierung Seiner Majeftät vertraut darauf, Daß jeder
Vorſteher der Eatholtfchen Kirche diefen Grundſatz ſowohl bel
Candidaten von geiftlichen Aemtern, als auch bei ſchon ange
ftellten Geiftlichen durchführen und ble Hand bieten werde, um
Geiftliche, welche ihren Heiligen Wirkungskreis auf eine bem
Staate gefährliche Weiſe mißbrauchen, unſchadlich zu machen.
Durch jede Abweichung von diefer Hegel geriethe ble Staats⸗
gewalt in eine traurige Colliſton zwiſchen ber Pflicht, die ihr
als Gütern der Orbnung obliegt, und ihrem Wunfche, fogat
den Schein εἰπε Eingriffes in kirchliche Mechte zu vermeiden.
In der Hoffnung, daß es, wenn folche traurige Kalle fid)
ereignen, ſtets möglich fein verbe, im Einverflänbniffe mit bem
betreffenden Bifchofe vorzugehen, haben Seine Mafeftät mit a. D.
Entſchließung vom 18. 1. M. anjuorbnen gerubt, bag, wenn
ein Geiftlicher feine Stellung und die ihm: in derſelben für
tirchliche Zwecke zuftchenden Befugniffe zu anderen Sweden. in
ber Art mißbraucht, baf feine Entfernung vom Amte fid) der
Otegterung als nothwendig darſtellt, die weltlichen Behörben
ſich deshalb vorerft an feinen Tirchlichen Vorgefegten zu wenden
fa6en. Es werden zu dem Ende die geeigneten Welfungen an
die Behörden erlaffen werben. Andererſeits entfpricht es bet
Gerechtigkeit, daß, wofern eim Geiftlicher vom ben weltlichen
Berichten wegen Verbrechen oder Vergeben verurtbeilt wird, ber
Biſchof In bie Möglichkelt verfeßt werde, zum Behufe bet Ver⸗
hangung einer geiſtlichen Strafe ſowohl ber Thatbeſtand ale
Aktenftüce. 689
auch die Schufpbarkeit des Verbrechens felbftflännig zu beur⸗
theilen. Daß der Bifchof zu bem Ende vor Vollzug bet Strafe
von ber Verurtheilung in Kenntniß gefeßt verbe, ift bereits
durch bie beſtehenden Gefepe angeordnet. Auch bie Mittheilung
der Acten ijt fdjon biäher nicht verweigert worden. Seine Ma⸗
jeftät haben jedoch nunmehr anjuorbnen gerubt, baf ben Ges
richten ausprüdlich zur Pflicht gemacht werde, in folchen Fällen
ble Acten dem Bifchofe auf fein Verlangen mitzuteilen.
In der Seiner Majeflät zuftehenden Ernennung der Bi⸗
fchöfe erfennen Allerhoͤchſtdieſelben ein von Ihren erlauchten Vor⸗
fahren überfommenes8 Recht, welches Ste gemiffenBaft zum Selle
und zum Wrommen ber Kirche und be8 Reiches auszuüben ges
benfen. Um bet ber Ausmahl ber Perfon das Befte der Kirche
zu wahren, werben Seine Majeflät, mie ble8 auch bisher in
Hebung war, fidj flet8 geneigt finden, bei SBefegung von Bis⸗
thümern ben Rath von Bifchöfen, und namentlich von Bifchöfen
der &irdenprooin;, in welcher das Bisthum erledigt ift, zu
hören. Seine Mafeftät haben Allerhächft Ihre Regierung beauf⸗
tragt, den hochwürdigſten Bifchöfen diefe Erklärung zu ihrer
Beruhigung zu erthellen, und zugleich angeorbnet, über bie
Form, in welcher bie landesfürftlichen Otedjte in Betreff ber
fBefegung geiftlicher Aemter und Würden künftig geübt werben
ſollen, eine Verhandlung einzuleiten. Infofern εδ΄ erforberlich
ift, wird hierüber das Einvernehmen mit dem päpftlichen Stuble
herbeigeführt werben.
Diefem Einvernehmen bleibt auch die Otegelung des Ein-
flufies vorbehalten, welcher der Regierung Seiner Majeftät ge»
wahrt werden muß, um von geiftlichen Aemtern und Pfründen,
zu welchen nicht Seine Mafeflät ernennt, Männer ferne zu
halten, deren Wirkfamkeit der bürgerlichen Ordnung Gefahr
brobt.
Der kaiſerlichen Regierung kann e8 nur willkommen fein,
wenn bie Bedingungen zur Crlangung einer Domberrnftelle,
durch welche man dem Verdienſte und der Erfahrung den ges
Pübrenben Vorzug zu fichern- firebte, die Tirchliche Anerkennung
erhalten. Sie (feft der baldigen Mittheilung entgegen, daß
dies geſchehen jet.
Daß bei Verleihung von Aemtern und Würden nur Bes
fählgung unb Verdienſt in Anfchlag gebracht werden bürfe, ift
ein Grunbíag, an weldjem bie Regierung Seiner Majeftät flets
6% Altenſtücke.
feſthalten wird. Die verſammelten Biſchoͤfe haben für nothwen⸗
dig erkannt, daß auch im kirchlichen Bereiche jede Abweichung
von dieſer Regel ausgeſchloſſen werde, und beſchloſſen dahin
zu wirken, daß das Erforderniß adeliger Geburt, welches noch
für mehrere Domherrnſtellen beſteht, in ſo weit die in der
Stiftung geſetzten und angenommenen Bedingungen es zulaſſen,
aufgehoben, und das Inſtitut der Domicellar⸗Domherrn dem
Erloͤſchen entgegengeführt werde.
Die Regierung Seiner Majeſtaͤt zollt ihren vollen Beifall;
fle wünfcht, daß bie dazu nötbigen Einleitungen fobald als
möglich getroffen werben, und wird benfelben, in fo weit fie
dabei mitzuwirken Bat, bie Eräftigfte Unterftlügung gewähren.
Daffelbe gilt Hinfichtlich ber Beſtimmungen, weldje die verſam⸗
melten Bifchöfe bei den Wahlen der Erzbifchöfe von Salzburg
und Olmütz eingeführt zu fehen wünfchten.
Die Wünfche ber Bifchöfe In Betreff ber Betheiligung der
Geiſtlichen an ber von allen Staatsbürgern zu tragenden aft
der Borfpanngleiftung unb Militär-Einquartirung, dann Hin
πε ὦ der Befreiung der Candidaten des geiftlichen Standes
von ber Milttärpflicht werden gerechte Würbigung finden.
Die 9teglerung Seiner Majeſtaͤt weiß, welche hohe Bes
deutung bie fittlich religiöfe Bildung für bie Gefellfchaft Habe,
und wird bie Rechte, welche der Kirche In dieſer Beziehung
zuftehen, ftet8. ehren und fchügen. Sie erkennt es ald Grund⸗
fag an, bag Niemand an irgend einer für Katholiken bes
flimmten Unterrichtsanftalt als Lehrer ber Religion ober ber
theologtfchen Wiffenfchaft wirken fónne, ohne Diegu von bem
Bifchofe, in beffem Diöcefe die Anftalt fid) befindet, bie Gr»
mächtigung erhalten zu haben unb bag ed dem Bifchofe jeder⸗
zeit frei flee, dieſe Ermächtigung wieder zurüczuziehen. Nur
verfteht e8 (id) von ſelbſt, bag dies nicht Hinreichen kann, einen
von ber Meglerung angeftellten Lehrer des ihm gefeßlich zufte-
henden Anfpruches auf einen Ruhegehalt ohne weitere Verhand⸗
fung verluftig zu machen.
Die verfammelten Bifchöfe Haben in ber. Zufchrift vom
15. Juni erklärt, baf die Heranbildung der Candidaten des
geiftlichen Standes, und hiemit fowohl der Unterricht in ber
Theologie, als die Einrichtung und Leitung der geifllichen Ges
minarien unläugbar in ben Bereich ber Tirchlichen Gewalt gehöre.
Was die geiftlichen Seminarien betrifft, fo haben bie ver»
Atınflüde. 691
fommelten Biſchofe ſelbſt anerkannt, bag bie Staatögewalt in
dieſer Hinſicht ble Kirche bisher nicht beirrt, fondern vielmehr
durch ihre Verordnungen unterflüßt Habe.
Auch in, Zukunft wird Fein Bifchof gehindert fein, bae
geiftliche Seminartum nad) Vorfchrift ber Kirchengefege zu fetten.
Die Errihtung von Knabenfeminarien kann inner ben
Örenzen, welche $. 3. der allgemeinen Bürgerrechte vorzeichnet,
keinem Anftande unterliegen. :
Ueber ben Unterricht in ben "theologifchen Wiffenfchaften
dat bie biſchöfliche Verfammlung Beſchlüſſe gefaßt, welche fid)
nicht nur auf die DidcefansLehranftalten, fonbern auch auf die an
den Untverfitäten beftehenden Facultaͤten der Theologie beziehen.
Ber Berückſichtigung berfefben muß die Faiferliche Regie⸗
tung zwiſchen bem theologiſchen Didcefan- und Klofterlehran«
flalten und bem theologifchen Facultaätsſtudium unterfcheiden.
Infofern die mitgetheilten DBefchlüffe die Diöcefan» und
Klofterlehranftalten betreffen, erklärt das Miniftertum fete volle
Belftimmung, und ἐδ hätte bei Seiner Majeftät fogleich die
Auflaffung ber bisherigen, biefe Gegenflánbe berüfrenben An⸗
ordnungen beantragt, wenn ed bafür Bürgfchaft Hätte, daß
diefe Befchlüffe von ben Hochmwürbigften Biſchöfen, welche fte
gefaßt Haben, für eine fie unb ihre Nachfolger verpflichtenbe
Nichtfehnur angefehen würden.
Es Tiegt nicht in der Abficht des Miniſteriums, hinſicht⸗
[ijj ber Einrichtung der theologifchen Didcefan- und Kloftere
leranftaltem für ben Staat eine die Beſtimmungen des $. 3
des Alterhöchften Batentes vom 4. März 1849 überfchreitenve
geſetzgebende Macht In Anſpruch zu nehmen. |
Doch einerfeitd (ff e& nicht wünfchenswerth, daß bent eite
zelnen Bifchofe in dieſer Beziehung ein unbefchränkter Spielraum
gelafien werde; andererfelts hält das Miniſterium die Staatd-
gewalt allerdings für berechtigt, in bie bießfälligen Anord⸗
rungen ber geiftlichen Gewalt, bevor fie in S'Birffamfett treten,
Einficht zu nehmen, und fowohl ihre Wünfche auszudrüden,
als aud) auf etwa "obwaltende Schwierigkeiten aufmerfíam zu
machen. Abgefehen davon, daß ber Religtondfond, aus welchem
ble Diöcefanlehranftalten erhalten werden, bebeutender Zufchüfie
aus dem Staatövermögen bedarf, muß εδ aud) von ber Ein-
richtung ber Dideefan- und Klofterlehranftalten abhängen, in
wie fem der an denfelben erhaltene Unterricht für die Befähl«
Weol. Duartalſchrift. 1850. IV. Heft. 45
a an
Berselarzit -up-utr meer iunm rhe Bp Βα degernmy
füm;. ur rjr Sie dur rum durolenide πεῖ; iagedue, τας:
Altenſtuͤcke. 693
Dideeſanlehranſtalt Habe, über welche er inner den Graͤnzen,
welche durch bie Beſchlüſſe der bifchöflichen Verfammlung ober
durch bie beſtehenden Einrichtungen gezogen werden, frei ver»
fügen fune. ^ Zu wünfchen bliebe nur, daß feine Wahl ftet8
auf Männer falle, welche bie noͤthigen Eigenfchaften befiken,
um von der Regierung zugleich als Profefioren an der theo⸗
Iogifchen Facultaͤt angeftellt zu werben. Um die Eirchliche Gel»
tung der theologifchen Doctorswürde ficher zu ftellen, erfcheint-
εὖ zweckmaͤßig, daß ber Biſchof die Hälfte ber Prüfungs-Coms
mifläre ernenne, und daß Jeder, welcher zu dieſer akademiſchen
Würde befördert wird, das tridentinifche Glaubensbekenntniß
abzulegen Dat.
Seine Majeftät haben ble Grundfäge, nach welchen ba8 Mi⸗
nifterium bie Einrichtung der theologifchen Studien beurtheilt,
gutgebeigen , und bie sub B *) beiliegende allerhoͤchſte Ver⸗
ordnung vom 23. [. M. enthält hierüber nachftehende Bes
flimmungen:
„Niemand ἔαππ an niederen ober höheren öffentlichen Lehre
änftalten als fatholifcher Religionslehrer oder Profeffor ver
Theologie wirken, ohne die Ermächtigung Dieu von bem Bi⸗
fchofe erhalten zu haben, in deſſen Diöcefe ſich bie Anftalt
befindet. *
„Der Biſchof fanm die Iemanden eriBel[te Ermächtigung
jeverzeit wieder entziehen ; bie bloße Entziehung dieſer Ermäch-
tigung macht jebod) einen oon ber Negierung angeftellten Lehrer
nicht des Ihm gefehlich zuſtehenden Anſpruches auf einen Ruhe⸗
gehalt verluftig. ^
„Männer, woeldje vom Biſchofe die Ermächtigung zum
Vortrage der Theologie erhalten haben, an den theologiſchen
Facultaͤten zu Profeſſoren zu ernennen, oder als Privatdozenten
zuzulaſſen, bleibt der Regierung vorbehalten.“
„Sie verwalten Ihr Lehramt nad) Maßgabe der akade⸗
mifchen Geſetze.“
„Dem Bifchofe ſteht es frei, feinen Alumnen die Vor⸗
träge, welche ffe an der Uniberfitát zu befuchen haben, unb
deren Reihenfolge vorzuzeichnen, und (ie darüber in feinem
Seminarium prüfen zu laffen. ^
„Zu den firengen Prüfungen der Ganbibaten der theolo⸗
*) Gite oben lit. B. |
45 *
694 Atenſtucke.
giſchen Doctorswurde ernennt der Biſchof bie Hälfte der Prüs
fungs-Gommiffäre aus Männern, welche felbft den theokogifchen
Doetorögrad erlangt haben. "
ν G8 fann Niemand diefe Würde erlangen, der nicht vor
bem Bifchofe dad triventinifche Glaubensbelenntniß abgelegt Dat. "
Zugleich haben Seine Majeflät anzuorbnen geruht, daß
die volíflánbige Durchführung der Beichlüffe, welche bie vers
fammelten Bifchöfe über die Einrichtung der theologifchen Dioͤ⸗
ceſan⸗ und Klofterlehranftalten gefaßt haben, fein Qinbernig
finde; unter dem Vorbehalte, bag Feine Abänderung ohne mit
der Megierung gepflogene Nüdfpradye werde verfügt werben;
daß aber, wo unb infoweit Diöcefan» und Klofterlehranftalten
biefe Befchlüffe nicht zur Nichtfchnur nehmen, nad) den bishe⸗
rigen Beflimmungen vorzugehen ſei.
Auch Haben Seine Majeftät genehmigt, daß, wo in Zu⸗
kunft eine theologiſche Facultaͤt beſtehen wird, zugleich eine
Diöcefananftalt eingerichtet werde, welche ber Bifchof unter ben
angegebenen Bedingungen leite.
Die Berbefierung ber Gehalte, welche bie verfammelten
Bifchöfe für bie Profefforen ber DiöcefansLehranftalten beantragt
haben, ift unftreitig wünfchenswerth; doch kann fie gleich allen
Beränderungen, mit welchen eine DBermehrung der Ausgaben
verbunden wäre, erft bann. in nähere Erwägung gezogen werben,
wenn bie Verhandlungen über den Meligiondfond gefchlofien
fegn werden. Was ben von den hochwürbigften Bifchöfen aus⸗
gebrüdten Wunſch anbelangt, bag zu Wien eine höhere kirch⸗
liche Bildungsanftalt unter dem leitenden Ginffuffe der Bifchöfe
beftebe, fo unterliegt es feinem. Zweifel, bag eine folche Anftalt
bei einer zwedimäßigen Einrichtung [εὖτ Deiljam zu wirken vet»
möge. Ja (le iff unter den gegenwärtigen Berhältuiffen ein
bringenbered SBebürfnig ala bisher, weil bie ber Kirche ges
währte größere Freiheit ba8 fBebürfnig nah Prieftern fteigert,
welche mit gründlicher Vorbildung für ihre beſonderen Berufs«
zweige eine allgemeine wiffenfchaftliche Ausbildung verbinden.
Nachdem die Leitung einer folchen Anftalt als einer rein kirch⸗
lichen den Bifchöfen zufteht, fo fieht bie Negierung Seiner Mas
jeftät baldigen Vorfchlägen der hochwürdigſten Bifchöfe in biefes
wichtigen Angelegenheit entgegen.
3n Betreff der mittleren Schulen haben bie. verfammelten
Biſchoͤfe ben Wunfch ausgefprochen, bag ihnen überlafien werbe,
Aktenſtlicke. 695
an denfelben die Neligtondlehrer unter denfelben Bedingungen
zu beftellen, unter welchen für den Bifchof bie Anftellung tet
Profeſſoren ber Theologie beantragt wurde. Das Minifterium
muß vorerft darauf aufmerffam machen, bag in Folge bet
Neugeftaltung dieſer Lehranftalten aud) der an denſelben mite
kende Religlonslehrer eine veränderte Stellung einnehmen wird.
Menn berfefbe hinter den übrigen Gnmnaflallehrern an Bildung
und Kenntniffen zurüdflünde, fo würde dieß ibm in ber Ach»
tung ber Schüler (djaben, und. daher auf den Erfolg, feiner
Borträge nuchtheilig einwirken. Darum ijt zu wünfchen, baf
kein Priefter als Religionslehrer an ben. Gymnaſten angeftelft
werbe, welcher fid) nicht gleich andern Bewerbern um ein Gym⸗
naftallehramt über feine allgemeine Bildung ausgewieſen habe.
Aus demfelben Grunde ift e8 zweiimäßig, bag ber Religions⸗
lehrer ebenfo, wie dieß oon andern Gymnaſtallehrern verlangt
wird, fählg fet, wenigſtens aus zwei verwandten Bächern Uns
terricht zu ertheilen; fein Einfluß und fen Anfehen wird da⸗
dutch gewahrt werden. Doch aud) eine andere Ruͤckſicht weifet
Sarauf Dim. Da die vollftändigen Gymnaſien Fünftig aus acht
Jahrgaͤngen beſtehen, und der Religionslehrer zu Haltung bet
fomes und fefttäglichen Erbauungsreden verpflichtet bleibt, fo
ft es nicht wohl möglich, daß für bie vollſtaͤndigen Gymnaſien
ein einziger Meligionslehrer ausreiche. Wenn aber deren amet
(ber Eine für das Ober, ber Andere für ba8 Untergymnaflum)
angeftellt werden, fo find (le weniger als alle anderen Gym⸗
nnaftallehrer befchäftigt, und koͤnnen daher um fo leichter zu⸗
gleich fur den Vortrag eines ihrem Berufäftudium nabeftegenben
Gegenſtandes verwendet werden. Wenn der Neligionslehrer au»
gleich auch ein anderes Lehramt verwalten, wenn er ferner auf
bte Leitung des Gymnaſiums gleich den übrigen Lehrern Einfluß
nehmen foll, fo muß feine Anftellung Demjenigen vorbehalten
bleiben, welcher bie Anftalt erhält, und die Verantwortung
für den Suftanb derſelben trägt; fle muß daher an Gtaat&»
gymnaſten der Regierung zuftehen. |
Sm Bereiche der kirchlichen Autorität Tiegt es aber, bie
Befähtgung, in ber Neltgton Unterricht zu geben, zu beurtheilen,
und die Ermächtigung dazu zu verleihen. Auch verkennt die
kaiſerliche Megierung nicht, wie febr εδ für den Zwei des Re⸗
Tigiondunterrichtes wünfchenswerth ſey, bag Der, welder ihn
ertheilt, bat volle Vertrauen feines Biſchofes befige. Allein e8
696 Altenſtucke.
wird, wenigſtens in der naͤchſten Zukunft, nicht ſelten der Fall
eintreten, bag ber Biſchof einen Mann, welcher mit voller Be-
fábigung zum Religionslehrer aud) bie von bem Gymnaſial⸗
lehramte geforberte Bildung verbindet, nicht zu finden vermag.
In Erwägung biefer Umftände Dat ba8 Minifterium die aller
höchfte Genehmigung erlangt, den Neligtonsunterricht in. nad?
ſtehender Welfe zu ordnen:
Wenn an einem Stantsgymnaflum die Stelle eines katho⸗
Tifchen Religionslehrers erledigt ift, fo wird nach ben von den
verfammelten Bifchöfen angetragenen Beflimmungen eine Gon-
curéprüfung abgehalten und ber geeignetfte Bewerber der gam»
desfchulbehörde von bem Bifchofe unter Mitthellung der Prü-
fungdarbeiten nambaft gemacht. Wofern wider ben Bezeichneten
fein volitiſches Bedenken obwaltet, foll von dem Borfchlage
des Bifchofes in ber Regel nicht abgewichen werben; nur für
ausnahmsweiſe Verhältniffe muß es ber Regierung vorbehalten
bleiben, einen anderen von dem Biſchofe als befähigt anerkannten
Priefter zu. wählen. Die Eigenfchaft, in welcher ber von bem
Bifchofe Bezeichnete angeftellt wird, hängt aber von feiner fone
fligen Befähigung ab. Hat er ὦ der für die Gymnaſlallehr⸗
amtésGanbibaten vorgefchriebenen Prüfung mit gutem Exfolge
unterzogen, fo wird er ald wirklicher Gymnaſtallehrer, bat ec
fid) biefer Prüfung gar nicht ober mit unentfprechendem Erfolge
unterzogen, fo wird er nut ald Supplent angeftellt. An ben
übrigen mittleren Schulen, welche Stantdanftalten find, wird bie
Anftellung der Religtonslehrer in berfelben Weife vor fid) geben.
Die verfammelten Bifchöfe haben ben Wunfch ausgedrückt,
dag aud) an den philofophifchen Facultaͤten ble katholiſche Re⸗
ligton in entſprechender Weiſe vertreten und die Beſetzung ber
dort zu errichtenden ober vielmehr beizubehaltennen Lehrkanzel
dem Bifchofe überlaffen metbe.
Die Regierung Seiner Mafeftät erkennt, daß in einer Zeit,
mo aud) bie Wifjenfchaften ‚nicht felten eine ber Religlon feind-
[tdje Richtung genommen haben, bie Tatholifche Kirche fid) ind
befondere berufen fühlen muß, auch an der philoſophlſchen fa»
eultät bie Sache des. Ehriftenthums zu führen, feinen Zufam-
menfang mit den wahrhaften. Errungenfchaften der Wiffenfchaft
nachzumweljen und Mißverfländniffe und Vorurtheile zu berichtigen.
Durch Die freiere Einrichtung des Univerſitaͤtsſtudiums,
welche das Lehramt nicht zum ausſchließenden Nechte angeftellter
Aktenftüce, 697
Profefforen macht, ift zwar ohnehin Gelegenheit geboten, ihre
Anfchauungsweife wifjenfchaftlich geltend zu machen. Indeſſen
ſteht zu beforgen, daß e8 ber Kirche nicht Leicht möglich feyn
werde, bleje Gelegenheit zu benügen, wenn nicht für ben Uns
terhalt be8 dazu auserlefenen Mannes geforgt würde. Anderer⸗
feitö fann der Zweck, welchen die hochwürdigſten Bifchöfe im
Auge haben, nur dann erreicht werden, wenn ein Mann von
ganz audgezeichneter Befählgung für dieſe Lehrvorträge verfügbar
ft. So febr e8 daher auch für wünfchenswerth erkannt wird,
folche Männer an yphilofophifchen Facultäten wirken zu fehen,
fo erſcheint es bod) nicht bem Zwecke entfprechend, dafür eigene
Lehrkanzeln förmlich zu ſyſtemiſiren; bod) wenn ber Bifchof
einen Dann bezeichnet, welcher vorzüglich befähigt ift, ble chrift«
Tide lMebergeugung auf dem Gebiete der Wifjenfchaft zu bere
treten, fo tft das Miniftertum ermächtiget, vemfelben, wenn
wider ihn fein andermweites Bedenken obwaltet, einen angemefjenen
Gehalt anzuweiſen.
Da bie Univerfitäten der Länder, um deren Firchliche Ver⸗
haͤltniſſe es ὦ handelt, fünmtlich für eine weit übermiegend
katholiſche Bevolkerung beftimmt find, fo foll an denfelben, in
fo weit dieß nicht fdjon ber Fall tft, ein Prediger angeftef(t
und bie Auswahl beffefóen bem Bifchofe überlaſſen werben.
Ohne Zweifel wird ble Auswahl ftet8 in jenem Geifte gefchehen,
in welchem die verfammelten Bifchöfe erklärt Haben: bem Bis
fdjofe werde es Pflicht fein, bleB Amt einem Priefter zu über»
tragen, welcher mit gründlichen Kenntniſſen audgezeichnete Ned»
nergaben verbindet, und in jeder Hinſicht befähigt ift, auf
Jüͤnglinge einen wohlthätigen und nachhaltigen Einfluß zu üben.
Das Recht, ben Meltgionsunterricht in den Fatholifchen
Volksſchulen zu Beforgen, ift der Kirche durch $. 4 des aller-
hochſten Patentes vom 4. März 1849 verbürgt worden. Die
Regierung Seiner Majeftät iff von der llebergeugung durch⸗
brungen, daß biefer Unterricht, um wirkſam zu fein, unb ben
in der Volksſchule vorherrfchennen Zweck der Erziehung zu
fördern, nicht von dem andermeitigen Unterrichte getrennt, und
dag die Schule nicht zum Kampfplage entgegengefeßter Lebens⸗
anfchauungen werden darf. Dagegen erkennen die hocdhmür-
bigften Bifchöfe das Recht und ba8 Intereffe an, welches aud)
der Staat Dat, leltenb und übermadjenb auf die Volksſchulen
einzuwirken, unb (fe finden bie Anfprüche, welche Kirche und
698 Altınftlde.
Staat auf bie Schulm machen, in der bisherigen Schulver⸗
faffung billig berücfichtiget. Die Regierung Seiner Majsfät
fühlt ble Verpflichtung auch auf bem Gebiete der Volksſchule
Verbefferungen anzuftreben. Der innige Zufammenhang, in
welchem das Volksfchulwefen mit anderen Inftitutionen fleht, bie
in gänzlicher Umgeftaltung begriffen find, macht ed jedoch noth-
wendig, die Megelung dieſes Gegenftandes, in fo fern eà fid
dabei um theilmeife Aenderung der bisherigen Einrichtung han⸗
delt, noch ber weiteren Verhandlung vorzubehalten. Die Re
gierung Seiner Majeftät beabflchtiget aber dabei Feinedwegs, ben
Einfluß, welchen die Kirche auf die Volksſchulen bisher geübt
Dat, zu befchränfen ober zu beeinträchtigen.
In Betreff ber Pfarreoncuräprüfung muß die Faiferliche
Otegierung fi) auf denfelben Standpunkt ftellen, wie In Betreff
der theologifchen Diöcefans und Klofterlehranftalten. Sie nimmt
feine gefeßgebende Macht in Anſpruch, fie muß aber verlangen,
daß In den darüber beftehbenden Anorbnungen nichts ohne mit
ibt gepflogene Nüdfprache geändert merde. Die Beichlüffe,
welche bie verfammelten Bifchöfe über bie SDfarrconcuréprüfung
gefaßt haben, enthalten nichts, wogegen bie Regierung Ein»
Sprache erheben müßte; vielmehr genügen fte jedem Intervefle,
welches der Staat an ber Einrichtung diefer Prüfung haben
fann. Seine Majeftät haben daher anzuorbnen gerubt, daß
bie vollftändige . Durchführung dverfelben fein. Hinderniß finde,
unter dem Vorbehalte, bag an ber getroffenen Einrichtung
nicht8 ohne mit der Oteglerung gepflogene Ruͤckſprache geändert
werde; daß aber, wo und inſoweit als biefe Beichlüffe nicht
zur Richtfchnur genommen werben, bei der Pfarrconcuräprüfung
nach den bisherigen Anordnungen vorzugehen fei.
Das Recht der Fatholifchen Kirche, ben Gotteóblenft und
alles darauf Bezügliche inner den Gränzen der allgemeinen
Stantögefege felbfiftändig anguorbnen, ift durch $. 2 der Girunbs
rechte unzweideutig anerfannt. Allerdings tft εὖ für bie Re
gierung von Wichtigkeit, daß dieſes Mecht Immer und überall
mit ber mwünfchendwerthen DVorficht gehandhabt werde; umſo⸗
mehr, ba die Verfammlungen, welche bie Ausübung eines ge»
feglich geftatteten Cultus zum ausfchließlichen Zwecke haben, von
den gefeglichen Befchränfungen des DBerfammlungsrechtes ent»
bunden find. Auch Hat bie Staatsgewalt unftreitig wie das
Recht fo bie Pflicht, Furſorge zu tragen, baf nicht unter bem
Altenſtuce. 899
Vorwande getteöbienftlicher Handlungen bie Ruhe geſtoͤrt, ober
bte Sicherheit gefährdet werde, und die Talferliche Regierung
mug fij vorbehalten, zu. biefem Zwecke gefegliche Beſtimmungen
zu erlafien. Uber bie verfanmelten Bifchdfe haben ausgefprochen,
daß fie e8 ſich zur Pflicht machen, Alles, was att der beſtehen⸗
den Gottesdienſtordnung zweckmaͤßig und heilſam ft, forgfam
aufrecht zu Halten, und daß feine Abänderung ohne Zuſtim⸗
mung ber Provinzialfonode gemacht werben folle; fle haben
auögefprochen, baf fle in ber veränderten Stellung der Gefeh-
gebung eine doppelte Aufforderung finden,. jeder willfürlichen
Neuerung und jedem Mißbrauche, welcher fid) beim Gottesdienſte
einfihleichen fóunte, mit unermüblicher Thätigkett zu begegnen.
Auch dieſen Befchlüffen fehlt e8 zwar an einer allgemein und
bleibend bindenvden Kraft. Gleichwohl nimmt die Regierung
feinen Anftand zu erklären, daß (8 jedem Bifchofe frei ſtehe,
den Gotteóblenft In feiner Didcefe im Sinne ber von den vere
fammelten Bifchöfen gefagten Beſchlüſſe zu orbnen und zu leiten.
Die verfammelten Bifchöfe Haben in der Sufdjrift vom
16. Sunt v. 3. das Anfuchen geftellt, bie Regierung Seiner
Majeftät wolle ber Beier be8 Sontags unb ber wenigen fatfos
liſchen Feſttage Ihren Schug nicht entziehen, und wie bisher
Alles, was bie Heiligung diefer Tage ftórt, ferne halten. Das
Miniftertum erkennt die Nachtheile und Störungen, weldje zu
beforgen flünden, wenn biefer Gegenftanb dem Bereiche polizels
licher Aufficht gänzlich entzogen würde.
Die eigenthümlichen Verhältniffe einzelner Kronländer bieten’
aber Schwierigkeiten, welche e8 nothwendig machen, bie defi⸗
nitive Regelung dieſes Gegenftandes einem fpätern Seitpuntte
vorzubehalten. Inzwifchen werben jeboch zufolge allerhöchfter
Entſchließung vom 18. J. M. bie Behörden angewiefen werben,
auf Grundlage ber beflehenden Gefege darüber zu machen, baf
an Orten, wo bie Eatholifche Bevölkerung bie Mehrzahl Kilvet,
die Weler ber Sonn- und Fefttage nicht durch geräufchvolle Ar⸗
beiten ober durch öffentlichen Handelsbetrieb geflört werde.
Da bie Zahl ber Fatholifchen Feſttage für Die öfterreichifchen
Länder auf Grundlage eines zmifchen bem päpftlichen Stuhle
und bem Landedfürften gepflogenen Cinvernehmens feftgeftellt
wurde, fo ergibt fid) daraus von felbft, bag eine Vermehrung
derfelben ohne Zuftimmung ber Regierung nicht eintreten fónne.
Die Hochmwürbigften Bifchöfe werden In dieſen Mitthellungen
100 ὶ Attenftüde,
eine Bürgfchaft finden, bag εδ der kaiſerlichen Regierung Ernſt
ii, den Rechten der Tatholifchen Kirche ben. gegebenen Zuſiche⸗
zungen gemäß volle Geltung zu gewähren, unb bie Vorſteher
berfelben in. den Stand zu fehen, zur Belebung höherer Ins
terefien und Beftrebungen ihre volle Wirkfamfeit zu entwideln.
Die Gegenfldnbe, über welche bie Verhandlung nod) nicht been⸗
digt ifl, werben mit möglichfier Befchleunigung der Entſcheidung
entgegengeführt werben.
Inhaltsverzeichniß
des
zweiunddreißigſten Jahrgangs der theologiſchen Quartalſchrift.
I. Abhandlungen.
Die Verwerfung des ὁμοούσιος zu Antiochien. Frohſ ———
Die Ketzertaufe. Zweiter Artikel. Mattes... — ὦ
Kritik der Oiſchinger'ſchen Principien der ſpeculativen Teinitätee
Ichre. Zweiter Artikel. Sufvigl. . .
Die germanifchen und romanifchen Bölter in ihrem Berhältniffe
zur Kirche Gam& . 2 0 2 2 ren.
Ehrenrettung des Dionyſius Betavins und der Fatholifchen Auf⸗
faffung bet Dogmengeſchichte Kuhn. . . 2». 2...
Nachklänge der Lehre vom Primat bei beu Neftorianern unb Monos
phufiten des Driente. Denzinger. . 2 2: .. . .
Erklärung von Gen. 4, 3—7. Krüger.
Ueber bie scientia media und ihre Verwendung für bie Lehre von
der Gnade unb Wreibeit. Schwan. . .. . ...
Sut $omiletif. Mal. . . . .. .. . .
IL Recenfionen.
Amberger, SBaftorait&eologie. Bendel. ee
Bähring, Thomas von Kempen. Oefelt. - ©...
Beidtel, bie kirchlichen Zuftände in Oeſtreich Qefele ..
Brandes, P. Carl, bet.sBapft ale Fürſt des Kirchenftaate. Drey.
Buß, der Kampf der Kirche gegen den Staat. Hefele.
Caſpari, über ben forifchsephraimitifchen Krieg unter ἜΝ
unb Ahas. Welte . .
Dentinger, ble ältern Matrikeln des Bisthume Freyſing Dre v.
Diemer, deutsche gedichte. des XI: und XII. jahrhunderts.
Aufgefunden im regulierten chorherrnstifte zu Vorau in
der Steiermark . . . . . vv . . . . s. s. s s
Seite
702 Inhalt.
Seite
Dieringer, Dogmatik, zweite Aufl. Drey. 576
Dupanloup, bie weltliche Souverainetaͤt des Papfies Orey 167
Feßler, über die Provincial- und Diöceſanſynoden. Drey. 460
Foörſter, Predigten, Homilien unb Umblick jIac. Bendel.. 632
Gärtner, kath. Kirchenthum in Predigten. Bendel. 632
Güntner, Hermeneutica biblica generalis. Welte.. 609
Höfliger, bie chriftliche ibd unb i en zum Staate.
Hefele . . . 624
$ungati, Mufterprebigten. Bend e 631
Ketteler, Predigten. Bendel. 633
Kirche und Staat (n Bayern unter bem Minifer Abel in
feinen Nachfolgern. Wrig. . . . £43» wa AM
Martin, Lehrbuch ber Moral. Zukrigl. "n 294
fone, Inteinifche unb griechiſche Meſſen ans dem. weiten bi⸗
fechäten. Sahrhundert. Denzinger . . - . . 900
Steanber, Autignoſtikus, Beil des. Zertulltaume. Sefele. 334
Ridel, .Berilopen. Bendel. . . get erga 631
8 egeften der fchweizerifchen Klöſter und Richen. — 135
Keinke, Weiſſagung Safobe. . Welte. 0... 48
Schmid, hiſtoriſcher Katechiemue. Fri. . - à 150
Gi tul, die Trennung der Schule von der Kirche. Seftle. 624
Staudenmater, ble Firdilide Aufgabe ber Gegenwart. 139
. — . 0. . ble Grundfragen der uus e ele. . 580
Zoczek, homiletiſch⸗ Achrenlefe . "12 : : 632
..... . IM Aktenflüce.
. Í. Vertrag bet ‚öftreichifchen Miniſters Grafen Thun über bit
mit den Fatholifchen Bifchöfen wegen Regelung ber Firchlichen
Angelegenheiten gepflogenen Verhandlungen. 661
‘2 Kaiferlihe. Verordnung vom 18. April 1850, betreffend -
Verhaͤltniß ber faib. Kirche zur Gitaatégemalt. . . .-. 680
.8, Kaiferliche Verordnung vom 23. April 1850, betreffend bus
Derbältniß der Kirche zum öffentlichen Unterrichte. . . 688
4. Eröffnung bes f. t ee an ble — v. 30. Mei
1849. . . . 684
IV. : — —
Nr. 1. 2. S u. 4 am Ende jedes Heften.
Literarifchber Anzeiger
Nr. 4. |
QNUEUUUSEDUPEMNCMOC TU EMMRGNMEEM IM ICTU MER πο τ!
Die bier angezeigten Schriften findet man in ber $. Laupp'ſchen
Buchhandlung (Saupp & Siebech) in Tübingen vorräthig, fo
wie alle Erfcheinungen ber neueften Literatur.
Sn ber Wohler'ſchen Buchhandlung in Ulm if erſchienen
und überall zu haben:
Handbuch der Pafloral-Medizin
: für ; x
Seelforger auf bem Laube.
Bearbeitet mit befonderer Rüdfiht auf bie in ten ſüddeutſchen
Staaten geltenden Sanitäts:Gefege und SSerorbnungen von
Dr. Fr. X. Brißger, kath. Pfarrer.
Mit einem Borwort von Profeffor Dr. von Otett in Münden. -
19 Bogen in groß Dftav. Preis 2 fl. ober 1-Thl. 6 Nor.
(Bei Abnahme von 10 Eremplaren das 11te gratis und
bei größeren Parthieen noch mwohlfeiler.)
Das Werk ift in einer Recenfion in biefer Zeitfehrift (1849. .
4 Heft.) febr gelobt und möchte aud) als $anbbud) in ben Se⸗
minarien zu empfehlen fein! —
Im Berlage der Wagner'ſchen Buchhandlung in Innsbrud
ift fo eben erſchienen:
HERMENEUTICA
BIBLICA GENERALIS.
AUCTORE
JOSEPH KOHLGRUBER,
S. S. Theologiae Doctore, studii biblici N. F. in Universitate Grae- *
censi ac Vindobonensi C. R. Professore emerito, ecclesiae Metropo-
litanae ad S. Stephanum Canonico Capitulari, Consiliario ecclesiastico
Viennensi atque Brixensi.
1850. 8. maj. brochirt. 2 fl. CM. oder fl. 2. 24 kr.
Diefes Werk dürfte vorzüglich deshalb Beachtung verbienen, weil
ber Verfaſſer fid) befirebt hat, für die Auslegung der heiligen Schrift -
mit den allgemeinen Geſetzen, melde bei der Erklaͤrung eines jeden
Buches Geltung haben, die befondern Vorfchriften, welche von der
högern Stellung berfelben und ihrem innigen Berhältniffe zu ber Lehre
und bem Lchramte ber Fatholifchen Kirche gefordert werben, in wiffens .
ſchaftliche Verbindung zu bringen. We 24
ὶ 2
Aübingen, Im H. Laupp’ichen Verlage (faupp ἃ Bicheh)
it foeben erfhienen und in allen Buch⸗ uud Mufſikalienhand⸗
lungen zu haben:
Harmonie= und Sompofitionslehre,
furz und populär bargeftelit
von
Sriedrich Silcher,
Lehrer und Director ber Stuff an der Univerfität Tübingen.
121,4 Bog. gr. 8. broch. Sir. 1. — fl. 1. 36 fr.
Ein — au zum Selbfunterrigt — für Freunde unb Lehrer
ber Wtufif, Organiſten etc. burdaus praltifh gehaltenes, ebenfo
feines befcheidenen Sreife8 wegen aud für Unbemittelte zugäng:
lied Wert, das nad bem Urtheile Gadjoerftánbiger gründlige
Bollſtändigkeit mit mogtidfler Kürze verbindet. Es enthält
. nit nut die ganze Harmonielepre in Berbindung mit bem 2, 3
unb 4 fiimmigen Gabe, wobei der Schüler überall felbfithatig
vom Leichteren jum Schwereren fortfchreitet, fondern auch bie Lehre
vom muftlalifchen Periodenbau und ber Diebulationdotonung, ferner
das Wiflenswertpefle in Betreff der Harmonifirung bes neurren
Chorals, der alten Kirchentonarten, fomite des chythmifchen Chorals,
ntbff einem Anhang über 9tadabmung in ber Stuff, über den
Canon, ven doppelten Contrapuntt unb die Zuge, mit vielen Sti
fpielen aus den Haffifhen Werfen eines Händel, €eb. und Phil
Em. Bad, Braun, Haydn, Mozart, Beethoven, Mendel
ſohn etc. unb fo glauben wir, daß ein ſolches Buch feiner weiteren
Empfehlung von unferer Seite bebarf.
Ausgewählter Nachlaß
Sof eb Balder ER
Stadipfarrer in Munderkingen, mehrjährigem Schulinfpector, und
‚Director des Wilhelmoſtifts in Tübingen.
Mit Halder’s Portrait.
38 Bog. gr. 8. broch. fl. 3. 48 fr. Subir. 2. 8 Agr.
Diefer Nachlaß des beliebten homiletifhen Schriftſtellers ent.
pält eine Reihe audsgefudter Previgten, Gelegenheit
reden und verſchiedene wiſſenſchaftliche Aufläbe theologifhen Inhalte.
Ein 9efrofog des Serewigten if vieſen vorangefiellt und hoffen
wir den — Freunden und Abnehmern der früheren
Predigtwerke, die größtentheils in neuer Auflage Won
mit diefem ausgewählten Nachlaffe eine milltommene Erſchei⸗
nung au bieten. .
—
8
Geſchichte
der
europãiſchen Nevolutionen
ſeit der Reformation.
Don
- Dr. Sofe ehr
Privatdocent ber mu yb Be Tübingen.
24!/, Bogen. gr. 8. brofd). Preis ἢ. 2. 36 fr. Rthlr. 1. 18 9tgr.
. Su feiner Zeit dürfte eine Gefchichte der eutopáifdben Nevo⸗
Intionen von größerem Sntereffe fein als in der gegenwärtigen. Durch
ein genaues Studium berfelten könnte Volk und Regiernng es dahin
bringen, ben Nupen einer Revolution fid) zu eigen zu madjen, ohne
ihre berben Uebel tragen zu müflen. Das Buch dürfte daher nádjft bem
hiſtoriſchen Inhalte auch barum intereffant fein, weil bie ‚parallelen Gv
fheinungen jeder Otevolution darin zufammengeftellt find, und es fo
muthmaßlich gemacht wird, wie die Bewegung unferer Tage verlanfen
werde. Dabei geht der Berfafler bei feiner Geſchichtsauffaſſung vom
ſpecifiſch chriſtlichen Standpunfte ‚aus.
Der ecfte Band enthält bie Geſchichte der engliſchen Revolu⸗
tion, ber zweite, meldet bie Preffe bemnád)ft verlaffen wird, die
d f ranjófifd)en in ihren Folgen auf bie widtigften europälfchen
taaten.
. Ausgang und Biel
ὦ εἴ ὦ ἱ ὦ ἐ ε.
| Dr. Bonif. Gams,
Profefſor an bem Bifhöflihen Seminar zu Hildesheim.
281}, Bogen. gr. 8. brofch. Preis fl. 2. 54 fv, Rthlr. 1. 22 Ngr.
Diefe Schrift Hat fid) bie Aufgabe geſtellt, bie Geſchichte auf das
Chriſtenthum GREEN, oder zu zeigen, daß ohne Chriſtus und fein
Merk in ber Welt e& weder eine — gäbe, nod) ohne ihn die
wirkliche Gefchichte genügend verftanben und erflärt werden fónne, — Auf
die genenwärtige Lage der Dinge ift überall 9tüdfidt genommen. Der
Berfaffer hat — neben anderem — in biefer Schrift befonders zu zeigen
gefitfjt, in welchem Zufammenhange die Hriftliche Freiheit mit der poli;
fifden Freiheit Rebe; daß bie erftere der letztern nidjt nur nicht im
Wege fondern die einzige Bürgfchaft fel, bag bie bürgerliche Freiheit
nicht früher ober fpäter in fid ſelbſt untergebe.
Der zweite Theil gibt eine Ueberſicht bor Weligeſchichte, fiet aber
4.
in feinem nothwendigen Sufammenhange mit bem erflen ober allgemeinen
Theile. 9tamentiid) macht er Feinen'Anfpruch daranf, bie nähere Aus
führung desjenigen zu fein, was der exfle Theil in feinen allgemeinern
Umriffen gezeigt hat. Gine ſolche Geſchichte vom chriſtlichen Stand»
puntte hätte unmöglich anf fo engem Raum sufammengebrängt werben
fönnen. Durch die Beifügung biefes gebrángten Abriffes der Gefchichte
dürfte den Wünſchen mandjer Leſer entfprochen werden.
Im Berlage der QV. X. Promperger'ſchen Buchhandlung in
Bozen ift erfchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Wandle vor Gott! Ein vollftändiges Gebet
unb Andahtsbudh für bie driftfatbolifde
Jugend, wie aud) für Erwachſene finbliden
. Gemiütbee. Mit 1 Ctabijt. Mit Bewilligung des
body. Orbinar. Brixen ἃ Grient. 12. 15 fr. — 5 Rear.
Im Verlage der @berer’schen Buchhandlung in Salzburg
erschienen : T
Universalgeschichte
der
christlichen Kirche.
Zunächst zum Gebrauche bei academischen Vorle-
subgen auf deutschen theologischen Lehranstalten.
Mnemenisch bearbeitet von
Dr. Joh. Georg Honifaz Huber.
5 Bog. 8. broeh. Preis fl. — 48 kr.
Intereffante 9teuigfeit !
Bei Gebrüder Carl und Nikolaus Benziger in Ein
fiedeln in der Schweiz ift erfhienen und in allen foliden Buß
bandlungen vorräthig:
Das große Wunder unferer Zeit ober das heilige Maria:
bild zu Nimini in Italien, , verberriichet durch öftere Be
wegung der Augen, durch große Belehrungen und Heilungen.
Nah authentifhen Quellen erjáplt. Wit der getreuen
Abbildung bed wunderbaren Bildniffes Mariä
zu Rimini ín Italien. 12, gefeftet 3 9ügr. oder 9 Kr.
Das wunderbare Mariabild zu Stimini verehrt unter
bemzZitel„Mutterder Barmherzigkeit“. Bierfeitiges
Gebetbild. per Bund von 100 Städ ſchwarz fi. 2. — Zhlr. 1.
6.95. gemalt f£. 3. — xir. 2..
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in feinem notwendigen Zuſammenhange mit bem erſten ober allgemeinen
Theile. Namentlih macht er keinen Anſpruch daranf, die nähere Auss
führung besjenigen zu fein, was der erite Theil in feinen allgemeinern
Umriffen gezeigt hat. Gine fole Geſchichte vom chriſtlichen Stand»
punkte hätte uumágíid) auf fo engem Maum zuſammengedrängt werben
fönnen. Durch die Beifügung biefes gebrángten Abriffes der Gefchichte
dürfte den Wünfchen mancher Leſer entfprochen werben.
Sm Berloge der QV. X. Prom (hen Buchhandlung in
Bozen ift erfchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Wandle vor Gott! Ein vollftändiges Gebet
und Andachtsbuch für bie diriftfatbolifde
Jugend, wie aud) für Crmadjfene finbliden
Gemüthes Mit 1 Stahlſt. Mit Bewilligung δε
body. Orbinar. Srizen & Grient. 12. 15 fr. — 5 Nr.
Im Verlage der @perer’schen Buchhandlung in Balzb
ist — x nd
Universalgeschichte
der
christlichen Kirche
Zunächst zum Gebrauche bei academischen Vorle-
sungen auf deutschen theologischen Lehranstalten.
Mnemonisch bearbeitet von
Dr. Joh. Georg Honifaz Huber.
5 Bog. 8. broeh. Preis fl. — 49 kr.
Interefiante Reuigkeit
Bei Gebrüder Carl unb Rikolaus Benziger in Ein
fiedeln in der Schweiz ift erfiienen und in allen foliben Sud:
Handlungen vorräthig:
Das grofe Wunder unferer Zeit ober das heilige Mariar
bild zu Nimini in Sytaliem , verherrlichet durch öftere Ber
wegung ber Augen, durch große Bekehrungen unb Heilungen.
Nah autfentiíden Quellen erzäplt. Mit der getreucn
Koulldung des wunderbaren Bildniffes Mariä
zu Rimini in Italien. 12. geheftet 3 9ügr. oder 9 Kr.
Das wunderbare Mariabild zu Stimini verehrt unter
bemXitel„Mutterder Barmherzigkeit“. Bierfeitiges
Gebetbilb. per Bund von 100 Stüd fhwarz fl. 2. — Zhlr. 1.
86.95. gemalt f£. ἃ, — Mir. 2.
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