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Full text of "Theologische Quartalschrift"

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€beologifde 


Quartalfchrift. 





Sn Verbindung mit mehreren Gelebrten 
herausgegeben 
ben 


D. ». Drey, D. finn, D. fele, D. Welte 


unb 


D. Bukrigl, 


Brofefioren ber kath. Theologie an der K. Univerfität Tübingen. 


Zuweiunddreißigſter SYabrgang. 


— 


Erfies Quartalheft. 








Tübingen, 1850. 
Verlag der ὦ, Laupp' ſchen Buchhandlung. 
(Laupp ὦ Giebel.) 





Drud von $. Laupn. 


I. 
Abhandlungen. 





1. 


Weber die Entſcheidung der Synode von Antiochie 
(269) in Betreff des Wortes ὁμοούσιος. 


Im Berlaufe der Arianifchen Streitigfeiten hatte fid) 
zwifchen die orthodoxe Parthei, bie mit Etrenge an den 
Beltimmungen des Gonciliumá von Nicäa fefthielt und 
befonders auch an dem Worte οὐμοούσιος“ als Bezeichnung 
des Weſens des Sohnes im Berhältniß zum Vater, unb 
zwifchen die eigentlichen Arianer, welche bie Gleichweſentlich— 
feit des Sohnes mit dem Vater geradezu fdugneten unb ben 
Sohn für ein Θεόν! (ποίημα) des Vaters erflärten, eine 
mittlere Barthei, bie fogenannten Semi - Arianer, geftellt, 
welche zwar im Wefentlichen bie Entfcheidungen ber Nicäs 
nifchen Synode annahm, ten Logos nicht für erichaffen, 
fonbern für erzeugt aus bem Weſen des Vaters erkannte, 
aber das Wort „ouoovasog“ nicht gebrauchen wollte, fons 
bern ben Ausdruck „Ouossvorog“ für richtiger hielt zur Bes 
zeichnung biefer Lehre. Der Streit mit tiefen von Seite 
der Fatholifchen Xehrer war mehr ein Streit um das Wort, 
um ben Ausdrud für die Lehre, al8 um die Lehre, um 
die Sache jelbft, in ber fie im Wefentlichen übereinftimmten. 

: (9 


6 Die Verwerfung des ὁμοούσιος μὲ Autlochlen 


Theilen beffelben.* Bafilius zeigt hierauf, wie mam in 
Beziehung auf Gott und auf das Berbältnig von Vater 
unb Sohn bem Worte biefe Bedeutung nicht geben bürfe 
und fónne. 

Spätere Kirchenbiftorifer baben aber bieg zu bedenk⸗ 
fid) gefunden, daß eine frühere Synode einen Ausdruck aus 
dem kirchlichen Sprachgebrauch verwiefen haben follte, ber 
fpäter zu folher Bedeutung , folder Wichtigleit gelangte. 
Sie ftelten daher in Wbrebe, bag wirklih zu Antiochia 
geichchen, was bie SemisArianer behaupteten, und ſuchten 
aud) mit ben, was bie Bäter hierüber fügen, fertig zu 
werben durch Hinweifung auf bie vielen Unerftärlichfeiten, 
die fid) daraus ergäben. 

G6 müffe, fagen fie, eine folche Verwerfung des „ano- 
0.0.05“ überhaupt undenkbar erfcheinen, wenn man bie 
* Berhältniffe jener Zeit betrachte. Ungefähr neun oder zehn 
Sabre vor dem Goncifium von Antiochia war Dionyſius, 
Bifchof von Alerandria, wegen feiner unpaffenden Gleich: 
nifje bei ber Beftreitung der Sabellianifchen Lehre von 
Ehriften ber Ventapolis zu Rom beim Papſt Dionyfus 
verklagt worden. Diefer fohrieb an den Aleranpriner, in 
gleicher Weife wie ben Gabelliuó fo aud) bie verdam⸗ 
mend, welde fagten, der Sohn {εἰ gefchaffen (ποέημαλ und 
nicht mefenégleid) mit dem Vater (ὁμοούσιος). Dionyſius 
von Alerandria erwieberte: allerdings [εἰ ber Sohn gleiches 
Weſens mit dem Vater, b. i. ρμὐμοούσιος“, ein Wort, 
welches er zwar weder bei den Vätern noch in der Schrift 
finde, mit befjen Gehalte aber doch feine gegebene Dars 
ftelung übereinftimme. Wie fónnte man mit biefer Er» 
zählung vereinigen, was einige Jahre nachher zu Antiochia 
geichehen fein ſoll? Unmittelbar vor der Synode von 


Die Berwerfung bed. ὁμοούσιος zu Antiochien. 7 


Antiochia ſtimmte Alles darin überein, daß der Sohn ὁμο- 
οὐσιος [εἰ mit dem Vater, und e8 war ein Verbrechen 
bieB zu [dugnen; follten nun die Väter von Antiochia 
dieß nicht gewußt, und geglaubt haben, ὁμοούσιος bezeichne 
eine Gubftany, getheilt in mehrere SBerfonen ; und follte 
ihnen nicht befannt geworden fein, was zwifchen ben zwei 
bebeutendften Kirchen, der Römifchen und Aleranbrinifchen, 
vorging, was bod) allgemeines Aufſehen erregen mußte? 
Ddgr follten fie gar feine Rüdficht genommen haben auf 
bie zwei größten Batrlarchen ber Ehriftenheit? Sm Gegen» 
theil, fie richten ihren Brief an alle Bifchöfe, unb nament: 
lid an Dionyfins von Rom unb an Marimus, ben Nach- 
folger des Dionyfius von Alerandria. Ein Beweis, daß 
fie glaubten, Nichts getban zu haben, was bem zuwider 
wäre, was in beiden Kirchen, b. i, in ber allgemeinen 
Kirche gelehrt wurde. Es war aud) unmöglich, daß biefe 
angebliche Berwerfung von „owoovarog“ verborgen bleiben 
fonnte, ihre Neuheit mußte Aufmerffamfeit erregen, weil 
fie baó verwarf, was bisher als das Gebiegeníte und 
Natürlichfte galt, bie Gottheit Chrifti auszubrüden. Deß⸗ 
ungeachtet vergingen, befrembenb genug, beinahe 90 Jahre, 
tbe dieſes Urtheil der Antiochenifchen Synode zur Sprade 
gebracht ward. So lange follten die Arianer gewartet 
haben, ehe fie auf den Widerfpruch ber frühern Antiochenie 
fhen Synode mit der Nicänifchen aufmerkffam machten; 
denn weder zu Nicäa (325) mod) zu Antiochia (341) 
geſchah dieß! Noch auffallenber fei aber, bag Eufebius ein. 
fo entfchiedener Gegner des „Onoovasog“ von biejer angebs 
lichen Verdammung gänzlich ſchweige, während er in feinem 
Genbídreibeg bald nad) der Ricänifchen Synode befennt, 
daß alte Schriftfteler dieſes Wort gebraucht hätten, unb — 


8 Die Berwerfung des ὁμοούσιας zu Antlochlen. 


einen Theil ber Antiochenifchen Synodalacten fogar in feine 
Kirchengefchichte einrüdt! Auch bie Yeußerungen der drei 
genannten Kirchenväter feien bei näherer Betrachtung von 
feinem großen Gewichte und zeugen nur Davon, daß fte 
von den Vorgängen auf der Eynode zu Antiochia feine 
genauere Stenntniß hatten und daß ihr SugeftánbniB nur 
ein Nachklang der Semi: Arianifhen Behauptung fel. 
Athanafius und Hilarius wußten nichts Näheres von jener 
Synode unb maßen nur ber Ausfage der Semi - Arianer 
Glauben bei. Athanaſius fage ausdrücklich, er habe fid) 
das Schreiben der Synode von Antiochia nicht verfchaffen 
und beffen Inhalt daher nicht unterfuchen fónnen, und 
man febe durchaus aus feinen Worten, daß er früher von 
einer Verwerfung des „omoovorog“ Nichts vernommen. 
Hilarius fage ebenfalls nicht, daß er das Schreiben bet 
Biichöfe zu Antiochia gelefen, und es feheine ganz, daß 
er εὖ nicht gefehen, denn er fehreibe bem Paulus von 
Samofata einen ganz andern, ja entgegengefeten Srribum 
zu als die Väter von Untiochia an ihm verbammt haben. 
Während nämlich Athanafius glaubt, Paulus son Samofata 
babe das Wort οὁμοούσιος“ in's KXächerliche gewendet, 
nehme im Gegentheil Hilarius an, Baulus habe fi) des 
ὁμοούσιος“ in fehlechtem Sinne bedient und behauptet, 
der Sohn unb der Vater fei die nämliche Perſon, weicher 
Irrthum aber entgegengefegt. fei dem des Artemon, beffei 
Lehre Paulus erneuert habe, indem er ber Angabe ber 
Väter des Gonciliumó zufolge behauptet, Ehriftus fei nur 
ein Menfch. Baftlius endlich fage zwar ohne Beziehung 
auf die Synode von Ancyra, man habe zu Antiochia das 
Wort οὁμοούσιος““ als unpaffenb (ὡς οὐκ εἴσημον) ges 
tabelt, aber der Grund, ben er angibt, fcheine zu verrathen, 





Die Verwerfung des ὁμοούσιος zu Antiochlen. 9 


ba aud er von biefem Tadel nichts Sicheres wußte, 
Denn eben das feltfame Motiv, das in bem Synodal⸗ 
fehreiben von Ancyra für bie Verwerfung des οὐμοούσιος"“ 
angeführt wird, fehreibe er den Vätern von Antiochia zu, 
námlid): das Wort enthalte die Vorftellung von einem 
göttlichen Urweſen, welches zwifchen Vater und Sohn ger 
tbeilt worden fei. 

G6 lafje fi überhaupt nicht recht einfehen, was bie 
Eynode von Antiochia in ber δεῦτε des Paulus von 
Samofata zu jenem Schritte veranlagt haben foll, und 
unwahrſcheinlich [εὖ e, taf. fie ba& Wort οὐμοούσιος“ 
bío$ darum verworfen, um fophiftifchen Solgerungen, bie 
Paulus daraus ableitete, zu entgehen, wie Athanafius 
vermuthet. Gerade das Gegenteil. von dem, was das 
Wort feinem urfprüngliden Sinne nad) bedeutet, nämlich 
bag Vater und Sohn Eines Wefens feien, fol Paulus 
aus demfelben gefolgert haben, daß biefem Ausprude gemäß 
drei Wefen feien, Ein urfprüngliches und zwei daraus 
hervorgegangene; und biefer abfurden Gopbiftif wegen 
follten bie verfammelten Väter einen in der Kirche fchon 
tecipirten dogmatifchen Ausdruck verworfen haben! Cher 
fónne man vermuthen, Baulus felbft habe das Wort οὐμο- 
ororos“ zur linterftügung feiner Irrlehre gebraucht, und 
deßhalb bie Synode e8 virworfen. Er fonnte fagen, daß 
ber Logos υὑμοούσιος τῷ πατρὶ“ fei, in dem Sinne einer 
bío8 unperfönlichen Vernunft Gottes ohne alle hypoftatifche 
Subfiften,. Damit würde ber Grund ber Verwerfung dies 
ſes Wortes zu Antiochia übereinftimmen, den Hilarius 1) 
anfübrt. Er fagt nämlich zu ben Semi⸗Arianern: id 


1) Hilar. Pict. de Synod. c. 81. 


40 fle Benwerfung des ὁμοούσιος zu Antiochlen. 


quoque addidistis, quod Patres nostri, cum Paulus Samo- 
satenus haereticus pronuntiatus est, eliam homoousion 
repudiaverint: quia per hanc unius essentiae nuncupalio- 
nem: solitarium atque unicum sibi esse Patrem et Filium 
praedicabat.^ Allein in den von Eufebius. angeführten 
Theil des Antiochenifchen Synodalberichts fteht vielmehr 
die Befchuldigung: Paulus von Samofata erneuere beu 
Irrthum des Artemon und behaupte, ber Sohn ftamme von 
der Erde unb fel nicht vom Himmel. Alles berube am 
Ende auf bem Zeugniffe des Biſchofs, ber das Echreiben 
im Namen der Verfammlung zu Anchra verfaßte, unb bie 
Worte des Antiochenifchen Concils nicht ſelbſt anfübrte. 
Das llebrige beftehe in bloßen Conjecturen, durch welche 
bie drei genannten Väter die vermeintliche Verwerfung des 
„ouoovorog“ zu erklären fuchten; daher bie Schwierigfeit 
ihre 9Meuferungen hierüber unter einander in Uebereinſtim⸗ 
mung zu bringen, ein Umftand, ber. bod) dafür zeuge, 
daß fie bie Thatfache, um bie e8 fid) handelte, nicht 
anders fannten, aló nur burd) das Zeugniß ber Semis 
Arianer. Das find bie vorzüglichften Gründe, bie gegen 
bie Wirklichkeit jener von den Semi-Arianern behaupteten 
Thatſache vorgebracht werben, und gewiß läßt fid) ihnen 
große Scheinbarfeit nicht abfprechen ). Die Sache läßt 
fid) (nbe& aud) nod von einer andern Geite betrachten, 
und im Folgenden fol ber Verfuch gemacht werben, bie 
hiftorifche Glaubwürdigkeit bet von bem Goncil von Ancyra 
behaupteten und von ben Vaͤtern zugegebenen Thatfache 
Darzuthun. 


1) Prudentius Maranus, dissertation sur les Semiariens in 
Joan. Vogtii bibliotheca hist. haeresiologicae 1733 Hamburgi. 
Doͤllinger, Qanbbud) der Kirchengefchichte 80. 1.. Abth. 1, S. 269 ἢ. 


Die Berwerfung bed ὁμοούσιος zu Autiehle. LI 


Vor Allem müffen wir bemerken, daß wir uns biefen 
Bedenklichkeiten, Vermuthungen und Unerflärlichkeiten 
gegenüber, ohne beftimmtes Datum, ohne deutliche Ausfage 
irgend einer hiftorifchen Auctorität, ftügen können auf bic 
flare Behauptung der Ancyrenifchen Synode und die bes 
flimmten Weußerungen der SKirchenväter. Was aber jene 
Bedenklichkeit betrifft, bag eine frühere Synode gerade ben 
Ausdruck ans dem firdjliden Sprachgebrauch verwiefen 
baben follte, ber fpäter zu fo hoher Bedeutung gelangte, 
fo fcheint fie mir unnótbig. Auch bie genannten Väter 
haben bie nicht für zu bedenklich gefunden, und die Thats 
fade zugegeben, und fie fo gut als möglich zu erflären 
gefucht. Das Wefentlihe der firchlichen Lehre fchien 
ihnen baburd) nicht gefährdet, da es fid nur um ben 
Ausdrud derfelben handelte; hätten fie biefelbe gefährdet 
geglaubt, fo würden fie entweder jene Thatſache als uns 
möglich um feinen Preis zugegeben haben, ober fie hätten, 
wenn fie gleichwohl bie frühere Thatſache nicht in Abrede 
fichen  fonnten, obwohl fie biefelbe mit der fpätern zu 
Nicäa in unverföhnlichem Widerfpruch glaubten, fie hätten, 
fage ich, für eine verlorene Sache gekämpft. Was bie 
Väter zugaben, können und dürfen auch wir zugeben. 

Daß εὖ fdon barum undenkbar fein folle, bag das 
Wort „ouoovoros“ von der Antiochenifchen Synode aus 
dem firchlichen Sprachgebrauche ausgefchloffen wurde, weil 
es ſchon zuvor in der Kirche gebraucht wurde in den Briefen 
ber zwei hervorragenditen Biſchoͤſe, ift nicht abzufehen. 
Gebraucht mußte es in der Kirche wohl (don irgendwie - 
worden fein, fonft hätte «8 bie Synode nicht aus bem 
firchlichen Sprachgebrauch ausfchließen fónnen. Die Bir 
Ihöfe von Rom und Alerandria mochte die Synode hierüber 


— 


12 Die Verwerfang des ὁμοούσιος ju Antiochien. 


ſo wenig vorher fragen, als fie diefelben fragte, wie 


fie über die Lehre des Paulus von Samoſata entfcheiden 
follte; fie entfchieh über des Paulus Lehre, verwarf (te 
und fuchte bie firchliche ere nach befter Einficht vor Ein- 
ſchwaͤrzung biefer häretifchen zu bewahren, vorzüglich durch 
Abweifung des Wortes „onoovaros.“  Grft nachher ward 
ber Bericht hierüber an die Bifchöfe und namentlich an 
ben von Rom gefandt. Wenn man fagt: Alles flimmte 
damals im Gebrauch des „ouoovorog“ überein, fo ift damit 
zuviel behauptet. Wohl wurde biefeó Wort in bifchöflichen 
Schreiben gebraucht, aber in den firchlichen Sprachgebrauch 
im ftrengen Sinne war ἐδ noch keineswegs recipirt. Es 
wurde vor ber Hand nur gebraucht, wie jeder andere für 


paffenb gehaltene Ausdrud zur Darftellung der chriftlichen 


δεῦτε, Darum fonnte ed auch nidbté fo Unerhörtes, allgemein 
Auffallendes fein, wenn bíefer Ausprud abgelehnt wurde, 
als nicht ganz paffenb, weil leicht Mißdeutungen fähig. 
Auffallend ift es nun allerdings, daß der Artanifche 
Streit, in dem das „ouoovorog“ eine fo große Rolle fpielte, 
fo lange geführt ward, ehe man auf jene Thatfache zu 
Antiochia zu fprechen fam, unb daß weder zu Nicaͤa, nod) 
zu Antiochia oder anderswo vor ber Synode von Anchra 
davon die Rede war. Allein fo gut Athanaftus, ber bod) 
einer der Iinterrichtetften jener Seit war, auch nod) viele 
Sabre nach der Ricänifchen Synode fid) bie Acten jener 
Berfammlung nicht verfchaffen konnte und daher nichte 
Genaueres von ber Sache wußte, fo konnte biefe& auch 
den andern Bifchöfen gefchehen. Je länger ber Streit gez 
führt ward, befto mehr faf man fid) veranlaßt, auf die 
früheren SBeftimmungen in der Kirche zurüdzugehen, bie 
hriftliche Vergangenheit zu burchforfchen, wie es ja bei 


Die Verwerfung bel ὁμοούσιος zu Antiochien. 13 


jedem firchlichen Streite der Sall ift, und fo fam man 
endlich aud) auf Die Vorfälle zu Antiochia. In ber fangen 
Zeit von dem Goncilium zu Antiochia bis zum Ausbruch 
bet. Arianifchen Streitigkeiten (mehr als 50 Sabre) war 
von ὁμοούσιος nicht mehr bie Rede. Wenn wir den 
Berlauf der Berhandlungen zu Ricda betrachten, fo fcheint 
ἐδ wohl, daß das Wort auf jene Entfcheivung zu Antiochia 
bin außer Firchlichen Gebraud) gefommen fei. Diefe Ser; 
muthung liegt nicht ferne; denn daß e8 zur Zeit ber Synode 
von Ricka keineswegs in den Sprachgebrauch der Kirche 
aufgenommen war, ergibt fid) bod) zuverläßig daraus, 
daß zu Nicaͤa dieſes Wort nicht fogleich zur Bezeichnung 
der Fatholifchen Lehre gewählt, fondern erft andere Formeln 
verfucht wurden. Erft als man fab, daß alle bieje bie 
Arianer nach ihrem Sinne zu deuten muften, verftand 
man fid) dazu, „ouoovosog“ als das unzweideutigfte, ſo⸗ 
phiftifchen Deutungen unzugänglichfte zu wählen. Wozu 
nun das lange Zaubern das Wort in den kirchlichen Sprach 
gebrauch im firengeren Sinne aufzunehmen, wenn ed ohnes 
bin (don in bemfelben fid) fand? Deutet nicht biefe& auf 
einen Vorfall in Betreff des „ouoovarog“ bin, wie ber ijt, 
ber und von ber Eynode von Antiochia berichtet wird? 
Daß wirklich in der früheren Zeit ber Kirche von biefem 
Ausdrude ſchon bie Rede war, daß bieB zu Antiochia 
gefchehen mußte, ift gewiß. Hier mußte von „Ouoovasog“ 
bie Rede fein in irgend einer Seife, wenn bie verfammels 
ten Bifchöfe nicht gerade von bem fchweigen wollten, um 
befientwillen fie zufammengefommen waren. Es wurde 
befannt(id) über des Antitrinitariers Paulus von Samofata 
Lehre dort verhandelt und gerichtet. Wie folfte nun ba 
nicht bie Rede gewefen fein vom Weſen Gottes und von 





14 Die Verwerfung be& ὁμοούσιος zu Antiochten. 


dem Berhältniß deflelben zu den göttlichen Perfonen, unb 
diefer zu einander? Das war ed ja eben, was bie ganze 
Reihe der Antitrinitarier hervorrief, daß man fürchtete, 
burd) bie 2ebre von drei Perfonen auch drei Wefen unb 
alfo drei Götter [ebren zu müffen, weil man fi immer 
nur an ben logifchen Wiverfpruch hielt, ber darin liegt, 
daß Ein Gott, Ein göttliches Wefen und doch drei Pers 
fonen (aber gleichwefentliche) fein! Sollte es nun da, 
wo über Diefes Berathung gepflogen wurde, nicht möglich 
oder vielmehr nothwendig gewefen fein, daß von ὁμοούσιος 
von „Aöyog ὁμοούσιος τῷ πατρὶ" bie Rede war? Sollte 
fd die Berfammlung begnügt haben, blo8 von Zahlen zu 
reden, das Zahlenverhältniß Eins und Drei auszufprechen, 
in das Tiefere ber Lehre von Gott aber nicht einzugehen 
unb vom Verhäftniß ber Perfonen zum Weſen zu ſchwei⸗ 
gen? Eine Beratjung über das „ouoovorog“ fand alfo 
in früherer Zeit, und zwar zu Antiochia, wie fid) zeigt, 
fhon flatt, und welchen Ausgang fie nahm, läßt fid) 
aus dem Verlaufe ber Verhandlungen zu Nicäa vermuthen. 
Wenn auch bie bafelbft verfammelten Väter von jenem 
Vorfalle nichts Beſtimmtes wußten, das einzelne Factum 
nicht genau Fannten, fo trugen fie doch das kirchliche 
Bewußtſein in fid, wie es fid nach jener Synode bis zu 
der von 9ticáa gebildet hatte, und biefem gemäß entfchloßen 
fie [ὦ nicht gleich anfangs ohne Bedenken zur Aufnahme 
des Wortes ὁμοούσιος“ in bie Firchlich-Dogmatifche Sprache, 
fondern erft als fie faben, daß fle anders die fid) eins 
fehleichende ober verbergenbe Irrlehre nicht fo gut abweh⸗ 
ren fonnten. Daß Eufebius in feiner Kirchengefchichte unb 
in feinem Schreiben an feine Gemeinde Nichte von dieſer 
Beftimmung zu Antiochia in Betreff des οὐμοούσιος“ fagt, 


Die Verwerfung be8 ὁμοούσιος zu Antiochten. 19 


ift zwar auch befrembend, keineswegs aber unerflärlich. 

Sn feine Kirchengefchichte ift zwar ein Theil der Synodals 
acten von Antiochia, eingerüdt, in bem über biefen Aus» 
bruf nichts beftimmt ift, aber Daraus fann man mod) 
nicht fdjiegen, bag aud) in bem nicht eingerüdten Theile 
derſelben nichts davon enthalten war! 1) ine befondere 
Aufforderung , gerade biefe Stelle berfelben hervorzuheben, 
mar zur Zeit ber Abfaffung biefer Stirchengefchichte noch 
nicht ba, da fie jedenfalls vor dem Eoncil von Sticda voll; 
endet wurde, das οὐμοούσιος“ alfo feine große Wichtigkeit 
noch nicht erlangt batte. Was jenes Schreiben nad) ber 
Synode von Sticáa betrifft, fo will ſich befanntfid) Euſebius 
in bemfefben bei feiner Gemeinde rechtfertigen, daß er das . 
»ὑμοούσιος““, wenn auch voiberftrebenb, bod) angenommen, 
und Das Belenntniß, in bem es enthalten, unterzeichnet 
habe. Er zeigt darum, daß ja diefes Wort fein fo uns 
erhörtes fei, da εὖ bod) ſchon von frühern Vätern ge» 
braucht worden ἢ. Zur Erreichung des Zwedes, ben 
Eufebius in biefem Schreiben verfolgt, wäre es durchaus 
unbienlid) gewefen, des Vorfalls zu Antiochia — wenn er 
ihm damals wirklich fon bekannt geweſen — zu erwähnen, 


— — 





— 


1) In tem Briefe an die Bifchöfe, den Euseb. (h. e. I. VII. 30) 
in feine Kirchengefchichte einteift, ift überhaupt die Lehre des Paulus 
von Samofata nur ganz furz berührt, und iff in Betreff ihrer und bet 
Entfcheidung des Conciliums über biefelbe auf ble Acten ber Synode 
verwiefen, bie fid) aber bei Eufebius nicht finden. In diefen mußte von 
ὁμοούσιος die Rebe fein. Im genannten Briefe namentlich an Tios 
nyſius von Rom und Marimus von Alerandria ift größtentheild nut das 
äußere Leben und Wirken des Paulus gefchilbert. 

2) Euseb. Caes. in epist. apud Socrat. h. e. Lib. I. c. 8 ἐπεὶ καὶ 
τῶν παλαιῶν τινας λογίους καὶ ἐπιφανεῖς ἐπισκόπους καὶ συγγραφέας. ἔγνωμιεν 
ἐπὶ τῆς τοῦ πατρὸς καὶ υἱοῦ ϑεολογίας τῷ τοῦ ὁμοουσίου συγ χρησαμένους 
ἀγόματι. 





16 Die Berwerfung des ὁμοούσιος zu Antiochien. 


denn dadurch hätte er ja das, was er zu feiner Entſchul⸗ 
bígung aus frühern Vätern vorgebracht hatte, wieder 
paralyfirt. 

Ge ijt auch Feineswegs fo ganz unmöglich eine Gt» 
flárung zu finden für das Echweigen beiber ftreitenden 
Partheien, ber Katholifen und ber ftrengen Arianer, über jene 
Entſcheidung über das „ouoovosos“ zu Antiochia, — wenn 
fie wirklich im Laufe des Streites noch vor ber Zufammens 
 funft der Semi» Nrianer zu Ancyra davon ſollten Kunde 
erhalten haben. Daß bie Arianer nichts davon fagten, 
wenn fie es auch erfuhren, daß zu Antiochia das οὐμο- 
ovorog“ als Firchlicher Ausdrud nicht angenommen wurde, 
läßt fid) vielleicht daraus erflären, daß bie Antiochenifchen 
Synodalacten zuverläßig nicht jene Zurüdweifung dieſes 
Wortes allein enthielten, fondern zugleich eine nähere Erklaͤ⸗ 
rung über baó Verhaͤltniß des Eohnes zum Vater, die fo 
befchaffen war, baf fie ber Lehre der Arianer wiberfprady, 
fo daß, wenn fie jenen Vorfall in Betreff des οὐμοούσιος" 
zur Sprache brachten, zugleich jene naͤhere ihnen ungünftige 
Erklärung hierüber, ober dieXehre ber Synode zur Sprache 
fam. Die Satbolifen hinwiederum mochten jener Entfcheis 
dung zu Antiochla, wenn fte wirffid zur Kenntniß ders 
felben früher famen, feine Erwähnung thun, weil fie 
zwar ber Sache, nicht aber bem Ausdrude nach mit bere 
felben übereinftimmten. Gie hielten an dem Worte „Ouo- 
ovoros“ mit der größten Strenge feft, und bief war natür- 
lich nicht geeignet fte zu veranfaffen, jenen Vorfall alf» 
gemein befannt zu machen. Zum Beweifen der Fatholifchen 
Lehre fonnten ihnen aber die Acten jener Synode nicht 
viel dienen, wenn fte fid) auch darauf beriefen, weil bie 
Arianer, wenn fie in'6 Gebrdnge famen, ihre innere Ges 


Die Berwerfung be& ὁμοούσιος zu Antiohten. 17 


finnung und Lehre unter die firchliche Sprache verbargen 
unb fid) nur der Annahme des οὐμοούσιος“ hartnädig wei 
gerten, worin ihnen gerade jene Eynode zur Seite ftlanb, 
Ganz anberó dagegen verhielt ἐδ fid mit den Semi⸗ 
Arianern. Diefe konnten zu ihrem Vortheile ber Synode 
febr wohl Erwähnung thun und fid) darauf berufen, weil 
fie fowohl der Eache nach mit derfelden übereinftimmten — 
alfo ihre Bekanntmachung und nähere Unterfuchung nicht 
zu fcheuen brauchten —; al6 aud) bem Worte nad) ihr 
beiftimmen wollten, indem fie fid) ebenfalls weigerten das 
Wort „ouoovasog“ zu gebrauchen. Daß die SemisArianer 
Betrug wollten, indem fte ὦ auf eine Thatfache beriefen, 
die feine wirkliche fondern blos fingirte war; ober aud) 
nur daß fie in Uebereilung das, was fie vom Hörenfagen 
vieleicht von jenem Concilium Unbeſtimmtes erfuhren, zu 
einer beftimmten Thatſache umbildeten und fid darauf 
beriefen als auf eine Autorität, entbehrt der Wahrfchein- 
lichkeit. Die Semi- Arianifchen Bifchöfe waren, wie bie . 
Väter ſelbſt bezeugen, feine fo unehrliche oder aud) un⸗ 
befonnene, gebanfenfofe Männer, daß (id Solches von 
ihnen annehmen ließe. Wie hätten fie ed aud) wagen 
folfen, ein Sactum von biefer Wichtigfeit im Angefichte ber 
ganzen Kirche zu fingiren, ober auch nur leichtfinnig zu 
behaupten ohne hinreichende Beweife? Und wie hätten bie 
Väter und die ganze Kirche fid) nicht dagegen erflärt als 
einer Erdichtung? Mußten die Eemi-Arianer nicht jeden 
falls vorausfegen, daß man ihre Behauptung prüfen werbe, 
und daß ihre Gegner, deren Tüchtigfeit fie Fannten, wenn 
fie auch für ben Augenblid das Nähere von jener Synode 
nicht wußten, Nichts unterlaffen würden, fid) beftimmte 
Kunde davon zu verfchaffen? Die Väter haben aber jene 
Angabe, wie fdjon oben gezeigt, nicht für E erflärt; 
Seo. πανία τί. 1850. I. Heft. 


18 Die Verwerfung des ὁμοούσιος zu Antiochien: 


daß fie aber leichtgläubig, ohne Nachforfchung den Gemis 
Arianern blos nachgefprochen, kann ich durchaus nicht zu⸗ 
geben. Athanafius fügt, er habe das Echreiben jener 
Eynode nicht ſelbſt gefehen, fid) nicht verfchaffen können; 
das deutet doch (don darauf hin, daß er nicht leichtgläubig 
das Behauptete nachgefprochen, fondern darüber nachges 
forfcht und wenigftens Nichts erfahren habe, was im 
Widerfpruch mit bem von ben Semt-Arianern Behaupteten 
ftünde. Hilarius zweifelt durchaus nicht, bag es mit jener 
Angabe der Ancyrenifchen Synode feine Richtigkeit habe, 
und fudt, wie Athanafius, fid) jenes actum. aus den 
gegebenen Umftänden zu erklären. Klar und beftimmf 
fpricht fid) aber Bafilius aus in ber fd)on oben citirten 
Stelle: xol yaQ τῷ ὄντε, οἱ ἐπὶ Παύλῳ τῷ Zauoverei 
συνελθόντες διέβαλον τὴν λέξιν (ὁμοούσεος) ὡς οὐκ 
&vgruo» fagt er. Da ift doch jede Vermuthung unmög- 
ih, als hätte aud) er nichts Näheres von bem eigentlis 
hen S8organge zu Antivchia gewußt! Diefes »καὶ γὰρ τῷ 
Ovrt^ fegt bod) voraus, daß er fid) genauer um bie Gadje 
erfundigt, und baburd) zur llebergeugung gekommen fet, 
daß bie Eemi-Arianer -Feine falfche Angabe fid) erlaubt 
haben; fv daß ber Gedankengang der ift: δῷ forfrhte 
darüber nach und fand, daß es fid in ber That fo vers 
halte. Einen andern Einn fann jene Belkräftigungsfgrmel 
nicht haben. 

Was ferner den Umftand betrifft, auf ben man fo 
viel Gewicht legt, daß bie Angaben ber Väter über ben 
Grund, ber bie Bifchöfe zu Antiochia beftimmte, das Wort 
„Ouoovarog“ aus bem bogmatifchen Sprachgebrauch aus- 
zufchließen, nicht miteinander übereinftimmen und dadurch 
fi) zeige, daß fie von ber Sache nichts Beftimmtes wuß- 


= Φ 





Die Verwerfung ves ὁμοούσιος zu Anttochten. 419 
ten, fondern nur muthmaßten, fo behaupte ich, daß bie 
Gründe, bie fie angeben, keineswegs fo widerfprechend find 
und unvereinbar, wie man gewöhnlich annimmt. Atha- 
naftus !) fagt, bie Bifchöfe zu Antiochia hätten das Wort 
ὑμοούσεος deswegen vermieden, um ben fophiftifchen Fol⸗ 
gerungen des Paulus von Samofata zu entgehen; fte thas 
ten ἐδ, fagt er: „weil Baulus fophiftifch behauptete, wenn 
Ehriftus nicht menfchlichen Urfprung habe, fo fei er, als 
Gott, gleichwefentlich mit dem Vater, und nothiwendig 
feien dann drei Wefen, das Eine al8 das urfprüngliche 
und zwei von bemjelben abftammenbe.* Der Folgerung 
alfo wollten fie entgehen, die Paulus zog, daß, wenn fte 
mehr göttliche Perſonen Iehrten als Eine, und bod) zugleich 
behaupteten, es fei nur Ein göttliche Wefen, die goͤttli⸗ 
den Perfonen alfo gleichwefentlich (010070200); fie dann 
das Eine göttliche Grundwefen in zwei theilen müßten 
für Vater und Eohn, damit fie gleichwefentlich und doch 
zwei feien. Ganz benfelben Grund gibt aber auch Safiliue 2) 
ald den an, ber die Väter zu Antiochia zu ihrem Befchluß 
beftimmt habe: „fie fagten nämlich, ba& Wort „owuoovarog“ 
biete den Sinn- dar: eines Wefens und ber Theile, in 
die daffelbe getheilt fei“. Baftlius fügt bei, dieß fel wohl 
der Fall bei bem Metall unb den daraus geprägten Münzen 


1) Athanas. de Synod. Arim. et Seleuc. c. 45. . . τοῦ Παύλου 
σοφίζεσϑαί τε ϑέλοντος καὶ λέγοντος" εἶ μὴ ἐξ ἀνθρώπων γέγονεν ὃ yolarog 
ϑεὸς οὐκοῦν ὁμοούσιός ἐστι τῷ πατρὶ καὶ ἀγαγκὴ τρεῖς οὐσίας εἶναι, μίαν 
μὲν προηγουμένην, τὸς δὲ δύο ἐξ ἐκείνης. 

2) Basil. ep. 52. . . ἔφασαν γὰρ ἐκεῖνοι (bie Bifchöfe zu Antiochia) 
τὴν τοῦ ὁμοουσίου φωνὴν — ἔννοιαν οὐσίας Te καὶ τῶν ἀπ᾽ αὐτῆς 
ὥστε καταμερισϑεῖσαν τὴν οὐσίαν παρέχειν τοῦ ὁμοουσίου τὴν προφηγορίαν 
τοῖς ei; ἃ διηρέϑη. : 

20 





20 Die Verwerfung des ὁμοούσως qu πη σέων; 


nicht aber bei Gott; ta gebe εὖ fein älteres, urfprünge 
liches, beiben dem Vater und Sohn vorangehendes Weſen. 
Man fiebt, daß beibe Väter, Athanafius und Baſilius in 
9(ngabe des rundes  übereinftimmten. Bei Athanaflus 


zieht Baulus von Gamofata bie Folgerung den Bifchöfen 


gegenüber, bag bei ihrer Lehre von einer perfönlichen Ver⸗ 


- fdjiebenBeit von Vater und Sohn das ὁμοούσιος nuth> 


wendig den Sinn haben müfle, einer Theilung be& ur» 
fprünglichen göttlichen Weſens; bei Bafllius geben bie 
verfammelten Väter bie Möglichkeit einer folchen Solgerung 
ju, und entföhließen fi), das Wort zu vermeiden. Wenn 
aber Hilarius denfelben Grund der Ablehnung diefes Aus⸗ 
brudé, ber von ben zwei oben genannten Bätern der Sy⸗ 
nobe von Antiochia zugefchrieben wird, feinerfeits αἰ folchen 
anführt, ber den Semi-Arianern al8. Stüge ihrer Weige⸗ 
rung diente, das „Ouoovorog“ anzunehmen, indem fie fag: 
ten, fie müßten fid befjen weigern: „quia per verbi 
hujus enuntiationem substantia prior intelligeretur, quam 
duo partiti essent; fo ift das bod) noch fein Beweis, 
bag bie Väter nichts Beftimmtes wußten von bem Vorfall 
zu Antiochia. Konnten denn die Semi» Arianer nicht 
denfelben Grund haben das „Ouoovaog“ nicht anzuneh⸗ 
wen, wie bie Bifchöfe zu Antiochia? Iſt εὖ nicht viel» 
mehr wahrfcheinlih, ja ganz natürlich, daß fie benfelben 
Grund dafür anführten, wenn fie fid einmal auf jene 
frühere Eynode beriefen? Wir fehen alfo, daß bie drei 
genannten Bäter Feineswegs von einander abweichen. Der 
ganze Unterfchied befteht nur darin, daß Athanafius ale 
ein Räfonnement des Paulus von Samoſata angibt, was 
Bafilius als Keflerion und beftimmenden Grund den vers 
fammelten Vätern felbft zufchreibt. Daraus folgt aber 


De Verwerfung des ὁμοούσιος zu Antiothien. 41 


nur einfach Died, daß fid) bie Väter zu Antiochia beftims 
men liefen in der Wahl ihres dogmatifchen Ausprude 
durch jenes Rälonnement des Paulus von Samofata. Aus 
Hilarins ergibt fd) ebenfo einfach, daß aud) bie Gemis 
Arianer ben Bifchöfen zu Antiochia wie im Abweifung des 
ὁμοούσιος, fo aud) in Betreff des dazu beftimmenden Grun⸗ 
bes beipflichteten. 

Ader, wendet man Bier ein, auf ſolche abfutbe So; 
phiſtik fonnten bie Väter unmöglich Rüdficht nehmen, denn 
bie Semi-Arlaner wohl fonnten dieſen Grund als Bors- 
wand ihrer Weigerung in Betreff des ὑμοούσιος anführen; 
ἐδ laͤßt fid aber nicht einfehen, was bie Antiochenifche 
Synode von 269 dazu veranlaßt haben follte; denn in 
ber Lehre des Paulus von Eamofata [ag Nichts, was 
gerade biefe Deutung begünftigen konnte. Gerade das 
Gegentheil von dem, was das Wort feinem urfprüngliden 
Ginne nad) fagt, daß Water und Sohn Eines Wefens 
feien, foll Paulus aus demfelben gefolgert haben, nämlich 
daß drei Wefen feien, Ein urfprüngliches und zwei daraus 
hervorgegangene. Diefer Sophiſtik wegen fonnten bie Väter 
faum einen in der Kirche ſchon recipirten dogmatifchen 
Ausdrud venperfen. Ich meine aber, was die abfurbe 
Sophiftif des Baulus betrifft, fo ift es an fid fdon nicht 
unwahrfcheinlich, daß bie Väter bel ber Wahl ihres Aus: 
bruds darauf Rüdficht nahmen, da Baulus jedenfalls ein 
in jener Gegenb febr beveutender Mann war, fdjon ale 
Biſchof von Antiochla, einer der erften Kirchen des Drients, 
bann aber auch durch feine perfönlichen Eigenfchaften, 
feine geiftige Gewandtheit und feinen Anhang. So wie 
fih fpäter die Bifchöfe zu Nicka durch bie Gopbiftif des 
Artus und feiner Anhänger beftimmen ließen in der Wahl 


22 Se Berwerfung bed. ὁμοούσιος zu Antiochier. 


ihrer Ausprüde, und namentlich in der Wahl des ,ὁμο- 
ovoros“; ebenfo fonnte dieß auch zu Antiochia gefchehen, 
namentlich auch in Betreff des ὁμοούσιος. Jene Folgerung 
aber erfcheint fo abjurb, fo unlogifch nicht, fonbern viel 
näher liegend, wenn man bie firchliche Lehre in ihrer Voll⸗ 
ftändigfeit betrachtet. Nicht blos von Einem göttlichen 
Wefen, fondern auch von den göttlichen Perfonen war bie 
Rede, von Vater und Sohn. Diefes nun gab dem Pau: 
lus VBeranlaffung zu jenem Räfonnement. Daß bie zwei 
göttlichen SBerfonen von einander verfchieden und doch jede 
das gleiche, nämliche Wefen haben follte, ſchien ihm 
unmöglich und fein Berftand jog aus ber behaupteten 
Bleichwefentlichfeit zweier Perfonen die Gonfequenz, daß 
bienad) das Eine gleiche Wefen unter bie zwei SBerfonen 
vertheilt fei, fo daß zwar beide göttliche Perfonen gleiches 
Wefen, aber nicht jede das nämliche habe. Diefe Folgerung 
mochte er aus ber Lehre der Väter ziehen, daß brei gött: 
liche Perſonen feien und doch nur Ein göttliches Weſen. 
Die Mehrheit göttlicher Perfonen, wollte er beweifen, fei 
mit der Homooufie unvereinbar, ober. führe zu jenen Gons 
fequenzen. Dagegen ift e8 fehr wahrfcheinlich, bag er 
behauptete, ber Ausdruck ὁμοούσιος pajje ganz für feine 
Lehre, und führe nothwendig zu derfelben. Er (dugnete 
nämlich bie Perfönlichfeit des Logos, unb Ite ibn nur 
für eine unperfönliche göttliche Kraft gelten; unb fo fonnte 
er freilich fagen, daß bie Homooufle des Logos mit bem 
Vater bei ihm zu feiner Theilung des göttlichen Wefens 
unter zwei Berfonen führe Daß Paulus wirklich das 
»0u00v005“ als für feine Lehre paffenber in Anfpruch 
nahm, deutet auch bie ſchon früher angeführte Stelle bei 


— 


Die Verwerfung de ὁμοούσιος zu Antiochien. 23 


Hilarius 1) an, wo gefagt wird, bie Väter zu Antiochia 
hätten das οὐμοούσιος““ barum zurüdgewiefen: quia "per 
hanc unius essentiae nuncupationem solitarium aique uni- 
cum sibi esse Patrem et Filium praedicabat ( Paulus 
Samosatenus ). Daß «8 bei Eufebius heißt, Paulus 
von Samofata erneuere den Irrthum des Artemon, bes 
weist Nichts gegen biefe Auffaffung feiner Lehre; denn 
dort ift nicht gefagt, daß nach Paulus ber λόγος von bet 
Erde ftamme, fondern bag ber Sohn (υἱὸς) von Unten, 
von ber Erbe fei. Der λόγος war ihm, eine göttliche 
Kraft, alfo von Dben. Den Antitrinitariern war es ja 
überhaupt eigenthümlich, „Sohn“ und „Logos“ zu unters 
ſcheiden, eben weil ihnen ber λόγος feine Berfon, unb 
nicht vom Water gegeugt war, alfo nicht Sohn (υἱὸς) ges 
nannt werden fonnte ohne bie Verbindung mit bem von 
ber Erde ftammenden, von der Jungfrau geboruen Mens 
ſchen Jeſus, durch bie er erft Sohn wurde. 

Sd) glaube nun durch biefe Unterfuchung hinlaͤnglich 
gezeigt zu haben, daß jene Bedenken, Unerflärlichfeiten 
und Schwierigfeiten, durch bie man jene von den Semi⸗ 
Arianifchen Bifchöfen behauptete und von ben drei genann⸗ 
ten SKirchenvätern zugegebene Thatfache in Betreff dee 
„ouoovoros“ in Abrede ftellte, keineswegs fo unlösbar 
fen, bag fie uns berechtigten, fo gewichtige hiftorifche 
Zeugniffe zu verwerfen. 


1) Hilar. de Syn. c. 81. 
Dr. Srobfhammer. 








\ 2. 
Die Ketzertaufe. 
Zweiter Artikel.) 


3. Das Borhergehende hat das Dogma von ber 
Ketzertaufe vorgeführt und hiftorifch gerechtfertigt. Es 
bleibt übrig, daß noch eine innerliche Rechtfertigung, Rechts 
fertigung des Dogma vor der Vernunft, gegeben werde. 

Eyprian bat gegen bie Gültigfeit der Ketzertaufe 
wohl Alles vorgebracht, was fid) dagegen fagen läßt. Es 
ift Folgendes. Erſtens bie Adminiſtration der Taufe ift, 
fhon an fif, eine Verrichtung, welche vorzunehmen bie 
Keper unfähig find. Die Taufe ift ein factifches Befennt- 
nif des Glaubens an ben breifaftigen Gott. Aber gerade 
diefen Glauben befigen bie Keber nicht oder haben ihn 
bod) gänzlich verberbt, bis zur Unfenntlichfeit entfte(It. Wie 
fónnten fte die Taufe verrichten, welche ein Ausdruck jenes 
Gíaubené ift! Wie fónnte Marcion im Namen des dreis 
faltigen Gottes taufen, da er ja nicht an biefen glaubt 9! 
Wohl wird eingewendet, und muß zugegeben werben, daß 
bie eger bie rechte Formel anwenden, den Worten nad 
im Namen des breijaltigen Gottes taufen. Allein hierauf 


1) Siehe Jahrgang 1849, Heft 4. 
2) Ep. 73, 4, 5. Ep. 74, 7. 


Die Kepertaufe, 25 


ift zu erwidern, (te thun dieß nur, um zu täufchen unb 
Gott noch mehr zu läftern; ein wirkliches und ernftge 
meinte& Defenntniß des dreifaltigen Gottes darf darin 
‚nicht erblidt werden‘). Aber gefe&t auch, fie haben in 
Betreff Gottes den rechten Glauben — was 3. 9. bei ben 
Domeftifen der Wall it —, fie find dennoch unfähig, 
gültig zu taufen, weil fte fid) außerhalb der Kirche 
befinden?) Dieß ifl das Weitere und Entfcheidende. 
Die Kirche, fagt Goprian, ift ebenfo Eine, wie Ehriftus 
Einer ift, und ebenfo ausfchließlich Vermittlerin des Heiles, 
wie e8 bie Arche gewefen. Folglich ift in ihr alle Wahrs 
heit und alle Gnade, et gratia et veritas omnis 5); und 
alfo auch in ihr allein bie Taufe ), bie erfte aller Gnas 
denerweifungen 5. Es gibt nur Eine Taufe, unb biefe 
(ft bei ung, ift innerhalb, ift ber Kirche allein durch αὐτί 
liche Erbarmung jugeftanben 9). Folglich gibt e außerhalb 
ber Kirche feine Taufe, und alfo auch feine Adminiftration 
ber Taufe). Wer die Taufe nicht befipt, ber fann fie 
nicht geben, und wo fie nicht gegeben werden fann, ba 
fann fie auch nicht empfangen werben 5). Kurz: wenn 
die Kirche Eine ift, und daran iít bod) wohl nicht zu 
zweifeln, dann kann es außerhalb der Kirche feine Taufe 


1) Ep. 75, 7. 10. 11. (Diefer Brief des Firmilian darf ohne 
Anftand als ein Eyprianifcher befanbelt werden, denn er if mur ein Echo 
der Eyprianifchen Argumentationen). 

2) Ep. 76, 7. 

3) Ep. 71, 1. 

4) Ep. 74, 11. 

5) Ep. 73, 12. 24 cf. Ep. 74,8 

6) Ep. 74, 3. 

7) Ep. 70, 1. 

8) Ep. 71, 1. 





26 | Die Kehertaufe. 
geben ). Es müßte denn nur fein, daß entiweber bie 
Taufe von der Kirche getrennt ober die Kirche fetbft zer⸗ 
theilt werden Fönnte. Allein das Eine wie das Andere ift 
rein unmöglich *?). Wenn daher bie Gegner die Gütigfeit 
der fepertaufe mit Berufung auf die Einheit der Taufe 
-behaupten, fo weiß Eyprian gar nicht, was fie fügen 
wollen und muß unbegreiflihe Verblendung darin ers 
bliden 9), — Eyprian geht noch weiter. Die $teger, fagt 
er, find nicht nur und nicht einfach außerhalb der Kirche, 
fondern fie find Feinde Chrifti, wirfen dem chriftlichen 
Heilswerke geradezu entgegen. Wenn aber dies: wie koͤn⸗ 
nen fie dann im Stande fein, chriftliche Gnade zu ver; 
mitteln ! *) 
Hiemit find wir bei bem Zeiten angelangt. Zum 
Zweiten nämlich find bie Keger unfähig, gültig zu taufen, 
weil fie Das nicht geben können, was durch die Taufe 
vermittelt wird — Sündennachlaß und Kindfchaft Gottes, 
Sn der Taufe und durch biefelbe werben erftens bie Süns 
den nachgelaffem Nun aber Bat der Herr die Macht, 
Sünden: nachzulaffen, nur ber Kirche, nur bem Petrus 
und ben übrigen Apofteln gegeben, und außerhalb ber 
Kirche gibt có feine Sünden-Nachlaffung, kann weder gez 
bunden noch gelöst werben. Solglich befinden fid) außers : 
halb der Kirche auch nicht bie Mittel zur Suͤnden⸗Nach⸗ 
lafjung, namentlich alfo nid)t bie Taufe, und fann fomit 
„von den Häretifern nicht getauft werden 5. Mit ber 


1) Ep. 71, 1. 

2) Ep. 73, 25. Ep. 74, 4. 

3) Ep. 71, 1. cf. Ep. 73, 21. 
4) Ep. 70, 3. 

9) Ep. 70 passim. Ep. 73, 7. 


Die Kebertaufe, 27 


CünbenzStadjlafung (ft verbunden zweitens bie Wieder⸗ 
geburt, nativitas secunda; in ber Taufe ift e&, daß Gott 
Kinder geboren werden durch Ehriftus. Wie kann man 
 wun aber fagen, dieß fónne in ber Härefie gefcheben! 
Nicht bie Härefie, fondern bie Kirche ift bie Braut Chriſti; 
unb folglich ift cà durch bie Kirche allein und in derfelben, 
daß jene (geiftige) Geburt vermittelt wird ἢ). Deßhalb 
ift unbegreifli, wie Stephanus zu der Behauptung komme, 
bie Härefie fönne_Kinder gebären, welche bann bie Kirche 
fi aneigne und auferziehe ?). Wie könnte εὖ auch anders 
fein? Sündennachlaß und Wiedergeburt find .9Berfe unb 
Gaben des heil. Geiſtes; aber gerade am heil. Geifte ift 
es, daß bie Härefie nicht ben mindeften 9Intbei hat. Wie 
fönnte fie alfo die Gaben des hi. Geiftes verleihen! Nies 
mand fann geben, was er felber nicht befigt 3). 

Damit hängt zufammen, daß anerkannter Maßen bie 
Häretifer nicht fähig find, das Gacrament der Firmung 
zu ertheilen *), Hier ift ἐδ, daß Eyprian feinen Gegnern 
mit bem Vorwurf ber Inconfequenz ftark zu Leibe geht. 
Können, fagte er, die Keger taufen, fo müffen fte auch 
firmen fónnen, und ihr irrt, wenn ihr egtereó. in Abrebe 
ſtellt. Können fie aber, wie ihr der Wahrheit gemäß zus 
gebet, das Cacrament der Firmung nicht ertheilen, bann 
offenbar aud) das der Taufe nicht, denn es ift ein unb 


1) Ep. 74, 6. 

2) 1. c. Befonders dem Firmilian fcheint erwähnte Meinung bes 
Stephanus geradezu abfurb und lächerlich zu fein. 

3) Ep. 74, 5. Ep. 75, 8. 13. Ep. 76, 11; Ep. 75, 9. Ep. 70, 2. 

4) Ep. 70, 2. Diefe Stelle ift. theilweife corrupt, und, wie εὖ 
ſcheint, nicht wieder herzuftellen. vgl. Migne Patrol. III, 1040—1042. 
Das im Tert Gefagte aber liegt flat und unzweifelhaft darin. 


28 Die Repertauf 


verfelbe heil. Geift, ten fie hier wie dort nicht mittheilen 
fönnen. Es ift nicht möglich, daß ein Theil ihrer Functios 
nen nichtig, ein anderer gültig fe!) Wer den von 
Ketzern Getauften die Firmung, aber aud) nur biefe ers 
tBei(t, handelt fo, wie wenn Rechtfertigung und Kindfchaft 
Gottes durch eines der beiden Gacramente erlangt wer» 
ben fónnte. Das ift aber falfh, da gefchrieben fteht: 
Mer nicht wiebergeboren ift aus dem SBaffer und bem 
heit. Geifte 1c. ἢ. Kann alfo ba& eine biefer Sacramente 
nur in der Kirche ertheilt werben, dann nothwendig auch 
das andere. Ja man muß nod) weiter gehen und bes 
haupten: Wird ben Kegern die Taufe geftattet, bann 
muß ihnen alles Uebrige geftattet, zugegeben werden, daß 
fie alle Firchlichen Bunctionen vornehmen Finnen, denn 
die Taufe ift der erfte und infofern wichtigfte Akt ber 
Rechtfertigung, fo daß wer ihn vornehmen kann, alle an⸗ 
dern vorzunehmen fühlg ift 5). 

Diefe Argumente unterftügt Goprian , wie wir fdon 
im Fruͤhern gefehen haben, mit zahlreichen Gitaten der heit. 
Schrift. Hauptfächlich find es das abgegränzte Paradies, 
die Arche, Der verfchloffene Garten des hohen Liedes 
(Cant. 4, 12. 13.), worauf er fid) beruft; Gfore, Dathan 
und Abiron (Num. 16) find ihm ein Beifpiel dafür, daß 
Unberufene nicht ungeftraft priefterliche Bunctionen vers 
richten; beweifend für ibn find ferner alle jene Stellen, 
welche Verdammung über bie Verächter Gottes, Unglaͤu⸗ 
bige unb Abtrünnige ausſprechen; Apg. 10, 48 liefert ibm 


1) Ep. 70, 8. 71, 1. 73, 6. 74, 5. 
2) Ep. 72, 1. 
3) Ep. 73, 12. 


Die Kepertaufe; 29 


ben Beweis, die Taufe könne nicht gefpenbet werben ohne 
gleichzeitige Mittheilung des 6. Geiftes, und Apg. 19 den nod) 
fhlagenderen, bag bie Apoftel eine fremde Taufe nicht als 
gültig anerfannt, Befonderes Gewicht wird auf Matth. 
16, 19; Sob. 20, 22. 23 gelegt u. f. τὸ. 

Gegen diefe Beweife hat fdon ber im Fruͤhern 
mehrgenannte anonyme Zeitgenofie Goprianó außer ber 
Tradition Folgendes geltend gemacht. Erftend: bie von 
Ketzern verrichtete Taufe hat ein Analogon an der von 
Cünbern verrichteten.. Wenn Keber deßhalb nicht taufen, 
nicht Sünden nachlaffen und ben heil. Geift mittheilen 
fónnen, weil fie mit jenen felbft behaftet find, biefen aber 
nicht befigen, fo fónnen auch Sünder innerhalb ber 
Kirche, ſündhafte SBriefter, Bifchöfe ꝛc. nicht taufen, denn 
bei diefen findet ja baffelbe Statt, wie bei jenen. Spricht 
man aber biefen bie Fähigfeit zu taufen nicht ab — und 
Xiemanb thut e —, bann darf man fie confequent auch 
Jenen nicht abfprechen (cap. 10). Der Grund aber, zweis 
tens, warum man bie Sepertaufe, fo fie nur im Ramen- 
Jeſu vollzogen ijt, anerfennen muß unb fomit nicht wier 
berbolen darf, Liegt in der Majeflät und Kraft des Nas 
mens Jeſu. Diefer Name ift fo fráftig, bag er Großes 
wirkt, auch wenn er von falfchen Propheten ausgefprorhen 
wird. Es ift alfo eine Beeinträchtigung ber dem Namen 
Jeſu fehuldigen Ehrfurcht, wenn man bie in demfelben, 
bon wen immer, vollzogene Taufe nicht gelten läßt (c. 12). 
Der Einwurf, drittens, "löst fid) Leicht, welcher von bem 
Umftande hergenommen ift, daß die Keger nicht bie Faͤhig⸗ 
fet befigen, das Sacrament der Firmung zu ertbeilen. 
Allerdings gehört bie Firmung wefentlich, ald Ergänzung, 
wu der Taufe, die Geiftestaufe zu ber Waſſertaufe. Allein 








36 | Die Regertanfe. 


beide find doch aud) trennbar; es fann die Waſſertaufẽ 
ohne bie Geiftestaufe und biefe ohne jene ftattfinden; im 
einen wie im andern Salle hat bann bie andere al8. Er- 
gänzung hinzuzutreten. Die heil. Schrift gibt hievon 
mehrere Beifpiele. So hat der Eenturio Cornelius juerft 
bie Geiftestaufe, erft nachher bie 9Baffertaufe durch Petrus 
"empfangen. Umgefehrt haben bie Samariter, der äthio- 
piſche Eunuche, ja die Apoftel felbft zuerft die Waffertaufe, 
und erft geraume Zeit nachher die Geifte&taufe erhalten. 
Daſſelbe findet fehr Häufig auch innerhalb der Kirche 
ftatt: fo oft nämlich nicht ber Bifchof, fonbern ein 
Anderer tauft, welcher nicht zugleich ba8 Sacrament ber 
Firmung ertheilen kann (c. 3 f£). 

Hiemit hat ber Anonymus einige ber Hauptpunfte 
berührt, worauf εὖ bei Beurtheilung vorliegender Frage 
anfommt. Indeſſen ift nicht nöthig, länger bei ihm zu 
verweilen. Seine noch lüdenhafte Beweisführung wird 
uns fogleich in einer mehr ausgebildeten Geftalt begegnen 
— bei dem 5. Auguftin. Diefem ift die Aufgabe zuge- 
fallen, bie rage von ber Kepertaufe wiffenfchaftlich — bie 
auf einen gewiffen Grab. — zur Entfcheidung zu bringen. 

a) Das Hauptgewicht legt Auguftin, wie billig, auf 
bie Ueberlieferung, SBeftimmtbeit und Sicherheit der Kir, 
deníebre. Sollte ich, fagt er, auch nicht vermögen, bte 
von Eyprian und beffen Freunden vorgebracdhten Gründe 
‚zu entfräften, id) würde dennoch mit Entſchiedenheit und 
Zuverficht an ber Kirchenichre fefthakten 1). — Damit hängt 
eine Bemerkung zufammen, welche wir ein vorläufiges 
Argument nennen möchten. Auguftinus weist nämlich auf 


εν 1) De bapt. c. Don. IH, 1 (2). 


Die Repertaufe, 3f 


bie llebereinftimmung bin, womit affe Menichen, bie Häs 
retifer wie die Katholifen, die SBicbertdufer verabfcheuen !). 
Solcher Lebereinftimmung liegt immer etwas Richtiges, 
fo zu fagen, ein Gefühl der Wahrheit, zu Grunde; und 
unter den Vorausſetzungen, wovon bie Wiffenfchaft auss 
jugehen in ber Regel genöthigt ijt, ift dieſe eine ber qus 
verläßigften und ftattfafteften. 

b) Nach diefem behauptet Auguftin bie Gültigkeit ber 
Kegertaufe mit der Berufung auf bie Thatfache, daß die 
von’ fündhaften Katholifen, Prieftern, Bifchöfen ertheilte 
Taufe allgemein ald gültig arierfannt werde. Vom dritten. 
bis fiebenten Buch der Schrift: De baptismo contra Do- 
natistas, wo Auguftin bie Argumente des Cyprian und. 
ber Bifchöfe des dritten Gouciló von Karthago widerlegt, 
fehrt biefer Beweis immer wieder durch alle Snftangen; 
Wird gefagt, es [εἰ den Häretifern nicht erlaubt, zu tau⸗ 
fen, fo antwortet Auguftin: Allerdings; aber eben fo wenig 
auch den llugeredbten und Frevlern ἢ. Wird näher bei: 
gelebt, bie Häretifer und ESchismatifer fónnen nirht ben 
heil. Gift ertheilen und nicht Sünden nachlaffen, weil fie 
jenen nicht befigen, mit bicfen durch und durch behaftet 
feien: fo entgegnet Auguftin, daffelbe fei der δαί bei den 
Sündern und Frevlern innerhalb der Kirche. Könnten 
alfo aus genanntem Grunde Sene nicht taufen, dann auch 
Diefe nicht. Iſt er aber für Diefe nicht ein Hinderniß,: 
bann aud) nicht für Sene. Die Häretifer und Schisma⸗ 
tifer find einfach Sünder, und unterjcheiden fid) von ben 
Sündern innerhalb der Kirche nicht wefentlich, fonbern 


1) I. c. V, 5 (6). 
2) c. Donat. III, 10 (13). 


32 Die Regertaufe. 


graduell. Sünde ift Trennung von der Kirche, Unhellig« 
feit im Gegenfag gegen bie Heiligfeit der Kirche. Diefe 
Trennung fani nun zweifach fein: innerlich und äußerlich, 
separatio spiritualis et corporalis. Innerlich von der . 
Kirche getrennt, spiritaliter separati, find bie gewöhnlichen 
Sünder: Wucherer, Geizige, Ehebrecher, Diebe 2c.; Außer: 
lic getrennt, corporaliter separati, find die Häretifer und 
Schismatifer. Jede diefer Trennungen hat wieder mehrere 
Stufen; ἐδ fann Einer durch mehr oder weniger, durch 
größere oder Kleinere Sünden innerlih, und ebenfo burd) 
mehr oder weniger Glaubeneirrtbum und WBerfehrtheit 
äußerlich von der Kirche getrennt fein. Aber al’ das 
macht die Sünde nicht zu etwas Anderem. Allerdings ift 
bie Außerliche Trennung, find Härefie unb Schisma eine 
größere, gefährlichere Sünde, als jede Sünde innerhalb 
der Kirche; bie Häretifer und Schiömatifer find, well fie 
nicht bloß spiritaliter, fondern auch corporaliter getrennt 
find, mehr getrennt, separatiores, aló bie übrigen Sünder ; 
allein im Wefen unterfcheiden fie fid von diefen nicht. 
Folglich hängt bie Frage nach ber Gültigfeit ber Kepers 
taufe von ber Entfcheidung ber allgemeineren Frage ab, 
ob Sünder überhaupt gültig zu taufen vermögen. Da nun 
diefe Frage allgemein, auch von ben Gegnern der Keber- 
taufe, bejaht ift, fo fant man bie Gültigfeit der Ketzer⸗ 
taufe nicht beanftanden H. 

c) Es ift leicht zu fehen, dieſe Beweisführung bes 
b. Auguftin könne eben fo gut aum Gegentheile, nämlich 
zu der Behauptung benüßt werden, daß nicht nur bie von 
Kepern und Schismatikern ertheilte, fondern auch diejenige 


᾿ 1) Donat. IV, 1—5; VII, 51. 52. 








Die Kebertaufe. 33 


Saufe ungültig fel, welche von Günbem innerhalb ber 
Kirche abminiftrirt worden. Sind die gewöhnlichen Suͤn⸗ 
ber den Häretifern und Schismatifern wefentlich gleich zu 
achten, und fónnen [eptere nicht gültig taufen, dann Fön 
nen eó aud) jene nicht. Daher ift näher nachzumei- 
fen, daß Sünder überhaupt zu taufen fähig felen. Daß fte 
ben Taufaft vornehmen fónnen, ift ffar unb eines Bes 
weifes nicht bebürftig; das fann jeder Menfch. "Die rage 
ift, ob fie jenen Akt fo vorzunehmen im Stande feien, 
daß ihm die intendirte Wirkung folge. Wie fónnen 
Sünder den heil. Geift mittheilen, ba fie felbft ihn nicht 
befigen; wie Sünden nadjíafféen, ba fte felbft-eben von 
Sünden befledt find; wie Jemanden mit der Kirche ver- 
binden, ba fie felbft, fei ed innerlich oder äußerlich, von 
ihr getrennt find? Zur Beantwortung biefer Frage fchei- 
bet Auguftin, im Gegenfag zu Goprian, bie Wirfung 
bet Taufe von ber Sauffanb[ung unb bem Befip 
ber Taufe. Sene fällt ganz auf Seite Gottes; auf Seite 
des Menfchen fallen nur die legteren. Nun ift. zwar bie 
SBirfung von ber Taufhandlung und bem Befig ber Taufe 
infofern abhängig, als natürlicher Weife ohne Taufe feine 
Wirkung ber Taufe ift; ja noch mehr: es ift bie Wirkung 
Heil oder Verderben, je nachdem ber SBefiger würdig ober 
unwürbig ift. Aber daß die Taufe überhaupt eine Wir- 
fung bat, ift lediglich Gott zuzuſchreiben, und hängt nicht 
vom Willen des Menfchen ab, hängt nicht ab 1) von dem 
Befiger ber Taufe, denn ob derſelbe wolle ober nicht wolle, 
die Taufe wirft nach feiner Würbigfeit ober Unwuͤrdig⸗ 
feit; und 2) eben fo wenig von dem Spender berfelben; 
ob diefer felbft bie Gnade, befige ober nicht befige, ift für 
ben Empfänger vollfommen gleichgültig: Das ZUM 
Theol. Quartalſchrift. 4850. L Heft. 


94 Die Kebertaufe. 


ertheilt Gott dureh Menſchen, böfe wie gute; bie Gnade 
des Sacramentes aber erteilt er ohne Vermittlung oder 
vermittelft feiner Heiligen ἢ). Mit andern Worten: εὖ 
fann wahrbafte Taufe, fann das Gacrament vorhanden 
fein, wenn auch bie intenbirte Wirkung fehlt, wenn Wie⸗ 
dergeburt nicht erfolgt; fo .wie auch umgefebrt, freilich 
ausnahmsweiſe, wie y. B. bei dem befehrten Mitgefreuzigs 
ten, das Heil vorhanden fein fann ohne das Sacrament. 
Kurz: das Sacramentum und bie Conversio cordis find 
nicht fo vereinigt, bag aus dem Fehlen des Einen auf 
das Fehlen des Andern gefchloffen werben dürfte 9. Hie⸗ 
mit ift bie erwähnte Ginrebe zurüdgewiefen, deren Haupts 
ftärfe darin (ag , die Wirkung der Taufe mit diefer ſelbſt 
fo zu verbinden, daß ohne biefe(be feine Taufe wäre und 
folglich demjenigen bie Tauffähigkeit abgefprochen werben 
müßte, welcher, felbft unheilig, nicht im Stande ift, Hei⸗ 
ligfeit zu geben. Hat eine Taufe feine Wirfung oder 
wirft fie ftatt zum eile, vielmehr zum Berderben, fo hört 
fie doch nicht auf, wahre Taufe zu fein; hat fie aber bie 
intendirte Wirkung, weil ber Empfänger derfelben würdig 
ift, fo ift diefe Wirkung nicht bem Spender der Taufe zus 
zufehreiben, fonbern ber Taufe als foldyer ober, genauer, 
Gott. In jedem Falle alfo hat der Laufende das Sarras 
ment ber Zaufe vollzogen.  Wreilid nur dieſes; aber um 
bieB allein handelt es fid) bei ber Frage nad) der Statt: 
haftigfeit der SBiebertaufe. 


1) L c. V, 21 (29): ,Quapropter Sacramentum gratiae dat Deus 
etiam per malos; ipsam vero gratiam non nisi per se ipsum vel per 
sanctos suos.* 

2) 1. e. IV, 25 (32) „Nec si unum horum defuerit, ideo putare 
debemus consequens esse, ut οὐ alterum desit." 


Die Kepertaufe. 35 


Indeſſen fann die fo zurückgewieſene Ginrebe fid) nod) 
weiter fortfegen: Allerdings kann jeder Menſch, bet 
fhlechtefte wie ber gute, die Handlung vornehmen, welche 
die Taufe tft, und ebenfo jeder das Waffer in biefer ber 
Kimmten Weife empfangen. Aber follte nicht Gott bie 
Wirffamfeit der Taufe, obgleich biefelbe gang in feiner 
Hand, davon abhängig gemacht haben, daß bie Taufe 
von Heiligen ebenfo gefpendet ald empfangen werde? 
3ft denkbar, taf fid Gott unheiliger Menfchen als Werks 
guge zur Vermittlung irgend einer Wirkſamkeit bediene ? 
Zur Beantwortung biejer Frage macht Auguftin zundchft 
auf die allgemein anerfannte Thatfache aufmerfam, daß 
dur Sünde, fogar die Sünde der Apoftafle, bie vorher 
empfangene Taufe nicht verloren gehe, und macht geltend: 
wenn die Taufe fefbft, bann bleibt auch die Fähigkeit, bie 
Taufe zu ertbeilen : wenn, wie allgemein zugegeben wird, 
ber Sünder, ja ber Apoſtate fortfährt, bie Taufe zu bes 
figet, dann fährt er auch fort, fähig zu fein, biefelbe Ans 
deren zu geben, denn es läßt (id nicht benfen, daß zwar 
bie Taufe fefbft bleibe, bie Ordination Dagegen (Tauffähig- 
feit) , welche mit derfelben zugleich empfangen worden, 
verloren gehe. Entweder gehen beide mit einander verlos 
ren, ober εὖ bleiben beide, denn fie find nicht ohne einans 
der I. G6 läßt ſich aud) gar nicht abfehen, warum Gott, 


1) L. c. 1,1: Potest extra catholicam communionem dari baptis- 
mus, quemadmodum et extra eam potest et haberi. Nullus autem 
illorum negat hebere baptismum etiam apostatas, quibus utique re- 
deuntibus . .. non redditur, amitti non potuisse judicatur. . . . 
Quodsi haberi foris potest, etiam dari cur non potest? Si dicis: 
mon recte foris datur, respondemus: sicut non recte foris habetur, 
et tamen habetur, sic non recte foris datur, sed tamen datur... 


3% 





360 — Die Kebertaufe, 


wie überhaupt, fo ins Befondere zur Vermittlung bet 
Saufgnabe fid) nicht fündhafter Menfchen als Werkzeuge 
bedienen follte. Wirkt Gott überhaupt Etwas durch Men- 
fhen, bann notfwenbig aud, weil von felbft, durch fünds 
Dafte Menfchen, aus dem einfachen Grunde, weil εὖ 
andere Menfchen nicht gibt; und wer mill in ber Stufens 
feiter der Sündhaftigfeit die Grenglinie ziehen, unter 
welcher die Fähigkeit, über welcher die Ilnfähigfeit liege, 
Gott a(8 Werkzeug zu dienen? Gerade durch Anerkennung ber 
von Sündern, Häretifern ꝛc. ertheilten Taufe zeigen wir, 
daß wir wiffen, was wir wiffen müffen, dies nämlich, daß 
die Taufe nicht in ben SBerbienften Derjenigen beftehe, 
welche dieſelbe verwalten oder welchen fie ertheilt wird, 
daß fie vielmehr ihren Beftand in eigener Heiligfeit und 
Wahrheit habe, wegen befien, ber fie angeorbnet hat, an» 
geordnet zum Verderben für Diejenigen, welche fihlechten, 
zum eile aber für Diejenigen, welche guten Gebrauch 
davon machen 1); daß, mit andern Worten, die Taufe im 
Namen des 93. u. ded ©. u. b. b. ©. nicht irgend einen 
Menfchen, fondern Güriftum zum Schöpfer habe 3); daß 


Sacramentum enim baptismi est quod habet qui baptizatur, et Sacra- 
mentum dandi baptismi est quod habet qui ordinatur. Sicut autem 
baptizatus, sı ab unitate recesserit, sacramentum baptismi non amittit, 
sic etiam ordinatus, si ab unitate recesserit, sacramentum | dandi 
. baptismi non amittit. Es verhält fid) damit, wie mit ber Nota mili- 
taris. ib. c. 4 (5). 

1) Contra Crescon. Donat. IV, 16 (19): Non eorum meritis, 
a quibus ministratur, nec eorum, quibus ministratur, constat baptismus, 
sed propria sanctitete et veritate, propter eum a quo institutus est, 
male utentibus ad perniciem, bene utentibus ad salutem. 

2) Contra Lit. Petil. II, 25 (57): Baptismus in NP. et F. et 
Sp. s. Christum habet auctorem, mon quemlibet hominem ; et Christus 
est veritas, non quilibet homo. - 


Die Kebertaufe. 37 


ebenbefbalb bie Taufe Ehrifti, geweiht durch bie evanges 
lifchen Worte, nicht durch irgend eines Menfchen Verkehrt⸗ 
heit verfehrt werden fónne '); weßhalb Goprian im Srrtbum 
it, wenn er meint, bie Anerfennung ber fegertaufe ents 
halte eine Gonceffion an die Keber; gerade dad Gegen; 
theil ift wahr Ὁ. 

d) Diefer Schluß des vorgeführten Arguments wirft 
uns auf den Anfang zurüd. Man fann zugeben, bie 
Taufe Ehrifti bleibe, was fie an fich ift, wer immer, wenn 
ein auch noch fo großer Sünder, fte ertheile oder empfange. 
Aber offenbar fann nur ein Solcher fle ertheilen, ber fid) 
da befindet, wo fie ift. Nun aber tft fie, eben ale Taufe 
Gbrift in ber zulegt angegebenen 98eife, nur innerhalb 
der Kirche, auf feine Weife außerhalb derſelben. Macht 
alfo aud) bie Sünde ber Härefie und des Schisma nicht 
an (id) oder als Sünde einen Menfchen unfähig, die 
Taufe gültig zu abminiftriren, fo ift dagegen folche Uns 
fähigkeit darin begründet, bag ein häretifcher und ſchisma⸗ 
tifcher Menſch fich auf einem Gebiete befindet, wo die 
Zaufe Chriftt gar nicht if. Diefer Gebanfe ift ed vor; 
jugsweife, was bem B. Eyprian bei feiner Argumentation 
gegen die Keßertaufe vorgeſchwebt. Aber auch hierauf hat 
Auguftin genügenbe Antwort. Wie er im Vorhergehenden 
bie (relative) Trennbarfeit ver Taufe von der Wirfung 


1) De bapt. c. Donat. V, 4: Christi baptismus verbis evange- 
licis consecratus non fit cujuslibet hominis perversitate perversus. 

2) 1. c. IV, 11 (17): Non itaque patrocinatur haereticis qui 
non eis tribuit, quod si et apud eos, non tamen ipsorum esse cog- 
noscit. Non nos concedimus haeretico baptismum, sed illius baptis- 
mum, de quo dictum est: Hic est qui baptizat; ubicunque invene- 
rimus, agnoscimus. 


38 ᾽ Die Kehertaufe. 


der Taufe bargetjan, fo jest ble Srennbatfeit ber. Taufe 
von ber Kirche. Cyprian hat gefagt, Taufe und Kirche 
fónnen ſchlechterdings nicht von einander getrennt werben, 
separari a se et dividi omnino non posse baptismum et 
Ecclesiam. Das beftreit Auguftin und beweist das Gegen» 
theil. Die Taufe, fagt er, fann von bem Getauften 
nicht getrennt werden; ber ein Mal Getaufte bleibt für 
immer getauft. Der Getaufte aber Tann fid) von ber 
Kirche trennen, durch allerhand Sünden zuerft geiftig, und 
zulegt auch äußerlich durch 9ipoftafte. Iſt aber ber Ges 
taufte von der Kirche getrennt, bann von fefóft auch bie 
Taufe, die ja mit ihrem Träger fortgehen mußte, ba fie 
mit ibm ungertrennlich verbunden ift D, Der Brage, wie 
Etwas, was Ehrifti fei, außerhalb der Kirche fein könne, 
ba doch Ehriftus nur ba fei, wo bie Kirche, biefer Frage 
fest Auguftin eine andere entgegen: wie ift e8 möglidy, 
dag Etwas, mas des Teufels ift, innerhalb der Kirche 
fei. Kann 2egtere&. fein, und e8 muß fein fönnen, denn 
es ift υἱ ὦ, bann auch Erfteres; und wir müffen davon 
überzeugt fein, wenn wir e8 auch nicht begreifen *). — 
Den einzelnen Einwürfen an biefer Stelle ift. leicht zu 
begegnen. Go wenn die Kirche mit dem Paradieſe, unb 
die Taufe mit ben Strömen verglichen wird, welche jenes 
bewüfjerten, fo entgegnet Auguftin richtig, jene Ströme 


1) De bapt. Donat. V, 15. 16 (10). 

2) De bapt. c. Don. IV, 7 (10): Si foris nemo potest aliquid 
habere quod Christi est, nec intus quisquam potest aliquid babere 
quod diaboli est. — ib. c. 9 (13): Sicut ergo et intus quod dia- 
boli est, arguendum est, sic et foris quod Christi est, agnoscendum 
est. An extra unitatem Ecclesiae non habet sua Christus, et in uni- 
tate Ecclesiae habet sua diabolus?« 





Die Kepertaufe. 49 


feien nicht blos in bem Paradiefe, fondern auch außerhalb 
geflofien. Wohlfein und Gluͤckſeligkeit feien freilich nur 
innerhalb, nur in bem gefchloffenen Garten; aber er fage 
ja aud? nicht, ba das Heil, fondern nur, daß bie Taufe 
außerhalb der Kirche zu finden fel '). — Wird ferner die 
Kirche mit ber Arche Noah verglichen, jo ift zu entgegnen, 
hiedurch werde unfere rage nicht berührt. Allerdings wird 
außerhalb der Kirche fo wenig al6 außerhalb ber Arche 
Semanb gerettet. Aber son dieſem ift ja bier gar nicht 
bie Rede; um was es fid) handelt, ift nur bie Frage, ob 
bie von Kebern recht Getauften noch ein Mal zu taufen 
feien oder nicht. Daß fie in die Kirche aufgenommen 
werden müffen, wenn fte gerettet werben follen, ift feine 
Frage). — Gin Haupigewicht legt Goprian auf bie Eins 
heit des ἢ. Geifteó. und ber Taufe; auffalfenber Weife, ba 
(don Stephanne, wie wir gefehen, auf biefefbe Einheit bie 
Gültigfeit der Segertaufe gegründet hat. Yuguftin 
führt diefes Argument gegen Eyprian weiter aus. Wie 
innerhalb der Kirche ber Sünder unb ber Gute Eine 
Taufe haben können, während fie bod) nicht einen und 
denfelben Geiſt beftgen, fo fónnen der Katholik und ber 
Häretifer eine und Diefelbe Taufe befigen, während fte 
nit Eine Kirche befigen 9). Der Apoſtel fagt wörtlich, 
es fei Ein Gott und Gin Ehriftus und Eine Hoffnung 
and Ein Glaube, Eine Kirche und Eine Taufe. Run gab 
(δ aber. fchon zu ber Kpoftel Zeiten Viele, welche zwar 
Eine Taufe, nicht aber Eine Hoffnung hatten. Gerade 


1) I. c. IV, 1 δ, | 
2) L c. V, 28 (39); vgl. cont. Donat. Ep. (de unit. Eccles.) c. 9. 
3) De bapt. c. Don. V, 21 (29). 


40. Die Kebertaufe, 


fo fann e& aud) Solche geben, weiche bei Einerfei Taufe 
nicht Eine Kirche haben !). Die Einheit ber Taufe ruht 
auf der Objectivität berfelben, darauf,. daß, wie Auguftinus 
fagt, nicht irgend ein Menſch, fondern ber Eine Chriftus 
Schöpfer derfelben ift. Taufen Häretifer, fo ift, was fte 
abminiftriren, gang baffelbe, was die von Fatholifchen Bis 
fchöfen abminiftrirte Taufe, bie Eine Taufe Ehrifti. Ges 
rabe deßhalb ift bie Kebertaufe als gültig anzuerkennen ?). 
— Die Berufung auf act. 19, 5 ift unftatthaft. Paulus 
bat nicht bie Taufe Ehrifti, fonbern bie Taufe des Sos 
hannes — nicht wiederholt, fonberm durch eine andere 
Taufe, durch die Taufe Ehrifti erfegt. Wären die Bes 
treffenden auf den Namen bes Vaters ıc. getauft geweſen, 
b. b. hätten fie die Eine chriftliche Taufe gehabt, Paulus 
würde fie nicht getauft haben. So fönnte unb müßte 
aud) bie Taufe des Häretifers eríegt werben, wenn fie 
feine Taufe wäre, Allein bem ift nicht fo; denn wenn 
er anders wirflich tauft, fo ift, was er verrichtet, nicht 
fein, fondern Ehrifti Werk, das bleibende Werk des Einen 
Ehriftus 9). 

e) Auch diefeg Refultat befriedigt nicht. Sft nicht ber 
taufenbe Menfch, fondern Chriftus der eigentlich Taufenbe, 
fo ift offenbar wirflihe Taufe nur ba, wo Ehriftus ift. 
Chriftus aber ift in der Kirche, unb nur in ihr; ja, will 
man genau fprechen, fo muß man fagen: bie. Kirche ift 
Ehriftus; außer ihr ift er nicht qu. finden. Somit bleibt 
trog aller Gegenreden wahr: «8 gibt wirkliche Taufe nut 





1) |. c. V, 26 (37). 
.. 2) l. c. IV, (jf. oben). 
3) l c. V, 9—15. 








Die Ketzertaufe. 4 


in ber Kirche, und die Taufe der Häretifer und Schiömatis 
fer ift als nichtſeiend zu erflären. Die gleich Anfangs 
entgegengeworfene Bemerkung, daß, fireng genommen, bie 
gewöhnlichen Eünder gleichfalls nicht zur Kirche gehören, 
it nicht entfcheidend. Sind fie auch nicht Ichendige Glie⸗ 
ber am Leibe Ehrifti, fie find bod) Glieder, während bie 
Häretifer und Schigmatifer auch nicht einmal mehr dieſes 
find. Das begründet einen wefentlichen Unterfchied,, fo 
daß recht wohl bie von Sündern innerhalb der Kirche et» 
tbeilte Taufe anerfannt, bie &egertaufe dagegen verworfen 
werden fann. Hierin ift bie Cpige ber Oppoſition gegen 
. bie Gültigkeit ber Kebertaufe zu erbliden. — Gbenfo ift aber 
auch bie Widerlegung dieſes Argumentes bie Spige ber. 
Rechtfertigung, welche biefelbe Güttigfeit von Seite Auguftins 
erfahren bat. Auguftinus gibt, wie er auch nicht anders 
fann, bie Richtigfeit des Argumentes an fid) zu, corrigirt 
aber ben Begriff der Kirche unb ben ber Theilnahme an 
berfelben. Die Häretifer und Schismatifer find allerdings 
aus ber Kirche getreten und ftehen fomit außerhalb ders 
felben; aber nicht ohne Weiteres, nicht abfolut. (G8 iſt 
möglich, daß fie Dies unb Jenes mitnehmen und behalten; 
und infofern hängen fie bann mit ber Kirche noch zus — 
fammen. PVöllig gefchieden find fte nur infofern und ins 
foweit, al8 fie nicht gemeinfam mit ber Kirche Etwas 
haben !). So gehören Häretifer zur Kirche inwiefern unb 


1) De bapt. I, 1 (2): In quo enim nobiscum sentiunt, in eo 
etiam nobiscum sunt; in eo autem a nobis recesserunt, in quo a nobis 
dissentiunt. .. . Si ergo qui recessit ab unitate, aliquid aliud agere vo- 
luerit, quam — in unitate percepit, in eo recedit atque disjungi- 
tur; quod autem ita vult agere sicut in unitate agitur, ubi hoc ac- 
cepit et. didicit, in .eo manet atque conjungitur. 


42 Die Ketzertaufe. 


in wieweit fie das Evangelium beflgen und befennen. 
Insbeſondere findet (i häufig, daß Häretifer, auch fótms 
lich excommunicirte (praecisi) bie Gaframente mit ber 
Kirche gemein haben, und infofern find fie dann ale 
Giieber ber Kirche zu betrachten ). So gibt εὖ wenige 
Häretifer, weldye fid) nicht der rechten Taufformel bebiens 
ten. Eher taufen fie gar nicht, als nicht recht (de bapt. 
VL 25). Taufen fie aber recht, fo taufen fie ald Glieder 
der Kirche; bie Taufe, bie (te adminiftriren, ift als kirch⸗ 
(ide Handlung in Wahrheit nicht außerhalb, fondern inner⸗ 
halb der Kirche. Schon Stephanus hatte gefagt, bie 
Haͤreſie vermoͤge Kinder zu gebären; Sache der Kirche ſei 
es dann, die ſo geborenen aufzunehmen, zu ernaͤhren, zu 
erziehen und zu legitimiren. Cyprian hatte dies beſtritten. 
Auguſtin beweist nun die Richtigkeit der Anſchauung. 
Die Söhne, welche Jacob mit den Mägden zeugte, und 
welche ganz ebenfo, wie bie von δία und Rachel Gebores 
nen erbberechtigt waren, find ein Beweis für bie Richtig, 
feit der aufgeftellten Behauptung. — 9lud) Sómael ward 
nicht wegen feiner Abftammung, fondern wegen feines 
Uebermuthes verftoßen. So erzeugt die Härefie ber Kirche 
Kinder, nicht inwiefern fie von der Kirche getrennt, fonbern 
inwiefern fie mit ihr verbunden -ift in ber Einen Taufe. 
Es if Eine Kirche, bie einzige fatfolifde; und wenn ihr 
butd) bie Härefie Kinder erzeugt werben, fo ift in Wahr⸗ 
beit fie felbft die Mutter, fie felber zeugt, zeugt baburd) 
baB Etwas von ihr in ber Härefie ift. Nicht alfo das 
©etrenntfein der Härefieen zeugt, fondern dasjenige in 
ihnen, was fie von der katholiſchen Kirche beibehalten 


1) c. Donat. Ep. (de unit, Eccl) c. 74; de bapt. 111, 19 (26). 


Die Kekertaufe. 43 


haben. Laflen fie auch dieſes fahren, bann erzeugen fie 
nicht. Sie alfo, die Kirche, erzeugt in Allen, wenn und 
inwiefern ihre Sacramente beibehalten werden. Kurz: bie 
Kirche erzeugt Kinder nicht nur aus ihrem eigenen Schooße, 
fenber aud) aus dem Echooße ber Mägde, durch bie 
gleichen Sacramente, welche fozufagen der Saame ihres 
Saiten find ). Die Kirche, fagt Auguftin an einem 
andern Orte, ift es, welche Alle erzeugt (als Kinder Got 
tes), fei e8 aus ihrem eigenen Schooße, fei es aus frem⸗ 
bem durch ben Saamen ihres Gatten. Wenn wir daher 
die Taufe ber Häretifer und Schismatiker (Donatiften) 
annehmen, fo nehmen wir nicht eine Taufe von Häretifern 
an, denn nicht Werk der Häretifer und Schigmatifer ift 
die Taufe, fondern Werk Gottes unb ber Kirche, wo immer 
fie fich finden und woher fie fommen möge *). 

Hiemit (jt bie fehwierige Frage, wie Chriftus außer 
halb ber Kirche fein fónne, eine Stage, welche früher nur 
mit einer Gegenfrage beantwortet werben fonnte, bireft 
und genügend beantwortet. Wie Gfriftuó nicht blos als 
perfönlich erfcheinender, fondern unfichtbar von Anfang an 
in der Welt gewefen und gewirft hat: fo ift und wirft er 
auch jebt und fortwährend nicht blos in der Kirche, fons ' 
bem auch außer berfefben, in ber ganzen Well. Wie 
nicht bios bie von unmittelbarer Offenbarung Gotte& ges - 
tragene Entwidlung Sfraeld, fondern die Gefchichte aller 
vorchriftlihen Völker eine Gefchichte ber Vorbereitung auf 
Ehriftus, bie Gefchichte gleichfam des werdenden Chriftus 
war: fo ift nad) Ehriftus bie ganze Menſchheit infofern 


1) De bapt. I, 10 (14). 
2) L c. cap. 14: 15 (22 seq.) und V, 24 (35). 


44. Die Ketzertaufe. 


Kirche, als fie nicht nur bie Beflimmung hat, fondern 
‚beftändig im Begriffe ift, vom chriftlichen Geifte durch⸗ 
drungen zu werben, fid zum Leibe Chrifti zu geftalten. 
Was bie eigentliche Kirche in voller Wirklichkeit, das ift 
bie gefammte Menfchheit der Möglichkeit nad. Das ἰ e$, 
warum man fagen muß, Chriftus [εἰ auch außerhalb ber 
Kirche; und in biefer Wahrheit ift bie Möglichkeit gültiger 
Taufe burd) Häretifer zulegt gegründet. 

f) Aber, wie man ftebt, nicht nur durch Häretifer, 
fondern durch jeden Menfhen. Auguftin hat biefje 
Eonfequenz erkannt, aber nicht gewagt, unummunben aus 
zufprechen.. Einer Seits fonnte er fid) von dem Gebanfen 
nicht recht losmachen, von welchem er ausgegangen war, 
daß bie Häretifer die Fähigkeit zu taufen deßhalb beftgen, 
weil fie beim Abfall von ber Kirche bie Taufe felbft und 
mit ihr auch bie Fähigkeit behalten haben, bie Taufe zu 
ertbeilen; anderer Seits fehlte folcher Behauptung ber 
Stügpunft Firchlicher Entſcheidung; die Kirche hatte fi 
noch nicht über bie Gültigfeit ber von Suben und Heiden 


ertbeilten Taufe ausgefprochen; ohne ſolche Gtüge aber ΄ 


wagte Auguftin überhaupt entfchiedene Behauptungen nicht. 
(δ) pflegt, fagt er, bie Frage aufgeworfen zu werben, ob 
jene Taufe anzuerkennen fei, bie von Einem ertheilt wird, 
welcher felber nicht getauft ift; und fährt dann, nachdem 
er nod) einige andere, gleich fehwierige Fragen erwähnt 
bat, fort: „das Sicherſte ift, nicht mit vermegener Meis 
nung bervorzutreten in Betreff folcher Bunkte, welche nicht 
auf einem Provincialconcil erörtert, nicht durch ein als 
gemeines Concil entſchieden find;“ und fegt bann bei, er 
würde, fragte man ihn auf einem Goneil nach feiner Mei⸗ 
nung, antworten, baf er bafür-halte, alle diejenigen bes 


Die Kehertaufe. 45 
figen die wahre Taufe, welche blefefbe wo immer unb von 
wen, wenn nur mit den evangelifchen Worten adminiftrirt, 
empfangen haben, ohne Heuchelei und mit einigem Glau⸗ 
ben ). Daß diefe Meinung des heil. Auguftin durd 
nadjberige Entfcheidung der Kirche gerechtfertigt worden, 
bat das Frühere gezeigt. Die wiffenfchaftliche Rechtfertis 
gung berfefben wird fich, foweit fie nicht (don in bem 
futy vorher Beigebrachten enthalten ift, im Folgenden von 
felbft ergeben. | 

4) Fragen wir aber jrgt, am Schlufie der weitläufis 
gen Argumentation: was ift erwiefen, fo erhalten wir eine 
Antwort, welche für ben Augenblid bie aufgemanbte Mühe 
ale vergebliche erfcheinen läßt, Borftehende Argumentas 
tion hat nicht blos für die Taufe, fondern für fámmte 
lide Sacramente bewiefen. Denn nicht nur von ber 
Taufe, fondern von fämmtlichen Sarramenten gilt das, 
worin ber Kern des Argumentes liegt: daß nämlich ber 
Minister Sacramenti Organ Gottes, und daß εὖ befbalb 
gleichgültig fei, welche und welcherlei Menfchen bie Gacra« 
mente miniftriren, Sehr gut fagt der heil. Auguftin nicht 
blos in Betreff der Taufe, fondern aller &acramente ohne 
Unterfehied: „Wenn Gott in den Sacramenten und in 
feinen Worten (wirffam) ift, durch wen immer fie vers 
waltet werben mögen, fo find bie Gacramente Gottes überall 
gut, bie ſchlechten Menfchen aber, denen fie Nichts nügen, 
überall verfebrt ?). Aber damit bricht er feinem fo feharfs 
finnig durchgeführten Beweife die Epige, Daß alle 





1) De bept. c. Donat. VII, 53 (101. 102) vergl. c. Epist 
Parmen. IL, 13 (30). | 
2) De bapt. c. Don. Y, 19 (27). . 


46 Die Seperteufe. 


Sarramente durch Häretifer, Suben, Helden gültig vers 
waftet werben können, wollten wir nicht beweifen; das ift 
zuviel. Ebendeßhalb aber ift ber Beweis wenn nicht vers 
fehlt, fo bod) ungenügend. Was wir wiffen wollten, ift 
nicht nur der Grund, warum bie Taufe durch Häretifer 1c. 
gültig abminiftrirt werden fónne, fondern zugleich auch 
der Grund, marum von ben übrigen ober von andern 
Sarramenten nicht das Gleiche gelte, ba bod) alle Gacra; 
mente gleichen Wefens find. Diefe Vollendung des Argus 
mentes bat Auguftinus feinen Rachfolgern überlaffen. 

Diefe aber begnügten fid größtentheild mit ber Wies 
derholung der Auguftinifchen Argumente Was fie hinzu⸗ 
getban, befteht faft nur theils in Schärfung der Logik 
durch abftractere Haltung des Ausdrucks, wie befonders 
bei Duns Scotus 1); tbeilá in fuftematifcher Ordnung des 
bei Auguftin zerftreut Liegenden — worin fid) unter ben 
nachfcholaftifchen Theologen befonders Berti auszeichnet ἢ); 
tbeifó in forgfältig Diftorifer Begründung, wie befonders 
bei den großen franzöfifchen Theologen des 17. unb 18. 
Sahrhunderts. Nur Thomas und Bonaventura haben 
biefe beftimmte Frage, um bie es hier fid) Handelt, feft 

in's Auge gefaßt und zu beantworten gefucht. 

Thomas, nachdem er, an Auguftin Kd) anfchliegend, 

ausgeführt hat, daß 1) ber Taufende blos Minister (quasi 





ö— —— 


1) ad Sentt. L. V. Wenn indeſſen Scotus zu Sentt. IV, D. VI, 
qu. 5 n. 10 fagt, der völlig Ungläubige fónne ebenfogut einen Menfchen 
mit der chriſtlichen Sefte verbinben, b. h. taufen, als der Gläubige einen 
. Menfchen mit der jübifdjen Gefte verbinden, b. B. befchneiven fünne: fo 
fpricht er einen Gebanfen ans, durch ben er weiter wittbe gefährt wore 
ben fein, wenn er ihn verfolgt Hätte. Aber er hat — nicht verfolgt. 

2) Theol. hist. dogm. Lib. 31, c. 14. 


Die Ketzertauſe. 4 


instrumentum) fei, und Chriſtus fi) jedes beliebigen Men⸗ 
fben als Ministri bedienen fónne, unb 4) näher jeder 
Saufenbe inwiefern er die Intention der Kirche habe, ale 
Minister Ecclesiae gelten müffe: fo gibt er an, εὖ fei bie 
Nothwendigkeit ber Taufe, was fragliche Erfcheinung 
begründe !). Bei diefem Grunde find bie Theologen, 
wenn fie anders auf bie rage eingingen, ftehen geblieben. 
So insbefondere bie Berfafler des römifchen Katechismus 2). 
Näher angefeben aber dürfte er fohwerlich genügen. Zwar 
gibt er bie Nothwendigkeit fraglicher Thatfache an: Gott 
müffe bie von Ungläubigen (Nichtehriften) ertbeilte Taufe 
anerfennen, nachdem er ein Mal 1) wolle, daß alle Menſchen 
felig werden, und 2) die Erlangung ber Seligfeit vom 
Empfang der Taufe abhängig gemacht habe; eine Nöthis 
gung, welche in Betreff der übrigen Gacramente nicht vors 
banden fei, weil diefen nicht bie gleiche Unentbehrlichkeit 
zufomme 5. Allein man fónnte (id) verfucht fühlen, bier 
anzuwenden, was Plato und Ariftoteles über ben Νοῦς des 
Anaragoras bemerken ἢ. Die Nothwendigfeit ber 


1) Sum. P. III, qu, 67. art. 5 vergl. art. 3. 4. $8. art. 5 ad 3: 
Ad tert. dic. quod alia sacramenta non sunt tantae necessitatis, sicut 
baptismus; et ideo magis conceditur, quod nonbaptizatus pessit 
baptizare, quam quod possit alia sacramenta suscipere. 

2) P. IL c. Il. qu. 23: Nam cum hoc sacramentum necessario 
ab ommibus percipiendum sit, quemadmodum aquam ejus materiam 
instituit, qua nihil magis commune esse potest: sic etiam neminem 
ab ejus administratione excludi voluit. Vergl. Perrene Tract. de 
bapt. c. 3. prop. 2, Obj. 3. 

3) S. Thom. 1. c. art. 3: Resp. dic. quod ad misericordiam ejus 
qui vult omnes homines salvos feri, pertinet ut in his quae sunt de 
necessitate salutis, homo de facili remedium inveniat n. f. w. 

4) "Avotayóga; τε γὰρ μηχανῇ χρῆσαι τῷ νῷ πρὸρ τὴν κοσροποιΐαν, 


18 Die Keytzertaufe. 


Taufe für Die Menfchen fteht zu ber Thatſache, welche 
zu erflären ift, nicht in birefter, oder beffet, in gar feiner 
Beziehung, Tann alfo nicht der wirkliche Grund derſelben 
fein. Die Taufe fann von Jedermann, andere Sarramente 
nur von Gliedern bee Kirche, näher fogar nur von Gliedern 
der Hierarchie gefpenbet werben. Das läßt fid) nur bann 
erflären, wenn die Taufe an fid) (ganz abgefeberi von 
. deren Rothwendigfeit für bie Menfchen) von jenen andern 
Sarramenten irgendwie unterfchieden ift. Findet fid) fols 
cher Unterſchied nicht, bann läßt fid) jene Thatfache nicht 


begreifen, .und wir thun befler, einfach bei der Firchlichen . 


Praxis ftehen zu bleiben, ohne nad) einem Erflärungss 
grunde aufer bem hiftorifchen zu fragen. Zu welcher Bes 
griffsverwirrung es führe, wenn bieje ebenfo einfache als 


unbeftreitbare Wahrheit nicht beachtet und gewürdigt wird, 


bat (don das Frühere (bie Erörterung über bie manus 
impositio) batgetban, unb möge bier beftimmter an einem 
Beifpiel aus ber neueften Literatur gegeigt werben. G6 
ftebt uns reiche Auswahl zu Gebote. Wir wählen bie 
Dogmatif von 3Berrone, weil fie zu ben angefehenften ges 
hört. Diefelde hat folgende Propositio: „In sacramento- 
rum ministro ad valide conferenda sacramenta non est 
necessaria fides, adeoque validus baptismus ab haereticis 
rite collatus;^ und fagt bann zu deren Begründung: 
„Haec propositio quod spectat ad baptismum de fide est“ 
(Trid. can. IV de bapt.) .... ,Quod vero attinet. ad 
sacramenta reliqua (si poenitentiam excipiat, non quidem 


xol ὅταν ἀπορήσῃ διὰ ti αἰτίαν à ἀγάγκης ἐστὶ, τότε παρέλκει αὐτὸν, 


ἔν δὰ τοῖς ἄλλοις πάντα μᾶλλον ἀιτιᾶται τῶν γιγνομένων ἢ vow. Ariste 


Met. I, 4. gl. Plato Phaed. p. 97. 








[4 


Die. Kegertaufe. 49 


ex defectu fidei, sed ex defectu jurisdictionis, qua carent 
haeretici) certa est ac fidei proxima. Licet enim nulla 
expressa habeatur de illis Ecclesiae definitio, jam ex 
communi consensu probatur atque ejusdum Ecclesiae praxi 
pluribus saltem abhinc saeeulis confirmata, ut suo loco 
ostendemus ἢ). Eadem sane ratio, quae suffragatur 
calori baptismi collati ab haereticis, suffragatur pariter 
valori caelerorum sacramentorum, quae omnia Christi 
sunt *). Quare quae de baptismo dicuntur, ob intimam 
analogiam de reliquis sacramentis dicta etiam intelligi 
debent?) Was hier SBerrone von einem communis con- 
sensus und praxis ecclesiae fagt, ift eine Behauptung, 
deren Unwahrheit fo offenbar und fo befannt ift, daß man 
über deren Aufftelung nicht genug fid wundern fanm. 
Wo in aller Welt ift es Kirchliche Braris, es als Admini⸗ 
fitation der Firmung, Delung, Priefterweihe unb Euchariftie 
gelten zu faffen, wenn etwa Nichichriften Akte vornehmen, 
in weldyen die Adminiſtration genannter Gacramente nach⸗ 
geahmt iſt! Freilich Perrone redet nicht von Nichtehriften 
im firengen Sinn des Wortes, fonbern von Häretifern, 
und verfteht vielleicht unter dieſen abgefallene unb ers 
communicirte, auch fufpenbirte Bifchöfe und PBriefter. Ab⸗ 
gefehen aber von. ber großen Begrifföverwirrung, bie er 
hiemit erzeugte, und abgefehen davon, daß εὖ febr zu bes 
zweifeln fel, ob ſolche Häretifer die Gacramente (Taufe 





1) Diefes Verfprechens hat fih 9B. fpäter nicht erinnert. 

2) Diefes Argument findet fi) bei far allen Dogmatifern. Wer 
einen Begriff von ber Leichtfertigfeit haben will, welche fie fid) bamit zu 
Schulden Fommien Iaffen, fefe u. A. Sardagna, Theol dogm. polem., 
Tract. VI. de Sacram., art..I. Controv. 7. 

3) Tract. de sacr. in gen. c. 3. prop. L _ 


Theol. Ouartalfigeift. 4850, I. Heft. 4 


%0 Die Ketzertauſe. 


"nb Ehe ausgenommen) gültig verwalten fónnen, sugegeben, 
fie fönnen es, unb zwar nicht nur in ber eren Generation, 
fondern auch in den folgenden und entfernteren (man denke 
an den Streit in Betreff der englischen Bilchöfe) : fo würde 
died für unfere rage gar Nichts entſcheiden. Es handelt 
fid ja nicht um ſolche eger allein, überhaupt nicht blos 
um Schismatifer und eger im eigentlichen Sinne, und 
vollends nicht allein um Zmeifelnde, Ungläubige inner 
halb ber Kirche, fondern um Unglaͤubige im Allgemeinen, 
um Richtchriſten. Nicht blos Un⸗ unb Irrgläubige inner 
halb ber Kirche, auch nicht bío8 Sieger, fondern Juden 
und Heiden vermögen gültig gu taufen, keineswegs aber 
bie übrigen Sacramente (tie (6e ausgenommen) zu fpen- 
ben, Wer (τοῦ des Mangeld an Glauben dieſe Abrigen 
Sacramente gültig verwalten fann, find weder Nichtchriften 
od) Keper, fondern nur Angläubige ’innerbalb ver 
‚Kirche. Ale biefe Unterſchiede bat Perrone nicht gemacht, 
und argumentirt mit vollfommener Begriffsverwirrung. 
Hätte er nur beachtet, was er felbft in Betreff der Buße 
zu gefteben fid bewogen findet, er hätte fa müffen auf 
bie Wahrheit fommen. Die Keper können das Gacrament 
der Buße nicht verwalten, weil fle. feine Syuridbiction 


haben. Aber warum haben fie denn. feine Jurisdietion? - 


Ohne Zweifel beffalb, weil fle an fid) unfähig find, 
ſolche zu befigen, b. D. au fid) unfähig, das Gacrament 
der Buße zu adminifiriren. Waͤren fie an fid trog ihrer 
Stellung außerhalb der Kirche, dazu fähig, bann fiebt 
man nicht ein, warum nicht bie und da Einem ble nöthige 
Surisdietion gegeben ober — fupplirt werde. Nicht bie 
Jurisdiction an fid) macht zur Verwaltung des Bußſacra⸗ 
ments fähig, ſondern Diefelbe wird nur Golden -ertheilt, 





Die Ketzertaufe. 51 


welche. vermöge ihrer Stellung in der kirchlichen, näher 
hierarchifchen Ordnung jene Fähigfeit an fid befigen. 
Diefe Stellung ift.e6, was den Kebern abgeht, und dies 
ferner ἰβ e8, was fie an fich unfähig macht, das Buß⸗ 
faerament zu verwalten. | 

Bleiben wir der. Wahrheit getreu. (δ ift Thatfache, 
daß Das Sacrament der Taufe (unb ber Ehe) von Jeder⸗ 
mann, die übrigen Gacramente dagegen allerwenigften® 
nicht von Juden und Heiden (id) brüde mich fo aus, um 
feinen Streit zu veranlaſſen) adminiftrirt werden koͤnnen. 
Diefe Thatfache Iäpt fid) aus bem Einen, allen Sacramen⸗ 
ten gemeinfamen Weſen des Sacramentes offenbar nicht 
genügend erklären, muß vielmehr, wenn fie überhaupt ber 
gründet ift, darin begründet fein, daß Taufe (und Ehe) 
aufer bem allen Gacramenten ®emeinfamen noch etwas 
Unterfcheidendes, und gerade fo Etwas an fid) haben, 
was ba möglich macht, daß fie von Nichtchriften abminiftrirt 
werben, während das allen Sarramenten Gemeinfame nur 
die Möglichfeit einer Adminiftration durch Sünder unb . 
Ungläubige innerhalb ber Kirche involvirt. Nach jenem 
Beſondern und Unterfcheidenden der Taufe (und, wie wir 
bald fehen werben, auch ber Ehe) Baben wir uns alfo 
umzufehen. Nur fo dürfen wir Antwort auf unfere Srage 
erwarten. 

Mer dies zuerft erkannt Bat, (ft Bonaventura. Es 
ift, fagt er, 1) bei allen Gacramenten zu gültiger Vers 
waltung erforderlich bie Intention, qua quis intendat 
facere quod Christus instituit ad humanam salutem, vel 
seiten facere quod facit Ecclesia — was im Grund dass 
felbe if. Dies fordert bie rectitudo juris (weil nämlich 
das Heil ganz von Ehriftus abhängt). Ueberdies beftebt 

: 4 % 


62 | ‚Die Kepertaufe. 


2) unter den einzelnen Eacramenten ber Unlerſchied, daß 
einige nur von Bifchöfen, andere nur von 5Brieftetn, unb 
noch andere endlich von Nichtprieftern verwaltet werden. 
Die erfte Glaffe bilden bie SBrieftermelbe und Sirmung; 
die zweite die Buße, Euchariftie und Delung; bie dritte 
die Taufe und Ehe. Dies, fagt Bonaventura, erfordert 
ber ordo dignitetis b. b. ἐδ hat feinen Grund in der fpes 
eififchen Unterfchiedenheit der Sarramente. Jener ordo 
nämlich fordert, ut majora majoribus, minora minoribus et 
media mediis committantur. Nun find aber bie Priefter- 
weihe und Firmung Gacramente, quae respiciunt. excel- 
lentiam virtutis s. dignitetis, fteben infoferne am höchften 
(suprema) unb fónnen deßhalb nur von Bilchöfen vete 
waltet werden. Taufe und Ehe fteben umgefebrt auf ber. 
niedrigften Stufe, infima, inwiefern fie Garramente find, 
quae, respiciunt indigentiam necessitatis, unb fónnen befs 
halb verwaltet werden a quibuscunque ordinibus: et per- 
sonis inferioribus. Die drei übrigen Sarramente fteben in 
ber Mitte, und können deßhalb nur pon Prieſtern verwals 
tet werden, quae inter episcopos et inferiores personas 
sunt quasi in medio constituti, @nbli 3) erfordert bie 
securitas salutis, ut res sic fiat, ut in dubium non cadet, 
b. f. daß bie Gültigfeit der Gacramente nicht von ber 
perfönlichen Befchaffenheit, Gläubigkeit unb Tugendhaftigkeit 
bes Verwalters abhängig {εἰ — was natürlich mit 9tüdficbt 
auf das Vorhergehende gefagt fein muß !). 

Hiemit ift ein Verfuch gemacht, bie in Frage ftehende 
Differenz auf eine Differenz zurüdzuführen, welche unter 
ben Sarramenten felber- und an fif) beftebe. Wir können 


1) Breviloqu. VI, 5. 


* 
e' 


De Repertaufe. 53 


uns nicht damit begnügen, denn die angegebene Unter⸗ 
febiedenheit der Sacramente ift nicht genügend begründet 
und nicht fo beſtimmt bezeichnet, daß fid) daraus bie That- 
fache vollftändig erklärte, welche zu erflären iſt. Gefegt 
aber auch, e& wäre überzeugend bargetban, 1) daß Taufe 
and Ehe auf der niebrigften Stufe in Betreff der Würde 
fiehen, unb daß 3) der Stufe, worauf ble Sacramente in 
Betreff der Würde &eben, bie Würde ber Ministri in an» 
gegebener Weile entfprechen müfle unb fónne: fo ifl bod) 
nod) nicht erwiden, daß Keber, Juden unb Heiden jene 
zwei nicbrigften Sacramente verwalten fönnen. Unter den 
Brieftern ſtehen nod) viele Menfchen, bis man an die 
genannten fommt — bie 6 Ordines in ber Hierarchie ab» 
wärts, bann bie Laien, Männer, Weiber —, unb man 
fieht nicht ein, warum nicht bei biefen müffe ftehen geblies 
ben werben; ja fon das Herunterfleigen auch nur auf 
bie Laien ift durch bie angegebene Abftufung der Sacras 
mente nicht genügend erflärt. Darin mag denn auch der 
Grund liegen, daß Bonaventurg, ber fo wundervoll fpfte» 
matifche, confequente und beitimmte Dogmatifer, in biefem 
Kapitel etwas fdwanfenb ijt und feine im Ganzen voll» 
kommen flare Anfchauung trübt, indem er, [ὦ felbft zus 
wider, das eine Mal einen {{π|ετ[ εν zwifchen Taufe unb 
Ehe in Betreff des fraglichen Punktes zu fegen, das andere 
Mal das von Taufe und Ehe Geltendgemarhte auf alle 
Sarramente auszubehnen frheint, und endlich bod) zuletzt 
norzugsweife bie von Thomas geltend gemachte Rothwens 
digkeit burchbliden läßt. Aber trug alle bem hat er uns 
doch den Weg gezeigt, auf dem, wenn überhaupt, zu finden 
ift, was gefucht wird. 

Um möglichft beftimmt und deutlich zu fein, müffen wir 


$4 qe fepettoufe: 

wit ber Behauptung beginnen, es gelte in Betreff des hier 
erörterten Punktes von ber Che baffelbe wie von der Taufe, 
eine Behauptung, bie im Sofgenben wird zu beweiſen fein. — 
Hiernächft werden wir als unbezweifelte und allgemein 
anerkannte Wahrheit ausfprechen bürfen: Wer eigentlich 
und primitiv bie Gacramente verwaltet unb. fpenbet, ift bie 
Kirche als Repräfentantin Ehrifi ἢ, Demnach fnb bie 
einzelnen Menſchen als Ministri Sacramentorum . Drgene, 
Snftrumente der Kirche. Daraus folgt, εὖ Tönne,. obgleich 
an fid) ber Menfch als folcher bie erforberliche Faͤhigkeit 
befigt, nicht Seber ohne Ausnahme, fordern nur Derjenige 
bie Cacramente verwalten, welcher befähigt iſt, ber. Kirche 
als Drgan bei biejer Yunftion gu dienen; und biefes 
wiederum beißt nichts Anderes, als: berjenige, welcher 
fähig ifi, die Intention ber Kirche ober bie Jntention zu 
haben, das zu tun was bie Kirche tbut ἢ. Kat mm 
bie Kirche bei allen Sacramenten die gleiche Intention, 
ober verrichtet fie in allen ohne Unterſchied das Gleiche? 
Wenn nicht, fo ift bie Möglichkeit gegeben, daß ein Menſch 
das eine oder andere Sacrament verwalten könne, anbere 
aber nicht, denn wer ber einen oder anbern Smtention ber 
Kirche fähig iff, ift damit nod) nicht jedwe der fähig. 
Co ift εὖ in ber That. Was die Kirche in ber Spendung 
des Tauf⸗ und EherSarramentes verrichtet, ift jeber Menſch 
ohne Ausnahme, ma fie dagegen in den übrigen 5 Sarras 
menten verrichtet, find nur Mitglieber der Kirche, genauer 
fogar nur Glieder der Hierarchie zu intendiren fähig. Das 
ift der Grund ber zu erklärenden Thatfache. 


1) cf. Cat. rom. P. IL c. 1. qu. 18. 
2) Conc. Trid. S. VIL. de sacr. in gen. ec. 10 md 14. : 


Die Ketgerdaufe. 35 


Aber tiefer Grund wird fofort felbft begründet wers 
ben müflen. Warum find bei ben übrigen 5 Sacramenten 
mr Glieder ber firchlichen Hierarchie, bei Taufe unb Ehe 
aber alle Menfchen fähig, bie erforderliche Intention gu 
haben? Der Grund diefer Thatfache liegt ohne Zweifel 
Bırin, ba erflere wefentlih und nur Mitgliedern ber 
Kirche, letztere Dagegen ebenſo wefentlich folgen Menfchen 
ertheilt werben, welche (id) außerhalb der Kirche befinden. 

Zuvörderft in Betreff der Taufe ift das zuleht Ges 
fagte an fi fíar und bedarf eines Beweiſes nicht. Der 
Sáufling ift wefentííd ein außer ber Kirche ſtehender 
Menfch, ein Richtehrift; nur ein NRichichrift kann getauft 
werben; burd) bie Taufe eben ift e$, bag der Richtchrift 
zum Chriſten, zum Mitglied ber Kirche wird. Waffen wir 
nun fegíeid) bie in& Auge, fo erfcheint der Zäufling ale 
ein Menfch, über welchen die nichtchriftliche Welt zu verfügen, 
zu beſtimmen bat; er befindet (id) auf einem Gebiete, 
weiches das Gigentbum der nichtehriftlichen Welt ift, unb 
ift fomit ſelbſt das Eigenthum der Iegtern; er ift folglich, 
mit Einem Wort, fo befchaffen, daß nur Solches an und 
mit ihm vorgenommen werben fann, was Nichtchriften zu 
verrichten im Etande find, oder, was baflelbe ift, Daß die 
Nichichriften Alles zu verrichten im Stande find, was an 
ibm, burd) wen immer, vorgehen kann. Daraus folgt: 
wenn ber Richtchrifl getauft werden fann, fo fann er aud) 
durch Geineógleiden, durch einen Nichtehriften getauft 
werben. — Geben wir näher auf die Sache ein. Seder 
Menſch wird mit ber weientlichen Beftimmung geboren, 
Gori zu werden; jeder geborne Menfch ift ein zu taus 
fender Menfch; denn in Beziehung auf Chriſtus ift es 
ja, daß dad Menfchengefchlecht forteriftirt; wäre nicht bet 


58. Die Seytlaufe. 

Erlöfer, fo würde Adam in demfelben Momente, als er 
fündigte, geftorben fein und es wäre fein Menfch geboren 
worden. Hat aber jebet Menfch, ber in bie Welt eintritt, 
bie wefentliche Beftimmung, Ehrift zu werden, fo befigt er 
von felbft das Recht, unb zwar ein abfolutes Recht, aus 
ber nichichriftlichen Welt in die chriftliche überzugehen, aus 
dem Zufammenhang mit dem natürlichen, abamitifchen 
Seichlechte aus, und in ben Zufammenhang mit bem 
chriftlichen Gefchlechte, in bie Kirdye einzutreten. Dieſem 
Rechte muß irgend eine Pflicht entfprechen. Es ift leicht 
zu feben, diefelbe fei in doppelter Geftalt vorhanden; einer» 
feits ift e& die Pflicht (unb eben damit auch das Recht) 
ber Kirche, einen ſolchen Menfchen an fid) zu ziehen und 
in fid aufzunehmen; anbererfelt& die Pflicht (unb eben 
damit aud) das Recht) der nichtehriftlichen Welt, der nas 
türlichen Menfchheit, benfelben zu entlaffen, in bie chriftliche 
Welt hinübergehen zu (affen. Das Eine. wie das Andere, 
diefe Entlaffung wie jene Aufnahme, gefchieht durch einen 
und denfelben 9(ft, die Taufe. — (ὁ fragt fld) freilich 
noch, ob diefem Recht resp. Pflicht eine Fähigkeit entfpreche. 
Sn Betreff der Kirche wirb daran nicht gezweifelt. . Aber 
ed muß auch in Betreff der Nichtchriften behauptet wer: 
ben. Sunddjft fónnte gefagt werben, fowohl bie aufnefs 
menden Ehriften, als bie entlaffenden Richtchriften gewähren 
bem aus ber einen in bie andere Welt llebertretenben 
bloße Unterftügung und biefe habe auf beiden Seiten, hier 
wie dort, denſelben Charakter,. woraus folge, daß bie 
Fähigkeit dazu für bie Nichtchriften ebenjo, als für bie 
Ehriften ein )tefuftat aus dem vorhin genannten Rechte 
fein müffe. Vielleicht aber erfcheint Died al& ein zu aͤußer⸗ 
liches NRaifonnement. Sehen wir baber bie Sache näher 





Die Repertaufe. 51 


απ: Jeder geborne Menfch bat bie wefentliche Beftimmung, 
Chriſt zu werben, ift alfo ein wefentlich zu taufenber 
Menſch. Sagt man biernach, er habe das Recht, getauft 
zu werden oder. fid taufen zu laflen, fo ift Mar, dies 
Recht {εἰ nicht ein ihm aͤußerlich angehängtes, fondern in 
feinem Weſen begründetes, mit feiner Grifteng von felbft 
gegebenes Recht. Folglich ein Recht, welches bie Faͤhig⸗ 
feit zur Verwirklichung beffen, worauf es fid) bezieht, nicht 
erft als Hinzugelommenes zu empfangen braucht , fondern 
wefentlich in fid) begreift. Recht und Faͤhigkeit fallen ger 
vabezu zufammen; das Eine ift in bem Andern; genauer 
fegar {πὸ có nur zwei Ausdrüde für eine und biefelbe 
Sade, für das genannte Weſen jedes gebornen Menfchen. 
Solglich würde jeder geborne Menfch fid ſelbſt taufen 
fónnen, wenn nicht bie Gelbfttaufe aus irgend einem hier 
gleichgültigen Grunde unmöglich wäre. Da diefer Grund, 
welcher die Gelb(ttaufe unmöglich macht, bie an einem 
Andern vorzunehmende Taufe nicht berührt, fo bleibt alfo 
bem zu taufenben Menfchen die Fähigkeit zu taufen übers 
haupt; unb wir haben den Sag: jeder geborne Menfch 
ift wie ein zu taufenber, fo aud) ein zu taufen fähiger 
Menfch, und zwar ift er Lebteres, weil er Erfteres ift. 
Der zu taufenbe Menſch aber ift wefentlich Nichtchrift. 
Folglich ift ber Nichtchrift fähig, bie Taufe zu verrichten. — 
Wendet man ein, bie Häretifer, Schismatifer, Juden at. 
farà bie Nichtchriften begeben, wenn fie taufen, eine Grenz⸗ 
Veberfchreitung, indem fie auf das Gebiet der Kirche bin» 
über greifen: fo ift bas richtig, denn in ber That nehmen 
fie bie Taufformel, welche in der. Kirche und Eigenthum 
der Kirche ift, vom Gebiete ber Kirche hinweg. Allein das 
Refultat, welches wir gefunden haben, wird baburd) nicht 





48 Die Ketzeriaufe. 


beirrt. Daß die außerfirchlicden Menfchen Mancherlei — 
Schren, Gebräuche, religidfe Akte x. — aus ber ird 
befigen und befigen fónnen, ift allbefannt; jebe Haͤreſie 
nimmt bei ihrem Ausſcheiden mehr oder weniger mit fid, 
vorzugsweiſe fchriftliche Urfunden des kirchlichen Bewußt⸗ 
fein&, die heil. Schrift und andere. Daß die Taufformel 
zu dem, was fo außerhalb der Kirche fein kann , gehören 
müffe, hat das Vorhergehende gezeigt. Daß aber hiemit 
nicht gefagt fein wolle, ἐδ finde außerhatb der Kirche wirkliche 
Rechtfertigung Gtatt, (ft lángft vom 5. Auguftin genügend aute 
einander gefebt. — Man fann an berührter Orenzüberfchrei« 
tung oder Gebietéverfegung fion deßhalb feinen Anftoß nef» 
men, weil eben folche ftattfinbet auch bei ber von Mitgliedern 
der Kirche verrichteten Taufe. Nehmen die taufenben Richts 
chriften Etwas vom Gebiet der Kirche auf das außer⸗ 
hriftliche hinaus, nämlich bie Taufformel, fo nehmen bie 
taufenden Gbriften Etwas vom außerchriftlichen Gebiet. in 
das chriftliche Gebiet herein, nämlich eben den zu taufens 
ben Menfchen. τε {Ὁ begeht babel die Kirche fein Un⸗ 
tet, weil jeder Menfch bie Beflimmung hat, Ehrift zw 
werben, ſomit wefentlich ein zu taufender Menſch ik und 
folglich der Kirche das Recht verleiht, ihm die Taufe ju 
geben. Aber gerade diefe Beichaffenheit des Menfchen IR 
(ὁ auch, was ben Nichtchriften das Recht verleiht, bit 
Grenze zu überfchreiten, um bie Taufformel aus ber Kirche 
heraus zu holen, denn weil und inwiefern die nichichrifl« 
lichen Menfchen weſentlich zu taufende Menfchen finb, fo 
und infofern ftebt ihnen ein Anſpruch an bie Taufformel 
zu. (Ebenfo gut, als an Anderes, was ihnen etwa zur 
Vorbereitung auf bie Eonverfion dienen kann; wie denn 
Niemand Anftoß daran nimmt, wenn z. B. ein Qribe die 


Die Kehertnufe. m 


chriſiliche Dogmatik und Gefrbichte ftubirt, um fid die chriſt⸗ 
liche Lchre anzuetgnen u. dgl.). In der Unvermeidlichkeit 
hefagter Grenzüberfchreitung , welche fi) bei der Taufe; 
wer immer diefe verrichten möge, findet, tritt in der That 
bie Möglichkeit einer von Nichtchriſten zu verrichtenden 
Zaufe am anfchaülichften zu Tage, weil hiebei am ents 
fihiedenften : und reinften. der Menfch erfcheint als particis 
pirend an beiden Welten, ber nichtchriftlichen und ber 
&hriftlichen, an dem Reiche der Natur und dem Reich ber 
- Gat. T 

Daffelde Stefultat, welches wir hiemit in Betreff der 
Taufe gefunden haben, wird eine kurze Erörterung aud 
in Betreff der Ehe geben. Wäre freilich wahr, was 
Melchior Canus aufgebracht und feither viele Theologen 
behauptet haben, daß nämlich ber bie Brautleute benedicis 
rende (genauer: trauende) “Priefter Minister Sacramenti 
Matrimonii fei, [6 könnten wir uns alle weitere Erörterung 
erfparen, Allein εὖ ift nicht wahr, und zwar fo entfchies 
den, daß εὖ keineswegs, wie bie Mehrzahl meint, ale 
tbeofogi(dbe Meinung pafftren darf, fondern als falfche 
Meinung zu verwerfen tft. Da bogmatifd) beftimmt ift, 
ber mutuus consensus contrahentium (regulariter per verba 
expressus) [εἰ bie Causa efficiens Matrimonii 1); da ferner 
bie Causa matrimonii von jelbft aud) causa sacramenti 
matrim. ift; und da enblid) Niemand an der Stelle bet 
Gontrafenten ven Consensus geben fann: fo fullte im 
biefem Punkte fein Zweifel berrfihen. Um indeffen nicht 


1) Decret, Eugen. IV. ad Armen. Harduin IX. p. 440. vgl. Cat, 
rom, P, II. c, 8. qu. 4. pO 


. 6x Die Ketzertaufe. 


in theologiſche Streitigkeiten verwidelt zu werden, halten 
wir und ganz an Thatfächliches. Es ift Thatfache, baf 
bie in der Kirche feiende Ehe Cacrament fei, freilich nur 
biefe, aber auch jede ohne Ausnahme; b. b. wenn nur 
bie. Eheleute Mitglieder der Kirche und von der Kirche ale 
Eheleute gefannt und anerkannt find, fo ift ihre Ehe ein 
Sacrament. Daher die zweite Thatfache, daB wenn ein 
häretifches, jüdiſches, heidnifches Ehepaar in ble Kirche 
eintritt, die Ehe deffelben ohne Weiteres, ohne revalibirt 
ober benebicirt zu werben, facramentale Ehe, ein Sacra⸗ 
ment it). Nur das Eine wird erfordert, daß eine folie 
Ehe an fid) wahre Ehe fei,  entfpredyenb den fanvnifchen 
Ehegefegen. Darin liegt, daß bie Ehe ſolcher Berfonen 
fchon vorher Sacrament geweſen, natürlich nicht τοἰ ὦ, 
aber potentiell, der Möglichkeit nach. Der einfache Eins 
tritt in Die Kirche wirft nicht etwas Neues — die Ehe 
bleibt diefelbe —, fondern macht nur, und zwar ganz uns 
mittelbar , gleichfam paſſiv, das möglichfeiende Sacrament 
zu wirklichfeiendem oder auch das erft bem Wefen nad 
vorhandene zu eriftentem, Alfo haben aud) In diefem Falle 
Häretifer, Heiden 1c. ein Sarrament verwaltet. Wie bie 
außerhalb der Kirche gegebene und empfangene Taufe fo 
lange, als der Träger: berfe(ben außer ber. Kirche weilt, 
der Wirkungen entbehrt, bie ber kirchlichen Taufe zukom⸗ 
men, fo verhält. es ὦ aud) mit ber außerfirdhlichen Ehe 
— die berfelben entfproffenen Kinder treten nicht ohne 


1) Q6 ift mit nicht unbelannt, baf ba unb bort, namentlich in 
Frankreich, die Ehe folder Eheleute, welche mit einander convettiren, 
folemnifirt werbe. Aber auch nur dies. Noch Niemand hat εὖ für nothe 
wendig erklärt, und Niemand bafür gehalten, ba damit ble Che ετῇ 
geſchloſſen ober baburd Sacrament werde. 


Die Ketzertauſe. | fi 


Meiteres in den Schoos der Kirche und ble Anwartſchaft 
des Helles ein, bie Treue ift nicht abfolut, barum bie 
Ehe nicht unauflöslich, alfo nicht ſchlechthin Monogamie 
- ſ. w. —; allein das ändert, wie wir in ber Erörterung 
über bie Taufe gefehen haben, an der Sache Nichts. 
Man fónnte fagen: fo Tange nicht bie vollen Wirfungen 
ber Sacramente vorhanden find, fo lange find bie Sa⸗ 
cramente feft nicht in voller Wirklichkeit vorhanden. Das 
iR richtig, wir müffen es zugeben: Allein es ift ein großer 
Unterfchied, ob Etwas gar nicht, ober ob es nur in noch 
nicht vollfommener Wirklichkeit vorhanden fci. Allem, was 
nicht Gott ift, fommt wefentlich zu, vollfommene Wirklich 
feit nicht von Anfang au zu fein, fonbern zu werben, und 
folglich als Seiendes gelten zu müjfen, che es als voll, 
fommene Wirklichkeit if. Wolte man nur legtere ale 
Seiendes „anerkennen, dann dürfte man in der Welt Wenig 
oder Richts als feiend prädiciren. - 

Scheint es (id) hiernach mit ber Ehe ganz ebenfo zu 
verhalten, wie mit. ber Taufe, fo nämlich, daß das Sacra⸗ 
ment der Ehe bann von Nicdhtehriften verwaltet werbe, 
wenn Suben, Heiden sc. von Ghriften dagegen, wenn 
Chriſten εἰπε Ehe eingehen: fo müflen wir jet fogat 
weiter gehen, biefen Schein für falſch erflären und be 
haupten, das GBejacrament werde burchgängig, wer immer 
bie Brautleute fein mögen, von Nichtchriſten abminiftrirt. 
Die Richtigkeit biefer Behauptung liegt auf flacher Hand, 
Wie das Sarrament ber Taufe, fo kann aud) das ber 
Ehe nur von Richichriften empfangen werden. Die Empfäns 
ger ber Ehe aber find, im llnter(d)ieb von den Empfängern 
der Taufe, zugleich bie Verwalter bes Sacramentes. Folg⸗ 
lid) können nur Nichtchriften Verwalter des Eheſacramentes 


ge ; Die δον, 

fein. Wan fibt, es fommt bier auf ben Veweis bes 
Oberſatzes an. Berfuchen wir ihn. An der Ehe iſt ne 
nähft das Gacramentale von bem Natärlichen, pber εὖ 
it bie Ehe als Sarrament von ὦ felbft als folder zu 
unterfeheiden. Jenes bat Diefed zur Borausfegung und 
Unterlage; nur Sofche fónnen baó Sacrament der Ehe 
empfangen, welche bie Ehe als fold)e, als natürliche Vers 
bindung gefchloflen haben. Anderer Seite aber find beide 
Elemente nicht von einander zu trennen; dad Sarramen- 
talifche faͤllt mit bem Natürlichen unmittelbar zufammen. 
Die Schließung der Ehe als folder nun ift ein Aft des 
natürlichen Menfchen, oder des Menfchen, inwiefern er 
Blied des natürlichen Cadamitifchen) Gefchlechtes (ft, alfo 
des nichtchriftlichen Menfchen. Folglich ift bie Sadye des 
nichtchriſtlichen Menſchen aud) die Schließung der Ehe als 
facramentaler Verbindung, weil, wie gefagt, biefe mit ber 
natürlichen Ehe, obgleich von ihr unterfdjieben, unmittelbar 
zuſammenfaͤllt. Es ſcheint eine parabore Behauptung zu 
Rin, daß das Gacrament der Ehe von nichtehriftlichen 
-Menfchen empfangen werde, wenn doch chriftlicde Braut 
leute baffelbe empfangen. Aber das Sacrament der Ehe 
:wird eben von Denen empfangen, welche bie natürlich 
eheliche Verbindung eingehen, und zwar in dem Momente 
‘und gerabe baburd) empfangen, Daß fte jene Verbindung 
‚eingehen; letztere ift nur das Logiſch⸗Fruͤhere. Die Ein- 
‚gehung ber natürlichsehelichen Verbindung aber (ft wefent- 
1i ein natürlicher Akt oder ein Aft des Naturmenſchen; 
nur ber Naturmenfch, nicht aber der Gbrift als folder 
Tann fid) ehefich verbinden. Folglich empfängt der Menſch, 
ob er getauft fei ober. nicht getauft, das Sacrament ber 


Die Kehettaufe 63 


Ehe nicht als Ehrift, fondern ale Mensch, als abamitifdyer 
oder natürlicher Menfch. 

Alſo verhält e8 (id) mit ber Ehe ganz auf die gleiche 
Weife, wie mit der Taufe, nur Nichtehriften fónnen fie 
empfangen. Folglich iff der vorgeführte Syllogismus 
richtig. Denn, haben wir in Betreff der Taufe bie Mögr 
lichfeit, tag Richtchriften gültig taufen, darin erblidt, baf 
weſentlich Nichtehriften ‚vie Empfänger der Taufe find, fo 
muͤſſen wir in Betreff der Ehe baffelbe behaupten und die 
Eheleute als fähige Ministri Sacramenti matrim. anerfennen, 
obgleich fie al Menſchen, bie bie Ehe fchfießen, und in bem 
Momente, wo fie diefes tbun, Nichtchriften find. Zugleich 
aber haben wir bort bie Möglichkeit, von genannter Fähig- 
feit Gebraud) zu machen, darin gefehen, daß jeder geborne 
Menfc bie wefentliche Beſtimmung habe, Gorift zu were 
den, wefentlich ein zu taufender Menfch fei, und folglich 
Anſpruch auf tie ber Kirche gehörende Taufformel habe. 
Gan; fo verhält εὖ (id) auch bei ber Ehe; bie Ausübung 
ber nach Borftehendem allen Menfchen zufommenden Faͤ⸗ 
higfeit, das Ehefacrament zu verwalten, ift darin begrüns 
bet, daß bie natürlihe Ehe bie wefentliche Seftimmung 
hat, Sacrament zu fein, fo daß fie nur ift, um Gacrament 
zu werden. Die Ehe ijt ein Geheimniß, eine Gnadenan⸗ 
Halt, ein Sacrament nur in Gbrifto und durch (δ τ βιά. 
An fid) if ein fo natürliches, fo ganz in bet Beſchaffen⸗ 
heit der Natur gegrünvetes Berbältnig, wie bie Ehe if, 
fein. Gebeimnig. Diefes und damit ein Sacrament kann 
Die Ehe nur Dadurch werden, bag zu bem Ratürlichen 
Etwas hinzukommt. Dies gefchieht burd) Chriftus; und 
es if nichts Anderes, als dies, daß ber Che, deren alte 
Form unverändert. bleibt, ein anderer Inhalt, eine, neue 


64 Du Kepertauft. 

Subflanz gegeben wird, daß ihr nicht mehr einfach natürs 
liche, fondern wefentlich zu erlöfende Menfchen, nicht Gite 
ber des adamitifchen, fonbern des chriftlichen Gefchlechtes 
entfproffen; daß demgemäß die Verbindung der Gbeleute 
nicht mehr bloß bie in ber Gefchlechtlichfeit begründete ift, 
deren Zweck und Erfolg in der Fortpflanzung des natürs 
fiden Menfchen und fofort in Gründung ber Familie, ber 
Gefellfchaft, des Staates unb was damit zufammenhängt, 
liegt, fondern eine Verbindung, aus ber auch geiftige Ges 
butt, Wiedergeburt erfolge, fo bag fie jum Abbilde ber 
Verbindung Ehrifti und der Kirche wird; daß alfo, mit 
Einem Wort, die Ehe aufhört, bloßes Naturverhältniß zu 
fein und zu einer Gnabenanftalt umgefchaffen wird, eine 
beſtimmte Stelung und function in dem Erlöfungs- unb 
Mechtfertigungswerfe erhält. Diefe Bedeutung bat die Ehe 
durch Chriftus empfangen, denn von Ehriftus geht bie 
Rechtfertigung aus. Aber dem Wefen nach hat fie bieje[be 
von bem Augenblide an, nachdem das Urtheil über bie 
Bollbringer ver erften Sünde auf Erden gefprochen war. 
Wie fo? Wenn nicht Ehriftus, wenn nicht Reftitution des 
Mentchen wäre, fo gäbe es feine Ehe, weil keine Men 
fhen, bie diefelbe fchlößen, weil fein Geſchlecht, das (br 
entfproßte. Nach ber Sünde lebten und pflanzten (id) bie 
erften 9Renfden nur in Folge befjen fort, daß fte begna⸗ 
digt waren, daß bereits Chriftus in ihnen wirkte. Die 
Adamitifche Ehe nad) ber Sünde und bie nadjabamitifde 
Ehe bat zunächft bie Geftalt, bie Vererbung der Sünde 
zu vermitteln. Aber eben damit ijt fie auch SBermitt[erin 
der Erloͤſungsgnade; ohne diefe gäbe es feine Erbfünde, 
gäbe es nicht einen Tod, der fortwährend burd) das. Leben 
überwunden. wird (denn bas ift bie Erbfänbe), fonbern 


‚Die Kebertaufe. 65 


lediglich Tod. Sagen wir es mit Einem Wort: Bor ber 
Sünde war die Ehe nicht ein Geheimniß, fondern ein 
einfach natürliches Verhaͤltniß; nad) ber Sünde aber wurde 
fie unmittelbar ein Geheimniß, ein Gacrament, weil eine 
Anftalt zur Vermittlung der Erlöſungsgnade. Sn biefer ihrer 
Beichaffenheit fonnte fie nun freilich vollfommen wirklich erft 
nad) Ehriftus werben, weil bie volle, vollfommen wirffiche 
Erloͤſungsgnade erfi von dem perfönlicden Gbriftue au; 
geht. Aber barum Hört fie nicht auf, von Anfang an 
wefentlich Daffelbe zu fein, eben das zu fein, was fte 
burd) Chriftus ift. Damit haben wir die Einficht, mmt; 
liche Menfchen, welche die natürlichseheliche Verbindung 
einzugeben fähig find und wirflich eingehen, fünnen nicht 
nur, fonbern müffen das Sacrament ber Ehe abminiftriren; 
ein Sacrament freilich, das dann erft in der Kirche, wo 
ber ganze Chriſtus ift und wirft, eine vollendete Wirklich⸗ 
(ichfeit wird. 

Hiemit haben wir, wie uns fcheint, ben Gag bewies 
fen, wovon wir ausgegangen, bie Möglichkeit einer Ad⸗ 
mintftration der Gacramente, der Ehe und Taufe, liege 
darin, daß dieſe Sacramente wefentli Nichtchriſten ges 
fpenbet werden. Was an Nichtehriften vorgeht, fann von 
Nichtchriſten ‚verrichtet werden. Hat ἐδ zugleich eine wer 
fentliche Beziehung auf Ehriftus, ber Art, daß es übers - 
haupt nur in diefer Beziehung und burd) biefelbe ift, fo 
fann es Sacrament fein, und ift es wirklich, wenn 
es in der Kirche Saerament ift. AU das trifft zu bei ber 
Taufe unb Ehe. Somit ift berotefen, was zu beweifen war. 

Zur Vollendung des Beweiſes mug nur nod ein 
furger Blick auf die fünf übrigen Sarramente geworfen 
werden. Diefe fónnen nur Mitgliedern der Kirche ertheilt 

Theol. Ouartalfärift. 4850. I. Heft. 5 


"66 Die Kegzertaufe. 


werden. Folglich nur innerhalb ber Kirche, Kolglich nur 
turd) folche Menſchen, welche Mitglieder ber Kirche find 
(denn air diejenigen, welche innerhalb der Kirche fteben, 
haben die außerfirchlichen Menſchen fein Recht). Folglich 
näher durch folhe, die von ber Kirche dazu auserwählt, 
beftelt, autorifirt find, benn Alles, was innerhalb her 
Kirche vorgeht, fann nicht nur, fondern muß von ber 
Kirche als folcher beftimmt, angeorbnet, feitgefegt fein, 
dermaßen, bag als Organ ber Kirche für irgenpwelde 
Function Immer nur derjenige gelten Tann, der als folches 
von der Kirche felber aufgeftelit if. 

Somit haben wir, um Alle furg zufammenzufaffen, 
ben Gag: was bie Kirche bei Ertheilung des Tauf⸗ und 
EhesSarramentes vornimmt oder verrichtet, fónnen alle 
Menfchen ohne Ausnahme, was fie dagegen bei Ertheilung 
ber übrigen Sacramente verrichtet, fónnen nur Mitglieder 
der Kirche und zwar näher nur folche, bie von ber Kirche 
eigens dazu beſtellt und autorifist find, vorzunehmen ober 
zu verrichten intendiren, unb zwar biefes deßhalb, weil 
jene beiden Sacramente den Nichtehriften, dieſe aber nur 
den Mitgliedern der Kirche gefpenbet werden. Darin dfi 
bie Thatfache gegründet, die wir zu erklären hatten. 


Es wäre ber Mühe wertf und intereffant genug, vot» 
ftehende Erörterung fo abzufchließen, bag fie Moment 
einer alle Sarramente umfaflenden Erörterung würbe. 
Allein Das würde eine eigene, und zwar umfaffenbe Ab⸗ 
. handlung erfordern. Wir begnügen uns deßhalb, folgende 
Theſen auszufprechen: 1) Rechtfertigung unb Heil bet 
Menfchen find dadurch bedingt, Daß er Mitglied ber Kirche 


- 





Die Regertaufe. et 
fei; 2) Mitglied ber Kirche wirb ber einzelne Menſch 
burd) ble Kirche; 3) alfo ift nöthig, daß juerft bie Kirche 
fd. 4) Die Kirche ift die von Chriſtus abftammenbe 
Menfchheit. 5) Diefe Abftammung geht fo vor fi, daß 
bie mit ber nicht aufzuhebenden Abftammung von Adam 
gefehte Sorm ber Menfchheit unverändert bleibt. 6) Folg⸗ 
lid ift die Subſtanz der von Chriſto abftammenben 
Dienfchheit eine andere, als bie übrig gebliebene Form 
anzeigt; es hat Transfubftantiation ftattgefunben, 7) Sos 
mit i die Bildung ber Kirche, ald Verwandlung des 
adamitifchen in chriftliches Geſchlecht, ein Sacrament , ἐπε 
wiefern formel da6 Wefen des Sarramentes Transfubs 
flantiation iſt. 8) Diefes Eine Sacrament, weldyes bie. 
Grundlage ber Rechtfertigung bildet, ift nicht ἐπ᾿ Diefer 
Allgemeinheit, fondern vollzieht fid) durch mehrere Mos 
mente hindurch. 9) Diefe find bie fieben Eacramente. 
Das erfte if die Priefterweihe; es müjfen vor Allem Res 
präfentanten Ehrifli vorhanden fein, um welche ſich bie 
Gläubigen wie um Mittelpunfte fchaaren, wie bie erften 
Btäubigen: fih um Chriftus felbit verfammelt haben. Es 
iſt flat, bie Beftelung folcher Repräfentanten Chriſti fónne 
nut durch Ehriftus felhft, und fofort immer nur von Oben 
ausgehen, fo daß bie Bifchöfe vom Papft, bie Priefter 
von ben Biflchöfen gefegt werden. Woraus folgt, daß 
Sarrament der Prieſterweihe könne nur von Bifchöfen 
gefpenbet werden. Ebenſo klar ift aber amd), daß bie 
Prieſterweihe ein. anderes Sarrament vorauéfepe , nämlich 
bie Taufe, bie Berwandlung des natürlichen Menfchen in 
einen chriſtlichen Menſchen, denn nur der chriſtliche Mann 
fann Prieſter werben. Die Taufe wiederum ſetzt ebenſo 
ein anderes Satrament vorqus, die. (Eie nämlich, als bir 

5* 





68 Die Kehertaufe. 


Quelle, woraus zu taufende Menfshen entfpringen, Hat 
fi durch Verbindung von Gläubigen mit den Prieftern 
(und burd) biefe mit ben Bifchöfen und bem Papft) bie 
Kirche gebildet, ober find Menfchen Mitglieder der Kirche 
geworben, fo handelt es fi fofort barum, biefefben zu 
befeftigen, damit Jedem als felbftfländigem Gliede bes 
ftimmte Stellung und Yunction angemiefen werden fónme; 
ein Gefchäft, welches rechtmäßig nur durch Die verrichtet 
werben fann, bie zwar vom Papfte abhängig, aber bod) 
unmittelbar von Ehriftus berufen find, durch bie Biſchoͤfe 
(Zirmung). Endlich dienen bann die drei übrigen Sacras 
mente dazu, das fo Gegtünbete und Befeftigte zu erhalten, 
im Einzelnen zu pflegen, etwaige Störungen immer wieber 
gut zu machen, aud) noch im Augenblid des Todes bie 
Subftanz zu beſchützen unb zu erhalten, welche unter ber 
Form des adamitifchen Menfchen, unter jener Form, bie 
eben jept zerbricht, verborgen liegt. Die Verwaltung diefer 
drei Sacramente fällt ausfchließlich fold)en Mitgliedern 
ber Kirche zu, welche eigens dafür von ber Kirche beftelit 
und autorifirt find, nämlich den Prieftern, und zwar aus 
dem einfachen Grunde, weil fie innerhalb der Kirche ftatts 
findet. 10) Demnach erfcheinen die Taufe und bie Ehe 
als zwei Sarramente, welche, wenn es erlaubt ift, fo au 
fagen, früher find, als das erfte Sarrament. Darin iit 
εὖ begründet, daß viefelben außerhalb der. Kirche admini⸗ 
firirt werben fónnen, während die Adminifiration aller 
übrigen ausfchließlich in bie Kirche fällt. 


Hiemit [εἰ die Apologie der Kebertäufe gefchloflen. 
Darüber Etwas beizubtingen, bag unb warum diejenige 
Ketzertaufe, uͤberhaupt diejenige Taufe, welche nicht in der 


2 


Die Kepertaufe. 69 


rechten Form unb Intention verrichtet worden, ungültig 
unb als nicht gefchehen zu betrachten fei, wäre überflüffig. 
Dagegen fónnen wir nicht fchließen, ohne noch ein Mat, 
wie fchon Anfangs, darauf aufmerffam zu machen, daß 
gar viele ber gegenwärtigen Geften bie Taufe ald leere 
Geremonie behandeln und weder in der rechten Korm, noch 
mit ber Intention verrichten, das zu vollbringen, was bie 
Kirche vollbringt, indem fie tauft. 


Dr. Mattes, 
Prof. in Hildesheim. 


3, 


Kritik ber Difchinger’fchen „Principien der fpecula- 
fiven Teinitätölchre, mit Rückſicht auf Zukrigl.“ 


Zweiter Artifel.) 


Bisher haben wir gefehen, daß Difchinger den theos 
gonifchen Prozeß gänzlich undenkbar gefunden und dieß 
aus folgenden KHauptgründen: weil es auf biefe Weife 
in Folge des angenommenen Werdens feine gleiche Gig: 
feit, fein wahres Sneinanberfein, feine organifche Lebens» 
“verbindung und zulegt feinen. wechfelfeitigen Lebensverkehr 
der göttlichen Hypoſtaſen geben foll, — Wir haben alle 
biefe erhobenen Bedenklichfeiten zu löfen verſucht. Indeß 
meint Difchinger in unferer Reconftruction ber. Trinität 
nicht bloß bie linbenfbatfeit des theogonifchen Prozeſſes, 
fondern zugleich aud) eine Menge von Widerfprüchen und 
fogar von der Kirchenlehre abweichende Refultate, d. B. 
Härefien zu finden. Diefe follen fid) aber auf unfere Auf⸗ 
faffung des BVerhältnifies der Einheit zur Dreiheit, bann: 
des Verhältniffed des Wefens zu ben Perfonen und endlich 
des gegenfeitigen SSerbáltniffe8 ber drei Perfonen zu eins 
ander beziehen. | 


1) Siehe Jahrgang 1849, Heft 3. 


Kritik b. Otfchtuger’fchen Prinzip. b. ſpeticlativ. Trinttätölchresc. 71 


Wir wollen nun feben: ob wirklich jene Widerfprüche 
und von der Kirchenlehre abweichende NRefultate, deren 
Difchinger uns befchuldigt, aus unferer Reconftruetion 
hervorgehen. 

a) Erftlich entbedt Difchinger in unferer Reconftruction 
bes theogonifchen Proceſſes eine SBiereinigfeit, Wir jollen 
nämlich zwifchen Perſon und Individuum einen realen 
Unterſchied jegen, und daher auch zwifchen Dreiheit unb 
Einheit, wodurch fobann eine Vierheit entſtehe. Θ΄ 30 ber 
Bonner Kath. Bierteljahresfchrift für Wiflenfchaft unb Kunft 
(Neue Holge. 3. Jahrgang. 1. Heft 1849) fagt er: „Is 
bem wir zwifchen der Einheit und ber Dreibeit ein ideales 
Verhaͤltniß anfegen, müflen wir ein reales ausjchließen; 
denn dieſes fegt zwifchen die Einheit und bie Dreiheit 
einen fachlichen Unterfchied, wornach eine Vierheit in dems 
felben Objecte anzunehmen wäre. Zufrigl fonnte auf feinem 
duafiftifchen Ctanbpunfte nicht zur Einficht gelangen, bafi 
man von einer Sache zugleich dieſes, wie jenes praebiciren 
fónne, fondern er mußte, ba ihm die Einheit entichwunden, 
einen realen Unterfchien annehmen.“ 

Worin befteht aber unfer realer Unterſchied zwifchen 
SBerfon und Individuum? 

Wir fagten (S. 249 in unferer Schrift): „Die Berfon 
ift ein fi als Realgrund erfafiendes, denfendes unb wiſ⸗ 
fendes freies Sein; das Individuum dagegen ift ein Gub» 
ject an ſich, aber nicht für fid), ber Perſon eignet daher 
das Selbftbewußtfein und das Grunbbenfen, dem Indivi⸗ 
buum „(Raturfubjerte)* bloß das Bemwußtfein und das 
Schemadenken“. 

Darauf erwidert Oiſchinger ©. 31: „Wäre dieſes 
wahr, fo fónnte man von Gott nie bie untheilbare Einheit 


T2 Kritik ber Oiſchinger ſchen Principien 


— indivisa unitas, ἀτόμος — wovon Individuum nur bie 
Umfchreibung ift, präbieiren.“ Nach Oiſchinger foll alfo 
das Eine unb felbe abfolute Prinzip nach einer Beziehung 
eine Dreiperfönlichfeit und nach der andern Beziehung ein 
Snbibibuum fein; legteres follen wir aber negiren. Darauf 
entgegnenwir: Wir verneinen feineöwegs, daß Gott nad) 
ber einen Beziehung eine Dreiperfönlichfeit und nach ber 
andern nur Ein Wefen fei, und daß diefes eine Dreis 
perfönlichfeit conftituire, aber bieg müffen wir bemers 
fen, daß für bie Bezeichnung der Wefenseinheit Gottes 
das Wort; Individuum, unpaffend fet, ba εὖ im eigents 
lichen Sinne nur den Naturfubjecten eignet, bie aber 
gerade divisa membra der Einen bifferengirten Naturfub- 
ſtanz find; das Weſen Gotted dagegen ift in der Trinität 
nicht real zertheilt, fo bag bie drei Hypoftafen drei Theils 
ganze wären; das abfolute Princip fegt fi im Sohne in 
feiner Ganzheit entgegen. (ὁ ift demnach in allen: drei 
Hppoftafen biefelbe und Eine Subftang (reale Einheit) 
. gang vorhanden (Unitas in trinitate), und zugleich find bie 
drei Hypoftafen unjertrennlid) mit einander verbunden unb 
conftituiren fo Einen Lebensorganismus (Trinitas in unitate) 
b. b. ein Wefen für fid) unb in Bezug auf Anderes. Daher 
ift von Gott bie untheilbare Einheit — indivisa unitas — 
aud) nad) unferer Reconftruction zu prábiciren. Da nun 
aber nad) unferer Anfchauung die Einheit nicht als etwa 
Reales für ſich der Dreiheit gegenübertritt und fteht, 
fondern die Dreiperfönlichkeit das Reale felbft ift, wie 
fann dann Difchinger und ber 9Biereinigfeit zeihen ? Sagt 
ja das vierte Lateran-Boncil: „Et ideo in Deo solummmodo 
trinitas est, non quaternitas , quia quaelibet trium perso- 
narum est ill res, videlicet substantia, essentia, seu n&- 





der ſpetulativen Teinktätälchee ac. 73 


tura divina.“ Heißt có denn nicht im unſerer Schrift 
6. 255: „Ein unb daſſelbe Princip (reale Einheit) ale 
ſolches {εἰ dreimal in den drei Perſonen real gefegt?“ 
Wo wird denn hier angedeutet, daß das abfolute Princip 
αἰ reale Einheit noch aufer, über ‘oder neben den drei 
Berfonen fubfiftire? 
Wie fann Difchinger jene Stelle fo commentiren €.31: 
„Wenn Zufrigl einen realen Unterfchied zwiſchen ber Gin» 
beit und ber Dreiheit, mag er letztere als breimaliges 
Gegen oder Selbfipotenziren, oder wie immer faffen, ans 
nimmt, fo kann er der Biereinheit, weld)e von der Kirche 
verworfen wurde, nicht entgehen, oder e8 entfteht ihm eine 
abfolute Einheit mit drei Lebendäußerungen, womit bie 
Dreiperfönlichkeit aufgehoben if. Wenn er eine reale 
Einheit annimmt, fo fann er nur Vierfaches zählen; denn 
wenn er auch die Einheit mit ber Dreiheit verbunden fein 
läßt, fo ift fie immerhin real von ber Dreiheit verfchieben, 
wenn aud) nicht gefchieden.“ Bann ©. 32: „Wie man 
fiet, ift nach Zufrigl nur barum feine Viereinheit vorhans 
den, weil das Abfolute nicht von ben drei Elementen ges 
trennt ift. Aber dieſes ift durchaus ungenügend; denn es 
ift aud) bie eine Poſon von ber andern, 3. 3D. der Vater 
von bem Sohne, nicht getrennt, unb bod) ijt eine Mehr; 
heit vorhanden.“ Wo haben wir eine fulche Behauptung 
aufgeflelit? Wir fagten ja felbft (€. 298 in unferer 
Schrift): Man könne „pas in allen drei Perfonen immas 
nente, ine, gleiche und felde göttliche Wefen nicht von 
biefen fcheiden, und fo als Viertes über ihnen , gleichfam 
wie bie Gattung über ihren Individuen (b. i. mittelft ber 
Stefleríon, weil fonft die Gattung in ber Eoncretheit nicht 
für fid, fondern mur in ben Snbivibuen eriftirt)* bina. 











14 Kritik bee Oiſchinger'ſchen Princkpien 


ſtellen, weil es ja nicht vor, neben ober über unb aufer 
ben Verfonen ig, ba Es von Ewigfeit „(in benfefben)* 
fi felbft bewußt war.* Denn bie Dreiperfönlichkeit if 
ja die Griftenyform des abfoluten S3rincipeé. Deßhalb bes 
merften wir auch: „Das Abfolute ift ben Momenten feiner 
Selbftobjectivirung, b. t. ben Perſonen immanent.“ Ge ift 
bemnad) nicht mit benfelben nur fo verbunden, wie Difchins 
ger uns aufbürbet, Das Abfolute: ift ja in ben Proceß 
ſelbſt eingegangen, und hat nur in ben drei Perfonen fein 
Dafein, und außer biefem nicht. Wir haben alfo die 
Kirchenlehre von der Dreieinigfeit Gottes nicht im Ges 
ringften verlegt. Wenn aber Difchinger meint, daß unfere- 
Anficht im vierten Lateran-Boncile verdammt werde, fo 
irrt er fid) gewaltig. Denn aud) wir behaupten ja mit 
dem Goncil und dem Petrus Lombarbus, „quod una quae- 
dam summa res est, quae veraciter est Pater, et Filius et 
Spiritus sanctus." Die summa res ift eben hier unfere 
reale Einheit, bie Eine unb felbe abfolute Subftang, welche bem 
Bater,Sohne und h. Geiſte immanent ift. Sie wirb aber erftbiefe 
dreiperfönliche Beftimmtheit, b. b. fie entfaltet fid) als Vater, 
Sohn unb b. Geift burd bie Subjectobjeetivirung = durch den 
tbeogonifchen Proceß, = Zeugung ume Doppelhauchung. 
Denn früher ift fie unbeflimmtes Sein. Da fie aber 
ſchlechthiniges Sein if, fo ift fie auch Beftimmen burd 
Sich, mithin ift. diefe Unbeftimmtheit von Ewigkeit aufges 
hoben, indem fie als absoluta res nicht zu warten. bat auf 
ihre Differenzirung burch ein anderes Sein, deßhalb ift 
fie von Ewigfeit wirklicher Bater, Sohn und 8. Geift. 
Daher fagen aud) wir: „tres simul personae ac sigillatim 
quaelibet earundem,^ ba das Prius und Pofterius im 
abfoluten Subjectobjertivirungsprocefie ein abfolutes if, 


ber ſpeculativen Irinttätdlehee se. ^. 18 


und zwifchen: ihnen nicht bloß ein Sneinanbeto, fonbern 
auch ein Nebeneinander Statt findet. Auch verſtoßen wir uns 
nicht gegen ben Gag: sed est Pater, qui generat — wenn 
Difhinger 8.33 fagt: „Ganz unrichtig unb verfehrt ift der 
Ausdrud:. das abfolute Princip, bie Einheit, bie Einperföns 
lichkeit erzeugt u. ſ. w.“ Denn nach unferer Anſchauung ift ja 
eben vor der Differenzierung ba& unbeſtimmte abfolute Brincip 
ber potentielle Vater, nad) der Differenzirung aber wird e$ 
burd bie Entgegenfegung (Gommunicirung feines abfoluten 
Seins) im Sohne gum wirklichen Vater. Somit fann man im; 
merbin fagen: das abfolute. Princip als potentieller Vater 
erzeuge den Sohn. Daß aber das abfolute Princip als 
Einperfönlichleit ben Eohn erzeuge, haben wir nirgends 
behauptet, da ἐδ ja erft nach ber Gelbftobjectioirung durch 
die Beziehung zum fubjeetiven = perfönlidhen Vater wird. 
As unbeflimmted reines Sein (f. das abfolute Princip 
vor ber Differenzirung fonder Zweifel weder generans, noch‘ 
genita, nod) procedens zu nennen. And ebenfo if fie 
nidt an fi unb für fi, fonbem nur im potentiellen 
Bater als generans, unb im Gobne als genita und im 
b. @eifte als procedens zu benfen ). Dieß hebt aber das 
Gonci[ deßhalb hervor, um bie Sybee der Riereinigfeit zu 
befeitigen, da leicht irgend Einer meinen koͤnnte: daß bie 
summa res als abjo[ute Einheit den Bater, Sohn unb. 
h. Geift. fege, und fobann außer biefen Berfonen für fiib 
noch ftehen bleibe. Wenn aber. Difcyinger S. 33 und $4 


1) Die Pradicate: generans, genita unb procedens fallen demnach iu 
bie gewöhnliche Dafeinsform des abfoluten Principes (summa res), abet nicht 
in fein Sein, als folches (substantia, essentia, seu natura divina). Denn 
das Wefen ift in allem drei Hypoſtaſen daffelbe unt glei abſolut. 





16 Kritik der Oiſchinger ſchen Principien 


bemerfi: „Nach der Kirchenlehre find die Einheit unb 
Dreiheit ibeale Unterſchiede, während Zufrigl und Etaus 
benmaicr eine Verbindung beider als Biereinheit annehmen. 
Das Mittelglied bildet der theogonifche Broceß, der gerade 
durch bie angeführte Decretale auf das SBeftimmtefte vete 
pónt ift:* — fo Bat er ganz überfehen, daß εὖ darin auch 
heißt: sed est Pater, qui generat etc. Sft ba ber Proceß 
wohl negirt: Gewiß nicht. Negirt man den theogonifchen 
Proceß, fo fann man nimmer mit Recht fagen: daß Gott 
Dafein burd) Sich ift. Und ba wir weiterhin nirgends 
einen realen Unterfchieb zwifchen ber Einheit und Dreiheit 
maden, b. B. bie reale Einheit neben ber Dreiheit Bins 
ftellen, fo ,entfebt uns auch nicht, um ber Biereinheit zu 
entgehen, eine abfolute Einheit, mit drei ebenéduferungen, 
womit die Dreiperfönlichfeit aufgehoben tft.“ 

b) $ed) Difchinger meint: Wir haben nicht: bloß 
eine 9Biereinigfeit Gottes, weil nad) unferer Anſchauung 
dad abjolute Princip mit drei Perfonen verbunden fein 
fell, fondern aud) zugleich eine Wierperfönlichkeit. Denn 
€. 36 unb 37 fagt er: „Läßt man bie abfolute Perfön- 
lichfeit oder das abfolute Princip gegen bie drei Perſonen 
thätig fein, fo entftebt entweder eine Quaternität, oder Die 
Dreiperfönlichfeit wird zu einer Erfcheinungsform ber Eins 
perfönlichkelt gemacht.“ Wir (οἴει! alfo „von einem abfos 
(uten Brincipe gegenüber den drei Perfonen fprechen unb 
Daher Gott in Gott eintragen,“ weil wir fagen: „Wird 
das abjolute Prineip fid) offenbar durch Wefens-Entgegens 
, und Gleichfegung, fo Tann und muß es fi aud in 
mehreren Perfönlichfeiten wiffen.* 

Weiter bemerkt Difchinger: „Zufrigl nennt diefes Ab⸗ 
folute auch substantia prima, alfo find bie drei Perſonen 


ger ſpeeulativen Schtitatefelire ae, 7. 7 


Viefer abfolnten Subſtanz gegenüber. fecuntáre Subflangen. 
Beide vertragen fid) nicht gufammen; benn weiß fi) das 
Wbjofute in den drei Subftanzgen, fo liegt viefelbe 
Anſchauung, wornach bie pantheiftiiche Philoſophie fagt : 
Gett weiß fi im Menfchen, zu Gründe Wie bier, fo 
ift dort bie Gelbftftánbigfeit fowohl des abfoluten Brincipes, 
als ver drei relativen aufgehoben. Wie aber kann fid) 
etwas in einem andern wiflen? wie ift eine fole Imma⸗ 
nen; und Gonfufion benfbar?4 Allein wo ift da eine 
Duaternität, wenn das abfolute Prineip fi entgegen» 
und gleichfegt, und nicht außer und über unb neben feinen 
Bofitionen fleht, fondern eben bieje reale Triplicirung If? 
Wo fagten wir wohl: daß das Eine abfolute Brineip 
gegen bie drei Perſonen thätig fei, auf welche Weife fe» 
bann vier abfolute Subftanzen entflünden, von benen das 
abfofute Brineip bie substantia prima, unb bie drei Perfos 
nen biefer gegenüber fecundäre Subftangen wären? Wenn 
wir nad) bem 9Borgange von Strauß hier das Abfolute 
substantia prima nennen, fo bat Difchinger weder Strauß 
nod) und verftanden. Wir wollten biemit nur anbeuten, — 
ba Gott nicht zu denken {εἰ als Gattungefubftany, welche 
fib real zertbeilend in Individuen verwirflit und ihre 
Eriftenz bat. Auch fónnen die Perfonen nicht im Gegens 
fage zum abfoluten unbeftimmten Brincipe fecunbdre Subs 
fangen genannt werben, ba fie ja eben die Objectivirung 
beffelben (ber substantia prima), und im Weſen Eins und 
alle gleichewig find. Difchinger folgert daher auch mit 
Unrecht : „daß fid „Cauf biefe Art)“ bae Abfolute in den 
drei Subftanzen sCObpoftafen)* als in einem Andern weiß? 
Daß fid Gott in der Dreiheit wiflen könne, wird Nies 
wand befireiten, ber erkannt hat, baf aud) das Natuw 


"8 fusi ter ODifchluger ſchen Meineigien 


princip in einer Vielheit von finnbegabten Synbipibuen um 
feine Erfeheinungen weiß. Wie follte e$ aud) anders fein, 
wenn das Eine abfolute Princip fi in allen drei 
Hppoftafen real objectivirt bat; denn diefe find ja feine 
Eriftenzform. Aber diefes Sichwiflen des abfoluten Brin- 
cipes in ben drei Hypoftafen, ald Water, Sohn unb ἢ. Geift 
— heißt nimmermehr: Sich in einem wefentlich Andern 
wiſſen. Gott weiß (id) nur in fid. Der Subjectobjectivi⸗ 
rungsproceß des Abfoluten (ft bemnad) nad dualiftifcher 
Anfchauung ein wefentlich anderer, als nach ber monile 
fchen. Dort fet fid) das abfolute Princip in feiner Gans; 
heit entgegen und ebenfo gleich, unb bie in fid) felber, 
aber nimmer in einem Andern. Hier aber geht das abfo- 
lute Brincip in eine reale Zertheilung ein, in die Befon- 
derung und zwar in ber Weltwendung ober in feiner 
Verendlichung. G8 entfaltet fid) zuerft in den bret Natur⸗ 
reichen, unb dann fid) fteigernb in einer unenblichen Biels. 
: heit von Menfcheniudisiduen, in welchen εὖ fein Selbfibes 
mwußtfein gewinnt und nad Strauß fo allperfönlich wird. 
Welche Differenz daher zwifchen beiden ! 

Sft aber nad) unferer Anficht das abfofute Princip 
weder als unbefimmtes Sein noch ald Einperfönlichfeit 
gegen bie breit Perſonen thätig, da jenes mit biefen Eine 
ἐξ, und nicht früher für fid) eriftirte, fo haben wir aud) 
gar nicht „die Dreiperfönlichkeit zu einer Erfcheinungsform 
der Einperfönlichkeit gemacht.“ Nach unferer Anfchauung fann 
ja das unbeftimmte abfolute SBrincip nie ale perfönlich 
aufgefagt werden, ba es durch ben Gelbftobjectiois 
rungsproceß erft abfolutes Subject, abfolute Perſoͤnlichkeit 
wird, b.. b. eben burch feine Selbflunterfcheidung in ben 
drei Hypoſtaſen. Würden wir eine abfolute Einperfünlich 


der ſpeeulativen Teinitätälchre se. i. 


feit, unb dazu noch eine abfolute Dreiperfönkichfeit anneh- 
men, bann müßten wir einen doppelten Subjectobjectivi⸗ 
‚rungsproreß in Gott. ftatuiren; davon bat aber Oiſchinger 
gewiß nichts im unferer Schrift gelefen. Darum hat 
Difchinger nur aus einem Mißverfländniß eine Vierper⸗ 
fóntid)feit in unferer Reconftruction gefunden. Er dufeet 
€. 37: ,3ubem ift eine jede SRerfon ein felbibewußtes 
und toollenbeó und thätiges SBefen. Wenn aber in (br 
das abfolute Prineip weiß, und will und handelt, wie ift 
fie nod) cine Perſoͤnlichkeit? Es entfleht eben alsdann 
eine vierfache Perſönlichkeit; denn zu ber dreifachen fommt 
nod) bie abfolute hinzu, welche diefe dreifache gleichlam 
zufammenhäft und als das Gentrum fie.vereinigt. Sie ift 
das Band, welches zwar von ihnen nicht getrennt ift, aber 
bod) in ihnen gemeinfam benft und daher das abfolute 
Bewußtſein begründet. Wie ift fo etwas, abgefehen von 
dem Widerfpruche mit bem Dogma, je nur denfbar? Wenn 
das Eine und baffeíbe abfolute Princip jeglicher Perſon 
immanent ift, wie es S. 26 (in unferer Schrift) heißt, fo 
gebt entweder bie Dreiperfönlichfeit in ber abfoluten, ober 
biefe in jener auf.“ Da nad) unferer Auffafiung das ab; 
folute Princip vor feiner Differenzgirung keineswegs ale 
abfolute Einperfönlichkeit eriflirt, fo kann fid felbe aud) 
nicht in ber Dreiperfönlichfeit denken. Denn bieß wäre 
allerdings unmöglich, wenn wir ed behauptet hätten, was 
aber eben nicht der Kal iſt. Stein Brineip bat eine dop⸗ 
yelte Subjertobjectivität. Es fann fid) eine Perſoͤnlichkeit 
nicht in der andern benfen, fonberm fie muß fid) ſelbſt in 
fidy benfen unb wiffen. Daher haben wir aud) nicht eine 
abfolute Einperfönlichfeit als ein Viertes neben bet Dreis 
perfönlichkeit hingeſtellt, und fie mit diefer verbunden, bas 


B0 Kritik der Oiſchinger ſchen Brinelplen 


mit fie {εἶδε gleichfam zufammenhalte. Denn wir fagten 
nur: bag eben biefe abfolute Dreiperfönlichfeit in ver 
begrifflichen Einheit bie abfofute PBerfönlichkeit conftituite, 
und daß deßhalb die abfofute und dreifache Berfönlichkeit 
daffelbe, aber nur jedesmal naq einer andern Beziehung 
ausgebrüdt, fei. 

c) Wiederum follen wir nadj Difdjinger ben Tritheis- 
mus fchlecht widerlegen, dann felbft hiedurch in benfefben 
:gerathen, und endlich abermals in bie Quaterniät zus 
rüdfinfen. So heißt e8 €. 38: „Weil ber Gattung: 
begriff „nach uns nämlich)“ auf Gott nicht anwendbar 
i£, follen nicht drei Götter in dem Subjectobjectivirungss 
procefie entfteben. Der Gattungsbegriff foll aber ber Nas 
tur allein zufommen, „(und Gott nicht)", eine durchaus 
(rige und neuerfundene Behauptung“ Dann G. 39: 
„Welches (ft aber nad) biefer neuen Theorie der Unter⸗ 
ſchied zwifchen ber Gattung, welche Gott, und zwifchen ber 
Gattung, welche ber Natur beigelegt wied? Der Unter: 
fehied befteht in dem Logifchen unb realen Allgemeinen, ober 
bort fol bie Gattung nur in ben Individuen, bier aber 
als reale Einheit wirklich fein, fo daß dort die Indi⸗ 
bibuen getrennt, hier aber die Merfonen durch die 
reale Einheit wie durch Klammern zufammengehalten wers 
ben.“ „Alfo gibt es immerhin, wenn auch feine Drei ge: 
trennte, fo bod) Drei verbundene Götter. Der Tritheismus 
ift alfo nicht widerlegt. Es wurde aber fion bewiefen, 
daß feine reale Einheit gegenüber der Dreiperfönlichkeit, 
wenn aud) damit verbunden, angenommen werden Tann, 
:ohne eine Quaternität zu behaupten.“ 
| Difchinger verfennt ganz den Sinn in unferer Be 
"Bauptung, „daß ber reale Gattungébegriff auf das Abſo⸗ 


der jpeculatinen Trinitätslehre 1c. δι. 


[ute gar nicht amvendbar ift.“ Er fagt: „Wie albern ift 
bie Behauptung, daß ὦ nur im Naturgeblet bie Gattung 
finde? Oder heißt nicht Gott und bie Greatur Wefen und 
Geijt und Berfon ?* Meint Difchinger wirflih, daß bie 
reale Gattung auch aufer der Natur ftatifinbe, bann. muß 
er auch den Traducianismus zugeben, und annehmen, daß 
bie Geifter erzeugt und nicht gefchaffen werden. Sa noch 
mehr: er muß dann ftatuiren, daß bie abfolute Eubflanz 
durch bie Defonderung in drei Individuen fid) differenzirt 
habe, woburd drei Theilganze entſtehen, b. b. drei ges 
trennte göttliche Individuen, in welchen die göttliche Gat⸗ 
tung als Immanenz ihre Grifteng bat. Denn wo reale 
wirkliche Gattung, ba ift Individualiſirung (reale Zertheis 
(ung unb Befonderung), weil nur fo bie Gattung wirflich 
wird und ift. Nun aber wiſſen wir, daß bas abfolute 
Princip in feinem Subjeetobjestivirungsprocefie in feiner 
Ganzheit fid entgegen- und gleichfegt, jedoch jedesmal in 
einer andern Dafeinsform, alſo fid) nicht inbivibualiirt; — 
daher aud) bie Hypoſtaſen nicht von einander getrennt, 
fondern in einander eriftiren, indem fie eben nur einen 
abfoluten Lebensorganismus bilden. Wie fann bann 
Difchinger und aurufen: wir hätten awar feine getrenn⸗ 
ten, aber drei verbundene Götter? Haben wir wohl je 
behauptet, daß der Vater, Sohn und b. Geift drei von 
einander unabhängige Weſen für fid) find? Conſtituiren 
fie nicht in ihrer Immanenz nur Ein 9Befen? Gags 
ten wir nicht felbft: es gibt drei immanente göttliche 
Factoren, . oder SBerfonen, welche im Weſen Eins find? 
Kann aber der reale Gattungsbegriff nicht auf Das 
Leben Gottes angewendet werben, fo fann man auch nicht 
behaupten, daß εὖ drei getrennte Götter gebe, da ja über« 
“θεοί. Quartalſchrift. 1950. 1. $eit. 6 





82 Kritik der Oiſchinger'ſchen Sfrinclpien" 


haupt die Gattung eine beliebige Mehrheit von Indivi⸗ 
buen befaffen Fann. Und nur daraus, weil dad abfolute 
Leben nicht als Gattungsproceß aufgefaßt werden Tann, 
ift es begreiflich: wie das Athanafiſche Symbol fagen 
fann: Ita Deus Pater, Deus Filius, Deus Spiritus s. et ta- 
men non ires Dii, sed unus est Deus. %ände aber ber 
Gattungsproceß Statt, fo gäbe εὖ drei getrennte, unb wenn man 
will, auch mehrere Gottheit⸗Individuen. Daher haben wir al« 
ferbing$ dadurch ben Tritheismus widerlegt gegen jene , welibe 
ber Kirchenlehre bie Behauptung aufbürben, daß nach ihr das 
Abſolute als Onttungsfubftang fich in drei getrennten Indivi⸗ 
buen verwirfliche, und fomit drei getrennte Götter bilde. 

Veberbaupt kennt Difchinger noch nicht den Unter⸗ 
ſchied zwifchen bem realen und dem fubjeetiven (bem [v- 
gifchen vber formalen) Gattungsbegriffe. Sn legterer Der 
ziehung laflen fid) allerdings verfchiedene Dinge unter einen 
gemeinfamen Ausbrud bringen. Denn fo ift wohl, wie 
Difchinger behauptet, Gott ein Wefen und der creatürlicye 
Gift aud), aber beffatb find fie bod) nicht von Eine 
Gattung, b. i. von derfelben Eubflanz durch Befonderung 
(Individualiſtrung) entftanden. Hier ift alfo nur das lo 
gif Allgemeine gemeint. Man fami auch nicht fagen, 
daß es eine allgemeine Geiftesfubftang gibt, welche fid) in 
bie einzelnen Menfchengeifter befonbert Bat und noch hinfort 
befonbert. Daß aber ber Geift Allgemeinbegriffe bilde, fonunt 
nur daher, weil er mit der Raturpfyche im Menfchen vers 
bunden if; e6 Dat baher ber Typus des Süaturlebené 
einen Einfluß auf fein Denken, ba er von demjelben ge 
wiffe Bormen entlehnt. 

Was aber den Alnterfchied zwifchen der Gattung, 
welche Gott, und zwifchen der Gattung, welche der Natur 








ber fpeculativen Trinitätölehre ic. 83 


beigelegt wird, anbelangt, den Difchinger uns aufbürbet, 
fo müfjen wir bemerfen, baf wir einen foldyen nirgends 
aufgeftelt haben. Denn die Gattung bat nad) unjerer 
Anfchauung ftet& nur in den Individuen und zwar in 
getrennten ihr Daſein; fie ift nur als ein immanentes Realr 
Allgemeines (durch bie Befonderung in ben Smpividuen), 
aber nie als reale tranfcendente Einheit (Monade) vore 
banden, ba fie fid) ja eben burd) bie Beſonderung real 
zertbeilt Hat. Deßhalb wiffen wir auch von feiner Gattung, 
welche Gott beigelegt wird. Denn nach unferer Auffaflung 
gibt es ja aufer den Perſonen feine Gottheit (Gattung), 
welche als reale Einheit beftehen und dann als folie bie 
drei Berfonen zufammenhalten würbe, wie eine Klammer. 
Denn die Dreiperfönlichkeit ift eben das abfolute reale 
Prineip, ober bag reale ab[olute Eine Wefen. Frage: we 
find wir dann wieder in eine Quaternität zurüdgefunfen ? 

d) Aber nun findet Difchinger, daß wir uns in der 
Durchführung unferer Resonftruction aud) des Modalismus 
fhuldig gemacht haben, da wir den Tritheismus wider: 
(egen wollten. Er fagt €. 43: „Wil Zufrigl, ber mit 
bem Sabellianismus den Tritheismus widerlegen will, 
beide überwinden, [o muß er bie Selbftpotenzirung und 
den theogonifchen Proceß perhorredeiren, der dem Refultate 
nach ganz mit ber hegel’fchen Dialektik zufammenfällt, wo: 
nach Gott nichts weiter, als dieſer Iogifche, fid in drei 
Regationen bewegende SBroce ift, ber Ausdruck, daß Gott 
als Say (Vater), Gegenfag (Sohn) und Gleichſatz (Deiliger 
Geift) in 2ebenóeinbeit eriftirt, ift ganz mobaliftifch; denn 
man fagt zwar Gott Bater, Gott Sohn, unb Bott heiliger 
Gift, aber nimmer: Gott als Vater, al& Sohn und als 
heiliger Geift, weil dieſes nur einen Modus Gottes aud; 

6 & 


84 ᾿ Kritit der Oiſchinger'ſchen Principien 


brüdt, wie die Ausprüde: ber Menfch als benfenbeó, als 
fühlendes u. f. w. mobaliftifch find.“ Difchinger meint 
demnach, daß wir und Gott in einer dreifachen formalen 
Zuftändlichfeit ober Erfcheinung oder Thätigkeit benfen; 
woburd) bie drei Hypoftafen als Selbftheiten aufgehoben 
find und wobei Gott al8 Einperfönlichfeit dreifach thätig 
it, indem er in ein breifaches Serbáltnig mit ber Welt 
als Schöpfer, Erlöfer und Heiligmacher eingeht, und dieſes 
dreifache Verhältniß fel dann bie Dreieinigfeit Gottes. 
Hier hat aber Difchinger vergeffen, daß wir früher 
ſtets von einer weſenhaften Entgegen» und Gleichfegung 
des abfoluten Principes gefprochen. Es find bemnad) Vater, 
Sohn und Heiliger Geift nicht bloße Thätigfeiten des Einen 
ihnen immanenten, abfoluten Brineipes, fondern reale Poſi⸗ 
tionen. Wie fann er und dann im Widerfpruche mit feiner 
frühern Anfchuldigung, bag wir eine Quaternität behaups 
ten, auch nod) Sabellianigmus und Modalismus. vor» 
werfen ? | ze 
Und enolih: warum follte man nicht fagen können: 
Bott eriftirt al Vater (Sag), Sohn (Gegenjag) unb δεῖν 
liger Geift (Gíeid)fag) in Lebenseinheit? Wer kann wohl 
von Gott ben verfchiedenen modus existendi negiren ὃ 
Sind die drei Hypoftafen etwas Anderes als bie drei vers 
ſchiedenen wefenhafte perfönliche Dafeinsweifen des abfolu- 
ten Principes, welche zufammen deffen Eine und felbe (weil 
nicht getrennt) Wefenseriftenz bilden? Damit ftimmt ja 
auch Peronne überein P. Diefer modus existendi Gottes 








1) Praelect. theolog. Vol. IV. pag. 269. Divinae personae non 
diversa, sed eadem existentia fruuntur, etsi modus existendi distinctus 
sit in qualibet persona; nec tres personae, proprie loquendo suni 
tria entia, sed idem ens divinum trina subsistentia donatum. 


der fpeeulativen Trinitätslehre c. 85 


ift bod) wahrhaftig nicht eins mit dem Modaliomus ber 
Häreſie. Denn nach Cimon'$ modaliftifcher Auffaffungs- 
weile der Trinität find ja Vater, Sohn und heiliger Geift 
bfoße Aeußerungs⸗ oder Erfcheinungsweifen, Formen ders 
felben einigen göttlichen Perfon (Epiph. Haer. 11, 2); nad) 
Eabellius aber nur trei Namen oder Erfcheinungsweifen 
einer und berfelben Perſon (Ev μιᾷ ὑποστάσει τρεῖς 0vo- 
μασίαι. Dann: Mia ὑπόστασις, τρεῖς ἐνέργειαι). 

Drum ift Difchingerd Anflage eine völlig ungerechte: 
daß wir den Tritheismug durch ben Modalismus zu wibers 
legen. fuchen. | 

Deßhalb Dufbigen wir nod) keineswegs dem Moda: 
líómud , wenn iir eine Analogie von ber Potenzirung 
gebrauchen, um dadurch anfchaulich zu machen, wie ein 
und baffebe abjolute Wefen fid) dreimal feßen unb infofern 
vervielfältigen und entfalten, und doch dabei Eins bleiben 
fann, weil bie Vervielfältigung eine immanente und das 
abfofute Brineip (bie reale Einheit) nicht real entzweit, 
fondern in der Eubjectobjectivirung in feiner Ganzheit 
gefeßt wird. Wenn wir hiezu das Beißpiel: Eins zur 
dritten Potenz erhoben, bleibe immer Eins, ungeachtet des 
breimafigen Multiplication —, gewählt:- jo wollten wir 
hiemit nur eine Analogie geben und nicht mehr, daher 
hieraus keineswegs einen ftringenten Beweis ableiten. 
Sagt aber Difchinger hierauf €. 42: Es „werben bier 


bie Berfonen gezählt, ber Vater und der Sohn und ber d 


heilige Geift, ober e8 greift bie Addition, nicht aber bie 
Muftiplication ober Botenzirung Plag“. Und bann: baf 
„Eins nicht zur dritten Potenz erhoben werben fónne.* 
„Bei Gott fónne von Feiner Erhebung — wohl aber Ents 
äußerung bie Nee fe“: fo ift unfere Bemerfung: Wir 


86 - Kritik der Difchinger'fchen Principien » 


wollten ja eben nicht ben Polytheismus begründen, fondern 
nur die dreifache reale Dafeinsweife des Einen und, felben 
abfoluten Brineipes Cin drei Hypoftafen) verfinnbilden. 
Deshalb fagten wir auch: das abfolute SBrincip auf ber 
erften Stelle heißt Vater, auf der zweiten Eohn, auf ber 
dritten heiliger Geift. Wenn aber Difchinger meint: bie 
abfolute Eelbftpotenzirung fei bei Gott. eine abfolute Un⸗ 
möglichfeit, und befbalb feien wir in ben Modalismus 
verfallen: fo ift es nur eine Gelbfttäufhung von ihm. 
Denn wer bat Gott wohl in's Dafein überfegt, als er 
jd) felbft? Wie follte nun eine Potenzirung nicht möglich 
fein, wenn Gott in der zweiten und dritten Entwicklungs⸗ 
und Dafeinsftufe mehr Beftimmtheit al& in der erften unb 
endlich in allen dreien feine volle Beftimmtheit erhält? 
Wenn aber Difchinger entgegnet €. 42 und 43: nad 
unferer Reconftruction „gibt e8 nur Entwidlungsftufen und 
Momente oder Eriftenzformen der Einen und ungetheilten 
Verfönlichkeit, aber nie drei Perfonen; denn bie Potenzi⸗ 
rungéform A, und A? unb 905 weift nur biefen Proceß 
nad), wodurs das Eine SBefen wächst unb fid) entfaltet. 
Tritt es in das zweite Stadium ein, fo ift bie erfte Form 
verfchwunden, und ift es im dritten, fo find bie zwei vor 
hergehenden nicht vorhanden. Von ba an aber freift có 
wieberum — bem jus und abnehmenden Monde vergleiche 
bat — zu A zurüd unb beginnt den Kreislauf von Neuem“: 
jo hat er ganz außer Acht aefaffen, bag nach unferer Recon⸗ 
ftruction des abfoluten Subjectobjectivirungsproceffes nicht 
blos formale, fondern wefenhafte Entwidlungsftufen (wirkliche 
Hypoftafen) eintreten müffen, ba wir ja flets eine wefen- 
hafte Entgegens und Gleichfegung des abfoluten Principes 
behaupteten, indem -fonft bie Idee der abfoluten Berfönlichs 


der fpeeulativen Trinitätälehre ac. 581 


feit gar nicht erreicht wird, wenn Gott fid) nicht als 
Bater, Sohn unb bi. Geift weiß. Deßhalb verfchwinden 
die. Entwidlungsftufen gar nicht, fonbern fte bleiben. Das 
abfolute Brineip muß allerdings auf der zweiten Entwick⸗ 
lungsſtufe eben zufolge beríelben zu einem andern perföns 
lichen Factor fid) conftituiren, als auf ber erften. Daffelbe 
gilt bann aud von der dritten Entwidlungsfiufe Um 
aber bie bleibende Subſtanz jeder Hypoſtaſe angubeuten, 
wählten wir bie Bezeichnung: 15 =1Xx<1X1=1. Nur 
wenn wir unfere Reconflruction allein auf diefe Analogie 
gegründet hätten, fónnte für Difchinger ein Zweifel ents 
ſtehen, ob wir nicht etwa bem Modalismus huldigen. 
Wohl find nad) unferer Anfchauung bie llebergangeformen 
des abjofuten Principes, b. b. beffen reale Entgegen» und 
Gicid)fegung nothwendig, damit e$ fich al& Sein fchlechthin 
wiffen fann, aber nur verfchwinbet feine, fonbern jede bleibt 
ftehen, weil jede poftulirt wird, ba zum göttlichen Lebens⸗ 
organismus unb zum abfoluten Selbftbewußtfein drei reale 
perfönliche Factoren gehören. Es find alfo die Formen 
permanent und nicht vorübergehende Erfcheinungen „ver 
Einen ungetheilten Perfönlichfei“. | 
Ebenfo bürbet uns Difchinger mit Unrecht einen ftetis 
gen Kreislauf eines mobdaliftifchen Lebensprocefies Gottes 
auf. Sft der abjolute Subjectobjertivirungsproceß Gottes 
von Ewigkeit fertig, wozu hätte er dann nöthig, denfelben 
zu wiederholen? Es fällt ja im Abfoluten bie DBerinnes 
rung mit der rcalen Hypoftafirung gufammen. Wir haben — 
demnach nicht Urfache, bie Selbfipotenzirung (bie Selbfts 
überfegung des abfoluten Seins in feine dreifache reale 
und perjónlide Dafeinsform) aufzugeben, wenn wir ben 
Eabellianismus überwwinden wollen. Denn unfere Botenzis 





88 Kritik der Difchinger'schen Principien 


rung des abfoluten Prineipes ift eine bleibende, wejenhafte 
fBofition, verbimden mit Wachsthum in ber Entfaltung, 
da ſelbes ja in ber Entgegenfegung zugleich fein Eein real 
ſchaut, unb in der Gleichſetzung eine reale llebergeugung 
von ber Sbentitát beà Giegenjapeó mit fid), al8 bem Principe 
(Cape) gewinnt. 

e) Nun prüft Difchinger unfere Reconſtruction in 
Betreff des SSerbáltnijje8 ber Perfonen zu einander, und 
jebt entbedt er fogar darin einen verborgenen neun⸗ oder 
zwölfperfönlichen Gott. Er bebucirt dies €. 44 alfo: „brei 
SBerfonen find nur dann vorhanden, wenn eà drei erfennenbe, 
wollende und thätige Selbftheiten gibt. Es ergibt fid) 
daher, daß ber Eine Eelbftbewwußtfeinsproeeß fi mit ber 
Dreiperfönlichfeit nicht verträgt. Denn da jede Berfon einen 
Selbitbewußtfeinsprocch zu befteben hat, fo muß das, was : 
Zufrigl von dem Gelbftbewußtfeinsproceß des Abfoluten 
überhaupt fagt, auch von jeder göttlichen Perfon gelten. 
Wenn nun Zufrigl hier drei Dafeinsweifen nach ber Ana⸗ 
Iogie des menfchlichen Selbftbewußtwerdend, refpretive brei 
Perſonen entftehen läßt, fo müflen, da jede Perſon einen 
folhen Proceß durchzumachen hat, neun oder zwölf folcher 
unnennbaren Broducte entftehen, je nachdem man das abfos 
[ute Princip dazu rechnet ober nicht. Es entwidelt fid) 
alfo ein neun» oder zwölfperfönlicher Gott“. Hierauf ἐξ 
unfere Entgegnung: Wir nannten die Hypoftafen (Goef» 
ficienten) im Subjectobjectivirungsproceffe des Abfoluten 
auch reale Momente unb dieß keineswegs ohne Grund. 
Hätte Difchinger den Sinn dieſes Wortes bedacht, fo 
τοῦτος er nicht gejagt haben: „da jede SBerfon einen Selbft: 
bewwußtfeinsproceß zu beftehen hat, fo muß das, was Zufrigl 
von dem Eelbftbewußtfeinsproceffe des Abſoluten überhaupt 





der ſpeculativen Trinitaͤtoͤlehre ic. 89 


fagt, auch von jeder göttlichen SBerfon gelten“. Difchinger 
vergaß fid) hier zu fragen: Warum und wozu foll beim 
ein Moment (Eoefficient) im Proceſſe des Abfoluten, wenn 
es auch ein reales Moment (Hypoftafe) ift, ben ganzen 
Proceß des Abfoluten wiederholen, als ob εὖ fcin Moment, 
fondern das abfolute SPrincip felber wäre? Sft. denn bie 
nidjt gegen alle Borausfegung? Was vom Principe (von 
der Gottheit) als folchem (Anfichfein) gilt, Tann nimmer 
von jedem Momente, wenn cà auch principielles Kürfichfein 
ift, gelten, da fonft dieſes zu jenem, b. D. das principielle 
Sürfich (ber Coefficient) zum  principielfen Anftchfein ges 
macht würde. Sft aber dieß richtig, fo fann Difchinger 
und nimmer mit Grund vorwerfen, bag unfere Recons 
ftruction zu einer Neun » ober Zwölfperfönlichfeit des Ab⸗ 
foluten führe. Es ift bier wohl zu merfen: das formale 
Dewußifein der einzelnen Hypoftafen im Leben des Abfolus 
tn im Gegenfape zur Geneſis derſelben (reales Celbft» 
bewußtfein fonft aud) von und genannt) ift blos eine 9te« 
confiruction oder DVergegenfländigung des abgelaufenen 
Procefies. Denn ein formaled Selbftbewußtfein fommt ja 
sur dadurch zu Stande, daß ein Realprineip feine Thätig> 
feiten auf Sich als Baufalität bezieht, b. b. Sich ale das, 
was: ed. bereits ift, erfaßt. Sene Thätigfeiten find nun 
aber theils reale Emanationen, theils Relationen (Wechſelbe⸗ 
ziehungen), in welche eben die Principe (Hypoftafen als 
emanirende und emanirte) zu einander getreten, weil fte 
ja lebendige find und bleiben. Auf biefe Weife werden. 
bann bie realen Gefchiedenheiten zu formalen Unterſchieden, 
bie jedes Princip oder jede Hypoſtaſe an ihm felber trägt 
und befikt. 

Wenn aber Difchinger weiter fortfährt €. 46: „Es 


90 Kritik der Difchinger'fchen Principien 


muß der Vater, welcher das Object für ten Eohn ift, 
auch zugleich bie Veräußerung und die Setzung des Eohnes 
fein“; fo ift dieß allerdings wahr, aber nur in einem andern, 
b. 5. formalen Sinn. Denn wie das Abfolute durch ben 
Sohn (Object) zum Vater (Subjeet) wird, fo wird aud) 
umgefehrt ber formalesfubjective Bater zum formalen Objecte 
des Eohned._ Diefer fept den Vater mit, ber ja ohne 
Sohn blos SDrincip bliebe, und dieſes Mitfeben wird aud) 
vom Sohne erfaßt, b. ἢ. formal gefegt. Der Sohn (Gegen: 
fag) fann fid nicht als folchen benfen, erfennen und wiflen, 
ohne zugleich den Vater als reale Lebensbedingung von 
feinem Dafein vorauszufegen, infoferne (ft demnach ber 
Vater eine formale €cgung vom Sohne. Die Eekung des 
Vaters ift als angefchaute (veräußerte und gefegte) vom 
Sohne fonder Zweifel bie That des Anſchauenden, b. f. 
eben die Gegung tes Sohnes. Aber diefe Anſchauung ale 
formaler Broceß kann nimmer den realen Broceß zur Nach⸗ 
fegung, fondern muß benfefben zur Borausfegung haben. 
Wie das formale Selbftbewußtfein der einzelnen Hypoſtaſen 
fid) bildet, ift ein anderer Proceß (weil blos logiſcher = 
Bergegenfländigung = Reconftruction), als der genetifche 
des realen Selbftbewußtfeine. Sener formale Broceß muß 
f nothmwendig nad) andern Kategorien und nach: einer 
andern Analogie conftituiren, als fegterer, ba ja ein ans 
derer Zwed zu erreichen ift. Bei bem realen Gelbftbe, 
wußtjeinsproceffe des abfoluten SBrincipe& muß die Mög- 
lichkeit einer Wefenfchauung conftruirt werden, daher die 
Nothwendigfeit der realen. Hypoftafirung , da eben ba$ 
Eharafteriftifche des abfoluten Selbftbewußtfeinsg darin bes 
fteht, Daß das abfolute Princip fein Wefen ſchaut, alfo nicht 
blos formal fein Sein weiß, wie ber bedingte creatürliche 


ber fperulativen Trinitätälehre ic. 91 


Gif. Bei tem formalen Gelbftbemuftieinéproceffe Dagegen 
it tie Möglichkeit aufzuzeigen, wie jede einzelne Hypoftafe 
fif als abfolutes 9Befen wiſſen fónne (ober wie fie zum 
Eubjeete wird) unb bann zugleich in feiner eigenthümlis 
Gen Dafeinsform (id erfaffe, ober wie fid) jede formal 
von den andern felbft unterícbeibe. Mithin ift bier nur 
formale, aber nicht emanirenbe Thaͤtigkeit. 

SR jedoch ber Broceß der wefenbaften Entgegen ^ und 
Gleichſetzung nur für das abfolute Princip nótbig, fo folgt 
aus unferer Reconftruetion keineswegs, wie Difchinger 
€. 46 meint, daß ber Sohn unb der Heil. Gieift ob dem 
Mangel dieſes ganzen Proceſſes zu bloßen Erfcheinungss 
oder „Bewußtfeinsmomenten“ ber Einperfönlichkeit des Vaters 
herabfinfen. Der Sohn ift ja das buplicirte oder coms 
municirte Eein des abfoluten Brincipes, alfo ein wefens 
bafter göttlicher Lebensfactor. Und baffelbe gilt auch von 
dem heil. Geifte, ba diefer der reale doppelte Ausgang ift. 
(ὁ ift fonach nicht blos eine einzige SBerfon (der Vater), 
fondern auch ber Sohn und 5. Geift find wirkliche Perfonen. 

f) Weiter bemerft Difchinger S. 46 und 47, daß wir 
die Behauptung aujftelfen: man folle ven abjoluten Subject» 
vbjectivirungsproceß Gottes nicht nach der Togifchen Analogie 
des menfchlichen Selbftbewußtfeins conftruiren, unb bod) bes 
folgen voir diefe Regel felber nicht, ba wir bie Dreiperföns 
lichkeit mit den logifchen Elementen ibentificiven, indem wir 
den Bater als Sag, den Sohn ald Gegen(ag; unb ben b. Geijt 
als Gleichſatz bezeichnen. „Es ift aber Mar, daß alle drei 
Glieder zufammen nichts Anderes, als der logifche Aus⸗ 
brud von einem wirklichen Sage find. Wo ift hier ein 
llebergreifen über das logifche Denfen? Mag „Zufrigl“ 
auch bicíe drei Momente noch mit dem Eelbftbewußtfein 


92 Kritik der Difchinger’fchen Princhpien 


verbinden, fo gelangt er nicht weiter, ald zu einer Analyfe 
des felbfibewußten Ich. In biefem falle ift ber Gag das 
Borftellende, ber Gegenfag das Borgeftellte, und endlich 
ber Gleichfap das in biefem fid) einheitlich erfennende 
Sch, ober vielmehr ein und baffelbe Ich, foferne es fid) 
feibft denft“. Allein Difchinger irrt, wenn er meint, wir 
haben deßhalb unà „über das reflexive Erkennen nicht ers 
hoben“, weil wir den Vater Eag, den Eohn Gegenfag 
und den heil. Geift Gfeidjfag nennen. Denn nad) unferer 
Anfchauung find ja Gag, Gegenfag und Gleidfag nicht 
etwa blog formale Bewußtfeinsmomente (— Borftellendes 
-- Vorgeftelltes + das fid) als Einheit zwifchen. beiden 
erfennende Ich — Vorftelung), fondern reale, alfo weiens 
bafte Hypoftafen. Wir bemerften ja, daß bie logifche Ana» 
logie des menfchlichen Selbftbewußtfeins nur eine Anwen⸗ 
dung finden fann auf den actuellen. forınalen Eelbftbewußts 
feinsproceß der Hypoftafen, fomit hat unfere Reconftruction 
nicht blos eine „einzige SBerfon* zur Folge Es ift bem: 
nach ganz unrichtig, daß wir mit -ben Bezeichnungen ber 
Hypoſtaſen als Sag, Gegenſatz und Gleichſatz nichts Andes 
res, als bie logifche Analyfe des felbftbewußten Sch ge- 
winnen. Denn nad) unferer Anficht ift ja der Gegenfag 
im realen abfoluten Eelbftbemußtfeinspreceffe nicht etwa 
blos die gegemübergeftellte Vorſtellung des Ich's be8 ab: 
fofuten Principes (des Sapes), fondern ein wefenhaftes 
Object, welded cben deßhalb durch bie Relation (auf ben 
Bater) zur Perfönlichfeit wird. Difchinger hat unjere Re: 
conftruetion nichts weniger, als vollfommen aufgefaßt; 
denn fonft würde er darin: bag wir den Vater Cag, den 
Sohn Gegenfap, und dei h. Geift Gleichſatz nennen, etwas 
anderes, als bie böchfte (eere Abſtractheit erfannt haben. 


ber jpeculativen Trinitätölchre ic. 93 


Es ift ibm noch nicht bie Idee Har, daß bie Momente: 
Sag, Gegenſatz und Gleichfag in dem Gubjectobjectiviz 
rungsproceſſe eines jeden Lebensprincipes vorfommen , und 
zwar als notwendige fid) einftellen, und daß felbe quati 
tativ verfchieden fid) bei Gott und der Ereatur geftalten 
müſſen. | 

g) Allein, fährt Difchinger fort: auch die vorgefihla- 
gene Analogie des genetifchen Selbſtbewußtſeinsproceſſes 
des menfchlichen Geiſtes rechtfertigt unfere Reconftruction 
der Trinität nicht. Und wie fo? „Nehmen wirt, fagt 
er ©. 78, „auf das Eelbftbewufitwerden, alfo nicht auf 
den Selbſtbewußtſeinsact Rückſicht, fo fann wohl bei 
relativen, aber nimmer bei dem abfoluten Weſen ein folches 
Setbftbewußtiwerden angenommen werden. Denn zu Diefem 
wird erfordert, daß ein felbftbemugter Geift auf ben nod) 
bewwußtlofen, wenn auch fihon innerlich lebendigen Geijt 
einwirfe, und ihn zur peripherifchen SBetbátigung vermöge. 
Wo ift aber bei Gott jener Geift, der ihn in biefen Proceß 
verfegt? Aber da entgegneft Du mir: Gott verfet fich 
fetbft in dieſen SBrocef ; ich vagegen antworte Dir: wenn 
Gott ſich ſelbſt in den Proceß verſetzt, ſo iſt er bereits 
tbátig; wozu alfo noch dieſes in Thätigkeit Setzen ?« 

Allerdings ift Gott thätig, wenn er fid in den reafen 
GSubjectobiectivirungsproceß verfeBt; denn als ein ſchlecht⸗ 
bin ift er auch Beftimmen durch Sich, aber nur fällt biefe 
Thätigfeit eben zuſammen mit feiner differenzirenden Thaͤ⸗ 
tigfeit in der realen Entgegens und Gleichfegung, babet 
fann man nicht fagen, daß Gott thätig ift vor feiner Difs 
ferenzirung; bat aber diefe begonnen mit feiner realen 
Hypoftafirung, fo ift mit derfelben fein abfoluter Selbſtbe⸗ 
wußtfeinsproceß noch nicht vollendet, deßhalb ijt cin neues 


94 Kritik der Oiſchinger'ſchen SBrincipien 


in Thätigkeit Segen αἱ nothwendig wohl begründet. Denn 
es läßt ji bei bem abfofuten Subjertobjectivirungsprocefie 
Gottes unterfcheiden zwifchen feiner emanirenben und fors 
malen Thätigfeit. Letztere kann erft nad) ber erfteren eins 
treten. 90r der Differenzirung fann aber Gott al8 uns 
beftimmtes Sein nicht als thätig gedacht werden, fondern 
nur mit ber Beflimmung zur Thätigkeit. Da aber Gott 
Cein ſchlechthin ift, fomit Beſtimmen und Wiflen durch 
Cid) allein, fo ift er auch von Ewigkeit bifferenzirt, und 
fomit auch tbátig. So mie anderfeits das abfolute Princip 
erft dann wahrhaftig Gott ift und genannt werben fann, 
. wenn εὖ burd) feine vollbradyte Differenzirung feine volle 
Deftimmtbeit in der BDreiperfönlichkeit erreicht hat. Sg 
aber das abfolute SPrincip von Ewigkeit burd) Sich bif: 
ferenzirt, fomit ein beftimmtes Sein, fo ift εὖ aud) von 
Ewigkeit Bott. Es gibt demnach allerdings ein Selbſt⸗ 
bewußtwerden Gottes, aber nicht in relativer, fondern, in 
abfoluter Zeit. Nun wiffen wir, daß die Schheit = Selbſt⸗ 
bewußtfein, b. b. fid) wiffendes Sein; bie Perfönlichkeit 
dagegen das fid als felbftbewußt bethätigende Sein ift, 
daher fónnen wir fagen: jede Hypoſtaſe ift. perfönlich, weil 
fie im Zumalfein mit den andern ftd) als das betbátigt, 
was fie ift, b. D. felbftbemuft. Doch folgen Selbſtbewußt⸗ 
fein und Gelbflbetbátigung in abfoluter Zeit aufeinander, 
b. f. fie fallen zufammen; fe wie auberfeitó bie Eelbftbes 
thätigung der felbftbewußten Hppoftafen urjprünglid) nur 
innerhalb des abfoluten Lebens vor fid) geht. 

Diichinger gibt uns auch zu verftehen, als hätten wir 
den Begriff ber Verfönlichkeit bei den göttlichen Hypoſtaſen 
nicht erfchöpft, und bieg in Folge unferer einfeitigen Auf 
faffung der Perfönlichfeit des Menfchengeiftes, als bios 


der ſpeculativen Irinitätslehre ic. 95 


fid) wiflendes und als ſolches beihätigendes Sein; da wir 
blos das Sichwiſſen bderfelben, aber nisht auch zugleich 
ihre Eelbftunterfeheidung von einer fremden Berfönlichfeit 
geltend machen, und ſelbe aufzeigen innen. Er fagt &. 49: 
„Vielmehr gelangt an dem Du der Menfch zum Ich unb 
it nur fo perfönlich, daß er fid) zugleich von einer zweiten 
Perfönlichkeit unterfcheidet. — Er ift nicht allein wiflend, 
fondern zugleich wollend. Hier erftredt fid) alfo das Ber 
wußtfein viel weiter, als auf das bloße Celbftmifien, fonbern 
ed enthält in fid) auch bie Thätigfeit auf das Du, unb bie 
lebendige Beziehung beider.“ 

Allein war außer Gott fein Ecin vor ber Weltfchöpfung, 
fo muß er fid) durch Sich ind Selbftbewußtfein verfegt und 
zur Dreiperfönlichfeit geftaltet haben, baher hatte er auch 
nicht nótbig, urfprünglich fid von einer fremben Berföns 
lichfeit zu unterfcheiden. Aber befen ungeachtet ift in Gott 
tod) eine Selbftunterfrheldung der PBerfonen von einander, 
ba ja alle zugleich, in Folge bed ewigen Procefles, coexiſti⸗ 
ren. Denn fo erfennt und weiß fid) 3. B. ber Vater nicht 
blos Eins int Wefen mit bem Sohne und Db. Beifte, ſondern 
er unterfcheivet fid) auch in der Relation von benfelbein, 
und erkennt (id) fo als Nicht-Sohn unb Nicht⸗h. Gift, 

Die Geneſis des Eelbftbewußtfeins unb bie Celbft; 
bewußtfeinsthätigfeit confunbiren wir. aber keineswegs, 
was Difchinger €. 48 an und rüget, fondern aud) wir 
unterfcheiben beide, fowohl bei bem creatürlichen Gieijte, 
ale bei Gott. Denn bie Genefis des Eelbfibewußtfeins bei 
dem endlichen Geifte ift bedingt von der Einwirfung eines 
andern felbfibewußten Geiſtes, wodurch die Differenzirung 
in Receptivität und Epontaneität gefchieht, welche er fos 
tann auf Eich bezieht, wodurch er Sich ald Sein, Träger 


96 Kritif der Oiſchinger'ſchen Principien 


und Cauſalität diefer Erfcheinungen erfennt, und fomit ein 
fichwiflendes Sein (Ich) wird. Bon nun an beginnt bie 
Seldftbewußtfeinsthätigkeit. Jetzt ijt allerdings feine Dif- 
ferenzirung mehr. nöthig, noch eine Einwirkung von Außen 
zur Wedung des Selbftbewußtfeind. Und ebenfo ift in 
Gott die Hupoftafirung (die Geneſis des realen Selbft- 
bewußtſeins) unb dann ber formale Selbſtbewußtſeinsproceß, 
jowie die actuelle Selbftbewußtfeinsthätigfeit der einzelnen 
Hppoftafen zu unterfcheiden. Bei dem creatürlichen Geiſte 
geht das Sein voraus, und das Sichwiflen folgt erft fpäter 
nad. Bei Gott aber ift das Eein mit dem Sichwiſſen 
coincibent. 

Difchinger fagt €. 48 und 49: „Man fann nur nad) 
der Eelbitbewußtfeinsberhätigung, aber nimmer nad) der 
Eelbftbewußtfeinsgenefis das abfolute Selbftbewußtjein res 
conftruiren.“ Und warum nicht? weil nad) Difchinger in 
Gott Fein Werden denkbar if. ,llebrigenó* fügt er hinzu, 
„bleibt fid) Zufrigl nicht conftant, fondern er redet bald 
von dem Selbftbewußtfein, bald von dem Selbſtbewußt⸗ 
werden.“ Wir haben jedoch das abfolute Werden erwiefen, 
daher ift bie Reconftruetion nach der Geneſis des Selbft- 
bewußtfeins nicht unmöglich. Wir meinen aber: man 
fónne anf beide Analogien, auf bie Geneſis des Selbft- 
bewußtfeing und auf bie Selbftbewußtfeinsbethätigung Rüd- 
fit nehmen, nad) der erfteren das reale abfolute Gelbfts 
‚bewußtfein Gottes (die Hypoftafirung) und nach ber zweiten 
das formale Selbftbewußtfein der einzelnen Hypoſtaſen (wie 
ἐδ fid) jegt fort unb fort vollzieht) reconftruiren, bod) mit 
ſtetem Hinblid auf ble Realiſirung ber Idee des abfofuten 
Selbftbewußtfeind. Diefe unterfcheidende Rüdfichtnahme 
bei unſerer Reconftruction legt Difchinger uns als ein 





bet fpecufatiben. Xxinttatelefee ac. 97 


Hin s und Herſchwanken zwifchen beiden zur Saft Hätte 
Difchinger biefe Ruͤckſichtnahme beachtet, fo könnte er nicht 
fragen ©. 50: „Wie follte bei Bott eine Veräußerung, 
bie nur in folge ber Einwirkung eintritt, und damit eine 
Berinnerung möglich fein?“ Allein eben deßhalb fagten 
wir: wollen wir bei Gott die Beräußerung (Objectivirung) 
begreifen, (o dürfen wir nicht bie Togifche, fonberm bie 
genetifche Analogie des menfdjliden Selbfibewußtfeins zu 
Grunbe legen. Wenn aber Difchinger ausruft: Wie foll 
bei Gott eine Veräußerung möglich fein, ba biefe nur (n 
Folge einer Einwirkung von Außen eintreten fann: fo hat 
er gar nicht bedacht, daß Gott, wenn er das Sein fchlechthin 
ift, aud) das Beftimmen bird) Sich fein müffe, mithin 
gar nicht ber Einwirkung von einem fremden Sein bebürfen 
fann. Und fann ein Realprincip nur durch Selbftobjectivie 
tung zu feiner Eubjertivität gelangen, fo ift bie Veraͤuße⸗ 
rung aud) bei Gott nöthig, wenn er feine abfolute Sub; 
jectivitaͤt burchfegen ſoll. 

Doch Difchinger geht noch weiter, S. 50 bemerkt 
er: „Gehen wir auf bie einzelnen Momente (des tbeogo» 
nifchen Proceſſes) über, fo finden wir auch bier bie Barallele 
unrichtig durchgeführt.“ Hierauf ift aber zu erwidern: 
Der abfolute Lchensproceß wird nimmer durch die Analogie 
(allein), fonbern burd) Eontrapofition, weil Negation alles 
und jedes ereatürlichen Lebensproeeſſes, des logiſchen wie 
des ideellen, erfchloffen. Jenes Analogifiren des abfoluten 
Selbſtbewußtſeinsproceſſes mit dem relativen ift nur ein 
begriffliches Verfahren mit ibeellen Erfenntniffen, zu welchen 
nun einmal der Menfch a(6 Synthefe genöthigt ift, daher 
nur fecunbár am Gotteögedanfen, ber primär burd) das 

Sel. Duartalſchrift. 1860. 1 Grit. 04 





98 Sxitit bet Oiſcingerfſtchen Prinzipien 


gerade Grgentheil der Analogie, durch Gontrapofttton (abſo⸗ 
[ute 9tegatton des creatürlichen Ichgedankens) gewonnen wird. 

Deshalb fagten wir auch: der Typus der Genefls 
des menfchlihen Selbftbewußtfeins fónne nicht unbedingt 
und nicht ohne wefentliche Modification auf das Leben 
Gottes übertragen werden. Der . abfolute Selbſtbewußt⸗ 
‚feinsproceß involvirt drei Gocfficlenten (ober Elemente): 
ba$ entgegenfegenbe, bann: das entgegengeleßte, und end⸗ 
lich: das. gleid)gefegte abfolute Prineip. Wir nennen biefe 
Goeffícienten oder Elemente auch reale Momente, weil ffe 
ben Einen abfoluten Lebensorganismus confituiren, und 
qufammen die abfolute Perſoͤnlichkeit. 

Die Entgegen: und Gleichſetzung des abfofuten Prineipes 
(ft feine Veräußerung. Wir fehen alfo, daß εὖ im abfoluten 
Subjeetobjectivirungsproceffe zwei Stufen ber Cutwidfung 
gibt: Veräußerung und Süerinnerung. Die Veräußerung 
enthält die Acte der wefenhaften Entgegen » und Gleich: 
fegung, wo bie Thefis fdjon vorausgefegt ift. Die Vers 
innerung dagegen enthält bie Acte der formalen Gelbft; 
bewußtfeinsbethätigung aller drei Hypoſtaſen. 

Nur infoferne ift. zwifchen dem abfoluten und bem 
relativen Eubjertobjeetivirungsproceffe allerdings eine Aehn⸗ 
lichkeit, daß fowohl bei bem erften, als bei dem zweiten 
eine Veräußerung (Öbfectivirung) und Verinnerung (Gub. 
jeetivirung) eintritt, wobei bie Elemente (oder anders: 
Momente): Gat, Gegenfag unb Gleichſatz vorfommen. Aber 
die Veräußerung und Berinnerung wird in beiden qualitativ 
verfchieden fein, da ja die Principe qualitativ verfchieden 
find. Darum find dort wefenhafte Objeetivirung unb reale 
Elemente (ober. Momente), bier dagegen nur formale Ob⸗ 
jeetivirung und eben ſolche Elemente (oder Momente). 





der fpecufattoem. Zrinttätälchte δεν 90 


Dort conftituirt fi bei der Verinnerung eine Dreiperfön- 
fichfeit, bier dägegen nur eine Einperfönlichkeit. 

h) Indeß Difchinger findet in biefer Debuction nichts 
als Widerfprüce, da er bie Sbee des abfoluten Selbſt⸗ 
beiwußtfeind noch nicht gewonnen hat. Deßhalb fann er 
ἐδ auch micht begreifen, warum gerade bei Gott die Selbſt⸗ 
obfjeetisirung und die Identität (Gleichſatz) zwiſchen bem 
abfoluten Subject (Sag) und Object (OegenjaB) eine reale 
(*oefenbafte) fein müfle Und daher findet er als legte8 
Refultat feiner Kritik, bag unfere Reconftruetion zu nichts 
weiter leitet, als: bag bie drei göttlichen Perfonen blos 
drei Acte find. Denn ©. 51 und 52 fagt er: „Ohne 
neuen 9Biberfprud) Bringt εὖ biefe Theorie au nichts ea» 
fem. Denn bei bem Menfchen ergeben fid) Wete, eigentlich 
Momente, Erfeheinungen genannt; bei Gott aber fol dag, 
was bei bem Menfchen ein Net ift, eine Subftanz fein. 
Denn nur fo ſcheint die Dreiperfönfichkeit gewonnen werden Ὁ 
zu können.“ 

Run meint er aber S, 53: „Soll das relative Bes 
wußtfein das Steconftructionépríncip für das abfolute bils 
"ben, fo muß fid) eine volifommene Parallele ergeben, bei 
weicher bie Verſchiedenheit nicht ausgefchloffen ift. Diefe 
fann fich aber nicht foweit erfiteden, daß bier ein anderes 
Glied oder eine durchaus andere Relation eintritt. Die 
Barallefe ift taber aufgehoben, wenn bei Gott fubftantiafe, 
bei den Menfchen dagegen phänomenifche SBtobucte anges 
nommen werden. Denn wenn auch bie Bethätigung Got 
te eine wefenhaftere ift, als bie menfchliche, fo ift fie 
bod) im Verhaͤltniſſe zur fid) entäußernden Subftanz nicht 
weienhafter, al& ber Aet des Menfchen in Bezug auf feine 
Subſtanz, und bleibt folglich ein Het. Die Barallele wird 

1% 


100 Kritik der Difiginge fen. SBrineiplen 


daher aufgehoben, wenn tort. eine Gubftanjfegung , bier 
eine pure That angenommen wird.“ — ©. 54: „Nichts 
zu fagen davon, daß fie („die Perfonen“) nut drei Mete 
find; denn richtig durchgeführt, Teitet bie — Analogie 
nicht weiter.“ 

Hätte Difchinger mehr erwogen: daß der ctreatuͤrliche 
Geift fic bei feiner Differenzirung nur aus der formalen 
Erfcheinung als Sein erfaßt und weiß, aber dieſes Sein 
nimmer real zu fdjauen vermag, unb ba eben befbalb 
feine Berfönlichkeit eine unvollendete und bedingte ift, fo 
würde er bald bie 9iotbwenbigfeit der Aufhebung jener 
vollfommenen Parallele erkannt haben, da ja biefe Ber 
fhränftheit (Negativität) bei Gottes Eelbftbewußtfein meg: 
fallen muß, wenn ed wahrhaft ein abfolutes fein fol. Denn 
erfaßt fi Gott auch nut aus der formalen Erfcheinung 
als Sein, fo hat er vor ber creatürlichen Berfönlichfeit des 
Menfchengeiftes gar nichts abfolut Charakteriftifches voraus, 
unb feine PBerfönlichfeit hat durchaus nicht die Unbedingtheit 
und Vollendetheit erreicht. Daher {8 unfere Behauptung 
nidjté weniger als gewagt: Soll Gott fid) als Sein fchlecht- 
hin wiffen, fo muß er auch fein Wefen real fdjauen, ba 
nur fo eine volftändige Selbfterfaffung unb Selbfterfenntniß 
gegeben ift. Sft aber dieß gegründet, fo ift auch bie weſen⸗ 
bafte Eelbftobfectivirung und wefenhafte Identität Gottes 
in feinem Selbftbewußtfeinsproceffe, wie fie unfere Recons 
firuetion aufftellt, gerechtfertigt. Hiemit Baben wir aber 
feineswegs etwa bie Acte des menfchlichen Selbftbewußts 
feins hypoſtaſirt. Denn die realen Elemente (oder Momente) 
poftulirt nicht bie Analogie des menfchlichen Selbftbewußt: 
feinsproceffes, fondern bie Idee des vollfommenen unb fo: 
mit des abfoluten Selbftbewußtfeins. Deßhalb [affen fi) 





bei fperulatioen Trinitatelehre sc. 101 


Difdinger'é Einwendungen, welche er €. 53 erhebt, nod). 
immer löfen. „Gott (vl. fid) fubftantial fegen ober vers 
boppeín unb fo ber Cat (SBater) und ber Gegenfag (Cohn) 
enifteben. — Man fieht daher, daß fid) das abfolute Princip 
zugleich in bemfelben Acte af Bater und Sohn fegt. Diefes 
iR aber in der Wirklichfeit nicht möglich, fondern ift nur 
die Analyfe der einen Handlung, welche einen Setzer unb 
ein Gefegteó erfordert.“ Frage: wie [oll das nicht möglich 
fein in der Wirklichkeit? So lange das abfolute Princip 
fib nicht bifferengirt hat, ift e8 wohl ber potentielle Vater, 
aber noch nicht der wirkliche. Denn erft, nachdem das abfolute 
Prineip fid im Sohne objectivirt hat, wirb es zum wirt» 
lihen Bater. Bor der Zeugung ift ber Menfch bod) nicht 
Bater zu nennen? — Nun aber nach der realen Eintgegens. 
fegung des abfoluten PBrincipes ift fonder Zweifel ber (wirks 
lide) Bater und Sohn gegeben. Zur Entgegenfebung 
bedarf ἐδ allerdings nur Eines Actes; denn das abfolute 
Princip ift ja bereits (als Thefe), e8 braucht nicht erft 
gefept zu werden. Somit ift bier nicht bloß eine „Iogifche 
Analyfe der einen Hantlung, welche einen Setzer und ein 
Geſetztes erfordert.“. Es ift hier ein realer Proceß, welcher 
in der & rift mit den Worten au&gebrüdt ift: „Du bift 
mein Sohn, heute babe ich bid) gezeuget.“ I. Pſ. 88. 7. 
Dann: „Gleichwie der Bater das Leben in (id) felbft hat, 
alfo bat er auch bem Sohne gegeben, das Leben in (idy 
ſelbſt zu haben.“ Sob. 5, 26. 

Wir nannten den Proceß ber Berbopplung (Objectivi⸗ 
rung) .im erften Abfchnitte unferer ftritif auch eine abfolute 
Befenamittheilung. Allein biefer Ausprud ift nicht fcharf- 
genug, und barf deßhalb nicht premirt werben, da er leicht 
um Mißverſtaͤndniſſe leiten könnte, ald ob bie Weſensmit⸗ 


402 Ri be Olfäiinger'fäpen Brincpien 


theilung im abfoluten Lebensprocefle eine Wefenstheilung 
vorausſetzen würde. Dieß negiren wir aber, weil baé 
JV. Goncil von Lateran fagt: „substantia Patris indivisibilis." 
Hier liegt der Grund, weßhalb wir ſtatt: Wefensmittheilung 
auch den Ausdrud: Verdopplung der abſoluten Subſtanz, 
oder Potenzirung gebrauchten. Denn im Sohne iſt die 
abſolute Subſtanz ganz und zwar in der Form des Gegen⸗ 
ſatzes, alſo nicht theilweiſe. Allein hier bemerkt Oiſchinger 
€. 53: „Zukrigl geht aber noch weiter, indem er. vom 
Ga&e und Gegenfage fpricht, und abforbirt bie fegende 
Subjectivität, indem er fie zum Gage begradirt.“ Dieß 
ift nur Difchinger’s Erfindung. Denn nach unferer Ans 
fchauung fann das abfolute Prineip vor feiner Differenzis 
rung gar nicht Subjectivität genannt werben, ba «6 nod) 
reines (unbeftimmtes) Sein (ft, daher haben wir felbes 
auch nicht feiner Subjectivität beraubt und fo gleichlam 
begrabirt. Das abfolute Princip wird ert zum .Eubjecte 
(Bater) dur bie reale Entgegenfegung (Zeugung) im 
€obne (dem Objecte). Darum tritt auch erſt nach ber 
Differenzirung das wahre, wirkliche Leben im Abfoluten 
ein, bei welcher bie Spontaneität die Grunbibütigfeit ift. 
Allein weil bie Differengirung Gottes von Ewigkeit ger 
fhehen, fo muß man fagen: Gott if in ber Wirklichkeit 
bas lirleben unb Lirfelbftbewußtfein. Und weil ferner bie 
Monaden (Bater, Sohn unb heil. Gieift) Momente eines 
abfoluten Procefies id, fo fanm man aud) fagen: taf 
fie zumal thätig, und aufeinander angetotefen ſind. Snfos 
fern ift Gott bie lirtbütigfeit. Die Angewieſenheit ber 
Hopoftafen aber ift bie Angewiefenheit des Abfoluten auf 
fid felber. Allein befungeadotet bleibt bie Ordnung und 
Glieberung ber einzelnen Hypoſtaſen im abjoluten Lebens: 





ber ſpetulativen Arialtäpsichrr v. 108 


organismus bod) fteben. Denn der heil. Geift kann nie 
vot. bem Sohne ale defien reale Lebensbedingung weder 
gedacht, nod) gefebt werden, fo daß ber Bater im heil. 
Beifte ben. Sohn erzeugte. Darum bemerften wir früber- 
fhon: Nähmen wir aud) an, daß có wahr wäre, was 
Difchinger fagt: „Selbft in jedem Sage, in bem (id bie 
genannten drei Glieder“ (Gag, Gegenfag und Gleichſatz) 
„finden, benft man fich bie @inheit, die Gopula, nach Zukrigl 
ben Gíeidfag unmittelbar nach bem erften Gifiebe und zus 
gleich mit bicfem. verbunden, Noch Harer wird dieſes auß 
ber mathematifchen Zeichenlehre 4. 3B. a zz x, wo bie Gins 
beit nicht am Gnbe, fonbern in ber Mitte fteht“ — fo find 
derlei Beifpiele bod) nur Analogien und noch feine ſtrin⸗ 
genten Beweife, daß man mit Difchinger zu (agen. berechtigt 
wäre, baß ber heil. Geift auch die zweite Stelle in ber 
Zrinität einnehmen koͤnne. Denn jene von Difchinger an» 
geführten Analogien fprechen gerade für unfere Behauptung. 
Und wie fo? Denn auch der grammatifalifche unb matbes 
matiſche Gleichfag (Gopula und = als 9(uébrud einer 
gefchehenen Vermittlung von Gegenfäßen) [egt ja den Gegen; 
faß voraus, ber als Gleichſatz erfaunt und bezeichnet wird. 
Darum laͤßt fid das Verhaͤltniß ber drei göttlichen opes 
Hafen zu einander immerhin al6 Say (weil der Vater uns 
erzeugt), Gegenſatz (meit ber Sohn das Ebenbild des Baters 
und geyeugt if), und Gleichſatz (weil ber b. Geift bie Doppel⸗ 
baudung von Bater und Sohne ift) beftimmen und bie Bes 
zeichnung ift nichts weniger als leere, logiſche Abftrartheit. 
Wenn naher Difibinger S. 34 ih verlautet: „Bier bigegnet 
uns ein Unterſchied zwiſchen der alten Schule und der neueti 
Speculation. Denn jene nimmt nur eine Tchätigfeit bc8 
erfien Brineipes an, unb. unterfcheipet fonach eine doppelte 


104 fili! der Oifinger fen Priniepin. Ὁ 


Ihätigkeit, während dieſe bie Dreiperfönlichfeit, alſo aud) 
den Vater, gefebt werben läßt. Zwifchen beiden ſchwankt 
Zufrigl in der Mitte, fid) bald diefer, bald jener anfchließend,“ 
— fo ift unfere Entgegnung : Unfere Reconftruction läßt ben 
Bater keineswegs erft gefegt werden. Denn das abfolute 
SBrincip ift ja der potentielle Bater, daher ſchon feiend, fomit 
nicht erft gefegt worden. Nur wird Durch die reale Entgegens 
fegung das abfolute SBrincip zum wirklichen Bater. Real gefegt 
ift ja nur ber Eohn (weil gezeugt) und ber b. Geift (weil ges 
haucht), allein beide von Ewigkeit; daher alle drei Perſo⸗ 
nen gleichewig find, und als wefenhafte felbftbewußte Goefs 
ficienten nimmer bloß drei Acte einer ungetheilten abfoluten 
Einperfönlichfeit fein fónnen, wie Difchinger uns vorwirft. 

Wir haben fonach erfehen, daß Difchinger durchaus 
mit unferer Reconftruction der Trinität unzufrieden ift, und 
aus Mißverftändniß eine -Maffe von Widerſpruͤchen darin 
gefunden. Er hat uns bereits ſelbſt eine Reconftruction 
gegeben, und zwar nad) der Analogie einer brennenden 
Kerze, und dann von drei Kreifen. Wir haben auch fes 
nen gelernt, wie weit wir in der Gntbüllung des Myfteriums 
der Trinität Dieburd) vorgebrungen find. Er gibt uns 
zulegt noch eine 9teconftruction nach einer dritten Analogie, 
und zwar von ben Hauptfräften des Menfchengeiftes: von 
Gedaͤchtniß und Phantafte, bann von ber Intelligenz und 
endlich: dem Willen. Diefe follen eine Nachbildung ber 
Trinität fein. Wir wollen nun in biefe Reconftruction 
ber Trinität von Difchinger näher eingeben. 

Er jagt €. 55: „Wir müffen auf bie Auguftinifche 
Unterfcheidung des Menſchen nad) Gebádotnif, Intelligenz 
und Willen zurüdgehen. Denn aufer tem Willen und 
der Erkenntniß, welche Kar unterfchieden und verfchieden 





bet ſpeeulativen Ixinitätslehre 1c. 105 


find, gibt e& noch eine dritte SBerduferung ober Sunetion 
im Menfchen, bie Bhantafie, das Gedaͤchtniß, ble ſchaffende 
Kraft, welche nicht mit ben beiden andern zufammenfällt.“ 

„Legen wir ben Unterſchied von Sntelligeng und Wille 
jt Grunde und gehen davon aus, fo ergibt fib, daß fie 
in der Wurzel nicht gleich, fondern verfchieden fein müffen; 
denn eine verfchiedene Erfcheinung erfordert nothwendig eiue 
verfhiedene Wurzel. Es kann alfo feine Monas geben, 
wovon Intelligenz; und Wille nur bie Yunctionen find, 
Wir müſſen daher eine wurzelhafte Intelligenz; und Wils 
[enéfraft annehmen. Haben wir diefen wurzelhaften Dua⸗ 
lismus gewonnen, fo erfennen wir, daß er allein nicht 
brebt, fonbern noch eine dritte Wurzel erfordert, bie zus 
gleich mit ihnen gegeben iſt. Diefes erfchliegen wir bars 
aus, weil ber Dualismus nirgends urfprünglich vorkommt 
und nur in Folge einer Srübung und SSerrenfung des 
Organismus eintritt und zwar hier in der Erfcheinung 
fid manifeftirt. Ebenfo können wir, wenn wir eine Idee 
des Lebens haben, nicht vom Dualismus unb nicht vom 
Monismus ausgehen. Daher haben mir drei Wurzeln mit 
drei entfprechenden unctione zu einem Organismus vers 
bunden, unb wir nennen ihn Geift. Wie baber ber Wille 
unb bie Intelligenz; Entäußerungen find, aber zugleich 
Wurzeln, bie fidj entäußern, fo müffen wir ber britten 
Wurzel aud) eine entfpredenbe Function zufchreiben und 
umgefehrt müffen wir annehmen, baf bem Gebächtniffe 
und der Phantafie gleichfalls eine Wurzel entfpredoe.* 
Eo weit lautet die Analogie unb nun erfolgt die Durch⸗ 
führung ber Retonfiruction. | 

©. 57: „Nachdem wir den Ausgangspunft zurecht» 
gerichtet, mäfien wir auf das. Endziel der Gonftruction 


106 Kritik der Oifibitger fien Brinchplen 


zurüdgehen. Gott, das urlebendige Wefen, muß. in hoͤch⸗ 
fter. Weife das befigen, was der Ereaturgeift auf enblidbe 
Weiſe an fi hat. Da nun bie drei Wurzeln des Greas 
furgeiftes befchränft find, fo müfen fie bei Gott δῇ 
vollfommen vorhanden fein. Höchft vollfommen find fie 
aber nur vorhanden, wenn Wurzeln und Thätigleit ſich 
erfchöpfen unb wenn bie drei Wurzeln felber iunigft vet» 
bunden ſind. Daher wird ed dort eine thätige Subſtanz 
geben, bie zugleich eine fubflantive, weil natürliche unb 
centrale Thaͤtigkeit if. Eine folde Subftanz ift aber eine 
SBerjon. Aber bie höchfte Einheit ber drei Wurzeln if 
gleichfalls bie in ber Natur der Wurzeln gegründete, und 
fo bilden bie drei Berfonen Ein Leben, die brei Selbft- 
heiten Ein Wefen.“ Warum bildet aber der: Geift, wenn 
er ebenfalls wie Gott drei Wurzeln hat, nur eine Einper; 
fönlichkeit? Darauf antwortet Difchinger ©. 57: „Der 
Ereaturgeift tft nur Eine Perfon, weil hier die. Functionen 
nicht unmittelbar bie Wurzel berühren, fonbern bie Wur⸗ 
zeln fid) erſt entäußern und hier fammeln miüffen, um bie 
@inperfönlichkeit zu begründen. Dieſes peripherifche Ber: 
halten des Greaturgeiftes läßt nur eine einzige Perſoͤnlich⸗ 
feit zu.“ Un diefer Analogie befrembet und, wie Difchinger 
behaupten kann: bag bie Yunctionen (Kräfte) Phantafie 
und Gedächtniß, Sntelligeny, und Wille drei verfdytebene 
Wurzeln, b. b. bier drei verſchiedene Monaden zu Girunbe 
haben follen. Denn in der Intelligenz ift ja aud) Spon; 
taneität, und umgelebrt. Die grabtuell verfchienene @rfcheis 
nung berechtigt nod) nicht zu diefer Annahme. Dann aber muß 
jedes Sein gedacht werden mit Empfänglichfeit für Sin⸗ 
brüde von Außen, und mit der Kraft, auf jede Einwirkung 
von Augen zuruͤckzuwirken. Diefe Kräfte find nun bei 


“-. 





der fyerulatiben Trinit aMalehre se. 101 


bem creatürlichen Geiſte Bernunft = Sinn für Gott unb gétt« 
liche Dinge (Intelligenz) und ber freie Wille. Daher ijt 
ἐδ falfo, wenn Difchinger €. 56 fagt:^ „E6 Tann feine 
Monas geben, wovon Intelligenz und’ Wille nur bie 
Functionen find.“ Er Bat Bieburd) nichts weniger, als bie 
gewöhnliche Pfychologie, wie er vorgibt, rectificirt. 
Hierauf ift nad) feiner Anfchauung der Geift bie Les 
benseinheit von drei verfchiedenen Monaden (Wurzeln), 
von denen bie erfte ber Träger von Gebächtniß unb Phan⸗ 
tate; ble zweite ber Träger von ber Intelligenz, unb bie britte 
ber Träger von bem Willen ift. Er ift fonad) ein „Or⸗ 
ganismus“ von drei Wurzeln, mit drei entfprechenden 
Functionen. Wäre num ber Gieift wirffich ble Einheit von 
drei Monaden (Wurzeln), fo müßte er nothwendig fid - 
aud) als breifaches Sd) wiffen. Denn jede Monade (Sein) 
muß zum Wiſſen um fib fommen. Es weiß aber ber 
Denkgeiſt nur von einem Ich, fomit auch nur von einem 
Sein (Sonate). Denn der Sdjgebanfe ift der Gebanfe 
bes Geifle& von (id) als Sein: Daher: fo viele Ichgedan⸗ 
fen, fo viele Sein. Allein ber Geift weiß (id) durchaus 
nicht als ein dreifaches Sch, daher er auch nicht ald bie 
Sebenéeinbeit von einem dreifachen Sein (von drei Wur⸗ 
gn) beftimmt werben fann. Dann if εὖ fonberbar: im 
Menfebengeifte find bie drei Wurzeln Feine Berfönlichkeiten, 
weit dieſelben beichränft find; als ob bie Beſchraͤnktheit 
ein Hinderniß von ber Verfönlichkeit fein Fönnte. Jede crea». 
türlide Berfönlichkeit ift ja befchränft, weil bedingt im Sein, 
Difchinger tadelt an uns, daß wir bie Parallele zwiſchen 
abfolutem und reíativem Selbftbewußtfein nicht vollſtaͤndig 
. durchgeführt haben, was nad) uns gar nicht gefordert 
werben fami; Hier fónnten wir ihm auch bemerklich 


108 Kritik der Olfäpinger’fihen Peinciplen 


machen, daß er in feiner NReconftruction ebenfalls bie Par 
rallele nicht vollftánbig ‚durchgeführt habe. Denn er hätte 
fonft fagen müflen: ber Menfchengeift ald Abbild Gottes, 
ift eine dreifache befchränfte Perfönlichfeit; Gott aber, als 
vollkommenſtes Wefen ift eine dreifache unbefchränfte Per⸗ 
fönlichkeit. Allein nach feiner Auffaffung wird ber Geift 
nur als trinärer Organismus von Monaden (Wurzeln) 
beflimmt, deren feine felbitbewußt = Ich ifl, fondern deren 
Ichheit nur in ihrer Zumalheit und als NRefultat ihres 
Ineinanderwirkens beftehben fol. Es find demnach nad 
Oiſchinger in Gott bloß deßhalb brei 3Berfonen, weil bie 
Wurzeln (Monaden) in. ihm unbefchränft und innigft mit 
einander verbunden find. Der Bater ift nad) biefer Re⸗ 
confiruction das wurzelhafte Gebddytni und bie wurzels 
hafte Phantafle, ber Sohn die wurzelhafte Intelligenz; und 
ber b. Gieift der wurzelbafte Wille in Gott. Damit meint 
Difchinger den Begriff der Perföntichfeit Gottes beffer ers 
faßt unb erfchöpft und feine Lebendigfeit tiefer ergrünbet 
zu haben. Es ift aber fein Beweis: daß Gott breiper(óns 
lich fein müffe, nichts weniger al& ftringent. Denn es 
gilt keineswegs durchgängig: „raß Gott, das urlebenbige 
Mefen, in bédjfter Weife das befigen müfle, mas ber 
Greaturgeift auf endliche Weife an fi hat,“ ba ja @ott 
und ber menfchliche Geift als qualitativ von einander ver» 
fchieden, nach ber chriftlichen Anſchauungsweiſe gedacht 
werben müffen. Somit fann Gott nicht alle Eigenfchaften 
mit dem Menfchengeifte theilen. Denn fonft könnte Giner 
biseaus auch bei Gott bie Einperfönlichkeit folgern, wie es 
bie Deiften noch immer. getban, und zwar fo: ber Sgen; 
fdengeif { eine niebere, Gott aber bie hoͤchſte Einperföns 
lichfeit mit bem vollfommenften Gedächtniß unb ber voll» 


der ſpeculativen Trinitätsichie se: ‚209 


fommenften Phantafle, íobann mit ber vollfommenfen 
Intelligenz und mit dem vollfommenften Willen. 

Dazu macht ftd Difchinger felber nod) eines Wider 
fpruch8 in feiner Neconftruction der Zrinität fchuldig. 
Denn einerfeits behauptet er S. 56: „Eine verfchiedene 
Erfcheinung erfordert nothwendig eine verfehledene Wurzel,“ 
und anderfeits weiß er auf den felbfigemachten Einwurf, 
ber wohl begründet ift, ©. 57; „daß, wenn ber Bater 
mit dem Gebächtniffe, der Sohn mit der Intelligenz unb 
der Geift mit dem Willen in Parallele fommt, alödann 
der Vater des Willens und der Intelligenz ermangle," — 
nichts anderes zu entgegnen, ald ©. 57. u. 58): „daß 
aud) im Menfchen drei Functionen bei jeder Wurzel vor; 
fommen. Wir verweifen dabei nur auf die Intelligenz, 
wobei die Vernunft, ber Verftand und die einfache Ans 
ſchauung vorfommt.“ Hiemit aber widerfpricht er offenbar 
feiner eigenen Grundanfchauung, weil ber bee einer Mos 
nabe, und zugleich feinen eigenen Worten S. 56: „Es 
fann feine Monas geben, wovon —À unb Wile 
nur bie Functionen find.“ ἢ 

Hieraus mag ber. Lefer felber urtheilen, in wie weit 
das wahr fei, was Difchinger zum Schluſſe feiner Recon: 
ſtruction der Trinität ©. 58 fagt: „daß durch das trinäre 
Θυβε das Dogma in feinem vollen Gehalte bewahrt 
und erfchloffen, ber Gíaube mit dem Wiſſen verföhnt, und 
die das Gbriftentbum verflachende dualiſtiſche Gpeculation 
überwunden wird.“ 

Ein jeglicher wird bier erfennen, daß Oiſchinger's 
Theorie nichts anderes ift, als Monadismus, mobiflcirt 
aber durch den Begriff des Organifchen, beffen weſentliche 
Sorm die Dreieinigfeit oder „das trindre Zumalſein ber 


110 Kritik ber Difdjiiger fien Vrincivien 


Monaden fein fol. Frägt man abet: welcher Lnterfchieb 
ift fobann nad) ihm zwifchen Gott unb Welt? — [ὁ fann 
e6 nur ber fein: Die größere oder geringere Energie bet 
zumaffeienden Monaden. Es ift Demnach nur ein quam 
titativer Unterfchied. Denn Gott ift ein „trinäres Zumal⸗ 
fein von Monaden (Wurzeln), bie central. thätig find,“ 
und deßhalb dreiperfönlich. Jedes Weltwefen aber ift als 
Abbild Gottes auch ein trinäres Zumalfein von Mona⸗ 
den, aber nur „in peripherifcher Thätigfeit,“ wefbalb ber 
Greaturgeift nur Einperfönlichfeit ift. Denn „Wurzel und 
Thätigfeit erfchöpfen fid) in ihm nicht, wie in Gott.“ Die 
bloß peripherifche Thätigfeit Bat jedoch ein bloß peripheri⸗ 
fche8 Berbundenfein ter Weltmonaden zur Zolge, das [92 
bann um’ fo fofer und loderer wird, je tiefer bie Welt⸗ 
wefen geben, daher am meiften in ber. fogenannten utor» 
ganifchen Ratur. 

Nach diefer Darftellung wird nun auch ein Seber 
begreifen, weßhalb Difchinger gegen uns beftänbig geltend 
zu machen fucht: „daß die göttlichen Perſonen wohl inein- 
ander, nicht aber nebeneinander :beftehen, weil fie fonft 
drei Weſen und nicht wefensgleiche Perſonen wären.“ Er 
verfteht unter Weſen „dad trinäre Zumalfein von Mo⸗ 
den.“ — (δ᾽ find demnach weſensgleiche Monaden (nein; 
ander, unb nur verfchiedene Weſen find nebeneinander. 
Infofern -fchließt bann freilich jedes Smeinanderfein das 
Kebeneinander aus. 

Uebrigens hat Difchinger bie Dreiperfönlichkeit Gottes 
auch Durch eine andere Analogie noch zu begründen ver 
fudjt, welche Reconftruction aber eben fo wenig ftringent 
i. €. 58 heißt ἐδ: „Sa, nod) mebr, wir gewahren felbft 
einen Anklang ber Dreiperjönlichfeit im Menfchen. Denn 


m 


der fpeeulativen Trinitätslehre ac. 111 


im Gewiffen fünbet fi ein Zuſtand an, ben wir fühlen 
und babet thätig find. Wir vermögen e6 aber, aufer 
diefem Fühlen uns nod) geiftig daflelbe vorzuftellen, 
darüber nachzudenfen, und außerdem nod das Gefühl 
der Freude oder Reue zu erweden.“ „Wir bürfen 
uns aber nicht wundern, daß in Gott btefe Drei Nach⸗ 
Hänge von Berfönlichfeit im Menfchen drei voll, 
fommene Perſonen find, wenn wir den Abftand 
erwägen, der zwifchen dem Menſchen und dem Thiere bes 
ſteht. Diefes Außert fih burd bloße Klänge ohne 
innewohnenden Geift, ohne Einn, und offenbart fonach, daß 
esohne centrales Leben ift, während ber Menfch feine 
centrale Xebendigfeit beweist, indem er ein lebens 
diges Product erzeugt. Diefer Abftand bered- 
tigt uns zur Annahme, daß im Centrum ein Leben 
in drei Berfonen ftd ausfprechen müffe“ 

Hiemit fchließen wir unfere Kritif und Defenfive zus 
gleich, und bemerfen nur nod) das Eine gegen Difchinger, 
bag bie „nualiftifche Cpeculation* durchaus nicht, wie er 
meint, bas Ehriftenthum „zu verflachen“, fonbern im Gegen» 
tbeil mehr ibeel zu erfaffen fuche. Deßhalb muß man dies 
fetbe nicht fogleich verbád)tigen unb verbammen, wenn ihr 
auch wärflich nicht alles_bei ber Gr» und Begründung ber 
Dogmen am vollfommenften gelungen wäre. Denn Frage: 
bat die Scholaftif gar nie geftrauchelt? — 


Zufrigl. 


M. 


Wecenfionen. 
1. 

Wnterfudjungen über die kirchlichen Buflände in den kai- 
ferlid) öfterreichifchen Staaten, die Art ihrer Entflehung 
und die in Anfehung diefer Buflände wünfdenswerthen 
Reformen. Von Dr. Ignaz Beidtel, kaiſerlich oͤſterreich. 
Appellationsrathe und ehemaligen Profeffor des Kirchenrechts 
an der hohen Schule zu Ollmüg. Wien, 1849, Verlag von 


Carl Gerold. XVI u. 328 ©. gr. Octav, Pr. Aıhlr. 2 — 
fl. 3. 36 Er. 


Unter dem Bielen, was in Defterreich anders werben 
muß, fliehen die Religionsverhältniffe ziemlich oben an. 
Viele alte Schäden find bier zu heilen, viel ſchweres Un⸗ 
recht ift wieder gut zu machen, viele harte SBebrüdungen 
und Beichränfungen ber Breiheit find aufzuheben. In Zei- 
ten eines fo großen Umſchwungs hat Jeder, der fid) ber 
Senntni und Fähigkeit, mitzufprechen und Rath zu geben, 
bewußt ift, bem Baterlande gegenüber die Pflicht, auch 
wirklich feine Stimme zu erheben und das Seinige zur 
Herbeiführung einer befieren Zukunft zu thun. Dieb hat 


Betbtel, bie kirchlichen Zuftände in Oeſterreich. 113 


aud) ber SSerfaffer gefühlt unb geübt, und ſowohl feine ges 
genwärtige Stellung als. höherer Gtaatébeamter, mie feine 
frühere Laufbahn als SBrofefjor des Kirchenrechts gaben 
ibm bie volle Befähigung, über bie kirchliche Regeneration 
Oeſterreichs auch fein Urtheil und feine Anſichten aue» 
zuſprechen. Dabei zeigt fid) überall, daß nicht bloß 
ein theoretifcher Gelehrter hier fpricht, vielmehr ein 
Mann, ber fchon oft unb viel und mit praftifchem 
Einne über bie kirchlichspoltifchen Berhältniffe Defterreiche 
nachgebacht, bie darauf bezüglichen Ctaatégrunbfáge in ih⸗ 
ten Wirkungen beobachtet und fie in ben Kreis einer lang, 
jährigen fFritifchen Unterfuchung gezogen hat. Sind wir 
recht unterrichtet, fo bat unfer 9Berfaffer (don in früheren 
Schriften ohne deutliche Nennung feines Namens verſchie⸗ 
bene Theile des öfterreichifchen Staatslebens beleuchtet, unb 
nur bie Feſſel der Genfur, welche bisher alle öfterreichifchen 
Intelligenzen nieberhielt, hinderte ihn feither, auch über 
die öfterreichifche Kirchenfrage öffentlich mit feinen 
Ideen, Planen und -Rathfchlägen hervorzutreten. So kommt 
(ὁ, bag das vorliegende Werk, in manchen feinen Partien 


fon feit zwanzig Jahren fertig, jegt erft erfcheint, obgleich. 


nicht zu zweifeln, bag, wenn es früher hätte erſcheinen 
können, dem öfterreichifchen Staate dadurch leichtlich großer 
Ruben zugegangen wäre, weil in ben legten Regierunge- 
jahren des Kaiſers Franz verfchiedene Plane zu kirchlichen 
Reformen beftauben. 

Dem Befagten gemäß ift die vorliegende Schrift ihrem 
Sauptcharafter nad) Firchlichspolitifcher Natur. Aber 
fie i zugleich aud) hi ſtoriſch. „Da nämlich bei Beurs 
tbeilung ber jegigen Zuftände fo viel darauf anfommt, zu 
willen, wann fie entftanben, warum fie entftanben unb 

S&rel. Ouartalſqhrift. 1850. I. Heft: 8 


* 


) 6 U - |— Beidtel, 


welchen Grad von Feſtigkeit ſie Haben, mußte das gegenwaͤrtige 
Werk einem großen Theile nach eine oͤſterreichiſche 
Kirchengefchichte des legten Jahrhunderts ent: 
haften, dabei aber mußte fictó ber Zuftand des Kirchen 
rechts unb der Politik bie Hauptfache fein. Nur auf dieſe 
Art (dft fid) der jepige Suftanb mit allen guten und 
fehlechten Ausfichten, welche er eröffnet, erllaͤren. Gin 
Hauptgefichtspunft aber muß ftetó aud) ber fein, diejeni⸗ 
gen Reformen, welde jest von ber Politif und ber 
Wiſſenſchaft empfohlen werden, anzugeben.“ (Borr. S. V.) 

Dem Werke find 40 Urkunden, großentheits Abdruͤcke 
öfterreichifcher Gejege enthaltend, beigegeben. Den Grund 
davon gibt ber Verfaſſer (I. c.) feibft alfo an: „Mein 
-Urtheil Über die Regierungen von Marin Therefia und 
Sofeph IL. weichen febt von ben herfömmlichen ab, unb in 
folchen Faͤllen iſt es gut, über das, was man behauptet, 
auch Beweife zu liefern. — Ueberdieß beweifet oft eine Urs 
funte mehr als bie umftändlichfte Anseinanderfegung. In 
Anfehung der fpäteren Regierungen war c8 wieder noth⸗ 
wendig, ben Beweis zu liefern, bafi. fid) unter ihnen in 
. Kirchenfachen nichts Wefentliches geändert habe.“ 

Außer diefem lirfunbenbud) hat das Werk 6 Bücher 
und eine Einleitung. Diefe, bie Einleitung, enthält eine 
lleberficht des öfterreichifehen Kirchenrecht, wie e$ unter 
den Regenten aus dem Haufe Habsburg bis zum Regie 
rungéantritte Marien Therefiens war, und es Bird hier 
gezeigt, wie, während in Defterreich noch immer das alte 
fanonifche Recht volle Geltung befaß, auswärts bereits bie 
Grundfaͤtze verbreitet wurden, welche nachmals die Quint⸗ 
efienz bed fogenannten- Öfterreichifihen Kirchenrechts aut; 
machen follten. Die erften Anfänge biefer Grunbfäge 


die kirchlichen Zuſtaͤnde in Oeſterreich. 115 


treffen wir ſchon in den Zeiten des großen abendlaͤndiſchen 
Schismas am Ende des 14ten unb Anfange des 15ten 
Sabrbunberté. Weil nämlih mehrere Päpfte damals 
zugleich Gehorſam forderten und das Entgegengefeptefte 
befahlen, fo wußten bie Landesherren, um der Berwirrung 
zu fleuern, keinen andern Rath, als daß fie einen päpftlis 
chen Befehl nur dann zu vollziehen erlaubten, wenn ders 
felbe zuvor aud) ihre Suftimmung und Billigung erlangt 
haben würde. So bat das Schisma die deutfchen Fürften 
auf das fogenannte (anbeóbetrfide Placet geleitet. Die 
wahre und fruchtbare Mutter der oben angebeutetein 
Grunb(ige wurde aber bie Reformation mit ihrer Aufs 
ftelung einer Tandesherrliden Suprematie über 
bie Kirche. Die Bebrängniß, worin fid) die Püpfte im 
Reformationgzeitalter vielfach befanden, bewirkte zugleich, 
daß fie gegen einzelne Fathofifche Staaten, bie nun auch 
die Suprematie über die Kirche ausüben wollten, zuviel 
nachgeben mußten, und fo wurden immer mehr und mehr 
fatholifche Regierungen nach einer, der proteftantifchen 
analogen, Kirchengewalt füftern, Der Janfenismus und 
Sallifanismus untergügten bieB Streben ber Regierungen 
und ihre DOppofition gegen Rom, ja das gallifanifche 
Syſtem fegte bereitó den Papft zu einem fraftlofen Ehren- 
figuranten herab und übergab alle wirkliche Kirchengewalt 
theils den Regenten, tbeiló den Bifchöfen. 

Sprach der Elerus fofde Grundfäge aus, fo war 
e$ fein Wunder, daß auch bie Fatholifchen Staatsmäns 
ner bie von ben Proteftanten ausgegangene Theorie 
von ber unumfchränften landesherrlihen Ges 
walt annahmen. Sn bie öfterreichifche Gefeggebung vor 
Maria Therefla ging aber von allen biejen neuen Grund⸗ 

85 


116 Beidtel, 


fägen, obgleich bereits nicht wenige unter ben hohen Staats» 
beamten denfelben huldigten, nur febr wenig über, indem 
ihre derartigen Beftrebungen durch den Einfluß, ben das 
mals die Sefuiten auf das Faiferliche Gabinet und auf 
den Entſchluß des Kaifers ſelbſt ausübten, paralyfirt wers 
ben fonnten und wurden. Go gelang es ihnen denn nur 
Einzelne burdjgufegen, namentlich Verfügungen, welche 
die Geiftlichfeit bei WVeräußerungen des Kirchenvermögeng, 
fetbft werin alle Forderungen des kanoniſchen Rechtes be; 
friedigt waren, noch an die Suftimmung ber Gtaatégemalt 
banden. Auch bemerkte man Epuren von ber Behauptung, 
ohne das Placetum regium dürfe fein Kirchengefeg Funds 
gemacht werben, und über einzelne PBunfte des Eultus 
fprach ſchon zuweilen die Regierung ein wichtiges Wort 
u. dgl. Befonders waren unter Joſeph I. und Gart VI. 
gallifani(e Grundfäge der Regierung nicht unbefannt. 
Bei alle dem fegte aber bie Geiftlichfeit unbegrenztes Ver⸗ 
trauen auf bie Regierung, fie betrachtete dieſelbe als eine 
Säule der Kirche und hielt es für faum denkbar, baf ber 
Feind der Kirche einft gerade im faiferlichen Gabinete fein 
Hauptquartier auffehlagen werde. Am entfchiedenften waren 
bie Bifchöfe, vom Hofe ernannt, wieder an den Hof ge 
fettet, meiftens Männer aus dem hohen Adel, gewöhnfich 
ſtreng fatbolif im Glauben und fittlich im Leben, aber 
gewöhnfich ohne tüchtige theologifche und kanoniſche Bils 
dung, mehr Siguranten, als Regenten der Diöcefen. Auch 
unter der übrigen Eerulargeiftlichfeit fand fid) nicht gar 
viel Wiffenfchaft und Energie, fo daß eigentliche Lebens: 
fraft nur ned) in den Klöftern, befonders bei den Sefuíten, 
zu finden war. Dieß Gemerften auch bie Gegner ber 
Beiftlichfeit, und haben barum, fobald fie an’s Ruder 








bie kirchlichen Zuſtande in. Oeſterreich. 417 


famen, ihre Angriffe vorzugsweiſe auf den Megularfierus 
gerichtet. 

Eine ganz neue Zeit begann für bie Kirche in Oeſter⸗ 
reich unter Maria Therefia, deren lange Regierung 
gewöhnlich für eine ſtreng Fatholifche gehalten wird, obs 
gleich nichts weniger al& diefes ber Fall war. Die Haupts 
gebanfen, welche unfer Berfafler in biefer Bezichung ente 
widelt, laufen in $ofgenbem zufammen. Die SKaiferin 
felbft war eine fromme Frau, aber εὖ fehlte ihr ble nótbige 
Einſicht, um bie firchenfeindlichen Plane ihrer Räthe und 
Minifter zu durchſchauen. Un ber Spige diefer ſtand 
Graf Wenzel von Kaunig, der allmächtige Rathgeber 
ber faijerin, der, obgleich eigentlich Minifter des Aeußern, 
feinen Einfluß aud) auf alle wichtigen innern Angelegens 
heiten ausdehnte und (te nach feinen Anfichten beftimmte 
unb regelte. „Diefer Minifter,“ fagt unfer Berfafler, „huls 
bigte ben Ideen der franzöfifchen Philofopie; ber Hofabel 
brachte etwas von biefen Ideen aus Paris, wehin man 
ber Mode wegen junge Leute zur Vollenduflg ihrer Gr; 
ziehung fenbete, zurüd, unb bie Geringfchägung ber vater: 
länpdifchen Einrichtungen fam — baburd) in bie höheren 
Klaſſen. Einzelne fähige Männer aus ben niedern Klaſſen 
bemerften dieß, fie fd)dpften an der franzöfiichen Literatur, 
und. theilweife auch an ber deutfchen, deren Gentralpunft 
unter Sriedrich 11. Berlin wurde, und bie Abneigung gegen 
das Pofitive begann. Man fand es bald nothwendig, um 
bie großen Reformplane zur Emporhebung ber Staates 
madjt in Ausführung zu bringen, und bie zerftreuten 
Elemente der gallifanifchen, janfeniftifchen, proteftantifchen 
unb philofophifchen Barthei zu begünftigen, und fo begann 
anfangs langfam, bann aber in immer mehr befchleunigter 


118 Beidtel, 


Bewegung die Ausführung des Planes, an die Stelle des 
früheren Syftems einen febr entwidslten Gallifas 
nismus zu fegen, bei welchem bem Papfte ber Name des 
Oberhauptes ber Kirche mit einigen unbebeutenden Rechten 
bliebe, das wahre Oberhaupt ber Landeskirche aber ber 
Regent ſei.“ ©. 37. 

Aus NRüdficht auf die perfönliche Srómmigteit ber 
Kaiferin wagte (id) diefes Syſtem jedoch nicht offen hervor, 
fondern e& fuchte fid unter ber Maske des Staatsnutzens 
geltend zu machen. Mit Kaunig wirkte befonders ber 
Kaiferin Leibarzt, van Swieten ber ältere, cin fatbos 
lifer Holländer. Inter dem Vorwand, auf das Befte 
ber Studien fehen zu müflen, erließ bie Regierung im 
Jahr 1752 einen neuen Studienplan, welcher bereits in 
febr wichtigen Punkten bie 9Birffamfeit der Geiftlichfeit 
auf ber Lehrfangel befchränfte. Bald darauf (1753 — 58) 
jog bie Regierung bie Genfur auch ber theologifchen Werke 
an fi, und feither zeigten viele von biefen bie gallifas 
nifche Richtung. Gin päpftlicher Legat zur Bifitation ber 
öfterreichifchen VBisthümer wurde nicht mehr angenommen 
(1749), unb im Jahr 1754 fing bie Regierung an, in 
Sachen des Eultus den Papft nur als Nathgeber, fid) 
felbft aber als bie anorbnenbe Gewalt anzufehen. Ihre 
Barbe wurde immer entfchiedener die gallifanifche, und 
wer fid von ben Geiftlichen geltend machen wollte, bes 
kannte fid) jegt zu diefer Richtung. Viele thaten bief 
und wurden nun Werkzeuge der aufgeflärten Staatömänner, 
von ihnen gebraucht und — veracdhtet. Die meiften Bis 
fhöfe faben mit Widerwillen, was geſchah, waren aber 
zu wenig gebildet, um ein Gegengewicht abgeben zu koͤn⸗ 
nen. uch erfannten fie nicht, daß alles, was gegen bie 


ble διε Zufibe in Defterreich. 118 


Kirche geſchah, ein gefchloffenes Syſtem fei, bielten «6 
vielmehr nur für eine Wirkung vorübergehender Hofränfe, 
weiche fie nun durch andere 9tánfe unwirffam zu machen 
verfuchten. Zugleich trugen fie jet gegen jede Neuerung, 
auch bie befte, offen einen bittern Haß zur Schau, und 
famen fo in ben doppelten Ruf, Räntemader und Finfters 
linge zu fein. Aehnlich ging es ben übrigen Geiftlichen; 
bie Tagsliteratur unb jene Wiffenfchaften, aus denen die 
Reuerungspartei ihre Waffen holte, wurbe son ihnen nicht 
ftubitt, und fie hatten fo gegen bie Angriffe feine wiſſen⸗ 
ſchaftliche Waffe. Einzelne Bifchöfe, wie bie beiden Wiener 
Erzbifchöfe, Graf Srautbon und Graf von Migazıi _ 
(legterer bis 1765) wurden fogar im Stillen bie Haupts 
befótberer ber Neuerung. Die Sefuiten verloren jegt bie 
Beichtoäterftellen bei Hofe und im Sabr 1759 auch bie 
Direktion. der philofophifchen unb theologifchen Studien an 
ber Wiener Univerfität, welche nun an ihre Gegner, van 
Swieten und den Domherm von Stod überging. Miles, 
was je Schlimmes gegen bie Jeſuiten irgendwo  gefagt 
worden war, wurde nun in Defterreich gefammelt und 
verbreitet, unb fobald Rom das Breve Dominus ac re- 
demptor (1773) eríaffen, wurde ber Orben in Oeſierreich 
ungefäumt aufgehoben. Aehnliches Schickſal drohte ben 
übrigen Orden. : 

Noch rafcher ging ed mit ber Aufklärung, feit Jos 
ſeph IL nach bem Zope feines Vaters rang I. (1765) 
deutfcher Kaifer und in Defterreich Miütregent feiner Mut⸗ 
tet Daria Therefia wurde. Kurz vorher war Febronius 
erſchienen, und während bie gutgefinnte @eiftlichfeit Oeſter⸗ 
reichs darüber einen Schrei des Entfegens ausſtieß, freies 
ten fich bie Gitaatómánner und bewirften, daß diefe Schrift 


120 Beihtel, 


oͤffentlich verlauft werden durfte. Sie fand ungeheuren 
Abſatz, unb wer fein Gluͤck im geiſtlichen Stande machen 
wollte, mußte jegt Webronianer fein. Ganz auf bie Wes 
bronianifchen Grundſaͤtze geftüßt fchrieb 1770 der böhmifche 
Benediktinerminh, Stephan Rautenftraud, fein 
 Compenbium des Tanonifchen Rechtes, und obgleich bie 
Beiftlichfeit auch hierüber laut Flagte, wurde Rautenftrauch 
von der Regierung zum Abte von Brzevnov bei Prag, 
zugleich zum Referenten über bie geiftlihen Studien und 
Hofrathe ernannt, und war von num an eine Hauptperfon 
bei allen Neuerungen des Kaifere. Bon ihm rührt befons 
ber6 aud) ber neue theologifche Studienplan her, ver fid) 
fo lange in Uefterreich erhalten hat, unb zum Verfall bet 
Drthoborie und der wahren Wiftenfchaft fehr vieles Deis 
trug (©. 54). Durch Webroniué und Rautenftrauch fam 
in Befterreich bie Meinung empor, bie Kirche habe burd) 
den Ehrgeiz ihrer Vorſteher Zerrüttung in alle Staaten 
gebracht, und Wachſamkeit gegen „ihre Unternehmungen“ 
fei eine unerläßlihe Pflicht jeder Regierung. Zugleich 
wurde ber Kirche nur das Dogma und bie Moral ale 
ihre Sphäre angewiefen, die Vergebung der Benefizien 
dagegen, bie Lehranftalten u. bg(., das Alles zog bie Re 
gierung an fi, unb ließ fo der Kirche feine Unabhängig« 
feit mehr. Als Hauptbollwerf des neuen Syſtems wurbe. 
das Placet ín ausgedehnteftem Sinne in Anfpruch genom⸗ 
men unb bie Verhängung ber Ercommunifation ohne Zus 
flimmung des Staates verboten. Auch wurden bie neuer 
richteten Lehrkanzeln des Naturrechtö und der ypolitifchen 
Wiffenfchaften benügt um bie neuen Sbeen unter bie (tubirenbe 
Jugend, befonders unter bie Syuriften zu bringen. Unter Ans 
berem wurde in biefen Gollegien gelehrt, daß die Regierung 


bie kirchlichen Zuflände in Oeſterreich. 121 


fi) der Schulen zu bemaͤchtigen $abe, und fie verfolgte auch 
in der That tie Ziel immer deutlicher, beginnend (1770) mit 
ber Errichtung von Rormalfchulen zur Bildung aufgellärter 
Schulmeifter. Bier Sabre fpäter ftanben ble Schulen fchon 
nicht mehr unter den Geiftlichen, fondern unter einem von 
der Regierung beftellten Oberauffeher, unter den Kreis⸗ 
ämtern und Gubernien. Sm Sabre 1772 wurde der alte 
Caniſius aus den Eulen verdrängt und zuerſt bet. 
Sagan’fche Eatehismus eingeführt, von Ignaz Bel 
biger, dem Brälaten von Saga, verfaßt. Ihn vers 
drängte wieder 1778 auf Befehl der Regierung der auf 
den Felbiger’fchen gebaute fogenannte öfterreichifche Kate⸗ 
diémué, der feitvem das Religionshanpbuch für bie uns 
teren und mittleren Schulen Oeſterreichs geblieben. Unſer 
Berfaffer urtbeilt über ihn alfo: „Ganz im Geifte bes 
Proteſtantismus fehte ber von ber Regierung au£gegangene 
Katechismus alle mißfälligen Lehren in den Hintergrund, 
oder erwähnte fle nur mit wenigen forgfältig abgerwwogenen 
Worten, man [46 taber Außerft wenig von bem päpftlichen 
Primat, der Verehrung der Mutter Gottes, den evangelis 
fhen Rathfchlägen und bem Werthe der Tradition, bie 
Sprache war troden und auf eine mündliche Erflärung, 
bei ber man den Katechismuslehren fo manches Fremdar⸗ 
tige unterfchieben Konnte, angelegt und da man zu gleicher 
Zeit an den Bolfefchulen bie folratifche Methode 
einführte, gemäß weldyer fid) das Kind felbft gewifiermaßen 
feine Religionsfäge finden mußte, war zu mancherlei fpäter 
hervorgetretenen Erfcheinungen, und unter andern zu bem 
Rationalismus in Religionsfahen der Grund 
gelegt ..... Ebenfo folgenreich war ed, daß man bie Kenni⸗ 
nif von den Schidfalen der Kirche auf bie fogenannte, 


122 Seidtel, 


bibliſche Geſchichte beſchraͤnkte. Es war, als wenn alles 
Spätere, z. B. die Entſtehung der Hierarchie und ber 
geiftlichen Orden, bie Einführung des Bölibats und ber 
fateini(en Kirchenſprache 1€. von gar feiner Wichtigkeit 
für einen Satholifen wäre.“ ©. 51. 52. | 

An bie Stelle des Rautenflrauch’fchen Eompendiums 
trat im Sahre 1776 das ausführliche Lehrbuch des Kir 
chenrechts von Riegger. Weil ber offene Febronia⸗ 
nismus vielfach NAuftoß erregt hatte, wurbe εὖ jebt 
mit bem Gallifaniémus verfudt, unb Riegger’s Werf 
trägt durchaus die gallifanifche Farbe. An allen linivers 
fitäten, bifchöflichen und Klofterfchulen mußte jegt nad 
biefem Werke das Kirchenrecht gelehrt werden, und. zugleich 
wurde im Sabre 1776 „unter bem Titel einer Synopie 
eine offizielle Zufammenftelung der Grundfäge, welche in 
den Erbländern der Kaiferin im Kirchenrechte gaben, allen 
Geiftlichen und Erhulen mit der Weifung augefertigt, bei 
Disputationen feine andere ale bicje Sätze zu wäblen. 
Es find unverhält, zum Theil fogar mit benfelben Worten, 
bie GOrundfäge ber Gallifanifen Declaration von 1682, 
jevoch im Einzelnen fon mehr entwidelt.“ &, 56. 

Am Schluffe des eriten Buchs gibt unſer Berfaffer 
noch eine furge theologifche Jufammenftellung anderer unter 
Maria Therefia zur Beeinträchtigung der Kirche unb bes 
Clerus erlaflenen Berordnungen. 

Das zweite Buch befchäftigt fid) mit ben kirchlichen 
Reformen Joſephé IL, ber feit bem Tobe feiner Mutter 
(1780) Alleinregent war. Er huldigte für feine Berfon 
den Anfichten Voltaires, war wohl mit maucherlei Kennt 
niffen verfehen, aber bod) nur oberflächlich gebildet, hatte 
wohl Patriotismus, drang aber das, was er für bad 


die kirchlichen Zuftände in Oeſterreich. 128 


BeRe hielt, tem Volke tyranniſch auf. „Die bereis vor» 
handene Aufflärungepartei bemübte nun bie Schwaͤchen bes 
Kaifere, um ihn immer vorwärts zu drängen. Eein Alter, 
feine Ruhmtiebe, feine Empfindlichfeit und fein Temperas Ὁ 
ment waren das, was fie benügte, und fie wurde dabei 
durch bie immer mehr hervortretende Geiftlofigfeit des Adels 
und ber Bifchöfe unterftägt, welche einen Schlag nad 
dem andern geduldig hinnahmen, aló wenn er nothwendig 
bet lebte fein müßte, und dort, wo ἐδ auf den Kampf ber 
Grundfäge anfam, zu fleinen erbitternden Hofränfen ihre 
Zuflucht nahmen. — Sofeph war zugleich das Werfzeug 
und das Opfer ber Aufflärungspartei, deren Häupter 
Sonnenfelsd, Martini, Krefel, van Swieten 
bf, Rautenftraucd,Gebler, Born u.A.waren.“ 8.61. 

Sofepbe Firchlihe Reformen gefchahen durch einige 
hundert nad) unb. nad) erfchienene Hofbefrete, und hatten 
Ne Shwärhung des römifchsfatholifhen Sys 
feme zur Abſicht, ohne bag ein anderes pofitives Syſtem 
an defien Stelle gefegt_ wurde. Den Regularclerus 
anfangend wurde fchon „in ben Sabren 1782—85 ein 
beträchtlicher Theil der Klöfter aufgchoben; einzelne Orden 
verſchwanden dabei gang, andere verloren viele ihrer 
Häufer, ihre Mitglieder aber wurben theils  penfios 
irt, tbeilá auf andern angemeflenen Poften verwens 
det. Diefe Aufhebungen gefchahen oft mit viel Sfanbal; 
wichtiger für bie fpätere Zeit war aber bie ganz veräns 
bete. SOrganifation, weldye den beibehaltenen Klöftern zu 
Theil wurde.“ Der Zufammenhang ber Klöfter mit ben 
auswärtigen Obern hörte auf, ebenfo alle Eremtionen, 
die fBorfleber mußten von nun an periobifd) gewählt wer: 
ben, bie Disciplin wurde geſchwaͤcht und die Aufnahme 


124. fDeibtel, 


von Novizen ohne Zuftimmung ber Regierung unteríagt. 
Viele Klöfter vourben fo bem Ausfterben nahe gebracht. 
Auch wurden jept alle frommen Sruber(daften unb 
Gongregationen (1783) aufgehoben, unb bie dafür eins 
zuführende einzige (in ber That einzige!) Bruberfchaft der 
thätigen Nächftenliche wurde nie lebensfräftig. Echon Jahre 
zuvor (1782) war ber dritte Orden unb Des ESapesubete 
leben. verboten worden. 

Auch auf beu Secularelerus eredi fid bie 
Reform. Bon ben eingegogenen Gütern ber Klöfter unb ber 
beneficia simplicia wurde ber Neligionsfond gegründet 
(1782), bie Stolgebühren wurden aufgehoben, bie päpft- 
lien Refervatrechte für kraftlos erklärt, bie fanonifate 
in den Papalmonaten von der Regierung befegt, feine 
einzige Pfründe mehr vom Papſte vergeben, bie Geiftlichen 
zu vielen Stantegefchäften (3. B. Eonfeription) verwendet. 
Der Studienplan von Maria Therefia wurde in bem 
gleichen, Geifte noch weiter fortgebildet, in ber Kirchenge- 
fhichte Dannenmayer, im Kirchenrecht Pehem ein- 
geführt; „in ber Hermeneutik ſchien das Streben, alle 
bibliſche Erzählungen von Wundern durch bie gewaltfamfte 
Gregeje natürlich zu erklären, bie Hauptaufgabe, Die Mo» 
tal war fowohl dort, wo fie (treng war, als dort, wo fie 
bie Strenge ablegte, den Wünfcen des. Sofephinifchen 
Megierungsfuftems angepaßt; die Paſtoraltheologie endlich 
erihien als ein Inbegriff trivialer Klugheitsmarimen ; 
aber was noch wichtiger war, ale biefe Lehrbücher, war 
für den Augenblick der Geift der Vorlefungen. In biefen 
fBorlefungep waren Läfterungen gegen Rom, die Mönche 
unb bie alten Regierungsmarimen das Glewóbulide* €. 69. 
Die bifchöflicden Schulen und Seminarien wurden aufge 


1 


ble kirchlichen Zuſtaͤnde in Oeſterreich. 125 


hoben und dafür in ben Städten, wo hohe Schulen waren, 
fogenannte Generalfeminarien errichtet, welche für 
mehrere Didcefen eines geroiffen. Bezirks beflimmt waren. 
Sie waren, wie bie theologifchen Schulen, ganz unabhäns 
gig von den Bifchöfen, hatten ſchon in ben gedrudten Rer 
glementé manches Verdächtige, und galten für die wahren 
Pflanzſchulen des Sanfenismus oder des Unglaubens. An 
fie ſchloßen fid) bie fogenannten Priefterhäufer an, in des 
nen der Theologe nach feinem Austritt aus dem Generals 
feminar noch ein Jahr zu verweilen hatte, um fif ben 
neuen Geijt der Seelforge ganz anzueignen. Der Einfluß 
der Bifchöfe auf den Herifalifchen Nachwuchs war auf Null 
redurirt. ©. 69. 

An bie Spipe des ganzen Studienweſens flellte Joſeph 
die fogenannte Studienhofcommiffion unter bem 
Borfipe des jüngern van Swieten, eines Sanfeniften, und 
ein Derret vom 3. Febr. 1785 verlangte, daß bei ber 
theologifchen Promotion jeder neue Doctor fchwören müfie, 
daß er bie «hriftliche Religion läutern und namentlich 
von den nüchternen Meinungen ber Echolaftifer reinigen 
wolle; dagegen wurde bie Verpflichtung der SSrofefforen 
auf die Professio fidei tridentina aufgehoben (GS. 71). 

Die Schulen wurden vollends ganz von ber Kirche 
getrennt und jeber Tadel der Regierung durch bie Genfur 
unterbrüdt. Bon befonders großer Wirkung war ba6 be; 
teitö genannte Wert SBebem' δ, das, von 1785—1810 in 
ganz Defterreich vorgefchrieben, mit feiner frómmelnpen 
Sprache alle Verlegungen der Kirchenfreiheit zu bedecken 
und zu befchönigen fuchte. SBefem ging fegar in manchen 
Beriehungen weiter ald Febronius, und überantwortete 
durch feine Theorie von dem flaatlichen Jus supremae in» 





126 | Deldtel, 

spectionis (worin das Veto inbegriffen) und bem Jus ad- 
vocaliae ecclesissticae bie Kirche in allen, nur nicht ger 
radezu dogmatifchen Fragen, durchaus ber Etaatsgewalt. 
Als Folge tiefer zwei Grundrechte habe bie Gtaatéregie: 
rung, behauptete er, das Recht, den Sufammenbang ber 
inländifchen Kirchen mit ben ausländifchen auf das uns 
umgänglich Nothwendige zu beſchraͤnken, ben Erlaſſen ber 
Kirchenobern Geltung zu geftatten oder zu verfagen, bie 
Größe und Grenzen der kirchlichen Bezirke zu beftimmen, 
ben Gotte&bienft zu otbnen, bie Klöfter zu reformiren u. dgl. 
Pehem beweist auch, daß dem päpftlihen Stuhl das Recht, 
die Bifchöfe zu confirmiren, entzogen werben fönne, Daß 
das @ölibat eine höchft bedenkliche SKircheneinrichtung fet, 
daß jeder Bifchof in feiner Diözefe von den Disciplinar: 
vorfehriften ber Päpſte und allgemeinen Concilien diſpen⸗ 
ren fónne u. f. f. Θ. 73. 

Auf biefe Grundfäge geftügt reformirten Jofeph und 
feine Räthe den Fatholifchen Gottesdienſt. Viele Heinere 
Kirchen, beſonders Walfahrtsfirchen wurden gefperrt, alle 
feierlichen Wallfahrtszuͤge bei polizeilicher Strafe unterfagt, 
in ben Klofterfirchen bae Predigen für das Volk verboten, 
alle befondern Andachtsübungen zu Ehren gewiffer Heili- 
gen abgeftelt und durch die Gottesdienſtordnung vom 
Jahr 1783 große Armuth und Monotonie in den fonft 
fo herrlichen Cultus der fatholifchen Kirche gebracht. Sm 
Jahr 1787 wurbe auch bei Ausipenbung der Sacramente 
die [αἰεἰπί δε Kirchenfprache abgeftelt. Daran ſchloß fid 
eine neue €taatégefeggebung über bie Ehe, deren 
Hauptgedanke war, daß dem Staate allein die Aufftellung 
ber trennenden Ehehinderniffe auftebe. Bon ben 
pielen das Kiccheneigenthum betreffenden Gefegen aber 


Die firchfichen Bufüwbe in Oeſterreich. 127 


ging die Tendenz fichtlich tabin, ben Kirchen bie Erwer⸗ 
bung von @igenthum, namentlich ben Anfauf von Grund 
eigentbum außerordentlich ſchwer zu machen, unb jede 
Ausgabe der Kirche ſtaatlich zu controliren. 

Bei feíden Belinnungen verftanb fid) faft von ſelbſt, 
daß die Bifchöfe nur durch das Minifterium Binburd) mit 
Rom correfpondiren und fein Fatholifcher Theologe außers 
halb Defterreichs fludiren durfte. 9Bie die pápft(iden 
Erlafte, fo wurden auch die bifchöflichen zum Theil bem 
Placet unterworfen und ber Einfluß des päpftlichen Stuhls 
auf die Konfirmation der Bifchöfe und einige Difpenfen 
befchränft. S. 77. Die öfterreichifche Nationalkirche 
war fertig. 

Grít am Ende feines Lebens fab, Sofepb ben großen 
Fehler ein, ben er burd) feine flürmifchen Neuerungen, 
befouberó aud) in Religionsfachen gemacht, und manches 
wurde von ihm felbit, anderes von feinem Bruder und 
Nachfolger 3eopolb IL zurüdgenommen , von befjen Res 
gierung das dritte Buch handelt. 

Kaifer Leopold (1790-1792) war ber Zeitgenofie bet 
frangöfifchen Revolution; aber während in Sranfreich ber 
Gallikanismus fammt der alten abfoluten Monarchie 
vernichtet unb im Gleruó, fowie in einem Theile des 
Volkes Sehnfucht nach Eirchlicher Freiheit erwachte, wurde 
diefer neue Geift der Kirchenfretheit in Defterreich von 
den Bifchöfen wie vom Hof ganz ignorirt, bie jojephinis 
(den Grundſätze dauerten fort und .nur das Gireliite 
und Auftößigfte ber jofephinifchen Einrichtungen wurde 
abgeändert. Die Iateinifche Sprache beim: Eultus wurde 
wieder hergeftellt, Schmähfchriften gegen die Fatholifche Res 
ligion nicht mehr gebulbet, Feine (offer mehr aufgehoben, 


1128 Beldtel, 


feine Kirchen mehr ihrer Koſtbarkeiten beraubt. Das Dies 
E penfationsrecht des Papſtes bei Ehehinverniffen vourbe wies 
"ber in größerem Almfange anerfannt, und das alte Ehr⸗ 
erbietungsceremonielfl gegen Rom wieder angenommen, die 
Generatfeminarien hörten auf und bifchöfliche, Geminarien 
mit theologifchen Yacultäten verbunden durften voleber 
eutfteben. Doch mußten auch in dieſen bifchöflichden Schus 
len die Lehrbücher und Methoden biefeíben, wie an ben 
Stantsuniverfitäten, fein. Die jofephinifche Gottesdienſt⸗ 
ordnung blieb zwar Regel, doch war εὖ den Biſchoͤfen 
unbenommen, mit 3uftimmung der politifchen Be 
bórben einzelne Andachten und Lieder einzuführen. Obne 
- alle Concurrenz der Staatsgewalt Fonnten fie nur Hilfe 
priefler verfegen, ©. 98. Der Clerus klagte wieder über 
Einzgelnes, aber dad ganze Syſtem griff Niemand an, 
und fo blieb es, fo unfatholifch e& auch ift, in unbean⸗ 
ftanbeter Geltung. @inen kurzen Wbrig deſſelben gibt bet 
Verfaſſer S. 101 (f. Warum aber ſchwieg der Bapft? 
„Die Antwort“, fagt der SBerfajfer, jit leicht zu geben. 
Qo lange in Frankreich bie Revolution tobte, und zugleich 
alle Fatholifchen Staaten ähnliche Orundfäge befolgten, 
verſprach ber Widerftand von Rom nichts als neues Ins 
heil, und Berwahrungen waren ohnehin in den Wften. 
Auch bie rage ſcheint nahe zu liegen, warum bie Bifchöfe 
gegen einen folchen Zuftand nicht Ginfpradje erhoben. 
Allein, wer viele Alten gelefen bat, welche die Bifchöfe 
biejer Periode betrafen, fennt bie geiftige Höhe, auf wel 
cher diefe Männer ſtanden; viele derfelben glaubten im 
Ernſt, daß die Regierung nur ihre Rechte wahrnehme, 
viele meinten, der beflebenbe Suflanb [εἰ denn bod) ned) 
beffet, als jener, ben bie franzoͤſtſche Revolution gefchaffen 





. bie Eirchlichen Zuſtaͤnde in Oeſterreich. 129 


babe; fei bie Kirche noch etwas, fo habe fie e8 nur nod 
bem Negenten zu banfen, weil der Zeitgeift wefentlich ít» 
seligiöß fei u. dgl.“ ©. 108. 

Dabei mar bie Lage ber öfterreichifchen Bifchöfe unb 
ber ganzen Geiftlichfeit eine hoͤchſt traurige; ohne eigene 
Gewalt waren fie von den weltlichen Gubernien und 
Beamten durch und durch abhängig, und mußten biefe 
Abhängigkeit in geringfchägiger Behandlung oft bitter er: 
fahren S. 109—111. Die Religion felbft erfchien nur 
aí8 ein Mittel, bie Maſſe zu bändigen, und bie ganze 
Verachtung gegen die öfterreichifche Polizei wurbe all⸗ 
maͤhlig aud) von Vielen auf bie Bolizeireligion übers 
getragen. Daß babet die fchlechten Sitten und ber Unglauben 
zunahmen, verftand fid) von fe[bft. S.118. Kaifer Leopold 
farb (don 1792; bevor aber bie Lage ber Kirche unter 
feinen Rachfolgern befprodyen wird, gibt der Verfaſſer ju» 
vor im Aten Buch eine Ueberficht über bie zwiſchen 1792— 
1848 im Ausland vorgegangenen kirchlichen DBerändes 
rungen und ber daraus entflandenen Veränderung in den 
Grundlagen und Sbeen des Kirchenrechts. Darauf wendet 
er fid im Sten Buche zu den Firchlichen Zuftänden ber 
öfterreichifchen Staaten unter der langen Regierung des 
Kaifers Franz (1792—1835)., Mit völligem Unrecht 
glaubte man vielfach im Ausland und Inland, daß unter 
Stanz das öfterreichifche Regiment wieder fatholifch gewors 
ben fei. Allein in der That „blieb alles beim Alten“ und 
die jofephinifchen Grundſätze wurden keineswegs aufgegeben, 
ja fie waren fdjon fo verbreitet und fo febr in das Leben 
übergegangen, daß nur Wenige üt Defterreich die Unkirch⸗ 
lichkeit diefes Syſtems durchſchauten. 

Wie aber. Kaiſer Leopold an ben —m Eins 

Theol. Quartalſcqhrift. 1650. Heft I. 


130 Beibtel, 


richtungen bae Anftößigite änderte, fo machte es Auch fein 
Eohn Franz, und befierte und mifderte Einzelnes, während 
bie Grundlage, das Syſtem felbft und das jofephinifche 
Kirchengefegbuch im Ganzen geblieben ift. Su ben frühe 
ften Veränderungen des Kaifers Franz gehören die Wies 
derherftellung der monaftifchen Ordnung in ben Sofern, 
bie Erlaubniß zur Novizenaufnahme unb zu ungefchmälertem 
Fortbeftand, befonberó aber auch bie Faiferliche Yürforge 
für Stipendien, theologifche Lehranftalten und Gonvifte, 
Damit der Fatholifche Clerus nicht, wie wirklich Gefahr 
drohte, völlig in Defterreich ausfterbe. Auch wurden bie 
Referate in geiftlichen und Schulangelegenheiten nunmehr 
an Geiftliche vergeben und in den einzelnen Kreifen deß⸗ 
halb fogenannte geiftliche Regierungss oder Gubernialraͤthe 
auch geiftliche Referenten bei ter Hofftelle und dem 
Staatsrathe aufgeftelt. Da aber aus der Reihe bdiefer 
Männer meiftens die bifchöflichen Stühle befeht wurden, 
fo erhielt Defterreich eine Reihe von Kanzleiminnern 
zu Bifchöfen, Schreiber nicht Theologen, die dad 
jofephinifche Kirchenrecht als das Nefultat tiefer Regie 
rungsweisheit anfahen und nur im Steinen etwa auf 
Veränderungen hinwirkten. Neben den Stanzleimännern 
machten unter Saifer Franz befonders auch die geiftlichen 
Schulmänner, oft von ratienaliftifder Faͤrbung, auf 
falfenbeà Glück, beftiegen fogar bifchäfliche unb ergbifchöfliche 
. Stühle, die der Kaifer vergab. Bei folchen 3Befegungen 
fab Franz immer auf „die Männer des Mittelwegs.“ 
Nicht eine Far ausgefprochene thevlogifche Richtung, nicht 
Popularität in der Diöcefe, nicht der Ruf der Gelehrſam⸗ 
feit und hoher Vorzüge fam dabei in Betracht, dagegen 
galt es als eine große Empfehlung zu einem Bisthume, 


bd 











bie Firchlichen Suftánbe in Oeſterreich. 131 


wenn ber Ganbibat die beftehenden Verordnungen auf's 
Benauefte vollzog, mit BBorfchlägen zum Beffern feiner 
Behörde fáftig war, bie Anhänglichfeit an den Monarchen 
jm Hauptdogma der Fatholifchen Religion machte und 
von dem, was im Auslande unb in andern Diöcefen ges 
fab, Feine Notiz nahm. ©. 174 f. 

Die Volksſchulen ftellte Franz wieder unter die 
Aufficht des Elerus, aber nicht bie Biſchöfe, fondern ihre 
Gonfiftorien follten biefelbe führen, und zwar wieder 
in Unterordnung unter das weltliche Gubernium. An die 
Opmnafen famen nad) bem Ausfterben ber Grjefuiten 
vielfach weltliche Lehrer, an ben Stubienplanen wurde 
Einzelnes geändert, wohl auch Schritte zum Beſſern ges 
than, allein einen wahren Fortſchritt machte fchon ie 
berufene Studienhofeommiffion unmöglich. Die 
Mitgliedfchaft an diefer hohen Stelle war nur ein Nebens 
gefhäft für andere Beamte, wenn fie auch vom Lehr⸗ 
amt nicht das Geringfte verftanben, und wer zu nichts 
mehr taugte, wurde Mitglied der oberften Studienbehörve. 
Und ein folches Collegium hatte die Stubien ber ganzen 
Monarchie unter ὦ, und beherrfchte fie in's Einzelne 
durch Studiendireftoren und Prüfungscommiffäre, bie oft 
ebenfo wenig Männer vom Fache waren, wie bie Hofräthe 
Kiber. Kein Wunder, wenn die Geiftlofigkeit unter 
dem jegt wieder zahlreicher gewordenen Elerus immer mehr 
überhband nahm, unb Jeder verfolgt wurde, ber auf bie 
beftehenden Mängel Dingubeuten wagte. 

Bon nicht geringem Einfluß auf die Fefthaltung und 
Berfnöcherung des Sofephinismus war das im Jahr 1807 
sum erften Mal erfchienene Handbuch des öfterreichifchen 
Kirchenrehts von Georg Rechberger, bifchöflichen 

g* 


132 : Beidtel, 


Conſiſtorialkanzler zu Linz. Ueber das Verhaͤltniß von 
Kirche und Staat, von Papſt und Biſchoͤfen, waren darin 
die Anſichten Pehem's durchaus feſtgehalten, das Ganze 
«ber viel kürzer und eleganter gearbeitet, ein bequemes 
Handbuch für Jedermann. Schon im Jahr 1810 wurde 
es allgemein vorgefchriebenes Vorlefebuch für Theologen 
und Suriften, und hat, wie der Verf. behauptet (S. 170 f.), 
viel wichtigere Kolgen gehabt, ald man gewöhnlich vers 
muthet. Aus Pehem's Werk erhielten die Lefer doch nod) 
‚einige Kenntniß von den Forderungen des canonifchen 
Rechts, indem Pehem baffelbe ftet& beftritt. Rechberger ba; 
gegen ignorirte e$ gänzlich, unb fo hörte auch biefe fchwache 
Kenntniß des canonifchen Rechtes jegt auf. Ja man fab 
bald Bifchöfe, deren Firchenrechtlichen Senntniffe fif auf 
das Handbuch von Nechberger befchränften. Eine weitere 
Folge war, daß bie Geiftlichen, wo fie im Rechberger’fchen 
Buche binblidten, Kirchengefege fahen, bie der Staat et» 
[affen hatte. Es war darum natürlich, daß fie (id jept 
alfmáblig ganz in bie Klaffe ber Staatsbramten 
ftellten, unb bie periodifchen Berichte, bie Fuͤhrung ber 
Regiftratur und ber Normalienbücher für den wichtigften 
Theil des pfarrlichen Amtes anfaben. Sie wurden — wie 
bet uns — Schreiber in der Kirche Y. Erft in den 
fpätern Zeiten des Kaifers Franz begann ein Firchlicherer 
Gift auch in Deftreih, zumal unter dem jüngern Gleruó 
"unb dem Bolfe fid) zu regen, und felbft vom Hofe aus 
gefchah Einzelnes, was das Wachsthum dieſes neuen 
Geiftes förderte, 3. 3B. die 3ulaffung der Redemptoriften 
und Sefuiten. 





1) Vergl. Hierüber die treffliche Abhandlung von Brof. v. Drey, 
im Jahrgang 1829 bet Duartalfchrift, ©. 38 ff. 


die kirchlichen Zuftände in Oeſterreih. 133 


Als Kaifer Ferdinand im Jahre 1835 die Krone 
erbte, blieben die Minifter feines Bater und damit das 
frühere 9tegterungéfoftem. Die gilt auch, wie das 6te 
Buch zeigt, ven ben Firchlihen Suftánten. Das Meiſte 
blieb, wie và war; bod bemerkte man, befonbers im Kreiſe 
ver Bifchöfe, eine Zunahme der religiöfen Gefinnung, ober 
wenigftend der Neigung zur hierarchifchen Ordnung. Ebenfo 
machte bie Firchliche Richtung aud) unter dem Volke einige, 
aber nur einige Sortfchritte. Dagegen ftanb das Anfehen 
bes Clerus fortwährend auf niedriger Stufe, unb er vers 
jüngte fid auch meiftenó nur aus ben untern SKlaffen bet 
Sefellfchaft. 

Als im November 1837 bot Ereigniß mit bem Eölner 
Erzbifchofe eintrat, glaubte bie öftreichifche Regierung, bie 
Sache werde weiter feine Wichtigkeit haben unb in wenigen 
Wochen Niemand mehr davon fprechen. Sie hoffte alfo, 
in ihrem behaglichen status quo in ecclesiasticis bleiben zu 
fönnen. Aber bie Sache ging ganz anders, und fie faf 
fi jet genöthigt, mit Rom in Unterhandlungen zu treten, 
um bie Angelegenheit ber gemifchten Ehen auch für bie 
öfterreichifchen Staaten zu regeln. Die fihönen Tage von 
Aranjuez , wo die Regierung alle& Solches allein that, 
waren vorüber. Als aber bie preußifchen und bayrifchen 
Biſchöfe bald darauf freien Verkehr mit Rom erhiel- 
ten, fonnte fid) das Fatholifche Defterreich (Ὁ) zu fol: 
dem Wagftüc nicht entfdjliegen. Allein, wenn aud) bie 
Regierung überall noch ihren jofephinifchen Radſchuh ein: 
zulegen fuchte, fo verbreitete fid) bod) immer mehr die Sehn- 
fucht nad) Eirchlicher, mie nach politifcher Freiheit, fammt 
ber Ueberzeugung, daß das bisherige unter dem Titel 
„Schuß ber fatbolifden Kirche“ ausgeübte Syſtem 


Pd 


18d Beidtel, bie ktrchlichen Zuflänbe in Oeſterreich. 


nur eine läftige Bevormundung und unbefugte Einmengung 
ber Staatögewalt in bie innern Kirchenangelegenheiten fei. 
Mit diefem Rufe nad Freiheit ber Fatholifchen 
Kirche verband fi ber Ruf nad Bleichftellung 
aller Religionsparteien im Staate, felbft von 
eifrigen &atbofifen erhoben; und gerade fie waren es auch, 
welche bie Aufhebung ber alten, aud) bie Kirchenfreiheit 
(áfmenben Genfur aufs 2autefle verlangten. 

Go fam es, bafi unter ben Geiftlichen unb unter dem 
Bolfe immer Mehrere und Mehrere von ben jofephinifchen 
Anfichten abfielen, unb ben neuen freieren Ideen ſich zus 
. wenbeten, (o daß man ὦ nicht mehr verwundern darf, 
wenn nach ben Märzereigniffen vom Jahr 1848 bie Ideen 
von Religionsfreiheit, Gleichftelung ber verfdjiebenen Relis 
gionsparteien und Freiheit ber Preſſe fogleich in Wien und 
überall in Defterreich mit großem Geräufche laut wurden, 
Diefe neuen Sbeen machen e8 zur abfoluten Notbwendigfeit, 
daß bie feither beftanbene Gitaatégefeggebung in Firchlichen 
Dingen fid) durchgängig ändere; aber das Rechte zu treffen 
und das Beſte anzuordnen ift eine febr ſchwierige Cache, 
und hiebei nad) Wiffen und Gewiffen guten Rath zu geben, 
Dat fid) unfer Verfaffer im 7ten Buch zur Aufgabe gefcgt. 
Wir wüníden nur, daß nicht _blos bie öfterreichifchen, 
fondern auch andere deutfche Staatsmänner diefe Rath— 
fhläge lefen und beherzigen möchten. 

Aus all dem Gefagten erhellt, baf wir bie vorliegende 
Schrift nicht nur für eine intereffante, fondern auch für 
eine höchft wichtige erachten; leider ift fie aber da und 
bort durch Drudfehler entftelt, und aud) auf fyliftifche 
Vollkommenheit nicht bie gehörige Rüdficht genommen. 


Hefele. 





Megefken δὲν ſchweizeriſchen Klöftes und Kirchen. 135 


rj 2, 


διε Wegeflen der Archive in der fchweizerifchen Eidge- 
noffenfchaft. Auf Anorbnung δὲς fchmeizerifchen ges 
ſchichtsforſchenden Gefellfchaft Herausgegeben von Theodor 
von Mehr, geweſenen Bunbesftatthalter, Mitglied der 
fchweizerifchen geſchichtsforſchenden Gefellfchaft 2c. Erſter 
Band, Iftes Heft: Die Regeſten der Senebiktiner- 
Abtei Einficdeln; 2t8 Heft: Die Regeflen ber Alöfler 
und kirchlichen Stifte beo fhantono Bern. Chur, bei 
His. 1849. Groß Quart. Preis be8. erfien Heftes 
2 fl. 20 fr. des zweiten 2 fl. 42 tr. 


Nur in der Kenntniß des Detaild liegt bie Mögs 
fichfeit zum wahren Verftändniß der Gefchichte; bie Details 
fenntniß aber wird nur möglich durch Befanntfchaft mit 
huntert und taufend Urfunden, welche in ben berühmteren 
Archiven als foftbare Schäge aufbewahrt find. Wollte man 
nun bicfe Urkunden alle, um fie allgemein zugänglich zu 
machen, in extenso bruden laflen, fo würde dieß bie uns 
geheuerften Koften verurfachen, und Werke hervorrufen, 
deren Anfchaffung nur den reichften Bibliothefen möglich, 
und teren Benügung ob ber Mafle des Volumens Jedem 
erfhwert wäre. ín febr zweckmaͤßiges Gurrogat aber für 
diefe Urfundenabdrüde find die Regeſten, b. t. Urkunden 
auszüge in chronologifcher Ordnung; und gerade in 
unferer Zeit haben die Regeſtenwerke von Dr. Böhmer in 
Stanffurt, Chmel in Wien und Andern zur Aufbellung 
der mittefatterfiden &efchichte ungemein viel beigetragen. 
Bon ter Nüglichkeit folder Negeften überzeugt, befchloß 
die ſchweizeriſche gefchichtöforfchende Geſellſchaft fon im 
Jahr 1844 bie Herausgabe eines allgemeinen Regeftens 





138 Sala ber idperigriiden δῶβις ταῦ δίνδιαι. 


vrielbeachteien Sclir Hemmerlin (Himmel) von Zũrch, 
wüden man unter Mc iegenannıen σε πίε ber Refor⸗ 
manes zu rednen yélegt "). 

Tas pecie Heit des veríicaentes S3erfet, Die Regeſten 
ir ver ber Reiormation im Okkie des alt Kantons 
theiles ron Bern bciüanberen δ, πεὺ fnmdjdyen Etifte 
it ren bem fürzlih werkerbenen Srietrid €tettler, 
Breicner tes Staaterechas urb Santené-Pelrn.Gommijór 
zu Bern Fearbeitet. Ticies fet yriällt wieder im 8 εὶς 
mete Sibrbeilunsen, welche tie Rogeien 

3) br$ €t. Vincenzitifies μὲ Bern, 

2) des Síeiteré. Ruragiökerg, 

3) e$. Gherferrnitied. Amiclrizgen, 

4) des Priorats auf ver Er Petere⸗Iniel im Bieler 

Er, DBittbums Lanlar.nc, 

5) ver "Propitri. TDärkketeen, 

6) des Frauenflcherd zu Frauenfappeien, 

7) be8 Männer » urb Sraucnfieilerd zu 3ateviafen, 

und endlich 

8) des Johanniterhauſes Sufbie catbilt. 

Bei weiten am meiſten Anöbente gewährte hiebei das 
Archiv des Männcrlichrrö Interlefen, während dagegen 
antere Ctiite, 3. Ὁ. rad Bineenzmünfer zu Bern, fi 
auffallend arm an lirfumben zeigten. Als terminus ad 
auem nahen aud H. Ctettier überel die Reiormationggit 
an. Seine Behandlung ber Cade ik ber des Paters 
Mori dieíid), grip aber ctas geringere archivaliſche 
Siccarateiie. 

Hefele. 


1) Ber. διῖε Genmnta von Zink, δεαιδεῖωε von Balthefar 
Βεῖει. Zürch 1946. 


— — — — 


Staudenmater, die kirchliche Aufgabe der Gegenwart. 139 


3. 


Bie kirchliche Aufgabe der Gegenwart. Don Dr. f. X. 
Staudenmaier, Großherzoglich Badiſchem Geheimen Otatbe, 
Domcapitular und orbentl. öffentl. Profeffor der Theologie 
an der Univerfität Freiburg im Breidgau. Freiburg. 
Friedrich Wagner’fche Buchhandlung 1849. Preis 1 fl. 


Der berühmte Hr. Verf. bewegt fid bier auf einem 
Gebiete, dem. er bekanntlich fion feit längerer Zeit feine 
Aufmerffamfeit zuwenbet, inb in Bezug auf das er auch 
in der That ſchon manches beherzigungswerthe Wort ges 
fpteden bat. Auch Die vorliegende Schrift {{ voll von 
Solchem, was einleuchtender Maaßen zu etwas Beſſerem 
führen mußte, wenn ed von denen, welde die öffentlichen 
Zuftände zu ordnen berufen find, in erforderlichem Grade 
beachtet und gewürdiget würde. Leider (eint dieß unge⸗ 
achtet ver ernften Mahnungen, welche die Geſchichte in 
neuefter Zeit wieder gegeben hat, von manchen Seiten 
nicht erfannt werben zu wollen. [πὸ es ift wirftich zum 
Verwundern, daß man aud jegt noch nicht einguftben 
vermag, wo allein Seftigfeit und Dauer zu finden, umb 
von woher allein der ſchwer bedrohten Ordnung ber bürger- 
lihen und ſtaatlichen Verhäftniffe tfe und Heil erwachſen 
fönnte. Die vorliegende Schrift Hrn. Ste. hat das Verdienft, 
dieſes für jeden nur nicht gerade ganz SBerbtenbeten ober 
Dfinden in's hellſte Licht gefept zu haben. Breilich zeigt 
fie zugleich auch, wie ſchwach begründet bie etwaige Hoff 
mung wäre, daß man das naheliegende Heilmittel nody 
jeitig genug nnd in rechter Seife benützen unb nicht viels 
mehr feindſelig bekaͤmpfen und lieber im Strubel ber 


136 Recgeſten der ſchwelzeriſchen Kloſter und Kirchen. 


werfes ber ganzen Schweiz, und bie meiften eidgenöffifchen 
Regierungen verfprachen nicht bloß freie Benügung ihrer 
Archive, fondern auch anfehnliche Gelbbeittüge, welche zu 
derartigen Werfen faft immer erforberlih find. Zu Haupts 
redaktoren wurden Brof. Auguft Matile in Neuenburg, 
unb Herr von Mohr in Chur ernannt, fepterer für die 
deutfche, erfterer für bie romanische Schweiz. Außer ihnen 
unb unter ihrer Leitung follten Spezialrebaftoren bie Regeften 
der einzelnen Archive bearbeiten. So übernahm denn 
ber rühmtichft befannte Pater 8 allus Morel, Gonventual 
und Gubprior zu Einftedeln, bie Regeften dieſer Benebiftiner: 
abtei, und das Refultat feiner fleißigen Arbeit ift das vor: 
liegende erfte Heft. (ὁ enthält Auszüge aus ungefähr 
1300 lirfunben, bie vom Jahre 946 bis 1526 gehen. 
- Weiter wollte nämlih H. Morel feinen Gegenftand nicht 
verfolgen, weil in biefem Sabre (1526), wo Ludwig 
Blarer Abt zu Einfiedeln vourbe, für biefe& Klofter eine 
ganz neue unb von ber frühern feft verfchiedene Aera 
begann. Die meiften diefer 1300 Urkunden fanden fid) 
in Einftedeln felbft; einzelne dagegen find das Eigenthum 
anderer Archive in der Schweiz, und wurden dem Herrn 
Pater Morel von andern helvetifcheh Gelehrten, namenilid) 
Archivar Gerold v. Meyer von Knonau, Archivar Wegelin 
in €t. Gallen, Prof. Eutych Kopp und Archivar Joſeph 
Schneller in Luzern mitgetheilt. Bei jeder Urkunde ift 
genau Ort und Datum, Urheber und Befchaffenheit des 
Cígillá x. angegeben. Die Hauptfache aber ift der kurze 
Snbalt, der bei den wichtigerern Urkunden mit größerer, 
bei den minder bedeutenden mit fleinerer Ausführlichkeit, 
bei erfteren in 8— 14; bei [egteren. oft nur in 2 ober ὃ 
Zeilen, ja felbft in einer Zeile mitgetbeilt ift. ft eine 





Regeſten der ſchweizeriſchen Ktöfter und Kirchen. 137 


ber Urkunden bereits irgendwo in einer Sammlung ober 
vergleichen ganz abgebrudt, fo bat ber Herausgeber aud) 
biefes notirt, und zugleich in biefem Salle feinen Auszug 
and naheliegendem Grunde etwas Fürzer gehalten. Am 
wenigften zahlreich find die lirfunben aus dem 11. und 
12. Sabrbunbert, indem auf erftered nur 10, auf letzteres 
nur 14 fommen, während die ältere Zeit, bie zweite Hälfte 
des schnten Jahrhunderts, deren 22 aufzuzählen hat. Nur 
wenig zahlreicher werben fie im breizehnten Jahrhundert, 
dagegen lieferte das 14te über 400, baé 15te über 550, 
das erfte Viertheil des 16ten Jahrhunderts ungefähr 150 
Nummern. Mehrere Feuersbrünfte, PBlünderungen und 
andere Unfälle Einfiedelng, namentlich in ben Jahren 1090, 
1226, 1813, 1467, 1577 und zuletzt zur Zeit der frans 
zoͤſiſchen Revolution haben viele hundert weitere Urkunden 
jerftört. Leid war es uns, daß gerade zur Gefchichte ber 
Gonflanget unb Basler Synode, bie doch nicht in weiter 
Entfernung von Ginftebefn abgehalten wurben, gar nichte 
irgend Bedeutendes dafelbft vorhanden if. Das Wichtigſte 
ift noch, daß die Einwohner von Schwyz ben Saifer Sigis⸗ 
mund in feiner Verfolgung des Herzogs Friedrich von Defter- 
reich, weil er bem SRapfle Johann XXIII. zur Flucht vet; 
bolfen, Träftig unterftügten und dafür im Jahr 1415 von 
Sigismund verfchiedene Privilegien erhielten. Cine zweite 
Urkunde aus diefer Zeit fagt ung, daß der Einſiedler⸗Abt 
Hugo von Nofenegg i. J. 1417 bem großen Benediktiner⸗ 
fapitel zu Betershaufen bei Gonftany, welches während des 
Gonftanzer Concils abgehalten wurde, anmwohnte, als ber 
sweite Abt bem Range nad), und daß 373 Benediftiner 
dafelbft verfammelt waren. Ein paar weitere Urkunden, 
Ar. 722 und 801 beziehen fid) auf den feit neuefter Zeit 


188 ϑιερεβαι der ſchwelzeriſchen Kloſter und Kuchen, 


vielbeachteten ἢ εἴ ἐσ Hemmerlin (Hämmerli) von Zürd, 
welchen man unter die fogenannten Vorläufer der Refor⸗ 
mation zu rechnen pflegt !). 

Das zweite Heft des vorliegenden Werkes, bie Regeften 
ber vor ber Reformation im Gebiet des alten Kantons 
theiles von Bern beftandenen Klöfter und Firchlichen Stifte 
ift von bem Fürzlich verftorbenen Friedrich Gtettler, 
Profeſſor des Staatsrechts und Kantons⸗Lehen⸗Commiſſär 
zu Bern bearbeitet. Diefes Heft zerfällt wieder in 8 klei⸗ 
nete. Abtheilungen, welche bie Regeften 

1) des St. Vincenzftiftes zu Bern, 

2) des Kloſters Rueggisberg, 

3) des Chorherrnftiftes Amfolbingen, 

4) be8 Priorats auf der St. Peters⸗Inſel im Bieler 

Gee, Bisthums Laufanne, 

5) der Propſtei Därftetten, 

6) des Frauenflofters zu Srauenfappeten, 

7) des Männer » und Krauenflofters zu Smterlafen, 

unb enblich 

8) des Sohanniterhaufes Buchſee enthält. 

Dei weitem am melíten Ausbeute gewährte hiebei das 
Archiv des Männerflofters Iuterlafen, während dagegen 
andere Stifte, 3. B. das Bincenzmünfter zu Bern, (id) 
auffallend arm an lirfunben zeigten. Als terminus ad 
quem nahm auch H. Stettler überall. bie Reformationgzeit 
«n. Seine Behandlung der Gadje ifl der des PBatere 
Morell ähnlich, zeigt aber etwas geringere archivalifche 
Accurateſſe. 

| Hefele. 


1) Vergl. Felix Hemmarlin von Zürdg, bearbeitet von Balthaſar 
Meber. Zürch 1846, 


— — — 


Staudenmaier, die kirchliche Aufgabe der Gegenwart. 139 


3. 


Die kirchliche Aufgabe der Gegenwart. Von Dr. f$. X. 
Staudenmaier, Großherzoglich Badiſchem Geheimen Otatbe, 
Domcapitular und ordentl. öffentl. Profeffor der Theologie 
an der Univerfität Freiburg im Breisgau. Breiburg. 
Friedrich Wagner’fche Buchhandlung 1849. Preis 1 fl. 


Der berühmte Hr. Verf. bewegt fid) hier auf einem 
Gebiete, bem er befanntlich fd)on feit längerer Zeit feine 
YAufmerffamfeit zuwendet, und in Bezug auf das er aud) 
in der That ſchon manches beherzigungswerrhe Wort ges 
ſprochen bat. Auch bie vorliegende Schrift ift voll von 
Goldem, was einleuchtender Maaßen zu etwas SBefferem 
führen mußte, wenn ἐδ von denen, welche bie öffentlichen 
Zuftände zu orbnen berufen find, in erforberlidem Grade 
beachtet: und gewürdiget würde. Leider frheint bic unge⸗ 
adjtet ver ernflen Mahnungen, welche die Gekbidte in 
neuefter Zeit wieder gegeben bat, »on manchen. Seiten 
nicht erfannt werben zu wollen. Und es ift wirftich zum 
Verwundern, bag man aud jegt noch nicht eingufeben 
vermag, wo allein Seftigfeit und Dauer zu finden, und 
von woher allein ber ſchwer bebroften Orbnung ber bürger- 
lichen und ftaatlidjen Verhältniffe Hülfe unb Heil erwachſen 
könnte. Die vorliegende Schrift Hrn. St8. bat das Verbienft, 
biefes für jeden nur nicht gerade ganz Verblendeten ober 
Blinden in's helifte Licht gefegt zu haben. Freilich zeigt 
fie zugleich auch, vote ſchwach begründet bie etwaige Hoff 
mung wäre, daB man Das nahebtegende Heilmittel noch 
zeitig genug und in rechter Weife bemügen und nicht viel: 
mehr feinnfelig Befänpfen und lieber im Strudel ber 





140 — Gtaudenmaler, 


Revolution untergehen, als bei der Kirche einen fichern 
Schutz gegen diefelbe fuchen verbe. 

Daß die Kirche allein einen folchen gewähren fönne, 
wenn man fie ihre fegenéreidje Wirkfamfelt ungehindert 
entfalten faffe, zeigt Hr. St. auf unwiderfprechliche Weife, 
fowie zugleich auch, daß fie ihn längft gewährt und ben 
jebigen beflagenswerthen Zuftänden vorgebeugt hätte, wenn 
man nicht feit [ange ihre 9Birffamfeit in allen Hauptrichtuns 
gen gelähmt und im Volfe alle Achtung vor firchlicher und 
göttlicher 9luctoritát zu vernichten gefucht hätte, unbegreif« 
licher Weife nicht einfebenb, daß menfchliche Auctoritäten 
unb Gefege derjenige nicht mehr achten fann, ber bie gótt» 
lichen verachten gelernt bat. Die Nachweifung dieſes 
Punktes ift jedoch Hrn. St. nicht die Hauptfache; er will 
vielmehr zeigen, was tie Kirche in gegenwärtiger Zeit zu 
thun habe, um nicht b(o8 gegen die Angriffe ihrer Yeinde 
unerfchütterlich Stand zu halten, fondern fetbft für jene, bie 
nichts von ihr hören und wiflen wollen, eine befiere Zus 
funft vorzubereiten und jene Gefinnungen und Strebungen 
un Volfe wieder zu voeden unb in Gang zu bringen, welche 
allein das ΘΙ der Nationen bedingen und den Beftand 
bet Reiche und Throne verbürgen. Die dießfaßfige Auf: 
gabe der Kirche bezeichnet er al& eine doppelte, bie Kirche 
muß erftens bie ihr von Gottes und Rechts wegen gebuͤh⸗ 
rende Freiheit fid) wieder erringen unb. zweitens die erruns 
gene dazu gebrauchen, wozu fie ihr von Gott gegeben ift. 

Hr. €t. freut fic), daß „der, welcher den Gebanfen ber 
Freiheit verfündigte, Pius IX. ift, ber Vater der Fatholifchen 
Ehriftenheit, bie Liebe und Freude der Menfchen, unb bet, 
defien Namen alle gebildeten Nationen eben fo mit Gbr» 
furcht als Entziden nennen“ (S, 1), und daß „bie Gegen: 





die Tirchliche Mufgabe der Gegenwart. 441 


wart, welche Freiheit verlangt, auch bie Freiheit ber 
Kirche als eine Forderung ausgefprochen hat“ (G. 89.). 
Er fucht zunächft zu zeigen, baf-bie Kirche ebenfo noths 
wendig frei fein müfle, als fie vermöge ihres Weſens und 
ihrer Sendung auf die wahre Freiheit der Menfchen unb 
Bölfer hinwirfe, unb daß Hemmungen und Beeinträchtis 
gungen biefer Freiheit nod) immer böfe Früchte gebracht 
unb zum Nachtheil und Unheil ber rune. [εἰδῇ aus⸗ 
gefchlagen haben. - 

Daß aber bie Kirche witlich von jeher auf die Freiheit 
unb Civiliſation der Voͤlker und Aufhebung der Sclaverei 
bingearbeitet habe, hat Hr. St. in feiner Schrift über das 
Weſen der fatboli(den Kirche S. 130 —157 ge 
zeigt und hebt hier nur mit befonderem Nachorud hervor, 
daß diefelbe flet die wahre Freiheit gewollt babe und 
wolle, welche in lebendiger Verbindung mit der Religion 
fiehbe und in ber That und Wahrheit die Völker beglüde, 
nicht aber bie falfche, bie nur in der Lüge beftebe, und an 
ber nur jener Theil der Gefelfchaft Freude habe, „der bie 
Hefe, ber Auswurf und der Zeind des Volfes genannt 
werben muß, ber ftetS bereit ftebt, fein Tyrann zu werden 
und die Freiheit aller llebrigen in Sktlavenfefleln zu fchlar 
gen. Niemand hat mehr die Sreiheit im Mund als Solche, 
aber fie wollen nicht aufrichtig bie Freiheit, fonbern fte 
heucheln und lügen fie auf die unwuͤrdigſte Art unb arbei- 
ten ununterbrochen an ihrem Untergange. Während fie 
vorgeben, bie Unfreiheit zu befeitigen und bie Tyrannei 
anszutülgen, reißen fie, zu ihrem eigenen Bortheil, bie 
Souveränität an fid, unb fnedjten alle Andern nach Luſt 
und Laune, fie üben dabei alle mögliche perfönliche Rache, 
geben aber ftet6 vor, alle ihre Handlungen nach Gewiflen 


142 Gitautenmaler, - 


unb Pflicht ju vollbringen. Die Natur der Freiheit, bie 
fie verfprechen, erfennt man an der Natur ber. Apoftel, 
welche die Freiheit verfünben. An die Stelle ber Gerech⸗ 
tigkeit tritt bei ihnen das volle Maaß der Ungerechtigkeit. 
Gefegliche Bormen werden bei Gerichten nur noch zum 
Scheine eingehalten. Jedes freie Wort, überhaupt, und 
inébefonbere gegen fie gefprochen, wird als Aufruhr be: 
handelt, und fefbft die innerften G'ebanfen wollen fie einem 
anfehen, um daran Klage auf Hochverrath zu fnüpfen. 
Tugend, Talent, Wiffenfchaft, Kunft unb Reichthum werben 
für Berbrechen gehalten und als folche gerichtet. Die 
Grundhandlungen find Raub und Mord‘ (S. 11 f). Sul 
bie Kirche die wahre Freiheit anftreben und ver falfchen 
Widerſtand leiften fónnen, fo muß fie, wie ohne weitern 
Beweis einleuchtet, felbft frei fein. Daher fordert Hr. St. 
die Freiheit „in ihrem weiteften limfange ſchon deß⸗ 
wegen, weil nur ble volle, nad allen Seiten gewährte 
Freiheit der Kirche auch die volle, nach allen Seiten fid) 
erftredende Thätigfeit ber Kirche ermöglichen fann* (©. 63), 
unb es ift ibm babel nicht um bie Firchliche Freiheit allein 
zu thun, fonber eben fo auch um bie bürgerliche Freiheit 
des Volkes und um „pas Glüd, das Anfehen, die Würde 
und das fegenvolle Wirken des Königthums, jenes Königs 
thums, welches feiner Idee entfpricht unb im hoͤhern Sinne 
frei und edel (don dadurch iR, bag «à jede von Gott ges 
fommene "Freiheit achtet und ungefchmälert gewähren läßt“ 
(S. 62). Er bedauert aber, daß, wenn e8 fi) um das 
Recht und die gerechten Forderungen ber. Kirche Handelt, 
bie Regierungen fo wenig einfehen, daß bie Kirche nichts 
anderes verlangt, als nur eine von Gott ihr auferlegte 


die Tirchliche Aufgabe der Gegenwart. 148 


Pflicht erfüllen, unb das thun zu bürfen, was fie tbun 
muß (E. 35 f.). 

Um an IThatfachen zu zeigen, wie ſchlimme Früchte 
alle Hemmungen und Beſchraͤnkungen ber Firchlichen Freiheit 
ihren eigenen Urhebern bringen, erinnert Qr. St. an ben 
fatholifchen Kirchenrath, bie galicanifchen Freiheiten unb 
den Joſephinismus. 

Sn Betreff des erfteren fagt er: „die Staaten- und 
Kirchengefchichte weist nach, wie proteftantifche Regierungen 
gefucht haben, das altproteftantifche Syſtem unbefugterweife 
aud) auf die Fatholifche Kirche anzuwenden, unb in der — 
neuern Zeit hat man zur Ausführung des Planes ein 
ganz eigenes Organ, unter der Benennung fatbolifdoer 
Kirhenrath“ gefhaffen, welcher letztere fid endlich zum 
»tatfolifden DOderfirhenrath“ hinaufgefehwungen 
fat. Diefer Name (ff. ganz unpaffend, wenn die damit 
bezeichnete Behörde, wie man anfangs glaubte; nur bie 
Aufgabe hatte, das Infpertionsrecht des Staates auf bie 
Kirche in 9tuétbung zu bringen. Aber bie. Sache wandte 
fb bafb genug anders, und es zeigte fi, bag eben btefe 
Stelle das Mittel fem folfte, durch welches ber Staat 
Körend und verlehend in die Freiheiten und Gerechtſame 
der Kirche eingreife. Es foll nicht verfannt werben, taf 
diefe Behörde mehrmals auch, wie e& in Württemberg vet 
Fall war, zu Gunſten ter. Kirche gewirkt hat, aber mehr 
nur im finanzielfen und Sfonomifden Sinne, als im gei- 
figen und gelftfien. Immerhin ift das Borhandenfein 
biefer Steffe nicht in ber Natur der Sache begründet, unb nur 
zu leicht glauben mit ſolchem Amt betraute Katholiken in 
mißverftandenem Sntereffe des Staates gegen das ber Kirche 


444 Gtaubenmaler, 


fühlen, venten, fprecyen, fchreiben und handeln zu müffen* 
(G. 44 f.). 

Sn Betreff der gallikaniſchen Freiheiten fagt er: „Als 
in Frankreich König Ludwig XIV. in unmürbiger und 
unföniglicher Erhebung von fid felber auéjagte: „der 
Staat bin ich“, und ihm daran lag, nicht nur ber 
Staat, fondern überhaupt Alles zu fein, forgte er, um 
aufer dem Etaate auch nod) bie Kirche fein zu fónnen, 
für die Aufftellung jener Artifel, durch welche, unter bem 
. Stamm der gallifanifchen befannt, er Die Kirche 
Frankreichs zu fein vermochte. Die fogenannte galli- 
kaniſche Kirche ift nichts Anderes, a(8 bie Kirche Frank: 
reidó , welche unter dem Drude des franzöfifchen Könige 
ftanb, Man bat freilich aud) hier einen andern Namen 
für eine ſchlechte Sache zu fchöpfen gefucht, indem man 
die gallifanifche Sklaverei gallifanifche Breiheit, 
und jene obigen gallifanifchen Unterdrüdungsartifel gallis 
fanifde Freiheiten nannte. Was ift inbeg aus Allem 
entftanben? Diefe Brage ijt febr leicht zu beantworten. 
Kaum hatten die fogenannten kirchlichen Freiheiten, hinter 
welchen fid) nur unwuͤrdige Sklaverei verbarg, zu wirfen 
und die Kraft der Kirche niederzuhalten angefangen, als 
ſchon das verruchtefte aller Syſteme, ber Atheismus im 
Schatten des Staates, von den Miniftern und Freunden 
der Könige genährt und gepflegt, emporwuchs unb jene 
Summe von unnennbaren Uebeln für König und Volk 
zugleich herbeiführte, von welchen bie Gefchichte ein fo 
hoͤchſt trauriges Gemälde durch lange Zeit hindurch auf» 
geftelt bat, und deren allerlegte Zudungen noch nicht 
vorüber find, ja die nach allem Bisherigen vieleicht noch 
mals aus bem nod) nicht gefchlofienen Grabe auffteben, 


e 


ble τ τε Aufgabe bey Gegenwart. 145 


um noch einmal die Gemüther mit Entfegen zu erfüllen, und 
ben Boden Frankreichs mit Blut zu trünfen* (S. 46 f.). . 

Ausführlicher verbreitet fi) Hr. €t. über ben Joſephi⸗ 
nismus und entwirft feine Grundzüge nad) Maafgabe ber 
giftigen Schrift, welche der bösartige Apoftat Lanjuinais 
an Kaifer Zofeph IL. richtete, um ihn fir die Orundfäge 
bet franzöfifchen Freidenfer zu gewinnen, unb zur ned 
tung und allmähligen Bejeitigung der Kirche und des 
Ehriftenthums zu bewegen. In Betreff feiner Folgen fagt 
er unter Anderem: „die Entwürfe des Staiferé, ber wenigftens 
einen guten Theil jener Grundfäge in's Leben einzuführen 
fih die unbanfbate Mühe gab, feheiterten, und der Regent 
erndtete als natürliche Früchte Dual und Leiden in Menge. 
Was die Niederlande in kurzer Zeit von dem Körper feiner 
übrigen Lande ablöste, das bewirkte in eben biefem Körper 
eine immerwährende Auflöfung, bie in unfern eigenen 
Sagen zu ihren legten Erfolgen fommen zu wollen ſcheint 1), 
War aud) der religiöfe Geift des öfterreichifchen Regentens 
hauſes in großem bebeutenbem Widerfpruche mit bem Geifte 
des Buches von Lanjuinais; tiefer legtere boͤſe Geift hatte 
dennoch Platz für feine Wirkfamfeit im Miniftertum fowohl 
al in einer weitverzweigten, Alles beherrfchenden, und bie 
bürgerliche Qreifeit, wie bie der Kirche, nieberbrüdenben 
Beamtenwelt gefunden, an deren Epige in ber neueften 
Zeit der czechiſche Graf Kolowrat mit dem befannten rein 
negativen Talente ftanb. Wir brauchen nicht bie ſchmach⸗ 
vollen Wiener-Ereigniffe der neueften Tage in's Gedaͤchtniß 





1) Im jepigen Augenblit würde Hr. St. fidj wohl etwas andere 
ausbrüden , deßhalb bleibt jedoch feine —— im Ganzen un⸗ 
angefochten. ac 

Theol. Quartalſqhrift. 1950. I. Heft. 10 





146 Staudenmaler, 


zurückzurufen, ſie ſind noch ganz friſch in demſelben erhalten. 
Alles aber, was geſchehen, es iſt nur naturnothwendige 
Folge des Joſephinismus, der, wie wir geſehen, eben jenes 
Syſtem iſt, welches, wie es von Lanjuinais gegründet iſt, 
in feinem erften Stadium gegen die fire, in feinem 
jweiten gegen das SBürgertbum, in feinem dritten aber 
gegen das Königthum Sturm läuft, um von Grund aus 
Alles zu gerftóren, und nichts wieder zu bauen“ (S. 60 f.). 

Indem aber Hr. St. die Freiheit der Kirche wünfcht, 
(ft er weit entfernt, bie völlige Trennung derfelben vom 
Staate zu wollen, fo daß fie aud) des ftaatlichen Schuges 
völig verluftig gienge Er fucht ausführlich zu zeigen, 
wie die MWirkfamfeit der Kirche in biefem Kalle duferfi 
erfchwert und felbft ihre Eriftenz; da unb dort gefährdet 
werden könnte, weil das im Anfang indifferent fcheinende 
Verhältniß des Staates zur Kirche bald in ein feindliches 
übergehen unb der irreligids und heidnifch gewordene Staat 
gegen bie Kirche fid) nad) Kurzem nicht anders betragen 
würde, als das alte Heidenthum. Bei ®elegenheit biefet 
Erörterung erhält unter andern namentlich auch Hr. Dr. 
Otto Meier, Prof. ber Rechte in Königsberg, 
feine wohlverbiente Zurechtwelfung. Der rechtskundige 
Mann meint nämlich, bie kirchliche Freiheit werde auch 
der „fatholifchen Parthei“ zugeftanden werben müffen, wenn 
man fie der „evangelifchen Kirche“ gewähre, und ftimmt 
daher für jenes, verlangt aber zugleich, daß bie frei ges 
worbene proteftantifche Kirche fid) des rechtlichen Schupes 
von Seite bed Staates erfreue, die Fatholifche Dagegen δεν 
felben verluftig gehe. „Das ift feine geringe Schmad,“ 
fagt Hr. St., „feine geringe Schande, bie ein Mann, zudem 
ein Zeutfcher, ein Gelehrter, fogar ein öffentlicher Lehrer 








bie Eirchliche Aufgabe δεῖ Gegenwart. 141 


ber Rechte?!) auf fid) ladet, das ift Feine geringe 
Bornirtheit des Geiftes und des Herzens. — — Das juris 
ftifche Gewiſſen ahnt bei biefer ftatuirten Alngleichheit nicht 
einmal eine Ungerechtigkeit, e8 ift ohne alle Celbftanflage 
unb ganz felig, wenn nur gelingt und ausgeführt 
wird, was vorgefhlagen wird, Losgetrenniheit und Schups 
Iofigfeit der Fatholifchen Kirche“. Daraus, fügt er bei, 
fönnen bie Katholiken, welche völlige Trennung ber Kirche 
vom Staate wollen, lernen, „was fie unmittelbar mit jener 
Trennung Preis geben“ (S. 76 f.). Fuͤr ben δα! jebodj, 
daß der Staat fid zu feinem Glauben befenne, und biefeó 
negative Bekenntniß in feine Gefeggebung aufnehme, hält 
Hr. St. die völlige Trennung ebenfo für Pflicht, als das 
Deharren bei der frühern Berbindung für Günbe. 

Was fofort ten Gebrauch ber Firchlichen Freiheit 
betrifft, fo foll bie freigeworbene Kirche mit allen ihr zu 
Gebote ftehenden Mitteln hinwirken auf „vie Erfüllung und 
treue Darftelung der Idee des Ehriftenthums im Erkennen 
und Leben“ (Ὁ. 93). Die dießfallfige Thätigfeit der Kirche 
it theild eine negirenbe theild eine teformirenbe. 

Die Negation ift gerichtet gegen alles, was ber Idee 
des Chriſtenthums nicht entfpricht, ober was fie nicht felbft, 
was nicht ein Moment von ihr ift; aljo im Gebiete bes 
chriſtlichen Erfennens gegen alles Unwahre, unb im Gebiete 
bes chriftlichen Lebens gegen alles linBeilige.  nbem aber 
die Kirche gegen alles biefeó, was fie negirt, nothwendig 
auch ankämpfen muß, um es zu überwinden unb zu be; 
feitigen, wird ihre Negation eine Polemik gegen Unwahres 
und Unheiliges oder gegen Srribum und Sünde. 

„der Endzwed ber in der Kirche unaufhörlich walten- 
hen Negation ift.aber die ftete Reformation“. „Kirchliche 

10 5 


148 | Staubenmaler, 


Reformation aber ift jene von und in der 
Kirhe vorgenommene und burdgefübrte 
Wiedergeftaltung der Dinge, durch welde 
Alles, wad von bet Sbee des Gbriftentbumó 
abgemiden ift, oder ihren Borberungen nidt 
mehr entfpricht, auf fie gurüdgeführt und mit 
ibr ausgeglichen wird“. „Die Negation verneint 
nämlich nicht, nur um zu verneinen, fondern fie verneint, 
damit an die Stelle des SBerneinten das Wahre und Gute 
gefegt werde“ (S. 100). Die wahre und fegenbringenbe 
Reformation muß aber in der Kirche und Durch fte vor: 
genommen werden, in jedem anterm Falle wird (ie ver- 
berblid). „Wie gegenwärtig 9Biele nad) Wreibeit vers 
langen, aber bie wahre freiheit weder fennen πο lieben, 
indem fie nach jener frechen Willtühr haſchen, burd) welche 
alíe gefeglide Ordnung in der Menfchheit in den furdts 
barften Abgrund gezogen wird; ebenfo führen in ber 
Gegenwart nicht Wenige aud) bie Reform im Munde, 
verftehen aber unter ihr nicht bie wahre, bie kirchliche, bie 
beils und fruchtbringende, fondern die, welche, entweder 
vom Materialismus, ober vom PBantheismus, ober vom 
vulgären Rationalismus und Indifferentismus geboten, alle 
pofitive Wahrheit, fo wie das darauf gebaute fittliche und 
fociale Leben auflöst. Mit diefen Reformern fónnen unb 
wollen wir nichts zu fehaffen haben, mit ihnen haben wir 
nur das Wort, aber nicht die Sache, nicht den Inhalt, 
nicht das Weſen, nicht den Gedanken, nicht bie Gefitnung, 
nicht bie Abſicht und nicht den Wunfch gemein. Um befto 
beharrlicher aber glauben wir auf ber Firchlichen als auf 
derjenigen befleben zu müffen, bie zu keiner Zeit gänzlich fel 
len fol, zu der einen aber mehr, als in der andern nothwendig 


“ὦ 


Gitaubenmaler, ble kirchliche Aufgabe der Gegenwart. 149 


erfeheint“ (S. 101). Wir können dem Hrn. Verf. nicht 
mehr weiter in’8 Einzelne folgen und bemerfen nur nod 
in ffizzirender Form, daß ihm zufolge die Kirche bei ihrer . 
Reformation theild als lehrende, theils als regierende 
thaͤtig ſein ſoll. In erſterer Beziehung ſoll ſie „ganz 
neue Lehrſtühle«“ gründen, und zwar für bie chriſt⸗ 
lide Philoſophie, oder bie Philofophie des 
Chriſtenthums; bier foll bie Metaphyſik als ber 
wichtigfte Theil obenan fteben, und ihr bie chriſtliche 
Philoſophie der Geſchichte und die chriftliche Recht δε 
philofophie zur Seite treten. Won der regierenden 
Kirche erwartet Hr. St. zunächft in Deutfchland den Zus 
fammentritt des beutfden Epifcopats zu einer ^ 
Berathung, wofür có an wichtigen Gegenftánben nicht 
fehle; von demſelben Epifcopat erwartet er die Einführung 
des Synodalinftituts gemäß ber trientifchen Vorfchrift, 
und endlich einen Antrag beim heiligen Vater auf Abhals 
tung eines allgemeinen Concils, beffen Hauptziel 
bie MWiedervereinigung ber getrennten Gonfefflonen mit ber 
Kirche fein follte. 


Diefe wenigen Mitiheilungen dürften genügen, um 
fi von dem reichen Gehalte biefer Schrift unb dem Geifte, 
in welchem fle verfaßt ift, eine ungefähre Vorftelung zu 
bilden, und nur Diefes bezwedte die gegenwärtige Anzeige. 
Bei Gegenftänden , die gleich den bier behandelten bie 
Aufmerkfamfeit und das Stad)benfen gar Mancher, befchäfr 
tigen, ift Verſchiedenheit der Anfichten unausbleiblich, und 
wenn wir in einzelnen ohnehin meiſtens nur untergeorbnes 
ten Punkten anderer Anficht find als ber Hr. Berf., fo 
fheint uns das fo wenig einen erheblichen Tadel gegen 


‚2‘ 


150 Schmid, 


feine Arbeit zu begründen, daß wir Tieber feine Anfichten 
etwas ausführlicher darlegen, als unfere dagegen ftehenden 
Meinungen vertbeidigen zu follen glaubten. 


4, 


Hiftorifcher Matechismus ober: ber ganze Katechismus im 
Hiftorifchewahren Exempeln für Kirche, Schule und Haus. 
Bon Iohann En, Schmid, Katecheten der Urſuliner⸗ 
Maͤdchen⸗Hauptſchule zu Salzburg. 1. Band. (Grfte8. unb 
zweited® Hauptſtück). Zweite Auflage. Salzburg, 1849. 
In Gommiffon der Mayr'ſchen Buchhandlung. Drud 
der Zaunrith'ſchen Buchdruckerei. XXVI und 344 ©. 
Preis 1 fl. 24 fr. 


Es ift zu feiner Zeit mehr gelehrt, gefchrieben und 
gelefen worden als in unfern Tagen, und bod fibt εὖ — — 
von den Berbildeten gar nicht zu reden — bei unferm Volke, 
was. feine religiöfe Bildung anbelangt, nichts weniger αἱ 
glänzend aué. Ein Grund diefer traurigen Erfcheinung 
dürfte in der vielfältigen Vernacdhläffigung des katechetiſchen 
Unterrichts liegen. Man ift zwar von der Wichtigkeit des 
fatechetifchen Amtes überzeugt, man anerfennt, ta alle 
fpätere SBaftoration auf dem’ Girunbe fuße, den man in ben 
fatechetifchen abren gelegt, daß der befte Prediger, ber 
ein faufer, gewiflenlofer Katechet war, ober einen foldben 
zu feinem Vorgänger im Amte hatte, nichts ausrichten 
wird ; aber biefe llebergeugung und Anerkennung ift gar 
oft nicht im Stande, aus jener Lethargie und Intereffes 


hiſtoriſcher Katechismus, 151 


Iofigfeit herauszureißen, welche die Sugenbbilbung als 
Bagatellſache behandelt. Wenn aber aud) eifrige Kateches 
ten über fchlechten Erfolg ihrer Bemühungen, über Zer⸗ 
ftteutbeit und Abgeftumpftheit der Katechumenen Flagen, fo 
bürfte, theilmeife wenigftens, die Echuld darin liegen, daß 
fie von bem Wege Umgang nehmen, welchen ber Berfafler 
des vorliegenden „biftorifchen Katechismus“ eindringlichft 
empfiehlt. Herr Joh. Ev. Schmid ging von ber Ueber⸗ 
geugung aus, daß ber alte und bewährte Satz Senela's: 
longum iter per praecepta, breve et eíficax per exempla, 
befonder8 im Religionsunterrichte der Jugend feine Ans 
wendung finden müfje, tag durch Beifpiele bie Aufmerk- 
famfeit der Katechumenen gewedt und ihre Phantaſie ans 
geregt werde, daß die beizubringende Wahrheit dadurch 
zur lebendigen Anfchauung gelange, unb bie erbabenz 
ften Lehren unferer bl. Religion wie fpielend durch Erempel 
in bie jugendliche Seele einziehen. Dem gemäß fammelte 
er zu feinem Fatechetifchen Gebrauche einen Borrath von 
Erempeln und ordnete fie, um bei der Vorbereitung zu 
den einzelnen. .Katechefen des langen Nachſuchens überhoben 
zu fein, nad) bem Lehrgange beó Katechismus. Da die 
Cammíung immer mehr anwuchs und ber Hr. Verf. Die 
llebergeugung gewann, ed dürfte das, was ibm ben Fates 
chetiſchen Unterricht erleichterte und fruchtbar machte, aud) 
andern Katecheten nicht unmillfommen fein; fo entfchloß 
er fi, feinen Vorrath forgfältig auszufcheiden und ges 
fichtet bem Drude zu übergeben. 

Der Hr. Berf. gibt nun dem fo entftantenen Buche 
die Bezeichnung „hiftorifcher Katechismus“; daß uns alfo 
etwas Anderes geboten werden wolle ald ein Katechismus 
von gewöhnlichem Schlage, Darauf weijt bereit das Epitheton 


452 Ä Schmid, 


„biftorifcher“ Hin, unb ſchon ein flüchtiger fid in das Buch 
überzeugt uns aud) hievon. Der Katechismus in feiner 
gewöhnlichen orm wird überall von unferm Buche vor; 
auégefebt, e8 fchließt fid) an ihn an nad Gang und Eins 
theilung als befebenber Gommentar, jedoch nicht fo, αἱ 
würden alle bie dogmatifchen und moralifchen Wahrheiten, 
weldhe im Katechismus, in ber Worm von ragen unb 
Antworten niedergelegt find, darin weiter ausgeführt, bes 
gründet und erläutert, wie bief 4. B. in den Fatechetifchen 
Handbüchern ber Sall ift; es wirb vielmehr an mehreren 
Beifpielen gezeigt, wie die einzelne dogmatifche ober mora» 
fifde Lehre im Leben Geftalt gewonnen, welchen Einfluß 
fie ausgeübt, welche Wirkungen fie hervorgebracht babe; 
wie diefe ober jene Tugend ausgeübt unb gepflegt worden xc. 
Ein paar Beifpiele mögen das Gefagte veranfchaulichen. 
Wenn ber gewöhnliche Katechismus ba, wo von den Eigen 
fhaften des Glaubens die Rede ift, lehrt, 3.3. daß unfer 
Glaube feft fein muß, fo wird dieß im „hiftorifchen fate; 
chismus“ dadurch veranfchaulicht, daß in kurzen Beifpielen 
Glaubenshelden des Alten Teſtaments fowie ber erften 
Ehriftenheit, ber neuern und neueften Zeit vorgeführt wer» 
ben. Wenn im gewöhnlichen Katechismus der 9te. Glau- 
bensartifel abgehandelt wird, fo fommt im biftorifchen 
Katechismus unter Anderm Folgendes zur Sprache: 1) 
Zeugniffe der älteften Zeit über das römlfche Oberhaupt; 
2) ein uraltes Denkmal über den Primat Betri: 3) felbft 
Proteftanten fprechen für ben Primat; 4) bie 9tufeinanber: 
folge der Päpfte; 5) Infignien ber päpftlichen Würde; 
6) was gefchieht, wenn ber Papſt flirbt? 7) wie wird ein 
Papft gewählt? 8) wie witb ber neue Papſt gekrönt? 
In Betreff der Gemeinfchaft der Heiligen wird noch bel 


hiſtoriſcher Katechiömus. - - 153 


gefügt: 1) Attefle Art ber Heiligfprechung ; 3) gegenwärtige 
Art der Seligfpredhung ; 3) gegentodrtige Art der Heilig: 
fprechung; 4) Strenge bei ber Prüfung der Wunder. Zur 
sten Bitte des Vaterunfers arrangirt der Verf. unferes 
hiftorifchen Katechismus das Materiale, das er bann von 
€. 283—296 in gebrängter Kürze auseinander legt, alfo: 
Wir follen bitten und beitragen, daß das Reich Gottes 
1) nach Außen vergrößert werbe. a) die Propaganda in 
Rom; b) ber poner Berein; 6) der Berein ter hi. Kinds 
beit; d) ber bi. Franz Xaver. als Apoftel von Indien; 
e) über die Leiden und Freuden der SXifflonáre; 2) nach 
Innen. a) Kaifer Heraflius und fein weifes Urtheil; 
b) ber unermübliche Franz Xaber; c) der Eifer des heit. 
Bincenz von Paula; d) des hi. Franz von Sales SBefeb; 
runjéeifer; e) der bi. Magdalena und der hi. Therefia 
Gebet; f) ba8 legte Vaterunfer vor dem Schlafengehen; 
g) der Prediger mit der ſchweren Zunge; h) ter unver: 
brofjene Beichtvater ; i) felbft Heiden arbeiten für das 
9teid) Gottes 1x. 

Aus bem Gefagten dürfte bereits einleuchten, daß 
ba6 vorliegende Buch mit allem Bug ein ,biftorifber 
Katechismus genannt wird; nicht fingirte Hiftörchen, ἡ 
nicht mehr ober weniger glaubliche Legenden werden darin 
aufgetifcht; der Verf. richtet vielmehr fein Augenmerk auf 
hiftorifhye wahre Beifpiele, und nur hie und ba, wo 
ibm die Bibel, fowle die Kirchen s und Profangefchichte 
feine folche darbot, nahm er zu fingirten Beifpielen feine 
Zuflucht. Die reichlichfte Ausbeute gewährten ihm bei 
Auswahl feiner gefchichtlichen Beifpiele — außer der 
Bibel — 8ohner’s instructissima bibliotheca concionatoria. 
3 tomi. Editio sexta; ferner Richter’ kirchenhiſtoriſche 


Gdagfammer, Stolberg’s Religions - und Serautt 
Bercaftel’s Kirchengefchichte, Herbſt's Grempelbudy, 
Cilbert'$ katholiſches Hausbuch, Gerambe Reife nad 
Setufalem, Jahn's Archävlogie, fowie noch fehr viele 
andere bei den einzelnen Grempe(n citirte Werke. 

Wenn etwa vermuthet werben follte, der „hiftorifche 
Katechismus“ dürfte nur für bie Satecheten brauchbar fein, 
welche bei ihrem Religionsunterrichte eben den Katechismus 
gebrauchen , nad) welchem der „hiftorifche“ geordnet ift; fo 
ift hiegegen zu bemerfen, daß der zu Grund gelegte Kate 
chismus fein anderer ift, als ber des B. Ganifiué. Bon 
bem Gang unb ber Eintheilung biefes aber. weichen bes 
fannt(id die meiften Statechismen nur wenig ab; zu al’ 
bem aber ift das Suchen und Herausfinden des einfchlägi: 
gen Materials durch das fehr genaue und ins Detail gehende 
Snhaltsverzeichnig (S. IX — XXVI) des hiftorifchen Kate 
diemus ungemein erleichtert. Will man nicht unbillig fein, 
fo muß man geftehen, daß der Hr. Verf. bei biejer Blumen- 
(efe im Ganzen mit recht gutem Gefdymade und praftifchem 
. &acte zu Werfe ging; bie einzelnen Beifpiele, welche bei 
jeder Lehre geboten werben, find recht geeignet, biejelbe zu 
veranfchaulichen; daß dabei bie biblifchen Beiſpiele als 
mehr befannt, gewöhnlich nur kurz angedeutet find, ift 
ganz in der Drbnung; ebenfo fünnen wir e$ nur billigen, 
daß auch bei den andern Erempeln meiftend auf Kürze 
gefchaut wurde, denn lange ober breit erzählte Beifpiele 
rauben zuviel Zeit, (enfen bie Aufmerkfamfeit der Katechu⸗ 
menen von ber Lehre, zu deren Beranfchanlichung das 
Erempel dienen foll, zu febr ab und verwöhnen wohl aud) 
bie Jugend. Um Raum zu erfparen, lieb ber Berf. bei 
ben einzelnen Beifpielen die moralifchen oder katechetiſchen 


hiſtoriſcher Kateiämms. 156 


Reflerionen weg; dieß wollen wir gerabe nicht tadeln, 
jeder Katechet fann und wird fie wohl felber machen, bod) 
hätte es uns beſſer gefallen, voeun bie moraliſchen Nutz⸗ 
anmenbungen, wie ed auch wirklich öfters gefchehen if, 
furz angedeutet worben wären; weit eber- hätte nach unfe- 
ter Anficht baburd) Raum erfpart werben fónnen und follen, 
daß den Erempeln weniger viele Musfprüche ter bl. Väter 
unb namentlich der großen Denter des Qitertbumó, ſowie 
wenigere Gileid)nifje beigegeben worden wären. So über: 
rafchend und intereffant. für den Katecheten auch manche 
Dicta der alten Weltweiſen, Blato’s, Gypiftetó, Genefaté 
x. f. w. fein mögen, fo haben fie tod mit 9tüdfibt auf 
die gewöhnfichen Katechumenen gewiß nur einen unterge- 
ordneten Werth. Bei der Bülle des hiftorifchen Stoffes 
und bei der Abficht des Verf., fo viele Exempel, Gleichniffe 
und Ausfprüche in das Buch aufzunehmen, um für mehrere 
Sabre daran Borrath zu haben, begreift es fib leicht, daß 
eber zu viel als zu wenig Material ausgewählt murbe, 
‚wie denn auch der ganze hiftorifche Katechismus 3 Bände 
umfaffen wird; gleichwohl findet ber eine und andere Bunft 
entweder nicht bie verdiente oder gar feine Berüdfichtigung, 
es müßte denn nur fein, daß noch Einiges, was ftreng 
genommen in den erften Band gehört, in ben noch 2 übris 
gen Bänden, bie bi$ gegen den Anfang des Jahres 1850 
erfcheinen follen, nachgeholt wird. So finden wir fein 
hiſtoriſches Zeugniß, feine patriftifchen Ausfprüche unb auch 
— feine Gleichniffe für bie €ebre von der Tradition, für das 
fBerbáltni von Schrift unb Tradition 1c.; aud) ba, wo 
ber Berf. S. 114 ff. von’ den Engeln, ihrer Zahl unb 
ihrer Liebe zu uns Menfchen redet, ift der Abbildungen 
und Embleme der Engel mit feiner Sylbe Erwähnung 


156 Schmid, Hiftorifäher Katechlsmus. 


gethan; da, wo von der Errichtung ſogenannter Krippen 
bie Rede ἰῇ S. 136, wären wohl ein paar Worte 
über ben Ehriftbaum am Plage geweien u. f. Ὁ. Die 
Angabe €. 9, daß Petrus im Jahre 66 geftorben fei, ift 
unridjtig; bag Clemens von 93—101 auf dem päpftlichen 
Stuhle gefeflen €. 23 und 220, ift febr unwahrſcheinlich, 
auch bie Erzählung ber Bekehrungsgeſchichte sc. des Herzoge 
Gozbert von Würzburg S. 91 f. fann vor ber hiftorifchen 
Kritif nicht beftehen !). 

Sehen wir von derartigen unbebeutenben Fehlern ab, 
fo können wir den hiftorifchen Katechismus, wenn, woran 
nicht zu zweifeln ift, bie 2 nod) nachfolgenden Bände eben 
fo ausfallen, wie ber vorliegende erfte, allen Katecheten 
nur beftens empfehlen; es wird jedem an. ber Hand δεῖς 
felben leicht werden, ble abftraften Begriffe und Saͤtze des 
‚gewöhnlichen Katechismus zu veranfchaulichen, und bie durch 
geeignete SBeifpiele zur lebendigen Anfchauung gebrachte 
Lehre haftet Dann auch fdnelfer und dauerhafter im Ge: 
dächtniffe; denn was bei feinem erften Eintritte in bie 
Seele angenehm angefprochen, wird lieber, unb weil bie 
Theorie durch das Erempel plaftifde Geftaltung ges 
wonnen unb ber Begriff zur Anfchauung geworben, 
auch leichter und länger behalten, f. &. ΠΥ. Während 
ein trodenes Moralifiren oft Groß und Klein ermübet, wird 
bie Katechismuserflärung, fügt man ihr in jeder Stunde 
nur ein ober zwei geeignete Beifpiele hinzu, gewiß immer 
mit Aufmerkfamfeit angehört werben. Befonders wird jeber 
Katechet in der Anführung von Erempeln im Fatechetifchen 


1) vergl. Hefele, Geſchichte der Ginfübrung des Chriſtenthums im 
ſüdweſtlichen Deutſchland ᾿ς. S. 375 ff. 


Buß, der Kampf bec Kirche gegen den Staat. 15T 


Unterrichte ein Mittel baben, auch auf ben Willen ber 
Katechumenen einen mächtigen Einfluß auszuüben, benu 
ob aud) alt doch immer wahr ift ber Spruch: verba 
movent, exempla trahunt. In den religiöfen Erempeln 
(tet fid ja, wie ber Berf. richtig bemerkt, das Eittengefeh 
als zur Wirklichkeit geworden, als im Leben ausgeprägt 
unb wie verförpert bar, unb ber befonders bei bet Jugend 
vorberrídenbe Rahbahbmungstrieb wirb baburd 
mächtig gewedt und angefpornt. Schließlich nod) die Bes 
merfung : fo febr wir dem Hiftorifchen Katechismus bag 
Wort reden, fo febr wir es billigen, daß im. homiletifchen 
und Fatechetifchen linterrid)te das eine und andere Erempel 
aus ben (don genannten Gründen eingeflochten werde; 
fo entfchieden müßten wir jenes Verfahren mißbilligen, das 
nur nach Beifpielen hafchte, um angenehm zu unterhalten ıc, 


Rep. Kris. 


9. 


Der Rampf der fürde gegen den Staat um ihre Freiheit 
in franhteid) und in Teutfchland. Dargelegt in einem 
Hirtembrief des Cardinal⸗Erzbiſchofs Herrn von Bonald, 
und in vier Tagesfchriften ber Herren v. Gormenin, v. 
Gaudjo, v. Montalembert, und in vier Senbfchreiben an 
deren Berfaffer. Von Dr. Buß, 1c... Schaffhaufen, Verlag 
der Hurter'fchen Buchhandlung. 1850.- VIII. u. 675 ©, 
in Octav. Preis 3 fl. 45 fr. 


€6 find. jegt ungefähr drei Sabre, daß Hr. Buß den 
Entſchluß gefaßt hat, in einer ausführlichen. Darftellung 


18. ^^ |. Buß, por US FAS 


zu zeigen, wie bie fatbofifde Kirche in Deutfchland 
gerade diefelben Kämpfe gegen ben Staat zu beftehen habe 
wie in Frankreich. Gr wies dich zuerft an dem Kampfe 
um die Zeitung bed öffentlichen Unterrichts nach, 
und wie er bie getban, bat unfere Quartalfhrift im 
Sahrgange 1848, Heft 1. berichtet. Sm vorliegenden Bande 
nun befchreibt er den Kampf zwifchen Kirche unb Staat um 
bie Breibeit der Kirche, um auch bier Franfreich und 
Deutfchland mit einander in Parallele zu ſtellen. So bils 
den denn bie bereits erfchlenenen zwei Bände nur verfchies 
bene Abtheilungen eines zufammenhängenden größeren Wer⸗ 
feó, und Hr. Buß bat fie barum mit Recht unter bem 
gemeinfamen, freilich auch fehwerfälligen. Titel zufammens 
gefaßt: „Die Gemeinfamfeit ber Rechte unb ber 
Intereffen des Katholicismus in Franfreich 
und in Veutfhland, nadgemiefen an den 
jüngften und midtigften Streitigfeiten 
jwifchen Kirche und Staat“. 

Die Behandlungsart des Gegenftanbe& ift in beiden 
Bänden der Hauptfache nad) bie gleiche, denn auch in bem 
neuen Theile gibt Hr. Buß zunaͤchſt eine lleberfegung ber 
wichtigften über feinen Gegenftand in Sranfreich erfchienenen 
Schriften. Es find tief bier 5 Schriften von 4 berühmten 
Berfafiern: 

1) Der Hirtenbrief des Cardinals Bonald, Erzbifchofe 
von Lyon, bie Genfurirung des hochrenomirten Dupins 
ſchen Manuel du droit public ecclesiastique francais, 
vom Sahr 1844; 

2) Sa und Nein in Betreff ver ll(tramontanen und 
der Gallifaner, von Timon (b. i. Herr. von 
Gormenin). 


ber Kampf der Kirche gegen den Staat. 159 


8) Feuer! $euer! von demfelben. 

4) Betrachtungen über bie religiöfen Drben, ge 
richtet an bie Freunde der Wiffenfchaft, von Baron 
Wuguftin Cauchy. | 

5) Bon der Pflicht der Katholiken bei den Wahlen, 
von Montalembert. 

Diefen Weberfegungen hat fobann Herr Buß vier von 
ihm felbft verfaßte Genbfd)reiben an bie 4 eben genannten 
frangöfifchen Autoritäten beigefügt, und zwar gibt er 

1) in dem Sendfchreiben an den Gardinal Bonald 
zuerſt eine Art Refume über defien Hirtenbrief, unb fudit 
fodann zu zeigen, daß eine kirchliche Genfur über bie 
firdliche Literatur gerade in der Gegenwart fehr notf» 
wendig fet. Auch werben babet treffende Bemerkungen über 
bie frühere fehmähliche Handhabung der ftaatlichen Eenfur 
in Deutfchland eingemifcht. 

2) Das Sendfchreiben an Herrn Eormenin (Sinon) 
befpricht bie Freiheit ber Kirche in Frankreich unb Deutfch- 
land, gibt namentlich das franzöftfche Goncorbat vom Jahre 
1801 in extenso, befchreibt dann bie beutfchen Firchlichen 
Zuftände feit beim Sabre 1801, bie Bemühungen der pro» 
teftantifchen Staaten, tie fatholifche Kirche um ihre Freiheit 
zu bringen, die hierauf zielenden berüchtigten Verhandlungen 
iu Frankfurt (1818), die unehrliche theilweife Nichtvoll⸗ 
jiehung bet von den Staaten felbft angenommenen pápft: 
lihen Bullen (namentlich ber Ergänzungsbulle ad Dominici 
gregis custodiam vom 11. April 1827 für bie oberrhei- 
nifhe Seirchenprovinz) u. dgl. Sehr intereffant ift. biebei 
namentlich auch die Vergleichung der Napoleon’fchen fo: 
genannten organifden Artikel vom Jahr 1802 mit 
Wr verrufenen Frankfurter Kirhenpragmatit 


T ET *7 - - 


vom 30. Januar 1830. Wie Napoleon durch erftere fein 
mit dem Bapft abgefchloffenes Goncorbat winerrechtlich und 
treulos theild abichwächte, theils aufhob, fo follte ad) bie 
Sranffurter Pragmatif den Satbolifen in der oberrheini- 
ſchen Kirchenprovinz (i. e. ben Bisthümern wretburg, Rot⸗ 
tenburg, Mainz, Fulda und Limburg) jene Rechte wieder 
nehmen, welche in der Convention mit Rom, b. i. in ber 
Annahme und Beftätigung der päpftlichen Bullen, ihnen 
zugefichert worden waren. — Auch dad fugenannte landes⸗ 
herrliche SBatronat, die Eingriffe bed Staats in bie geifts 
lichen Unterrichtsanftalten, bie Säcularifation, die Ent- 
firchlichung ber Volfsfchulen u. dgl. fommt in diefem langen 
Sendfchreiben an Hrn. v. Gormenin zur Sprache. 

3) 3m dritten Sendfchreiben an Baron v. Gaudyy 
bandelt Hr. Buß von der Wiedereinführung ber religiös 
fen Orden in Deutfchland, und gibt dabei eine ziem⸗ 
lich ausführliche und interefiante Ueberſicht über alle bie 
vielen Mannes und Srauenorben, welche bie verfchiebenften 
Arten ber Wohlthätigkeit: Krankenpflege, Unterricht, Gr» 
ziehung, Miſſion 2c. zu ihrer Aufgabe gewählt haben. - 

4) Das vierte Sendfchreiben enblid) ift an ben bes 
rühmten Grafen DMontalembert gerichtet ‚und enthält eine 
lange lange Klage über die Echläfrigfeit ber deutſchen 
Katholiken, über ihren Mangel an feftem. Sufammenbalten 
unb über ihre Gleichgültigfeit in allen politifchen Ange: 
genheiten. Dabei zeigt der Hr. Berfafler, wie er fic alle 
Mühe gegeben habe, dieß anders zu machen, wie er naments 
lich die fatboli(d)en Vereine, bie fogenannten Biusvereine 
in'6 Leben gerufen, Verbindungen derfelben mit den katho⸗ 
lifchen Vereinen Frankreichs und Englands angeftrebt, bie 
Viſchöfe dafür gewonnen, ja ſelbſt ble päpftliche Beſtaͤtigung 


e 


ber Kampf der Kirhhe gegen den Staat. 161 


erwirkt habe, was auf ber erften. Generalverſammlung ber 
Biußvereine zu Mainz, der er präfidirte, befchloflen worben 
κί, wie er in Frankfurt für Großdeutſchland und für einen 
Kaifer aus bem Habeburgifchen Haufe gewirkt habe u. bgl.; 
wie er aber aud) mißkannt worden fel, wie man. feine 
Bemühungen nicht unterftügt habe, wie namentlich feine 
Würtemberger Freunde ben Plan, auf dem Hohenftaufen 
im Februar 1849 eine große Katholifenverfammlung zu 
falten, nicht gebilligt hätten, wie fein Vorſchlag, bie Pius⸗ 
vereine aud) bei den politifchen Fragen, fofern fie bie Kirche 
berühren, zu betheiligen, nicht angenommen worden fet, ja 
wie fogar ber Vorort des Fatholifchen Vereins Breslau bem 
Coͤlner Verein wegen deſſen Theilnahme an der Bolitif 
eine Rüge ertheilt habe. 

Manches, was Buß in biefer epistola galeata ben 
Deutfchen vormirft, ift völlig wahr und begründet; befunges 
achtet wäre e8 wohl gut geweien, wenn der eifrige Mann 
fein Sendfchreiben bei ruhigerem Blute noch einmal 
durchlefen und geprüft hätte. Manches, was jet ben Lefer 
wicht gut anfprechen fann, wäre dann ficherlich getilgt und 
abgefchnitten worden; ber Eindrud des Ganzen aber hätte 
durch größere Mäßigung gewiß nur gewinnen können. Um 
wur ein Kleines Beifpiel anzuführen: ber Spott, womit bíe 
Würtemberger wegen ber projektirten Berfammlung auf 
dem Hohenftaufen auf S. 634 behandelt worden, ift ebenfo 
ungerecht als unverbient, und ich bin noch jet der nämli- 
den Meinung, die ich damals, wenn id) nicht iste, gegen 
Hr. Buß ſelbſt ſchriftlich ausfprach. | 

Sm ein paar Tagen läßt (i) feine ſolche große Ber: 
ſammlung arrangiren, dazu hätte bie Aufforderung von 
$. Buß vid früher ergehen feUen, Dann aber (ft. ber 

Lpesl. Oxartalfeift. 1850. 1. δε! — 11 


102 Buß, 


Hohenftaufen dazu gar feine paffenbe Lofalität, unb nur 
die romantifhe Ruͤckſicht auf das alte ſchwäbiſche Kaifer- 
gefchlecht konnte zur Wahl biefe& Berges führen, in defien 
Nähe fo wenige ftatbolifen wohnen. Weingarten, im Herzen 
des fatholifchen Oberlandes, wäre dazu hundertmal geeigs 
neter gewefen. Wer aber darf hoffen, im Winter, im 
Februar () auf einem fonft fablen, jegt ſchneebedeckten 
Berge unter freiem Himmel eine große Bolföverfammlung 
abhalten zu können? So viel Feuer haben allerdings bie 
Schwaben nicht, um auf dem Hohenftaufen im Schnee zu 
fteben, während fonft überall. im Winter alle Berfamm- 
lungen unter Dach gehalten werben. Endlich hätten fid 
am 19. Februar gerade nur wenige Geiftliche betheiligen 
fónnen, weil fie Tags zuvor, als an einem Sonntage, 
nothwendig Refidenz halten mußten. — Uebrigens verzeihen 
wir bem hoͤchſt rühmlichen Eifer δε H. Buß gerne, was 
er uns in biefem Punkte Unrecht getban, und für ihn 
ſelbſt mögen, wenn er diefes fein Senpfchreiben auf Reue 
durchliest und da unb dort vielleicht über etwas errörhet, 
die Worte des Pfalmiften zelus domus tuae comedit me 
zur Entſchuldigung bienen. 

Auch in den drei andern Senpfchreiben des H. Buß 
fónnen wir nicht Alles billigen. Neben fehr vielem Guten 
und Richtigen trafen wir aud) hier einiges. Ertravagante, 
Einfeitige und llebertriebene. Namentlich rechne id) hieher 
die ungerechte Geringfchägung der beutfchen Theologie, 
verbunden mit einer wahren Bergötterung der. römifchen 
Methode (S. 354 ff). Man kann der wärmfte SBerebrer 
von Rom fein, unb bod) glauben, daß Pater SBerrone'? 
Methode in ber Dogmatik nicht bie aller vorgüglichfte fel; 
und man fann gewiß ber befte römiſch⸗ katholiſche Chrift 


. der Kampf der Kirche gegen den Staat. 4163 


fein, und doch fogar bie Anficht hegen, daß eingelne theo- 
logiſche Fächer in Deutfchland beffer gelehrt werden, als 
in Rom. Herr Buß aber meint, von Rom aus folle man 
von Zeit zu Zeit Muftertheologen in alle Gegenden der 
Welt fehiden, welche dann als PBrofefforen in den geiftlichen 
Bildungs-Anftalten bie „einzige Methode“ zur allherrſchen⸗ 
den machen ſollen. Es wäre, glaube ich überflüffig, bicfe 
Anficht des Weiteren zu beftreiten; ihr Analogon aber hat 
fie in dem Borfhlag (S. 359) daß in Rom eine Gentral; 
zeitung beftehen follte, „welche bte Ereigniffe des 
Tages für bie ganze fatbolifde Welt vom 
Standpunft des Katholicismus behandelte“ 
Die deutſchen katholiſchen Publiciften dürften bann wohl 
nur noch überfeßen und wiederfauen ! 

Ebenfo müffen wir ung gegen das ausſprechen, was 
H. Buß an der belgiſchen Bildungsweiſe der Geiſtlichen 
beſonders lobt. Er berichtet naͤmlich S. 405, daß alle 
belgiſchen Prieſter in den biſchoͤflichen Knabenſeminarien 
einen vollſtaͤndigen theologiſchen Unterricht erhalten (wir 
fügen bei: bod) wohl nicht in ben Knabenſeminarien?) 
und nad) erftanbenem Gramen fogleich bie heil. Weihen 
empfangen. Die ſchwachen und mittelmäßigen Köpfe treten 
dann fofort unmittelbar in die Eeelforge über; bie talent» 
volferen dagegen kommen jegt erft an die Univerfität Löwen 
u. f. f. — Hat der Berfafler hier recht berichtet, fo können 
wir biefe befgifche Praxis ja nicht für nachahmungswürdig 
erachten, und würden unà mit aller Kraft entgegenfeßen, 
wenn auch bei ung eine ähnliche Einrichtung, eine Faften- 
mäßige Spaltung der Geiftlichfeit in wahre presbyteri 
simplices und eruditi eingeführt werden wollte. 

Weiterhin geben wir dem Hrn. — zu, daß bie 

e % 





164 RU Buß, 
Frankfurter Kirchenpragmatik allerdings den Bifchof zum 
bloßen Bräfidenten des Kapitels berabjegen und bem Stim- 
menmehr feiner Räthe habe unterwerfen wollen (S. 407); 
aber foviel mir befannt, ift es faktiſch bod) gerade nicht 
foweit gefommen, und ber fragliche perverfe Grundſat ift 
von feinem oberrheinifchen Bifchof je anerfannt worden. 
Vebrigens ift εὖ nicht unfere Abfiht, an ber Buß’: 
fchen Echrift blos das einzelne Tadelnswerthe hervorheben 
und darüber das viele Gute und Treffliche vergeflen zu 
wollen. Sm Gegentbeile hat uns Manches, fowohl in 
den überfegten Stüden als in ben eigenen, febr gut gefallen. 
Wir rechnen hieher namentlich, was der Garbinal Bonald 
gegen das Iandesherrliche Placet für päpftlicde Bullen fagt. 
„So darf alfo, ruft er S. 42 aus, alle Morgen bet 
frivolfte Schriftfteler feine Seullletoné und Neuigkeiten 
unter das S ubfifum fchleubern; er darf fie in Pie [egten 
Winkel hireinwerfen, und ber Statthalter Sefu Chrifti darf 
nicht ohne Erlaubniß der Stantögewalt an feine Brüder 
fhreiben, um den Srrtbum zu verbammen, die Unterwürfig⸗ 
feit. unter die Obrigkeit zu lehren, die reine eren. ber 
Religion zu erklären u. f. f.“ — Bortrefflich ift auch, was 
über die gallitanifchen Artifel und ihre Unverträglichkeit 
feb mit der politifchen Freiheit gefagt it, &. 27 
und 314, denn gewiß wäre es ja eine grobe Beeinträchtis 
gung der legtern, wenn mich ein Staatogeſetz zwingen 
wollte, zu glauben und zu feren, daß ein allgemeines 
Gonci über bem Papſte ftehe u. dgl. Nicht minder fchlas 
gend äußert fi Buß G. 371 gegen bie Rationalfirchen 
alfo: „wie fi bie Kirche fn ben nationalen Bereich ein⸗ 
iB, gab fie fid) gewalt gefangen, well chen 





ber Kampf der Kirche gegen den Staat. 105 


geht alfo bie Kirche i bie nationale Begrenzung ein, fo 
verliert fie ihre GCelbfiftánbigfeit an den €taat. Das haben 
wir geſehen an der gallifanifchen Kirche; je mehr fie fi 
gallifanifirte, befto. mehr ſank fle in den Defpotismus des 
abfolutiftifchen Königthums hin.“ 

Ganz richtig befchreibt auch Buß ©. 632 ff. bie Art 
unb Weife, wie der König ven Würtemberg, ter wohl 
einem Habsburger, aber nicht einem Hohenzollern 
fi unterwerfen wollte, durch eine fünftlid) angelegte Volks⸗ 
bewegung geswungen wurde, bie Frankſurter Reichsver⸗ 
faffung fammt dem preugifden Grbfaifertbum an» 
zuerkennen. 

Endlich haben wir noch in einem Punkte eine mid 
tige Ergänzung beizufügen. Auf ©. 314 f. fpridbt Buß 
von der Iandesherrlichen SBeftátigung der auf die Grridy 
tung ber oberrheinifchen Kirchenprovinz beziiglichen Bullen. 
Er fah mit Recht, daß bieje Bullen, namentlich bie fo: 
genannte Ergänzungsballe vom 11, April 1827 δ. 5 unb 6, 
befonders $. 6 Grunbídge enthalten, welche mit ber Frank⸗ 
furter Pragmatif durchaus im Widerfpruche ftehen, und er 
weiß barum G. 315 nicht, ob mehr über bie Unwiſſenheit 
ober Unehrlichkeit der Iandesherrlichen Abgeordneten geklagt 
werben müffe. Diefer Zweifel wird fid) aber Iöfen, wenn 
wir bie bieber gehörigen Worte mittheilen,, welche der 
föniglich voürtembergifche Commiſſär, Minifter v. Schmiblin, 
in amtlicher Eigenfchaft fprach, als er am 19. Mai 1828 
die Fundation des Bisthums Rottenburg feierlich in An⸗ 
wefenheit des Bifchofs und Domfapitele vollzog. Er äußerte 
fib nämlich alfo: ,biefe beide Bullen Provida solersque 
und Ad Dominici gregis etc. haben unter dem 24. October 
v. 3. die königliche Genehmigung, jedoch nur in fo weit 


P4 


166 Buß, der Kampf der Kirche gegen bem. Staat, 


erhalten, als folche bic Bildung der oberrheinifchen Kirchen: 
proving, bie Begrenzung, Ausftattung und Einrichtung der 
dazu gehörigen 5 SBietbümer mit ihren Domfapiteln, fowie 
bie Beſetzung der erzbifchöflichen und bifchöflichen Stühle 
unb ber Ddomftiftifchen Präbenden zum Gegenftand haben, 
Sie werden nicht überfeben, meine Herrn 
(nämlich ber Herr Bifchof und die Domfapitularen), baf 
bierunter namentlich der 5te und 6te Artifel 
ber Ergänzungsbulle (Ad Dominici gregis etc.) 
nicht begriffen, unb fomit von der Gtaaté: 
tegierung nicht anerfannt find.“ 

Das ift, meinen wir, beutlid. Die nicht anerfann- 
ten Artikel lauten: ' | 

Art. 5: „In dem erzbifchöflichen oder bifchöflichen 
Seminarium wird eine, ber Größe und bem Sebürfniffe 
des Sprengels entfprechende, nach bem Ermeflen des Bifchefs 
zu beftimmenbe Anzahl Kleriker unterhalten, und nach ter 
Borfchrift der Defrete des Conciliums von Trient gebildet 
und erzogen werden.“ 

Und Art: 6: „Der Berfehr mit dem heil. Stuhl in 
firchlichen Geſchaͤften wird frei fein, und der Erzbifchof in 
feiner Diöcefe und Firchlichen Provinz, tie auch bie Bis 
fchöfe, jeder in der eigenen Didrefe, werben mit vollem 
Rechte die bifchöfliche Gerichtsbarkeit ausüben, welche ihnen 
nach den canonifchen Borfchriften unb der gegenwärtigen 
Kirchenverfaffung zufteht.“ — 

Hefele 


Dupanloup, bie weltliche Souveränetät des Papftes, 167 


6. 


Keber die weltliche Souveränetät des Papfles. Don Abbe 
Bupanloup. Ueberſetzt von F. X. füarker, Curat bel 
St. Urfula in Breslau. — Als Beilage: Die Allocution 
be8 heiligen Vaters vom 20. April 1849. Breslau, 
bei G. Ph. Aderholz. 1849. Preis 27 Er. 


Es fonnte nicht fehlen, daß bie weltliche Souveränetät 
des Bapftes, welche durch bie revolutionären Bewegungen 
im Kirchenftaate in Frage geftellt fchien, mehrere Schriften 
wie dagegen fo auch dafür hervorrief; ‘zu ben leßtern gehört 
bie vorliegende von bem berühmten Abbe Dupanloup, einem 
ber ausgezeichnetften geiftlichen Redner Frankreichs, nun: 
mehrigem Biſchof von Orleans. Außer der inneren Bes 
deutfamfeit des Gegenftandes fand er fid) dazu noch befonberó 
veranlaßt Durch eine gewagte und gefährliche Anficht über 
den betreffenden Gegenftand, bie in Frankreich Geltung zu 
gewinnen fudte. Schon feit dem Anfang der dreißiger 
Jahre hatten bie Herausgeber und Mitarbeiter des Avenir 
Grundfäge vertheidigt, welche eine gänzliche Trennung ber 
Kirche vom Staate bezivedten, bie Anhänger diefer Grund- 
fige bemächtigten fid) nun jegt ber Frage über bie- weltliche 
Eouveränetät des Papftes, und gelangten zu bem Refultate, 
dag nur bie vollftändigfte Scheidung des Weltfichen vom 
Geiſtlichen, alfo bie Säcularifation des Sirchenftaats zum 
Segen und Gedeihen der Kirche audfchlagen fónne; das 
Journal L'Ere nouvelle war das Hauptorgan biefer Grund» 
füge. Diefem Treiben, wodurch nur der Umfturzpartei in 
in die Hände gearbeitet wurde, trat nun Dupanloup mit 
feiner Echrift entgegen, welche juerft. in bem. Ami de la 
Religion erfchien, hierauf von tem Wahlcomite für religiöfe 


168 Dupanloup, 

Freiheit als VBereinsfchrift in Umlauf gebracht, in das 
Englifche und Stalienifche und von Herrn Karfer in das 
Deutfche überfegt wurde. 

ı Die Grundanfchauung des Werfaflers ſowohl vom 
SBapfttbum überhaupt als von deffen polltifcher Unabhaͤn⸗ 
gigfeit, deren Bedingung bie weltliche Souveränetät ift, tft 
bie Auffaſſung beffelben als eines providentiellen Wunders, 
eines Wunders von achtzehn Jahrhunderten, des dritten 
nach ber Schöpfung und Erlöfung, welches Gott in ber 
Gefchichte durch Menfchen fortfegt, ba er jene burd) fid) 
felbft vollbrachte, eines Wunders für einen unvergäng- 
lichen Zwed, weldyes barum bleiben wird bis an das Ende 
der Zeiten. Sn biefer llebergeugung fügt er dann bei: 
wenn die Römer, jest der Anarchie verfallen, dahin fámen 
in den linglauben zu verfinfen, fo würde bod) ber Nache 
folger des heil. Petrus, ber Bifchof von Rom das Haupt 
ber ganzen Kirche fein. Er Fönnte bie Meere durchſchiffen, 
unb in ber einen Hand das Evangelium, in ber andern 
bie Gefege der Kirche, fich niederlaffen in einer Stadt ober 
in einer Wüfte ber neuen Welt; ble Kirche würde mit 
ihm reifen, mit ibm landen, mit ihm fid nieberlaffen, und 
wir würden mit bem heil. Ambrofius ausrufen: mo Petrus, 
ba bie Kirche; er felbft noch immer der Mittelpunkt, zu 
welchen die Geifter aus allen Theilen ber Welt fid zu 
wenden nicht aufhören volitben, fónnte mit bem unbeftreits 
barften Rechte fagen: Rom ift. nicht mehr in Rom, es ift 
ganz wo ich bin. 

Auf biefem Standpunft unterfucht ber Verf. zuerft bie 
Stage: welches waren die Motive ber göttlichen 
Borfehung, als fie die weltliche Souveränetät des Pap⸗ 
fies gründete? und bie Antwort faßt er in folgender 





ble weltliche Seuberaͤnetat bed Papfleb. 169 


Kettenfehtuß zufammen: zur Sicherheit der Kirche unb ber 
einzelnen Gläubigen mußte das Oberhaupt ber Kirche frei und 
unabhängig fein; um unabhängig zu fein, mußte e8 Souve⸗ 
ränetät befigen; um frei zu fein, mußte e& nicht blos einen 
Schein (den Ramen) der Freiheit, fonbern bie Freiheit in ber 
Wirklichkeit haben; endlich mußte es unabhängig unb feet 
fein nach Innen wie nach Außen. Seber Cab diefer Kette 
wird bann aus der Natur des Gegenſtandes entwidelt, 
unb mit Beweifen aus der Gefchichte und den Zeugniflen 
ber geachtetftien Männer beftátigt. | 

Der Bapft muß frei und felbfifländig fein — alà das 
Dberhaupt ber Kirche, ber SBater der G(Aubigen, ber Doll» 
metſcher des göttlichen Geſetzes, ber oberfte Leiter ber Ges 
wiffen, beffen Breiheit um diefes Verhaͤltniſſes willen bie 
.unerläßliche Bedingung der religiöfen Freiheit aller Kathos 
lifen ift, denn wenn ter Bapft, ber bódjfte Richter, bie legte 
Inſtanz, das lebendige Organ. des Fatholifchen Gejegeó und 
Glaubens nicht frei iR, fo find es aud) alle Katholifen 
nicht. Aus diefem Gefichtspunft ift die Sreiheit unb Sou⸗ 
veränetät des Papftes fein römifches, aud) fein blos ita» 
lienifches, fonbern ein europdifches, ein univerfelles Inftitut. — 

Aber um wahrbaft frei zu fein, muß. ber. Papft auch 
Eouverän fein. Wäre er Unterthan irgend eines Monars 
den, fo müßten alle Katholifen fürdien, es mit ibm zu 
werden, was bie übrigen Monarchen nicht zugeben fónnten, 
weßhalb der SBráfibent Henaut fagte: ber Papſt gibt Beſcheid 
an Alle, welche auf Erden befehlen, folglich darf Niemand 
(m befeblen. Der Berf. verweist ferner auf die Lage 
der SBatriardyen von Gonftantinopel, welche willenlofe Spiels 
zeuge ber arianifchen, moenotheletifhen, bilberftürmenbem 
Kaifer waren, er erinnert an. ble Worte Fleurys — Hist. 


170 Dupanloup, 
eccles. t. XVI. 4. disc, wenn, feit Europa unter mehrere 
Fürften getbeift ift, ber SBapit zu Einem berfelben in Unter- 
thänigfeits + Verhältniffen gejtanben hätte, fo wäre zu bes 
fürchten gewefen, daß bie anderen ihn nicht als gemein: 
famen Bater anerfannt, und fomit nicht felten Spaltungen 
Statt gefunden hätten. Bor diefem Unglüde, wie vor 
jener orientalifchen Schmach hat den Bapft feine Sonveränetät 
bewahrt. Zwar, fet Dupanloup bci, ift bie Wahrheit, ob 
aud) gefangen, noch immer Wahrheit, unb bie Vorſehung 
"Bönnte durch Wunder aud) den gefangenen Bapft in ber 
Wahrheit erhalten, aber dies Wunder bat Gott bisher 
nicht gewollt, fonbern bie Sreiheit des Papſtes auf natüt: 
lichen Wegen gefichert. 

Der Papft muß endlich nicht blos frei unb ou bern 
fein nad Außen, er muß ἐδ unb noch mehr fein nad 
Innen, b. b. in Beziehung auf fein Berbältniß zu feinen 
eigenen lintertbanen, und biefer zu ibm. Der Berfaffer 
berührt bier bie unmittelbaren Urfachen ber neueften römi- 
fchen Revolution, πάπι ἐπε das Verlangen nach einer 
conftitutionellen RepräfentativsBerfaffung , und dann mad 
einer Republif mit gänzlicher Entfleivung bes Papftes von 
alfer weltlichen Gewalt, und Unterwerfung beffelben unter 
ben römifchen Senat mit einem Zriumpirat. Der Berf. 
zeigt mit fehlagenden Gründen und fiegender SSerebtfamteit, 
daß eine folche Stellung den Einfluß unb das Anfehen bed 
Bapftes nod) weit mehr gefährden müßte als feine Leber: 
wachung burd) eine auswärtige Großmacht; er zeigt dies 
burdj Hinweiſung auf die Folgen, welche eine ſolche Stel; 
lung für bie Freiheit: der heil. Gongregationen in ihren 
Berathungen und Befcheiden, für die Freiheit ber Papſtwahl 
und bie Unabhängigfeit des Gonclaves haben würde; er 





ble weltliche Souveränetäf des Papftes. 171. 


jeigt dies, indem er hervorhebt, wie wenig δὰδ römifche 
Bolf andern Völkern gegenüber berechtigt fei eine Herrfchaft 
über den Papſt auszuüben, ein eines Wölfchen, lediglich 
von fremder Hand emporgehoben, wie es fid) aud) nur 
durch fremde Hände in der Reihe ter Staaten erhielt; er 
jeigt bie& auch vorzüglich, indem er aus feinem Verhalten 
durch bie ganze Revolutiongzeit bie vollftánbigfte linfáfig: 
feit zu einer felbftftändigen Role nachweist, wie ed .ben 
Papſt auf ben Straßen verfolgte, ihn in feinem Pallaſte 
belagerte, feinen. Minifter ermorbete, fein Haus. in Brand 
zu ftedden, feine treueften Diener zu tödten drohte, und ihn 
fo entweder abyubanfen ober zu fliehen zwang. Was Hr. 
Dupanloup in all biefen Beziehungen fagt, beftätigt et 
jugleich Durch Meußerungen von Thiers, Hutter, Lanjuinais, 
Roffi, Charles Dupin und Napoleon felbft, unb führt am 
Schluſſe folgende Stelle aus bem Schreiben des SSráfbenten 
Louis Rapoleon an: die weltliche Souveränetät des efr; 
würdigen Oberhaupts ber Kirche ift auf das Innigſte ver: 
bunden wit ber Herrlichkeit des Katholicismus, wie mit 
der Freiheit und Unabhaͤngigkeit Italiens. 

Im zweiten Theile unterfucht ber Berf. die Wege, 
auf welchen die göttliche Vorfehung ihren Plan mit der 
Kirche unb ihrem Oberhaupte verwirkfichte, das Reſultat 
im Ganzen faßt er in bie Worte Bofjuets und des Grafen 
de Maiftre zufammen; ber erfte fagt: gibt es auf Erben, 
gab εὖ je durch alle Jahrhunderte herab eine Macht, deren 
Urfprung fo rein und edel, einen Staat, der am fonnens 
hellen Tage auf fo rechtmäßigem Fundament, auf fo ehren: 
wertben Thatfachen aufgebauet geweſen wäre, als bie Sous 
veränetät des Papſtes? und faft wörtlich übereinftimmenb 
δε Maiftre: e& gibt in Guropa feine gerechtfertigtere Sou⸗ 


172 ὍΝ, Tutpantonp, 
veränetät al& die ber Bäpfte, fie it wie das göttliche Gefetz 
gerechtfertigt in fid) ſelbſt. 

Das erfte Moment biefer Rechtfertigung liegt darin, 
daß bie Bäpfte Souveräne wurden, ohne e$ wahrzunehmen, 
ja wider ihren Willen; ein unfichtbares Gefe& erbob ben 
Stuhl von Rom. In den erften Sahrhunderten, den Zeis 
ten der Berfolgung, befeftigte fid) das geiftliche 9Infeben 
ber römifchen Bifchöfe ald die Grundlage ihrer weltlichen 
Herrfchaft, Eonftantin räumte den Thron in Rom, Odoaker, 
Theodorich, bie Könige ber Kongobarden, welche nad) . ibm 
in Stalien geherrfcht, getrauten fid) nicht ibn zu befteigen, 
wie durch eine unfichtbare Macht davon zurüdgehalten, 
während bem bie Päpfte [εἰ nod) immer an ber Aufrecht: 
haltung der Macht ber Kaifer von Eonftantinopel arbeiteten, 
bis biefe Rom aufgaben, und: die Paͤpfie ermächtigt wur⸗ 
ben, bei den Königen ber Franken € dug zu fuchen, weldye 
dann zu bem mad) unb mad) bedeutend angewachfenen 
Brivatbefig ber römischen Kirche einen Territorialbefig hin» 
zufügten. So wurden bie Paͤpſte Couberáne von Rom, 
ohne es zu wiffen unb zu wollen, obne eat. ohne 
Intriken, ohne Berträge. 

Ein anderer unbeftreitbarer Anfpruch ber Bäpfte auf 
bie weltliche Souveränetät liegt darin, baf fle den Vöffern 
fib nicht nur nicht aufgeprängt, fondern vielmehr Diefe, 
von ben Barbaren geängftigt und von ihren ehemaligen 
Herren verfaffen, bei den Bäpften Schub, Hlife und Ret⸗ 
tung gefucht haben. Der Verf. erinnert daran, was bie 
Paͤpfte während ber Voͤlkerwanderung, inébefonbere bet 
Stadt Rom waren, wie namentlich Leo ber @roße fie vor 
ber Wuth Attila's und Genferich® gerettet, Gregor b. Or. 
durch fein Anfehen und feine Berebtfamfeit während fiebzehn 


ble weltliche Gouveräustät des Papſtes 412 


Sabren. bad Schwert δεῖ Longobarden von (Br abgehalten, 
Agapit L den Frieden zwilhen bem Oſtgothen Theubat und 
dem Kaifer Zuftinian zu Gunften ber Bölfer Italiens tnter: 
handelt, Gregor II. bafje6e mit Karl Martel und bem 
Longobarden Rachis gethan. Die Briefe dieſer beiden 
Väpfte, aud) einige Caſſiodors find voll von Belegen, wie 
fie auf das Verlangen ber Bölfer und Städte Italiens ftd; 
mit allen Zweigen der weltlichen Gefchäfte befaflen mug: 
ten, fo Daß Gregor I. an bie Kaiferin Gonftantine, Gemahlin 
des St. Mauritius Hagend fchrieb, fein eben {εἰ getheilt 
zwifchen dem Amt eines Hirten umb. dem eines weltlichen 
Fürften. Seit Gregor II. gab e$ eine weltliche Souveraͤ⸗ 
netät ber Päpfte, welche die Gelehrten eine proviforifche 
nennen, welche aber eine faftifd)e und wirkliche war; durch 
Pipin und Karl ven Großen erhielt fie ihre Vollendung, 
indem jener den König Sliftulf zwang, bie von ihm erober- 
ten Städte dem Bapfte zurüdzugeben, biefer aber nach ber 
Zerkörung des Longobardifchen Reichs die Schenkungen 
feines Vaters nicht nur beftätigte, Hone mit neuen unb 
bedeutenden vermehrte. 

Der britte Theil oder Abſchnitt der Schrift enthält 
biftorifchspolitifche Betrachtungen darüber, was Rom, Stallen 
unb Europa ohne ben SBapft wären, ober geworben wären? 
— In Beziehung auf Rom [ἐδ fefe wir folgende Bes 
trachtungen. Rom an fid) it nur bie vierte ober fünfte 
Stadt Italiens, minder groß als Neapel, minder prachtvoll 
als Florenz, minder fehenswürbig als Venedig, bie erfte - 
Stadt iſt Rom nur ald Sie des Papſtes, nehmer blefen 
hinweg, fo πῇ fie zur Unbedeutenheit herab, Rom ift in 
feinen vor Alters bewohnteften Quartieren, dem Balatin, 
dem Auentin, dem Viminal, dem Sorum (don jegt eine 


114 27 05 Φιρραπίσι, 


Einsde, wolft ihr nod) den Quirinal unb Batifan hinzu 
fügen? Erinnert euch, bag bie Näpfte nicht ein einziges 
Mal Rom verlaffen haben, ohne daß nicht darauf Ber 
armung und Entbölferung eingetreten wäre; während ihres 
Aufenthalts in Avignon fanf bie Bevölkerung der Stadt 
auf die Hälfte, während der fünfjährigen Gefangenfchaft 
Pius VII. auf 113,000, betrug aber unter Gregor. XVI. 
fchon wieder 170,000. Es ift wahr, Rom mit bem Bapft 
(ft weder ein politifcher Mittelpunft, nod) eine inbuftriclle 
Stadt, noch ein bedeutender Handelsplatz; aber glaubt man, 
ed könne dies alles werden ohne ben Papſt? Rom ohne 
Hafen, ohne Landfiraßen, ohne induftriellen unb. Arbeits- 
geift? Rom mit bem Papſte war immer groß und einzig 
durch bie Schöpfungen, ble bae Papſtthum bervorrief, burd) 
feine fieben Baſiliken, feine dreihundert fünf unb ſechszig 
Kirchen, durch St. Peters einzigen Dom, durch feine dítern 
und neueren päpftlichen Pallaͤſte, burd) feine älteren unb 
neueren Kunftwerfe; was fol und was müßte aus bam 
Allem werben, wenn ber Papft nicht mehr in Rom ift? 
Umfonft fagen die revolutionären Römer: der Bapft fann 
in Rom bleiben als Bifchof und Oberhaupt der katholiſchen 
Ehriftenheit, und im Lateran wohnen wie unter Gonftantin; 
denn würden fie ihn dort wohnen laffen ohne Eingriffe in 
fein geiftliches Amt, würden bie Gonfuln oder SBráfbenten 
neben ihm wohnen können, ober er neben ihnen? 

Was wäre Stalien ohne ben Bapft? Rom mit bem 
Papft ift ba6 Haupt Italiens, ohne Rom und. ohne den 
Papſt (ft Italien’ enthauptet, dies haben bie 9tevolutiondre 
ſelbſt gefühlt, als fie in einer ihrer Anwandlungen aus 
dem Papfte das Haupt eines itatienifchen Bundes machen 
wollten, ein folder (ft wie bie vollfommene politifche Einheit 





ble weltliche Couterdnetdt des Days. - 175 


Staliens feit Jahrhunderten unmöglich, und vieleicht nod) 
für lange Zeit; was aber möglich war, ift durch bie Paͤpſte 
geſchehen. Bor Allem ift Rom allein und zwar durch bie 
Paͤpſte italienifch geblieben, während andere italienifche 
Provinzen durch fremde Völker befegt, und auswärtige Prin⸗ 
gn auf die Throne gefommen find; fobann haben bie 
Paͤpfte im Mittelalter den italienifchen Städten bie Unab⸗ 
hängigfeit. errungen, bie nicht durch ihre Schuld verloren 
ging, und noch im ſechszehnten Jahrhundert haben einzelne 
Päpfte für die Unabhängigkeit gekämpft; fie wollte auch 
Pius IX. aber auf andern Wegen al6 bie Bührer der Parteien, 
und Dupanloup glaubt, wenn man feiner Führung gefolgt 
wäre, fo würde jegt Oberitalien ein flarfer und herrlicher 
AR des conftitutionellen öfterreichifchen Kaiferreiche, und das 
übrige Italien ein mächtiger Bund der Souveräne fein. 
llebrigené ift Rom auch in bem Zuftande ber Zerrifienheit, 
worin fid) Stalien feit drei Jahrhunderten befindet, bod) 
ber nationale Mittelpunft geblieben, weil es ber. religiöfe 
Mittelpunkt ift, und ibm ift es zu einem großen Theile zus 
jufchreiben, daß bie Neapolitaner weder Normannen noch 
Spanier, die Lombarden weder Spanier noch. Deutfche, 
bie SBiemontefer und Korfen feine Franzoſen geworben find, 
obwohl biefe Sremden Jahrhunderte lang in Stalien ges 
berrfcht haben und noch herrfchen, weil bie Religion zu 
Rom ihnen einen Mittelpunft gibt, ber fte ben italienifchen 
Namen, bie italienifchen lleberlieferungen , bie italienifche 
Cpradje nicht vergeffen läßt. 

Das VBerhältnig des Bapftes zu Europa wird In 
folgende Säte zufammengefaßt: Europa ohne ben Papft, 
wäre Europa ohne feinen fteten Heerd ber Givilifation unb 
des Lichtes; Europa ohne den Papft, wäre Europa ohne 


-116 Dupanloup, Vie wtilije Gouverinelát ded Papſtes. 


das alte ehrwärbige Band der Nationalitäten, ohne einen 
gemeinfamen Mittelpunft des Friedens, der Eintracht und 
des Gíaubené ; Europa ohne den Papfl, wäre Europa ofme 
die erhabenfte SBerfonification der beiten größten unb Bei; 
ligften Dinge, deren Europa jebt fo febr bedarf, b. b. ber 
Auctorität und des Gehorfams; Europa ohne den Papft 
wäre, man beobachte wohl, eine ungeheure foriale und 
teligiófe Revolution. Das wäre vielleicht ber Fluch des 
eutopüifben Bodens. Diefe Säge entwidelt ber Verfaſſer 
durch Zeugniffe der gewichtigften Männer, Lanjuinais, 
Guizots, Chateaubriande u. A. Referent fchließt feine 
Anzeige, indem er feine Refer. einladet, bie hoͤchſt intereffante 
Schrift {εἰδῇ zu leſen, aus welcher wegen der geiftvollen 
"Behandlung und des vorherrfchenden rebnerifchen Stils εὖ 


fdwer hält, einen Auszug zu geben. 
Drey. 


Q beologifde 


Guartaljdrift. 





In Verbindung mit mehreren Gelehrten 
herausgegeben 
von 


D. v. Drey, D. Auhn, D. Hefele, D. Welte 


unb 


D. Bukrigl, 


Brofefforen ber kath. Tpeologie an der K. Univerfität Tübingen. 





Zweinnddreißigfter Jahrgang. 


Bweites Quartalheft. 





Tübingen, 1850. 


Berlag der H. Laupp’fchen Buchhandlung. 
(9auyp & Giebel.) 


Drud von $. Laupp. 





I. 
Abhandlungen. 





1. 


Die germaniſchen unb romanifden Völker in ihren 
Verhaͤltniſſe zur Kirche !). 


Es iſt eine alte Sage — ſie geht ſchon manch' Jahr⸗ 
zehent um — für die romaniſchen Voͤlker, die Spanier, 
Italiener, Franzoſen, und was an ihnen haͤngt und mit 
ihnen zuſammenhaͤngt, eigne ſich das Weſen der roͤmiſchen 
Kirche. Den Voͤlkern deutſchen Stammes ſei der Prote⸗ 
ſtantismus die entſprechende Weiſe ihres Denkens und 
Lebens — und die Slaven ſeien an die griechiſche Glaubens⸗ 
und Kirchenform von Natur gewieſen. Wie in Wirklich⸗ 
keit die drei Hauptſtämme Europa's ſich in die Glaubens⸗ 
formen, deren Stamm das Chriſtenthum ſei, aus⸗ und 
eingetheilt haben, ſo verlange es die Natur — ihre Natur. 
Laßt uns dieſer alten Sage naͤher auf den Grund ſehen, 
ob ſie nicht etwa als grundlos ſich bewähre. 

Es iſt eine alte Sage, die beſonders im Norden von 

1) Geſchrieben im Februar 1849, als das Frankfurter Barlament 
ποῦ in Bläthe Aland. «X. d. 9t. 
12* 


180 Die germanifchen und romanifdjen Völker 


Mund zu Munde geht, auch im Süden ber Anhänger unb 
Nachbeter nicht wenige zählt, dem fáftern, verftandesfcharfen, 
nüchternen Bewohner der nördlichen Länder Guropa'6 [age 
proteftantifcher Glauben und Leben vorzugsmeife zu. Darum 
habe hier auch im Zeitalter ber fogenannten Reformation ber 
neue Gíaube den alten fiegreich aus bem Feld gefchlagen — ihn 
für immer gezwungen, aus Ländern auszuwandern, denen er 
feiner Zeit nur aufgebrungen und aufgezwungen worben. 
Dagegen für ben warmen, phantaflereichen und phantafti- 
fhen Bewohner des Südens, für ben oberflächlichen, nad 
äußerm Schein und Schimmer hafchenden Sübländer [εἰ 
der Katholicismus die entfprechende Weiſe feiner Gottes» 
verehrung. Da nun aber die Völfer deutfchen Stammes 
ben Nordweften und Norden, die Völker romanifcher Zunge 
den Süden und Gübmeften Europa’s inne haben, fo fallen 
bie germanifchen, nordifchen, proteftantifchen Völker unter 
einem Begriffe zufammen, wie die romanifchen, füblidjen, 
Fatholifchen Voͤlker zufammenfallen. 

Es ijt eine alte Sage, bie längft Derumgetragen 
wurbe, baf das Griechenthum als Religion fid) überlebt, 
daß aud) ber Katholizismus feine Zeit vollendet, und daß 
jest in ber Welt das Zeitalter des Proteſtantismus walte 
unb fid verlaufe. Drei Alter babe bie Kirche — eine 
alte — eine mittlere, eine neue Zeit. In ihrem erften 
Alter — etwa bis zum Abſchluß der SSolfermanberung 
unb bem Auffommen der Lehre Muhamed's haben bie 
Grieden und Morgenländer ihren Geift in bie Kirche 
auégegoffen. Der flüffige und flüchtige Geift [εἰ ausge 
flofjen — aus dem Fluffe eine ftarre und fleife Form ger 
worben, Der Geift fei entflohben — die Form geblieben. 
Im zweiten Alter ber Kirche haben ber europäifche Süden 





in ihrem DVerbältuiffe zur Kirche. 181 


und die romanifchen Völker ihren Geift über bie Kirche 
auégegoffen. Die etwaige Lebensfülle, bie in der mittlern 
Zeit durch Europa gegangen, fei aber wefentlich aus ber 
Bermifchung der lebensfrifchen Germanen mit ben alterne 
den Römern hervorgegangen. — 3ulegt [εἰ aber das Bers 
einigte wieder in feine Gegenfäge auseinander gegangen. 
Die Germanen haben fid) emancipirt von bem Römerthum, 
von ber römtfchen Kirche, von bem flarr und lebenslos 
gewordenen Katholizismus. Eigentlich hätten zu ber Zeit 
der Reformation alle Völker aus der fogenannten Kirche 
ber Knechtfchaft austreten, in bie Kirche des freien unb 
neuen Geiftes übertreten folfen, Allein bie alternden, die 
fabmen unb welfen romanifchen Voͤlker feien flarr und 
unb ftehen geblieben in der veralteten und verfnöcherten 
römifchen Kirche. Seitdem aber leben fie aud) fein wahrs 
haft chriftfiches Leben mehr. Sie nähren fid — manbelnbe 
Sobtengerippe — von einer tobten Worm — und alles 
Ringen und Mühen fónne fie nicht mehr einführen in bie 
Strömung des neuen und frifchen Lebens, 

Doch wolle man damit nicht fagen, daß ber Prote⸗ 
flantismus (dn an dem Ende feiner Entwidlung ange 
langt fei. Auf bem beften und ficherften Weg wandle er 
— aber den ganzen Weg habe er noch nicht zurüdgelegt. 
Wie in Petrus, in Paulus, in Johannes ἐδ vorgebilbet, 
wie Petrus in fid) das Vorbild der alten und mittlern 
Zeit geweien, Baulus aber ber Mann des Strebens unb 
Widerſtrebens den Urproteftantismus in fid) vorftelle, fo 
werde fommen ein Zeitalter des Johannes, eine Zeit des 
Briedens unb ber iunern Ruhe nad) bem langen, bem un; 
feligen Gireite. Go geht bie Sage. Lafjet uns berfelben 
etwas näher auf ben. Grund fehen, ob fie nicht etwa ale 


182 Die germanifihen und romanifihen Völker 


eine grunb(ofe Mähre fid) erweife — ald eine fd:oiflernbe 
Hülle, die in fid) feinen Leib, nicht Fleiſch unb nicht Blut 
birgt. 

Es if eine alte Sage, bie in ber. lebten Zeit in 
deutfchen Landen laut ausgerufen, als ein unfehlbares 
Evangelium geprebigt wurde — daß, wie jedes Zeitalter 
fi fein eigenes eben, fo aud) fein eigenes chriftliches 
Leben fchaffe. Das Gfriftentbum felbit ift fähig einer uns 
endlichen Vervollkommnung — εὖ ift eine perfeftible Größe. 
Es gibt, um im Geifte des Ammonius Saccas, des Neu- 
platoniferó und chriftlidhen Eflektifers aus dem dritten 
Sahrhunderte, und mit Herrn von Ammon, dem Bicepräs 
fibenten des Oberconfiftoriums und Oberhofprediger des 
49ten. Jahrhunderts zu fprechen, „eine Kortbildung des 
Ehriftenthums zur Weltreligion“. Es gibt, um zu fpres 
hen mit Strauß dem Ghriftusleugner, „ein Bleiben des 
unb Vergängliches im Griftentbum.* Wenn dies „Ders 
gängliche vergangen, fo fann εὖ {εἴ} ber Romantifer auf 
„dem Throne der Gáfaren* nicht mehr in's eben rufen. 
Es muß, wenn wir Herrn Bogt, bem ungläubigen Reichs» 
᾿ pat(amentérebner, glauben, das Ehriftenthum, welches feiner 
Zeit vom Himmel herabgefommen, wieder in den Himmel 
zurüdfehren, damit e8 von ber Erbe verfehwinde. Und 
vollends Herr von Beisler, der unvergleichliche Eultmis 
nifter, möchte bie getrennten SBefenntniffe dadurch in ein: 
ander fließen, unb barum zerfließen laſſen, daB er fie in 
einer großen Staatsumarmung an fein warmes bureaus 
Pratifches Herz brüdte, daß er alle zu einer Staatskirchen⸗ 
verfammlung um fid vereinigte. Natürlich! müßte ber 
Korporalftod des Polizeiftaates hier das Präſidium führen 
— und (id über die gemifchte Geſellſchaft hinabſtreckend 


in ihrem Berhältniffe zu der Kirche. 188 


den Wiberbaarigen ein drohendes „quos ego“ zuherrſchen, 
bie Willigen und „Befinnungstüchtigen“ aber gegen etwaige 
Eingriffe ihrer kirchlichen SSorgefegten in Echup nehmen. 
Ein von Bolizei wegen befohlenes: Te Deum in ber WVeife des 
Bir glauben al’ an einen Gott 
Sub", Ehrifl, Heid’ und Qottentott 

würde bem großen’ Gonfujtonéwerfe bie Krone aufjegen. 
gaffet uns fehen, was an fothanem Fortfchritte be8 Chris 
ftentbums liege — ob ein folcher Fortfchritt nicht ein 
- wahrhaftiger Rüdfehritt, ein allmäliges Hinfchwinden unb 
Berfchwinden des Chriftens und Kirchenthums fein würde. 

Worauf fügt fid) bie obige Behauptung, wornach 
der Katholizismus den Romanen, der Proteflantismus ben 
Germanen entfpreche und zufage? Offenbar wohl auf bie 
Geſchichte. Sie bietet vielen Schein — fie bietet ben 
feheinbaren Beweis für die Behauptung felbft. Die un- 
bedeutenden Ausnahmen fónnen ben Beweis felbft nicht 
umftoßen, denn jede Regel bat ihre Ausnahmen, die in 
vorliegendem δα! erft nicht fo fchlimm, vielleicht in Wahr⸗ 
heit nur Annahmen, nicht Ausnahmen find. In Epanien 
und Portugal, heißt es, hat nad) kurzem, meift politifchem 
Kampfe i. S. 1522 die Reformation ein frühzeitiged Ende 
genommen. Spätere Verfuche, fle dort einzuführen, ſchei⸗ 
terten alle, wie an bem Widerftande ber erzfatholifchen 
Regierung, fo auch im Grunde an ber Gleichgiltigfeit unb 
Aeußerlichfeit des Volks. Noch in den legten Jahren hat 
fid das. SBerbáltnig nicht verändert. Die Hoffnungen ber 
Ginen, die Befürchtungen ber Andern, bag ber Kampf bet 
fpanifchen Regierung mit Rom zu einem unverjöhnlichen 
Bruche forifchreiten werde, haben ὦ als voreilig eriwielen. 
Spanien — Regierung und Bolf — ift fo katholiſch, ale 


184 Die germantfihen und romanifchen Möller 


es je geivefen. Gin wandernder Donguirote IL, nicht auf 
hohem Rofle, fondern auf niedrigem Maulefel babintrabenb, 
hat der englifche Bibelcolporteur Bulwer bie fpanifchen 
Lande freug und quer durcdhfchnitten und burdyritten. Am 
Ende feiner Wanderfchaft aber ift er ohne ein erfledliches 
Grgebnif feiner evangelifirenden Thätigfeit aus Spanien 
abgefchwebt, und bat, um bod) etwas getfan zu haben, in 
zwei Bänden bem verehrten SBublifum feine Kreuzzuͤge durch 
die „fpanifchen Dörfer“ erzählt. 

Sn Stalien hat bie Reformation feine tiefere Wurzeln 
fchlagen fónnen, weil das Volt felbft zu wenig tiefen 
Gauben befaß unb befigt — um bie Glaubensverbeſſerung 
in fich aufzunehmen. Wie Papft Leo X., ber 3eitgenoffe 
Luthers , wenn mir diefem unb feinen Nachrednern glauben, 
Glauben und Gbriftentbum über die Achfel anſah, fo bie 
Staliener feiner Zeit. Die wenigen Männer jenes Volks, 
welche an der Reformation (id) betheiligten, beflerten nicht 
ben Glauben, fondern fegten ihn weg. Campanus und 
Giordano Bruno, Valentin Gentilis und Ochin, Fauſtus 
und Lälius Sorinus, u. a. m. waren Pantheiften, Athei⸗ 
ften, Deiften — feine Chriften. Sie wurden mit Recht 
verfolgt von Land zu Land, mit Freiheits- und andern 
Etrafen belegt, fo man ihrer habhaft werden konnte. Sie 
bauten nicht, fie zerftörten das Ghriftenthum. Die Maffe 
des italienifchen Volkes aber gab fid) damals, wie fpäter, 
feiner Gieidbgiltigfeit, feinem „füßen Nichtsthun“ in Sachen 
des Glaubens und chriftlichen Lebens bin. Es hatte fid) 
gewohnheitsmaͤßig in bie alten halbheibnifchen Formen des 
Katholizismus bineingelebt — fchleppte biefeben mit fid — 
unb ließ fid von ihnen fortfchleppen burch feine öde, lang» 
weilige Geſchichte. Italien ift geiftig tobt feitbem. Was 


. in ihrem Verhaltniſſe zu der Kirche. 185 


son germanifchem Blute noch in feinen Adern rollte, das 
ik burd) ben ſchlimmen Wind und bie glüfenbe Sonne 
jenes Himmels völlig auégeborrt unb ausgetrodne. Das 
Wort feines großen Dichters: „ihr, bie ihr burd) mich 
eintretet, laflet fahren alle Hoffnung,“ geht auch auf 
dieſes Bolf. 

Sranfreich, das dritte romanifche Volk im Bunde, hat 
nod am cheften Driene gemacht, durch bie Aufnahme ber 
Reformation (id) felbft in Aufnahme zu bringen. €ine Zeit 
lang (dien εὖ, als (lege das Licht, al6 ziehe bie römifche 
Kirche aus dem Herzen „der Alteften Tochter ber Kirche“. 
Allein was war e&? Branfreich blieb fleben auf halbem 
Wege. (6 that nicht den entfcheinenden Schritt aus jenem 
mittelalterlichen Haufe. Es glaubte, mit Halbheiten und 
Unentfchievenheiten fid und feiner Stellung in ber Ge; 
[dichte genügen zu fónnen. G8 fpielte einige Jahrhunderte 
bie eitle Farce einer fogenannten „galifanifehen Kirche“, 
bie im Grunde bod) nur eine neue verfchlimmbeflerte Auf- 
lage der römifchen Kirche war — und heutzutage fid) 
überlebt und ausgelebt hat — nachdem ein Ludwig XIV. 
und ein Rapoleon vom Schauplape abgetreten find. Es 
fpielte den „Sommernachttraum“ eines Sanfeniómuó, ber, 
weil er nicht duferlid und innerli mit der Kirche zu 
brechen vermochte, nad) und nach an feiner eigenen hohlen 
Innerlichkeit zufammenbrach. — Zwar an drei Millionen 
zählt auch heute noch das „reine Evangelium“ Anhänger 
in Sranfreih. Sie find wie ein Sauerteig in ber trägen 
und faulen SXaffe ber Afterchriften. Aber biefe faffen fid) 
eben von bem Sauerteige nicht durchfäuern. Noch in ber 
Charte von 1830 glaubte man ber unerleuchteten Maſſe 
das Zugeftänpnig machen zu müffen: „die fatholifche Re⸗ 


186 Die germaniſchen und romaniſchen Völker 


figion ifl die Religion der Mehrheit der Franzoſen“. Die 
Berfuche von Genf, Bafel, England, durch Bibelvertheis 
lung und apoftolifche Wanderungen Frankreich zu ,evanges 
lifiren“, haben feine große aͤußere Erfolge gehabt. So 
lange bie Franzoſen nicht gläubige und innerliche Ehriften 
geworden, ift von ber Belehrung des Landes wenig zu 
hoffen. Auch biefe& noch befte — romanifche Volk ift in 
der römifchen Kirche hängen und fleden geblieben. — Das 
gegen in ber romanifchen Schweiz, ba, wo die Romanen 
in unmittelbarer Berührung und Bermengung mit ben 
Germanen lebten, ba hat das Evangelium geftegt über bte alte 
Kirche. Die Wallachen oder Rumänen in Siebenbürgen, ber 
Moldau unb Wallachei find ein zu getrennter Zweig des roma- 
nifchen Etammes, als daß fie hier in Betracht fommen könnten. 
Drei Hauptvölfer des romanifchen Stammes haben 
im fechözehnten Jahrhundert und fpäter den Ruf nad 
Gíaubends und Kircyenverbefferung gehört und überhört. 
Sbr bürgerliches und religiöfes Leben aber fonnte feitbem 
zu wahrhaftiger Kraft, zu Brifche und Fülle, zu einer Gir» 
neuerung und Wiedergeburt nicht vorbringen. Wie fie 
theilweife Trümmer ber Vergangenheit find, wie fie bie 
mittelalterliche Kirche vorzugsweife ausgebildet und getra- 
gen haben, fo fonnten fie fi in bie Gíaubenéerneuerung 
nicht finden. Die Reformation fand an ihnen nicht wache, 
lichtbärftende, nach geiftiger Freiheit ringenbe Völker, fons 
dern [ebenómübe Stämme, deren Zeit. vergangen war. 
Man liebt e8, aus einem gemiffen Triebe der Selbſt⸗ 
beräucherung oder Selbftbereicherung, zu fagen, bie romae 
nifchen Bölfer feien abgelebt ). Ja wohl, gefagt ift das 
1) Kölle, Italiens Zukunft, Stuttgart bei Gotta. Die 8.1. Grund» 
beſtandtheile bre romanifchen Voͤller. I. Spuren ber Alterung, 


in irem Verhaltniſſe zu der Kirche. 187 


bald, unb auch leicht ift εὖ, für diefe Behauptung ſcheinbare 
Gründe beizubringen. Wir fragen aber fogleich, wenn 
bem fo iR, wenn in ben romanifchen Völkern weniger Les 
benéfábigfeit und Lebenskraft vorhanden ift, als in ben 
germanifchen, ſo muß fid) das befonberé nach der Seite 
zeigen, daß das Glermanentfum, wo es in Berührung und 
Stadjbarfdjaft mit ben Romanen tritt, allmälig die leßteren 
zurüddrängen, durch feine geiftige Uebermacht biefelben 
abforbiren und fid) affimiliren wird. Sft das ber Fall? 
Es muß fid nad ber Seite bin al8 wahr erweifen, daß 
dentfche 9Infiebfer und Anwohner, bie in romanifchen án; 
dern fid) niebergelaffen, oder von Romanen umwohnt finds 
ifr deutſches Weſen ungefchwächt und ungefchmätert fid) 
{εἰ erhalten, wenn auch feine Eroberungen durch ihr 
Fräftigeres Volfsthum wegen etwaiger Ueberzahl der Um⸗ 
wohner machen, (id tod) unverfehrt und ungemindert in 
der Fülle ihres eigenen Wefens burd) der Seiten auf ers 
halten werden. Werden umgefebrt germanifche Boltstheile 
von romanifchen umfchlungen, verfehlungen, auf engere — 
©renzen gedrängt und zurüdgefchoben, fo dürfte man cher 
den entgegengefegten Schluß machen. Man dürfte bann 
fehließen, daß bie romanifchen Bölfer lebensfräftiger feien, 
dag bie „Spuren ber Alterung“ und des Ablebens fid) bei 
den Germanen finden; . daß darum das Berharren ber 
Romanen in der römifchen Kirche fein Beweis eines ftarren 
und flagnirenden Lebens, fein Beweis eines Scheinlebens 
und nabenden Todes fei. So aber ift es in Wirklichkeit, 
wie eben angedeutet. Sehen wir Doch, wie an ben Grenz 
marfen des deutſchen und italienifchen Tyrols bie italieniſche 
Sprachgrenze allmälig, in langfamen Kreifen und Kreus 
jungen fid gegen Norden vorwärtsfchiebt, daß fie Schritt 


188 Die germanifchen und romaniſchen Völker 


für Schritt über die deutfchen Sprachgebiete vorbringend, 
bie [egtere von Rüdfchritt zu Rüdfchritt zwingt. Und zwar 
ift biefer Kortichritt nichts Gezwungenes, nichts Gemachtes 
— er erfolgt nicht unter Verhaͤltniſſen, welche die Italiener 
in günftigerer äußerer Lage") erfcheinen faffen, als bie 
ihnen benachbarten deutfchen Tyroler, biefer Kortfchritt ber 
italienifchen Sprachgrenze gegen Norden iſt ferner einem 
Volle abgewonnen, welches von allen Seiten zu ben kraͤf⸗ 
tigften und unverfehrteften ber. germanifchen Stämme ges 
rechnet wird, an welchem faft am wenigften eine Spur 
von Alterung entbedt wird. Dürfte hier nicht bie befcheidene 
frage fid) ftellen lafien: ift ed vielleicht der frifchere, ber 
lebenbigere Geift, ift ἐδ das regere Leben, welches bie τὸν 
manifchen Staliener folde ftille unb friedliche Triumphe 
über die benachbarten Deutichen feiern läßt? — In Spas 
nien wurden unter Karl IL — 1759—1788 durch Aranda 
und Dlavides in ber Sierra Leona beutíde Eoloniften 
angefiedelt — die Golonie Carolina — und mit allen 
erwünfchten Privilegien ausgeftattet. Sie hatten fich aud 
nicht über Eingriffe in ihre Rechte, über Verfümmerung 
ihrer Sreiheit und Religion zu beflagen. Bisher [a6 man 
in Geograpbien, gefchichtlichen Werken, Reifebefchreibungen 
und bergl. von ben bíüfenben beutfchen Colonien in 
Spanien. Aber bei Gelegenheit der jüngft angeregten 
Srage, ob man nicht neue Gofoni(ten, fel εὖ Snlánber 
ober Deutſche, in bem verbdltnigmáfig dünn bepólferten 
Spanien anſiedeln fónnte, erfuhren .wir zu unferer Ber 
wunderung, daß jene alten Deutfchen ihre Eprache ver 


1) Seife in Tyrol in fonbfdjaftl. unb flaatlicher Beziehung. B. 
Mathias Koch. Karleruhe 1846. 





im ihrem Verhältniffe zu der Zirche. 189 
geſſen, und bamit ihre Nationalität verforen haben, Es 
gab — jebt gibt εὖ Feine deutfche 9Infiebler mehr in 
Spanien. Sie find Spanier gemorben. 

Und wie febt có benn in Frankreich? Hat bier etwa 
bad deutfche, ober das romanifche Element im Laufe bet 
Zeit Kortfchritte gemacht? Schweigen wir vom Eifaß 
unb feiner allmäligen Entdeutfchung. Noch vor 80 Jahren 
war in bem burd) Berrath be8. falfchen Moriz von Sachfen 
an Kaifer unb an Reich vom Reiche [o&getvennten. Mep 
beutiche Sprache — heutzutage verfteht das lebende Ges 
(hlecht nicht mehr die Sprache feiner Väter. G6 ift ein 
tauriger Anblid, wenn ein Deutfcher durch bie Straßen 
von Meb wandelt, wenn er die wenigen alten. von Wind 
und Wetter vergilbten deutfchen Snfdyriften neben den fris 
(en frangöfifchen (lebt. Er fiebt, wie das alte deutfche 
Element dort in feinen legten Zügen liegt. So wird εὖ 
früher oder fpäter im Elfaß werben. Wie fat franzöflfche 
Cprade und. Sitte ganz Belgien unterminirt und übers 
ſchwemmt? Seit furzer Zeit erft will das flämifche, alfo 
beutfche Leben fi) wieder emporarbeiten. Nein fo [ange 
in dem grund und urfprünglich deutſchen Belgien bie 
franzoͤſtſche Sprache bie offizielle ift, fo lange in ben hohen 
wb höchften Sreifen der Gefellfchaft fie allein waltet, 
wird man nicht fagen, daß das germanifche Element zum 
Siege gelangt fel. 

Angefichts dieſer Thatfachen ift ſchwer einzufehen, ins 
wiefern bie romanifchen Stämme den germanifchen gegen» 
über an Alterung und töbtlicher Schwäche leiden follen. 

Nun könnte man und allerdings mit einem fcharfen 
Einwande entgegentreten, ber von der neuen Welt heruͤber⸗ 
genommen if Seht dort — wie die Worbamerifaner, bie 


190 Die germaniſchen und romanifihen Wölker 


man doch den germanifchen Völkern zutheilen mug, über 
die alten Romanen in Florida, auf ben weftindifchen Snfeln, 
in Teras unb in Merico Herr werben — wie in wenigen 
Jahren das alterémübe Romanenthbum vor ben jugend» 
fráftigen und lebensfrifchen Germanen erliegt, wie «8 vot 
der fiegreich fortfchreitenden Macht des neuen Geiftes 
fpurlos verfchwindet — wie in wenigen Jahren ber brei- 
hundertjährige fpanifche Romanismus daſelbſt von bem 
kaum hundertjährigen Germanentum untergraben und be 
‚graben wird. — Einmal, meinen wir, Haben wir nad — 
unferer Veberfchrift bloß von ben romanifchen Völkern in 
Europa zu fprechen unternommen. Sodann geben wir 
nicht zu, daß fid aus ber Vermifchung der Spanier mit 
den alten Amerikanern ein romanifches Volk gebilbet habe, 
Allerdings — zu Eolonien, zu geiftiger Uebermältigung 
fremder Bolfsftämme haben bie Spanier feine fonderlichen 
Anlagen gezeigt. Sie ftehen darin hinter den Griechen 
und Römern, und hinter den Engländern weit zunäd. 
Aber — mit den eigentlichen Deutfchen fónnen fie bod 
noch die Probe aushalten. Auch unfere bilpfamen und 
Ichensvollen Deutfchen, wenn fle auswandern, verlieren 
ihre Sprache felbft in Amerika fion im zweiten und dritten 
Geſchlechte. Seit vielen Jahrhunderten, befonders aber 
feit der Reformation, welche bod) erft das germaniſche 
Element in Deutfchland zu rechtem Leben, su unbe 
ſchraͤnkter Herrfchaft erhoben, welche die Deutfchen erft zu 
ihrem bisher verpuppten und verhüllten Selbfibewußifeis 
gebracht haben foll, feit diefer Reformation haben ff die 
Deutfchen in Sachen der Golonifirung fehr linkiſch unb 
ungeſchickt bewiefen. Die fogenanten frieblichen Eroberungen 
der Deutichen, die Auerodung ber Wälder, ver Anbau 


. δὲ rem Verhaltniſſe qu bet irte. 191 


voüfer Qanbfireden, befonders in flavifchen Ländern, fallen 
vor die Zeit ber Reformation, fo daß wenigftens in Diefem 
SBunfte die reinen, die Urdeutſchen vor den romanifchen 
Spaniern nichts voraus haben. Es ift febr zu bezweifeln, 
ob die Deutfchen, wenn Columbus i. ἢ. 1492 für fie 
Amerila entbedt, wenn bie Nachfolger des Columbus, ein 
Sernando Eortez, ein Pizarro und andere Helden unb 
Abentheurer für fie Amerifa erobert hätten, ob die Deuts 
fchen baé eroberte Amerifa von 1492 bis 1824 behalten hätten. 

Wir behaupten nun — bie Lebenskraft und innere 
Jugend eines Volks zeigt fid) vor allem in ber Erhaltung 
und Ausdehnung feiner Rationalität. Wenn bie lebtere 
bei den romanlichen Völkern fid) früftig erweist, fo werben 
die romanischen Bölfer nicht deßwegen in ber alten römi- 
ſchen Kirche fteben geblieben fein, weil fte felbft abgefebter, 
als bie germanifchen waren — und weil biefe abgelebte - 
römifche Kirche nur gebenémüben und zur Verweſung 
reifen Bölfern nod) ein Genügen leiften fonnte. Das 
Gegentbeil muß nad) ben vorftebenben Andeutungen die 
Wahrheit fein. Sene Völker blieben in ber römifchen 
Kirche, weil bie legtere ſelbſt belebenber und mächtiger ift, 
als bie von ihr abgewichenen ober abweichenden SBefennts 
nige. Obgleich feit ber Reformation mehr als drei Jahr⸗ 
hunderte verflofjen find, obgleich bie romanifchen Völker in 
bem Laufe diefer Jahrhunderte fo wenig, wie in bem Ans 
fange des Reformationszeitalters, eine Luft in fid) verſpuͤr⸗ 
ten, aus ihrer alten Kirche herauszutreten, umb von den 
Früchten des neuen in ber. Welt aufgerichteten Daumes 
der Erfenntniß des Guten und Boͤſen zu verfoften, fo find 
fie dennoch trot be& neuen Zumachfes von drei Jahrhunderten 
11 ihrem ohnehin hohen Lebensalter, nicht Ichensmäder 


* 


192 Die germaniſchen imb romaniſchen Völker 


und abgefebter geworben. Der Beweis davon liegt aber 
in dem Vorſtehenden. Sie haben trog und nad) ber Res 
formation Eroberungen — befonders im Gebiete des gei⸗ 
fligen Lebens gemacht. Ihnen fagt bie römifche Kirche 
nicht barum zu, weil fie fel6ft gealtert, weil fie an geiftiger 
und fittlicher Kraft hinter den Germanen: zurüdftehen — 
nein barum, weil fle. {εἰδῇ in ber alten Kirche bleiben 
wollten, weil Feine Außere Gewalt fie aud der alten Kirche 
hinauslog, hinausbetrog, hinausängftigte, hinausfchlug unb 
binausswang. Dover vielleicht — denn gewiß fónnen wir 
ἐδ nicht fagen, — weil bie feine Lift und bie unfeine Ge 
walt bei ihnen einen flärfern, einen fliegenden Widerſtand 
gefunden hätte, einen S9Biberftanb, vor welchem jene Ge; 
walt erlegen wäre, welche einem großen Theile der germas 
nifhen Völker ihre Kirche abgerungen und entipunben hat. 

Denn — und damit geben wir zu ben germanifchen 
Stämmen felbft über — nun müffen wir ber Behauptung 
näher treten, und ihr auf den Grund fehen — daß bie 
germanifchen Voͤlker bie Reformation aus fid) felbft ge 
fchaffen, daß fte bie Fatholifche Kirche willig, freudig und 
entfchieden von fid) ausgeftoßen, fie abgelegt haben, wie 
man ein Gewand ablegt, über welches man hinausgemwachfen 
ift, und das fid) fofort als eine Zwangsjacke, als ein 
fpanifches Hemd um den gefolterten und gemarterten Leib 
berumfegt. Zu den germanifchen Voͤlkern gehören die 
Mehrzahl ber Schweizer, bie Belgier und die Holländer, 
bie Engländer unb die Schottländer, die Dänen, Schwe 
ben unb bie Norweger, endlich — abgefehen von ben ein 
geínen Vorpoften ober verfornen Schildwachen des Deutfch- 
thums in Ungarn, in Siebenbürgen, in ben ruffifchen 
Oſtſeeprovinzen, unb fonf in flavifden Ländern — bie 


in ihrem Berhaltniß zu der Kirche. 193 


eigentlichen Deutfchen im dem flaffich geworbenen „Klein⸗ 
deutfchland.“ Wenn ber Broteftantismus, im weiteften Sinne 
des Worts, nicht bloß ben Bewohnern von Kleindeutfchs 
(anb, und den Bewohnern von Deftreichifch « Deutfchland, 
nieht bloß den Deutfchen, foweit bie „deutfche Zunge“ Klingt, 
fonbern fomeit bie ftammoermanbten Zungen Hingen, bie 
eigenthümliche, bie naturgemäße Glaubensweife fein fol; 
fo müffn im Zeitalter der Reformation diefe Deutfchen 
alle ein Herz und eine Seele gewefen fein — in der Ans 
nahme des neuen Glaubens. Es müffen nirgends — oder 
bod) nur ausnahmsweife Lift, Trug, Gewalt, und andere 
unfreie Mächte in das Spiel gekommen fein, durch welche 
ber Proteftantismus diefen Völkern, dieſem großen Volks⸗ 
flamine übergeben wurde. Es muß ber freie und ber bes 
freite Geift mit Freuden dem neuen Lichte unb Leben ent; 
gegengelommen fein. Das feiner Bande, feiner unnatürs 
lichen Unterbindung entledigte Herz des germanifchen Vol⸗ 
feó muß in Liebe und Luft emporgefchlagen haben, als bie 
im Rathſchluſſe einer bóbern Macht vorbeftimmte Stunde 
gefchlagen Hatte, welche den alten falſchen Dienft ftürgen, 
ben neuen Dienft Gottes aber, ber ihn im Geifte und in 
ber Wahrheitehren unb anbeten lehrte, fid erheben fah. War 
dem nicht fo, waren bie germanifchen Stämme paffio zur 
Seit der Reformation, haben fie vielleicht fogar, foweit es 
in ihren Kräften fag, fid) mit aller Kraft der Einführung 
ber Reformation bei ihnen wiberfegt; fo. wird man nicht 
behaupten dürfen, : daß der Proteftantismus die ihnen zus 
fagende, bie naturgemáfe Glaubensform und Glaubensnorm 
fei, die wie für fle gefchaffen war, welche fie aus fid) 
felbft gefchaffen hatten. War ferner nach einiger Zeit des 
Aufenthalts in ber neuen „hellen“ Kirche einzelnen Zwei⸗ 
Tpeol. Quartalſqhrift. 4850. IL Heft, 13 


194 Die. germaniſchen umb. romanifehen Volker 


gen- des germanifchen Stamm biefes Licht zu gre, und 
diefer Tag zu Dell, kehrten fie wieder in das Halbbunfel 
ber frühern Zeit, in bie mittelalterliche Zinfterniß zuruͤck; 
fo wird biefer Umftand in bie obige zunerfichtliche Behaup⸗ 
tung eine nette Breſche Hineinfchießen, die Bertheibiger ber 
Behauptung aber mögen zufehen, wie fle bie an vielen 
Drten angefchoffene und durchlöcherte Feſte halten mögen, 
War ferner ein bedeutender Theil der germanifchen fBolfer 
in der katholiſchen Kirche zurüdgeblieben, fo wirb man 
biefeó Bleiben, man wirb biefe große Zahl von vielen 
Millionen nicht für Ausnahmen halten dürfen. Diele 
Theile der germanifchen Völker vielmehr, welche fid) ſelbſt 
ausgenommen haben von ber Zahl ber aus ber alten 
Kirche ausfcheidenden Germanen, werben ver obigen Ber 
bauptung eine neue Gtüge entziehen, nach welcher bet 
Proteftantismus die naturgemäße Glaubenónorm der ger 
manifchen Völfer [εἰ — und zuletzt wird jene Behauptung 
ein guftgebifbe fein, beffen Unterlage und Inhalt bloße 
Luft ift. 

Um mit Behauptungen und Gegenbehauptungen in 
das Reine zu kommen, werden wir einen, menn auch fut; 
gen Ueberblick geben müflen über bie Mittel und Wege, 
auf welchen im Zeitalter ber Reformation ber neue Glaube 
ben germanifchen Völkern mitgetheilt, ber Art und Weife, 
wie er von ihnen aufgenommen wurde. Es tft bei bie 
fem Lieberblide, wie und bebünft, gleichgiltig, mit welchem 
Volke weit anfangen, mit wefdem Volke wir aufhören. 
Mir wollen aber den Weg von Welten nad) Norboften 
einfchlagen, barum fprechen zuerft von England und Schott 
land, zu den Niederlanden übergehen, hierauf bie Schweiz 
und Deutfehland behandeln und burchivandeln, fo weit e$ 








in Ihrem Berhaͤltniß zu Der Sire. 193 


unferm Plane zufagt, ſodann mit den brei ffanbínaviféen 
Königreichen zu Ende fommen. 

In England wurde bie Reformation: eingeführt unter 
den Regierungen Heinrich VIII. 1509 — 1547, Eduard VI, 
1547 — 1553 und der Königin Eliſabeth 1558 — 1603. 
Nahm das englifche Volt die Reformation mit Freuden 
auf, trat εὖ willig aus dem baufälligen Haufe ber roͤmi⸗ 
khen Kirche in ben neuen Glauben hinüber ? Oder waren 
Rift, Trug, Gewalt, Gonfiéfationen ded Vermögens, graus 
fame Hinrichtungen und eine langwierige Verfolgung ber 
Weg, welcher bem. neuen Glauben den Eingang in das 
Hm des englifchen Volkes bereitete? Wir wollen nicht. 
ven Fatholifchen Gefchichtsichreiber Englande, Lingard, als 
Zeugen aufrufen ; auch nicht den gegen die Hochfirdhe ers 
bitterten Gobbet 5. Wir wollen einen Gemábrémanm 
einführen, welcher heutzutage bei unfern Gegnern. ſchwer⸗ 
ih in dem Geruche des Kryptofatholizismus, einer eins 
feitigen Vorliebe für bie alte römifche Kirche ftebt. Herr 
Dahlmann fei unfer Zeuge und Führer. ?) 

Sn ben erften: zwei Sahrhunderten der Reformation 
in England wurde bie politifche Freiheit des Volks unters 
druͤckt. Schon biefer Umftand dürfte bie Vermuthung rechts 
fertigen, daß bie Freiheit überhaupt zur Zeit der Einführ 
rung der Reformation, und in der Art diefer Einführung 
nicht in bem Bordergrunde geftanben fel. Denn fagt Dahls 
mann: „Am höchften fchlagen wir bie linterbrechung einer 
unter den großen Eduarden ftetig zur Freiheit fortfchrei- 
tenden Entwidlung an. Zwar ihre Formen beftanben fort, 





1) Cobbet, Geſch. b. p. Ref. in Engl. u. Ic. 9. d. E. Offenb. 
3. Ausg. 1839. 
2) Dahlınann, Gefdj. b. englifchen Revolution. 5. Aufl. Leipzig 1848; 
13 ® 


196 Die germanifchen und romanifchen Bölfer 


dum großen Heile für bie Zukunft, aber der Oeift des 
innern Sriedens und ber Berföhnung war dahin, und zwei 
. Syabrbunberte vergingen, bevor er auf wunderbar verfchlun- 
genen Pfaden wieder gefunden wurde. Diefe zwei Jahr⸗ 
hunderte follen uns befchäftigen.“ 

Es ift befannt, daß Heinrich VIIL wegen ber Anna 
Boleyn, um der Scheidung willen von feiner rechtmäßigen 
Gemahlin Katharina von Nragonien fid) ſelbſt unb fein 
Reich von ber römifchen Kirche ſchied, für welche er vorher 
durch Wort, Schrift und That in bie Schranfen getreten 
war, unb für deren Beriheidigung er von Pabſt Leo X. 
und Glemens VI. den ebrenben. Beinamen defensor 
fidei — Bertheidiger des Glaubens — erhalten hatte. 
Diefes Ieugnet im Ernfte Niemand. Nur fucht man dem 
Unternehmen des Königs dadurch edlere Beweggründe zu 
unterlegen, daß man behauptet, jene Eheſcheidung {εἰ bie 
Folge innerfter Weberzeugung, jene Scheidung von ber Kirche 
fei Die Folge einer geiftigen limftimmung gemwefen, welche 
den König feine früheren Irrthümer einfehen unb verbeffern 
ließ. Doc das find εἰς Ausflüchte. Daß der König 
nicht von feinem guten Gewiffen in diefem ganzen böfen 
Handel getrieben wurde, geht aud) aus bem limftanbe 
hervor, daß berfelbe fury vor wirklich vollyogener Scheis 
bung wegen Furcht des Todes kurze Zeit. wieder katholi⸗ 
fden Uebungen oblag, und, nachdem bie Gefahr für fein 
Leben glüdlich überftanben war, dann erft zu feinem alten 
Plane zurüdfehrtee Denn „Wolfen“ erkannte, feine Uns 
gnabe {εἰ unvermeidlich, wenn bie Scheidung nicht vor fid 
ginge, unb er befchloß unter biefen bänglichen Umſtaͤnden 
fid einem Ziele, beffen Erreichung er fürchtete, moͤglichſt 
langfam zu nähern; jedoch mit allem Außern Scheine. des 


in ihrem Verhaͤltniß zu ber Kirche. 497 


Eifers. Hierin traf er mit dem Pabſte zuſammen; und 
beiden arbeitete ' eine gefährliche Seuche in die Hände, 
weldye in England auóébradj, bie fogenannte Schweiß⸗ 
Eranfheit. Heinrich fürchtete ernftlich für fein Leben, (lef 
auf einmal ganz ruhen, was er feine geheime Angelegen- 
beit nannte, nahm an den Andachtsübungen der Königin 
Theil, beidbtete täglich. Als aber bie Krankheit wich, 
und Anna, welche das Uebel glüdlich auf bem Landfige 
ihres Vaters überftanben hatte, wieber am Hofe erfchien, 
war Alles wie zuvor. (Dahl. ©. 45.) 

Da Helnrih an fid) mit der Kirche nicht zerfallen 
war, wenn fie ihm nur den Gefallen tbun wollte, ihn von 
der Königin Katharina zu erlöfen, fo hoffte er lange auf 
irgend eine Weife, durch Schmeidyelei oder Drohung zu 
feinem Ziele zu fommen, vhne bie Kirche zu verlaffen. 
(τῇ als dieſes nicht ging, als bie großen Stöße von Gut; 
achten, welche er von.den hohen Schulen Italiens, Deutfch- 
lanbé, Frankreichs mit großen Koften einzog, ihn feinen 
Schritt weiter brachten, „da regten fi in des Königs 
Bufen heftige Entwürfe, welche fi zunächft in ungemeſſe⸗ 
nen Srobworten gegen Pabft und Pabſtthum Luft mach- 
ten.“ (€. 48.) Das llebrige übergehen wir als alibes 
fannt, und treten dem allgemeinen Urtheile Dahlmann’s 
über bie Trennung von Rom durch Heinrich VIIL bei, 
wenn er fagt: „So ergriff er mit roher finnlicher Sauft 
einen Gegenftanb, welcher in Deutfchland im innerften 
Gemüthe getragen (Ὁ) unb beivegt (!) ward, unb rein auf 
ben Außerlichen Erfolg 'geftellt, brachte er eine Ausdehnung 
ber fónigémadt zu Stande, bie zu welcher bie Fühnften 
Hoffnungen feines Vaters fid) nicht verftiegen, und welche 
allen Tudors zu gut gefommen ifl" Das heißt, burd 


19B Die germaniſchen unb romaniſchen alter 


welche unbefchränfte Königsmacht nachher beſonders bie 
lang unb glüdlich regierende Elifabeiha Tudor das Werk 
ihres Vaters Heinrich und ihrer Mutter Anna Boleyn 
erft zum Erfolge und zum Ziele führte. Denn bie ſinn⸗ 
(ofe unb unmenfchliche Graufamfeit des achten Heinrich, 
unter welchem „derfelbe Galgen Anhänger Luther's und des 
Babftes trug“ D, die Räthe des ſchwachen und fdmint 
füchtigen Eduard VL, vermochten den Fatholifchen Glauben 
nicht aus bem Herzen des englifchen Volks zu vertreiben. 
Als nach bem frühzeitigen Ableben des legtern die fatbor 
lifche Draria ben Thron von England beftieg 1553 — 1558, 
foftete es fie trot mancher unerwarteten Schwierigfeiten 
feine fonderlihe Mühe, das unfreiwillig, das mit Gewalt 
und Blut von Rom getrennte England wieder mit Rom 
zu vereinigen. Wenn das englifche Volk als folches bie 
Sieformation gewollt, und aus fid) heraus gefchaffen hätte, 
wie hätte bie Latholifche Maria, die ohnehin burd) ihre 
eheliche Verbindung mit dem fpanifchen Philipp VI. ben 
Engländern den geringften Gefallen erwies, es dahin 
bringen fónnen, daß ohne einen erheblidhen Widerſtand 
das Pabftthum wieder eingeführt wurde? Damals muß 
baé berüchtigte no — popery Gefchrei in England nod 
ſchwach gewefen fein, denn das ganze Volk nahm dad 
SBabfttfum, bie Wiedervereinigung mit der römifchen Kirche 
mit Freuden auf. Denn „man mar (Sablm, S.79.) in 
bie neue Lehre ohne Prüfung hineingerathen auf Könige 
befehl, großen Theild ohne innern Drang, viele wider 
Willen. Wenige waren durch eigenes Nachdenken fo fehr 
darin zu Hanfe, daß fie fid) ihrer nicht Teichten Kaufe 





. Ἢ) Haſe δ. Q. VI, A. S. 413. 





in ihrem Verhaͤltniß zu der Kirche. 190 


hätten entfchlagen mögen.“ Das Parlament flellte ver 
allen Dingen (S. 80.) die Ehe Heinrich’s VII. mit Kar 
iharina wieder ber, gab dann feinen Willen dazu, daß ber 
Seld) den Laien entzogen, Daß ber Gólibat ber Geiftlichkeit - 
wieder eingeführt ward. Die Kirche (S. 81.) ward feiers 
lid) wieder mit bem pábftlien Stuhle vereinigt; ed ge» 
(dab das auf Antrag beider Häufer des SBarlamenté. 
Diefe Maßregel war Bielen im Lande nicht erwünfcht, 
allein da gleichzeitig bie Kirchengüter ausprüdlich unb mit 
Geftattung des Pabftes ihrem Schidfale überlaffen wurden, 
eine Sache, die das Vermögen von Taufenden betraf, fo 
ging fie bei den Lords ohne Widerſpruch burd. Das 
Unterhaus mochte bamalà etwa 320 oder 330 Mitglieder 
zählen; εὖ erhuben fid) nur 2 Stimmen dagegen, bie aud) 
bald verftummien. Es hieß in bem Barlamentsbeichluffe: 
„man gebenfe mit Reue und Leidwefen des Abfalls.“ Sn 
feierlicher Sigung beider Häufer (1554) und in Gegen: 
wart beó Königspaars löfte nun der pübftliche Legat, 
Garbinal Pole, das Königreich England von bem Fluche 
der Keperei. Den Schluß machte ein Te Deum in ber 
SBataftfapelle. 

Daß man ben frühern Abfall nun aud) hart beftrafte, 
hat feine Erflärung zum Theile in dem Geifte der Zeit, 
wir aber fönnen εὖ nur beflagen. Go viel ift gewiß, 
wäre Maria länger am Leben geblieben, fo wäre England 
fatholifch geblieben, wie es vor ihrer Thronbefteigung trot 
Heinrich und Eduard Farholifch war. 

Erft bie lange und ruhige Regierung der Königin 
Elifabeth, eine Regierung von nahe 50 Jahren, unb ale 
in diefer langen Zeit angewandten Mittel der blutigen 
Verfolgung gegen die Kirche fonnten bem englifchen Volfe 


200 Die germanifgem und romaniſchen Volker 


feinen alten Glauben rauben. Die Söhne derer, welche 
von Sofef nichts wußten, welche in der Trennung von ber 
Kirche herangewachfen waren, gewöhnten fid) nach und 
nach an bie Hochfirche, weil die alte Kirche vor ber Selbſt⸗ 
herrfcherin aller Engländer feine Gnade gefunden hatte. 
Zwar fe lange Maria lebte, ging Eliſabeth fleißig in vie 
Meſſe, wie ihr SBater bie Meſſe befuchte, ba ber Sob ihn 
bedrohte. Sie wußte ihre Rolle gut zu fplefen. Die 
Masfe ward erft dann nam) als fte nichts mehr 
nügen konnte. 

„Die große Mehrzahl beider Parlamentshäufer legte 
gegen die Königin Gefinnungen an den Tag, wie fie die 
Krone ergebener nicht wünfchen fonnte. (66. 86.) 3. 1559. 
Die fóniglid)e Gewalt ward ganz auf ben Fuß Heinrich’s 
‚VID. zurüdgebracdt, Teineswegs bloß durch Verneinung 
des päbftlichen Einfluſſes, fondern pofitiv als das Recht 
unumfchränkter Herrfehaft über Kirchenverfaffung und Dogma, 
"unb ber Suprematseid ward (n alle Wege wieder herge⸗ 
ftetit. Eliſabeth wollte Regiererin der Kirche (governess 
of the church) fein und bleiben, und verlangte, wie ihr 
Bater, den Suprematdeid von jedem Engländer, ber in 
einem öffentlichen Amte ftand, unb feit 1571 namentlich 
auch von ben Geiftlichen. Sie verfprach bie Kirche zu 
Tegieren nach ber Grundlage der 39 Artifel (S. 111). 
Von diefen 39 Artikeln follte feine Abweichung geduldet 
werben, unb gegen die Nonconformiften oder Diffentere 
aller Art wurden ſchwere Strafen verhängt“ — „denn bie 
Reformation bedurfte nod) immer einer Vertheidigung burd) 
das Schwert des Scharfrichters“ !). 


1) Haſe q. . O. Q. 412, 


in ihrem Verhaͤltniß zu der Kirche. 291 


Jemehr Elifabeth an Alter vorfchritt, jemehr fie ihre 
frühern Feinde überwunden ober überlebt hatte, um fo 
rüdfichtslofer und graufamer ftrafte fie jeden Widerftand 
gegen ihre Hochkirche nicht bloß an Katholifen, fonbern 
aud an Nonconformiften. „Ihr hoher Gommiffionébof 
erfannte in ihren fpätern Jahren öfter als fonft Strafen 
gegen SBuritaner und Katholifen, nicht bloß wegen fegeris 
fer Meinungen, fonbern auch wegen ber Abmwefenheit vom 
eingeführten Gotteóbienfle, unb wegen des Beſuchs von 
Eonventifeln“ !), 

Nah ver Hinrichtung der Maria Stuart 1587 
— nach ber Lieberwindung „ber unüberwinblichen fpanis 
hen Armada“ 1588 —, nachdem ein unerhörtes Glüd 
fi an bie Fußpfade ber Eliſabeth angehängt hatte, nad 
bem bie Katholiken ihrer Zande in ihrem Eifer unb in 
ihren Opfern für England mit ben übrigen lintertbanen 
gewetteifert hatten, — da erft ließ Elifabeth ihre wahre 
Ratur walten, bie feinen Widerfpruch bulbete, bie allen 
Widerftand in dem Blute derer erftiden wollte, welche ben 
Glauben ber 39 Artifel nicht zu dem ihrigen machen woll- 
ten. „Wirklich heillos war ed (fagt Dahlmann G. 130), 
daß nach ſolchen Bewährungen eines wahrhaft Föniglichen 
Berhaltens in Glaubensfachen jegt Elifabeth- bie Linterfus 
dungen gegen Katholifen wieder anhob, unb bie Strafen 
gegen ihre fogenannten Recufanten, bae heißt Weigerer, 
mochten fie nur bloß bie Gotteshäufer der Staatöfirche 
nicht befuchen ober gar ben Supremat verwerfen, recht 
eigentlich als Finanzquelle benügte. Ihre Tare war 20 
Pfund monatlich von jedem Recufanten, unb fie trieb un- 


1) Dahlm. a. a. ©. ©. 113. 








202 Die germaniſchen unb. romanifdjen Völler 


barmberjig ein von allen, die in bem Verzeichniſſe ftanben, 
welches in jeder Graffchaft gefertigt werden mußte. Wir 
finden einen Kal angemerkt, ba man einem Edelmann 69 
Monate narhrechnete, in welchen er: bie Kirche nicht befucht 
hatte, deren Gebräuche mit feinem Glauben ftritten, und 
er mußte 1380 Pfund büfen. Auf das Anhören einer 
Mefte ftanden 100 Mark, und einjährigee Gefaͤng⸗ 
níg. Ertappte man bei den häufigen Hausfuchungen einen 
fatholifchen Briefter in einem Haufe, fo verwirkte ber 
Hausherr fein ganzes Vermögen. Wie denn aber feine 
Sünde ohne Nachkommenſchaft bleibt, fo gefellte fid zu 
der Habfucht bald die Graufamfeit. — Unvermeidlich war 
«8, daß ber entdedte Priefter noch fehwerer büßen mußte, 
als fein Hehler: es blieb nichts übrig, als ihn zu tóbien. 
Doctor Lingarb erzählt in feiner Gefchichte von England, 
und belegt e8 zum Theil, daß in ben vierzehn Jahren 
von ber Bezwingung ber Armada bi8 auf den Sob ber 
Königin über Hundert feiner Glaubensgenofien ben Tod 
erlitten, nämlich 61 SBrieger, 47 Layen, 2 Evelfrauen. llnb 
mit biefem Strafverfahren war ber Greis Burleigh ganz 
einverftanden ; bod) fei mit bem Hängen der Priefter ge 
nug gethan — das Schleifen zum Richtplaßze und das 
Viertheilen unterbleibe beffer.“ 

Miliner (letters to a prebendary) weift nad), baf 
‚man vor 1588 an 1200 Katholifen zählte, welche ber Vers 
folgung zum Opfer fielen. Sn den lebten 20 Jahren ihres 
"Lebens wurden 142 Priefter getödtet — — gefüpft, audge- 
weidet, geviertbelit — 90 SBriefler und Layen ftarben im 
Gefüángnig, 105 wurden für immer verbannt, 62 angeje 
bene Layen erlitten den SRartertob, ἢ) 


1) Weber u. Welte III. 533, 


in Ihrem Verhältniß zu ber Kirche 203 


Im Angefichte vorſtehender Thatfachen wird ein ges 
rechter Mann bod) nicht behaupten, daß das englifche Volt 
bie Reformation mit Freuden aufgenommen habe. Nein 
— fie wurde ihm aufgebrungen und aufgegwungen. Ueber 
dem Blutgeruͤſte errichtete fi ber Bau der Hochlirche. 

Gehen wir nun zu Schottland über. Wir fellen vie 
Brage: bat das Bolf von Schottland freiwillig bie alte 
Kirche serfaffen, und dem neuen Glauben fid) zugewandt? 
Iſt das fihottifche Bolt von ber alten, für e$ veralteten 
Kirche gerne abgefallen, ober iR es aus ihr hinausgetrie⸗ 
ben unb hinausgeftoßen worden ? 

Wir führen über die Art der Einführung der Refors 
matien in Schottland einen Gewährsmann an, welder, 
fo wenig wie Dahlmann, in dem Gerude fieht, baf ihm 
bie Fatholifche Kirche in das Herz gewachſen fel, — Sos 
Bann &nor, der vielgenannte SReformator war ἐδ, ber daß 
fogenannte Verdienſt bat, bie Reformation in Schottland 
eins und durchgeführt zu haben, ber mit unverföhnlichem, 
vor feinem Mittel zuruͤckſchreckendem Haſſe bie Kirche θεῖν 
folgte, welcher der armen Maria Stuart nicht einmal in 
ihrer Hausfapelle den Fatholifhen Gottesdienſt geftatten 
toollte, welcher bie Königin jelbft als eine unverbegerlidge 
Papiſtin verfolgte, unb nicht ruhte, bis fle des Thrones 
entfegt war. M’Crie, ein fchottifcher Geiftlicher, Bat in 
ber Weife eines Panegyriferd das Leben des Knox befchrie 
ben, unb ber Göttinger Profeſſor Planf hat feiner Zeit 
das Werk in einem Auszuge in bas Deutfche überfegt. ') 


— 





1) Life of John Knox containing. illustrations of the history of 
the reformation in Scotland, by Thomas M’Crie, Minister of the 
gospel. Third edition. Edinburg 1814. Vol. L IL. In bet Ueber⸗ 
fegung. Göttingen 1817, 


204 Die germanifchen und romanifchen Bölfer 


Wir wollen in unferm Auszuge barum. etwas aut; 
führlicger fein, weil bie Art und Seife der Einführung 
der Reformation in Schottland weniger befannt ift. In 
dieſer Schrift heißt e (5. 49): „Mit noch größerer Kühn- 
heit taftete man die Kirche in bramatifchen Borftellungen 
an, welche mehrmals vor der Töniglidhen Familie, vor bem 
Adel und vor einer zahlreichen Menge von Zufchauern 
aus bem Volke zum großen Aerger und zu nod) größerem 
Nachtheile des Elerus öffentlich aufgeführt wurden.“ (S. 51.) 
„Man bat fchon oft angeführt, daß vorzüglich das Ber: 
langen, fi .in bie Reichthümer ber fatfolifden Kirche zu 
theilen, in Verbindung mit ben Künften unb Sntriguen 
des englifchen Hofes, ben fchottifchen Adel in bie Refor⸗ 
mation hineingezogen habe. ὅπ einer fpätern Epoche fonnte 
dies auch vielleicht nicht ganz ohne Grund vermutbet werden.“ 

Im Sabre 1546 wurde der Cardinal Bethune, eine 
Stüge der Kirche in Schottland, ermordet. Diefen Mord 
bilfigte nor. „Er hatte, fagt M’Erie, den Gruntfag, 
daß an ſolchen Berbrechern, welche durch ihre Frevelthaten 
nad) allen göttlichen und menfchlichen Gefegen das Leben 
verwirft hatten, wie 3. 9B. an notorifchen Mörbern und 
Syrannen, die Todesftrafe von jeder Perfon volffommen 
rechtmäßig in bem Falle vollzogen werben fónne, wenn fid) 
in bem orbnungsmäßigen Rechtsgange feine Hilfe gegen 
den Berbrecher erwarten laſſe. Dies war fein andere, 
als das Princip ber alten Griechen und Römer von ber 
Rechtmäßigkeit des Tyrannenmordes, das aud) von bem 
Freunde Knorens, Buchanan, in feinem berühmten Dias 
[oge, vertheidigt wurde. ) Es ift auch, was man nicht 


' 1) Buchanan, de jure regui apud Scotos. 


in ihrem Verhaltniß zu ber Kirche, 205 


leugnen darf, ein fBrincip, das in der Anwendung ums 
endlich gefährlich werden kann, weil e8 aufrührerifche, fa» 
natifche und verzweifelte Menfchen nur allzu leicht als Vor⸗ 
wand zu Begehung ber abjdjeulid)ften Handlungen mif» 
brauchen fönnen.“ 

Nach folchen Grunbídgen handelte nor in vorfom» 
mendem Falle, nad) ihnen wurde bie Reformation in Schotts 
land burchgeführt, wurde gegen bie Wittwe Jakobs IL, bie 
Königin Mutter Maria, und deren Tochter Marla Etuart 
von ber Gongregation, b. B. von der aufrührerifchen Par; 
thei bes Adels gehandelt; wurden mißliebige Perfonen aus 
bem Wege geſchafft. Es wurde Fein Mittel gefcheut, um 
ben neuen Glauben zu unbebingter Herrfchaft zu erheben. 
Dazu fam leider, wie anderswo, auf fatfolifder Seite 
viele €aubfeit unb Halbheit, die den Feinden in bie Hände 
arbeitete, — dazu famen. befonders bie, gelind gefagt, be» 
trübenómertben Mißgriffe, welche bie unglüdliche und übel» 
berathene Maria Stuart machte, und wodurch fie ihren 
eigenen Seinben die Waffen gegen fid) in bie Hände lies 
ferte — dazu bie über alles Maaß treulofe- Bolitif ber 
englifchen Eflifabeth, welche ble Feinde des Throns und 
des Glaubens in Schottland auf jedem Wege unterflügte, 
und welche Hilfe zuletzt den Thron unb bie Kirche in 
Schottland ftürzte. 

G6 waren vor allem die politifchen Kämpfe, welche 
der Reformation in Schottland zum Siege verhalfen. Der 
Adel fand gegen den Thron, unb befiegte ben Thron. Im 
Sabre 1554 wußte mit Verdrängung des Grafen von 
Arran die Regentfchaft an fif zu reißen Maria Guife, 
bie Königin Mutter. Nur hatte ble Königin Mutter in 
einer frühern Periode fid ben Proteftanten günftig gezeigt: 


228 Die gmänkfgen. und tomaniſchen Volker 


Sa um fie bei ihrer Parthei zu erhalten, hatte fie ihnen 
ναὸ Verfprechen ausgeftellt, daß fle gegen bie Berfolguns 
geu des Gleru& von ihr gefchügt werben follten. (M’Erie 
€. 224.) Sie fand εὖ immer noch nötbig, fie auf ihrer 
Eeite zu behalten, um fie bem Clerus gegenüber zu ſtellen, 
ber unter bem Einfluffe feines Primaten für ihren Gegner, 
den Arran, Barthei genommen hatte; taber fuhr fie aud) 
jept nod) fort, fie heimlich zu unterftügen, wodurch fie [ἤδη 
genug wurden, ihre Gefinnungen wieder öffentlich zu Außern.“ 

Zwifchen der englifhen Maria und ber fchottifchen 
waltete Feindfchaft ob. „Darum fanden von ben Prote⸗ 
ftanten, welche aus Frankreich flüchteten, nun mehrere 
Schutz in Schottland; ja man geftattete ihnen nicht nur 
einen ruhigen und ungeftörten Aufenthalt, fonbern die Nach⸗ 
füht ber Regentin, und bie (nbolente Sicherheit des Clerus 
verfehaffte ihnen auch ble Freiheit, ihre Lehre im Verbor⸗ 
genen auf das Neue auszuftreuen. Manche von ihnen 
jogen wieder von Ort zu Ort umher, gewannen der Wahr⸗ 
beit Hunderte von neuen Profelgten.“ Unter biefen günfti« 
gen Lmftänden fam Knox vom Feftlande nad) Schottland 
(1555). In bem Haufe eines Preundes zu  Gbinburg 
„kamen alle Freunde ber Reformation zufammen, um feinen 
Unterricht zu benügen. Bon den Einwohnern der Stadt 
waren zwar nicht viele darunter, weil bis jeßt nur wenige 
Bürger von Gbinburg die Reformation angenommen Bat 
ten.“ Dann zug Knor prebigenb durch das Land, und 
ſchloß bie Proteflanten an einander, indem er fie burd 
feinen Einfluß ganz beherrſchte. Zugleich fd)loffen die 
Gbelleute einen Bunb, eine Gongregation, zu gemeinfchafts 
licher Durchführung und SSertbeibigung ihrer Sntereffen. 
Die Königin Regentin wußte das Alles, aber ließ es ge 


m 1 — —— — Ba ὁ -- 


in Ihrem Verhaltniß gu bet tirée, 207 


ben. Alle äußere Gewalt war jest ſchon in der Hand 
ber. Broteftanten, der Clerus ftanb verlaften da Und bie 
Hoffnungen der Katholifen wurden täglich mehr berabges 
flimmt. „Der Elerus durfte auch nicht ben ſchwächſten 
Verſuch machen, den Knor zu flören.“ Sa Knor fchrieb 
an bie SRegentin felbft einen Brief, fie auffordernd zum 
llebertritt. Diefen Brief veröffentlichte er mit feharfen 
Demerfungen, und bie Regentin that feinen Schritt dages 
gen. Im Juni 1556 ging for nach Genf — und war 
auf dem Feſtlande abwefenb bis 1559. Der erfte Troms 
petenftoß, welchen Snor im Sabr 1557 von Genf aus 
gegen das „monftröfe Weiberregiment“ ertönen ließ, that 
feine Wirkung auf die fchottifchen Großen. Sie befchloflen 
— December 1557 — einftimmig zu Gbinburg, „pie Sache 
ber Reformation mit vereinigten Kräften zu fördern, unb 
unterzeichneten eine neue Afte, wodurch fie fich unter eins 
ander feierlich dazu verpflichteten.“ (S. 287.) Das war 
die Gongregation. 

„Während bed Kriegs mit England, ber im Herbfte 


des S. 1556 anfing, und das ganze folgende Jahr forte 


dauerte, genoffen bie SBroteftanten febr. viel Freiheit, welche 
fie mit großem Eifer, und mit glüdlihem Erfolge benuͤtz⸗ 
ten. An foldjen Orten, über welche ihnen grunpherrliche, 
oder Batronatrechte zuftanden, trieben fie das Selbfirefors 
miven, und führten zunaͤchſt bie englifche Liturgie ein.“ 
Die ſchwache Regentin Eonnte und wollte nichts dagegen 
haben, 

Knor febrte auf dringendes Verlangen feiner Freunde 
im 3. 1559 nad Schottland zurüd. Obgleich er die eben 
auf ben Thron gelangte englifche Elifabeth aufs töptlichfte 
tur feinen erfien Trompetenſtoß beleidigt, (n welchem et 


208 Die germäntfchen und romaniſchen Voͤlker 


allen Weibern nach goͤttlichem und menſchlichem Rechte das 
Regieren abſprach, fo wußte man fid) bod) bald zu vers 
gleichen — denn man bedurfte einander. Denn, fagt M’Erie 
(6. 305), „wirklich war es bie gefundefte und befonnenfte 
Bolitif, welche Elifabeth beftimmen mußte, den Proteftans 
ten in Schottland Hilfe zu gewähren, bie fie ihnen im 3. 
1560 zufommen ließ. Es war tiefe Hilfe, was ihr einen 
Einfluß auf Schottland verfchaffte, wie fid) ihn Feiner ihrer 
Vorgänger weder durch bie Gewalt feiner’ Waffen, nod 
durch bie flärfere Anziehungskraft feines Geldes verfchaffen 
. fennte* Das heißt, Elifabeth unterftüßte unb hielt auf; 
‚recht die Empörung der Großen in Schottland, fie half 
βάσει und ftürzte den Thron bafelbft, damit bie Königin 
von England’ aud) herrſche über Schottland. 

In die Sabre 1559 und 1560 fällt bie durch ben 
Sieg ber Parthei ber Adeldcongregation bewirkte Durchs 
führung der Reformation in Schottland. Der Adel hatte 
fid ber Regentin Maria lange bedient zu ‚feinen Zweden 
Zuletzt, als er fte nicht mehr bedurfte, warf er fie weg. 
„Die Gntbedung der Falfchheit ber Regentin Maria (S. 310) 
. nämlich jog bie wichtigften Folgen nad) fid. Sie ent 
fernte von ihr bie Gemüther ber SBroteftanten auf immer, 
und erwedte unter ihnen felbft jenen Geift bes entfchloffe 
nen unb vereinigten SBiberftanbeó gegen ihre hinterliftige 
Ῥβο und gegen ihre Gewaltſtreiche, ber zuletzt bie völs 
lige Einführung der Reformation im Königreiche eramang.* 
Sa, erzwang, fagt M’Erie; Gewalt vig ben alten Bau 
nieder, Gewalt richtete deu neuen auf. 

Nachdem Knor in einer feharfen SBrebigt zu Perth 
(G. 324.) „das Wbgöttifche des katholiſchen Meſſeleſens 
und bed Bilderdienſtes ausführlich geſchildert, nachdem 








in ihren Berhältniffe zu ber Kirche. 209 


hierauf em Briefter ſich zum Lefen einer Meffe anfchiden 
zu wollen ſchien,“ (S. 326.) „fo waren in wenigen Mis 
nuten. der Altar, ble Bilder, und alle Verzierungen ber 
Kirche nieder, und in den Staub getreten.“ Der dadurch 
entftandene Lärm zog bald einen zufammengelaufenen großen 
Haufen herbei; da biefer in der Kirche nichts mehr zu 
thun fand, fo Ffehrte er von bem plöglichen unb unis 
verftehlichen Inſtinkt eines fanatifchen Gifer& getrieben feine 
Wuth gegen die Klöfter, und weder bie Borftelungen bet 
' Brediger, noch das Anfehen der obrigfeitlichen Berfonen 
fonnten dem rafenden Poͤbel eher Einhalt tbun, als bis bie 
Häufer der grauen und ſchwarzen SBettelmóndje, und baé 
foftbare Karthhäufer Klofter völlig zerflört waren. Bon 
den rechtlichen Mitgliedern der Gemeinde und von ben 
angefehenften Bürgern der Gtabt nahm jebod) Niemand 
an bem unverfehens entflandenen Tumulte Theil, fonbern 
es waren bloß bie niebrigern Bolföklaffen, ober wie Knor 
[εἰδῇ fagte, ber verworfenfte Poͤbel, der allein dabei hans 
beíte! Dies erinnert an das Gebahren Luther’s vor und 
nach bem Bauernfriege. 

Die Königin Regentin machte Miene, die Schuldigen 
rafen zu wollen. Das litten die von ber Gongregation 
durchaus nicht, und erhoben fi, Gewalt, wie fie meinten, 
mit Gewalt abzuweifen. Zuerft „fchrieben fie (S. 329) 
an bie Königin Mutter, an ben katholiſchen Adel, und an 
ihre eigenen Glaubensgenoſſen, und befchworen fte bei 
Allem, was Jedem theuer war, fid) eines gewaltfamen An⸗ 
griffes auf frienliche lIntertbanen zu enthalten, welche nur 
bie Freiheit des Gewiſſens und eine Verbefierung ihrer Re- 
ligion zu erhalten fuchten. Als aber alles dies fruchtlos 
war, faßten fie freilich den Entſchluß, fü unb. ihre 

Theol. Duartalſq;rifi. 1850. Heft II. 14 





210 Die germaniſchen und romaniſchen Mäller 


fürüber bem Morbflahle ihrer Feinde nicht mit gebünbenen 
Händen Breis zu geben, und machten daher auch ihrerfeits 
Sinftalten, bie Stadt gegen bie Regentin zu vertbeibigen ; 
und bei dieſen Anſtalten gingen fie mit einer fo rafden 
und fräftigen Entfchlofienheit zu Werke, bag bie Regentin 
bei ihrer Ankunft ed der Klugheit gemäß fand, anftatt beó 
gebrobten Cturmeó auf die Stadt, Eröffnungen zu einem 
Bergleich zu machen.“ 

„Schon vor der Zeit, ba bie Häupter der Proteftan- 
ten bie feindfeligen Gefinnungen der Regentin durchſchaut 
hatten, waren fie eifrigft bemüht gewefen, bie Anzahl bet 
Freunde und Anhänger, auf die fie rechnen fonnten, mit 
Genauigleit auszumitteln, eine beftändige Gommunifation 
unfer ihnen anzulegen, und fid) burd) bie ftärfften Bande 
unter einander vereinigt zu halten. Daher erhielt die Bar: 
thei den Namen ,Gongregation* (€. 333). „Anfang 
Suni 1559 hielten fie eine 3ufammenfunft, um fid) über 
bie Maßregeln zu berathen, welche jegt zu ihrer eigenen 
Sicherheit, unb zu ber Beförderung ber Reformation ge: 
nommen werben müßten.“ (δ᾽ mußte je&t von Seiten 
ber Anhänger der Reformation ein Entfchluß gefaßt wer: 
ben, ob man bie Kette, an welcher man fie gefcklofien bal 
ten wollte, mit knechtiſcher Geduld noch länger tragen, 
ober ob man fie mit einem fübnen und fráftigen Stoße 
mit einem Dale fprengen foffte? und das lebte war e$, 
was die Häupter ber Gongregation jegt beſchloſſen. Sie 
vereinigten fich, bag Jeder von ihnen in ben Dertern, 
über welche fid) feine Gerichtsbarkeit und fein Einfluß er 
ftredte, ohne längern Auffchub ſelbſt reformiren, bie papi 
ftifche Form des Gottesdienftes abfchaffen, umb bafür in 
alien Kirschen: die proteftantifche einführen follte, wenn fib 

34 » T 





‚In forent. Varhaltnifſe zu δὲν Airche. 011 
anders "bie Einwohner nicht allzu widrig Dagegen gefinnt 
zeigen würden. Diefer Schritt ging vielleicht nicht über 
bie Befugnifie hinaus, welche das damals noch in Schott« 
land beftehende Lehensrecht jedem Baron über feine Vaſal⸗ 
len, und jedem Häuptlinge feines Stammes über feinen 
Clan zugeftand; aber bie befte Rechtfertigung davon ging 
aus ber duferften unb bringenbften Noth hervor, bie ihn 
erzwang.“ 

St. Andrews, die katholiſche Haupiſiadt Schottlando, 
war zu dem Orte beſtimmt (S. 335), „wo man die be⸗ 
ſchloſſenen Operationen anfangen wollte.“ Doch da die 
Bewohner noch „ungewiſſer Stimmung“ waren, unb „ſelbſt 
Gewalt zu drohen fehienen, (o fchien offenbar das Spiel 
gar zu zweifelhaft.“ (€, 336.) 

Doch fnor trogte der Gefahr. Und ſolche Wirkung 
thaten feine Worte, „daß alle Bilder und Gemälde fogleich 
aus der Kirche fortgeichafft (S. 339), fo wie alle Klöfter 
in der Stadt niedergeriffen wurden.“ Zugleich waren die 
Broteftanten „fo fdnell und zahlreich aur Hilfe herbeigeeilt, 
daß fie fi ber Armee ber Regentin gegenüberftellen konn⸗ 
ten, worauf biefe, die es nicht rächlich fand, eine Schlacht 
gu wagen, in den Schluß eines Waffenftillftandes willigte.“ 
Dann „marfchirten bie Broteftanten nach Perth, bemächr 
tigten fich der Stadt Stirling, unb rüdten gegen bie Haupt: 
ſtadt (Gbinburg) vor, von welcher fie ebenfalls Belig 
nahmen, indem fid bie Jiegentin, fowie fte fid) näherten, 
nad Dunbar zurüdzog:“ 

„Das Beifpiel, das man zu Gt. Andrews durch bie 
Abſchaffung des papiſtiſchen Unweſens gegeben hatte, wurde 
aber jegt in andern Theilen des Königreichs fchleunigft 
nmachgeahmt, und in wenigen Wochen waren auch zu Grail, 

: 14% 


212  . Die germaniſchen und somanifchen Möfker 


u Cupar, zu Stirling, zu Liellghgew und zu Edinburg 
bie Häufer der Mönche zerftört, und die Werkzeuge ver 
nichtet, bie man bisher zur Ilnterhaltung ter Abgoͤtterei 
und des Aberglaubens gebraucht hatte.“ 

Knor befand fid) bei der Armee der Gongtegation, 
als fie der Armee der Regentin bei Eupars Moore gegen- 
über ftanb. Er begleitete fie auf bem Zuge nach Perth, 
unb fam aud) ju Ende Sunt mit ihr in Gbinburg an. 
Den 7. Zuli verfammelten fid) bie proteftantifchen Eins 
wohner, unb wählten ibn zu ihrem Prediger. „Noch vor 
Ende September b. S. 1559 (6. 348) waren in adt 
Städten orbenilid)e Kirchendiener angeftellt, in mehreren 
andern war dies zu ihrem größten Bebauern nur deßwe⸗ 
gen nod) nicht gefchehen, weil man feine befommen fonnte.“ 

„Dafür aber (€. 349) Hatte man fid aud) in ber 
Zwifchenzeit immer mehr überzeugen müfjen, daß bie dup, 
ter der Gongregation es ſchwerlich möglich finden würden, 
fi ohne fremde Hilfe durch den Kampf durchzufchlagen, 
in den fie verwidelt waren. Schon von ber Mitte des 
Suni an hatte daher Knor aufs neue daran. gearbeitet, 
feinen Brüdern Hilfe aus England zu verfchaffen, und mit 
Heinrich Percy, ber den Sberbefebl über bie an den eng: 
liſchen Grenzen flationirten Truppen hatte, [Φυ ὦ unb 
mündlich darüber unterhandeln laſſen. Perey aber war 
von dem Staatsfefretär Cecil vorläufig aufgemuntert wor 
ben, die Verbindung mit den fehottländifchen Proteftanten 
zu unterhalten.“ 

Nun fihrieb Knor (S. 350) {εἴδ an den englifchen 
Ctaatéfefretár, „und [egte einen Brief an bie Königin Eli⸗ 
fabet bei, worin er einen Verfuch machte, ben Unwillen 
einigermaßen zu befänftigen, ben ſie gegen ihn wegen feb 


in Ihren Verhaltnifſe zu der Kirche. 219 


nes unbéffidben Ausfalles auf alle Weiberregierungen ge: 
faßt hatte.“  Gecil glaubte, fid) mit &nor felbft einlaffen 
zu müſſen, und befteffte ihn (S. 351) „auf ben zweiten 
Auguft zu einer geheimen Zufammenfunft mit Percy nad) 
Alewid.“ Knor wirkte ein eigenes Schreiben des Staater 
fefretärs an bie fchottifchen Großen ber Gongregation aus. 
Da dies aber „weiter nichts, als allgemeine Verſprechun⸗ 
gen enthielt,“ fo richtete nor einen neuen Brief an Gecil, 
„mit einem Nachdrude, ber nicht ohne Wirkung blieb.“ 
Die Lords ber Gongregation erhielten fogleich bie Anwei⸗ 
fung, „daß fie eine beträchtliche Summe Geldes in Empfang 
nehmen fónnten, womit fie die Königin zu der Bortfegung 
des Krieges zu unterftügen bereit fei.“ Zu gleicher Zeit 
wurden ieitere geheime Unterhandlungen zwiſchen „ihnen 
unb bem Londoner Hofe inftruirt, welche enblíd) auch baé 
Einrüden einer englifchen Hilfsarmee in Schottland zur 
Folge hatten.“ (€. 352.) 

„Die Agenten der englifchen Regierung preßten bes 
ftändig bie Anführer ber fchottifchen Gongregation (S. 355), 
daß fie bie Regentin angreifen follten, noch ehe fie frifche — 
Hilfstruppen aus Franfreich erbielte. Sie tadelten bie Lang⸗ 
famfeit: ihrer Operationen. Sie beflagten fid), daß fte ihre 
Gorrespondenz mit England nicht geheim hielten. Erbit- 
tert und gereizt beftanben aber bie Schotten defto hartnädis 
ger darauf, daß fie (von England) nicht nur Gelb, fon- 
dern auch Truppen haben müßten.“ 

„Bon ber 9totfmenbigfeit der [egtern war jedoch Snor - 
fo lebhaft überzeugt (S. 356), daß er fib burd) das Ber: 
langen, fie der englifchen Regierung abzupreflen, felbft viel- 
leicht etwas- tiefer, als ed bem Theologen ziemte, in die 
Krümmungen einer politifchen Gafuiftif. hineinzieben ließ. 


214 Die germantfchen und romanifchen Völker 


„Wenn ihr, fehrieb er nach England, ja nicht öffentlich mit 
der franzöfifchen Regierung brechen wollt, fo fann εὖ euch 
doch nicht (deer werben, ein taufend Mann oder nod) 
etwas mehr zu uns herüber zu ſchicken, ohne daß bie Fran⸗ 
sofen über eine SBerlegung des zwifchen euch befteBenben 
Bertrages freien dürften. Ihr dürft ja nur fagen, daß 
ihr eure Unterthanen nicht hindern könnt, in ben Colb jeder 
friegführenden Macht zu treten; wenn fie aber Died Vor⸗ 
geben für ein bloßes Spiel halten wollen, fo könnt ihr εὖ 
ja fo weit treiben, daß ihr bie zu und übergegangenen für 
Rebellen erklärt, fobald ihr nur erfahren habt, baf fie bei 
uns angefommen find.“ 

Angeſichts biefer Herzendergießungen des arglofen und 
auf Gott allein, barum auch nicht auf bie englifche Gti 
fabetb, bauenden Mannes Gottes, fei c6 und vergónnt, 
ein englifhes Hört! Hört! dazwiſchen zu rufen. Selb 
Gecil und Percy fonnten. nicht umbin, in bittere Spoͤtte⸗ 
teien über biefe Taubeneinfalt des fchottifchen Reformators 
fid) zu ergießen. 

Den 21. Oktober fam εὖ zu einer zahlreihen Ber- 
fammlung von Gbíen, Baronen und Deputirten ber Ge 
meinden zu Gbinburg. Nachdem Kuor darauf angetra⸗ 
gen, „daß man fchon voraus befchließen müffe, bie Auto- 
rität der Regentin wieder anerkennen zu wollen, fobald 
fte aufrichtige Reue über das Vergangene dufere, und fid 
bereitwillig bezeigen werbe, fid) burd) bie Räthe des Koͤ⸗ 
nigreich8 leiten zu laffen, faßte (S. 363) bie SSerfammlung 
den einftimmigen feierlichen Beſchluß, daß bie Regentfchafte- 
gewalt der Königin Mutter bió zu der Zufammenfunft 
eines freiem Parlaments als fuspendirt zu betrachten, unb 
in Kraft biefe& Schlufies wirklich fwépenbirt fei; aud 


in Ihrem Verhaltnifſe zu ber Kirche. 215 


wählte fie fogleich ein Eonfeil, ba& in der Jwifchenzeit bie 
Regentichaftsgefchäfte verwalten follte, und dieſem Collegio 
wurden auch vier Theologen, unter ihnen Knox, als fon: 
fultirende Räthe für alle mit der Religion in Verbindung 
fiehende Gegenftánbe zugegeben.“ 

Dod erlitt bie Gongregation zuerft im Felde gegen 
bie Regentin mehrere Niederlagen. „Ihre Anzahl nam 
daher mit jedem Tage ab (C. 364), und ber unter fid 
uneinige boffnungés und muthlofe Ueberreft faßte an bem 
Abend des 5. Nov. den Entfchluß, Edinburg zu räumen, 
und zog fid mit fehmählicher Eilfertigkeit nad) Stirling 
prüd.* In Stirling wurde „großer Rath gehalten, und 
nad einem von &nor gefprochenen Gebeie einftimmig be: 
ſchloſſen, bag Wiliam Maitland nah London gefchict 
werben follte, um von Eliſabeth einen ihrer Lage anges 
meſſenen ‚Beiftand auszuwirfen.* 

, Bald bedte e8 fi) der ganzen Parthei auf, „wie das 
Unglüd, durch das fie gezwungen worden waren, bie Bes 
lagerung von Leith aufzuheben, und Goinburg zu räumen, 
zum Vortheil ihrer Sache ausfchlagen follte. (ὅδ᾽ bewog 
nämlich ben englifchen Hof, die Maßregeln jener furdhtfas 
men Politik, bie er bisher in Anfehung ihrer befolgt hatte, 
mit entfchloffenern zu vertaufchen. Die Sendung Maits 
landis nad) London hatte den Erfolg, daß Elifabeth ben 
27. Zebr. 1560 einen neuen Vertrag mit den Anführern 
‚der Gongregation ſchloß, wodurch fie ſich verpflichtete, eine 
Armee nach Schottland zu ſchicken, welche ihnen helfen 
follte, die Sranyofen aus bem Lande zu jagen. Diefe vers 
fprochene englifde Hilfsarmee rüdte auch wirffid zu Ans 
fang des Aprils in Schottland ein, und nöthigte bie fran- 
zoͤſtſchen Truppen, welche fid) fchon über Glasgow hin, 


216 Die germanifchen und romanifden Bäller 


auögezogen hatten, nad) Leith zurüdzufcehren, und fid) in 
bie Feſtungswerke diefes Orts einzufchließen. Hier wur; 
ben fie zu Waſſer und zu Land belagert. Die franfe Kö- 
nigin Regentin aber farb zu Evinburg während ber Des 

lagerung.“ 

Den 7. Zuli wurde ein Traftat zwifchen Frankreich 
unb ben fchottifchen Großen abgeichloffen, ber unter anberm 
befagte, „daß alles (€. 372), was den fonftigen Zuſtand 
des Königreich betreffe, von einem zu verfammelnden Par⸗ 
[ament beftimmt und angeordnet, und daß während der 
Abwefenheit des Königs und ber Königin bie ausübende 
Macht von einem Gonfeil verwaltet werben follte, befjen 
Mitglieder zur Hälfte von ihnen, zur Hälfte von ben 
Ständen der Ration zu ernennen fein. Den 10. Suli 
fchifften fich bie frangöfifchen Truppen zu Leith ein, unb 
den- 19. verfammelte fid) bie Gongregation in ber St. Egis 
dienfirche zu Gbinburg, um Gott ihren feierlihen "Dant 
für den ganzen Erfolg darzubringen, mit welchem ihre Bes 
mübungen unter feinem Beiftande gekrönt wurden. So 
endigte fid) der bürgerliche Krieg, ber bie Reformation von 
Schottland begleitete, nachdem er 12 Monate gedauert 
hatte.“ (S. 373.) 

Am fdlimmften „Ichlug das für den Katholizismus 
aus (S. 376), daß in dem Traktate wegen der Religion 
und ber religiöfen Partheien gar nichts feftgefeßt war. 
Die Proteftanten blieben nun im DBefiße der Uebermacht, 
welche fie erlangt hatten.“ 

„Sp ftürzte denn in dem Augenblide, da bie fremben 
Truppen das Königreich verließen (S. 377), das ganze 
Gebäude der Fatholifhen Kirche, ba6  Sabrbunberte in 
Schottland geftanden war, zufammen. Das Parlament, 





in ihtem Berhäftniffe zu der Kirche. 217 


das fi) im Auguft verfammelte, hatte bann, um ben relis 
giöfen Zuftand des Landes zu reguliren, weiter nichts mehr 
zu thun, als daß es allem, was bereits gefchehen war, 
das heißt der Abfchaffung des Pabſtihums, und ber Eins 
führung ber proteftantifchen Religion noch bie erforderliche 
gefegmäßige Sanction gab.“ 

Diefem Parlamente vourbe eine von febr vielen Pros 
teftanten unterfchriebene Bittfehrift übergeben (G. 379), 
„daß das Parlament bie Macht, welche die Vorfehung in 
feine Hände gegeben, dazu verwenden möchte, daß bie ans 
tichriftlichen Lehren des Pabſtthums abgefchafft, daß ein 
reiner äußerer Cultus, unb auch bie urfprüngliche 88er; 
faffung der Kirche mit ihrer Disziplin wieder hergeftellt 
werde.“ „Denn bie, bie fid) bisher ben Namen des Cle⸗ 
rus angemaßt, müßten wegen ihrer Inechtifchen Unterwür⸗ 
figfeit unter den römifchen Stuhl in feinem reformirten 
Lande mit Sicherheit gebulbet, und nod) weniger in einem 
Berbältniffe, das fte zur Ausübung irgend einer Gewalt 
berechtigte, gelafjfen werben.“ Den 24. Auguft wurde 
durch einen Schluß des Parlaments bie päpftliche Juris⸗ 
biftion im Königreich und über das Königreich abgefchafft, 
bie gottesdienftliche Feier ber Mefle unter gewiffen Stras 
fen verboten, und alle Gefege abgefchafft, welche jemals 
zum Vortheil der römifch»Fatholifchen Kirche und gegen 
bie refotmirte Religion erlaffen worden waren.“ 

Die „gewiffen Strafen,“ unter denen das Mefjelefen 
unb Meflehören verboten wurbe, waren für ben erften Ue⸗ 
bertretungéfall die Einziehung des Vermögens, für ben 
zweiten die Verbannung, für den dritten der Tod. 

Damit war die Kirche in Schottland überwunden, 
und faft verfchwunden. Im Hinblidde auf ihre Ueberwin⸗ 


218 Die germanifihen und romanlſchen Möller 


dung werben billige Beurtheiler nicht behaupten wollen, 
baß das Bolf von Schottland bie alte Kirche freiwillig 
verlafien, und fid) ber neuen ebenfo willig gugewenbet habe. 
Kein 1), die phyſiſche Gewalt führte bie fegtere ein und 
durh. „Der Broteftantismus, fagt der Broteftant Hafe, 
wurde im Momente feines Sieges verfolgungsfüchtig, eine 
9Reffe foftete Gut und Blut, frommer Vandalismus wil 
thete gegen bie Denkmale der Kirche.“ 2) 

Geben wir jegt zu Holland über. Sn diefem Lande 
gelangte die Reformation ebenfo auf politifchem Wege zum 
Siege, wie in England und Schottland, Der Abfall von 
Spanien unb der Krieg mit Spanien, aus welchem Hol 
land fiegreich und felbfiftändig hervorging, brachte bie Res 
formation zum Cíege. Wir berufen uns wieder auf einen 
Gewährsmann, der bei ben Gegnern nicht in bem Geruche 
des Kryptofatholizismus ftebt — auf Schiller’). „Alle 
bie Taufende, fagt er *), welche die Graufamfeit ber fü 
niglichen Statthalter aus den fübliden Niederlanden, ber 
Hugenottenfrieg aus Franfreich, unb ber Gewiſſenszwang 
aus andern Gegenden Europens verjagten, alle gehörten 
ben Rieberländern. Ihr Werbeplag war bie ganze chrif- 
lide Welt. Für fie arbeitete ber. Fanatismus der Ber 
folger, wie der Berfolgten. Die frifche Begeiſterung einer 
neu verfündeten Lehre, Rachfucht, Hunger und heffnungs- 
Iofed Elend zogen aus allen Diftrikten Europa’s Aben⸗ 
theurer unter ihre Bahnen. Alles, was für die neue Lehre 

1) John Parker Lawson, the Roman catholic church in Scot- 
land. Edinb. 1836. Hifl. pol. Bl. L Br. €. 90. 

2) ἃ. δ. VI. A. €. 414. 

3) Sefchichte des Abfalls ber vereinigten Nieverlande, Werke VIII. 


B. Gotta 1837. 
4) €. 14, 





In Ihrem Berhäftniffe zu der Kirche. 219 


getonnen war, was von bem Deepotismus gelitten, ober 
noch fünftig von ihm zu fürchten hatte, machte das Schids 
fat diefer neuen Republik gleihfam zu feinem eigenen. 
Sebe Kränfung, von einem Tyrannen erlitten, gab das 
Bürgerrecht in Holland. Man drängte fid) nach einem 
Sande, wo bie Freiheit ihre erfreuende Fahne aufftedte, 
wo der flüchtigen Religion Achtung und Sicherheit, und 
Rache an ihren Unterbrüdern gewiß war. Die republis 
fanifche Armee war vollgählig, ohne taf man nöthig ges 
habt hätte, ben Pflug zu entblößen.“ 

Ferner fam den Nieverlanden zu Etatten die Eifer 
fudit der Mächte auf Spanien, „Diefe Eiferfucht (S. 20) 
gewann e8 diesmal über die politifche Sympathie, und die 
erften Mächte Guropa'ó traten, lauter oder fliller, auf bie 
Seite der Freiheit. Kaiſer Marimilian IL, obgíeid) dem 
fpanifchen Hofe durch Bande ber Wreunbfdjaft verpflichtet, 
gab ihm gerechten Anlaß zu der Befchuldigung, die Par: 
thei der Rebellen insgeheim begünftigt zu haben. — Unter 
einem Saifer, der bem fpanifchen Hofe aufrichtig ergeben 
gewefen wäre, hätte Wilhelm von Oranien fehwerlich fo 
viele Truppen und Gelder aus Deutfchland gezogen. Frank⸗ 
reich, ohne den Frieden offenbar und förmlich zu brechen, 
ftellte einen Bringen von Geblüte an bie Spige der nieders 
ländifchen Rebellen; die Operationen der letziern wurden 
größtentheils mit franzöfifchem Gelde und Truppen vollfübrt. 
Elifabeth von England übte nur gerechte Rache und Wie: 
dervergeltung aus, da fie bie Aufrührer gegen ihren redit 
mäßigen Oberherrn in Schug nahm. Mit biefen beiden 
Mächten ſtand Philipp damals nod im Bündniſſe des 
Friedens, und beide wurden zu VBerräthern an ihm.“ 

Die durch fo viele Außere Hilfsmittel erlangte hollän⸗ 


220 Die germanifchen und romanifchen Möller 


difhe Unabhängigkeit ftürzte bafelbft auch bie Fatholifche 
Kirche. Sie erlag vor der fiegenden dufern Macht. Nach 
ber fogenannten enter SPacififation 1576 follte bie 
Religionsübung frei fein — diefe Freiheit garantirten fif) 
gegenfeitig bie zum gemeinfchaftlichen Kampfe gegen Spa; 
nien verbündeten Etaaten, Städte und Stände. Da wo 
aber die Proteftanten das Uebergewicht hatten, fümmerten 
fie fid) überall nicht um bie vielfach und gegenfeitig ga- 
rantirte Religiongfreibeit. Cie vertrieben die Katholiken 
aus bem Befige ihrer Kirchen, und fegten fid felbft in 
den Beſitz ber Firchlichen Gebäude, und fonftigen Güter. 
Daß alle Klöfter audgefogen und aufgehoben wurden, vers 
fteht fi) von ſelbſt. Noch in demſelben Sabre, wo alle 
Provinzen, auch bie füdlichen und in der Mehrzahl katho⸗ 
liſch gebliebenen, gemeinfchaftliche Sache gegen Spanien 
gemacht hatten, verbot ber Prinz Wilhelm von Dranien 
bie Ausübung des Fatholifchen Gottesbienftes in Holland. 
Doch erbiclt fid) eine große Menge Katholifen in dem ges 
gen fie unbulbfamen Holland. 

Geben wir über zu der Schweiz. War εὖ der freie 
Wille des Fatholifchen Volfes in ber Schweiz, bag es vom 
alten Glauben abs unb bem neuen zuflel? 

Wir wollen uns wieder auf einen Proteftanten afe 
Gewährsmann berufen, ber bei unfern Gegnern nicht in 
dem Geruche verborgenen Katholizismus fteht, wenn bet» 
felbe auch ein hiftorifches Gewiſſen zeigt, unb ber offe 
baren biftorifchen Wahrheit nicht in das Angeſicht fchlägt 
— es ift der Profeffor Hafe in Sena. ἢ , Surd) Zwing- 
lis Einwirkung, fagt er in feiner furgen, fernigen Sprade?), 


1) ei SRH 6te Auflage. Leipzig 1848. 
4) € 


In Ihrem Berhättuife zw der Kirche. 221 


gebot ber große Rath von Zürich, daß alle Prediger ſich 
an bie göttliche Schrift halten, aber von zufälligen Satzun⸗ 
gen und Neuerungen fchweigen follten“ (i. S. 1520). Eine 
Disputaion (26.—28. Oft. 1523) enifchied gegen Silber 
unb Meßopfer, durch die Behauptung des alleinigen Bes 
weifes aus ber durch die heilige Schrift erflärten heiligen 
Schrift war ein leichter Sieg auf Ceiten der Reformas 
tion. Zwingli achtete jebe Gemeinde, foweit fie aus ber 
heiligen Schrift unterwiefen, für vollfommen berechtigt 
gegen bie ganze Hierarchie. Der große Rath, auf bie 
Bolfsmeinung geftügt (b. b. auf feine phyfifche Gewalt), 
führte unbefümmert um bie Proteftationen des Bisthums 
Konftanz die neue Kirchenordnung ein (1524). Die Lands- 
gemeinde in Appenzell Außerrhoden beſchloß, daß allen 
Mredigern, welche lehrten, was fid) nicht aus der Schrift 
erweifen laffe, Brod, Mus unb Gdug genommen fein 
folle. Bern fuchte fid) über bem Streite zu halten, indem 
ber Rath, bie gróbflen Mißbräuche auf eigner Kauft ab» 
ftellenb, bie fchriftgemäße Predigt, unb aud) den alten 
Glauben gebot. Aber eine halbe Stellung war damals 
unmöglich. Nachdem bet große Rath wieder bie höchfte 
Gewalt an fid) genommen hatte, wurden beide 3Bartbeien 
zu einer Disputation eingeladen, welche von allen refors 
matorifchen Wortführern des Landes befucht, fo entfcheidend 
wirkte (1528), daß alsbald ein Rathsbefchluß den Biſchoͤ⸗ 
fen abfagte, und ben Gógenbienft abtbat. In Baſel fiegte 
die Reformation mit dem Siege der Zünfte (1529). Die 
Stadt St. Gallen trat (1528) zum Evangelium, der Abt 
entwich, bie Gotteshausleute richteten ihr Gemeinwefen ein 
unter Zürich unb Glarus als Schirmherrn. Wo einmal 
das Neue flegte, wurde alles Widerſtreben do hart 


298 Die germaniſchen unb. romaniſchen TWBälker 


bezwungen. Die Altäre wurben abgebrochen, bie Géyen 
verbrannt. Nur in Graubündten nad) der Disputation 
zu Slanz (1526) gab das Giefeg einem Jeden bie Wahl 
zwifchen dem alten und neuen Glauben. Uber al& ver 
lautete, daß ber Abt Schlegel von St. Luzi SBertatb anges 
fponnen hatte mit dem Gaftellan von Muſſo zur Bewältis 
gung der Keber in Chur, wurde der Abt entbauptet (1529). 

Wie jm ber deutfchen, fo wurde in ber franzöfifchen 
Schweiz der alte Glaube überall mit Gewalt abgefchafft, 
bod) befchäftigen wir uns hier nur, mit germanifchen 98olfe; 
Ränmen. ἢ 

Wie bie Schweiz, fo war Deutichland zur Zeit ber 
Reformation in eine Menge Herrichaften zerfallen und 
serfpalten. Es mußte barum. in eben fo vieler Herren dm 
bern. reformirt werden, fo daß wir uns hier mit ber allges 
meinften Leberficht begnügen muͤſſen. Die Verbote mehr 
rerer Reichötage, bie eigenmächtigen Reformen einguftellen, 
wurden nie vollzogen, weil bie Reichstagsbeſchlüſſe über, 
haupt weder beachtet wurden, noch fid) Achtung durch irgend 
einen Bollftreder zu verfchaffen mußten. - Als endlich nad 
langen, langen Jahren der in allen Ländern, im vielen 
Kriegen, und in drei Welttheilen zugleich befchäftigte Kais 
fer Karl V. Zeit fand für ben fogenannten ſchmalkaldiſchen 
Krieg, welchen wir als einen politifchen Krieg, nicht alf 
einen religiöfen Unterdrüädungsfampf gegen die Proteſtan⸗ 
ten anzufehen das Recht haben, fo war ber SBroteftantit: 
mus ſchon längft zu feft gewurzelt, ala baf er burd) bit 
Niederlage der ſchmalkaldiſchen Bunbeshäupter einen ge 

1) 8. Riffel. Chr. Kirchengefch. feit der Reformation. — HII. Ban, 


ber bie gewallfame Ginftärung der Reformation in bet en bie zum 
fy 1891 eiit Being 1640. AT. 


in ren Verhaltuitſe zu ber Kirche. 223 


fäßrlichen Stoß erlitten hätte. Ohnedem wurben Karl V. 
in fürger Zeit die Früchte feines Siege aus den Händen 
gewunden. Die Landesfürften groß und Hein, bie Räthe 
bet freien Städte, ble Ritter, die Grafen, die Herzoge, bie 
Ehurfürften hatten freie ungehinderte Hand, in langem Lauf 
be8 16. Jahrhunderts nad) Sieben. und Belieben ble Res 
formation in ihren Gebieten. einzuführen. Ging es auf 
das erfte Mal nicht, erlag bie Kirche nicht auf den erften 
Schlag, fe wußten die Reformluftigen fid) zu gebulben, 
die Tommenden Gelegenheiten abzuwarten, in langfamem 
und bebächtigem Schritte fib für ben erfimals mißlungenen 
„rühnen Griff“ zu entfehäidigen. Mit Ausnahme des Haus 
fes Habsburg, und des Hauſes Wittelsbach, fowie einis 
ger Heinerer führten alle Herren der deutſchen Lande, ohne 
ihr Volk zu fragen, die Reformation durch in ihren Ges 
bieten, unb liegen fid) bie eingezogenen Kirchengüter als 
beimgefallene Lehen trefflich zufagen. 

Snbem wir einen Blid auf die Durchführung ber 
Reformation in Deutfchland werfen, ſo rufen wir zu ber 
Bewahrheitung unferer Angaben wieder. auf unverbächtige 
Zeugen — in vorliegendem Yale die Reformatoren ſelbſt, 
welche bei unfern Gegnern gewiß nicht in dem Geruche 
des geheimen Katholizismus ftehen. 

Die Macht, in geiftliden Dingen zu reformirem, 
weiche Luther ben weltlichen Herren qubefretirt hatte, et» 
griffen biefe mit beiden Händen. Er berühmt fid) felber '), 
„wenn ich fonft nichts Gutes gethan hätte, denn baf ich 
das welilich Regiment oder Obrigkeit fo erleuchtet unb 
gezieret habe, fo folkten fie bod) um des einigen Stüdes 


‚AMD. 


224 Die germaniſchen unb. romanifchen Böller 


halber mir banfen unb günflig fein. Denn foldyen Dank 
unb Ehre babe id) von Gottes Ginaben davon, daß ſeit 
der Ayoftel ‚Zeit fein Doktor nod) Gfribent, fein Theolos 
gus ober Surift fo herrlich unb Flärlich bie Geroiffen ber 
weltlichen Obrigkeit beftätigt, unterrichtet und getröftet hat, 
als ich gethan durch fonbere Gnade Gottes, denn aud) St 
Auguftinus, nod) St. Ambroftus, bie bod) bie beften find 
in biefem Städe, mir nicht hierin gleich find.“ Die welt 
lichen Fürften ſollten nach Luther vie dreifache Gewalt 
üben: bie fatbofide Kirche verdrängen, bie neue Lehre 
einführen, und in ihrer Reinheit fie fügen. Denn mit 
Irrlehrern fole man nicht viel Dieputirens machen, for 
dern fie auch unverbört und unverantwortet verbammen 
(3fuel. Ὁ. 82. Pſ.), da die weltliche Obrigkeit Schwert 
und Gewalt dahin zu wenden habe, baf bie Lehre rein, 
ber Gottesdienft lauter und unverfälfcht, und Friede und 
Einigkeit erhalten werde. 

Diefe Grundfäge aber durften bie Fatholifchen Fürften 
nicht anf (id) anwenden, denn bie (proteftantifchen) Fürften 
feien ebenfo wenig fdjulbig, bie Befehle des Kaifers, umb 
die Befchlüfle ber Reichstage gegen bie neue Lehre unb 
deren Anhänger zu vollftreden, als es Jonathan gebührt 
habe, ben David zu tödten. Wollten die fatbolifdyen Für: 
Ren ben alten Glauben fdügen und βάθει, fo galt εὖ als 
audgemachte Wahrheit, daß fie aus Gigennut und andern 
fchlechten Motiven mit Wiffen, Vorbedacht und Hartnädig- 
feit den Srrtbum, bie Lüge unb ben politifchen Greuel 
fhüsten, während bie proteftantifchen Stände nur bie am 
erfannten Irrthümer abfchafften, der Gottesläfterung und 
dem Gópenbienft wehrten, unb das reine, lautere Evans 
gelium lieb hatten. Die Sathollfchen Regenten find Thoren, 


— 








in ihrem Verhaͤltniſſe zu ber Kirche. 225 


bie ihre Macht und ihre Gewalt über den Himmel, über 
Gott und fein Wort führen, bie Gewiffen regieren, auch 
was man glauben oder nicht glauben follte, gebieten wol» 
len (Aust. b. 18. f. des 2. Buch Mofis, Pf. 101); fie 
wollen in's Teufeld Namen immer Chriftum lehren und 
meiftern, wie er feine Kirche und geiftlich Regiment foll 
führen. Straft man bie großen Hanfen, Fürſten und 
Herren dieſer Welt deßhalb, fo fol es Aufruhr heißen. 
Und doch find bie lintertbanen nicht fehuldig, Geborfam 
wu leiften, wenn fie bie Leute mit Gewalt treiben und 
zwingen zu des Pabftes Abgötterei, zu dem abgöttifchen 
Weſen mit Gee(meffen, Ablaß, Heiligen anruffen, und ans 
berm. Alſo ift jegt ber liebe Kayfer Garoluó umgeben 
mit fo viel Teufeln, böfen Pfaffen, gottlofen Bifchöfen 
unb dürften; bie treiben ihn dahin, daß er gebeut, das 
ihm nicht gebühret, nämlich man folle Gott nicht geben, 
was Gottes ift, und bem Pabft gehorfam fein. Wie fäme 
ber Kayfer dazu, daß er meinem Glauben regierte? Hat 
ber römifche Kayſer Gewalt und Macht zu gebieten, daß 
man glaube, was er will, fo-hat ber türfifche Kayfer auch 
folhe Gewalt und Macht, und ein jeglicher Edelmann im 
Dorfe bat Macht, feine Unterthanen zum Glauben zu zwin⸗ 
gen, wie er will, befgleien aud) ein jeglicher Hausvater 
im Haufe. Mit ber Weife würden fo viel und mancherley 
Glauben auffommen, fo viel unb mancherley Köpfe auf 
Erden find. Darum find unfere Widerfacher toll unb (ἢ ὅσ 
richt, bag fie ihre Gewalt fo mißbrauchen.“ 

Daß Luther mit folchen Worten fid) felbft ſchlug, war 
ihm gleichgiltig, wenn nur der Zwed, bie Niederbrüdung 
ber Kirche, unb bie Erhebung feiner Lehre erreicht wurbe. 
Die Fürſten und Herren reformirten nad) dem Wunfche 

Theol. Quartalſchrift. 4850. 11. Heft. - 48 


226 Die germantfchen und romaniſchen Volker 


des Neformators, regierten die Kirche nach feinem Munfche, 
welchen er freilich fpäter gern anders geftellt hätte, und zogen 
das nach Aufhebung ber Stifte und Klöfter herrenlos ges 
worbene Kirchenvermögen in ihre Kaflen ein. Daß «6 
nachher ben proteftantifchen Predigern, ihren Frauen und 
Kindern oft an bem nothduͤrftigen Unterhalt fehlen dürfte, 
hatte Luther und die andern Reformatoren in ihrem groß- 
artigen Bertrauen zu den weltlichen Herren und „großen 
Hanfen“ weder gewollt noch vorausgefehen. Daß die 
weltlichen Herren in dem SBefige des reichen Kirchenver⸗ 
mógené nicht einmal bie nöthigen Summen zu Haltung 
von »driftliden Schulen“ auswerfen würden, hatte man 
gleichfalls nicht erwartet. Die Klöfter wurden eine allges 
meine Beute, um welche fi) Städte, Adel und Würfteit 
firitten.. Seder nahm im „Rappus“, was er befommen 
fonnte, unb fo gelangten die geiftlihen Güter an „geigige 
MWänfte“. Den Pfarrern und Bredigern aber, wenn fie 
des Hungers fid) erwehren wollten, blieb faft nichts übrig, 
„als das Wort Gottes fahren zu [affen, und fid) zu einem 
Handwerf, ober fonft wegzuthun.“ Auch die Gemeinden 
hielten auf das neue Evangelium und deſſen SBrebiget fo 
wenig, daß Luther fagen mußte: „Und bie wir follten mit 
aller Koft von ber Welt Ende holen, die Halten wir fehwer, 
wie ber reiche Mann ben armen Lazarus hielt, und vers 
mögen nu nicht brep fromme, gelehrte, ehrliche Prediger 
zu erhalten.“ Diefe Klagen halfen zu nichte. Darum 
mußte Luther fih an den Kurfürften von Sachſen wenden, 
daß er feine lintertbanen. zwinge zu Unterhaltung ihrer 
Kirchen und Schulen — „denn wo fle wollen Pfarrberren 
haben, ift des Kurfürften Amt, fle dahin zu halten, daß 
fie dem Arbeiter aud) lohnen, wie das Evangellum fegt. 


in ihrem Berbältnifie zu ber Kirche. 227 . 


Weil uns aber, fonderlicy der Obrigkeit geboten ift, für 
allen Dingen doch ble arme Jugend, fo täglich geboren 
wird, und daher wächft, zu ziehen unb zu Gottesfurcht 
und Zucht halten, muß man Schulen und Prediger und 
Dfarrherren halten. Wollen bie Aeltern ja nidjt, mögen 
fie immer zum Teufel hinfahren.“ „Ru aber in €, Kurs 
fürft. Gnaden Sürftentbum päbftlich und geiftlicher Zwang 
und Ordnung bin ift, und alle Klöfter und Stifte E. 


Kurf. D., als bem oberften Haupt, in die Hände 


fallen, fommen zugleih mit auch bie Pflicht und Bes 
fihwerve, folches Ding zu ordnen; denn 6 fonft Niemand 
annimmt, nod) annehmen Fann, noch fol.“ 

Nach folchen Grunbfágen wurde denn von weltlicher 
Dbrigfeit in ganz Deutichland ohne Befragen des armen 
Volks bie Reformation eins und durchgeführt. Die uns 
gemeffene Gewalt, bie nad) Sertrümmerung: der geiftlichen 
Ordnung in bie Hand ber. Fürften gefallen war, ber zum 
Leben gewordene Grundfag — cuius est regio, illius et 
religio — hat in Deutfchland zum "größten Theile bie 
Reform eingeführt, und bie alte Kirche vertrieben. Dieſes 
geſchah, mit geringen Mobififationen, überall auf demſel⸗ 
ben Wege. . 

Wenn fid) das Volk an vielen Orten nicht mit Ges 
walt ber Abichaffung des Katholizismus widerſetzte, fo lag 
einfach der Grund darin, daß man e8 betrog dub belog 
um feinen Glauben, daß man ihm bie Echaale unb das 
äußere Wefen ließ, ben Kern aber nach und nach aus ber 
Schaale herausgefchält hatte. Das Volk wußte nichts 
barum, daß man ihm aus ber Mefle die Wandlung Dine 
weggenommen hatte. Denn bie Aufhebung — die Elevas 
tion — des gefegneten Brodes und Weines ließ bie neue 

55 





. 228 Die germantfchen unb romanifchen Volker 


Furfächfifche Gottesdienft- und Kirchenorbnung ftehen, weil 
fle, nach Luther, „fein mit dem beutfdjen Sanctus flimmt 
unb bedeutet, bag Ehriftus befohlen Bat, fein zu gebenfen.* 
(Weiſe, dr. Meile zu b. 9. S. 1523.) Das Volk mußte 
nichts barum, daß biefe Aufhebung nur, um ben Schwas 
chen zu fchonen, noch: belaffen wurde; nur den Predigern 
war aufgetragen, „in den Golleften und in dem Canon 
alle Worte zu meiden, welche auf ein Gacrifictum lauten. 
Denn folches ift nicht ein Ding, das frei fei gu thun ober 
zu laffen, fondern es muß und foll ab feyn, εὖ ärgere fid) 
daran, wer da will. Es fann aber ber Prieſter ſolches 
‚wohl meiden, daß ber gemeine Mann nimmer ers 
fährt, und ohne Aergerniß ausrichten.“ Zur Vervoll- 
ftändigung dieſes „frommen Betrugs, in welchem ber Zwed 
die Mittel heiligen mußte,, machte Luther in feiner „Teut⸗ 
fhen Meffe und Ordnung be6 Gottesdienftes,“ welche 
Schrift für das Volk beftimmt war, mit feinem Worte 
auf bie Auslaffung des Canons aufmerffam. In bem 
Unterricht an die Vifitatoren ber Kirchen heißt e8: „Weß 
fid) bie Priefter mit bem Canon halten folfen, wiffen (te 
wohl. aus andern Schriften, ift auch nicht vonnótben, ben 
Layen viel davon zu predigen.“ Co ftahl man „zur grös 
Bern Ehre Gottes“ dem guten Volke feinen Glauben weg. 
Achnliche Lift wurde in allen andern Stüden des „ots 
teödienftes“ angewandt, um 'bíe Schwachen nicht zu ärgern. 
Prediger unb Layen inbef, bie fid nicht in gutem Willen 
in die neue Ordnung fügten, wurden rüdfichtslos gezwun⸗ 
gen, verbannt, und fonft an Leib und Gut geftraft. Don 
vielen nur das eine Beifpiel. Georg Wizel, Prediger zu 
9tiemed bei Wittenberg, wurde im J. 1530 auf Befehl 
des Kurfürften von Sachfen in das. óffentlide Gefängniß 


N 
% 











in ihrem Verhaͤltniſſe zu ber Kirche: 229 


gefperrt, und daſelbſt lange Zeit ohne Linterfuchung mif» 
handelt. Das Gerücht war gegangen, er huldige bem Irr⸗ 
thum des Campanus, ber in der Schrift bie göttliche Drei⸗ 
einigfeit nicht fand. Es fand fid) aber, daß Wizel biefe 
Irrlehre nicht einmal gefannt hatte ἢ). 

Am fangfamften, bedächtlichften, aber auch mit ber 
größten Heuchelei wurde bie Reformation in Kurfachfen 
burchgeführt — darum auch mit geringerm äußern Scheine 
der Gewaltthätigfeit, denn anderswo. Schaͤrfer unb [πεῖν 
fer ging es (don in dem Lande be8 Landgrafen Philipp 
von Heſſen. Philipp meinte: „der Canon ift Gotteslaͤſte⸗ 
rung nach meinem Bebunfen, und ein fpöttlih Ding, unb 
andere Seiten des Firchlichen Glaubens und Lebens feien 
Anmaßung geiftlicher Jurisdiktion und wider Gottes Gebot. 
Gr wirfte barum. pofttiv für bie Abfchaffung des alten 
Glaubens. Er ließ das Vermögen ber Kirchen und Kloͤ⸗ 
fer aufnehmen, ſchickte allenthalben bin gelehrte Prediger, 
empfahl den Pfarrern, das Evangelium lauter und rein 
ju predigen, unb dem Volke Gehorfam gegen bie weltliche 
Obrigkeit einzufchärfen. Er meinte, εὖ fei. Pflicht zu wi- 
berfteben ber von Gott abgefallenen Kirche, ob auch Aer⸗ 
gerniß entfiehet. Wo Unterweifen und Predigen nicht 
heifen will, darf man das Aergerniß nicht anfehen; wer 
ewig ſchwach bleiben und dem Arzte nicht folgen will, ber 
foll. nicht andern bie evangelifche Wahrheit zur Lüge unb 
die Freiheit zum Gefängniffe machen.“ Philipp war Stif- 
ter und Haupt des Torgauer Bündniffes, 1. Mai 1526 — 
„zur Aufrechthaltung des heiligen Wortes, und zur Ab- 
ſtellung der Mißbraͤuche des Gottesdienſtes gegen alle Wis 


1) Döllinger, die Reform. 1. 8. ©. 22. 


230 Die germanifihen und romaniſchen Völker 


derfacher auf Leib und Gut, Land und Leute.“ Auf bem 
Steidjátage zu Speyer (1526) erwirfte insbefondere Philipp 
den für die 9teformatoren fo günftigen Befchluß, „daß bie 
zu dem binnen Sabreófrift zu felernben. allgemeinen Gon» 
cit jeder Reichsftand fid) fo verhalten follte, wie er ἐδ 
gegen Gott und Faiferliche Majeftät zu verantworten ges 
denfe.“ Nun berief er ale geifllihen und weltlichen 
Stände feines. Reich nad) Homburg (21. Oft. 1526), 
„um fid) mit ihnen in Sachen ben Glauben und chriftlich 
Religion belangend, fo vil von Gott verliben, zu vers 
gleichen.“ Dabei wurde ber Grunbíag aufgeftellt, ber 
weltlichen Obrigfeit fomme es zu, zu wachen, ba bie Kirche 
das Wort Gottes rein bewahre, es anhöre und darnach 
urtheile. Alfo war der Landesherr das geiftliche Ober: 
haupt ber Kirche. Er durfte den Glauben einführen unb 
abfchaffen. Dazu {εἰ der Fuͤrſt ausdruͤcklich bepolimádtigt 
durch den Reichstag zu Speyer. Einwendungen dürfe 
man machen, aber, lediglich aus Stellen ber heiligen Schrift. 
Das bie, fid) ben Sieg febr leicht, und ben Katholiken 
unmöglicy machen. Denn wer entfchied in letzter Inſtanz 
über bie Erflärung der Schriftftelen? Doch wohl Nie 
manb anderer, als wieder bie weltliche Obrigkeit, Sie war 
in dem fampfe Parthei und Richter zugleich. Ein auf 
bem Gonvent zu Homburg wiberfprechender Franziskaner 
wurde mit den Worten angelaffen: „Hinaus mit biefem 
Vieh — expellatur illa bestia. Wer giebt dir das Recht, 
frech zu fein und ungehorfam ber weltlichen Obrigfeit, wels 
cher alles Fleifch unterworfen iſt. Wehe, wehe bir, fo 
bu nicht Buße tbuft. Die Hand des Herrn wird über 
bid) fommen, unb bid) zermalmen. Die ganze Kirche betet 
für bich, damit bu nicht auf ewig verloren geheft. Amen.“ 


in ihrem DVerhältniffe zur Kirche. 231 


Es wurde nun eine neue Kirchenorbnung in Heſſen ent: 
worfen, bie unverzüglich namentlich in allen Bunften aus- 
geführt wurde, welche auf Abfchaffung ber Fatholifchen Kirche 
fi bezogen. Sie hat ben Site: „Reformation der Kirchen 
in Qeffen, nad ber ficherften Richtſchnur des’ göttlichen 
Wortes, angeordnet von ber ehrwürdigen Synode, bie Durch 
den gnädigften Fürften von Hefien, Philipp — 20. ὍΝ. 
1526 — gehalten wurde, und welcher ber Fürft felbft an- 
wohnte.“ — (à wurden nun die „ungöttlichen Menfchen- 
fagungen für immer abgethan.“ „Die wiverfpenftigen Bauern 
wurden [darf zu Paaren getrieben, damit bie chriftliche 
Freiheit nicht zum Muthwillen gezogen, und von vorwißis 
gen angehenden Predigern und folgen unruhigen Köpfen 
zu Epaltungen mißbraucht werde,“ ben Fatholifchen Pfar- 
tern wurde jeder Unterhalt entzogen. Weil aber bie $0» 
fter bod) nod) sin Bollwerk der Kirche waren, fo mußten 
fie aufgehoben werden. Die Ordensglieder wollten frei: 
willig nicht austreten, — darum mußten fie ausgetrieben 
werden. Daß bie Austreibung leichter von Statten gebe, 
ſollten die Adelichen und Städte einen Theil der Beute 
befommen, unb fo ihnen ber Mund verftopft werben. Ein 
Landtag von 1527 beftätigte bie Aufhebung der Klöfter, 
denn „die meiften Nonnen und Mönche feien YUusländer. 
Biele, durch das Evangelium belehrt, hätten fion ihre 
Drden verlaffen. Andere feien in Zwiefpalt und Uneinig⸗ 
feit, und es brofe Gefahr der Zerfplitterung der Güter.“ 
Wer (id) nicht fügen wollte, bem ließ Philipp bie Wahl, 
„entweder Gbriftum zu befennen, ober das Land zu ver- 
faffen.« Bekannt ift die Art, wie der Landgraf i. 3. 1539 
die Elifabethenfirche in Marburg beraubte. Er drang 
eines Sonntags „aus Srömmigfeit“ mit großer Begleitung 


232 Die germanifchen unb romaniſchen Volker 


ein — er [ie das foflbare Grabmal der heiligen Gli(as 
betb, und einen Wandfchranf, der ibr Haupt enthielt, ges 
waltfam aufbrechen, nahm bie Gebeine der Heiligen her 
aus unb fagte: „Das malt Gott; das ift Glifabetben. 
Heilthum, mein Gebeins, ihre Knochen; fomm ber Muhme . 
Els, das ift meine Aeltermutter; e. ift ſchwer, wollte, daß 
e8 eitel Kronen wären, es werben bie alten ungarijchen 
Dufaten fein.“ 
Oft: unb Weftpreußen, und ein Theil von Pommern, 
das Gebiet des geiftlichen deutfchen Ritterordens, wurde 
durch den Abfall des damaligen Hochmeiftere, Markgrafen 
Albrecht von Brandenburg, von ber Kirche losgeriffen, und 
in die Reformation bineingezogen. Im Sy. 1523 fandte 
Luther auf Albrecht's Wunfch zwei Reformatoren nad 
Preußen, „damit auch biefe& Reich bem Reiche des Ga; 
tané Lebewohl fagen möge.“ „Die abgöttifchen Gebräuche“ 
wurden willführlich abgefchafft, Pöbelhaufen drangen in 
die Kirchen, riffen bie Altäre nieder, zerftörten Bilder und 
Etatuen. Die Klöfter wurden ausgeplündert. Die Ans 
mahnung futber'á an Albrecht, zu heirathen, fehließt mit 
ben Worten: „Nur frifd und getroft binan, Gott für Aus 
gen gefegt im rechten Glauben, und der Welt mit jrem 
Rumpeln, fdarren unb poltern den ruden geferet, nicht 
hören nod) feben, wie Sudoma unb Gomorra binder uns 
verfinfen, ober wo fie bleiben.“ Durch den Vertrag von 
Cracau — 8. April 1525 — wurde ber Abfall befiegelt, 
das Deutfchmeifterordensgebiet ein weltlich Lehenherzogthum 
der Krone Polen. Die wenigen Ordensritter und Doms 
herren, bie fid) dem Abfalle wiberfegten, wurden gezwuns 
gen mit Gewalt, -oder burd) namhafte Summen abgefer: 
tigt. Den 6. Juni 1525 erfchien das erfte Religionsehift 


in ihrem Verhältniffe zu ber Kirche: 233 


bes neuen weltlichen Herzogs, in dem es heißt: „Welcher 
biefer unferm chriftenlichen befehlich nicht nachfolgen wird, 
"Sonder anders, dann was Chriftus Wort find, (erem. thut, 
oder zu (eren. geftattet, denfelbigen wollen wir mit nidten 
yn unjerem Herczogthumb czu Preußen leyden, Sondern 
uns dermaßen mit Etraff gegen yhm erjeygen, wie unà 
benn baó Ampt des Schwerdts wider bie Ungehorfamen, 
und fonderlich wider bie Auffrürifchen, czu gebrauchen von 
“ Gott aufgelegt und befoblen ift.“ Aus Rüdficht gegen ben 
fatholifchen König Sigismund von Polen wurden im Anfange 
mehr jchlaue, als gemalttfátige Mittel zu Sieberbaltung 
alles katholiſchen Unweſens angewandt. Bei einer Zufams 
menfunft mit bem ‚polnifchen Könige ſcheute fid Albrecht 
nicht, ber Mefie angumobnen, Weihwaffer zu nehmen und 
andere katholiſche Gebräuche mitzumachen. Die Bifchöfe 
wurden — dem Namen nad) noch eine Zeitlang beibehals 
ten. Die fatbolijd) gebliebenen Pfarrer aber wurden, weil 
fie die Beflimmungen „ver allgemeinen heiligen Kirche“ 
und bie- eingeführte Qanbedorbnung verlegten, abgelegt, 
vertrieben, verbannt... Die Ordensgeiftlichen wurden gleich- 
[αἴ δ vertrieben, und irrten als Bettler durch bie Welt. 
Ein großer Theil des eingezogenen Kirchenguts wurde zu 
Bezahlung der enormen Privatfchulden Albrecht's verſchwen⸗ 
det. An Kirchenfilber wurden 12,800 Mark [otbig ein- 
gebracht. Der Beſuch eines Walfahrtsortes „rer heiligen 
Linde“ wurde „unter Strafe ded Strange“ verboten. Das 
Befchrungsmittel wurde wirfli an Ginigen — „Andern 
zum Schreden“ vollzogen, Seit 1587 erloſch der Name 
ber Bifchöfe in Preußen. Daß εὖ dem Albrecht in feinem 
neuen Gíauben zeitlebens nicht wohl und gebeuer war, 
ift eine ausgemachte Sache, wenn auch ber von Aug. Theiner 





234 Die germanifchen und romani(djen Volker 


verſuchte Beweis, er fel vor feinem Tode in bie Kirdye 
zurüdgetreten, mangelhaft ift ἢ). 

An-Medienburg wurde die Reformation auf ähnliche 
Weiſe durchgeführt. Am 30. Des. 1530 erließ der Magis 
ftrat von Roftod ein Gbift, in welchem er fid als Her 
des Glaubens einfübrte. „Wer bewährter Schrift nicht 
folgen wolle, unb fid) ber Afterreden nicht enthalte, {εἰ 
bem Rathe anzuzeigen, damit diefer ihn als Störer des 
gemeinen Friedens ftrafet.“ Als die Tatholifchen Geiftlis 
chen fid) biefem Mandate nicht fügten, erging ber Befehl 
an fie, aller gottesdienftlichen Berrichtungen fid) zu ent: 
halten. Den Mönchen wurde verboten, Binfüro mit ihren 
Mönchefutten auszugehen, und fid) unter ben Leuten fehen 
zu laflen; wollten fte ja öffentlich erfcheinen, fo dürfe es 
nur im ſchwarzen Bürgerfleide gefchehben, amit fie ja 
Niemand Hergerniß geben, und fid) nicht ſelbſt Schimpf 
und Echande bereiten mögten.“ Endlich erging an alle 
katholiſchen @eiftlichen bie Weiſung (24. Sept. 1531), 
„nachdem ihre Lehre al8 falich befunden, und. mit Gottes 
Wort ftreite, follten fie ihre Predigten, Beichthören, Mefles 
halten u. f. wv. gaͤnzlich einftellen ; würden fie im Gering: 
(ten. miberfpenftig befunden, jo würde ein ehrfamer Rath 
mit der Hilfe der ganzen Bürgerfchaft ihnen ceheftens ein 
Anderes ſehen laſſen.“ Die Katholifen flagtien bei ben 
beiden Herzogen von Medienburg. Diefe entfchieven, εὖ 
feien „bie katholiſchen Geiftliden wieder einzufeßen, alles 
Entwendete zurüdzugeben.“ Dagegen erklärten die Bros 
teftanten, „daß fie Feine andere, denn Luther's Lehre bulben 


1) Albrecht's erfolgte Rückkehr zur kathol. Kirche, v. A. Theiner. 
Mugeb, 1846. 


⁊ 


in ihrem Verhältniffe zu der Kirche. 235 


wuͤrden, und lieber das Leben verlieren würden, benn ben 
Geifllichen bie Wiedereinfepung geftatten.“ Sie rüfteten 
f zum Kampfe, fchafften Waffen herbei, führten das 
grobe Befchüg auf dem Markte auf, fperrten ble Straßen, 
unb ließen nun ben Fürften fagen, „fie felen nicht geneigt, 
bem Befehle Zolge zu leiften.* Heinrich war lutherifch, 
Albrecht allein fonnte nichts durchführen. So war bie 
Kirche in Roftod burd) ble Gewalt gefchlagen, unb ers 
fhlagen. Allen Einwohnern wurde unter Strafe verbos 
ten, den Gotteóbienft in benachbarten Tatholifchen Kirchen 
zu befuchen. Auf gleiche Weife ging ἐδ in ber Stadt 
Wismar. | | ὶ 

In Öftfriesland wurbe bie Reformation im J. 1528 
durch Graf Gnnoll. ín ber gewohnten Weife eingeführt. Die 
Kloͤſter, bie dem alten Gíauben treu bleiben wollten, beraubte er 
ihrer Schäpe und fofibaren Geräthichaften, unb z0g ihre 
Güter ein. Der Graf verwendete, (τυ Einfprache des 
Adels und des Volfes, bie eingezogenen Güter als fein 
Eigenthum. Der katholifche Gottesdienft wurde verboten. 
— Herzog Grnft von Lüneburg führte von 1521 bis 1527 
bie Reformation allmählig ein. Im 3. 1527 wurden ble 
faiboli(den Geiftlichen von den Bfarrfirchen ausgetrieben. 
Auch bier feifteten die Klöfter am meiften  SBiberftanb. 
Viele SOrbenégfieber, endlos von oben unb unten bebrángt, 
wanderten aus. Die Ausharrenden wurden aller Sub⸗ 
fftenymittel beraubt. Die Stadt Lüneburg wiberftand 
lange bem ihr angefonnenen Abfalle.. Die legten Klöfter 
unterlagen enblich der rohen Gewalt. — Im Herzogthum 
Sachſen fonnte, fo lang ber Herzog Georg lebte, wegen 
feiner Anhänglichfeit_an bie Kirche, bie Reformation feinen 





296 Die germaniſchen unb romanifchen Völker 


Boden finden. Im 3. 1537 fam ber lutheriſche Heinrich 
zur Regierung: In feinem Seftamente verpflichtete Georg 
feinen Bruder Heinrich und beffen Söhne, bie alte Kirche 
zu erhalten und zu fdügem — wo nicht, fo folle baà 
Land an ben Kaifer, und beffen Bruder Werbinanb übers 
gehen. Die damald gut Fatholifchen Leipziger jubelten 
darüber — Heinrich aber, ber lachende Erbe, meinte, was 
Gott ihm befchieden, werde ihm Gt. Peter nicht nehmen. 
Die Erinnerungen des Kaifers und feined Bruders. δεῖν 
binanb blieben unbeachtet. Heinrich verbot den Tatholifchen 
Beiftlihen und Mönchen. das Predigen. Die Altäre wurs 
den abgebrochen, die Bilder eritfernt, bie foftbaren Geräthe 
verfauft oder zerftört. Im Lande wurde feiner geduldet, 
ber- nicht des Meffelefens fid) enthalten wollte: Dem Bis 
fchofe von Meißen wurde die befonbere Gnade zu Theil: 
„fein gottlofes Fürhaben und alten papiftifchen Gottes» 
greul und Brauch in feiner Haufung zu Stolpen öffent: 
lich zu üben.“ Sn der Domfirche zu Meißen murbe der 
neue Gottesdienſt gewaltfam eingeführt. Luther aber gab 
das Gutachten: „Herzog Heinrich muß bie drgfte Abgöts 
terei, bie Meſſe, ald von Gott gefegter Schirmherr abthun, 
und darf feine Winkelmeffe leiden, weder zu Meißen, nod) 
su Stolpen, nod) zu Wurzen.“ 

Sn bet Mark Brandenburg hielt der katholifche Joachim T 
den alten Gíauben. Seine beiden Söhne, Joachim der 
Süngere, unb Sohann, hatten vor Ableben des Vaters 
in- einer feierlichen Urfunde heilig, eidlich, mit Unterſchrift, 
Urfund und Siegel verfprochen, den alten Glauben halten 
zu wollen. Nach dem Tode des Vaters — 1535 — wurde 
bie ausgeftellte Urkunde nicht weiter berüdfichtigt. Aus 


in ihrem Verhaͤltniſſe zu ber Kirche, 237 


der Reumarf vertrieb Johann alle Fatholifchen Mönche 
und Brediger. Weniger ftürmifch verfuhr Joachim IL. ín 
ber Ehurmarf im Anfange — er hatte mehr Rüdfichten zu 
nehmen. Auf Allerheiligen des S. 1539 empfing Joachim 
das erftemal zu Spandau das Abendmahl unter beiden 
Geftalten. Nun wurde im Gebiete ber Marf mit befanns 
ter Gewalt reformirt. 3. DB. in Sranffnrt a. b. Ὁ. gins 
gen bie Bürgermeifter mit den Kämmerern in das Bars ' 
füßerflofter, unterfagten dem Prediger beflelben bie Kanzel, 
nahmen die Softbarfeiten und andere Befigthümer des Klo⸗ 
ers in Verwahr, und verboten ferner bie Meffe. Go 
allentbalben. Eine Gottesdienftorpnung, in welcher nod) viele 
fathofifche Geremonien beibehalten wurben, ließ Joachim II. 
nad feinem eigenen Zuſchnitte Dinaudgeben. In der 
Borrede, bie Joachim felbft verfaßt, hieß ἐδ: „Man habe 
zur Berhütung ungewohnter Neuerungen, und daraus ent» 
ſtehenden Aergerniffes, fo wie der Ordnung, Zierde und 
Zucht wegen das Unfchuldige in ben alten Formen beibe- 
halten,“ Denjenigen, bie bei ben von ihnen beliebten Vers 
aͤrderungen nach eigenem Sinne handeln würden, ftehe ἐδ 
frei, daS Land zu verfaffen, und nach Gegenden zu ziehen, 
wo man Luft habe, fie ihrem Dünfel folgen zu laſſen.“ 
Die Geiftlihen und Domherren, bie wiberftanben, wurden 
mit Gewalt entfegt. Diejenigen Ktöfter, melde man nod) 
ausfterben ließ, durften feine Novizen aufnehmen. — In 
Braunfchweig « Wolffenbüttel reformirten nach gewaltfamer 
Vertreibung Herzog Heinrich des Süngern (1542) Johann 
Friedrich von Ehurfachfen und Bhilipp von Heflen. Das 
Land blieb bis zu der. Schlacht von Muͤhldorf (1547) in 
ihrer Hand. In ber Churpfalz wurde mit weniger Gewalt 
teformirt, barum blieb dort bie Mehrzahl ber Einwohner 


238 Die germanifchen und romanifchen Völker 


in ber Kirche. Markgraf Georg von Anſpach⸗Baireuth 
reformirte in Verbindung mit Nürnberg im ἃ. 1528. 
Gegen den Kaifer entfchuldigte er fid mit den Worten: 
„Was er getban, babe er auf Gottes Befehl getban, ber 
ben Obrigfeiten gebiete, nicht nur für den 2eib, fondern 
aud) für bie Seelen ber Unterthanen zu forgen. Zwar 
“hätte er gewünfcht, daß die Bifchöfe, denen bieje Sorge 
zuſtehe, bier einfchreiten möchten, bod) fei ihm in allem 
das Wort Gottes, ja Chriftus felbft, Die einzige unb ger 
wifje Richtfcehnur gemefen.* — Im Herzogthume Württem; 
berg wurde bie Reformation durch den Sieg Ulrich's bei 
Lauffen und feine Rüdkehr in das Land eingeführt. Nach 
bem Bertrage von Kadan follten zwar im Herzogthume 
alle, und befonders bie im Umkreiſe des Landes wohnenden 
unmittelbaren 9lebte mit ihren Leuten und Unterthanen 
ungeftórt in Ausübung ihres Glaubens belafjen werden. 
Aber Ulrich nahm es Damit nicht genau. Er verbot ben 
Klöftern bie Aufnahme neuer Mitglieder, verbot ben fa: 
tholifchen Gottesdienft, befahl, bag Mönche und Nonnen 
‚ihre Ordenskleider ablegen, 4og alle Güter und Einfünfte 
an fib, bezahlte mit den eingezogenen geiftlichen Gütern 
feine Schulden, und vertrieb „vie Hartnädigen“ aus bem 
Lande. Die alten Gebräuche wurden abbejtellt, neue Spree 
biger eingefegt, bie natürlich feine Meſſe [efen durften. 
Auch die Tübinger Univerfität wurde auégereinigt, jene 
Lehrer wurden entlaffen, welche das „rechte Wort Gottes“ 
nicht annehmen wollten. 

- Wie in den größern Herren Ländern bie Herrn biefer 
Länder bie Reforimation in ber Regel bei ihren Untertha⸗ 
nen mit Gewalt einführten, fo thaten es ihnen bie Heinen 
Herrn, bie dürften, Grafen, Barone, und andere Gbelleute 


In Ihrem Verhaͤltniſſe zu der Kirche. 239 


sor ober nad.  fonnte tiefe Fleinen Stirchenverbeflerer 
bei ihren ſchwachen Mitteln nicht auf eigene Waug über 
bie alte Kirche, und bie Anhänglichkeit ihrer Unterthanen 
an diefelbe Herr werden, fo fehlte es nicht an freundnach- 
barlicher Hilfe ihrer größern Brüber. 

Wie in ben Gebieten der Fürften durch biefe, fo 
wurde in ben Reichsftädten meift ,burd) ben hohen 9tatb« 
ναὸ Todesurtheil über bie alte Kirche ausgefprochen — 
und von ben Nämlichen, bie es gefprochen, zugleich ale 
Nach⸗ und Scharfrichtern vollzogen. Wir wollen kurz 
über biejeó traurige Hochgericht Dinmeggeben. In Mag⸗ 
beburg wurde reformirt 1524 — 1526; in Nürnberg das 
Werk vollendet im Sabre 1528. Ju Ulm wurde das 
Mebopfer aló entgegen „dem Verdienſt und der Eins 
ſetzung Chrifti“ verdammt im S. 1531. Zwei und fünf» 
dg Aktäre im Münfter wurden abgebrochen. Im S. 1533 
verbot der Rath von Wranffurt bie Meffe in allen Kirchen 
bet Stadt. 3n Augsburg wurde im 3. 1537 bie Meffe 
vom Rathe abgefchafft — um diefelbe Zeit in andern {δε 
beutíd)en Reichsſtädten. Im S. 1525 wurde in Bremen 
„das abgättifche Unweſen“ abgefdjafft. Zu Hamburg vers 
langte ein Theil der Bürger von bem SRatbe, nur eine 
Religion in der Stadt zu dulden, damit bie Ruhe und 
Einigkeit der Bürgerfchaft nicht geftórt werde; — fo muß; 
ten die Fatholifchen Geiftlichen weichen. In Lübel wurde 
ble Mefle im S. 1530 in allen Bfarr- und Klofterfirchen, 
und zulegt auch im Dome abbeftellt. 

Rah bem Borftehenden mögen wir uns⸗zu Genüge 
überzeugt haben, daß das Bolt von Deutichland bie Res 
formation nicht mit offenen Armen aufgenommen habe, 


240 Die germani(djen und romanifchen Völker 


fondern daß fie ihm aufgeziwungen vourbe von feinen welt⸗ 
tichen Fürften. 

Wir geben über zu ber Einführung der Reformation 
in Dänemark, Norwegen und Sélanb. Hier war εὖ ber 
mit Nero verglichene Tyrann Ehrifian IL, welcher im Ges 
fühle und im Streben nach einer unbefchränkten Herrichaft 
über bie Leiber unb über die Seelen, über Gut und Leben 
feiner ungluͤcklichen Unterthanen die Reformation als ein 
beguemes Mittel ergriff, um ber ibn beengenben Firchlis 
den Freiheit und Selbftfländigfeit 108 zu werden. Alle 
Gewaltherrſcher haben von jeher gegen jene geiftige Frei⸗ 
heit, deren Mutter und SBflegerin bie vom Himmel begrüns 
bete Kirche ift, am meiften angefämpft, und fie nach bet 
ihnen zu Gebote ftehenden Macht rüdfichtslos niedergetres 
ten. Ehriftian IL, ber ben Schweben gegenüber ber Kirche 
als eines Mittels fi bedienen wollte, um in Schweben 
berríden zu können, bediente fid) ber gegen bie Kirche ftreis 
tenden Refurmatoren als εἰπε Mittels, um in Dänemark 
nach feinen Gelüften herrfchen zu fönnen. „Chriftian, feit 
1513 erwählter König, ein Tyrann unter den Tyrannen 
ber Mutter feiner Buhlerin, etniebrigte bie Großen, erhob 
das Volk, und begünftigte bie Reformation, um ber Bis 
fehöfe Herr zu werden D. Er verfdrieb fid) zu biefem 
Zwede Theologen aus der Wittenberger Schule (1521). 
Er erhielt einen gewiffen Magifter Martin zugefandt, 
weicher früher PBriefter in Würzburg gemefen. Diefer 
trat als Priefter ber Reformation in Kopenhagen auf. 
Bei ber bostigen Univerfität rief fein Walten ftarfen Ge» 
genfampf hervor. Auch bie allgemeine Stimmung war 


1) Dahlmann, Geſchichte von Dänemark, O8. III. ©. 350. 


In Ihrem VDerhalinifſe zu der iride. - " 24V 


tin fo wenig günftiger Boden für ben von ihm ausgeflreuten 
Samen, daß er in kurzer Brift es für gerathen fand, wie» 
der von bannen zu. ziehen. Ghriftian meinte, das erfte 
ffiflingen babe feinen Grund in der Untüchtigkeit ber 
Berfon, und wünfchte barum, daß Luther felbft, das Haupt 
der Reformation, nach bem Abzuge feines verunglüdten 
Schülers einen zweiten Verſuch zur Bekehrung feiner ſtarr⸗ 
finnigen Dänen mache. Luther aber erfchlen nicht. Indeß 
— Chriftian ließ fid) die Mühe nicht verbrieBen. Den 
Beichtvater feiner Gemahlin, die eine Schwefter Karl's V. 
war, vertrieb er aus feinen Landen. Der lniverfität Kos 
penbagen verbot er, die Schriften Luther's zu verwerfen, 
‚oder gegen fie zu fehreiben; ben @eiftlichen verbot er, in 
ihren Streitfachen die Entfcheidung in Rom nachzufuchen, 
und Güter anzufaufen, wenn fie nicht etwa in den Ehe⸗ 
ftand treten wollten. So weit hatte ber germanifche Geiſt 
des dänifchen Volks fid von freien Stüden ber Reformar 
tion in ble Arme geworfen, als ber freiheitsliebende Chris 
βίαι i. S. 1523 wegen feiner Gewaltthätigfeit von ben 
Ständen des Reiches entfegt, und außer Landes zu ziehen 
genöthigt wurde; ber Oheim Chriftian’s, Friedrich, bisher 
Herzog von Holftein, folgte ihm: Weltliche und geiftliche 
Stände hatten unter den Gründen ber Abfepung Chriſtian's 
auch feine Gewaltthätigfeiten gegen die Kirche genannt, 
Ebenfo Hatten fich bei der Thronbefteigung Friedrich's bie» 
felben (id) feierlich da6 Berfprechen von ibm geben laflen, 
er wolle fchügen die Fatholifche Kirche, er wolle erhalten 
die. Geiftlichkeit in ihren alten Rechten und Gütern. Auch 
der Pabſt mahnte ihn und feinen Sohn zum treuen Hals 
ten an der Kirche (1525). - Diefes Mahnfchreiben hat 
allerdings für unfere gegenwärtigen Zwede feine ſonderlich 
Theol. Quartalſqhriſt. 1850. 1L eft. 16 


ME Die germianifigen und romaulſchen IBolfer 


beweifende Kraft. Allein bei Friedrich wirkte ver Ginfiuf 
feines Sohnes Ehriftian, ber in Deutfchland fif mit der 
Reformation perfönlich befreundet hatte, wirkten die augen 
fkheinlichen Bortheile an Gut und Macht, welche ben melts 
lichen Yürften auftelen, wenn fle. fi der Verkündigung 
des reinen Evangeliums perfönlich annahmen. Der ſchim⸗ 
mernde Gewinn zog mehr, als heilige Berfprechungen 
jurüdhielten. Doch heimlich und Ieife ſchritt Briebrich zuerft 
voran. . Cr wollte zuwarten, bi8 die Schaar ber Neuglaͤu⸗ 
bigen zu einer Macht im Reiche herangewachfen wäre, 
Viele Adelige, gelodt durch augenblidlichen Gewinn, vice 
Mönche, gelodt durch bie Freiheit der Welt, traten über. 
„Die Reformation verbreitete fid unter bem -SBolfe, fo daß 
ber König bie bürgerliche Gleichheit der Proteftanten und 
Katholiken, die Priefterehe und die Unabhängigkeit ber Bi⸗ 
fchofswahlen von Rom burd fegte — auf bem Reichs⸗ 
tage zu Odenſe im S. 1527. (Hafe a. a. Ὁ.) Den Bi 
fhöfen ward es zum ftrengen Gefege gemacht, die Pallien 
nicht mehr von Rom, . fondern vom Könige zu beziehen, 
an ben fofort auch bie SBalliengefber entrichtet werden muß 
ten. Diefelben erhielten bie Anweifung, „das Evangelium 
lauter und rein zu prebigen.* Sm 3. 1530 war eine 
Religionsdifputation, in welcher fid) der König die Befug- 
nig der Gntfdjeibung nad) der heiligen Echrift zulegte 
Frievrih farb im S. 1533. Sein Sohn Chriſtian IH, 
ein firenger utberaner, ging energlfcher als fein alter 
Bater vor, um ben Gógenbienft zu vernichten. Mit fur 
ger Politik fefelte er bie weltlichen Stände in ihrem In⸗ 
terefle an feine Bläne — und ifolirte bie Bifchöfe. Gt 
berief — 20. Aug. 1536 — einen Reichstag der welt: 
lichen Grofen — an bemjelben Tage ließ er heimlich alle 


v 





da threm Verhältniffe μὲ et Kuche. 248 


Bifchöfe in das Gefaͤngniß werfen. Dem Abel warb ber 
Mund verfperrt durch das Berfprechen einer reichen Wut» 
beute der geiſtlichen Schäße — bie der König gnädig mit 
ihm theilen wollte. Damit verlangte und erlangte der 
lifige Chriftian freie Hand, ben Bifchöfen zu tbun nad 
feines Herzens Luſt. Das arme Volk aber — εὖ wurde 
weder befragt ned) beachtet. Bon Bolföfreibeiten und 
Volksrechten hat trot ber taufendfachen Verficherungen des 
'Gegentbeió feine Zeit weniger Notiz genommen, als die 
Zeit ber Reformation. Mit einem Echlage follte jest das 
alte Gebáube ber Kirche niebergemorfen werben. Die ges 
fangenen Biſchoͤſe mußten ihrem Rechte und ihrer Würde 
entfagen für ihre perfönliche Freiheit und für ihr Eigen» 
tum. Sie mußten verfprechen, ihrem Wiberftande gegen 
die Reformation zu entfagen. „Der BifchofRönnow von 
Roeskild ift, um der Kirche nichts zu vergeben, ein Märs 
wrer im Kerker geftorben (1544). Die Krone und ber 
Adel theilten fid in die Reichthümer der Kirche“. (afe 
aa. Ὁ. 410). Die Bröbfte und Pfarrer wurden alle 
abgefegt, wenn fie fid) zur Annahme der neuen Lehre nicht 
bequemen wollten. Das ift nicht Freiheit, das ift Despo⸗ 
tismus, welcher bie Reformation bem dänifchen Volke aufs 
gezwungen hat. Seit 1537 war ber Fatholifche Glaube 
verbannt aus Dänemark. Unter Todesſtrafe wurde ber 
Aufenthalt und die Beherbergung Fatholifcher Geiftlichen 
verboten. — Sn Norwegen waltete und fchaltete diefelbe 
Macht. Bis nach Island drang die Gewalt. Gegen bie 
ZJumuthung, von ihrem Glauben abjufallen, erhoben fid 
bier bie Katholiten mit den Waffen in ber Hand. Sie 
wurden befiegt — ein Bifchof, Son Arefen, enthauptet. 
Den Unterjochten wurde baé neue Evangelium aufgezwungen, 
16 * 


244 Die gérmániffen unb romanifihen Bälkır 


Das war nicht der Sieg der Freiheit, fondern der Gewalt: 
Swar heißt ἐδ: „wer das Schwert ergreift, der fol ums 
fommen durch das Schwert.“ Aber es heißt auch: „Fürch⸗ 
tet euch nicht vor denen, die den Leib tödten, der Seele 
aber nichis ſchaden fónnen.* Wer ben Menfchen ihr Hei⸗ 
ligftes, ihren Gíauben entreißt, ber ruft den Widerſtand 
hervor — ben Widerſtand der Nothwehr fuͤr das Leben 
der Seele. 

Kommen wir endlich zu Schweden, dem Ur⸗ und 
Stammlande germanifcher Völker — von wo Gotben, Ges 
piben, Dänen, 9termannen, Waräger u. f. f. im Laufe 
ber Zeiten ausgegangen find. Schon der alte Auszieher 
ber gothifchen Geſchichte des Gafftobor, ber Biſchof Jor⸗ 
nanbeó von Ravenna, nennt biefe große Inſel Scanzia 
„gleichfam eine Werkſtaͤtte der Völker, ober gewiß cine 
Wiege der Nationen“ ἢ. Daran bat aber im Grunde 
faum Jemand gezweifelt, daß ber ſtandinaviſche SBolfeftamm 
zu dem großen germanifchen Völferftamme gehöre, ja nicht 
wenige [affen bie Germanen überhaupt aus Gfanbinabien 
flammen. Auch bat, wenn in irgend einem Lande nad) 
Zurüddrängung des tfchudifch-finnifchen Stammes, bie gers 
manifche Natur in Schweden fi rein und ungetrübt ers 
halten. In Schweren alfo mußte, wenn je ber Proteftans 
tíémué bie eigentliche, bem germanifchen Wefen 3ufagenbe 
Weile des Glaubens ift, das Bolf von freien Stüden 
bie ihm ‚gebotene Reformation ergreifen. Allein wir finden; 
dag Guftao Wafa, der fehwenifche Reformator, biefelben 
tyrannifchen Zwangsmaßregeln anwenden mußte, wie fte 

1) Quasi officina gentium , aut certe velut vagina nationum — 


Jornandes de Gothorum origine et rebus gestis es Migne Pat. T. 70) 
cp. 4. 


% 
Ma 





in ihrem Verhaliniſſe zu ber. Kirche 245 

‚anderöwo zum Behufe der gewaltthätigen Berbrängung 
des Katholizismus angeiwendet wurden ἢ. Sit Theiner’s 
Schrift find aus unwiderleglichen Urkunden bie haarſtraͤu⸗ 
benden Sraufamfeiten gefhildert, welche ben Untergang des 
alten Glaubens erzwingen halfen. Die Geiftllichfeit unb 
‚das Voll widerfegten fü in gleicher Weife bem ihnen ans 
gefonnenen und aufgegwungenen Abfalle. Blos Peters: 
fohn und ber Reichöfanzier Andersſohn boten fi bem 
Guſtav Waſa ald gefügige Werkzeuge dar. Guſtav trat 
um fo entfchiedener auf, nachdem er im S. 1523 zum Koͤ⸗ 
‚nige ernannt worden war. Während Guſtav alle Mittel 
‚zum Abfalle ber Kirche anwendete, fchrieb er an ben Pabſt: 
„iſt ba6 geídeben (find bie erledigten Bisthümer befegt)), 
fo wird den Forderungen Eurer Heiligkeit in Betreff der 
‚Kepereien und Srriehren vollfommen Genüge geleiftet wers 
ben, unb Wir werben Alles tun, was nur immer ber 
‚heilige Stuhl von uns und unferm Volfe verlangen wird.“ 
In feinem Religionsedikt ließ er fid alfo vernehmen: „Um 
nun aber vorzüglich jene verderbliche Lehre der Hufliten, 
die ein gewiffer Martin Luther, Yuguftiner Ordens, zum 
Nachtheil ber öffentlichen Ruhe eines jeden chriftlichen Staa⸗ 
tes aufs Neue aufbringt, fo ſchnell -ald möglich auszu⸗ 
rotten, fo befehlen voir Allen, und jedem insbefondere unter 
unfern linteribanen bei Strafe bed Verluſtes aller Güter 
und felbft des Lebens, ba Niemand für bie Zufunft je 
mehr fich erfühne, die Lehre Martin Luther’s zu verbreiten, 
die Schriften beffelben in unfern Staaten einzuführen, zu 
verfaufen und zu faufen, noch auch (id) ihrer zu bedienen.“ 
1) Theiner, Schweden unb feine Stellung zum heiligen Gtuble, 


2 Th. Augsburg, 1838 — 39. — Glarus, Se PM unb id 
Mainz 1847. 2 br. 


246 Die germantfigen und romaniſchen Bühler 


Sof und fein Bruder Lorenz Peteröfohn hielten für 
ihren Glauben Religionsgefpräce. Sie wurden von ben 
Katholiken gründlich widerlegt — es konnte aber nicht 
fehlen, daß ihnen ber König in der Regel den Steg zus 
fprad. Rechtmäßiger Erzbifchof von Upſala war Johann 
Magnus, päbfllicher Nuntius. Er, und Johann Brasle, 
Biſchof von Lieföping, waren Säulen der Kirche, würdig 
ber Liebe aller Jahrhunderte Zwanzig Sabre nad). feiner 
Verbannung ftritt und litt Magnus für bie Kirche. Kurz 
vor feinem Tode fchrieb er: „Ich finde, und wi aud 
in ber That nichts anders finden, als Dornen und Gta; 
def, unb bie Wundmale meines Herrn Jeſus Chriftus, 
pie ich fortwährend wegen ber Wiederherfiellung des chrift- 
lichen Gíaubene an meinem Körper trage.“ Er ftarb zu 
Rom. Die beiden Bilchöfe, Peter Jakobsſohn von We⸗ 
fteräs und Magnus Knut, ermwählter Erzbiſchof von Ups 
fala, bie mit den Dalefarliern gegen Guſtav geftanben, 
wurden hingerichtet. Iafoböfohn wurde mit einer Stroh⸗ 
frone auf bem Haupte, unb mit einem halbzerbrochenen 
Säbel von Holz, Knut mit einer Snfel von Baumrinde 
und abgetragenen Chorgewändern, beide auf abgemagerten 
Pferden, durch die Straßen von Stodholm geführt. Alnter 
den fchmählichften Mißhandlungen wurden fte an ben Pran⸗ 
ger geftellt, mußten mit dem Scharfrichter trinfen, wurben 
noch für einige Zeit in den Kerker geführt, hierauf Dinge 
richtet — 1527 — ihre Leichname ben Raubvögeln zur 
Speiſe ausgeſetzt. Beſonders bie fchwebilchen Ronnen von 
Wadſtena zeichneten fi) durch ihren Heldenmurh aus. 
Die Dalefarlier, welche einft ben vor Gbriftian fliehenden 
Guſtav bei fid) aufgenommen, erhoben fid) gegen ben Raͤu⸗ 
ber ihres Glaubens in ben Waffen. ‚Ste. moiberflanbeu, 


- μι ὅταν Berhältuife zu der Ride, - 247 


oft getäufcht, unb. bis auf ben Sob gehetzt, i6 3. 3, 1543. 
Die Weſtgothlaͤnder ſprechen in. ihrem Manifefe gegen 
ben König: „er babe bem Baterlande bie &egerei. aufge 
brungen, feinen Gib gebrochen unb vie fire unb ben 
Clerus feiner alten Privifegien und Wärben beraubt, bie 
Biſchoͤfe aus ihren Diszeſen vertrieben und erilirt, die Kir⸗ 
chen und Klöfter auégeraubt, bie Klöftet nad) gewaltfamer 
Bertreibung ihrer Bewohner dem Boden gleich gemacht, 
Mönchen und Nonnen zum Hohne der alten Disziplin ber 
Kirche die Ehe erlaubt, bie Meffe verftümmelt, und in 
ſchwediſcher Sprache halten laſſen, die Anzahl, Bedeutung 
und den Gebrauch der Sakramente geändert und verkehrt, 
bie herkömmliche Priefterweihe, bie Ohrenbeichte, bie bei 
lige Firmung und bie Anrufung der Heiligen abgefchafft, 
unb die Obfervanz der alten Waftengebote aufgehoben.“ 

Auf dem Reichstage zu Wefteräs (1527) erreichte 
Guítao freie Hand gegen die Kirche. Er heuchelte, bie 
Krone weglegen zu wollen, auch verlangte er die Gelder 
zurüd, bie er aufgewendet. Man fürchtete bie Anarchie — 
man bat ihn zu bleiben. Man beließ ibm zu feiner Ents 
fhädigung Die Beftgungen der Bisthümer und Klöfter. 
Der Adel befam feinen Theil an dem Raube — der Clerus 
ging leer aus. Nun verlangte Guftav, daß man das reine 
Wort Gottes achten folle. Eine Liturgie in der Landes» 
fprache wurde eingeführt — der Cölibat wurde abgefchafft. 
Bei ben Worten der Einfegung folle man noch bie Hoftie 
und ben Kelch in bie Hand nehmen — um der Einfältis 
gen willen — man hielt dad Volk in abſichtlicher Täus 
(dung. Zu Derebro (1529) wurde das Werk vollendet. 
Lorenz Petersfohn wurde Bifchof zu Upfala (1531). 

Nach bem Gefagten wird fein billig Denfender behaupten, 


248 ' Die germanififen und romanifchen Böker ıc. 


das ſchwediſche Volk habe die Reformation frei und freudig 
aufgenommen. Rein — fie wurde ibm aufgebrungen und 
t fgegtoung en. c. 

Aus ber Gefchichte der Einführung ber Reformation 
bei den germanifchen Voͤlkern aber ergiebt fib, wie viel 
"Wahrheit in der Behauptung liegt, daß ber Proteſtantis⸗ 
mué bie den germanifchen Voͤlkern entfprechende Weife des 
‚Glaubens fei. Die Wahrheit ift, daß jene Behauptung 
“eine Unwahrheit ift. 


Dr, Sams, 
Profeſſor in Hildesheim. 





Ehrenrettung des Dionyfins Petavius und der katho⸗ 
Kitchen Auffaffung der Dogmengefchichte. 


Die Darftelung, welche Petavius von der vornieänifchen 
Trinitätslehre gibt, befonders aber das in einigen Stellen 
derfelben ausgefprochene fcharfe Urtheil über mehrere Lehrer 
diefer Periode Bat ihm Freunde erworben viel fchlimmer 
als feine offenften Gegner, Lobredner feiner Gelehrfamteit 
und Unpartheilichkeit auf Koften feines Tirchlichen Stand- 
punkts und (εἰδῇ feines perfönlichen Charakters. Während 
bet hochkirchliche ©. Bullus!), wenn er ihm vorwirft, 
daß feiner Darftelung zufolge die gemeine Lehre bet. vors 
nicänifchen Väter in der Hauptfache arianiſch gewefen fet, 
die von Petavius nachgeiwiefene, von ber überwiegenden 
Mehrzahl der Lehrer biefer Periode begeugte Lieberlieferung 
ber ddjten Lehre gänzlich überfieht; geht der Socinianer 
Sandius Ὁ zwar von berfelben Annahme aus, aber weit 
entfernt diefes vermeintliche Ergebniß feiner dogmengeſchicht⸗ 
lichen Nachweiſung bem Petavius zum Fehler anzurechnen, 
glaubt er vielmehr bie hieraus von ſelbſt fid) ergebende 
Folgerung: daß nicht bie trinitas ὁμοούσιος des Nicänums, 
fonbern die arianifche Guborbinationélebre chriftlicher Glau⸗ 
bensartifel (et, al8 bie wahre innere Ueberzeugung des Pe⸗ 


1) Defens. fid. nic. ed. J. E. Grabe. Lond. 1703. prooem $ 8. 
2) Nuel. hist. eccles, I. p. 156 bei Bullus a. a. Ὁ. 


- 250 Detavius 


tavius bezeichnen zu dürfen, eine llebergeugung, von ber 
' blefer das Gegentheil nur deßhalb ausprüdlich gelehrt habe, 
um Berfolgungen wegen Abfalls von ber Fatholifchen Kirche 
jur arianifchen Gecte zu entgehen. 

Epätere gleichlautende Lrtheile, wozu eine fo pifante 
Gntbedung immer Anlaß gibt, übergehen wir !); auch das 
bes Hrn. Dr. Baur?) hätte uns eine eingänglichere Er⸗ 
Örterung nicht abgezwungen, wäre εὖ nicht in Zufammens 
bang gebracht mit einer Schilderung ber von ihm ale 
„aͤcht Fatholifch“ bezeichneten Auffaffung der dogmengeſchicht⸗ 
lichen Entwidlung, bie, felbft wenn fie wahrer und ſcho⸗ 
nender wäre als fie wirklich ift, eine nähere Beleuchtung 
‚nicht überflüfftg machte. 

Wenn Hr. Dr. Baur bem berüßmten katholiſchen 
Dogmenhiſtoriker das Zeugniß gibt, der Einſeitigkeit und 
Beſchranktheit des katholiſchen Standpunkis nicht unter 
legen, ja ſogar über die Graͤnzen des katholiſchen Lehr⸗ 
ſyſtems hinausgegangen zu fein, fo erweist er ibm eine 
Ehre, auf bie biefer Gelehrte ebenfo wenig Anfpruch macht 
imb bat, al6 ber Fatholifche Standpunkt ben bogmenbiftes 
τίει Proceß aufzufaſſen das abfchägige Urtheil verbient, . 
das Hr. Baur auf ihn wirft. Dies zu zeigen, und Sebem 
das Seinige zu geben, ift ber Zwed viefer Abhandlung. 


L 


Hr. Dr. Baur unterfcheidet dreierlei Auffafiungen des 
Dogmengefchichtlichen Proceſſes: Die glaubig firchliche, bie 





1) Bol. Möhler, Athanaſins ber Große und -bie Kirche feiner 
Zeit. Mainz, 1827. ©. 49. f. Anm. 
. 2) Die dyrifilide Lehre von ber Dteieinigkeit und Bosius 
Gottes. Tükingen, 1841—43. 1. Bd, ©, Hu 


und die kathol. Degmengeſchichte. 251 


‚fubjeetig raifennirende und die fritijfg ſpeculative. Eni⸗ 
weder. nämlich fieht man, ibm zufolge, in der Geſchichte 
des Dogma .nur einen (ubftanglellen Inhalt sbue bie Be 
wegung, in welcher daB Leben der Gejchichte beſteht, ober 
eine biofe Bewegung und Beränderung ohne bie {ιν 
Ranzielle Realität, bie der Inhalt der gefchichtlichen Bes 
iwegung fein muß, und ba nun biefe beiden Stanbpunfte 
für die gefchichtliche Betrachtung gleich einfeitig find, fo 
Tann ire Einfeitigfeit nur auf einem Standpunkte aufs 
gehoben werben, auf welchem bie gefchichtliche Bewegung 
al6 die nothwendige DBermittlung des Inhalts mit fid 
felbft, ober als bie objectioe Selbftbewegung des Begriffe 
erisheint !). 

Im Berfolg ber weitern Schilderung der .erften ufo 
faſſung kommt Hr. Dr. Baur auf Petnvius zu fprechen, 
und ba có aud) une nicht bío8 um dieſen einzelnen 
katholiſchen Gelehrten, fondern bauptfächlich um die „Acht 
katholiſche“ Anficht von. bem dogmengeſchichtlichen Proceß 
zu thun ift; fo können wir nidyt umbin, bie ganze Stelle 
bieber zu fegen. „Auf bem erften Standpunft, fährt Hr. 
Daur fort, hält man (id) demnach nur an bie Subflanz 
ber Cade, bie ber Inhalt der Gefchichte ift, unb bie ges 
ſchichtliche Bewegung ift nur bie fortgehende Seentitát des 
‚fubftanzielen Inhalts mit fid) felbft, b. b. eine Bewegung, 
bie in Wahrheit feine Semegung ift, eine Veränderung, 
in weldyer fid) nichts verändert. Gine andere SBerduberung 
al eine folche, bie rein formelle. Art ik, fann es auf 
diefem Gtanbpuntte in ber Gefchichte deswegen nicht geben, 
weil bie geſchichtliche Betrachtung von ber Vorausſetzung 


1) Baur a. α. Ὁ. 1. ©. 108, 


252 Belavius 


ausgeht, bag die fubflanzielle Wahrheit, die ber Inhalt 
ver Geſchichte ift, von Anfang an eine fo febr in fid 
vollendete und abgefchlofiene ift, daß fie in ihrer Uns 
mittelbarfeit nicht erft einer SSermittfung bedarf. Die 
Subjerte, in welche die Bewegung der Gefchichte falit, 
fónnen fi daher in ihrer Stellung zur Sbjeetivitdt 
der Gefchichte, zu der unmittelbar gegebenen Wahrheit, 
nur receptiv glaubig verhalten. Jede Bewegung, durch 
welche ver Inhalt fid) wefentlich verändern, fid) aus fid) 
fetéft. herausbewegen, nicht mehr als ber unmittelbar ges 
gebene erfcheinen würde, fónnte nur außerhalb der Gub, 
ftanz der Sache erfolgen, und ebendeswegen ihr Prinzip 
nur im Unglauben haben. Diefe glaubig Firchliche, vein 
dogimatifche Anficht von der Gefchichte hat ihren vollkom⸗ 
menften Repräfentanten in Georg Bull, deffen befannte 
Vertheidigung des nicänifchen Glaubens darthun follte, daß 
bie vornicänifchen Väter fchon ganz daſſelbe gelehrt haben, 
was der Inhalt des nichnifchen Glaubens if. Alle Difs 
-ferenzen der δεῦτε werden für eine blofe Verſchiedenheit 
ber Form und Darftelungsweife erffärt, über welche man 
mit biligem Auge hinwegfehen müfle. Da, was fir bie 
vornicänifche Zeit gelten foll, auch für bie nachnicänifche 
geltend gemacht werden fann, und überhaupt, wer einmal 
in dem nicänifchen oder nicänifch » conftantinepolitantfchen 
Symbol den authentifchen Ausdrud ber göttlich geoffenbarten 
Lehre erblidt, mit bemjelben jede Vermittlung des Dogma 
für geſchloſſen halten muß, fo fann εὖ in der ganzen Ger 
ſchichte des Dogma feine Bewegung geben, bie nicht das 
Princip des Irrthums und des Unglaubens in fid) hätte. 
Obgleich ©. Bull ein Mitglied der englifchen Episcopals 
firche war, fo ift bod) feine Anficht ale bie Acht Fatholifche 


unb ble kathol. Deogmengefchichte. 28 


ansufehen, und er (δῇ machte fie ala ſolche gegen ben 
berühmten Dogmenhiftorifer der roͤmiſch⸗katholiſchen Kirche, 
Dionyfius Petavius, geftenb, welchem fein hiftorifches Ges 
wiſſen nicht erlaubt hatte, bie thatlächliche Lehrverſchieden⸗ 
heit der vornicänifchen Periode völlig mwegzuläugnen. Per 
tavius gibt wenigftens fo viel zu, daß bie anfangs nod) 
ſchwankende Lehrweife .erfi burd) bie nicaͤniſche Synode 
Babe feftgeftellt werben müften, ja fogar, daß es bem 
Arius unter den Kirchenlehrern der frühern Zeit feine» 
wegé an Borgängern für feine ketzeriſche Lehre gefehlt 
babe !) Sn ber That feheint auch Petavius in dieſer 
Behauptung über die Gonfequeng des Fatholifchen Lehr⸗ 
ſyſtems hinausgegangen zu: fein, und felbft bie neueren 
fatholifchen Dogmenhiftorifer glauben daher eine folche 


1) Hiezu bemerft Baur in ber Note 31 auf &. 110: „Man vers 
gleiche ba& Opus de theol. dogmatibus de trinit. I. 5, 7. 8, 2. Pla- 
nissme constat, fagt Petavius in bec letztern Stelle, germanum Pla- 
tonicum Arium extitisse, tum illorum veterum, secutum esse dogma, 
qui nondum patefacta constitutaque re ad eundem errorem oflen- 
derunt. Nam et illi productum a Deo patre verbujn non tamen ex 
aeternitate docuerunt etc. — Quomobrem, quod Arium illius dog- 
mais architectum fuisse, cujusmodi hactenus auditum non erst, 
Alexander in epistola queritur, aliique Patres, qui contra hanc hae- 
resim scripsere, oratorio modo et per exaggerationem dici arbitror: 
siquidem magna est a nobis producta copia priscorum, qui idem 
quod Arius ante tradiderunt.^ — Die hochkirchliche Gehaͤſſigkeit, bie 
Baur an diefer Stelle nod) zum Wort fommen läßt, um bie „Unhalts 
barfeit des ganzen Principe“ (der Fatholifchen Auffaffung des dogmen⸗ 
geichichtlichen Proceſſes) zu zeigen, gibt Hiezu nicht einmal einen Fingers 
zeig, wohl aber flellt fie bie Behauptung, Bullus habe feine (von Baur 
als die acht fatfolifdje bezeichnete) Siuffaffung als ſolche gegen Petay 
geltend gemacht, al& eine irrige heraus, e6 müßte denn Baur unter ben 
„acht Katholifchen” bie Catholici — wie Bullus und die Angli⸗ 
canet. ſich nennen, verſtehen wollen. 


254 07 iitáeuse 

Beeinträchtigung ber durch alle Zeiten hindurch fich gleich 
bleibenden Stabilität ihres Dogma nicht zugeben zu bürfen.* 
(Baur, a. a. Ὁ. 1. ©. 108—111) 

Rah Hr. Dr. Baur fat fid) -bie Anficht des Betas 
sinds in zwei Säge zufammen: 1) bie anfangs nod 
ſchwankende Lehrweiſe mußte erft durch die nicäniiche Sys 
node feftgeellt werden; 2) bem Arius fehlte es für feine 
kezeriſche Lehre nicht an Vorgängern unter ben ag 
vätern der frübern Zeit. 

Wie verhalten fid) beide Sätze zu einander? Wäre 
ber zweite, von Petavius wörtlich ausgefprochene, fo ges 
meint, wie ihn Bull und Sand verftehen oder vielmehr 
verdrehen , fo fünnte der erfte neben ihm nicht beftehen. 
Denn wenn, was Artus nochmals geltend machte, bie 
gemeine Lehre ber vornicänifchen Väter war, dann bes 
ftand fein Schwanfen in ber Lehrart, dem die nicänifche 
Synode hätte ein Ende machen können, fonbern bicfe hätte 
die eigene, biöher nur ausnahmsweiſe vorgetragene Lchre 
an bie Stelle der früher herrfchenden gefegt. Umgekehrt 
aber, wenn vor bem Nicänum einzelne Lehrer, und biefe 
nicht durchwed, Arianiſches vorgetragen, während bie übris 
gen, und vielleicht ſelbſt jene in einigen Stellen ihrer 
Schriften, die von bem Nicänum ſanctionirte Lehre als bie 
von Anfang überlieferte und darum allein Achte bezeugen, 
fo fliehen beide Säge ohne Widerſpruch neben einander, 
und ergänzen und begrängen ftd) gegenfeltig. Denn je 
verbreiteter bie arianifche Anficht unter ben frühern Lehrern 
angenommen wird, deſto ernfllicher wird man aud von 
einem Schwanken der Lehrweiſe und deſto eigentlicher von 
einer Feſtſtellung berfelben durch bie nicänifche Synode 
fpreden müffen, unb umgekehrt. Erſt bann, wenn man 





unb bie kathol. Dotgmengeſchichte. 283 


der Anſicht ig, bag bie gemeine Lehre der vornicánifden 
Väter in der Hauptfache bie arianifche gewefen, und daß 
diefe ben burd)berrídyenben Trieb ber dogmengefchichtlichen 
Gnheidlung in ber vornicänifchen Periode bilde — kann 
von dem erften Cape nicht mehr die Rede fein. Diele 
Anficht fcheint aber Hr. Baur bem Petavius nicht beilegen 
wu wollen, fonft hätte er wohl jenen Gag viel fchärfer 
ausgedrüdt unb im zweiten nicht blos gejagt, es habe, 
nad) Petavius, dem Arius nicht an Vorgängern ges 
fehlt; denn das iff bod) in Wahrheit etwas febr. Unver⸗ 
fängliches. Allein gerade das flebt unfrer Borausfegung 
entgegen. Wie käme Hr. Baur dazu, einen Mann mie 
Betavius der lleberídoreitung des Fatholifchen Lehrfufteme 
zu zeihen, wenn er in beffen Auffaffung nicht mehr fand, 
ale das eben Gefagte? — Leber diefe fid) gegenfeitig vers 
brängenden Erwägungen fommen wir nur hinaus, wenn 
wir annehmen, baf Hr. Baur anftatt des getreuen Bildes 
der Fatbolifchen  Gefchichtsauffaffung die Garrícatur bet» 
felben in dem Anglicaner Bulus gezeichnet und zugleich 
jene €áge in einer weitern Ausvehnung und größern 
Schärfe genommen hat, als wozu ihn bfe Anficht des 
Petavius berechtigte. 

Diefe ift erft nad) einer Seite üt den zwei Stellen 
audgefprochen, auf bie fid) Baur nad Bull's Vorgang beruft 
(ob. S. 253 Anm); und menn man diefe beiden Stellen 
vollſtaͤndig berückſichtigt was weder von Bullus ned) 
von Baur gefchehen ift — und in ihrem Zufammenhange 
würdigt, fo mag zwar das in ihnen Dervertretenbe negas 
five Ergebniß der Forſchung immer noch flärfer erfcheinen, 
als durch. den objectiven Thatbeftand gerechtfertigt werben 
fann, aber mit bem pofitinen — das von jenen gänzlich 


256 Pttaãvius 


Abergangen iſt — ſteht es gleichwohl fo wenig im. Wider⸗ 
ſtreit, als bie ganze, aus beiden reſultirende Anſicht des 
Petavius dem katholiſchen Standpunet fremd (ft. 

An ber erſten — von Baur blos eitirten — Stelle 
(de trin. I. 5, 7) faft Betavius alles zufammen, was er 
in der Lehre „einiger“ vornicänifcher Bäter Arianifches 
oder Arianifirendes gefunden. inige, fagt er bier, hegten 
von der Gottheit und dem Berfonenunterfchled in ihr bie 
Meinung, ἐδ fel ein höchfter, ungezeugter und unfichts 
barer Gott, welcher ben λόγος, ben er in fid) verfchlofien 
hielt (ἐνδιάϑετος), aus fid) entließ ald Wort, aber nicht 
wie ein menfchliches, das vorüber geht unb verhallt, fon» 
dern in fid) beftefenb und gleichfam verkörpert, das alle 
übrigen Dinge in's Dafein rief. - Damals, als Gott bie 
Schöpfung biefeó Weltalls bei fi) befchloß, wurde ber 
λόγος von ihm hervorgebracht, um ihn gleichfam als Ges 
hülfen bei ber Schöpfung zu gebrauchen. Go Athenagoras, 
Tatian, Theophilus, Tertullian und Lactantius. Diefe 
fowohl als aud) andere, wie Origenes, ftellten ben λόγος 
nach Würde und Macht unter ben 9Bater, und obgleich 
fie ihn aus“ ber Subftanz des Baters herleiten — 
wodurch allein er von ben übrigen Dingen, die aus 
Nichts gefchaffen find, unterfchieden ift — fo. glaubten 
fie doch, taf er wie bie übrigen Dinge zu fein anges 
fangen babe, und nahmen feineswegs an, baf er für 
fid, als eigene Hypoftafe von Ewigkeit her fel. Bon 
den Alten — fo fdliegt Petavius bie Gtelle — {εἰ e& 
weniger befrembfid), bag fie in folder Seife über bie 
Hervorbringung des göttlichen Wortes fid) geäußert Dabens 
aber wenn Seno von Berona nod) fo fpredje — sc. nad, 
bem der Arkanismus in Nicka verworfen, und volle Klars 


und bie kathol. Dogmengefchichte. 257 


i 
beit und Beſtimmtheit in das Trinitäts-Verhaͤltniß ges 
gebracht worden fei: „patefacta constitutaque re^ — fo 
fönne man fid nicht genug verwundern. 

In ber zweiten Stelle (de trinit. I. 8, 2) ift es wies 
berum bie Nichtewigfeit des λόγος, die SBetaviu& als das 
Arianifche einiger vornicänifcher Xehrer befonders hervor- 
hebt ἢ). Allein obgleich er, wie wir nachher zeigen werden, 
etwas zu voreilig jene Nichtewigfeit der arianifchen Zeit: 
lichfeit des Sohnes gleichgefegt, unb deßhalb bie genannten 
vornicänifchen Lehrer offenbar zu hart beurtheilt hat; fo 
macht er doch diefen Fehler baburd) gewiſſermaßen wieder 
gut, daß er nun aud das bem Artus Eigenthüm⸗ 
liche, was vor ihm jene Lchrer gar nicht behauptet, oder 
‚wovon fie das Gegentheil behauptet haben, auébrüdlid) 


1) Die Stelle ift von Gun. Dr. Baur nicht ganz mitgetheiltz fie 
lautet vollfländig fo: In ea vero professione planissime constat etc. 
(f. ob. ©. 253 Anm.) Nam et illi productum a Deo Patre Verbum, non 
tamen ex aeternitate, docuerunt, sed antequam mundum fabricaret, 
"ut illó administro ad hujus molitionem operis uteretur. Non enim 
per sese ac sine interjecto aliquo procreasse putabant omnia; quod 
et Philo in libro de Opifice mundi secutus est. Quamobrem — ante 
tradiderunt (f. 56.). Nisi forte hoc iste praecipuum habeat, quod 
Verbum Dei ac Filium ἐξ οὐκ ὄντων, ex nihilo creatum palam, ac 
dissertius quam unquam alias asseveraverit. Nam plerique illi, quos 
supra (I. 5, 7) citavi, non id aperte declarant, sed Filium sive λόγον 
sjunt ex Patris substantia profluxisse; ut Athenagoras, Theophilus 
: Antiochenus, Tatianus. Origenes autem et Dionysius Alexandrinus, 
etsi reipsa idem quod Arius sentiunt, non tamen expresse ac verbo 
declarapt , ἐξ οὐκ ὄντων Filium esse factum. Tum illud forte vel 
"peculiare vel prae ceteris Arius habuit, quod Filium Dei natura esse 
mutabilem et in deterius verti posse defenderet. Itaque Sosomenus 
quaedam, ait, Arium docuisse, quae a nullo haclenus usurpata fue- 
rant, videlicet Filium Dei ex non existentibus esse factum ac 
fuisse quondam , cum nondum esset. Item libero suo arbitrio ne- 
 quitiae ac viriutia capacem esse, el creaturam atque opificium. . 
Theol Quartalſchrift. 1850. II. Heft. 17 


258 Petavlus 


hervorhebt. Bei Hrn. Baur wie bei feinem Vorgaͤnger 
Bull bricht aber bae Gítatgerabe an bem Buncte 
ab, wo das linterfdeibenbe des Arius von ben 
getadelten vornícánifden Lehrern aufgeführt 
wird. Die ftarfe Stelle: daß eine große Zahl ber Altern 
Lehrer baffelbe, was Arius, fdon früher gelehrt babe — 
wird fo fort geführt und dadurch wefentlich gemildert: 
Wenn er (Arius) nicht etwa das voraus hat, bag er offen 
und ausbrüdlicher ale irgend fonft Jemand lehrte, ber Sohn 
fei aus Nichts gefchaffen; denn bie meiften von jenen 
Vätern lehren, ber Sohn fel aus ber Subftanz des 
Vaters hervorgegangen, wie Athenagoras, Theophilus, 
Satian; Drigened aber und Dionyſius von Alerandrien, 
obgleich fie ber Sache nach von Arius nicht abweichen, 
febren bod) nicht ausbrüdfich, daß ber Sohn aus Nichts 
gefehaffen fei 1), Sodann ift auch das vieleicht bem Arius 


— — — — 


1) Indeſſen bemerkte Petavius kurz vorher (de trinit. I. 5, 7) 
auch von Drigenes ausbrüdlich, daß er bem Eohn aus ber Gubflan 
des Vaters — mithin nicht aus Nichts — hervorgehen (age; iu Sua 
fehung. des Divnys von Alerandrien aber, der nah Baſilius zuerft 
den Samen des Artanismus ausgeftreut, teferitt er, daß biefer fid) von 
der gegen ihn erhobenen Anklage gereinigt und feinen im Gifer gegen 
Sabellins gebrauchten (arianifchen) Ansfprüchen einen guten Sinn ges 
geben, aud) gegen das Ende feines Lebens von bem Geheimniſſe bet 
Trinität richtig gedacht, wenigfteus geſprochen babe (de trin. I. 
4, 10). Dagegen uttfeilt Petavius von bemfelben Dionys in der praefat. 
c. 4. 6. 4 nicht nur milder, fondern aud) ganz anders: er habe im 
Eifer gegen Sabellius bie Gränzen ber Fatholifchen Lehrweife überfprungen 
— ohne jedoch aud) nur einmal den Sohn aus bem Nichtſeienden here 
vorgehen zu laffen — auf die dagegen erhobene Einſprache aber fij 
ganz zufrienenftellend erklärt und aud) bie legte Spur arianiſcher Irr⸗ 
lehre ausgetilgt. Petavius fchließt: Sed hujus Dionysii alia loca jam 
attulimus (I, 4, 10. IH, 11. IV, 5), in quibus citra calumniam recta 
est et germana trinitatis confessio. Solche fd) wiberfirebende Urtheile 


- 


und die ἔα οἵ, Dogmengefchichte. 239 


eigen, bag er behauptete, der Sohn [εἰ feiner Natur nad) 
veränberlih und mit ber Yählgfeit fi zum Boͤſen zu 
wenden behaftet. Deshalb erzähle auf Sozomenuß, 
Arius habe Einiges gelehrt, was bis dahin Feiner gewagt 
babe, vorzubringen (nämlich eben jenes). 

Das find bie Zeugniffe, auf welche bin man ben 
Petavius des Abfalls von bem Gtanbpunct der Fatholifchen 
Auffaffung ber Dogmengefhichte befchuldigt hat. Sie 
find, obwohl von ung ſchon ergänzt, noch nicht vollftánbig ; 
es fehlt bie ganze, viel reichere Parthie derjenigen Auss 
fagen, die in die andere Wagfchale fallen, und um [ὁ 
fierer den Ausfchlag geben, als jene nicht viel wiegen. 
Denn was fol es beweifen, wenn Petavius zugefteht, daß 
vor Arius Arianifches gelehrt worden? Wenn Baur auf 
tatholifche Dogmenhiftorifer binmeifen wollte (a. a. Ὁ. 1. 
S. 112. Anm.), bie ängftlicher waren αἱ Petavius, fo 
hätte er fió mit Klee begnügen follen; Möhler ftebt 
hinter Petavius in biefer Beziehung nicht zurück!). Aber 





finden ſich bei Petavius häufig; fie find niebergefchrieben nach bem uns 
mittelbaren Eindruck, den das eben bei den Alten Gelefene auf ihn 
machte. Sein Werk de dogmat. theolog. ift nicht überarbeitet, es ijt 
aus feinen Gollectaneen mehr nur aufammengefelit. Wer iffu uad) eine 
zelnen Stellen beurtheilt, geht daher nicht felten völlig Irre. Das hätten 
Bullus und Baur bevenfen follenz fie find in gleicher Weile ohne all» 
Kritik zu Werk gegangen. 

1) G6 wird fi dies and bem Verfolg unferer Darftellung ergeben. 
Möhler fagt (S. 56) folgendes: „Bon bem Kirchenglauben müflen wir 
bie fpeculativen Grürterungen Cinzelner trennen; was geglaubt werben 
felt, ig Ueberlieferung, und im biefer flimmen alle mit einander überein. 
Wie der Glaube aber mit fBernunftibeen in Uebereinſtimmung | gefegt 
werden koͤnne, geht den Kirchenglauben nichts an. Fehler und Ginfeitig« 
keiten in tiefen. Verſuchen Tünnen nichts gegen die allgemeine Kirchen» 
lehre beweifen: ja felbft ans den fehlerhaften Conſtructionen und Des 
monfitationen leuchtet biefe klar hindurch: man ficht, daß die Vaͤter ble 

170 





280 | Petavluß 


auch wenn er aufer jenem !) noch andere zu nennen hätte, 
die in dem Streben, auch das offenbar Diffonirende εἰπε 
zelner Bäter in die Harmonie der allgemeinen Kirchenlehre 
aufzulöfen, mit ihm weitteiferten, fo wäre damit überall 
noch nichts bewiefen. Diffonangen folcher Art hat man 
in der Fatholifchen Kirche von jeher anerfannt, ohne zu 
fürchten, dem Fatholifchen Gtanbpunct im mindeften etwas 
Dadurch zu vergeben. Fragt nicht Auguftin, beffen Urs 
theil auch in biefer Sache von entfcheidender Bedeutung 


—— — — — — 


wahre Gottheit des Sohnes als die Lehre der Ehriſten beweiſen wollen, 
obſchon ber Beweis irrig fein mochte. Hätten bie Apologeten bem Glauben 
an bie Gottheit et erfunden, wie man fagt, fo hätten fie ſich ja felbft 
Schwierigfeiten in ber Bertheivigung des Chriftenthums gemacht. Aber 
Niemand, ber etwas vertheidigen will, erfchwert fid) die Vertheidigung 
ſelbſt. Sie vertheidigten alfo die Gottheit Chriſti, weil fie biefen Glauben 
votfanben." Aus den Aeußerungen des Petavius, bie wir weiter unten 
anführen, ift zu erfehen, wie fid) bie Apologeten dieſe Schwierigkeit zu 
erleichtern fuchten, und wie gerade biefer Verfuch, ben chriftlichen Glauben 
an bie Buttheit des Sohnes und Geifleá den Heiden mundgerecht zu 
machen, fie von der firengen Lehrart ablenfte. 

1) Einmal auf die SBergleidjung Hingebrängt, räumen wir gerne 
ein, daß zwifchen Petavius und Klee manche frappante Differenz fid) 
nachweifen ließe. Während ἡ. 9. Klee (bei Baur 1. ©. 112 Anm.) 
fubotbinattani(d) Flingende Stellen bei Origenes auf Rechnung eines uns 
befaunten Faͤlſchers zu feben geneigt ift, conjecturirt Petavius gerade das 
Gegentheil, daß bie fireng orthobor gehaltenen Stellen bei Origenes, 
deren Athanafius einige anführt, als unterfchoben betrachtet werben 
fönnien, wenn nicht ber Nefpert vor Athanafius im Wege flánbe (de 
trinit. I. 4, 6). Andererfeits treffen fie auch wieder ebenfo [διε zus 
fammen. Wenn Klee bie Erfcheinung, bag bie Dorftellung der Apolo⸗ 
geten bald mit dem Scheine des Tritheismus, bald mit dem des Cub» 
ordinatianismus behaftet iff, aus der Unvollkommenheit ber menfchlichen 
Sprache überhaupt und ber theologifchen Sprache jener Zeit im Beſon⸗ 
dern erklärt, fo begegnet er hierin dem Petavius auf demſelben Wege, 
nur daß bie Erklärung des fegterm. concreter it, gebaut auf gef chicht⸗ 
dide — "t fid ungefucht darbieten (f. unt.). 


[ — 





und bie Fathol. Dogmengefchichte. 261 


ift: Nunquid perfecte de Trinitate disputatum est, ante- 
quam oblatrarent Ariani? Und Hieronymus gibt bie 
Autwort: Certe antequam in Alexandria quasi daemo- 
nium meridianum Arius nasceretur, innocenter quaedam 
et minus caute loculi sunt, ei qwae nun possint per- 
versorum hominum calumniam declinare. Die chrift 
lie Forſchung und ihr Gelingen ift bedingt durch ben 
Glauben, feine Gntwidlung und Seftftelung. So lange 
ber Glaube durch bie Irrlehre nicht beunruhigt, und folg⸗ 
lich auch gegen die mannigfachen Abwege verfelben noch 
nicht ausbrüdlich verwahrt ift durch bie Ausfprüche unb Gr» 
flárungen der Kirche, werben bie Verfuche über ihn zu 
fpeeuliren defto unficherer und fchwanfenter fein, je ſorg⸗ 
[ofer und freier fie unternommen und ausgeführt werben 
fonnten. Mit folhen Gevanfen ging Petavius an bie 
Nachweiſung des Mangelhaften und Berfehlten in ben 
Auseinanderfegungen der vornicänifchen Lehrer; er beruft 
fi dabei ausdrüdlich auf bie fo eben angeführten Stellen 
Auguftin’d und Hieronymus, und verfichert (id) fo ber 
llebereinftimmung feiner Auffaffung mit der altfirchlichen, 
bie er nicht überbieten will !). WAusprüdlich erinnert er 


1) De Trinit. I. 3, 1: Nunc de ceteris (— nam alii sunt, quos 
ne Christiana quidem dignos appellatione censeat, qui exactius de 
eo judicare voluerit, ut haeretici-), qui vel perpetuo catholici fue- 
runt, vel inter eos aliquando floruerunt, prima esse debet inquisitio, 
ut plerosque, quod dixi, constet de sanctissima Trinitate Platonico 
pene more sensisse, vel loquendi genere ipso nonnihil ad eum im- 
plicatos videri posse. Quod posterius ad sanctos potissimum atque 
omni dignos veneratione Patres attinet, quos neque culpare debeo, 
aut in haeresis nefariae crimen adducere, neque, si quid minus ab 
iis accurate diclum extat atque ab catholica norma dissidens, possum 
praetermittere. Die Qütetifer von Haus aus ftets ftreng fcheidend von 
ben Fatholifchen Lehrern, fagt Petavius von dieſen: Sed us erant tem- 


262 | Petavius 


am Schluſſe dieſer Nachweiſung, daß ſie nicht ſo verſtanden 
werden dürfe, als ob er nichts Geſundes und Katholiſches 
in den Schriften ber Väter gefunden hätte. Nam plurima 
reperiri faleor, e quibus nonnulla relulimus. Denn 
e8 fei nicht feine Abficht gerefen, barzuftellen, was fie, 
abfolut genommen, über bie Trinität gedacht, ſondern 
dasjenige bemerflich zu machen, was in ihren Schriften 
Berbächtiges und Gefährliches vorfomme. So habe ja 
auch Auguftin vieles, was er früher gelehrt, in feinen 
Netrartationen getadelt, und gewiß wäre es fein unnuͤtzes 
Unternehmen für die Fatholifche Sache und bie Theologie, 
und fónnte nicht afé unerlaubte Tadelſucht ‚gegen jene 
alten und heiligen Männer angefehen werden, wenn 3e: 
manb daſſelbe Gefchäft an ihren Werfen vollgöge. !). 


pora, nondum mysterio illo salis liquido cognito, nonnulla peri- 
culose dicta jecerunt. Die Sicherheit und Beftimmtheit in ber Aufr 
faffung des Dogma, das feiner Subſtanz πα in bem Bewußtfein bet 
Kirche ſtets ungefchwächt vorhanden ift, wurde erft Durch bie Dazwifchens 
funft der Härefie nach und nach erreicht: Posteaquam seditiosarum ac 
pestilentium linguarum veluti flabellis ventilata fidei est illa quaestio, 
multum ad ejus dogmatis professionem constantiae ac perspicui- 
latis accessit, tumque illud evenit, quod bene animadvertit Augus- 
tinus (de civit, Dei XVI. 2): Multa quippe ad fidem catholicam 
pertinentia, dum haereticorum callida inquietudine agitantur, ut ad- 
versus eos defendi possint, et considerantur diligentius et intelliguntur 
clarius et instantius praedicantur, et ab adversario mota quaestio dis- 
cendi existit occasio. 

1) De Trinit. L 6, 4. Petavius fchließt biefe Stelle mit beu ber 
merfenswerthen Worten: Multo ergo minus improbari factum meum 
oportet, si in paucis duntaxat sanctis catholicisque scriptoribus (nam 


reliqui, quos eadem censura complexus sum, pro haereticis mani- _ 


festis, aut contagione pravi dogmatis afflatis communi judicio cen- 
sentur) idipsum praestiterim, maxime cum non tam de reipsa , quam 
de vocabulis ac loquendi more modoque complures appellati a me 
fuerint et hac qualicunque castigatione perstricti, | 





unb die Eathol. Dogmengefchichte. 263 


Sn allen biefen Aeußerungen liegt indeffen nod) viel 
Unbeftimmtes fowohl in Bezug auf bie Zahl derer, denen 
Petavius Ungenaues ober Verfehrtes in ber Trinitätslehre 
beimigt, als in Bezug auf bie Befchaffenheit der ihnen 
zur Laſt gelegten Abweichungen von der gemeinen Lehrs 
weife. Petavius bleibt ben nöthigen Auffchluß nicht ſchuldig. 
Diele unter den Alten, fagt er 5, bie wir als Zeugen 
des Slaubens bezeichnen, haben befonders auch in bem 
Lehrſtück von der göttlichen Trmität nicht wenig, was von 
bem allgemeinen Glauben abweicht, gefchrieben. Solcher 
aber, die in bem Weſen ber Sache abweichen, find es nur 
ganz wenige. — Außer den offenbaren SHäretifern unb 
Sertenftiftern, wie Tatian und nad) bem Urtheile ber Alten 
aud) Tertullian, finden ftc) einige, welche den gemeinfamen 
wahren Glauben ber Subftanz nach zwar fefthalten, aber 
in einigen Folgefägen von ber Regel abweichen; andere, 
bie mehr nur im Ausdrude fehlgreifen. Won der erftern 
Art find e8 drei — nicht mehr — Zuftin, Athenagoras 
unb Theophilus *) ; von der andern Art Srendué, Clemens 
Aer., und, nad) dem Zeugniffe des Bajilius, Gregor von 
Neucäſarea (Thaumaturgus) 9), endlich Methodius. Dazu 


1) De Trinit. praef. c. 1. 6. 12. 

2) Petavius fommt auf fie, denen er ben hier fo hart beurtfei(ten 
Tatian ohne weiteres beifügt, fpäter noch einmal im Allgemeinen zu 
fprechen; praef. c. 3. $. 3 fagt er: De hoc (Theophilo) vero idem 
quod de Athenagora et Justino atque etiam Tatiano, secundi omnibus 
saeculi scriptoribus asseverandum est, eos omnes dogmatis caput et 
substantiam ipsam sine ulla labe tenuisse, atque ex tam concordi de 
tribus in divinitate sententia, quoquo tandem ea genere locutionis 
expresserint, vim occultae et ab Apostolis transfusae traditionis colligi. 

3) Gin weiteres Beifpiel zu bem fo eben bemerften unb ein neuer 
Beleg für den fdjon oben von uns ausgefprochenen Gag, daß bie Aıt 
der Entſtehung und bie Gigentbümlidjfelt des opus de theolog. dogmat. 


264 Petavius 

mag man noch fügen Tertullian und Origenes, die in den 
meiften Stellen ihrer Schriften offenbar häretifch find, von 
Laetantius gar nicht zu reden, ber fi, wie Hieronymus 
bezeugt, mehr durch bie Eleganz feiner Echreibart, als 
durch genaue Kenntniß ber chriftlichen Lehre empflehlt. 
Wiewohl fie aber gar mandycé, was nur mit Vorſicht zu 
gebrauchen ift, in ihren Echriften auégebreitet, fo findet 
fib doch auch Gefunbeó und mit ber Fatholifchen Regel 
Vebereinftimmendes bei ihnen; und felbft aus jenen Abs 
weichungen leuchtet ba& Wefentliche be& gemeinfamen ächten 
Gíaubenébefenntniffe8 hervor. Ja fogar aus ben abens 
teuerlichen  SBerunftaltungen des Trinitätsdogma bei ben 
Häretifern und jenen Echriftftellern, bie unter biefem Namen 
verworfen find (nad) Betavius: Tatian, Tertullian und 
Drigenes), tritt etwas hervor, waé für die wahre und 
unverändert fid) gleichbleibende Weberlieferung zeugt). 


nicht erlauben, aus einzelnen Stellen auf bie Anfiht des Petavius zu 
fließen! Wer könnte zweifeln, daß Petavins in Betreff des Gregorius 
Thaumaturgus dem Urtheil des Bafilius hier beipflichte? Und bod) ift 
das Gegentheil wahr] Dal. de trinit. I. 4, 10 praef. c. 4. €. 5 (Cujus — 
Gregorii Thaumat. — Catholicum dictum frustra in suspicionem vocari 
a Basilio, dixi in primo libri de Trinitate) c. 3. 4. 6. 

1) Die Stelle lautet in ihrem Schluſſe vollftändig fo: De his ita- 
que, qui Ecclesiae Patres vulgo censentur et in auctoritatem asciti 
sunt, ita judico: tametsi quaedam in usu cavenda de inysterio hoc 
nostro suis in libris adsperserint, alia quoque sana et consentanea 
Catholicae regulae iisdem in scriptis edidisse; tam in illis ipsis, quae 
abhorrentia videntur, elucere nihilomnius communis et integrae pro- 
fessionis summam. Dicam aınplius, vel in illis portentis errorum, 
quibus Trinitatis dogma vitiarunt haeretici et eo rejecti nomine Scrip- 
tores, apparere tamen aliquid, quo communis fidei et traditionis ve- 
ritas ac constantia probatur. Hier fat Petavius feine Anficht über 
bie vornicanifchen Väter auégefprodjen, wie im feiner einzelnen Stelle 
fonft. Auf fie mußten fid Bull und Baur beziehen, wenn es ihnen galt, 
ihn wegen feiner Auffaffung zu loben oder zu tadeln. 


unb bie kathol. Dogmengefchichte. 265 


Die Abweichungen der Apologeten des zweiten Yahrs 
hunderts, bie ihm nach dem faum Angeführten am weis 
ieften zu gehen (dienen, glaubt nun PBetavius auch nod) 
auf folche Weiſe erflären zu können, woburd fie ben in 
ihren Darftelungen unangefochtenen Vätern merflich näher 
gerüdt werden. Um nämlich den chriftlichen Glauben ben 
gelehrten, mit der (platonifchen) Philoſophie vertrauten 
Heiden annehmlicher zu machen, hätten jene Schriftfteller 
die innerften und geheimften Züge des Trinitätsglaubens 
nicht mit voller Genauigfeit und Echärfe ihren für bie 
Deffentlichkeit beftimmten Schriften anvertraut, und zu 
gleicher Zeit denfelben der platonifchen Theologie fo viel 
möglich angepaßt.!) Aus diefem unb feinem andern Grund 
hätten fie, dem Beifpiel des Apofteld Paulus in Athen 
folgend, auf bie alten heibnifchen Theologen zurüdge: 
tiefen, Orpheus, Mercurius und befonders Plato, um 
an der Yehnlichfeit ihrer Lehre von ber dreifachen Grund⸗ 
urfache des Seienden den MWieberftand gegen das chriftliche 
Dogma zu brechen ἢ. Habe ja bod) fefbft ber große 


1) De Trinit. praef. c. 3. $. 3 (Bortfegung ber obigen Stelle): 
ἂς mihi videntur ili, cum adversus gentiles doctos et philosphiae 
deditos pro Christiana fide disceptarent, quo eam vendibiliorem fa- 
cerent ac magis persuaderent, minus accurate ac subtiliter illius 
intima et arcana commisisse libris istis, quos emanare in vulgus cu- 
perent; atque ad Platonis decreta eamque quam illi combiberant 
Theologiae formulam Christianum istud conformasse mysterium. Ita 
plane sese res habuit ut idem in hoc instituerent dogmate fidei, quod 
in plerisque aliis longe etiam postea factum novimus ab iis, qui 
rudes ad Christianam religionem imbuebant animos, et iis sermonibus 
erudiebant quos χατηχητικούς appellant. Nam initio sic illa tradebant, 
ut prima duntaxat adumbrarent eorum lineamenta, et ex communibus 
placitis atque insitis ex usu philosophorum notionibus colorem illis ac 
plausibilem speciem captarent, 

2) L. c. 6. (4 u.) 5: Certe cum unius ac trinae deitatis fidem 


266 Petavius 


Athanaſius, dem vor allen Vaͤtern die genaueſte und 
klarſte Einſicht im das katholiſche Dogma nach bem ruͤh⸗ 
menden Anerkenntniß ſeiner Zeitgenoſſen verliehen worden; 
dieſer wachſamſte und eifrigfte Vertheidiger des chriftlichen 
Geheimniffes gegen die Arianer habe, wenn er ble Menfch- 
werbung des Wortes und feine Gottheit den Heiden zur 
llebergeugung zu bringen fuche, zu Vorftelungen feine Zus 
flucht genommen, bie er aus der platonifchen Philofophie 
entlehnt, weil fie den heibnifchen Leſern geläufig waren, 
obgleich er felbft am beften eingefehen hätte, bag biefelben 
weit mehr ber arianifchen als ber fatbolifdyen Lehre anges 
mefien feien. Aus folder Genbefcenbeng feien aber aud) 
Nachtheile entftanden; Mancher habe damit fid) felbft, 
öfters noch Andere in SrriDum und Taͤuſchung geführt. 
Indem man die chriftlichen Dogmen auf ähnliche ebrfáge 
der heidniſchen PBhilofophie angewandt, habe man nicht 
felten dieſe in jene übergetragen und als dhriftlichen Inhalt 
unbewuft mit angenommen. Darauf hätten fid dann bie 
Häretifer, namentlich bie Arianer geworfen, und zur Bes 
fhönigung ihrer Srríebren bie aus jenen Quellen ftam- 
menden YAeußerungen älterer, angefehener Lehrer und Väter 
Berbeigegogen !). | 

Allein bie Zahl derer, denen mangelhafte oder vers 


contra gentiles tuentur Veteres ilii, uti non incredibilem eam aut 
absurdam egse demonstrent, antiquos illorum Theologos proferunt, 
Orpheum, Mercurium, Platonem vero maxime, ac deinceps ceteros 
tam poetas quam generis alterius Scriptores, ab quibus illud idem 
dogma traditum et scriptis vulgatum fuerit. Sic Athenagoras, Cle- 
mens Alexandrinus, Origenes, Cyrillus et omnes ad unum fecere, 
qui in eo argumento versati sunt, ut ex primis capitibus libri nostri 
de Trinitate primi perspicuum erit. 
1) L. c. $. 6. 


und ble kathol. Dogmengefchichte, 267 


ferte Vorflelungen des Trinitätsverhäftniffes zur aft 
fallen, ftebt in feinem Verhaͤltniß mit ber SRaffe ber Zeugen 
für die von Anfang an vorhandene und gleichmäßig an⸗ 
erkannte, endlich gegen bie Arianer auf der nicänifchen 
Synode feft und unzweideutig ausgefprochene llebertiefes 
rung ἢ. Den Beweis führt Petavius durh 4 Kapitel 
feiner S8orrebe (capp. 2, 3, 4, 5), an deren Schluß er 
fagt: Durch biefe Maffe der Zeugen, heiliger und ges 
lehrter Männer, dürfen wir glauben unfer Wort gelöst, 
und was wir und vorgefeßt (vgl. c. 1. $. 11 u. 13), 
volftändig geleiftet zu haben: ut catholici de Trinitate 
dogmatis fidem omnes intelligerent per traditionis seriem 
ac veluti canalem a Christo et Apostolis ad Nicaena cu- 
currisse tempora, a quibus deinceps ad extrema usque 
mundi saecula plenis velis et cóntinusto cursu provehitur. 
Ac tametsi nonnulli ex iis, quos appellavimus, iisdem 
ilis in libris, unde testimonia protulimus, quaedam ad- 
miscuerint haud satis sincera, quae Arianorum errori gra- 
tificari videntur, siAt/ hoc perpetuitati incorruptae tra- 
ditionis officit, sed miro quodam modo magis eam 
commendat et illustrat. Denn alle jene Irrthuͤmer unb 
mangelhaften Privatmeinungen beftänten entweder mehr 
nur in der Ausdrucksweiſe als in ber Sache felbft, ober 


1) L. c. c. 1. €. 13: Verum quod ad rem magnopere spectat 
et nostra potissimum interest , praeter paucos illos, quos nominatim 
percensui, quamplurimi sunt, quorum scripta aut non multa restant, 
aut eorum fragmenta ab aliis descripta patribus, aut qui ab iisdem, 
omissis eorum verbis, testes citantur fidei illius, quam ab Arianorum 
calumnia vindicabant; sive nomine ipso ac sigillatim appellati sunt, 
sive generatim et hac comprehensi formula: ut antiquos patres ita, 
ut ipsimet credebant, qui illos laudabant, et sensisse de Trinitate et 
scriptis docuisse testentur, 


-- 


268 Petavius 


bezögen ſich nicht auf die Subſtanz des Dogma, ſondern 
auf einzelne Momente und Folgeſaͤtze, oder ſie beruhten 
lediglich auf der beſondern Auslegungsweiſe, indem über 
das Weſen des Trinitaätsgeheimniſſes ſelbſt, worin alle im 
Glauben übereinſtimmen, der eine dieſe, ber andere eine 
andere Erklärung verfucht hätte ). 

Angefichts biefer ebenfo häufigen als Haren unb feften 
Erflärungen wird wohl Hr. Dr. Baur von bem obe ab; 
ftehen, das er bem Petavius unverbienterweife gezollt, und 
fi entfchließen müffen, „ven berühmten Dogmenhiftorifer 
ber römiſch⸗katholiſchen Kirche“ zurüdzuftellen in die Reihe 
feiner Glaubenégenoffen, bie ihre „aͤcht Fatholifche Anficht“ 
mit ihrem „hiftorifchen Gleviffen* volftändig im Einklang 
wiſſen. 

Die bei Petavius immer wiederkehrende Unterſcheidung 
der Subſtanz des Dogma von den Folgerungen daraus 
und bem was fid) als ihm gemäß daran knüpft“?), fo 
wenig fdarf und durchgebilvet fie bei im noch ijt, bildet 
bie Grundlage feiner Auffaffung des dogmenhiftorifchen 
Mrocefles. Diefer ift ihm deßhalb nicht, gleich ber dom bes 


1) Praef. c. 6. 6. 1. eun nun Möhler (Athanaſ. 1, ©. 57) 
bei den vornicänifchen Vätern feinen. andern als ben. nicánifdjen Glauben 
findet, wenn er nur im Ausdruck und Begriff Schwanfendes unb Uns 
klares zugibt (wie Baur ihm vorrüdt); fo unterfcheivet er fich hierin 
jedenfalls nicht von Petavius, und Baur hätte fich nicht durch ein Paar 
Stellen, bie von bem Giferer Bull aufgeföbert worben waren, verleiten 
laffen follen, zwifchen biefem unb den neuern fatfolifdgen Dogmenhiſto⸗ 
rikern eine Kluft zu befefligen, bie in Wirklichkeit nicht eriflirt. MWenu 
Möhler (ebendaſelbſt) weiter fagt, daß man fich in der fpeculativen Er⸗ 
Örterung des Trinitätsglaubens durch platonifdje Ideen habe irre führen 
leffen, fg Bat aud) dies Petavius ſchon vot ihm bemerkt, wie wir kurz 
zuvor nachnewiefen. 

2) De Trinit. praef. c. 1. ©. 10. 


und die kathol. Dogmengefchichte. 269 


Heraclit, ein abfolut Fließendes und Veränderliches, fonbern 
. in dem Wechfelnden ift ein Beharrliches, in bem Berän« 
derfichen ein Bleibendes, bie Subſtanz des Dogma, wie 
fie durch bie hi. Schriften volltànbig gegeben, und baun 
durch die Tradition in ihrer Reinheit und Bolftändigfeit 
erhalten, ober zugleich durch biefe mitbeftimmt und fofort 
in ihrem vollen und wahren Sinne erflärt wird). Das 
MWechfelnde, was, als foldyes unmittelbar Gegenftanb ber 
Geichichte ift, obwohl es an bem Beharrrlichen zur Gt» 
fheinung fommt, hebt bieje bod) als folches nicht auf, 
fondern beweist es als ſolches, und infofern ift auch bie 
fi gleichbleibende Subftanz Gegenftand der Gefchichte, 
Sie wäre ein blos Borausgefegtes, beliebig Angenom⸗ 
menté, wenn der gefchichtliche Beweis ihres Dafeins nicht 
geführt werden fónnte; unb wie anders follte er geführt 
werben, als aus ber Reihe aller der Darftellungen, die 
fie zu ihrem Gegenftande haben? Die Härefie hat auch 
bie Gíaubenéjubftang zu ihrem Gegenftanbe, unb ift infos 
fern ein weſentliches Moment ber Dogmengefchichte; aber 
zwifchen ihr und der SOrtboborie tritt ber wefentliche Unter⸗ 
fchied ein, daß fie bie Cubftang des Glaubens um ihr 
Dafein bringen, fie aufheben und ein anderes Prineip an 
ihre Stelle (egen, nicht wie jene ihr Dafein beweifen, be: 
fráftigen und fie bewahren (conferviren) will. Der biet» 
aus zwifchen ihr und der Orthodoxie entítebenbe Kampf 
ift nicht ein Streit um bloße SBorftellungen betfelben Sache, 
um verfchiedene Erflärungen unb Anwendungen; εὖ ift ein 
SBrincipienfampf, ber SBiberfreit der Grundüber 
jeugungen, des unmittelbaren Glaubensbewußtfeine. 
n—— v 


1) L. c. c. 1. $. 2 seqq. 





270 B s Pelavius 

Es fónnen hin und wieder die Vorſtellungen und Erfläs 
rungen auf beiden Seiten nahezu ganz diefelben fein, und 
bod) fteben fic ihre Repräfentanten feinblid) entgegen, weil 
fie fid) entgegengefegter Principien bewußt find. 

Wenn wir biemit nun eine Gonfequen ber von Petavius 
aufgeftellten Unterſcheidung der Subftanz des Dogma von den 
daraus gezogenen Folgerungen oder darauf gebauten Theorien 
und Erflärungsverfuchen ausfprechen; fo wiflen wir bod, 
daß er felbft derfelben vergeffenb fid) wiederholt zu Urtheilen 
hinreißen 1äßt, bie auf feinem eigenen Gtanbpuntt. ihre 
Erledigung und Widerlegung leicht finden. Wäre ihm jene 
Unterfceheidung ebenfo fíar geworben, als fie ihm geláuftg 
war, fo hätte er in anfcheinend geringfügigen Unterfchies 
ben den Gegenfag ber Prineipien, des verfchiedenen Glau⸗ 
bensftandpunetes audgebrüdt gefunten, und bie Mangel: 
haftigfeit ober felbft Verkehrtheit mancher Borftelunge- 
weifen und Erflärungsverfudhe als folche erkannt unb 
billiger gewürdigt. | 

Diefes unfer Urtheil fönnen wir nicht beffer begrün- 
ben, als wenn wir gerade auf diejenigen Auseinanderfeßuns 
gen ded Berhältniffes zwifchen dem Bater und Sohn 
innerhalb des göttlichen Weſens, welche Petavius an ben 
vornicänifchen Vätern am Schärfften getabelt hat, zurüd: 
gehen. Alle Lehrer ohne Ausnahme, bie das Doppel 
verhaͤltniß des Sohnes zum Vater — das ber Einheit 
feines Wefend mif biefem und das ber Verfchiedenheit von 
ihm als eigene Hypoftafe — aus ber Doppelbedeutung 
des Wortes λόγος im biblifchen Eprachgebrauche (oratio 
[sermo, verbum] und. ratio [mens, sapientia]) nadj 
weifene nehmen nur ben λόγος ἐνδιάϑετος ald συναΐδιος 
τῷ πατρὶ an unb behaupten, ver Sohn al eigene, felbft: 


unb bie kathol. Dogmengefchichte. 271 


ftánbige Hypoftafe neben tem Vater, der λόγος προφορικὸς 
eriftire erft feitbem Gott den Entfchluß gefaßt, die Welt 
zu ſchaffen, und er fei unmittelbar vor der Weltfchöpfung 
zum Behufe derfelben aus bem Bater hervorgegangen !). 
Diefe Nichtewigkeit des Sohnes im Vergleich mit ber 
Ewigkeit des Vaters fest nun Petavius geradezu auf dies 
felbe Linie mit der von Arius behaupteten fchlechthinigen 
ZeitlichFeit beffelben, indem er dabei den von ihm felbft 
angegebenen wefentfidben Umftand ganz außer Berechnung 
läßt, daß während bie vornicänifchen Väter wie aus einem 
Munde den Sohn aus ber Subftanz des Baters 
hervorgehen laflen und von einer Schöpfung beffelben 
aus Nichts nichts wiffen, Arius umgekehrt ihn ftets ἐξ 
οὐκ ὄντων gefchaffen fein läßt und feinen llrfprung aus 
bem Wefen des SBateró ausprüdtich verwirft, ba er nad) 
ibm vielmehr dur den Willen des Baters wie alle 
QGreatur if. Es trennt alfo Petavius hier zwei Momente, 
die fchlechterdings zufammen gehören, fi gegenfeitig et» 
gänzen und zur Einheit des Begriffs fortbeftimmen, und 
nur mittelft biefer wibernatürlichen Trennung war ed ihm 
möglich, bie vornicänifchen Väter einer arianifchen €ebrart 
zu zeihen, da fie doch mit ihrer beftändigen Annahme des 
Hervorgangs des Sohnes aus dem Wefen des Vaters in 
ſchaͤrfftem Gegenfage zu der von Arius behaupteten Schoͤ⸗ 
pfung beffelben aus Nichts getreten waren. Wenn nun - 
aud) jene wie biefer die Grifteny des Sohnes mit bem 
Moment unmittelbar vor der Weltfchöpfung beginnen 
lafen; fo ift doch das was in ihm zur eigenen Eriftenz 
gefommen nach den vornicänifchen Vätern der mit bem 


1) Petav. de trinit. L 5, 75.8.2, 


Li 


272 Petavius 


Vater gleich ewige Logos, hingegen nad) Artus eine zeit⸗ 


liche Greatur, bie nicht von Natur der göttliche Logos ift, 
fondern fo nur heißt und dur Gottes Gnade es ge 
worden tft, deren wesentliche Verfchiedenheit von ber 
Gott immanenten Weisheit, von bem feiner Natur nad 
göttlichen Logos ausdrüdlich von ihm behauptet wird 5. 


Wenn man alfo auch ganz auf den Buchftaben hinauf: 


figen will, fo läßt fid) das Verhältniß der vornicänifchen 
Lehrer zu Arius in biefer Srage bod) nur fo beftimmen: 
ber Sohn ift auf bie Worm feines befondern, eigenen 
Dafeins angefehen nach jenen Lehrern erft vor der Welt- 
fhöpfung ba, aber das was er ift, ift von Ewigkeit her, 
wogegen er nach Artus zugleich feinem Weſen und feiner 
eigenen Erifteng nach zeitlich ift. Nun frage ich jeben 
unbefangenen Forſcher: liegen bier nicht ganz verfchiedene 
Anfichten über den Sohn und fein Berhältnig zum Vater 
vor, und ift jene Unterſcheidung der vornicänifchen Lehrer 
etwas mehr ald eine nicht febr glüdlich gewählte Vers 
anfchaulichungsweife ihres Glaubens an die göttliche 
Wefenhaftigfeit des Sohnes in eigener SBerfónlicofeit, 
eine mangelhafte Borftelung einer unmangelbaft geglaub: 
ten Wahrheit, fury eine philofophifche aber feine bogmatifde 
Srrung? | 

Es ift nicht richtig, wenn man behauptet, bie Eriftenz 
des Sohnes werde von den vornicänifchen Vätern als eine 
zeitliche angenommen; nur ber Begriff der Ewigkeit in 
ihrem höchften und reinften Sinne gefaßt als das fchlechthin 


Uranfaͤngliche ift nicht auf ben Aft des Hervorgange 


des Sohnes aus dem Bater angewendet. Es war ſchwer, 


1) Petav. de trinit, L 8, 1. 2,. — 





unb bie kathol. Dogmengefchichte. 273 


und gelingt nur dem angeftrengteften Denken, etwas Θὲ 
ſchehendes nicht als irgend einmal gefchehen zu faflen, 
es über bie Zeit zu erheben; nod) fchwerer fällt ἐδ, die 
llríadye nicht früher zu denken als das Berurfachte. Sene 
Bäter trugen unbebenflid), wenn fie von bem Hervorgang 
bes Sohnes aus dem Bater fpraden — und fomit nicht 
das ruhige, unveränderliche göttliche Sein, mit bem ber 
Begriff der Gipigfeit wie von felbft fid) verbindet, vor 
Augen hatten — die zeitliche Eucceflion in das Gebiet 
ber Ewigfeit hinein. Es erftredt fid, nad) ihrer finn» 
lihen Vorſtellung, die Ewigkeit oder vielmehr Vorzeit 
lichfeit vom Uranfang (Ewigkeit) bis zur Weltfchöpfung 
hin; in ben Uranfang fegen fie dad göttliche Sein, 
in biejen , gleichfam fpätern Moment, unmittelbar vor 
Erfhaffung ber Dinge, dad Heraustreten des Logos aus 
feiner Immanenz in Gott, die göttliche Zeugung bed 
Eohnes. Go wenig ihnen die Borftelung: damals faßte 
Gott ten Entfchluß der Weltfchöpfung — verfünglih und 
mit bem abfoluten Wefen Gottes unverträglich fehlen, ebenfo 
wenig glaubten fie bie Sbee des Sohnes Gottes zu trüben, 
den Glauben an feine göttliche Wefenhaftigfeit zu vers 
fümmers, wenn fie fid) vorftellten, daß der Sohn damals 
als für fid) feiend ind Dafein getreten fei. Die biblifche 
Schöpfungslehre, wornach Gott durch fein Wort (Aoyog) ἡ 
bie Welt nad) dem zuvor von ihr in feiner Weisheit 
(oopia) gefaßten Gedanken ins Dafein rief, ift ber Quells 
punct diefes ganzen Erklaͤrungsverſuchs, ber, wenn man 
ihn nur als folchen betrachtet und das zu Grf(ürenbe, das 
ibm zur Grundlage dient, davon unterfdeibet, nicht nur 
nicht anftófig, fondern durch feine Einfachheit und Tiefe 
gleich fehr beachtungswerth if. Auch finden fid) deutliche 
Theol. Ouartalſqhriſt. 1850. II. Geft. 18 


274 Betavins 


Gyuren, wie einzelne Väter bie. behufs ber SBeranidan: 
lichung des Deppelverhältnifies de Sehnes jum Vater 
aufgeſtellte Unterſcheidung τεῦ. λόγος ἐδεάϑεεος unb προ- 
φορικὸς fofert wieder in Rd) dbi απῇδίει. Wenn fe 
ben λόγος ἐνδιάϑετος αἷδ ad bem λόγος προφορεκὸς ct; 
füllende Weſen Peftimmen, und fomit biejen, ber ald per: 
fóntid) auf Die Grenzicheide peijden Ewigkeit und Zeit 
geRcht iR, in das ewige göttlide Sein wieder zurüd⸗ 
nehmen; fc brechen üc, gan; gemäß ter wahren dialecti⸗ 
fhen Bewegung des Begriffe, bie Nerhbrüde ber Bor 
Rellung (was au ifr τοῦ Mangelbate unb ein Nothbehelf 
des ἐπ δεν SerRante& id, vergl. m. Einleitung in bie 
Tegmat. €. 53), nadjbem Ne ihren Zwei erfüllt, und ber 
Gerunfe and der Ilmmüreibarkit des Glaubens zum De 
4 πᾷ über 4e weygckbritten ii, binter δῷ ab N). 

Die versicäuiiien Bater (Sütbenagereó , Ihesphilus, 
Origenes, Terrallian, Yanrantınd x). Mat Retavins?), 
Rellen ben geqe£ nad Zeil, Würde unb Mad 
unter ben Bater. — Ben ier jeltlidgen Ilnteread- 
wung haben wir je chen acnat. δα e mur eine ſchein⸗ 
bare, tek Re sur cz tialernide οιδέεδαπε für fe 
emo Ki Een có üb mu der Camberbimatien m 
Sena δαὶ Eure wx Ead, mu tem Eubertinatianid- 
wm Or Vier berbexc« ante) verhalten ? Die Ber 
umilunz dvd fürs Gegenteil Der zum Bchufe ber 
Cinna des abzranıren Ὁ χω des Solar im eigener 





1, uber cmem Yolken Fucud zes iemübos 6 Mäth ler We 

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Kat zur ir mr mr mg Sure Carndfumr ShSHew emm Halt. 
39 U 7 Là 2. 





und bie kathol. Dogmengefchichte. 97 


Hypoſtaſe angenommene Nichtewigkeit beffdben hat ihr 
Gofrectio an der göttlichen Gubftantialitát, Die fie ihm 
fiet beilegen ; die Regation feine Gefchaffenfeins aus 
Nichts läßt jene Annahme nicht in den arianifchen Irrthum 
der Zeitlichfeit des Sohnes außfchreiten. Hatten jene 
Lehrer bie Idee des göttlichen Logos, des vom Vater gezeug⸗ 
ten, mit ihm einigen unb doch von ihm verfdicbenen Eohnes 
mittel eines in der Giwigfeit verlaufenden, bis zum 
Moment vor ber Weltfchöpfung fich erftredenden theogo⸗ 
nifchen Proceſſes zu verdeutlichen gefucht; fo mag biefe 
Loͤſung des Problems eine febr unvollfommene und fogar 
mangelhafte fein — was wir übrigens nicht einräumen ἢ) — ; 
bie wefentliden Bedingungen ber wiffenfchaftlichen Aufgabe 
ſehen wir, wenigftens formell, in ihr erfüllt. Einmal neh⸗ 
men fie das Ganze des bogmatifchen Inhalts nach einer 
beftimmten Seite hin zum Ausgangspunete — das doppelte 
Berbältniß des Sohnes zum Bater, die Einheit und den 
Unterfchied — fodann fuchen fie zu dem Abfiractum 
diefes Inhalts bie ihm entfprechende Anfchauung, unb 
gewinnen fo einen klaren Begriff; indem fie aber drittens 
ben in bem veranfchaulichenden Bilde ftedenden Gegenſatz 
tbeil8 aufheben, theils vermitteln und zur Einheit forts 
beflimmen, erheben fie ὦ zum wahren und concreten 
Begriff. 

Sn der Subordination des Sohnes unter den Vater 
binfichtlih ber Würde und Macht fteft bie Anlage der 


1) Daß diefer Weg fpátet fo gut wie ganz verlaffen wurde, kommt 
mut von bem Abfchen gegen ben Arianismus Der, ber bie Werkzeuge zur 
Qrridtung und Begründung feines Irrthums aus ber tfeologifdyen Rüſt⸗ 
Banımer diefes Väter geholt unb zu feinem Truge mißbraucht fat. 


18* 


276 Beisint 


Löfung eines andern Broblems, das bem Rad: 
benfen über ben Inhali des Trinitãtsglaubens Rd) aufs 
bringt. Wan hat dieſe Uaterordaung tritteiiijd) gebeutet, 
während ἧς gerade darauf abzich, ben Monsıheismus 
des Irinitätöglaubens zur Klarheit des Begriffs qu εἰ: 
heben. Der Eohn it απὸ ver göttlichen Cuban; , aber 
e ſicht unter dem ater, ter baé höchile, ungegrugte, uns 
ũchtbare Weſen iR. Iſt aljo ter göttliche Logos ein 
Theil ber göttlichen unıheilbaren Subjtan;? ober if er 
bieie Enbitanz zwar ganz, aber depotenzirt im Acte 
ber Zeugung, gleichwie bic gucfikhen Gmanatiouen in dem 
Mate ald &c Rd wervieliältigen cin deſto ſchwächeres 
Vroduct liefen? Beide Beritcliungen find von ben vor: 
niräniichen Vätern auctrüdiid verwerten. Die Schöpfung 
and Nichts trennt Gettlihed umb Weltliches in Bezug 
auf Eubflantialität durch eine unenblide Kluft, und wenn 
gleichwohl bie Belt nicht in einer foridauernden Flucht 
wet Gett begriffen ik, io femmt Died micht baber, daß fie 
«m6 (inem Weſen irgend etwas empfangen bat, fonbern 
baber, daß εἰ Re burd) feinen aflmächtigen und lichevolien 
Villen an jid) hält, burd denſelben Willen, bem fie 
ijr Daſein verbanft. Wie aber burn ben chriftlichen 
Schopfungsbegriff bie um Das göttliche Beſen herum fin- 
gürten Kreiſe des gnojtüben Emanatiömus burchichnitten 
wab zerriiien &mb; ie i ber chriſtliche Gottesbegriff zu 
lauter unb erheben, um innerhalb bed Göttlichen ſelbſt 
irgend einer Theilung, Berringerung oder Depotenzirung 
Kaum ju geben. Dazu fommt, daß ber von Anfang an 
zur Menſchwerdung beflimmte und ſich beimmente Sohn 
Gotted auch von Anfang an derjenige iit, in meldjem bie 
Gottheit zur Welt in unmütelbare Bezichung tritt, in 





und bie fato, Dogmengeſchichte. 277 


thr erfcheint:u. f. w., während fie in ihrem ewigen Ans 
fi als unfichtbares Wefen von ber Welt abgefehrt 
it; bag alfo der λόγος προφορικὸς wie ihm als ſolchem, 
in feinem Ilnterfchiede vom Water, das MPBrädicat ver 
Ewigfeit sensu eminentissimo vorhin abgefprochen wurde, 
nun weiterhin auch bie Brädicate des unftchtbaren , ans 
fangéfofen, ungezeugten, überhaupt abfoluten Wefens ent» 
behren muß. War einmal in folcher Weife der Verſuch 
gemacht, die Einheit und den Unterfchied des Eohnes im 
SBerbáftnig zum Vater zu begreifen, fo lag zur Begrüns 
bung ber Einheit Gottes, ungeachtet der Zweiheit 
oder Sreibeit ber Hypoftafen, nichts näher, als das was 
im Sohne das Wefen am fid) ift, was er aus dem Bater 
und mit ihm gemein hat, in den Water hineinzunehmen, 
und Darauf die Einheit Gottes zu bauen, in dem dagegen, 
was ihn von dem Vater unterfcheidet, ihn unter ihn zu ftellen 
als von ihm gezeugt, als vor ber Weltfchöpfung aus ihm Der» 
vorgegangen, als fein Diener und Gehülfe bei biefem Werke 
u. f. vo. Wären fid) die vornieänifchen Väter dieſer Tren⸗ 
nung Des Sohnes Gottes von dem bem Vater immanenten 
λόγος ἐνδιάϑετος, und damit von bem abfofuten Weſen 
jeibft, als einer bios abftractzdialectifchen nicht bewußt ges 
mefen, wäre ihnen der Sohn Gottes, den fie bem Vater 
unterotbgen, der ganze nach allen Seiten in fid) abger 
fchloffene göttliche Logos ; dann hätten diejenigen Recht, 
welche ihnen ben Subordinatianismus und den Tritheis⸗ 
mus aufbürden. Da aber beides nicht ber Ball, ba 
fie vielmehr, wenn fie den Sohn dem Vater fofern er 
von ihm verfchieden ift unterorbnen, ihn feinem Weſen 
nach im Vater geborgen wiffen mit allen den Prädicaten, 
bie biefem, ὃ, b. dem höchften Gotte zufommen; fo war 


278 —— ffrtatius 


ihr chriftlicher Glauben faloirt, unb bie Spröbigfeit des 
Ausdruds, die hinter dem fpaltenben Gebanfen und feinen 
bialectifben Wendungen zurüdbleibende Sprache verurfachte 
ihnen feine Unruhe. 

Auf bie Supereminenz des Baterd δαὶ man aud 
fpäter nod), nachdem ín Sticda bie Wefensgleichheit ber 
göttlichen SBerfonen ſchon auégefprodyem und vollfommen 
aufgeklärt war, ben Beweis der Einheit Gottes gebaut, 
indem man fagte, bie drei Perfonen feien deßhalb nur 
ein Gott, weil aus Einem alle, weil Sohn und Geift in 
in den ungezeugten Bater, al8 in ihre einheitliche Gpipe 
auslaufen. Diefe Auffaffung, obfchon um eine Stufe höher, 
ift bod) nicht viel beffer als jene. Denn jene einheitliche 
Cpige ift der Bater blos als erſte Hypoſtaſe, gleichlam 
losgetrennt von feinem Weſen, δίοδ ald ingenitus unb 
generans, weil, wenn man das Wefen bingunimmt, ber 
Eohn und Geift gleichfalls mitgefeßt, und fomit bie Dreis 
heit in bie Einheit aufgelöst ift, ftatt bag fie auf viele 
binauégefüfrt werben follte. Die logifhe Trennung ift 
alfo bier in ähnlicher Weife beim SBater vorgenommen, 
wie dort beim Sohne, wiewohl wir zugeben, daß dies ein 
Fortſchritt if im Vergleich mit der vornicänifchen Begriffs 
arbeit. Daß bie vornicänifchen Bäter bie jedenfalls noth⸗ 
wendige Trennung an der Idee des Logos vollzogen, das 
hat feinen Grund aufer anderem gewiß aud) darin, daß 
ihnen die Homooufte deſſelben mit dem Bater nod) nicht 
fo geläufig und Har war, wie fie den fpätern Bätern aus 
dem Kampfe gegen ben Arianismus es geworben if. Gie 
wuften mit vollfommenem flarem Bewußtfein nur um 
die Homooufie des λόγος ἐνδιάϑεεος mit dem Bater; bie 
Homooufie des Sohne® mit dem Vater war ihnen eine 


und bie kathol. Dorgmengefchichte. 219 


blos mittelbare, durch ben λόγος ἐνδιάϑετος vermittelte, 
unb hatte daran gewilfermaßen eine Schranfe. Denn 
wenn gleich ber Gedanke ober bie Weisheit in Gott reell 
nichts andered als das göttliche Weſen felbft fein fann, 
fo ift fie bod) als Eigenfchaft von ihm unterfchieden. Das 
trübte den Begriff der göttlichen Wefenhaftigfeit des 
Sohnes, und es bedurfte der grellen, ausjchreitenden 
Berfolgung der vornicänifchen Vorftelungsweife im Arias 
nismus, um bis zu ber fíaren und unverrüdbaren 
Sbee der Wefensgleichheit, der Homoouſie des Sohnes 
mit bem DBater, zu gelangen. Eine Unflarheit und Unſicher⸗ 
beit in der begrifflihen SDeftimmung des unmittelbaren 
Glaubensbewußtfeins ift das Meußerfte, was man den vors 
nicänifchen Lehrern vorwerfen kann. Wenn ihre Sar» 
ftelungen dem Arianismus viel näher liegen als dem 
Cabellianiémuó und den verwandten Denfweifen bis zurüd 
auf den Gnoſticismus und Ebionitismus; fo liegt eben 
in dem Umftande, daß diefe Denfweifen das chriftliche Bes 
wußtfein durch Beftreitung ſei's der göttlichen Wefenhaftig- 
feit {εἴ 8 der götilichen Perſönlichkeit Ehrifti aufs unmits 
telbarfte und tieffte verlegten, ein von Petavius nicht 
berührter aber nicht minder ald bie von ihm angeführten 
einleuchtender Erflärungsgrund für das weite Ausfchreiten 
jener Väter nach der entgegengefegten Geite. Aus bem» 
felben Grunde erklärt fid bie in manchen fpätern Dars 
ftellungen, nachdem der Sabellianismus erlofchen und an 
feine Stelle der entgegengefebte Irrthum des Arianismus 
getreten war, fichtbare, nicht minder bedeutende Hinneigung 
zu der fabellianifchen Erflärungs » und Ausdrucksweiſe. 
Man kann als Beleg hiefür das früher verworfene, fpäter 
zum Schlagwort erhobene Ouoovosos anführen. Aber fo 


280 Ä Vetavius 

wenig es gelingen wird, dieſen Darſtellungen die ſabellia⸗ 
niſche Denkart zu unterſtellen, ebenſo wenig liegt jenen 
die arianiſche zu Grunde. 

Das iſt die Auffaſſung des dogmengeſchichtlichen Pro⸗ 
ceſſes an einem Beiſpiel, die wir als bie „Acht katholiſche“ 
anerfennen, und zu ber ſich, wie wir gezeigt zu haben 
glauben, auch Betavius bekennt. Haben wir bicfem damit 
die Ehre entzogen, bie ibm Hr. Baur ermiefen, fo foll ibm 
biefer Berluft auf einer andern Seite zum Gewinn aue: 
fchlagen , indem wir es jet verfuchen bie Unehre abzu- 
wehren, bie wie zur Vergeltung bes bem „berühmten 
Dogmenhiftorifer der römifchsfatholifchen Kirche“ geſpen- 
beten Lobes derfelbe Gelchrte der Fatholifchen Geſchichts⸗ 
auffaffung zugedacht Dat. Ξ 


II. 


„Auf diefe Weife — fährt Hr. Dr. Baur in ber Eins 
gangé mitgetheilten Stelle fort — verfchwindet aus ber 
Geſchichte jede lebendige Bewegung: es gibt für bie fa 
tholifche Betrachtung nur Seer, deren verberbtide Irrlehre 
in feinem natürlichen Zufammenhang mit bem fubftanziellen 
Inhalt des Dogma ftebt, und Rechigläubige, bie, menn 
auch in andern Ausdrüden und Formeln, bod) ohne irgend 
eine wefentliche Verſchiedenheit ber Lehre, fort unb fort 
Dafielbe wiederholen.“ 

Hr. Dr. Baur anerkennt den Dualidmus, welchen. die 
Gefchichte be8 Dogma in bem Gegenjage der wahren und 
falfchen Lehre aufzeigt, fo wenig, als er ben Gegenfah 
von Gut und Bös als einen mefentliden , die Subjecte 
abfolut trennenden gelten ließe. ein Standpunet ift ber 
ber abfoluten Idee, bie fid) nad) ihren verfchiedenen Mes 








unb bie kathol. Dogmengefchichte. 281 


menten mit ftd) felbft vermittelt (1. S. 101), ber Stands 
punct des abfoluten Erfennens, auf welchem das Unwahre 
nur als etwas Einfeitiges und Negatives, übrigens Nas 
türliches, ja fogar Nothwendiges erfcheint. Der Geift 
muß, wenn er feine höchfte Aufgabe vollzieht, das an fid) 
Seiende feinem Bemwußtfein zu bewähren, vie objectipe 
Wahrheit zur fubjcetiven Gewißheit zu bringen, zwei gleich 
einfeitige Richtungen — eine fubjective und eine objective 
— durdlaufen, bi8 er „aus diefer noch unwahren unb 
unmwefentlichen Geftalt feiner felbft zu feinem wahren Selbft 
zurüdfehren und in ber Objectivität ver abloluten dee 
mit freier Celbftbeftimmung ft mit fid) felbft zufammen 
fhließen fann* (Baur, L ©. 102). Ein Dogma im 
Sinne der chriftlichen Kirche (aud) ber proteftantifchen), 
als objective abfolute Wahrheit, gibt εὖ nad Hrn. Baur 
nicht ; bie Unterfeheidungen, worauf ber Begriff des Dogma 
beruht, zwifchen göttlich geoffenbarter und menfchlicher 
Bernunftwwahrheit , zwifchen der fubjectiven und barum 
fehlbaren Thaͤtigkeit der einzelnen kirchlichen Organe 
und der unfehlbaren Thätigkeit der Kirche als der von 
Chriſtus geſtifteten und vom bl. Geiſte geleiteten Gemein⸗ 
ſchaft ber Gläubigen, gelten ihm als einſeitig unb unwahr. 
Ausdruͤcklich gehört nach ibm bie Dogmenbildung der eins 
feitigen und unwahren Öbjectivirung ber abfoluten 
Wahrheit an. „Der von dem Inhalt ber abfoluten Sbee 
erfüllte und Durchdrungene Geijt hat zwar den Drang in fic, 
aus fi) heraus zu gehen, ben objectiven Inhalt der Idee 
aus fid herauszuſtellen, und fid in ihn hineinznbilden, 
fi feltft in ihm zu objectiviren, um jenen Inhalt, nad) 
feinen verfchiedenen Momenten, fid) felbft zum Bewußtfein 
zu bringen; aber biefe Sbjectivitit, in welcher der Gift 





282 Detavins 


fid) felbft gegenftändlih wird, trägt nod) das Gepräge 
einer blos vorgeftellten Objectivität an fid. Die Bors 
ftellungen, Urtheile, Reflerionen, in welche der Inhalt bes 
religiöfen Bewußtfeind umgefegt und auseinandergelegt 
wird, gelten in ber Form von Gíaubenéfágen 
und Glaubenslehren als objective, unmittels 
bar gegebene Beflimmungen ber abfoluten 
Wahrheit, während fid in ibnen nur bit 
Subjectivität des vorftellenden Bewußtfeins abfpie 
gelt“ (Sur, I. $. 102 u. 103). Indem aber ber Geift affe 
fit ſelbſt gegenftändlich wird, verliert er tod) das Bes 
wußtfein feiner Selbft nicht. Wie er fid) in bie Objectis 
yitit gleichfam hineingefegt und in ihr verborgen hat, fo 
zieht er (id wicber aus ihr zurüd, reißt fid) von ihr 108, 
zerfällt mit ihr.  Sened ift der Character der díteften 
Meriode des chriftlichen Dogma, die vorherrſchende Rich 
tung auf das Objertive geht bis zur Reformation fort; 
mit der Reformation tritt "die andere Richtung ein, bet 
Gieift wendet fib in fein eigenes Selbſt zurüd und vertieft 
fib in den Inhalt des fubjertiven Bewußtſeins (Baur, 1, 
©. 105). „Se tiefer aber das Subject in fich felbft zuruͤck⸗ 
geht, deſto gewifler muß in ibm das Bemwußtfein einer 
über alles Subjertive binauégebenben Objectivität erwachen. 
Der Gegenfag, in welchen erft bie neuere Zeit zu jener rein 
fubjectiven Richtung fid fepte, und bie hohe objective Bedeu⸗ 
tung, welche der Trinitätslehre, als ber wefentlichften Lehre 
des Chriftenthums, auf dem Standpuncte der fpeculativen 
Theologie gegeben wird, zeigt, bag nunmehr auch für 
biee Dogma eine neue, mit dem allgemeinen Wenders 
punst der neuern Philofophie und Theologie aufs engfle 


und die kathol. Dogmengefchichte, 283 


zufammenhängende Epoche kegonnen bat* (Baur, I. ©. 
106 f.). 

Dies ift nach Hrn. Dr. Baur die „objective Selbft- 
bewegung des Begriffs,“ die durch wefentliche Veraͤnde⸗ 
rungen und Ilmgeftaltungen hindurch fid) gleid)bfeibenbe 
fubflantiele Wahrheit, wie fle uns in der Gefchichte nach 
Eritifch fpeculativer Auffaffung entgegentritt. Wie alle 
geiftige Bewegung erft mit der „fperulativen Theologie“ 
nach Hegel'ſcher Beſtimmung zum Abſchluſſe fommt, [ὁ 
aud) die Trinitätslehre; wobei nur nicht zu vergeffen, baf 
der faum bezeichnete Entwidlungsgang im Großen, fich 
in jeder Periode im Kleinen wiederholt, und folglich 
Baur und Hegel nicht ganz ohne Vorgänger, wenn 
gleich von feinem erreicht find. Binden fid) biefe auch mets 
flens und vorzugsweife in ber 9teibe der Srrlehrer, als 
deren eifrigen Batron fid) deßhalb Baur überall zeigt, fo 
ftreifen bod) felbft unter den höchft geachteten Vätern, ben 
Steprdfentanten der „einfeitig objectiven Richtung“ manche, 
3.3. fogar ber hi. 9tuguítin, an bie GCpige volfenbeter 
fpeeulativer Erfenntniß an. 

Es fann nicht davon bie Rede fein, den Fatholifchen 
Dogmenhiftorifern diefe Auffaffung des dogmengefchicht- 
lichen Brocefies zu »inbiciren, in ber wir nichts erfennen, 
als das legte Ctabium der einfeitig fubjectiven Richtung, 
welche nach Hrn. Dr. Baur die Reformation im Ge: 
genfage ber ältern Zeit djarafterifitt. Die Fatholifche Auf . 
faffung des Dogma und feiner Entwidlung ift durch bie 
tieffte Kluft von ihr getrennt; auf ben Dualismus von 
Wahrheit und Syrrtbum, wie von Gut unb 9868, auf ben 
Unterfehied von göttlicher und menfchlicher Wahrheit, ber 
fubjectio fehlbaren Tchätigfeit de8 Einzelnen und ber obs 


284 ΓΝ Petavius 


jectiv unfehlbaren Thaͤtigkeit der Kirche gebaut, if fie 
principiell eine ganz andere). Wir haben in dieſer Ma 
terie mit Hrn. Baur nichte gemein, als den allgemeinen 
Begriff der Gefchichte, und nur von biefem aus fónnen 
wir gemeint fein, bie Fatholifche Auffaffung des dogmen⸗ 
gefchichtlichen Proceſſes gegen feine Anflagen zu vertbeb 
digen. Sener Prineipienftreit bleibt auf der Seite liegen, 
weil, wie Thomas von Aquin fagt, contra principia ne- 
gantem nicht zu bifputiren ift; um ihn aufzunehmen, müß- — 
ten wir erft eine gemeinfame Grundlage auffuchen, two: 
durch wir unà nur von der Hauptaufgabe entfernen würben. 

Die Beränderungen, deren zeitliche Aufeinanderfolge, 
urfähliche Auseinanderfolge und pragmatifchen Zufam- 
menhang bie Gefdjidóte darſtellt, müffen einerfeits wirt» 
lihe Veränderungen, unb dürfen anbererfeits nicht bloße 
Veränderungen fein; εὖ muß fid) durch fie ein rotber Fa⸗ 
ben, eine fubftanticlle Realität binburd) ziehen, in ber baé 
Gemeinfame und Beharrliche bei aller Berfchievenheit zu 
Tag tritt; die Veränderungen müffen folche fein, bie nicht 
außerhalb ber Sache, fondern entweder an ihr felber, ober 
in Bezug auf fie in der Art und Weife ihrer Manifefta- 
tion vor fid) gehen. Da ber Inhalt ber Gefchichte, von 
ber wir reben, ein geiftiger ift, bie Wahrheit als Gegen 
ftand der Erfenntniß, fo wird dad Berhältniß des Veraͤn⸗ 
berliden zu dem Beharrlichen, je nachdem dieſe Wahrheit 
auf bem Wege ber Erfahrung allmählig gewonnen, erweis 


1) Auch der orthobore Proteftantismns, obgleich er ſchon ven Bes 
geiff des Dogma einfeitig fubjectio beflimmt, ſteht gegenüber von Hrn. Baur 
tod) ganz entjchieden auf unfrer Seite; weßhalb denn auch biefer über 
$agenbad) unb Thomafins nicht weniger als über Möhler um 
Klee feine Klage erhebt. (T. €. 112. Anm.) 


͵ und bie kathol. Dogmengefchichte, 283 


tert und berichtigt, ober ald eine von vorne herein geges 
bene in dad Bewußtfein aufgenommen und für baffelbe 
bewährt wird, ein wefentlich verfchiedenes, unb fonach auch 
ihr Begriff ein anterer fein. Die Wahrheit des Trinitaͤts⸗ 
glaubens ift als eine geoffenbarte von ber legtern Art. 
Sie wird al® folche weder durch Erfahrung gewonnen, 
noch aus ber Vernunft entwidelt, fondern tft als eine abs 
folute, weder der Erweiterung noch ber Läuterung fähige, 
Gegenftanb unbebingter Annahme im Glauben, unb ver- 
hält fid) als bie unveränderliche Subftanz, an ber fid) ber 
dogmengefchichtlihe Proxeß vollzieht. Bon welcher Art 
find nun die in biefem begriffenen Veränterungen? Sind 
fie, wie Baur behauptet, notbmenbig bloß formeller Art, 
nur verfchiedene 9fuébrüde und Wormeln deſſelben wefents 
lichen Inhaltes? Sft bie gegebene Glaubenswahrheit, wie 
er weiter behauptet, auf biefem Gtanbpunfte „eine fo febr 
in [ὦ vollendete und abgefchlofiene, bag fie in ihrer Un⸗ 
mittelbarfeit nicht erft einer Vermittlung bedarf“, daß „jede 
Bewegung, durch welche der Inhalt fid) aus fid felbft 
herausbewegen würde, nur außerhalb der Subſtanz ber 
Sache erfolgen, und ebendeßwogen ihr Prineip nur im 
Unglauben haben könnte?“ Diefe Bragen fiebt fid) Baur, 
um feinen Widerfpruch gegen bie „firchlich glaubige“ Aufs 
faffung zu begründen, insgefammt zu bejahen genótbigt. 
Wir verneinen fie; und menn εὖ uns gelingt, diefe "Ber: 
neinung zu begründen, fo ift jener Widerſpruch als ein 
grunbfofer erwiefen. 

Weil bie geoffenbarte Wahrheit mit dem Ans 
fpruch der Abfolutheit auftritt, deßhalb foll fie einer 
Vermittlung nicht bebürftig, ja fogar nicht fähig fein! 
Was .verfieht man.da unter Vermittlung ὃ Offenbar eine 


288 Petavius 


wefentliche Veraͤnderung, wie denn Baur beides als gleich⸗ 
bedeutend neben einander ſtellt (1. S. 109), alfo eine Gr: 
weiterung oder eine Berichtigung, wovon das eine wie 
das andere durch den Begriff der Abfolutheit allerdings 
ausgeſchloſſen iſt. Aber wie? wenn die „nothwendige Ver⸗ 
mittlung“ ver Idee eine weſentliche Veraͤnderung ihres 
Inhalts bedingt, dann iſt ja offenbar die geſchichtliche Be⸗ 
wegung „eine bloße Bewegung und Veränderung ohne bie 
ſubſtanzielle Realität“, bann tritt mit jevem Stabium ber» 
felben etwas anderes und neues ein; dann ift „die abfolute 
Wahrheit, bie auf bem Wege des fpeculatiben Denfens 
zur abfoluten Gewißheit des Geifteó gelangen foll“ (I. &. 102), 
nur ein Name, ein abftracter, inhaltslofer Begriff, unb 
die Gefchichtsbetrachtung des Hrn. Dr. Baur tritt auf bie 
Stufe der „fubjectiv raifonnirenden“ zurüd, die er ale 
einfeitig und unwahr felbft ausbrüdlich verwirft. — Das ift 
nicht bie Frage zwifchen ihm und uns, ob bie gefdhichtliche 
Entwidlung des Dogma in Veränderungen fich fortbewege, 
bie jid) als wahrhafte Verfchievenheiten, und nicht bloß 
ald Aenderungen des Ausdruds unb ber Formeln fid) ans 
kündigen — denn das behaupten aud) wir unb hat man 
fatholifcherfeits immer eingeräumt ), — fondern ob biefe 

1) Vincen. Lirin. Commonit. cap. 28: Bed forsitan dicit ali- 
quis: Nullusne ergo in Ecclesia Christi profectus habebitur re- 
ligionis? Habeatur plane et maximus. Nam quis ille est tam invides 
hominibus, tam exosus Deo, qui istud prohibere conetur? Sed ita 
tamen, ut vere profectus sit ille fidei, non permutatio. Si quidem 
ad profectum pertinet, ut in semetipsam unaquaeque res amplificetur ; 
ad permulationem vero, ut aliquid ex alio in diiud transver- 
(atur.  Crescat igitur oportet, et multum vehementerque proficiat 
tam singulorum, quam omnium, tam unius hominis, quam totius 


Ecclesiae aetatum ac saeculorum gradibus intelligentia, sciemis, 
sapientia; sed in suo dunigset genere, in codem suilivet dog- 


unb bie kathol. Dogmengeſchichte. 287 


Veränderungen nothwendig Beränderungen der ſubſtan⸗ 
tiellen Wahrheit des Dogma feien und eine wefentliche 
Verſchiedenheit der Lehre einfchließen. Das fáugnen wir. 

So weit die Dogmengefchichte (ebiglid) das Kirchliche 
Gfaubenébefenntnig der bervorragenbften Perfonen unb bie 
Symbole der Goncilien berichtet, ift ihr Inhalt allerdings 
„die fortgehende Sbentitdt des fubftanziellen Inhalts mit 
fid) ſelbſt“, b. b. bie ununterbrochene lleberlieferung unb 
Bezeugung berfelben Wahrheit — eine 9Xonotonie, die burd 
bie Mannigfaltigfeit ber äußeren Umftände, unter weichen. 
fie auégefproden und abgefaßt worden, nicht wahrhaft bes 
feitigt wird. Aber das ift nicht ber alleinige Inhalt ber 
Dogmengefchichte. Die Grundftriche, welche den Prin⸗ 
eipienfampf der kirchlichen Wahrheit mit bem häretifchen 
Irrihum darſtellen, find bie eigentlichen Grundzüge bes 
dogmengefchichtlichen Gemaͤldes. Diefes wird um fo leben⸗ 
biger, je umfaffender fomobI bie verfcehiedenen Gtanbpunfte 
berüdfichtigt werden, von denen aus bie ausgezeichnetern 
Zeugen der Firchlihen Wahrheit den Häretifchen Irrthum 
befämpften, als auch die verſchiedenen Seiten des fegtern, 
gegen welche ihre Angriffe gerichtet waren. Nimmt man 
dazu noch, daß in einer längern Periode ber häretifche 
Irrthum fich von verfchiedenen, zum Theil geradezu ents 
gegengeíegten Seiten der Firchlihen Wahrheit entgegen- 
ftelite, unb die kirchlichen Lehrer bieburd) veranlaßt waren, 
die von ihnen feftgehaltene Wahrheit in Gemáfbeit biefer 
wechſelnden Gegenfäge, folglich ftetd wieder aus einem 
neuen Gefidtépunfte auseinander zu fegen; [0 haben wir 
eine zufammenhängende Reihe von Bewegungen und Bers 


mate, eodem sensu, eademque sententia. Vergl. meine Dogmatik, 


1. 491. 1. Abthlg. ©. 402. 


298 ms Petavius 


aͤnderungen, die den Wechſel, die Mannigfaltigkeit des 
Geſchehenden beurkunden, und einen Grund der Veraͤn⸗ 
derungen, einen Mittelpunkt der Bewegungen als das 
Eine in bem Mannigfaltigen, ald das Beharrliche in bem 
Wechſel, welches eben das ift, was in dem Gefdebenben 
gefchieht. Die Ginfeitigfeiten, von denen Baur fpricht, 
find hier sollfommen befeitigt; bie Dogmengefchichte, bie 
das vorhin Befchriebene zu ihrem Inhalte hat, zeigt weder 
bloße Bewegung und Veränderung ohne bie fubftantielle 
Realität, nod) einen fubftantiellen Inhalt ohne Beiweguug, 
fondern alle die Veränderungen, von denen fie erzählt, find 
ebenfo viele Manifeftationen derfelben Wahrheit gegen ven 
ihr entgegentretenden häretifchen Sertbum, und zwar fort: 
laufende, ununterbrochene Manifeftationen berfeíben, waͤh⸗ 
‚send bie Härefle nur ftrid)s und flellenweife auf bem efte 
der Gefchichte erfcheint. Und die Härefie felbft ift eine 

Manifeftation ber Wahrheit, wenn gleich eine unfreiwillige, 
nicht fowohl dadurch, daß fie in ihrem Widerfpruch gegen 
die Wahrheit Zeugniß für ihr Dafein ablegt, als vielmehr 
dadurch, baf fie im SBiberíprud) mit fidg felbft — der 
Arianismus mit dem Sabellianismus, der Pelagianismus 
mit dem Manichäismus ꝛc. — [4 felbft widerlegt unb 
befeitigt, und fo bie Wahrheit von ihrem — 
befreit. 

Die Bewegung in dem dogmengeſchichtlichen roce 
tft aber nicht blos relativer Artz fie beftebt nicht allein 
in der wechfelnden Gegenfáglidfeit de8 Dogma gegen bie 
verfchiedenen häretifchen Aufftelungen, fonbern auch in ber 
Mannigfaltigfeit der fubjectiven Verfuche, ben überlieferten 
Glaubensinhalt, das Gemeingut der Kirche, zu ergründen, 
zu vermitteln, fi) und andern verftändlich zu machen. Das 


und bie kathol. Dogmengefchichte. 299 


(ft die eigentliche Wurzel der dogmengefchichtlichen Bewer 
gung, der Quellpunft aller Veränderungen, von benen bie 
Geſchichte des Dogma erzählt. Die Härefie fel6ft ift faft 
durchgängig in ihrer Cntftejung nichts als ein verun« 
glüdter Verſuch, das Firdhliche Dogma mit bem anderweir 
tigen Wiffen und fonft Gewiffen in Einklang zu bringen, 
baffelbe vor biefem zu rechtfertigen, überhaupt zu erklären 
unb zu begreifen. Gelang es nicht, fo fuchte ber Häretis 
fer, der als folder von Haus aus nur mit fchwachen Bans 
den an dem kirchlichen Glauben, mit befto feftern an feinem 
eigenen Sd) hängt, ben Fehler nicht auf der Seite feines 
fubjeetiven Geiftes, des über bem Dogma errichteten wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Gebäudes, fondern in ben Fundamenten. Diefer 
Irrthum bedingt die Vollendung der Härefie. ^ Der dre 
tifer verändert nun bicfe Fundamente, oder legt ganz neue, 
eben folche, welche jenes Gebäude erfordert, damit es in 
fich -felbft haltbar fei. Man fann mit ihm baffelbe wiſſen⸗ 
fchaftliche Gerüfte errichten, und finden, daß es ben Suns 
bamenten nicht ganz gemäß i(t, daß ἐδ zu mweit oder zu 
enge ift, um mit ihnen als ein einheitliches, in fid) zus 
fammenbángenbeó, fid) gegenfeitig flügendes und tragendes 
Werk zu gelten; aber ber, welcher in dem empfangenen 
Glauben feftftebt und in ihm als ber abfoluten Wahrheit 
beharrt, erträgt bie Mangelhaftigfeit feiner wiſſen⸗ 
fchaftlichen Grfenntnig, wohl wiffenb, daß, wie Clemens 
von Alerandrien fagt D, bie Lehre des Eriöfers in 
fd) felbft volfommen (avroseArs) und keiner lnterftügung 
bebürftig ift (ἀπροςδεὴς), ba fie „göttliche Kraft unb 
Weisheit“ ift 1 Gor. 1, 24; wogegen ber. Häretifer feine 


. 1) Stromet. lib. L p. 819 ed. Potter. 
Deol. Ouartalfrift. 1850. Heft II. 19 


290 Petavius 


Einſicht für volllommen haltend, fid) von ifr aus gegen 
die ewige Wahrheit wendet und fle nad) feinem Gutbünfen 
ändert. Nicht auf die Theorie fommt es an, fondern auf 
ihre Grundlage und Borausfegung, auf den Glauben. 
Eine mangelhafte und felbft falfche Theorie macht nodj 
nicht zum Häretifer, fondern der mangelhafte und verkehrte, 
mit Hartnädigkeit feftgehaltene Glaube. — Nehmen wir dies 
alles zufammen, was auf beiden Seiten zur @rflärung 
und Rechtfertigung des chriftlichen Glaubens von Anfang 
an zu Tag gefördert worden, fo finden wir eine Mafle 
von verſchiedenen Anfichten, welche nicht leicht ein Gefchichts 
ſchreiber vollftánbig bewältigen wird, und derjenige gar 
nicht bewältigen fann, ber in jeder derfelben etwas „anderes“ 
finden will. Wiefen fte nicht zurüd auf gemeinfame fefte 
Vorausfegungen, fo wären fie dem Ehaos zu vergleichen, 
in welches Licht und Ordnung zu bringen der Gefchicht- 
fhreiber vergeblich arbeitete. 

Indeſſen alle diefe Verfuche, bie Glaubenswahrheiten 
zu erklären, zu rechtfertigen, überhaupt zu begreifen, gehören 
als folche gar nicht in bie Dogmengefchichte, fondern in 
die Gefchichte ber Dogmatif — ein Unterfchied, den die Dogs 
menbiftorifer, fo viel mis befannt, theils gänzlich über 
feben, theils wenigftend nicht feft und fíar beflimmen. 
Was fie zum Gegenftanb ber Dogmengefchichte macht, das 
ift ihr Verhältniß zu der von Zeit zu Zeit nothwendig 
werdenden ausdrüdlichern Sormulirung des Firchlichen Glaus 
benébefennthniffeó, zu der Firchlichen Lehr⸗Entwicklung unb 
Seftíegung (explicatio et definitio). Erklaͤrungsverſuche, 
die wiflenfchaftlich genommen einen fehr geringen Werth 
haben, fónnen auf viefen praftifchen wed febr wirkſam 
influiren, während wiffenfchaftlich bedeutungsvolle Auſtren⸗ 





unb ble kathol. Dogmengeſchichte. 804 


gungen vielleicht nichts dazu beitragen ober gat ftótenb 
einwirfen. Der Dogmenhiftersifer kann feine Aufgabe: bie 
@eftaltungen des Dogma im Firchlichen Glaubensbekenntniß 
nicht bloß einfach factifch aufzuführen, fonbern auch in 
ihrem allmähligen Werden nachzuweiſen und bieburd) innere 
lid) gefchichtlich zu erflären, — nicht mit ber notbmwenbigen 
Klarheit vollziehen, ohne bei jedem Schritte jene Unter⸗ 
ſcheidung auf's forgfältigfte zu beachten. Inwiefern jedoch 
dasjenige an den wifienfchaftlichen Verſuchen, was wir fo 
eben ber Dogmengefchichte als ſolcher (im Alnterfcehiede von. 
ber Gefchichte ber Dogmatif) zugewiefen haben, fid) vors 
zugeweife im Gebiete des Gegenſatzes δεῖ firj» 
fien Auffaffung des Glaubens gegen die häretifche ber 
wegt und (omit ber fury zuvor aufgeftellten Betrachtung 
des bogmengefchichtlichen Proceſſes zufällt; fo bleibt une 
nur nod) die andere Seite jener Verfuche fury zu berühren 
übrig. Die Beränderungen, auf ble wir bei den verfchies 
denen. Erflärungs» und Bermittlungsverfuchen ftoBen, find 
allerdings bloß formeller Art: es ift bie Wortbemegung de 
in allen als der gleiche vorausgefepten pofitiven Ins 
baltó aus ber Unmittelbarfeit feines Gegebenſeins burch 
das vorftellende Bewußtfein hindurch zum concreten SBegriff, . 
oder bet dialectiſche Proceß, in beffen Folge nichts an» 
bereó, fondern diefelbe Wahrbeit anders gewußt wird. 
Dennoch aber laufen materiell verfchiedene Momente mit 
. unter, wodurch fid) ein Berfuch wejentlich von dem andern 
unterisheidet, nämlich bie allgemeinen Vorausſetzungen, auf 
Die man ba6 Dogma bafirt, unb mit welchen fein [pecieller 
Inhalt in Uebereinſtimmung gebracht unb fo als ein vers 
nünftiger. gewußt wird, Dean vergleiche à. B. nur bie 
Verſuche der platonifirenden Kirchenväter in der Trinitaͤts⸗ 
19 * 


febre mit denjenigen, welche bie Grfenntni und das Ders 
ſtaͤndniß des Trinttätsglaubens, in Anlehnung an bie 
biblifche Schöpfungsdarftellung, auf bie allgemeine Idee des 
göttlichen Logos, nach Analogie des menfchlichen, begründen. 

Hr. Dr. Baur, indem er auf die berührten verfchie, 
denen Seiten des dogmengefchichtlichen Proceſſes nicht achtet, 
hat fid) bie Sache, unferes Erachtens, viel zu leicht ger 
madjt. Er hält ben einen Geftd)tópunct ber bialectifchen 
fBermittlung feft, unter den fid) der ganze dogmengeſchicht⸗ 
liche Proceß nicht bringen läßt. Und biefe dialectiſche 
Bermittlung, tiefe „objective Selbftbewegung des Begriffs,“ 
was if fie ihm anders, als das Hinftreben des im ihr 
wirkſamen benfenben. Geiftes zu dem Hegel’fchen Begriff, 
unter allmähliger Befeitung der Sache {εἰδῇς im Sinn und 
Bewußtſein derer, bie (te gläubig fefthalten unb fid) toiffen» 
ſchaftlich über fie zu verftánbigen fudjen? Was ift fte 
anders, als die allmählige Selbftaufldfung des 
dogma? Baur hat feinen andern Begriff von ber Dog- 
mengefchichte, als ibn Strauß an der Stelle, wo er fid) 
auf ihn aud) auébrüdíid) beruft, mit ber ihm eigenen 
Schärfe und rüdhaltlofen Offenheit befchreibt: „Es (das 
Dogma) ift in unbefangener, unbeftimmter Geſtalt vor: 
Handen in der Schrift; in ber Analyſe und nähern Ber 
flimmung deſſelben tritt ble Kirche in Gegenfáge aus εἰπε 
ander, die wohl auch in häretifche Ertreme auslaufen; 
fofort erfolgt die Firchliche Sirirung im Symbol, unb bie _ 
Symbole werben zur kirchlichen Dogmatik verarbeitet; bens 
naͤchſt aber erwacht allmählig die Kritik, der Geift unter 
fcheidet fid) von ber Realität, ble er fid) in ber kirchlichen 
Lehre gegeben, das Subject zieht (id) aus ber Subftanz 
feines bisherigen Glaubens heraus, und negirt diefe ab 








und bie kathol. Dogmengefchichte, 293 


feine Wahrheit. Dies wird es aber nur thun, weil ihm, 
wenn auch zunächſt nur an (id und in unentwidelter 
(orm, eine andere Wahrheit aufgegangen ift; und εὖ hängt 
nun alles an ber rage, ob biefe neue, fpefulaltive Wahr⸗ 
heit diefelbe mit ber alten firdjliden fei, ober ihr fremb 
unb entgegengefegt, ober ob ein Mittleres zwifchen beiden 
ftattfinbe !) 730 Die Antwort fennen wir! — Go ift bann 
aber in ber That, außer bem von Anfang an, aber bes 
wußtlos, zu biefent Ziele hinftrebenden objectiven Geifte, in 
ber ganzen Dogmengefchichte feine fubftantielle Realität 
ober Wahrheit, fondern lauter Veränderung und nichts als 
Beränderung — eine Auffaffung der Gefdidte, bie Hr. 
Dr. Baur die „fubjeetiv raifonnirenbe* nennt und als eins 
feitig und unwahr felbft verwirft. 


1) Strauß, Slaubenslehre I. &. 71 f. 
Dr. Kuhn. 


ΤΙ. 
Wecenfionen. 


1 


Schrbuch der katholiſchen floral von Dr. ftoureb 
Martin, orbentlichem Profeſſor der Tatholifchen Theologie 
und Inſpector des katholiſch⸗theologiſchen Konvictoriums 
in Bonn. Mainz, Verlag von Kirchheim und Schott. 
1850. XVI unb 694 ©. Preis fl. 4. 40 fr. 


Der VBerfafler des obbefagten Werkes ift bereits 
rühmlichft befannt durch fein „Lehrbuch ber Fatholifchen 
Religion für höhere Lehranftalten, zunächft für bie oberen 
Klaften der Gymnaſien“. Und wir müffen befennen, daß 
auch diefes fein neues Werk: „das Lehrbuch ber katholiſchen 
Moral“, eine ausgezeichnete geiftung auf bem Gebiete der 
theologiſchen Literatur ift. Wir können zwar hier, ba e$ 
der Raum biefer Blätter nicht geftattet, nur auf eine Ans 
zeige der Grundzüge beffelben eingehen, indeß wird ber 
gefer ὦ felbft aus diefer kurzen Skizzirung der Grunds 
zuͤge bereitö überzeugen können, daß wir nicht zu viel bes 
hauptet haben. Was den 9Berfaffer zur Herausgabe feines 
Werkes bewog, und welchen Gtanbpunft er in der wiflen- 
fhaftlichen Behandlung der chriftlichen Moral Diebel eins 
zunehmen fuchte, fpricht er in ber Vorrede S. V fetóft 
aus: „Die Rothwendigfeit, bie chriftliche Moral aus ber 


Martin, NMoral. 295 


Bevormundung des philofophifcken Rationalismus zu bes 
freien, wird fion längft anerfannt; auch find in dieſer 
Ahficht bereits verſchiedene Verfuche unternommen worden.“ 
Allerdings. Denn den Beleg haben wir an ben Morals 
werfen von Hirfcher, Stapf, Lomb, Filſer und Probſt. 
Run, fährt ber Berf. fort, „mit der Herausgabe vorliegen» 
ben 2ehrbuches besweden wir, uns biefen befleren Cr» 
fheinungen anzufchließen, und den angebahnten Weg nad) 
Kräften weiter zu verfolgen und durchzuführen.“ Des 
Berf. Hauptzwed ift demnach: die chriftliche Moral auf 
pofitiv » chriftlich » firchlicher Grundlage aufzubauen, und 
hiermit den Ganbibaten der Theologie einen Leitfaden zum 
„überfichtlichen Studium“ derfelben zu bieten. 

Wir übergehen nun zur Skizzirung des Hauptideens 
ganges von feinem Werfe. In der Einleitung gibt ber 
Verf. S. 2 folgende Definition ber Fathol. Moral: -Sie 
(t „die Wiffenfchaft, welche (ert, wie das fittliche geben 
eingerichtet werden folle nad) der Lehre unb dem Beifpiele 
Jefu Grifti, volftändig und unfehlbar aufbewahrt und 
erflärt Durch bie Kirche.“ Gut ift. in biefer Definition 
das Specifiſche der fatholifchen Moral hervorgehoben gegen 
ble rationaliftifche Richtung, durch ben Zuſatz: „nach ber 
Lehre Chriſti, aufbewahrt und erklärt burd) die Kirche.“ 
Denn eben dadurch ift bie pofttive chriftfatholifche Moral 
unterfchieven von ber rationaliftifchen, daß biefe bloß das 
fttlidye Leben nach der primitiven VBernunftoffenbarung 
betrachtet und (omit bie Lehre Ehrifti nur innerhalb dieſer 
Graͤnze aboptirt, weßhalb fie faft alle pofitiven Pflichten 
der ſecundaͤren Offenbarung (ver Erlöfung) ausſcheidet, 
indem fie bie richtige Deutung berfelben von der wahren 
Kirche verfhmäht, daher man nach ihrer Anweiſung bie 





298 Martin, 


fittliche SBeftünmung nad) dem alle nichts weniger als 
vollfommen zu erreichen vermag. 

Der Berf. bemerkt hierauf €. 2: „Die Moral felbft 
theilte man häufig wieder ein in die Gtbif und Afcetif.“ 
Indeß meint er: „Diefe Trennung unb abgefonberte Der 
handlung der Ethik und Aſcetik möchte jebod) ſchon deßhalb 
unzuläßig erfcheinen, weil bie Tugend, in ber Wirflichfeit 
nicht beftebt, wenn nicht aud) bie rechten Sugenbmittel 
angewendet werben. Die Anwendung der rechten Tugend» 
mittel ft mithin in ben Kreis des fittlih Guten felbft 
hinein, fo wie umgefchrt eine jede fittlich gute Handlung 
wieder das Mittel ift zu andern fittlich guten Handlungen. 
Eine genaue Abgrenzung zwifchen Ethik und Afcetik ift 
daher aud) nicht thunlich unb ber Berfuch einer folchen 
führt zu mannigfaftigen Snconveniengen und fann für bie 
Sache felbft nur von Nachtheil fein.“ Deßhalb verbindet 
er mit der Tugendlehre (Pflichteniehre) zugleih bie Zus 
gendmittellehre (Aſcetik). So betrachtet er bei ber Pflicht 
des Gebetes dafjelbe zugleich aló Tugendmittel S. 402, und 
befpricht auch bie Meditation S. 410, „als eines der wichtig⸗ 
fien Mittel, um das innere religiófe Leben vor Verdorrung 
zu bewahren und den wahren Gebetögeift in fid) lebendig 
zu erhalten.“ Auf gleiche Weiſe befpricht er das Baften 
al8 Zugendact und Tugendmittel &. 522, bie Wallfahrten 
€. 469, u. f. w. Und daher handelt er auch bie Qebre 
von „den Verhalten des Gbriften in Abficht auf bie Ga; 
framente^ in ver Ethif bereitd ganz ab, welche andere 
Moraliftien, wie Klee, Stapf, Riegler und £omb, in ble 
Aſcetik fegten. Doch verftießen fid felbe, wie 3. 3B. Riegler, 
2omb gegen ihr Syftem dadurch, daß fie ben Stoff beider 
Gebiete nicht firenge geſchieden. Denn bie Aufzeigung 


Moral. 297 


der Pfliht des Empfanges ber Saframente gehört offenbar 
nicht in die Aſcetik, fondern in bie Ethik. Die Aſcetik 
befpricht mehr die Art und 9Beife der Theilnahme an den 
Sacramenten, um Dieburd bie innere Heiligung und Bers 
-vollfommnung zu gewinnen. Wir haben jedoch gegen bie 
Berbindung ber Ethik und 9f(cetif des Verfafſers gerade nichts 
Erhebliches einzuwenden. Denn fie fann immerhin ges 
fchehen; auch Hirfcher bat biefen Weg eingefchlagen. Rur 
meinen wir, daß auch bie andere Darftelungsweife ber 
Moral, welche Ethik und Aſcetik fcheidet, Keine verfehlte 
ift. Daß die Tugend in der Wirklichkeit nicht ohne Ans 
wendung ber Tugenbmittel beftehen fann , ift allerdings 
wahr; aber nur ift dieß noch fein ftringenter Beweis für 
die unumgängliche Nothwendigfeit der feientififchen Verbin⸗ 
bung der Ethik und 9jcetif. Denn die Wiflenfchaft muß 
wegen der Verdeutlichung ihres Inhaltes manches trennen, 
was im Leben verbunden ift, wie bie der Verf. felbft in 
Betreff der chriftl. Gefinnung und Wirkfamfeit anerkennt. 
Dann darf: bie Abgrenzung zwifchen Ethik und Afcetif 
nicht nothwendig zu lauter Inconvenienzen führen, indem 
* bie allzugroße Wiederholung nod) immer vermeibbar ift 
wenn man ben Stoff ordentlich, b. ἢ. ben Begriffen von 
beiden entfprechend zu ſcheiden verftebt. Denn es handelt 
ja bie Afcetit von den Sinberniffen der Tugend, fowie 
von ber Art und Weife der Befeitigung berfelben. Alle 
biefe Hinderniffe können bei ber Lehre von ber Berfuchung, 
und bei den einzelnen Pflichten nicht aufgeführt werben; 
mithin wird fold? eine allgemeine Darftellung feineswegs 
etwas abfolut Weberfläffiges fein. Hiezu fómmt, daß eine 
überfichtliche Zufammenftelung ber Sugenbmittel ein in- 
tellectuelles SSebürfnig , bann: die fpezielle Anweiſung zur 








[] 


298 : Martin, 


Bildung des fittlichen Charaktere, um hiedurch ben hoͤchſten 
Gipfel der fittlichen SBollfommenbeit zu erreichen, gewiß 
nicht ohne Nugen für Seglichen, insbefondere aber für 
den Ceelforger ift; fowie auch bie Lehre: wie weit bie Ders 
einigung mit Gott auf Erden durch heilige lebe erreicht wers 
ben fann, und von welchen Erfcheinungen bet außerordent⸗ 
lichen Gnabengaben fie bei dem vollendeten Tugendhaften 
begleitet ift, bier beachtet werden muß, wenn man bem 
möftifchen Elemente der Moral nicht in einer eigenen 
Hauptabtheilung derſelben, was richtiger ift, Rechnung 
tragen will. Auch hätte fonft Klee, ein feharfer Denker, 
bie fpecielle Ethik nicht abgetheilt: L in bie Pflichtenlehre, 
unb IL in bie Mittellehre. &tapf fat nur eine abfolute 
Scheidung berfefben a(8 unmöglich erfannt. Denn ©. 203 
(Epit. Theol. Moralis. T. I.) fagt er: ,Etiamsi Ethica cum 
Ascesi confundenda non sit, fieri tamen haud potest, ut 
prorsus separentur; eoquod necessaria virtutis subsidia 
veri nominis officia constiluant, et vicissim unaquaeque 
virtus exercitium reliquarum multum promoveat. Hinc 
generalem quidem acquirendae perfectionis methodum se- 
paratim exponam; quae vero officia singula concernunt, 
suo quaeque loco in ipsa Ethica indigitare juvet.^ (56 
gibt demnach noch immerhin KRechtfertigungsgründe für 
bie Trennung. Denn beachtenswertb ift auch, was omb 
hierüber (Chriſtkathol. Moral S. 292) fagt: „Es fcheint 
zwar, was in ber chriftlichen Aſcetik abgehandelt voirb, 
befier bei jeder einzelnen Pflicht und Tugend eingereiht 
werden zu können. Allein in der chriftlichen Aſcetik et 
feinen die Hinderniffe und Hilfsmittel ber Tugend mehr 
in ihrer foftematifchen Sufammenftellung und mehr als ein 
Ganzes, fo taf deren lleberficbt eben dadurch erleichtert 


Moral. | 9090 


unb ber Zwed ber chriftlichen Aſcetik cher befördert wird, 
welcher (ft: zur wirklichen llebung ber Tugend in ihrer 
vielfachen Aeußerung und Geftaltung, nicht bloß nach einer 
einzelnen ſittlichen Richtung, nicht als Enthuflasmus für 
einzelne flttliche Handlungen, burd) Darftelung der Haupts 
binberniffe biefer Tugendsllebung fowie die Haupthilfe- 
mittel derfelben anguíeiten.* Deßhalb fcheint uns in ber 
Behauptung: daß die Scheidung (Abgrenzung) zwifchen 
Ethik und Aſcetik „für bie Sache nur von Rachtheit fein 
fann*, zu viel gefagt zu fein. 

Der Berf. theilt weiter im δ. 9 die ganze Moral, 
wie gewöhnlich, in zwei Theile, nämlich „in einen allges 
meinen und befonderen.“ Die allgemeine Moral befchäftigt 
ſich „mit bem fittlich Guten in feiner Einheit und Allge⸗ 
meinheit“, und faßt von diefer Seite auch „ven. Gegenfaß 
des Guten, das fittlich Böfe“, auf. Er ſchließt fid) hier 
an den b. Thomas von YAquin an. Der befondere Theil 
(oder bie fogenannte angewandte Moral) gründet fid) nad) 
ibm darauf, weil das fittlid) Gute und ebenfo auch ber 
Gegenſatz des fittlih Guten, das fittlich Böfe „unter bem 
Gefichtspunfte der Mannigfaltigkeit und  SBefonberbeit* 
betrachtet werden muß. — In Bezug auf den allgemeinen 
Theil ber Moral wählt er folgende Anordnung des Stoffes. 
Suerft handelt er S. 28 und 29 „vom höchften Princip 
des fittlich Guten“; bann: betrachtet er „die Bedingungen, 
unter welchen das fittlih Gute wirflidh werden Fann. 
Diefe find aber theils objectiver Art (bie göttliche Geſeh⸗ 
gebung), tbeiló fubjectiver Art (Bewiffen und Breiheity.“ 
Hieran fchließt er „die Lehre von bem wirflich fittlichen 
Guten und feinem Gegeníage, dem fittlich Boͤſen, im All: 
gemeinen“ an. Deßhalb zerfällt er das Ganje in zwei 


900 Martin, ν᾽ 

Abtheilungen: „1) bie Lehre von dem Princip des futtid) 
Guten und den Beringungen feiner Verwirklichung; 2) 
bie Lehre vom fittlich Guten und feinem Gegenfage, bem 
ſittlich Böfen, im Allgemeinen.“ Andere Moraliften, wie 
ἃ. 9, Stapf und Lomb, haben auch bie Lehre vom fittlichen 
Gerichte über das Gute und Böfe, ober von ber flttlichen 
Zurechnung unb ber Vergeltung zu einer Obers oder Haupts 
abtheilung gemacht. Der Verf. bat biefe Lehre als Unter⸗ 
abtheilung eingereiht und amar bei bem δ. 57, welcher 
„von ben moralifchen Handlungen überhaupt“, handelt. 
Nachdem er nämlich gezeigt, daß eine und biefelbe Hand» 
(ung eine menfchliche (im engeren Sinne) heißt, „infofern 
fie von der freien Willendfraft des Menfchen gewirkt wird, 
moralifch (aber), infofern fie eine Beziehung zum Sitten 
gefege hat;“ fügt er hinzu G. 148: „eine Handlung ift 
imputabel, weil fie eine freie Handlung ift und in Bes 
jiehung zum  Gittengefege ſteht.“ Er Tonnte bieB hier 
immerhin thun, aber nicht unpaflend wäre es vielleicht 
geweien, wenn er außerdem auch noch bie anderen Momente 
vorher abgehandelt hätte, welche bie menfchlichen Handlun⸗ 
gen eben als fittlich gute ober als fittid) böfe conftituiren, 
weil bie Smputation auch als Beflimmung ber Girófe 
des fittlichen Verdienſtes ober der fittlihen Schuld nicht 
bloß von ber Freiheit, fonbern auch von bem Grabe ber 
Erfenntniß des Gittengefegeó , von ber Qualität der Ge 
finnung (Intention), der Motive, ber Umſtaͤnde unb ber 
Kraftanftrengung , fowie der Pflicht, und beren eins ober 
vielfachen Verbindlichkeit abhängt. Uebrigens ift es gut, 
daß der Berfafler bie Lehre von ber fittlichen Zurechnung 
nicht wie Stapf an’8 Ende ber allgemeinen Moral geftellt 
bat, weil hiedurch die nöthigen Vorbegriffe unb ber Maßſtab 





Moral. $04 
bereitö gegeben find, um fobann in ber: Lehre vini bet 
Tugend und der Sünde die Größe von beiden, b. b. ben 
Grad der fittlihen Güte und Bosheit (SBermerflidyfeit) 
folgerichtig und mit Sicherheit beftimmen zu fónnen. 

Doch wir wollen nun feben, wie der Berf. bie erfte 
(Haupt) Abtheilung der allgemeinen Moral durchgeführt 
Bat. — Er fpridjt unb zwar im erften. Hauptabfchnitte 
im $. 10—18 zuerfi von bem hoͤchſten Principe des fittlich 
Guten. „Der lebte Grund“ (heißt e& S.29), „von bem 
alles fittlich Gute in ber Menfchenwelt ausgehet, auf ben 
alles futfid Gute zurüdigeführt werden muß, nennt man 
das höchfte fBrincip des fittlih Guten.“ Trefflich bemerkt 
er biebei: „Unrichtig bat man das hoͤchſte Princip des 
ſittlich Guten oft für ibentifd) genommen mit bem foges 
nannten oberften Princip der Moral, woher mande Bers 
wirrungen und falfche Anfichten entftanden find. Das 
oberfte Prineip ber Moral ficht freilich mit dem höchften 
SBrincip des fitilid Guten in Verbindung, aber es ift mit 
ihm keineswegs identifch; denn das, was man gewöhnlich 
oberſtes Moralprincip nennt, i£ ein Cas, aus welchem 
die fperielle Moral alle ihre Säge betleltet, bergeftalt, daß 
fie ſelbſt nur bie wiffenfchaftliche Erplanation diefes oberften 
Satzes ift; biefer oberfie Sag aber ift aus dem höchften 
Princip des Guten felbft wieder abgeleitet, näher oder 
entfernter.“ Er beftimmt bemnad) Gott als das -höchfte 
Princip des fittlih Guten, da er der einzig abfolut guts 
feiende if. „Alles creatürliche Gut» Sein hat, wie alles 
treatürliche Sein, feinen lebten Grund nur in Gott; Gott 
ift bas höchfte Princip des Ereatürlich » Guten.“ Weiterhin. 
unterfeheidet ber Verf. zwifchen höchftem Ideal⸗ und hoͤchſtem 
Realprincip des fittlich Guten (8. 12) „Das erftere ift 





308 : Mastie, 


der letzte Moͤglichkeits⸗, das (egtere if ber Ichte Wirklich 
feitögrund des Guten.“ Jenes [αὶ er in folgende For 
mel: „Alles ift gut, was unb weil e6 einer göttlichen bet, 
was unb weil εὖ ber göttlichen Heiligkeit unb Volllommen⸗ 
beit entfpricht;“ “ dieſes aber lautet: „Alles ift gut, was 
bem ausgefprochenen göttlichen Willen entfpricht, {εἰ εὖ, 
dag diefer Wille ein ausdrüdlich gebietenber, ober baf er 
ein bloß rathender if.“ Wir fehen fonach, daß Gottes 
Heiligkeit und Bolllommenheit das höchfle Sbealprincip 
des fittlich Guten ift, ba ein tieferer Grund der ftitlichen 
Güte fid nicht auffinden läßt; weßhalb es auch thöricht 
ift, wenn man in unferer Zeit das fitt(id) Gute von Gottes 
Willen losreißen will, unb ben legten Grund hievon allein in 
der menfchlichen creatürliden Vernunft fucht, indem man 
fagt: „Gut ijt nur, was unb weil es vernunftgemäß ift^ 
— ohne zu bebenfen, daß Gott als abfolute Vernunft bod) 
auch Urheber des Vernunftgefeges im menfchlichen Geifte 
ift. Deßhalb ift e$ den SBebürfniffen ber Zeit ganz ent 
fprechend, taf ber Verf. €. 13 auf bie Gegenjdge von ber 
Qebte, daß Gott das höchfte Princip des ſittlich Guten 
ift, aufmerffam gemacht hat. Er fagt €. 38 und 34: 
„Das Beitreben, das Gittlid) » Gute von Gott, als feinem 
höchften Princip, loszureißen, fann man ben Nationalismus 
in der Moral nennen. (δ᾽ haben fid aber in ber Ge 
(dide der drift. Moral befonders zwei Perioden dieſes 
Rationaliemus bemerflih gemacht. Die erfte Periode if 
bie ber fogenannten Naturrechislehre, welche (id) an Hugo 
Grotius und an Samuel Bufenvorf anlehnend ihren Rar 
tionalismus zu verfchleiern wußte, indem fie den Willen 
Gottes als hoͤchſten Verpflichtungsgrund in ber Sbee ans 
etfannte, in bet. That aber ihn nicht zu Recht kommen 


oral. $08 
He. Die Brincipien, die fie an die telle des göttlichen 
Willens einfchob, find theils gefchichtlicher, tbeil& materia; 
tiftifcher Art.“ Zur erfen Klaſſe rechnet er: a. Das Princip 


der llebereinftimmung aller $Bólfer; b. das PBrincip der 


bürgerlichen Gefeggebung. Zu ber legten. Klafle: a. das 
Princip ber G(üdfeligfeit und zwar entweder der gemeinen 
ober der raffinirten (Epicuräismus und Eudämonismus); 
b. das Princip der perfönlichen Nuͤtzlichkeit ober des Eigen- 
nugeó (Egoismus im engeren Sinne); c. das Princip 
ber. allgemeinen Nüßlichfeit oder ber allgemeinen Wohlfahrt. 
Weiter bemerkt ber Verf.: „Die zweite Periode des Ras 
tionalismus in der Sittenlehre, welche man bie ‘Periode 
des Nationalismus im engeren Sinne nennen fann, ward 
durch fant eingeleitet. An die Stelle Gottes wurde bie 
Vernunft als andere Göttin eingefchoben. Die Formel 
für das höchſte Princip des Guten lautet demnach: gut 
ift, was und weil es vernunftmäßig if. Aus diefer Sore 
mel des höchften Brincips des Guten wird dann folgerecht 
folgendes höchftes Princip der Moral hergeleitet: Handle 
fo, wie ἐδ der Vernunft angemeffen ift. 

Bisher hätten wir fonach erfannt, daß das Gute 
feinem legten. Princip nad) in Gott rubt. Indeß das 
Gute. foll. im Menfchen auch wirklich werben, ba e& in 
der Schrift heißt: „Seid heilig, weil auch ich euer Gott 
heilig bin;“ befbatb übergeht jegt ber Verf. $. 14 zu ber 
Lehre von ben Bedingungen des fittlichen Lebens. S. 36 
fagt er: „Die erfte SBebingung ift, daß Gott feinen Willen, 
mit dem unfere Gefinnungen und Handlungen übereins 
ſtimmen follen, uns funbtjue.* Daher beftimmt er: bie 
göttliche Geſetzgebung als bie objective Girunbbebingung 
deo fittfichen Lebens. S. 44 und 45 beſpricht er aud) bie 


x 


804 Martin, 

Controders zwifchen Augufinus und Hieronymus über die 
(rage: ob bie Verbindlichkeit des. alten Ceremonialgeſetzes 
mit dem Tode Chrifti bloß einfach aufgehört, ober ob aud 
bie Beobachtung diefes Gefegeó von nun an ganz unzus 
Käfig und [ἀπο gewefen. Er tritt bier der Meinung 
des ἢ. Thomas bei. „Diefer unterfcheidet mit Auguftinus 
drei Zeiten; vor dem Leiden Sefu Ehrifti, fagt er, waren 
bie Legalien weder tobt, noch tobtbringenb; nad) der Vers 
breitung des Evangeliums find fie tobt und tobtbringenb; 
in bem zwiſchen bem Leiden Chrifti und ber Ausbreitung 
des Evangeliums in der Mitte liegenden Zeitraume aber 
waren fie zwar tobt, aber nicht tobtbringend.“ Ebenſo 
intereffant ift die Löfung der Frage: ob bie Kirche aud 
tirecte innere Handlungen gebieten fónne? Hierüber bes 
merkt der Berf.: „Der nächfte Zwed der kirchlichen Gewalt 
ἐξ bie geiftige Wohlfahrt; biefe hängt aber gewiß ebenfo 
febr von inneren als von äußeren Handlungen ab, daher 
man auch bie gejeggebenbe Gewalt der Kirche auf das 
Gebiet der äußeren Handlungen nicht befchränfen darf; 
endlich fehreibt bie Kirche auch wirklich birecte innere Hand» 
lungen vor, wenn fie den Glauben an beftimmte Lehren 
gebietet. Papſt Snnoceng XI‘ bat. begfalb auch folgende 
Propofition des Michael Molinos verworfen: Risu digna 
est doctrina quaedam nova in Ecclesia Dei, animam quoad 
interna gubernari debere per Episcopos..... Quia Ecclesia 
non judicat de internis." 

4, 25 beftimmt ber Verf. ben Geſammtausdruc der 
göttlichen Geſetzgebung. Denn nachdem geſagt worden iſt, 
daß Gott durch ſeine Geſetzgebung uns ſeinen Willen zu 
erkennen gegeben hat, fo frägt es ſich, was ber Inhalt 
der göttlichen Geſetgebung ſei. Hierüber äußert er S. 62: 


Moral. 305 


„Eine ausführliche Beantwortung biefer Frage fam bier 
nicht erwartet werben, indem die gefammte fpectelle Moral 
fi) mit diefer Aufgabe zu befaffen bat; was hier gefeiftet 
werden fann, ift nur die fummarifche Bezeichnung dieſes 
Snfalte8 oder die 9fufftellung eines Eapes, worin bie 
Summe der göttlichen Gelege enthalten und woraus bie 
einzelnen göttlichen Gefege folgerecht ὦ entwideln faffen. 
Ungenau bat man oft einen folhen Gag den oberften 
Grunbfag ober das oberfte Princip der Moral genannt; 
er ift fireng genommen nicht das Princip, fondern nur bie 
Summe ber. in der Moral wiffenfchaftlich darzuftellenden 
göttlichen Gefege.* Darauf bat aud) fdon Stapf aufs 
merffam gemacht, indem er fagt, daß man das oberfle 
Princip der Moral in einem dreifachen Sinne verfteben 
fónne, nämlich (in feiner chriftl. Moral. 1841. ©. 239): 
„a. Welches ift der oberfte und abfolute Grund alles Sitt⸗ 
lichen (principium essendi) ?: b. Welches ift das höchfte 
unb untrügliche Kriterium, um zu erfennen, was ſittlich 
gut ober böfe fei (principium formale)?. c. Auf welchen 
Gefammtauébrud  Iaffen fid) ale fittlichen Forderungen, 
fowohl Gebote als NRäthe, zurüdführen (principium ma- 
teriale) ? * Auch wir find ber Anficht mit Stapf und 
unferm Berf., daß in diefer rage nach bem oberften Princip 
ber Moral genau unterfchieden werden müffe, und zwar 
fo, daß Gott als das höchfle Prineip des Sittlichen bee 
flimmt werbe, mithin fein Wille, ber fein Normativ in 
feiner abfoluten SBollfommenbeit hat; weßhalb auch bie 
Schule fagt, daß Gott ber höchfte Sbeal^ und der höchfte 
Realgrund des fittlichen Guten if. Dann aber meinen 
wir: hätte auch der Verf. nad) bem 9Borgange von Stapf 
feicht ein Erfenntnißprineip des natürliches und pofitiv 
Theol. Ouartalſqhriſt. 4850. 11. δεῖ» 20 


906. Martin, 


Sittlich⸗ Guten aufftelen und beifügen fónnen, und zwar 
die lehrende Kirche, weil er felber die Fathalifche Moral 
als Wiſſenſchaft befinirt, welche lehrt, wie das fittliche 
Leben eingerichtet werben folle nad) der Lehre Ehrifi, 
vonftändig und unfehlbar aufbewahrt und erklärt durch 
die Kirche; unb weil er ferner in der fpecieflen Moral bie 
firchliche Gefinnung als einen „eigentlichen Beftanbtheil 
einer wahrhaft chriftlichen Gefinnung“ anerkennt und bes 
geichnet. Denn was wir dem göttlichen Willen gemäß. 
thun müffen, um unfere fittlihe Beftimmung nad) dem. 
Falle zu erreichen, fónnen wir nimmer aus ber bloßen 
Bernunft allein, fondern nur von ber durch ben b. Geift 
geleiteten unfehlbaren Kirche wiflen; daher aud Hirfcher 
(Chriftl. Moral 1845. B. 2. €. 35 — 325) die Erzie⸗ 
bungsthätigfeit der Kirche bei ber Heiligung des Menſchen 
fo febr accentuírt hat. Originell ift der Verf. in der Aufs 
ftelfung des Gefammtausdrudes ber göttlishen Gefeggebung, 
der aud) uns als richtig erfcheint. Er fordert von. dem 
oberften Grunbíage ber Moral im Sinne des Gefammts 
ausbrudes der chriftlichen Lebensgefege folgende Eigen» 
ſchaften (S. 62 u. 63): 1) Diefer Sag muß ein „durchaus 
pofitiver chriftlicher“ fein, weil eben bie (rage ift: „was 
nach ber Lehre des Ehriftenthums bie Hauptaufgabe uns 
fereß Lebens fei“ 2) Er muß ein „fpecififch chriſtlicher 
ober chriftfatholifcher“ fein. 3) Er muß nicht „nur bie 
Hauptaufgabe unferes Lebens, fonhern aud) den Weg bes 
zeichnen, wie wir biefe Aufgabe realifiren können.“ 4) Er 
muß fowohl „materiell, al8 formell“ fein, b. b. „nicht bloß: 
fummarifch ausprüden, was ἰᾧ als Fatholifcher Chriſt thun, 
fondern aud) in welcher Abficht und aus welchem Beweg⸗ 
gzunbe ich. es tun fol,“ Diefe Forderungen fieht nus; 





Moral, 897 


"er Verf. in folgendem Satze erfüht (S, 64): „Wiebers 
‚geboren aus dem Wafler unb bem D. Θείβε berodfre bid) 
durch einen in ber Liebe thätigen Glauben al Achten Nach⸗ 
feiger. Sefu Ehrifti, um Gott zu verberrlichen und ber 
rigen Geligfeit dich würdig zu machen.“ Wir müffen 
Dbefennen, daß biefer oberfte &runbfag der Moral unter ben 
Bisher gang unb gäbe gewefenen am beften das ſpecififch 
Gbrift(ide hervorgehoben hat. Doch ſtellen wir nicht in 
Abrede, daß aud) noch andere ähnliche Formeln aufgeftelltwers 7 
den fónnen, bie mehr ober weniger das Speciftfche des Ehrift- 
lichen und Katholifchen in ber fittlichen Lebensaufgabe erfaffen. 
Mas aber bie objectiven Bedingungen des fittlichen 
Lebens anbelangt, fo ift nod) zu bemerken, taf ber b. Tho⸗ 
mas hiezu nicht bloß das göttliche Gefeg, fonbern auch bie 
‚göttliche Gnade rechnet. Der Berf. hat das Element der 
Gnade angebracht bei der zweiten fubjertiven Bedingung 
des fittlichen Lebens, nämlich bei der Wteibeit, $. 52, wo 
er von ber Befchaffenheit berfelbet vor und nach bem Falle 
ſpricht, wahrfcheinlich, weil an biefer Stelle ihre Nothwen⸗ 
‚digkeit viel Harer erkannt wird. Gut ift es, daß der Berf, 
hierauf aufmerkfam gemacht, ba man heutzutage immer aus 
f$ allein (itid) zu werden unb fid) ohne Einfluß Gottes 
zu vollenden vermeint, ohne zu erwägen, daß ber Menſch 
fein Sein durch Sich, daher auch fein Dafeln unb Vollenden 
burd Sich if. Dies hat aud) Probft treffend Cin feiner 
fathol. Moral 1848) berüdfichtigt, wo er ©. 518 unb 519 
son bem „Berhältniffe ber Gnade zu den Tugenden“, unb 
S. 520 unb 521 über „die Stadien des Gnabenftandes“ fpricht. 
Sehr glänzend befchreibt in derſelben Abficht Hirfcher (DB. 1. 
S. 37) „die Wirkungsweiſe des heil. Geiftes“, fo wie 
4S. 389—392) „das Berhältniß der. Gnade und Freiheit.“ 
20 * 


308 Martin, 


Eine weitere Frage jet ift: Wie fünbiagt fid) wohl 
das Sittengeſetz im menfchlichen Gelbfibemupt(ei an? Die 
Antwort hierauf ift: mit dem kategoriſchen Imperativ: 
Du folft; daher mit Auferlegung einer Verbindlichkeit. 
Deshalb fpricht mun ber Verf. „von ber unmittelbaren 
Wirkung der göttlichen Gefepgebung.* Er {πρὶ (δ. 27): 
„das göttliche Gefeg ift ber Ausdruck des göttlichen Wils 
lens. Der göttliche Wille fann aber entweder gebietenb 
ober nur einfabenb fein, im erften Salle ift das göttliche 
Geſetz bie Quelle der Pflichten, im zweiten ift e8 die Quelle 
der Räthe.“ So gelangt er hierauf zur Eintheilung ber 
Pflichten, fo wie zu ber Lehre von ber Pflichtencollifton, 
. die er mit paffenben Beifpielen beleuchtet. Doch gründlicher 
und ausgezeichnet hat er bie Lehre von den Räthen be 
handelt (δ. 30 S. 69— 81). Er nahm hier bie nöthige 
Nüdficht auf bie Lehre ber Väter. Treffend ift die Be 
merfung S. 67: daß ein indirectes Zeugniß für bie Rea⸗ 
lität des Nathbegriffes auch bie Firchliche Unterſcheidung 
wifchen einer vollfommenen und unvollfommenen Liebe, 
und die Erklärung ift, daß. aud) die leptere zur Seligfeit 
ſchon genügend ift. Sehr Iefenswerth ift ber 8$. 32, wo 
er bie gegen bie Realität des 9tatbbegriffe8 erhobenen 
Einwendungen widerlegt. 

Nachdem der Berf. gezeigt, daß Gott durch feine Ges 
febgebung dem Menſchen eine wirkliche Lebensaufgabe ges 
ftelt, fómmt er im IL Abfchnitte zu der Lehre von ben 
fubjeetiven Bedingungen des fittlichen Lebens, ba er die 
Stage flelft: ob unb wie ber Menfch in den Stand geſetzt 
fei, dieſe feine Lebensaufgabe zu realiſitren? Er ſagt (S. $3): 
„Hiezu ift vor Allem nicht nur erforberlih, bag er bag 
göttliche Geſetz als bie objective Richtfehnur feiner Hands 





Moral. 309 


lungen überhaupt erfennen fónne*. (welches Vermögen er in 
feiner Vernunft befigt)," fonbern er muß auch das erfannte 
göttliche Geſetz auf bie einzelnen Fälle, wo er handeln foll 
oder wo er gehandelt bat, anwenden fünnen; er bebarf 
fena auch einer fubjectiven Regel, welche ihm vom Ges 
wiffen ‚gegeben ift.“ Diefes ift daher nad) dem Verf, die 
erfte fubjectioe Bebingung des fittlichen Lebende. — C. 82 be; 
merft er: „Stimme Gottes im Menſchen fann das Ges 
mien genannt werben, weil in feinem Ausſpruche das 
göttliche Gefeg felbft wiederklingt.“ Dies ift richtig, weil 
eben Gott in der Wefenheit des Geiftes feinen Willen 
auégebrüdt, Indeß glauben wir, daß das Gewiffen aud) 
nod aus einem andern Grunde bie Stimme Gottes ger 
nannt werben fünnte. Diefer Grund ift angebeutet bei 
Joh. L 9. Denn wie follte der Logos wohl jeglichen 
Menichen, ber da in bie Welt kommt, erleuchten? wie 
anders, als durch bie Vernunft und in&befonbere durch das 
Gewiſſen. Es ift demzufolge ein dynamiſcher Verfehr amis 
fben dem Logos unb bem Geifte eines jeden einzelnen, 
indem ber legtere befonberó nad) ber 9tegation des Sitten» 
gefeges bie Vorwürfe in feinem Innern wider feinen Willen 
ftehen laſſen muß, weßhalb er fie auf eine äußere, ihm 
gegenüberftehende höhere -perfönliche Macht zu beziehen ges 
noͤthigt ift, welche nur fein Herr, Gebieter und Retter fein 
fann. Man fónnte dies Gewiffen zum Ilnterfchiede von 
dem erften (fubjectiven) das objective nennen 1). Ὁ 

An bie Lehre von bem wahrfcheinlichen Gewiſſen 
fnüpft ber Berf. bie Lehre vom eigentlichen Probabilismus, 
bann: vom Nequiprobabilismus, Tutiorismus unb Pros 


1) Siehe: Adalbert Maier, Gommentar über das Eyangelium des 
Johannes. 1.8. €. 156. 137. 


310 | Martin, 


babiliorismus. Dieſe Lehre ift febr klar, gründlich unb 
uͤberſichtlich dargeſtellt; und hiedurch geeignet für einen 
jeden zur ſicherern Orientirung. Den Ref. hat dieſe Par⸗ 
thie ſehr interreſſirt und befriedigt. Wir wollen hier vom 
Verf. nur einen Punkt ſeiner Widerlegung des ſtrengen 
Probabilismus anführen. S. 102 heißt es: der Proba⸗ 
bilismus macht für fid) den Grund geltend: „Wenn das 
Handeln nad) der probabferen und nad) der probabelften 
Meinung zuläjfig ift, fo iſt's auch das Handeln nad) ber 
einfach probablen Meinung, denn in letter Inſtanz (ft nicht 
die bloße Wahrfcheinlichkeit, fondern bie Wahrheit entfcheis 
benb; bie objective Wahrheit fann aber ſich ebenfowohf 
auf Seiten der bloßen Brobabitität, als auf Seiten ὑεῖ 
größern und größten Probabilität finden.“ Hierauf erwies 
bert ber Berf.: „Rann darüber feine Gewißheit erreicht 
werden, wo fid) bie objective Wahrheit finde, fo fann ἐδ 
fi einzig fragen, auf welcher Seite der Handelnde fie 
eber fuchen müfle, ob auf Eeiten der bloßen Probabilität, 
ober auf Seiten der größern Probabilität. Doch offenbar 
auf der fegteren. Er darf daher auch, wofern er feiner 
llebergeugung folgen will, nicht nad) der weniger probabien 
und weniger ficheren, fondern er muß nach ber probableren 
und fichereren Meinung handeln.“ 

Bei der zweiten fubjectioen Bedingung bes fittlichen 
Lebens: der Freiheit, Dat er viele Rädficht auf bie Wis 
berlegung ber Irrlehren des Janfenius und Bajus genom⸗ 
men, um bie libertas a necessitate zu erweifen. 

Die zweite (Haupts) Abtheilung ber allgemeinen Moral 
enthält bie Lehre vom fittlich Guten und feinem @egenfage; 
bem fittlich SBofen, im Allgemeinen: Der Berf. fagt €. 146: 
„Denken wir an bie Gliederung biefer zweiten Sibtbeilung, 











oral. 313 
fo it vor allem die Bemerkung wichtig, daß das fittlih 
Bute und das fitilid) Böfe beim Dienfchen (δε [δ als vors 
übergehende Handlung, theild als beharrlicher Zuftand 
vorfommen fann. Zunächft fommt das moralifche Handeln 
in Betracht, weil bie moralifchen Handlungen ble Erzeus 
gerinnen moralifcher Zuflände find. Die moralifch guten 
wnb die moralifch böſen Handlungen aber haben mit eins 
ander gemeinfam den Charakter der Moralität. Diefen 
beiden gemeinfamen Charakter werben wir guerft ἐπ᾿ δ Auge 
faffen, und daher handeln von ben moralifchen Handlungen 
überhaupt; fobann betrachten wir beide von einander ges 
fondert zugleich mit ben Zuftänden, welche durch fie bebingt 
wefden, und handeln daher zweitens von den moralifch 
guten Handlungen und dem moralifch guten Zuftande (bem 
habituellen Guten) und drittens endlich von den moralifch 
böfen Handlungen unb dem moralifch bofen Zuftande (bem 
habituellen Bofen).“ Die erfte Unterabtheilung befaßt bie 
δεῦτε von ben moralifchen Handlungen überhaupt (©. 147). 
Hieran fnüpfte der Verf. zugleich bie Xehre von ber Sm 
putation; auch handelte er hier, um die Wiederholung zu 
vermeiden, bie Hinderniffe der Yreithätigfeit ab, welche 
andere Moraliften unmittelbar auf die €ebre von den fubs 
jectiven Bedingungen des fittlichen Lebens folgen laffen, 
weßhalb fie bei ber Smputation wieder auf fle zu fprechen 
fommen müffen. Die zweite Unterabtheilung enthält zuerft 
bie Lehre von ben einzelnen {ΠῚ guten Handlungen, 
und fobann: von ber chriftlichen Tugend. Nicht unnüg 
(t bier bie Löfung ber Frage (S. 195): ob aud) bie 
Leichtigkeit, womit bie Pflicht erfüllt wird, für bie Beftims 
mung des Grades ter Tugend maßgebend fei. Die dritte 
Unterabfheilung handelt vom Begriffe und Wefen bet 


312 .. Martin, 


aetuellen Sünde, bann: von bem Unterſchieden, Urſachen 
und Folgen der Suͤnde, und zuletzt von der habituellen 
Sünde. Interreſſant ift 6. 80, ber eine Kritik der falſchen 
Auffaffungsweifen ber Eünde enthält. Den Schluß macht die 
Lehre von ber Sünde gegen den hi. Geift, welche ber Verf. 
als bie höchfte Stufe der habituellen Sünde beftimmt, 
Wir fteben nun bei ber Würdigung ber Darftelung 
der befonderen Moral. Der Verf. beftimmt diefelbe S. 260: 
„als bie wiffenfchaftliche Entwidlung des fogenannten hoͤch⸗ 
fien Moral» Principe.“ Er fagt: „demnach wird (id) bie 
befondere Moral zuerſt zu verbreiten haben über bie Wies 
bergeburt aud dem Waffer unb f. Geifte: des chriftlichen 
Lebend Anfang. In biefem Anfang des drift. Lebens ift 
zwar fdon ber Keim zu feiner Vollendung enthalten, denn 
was über bie Wiedergeburt hinausliegt, ift theild nur Bes 
thätigung berfelben, theild nur weitere Entfaltung und 
ftufenweife Ausbildung.“ (ὁ ift Dies allerdings richtig. 
Denn fo wie der Urmenfch bie Aufgabe hatte, fid) in ber 
urfprünglichen Xiebeseinheit zu Gott freithätig zu bewal)s 
ren, fte zu bethätigen, zu vervollfommnen und zu vollen 
ben; alfo ift cà aud) die Beftimmung des Menfchen nad 
ber Taufe, bie Cegung Gottes in betielben freithätig zu 
affirmiren. Hierauf fährt der Verfaſſer fort: „Es fommt 
beim drift. eben ein Doppeltes in Betracht, bie innere 
Gefinnung und bie Bethätigung tiefer Gefinnung.^ In 
ber Formel feines Moralprincips ift beides au&gebrüdt, 
wenn εὖ heißt: „Bewaͤhre bid) als Nachfolger Sefu (δ 
‚ durch einen Glauben, ber da thätig ift in ber Liebe. Der 
bloße Glaube genügt nicht, er muß belebt fein durch bie 
Liebe, aber auch bie bloße Liebe genügt nicht, fie muß 
wirffam fein oder fid) beihätigen durch Werke.“ Nachdem 











Moral. 313 


er fo den Anfang ober das Werben bes chriftl. Lebens 
befehrieben, hält er es für feine Aufgabe, „vieles Leben 
κι in beiden genannten Beziehungen zu gergliebern unb 
in feinen weiteren Entwidelunger darauftellen.“ Der ge 
dachten Formel gemäß zerlegt fib daher bie befondere Moral 
in zwei größere Abtheilungen: I in bie Lehre von ber 
drift. Gefinnung; IL in bie Lehre von ber drift. Wirk⸗ 
famfeit; tiefen beiden @intheilungen geht aber „gleichfam 
als Einleitung voran bie Lehre von der Wiedergeburt aus 
dem Wafler unb dem heil. Geifte.* Mit biefer Zerlegung 
der befonbern Moral fónnen wir nur einverftanden fein. — 
Doc, wie handelt der Verf. die Lehre von der chriftl. Ge; 
finnung in ber erften Abtheilung ab? dies lefen wir ©. 267. 
Er ſagt: „In ber aufgeftellten Kormel des hoͤchſten Morals 
Prineips find zwei Tugendgefinnungen namentlich aufges 
führt: der Glaube unb bie Liebe. Aus bem Glauben 
aber entwidelt fid) die Hoffnung, welche durch bie Liebe 
ihre Vollendung erlangt. Die nothwendige Borausfegung 
diefer drei Tugenden ift bie Demuth.“ „Sie werden vom 
h. Θείβε der Seele eingegoffen, unb auch ‚Durch feine 
fortdauernde Wirkfamfeit in der Seele erhalten. Dem⸗ 
gemäß wurzelt bie drift. Gefinnung in ber Gemeinfchaft 
unb dem bleibenden Lebensverfehre mit dem h. Geiſte. 
Und da endlich die gnabenreiche Wirkfamfeit des b. Geifteó 
ordentlicher Seife nur vermittelt wird durch bie Kirche, 
fo wird die wahrhaft chriftliche Geſinnung zugleich aud) 
eine wahrhaft Tirchliche fein.“ 

Wir können es nur loben, daß ber Verf. das chriftlich 
fittfiche Leben auf feine Grundidee zurüdgeführt hat, bie 
eben darin beficht, daß felbes nach bem Vorbilde Chriſti, 
dem zweiten Adam, fid geftalten müfle, wenn es Gott 


314 Martin, 


wahrhaft wohlgefällig fein fof; und baf es zugleich ven 
ber Demuth, dann vom Glauben, son der Hoffnung unb 
gicbe, fo wie von der Gnade des f. Geiſtes unter ber Lei⸗ 
tung ber Kirche getragen werde. Doc, dürfte es gut go 
weſen fein,owenn er bie Pflichten gegen Ehriftus noch mehr 
hervorgehoben hätte (wie es Hirfcher getban), ba er ja in 
dem Moralprincipe von ber Nachfolge Chriſti fpricht. Denn 
für das fittliche Leben des Chriſten ift ohne Zweifel bae 
von ber größten Wichtigfeit, was er ©. 625 bemerft: 
„Dan vergleiche oft, was man ift, mit bem, was man 
fein foll; man vergleiche fid) und feine Handlungen mit 
bem Gefege Ehrifti, mit feinem Beiſpiele. Man [εἰ eifrig 
bedacht, jeden Tag irgend etwas zu thun, was uns Ebrifto 
gleichförmiger macht. Denn nur infofern wir Gbrifto gleich⸗ 
förmiger werden, werden wir vollfommener oder Gott wohl 
gefälliger, indem Gott an uns nichts liebt, als fein Ebenbilb 
unb bie Nehnlichfeit mit feinem Eohne, an dem er allein 
Wohlgefallen hat.“ Der Verf. gebt ſonach, wie wir ge 
fehen, von ber Grunbgefinnung bes chriftlich fittlichen 
Lebens au&, ALS blefe bezeichnet er die Demuth. Nun 
ift dies allerdings wahr: foll der bereits erwachfene nicht» 
getaufte Menfch zum Glauben ans  Goriftentbum gelangen 
unb fich fittlich befehren, fo muß er zuvor nothwenbig feine 
iBebingtbeit von Gott, fo wie feine fittliche Verderbtheit 
und Schwäche ers und anerfennen, mithin bie Einficht ges 
. wonnen haben, daß er fid) durch fid) allein nicht vollenden 
fann, ba er fid) weder von ber futliden Schuld felber zu 
exlöfen, ned ohne bie göttliche Gnabe im Guten zu bes 
harren vermag. Snfofern. ift bie Stellung der Demuth 
vom Berf. an die Spige der fpeciellen chriftl. Moral ges 
rechtfertigt. Er bemerkt hierüber mit Recht S. 268: „Um 


oral: ᾿ 315 


glanbenswällig zu fein, wird erfordert, bag man für bie 
Idee des Chriſtenthums, b. b. für bie Idee der Erloͤſung 
ein lebendiges Sutereffe beſtze. Diefes lebendige Intereſſe 
it aber wieder bebingt von dem Gefühle feiner eigenen 
Griófangóbebürftiafeit, und blefe& Gefühl eigener Erloͤ⸗ 
fungébebürftigfeit ift erft in unb mit der Demuth gegeben; 
wozu allerdings auch bie Furcht ber göttlichen Strafgerech⸗ 
tigfeit etwas beiträgt. Allein ble Demuth gilt nur bei 
einem. @rwachfenen, welcher erft im die chriftliche Kirche 
eintritt, als bie erffe Girunbduferung ber fittlichen Gefins 
nung; bei bem. im Schoße der Kirche Gebornen und aló 
Kind [don Getauften. ift dagegen bie erſte Grunbduferung 
der chriftfich- fittlichen Gefinnung der Glaube, der geftügt 
auf die Hoffnung durch bie Liebe fi zu aftualifiren fucht; 
deshalb if hier bie Demuth auf andere Weife der Stüg« 
und Haltpunft des chriftiich » fittlichen Lebende; und zwar 
infofern: fol bie gläubige Gefinnung fid) fortan bei bem 
fittlich fid) entwidelnden Ehriften erhalten, fo fann vie 
nur gefhehen, wenn fie ftet von ber Demuth getragen 
wird. Daher fann auch hier die. Behauptung des Verf. : 
„die Demuth ift bie. Grundlage der Grundlage“ (nämlich. 
des Glaubens), nur in biefem Sinne genommen, aud) αἱ 
richtig anerfannt werben. Zu biefen primären Gefinnuns. 
gen fügte er weiter πο hinzu: bie Gefinnung ber Selbfls 
und Naͤchſtenliebe, bie aus ber Gefinnung ber Gottedliehe 
zum Theil hervorgehen. Er bat fomit die gefammte chriſt⸗ 
lich » fittliche Geſinnungsweiſe dargefielt. Wir finden bie& 
ganz gegründet, da Ehriftuß felber bingebeutet hat, daß 
*a6 ganze chriftliche Leben darin beftehe: Gott über alles 
und ben Näachſten wie fid felbft zu lieben; indem in beg | 


316 Martin, 


That alle andern Pflichten nur die Darftellung und €t 
weife blefer Grundgefinnungen find. 
Doch blieb ber Verf. in biefer Abtheilung bei ber Dat» 
fellung der Lehre von der drift. Gefinnung nicht immer 
bei der Aeußerungs⸗Sphaͤre berfelben fteben, fonbern ſchweifte 
zuweilen aud) in das Gebiet ihrer Bethätigung (b. b. in 
bie Lehre von ber drift. Wirkfamfeit) hinüber. Denn fo 
fpricht er 3. 3B. $. 147 von ben Erweifen ber Gotteéliebe, 
als: bem Gehorfame, bem Eifer für Gottes Ehre, von 
ber Danffagung; dann im δ. 152 von ben vornebmften 
Erfcheinungsweifen der chriſtl. Nächftenliebe, als Liberalität, 
chriſtl. Humanität, bann von ber toleranten Liebe, von 
der banfbaren Liebe gegen Wohlthäter. Hier find offenbar 
fdon äußere Manifeftationen der innern liebenden Geſin⸗ 
nung gegen Gott und ben Nächften berührt. Wir willen 
wohl, daß εὖ der Berfafler wahricheinlich deßhalb gethan, 
weit fi Gefinnung unb Bethätigung nicht fo leicht trens 
nen faffen, und um ber Wiederholung ausguweichen. Auch 
hat εὖ ber Verf. felber erfannt, daß er zumeilen bie Grengen 
der Geſinnung bei der Darftelung überfdoritten, daher er 
im ὁ. 156: „Ordnung ber Liebe, S. 378 bemerkt: 
daß er,. „um bie allgemeinften Grundfäge über die Ord⸗ 
nung der Liebe zu bezeichnen, über das Gebiet der Liebes 
gefinnung öfters in's Gebiet der thätigen Liebe werde bin, 
übergreifen müffen, indem gerade bei diefer fegteren. ger 
dachte Grunbídge am meiften Anwendung finden.“ Indeß 
meinen wir: eó würde beffer gewefen fein, wenn er mit 
Hintanfegung aller diefer Rüdfichten bei ber urfprünglich 
ſchoͤn und richtig angelegten Anordnung feines Syſtems 
fireng geblieben wäre. — In ber zweiten Abtheilung ber 
befonberen Moral entfaltet der Verf. die Lehre von ber 


Moral. 917 


drift. Wirkſamkeit. Seine Gntwidfung ift folgende: Gt 
fagt €. 381 unb 382: „In der „bisher“ befchriebenen 
driftí. Gefinnung beftcht das wahre Leben der Geefe, ihre 
Verbindung mit Gott. Jedes wahre Lehen aber dufert 
f thaͤtig; thätig wird fid) daher auch bie chriftl. Geſin⸗ 
nung äußern, aus der geheiligten Gefinnumg werben Werke 
hervorgehen, welche ber Beweis, bie Frucht und bie Bollens 
bung diefer Gefinnung find. Fragt man aber, wie bie 
drift. Gefinnung fid) betbátigen müffe, ober welches bie 
f. Werke feien, bie aus einem geheiligten Innern wie aus 
ihrer fruchtbaren Quelle gleid)fam von felbft hervorfließen ; 
fo find, um biefe foftematifch barguftellen, bie fittlichen 
Sphären in’d Auge zu faffen, innerhalb deren ber Menfch 
überhaupt zu wirfen hat. Der Menſch nimmt eine fittliche 
Stellung ein theils gegen Gott, theild gegen bie vernünfs 
tigen, der Seligfeit theilhaftigen oder fähigen Gefchöpfe 
Gottes.“ Zu dieſen aber gehören: „die eigene Perfon; 
bie Mitmenfchen- auf Erden; bie Seelen im Fegefeuer unb 
bie Engel und Seligen im Himmel. Zu. feinen Mitmens 
fchen auf Erden nimmt der Ehriſt wieder eine Stellung 
ein: a. im Allgemeinen, infofern ale Menfchen Kinder 
Gottes und feine Miterben ber. Seligfeit find; unb b. im 
Befonderen, indem er Glied ihrer eigenen gefelfchaftlichen 
Berbindungen if. Die Grunbformen aller geſellſchaftlichen 
Berbindungen aber find: Familie, Staat, Kirche.“ Nun 
gibt ber Verf. den Grund an: weßhalb er bie Lehre von 
ber Bethätigung der chriſtl. Gefinnung gegen bie Kirche 
ber Lehre von der Bethätigung ber doriftl. Gefinnung gegen 
Goit unmittelbar angefchloffen hat. Denn Stapf 3. 9. 
bat fie unter der Rubrik der Socialpflichten (Saeietates 
publicae) angebracht und ebenfo Klee Und Lomb. Der 


318 θεῖα, 


Berf. fagt: „Unter dieſen gefellfchaftfichen Orbnungen i$ 
jedoch bie Kirche, obwohl als fireitende auf Erben nur 
aus Menſchen beftebenb, nicht rein menfchlich, vielmehr iR 
fte göttlich und menfchlich zugleich, beides in ungetrennter 
Einheit. Und da ihre göttliche Seite bie höhere ift, wird 
«à am zweckmaͤßigſten fein, die Lehre von ber Bethaͤtigung 
der chriſtl. Geſimung gegen die Kirche ver Lehre von 
per Bethaͤtigung der chrifil. Gefinming gegen Gott. um 
mittelbar anzufchließen.“ Ebenſo gibt ber Verf. auch einen 
Grunb an, weßhalb er die Verehrung der Engel und Hei 
digen als mittelbare Gottesverehrung behandelt. Er be 
merkt: „die Verehrung der Heiligen, als der nächften 
Sreunde Gottes, in denen fid) feine Herrlichkeit am glám 
zendften abfpiegelt, ift ihrem legten Grunde nach fe(bft nur 
wieder Verehrung Gottes und wird daher am zwecnmaͤßig⸗ 
ften gleich nad) diefer behandelt als mittelbare Gottes 

verehrung.« Hiemit haben wir eine Ueberſicht der ganzen 
Ansrbnung der Lehre von der chriftl. Wirkfamfeit erhalten. 
Was aber noch die. Frage betrifft: ob ber Gbrift aud) 
Pflichten gegen bie Thiere habe? fo bemerkt der Verf. 
€. 382.: „Da bie Thiere, nach ‚Lehre der Offenbarung, 
bem Menfchen nur Mittel zur Erreichung feiner Zwede 
find, fo nimmt der Menſch gegen dieſe als foldye Feine 
fittlihe Stellung ein, er bat gegen fie im -firengen 
Sinne des Wertes Feine Pflichten;“ er fchuldet bie „ver 
nünftige und gottgefällige Art ihres Gebrauches nicht dieſen 
unsermänftigen Gefchöpfen als folchen.“ 

Bei ber Durchlefung des L Abſchnittes, mo ber Verf. 
die Bethaͤtigung der drift. Gefinnung in der Richtung 
auf Get und auf bic Kirche, als bic unmitielbare Stell, 

,, lm behendelt, ſchien es une, d¶ß see gui 


» 


Moral. 819 


geweien, wenn er bie Pflichten gegen Gott, αἵδ᾽ ben. "Drei; 
einigen, noch mehr betont hätte, wie dies Stapf (in feiner 
Moral 1841. 2. 9. im $. 136, 137 unb 188) gethan. 
— 9tüglid) ift hier bie Bemerkung des Berf. für die Seel» 
lerger (S. 293), daß Innocenz XL die Theſe conbemnirt 
bat: „Absolutionis capax est homo quantumvis laboret 
imorantia mysteriorum fidei et etiamsi per negligentiam 
elium  culpabilem nesciat mysterium sanctissimae Trinitatis 
ei incarnationis Domini nostri. — Schön macht ber Verf. 
ferner auf die verfchiedenen Stufen des Gebete& (8. 170), 
wie fe ble δ. Therefia dargeſtellt hat, aufmerffam. Dies 
höhere geiftige religiöfe Leben, wäre allerdings für uns 
fete Zeit, wo man rein nur in die Außenwelt vertieft ift, 
behergigungswerth. — Doch am meiften inftructiv hat bet 
Berf. bie Lehre über das Verhalten des Chriften in Abſicht 
auf die Saframente der Euchariftie und Buße durchge⸗ 
führt. Beachtenswerth ift bier für bie Seelforger bie 8 δε 
fung ber Frage (S. 428): wie oft ber Ehrift bie B. Com» 
munion empfangen folle. Nicht minder wichtig ift für fte 
ſodann audy bie Bemerkung des Verf. in Betreff ber. Stage: 
ob die Einthaltung von der Bommunion ben Steubefebrten 
als Buß⸗ unb Befferungsmittel aufzuerlegen fei. Er fagt 
€. 429: „Gewiß ift das feine Buße, die den Sünder des 
nothwendigen Mittels“ (ber Communion) „beraubt, im 
Stande ber Buße zu verharren. Man will, daß der Büßer 
über feine böfen Gewohnheiten, über die eingemurzelien 
fündhaften Neigungen und über alle Beinde feined Heiles 
Regen folle, und entfernt ihn doch von ber Quelle ber 
Onaben ;. mitten unter ben heißeften Kämpfen eniwaffnet 
wan ihn unb gerade in dem Zeitpuntte, wo feine Kräfte 
am meiften Gefahr laufen, wieder zu erliegen, entzieht man 


820 Martin, 


ihm das Brod, das beftimmt ift, dieſelben aufzufriſchen 
und neu zu befeben.“ Doch weit mehr Auffchlüffe für bie 
Praris werden die Seelforger noch in ber Lehre vom Ga; 
framente der Buße finden, wo ber Verf. mit Nüdficht auf 
die Entfcheidungen der Goncilien von Trient, Florenz, 
fowie von ber IV. 2ateranjonobe jene Punkte befprochen 
bat, worin bie Moral und Paftoral fich berühren. Zum 
Delege verweife id) auf G. 436, 446, 452, 453, 454, 
456, 463. Was die Bethätigung ber chriftl. Gefinnung 
in Bezug auf die Kirche betrifft, fo hat ber Serf. (Ὁ. 471) 
trefflich hervorgehoben, daß der Chrift auch im Geifle des 
Kirchenjahres leben müfle. | 

Kurz wollen wir nun noch angeben, wie er bie Pflichten 
des Gbriften gegen fid) {εἴ unb den Nächften abzuleiten 
unb zu gliedern fudjt. Er fagt ©. 525: „In ber Ber 
tjátigung ber chriftl. Gefinnung gegen fid) felbft beftebt 
bie wahre thätige Selbflliebe ; in ber Bethätigung ter chrifil. 
Gefinnung gegen die Mitmenfchen auf Erben und die Seelen 
im Fegefeuer beftcht die wahre Nachſtenliebe“ Daher 
felit er folgende 9tubrifen auf: 1. „Sorge für das eigene 
wie ba6 fremde leibliche Leben und für alle Bedingungen 
des leiblichen Lebens, bod) in linterotbnung des Leibes 
und ber leiblichen Güter unter. die Seele. 2. Sorge für 
bie Seele und alle Kräfte der Seele, der eigenen, wie der 
meines Mitmenfchen, doch in Unterorbnung der Seele unter 
Bott. 3. Bethätigung der Liebe gegen bie. Seelen. im Fe⸗ 
gefeuer.“ Zum Schluffe fügt er Hinzu: die Sorialpflichten 
(in der gamile und im Staate). Bor biefen behandelt er 
bie Grunbbebingungen des gefellfchaftlichen Verkehrs übers 
haupt: 41. Wahrfcheinlichfeit und Treue, 2. Glauben unb 


Moral, 321 


fBerirauem in. Beziehung auf den gefellfchaftlichen Verkeht 
"ber Menfchen unter einander. 3. Halten auf Ehre unb 
guten Namen ;“ fo wie: „die Gorge für das gefellfchafts 
liche Wirken ober für eine angemeffene Berufsthätigfeit.“ 
Was aber die Anficht des Verf. über einige Zeit 
fragen betrifft, ald: Warum ed nothwendig fei, daß ber 
Menſch perfönliches Gigentbum befige? fo ftimmt er der 
Meinung des b. Thomas bei (S. 565). Dann: in der 
Trage über ben Urfprung des Staates, verwirft er bie So; 
cialtheorie, welche er mit vieler Gründlichfeit (S. 667—669) 
widerlegt. Wir haben fonach beiläufig einen Blick in den 
Inhalt des Werkes vom Hrn. 9Berfaffer gewonnen. Wir 
eriehen hieraus, daß das Eigenthümliche feiner Begrüns 
dung ber Sittenvorfchriften hauptfächlich darin beftebt, daß 
er biebei nicht bloß auf bie Ausſprüche der 5. Schrift 
und der Vernunft, fondern aud) auf die Entfcheidungen 
der Concilien, der PBäpfte, auf bie wiflenfchaftliche Tradi⸗ 
tion der Moral, auf bie Lehren ber Väter unb ber Scho⸗ 
faftifer (im befferen Sinne) Rüdficht nimmt. Es ift fomit 
diefes Moralwerf ein febr. inftructives, ba der Verf. in 
demfelben aud) viele cafuiftifche Fragen entfchieden und ihm 
ale Anhang eine Sammlung ber firdjlid conbemnitten 
Moralfäpe beigefügt bat, welche nicht bloß für die Wiflens — 
(daft, fondern auch für bie Praxis nothwendig unb nüglich 
ift. Es enthält diefes Lehrbuch ohne Zweifel bie Zuſam⸗ 
menftelung des Wiffenswürbigften aus ber chriftfatholiichen 
Moral, welche fo zum überfichtlichen Studium für Akade⸗ 
mifer fich treffend eignet. Da es uns fcheint, daß fid 
gegen das Werk des Hrn. SSerfafferá nur Rügen von fehr 
geringer Bedeutung erheben laſſen; fo glauben wir daß 
Theol. Quartalſqhrift. 1850. IL Heft, :21 


322 Deutinge 


ſelbes im Gebiete der theologiſchen Literatur gewiß εἰπὲ 
febr. ehrenvolle Stelle einnehmen wird. 


Dr. Zukrigl. 


nn ee A 


2. 


Die älteren Matrikeln des Bistums Sreyſtng. Heraus⸗ 
gegeben von Dr. Martin v. Beutinger, Dompropft in 
München. Zweiter Band. München 1849. Verlag ber 
erzbifchöffichen Oxbinartats- Kanzlei. 617 ΘΟ. Subferip« 
tionspreis geb. 2 fl. 42 fr. | 
Diefer Band enthält die zweite Hälfte ber Schmidt, 

ſchen Matrifel, oder Vol. IH. bis Vol. V. des Manuferipts 

in Folio. G8 find bier bie Landderanate Aibling, Dorfen, 

Dachau, Gindifofen, Ginzelhofen, Gráfing, Hirtelbach, 

Snfofen, 9tameréborf, Schwaben, Tölz, mit ihren Pfar⸗ 

reien und Beneficien auf dieſelbe Weife befchrieben, wie 

in der Anzeige des erflen Bandes ©. 541 ff. der Quartals 
fhrift vom vorigen Jahre angegeben ift; bie Decanate 

Warngau, Wafferburg und Rottenbuch folgen im dritten 

Dand. Als bie größten Decanate erfcheinen Ginzelhofen 

mit 24 und Hirtelbah mit 26 Pfarreien, bie Fleinften 

Stottenbud) mit adt und Schwaben mit fleben Pfarreien, 

wobei jedoch zu bemerken ift, was fihon a. Ὁ. ©. 543 

angeführt wurbe, taf eine Menge Bilialfirchen regelmäßigen 

ober mit andern wechfelnden Gottesbienft" mit eigenen 

Prieftern haben. Die dem Umfange nad) größte Pfarrei 

der Erzdiöcefe München und Breyfing ift Velden im Des 

canate Dorfen. Sie bat 19 Filialfirchen, in derer mehrern 
das erwähnte DVerhältniß ftattfindet, zu welchem Zwecke 


Matrikeln. 308 


ber Pfarrer aud) brei Gorporatoren zu halten verpflichtet‘ 
if. Die fleinflen nach ber Seelenzahl find bie Bfarreien 
Dbers Marbach mit 50, Poigenberg mit 76, Wenigmündyen 
mit 98 Gommunicanten. 

Die in ber Schmibt’fchen Matrifel dargeftellte Gin; 
tbeilung ber Decanate und Pfarreien hat felt dem Jahr 
1749 mandyerlei Wbänderungen erlitten, welche in den 
Roten überall angegeben find. So machte die Größe ein» 
zelner Decanate und die Errichtung neuer Pfarreien bie 
Bildung neuer Decanate nothwendig, wie aus bem Des 
canat Aibling das neugebilbete Decanat Rofenheim abges 
fchieden wurde, aus bem Decanate Dorfen wurden zwei 
Decanate gebildet: Dorfen und Belden; aus dem Decanate 
Hirtelbach die Decanate: Sittenbach und Scheyern. Rod) 
bedeutender war die Vermehrung der Pfarreien, fie wurde 
nothwendig durch bie große Menge von Bilialfirchen mit 
eigener Paftoration, nod) mehr nach der Aufhebung bet 
Stifte und Kiöfter, wo bie bis dahin incorporirten 
Pfarreien neu organifirt, und andere ganz neu gegründet 
werben mußten. Diefe Veränderungen hatten zur Folge, 
baf einzelne Pfarreien andern Decanaten zugetheilt, auch 
wohl benachbarten Diöcefen, Augsburg und Regensburg, 
{εἴ auswärtigen wie Salzburg und Briren überlaffen 
wurden, | 

Für bie geiftige Bildung der Breifing’fchen Geiftlich- 
feit bietet bie vorliegende Matrifel zwei bemerfenswerthe 
Grídeinungen bar, eine in ber Altern unb eine in ber 
neuern Zeit; jene beftebt in der anfehnlichen Zahl gras 
duirter Herren, gicentiaten und Doctoren nicht nur ber 
Theologie, fondern in gleichem Berhäftniffe auch beider 
Rechte und der Pbilofophie, und dies nicht fowohl in 

| 21% 


324 Deutinger,” Süáttife[n. 


ben Reiben des höhern Klerus, two man εὖ cher erwarten 
fonnte, ald in jenen der Euratgeiftlichfeit ; biefe zählte im 
Decanate Freifingen 5, im Decanate Münden 10, im 
Decanate Landshut 8, und aud) in ben übrigen Deca⸗ 
naten durchſchnittlich 9 bis 3 graduirte Pfarrer und Bes 
neficiaten. Diefe für ben iwiffenfdjaftliden Sinn der 
baierifchen Geiftlichfeit in jener früfern Zeit zeugende 
Erfcheinung erflärt fih wohl daraus, daß die Theologen 
ihre Studien weniger auf Lycaͤen als auf ber Univerſitaͤt 
machten, welche ihrem wiflenfchaftlichen Streben mehr als 
ein Gebiet auffchloß. Was aus ber neuern Zeit bier eine 
Erwähnung verdient, ift die anfehnliche Zahl hiſtoriſch⸗ 
ftatiftifcher Einzeln» Befchreibungen (Monographien) von 
ganzen Decanaten und einzelnen Pfarreien, welche fich in 
biftorifchen Sammlungen oder in Schriften von Privaten 
gebrudt vorfinden, ober handfchriftlid bel bem Ordinariat 
vorliegen, und worauf in ben Noten verwiefen wird. Diefe 
in mehr a(8 einer Hinſicht verdienftlichen Arbeiten gehören 
wohl mit zu den Früchten der durch Maichelbed und Wes 
ftenrieber zuerft angeregten Diftorifen Studien in Baiern, 
welche neben ben befannten Forſchungen über bie baierifche 
Urgefchichte mancher fleißigen Geiftiden auf foldhe Orts⸗ 
und Bezirfö-Befchreibungen geführt haben. 

Was Referent in der Anzeige des erftien Bands bin: 
fihtlich der Parochialverhältniffe αἱ bemerfenswerth Seite 
541 ff. auégefoben hat, das fommt natürlich in biefem - 
zweiten Bande alles wieder, manchmal im verftärkten 
Maße vor. Referent will nur ein - Beifpiel anführen, 
Zehentbezüge betreffend. Die Pfarrei Egmating im Decanat 
Schwaben hat 7 Filiale (mit Kapellen); in biefen Orten 
zuſammen theilen (id) mit bem Pfarrer nicht weniger als 





Brandes, ber Papft als Fuͤrſt. 825 


24 Mitzehenter in ben. Zehnten, welche Zahl δερτεί 
wird, wenn man liedt, bag darunter mehrere privat; 
Perfonen begriffen find, und bie Theilung nach Höfen, 
ſelbſt nad) einzelnen Aeckern geſchah. Wie verbrießlidy- 
mußte ein folcher Bezug fein ? 

Drey. 


3, 


Ber Papſt als Sürfl des Kirchenflants. Ein Hiftorifch- 
politifcher Verſuch von P. Karl Brandes, O. S. B, 
Profeffor ber Sefchichte unb des Kirchenrechts. Einflebeln, 
1849, Drud und Verlag von Gebrüber K. u. N. Benziger. 
VIII. und 62 ©. Preis 18 ἔν. 

Sn bem Vorworte bemerft der Verfaſſer, daß feine 
Cdrift aus mehrern Auffägen in dem hiſtoriſch⸗kirchlichen 
Mochenblatte: dem Pilger, hervorgegangen ift, indem bei 
ber Bearbeitung jener Aufläge bie hohe Bedeutung bes 
Gegenftandes fid ihm noch lebendiger vergegenwärtigte, 
und fo habe, was dort nur theilweife ausgeführt oder 
auch nur angedeutet werden fonnte, hier eine weitere Bes 
fprehung gefunden. Da jebod) ber wichtige Gegenftanb 
auch bier keineswegs erfchöpft werben fonnte, fo läßt ber 
fBerfaffer bie Abitcht durchbliden, bei größerer Stufe das 
Snftitut der päpftlihen Eouveränetät in allen Epochen 
feines Beftandes zu beleuchten, unb bie Gefege zu er 
foríden, nach denen bei gegebenen Veränderungen der polis 
tiichen BVerhältniffe in Europa, aud darin eine llmges 
Raltung erfolgen. fónnte. 

In ber vorliegenden Schrift wirb bie weltliche Sou⸗ 

veraͤnetaͤt des Papſtes nur in zwei Beziehungen beſprochen, 


326 o3 Brandes, 


nämlich in Beziehung auf ihre Bedeutung ober ihre 
moralifche Nothwendigfeit und politifche Berechtigung, und 
in Beziehung auf die gefhichtlihe Gntftebung und 
Bildung des Kirchenſtaats. Borangefchidt find Bes 
merfungen über ven politifchen Charakter beffelben; ber 
Verfaſſer macht nämlich gleich Andern, welche fid) über 
bie obfchwebende Frage oͤffentlich haben vernehmen laffen, 
darauf aufmerffam, daß biefe tage völlig verfchieden fel 
von der Frage ber Firchlichen Euprematie des Papftes; 
biefe iff von dem Stifter ber Kirche felbft gegründet, ber 
Kirchenftaat nicht, in der Verwaltung des Firchlichen Pri⸗ 
mats hat das Papſtthum höhere SBerbeifungen, in ber 
Berwaltung feines weltlichen Ländergebiets hat es feine; 
darum war biefe Verwaltung von jeher benfefGen Gebrechen 
und llebe[ftánben audgefept wie andere Staaten, barum 
bedurfte fie wie andere Regierungen von Zeit zu Zelt 
beffernder Nachhilfe und Reformen, unb Bius IX. unters 
nahm es, foche nothwendig gewordene Reformen durchzu⸗ 
führen, übrigens im völligften Ginberftánbniffe mit ben 
andern europäifchen Sürften, worauf er fid) in feiner Als 
Iocution vom 28. April 1848 ausprüdlich beruft. Der 
fBerfaffer zeigt fofort, wie biefer Reformen ungeachtet e$ 
einer zwar Kleinen, aber thätigen und verwegenen Umſturz⸗ 
partei gelingen fonnte, bie größere aber paflive Mehrheit 
ber Bevölkerung, namentlich bie Sugenb zur offenen Res 
volution fortzureißen. 

Ueber die Bedeutung der weltlichen Souveränetät 
des PBapftes und feines Sitzes in Rom bemerkt der Ber 
faffer zuerft, daß bie fatbotifd)e Kirche beffelben mit wefents 
licher Nothwendigkeit nicht bebürfe, da ber Bapft nicht bet 
politiſche, fondern ber moralifche und geiftige Mittelpunkt 


der Papſt als δυτῇ. 327 


ber Kirche ift, biefer aber ebenfo gut in Gaeta, in Mars 
jorfa, in Philadelphia oder Peking liegen fónnte, wie zu 
Rom, daher wenn auch bie Römer in Abfall unb Uns 
glauben verfinfen würden, der Papſt (nicht wie der Bers 
faffer fid) ausdrückt, Bifchof von Rom in partibus infidelium 
bleiben, ber Papft ift nie ein blofer Titularbifchof) dann 
Bifchof derjenigen Stadt heißen würde, in welcher er 
feinen bleibenden Wohnſitz nehmen würde: ubi Petrus, ibi 
Roma. Dennoch aber. habe e8 ber göttliche Gründer und 
Lenker feiner heiligen Kirche fo gefügt, bag fein irdifcher 
Stellvertreter, ber oberfte Hirte feiner Qeerbe, in Rom 
ein Haus und in ber Petersfirche einen Altar, und im 
Batifan einen Thron fand, ber durch feine mäßige Macht 
feinen andern Herrfcher beunruhigen, feinen. in Verfuchung 
führen fonnte, barnad) zu gelüften, dennoch aber hinreichte, 
um dem höchften Richter und Oberhaupt der Goriftenbeit 
eine freie und unabhängige Stellung zu gewähren. Rad 
biefer einleitenden Bemerkung entwidelt der Verfaſſer bie 
inneren und äußeren Gründe für bie Entftehung unb den . 
hiſtoriſchen Beftand ber weltlichen Herrfchaft der Päpfte. 
Den erften Grund, ber infofern Fein Grund ift, weil 
das Rothwendige fid) feld begründet, findet er in ber 
biftorifchen Nothwendigfeit, mit welcher fi bie weltliche 
Souveränetät der Päpfte bildete. Durch drei Sabrbum 
berte vor allen andern Bifchöfen der Verfolgung ausgefegt 
(dreißig Bäpfte farben ale Märtyrer), in den naͤchſtfol⸗ 
genden Zeiten in alle kirchlichen Bewegungen, bald aud) in 
bie politifchen Angelegenheiten Roms und Italiens hinein» 
gezogen, wurden fie allmälig Landeöherren, ohne daran 
zu denken, one εὖ zu wollen, und man fann fagen, tro 
ihres drei Jahrhunderte langen SOiberftrebené. Ihre zeit 


328 ' Brandes , 


liche Souveränetät ift daher wie das Walten der göttlichen 
Fürfehung gerechtfertigt in. fid). felbft. 

Der zweite Grund der morali(djen Nothwendigkeit 
liegt darin, daß der Papſt in ſeiner weltlichen Souveraͤnetaͤt 
gegen den Andrang und Einfluß der übrigen Souveräne 
eine zeitliche Gewähr und äußere Sicherheit nöthig hatte, 
um fo durch feine perfönliche Unabhängigkeit auch die Uns 
abhängigfeit des Gewiſſens aller Gläubigen wahren, und 
Allen eine fichere Freiftätte bieten zu koͤnnen. Und biefer 
durch feine Inabhängigkeit bedingten Freiheit bedurfte ber 
Papſt, nicht nur um für fid felbft frei zu fein, er mußte 
auch nad Außen in Jedermanns Augen frei und unabs 
hängig erfcheinen, um moͤgliches Mißtrauen und bars 
aus entftehenden Ungehorfam der Gläubigen, Entzweiung 
der chriftlichen Nationen und partielle Schismen zu vers 
hüten; biefen Grund hebt Pius IX. in feiner Proteftation 
befonders hervor, indem er fagt: unter den Gründen, bie 
und zu der Entfernung aus Rom bewogen haben, ift bet» 
jenige der wichtigfte, daß wir bie volle Freiheit in Aus⸗ 
übung der Gewaltfülle des heiligen Stuhles bewahren, 
indem εὖ unter den gegenwärtigen Umſtaͤnden dem fatbos 
liſchen Erdfreife (deinen fónnte, als [εἰ biefelbe nicht mehr 
voll und frei in unferen Händen. 

Aber der Papft muß in feinem Land, in feiner Stadt 
ebenfo frei und unabhängig fein, wie er dies nach Außen 
fein muß; zwar muß er feinerfeitd als weltlicher Fuͤrſt fein 
Land fo regieren, daß die Inftitutionen, bie er ihm gibt, 
burd) eine gewifle patriarchalifche Weisheit das reine Vers 
hältniß des Regierenden zu den Regierten ausbrüden; 
aber dagegen follen auch feine Unterthanen ihn nicht in 
der freien Ausübung feines erhabenen Amtes ftören ober 





bet Papft als Fürſt. 329 


beirren, denn εὖ ijt Har, daß wenn ber Bapft in feinen 
Staaten Gewalt (eben. müßte, wenn ber tolle Eigenfinn 
ber Menge oder bie vermegenen Anfchläge einer überfrechen 
Partei ihn unter ihr tyrannifches Joch zu zwingen vers 
möchten, bie Ruhe und Sicherheit ber ganzen Kirche ges 
ftért und aufs tieffte erfchüttert werben müßte Zum 
Schluß erinnert der Verfaffer daran, wie ber Leichtfinn 
und Hochmuth der Römer gegen den Papft jedesmal die 
Urfache der Zerrüttung und Berddung von Rom felbft 
geworden, bie Könige aber, die fid) am Gefalbten des 
Herrn vergriffen, ihren eigenen Thron erfchättert und ums 
geftoßen haben, wogegen bie jüngften Gewaltthaten ber 
Römer ein allgemeines Sntereffe und eine allgemeine Theils 
nahme für ben Bapft hervorgerufen haben, zum beutlichen 
Beweife, bag ber Kirchenftaat ein univerfales, ein euros 
päifches, ein Fatholifches Suftitut if. Unſere gefer werben 
hieraus entnehmen, dad P. Brandes nach Dupanloup 
gearbeitet, wie er aud) bie befräftigenden Zeugnifle von 
Thiers und Dupin derfelben Quelle entnommen hat. 
Ausführlicher und felbftftändiger hat er ben zweiten 
Bunft, die gefchichtlihe Gntítebung unb Bil- 
bung bes Kirchenftaats behandelt, obwohl auch bier bie 
von Dupanloup nur furg gezeichneten Hauptgedanken zu 
©runde liegen. Hr. Brandes unterfcheidet in ber Bildungs 
Gefchichte des Kirchenftaats adit Zeitftufen. Die erften 
Spuren der weltlichen Unabhängigfeit der Paͤpſte findet er 
in den Folgen ber Thatfache, daß Gonftantin den Si 
feiner Regierung nad) Byzanz verlegte, und damit Rom 
gewiflermaßen dem oberften Lenker. ver Kirche überließ, 
woburd) bie Päpfte in bie Lage famen, baf fte die von 
den erften chriftlichen Kaiſern den Biſchoͤfen überlaffene 


80 Brandes, 


Berwaltung vieler bürgerlicher Verhaͤltniſſe nicht nur in 
einem größern Umfange führen, fonbern auch bel ber zu⸗ 
nehmenden Schwäche des Kaiſerthums in den folgenden 
Zeiten der Völkerwanderung durch ihr Anfehen und bie 
großen Befigungen ber römifchen Kirche das bebrángte 
— SRo(f fohügen konnten; wovon ale das erfte Beifpiel bie 
freilich noch immer Fägliche Begünftigung angeführt wirt, 
dag Marich nad) der Eroberung Roms wenigftens der 
Kirchen und ber darein Geflüchteten fchonte. 

Sn den folgenden vier Nummern wird ausgeführt, 
was bie Päpfte bis auf Gregor IL für Rom und Stalien 
getban; und welchen politifchen Einfluß ihnen bie Zeitums 
ftände verfchafft haben; zuerſt wie Leo Ὁ, Gr. in der un 
günftigften age des babinfinfenben römifchen Weftreiches, 
ald Wetius mit dem Reſte des Heeres nod) in Gallien 
ftand, burdj den Ginbrud feiner Berfönlichfeit und feiner 
Würde den Hunnenfürften Attila beflimmt, nach ben 
untern Donaugegenden zurüdzufehren, und baburd) Rom 
vor dem Schidfal Aquileias und Stalien vor den Set; 
müftungen bewahrt, welche Gallien dur ihn erfahren 
hatte. Minder erfolgreich aber barum nicht minder aners 
fennungswerth waren bie Beftrebungen der Bäpfte e 
lagius L, PVigilius und Johann IIL für die Stadt Rom 
während ihrer SBebrdngung dur Totila. Ausgezeichnet 
erfcheint aber in biefer Beziehung Gregor ber Große; biefet 
Papſt, von beffen Sorgfalt für bae Wohl ber Kirche, für 
die chriftliche Bildung und Erziehung feine Schriften unb 
befonders feine Briefe Zeugniß geben, fand in feinem 
reichen Geifte die Mittel, auch für das leibliche Wohl 
feiner Mitmenfchen, für die Sicherheit und ben grieben . 
Staliens zu forgen; er gab Borfchriften für bie Bewirth⸗ 





der Papft als Fürfl, 331 - 


fhaftung der Patrimonialgüter der Kirche wie feiner 
eigenen, für bie Regierung der Provinz, für die Befeftis 
gung unb Vertheidigung ber Städte, denen er SBroviant, 
Magiftrate, fefbft Militärtommandanten fchidte, und ihnen 
bie gemeſſenſten Befehle ertheilte, und endlich als die gries 
chiſchen Saifer weder den Krieg nachdruͤcklich führen, noch 
Wriebe fchließen wollten, unterhandelte er felbft mit Aigilulf 
einen Separatfrieden für fid) unb bie römifchen SBefigungen. 
Go erſchien er als Mittelpunkt der Regierung und Ordner 
aller politifchen Verhaͤltniſſe in san ohne Jemands 
-Einfprache. 
Während ber Periode ber monotheletiſchen Haͤndel 
und der Bilderſtuͤrmerei nahm die Sorge für die geſunde 
Lehre unb die Abwehr der befpotifen Eingriffe der by» 
zantinifehen Kaifer in das Firchliche Gebiet bie ganze Thäs 
tigfeit der Paͤpſte in Anfpruch, mittlerweile hatte aber in 
Stalien die Macht der Longobarden mehr und mehr um 
fid gegriffen, und bebrobte Rom felbft mit den Ver⸗ 
gewältigungen, wie früher die Oftgothen fie geübt hatten. 
Da nun von den Kaifern Feinerlei Hilfe mebr zu erwarten 
war, wandte fid) PBapft Gregor IIl. an den fränfifchen 
Major-domus Karl Martell, welcher ihm auch durch eigene 
Boten feinen Schug zufagen ließ, von einem Feldzug aber 
nach Stalien durch andere Staatsrädfichten abgehalten wurde; 
bod) trug dies dazu bei, daß König Quitprand fid) bes 
wegen ließ, vier der bedeutendften Städte des ducatus ro- 
manus (Romagna) dem Papſte Zacharias zurüdzugeben. 
Eben biefer, von ben Bewohnern des Erarchats, in welches 
Zuitprand eingebrochen war, um Hilfe unb 9Bermittefung 
angegangen, bewirkte, bag der König ihm das Gebiet von 
Ravenna und Gefena in gleicher Weife wie bie vier Städte 


332 , Brandes, 


ber Romagna überließ. In allen diefen Berhältniffen 
handelten die Päpfte felbfiftändig, ohne Auftrag von Seite 
ber Kaifer, mit dem Vertrauen der Völker bechrt, und 
als Auctorität von den Yürften anerkannt. 

G6 mag babingeftelit fein, ob man darin fdjon eine 
volftändige Souveränetät ber Päpfte erbliden könne ober 
nicht; jedenfalls bildeten dieſe Verhältniffe eine fer bes 
deutfame Grundlage dazu, und rafcher drängten fid bie 
Greigniffe von nun an der Entfcheidung entgegen, durch 
welche jene Souveränetät förmlich ausgefprochen werben 
follte. König Rachis, ber neue Einfälle in das päpftliche 
Gebiet gemacht hatte, gab zwar auf bie perfönliche Vor⸗ 
ſtellung des Papftes das Eroberte zurüd, aber nicht fo 
Aiftulph, der das Erarchat mit der Hauptſtadt Ravenna 
neuerdings weggenommen hätte. Da alle Vorſtellungen 
des Papftes Stephan IL wirfungslos blieben, war biefer 
gensthigt, fid) an Pipin, nunmehr König der Franken, zu 
wenden, und begab fid), von diefem burch eine befonbere 
Gefandtfchaft eingeladen, im November 753 felbft nad) 
Sranfreí, wo er über den Winter blieb; im Srühjahr 
zog Pipin mit einem Kriegsheer über bie Alpen, und 
würde wohl jebt fion bie Macht der Songobarben gänzs 
lich gebrochen haben, wenn nicht der Papſt zur Milde ges 
ſtimmt hätte, er begnügte fid daher mit einem Vergleiche, 
in welchem Aiftulpb und feine Genoffen eidlich verfprachen, 
Rom und die Umgegend nicht ferner beunrubigen, und 
die widerrechtlich genommenen Städte herausgeben zu 
wollen. Aber Aiſtulph biet nichts von Allem, 204. viels 
mehr im folgenden Jahre felbit gegen Rom, welches er 
drei Monate lang belagerte; der Bapft fab fih zum 
jweitenmale genótbigt, die Hilfe ver Franken anzurufen, 


der Papft alb Für, 333. 


die aber feiner ungeltigen Kachficht wegen diesmal nicht 
fo bereitwillig erfolgte, er mußte breimal bitten. Doc 
erfchien Pipin im S. 756 mit feinen Sranfen , fchlug bie 
Longobarden gänzlich und zwang fte, alle von ihnen wider⸗ 
rechtlich in Befig genommenen Städte, einundzwanzig an 
der Zahl, in feine Hände zu überliefern, bie er bann an 
den Papſt zurüdgab; Died ift bie berühmte Pipinifche 
Schenkung, woburd) bie biöherige factiſche Souveränetät 
des Papftes einen juriftifchen Charakter erhielt, unb ber 
Kirchenftaat eigentlich gegründet wurde. Die fortgefegten 
Umgriffe und Ränfe Dietrichs (aud) Defiverius genannt) 
nöthigten endlich den Papſt Hadrian fid) an Karl b. Gr. 
. zu wenden, woelder in einem Feldzuge bem Reiche ber 
Longobarben ein Ende machte, bei feinem feierlichen Ems» 
pfange in Rom die Schenfungsurfunde feines Vaters fid) 
vorlefen ließ, unb fie nicht nur beftätigte, fonberm aud 
noch neue Befihungen, unter andern das Herzogthum 
Spoleto hinzufügte. 

Died als furyr Auszug aus ber Biftorifden Dars 
flelung des SBerfafferó, worin man ben Sprofeffor bet 
Gefchichte erfennt. Wiewohl nad) der ausgefprochenen 
Abſicht mehr ein Grundriß als eine erfchöpfende Darftels 
fung, ift doch das Gegebene reich an Details unb Nebens 
umftänden der $auptbegebenbeiten, anziehend durch bie 
Charakterſchilderungen der Päpfte, welche zur Begründung 
ber weltlihen Souveränetät beigetragen, wie auch ber 
gothifchen, Iongobardifchen und fränfifchen Könige, welche 
in biefer Gefchichte fid) einen Namen gemacht; aud) an 
biftorifchen Reflerionen fehlt εὖ geeigneten Ortes nicht. 
Bei der Earen und lebendigen. Darftelung überficht man 
es gern, wenn hie und ba die Farben etwas flarf aufges 


334. ἜΝ Neander, 

tragen ſind, ſo z. B. kann die Verwuͤſtung, welche Alarich 
in Rom angerichtet — S. 16 — nicht ſo vollſtaͤndig ge⸗ 
weſen ſein, wenn die Gothen unter Teja noch vollbringen 
konnten, was S. 25 erzählt wird; ebenſo wenn S. 30 
geſagt wird, was die Longobarden aus Rom gemacht 
haben würden, wenn Gregor I. nicht geweſen wäre, — 
einen Schutthaufen wie Ninive oder Sibeben.. 


Drey. 


4. 


Antignoftihus, Geifl des Gertullienuo und Einleitung in 
deffen Schriften. Eine Monographie als Beitrag zur 
Gefchichte der Glaubens⸗ unb Sittenlehre In den erften 
Jahrhunderten von Dr. Auguff Beander. Zweite, zum 
Theil umgearbeitete Auflage. Berlin‘, Ferd. Dümmier’s 
Buchhandlung 1849. ΧΙ. u. 467 ©. Groß Octav, 
Pr. 4 ff. 6 fr. 

G6 find jegt gerade 25 Jahre verfloffen, feit 9teanber 
bie erfte Auflage feines Antignoftifus veröffentlichte"), unb 
tro des berühmten Namens Neander waren doch nod 
immer Gremplare vorhanden; ein Beweis, wie befchränft 
bei monographifchen Werken der Preis — ich will nicht 
fagen der Leſer, aber bod) der Käufer ift. Ein befonderer, 
für bie firchenhiftorifche Wiſſenſchaft leider ungünftiger Um⸗ 
ftand, veranlaßte biefe neue Auflage. Neander, jegt 61 Jahre 
alt, leidet nämlich feit längerer Zeit fo febr an ben Augen, 


1) Eine Kecenfion jener erfien Auflage findet ſich fchon im Jahr⸗ 
nt der Quartalſchrift, €. 646 — 604, aus ber Beber des fel. 


— 





Zertaltten. 385. 


daß er fein großes Werk über allgemeine Kirchengeſchichte 
nicht mit ber gewünfchten 9tüftigfeit fortfegen, feit 1845 
feinen neuen Band mehr davon liefern konnte. Sie geht 
jest in 10 Theilen oder 5 Bänden bis Papft Bonifaz VIIL 


(S. 1300). Unter ſolchen Umſtänden wandte Neander 


feine Aufmerkſamkeit auf die Vervollkommnung feiner 
älteren Werke, was er mit Hülfe frember Mugen leichter 
vollbringen fonnte, und fo erhielten wir denn neue Aufs 
lagen feiner Monographien über St. Bernhard, über 
Ehryfoftomus und jet über Tertullian. Die Anlage des 
Ganzen ift biefelbe geblieben. Die febr kurze Einleitung 
gibt a) den Ctreitpuntt Tertulians im Allgemeinen 
und beffen BVerhäftniß zu den vorherrſchenden Geiftess 
richtungen feiner Zeit in febr bündiger Weife an, unb 
liefert darauf b) eine Furge Weberficht der Lebensgefchichte 
Tertullians. Sofort zerfällt das eigentliche Corpus des 
Werks in 3 Abfchnitte. Sm erften Abfchnitte CS. 15—135) 
werben bie apologetifchen und verwandten Schriften 
Tertuflians, b. i. alfe jene, weldye fi auf den Verkehr 


ber Chriften mit ben Heiden beziehen, kurz charakterifirt,. 


und Auszüge daraus in deuticher Leberfegung oder Par 
tapbrafe gegeben. Diefer Abſchnitt ſelbſt aber zerfälit 
wieder in 2 Unterabtheilungen, deren Scheivepunft Ter⸗ 
tullians llebertritt zum Montanismus bildet, fo bag in ber 
erften Anterabtheilung dig apofogetifben Schriften Ter⸗ 
tullians aus feiner vgrmontaniften Zeit, in ber zmeiten 
bie feiner montaniftifchen Periode befprochen werben. Die 
gleiche Zweitheifigfeit zieht fid) aud) burd) die beiden ans 
dern Abfchnitte hindurch. Handelt barum der zweite größere 
Abfchnitt (€. 185—308) von jenen Schriften Sertulliane, 
weiche fih auf Gegenfünbe des chriſtlichen und 


- 


898 - Neander, 


kirchlichen Lebens unb ber firdengudt bejichen; 
fo hat hievon die erſte Unterabtheilung in specie die vor⸗ 
montaniftiíden, die zweite bie montaniftifchen 
Schriften tiefer Kategorie zum Gegenftanbe, Der britte 
Abſchnitt enbíid) (S. 308—463) ift ben bogmatt(den 
unb bogmatifdspolemifden Werken Tertullians zus 
gewiefen, unb es werden biefe wiederum in vormontas 
niftifche und montaniftifche abgetbeift. Den Schluß des 
Ganzen bildet ein Ereurs über ben legten Theil der Schrift 
adversus Judaeos. Schon Semmler hatte auf die ver 
bächtige Befchaffenheit dieſes Stüds aufmerkſam gemacht, 
Neander aber führt jest den wohl nicht umjuftürgenben 
Beweis, daß Tertullian das fraglihe Bud im Anfange 
des neunten Gapiteld nad) ben Worten incipiamus igitur 
probare nativitatem Christi a prophelis esse nunliatam unb 
nach Anführung der Stelle aus Iſaias 7, 13 (f., burd 
irgend einen Zufall unvollendet gelaffen und den ange 
fünbigten Beweis aus ben Propheten nicht mehr geführt 
habe. Ein fpäterer Verehrer Tertullians nun fand, baf 
in befjen Werf adv. Marcionem, Lib. IIL eine ähnliche Ber 
weisführung geliefert fei, und benügte nun biefe zur €t» 
gänzung des Bruchſtücks adv. Judaeos, ohne zu bebenfen, 
bag, was gegen Marcion paßte, nicht auch gegen bie 
Juden gepaft hätte, unb bie Einwürfe, welche Tertullian 
dem Marcion in den Mund legt, unmöglich auch von ben 
Juden hätten erhoben werben fónnen. So ift denn ber 
Schluß des Buchs adv. Judaeos allerdings tertullianiſch; 
aber aus einer andern Schrift Tertullians entlehnt und 
bier unpaflend angeflift. 

Das obenberührte Augenleiden Neanders erklärt εὖ 
wohl, wenn das vorliegende Werk in biefer neuen Auflage 











Tertulilan. 394 


nicht jene durchgreifende Umgeſtaltung erfahren Kat, beren 
es wohl bebürftig gewefen wäre. So bereitwillig wir 
nämlich das viele Schöne im Antignoftitus anerkennen, 
und namentlich eine ganze Reihe actftooller Gedanken unb 
trefflicher Bemerfungen unverkennbar bari entbeden, fo 
müffen wir bod) behaupten , bag das Buch nicht bas ift, 
was man unter einer Monographie gewöhnlich erwartet. 
Bor Allem ift bie Lebensgefchichte Tertullians gar 
zu compenbids ausgefallen, namentlich tjt fein SBerbáltnif 
wu den Montaniften, und befonbers zur Partei ber Set 
tullianiften nicht befprochen und bie Frage, ob er 
fpäter zur Kirche zurüdgefehrt fel oder nicht, ne minimo 
berührt worden. Weiterhin find von ben einzelnen Schriften 
Tertullians wohl einzelne Stellen mitgetheilt, aber es ift 
nicht von jebem Buche, wie man wänfchen muß, der Blan, 
oder Grundriß, bie ganze Anlage und Gompofition anges 
- geben worden. Was mitgetheilt wird, find nur Stag: 
mente, während nad) unferer Meinung ein fortlaufenver 
zufammenhängender Auszug hätte gegeben werben follen. 

Roch mehr vermifien wir ble Erörterung ber fritifchen, 
biforifchen und Einleitungsfragen, über Aechtheir, Zwei - 
und Abfaffungszeit eines Buches, über fein Berhältniß 
jt andern Schriften Tertullians u. f, vo. Um in concreto 
ju reden, wollen wir beifpielßweife den Apologeticus in’s 
Auge fafen. Neander beftimmt Seite 58 bie Abfaffung 
biefer berühmten Schrift nur ganz im Allgemeinen ohne 
irgend ein näheres und beftimmteres chronologifches Datum 
anzugeben. Und bod) läßt fid bier bie Abfaffungszeit 
ohne gar große Schwierigfeiten ermitteln, wie bereits von 
Mehreren, von uns aber ausführlich in ber Quartalfchrift, 
Jahrgang 1838, S. 62—82 verſucht worden ift, — Eine 

Sil. Dxartalfärift. 1850. 11. Heft. 22 


995 Sunt, - 

zweite Gage, bie fib in’ Betreff des Apologotieus bàn 
fetbft aufmirít, betrifft deſſen Werhältniß zu ben zwei 
SBüdjern ad naliónes. Neander aber befchränft fich bier 
auf bie wenigen Worte: „Er hatte zuerſt eine an bie 
Heiden überhaupt, nicht befonberó an die Obrigkeiten ger 
richtete, nicht für einen offiziellen Zwed beftiunmte Apologie 
geſchrieben, feine zwei Bücher ad nationes, welche nicht 
ohne üde auf und gekommen find.“ Sd) bin nun zwar 
auch ber Anficht, daß bie Vermuthung, der Apologelicus 
fet fpáter, aíó die 2 Bücher ad nationes, die größere 
Wahrfcheinlichkeit babe; wer aber mit biefem Dingen be 
fannt ift, weiß, daß auch bie entgegengefegte Hypotheſe 
verfchiedene Gründe für (id) aufbringt, und es ift wohl 
nicht zu zweifeln, Daß eine Monographie über Set» 
tullian der Unterfuchung diefer Streitfrage fid) gar nicht 
entziehen fann. Ganz anders als Neander ift. Hier. 9e 
Roursy verfahren, der in feiner berühmten. Dissertatio in 
Tertulliani Apologeticum alle Eritifchen, hiſtoriſchen, chro⸗ 
nologifchen und ähnliche Fragen, welde hier auftauchen 
koͤnnen 1.., forgfältig unterfucht bat. — Gewiß erwartet 
tian weiterhin von jeder Monographie eines Kirchenvaterd, 
daß fie fi aud) über bie Aechtheit der einzelnen ihm 
sugefchriebenen Werke ausfpreche, die Achten vertheibige, 
bie undchten zuruͤckweiſe. Bon allem dem aber finden 
wir in ber vorliegenden Schrift wieder nichts, ben Greurt 
über den Schluß des Buchs adv. Judaeos allein abge 
rechnet. Neander führt nach und nach alle ächten Schriften 
Tertulllans auf, fpridt aber nie ein Wort über ihre 
Uechtheit, und berührt bie unterfchobenen mit feiner Silbe, 
Sd) fagte, er führe jene Süder nad) unb nad) auf, 
b. b. er gibt nirgends, und e6 iſt dieß gewiß wieber ein 


" wi 





Mangel, eimen eigentfichen Ucberblick über bie geſammte 
ſchriftſtelleriſche Thaͤtigkeit Tertulliane. Wie fehlerhaft εὖ 
aber fei, daß et fid) gar nicht mit Fritifchen ragen bes 
faßte, geht aus folgendem Beifpiel hervor. Das Buch 
de oratione war viele hundert Sabre unvollftändig, bis 
Muratori in einem fogenannten Ambrofianifchen (Mais 
fánber) Gober bie 10 [egten Capitel entbedte. Mit biefem 
Zuwachs erfchien bie Schrift zuerft in ber Gemmler (den 
Gefammtausgabe der Werfe Tertullians, während dieſe 
10 Gaypitel nod) in. ber Ausgabe des Rigaltius, alfo ges 
sade in ber berühmteften Ausgabe Tertullians fehlen. 
Reander nun hebt auch aus biefen Legtern Gapiteln mehrere 
Stellen in Ueberfegung aus, aber er verfchweigt es gänzlich, 
daß alle alten Editionen biefe Schlußcapitel nicht befäßen 
und wer fie entbedt Habe und bgL, fo daß eim Beſitzer 
der. Rigaltiana, wenn er Neander’s Buch liest, gar nicht 
begreifen . fant, woher benn Lepterer diefe Gapitel ge⸗ 
nommen babe. Heißt dieß in bie Lektüre ber Schriften 
Zertullians einleiten? Wollte aber Neander feinem auf 
dem Titelblatt. gegebenen Berfprechen: „Einleitung in 
deffen Schriften“ nadfommen, fo mußte er weiterhin 
ben Lefer aud) mit bem vorhandenen Gobiceó, mit beu 
befieren Ausgaben, Commentarien und lleberfegumgen ber 
fannt machen. Alles dieſes gefchieht fonft in den Sono 
grapbien, und muß darin gefchehen. Endlich flebt εὖ 
einer Monographie febr gut an, wenn fie eine Anzahl 
der ſchwierigſten Stellen des Autors aufhellt, unb bei 
Tertullians wäre bief nun doppelt am fB(age gewefen, ba 
bei ihm ohnehin ber Ausdruck báufig höchft dunkel und 
zudem noch ber Gert ber Handichriften oft Frank ig. 
9teanber. bat :eudy in ber That in diefer Beziehung Einiges 
229. — 


840 Meander, 

geleiſtet; aber unendlich mehr wäre zu thun übrig ger 
blieben, unb bie und ba fdeint e$ fogar, als habe er bie 
ſchwierigſten Stellen abfichtlih in feiner lleberfegung ober 
Baraphrafe vermieden. PBrächtig 4. B. und eine Haupts 
"elle im Apologetifus Sertullianó ift bie Ironie, womit 
er (Kapitel 2) bie Ungerechtigkeit. in bem Gerichtsver⸗ 
fahren gegen bie Chriften geißelt. „Andern Berbrechen,“ 
fagt er), „laßt ihr nachfpüren, bei den Chriften dagegen 
. gilt feit Trajan. das Gefeg: man darf fie nicht. auffuchen, 
werben fie aber angezeigt, ſo müflen fie geftraft werben. 
Wie fann man aber das aufammenreimen, daß die Chriften 
Verbrecher feien und doch nicht aufgefucht werden follen ? 
Gerner, wenn ihr einen Verbrecher eingefangen habt, fo 
foltert ihr ihn fo lange, bis er geftebt. Habt ihr aber 
einen Chriften eingezogen, wie ift es bann? Wenn er 
(áugnet, fo laßt ihr ihn frei; wenn er aber geftebt, fo 
fpannet ihr ihn auf bie Folter und wendet alle Quals 
mittel an, damit er ja läugnen foll. Euer Berfahren 
gegen bie Chriften ift alfo gerade ber Gegenfag zu eurem 
gewöhnlichen Gerichtöverfahren. Aber, benf' ich wohl, 
ihr wollt eben nicht, daß wir zu Grunde gehen, wenn 
ihr uns aud) für noch fo fchlimm haltet.“ Er fährt bann 
in diefer Ironie alfo fort: „wenn ihr einen Mörder ge 
fangen habt, fo fagt ihr wohl auch zu ihm (wie zu 
den Ehriften): [dugne, unb einen Tempelfchänder faffet 
ifr wohl foltern, wenn er fortfahren will, einzugeftehen. 
Wenn ihr aber gegen biefe Schuldige nicht alfo vers 
fahrt, fo müßet ihr unà für febr unfchuldig halten, ba 
ihr nicht wollt, daß wir bei unferem Belenntniß blei⸗ 





1) Wie geben Hier muc feine Gedanken, nit feine Worte. 














Tertullian, 341 


ben 1... — Diefe fchöne Argumentation ift aber in ben ^ 
Editionen durch einen Fleinen Terteöfehler im letzten Cage 
ganz verunftaltet. Es heißt nämlich überall in den Aus⸗ 
gaben: Si non ita agilis circa sos nocentes, ergo nos in- 
nocentissimos judicatis etc. Durch jenes erfte nos ift bie 
Stelle finnío8 geworden; man darf aber dafür nur hos 
lefen, fo ift das volle Verſtändniß des Sapes wieder fer» 
geftellt; hos unb nos aber kann in ben alten, fomobl 
Uncials als Minuffelhandfchriften leichteftend verwechſelt 
werben, Ä 

So gibt ἐδ noch unzählige Stellen bei Tertullian, 
deren 9fufbelfung und Berichtigung einer Monographie 
febr wohl angeftanden wäre; aber Neander Bat nur, um 
bie Sache mit einem Worte zu fagen, biefe wie die meiften 
anderen Schwiertgfeiten, welche auf feinem Wege lagen, 
geradezu umgangen, unb weniger die Bedürfniffe der Ges 
lehrten, ‚ald etwaige Wünſche des gebildeten Publikums 
überhaupt im Auge gehabt. Der wiffenfchaftliche Theologe 
jedoch, und jeder der (id) gründlich mit patriftifchen Studien 
befchäftigt, wäre ihm gewiß banféar geweſen, wenn er ftatt 
feiner vielen polemifd)en Ercurfe gegen die katholiſche 
Kirche ebenfoviele gelebrte Ercurfe über bie Schriften 
Tertullians hätte geben wollen. Nicht felten hat 9teanber | 
in feiner Polemik fogar mit Winbmühlen gefämpft unb 
Streiche geführt, welche nicht uns, fonbern nur die Luft 
treffen fonnten.. Auf S. 18 3. B. rüfmt er ed an Sete 
tullian, bag er „von jener fchwärmerifchen Verehrung des 
Märtyrerthums frei gewefen fei, welche in den SBefeunetn 
(beſſer: in ben Märtsrern) nicht mehr bie ber Sünde nod) 
unterworfenen ſchwachen Menfchen fehen ließ.“ Ein Theo⸗ 
lege wie Neander follte aber toiffen , daß bie Kirche ntes. 


342 Neander, 


mals einen Märtyrer für fündlos gehalten, fo wenig, 
als fie je einen Brofeffor für irrthumslos hielt. — 
Henn Neander weiterhin bie Bhrafe, bie fatholifche Kirche 
fel ans einer Vermifchung bes alts und neuteftamentlichen 
Standpunttes entftanben, mit fo fichtlicher Vorliebe wiebers 
bolt, fo genügt uns Biegegen bie Bemerfung, daß die 
iteratio feine probatio fei, und εὖ wäre ficherlich überflüffig, 
wenn wir hundertmal Bewiefenes heute abermal beweifen 
wollten. Die proteftantifchen Antinomiften freilich haben 
alles Altteftamentliche, auch bie zehn Gebote Gottes, aus 
bem neuen Bunde eliminiren wollen; auf eine fo rabifale 
Ausmerzung alles Altteftamentlichen aber macht allerdings 
bie Fatholifche Kirche feinen Anfpruh. Ramentlich wiffen 
wir auch, daß im alten Bunde und feinen Einrichtungen 
der neue Bund mit feinen Snftitutionen prdformirt, und 
wie in einem Prototyp voraus angedeutet worben fei, fo 
daß das altteftamentliche SBrieftertbum allerdings ein Bors 
bild des neuteftamentfidyen war, nicht aber , wie Neanber 
meint, in der chriſtlichen Kirche urfprünglid) fein eigentlis 
des Sprieftertbum beftand, und ſolches erft fpäter durch 
Mißverftand und Gopirung des Judenthums eingeführt 
wurde. Gerade Tertullian ift für uns entfchiedener Zeuge, 
unb widerfpricht durchaus der Behauptung Reanbers 
(S. 99), daß urfprünglich alle Ehriften bie heiligen anb: 
lungen (e8 ift vom Df. Abenpmahl die Rede) zu vollziehen 
fähig fein folften. Im Gegenfa& zu diefer unbiftorifchen 
Behauptung äußert fi Tertullian fo, wie fid) heute nod 
jeder Katholit äußern muß: naͤmlich de corona c. 3 fagt 
er: eucharistiae sacramentum — nec de aliorum manu, 
quam praesidentium sumimus; b. b. „die hi. Euchariſtie 
empfangen wir nur aus ber Qanb ber Kirchenvorſteher.“ 


Italien. 343 


Bon der Taufe bagegen- behauptet er (de beptigmo c. 17) 
ale: dandi quidem habet jus summus sacerdos, qui esl 
episcopus; deinde presbyteri ac diaconi, non tamen sine 
episcopi auctoritate . . .; alioquim etiam laicis jus est; 
b. 5. im Nothfall dürfen aud) bie Laien taufen, aber ber 
"ordentliche Adminiftrator des Saframents ift der Bifchof 
und mit deflen Erlaubniß bie PBriefter und Diafonen. — 
Wie Tertullian bier die Fatholifche Kirchenordnung bezeugt, 
fo thut er εὖ noch an gar vielen anderen Stellen; aber ftatt 
darauf. zu fehen, wie oft unb mie ftarf Tertullian gegen 
den Proteftantismus proteftire, fucht Neander ängftlich ein 
paar Aeußerungen aufammen, und tbut ihnen alle Gewalt 
an, um zu zeigen, baf es [don zu Zertulliand Zeit Leute 
gegeben habe, welche nur bie Sihrift, nicht auch ble Sta: 
bition hätten gelten laſſen wollen. 

Zum Schluffe wollen wir noch auf einen Punkt aufs 
merlſam machen, wo 9teanber bem alten Tertullian offenbar 
unrecht getban hat, ©. 92 fagt Neander: „Er (Zertuls 
lian) ſtellt den Grundfag auf: „„Was nicht ausprüdlich 
erlaubt worden in der bI. Schrift, ift verboten.“ ine 
Art zu fchließen, von ber fi freilich auch andere Beiſpiele 
bei Tertullian finden.“ — 9teanber weist dabei auf das 
Buch de corona c. 2 bin; allein er hat bier den Autor 
firherlich mißverftanden. Tertullian wollte nicht zugeben, 
bag ein Ehrift einen Blumenkranz — nad heidnifcher 
Sitte — auf dem Haupte trage, Dagegen wurde ihm 
eingewenbei: „wo ἰβ es denn in ber bi. Schrift verboten, 
einen Kranz aufzufegen ?“ Tertullian entgegnet: dem 
Gage, es [εἰ alles erlaubt, was die Schrift nicht aus⸗ 
drücklich verbietet, könne man mit eben fo viel Recht ben 
Gap enigegenhalten; es if alles verboten, was pie Schrift 


344 Bähring, 
nicht ausbrüdtich erlaubt. Er (doigt fomit bier den Begner 
mit der gleichen Waffe, aber. keineswegs behauptet er für 
fi und als feine eigene Meinung jenen Gat, ben Neander 
auf feine Rechnung fchreibt. : | 

Hefele. 


$. 


Chomas von fiemprn, der Prediger der Aachfolge Chriſti. 
Nach feinem äußeren und inneren. Leben dargeftellt von 
fernharb Bühring. Berlin, bei Hermann Schulge, 
1849. XII und 392 ©. gr. 8. Preis 1!/ Thlr. 


Hr. Bähring hat für die vorliegende Schrift einen Stoff 
gewählt, welcher einer herrlichen Behandlung und Bearbeitung 
fähig war. Unftreitig ift ja wohl Thomas von Kempen bie 
fehönfte und reinfte Erfcheinung unter den Myſtikern des 
Mittelalters, wie die Gefellfchaft ber Clerici vitae communis, 
denen er feine Bildung und Geiftesrichtung verbanft, viels 
leicht bie lieblichſte und anziehendſte afcetifche Genoſſenſchaft 
jener Jahrhunderte ift. lino beide, biefe Genoffenfchaft 
unb jener einzelne große Mann find ber Gegenftand des 
vorliegenden Werkes. Etifter ber Clerici vitae communis 
wurde Gerhard Groot aus Deventer in Dbergffel (in 
Holland), geboren 1340, Als der Sohn eines febr ans 


geſehenen Bürgers ftublerte er zu Paris und Góln, wurde 


an jener Univerfität Magifter, trat dagegen an diefer {εἰδῇ 
als Lehrer auf und erhielt bald mehrere eintráglidye Pfruͤn⸗ 
den. Aber wie die meiften reichen Weltgeiftlichen jener 
Zeit führte aud) Groot ein ziemlich weltliches Leben. Als 


Thomas von Kempen. 345 


er jedoch εἰπῇ einem Schaufpiele beimohnte, richtete ein 
Unbefannter bie ernften Worte an ihn: „was ftebft bu 
bier auf eite Dinge aufmerffam? Du ſollſt ein auberer 
Menſch werben.“ Und was ber linbefannte begonnen, 
feste ein Jugendfreund Groot’8, Heinrich von Kalkar, 
jest Prior der Karthauſe Moͤnchhauſen bei Arnheim in 
Geldern, weiter fort. Auf feine Ermahnungen bin befchloß 
nun root, ein ganz anderes Leben anzufangen, gab feine 
Bräbenden auf und verfchloß (i in bie genannte Karthaufe, 
um alle Uebungen biefes ftrengften aller Moͤnchsorden zu 
theilen. Da jedoch fein Körper zu ſchwaͤchlich dazu war, 
mußte er nad) drei Jahren wieder austreten und erbielt 
nun vom Bifchofe von Utrecht bie Grlaubnif, als Bredi« 
ger in der ganzen Diöcefe umberzureifen, unb von Station 
zu Station innere Mifftonen zu halten. Er war bamalé 
Diafonus, und blieb e8 auch; denn feine hohe Achtung 
vor der priefterlichen Würde hielt ihn ſtets von Erlangung 
derfelben zurüd. 

Im Jahre 1378 unternahm er feine Reife nad) Paris 
und durch Brabant, und Iernte bier im Ganonifat Grüns 
that bei Brüflel den berühmten Myſtiker Ruysbroef, Prior 
dafelbft, fennen. Die Ordnung, welche berfelbe in feinem 
Klofter Cregulirter Chorherrn vom bf. Auguftin) eingeführt 
fatte, geftel ihm über bie Maßen, fo daß er etwas Achns 
liches felber zu gründen beſchloß. Nach feiner Rückkehr 
errichtete er nun vorerft in feiner Vaterſtadt Deventer ein 
Shwefternhaus für fromme und fittfame Mädchen, eine 
Art Beguinage, wie ‘ed damals in den Niederlanden faft 
gabifofe gab. Außerdem verfammelte er aber aud) junge 
Glerifer und andere Studierende um fich, um fte unter feiner 
Aufficht zu befchäftigen und das SBerberben ber Welt von 


346 Baͤhring, 


tönen ferne zu halten. Das Gleiche thaten einige feine 
gleichgefinnten Freunde, namentlich Floörentius Rabe 
win (Rabewin’s Eohn) aus Leerbam, der fein Ganonitet 
an ber St. SBeterfirde zu Utrecht mit einer SBifarfteffe zu 
Deventer vertaufchte, um ganz in ber Nähe Giroot'é. [eben 
zu fönnen. Auch Sobann Binferinf und Johannes Gironbe; 
zwei ausgezeichnete Geiftliche, gehörten zu biefem Bunde. 
Aber erft nach einigen Jahren wagten (le εὖ auf den Bars 
ſchlag beó Glotentius, bie gemeinfame Lebensweife unter 
fi einzuführen, ohne eigentliche Mönche werben zu wollen, 
(root fürchtete wegen biefer Neuerung und diefes Halb« 
mönchthums die Angriffe der eigentlichen Mönche, und fie 
blieben aud) nicht aus; aber Florentius beftegte feine Bes 
benfen und das erfte Fraterhaus entftand nun zu Des 
genter. Doch nicht lange, fo ahmten auch andere Städte 
diefe Einrichtung nad) und erhielten Gofonien aus Deven⸗ 
ter, fo daß in Bälde nicht blos bie Niederländer, fonbetn 
auch faft alle bedeutenden Städte Deutſchlands, zuerk 
Cöln, Münfter und Wefel, Zraterhäufer der Cleriei vitae 
communis hatten. Ohne durch Gelübde gebunden zu fein 
lebten. dieſe Cleriker, theils Briefter, theils Diakonen, nad 
einer Art mönchifcher Regel freiwillig in gemeinfamen 
Häufern, um fid) felbft gegenfeitig geiftig zu heben und 


- wm anbererfeitö zugleich auch jüngere Glerifer und Stu⸗ 


dierende chriftlih zu erziehen. Auch diefe ihre Zöglinge 
nahmen fie, wo möglich, in das Fraterhaus auf, war dies 
aber nicht zureichend, fo wurden fie in der Stadt bei ben 
sechtichaffenften Bürgern oft 8 bis 10 in einem Haufe 
untergebracht. Sie befischten die gewöhnliche Gelehrten» 
fehule der Stadt, wenn bie Brüder nicht eine eigene errichtet 
hatten; aber auch im erfteren Salle. fianden dieſe frommen 





Thomas von Kempen, 847 


Baͤter mit ber Schule in ber engften Bezlehung, und fud: 
ten überall ble Lehrer und Rektoren für ihre ſchoͤnen Plane 
zu gewinnen unb fich zu Freunden zu machen. Was neben 
ben Schulftunden an Zeit übrig blieb, mußten ble 3óg» 
finge unferer G(erifer bei biefen felbft zubringen; Arbeit, 
Gebet und Kirchenbefuch werhfelten miteinander abs befon« 
ders beichäftigten fid) Alle, die Väter und bie 30g? 
linge, mit Bücherabfchreiben, um dadurch bie nöthigen 
@ummen für bie vita communis herbeizufchaffen. Am aller 
meiften aber nüste den Zöglingen das gute Beifpiel ber 
Brüder, ihre unaffeftirte Demuth, evangelifche Armuth, 
innige Srómmigfeit und innerliche Chriftlichkeit,, ſo daß 
fie ein wahres Salz für den Weltelerus wurden, aber auch 
auf den Moͤnchsſtand fegendreich einmirften. Während 
nämlich viele ihrer Zöglinge fpäter als Weltgeiftliche zum 
Theil febr bedeutende Stellen einnahmen, 3. B. Nicolaus 
von Guía, Gabriel Biel u. A., wöünfchten Andere fido in 
bie eigentlich -Flöfterliche Stille zurüdzuziehen, und bam 
auch für fie geforgt werde, hatten ble Brüder eine Anzahl 
Klöfter, regulirte Ganonifate bes hi. Auguftin, theils ets 
tichtet, theild reformirt, worin ein befferer Geift, ftrengere 
Zucht und größere Froͤmmigkeit berrfchte. Das erfte biefet 
neuen Ganonifate war das zu Windesheim bei Zwoll 
in Oberyſſel, fortan der Mittelpunft ber fogenannten Wins 
besheimer Gongrtegation regulirter Ehorherrn, welche 
fió über die Niederlande und einen großen Theil ven 
Rorvdeutfehland erftredte. . Schon im Jahr 1398 aber 
wurde in ber Nähe von Windesheim auf dem St. S gne 
tenberge bei Zwoll ein zweites folches Ganonifat ges 
gründet, unb bier verweilte Thomas yon Kempen . über 
drei Viertheile feines Lebene, ^ qe eg 


348 Bahring, 


Thomas Hamerken (Malleolus) wurde im Jahre 
1380, alſo um die Zeit, wo Groot den erſten Grund zur 
Brüderſchaft des gemeinſamen Lebens legte, in dem chur⸗ 
eoͤlniſchen Städtchen Kempen, einige Meilen unterhalb 
Góoín, von duͤrftigen Eltern geboren. Er hatte noch zwei 
Brüder, Zohannes und Gobelinus, welche beide ebenfalls 
bei ben Clerikern des gemeinfchaftlichen Lebens ihre Bildung 
erhalten hatten. Der ältere, Johannes, war bereit6 Gas 
sonifué in Windesheim, und mit feiner Empfehlung fam 
nun ‚Thomas (1393), αἰ ein Knabe noch, nach Deventer 
zu Bater Florentius. Diefer nahm ihn unter feine Zoͤg⸗ 
linge auf, gab ihn zugleich in bie Stabtfchule, in Wohs 
nung aber in ein frommes bürgerliche Haus, wo Thomas 
6 Jahre zubrachte, bis er im "ten. in ba8 Braterhaus 
felbft aufgenommen werden konnte. Im Jahre -1400 aber 
trat er, nachdem er mit Vater Slorentiuó feinen Beruf 
gründlich erforfcht batte, in das Klofter auf bem Agnetens 
berge ein, unb lebte Bier nicht weniger als 71 Jahre, bis 
er im Sabre 1471 in einem Alter von 91 Jahren verfchieb. 
Sein dufereó Leben war ſtill und geräufchlos, und 
verlief ohne alle Merkwuͤrdigkeit; deſto reicher war aber 
fein inneres Leben, und nicht nur unter feinen Zeits 
genoffen haben (id Hunderte an feinem reichen unb tiefen 
Geiſte erbaut und neu belebt; er hat vielmehr burd) alle 
Jahrhunderte fortgewirft und Taufende und Hunderttaus 
jende fchöpfen fortwährend aus feinen herrlichen Schriften 
Stabrung für Herz und Gemüth. Seine ſaͤmmtlichen Werte 
füllen in ber beften Ausgabe des Sefuiten Sommalius 
(Antwerpen 1600. 1607. 1615, neu von @ufebius 
Amort beforgt, (δίῃ 1728) einen Quartband, find fämmts 
lich Inteinifch gefchrieben und zerfallen in vier Kategorien: 


Thomas yon Kempen. 948 


a. Reden: 30 Reben an bie Novizen, neun an bie 
Brüder, und 36 Reben allgemeinen Inhalts; 

b. &raftate: bie vier Bücher von der Rachfolge 
Ehrifti, das Selbftgefpräch der Seele, das 9tofen; 
-gärtlein, das Lilienthal, der Traktat von ben 
drei Hütten ber Armuth, Demuth und Geduld, 
von ber Zucht der Klofterleute, von bem treuen 
Haushalter, bie Heerberge der Armen, ein Ge; 
fpräch ber Novizen, geiftliche Uebumgen, Lehrbuch 
für Sünglinge, das Büchlein von ber wahren 
Serfnirfdung des Herzens, von ber VINE 
unb vom Stillfchweigen ; 

c. Gedichte, namentlidy über das Leben eines "- 
$Rónd$; - 

d. Biographien: des Gerhard Groot, Florentius 
Radewin, der übrigen älteften Mitglieder ber 
Bruderfchaft, auch ber heil. Jungfrau Lidwigis 
ober Lidwina. 

Ein Anhang enthält nod) 6 Briefe und einige geift- 
liche Lieber. Außerdem fchrieb aber Thomas auch ein 
Chronicon Monasterii S. Agnetis, welches Heribert Rosweyd 
t. 3. 1615 zu Antwerpen bruden, ließ. Am berühmteften 
unter allen Schriften unferes Thomas ift übrigens bekannt⸗ 
[ld) fein goldenes Werk von ber Nachfolge Ehrifti. Herr 
Bähring bat barum baffebe auch am weitläufigften berüd» 
ſichtigt, und aud) bie Frage über den Verfafler von Neuem 
in Unterfuchung genommen. Ziemlich viele Gelehrte, bes 
fonders Srangofen wollten bie Ehre ber Autorfchaft dieſes 
Werkes dem berühmten Pariſer Kanzler Johann Charlier 
von Gerfon (t 1429) zuwenden, und ftügten fid) babel 
auf ein paar alte Handſchriften ber Nachfolge-Ehrifti, na» 


900 id iibris, 


mentlich bie ſalzburger vom Sahre 4463. . Altein - εἶπε 
ſolche vereinzelte Notiz in einer oder zwei Handſchriften 
berechtigt nod) nicht zu einem ficheren Schluffe, und auf 
ieden Kal flimmen Sprache und Geiſt des Büchlein von 
ber Nachfolge Ehrifti wenig mit ben uͤbrigen Schriften 
Berfons zufammen. — Andere wollen ben Johannes Gerfen, 
einen Abt in Stalien, über 200 Sabre älter ala Thomas 
von Kempen, für den Berfaffer erklaͤren. Derfelbe hieß 
auch Zohannes de Banabaro, und es wollen darin bie 
Einen das jegige Dorf Cavaglia bei SBercelli, bie Andern, 
namentlich der bayrifche Domherr Weigl das bapyrifche 
Dorf Rohrbach erfennen. In der Nähe von Rohrbach 
(Cana = Rohr) aber liege das Dorf Gerzen, und beide 
Ortfchaften hätten früher einem adelichen Gefchlechte gehört, 
bae fid) unter den Dttonen und Friebrichen in ber Lom⸗ 
bardei niebergelafjen, unb bem wohl auch ber Abt Johannes 
Gerſen angehört habe. Zur Begründung der Gerſen⸗ 
Hypothefe berufen ftd aber ihre Vertheidiger (aufer und 
vor Weigl befonders ber Branzofe, H. von Gregory) auf 
zwei alte Hanbdfchriften, deren eine den Johann Gerfen 
als Verfaſſer angebe, bie andere aber die Notiz enthalte, 
dag das Buch fdon lange vor 1350 eriftirt habe. Wäre . 
dem wirklich alfo, fo Tönnte freilich unfer Thomas, meldet 
erft 1380 geboren wurde, nicht ben geringften Anfpruch 
an bie Autorfchaft Haben. Aber bod) fprechen die weitaus 
wichtigeren Gründe für ihn. 1) Fürs Crfte bat fi im 
Agnetenklofter bie beftimmtefte Leberlieferung erhalten, Tho⸗ 
mas habe das Buch gefchrieben. 2) Das Agnetenklofer 
beſaß ehemals mehrere Exemplare der Nachfolge Chriſti 
von des Thomas eigener Band gefchrieben, unb baó eine 
davon befindet fü jegt μι Antwerpen, bas andere zu 


Thomas von Hempen. 951 


Löwen. Daß Thomas auf einem berfelben fb blos Ab⸗ 
fchreiber nennt, beweist wichts gegen feine. Autorſchaft, 
benn ber bemütbige Mann that dieß auch bei andern uns 
beftritten ihm angehörigen Büchern. 3) Die Zeitgenofien 
des Thomas behaupten auébrüd(id), bap et ber Verfaffer 
fei; namentlich fagen dieß a. ber gelehrte Johann von Buſch, 
welcher fängere Zeit mit Thomas in Zoll gelebt hatte, 
unb 8 Sabre nach ihm ftarb; b. der Canonikus Beter Schott 
von Straßburg, welcher in feiner 1488 veranftalteten Aus⸗ 
gabe ber Werfe Gerſons das Buch von ber Nachfolge 
Chriſti ausdrüdfich bem Gerfon abiprid)t unb bem Thomas 
guetfennt; c. ber Abt Mauburnus von Windesheim, wel; 
cher unter ben Augen des Thomas "im Agnetenklofter fein 
Geluͤbde abgelegt hatte, und ihn in mehreren Stellen feiner 
Schriften al8 Berfaffer jenes Buches nennt; d. ber große 
Prediger Bailer von Kaiferberg in Straßburg, welcher 
im feinen Predigten über Gebaftian Brandt’s Rarrenfchiff 
bafielbe Zeugniß an zwei Stellen ablegt; endlich e. ber 
gelehrte Johann von Trittenheim in feinem 1494 verfaßten 
Merle de scriptoribus ecclesiasticis. 4) Weiterhin wird 
Thomas in febr vielen andern (nicht von ihm ſelbſt bets 
tübrenben) alten Handfchriften des Werts ausdrüdlich ala 
fBerfafier bezeichnet und wenn man endlich 5) „bie Sprache, 
ben Inhalt und ben Geig des Buchs von ber Nachfolge 
Chriſti betrachtet, fo findet fich darin nicht nur nice, 
was mit den übrigen Schriften des Thomas fid) nicht zus 
fammenveimen ließe; im. Gegenteil, diefelbe mit Germas 
nisinen reichlich durchzogene Latinität, biefelbe Art, in 
ſchlagenden furgen Sentenzen zu reden, ber naͤmliche Mangel 
aller Eleganz und fchulmäßigen Beredtſamkeit, daſſelbe 
Wohlgeſallen an Anhäufung von Seis und Gegenfdgen, 


, 


an-Sifenangem und Reimen, kurz berfelbe Bau und Klang 
der Sprache, wie er in ber Nachfolge Ehrifti herrfcht, geht 
aud) durch alle Übrigen, bem Thomas von Kempen nie 
mals abgefprochenen Schriften“ (S. 193). Wie febr aber 
der Inhalt.ver Nachfolge Chriſti mit dem der übrigen 
Traftate und Reden des (eligen Thomas übereinftimme, 
zeigt Bähring ausführlich und im Einzelnen bei. Dars 
ftelung der Hauptideen und des weientlichen Inhalts aller 
Schriften unferes großen Myftifers (Kap. VI— X). 
Aus Allem fehen wir, wie anziehend ber Stoff des 
vorliegenden Werkes ift; aber leider müffen wir beifügen, 
daß bie Behandlung beffelben durch „Herrn Bähring und 
beffen ganze Manier keineswegs unferen Beifall vetbient. 
Vor Allem hat er feinen Gegenftand viel zu febr. zerrifien, 
fo taf ber Lefer bie disjecta membra ert mübfam zuſam⸗ 
menfuchen muß, um ein deutliches Bild, namentlid von 
der Entftehung und dem Berlaufe der Brüderfchaft ber 
Clerici vitae communis zu erhalten. Der zweite Haupt 
mangel aber beftebt in der — trop ber freundlichen Vor⸗ 
rede — überall burdjbredenben polemifchen Richtung bes 
Verfaſſers, bie fid) hinter allerlei pietiſtiſche Phrafen vers 
ſteckt. Dan fónnte oft glauben, einen S3rdbifanten aus 
ber Reformationszeit zu hören, ber bei feinen Schifderuns 
gen des Papſtthums unb ber alten Kirche ble Farben band» 
hoch aufzutragen gewohnt if. Schon ©: 3 leſen wir 2. B., 
das Mittelalter babe die Geligfeit nicht abhängig gemacht 
vom Glauben und der Belehrung des Herzens zu Gott, 
unb habe lafterhafte Menſchen ale Muſter der Rechtgläus 
bigfeit und Heiligkeit aufgeftellt. — Solche Sleuferungen 
fónnte man nur einem polternden Zeloten, nicht aber einem 
Gelehrten verzeihen, . :. | Hefele . 


Cheslogi (de 


Cuartalfdrift. 


Sn Verbindung mit mehreren Gelehrten 
herausgegeben 
von 
D. v». Drey, D. Anhn, D. Hefele, D. Welte 


unb 


D. Bukrigl, 


Brofefloxen ber kath. Theologie an ber. K. Univerfität fübingen. 





Sweiunbbreifigiter Jahrgang. 


Drittes Quartalheft. 


Tübingen, 1850. : 


Berlag der ὦ. Laupp ſchen Buchhandlung. 
(9aupp & Sichel.) 


I. 
Abhandlungen. 


1. 


Nachklaͤnge der Lehre vom Primat bei den 9teffo- 
rianern und Monophpfiten des Orients, 


Se mehr mit der PBeröffentlihung lange ruhender 
Handfepriften bie Bunbgruben des Orients aud) bem Theo⸗ 
logen ftd aufthun, befto mehr wächst für ibn die Pflicht, 
bie fo reichlich fid) darbietenden Schäge, welche ber Fleiß 
früherer Forſcher bei weitem nod) nicht vollftändig beniügt 
bat, für feine 9Biffenfdaft auszubeuten. Die Neftorianer 
und Monophyfiten des Drients haben uns fo zahlreiche 
Documente der Tradition aus ber Zeit vor ihrer Trens 
nung aufbewahrt, daß man allerdings ihre itteratur mit 
‚jener neuentbedten Goldregion vergleichen fann, wo man 
um fo mehr Golbfórner. findet, je mehr man im Schlamme 
wuͤhlt. Fuͤr bie Lehre vom Meßopfer, von den Sacra⸗ 
menten, von ber Verehrung. der Heiligen, vom Gebete für 
bie Verſtorbenen bieten ihre Liturgien und theologifche 
Schriften zahlreiche Belege dar. Was aber wohl das 

23 * 


356 Neftortanifche und Monophyſitiſche Zeugniſſe 


lleberrafdyenbíte auf bem Felde der morgenländifchen theos 
logifchen Litteratur feyn mag, ift, daß fid) in derfelben auch 
nicht unbedeutende Lleberbleibfel der Lehre vom Primat 
nachweifen laffen. Da diefelben bis jet noch nicht zus 
fammengeftellt worden find und bie Herausgabe neuer 
Quellen manches noch Unbenügte an den Tag gefördert 
hat, möchte e$ nicht ohne 9tugen feon, das hierüber Vor⸗ 
handene zu fammeln und Fritifch zu würdigen. 

Als minder richtig dürfte fid) fchon bie Anficht εἴς 
weifen, als hätten die Stifter jener beiden Gecten bie fuc; 
torität des Paͤbſtlichen Stuhles_ direct angegriffen. Im 
Gegentbeil, fie waren fo weit davon entfernt, daß fie ans 
fangs fid an denfelden wandten, um Beflätigung ihrer 
Behauptungen. von ihm zu erlangen. 

Neſtorius ſchrieb zuerſt und nod) ehe Cyrillus ih 
gegen ihn nad) Rom wandte zwei Briefe an Gófeftin L, 
in welchen er unter dem Vorwand über Sultan und andere 
Pelagianiſche Bifchöfe, bie nach Eonftantinopel gefommen 
waren, Auffchluß zu erhalten, gelegenheitlich auch die Sor- 
gen erwähnte, welche ihm gewiſſe Geiflesverwandte ber 
Apollinariften und der Arianer verurfachten, welche beide 
Naturen in Ehriftus vermifchten und die Jungfrau Got; 
teögebärerin nánnten 9. Göleftin, der indeflen von Cy⸗ 
rillus über den neuen Irrthum aufgeflärt worden war, 
ſchrieb an Neforius zurüd, er folle ben Spruch befolgen: 
Arzt, heile dich felbft, unb den eigenen Srrtbum beffern 3), 
Dennoch wagte es Neftorius immer nod) nicht offen zu 
widerfiehen und fuchte in einem dritten Brief Coͤleſtin gu 


1) Epp. 6. 7. inter epp. Coelestini ap. Coustant ἃ Galland, 
2) ep, 19, | 





füt den Primat. “8357 


überzeugen, daB man das Wort „Gotteögebärerin? meiden 
müffe, um nicht damit den Apoflinariften in die Hände 
zu arbeiten '), Keineswegs aber fpricht er in blefem Brief 
dem Römifchen Stuhl bie Auctorität ab, welche Cöleſtin 
laut genug in feinen Echreiben an ihn und an die Kirche 
von Gonftantinopel fi beilegte. - | i: : 

Nicht anders verfuhr Eutyches, αἷδ er von Domnus 
von Antiochien und Eufebius von Doriläum wegen feiner 
Irrthümer fid angegriffen faf. Er fchrieb an Pabft Leo 
einen Brief, worin er in allgemeinen Ausdrücken gegen 
folhe Klage führte, welche ben Syrrtbum des Neftorius 
erneuten, und erlangte in ber That von Leo ein Schreiben, 
"worin ihn diefer wegen feines Eifers belobte?). Als er 
bon der Synode des Flavian verurtheilt wurde, .berief er 
fid auf das Urtheil eo' und verfprach Das zu befolgen, 
was diefer beflimmen würde; auch fihrieb er deßfalls an 
Leo einen zweiten Brief 9), worin er vom Urtheil der Sys 
node appellirt und den Römifchen Bifchof um Entfcheidung 
der Streitfrage und um Schug für feine SBerfon anruft. 

Als nun der Bäbftliche Stuhl ben Srrtbum biefer beis _ 
den Härefiarchen verurtheilte, fchieden fie fid) zwar von 
einer Kirche ab, deren Lehre fie fid) nicht unterwerfen wol, 
ten, aber fie fcheinen deßhalb ben Primat derfelben nicht 
geradezu geläugnet zu haben; und auch ihre Anhänger 
fheinen biefe Lehre bei der Spaltung mitgenommen, und 
fo febr fie fid) auch nad) unb nach vom Gebanfen an eine 
Unterwerfung unter den Römifchen Stuhl entwöhnten, 
‚dennoch nicht alle Erinnerung an diefelbe verloren zu haben. 

1) ep. 15. ] | 

2) ep. 20. ed. Ballerin. 

3) ep. inter Leoninas 21. 


358 Neſtorianiſche und Monsphufttifche Seugniffe 


Bon einer birecten. Belämpfung der Primatialgewalt 
(diefes ift wohl vor allem feftzuftellen) findet fid) lange 
Seit nach der Trennung feine Spur. Durchgehen wir 
die Bullen Eugens IV. über bie Wiebervereinigung der 
Hegvyptifchen und Syriſchen Syacobiten, der SMetbiopen und 
Neftorianer, fo ftetit fid) durchaus nicht heraus, bag man 
fi veranlaßt gefehen hätte, ihnen, wie ben Griechen, hiers 
über eine befondere Belehrung zu ertheilen, obgleich andere 
viel unbebeutenbere Dinge befprochen werden. . 9ted läns 
aere Zeit nachher, nachdem der SDábftfide Stuhl fdyon ófs 
ter8 ihnen gegenüber feine Rechte geltend zu machen ges 
fucht hatte, finden fid) in den Berichten der Miflionäre 
und älteren €driftfteller über bie Irrthümer der Oriene 
talen binfichtlich einer irrthümlichen Anficht über ben Primat 
nur febr befchränfte ober ſchwankende Ilrtheile, obgleich 
blefe fonft fehr vorurtheilsvol und fireng in ihren Anfichten 
über bie Drientalen fid) zeigen, und felbft die Keinften 
rituellen Berfchiedenheiten hervorheben. So fagt ber Gars 
melite Thomas a Jeſu in feinem Werke de conversione 
omnium gentium procuranda, worin er alles Fruͤhere ges 
fammelt bat, von ben Sacobiten, Gopbten, Abyfiiniern 
unb Armeniern: Imprimis fere omnes non firmiter sentiunt 
de primatu Romani Pontificis. Sm benfelben ?luébrüden 
fpridbt fpeciell von ben Aethiopen ber SYefuite Alvarez in 
feiner Aethiopiſchen Gefchichte. Den Cophten wird von 
Thomas a Sefu nur vorgeworfen, fte meinten, der Pabſt 
fónne in Gíaubenéfadjen irren, wenn er gottloß fei. Den 
Georgianern wird vom Theatiner P. Avitaboli bei Gas 
lanus !) nur ber Srrtbum binfichtlich des Primats beiges 


1) Clem. Galanus Cler. reg. Conciliatio ecclesiae Armenae cum 
Romana. Bomae 1650. T. I. p. 134. 


fie ben Primat. "o" 859 


legt, er könne nur in Heineren Sachen bifpenftten u. f. w. 
Nur bei den Armeniern finde ich einen offenen, birecten 
Widerſpruch gegen den Primat. Ihre Schrififteller Bartan, 
Mehtitar und Gregor Dattierenfis haben ex professo das 
gegen gefchrieben. Allein viefer fchärfere SBiberiprud bei 
den Armeniern läßt fid) leicht daraus erklären, daß fie mehr 
in Berübßrung mit den Griechen famen unb daß bei ihnen 
früher und häufiger Bereinigungöverfüche und theilweife 
Bereinigungen ftattbatten, daher auch ver Widerfpruch mehr 
gewedt wurde; wie denn auch jene drei Schriftfteller in 
einer Zeit febten, a[8 die Armenier fif) bereit mit ber 
Romiſchen Kirche unirt und wieder von ihr getrennt hatten. 
Und ſelbſt diefe fchärfften Gegner des Primats liefern mits 
unter Zeugniffe für denfelben, indem fte ben älteren Schrifts 
ftellern der Nation das von diefen zu Gunften beffelben 
Gefagte aus althergebrachter Gewohnheit nachſprechen. 

Diefes vorausgefept, können wir einen Schritt weiter 
gehen. Die Neftorianer und Monophufiten des Drients 
Haben aud) in ihren Sammlungen ber Canones alled, was 
zur Anerkennung des Primats war feftgefegt worden, Deis . 
behalten; ihre Liturgien und ibre- theologifchen Schriften 
enthalten nicht nur alle Sätze, bie zum Beweis des Pris 
mats dienen, fondern fie fprechen aud) benfelben mehr ober 
minder fíar aus. 

Die Monophyfiten und Nefterianer des Drients legen 
häufig dem Apoftel Petrus den Titel eines Apoftelfürften, 
eines Hauptes der Kirche, eines Grundſteines des Glaus 
bens u. f. τὸ. beit). Bon welcher Ratur biefer Vorrang 

1) Lit. Alexandrim. 8. Basilii in eratione ad absolutionem ap. 


Renaud. Lit. Or. T. L p. 77. ed. Francofurt. Fragm. Aethiopicum 
Psoudoignatianum ap. Cureton, Carpug Ign. p. 238. Bibl. Or. T. I. 





* 


360 ^. Neftortanifche und Monophyſtůſche Beugniffe 


nach ihrer Anficht fei, darüber fann fein Zweifel beftehen, 
wenn wir die Art in Erwägung ziehen, wie fie bie bes 
treffenden biblifchen Stellen zu erflären und anzuwenden 
pflegen. Das Vorrecht des Apoftelfürften ift nach ihnen eine 
Stellvertretung Ehrifti auf Erben, ein oberftes Prieſterthum, 
eine Regierungsgewalt über alle Gläubige und Biſchöfe. 

Man vergleiche folgende Stelle ) aus den Gedichten 
des Neftorianifcheg Biſchofs Elias don Tinbara (um 920): 
Quaerunt erudili non ignari veritatis: cur Simonem Bar 


p. 95. Galenus, T. TIL pag. 242. Go ber ſchismatiſche Armenier Gee 
gins: Beatum Petrum apostolorum caput ac ducem fideique funda» 
mentum Christus constituit. Ueber bie Armenifchen Ouelleu glaube ἰῷ 
folgende Bemerfung beifügen zu müffen. Οὐ verfteht fih won feld, 
δαβ wir bei Anführung bet betreffenden Beweisſtücke mit der größtmägs 
fichen kritiſchen Schärfe zu Werke gehen müffen. Nur ſolche Documente 
fönnen zum Beweiſe des Satzes bienen, daß ble Serten des Orients bie 
Lehre vom Primat als eine im Vten Jahrhundert allgemein anerkannte 
bewahrt haben, welche fie entweder zur Zeit ihrer Lootrennung beides 
halten haben, ober die (falls fie einer fpäteren Zeit angehören) über der 
Verdacht erhaben find, bei irgend einer theilweifen ober zeitweiligen Wie⸗ 
dervereinigung mit Rom ſich in bie Literatur jener Bölfer eingefchlichen 
zu haben. Bei den Armeniern findet fich eben ber Sall, daß bie €djiér 
matifchen ſelbſt, die bem Primat ganz offen wieberfpradgen, dennoch iu 
igrer Liturgie mit den Mömifchen Weihen auch den Schwur bes Geor, 
fans gegen bie Mömifche Kirche beibehalten und biefem Gebrauch von 
ihrem Apoftel, dem HI. Gregor bem Wrleuchter oder vom Hl. Pabſt Gre 
got ableiten (Gal. T. III. p. 234. T. L p. 108.). Dahin gehört and) 
das Tugbtan taschans ober der Bundesbrief des P. Sylveſter und bes 
BL. Gregor, ein apocryphes Machwerk, das offenbar um bie Unabhängig 
feit des Armenifchen Patriarchen vom Eonftantinopolitanifchen zu wahren, 
wohl nach den Zeiten Gregors VIL. erfunden worben. Huch bae Bud 
Gisrrentir, eine Sammlung von Erzählungen und Qomilien der SDáter, 
und das Menologium fcheinen mir nicht ganz zuverläßig. Ich gebrauche 
daher nur Gtellen, welche Schiematifche Armenier and eigenem 
M unde fprechen, und die offenbar alte Sammlunz der Cauones. 

1) Bibl. Or. T. 3: P. 1. p. 260. : 











für den eina, ° - 361 


ἴαμα Salvator Cephem appellavit? Quum Christus ipse 


redemptor magnus sit, petra veritatis, quare ergo alterum 
Petram et caput aedificii nuncupavit? Eadem appellatione 
eodemque nomine Simonem Petrae. cognomento decoravit, 
quemadmodum Christi salvatoresque populi in lege plures 
dicli sunt, unus autem est Christus, verus idemque sal- 
vator magnus, qui caeleris tamen pro suo cuique tempore 
momen istud accomodatum dedit. Quia nimirum futurum 
erat, ul Christus, petra veritalis in coelum se reciperet, 
ibique ab humanis sese oculis absconderel, propterea vi- 
carium suum: [o Su] in terra conslituit, eumque 
Petram aedificii appellavit. Is igitur magistri dominique 
sui in terris gerit imaginem et personam [beffer: est icon 
et imago, lato 1102. ] et mediator est inter nos et 
Filium et pontifex prototypo suo similis. Et quidem sum- 
mus et magnus pontifex est Christus et nostri Patrisque 
mediator atque in coelesti Sancto Sanctorum ad dexteram 
Patris sacerdotio fungitur, Deumque cognatis suis homi- 
nibus propitiat alque noster est apud Patrem advocatus. 
Is vero elegit et constituit in terris epitropum s. procu- 
ratorem ecclesiarum [ zs. ieo:521 ] Simonem senem, 
Jenae filium, fidei fundamentum. Illum porro ex propria 
appellatione Peiram nominavit: non enim antéa Petra quis- 
quam vocabatur: ipse vero futurus erat Ecclesiae funda- 
mentum et caput aedificii. Non eum Christus salvatorem, 
suo nempe nomine appellavit, quoniam .plures fuerant in 
populo salvatores. At enim Bar Jonae potestatem 'haud- 


quaquam cessare fecit Christus, quemadmodum illorum 


potestatem abrogaverat. Sed neque Simonem Christum 
appellavit, quia plures in J uda fuerant Christi, quos Dei 


4 


362 Neſtorianiſche und Monophofliifche Zeugniſſe 


filius abstulit. Cepham vero haudquaquam cum ipsis ex- 
eidere fecit. 

In folgender Stelle!) der neuerdings herausgegebenen 
Sammlung der Banoned des Reftorinnifchen Metropoliten ' 
von Niſibis Góebjefu (E. XIIL. A. XIV. Jahrh.) find die 
genannten Stellen zwar auf bie Patriarchalgewalt anges 
wendet. Da aber derfelbe Ebedjeſu, wie wir fpäter fehen 
werben, mit dem 44ten arabifchen Canon son 9ticda bem 
Nömifchen Bifchof biefelbe Gewalt über die Patriarchen 
zugefieht, welche tiefe über bie Gläubigen und Bifchöfe 
ihrer Sprengel ausüben, fo ift diefe Stelle ganz geeignet, 
uns bie Vorftelung, welche bie Neftorianer von der Pris 
matialgewalt des Petrus und feiner Nachfolger haben, flat 
ju machen. Es war eben im Vten Jahrhumdert nod) fein 
befonderer Titel für das Kirchenoberhaupt gangbar, man 
nannte ihn Erzbifhof oder Patriarchen. Ebedjefu will 
dort zeigen, wie und wann Gbriftuó bie verſchiedenen Kirs 
chenämter felbft ausgeübt oder vorgebildet habe: Patriar- 
chatum demum, fagt er am Schluß, qui est principatus 
principatuum in eeclesia, designavit per traditionem cla- 
vium regni coelorum, quas Simoni dedit, cum principem 
apostolorum ipse Redemptor eum constituit et praesiden- 
tiam super communitatem ipsorum dedit ei verbis illis: 
Tu quoque aliquando convertere et confirma fretres tuos. 
Potestatem autem super totam communitatem eorum, qui 
instituuntur (christianorum) concessit ei in pastione agno- 
rum, ovium et ovicularum. 

Nicht minder klar brüden fid) ble Armeniſchen Mono⸗ 
phoſiten aus über bie Debeutung des Titels eines Haupies 


1) Ebedjesu Col. can. ap. À. Majum T. * nov. coll, seriptt, 
vett, 6 codd. Vaticanis p. 107. 








für den Primat. 33. 


bet Apoſtel, den fie bem Petrus beilegen. Der ſchismatifſche 
Armenier Johannes (Oradniensis) fagt in feiner Homilie 
über ben bl. Apoftel Petrus ), ber Herr babe vier ihm 
eigenthümlich zufommende Eigenfchaften bem Petrus mit» 
geteilt; das Fundament ber Kirche, das Haupt aller 
Oläubigen, der Hirt der Kirche und Richter zu feyn. Se- 
cunda, fagt er, esse caput omnium fidelium, ut idem 
testatur Apostolus, et hanc Petro dedit, cum ei dixit: Tu 
vocaberis Cephas, quod significat capul (er benft an ba 
Griechiſche κεφαλὴ), quia Petrus caput erat apostolorum, 
weicher beigegebene Grund beweift, daß er baó omnmium 
fidelium abfolut verfteht. «Und weiter unten fügt er hinzu: 
Sol significat Petrum, qui est fons luminis et caput apo» 
siolorum. Anveres Achnliche nicht zu erwähnen, das man 
bei Galanus finden fann, das ich aber nicht anzuführen 
wage, weil ich aus Mangel an kritifchen Vorarbeiten das 
Achte vom Inächten nicht ganz ficher trennen fann. 
Ebenſo gilt e$ ben Drientalen al8 ausgemachte Eache, 
daß Petrus Bifchof von Rom gewefen [εἰ ). Zwar lies 
ben e8 bie Chaldaͤiſchen Chriften aus Nationaleitelfeit das 
Babylon im zweiten Brief Petri im eigentlichen Sinne von 
bem ihrigen zu erflären ?). Allein dieſes gehört nach ife 
tem Sinn in das Antiochenifche Patriarchat des Apoftels 
fürften und es foll damit nicht geläugnet werden, daß er 
fpäter in Rom das Hirtenamt geübt habe, wie denn Ebed⸗ 
jefu ausdrüdlich bemerkt, Rom und bie umliegende Gegend 
babe bie Händeauflegung von Simon Gephas erhalten, 
der dahin von Antiochien fid) begeben habe und Lehrer 
1) Bei Galanus T. IIL p. 243. 


2) Galan. T. IIl. p. 277. 243. 
8) Bibl. Or. T. IL p. L p. 587. T. Il. P. II. n. 2 





364. Neſtorianiſche und Monophyſluͤſche Seuguiffe 


nnd Lenfer der Kirche gewefen fei, ble von ihm dort und 
in ber Umgegend gegründet worden !). Daß er al6 folder 
zu Rom des Märtyrertodes - geftorben fei, war eine im Vten 
Jahrhundert unbezweifelt angenommene Thatfache, unb blieb 
e8 auch bei den Gecten Ὁ). 

τὸς Was nun die nothwendige Folgerung aus biefen Praͤ⸗ 
miſſen iſt, daß ber Roͤmiſche Biſchof als Nachfolger des 
Petrus Inhaber des Primats ſei, dieſes findet ſich in den 
Orientaliſchen — der Canine ‚mehrfach aues 
gefprochen. . 

- Bir Tönen und deßfalls "- im | Allgemeinen auf 
den Bericht des großen Kenners Drientalifcher Denkmäler, 
Renaudot, -berufen, :der wiederholt 5) bie Thatfache- bezeugt, 
daß bie Jacobiten und Neftorianer in ihren Sammlungen 
ber Canones alle Befchlüffe beibehalten haben, bie (id) auf 
bie- Brärogativen der Römifchen Kirche begehen, und daß 


fie alle und felbft bie Muhamedaner biefen Vorrang dem. 


paͤbſtlichen Stuhle als bem Stuhle Petri zugeftehen, aber 
nur benfelben, ald ber Härefle verfallen, verabfcheuen. 
Was das Nicänifche Concil im Einzelnen angeht, fo 
behauptet zwar der Maronite Abraham Echellenfis, die 
fyrifche Verfion habe ben Beifag im Gten Ganon: Ecclesia 
Romana semper habuit primatum. Sch fann aber hierauf 
fein beſonderes Gewicht legen, indem Renaudot dieſes bes 
"ivveife(t und den SBeifag ober Titel in der alten Floren⸗ 
tinifchen Handfchrift nicht vorfanb. Höchftens, meint er, 
fónnte biefe in einigen jüngeren Handfchriften ber Vall 


1) Ebedjesu 1. c. p. 7. 
2) B. 0. T. I. p. 568. 630. - 
8) Lit. Or. T. L p. 234. 354. 





" für den. Primat. A 885 


4ebn Ὁ. Dagegen feinen die Syrier den Vorfib im Goncil 
dem Römifchen Pabſt zuzufchreiben. Johannes Maro (um 
100), nach der gewöhnlichen Anficht Monothelet, nennt in 
feiner Schrift gegen die Härefien ben Pabft Sylveſter ben 
praefectus ober princeps des Nicänifchen Concils 3). Zwar 
nennt bie hiftorifche Einleitung vor ben arabifchen Canones 
als Borfigenden ben Bifchof Alerander von Nlerandrien. 
Allein daß biefeó unbefdabet des Primats zu verftehen 
fti, geht hervor aus bem, was diefe Einleitung vorher ers 
zählt: Julius, (sic) Bifchof von Rom, habe wegen feines 
Greiſenalters dem ®oneil nicht beiwohnen fünnen, babe 
aber zwei Briefter bingefandt, ut ejus tenerent locum et 
ea, quae in concilio a consacerdotibus decernerentur con- 
firmarent 5. Sn ben Subferiptionen des Concils fteben 
auch nach. der fyrifchen vnogabe bie Römifchen Legaten 
zuerſt 9). 

Die Sammlungen der fyrifchen Syacobiten und Armes 
nier enthalten bie Ganoneó von Sardica über bie Apels 
lationen an ben Römifchen Stuhl. Der 3te Ganon des Iten 
Gonciló von Gonftantinope(, in welchem bem Bifchof von 
Byzanz ber zweite, dem Römifchen ber erfte Rang zuges 
landen wird, findet fi in den Sammlungen der efto, 
rianer, der Aleranbrinifchen und der forifden Sacobiten 
unb ber Armenier. Die Armenifhe Sammlung hat fol» 
genden Canon, ber aus dem ganzen Inhalt des Ephefinis 
ſchen Concils gezogen zu ſeyn feheint: Si quis ex eccle- 


- 4 Perpétuité de la foi, ed. Migne Tom. III. col. 1162. 


2) ap. Abr. Echell ad can. arab. Nic. Mansi Coll. Conc, T. IL. 


eol. 1072. 
3) Mansi Coll. T. IL tol. 1061. 1062. 
4) Ebedjesu ed. Maji p. 37. . 


$ 


905 Neftortanifche und Monophyſttiſche Seugnif 


* siastieis adversatus fuerit Caelestino Romano pontifici, de- 
ponatur. Sonderbarerweife hat bie Jacobitiſche Sammlung 
auch die Canones von Ehalcedon bis auf bie bogmati[den, 
ein Beweis, daß die Monophyſiten biefe Synode nicht gam 
verwarfen. Nur fehlen bei ihnen die Canones 28 und 29 
über ben Vorrang des Eonftantinopolitanifchen Patriarchen 
vor bem Alerandrinifchen" unb bem Antiochenifchen, ein Ber 
weis, daß diefe Beichlüffe wegen des Widerſpruchs von 
Rom lange Zeit im Orient für ungültig gehalten wurden !). 

Befonders bemerfenswerth find aber für unfern 3wed 
bie fogenannten Arabifchen Eanones des Ricänifchen Gon 
cil6, eine apocrppbe Ausgabe, welche bei allen Voͤlkern 
des Orients verbreitet ift, indem fie nicht nur Arabiſch, 
fondern aud Gyrifd und Aethiopiſch fid) vorfinbet, und 
den Gopbten, ben Jacobiten in Syrien, ben Aethiopen und 
ben Reftorianern als Rechtsquelle dient. Ste fdyeinen ur 
fprünglich griechifch gefchrieben worden zu fen; jedenfall 
nach dem Chalcedonenſiſchen Eoncil, von bem fie mehrere 
Stellen enthalten, und nach der Herausgabe und Verbrei⸗ 
tung des Pſeudo⸗Dionyſius, ben fie citiren, febod) nod 
zu einer Zeit, al& ber Ehrgeiz bes Bifchofs von Byzanz 

erſt dahin firebte, der zweite nach bem erften zu feyn. Im 
9ten. Jahrhundert waren fie ſchon im Orient weit verbreitet. 
Photius kennt fie fon; Pſeudo⸗Jſidor hat ihre Eriften 
von Leuten aus dem Drient erfahren und gebraucht fie 

mehrmals. Renaudot meint, unter ben Richt-Griechen Bát: 
ten fie die Melchiten zuerft angenommen, indem ber. erfte, 


1) Ueber das Einzelne fiche Renaudot, Perpétuité col. 1161 ἢ, 
Galenus T. II. p. 235. 280. 286. Beruer Careten, Corpus Ignat, 
p.342. Bibl Or. T. II. P. II. p. 378 eto 





x 


für von Vrinat. — 381 


bet fie erwaͤhne, der Melchitifche Patriarch Eutychius ven 
Alerandrien (geft. 939) fei, während ber Sacobite Severus, 
Bischof der Aſchmonin, der Zeitgenofle des Eutychius, nod 
nichts von ben vielen Canones und ber damit verbundenen 
‚Babel von 2048 Bilchöfen weiß. Bei den Neftorianern 
finden fie fid) jedoch auch fehr bald, obgleich fie allerdings 
diefelben von den Melchiten erhalten haben mögen. Sie 
‚behaupten, ber SBijdyof Maruthas von Majpherfata, ber 
aut Zeit des zweiten öcumenifchen Goncil& lebte, babe eine 
Geſchichte des Nicänums gefchrieben und 73 (Kanone 
beflelben in das Sprifche überfegt. Diefe Erzählung, weiche 
das Dafeyn ber apocryphen Canones vorauéfegt, findet 
fich Schon im 9tomocanon des Neftorianifchen Biſchofs Elias 
von Damascus (um 693) 5. Später mögen fie die ägypr 
tifchen Sacobiten angenommen haben. Sm XIIL Jahrhun⸗ 
bert waren fie aber bereits bei den Melchiten, Neftorianern, 
aͤgyptiſchen und ſyriſchen Jacobiten in vollem Anfehen, vole 
der Sacobite Ebnaffal in feiner Sammlung der Gonftitus 
tionen der Kirche von SMeranbrien auebrüdlid) berichtet *). 

Soviel geht aus dem Geſagten unzweifelhaft hervor, 
daß biefe Ganonró von den Drientalifchen Serten zu einer 
Zeit angenommen wurden, als fie unbeftritten (bon von 
ber Römifchen Kirche wegen der Lehrverfchiedenheiten über 
bie Menfchwerbung getrennt waren, daß fie alfo immer 
noch eine llebergeugung von ber göttlichen Ginjegung des 
Primats haben mußten, um dieſes Machwerk anzunehmen, 
das ben Borrang des Römifchen Viſchofs auf eine ſo ent⸗ 


sss 3 





1) B. O. T. I. p. 195. T. III. P. II. p. 74. 513, Gin Auszug 
ver Geſchichte des Pſeudomaruthas bei Gbebjefu p. 29. 

2) Ueber bie arabifchen Ganones ficbe Renaudot, deis col. 
1168 f. Abr. Ech. bei Mansi Coll. T. M. δαὶ. 1065... 





368 Neſtorianiſche und Monophyſitiſche Zeugnifie 


ſchiedene Weife ausfpricht. Diefe Erfiheinung ift alters 
dings fo auffallend, baf Abraham Echellenfis fte al& einen 
rund für bie Aechtheit diefer Canones benügen zu dürfen 
glaubte, indem, wie er fagte, die Sectirer unmöglich dieſe 
Canones erfunden haben koͤnnten, welche gegen ſie ſpraͤchen. 
Einen richtigeren Schluß glauben wir daraus gezogen zu 
haben. Fe | 
9m 37ten Canon diefer Sammlung nad) der Recens 
fion des Abraham Echellenſis heißt e8 nun, es follen ‚vier 
Patriarchen fegn, wie εὖ vier Weltgegenden unb vier Evans 
geliften gibt. Et sit princeps ac praepositus ipsis Dominus 
sedis Divi Petri Romae, sicut praeceperunt apostoli '). 
Diefer Ganon fehlt zwar in ber Ausgabe des Turrianus, 
welche überhaupt fürger ift. Allein ἐδ ijt offenbar, daß 
bie Weglaffung des Canons in ber Abficht gefchehen ift, 
alles was auf den Vorrang des Eonftantinopolitanifchen 
Patriarchen vor bem Alexanprinifchen Bezug hat, zu tilgen. 
So fehlt bie Einreihung des Epheftnifchen Biſchofs in bie 
Zahl ber Patriarchen, bie Verſetzung dieſes Patriarchal⸗ 
figes von Ephefus nach Eonftantinopel und. der Lifte Ga» 
non, worin bem Bifchof von Byzanz ber zweite Plag und 
bem von Alerandrien nur der dritte eingeräumt wird. Das 
Grempíar des Turrianus war in ber That aus ber Bis 
bliothef des Patriarchen von Alerandrien, während bie ans 
dere Ausgabe eine Melcitifche it. Daß bem Anfehen des 
Mömifchen Pabftes nichts genommen werben fol, fehen 
wir au& folgendem Canon, bem 39ften ber Ausgabe von 
' &urrían: Ille, qui tenet sedem Romae, caput est et prin- 
ceps omnium patriarcharum, quandoquidem ipse est primus 


Ἢ) Mansi 1, c. col 992, 





für den Primat. 369 


sicut Petrus, cui data est potestas in omnes principes 
Christianos et omnes populos eorum, ut qui sit vicarius 
Domini nostri super cunctos populos et universam eccle- 
siam Christianam et quicunque contradixerit a synodo ex- 
communicatur !). Derfelbe Canon findet fi in ber es 
cenfion des Abraham Echellenfis als ber d4(te in folgens 
ber form: Et quemadmodum patriarcha potestatem habet 
super subditos suos, ita quoque potestatem habet Romanus 
pontifex super universos christianitatis principes et con- 
cilia ipsorum: quoniam Christi vicarius est super redem- 
plionem, ecclesias et curatos populos ejus. Quicunque 
autem sanclioni huic contradixerit patres synodi anathe- 
mate illum percellunt ἢ. Dan wende nicht ein, baf 
Abraham Echellenſis mitunter nicht gang genau ift in fei; 
nen @itationen aus Drientalifchen Quellen. 9(ud Res 
naudot glaubte diefem Ginwanb begegnen zu müffen. Qr 
bemerkt aber aus eigener Einficht der KHandfchriften, daß 
nicht nur alles, was jener über ben Primat vorbringt, [ὦ 
darin vorfinde, fondern auch noch weit mehr ὃ. Nuch find 
wir jegt durch bie von Bardinal Majo beforgte Heraus« 
gabe fyrifcher Nomocanones in den Stand geſetzt, ſelbſt 
darüber zu urtheilen. 

Doch noch ein Bedenken bleibt zu [ófen übrig. Auch 
bie Melchiten haben die Canones, welche wir zum Beweis 
unferer Behauptung angeführt haben. Scheint es nicht, 
als ob biefe Drientalen die alten Canones blindlings ab 
ſchrieben, weil fie biefelden einmal in ben Sammlungen: 


1) Bid. col. 949. ὃ 

2) Ibid. col. 995. | 

3) Perpétuité 1. c. col. 1184. ^^- p Eu 
Theol. Duartalfgrift. 1850. Heft ΠΙ. 24 


370 Neſtorianiſche unb Monophoſiäiſche Seugnife - 


fanben und über ben Inhalt derfelben nicht viel reflectirten, 
oder benfelben fich auf irgend eine Weife erflärten? Wir 


' -gefteben gerne, daß wir bie älteren Ganones allein nicht 


für einen vollgültigen Beweis anfehen würden, obgleich 
fie zu einer vollftändigen “Darftelung der Anſichten ber 
Drientalen über den Primat nothwendig gehören. Ein 
ganz anbercó Licht werfen aber bie Arabiichen Canones 
über unfere Trage. Hier befinden fid) bie Neflorianer unb 
Monophyfiten durchaus nicht in gleichem ale mit ben 
Melchiten. Denn biefe hatten bie Canones [don vor ber 
Zrennung und behielten fie bei wie bie Armenier ihre 
Weihen und ihren Bundesbrief. Die anderen Drientalen 
nahmen fie zu einer Zeit an, ba fie bereits im Glauben 
vom Päbftlichen Stuhle getrennt waren. Sn der älteren 
ſyriſchen Eammlung befinden fie fid) nicht, wie Renaudot 
ausdrüdlich bezeugt, wie hätten fie fid) dieſes Machwerl 
gefallen laffen, wenn ber Primat, den es in fo deutlichen 
Yusdrüden ausfpricht, ihnen eine durchaus fremde Sache 
gewefen wäre: G8 ift ferner nicht richtig, daß biefe Gus 
nones bloß in Sammlungen vorfommen, worin bie Sy 
nodalbejchtüffe in hiſtoriſcher Folge wieder und wieder ab 
geichrieben werben, fondern fie finden fid) auch in Samm⸗ 
lungen, bie nach Sachordnung angelegt find, worin alío 
bie Sammler die aufzunehmenden Ganones nach eigeue 
Anficht auswählten und einreihten. Gbebjefu, der mehr 
erwähnte Neftorianifche Metropolit von Riſtbis, hat den 
3Tften !) unb ben 44ften?) Canon in feine Sammlung 


1) Tr. 9. cap. 1. ap. Majum 1. c. p. 155, — — ES 
T. II. P. IL. p. 349. 
2) Tr. 9. c. 5. Lc. p. 165. 


e ^ 








Co: für den Prima, (75 $1 


bei ber Darfielung der verfchiedenen Stufen ber Hierarchie 
aufgenommen, und zwar in ciner Waffung, bie fid) ber 
Ausgabe des Abraham. Echellenfis mehr nähert. In [ege 
terem Ganon ift ἐδ, wo cr fagt, ber Römifche Bifchof habe 
biefelbe Gewalt über alle Patriarchen, wie der Patriarch 
über feine lintergebenen, wodurch obiger 9luóbrud: „bie 
Bürften der Ehriftenheit und ihre Goncilien* von ihm Elarer 
gegeben wird. Ebenſo hat Gregorius Abulfaragius Bar 
Hebräus, Sacobitifcher Maphrian ober Catholicus des 
Jorienté im XIII. Jahrhundert, in feinem Nomocanon ben 
Ten im Auszug). Hiezu fómmt endlich, daß Gbebjefu 
wit eigenem Munde den PBrimat ausfpricht in ber Eins 
keitung nämlich zum Tractat von ben. Batriarchen, unb 
dieſes fcheint mir feinen Zweifel darüber zu laffen, in 
welcher Weife bie Canones über ben Primat von den 
Drientalen angenommen worden. Er fagt 5, εὖ feien fünf 
Patriarchate von den Apofteln eingefegt worden unb zwar 
in folchen Stäbten, bie befonders berühmt und Mutterftäbte 
gewefen: feien, nämlich in Babylon, der erften Stadt und 
Wer Qauptftabt des affyrifchen Reiche, in Alerandria, dad 
yon Alerander dem Großen erbaut worden, in Antigonig, 
das von feinem Erbauer Antigonus bdiefen und von Ans 
tiochus, ber εὖ vergrößerte, den Namen Antiohia erhalten 
habe, in Rom, das von Romulus gegründet worden, in 
Byzanz, das von Eonftantin den Namen Eonftantinopel 
belomuen. Dann fährt er fort: Et quoniam praedictis 
civitatibus non ex principatu et antiquitate solummodo pa- 
triarchalis dignitas et praerogativa accessit, sed etiam 
— — 
- 4) Cap. 7. sect. 1. ap. Majum L c. p. 39. 
. ., 9) Tr. 9. cap 1. p. 19. 

E à; 24 * 


\ 


3172 Neftorianifche und Monophyſtülſche Zeugniffe 


propter apostolum, qui in ea docuit et regem, qui in ea 
regnavit, magnae Romae data fuit (scil. praerogativa) 
propter geminas columnas in ea positas: Petrum, inquam, 
apostolorum principem et Paulum, doctorem gentium: 
ipsaque est sedes prima et caput patriarcharum. Secunda 
aulem sedes est Alexandrina, tertia est Ephesina, quarta 
est Antiochena. Reapse causa propria hujus rei est ex- 
cellentia apostolorum, qui illas sedes condidere atque re- 
xere. Man fage nicht, daß er ben Vorrang des Roͤmi⸗ 
fen Bifchofs davon ableitet, daß es bie Faiferliche Stadt 
geweien; er fagt bloß im Allgemeinen von ber Ertheilung 
der Patriarchenwürde, daß hiebei auch auf die politifche 
Bedeutung der Ctabt Rüdficht genommen worden fei und 
biefe8 ift ganz richtig, indem Bonftantinopel vorzugsweiſe 
deshalb zum Patriarchenfige gemacht wurde, und auch bie 
Apoftel bei der Wahl biefer Mutterftäpte gerade politifche 
-Mittelpunfte vorzogen, Die 9tángorbnung verfelben leitet 
er mehr von der Würde des Apofteld ab, ber den Gig 
gegründet, und beßhalb fteht hier ftatt des Gonftantinos 
politanifchen Sitzes Ephefus, das Johannes inne gehabt 
hatte, und deffen PBatriarchat nach Byzanz verfegt worden 
feyn fol. Dazu dient auch der nadjbrudévolle Schluß: 
Reapse causa propria etc. Wie er fidj aber ben Borzug 
des Petrus vor ben übrigen Apofteln dachte, haben wir 
oben gefehen, und darnach ift feine Anfiht vom Vorrang 
bes Amtsriachfolgers des Apoftelfürften zu bemeffen, wie 
er denn als einzigen Grund für defien Vorrang nur Die 
beiden Säulen, die zu Nom gefegt worden, angibt. Ä 

Solche Erfcheinungen berechtigen ung wohl zum 
Schluß, daß die 9teorianer und Monophyſiten des Drients 
bem Primat, urfpränglich nicht direct entgegen: geweſen 


für den Primat, 373 


ſeyn mochten, unb daß fid) noch -Iange Zeit Nachflänge 
oder dunkle Erinnerungen defjelben bei ihnen erhalten has 
ben, ja fogar mitunter eine überrafchende Anerfennung 
bervortritt, welche bie Grenzen eines bloßen ftumpfen Nach» 
fprechens übertritt, Ein offener Widerfpruch, und auch 
diefer nur theilweife, tritt erft verhältnißmäßig febr [pdt 
an ben Tag bei ſolchen Stämmen,. bie in nahe Berührung 
mit den Griechen famen. und ihren Patriarchalfig gerade 
im Griechifchen Gebiet. hatten, "us von ber Union wieder 
abgefallen waren. 

Es läßt (i auch benfen, daß. die Erinnerungen an 
die frühere Vereinigung mit Rom und an bie Borrechte 
des Brimatialftuhles bie Wiedervereinigung, bie mehrmals, 
theilweife ober ganz ftatthatte, febr. befördern mußten. Leis 
ber haben wir zu wenig detaillirte Berichte hierüber. Ses 
doch fällt in den Schreiben, welche die Cectirer fchon vor 
der Union an die jeweiligen Päbfte, erließen, bie Bereits 
willigfeit auf, womit ihnen alle Primatialrechte beigelegt 
werden ). Hält man damit zufammen, bag in den Aufs 
nabmébullen durchaus fein Irrthum über ben Primat hers 
vorgehoben wird, fo umftändlich bie Belehrungen auch feyn 
mögen, fo fcheint es faft als finde fid) hierin eine Beftäs 
tigung der Vermuthung, daß bie Gectirer bie Wiedervers 
einigung aus althergebrachter llebergeugung von bem Bors 
tang des Päbftlichen Stuhles verlangten oder annabmen. 
Beſonders verdient ermähnt zu werden, wie der SJacobitifche 
Patriarch Johannes von Antiochien zur Zeit des Florens 
tinifchen Concils mit feinen Iintergebenen. fib benahın. Als 

1) Eiche Hinfichtlich der erften Bereinigung der Neftorianer_ uub 


Sacobiten Raynald ad ann. 1247. n. 32 f., ferner die Acten des Flo⸗ 
zentinifchen Goucilé. ub ct 


314 Neftortan. u. Stonopbyfit. Beugniife f. b. Primat. 


er einen Brief von Eugen IV. erhalten hatte, worin tfm 
diefer zum Beitritt zur Union aufforberte, ließ er denfelben 
in das Syriſche überfegen und vor feinen Bifchöfen und 
dem gefammten Clerus und Volk in der Kirche vorlefen, 
Mit [autem Breudenruf und Thränen fogar wurde, wie 
er in feiner Antwort an Eugen !) erzählt, bie Leſung ais 
gehört. Die Titel, die er bem Pabfte gibt, find zum Theil 
wörtlich aus den arabifchen Banones genommen, nämlich: 
principum Christi sedium princeps. Noch auffallender ift 
die Sprache ber Aethiopifchen Gefanbten 9. Sie behaups 
teten ‘geradezu, nicht fie feien Schuld an der Epaltung 
gewefen, wie die andern fchismatifchen Kirchen, weldye befis 
halb auch daniederlägen, während bie ihrige nod) bluͤhe, 
fondern daran fei bie Nachläßigfeit ber Paͤbſte ſelbſt Schuld, 
welche feit 800 Jahren, wie ἐδ bei ihnen heiße, auch nicht 
die mindefte Bürforge für fie getragen hätten. Kein Bolt 
babe cine fo innige Verehrung für ben Römifchen Stuhl, 
wie das ihrige, und wenn fie nach 9fetbioplen zurüdfehrs 
ten, würde ihnen alles entgegenziehen, ihnen bie Füße 
füffen und Stüde von ihren Kleidern als Reliquien ab» 
reißen, wenn man höre, daß fie vom Römifchen Pabſte 
fämen, und Aehnliches mehr. 

Mögen diefe Nachflänge ber Lehre vom SBrimat εἰπῇ zur 
gänzlichen Zurüdführung jener Voͤlker in den Schooß der. 
Kirche, indefien aber zum Beweis der allgemeinen Ans 
nahme dieſes Lehrſatzes in den Zeiten vor ihrer Lootren⸗ 
nung dienen. Denn wie Zertullian in den PBräferiptionen 
fagt: Nemo mentitur in suum dedecus sed in honorem. 

Prof. Dr. Heinr. Denzinger in Würzburg. 
1) Labbe Coll. Conc. T. X. col. 1019, : 
2) Ibid. col, 1031. 


2. 


Erklärung von Gen, 4, 3—7. 
Ein Beitrag zur Theologie des Alten Teftaments. 


»9tad) einer Frift brachte Kain von der Feldfrudht 
Jehovah ein Opfer bar, und auch Abel brachte dar von 
den beften Erftlingen feiner Heerde. Und es faf) Sebovab 
auf Abel und auf fein. Opfer, aber auf Kain und auf 
fein Opfer fab. er nicht. Da zürnte Kain febr und fab 
finfter aus. Und Jehovah fprad zu Kain: Warum zürs 
neft bu, unb warum fiehft du finfter aus?!“ — Diele 
Gen, 4, 3-6 ftehenden Worte find fo einfach und fchlicht, 
ba fie kaum eines Kommentars bedürfen. Cie werden 
bier nur mit in Betracht gezogen, weil fie mit der Fort⸗ 
fegung ber von Gott an Kain gerichteten Worte in 9B. 7 
in innigem SufammenBange ftehen. Diefer Vers erheifcht 
nämlich eine gang befondere Beachtung, ba berfelóe, wie 
unten wird angegeben werben, fowohl im @inzelnen αἱ 
im Ganzen auf die mannigfaltigfte Weife bis jept erfärt 
worden ift. 

Schon Philo de sacrif. Ab. et Caini $$. 13. 27. hat 
auf eine Verfchiedenheit der Opfergaben des Brüderpaares 
aufmertfam gemacht. Während Abel von ben beften 
&rftlingen feiner Heerde darbrachte, opferte Kain fehlechte 


376 Erklärung von Gm. 4, 3— 7. 


weg von der Feldfrucht. Diefen Unterfchied im Werthe 
der Opfergaben ſcheint aud) der Berfafler der Genefid 
recht gefliffentlich hervorgehoben zu haben durch eine ges 
wiffe Weitfchweifigfeit in Befchreibung der Opfergabe Abels; 
diefer fucht fein Opferflüd unter den Erftlingen feiner 
Heerde, und zwar unter den ausgezeichneten Erftlingen 
(2395). Der Grund, weßhalb Boit nicht faf auf tain 
unb auf fein Opfer, liegt aber keineswegs in dem gerins 
gern Werhe feiner Opfergabe, fondern in ber böfen, von 
Gott abgewandten Gefinnung Kains, welche fid) denn aud) 
in der geringern Sorgfalt beim Auswählen feiner Opfers 
gabe ausgefprochen haben mag. Kain war ein Gün 
ber; denn.auf der Sünder Opfer fieht Gott nicht WO 
15, 8. Θίταῷ 34, 23). 

Bor Alters bat man fion gefragt, woran Kain es 
erkannt habe, daß Gott auf ſein Opfer nicht geſehen habe. 
Hieronymus ſagt darüber Quaest. hebr. in Gen.: Unde 
scire poterat Cain, quod fratris ejus munera suscepisset 
Deus, et sua repudiasset, nisi illa interpretatio vera essel, 
quam Theodotion posuit: „Et inflammavit (ἐνεπύρισεν) 
Dominus super Abel et super sacrificium ejus, super Cain 
vero et super sacrificium ejus non inflammavit?“ Ignem 
autem ad sacrificium devorandum solitum venire de coelo, 
et in dedicatione templi sub Salomone legimus, et quando 
Elias in monte Carmelo construxit altare. Warum aud 
nicht? Es ift ja möglich; wiewohl wir und gern δε είς 
den, die Sache im Dunkel zu faffen, ba der Sert nichte 
darbietet, worauf εἰπε Behauptung gegründet werden fónnte. 
GConberbarer kann nichts fein, ald was Philo zur Beants 
wortung ber rage vorgebracht bat Quaest. in Gen. lib. I. 
8. 63. Weil den Kain nad) vollendetem Opfer eine ge 


Erklärung von Gm. 4, 37. 377 


wiſſe Traurigkeit überfiel, meint Philo, fo fónnte er wohl 

aus diefer unmwillführlichen Traurigkeit gefchloffen haben, — 
daß fein Opfer Gott nicht angenehm gewefen fei. Der 
Set fagt grade das Gegentheil: weil Kain fab, baf fein 
SOpfer nicht wohlgefiel, fo zürnte er febr und fab finfter aus. 

Kain fucht den Grund der ungnädigen Aufnahme 
feines Opfers nicht in fi; er flebt darin vielmehr eine 
:unverdiente perfönliche frdnfung und unbegründete Zurüds 
fegung gegen feinen bevorzugten Bruder, und barum zürnt 
er und fieht finfter aus. Wenn fi num Gott Berabláft 
an Kain die Worte zu richten: „Warum zürneft bu, und 
warum fiehft du finfter au“, und bann feine Rebe nod) 
weiter fortfegt, [o folfte man meinen, daß in ber fortges 
fegten Rede Gottes zum wenigften der Gebanfe ausge⸗ 
ſprochen liege, Kain habe feinen Grund zu zürnen weder 
gegen Bott noch gegen feinen Bruder. Abel, fondern bie 
Nichtannahme feines Opfers fei bie nothwendige Folge feis 
ner perjönlichen Cünbfaftigfeit. So ift es auch wirklich; 
unb doch gibt e8 nur wenige Stellen, ber Echrift, bei 
deren Erklärung die Meinungen mehr auseinander gehen, 
als bei Gen, 4, 1. 

Der Augenfchein Ichrt, und alle Licherfeger und Gr» 
Härer fimmen darin überein, daß Gen. 4, 7 zu Anfang 
einen fragenden, zu Ende einen behauptenden Eng ents 
halte. Doch bis zu weldem Worte geht der fragende 
Sag, und mit welchem Worte fängt ber REDRupienbe 
Ca& an? 

Die LXX ziehen nod) das Wort DiNDn in ben Frage⸗ 
ſatz, unb überfegen fo: Οὐκ ἐὰν ὀρϑωῶς προσενέγκῃς, 00- 
ϑῶς δὲ μὴ διέλῃς, ἥμαρτες; Diefer Veberfegung [ρὲ 
fein vom maforetifchen verfchiedener Urtert zu Grunde; 


NV 


378 &rklärung von Em. 4, 8—7. 


denn auch der ſamaritaniſche PBentateuch, welcher in ben 
Abweichungen durchgängig mit LXX übereinftimmt, ent» 
fernt fid) bier nicht vom maforetifchen Terte, nur iſt der 
famaritanifche Sert in der Londoner Polyglotte entftellt 
durch eine aufgenommene Randgloffe, aus welcher hervor 
geht, tag einige famaritanifche Codices das Wort 2nbn 
vor ΠΏΡΡ ausließen, während andere εὖ hatten. LXX aber 
haben feldft diefes HUHN vor Augen gehabt, benn ihrem 
ὀρϑῶς διέλῃς entfpricht Ja das famaritanifche nnp5 aan. 
Su ber obigen lleberfegung famen LXX aber auf fol 
gende Weife. Sie fegten voraus, Gott gebenfe in ©. T. 
der geringen Sorgfalt, welche Kain bei der. Auswahl {εἰν 
nes Opferftüdes bewies, da er fchlechtiweg von der Feld⸗ 
Frucht opferte, und wie mit Weglaffung des 5 vor bem 
Infinitiv Pf. 33, 3 132 999771 heißt bene canite fidibus, 
fo verbanden fie zunächft ΝΣ 2n EN und überfeßten 
ἐὰν ὀρϑῶς προσενέγκῃς, zumal ΜΡ) häufig genug in ber 
fBebeutung attulit, apportavit vorkommt. Bei der Außern 
Darbringiingabded Opfers hatte Kain es an nichts fehlen 
laffen, aber er hatte nicht den rechten Theil feiner 
Feldfrüchte zum Opfer ausgewählt. Diefen letztern Ges 
danken glaubten LXX in den gleich folgenden Worten 
(uden zu müffen. Darum lafen fle nicht nppb (an ber 
Thür), fondern ΠΡ, ſchloßen biefen Snfiniti» enge an 
Som w5 ew), unb überſetzten ὀρϑώς δὲ μὴ διέλῃς. Das 
Wort np aperuit, fommt nämlich in Phrafen vor, in 
‚welchen e8 fid durch das griechifche διαιρεῖν ausprüden 
‚läßt; fo fagt der Hebräer wörtlich vincula alicujus aperire 
i e. solvere, διαιρεῖν, aud) aliquem aperire i. e. solvere 
‚a vinculis. Da in folden Nebensarten das Wort vom 


‚Geblärung. von Gm. 4, 37T. 319 


KTrennen bet Berbundenen, vom Losmachen des einen 
som andern gebraucht wird, fo glaubten bie LXX e$ aud) 
auf das Theilen ber Wefofrudt, unb auf das Abfons 
dern des einen Theil zum Opfer beziehen zu Fönnen. 
MWenigftens hat fo Philo die LXX an unferer Stelle vers 
‚ftanden. Er fagt zu ihrer Erklärung Quaest. in Gen. 
lib I. $. 64: Non oportet priora, quae dantur in creatis, 
Sibi, secunda vero sapientissimo (creatori) offerre: quae 
‚est divisio (διαίρεσις) vituperanda el improbanda, prae- 
posterum referens ordinem. — lm endlich zu won 
ein Verbum zu haben und den Ga& abzufchließen, laſen 
LXX nit atom (Sünde), fonbern DRUM, ἡμαρτερ. 
Die lleberfegung ber LXX ift aber unftatihaft, felbft 
wenn wir bie Worte an und für fid unb außer ihrer Bers 
Bindung mit dem Folgenden betrachten. Denn 1) wenn 
nop apernit unter Umftänden dem Griechifchen διαιρεῖν 
-und dem lateinifchen solvit, divisit gleichbedeutend ift, fo 
darf es bod) nicht ohne weiteres auf jedes Theilen bes 
zogen werden, fondern nur auf ein ſolches, mit welchem 
der Begriff des Oeffnens wenigftens. einigermaßen aufants 
menfällt, wie 3. B. auf das Deffnen, Auseinanderbrin⸗ 
gen, Zertheilen der Feſſeln. — 2) Hätte ber SSerfaffer 
gewollt, bag nip DEN zufammengenommen einem fol; 
genden nno» 2"n No entfprechen follte, fo hätte er nntwb 
gefchrieben, ba mmbb folgt, ober er hätte das eine wie 
das andere Mal 5 fortgelaffen, wiewohl die Weglaffung 
des b nur ausnahmaweife bei Dichtern vorfomint (Gesen. 
Lex. Man. s. v. 32) Hifil). | 
Die falfche Auffaffung der LXX zeigt fid) aber νοῦς. 
züglich darin, daß das Ende von V. 7 bei ihnen nahe 


-7 


380 Vrkfärung von Gen. 4, 3—7. 


unverftänblich ift. Sie überfegen: Ἡσύχασον. πρὸς σε 
ἡ ἀποστροφὴ αὐτοῦ, καὶ σὺ ἄρξεις αὐτοῦ. Diefed ἡσύ- 
ago» (γ [οἵ nad) Philo l. c. $. 65 heißen: Set nicht 
hochfahrend und rühme bid) nicht deiner Sünde, als hättef 
bu etwas Rechtes getban: thue vielmehr Buße. Die 
übrigen Worte muß Jeder fo verftehen, als ob Gott bem 
Sünder Kain die Herrſchaft über den frommen Abel zus 
fihert. Das fah auch Philo. Darum ftelit er bie Frage: 
„Cur bonum in manum tradere mali videtur, quum dicit: 
Ad te conversio ejus (πρός 08 ἢ ἀποστροφὴ cvro?)?* 
unb gibt 1. c. $. 66. folgende Antwort: Non in manum 
tradit, sed est variata auditio: quoniam non loquitur de 
pio sed actione peracta, dicens ad eum: hujus impietatis 
conversio el respectus apud te est. Noli ergo necessi- 
tatem eaussari, sed morem tuum; ut et istic voluntarium 
repraesentel. Illud vero fu princeps eris illius iterum 
annuit ad operationem: primum utique inique agere in- 
cepisti, οἱ ecce magnam injuriosamque iniquitatem sequitur 
alia quoque injugtilia. Itaque praecipuum omnis injuriae 
voluntariae id esse existimat arguitque. Wenn wir biefe 
Worte, deren gqriechifches Original uns nicht erhalten ift, 
recht auffaffen, fo will Philo ben (id) aufbringenben aber 
unangemefienen Sinn des legten Satzes in LXX baburd) 
fortbringen, daß er bie beiden αὐτοῦ nicht auf Abel, fon» 
dern daß erftere auf bie bereitd begangene Ende Kains, 
das [egtere auf bie etia noch zu begehenden Cünben defs 
felben deutet. Die begangene Eünde nämlich fci nicht ges 
floffen aus einer bem Kain inwohnenden Nothwendigfeit 
zu fündigen, fondern fie ſchaue qutd d und müffe 
bezogen werden auf Kain als ihren freien Lirheber; 
auch das fernere &ünbigen haͤnge ab (ἄρξεις) von Kain. 


— (hilitung von Gen. 4, 37, 381. 


Das Wilführliche unb Gegmungene ber LXX fonnte 
nicht verborgen bleiben. Darum fuden (id bie andern 
griechifchen Ueberfeger jeber auf feine Art zu helfen. Theo⸗ 
botion fehließt ben Sragefag mit bem Wort 23, und übers 
fegt: Οὐκ av ἀγαθῶς ποιῇς, δεκτὸν, xal ἂν μὴ ἀγαθῶς 
ποιῇς, ἐπὶ ϑίρας ἁμαρτία ἐγκάϑηται; πρός 08 ὁρμὴ αὐ- 
τοῦ, καὶ σὺ ἄρξεις αὐτοῦ. Dieſes δεκτόν, acceptum, ac- 
ceptabile, fann allerdings im Worte NY liegen, da ΝΣ) 
auch accepit, sumsit heißt; auch paßt die Bedeutung recht 
gut zum Borhergehenden. Gott würde dann námlid) 
zu Kain fagen: „Warum zürneft bu, unb warum ſiehſt 
du finfter aus? — Winbet. nicht Annahme des Opfers flatt, 
wenn: du Gutes thuft, wenn bu als frommer Mann mit 
einem Opfer vor mir erfcheinft?* Doc ba6 Folgende 
paßt nicht im mindeften zu may = δεκτὸν. Wenn auf 
Guteétbun Annahme des Opfers erfolgt, fo müßte nad) 
Logik und Kontert auf Böfesthun Zurüdweifung be 
Dpfers erfolgen, εὖ erfolgt aber nach der Auffaffung bed 
Sbeobotion daB Sigen der Sünde an der Thür. 
Da in biefem Ausdrucke der Begriff von Zurückweiſung 
nicht liegen fann, fo folgt daraus, daß Theeodotion das 
Wort Axt, ober wohl gar ben ganzen Vers faljd) vers 
Randen fat. — Eymmachus läßt den Frageſatz ebenfo 
weit gehen als Theodotion, und überfept: AM ἐὰν cya. 
ϑύνῃς, ἀφήσω" ἐὰν dà um ἀγαθϑύνῃς, παρὰ ϑύραν duag- 
vía ἐγκεῖται Sym zweiten Theile des Verſes bat Gyms 
‚machus, nach der gleicblautenten Stelle Gen. 3, 16 zu 
fehließen, für nown ἢ ὁρμὴ geíegt. Sehen wir vorläufig 
ab von der Umwandlung des Fragefages in einen behaupe 
tenben ,. fo müffen wir geftehen, daß .ayrow, „ich werbs 


3" Qutijung won Ben. 6; 3-7. 


verzeihen“, ſehr qut zum „Liegen der Sünde an der 
Thür* paßt. my nämlich kann wohl condonatio heißen, 
va D fiy x) condonavit peccatum alicujus bedeutet; und 
da nen von ber Sündenftrafe gebraucht wirb, fo läßt 
fif das Liegen ber Eüindenftrafe an ber Thür ohne Zwang 
deuten vor dem afébalbigen und unverzüglichen Eintreffen 
ber Strafe (vergl. yaf. 5, 9.). Aber wenn gleich diefe 
Ausprüde zu einander paffen, fo paffen fie doch febr 
fchlecht zum Vorhergehenden. Um zwiſchen V. 6 und 7 
einen Zufammenhang berzuftellen, fah fid Symmachus ges 
nöthigt, den Sragefag des Originals in einen behauptenden 
umzuwandeln, und ibn mit ἀλλὰ an 9. 6 anzufnüpfen. 
In ben Worten Gottes Tiegt nach ber Weberfegung des 
Symmachus diefer Sinn: Warum zürneſt bu, und 
warum fichft du finfter aus, weil id auf bein Opfer 
nicht geliehen habe? Du bift ja ein Eünber, und eine$ 
Sunders Opfer kann ich nicht annehmen. Doch (ala) 
wenn bu fortan Gutes tbuft, fo werde ich deine 
bisher begangenen Sünden verzeihen, wenn bu aber 
wie bisher Boöſes thuft, fo wird bie Strafe aí6s 
bald erfolgen. Das wilführlich hingefegte abverfative 
ἀλλὰ weist nämlich auf einen nicht aufgefprochenen, aber 
aus dem Kontert leſcht zu ergänzenden Gag hin, in weldem 
Kaln auf feine Sünde al$ den Grund der Nichtannahme 
feines Opfers aufmerkfam gemacht. wird. Sm Original 
aber ift bie Ergänzung eines den Zufammenhang vermite 
telnden Sapes unmöglich, da V. 7 zu Anfang feinen ads 
verſativen, fondern einen mit non eingeleiteten : Frageſah 
enthält. Wäre in B. 7 von Annahme unb 3urüdweifung 
eine. Opfers bie Rede, das fónnte man gelten laſſen; von 





Erklaͤrung yon Gen. 4, 8— 7. 333 


Berzelhung und Beftrafung der Sünden fann im Original 
faum die Rede fein. — Wie Aquila den erften Theil 
von $8. 7 überfegt hat, ift nicht befannt. Was beu zweis 
ten Theil anbelangt, fo merkt Hieronymus Quaest. hebr. 
in Genesin bei der gleichlautenden Stelle Gen. 3, 16 an, 
dag Aquila für mpw/m [ege societas, b. ἰ. συνάφεια nad) 
der Angabe Stontfaucon'ó aus bem Codex Evislinianus. 
Da die alte Iateinifche Ueberfegung des A. T. aus 
LXX gefloßen war, fo las man im Abendlande bis Qieros 
nymus an unferer Stelle in folgender Weife: „Nonne si 
recte offeras, non recie autem dividas, peccasti? Quiesce, 
ad te conversio ejus οἱ tu dominaberis ejus.^ Hierony⸗ 
mus wurde burd) biefe lleberjegung nicht zufrieden geftelit. 
Zu Zufammenftelung der Worte zu Sägen folgte er ben 
andern griechifchen lleberfegern, und gibt, indem er von 
bem einen diefes, von bem andern jenes aufnimmt, in 
Quaest hebr. in Gen. folgende lleberfegung der Stelle: 
„Quare irasceris? et quare concidit vultus tuus? Nonne, 
si bene egeris, dimiltetur tibi (ag»cco Symm.): et, si non 
bene egeris, ante fores peccatum tuum sedebit (ἐγκαάϑη- 


"τας Theodot.)? et ad te societas (συνάφεια Aqu.) ejus: 


sed tu magis dominare ejus. — Zu dieſer lleberfegung 
gibt er dann gleich ben folgenden Stomuuentat: Quare 
irasceris, et invidiae in fratrem livore cruciatus vultum 
demittis in terram ? nonne, si bene feceris, dimittetur tibi 
omne delictum tuum, sive, ut Theodotion ait, acceptabile 
erit, id est munus tuum suscipiam, ut suscepi fratris tui? 
quodsi male egeris, illico peccatum ante vestibulum tuum 
sedebit, et tali janitore comitaberis. Verum, quia liberi 
arbitrii es, moneo αἱ non tibi peccatum, x tu peccato 
domineriS. —— 


384 Erklarung von Gen. 4, 3—7. 

Was fol man zu blefer lleberfegung fagen? Hiero⸗ 
nyınus felbft hat das Mißliche darin gefühlt, fie aufgegeben 
und in ber Vulgata fo überfegt: „Nonne si bene egeris, 
recipies, sin autem male, statim in foribus peccatum aderit? 
Sed sub te erit appetitus ejus, et tu dominaberis illius." 
Hieronymus bezog in ber Vulgata das nt? alfo nicht wie 
Theodotion auf bie Annahme des Opfers von Seiten 
Gottes, fonbern auf ben Empfang des Lohnes von Sei 
ten des Srommen, und zu biefem recipies flimmt audj 
ganz qut das peccatum als die Sünbenftrafe, welce 
den Gottlofen ereift. — Jedoch NNY vom Empfange beó 205; 
nes zu deuten, ift durch ba6 Vorhergehende nicht mög» 
li, und mm barf wegen des Folgenden nicht ale 
&ünbenftrafe gefaßt werden. Kain ift ja gotnig unb fieht 
finfter aus, nicht weil ihm eine Belohnung entgangen ift, 
fondern weil Gott. fein Opfer nicht angenommen hat. 
Wollte man nun auch behaupten, ſchon die Annahme des 
Opfers bei Gott fei ein Lohn für ben Tugenphaften, und 
bie Nichtannahme deffelben eine Ctrafe für den Sünder, 
fo fpricht bod) das Ende des Berfes deutlich von einem 
appetitus ber Sünde und einer dominatio über ble Sünde. 
tft alfo im Verſe ficher nicht von Sündenftrafen bie 
Rede, fo wird aud) fehwerlih darin etwas fteben vom 
Lohne für die Tugend. 

Die Schwierigkeiten und PVerlegenheiten vermindern 
ſich auch nicht, wenn man mit Geſenius und Andern 
Di, durch elatio scil vultus wiedergibt. Elatio vultus 
fónnte als Gegenfag zu ber demissio vultus, dem finſtern 
Ausfehen, nur Froͤhlichkeit, Heiterkeit bezeichnen, Diefe 
Deutung ift aber burd) das Folgende verwehrt, „Be 


Sllärung von Gm. 4, 3— 7. 385 


Gutes thut, ift fröhlich und heiter; wer nicht Gutes thut, 
fiebt finfter aus“ {σε man erwarten, aber man 
liest „an der Thür liegt bie Cünbe.* 

Baffen wir das Bisherige fury zufammen, fo fat fid) 
herausgeſtellt: 1) Bei lleberfegung von Gen. 4, 7 weicht 
bie LXX mit der aus ihr gefloffenen alten Iateinifchen _ 
lleberfegung von allen übrigen lleberfegungen ab in ber 
Berbindung der Wörter zu Sägen und in der Bofalifas 
tion des Textes. 2) Die übrigen lleberfeger unb die neuern 
Erflärer flimmen durchaus nicht überein. 3) Alle anges 
führten lleberfegungen und Erklärungen des Verſes leiden 
an offenbaren Mängelı. — Unter fofden Umſtaͤnden 
mag ed und vergönnt fein, auch unfere Meinung über ben 
Vers laut werben zu lajfen. Wir ändern an bem übers 
lieferten maforetifchen Sext. nicht das allerminbefte, felbft 
nicht bie maforetifche Suterpunftion, und ftellen beffenuns 
geachtet bie Wörter anders zu Sägen zuſammen, als ἐδ 
Theodotion, Symmachus, die Bulgata und bie neuern Ers 
färer thun. Auch werben wir eine neue ethymologifche 
Erklärung des fo verfchieden gebeuteten Wortes NNY vor» 
legen, welche an und für fid) wenigftens bie gleiche Bes 
rechtigung bat, wie die oben angeführten, und obendrein 
durch ben ganzen Kontert gefichert iſt. 

Den Fragefag in 98. 7 fchließt LXX mit dem Worte 
nwon, bie übrigen Lleberfeger und Erflärer mit bem Worte 
y2^, welches ben Athnach unter fid) hat, wir dagegen 
laffen ven behauptenden Gag ſchon mit dem Worte nnpb 
anfangen. Aber der Athnach unter y^? — Wenn ein 
Vers zwei felbftändige Säge enthält, fo ftebt der Athnach 
nicht immer am Ende des erften Sapes, fondern bisweilen 

Theol. Daartalfärift. 1850. IL Heft. 25 


386 Erklaͤrung von Ben. 4, 3-7. 


innerhalb des einen Satzes. Als fehlagenden Bes 
weis führen wir an Sof. 3, 13: „Wenn bie Bußfohlen 
der PBriefter, welche bie Lade Jehovah's, des Herrn ber 
ganzen Erde, tragen, fid) in das Waſſer des Jordan nie 
derlaffen, wird das Waſſer des Jordan verfihwinden. Das 
von oben herabfommende Waſſer — (Athnach) — ἐδ wird 
fichen wie ein Haufen.“ Der Athnach unter ya ift alfo 
fein Hinderniß, ben behauptenden Satz fdjon mit bem Worte 
none) beginnen zu (affen. Läßt man ben Frageſag bis 
zum Athnach fortgeben,. fo ergeben fib, wie wir gefehen 
haben, große Echwicrigfeiten in ber Beflimmung ber Ber 
deutung des Wortes riy. 


Sm unferm Sragefag ift affe& deutlich, wenn fich nur 
dem Worte MN eine dem Kontert angemeffene Bedeutung 
geben läßt. Bon Ni73 extulit hat der fubftantivifch ges 
brauchte Infinitiv ANY die abitrafte Bedeutung elatio, 
oder in neutralem Sinne eminentia, excellentia ((Gesen. 
Lex. Men. s. v.). Wie alle dergleichen Abftrafta Fonnte 
das Wort aud) in Fonfretem Sinne gebraucht werben, und 
dient zur Bezeichnung εἰπε Bledens auf der Haut 
(Lev. 13, 2. 10. 19. 28. 43), nicht bloß eines franfbaften, 
fondern auch eines Brandfledens (B. 28), nicht bloß einer 
durch Gefchwulft und Entzündung aufgetriebenen, empors 
gehobenen Ctelle, fondern felbft einer franfhaften Vers 
tiefung (2. 3. 4. 20. 25. 26.). ὮΝ in concreto ift 
alfo etwas von feiner Umgebung Abftechendes, Berfchies 
denes, unb barum leicht in die Augen Fallendes; feine 
abftracte Bedeutung wird darıım nicht ganz richtig burdj 
eminentia ober excellentia auógebrüdt, weil man mit biefen 

bett : den. Begriff des Höherfeins, Größerfeins verbindet, 











Erklaͤxrung von Gen. 4, 3—7. . 987 


während rwip aud) das Niedrigerfein einfdfiegt und wies 
derzugeben ift durch das allgemeinere differentia, Verfchies 
benbeit, Unterſchied. Diefe etymologifch mögliche Bes 
deutung des Wortes ift dem Kontert ganz vorzüglich ans 
gemefien. Gott fpricht nämlich zu Kain: Warum zür— 
neft bu, und warum fiehft bu finfter aus, weil 
ich auf deines Bruders Opfer gefeben, und auf das bei» 
nige nicht gefehen. babe? Sft es nicht ein Inter» 
fhied, menu bu Gutes t&uft, und wenn du nicht 
Gute& thuft? b. 5. muß ich nicht einen Unterſchied 
sachen zwifchen bem ame be& Frommen und bem Opfer 
des Eünders? 

Nicht minder vortrefflih fügt fid) ber zweite Theil 
beó Berfes, unfer behauptender €ag, dem Ganzen an. 
Eeine erften drei Worte, bis zum Athnach, laſſen wir einfts 
weilen ruhen. Das llebrige wird fid) um fo ficherer deuten 
[affen, ba fi dazu eine herrliche Parallele Gen. 3, 16 
findet. Wenden wir uns barum vor Allem zu diefer Parallele. 

Gen. 3, 16 fpricht Gott zuerft von den Mühen und 
Beſchwerden des Weibes aló der Kindesgebärerin, fobann 
pon bem gegenfeitigen Verhältniß zwilchen Mann und 
Weib. Der Mann. hat bie Herrfchaft über das Weib, 
und des Weibes npw/n ift an ihren Mann, ober zu 
ihren Manne, Die griechifchen Ueberſetzer weichen bei 
biefem Worte des hebr. Tertes wieder febr. von einander 
ab. Die LXX haben ἀποστροφή, Aquila συνάφεια, Eyms 
madjué 7 ὁρμη,, Theodotion (nad) Gen. 4, 7 zu fchließen) 
ebenfalls ὁρμὴ. Die Bulgata gibt sub viri potestate eris, 
et ipse dominabitur tui, unb bringt eine Tautologie in 
bie Stelle, welche im Urtert nicht liegen Tann. Das Wort 

250 


388 Erffäruig von. Gen. 4, 8— 7. 


Bat aber fof. €. 7, 11 bie Bedeutung Wunſch, Berlans 
gen, Schnfuchtz wenden wir diefes auf unfere Stelle an, 
fo lautet fie: „An deinen Mann (mag ergehen) dein 
Wunſch, er aber ift gebietenber Herr über did.“ 
Beſſer kann doch ba6 gegenfeitige Verhältniß zwifchen Dann 
und Weib nicht auégebrüdt werden. Des Mannes aus⸗ 
gefprochener Wille ift für das Weib Gefeg und Befehl; 
das Weib kann bem Manne gegenüber nur S8ünídje laut 
werden [affen, deren Erfüllung ober Abweifung vem Manne 
anheimgeftellt ift. 

Diefelben Worte, welche Gen. 3, 16 Austrud des 
gegenfeitigen Berhältniffes zwifchen Mann und Weib find, 
werden Gen. 4, 7 gebraucht, um auszufprechen, welches 
Berhältniß zwiſchen ANEM und bem Menfchen, unb ums 
gefebrt ſtattfinde. Es Bat nämlich bereits Hieronymus in 
Quaest. hebr. in Gen. angemerft, daß bie Masfulinfuffire 
in IND und 12 fid) auf das vorhergehende ngu bes 
geben, und es fann auch nicht anders fein. Zwar ift 
diefes Wort der Endung und dem Gebraude nach fonft 
ein Bemininum, aber der Kontert ift. von ber Art, daß 
wir auf einen beftimmten Grund fchliegen fónnen, aue 
welchem ber SSerfaffer fi) bewogen fand, e$ als Masku⸗ 
línum zu gebrauchen. G6 ift nämlich bier nicht bie Rede von 
der abftraften Sünde, aud) nicht von einer fündhaften 
That ober Ilnterlaffung, aud) nicht von einer Sündenfhuld, 
fondern muß an unferer Stelle ein lebendes 
Werfen fein, ba es im Stande ift einen Wunſch, ein Bers 
langen zu äußern, und ben Menfchen um Erfüllung deſ⸗ 
felben anzugehen ἢ. Auch das Thier ift im Stande bem 





1) Wenn das R. T. von ϑέλημα unb ἐπιϑυμία τῆς σαρκὸς ſpricht 


Gıflärung von Ger. 4, 8— 7. 989 


Menfchen ein Berlangen fund zu thun, bod) fann dieſes 
niemald eine Aufforderung fein zur Eünde, zur llcberires 
tung des Geſetzes Gottes. Dazu aber fordert dem Namen 
und bem Sonterte nach wien den Menfchen auf, und muß 
barum ein perfönliche8 Wefen fein, welches ber Hebräer 
fif) nicht denken fonnte als weiblichen Gefchlechtes, und 
befen Namen er barum als Mastulinum bekandelte 1). 
Wie nun das Wort nad ungeachtet feiner Beminins 
Endung eine männliche Perſon bezeichnet unb ber Pre— 
diger heißt, fo bedeutet wie. als Maskulinum: der 
Sünder, der Böfe, 0 πονηρός. - Eine gleiche Berändes 
rung des Genus läßt fid) am Worte bb nachweifen. 
Urfprünglih Nihtswürdigfeit bedeutend bleibt es ten 
Gefegen der febr. Sprache gemäß Femininum al& Kollek⸗ 
tivum: nichtswürdige, fehlechte Menfchen (2. San. 23, 6), 
und in der neutralen Bedeutung : Nichtswürdiges, Schlechtes 
Rabum 1, 11), ift aber Maskulinum als Berfonbezeich- 
nung (Nahum 2, 1) und aus 2. Kor. 6, 15 wiffen wir, 
daß Βελέαλ einer ber vielen Namen des Teufels war. — 
Die zunächft in Betracht gezogenen Worte des bebauptens 
ben Satzes in Gen. 4, 7 lauten demnach: „An bid) ers 
geht fein (des Böfen) Wunfch, vu aber Haft Macht 
über ihn“ b. b. εὖ ift ganz in deine Hand gegeben, 
das Berlangen des Boͤſen zu erfüllen, oder zurüdzuweifen. 


(Eph. 2, 3; Sal. 5, 16. 17), fo flellt es den lebenden äußern Mens 
ſchen mit feinen Lünen und Begierden, die σάρξ, bem innern geifligen 
Menſchen gegenüber. 

1) Wollte man bier eine perfönlich gedachte Gánbe annehmen, 
fo if dagegen einzuwenden, daß die Perfonififationen ber Abfirafta in 
allen €pradjen das grammatifche Genus der letztern beibehalten, unb 
zwar beibehalten nıäflen. 


890 Erklärung von Gm. 4, S—T. 


Da die Bedeutung von nen bereits feftgeftclit ift, 
fo lauten die erften Worte des bebauptenben Satzes: „An 
der Thür bat ber Böfe fein Lager.“ — An weflen 
Thür? Möglicherweife an feiner eigenen. — Zu welchem 
Zwede [{ er an feiner Thür? Möglicyerweife um zu 
wachen, daß fein Befig ihm bleibe. — Und wen hält er 
eingefchloffen? Ohne Zweifel bod) den Kain, an welchen 
die Worte gerichtet (inb, aber möglicherweife auch alle 
übrige Menfchen. Das 9t. X. freilich lehrt ausprüdlich, 
bag die Menfchen inégefammt unter der Gewalt des Cas 
tan ftanben, und durch Chriftus daraus befreit worden 
find (Hebr. 2, 14. 15); ja Satan bewacht die in feinem 
Hofe eingefchloffenen Gefangenen, wird aber von Ehriftus 
überwunden, und feine Gefangenen werden frei (Luf. 
11, 14 folgd. befonders B. 21. 22), Im N, S. hängt 
bie Lchre von der Gefangenfchaft ber Menfchen” unter der 
Gewalt des Satan mit der Lehre von der Erbfünde zu« 
fammen; da aber auch das 9. S. lehrt, daß ber Menfch 
als Sünder und Unreiner im Mutterleib empfangen und 
geboren wird (Pf. 51, 7. vergl. Hiob 14, 4), fo darf 
eine Erwähnung ber Gefangenfchaft unter Satan im 9f. T. 
nicht befremben. Wenigftens wird Niemand beftreiten, daß 
diefer Sinn in den Worten liegen fónne. 

Gejegt, bie erften Worte des behauptenden Satzes 
find richtig gedeutet, fo ift bie Konjunftion Ὑ vor OR in 
abverfativer Bedeutung zu nehmen. Denn Kain ift zwar 
G'fangener des Satan, aber Satan fann ihn nicht zum 
Günbigen zwingen. Der ganze Cag lautet bemnad) in 
Deberfegung: „Bor ber Thür bat ber Böfe fein 
Lager; doch andich ergeht fein Wunſch, buaber 
baft Macht über ihn.“ Daß aber der ganze behaup⸗ 





Erklaruug von Gen. 4, 3—7. 391 


tende Cap nad) unferer Erflärung zum Konterte paie, 
fann feine Frage fein. Gott muß einen Unterfchied machen 
jwilchen dem Dpfer be Sünders und bem Opfer des 
Üremmen; denn wenn ber Menfch auch Gefangener des 
Catan ift, fo bat er doch bie Macht, bie von diefem aus; 
gehenden Berfuchungen zur Eünde abzumweifen — darin 
iR bod) vernünftiger Zufammenhang.  llebrigenó ift εὖ 
nicht Lehre des A. T., daB ber ald Eünder im Mutterleib 
empfangene und geborne Menfch aus eigner Kraft bem 
Satan widerſtehen fónne, fonbern, daß ber Menſch Weinb 
und Gegner des Satan zu fein vermag, ift nad) Gen. 3, 15 
Werk des erbarmungsreichen Gottes. 

Daß unfere 9fuffafjung von Gen. 4, 7 richtig fei, 
dafür fónnen wir einen alten guten Gewährsmann ftellen, 
und zwar feinen geringern, als den Apoftel Jakobus, den 
Bruder des Herrn; denn das altteftamentliche Gitat Jak. 
4,5 ift nichts anderes als eine Berufung auf den zweiten 
Sag in Gen. 4, 7 in dem von ung erläuterten. Sinne. 

Der Apoftel befämpft folche, welche behaupteten, ber 
Menfch babe nicht bje Macht fid von Sünden fern zu 
halten, fonbern wie der Menfch durch Gottes Kraft dag 
Gute thue, fo fámen auch bie Verfuchungen zum Böfen 
von Gott (1, 13). Jakobus dagegen lehrt: Bon Gott 
fommen nur gute Gaben, in ihm ift nichts als Licht 
(1, 16. 17). 3anf und Streit, [0 wie alles Boͤſe fom; 
men nicht von Gott, fondern bie unordentliche Einnlichkeit 
i zunächfi als bie Quelle alles beffen anzufehen (1, 14. 
15; 4, 1). Wer die Welt lieb haben, feinen Lüften nach» 
leben. will, ber ift ‚weit davon entfernt, Gottes Willen zu 
tbun, er wird vielmehr chen dadurch ein Feind und Wis 
berfacher Gottes (4, 4). Zum Beweife deffen beruft fidi 


392 Erklärung von Gen. 4, 3—7. 


Safobus auf eine Stelle des A. T., und fagt (4, 5): 
„Ober glaubt ihr, daß umfonft bie Schrift fagt: Πρὸς 
φϑόνον ἐπιποϑεῖ τὸ πνεῦμα, ὃ κατῴκησεν ἐν ἡμῖν; “ 

Der Geift, welcher in oder bei Safobus$ unb ben 
erften Leſern des Briefes, t. b. üt ober bei Ehriften (ἐν 
ἡμῖν) feinen Wohnfig hatte (κατῴκησεν), ift nicht ber 
heilige Geift, denn diefer wohnt in ben Chriften (οὐκεῖ 
Roͤm. 8, 9. 11; 1 Kor. 3, 16; ἐνοικεῖ 2 Tim. 1, 14); 
es fann nur der böfe Geift fein, in beffen Gemalt fie 
waren, bevor fie Ehriften wurden; in oder bei Gbriften 
hat er feinen feften Wohnfig, fondern geht umber, fu» 
hend wen er verfchlinge (1 Betr. 5, 8). 

Serner, nad) befannter griechifcher Redensart ift. οὐδεὶς 
φϑόνος in bem vorhanden, unb wird ov φϑονεῖν von bem 
gefagt, welcher fid) nicht weigert, eine an ihn gerichtete 
Bitte zu erfüllen, ober einen Dienft zu leiften, wozu er 
fühig ift, und ben man von ihm erwartet, fondern es recht 
gern und bereitwillig thutz φϑόνος und φϑονεῖν ift 
natürlich das Gegentheil: fid) weigern eine Bitte qu 
erfüllen ober einen Dienft zu leiften, Das jedoch ift feft 
gufalten, φϑόνος wie οὐδεὶς φϑόνος ift nicht bei bem 
Bittenden und Grwartenben zu fuchen, fonbetn bei bem, 
an welchen die Bitte gerichtet ift, oder von welchen man 
etwas erwartet. Wie nun in ber Redensart ἁμαρτάνειν 
πρὸς ϑάνατον (1 Sob. 5, 16) das πρὸς ϑάνατον ben 
Grad, die Stärke des Sündigend angibt, nämlich fo febr, 
fo ſchwer fünbigen, daß ber Tod des Sünders erfolgt, fo 
brüdt aud) πρὸς φϑόνον aus, wie febr, wie ftarf, mit 
welcher Kraft Satan an ben Menfchen durch bie Ginns 
lichkeit fein Begehren ftele; fein Begehren ift nämlich nicht 
ein ἐπιποθεῖν πρὸς βίαν, bem Zwange gleichfommend, 





Erklaͤrung von Gen. 4, 3—7. 393 


fondern ein ἐπιποϑεῖν πρὸς φϑόνον, defien Erfüllung vers 
weigert werben fann. Daß dur πρὸς φϑόνον bie 
Stärke des ἐπιποθεῖν au&gebrüdt werden folle, dafür 
i noch beweifend 1) die μείζων χάρις in $8. 6. Der 
Beiftand Gottes, welcher dem Menfchen zu Theil gewors 
den ift, it nämlich größer, ftärfer, vermógenber, als das 
enrınodeiv des Satan. 2) Die Aufforderung dem Teufel 
zu miberfteben, 9. 7, nachdem man fid) durch voll, 
fommene Unterwerfung unter Gott beffen Gnabenbeis 
ftant erworben hat: Satan, als ber fehwächere Theil, 
werde alsdann fliehen. 

Es ift wahr, wörtlich findet fid) das Gitat Saf. 4, 5 
nicht im A. T.; aber das ijt ausgemacht, daß ber Apoftel 
Jakobus in irgend einer Stelle des U. T. den Gag au; 
gefprochen fand, daß das vom Teufel an ben Menfchen 
geftellte Begehren nicht zwingend fei, fondern abgewiefen 
werben fönne. Bekanntlich hat man weit und breit nad) 
diefer Stelle herum geſucht. Wir fchmeicheln - uns, das 
Gitat bei Jakobus richtig erflärt, und fein Original in 
Gen. 4, 7 nachgewiefen zu baben. 


Lic. theol. Krüger, 
Profeffor am Lyceum Hoflanum in Sraunéberg. 


3, 


Weber die scientia media unb ihre Verwendung für 
bie 8efre von der Gnade und Freiheit. 


L Artikel. 
Begriff der scientia media und die Beweife für viefelbe. 


Ein Blid in die dogmatifchen Hanpbücher auch ber 
neueſten Zeit zeigt, bag bie Anfichten über die scientia 
media und ihre Bedeutung für die Lehre von der Gnade 
und Freiheit nod) [ange nicht zu ber Ginftimmigteit ger 
langt find, ble man nach einem fo lange unb mit fo vie» 
lem Eifer geführten Kampfe hätte erwarten follen. Deß⸗ 
halb möchte eine nochmalige Durchficht ihrer pofitiven 
Grundlagen in Schrift und Tradition, eine Darlegung 
der betreffenden Verhandlungen und eine Fritifche Beleuch⸗ 
tung berfelben wohl nicht ganz zwecklos erfcheinen, am 
alferwenigften aber für ben, ber ἐδ zu ber Einficht ges 
bracht bat, daß das menfchliche Berftändniß ber geoffens 
barten Wahrheit in der Kirche eben durch die gegenfeitige 
fBefámpfung und Reibung der Gegenfäge unb verfchiedenen 
Meinungen den Proceß einer ftetigen Fortentwidlung und 
Vervollfommnung durchmaht. Wer immerhin an ber 
Weiterführung dieſes SSerftánbniffcó, an dem Ausbau dies 
ſes geiftigen Gotteshauſes mitzuwirken fi berufen fühlt, 


Weber die scientia. media. 595 


für ben muß es als unerläßliche SBebingung erfcheinen, 
baf er von bem bereité ausgeführten mitfammt dem Grunds 
riß fid) die gehörige Kenntniß verfchafft, und nicht ſolche 
Steine heranzutragen fi abmüht, welche von ben Baus . 
meiſtern (ángftbin als falfche reprobirt worden find. Dazu 
fommt für unfern Gegenftand nod) das fpezielle Interefie, 
daß die allgemeinere Trage nach dem Verhältniffe des 
Menschen in feinen verfchledenen Beziehungen zu Gott bie 
Garbinaffrage in den Firchlichen und religiöfen Beweguns 
gen des Abendlandes gewefen (ft, und auch bei bem Tohu 
va Bohn religiöfer Zwiftigfeiten unferer Tage vielleicht 
noch ift. 
A. Begriff der scientin media 1). 

Die scientia media war bem Molina, ber die Bes 
zeichnung derfelben in. die Wiffenfchaft zuerft eingeführt zu 
haben fcheint, und denjenigen, welche feine Theorie weiter 
zu entiwideln fuchten, dasjenige Moment der göttlichen — 
Erfenntniß, welches diejenigen Erfcheinungen und Thätigs 
feiten der freien Greatur zum Sbjecte hat, bie wirflich 
werben würden, wenn bie nöthige Bedingung dazu von 
Ceite Gottes gefegt würde. Die Scholaftif war nämlich 
bei der Eintheilung der göttlichen Erfenntniß in die 
scientia simplicis intelligentiae und bie scientia visionis, 
wenn wir fegtere bier bloß auf das Reale in ber endlichen 
Welt neben und außer dem göttlichen Sein felbft beziehen, 
von der Borausfegung ausgegangen, daß Gott biefe end⸗ 
liche Welt nach Subftanzg und Accidenz, nad Sein und 
Dafein zunächft als eine rein intelligible und mögliche ges 


1) Vergl. Syſtem der kath. Dogmatik von Dr. Berlage 1. Th, 
4. Abtheil. S. 271 u. (οἷα. Münfler 1846. 


896 Ueber ble seientia media. 


badt, unb bann erft in Folge feines Willensentſchluſſes, 
fie aus der formalen Idealitaͤt in die reale Wirklichkeit 
zu überfegen, biefelóe als eine wirkliche gefchaut habe. 
Zugleich faßte fie, wenn wir das Wirkliche auf bie ends 
liche Welt einfchränten, das @ebict der scientia. simplicis 
intelligentiae a[8 ein weiteres und umfangreicheres, infos 
fern Gott nicht alles Mögliche wirklich gefchaffen, und aud 
nicht alle möglichen Weltorvnungen hat wirklich werben 
laffen. Die gótt(ide Weltihöpfung war ibt eine freie 
Actnalifirung und Einfchränfung der göttlichen Allmacht 
auf diefe beftimmte Welt hin neben andern möglichen, und 
bie göttliche Leitung und Regierung dieſer Welt fomie bie 
göttliche Offenbarungs⸗ und übernatürliche Gnabentbátigteit 
in bicfer Welt war ihr eine folche, bie auch fo ober anders 
hätte ausfallen können, bie auch andere mögliche Weifen 
neben fid) hat. Damit war bem Molina unb feiner Schule 
ber Anfnüpfungspunet für eine nähere Beitimmung und — 
Abgrenzung des Gebietes alles rein Möglichen gegeben. 
Faßt man nämlich das Mögliche nicht bloß von Seite 
Gottes auf, als das Gebiet und Object feiner unbefchränt 
ten, unendlichen Allmacht, fonbern aud) von Seite ber 
endlichen von Gott gefchaffenen Ereatur als das Gebiet 
von jenen Erfcheinungen und Xebensäußerungen, wozu bie 
endliche Subftanz die reale Potenz in fid) trägt, bie aber 
nur deßhalb nicht wirklich werden, weil die dazu nöthige 
Einwirkung unb Wedung von Außen fehlt, oder weil die 
freie felbftfländige Greatur eben nur fo und nicht anders 
ihre freie Epontaneität offenbaren will; fo ergibt fid) 
von fe(bft ein beſonderes, in fi) abgefchloffenes Gebiet von 
Möglihem, das Molina und feine Schule um fo mehr 
betonen zu müjfen glaubte, als bie reformatorifche Lehre 





Ueber die scientia medie. | 397 
von ber Alleinwirffamfeit der Gnade Gottes darauf’ Bin» 
ausging, die Celbftftánbigfeit und felbftftändige Wirkfams 
feit der endlichen Eubftanzialität zu untergraben, und die 
chriftliche Weltanfchauung in die Srrgänge des Pantheis⸗ 
mus hineinzutreiben. Zunächft alfo ergab fich fo ein Gies 
biet von Möglichem auf dem Grunde der endlichen Cub; 
ftanzialität in Geifter« Natur: und DMenfchenreich, wozu 
bie potentielle Urſache bereits wirflich vorhanden, ober doch 
als fpäter wirklich eintretend vorauegefegt wird, und des 
halb das Gebiet des Phnfifch . Möglichen im Unterfchiede 
von dem bloß Metaphyſiſch⸗Moͤglichen, ober auch in Bezug 
auf das vorweltfiche Tafein Gottes das Gebiet des Bes 
bingts Zufünftigen im Unterſchiede von bem des Abfoluts 
Zufünftigen genannt wurde. Auch. von der Staturfubftang 
ift deßhalb eine beftimmte Ephäre des Phyſiſch⸗Moͤglichen 
zu präbiciren, weil auch fte a[8 ein lebendiges Princip 
zu benfen ift, Das den ganzen Reichthum feines innern 
Lebensgrundes nicht gerade adäquat und vollftánbig in 
der gegenwärtigen Erfcheinungs»s Welt objectivirt Dat, αἱ 
ein foldyes Princip, das auf den Ruf des allmächtigen 
Gottes auch andere Erfcheinungen hervorzubringen im 
‚Stande ift, das da feufzt unter bem Fluche ber Sünde 
nad) jenem Tage, wo dad Kleid der Verklärung auch ihm 
gu Theil werden wird. Um biefer lebendigen und felbfls 
ftändigen Mitwirkſamkeit der Naturfubftanz bei ber ers 
vorbringung ihrer Erfceheinungss Welt Rechnung zu tragen, 
fatte die Scholaftif bereit eine creatio secunda von ber 
ereatio prima unterfchieden, unb nur bie fegtere ber goͤtt⸗ 
lien Wirkſamkeit ausfchließlich vinbicirt. Daffelde gilt 
denn aud) von ber phhfifch möglichen Erfceheinungs s Welt 
auf dem Grunde ber gefchaffenen Naturfubftan. Der 


988 ; Ueber bie scientia. media. 


Möglichfeitegrund dazu liegt fowohl in ber allmächtigen 
Eimwirfung Gottes einerfeits, al8 in der lebendigen Rüds 
wirfung des Naturprincips andrerfeits, und Gott kann 
überhaupt feine neue Erfcheinung in bem geben. der Natur 
hervorrufen, wenn nicht wenigftens eine potentielle Mit 
urfache davon bereitó in bem Raturprincipe vorliegt; fte 
fónnte ja fonft feine Erfcheinung an und in der Natur, 
noch auch mit ihrem Leben verflochten fein. Gott wird 
alfo aud) das Gebiet des Phyſiſch⸗Moͤglichen im Bereiche 
der wirklichen Naturfubftang nicht ausfchließlich von Seite 
feiner allmächtigen 9Birffamfeit aus erkennen, fondern aud 
von Seite ber in der Natur zu Grunde gelegten Kräfte 
und gefeglihen Wirffamfeiten ber. Da aber bie Kräfte 
in der Natur nach bem Belege ber 9totbwenbigfeit wirken, 
und in Folge einer Sollicitation von Außen oder eines 
fchöpferifchen Eingreifend Gottes in dieſelbe eben nur fo 
und zwar nothwendig reagiren müflen, da ihre Wirkſam⸗ 
keit eine von Gott prädeterminirte ift, bie von der Natur 
fetbft nisht alterirt werden fann, fo laflen fid bod) aud) 
alle möglichen Erfcheinungen innerhalb des 9taturiebené 
wenigftens mittelbar auf bie göttliche Allmacht zurückfuͤh⸗ 
sen, unb es ließe (id) eine Ausſcheidung des Gebietes des 
Phyfifchs Möglihen auf dem Boden des Naturprineips 
von ber weitern Sphäre des Bloß Metaphufifch Möglichen 
nur aus dem fpeculativen Sntereffe rechtfertigen, bie von 
Gott gefchaffene Natur als eine für fid) beſtehende, leben 
bige Subftangialität neben und außer Gott feftzuhalten. 
Anders aber verhält es fi) auf bem Gebiete des freien 
Geiſtes. Diefer ift nämlich nicht bloß wie die Natur ein 
lebendiges Prinzip, das ju vielen möglichen Erfcheinungen 
ben reafen Moͤglichkeits⸗Grund in fid trägt unb zu beren 





liber bie scientia media. 899 
Hervorbringung durch eine entfprechende Einwirkung ven 
Außen bedingt ift, fonbern er trägt auch zugleich mit feiner 
Freiheit das Bewußtſein in fid, auch bei benfelben Eins 
wirfungen und Anregungen von Außen, bei benfelben Um⸗ 
fländen und Zeitverhäftniffen fein Lchen anders entwidelt 
und geftaltet haben zu können, als εὖ wirklich geſchehen 
it. Es gibt daher auf bem Gebiete des freien Geiftes 
einen Kreis von möglichen Erfcheinungen, der umfangs 
reicher ift als der ber wirklichen, wenn und infofern e$ 
verichiedene mögliche Einwirkungen und dußere Lebens⸗ 
fBerbáltnijfe, und anbrerfeit& eine freie, diefen entfprechende 
oder aueh nicht entfprechende Rüdwirkung des Geiſtes gibt. 
Zugleich ift diefes Phyfiich« Mögliche nicht ausſchließlich 
ein Object der göttlichen Allmacht wie das Metaphyſiſch⸗ 
Mögliche, fonbern Gott bat dem Geifte mit ber freiheit 
die Macht gegeben, auf jegliche Einwirfung von Außen 
fo oder anders reagiren zu können. — C'est ce qui fait voir, 
fagt Boſſuet in feiner Schrift: „Trait6 du libre arbitre* 
€. 2. en passant, que celte liberté dont nous parlons, 
qui consisle à pouvoir faire ou ne faire pas, ne procéde 
précisément ni d'irrésolution ni d'incertitude, ni d'aucune 
autre imperfeclion, mais suppose que celni qui l'a au sou- 
verain degré de perfection, esl souverainement indépen- 
dant de son objel et a sur lui une pleine supériorité. 
Um nun biefen hohen Eharafterzug des creatürlichen Geis 
ftes, für welchen bie reformatorift$e Gnabentebre feinen 
Raum mehr übrig ließ, aud) auf bem Gebiete des Phys 
fifchs Möglichen geltend zu machen, und ber göttlichen 
Süwiffenbeit und Allmacht gegenüber feftzubalten, führte 
Molina zwar nicht. den Begriff aber bod) bie neue Bes 
zeichnung unb genauere Beflimmung der scienlia media 


200 Ueber die seientin media. 

in die Wiflenfchaft ein, und er wählte im Anfchluß an ble 
Scholaftif gerade dieſen Ausdrud, weil fie fich zwiſchen 
- bie scientia simplicis intelligentiae und scientia visionis 
ald ein drittes unb zugleich als vermittelndes Moment 
einreihen ließ. inerfeits nämlich fällt dad Gebiet, wel; 
ches von ber scientia media beherrfcht wird, bem limfange 
nach in bie Mitte zwifchen bem ber scientia visionis unb 
bem ber scientia. simplicis intelligentiae. Letztere umfaßt 
alles der göttlichen Allmacht überhaupt Mögliche, bit 
scientia media aber bloß bie möglichen Grfdeinungen ber 
gefchaffenen ober zu ſchaffenden Breaturen und befonberé 
die möglichen Erfcheinungen, welche bie freie Creatur unter 
gewiffen Bedingungen und Anregungen von außen realis 
. firen würde, unb bie scientia visionis mit Ausfchluß des 
göttlichen Seins nur bie wirflide Welt nad) Vergangen⸗ 
heit Gegenwart und Zukunft. Andrerſeits hat das Object 
der scientia media gleichfam einen Zwitter » Charakter; es 
ift theils möglich, infofern es eben nicht wirklich wird, 
theils aber párticipirt e& an dem Charakter des Wirklichen, 
infofern die potentielle Urfache dazu bereits. wirklich vors 
handen ift, und infofern es gerade wie bie abfolut zukünf⸗ 
tigen freien Thätigfeiten bes endlichen Geiſtes nicht aut 
fchließlich von Seite der göttlichen Almacht aus erkannt 
wird, fondern aud) von Seite der freien Entfcheidung ber 
Greatur ber. Diefelben Schwierigkeiten, welche bel bem 
BVerfuche einer Bereinigung des göttlichen Vorherwiſſens 
freier Thaͤtigkeiten mit der Breiheit felbft fich ber menſch⸗ 
lichen Vernunft in den Weg ftellen, febren auch bei ber 
scientia media wieder, ja vielleicht noch mit größern Ge 
wichte, wie fich aus dem weiter unten Folgenden ergeben 
wird. Fürs dritte wurbe bie scientia media als bie scientia 





Ueber die scientia. media. 401 


directrix aufgefaßt, die dem göttlichen Dekrete über bie 
Weltordnung ber freien Gefchöpfe im Allgemeinen unb 
über das zeitliche und ewige Loos jedes einzeln gleichfam 
voranleuchte. Bon diefem Geftchtöpunfte aus fielen auch 
bie abfolut zukünftigen freien Erfcheinungen in ber Geifter- 
unb Menfchenwelt in das Gebiet ber scientia media, ins 
dem diefelben unabhängig und gleichfam vor bem Defrete 
Gottes nur als bedingtszufünftige von Gott erfannt ters 
ben können. Man ging nämlich von ber Anficht aue, 
daß wenn Gott einen feften unabänderlichen Weltplan feft- 
geítellt, und das Xoo$ jedes Einzelnen unabänderlich bes 
ftimmt habe, bie Freiheit des Geiftes gar nicht mehr feft: 
gehalten werden fónne, wenn nicht Gott vorher bie freien — 
Entfcheidungen ber Ereatur als bedingtszufünftige erfannt, 
und mit Rüdficht auf biefelben feinen Weltplan im Allge⸗ 
meinen wie im Einzelnen firirt habe. Dann aber fiel wies 
berum bie scientia media gerade in bie Mitte zwifchen ber 
scientia simplicis intelligentiae, welche mit der Erfenntniß 
Gottes von fid) felbft unb feiner unendlichen Allmacht uns 
mittelbar gegeben ift, unb ber scientia visionis, welche in 
Beziehung auf bie endlichen Dinge bie I Defreta 
zur Borausfegung hat. 


ER. Bibliſche Grundlage der scientia media. 


Nachdem der Begriff ber scientia media im Sinne 
ihrer Bertheidiger, unb die Berechtigung fowie die Ans 
knuͤpfungs⸗Puncte zu der neuen Bezeichnung derfelben an- 
. gegeben worden find, entftebt zunächft die Frage, ob aud) 
bie bI. Schrift ein derartiges Gebiet von Bedingt-Zufünfs 
tigem fenne und die Erfenntniß beffelben von Gott prd 
dicire. Die Offenbarung enthält nun allerdings Stellen, 

Theol. Quartalſqhrift. 1850. Heft III. 26 


402 Ueber ble scientia media. 


(unb die Vertheidiger der scientia media haben ben Bes 
weis dazu gründlich genug geführt), wo ein ſolches Ges 
biet von bedingtszufünftigen Thätigfeiten, welche bie freie 
Ereatur unter andern Bebingungen und bei andern Gna⸗ 
ben-Erweifungen gefegt haben würde, deutlich genug ans 
erfannt, und bie gewifle Erfenntniß beffelben Gott aud» 
druͤcklich zugefprochen wird. Wenn wir 1) bei Math. 11,21 
lefen: „Wehe dir forojaim! wehe bir Bethfaida! denn 
wenn zu Tyrus und Cibon die Wunder gefchehen wären, 
welche bei euch gefchehen find, fo würden fie längft in 
Gad und Afche Buße gethan haben“, fo fchreibt fi) Ehri- 
ſtus der Gottmenfd) an diefer Stelle offenbar bie beftimmte 
Erfenntniß von bem zu, was die Tyrier unb Giboniet 
gethban haben würden, wenn ihnen biefelbe Gnaden⸗Wirk⸗ 
famfeit Gottes zu Theile geworden wäre, bie ben Ber 
wohnern von Korozaim und Bethfaida wirklich zu Theile 
geworden ift. Wollte man von Seiten derjenigen, bie 
eine llnterídeibung ber scientia media von ber scientia 
simplicis intelligentiae geradezu beftreiten, dieſe Stelle fo 
erklären, daß Chriftus bier nur bie Erfenntniß eines bloß 
Metaphufifch-Möglichen von fid) behaupte, nämlich desje⸗ 
nigen, was er durch feine Wunderthätigfeit und gratia 
victrix in se b. i. durch feine den menfchlichen Willen uns 
widerftehlich nöthigende Gnade von den Tyriern und Sis 
boniern habe erwirfen, oder vielmehr erzwingen Tónnen; 
fo ift eine folche Gregefe, abgefeben von ber linfaltbarfeit 
jener dogmatifchen SSorauéfegung, nad) bem Wortlaut unb 
Zufammenhang unferer Stelle gar nicht zuläffig. Denn 
ed heißt ja nicht: „Wenn in Tyrus und Gíbon bie 
Wunder gefchehen wären, bie bei euch gefchehen find, fo 
würde bieje meine Wunderthaͤtigkeit verbunden mit ber 


ueber ble scientia. media. 403 


innern Gnade bei den Bewohnern von Tyrus und Sivon 
mit unwiderftehlicher Nöthigung die Buße und Befehrung 
erwirft haben“; fondern Chriftus fpricht vielmehr von ber 
freien Mitwirkung der Tyrier unb Gíbonier mit feiner 
Gnade: „Sie, bie Tyrier und Sidonier würden in Sad 
und Aſche Buße gethan haben, wenn fie bie Wunder gez 
fehen hätten, bie in Korozaim und Bethfaida gefchehen 
find. Aber nicht das allein. Chriftus ber Herr fpricht 
ausdrüdlich bae Wehe aus über bie Bewohner von Kos 
rozaim und Bethfaida, nicht deßhalb, weil fte eine inners 
lich nöthigende Gnade von Gott nicht erhalten hätten, 
fondern weil fie die empfangenen Ginaben freiwillig vers 
fcherzt, und ihm, dem Gottmenfden, bie Anerkennung vete 
fagt hätten. Bon ben Tyriern und Sidoniern hingegen 
fagt er im folgenden Verſe, daß es ihnen am Tage bes 
Gerichtes gelinder ergehen würde als ben Bewohnern von 
Korozaim und fBetbíaiba. Was hätte denn biefer Aus- 
fpruch des Herrn noch für einen Sinn, wenn er im vors 
hergehenden Verſe nicht an das freie fittliche Verhalten 
der Tyrier und Gibonier daͤchte und von ihnen behauptete, 
daß fie gegenwärtig beffer disponirt feien als bie Juden, 
vor denen er feine Wundermacht offenbarte, und daß fte 
ihre freie Anerkennung und Mitwirkung ficher nicht vers 
fagen würden, wenn fie die Wunder gefehen und diefelben 
Gnaben empfangen hätten? Wollte man aber von einem 
andern Ctanbpuncte aus unferer Stelle bie Deutung ges 
ben, daß Ehriftus fi Bier nur eine wahrfcheinliche Er- 
fenntniß von bem habe beilegen wollen, was bie Tyrier 
und Gibonier unter andern Verhältniffen geihan haben 
würden, und biefe Deutung dadurch motiviren, daß ἐδ 
auch bei vorauégefegter Wunderthätigkeit und Gnaden⸗ 
: 26 ? 





404 Ueber bte scientia. media. 


wirkſamkeit Chrifti dennoch immerhin zweifelhaft bliebe, 
ob ihm wirklich bie freie Zuftimmung und Anerkennung 
von Eeiten der Tyrier und Sidonier zu Theile geworden 
wäre, fo ift auch einer ſolchen Auslegung ein Zweifaches 
zu entgegnen. Einmal gibt bie grammatifche Gonftruction 
des Sages an unferer Stelle, fo wie in der Parallelftelle 
bei uc. 10, 13 für eine fofde Ausdeutung gar feine 
Anfnüpfungs » Buncte, vielmehr ift ber Sinn nad) vorlies 
gender Gonftruction, wenn im Borberfage εἰ mit einem 
Präteritum des Indicativs und im Nachſatze av mit bem 
Aoriſt verbunden ift, nur ber, bag wenn bie fragliche Des 
— bingung eingetroffen wäre, bie aber jegt nicht eingetroffen 


ift, die Tyrier und Gibonier wirklich Buße gethan hätten. - | 


Sum Andern fordert e8 unfere Sbee von ber Vollkommen⸗ 
heit der göttlichen Crfenntniß, wie unten gezeigt werben 
foQ, daß biefelbe auch auf dem Gebiete des Bedingt» Zur 
fünftigen nicht al8 eine menſchliche Wahrfcheinlichkeite- 
Rechnung, fondern als eine unfehlbare unb abfolut gewiſſe 
zu denfen iſt. Wenn die menfchliche Vernunft, mit Be 
zug auf das Gebiet des Wirflichen, bie unfehlbare gött- 
liche Borausficht der abfolut zukünftigen, freien Erſchei⸗ 
nungen in ber Beifters und Menfchenwelt mit der creatürs 
lichen Freiheit nicht in Einflang zu bringen und in Einem 
Gedanfen zufammen zu faflen vermag, fo tft fie keineswegs 
deshalb (don berechtigt, das eine ober andere Moment in 
ber wiffenfchaftlichen Reconftruction zu läugnen, fondern 
nur ihre eigne Unzulänglichfeit anzuerkennen, und an einer 
annähernden Löfung des Problems und Entfernung ber 
Widerfprüche unausgefept zu arbeiten. So wie alfo Gott 
bie abfolut zukünftige freie Entfcheivung der Greatur nicht 
bloß nad) ihrem Entweder⸗Oder, b. 5. nicht bloß als eine 











Ueber die scientia media. 405 


mögliche erkennt, bie in ber Wirflichkeit entweder fo ober 
aud anders ausfallen fann, fondern als eine unfehlbar 
nur fo zutreffende, ohne ihr damit den Charakter der vor; 
bergehenden Nothwendigkeit aufgubrüden, fo erkennt er 
aud bie bedingt» zufünftige freie Zuftimmung der Greatur 
nur als eine freie, aber zugleich al& eine fole, bie uns 
fehlbar erfolgen würde, wenn biefe ober jene Bedingung 
gefegt würde, 

2) Mit terfefben Entfchiedenheit gibt bie Offenbarung 
von ber scientia media in bem bezeichneten Sinne Zeugs 
nif im 1. B. der Kin. 23, 7—14. Nachdem David (id) 
vor Saul in den feiten Plab Eeila geflüchtet, und „nun 
merfte^, heißt es weiter in ®. 9: „daß Saul heimlich 
Boͤſes wider ihn vorhabe, fprach er zu Abiathar, bem Prie⸗ 
fer: Bring das Ephod her! Und David fprah: Herr 
bu Gott Israels! dein Knecht hat gehöret das Gerücht, 
das Saul fid) anfchide, gen Eeila zu fommen, um dieſe 
Stadt zu verderben meinethalben. Werden die Männer 
von Gei(a mich in feine Hände liefern? wird Saul herabs 
fommen, wie bein Knecht gehöret hat? Herr, bu Gott 
Israels, gib es Fund deinem Knechte! And ber Herr 
fora: Er wird Derabfommen (descendet, ^3). Und 
David fprad: Werden die Männer Ceilas mich über: 
geben fammt ben Männern, bie bei mir find, den Händen 
Sauls? And ber Herr fpra: Sie werden euch über» 
geben (tradent, vv3pY).* David jog nun wirklich von 
Geifa ab, Saul fam nicht dorthin und bie Geiliten übers 
gaben ben David alfo auch nicht. Hier verlangt demnach 
David von Gott auf ganz feierliche Weife die zuverläßige 
Gewißheit Darüber, ob Saul herabfommen und bie Geis 
liten ihn uͤberliefern wuͤrden, menm er in Geila bliebe, 


406 Ueber ble scientia media. . 


und Gott gibt ihm biefe Gewißheit wirklich als eine 
fchlechthinige und ganz beftimmte, und deutet mit Feiner 
Sylbe irgend eine bloße Wahrfcheinlichkeit an. Auch fann 
die Beweisfraft biefer Stelle nicht dadurch verflüchtigt 
werben, bag man bie infallible Erfenntniß Gottes bloß 
auf etwas Wirkliches, auf die gegenwärtige Stimmung 
des Saul und der Geiliten beziehen will. Vielmehr vers 
langt David eine ganz beftimmte Grfenntnig nur darüber, 
was Saul unb bie Geiliten als freie Wefen unter ber 
Bedingung thun würden, wenn er in Geila bliebe, wähs 
rend er über baó gegenwärtige Vorhaben des Saul nad 
den ausdrüdlichen Worten des B. 9 gar nicht in Zwei⸗ 
fel war. 

3) Mit berfelben ausdruͤcklichen Gewißhelt wird die 
scientia media im 3. B. der Kön. 11, 2 eingeführt, mit 
Bezug auf 2. Mof. 34, 16. , Gebet nicht zu ihren Weis 
bern, unb laflet fie nicht gehen zu euern Weibern; denn 
wahrlich fie werben eure Herzen abwenden, daß ihr ihren 
Göttern nachgehet (certissime enim avertent corda vestra, 
Dan wu 

4) Was denn endlich bie Stelle aus bem Buche 
ber Weisheit 4, 11 angeht, wo e$ heißt: „Er ift binges 
rafft worden, damit die Bosheit feinen Verſtand nicht 
verblenden, und bie 9frglift feine Seele nicht verderben 
möchte; fo fónnte man bie Beweiskraft derfelben für die 
Scientia media nur baburd) entfernen, daß man ber Sinn; 
lichfeit eine innerlich nöthigende Gewalt über ben menfch- 
lichen Willen zufchriebe. Dann wiirde freilid)" Gott nad) 
biefer Stele nur etwas Bloß - Mögliches erfennen, abet 
man würde zugleich eine VBorausfegung machen, bie auf bem 
Standpuncte ber. Offenbarung feiner SBiberlegung bedarf, 


9 


Ueber ble scientia media. 407 


€. Lehre der Väter über die selentia media, insbe⸗ 
fondere die des bl. Auguſtin. 

Da die Vertheidiger ber scientia media den Vorwurf 
ber Neuheit ihrer Anftcht gründlich genug durch einen um» 
faffenden Nachweis zurüdgewiefen haben, daß bie ange: 
fehenften Kirchenväter wenn auch nicht bem Namen, doch 
der Sache nad) von der göttlichen Erkentniß des Bedingts 
Zufünftigen auf das deutlichfte Erwähnung thun, und 
biefelbe zur Beleuchtung ver göttlichen Weisheit und Liebe 
in ber Leitung freier Weſen benilgen D; fo möchte εὖ wohl 
nicht unzweckmaͤßig erfcheinen, bie Lehre des hl. Auguftin 
über biefen Gegenftanb im Einzelnen darzulegen, weil ges 
rabe ihm im Verlaufe der femipelagianifchen Streitigfeiten 
bie fSeranfaffung gegeben wurde, bie Frage liber bie scientia 
media und ihre Verwendung für bie Gnabenlefre ex pro- 
fesso zu behandeln. Aus biefer Darlegung wird fid) nicht 
nur der Begriff ber scientia media fchärfer herausftellen, 
fondern fid) auch ber Schlüffel zur Beurtheilung ber Streis 
tigfeiten in der neuern Zeit ergeben, fowie bie Orenzlinien 
erbellen, welche bie Anwendung jener scientia media nicht 
überfchreiten darf. Die Maffilianer oder Semipelagianer 
glaubten nämlich, wie wir aus bem Schreiben des Prosper 
unb Hilarius an ben hi. Auguftin erfehen, durch bie aus 
guftinifche Gnaden⸗ und Präpeftinationslehre das chriftliche 
Intereſſe nach zwei Seiten verlegt, indem einestheild bie 
freie Gnadenwahl zu einer Willführ gefteigert werde, bie 
mit unferer bee von ber Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe 


1) Wir verweilen auf die bei Petavius „de deo deique propr. 
IV. c. 8. unb bei Tournely „de deo et divinis attributis ^ qu. 16. 
art. 5. citirten Stellen aus Gregor v. Nyffa, Gregor dem Großen, 
Ehryſoſtomus u. a. 


408 Ueber die scientia media. 


Gottes gegen alle Menfchen in Widerfpruch gerathe, und 
anderntheild bie Gewißheit und Unabänderlichfeit der Präs 
beftination forie die Stotbwenbigfeit der vorhergehenden 
Gnade bie Freiheit des Menfchen nicht mehr neben fid) 
fteben (affe, unb ein fittlihes Ringen und Streben über 
flüffig made. Um nun biefen beiden Klippen, welche 
man aus Mißverftändnig mit der auguftinifchen Lehre nicht 
umfchiffen zu können glaubte, in möglichft weiter Ferne zu 
bleiben, um ſowohl ber Gerechtigkeit und Liebe Gottes gegen 
-alle Dienfchen als auch der menfchlichen Freiheit ihre volle 
Rechnung zu tragen, ftellte man eine Theorie auf, welche 
bie chriftliche Gnadenlehre wefentlich veríegte, und in cons 
fequenter Durchbildung nur mit bem vollen Pelagianismus 
geendet haben würde, Wie ein Kranker, fo [ebrten. fie, 
um das Nöthige hier Furz zu berühren, nur bann Anſpruch 
auf Heilung machen fónne, wenn er ben Arzt rufen [afe, 
und der Arznei mit feinen natürlichen Kräften entgegens 
fomme, wie ein in ben Brunnen Gefallener das darge, 
reichte Seil ergreifen müfle, menn er gerettet werben wolle, 
jo müffe aud) ber in Adam gefallene und durch bie Erbr 
— fünbe erfranfte Menfch mit feinen ihm noch übrig geblies 
benen fittlichen Kräften ber Allen gleich zugänglichen Gnabe 
Chrifti entgegenfommen, um dur ſchwaches Verlangen 
und Sehnen bie volle Gnade des Glaubens wenigftens 
einigermaßen zu verdienen. Das ſchwache initium fidei fel 
allein Sache be8 Menfchen, unb werde mit ber vollen 
Gnade des Glaubens von Gott belohnt. Ebenfo fei aud 
bie Beharrlichfeit im Stande der Gnade nur Folge einer 
rein menfchlichen Anftrengung und fein donum divinum. 
Deßhalb gebe ἐδ hiernach auch feine willkührliche Präpes 
ftination mehr, Gott fei feinerfeits bereit, allen Menfchen 


Ueber die scientia. media. 409 


feine Gnade zu geben, aber er beftimme unb. prábeftinire 
nur ben zum Glauben an Gbrifluó, bei bem er jenes 
initium fidei al& rein natürliche Thätigfeit vorhergefehen, ἢ 
und präbeftinire nur den zur ewigen Geligfeit, bei bem 
er bie perseverantia als natürliche Tugend und einfeitig 
menfchliche Anftrengung voraus erkannt habe, ja Gott 
werde einzig und allein von dieſer Borausficht geleitet unb 
beftimmt, ob er Semanben präbeftiniren ober. reprobiren 
folie. Weil fle aber bei unmünbigen Kindern, von benen 
einige thatfächlich das Gaframent ber Taufe und bamit 
bie Anwartichaft auf den Himmel erhielten, andere aber 
ohne biefe Gnade vor ben Sabren der Vernunft dahin⸗ 
ftarben, feine derartigen natürlichen Verdienſte auffindig 
machen fonnten; fo nahmen (te ihre Zuflucht zu ber scientia 
media unb ftellten bie Lehre auf, bag Gott biefe8. Kind 
nur nach erhaltener Taufgnade von biefer Welt nehme, 
weil er wifle, daß e8 fid) im Halle eines längern Lebens 
das SBerbienft des initium fidei und ber perseverantia zu 
eigen machen würbe, bem andern aber diefelbe Gnade vere 
weigere, weil er wifle, bag es im alle eines längern 
Lebens nur Mißverdienfte fid) fammeln würde D. Auf 


. 1) „Cumque“, ſchreibt Prosper an den hi. Auguftin, „inter haec 
innumerabilium illis multitudo objicitur parvulorum, qui utique ex- 
cepto originali peccato, sub quo omnes homines similiter in primi 
hominis damnatione nascuntur, nullas adhuc habentes voluntates, 
nullas proprias actiones, non sine Dei judicio secernuntur; ut ante 
discretionem boni ac mali de usu vitae istius auferendi, alii per 
regenerationem inter coelestis regui assumantur haeredes, alii sine 
baptismo inter mortis perpetuae transeant debitores: tales ajunt perdi, 

talesque salvari, quales futuros illos in annis majoribus, si ad acti- 
. vam servarentur aetatem , scientia divina praeviderit. Nec conside= 
rant se gratiam Dei, quam comitem non praeviam humanorum volunt. 


410 Ueber ble scientia media, 


dieſelbe Weife glaubten fie aud) das freie Wohlgefallen 
Gottes bei Austheilung ber Gnade des Evangeliums gänzs 
lich entfernen zu müffen, unb die thatfächliche Bevorzugung 
des Einen Volkes, das von dem Evangelium Kunde et» 
hielt, vor einem andern, bem diefe Gnade verweigert wurde, 
dadurch vollftánbig motibiren zu fónnen, daß Gott nur 
denen das Evangelium prebigen faffe, von denen er vers 
möge feiner scientia media vorhergewußt habe, daß fie 
bei der Anhörung des Evangeliums die Anfänge des Glau⸗ 
benó mit ihren eignen natürlichen Kräften_bervorbringen 
würden, unb bag biefe Vorausficht das adäquate Motiv 
der Prädeftination zum Glauben fet 5. Alten übrigen 
alfo verweigere Gott nur beffalb und einzig deßhalb bie 
Gnade des Evangeliums, weil er gewußt, bag fie ber 
äußern Predigt des Wortes mit ihren natürlichen Kräften 
nicht entgegen fommen unb ben Glauben nicht aus fid) et» 
jeugen würben. 

Gegen eine folche Verwendung der scientia. media 
trat nun Auguftin mit Recht auf das Entfchiedenfte in bie 
Schranken, und bekämpft fie in feinen Schriften: „De prae- 
destinatione sanctorum ^ und „de dono perseverantiae*, 
befonders aus zwei Geſichtspuncten: 

1) SBebingtzaufünftige Verdienfte oder Mißverbienfte 
an unb für (id reichten keineswegs bin, des Menfchen 


esse meritorum, etiam illis voluntatibus subdere,'quas ab ea, secun- 
: dum suam phantasiam, non negant esse praeventas. 

1) Cum autem, ſchreibt Hilarius an ben 81, Auguflin, dicitur eis, 
quare aliis vel alicubi praedicetur, vel non praedicetur, vel nunc 
praedicetur quod aliquando pene omnibus, sicut nunc aliquibus gen- 
tibus non praedicatum sit; dicunt id praescientiae esse divinae, ut 
eo tempore, et ibi, et illis veritas annuntiaretur, vel annuntietur, 
quando et ubi praenoscebatur esse credenda. 





Ueber ble scientia media. 411 


ewige Belohnung oder SBeftrafung von Seite Gottes volls 
fländig zu motiviren. 

2) Wie überhaupt zu bem wirflidyen initium fidei 
unb zu jebem wahrbaften Heildwerfe die vorangehende 
übernatürlicde Gnade nöthig fei, fo erfenne Gott auch bie 
bedingt» zufünftigen SSerbienfte nur unter der Bedingung 
einer vorhergehenden übernatürlichen Gnabe, keineswegs 
aber [don unter ber bloßen Bedingung eines längern Les 
benó ober bloß unter ber Bedingung . der äußern Predigt 
des_Evangeliums. 

Dom ſſten Gefichtspuncte aus bemerft Auguſtinus: 

a. Anſtatt daß man durch eine ſolche Theorie von 
bedingt » zukünftigen Verdienſten und Mißverdienſten für 
ein vermeintliches Fatum ober für eine unerflärliche Will⸗ 
führ bie Gerechtigkeit Gottes in der Gnaden⸗Austheilung 
walten fafie, bebe man vielmehr bie Gerechtigfeit Gottes 
ganz auf, wenn er ſchon wegen bebingt zukünftiger Mißs 
verbienfte, bie aber nicht wirklich werden, bie ewigen Stras 
fen verhänge, ober wenn er nicht aus Gnade, fonbern bloß 
wegen bedingt » zukünftiger SSerbienfte zur Gribeilung des 
ewigen Lebens volftändig motivirt werde. Sa das ganze - 
fittliche eben des Menfchen, das man recht hervorheben 
wolle, verliere allen Werth und alle Bedeutung, wenn: 
fon fein bedingt-zufünftiges Handeln hinreichte, um fein 
ewiges 2008 zu entíd)eiben. An eo redituri sumus, fagt - 
Aug. de dono pers. c. 9. n. 22., ut adhuc disputemus, 
quanta absurditate dicatur, judicari homines mortuos etiam 
de his peccatis, quae praescivit eos Deus perpetraturos 
fuisse, si viverent? Quod ita abhorret a sensibus chri- 
stianis, aut prorsus humanis, ut id etiam refellere pudeat. 
Cur enim non dicatur, et ipsum Evangelium cum tanto 


412 Ueber ble scientia. media. 


labore passionibusque sanctorum frustra esse praedicatum, 
vel adhuc etiam praediceri; si judicari homines poterant 
etiam non audito Evangelio, secundum contumaciam. vel 
obedientiam, quam praescivit Deus habituros fuisse, si 
audissent? Hieher gehören aud) bie Stellen, wie de 
praed. ss. c. 14 und andere, wo Auguſtin bie scientia 
media gänzlich zu beftreiten fcheint, wo er in ber That 
aber nur behaupten will, daß Gott das Bedingt-Zufünftige, 
was nicht wirklich wird, nicht als Abfolut » Zufünftiges 
erfenne, und daher auch nicht im eigentlichen Sinne des 
Worts vorhermifle. 

b. So wie jene Theorie ble Geredtigfelt Gottes 
zur Thorbeit mache, fo bringe fie aud) die göttliche Liebe 
und Barmherzigkeit in Berruf, denn wenn Gott. ble bes 
Dingtszufünftigen Sünden erfenne, fo müffe er fie aud) 
vergeben fónnen, ba er ja aud) wirklich begangene Suͤn⸗ 
ben vergeífe. Wergleiche de praed. ss. c. 12. n. 24. Qui- 
cunque enim dicit, puniri tantum posse Deo judicante fu- 
tura peccata, dimitti autem Deo miserante non posse, 
cogitare debet, quantam Deo faciat gratiaeque ejus inju- 
riam; quasi futurum peccatum praenosci possit, nec possit 
ignosci. Quod si absurdum est, magis ergo futuris, si 
diu víverent, peccatoribus, cum in parva aetate moriuntur, 
lavacro, quo peccata diluuntur, debuit subvenire. 

c. Die hl. Schr. fpreche allerdings bei Matth. 
11, 21 von bedingtszufünftigen 9Berblenften, aber fte füge 
im folgenden Verſe ausbrüdiid) bei, bag Gott auf Grund 
berfelben ben Tyriern und Sidoniern nicht die ewige Ges 
ligfeit verleihe. Secutus enim (conf. de dono pers. c. 9. 
n. 23.) Dominus ait: ,Verumtamen dico vobis, Tyro et 
Sidoni remissius erit in die judicii, quam vobis. Severius 


Ueber ble scientia. media. 413 


erga punientur isti, illi remissius; sed tamon punientur. 
— — Falsum est igitur et secundum ea mortuos judicari, 
quae facturi essent, si ad viventes Evangelium perveniret. 
Et si hoc falsum est, non est, cur dicatur de infantibus 
qui pereunt sine -Baptismate morientes, hoc in eis eo me- 
rio fieri, quia praescivit eos Deus, si viverent, praedica- 
tumque illis fuisset Evangelium infideliter audituros. Selbft 
wenn man bie Stelle fo erf(áren wolle, bag Gott unter 
bet Tyriern und Sivoniern beffalb die Wunder nicht ges 
wirft Babe, weil er erfannt habe, daß fie von dem Gíaw 
ben doch wieder abfallen, und auf diefe Weife eine um 
fo fchwerere Schuld fid zuziehen würden; fo frage fid) 
immerhin noch, warum fie Gott nicht vor bem Abfalle 
von biefer Welt genommen habe.  Syebenfalló aber bleibe 
auch bei diefer Erklärung fo viel gewiß, daß Gott ben 
Menfchen nicht nach den bedingt » zufünftigen Mißverbiens 
ften richte. Qui enim dicit, bemerft Auguftin, relicturis 
fidem beneficio fnisse concessum, ne habere inciperent 
quod graviore impietete desererent, satis indicat non ju- 
dicari hominem ex eo quod praenoscitur male fuisse fac- 
turus, si ei quocunque beneficio ut id non faciet consu- 
latur. Hier mag denn aud) die Bemerfung ihren Plag 
finden, wie entfchieven 9fuguftin bie scientia media anets 
faunte, und nur bje verfehrte Anwendung derfelben von 
Seiten der Gemipelagianer befämpfte. 

d. Was bie Stelle aus dem Buche der Weisheit 
4, 11 betreffe, welcye die Semipelagianer aus dogmatifcher 
Befangenheit als uncanonifche abweifen wollten (cf. Ep. 
Hilari n. 4.), fo walte über deren Ganonizität in ber 
Kirche fein Zweifel ob, und fie fpreche durchaus gegen bie 
Anficht von ber Verwerfung wegen bedingt «zukünftiger 


414 Ueber ble scientia media. 


Bergehen, da ja ber gerechte Yüngling, von bem Im Buche 
ber Weisheit die Rede fei, von biefer Welt hinwegberufen 
werde, damit er nicht bei Tängerem Leben in Sünden falle 
und beó ewigen Lebens verluflig gehe. Si enim judica- - 
rentur homines, fagt Aug. de praed. ss. c. 14. n. 29, 
pro meritis suae vitae, quae non habuerunt morte prae- 
venti, sed habituri essent, si viverent, nihil prodesset ei, 
qui raptus est, ne malitia mutaret intellectum ejus; nihil 
prodesset eis qui lapsi moriuntur, si ante morerentur; 
quod nullus dicere christianus audebit. 

e. Mit ibrer Anficht von ben bedingtszufünftigen 
Verdienften unb Mißverbienften arbeiteten fie nur ben e 
lagianern in die Hände, die mit um fo mehr Grund die 
Erbfünde beftreiten fónnten, weil Gott ja nur nach ben 
bebingt-zufünftigen Handlungen das ewige Loos des Men- 
fen entfcheide, und deßhalb bie Erbfchuld bei den unmün- 
digen Kindern gar nicht zu berüdfichtigen brauche. Conf. 
de praed. ss. c. 13. n. 25. Hoc si auderent Pelagiani, 
non jam laborarent negando originale peccatum, quaerere 
parvulis extra regnum Dei nescio cujus suae felicitatis 
locum etc. 

f Schließlich hatten fif ble Gemipelaglanet nad 
bem Berichte des Hilarius auf einzelne Stellen aus einer 
Schrift des bf. 9luguftin contra Porphyrium (Epist. 102.) 
berufen, wo er bie Frage behandelt, warum Ehriftus fo 
fpät in die Welt gefommen fei. Auguftin wiederholt biefe 
Stelle felbft (de praed. ss. c. 9. n. 17.) alfo: Proinde cum 
Christo .non objiciant, quod ejus doctrínam non omnes 
sequuntur; quid respondebunt, si excepta illa altitudine 
sapientiae et scientiae Dei, ubi fortassis aliud divinum con- 
silium longe secretius latet? sine praejudicio etiam aliarum 








Meber hie scientia. media. 415 


forie caussarum, quae a prudentibus vestigari queunt, hoc 
solum eis brevitatis gratia in hujus quaestionis disputa- 
lione dicamus, tunc voluisse hominibus apparere Christum, 
el apud eos praedicari doctrinam suam, quando sciebat, 
el ubi sciebat esse qui in eum: fuerant credituri? ... 
Quid ergo mirum, si tam infidelibus plenum orbem ter- 
rarum Christus prioribus saeculis noverat, ut eis apparere 
vel praedicari merito nollet, quos nec verbis, nee miraculis 
suis credituros esse praesciebat? Neque enim incredibile 
est, tales fuisse tunc omnes, quales ab ejus adventu usque 
ad hoc tempus tam multos fuisse atque esse miramur... 
Ac per hoc ei quibus omnino annuntiata (salus) non est, 
non credituri praesciebantur; et quibus non credituris 
lamen annuntiata est, in illerum exemplum demonstrantur; 
quibus autem credituris annuntiatur, hi regno coelorum 
el sanctorum angelorum societati praeparantur. Aus biefer 
Darftelung, bie unfer Kirchenlehrer in den genannten 
Schriften gegen die Semipelagianer theils erläutert, theils 
aber aud) befchränft, folgten aber keineswegs bie Conſe⸗ 
quengen, welche die Semipelagianer daraus ziehen wollten, 
vielmehr woalteten zwifchen ihrer Lehre und ber obigen 
Darftellung nod) bedeutende Differenzen ob. Auguſtin 
Ipricht hier | 

«) nur von einer negativen NReprobation unb amar iut 
Nähern von ber Borenthaltung ber unverbienten Gnade 
des Evangeliumd, bie er baburd) motivirt, daß diejenigen, 
denen fie vorenthalten wird, biefelbe doch nicht benugl, 
fondern nur eine um fo größere Schuld contrahirt haben 
würden, während bie Semipelagianer ble wirkliche Vers 
bammung ber unmündigen Kinder durch biefe göttliche Er⸗ 
fenntniß adäquat begründen wollten. 


416 Ueber ble scientia. media. 


A) Selbft bei der Borenthaltung der unverbienten 
Gnade des Evangeliums macht Auguftin die bezeichnete 
scientia media nicht als einziged und abdquate& “Motiv 
‚geltend. — Gott verweigerte nicht bloß deßhalb vielen Men: 
fen ble Kunde vom Evangelium, weil er gewußt, bof 
fie demfelben bod) feinen Glauben fdyenfen würden, viel 
‚mehr hebt Auguftin hervor, daß e& auch andere verborgene 
Grünbe gebe, auf bie er hierorts nicht näher eingehen 
wolle. And menn er an ber obigen Stelle fagt, daß Gott 
Alle, zu denen die Predigt des Evangeliums nicht ges 
fommen, als folche erfaunt habe, bie demfelben nur wider 
fireben würben, fo befchränft er biefe feine frühere Wut; 
fage in der Echrift de dono pers. c. 9. n. 23. Si enim 
quaeratur a nobis cur apud eos tanta miracula facia sint 
qui videntes ea non fuerant credituri, et apud eos. facta 
non sini qui crederent si viderent; quid respondebimus? 
Numquid dicturi sumus, quod in libro illo dixi, ubi sex 
quibusdam quaestionibus Paganorum, sine praejudicio tamen 
alarum caussarum, quas prudentes possunt vesligsre, 
Tespondi?.. item paulo post in eodem libro, atque in 
eadem quaestione: ,Quid mirum“, inquam, „si tam infi- 
delibus plenum orbem terrarum Christus prioribus saeculis 
noverat, ut eis praedicari merito nollet, quos nec verbis, 
nec miraculis suis crediluros esse praesciebat ?^ Haec 
certe, fügt er jegt zur Ginfdjrdnfung bei, de Tyro et 
-Sidone non possumus dicere, et in eis cognoscimus ad ess 
caussas praedestinationis haec divina judicia pertinere, sine 
quarum caussarum latentium praejudicio tunc ista respon- 
dere me dixi. ... Numquid possumus dicere, etiam Tyrios 
et Sidonios talibus apud se virtutibus factis credere noluisse, 
aut credituros non fuisse, si fierent? cum eis Dominus 








, 


Ueber die scientia media. 417 


attestelur, quod acturi essent magnae humilifatis poeni- 
lentiam, si in eis facta essent divinarum illa signa virtutum. 

y) Rod weniger fimmte Auguftin auch am obiger 
Stelle mit den Semipelagianern darin überein, daß bet 
vorbergejehene bedingt» zukünftige Olaube von Seite ber 
Menfchen Gott das adäquate Motiv dazu Dergebe, biefen 
dad Evangelium wirklich prebigen zu laffen, indem letzteres 
thatſaͤchlich auch ſolchen gepredigt werde, die nicht glauben 
wollen. Wer immerhin Kunde von dem Heile in Chriſto 
erhalte, der habe nicht ſeinen eigenen Verdienſten dieſe 
Gnade zu verdanken, ſondern nur im Herrn ſich zu ruͤh⸗ 
men. Wären die menſchlichen Verdienſte für Gott der 
adäquate Beweggrund zur Ertheilung der Gnade, fo wäre 
bamit ber Begriff ber Gnade überhaupt aufgehoben, zu 
deren Weſen die Gratuitaͤt gehöre. Proinde, fo heißt εὖ 
de dono pers. c. 11. n. 25., sicut Apostolus ait: „Non 
volentis neque currentis, sed miserentis est Dei“, qui et 
parvulis, quibus vult, etiam non volentibus, neque cur- 
rentibus subvenit, quos ante constitutionem mundi elegit 
in Christo, daturus eis gratiam gratis, hoc est, nullis eorum 
vel fidei vel operum meritis praecedentibus; unb c. 12. 
n. 28: Dendo enim quibusdam, quod non merentur, pro- 
fecto gratuitam, et per hoc veram suam gratiam esse 
voluit; non omnibus dando !), quid omnes merentur osten- 
dit. Non eis remanet, heißt εὖ in bemfelben Buche c. 13. 
n. 32., cur dicant, quod in Pelagianis damnavit, et ab 
ipso Pelagio damnari fecit Ecclesia, gratiam Dei secundum 





1) Um ben Belagianern unb Semipelagianern die Gratultät bet 
Enade zu beweifen, beruft fid) Auguflin hier, fo wie an vielen andern 
mifeerflanbenen Stellen, auf bie gratia specialis der Präbeftinirten, ohne 
Darum bie gratia sufficiens für Mile Iäuguen zu wollen. 


Seo. Duaztalfgrift. 4850. IL. Heft. 27 


= 


418 Uber ble scienkig medii. 


merita nostra dari; cum videant ahos parvulos non rege- 
meralos ad aelernam mortem, alios autem regeneratos ad 
meternam vitam tolli de hac vita; ipsosque regeneralos, 
slios perseverantes usque in finem hinc ire, alios quo- 
nsque decidant hic teneri, qui utique non decidissent, 
Si antequam laberentur hinc exisseni; et rursus quosdam 
lapsos quousque redeant non exire de hac vita, qui uli- 
que perireni, si antequam redirent exirent. 

2) Aber auch mit all bem Gejagten glaubte unfer 
Kirchenlehrer bie femipelagianifche, Theorie von ber scientia 
média noch nicht vollftändig genug befämpft, unb auf alle 
ihre Schwächen und. Irrthlimer aufmerkffam gemacht zu 
haben, Hatte ec námlid) aud) bei der Berufung auf bie 
oben citirte Stelle aus feinen frühern Schriften darauf 
hingewieſen, daß xb Gott bei der SRráübeftination zum 
Stauden nicht vollftónbig von ber. Vornusſicht ber bebingb 
zufinftigen Verdienſte leiten und beftimmen laſſe, bof er 
«ud) folche: berufen... son denen er gewußt, ba fte feine 
&nade nicht einmal. annehmen würben, bag er überhaupt 
nur aus Guaden zum Gíauben berufe und Dies aan augen 
fhreinlichften bei unmündigen Kindern zeige; fe war nob 
 iwmet awd bes Hauptirrthume zu begegnen, ben bit 
Seniyelagianer aus einer falfchen Gnadenlehre heruͤber⸗ 
genommen hatten. Wenn nämlich: das mitium fidei fowie 
Mt perseverantia nach ihrer. Anſicht einzig und allem 
Sache bed Menfchen ift, wodurch biefer fid) Anſprüche auf 
bie Gnade unb ewige Geligfeit verdient, fo befam bie 
oben erwähnte Stelle aus Auguftins Schriften den Sinn, 
dag Ehriftus eben zu ber Zeit in bie Welt gefommen fei, 
und den Menfchen fein Evangelium habe prebigen laſſen, 
weil er ald Lages frajt feiner. scienlia media. ‚von. eju 


w 











Veber vie scientia: media 419 


erkannt habe, daß fle den Glauben felbftfländig aus fid 
erzeugen würden, wenn fie von dem Evangelium Kunde 
befämen. Ermwächst aber das initium fldei auf bem Boden 
ber menfdjliden Natur nicht ohne vorangehende Befruch⸗ 
tung durch bie göttliche Gnade, unb ift überhaupt feine 
übernatürliche, verdienftliche Heilshandlung ohne bie vor» 
ausgehende göttliche Gnade möglich; fo erfénnt auch Gott 
in Bezug auf bie unmünbigen Kinder noch gar feine bes 
bingt «aufünftigen Verbienfte unter ber bloßen SBebingung 
eines längern Lebens, nod) erkennt er den Glauben an 
fein Evangelium fchon bei ber einzigen Beringung, baf 
et daffelbe äußerlich prebigen läßt. Wie überhaupt Beides 
mur wirklich werden fann, wenn Gott mit feiner uͤberna⸗ 
türlichen Gnaden⸗Wirkſamkeit dem Menfchen: innerlich zus 
vorfömmt, fo fani er baffelbe auch nur unter ber- SBebine 
gung feiner anregenben, zuvorlommenden Gnade erfennen. 
Wälnend daher unfer uter in ber Schrift contra Por- 
phyrium gejagt batte: tmc voluisse honiimibus apparere 
Christum, et apud eos praedicari doctrinam suam, quando 
sciebat, οἱ ubi sciebat esse qui in eum fuerant credituri; 
fügt er jept mit Bezug auf bie femipelagianifche Anficht 
hinzu: Sed utrum prgediceto sibi Christo a se ipsis ha» 
bituri essent fidem, an Deo donante sumpturi, id est, utrum 
taatummodo eos praescietit, an etiam praedeslinaver# 
Deus, quaerere atque disserere tunc necessarium non pu- 
tavi (conf. de praed. ss. c. 9. n. 18.). Hatte er früher 
behauptet: Salutem religionis hujas nulli unquam defuisse 
ui digmas fuit, et dignum non fuisse, cui defuit; fo be, 
merkt er jet: (eodem loco c. 10. n. 19.) si discutistur 
δὶ quaeratur unde quisque sit dignus, non desunt qui 
dicant, toluniste humeda; nos autem dicimws gratia vel 
> | 27* 


420 Neber ble scientia. media. 


praedestinatione divina. Damit war aber bie scientia 
media unb ihre Bedeutung für bie Gnabenlebte nicht gaͤnz⸗ 
lich aufgehoben, fonbern nur richtiger und fd)drfer beftimmt 
worden. Während bie Semipelagianer Gott mehr auf das 
freie Thun des Menfchen Rüdficht nehmen -liefen, und 
des [egtern SSebingtbeit und Unzulänglichleit für das lieber 
natürlich- Gute nicht genug anerkannten, fo galt εὖ bem 
Auguſtin nunmehr, bie Bedingungen recht deutlich hervor 
guheben, welche nach der Gnadenlehre dazu erforberlic 
find, damit das wahrhaft verbienft(idbe Handeln des Mens 
fchen wirklich werben und son Gott erfannt werben fann. 
Daher war der Gebanfe unfereré Kirchenlehrers mit Süd» 
fidt auf obige Stelle biefer: Gott bat bei ber Sinorbuung 
feines Weltplans auf das freie Thun des Menfchen allers 
Dinge Rüdficht genommen, ohne jedoch fid) hierdurch allein 
adäquat beftimmen zu faffen, und er orbnete deßhalb bie 
Zeit der Ankunft unfers Herrn fo an, daß wenn er in 
bie Welt fomme, fein Evangelium prebige, und mit feiner 
Gnade bie Herzen. innerlich erleuchte und erwärme,- aud) 
von Vielen gläubig aufgenommen würde; ober mit andern 
Worten: Gott erfannte vermöge feiner scientia media, ob 
und welche Menfchen nad) erlangter Kunde vom Grange 
lium und mit Qüífe der zuvotkommenden göttlichen Gnade 
Das Opfer des Glaubens bringen wuͤrden, und neben am 
bern Rüdfichten hat er auch mit Bezug auf blefe Erfennt 
niß feinen Weltplan geordnet, und den Zeitpunct ber Er 
ſcheinung Ehrifti beftimmt. ὅτε ὦ ſcheint Auguſtin im 
folgenden 10. Gapitel der erwähnten Schrift de praed. ss. 
bie Wirkſamkeit und Kraft der göttlichen Gnabe fe zu 5e 
tonen, als wirfe fie allein im Menfchen den Glauben, ober 
treibe ihn mit Rothwendigkeit zum. Glauben, usb ala ἐν 








lieber ble scientia. media. 421 


fenne Gott daher aud) den Glauben nur aus und in ber 
allvermógenben Kraft feiner Gnade. Praedestinatione quippe 
Deus ea praescivit,. fagt er, quae fuerat ipse facturus. 
Aber er Hatte auch im Vorhergehenden gefagt:  Utrum 
praedicato sibi Christo a se ipsis habituri essent fidem, 
an Deo donante sumpiuri, id est, utrum daniummodo eos 
praescierit, an etiam praedestinaverit Deus, quaerere atque 
disserere tunc necessarium non putavi, und de praed. ss. 
6. 11. n. 22. fügt er hinzu: Ideo enim haec (ἐδ ift vom 
Glauben unb den guten Werfen ble Rede) et nobis prae- 
cipiuntur, et dona Dei esse monstrantur, ut intelligatur, 
quod et nos ea facimus, el Deus facit, ut illa faciamus. 
Auguftin hebt alfo nur aus polemifchen Rüdfichten bie 
Kraft der göttlichen Gnade ganz bejonberó hervor, weil 
fie von den PBelagianern gänzlich geläugnet wurde, und 
er hätte nur bann bie scientia media in ihrem Unter⸗ 
fhiede von ber scientia simplicis intelligentiae und visionis 
aufgeboben, menn er bie Gnaben s Wirkfamfeit Gottes in 
ber fittlichen Welt für eine folche angefeben hätte, ble mit 
immanenter 9totbyoenbigfeit und Umgehung ber menfchlichen 
Freiheit das Sittlich- Gute hervorbringt, wie etwa ble götts 
liche Wunderkraft die Wunder in der äußern Natur. Go 
lange dies aber nicht bewieſen werden Tann, fo lange 
bleibt bie sciehtia media aud) im auguftinifchen Lehrbegriff 
u Recht befleben. So lange dem Menſchen überhaupt 
irgend eine felbfiftändige freie Mitbetheiligung an bem 
„Werte feines Heils zufömmt, fo [ange erfennt aud) Gott 
das Heilswert im Ganzen wie im Einzelnen als ein. bes 
Dingtszufünftiges nur aus der Kraft feiner Gnade aló 
caussa principalis und ber freien Meets des Menfihen 
als caussa secundarie. : 


492 Ueber ble scientia. mollia. 


Welche Bedeutung und Geltung behält denn nun 
wed die scientia. media im auguftinifiben Lehrbegrifft 
Die Lehre von bem tiefen Gebeimnifje der SBrábeftination, 
wie fie Auguftin nad) ber Lehre ber bi. Schr. und bet 
Bäter näher entwidelt batte, führte befonders zwei Schwie⸗ 
gigfeiten mit fid, welche bereits oben als felche bezeichnet 
‚worden find, woran bie Semipelagianer Anſtoß genommen, 
Q6 waren bie Fragen: 1) Wie bleibt bei dem unabänbers 
lichen Ratbfehluffe Gottes, dieſe beftimmte Menfchen zu 
befeligen,, noch bie freie fittliche Berbätigung derfelben bes 
fieben? und 2) woher erklärt fich bei der gleichen Berfchuls 
bung affer Menfchen durch die Sünde Adams bie ungleiche 
Behandlung von Seiten Gottes, daß er diefen durch bes 
fondere Gnaden zum ewigen Leben führt CBrdbeftination), 
und jenem diefe befondern Gnaden vorenihält (negative 
Reprobation) ? 

Beide Fragen vermag bie menfchliche SBernunft nicht 
fo zu beantworten, bag überhaupt feine Schwierigkeit für 
bie menfchliche Auffaſſung mehr übrig bleibt, und unfer 
Kirchenlehrer weifet eine folche Brätenfion der Bernunft 
immer entſchieden zurück. Nichte deftoweniger aber geht 
er auf eine Beleuchtung der Fragen und eine theilweiſe 
gófung der Schwierigfeiten mit Hülfe ber scientia. media 
näher ein, und fagt in Bezug auf die erfte rage, daß 
der unabänderliche Rathſchluß Gottes über das Heil eines 
einzelnen Menfchen die Sreibeit des Menfchen vellfommen 
beftehen (affe, weil Gott vermóge feiner scientia media 
vorher fehon erfannt habe, ob ber Menfch mit bem ibm 
zuertheilten Ginabenmafe auch freithätig mitwirken würde. 
Gott bat erkannt, bag bie Tyrier und Gibonier in Gad 
unb Aſche Buße thun würden, wenn ſie bit Wunder Chriſti 


Ueber Die scientia medi 428 
(eben und bie Gnaben. erhalten würden, welche bie Juden 
verſcherzt hätten. Was binbere εὖ alfo. die Yreibeit ber 
Tyrier und Sidonier, wenn Gott fie wirklich prábeftinitt 
und ihnen die Gnaben zu verleihen befchloffen hätte, welche 
fie fiher zur Bekehrung und Buße geführt haben würde? 
Quid enim est verius, jagt er de praed. ss. c. 9. n. 18. quam 
preeseisse Christum, qui et quando et quibus locis in eum 
fuerant credituri? b. b. nad) bem Folgenden: fidem deo 
donante sumpturi. Anderwärts brüdt Auguftin benfelben 
Gedanken in ähnlicher Weife fo aus: Wenn Gott einmal 
befchloffen hat, biefen ober jenen Menfchen zu befeligen, 
oder zu einem beſondern Organe feiner Offenbarung zu 
machen, fo fann feine Abficht durch bie Freiheit des Mens 
fchen nicht vereitelt werden, weil er nicht bloß eine belie- 
bige Auswahl von Gnuaben s Erweifungen in Bereitfchaft 
bat, fondern auch weiß, welcher Gnade der Menfch. feine 
freie Sufimmung geben würde, unb mit Rüdficht hierauf 
feinen Entfchluß gefaßt bat. An forte (fo heißt εὖ libr. 1. 
ad Simpl qu. 2. n. 12—13.) illi, qui hoc modo vocati 
non consentiunt, possent alio modo vocati accomodare 
fidei voluntatem, ... ut illud verum sit: „Igitur non vo- 
lentis neque currentis sed miserenti$ est Dei“, qui hoc 
modo vocavit, quomodo aptum erat eis, qui seculi sunt 
vocationem? ... Non potest effectus misericordiae Dei 
esse in hominis potestate, ut frustra ille misereatur, si 
homo nolit; quia si vellet etiam ipsorum misereri, potest 
ita vocare, quomodo illis aptum essel, et ut moverentur 
et intelligerent et sequerentur. ... lli enim vocali, qui 
congruenter vocati eic. Sn bemfelben GCinne heißt εὖ 
Lib. L op. imp. contra Jul. c. 93: Absit, ut impediatur ab 
homine ommipotenlis et cuncia praescientis intentio. 


424 Ueber bie scientie medie. 


Was aber bie 2. Frage betrifft, bie aud) in Bezie⸗ 
Bung auf unmündige Kinder geftellt werden kann, warum 
Gott bei gleicher Berfchuldung Aller biefe& Kind zur Taufe 
gelangen faffe, jenes aber vor dem Empfang des Sakra⸗ 
ments von diefer Welt rufe, warum er dieſen das Evan 
gelium prebigen lafle, jenen aber nicht, marum er biefen 
im Stande ber Gnade zu [Ὁ rufe, jenen aber in Sünden 
fterben lafle; fo weifet Auguftin zunächft darauf hin, daß 
fid in biefem ungleichen Verhalten Gottes gegen die Men⸗ 
ſchen, jedoch unbefdjabet der Binreidjenben Gnade für Alle, 
gerade die Oratuität der Gnade offenbare, die durch eine 
faliche Anwendung der scientia. media nidjt verflüchtigt 
werden dürfe. Nüdfichtlich ber unmünbigen Kinder bürfe - 
bie scientia media überhaupt gar nicht angewandt werben, 
auch nicht um jenes ungleiche Verhalten Gottes nur in 
Etwas zu motiviren, höchftens ftelle fie die Liebe Gottes 
unb die Gratuitdt ber Gnade nur in ein um fo hellered 
Licht, wenn Gott ein Kind nach erhaltener Saufgnabe qu 
fi rufe, von bem er erfannt, daß es im Falle eines län 
gern Lebens den Berfuchungen unterliegen würde. „(rt 
ift dahingerafft worden, damit bie Bosheit feinen Sinn 
nicht verblenbe.« Daſſelbe gilt denn auch von der Gnade 
eines (eligen Todes bei Erwachfenen, wenn Gott von 
ihnen erfannt fat, daß fie im Falle eines längern 2e 
bens in ſchwere Sünden fallen würden. Jedoch ſchreibt 
Auguftin mit Rüdfticht auf die Erwachjenen der scientia 
media in bem oben ‚näher bezeichneten Sinne aud) bie 
Bedeutung zu, daß fie ben Praͤdeſtinations⸗ ober negativen 
. Reprobationg » Befchluß Gottes in Etwas motipire und bi 
rigire, jedoch mehr noch ben lehtern als den erflern, weil 
bei biefem immer bie Gratuität feftgeBalten werben muß. 








τ Yieber die scientia media. 425 


Sn ber oben citirten Stelle aus der Schrift contra Por- 
phyrium hatte Auguftin behauptet, daß Gott alle diejenigen, 
weiche von dem Evangelium Feine Kunde erhielten, als 
folche erfannt hätte, die demfelben bod) feinen Glauben 
fihenfen würden, und wenn er diefen Erflärungs »3Berfud) 
in dem Buche de dono pers. c. 9. n. 23 mit Rüdficht 
auf 9Ratb. 11, 21 auch in Etwas einffjrünft, daß man 
von ben Tyriern und Sidoniern baffelbe nicht behaupten 
könne, fo ldft er benfelben bod) als einen folchen gelten, 
ber jenem verfchienenen Verhalten Gottes in den meiften 
Fallen den Borwurf der Willführ nimmt. Und in ber 
That find bie in Stage ftebenben bedingtszufünftigen SRif» 
verbienfte wirklich von der Art, daß fie jene verfdbiebene 
Behandlung ber Menfchen von Seite Gottes wenigftené 
theilweife motiviren, weil fie mit ber wirklichen ftttlichen 
Beichaffenheit des Menfchen in der innigften Beziehung 
fteben, und gleichfam ber Potenz nach in bem böfen Willen 
des Menfchen bereits wirklich vorhanden find. “Diejenigen, 
von denen Gott die Verwerfung des Evangeliums als bes 
dingt-zufünftig vorhergefehen hat, find in ber Regel bereits 
wirflich fdyon folche, von denen ſich, menfchlicher Weife zu 
reden, nichts SBeffereó vermuthen läßt, und bie fid) über 
bie Borentbaltung jener Gnabe nicht beklagen fónnen. Se 
mehr alfo bie bedingt= zukünftigen Mißvervienfte zu bet 
gegenwärtigen wirklichen fittlichen Befchaffenheit des Mens 
ſchen in Beziehung ftehen, defto mehr find fie geeignet, uns 
jenes verſchiedene Verhalten Gottes erflärlich zu machen. 


B. Speculative Gründe für bie scientia media. 


1) Wenn εὖ ein Gebiet des Phyſiſch⸗Moͤglichen 
oder Bedingt» Zufünftigen gibt, und eine fidere Erfennts 


426 Ueber bie scientia media, 


niB auf biefem Gebiete möglich ift, fo forbert unjere Idee 
yon ber abjolut vollkommenen Erfenntniß Gottes aud) eins 
fhließlich bie des SBebingteJufünftigen. Sft aber ber end: 
liche freie Oei zunaͤchſt ein potenzielled bebingte& Sein, 
das die reale Potenz zu mannigfachen Erfcheinungen und 
Lebensäußerungen in fid) trägt, unb den Charakter feiner 
SBebingtbeit immerfort darin offenbart, daß es nur in Folge 
beftimmter Einwirfungen von Außen, unmittelbar von Gott 
ober von ber Welt, fo ober anders fpontan reagitt ;.[p 
muß auch angenommen werben, baf ber einzelne Gig 
unter andern Bedingungen, andern 2ebenóverbáltniffen und 
andern Influenzirungen von Seite Gotteó ober ber Welt 
ein anderes Leben aus fid) geftalten und andere Thaͤtig⸗ 
feiten entwideln würde. Es gibt mithin ein Gebiet von 
Phyſiſch⸗Moͤglichem auf bem Grunde des endlichen Geiftee 
von größerem Umfang als das des Wirklichen, wenn Gott 
bie Einwirkungen auf den einzelnen Geift fo georbnet hat, 
daß auch andere außer denjenigen, welche wirklich erfolgen, 
möglich gewefen wären, und wenn es ber freie Geift in 
der Gewalt hat, auf die erfolgte Einwirfung fo ober ans 
ders zu reagiren. Iſt aber Lebteres der Ball, fo ift das 
Phyſiſch⸗Moͤgliche zugleich nicht ein bloß Mögliches, ein 
fchlechthiniges Object der göttlichen Allmacht, jonbern hat 
vielmehr zwei Faktoren zu feiner lInterlage, einerfeitö bie 
unmittelbar ober mittelbar göttliche Einwirfung auf ben 
endlichen Geift, unb andrerfeits bie freie Rüdwirfung def 
felben endlichen Geiftles. Die nähere Frage fann babe 
nur bie fein, ob auf bem Gebiete diefes Bedingt - Zufünf 
tigen eine ſichere Erfenntniß möglich if. Daß εὖ ife. 
baupt ein Objeet der Grfenntni$ fei, davon gibt unà die 
menfchliche Berechnung und Grfenntnifraft Zeugniß.genug, 





Mébst bie scientik mellin. 421 

. bie eben barin ihre Weisheit ſucht, von ben fid) tarbies 
tenben Mitteln immer dasjenige zu wählen, das am beften 
zu dem Ziele führt, und bie fid) off mit ber Grmittelung 
deſſen befbádftigt, was für einen Einfluß dieſes oder jenes 
Geſetz, biefe ober jene Begebenheit auf die Befchide eines 
Bolfes oder das Leben eines Einzelnen haben werde. Nur 
Tíebt der menfchlichen Berechnung in biefec Beziehung eine 
Ungewißheit und Unficherheit an, und zwar dieſelbe, welche 
auch dem menfchlichen @rfchließen wirflich-zufünftiger Bes 
gebenheiten anbängig. ift. Wie aber diefe Unvollkommen⸗ 
heit der ‚göttlichen Borausficht abfolutszufünftiger und zwar 
zufälliger Begebenheiten (contingenter futurorum) nicht 
anklebt, jo muß auch bie göttliche Erfenntniß des Bedingts 
— Zufünftigen untrüglich unb ber Möglichfeit einer Taͤuſchung 
durchaus enthoben fein. Wollte man bie hier entftehende 
Schwierigkeit, wie Gott das Bebingt- Zukünftige auf uns 
trügliche Weife erfeimen könne, ba εὖ doch vom Stand⸗ 
puncte ber menfchlichen Freiheit aus betrachtet fu ober aus 
ders ausfallen fónne, mit ber Behauptung befeitigen, daß 
Bott baffelbe von Seiten feiner allwirkſamen ober phylifch« 
prábeterminirenben Gnade aus auf unfehlbare Weiſe ets 
fenne, fo bat eine folche Löfung nicht mehr Geltung als 
biejenige, welche bie göttliche Vorausſicht ber freien ab; 
folut  zufünftigen Begebenheiten aus der GrfeintniB ber 
beterminirenden Ilmftände und Lebens⸗Verhaͤltniſſe berleitet. 
Vielmehr erfennt Gott das. Bedingt: Zufünftige auf adaͤ⸗ 
quate Weile, b. b. al& folches, das unfehlbar aber barum 
bob nicht auf nothwendige Weife zutreffen würde, wenn 
bieft oder jene Bedingung von. feiner Seite gefegt würde, 
2) 6 ift eine nothwendige Annahme unferer Vers 
aunft, Gott ald den weiſen Lenker und Regierer auch ber 


428 Ueber die scientia. media. 


filtlihen Welt, unb ihrer Entwicklung und Vollendung 18 
benfen. Wenn aber unfere Idee von Gott als dem Aller 
eolífommenften und Unveränderlichen ben Gedanken auds 
fchließt, als fónne fein Wiſſen durch bie freie ſelbſtſtaͤn⸗ 
dige Entfcheidung ber Ereatur enttäufcht, oder fein Rath⸗ 
ſchluß über bie. fittliche Weltorbnung butd) bie Dppofition 
ber freien Greatur in der Zeit alterirt, mobificirt ober gat 
vereitelt werben, fo werben wir wie von felbfl zu der Ans 
nahme geführt, daß Gott zunächft bie freien Entſchließun⸗ 
gen der Greatur als bedingtrzufünftige erfannt, unb bat» 
nach feinen Rathſchluß beftimmt habe, fo daß dieſer durch 
bie freie Tchätigkeit des Gefchöpfes nicht nur nicht alterirt, 
fondern geradezu ausgeführt wird. Will man bem freien 
endlichen @eifte nicht jebe ſelbſtſtaͤndige LXebensäußerung 
rauben, und Daneben auch bie Entwidlung, Geftaltung und 
fBollenbung ber fittlichen Weltorbnung nicht dem Zufall 
ober den endlichen gefchaffenen Wefen felbft überlaffen unb 
damit auch preisgeben, jo fann man ber Borausfekung 
nicht entgehen, daß bem Rathſchluſſe Gottes bie Grfennts 
nig der freien Lebensäußerung der Greatur. zu Grunde 
liege und gleichfam vorangehe. 

3) Die religiöfe Anfchauungsweife jedes einzelnen 
Menfchen, befonberó des Srommen, über fein eignes Leben 
und bie göttliche Würforge in bemfelben, treibt ihn bei 
Leiden und Drangfalen, und Überhaupt bei der Entbehrung 
eines zeitlichen Gutes ganz unwillführlich zu bem Gebanfen, 
daß der liebe Gott ihm das vermißte Gut nur deßhalb 
vorenthalten habe, weil er- erkannt, daß ber Beſit befielben 
ibm nicht zum eile feiner Seele gereichen würde. Das 
religiöfe Gemüth des Menfchen benft fi überhaupt bie 
Bärforge Gottes, obne deſſen Willen fein Haar von unferm 


Ueber ble scientia media 429 
Haupte fällt, als eine (οἵδε, die gerade immer das Beſte 
für uns thut, die mit Weisheit und Liebe unà immer in 
bie Lebens⸗Verhaͤltniſſe verfegt, welche für bie Gewinnung 
unfered Heiled uns am geeignetften find‘, bie uns immer 
die Gnaben und Güter zuführt, mit denen wir am fichers 


Ren und beften unfer Ziel erreichen fónnen, bie unter vielen — 


andern Heilsmitteln und Gütern gerade foldje für uns 
auswählt, welche bie geeigneiften und beften find. Diefe 
Auswahl aber fest gerade die Grfenntnig bei Gott voraus, 
welche als bie scientia bezeichnet worden tft, vermóge wels 
cher Gott weiß, was der SRenjd in andern Lebens » Bet» 
hältniffen, mit andern Gnaben unb Heilsmitteln wirfen 
würde. Und diefe troͤſtliche Anfchauungsweife von ben 
weifen und liebevollen Sügungen Gottes fommt nur bei 
ber Borausfegung zur vollen Berubigung unb Zufrieden⸗ 
heit, wenn jened Wiſſen in Gott um das Bebingt-Zukünfs 
tige feine bloße menfchliche Wahrfcheinlichteits » Rechnung, 
fondern ein gemifie und untrüägliches ift, das aud). bie 
Möglichkeit aller Täufchung ausſchließt. 


IL Artikel. 


Yerwendung der scientia media für die Gnadenlehre. 


Nachdem bie Anwendung ber scientia media für bie 
Lehre ven ber Gnade und Prädeftination von 9tuguftin 
bereits in den Streitigkeiten mit den Gemipelagtanem 
erörtert und namentlich in ihre gehörigen Grenzen zuräds 
gewiefen war; wurbe bie pofitive Ausbildung unb tiefere 
Begründung biefer von Auguſtin gleichſam nur hingewor⸗ 


͵ 


4930 Udbes: wie scientia mollis. 

fenen Andeutungen von ber. mittelaltertidjen Theologie bei 
Seite gefeBt. Die pofitive Anwendung der scientia. media 
erfchien bei Auguftin überhaupt nur ale eine gelegentliche 
und Anderen wiederum nur ald eine Art von Sugeftánbnif 
gegenüber ber femipelagianifchen Lehre, während bie eigent; 
liche wiſſenſchaftliche Entwidlung der Gnabenlebte bei ihm 
mehr Darauf hinausgehen mußte, bie abfolute Nothwen- 
digkeit, Gratuitát und Wirkſamkeit der Gnade nad) allen 
ihren Seiten zu beftimmen unb. hervorzuheben, als die nod) 
surüdgebliebenen guten natürlichen Kräfte im Menſchen 
sur Anftrebung der natürlichen Sittlichkeit, unb ble ba: 
durch ermöglichte fogenannte negative Diepofition für 
die Gnade wie Mitwirkung mit verfelben zu betonen und 
in ihren. einzelnen Stabien zu verfolgen. In biefer Bes 
ziehung bat die Scholaftit das Sbrige getban, um bit 
Schulden abzutragen, welche ihr Der große Kirchenichrer - 
beo Abendlandes hinterlaflen hatte, und fie fand bagu Aus 
$en Anlaß genug in ber Sefümfung präbeftinatianifcher 
Irrthümer, welche in Gottichalf zunächft eine theoretifche, 
und in ben fpätern Sekten bes Mittelalters mehr eine 
praktifhe Ausprägung erhielten. Als aber (egtere im 16. 
Sabrhundert in dem großen Abfall von ber Kirche ihren 
Ausgang nahmen, und die Kirche auf dem C. Trid. vielen 
Reſultaten der Scholaftif in genannter Beziehung das 
Siegel ber Unfehlbarfelt aufbrüdte, ba war nicht nur eine 
ſichere Grundlage gegeben, auf weldger bie scientia media 
geltend. gemacht werben founte, fondern aud Anlaß genug 
geboten, die Garbinalfrage ber Zeit, bie Lehre -von be 
Gabe und Freiheit, bis ins Einzelnfte zu verfolgen. Ab⸗ 
geichen jedoch von den außerkirchlichen Lehren ber Stefore 
matoren, namentlich eines Gnivin und Deza bie zu (oret 


"Ueber ble scientia media. 431 
Gegenfüflern dem Arminius und Epiſcopius, fotole eines 
Bajus und Yanfenius, find hierorts nur die Streitigfeiten 
zu berädfichtigen, welche fid) auf Firchlichem Boden um 
das bezeichnete punctum. quaestionis bewegten. 


A. Verwendung der scientia media für die Erklärung 
der gratia efficax. 


Die Differenzpuncte zwiſchen thomiftifcher unb feott- 
ftifcher Schule oder ber ber Dominikaner und Franzisfaner, 
welche mich einzelne wichtige dogmatifche Fragen berührten, 
führten im 16. Jahrhundert befonders über bie Gnaben: 
(ebre zu neuen heftigen Streitigfeiten, als ber Dominifanet 
Dannez, Lehrer zu Salamanca, bie 9Birffamfeit der Gnade 
aus einer praemotio und praedeterminatio physica zu er» 
Mären, und damit bie eigentliche Lehre des heil. Thomas 
vet (darf herauszuſtellen glaubte, Dagegen erhob fid) 
großentheilg auch ber neue Drben der Sefuiten, welcher in 
den dogmatifchen Streitpuneten über die Gnadenlehre unb 
unbefledte Empfängniß Mariens die Partei der Franzis 
faner ergriff, und Molina veröffentlichte zu Ende des 10. 
Sahrhunderts fein berühmtes Buch: Liberi arbitrii cum 
gratiae donis, divina praescientia, providentia, praedesti- 
aalione el reprobatione concordia. Einerſeits wurde bier 
im Anfchlug an bie fcharfe Unterſcheidung des status na- 
turae purae von dem status naturae elevatae bei Dunfcotus 
gelehrt, tag ber Menfch unter dem allgemeinen Einfluß 
Gottes ohne befondere äbernatürliche Gnade (gratia 
supernaturalis ordinis) ein natuͤrlich-gutes Werf fegen und 
bie natürliche Sittlächleit erfireben Tönne, unb bag Gott 
demjenigen, ber mit feinen παι ἀπ ει Kräften das natuͤr⸗ 
lid Gute zu erringen ſtrebe, auch. die zuvorkommende Gnade 


432 Ueber ble scientia media. 


zum übernatürlichen Leben in Heiligkeit und Gerechtigkeit 
ertheile, nicht aló wenn ber Menfch bie Gnade burd feine 
natürliche Würbigfeit irgendwie verdiene, fondern weil die 
GnadensAustheilung nach diefem Gefege eine ber göttlichen 
unb menfchlichen Vernunft gemäße ift. Anderfeits wurde 
bie Wirkfamfeit der zuvorkommenden actuellen Gnade zu 
einem natürlichsguten Werfe wie auch ber übernatürlichen 
Gnade zu jevem Heildwerfe fo gefaßt, daß bie voranges 
hende Gnade zwar in actu primo wirffam in und burd 
fi felbft fei, b. b. daß fie ben Menfchen erleuchte, ev 
wärme, erfchüttere u. f. w. daß aber ihre Wirkfamfeit in 
actu secundo, wenn baó gute Werk wirflid gu Stande 
' fomme, feinen. objectiven Linterfchied ihrer eignen innern 
Kraft und Energie vorauófege, fondern nur davon abhäns 
gig fel, ob ber Menfch in freier Selbftentfcheidung mit ber 
Gnade mitwirfe, ober biefelbe verwerfe. Da aber Gott 
vermöge ber scientia media, welche Bezeichnung er zuerſt 
in die Wiſſenſchaft einführte, auch (don vor ober vielmehr 
unabhängig von bem Befchluße, biefe beftimmte Gnade zu 
ertbeilen, woiffe, ob der Menſch berjelben feine Zuftimmung 
geben werde oder nicht, fo [εἰ aud) im erflern Kalle bie 
zuvorfommende Gnabe infofern eine efficax. zu nennen, alt 
mit dem göttlichen Entfchluße, dieſe Gnabe zu eribeilen, 
bie unfehlbare Erfenntniß verbunden {εἰ ober vielmehr dem⸗ 
felben vorangehe, daß fie durch bie freie Zuftimmung bed 
Menfchen von Erfolg fein werde, Ausdrücklich werbe hier 
bie scientia media angerufen, benn Gott πε, ebe er 
einen beftimmten Entſchluß über ble Gnaben-Austheilung 
fefe, unfehlbar erkennen, von welchem Erfolge biefe ober 
jene Gnade in ber moralifchen Welt wie in bem Leben 
jedes Einzelnen fein werde, und außerdem als ber lieber 











-Meber ble scientia media, 433 


bolrfie Pater aud) die Crfenntnig baben, mit welchen Gina, 
benmitte[g ber Einzelne am beften fein Ziel erreichen Fönne, 


eine gratia Sufficiens verleihe, bie paa iebesmalige Können 
Des Gutes bewirft, daß er aber dur wirklichen Ausführung 


chen Willens hervorbringt. Dieſe gralia efficax ſei nicht 
blog Objectip von ber gralia sufficiens verfchieden und Aug: 
flu$ eineg befonbern Wohlwollens Gottes, ſondern bringe 
auch durch eine phyſiſche Praͤdetermination (im Gegenſatz 


des letztern hervor, ſo daß der freie Wille, wenn jene 
Gnade ertheilt wird, b. i. in sensu composito, Nicht mehr 


1) €» fagt per DL Thomas p. 4. 4. 111. a. 2: Sq — 
efficaciter potest movere Voluniates , angelus autem et homo P 


dum Suadentis, 
eol. Ouartalſqrift. 1850. ΠΙ, Ger. 23 


434 Ueber ble scientia media. 


un concurs qui soit prét à tout indifféremment, et qui 
devienne ce qu'il nous plaira; encore moins de lui faire 
attendre à quoi noire volonté se portera, pour former 
ensuite à jeu sür son décret sur nos résolutions. Cer 
sans ce foible ménagement, qui bruille en nous ioute 
l'idée de premiere cause, il ne faut que considérer que 
la volonté divine, dont la vertu infinie atteint tout, non 
seulement dans le fond, mais dans toutes les maniéres 
d’etre, s'accorde par elle-méme avec l'effet tout entier, 
οὐ elle met tout ce que nous y concevons, en ordonnant 
quil sera avec toutes les propriétés qui lui conviennent. 
Damit wurde felbftredend bie scientia media gänzlich um 
gangen, unb anfangs von ben Thomiften fogar beftritten. 
Vielmehr wurde Gott als folder vorftellig gemacht, ber 
vermöge feiner scientia simplicis intelligentiae erfenne, 
welche Gnade in und aus fid) felbft bie Kraft habe, ben 
freien Willensact des Menſchen hervorzubringen, und 
welche dasfelbe nicht vermöge, und in der Ertheilung biefer 
oder jener Gnade einzig und allein von feinem eignen 
freien Wohlgefallen geleitet werde, 

Das war im Kurzen der Differenzpunet über bie 
Wirkfamfeit der Gnade zwifchen thomiſtiſcher und molini⸗ 
ftifcher Schule, der bald einen fo heftigen Streit und ge 
genfeitige Verbächtigungen bervorrief, daß fid bie Päpfe 
bewogen fanden, zur etwaigen Löfung und Seilegung ber 
obwaltenden Streitigkeiten bie befannten congregationes 
de auxiliis abhalten zu laffen, welche nicht die Verwerfung 
ber einen ober andern Anficht, fonbern nur das Verbot 
gegenfeitiger Berbächtigungen zur Folge hatten. Nichts 
beftomeniger trugen biefe Gongregationen, fomie bie zahl 
reichen polemifchen Schriften 93ie(eó dazu bei, bad gegen 








Ueber bie scientia media. 435 


feitige Verſtaͤndniß, bie tiefere Begründung ber entgegen: 
gefegten Anfichten und bie theilweife Annäherung berfelben 
zu befördern. Die Moliniften hielten ifrerfeitó bem tho⸗ 
miſtiſchen Syfteme bejonberá bie Schwierigfeiten entgegen, 
wie fie in ähnlicher Weiſe auch fehon In ben Streitigkeiten 
Wuguftiná mit den Semipelagianern berührt worden find, 
nämlich : 

1) Wie könne bei biefer phuftfchen Prävetermination, 
wenn bie Gnade durch fid) felbft ben guten Willensact 
hersorbringe, nod) bie Freiheit des Menfchen und damit ὦ 
die Verdienftlichkeit des guten Willensactes beftehen, und 
wie fónne in einem andern Falle, wo Gott die Gnabe 
verweigert, ohne welche feine gute Handlung gefegt werben 
fann, noch von einer Schuld und einem Mißverdienfte bie 
Rede fein? 

2) Wie fónne die em inefficax, welche Gott Nies 
manden verweigert, nod) eine eigentliche gratia sufficiens 
genannt werben, ba fie in feinem Falle volftändig dazu 
binreiche, eine gute Handlung wirklich zu vollbringen ? 

Bon der andern Seite machten aber auch bie Thos 
miften gegen bie Theorie des Molina bedeutende Einwen⸗ 
dungen und Bebenfen geltend, welche nicht nur nähere 
Erfiärungen nöthig machten, fondern auch eine theilweife 
Modifizirung der ganzen Anftcht veranfaßten. Unter An- 
derem bemerften fie Folgendes: 

1) Die moliniftifche Anſicht mache bie Gnade zu einer 
gralia versatilis b. b. zu einer ſolchen, welcher ber Menfch 
durch feine freie Mitwirkung Kraft verleihe und zu ihrer 
Wirkſamkeit verhelfe, ober burd) fein Widerftreben in bem 
Suftanb ber bloßen Sufficienz laſſe. Der Menfch fei εὖ 


daher mn, ber 3. Ὁ. bie bargebotene Gnade der Buße 
28 ** 


* 


436 lieber ble scientia. medie; 


entweder zu einer das Herz wirklich befchrenden mache, 
ober fie zurüdweife. 

Darauf erwiebderten die Moliniften, daß fie ble zuvor: 
fommende Gnade keineswegs ale ein bloß Außerlich dar 
gebotenes Gut betrachteten, das ben Menfchen völlig in 
different [affe, unb erft durch bie Mitwirfung des leptern 
eine Kraft und Wirkfamfeit befomme. Im Gegenthell er: 
greife bie göttliche zuvorfommenve Gnade ben menfchlichen 
Geift auf lebendige Weife, unb gebe biefem vie nöthige 
Erleuchtung, Kraft und Energie, etwas Gutes zu thun, 
fowie bie übernatürliche Weihe, wodurch er fähig werde, 
wahrhaft llebernatürlid)eó und für das ewige Heil Gr 
fpriedliches zu leiften. Was aber das Beifpiel von ber- 
SBefebrung betreffe, fo gebühre nach ihrer Anficht ber 
Gnade nicht bloß bie Initiative und das Schlußmoment, 
bie @ingießung der heiligmadyenden Gnade einzig und 
allein, fonbern ihr gebühre aud) unter dem Gefichtspuncte 
des Zuſammenwirkens mit dem menfchlichen Willen der 
wichtigere und entfcheidendere Antheil. Ihre eigenthüm- 
liche Anficht beftebe nur darin, daß jede zuvorfommende 
Gnabe, fo febr fie auch den menfchlichen Geift erleuchten, 
ftärfen und erheben möge, immer ein moralifcher Einfluß 
bleibe, der eó bem menfchlichen Willen vollig anheim ger 
ftellt fein Taffe, ob er feine freie Suftimmung zu einem 
beftimmten guten Werfe geben wolle ober nicht, ob et, 
Tad den Worten beó C. Tr. s. VI. cap. 5 unb can. 4. 
affentiren ober biffentiren wolle. Nur well Gott dieſes 
ſchon vor bem Defrete, biefe beftimmte Gnade zu ertheilen, 
vermöge ber scientia media erfannt habe, fo {εἰ fle im - 
erften Falle eine gratia efficax, bie unfehlbar in actu se- 








lieber bie seientia media. 437 


cundo von Erfolg fein werde, unb im andern Falle nur 
eine gratia sufficiens. | 

2) Wenn bie Thomiften weiterhin darauf hinwiefen, 
daß die moliniſtiſche 9Ínfid)t ben Act der Selbftbeftimmung 
des Menfchen von ber Gnabe gänzlich entblöße und los⸗ 
reiße, unb als ſolchen barftelfe, der einzig unb allein Durch 
bie Thätigfeit des Menfchen zu Stande fomme, fo gaben 
bie Moliniften gerne zu, daß bie zuvorkommende Gnade 
die freie Juftimmung des menfchlichen Willens erft moͤg⸗ 
(id) mache unb vorbereite, fowie daß bie gratia adjuvans 
und concomitans im Momente ber Selbftentfcheinung für 
das Gute mit dem menfchlichen Willen zufammenwirfe, 
Sa letztere unterließen nicht zu bemerfen, daß bie gratia 
praeveniens im tbomiftifden Sinne die gratia adjuvans ober 
concomitans überflüffig mache, ober bod) mit legterer cons 
funbirt würde, während bod) vom C. Tr. ausbrüdlich biefe 
Unterfcheivung gemacht werbe 1). 

3) Nichts beftomeniget [iege der ganzen moliniftis 
ſchen Theorie eine verfehrte Anficht von ber fittlichen Freis 
heit des Menfchen zu Grunde. Wie bie Pelagianer- die 
natürliche fittliche Breiheit des Menfchen als ein aequi- 
librium mit einer durchaus gleichen Hinneigung zum 
Guten wie zum Böfen, fogar vom gefallenen Suftanbe 
behauptet hätten, fo gehe aud) bie moliniftifche Theorie 
darauf hinaus, obgleich fte bie Nothwendigkeit ber zuvor: 
fommenben Gnade anerfenne, ihre Mitwirkfamfeit nur 
infofern zu poftuliren, als nothivendig fei um jene Indifs 
ferenz und durchaus gleichmäßige Hinneigung zum Guten 


1) Bergl. s. VI. cap. 16. Quae virtus bona eorum opera semper 
antecedit, et comitatur et subsequitur. 


438 Ueber bie scientia: medie. 


wie zum Böfen im Menfchen ju Stande zu bringen. 
Gehöre aber zur fittlichen Freiheit hier auf Erden nur bie 
Möglichkeit der Wahl zwiſchen Gut und Boͤſe, unb {εἰ 
bie völlig gleiche Hinneigung zu dem @inen wie zu bem 
Andern eine reine Abftraction, die fehr viele Grade nad 
ber einen wie nach der andern Seite hin neben fid) bulben 
muß, fo fei auch gar nicht abzufehen, warum bie zuvor, 
fommenbe Gnade jeden Menfchen auf relativ gleiche Weiſe 
erregen müfle, wie bod) von den Moliniften angenommen 
würde. Nur bann, wenn man für bie fittlidye Selbftent- 
fdeibung des Menfchen immer eine durchaus gleichmäßige 
Hinneigung zum Guten wie zum Boͤſen erfordere, fónne 
von einer relativ gleichen Gnade für Alle bie Rede. fein, 
bie dem jedesmaligen Willen des-Menfchen gerabe fo viel 
Kraft gibt, bag. er der Ginabe ebenfo gut bie freie Zuſtim⸗ 
mung geben als aud) verweigern fann. 

4) Go wie alfo bie fittlid)e Wreibeit nod) Raum 
genug (affe für ein verſchiedenes Maß von zuvorkommen⸗ 
der Gnabe, fo fpreche auch bie BI. Schrift und namentlich 
ber bl. Auguftin, beffen Gnabentebre in der Kirche fletó 
das größte Anfehen genofien babe, von einer befonbern 
Gnade für bie Auserwählten, und [eite bie Wirkfamteit 
der Gnade nicht von der Zuftimmung des Menfchen for 
dren von ber Kraft ber Gnade {εἶδ} ber D. Was ins 
befondere die Lehre Auguftins betreffe, fo behaupte er nicht 
bloß, daß Gott auf die wirffamfte Weife in und das 
Wollen unb Vollbringen wirfe?), fondern er berufe fid) 


1) Bergleiche Ezech. 36, 26. Joh. 6, 44, Philipp. 2, 13. 
2) De gr. et lib. arb. c. 16, n. 32. Ille facit, ut faciamus, 
praebendo vires efficacissimas voluntati. 


Ueber ble seientia media. 439 


bei der Erklärung ber Wirkfamleit der Gnade geradezu 
auf den allmächtigen Willen Gottes, wie wenn er de corr. 
εἰ gr. c, 14, n. 45 fagt: Non est itaque dubitandum, 
voluntati Dei, qui in coelo et in terra omnia, quaecunque 
voluit, fecit, et qui etiam illa, quae futura sunt, fecit, 
humanas voluntates non posse resistere, quominus faciat 
ipse quod vult; quando quidem etiam de ipsis hominum 
voluntatibus, quod vult, cum vult facit), ober auf bie 
unergründlichen Rathichlüffe Gottes, wenn er 3. 38. De sp. 
el lit. c. 34. n. 60. fage: Jam si ad illam profunditatem 
scrutandam quisquam nos coarctet, cur ille ita suadeatur, 
εἰ persuadeatur, illi autem non ita, duo sola concurrunt 
interim, quae respondere mihi placeat: O altitudo divitia- 
ram, et Numquid iniquitas. apud Deum ?) ? Wolle man 
auch von einzelnen Stellen aus den Schriften Augufting, 
namentlich von ber vielfach controvertirten Stelle aus De 
corr. es gr. c. 12. über das adjutorium quo im Unter⸗ 
fihiede von dem adjutorium sine quo, Abftand nehmen, fo 
[εἰ bod) fo viel aus ber auguftinifchen Xehre ganz unziveis 
felhaft, daß er ben Prädeſtinations⸗Beſchluß Gottes über 
das Heil eines einzelnen Menfchen für eine Manifeftation 
einer befonbern Liebe und Erbarmung anjebe, bie Gott aus 
freiem Wohlgefallen nur Einzelnen zu Theil werden laffe, 
und daß: er auf biefelbe Weife den wirffamen göttlichen 
Entfchluß erkläre, den Menfchen in einem einzelnen Falle 
zu einem beftimmten guten. Werke zu führen. In biefem 
Sinne heiße e8 De dono pers. c. 9: Ex duobus itaque 





1) Zu vergleichen De gr. Christi c. 24, n. 25. De praed. ss. 
c, 8, n. 13, 

2) Zu vergleichen De gr. Christi c. 47, n. 52. II. de pecc. rem, 
et mer, ὁ. 5, n. 6. u. a. 





- 


| 440 leber bie scientia. media. 


parvulis originali peccato obstriotis, cur isle assumatur, 
ille relinquatur; et ex duobus aetate jam grandibus impiis, 
cur iste ita vocetur, ut vocantem sequatur, ille aulem 
mon vocelur, aut non ita vocetur; inscrutabilia sunt judicia 
Dei Ex duobus autem piis, cur huic donetur perseve- 
ranlia usque in finem, illi non donelur, inscrulsbiliora 
suni judicia Dei. 

Dur bieje Einwendungen wurben bie Gegner ber 
thomiftifchen Theorie allmählig dahin gebrängt, ihr Syſtem 
in Etwas ju mobificiren, uud das des fogenannten Gon» 
gruismus zu aboptiren. Wenn die Moliniften auch bie 
Zaufgnade bei unmündigen Kindern, fowie das donum 
perseverantiae im pafliven Sinne αἱ Berbindung des 
Todes mit bem Zuftande ber heiligmadpenden Gnade nur 
aus bem verfchiedenen Verhalten Gotte$ gegenüber ben 
Menfchen, alfo aus einem befondern göttlichen Erbarmen 
erklären fonnten, fo wollten fie bod) eine ähnliche Aus⸗ 
theilung ber zuvorfommenden Gnade nach bem freien 
MWohlgefallen Gottes nicht anerkennen, fondern — lebrten, 
daß jeder Menfch zu bem beflimmten guten Werfe, welches 
Gott eben von ihm fordert, eine hinreichende Gnade er: 
halte, und daß bie Vollbringung oder Vernachläffigung 
befielben einzig davon abhängig fel, ob ber Menfch ein 
flimme, unb mit ber begleitenden Gnade das Werk voll: 
führe, oder ob er bie Gnade von fich weife. Dagegen 
lehrten nun die Gongruiften, Bellarmin, Vasquez u. a. 
pear aud, daß jeder Menfch eine hinreichende Gnade ers 
halte, ber Sünder, daß er bem Rufe zur SBefebrung folgen, 
unb ber Gerechte, baf er in ber heiligmachenden Gnade 
beharren könne, unb daß er es nur ftd) felbft zuzufchreiben 
habe, wenn er bie Gnade nicht benuge und verloren gehe, 








Neber bie scientia niedis. 441 
aber fie ferien. auch, bafi derjenige, welcher ver Gnade 
wirftid) Folge leiftet, ein relativ größeres Maß von vor» 
angehender Gnade erhalten Babe, al& ein anderer, ber zu 
demfelben guten Werke nicht gelangt. In diefer Hinficht 
fagt Bellarmin Lib. 1. de gr. et lib. arb. c. 13: Potest qui- 
dem fieri, ut duo homines eadem interna motione -accepla 
eundem concionatorem audiant, et eadem signa videant, 
el unus credat alter non credat; tamen non polest fieri 
ut si eandem omnino graliam excitantem duo homines 
accipiant, unus credat, alter non credat. Siquidem ad 
graliam non solum pertinel motio sive excitatio interna, 
sed circumstantia loci, temporis, personae eic. Si enim 
eadem motione accepta unus credit, alter non credit, sine 
dubio unus accipit molionem eo modo, loco ac tempore, 
quo Deüs praevidit ejus ingenio congruere, alter nom ita 
accipit, ac per hoc longe majorem habuit Dei gratiam is, 
qui credit, quam qui non credit. Qui enim non credidit, 
habuit gratiam, per quam potest credere, qui autem cre- 
didit, habuit gratiam, qua posset et vellet credere. 

Damit war alfo einestheild anerfannt, bag Gott 
Einzelnen aus ganz befonderm Wohlwollen eine fpectelle 
Gnade (gratia congrua) zuerfannt habe, von ber er vers 
möge ber scientia media erfannte, baB fie in Folge ihrer 
Angemefienheit für bie aͤußern Umftände (congruitas ex- 
terna), und für bie fittlihe WillenssBefchaffenheit des 
fraglihen Subjects (congruitas interna) unfehlbar bie freie 
Zuftimmung des Menfchen erlangen werde, während jede 
andere zuvorfommende Gnade wohl eine hinreichende im 
elgentlid)en Sinne des Worts fei, aber infofern eine gratia 
incongrua, als fie als folche erfannt wird, die bie freie 
Einwilligung des Willens nicht zur Zolge haben wird, 


442 Ueber Wie scientia. media. 


Anderntheils vourbe baburd) auch das unnatärliche Verhaͤli⸗ 
niß Gottes zur fittlichen Welt, deren Verlauf und Gefchichte 
im Einzelnen wie im Ganzen nach der moliniftifhen Ans 
fiht bloß von ben freien Entfcheidungen der Greatur abs 
hängig war, in ein ber göttlichen Majeflät angemeffeneres 
verwandelt, indem Gott fowohl eine freie Vertheilung feiner 
objecto verfchiedenen Gnaden anheimgeftellt, al& auch eine 
wenigftend moralifche Herrichaft über bie Freiheit ber 
Ereatur zugefchrieben wurde, welcher er durch Ertheilung 
oder Entziehung der gretia congrua. Nachdruck verleihen 
fann. 3ulept war es aud) leichter, bieje Anficht mit ber 
auguftinifchen Lehre in Einklang zu bringen. Während 
nämlich Molina den aligemeinen Willen Gottes, Ale 
felig zu machen und Allen hinreichende Gnaben zu geben, 
an bie Gpibe geftellt hatte, und ben befondern Entſchluß 
Bottes, dieſen einzelnen Menfchen zur ewigen Geligteit 
oder zu einem beflimmten guten Werke zu führen, baburd) 
entfteben ließ, daß Goit den guten Gebrauch der gleich⸗ 
mäßig vertheilten Gnade erfannte; ging Yuguftin immer 
von der freien Auserwählung einzelner Menfchen zur ewigen 
Celigfeit, wie aud) zu einem beflimmten Heilswerfe, und 
von einer befonbetn Vorliebe GotteB gegen biefelben aus. 
Wenn er aber die Frage erörtert, wie biefe freie Auser⸗ 
wählung Gottes in ber fittlichen Welt nicht zu Schanden 
werde und unfehlbar ihr Ziel erreiche, fo beruft er fid 
zwar gewöhnlich fchlechtweg auf die Allmacht Gottes, 
welcher der menfchliche Wille nicht zu widerftehen vers 
möge!), aber er zieht auch, wie oben im 1. Artikel gezeigt 


1) Bergleiche die oben citirten Stellen aus; De corr, et gr. c. 14. 
de gr. Christi c. 24, n. 25. de praed, ss. c. 8, n. 19, ᾿ 


Veber Dis seientin media. 443 
worden ift, an andern Stellen bie scientia media herbei, 
und zwar als caussa directrix in ber Weife, bag Gott 
jenen freien Entſchluß nur in Bezug auf diejenigen fafle, . 
son denen er bie freie Zuſtimmung als bedingt »jufünftig 
worhergewußt, ober daß Gott jenen freien Entfchluß unbe⸗ 
ſchadet der menfchlichen Freiheit durchzuführen wifje, weil 
er erfenne, mit welchen Gnabenmitteln der Menſch mito 
wirfen würde"). | 

5) Mber auch gegen dieſes Syſtem des Eongruismus 
erhoben die Thomiften immerhin noch das Bedenken, daß 
in demſelben ver menschliche Geiſt als folder betrachtet 
würde, der als eine gleichfam cbenbürtige Urſache neben 
und mit Gott gemeinfchaftlich das Sittlich- Gute in ber 
Welt hernorbringe, während bod) das richtige Verhaͤltniß 
darin beftebe, daß Gott, al& bie abfolute .Urfache, mit feis 
ner Gnaben » Wirkfamfeit die endlichen Urfachen unmittels 
bar treffe und beivege, und durch fie feine Zwede realifire 
und das Sittlih ; Gute in der Welt bewirke?). Damit 
war ber Streitpunet über bie Art und Weiſe ber Wirk⸗ 
famfeit ber Gabe, welche bisher hauptfächlich vom rer 
ligiös-fittlichen Gtanbpuncte aus in Betracht gezogen war, 
auf das Gebiet der Metaphyfif hinübergefpielt. Hier di 
zuvoͤrderſt fo viel gewiß, bag ὦ das Berhaͤltniß Gottes 
zur Greatur, ald Schöpfer und Erhalter der enblichen Sub⸗ 
ftanzen, auch in feiner OnadensWirffansfeit ald folches bes 
thätigen wirb, wornady Gott, als bie abfolute Urſache über 
und hinter den endlichen Urfächlichfeiten Kehend, durch diefe 


1) Bergl.: De praed. ss. c. 9., I. lib. ad Simpl. qu. 2. n. 12—13, 
L lib. op. imp. contra Jul. c. 93. 

2) Aus biefem Gefichtspunete erklärt fih aud) das Beftreben der 
Thomiften, die Sünde blog ale etwas Negatives geltend zu machen, 


444 Ueber die scientia. media. 


legteren feine Zwede reatifirt. Aber dieſes Berhältnig if 
wiederum nicht fo zu urgiren, als habe bie enb[ide Subs 
fan; feine. felbfitändige Lebensäußerung, oder als habe 
die freie geiftige Greatur nicht bie Macht, ihre freie Bes 
thätigung bem göttlichen Gefege und ber göttlichen Gnaden⸗ 
Wirkſamkeit einzufügen ober davon loszureißen und damit 
eine verantwortliche That zu fegen. Gnade und Freiheit 
dürfen weber in ein fo Außerliches Verhältniß zu einander 
gebracht werden, als gebübre ber zuvorfommenden Gnade 
nur die Zubereitung und Geneigtmachung des menfchlichen 
Willens, wie etwa den SBelebrungen und Aufmunterungen 
eines andern 9Renfden, nod) auch in ein fo inniges, daß 
die freie Mitwirkung des Menfchen ganz unb gar auf bie 
Kraft ber zuvorkommenden Gnade zurüdgeführt wird. Merk⸗ 
würdig ift die Thatfache, und fie fann uns zur Löfung 
biejer Frage etwas weiter führen, daß bie nähere Beſtim⸗ 
mung bed Berhältnifies von Gnade und Freiheit in inniger 
Beziehung ftaub zu dem wiflenfchaftlichen Verftänpniß über 
Gift und Leib im Menfchen. Und in der That war hierin, 
fowie in ber perfönlichen Einheit von göttlicher und menſch⸗ 
licher Natur in Ehrifto Jeſu eine Analogie fowie ein Res 
gulativ für das Verhältniß von Gnade und Freiheit φέρε; 
ben. Nahm man nämlich ben Ausdrud des bi. Thomas, 
daß der Geiſt die forma corporis fei, in bem Sinne, ale 
[εἰ der Geift das einzige Lebensprincip im Menfchen, das 
den Leib: belebe, bilde und bewege, fo fonute man aud) 
bei des wiſſenſchaftlichen Beſtimmung des S8erbáltniffeó 
von Gnade unb Breiheit leicht den Fehler begeben, daß 
man erftere als das ben menfchlichen Willen auf abfolute 
Weiſe beberrfchende, beftimmende und prädeterminirende 
Prinzip bezeichnete, und dabei ber. freien Mitwirkung des 


Ueber bie scientias mellis. 445 


endlichen Geiſtes nicht ble gehörige Rechnung trug. Brachte - 
man aber Gieift und Leib durch eine zu fcharfe - Scheis 
bung in einen bloß Außerlichen Zufammenhang, ben Carr 
tefius burd) fortwährendes unmittelbared Dazwiichentreten 
Gottes (Derafionalismus) und eibnig aus einer präfes 
bilirten Harmonie zu erflären fuchte, fo wandte man bie 
ſes atomiftifche erlegen zweier wechfelfeitig ineinander 
greifender Lebensprinzipien aud) auf das Serbáltni von 
Gnade und Freiheit an, und fuchte in ähnlicher Weiſe bie 
Verbindung beider durch eine práftabilirte Harmonie auf 
bem Gebiete des Beringt-Zufünftigen zu erflären, vooburd) 
allerdings Manches, aber bod) nicht der lebendige Zuſam⸗ 
wmenhang von Gnade und Freiheit beteuchtet wurde, Die 
neuere Philofophie hat das Leben von Seele und Leib im 
Menfchen alà einen lebendigen Wechfel- Verkehr ‘zweier zu 
einer fubftangiellen Einheit verbundener Brincipien bes 
trachtet, und venfelben nach ber Analogie in ber dufietn 
Natur einen organifchen Lebens s Verkehr genannt. Sn 
ähnlicher Weiſe greifen denn aud) auf unferm Gebiete bie 
gnabenpolle Thätigfeit Gotted und die freie Mitwirkung 
des endlichen Geiſtes zu einem organifchen Lebens⸗Verkehr 
ineinander, bei welcher der Gnade bie Initiative unb Bräs 
valeng gebührt, nicht blog deßhalb, weil Gott der Abſolute, 
und der menfchliche Geift ein endliches Wehen, foubern 
auch deßhalb, weil bie fittlichen Kräfte des Menſchen durch 
bie Erbfünde eine Schwächung erlitten, und ſich überhaupt 
in Bezug auf pas Lebernatürlich- Gute in dem 3uftanbe 
einer gänzlichen Unzulänglichfeit befinden. Nach diefer Ans 
fhauungsweife geht bem Abfchluffe eines jeden guten Wer⸗ 
fes im Menfchen ein Proceß verfchiedener Stimmungen 
von den leifeßen Anfängen einer Geneigtheit au bie zum 


446 ler bie scientia media. 

foͤrmlichen Entſchluß unb ber Außern That vorfer, welder 
durch einen andern parallelen Proceß der Gnadenwirſam⸗ 
feit Gottes wefentlich bebingt ift, aber organifch in bens 
felben bineingreift, fo zwar, bag die Gnade eine caussa 
efficiens der jedeömaligen nachfolgenden Mitwirkung des 
Menſchen, wenn aud) nicht die adäquate, unb bie freie 
Zufimmung und Polgeleiftung des Menfchen nur eine 
caussa meritoria 1) für die jedesmalige nachfolgende Gnade 
if. Nur bei diefer Anficht gewinnen bie Worte eines hi. 
Bernhard ihre Rechtfertigung und ihr volles SBerftünbnif, 
wenn er de gr. et lib. arb. c. 14. fagt: Non partim gratia, 
partim liberum arbitrium, sed totum singula opere indi- 
viduo peragunt, totum quidem hoc, et totum illa; sed ut 
totum in illo, sic totum ex illa. Sft bem alfo, bann haben 
be Thomiften darin gefehlt, bag fie bie zuvorkommende 
Gnade für bie einzige causa efficiens adaequata ber freien 
Zuſtimmung des Menfchen erflárten, unb bie Moliniften 
barin, daß fte bie Selbftentfcheidung des menfchlichen Wils 
lens aus dem organifchen Berbande mit ber Gnade heraus⸗ 
rigen, und biefelbe als ein eigentliches Wirkfammachen, 
als eine effective, felbftftánbige Verwendung ber zuvorfoms 
menden Gnade anfahen, und baburd) dem Menfchen zu 
ziel des Rühmens ließen. Iſt aber das Juftimmen und 
Mitwirken unferes Willens mit der Gnade mehr ein freus 
Diges Aufnehmen und Folgeleiften, ein Unterordnen und 
Einfügen unferer Lebens, Heußerungen in bie göttliche Gina; 
den⸗Wirkſamkeit, um dadurch für immer Fräftigern Gnaben 
Raum zu machen, fo braucht man auch mit den Eongruiften 
acht dazu feine Zuflucht zu nehmen, der zuvorkommenden 





1) Die actuelle Gnade kan nur de congruo verdient werben. 





ueher bie scientia medie. 447 


Ginabe im Falle des Erfolges ſchon gleich bei ihrem erften 
Stadium eine objectio größere Kraft beiguiegen, als bei 
ihrer Berwerfung von Seiten beà Menfchen. Bielmehr 
(ft jede zunorfommende Gnade eine gratia congrua im 
firengften Sinne des Wortes, und auch der ſchwere Sins 
der wird, wenn aud) nicht in biefem Leben, doch ficher am 
Tage ded Gerichts bie Wahrheit geftánbigen müffen, daß 
bie Führungen unb Gnaden Gottes für ihn immer bie 
beiten und awedmäßigften gewefen felen, wenn er nur das 
Seinige getan babe. Nichts beftomeniger ift bie Ginabe, 
welche ein einzelnes gutes Werk im Menſchen wirffid) zu 
Stande bringt, eine fpecielle, nicht weil der Menfch fic 
Dazu macht, fondern weil er fie fid) durch fortfchreitendes 
Einwilligen zu eigen macht. Andererſeits verweigert Gott 
diefelbe nicht fehlechtervings aus Mangel an Liebe, fonbern 
nur, weil ber Menfch fie nicht annehmen will!). Wenn 
demnach auch die freie unabhängige Vertheilung ber mans 
nigfach verfchiedenen Gnaben, fowie bie öftere Anwendung 
ganz außerordentlicher Ginaben » Ermweifungen durch Gott 
nicht geläugnet werben foll, fo ift bod ber gewoͤhnliche 
Weg, daß Gott Jeden auf die angemeflenfte Weile gerade 
zu folch einem guten Werke ruft, welches für den befons 
bern $eilómeg des Beireffenden am geeigneten if, unb 
daß bie [peciclle wirffame Gnade erft dann erfolgt, wenn 


1) Sn derfelben Weile ſprichl der HI. Anfelm von der Gabe der 
Beharrlichfeit de casu diaboli c, 3: Hoc igitur mon dare, non est 
caussa non accipiendi, et tamen si pono non me dedisse, caussa est 
consequendi, illum non accepisse. — Quapropter non ideo non ha- 
buit (diabolus) bonam voluntatem perseverantem, aut non accepit, 
quia Deus non dedit, sed ideo Deus non dedit, quia ille volende, 
quod non debuit, eam deseruit, et.eam deserendo noa tenuit. 


448 Ueber ble scientia media. 


ber Menfch fie durch willfährige Annahme möglich tad, 
und mit feiner entfprechenden Rüdwirfung auf die zuvor: 
fommenbe Gnade nicht zurüdbleibt. Nur infofern fann 
ble zuvorkommende erfolgreiche Gnade gleich anfangs eine 
gratia congrua im linterfchiede von einer gratia. incongrua 
genannt werben, als Gott vermöge ber scientia. media et» 
fannte, daß fie bie Suftimmung des menfchlichen Willene 
erlangen werde. Was leiftet denn nun bie scientia media 
zur theilweifen 9luffellung der bier obwaltenden Schwie 
rigfeiten ? | 

Auch bier waren εὖ wiederum zwei Hauptfragen, um 
bie ὦ der theologifche Streit bewegte, nämlich 

1) Wie bleibt da nod) Raum für die freie fittliche 
Bethätigung des Menfchen, wenn bie Gnade dad bewirs 
fenbe Prinzip in der fittliden Welt und namentlich in bem 
@ebiete des Webernatürlich » Guten ift? 

2) Hat die menfchliche Vernunft bei der verfchiedenen 
Bertheilung der göttlichen Gnaben (id) bleß auf das freie 
Wohlgefallen Gottes zu berufen, ober vermag fie nod) 
andere Gründe geltend zu machen ὃ 

SHinfichtlich der erften Srage wird fo viel aus ben 
vorgeführten Streitigkeiten erfichtlich fein, bag durch bie 
bloße Anwendung der scientía media das Verhaͤltniß von 
Gnade und Freiheit voeber im Einzelnen erflärt, noch aud 
genau beftimmt wird. Denn wenn es überhaupt eine prä 
ftabilirte Harmonie von Gnade und Freiheit auf bem Ges 
biete des Bebingt-Zufünftigen gibt, fo wirb Gott ein ein 
zelnes gutes Werk duch nur fo práftabiliren, wie es fid) 
als Product zweier wechfelfeitig in einander greifender 
Baftoren in der Wirklichkeit herausficht. Gott wird aljo 
auch baffelóe gute Werk nur aus dem vor ber Hand by 


Tibet: die seientia. media, 449 


yothetifchen Wechfeis Verkehr von Gnade und Freiheit afe 
bebingtszufünftig erfennen, wie er wirklich werden würde, 
wenn Gott εὖ will, Da εὖ vieleicht unmöglich ift, durch 
eine abfiracte Formel das organifche Verhältniß ven Gnade 
unb Sreiheit für alle Fälle genau zu beftimmen, fo fol 
bierortö die Anwendung ber scientia media nur infofera 
vertreten werden, ald durch fie irgend eine freie ſelbſtſtaͤn⸗ 
bíge Bethätigung des menfchlichen Willens "bel jedem gus - 
ten Werke ausprüdlich feftgefalten und nicht ganz unb gar 
auf bie zuvorfommende Gnade als wirffame. Urfache zu⸗ 
fütfgefübrt wird. Namentlich foll bier bie Anficht, wozu 
ber Ausdruck des Bedingt⸗ZZukuͤnftigen Anlaß. geben könnte, 
außgefchlofien werben, als: [εἰ bie zuvorfommende Gnade 
mur eine entferntere Bedingung, welche ber Menfch erf 
butd) fein felbftftändiges Schalten und Walten zu ihrem 
Ziele führe. Dann ift der behandelte Differenz « Bunft, 
Den wir. nach ben. Einwendungen ber. Thomiſten fiufen- 
-weife verfolgt haben, mit Rüdficht auf bie scientia media 
auf die Frage zurüdzuführen, ob Gott unmittelbar. aus 
bem Bereiche des Bloß⸗Moͤglichen feinen freien Entfchluß 
über: ein einzelnes gutes Werk faffe, ober ob bem legtern 
die Erfenntniß des Bedingt- Zufünftigen vorangehe. Im 
biefer Hinficht aber ift es durchaus über allen Zweifel, 
baf die menídlide Bernunft den feften unabänderlichen 
Entfchlug Gottes, durch feine Gnade ein beftimmtes "gutes 
Merk hervorzurufen, mit ber freien Willensmacht ded Men⸗ 
ſchen, jede Gnade zu verwerfen ober ihr feine Einwilligung 
t geben, nur burd) die Annahme in Harmonie bringen 
fant, daß Gott vor jenem unabänberlichen Entfchlufle es 
unfehlbar erkannte, ob bie bem Menfchen zugebachte Gnade 
des letziern freie Zuſtimmung erlangen werde ober. nicht. 
Tpeol. Quartalſhriſt. 1830. Heft II. 29 


450 Mot bie seienlin media, 

Diefe Erkenntniß wäre nur dann ibentifch mit der des 
Bloß Möglichen, wenn Gott einzig unb allein durch feine 
Gnade das Gute in der Welt bervorbrächte. 

Was die zweite Frage nach der geheimnißreichen Ber 
theilung der göttlichen Gnaden betrifft, fo gibt und bie 
scientia media zunächft darüber ein tiefere& SDevigánbnif, 
daß Gott feinen Auserwählten gerade foldhe Gnaden gibt, 
von deren Erfolg er unfehlbar gewiß ift, unb die Gefahren 
und Berfuchungen von ihnen fern hält, bie ihnen unfehl⸗ 
bar zum Falle gereichen würben. Sn Betreff der übrigen 
aber darf nicht gefagt werden, daß Gott ihr Heil nidt 
ernftlich wolle, unb ihnen bie angemefjenen. Hillfomittel 
verweigere, fondern er gibt auch biefen βεὶδ eine folde 
auoorlommende Gnade, welche für ihre Lebens⸗erhaͤltniſſe 
unb fittliche Beichaffenheit am paflendften ift, wenn fie aud) 
durch bie freie Thätigkeit des Wenfchen vereitelt wird. 
Was aber insbefondere die Verſchiedenheit der Ginaben. 
angeht, welche durch bie gefchichtliche Eintwidelung ber 
Gmnaben » Ordnung auf Ehriftus und durch Chriſtus ent 
ſteht, wo 3. B. die actuelle Gnade des Blaubens wenig 
ſtens gewöhnlich erſt in Folge der äußern Predigt ertheilt 
wird, fe gibt bie scientia media hierüber wenigfteng bie 
Erklaͤrung, daß. Gott jeden Menſchen in die Beziehung 
gu der bezeichneten Gnaden⸗Ordnung (ret, wie fie gevabe 
für fein Seelenheil am bienlichften fein wird oder bod 
fein könnte, wenn er der Stimme Gottes nur folgte. _ 

Qiott verweigert 3. B. fefc Vielen, abgefehen von ans 
dern berborgenemGrünben, wie ber bi. Auguſtin fagt, nur 
deßhalb bie Gnabe des Glaubens und bie Predigt δε 
Evangeliums, weil er erkannte, daß fie biefelbe body nicht 
benugen wärben. inb biefe Verweigerung kann im Gr 





Ueber bie scientia media. 451 
biete des Wirklichen ben Charakter einer Strafe annehmen, 


wenn ber Menfch den propädeutifchen Gnaden auf ben 
Glauben hin feine fdjulbige Mitwirkung nicht leiſtet. 


E. Verwendung der scientia media für bie Lchre oou 
der Prädeftination. 


Diefelben letzthin bezeichneten Bragen treten in ihrer 
Allgemeinheit aud) bei der Lehre von der Prädeſtination 
wieder auf, welche von ben verfchiedenen Parteien eine 
ähnliche Ausbeutung erfahren mußte, wie bie Lehre von 
ber Wirkfamfeit ber Gnade in einem einzelnen Falle. Die 
Einen wollten ben ewigen unabänderlichen Rathſchluß Got; 
tes, eine beflimmte Anzahl von Menfchen durch wirkfame 
Heilmittel zur ewigen Seligfeit zu führen, als einen 
durchaus unbebingten geltend machen, ben Gott auf bem 
Gebiete des Bloß Möglichen bloß aus freiem Wohlgefallen 
entweder fafle oder nicht fafle, und damit präpeßinire oder 
negativ reprobire, wiewohl er hier bie ewige SDefeligung 
Aller eben fo gut als möglich erkenne, wie bie Verwerfung 
Aller. Die Andern wollten das fittliche Streben be6 Mens 
fehen, wodurch er fid hienieden den Himmel verbienen fell, 
aud) in bem PrädeftinationssBefchlug Gottes berückſichtigt 
woiffen, unb riefen veßhalb, jedoch in verfchiedener Weife, 
ble scientia media zu Hülfe, wiewohl fie bie Anficht ber 
Erflern in Bezug auf die unmünbigen Kinder unangefoch- 
ten. ſtehen ließen. Wenn nämlich die fittliche 2Beltorbuung 
im Ganzen wie im Einzelnen das Gigenthümliche hat, 
beg fie in ber gnadenvollen Wirkfamfeit Gotted und ber 
Mitwirkung des freien Menfchen ihre zwei, wenn aud 
ungleichen Faltoren hat, fo Bat der ewige, unabänderliche 
Entſchluß Gottes über bie Befeligung eines freien fittlichen 

29 9 


452 Weber die scientia" media. 

Weſens nur dann nichts Wiberfprechendes, wenn er fid 
über den Erfolg feiner Gnade auf bem Gebiete bed. Bes 
dingt-Zufünftigen vergemiffert, ober wenn er erfannt hat, 
daß bie bem Menfchen zugedachte Gnade mit der freubigen 
Aufnahme und Mitwirkung von Seiten des [egtern. zufans 
mentreffen werde. Dadurch wird weber bie Freiheit Got; 
tes, fellg zu machen, wen er will, mehr eingefchränft, ale 
et εὖ felbft durch die Schöpfung freier Wefen gewollt hat, 
nod) aud) der Gratuität der Prädeftination das Mindefe 
genommen, weil Gott die menfchlichen Verdienfle überhaupt 
nur unter ber Bedingung feiner Gnade als bebingt-zufünfs 
tig erfennt, und weil bebingt zukünftige Verdienfte obet 
Mißverbienfte eine richterliche, b. i. belohnende ober be 
firafende Thätigkeit Gottes nicht motiviren fónnen, wie 
. oben bei den femipelagianifchen Streitigkeiten gezeigt wors 
den ift. Auch bie faft von allen Kirchenlehrern in bet 
Prädeftination erfannte befondere Vorliebe Gottes gegen 
feine Auserwählten blieb ungehindert neben ber unenblis 
hen göttlichen Liebe gegen alle Menfchen und wahrhaft 
binreichenden Gnade für Alle beftehen und gang fperiel 
babin erHlärt, daß Gott bei andern Verhaͤltniſſen unb ans 
dern Ginaben auch ba6 Heil Anderer, wie ber Tprier und 
Sidonier nach Math. 11, 21 ale bebingt-zufünftig erfenne, 
und dennoch nur feinen Auserwaͤhlten folche Gnaden er 
theife, mit denen ber Menſch bis zum Ende ausharren 
wird, und folche Gefahren von ihnen abwendet, in beneht 
fie für Immer firaucheln und fallen würden. Endlich konnte 
auch die Lehre des bL. Auguſtin und Thomas, ba bie 
wabrbaften SBerbienfte des Menſchen (merita gratiae) ein 
Ausflug unb eine Folge ber SBrábeftination feien, firenge 
feftgehalten werben. Die Borftellungsweife war ndmiid) 


Ueber ble scientia media. . - 453 


. jebt biefe: Gott. erkennt nach feiner scientia media, ob unb 
. mit welchen Gnaden- Mitteln ber. einzelne Menfch fid Vers 
blenfle für das ewige Leben fammeln, bis zum Ende im 
Guten beharren und die ewige Seligfeit erlangen wird, 
Bon diefen wählt Gott nach feinem freien Wohlgefallen 
und feinen unergründlichen Rathichlüfien eine beftimmte 
Anzahl heraus, prábeftinirt fie zum ewigen Leben und bes 
ſtimmt für fie [οἵδε Gnaben, welche fie unfehlbar zum 
festen 3lele binfübren und bie nöthigen Verdienſte fervore 
rufen. werden. Nach diefer Anficht, wie fie von Bellarmin, 
Suarez und Andern vertreten wurde, gab es alfo eine 
praedestinatio post (ohne caufale Bedeutung) praevisa me- 
rita conditionate futura, aber ante praevisa merita absolute 
— fetura. Und in der That war man hiemit von der Lehre 
Auguſtins nicht im Mindeften abgewichen, der in feiner 
Schrift de dono perseverantiae c. 14. die S3rübeftination 
alfo definirt: Praedestinatio est praescientia et praeparatio 
beneficiorum Dei, quibus certissime liberentur, quicunque 
liberantur. Das heißt aber doch: Gott erfennt (vermöge 
der scientia media), mit welchen Gnaden⸗Miteln diefer ober 
jener Menſch zur ewigen Geligfeit gelangen wird, und er 
beftimmt dieſe wirklich für feine Auserwaͤhlten, indem er 
fie praͤdeſtinirt. Mit dieſer Anfchauungsweife erflärten 
fi aber Leffius u. a. noch nicht zufrieden. Sie beftritten 
keineswegs in Gott bie fichere Erfenntniß von dem, was 
δεῖ Menfch mit biefen ober jenen Gnaden thun würde, 
aber fie forberten nicht bloß eine praedestinatio post prae- 
visa merita conditionate futura, fondern eine post praevisa 
merita absolute futura, infofern fie nämlich eine Praͤdeſti⸗ 
nation zur ewigen Geligfeit fei. Man unterfchied nämlich 
bie praedestimatio ad vitam aeternam von ber praedesti- 


454 : Ueber die scientia media. 


natio adaequata, b. i. ad gratiam et vitam aeternam und 
behauptete von bet erftern, daß fie abhängig fei von ber 
göttlichen Vorausſicht der menfchlichen Verdienſte ale ab» 
folut zufünftiger. Denn einerfeits werde das ewige Leben 
wirklich als Lohn für bie Dieffeitigen Verdienſte ertheilt, 
und andrerfeitd werde bei der gegentheiligen Anficht eine 
Willkuͤhr von Gott prábicirt, bie durch die Anwendung 
ber scientia media nod) greller hervortrete. Vermoͤge bie 
fet Erfenntniß nämlich fenne Gott für jeden Menſchen 
ſolche Berhältniffe und folche Gnaben, womit jeber uns 
fehlbar felig werden würde, und wiederum aud) ſolche Be 
dingungen und Lebenslagen, wobei jeder unfehlbar νεῖν 
loren gehen würbe. Auf biefe legte Ginreenbung, welche 
in Beziehung zu unferm Thema fteht, ift zunächft das zu 
antworten, daß es fid) dei bem Objeete der scientia media 
nicht um folche Bedingungen handelt, die mit ber freien 
Selftentfcheidung ber Creatur in keine Berührung fom 
men, unb nicht um folche Einwirkungen Gottes auf bie 
Welt, denen bie Freiheit des Menfchen Nichts zu geben 
und Nichts zu nehmen hat, wie es bei unmilnbigen Kin- 
dern wirffich ber Sall ift. Object der scientia media ift 
nur dasjenige, was Gott ald das Product zweier Faktoren 
und ihres gegenfeitigen Lebensverkehres erkennt, feiner 
Gnade unb ber freien Mitwirkung des endlichen Geiftet. 
Wenn aber ber Menſch in feiner Freiheit die Macht hat, 
jeder Gnade feine Zuflimmung zu verweigern, fo i εὖ 
eine ganz unbemiefene Annahme, baf Gott die Befeligung 
aller Menfchen auf fittlichem Wege als etwas Bedingt 
Zufünftiges erkenne, obſchon nicht geläugnet werden Tann, 
daß vieleicht Viele unter andern Bedingungen, welche 
Gott aus verborgenen Gründen nicht fegt, auch auf fit 


Uber ble scientia. media. 455 


lichem Wege zum Himmel gelangt wären. Ganz gewiß 
jedoch if εὖ, daß diefe es nur fi ſelbſt zugufchreiben 
"haben, wenn ihnen bie ertbeilten Gnaben. nicht zum Heile, 
fondern nur zum Gerichte gereichen. Weiterhin ift aud) 
Das zu bemerken, daß die obige Anwendung ber scientia 
media nicht in dem Sinne verftanden werben darf, ale 
wenn Gott δίοβ aus dem Gefichtöpunfte feine Gnaben 
vertheilte, ob und durch welche Gnaden er endlich bie freie 
Zuftimmung des Menfchen erlangen und feine Mitwirkung 
gewinnen fónne. Gottes eigene Verherrlichung md bie 
lebendige Darftelung aller feiner Eigenſchaften ift ja ber 
legte Zwed aller feiner Offenbarungen nach Außen, fowie 
aud) der geheimnißreichen Vertheilung feiner Gnaden. Aber 
bei diefer Anstheilung bleibt e& ihm nicht unbefannt, und 
fann e8 nicht bleiben, von welchem Erfolge diefe oder jene 
Gnaden in der fittlihen Weltorbnung fein würden, wenn 
er fie wirklich ertheilen will. IA nun dieſe unfebfbare 
Erfenntniß wirffid) in Gott, auch unabhängig unb vor 
feinem Weltplane, fo wird Gott aud) in einem unb ben 
ſelben Alte zum ewigen Leben als dem letzten Ziel unb 
Ende, und zu den ald wirffam erfannten Gnadenmitteln, 
namentlich zum donum perseverantiae präbeftiniren. Weil 
aber bie ewigen Alte in Gott burd) ihre Beziehung zu ben 
geitfichen, endlichen Dingen und Berhältniffen einen virtuell 
verſchiedenen Eharafter annehmen, fo kann auch ber gegens 
theitigen Anficht fo viel zugegeben werben, daß ber fpes 
tielle Entfchluß Gottes, diefem ober jenem Menfchen das 
ewige Leben als Lohn für feine SBerbienfle bier auf Erden 
zu verleihen, die Borausficht biefer Verdienſte als abfolut 
zefänftiger zur Borausfegung bat. In ähnlicher Weife 
gebt die Musfährung diefes Entfchluffes, bie richterliche 


456 ueber bie scientia media. 
Thätigkeit Gottes erft bann vor fi, wenn bie Verdienſte 


in ber Zeit wirfflich erworben worden find, und ein wirt 
licher Thatbeſtand vorhanden ift. 


€. Berwendung der scientia media für die Lehre von 
ber Neprobation. 


Das fegtbin Glefagte findet fofort feine Anwendung 
auf bie Lehre von ber Reprobation. Inſofern biefe bat 
ewige Dekret Gottes ift, diefen beflimmten SRenjden bie 
ewige pofttive Verdammung zu geben, muß fte die Bor 
ausficht ber abfolutszufünftigen Sünden zur Borausfehung 
haben, weil ja auch ble pofitive Beftrafung in der Zeit 
erft da ftattfinbet, wo bereits eine wirfliche Schuld vor; 
liegt. Dazu fommt nod), daß Gott an der Gontrabirumg 
der Schuld durchaus feinen. thätigen Antheil bat, und deß⸗ 
halb bie pofitive SBeftrafung einzig unb allein durch menſch⸗ 
liches Verſchulden auf moralifchem Wege verurſacht wird, 
wogegen die Brädeftination auch bie Zubereitung ber Gnas 
benmittel in fid) ſchloß, welche unfehlbar bie ewige Beſe⸗ 
ligung des Menfchen herbeiführen. Ob e6 nun außer 
biefer pofltiven Reprobation noch eine negative gibt, das 
hängt von der Wrage ab, ob ein befonderes Gnabenmaf 
für bie Auserwählten anzunehmen ift. ober nicht. Wenn 
biefe Srage bejabenb zu beantworten ift, wenn namenilid) 
die wirffame Gnade der Beharrlichfeit bis zum Ende ber 
Ausflug einer befondern Vorliebe Gottes für feine Auser⸗ 
wählten ift, fo gibt εὖ auch eine SSorentfaltung dieſer 
fpegiellen Gnade der Beharrlichfelt (reprobatio negativa 
radicalis) und damit auch eine Vorenchaltung der eigen 
Geligfeit (reprobatio negativa formalis). Und gerade gum 
tiefern SBerflánbnig dieſer negativen Meprobation wurde 





Weber ble scientia. media. 491 


bie scionlia media in Anwendung gebracht. Gott erfennt 
nämlich, daß er ungeadbtet aller Guabenmittel dennoch bel 
Bielen die Befeligung nicht ervoirfen Eönne. Sn biefer ums 
fehlbaren @rfenntniß voirb er zwar nicht ein Motiv für 
irgend eine Beftrafung finden, aber er wirb bie in (rage 
ſtehenden Menſchen auch nicht zum ewigen Leben präde- 
fliniten fónnen, b. b. negativ reprobiren, ihnen ba6 denum 
perseverantiee unb damit die ewige Seligkeit vorenthalten 
müffen, ohne ihnen barum die hinreichende Gnade zu ente 
ziehen. Es befteht alfo in Gott eine reprobatio nogaliye 
post praevisa mala merita conditionate futura, aber ante - 
praevisa mala merita absolute futura. Denn fobald Gott 
weiß, daß ber Menfch mit ben ibm zu eribeifenben Gnaden 
nicht mitwirfen voürbe, obwohl er es fónnte, wird er ihn 
auch nicht zum ewigen eben prábeftiniren, fonbern negativ 
reprobiren. Selbftredend kann mithin bei ber Anwendung 
ber scientia media nur bie negative Reprobation folcher 
zur Sprache fommen, welche zum wirklichen, Gebrauche 
ihrer Freiheit gelangen werben. 

Neue Schwierigkeiten entſtehen jedoch dieſem Erklaͤ⸗ 
rungo⸗Verſuche, wenn dieſelbe Einwendung erhoben wird, 
die bei der Lehre von der Praͤdeſtination beruͤhrt worden 
iſt, warum naͤmlich Gott auch ſolche negativ reprobire, 
von denen er erkannte, daß ſie unter andern Bedingungen 
ihr Heil wirken und ſelig werden würden. Wenn dieſe 
Schwierigleit mehr fein ſoll, als bie allgemeine Frage, 
warum: Bett überhaupt das Boͤſe zulaſſe, und wenn. fie 
bieß gegen bie Anwendung der scientia media erhoben 
werben fell, fo muß fie darauf befchräntt: werben, wie. bes 
reits oben gezeigt (t, warum Gott Vielen nicht foldpe 
Gnaden ertheile, von denen er weiß, daß fie bie freie Zu⸗ 


458 ueber ble scientià media, 

ſtimmung und Mitwirkung des Menſchen bis zum Ende 
zur δοίρε haben würden. Sft ba& Seſagie aber wirklich 
Object ber scientia media, tann folgt nur fo viel, daß die 
&cientia media nicht einfeitig als ausſchließlicher Geſichto⸗ 
punct geltend gemacht werben darf, wornach Gott bit ges 
beimnißreiche SBertbeilung feiner Gnaben anorbnet. Aller 
bing8 verbreitet bie scientia media auch über. diefen Punct 
ein helleres Licht, infofern fie uns deutlich madpt, wie bie 
unendliche Liebe Gottes für feine Auserwählten gerade bie 
GSnaden findet, von deren Erfolg bis zum Ende des Lebens 
er volkommen gewiß ift, und die Gefahren fern hält, in 
denen fie für immer erfiegen wärden, wie fte den Repros 
birten folche Ginaben vorenthält, durch deren Verwerfung 
fie nur eine um fo größere Schuld auf fich laden würden. 
$8» bicfe práferbirenbe Liebe nicht zur Offenbarung kommt, 
wie wenn Gott einen bereits ©erechtfertigten in Sünden 
fallen läßt, und von bier ruft, ben er auch vorher im 
Stande ber Gnade hätte abberufen fónnen, da wollte Gott 
feinerfeit6 bod) nur das Beſte des beireffenden Dienfchen, 
und Hätte e$ wirklich erreicht, wenn biefer ber Gnabe feine 
fhuldige Mitwirkung nicht verfagt hätte. Wreilich hätte 
Gott dad Heil dieſes Menfchen durch einen früfern Xo 
wirklich herbeiführen können, aber der Menfch fann daher 
feine Anklage gegen ble Liebe Gottes erheben, weil bit 
befondere Vorliebe, welche er für feine Muserwählten hat 
auch an ibm zur. Offenbarung gefommen wäre, wenn εἴ 
nur dem Zuge der Gnade bereitwillig gefolgt wäre. Sw 
guftin fut bie genannte Schwierigfeit Dadurch ad absur- 
dam zu führen, daß, wenn Gott alle Menfchen im Stande 
der Onabe fterben ließ, überhaupt Fein fittliches Leben und 
Streben mehr möglich (ei, und eine falfche Sicherheit au 





Ueber die scientia. media.‘ 459 


befien Stelle trete. Vergl. de dono pers. c. 13, Wenn 
man demnach nur nicht zu viel von der Anwendung bet 
scientia media verlangt, fo leiftet fie allerdings das Ihrige, 
und in das Berftänpnig diefer fchwierigen Fragen bet 
Theologie tiefer einzuführen. 


Schwane. 


Wecenfionen. 


1. 


Heber die Provincial- Concilien und Diöceſan - Synoben. 
Bon Iofeph Seiler, Dr. der Theologie, fürſtbiſchoflichem 
Gonfiftortalrath, Profefjor ber Kirchengefchichte und des Kir 
henrechts zu Brixen. Mit hoher Approbation bes fürft» 
biſchoͤflichen Ordinariats daſelbſt. Innsbruck, 1849. Verlag 
von Felician Rauch. VI. u. 268 S. Preis 54 kr. 


Der Verf. leitet in der Vorrede ſeine Schrift mit den 
Worten ein: Es find in jüngfter Zeit fo viele Schriften 
. fiber bie Synoden aufgetaucht, daß einiger Muth dazu 
gehört, mit einer neuen hervorzuireten. Da ich mir jebod 
einen Gegenftand zu behandeln vorgenommen, ber in feiner 
diefer neuen Schriften befprochen wird, fo dürfte biefe Ars 
beit nicht ganz überflüßig erfcheinen. Die Synobal s gite 
ratur ber jüngften Zeit befaßt fid) bi&ber nur mit ber 
Didcefan » oder SBietbumé » Synode. 3d) babe auch das 
Provincial⸗Concil, unb zwar in feiner natürlichen unb 
nothiwendigen Gtelfung zur DidcefansSynode, fo wie nad) 
feiner ganzen Firchenrechtlichen Seite in den Kreis meiner 





Feßler, Provinziale. und Diöcefan» Gonobern. AB 


Unterfuchung aufgenommen. Referent glaubt, das fefenbe 
Publicum werbe die Rechtfertigung bea Verf. befriedigend 
finden, und ba feine Schrift gut gefchrieben ift, und des 
Guten und Neuen viel enthält,: fo bat auch Referent bie 
Anzeige derfelben gern itbernommen. 

Ueber feinen Stanpunft und bie feitenden Ideen bei 
biefer Unterſuchung erklärt er fid dahin, daß er. vor Allem 
das biftofifd) beſtehende (pofitive) Sedit. aus den Kirchen, 
rechtlichen Quellen und den bewährteften Kirchenrechtsleh⸗ 
rern der: früher Zeit zu ermitteln gefucht, aber auch jebet» 
mal angebeutet habe, wo eine allgemeine Fortentwidelung 
nah dem Bebürfniffe ver Zeit ihm ſtatthaft gefd)lenen 
babe; jenes habe er für notbwenbig gehalten, weil ein 
Umfturz alles Beftehenden eine Revolution auf kirchlichem 
Gebiete fein würde, welche von Anderem abgefeben um 
fo weniger zuläßig wäre, als das mit bem Geiſte bes 
Chriſtenihums im Einklang Stehende, durch bie Geſetzge⸗ 
bung und llebung ber Kirche Geheiligte, burd bie Zeit 
ehrwürdig Gewordene, durch unerwiefene Machtſprüche 
nicht befeitigt werben fónne; durch bie bemerkten Anbeus 
tungen aber habe er der inneren Berechtigung einer: als 
mäligen Entwickelung Rechnung getragen, da’ ja in menſch⸗ 
lichen Dingen nichts volifommen fei, — Ueber die Diss 
eeíans Synoden wird bemerft, bag bei ihrer Schilderung 
(Eonfiruetion) ein gewiffe® Idealiſtren nothwendig fet, bief 
bürfe jedoch fein einfeitiges ‚fein, fonbern müffe alle δας: 
toren ber Synode gleichmäßig umfaflen, aber aud) bie 
Wirklichkeit pürfe neben bem Ideal nicht aus bem Auge 
gelaffen und dahin gewirkt werben, die vielleicht wider⸗ 
firebenne Wirklichkeit bem: Ideal ftetd näher und näher 
zu bringen. Die National⸗Synode ließ bir Berf. un⸗ 


40 Γ᾿ tes δεβέει, ᾿ 


berfüdfdtigt, well fie nàd) bem lanoniſchen Necht b Beine 
neihwendigen Beziehung zu bem Provincial⸗Ceneil unb 
ber Didcefan »Cunobe ftebt, unb eine nahe Ausficht auf 
dieſelbe nidjt vorhanden ift. 

Der Inhalt der Schrift zerfällt in drei Abſchnitte, 
er erſte handelt €, 1—104 von ben Gentilien und Sy 
oben überhaupt, der zweite S. 105— 164 von ben Pre 
vincial⸗Concilien, ber dritte S. 165—268 von ben Dice 
ſan⸗Synoden. Meferent wird über den zweiten Abſchniit 
‚wasführlidger berichten, aus ben zwei andern aber das 
Weſeniliche nebft bem diefer Schrift nn aut 
heben. 

Im erſten Abſchnitt beſpricht der Verf. — den ſeit 
zwanzig Jahren vernehmbaren Ruf nad) Synoden, und 
‚bie verſchiedenen babel funbbar gewordenen Tendenzen, wu 
fommt bann auf bie Bedeutung der Synoden nad Fire 
licher Anſchauung; durch bie Prüfung ber hiſtoriſchen 
Duelien gelangt er zu bem Refultate: daß ble Syuoden 
eine Kirchliche Einrichtung göttlichen Urſprungs find zu 
bem Zwecke, um alle wichtigen unb fchwierigern Angeles 
genheiten ber Kirche durch bie von bem Herm mit bet 
Kirchengewalt Betrauten in gemeinfchaftlichen Verſamm⸗ 
hingen zu verhandeln, und dadurch die kirchliche Eintracht 
und Einheit zu ſichern; in ſolcher Weiſe haben bie Apoſtel 
gehandelt, und ihren Nachfolgern ein Muſter und Vorbild 
hinterlaſſen. In Beziehung auf die beſondern Zweige der 
Kirchengewalt bemerft ber Verf., daß bie älteren Synoden, 
welche groͤßtentheils Pronvincial⸗ ober andere größere Con⸗ 
eitien waren, bie kirchliche Regierungsgewalt in ihrem 
gangen Umfange geäbt, bie Wirkfammteit aber ber Diöcefans 
Synoden in ber aͤlteſten Seit ich auf bie Bezeugung des 





Provinzial⸗ und Sibeeſan⸗ Synoden. £58 


Maubeng und das Urtheil über Briefter, Kleriker und 
Laien beſchränkt habe, exit im fechften Jahrhundert [ἀβὲ ſich 
von ihnen auch bie Entwidelung einer geſetzgebenden Thär 
tigfeit jedoch in untergeorpnetem Kreiſe nachweifen. 

Sm weiteren zeigt die Schrift, warum trot der wies 
verholten Einfchärfung der Synoden burd) bie Synoden 
feb diefe dennoch außer Uebung gekommen feien. Im: 
der erſten Hinficht. werben in [anger Reihe die allgemeinen 
und Broninzials Goncilien aufgeführt, welche bie beftimms 
teſten Vorſchriften über die regelmäßige Abhaltung. von 
Synoden gegeben haben, denen gemäß ble Provinzial⸗Con⸗ 
cilien vom vierten bis in das fiebente Jahrhundert aljähr« 
lid) zweimal, von da bis in bae fünfzehente wenigftene 
einmal, und von ba bis quf das Concil von Trient wenige : 
ſtens alle drei Jahre einmal fich verfammeln ſollten. Yür 
-bie Discefan » Synoden, baren in den Acten der größern 
Geondlien er& um bie Zeit Erwähnung geſchieht, als biefe 
bereits anfingen nur einmal im Jahre zufammenzufommen, 
beftand bie Borfchrift, daß fie nach dem Provinzial⸗Con⸗ 
cilium gehalten werden follten, um deſſen Beichlüffe und 
andere Belehrungen des Bilchofs zu vernehmen, In ber 
‚Unterfuchung. ber lirjaden, welche die Nichtbeachtung 
dieſer kirchlichen Vorſchriften herbeigeführt haben, gebt ber 
Barf. von ber richtigen Bemerkung aud, daß zunaͤchſt nad) 
den Urfachen des Berfalls der Provinzial⸗Coneilien gefragt 
‚werben müffe, da durch biefen Verfall die Didcefan Sys 
noden gleichfam ihren Boden verlieren, und hier wirb nun 
zuerſt die befannte Anfchuldigung, daß bie Päpfte burd) 
‚ihr Streben nad) Abfolutigmus und Schwächung der Macht 
‚ver Yilchöfe den Verfall der Synoden veranlaft, auf eine 
‚glänzende Weiſe dadurch widerlegt, ba der Verf. burd) 


464 ö | ele, : ; 


De ganze Reihenfolge ber Päpfte von Bitter L bis auf 
Benedict XIV. und Pius IX. herab, mit urfunb[idyen Bes 
legen beweist, daß bie Päpfte ftet& auf bie Abhaltung von 
Provinzial s Goncilien gebtungen haben. Als bie wahren 
Urfachen werden angegeben aufer ber menfchlichen Schwach⸗ 
heit, bie nur von feltenen großen und heiligen Männern 
überwunden wird, äußere mächtige inberniffe, wie Striege 
unb Unglüdsfälle anderer Art, Behinderung durch weltliche 
Sorgen, ober burd) bie Staatsmacht, bie llebertragung 
der kirchlichen Gerichtsbarkeit und Gefeggebung an. flehende 
Behörden, und damit Ginlenfung in bie büreaufratifche 
Bahn nah Art der Staaten. 

Mit großer Berebtfamfeit verbreitet fl ber SBerfaffet 
febann über die 9totbipenbigfeit, das alte durch ein Zus 
farnmenwirfen der ungünftigften Verhaͤltniſſe verfatlene 
Synodalinſtitut wiederherzuftellen.. Ausgehend von der 
feierlichen Erklärung der 56 Biſchoͤſe aus Deutfchland und 
Deftreich zu Würzburg, führt er aus, daß dies ber fo oft 
"und nachdruͤcklich ausgefprochene Wille der Kirche fel, bet 
jedem Bifchofe heilig fein muͤſſe; daß bie größten Paͤpſte 
unb Bifchöfe aller Jahrhunderte biefe8 [aut anerkannt, 
daß bie Bluͤthezeit unferer Kirche mit ber Zeier ber Gt 
noben im engften Zufammenhange ftehe, unb bie [eptere 
ein befonderes Wahrzeichen der Fatholifchen fel, wie im Ge 
gentheile ber Verfall derfelben ber Kirche flets große Nach⸗ 
tbeile gebracht habe. Ganz befonders müffe bie Wichtig. 
feit der Synoden in der Gegenwart einleuchten, als δα 
Mittel, durch welches bie Kirche ihrer Aufgabe, wie fie 
jegt fid geftaltet, allein vollkommen zu entfprechen vermöge. 
Sept nämlich gelte e& den gefunfenen Glauben wieder herr 
zuflellen, ber. eingeriffenen Gittenfofígfeit zu ſteuern, ben 


Provinzial» und Dibcefan » Spnoben, 465 


Gefegen durch eine neue Begründung wieder Achtung zu 
verfchaffen, und zu blefem Zwecke ben Inſtanzenzug von ben 
Provinzial: Goncifien durch die Diöcefan - Synoden zu ben 
fogenannten judices Synodales wieder zu ordnen, enb[id) 
wie die Macht des Epifcopats fo aud) des Clerus durch 
ihre Bereinigung wieder zu flärfen. Zum Schluffe zeigt 
der Berf., daß weder die bifchöflichen Bifitationen, noch 
die geiftlichen Erercitien des Clerus, nod) bie Thätigfeit 
ber bifchöflichen Eonftftorien und Kanzleien, fo nothwendig 
jedes biefer Inftitute für feine befondern Zwecke fein möge, 
. die Wirffamkeit ber Synoden erfegen fónnen. 

Den Abfchnitt befchließt ble wohl motivirte Erinnerung, 
daß bei der Wiedereinführung der Synoden an ben kirch⸗ 
lichen Rormen feftgehalten werden müſſe; biefe Normen 
faffen fid) bis in bie erften Seiten der Kirche hinauf vers 
folgen, beftehen ihrem Haupttheile nach noch jept zu Rechte, 
und fónnen überhaupt nicht nad) der Willkuͤhr Einzelner, 
fondern nur durch bie gefebgebende Gewalt der Kirche abs 
geändert werden. Diefe gefegliche Normen, welche vielfach 
unbefannt find, wollte der Verf. deßhalb in ben folgenden 
Abfchnitten fury und Har zufammenftellen. 

Dies gefchieht nun zunächft im zweiten Abfchnitt, wo 
ber Verf. zuerft bie vornehmften Provinzial» Eoneilien der 
festen Jahrhunderte aus allen Ländern als bie Quellen 
bezeichnet, aus welchen er die Normen für die Abhaltung 
fünftiger Provinzial⸗Concilien geſchöpft hat. Diefen ger 
mäß ftcht das Recht ihrer Berufung bem Metropoliten, 
pber in deſſen Grmanglung dem Alteften Bifchofe der Pro⸗ 
vinz zu; in Stalien bebarf es jedenfalls einer Anzeige an 
die Congregatio de concilio und ihrer Genehmigung. Res 
grimáfig foll das Provinzial» Concil alle drei Jahre, am 

Theol. Quartalſchrift. 1850. III. Heft. 30 


466 Feßler, 


Metropolitanfige ober auch einem andern für ble Suffra⸗ 
gane bequemen Drte gehalten werden. Zu berufen find 
erftend alle (beftätigte, wenn auch noch nicht confecrirte) 
Suffragane, auch ber Kapitel-Bicar eines erledigten bifchöfr 
liden Sitzes, wie eremte Bifchöfe nad) der Beftimmung 
des Conciliums von Trient (Sess. XXIV. c. 2. ref.); ferner 
jene Aebte, Pröpfte ober Prälaten, welche über ein eigenes 
feinem Bifchof unterworfenes Gebiet eine ber. bifchöflichen 
gleihe Zurisdictionsgewalt mit den dieſer anhängenden 
Rechten befigen, andere Aebte können, aber müffen nicht 
berufen werben, dagegen haben alle Domcapitel der Pros 
vinz ein Recht zu verlangen, daß. fie eingeladen werden, 
aber feine DBerpflichtung babel zu erfdeinen, wiewohl fie 
berfómmlid) fid durch einen oder zwei Abgeorduete vers 
treten ließen. Wo übrigens in einer Provinz noch Andern 
nad Recht ober Gewohnheit bie Theilnahme am Brovins 
zial⸗Concil zuftände, wären auch biefe zu berufen, wohin 
die Gewohnheit zu rechnen (ft, bag bie Biſchoͤfe Tcheofogen 
beiziehben; ber B. Barolus Borromäus wollte, daß jeber 
-feiner Bifchöfe zwei Theologen mit fid bringe, deren Einer 
bie Wiffenfchaft, ber Andere bie Baftoral-Erfahrung zu vers 
treten fähig fei, Laien, wie fie in der dltern Zeit, wie 
wohl unter fehr verfchiedenen Verhäftniffen, auf Goncilien 
erfchienen, koͤnnen auch jet noch beigezogen werden, jebod 
hängt ihre Zulaffung lediglich von tem Ermeflen ber Bis 
fchöfe ab, jedenfalls fteht ihnen nie ein Recht der Ent 
ſcheidung zu. | 

Üeber die rechtliche Thätigfeit der Theilnehmer 
an bem Eoneil leſen wir Folgendes. Der Borfig und die 
geitung führt der Metropolit, wenn zwei Kirchenprovinzen 
fi zu eingm gemeinfamen Concilium vereinigen, wozu 


Provinzial» und Didcefan» Synoben. 467 


aber die päpftliche Erlaubniß erfordert wird, beide abwech⸗ 
felnd; bie Biſchoͤfe, die Aebte mit bifchöflicher Syurióbiction 
und bie Kapitelvicare haben eine entfcheidende Stimme, 
eine folche fónnen auch bie Stellvertreter der Bifchöfe 
haben, wenn ba8 Goncil ihnen eine fulche verleihen wil; 
bie Abgeordneten ber Domfapitel mit den übrigen Prälaten 
und Theologen haben nur eine berathende Stimme, die 
anweſenden Laien nur bann, wenn fte von den Bifchöfen 
ausdrüdfich zur Theilnahme an ber Berathung eingeladen 
werben; indem ber Verf. nachweist, bag ihnen weder ein 
innered nod) ein Außeres hiftorifches Recht aufomme, rein 
Kirchliche Angelegenheiten zu entjcheiden. In ber Abflims 
mung, wenn feine Gínbelligfeit zu erzielen ift, gibt bie 
Stimmenmehrheit den Befchluß, bem fid) bie Minderheit 
und ber Erzbifchof felbft, falla er fid) in derfelben befindet, 
fügen unb ihn gleich den übrigen Befchlüffen in feinem 
Namen befannt machen muß, nur ftebt ihm in biefem Falle 
das Rechtsmittel ber Appellation an den Papſt zu. Gámmte 
fiche Befchlüffe müffen von Allen, welche eine entfcheidende 
Stimme haben, fónnen aber aud) von den übrigen Mit⸗ 
gliedern unterfchrieben werben, mit dem Unterſchied in ber 
Sormel ı definiens subscribo — consentiens subscribo. 
Der Gefhäftsfreis des Eoncils begriff nad 
den vorliegenden Normen die drei Gegenftánbe: Glauben 
and Lehre, Gacramente und Eultus, Gefege und Disriplin; 
ber Berf. beftimmt ihn nad) ben vier Kategorien, Geſetz⸗ 
gebung, Beauffichtigung, Abftellung von Misbraäuchen, unb 
firchliche .Geridtebarfeit, Die Gefebgebung Tann daß 
Concil auf dreifache Weife üben, indem es bie in ben 
frühern allgemeinen Gonci(ien, befonderd bem von Trient, 
ſowie in den päpftlichen Conftitutionen enthaltenen, aber 
30 * 


468 j Beßler, 


häufig vergeffenen oder ganz unbefannten Seftimmungen 
aufs neue einfchärft, wo diefe nicht ausreichen, fann e$ 
auch eigene Gefege erfaffen, jedoch nicht contra sed praeler 
jus commune, endlich wenn es ihm ſcheint, bag einzelne 
Beſtimmungen des gemeinen Rechts durch neue erfeht wet» 
den follten, kann es dem Oberhaupt ber Kirche unter Vut» 
führung ber Verhältniffe darüber Vortrag erftatten und 
um Mohilfe bitten; in ber Schrift find alle drei Buncte 
durch Beifpiele erläutert. Das Auffichtsrecht führt das 
Eoneil über die einzelnen Bifchöfe der Brovinz in ben 
vom Tridentinum Sess, XXI—XXV. angezeigten Beziehuns 
gen, es fann jedoch nur ermabnen, und noͤthigenfalls bem 
SRapfte bie Anzeige machen. Die Mishräuche, mit deren 
Abftelung die Provinzial:Eoneilien fid) befonders befchäfs 
tigen follen, find von demfelben Tridentinum Sess. XXV. 
in den Decreten de invoc. Sanct. und de indulg. bezeichnet, 
unb der Verf. führt das erfte Provinzial⸗Concil des bf. 
Karl Borromäus und das Concil von Tours vom Sy. 1583 
als Beifpiele an, wie die Provinzial» Goncitien den Papft 
um Abftellung von Misbräuchen bitten follen. Die Oc 
tidjtébarfeit der Provinzial» Goncilien (ft zwar burd) das 
neuere Recht, welches bie causas graviores bem Papſte 
und bie Appelationen in zweiter Snftang dem Metropolis 
tangericht zumeist, ziemlich befchränft worden, doch bleiben 
ihnen bie causae minores und das nicht unwichtige Red, 
bie judices in partibus für bie in höchfter Inftanz zur Ents 
ſcheidung fommenben Bälle bem Papfte nambaft zu madjen. 

Die Form, in welcher ein ProvinzialsConcilium ab 
gehalten werben foll, ift in dem Pontificale Romanum und 
bem Ceremoniale Episcoporum (beide von Benedict XIV. 
durchgefehen) ausführlich befrhrieben. Hinfichtlich ber Vor⸗ 


Provinzial» und Diöcefan « Shynoben. 469 


bereitung gebenft der Berf. ber öffentlichen Ankündigung, 
ber frommen llebungen, um bie göttliche Gnade für das 
Goncil zu erflehen, der Weife, wie bie einzelnen Bis 
ſchoͤfe ὦ von ben Zufländen ihrer Diöcefe eine genaue 
Kenntniß verfchaffen, bie Mittel zu ihrer Berbefferung in 
den bisherigen Kirchengefegen auffuchen oder auf neue 
Bedacht nehmen, der Erzbifchof aber auf ähnlicher Grund⸗ 
lage ein entſprechendes Schema entwerfen foll, wonach 
bei dem Boneil vorzugehen wäre. Die Berhandlungen 
felbft werden in der Form von Gongregationen und eigent- 
lichen Sigungen gepflogen, in jenen werben die zu faffene 
den Befchlüffe vorbereitet, in biefen werden fte. förmlich 
gefaßt und verkündet, jene follen täglich zweimal ftattfin» 
ben, biefer follen während des Concils Drei gehalten wers 
ben, jene in ter erzbifchöflichen Wohnung, blefe in ber 
Kathedralkirche. Die Gongregationen [ἐδ find theils 
private, in welchen nur die Bifchöfe erfcheinen unb beras 
then, theils öffentliche (wöchentlich drei), zu welchen auch 
bie übrigen berechtigten Mitglieder beigegogen, und in wel» 
hen die 9tefultate der bifchöflichen Privatberathungen bes 
forochen werben. Der Eröffnung des Concils geht eine 
vorbereitende Gongregation voraus, auf welcher bie Beam⸗ 
ten des Gonciló ernannt werben, ihr folgt eine zweite, in 
welcher bie Ausfchüfie, je aus einem Bifchof und einigen 
Theologen beftehend, niedergefegt werben. In ber erften 
Sitzung wird das Goncil eigentlich eröffnet, das triden⸗ 
tinifche Gíaubenébefenntni& und das Gelöbniß des Oehor⸗ 
ſams gegen den Papfl abgelegt, unb die herfömmlichen 
Difeiplinarbeerete verleſen. Von einer Sigung zur andern 
bleibt ein Zwifchenraum von 8 — 10 Sagen für bie Bes 
tathungen, bie lebte ſchließt mit Einfchärfung ber vom 


x 


410 | "Ser, 


Goncil von Trient vorgefhriebenen Decrete, der Beeibigung 
ber Synodalzeugen, einer Anfprache des SRetropoliten, und 
den vorgefchriebenen Gebeten. 

Die Beſchlüſſe des Provincial⸗Concils müflen zufolge 
einer Gonftitution Sirtus V. vom 22. San. 1587 bem 
Bapfte zur Einficht und Prüfung vorgelegt werben, das 
Concil kann aber aud) um deren fürmliche Beftätigung 
bitten, durch welche jedoch, wenn fie erfolgt, ihre SBerbinb 
lichkeit nicht über bie Örenzen der betreffenden Kirchenproving 
ausgedehnt wird; erft wenn bie Beichlüfie burchgefehen 
unb (wo uöthig) verbeflert find, erfolgt ihre Beröffents 
lihung durch den Erzbifchof, wobei εὖ nicht ungmweds 
mäßig erfcheint, wenn bie bie Laien angehenden Deerete 
außer ber lateinijcen auch in der Volksſprache gebrudt 
würden. Die Verbindlichkeit der Beichlüffe erftredt ſich 
auf alle geiftlichen und weltlichen Perſonen ber ganzen 
Kirchenprovinz, auch auf bie Didcefe, deren Bifchof etwa 
bem Concil nicht beigewohnt hätte; dieſelbe Verbindliche 
feit. erlifcht auch nicht mit bem Tode ber Bifchöfe des Gom 
cils, denn bie Gonciliarbejcolüffe find als wahre Gefepe 
zu betrachten, und hören beffalb nur auf zu verbinden, 
wenn fie entweder ausbrüdlich zurüdgenonmen, ober burd) 
neue widerfprechende Gefege aufgehoben werben. Am Schluße 
widerlegt der Verf. bie Anficht derjenigen, welche bie Der 
erete der ProvinzialsEoncilien für bloße SBónalgefege halten. 
Drer dritte Abfchnitt beftimmt zuerſt die Aufgabe der 
. Dideefan-Sypnoden. Beltimmung ber Dogmen fant 
ihre Aufgabe fdjon darum nicht fein, weil hierüber ben 
Brieftern Fein entſcheidendes Urtheil zufteht, wohl aber 
fol über bie befte Art ber Verkündung, Verbreitung und 
Bertheidigung der Eirchlichen Glaubenslehre verhandelt, bie 








Provinzial» unb Didcefan= Synoben. 471 


Kirchliche Gejeggtbung aus bem blos gefihriebenen Buch⸗ 
faben wieder in das lebendige Wort übertragen, und das 
mit fie im Ginfíange mit bem übrigen Epifcopat und bem 
Oberhaupt der Kirche bleibe, die Befchlüfle ber Provinzials 
Concilien, auch bie neueren Gonftitutionen ber Päpfte unb 
bie Entfcheidungen. ber. römifchen Gongregationen. befannt 
gemacht werben. Eine befonbere Sorgfalt aber Bat bie 
Synode ber Befolgung ber Giefege zugumenden, theils durch 
bie gegenfeitige Ermunterung aller würdigen Prieſter auf 
bet Synode, theild burd) Ueberwachung derjenigen, deren 
Wandel ober Amtsführung gerechtem Tadel unterliegt. 
Da bie firchliche Gerichtsbarkeit fid) jegt in den Händen 
ſtehender Behörden befindet, fo hat ber Bifchof auf bet 
€pnobe für die dritte Snftang befondere Richter zu bes 
fielen; ob aber ber Verſuch, Brivatftreitigfeiten unter Geifts 
lien und Körperfchaften auf ber Synode beizulegen, große 
. Refultate gewähren könne, bezweifelt Referent ebenfo, ale 
daß bie Synode auf bie gute Befegung der Pfarreien einen 
bebeutenben Einfluß werde haben können, fu lange bie Pas 
tronatrechte beftehen. 

3n der Beantwortung der Frage, mer der Diöcefans 
Synode anzuwohnen habe, bezeichnet ber Verf. zuerft nach 
ber beſtehenden Gefeggebung und llebung als Theilnehmer 
den Bifchof unb fein Kapitel, die Geiftlichen überhaupt 
und befonberó bie GCeeljorger, von ben Drdensgeiftlichen 
alle aud) fonft eremte, bie unter feinem Generalcayitef, 
oder in der Seelforge fteben, mit befonderer Sorgfalt unb 
Gruͤndlichkeit behandelt er aber bie Frage, ob auch ben 
Laien eine Theilnahme an ber Synode rechtlich zuftehe? 
€t geht auf die Gründe ein, womit bie neueften Laien- 
vertreter H. v. Weflenberg, Dr. Haitz und Dr. Hirfcher 


472 Feßler, 


ihre Forderung unterflügen, und zeigt, daß aus ben von 
ihnen hieher gezogenen Bibelftelen fein unbebingter Antheil 
der 2aien an den Synoden und noch weniger an ber cigents 
lichen SKirchengewalt, fonbern nur foviel folge, daß bie 
Apoftel in gewiflen Fällen auf bie Wünfche ber Gläubigen 
foviel möglich Rüdficht nahmen, eine Rückſicht, die aud 
beut zu Tage noch flattfinden könnte. Befonders treffend 
ift bie Widerlegung der aus dem DBeifpiel unb den Schrifs 
ten des heil. Gyprian hergenommenen Beweiſe; der Berf. 
zeigt durch die fíarfte Auseinanderfegung der damaligen 
Zeits und Sachverhältniffe, daß bie Beiziehung der Laien 
zur Kirchenregierung bei dem heil. Eyprian theils als eine 
tein. perfönliche, tbeilà, infofern fie ihm mit den andern 
Bifchöfen feiner Zeit gemeinfam ift, als eine ganz außer 
ordentliche Maßregel erfcheine, wobei nicht einmal gewiß 
fei, ob dieſe Beiziehung auf eigentlichen Synoden oder auf 
andere Weife geſchah. Auf bie übrigen Gründe: daß bie 
Laien für Firchliche Anordnungen fein Sntereffe haben, 
ihnen feine Unterftügung leiften, zu feinem Gehorfam willig 
fein werben, wenn fie nicht zur Synode beigegogen wer 
den, — wird geantwortet, Sntereffe für eine Sache ent: 
fiehe aus der den Berftand und das Herz anfprechenden 
Darlegung berfe[ben oder durch eigenes Nachdenken darüber; 
bie größten Männer hätten fid für Dinge intereffirt, wo 
fie nicht mitzufprechen hatten, und jeder werbe biefe Er⸗ 
fabrung an (id felbft gemacht haben. Was ben Geboríam 
betreffe, fo fenne er ald Chriſt nur einen zweifachen Ges 
borfam, einen, der fid vor Gott und Gottes Gebot beugt, 
felbft wo er bie Gründe des Gebots nicht einfieht, wie 
der Gehorſam Abrahams, unb ben Gehorfam, welder auf 
flarer Einficht ber inneren Gründe des Gebotes beruft, 





Provlnzlal⸗ unb Didceſan⸗Synoden. 473 


‚wie der Geborjam Chriſti; der Geborfam aber, welcher 
fi nur herbeilaffen will, wenn er das Gebot ſelbſt ges 
geben hat, biefer Gehorfam ftamme nicht aus bem Chri- 
fentbum, fondern aus bem unbändigen Geiſtesſtolze, ber 
Krankheit unferer Zeit, wo jeder befehlen und feiner ges 
horchen will, einer Krankheit, welche nur durch die Rüds 
febr der Welt zum Gehorfam unter die höhere Auctorität 
geheilt werben fónne.. Sn ähnlicher Weife antwortet ber 
Berfafier auf bie Borftelungen, daß durch den Zuzug ber 
Laien die Parteiungen unter den Geiftlichen ausgeglichen, 
ihre Beratungen gefördert und geleitet werben fónnten; 
mit Recht wird erwiebert:s wenn ber kindliche Geborfam 
fo ganz verfhmwunden ift, wie jene fagen, fo fehle auch 
alle Seldfiverläugnung und Beherrſchung der felbftifchen 
gcibenfdjaften, und bei biefem Zuftande fónnte barum bie 
vorgefchlagene Maßregel nur zu noch größerer Verſchlim⸗ 
merung führen. Der.Berf. fchließt mit den Worten: es 
fieht feft, daß in ben lebten drei Jahrhunderten bei ben 
Didcefan-Synoden Laien als mitwirfende Theilnehmer ober 
Mitglieder berfelben nicht zugelafien wurden, gegen biefe bes 
fiehende Kirchliche llebung fónnte alfo fein Bifchof ben 
Laien irgend eine Stinnme bei den DiöcefansSynoden eins 
räumen — ohne Zufimmung des apoftolifden 
Stuhles. Referent febt bei: ber apoftolifche Stuhl hat 
fib bereits über bie in Rede ftebenben Borfchläge ausge, 
fproden, und aus bem Fatholifchen Klerus ift eine nams 
bafte Zahl fehr adtbarer Stimmen dagegen aufgetreten, 
fo daß man annehmen darf, bie aufgeregte Frage werde 
vorderhand ruben, 

Die Berufung der ordentlichen Theilnehmer zur Sy 
node ‚geht vom Bifchofe aus, er beftimmt auch die Zeit 


474 Feßler, 


und den Ort der Zuſammenkunft, und da in unſeren 
deutſchen Disreſen nicht alle Prieſter, ja kaum alle Seel 
forger (Pfarrer) erfcheinen Tönmen, fo trifft der Biſchof 
unter Rüdfprache mit ben Defanen eine Auswahl beret, 
welche an der Synode jedesmal perfönlich Theil nehmen, 
unb derer, welche zur Berwaltung der Seelforge zu Haufe 
bleiben follen; dies Alles (ft ben beftehenden Geſetzen unb 
Gewohnheiten gemäß. Dagegen ift von einer anbeten 
Seite, derfelben, welche bie Laien beigiehen will, ber Bor 
ſchlag gemacht worden, biefe Auswahl durch den Klerus 
vornehmen zu [affen. Unfer Berfaffer bemerkt dagegen, 
bag bie zur Unterſtützung dieſes Vorſchlags beigebrachten 
Grünbe febr [Φιοα feien und zum Theil auf falfıhen Vor⸗ 
ausfegungen ruhen, daß der Borfchlag, abgefeben von feiner 
Neuheit, geeignet fet, Mibtrauen gegen den Bilshof zu ers 
weden und zu náfren, ſchaͤdlichen Tendenzen und Leidens 
fchaften Einfluß auf bie Wahl unter ber Maſſe des Klerus 
zu eröffnen (der Bifchof wäre jedenfalls nur Ein Maun), 
Barteien im Klerus hervorzurufen und ble bereits beſtehen⸗ 
ben zu verftärfen, enbíid) den Synoden felbft eine bemos 
Fratifche Färbung zu geben, welche mit ber Grundverfaffung 
der Fatholifchen Kirche unvereinbar if. Dad ift der Veif. 
nicht entgegen, daß die Bifchöfe jeder Kirchenprovinz fi 
über bieje rage verftánbigen, und wenn fie es für noͤthig 
erachten, die rage dem heiligen Stuhl zur Entfcheidung 
vorlegen. 

. Meder die Art und den Grad ber Betheiligung bet 
verfchiedenen Mitglieder an ber Synode wird ber einzig 
richtige Grunbfag aufgeftellt: bie Stellung der Briefer 
zum Bifchofe iff auf ber Diöcefans Synode die nämliche, 
wie außer berfelben; bie Synode gibt an und für fij 


Beodinztal» und Dideefan » Synoben. 475 


feine neuen und befonbern Rechte, infofern ihnen folche 
nicht ausdruͤcklich von. einem allgemeinen Gonci[, ober von. 
bem römifchen SBapft ober dem Bifchofe felbft innerhatb 
ber Schranfen feiner Befugniflfe eingeräumt‘ werben. Dem 
gemäß bleiben bie den Domkapiteln vermóge ber Kanones 
zuſtehenden Rechte auch rückſichtlich der Synoden vorbes 
halten, den übrigen Prieſtern ſteht auf der Synode eine 
berathende, dem Biſchof allein aber die entſcheidende Stimme 
zu, ſowohl bei der Geſetzgebung als in der Ausuübung bed 
Richteramts, obwohl er die richterliche Gewalt nach dem 
ſtaͤten Herkommen an gewiſſe Prieſter auf widerrufliche 
Weiſe übertragen kann, welche ſie dann als eine delegirte 
Gewalt ausüben. Der Verf. beleuchtet aber auch ſehr 
gründlich den neuerlichen Verſuch, ven PBrieftern auf bet 
DideefansSynode eine entfcheidende Stimme zu vindieiren, 
er weist: aus der Analogie πα, daß das in einzelnen 
Stellen des neuen Teftaments vorfomntenbe Wort πρεσ- 
βυτέροε für bie entfcheidende Stimme unferer Priefter nichts 
beweife, er geigt auf eine fchlagende Weife, baf bie aus 
Cyprian beigebrachten Gitate unrichtig gedeutet, ober von 
ben. BrovinzialsBoncilien auf die Dioͤceſan⸗Synoden übers 
tragen, ober gar alterirt, wo nicht gar gefälfcht worben 
find. In ähnlicher Weife werben auch bie aus willfihre 
lichen Reflerionen abgeleiteten Beweiſe abgetiefen. 

. . Referent muß zum Schluße eilen, unb kann baber 
über bie lebten Paragraphen ber Schrift in Kürze nur 
Folgendes bemerfen. In bem $. 16, weicher von ben 
Vorbereitungen zur Synode handelt, verdient das über bie 
Beziehung des Provinzial» Coneild zur Diöcefan » Eynode 
fowie über bie Bifitation Gefagte befondere Beachtung; 

über bie Worm der Abhaltung der Didcefan» Synode bes 


416 Feßler, Brovinzial- und Didceſan⸗Syuoden. 


fchränft fich ber Verf. auf bie Grunbrifie, indem er auf 
das Pontificale Romanum und das Ceremoniale Episco- 
porum. verweist, und an bie Worte Benedict des XIV. ers 


tanert: ein einfidotévoller Bifchof werde fid in dem,‘ wo : 


er nicht durch ein höheres Kirchengefeb gebunden ift, nad 
Zeit und Srt. richten, und wohl auch Einiges, was früher 
ublich war, unterlafjen, je nachdem er es für bie gute 
Regierung ‚feiner Diöcefe erfprießlicher fürden werde, Syn. 
Dioec, lib. V. c. 3. n. 7. — Aus tem Schlußworte nod 
Folgendes: das Berlangen nad Synoden ift. in unferet 
Zeit allgemein, wenn aud) Manche dem allgemeinen Ber 
bärfniß ihre eigenen Gebanfen und Wuͤnfche unterfchieben ; 
bie Bifchöfe haben Synoden in Ausficht geftellt, ein fiches 
ws Zeichen, daß fie folche für möglich halten, und dazu 
geneigt find; bie. Synode von Piftoia hat gezeigt, wohin 
bie Berlaffung ber altfirdhlichen Bahn und bie Reuerungss 
ſucht führe, barum haben bie Bifchöfe Frankreichs, fid) an 
Die firdjfid)en Normen Baltenb, mit der Abhaltung von 
Brovinzials@oneilien begonnen; damit muß auch bei und 
angefangen werben. Aber bie Brovinzials Eoncilien wie 
ble Diöcefan« Synoden müflen wohl vorbereitet werben, 
unb biefe Vorbereitung braucht Zeit; darum wolle Ries 
mand, ber ἐδ mit der Kirche gut meint, bie Bifchöfe zu 
febr drängen, damit das Werf nicht überftärgt werbe, unb 
feine Früchte zu SBerfuft geben. Der Unterzeichnete zählt 
das vorliegende Werk zu den beften, welche üt der jüngften 
Zeit über die Genoben erfchienen find. 
Drey, 


€* 





Kirche u. Staat in Bayern. Abel u. f. Nachfolger. 477 
2. 


Kirche und Staat in Bayern unter bem Miniſter Abel 
und feinen Wachfolgern. Eine Eirchlichspolttifche Denke 
(drift. Schaffhaufen. Verlag ber Qurter’fchen Buchhand⸗ 
lung. 1849. X. u. 428 €. in 8. Pr. 2 f. 42 fx. 

Wie interefant der Stoff des vorliegenden Werkes fet, 
zeigt fon der Titel. Um aber zur Beurtheilung der fper 
siellsbayrifcyen Tirchenrechtlichen Zuftände einen feſten Bo⸗ 
ben zu gewinnen, ftellt der Berfafler eine allgemeine Abs 
handlung über bie €ntftebung von Kirche und Staat und 
ijr SBerbáftni zu einander an die Spige feines Buches. 

Nachdem er hier die Aufgabe und das Ziel ber Kirche 
im Allgemeinen fe&geftellt und namentlich gezeigt hat, baf 
die Kirche nicht Weinbin ber Wreibelt, vielmehr ihre eigent- 
liche Schägerin und Pflegerin fei; fucht er das Weſen des 
Staates näher fennen zu lernen und geht dabei auf eine 
fehr logifche und gründliche Weife auf bie Anfänge feiner 
Cnifiebung unb. Entwidlung zurüd, im Gegenfag zu ben 
vielen Theoretifern, bie den ‚Staat unb fein Gebäude bios 
nach Abftractionen und vorgefaßten Begriffen ohne Berüds 
fihtigung ber Sachlage der Gefchichte conftruiren. Sofort 
wird gezeigt, welche Aufgabe bie Kirche bem Staate ger 
genüber hatte, wie (id) biefe Aufgabe in verfchiebenen Zeiten 
verfehieden nach dem Grade der Bildung und Bildungs 
fähigfeit der Völker mobificirte, wie bie Kirche beſonders 
im Mittelafter, beffen vorgebliche Schattenfeiten er auf ihr 
gerechted Maaß reducirt, bie germanifchschriftliche Gocietdt 
auf die Stufe zu erheben fuchte, daß in ber Tommenden 
Zeit „dur felbfändige lintererfung des  Geifteó im 
Glauben der Abfolutism des Willens, burd) freie Aner⸗ 


48 — co Rude gu Cant In Dae coc 5 


fenmung einer innern und höhern Macht ber Abfolutism 
der Gewalt, wie burd) bie freie Unterordnung unter die 
höhere Idee ber Gemeinſchaft der gebenégüter durch freie 
Berzichtfeiftung auf biefelben der Abfolutism des Beſitzes 
in fich felbft überwunden werde“. Daß aber biefer beris 
fache Abfolutism, namentlich ber Abfolutism der Gewalt 
£d) feit ber fegenaunten „Reformation“ immer mehr aue; 
gebreitet und in fatfolijden wie proteflantifhen Laͤndern 
eingebürgert babe, ift vom Hrn. SSerfaffer an ber Hand 
ber Gefchichte bargetban, und gezeigt, daß auf bie peli, 
tische Härefle ber Sürften: ihre abfolute Gewalt, die fe 
pflichtvergeſſen an fid) geriffen und mit ber fie herrfchten 
nad) Willkühr, {εἰ von Gott und jede ihrer Handlungen 
trage göttlichen Charakter in fi, „pie Gewalt rube alfo 
nur in ihnen“, als Gegeníag bie andere Haͤreſie fommen 
wußte: bie Gewalt ber Kürften fomme vom Volk, unb vie 
»Sürften feien don bes Volkes Gnaden“. Diefen beiden 
politifchen Härefien gegenüber wird fobann bie Wahrheit 
verfochten, daß wohl alle Gewalt von oben fomme, aber 
wicht einfeltig in einer der Spähren ber politifchen Socie⸗ 
tät allein ruhen könne, fondern in jeber nur in befonderer 
Weiſe. Zulept wird noch feftgefept, welche Aufgabe bet 
Staat, nachdem er eigentlich aufgehört, ein dhriftficher 
oder Fatholifcher zu fein, in der Gegenwart habe, und wie 
son ber Loͤfung dieſer Aufgabe Gluͤck oder Verderben 
abhaͤnge. 

Rah dieſer lichtvollen Einleitung, in welcher bet 
khönfte Bragmatismus ber. Gefchichte zu Tage tritt, wirft 
der Hr. Berf. einen Dli auf die kirchlich⸗politiſchen Zus 
Hände ber früheren, bem Minifterinm Abel vorausgehenden 
Periode und. zerſtoͤrt bier bie Illuſton, at& οὗ Bayern ein 








: Abel und feine Nachfolger. 4 


katholiſcher Staat geivefen wäre. Er zeigt, fele man 
fi in Bayern beftrebte, wie in politifcher, fo in kirchlich⸗ 
politifcher Hinficht bie abfolute Eouveränetät nad) abflrarten 
Theorien eines alles von Born anfangenden hohlen Phi⸗ 
loſophismus der Illuminaten mit der frechſten SBillfübr 
burchzufeßen. Daher das Beftreben, „den reinen Guítue 
der chriftlichen Religion einzuführen“, „ven. Geiftlichen zu 
feiner urfprünglichen Befimmung zurädguführen“, d. B. 
ben Clerus völlig zu entwürdigen unb in eine Art Poli⸗ 
jeimannfchaft umzuwandeln, das Kirchengut zu färularis 
firen und jeglide Stiftung als Staatseigenthum zu er» 
Hären, taber neben der polizeilichen Bevormundung bet 
Kirche auch bie des Privat⸗ und öffentlichen Lebens; aud) 
bie Collifion Des Goncorbateó unb der Gonftitution, bie 
Verationen eined Sailer, Savigny, Wittman, Baader sc. 
und nod) manche andere in unferm Buche befprorhene 
Erfgeinungen zeugen von dieſem abfolutiftiihen Streben. 
Daß unter der Regierung des Königs Ludwig auf pelitis 
ſchem voie Firchlichem Gebiete eine beffere Zeit fam, ſtellt 
ber Hr. Verf. nicht in Abrede, aber bie beigebrachten Data 
jeigen auch, wie der Eirchenfeindliche Geift immer wieber 
fi) geltend machte, wie namentlich das Miniſterium Wal⸗ 
lerſtein ſeine Aufgabe nicht begriffen. 

Bon S. 107—226 werden bie: Zeiten des Miniſteri⸗ 
ums Abel dem Lefer vor Augen gefübrt. Mit bem Kölner 
Ereigniß war in Deutfchland ein Ermaden zum kirchlichen 
Bewußtfein, zum fampfe, bie religiöfe Freiheit gegenüber der 
Omnípoteng des Bolizeiftaates zu erringen, eingetreten, unb 
Bayern hätte bie Aufgabe erhalten: „vie religiöfe Freiheit 
ber Gonfefftonen überhaupt zu wahren , um jeglichen Ueber⸗ 
griff ber weltlichen Macht einerfeits felbR zu vermeiden 


2290 $i: und Staat In Vahern. 


and anderſeits auch jedem verfolgten. Rechte Schuß und 
Schirm zu gewähren®. Diefe Aufgabe ber Löfung näher 
zu führen, fam eben dem Minifterium Abel zu, und gerabe 
die Darftelung und Gritif der Art und Weife, wie biefe 
Aufgabe geíóft wurde, bildet den Kern der Denkfſchrift. 
Um entfcheiden zu fóunen, „ob bie ſchon oft vorgebrarhten 
Befchuldigungen wahr feien, ob. wirllich Abel den Staat 
der Kirche untergeotbnet, ob wirklich Bayern von ben Prie⸗ 
fern. beherrſcht worden, ob wirklich bic übrigen Berfium- 
nie und Bebrüdungen auf Rechnung der übermäßigen, 
ale Bluͤthen ertötenden Herrichaft des Ultramonatismus 
femmen, ober ob fid) dieß nicht anders verhalte, ob nicht 
in umgelehrter Weiſe auch fortan ned) bie Kirche under 
ten Bolizeiftante geftanden unb ob nicht aud) fie gerechte 
Urſache hatte zu Hagen und nach Befreiung fi. zu ſeh—⸗ 
nen“, — beflimmt zuerft der Hr. Berf. bie Aufgabe Abel 
und feines Miniſteriums und vergleicht damit fein Wirken. 
Das durch eine gründliche Nachweiſung vom Hrn. Berf. 
gewonnene Refultat können wir in folgenden Sag faffen: 
das Winifterium Abel that allerdings, namentlich in ber 
erben Zeit Bieles, was den Geiſt ter Negation und des 
Antichriſtenthums gegen Rd) herausrufen mußte, während 
es bei Männern, die gerecht und billig denken, nur Aner⸗ 
fennung finden fann; andererfeits war aber Abel fo ganz 
ein Mann bes bureaufratifchen Gentraliſationoſyſtemes, ber, 
wenn gleich ber Kirche von Herzen und mit Leberzeugung 
sugeihan, auch Bieles, was einen Eirchlichen Aufſchwung 
hätte beförbern koͤnnen, vernachlaͤßigte, ober bewirkte, daß 
jene Einrichtungen, welche pofitiv auf eine Neubelebung 
bes chriftlichen Geiles wirken follten, oft eine einſeitige, 
in fij geichwächte, ja vielfach kraͤnkelnde Entwicklung 


Abel und feine Nachfolger. 481 


nahmen. Auf gleich fare Weife hat ber Verf: ebenfalls ben 
Rachweis geliefert, daß aud) das politifche und ſtaatsöko⸗ 
nomifche Wirken Abeld allerdings viele Blößen barbietet, 
daß aber diefe nicht auf Rechnung des llítramontaniémué 
gefchrieben werben können, fonbern ihre Quelle in Abels 
abfolutiftifcher Richtung haben, mit der er bei der fcharfen 
Faſſung des manarchifchen Princips ben Rechten des Volkes 
und ber Stände zu nahe trat. Ebenfo zeigt der 9Berf., 
dag auch bie Proteftanten unter Abel in ihrer refigiófen 
Freiheit mannigfach beeinträchtigt und beengt waren, daß 
dieß jedoch nie zu Gunften der Katholiken gefchehen fei, 
und daß die von proteftantifcher Seite erhobenen Klagen 
weitaus übertrieben feien. Bei biefer Sachlage findet man 
e$ begreiflich, wenn die Denkfchrift fagt, bie legte Zeit fei 
wie Alpdruk unheimlich auf den Gemütbern gelegen, unb 
Biele hätten lieber einen offenen Bruch zwifchen Kirche 
und Staat als eine folche Mesalliance beider, lieber ben 
offenen Krieg als den unheimlichen und faulen Frieden 
gejehen. Diefer Sturm kam wirklich mit dem Lola Don 
tanismus, unter welchem die Schleußen langverhaltenen 
und nur bie unb ba ausgebrochenen Aergers einer protes 
flantifen und pfeubofiberalen Richtung geöffnet wurden 
und Fluthen über bie unglüdlichen lltramontanen und 
Sefuiten beranbrangen, um, wenn thunlich, fte fämmtlich 
im „&olameere“ der Freiheit zu erfäufen; alle Lärm- unb 
Poltergeifter wurden losgelaffen, bie ganze 9tüftfammer 
von Lüge und Berläumdung geöffnet, um die vorgebliche 
Sinfterníg und Defpotie des Ultramontanismus und ber 
Hierarchie zu beiämpfen. Den nähern Berlauf diefer „Zeit 
des Lola⸗Montanismus, der Morgenröthe und ber neuen 
Freiheit" (egt ter Hr. Berf. von S. 227— 381 näher 
Theol. Quartalſqhriſt. 1850. Heft II. 31 


482 Kirche und Staat tu Bahetn. 


alío dar: Zuerſt vertbeibigt er das Miniſterium Abel we 
gen bes befannten Memerandums gegenüber der Schand- 
prefie, bann führt er die in Umlauf gefegten Begriffe von 
» Ultramontantsmus und Sefuitismus*, womit eigentlich 
nur das neu erwachte Tatholifche Leben von einer gewiffen 
proteßantifhen Fraction und dem ganzen pſeudoliberalen 
Chor in Mißcredit gebracht werden wollte, an und rectifls 
eirt fle, ebenfo finden die den Ultramontanen gemachten 
Hauptvorwürfe ihre Würdigung. Um zu zeigen aber, 
daß bie vielgepriefene Morgenröthe nur „die Schamröthe 
gewefen, die bie Schande, bag Bayern durch eine Lola 
Monte, regiert werbe, jedem fittlichen Manne ind Geſicht 
trieb“, betrachtet er die Gaben, welche die „rofenfingerige 
E08 des Minifteriums Maurer Zu⸗Rhein verheißen“, uns 
terwirft fie einer Gritif vom katholiſchem Standpunkte aus 
und ftelit eine Bergleihung an zwiſchen den gemachten 
Hoffnungen und den Thatfachen. In diefer Vergleichung 
weißt bie Denffchrift auf fihlagende Weife nach, wie wenig 
man fid) für verpflichtet hielt, bie gemachten Verfprechuns 
gen ben SKatholifen gegenüber zu halten, wie partheiſch 
namentlich die Preſſe gehandhabt, wie wenig bie Kreibeit 
ber Wiffenfchaft, und bie religiöfe Freiheit refpectirt wurde, 
wie felbft die inbuftrielle Aufgabe vom Minifterium „der 
guten Hoffnung“ aufer Acht gelaften, die Rechtspflege aber 
durch Acte der Τρ ἀν in Folge lolaiſcher llfafe nicht ve» 
fondern beformirt wurde. Mochte e8 auch unter den neuem 
Miniſtern Walerftein und Bergks in dem einen und ans 
bern Punfte etwas beffet geben, im Ganzen wurde bod, 
wie ber Verf. zeigt, „das Syſtem abfichtlicher Täuſchung 
und Lüge“, mit welcher das Miniftierium Mauser Zus 
Rhein bem König gegenüber begonnen, vor aller Welt 





Abel und feine Nachfolger. 483 


forigefegt unb erweitert; und wenn aud in $olge der 
Märzerrungenfchaften unter dem Einfluffe des min „fous 
deränen“ Bolfes das Miniſterium ein anderes wurde, ber 
Hr. Berf. aber behauptet, daß man in Bayern trog ber 
Märzerrungenfchaften und Freiheiten nod) immer auf bem 
alten Boden des Drufs der Bolizeibevormundung und des 
Staatskirchenthums ftebe, als deſſen belebende Seele nod) 
immer die bewußte unb unbewußte Täufchung und Ge 
ſpenſterſeherei des Ultramontanismus erfcheine; fo ſpricht 
leider bie Erfahrung für ihn. Zwar find einzelne Sterne 
einer befferen Zufunft am kirchlichen Himmel Bayerns aufs 
gegangen, wir erinnern nur an die Reactivirung der unter 
dem Lolas Montanismus abgefehten Brofefloren ꝛc., aber εὖ 
bat nod) Vieles zu gefchehen auf dem firchlichen, politis 
ſchen und focialen Gebiete, fol -anbeté eine beffere Zukunft 
eintreten. 

Zum Scluffe feiner Denkfchrift felit ber Hr. Verf. 
mod) eine Betrachtung an über bie Gegenwart im Großen 
unb Gange unter Angabe des ihm wahrfcheinlichen Ents 
wicklungsganges der nächften Zukunft, von S. 382—425. 
Sein Schiboleth lautet dieß Falls: „extra ecclesiam nulle 
salus^. Nach feiner Geſchichts⸗ und Weltanfchauung fa» 
men ihm nämlich bie Ereigniffe der Neuzeit nicht uners 
wartet — unerwartet war ihm nur wie vielen Andern, 
die Sturmeseile, in welder fie fid) drängten — die Ges 
genwart ift ihm vielmehr nur bie Entwidlung ber legten 
unb duferften Folgen, bie in und mit der Reformation 
smbryonifch grundgelegt wurden, infofern die chriftlichen 
MWölfer, nachdem fie im Gebiete des Geiftes und ber Gr» 
fenntnig, im Gebiet des Willens und der Gewalt und 
&enfo im Gebiete bed. Lebens eine falfehe Richtung «ins 

31° ! 


484 Kirche und Staat in Bayern. 


gefchlagen, zu diefer Auflöfung der frühern Orbnung im 
mer mehr hingebrängt wurden. Wie man diefer Auflöfung 
auf allen drei Gebieten zu begegnen fuchte, aber aud) ben 
Orund. des Mißlingens fraglicher Beſtrebungen, Bat er 
aufgebedt; unb menn er fofort zu erweifen fucht, daß bie 
Menfchheit jegt an einer Stufe angelangt fei, bie alle 
Achnlichkeit habe mit ber römifchen Welt in den erften 
Jahrhunderten unferer Zeitrechnung, bag jebt namentlich 
flatt des geheimen, frieneheuchelnden Krieges des Polizei⸗ 
flantes ein offener und ebenfo heftiger Kampf wie gegen 
alles pofitive Chriftenthbum, fo bejonberé gegen bie Kirche 
fommen werbe; fo find allerdings ſchon mandye Border 
[ἅδε zu biefen Solgerungen gegeben; aber bie Gefchichte 
der Bergangenheit berechtigt auch zu ber Hoffnung des 
Hm. Berf., daß bie Kirche, und alle, bie an fie fi ans 
fehließen, aus dem Kampfe mit dem modernen Heibenthum, 
wenn aud) erft nach vielen Leiden und Berfolgungen, fiegs 
reich hervorgehen werben. 

Gebr beherzigenswerth ift. enblid), was ber Verf. eins 
zelnen kirchlichen Ultras gegenüber in Betreff der Knaben 
- ftminarien (&. 159 — 163) und einer ,,franf$aften Pſeudo⸗ 
Aſceſe“ (S. 163 ff.) fagt. 
Rept. &tip. 


3. 


Wie Weilfagung Jacobs über das zukünftige glückliche Coos 
bre Stammes Inda unb deſſen großen Nachkommen 
Schilo, 1. Mof. 49, 8—12. Eine eregetifch- hiſtoriſche Abs 
handlung v, feur. Reinke, Dr. ber Philofopbie u, Theologie, 








9teinfe, Welffagung Jacobs. 485 


ordentlichen öffentlichem Profeſſor ber Theologie und orientalis 
fihen Sprachen an ber koͤnigl. preuß. 9 fabemie zu Münfter 
in ZBeftpbalen. Münfter. 1849. Berlag der Coppenrath'ſchen 
Buch⸗ unb funflfjanblung. Br. 1 fl. 27 fr. 


Die hier befprochene Weiffagung Jacobs ift eine bet 
wichtigften und fchiwierigften von den meffianifchen Weiſſa⸗ 
gungen des A. T., unb es find bis jegt felbft diejenigen, 
bie fid) für bie von Vielen geläugnete meffianifche Bezies 
hung derſelben enticheiden, in Auffaffung des Einzelnen 
nicht einig, Dadurch ift eine neue und ausführliche Bes 
handlung derjelben, wie fie hier vorliegt, fehon hinlänglich 
gerechtfertigt. Der gelehrte Hr. Verf., bereits durch mebs 
rere eregetifche Monographien rühmlich befannt, fpricht 
zuerft in einer furzgen Einleitung von ber Wichtigfeit ber 
fraglichen Weiffagung, wobei er namentlich hervorhebt, 
daß diefelbe ſchon fíarer und beftimmter fel, als bie früs 
heren ebenfallà- auf die meffianifche Zeit bezüglichen patri» 
archalifchen Verheißungen, indem fte ben Segen jener Zeit 
von einem einzigen großen Ariedebringer ausgehen unb 
fiber alle Völker fid) verbreiten faffe, unb legt bann nod) 
. einen furzen Plan feiner Monographie vor. 

Diefelde Handelt zuerft von den „Beweisgründen übers 
haupt, nad) welchen über bie Meffianität einer Stelle 
entfihieven werden müfje*. Unter biefe gehören zundchft 
tie Namen und Präpdicate, bie eine Perſon erhalte; wenn 
ihr nämlich „folche Eigenfchaften, Namen, Handlungen 
und Berrichtungen beigelegt werben, bie von feinem ans 
dern als von bem Meſſias ausgefagt werden fönnen und 
bie nur in ihm ihre Erfüllung erhalten haben“, fo fiege 
hierin ein wichtiger Beweisgrund für die Meffianität einer 
Weiffagung. Ein anderer Beweisgrund fónne in Parallels 


486 | tinte, 


ftellen liegen; wenn fich nämlich zwei ober mehrere ter, 
felben auf einerlei Perſon beziehen und die eine ober antere 
erweislicher Maaſſen mefftanifch fei, fo fei bie ein Beweis 
für bie Meffianität aud) ber übrigen. Ein britter und ber 
bebeutenbfte Beweisgrund für foldhe Meffianität liege aber 
in dem Zeugniß des neuen Teftamentes, wobei nur unters 
fehieden werben müffe, ob eine altteftgmentlidye Stelle im 
eigentlichen Sinne und ausfchließlich von bem Meſſias und 
feinem Reiche erklärt, ober in ihr nur „etwas Vorbildli⸗ 
ches, Typiſches und Sbeelle& * gefunden werde, „was in 
der Geſchichte Gorifti und feines Reiches erft feine voll: 
fommene Grfüllung erhalten ſollte“. Gin vierter Beweis 
grund endlich liege in ber Erklärung des jübifden unb 
chriſtlichen Alterthums. Mit Recht wird das Hauptgewicht 
auf den dritten und zum Theil auch auf ben vierten Bunft 
gelegt; denn bie erften beiden Punkte kann aud) derjenige 
zugeben (und gibt fie ohne Zweifel zu), der nirgends eine 
meffianifche Weiflagung anerkennt, weil er in jebem eim 
zelnen Sale eben nicht zugibt, bag bie fraglichen Namen, 
Eigenfchaftenze. bloß vom Meſſias ausgefagt werben fóm 
men, unb bie etwa zu viel fagenben Ausdrüde als poetifche 
llebertreibungen ꝛc. auffagt. In Betreff der jüdiſchen 
Ausleger war die Bemerkung nicht überflüßig, daß man 
fi bauptfächlich an die älteren berjelben zu halten habe, 
weil diefe noch an ber eregetifchen Tradition der Vorzeit 
fefthielten, welche von ben fpätern in Folge ihrer Polemik 
mit den Chriften nicht felten verfaffen worden fei. 

An bie Darlegung der Beweismittel für bie Meſſia⸗ 
nität altteftamentlicher Stellen fehließt fid) bie Nachweifung 
ber Aechtheit der Weiffagung Jacobs (Gen. 49.). Hr. 9i. 
zeigt zuerſt, bag bie Geneſis überhaupt Acht [εἰ und ihre 








Weiſſagung Jacobs. 481 


hiſtoriſche Nachrichten durchaus Glauben verdienen, unb 
bann, daß diefes inébejonbere vom Segen Jacobs gelte. 
Fuͤr feinen Zwed ijt Letzteres bie Hauptfache und er fucht 
ausführlich zu zeigen, ejnerjeitó bag ber Inhalt des frags 
lihen Segens „der Zeit und den Umftänden Jacobs ganz 
angemefien [εἰ und Manches von einem fpäteren Berfaffer 
nicht hätte gefagt werden fönnen“, und andererfeits daß 
bie gegen bie Acchtheit vorgebrachten Gründe ohne Beweis, 
fraft feien. . Die Rachweifung ift im Ganzen befriedigend, 
wenn auch gegen bie eine oder andere Gingelbeit fid) nod) 
Dedenklichfeiten erheben ließen. So folgt 4. B. aus der 
Infeprift auf dem Stirnblech des Hohenprieftere (rob. 
39, 30.) noch nicht, daB auch auf dem Siegelringe Suba'6 
(Genef. 38, 18. 25.) eine Buchftabenfchrift fid) befunden 
babe, fo wie aud) aus ben fchriftlihen Aufzeichnungen 
Moſe's unb dem damaligen Vorhandenſein ber coU 
nicht folgt, daß ſchon vor mehr al& 400 Jahren die hebräis 
hen Batriarchen bie Buchftabenfchrift gefannt und von ihr 
Gebrauch gemacht haben. 

In dem hierauf folgenden „Verzeichniß befonderer 
Schriften, welche über 1 Mof. 49, inébefonbere über 2. 
10 erſchienen find“ hätten noch mehrere andere genannt 
werden fónnen, wie Ludwig Werranb (Cogitationes in Re- 
ligionem Christianam, complectentes Prophetias Jacobi et 
Danielis de adventu Messiae etc. Paris. 1679.), Aug. Bes 
renius (De Sceptro Judaeorum non auferendo. Rostock. 
1648), Seb. Gbgarb (Jacobi Patriarchae de Schiloh va- 
ticinium etc. von Hrn. R. nachher felbft erwähnt ©. 124) 
und andere (cf. Le Long Bibliotheca sacra. II. 1085 sq.). 

Wenn fofort die Stelle Genef. 49, 8-12. im Urterte 
unb deutfcher Weberfehung gegeben und dann noch ble 


488 Reinke, 


übrigen alten Ueberſetzungen mitgetheilt werben, nämlic 
bie alerandrinifche, ſyriſche und famaritanifche, bie lateini⸗ 
ffe des Hieronymus, bie arabifbe ded Gaon Saadia und 
das Targum des Onfelos, fo hätten die beiden andern 
Targums, das jerufalemifche unb das des Pfeupojonathan 
ebenfall6 beigefügt zu werben verbient, weil fie bei ber 
fraglichen Stelle weder unter (i noch mit Onfelos übers 
einftimmen, Nebenbei [εἰ bemerkt, daß das legterwähnte 
Targum, das wiederholt, ald das des Jonathan Ben 
Viel angeführt wird, nicht von dieſem herrührt, fondern 
wahrfcheinlich nur eine befonbere Recenfion des jerufalemis 
fchen Targums ift (vergl. Herbft, Einleitung, I. 180. Zunz, 
die gottesdienſtlichen Vorträge ber Juden. S. 66 ff. Hirſch⸗ 
feld, der Gieift der erften Schriftausfegungen ober: bie 
Hagadiſche Eregefe. S 263 f.). 


Set erft folgt Hrn. Reinke's Kommentar über 1 Mof. 
49, 8-12. „Die Verſe 8 und 9 machen feine große 
‚Schwierigkeit; am wichtigften ift 9B. 10. unb bier wie 
berum handelt es fid) hauptfächlich um das Wort bw 
und bann um die Ausbrüde Du) unb ppm und npp* 
Herr R. führt die verfchiedenen Meinungen der Ausles 
ger an unb beurtheilt‘ fie je nach Umftänden bald fur 
bald ausführlih. 1927 nimmt er nicht im firengen Sinne 
als Königsfcepter und Symbol fóniglid)er Würde, fondern 
nur als Zeichen bet nationalen gortbauer und Phylarchie 
ded Stammes Juda bis zur Zeit Chrifti, und fucht bie 
übrigen Auffaſſungsweiſen zu befeitigen. Yard, was fchon 
bie alten Ueberſetzer fehr verfchiebenartig wiedergeben, nimmt 
er mit Hieronymus in der Bedeutung » Gefeßgeber “, fiedt 
fid aber bann genöthigt, das Way) nam einfach im Sinne 





Welffagung Jacobs. 489 


von 1390 zu nehmen, was (id) bod) nicht genügend rechts 
fertigen läßt. Am beften würde dem parallelen DI ges 
genüber bie Bebeutung „Herrfcherftab“ paflen, nur erregt 
der limftanb einiges SBebenfen, baf feiner der alten Ueber⸗ 
feber e$ in diefer Bebeutung genommen hat. mop als 
stat. , constr. bon nm? leitet er vom ungeräuäckgen np 


E 589, gehorchen, ab, fo daß es bie Bedeutung „Ges 


horſam“ erhält. Am wictigften ift das Wort by und 
wird von Hrn. R. am ausführlichen (S. 94—129) bes 
fprodjen. Er hält es für einen Namen des Meffias, ges 
bildet von nou (ruhig fein) in ber Bedeutung „ Berubiger, 
Sriebebringer ^, wie ja ber Meſſias auch fonft gerne als 
Urheber des Friedens (Mich. 5, 4.), ald Briedensfürft 
(Sef. 9, 5.) bezeichnet werde. Die verfchiedenen abweis 
enden Deutungen fucht Hr. R. zu widerlegen, namentlich 
die fdon in alten lleberfegungen ausgedrüdte Leſeart 
Sy=ndf.v a. "/w, bann die Meinung, baf 
unter row) nicht eine Perſon, fondern bie Stadt Silo ger 
meint fei, wo bie Bundeslade längere Zeit war u. dgl. 
In einem eigenen $. wird fofort ausführlich gezeigt, daß 
für bie Meflianität der Stelle nicht bloß ber eine und andere 
der anfangs nambaft gemachten bieffall(tgen Beweisgründe, 
fondern affe zufammen fich geltend machen laffen. Dabei 
wird namentlich aud) auf bie traditionelle Auslegung des 
jübifden und chriftlichen Alterthums Gewicht gelegt und 
durch eine Menge von Stellen aus alten jüdifchen Aus⸗ 
legern und Sirchenvätern dargethan, daß Huetius mit 
Recht habe fagen fónnen: Venturi Messiae praedicationem 
his inesse constans est et perpetua Christianorum omnium 


490 Meinle, 


opinio. ldem quoque primorum Judaeorum arbitrium futt 
(δ. 158). | | 

Hierauf werden noch die verfchiedenen Meinungen ders 
jenigen befeitigt, welche Schilo zwar als Name einer Perfon, 
jedoch einer andern als des Meflias anfehen. — Ginige 
derfelben halten nämli ben Schilo für Mofes, andere 
für David, andere für Salomo, andere für SYeroboam, 
andere fogar für Nebufadnegar. Es konnte Hrn. 9t. nicht 
fchwer fallen, bie völlige Unhaltbarkeit diefer Anfichten ins 
Licht zu ſetzen. Wenn unter Schilo eine Perſon gemeint 
ift, fo fann εὖ nur der Meſſtas fein. Selbft wenn man 
non für bp und diefes für foy anfehen wollte, Könnte 
man bod) vermöge des Zufammenhanges, bei Berüdfichtis 
gung ber befannten hifterifchen Verhättniffe des Stammes 
Juda, nur an den Meffias denken. 

Die Angaben rabbinifcher Auslegungen bürften zus 
weilen genauer fein. So heißt e8 3. 3, S. 80, wo ba$ 
Wort aV erklärt wird: „Dom Principat und der Herr 
Schaft erflären biefe Etelle ber Talmud im Tractat Gan; 
bebrin Fol. 5, col. I, Rabbi Salomon (Sardi, Bere 
fhit 9tabba Fol. 100, Ramban (I. ult. Jad. c. 4), 
Rabbi Bechai in bem SBentateud) Fol. 73, Rabbi D. 
Kimchi u. f. m. BIW :.* Mein fofern e6 fich biet 
um dad Wort τ)“ handelt, fo erfíürt ber Talmud 
dasfelbe nicht allgemein von SBrincipat und Herrfchaft, 
überhaupt nicht von etwas Abftractem, fonbern von ben 
Babylonifchen Grilfürften: 5322w mo3 ww*; Bereſchit 
tabba dagegen verftcht Fol. 85. col 3 (nicht Fol. 100) 
unter τ das Eanhedrin, denn es heißt: ΣΦ "o" xD 
mm nam vw Op vows; Rabbi D. Kimi 


Weiſſagung Jacobs. 491 


über, um von ben fpätern 9tabbinen nur dieſen zu nennen, 
läßt in feinem Sepher Schoraschim auf bie allgemeine 
Bemerfung ni) Sunan ὙΥῚ ^2 Dar enim won ip 
yr2 029 gleich bie Worte vo ba2w no x5 als Bes 
Iegftelle folgen. Doch vergleichen find nur Nebenfachen, 
durch bie bem Werth unb der Brauchbarfeit des Ganzen 
fein wefentlicher Eintrag gefchieht. 

Aus diefen wenigen Bemerkungen dürfte (don ers 
fihtlich fein, ba man durch die vorliegende Monographie 
über den Stand ber Eregefe in Betreff der behandelten wichtis 
gen Stelle allfeitig und erfchöpfend inftruirt und mit bem 
Werth ober Unwerth der verfhiedenen Auslegungsweifen 
derfelben in erforderlichem Manße befannt gemacht wird. 
Ind dieß gefchieht zugleich auf eine Weife, daß für jeden 
mut etwas Gadjfunbigen das nótbige Material geboten 
wird, um fich über bie fragliche Ctelle ein ſelbſtſtaͤndiges 
eregetifches Urtheil zu bilden, verſchieden vielleicht im einen 
und andern Punfte von dem des Hrn. Verf. felbft. 

99 εἴ te. 


4. 


Weber den fprifd) - epbraimiti(d)en firieg unter Iotham und 
Abas. Gin Beitrag zur Gefchichte Israels in der aſſyri⸗ 
ffe Zeit und zu ben Fragen über die Glaubwürdigkeit bey 
Chronik unb ben Plan des Sejaja, Don Dr. €. 9. Cafpari, 
Lic. und Lektor ber Theologie an ber norwegifchen Univerfität 
(Univerſitaͤts⸗ Programm für das zweite Halbjahr 1849) 
Chriſtiania. Gebruft bei 58. T. Malling. 1849. Pr. 57 Er, 


Der fyrifchsephraimitifche Krieg zur Zeit Jeſajas unter 
ben juͤdiſchen Königen Jotham und Achas ig eines δεῖ 


492 ' — Cafparl. 

folgenfchwerften Ereigniffe der israelitifchen Gefchichte, unb 
ber doppelte Bericht über benfelben in den Büchern ber 
Könige und ber Ehronif von der Art, daß er bie Gregeten 
von jeher in Betreff verfihiedener Punkte in SBerfegenbeit 
geíept hat. Es ift daher eine ausführliche monographifche 
- Behandlung diefed Krieges, bie Nachweifung feiner Bes 
deutfamfeit und Folgen, verbunden mit ber Aufhellung und 
gófung der eregetifchen Schwierigkeiten, welche bie biblifche 
Berichterftattung über denſelben barbietet, feine. überflüßige 
oder unbedeutende, fondern im Gegentheil eine febr dans 
fenswerthe Arbeit. 

Hr. Eafpari hat fid, wie fdon in manden andern 
Leitungen im Gebiete der altieftamentlichen Echriftauds 
legung, jo auch hier feiner Aufgabe gewachfen gezeigt. 
Die Bebeutfamfeit des fraglichen Krieges wird nach allen 
Seiten beleuchtet und derfelbe nicht mit Unrecht als bet 
große Wendepunkt in ber ®efchichte Israels bezeichnet, mit 
welchem bie fchon im Pentateuch gebrobten göttlichen Strafs 
gerichte für Gefehesübertretung und Abfall durch fremde 
heidnifche Nationen endlich einzutreten begannen und mit 
wenigen linterbredjungen fid) fortfegten, bis die nationale 
Grifteng Sérael8 vernichtet war und das Volk in frembem 
Lande unter” heidnifchen @ebietern für feinen frühern Abs 
fall büßen mußte. Phekach, König von Jorael, wollte 
námíid dem Reiche Juda ein Ende machen und verband 
fi zu biefem 3mede mit den bisherigen Erbfeinden 36; 
raels, mit ben Syrern; der jübifdbe König Achas dagegen, 
der fid) ben zwei verbünbeten Königen gegenüber zu ſchwach 
fühlte und ohne Gttoertrauen war, wandte fi an Sig: 
lathsPilefer, König von Aflyrien, um Hülfe Die nächte 
Folge davon war bie Vernichtung des fyrifchen Reiches 





der ſyriſch⸗ eyhralmitiſche Krieg. 493 


durch die Affyrier und ber Verluſt eines großen Theils 
des israelitifchen Gebietes an biefefben, fo wie auch ble 
Zindbarfeit Isſsraels an Aſſyrien und die bald darauf εἴς 
folgende Unterjohung unb Wegführung des Volfes durch 
ben afiyrifchen König. Salmanaffar. Dem Könige von Juda 
war auf foldhe Weiſe gegen feine Feinde zwar geholfen, 
aber bie Hülfe war mehr nur eine fiheinbare als wirk⸗ 
liche, denn der affyrifche König, welcher fie geleiftet, wollte 
die günftige Gelegenheit, aud) Juda in feine Gewalt gu 
befommen, nicht unbenügt vorüber (affen, unb Achas mußte 
von feinem vorgeblichen Befchüger den Frieden mit großen 
Gefbfummen und fdjmerem Tribut erfaufen. Ein fpäterer 
Verſuch des Königs Hiskia, das aflyrifche Sod) abzur 
fihütteln, bat beinah den Untergang des jüdifchen Reiches 
zur Folge gehabt. Und obwohl für den Augenblid abge» 
wendet, nabte derfelbe bod) unauffaltiam heran und wurde 
endlich durch bie Ehaldäer, bie inzwiſchen bie Affyrier ale 
Weltmacht abgelöst hatten, wirklich herbeigeführt. p" 
hierauf bezüglichen Ginje[nDeiten werden von Hrn. 

forgfältig ine Licht gefegt, und zugleich mit — 
Rückſicht auf bie damaligen Propheten zu zeigen geſucht, 
daß ber ſittlich religiöſe Zuſtand des SBo(fe8 ein ſolches 
Schickſal zur nothwendigen Folge gehabt habe. Daß uͤbri⸗ 
gens die erſten fünf Kapitel des Jeſaja dem ſechsten der 
Zeit nach wirklich vorangehen und in den ſpätern oder 
legten. Jahren der Regierung Uſſta's entſtanden ſeien (©. 
4 f. 74), will ung nicht recht einleuchten, weil nach uns 
ferm Dafürhalten das 6te Kapitel gar gu augenfällig bie 
Einweihungsviften des Propheten befchreibt unb bie bes 
ſchraͤnkte Beziehung dieſes SBorgangeà bloß auf „die Mifs 
ἔσῃ, bem  verftodten Jörael anzulündigen, daß «8 fi) von 


494 00700 Met, 
nun an verfioden foIfe unb müjfe* (S. 74 f.), nicht 
ohne Willführlichfeit ablaufen fann. 

Sn Betreff der zwei Berichte über den fraglichen 
Krieg fagt Hr. €. zunächft: „es find immer nod) ſchwe⸗ 
bende unb zum Theil (gon ältere Streitfragen: ob ber Ehronifl 
wahre Gefchichte erzählt oder ob er das, was er erzählt, 
sein erbichtet Bat und ob er fi, wenn ihm bieß leptere 
nicht beigemeffen werben barf, nicht doch wenigftens in 
feinem Berichte mehr ober weniger ber llebertreibung ſchuldig 
gemadt bat; ob, wenn das, was er erzählt, ganz oder 
im Wefentlichen ber Wahrheit gemäß ift, bie Greignifit, 
von denen in beiden Berichten gehandelt wird, in zwei 
verfchiedene Feldzüge ober in einen unb benfelben 
fallen; ob, wenn bie erftere Anficht als bie richtige fid) 
erweist, das in der Chronik Erzählte bem erften unb das 
in den Büchern der Könige unb Sef. 7 Erwähnte bem 
zweiten Feldzuge angehöre ober umgekehrt; ob enblich, falle 
man bagegen ber zweiten Anficht den Vorzug zu geben 
hat, das in ber Ehronif Glemelbete bem in den Büchern 
der Könige Angeführten oder vielmehr Diefes Syenem vor 
angegangen iſt“ (OC. 28). Diefe Streitfragen, fo weit 
möglich, aufs Reine zu bringen, macht fif) fofort Hr. €. 
zur Aufgabe und prüft zuerſt den Bericht der Ehronik in 
Beziehung auf Glaubwürbigfeit. Das Ergebniß ift bit 
vollfommene Glaubipürbigfeit des chroniftifchen Berichtes, 
bie theild daraus hervorgehe, daß gerade ble Kauptfädhs 
ficften Ihatfachen in demfelben „entweder anderweitig ober 
burch ihre eigene Beichaffenheit ober aud) durch Beides 
sugleich als Acht Biftorifch verbürgt werden“, tbeiló daraus, 
„daß alles gegen feine Glaubwuͤrdigkeit Angeführte bel 
näherer Betrachtung nicht Stich halte“ (Ὁ. 31). Die 


der ſyriſch⸗ ephraimktifche Krieg. 493 


Nachweifurg iR in beiderlei Beziehung befriedigend, ma» 
mentlich werben einzelne Einwendungen gegen die Gfaub; 
telirbigfeit des Berichtes zam Theil fehr treffend eutfráftet, 
wie 3. 3D. die Bemerkung, der Chronift faffe den Achas 
mehrere Söhne opfern (2 Gfron. 28, 3.), während bie 
Bücher ber Könige nur von Einem reden‘, ober er lafft 
einen Sohn des Achas erfchlagen werben (2 Ehron. 28, 7.), 
wo biefer bod) nod) feinen ftreitbaren Sohn haben fonnte; 
Hr G. zeigt, tag im erften Salle der Plural (199) nur 
ein rbetorifcher fei, und im zweiten das Done7 im weis ^ 
teren Sinne nir überhaupt einen ftónlgefobn, einen koͤnig⸗ 
lichen Prinzen, nicht aber gerade einen Sohn des Achas, 
Bezeichne. Auch ber Vorwurf, daß bie viefen in der Chronik 
von Bropheten, Königen und Prieſtern gehaltenen Reden 
vom Ehroniften erdichtet feien, weil fie in Gebanfen, Aus 
buf und Sprache fewohl mit einander aí$ mit den Ge 
Panfen, bem Ausdrude und ber Sprache des Ehroniften 
felber durchaus ähnlich feien, wird durch nähere Unter⸗ 
ſuchung einzelner Beifpiele gut: befeitigt und bie fragliche 
Aehnlichkeit aus der felbfifländigen Darſtellungsweiſe ves 
Ehroniften und der formel freien Behandlung feiner 
Quellen erklärt. 

Nachbem bie Wahrheit und Glaubwuͤndigkeit des dore» 
aiſtiſchen Berichtes batgetban ift, geht Hr. C. zu ber weis 
teren Frage über, ob der ſyriſch⸗ephraimitiſche Krieg in zwei 
Feldzuͤgen beftanben habe ober blog in Einem. Die Erſteres 
behaupten, theilen fid) in zwei Klaſſen, indem fie entweder 
in ber Chtonik (2 Gron. 28, 5—8.) den erften und im 
2ten Buch der Könige (16, 5—9.) den zweiten Feldzug 
befchrieben finden, ober umgelchrt. Lebteres hält Hr. €; 
wit Recht für unbeningk verwerflich, well jo der 2 Kon. 16, 


4% 0... Gafpati, 


befchriebene Feldzug durch bie Dazwiichenfunft der, Aſſyrier 
beendigt unb ben beiden verbiindeten Königen bie Fort⸗ 
fegung oder Wiederholung desfelben unmöglich gemacht 
wurde. Sofort handelt εὖ fif) nur noch barum, ob in 
ber Chronik der erfle und im 2ten Buch ber. Könige ber 
zweite, oder ob an beiden Stellen ein und derſelbe Feldzug 
befchrieben werde. Eine genaue und forgfältige Abwägung 
der Gründe, bie für bie eine und andere Anficht fprechen 
der zu fprechen feheinen, führt endlich zu dem Ergebnifle, 
daß bie erftere Anficht wohl den Vorzug verdienen würde, 
wenn nicht in Sef. 7, 6. ein triftiger Grund für lebtere 
läge. Diefer Grund fofi in ben Worten Wax roypo) 
liegen. „Nach diefen Worten war nämlich Syubda beim 
Beginne des Feldzuges in 2 Kon. 16 und -Sef. 7 nod 
ganz intact, was nad) einem Feldzuge, wie ber war, von 
bem 2 Chro. 28 berichtet wird, unmöglich mehr ber Fall 
fein fonnte. Freilich, bezöge fidy das Guffix in maypa 
nicht auf Suba, fonbern auf Serufalem, wie Gefenius 
gu Jeſ. 7, 6 will, oder wäre riyp2» mit und lajfet 
uns es theilen zu überfegen, na nod Movers a. 
a. Ὁ. Θ. 153 thut, fo würde ber aus den in Rebe ſtehen⸗ 
den Worten gegen die Anficht, daß in ben beiden Berichten 
von zwei verfchiedenen Feldzuͤgen, unb für bie, bag in ihm 
(ihnen) von bemfelben gehandelt werde, entnommene Grund 
wegfallen. Allein jene Annahme ift wilführlich unb bid 
Ueberſetzung fprachwidrig. Das Guffir in 2 kann nur 
auf das vorhergehende Suba felber gehen und dieſes nur 
das Land Juda fein (f. Hipig, δ. €t), und ypa ijt nie 
etwas anderes als eine Stadt, ihre Thore erbrechend, ein 
nehmen (f. 4. 9. 2 Gron. 32, 1, wo das B. wie in 
gef. 7,.6 mit IR verbunden wird), ein anb, feine if 








der forifch » ephraimitifche Krieg. 497 


(y wp yt? Ser. 15, 7) ftürmenb, erobern (2 Ehron. 21,17), 
eigentlich fie, es Tpalten, öffnen“ (S. 98). Allein wollen 
wir bie Sache genauer anfeben, fo wird fid) die Behaup⸗ 
tung, daß die Movers’fche Ucberfegung „ſprachwidrig“ fet, 
ſchwerlich vertheidigen laffen. Denn yp2 fommt zwar aller- 
bingé auch von Eroberung von Städten und Ländern vor, 
aber die Behauptung: ,Yp2 ijt nie etwas anderes als 
eine Stadt, ihre Thore erbrechend, einnehmen 1c. * ift nicht 
richtig. yp23 kommt im Kal 16 mal vor (τοῦ. 14, 16. 
Richt. 15, 19. 2 Gam. 23, 16. Jeſ. 34, 15. 48, 21. 
63, 12. Ge. 29, 7. Amos 1, 13. Bf. 74, 15. 78, 13. 
141, 7. Kohel. 10, 9. Nehem. 9, 11. 1: Chron. 11, 18. 
2 Ehron. 21, 17. 32, 11.) aber nur zweimal (2 Chron. 
21, 17. 32, 11.) in ber erwähnten Bedeutung; im Niphal 
fommt e815 mal vor (Genef. 7, 11. τοῦ. 14, 21. Rum. 
16, 31. 1 Kön. 1, 40. 2 Stön. 25, 4. ef. 35, 6. 58, 8. 
59, 9. Serem. 52, 7. Ezech. 30, 16. Zac. 14, 4. Sob 
26, 8. 32, 19. Spruͤchw. 3, 20. 2 Chron. 25, 12.), aber 
nut 2 Kön. 25,4. (unb in ber Barallelftele Jerem. 52,7.) 
und Geb. 30, 16., alfo im Grunde aud nur zweimal, 
in jener Bedeutung; im Biel fommt es 12 mal vor (Genef. 
22, 3. 1 Sam. 6, 14. 2 $n. 2, 24. 8, 12. 15, 16. 
Stef. 99, 5. Gied. 13, 11. 13. Hof. 13, 8. Habak. 3, 9. 
Pf. 78, 15. Job 28. 10.), aber nicht ein einziges Mal 
in jener Bedeutung, Sm Hiphil fommt ἐδ nur zweimal 
vor, außer Jeſ. 7, 6. nod) 2 Kön. 3, 26., aber an fegterer 
Stelle vom Durchdringen durch das feindliche Heer gegen 
den König von Gbom hin, und biefe Richtung wirb durch 
"bw auégebrüdt, Bei Sefaja fann das —bw bie ganz 
gleiche SBebeutung nicht Haben. Da nun das Verbum vom 
Spalten, vom Theilen in 2 Theile, gar a gebraucht 
Theol. Quartalſchrift. 1850. 1H. Heft. 


498 Gafpatl, 


wird, fo läßt fid nicht abfeben, warum es nicht aud 
Se. 7, 6., wo es gerade um zwei Könige unb um dad 
Theilen Juda's unter fie fi handeln würde, fo ges 
braucht fein könnte. — Gejegt jedoch εὖ fei nicht fo gebraucht, 
fondern habe die Bedeutung „erobern, einnehmen“, fo 
fpricht Sef. 7, 6. immer nod) nicht gegen einen zweimali- 
gen Welbgug. Allerdings ift „in bem ganzen fechsten Verſe 
von den Plänen die Rebe, die die Feinde in bem Augen 
blide hatten, wo Sef. 7, 4 ff. ſprach“‘ (S. 99.); allein damit 
ift nicht ausgefchloffen, daß ihre Pläne ſchon weit früher 
gefaßt und fdon in einem früferm Welbyuge zu verwirflis 
den gefucht worden feien, und jebt ein zweiter Feldzug 
zum nämlichen Zwecke unternommen werden follte So 
liegt dann ber (ex hyp.) früher gefafte, aber durch ben 
erften Feldzug noch nicht realifirte Plan auch dem zweiten 
Feldzuge zu Grunde. Das fónnte nun freilich nicht fein, 
wenn dem IN zufolge Juda beim Beginne des Feldzuges, 
um ben εὖ fid) bier und 2 Kön. 16. handelte, „noch ganz 
intact^ gewefen wäre, dann fónnte ber 2- Ehron. 28. be 
fdriebene Beldzug nicht vorausgegangen fein. Allein durch 
Voy ΠΝ) iit keineswegs vorausgefegt, daß Juda bisher 
noch nichts von ben Feinden gelitten habe, fonbern nut, 
daß εὖ noch nicht völlig fammt feiner Hauptftabt in ihre 
Hände gefallen fei; denn ber Ausdrud bezeichnet, wenn er 
von Eroberung gebraucht ift, eine folche Eroberung dee 
ganzen Landes fammt feiner Hauptftabt (fo lang blefe nod) 
fteht, ift auch das Xanb, wenn gleich etroa mit Feinden 
uͤberſchwemmt, nod) nicht erobert), in Folge deren, wie 
7, 6b. zeigt, ein von Ephraim und Syrien abhängiger 
Bafallenkönig hätte aufgeftellt werben fónnen. So weit 
aber war bie Sache in bem 2 Chron. 28, 5—8. befchriebenen 


der ſyriſch⸗ ephraimitiſche Krieg. . 499 


Feldzuge noch nicht gediehen, unb biefer fann fomit immer; 
bin zu ber Zeit, um die es fid) Sef. 7, 6. handelt, voraus 
gegangen fein, ohne daß ber fragliche Ausdrud baburd) - 


unftatthaft würde. Wenn Herr G. nod) bemerft, nad 
. 2 Kön. 16, 5. Jeſ. 7, 1. fei Subda zur Zeit, al8 Rein 


und Phekach gegen Serufalem heraufzogen, noch unbe: 
geungen und unerobert gemefen und Achas Babe nod) 
Streitkräfte in Fülle gehabt; fo ift erfteres richtig, weil 


' ja die Eroberung der Zwed des Feldzuges war, was aber 


einen (rübern Feldzug zu gleichem Zwede nicht ausfchließt, 
legtereó dagegen liegt nicht in den beiden angeführten 
Stellen, vielmehr deutet der ungeheure Schreden, ber nad) 
Sef. 7, 2. auf die Kunde vom Herannahen ber beiden 
Könige im ganzen Volfe entftunb, gerade auf ba& Gegens 
theil bin. Damit wollten wir jedoch nicht eine definitive 
Entfcheidung über bie ſchwierige Frage geben, fonbern nur 


bemerklich zu machen fuchen, daß bie von Herrn (δ, bes 


támpfte Anficht doch wohl noch nicht endgiltig widerlegt fet, 
fo fehr wir auch bem Scharffinn unb der glüdlichen Combi⸗ 
nation, bie er in Befämpfung derfelben, fowie in der ganzen 
vorliegenden Schrift an den Tag gelegt bat, Anerkennung 


fehuldig find. 
Welte. 


32% 


500 Done, 


5. 


Sateinifche und griechifche Meffen aus dem zweiten bis 
fechsten Jahrhundert. Herausgegeben von Sranz Iofeph 
Mone, Archivpirector zu Garlerufe, Mit einer Schrift⸗ 
tafel. Frankfurt a, M. Verlag von Carl Bernhard Lizius. 
1850. 170 unb VS. 4. Preis 4 ff. 30 fr. 


Unter biefem Titel hat ber ruͤhmlichſt befannte Vers 
faffer mehrere Fragmente älterer Liturgien herausgegeben, 
welche ibm bei Gelegenheit feiner antiquarifchen Forfchungen 
vorfamen, unb von denen das Sebeutenbfte eilf Mefien 
aus einem alten Gothifch » Galficanifben Gacramentarium 
find. Den Sragmenten find forgfältig gearbeitete Abhand- 
(ungen über die Gallicanifche, Africanifche und Römiſche 
Meſſe beigegeben,, fowie paläographifche Unterfuchungen 
über bie gebrauchten Handfchriften; namentlich aber find 
bie Erörterungen über das Galliſche Bulgärlatein, in wels 
dem die Gallicanifchen Meffen abgefagt find, febr geeignet 
ba6 Antereffe der Eprachforfcher zu erregen. 

9n ber Vorrede fucht bet Herr Verfaſſer fid) zu recht. 
fertigen, daß er ald Laie fid) in das Heiligthum ber Theo 
logie wage. Wir find nicht fo überhierarchifch gefinnt, 
daß mir fo treffliche Mitarbeiter, die eine feltene Glaubens⸗ 
treue und Befcheidenheit mit einer nicht minderen Gelehr⸗ 
famfeit verbinden, abzumeifen uns erlaubten, und Beiträge 
fo bedeutender Art nicht mit Freuden annehmen follten. 
Zwar glauben wir das Alter ber Gallicaniſchen Fragmente 
nicht fo bod) anfegen zu dürfen, als es Herr Mone gethan 
hat. Sicher fcheint εὖ uns aber zu fein, bag er ble älteften 
unter allen bis jest befannten Gallicanifchen Mefjen ente 
bedt hat, ein Denkmal der Tradition von hohem Alter 


Iatelnifche und griechifche Mefien. $01 


und großem bogmati(dem Werth — und biefe&. ift Ver⸗ 
bienft genug und Grund genug bem geehrten Herausgeber 
barob Glück zu wünfchen.. linfer Urtheil wird fid) nad 
feinen beiden Seiten rechtfertigen, wenn wir in Kurzem 
das Alter der Fragmente einer nochmaligen Brüfung unters 
werfen. 

Wangen wir mit dem Gober, ber Abfıhrift an, fo hat 
Herr Mone mit überzeugenden Gründen dargethan, daß 
fie nicht. jünger fein fann als das fiebente Jahrhundert. 
Sie wurde in einem Reichenauer Codex rescriptus gefuns 
ben; das darüber Gefchriebene aber, der Gommentar des 
heil. Hieronymus zu Matthäus, gehört feinem Anfang 
nach bereit in bie genannte Zeit. Beides alſo, bie Abs 
forift des Commentars und bie der Liturgie, muß älter 
fein als das Klofter Reichenau, das um 724 geftiftet wurde 
unb ter Balimpfelt möchte von dem Etifter des Klofters, 
bem heil. Birmin, aus feinem Baterlande Auftrafien mite 
gebracht worden fein. Doch wir müffen noch höher hinaufs 
fteigen. Auf bent legten Blatte finden fi zwei Gebete, 
melde auf einen Einfall fremder DBölfer Bezug haben. 
Cie find mit Merovingifcher Schrift des VI Jahrhunderts 
geichrieben. Ferner, bie Meſſe des bi. Germanue, Bifchofe 
von Yurerre {{ am Ende von einer andern, etwas jüngeren 
Hand beigefügt. Daraus läßt fid mit Recht fchließen, 
daß bieje Meſſe erft (páter, al8 die Verehrung des genannten 
Heiligen auffam, a(8 eine neue zu bem urfprünglichen Gober 
beigefegt wurde. Da nun ber heil. Germanus 448 ftarb, 
fo fann ber ältere Haupttheil, námlid) bie zehn erften 
Meſſen, nicht [ange nach ber Zeit Des heil. Germanus 
gefchrieben morben fein, fonbern eher früher. Daß abet 
feine weitere Meſſe zu Ehren eines jüngeren. Heiligen ale 


502 Mone, 


Germanué dem Meßbuch beigefügt worden, fteht feft, ins 
bem die Mefje viefes Heiligen mitten in der Seite, unb 
mit ihr ber Gober aufhört. Dieſes Alles beftätigt bie 
Bergleichung ber Schrift. Nach Mone's hierin durchaus 
competente Lirtheil gehört ble Mefle des heil. Germanus 
nach ihrer Schrift in die zweite Hälfte des V. ober in ben 
Anfang des VI. Jahrhunderts, bie Schrift der erften zehn 
Meſſen aber ift. in bie erfte Hälfte des V. Sahrhunderts 
zu feßen. = 

So viel von der Abfchrift ber Meffen! Nun fragt 
es fid) weiter, wie alt bie Liturgie fe(bft ift: und dieſe 
Frage ift bei weitem dunfler und fehwieriger zu (Ofen. 
Herr Mone führt uns hinauf bis in das II. Jahrhundert. 
Brüfen wir bie Gründe, welche er für feine Anficht beis 
bringt! | 

Das Mepbuh, fagt er, hat wenig Mefien. Die 
Mefien haben in ber Handfchrift Orbnungszahlen. Bei 
der dritten ftebt bie Zahl V, bei ber vierten VL Gonad 
fónnen vorne nur zwei Mefien fehlen. Es ift alfo ber 
Gober wahrhaft ein libellus, wie man öfters bie Mebs 
bücher bei Altern Schriftftellern genannt findet. ‘Die we 
nigen Mefien haben feine Beziehung auf irgend einen fpes 
ciellen Tag. Don Heiligenmeffen findet fi aufer einer 
Erwähnung der unfchuldigen Kinder und des Elias im 
ben Gonteflationen der Sten und Oten Meffe, und ber 
fpäteren Meffe des heil. Germanus, feine Spur. Diefes 
it ganz der Character der Griechifchen Liturgie, welche 
ebenfalló wenige Meffen mit befonberer Beziehung auf ben 
Tag bat, während alle Occibentatifdjen, felbft bie Alteften, 
bereitö viele Heiligenmeflen haben. Aus der Griechifchen 
Liturgie ift aber bie Gallicanifdje entftanden. Alſo geben 











Yateinifche und griechtfche Meffen. 503 


unfere Meſſen ganz nahe bem Urſprung ber Gallicanifchen 
Liturgie. 

3d) weiß nicht, ob es fo ficher feftfteht, bag nur zwei 
Mefien verloren gegangen find. Die Orbnungszahl fann 
für eine befondere Glaffe von Meſſen, nicht für das ganze 
Buch, gegolten haben. Sn ber That find in allen. vore 
bandenen Gallicaniſchen Liturgien am Schluß mehrere 
missae dominicales over quotidianae. Einige der Mone’s 
iden find Todtenmeflen, wie der geehrte Herausgeber felbft 
angibt. Daraus würde zugleich Far werden, warum bie 
Mefien durchaus feine Beziehung auf einen befondern Tag 
haben. So find die missae dominicales unb quotidianae 
in ten bereits herausgegebenen Gacramentarien. auch bes 
ſchaffen. Gelten nun die Orbnungszahlen blos für biefe 
Mefien, fo kann das Meßbuch noch viele andere de tem- 
pore und de sanctis enthalten haben. — Stone fagt, es fei 
ganz unwahrfcheinlich, bag ber heil. Martinus in btefem 
Meßbuch erwähnt worden fel. Warum aber? Mir it bae 
Gegentheil viel wahrfcheinlicher. Denn wer bie Meffe des 
heil. Germanus beifügte, ber muß ficherlich aud) bie des 
in ganz Gallien gefeierten Martinus gehabt haben. Sollte 
man in einer Zeit, wo alle oceidentalifchen Liturgien 
Heiligenmeffen in großer Anzahl hatten, in Süpfranfreich 
allein eine Liturgie beibehalten haben, die fo wenige ente 
biet? Auch hat bie Meffe des heil. Germanus bie Ord⸗ 
nungszahl VII, bie nicht zu ben übrigen paßt. Diefed 
möchte zum Schluß berechtigen, bag ſechs andere Meffen 
diefer Art vorangingen. Ueberhaupt Iäßt fid) aus einem 
ſolchen Bruchftüd fein ficherer Echluß auf bie Befchaffen- 
beit des Ganzen zichen. 

Doch bie Zeit, in welcher bie eiturgie abgefaßt wurde, 


504 Ó , Done , 


foll. ſich nad) darin vortommenden Stellen deutlich alà eine 
erweifen, in welcher e8 nicht nur in jenen Gegenden nod) 
Heiden gab, unb not feine Verbindung zwifchen Staat 
und Sirche befand, fondern auch bie Berfolgungen nod) 
toütbeten; und zwar follen deutliche Anfpielungen auf bie 
Berfolgung ber Kirchen von 9pon unb Vienne zur Zeit 
des heil. Srenduó fid) darin vorfinden. In einem Gebet 
der 4ten Meffe heißt εὖ nämlich: praesta veraciter te 
credere, rationabiliter confiteri, si tentatio ingruat, non 
negare. In ber Tten Meſſe: afflictos poenis et vexatio- 
nibus ...... exaudire dignetur. Am deutlichften aber fpreche 
die Contestatio ber 5ten Mefie. Nullae quidem, heißt e$, 
nobis adhuc citharae personant. Sancti tui, qui (dieſes 
qui foll. überflüffig fein ober ein Zeitwort fehlen) bestiam 
saeculi hujus concordia virtutum perseverante vicerunt. 
(Sp fegt Mone die Snterpunction.) Nullum de nobis Moysi 
canticum, qui inter fluctus adhuc istius saeculi volutamur. 
Nula vox angelorum, nisi forte laudare nos possunt 
(ftatt deſſen will Mone possumus leſen) cum filii tui di- 
lectissimi corpus sacramus et sanguinem. Sed pia cura 
pro populo et sancta pro salute plebis oratio et mens 
cullui intenta divino, si non potest majestatem tanti operis 
explicare, nitilur tamen usum concessi muneris frequentare. 
Und weiter unten: Quid loquar? ad tuorum cineres mar- 
tyrum torquentur incorporeae (ftatt beffen folf corporeae zu 
leen. fein) potestates; urit hic limus quos flamma non 
tangit, torquet favilla, quos ungulae poena non invenit, 
auditur gemitus, quorum tormenta non cernimus. Diele 
Säge follen fid alle auf nod) gegenwärtige Verfolgungen 
besiehen. Der Suftanb der Ehriften wird mit ber aͤgyp⸗ 
tifhen und ber babylonifchen Gefangenfchaft der Juden 





lateiniſche und griechifche Meffen. 505 


verglichen. Noch tönen ihnen nicht bie Sionsharfen, eine 
Anfpielung auf Pfalm 136, noch fann fein Befreiungss 
gefang wie ber des Mofes angeftimmt werden. Mit Mühe 
werten Meßopfer und Agape (pia cura pro populo) ab; 
gehalten, umfonft bemüht fi) ber Ehrift bie Mafeftät feines 
Gottesdienſtes öffentlich zu zeigen, mens cului intenta 
divino, si non potest tanti operis explicare majestatem, 
nititur tamen usum concessi operis frequentare. Wir 
fónnen dich zwar [oben, fingt die fBrüfation, aber unfer 
Meßopfer nicht mit englifdem Gefang begleiten, b. f. 
frei und laut dein Lob fingen: nulla vox angelorum etc. 
Noch fallen Martyrer ald Opfer der Verfolgung: Sancti 
tui etc. und ad tuorum cineres martyrum etc. 

Allein mit allem Berlangen dem Herrn SBetfaffet 
entgegen zu fommen, fónnen wir und unmöglich überzeugen, 
daß letztere Stelle den angegebenen Einn habe, bie ägyp- 
tifche und die babylonifche Gefangenfdjaft find hier offenbar 
bfof Bilder des jepigen Lebens im Gegenfag zur himm⸗ 
lifchen Seligfeit, und es foll nur foviel damit gefagt wers 
den, daß wir zwar auf Erden Gott nod) nidyt mürbig 
preifen fóunen, wie es im Himmel die Heiligen jegt thun 
und auch. wir es eint thun werden, aber dennoch uns 
bemühen wollen, das Mögliche zu leiflen. Zwar, fagt bie 
Liturgie, erklingen und noch nicht bie Harfen (des himm⸗ 
lifchen Serufalem), deine Heiligen, welche ble Beftie dieſer 
Welt beftegt haben, fingen uns noch nicht ein Moſeslied, 
bie wir noch in den Wellen biefer Zeit hins unb herge- 
worfen werden. Beide Säge gehören zufammen : bie Hei⸗ 
ligen nehmen Bier die Stelle des Mofes ein; da ihr Volk, 
das chriftliche, nod) nicht durch das Meer tiefer Welt 
an's jenfeitige Ufer gelangt ift, fónnen fie den Siegspdan 


506 τὰ Mone, 


noch nicht fingen. Roc erſchallt, fährt bie Liturgie fort, 
feine Stimme von Engeln, wenn nicht etwa uns loben 
koͤnnen (possunt ift beizubehalten) jene, welche unter une 
fein mögen, wenn wir deines geliebten Sohnes Leib und 
Blut weihen: ein Gedanke, der fid) aud) bei Chryſoſtomus 
findet. Doc bie fromme Fürforge für das Volk (bier 
eine geiftige) und das heilige Gebet für des Volfes Heil 
und ber um ben göttlichen Dienft beforgte Sinn, wenn er 
aud) eines folchen Werkes Majeftät nicht auszufprechen 
ober gang zu entfalten vermag, bemüht fid) dennoch ber 
gefpenbeten Gabe Gebrauch häufig zu wiederholen. Man 
fiebt, es handelt fid) bier um die innere Schwierigkeit, 
Gott würdig zu preifen, nicht um dufere Hinderniffe. 

Was bie zwei anderen Stellen angeht, fo fcheinen fie 
auch mir &d auf Verfolgungen zu beziehen. Allein aus 
tiefen. Andeutungen läßt fid dennoch nicht beweifen, baf 
bie Liturgie in ihrer ganzen jetzigen Geftalt aus ben Zeiten 
ber Verfolgungen Derftamme, Denn aud) in den zwei 
Mabilonifchen Liturgien ) wird am Charfreitag für bie 
Brüder, welche um Chrifti willen verbannt, zu ben Minen⸗ 
arbeiten verurtheilt ober in den Sterfer geworfen find, gebetet. 
Es find dieſes allerdings ältere Stüde, welche in der Liturgie 
fid erhielten, bie aber feineswegs beweifen, bag fie ganz 
in jene Zeiten gehöre. Auch bat es noch im VI. Jahr⸗ 
hundert und fpäter Gefahr des Abfalles umb SBerfolgungen 
von Seite der Arianifchen Barbaren gegeben. 

Herr Mone fühlte wohl felbft, daß man ibm Solded 
vorhalten und namentlich bie Contestatio der 5. Meſſe auf 
obige Art erklären fónne, Er ift daher biefer Ginmenbung 


nn RT 


1) Liturgia Gallicana p. 244. Mus. Ital. T. 1. p. 320. 














lateiniſche und artechifche Meſſen. 307. 


auvorgefommen mit ber Antwort, die gefchichtlichen Ber 
ziehungen feien viel zu beftimmt, um eine folche Deutung 
zuzulaffen. Sämmtliche Stellen follen Züge enthalten, bie 
ftd) nur auf die Verfolgung vom Sabre 177 beziehen Föns 
nen. Es wird alfo auf eine genaue Prüfung biefer Bes 
weife anfonumen. 

Bon ben übrigen Verfolgungen, fagt Mone, ift nicht 
befannt, daß Ehriften dabei abgefüllen fein, was bod 
notfmenbig ift, um ein Gebet zu motipiren, mit welchem 
biefeó Unglück abgewendet werden fol. Diefes erzählt 
aber der befannte Brief der Gemeinden von Lyon und 
Bienne ausdrüdlich von der Verfolgung zur Zeit des Df. 
Srendué, Bei jener Gelegenheit gaben der geheime Gots 
teóbienft der Chriften und die Agapen Veranlaffung zur 
Verläumdung, als äßen fie Menfchenfleifch und trieben 
Blutfchande. Auchrin der Eonteltation werben der geheime 
Gottesdienft und bie Agapen erwähnt. Es werden darin 
bie Märtyrer sancti genannt, weil fie, wie ber Brief ers 
zählt, aus chriftlicher Demuth den Ramen „Märtyrer“ 
abgelehnt hätten, daher auch ber Brief bei Eufebius fte 
gewöhnlich nur Heilige nenne. Die Märtyrer jener Ver⸗ 
folgung wurden von Thieren im Amphitheater zerriffen. 
Dies gibt ber Gonteftation Veranlaſſung, den Teufel, mit 
dem fie Fämpften, und ber bie Verfolgung bervorbrachte, 
bestia hujus saeculi zu nennen. Auch bie concordia per- 
severans virtutum wird im Brief wie in ber Bräfation 
hervorgehoben. Eine Hauptftelle fol aber jene fein: ad 
tuorum cineres martyrum torquentur incorporeae potestates, 
urit hic linus quos flamma non tangit, torquet favilla etc. 
Statt incorporeae potestates will Mone gelefen wiſſen cor- 
poreae potestates. Es fónnten nicht bie böfen Geifter fein. 





508. : Mone, 


Denn wie fünne man von diefen fagen, die Flamme quäle 
fie nicht, ba diefes offenbar ber Bibel widerfpreche (Matth. 
25, 41)? Und ba die Teufel überhaupt feine Ehriftens 
serfolgung erdulden, fo müffe hier ein Schreibfehler fein. 
Die corporeae potestates feien bie πόλεως ober πολιτικαὶ 
ἐξουσίαι, von welchen der Brief ber Gemeinden fpridt. 
Bei quos, welches mit potestates im Genus ohnedies nicht 
übereinftimmt, {εἰ dann ein neuer Eat anzufangen, ber 
8d auf Zeitgenofien beziehe, bie in ber Noth nicht flands 
haft blieben. Warum aber bie Qeiber ber Märtyrer gerade 
Aſche unb limus genannt werden, biefeó erkläre fü) leicht 
aus den Vorgängen bei ber Berfolgung von 177. Bie 
Heiden verbrannten die Xeiber und warfen bie Afche in die 
Rhone. 

Sch muß geſtehen, daß id immer noch nicht über 
zeugt bin: ich habe ein gewiſſes Mißtrauen gegen Erflä 
rungen, bie auf fo vielfacher Aenderung ber Lesart unb 
Auseinanderreißung der Säge berufen. Die meiften ber 
angeführten Züge find folche, die fid) in jeder Verfolgung 
wiederfinden. Stets ift Gefahr des Abfalled damit ver- 
bunden, flets gibt es Märtyrer, bie einmüthig ber höfli- 
fben Beſtie wiverftehen, ſtets ift der Gotte&bienft. ge 
bemmt u. f. w. Die einzigen völlig Flaren Züge. müßten 
in jener Stelle ad tuorum cineres etc. liegen, welche aud) 
allein wirklich von Märtyrern rebet^ Hinfichtlich dieſer 
müflen wir vor Allem 'bemerfen, daß es durchaus nicht ans 
geht, incorporeae in corporeae zu ändern. Dagegen fleht 
nicht, daß ἐδ heißt, biefe Mächte würden nicht von der 
Flamme berührt. Denn die Anfichten waren hierüber nie 
fo einftimmig , daß man daraus einen Grund entnehmen 
fónnte, eine Lesart zu ſtreichen. Das andere Hauptfuns 





Inteinifche und griechifche Meſſen. 509 


bament der Mone’fchen Erklärung tft, bag bie Religuien 
Lehm genannt werben, was fi nur aus dem enplichen 
Schickſal der Märtyrer von yon erflären laſſe. Der Zu: 
fammenfang der Stelle führt und auf ein ganz anderes 
Refultat. Es wird dort Gott wegen der Grídjaffung des 
Menfchen gepriefen; aus Lehm Babe er ihn gemacht, und - 
dennoch, welche Würde ihm gegeben! Huic limo leges 
(das mofaifche Gefeg), huic limo profetarum oracula, an- 
gelorum ministeria ministrarunt, huic limo ipse Dominus 
Jesus...., cruce sui corporis triumphavit, unb endlich 
quid loquar, ad tuorum cineres martyrum elc. Syebets 
mann ftebt, daß ber Leib ber Märtyrer in feinem andern 
Sinne limus heiße, al8 ter Menfch überhaupt, deſſen nies 
brigen Urfprung die Liturgie in Gegenfag bringt mit bem, — 
was Gott aus ihm gemacht hat. 

Hiemit fol nicht geläugnet werden, taf einzelne Stüde 
aus früheren Zeiten flammen, wie bereitá von ben zwei - 
andern Stellen, welche von Berfolgung fprachen, gefagt 
wurde. Daun ift auffallend, daß. in ber praefatio ber 
Tten Mefle, wo für alle Stufen ber Hierarchie und alle 
Stände der Kirche im Einzelnen gebetet wird, feine Cr» 
wähnung von ürften gefchieht, dagegen gerade in bem» 
felben Gebete bie afflicti poenis et vexationibus aufgeführt 
werden, Aber für bie SBeftimmung des Alterd der ganzen 
Meſſen fann ich dieſes nicht für maßgebend halten, indem 
fehlagende Gründe beweifen, daß fie nad) bem nicänifchen 
Eoneil und wohl noch ein Jahrhundert fpdter abgefaßt 
fein müffen. 

Schon ber Ausdruck trias, trinitas, der beinahe auf 
jeder Seite vorkömmt, beweist, daß ble Meffen nicht aus 
dem IL Jahrhundert feyn können, in welchem biefer Aus» 


* 


. 910 Mone, 


brud eine große Seltenheit war. Er fómmt yuerft bei 
Theophilus von Antiochien und zwar nur Einmal vor 
und bann bei Tertullian. In ber Collectio ber 3. Meffe 
haben wir ferner das Nicänifche ὁμοούσιον : filium cum 
patre semper extantem omnia saecula cumsuödstantialiter 
et aequaliter dominantem etc. In ver Contestatio bet; 
felben 3Xefje wird "ber bí. Geift genannt ex patre et filio 
mystica processione subsistens. Die SBeifegung dieſes 
- Sitel8 , bie offenbar ebenfo aus dogmatifcher Abſichtlichkeit 
hervorgegangen ift, wie bie bed Consubstantialis beim 
Sohne, fcheint zufammenzuhängen mit der Hinzufügung 
des Beifages filioque zum Symbolum, welcher Gebraud 
zuerft in den fpanifchen Kirchen auffam, um die Gottheit 
bes hl. Beiftes gegen bie einmanbernben Arianer zu be 
haupten, unb von ba fid nad) Sranfreid und Deutfchland 
verbreitete. Das erfte Goncií, welches das filioque zum 
Symbol fügte, war das Spanifche gegen Prifeillian von 
441. (δ fann biefer SBunft in Süd - Frankreich nicht zur 
Sprache gefommen fein vor dem Einfall der Arianifchen 
Barbaren im Anfange des V. Jahrhunderts, fo daß unfere 
Stelle jedenfalls eine febr frühe Spur biefet dogmatiſchen 
Formel fein muß. : 

Auf daſſelbe Refultat führte mich eine nähere Erwägung 
ber von Mone zu Gunften feiner Hypotheſe angeführten 
Stelle, worin εὖ heißt, böfe Gleifter erbulbeten große Bein 
und heulten am Grabe der Märtyrer. Diefes muß fid 
wohl auf ein oder mehrere beſonders auffallende facta 
beziehen, welche ber Abfaffung der Liturgie vorausgegangen 
waren. Diefen Eindrud macht wenigftens biefer fo fpecielle 
Zug mitten unter einer Zahl anderer fehr allgemein ge 
Baltener Beweife der Würde des Menfchen. Gregor von 





Intelnifche und griechifche 9Xeffen. 511 


Tours erzählt nun in feinem Buch de gloria martyrum !), 
daß bie Energumenen, wenn fie zum Grabe des hl. Märtyrere 
Julian gebracht wurden, (plerumque) gegen den Heiligen 
fi heftig beffagten , daß er zu feinem Feſte alle Heilige 
zufammenrufe, ben Martinus, ben Privatus, ben Ferreolus, 
feine Genoffen u. f. w., um fie noch ärger zu quälen. Bon 
einem Energumenus wird erzählt 2), er [εἰ vor ben Reli⸗ 
quien des hi. Julian geflohen und habe gerufen: quod 
martyris Juliani virtute exureretur. Bon einem andern, 
daß er zu Tours vor Reliquien des Heiligen zum heiligen 
Martin gerufen Babe, warum er auch noch den Sultan 
berbeirufe?). Man ftebt, εὖ handelt fid) von einem tactum, 
das fid) häufig wiederholt haben fol, von einem hochges 
feierten Märtyrer, tem Gregor das ganze zweite Buch 
feines Werkes über bie Herrlichfeit der Blutzeugen geweiht 


bat. Run ftarb Julian des Märtyrertodes in der Ders 


folgung unter Diorletian. Durch Gombination der vers 
ſchiedenen Erzählungen und Beobachtung der Reihenfolge 
derfelben bei Gregor ift εὖ mir außerdem fehr wahrfchein« 
li geworden, daß biefe Wunder hauptfächlich in ber über 
feinem Grabe gebauten SBafilica geſchahen, und daß biefe 
erft nach dem Einfall ber Burgunder, alfo nach den erften 
Sahren des V. Jahrhunderts errichtet vourbe *). 

Go febr ich alfo überzeugt bin, daß die gallicanifche 
Liturgie überhaupt aus ben Zeiten bed bI. Srenduó her- 
ftammt und aud) in unferen Meffen die Grundzüge und 
viele Theile älteften Urfprungs find, fann, ich fie dennoch 


1) I. 2. c. 80. 
2) c. 44. 
. 8) 6. 84, 
4). Bol. e. 7. 9. 





512 . tne, 


nach ihrer jegigen Geftalt nicht vor bem Anfang des V. 
Sahrhunderts abgefaßt fein [affen. 

Doc Tann die Liturgie auch nicht nad) dem Chalce⸗ 
donenfifchen Goncil, alfo nach 451 zufammengefegt worden 
fein. Zu biefer Annahme beftimmt mich folgende Stelle 
aus ber ziveiten Contestatio der 6. Meſſe: Salutare verbum 
misit e coelo, quod humani corporis immixiione con- 
cretum perditas saeculi partes et vulnera antiqua curaret. 
Es ift nicht wohl mabrídeinti, bag man nach ben Des 
finitionen gegen Eutyches einen ſolchen Ausdruck in einer 
giturgie bätte ftehen laffen. Hiezu find noch bie oben 
angeführten Mone’fchen Gründe für bie Zeit ber Hands 
fehrift beizufügen, worauf nach allem zu fchließen unfere 
giturgie in bie erfte Hälfte, wohl in das zweite Viertel 
des V. Jahrhunderts zu fegen ift. 

Dennoch bleibt fie die ältefte aller bis jet befannten 
gothifch-gallicanifchen iturgien. Denn ble vom fel. Gar: 
dinal Thomafius ") unb von Mabillon in ber Liturgia 
Gallicana ?2) herausgegebene ift fpäter ald 687, indem ber 
bl. Leodegarius, ber in biefem Jahre farb, darin vorfommt. 
Eine andere gothifch-gallicanifche Liturgie, welche Mabillon 
im Museum Italicum herausgab 5), ift aus dem Ende beó 
VI und Anfang des VIL Jahrhunderts. — Ginige Feine 
Fragmente, die Kardinal Majo entbedt hat?), find zu uns 
bedeutend um bier in Betracht zu fommen. Die anderen 
Arten der gallicanifchen Liturgie, bie fränfifche unb bie 
mittelgallifche Meſſe find jüngere Formen. 


1) Codices Sacramentorum Romae 1680 p. 263. 

2) Liturgia Gall. p. 188. 

3) Museum Italicum T. I. p. 278. 

4) Scriptt. Vett. nova coll. Romae 1838. T. III. p. 24. 


Iateinifche und griechlfche Meſſen. 513 


Groß ift ferner bie dogmatifche MWichtigfeit ber von 
SRone entdedten liturgifchen Wragmente. Außer deutlichen 
Beweiſen für Meßopfer, Gebet für bie Todten, Verehrung 
ber Heiligen und Reliquien finden fid) noch folgende für 
bie Transfubftantiation, die wir ihrer Bedeutung halber 
befonders herausheben. In der 3. Meffe wirb Gott ges 
beten, ut haec oblatio in Christi corpore et cruore cos- 
versa proviciat, unb ferner ut panis hic mutatus in carne 
el calex iranslaius in sanguine sit totius gratia etc.; üt 
ber 4, Meffe, ut fiat nobis legitima eucharistia in trans- 
formatione !) corporis et sanguinis Domini. 

Snbem wir auf biefe Weife ben wahren Werth des 
Mone'ſchen Bundes hergeftellt haben, glauben wir bem ges 
ehrten Herausgeber bie befte Anerkennung von Seite eines 
Recenſenten haben widerfahren zu laffen — ein unpars 
teiiſches Qob. 

Zum Schluffe erlaube ich mir bei diefer Gelegenheit 





1) Ueber diefen Ausdruck ſiehe meine Kritik der BVorlefungen vou 
Thierſch ὃ. IIL ©. 111.9 Forma, μορφὴ war bei den Alten fo viel wie 
οὐσία. Zu dem dort ald Beweis Beigebrachten fann man hinzufügen den 
Anfang der Metamorphofen des Ovid: In nova fert animus mutatas 
dicere formas corpora, während doch feine Metamorphofen bie Subs 
fang betrafen. Diefes fdjien den Auslegern des Ovid fo auffallend, taf 
Scaliger εὖ einen unglüdlichen Berfuch nannte, Boffius eine Hypallage 
annahm. Ueber diefen und ben ähnlichen Ausprud transfiguratio vgl. 
man folgende höchſt inftructive Stelle aus Tert. adv. Prax. c. 27. Qt 
will beweifen, daß das Wort fid) bei der Menfchwerbung nicht verändert 
babe: Deum immutabilem et informabilem credi necesse est, ut 
aeternum. Transfiguratio autem interemptio est pristini. Omne 
enim quodcunque (ranafiguratur in aliud, desinit esse quod fuerat, 
et incipit esse, quod non erat . .. Sermo autem Deus et Sermo 
Domini manet in aevum, perseverando scilicet in sua forma . . . Si 
enim Sermo ex transfiguralione εἰ demultatione substantiae caro 
factus est, una jam erit substantia Jesu ex duabus. 


Theol. Quartalſqchrift. 1880. II. Heft. 33 


514 Stone, lateiniſche und griechifche Meſſen. 


einiger Sragmente einer Gelafianifchen Liturgie zu ermwähs 
nen, welche mir in die Hände gefommen find. Sie bieten 
eine Liturgie dar, welche am meiften mit ber ®elafianifchen 
übereinftinmt, welche der Abt Gerbert in feinen Monumen- 
Ais veteris liturgiae alemamnicae aus einem ober von 
Rheinau vom VHL Jahrhundert unb zwei jüngeren von 
Gt. Gallen herausgegeben hat. Als Gelaſianiſch erweiſen 
fie fib burd) bie vielen Praͤfationen, welche bier nod 
contestaliones genannt werden wie im Gerbertifchen Coder 
von Rheinau. Ferner baburdj, daß fie bie oratio super 
populum auch außerhalb der Waftengeit haben und endlich 
durch bie Erwähnung der fieben Meſſen pro scrutiniis, 
welche (id) im Gregorianifhen Sarramentar nicht mehr 
vorfinden. Leider find εὖ nur ſechs Mefien und Stüde 
von zweien. Außerdem findet fid ber Echluß ber Traditio 
symboli ad catechumenos wie bei Gerbert im IL Band 
©. 3 unb eine Nubrif über bie Mefien pro scrutinüs, bit 
fif) nicht bei Gerbert vorfindet, wohl aber bei Martene 
de antiquis ecclesiae ritibus in ber zweiten Taufordnung 
(Band 1. €, 101), nur daß unfere Stubrif das Ende ab 
für. Die Sragmente finden fid) in zwei Pergamentfolios 
bögen, wovon ber eine der Univerfitätsbibliothef zu Würzs 
burg, der andere dem hiftorifchen Verein dafelbft angehört, 
Die Schrift ift aus der Mitte des IX. Jahrhunderts. 
Dr. Denzinger, 
Profefior in Würzburg. 

















Literarifcher Anzeiger 
Nr. 3. 


— —m "Ej 

Die bier angezeigten Schriften findet man in der H. Laupp'ſchen 

Buchhandlung (faupp ἃ Siebech) in Tübingen vorräthig, fo 
wie alle Erfcheinungen ber neueften Literatur. 


C." In unferm Berlage erfheinen nadbenannte wichtige Tas 
tbolifche Zeitfchriften : " 

Sion. Eine Stimme in der Kirche für unfere 

(it. Herausgegeben mit einem Berein von Katholifen, burd) 

. 9. Ginal und Dr. 9. Zinsler. 19. Jahrg. 1850. 156 

ummern mit 24 Beilagen unb 24 Kath. Piteraturblättern. — 
Gr. Quart. Abonnementspreis auf den Pofämtern aller 
Staaten und in allen Buchhandlungen nur 6 fl, rhn. — 5 fl. 
&:R. — 4 Thaler. — Diefe, nun 19 Sabre beftepenbe, fi) allein 
rehtmäßig fo nennende „Sion“ übertrifft unter der gegenwär⸗ 
tigen Redaktion durch ihre Fülle ver gebiegenften Originat-XMuffage 
und Correfponbengeu aus allen Ländern, namentlid aud Bayern, 
allen Zheilen des Kaiferth. Defterreih, der Schweiz, Preußen, 
vom Rhein, Belgien 2c., wopl alle ábnliden Blätter; jeder Geifts 
life follte fie daher lefen. Wir können mit Berufung auf die 
fon vorliegenden Hefte von 1850 nur bitten: Tolle, lege; in 
jeder Buchhandlung und durch jedes Poſtamt faun man Probe: 
batter erhalten. 

Qiloab. Beitfrift für religiöfen Fortſchritt 
inner der Kirche. Redigirt vou Dr. SR. Dentinger und 
M, Suttler. 1. 3afrg. 1850. 104 Nummern mit 53 Beilagen 
und 24 Kathol. Literaturblättern, Gr. Oktav. Abonnementspreis 
auf ben Poften aller Staaten und in allen Buchhandlungen 
9 fl. rhein. — 4 fl. 10 fr. EM. — 3 Thlr. Preuß. Der Titel 
biefer Zeitfehrift deutet deren Zendenz und Inhalt als eine fole 
an, bei deren Verwirklichung fif jeder denkende, wiſſenſchaftlich 
regfame Geiſtliche unb kirchlich gefinnte Laie aus Gewifienspflicht 
um fo mehr eifrig betbeiligen follte, als Keiner bie ber Kirche 
brobenben Gefahren der Jestzeit verlennen wird. Die vorliegen: 
den £efte beweifeu zur Evidenz, auf welche geniale, verſtändliche 
und gründliche Beife die „Siloah* ihre verfündigte Aufgabe 
löfet. Zn den Beilagen werben meifterhafte Srebigtmufter 
auf alle Sonn» und Feiertage gegeben. — Die Preife diefer beiden 
Zeitſchriften bürfen, laut Staatsverträgen, auf feiner poft ev: 
höpet werben, Falle vom Gegentheil beliebe man und zur Abhülſe 
fofort anzuzeigen. Auf allen Boften gilt Halbjähriges X bonue: 
ment, die Berfendung gefhieht bann ftüd weite, im Buchhandel 
heftweis alle 14 Ζαρε. 


Augsburg, Ende März 1850. " 
Sarl Rollmaun’iche Buchhandlung. 


2 


In | 
| WILHELM BRAUMUELLEN’S 
Buchhandlung be8 f. f. Hofes und ber Faiferl. Afa- 
demie bet Wiſſenſchaften in Wien, ift [o eben erfchienen: 


9 f c t e n ft ἢ de, 


bie bifchöfliche Verſammlung zu Wien 
betreffend. 


(9t, 8. Brofdirt: 12 Nor. 
Anhalt der Verhandlungen: 


. Einleitende Grfíárung ber verfammelten Bifchöfe, 

. Meber den Unterridt. 

: in tircplihe Verwaltung, geiftliche Aemter unb Gottes 
btenft. 

. Weber die geiftlihe Gerichtsbarkeit. 

. Erledigung von Seite bet T. f. Minifteriums. 
Aus dem a. u. Bortrage des Miniſters des Cultus und 
Unterrichts vom 7. April 1850. 


OO gu» gato 








Bei Gebr. Karl und Nikolaus Benziger in Einfie 
de m find erfehienen unb fónnen durch affe Buhsanblungen bezogen 
werben: 


Bier Bücher von ber Nachfolge Ehrifti von 
Thomas von Kempen. And ein voll(tánbigeó Ge 
betbuch im Geifte ber Nachfolge Ehrifti. Beine Ausanbe 
mit fech8 Bildern. 18. 480 Seiten. 7 9tgr. ober 21 fr. 


Die vier Bücher ber Nachfolge Eprifti find von zwei frommen 
unb gelehrten fatpotifijen Prieftern aus bem Lateiniſchen überfept, 
mit 3enupung ber beflen bereits gedrudten deutſchen Weber 
fe&ungen. Das QGebetbud) ift aud ben vorzüglichſten Gebeten 
im Gelfte ber Nachfolge Chriſti ſorgfältigſt gefammelt unb (εὖτ 
umfangreid. Hiezu find fünf Regifter in ver Weiſe finnreid 
geordnet, bag der ganze Inhalt gar leicht um fo mannigfaltiger 
anziehend unb leprreich benust wird. Das ganze Werk erfgeint 
bier in 480 Seiten Heinen, niedlichen Formats (wovon 286 Ὁ εἰ» 
ten bie vier Bücher der Nachfolge Eprifti umfaflen.) ift mit ganz 
neuen, ſehr Teferliden Typen auf fein weiß Drudpapier gedrudt 
und mit ſechs fo fhönen aid geeigneten Bildchen geziert: Alſo 
wird man fif durch Bergleihung bald Überzeugen, bag feine 
einzige deutfche Ausgabe der Nachfolge Chriſti ſammt Gebetbud, 
von allen bisher erfchienenen, fo gediegen, forreft und ums 
ΤΕΥ fo zwedmäßig und niedlih — und zugleid 
9 toblfeil fei, wie diefe Einfiedler- Ausgabe. 


3 


Leben und — — δεῖ ekſtatiſchen 
Jungfrau Eliſabetha Eppinger zu Rieverbronn, 
jetzt genannt Alphonſa Maria. Zweite, durch zwölf 
neue Briefe vermehrte Ausgabe. Mit dem Bildniſſe der 
ἐπα {εἰ Jungfrau. 12. 242 Seiten. 7 9tgr. 21 fr. 


Mennel, Fr., Reyetent am Konvift zu Rottweil, bet 
heilige Aloyſius als Vorbild und Patron der chrift- 
lichen Jugend. in Buch der Erbauung und ber Andacht. 
Eingerichtet nad) den SBebürfniffen ber in der Welt [ὦ 
benben chriftlichen Jugend. 18. 431 Seiten. Mit Bild, 

1 Ngr. oder 21 Er: 


Ackermann, Sof. ehemaliger Pfarrer in Emmen, Troft 
ber armen Seelen. Belchrungen und Beifpiele über 
ben Zuftand der Seelen im Fegfeuer. Sammt einem voll; 
ftändigen Gebetbud) zum Troſt derfelben. Mit 2 Bildern. 
12, Ste Auflage. 330 Seiten. 7 9tgr. oder 21 tr. 


93m Verlage der K. Kollmann’ihen Buchhandlung in Augs⸗ 
burg ift fo eben erfchienen und in allen Buchhandlungen ju haben: 


Der Prophet 3eremias 
und feine Klagelieder. 


Für unfere Zeit erklärt und angewendet in Kaften- 
prebigten 


von 
Gran; Xaver Waulbuber, Th. Dr., | 
b. 3. Prediger an der Stadtpfarrfiche zu St. Moris in Ingols 


ftadt u. f. w. 
Gr. Med. Oktav, in Umfchlag geb. 30 fr. ober 9 Gar. 


Der als febr beliebter Prediger, gleihwie durch meh 
rere gebaltooffe Predigt: unb gefchichtliche Werte rühmlichſt betannte 
Herr Serfaffer, wurde durch Setradtung unferer 3eitumftüáube 
veranlaßt, feinen heurigen Faften- Predigten die Klagelieder 
geremiä zum Grunde zu legen, welde fo ganz auf unfere 
gegenwärtigen Zuftände paflen und dennoch von feinem frühern 

ebner für biefen 3wed benust worden find. 

Der außergewöhnliche Beifall des höchſt zahlreichen Auditos 
riums bewog ren Herrn Serfaffer, biefe Kaftenpredigten — in 
welchen eine propbetifche Begeifterung weht, — vurd ben Druck 
einem πο größern Kreife zugänglich zu machen, mit bem Raibe 
unb ber Bitte: bag man diefelben mehr beten, als lefen 
folte, um den Inhalt recht zu erfaffen und daraus für bie heit. 
Faſten⸗ und Oflerzeit große Früchte zu ziehen. 


4 \ 
- Bei Gebr. feri und Nikolaus Bengiger in Ginſie⸗ 
bel Vi erídienen unb fónnen durch alle Buchhandlungen bezogen 
werden: 
Tſchopp, P. Athanas, bie hriftliche Seele im 
ebete. Ein Andachtsbuch für Katholifen. Mit 
kithogr. Titelbild und Goldtitel. @ilfte Auflage. 


12. (252 Ceiten.) 9 Ngr. oder 15 fr. 
— Daffelbe, Belinpapier. Mit 8 Bildern in Golbeinfaffung 
und Warbentitel. 12 Nor. oder 36 fr. 


Verein, geiftlicher, zur ewigen Anbetung be 
foftbaren Blutes Jefu Gorifti im heiligften Saframente 
des Altard. Mit 2 fdónen SRercinébilbern. vom feft 
baren Blute und vielen Bignetten. Stebente Auf: 
lage. Ausgabe in feinem Drud. 12, (180 Seiten.) 

A!» Nor. oder 14 fr. 


— Daffelde, fiebente, ftat£ vermehrte Auflage 
in größerem Drud. Ebenfalls mit 2 fchönen 93erciné: 
bildern. 12. (276 Seiten.) 7 Sigr. oder 21 fr. 


— Dafielbe, fecbfte Auflage. Wohlfeile Ausgabe 
in größerm Drud. Ebenfalls mit 2 fdónen Bereinss 
bildern. 12. (108 Seiten.) Steif broſch. ANgr. ob. 12 Fr. 


Vergnügen in der Andacht. Gin Fatholifches Gebet 
bud) für Alle, die hier glüdlich und dort felig werden 
wollen. Dritte von DP. Alois Adalbert Waibel ver 
befferte und vermehrte Auflage. 12. (216 Seiten.) 

9 !/» Nor. oder 10 fr. 


Bei Kirchheim & Schott in Mainz erfgeint und if 
burd alle Buchhandlungen zu beziehen: 


Stolberg, r 2. Graf zu, Gefchichte der Re 

igion die tt Chriſti, fortgefegt von F. v. Ser, und 
nach defien Tode weiter geführt von Dr. S. 90. Briſchar. 
46r der Fortfegung 33r Band. gr. 8 Hamburger Auss 
gabe fl. 2. 24 fr. 8. Wiener Ausgabe fl. 2. 

Durh das im Dezember 1848 erfolgte Ableben des ehr 
würdigen ὅτ. v. Herz hat eine Unterbredung in bem Erſcheinen 
ber Sortfegung diefed Werkes ftattgefunben, die jedoch jest ber 
fettigt (ft, da Herr Dr. Briſchar, Verfaſſer ber getrónten Preis 
ſchrift „Leurtheilung ber Controoerfen Sarpi's und Pallaniein!’e 


5 
in ber Geſchichte bed Tridentiner Concils“ die weitere Bearbeitung 
und Herausgabe bereitmilfigft. übernommen hat. — Die rafde 
Erfcheinung ber weiteren Bände iff baburd geficdert, und die 
Lebensfrifhe des neuen Bearbeiters für bie Beendigung dieſes 
wahrhaft claffifiben Werkes eine fihere Bürgfdaft. 

Der foeben unter der Preſſe befinplide Band enthält ben 
Schluß ver Gefhichte der Kreuzzüge und wird (n einigen Monas 
ten evrídeinen, fo. wie auch die Kinrichtung getroffen wurde, daß 
jährlich zwei Bände erfdeinen werden. 

Um bie Anfchaffung ber bid fept von ber Kortfebung erſchie⸗ 
nenen Bände zu erleichtern, fo laffen wir folgende Preisermäßis 
gung eintreten: 


a) bei Abnahme der 32 Bände gar. 8. Ausgabe erfaffen wir ben 
Band zu fl. 1. 48 fr. und der 8. Ausgabe zu fl. 1. 30 kr.; 


b) Bei Abnahme von 10 unb mehreren Bänden ber ar. 8. Aus⸗ 
gabe bem Band zu fl. 2. und der 8. Ausgabe zu f. 1. 40 fr. 


Wirſt du auch 


ein 


Deutfhkatholik? 
8. geb. 6 fr. 
95681, Dr., Priefter, Leben und goldene Sprüche des 
Ieligen Aegidius von Aſſiſt. 2te umgearbeitete Auflage. 
8. 21 fr. rhn. 18 fr. 6, M. 6 ον. ' 
-— — Leben ber heil. Katharina ». Siena! ?te umge, 
. arbeitete Auflage. 8. 48 fr. rhn. 15 Near. I 
ἰεδί, Pfarrer, kathol. Glaubens⸗ und Sittenlehre in 
Denfreimen, Ate vermehrte Auflage Mit Approb. 9 fr. 
Schmid, Sonfapitulat, Liturgif. 3 Theile. Dritte ganz 
neu bearbeitete Auflage. gr. 8. Herabgefegter Preis 
4 fl. 30 fr. Nah Ende Mai 1850 tritt wieder ber 
Ladenpreis mit 9 fl, ein. 





ber Fr. 28 : 88 bi in reibur i. 
— — agner'ſchen Buchhandlung in F 0 
Bergleihende Beurtheilungneneres Kate 
bismen von einem Geiftlichen der Diöcefe Freiburg, 
mit einem Vorwort von Alban Stolz. gr. 8. brochirt. 
Preis 15 fr, 





6 
Bei 


WILHELM "BRAUNCELLER, 


Buchhändler des f. f. Hofes unb ver faiferf. Akademie der Wien: 
fhaften in ®ien, er(djeint in biefem Cjabte 39850, un 
werden daſelbſt fo wie in allen Buchhandlungen des Insund 
Auslandes vorläufig Befellungen angenommen auf bie 


Zeitichrift 


für bie geſammte 


Fatholifche Theologie. 


Herausgegeben von ber 
theologischen Facultät in Wien. 
S8 etactíon: ) 


Dr. 9, Scheiner um Dr. 3. M. Säusle, 
Mitglied des Profefferens@ollegiums, Mitglied des Doftoren: Col; 
legium? ber tbeologifden Facultät. 

Die neue 3eitffrift wird nicht nad Safrgángen, fonbern 
nad Bänden berechnet, und erfcheint in Heften von je 10 Bogen 
in mürbiger odi." 8 Sefte bilden einen Band, anf 
beu man mit 8 fl. (ΩΣ, ober 5 Nthl. pränumerirt. Im 
Caufe des Jahres 1850 wird 1 Band von 3 Heften erfcheinen, in 
bem darauf folgenden Jahre aber 2 Bände mit 6 Heften. 


dX Der ausführliche Profpectus biefer für ben 
gefammten Clerus höchſt wichtigen Erfcheinung 
(ft durch alle Buchhandlungen zu haben, und wird 
auch allen theologifchen Journalen beigelegt werben. 





Go eben ift bet 88, Ὁ. Sauerländer in Frankfurt a. M. 
erihienen: 


Wilhelm Zoezek, 
Domprediger zu St. Stephan in Wien, 


homiletiſche Aehrenleſe. 


Ein Cyclus von Sonntag⸗, Feſt- und Faſten-Predigten. 
Preis: Rihlr. 1, 5 Sgr. fl. 2 rhein. 


Yreoipectn 8 


E EE | 
Altf für die gefammte katholiſche Cheolagie. 
u Herausgegeben 
* bee theslagiſchen FZarnitdt in Wien. 





Der akademiſche Lehrförper und das Doctoreũcollegium der hie⸗ 
figen theologifchen Sacultdt haben nad) ‘ihrer füngft erfolgten Con⸗ 
ſtituirung befchloſſen, ihre Theilnahme für ble Fatholifche Wiffen- 
fſchaft zuvoͤrderſt burd) die gemeinfchaftliche Heransgabe vine the v⸗ 
Toglifdien Zeitſchrift zu bethätigen. 

Diie gemeinſchaftliche Herausgabe dieſer Zeitfchrift foll. εἰπεῖν 
ſeits das frendige Jeugniß geben daß beide Eollegien einander ge» 
genüber fi ald Gin: Ganzes begreifen unb ald folches fortwaͤh⸗ 
rend ihre Identität mit der alten theologifchen Facultät darzuſtellen 
fuchen; andererſeits ſoll baburd, daß bie gefammte theologifche Fa⸗ 
cultaͤt die Kräfte in ihrem eigenen Schooße zur gemeinfamen Herans- 
“gabe tiefer. Zeitfchrift einiget unb für bie kirchliche Haltımg und 
wiſſenſchaftliche Gediegenheit ber in blejefbe aufgenommenen Aufs 
faͤtze eine höhere moralifche Gewährleiftung übernimmt, auch die 
möglichfte Einigung und Betheiligung aller theologifhen 
ebrfrádfte Defterreichs an dieſem gemeinfamen Unternehmen 
herbeigeführt und überdies jedes ftrebfame Talent in und 
aufer beu Seelforgerftande, in und außerhalb Defter- 
reich zur Lieferung literariſcher Beiträge aufgemuntert werden. 

Die beantragte Zeitfchrift wird, eben weil fie von einer afa: 
Vbemifden Körperjchaft herausgegeben wird und bem Zeitbe« 
*birfniffe Rechnung tragen fol, wiffenfhaftlih und praktiſch 
"zugleich fein. Sie wirdden Geift aͤchterWiſfenfchaftlichkeit 
vornehmlich dadurch offenbaren, daß fie einerfeits eine fortwährende 


und-gewiffenhafte Rüdfiht auf bie einfchlägige ältere und 
neuere Literatug; unb auf den gegenwärtigen Stand— 
punct ber Theologie dberfaupt unb: ihret einzelnen Fächer insbes 
fondere zu nehmen ſucht, und antererfeit erclufive theologifche Rich⸗ 
tungen baburd) zu befeitigen trachtet, bag fie jeder tbeologi(den 
Anficht, infoweit e inner ben orthodoxen und Fischlichen Graͤnzen 
gefshehen fann, ihre freie Bewegung geftattet. Die wahrhaft prak⸗ 
tíjde Richtung der Zeitfchrift wird ſich nicht duch Mit 
theilung förmlicher Ausarbeitungen homiletifcher ober asfetifcher 
Vorträge u.f. w.; fendern vielmehr durch eine weiſe Bexechnung aud 
der ftrenge wiffenfchaftlichen Abhandlungen für bte theologifde 
Fortbil dung unb für die wegen ber Zeitumftände fid) heraus⸗ 
ſtellenden nächften geiftigen Benürfniffe des Glerue, unb 
vor Allem durch eine wifjenfhaftlih flare und dabei 
prägnante Diction aller Auffäge djarafterifiven. Defter wieder 
fehrende, dabei aber furz und. bündig gehaltene Abhandlungen auf 
. bem Gebiete ber. gejammten praftifchen Theologie, ferner .eine fletige 

aber Auge Berüdfichtigung der kirchlichen oder Firchlich » politifchen 
‚Zeitz und Zageöfragen werben Ear erweifen, daß die Zeitſchrift 
ebenmäßig für bie Theorie unb die Braris einzuftehen unb bie 
Wiſſenſchaft mit dem Leben zu vermitteln ſtrebe. 

. (δ verfteht fid) übrigens von ſelbſt, daß der Geift einer Zeit: 
ſchrift, welche durch eine katholiſch⸗theologiſche Facultaͤt herausgege⸗ 
ben wird, nur aͤcht kirchl ich fein kann und. daß dieſelbe politiſchen 
Diatriben jeder Art fremd bleiben muß. Sie wird fid) demnach [εἰ 
auf ſtrengkirchlichem Boden bewegen und niemals zur Trä- 
. gerit von Anſichten hergeben, welche ber Fatholifchen Glaubens⸗ und 
Sittenlehre oder ben firchlichen Kanonen zuwider. wären. Dadurch 
fol aber ber $reiheit und Selbftftändigfeitder Wiffen 
.fdyaft Fein Abbruch gefchehen; vielmehr foll (id) der befannte Sag: 
In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus charitas, an det 
Zeitſchrift vollfommen ermabren, Dienädfte Verantwortlich— 
keit für jeden einzelnen Artikel, welcher in der Zeitfchrift erfcheint, 
fallt vor der Kirche und. dem Staate bem betreffenden Ber 
faffer sur aft. Derfelbe hat aud) für feinen eigenthümlichen wiffen- 
ſchaftlichen Standpunct dem gelehrten Bublicum gegemüber einzu 


fiehen. (66 mítb deßhalb jedem felöftfkändigen Auffabe ohne Unters 
ſchied der Name des Verfaſſers im ‚Hefte felbft beigebrudt werben. 

Eine ber Facultät und ber Wiffenfchaft würdige, durch Maͤßi⸗ 
gung, Beſcheidenheit und Anſtand fid) charakteriſirende Haltung und 
Faſſung iſt unerlaͤßliche Dering für bie TATE eines Aufſatzes 
in die Zeitſchrift. 

Es ift bei der wifienfchaftlichen und praftifchen Seit der 
Zeitfhrift ganz naturgemäß, wenn bie gefammte Theologie 
mit bem ganzen Refjort der biblifchen, hiftorifchen, fofte 
matifhen und fpeculativen Disciplinen, ferner mit ber 
Theorie ber Homiletik, S&atedetiE, Liturgif und Pa- 
floral in ihren Kreis gezogen wird. Sie wird felbft liturgiſche, 
canoniftifde und ethifche Fälle, fo wie überhaupt Erfah: 
rungen aus bem feelforgerlichen Leben nicht ausfchließen, 
und eben fo bildet baa Kirdhen- und das f&irdenftaatéredt 
einen integrivenden Beſtandtheil derfelben. Der Worm nad) zerfal⸗ 
len die Auffäge der Zeitfhrift 1. in felbfiftändige Abhand— 
lungen und Fleinere Auffäße wiffenfchaftlichen oder prafti- 
ſchen Inhaltes, 2. in literarifche Weberfichten und Recen- 
fionen und zwar Leptere regelmäßig in der Form beurtheilen- 
der Anzeigen. Damit aber die Grünblichfeit und die Mannig- 
faltigfeit ber Auffäge in der Zeitfchrift gleichmäßig gefichert fei, 
wird die größte Ausdehnung eines ungegliederten Aufſatzes höchſtens 
6 Bogen betragen; längere Auffäge werden mit ihren Fortfegungen 
ſtets in Drei Hefte, jedoch fo vertheilt, daß Anfang und Fortfeßungen 
^in den nämlichen Band fallen. Endlich wird jedes Heft wenigftend 
Einen felbftftändigen Artifel enthalten, und jowohl Aufſätze vorwie⸗ 
gend wifienfchaftlicher Richtung als vorwiegend praftifcher Natur 
Án möglichfter Abwechfelung bringen. Die praftifche Richtung ber 
Zeitfcheift fcheint überdieß.3. eine eigene Rubrik für interefjante, ftet$ 
hiftorifch gehaltene „Mittheilungen aus bem Firdliden 
Leben“ unb zur Aufnahme kirchlicher Actenftüde ber Ge 
genwart zu verlangen. Und. nicht minder dürfte 4. burd) das 
SBerbáltnig ber Zeitfchrift zu der theologifchen Facultaͤt bie Griff 
mung einer eigenen Rubrik unter bem Titel: „Facultaͤt sarchiv⸗ 

erwünfchlich fein. (ὅδ muß jedoch ſowohl diefe Rubrif als jene für 


Mittheilungen aus bem kirchlichen Leben raͤnmlich im [o todt $e 
ſchraͤnkt werden, daß beide —— nicht Mr zwei Be. 
‚gen des Einzelheftes hinausgehen. 

Die Sprache der Jeitſchrift (t in der Hegel beutfió, 
Urkunden amb Actenſtücke erfcheinen fttt6 in der Driginalfprame. 

Geeignete Beiträge zur Zeitfchrift oder Bücher, bere Bes 
fpredjung in derfelben gewünfcht τοῖν, werben, unter Dic Adreſſe: 
„An die 9Oebaction der Wiener theologifchen Zeit- 
ſchrift,“ von ber Verlagshandlung bereitwillig aber nur feaitte 
übernommen. 

Die Rüdfendung nicht ausprädiich befteliter und aríc Aufnahme 
nicht geeigneter Auffäge, ferner aller eingefchidten, aber nicht befpto- 
chenen ober nicht befprechbaren Schriften erfolgt ſtets auf Koften 
des urfprünglicyen Ginjenberé. 

Alle in die Zeitfchrift aufgenommenen ſelbſtſtaͤndigen 'Auffäge 
‘werben angemefien honoriert. Das Honorar wird ſtets nach . 
amd der Bogen zu 576 Zeilen berechnet. 

Wien, am 31. December 1849. 

Die verantwortlidhe Redaction: 


Dr. 3. Scheiner, 
— bes — 


r. Sy. M. Häusl 
Mitglied des Doctoren-Coltegtume bet theologi [ὅκα Facultät, 


Dem Obigen erlaubt fid) der Unterzeichnete beisnfilgen, daß er 
ten Verlag der theologifhenZeitfchrift übernommen hat. Sie 
wird nicht πα Jahrgängen, jonbern nad) Bänden berechnet umb et 
fcheint heftweife, das Einzelheft zu 10 Bogen, gr. Octav, auf huͤb⸗ 
ſchem Papiere und Drud im Formate des Profpertus. Drei Hefte 
bilden einen Band. Man pränumerirt per Band mit 
3f. G. M. ober 4 Rthlr. 

Im Laufe des Jahres 1850 wird bet Erfie Band zu drei 
Heften erfcheinen; in ben darauf folgenden Jahren aber wer 
ben je zwei Binde, jeter zu drei Heften, ausgegeben werben. 

\ Wilhelm Braumäller 
; I. f. Hofbuchhaͤndler. | 


— A Gebrudt bei 3. 8. Sollingers Witwe 





Cheoisgifde 


Quartalfchrift. 


$n Berbindung mit mehreren Gelehrten 


nt «τῇ st 

(oU M herausgegeben 

e " astu « x 
“4. " * 


von 


D. v. Drey, D. Auhn, D. Hefele, D. Welte 
und s 
D. Bukrigl, 


Brofefforen ber fatg. Theologie an ber f£, Univerfität Tübingen. 


Zweinnddreißigfter Jahrgang. 


Viertes Quartalheft. 


Tübingen, 1850. 


Perlag der H. Lauppſchen Buchhandlung. 
(8aupp & Siebe.) 


Drud von H. Baupp. 





I. 
Abhandlungen. 





Zur Homiletik. 


Sn einem intereffanten fchon etwas älteren Werfe 
über ben Lehr⸗ und Erziehungs-PBlan der Gefellfchaft Sefu 1) 
finde ich eine Stelle, an welche vielleicht einige Bemer⸗ 
fungen über die Behandlung ber Homiletif nicht unpaffend 
angefnüpft werden könnten. Snbem der Venrfaſſer diefe 
. religiöfe Genoſſenſchaft darin zu vertheidigen fucht, daß fie 
in ihrem linterrídtéplan von einem @urfus der Baftorals 
theologie nichts weiß, ruft er aus: „wozu eine bändereiche 
Homiletif unb Katechetik ober gar eine voluminöfe Liturgif?! 
Dogmatik, Moral unb Kirchenrecht bilden in ihrer Summa 
bie Eine große Theorie, welcher habhaft der Priefter Theo- 
foge ift. Diefe Theorie gibt ibm den großen Inhalt für. 
die Predigt, für bie SKatechefe, für den Sranfenbefud) 
u. f. w., welche Bunftionen rein nur Braris find. Wie 
folche gethan werden follen, läßt in wenige Linien fib 
bringen. Gibt man auch viele Regeln, fo werben fie 


1) Der Sortetät Iefu Lehr» und Erziehungsplan ıc. Landshut bei 
S. Thomann, 2 Bände, 1835, 


34 * 


518 Zur $omiletif. — 


wiederum vergeffen. Wer, wenn er eine Predigt verfaßt, 
benft wohl an auch nur Eine ber homiletifchen Regeln ?! 
Hat er bie Theologie wohl inne, weiß er, was des Gau 
bens ift, fennt er das Wefen unb die Arten der Tugend 
und des Lafters, ift er funbig ber Schrift und der heiligen 
Väter, ift er ein Dann des Glaubens und von der Achten 
Dortrin und ihrem Achten Geifte burd)brungen, fo wird 
er mit Geift prebigen und mit Macht. Die Rhetorik unb 
Logik werden den göttlichen Worte bienftbar fein. — Anſtatt 
nun bie Zeit mit Aufftellung und Erlernung zu vergeuben, 
follen junge Theologen im Abfaffen unb im Vortrage geift 
licher Reben recht fleißig geübt werben: bie Uebung macht 
den Meifter.“ 

So wenig nun Schreiber diefer Zeilen gemeint fein 
fann, ber in vorliegendem Urtheil enthaltenen Mebertreis 
bung das Wort zu reden, fo fanm er bod) andrerfeitd 
feine llebergeugung nicht verhehlen, bag es viel Wahre 
enthält. Es ift nun einmal fo der Braud, daß bie Pro- 
legomena einer jeden Disciplin wenigftens einen $. über 
bie Nothwendigfeit, die Wichtigkeit und ben 9tugen ber 
felben aufgenommen haben. Go muß εὖ aud) in der Ho 
miletif ber Kal fein, Nichtsdefto weniger will eg, wie die 
Erfahrung beweist, oft nicht recht gelingen, namentlich 
bei ben befferen Köpfen unter den Priefter-Amts>-Eanbidaten 
der llebergeugung zum Durchbruch zu verhelfen, daß bad 
homiletifche Zach von befonderer Wichtigfeit fei. Ja nicht 
felten mag der Fall fein, daß ein aufftrebendes Talent, 
das fid) im Befige einer rhetorifchen Ader fühlt, beim 
Studium der homiletifchen Regeln an die mephiftophelifhe 
Lobrede auf bie Wiffenfchaft der Logik fid) erinnert: 





Zur Homiletik. 519 


„Da wird ber Geifl auch recht dreſſirt, 
„In fpanifche Stiefel eingefchnürt, 
„Daß ex bebüdjtiget fo fortan 
„Hinfchleiche bie Gebanfenbafn, - 
„Und nicht etwa bie Kreuz und Quer 
„Irrlichterire hin und ber." 

G6 erweist fid) eben auch hier bie Wahrheit des alten: 
qui nimium probat, nihil probat. Wir glauben, daß ber 
$. über ben Werth unb Nugen ber Homiletif in einem 
befcheidenen Tone abgefaßt fein müffe Wenn e& aud 
febr einfeitig und ungerecht wäre, biefen Werth unb 9tugen 
in Abrede fielen zu wollen, fo dürfte er bod) ber Natur 
ber Sache gemäd mehr ein negativer als ein pofltiver fein. 
Fehler vermeiden lernen, das fann man, wenn man bie 
bomiletifchen Regeln fid einprägt; Gebanfen an die Hand 
‚geben wird das Studium ber Homiletit nicht überflüßig. 
Wer 3. Ὁ. nicht einigen Mutterwig und einen gemifjen 
Reichthum der Phantafie fehon mitbringt, den wird δα 
Anhören des ganzen Traktatus über bie Redefiguren faum 
zur Hervordringung eines einzigen Tropus befruchten, waͤh⸗ 
rend einem Andern die erhabenften Redefiguren zufließen, 
ohne daß er an jene Abhandlung mit ihren Ad» unb Unters 
abtheilungen aud) nur entfernt zu denken fid) bie Zeit 
genommen hätte. ya, was müßten wir von einem Prediger 
xribeilen, ber, wo er in einem Vortrag Affefte in ben 
Zuhörern hervorbringen, rühren und erfchüttern will, bore 
her genau und ängftlich berechnete, welche Redefigur, welche 
thetorifche Wendung jebt wohl am geeignetften wäre bie 
beabfichtigte Wirkung hervorzubringen? Nicht nur daß ein 
ſolches Verfahren ein bem Wefen aller Achten Beredtfamfeit 
geradezu wiberfprechender Pedantismus genannt werben 
müßte, es wäre inébefonbere nod) eine den Begriff bet 


— 


520 Sut Homiletlk. 


heiligen Berebtfamfeit vernichtende Effekthaſcherei. Denn 
daß die Predigt des göttlichen Wortes nicht in überrebenben 
Morten menfchlicher Weisheit, fonbern in Erweifung bes 
Geiſtes und ber Kraft beftehen müffe, ift eine fo wefentfiche 
Forderung, bag das Gegentheil, t. ἢ. das gefliffentliche 
Auffuchen von rhetorifchen Kunftftüden und draſtiſchen 
Erregungsmitteln ein Ehebruch am Worte Gottes („adulte- 
rantes verbum Dei“ 2. Kor. 2, 17.) genannt werden 
fann. — Wie bei den Redefiguren, fo ift εὖ übrigens 
aud) mit andern Anweifungen der Homiletif. Der Eingang 
heißt e& 3. 99. (oll intereffant fein. Das ift nun aber 
fehwer zu machen, wenn ἐδ, wie man ὦ auszubrüden 
pflegt, nicht am Holz ift, wenn bie Begabung und bie 
Kenntnifle fehlen, ohne welche Einer nie intereffant fprechen 
wird. Umgekehrt gibt fi für den, welcher Kenntniſſe 
und lebhaften Geift hat, bie Regel fo ziemlich von jelbfl, 
dag man im Anfange ber Rede, wo εὖ fich alfo barum 
handelt, die Aufmerffamfeit der Zuhörer zu meden, vor 
nichts ὦ mehr hüten muß, ald vor langweiliger, breiter 
und trivialer Darftelung. ine von den fchwächften qat, 
thien der homiletifchen Disciplin fcheint uns namentlich 
auch bie zu fein, wo von ber Rührung des Herzend 
und von ber Bewegung ded Willens gefprocden 
wird, in welcher Beziehung wir uns beifpielßweife nur 
auf bie fonft recht brauchbare neuefte Auflage der Paftoral- 
theologie von Gollowitz berufen (f. &. 141 ff). Was 
bier gefagt ift, verfteht fid) fo ganz von felber, daß man 
nichts Befferes thun fann, ald Alles, was vom bezeichneten 
Ὅτι an bis ©. 148 gefagt ift, geradezu überfchlagen und 
fid hauptfächlich an bie €. 149 aus OQuinctilian geholte 
Wahrheit halten: „summa circa movendos affectus in hoc 











Bur Gomiletit. 521 


posita est, ut meveamur ipsi,“ Wie ijt εὖ möglich, müffen 
wir fragen, die unerträglichften Tautologien zu vermeiden, 
‚wenn in der Homiletik ernftlich bie Stage beantwortet wird: 
wie kann und foll der Prediger religiöfe Gefühle (neben 
den äfthetifchen, fympathifchen u. f. Ὁ.) ermeden? Die 
Antwort muß fid) nothwendig in bemfelben Grade ganz 
von felbft verfteben, als die Frage überflüffig ijt. 

Wir haben nur einige Belege dafür angeführt, daß 
in den Eingangs citirten Bemerfungen manches Körnlein 
von Wahrheit liegt, In der That fcheinen viele Regeln 
und Borfchriften der homiletifchen Dieciplin einzig bie 
Beſtimmung zu haben, ignerirt zu werden. Das faun 
bed) aber nur deswegen fein, weil fid) darunter viel un» 
verdaulicher und bódjt überflüffiger Wormelfram 
findet, ein widerlicher, langweiliger Ballaft, ber nichts 
Befleres verdient als fortgefchafft zu werden. Die Logif 
muß bod) offenbar vom Homiletifer vorausgefegt werben, 
unb SSeftimmungen, welche im Grunde nichts Anderes 
befagen, αἰ daß der Prediger bie allgemeinen Denkgeſetze 
achten müfle, finden in ber Homiletif feinen biefer Dis- 
ciplin würdigen Platz. 

Wer aud) nur ein Lehrbuch ber Homiletif durchgelefen 
δαί, kann bicfe Bemerkung gewiß nicht überflüffig finden. 
Sch nebme in diefer Beziehung auch bie Homiletif von 
Laberenz nicht aus, wenn ich auch fonflige Vorzüge an 
biefem Buche gern anerfenne Man vergl. 3. B. nur 
daſelbſt ben Abfchnitt von ben Thellungen, ©. 190. f. 
Was folfen bod) in aller Welt Regeln wie: „Die Eins 
theilung enthalte feine ſolche Theile, welche gar nicht Theile 
des im Hauptfage ausgefprochenen Ganzen find“ ober: 
„Man beachte bei ber Eintheilung, daß die Theile wirklid 


522 Zur $omilettf. 


feien, was fie fein follen, b. ἢ. Theile eines Ganzen, 
daß fomit der Inhalt eines Theiles nicht gleich fel bem 
Ganzen“ ober: „bie Theile .feien nur unmittelbare Theile 
des Ganzen“ oder: „es dürfen bie Theile fid nicht wider 
fprechen, fonft wird die Wahrheit des Ganzen verleht“ 
Und wie pedantifch ift nicht der Grundſatz von ber Gum: 
metrie der Abtheilungen, der G. 204. 9tr. 12. geltend 
gemacht ijt! Wahrlich folde Dinge mit wiffenfchaftlichem 
Ernfte behandeln, muß einem jeden wohl organifirten Kopf 
das Studium ber homiletifchen Disciplin entleiden. Und 
was von bet Logik gefagt ift, gilt im Grunde aud) von 
der Rhetorik. Sie muß  vorauégefegt werden. Es ift 
unthunlich, daß man geradezu ganze Paſſus aus ihr herüber; 
[Φτείθε. Man fann wohl 2. 98. bie verfchiedenen Rede 
figuren anführen, aber es muß obiter et transeundo ge 
ſchehen und vor Allem der große Unterfchied zwifchen ber 
weltlichen und geiftlichen Beredtfamfeit in biefem Punkte 
nachgewiefen werden. Was das Fernehalten eines dürren 
und trodenen Bormalismus betrifft, muß der Standpunft, 
von welchem Sailer feine „Anleitung für angehende Pre 
biger gegeben, unbedingt anerfannt werben. Er hat bie 
Sefiein der Schule gebrochen und feinen Gegenftanb mit 
Geift und Xeben behandelt. Das höhere Syntereffe, welches 
er auch für trodene Gegenftände zu erweden weiß, wiegt 
ble formellen Vorzüge, deren fid) andere Schriftfleller in 
ber Homiletit rühmen mögen, bei Weitem auf. Der leben 
bige Geiſtes⸗Quell, der in feinen Blättern fpringt, treibt 
auch in bem Sande abftraft formaliftifd)er Fragen, mit 
denen fid) ber Homiletifer abgeben muß, Tiebliche Dafen 
hervor. Was aber gewiffe Materien betrifft, 3. 9. nament⸗ 
lich die Entwidelung des Begriffs der homiletifchen Popu⸗ 

















Zur Gomifetif, 523 


larität, bat Sailer in Ausführımg und Darftellung Taeffliches 
geleiftet. 

Wir möchten übrigens mit bem Gefagten nicht mif» 
verftauben werden, Nie fann e& uns einfallen, die Ho⸗ 
miletif als Theorie in Mißeredit bringen zu wollen ober 
zu verlangen, daß fie gewiſſe Gegenflünbe, mit denen fie 
fid bisher abgegeben, fallen (affe, 3. B. ber Abfchnitt 
von den Redefiguren muß bleiben. Wenn demnach ber 
Benediftiner Jais in feinen immerhin lefenówertben Be 
merfungen über die Seelforge, befonders auf dem Lande 
fagt: „Wenn ed uns Ernft ift, wenn wir vom Herzen 
reden und zum Herzen fprechen, — unfern Zwed erreichen 
wollen, fo dürfen wir wegen ber rhetorifchen Figuren une 
befümmert fein. Der einfältigfte Bettler, welcher von feinem 
Elend durchdrungen und von der Wohlthätigfeit des Mens 
chen, ben er um Hülfe anfpricht, überzeugt ijt, bebient 
fi ber (dünften Figuren“ -— fo if er in Etwas zu weit 
gegangen, fofern er anzunehmen fdjeint, bag in ber Ans 
leitung zur geiftlichen SBerebtfamfeit von den Figuren gar 
Nichts erwähnt werben folle. 

Zwar kann unmöglich beftritten werden, was @ißbert 
fagt, daß die Figuren, deren fid) .ein chriftlicher Redner 
bedient, vom Eifer und vom Geifte Gottes eingegeben fein 
müffen, nicht aber von der Kunft und einem geymungenen 
Weſen; bod) wird bie Lehre von den Tropen immer das 
Gute haben, daß fie ben Geſchmack einigermaßen bildet, 
bie paffenberen und mit Erfolg anzuwendenden Rebefiguren 
bezeichnet» vor Webertreibungen in Anwendung berfelben 
warnt. 

Die Kenntniß der rhetorifchen Figuren iſt alfo τεῷ 
unb zu loben; bei ber Abfaffung einer Predigt aber ängfts 


524 . Bur Homileilk. 


lich grübeln, welche je&t gerade bie giüdlichfte Wirkung 
tun könnte, ift eines chriftlichen Vredigers unwürdig. Die 
instructiones praedicationis verbi Dei des hi. Earl Borro⸗ 
mäus empfehlen überhaupt das Studium der ,rhetorica 
ecclesiaslica, warnen aber den Prediger nachbrüdlich: in- 
struat atque exornet non verborum vel lectissimorum sonitu 
inani et sermone nimis elabofato et paene calamistrato el 
fucato, quo nihil potest esse infructuosius, sed gravi pleno- 
que sanctae docirinae ac referto disciplina, quae vere 
christiana praestansque sit^ und an einer andern Stelle: 
„elocutionis genus exquisitum non affectet.* Wie aud) ber 
b. Auguftin in fo fdóner unb beherzigenswerther Weife 
zu ber Stelle bei Matth. 10, 19. bemerft: ber Prediger 
folle erft lernen, was zu lehren ift, und fid) eine Fähigkeit 
zu reden verfchaffen, wie fie einem Manne der Kirche 
zufommt. Den Yugenblid aber, da er zu fprechen habe, 
ba folle er fid) guten Muthes erinnern an das Wort: benfet 
nicht, wie oder was ihr reden werdet. — 

Sn ber Eingangs eitirten Stelle aus bem Buche über 
ben Erziehungsplan der Jeſuiten ijt die Anſicht ausgefprochen, 
daß, wenn ber Theologe über den nothwendigen Stoff 
zu gebieten habe, bie auptbebingung tüchtiger Verwaltung 
beó Predigtamtes gegeben fei, im Mebrigen komme ἐδ 
bauptfächlich auf die llebung an, welche ben Meifter mache. 
Diefer Anficht zu Folge follte man in ber Homiletif das 
Was, bie Sache in ben Vordergrund flellen, indem baé 
Wie, die Form fid) fo ziemlich von felbft gebe. Wenn in 
seuefter Zeit Dieringer in Bonn ἢ) ber Homiletif bie 


- 1) Bergl. feinen Artitel „Homiletik“ im Aſchbach'ſchen Kirchen 
Bericon. 








But Homiletlk. 525 


Aufgabe ftellt, ihre Aufmerkfamfeit in welt höherem Grade, 
als dies bisher der Kal gewefen, tem Stoffe zuzuwenden, 
fo liegt diefe Anficht von ber in jenem Buche entwidelten 
nicht zu weit ab. Der linterfdjieb Tiegt nur darin, daß 
dort aus der Bedeutung, welche dem Stoffe beigelegt wird, 
der Schluß auf ben untergeordneten Werth ber homiletifchen 
Disciplin gezogen werden will, während Dieringer ber 
Homiletif gerade Durch die von ihm geforderte größere und 
umfaffendere Berüdiichtigung des Stofflichen einen höhern 
Werth zu fichern verfucht. 

Fragen wir nun, was an der erften Anficht Wahres 
ift. Sd) zweifle febr, ob wir fie geradezu von der Hand 
weifen können. Gebt und einen tüchtigen Theologen! Er 
babe bie Dogmatif und Moral in ihrem pofttiven Charakter 
gründlich gefaßt, die traditionellen und andern Beweis- 
arten für bie chriftliche Wahrheit feien ihm nur wie man 
e8 wünfchen fann geläufig, er fei wohlbewandert in bet 
bl. Schrift, dabei erfreue er fid) eines fdónen Sabes 
von firdjenbiftorifen Kenntniffen. Was hindert anzunehmen, 
daß unter ben gegebenen Verhältniffen feine Bildung zu 
einem tüchtigen Prediger fid) auf dem einfachften und fürgeften 
Wege ergeben wirt, wenn er den golbenett Epruch: „usus 
optimus magister gebührend berüdfichtigen will? Einer 
ber wichtigften loci in der Homiletif 4. 99. ijt die Lehre 
von ber Auffindung des Stoffes. Nun burdfdaue 
man aber die Regeln, welche zum Zwede diefer ,inventio* 
3. Ὁ. bei Laberenz aufgeftellt werden. Wenn es hier 
3. 99. heißt: „bei dogmatifchen Grundgedanfen febe man 
auf bie dogmatiſche Wahrheit felbft, ihren Sinn, ihren 
Inhalt,“ ober „auf ihr moralifches Moment“ ober. „auf die 
irtige Auffefiung der dogmatifchen Wahrheit,“ oder „auf 


526 Zur Homiletik. 


ihre Unbegreiflichfeit unb. doch Bernunftmäfigfeit j^ was 
wird mit diefen Regeln dem in der Dogmatif und Moral 
wohl bewanderten Theologen für ein befonberer Aufſchluß 
gegeben? Wenn ich auch nicht láugnen will, daß fie in 
Etwas von Nupen fein mögen, fo dürfen wir ihn bod) 
nicht zu hoch. anídjlagen, denn bei jeder dogmatifchen ober 
moralifchen - Materie kommen die Gefichts- Punkte, nad) 
welchen ben anfgeftellten Regeln zufolge der Stoff aufge> 
funben werden fol, ohnehin zur Sprache. So wird, um 
nur ein Beifpiel zu nennen, gewiß feine Tugend im ber 
Moral befprochen, obng daß zugleich ihre Beweggründe 
entwickelt würden. — Was aber fofort bte Dieringer’fche 
Anficht betrifft, fo beruht fie auf einer handgreiflichen Wahrs 
heit, fie ift bie Reaetion der gefunden Anſchauungs⸗Weiſe 
gegen ben einfeitigen Sormaliómus der Homiletit, ber das 
Allerunpraftifchefte auf bem praftifchen Gebiet genannt wer⸗ 
ben muß. Ob e$ aber thunlich fel, bie ftoffliche Frage in ber 
Homiletif in ausgebehntem Sinne zu behandeln, darüber 
ließe ὦ vielleicht ftreiten. Geht nämlich die Meinung 
dahin, daß bie Homiletif an der Hand des Kircheniahres 
den Kreis der Gegenftánbe zu verzeichnen und beftimmen 
babe, welche im Ablauf eines Jahres auf ber Kanzel bes 
fprochen werden follen, fo hieße das ber Homiletik eine 
Aufgabe fegen, bie fid) vollftànbig gar nicht (ὄξει läßt. 
Auch würden diejenigen, welche ben wiffenfchaftlichen 
Charakter der Homiletik premiren, fchwerlich zufrieden fein, 
wenn fid) biefe theologifche Disciplin fo ganz zur Verfolgung 
praftifcher Zwede herabließe. Will aber nur fo viel ges 
fordert werden, daß bie Homiletif im Allgemeinen, im 
Großen und Ganzen die Winfe entwidle, welche das 
Kirchenjahr bem Homileten für bie Darftellung der evans 








Sur $omiletif, 527 


gelifchen Wahrheit an bie Hand gibt, fo wird fie fid) 
hierüber um fo mehr in Kürze faffen fónnen, als in ber 
giturgif ganz weitläufig von bem Kirchenjahr bie Rede ift, 
und zwar fo, daß daraus bie praftifchen. Folgerungen für 
Predigt, Katecheie, Beichtftuhl und dgl. zu ziehen auch für 
einen fchwächern Kopf nicht zu fd)mer werben faun. 
Praftifche Anleitungen für den Geelforg » Geiftfiden, 
welche Stoffe zum Bredigen die verfchiedenen heiligen Zeiten 
varbieten, unb wie fie aus ben betreffenden Sonn- und 
Sefttagsperifopen entwidelt werden mögen, find freilich 
nicht weniger aí8 zu verachten. Schade nur, daß wit 
deren nicht fonderlich viele und gute haben, unb daß fo 
manche Themate welche in Predigtmagazinen und fonft 
ausgeboten werben, feine probhaltige Waare find, b. b. 
wenn man fte ausführen will, fich durchaus fprobe ermeifen. 
Aber wenn man fo zum praftifchen Detail Derunterfteigen 
wollte, was würden biezu jene Paſtoraltheologen fagen, 
welche der Homiletif um jeden Preis ben Charakter ftrenger 
Wiffenfchaftlichfeit gewahrt wiſſen wollen? Würden 
fie nicht einen Verſuch, fo unmittelbar praftifch Nugbares 
in bie Homiletif einzuführen, als eine Art von Beleidigung 
ber freien S«Biffenfdjaft, ale eine Herabwürbigung berfelben 
vom einfeitigen Nüglichfeits 4 Princip aus erklären? Es 
ift in neuefter Zeit dafür nicht wenig gefchehen, daß bet 
Organismus der theologifchen Wiflenfchaft in. möglichfter 
Vollſtaͤndigkeit bargeftelit werde. In Folge diefes Streben 
folte auch die praftifche Theologie mit bem Nimbus ber 
ſtrengen Wiffenfchaftlichfeit umgeben werben; fie follte nicht 
mehr bie bloße Brüde bleiben, die Vermittlung zwifchen 
ber Theorie und bem vielgeftaltigen Leben. Man bemühte 
fl ben nothiwendigen Innern Zufammenbang der einzelnen 


528 Zur Gomifetif, 


Disciplinen der praftiíden Theologie unter fid unb mit 
bem Ganzen bet theologifchen Wiffenfchaft darzulegen. Wenn 
biefe Bemühungen innerhalb der Grenzen einer gemiffen 
Befcheivenheit bleiben, fo billigen wir fie; wenn aber auf 
biefe Funktion des Drganifirensund Syflematifirens 
ein ganz außerorbentliches Gewicht gelegt wird, als ob 
mittels ihrer ganz neue Bahnen gebrochen werden fónnten, 
fo finden wir das übertrieben unb in praftifder 
Beziehung ſchädlich. Nein, vie praftifche Theologie 
wird in Beziehung auf wiffenfchaftliche Haltung Faͤchern, 
wie bie Dogmatif und Moral find, nie als ebenbürtig 
an die Seite zu ftellen fein; find ja biefe beiden Wiſſen⸗ 
ſchaften {εξ nicht einmal auf ganz gleicher Stufe, weil 
die Moral weit mehr an bie Zufälligkeiten des Lebens 
gebunden ift. Die praftifche Theologie vollends, bie fid 
fo ganz und gar auf das vielförmige Leben mit al?’ feinen 
Unebenheiten und Zufälligfeiten angewiefen findet, wie 
vermöchte fie fi, ohne fid unnatürlich aufzublafen und 
ein gewifles verrenftes Wefen anzunehmen, im reinen Aether 
der Wiftenfchaft zu halten? Richt als fiele uns ein, eine 
unüberfteigliche Kluft zwifchen Wiffenfchaft und Leben ans 
zunehmen, nein die theologifche Wiflenfchaft muß — das 
ift ihr charafteriftiich — ſtets praftifche Beziehung haben, 
unb bie theologifche Praris muß durchaus auf ber Wiflen- 
fchaft al& unbeweglichem Wunbament ruhen. Aber es ift 
jweierlei, verlangen, bag eine Theorie überall 
und durchaus in wilfenfchaftlihem Geifte, b. B. 
im Einklang mit ben Ergebniffen ber Wiffen- 
fhaft, und gebaut aufihre Orundfäge, entwidelt 
werde, undverlangen, daßfiealsftrenge Wiffens 
Schaft beganbelt werde. Das Leste ift hinfichtlich 








Zur $omiletil. $29 


Homiletif unb anderer praftifch theologifcher Disciplinen 
fruchtlofes Beftreben und geradezu unmöglich; das 
ὁ muß fireng gefordert werden. Die allgemeinen Prins 
" der Homiletit find freilich einer wiffenfchaftlichen 
ianb(ung fähig; geht aber biefe Disciplin auf’8 Einzelne 
fo wird fie Technik unb muß norhwendig den ftreng - 
enfchaftlichen Eharafter verlieren. SOber wird z. B. von 
Regeln, nad) welchen memorirt, beflamirt, agirt ac. c. 
ven fol, Jemand im Grnfte behaupten wollen, daß fie 
αὐ mit der Wiffenfchaft gemein haben ? 
Einen andern Punkt möchten wir noch binfichtlich 
IBeife, wie die Homiletif zu behandeln ift, hervorheben. 
Verwaltung des apoftolifchen Lehramtes ift eine weſent⸗ 
firchliche. Funktion, bie ununterbrochene Verwirklichung 
göttlichen Wortes: euntes ergo in universum mun- 
etc. etc. Deswegen muß fi der Homiletifer bei 
a Schritte, ben er thut, erinnern, daß er auf pofis 
m Boden ftebt. Nie darf er vergeffen, daß ble 
je Schrift, bie heiligen Bäter, bie Befchlüffe ber 
yen = Berfammlungen die Quellen find, aus denen er 
gsweiſe zu fchöpfen hat. Die Lehrbücher ber homiletifchen 
iplin wiffen und mit Kraft und Entfchievenheit auf 
"eig rein und unverjleglich fließenden Quellen hinzu- 
n, aus welchen der chriftliche Prediger 2} fchöpfen 
ob fie aber auch felber immer dem, was fie lehren, 
ommen, felber ftetà bie pofitive Disciplin pofttiv be- 
εἴμ ὃ Hier dürfte noch manche Lücke auszufüllen, nod) 
ber Sebler zu verbeffern, noch manche firchliche Quelle 
zu benügen fein! G8 muß in manchem Lehrbuch ber 
ifetif erft noch nachgezählt werden, che man ficher ift, 
die Bl. Schrift darin öfter «itirt wird, a(& ein Cicero 


$30 Sut $omitetit. 


oder Quinctilian. Iſt das nicht unnatürlih? Wenn es 
fid) barum fanbeít, bie Sbee des chriftlichen Predigers zu 
entwerfen, warum wird bie b. Echrift zu dieſem Zwede 
fo wenig unb unvollftändig benügt, da fie bod) eine wahre 
Fundgrube der tiefften und praftifch fruchtbarften Gebanfen 
über die Bedeutung des Previgt-Amtes iſt? Wenn es fid) 
barum handelt, jene Gegenftände im Allgemeinen zu vers 
zeichnen, auf welche die Prediger immer und immer wieber 
zurüdfommen müffen, wenn fie wahrhaft fegensreich wirken 
wollen, fann man feine Aufgabe beffer löfen, αἵδ᾽ menn 
man unter Sugrunblegung ber biesfälligen Beſtimmungen 
ber Trienter Synode 1) auf gewiffe Coneilienverorbnungen, 
namentlich aber auf bie ber MailändersPBrovincials 
coneilien (unter dem hi. Borromäus), hinweist? Das 
wäre auch nad) unferer Meinung ble rechte Ὁ ἐς 
rüdfichtigung des Stofflichen, welche Dieringer 
- Will, fofern bie Firchlichen Anweifungen tiber bie Verwaltung 
des Predigtamtes weit mehr noch den Gioff betreffen, als 
die Wotm.  Setner wenn es unbeftritten ift, daß über das 
Wefen einer jeden Kunft derjenige die beften Auffchlüffe 
zu geben im Stande ift, welcher (te lange mit bem beften 
Erfolg betrieben; werden wir noch zweifeln fónnen, ob 
bie Heiligen Gottes, bie wie Niemand das zweifchneipige 
Schwert des Wortes gehandhabt, bie in ber wunberbarften 
Weiſe feine Kraft in der Belehrung von Hunderten unb 
Zaufenden erprobt, bie ja nicht blos im Werfe, fondern 
auch im Worte fi mächtig erwiefen, fel es, daß fie bie 
Donner ber göttlichen Gerichte über den ſchuldbeladenen 
Häuptern rollen ließen ober in bie nad) Erlöfung feufzenden 


1) Sess, V. de reform, c. 2. cf. sess. XXV. in decr. de purgat. 








Zur Homiletik 531 


en den Frieden eines Gottes ausgoſſen, der nicht 
it im Sturmwind, fondern im fieblidyen Säufeln ber 
— ich fage, wäre cà vernünftig zu zweifeln, ob uns 
Jeiligen Gottes, bie felbft fein Wort verfündet, 
bie rechte Verwaltung des. apoftolifchen Lehramtes 
manche verborgene Weisheit zu erfchließen vermöchten ὃ 
ben goir nicht, daß unfere Anleitungen zur SBerfünbigung 
zöttlichen Wortes vielfach einen anziehenderen Inhalt 
, wenn fie mehr auf das Leben und bie Beifpiele 
Männer, welche in Berkündigung des göttlichen Wor⸗ 
a6 Höchfte geleiftet, Rüdficht nehmen würden? Ja 
n wir uns überzeugt, daß mancher tiefere Blick in 
Weſen ber Sache bem Homiletifer nothwendig entgehen 
, wenn er die reichen Schäge von Belehrung, welche 
einen Zwed in ben Ausfprüchen unb in bem Verfahren 
yeiligen Prediger liegen, auf bet. Seite läßt! Sa 
bie erhabenften biblifchen Worte über das Predigt⸗ 
werden vollftändig nur erfaßt, wenn fie in ihrer 
ng burd) bie Heiligen gefchaut werben. Quid est 
orum vita, quam Evangelium ad praxin reductum ?* 
Wort des Apofteld „meine Rede und meine SBrebigt 
ib nicht in überredenden Worten menfchlicher Weisheit, - 
m in Erweifung des Geiftes unb der Kraft, damit 
Glaube nicht auf Weisheit ber Menfchen, fondern auf 
ἐδ Kraft berufe Y.«“ — Diefes Wort ift ber Grunbs 
ber fish burd) bie Predigt aller apoftolifchen Arbeiten 
zieht. Aber es ift ein tieffinniges und geheimnißvolles 
:, das eined Kommentars bedarf, unb den finden wir 
t SBrebigtmetbobe ber auserwählten Rüftzeuge Gottes 





) 1. Cor, 2, 4. 5. 
cel. Quartalſqchrift. 1850. Heft IV. 35 


532 But Homllelik. 


jedenfalls am vollftánbigften und frifcheften gegeben. Man 
fann nichts Dagegen einmenden, wenn bie und ba eine 
wichtige homiletifche Regel in dem Gewande gegeben wird, 
in welchem wir fie bei Gicero oder Quinctilian finden. 
Warum fchweigt man bann aber auf ber andern Geite 
nicht felten von ben oft fo treffenden Sentenzen der Väter 
oder anderer Gottedmänner, welche denjelben Gegenftand 
behandeln? (ὁ ift 3. 38. wohl der Mühe werth, daß ber 
junge Theolog fi) den Gag eines Seneca. einpräge: 
»lang ift der Weg durch Vorſchriften, fury und fräftig 
durch Beifpiele, denn bie Menſchen glauben mehr ben Augen 
αἷ den Ohren ;“ aber jedenfalls auch des Behaltens werth 
ift das Wort des Hl. Bernhardus: „eine lebendige unb 
wirffame Rede ift die mufterhafte That, denn fie macht 
im höchften Grade faßlich, was als thunlich ertefen wird“ 1), 
unb bie Vergleichung des bL. Chryfoftomus, wenn er 
fagt, daß der Prediger, bei welchem Lehre und Lebens: 
wandel nicht miteinander übereinftimmen, ein Komoͤdiant 
fe. „Einer ftelft. im Luftfpiele die Perſon des Königs, 
eines Ritters, eines Reichen vor, unb ift weder König, 
nod) Ritter, noch reich; fo ift derjenige, weldyer nur mit 
Worten predigt. Du ftelift jebr gut bie Demuth bar, aber 
bu bift nicht demüthig; du ftellft febr gut die Verachtung 
ber Welt unb ber Ehre bar, aber bu haft weder bie Welt, 
noch bie Ehre gänzlich verachtet; bu bift ein Komoͤdiant, 
aber fein Prediger des Evangeliums“ 9. Der bi. Bafis 
lius braucht in berfelben Beziehung das Bild des Malers, 
ber einen fchönen Menſchen auf feine Tafel malt, während 


— 


1) Sermo in S. Benedictum. 
2) Homil. in act. f. 


Zur Homiletik. ὦ 533 


er felber haͤßlich ift. Ihm gleiche 3.8. ein Schwäger, ber 
viele gute Sachen vom Stillſchweigen fprechen Fönne. Auch 
die Vergleichung, welche ber bI. Auguftinus anführt, 
um diejenigen zu geißeln, welche, was fie lehren, felbft nicht 
thun, ift würdig, dem Gedächtniffe eingeprägt zu werben. 
Er vergleicht fie nämlich den auf ben Straßen aufgeftellten 
Wegweifern, welche dem Wanderer den Weg zeigen, ben 
fie gehen follen, felbft aber unbeweglich bleiben !), Cbenfo 
wenn die Eregeten aus bem Worte ber hi. Schrift: „Jesus 
coepit facere et docere* die Wahrheit ziehen, daß ber 
Prediger, ſolchem Beifpiele folgend, zuerft ba& Geſetz bes 
folgen müffe, dann erft verfünden dürfe, fo ift diefe furge 
Stelle mit ihrer treffenden Auslegung für den angehenden 
Prediger jedenfalls fo vielfagend ald das oben belobte 
Wort Seneca’e. | 

. δὲ ift eine alte, aber von bem Prediger nie genug 
zu beherzigende Wahrheit, ba man, um Andere zu rühren, 
felbft gerührt fein müfje, „summa circa movendos affectus 
in hoc posita est, ut moveamur ipsi“ fo brüdt fie Quinc⸗ 
tilian aus, und wer fennt nicht das borazifche: „si vis 
me flere, dolendum est primum ipsi tibi^? Diefe Stellen 
fehlen denn auch in ber Regel in den Anweifungen zur 
geiftfichen SBerebtfamfeit nicht. Nun wohl, das ift nicht 
zu tabe[n. Aber haben wir über biefen Punkt nicht auch 
trefflicye dicta probantia von Autoritäten, bie und unver⸗ 
gleichlich höher fteben, als Quinetilian unb Horaz? „Wer 
nicht brennt“, fagt ber b. Gregor bündig und treffend, 
„der zündet nicht an.“ Der große Prediger Thomas von 
Villanova pflegte oft bie Worte zu wiederholen: „wie 


rn 





1) Serm. 14. de temp. 
35 * 


534 Zur Homiletik. 


it «6 möglich, daß aus einer Falten Bruft brennende Worte 
fonmen ?*« !) Weitläufiger, aber gar paſſend drüdt fid) 
darüber Rodriguez aus: „Nur bad Feuer verbrennt 
und das Wafler macht nag: Nichts fanm einem Andern 
die Wärme geben, bie εὖ felbft nicht bat, denn Niemand 
gibt, was er nicht hat. Was du nicht. haft, wie follft bu 
es Andern mittheilen und einbrüden? Du wirft fein, wie 
Kanonen und Bombarden, ohne Kugel geladen: fie erfüllen 
zwar die Luft mit donnerähnlichem Gefrache, ftürzen aber 
bie Mauern nicht um und tóbten feinen Feind. So find 
die Prediger, welche nichts Anderes, als Worte haben ; 
Alles endet im Getöfe und Wiederball von Worten. Sie 
find, um in den Worten der Schrift zu reden, wie Einer, 
ber in die Luft fehlägt. Sie peitfchen, fagt ber b. Paulus, 
die Luft mit ihrem Gerede, werfen aber Keinen zu Boden 
oder vermunben bie Herzen; denn es ift feine Kugel, nichte 
MWefentliched, weder Kraft nod) Geift darin; und gerade 
das iſt's, mas allem Uebrigen 9tadjbrud und Wirkfamfeit 
verleiht.“ 

Es gibt, bie Wahrheit zu fagen, faum einen wichtigen 
Punkt in der Homiletif, über ben fid) nicht die größten 
Predigerauctoritäten hätten vernehmen laflen, ober ben fie 
nicht durch ihre Beifpiele klar gemacht. Spricht alfo 3. 98. 
ble Homiletif von den fittlichen Dispoſitionen, welche zur 
Verwaltung bed Predigtamtes mitgebracht werden müffen, 
fo ift εὖ gewiß febr zweckmäßig, an bie Antwort zu erin- 
nern, welche ber in ascetifchen Büchern fo oft genannte 
Avila einem Priefter auf bie Frage gegeben, was er thun 
müffe, um gut zu prebigen: „Gott lieben ift bie erfle und 


1) In vita cap. 8. 


Zur Homiletik. 935 


wichtigfte Regel, gut zu prebigen.“ Auch das claffifche 
Wort des hi. rang von Sales mag hier am Sorte. fein, 
welcher bem feine Nachläßigkeit im Predigen mit feiner 
unberedten Zunge entfehuldigenden Seelforger zuruft: „nihil 
impossibile amanti Deum. Ama toto corde: pectus est, 
quod dissertos facit.^ Ueber die Kunft, fi) Eingang in 
bie Gemüther ber Zuhörenden zu verfchaffen, fagt ber apos 
ftolifche Mann Vinzenz v. Ferreris, dies gefchehe am beften 
fo, „si verba tua non videantur procedere ab animo su- 
perbo vel indignanti, sed magis ex visceribus caritatis 
et pielatis paternae: sicut pater cohdolet peccantibus filiis, 
vel infirmitate gravi vel fovea grandi jacentibus, quos 
nititur extrahere et liberare et fovere sicul mater. Talis 
enim modus consuevit esse proficuus auditoribus.^ Und 
daß auch ba, wo ber Prediger fid) genöthigt fiet, zu 
tabeín und Vorwürfe zu machen, Feines feiner Worte einen 
andern Geift ald den des Erbarmens und ber Liebe athmen 
dürfe, das brüdt ber hi. Franz Borgias treffend alfo aue: 
„Ipsa reprehensio .commiserationem ostendat, non indigna- 
lionem aut odium cujusquam. Incredibile dictu est, quanto 
studio daemon evangelico melli fel admiscere in repre- 
hendendo conetur, ut multos hac ratione ab audiendis 
concionibus deterreat, vel invidiam et odium zelotis eccle- 
siasticis conciliet.^ Hieher gehört auch das Sprüchwort 
des hi. Franz Sales: „mit einem einzigen Tropfen Honig 
werden mehr Fliegen gefangen, ald mit einem ganzen Faß 
Effig.“ Und wie bie Irrgläubigen in ben Schoß der Kirche 
zurüdgeführt werden fónnen und follen, dafür fohnt ἐδ 
fid bod) auch der Mühe, als Mufter. den eben genannten 
heiligen Bifchof, der fo viele Saufenbe von Galviniften 
befehrt bat, anzuführen. „As ich zu Paris“, erzählt er 


536 Zur Somiletik. 


von fid felber, „in ber Kapelle ber Königin von bem 
jüngften : Gericht predigte, befand fi Frau Ὁ. 9B. (eine 
Hugenottin) unter den Zuhörern. Die Neugier hatte fie 
zwar hingeführt; inbeffen blieb fte in bem geiftigen Nee 
hängen und fafte auf dieſe Predigt bin den Vorſatz, fid) 
unterrichten zu laſſen, worauf fie drei Wochen fpäter mit 
ihrer ganzen Familie zu mir zur Beicht fam; ich aber 
gab ihnen allen bann bie bf. Firmung. Sehen Sie nun, 
biefe Predigt war nicht gegen bie Ketzerei gerichtet, dennoch 
wirkte ſie gegen biefelbe; denn Gott verlieh mir damals 
ben Geift der Stärfe zum Heil biefet Seelen. — Geitbem 
aber fagte ich immer: wer mit Liebe predigt, ber prebigt 
hinreichend gegen bie Srrgläubigen, ob er auch nicht mit 
einem Worte gegen fie ftreite.“ 

Die eben angeführte Stelle ift aus der vortrefflichen 
Schrift des vertrauteften Freundes des Heiligen, des 3i 
fchofs Gamué von Belley, betitelt: Geift des BI. Fran 
von Sales. Wie fte überhaupt jedem Prieſter zu einer 
eben fo belehrenden als erbauenden Lefung empfohlen zu 
werden verdient; fo bietet fie in&befonbere bem Homiletifer 
und Prediger viele Belehrung durch bie Hervorhebung am 
muthiger Züge aus dem Leben des Heiligen. Wir erlau 
ben uns in diefer Beziehung zu verweifen auf den erften 
Theil das 19. Kapitel, auf den zweiten Theil das 7., 8. 
15., 26. unb 27. Kapitel, auf ben dritten Theil Kapitel 
5 unb 9, auf den fechsten Theil 7. Kap., auf ben zehnten 
Theil 2. Kap., auf den 14. Theil 5. Kap., auf ben 16. u 
7. und 21. Kap. 

Von biefem großen und heiligen Yürftbifchof von 
Genf haben wir aber nicht blos einige benfiodrbige Wut: 
fprüche über die Verfündigung des göttlichen Wortes. Er 





Zur Homileiik. 537 


hat überdies einem Bifchofe zulieb, ber ihn um eine fure. 
Anweifung zur Berwaltung des Predigtamtes gebeten, eine 
Abhandlung über das Predigen gefchrieben, welche in 
9 Hauptftäden den Gegenftanb fury, aber praftifd) und fo 
behandelt, daß fid) auch unfere Zeit nicht ſchäämen darf, 
davon Kunde zu nehmen. Alle wichtigeren Gegenftände, 
bie in der Homiletif zur Sprache fommen, find in biefer 
Abhandlung wenigftens kurz berüdfichtigt, auch bie Aktion, 
Sprache und das Rituelle. Schön und gemüthlich ift ber 
Schluß, wo ber Heilige bem neuconfecrirten Bifchofe warm 
zufpricht, fid) burd) feine Schwierigfeiten unb Einwendun⸗ 
gen von der Ausübung jener Funktion abbringen zu faffen, 
welche dad Eoneil von Trient potissimum Episcopi munus 
nennt. „Quanto citius rem auspicaberis“, muntert er ihn 
auf, „tanto felicius illa tibi proderit, et praedicare fre- 
quenter unicum est, quo magnus ea in parle evadas. 
Potes, Domine, et debes; vox tibi accomodata est, scientia 
sufficiens, habitus corporis conveniens, ordo vero in ec- 
clesia illustrissimus; Deus id vult, angeli exspectant, gloria 
Dei ea est et tua salus. Eja, Domine, macte; sic te Deus 
amet et tu Deum. Cardinalis Borromaeus, non habens 
decimam talentorum tuorum partem, praedicat, aedificat, 
sanctum se reddit. Non noster nobis honor quaerendus 
est, sed Dei; tum Deo rem committamus, quaeret ille 
nostrum. Incipe, illustrissime domine, semel in ordinum 
colletione, tum interdum in aliqua communione. Dic pri- 
mum quatuor verba, tum octo, denique duodecim usque 
ad mediam horam; post haec cathedram conscende. Nihil 
impossibile amori.“ 

Wir finden in bem Leben und in ben Schriften ber 
Heiligen oft Ausſpruͤche und Begebenheiten, welche geeignet 


538 ur $onmiletif. 


find, in uns die tiefften Anſchauungen vom SPrebigt- 
amte zu voeden, wenn fie auch nicht von unmittelbar prat 
tifcher Anwendbarkeit find, ja fogar nicht ohne Verwegen⸗ 
heit zur Danachachtung empfohlen werben Eönnten.: Don 
dem hi. Auguftinus 3. B., diefem unermüdeten Verfündiger 
des Wortes Gottes — er predigte oft zweimal des Tages, 
oft mit erfchöpften Leibesfräften — wird erzählt, er habe 
eines Tages die Beiftlichen feiner Kirche, - mit denen cr 
vita communis führte, gefragt, ob fie wohl bemerkt hätten, 
wie er mitten in ber Predigt den Gegenftanb, von bem er 
gefprochen, verlaffen habe, und auf einen ganz anderen 
gerathen [ες Als fie nun geftanden, daß ihnen Solches 
allerdings aufgefallen, fo habe er den Gedanken geäußert, 
Gott habe feine SSergeffenbeit und Verwirrung vielleicht 
entftehen faffen, auf daß durch das, was er in biefem 
Zuftande gefagt, irgend einer feiner Zuhörer von einem 
Irrthum befreit werden follte. Kurze Zeit darauf fel. ein 
gewifler Firmus gefommen, ber bisher ein Anhänger der 
manidjdifden Sefte gewefen, und habe befannt, daß ihm 
eine der legten Predigten des Heiligen die Augen geöffnet, 
wobei fif herausgeftellt, daß gerade bie Abfchweifung 
Beranlafiung und Urſache feiner Belehrung geworben, 
Welches Vertrauen auf den über bem chriftlichen Prediger 
waltenden heiligen Geift fpricht fid) nicht in ber zuverſicht⸗ 
lichen Erwartung des großen Bifchofs aus, daß fein Fehler 
von oben zum Nugen der Zuhörer werde geleitet worden 
fein! — (ὅδ᾽ fügte fid) einmal, daß ber Lektor aus Lieber 
feben eine andere Schrififtelle vorlag, als die, über welde 
er zu predigen fich vorgenommen hatte. Er fal) hierin 
einen göttlichen Wink, auf die wirklich, wenn aud) itt 
hümlich, verlefene Stelle erläuternd einzugehen. Er war 


4 








Zur Oomiletif. 939 


überhaupt, wie alle apoftolifchen Prediger, auf's tieffte von 
ber llebergeugung burdjbrungen, daß der SSerfünbiger des 
göttlichen Wortes fid) verlaffen dürfe auf das Wort: „non 
vos estis, qui loquimini etc.“ und irgendwo ſpricht er 
geradezu von einer Offenbarung an den Prediger: „ad 
apostolicam lectionem aures et animam allendat sanctitas 
vesira, adjuvante nos affectu vestro apud Dominum Deum 
nostrum, ut ea, quae illic nobis reyelare dignetur, ad vos 
apte atque salubriter proferre possimus ^ "). Auch eine 
merfhpürbige Aeußerung Gregors b; Gr. mag bier Pag 
finden: „Non hoc temeritate adgredior“, fagt er hom. 19. 
in Ezech. p. 1144, „sed humilitate. Scio enim, quia ple- 
rumque multa in sacro eloquio, quae solus intelligere non 
potui, coram fratribus meis positus intellexi.^ Und von 
dergleichen 9leuferungen und Begebenheiten, wie bie vor⸗ 
ftebenben find, glauben wir, dürfe derjenige nicht geradezu 
Umgang nehmen, welcher das Wefen der chriftlichen Pre: 
bigt tiefer erfaffen mill, — Gewiß ijt zu feiner Zeit bie Ser; 
fündigung des Wortes al Charisma ganz audgeftorben. 

Bon jeher war ein Ringen und Streben, in der Kirche 
die rechte Mitte zu treffen zwifchen ber homiletifchen Rich- 
tung, welche allem Schmude der Beredtfamfeit gram ift, 
und derjenigen, welche bie Künfte der weltlichen Berebts 
famfeit in ben Dienft der chriftlichen Predigt gegogen fehen 
möchte. Die Einen glauben nicht genug auf Ginfads 
heit, Shmudlofigfeit des Ausdrucks und größt- 
mögliche Bopulärität dringen zu fónnen, bie Anderen vers 
langen, ἐδ folle mehr „Atticismus“ in bie chriftliche 
Predigt kommen. 


1) Serm. 46. de temp. cf. de doctr. christ, IV. cap. 15. ' 


30.2 Bur HGomiletik. 


Sn jüngfter Vergangenheit faben wir zwei Schriften 
entftehen D, welche im Tone jugendlicher Begeifterung, aber 
aud) — das ift unfere Meberzeugung — nicht ohne Eins 
feitigfeit bie Nothwendigfeit einer Umgeſtaltung der Kanzel 
berebtfamfeit und insbefondere ber deutfchen Stanzelberebts 
famfeit ausfprechen. „Atticiemus und Toscanismus“, fo 
lefen wir in ber einen béefer Schriften, „find bie beiben 
Borfchulen, bie man burdjmanbern muß, um fid jenem 
geiftigen Standpunfte des Göttlich- Menfchlichen anzunähern. 
Diefer geiftige Standpunft des Heilandes“ (er foll in bet 
wechfelfeitigen Durchoringung und Einigung des 9teali; 
mus und Idealismus beftehen) ift auch das höchfte unb 
nie aus ben Augen zu verlierende Ziel des chriſtlichen 
Homileten, wenn er bie Menfchen mit bem Netze, nicht abet 
mit Harpunen fifchen will.“ Mufter fol für ihn in biefet 
Beziehung Jeſus fein, von dem gefagt ift: „Jeſus be 
flätigte durch feine Redeweiſe alle die Gigenfdjaften, bie 
wir oben an Perifles gerühmt haben (!). Seine im ftteng: 
ften Sinne attifche Redeform, wofern er nicht nothgebruns 
gen, um einem verbildeten Volke verftändficher zu fein, 
bisweilen bie Metaphern der Schule einfließen laffen mußte, 
war bon jener Gemüthsinnerlichkeit durchdrungen, bie wir 
unter dem Toscanismus und in urfprünglicher Verwandt 
fehaft mit der altjüdifchen Sübjeftivität barftellten.* „Die 
attifche 9tebeform , wie felbe Thucydides gebraucht und 
Salluſt nachgeahmt hat, erlaubt bir in einer halbftündigen 


1) Chryſoſtomus. Gin Oteformplan der Fatholifchen Kanzelber 
rebtfamfeit. Bon S. A. Nüdiſſer. Lindau 1845. unb: ' 

Chryſoſtomus unb bie übrigen berühmteſten Firchlichen Redner 
alter und neuer Zeit 2c. von. Joſeph ug, Priefter. Tübingen 1846 
bei Laupp. 











Zur Homiletik. ^. 541 


Predigt einen Reichthum der fruchtbarften und einbringen: 
ften Gebanfen in der fíarften Ordnung und in ber gebils 
deiften Sprache vorzutragen. Dadurch befriebigft du das 
Publieum, verlängerft den Gotte&bienft nicht über bie Zeit 
unb madft dir dad Memoriren leicht.“ Um aber ſolchen 
Atticismus fid) eigen zu machen, genügt e8 natürlich nicht, 
blos aus Büchern zu fchöpfen.“ „Man muß daher felber 
periodifch größere Reifen machen, und befonders wäre εὖ 
für den Landfeelforger angezeigt, aus bem engen Dunfts 
freife feines Dorfes ober Städtchens periodifch hinauszu⸗ 
treten und feine durch Zimmerftubien gefammelten Anfichten 
und Begriffe an dem ficheren Probirfteine erweiterter Con⸗ 
verfation zu läutern und zu bewähren.“ — Wenn audy 
ſolcher Gallimatbia& der zweiten von den angezeigten Schrifs 
ten fremd ift, fo theilt fie doch auch mit ber erftern bie Sen; 
' beng, ble Reform namentlich ber deutfchen Kanzelberedtfamfeit 
in formeller Beziehung dadurch anbahnen zu helfen, „daß 
wir den claffifchen Styl der Alten uns aneignen“. „Daß 
wir eine Reihe großer kirchlicher Redner im Fatholifchen 
Deutfchland erhalten, bie durch allfeitig claffifche Bildung 
in vollendeter Form die Herrlichkeit unferer Kirche bem 
Bolfe zur Anfchauung bringen, das muß Jeder wünfchen, 
ber e8 mit feiner Kirche wohl meint, und auf ben Modus 
diefer limgeftaltung unferer Sanjelberebtfamfeit bingeroiefen 
zu haben, wird Keiner für unbefcheiden unb anmaßend 
halten“ 2), 

Diefer fdjarfen Betonung ber (orm gegenüber, weldje 
fie fid im Sntereffe der Kirche erlauben zu müffen glauben, 


1) 9i. a. Ὁ. δ. 404. 
2) Ebendaſ. 


542 Zur Homiletif, 


mug mit noch größerer Schärfe bie fundamentale Wahrheit 
ausgefprochen werden, welche ber HI. Auguftin in den Cat 
fleidet:- bag. man den Worten den innern Sinn vorziehen 
müffe, wie bie Seele dem Körper vorgezogen werde 5, 
Demnach tritt in der chriftlichen Beredtfamfeit bie orm 
überall vor der Sache zurüd, und wenn einmal 
ein Prediger biefeó Verhältniß von Form und Inhalt nicht 
. mehr achtet, wenn er hinfichtlich ber Worm biefelbe Aengſt⸗ 
lichfeit an den Tag legt, bie man dem weltlichen 9tebner 
gar nicht verargen fann, fo fällt er aus ber Rolle, benn 
er hat feine ofung vergeffen, die da lautet: non in per- 
suasibilibus verbis hujus mundi, sed in ostensione spiritus 
el virtutis, vetgeffet das große Wort des bl. Auguftinus: 
non sectamur lenocinia rhetorum, sed veritates piscatorum, 
vergeffen den evangelifchen Ausfpruch, daß Durch bie Worts 
weisheit das Kreuz Ehrifti entfräftet wird (1. Cor. 1, 17). 
Wie reimt fid) mit foldden Ausfprüchen der „Atticiömus“, 
wie die vollendete elaffifche Form zufammen, bie neuers 
dings verlangt werden wollen? Man beruft fid) hiebei 
auf bie heiligen Väter, auf einen Auguftinus, auf einen 
Chryſoſtomus. Es ift wahr, bei bem erftern findet fid) 
eine Stelle (wir meinen de doctr. christ. II. c. 40), wo 
ber Gebanfe auégebrüdt ift, wie εἰπῇ die Juden auf götte 
liche Anordnung bei ihrem Auszug aus dem Aegyptenland 
fid) mit den goldenen und filbernen Gefäffen ihrer Dränger 
bereichert hätten, fo könne und folle derjenige, welcher aus 
bem Heidenthume in bie Gemeinfchaft der Chriften uͤber⸗ 
trete, von dort Manches mitbringen, was ihm für feine 
neuen SSerbá(tniffe von Stugen fein könne, nämlich: „freie 


, 1) De catech. rudib. c. 9. 


lli. 





Zur Homileiik. 543 


Künfte, welche der Wahrheit paffenbe Dienfte leiſten können, 
und einige febr nügliche Sittenvorfchriften, ja fogar einige 
wahre Begriffe von der Verehrung eines einzigen Gottes.“ 
Sind nun unter diefen Schägen, bie dem großen Kirchen- 
lehrer zufolge mit hinüber in das chriftliche Lager genommen 
werden fónnen, die Formen einer fophiftifhen Beredtſam⸗ 
feit gemeint, durch welche im Heidenthum ber Lüge das 
Gepráge der Wahrheit gegeben werden wollte? ᾿ Nein 
gewiß nicht, denn was diefen Punkt betrifft, dachte er 
nicht anders als Bafilius b. Gr., welcher in ber 3. 
Homilie über dad Heraämeron fagt: „Niemand vergleiche 
das Einfache unb Ungefünftelte der geiftlichen Reden mit 
dem fpisfindigen Grübeln derjenigen, welche über ben 
Himmel gelehrte Unterſuchungen angeftelft haben, Denn 
[0 weit die Schönheit jüdtiger Sungfrauen 
über die feilen Dirnen erfaben ift, ebenfo weit 
übertreffen auch unfere Reden jene der Heiden. 
Denn dieſe verichaffen ihren Anfichten eine erzwungene 
MWahrfcheinlichkeit; bier aber wird bie Wahrheit ohne Küns 
βείεί vorgetragen.“ Die Anfchauungsweife des heiligen 
Bifchofs erhellt ja aufs Klarfte aus feiner Abhandlung de 
doctrina christiana (cf. IV. 10. 11. 14. 28.), in welcher 
er das (dóne Bild braucht: was ein goldener Schlüffel 
nüge, wenn er nicht aufmache? Dagegen was ed fehabe, 
dag ein Schlüffel von Holz fei, wenn er wirflich öffne? 
Unter dem erftern verftche er eine gefchmüdte unb aufges 
pupte Rede, bie nicht verftanden werde, unter dem legten 
eine folche, bie wegen ihrer Einfachheit und Popularität 
Jedermann zugänglich fei. Im weitern Verlaufe fomunt 
er auf jene Eigenfchaft einer Rede zu fprechen, welche die 
Nhetoren numerus nennen unb warnt Davor, ein zu großes 


544 Zur $omilettf. 


Gewicht darauf zu legen „cavendum est, ne divinis gravi- 
busque sententiis, dum additur numerus, pondus detrahatur.* 
Er führt fobann aud) eine Stelle aus des bI. Goprianue 
Brief an Donatus an, welche fid) durch Wohlflang und 
Numerus auszeichnet, und mucht bie Semerfung, daß bie: 
jenigen, welche an folchen rhetorifchen Künften Gefallen 
finden, glauben, e8 fónne fid) Jemand berfeben nur bann 
entichlagen, wenn er fich auf biefelben nicht verftehe. „OQua- 
propter,^ fährt er bann fort, „iste vir sanctus et posse 
se ostendit- sic dicere, quia alicubi dixit, et nolle, quo- 
niam postmodum nusquam.^ Und im 14. Sapitel (a. a. 
D.) flebt er, Gott möge von feiner Kirche fernhalten ben 
„spumeum verborum ambitum^ unb zeigt, daß bie gefunbe 
chriſtliche Lehre bie SBerebtfamteit von ber Schwulſt zum 
Ernft und zur Einfachheit (modestia) zurüdgeführt: habe. 
Sm 20. Kapitel aber (cbendaf.) bemerft er von dem „grande 
dicendi genus,^ welches von bem chriftlichen Prediger am 
zuwenden fei, daß εὖ fid) nicht ſowohl durch Zierlichfeit 
ber Worte, ale vielmehr durch bie Erregung ſtarker Af⸗ 
fefte auszeichne. „Capit etiam illa ornamenta paene om- 
nia !), sed ea si non habuerit, non requirit. Fertur quippe 
impetu suo et elocutionis pulcritudinem, si occurrerit, vi 
rerum rapit, non cura decoris assumit.  Snébejonbere 
bringt ber Heilige auf bie Berftánblid feit unb fagt, 
biefem Zwede feien alle anderen untergeorbnet, ohnehin 
der Zwed durch fchöne Form zu gefallen. „Evidentiae 
diligens appelitus aliquando negligit verba cultiora: nec 
curat, quid bene sonet, sed quid bene indicet, atque 


1) Sinn: bie erhabene Redeweiſe weiß fid) mit bem Kedeſchmuck 
wohl zu vertragen, aber. . . .. 








a Sur Gomitefif, 545 


intimet, quod ostendere intendit.* Hier führt er aud) ein 
merfwürdiges Beifpiel an, indem er fragt, warum es bem 
Prediger nicht erlaubt fein follte ossum ftatt os zu fagen, 
damit feine Zuhörer nicht an ein Bein denfen, fonbern 
an baé, was gemeint ift, ben Mund 5* Von iin fommt 
ja die befannte Eentenz: vituperent grammatici, dummodo 
intelligant populi.* 

Was ben b. JZoannes Ehryfoftomus betrifft, vers 
fteht εὖ (i) von ſelbſt, bag er nicht umfonft zu ben Fuͤßen 
des Libanius gefeflen, und daß biefer heidnifche Rhetor 
nicht umfonft geklagt, „die Ehriften hätten ihm feinen beften 
Schüler genommen.“ Wollte aber behauptet werden, baf 
ed biefem großen Prediger um bie Form mehr ober aud) 
nur ebenfofehr zu thun gewefen als um bie Sache, fo 
müßten wir dies entfchieden in Abrede ftellen. Die Wahr: 
beit ift, daß bie chriftliche Beredtſamkeit, fo unveränderlich 
fie ihrem Wefen nach ift, [ὁ doch in Beziehung auf die. 
Sotm in ber Regel etwas Wechfelndes, ben Zeitverhälts 
niffen Angepaßtes hat. Wer wollte läugnen, daß an ber 
SBerebtfamfeit des b. Chryſoſtomus Manches ἱβ, das nicht . 
ohne Fehler nachgeahmt werden könnte? Wir haben Hos 
milien von ihm, bie gerade deswegen, weil fie von rheto⸗ 
tifden Künfteleien nicht ganz frei find, weniger Werth 
babet und weniger anfprechen. Aber für alle Zeiten ohne 
Unterfchied wird er als leuchtendes Mufter zur Nachahmung 
auffordern durch feine feltene Deutlichfeit und Popularität, 
durch feinen praftifchen Sinn, durch feine apoftolifche Frei⸗ 
mütbigfeit und durch den Seeleneifer, der in feinen Predigten 
einen fo glänzenden Ausdrud gefunden. Seine Gebanfen 





1) L c. cap. 10. Gewiß weit gegangen. 


546 Sut Homiletik. | 


werben nie fterben in ber Kirche, bie Ginffeibung berfelben 
fann auf folche Auszeichnung nicht in allweg Anſpruch 
machen. Dem 5. Joannes Ehryfoftomus waren übrigens 
die rhetorifchen Yormen, in denen er fid bewegt, wie 
natürlich; fie waren ihm vermöge feiner ganzen Jugend⸗ 
bildung in Saft und Blut übergegangen ; er brauchte, daß 
fie fid) zu feiner Verfügung ftellten, nicht mühfam zu ftu: 
biren. Hätte er nach biefem Gewande feiner Gebanfen 
ängftlich fuchen müflen, er hätte εὖ gewiß nicht gewählt. 
lleberdies war er ein Feuerkopf, bem, wenn er von einer 
"Sache einmal lebhaft ergriffen ift, bie rhetorifchen Figuren 
von felbft zufließen. Was er von den Predigern, welche 
durch fehöne Worm und gefuchten Revefhmud bie Ohren 
der Zuhörer zu figeln und Beifall zu erndten fuchen, unb 
von bem Publifum urtbeilt, welches in der Predigt vor 
Allem nad) Ohrenſchmaus begierig ift, Das entnehmen wir 
am Beßten aus feiner 30. Homilie über: die Apoftels Ge: 
fhichte, wo er fagt: „das bringt den Kirchen den linters 
gang, daß ihr nicht nad) Worten der Serfnírídung und 
Reue verlanget, fondern nach folhen, welche durch ihren 
Klang, durch ihre Stellung und 3ufammenbang eudy er- 
göpen, als ob ihr Sänger und Eitherfpieler hörtet. Lind 
wir find fo falte und armfelige Menſchen, daß wir euren 
Neigungen dienen, ba wir fie befämpfen follten. Wir 
fuden nach fihönen Worten, nad fchönen Zufammens 
fegungen und nad Harmonie ber Sprache, um euch 
zu ergópen, nicht um euch zu nügen, nicht um eud 
zu unterrichten; um euch zu unterhalten, nicht um Buße 
bei eud) zu erweden; um mit eurem lauten DBeifalle 
wegzugehen, nicht um eure Sitten zu bilden. Wir 
verfahren dabei, wie wenn ein Water. feinem weld; 








Zur Homiletik. 541 


lichen, franfen Söhnchen einen Falten Kuchen reicht unb 
Anderes, was biefen blos ergögt, aber auf das Nuͤtzliche 
feine Sorgfalt verwendet und dann, von den Nerzten 
darüber gefcholten, zur Entfchuldigung fagen will: was foll 
id? ich kann den Knaben nicht weinen fehen. — Gieuber, 
Unglüdlicher, Verraͤther! Einen folchen möchte ich feinen 
Pater nennen. Wäre es nicht weit bejfer, er ließe feinen 
Sohn eine furze Zeit trauern, ftellte ihn aber wieder ganz 
her, al8 daß bie ſchnell vergängliche Willfährigfeit bie 
Urfache fteter Traurigkeit wird? Das thun auch wir, indem 
wir vergeblich nad) einer gefmüdten Rede unb nach Har⸗ 
monie und Wohlklang fuden .... Das Lärmen (ἐδ ift 
das Beifallflatichen der Zuhörer gemeint) gehört für das 
Theater, für bie 9Babeanftalten, für bie öffentlichen Aufs 
gige, für ben Marft; wo aber folche Reden vorgetragen 
werden, muß Friede, Ruhe und Stille fein. Dies recht 
zu bebenfen, bitte ich euch alle; venn aud) id) ſelbſt gebe 
mir ale Mühe, bie Mittel zu finden, durch welche ich 
euren Seelen am Meiften nügen fann. And ein nidyt 
unbedeutendes Mittel feheint mir biefeó zu fein, nicht allein 
euch, fondern auch uns zu nügen. So werden auch wir 
felbft uns nicht zum Dünfel und dahin verleiten laffen,, « 
Lob und Ehre zu lieben; unb fo werben wir nicht reden, - 
was zur linterba(tung bient, fondern was nügt und werben 
den ganzen Verlauf der Zeit nicht auf. 3ujammenfegung 
und Schönheit der Redensarten, fondern auf die Kraft 
der Gedanken verwenden. Deshalb werfen und auch bie 
Heiden vor, daß wir Alles zum Prunfen und Glänzen 
tbun.« — Aus diefer höchſt belehrenden Stelle des berebtes 
ften aller griechifchen Väter könnte Einer die Behauptung 
zu begründen fuchen, daß berfelbe wirklich bem „Atticis⸗ 
S eof. Quartalſchrift. 1850. IV. ‚Heft. 36 





548 Zur Gemiletif. 


mus“ ergeben gewefen. Aber wenn die Worte fo premirt 
werden, in welchen er von (id) fagt, daß er nad) fchönen 
Ausprüden unb Jufammenfegungen, nad Harmonie bet 
Sprache fude, warum überfieht man, daß er an eben 
biefer Stelle einen Vorwurf gegen fib, eine Selbftanffage 
erhebt? Indeſſen glaubten wir für unfern Theil die Ehre 
furcht gegen ein fo großes Kirchenlicht zu verlegen, wenn 
. wir bie ganze Stelle nicht als einen Ausdrud der tiefen 
Demuth des Heiligen, als eine offene Darlegung ber 
Berfuchungen betrachten würben, mit welchen er zu kaͤmpfen 
hatte. Das iff ganz fo, wie wenn ber D. Gregor von 
Nazianz, ber in feiner Abſchieds⸗-Rede der Gemeinde von 
Gonftantinopel über ihren Hang zu glänzenden und prunte 
vollen Vorträgen ftarfe Wahrheiten fagt unb fie freimüthig 
tadelt, daß fie nicht Briefter, fonbern Redekünſtler (οὐχ 
ἱερεῖς, ἀλλὰ ῥήτορας) fuchen, fie felber fo entfchuldigt: 
„Wir felbft haben fie fo verzogen; wir wollten Allen Alles 
werden — ich weiß felbft nicht, mehr um Alle zu retten 
oder um Alle zu verberben !). 

Gà ift feine unnótbige Arbeit, bie SBerebtfamfeit eines 
b. Chryſoſtomus mit ber eines Demofthenes zu vergleichen; 
. aber über der Einheit vergeife man ja nicht ben Unterfchieb. 
Man will finden, daß ber blofe Lefer ber Predigten von 
Chryſoſtomus nicht wohl verfucht fei, ibm ben ganz außer; 
ordentlichen Beifall zu zollen, ber ibm von feinen Zuhörern 
gefpendet worden. Das fei aber auch nicht zu verwundern, 
weil, ba wir feine Homilien blos lefen, unfer Urtheil nicht 
„beitochen (!)“ werde „durch feine SBerfónficbfeit, durch ein 
Aeußeres, wo etwa jeder Gefichtezug ausdrucksvoll, jebe 
Bewegung fchön, wo das Auge funfelnd oder milde zum 


1) Orat. 32. pag. 510 sqq. 














Sur Homiletik. 549 


voraus fehon des Sieges gewiß ift,“ wir hören nicht etwa 
eine helle, biegjame, ftarke, an Lieblichkeit Alles übertreffende 
Stimme, nod) fehen wir eine Aktion, bie dem SBortrage 
angemeffen if“). So fónnte man, báudyt ung, wohl von 
einem weltlichen Redner fprechen, nicht aber von einem ἢ 
Lehrer der Kirche, welcher vom Geifte Gottes angewebt ift. 
Warum berichten und bie Biographien des Heiligen nichts 
von feiner Aktion und Deffamation ?)? Ohne Zweifel 
deswegen, weil fie der ganz richtigen Meinung gewefen, 
bei einem folchen Manne fei das Alles Nebenfache gegen- 
über von bem „Erweife des Geiftes und ber Kraft,“ welchen 
bie Predigt eines apoftolifchen Mannes kennzeichnen müfle. 
Alſo von bem Zauber feiner Stimme reden feine Biographen 
nicht, wohl aber erzählen fie: „Wenn Ehrpfoftomus mit 
vieler Mühe feine Reden ausgearbeitet hatte, banfte er 
bem ἢ. Paulus, feinem Vorbilde, wie feinem Schugengel, 
bot fie ibm an und fagte: nimm bie Arbeit, ift fie deiner 
Gnade würdig, fo banfe id) Gott; wo nicht, fo verzeibe 
mir“ 3). Darf man demnach, ohne in bie größte Einfeitigkeit 
zu verfallen, blos die natürlichen Agentien der Bes 
rebtfamfeit eines Kirchenvaters in Rechnung bringen, 
ohne ber höhern Kräfte zu gebenfen, welche über feine 
Bemühungen den befruchtenden Thau ergofien. „Was 
follte die Predigt helfen, wenn fie nicht mit dem Gebete 
verbunden wird? Erft das Gebet, dann das Wort, fo 
wollen es bie Apoftel“ *). — Das war der Grundfag beó 
Heiligen, von bem die 9tebe, und gewiß fuchen wir ver- 


1) 2u&, Chryſ. &. 229. 

2) Gbenbaf. &. 395. 

3) Gbenbaf. ©. 228. 

4) Homil. 3. de incomprehensib. Dei. 


36° 


550 Sut omiletif. 


geblich nad) einem großen Redner, ber nicht von ifm ganz 
unb gar durchdrungen gewefen, die berühmten franzöftfchen 
Prediger unter Ludwig XIV. nicht ausgenommen. „Das 
Herz verfchaffet uns weit mehr Worte, ald das Gedaͤcht⸗ 
nig; ja e8 hat fogar eine Sprache, welche diefem unbekannt 
ift. Ein beiliger Briefter, bem bie Ehre Gottes und bae 
Heil ver ihm anvertrauten Seelen am Herzen liegt, findet 
in der Lebhaftigfeit feines Eifer und in bem Leberflufie 
feines Herzens Ausdrüde, bie von dem hi. Geifte, ber ein 
Geift ber Liebe und des Lichtes ift, herrühren und taufenbs 
mal gefchidter find, einen Eindrud auf die Sünder zu 
machen, und fie wiederum auf den rechten Weg zu bringen, 
als alle diejenigen, bie ein mühfames Nachvenfen unb die 
nichtige Kunft ber menfchlichen SBerebt(amfeit verfchaffen 
fann. Saget alfo nicht mebr,.eó mangle euch an ber 
Geídjidtid)feit (zum Predigen). Wir verlangen keineswegs 
die Geſchicklichkeit eines 9üebner8 von euch, fondern bie 
Gefdidiidfeit eines Vaters. Und was für eine Geſchick⸗ 
lichkeit bat wohl ein Water, wenn er mit feinen Sinbern 
. reden will, fonft nótbig, als die Gefchidlichkeit feiner Liebe 
zu ihnen unb bie Gefchidlichkeit des Verlangens, fid) ihnen 
nüglich zu ermeifen )? Go dachte und urtheilte derjenige 
unter ben berühmten Bredigern zur Zeit Ludwigs XIV., 
welchem wir, um feiner Gewalt auf die Gemüther zu wirken, 
ben erften Platz unter benfelben einräumen möchten. Glaubt 
man benn vielleicht ein Lob auszufprechen, wenn man fagt: 
„Um vollendeter Redner zu werden, mühte fid) ein Flechier 
mit der größten Anftrengung ab, fein minder gutes Organ 
durch paffenbe Auswahl ber Worte und prächtigen Perioden⸗ 
bau zu erfegen?* Aber wir glauben nicht, daß e8 fo geweſen, 


1) Aus ben Synodalreden Maſſillon's. 














Zur Homiletik. 551 


weil auf folche Weife durch das Zufammenfuchen wohl: 
Hingender Worte und fdón gerundeter Perioden nod) 
feine einzige große Rede entftanden. Der Strom 
heiliger SBegeifterung muß ben Prediger erfaffen und mit 
fi) fortreißen; ie. Weile. fommt nach, taugt aber auch 
nachher nichts, wenn fie zu ängftlicy angelegt iſt. Zwifchen 
‚einem Rebner, der glänzen will, und einem Diener Sefu 
Ehrifti und Augfpender feiner Geheimniffe ift ein himmel⸗ 
weiter Unterfchied. „Eine troftlofe Wittwe,“ fagt Fenelon, 
„trägt Fein Trauerfleid mit vieler Stiderei und mit einer 
Menge von Bändern. Ebenfo wenig foll aud) ein apo» 
ftolifcher Mifftonair aus dem Worte Gottes ein Wort voll 
eiteln Prunkes und gefünftelter Zierrathen machen.“ „Se 
mehr ein SDeffamator ὦ Mühe gäbe, mich durch bie 
Sauberbilber feiner Rede zu verblenden, befto mehr würde . 
er mid) gegen feine Eitelfeit empéren: fein Beftreben, bie 
öffentliche Bewunderung auf fi) zu ziehen, würde ihn in 
meinen Augen gerade aller Bewunderung unwuͤrdig mae 
dent .... Gin biumenreicher Deklamator entfräftet bie 
größten Wahrheiten burd) eine eitle, zu gezierte Wendung. 
Der wahre Redner hingegen fdmüdt feine Rede nur mit 
lichten Wahrheiten, mit edlen Gebanfen, mit ftarfen und 
dem, was er fühlbar machen will, angemefienen Ausbrüden. 
. Er denkt, er fühlt und das Wort folgt! Er hängt nicht 
von ben Worten ab, fondern bie Worte bangen von ihm 
ab“), So unterrichtend und anziehend demnach Manches 
ift, was uns in der Echrift, „Ehryfoftomus“ dargeboten 
wird, und fo viele Anerfennung aud) bie darin an ber 

1) Aus einem Briefe Fenelon's an den Sefretair der franzöf. Afas 


bemle, enthalten in bem Buche „des Erzbifchofs Fenelon Gefpräche über 
die SBerebtfamieit", überjegt von Schaul, 


552 Zur Homiletik. 


Tag gelegte ausgehreitete SBefanntfdjaft mit den großen 
Rednern des Altertbums wie der neueren Zeiten ift, fo 
verdient bod) das darin entfchiedenen Tadel, daß ber Geift 
der chriftlichen SBerebtfamfeit in feinem fpeeififchen Unterſchiede 
von ber antífeir und profanen nicht vollftändig erfaßt ijt, 
und fo manche hoͤchſt mißverftändliche Andeutungen gegeben 
werben, welche blos ben Geift ber Gitelfeit und Ruhmſucht 
in jungen Predigern zu nähren geneigt find. 

Um noch einmal auf Ehryfoftomus zurüdzufommen, 
deffen Homilien ut ganz bejonberá als Beleg anführt, 
daß bie rechte Kanzelberentfamfeit auf bie claſſiſche Form 
jurüdfommen müfle, fo finden wir εὖ bei ibm nicht anders, 
als bei allen chriftlichen NRednern ohne Ausnahme, daß 
ihm bie Sache immer über bie orm ging, und baf et 
von ber Sunft nur mäßigen Gebraud) machte, während 
er fi gern jenen rhetorifchen Wendungen und Formen 
bingab, welche ber Herzensfprache natürlich find. Auch 
finden wir die Hindeutung, daß ihm zu feiner rebnerifchen 
Bildung bie äußern Berhältniffe von Gon(tantinopel einen 
vorzüglichen Dienft geleiftet hätten, unangemeffen; das 
von einem ἢ. Eifer erglühte Herz des Heiligen hätte fid 
überall, aud) im fleinften Dorfe in berebtem Zeugniffe für 
‘die Sache des Herrn geoffenbart, nur bie Form feiner 
Beredtfamfeit wäre eine anberegemorben; obwohl 
man fagen muß, fein Streben nad) Deutlichfeit und Pos 
pularität ift fo groß geweien, daß man ibn überall ver: 
ftanden bátte. Was ihm, ale er von ber erften. Predigt 
weg bit Kanzel verließ, ein gutmüthiges Weib fagte: Deis 
liger Bater, predige in Zukunft fo, daß ich e8 auch vers 
ftehe — das vergaß er nie wieder. Lu glaubt ihn wegen 
mancher Sehler und Mängel in der Darftellung tabeln zu 








Sur Homiletif, ] 553 


müfen, er habe fid) oft zu weit heruntergelaffen und brat. 
Mag fein, er hielt eben wie jeder chriftliche Prediger an 
bem Girunbíage: utilitas sumffna lex esto! Und im llebrigen 
liegt gerade in den vielen Mängeln ber Darftellung, welche 
fid in feinen Homilien finden, ber ffarfte Beweis, daß 
ihm bie Form das lintergeotbnete gewefen. Und fomit 
bürfte fid) herausftelen, daß auch der f. Joannes Chry⸗ 
fotomus nicht ausgenommen ift, wenn der mit ben Vätern 
fo vertraute Weiffenbach über ihre Previgtweife ganz 
allgemein das Urtheit fällt: 1) Man wird bei den meiften 
Vätern vergeblich nach attifcher Weinheit und römifcher 
Reinheit fuchen, fie befolgen lieber bie Worte des Apoftele: 
meine Rede und meine Predigt beftanben nicht in überrebenben 
Worten menfchlicher Weisheit, fonbern in Erweifung dee 
Beiftes unb der Kraft.“ — Um auch nod) ein Wort von 
ben berühmten franzöfifhen Predigern unter Lubds 
wig XIV. zu fagen, bemerfen wir, daß ihre Stellung eine 
fo eigenthümliche war, daß fie mit bem gewöhnlichen Maas» 
Nabe nicht gemeffen werden können. Der Ctanbpunft ber 
Bildung, auf welchem ber Hof ftanb, mußte berüdfichtigt 
werden, entmeber fo, daß gezeigt wurde, bie chriftliche 
Anfhauungsweife bemme ben Flug der Gedanken nicht, 
fondern berge eine fole Fülle von Geift, daß alle Geifts 
reichigfeit des Unglaubens davor erblaffe, ober fo, daß der 
Eleganz ber Bildung die chriftlichen S been in großartiger 
Einfachheit, gleichfam in bem erhabenen Reize ihrer Nackt⸗ 
beit entgegengeftellt wurben. Beide Wege find wirflich 
betreten worden; welcher mit größerem Erfolge ift. zweifel⸗ 
Daft. So viel ift aber gewiß, wo jene Prediger die Seele 
in ben tiefften Tiefen erfehüttern, ba bedienen fie fid jenes 
grande genus dicendi, welches der b. Auguftin fo treffend 


554 Zur Homiletik. 


fchildert, und beffen Charakter erhabene Einfachheit mit 
Verfehmähung des Redeſchmuckes ift, weswegen ed aus 
ber b. Schrift, befonberó aus den prophetifchen Büchern 
und den Briefen des Db. Paulus beffer erlernt: wird, ale 
aus den Schriften des claffifchen Altertbums. — Und wenn 
fie alfo fprachen, dann rigen fie bin, beſonders Maflillon, 
von bem ug felber fagt: „Um Vortrag, um Redefchmud 
fümmerte er fid) wenig, es lag ihm blos daran, mit Ein: 
fachheit, Würde und Galbung zu reden, dann mochte die 
Wirkung feiner Predigten fein, daß bie Kritif verftummte, 
oder aus ber Bruft des Königs fid) ein Wort loswand, 
wie er e8 εἰπῇ zu Maffilon gefprochen: „fonft wohl war 
id) mit ben Predigern zufrieden, bie ich hörte, feitbem ich 
aber Sie höre, bin ich mit mir felbft unzufrieden.“ Seien 
wir aber überzeugt, daß biefe großen Männer bie Schwierig. 
feit ihrer Stellung recht wohl begriffen und daß bie aft 
ihrer Berantwortlichfeit oft fehwer auf ihnen lag. „Wir 
felbft mildern auf ber Kanzel,“ ruft; Maffilon in wehmuths⸗ 
vollem Zone aus, „die Strenge ber heiligen Gebote burd 
menfchliche Einfälle, fcheuen zu beftreiten, was wir be 
ftreiten follten; unter dem Vorwande nicht ganz gegen bie 
Wahrheit einzunehmen, zeigen wir die Wahrheit in einer 
ganz unfenntlichen Geftalt.4 „Laſſet ihr Redner,“ ermahnt 
Doffuet, „auf euere heilige Reden den Balfam ber From: 
migfeit und ftatt jener Spipfindigfeiten bie lebhafte majer 
ftärifche Ginfalt, bie fügen Verheißungen und bie Galbung 
des Evangeliums fallen.“ -— Diefer Mahnung fam ber 
Miffionär Bridaine in ausgezeichneter Weife nach, bet 
vor ber böchften Gefellfchaft der Hauptſtadt eine Predigt 
einmal alfo begann: „In Betracht eines für mich fo neuen 
Publikums folte ich, meine Brüder, wie es -fcheint, ben 








Zur Homiletik. 555 


Mund nur öffnen, um euch um Nachſicht zu bitten zu 
Gunften εἰπε armen Mifltonärs, der entblöst ift von 
jenen Talenten, bie ihr verlanget, wenn man Gud) von 
Eurem Seelenheil fprechen will. Sch bin jebod) heute 
ganz anders geftimmt, und wenn ich gebemütfigt bin, fo 
hütet euch, zu glauben, bag ich mid) zu ben efenben Bes 
' unrubigungen ber Eitelfeit erniedrigen [afje. Möge Gott 
4 verbüten, daß ein Diener des Himmels je einer Entjchuls . 
digung bei Euch zu bebürfen benfe! Denn wer Ihr aud) 
fein möget, Ihr feid, was ich, Sünder. Bor Euerem 
Gott und dem meinigen fühle id) mich gebrungen in biefem 
Augenblide an meine Bruft zu jagen. — Bis daher 
babe ich bie Gerichte des Allerhöchften in Kirchen, wit 
Stroh bebedt, verfünbet; ich habe bie Strenge ber Buße 
Unglüdlichen geprebigt, bie fein Brod hatten, id) habe 
ben guten Bewohnern des Landes bie erfehredendften Wahrs 
heiten meiner Religion -verfünbet. Was habe ich gethan, 
ich Ungluͤcklicher! Sd habe bie Armen betrübt, bie beften 
Sreunde meines Gottes; ich habe ben Schreden unb ben 
Schmerz in biefe einfachen und treuen Seelen getragen, 
bie ich hätte bemitleiden und tröften follen. —- Hier dagegen 
fallen meine Blide nur auf Große, auf Reiche, auf Unters 
drüder ber [eibenben Menfchheit oder verwegene unb pere 
härtete Sünder; adj! hier allein ift es, wo ich das heilige 
Wort in ber ganzen Sraft feined Donners erfchallen laffen, 
und neben mich auf biefe Kanzel einerfeitS den Tod mite 
nehmen follte, der uns droht, anbrerfeit meinen großen 
Gott, ber Euch richten wird. Sch halte heute Euren 
Urtheilsfpruch in der Hand; zittert alfo vor mir, ſtolze 
und übermüthige Menfihen, bie Ihr mich hoͤret! Die 
Rothwendigkeit des Heiles, bie Gewißheit des Todes, bie 


- 


556 Zur Homileiik. 


Ungewißheit biefer für Euch fo fchredlichen Stunde, die 
enblide Unbußfertigfeit, das legte Gericht, bie fleine Zahl 
ber Auserwählten, die Hölle und dazu die ganze Ewig- 
feit — die Ewigkeit! febet hier bie Gegenftände, von denen 
ἰῷ Euch unterhalten will, und die ich ohne Zweifel für 
(ud) allein hätte auffparen follen. Und was habe id 
Euren Beifall nothwendig, ber mich vielleicht verbammen 
würde ohne Euch zu retten? Gott wird Euch erjdyüttern, 
während fein Diener zu euch fprechen wird, denn ich habe 
feine Barmherzigfeit erfahren. Alsdann, durchbrungen von 
Gdreden wegen Eurer begangenen Ungerechtigfeiten, werdet 
Sbr Euch in meine Arme werfen, Thränen ber Jerknir⸗ 
fhung und Reue vergießend, und in folge von Gewiſſens⸗ 
biffen werdet Ihr auch mich hinlänglich berebt finden.“ 
Welche Erhabenheit, einzig eingegeben durch das Bewußt⸗ 
fein apoftolifcher Sendung. Ban ftebt, es gibt eine Ein 
fachheit, welche mit der Würde ibentifd ift. — 

Den Atticismus als die von den heutigen S3rebigern 
anzuftrebende Form ber Verkündigung des göttlichen Wortes 
betrachten, heißt aber nicht b[o8 ben Charakter ber drift 
lichen Predigt: überhaupt (al6 welche fi ble ihrem Inhalte 
entfprechende Form von felbft fdjaffen muß), ſondern na 
mentlich bie Bebürfniffe ber Gegenwartverfennen, 
welche offenbar faft mehr, als je fonft ber Fall gemefen, 
eine durch Gemeinverftindlichfeit und Acht volfsthümliches 
Weſen auf bie Maffen berechnete Bereptfamfeit fordert. 
Sie find ja leider bem Ehriftenthume verloren gegangen 
oder es bieten wenigftens die Mächte ber Kinfternig Allem 
auf, um fie unwiederbringlich von Chriftus abzufehren; 
fie alfo müffen wieder gewonnen werben, und baé wird 
gefchehen, wie die zu Würzburg verfammelten Väter fid) 








Zur Somifetif. 557 


ausfprechen, „nicht mit eitlem Wortgepränge, fonbern mit 
ber Kraft ber Wahrheit und der Wärme der Ueberzeugung 
in der Sprache ber δ. Schrift, im Geifte ber Kirchenväter 
und nad bem Borbilde eines Chryfoftomus, eines Aus 
guftinue, Bernardus und fo vieler Meifter der chriftlichen 
SBerebtjamfeit.* Lug meint, es liege in der nämlichen Rich» 
tung, bie Glaffifer der Griechen und Römer und die 
Kirchennäter nachzuahmen; fo wefentlich aber heibnifche 
und chriftfiche Kunft von einander verfchieden, ebenfo groß 
muß ber Unterſchied zwifchen antifer und chriftlicher Bes 
redtfamfeit gedacht werden. Auch bier gilt, bag Allee. 
feine Zeit bat; ber junge .Studirende muß bie vollendeten 
Formen des antifen Heidenthums fennen lernen, es ift 
dies für ibn eine treffliche Geiftesgumnaftif, und namentlich 
wird er durd fie von ber Gefchmadtofigfeit erlöst, bie fid) 
mit feiner Art von Beredtfamfeit verträgt. If er aber 
geiftig  erftarft, fo muß feine Nahrung fein die heilige 
Schrift und ihre Auslegung in den Schriften der Väter. 

Hohe Beachtung verdient von allen Predigern des 5. 
Alphonfus Schreiben an einen befreundeten. Ordensgeiftlichen, 
„worin der Verfaffer darüber handelt, wie man auf apos 
ftolifche Weife einfach und mit Vermeidung des erhabenen 
und verblümten Styled predigen müfle.“ In biefem bis 
zur Größe einer Abhandlung angemwachfenen Briefe, in 
welchem bie Firchlichen Auftoritäten maffenhaft benuͤtzt find, 
fämpft er gegen bie Behauptung, daß man fid in ber 
Predigt nicht zu einer durchaus populären Ausprudsweife 
Berunterfaffen, fouberm in einem höhern Style bewegen 
folle, „weil bie Gebildeten unter den Zuhörern mehr Rüd; 
fit verdienen, als bie llnmiffenben, und ein fo ausge: 
fprochenes Sichherablaflen zum Bolfe ber Würde ber Kanzel 


558 Zur Homiletik. 


entgegen wäre unb das Wort Gottes berabfepen würde.“ 
Zuerft beruft er fid) auf die befannten Ausfprüche der 5. 
Schrift, bie dagegen ftreiten, bann führt er gegen feinen 
Gegner, einen gewiflen Gelehrten, defien Rame in dem 
Schreiben nicht genannt ift, den getwichtigen Namen eines 
Muratori in den Kampf, ber ein Büchlein von ber 
populären 3Berebtfamfeit gefdbrieben. Aus diefem führt er 
bie fdjlagenbften Stellen an, in welchen ber große italienifche 
Gelehrte feine Meinung dahin abgibt, daß bie Prediger 
der populären SBerebtjamfeit vor ber erhabenen ben Borzug 
geben follen, auch wenn fie in Städten prebigen. Dieſe 
nämlich charakterifirt er fo, daß fie [Ὁ mit vieler theologiſcher 
Wiffenfchaft, mit geiftreichen Bemerkungen, fcharffinnigen 
Ausihmüdungen, prachtvollen Amplificationen , einem ers 
habenen Style, abgerundeten SBerioben, häufiger Anwendung 
ber Tropen und Figuren, fury mit alf bem befaffe, befjen 
fid) bie alten heidnifchen Redner zu bedienen pflegten, — 
„aber das Alles (inb Auszierungen und Spielereien, weld 
die Schönheit und Würde des Wortes Gottes erftiden.“ 
Die populäre Beredtfamfeit dagegen erfennt er darin, baf 
fi bie Verwalter der göttlichen Geheimniffe zum Ber: 
ftändniffe des Volkes herablaflen und zu bemfelben auf eine 
Weiſe reden, bag Jedermann fie leicht verftehen fan. Und 
zu einer folchen gemeinverftänblichen unb fib zur Faſſungs⸗ 
fraft des Volkes herablaffenden Redeweiſe [εἰ der Prediger 
nach Röm. 1, 14. verpflichtet, denn wenn er vor einem 
Publikum, das jedenfalls zu zwei Drittheilen aus linge 
bildeten beftehe, erhabene Dinge vortrage, fo fättige ef 
nur Wenige, laffe aber ben größten Theil feiner Zuhörer 
hungrig von bannen gehen. Im Uebrigen werde, hofft 
er, bie populäre Kanzelberedtfamfeit aud) ben @ebildeten 











Zur Homiletik. 559 


πάθει und gefallen; man miüfje alfo eine SSerebtfamteit 
anwenden, bie Allen zum Segen gereiche, Gebilbeten und 
Unwiffenden, und dazu werde mehr Geift erfordert, als 
wenn man nur den Glebifbeten zu niüpen und ihnen allein 
zu gefallen fuhe. Es fei feine Rede davon, daß 
bie populäre Serebtfamfeit ber Rhetorif ente 
bebren fónne, nein fie bebürfe berfelben, aber 
nicht um bie Predigt mit Phraſen anzufüllen, 
fondern bamit man lerne, wie man ben Zuhörer 
überzeugen und rühren fónne. Gelbft den Zwed 
der Grgógung des Gieifteó, welchen man ber Predigt neben 
denen der Bewegung des Willens und der Belehrung 
vorfeße, ignorire bie populäre SBerebtfamfeit nicht, wenn 
man ibn nicht fälfchlich in den fchönen Schmud ber Rebe, 
in die geiftreichen Bemerfungen, in die zierlichen Perioden 
und ähnliche Sunftgriffe, fondern wie e8 fid ziemt, in 
jenes geiftige Vergnügen fee, welches aus dem Anhören 
einer auf Herz und Willen voirfenben Predigt von felber 
entfpringt. Als Mufter einer folchen gemeinfaßlichen und 
volfsthümlichen Beredtſamkeit ftelt er dann vie heiligen 
Baſilius, Auguſtinus und inébefonbere Ehryfoftomus auf, 
während er ben hi. Petrus Chryfologus tabeít, weil fein 
Streben zu fefr darauf gerichtet gewefen, durch Gegenſaͤtze 
und geiftreiche Betrachtungen einen zierlidhen Styl zu ete 
langen. Der Figuren, meint biefer Gelehrte, müſſe fid) 
der Prediger allerdings „bedienen, aber fie folen zweckmaͤßig 
und ber Kaflungs»s Kraft der gemeinen Leute angemefjen 
fein, wie dies beim ἢ. Auguflinus ber Fall gewefen, ber 
ganz vertraulich zum Volke gefprochen, fid kurzer Säge 
bebient, oft fragweife geredet und überhaupt bie leichts 
faßlichften Figuren angewendet habe, Auf Muratori aber, 


560 Zur $omiletif, 


ben er um feiner von Riemand beftrittenen Auctorität willen 
bejonberó nachdruckſam hbervorhebt, läßt er dann eine Reihe - 
von gewichtigen Gewährsmännern folgen, deren Urtheile 
er zur Befräftigung des von ihm vertfeibigten Satzes am 
führt, daß der Prediger gefuchte Erhabenheit ber Gedanken 
und bie zu große Zierlichfeit des Ausdrucks vermeiden miüfft. 
Um der Wichtigkeit der Sache willen fann ich mir nicht 
verfagen, einige diefer Urtheile anzuführen. Natalie 
Alerander mad über den Gert 1. Gor. 2, 1, bit 
Bemerkung: „Es ift nicht zu verwundern, daß die Predigten 
Sener, welche auf nichte Anderes bedacht find, als fie 
mit wohltlingenden Worten und fpigfinbigen Gebanfen aut 
zufhmüden, ohne alle Frucht bleiben; denn wer es [ 
macht, ber weiß nichts von bem gefreugigten Jefus, indem 
er academifche Redner zu feinem Mufter wählt.“ Der b. 
Philippus Neri, Stifter ber Oratorianer Congregation, 
erhob εὖ für biefe zum Gefeg, nur Nügliches und leicht 
Verſtaͤndliches von ber Kanzel vorgutragen, unb wenn ihm 
Einer feiner Untergebenen biefem Gebote entgegenbanbelte, 
fo befahl er ihm von ber Kanzel zu fleigen, wäre er aud) 
mitten in ber SBrebigt gemefen. Der große Thomas 
von Aquin pflegte zu fagen, bie Sprache des Predigers 
müfje fo Far fein, bag fie auch bem befchränfteften Ber 
flanbe zugänglich fei; und was er in diefer Beziehung von 
Andern verlangte, übte er felbft, indem er im Predigen 
bem fuge feines hohen Geiftes Einhalt that und Solches 
vorbrachte, was die Herzen zu entflammen geeignet war. 
Der 5. Binzenz von Paul prebigte nicht nur felbft ſehr 
einfäch, fondern verlangte diefe Predigtweife auch dringend 
von ben Seinigen. Comelius a Lapide (in Luc. 6, 26.) 
bemerft, daß ble Brediger, welche in gefuchter Weife pre 


Sut Somiletif. 561 


bígen, (i ſchwer verfündigen, weil fie ihr hohes Amt 
zu Erlangung eigener Ehre mißbrauchen und das Heil ber 
ihnen anvertrauten Seelen geradezu hindern, bie fid) bes 
fehren würden, wenn man ihnen das Wort Gottes auf 
apoftolifche Weife predigte. Von dem großen Diener Gottes, 
bem b. Franz von Sales, führt er folgende Worte 
aus einem Briefe beffelben an eine Gdywefter des Ordens 
von der Heimfuchung an: „Sch habe am Ehrifttage in der 
Kapuzinerkirche in Gegenwart der Königin gepredigt ; ich 
verfichere Sie aber, daß ich vor all diefen Fürften unb 
Bürftinnen nicht befler prebigte, als in unferer Fleinen 
ärmlichen Kirche von Anneey.“ Deswegen urtheilte auch 
die Frau von Montpenfier von ihm: Die Anderen ſchweben 
mit ihren Reden bis in die Luft empor, ber Bifchof von 
Genf läßt (id) dagegen bis auf die Erde herab, um feiner 
Leute habhaft zu werden.“ Liguori führt in dem belobten 
Schreiben aud) ben befannten Zug aus bem eben Tauler's 
an, ber Anfangs in erhabenem Style prebigte, fpäter aber, 
da er durch eine llnterrebung mit einem Bettler, den ihm 
Gott zu feinem Führer gefendet, zu einem pollfommeneren 
Leben bewegt worden war, und mehrere Jahre gar nicht 
gepredigt hatte, hierauf, als er dem Berlangen des Beits 
lers nachgebend bie Kanzel wieder beftieg, feinen erhabenen 
Styl in einen ganz populären umgewandelt hatte. Noch 
ein anderes recht fprechendes Faktum mag bier angeführt 
werden. Als ber Zefuit Franz Regis in Buy bie Mifs 
fion gab, hielt ein anderer Prediger in ber Doms Kirche 
bie Baftenpredigten; diefer wunderte fih, wie man ibn 
verlaffen könne, um jenen armen und unmwiffenden Mifftonär 
anzuhören. Deshalb begab er (id) zu bem Provincial der 
Sefuiten und fagte: der Pater Regis mag immerhin ein 


562 Zur Homiletik. 4 


Heiliger fein, aber feine Art zu prebigen ziemt fid) nicht 
für die Würde ber Kanzel; feine Sprache ift. fo gemein, 
und was er fagt, fo trivial, daß er fein heiliges Amt 
wirklich entebrt. Der Brovincial antwortete: ehe wir ihn 
verurtheilen, wollen wir beide feiner Predigt anmohnen. 
Nun wurde aber ber Brovincial von ber Kraft, womit 
ber Heilige bie Wahrheiten des Evangeliums darlegte, fo 
ergriffen, daß er während ber ganzen Predigt nicht auf 
hörte zu weinen. Beim Herausgehen aus der Kirche wandte 
er fid) an feinen Gefährten und fprach: Wollte Gott, mein 
Bater, daß alle Prediger eine foldye Sprache führten! 
Laffen wir ihn immerhin in feiner apoftolifihen Einfachheit 
fortprebigen, bier ift ber Singer Gottes! Auch jener Pre 
diger war fo ergriffen, daß er ftatt ben Heiligen zu tabeln, 
ihm je&t das verdiente Lob nicht mehr verfagte.“ 

Am vollftánbigften und georbnet(ten aber finden wir bie 
Firchlichen Bingerzeige und Vorfchriften, nach welchen fid) der 
Homilet (und nicht weniger der Homiletifer) zu richten Dat, 
“in den „instructiones praedicationis. verbi Dei“ zuſammen⸗- 
geftellt, welche nad) Verabredung ber auf bem dritten Pro- 
vincial⸗Concil zu Mailand verfammelt gewefenen Bifchöfe 
auf Befehl des ἢ. Karl Borromäus, Erzbifchofs von Mai- 
land, ald Norm für die Verwaltung des Firchlichen Lehr: 
amtes allen Predigern ber Provinz Mailand zugegangen. 
Sie find in bem von Baftor Dr. Weſthoff wieder neu 
aufgelegten Werfe: „S. Caroli Borromaei S. R. E. Cardi- 
nalis et Archiepiscopi Mediolanensis Pastorum instructiones 
el epistolae (Deiters in Münfter) abgebrudt zu finden, 
unb müffen jedem Seelforger dringend empfohlen werben, 
denn fie find nichts mehr und nichts weniger als eine 
vollfländige praftifhe Homiletik. Der erfte Titel 


Sur Gomilettt. 563 


diefer insiructiones praedicationis verbi divini handelt von 
ben Berfonen, welchen das Predigtamt obliegt. Der 
Biſchof fleht bier voran, wie ja auch die Beftimmungen 
der Synode von Trient befagen, und wenn es ihm vermöge 
feiner übrigen Laft von Gefchäften nicht möglich it zu 
predigen, fo foll er wenigften8 nach alt apoftolifchem Brauch 
von Zeit zu Zeit Hirtenfchreiben an feine Gläubigen ers 
lafien und Sorge tragen, daß nur tüchtige Priefter und 
Diafonen (melde lestere nicht zu jung fein follen) mit 
dem PBredigtamte betraut werben. — Der zweite Titel 
handelt von dem fittliden Wandel der Prediger. 
Wie nämlich an ber Bundeslade bie beiden Eherubim fo 
angebracht waren, daß fie einander gegenüber frhauten, fo 
follen Lehre und Wandel beim Prediger einander entfprechen, 
er fol ohne Unterlaß fid) das Wort des f. Gregor gefagt 


fein laffen „mundari prius oportet, quam mundare,“ er foll 


mit allen Tugenden geziert fein (was nad) bem ἢ. Joannes 
Chryfoftomus ausgeführt ift) und von fid) fagen fünnen 
mit bem Ayoftel: mihi mundus crucifixus est et ego mundo. — 
Der folgende Titel handelt in febr einläßlicher Weife von 
ber Wiffenfchaft des Predigers. Die Anforderungen, 
welche bier” geftellt werden, find ſehr bedeutend. Neben 
dem, was gewöhnlich und zuerſt verlangt wird, finden 
wir bier noch andere Bebürfniffe zur fegendreichen Vers 
fünbigung des göttlichen Wortes hervorgehoben. 
Der Prediger (oll. in der KirchensGefchichte, nament⸗ 
(ih im geben der Heiligen bewandert fein, bie kirchliche 
Liturgie verftehen und ihrer Bedeutung mächtig fein, er 
fol cafuiftifche und befonber& in ber Moral tiefgehende 
Kenntniffe haben, es follen ihm zu Gebot ftehen die „loci, 
quibus auditorum animi commoveri atque excitari solent 
Theol. Duartalſqhrift. 1850. IV. Heft. 37 


564 Zur Homilell. 


ad Dei amorem, ad coelestis patriae desiderium, ad poe- 
nitentiam, ad scelerum detestationem, ad virtutum studium, 
ad metum divini judicii, ad spem misericordiae, ad mise- 
ricordiam caritalemque erga proximum et ad caeteras 
praeterea affectiones, quae ad coelum excilatae christianas 
virtutes pariunt. Locos etiam illos tenebit, quae saepis- 
sime usu veniunt, utpote de divitiarum et honorum des- 
picientia, de condonandis injuriis, de rebus adversis con- 
stanti christianoque animo ferendis, de immoderatis sumtibus : 
alisque morum erroribus eripiendis.^ Gut íft es, wenn 
ber Prediger aud) hebräifh unb griedjifó verfebt, um 
bie hl. Schrift gründlicher auslegen zu fónnen. Er follte 
fletá einen Vorrath von populären Gteichniffen aus der 
uns umgebenden ſichtbaren Natur, alfo vom Aders und 
Weinbau, vom Samen, von Sonne, Mond und Gteruen, 
von den Bäumen und Pflanzen überhaupt hergenommen, 
haben unb gu diefem Zwede aud) bie verfchiedenen Hand- 
tbierungen der menfchlichen Gefellfchaft ausbeuten, je nad 
dem Zubörerfreife, der ihn umgibt. Aus ber Kirchlichen 
SRBetorif (ex ecclesiasticae rhetoricae praeceptis) foll er 
fid) über bie SBebeutung und Stellung des Exordiums, 
über die rechte Art zu bifponiren, über bie Mittel einer 
flaren unb beutlichen Sarftellung belehren unb fid) an einen 
angemeffenen Vortrag gewöhnen. 

Bevor er fein Amt antritt, foll er feine Kräfte fennen 
lernen, bamit er fid) weder an ein Thema wage, bem et 
nicht gewachfen, noch eine Darftellung affeftire, bie feiner 
Individualität gar nicht angemefjen. Zu biefem Behufe 
fol er etwa einen fachfundigen Freund zu Rathe ziehen, 
ber ihn freimüthig unter vier Augen auf feine Fehler im 
Predigen aufmerkſam made. Auch mag er fid) einen 








Bur. Homiletik. 565 
vorzüglichen Prediger zum Mufter nehmen, übrigens nur 
in bem, was wirflich gut und trefflih an ihm, nicht aud) 
in feinen Einfeitigfeiten. Als bleibende Mufter, nach denen 
er fi) zu bilden, foll er übrigens bie heiligen Väter fid) 
vorfegen; an Gregor b. Gr. und Gfrpfoftomus8 ahme er 
nad den praftifhen Sinn und die Behandlung der Moral, 
an eo b. Gr. und Bafilius bie Erhabenheit, an Gregor 
von Razianz das Eindringliche, an Gregor von Nyffa die 
Feinheit, an Auguftinus bie Schärfe, an Ambrofius ben 
ruhigen Fluß der Rede, an Bernarbus bie füße und frommme 
Sprache, vor Allem aber halte er fi) an die ganz be» 
tounberungérodrbige und göttliche Beredtfamfeit des Hl. 
Paulus, in welchem bie gelehrteften Väter, Auguſtinus 
und Ehryfoftomus, bie höchften Vorzüge eined Prebigers, 
ja fogar eines Redners vereiniget finden, was fie mit vielen 
trefflichen Beifpielen belegen. — Der Hauptzweck aber, 
ben ber Prediger in jeder Predigt verfolgen fol, ift bie 
Rührung und Bewegung ber Gemüther, weil die Meiften 
nicht etwa deswegen fündigen, weil fie bie Wahrheit nicht 
fennen, fondern weil fie von fchlechten Affeften beherrfcht 
find. Deswegen bie goldene Bemerkung; dabit igitur 
operam, ut, quemadmodum per singula corporis membra 
sanguis diffunditur, ita in omnibus concionis suae partibus 
quaedam insint, quae ad commovendum valeant.* Gailer 
fiberfebt biefe Stelle in feinen „vermifchten Lehren eines 
erfahrenen Predigers an angehende Prediger“ (PBaftorals 
theofogie IL (6, 217) auf eine recht lefenswerthe Weiſe. — 
Der 4. Titel fpricht von der Vorbereitung des Prebigers, 
bie er zur fegenvollen Verwaltung feines Amtes mitbringen 
fol. Ohne Unterlaß muß er jene Wahrheiten vor Augen 
haben, welche ihm die Erhabenheit ſeines Berufes vor 

87 9 





566 Zur Φο 


Augen legen, 3. B. bie Wahrheit, daß er ber Diener 
' Gottes fel, durch welchen fein heilig Wort aus bem Borne 
des. göttlichen Geiftes zur SBewáfferung der Seelen übers 
geleitet werde; bie Wahrheit, daß εὖ fein anderes Amt 
fei, al8 das ber Heiland felbft zum eile der Welt vers 
waltet. Gedenfend aber des herben Kampfes, ber ihm 
unabläffig vom Satan und ber Welt bereitet ift, foll er 
fi& nie auf feine eigene Kraft verlafien, fondern beharrlich 
fein im Gebete und im Faften. Am meiften ermutbige ihn 
in beiligem Dienfte da8 Wort: qui converti fecerit pec- 
catorem ab errore viae suae, salvabit animam ejus a morte 
el operiet multitudinem peccatorum. Er flehe befonders 
um die Gnabe, allen Geift der Eitelkeit unb ber Ruhm 
fudt aus bem Herzen bannen zu fónnen, auf daß bie 
reine Abficht bie Ehre Gottes und das Heil des Nächften 
zu fördern immer Platz in, ihm finde. Weit fei von ibm 
entfernt das Streben nach einer vornehmeren Kanzel, ba 
ja fein Herr und Meifter, wie dad Evangelium berichtet, 
ale Flecken und Dörfer ald Prediger durchzogen ). — 
. πὶ 5. Titel wird in ganz concreten Beziehungen verans 
fchaulicht, wie ber Prediger fein eben einrichten 
foll, nachdem er fein heiliges Amt wirtlid am 
getreten. In feinem ganzen Äußeren Verhalten, im 
Gang unb in jeder Eörperlichen Gebaͤrde zeige er jene Würde, 
welche fein Stand fotbert, ebenfo im Geſpraͤch, in ber 
Kleidung. Sein Tifch fel einfach, nie entbinde er fid 
von den fírdjlid) vorgefchriebenen Faſten, weil er beren 
Beobachtung fonft nicht mit Erfolg einfchärfen fann, Eins 
fabungen zum Efjen und Trinken befonberó bei Laien 


1) Fuit haec quondam incredibilis ambitio ethnicorum oratorum! 








Zur $omiletif. 567 


fchlage er aus, überhaupt vermeide er allen vertrauten 
Umgang mit biefen, bie größte Vorftcht aber übe er gegen» 
über von weiblichen Perfonen. Er fei wohlthätig, und 
helfe, wo und wie er im Stande ift, durch Unterſtützung, 
Rath, Troſt; aus allen Kräften fliehe er den Vorwurf 
ber Habs und Geminnjudt und deswegen nehme er für 
feinen erbabenen Dienft nichts Zeitliches, nicht einmal 
Effen und Trinfen, e8 {εἰ denn ein Entfchuldigungs:-Grund 
ba, 3.2. förperliche Schwäche, „non vestem, non indusia, 
non sudoriala, non caetera id generis sibi quaeritabit.“ 
Er halte fein Gemütf frei von allem Teidenfchaftlichen 
Weſen, als von Zorn, Eiferfucht auf folche Prediger, welche 
mehr Anklang finden, und wenn feine Zuhörerfchaft nur 
flein an Zahl, fo (affe er deswegen nur ja den Muth 
nicht finfen, denn auch ber erhabenfte Lehrmeiſter Ehriftus 
begnügte fid) mit wenigen Schülern, ja bie unb da war 
ibm auch nur eine heilbegierige Seele nicht zu wenig, ihr 
das Wort des Lebens zu verfünden, wie die Samaritin 
am Jakobs⸗Brunnen. VBegeifterung und Muth follen. ihn 
durchglühen, fo daß er, wenn es nothwendig ift, nicht nur 
Beichimpfung und Anfeindung für den Namen des Herrn 
ftandhaft zu dulden, fundern fogar bem Tode ftd) zu unters 
ziehen bereit ijt. lm fo große Gnaben von Gott zu erlangen, 
fol er der Entrichtung der canonifchen Tagzeiten mit Eifer 
unb Gewifienhaftigfeit obliegen, ber Betrachtung ergeben 
fein und täglich, wenn er nicht gefegmáfig verhindert ift, 
das b. Opfer barbringen. — Der 6. Titel befpricht bie 
Borbereitung auf die einzelne Predigt Bor 
Allem muß hier verlangt werden, daß ber Prediger nicht 
mit einer ſchweren Sünde belaftet fein Amt ausübe und fo 
ben bi. Geift betrübe. Bor bem Studium bete er nad 


568 Zur Honetlstik, 


dem Vorbild eines b. Thomas von 9íquin. Um in ber 
Meditation, welche bem Goncipiren ber Predigt vorausgehen 
muß, mit Zeuer erfüllt zu werden, [01 er fid) das Bild 
des gefreuzigten Heilandes oder des Völferapofteld Baulus 
vor Augen halten. Bevor er bie Kanzel betritt, ftelle er 
fih, um feinen Eifer zu beleben, fein Auditorium als eine 
hungrige Menge vor, die τοῦ von ihm betitelt, oder als 
eine Menge von Kranfen und Prefthaften, von Blinden, 
Lahmen, Tauben u. f. w., bie Heilung bei ihm fuchen. 
Sich felbft betrachte er als einen Fifcher, ber mit bem 
9leg ber Predigt fo viele Seelen ald móglid) dem Unter⸗ 
gang entreißen fol. Weil das, was man {εἰδῇ Durchdacht, 
und innerlich erlebt hat, mehr Eindrud hat, fo nehme er 
feine Zuflucht nicht zu fremden Arbeiten. Er befruchte 
feinen Geift durch bie Lefung der Väter, und nehme Bedacht, 
das D. Teuer, das er aus der Betrachtung, aus dem Ges 
bete, aus ber andächtigen Celebration gewonnen, unvers 
mindert mit auf die Kanzel zu nehmen. — Der folgende 
Titel befpricht, was der Prediger an der heiligen 
Stätte felbft zu beobadjten Dat. Es wird ihm 
empfohlen fid) Ehriftum bem Herrn vorguftellen, als ob er bem 
Prediger gegenüber ale Richter im Gange feiner Majeftät fid) 
befinde, auf daß er in feinem b. Amte beffen nie vergeffe, der 
einft Rechenfchaft von feiner Haushaltung ihm abforbern 
wird. Auch nach der Predigt fidere er ihre Frucht durch das 
Gebet. — Sm 8. Titel wird ber Predigtritus in Bes 
ziehung auf bie kirchliche Kleidung xc. genau befchrieben. 
Der 9. Titel handelt von den Zeiten wann geprebigt 
werben foll. An unb für fid) find gar feine befonberen 
Zeiten dafür ausfchließlich feftgefegt, weswegen apoftolifche 
Männer wie Dominifus, Branziefus, Bincentius jede Ge: 





Bur Homiletik. ; 569 


fegenheit ergriffen haben, auch auf Feld und Acer zu prebigen. 
Zumal ber Bifchof foli immer unb überall bie (id) ihm 
barbietende Gelegenheit benügen, feine Heerde mit ber Nah⸗ 
sung δε göttlichen Wortes zu verfeben, alfo namentlich 
an den Quatember Tagen, bei Gelegenheit von Bittgängen, 
bei Jubiläumisfeierlichfeiten, aus Veranlaffung der Synodals 
Feier, bei ber folennen Gyenbung von Gaframenten ‚' bei 
feierlichen Weihungen und Segnungen, überhaupt bei febet 
bifchöflichen Funktion, deren Geheimniß eine Grflárung 
fordern dürfte. Wird ber Bifchof von einem Amts⸗Bruder 
befucht, fo foll er ibn zur Predigt einfaben, wie eine alte 
Kirchenfakung verlangt. — Der folgende Titel ift. einer 
ber wichtigften, er behandelt ble Srage, woher ber Pre 
biger feinen Stoff zunehmen babe. Sn ber Regel 
aus ber evangelifchen Perifope, tod) foll er von Zeit zu 
Zelt aud) bie Epiftel be Tages benügen. Defters erkläre 
er auch ben Gläubigen bie jeweilig treffenden Kirchens 
gebete; wird aber ein Heiligenfeft gefeiert, fo Debe er 
aus bem Leben des Heiligen einige paffenbe Züge zur 
Nachahmung hervor. Er unterlaffe nicht, nach Kräften 
feine Zuhörer in ben Sinn unb Geift ber firchlichen Liturgie 
einzuführen und fomme von Zeit zu Zeit auf ble Erklärung 
des Symbolums, des Vaterunſers und englifchen Grußes, 
der 10 Gebote unb der heiligen Saframente zu fprechen. 
Die Behandlung fubtiler Fragen vermeide er, auch behandfe 
er feine lächerfiche, unnótbige, unpraftifche, der heiligen 
Stätte unangemeffene Gegenftánbe, bringe Nichts vor, was 
nicht mit den Einrichtungen, Gebräuchen und altehrwürs 
digen Gewohnheiten der Kirche und mit den Lehren ber 
berodfrteften Firchlichen Auftoritäiten harmonirt, er nehme 
Nichts auf aus apofruphifchen Büchern, aus ſchlecht bes 


570 Zur Homiletik. 


glaubigten Legenden, dagegen fude er in dem Leben bet 
Heiligen gerne das, was einem Jeden individuell. Er 
maße fid nicht an, als Prophet aufzutreten, 3. B. bie 
Zeit des jüngften Gerichte 1c. näher zu ‚beflimmen. Brofans 
fchriftfteller gehen ihn auf ber Kanzel Nichts an, nur ganz 
felten und mit großer Vorficht kann er heipnifche Bhilofophen, 
Dichter 1€. anführen, wo ihre Ausſpruͤche mit der chriftlichen 
Wahrheit zufammenftimmen. Neuere Eirchliche Autoren führe 
er auf der Kanzel nicht an. Die Eitate aus den Vätern 
feien fur. Er gebe fid) nidt dazu her, Berords 
nungen der weltlichen Gewalt u. drgl. von ber 
Kanzel zu verfünden. Dann folgen die trefflichften 
Vorfchriften für die Bälle, da ber Prediger tadelnd und 
jurechtweifend auftreten zu müflen glaubt: ne quenquam 
nominatim insectetur vel ita- verbis depingat, ut quo de 
loquatur, facile possit auditor animadvertere. Ne in or- 
dinem ullum aut statum aut vitae genus ab ecclesia receptum 
invehatur. Ne Episcopos aliosve praelatos nec vero civi- 
les magistratus in concione asperius objurget; sed si quando 
occasio tulerit, pie potius admoneat .... Ne statim, cum 
concionari ingressus est, sed postquam aliquot concionibus 
habitis prudentis docti atque religiosi concionatoris nomen 
adeptus, est ad vitia acrius inseclanda se conferat ^ — 
Der 11. Titel befpricht bie Sünden unb after, welche 
am häufigften begangen werden, und deswegen durch 
bie Bemühung vor andern ausgerottet werden (ollen. Sum 
Eingang heißt e& hier: „universe peccata omni increpatione 
exagitet, cruciatus tormentaque perennia ac sempiterna 
damnatorum exaggeret; saepe mundi res caducas brevi- 
que interituras et ejus infinita incommoda ad omnem ex- 
agitationem studiose proponat ac recenseai calamitates. 


Zur Φοπ ζει, 571 


Dann werben bie gewöhnlichen ſchweren llebertretungen 
des göttlichen Geſetzes namhaft gemacht, gegen welche ber 
Prediger zu Felde ziehen muß, was jedoch nicht zu allgemein, 
fondern auf eine concrete und individuelle Weife 
zu gefchehen hat. Schließlich werden die Sophismen 
nambaft gemacht, durch welche man fid) bei Nichterfüllung 
der evangelifehen Gebote beruhigen zu fónnen. glaubt, weil 
ἐδ eine befonbere Aufgabe des Prebigers ift, viefelben in 
ihrer Nichtigkeit und Schädlichfeit aufzuzeigen. — Im 
12. Titel if bie Rebe von ben fhlimmen Gewohnheiten 
unb verführerifhen Gelegenheiten, woraus bie 
Sünden hervorgehen. Gemeint find Theater, Tanz und Spiel, 
Kleider, Pracht, Gaftgelage und drgl., wogegen ber Vers 
fünbíger des göttlichen Wortes mit dem Schreden des 
Evangeliums bewaffnet immer und immer wieder auftreten 
fol. — Der folgende Titel handelt febr ausführlich von 
der Pflicht des Predigers, die Gläubigen zum 
Empfang der heiligen Gaframente einzuleiten. 
Hier mag hervorgehoben werden, daß bem Prediger namente 
lich aud) an's Herz gelegt ift, feine Untergebenen über bie 
Dedeutung der Priefterweihe zu unterrichten und 
ihnen daraus die Pflicht finbfider Ehrfurcht und gläubigen 
Gehorſams gegenüber von dem Clerus, insbefondere bem 
Bifchof und Pfarrer, abzuleiten. Er fehärfe nad) bem Vor; 
. gange des ἢ. Vapftes Clemens ein Das „episcopo subjecti 
estis velut Domino, nam ipse vigilat pro animabus vestris, 
ut qui rationem Deo redditurus sit.“ An ben Quatembers 
und andern 9Beibetagen folfen die Gläubigen 
zu eifrigem sffentlichen und Privat» Gebet für 
Pie zu Weihenden angehalten werden. Go werden 
dann alle heiligen Gaframente durchgegangen; Hinfichtlich 


$72 Sur $ontietif. 


bes ἢ. Ehe⸗Sakraments (oll. ber Prediger bemüht fein, bie 
in vielen Gegenden herrfchennen groben Mißbräuche, bit 
bei Einfegung der Ehen ftattfinden, abzufchaffen. — Im 
14. Titel werden heilfame Winfe gegeben, wie ber Pres 
biger zu ben driftliden Tugenden und guten Wer 
fen anleiten foll. Er hat das nicht nur fo im Als 
gemeinen unb. obenbin, fondern ganz fpeciei und fo zu 
ibun, daß er auf bie Einzelnheiten des Lebens eingeht. 
Dft fomme er auf bie evangelifchen Räthe zu fpreden 
und empfehle fie mit Stadbrud, auf bie Werke ber (tib 
lichen Barmberzigfeit, auf bie zur Uebung der chriftlichen 
Liebe beftebenben Bereine. Ueber bem leiblichen Almofen 
vergefie er aber nicht, das geiftige einzufchärfen, bie brüder 
liche Zurechtweifung nämlihd. Er führe zu ber rechten 
und weifen Abtödtung des Fleiſches am, fehärfe dringend 
das Waften ein, namentlich fo weit εὖ von ber Kirche 
geboten ift, empfehle nachdruckſam das Lefen guter und 
frommer Bücher, fünbige dagegen den fchlechten ben Krieg 
an, eifere gegen ungüchtige heibnifche Bilder und Statuen, 
Bei der Behandlung moralifcher Materien gehe er (peciell 
auf bie verfcehiedenen Standeöpflichten ein, monebit saepis- 
sime parentes, liberos, virum, uxorem, dominum, servum, 
clericum, laicum, privatum, magistratum ejus officii, quod 
cujusque proprium eri.^ Dann werden Winfe gegeben, 
wie bie Reichen und Armen, bie VBornehmen und Geringen 
und einzelne Stände auf den Weg des Heiled gewieſen 
werben follen. — Im folgenden Titel wird ber Prediger 
belehrt, wie er bie Gläubigen mit ben kirchlichen Gc 
bráuden unb mit ber Art und Weile befannt 
machen folle, ihrer Gebetspflicht zu genügem 
ihr Morgen und Abend» Gebet und die übrigen täglichen 


Zur $omiletif | $19 


Gebete, namenitidg aud) bie für ble SBerftorbenen recht au 
verridten, Wenn das Gíodengeiden zum ἢ. Mebopfer 
gegeben. wird, follen diejenigen, welche bemfelben beizu⸗ 
wohnen verhindert find, angehalten werben, einen Alt der 
Reue zu ertoeden. Auch die Beobachtung der Geremonien, 
welche das Gebet begleiten follen, fol ber Prediger bem 
Gläubigen nadbrudjam an'$ Herz legen. — Der folgende 
Titel materrichtet ben SBrebiger, wie er fid) Mühe zu geben 
bat, SRifbrdude in der Gemeinde zu heben und 
firdlide Einrichtungen, Gewohnheiten, Ge 
brauche zu fördern, unb wie er bei ſolchen Bemühungen 
in Vebereinftimmung mit bem bifchöflichen Kirchenregimente 
handeln foll. Das Grfie muß immer fein, daß ber Pres 
biger ba, wo er auftritt, fid) nach den daſelbſt im Schwange 
gehenden Laftern und üblen Gewohnheiten forgfältig ers 
funbigt und bann mit aller Kraft fo (ange gegen biejelben 
bonnert, bis er fie mit Gottes Hülfe ausgerottet bat. Oft 
foll der Prediger feinen Zuhörern auch bie Beichlüffe unb 
Verordnungen des Concils von Trient auseinander 
fegen, ebenfo fei er unermüdlich in Einfchärfung der ἰός 
cefanverordnungen. — Die 4. legten. Titel handeln von 
ber Form der Predigt, von der Schidlichkeit, bie 
ber Prediger βειδ im Auge haben muß (daß er foldje 
Dinge, welche (einer Publikum nicht angemeffen find, vers 
meide), von ber fpradjtiden Darftellung, enblid) 
bon ber Aktion und Deflamation. Kein wichtigerer 
Punft, der bier zur Sprache fommen fann, ift übergangen, 
überall wird aufs Einzelnfte eingegangen. In bem Abfchnitt 
„de elocutione“ wird vor gefuchter, gefchmüdter, bomba: 
ftifcher, au bilverreicher, aber auch vor trivialer, tautolos 
giicher Sprache gewarnt, „Fati, fortunae infortunii nomina 


574 Zur δοηη 


aliaque id generis ab ecclesiae usu jampridem explosa 
ómnino cavebit.^ Nur mit großer Vorficht fpreche er von 
den Sünden gegen das 6. Gebot; fpricht er von einem 
Heiligen, fo nenne er ihn auch als foldyen; er vermeibe 
jede zweideutige, zu concife und bunfíe Redeweiſe. In 
Beziehung auf den Bortrag wird der davon handelnde 
legte Titel alfo eingeleitet: „De pronuntiatione, gestu, 
actione ab antiquis rhetoribus permulta tradita sunt: quae 
exquisito quodam studio perinde consectari, quasi in iis 
ipsis bene concionandi finis positus sit, hoc longe alienum 
esse debet a concionatore verbi Dei, cum ii praesertim 
motus corporis aliquos commonstrarint non modo leves, 
pueriles sed plane histrionicos ob eamque rem indignos 
et persona concionantis et autoritate suggesti; qui locus 
gravissimus est. Quae igitur de toto illo genere isti 
praeceperunt, eorum tantum, quae ad gravitatis decorique 
laudem insignia sunt, delectum quendam a concionatore 
haberi conveniens est, ut aliquid etiam adjumenti inde 
Sibi comparet ad fidelium animos inflammandos studio 
rei, de qua concionem institui. Dann folgen bie elt 
zelnen aud) dad Stleinfte nicht überfehenden Regeln. — 
Go viel über bie lintermeifungen, welche über bit 
richtige Verwaltung des Predigt-Amtes eine Firchliche Auf: 
torität gibt, der man von jeher nicht blos ‚für die Pro 
vinz Mailand, fondern für bie ganze Kirche Bedeu 
tung zugeflanden. Wir find ber feften Weberzeugung, 
dag wenn jeder Prediger fid) mit ihnen befannt machen, 
und fie als unverrüdbare Richtſchnur feiner Tchätigfeit 
achten würde, die Klagen über bie Vergeblichfeit des Pre 
bígené abnehmen würden. &8 liegt eine Zeit hinter und, 
ba auf die Predigt ein Gewicht gelegt wurde, baf bie 


L3 Wü. um YE τὸ -.- uw 


But Homiletik. 575 


Bedeutung anderer Cult⸗Theile dagegen verkuͤrzt wurde, 
und deswegen iſt die Predigt auch bei manchen Guten in 
eine Art von Miß⸗Credit gefommen. Aber mit , großem 
Unrecht, denn wie ber bf. Franz von Sales fagt, wenn 
nur ret gepredigt wird, fo fann faum zu oft 
gepredigt werben. Der Fehler (ft vielfach, bag wir 
nicht einfach, nicht populär, nicht nach den von der Kirche 
fo deutlich gegebenen Fingerzeigen prebigen, fo daß unfere 
geiftlichen Reden über bie Köpfe hinweggehen, und nicht 
in bie Herzen eindringen. Sollte εὖ mir gelungen fein, 
durch biefe Blätter einen Eleinen Beitrag zu der Erfennts 
nig zu liefern, bag die Homiletif eine durch und burd 
pofitive Disciplin fei, und deswegen auch vor Allem aus 
pofitiven Quellen zu fchöpfen babe, fo ſollte e& mich recht 
freuen. Nicht als ob ich glaubte, damit eine großartige 
Gntbedung gemacht zu haben, ber Gag von bem pofltiven 
Charakter fener Disciplin ig wohl allgemein zugegeben, 
aber ob bie daraus zu ziehenden Wolgerungen überall durchs 
gebrungen, daran muß ich im Hinblid auf unfere Gom» 
penbien der Homiletif einigermaffen zweifeln. Den Borwurf 
fann man zum wenigften gegen bie Mehrzahl unferer Schrift, 
fteller über Homiletif erheben, daß fie bie Eirchlichen Quellen 
nicht gehörig ausgebeutet und anftatt ber grünen Weide, 
welche viefe fo reichlich barbieten, auf den bürren und 
langweilenden Bormalismus ber Schule zu hohen Werth 
gelegt haben. Es ift und bleibt nun fo, daß die Regeln 
der Homiletif, wenn fie nicht fyarfam und concret. geftellt 
und unabläffig durch Beifpiele erhellt werden, zu nichts 
Anderem ‚gegeben zu fein feinen, a(8 daß fie unbeachtet 
bleiben und vergeflen werben. 9 aft. 


Il. 
Wecenfionen. 





1. 
febrbud) der katholifchen Dogmatik. Bon Dr. £. X. Bir- 
ringer, orbentl. öffentl. SDrofeffot der katholiſchen Theologie 
an ber Untveriität Bonn, wirkl. Erzb. Geiſtl. Math unb 
Vicariatsrath zu Köln, Ehrenmitglied ber Tai. theol. Fa⸗ 
eultät der liniverfität Prag. Zwelte vermehrte und ver 
befferte Auflage. Mainz, Berlag von Kirchheim und Schott. 
1850. Preis 4 fl, 40 kr. 


Daß von biefem Lehrbuche, deſſen erſte rfiheinung 
in dem breifigften Jahrgang unferer Zeitfchrift, 1848 ©. 
279 f. angezeigt wurde, nach zwei Jahren eine zweite 
. Auflage nothwendig war, ift wohl ber befte Beweis nicht 
nur feines vielfachen Gebrauchs fonbern auch feiner Brauch⸗ 
barfeit. — 

lieber das Verhaͤltniß dieſer zweiten, vermehrten und 
verbeſſerten Auflage zur erſten bemerkt der H. Verfaſſer 
ſelbft voran, daß die ganze Syſtematiſirung dieſelbe ge 
blieben fei, und ſetzt bei: Hätte ich ben Fingerzeig eines 
Beurtheilers in Bruns „Neuem Repertorium“ XIV. 3. folgen 





Dieringer, ratholiſch⸗ Dogmatik. 377 


wollen, ſo mußte freilich eine radicale Revolution vorge⸗ 
nommen werden. Da aber die katholiſche Kirche weder einem 
myſtiſchen, noch einem ſpeculativen Pantheismus zugethan 
iſt; ſo konnte ich von dieſen Rathſchlaͤgen keinen Gebrauch 
machen. Sm andern Stüden habe ich gerne bie Bemerkungen 
jenes Beurtheilers berüdfichtiget. Seine zwei Behauptungen, - 
erftens ich [εἰ ftodfatholifch, und zweitens, aud) bei mir 
κί „das katholiſche Princip bereits durch die Wiſſenſchaft, 
wie fie unter dem Einfluffe ber evangelifchen Kirche fid 
geftaltet habe, gebrochen,“ heben fid) gegenfeitig auf, unb 
alle von ihm angerufenen Belege habe ich burd) Lehrents 
fheivungen ber Fatholifchen Kirche gebedt. Solche evans 
gelifirende Neuerung gibt er mir 3. DB. in dem Gage 
Schuld: bie Neue wirkte auch ohne Vollziehung des Sacras 
mentes, wenn nämlich biefe nicht möglich fei, Sünden» 
vergebung. Ich aber hatte gefagt, bag bie Kirche ber 
»volifommenen,4 das Begehren nad) dem Sacrament eins 
fhließennen, Reue die Gnade ber Sündenvergebung zus 
fpreche, unb hatte mich hiefür auf Conc. Trid, Sess. XIV. 
cap. 4. de poenit. bezogen, wo dieſe Lehre Klar unb bes 
ſtimmt vorgetragen ift. 

Die erheblichften Veränderungen in diefer neuen 9fuf» 
lage beftehen in Bereicherung des ben Noten zugetheilten 
Materials, in genauerer Ausführung einzelner dogmatiſcher 
Beſtimmungen mit Rüdfichtuahme auf die jüngften lites 
rarifchen geiftungen, und in der Ausfülung einzelner (id) 
darbietender Lüden. Die Bereicherung ber Noten entftebt 
aus der Bermehrung der beweifenden Schriftftelen, im 
. Bleihen aus Zufägen von Väterftellen, bisweilen werben 
sur Erläuterung aud) philologifch » eregetifche Erklärungen 
beigefügt, ober εὖ wird an geeigneten Orten das Eigen⸗ 


$18 - Dieringer, 


thümliche ber Altern fcholaftifchen S/beofogen in ber Behand⸗ 
lung gewifler Begriffe bemerflich gemacht. 

Eine genauere Ausführung einzelner Dogmatifcher Bes 
flimmungen findet fid) in ber Lehre von ber Erſchaffung 
und dem Abfall ber Engel, fo wie in ber Vorbereitung 
ber Erlöfung. Zu $. 138, welcher von ben Sacramen 
talien handelt, (ft S. 650 eine Anmerkung hinzugekommen, 
in welcher. να ὁ Verhältniß zwifchen den Sacramenten unb 
Sarramentalien furg und treffend fo angegeben wird: 1. 
Beide beruhen auf der göttlihen Sendung ber Kirche, 
jene beruhen auf fpecieller göttlicher Unordnung, diefe auf 
der ihr im Allgemeinen gewordenen Stellung unb Er 
mádtigung. 2. Beide gründen im SBerbienfle des Erloͤſers, 
und vermitteln feine Gnabe: jene beziehen fid) vornämlidh 
auf bie Heiligung des Geiftes, biefe auf bie Erhebung 
der leiblichen Greatur und auf die allgemeine. Ausfcheidung 
unb Ausftattung und Kräftigung des Geifles. 3. Beide 
find um unferes Helles willen: jene find gemäß göttlicer 
Stiftung nothwendig, biefe förderlich. 4. Beide haben 
ihre Wirkung fraft göttlicher Verheißung und nicht blos 
aus ber fubjectioen Würbdigfeit des Spenders unb Empfän 
gers: jene aber vermittelt bie Kirche in fategorifdoer, dieſe 
in beprecatori(djer Weife. 5. Beide befigen Materie und 
Form: jene in gebundener, blefe in ber von ber Kirche 
erwählten Ordnung. 

Die bebeutenbften Zufäbe hat ber 4. 139 erhalten, 
welcher von ber Leitung der Gemeinde durch das Firchlice 
HDirtenamt handelt. Hier waren in ber. erften Ausgabe 
bie Sunctionen diefes Amtes nad) der zweifachen Seite ber 
Kirche, als einer rechtlichen Gorporation mit einer beflimmten 
von Gott felbft gegebenen Berfafiung, und zugleich als 





katholiſche Dogmatik, 579 


einer rein ethifchen (religiös -ethifchen) Lebensverbindung, 
nur angedeutet worden; hier in ber zweiten Auflage (ft. die 
Begründung ber rechtlichen und fittlichen Beftimmungen, 
welche durch die hirtenamtliche Wirkfamfeit zum Vollzuge 


"gebracht werben, in folgende Hauptfäge ald ble Dogmatifche 


Grundlage des chriftlichen Kirchenrechts und der Ethik zu- 
fammengefagt: 1. Die Kirche hat das unveräußerliche Recht 
ber Eriftenz und ber Vollziehung ihrer Aufgabe; denn ba 
fie eine unmittelbar göttliche Stiftung ift, unb ihre Sen, 
bung auf alle Zeiten lautet, fo fann es fein höheres Recht 
geben, ‘wodurch ihre Berechtigung aufgehoben, und feine 
Beranlaffung, burd) welche ihr Beruf als erlofchen befeitigt 
würde. — 2. In Beziehung auf bie Ordnung des forialen 
(ftaatlichen) Lebens, in welchem Berhältniffe zu ihr bie 
Kirche fi aud) immer befinden möge, bleibt fte in ber 
fBolfftredung ihrer Sendung durchaus felbftftändig und 
unabhängig; denn von ber fünbbaften Welt darf fie jtd) 
nicht beftimmen unb beherrfchen faffen, unb ba wo Ehriftus 
die Welt fid) unterworfen bat, fann es ohnehin feine 
höhere Auctorität geben, als bie, womit Chriftus felbft feine 
Stellvertreter betraut bat. — 3. In Allem, was auf uns 


mittelbar göttlicher Anordnung beruht, befígt Das Hirtens 


amt der Kirche nur das Recht der Dollmetſchung und 
Vollziehung. Dazu hat die Kirche den Geift empfangen, 
damit fte in das, was Ehrifti ift, ein» unb nicht von bem» 
felben abgeführt voerbe; deshalb bewahrt fie bie heilige 
Hinterlage unverbrüchlich, hält das Weberfommene feft in 
feiner Urſpruͤnglichkeit, [ἐδ auf die Gefahr hin, daß fte 
das Widerftrebende ihrer Gemeinfchaft berauben müßte. — 


4. 3n Allem, was nicht göttlichen Rechtes ift, bat fie die Ges 


walt durch gefeggebenbe, regierenbe und richterliche Thätigkeit 
Theol. Duartalfärift. 1850. IV. Heft. 38 


580 Staubenmater, 


ihre Sendung an den Gläubigen zu vollziehen. Dieß folgt 
aus ber Stellung ber Kirche, ἔταξε deren fie von Gott 
unmittelbar mit Aucrorität ausgerüftet ift, um fo mehr, 
als felbft diejenige Nuctorität, welche nur mittelbar gött- 
licher Anordnung ift (ble weltliche), innerhalb ihrer Sphäre 
mit folcher Gewalt ausgerüftet it. Daher befigt und übt 
bie Kirche bae Recht ber Gefehgebung in Sitten und Zucht, 
fie leitet und führt bie Gemeinden nach dem göttlichen und 
Eirchlichen Recht, fie erkennt in den einfchlagenden Rechts⸗ 
fragen, und entfcheidet mit richterlicher Machtvollkommenheit. 
— Durch diefe auf der göttlichen Sendung ber Kirche 
rubenben Principien hängt die Dogmatik mit der chriflichen 
Ethik und dem Kirchenrechte aufammen. 
Drey. 


2. 


Die Grundfragen der Gegenwart, mit einer Entwicklungs⸗ 
gefchichte der antichriftlichen Principien in intellectueller, 
religtöfer, {ΠῚ εν und focialer Hinſicht, von ben Zeiten 
des Gnofticemus an bis auf uns herab, Von Dr. Sr. 
A. Staudenmaier, Domfapitular, Geh. Rath und Pro- 
feffor der Theologie an der Univerfität Breiburg. Freiburg 
im Brelögau, In ber Fried. Wagner'ſchen Buchhandlung. 
1851. XXXII u. 530 ©, 8. Preis 2 fl. 42 fr. 


Schon vor 5 Jahren, als ber Herr Verfaſſer feine 
Schrift „zum religiöfen Frieden der Sufunft* herausgab, 
wies er mit aller Kraft auf das falfche, antichriftliche, ja 
daͤmoniſche Prineip hin, das felt b. S. 1789 in ber Welt 








ble Grundfragen der Gegenwart. 581 


zur Geltung gekommen fei und eine fehredliche ftataftropbe 
nothwendig nach [ὦ führen müffe, wenn man nicht ſchleunig 
ju bem einzigen Rettungsanfer, dem pofttiven Chriſten⸗ 
thume greife. Biele und febr Viele theilten damals fdjon 
die gleiche llebergeugung; aber gerade von denen, welche 
am Staatsruder faßen, wurden fofde Mahnungen meift 
nicht beachtet, denn manche von ihnen waren blefem falſchen 
und antichriftlichen Princip felbft innerlich verfallen und 
bienftbar. Im Wahne, den Glanz der Krone zu vermehren, 
haben fie den Kampf gegen den Altar nicht ungerne gez 
feben, oft fogar eifrig unterftügt (videatur bie ftaatliche 
Hätfchelung des Rongeanismus), und den Triumph ihrer 
Staatsweisheit in Lähmung, Schmälerung und Nieder; 
haltung einer warmsreligiöfen llebergeugung gefucht. Sie 
haben Kälte gewünfcht, unb. Sturm befommen. Die Bolgen 
ihres thörichten Treibens find ja nicht ausgeblieben und 
ed hat fid) dabei gezeigt, baf der Altar fefter ftebe ala ber 
Thron, und daß der Angriff auf den erftern am meiften 
dem letztern fdjabe. — Manche der früher bethörten Staats» 
männer fehen bieg jet ein und namentlich hat jene katholiſche 
Großmacht, welche früher den Kleinern ale Mufter unb Beis 
fpiel der Kirchenfnechtung und Verkehrtheit voranleuchtete, 
jegt ba& Panier ber wahren Staatöweisheit, bie zugleich 
mit ber Geredjtigfeit nur ibentifd) ift, ruhmwürdig aufs 
gepflanzt. Leider fónnen wir nicht das gleiche Xob bis 
jegt auch allen Heinern Staaten fpenben, und wenn mande 
ihrer politifchen Künftler gegenwärtig zu unferem Verwun⸗ 
dern häufig von Nothwendigkeit ber Religiofität und des ὦ 
pofitiven Ehriftenthums reden, fo will uns dieß oft gar 
zu febr nur an die Scheinbefehrung eines Sünvers auf 
bem &ranfenbette gemahnen. Andere dagegen zeigen deutlich 
38 9 


582 Staubenmaler, 


und offen, daß fie nicht das Geringfte in biefer Beziehung 
gelernt haben, daß bie zwei legten Jahre an ihrem Geifte 
fpurlo8 vorübergegangen, und daß fie, fobald fie wieder 
feft figen, das thörichte Epiel unverändert aufs Neue a 
fangen wollen. Da wird wieder tabellifirt, rubricirt, inftruirt, 
organifirt und modificirt — aber εὖ bleibt beim Mechani- 
firen und Mackhiavellifiren, und ftatt bie Kirche in ihrer 
Einwirfung auf die Menfchheit angelegentlichft zu unter 
flügen, damit endlid wieder jener befiere Grund gelegt 
werde, auf bem erft alle Sürgertugenben aufblühen können, 
ftatt deffen ift mancher Staatshämorrhoibarius wieder voll 
Eiferfucht auf bie Kircye, und befchnipfelt ihre Rechte wieder 
mit größerer Wonne, ald ber Schacherjude die Dufaten. 

Herr St. hat wohl Gelegenheit gehabt, dieß in ziems 
licher Nähe zu fehen, deßhalb tritt er nochmal als relígioss 
politifher Schriftfteller auf und zeigt in dem vorliegenden 
Werke, daß jenes falfche, dämonifche und unheilfchwangere 
Princip nicht erft feit der franzöfifchen Revolution i. 3. 
1789, fondern fchon feit 18 Jahrhunderten unter uns (pudt, 
daß εὖ bis jegt ftetó bie gleichen Wirkungen hervorgebradt 
und ſtets biefelben unglüdlichen Folgen im Leben und in 
der Gefchichte gehabt Babe. 

Diefes falfche, daͤmoniſche Princip ift aber nichts ans 
bere8, als ber Abfall vom Gfriftentbum, vom chriftlichen 
Geíe& unb ber chriftliden Ordnung, das moderne Heiden 
ijum und das moderne Subentbum, beide von ben gleich⸗ 
namigen großen Erfcheinungen des Alterthums wefentlid) 
verfchieden und viel tiefer ftebenb, viel irreligisfer als biefe. 

Diefer Abfall vom Chriſtenthum aber begann mit bem 
Gnofticismus und Manihäismus, welche nicht etwa zwei 
chriſtliche Härefien im gewöhnlichen Sinne des Wortes, 





die Grundfragen der Gegenwart. 983 


zwei unrichtige Auffaffungen ber chriftlichen Wahrheit, fons 
dern zwei abfolut feindliche Gegner des Gbriftentbuma 
waren und find. „Wie nämlich das Chriftenthum fid) ben 
Zweck fept, das Heidenthum aufzuheben; fo fegen fid) ber 
Gnofticismus und Manichäismus — biefe neuen Geftalten 
des Heidenthums — den Zweck, alles Ehriftliche zu zer- 
ftören, feine Dogmen wie feine Sitten zu vernichten. 
Diefe beiden Syfteme find ihrem Weſen und ihrer Gr» 
fiheinung nad) bie verworfenften und fdyredfafteften geiftigen 
Geftalten, die in ber Zeit aufgetreten find unb gewirkt 
haben. Es trat in ihnen, wie nod) nie, ein Geiſt ber 
Blasphemie, ber Züge, ber Unfittlichfeit unb 
Gefeglofigfett auf, welcher bie zügellofeften Ausſchwei⸗ 
fungen des Sleifches nicht für Sünde, fonbern für etwas 
Erlaubtes erflärte .... Der Triumph ber Kirche über dieſe 
Geſtalten ift zugleich zum Triumphe der Menfchheit über 
ihren Argften Feind geworden. Denn im umgefehrten Falle, 
im Balle des Sieges nämlich biefer daͤmoniſchen Geftalten 
über die Kirche unb bie Menfchheit felber, wäre über bie 
(egtere eine Kataftrophe hereingebrochen, die ficher allem 
wahrhaften menfchlichen Sein und Leben, jedem fittlichen 
Gefeg unb aller heiligen Ordnung ein Ende gemacht hätte.“ 
S. XXIV. 

Glücklicher Weife hat bie Kirche den Gnoſticismus 
und Manichäismus beftegt; allein fte hat beíbe „war bes 
Περί, aber nicht gerftórt; fie leben fort, und c8 fehlte nod) 
nie an ihren Beftrebungen, eine ftets furchtbare Macht 
des Böſen zu entwideln, um in ber Menfchheit und mit 
ihr zu bem geftedten verderblichen Ziele zu gelangen.“ 
S. XXV. Als folche Zortfegungen des Gnoſticismus und 
Manihäismus erfennt Herr St, nicht blos bie befannten 


584 ' GStaudenmaler, 


manichäifchegnoftifchen Syſteme des Mittelalters, vielmehr, 
und das ift eben fein Hauptfag, verband fid) ber 
Gnoficismus unb Manihäismus mit der Phis 
Lofophie, bejonberó der pantheiftifchen, unb erzeugte 
fodenAntinomismus, Gommuniómudsunb Socia—⸗ 
lismus. Sa, die ganze Grundanfchauung unferer irre⸗ 
geführten Zeitgenoffen ift gnoftifd manichäifh. — Den 
Beweis für diefe Behauptung fol die gegenwärtige Schrift 
liefern und zugleich zeigen, „welches bie Natur der Princis 
pien fei, an die man fid) heute fo fehr hingibt, in welcher 
Weiſe biefe Prinripien unter allen Imftänden, an allen 
Drten und in allen Zeiten wirfen, und wie fte Fünftig bie 
ganze fittliche und fociale Ordnung zerftören werben, mem 
man fie fortwirfen läßt.“ ©. XXVII. 

Der SBerfaffer hat jedoch diefen gefchichtlichen Beweis 
nicht in ber gewöhnlichen Weife geführt, fo bag er mit ber 
Echilderung ded Gnofticismus und Manichäismus ange 
fangen und das Fortwuchern diefes falfchen Principe unb 
AntichriftenthHums im Ablauf ber Zeiten ftetig dargeſtellt 
hätte. Er hat vielmehr einen andern Weg eingefchlagen, 
hat in 3 großen Abhandlungen a) bie religiófe, b) die 
fittliche, unb c) bie fociale Gefahr ber Gegenwart 
gefchildert, und in tiefer Schilderung zugleich die des Gnos 
fticiómue und Manichaͤismus mitgegeben. Daß diefes Ver: 
fahren nicht Jedermann ganz gefallen werde, hat der Verf. 
felb(t geahnt, übrigens handelt e$ fid ja unferes Erachtens 
nicht fo faft barum, ob bie falfchen und antichriftlichen 
Theorien und Beftrebungen ber Gegenwart mehr ober we 
niger mit dem Gnofticismus und Manichäismus verwandt 
find oder nicht, bie Hauptfache ift, zu zeigen, daß fte bit 
Religion, Sittlichkeit unb Sorietät in Deutfchland v ir fli d) 





bie Grunbftagen der Gegenwart. 585 


gefährden, unfere ganze Bildung unb Gefittung untergraben 
und fte umjuflürgen drohen, und dieß hat ber Hr. Verf. 
wirklich getban und geleiftet. 

Sn ber erften. Hauptabtheilung, ber übrigens nod) 
eine fleinere Abhandlung über bie Bedeutung, den Ernft 
und die Gefahr der Gegenwart im Allgemeinen vorangeht, 
zeigt er, wie die Religion Deutfchlands in hohem Grade 
bedroht fei: a) von ber pantheiftifchen Philofophie Hegel’s 
und noch mehr Ludwig Feuerbach's, aus beffen Schrifs 
ten veichliche Auszüge beigebracht werden; b) von ber 
negativen Kritik ber HH. Strauß, Bruno Bauer 
u. 9., deren Richtung und Refultat der Hauptſache nach 
gefdilbert wird. Die Religion Deutfchlands fei bann 
weiter bedroht c) durch das Herüberwirken des Pantheis⸗ 
mus und Atheismus auf das Gebiet ber Politik, ber 
Raturwiffenfhaften unb Poeſie. Hier find es ble 
politifchen Schriften und SBeftrebungen der Gebrüder Bruno 
und Edgar Bauer, ferner Proudhon's und G. 
Grün’s, fodann die materialiftifchphyftologifchen Briefe 
des befannten Carl Bogt, endlich bie poetifchen Werfe 
von ὅτι v. Sallet, Gugfom und Leopold Scheffer, 
welche als Beweife für bie Grifteng jenes antichriftlichen Brin- 
cips von unferem 9Berfaffer aufgeführt, gefchilvert und tbeils 
weife ercerpirt werden. — Man flieht leicht, wie viel des 
^ Sntereflanten ſchon dieſe Abtheilung enthält. 

Bis hieher war vorliegende Schrift ſchon früher, vor 
dem Jahr 1848, in ber Freiburger Zeitfchrift für Theologie 
(Band XVIL Heft 1.) erfchienen, und ber große Zeitintervall, 
der zwifchen ber Abfafiung diefer unb ber folgenden Abs 
theilungen verlief, bat einzelne Ilngleichartigkeiten unb Wie⸗ 
derholungen gewiflermaffen nothiwendig zur Sofge gehabt. 


586 Gtaubenntater, . 
Namentlich gehört das hiftorifche Moment: die Anktnüpfung 


ber falfd)en Weisheit unferer Zeit an den Gnofticiömus - 


unb Manichäismug, eigentlich erft ben fpäteren Abtheilungen 
des vorliegenden Werkes, nicht auch fchon ber älteren 
Partie an. 

Sn der zweiten Haupt-Abtheilung, von ber fittlichen 
Gefahr handelnd, wird gezeigt, wie zundchft der alt 
gnoftifche und manichäifche Abfall vom Gbriftentbum, wie 
fobann fpáter im Mittelalter eine ganze große Reihe vers 
wanbter Seften, namentlich bie Brüder und Schweftern des 
freien Geiftes und zahlreiche falfche und pantheiftifche Myſti⸗ 
fer, alle Fundamente des fittlichen Lebens untergraben, 
namentlich Eigenthum unb Ehe aufgehoben, Güter» und 
Srauengemeinfchaft eingeführt, und ben concubitus promis- 
cuus, felbft Blutſchande, nicht blos für etwas Adiaphos 
riftifches, fondern fogar für einen D. Aft erflärt, unb in 
ihren Eultus aufgenommen haben. Hier ift fichtlich ber 
grelfte Gegenjag gegen die chriftliche Dioral. — Aber aud) 
die fpätere pantheiftifche Philoſophie feit Spinoza, zeigt ber 
fRerfaffer weiter, bat eine oppofitionelle Stellung gegen 
das fittliche Leben und drohet diefem nicht geringe Gefahr. 

Zum Belege dafür werden ziemlich reichliche Auszüge 
aus Gpinojya, Hegel und feinen Schülern und Anhängern 
mitgetheilt, und gezeigt, wie von biefem Syſtemen und 
Männern der Begriff ber Sünde aufgehoben, die ϑὲ οἱ ἢ» 
wenbigfeit ber Sünde und des Boͤſen ‚gelehrt, unb bie 
Sünde ald ein „wmefentliches und nothwendiges Moment 
im Proceſſe ber bee, alfo im göttlichen Lebensproceß,“ 
oder „als das Infichgehen des natürlichen Dafeind bes 
Gieifte&^ aufgefaßt worden fei. Auch vergaß der SBerfaffet 
nicht, bie befannte leichte Hegel’fche Sündenabfolution an 


die Grundfragen der Gegenwart. 587 


zuführen. Hegel meint nämlich, „der Menfch folfe und 
. müffe fi mit bem Allgemeinen, und dem was hiefür 
zu thun ift, nicht aber mit fid) unb feiner Sünde befchäftigen. 
Wem nun aber jenes fchlechte Ideal (das chriftliche unb 
afcetifche) vorſchwebe, ber finde freilich bie Meenfchen immer 
mit Schwäche und Verderbniß behaftet; bie gewöhnlichen 
Menfchen machen nämlich aus €umpereien eine Wichtigfeit, 
worauf fein Vernünftiger fehe, und meinen irrig, folche 
Schwachheiten und Fehler feien noch vorhanden, haften 
noch, wenn man fid) auch nichts mehr daraus mache. — 
Der Menſch, ber fie hat, fährt Hegel fort, ift uns 
mittelbar durch fid felbft abfolvirt, infoferner 
nichts daraus macht.“ (Θεῷ. b. Philof. Bb. II. S. 274.) 

Zum Schluffe befpricht ber Verfaffer noch jene Theorien 
ber Sleifchesemancipation, welche in unfern Tagen 
von Literaten, Halbphiloſophen, Dichterlingen und Polis 
tifafterá8, namentlich ben „Literaturjuden“ vertreten, 
ben Olymp ber chriftlichen Moral zu ftürmen gefucht haben. 
Als ihr Hauptrepräfentant wird Heinrich Heine auf 
geführt, unb unter Anderem aus feinem „Salon“ (1I, 132 f.) 
felgenbe febr bezeichnende Stelfe mitgetheilt: „Wir Fämpfen 
nicht für bie Menfchenrechte des Volkes, fonbern für bie 
Gottesrechte des Menfchen. Wir wollen feine Sanscülotten 
fein, feine frugalen Bürger, feine wohlfeilen Präftdenten; 
wir ftiften eine Demofratie gletchherrlicher, gleich 
heiliger, 'gleichbefeligter Gótter. Ihr verlanget 
einfache Trachten, enthaltfame Sitten und ungewürzte Ges 
nüffe; wir hingegen verlangen Nectar unb Ambroſia, 
Burpurmäntel, Foftbare Wohlgerüde, Wolluſt 
und ταδί, lachenden 9tompbentang Muſik und 
Komödien.“ 


$88 Staudenmaler, 


Aus dem bisher Ausgeführten fonnte nun ber Ser 
faffer ein Facit in Betreff auch ber foctalen Verhaͤlmiſſe 
ziehen. Wenn nämlich das falfche Princip, das fo vice 
unferer Zeitgenofien beherricht, einerfeits die Religion, 
und andrerfeits bie Sittlichfeit untergräbt, fo ergibt 
fif daraus mit Nothwendigkeit auch der Umſturz der focia- 
len Verhaͤltniſſe; bie religiöfe und bie fittliche Gefahr hat 
auch bie fociale zu ihrer nothiwendigen Folge. Der aw 
theismus erzeugt Atheismus und Materialismus, vers 
nichtet dadurch die Religiofität und Sittlichfeit, untergrábt 
aber damit zugleich bie Fundamente der bürgerlichen Ge 
ſellſchaft. So einleuchtend dieß aber (d)on an fid) ift, fo 
bat ber H. Verf. doch für gut gefunden, es in großer 
Ausführlichfeit ex professo noch nachzuweifen und hat barum 
in der dritten Hauptabtheilung, bei weitem ber größten 
und umfangreichen, bie ſociale Gefahr gefchilvert, 
die aus bem irreligiöfen und widerchriftlichen Principe zu 
alien Zeiten entftanben [εἰ und entftehe. Diefe Abtheilung, 
vielleicht bie anziehendfte im ganzen Buche, enthält eine 
Menge fehr intereffanter Details über die flaatögefährs 
lichen Dortrinen der Antinomiften, Soeialiften und Pans 
theiften aller Zeiten. Außer den alten und mittelalters 
lichen Gecten werden aus dem Beginne der fogenannten 
Reformationgzeit bie Wiedertäufer, die Libertiner 
und David Zoris bier aufgeführt und ihre Theorie 
und Braris gefchilder. Darauf wendet fid) ber Ret 
fafter zu den pbifofopbifd)en Syſtemen von Hobbes 
und Spinoza, bann zu ben ebenfo gefährlichen als ober 
flächlichen Lehren der Yreidenfer: Thomas Morgan, 
" &olanb, Boltaire, Helvetius,Rouffeau, Sieyed, 
Mably, Briffot u. A. — Noch intereffanter find fofort 








die Gruntfragen der Gegenwart. 589 


feine Mittheilungen über den SaintzGimoniémuse, 
über ben Sorialiemus von Fourier, Robert Owen 
unb Proudhon, über das Syſtem Lamennai’s, bie 
Theorien von Gouffin, Jouffroy, Michelet, er 
minier u. 9. Auch das Syftem Hegel’s und feiner 
Schüler fommt wieder zur Sprache und fein deftruirender 
Einfluß auf die fociale Orbnung wird gefehildert. Den 
Schluß biefer Abtheilung endlich bilden Mittheilungen über 
bie Lügens und Betrugsliteratur der neueften Zeit, bie 
fogenannten Enthüllungen über bie Geburt und ben Sob 
Ehriftt 1c. betreffend. Auch die Beftrebungen und Plane 
ber demofratifchen Arbeitervereine werden nicht vergeffen. 
Mit Beendigung diefer dritten Hauptabtheilung hatte 
der Berfaffer wie und fcheint, feinen Zwed eigentlich er» 
reicht und feinen Grunbgebanfen durchgeführt. Er fchließt 
jebod) noch zwei weitere Abhandlungen an, wovon bie eine 
„das Bild ber Gegenwart,“ bie andere „bie einzige 
Rettung“ überfchrieben ift. Auch hierin treffen wir wieder 
viel Schönes, Wahres und Beachtungswerthes, nur will 
uns fcheinen, daß bie Schilderung des Syſtems von Ma; 
zini und Anderes mehr in den Abfchnitt von ber focialen 
Gefahr, als an biefen Pla gepaßt hätte. Ganz einvers 
ftanben find mir dagegen mit bem Hauptinhalte des Kapitels 
über „die einzige Rettung,“ daß nämlich biefe nur liege 
im „pofitiven Ehriftentbum, welches in ber von 
Gott geftifteten Kirche ift, wirft und lebt.“ 
Hefele. 


/ 





.590 Amberger, 


3. 


Paftoraltheologie. Durch Dr. Iof. Amberger, Sgen im 
Klerikalfeminar in Regensburg. Erſtes Buch, Grundlegung. 
Mit oberhirtlicher Gutheißung. Regensburg, Papier, Drud 
und Derlag von ὅτ. Puſtet. 1850. 224 €. Pr. 54 fr. 


Die theologifche Literatur fowohl der Katholiken ald 
Shroteftantet hat aus den [egten Jahrzehnten verfchiedene 
Werke aufzuweifen, bie fid) tfeiló über ba6 Ganze theild 
über einzelne Zweige der PBaftoraltheologie verbreiten. Aber 
diefelbe al8 eine eigene Wiffenfchaft neben ben andern 
theologifchen Wiffenfchaften zu behandeln, darauf haben 
beinahe Alle entweder ftillfchweigend ober ausbrüdlich ver 
zichtet, Unter den Katholifen bat Graf in feiner Schrift: 
„Kritiſche Darftelung des gegenwärtigen Zuftandes der 
practifchen Theologie. Tübingen bei 9aupp 1841“ auf 
biefen Uebelftand mit Nachdrud aufmerkfam gemacht, und 
bie Möglichkeit, ja Nothwendigkeit einer wiffenfchaftlichen 
Behandlung ber practifchens ober Baftoraltheologie darzus 
thun gefucht. Allein Graf ift bei diefem Fritifchen Theile 
fteben geblieben, unb hat die wiflenfchaftliche Gonftruction der 
practifchen Theologie nach ben von ihm aufgeftellten PBrincis 
pien bisher wenigftend nod) nicht and Tageslicht treten 
laffen. Es fann ihm aber das 9Berbienft nicht abgefprochen 
werben, zu einer neuen Behandlung der Paftoraltheologie 


einen Anftoß gegeben zu haben, ein SBerbienft, das aud) 


der proteftantifche Theologe Alex. Schweizer 1) anerkennt. 
Amberger hat den Grundgedanken Graf aboptirt, und 
1) Siehe: Homiletik ber. evangelifch « proteftantifdjen Kirche, 


Syftematifch dargeftellt von Aler. Schweizer, Dr. u. prof. ber Then 











Paſtoraltheologie. 591 


ſucht nun in einem Paſtoralwerke, von dem die erſte Ab⸗ 
theilung vor uns liegt, auf bemfelben ein wiſſenſchaft⸗ 
liches Gebäude ber Paftoraltheologie aufzubauen. Bon 
diefer erften Abtheilung zu fchließen, bie nur bie Grund- 
legung ber Baftoraltheologie enthält, darf man von bem 
Berfafler etwas recht Gutes erwarten. 

Die Baftoraltheologie ift ibm „pie Wiſſenſchaft 
ber goͤttlich-menſchlichen Thätigkeit ber Kirche 
für den Auf» und Ausbau des Reiches Gottes 
auf Erden.“ Man ftebt alfobald, daß biefe Definition 
von denen wefentlich abweicht, weiche wir in ben Baftorals 
theologien von Schwarzel, Reichenberger, Hinterberger, 
Herzog, Gallomig, Brodmann und A. finden; nad) biefen 
ift fie weiter nichts als eine Anleitung zur Ausübung des 
geiftlichen Berufes, eine Zufammenftellung von Regeln 
für den Prediger, Satedeten, Liturgen u. f. w., fte ift 
weder Wiflenfchaft, nod) madt fie Anfpruch darauf, εὖ 
zu ſeyn. Demgemäß wäre die Paftoral in ter Reihe ber 
theologifhen Wiffenfchaften nicht ein nothwendiges Glied, 
fonbern eine zufällige Disciplin, bie eben fo gut auch fehlen 
könnte, wenn es nicht unter den Theologen einige Ungeſchickte 
gäbe, bie für ihre PBaftoration einer Anweifung und Ans 
leitung bebürften. Es ift nicht zu leugnen, baf bei ders 
artigen Anleitungen der geiftliche Beruf leicht ben Anfirich 
von etwas Handwerksmäßigem befömmt. Nur dadurch, 
daß die Paftoraltheologie auf einen hoͤhern Standpunft 
erhoben, und aus ben rechten Principien abgeleitet und 
auf benjelben aufgebaut wird, gewinnt man auch eine 
höhere Anfchauung von bem geiftlichen Berufe unb ben 
geiftlichen Thaͤtigkeiten. 

Der Begriff, wie ihn unfer Berfafler von ber φαβοταῖν 


599 : Amberger, 


theologie aufftellt, faͤllt faft wörtlich mit bem von Graf Ge; 
gebenen zufammen, welcher bie praftifche Theologie als „pie 
Wiffenfchaft ber Firdliden, gótttidsmenfd» 
lichen Thätigfeiten zur Erbauung der Kirche“) 
erklärt. Mit blefer SBegriffebeftimmung fann man fid) zus 
frieden erflären, man fommt mit berfelben wenigftens hinaus 
über bie bisherig gewöhnliche oberflächliche Auffaffung bet 
praftifchen Theologie; fie verläßt den Boden eines bloßen 
Regulativs für bie geiftliche Berufsthätigkeit, und fucht 
fih eine Grundlage zu geben, auf ber aufgebaut fte als 
eine ſelbſtſtaͤndige theologifche Wiffenfchaft neben den andern 
auftreten Tann. Diefe Wiflenfchaft ift dann nicht bloß 
eine Anleitung für beu geiftlichen Stand zur Einführung 
in feine Amtsthätigfeit, fonbern ift fid Selbftzwed, fie hat 
Sntreffe , die göttlichsmenfchliche Tchätigkeit der Kirche um 
ihrer felbft willen varzuftelen. Daß biefe Darftelung zur 
‚gleich für denjenigen, ber in das geiftliche Amt eintritt, 
eine Anregung, richtige Auffaffung feiner Amtsthätigkeit 
und Einweifung in biefelbe enthält, ift ber untergeorbnete 
Zwed. Sol die praftifche Theologie zur ebenbürtigen 
Wiſſenſchaft mit den llebrigen in dem Syſteme ber theo« 
Iogifchen Disciplinen erhoben werben, fo muß man fid) von 
dem Gedanken losmachen, als ob fie bloß für diejenigen 
bafeí, welche in ben paftoralen Beruf eintreten wollen, 
oder (don eingetreten find. Wie bie Dogmatik den in ber 
‚Kirche liegenden Glaubensftuff foftematifch orbnet und bare 
ftelit, unb.in btefer Darftelung ihre nächite Aufgabe ets 
füllt, fo muß auch bie praftifche Theologie in ber fuftematifchen 
Darftellung des ihr zugewiefenen Stoffes in der Kirche 


1) Graf, Kritiſche Darfellung xc. p. 126. 





Paſtoraltheologie. 593 


ihre naͤchſte Aufgabe und ihren hoͤchſten Zweck erkennen; 
und wie die Dogmatik außer jenem erſten Zwecke auch die 
Aufgabe hat, diejenigen, welche ein kirchliches Amt über⸗ 
nehmen wollen, allſeitig in ben Glauben der Kirche ein⸗ 
zuführen, fo foll auch bie practifche Theologie befonders 
ben. Kirchendienern nupbringend fegn. Mit ber Begriffö- 
beftimmung hat unfer SSerfaffer den alten Boden verlaffen, 
aber durch verfehievenerlei Aeußerungen, die fid) an diefelbe 
anfchließen, macht er fid von ber bisher gewöhnlichen 
Anfhauung, a(8 ob bie PBaftoraltheologie nur eine Ans 
weifung enthalte, „wie ber Geiſtliche als Stellvertreter 
Chrifti und als Organ der Kirche walten folle“ p. 9, 
nicht ganz (o8, unb wir müffen wohl auch zugeben, daß 
bie practifche Theologie mehr als jede andere theologifche 
Wiffenfchaft auf bie Brauchbarfeit und Nutzbarkeit für 
denjenigen Rüdficht nehmen muß, der zur Bührung eines 
geiftlichen Amtes in der Kirche (id) befähigen will. — 

Ob in der Definition ber Beifag „für ben Auf⸗ 
unb Ausbau des Reiches Gottes auf Erden“ 
ald Zwedbeftimmung der in der PBaftoraltheologie zu bes 
ſchreibenden Sbütlgfeit, ganz paffenb fep, will id) dahin⸗ 
geftellt feyn Taffen. Es fónnte fcheinen, als ob Predigt, 
Katechefe und Liturgie nicht in fid) felbft ihren Zwed und 
ihr Genüge fünden, fonbern nur die Kirche in die Zukunft 
hineinbildeten. Zudem ift bei biefem Beifage ber Thätigkeit 
der Kirche auf bie Einzelnen und die Gemeinden nicht 
Bedacht genommen und ift er fomit doch nicht genügend. 
Wir würden daher biefen SSeifag weglafjen unb etwa fagen: 
„die practifche Theologie ift bie wifjenfchaftliche Darftellung 
des fortgefepten. Wirkens Chrifti in ber Kirche burd) m 
ftelloertretenben Organe, — 


Die in Rebe ftebenbe Wiffenfchaft wird von bem Bet» 
faffer Paftoraltheofogie genannt, unb er rechtfertigt dieſe 
Bezeichnung, wenn er p. 33 fagt: „die Kirche erbauet (id), 
das ift: Jeſus Ehriftus, ber gute Hirt, ber fein Leben 
bingegeben bat für feine Schafe, fammelt fi) fort und fort 
durch die Kirche und in ber Kirche feine Heerbe, fuchet auf 
die verlornen Schafe, weibet fie durch fein Wort, nährt _ 
fie mit feinem Blute, wachet über fie, unb bietet fid) als 
Opfer für fie bar. So führt mit Recht biefer Zweig ber 
Theologie ben fchönen, bebeutungóbollen Namen: Baftorals 
theologie.“ Wir verfennen nicht, daß dieſe Bezeichnung 
für eine Wiffenfchaft, welche bie gottmenfchlichen Thaͤtig⸗ 
keiten, alfo das Wirken Jeſu Chrifti in ber Kirche bars 
auftellen fich zur Aufgabe macht, ihre Begründung findet 
darin, daß Chriftus fid) mit Rüdficht auf fein erlöfendes 
Wirken auf Erden „nen guten Hirten“ nannte. Allein 
wie jedes Bild etwas Inadäquates hat, und oft nur Eine 
Seite des zu bezeichnenden Gegenftandes mit 9tadjbrud 
bervorbebt, fo ift e& auch bier, nennt fit) ja Chriſtus nad) 
einer andern Seite hin auch „Weinftod“ u. A. — Die Bezeich⸗ 
nung „practifche Theologie“ dürfte daher nicht zu verwerfen — 
feyn, gegenüber der Bezeichnung „PBaftoraltheologie,“ welche 
allerdings ben bisherigen Gebrauch mehr für fid bat. Wollte 
man fagen, unter practifcher Theologie müßte man ftreng 
genommen auch die Moral und das Kirchenrecht einbegreifen, 
fo beftreiten wir biefeó, infofern bie erfte Wiffenfchaft das 
Erfennen des auf dem «hriftlichen Glauben beruhenden 
fittlichen Lebens nach feinen pofitiven Beſtimmungen vers 
‚mittelt, die zweite aber die ganze Organifation und Ber 
faffung der Kirche mit den verfchledenen rechtlichen Normen 
und Beftimmungen der wiflenfchaftlichen Erkenntniß nabe 








Paſtotaltheologie. 395 


zu bringen fucht. Dagegen Bat aber unfere Wiffenfchaft 
vor allen Andern im theologifchen Gebiete die göttlich: 
: menfchlihen Thätigfeiten in ber Kirche zum Gegen 
flande ihrer Därftelung, und ift fo αἷδ theologifche 
Wiſſenſchaft practifch, gegenüber den andern, welche bie 
hiſtoriſche Entwicklung ober das innere Wefen der Kirche 
nach ihrem Glauben und nad) ben Vorfchriften und Bes 
fimmungen für das fittliche Leben, oder auch ihre Orga⸗ 
nifation und Durch Rechtsnormen beftimmte Eriftenz barftellen. 
Zu leugnen ift allerdings nicht, daß Manches in das 
Kirchenrecht hereingezogen zu werben pflegt, was ftreng 
genonmen in ba6 Gebiet ber practifchen Theologie fiele. 
Im Uebrigen finden wir bie Bezeichnung „Paſtoraltheologie“ 
für diefen Zweig der Theologie nicht verwerflich, nur wäre 
gu wünfcen, taf man einmal über eine beftimmte Bes 
zeichnung biefer Disciplin in Reine käme. — 

Sm Ganjen find wir alfo mit dem Sunbamente, auf 
welchem der SBerfaffer feine Paftoraltheologie zu conſtruiren 
unternimmt, einverſtanden. Wenn gleich nur die Grund⸗ 
linien zu dieſer eigentlich neuzubauenden Wiſſenſchaft vor 
uns liegen, ſo ſehen wir doch daraus, daß ein Mann die 
Sache in die Hände genommen, der ſeine Aufgabe mit 
Geiſt und Leben loͤſen wird. Nachdem der Verf. ſich uͤber 
den Begriff, die Aufgabe, Name der Paſtoraltheologie 
Verhaͤltniß derſelben zu den andern theologiſchen Disciplinen, 
über die Nothwendigkeit derſelben u. ſ. w. verſtaͤndigt hat, 
geht er uͤber zu den Quellen der Paſtoraltheologie, (Bau⸗ 
ſteine nennt er ſie, da er an dem Bilde in ſeiner Deſinition 
der Paſtoraltheologie fefthält.) — 

Sn Betreff biefer. Quellen bemerft er p. 45: „ber 
Gift und Wille Chriſti ift demnach bie erfte und lete 

Spes. Duastalfgeift. 1850. eft IV. - 39 


596 Amberger, 

‚Quelle der Paftoraltheologie; aus dieſer Duelle ſchoͤpfet 
fie lebendiges Waller. Sie will nicht und lann nicht wollen 
mancherlei Klugheitöregeln und Kunftgriffe für bie Seel⸗ 
forge erfinnen; fie will nur und fann nur wollen forfchen 
nad dem Geifte und Willen Chrifti. Dieß ift das reiche, 
unerfshöpfliche SBergwerf, aus bem fie echtes Silber unb 
Bold zu Tage zu fördern hofft. — Unmittelbare Kunde 
vom Geiſte und Willen Ehrifti erhalten wir durch bie hei 
ligen Schriften, mittelbare burd) das Wort und das 
Leben ber Kirche. Ihr Wort fpricht bie Kirche burd) bit 
allgemeinen Kirchenverfammlungen, durch ihr Oberhaupt 
und burd) bie heiligen Väter und Lehrer und durch bad 
fanonifche- Rechtöbuch ; ihr Leben offenbart. fid) in ihren 
Feſten, in ihren Ginridtungen und Gebräuchen, in ihren 
Ritual: und Bönitenzialbüchern, in frommen Gewohnheiten, 
bie fid) gebildet haben im Ablaufe der Sabre, und die be 
währten Erfahrungen ber Seelforger. Das find bie einzelnen 
allgemeinen Quellen der Paftoraltheologie, liebliche Bäche, 
Sämmtlich aus der Einen Urquelle entfpringend.“ 

In bem erften Abfcpnitte biefer Grundlegung ber Pas 
ftoraltbeologie wird beinahe jedem S. eine Stelle aus ber 
heiligen Schrift zunächft aus ben Evangelien an bie Syipr 
geftellt 4. 9. 4. 15 „forfehet in ben Schriften“ Joh. 5, 39, 
4. 19 „darnach verordnete ber Herr noch andere zwei und 
fiebenzig u. f. ὦ. Zur. 10, 1. $. 20 „die Grubte ift groß, 
bie Arbeiter aber wenig“ Luc. 20,1. Nachdem Die Stelle 
aus den Evangelien, welche auf das Leben der Prieſter 
Bezug haben, als bag Wort Chrifti an bie Seelforger 
enthoben find, geht er hann auf I. Betr. 5, 1. über eli 
das Wort des erften Oberhauptes an bie Kirche. Sofort 
von $. 35—39 tritt ber OG offerapoftel alo Pakoral 








Paſtoraltheologie. | 597 


febret auf, und εὖ werden aus feinem Leben und aus 
feinen Briefen zur weiteren Erörterung  Greigniffe und 
Stellen herbeigegogen, welche für einen Seelforger belehrende, 
anregende und ermunternde Momente enthalten. Endlich 
wird in biefem Abfchnitte noch in drei 88. 40— 42 das 
Beifpiel und Wort des Apoſtels der Liebe zum Gegenftanbe 
der Betrachtung gemadt. — 

Was uns in biefem Abfchnitte aufgefallen, tft die, 
daß, was in der heiligen Schrift aufgezeichnet ift, nämlich 
in den Evangelien und in den Briefen ber Apoftel αἱ 
das unmittelbare Wort Ehrifti genau von dem Wort 
und Leben der Kirche gefihieven wird. Das Wort Ehrifti 
in der heil. Schrift ift uns ja gerade durch bie Schrift 
. unb beziehungsweife durch bie Apoftel vermittelt, unb 
infofern nicht unmittelbares Wort Chrifti. Sodann 
werben auf dieſe Weife bie Evangeliften unb Apoftel gewiffer- 
maßen von der Kirche abgefchnitten, während fie bod) bie 
Grundlage oder vielmehr das erfte Glied in ber Reihe ber 
Tirchlihen Entwidlung find. ebenfalls könnte aber eine 
folche Abfcheidung zu großen Mißverftändnifien Anlaß geben, 
weil e8 den Anſchein gewinnen fónnte, als 06 das burd) 
die Kirche vermittelte Wort Gottes ein Anderes, ein von 
dem unmittelbaren zu Unterfcheidendes fep. — 

Was die Ausführung im Einzelnen anbetrifft, fo ift 
diefelbe in ihrer Art ausgezeichnet. Der Verfaſſer läßt 
meiftens Andere reden, nämlich bie Väter und Schriftfteller 
ber Kirche, woburd) bie Darftelung einen durchaus obs 
jeetiven Charakter erhält. Die Auswahl der aufgenommenen 
Stellen ift meift febr. gut getroffen, und das was der Vers 
faffer zur weitern Ausführung ober jur Verbindung und 
Aneinanderreihung ber angeführten Schrift unb Bäterftellen 

39* 





598 . Üimbetger, 


fagt, ift flet6 ganz angemeffen. Sd) mache, da e8 zu weits 
läufig. wäre, einen ganzen Paſſus aufzunehmen, neben vielem 
Andern recht Schönem auf $. 32 aufmerffam, wo zu ber 
fBibelftelle „Eine Stadt, bie auf einem Berge ftebt, faun 
nicht verborgen bleiben“ Matth. 5, 14 eine herrliche Stelle 
aus ber Erflärung des Hohenliedes vom heil. Bernhard 
aufgenommen ift; ferner auf $. 34, wo bie Stelle I. Petr. 
9, 1. „Weidet die euch anvertraute Heerde Gottes und 
beforget fie nicht aus Zwang, fondern freiwillig, nad) 
Gottes Willen, nicht um fdüánbfiden Gewinnes willen, 
fondern aus Liebe“, in vortreffliher Weife eregetifch homi⸗ 
fetifch ausgeführt ift; ebenfo beacdhtenswerth ift aud) 5. 42, 
wo unter bem Titel „allgemeine Kirchenvifitation“ bie erften 
Derfe von Apoc. 2 in ähnlicher Weife, wie δ. 34 IL Petr. 
5, 1. durchgegangen find. Doc, biefer Abſchnitt enthält 
des Trefflihen und Guten foviel, daß ich zur Lefung des 
Buches ſelbſt ermuntern muß. — Gigentbümfid) berührt εὖ 
allerdings, daß in einem Buche, welches in gewiffer Weife 
bie Prolegomena zu einer Wiffenfchaft enthält, foviel ges 
predigt wird. 3.8. p. 15, 32 unb 33, ferner p. 47 unb 
ber ganze $. 37 find faft förmliche Predigten, gehalten an 
Priefter ober Priefteramtscandidaten. Faſt fónnte es daher 
feinen, anftatt das wiffenfhaftlihe Erkennen ber 
göttlich-menfchlichen Thätigkeit zum Aus⸗ und Aufbau ber 
Kirche zu vermitteln, begmede dieſes Buch die Auferbauung 
felbft unb zwar im ascetifchen Sinne. Es ift daher Vieles 
fehr wahr und fchön gefagt, aber nicht ganz am rechten 
Orte. Wir wollen übrigens dieſes nicht fo febr tadeln, 
denn wenn andere Paftoraltheologien zu fleif und troden 
find und daher leicht ermüben, findet man fif) durch bie 


“Φ 





Paſtoraltheologie. 599 
Darſtellung Amberger's, die ſehr ſalbungsvoll iſt, vortheil⸗ 
haft angeſprochen. 

Der zweite Abſchnitt der in Rede ſtehenden Schrift 
ſpricht von den Quellen der Paſtoraltheologie, wie ſie aus 
dem Wort und Leben der Kirche entquellen. Der erſte 8. 
nämlich 43 handelt von der kirchlichen Richtung, bie fid) 
in den SKlerifern geltend machen foll nach den Ritualien, 
corpus jur. can. etc. $. 44 weift auf bie Kirchenverfamm: 
lungen, $. 45 auf das Wort des Oberhauptes, $. 46 
auf das Wort des Bifchofs, auf das bie &lerifer zu achten; 
$. 47 auf das Wort der Väter. Sn biefem $. find ben 
Prieftern Vorbilder aufgeftelt in den Vätern wie SBafiliue, 
Arhanafius, Ephrem und ihre Anfichten und Grundſätze 
über Eigenfchaften und Pflichten ber Seelforger dargelegt. 
— Die folgenden $$. enthalten Fortfegungen von bem 
Morte ber Väter, e8 ift hingemwiefen auf die apoftol. Väter 
und find aus ihnen einfchlägige Stellen citirt, (obann auf 
bie fpätern Kirchenväter unb ihre für die Paftoraltheologie 
bedeutenden Schriften. Es werden auch die Schriften bet 
fpätern SKirchenfchriftfteller nambaft gemacht, welche auf 
bie Baftoraltheologie Bezug haben oder einen Theil derfelben 
behandeln bis zur Sirchenverfammlung von Trient. Es 
ift mit biefer Angabe ber Literatur zugleich eine furge Ges 
ſchichte des Firchlichen Lebens gegeben und fehließt mit 
einem Rüdblid. — 

Mit diefer Schrift ift eine Art geſchichtlicher Grund—⸗ 
fegung für bie practifche Theologie oder Paftoraltheologie 
gegeben, wie fie bisher vermißt wurde, unb fie enthält 
des Schätenswerthen, Trefflidhen und Wahren fo vieles, 
daß fie gelefen zu werden verdient. Es wird fein flerifer 
fie mit Aufmerkfamfeit durchgehen fónnen, ohne innerlich 


608 Deutsche gedichte 


heilfam bewegt unb angeregt zu werben. Referent hat nur 
ben Wunfch, daß ber Verfaffer auf diefe Grundfegung bie 
Wiffenfchaft ber Baftoraltbeologie nach den hier aufgeftellten 
Srundfägen und Principien bald folgen laſſen möge. — 
Bendel, Gonbvictébirector. 


4. 
Deutsche gedichte des ΧΙ, und xrr. Jahrhunderts. Aufge- 


funden im regulierten chorherrenstifte zu Vorau in der Steier- 
mark und zum erstenmale mit einer einleitung und anmer- 
kungen herausgegeben von Joseph Diemer, scriptor an 
der k.k. universitäts-bibliothek in Wien, wirklichem mitgliede 
der k. academie der wissenschaften und ehrenmitgliede des 
vereins für die geschichte und landeskunde Kürntens. Mit vier 
nachbildungen der handschrift. Auf kosten der kais. academie 
der wissenschaften. Wien. Bei Wilhelm Braumüller, k. k. tioF- 
buchhündler. 1849. 8. Preis 5 fl. 50 kr. 


Zu ben wichtigften Gntbedungen, welche in den [egten 
Jahren auf bem Gebiete der altveutichen Litteratur gemacht 
worden find, gehört ohne Zweifel bie ber fegenannten 
Borauer Handſchrift. Die nachfolgenden Zeilen beabfich- 
tigen davon in Kürze Bericht zu erflatten, infowelt bie 
Sache auf bie religiöfe Litteratur Bezug hat. 

Das tegulierte Chorherrenftift zu Vorau liegt in ber 
nördlichen Steiermark nahe an der öfterreichifchsungarifchen 
Grenze und wurde im S. 1163 vom Marfgrafen Otolar 
VIL und beffen Gemahlin Kunigunde aus Freude und 


des xí. und xu. jahrkuriderts. ὃ» Ὁ 60f 


Dankbarkeit über die Geburt ihres Sohnes gegründet und 
mit reichlichem Beſitze ausgeſtattet. Es hat fid) bei allen 
Stürmen und Werhfelfällen des Schickſals, welche Steier 
trafen, dur alle Sahrhunderte bí8 in bie neuefte Zeit 
aufrecht erhalten und bildet nun eine ber fehönften Zierden 
des Landes. Sjanb[doriften und Bücher der Bibliothek find 
gleich ordentlich aufgeftellt und in fleißig gearbeiteten Ka⸗ 
tologen verzeichnet. Die große Anzahl der Handſchriften 
vom eilften und zwölften Jahrhundert an bis zur Erfindung 
ber Buchdruderfunft unb bie vielen Sncunabeln. unb fpäteren 
Druckwerke aus allen Theilen ber. SBiffenftbaft bis in bie 
neuefte Zeit zeigen, daß dem Stifte Sinn und Liebe für 
wiffenfchaftliche Ausbildung niemald fremd geblieben ift. 
Sm Sabre 1841 ward der bermalige Scriptor an 
ber f. f. Univerittätsbibfiothel und Akademiker in Wien, 
Joſeph Diemer auf eine biefer Hanpfchriften befonders aufs 
merfíam, welche zwar im Stifte febr wohl befannt, aud 
im Berzeichniffe ber Manuferipte aufgeführt war, bie man 
aber in ber Borausfegung, daß ihr Inhalt längft gebrudt 
fei, wozu die am Anfange befindliche Kaiferchronif beitragen 
mochte, unbeachtet auf ihrem Platze ließ. Abgeſehen davon, 
daß auch bie erft 1849 durch Maßmann in Berlin erftmals 


herausgegebene faiferdyronif damals nod) nicht gebrudt - — 


war, entbedte Hr. Diemer in dem Buche noch eine Reihe 
anderer Gedichte, welche für bie Geſchichte der älteren 
deutfchen Litteratur in mehr als einer Nüdficht von hoher 
Bedeutung find und fdritt fogleich zu den Vorbereitungen 
zur Beröffentlichung feines Fundes. 

Folgendes ift feltber durch dieſe Bemühungen auf 
Koften der faif. Akademie ber Wiffenfchaften in Wien vers 
öffentlicht worden. 1) Die Kaiserchronik nach der ältesten 





602 ; : Deutsche gedichte 


handschrift des stiftes Vorau, aufgefunden mit einer eine 
leitung, anmerkungen und den lesearten der zunächst 
_ stehenden hss. herausgegeben von Joseph Diemer. Theil L 
Urtext. Wien, bei Braumüller 1849. 8. (Der zweite 
Theil ift noch nicht erfchienen.) 2) Das in ber Heberfchrift 
genannte Züerf, von beffen Sete bier zunaͤchſt weiter 
die Rede ſein ſoll. 

Die Vorauer Hſ. Num. XI, von verſchiedenen Haͤnden 
in verſchiedenen Perioden des 12ten Jahrhunderts geſchrieben, 
enthält zu Anfang bie ſchon erwähnte Kaiſerchronik, am 
Schluſſe das Leben. Kaifer Friedrichs L durch Dito von 
Sreifingen, in der Mitte Fleinere Stüde, nämlich 1) eine 
freie metrifche . Bearbeitung der Bücher Mofis. Das 
Gedicht beginnt mit der Erfchaffung ber neun Engelchöre, 
geht bann auf Lurifers dall. und feine Verfegung in bie 
Hölle über, berichtet ferner bie Schöpfung ber Erbe, bet 
Paradiefes und des erften Menfchen, um jene Kluft in 
ben Engelchören, bie burd) ben δα! Satans entflanden, 
wieder auszufüllen. Dann geht ἐδ weiter auf bie Eva, 
den Sündenfal u. f. f. in abgefürzter Behandlung δε 
Bibeltertes bis zum Tode ber Rachel, ber Frau Jacobs; 
ferner die Geſchichte Joſephs, ziemlich genau übereinftiumenb 
mit der ſchon von Hoffman aus einer Wiener Handfchrift 
herausgegebenen ähnlichen Paraphraſe. (ὅδ᾽ folgt der ges 
fchichtliche Theil ber übrigen Bücher Mofis in noch mehr 
. verfürgter Form und mit vielen Beziehungen auf baó neue 
Seftament und insbefondere auf ben Meffias unb bie ἢ. 
Sungírau, auf welde legtere ein Hymnus eingefügt if, 
bie Geſchichte Balagms, die Schilderung be israelitiſchen 
Heers, der Stiftshütte, Bundeslade, des flebenarmigen 
Leuchter mit Angabe feiner geheimnißvollen Bedeutung, 


des xx. und xi. jahskunderts. 009 


zum Theil aus Iſidors Eiymologteen. Einen wahrſcheinlich 
hierher gehörigen Abfchnitt über ben Antichrit und das 
füngfte Gericht hat der Abſchreiber wohl übergangen, weil 

er dieſe Stüde paſſender fpäter dem Leben Jeſu — 
pi koͤnnen dachte. 


2) Ein Gedicht von der Schöpfung in 32 Abfägen 
und etwa 340 Zeilen. 


3) Ein Loblied auf Salomon. Der unbefannte 
Derfaffer beginnt nad): einer Anrufung des h. Geiftes mit 
ber Bitte zum Herrn, ihm die Weisheit Salomons zw 
fehenken, und geht bani auf den Tempelbau Aber. ‘Dabei 
wird die. Sage von einem Drachen in Jeruſalem erzählt, 
ber alle Brunnen auégetrunfen . babe und ben. niemand 
bezwingen fonnte, bis Salomon auf den Einfall gerieth, 
alte Gifternen mit Met und Wein zu füllen. Der Drache 
fam, tranf wie gewöhnlich und warb fo beiäubt, daß man 
ibn gewältigen und binden fonnte. Hierauf redete er unb 
verfprach dem Könige, [αἴ er ihn wieder frei ließe, eim 
Mittel anzugeben, woburd) er den Tempelbau in fürgefter 
"rift vollenden fónnte. Der König ging die Bedingung 
ein und der Drache befchrieb ibm ein Thier auf bem Berge 
Libanon, aus beffen Eingeweiden man eine Schnur madjen 
feli, welche bie härteften Steine mit der größten Leichtigkeit 
durchichneiden werde. So geichah ἐδ, daß beim Tempels 
bau fein Geräufh von Hammer und Säge vernommen 
ward. 3 Reg. 6, 7. Hierauf wird die große Pracht an 
Salomons Hofe unb der Beſuch der Königin von Gabe, - 
fowie der ftreng geregelte Hofdienſt geihildert. Das Bericht 
fchließt in überrafchender Weife mit allegorifeher Deutung: 
Salomo .begeichne Gott ben Herrn, die Königin aber bie 








Kirche, die vielen Diener enblich bie Biſchoͤſe und bie 
Briefter. 

3) Die Gefdidte der drei Männer im feu 
sigen Ofen und der Judith mit etwa 200 3eilen 
fcheint mehr ein Mbfchnitt aus einer alten Bearbeitung ber 
Bibel und gehört wohl tief ins eilfte Jahrhundert. 

4) Darauf folgt eine jüngere unb ausführlichere Ges 
fchichte ber Subitb, mehr im Stile ber deutſchen Geneſis 
m der Wiener Handfehrift und ber vorauifchen Bücher 
Moſis, eine freie Ueberſetzung bes Bibeltertes. Diemer 
will fie gleidbfalló in das 11te Jahrhundert gurüdbatiren. 

5) Das epifche Gedicht über Mlexanber den Großen 
nad) einer lateinifchen Quelle gehört nicht hieher. 

6) Gin Gedicht vom Leben und Leiden Sefu, 
vom Antichrift und dem jüngften Gericht, weiches 
nach einer fpäteren Handſchrift fen in H. Hoffmanns 
Sundgruben (1, 127 ff.) abgebrudt if; wo übrigens noch 
eine Einleitung mit der Geſchichte Johannis des Taͤufers 
voraudgebt.. 

7) Ein Loblied auf bie Sungfrau Marta. 

8) Die vier Evangelien, fo nennt menigftene 
ber Herausgeber biefet nur etwa 300 Berszeifen umfaſſende 
Gedicht. Der Berfaffer beginnt mit der Erfchaffung des 
Menfchen, gebt dann fogleich auf ben Günbenfall unb 
beffen Folgen über, weiter auf Johannes ben Täufer, auf 
bie Geburt Chriſti, fein Leben, feine Wunder, fein Leiden, 
feinen Tod und bie Auferflehung, und ſchließt mit ben 
Vorbildern des alten auf das neue Teflament. 

9) Loblied auf den heiligen Geift, bem bei Daniel 
3, 52—90 nachgebildet. 

10) Gin Gedicht vom — Serufalem 


des xj πὰ xn. jekshunderis. ᾿ 605 


nad der Offenbarung 21, 22 in vollkommen freier Bes 
arbeitung. Der zweite Theil von ber Kraft und mpftifchen 
Bedeutung der zwölf Grunbfteine deſſelben ward aus ben 
Werfen des Marbodius entnommen. 
11) Bruchſtuͤck eines gereimten — oder Ge⸗ 
betes einer Frau. 
12) Gebete in Proſa. | 
- 13) Sequentia de S. Maria deutſch, Bruchſuid 
Damit endet der deutſche Theil der Handſchrift. 
Fragt man nach den Verfaſſern dieſer Dichtungen, ſo 
ſteht ſchon aus bem vorzugsweife religisſen Inhalte unb 
aus den Zeitverhältniffen, wo der Kern der Bildung unb 
Wiffenfchaft in ben Stiftern und Klöftern feinen Sis hatte, 
zu vermutben, daß die meiften von ihnen Geiftliche wareıt. 
Rur in den wenigen Stüden wird ein Name genannt: 
im Alerandersliede der Pfaffe Lambrecht, im Lobliede auf 
den h. Geiſt ein Prieſter Arnolth, in welchem der Heraus⸗ 
geber einen oͤſterreichiſchen oder vielleicht eher einen ſteiriſchen 
oder kärntiſchen Dichter aus ber Mitte des 12ten Jahr⸗ 
bunbertó vermutbet, Leber den Urfprung des Lebens Jeſu 
äußert fi das Gedicht felbft am Schluffe (292, 13) fo: 
Dizze buoch dichtöte 
zweier chinde muoter, 
diu sagôten ir disen sin. 
miohel mandunge was under in, 
der muoler wáren diu chind liep. 
der eine von der werlt schiet. 
nu bitte ich iuch gemeine, 
müchel unde chleine, 
swer ditze buoch lese, 


daz er stner séle — wünikeade- wee. 


606 .' "Beutsche gelichts  :- ' 

umbe den einen, der noch lebet 

unde er !) in den arbeiten strebet, 

dem wunsket gnáden 

und der mueter Ava. 
b. 5. Diefes Buch dichtete bie Mutter zweier Söhne, welche 
ihr folche Weisheit mittheilten. Große Wreube war unter 
ihnen, die Mutter hatte bie Kinder lich. Der eine davon 
IR aus diefer Welt gefchieven. Darum bitte ich euch alle- 
fammt, ®roße und Kleine, die ihr diefes Buch fefet, um 
Gnade für feine Seele zu fleben. Auch für ben-anbern, 
ber nod) lebt und in biefen Mühfalen fámpft, tbut Kürbitte 
unb für feine Mutter Ava. 

Mir haben affo bier eine Frau, bie mit Beihilfe ihrer 
Soͤhne das Gedicht zu Stande gebracht hat, und Ava if 
unzweifelhaft ber Altefte befannte Name einer eigentlich 
deutfihen Dichterin, denn Hroswitha die Nonne von Gar» 
dersheim im 10ten Jahrhundert fchrieb befahntlich nur [as 
teinif. Nach Anleitung einiger Daten in den Zeits und 
Todtenbüchern öfterreichifcher Klöfter vermuthet Diemer, 
blefe Ava {εἰ eine inclusa. gewefen, welche wahrfcheinlich 
in Melt, Neuburg oder Zwettel lebte und am 7. Febr. 
1127 ftarb. In ben beiden Söhnen Avas will Diemer 
bie befannten Dichter Harimann , ber den Glauben, und 
Heinrih, ber bie [Φόπε Litanei und das Gedicht von ber 
Erinnerung an ben Tod verfaßt Bat, wiederfinden. Es 
(ft bier nicht der Ort, ble ausfüßrlichen fcharffinnigen und 
gelebrten Unterfuchungen weiter zu verfolgen, womit Diemer 
diefe Bermuthung zu wunterfügen unb weitered- Licht über 
dad Leben dieſer frommen und in ihrer Zeit bedeutenden 


1) ? amde der in ober utde in. 


-des xi. und xx, jahrhundents. .- - : 007 


Männer zu verbreiten fid) bemüht bat. Es möge ſchließlich 
nod) geflattet. fein aus ber ausführlichen Einleitung des 
Herausgebers noch ein paar Worte über bie SBebeutung 
br in ber Borauer Handfchrift enthaltenen Dichtungen 
auszuheben, foweit wir damit übereinftünmen Tönnen. 

Diefe Dichtungen bilden durch Alter, Sprache, Geiſt 
und gleiche Richtung eine eigene Epoche, eine befonbery 
Gattung in unferer Litteraturgefchichte unb find um fp 
intereffanter, als fie zeigen, wie Deutfchland nad) ben 
großartigen Kämpfen des 11ten Jahrhunderts fih allmaͤhlig 
zu erheben anfteng, wie mit dem Frieden Wohlkand und 
Sitte, Wiffenfchaft und KHunft ihren Auffhwung nahmen 
unb baburd) auch auf bie Sprache einen Einfluß gewannen, 
ber einen wefentlichen Fortjchritt herbeiführte. 

Der Gegenftanb der fraglichen Dichtungen ift, ba$ 
über Mlerander ausgenommen, durchaus mehr ober minder 
religiös. Selb die Kaiferchronik wird das goles liet ger 
nannt und verdient dieſen Namen wenigftens infoferne, 
als fromme Sagen und Legenden einen großen Theil ders 
ſelben ausmachen. Die übrigen entnehmen ihren Stoff 
theild aus der heiligen Schrift, wie bie Judith, das Leben 
Jefu, bie Bücher Mofis, tbeil& aus ben Apokryphen, aus 
Iſidors Etymologieen und bem herrfchenden frommen Glauben 
ber Zeit und haben vorwaltend den Zwed zu belehren unb 
zu erbauen. 

Der Stil ift. einfach, oft erbaben, häufiger troden 
unb hart. Der Gedanke wird meift kurz und ſchmucklos 
bingeftellt, oft nur mehr berührt ober angebeutet, als (ng 
Breite ausgebehnt. Nirgend Schnörfel und Künfleleien, 
fein eitles Hafchen nach Erfolg. Der Sapbau if gleiche 
förmig, ungezwungen; manches hat fid) aus bem Althoch⸗ 


608 Deutsche ge&idite des xx. und χη, jakrhunderis. 

deutfchen erhalten unb erinnert an Oifrids Hangreiche (dint 
Sprache, aber häufiger tft das alte Gbenmaf geftört und 
gebrochen. Die Verſe namentlich find minder gerecht gebaut, 
ſtatt der regelmäßigen vier oft mit zwei, brei, aber aud 
mit fünf und mehr Hebungen; ble Reime find febr willfürlid) 
und ungenau und bilden mehr einen Anklang als Gleich 
flang; aud) die Alliteration ſcheint 3. $8. in der Schöpfung 
noch zuweilen nachzuwirken. Was aber diefen Dichtungen 
von ber Sung, Negelmäßigfeit und Glätte der Sprache 
bes brelyebnten Jahrhunderts fehlt, erfegen fie zum Theile 
durch die Urſpruͤnglichkeit ber Gebanfen, burd) bie Kraft 
des Auodruckes, ber oft an bie alten Heldenlieder gemahnt, 
durch einfache Darftelung und rafchen Gang der Erzählung. 
Beſonders die „Schöpfung“ und die „vier Coangelien* 
zeichnen fif vortbeiffaft aus. Sowohl in der ganzen Ans 
lage, als in. ber Durchfuͤhrung berrfcht eine feltene Eben 
maͤßigkeit und Gewanbtbeit. Nimmt man dazu die Erhaben, 
bet und Zierlichfeit des Stiles, fo wird, wer mit ber 
Sprache und Anfehauungsweife ber Zeit hintänglich vertraut 
if, ben Kunſtwerth biefer Dichtungen nicht gering am 
Klagen. Der ganze Glaube und die Geheimnißlehre des 
WWittelalters iſt darin in den feinften Beziehungen enthalten, 
aud) das Heidenthum fpielt noch herein’ in ben Stellen 
von ber Schöpfung des Menſchen. Weberrafchend kunſtreich 
ift das „Lob Salomos;“ erhaben fchön und edel Vieles 
in den Büchern Mofls und im obliebe auf den B. Geift, 
befonders vie Hymne gegen das Ende des Gedichte. 
An dem Gedichte Jeruſalem ift beſonders der erhabene 
Eingang zu rühmen. Die jüngere Subitb hält fid) mehr 
an die ἢ. Schrift, ift jedoch in fo freier Bearbeitung ger 
geben, baf-men fie nicht bloß als Lcherfehung betrachten 


Güntner, Hermenentica biblica generalis. 609 


kann. Das Lob ber Zungfrau Maria und bie übrigen 
Stüde gehören mehr in das Gebiet. frommer Andachts⸗ 
übungen und machen weniger Anfpruch auf vichterifchen — 
Gehalt. Sie zeichnen {ὦ aber durch die darin herrichenbe 
wahre Srömmigfeit und Gottergebung aus, die allen Rebes 
prunf verfchmäht und nur in Gott und im innerflen Drange, 
im zu dienen, ihre Befriedigung, ihr höchftes Ziel findet. 

Was bie Herausgabe dieſer Gedichte burd Herrn 
Diemer betrifft, fo genüge bie Bemerkung, daß ber Abdruck 
mit urkundlicher Treue den hanpfchriftlichen Text wieder 
gibt. ' Für das Verſtaͤndniß ift Durch reichliche Anmerkungen 
geíorgt, auch findet der der Sprache nod) minder funbige 
Leſer eine Erleichterung durch bie beigegebene neuhochdeutiche 
lleberfegung der Gedichte „nie Schöpfung“ und „Die vier 
Cpangelien.* Die Ausftattung des Buches im Druck if 
jorgfältig unb prachtvoll. Die Officin, aus welcher dieſes 
ſchoͤne Buch hervorgegangen ift, gehört I. 5B. Golfingeré 
Wittwe in Wien. 


ὅ. 


Hermeneutica biblica generalig juxta principia Catholica. Edita 
a Gabr. Joanne B. Güntner, s. ordinis Praemonstratensium 
in Canonia Teplena Presbytero, ss. Theologiae Doctore et studii 
biblici N. T. in Caesareo-Regia Universitate Carolo-Ferdinandea 
Pragae Professore publico ordinario. Pragae, 1848. In Com- 
missione apud F. A. Credner & Kleinbub. Preis 2 fl. 6 kr. 


Sm verflofienen Desennium find von katholiſchen Theo 
Ingen mehrere Schriften ber. bibliſche Qermeneutit veröffen 


'610 $ Güntaer , 


licht worden, namentlih: Francisci Xaverii Patritii 
e societate Jesu de interpretatione Scripturarum sacrarum 
Liber I. et IL. Romae, 1844; bann: Grundlinien bet bib 
κει Hermeneutif. Herausgegeben v. Ant. Schmitter, 
Pfarrer und Priefterhaus- Direktor in Dorfen, ehemaligem 
Profeſſor ber Theologie in Freifing. Regensb. 1844; ferner: 
Hermeseutica biblica Catholica edita a Casparo Unter- 
kircher, olim Professore studii biblici N. T. in Seminario 
Tridentino. Editio tertia reformata et aucta cura J. V. Hof- 
mann, Professoris Theologiae in Seminario Brixinensi οἱ 
Consiliarii Eccl. act. Oeniponte, 1846 (die erfte Ausg. 
erſchien 1830); ferner: Biblifche Hermeneutik παῷ den 
©rundfägen ber Fatholifchen Kirche bargeftellt von Konrad 
2omb, Doctor ber Theologie, Dompräbendat, Lehrer der 
‚Moral, biblischen Hermeneutif unb neuteftamenttichen Gregefe 
an der theologifchen Lehranftalt zu Fulda. Bulda, 1847; 
endlich bie vorliegende Hermeneulica biblica generalis von 
Dr. Güntner. 

Das erfigenannte Wert, welches Hr. Güntner in feiner 
succincta historiae disciplinae hermeneulicae delinealio 
($. 21) nicht erwähnt, ift bei weitem das umfaffenbfte unb 
reichhaltigſte, und gibt in 2 Büchern juerft eine Theorie 
ber Schriftauslegung, und bann eine beiſpielsweiſe Ans 
wendung derfelben, richtet fi aber dabei noch nad ber 
älteren Weife, wonach die Hermeneutif fi faft nur mit 
dem Sinne der Schrift, den verfchiedenen Arten beffelben, 
ihrer Grfennbarfeit ic. befchäftigt, unb es gebricht ihr etwas 
an einer ftreng Iogifchen Ordnung. Hrn. Schmiltere 
Hermeneutit, obwohl febr compendioͤs gehalten, hat den 
Borzug befierer Orbnung und fuftematifcherer Behandlung 
des Gegenfanbró, Die Lehre vom Sinne der Hi. Schrift 


Hermeneutica biblica generalis. 611 


unb feinen verfchiedenen Arten macht bier den erften Theil 
aus, ben zweiten bie Lehre von ber Auffindung dieſes 
Sinnes unb ben dritten bie ebre von der Darftellung ober 
Mittheilung beffefben. Ziemlich Ahnlich ift bie von Herrn 
Hofmann herausgegebene Unterkircher'ſche Hermeneutif im 
Ganzen eins und abgetheilt. Sie handelt in zwei Seien 
von ber Auffindung bes Sinnes und der Darftellung des 
gefundenen; vorläufige Erörterungen aber über den Sinn 
der Schrift überhaupt liefert. fie im Procemium, wo fie 
auch beffer an ihrem Platze find. Hrn. Lomb's Hermeneutif 
zerfällt in zwei Theile, wovon ber erfte von den Eigens 
fchaften ber Echrift, ber zweite von ber Auffindung (und 
Darftelung) des Sinnes berfelben handelt. Jener befaßt 
fi mit Gegenftánben, welche bie biblifche Sermeneutit 
wohl auch berühren, aber eigentlich in die biblifche Eins 
leitung gehören, und fireng genommen verdient ben Namen 
Hermeneutik erft der zweite Theil. Wenn' daher Hr. Güntner 
verfichert, er [εἰ zur Beröffentlihung feiner Hermeneutif 
burd) bie Beobachtung veranlaßt worden, daß bie neuern 
hermeneutifchen eiftungen der Katholifen theild nur die 
Gíemente der biblifchen Hermeneutif enthalten, theils bie 
foftematifche Drbnung vermiffen laſſen, fo trifft wirklich 
bie eine ober andere Seite biefe8 doppelten Sabelà bie eben 
genannten hermeutifchen Schriften, wenn wir etwa bie 
Hofmann’fche ausnehmen, welche fid) befonders durch gute 
Ordnung unb fíare Darftelung auszeichnet; und Herrn 
Güntner& Bemühung, eine von jenen beiden Mängeln freie 
Hermenentif zu liefern, darf nicht als unnöthig bezeichnet 
werden. Uebrigens ift er felbft weit entfernt von bem Hoch⸗ 
mute, die eigene Leiftung für fehlerfrei und unverbeflerlich 
zu halten und feine Einrede gegen biefelbe dulden zu wollen. 
Ses. Quartalſqriſt. 1860. Heft IV. 40 


612 Günther, 


Die erften zwei Kapitel enthalten Prolegomena zunächft 
über ben Begriff und die Aufgabe ber Hermeneutif über 
haupt und ber bibfijden Hermeneutif insbefondere. Der 
Begriff der Hermeneutica überhaupt als ars aut scientia 
interpretandi wird näher dahin beftimmt hermeneutica, ob- 
jective spectata, est systema, subjective vero considerata, 
Scientia regularum, ad quas sensus orationis rite invenien- 
dus aliisque exponendus est (p. 7). Daraus ergibt fid 
für bie biblifche Hermeneutif im objectiben Einne von feld 
der Begriff, fie fei systema regularum, juxta quas libro- 
rum biblicorum sensus rite tum inveniendus tum exponen- 
dus est. Se nachdem (ie fid) mit alfen, ober nur mit 
einem oder einigen biblifchen Büchern befaßt, ift fte wieber- 
um im erften alle hermeneutica biblica generalis, im 
zweiten specialis. ‘Das supremum hermeneuticae communis 
principium, baé zugleich in imperativer Form die Aufgabe 
der Hermeneutif ausfpricht, lautet: Sensum loquentis ope 
usus loquendi, orationis contextus, nec non conditionis 
tam internae quam externae loquentis cognosce et pande 
(p. 8). Wie’ nad) bem Begriff ber Hermeneutif überhaupt 
auch ber Begriff der biblifchen beftimmt wurbe, fo haben 
wir nach Angabe des supremum principium von jener aud 
das von biejer erwartet, aber nicht gefunden. Mag fid 
(egtereó aus jenem von felbft ergeben, die Vollſtaͤndigkeit 
forderte, es bier ausprüdlich zu formuliren. Sm 2ten Kap. 
wird gezeigt, daß bie chriftliche Lehre auf ber Sirabition 
beruhe unb in der Schrift nicht voliftánbig enthalten, [egiert 
auch überdieß nicht überall deutlich fei, wie fd)on dad 
befannte Diftichon von Werenfels : 

Hic liber est, in quo sua quaerit dogmata quisque, 
Invenit et pariter dogmata quisque sua, 


AC 








Hermeneutice biblica generalis. 613 


bintünglid) beweife, unb baber eine authentiſche Auslegung 
nótbig fei, welche eben von der Kirche gegeben werbe, und 
nur von ibr gegeben werben könne; worauf bann nod) ber 
Unterſchied zwifchen katholiſcher und rationaliftiicher Aus⸗ 
legung beleuchtet und bie gegen jene erhobenen Vorwürfe 
befeitigt werben. 

Die ermeneuti£. fe(bft zerfällt bier, wie bei Hofmann, . 
in zwei Theile, wovon ber erfte von ber Auffindung des 
Sinned, ber zweite von der Darftelung befielben handelt. 
Der erfte zerfällt wieder in drei Unterabtheilungen unb 
handelt von der Auffindung des Sinnes 1) durch ben 
Sprachgebrauch, 2) durch den Zufammenhang, 3) burd) 
die limftánbe und Berhältnifie des Redenden oder Schreis 
benden. Vom zweiten Dagegen heißt ed: Altera pars 
divisione in sectiones non indiget, quia paucis absolvi 
possunt, quae de variis sensum repraesentandi modis di- 
cenda sunt (p. 38). ] 

Bor Allem alfo handelt e$ ὦ um ben Sprachgebrauch. 
Daß diefer bei Auslegung einer Rede ober Schrift bie 
ere Berüdfichtigung verdiene, ift Har, fo wie auch, daß 
er, im erforderlichen Grabe aysgemittelt, ein ficherer Fuͤhrer 
(e. Die biblifche Hermeneutif hat daher zunaͤchſt bie Frage 
au beantworten, wie der Sprachgebraud bereits ausge⸗ 
forbener Sprachen, und zwar insbeſondere der biblifchen 
Urforachen, ber hebräifchen und griechifchen, unb ber Ießtern 
bauptfärhlich in jener Zeit und in jenen Gegenden, wo 
die griechiſch geſchriebenen beuterofanoni(doen und bie neus 
teftamsentlihen Bücher entſtanden find, erkannt werben 
fónne. Hr. ©, behandelt hiefen Punkt mit Recht etwas 
ausführlich , ſcheint uns aber babet das 9. Sj. verhaͤltniß⸗ 
mäßig au wenig berüdfichtigt au haben. = ). 99, gleich 


614 Gäntner, 


über die unmittelbaren und mittelbaren Quellen zur Er⸗ 
forfchung des Sprachgebrauche gefagt wird (p. 45 sq.) 
fann man in Bezug auf das neue Teflament wohl in der 
Ordnung finden, in Betreff des alten aber fdyeint fid) bie 
Sache bod) anders zu verhalten. Wenn die unmittelbaren 
Quellen zur Erforfhung des Sprachgebrauchs Lerica, 
Scholien, Gloſſen, Berfionen und Gommentarien aus jener 
Seit find, wo die au&geftorbene Sprache nod) eine febenbe 
war, fo haben wir in Betreff des altteftamentlichen Hebrais- 
muß feine folche Quellen; und wenn die mittelbaren Quellen 
Lerica, Scholien ıc. aus jener Zeit find, wo bie ausge 
ftorbene Sprache nod) von denen gelehrt vourbe, deren 
Mutterfprache fie war, ober bie fte bod) von foldyen gelernt 
‚hatten, bie fie noch als Mutterfprache kannten, fo haben 
wir in Betreff jenes Hebraismus auch feine mittelbaren 
Quellen des Spradjgebraudó. Denn die Zeit, wo bie 
hebräifche Sprache nur nod) von ben Rabbinen als gelehrte 
‚Sprache betrieben wurde, fann nicht mehr zu den Lebzeiten 
der Sprache gezählt werden. Hr. ©. bezeichnet jedoch 
weiter unten, wo von ben @rfenninißquellen des hebr. 
Sprachgebrauchs inébefonbere ble Rede ift, als mittelbare 
Quellen defielben bie von gelehrten Juden traditionell forte 
gepflanzte Kenntniß der hebr. Sprache, und nimmt fomit 
dort ben 9(uébrud mit Recht in etwas weiterem Sinne. 
Referent würde ben Erfenntnißquellen des biblifchrhebräifchen 
Sprachgebrauch ohne Bedenken auch die verwandten Dias 
Tecte beigdbten, fo fehr e& auch mit ber Bemerfung Hrn. Θ. 
feine Richtigfeit bat, daß einerlei Wort in verfchiedenen 
Dialerten manchmal auch verfchledene Bedeutungen erhalten 
"habe, denn in gar vielen Fällen flimmen die Dialecte eben 
bod) in ber Bedeutung von einerlei Wort auffallend zu⸗ 


Hermeneutica biblica generalis. 615 


fammen, unb nicht felten fann bei gehöriger Berüdfichtigung 
des Zufammenhanges mit Hülfe der Dialecte die wahre 
Bedeutung eines Wortes mit ziemlicher Sicherheit ermittelt 
werden. Manchmal freilid) Fönnen bie Dialecte bei uns 
vorficgtigem Gebrauch irre leiten, aber baffelbe ift auch ber 
Fall mit ben alten lleberfegungen unb der rabbinifchen 
lleberlieferung. Uebrigens ift e8 nur infofern von Bedeu⸗ 
tung, ob man hier Quellen (fontes) ober bloße Huͤlf⸗⸗ 
mittel (subsidia) anerfenne, als [egteren bei folcher Ent: 
gegenfegung eine wefentlich niedrigere Dignität und Brauch⸗ 
barfeit als den erfteren zuerfannt wird. 

Sn bet weiteren Erörterung dieſes Punktes wird fos 
fort, nach Bejahung ber 93orfrage, ob εὖ einem Fatholis 
fhen Ausleger erlaubt fei, auf bie llrterte zurüdzugehen, 
von ber eigentbümliden Befchaffenheit der Sprache im 
N. T. und bann fpecielf von ben Quellen und Hülfsmitteln 
zur Erforfchung des Sprachgebrauchs fowohl in ben alts 
als neuteftamentlihen Schriften gehandelt. Wir fónnen 
jedoch auf bie dießfallfige Beleuchtung ber fpäteren griechis 
ſchen Sprache überhaupt, und befonberó in derjenigen 
Geftalt, wie fie uns in ber alerandrinifchen Weberfegung 
unb im 9t. T. vorliegt, nicht näher eingehen und nur bes 
merfen, daß die vielen zur Sprache fommenden Einzelns 
heiten, wie namentlich die Hebraismen, Aramäismen, 
Alerandrinismen zc. auf eine febr gründliche und lehrreiche 
Weiſe behandelt werden, und überall tüchtige Sprachkennt⸗ 
niffe an den Tag treten. In Betreff der altteftamentlichen 
Schriften wird bie ſchon erwähnte rabbinifche Tradition 
mit Recht gefunden in den alten lleberfegungen, in ben 
Schriften des Joſephus, Drigenes, Hieronymus unb Ephräm, 
und namentlich in ben älteren rabbinifhen Commentarien 


616 Güntner, 


unb Gloffarien. In Betreff der letzteren find begreifild) 
ble Entftehungszeiten nicht gleichgültig, und je Alter ein 
Gommentator oder Lericograph ift, um fo mehr verbient 
er, ceteris paribus, Zutrauen. Es wäre baher in den 
bieffallfigen Zeitangaben mitunter etwas mehr Genauigteit 
zu wünfchen gewefen. Wenn 4. 8. von Menahem ben Saruf, 
dem erften hebrälfchen Lericographen, gefagt wird, er habe 
im Anfang des bten Jahrhunderts gefchrieben, fo hätte 
ftatt des bten das 11te Jahrhundert genannt werben folfen, 
wenn nicht etwa VI nur ein Drudfehler ift ftatt XI. (cf. 
Rabbi Davidis Kimchi radicum liber etc. Berol. 1847. 
p. XXXL 8, Dufes, literaturhiftorifche SDtittbelfungen über 
die Alteften hebräifchen Eregeten, Grammatlfer und Lericos 
grapben, Stuttg. 1844. ©. 119). Ebenſo hätte aud) bei 
Rabbi Jona ben Gannach, ober Abulwalid, füglich bemerkt 
werben können, daß er am Ende des 11ten SabrBunberté 
geboren worden fel, und bei Juda ben Karifch (wahrſchein⸗ 
licher Koreiſch auszuſprechen, DD, Tr daß er um 
die Mitte des 11ten Sahrhunderts geblüht babe, — Wo 
bie hebräifchen Goncorbangen aufgezählt werden, hätte bie 
neuefte und befte von Julius Yürft nicht übergangen wer» 
ben follen. — Als Erfenntnigquellen des biblifch-griechifchen 
Sprachgebrauche werden zunächft überhaupt bie Schriften 
griechifcher Scholiaften und Lericographen, und griechifcher 
Schriftfteller hauptfächlich aus jener Zeit, aus welcher ber 
griechifche Bibeltert herrührt, bezeichnet, unb für bie hebrai- 
firende Gräcität insbefondere ble alerandrinifche lleberfegung, 
die Schriften des Fl. Joſephus und Philo, unb bie alt⸗ 
unb neuteitamentlichen Apofryphen. Endlich werden nod 
bie beften Hülfsmittel (Sprachlehren und Wörterbücher) 


- 


Hermeneutica biblita generalis. 617 


zur Erlernung der griechifchen, namentlich ber neuteftaments 
lich griechifchen, bann ber hebräifchen, chaldaͤiſchen, foris 
fchen, arabifchen und rabbinifchen Sprache namhaft gemacht. 
Sn Betreff ber bebr. Sprache wird aber der Thesaurus 
philolegicus criticus linguae hebraeae et chaldaeae veteris 
testamenli von Geſenius, ber alle frühere geiftungen im 
Gebiete der bebräifchen Lericographie weit übertrifft, mit 
Stillſchweigen übergangen. 

Als ein zweites Mittel zur Auffindung des Sinnes 
der Schrift wird ber Gontert bezeichnet und eine doppelte 
Eintbeilung beffelben gegeben, nämlich 1) ratione loci seu 
distantiae eorum, quae cohaerent, in proximum, remotio- 
rem et remolissimum; 2) respectu modi, quo orationis 
partes cohaerent, in logicum, psychologicum, historicum 
et opticum. Sn ber weiteren Ausführung fcheint jedoch 
bem Hrn. Verf. bier eine logifche Ungenauigfeit begegnet 
zu fein, indem guerft A) Contextus logicus, I. proximus, 
H. remotior; bann B) Contextus psychologicus, historicus 
et.opticus; endlich C) Contextus remotissimus zur Sprache 
gebracht, unb fo ein Glied ber erften Eintbeilung ben 
Thellungsglievern der zweiten coordinirt wird, während 
zwei Glieder von jener einem Theilungsgliede von biefer 
fuborbinirt werden. Doch if das nur ein Yormfehler. 
Sehr gut und beachtenswerth iff was in biefem Abfchnitt 
über die angeblichen Widerfprüche in ber bI. Schrift und 
das nöthige Verhalten des Eregeten in Betreff berfelben 
gefagt wird. 

Endlich fommt bei ber Ausmittlung des Sinne in 
Betracht bie Lage und bie Verhältniffe des Redenden ober 
Schreibenden. Hier wird in zwei Kapiteln gerebet: 1) de 
conditione loquentis externa und 2) de conditione loquentis 


618 Günther, 


interna. In erfterer Hinficht handelt es fich haupfiſaͤchlich 
um das Zeitalter und Vaterland, bann um die Sprache, 
bie Thaten und Schidfale des Redenden und die innern 
und äußern Zuftände derjenigen, zu denen er rebet, in 
fegterer um die Abficht und Gemütbeftimmung, ben morali, 
fchen Charakter und bie fittlihe und moralifche Bildung 
befjelben. H. ©. zeigt ausführlih, wie durch beide, bie 
conditio externa et interna, eines Schriftftellers, unb naments 
lich durch legtere, fowohl der Inhalt als bie Form feiner 
Schrift bedingt und beftimmt werde, und daher bie dieß⸗ 
fallſigen Kenntniffe demjenigen unerläßlich feien, ber bie 
Schrift richtig verftehen und deuten wolle; zugleich gibt 
er auch bie Wege an, auf denen fid diefe Senntniffe ers 
langen faffen. 

Der zweite Theil, über die Darftelung des Sinne 
ber Schrift, ift ungleich fürzer al& ber erfte. Seine Auf 
gabe wird nad) Maaßgabe des anfangs aufgeftellten Prin⸗ 
cips ber Hermeneutif dahin beftimmt: Cum jam supremum 
hermeneuticae principium interpretem sensum loquentis 
pandere jubeat, sequitur: 1. Interpretem in exponendo 
sensu jta versari debere, ut non sua, sed loquentis cogi- 
tata, eaque non perfectiora, nec tenuiora, non plura, neque 
pauciora proponat, quam loquens manifestare voluit, seu 
paucis: In expositione sensus fides servanda est, Praeterea 
2. expositione sensus efficiendum, ut audientes vel legen- 
tes sensum loquentis clare cognoscant, quia secus, si illis 
quidquam obscurum maneret, sensus loquentis non revera 
panderetur; hinc expositio etiam perspicuitate gaudeat, 
necesse est. Inde elücet, in altera interpretationis functione 
sequentem normam observandam esse: In sensus expo- 
sitione fidem serves, et perspicuitati studeas (p. 158). 


* 


Hermeneutica biblica generalis. 619 


Dann werben die variae sensus exponendi species bes 
fprochen: Species, quibus sensus fit expositio, variae sunt, 
et dependent ium a find, in quem, tum ab indole per- 
sonarum, in. quarum graliam, ium a forma, qua inter- 
pretatio suscipitur. Sn erfterer Hinficht ift die Darſtellung 
des Ginneó (sensus expositio) entweder bloß tfeoretifd) 
oder zugleich praftifch, je nachdem bloße Belehrung oder 
zugleich fromme Anregung und Erbauung ber Endzweck ik. 
Sn zweiter Hinficht ift bie Auslegung entweder eine popus : 
laͤre oder eine gelehrte, je nachdem fte für wiſſenſchaftlich 
Gebildete, ober für Leute ohne höhere Bildung beftimmt ift. 
In dritter Hinficht endlich fann bie Darftellung des Ginne$ 
in mehrfacher Worm gefchehen, entweder durch bloße eins 
fade lleberjegung (versio), oder durch eine umfchreibende 
unb erflärende lleberjegung (paraphrasis), ober durch er« 
läuternde Bemerkungen über unflare Stellen unb Ausdrücke 
(annotationes), ober endlich durch ausführliche ben Tert in 
fortlaufendem Zufammenhang begleitende und fich ſelbſt 
rechtfertigende Erklärungen (Commentarii). ᾿ 

lieber bieje vier Darftelungsformen wird fofort nod) 
befonderd gehandelt. Die Anforderungen an eine Bibel: 
überfegung find richtig geftelit, wiewohl fewer zu erfüllen, 
und Hr. ©. fann am Schluffe derfelben mit Recht fagen: 
Ex dietis simul patet maxima versionis biblicae exacte 
conficiendae difficultas; etenim fidem cum perspicuitate ife 
jungere, ut utrique suum tribuatur, summae arlis est 
labor, cui feliciter perficiendo par non existit, nisi saga- 
cissimo ingenio donatus, sensu religioso ei aesthelice 
subtilissimo animatus, amplo eruditionis apparatu instructus, 
in interpretationis negotio versatissimus, et accuratissima 
utriusque linguae (textus et versionis) cognilione imbutus; 





620 Guntner, 


nam qui his dotibus unitis caret, nunquam eo perveniet, 
ut in abditissimos quasi loquentis recessus penetret, ejus 
eogitandi, sentiendi et loquendi veluti habitum induat, 
Sicque ejus personam exacte referat, et talibus tandem 
ubique utatur vocibus ac formulis, quae non tantum legi- 
bus linguae respondeant, sed et auctoris mentem et ani- 
mum ad amussim repraesentent. Hinc mirum non est, 
nullam huc usque prodiisse librorum biblicorum versionem, 
quae omnibus numeris esset absoluta (p. 160 sq.). Nach 
Mittheilung eines furgen. Berzeichniffes alter und neuer 
Bibelüberfegungen wird auch bie Aufgabe ber SBarapbraften, 
Annotatoren und Commentatoren näher beftimmt, unb die 
Grundfäge und Regeln feftgeftellt, welche fie zu befolgen 
haben, endlich noch ein Verzeichniß der bebeutenberen alten 

unb neuen Commentatoren mitgetheilt, das natürlich auf 
— SBeliftánbigfeit keinen Anfpruch macht, in dem wir aber 
deßungeachtet unter der Auffchrift: , 38. Ratione singulorum 
librorum biblicorum* 3.3. die Pfalmenerflärung Bellarmins, 
das fchöne Werf von Pradus und Billalpandus über Ezechiel, 
bie zum Theil treffliben eregetiffhen Leiftungen des Ric. 
Serarius u. a. ungern vermißt haben. 

Ein Appendix handelt noch de erroneis quibusdam 
s. Scripturam interpretandi principiis et modis, und zwar 
1. de interpretatione mystica; 2. de lumine interno Pieti- 
starum; 3. de morali; 4. de mythica interpretatione. 

Als myftifche Auslegung wird bezeichnet illa s. Scriptu- 
ram interpretandi ratio, quae cum effatis ejus praeter 
sensum literalem notiones religiosas sive immediate sive 
mediate conjungit. Sie wird nicht ſchlechthin verworfen, 
vielmehr unter gewiflen Bedingungen geftattet und zu 
homiletiſchen und erbauliden Zweden ſogar empfohlen, 


Hermeneutica Diblien generalis. 621 


daneben aber mit Recht aud) darauf aufmerffam gemacht, 
daß fie nur im uneigentlichen Sinne ald Auslegung, in- 
terpretatio, bezeichnet werden fónne, weil biefe den Sinn 
des Redenden auffinden und darlegen müffe, nicht aber 
feinen Worten foldje Gebanfen unterfchleben bürfe, bie 
ihm nie in ben Gin gefommen. Sie wirb daher aud 
geradezu und mit Recht αἵδ᾽ unzuläffig erklärt, wenn unb 
foweit ihr Ergebniß ohne Weiteres als der wirfliche unb 
wahre Sinn, ber von den heiligen Schriftftellern mit den 
Tertesmworten verbunden worden fet, bezeichnet wird. Verum- 
enimvero si quis cogitata, quae certis s. Scripturae locis 
ope tractationis mysticae subjicit, ab ipso suctore vel 
Spiritu s. ibi spectata esse contendat, iisque ad compro- 
bandas veritates religionis uli velit, interpretatio mystica 
approbari nequit, idque eo minus, ac rationes, quas pa- 
troni ejus proferunt, speciosae potius, quam solidae in- 
veniuntur (p. 178). Sofort werben die zu Gunften bet 
muftifchen Auslegung vorgebrachten Gründe ber Reihe nad 
aufgeführt und entfräftet und babel namentlich bemerft, 
bafi ber myſtiſche Ausleger fid) des Unterſchiedes zwifchen 
dem buchftäbfichen und myftifchen Sinne flet bewußt blei⸗ 
ben müffe und nicht beide einander gleichftellen oder mit 
einander vermengen dürfe. Mit Recht wirb auch an bie 
bieBfallà verfchiedenen Anfichten und Berfahrungsweifen ber 
Kirchenväter erinnert und namentlich an bie fchöne Stelle 
in Auguſtins Doctrina christiana L. I: c. 37: Quisquis in 
Scripturis aliud sentit, quam ille, qui scripsit, illis non 
mentientibus fallitur; sed tamen, si ea sententia fallitur, 
qua aedificet caritatem, quae finis praecepti est, ita falli- 
tur, ac si quis errore deserens viam, eo tamen per agrum 
pergat, quo etiam via illa perduci. Corrigendus est tamen, 


622 Gtataer, 


ei quam sit utilius viam non deserere demonstrandum est, 
ne consuetudine deviandi etiam in transversum aui per- 
versum ire cogatur. 

Die pletiftifd) » quäferifche Auslegung, als Ausfluß 
bet vorgeblid Innern Erleuchtung durch den heiligen Gift, 
wird mit Recht ziemlich fur; abgethban. Tota haec de 
lumine interno, sensu Quakerianorum accepto, ejusque 
effectibus senlentia inter dolenda falsi spiritualismi e! 
mysticismi deliria pertinet, nemini sobrio arridere po- 
les, ei revera non numerosa gaude asseclarum calerva 
(p. 184). 

Unter moralifcher Auslegung wird hier nicht, wie e$ 
zuweilen auch gefchieht, bie Anwendung des buchftäbfichen 
Schriftfinnes auf das praftifche eben, fondern jene Aus 
legungsweiſe verftanden, welche fchon durch Lode angebahnt 
befonders aber durch Kant’8 „Religion innerhalb ber Graͤn⸗ 
zen der bloßen Vernunft“ in Aufnahme gebradyt worden 
— ift, und welcher zufolge bie hf. Schrift nichts anderes fagen 
darf, aíó was mit ben Prineipien der praftijdyen Vernunft 
im Ginflange fteht. Es fonnte Hrn. G. nicht ſchwer wer 
ben, biefe durchaus willführliche und oberflächliche Auf⸗ 
faffung und Behandlung der Schrift gründlich zu wider 
legen, wie er denn eine foldye SBiberlegung auch wirklich 
gegeben hat. 

Auch die mythifche Auslegung wird kurz aber gründlich 
gewürdigt. Hr. ©. beginnt mit dem N. S. und zeigt 
zunaͤchſt, daß bie durchaus mythiſche Auffaffung ber new 
tekamentlichen Geſchichte, wie man fte bei Strauß, Br. Bauer 
u. a. findet, nur auf falfchen Deutungen und nichtigen 
Borausfepungen berube und durchaus verfehrt und uns 
haltbar fei. Hisce perpensis patet, Straussii systems 


Hermeneutica biblica generalis. 623 
mythicum fictione niti, et omnia ejus fulcra non esse, nisi 
, imaginaria, quae historiae halitu evertuntur (p. 201). 
Danı befpricht er die theilweis mythifche Auffaffung, welche _ 
jene ©efchichte für eine zwar wirkliche aber mit mutbifchen 
&lementen vermifchte anfiebt, und -dedt ebenfalls ihre 
Grunbíofigfeit auf. Endlich zeigt er, bag aud) in ben 
altteftamentlichen Schriften feine Mythen fid) finden, unb 
Daß namentlich bie Wunbderberichte in benfefben, die zur 
Annahme von Mythen den Hauptanlaß gegeben ‚haben, 
nicht im Geringften dazu berechtigen. Hinc in V. T. 
quoque mythos relinquimus eis, qui mundum sibi con- 
fingere malunt, quam a Deo creatum, dispositum ac rectum 
agnoscere. 

9tad) vielen Mittheilungen wird ed faum mehr ber 
fBemerfung bebürfen, daß bie vorliegende Hermeneutik, 
ungeachtet einzelner Mängel von untergeorbneter Bedeutung, 
ihre Aufgabe im Ganzen auf Iobenswerthe Weife [Dje, und 
jebem, ber fid) in biefer Disciplin gründlich orientiren 
will, empfohlen werben dürfe. 


$$ elte. 


4 Gel u. Hoͤfliger, 
| " | 


1) Die Trennung der Schule vou der füirde — in ihrem 
Weſen und ihren Folgen betrachtet von Seul, Studien⸗ 
Direktor der rheinifchen Mitter » Akademie zu Bebburg; Köln 
1850, bei Bachem. Preis 42 fr. 


2) Die dirifllie firdje und ihr Verhältniß zum Statt, 
bargeftellt von 3. Höfliger , geiftl. Rath und Domtapitular 
zu Et. Gallen. St. Gallen u. Bern bei Huber u. Comp. 
1850. Preis 21 fr. 


Zwei Schriften, Hein von Umfang, aber febr widy 
tigen Inhalts, denn fie befprechen zwei der bebententfte 
ragen, welche bie Gegenwart beivegen. Dürfen Staat 
und Kirche, Kirche und Schule fid) trennen, und was wird 
die Folge folder Scheidung fein, fo fragt gegenwärtig 
-jeder benfenbe, für die Zukunft beforgte Mann; fo fragt 
namentlich jeder Ehrift, jeder Qauébater und Priefer. 
Beide vorliegende Schriftchen nun fprechen (id) entfchieben 
gegen die abfolute Trennung von Kirche und Staat aus, 
Nr. 1 (nóbr(onbere aber fdoilbert auch mit großer Wärme 
und edlem Ernfte bie nicht blos nachtheiligen, fonbern fo: 
gar zerftörenden Folgen jeder Losreißung ber Schule 
von ber Kirche. Beiden SBerfaffetn bat der Eifer für bie 
gute Sache, und die Sorge für dad wahre Wohl ber 
Menfchheit die Fever geführt, unb babel hat Höfliger 
mehr in paränetifcher, Seul mehr in wiffenfdaft 
‚licher Weife gefprochen. Das Botum des fegteren gegen 
bie Trennung der Schule von der Kirche ift aber um fo 
wichtiger, alà er felbft ein Laie, und weltlicher Studien 
bireftor einer höheren (katholifchen) Bildungsanftalt iR. Die 








Trennung von Staat, Kirche und Schule. 625 


Durchleſung feiner Schrift bat uns in ber That febr vielen 
Genuß gewährt, denn Hr. Seul Bat feinen Gegenftanb 
nicht auf der Oberfläche, fondern i& feiner Tiefe ange- 
griffen, unb bie fpegielle Schulfrage nur in Verbindung 
betrachtet einerfeitd mit dem wahren Wefen des SRenfdyen 
(feiner fupranaturalen Seite), anberereltá mit der ganzen 
großen hiſtoriſchen Geftaltung und Entwicklung ber Menfch« 
heit feit Ehriftus und durch das Chriftenthbum. Auf 
Diefe Weife hat fid) ihm ergeben, baf bie Trennung ber 
Schule von der Kirche nicht eine vereinzelte, mehr oder . 
wentger nüßliche oder fchädliche Maßregel, nein, baf fte 
vielmehr ber legte große Schritt wäre in ber Entchrift- 
fichung ber Menfchheit, ber fete Hebel, um das alte 
Gebäude der chriftliden Gefittung, chriſtlichen Bil 
bung und chriftlihen Ordnung vollends aus ben Bugen 
zu heben und in Trümmer zu werfen. Kein Wunder, 
wenn bie Sprache des Verfaſſers oft fo Fräftig und voll 
iónt, wenn er fo dringend mahnt umb beſchwört. Es 
handelt fid) ja nach feiner innigften llebergeugung um das 
höchfte Gut der Menfchheit, um das wabre Wohl von 
Kirche und Staat. Mag man ber Kirche fonft nod) fo 
viele Eonceffionen machen, meint er, fo man ihr dabei bie 
Schule nimmt, fo bat fie bie Zufunft verloren: „mögen 
jene Güter der Freiheit noch fo hoch angefchlagen werben, 
mag ihre Reftitution bie gerechteften Motive, die wohl⸗ 
wollendſte Anerfennung und tieffte Auffafiung ihrer Wirk⸗ 
ſamkeit beweifen, die Entziehung des Rechtes auf bie Schule 
Gebt jene Anerkennung, jenes Wohlmollen, jene Geſchenke 
auf unb erinnert an bie befannte Löwentheilung.“ ©. 11 f. 

Der gleiche Gedanke, unb er iſt gewiß ein richtiger, 
wird fofert auf S. 43 f. in folgenber Weife ausgeführt: 


; 626 É Geul u. Sofiger, 


„Der Staat δαὶ grundfäglich die perſoͤnliche Freiheit als 
hoͤchſtes Geſetz garantirt, hat die Freiheit, Unabhaͤngigkeit 
unb Selbſtſtaͤndigkeiſder Religionsgenofienfchaften gewaͤhr⸗ 
leiſtet. Wenn er dann hintenher die ganze Jugend durch 
alle Bildungsſtufen für ſich in Anſpruch nimmt und ſie 
in die Auffaflungss und Anſchauungsweiſen, wie er fie 
will, eingewöähnt, bie Kirche nur, fo weit er es für gut 
hält, zuläßt, fo beißt das, das innerfte Wefen Firchlich- 
religidfer Freiheit captiviren, es heißt mit ber einen Hand 
geben, mit ber andern nehmen, es heißt ber jebigen 
Generation Religionsfreiheit geben und fie burd) ein ans 
deres Schulfyftem ber künftigen unmöglich machen, es heißt, 
ben Bogel einfangen und ihm bie Flügel bredyen, damit 
er nicht fliegen will, weil er nicht fann, weil er ble Faͤhig⸗ 
feit eines Bogeld verloren bat. Wenn ber Bolizeiftaat bie 
Kirche in ihrem innern Heiligthum, in den heiligen Gafra; 
menten und bem Gultus angriff, fo war das ein Eingriff, 
der als Fehler erfannt und verbeffert. wurde (utinàm!); 
bier aber erfcheint nod) ein tieferer Eingriff des congitutios 
nellen Staates, ber auf bie Grundlage jeder Breiheit und 
recht eigentlich auf die Eriftenz ber Kirche hingeht. Möge 
auch er erfannt und gebefiert werben! Denn was würde 
die garantirte perfönliche Freiheit bedeuten, wenn butd 
ein Staatsſchul⸗Syſtem bie erfte Jugend ἐπ geiftige Befleln 
gelegt werden, und benfen, fühlen und handeln [ernen 
follte, wie εὖ die (wir fügen bei: [egt grunbgefeglid 
indifferentiftifche) Staatsgewalt (adde: vielleicht ein 
jübifcher oder pantheiftifcher Eultminifter) vorfchreibt? Was. 
würde übrig bleiben von religiöfer Wreibeit und Gelbg 
ftánbigfeit, wenn ber Unterricht und die Erziehung bie 
Jugend mit etwas allgemeiner Religion nach Staatszwecken 


Trennung von Staat, Kirche und Schufe. 627 


jurihten dürften? Was follte aus dem Menfchen, was 
aus der Menfchheit, was aus den Ehriften werden, wenn 
eine Staatsfchule nad) der Willführ unb ber wechfelnden 
Richtung philofophifch conftruirter Gtaatébegriffe, ohne ble 
ewigen Grundlagen der Religion, erziehen bürfte? Was 
foflte aus Europa werden, wenn ed gelänge, ber Kirche 
und dem Chriftenthbum fo ben Boden unter den Füßen 
wegzuziehen? Es ift nicht abzufehen, wohin folde Bers 
ſuche, gegenüber der chriftlichen Kirche in unferen Tagen, 
wo nichts mehr feftfteben und feinen Standpunkt behaupten 
wil, führen follen. .. Wenn ber in religiöfen Dingen 
indifferente Staat, Bier im fonfreten Falle, der inbifferente 
Minifter, von welchem es nach ber Neugeftaltung des 
Staats leicht möglich ift, tag er ein Sube ober ber 
Kirche feindlich gefinnter Ehrift fei, bie Prüfungs » Gom: 
mifftonen aller Lehrer zu beflimmen Bat. und in ber 
Confequenz des Staatserziehungs » Syftems bie Prüfungss 
Commiffariert nad) dem vorgeftedten 3iefpunfte auswählt, 
wenn er die Einrichtung ber Lehrers Seminarien, welche 
ibm allein obliegt, nad) ber Richtung der Staats» 
iwede trifft und orbnet, fi alfo 30,000 Lehrer unter 
300 Schulinfpeftoren (der SBerfaffer hat Preußen im Auge) 
nad) feinem Schnitt heranbilden [dft, wenn berfelbe Minifter, 
fei er Chrift ober Jude, Theift oder Atheift, ven Lehrftoff 
der Volkoſchule nach feinen Staatszweden ordnet, bie Lehr, 
bücher wählt, ihre Anwendung und Ausdehnung beftimmt, 
die Bibel, ben Katechismus, das chriftliche Gefangbud) 
auöweist, wie er muß, weil er darin (in der Religion) 
nicht unterrichten laffen darf, wenn er bie Methode beim 
Unterricht, bie Behandlung ber Schüler, fury Unterricht 
und Erziehung, nad) feinem berrfchenden Geſichtspunkte 
Tpesl. Duartalſchrift. 1850. IV. Het. 41 


623 | ' el u. Höfliger, 


anorbnet unb leitet, wenn ber Miniſter überbief auch durch 
den Schulzwang und burd) bae Recht, die Pflichten der 
Eltern in Bezug auf das Maaß ber erreichten Schul⸗ 
fenutniffe im Privat » Unterrichte zu überwachen, alle Kin 
ber des ganzen Staates, fage alle, alfo die ganze Jugend 
in feiner Gewalt bat und nad) Staatszwecken unterrichten 
unb zufchulen läßt, wenn er, damit er jedes Privat⸗Gewiſſen 
ober Gelüfte im Entftehen unmöglich machen Tönne, bie 
Gemeinde» unb, wo fie nicht ausreichen, ble Staats⸗Fonds 
zur Difpofition fat, ja, wenn damit er nicht in Aus 
Abung feiner Gewalt etwa nachfichtig handeln fómme, die 
Boltsfchulen unentgeltlich fein müffen; fo fann man jede 
Behauptung darüber einräumen, nur bie nicht, daß per 
fönliche Gewiflens » unb Religionsfreiheit damit verträglich 
feien. Wenn eine folde Staatsfchuleinrichtung , Die wie 
ein fefter und dichter Zaun feine Maus durchläßt, in einer 
freifinnigen, Eonftitutionellen Verfaffung, welche Gebanfen,, 
Gewifſens⸗, Religionsfreiheit und alle unveräußerlichen 
Menfchenrechte garantirt, Blay finden fann, fo müffen wir 
befennen, daß wir feinen Begriff, noch Verſtand mehr 
Haben, um das zu begreifen ac. 

Bekanntlich find Manche der gutmüthigen Anſicht, 
wenn aud bie Schule grundgefeglich von. der Kirche 
getrennt fei, fo bleibe ja bod) nad ben Unterricht 
gefegen dem Geifllidgen noch immer das Recht, ben Reli 
gionsunterricht in ber Schule zu ertbeilen, und bamit 
{εἰ fchon bie nótbige religiófe Bildung ber heranmwachfenden 
Geſchlechter gefihert. Ja, nod mehr: in bem meiftea 
Faͤllen werde überbieg der Geiſtliche, weil oft ber eim 
Mage gebildete Mann im Orte, fünftig auch bei bet 
reinen Staatsſchule bod) zum Inſpektor ernannt werben 


- 


^— μηδ won Staat, Kirche und Schule. 629 


müffen, und fo bleibe ber Kirche ein großer Einfluß auf 
bie Schule immerhin bewahrt. — Der Hr. Verfaſſer hat 
auch diefe ebenfo gefährliche als fchwächliche und ober; 
flaͤchliche Anſicht an verfchiedenen Stellen widerlegt, und 
vor Allem klar gemacht, welch’ himmelweiter Unterſchied 
[εἰ zwifchen einer Schule, in ber wochentlich in ein paar 
Stunden von einer Art Fachlehrer Religionsunterricht ers 
theilt wird, und einer Schule, bie als Vorhalle der Kirche 
bie chriftliche Erziehung und Bildung der Jugend zu ihrem 
Prinzipe und zu ihrer Hauptaufgabe Bat. Dort ift ber 
Religionsunterricht nur ein Spezialfach, ein Nebenfach, 
und nur vom chriftlihen Unterrichte, nicht von ὦτί 
fier Erziehung if bie Rede; in ber Firdlichen 
Schule dagegen ift Religion, nad? Seite des Unterrichts 
und ber Erziehung die Hauptfache. In der Firchlichen 
Schule fol ber Menſch für das Reich Gottes, in der 
Staatsſchule nur für das Bürgertbum erzogen werden. 
Was ἰβ ba6 Höhere und was gibt bie größeren Garan⸗ 
tieen für das fittliche Leben, für Privat: unb Bürgertugens 
den? Die Antwort fami nicht ſchwer fein. 

Aber der Sintbeil, ben bie moderne Staatsweisheit 
fünftig der Kirche in Bezug auf bie Schule noch gönnen 
will, ift, unb das ift bie zweite Seite der Betrachtung, 
nur ein prefärer, ein Stüd Bettlerbrod, denn wenn bie 
Spule dem Staate allein gehört, grund geſetzlich, unb 
aus Bas Unterrichtsgefep ber Kirche noch eine Antheils⸗ 
particula zuwirft, fo Tann auch diefe Feine Gonceffton 
burd) ein. neues Alnterrichtögefeß ihr wieder entzugen und 
vem omnipotenten modernen Staate alfeó summa summarum 
ſelbſt eingefadt werden. Wer darum mit biefem Bettler: 
biffen und Ginabepbrobe fid) begnügen unb abfinden laſſen 

41° 


630 Seul 1. Höfliger, Trennung von Staat, Kirche u. Schule. 


will, ber verfauft fein Erftgeburtsrecht um ein Linfenmus, 
das man ihm vielleicht zudem wieder nimmt, bevor er e$ 
zur Hälfte genofien bat. — Die in Würzburg verfammelten 
deutfchen Bifchöfe verdienen darum bie Anerfennung jedes 
Ehriften, nicht blos des Katholifen, wenn fie bie Anrechte 
der Kirche auf die Schule Fräftig veriheidigten. In gleichem 
Geifte fprachen fid) aud) die preußifchen Bifchöfe in ihrer 
Denkfchrift vom Juli Ὁ. S. aus, und Herr Seul hat fo 
wohl bie denkwürdigen Worte der Einen wie der Andern 
dem erften Sapitel feiner Schrift einverleibt. 

Schon oben haben wir bemerkt, daß ber SBerfaffet 
feinen Gegenftand nicht vereinzelt und auf ber Oberfläche 
betrachtet, fonbern bie rage nach ber Trennung ber Schule 
von ber Kirche mit der gefammten falfchen und unchriſt⸗ 
lichen Zeitftrömung in Verbindung gebracht habe, ‚Der 
Rieſen-Irrthum, fagt er hierüber, beruht in der 
Meinung, daß es im Qcben, namentlich im Staatsleben 
ein anderes Heil geben fónne, als in Jeſus Chriſtus, 
unferem Herrn, als in unb mit feiner hl. Kirche in ihrer 
ganzen Wirkſamkeit; er beruht in der Meinung, daß in 
Europa Staaten blühen fónnten ohne Ehriftenthum, und 
daß bann auch bie Schule ohne Ehriftenthum erziehen könne 
und müfle, indem fie für den Staat erziehe. Der Irrthum 
dehnt fi) aus über die ganze Lebens» und Weltanfchauung, 
geht zurüd auf die erften Prinzipien und hebt den Grund 
auf, worin das Leben Werth und Bedeutung Bat^ ©. 55. 
„Diefer Rieſen⸗Irrthum mühet ὦ nämlich ab, den Mens 
fchen als ein Naturgewähs aufjufaffen und das Thier 
gleich den andern Beftien nach gefebten Zwecken zu bes 
handeln und mit allmöglichen Verfuchen zu beglüden” &.55. 
Ge ift richtig, wenn bie fupranaturale Seite des Menſchen 





Vredigtwerke. 631 


verfannt unb er bloß als der Erde gehörig betrachtet wird, 
dann will allerdings die irdiiche Orbnung, ber Staat, ihn 
ganz befigen, ganz leiten unb ausfchließlich erziehen, während 
die Vertreterin ber jenfeitigen Ordnung, bie Kirche, ale 
"etwas Fabulöfes, Unreales und damit Unberechtigtes bine 
ausgefchoben wird. 

Mir fónnen ed uns faum verfagen, auch bie fchöne 
hiftorifche Darftelung, wie burd gode, 9touffeau und 
Peſtalozzi das gane Erziehungswefen der Neuzeit ein 
unchriftliches Prinzip erhalten habe, bier noch aufzunehmen. 
Es gehört biefer Paſſus unbeftreitbar zu den fchönften und 
lehrreichſten Bartien des Buches (6. 78 ff.) und muß, 
wie biejeó felbft, jedem Geiftlichen und Schulmanne zu 
ernfter Erwägung empfohlen werden. 

. Hefele. 


1. 


I. Die evangelifchen Bericopen an den Sonntagen und feften 
des Herrn, eregetifch-homiletifch bearbeitet von M. A. Wikel, 
Doctor ber Theologie, geiftlichem Mathe und Regens des 
Klericalfeminars in Main. V—IX. Tell. 184850. 
Sranffurt bei Sauerlaͤnder. Preis pr. Band 2 fl. 


I füuftrprebigten der hatholifchen Kanzelberedfamkeit 
Deutichlands aus der neuern und neueflen Beit. Ges 
wählt und Herausgegeben von A. Hungari, Pfarrer zu 
Möpeiheim im Großherzogthume Heſſen. Mit Sifchöflicher 
Approbation. XIX—XXIL Band. 1848— 49. Frankfurt 


632 Brebighber®e, 


$d Sauerlander. — Muſterpredigten von Hungari, 
zweite gänzlich umgearbeitete Auflage. I--IV. Band. 
Frankfurt bei Sauerländer. 1850. Brei pr. Band 


2 ᾳ. — 


Ill. Predigten auf die Sonntage des hatbol, Kirchenjahrs, 
in ber Bomhird)e zu Breslau gehalten von Dr. f. fórfter, - 
Domberrn, Domprebiger, Fürftbifchöffichem Vikariatsamts⸗ 
und Gonftftorialrathe. Zweite verbefierte Ausgabe. In 
zwei Bänden. Breslau bei F. Hirt. 1849. — Preis 
4 f. 24 f ; 


IV. Homilien auf die Sonntage des hathol. fiirdjenjabro, 

gehalten in ber Domlirche zu Breslau 9. Dr. fj. fórfler x. 
wie oben. Zweite Ausgabe, in zwei Bänden. Breslau 
bei Hirt. 1849. Preis 4 fl. 24 ἔτ, 


V. Ein Umblick von der Warte der Beit von Dr. fj. fór- 
fler γος. Breslau. 1849, 12 G. Preis fl — 12 Er. 


VI. Katholifches fRirdjenthum, behandelt in zwanzig Kanzel 
reden, mit befonderer Eritifcher Wahrnehmung des ſoge⸗ 
nanten Deutfchtatholtzismus, nebft einem Anhange: Stesken 
aus dem Aireuzgange. — Bon Wilhelm Gärtner, Operar 
und Feiertagsprediger an ber kaiſ. koͤnigl. Wiener » Univer- 
fitätsfirche. Wien, 1849. Berlag von Karl Gerold. — 
315 €. Preis 3 fl. 10 fr. 


VIL Homiletifche Achzenlefe, Ein Chelus von Sonntag, Sel 
und Faflenprebigten von Wilhelm Dscrh, Domprebiger zu 
St. Stephen in Wien. Mit fuͤrſt⸗erzbiſchoͤflicher Appro⸗ 
bation. Franffrt am Main bei Sauerlander. 1900. — 
802 €. Preis 2 fl. — 


MPreblgtwerke. 638 


VIII. Die ſocialen Fragen der Gegenwart. Sechs Predigten, 
gehalten im hohen Dom zu Mainz von Wilhelm von 
fietteler, Pfarrer zu opften, Mitglied des deutſchen Reichs⸗ 
tages. Das Honorar zum Beſten des wohlthaͤtigen Vereins 
vom heil. Vincenz von Paul zu Mainz. Mit Approbation 
des hochw. biſchoͤfl. Ordinariats. Mainz, Verlag v. Kirch⸗ 
heim und Schott. 1849. 92 €. Preis fl. — 24 tr. 


I. Bon den eregetifchshomiletifchen Bearbeitungen ber 
evangelifchen Pericopen von Nidel find bereits vier Bände 
in diefer Zeitfchrift befprochen, unb ift das Gute an bern: 
{εἴδει anerfannt worben. Die vorliegenden 5 Bände ents 
‚hatten die Erklärungen der fonns und fefttäglichen Bericopen 
des Kirchenjahres vom erften Sonntage nach Oſtern bie 
zum zehnten Sonntage nad) Bfingften. Die Art und Weiſe 
ber Behandlung, die Anordnung unb Anfammlung des 
‘Stoffes ift in biefen Bänden bie gleiche geblieben. Es ift 
in jedem Bande für jede Pericope eine unendliche Maſſe 
von Stoff zufammengebradt. Ein Band enthält in ber 
Regel auf ungefähr 500 Seiten nur bie Erflärungen von 
vier Bericopen. Nach vorausgeftelltem Terte der SBericope 
fchließt fid) an jeden Vers berfelben eine Eregefe an. Diefe 
Gregeíe ift. meiftens ganz practifcher Natur, paránetifd) unb 
adcetifch, bisweilen etwas gelehrt. Der betreffende Vers 
wird bann nach allen für einen Gebanfen zugänglichen 
Seite betrachtet und angefehen, oft nach feinen einzelnen 
' Worten. Der Berfafler nimmt zu wiederholtenmalen einen 
Gedanten» Anlauf, und fpinnt benfelben fort, fo weit εὖ 
thunlich ober notbipenbig fdeint. Go ift an den Worten: 
„Friede ſey mit Euch“ fo oft wieder eine neue Seite heraus⸗ 
gefucht und bargefielít, bag e8 Band V von p. 1-17 


634 Predigtwerke 


reicht. Des oͤftern iſt an die Erklaͤrung einzelner Verſe 
‚eine foͤrmliche Homilie angeſchloſſen. So ſind unter die 
reichlichen exegetiſchen Erklaͤrungen des Evangeliums auf 
den erſten Sonntag nach Oſtern fünf vollſtaͤndige Homilien 
aufgenommen. 

Daraus iſt leicht abzunehmen, wie reichhaltig dieſe 
Erklaͤrungen der Pericopen ſind. Abgeſehen von den aus— 
gearbeiteten Homilien, die aufgenommen ſind, bieten die 
anderweitigen oft nur in kurzen Abſaätzen aufgenommenen 
Erklärungen von SKirchenvätern oder andern erleuchteten 
Eregeten einen faft unerfchöpflichen Stoff zu Meditationen, 
zu Predigt-Thematen wie zu Prebigtausarbeitungen. (8 
muß anerkannt werden, baf ber in ber kirchlichen Literatur 
fo rühmlich befannte SBerfaffer für biefe feine Arbeit febr 
forgfältig und mübfam gefammelt Dat. Aber auf weitere 
als ein Sammelwerf in biefem Gebiete kann fie nicht Ans 
fpruch machen. Denn was man öfters ſtark vermißt, iR 
gerade eine rechte Verarbeitung unb fyflematifche Zuſammen⸗ 
reihung des maflenhaft angehäuften Stoffes. Bei einer 
man möchte faft fagen zufällig fid) ergebenden Aneinander⸗ 
reihung des eregetifchen Materiald über einen Vers ober 
über einen Abfag einer 5Bevicope ift e$ unmöglich, daß nicht 
Wiederholungen ein und beffelben Gedankens oft beinahe 
in gleicher orm vorfommen. Auch fonnte e& nicht fehlen, 
' baf neben ben vielen febr guten Abfchnitten auch wohl 
etwas leere fich finden, fo daß man ziemlich viel Sand 
durchwühlen muß, um auf Goldförner zu ftoßen. Deßhalb 
ermübet e& aud) nicht wenig, bie Erklärungen einer einzigen 
SBericope ununterbrochen bis zu Ende zu lefen. Dagegen 
unterbrochen und Stüd für Stüd gelefen, findet man 
recht viel Gute und Anregendes. — 





Predigtwerke. 635 
Der Berfafler fagt in der Vorrede zu feinem Werke, 


«daß von ihm nicht viel Eigenes dabei fey. Deffenungeachtet 


vermißt man doch bei ben Eleinern Erklärungsftüden bie 


- Angabe der Quellen, aus denen fie genommen find. Meift 


nur bei den Homilien, bie vollftändig aufgenommen wurden, 
find bie Ramen ber Autoren angegeben. Am meiften bar» 
unter fommen vor: Bafilius M., Ehryfoftomus, Auguftin, 
Beda, Albertus M., Thomas von Aquin, Eanifius, Ludwig 
von Granada, aud) Sailer und Veith. — 

Der Referent, wenn er gleich ber Anficht ift, das 
Bolumen des Werkes hätte (id unbefchadet feiner Zweck⸗ 
mäßigfeit um ein Namhaftes verringern und ebendamit der 


. Preis erniedrigen lafien, ftebt bod) nicht an, baffelbe für 


das Studium ber Prediger zu empfehlen. Sie finden hier 
zwar feine oder nicht vorzugsweiſe ausgearbeitete Predigten 
und Homilien wie in der Sammlung von Hungari, unb 
fein fo leicht verlodendes Ruhepolfter, wohl aber fehr viel 
Stoff, den fie mebitirend burcharbeiten und wobei fie für 
fid fdüne Gebanfen, Bilder, wohl aud) Anleitung: zu 
Ausführungen herausfinden fönnen. — 

Am Schluffe der Erklärung einer Pericope find immer 
eine Reihe von ffizzirten Thematen zu Predigten angefügt. 
Das Himmelfahrtsfeft hat nicht weniger als 69, das 
SPüngftfet 63, unb ein gewöhnlicher Sonntag zwifchen 30 
und 50. Biele berfelben, wenn auch nicht Alle, find in 


ber Auswahl des Themas und ber Difpofition gelungen, 


und werden manchem PBrediger willfommen ſeyn. Sie find 
bier von um fo größerem Werthe, als man zu ihrer Aus⸗ 
führung in ben vorausgehenden Girflárungen den angemefs 
fenen Stoff finden fann, — 

IL Ueber den Werth ber von Hungari gefammelten 


636 Vredigtwerke. 

Predigten iſt in ber Quartalſchrift feit bem Erſcheinen des 
erſten Bandes ſchon ein paarmal von andern Referenten 
geſprochen worden. Im Weſentlichen ſchließe ich mich ihrem 
Urtheile uͤber die ganze Sammlung an. Die vor uns 
liegenden Baͤnde XIX—XXI enthalten die Predigten für 
bie Heiligens$efte. Der erfte Band dieſer Aten Abtheilung 
ber Predigtſammlung beginnt mit neun Prebigten auf dad 
Feft Allerheiligen, denen fid fleben Predigten auf den Ge 
bächtnißtag Allerfeelen, zehn auf das Weft der heil. Schup- 
engel und fechs über bie Verehrung der Reliquien ber 
Heiligen anfchließen. Hierauf folgen Predigten auf bie 
Feſte einzelner Heiligen. Wiele derfelben haben zwei, drei 
unb vier Predigten erhalten, 3. B. die bL. Anna, Antonius 
von Padua, Benediet, Bernhard, Franz von AR, Franz 
Xaver, Georg, Johannes der Apoftel, Johann von Stepemuf, 
Johann ber Täufer, ber bi. Sofeph, bie Hi. Thereſia, 
Stephanue, Ulrich u. a. Der dritte Band ift zur Hälfte 
mit Predigten auf dad Felt der HI. Apoftel Petrus unb 
Baulus gefüllt; εὖ find 24 Predigten in fünf Reihen 
abgetheilt. Die erfte Reihe aus vier Predigten beftehend, 
bat „vie Befehrung“ ber beiden Apoftel zum Gegenftanbe. 
Die Predigten find von Sailer, Schwäbl, Fürft Alerander 
Hohenlohe und Weinzierl. Die zweite Reihe gleichfalls 
vier Predigten enthaltend — befpricht „Die Feier bes 
Gedächtnißtages der beiden Apoftelfürften.“ Die 
Verfaſſer ſind Veith, Saffenreuter, Dinkel und Beer. Die 
dritte Reihe hat zum Gegenſtande: „die Kirche Jeſu Chriſti 
auf Erden“ in 3 Predigten, von N. Weis, A. Guͤgler, 
S. Pletz. Die vierte mit adjt Predigten (Mad, Schloͤr, 
Ziegler, 2üft, Riffel 2, Dür, Bode) „nen Brimat bet 
beit. Vetrus“; bie fünfte „nass Bekenntniß des 








Vrchignwerh. 637 
driftlidjen Glaubens“ mit fünf Prebigten von 5ηῇ, 
Sailer, 9Reríg und Eberl. — 

Die Methode, welche in biefen Predigten beobatotat 
(ft, muß bei der Mannigfaltigfeit des Stoffes unb bei bet 
9B erfchiedenheit ter Verfaſſer eine verfchiedene feyn. Die 
Einen nehmen die bifdliche Darftelung des Heiligen mit 
den einzelnen Attribnten zur Unterlage ihrer Predigt, wie 
beim BI. Aloyfius bie ilie, das Grucifir, das Ordens⸗ 
gewand nebft Geißel und Sornenfroue und den Todtens 
ſchaͤdel, und fuden an ſolchen äußern Vehikeln das Leben 
des Heiligen erbaulich und für bte Zuhörer nupbringend 
darzuftellen. So wird auch die Heiligkeit des Antonius 
von Padua fennbar und anfchaulich gemacht an feinem 
Bildniffe, indem darauf Binbeute bie weiße ille, das ge 
fchlofiene Buch und das Sefuéfinb. Andere geben zuerfl 
einen Eurzen Umriß der äußern Verhaͤltniſſe, in welchen 


‚der Heilige gelebt, und zeigen bann, wie blefer oder jener 


in feinen ihm eigenthümlichen Verhäftniffen für das Heil 


feiner und anderer Seelen geeifert habe 3. B. giguort ; 


ober führen im erften Theile das Leben, Wirken und Sterben 
des Helligen vor, um im zweiten Theile bie entfpredenben 
Lehrftüde für bie Gläubigen abzuleiten; ober (le orbnen 
den Stoff gerade nad) den einzelnen Lebensperioden - be8 
Heiligen, 3. Ὁ. bei Suidbertus, bei dem 1. feine Jugend 
unb fein Klofterleben, 2. fein apoftolifehes bifchöfliches Amt 
unb 3. fein feliger Tod betrachtet wird. Solche Mannig⸗ 
faltigfeit in der Behandlung des Stoffes ift eine treffliche 
Vorſchule für ben Prediger und wird ihn bei ernftem und 
aufmerffamem Studium gewiß jeberzeit die rechte WBeife 


und Methode finden laffen. 


Da nad bem Willen der Kirche die Gläubigen durch 


638 Vredigtwerle 


bie Heiligenfeſte zu gleichem Eifer in ber Nachfolge Ehrifi 
angefeuert werben follen, fo wird über ben großen Werth 
und 9tugen guter eiligenprebigten überall Fein Zweifel 
feyn. Allein folche Gelegenheiten werden oft gar nicht ober 
nur fo benügt, daß man im Eingange etwa ben Namen 
des Heiligen nennt und einige Gfügen aus feinem Leben 
beibringt, im llebrigen aber irgend ein moralifches Thema 
breitfchlägt. Hungari Bat febr wohl gethan, nur folce 
Predigten über Heilige aufzunehmen, „deren Leben wirklich 
in ber Darftelung erzählt und nach feinem Dafürhalten 
in rebnerifcher Ausführung würdig und barum mufterhaft 
behandelt if.“ Indeſſen kann nicht geläugnet werben, baf 
fid aud unter dieſen Heiligenpredigten manche finden, die 
den Namen einer Mufterprebigt durchaus nicht verdienen. 
διε ὦ hatte Hungari unter den neuern Prebigern, wenn 
er nicht zu den Altern zurüdgreifen wollte, in dieſem Ge 
biete nur fpärlich fließende Quellen. Dabei gebührt ihm 
jedenfalls das Verdienſt, das Beflere gefammelt und ben 
Publikum leichter und bequemer zugänglich gemacht zu 
haben. — 

Mit bem 22ften Bande beginnt die fünfte umb legte 
Abtheilung der Sammlung, nämlich bie Gelegenheit# 
reden. Soviel bem Referenten befannt, find don alle 
Dände der Gelegenheitsreden, fünf an der Zahl, erfchienen 
und ift fomit bie ganze Sammlung damit abgefchloffen. 
Dem Referenten kam indeß bisher nur ber erfte Band 
(QUOI Bd.) zur Hand. Diefer enthält Predigten über ben 

Ablaß, Abſchiedsreden, Antrittöreden und zwar von Bi 
ſchoͤſen, S3farrern und Domprebigern, Aureden bei Aufnahme 
von Häretifern in bie Kirche,. bei Errichtung von einem 
Dischum, bei. Biſchoſswahl und Biſchofsweihe, Predigten 











Predigtwerke. 639 


über die Bruderfchaften, über Eid und Meineld, Firmungs⸗ 
reden, Anfprachen bei der ewigen Anbetung, bei Hinrich, 
tungen. Wie der Stoff biefer Gelegenbeitéreben ein ziemlich 
buntes Gemifch ift, fo find fie auch felber. Ge fehlt zwar 
in neuerer Zeit, feitbem man angefangen hat, bei jeder . 
©elegenheit eine Standreve zu halten, nicht an Reben, 
Allein da die Gelegenheiten und Anläffe, bei welchen bets 
artige Anfprachen gehalten zu werden pflegen, oft mit 
eigenthümlichen Umftänden begleitet find, fo machen bie 
Reben gerade nur mit Rüdficht auf die bem Auge fid) 
aufdringenden ober das Herz ber Zuhörer nahe berübrenben 
Umftände einen bedeutenden Ginbrud, während fie ben 
fenen eigenthümlichen Umftänden ferne ftebenben Leſer fat 
[affen, vielleicht aud) anmwidern. Daher gefchieht e& leicht, 
daß eine Gelegenbeitórebe, welche bei ber zutreffenden Ber, 
anlaffung febr gut erfunden wurde, einem fpätern, nüchternen 
und unbefangenen 2efer ganz unvollfonunen und mangelhaft 
erfcheint. — 

Wir geftehen, wir waren durch bie im erften Bande 
ber Gelegenbeitéreben aufgenommenen Stüde nicht befriedigt, 
fo anfehnlich auch bie Verfaſſer einzelner Predigten find. 
Die Ablaßpredigten gehören im Ganzen zu den beften biefeé 
Bandes, und erfchöpfen den Gegenflanb vollfánbig. Es 
wäre aber bed) zu wäünfchen gewefen, bag anftatt fünf 
Predigten über ben Ablaß im Allgemeinen aufzunehmen, 
eine Bredigt wenigftens über eine 6efonbere Ablaßertheilung 
aufgenommen worden wäre. Sn ben Predigten vun €, 
Gireltb, Domdekan in St. Gallen, „neue Apologien und 
Kanzelreden“ findet ft 4. 3B. eine Predigt auf das Por⸗ 
tiuneulafeft, die im zweiten Theil nur vom Bortiunculas 
Ablaß handelt, Nebenbei (el εὖ bemerft, ba ber Bortiunculas 


$48 Vredigtwerke. 


Ablaß nit auf das Feſt des hi. Sram *. WIR (att, 
wie Rußwurm in feiner Predigt S. 23 fagt, fonbern auf 
den 2. Auguſt. Ebenfo ἰβ in der Ablaßpredigt von Helm 
unrichtig bemerkt, bag durch ben Ablaß nur bie zeitlich 
göttlihen Strafen nachgelafien werben; denn εὖ wer 
ben aud) die Kirchenfirafen nachgelaflen, fo weit fit 
poenae vindicativae find. 

Am wenigften haben mir bie Abſchiedoreden zugefagt, 
obgleich ihre Verfafier größtentheils fpäter in die Reihe bet 
Kirchenfürften traten. Solche Mufter fónnten einen minder 
geishidten Nachahmer febr irre führen. Am beften ift wohl 
bie Predigt von Jais mit der befannten @intheilung: 
4, 3 gebe gern von Euch, 2. ich gehe nicht gern von 
Gud, Anders ausgeführt, als e& von Jais gefchehen, 
und eima von einem Bicar, ber kaum ein Sabe in einer 
Pfarrei wirkte, angewendet, mag fie wiberlid werben. — 
Die Bfarrantrittspredigten find beffer. 

Aufgefallen (ft bem Referenten, daß die Bruderſchaften 
neben dem Zielen, bae ihm unnöthig aufgenommen fchien, 

€ fo fihlechte Vertretung gefunden haben. Gigentlid) 
handelt nur die Predigt von Zarbi von den Bruderfchaften, 
und zwar nur im Allgemeinen. Die andere Predigt von 
Guͤgler ift nur ein allgemeines Gerede von der chriſtlichen 
fBetbruberídaft, es ift gerade wie eine Rede über bie 
Bruderfchaft der chriftlichen Nächftenliebe ; denn wie burd 
bie Liebe, fo follen wir als Gbriften auch durch das Gebet 
verbunden ſeyn. Οὐδ gibt babet feine eigene chriftliche Bet 
bruderichaft, es feo denn, bag fib einzelne Ehriften zur 
Verrichtung eines befondern Gebetes zu begümmtem 
Zwecke verbinden, wie des Roſenkranzes. Mich duͤnkt 
48, bier wären Predigten, vole fie für einzelne heſtehende 


* o 89 Eos — T-- wur vu e 


Prebigtwerke: 644 


Bruderſchaften und Bruderfchaftsfefte gehalten werden, nicht 
übel am Platze. 

Doc wir wollen bie Kritik im Einzelnen abbrechen, 
fie würde zu weit führen. Bei bem mannigfachen Uns 
volfommenen, das in die Sammlung einen Weg gefunden, 
darf das viele Gute nicht verfannt werden, das fie hat, 
Und dem Herausgeber fann das SSerbienft nicht flreitig 
gemacht werden, mit vieler Mühe aus ber Maſſe des 
Borhandenen dasjenige herausgelefen und gewählt zu haben, 
was bei einer fo großartig angelegten Sammlung jedem 
Sreunbe der homiletifchen Literatur einen leichten lleberb(id 
über bie beffern Leiftungen Fatholifcher ftangelrebner Deutfch- 
lands gibt, und dem gewöhnlichen Prediger ift durch bie 
Darbietung fo vieler ausgearbeiteten Predigten fein Amt 
erleichtert. Indeſſen, glaube ich, fann man gerade burd) 
diefe Sammlung die Ueberzeugung gewinnen, daß wir bei 
vielen guten und mitunter vorzüglichen Leiftungen bod) 
im Ganzen auf unfere Predigtliteratur nicht zu ſtolz feyn 
dürfen. Daß aber die Veranftaltung einer folden Samm⸗ 
lung, wie fie Hungari ausgeführt, zwedmäßig war, zeigt 
ber Umſtand, dag (don mit einer zweiten Auflage begonnen 
wird. Und es ift fein Zweifel, wenn H. manches minder 
Gute weggelaffen und baburd bie Zahl ber Bände um 
ein Bebeuitendes verringert hätte, fo wäre ber Abgang nod 
größer. — | 

Don der zweiten Auflage find bereità 4 Bände in 
unfern Händen (fiehe oben nr. 2.) Der Herausgeber fcheint 
aber gerade entgegengefegter Anficht von uns zu feyn. 
Wir hätten eine genauere Ausfcheidung ber Predigten ges 
wänfcht, er aber projectirt bie Aufnahme von noch mehr 
Bredigten, als fid) im ber erften Auflage fanden. Die 


642 Vre digtwerke. 


neue Auflage ſoll wieder aus 5 Abtheilungen beſtehen. 
Die erſte Abtheilung fol in 6 Bänden Predigten auf bie 
Siete des Herrn, die zweite Abtheilung in 4 Bänden 
Predigten auf bie Sefte der feligften Jungfrau Maria, die 
dritte Abtheilung in 10 Bänden Predigten auf: alle Sonn⸗ 
tage, bie vierte Abtheilung in 4 Bänden Predigten auf 
bie efte der Heiligen Gottes, bie fünfte Abtheilung in 
6 Bänden Gelegenbeitéprebigten enthalten. Das Ganze 
würde fomit 30 Bände umfaflen, 4 mehr ald bie erfte 
Auflage. Wir hätten gegen biefe Bermehrung nichts, wenn 
nicht ebenbaburd) Mancher, ber biefe nugbare Prebigts 
fammlung wünfchte und brauchte, von ber ?infdjaffung 
berfelben zurüdgefchredt würde, — 

Daß die zweite Auflage nicht bloß ein 9 bbrud ber 
erften werden wird, ober daß nicht bloß weitere Predigten 
angehängt ‚werben, fieht man aus. den erften vier Bänden. 
(ὁ ift eine andere pafjenbere Stellung der Predigten nebft 
ihrer Vermehrung bei den einzelnen Feſten vorgenommen 
worden. So find im erften Bande ber zweiten Auflage 
bie Predigten auf das feft des heiligen Stephanus weg: 
gelaffen, wahricheinlih um fie in bie vierte Abtheilung 
aufzunehmen, wohin (te auch gehören. Dagegen find „Ans 
reden in ber bl. Ehriftnacht“ aufgenommen. Die Predigten 
find aber ber Art vermehrt, daß in ber zweiten Auflage 
bei den Hauptfeften gewöhnlich wenigfiens nod) fo viel 
Predigten fid) finden als in ber erften Auflage. Auf das 
Weihnachtsfeſt waren in der erften Auflage 12 Predigten, 
in ber zweiten 25; auf den Schlußabend des bürgerlichen 
Jahres in der erften Auflage B, in der zweiten 18 u. f. f. 
Die Predigten der erften Auflage wurden mit wenigen 
Ausnahmen beibehalten, unb benfelben nur neue in zweds 








Predigtwerke. 643 


mäßigerer Aneinanderreihung beigefügt. Bei den Weib: 
nachtöpredigten ijt eine Predigt von Halver weggelaffen, 


die in der erften Auflage einen Platz gefunden hatte, und 


bie imferó Erachtens neben den Neuaufgenommenen ihren 
Platz wohl mod) hätte behaupten fónnen. 

Die vorhandenen vier Bände der zweiten Auflage 
umfaffen beinahe alle Sefte des Herrn, indem fie mit bem 
Dreifaltigkeitsfeft fchließen, und es erübrigen für bie zwei 
weitern Bände biefer Abtheilung nur nod) das Fronleich⸗ 
naméfeft, das Feſt des Herzens Sefu umd Kreuzerhoͤhung, 
wenn der Herausgeber nicht noch Anderes herbeizieht. 

Was das Materielle biefer neuen Auflage ‚anbelangt, 
fo laͤßt fid) über dafjelbe nicht viel Neues fagen. (δ gilt 
davon, was in biefen Blättern [ὦσι des Deftern von der 
erften Auflage gefagt worden if. Man muß zugeftehen, 
daß fi H. unverprofien eine große Mühe gibt, das 
Befte in unferer Prebigtliteratur zufammenzuftellen, und 
wenn er nicht mehr Vorzügliches zu bieten vermag, fo ift 
er nicht Schuld daran. Während in ber erften Auflage 
Arbeiten von 478: Berfaflern mitgetbeilt wurden, fol in 
der zweiten die Anzahl berfefben um ein Sebeutenbeó vers 
mebrt werben; auch „vorzügliche“ Orginalarbeiten follen 
bereit liegen. | 

ML Förfter Bat als Prediger bereits einen folchen 
Ramen in Deutfchland, bag eine Gefammtausgabe feiner 
SBrebigtioerfe wohl gerathen fchien. Als erfter und zweiter 
Band zu biefer Sammlung erfchienen „bie Seltprebigten* 
oder „der Ruf der Kirche in ber Gegenwart ).* As 
Fortfetzung reiht fid) an biefelben an bie zweite Ausgabe 


1) Vrgl. Quartalſchrift 1848. p. 691. 
Thesl. Duartal[rift. 1950. IV. eft. 42 


Bad ffrebighyerty. 


von ben oben bezeichneten Sonntagäprebigten. In erfier 
Wuffage erfchienen fie im 3. 1843. Diefe Predigten gehören 
unbeftreitbar zu dem Beften, was die neuere deutfche Pre⸗ 
digtliteratur aufzuweifen hat. Er vereinigt einen erhabenen 
Schwung und eine fteté edle Haltung der Rebe mit wünfchens- 
wettber Bopularität. Hiefür nur ein Beifpiel 3b. I p. 
336: „daß unfer Lebensweg ein Weg ifl in den Tod, wie 
Zefu Hingang nad) Serufafem ein Weg war in ben Tod, 
daß jeder Tag uns dem Ende unferd Erdenſeyns zuführt, 
dag wir mit jeder Stunde bem Grabe näher kommen, 
wiffet Ihr Ale, meine Geliebten! Unaufhoͤrlich fcheiden 
Sreunde unb. Mitmenfchen aus unfern Kreifen. Täglich 
bringt ber Ton ber Sterbeglode an unfer Ohr. An die 
Pforten der Hütten und Paläfte pocht des Todes falte 
Hand. Aus den Reihen der Kinder und Greife holt er 
feine Opfer. Daß wir aber unfere Aufmerkfamfeit von 
dieſen fteten. Tobeömahnungen twegwenden, daß wir über 
bie zunehmende Nähe unferes Scheidens uns ſelbſt täufdhen, 
bag wir von ber Wahrheit: unfer Lebensweg ἰβ ein Weg 
qum Tode, fchüchtern uns abfefren wie ſolche, bie zu ihr 
in feiner Beziehung ftehen: das ändert in ihr ſelbſt nichts. 
Die Zeit flieht barum: nicht langfamer dahin, weil wir 
ihre Flucht nicht gewahren. Die ellenben Stunden reißen 
uns nicht weniger fchnell mit fort, weil voir ihre Schnelle 
nicht achten. Wir kommen barum nicht eine Minute fpdter 
an das Ziel, weil wir von biefem Ziele nicht mifen 
mögen. Ja ich fage Euch, der Sob wird uns um fo 
ſchrecklicher erſcheinen, je plöglicher er fommt, unb je uns 
vorbereiteter er uns findet. Darum fagt der hi. Gregor 
von Sipffa: „Das Leben des wo Ehriften iR ein fleter 
Topeögedanfe.“ — 


4 
v 


Bald iſt e$ der rubige und einfache Ton ber 8e 
wachtung, bald ift es ein fireng logiſches aber babel lebendiges 
Deduciren und Dialeetifiren, um zu belehren unb zu über 
zeugen, bald ift εὖ ber Ausdrud der Begeifterung, um 
ju erregen und mit fortzureißen. Die SBrebigten Foͤrſters 
ſtnd rheterifch fo gelungen, wie wir unter ben neuern 
Deutſchen Wenige beflgen. Der Schwung ber Rede ver 
leitet ihn aber bie und da zu Rebefiguren und Wortftellungen, 
bie etwas gefucht und affertirt erfcheinen fónnen. So 
beruͤhrt bie ziemlich herrfchende Gewohnheit ben Beſtimmungs⸗ 
Caſus (Genetiv) vor das zu beftimmende Hauptwort zu 
fegen 3. DB. „des Adventes heil. Wartezeit,“ ein einfaches 
Ohr unangenehm. — 

Indeſſen kann man ifm nicht nachfagen, daß er bloß 
verba facere wolle, unb fid) begnüge, bloß mit Worten 
einen hohen Klug zu nehmen, fondern feine Gedanken 
entfprechen ben Worten. Er weiß in ber Regel das Thema, 
baé er fid) fiellt, febr gut zu disponiren, und, treffend 
auszuführen. Neben einer großen Gewanbiheit in Sprache 
unb Ausdrud ftebt ihm ein großer Vorrath von Gebanfen 
nad Ideen, eine genaue Belanntfchaft ber bi. Schrift unb 
wohl aud) der Väter zu Glebot, obwohl er lehtere feltener 
anzieht. Bis zum. Schlufle weiß er den Zuhörer durch ben 
- fchönen und geordneten Gang der Entwidlung. und geift 
Teide intrefjamte Behandlung in Spannung zu erhalten. 
A6 wird zwar nicht jeder Prediger einen unmittelbaren 
Gebrauch von tiefen Predigten machen können, ba Be 
nit einer jeden Individualität angeben; aber junge Bro 
diger werben. durch das Studium berfelben zu.ihrer eigenen 
Ausbildung unzweifelhaft viel gewinnen. — 

Zum Schluffe bemerfe ish. nody ing birfe zweite Auf⸗ 

42* 


648 Vredigtwerkr 


lage bet fonntäglichen Predigten im Weſentlichen ein uns 
veränderter Abdruck der erften Auflage ig, ba der Berf. 
zu einer durchgreifenden Umaͤnderung feine. Muße hatte. 
Aehnliches findet auch ftatt 

IV. „bei ben Homilien auf bie Sonntage bes 
fathol. ftirdenjabresC, welche in ber Gefammtausgabe 
ben 5ten und 6ten Band bilden. Die erfte Auflage war 
erfchienen im 3. 1845 1). Die Vorzüge, bie wir an ben 
Bredigten Förfters herausgehoben, gelten aud) in ihrer 
Art von feinen Homilien. Diefe Homilien gehören zur 
Klaffe ber fogenannten Homilien höherer Art. G6 if 
außer aller Frage, daß derartige homiletiiche Vorträge 
fruchtbringender gemacht werben können ale Prebigtvorträge 
nach firengen Regeln und es ift febr zu wünfden, baf 
Prediger, welche öfters vor ihrer Gemeinde zu erfcheinen 
haben, abwechfeln möchten. Die vorliegenden Homilien 
von Förfter gehören entſchieden zum Beften, was in biefer 
Art erzeugt worden ift. Eine fehöne Darftelung, logifche 
natürliche Aneinanderreihbung, flare anregende Ausführungen 
zeichnen dieſe Homilien aue. 

Bevor er an bie Gruirung eines Themas aus ber 
fBericope geht, fucht er den Zuhörer recht lebendig an ben 
Ὅτι des Vorgangs, bet im berfelben befprochen wird, zu 
verfegen, eine Berfahrungsweife, bie fchon ber bf. Ignatius 
bei feinen geiſtlichen Uebungen dringend empfiehlt. Wie 
meifterhaft Foͤr ſter dieſes verftebt, zeige nur ein Beifpiel, 
Bd. II. p. 164: „Es gefchah aber, fo erzählt ber Goangelift, 
als fie babingogen, daß Sefu& in einen Zleden fam. Den 
Flecken fennen wir, er heißt Bethanien, eine Stunde von 


1) Quartalſchrift 1846, p. 680. 





Predigtwerke 647 


Serufalem, auf ber andern Seite des Delbergs gegen 
Morgen hin. Dort wohnte ber Feine Gefchwifterfreis, in 
welchen das Evangelium uns einführt. Die Genoffenfchaft 
fóeint nur aus drei Perfonen befanden zu haben, aus 
einem Bruder und zwei Schweftern, Lazarus den Bruder 
lernen wir erft fpäter fennen, ald des Meifters Machtwort 
ihn vom Tode erwedte. Mit den beiden Schweftern bes 
freundet uns der heutige Schriftabfchnitt. Martha, die 
Aeltere, leitet das Hauswefen, und ift wohl die eigentliche 
Berwalterin der Heinen Wirthſchaft. Maria, bie Jüngere 
geht ihr dabei zur Hand. Beide lieben den Meifter, unb 
ber Meifter liebte Martha und ihre Schwefler und den 
Lazarus, erzählt uns Johannes und mochte wohl während 
den Feftzeiten, wenn er Serufalem befuchte, gern bei ben 
frommen Schweftern herbergen, wie einft Elias bei ber 
armen Wittwe zu Sarepta, und ΘΙ ἀπὸ bei ber reichen 
Sunamitin u. f. w.“ — 

Bon ber Art und Weife, wie fchön unb einfach der . 
Berfaffer feine Themate erhebt, will ich ein Beifpiel ans 
führen, 98b. II p. 219: „Ein Reich, ein Königreich, 
ein Himmelreich nennt Sefuó. feine heilige Kirche, unb 
wie bezeichnend find biefe Namen. Ein Reich ift ble 
Kirche, denn fie umfaßt nicht, wie eine Bamilie ober eine 
bloße Gefellfchaft nur einen engen Kreis, fie umfaßt Mil 
lionen; fie erftredt fi) nicht bloß über ben einen ober 
andern Landftrich, fle dehnt über die Welt fib aus, in 
ihr wird nicht gewaltet und gemirft nad) 9Billfür unb 
Laune, εὖ find heilige Vorfchriften, es find göttliche Glefepe, 
denen dieſes Reiches Glieder gehorchen. 

Ein Königreich ift bie Kirche, denn Ehriftus ig 
der König, ber fie weihend und fegnenb regiert; der auch 


848 Peebigterie. 


unſichtbar durch ſeinen ſichtbaren Stellvertreter auf Erden 
die Einheit bewahrt; der durch ſeine Apoſtel und ihre 
Nachfolger die Gemeinden leitet, der durch die, welche er 
geſendet hat, wie ihn der Vater geſendet, ſeine Heilsgaben 
austheilt. — 

Gin Himmelreih ift ble Kirche, ben für ben 
Himmel arbeitet fie, zum Himmel führt fie, im Himmel 
weift fie das Ziel nach, dem alle ihre Beitrebungen ge 
widmet find, unb verbeißt dort ewige Triumphe allen 
denen, die fchon hier auf Erden wandeln, gleich als wie 
im Himmel. 

Wie Gott die Menſchen zu dieſem Reiche eingeladen, 
wie fie fid) als Geladene bezeigt haben, und tweiche Folgen 
dieſes Bezeigen habe — das, m. Gel., ſtellt uns das 
heutige Evangelium dar, wenn wir es in ſeinen einzelnen 
Theilen uns vorführen und mit Aufmerkſamkeit betrachten.“ — 

Eine befonders fchöne Stofferhebung für bie Homilie 
findet fij auch Bd. IL p. 106, wo er nad) einer kurzen 
treffenden Einleitung fagt: „Die Hauptpuntte des Evans 
geliums habe ich Euch bereits bezeichnet, fie find aud) bit 
Hauptpunfte unferer Betrachtung : 

Jeſu Weinen, Sefu Klagen, Jeſu Strafen, fol uns 
beute den Stoff bieten für unfer Nachdenten, den Gegen 
Rand für unfre Erbauung, ben Quell für ben Segen 
u. f. o. * — 

Wie bie Siufflellung ber Betrachtungspunfte aus ben 
Slericopen beinahe durchgängig fehr treffend unb ‚gut ift 
fe ift es dann nicht minder die Ausführung derfelben. 
Darum trage id) fein SDebenfen, fie jedem Seelforger ju 
empfeblen, der zugleich das Predigtamt zu verwalten bat, 
wm fid an ihnen gu büben und fich zu gewöhnen, ftat 


Prodigtwerke. 649 


immer wieberfehrenber trodener Abhandlungen über laͤngſt 
breitgefchlagene Prebigtihemate bie unb da auch eine nutz⸗ 
bringenbe Homilie über bie einfchlägige Evangelien, Bericope 
ober nach -Umftänden auch über die Epiftel zu halten. — 
V. Das Jahr 1848 war in feinem Ablaufe ein inhalt 
ſchweres und folgenreiches, εὖ i daher gewiß nicht unpaffenb, 
wenn ein Prediger von ber heiligen Warte aus am Schluffe 
befielben einen kleinen Um⸗ und Rüdblid thut, denn fo 
weltlih auch das Treiben jenes genannten Jahres war, 
bietet e$ bod) bem chriftlichen und bem Eirchlichen Befchauer 
manche Seiten zur Betrachtung dar. Eine folche Betrach⸗ 
tung angeftelt von einem Manne wie Foͤrſter, ber mit 
flatem Geiſte mitten -in ben Bewegungen des Jahres 1848 
barinftanb, ift doppelt interefjant. Und in ber That if 
biefe einzelne Predigt wie ein Zeugniß feiner großen Redner⸗ 
gabe, fo ein Beweis feiner tiefen Einficht in die ganzen 
Zeitverhältnifie. Wie er auf der einen Seite ble Schäden 
der vorausgehenden Regierungsmarimen nicht verhehlt, bei 
denen bie Abficht ber Wächter auf den Zinnen des alten 
Stantegebäudes nicht unklar war, bie Fatholifche Kirche 
in ihren Grundfeften zu erfchüttern und auf ihren Zrüms 
mern das Babel einer neuen Allerweltsreligion zu gründen, 
fo tabelt er eben fo offen das ungeflümme, unflare und" 
in feinen Elementen vielfach unreine Vorwaͤrtsdraͤngen bet 
Umfturgmänner. Rüdblidend auf die Bewegungen des 
Sabre und auf bie in demſelben vielgebrauchten PBhrafen, 
gibt et auf bie Fragen: find wir freier geworben ? find 
wir einiger geworden? find wir wohlhabender geworden ? 
fub wir weifer geworden € find wir glüdlicher geworben ? 
furze aus dem Sachverhalt gefchöpfte ſchneidende Antworten. 
Borwärts blidend in bie Sufunft hat er wenig Sroft: 


858 Predigtwerke, 


„Wo bie Grunblagen des Chriſtenthums, der Glaube, [ὁ 
lange: Zeit hindurch untergraben, wo bie Yundamente 
wahrer Sittlichfeit (o tief erfchüttert, wo bie Begriffe von 
Wahrheit und Recht fo gewaltig verwirrt, wo das Bers 
trauen ringsum fo gar gelähmt, wo alles Eigenthum, alle 
Ordnungen, id möchte fagen, alle bisher beftanbenen 
Berhältniffe fo in trage geftellt find, da leidet bie Geſell⸗ 
fdjaft an einer Krankheit, vie fid durch feine fompatbetifchen 
Mittel und feine Zauberjprüche befchwören läßt, das Uebel 
nimmt feinen natütliden Verlauf und muß ihn nehmen, 
foll anders eine wirfliche Genefung je wieberfehren; ber 
Körper muß alle bie Krämpfe, bie Schmerzen, bie Spe 
rationen leiden, durch bie der Gang der Sranfbeit ihn 
hindurchführt u. f. w.“ — Eine fichere Ausficht bietet ihm 
für ben Augenblid nur die Kirche unb ber Gíaube in ihr: 
„So, meine Brüder und Schweftern im Herrn! fehen wir 
in der dunfeln Zukunft — in die wir heute binübertreten aus 
bem alten, (deren, prüfungéreiden Jahre — nur Einen 
fier Hafen, die Kirche, nur Einen fichern Stab, ihren 
Glauben, und nur Eine fichere Leuchte, ihr Evangelium.“ — 

VI. Die Reden, bie unter Ar. 6 oben aufgeführt find, 
zerfallen wefentlich in amet Theile ober in zwei von eins 
ander unterfchievene Reihen. Beide find zwar apologetifcher 
Katur, unterfcheiden fid aber baburd) von einander, daß 
bie erfte Reihe von Reden (bie erften zehn) gegen den 
Deutfchkatholicismus als eine beftimmte Form ber Uns ober 
MWiderfirchlichfeit gerichtet find, bie zweite Reihe dagegen, 
bie wieder aus zehn Reven befteht, derartige Wahrheiten 
zum Borwurfe genommen Dat, bie an ber Eatholifchen 
Kirche zu verfchiedenen Zeiten und auf ver(dyiebene Weife 
überhaupt angefochten zu werben pflegten. 














Vrebigtwerke. 651 


Man fónnte glauben, es {εἰ ein gang unnäthiges 
Unternehmen, jebt noch gegen einen Deutſchkatholicismus 
fechten zu wollen, ba er bereits überall, wo er auch ein 
wenig aufgefladert bat, wieder vollftändig erlofchen ift und 
fd) tit» und lebensunfähig erwiefen hat. Allein in Wien 
ſchien er im Jahre 1848 ein neues Leben gewinnen zu 
wollen, und ed war Zeit, daß die Wächter 3ioné. fid) 
regten. Möchte aud) uns, bie wir bie genannte Gecte 
[ἀπο als verfchollen anzufehen gewohnt find, eine gewoͤhn⸗ 
liche Widerlegung , {εἰ e& in einer Abhandlung ober in 
Reden, ohne Snterefje fein, fo Tann es die vorliegende 
nicht, denn fie Bat fo viele anziehende Eigenthuͤmlichkeiten 
und Vorzüge, daß Niemand gerne δα Buch aus der Hand 
legen wird, ohne bie zehn Reden gegen bie Deutfchfathos 
titen zu Ende gelefen zu haben. Der Berfaffer. behanbelt 
ben fonft fo abgedrofchenen Gegenftand mit fo viel Geift, 
Witz unb Gemüth, daß man von dem Effect oft überrafcht 
ift. Er bat nicht unmwahr gefprochen, wenn er in bet - 
Ginfeitungérebe fagt: „Die Perfon und ihr Recht {εἰ une 
unantaftbar, bie Perfon darf uns nichts angeben ; bie Ber» 
fonen fónnen ganz gute Menfchen fein, (eine verzeibliche 
eaptatio benevolentiae in der bortmaligen age) und irgend 
eine Weberzgeugung ift. mir immer noch lieber, als gar 
feine; ein irgenwie fließendes Wafler lieber ale ein — 
Sumpf; aber mit ber Sache if6 was Andere. An ben 
Rock des Deutfchkatholifen rühre feinen Singer, aber ber 
Lehre — Deutfchfatholicismus genannt, — der ziehen wir 
den ttügerifdjen Bub ihrer Lappen fehonungstos herab; — 
ben hohlen, inhaltslofen Deutſchkatholicismus felbft, dieſes 
angebliche Gefaͤß voll Weisheit, diefen Kürbis, ben 
fpalten, beh zerfegen wir, fo gut mir' nut im Stande 


633 Perbigtiserke, 
ind; das Weſen des Deutfchlatholicismus ſelbſt, daß hauen 
wir, fo gut wir immer können, in die Pfanne.“ — 
Der Berfaffer macht ſich zuerfi die Punkte Har, um 
bie es fid) beim Deutſchkatholicismus handelt, unb auf bie 
legterer. fein Hauptgewicht legt. Bor Allem ig εὖ bet 
Blaube unb ber Glaubenógrunb, die Satanglogie, die 
Kirchenfprache, ver Bibelgebraucdh, Bergleichung des Deutſch⸗ 
katholicismus mit dem Heidenthume, unb die gefährlichen 
Gonfequenzen befjelben u. a., worüber er ben Deutfchkatholis 
eismus zur Rede felit, und in. feiner Erbärmlichfeit dar⸗ 
ſtellt. Oft iſt e. nur eine derbe humoriftiiche Wendung, 
bie flatt eines weitläufigen trodenen Beweiſes niederfchlägt, 
4. Ὁ. p. 26: „Die SBernunft fo läßt er ben deutſchkatholi⸗ 
schen Dogmatiter fprechen, „bat ben vollen Erweis Gottes, 
t6 braucht dazu nichts ale die Vernunft; — diefen Beweis 
muß (id aber ein Jeder felber fuden. Es fann aber auch 
gefchehen, daß mancher diefen Beweis nicht findet, ober 
daß ihm mitunter ber Faden diefer Bernunftficherheit aus⸗ 
geht; das thut aber gar nichts; ein folcher Tann ſchon mit 
dem Spinnefaden Ahnung zufrieden fein. Und fraft 
biefer Ahnung und Schwanung glaubt er tapfer darauf 
[οὐ und glaubt ὦ in bie Sicherheit hinein, das nennen 
wir dann die Anwendung des Menfchenverfan, 
des auf ben Gíauben, und das iR unfer Slaw 
bensprincip. — Die Indianer in Amerika gerben ble 
Haͤute des erlegten Großwildes mit beffen eigenem Hirn; 
jo haben wir jest das Giaubenéprincip jenes Büchleine 
wit feinem eigenen Hirn, mit feinem eigenen Geifte kritiſch 
gegerbt.“ Folgender Beweis gegen bie leere SBetnunfte 
religion ift gewiß treffend p. 30: „Run macht e& aber ber 
Dentfihlatholiciemus mit der Vernunft feines Jüngere fo, 


Br 3 653 
wie εὖ einft Jemand mit einem Bettler machte, ber ihn 
angefprochen batte. — Wie, rief er, bu betle(ft * bab, weißt 
bu nicht, daß bu von Rechtswegen fo reich δ} als ber 
Reichfte; zweifle nicht, ihr armen Wichte feib lauter geborne 
Midionäre, lautet geborne Könige. So fprach ber Manu 


- amb ging weiter. Sn ähnlicher Weife fpricht ber Deutſch⸗ 


latholicismus: Laß bir an deiner Vernunft genügen; beine 
Bernunft fagt und demonftrirt bir alles, was bu brauchfl, 
beine Vernunft ift eine Milliondrin, eine geborne Königin, 
ift fouberain. Sobald Sie aber die fíeine Münze, ben 
Pienning eined einzigen panzerfeften, gemeinfaßlichen Bes 
weiſes für Gottes Dafein verlangen, fo zudt er vie Achſelm 
Enspft bie (eere Tafche zu und trolít (id) weiter“ — | 
Dagegen läßt er fid auch üt ausführliche Gegen, 
beweife und Widerlegungen ein. DBefonders gut ift bet 
Beweis von ber Ewigkeit des Böfen aus der Freiheit bet 


- gefchaffenen Geifter Gott gegenüber bewiefen. Unter: An⸗ 


derm fagt er p. 37: „Nur Eine Ginroenbung bliebe nod) 
übrig. Man könnte fagen: Sd) kann mir’s nicht benfen, 
baB einem folchen unglüdfeligen Geifte nicht einmal bet 
Moment femmen follte, da er zu Gott und Tugend zurüds 
febren mag, zumal folche Geifler bod) ein großes Wien 
haben möchten. Ich antworte auf diefe etwas fentimentale 
Ginwenbung: damit iſt's noch nicht gefagt, daß ein folcher 
Beift je zurüdfehren muß; ein Müffen wäre ba, wenn 
feine Grfenntnig je eine über alle Befangenheit fchlechters 
bing8 erhabene wäre, b. B. wenn er je fdjaute, wie Gott 
(εἰδῇ ſchauet; Das wäre aber ein unendlihes Schauen. 
Das des endlichen Geiftes bleibt aber immer und ewig 
nut ein endliches, befchränftes.* — 

„Ich antworte zweitens: in bem Grabe, als Kraft 





654 Vredigtwerle. 


und Wiſſen groß und groͤßer ſind, mag leichtlich auch die 
Macht der Verſuchung und das Wagniß groß ſein und 
‚größer, als wir in unſerm leiblichen Stande jegt ahnen 
Sonnen. Ein Wink hierüber könnte uns jene Stelle des 
9, 3. fein, bie ba redet von einem Attentate ver Engel 
gegen Gott, zu welchem fie Hoffart, b. i. geiftige, viel; 
leicht fauftifche, aber in noch ganz höherem, ungefannten 
Maaße — fauftifche Ueberhebung trieb. * 

» Sd) antworte drittens: wie ift εὖ faum zu bezweifeln, 
ba je länger ber Fall, befto tiefer ber Fall, aud) die 
Kraft zum Guten von Stufe zu Stufe binab ermattet, 
dagegen bie im Boͤſen fort umb fort geübte Kraft an 
Schärfe und-Hartnädigfeit gewinnt, zumal e& aud) drüben 
im Reiche der Geifter es geben muß eine Aflociation ber 
Geifter zum Böfen wie zum Guten. Endlich fagt bie 
Kirche nirgends: der legte Grund, warum es für den 
Teufel nicht 9tüdfebr und Rettung gebe, liegt in @ott, 
liegt im Verdammungsakt Gottes; fie fagt nicht: biefer 
fBerbammungéaft muß aufrecht erhalten werben , felbft wenn 
ber Verdammte fid) beflern fónnte. und wollte. ... Die 
Kirche fagt: es gibt einen Zuſtand des gefchaffenen 
Geiſtes, ber ba macht, daß Gott, ber auch mit feiner 
Gnade Haus hält, biefe Gnade jenem Geift nicht länger 
anträgt, fonbern den Geift fid) fefbft überläßt. Und jener 
Suftanb biefeó Geiftes ift ein folcher, ber ba zwar nicht 
abfolut unb im Geifte ſelbſt unmöglich macht bie 9tüdfebr 
zu Gott, ber wohl aber die 9tidtrüdfebr und ben Fall 
ohne Ende vor Gott vorausfichtlih und faftifd gewiß 
macht, u. f. 19. * — Go ift auch ber Beweis für die Gott; 
feit Chriſti p. 97 fg. fer populär und fchlagend. Die 
Reden find voll berber Hammerfrhläge gegen ben Deutſch⸗ 


Prebigtwerke. 655 


katholiciomus, bie mit tiefer Einficht in die befprochene 
Materie und oft mit treffendem Humor geführt werben. 
Dabei muß man es dem Wiener fdjon zu gute halten, 
wenn er einige Wiener⸗Witze mit unterlaufen läßt, bie fid) 
auf ber Kanzel eigenthHümlich ausnehmen mögen, 3. 9B. 
„ven Deutfchlatholicismus von ber Zinne des Fatholifchen 
Kirchthums mit dem Storchenfchnabel bemefien,“ „daß er 
gegenüber dem Deutfchfatholicismus vor Luther den Hut 
ziehe,“ „die Eindliche Hoffart jener Jahre, wo der Menfch 
nod) alle Tage ein paar Sadtücher braucht,“ „pie Kirche 
fei auch ein Marfchall Borwärts“ unb der Schluß einer 
Rede p. 52: „Indem ich zurüdfehe auf bie Nichtigkeit 
dieſes Büchleins vom Anfang bis zu Ende, fällt mir eine 
öffentliche Difputation ein, die in dem fiebzehnten abt» 
hundert in der Pfalz zwifchen einem Sefuiten und einem 
proteftantifchen Gotteögelehrten ftattfand. Diefer ganze 
Difput fcheiterte an ber (rage: Hat er gewedelt oder hat 
er nicht gewebelt? Es war eben bie Rede von dem Hunde 
des Tobias in der Bibel. So geiftreichen Inhalts fcheint 
mir das ganze Büchlein ; — e8 hat eben gewebelt. Amen.“ — 

Die legten. zehn Reden über das katholiſche Kirchthum 
überhaupt find zwar voll fchöner, kräftiger, wahrer Ges 
banfen, unb bie redneriſche Darftellung ift gelungen bie 
auf bie legte Rede p. 236 — 272, welche faft in eine Ab» 
handlung ausläuft. Deflenungeachtet haben fie bod den» 
günftigen Eindruck nicht gemacht wie ble zehn erften Reben. 
Die Zurüdführung des prophetifchen Amtes in der Kirche 
auf ihre Grfenntniffraft, des priefterlichen auf ihre Willens» 
fraft, und des Föniglichen auf ihre Gemütbefeite fcheint 
befondera in Kanzelreden etwas gefucht, obgleich die Durchs 
führung als geiftteid und tief eingehend anerfannt werden 


558 Beetgtwerke. 


muß. Befonders ift die Bedeutung des Priefterihums in 
der fatb. Kirche febr tief und fdón aufgefaßt und bar; 
geſtellt. — 

„Die Fresken aus dem Kreuggange“ find nod) eine 
fhöne Zugabe, darin beflebenb, bag an jede der vierzehn 
Stationen eine flete Betrachtung in ber Beith’fchen Manier 
angehängt ift. | 

Tadelnswerth ift, daß der Berf. fo viele Fremdwoͤrter 
gebraucht, bie bei Kanzelreden niemals gut fteben, und 
auch für ben Sall nicht zu billigen find, wenn er vor 
fauter Studenten gefprochen haben follte, was aber nicht 
anzunehmen ift. Ueberhaupt bürften fid) bie Reden gegen 
Deutfchfatholiciemus bei aller Trefflichkeit wegen bes nicht 
felten etwas Boffirlichen mehr für eine Berfammlung in einem 
Saale, als auf bie Kanzel eignen. 

Die Ausftattung und ber Drud find fehr fchön. — 

VIL. Die oben aufgeführte homiletiſche 9lebrentefe von 
Zorzet hat, obgleich von demfelben Drte ausgehend, bod 
einen ganz andern Gfarafter, als bie vorausgehende Samm⸗ 
tung, nicht nur in ber Auswahl des Stoffes, fondern in 
der ganzen Darſtellungsweiſe. Während bei Gärtner in 
der Darftellung alles Iebendig und durch Herbeijichung 
von heiterm und ernftem Material aus dem gewöhnlichen 
Leben und aus der Geſchichte frif und bunt iR, bewegt 
uch Zoezek ruhig und gemeffen vorwärts und nimmt nur 
Me und da einen Heinen Aufſchwung zu gehobener Sprache. 
Er fprid)t dieſes aud) als Girunbíag für den chriflichen 
fBrebiger aus in feiner Vorrede p. VI: „Wer nicht nad 
der gleißenden Schale, wer nad bem gefunden Fräftigen 
‚Kerne. verlangt, der wirb fid) gerne an bie. alte, gefunbt, 
kernvolle Sprache bea Alterthums Halten, unb dieſes meli 














Kredbigtwerke. 657 
aud) ber fRerfaffer vorliegenter Predigten feinen geneigten 
Zuhörern unb wohlmeinenden Leſern barbieten. Ein Wels 
tereö hierüber findet ber wohlwollende Beurtheifer diefer 
ungefünftelten, einfachen, homiletifchen Ausarbeitungen in 
ber Predigt für ben erften Adventfonntag, welche er zu⸗ 
gleich ala Vorrede zu biefer homiletifchen 9febrentefe anzus 
feben bitte.“ — Ä 

Wir find auch damit einverflanden, daß bie Ber; 
kündigung des göttlichen Wortes fo einfach als möglich, 
aber dabei fráftig und eindringlich fei, wir find namentlich 
damit einverftanden gegenüber jener Predigtweiſe, welche in 
tchönen Phraſen und bochtrabenden Ausdrücken unbefümmert 
um Gedanken und Wiedergabe des göttlichen Wortes ibr 
Sauptverbienft fucht. Dagegen fann man es bod) nicht 
verwerflich finden, wenn der Eine je nach feiner Indivi⸗ 
dualität einen mehr oratorifchen Fluß unb erhabenere Sprache 
bat οἵδ der Andere, wenn er nur das Wort Gottes in 
feiner Kraft und Wahrheit wiedergibt. — 

Was unfere Predigten anbelangt, fo haben fte bei 
aller. Einfachheit und id) möchte fagen bei der faft zu ab» 
ſtrakten Darftelungsweife einen gebiegenen, fräftigen und 
firchlichen Gharafter. Sie find gebanfenreid) und ganz 
auf bem biblischen runde des göttlichen Wortes aufgebaut. 
Sa bie SBenügung biblifcher Stellen ift fo reichlih, daß 
man auf mancher Seite nur eine Bibelftelle an ble andere 
gereiht findet; ebenfo find auch bie Väter bemügt. Im 
einigen Predigten macht der Tert der Bibel⸗ und Bäten 
ſtellen bei weitem mehr aus, als was ber Verfaſſer zu ihrer 
fBerbinbung und Aneinanderreihung gefagt hat. Wenn bie 
angeführten Stellen auch meiftens gut unb zutreffend find, fo - 
läßt fi Boch ein gewiſſes Haſchen darnach nicht verkennen. — 


658 Prebigiwerke. 

Der Heraudgeber feheint bei feiner Sammlung feinen 
beftimmten Zwed verfolgt zu haben, da einige Reden auf 
Sonntage, einige auf Heiligenfeſte, unb einige auf befon- 
dere Beranlafjungen zugerichtet find. Die erften neun 
fBrebigten gehören auf ben L IIL IV. Sonntag im Advent, 
ben Sonntag in der Weihnachtsoctav, 1. u. IL. Sonntag 
mad) der Erfcheinung, auf den Sonntag Septuagefimä, 
Scragefimä und Quinquageſimaͤ. An diefe reihen fich 
Predigten auf das (eft des h. Leopold, Landpatrons von 
Deftreih, ber Heimfuchung Mariä, auf das Säcularfeft 
der Einweihung der Pfarrkirche zum ἢ. Karl Borromäus, 
eine Bredigt zur Eröffnung des Feſtes ber dritten Säcular- 
feier ber Gründung bet ehrwuͤrdigen Urfuliner-Klofterfrauen 
durch die heil. Jungfrau Angela Merict, eine Predigt zur 
Eröffnung des δεβεδ der fiebenhundertjährigen Säcular- 
feier (1) des Giftergienfer » Stiftes Zwettel, eine Anrede bei 
der feierlichen Einfegnung einer Jubelehe, eine Brebigt am 
Schluſſe der Säcularfeier der Eongregation des allerbeilig- 
fen Erlöfers, endlich eine Predigt über die SBerbreitung 
der fatfo(. Religion in Nordamerika. Man flebt, die 
Iegtern find meiftené Ehrenprebigten, und man muß ge 
fiehen, der Verfaſſer Bat. feine Sache gut gemadt. Wenn 
man auch hie unb da etwas mehr Specialifirung unb In⸗ 
bipibualifirung wünfchen. könnte, fo haben bod) die Bor 
träge, bie mehr Homilien als Predigten find, mitunter 
genügend Leben und Friſche. Nur auf Eines möchte id) 
aufmerffam machen, was in fpdtern Zeiten als Anachronis⸗ 
mus erfcheinen könnte. Die Sammlung trägt die Jahrzahl 
1850 an ber Stirne; in ber Predigt auf das Feſt des 
hi. Leopold nun ift p. 173 ein Preis auf die Verbältniffe 
unter ber Regierung „Ferdinands des Giütigen,^ unb fo ale 


P 


Predigtwerke. 659 


ob dieſelben bis jetzt fortdauerten. Es iſt dieſe Rede eben 
vor dem Maͤrz 1848 gehalten worden, aber bei der Her⸗ 
ausgabe hätte es bemerkt ober die betreffende Stelle abs 
geändert ‚werben follen.. Gbenjo ift p. 261 von Herrn 
Alphons Liguori bie 9tebe, während er (don 11 Sabre 
heilig “gefprochen ift, unb man von SHeiligen ten Titel 
„Herr“ nicht paffend braucht. — 

VI. Seitdem 98. v. Ketteler als Mitglied des Reiche: 
tags und Bfarrer zu Hobften bie ſechs Predigten über bie 
großen focialen Bragen ber Gegenwart im Dome zu Mainz 
níó Gaft gehalten hat, ift er nun αἱ Biſchof daſelbſt eins 
gezogen. Die Kragen aber, von denen er bortmals in 
bewegter Zeit zu Mainz gefprochen, find noch nicht gelöst, 
fondern fchweben noch als drohende Gefpenfter über unfern 
Häuptern. Und die Worte, bie bortmaló fo günftig aufs 
genommen wurden, verdienen auch jest noch gehört zu 
werden; denn fie find nicht bloß von flüchtiger vorüber> 
gehender Bedeutung, fondern enthalten chriftlihe Wahr- 
heiten, bie nie genyg eingeprägt unb beherzigt werben 
fünnen. Und Ketteler hat fie dargelegt mit einer Kraft 
und Beftimmtheit, die ihres Zieles nicht verfehlen fann. — 

Die zwei erften: Predigten befchäftigen fid) mit ber 
fathol. Lehre vom Eigenthumsrechte. Der Berfaffer fucht 
richtig bie Verwirrung in biefem Gebiete in dem Abfalle 
vom Ghriftenthbume, und die Heilung nicht in den were 
fdjebenen von das und dorther gemachten Borfchlägen. 
„Das ift der wefentliche Unterſchied der Lehren des Chriften- 
thums und ber Lehren ber Welt. Diefe hat nur dufere 
Mittel, bie bie Quelle des Uebels nicht heilen fónnen, das 
Chriſtenthum heilt bie Quelle des Uebels, bie Gefinnung 
ber Menfchen. Nicht in der äußern Noth liegt unfer 

Theol. Duarialfärift. 1860. IV. Heft. > 43 


660 Predigtwerke. 


ſociales Elend, ſondern in ber innern Geſinnung. Jener 
waͤre leicht abzuhelfen, wenn nur die Geſinnung eine an⸗ 
bere wäre. Die beiden gewaltigen Seelenübel, an denen 
unfere gefeligen Beziehungen franf barnieber liegen, find 
theild bie unerfättliche Genuß⸗ und Habgier, theild bie 
Selbſtſucht, welche bie Nächftenliebe zerftört fat. -Die 
Krankheit hat bie Reichen und Armen ergriffen. Was 
vermögen da Steuervertheilungen und Gparfafjen, fo lange 
dieſe Geſinnung fortbefteht“ p. 26. Er führt bann im 
Einzelnen ganz fchön aus, welche Ausſpruͤche Sefu ‚Chrifti 
und welche Grundfäge ber Kirche die rechte Anfchauung 
vom Eigenthum lehren, unb wie durch biejelbe bie Wurzeln 
aller focialen Uebel in unferer Seele ausgeriffen werben 
konnten. — | 

Die dritte Predigt befpricht bie kathol. Lehre von ber 
Freiheit des Menfchen, bie vierte von ber Beſtimmung beó 
Menfchen, bie fünfte die Lehre von ber Ehe und Familie, 
bie fedjóte bie von ber Wuctoritát ber Kirche. Sämmtliche 
behandeln (nterefjante und für die gegenwärtige Zeit febr 
beveutfame Themate; fie: find auch voll (doner, fráftiger 
unb burdbringenber Gebanfen; bie Darftellung immer edel, 
gewählt und ſchoͤn, unb fie dürfen deßhalb Jedermann zur 
Lektüre febr empfohlen werben. 


DBend el, Convietsdirector. 


II. 
Ahtenft id e. 


Allerunterthänigfter Vortrag des Minifters des 
Cultus und Unterrichts, Grafen Thun 
über bie 
mit den katholifchen Bifchöfen wegen Regelung der kirc- 
lichen Angelegenheiten gepflogenen Werbanblungen. 


Allergnädigfter Herr! 


Unter ben vielen wichtigen Fragen, deren Röfung bei ber 
Steugeftaltung Defterreich8 — der fihmweren aber erhabenen Auf⸗ 
gabe der Regierung Euerer Majeftät — nicht umgangen were 
ben fann, iff ble Frage von dem Verhältniffe des Staates zur 
Kirche eine der allerwichtigften, denn (te berührt bie veligiöfen 
Meberzeugungen, das unantaftbare Heiligthum des Ginzelnen, 
und zugleich ble gewaltigfte unb nachhaltigfte von allen Mächten, 
welche den Entwidelungsgang von Völkern und Staaten bee 
flimmen. Einem Zuflande innerer Auflöfung gehen Völker unb 
Staaten entgegen, wo bie religiöfen LUeberzeugungen Ihre Macht 
auf die Gemüther verloren haben. So Lange fie aber Macht 
üben, wirken die Eischlichen Angelegenheiten vielfach, eingreifend 
und unabweislich zurüd auf das bürgerliche Leben. Staat unb 
Kirche haben es mit denſelben Menfchen zu thun. Die Kirche 
beſtrebt fi, durch ben Einfluß ber Religion dem Gewiſſen 
eine Nichtfehnur zu geben. Die Staatögemalt Hat das ernfte 
Amt empfangen, die Rechtsordnung nöthigen Falls durch An⸗ 
werbung Außeren Zwanges zu ſchirmen. Doch wenn das Pflicht. 


439 





662 Altenſtuͤcke. 


gefühl ihren Anoronungen nicht zur Stüße dient, fo ift ihre 
Macht gelähmt. Anderer Seits bedarf ble Kirche auch äußerer 
Hilfsmittel Ihrer Thaͤtigkeit, und fpricht bei Grmerbung und 
Bewahrung berjeben den Schu der Gitaatégemalt an. Von 
allen Seiten ber fommen daher Staat und Kirche mit einan= 
der in Berührung. Ehen deßhalb muß jebe große Bewegung, 
welche auf dem Gebiete des einen Theiles vor jid) gebt, ihre 
Rückwirkung in den Bereich des andern erfireden, und in ber 
Stellung, welche fie zu einander einnehmen, Aenderungen θεῖς 
vorbringen. Auch von der Bewegung, welche Oeſterreich er» 
griffen Dat, fonníe das Verhältnig be8 Staates zur Kirche 
nicht unberührt bleiben. In den Tagen der Gährung murben 
von verſchiedenen Seiten her Stimmen laut, welche in völlig 
entgegengefehter Abficht Trennung des Staates von der Kirche 
forderten, und fie find nod) nicht ganz verftummt, Allein vie 
Oteglerung Euerer Majeftät, welche in dem großen Augenblide, 
als (te Defterreichs neue Verfaffung in's Leben rief, alle vie 
mannigfachen Wünfche und Beftrebungen mit ruhiger limflcht 
zu wägen verpflichtet war, durfte nicht daran benfen, auf eine 
Beftaltung einzugehen, welche in einem durchgebildeten Staats⸗ 
Veben niemals und nirgends zur Wahrheit geworben if. Wohl 
gibt ε Länder, wo eine regelmäßige Verbindung nur zwiſchen 
der Kirche und den Gemeinden, nicht aber zwifchen ber Kirche unb 
ber Regierung beftebt, wo vielmehr jede Berührung zwiſchen 
diefen beiden forgfältig vermieden wird, unb e8 fehlt nicht an 
Vertheidigern diefer Einrichtung, ob (te gleich bie Probe bet 
nad) Jahrhunderten rechnenben Gefchichte noch nirgend beftanden 
fat. Mit der gefchichtlichen Gntoidfung und bem gegebenen 
Zuftänden Oeſterreichs fteht fie aber jedenfalls in einem Wider: 
fpruche, welcher ihre Durchführung zur Unmöglichkeit macht. Die 
Beziehungen ber Regierung zur Kirche in Defterreich fünnten 
nur fcheinbar für aufgehoben erklärt voerben, aber feine Macht 
der Erde wäre im Stande, diefe Aufhebung in Wahrheit zu 
verwirklichen. Wohl aber würde ſchon eine foldje Erklärung 
einerfeits die religiöfen Angelegenheiten ber. Völker Oeſterreichs 


‚namenlofer Verwirrung Preis geben, während fie anbererfelts 


unvereinbar wäre mit der Aufrechthaltung mwohlerworbenener 
Otedjte feiner Megenten, auf welche zu verzichten bie Megierung 
Euerer Majeftät niemals rathen koͤnnte. Das begründete Bet» 
langen, daß ble freiere- Bewegung, bie auf allen Gebleten zu 


Altenſtücke. 663 


gewähren Bebüurfniß und Nothwendigkeit war, aud) der Kirche 
nicht verfagt werde, mußte daher beachtet werden, ohne doch 
vorſchnell mit der Bergangenheit zu brechen und Unausführ- 
bares zu verheigen. Das Patent vom 4. März 1849 verbürgte 
burd) €. 2 jeder gefeßlich anerkannten Kirche und Meligiond« 
gefellfchaft das Recht, ihre Angelegenheiten felbfiftánbig zu orbnen 
unb zu vermalten, fo wie dad Recht der gemeinfamen öffent« 
fien. Religtonsübung, und das Vereinsgeſetz entbanb die Ders 
fammlungen, welche die Ausübung eines gefeglich geftatteten 
Eultus zum außsfchlieglichen Gegenftanbe haben, von ben Be 
ſchraͤnkungen, welche für Volksverſammlungen aufgeftellt wurden; 
aber derſelbe ἢ. 2 des obigen PBatentes fprach zugleich aus, daß 
jede Kirche im Beſitze und Genuffe der für ihre Eultus-, Untere 
richts⸗ und Wohlthaͤtigkeitszwecke beftimmten Anftalten, Gif» 
tungen und Fonde verbleibe, unb wie jede Gefellichaft den alle 
gemeinen Staatögefegen unterworfen fel. Dadurch war gefeglich 
feftgeftelft, daß bie Staatöregierung die Kirchen und Religions⸗ 
gefellfchaften als folche anerfenne und ſchützen werde. Es ij 
bie Entwicklung ber firchlichen Verhältniffe auf Grundlage ihres 
factifchen Beſtandes und ihrer rechtlichen Beziehungen zur Staats⸗ 
segierung gewahrt. 

Nachdem aber Euere Majeſtät durch den $. 13 des εἴν 
wähnten Batentes vom 4. März 1849 Allerhoͤchſt Ihren treus 
gehorfamften Minifterrath beauftragten zur Durchführung ber 
Beſtimmungen deffelben bis zum Buftanbefommen organifcher 
Geſetze proviſoriſche Verordnungen zu entwerfen und Gueret 
Dajeftät zur Sanction vorzulegen, fo Danbefte e8 ὦ batum, 
diefem Allerhöchften Auftrage auch hinſichtlich der im $. 2 ente 
baltenen Zuſicherungen nadjgufommen. Der. treugehorfamfte 
Minifterrath erfannte ble Nothwendigkeit dabei vor Allen feine 
Aufmerkfamkeit auf die Angelegenheiten der Eatholifchen Kirche zu 
lenfen, welche die große Mehrzahl ber Defterreichifchen Staats⸗ 
bürger zu ihren Befennern zählt, und im ganzen Reiche für 
die fittliche Grundlage des Volkslebens von ber höchflen Bes 
deutung tft. Die Eirchlichen und politifchen Beziehungen waren 
durch die frühere Gefeßgebung vielfach in einander verfchmolgen; 
follten nicht bedenkliche Störungen eintreten, fo mußten bie 
burd) δ. 2 aufgeftellten Girunbfüge auf ba8 Einzelne der bas 
durch berührten Verhältniffe mit forgfamer Umſicht angewandt 
werben. Ueberdieß war durch die Stellung In welcher bie. fas 


664 πολ. 


tholiſche Kirche Draft 6. 2 anerkannt if, die Deofinsentigfeit 
gegeben, die Neugeftaltung ihres DVerhältnifjes zum Staate im 
Mege ber Vereinbarung durchzuführen, Die Negierung Guerer 
WMajeſtaͤt glaubte daher bem Auftrag, welcher ihr durch $. 13 
des Alterhöchften Batentes vom 4. März geworben tft, hinſicht⸗ 
fi der katholiſchen Kirchenangelegenheiten nicht erfüllen zu 
tönnen, bevor fie fij nicht mit den gejegmágigen Bertretern 
der katholiſchen Kirche darüber in's Einvernehmen gefegt babe, 
und eríteg am 31. März v. I. an die Bifchöfe der Länder, 
für welche bie am 4. März gewährten allgemeinen Bürgerrechte 
fund gemacht wurden, bie Einladung fid) nadj Wien zu bes 
geben, damit bas Minifterium zur Berathung der Stellung, 
welche die Tatholifche Kirche auf Grundlage jener gefeßlichen 
Beitimmungen künftig im Reiche einnehmen werde, mit ben» 
felden in unmittelbaren Verkehr treten Tünne. Es wurbe ver 
Einladung mit Bereitwilligkeit entfprochen, und bie verfam- 
melten Bifchdfe hielten vom 30. April bis zum 17. Sunt Bes 
tatfungen, deren MRefultat fie dem Minifterium unter bem 
80. Mai unb bem 6, 13., 15. unb 16. Sunt nıittheilten. 
Bevor fie bie Verfammlung fchlogen, erwählten fte ein Gomité, 
welches aus dem Garbinal und Fürſt-Erzbiſchof von Salzburg, 
ben Fürftbifchdfen von Gedau unb Laibach, bem Feldbiſchofe 
und bem Bifchofe von Brünn befteht, und faut ber am 17. Ju⸗ 
nius gemachten Mittheilung die Beſtimmung Dat, über bte von 
der Verſammlung behandelten Gegenftánbe mit der Regierung 
Euerer Mafeftät zu verkehren. Die fchriftlichen Aeußerungen, 
welche bie Verfammlung dem Pinifterium vorlegte, haben zum 
Gegenſtande: 

1. Eine einleitende Erklaͤrung. 

2. Die Regierung und Verwaltung der Kirche, die geiſt⸗ 
lichen Aemter und Pfründen, das Patronatsrecht, bte Pfarr⸗ 
Concursprufung und den Gottesdienſt. 

3. Die geiſtliche Gerichtsbarkeit. 

4. Den Unterricht. 

5. Das Kloſterweſen. 

6. Die Ehefrage. — 

7. Den Religions, Studien⸗ und Schulfond. 

8. Das Pfründen» unb Botteshaus-Vermögen. 

Schon aus diefen Andeutungen erhellt, wie reichhaltig ber 
Inhalt ijt, und wie υἱεῖς und wichtige Verhältniffe derſelbe 


.— m. — — — — — — - 


— -- -- -— -- — .. -- 


Attenſtacte. 665 


berhßrt. Die bifchöfliche Verſammlung bat, während fie bie 
Anfprüche der Kirche mit Eifer vertrat, in anerkennenswerther 
Meile dad Streben beurfundet, die Geltendmachung der kirch⸗ 
lichen Rechte mit den wefentlichen Interefien des Staates in 
Einklang zu ſetzen. Demungeachtet unterliegt die Erledigung 
ihrer Eingaben manchen Schwierigkeiten. 

Die Angelegenheit ber Religions⸗Studien⸗ und Schulfonde 
bedarf umftändlicher Erhebungen, welche noch im Zuge find; 
die neue Regelung der Verwaltung des SKirchenvermögend unb 
der Patronats⸗Verhaͤltniſſe, ift durch ble auf anderen Gebieten 
vot fid) gehenden Reformen bevingt. Das Klofterwefen wünfchen 
bie Bifchöfe in einer, ben Beduͤrfniſſen ber Zeit entfpredjenben 
Weiſe feiner Tirchlichen Beſtimmung gemäß zu beleben und zu 
prbnen, und bie Liebelftände, melche daraus erwachfen, bag aus 
vielen Orden der Geift ihres Inftitutes entwichen ift, fónnen 
jenes Beitteben nur wünfchenswerth erfcheinen Iaffen. Die voraus⸗ 
fichtlichen πάει Wirkungen vefielben, unb die Schwierigkeiten, 
welche fid) daraus ergeben dürften, machen es jedoch nothwendig, 
diefe Angelegenheit noch weiterer Verhandlung vorzubehalten. 
Hinſichtlich der Ehefrage werben von den katholiſchen Bifchöfen 
nicht ohne Grund Aenvderungen in der biöherigen Gefeßgebung 
in Anfpruch genommen. Auch bte Superintendenten und evan⸗ 
gelifchen Vertrauensmärmer, welche die Regierung Euerer Mas 
jeftät gleichfall3 zu einer Berathung über die Angelegenheiten 
ihrer Glaubensgenoſſen eingeladen bat, haben in ihren vor⸗ 
Hegenden Eingaben Wünfche ausgefprochen, welche forgfältige 
Berückfichtigung erheifchen. Die Regierung Euerer Majeftät Hat 
die dadurch angeregten wichtigen Sragen, bie einer gemeinfamen 
Erledigung bepürfen, bereits einer gründlichen Prüfung unter 
zogen. Sie behält (id) vor, barüber mit bem Ausfchuffe ber 
Bifchöfe bemnddjft in nähere Verhandlung zu treten, welche 
ihren Abſchluſſe jedoch nicht ohne ein Einvernehmen mit bem 
papftlichen Stuhle zugeführt werden kann. Auch nod) in andern 
Beziehungen ftellt ſich bie Nothwendigkeit eined foldden bar. 

Die Statt gehabte Verſammlung war feine Tirchliche Sy⸗ 
node, und fonnte daher nicht ihren Mitgliedern und nod) weniger 
ben Nachfolgern verfelben eine Rechtsverbindlichkeit zur Beob⸗ 
adjtung ber gefaßten Befchlüffe auflegen. Hinfichtlich derjes 
nigen Angelegenheiten, deren zweckmaͤßige Neugeftaltung durch 
Zuſicherungen von kirchlicher Seite bedingt tft, unb mo aud 


666 Afteiftiiike. 


von der bifchöflichen Verſammlung entſprechende Zuſicherungen 
gegeben worden find, wird daher gleichwohl die Bürgjchaft 
vermißt, daß bie gefaßten Beichlüffe überall und dauernd zur 
Richtſchnur der bifchöflichen Verfügungen dienen werben. Diefe 
Bürgfchaft wird nur durch ein Einvernehmen mit dem päpft- 
lien Stuhle erzielt werben fónnen, abgefehen davon, baf 
einige Fragen eine unmittelbare Verhandlung mit bemjelben 
erfordern. 

Mehrfache Rückfichten mißrathen jedoch jede Erledigung in 
der Tirchlichen Angelegenheit fo lange zu vertagen, bi8 für alle 
darin begriffenen Gegenſtaͤnde die Vorbedingungen befinitiver 
Entſcheidung erfüllt find. Alle, welche an der Eatholifchen Kirche 
lebhaften Antheil nehmen, Darren. mit Ungeduld einer baldigen 
Berroirklichung der In bem Patente vom 4. März enthaltenen 
Zufagen, und fo feft der eingetretene Auffchub Durch ble Sach⸗ 
lage gerechtfertiget wird, fo müßte bod) eine längere Merzögerung 
Das Vertrauen in ble Abfichten der Regierung beeinträchtigen. 
Zudem wirft der Zufland von Unentfchtevenheit laͤhmend auf 
ba8 Innere Leben der Kirche, deſſen fráftigere Entwidlung ein 
immer allgemeiner gefühlte® Bebürfnig ift, während es ben 
Stagtsbehörden überall, wo bie alte Orbnung mit den neuen 
Principien nicht im Ginffange flieht, und burd) deren Verkün⸗ 
bung erfchüttert ijt, an feften Megeln für ihr Benehmen in 
Betreff Tirchlicher Angelegenheiten gebricht. - 

Der treugeborfamfte Minifterrath iff daher nach reiflicher 
Erwägung der Gadjfage der Anſicht, dag ohne weiterem Verzug 
vorläufig alle biefenigen von ber bifchöflichen Verſammlung 
angeregten, Sagen erlebiget werben follen, deren Grlebigung 
bereitö möglich ift, Hinfichtlih ber übrigen aber die Verhand⸗ 
lungen mit dem Ausfchuffe der Bifchöfe fortgefegt und ble πὸ 
thigen Vorbereitungen für ein Concordat nit bem päpftlichen 
Gtubfe, in fo weit ein folches erforderlich ift, getroffen werben, 
und erbittet ſich Hierzu in tiefflee Ehrfurcht die Ermächtigung 
Euerer Majeſtaͤt. 

Die verfammelten Bifchöfe haben in ihrer einleitenden Gr» 
klaͤrung vom 30. Mat vo. I. fid) zuvörderſt im Allgemeinen 
über die Stellung ausgefprochen, welche bie Eatholifche Kirche 
in Anfpruch nimmt, und bie Ueberzeugung ausgebrüdt, baf 
die Regierung Euerer Mafeftät, während fle andern Religions- 
geſellſchaften neue Mechte verleiht, bie alten wohlerworbenen 


m τὰ wen κα΄ 


Altenſtucke. ^ 661 


P d ber katholiſchen Kirche anerfenne und zu fügen ber 
reit {εἰ 

Euere Majeftät dürften den treugehorfamften Minifter des 
Guítuá und Linterrichtes zu der Erklärung ermächtigen, daß 
die Biſchoͤfe [ὦ im dieſem Vertrauen nicht täufchen. Die Res 
gierung Euerer Majeftät ift von dem Grunbfape ausgegangen, 
daß bie Meberzeugungen, welche ben Menfchen mit einer höhern 
Welt verknüpfen, dem heiligſten Bereiche ber Freiheit angehören, 
und enthielt fich auf blefelben auch nur mittelbar einzumirken, 
unter der Vorausſetzung, Daß ed fih um wahrhaft religiöfe 
Ueberzeugungen, alfo um folche handle, welche den Pflichten, 
ohne deren Heilighaltung ein wohlgeordnetes Stautsleben uns 
mbglid) ift, zur feften Stüße dienen. - Deßwegen wurden bie 
bürgerlichen unb politifchen Rechte von bem Religionsbekenntniſſe 
unabhängig gemacht, und binfichtlich ber Nechte, werhe $. 2. 
be8 mehrerwähnten Patente vom 4. März zufichert, alle ges 
feglich anerkannten Kirchen und Neligiondgefellfchaften einander 
gleichgeftellt. Dadurch find aber bie beſonderen Nechtsverhältniffe, 
welche (id) zwiſchen Defterreichs Herrfchern und der Eatholifchen 
Kirche feit Jahrhunderten entwidelt haben, weder aufgehoben 
nod) in Brage geftellt. Auch muß bie Negierung Euerer Mas 
jeftät ſich aufgefordert fühlen, während fle jeder Religionsge⸗ 
fellfchaft bie gefeglich zugeficherte Freiheit gewährt, der Kirche, 
von welcher eine fo große Mehrzahl der Staatöbürger für [o 
wichtige geiftige Intereffen Befriedigung erwartet, ſtets befonbere 
Berückſichtigung zuzumenden. 

Die verfammelten Bifchöfe Haben ferner den Zufag jenes 


$. 2, dag die Kirchen und Heligionsgefellfchaften, wie jede 


Geſellſchaft den allgemeinen Stantögefegen "unterworfen feien, 
zum Gegenftanbe einer Erläuterung gemacht, unb fie beziehen 
ihn ganz im Sinne des Gefehgeberd auf die Erfüllung jener 
allgemeinen Bürgerpflichten, welche ben. Wirkungskreis der Kirche 
nicht beeinträchtigen, fondern vielmehr durch das Sittengeſetz, 
welches fte verfündigt, geheiliget werden. Die Fatholifche Kirche 
zuht übrigens auf bem feften Grunde ber Ueberzeugung, daß 
fie nicht nur ihre Glaubens⸗ und Sittenlehre, fondern auch 
die Grundzüge ihrer Verfaffung durch göttliche Offenbarung 
empfangen habe, fie fann daher nicht mie andere Gefellfchaften 
ihre eigenen Gefege willkürlich ändern. Jede Stantögewalt, ble 
eine Verftändigung über ihre Beziehungen zur Fatholifchen Kirche 


688 Altenſtuͤcke. 


wunſcht, muß demnach fene Geſetze anerkennen und die Regierung 
Euerer Majeſtaͤt Dat dieſe Nothwendigkeit niemals verfannt. 
Bet den In den weiteren Eingaben der biſchoͤflichen Ver⸗ 
fammlung angeregten ragen handelt e8 fld zunaͤchſt barum, 
blejenigen bisher gültigen Gefege und SBorfdjriften, welche ver 
Berwirklihung der im $. 2 des Allerhoͤchſten Patentes oom 
4. März 1849 der Kirche angersiefenen Stellung entgegenfleben, 
zu befeitigen, und durch neue Beſtimmungen zu erjeßen. 
Der treugehorfamfte Dinifterrath erlaubt fid) zu dem Ende 
bte beiliegende Verordnung ber Allerhöchften Genehmigung Euerer 
Majeſtaͤt ehrfurchtsvoll zu unterbreiten, 
Zur Erläuterung und Begründung ihres Inhaltes gerufen 
Euere Majeſtaͤt dem ehrerbiethigft Unterzeichneten nachſtehende 
Bemerkungen zu geftatten: 
Der Verkehr mit dem päpftlichen Gtuble war durch bie 
bisherige Gefeßgebung mit gehäuften Vorfichtsmaßregeln umftellt. 
Jeder päpftlihe Gríag — nur bie Rosfprechungen ber 
Pönitenziarie ausgenommen — unterlag bem. Tanbesfürflichen 
Placet; es wurde nur jenen Grläffen ertheilt, bie durch Ber 
mittelung der in Rom aufgeftellten k. k. Agentie erwirft waren, 
und dieſe durfte ftd) nur in Angelegenheiten verwenden [affen, 
welche durch die Stantsbehörben, ober mit deren Bewilligung 
an fie geleitet wurben. 
Der Verkehr der Bifchöfe mit ihren Dibeefen unterlag 

eingreifenden Befchränktungen. Kein Hifchöflicher Erlaß durfte 
ohne Regterungs - Benilligung | gebrudt, und jene Hirtenbriefe 
und Kreisfchreiben, in melchen irgend eine Verbindlichkeit aufs 
gelegt wurde, mußten nicht nur ber Landesftelle vorgelegt, ſon⸗ 
dern auch von diefer mit ihren allfälligen Bemerkungen bet 
politiſchen Hofftelle eingefendet werben. 

Die verfammelten Biſchöfe haben In ihrer beiltegenden Ein⸗ 
gabe vom 16. unt bie Vorausfegung außgefprocdhen, bag burd, 
δ. 2 der Grundrechte die Hemmniffe, melee ihrem Verlehre 
mit dem beiligen Stuhle bisher im Wege fanden, vollkommen 
gehoben feien, unb weder für fle, noch für bie Ihnen unterfle 
henden Gläubigen fernerhin eine Schwierigkeit obwalten were, 
ftd) im geifllicden Dingen an den Papft zu wenden, ober bie 
Üfnotbnungen und Entfcheidungen bejjel6en zu empfangen. Sie 
brüden ferner Die zuverfichtliche Erwartung aus, bag in Folge 
der zugeficherten Selbſtſtaͤndigkeit der Kirchenverwaltung ihnen 





Altenſtucke. 608 
Pets werde geftattet fein über Gegenftanbe Ihrer Amtsgewalt an 
ihre Gemeinden ohne vorläufige Genehmigung der Stantöbes 
börden Ermahnungen und Anorbnungen zu erlaffen. 

Die Wortbauet der bisher beftandenen Befchränfungen tft, 
nad) dem Grachten des treugehorfamften Minifterrathes, in bet 
That nicht Länger zuläflig. Sie find Beſtandtheile einer Ges 
feßgebung, die In den Verhältniffen ver Seiten, in welchen fte 
fid) entwickelte, ihre Erklärung findet, aber unvereinbar {{ mit 
den wefentlich geänderten Zuftänden ver Gegenwart. Sene Ges 
feßgebung war beftimmt, durch eine confequente Bevormundung 
auf allen Gebieten des geiftigen Lebens jedem Mißbrauche freier 
Selbſtthatigkeit vorzubeugen. Ihre Wirkſamkeit berubte eben 
auf ihrer Allſeitigkeit. G8 war folgerecht fle auch ber Kirche 
gegenüber in Anwendung zu bringen. Uber bie der Kirche 
gefegten Schranten allein hätten nie flaatögefährlichen Mißbrauch 
zu verbüten vermocht, unb fte Haben (f immer ohnmächtig 
erwiefen, mo bie Träger der Kirchengewalt fle. mißbraudhen 
wollten, und die politifchen Ereigniffe dazu Gelegenheit boten, 
während (le unter andern Verhältniffen zu nugfofen. Foͤrmlich⸗ 
Zeiten berabfanten. Immer Tähmten (le aber auch die heilfame 
GSelbitthätigkeit, die überall nur aus bem Gefühle ſelbſtſtaͤndiger 
Verantworilichkeit entfpringt, und nährten jenen Gelft des Miß⸗ 
trauend und Argwohnes, der der Kirche wie bem Staate Nach⸗ 
tbe. bringt. Diefen unerfreulichen Geiſt haben Euere Majeftät 
aus der Oeſterreichiſchen Gefeßgebung verbannt. Ihn nur der 
Kirche gegenüber feflzuhalten, wäre der Regierung Euerer Ma⸗ 
jeftät eben fo unmwürbig, als unvereinbar mit den im $. 2 
des Alterhöchften Patentes vom 4. März 1849 verbürgten 
Rechten. 

Dagegen verlangt e8 ble innige Verbindung, welche zwiſchen 
dem Oefterreichifchen Staate und ber Tatholifchen Kirche beftebt, 
und welche auch bie Bifchöfe nicht gelöft zu fehen wünfchen, 
dag fte auch fernerhin, im Einvernehmen mit ber. Regierung 
Handeln, und daß daher jene bifchäflichen Erläfie, welche äußere 
Wirkungen nach fich ziehen, ober öffentlich funb gemacht wer» 
den follen, gleichzeitig den betreffenden Regierungsbehoͤrden mite 
getheilt werden. Wenn übrigens bie Vifchöfe nicht mehr ge» 
zwungen werben, ὦ im Verkehr mit dem päpftlichen Stuhle, 
ausfchlieglich des f. f. Agenten in Rom zu bebienen, fo ijt εὖ 
doch febr wünfchenswerth, bag (le fid) feiner in Partetfachen 


610 Altenſtucke. 


aus eigener Wahl auch fünftigbin bedienen, um dadurch bie 
Unzufömmlichkeitn zu vermeiden, meldje mit der Benützung 
gewinnfüchtiger Privat Agenten häufig verbunden find. 

Die verfammelten Bifchöfe haben angezeigt, daß fie bie 
Provinzials@oncilien wiener ins Leben zu rufen gebenfen, unb 
ihre Abficht angedeutet, bie Diöcefan » Synoben unter gemijjen 
Bedingungen zu erneuern. Die DOefterreichifche Regierung bat 
bie Abhaltung von Provinzial-Concilien und Diöcefan-Synoden 
niemals verboten; um fo weniger Eönnte fle gegenwärtig Dinbern, 
daß blefe Verfammlungen unter ben durch ba8 Kirchengeſetz vors 
geichriebenen Bedingungen wieder Statt finden. Es ijt jonad) 
in diefer Beziehung fein. Anlaß zu einer gefeglichen Anordnung 
vorhanden ; bie Regierung Euerer Mafeftät Dat jedoch Grund 
zu wünfchen, und ein Recht zu erwarten, baf bie Beflimmungen, 
nach welchen bie Einberufung gefcheben foll, ihr befannt ges 
geben, und dag bie Anordnungen, ‚welche von dem Provinzial» 
Goncillum oder auf ber Didcefan- Synode getroffen werden, ben 
Oteglerungébefórben in fo weit, und in berfelben Weiſe, wie 
die bifchöflichen Erläffe mitgetheilt werben. 

Geruben Euere Majeftät zu genehmigen, bag diefe Erwartung 
in der Erledigung der bifchöflichen Eingaben ausgefprochen werde. 

Die geiftliche Gerichtsbarkeit erfuhr in Defterreich em» 
mungen, in Folge beren fie thatfächlic beinahe aufgehoben 
wurde. Die Grenzlinie ihrer SulájfigEelt wurbe in der Unter 
ſcheidung rein geiftlicher Angelegenheiten im Gegenfage zu rein 
bürgerlichen oder gemifchten gefucht. 

Da aber alle Gegenftände kirchlicher Gefeggebung in bem 
Maße ihrer Wichtigkeit aud) eine Ruckwirkung auf das Staatd« 
leben äußern, fo mußte durch jene Unterſcheidung die Gompeten; 
der geiftlichen Gerichte [αἱ gänzlich verfchwinden. So wurde 
die Disciplinargewalt über bie Diener der Kirche faſt ganz bet 
gemeinfchaftlichen Amtshandlung weltlicher und geiftlicher Be⸗ 
hörden zugewiefen. 

Mit ben Kirchenftrafen verband ble ältere Geſetzgebung 
‚bürgerliche Nachtheile. Hievon nahm man Beranlaffung, vie 
Verhängung von Kirchenftrafen von bem Ermeſſen ber Staats⸗ 
bebótben abhängig zu machen, und an dieſer Beſchraͤnkung 
wurde aud) dann feflgehalten, als bie Gefege, welche mit ben 
Kirchenſtrafen bürgerliche Folgen verfnüpften, außer Kraft ges 
fegt waren. 


Aktenſtücke. | 671 


Die verſammelten Biſchöfe Haben in ihrer Zuſchrift vom 
16. Juni erflärt, Daß, menn bie Lebensthätigfelt der Kirche 
ſich kraftvoll erneuern folle, fie auch hinftchtlich der geiftlichen 
Gerid)tébarfelt wieder in bte Uebung ihres Mechtes eintreten 
miüjje, und ὦ über bie Stellung, welche fte in dieſer Bezie⸗ 
Hung in Anfpruch nehmen, in folgender Weiſe audgefprochen : 
„Ueber ble Nechte und Verbindlichkeiten, welche ben. Mitgliedern 
der katholiſchen Kirche entweder als folchen, ober Kraft eines 
$on denfelben übernommenen Kirchenamtes zuftehen und ob» 
Tiegen, Hat die Kirchengewalt παῷ Richtſchnur ber. Kirchenge⸗ 
fee zu entſcheiden. Wenn das Mitglied einer Gefellfchaft die 
Pflichten, bie ihm αἵδ᾽ folchem obliegen, nicht erfüllet, fo Tann 
*8 aud) nicht verlangen, an ben Vortheilen, weldye die Ges" 
fellfchaft gewährt, Theil zu nehmen. Wenn der Beamte εἰπεῖ 
Geſellſchaft dem erhaltenen Auftrage zuwider handelt, fo Tann 
et unter Bedingungen, welche durch bte Geſellſchafts⸗Verfaſſung 
näber zu beflimmen find, feines Amtes und der damit verbun- 
denen Vortheile beraubt werden. Die katholiſche Kirche, welche 
eine fo erhabene und fegenreiche Sendung zu erfüllen hat, Fann 
um fo weniger auf Befugniffe verzichten, welche ihr mit jeder 
‚gefeglichen Gefellfehaft gemein find. Die geiftliche Gewalt bat 
alfo das Recht, Kirchengliever, welche bie Ihnen als folchen 
obftegenben Verbindlichkeiten verlegen, ganz ober tbeilmelife von 
dem Genuffe der Eirchlichen Wohlthaten auszwichließen, und dieß 
Hefchteht Durch den größeren und fleineren Bann. - Da bie ftit» 
chenſtrafen eine Ruckwirkung auf bürgerliche Mechte nicht mehr 
üben, fo fällt der Grund Dimveg, auf melchen ble Staatsgewalt 
[ὦ berief, als fte bie Verhaͤngung Tirchficher Strafen mehr oder - 
minder von threr Zuftimmung abhängig machte. Was namente 
lich bte Tirchlichen Feierlichkeiten des Begräbntffed betrifft, fo 
flieht e8 der Kirche allein zu, darüber zu verfügen, und zwar 
nicht blos in Folge ihrer Strafgewalt, fonberm aud), well ihr 
allein zufteht, Eirchliche Gebete und Segnungen anzuorbnett, 
Doc verkennen ble verfammelten Bifchäfe nicht, bag die Kirchen⸗ 
ftrafen, wenn fle ihrem Zwecke gemäß den Ernft des chriftlichen 
Lebens unb den Eifer der chriftlichen Gemeinde förbern follen, 
mit weiſer Berudfichtigung ber gegebenen Verhältniffe angewandt 
‘werden müffen, und machen e8 {Ὁ zum Gefeke, ihre Strafge- 
walt ftet8 mit umfichtiger Klugheit zu üben. ^ 

Die geiftliche Gewalt allein Bat Das Recht, jene, weldhe 


e. 


673 ' Atenſtucke. 


die Kirchenaͤmter nicht der übernommenen Verpflichtung gemäß 
verwalten, in ber burd) das firdjengeíeg beftimmten Form zu 
fufpendiren, oder abzuſetzen, und thnen bie mit bent Amte ver 
bundenen Einkünfte zu entziehen. Die verfammelten Bifchäfe 
fegen voraus, bag bie Gtaatágemalt zur Durchfegung von lit» 
theilen, welche bie Tirchlichen Gerichte inner dem angebeuteten 
Bereiche und mit Beobachtung aller gefeglidjen Erforbernifie 
fällen, ihre Hilfe nótfigm Falles nicht verfagen werben. * 
Der treu gehorfamfte Minifterrath ift. des ehrfurchtsvollen 
Erachtens, baf auch in diefen Beziehungen die biäherige Geſetz⸗ 
gebung nicht länger haltbar fei. Wohl ift es ſehr wünfchend- 
werth, bag die Kirche unb bie Staatögewalt in ihrer Amtd- 
handlung nie bie Untrennbarkeit ihrer beiberfeitigen Interefien 
unbeachtet Lafien. Auch im Familienleben begibt fid) aber Vieles, 
wa$ auf den Staat mittelbar einen mächtigen Einfluß übt, und 
was er bod) feiner Entſcheidung nicht vorbehalten Tann, ohne 
fowohl alle Breiheit zu vernichten, als aud) etwas fchlechthin 
Unmoͤgliches anzuftreben. Daſſelbe gilt von ber Kirche. Ohne 
mit dem $. 2 des Allerhöchkten Patentes in Widerſpruch zu 
gerathen, kann der Kirche nicht Länger verwehrt werben, [ἃ 
felbfifländig der Strafgewalt zu bedienen, die fle aus ber. ihr 
inwoBnenben Macht zu fchöpfen, und ohne Anwendung äußeren 
Zwanges zu üben vermag. Wenn fie aber Ihre Erkenntniſſe 
durch äußere Zwangsmittel vollzogen willen will, fo darf tie 
Staatsgewalt ihr ben weltlichen Arm nicht leihen, ohne Bürg- 
[haft zu haben für den gerechten Vorgang ber geiftlichen Ges 
richte. Die verfammelten Bifchöfe bemerken hierüber: „Da bei 
bem gerichtlichen Verfahren auf bie Gewohnheiten und Beduͤrf⸗ 
nifle der chriftlichen Länder Ruͤckſicht zu nehmen, tn ihren Dii; 
cien aber die Entwicklung des dießfaͤlligen Gewohnheitsrechtes 
durch bie vieljährige Unterbrechung ber geiftlichen Gerichte gehemmt 
worben fel, fo würden alle Einleitungen getroffen werben, um 
auf gefeglichem Wege die nöthigen Näherbeflimmungen zu et» 
zielen.“ Die Regierung Euerer Mafeftät muß wünfchen, baf 
bleje Einleitungen fo fehr als εδ bie Verhältniffe geftatten, be» 
ſchleunigt und bte Ergebnifje ihr mitgetheilt werden. Vorlaͤufig 
muß fie (id) aber vorbehalten, wofern bie geiflliche Behörde eine 
Unterflügung von Seite der Staatögemalt anfpricht, im bie 
Unterſuchungs⸗Aeten Einficht zu nehmen, und fich ble Ueberzeu⸗ 


gung zu verſchaffen, baf ber Vorgang den Kirchengefegen, auf 











Mienſiicke. 673 


welche e8 babel allein anfümmt, vollkommen entſprechend fe. 

Se mehr Breihelt aber ber Kirche gewährt ift in bem Gebrauche 
ihrer eigenen Macht, befto wichtiger ift e8 für ben Staat, baf 
bieje Macht nicht Händen anvertraut verbe, bie fie in einer ber 
bürgerlichen Geſellſchaft gefährlichen Weife migbraudjen. In fo 
fern ein [older Mißbrauch bie Natur eines Verbrechens ober 
Vergehens annimmt, verfällt der Schufbige bem weltlichen Strafe 
gerichte.. Allein dem Diener der Kirche find Befugniffe einge» 
räumt, durch deren Mißbrauch ev, aud) ofue eben den Strafr 
gefeßen zu verfallen, dem Staate gefährlich werben Tann, und 
feine Oteglerung darf folchen Mißbrauch dulden, ohne ber Pflicht 
untreu zu werben, die ihr als Hüterin der Ordnung obliegt. 

Die verfammelten Bifchöfe Haben im Geifte ber Kirche, 
welche (le vertreten, e8 auögefprochen, daß geiftlicher Aemter und 
Pfründen nur Solche würdig feien, welche geeignet find, wie 
in jeder chriftlichen Tugend, fo aud) in Erfüllung der Pflichten 
gegen die bürgerliche Obrigkeit der chriftlichen Gemeinde mit 
Wort und Beifpiel vorzuleuchten. Die Regierung Euerer Ma⸗ 
jeftät glaubt darauf vertrauen zu dürfen, bag bie Vorfteber der 
tatholifchen Kirche diefen Grundſatz ſowohl bei Candidaten von 
geiftlichen Aemtern, als auch bei fchon angeflellten Geiftlichen 
hurchführen, unb jeder Zeit ble Hand bieten werben, um Geiſt⸗ 
libe, welche ihren heiligen Wirkungskreis auf eine dem Siagte 
gefährliche Weiſe mißbrauchen, unfdjábfid) zu machen. inter 
diefer Borausfegung glaubt fie εὖ durch ble der katholiſchen 
Kirche ſchuldige Achtung geboten, daß, wenn folche. traurige 
Bälle jid) ereignen, ſtets zunaͤchſt im Einverſtaͤndniſſe mit bem 
betreffenden Bifchofe, oder beziehungsmelfe mit dem päpftlichen 
Stuhle gegen die Pflichtvergeffenen vorgegangen voerbe. 

Geruhen Euere Majeftät demgemäß allergnaͤdigſt anzuord⸗ 
nen, daß, menn ein Geiftlicher feine Stellung und ble Ihm in 
derfelben für Eirchliche Zwecke zuſtehenden Befugniffe zu anderen 
Zwecken in ver Art mißbraucht, bag feine Entfernung vom 
Amte [ὦ ber Regierung als nothwendig barflellt, ble weltlichen 
Behörven fid) deßhalb oorerft mit feinem kirchlichen Vorgeſetzten 
ἐπ᾿ 8 Einvernehmen zu feßen haben. 

Die biſchoͤfliche Verfammlung bat e8 mit Recht für am» 
gewmeſſen erfannt, daß, wenn ein Geifllicher von ben weltlichen 
Gerichten wegen Verbrechen ober Vergeben verurtheilt wird, der 
Biſchof in ble Möglichkeit werfegt werde, bevor er eins geiſtliche 


674 Altenſtucko. 

Strafe verhängt, ven Grab der Schuld, welche ber Verurtheilte 
der Kirche gegenüber auf ſich geladen, felbfiftännig zu beurthei⸗ 
Im. Daß er zu dem Ende vor Vollzug der Strafe von der 
fBerürtBellung in Kenntnig gefeßt werde, ift Bereits burd) die 
beftebenben Gefege. angeorbnet. Die verfammelten Bifchöfe haben 
ben Wunfch ausgenrüdt, bag aud) bie Mittheilung ver Ver⸗ 
handlungssActen, menn fie verlangt wird, nicht verweigert werbe. 
Euere Mafeftät dürften fid) bewogen finden allergnäbigft zu ge 
nehmigen, bag biefe Mittheilung der Acten, obgleich (ie audj 
Bisher nicht verweigert vourbe, den Gerichten ausbrüdfid) zur 
Pflicht gemacht werde. 

Die Gegenftände, welche ihre gemeinfame Erledigung in 

der anliegenden Verordnung finden, find in8gefammt ſolche, 
hinſichtlich welcher e8 fid) nur um Befeltigung der durch bie 
bisherige Gefeßgebung aufgerichteten Schranken handelt. 
Die anderen gegenwärtig zu erfebtgenben Buncte ber bifchäf- 
fien Eingaben verlangen abgefonvert behandelt zu werden. Der 
ehrfurchtsvoll Unterzeichnete erlaubt fid) bie Unterrichtsfrage einem 
eigenen allerunterthänigften Vortrage vorzubehalten, über die 
übrigen Gegenftände aber Nachflehenves zu bemerken: 

Die verfammelten Bifchdfe haben in ihrer Zufchrift vom 
30. Mat o. S. erflätt: , ba ffe alle Rechte ehren, welche bie 
Staatögewalt der Kirche gegenüber anfprechen Pann, ſowohl jene, 
welche aus ber Natur der Staatsgewalt hervorgehen, ala aud 
jene, welche der Monarch ἔταξε befonderer Rechtsgründe erwor⸗ 
ben hat. Diefer Erklärung getreu zolfen fle auch dem landes⸗ 
fürftlicden Rechte, bie Perfon des zum Blsthume zu Erhebenden 
zu bezeichnen, ihre Anerkennung; doch Balten fle dafür, ba 
dies Recht als ein rein perfönliches müffe betrachtet werben, 
und glauben durch die politifdyen. Verhaͤltniſſe fid) aufgeforbert, 
die ehrfurchtsvolle bod) dringende Bitte zu ftel(en: , Guere Maje⸗ 
ft wolle Sich bereit erklären, das erwähnte Otedjt. nicht pe 

Beirath Eatholifcher Bifchdfe. zu üben, und bie Biſchoͤfe ber 
Kirchenprovinz, welcher der erledigte Gig angehört, babet nie 
mald zu übergeben. ^ 

Unftreittg ift Dies wichtige Recht von bem perfönlichen 
Berhältniffe abhängig, in welchen ber Eatholifche Landesfürft 
zur Tatholtfchen Kirche ſteht; denn einem nicht katholiſchen gan» 
desfürften tft e8 niemals und nirgends zuerkannt worden. Auch 
legt e& am Tage, baf es zu zweckmaͤßiger Hebung -peffelben don 


Aktenftürke. 675 


großem Nugen fet, fid) des Mathes von Biſchoöfen zu bedienen, 
und baf ble Bifchöfe ber Kirchenprovinz, wo dad Bisthum er- 
[ebiget ift, mit ben zu beachtenden Berhältniffen in der Negel 
am beften befannt ſeien. Euere Majeftät dürften fi) daher 
bewogen finden, bem Ausfchuffe ber bifchöflichen Verſammlung 
in diefer Beziehung eine beruhigende Erflärung ertheilen zu Taffen. . 

lleber bie Form, in welcher biefe Ernennungen fünftig zu 
gefchehen haben, ftellen fich nähere Beflimmungen als wünfchens- 
werth dar. Dieß gilt auch von ben Rechten, welche bem Lan- 
desfürften in Betreff ber SBefegung anderer Firchlichen Aemter 
unb Pfründen zuſtehen. Guere Majeftät dürften daher anzu- 
orbnen geruhen, bag über bie (orm, in welcher bie Tandesfürft- 
lichen echte In Betreff der Belebung Firchlicher Aemter unb 
Pfründen fünftig geübt werben follen, eine Verhandlung εἰπε 
geleitet und in fo meit e8 erforberlich ift, im Einvernehmen 
mit dem päpftlichen Stuhle herbeigeführt werde. 

Dieſes Einvernehmen dürfte [Ὁ aud) auf bie Negelung 
des Einfluffes zu erftreden Haben, wefdjer ber Regierung Eurer 
Majeftät gewahrt werden muß, um von geiftlichen Uemtern unb 
Pfründen, zu welchen nicht Euere Majeftät ernennen, Männer 
ferne zu Halten, deren Wirkfamfeit ber bürgerlichen Orbnung 
Gefahr drohen mürbe. 

Ueber bie Befähigung zu Domberrnftellen haben bie θεῖς 
fammelten Btfchöfe erklärt: „Damit bie Dom» Eapitel ihrem 
Zwede genügen, und ihre bevorzugte Stellung In mwürbiger 
MWeife behaupten fünnen, fet e& nothwendig, bie Bürgfchaften 
für ble vorzugsweife Befähigung ihrer Mitglieber nicht zu vete 
mindern, fondern zu vermehren. Ste erfennen baber die Heil⸗ 
ſamkeit der beftehenden Anordnung, in Folge derer zu Erlangung 
von Dombernftellen eine zehnjährige Eirchliche Dienftleiftung er- 
forderlich ift, unb verfprechen bte nöthigen Einleitungen zu treffen, 
um biefe von der Stantögewalt erlaffene Beſtimmuñg auf δα 
firchliche Geblet zu übertragen.“ Der Regierung Euerer Ma- 
jeftät fann e8 nur wünfchenswerth fein, daß eine Verfügung, 
durch welche man bem Verdienſte und der Erfahrung den Vor⸗ 
zug zu fichern ſtrebte, Die kirchliche Anerkennung erhalte. 

In demfelben Geifte haben die verfammelten Bijchöfe fid) 
dahin geäußert: „Die Eatholifche Kirche fet fletd von dem Grund» 
fage ausgegangen, baf bei Verleihung von Firchlichen Aemtern 
unb Pfründen nur auf Froͤmmigkeit, Kenntniffe und Verdienſte 


Theol. Quartalſchrift. 1850. IV. Heft. 44 


676 Aktenſtucke. 


Nüdficht zu nehmen fel; (le wunſchen daher und werben dahin 
wirken, daß auch jene Domberrnftellen, zu deren Erlangung 
noch abefid)e Abſtammung gefordert wird, an ben würbigften 
ohne Rückſicht auf feine Geburt verliehen werben; bod) folle 
big auf gefeglihem Wege, und ohne Verlegung von bereits 
erworbenen Rechten gefchehen. * 

Sie fügen Hinzu: „Nicht nur um die Lüden auszufüllen, 
melde durch ba8 allmählige Erlöfchen ber Domicel(arsGanonicate 
in ben Wahlcapiteln zu Salzburg unb Ofmüg entflehen werben, 
fondern auch um ber Wahl größere Würde zu geben und ben 
Zufammenhang der Bifchöfe mit dem Metropolitan» Gite feſter 
zu fnüpfen, ſtelle e8 fich al8 wünfchenswerth bat, baf bie Bi⸗ 
[δε ber Kirchen-Provinzen Salzburg und Olmüg das Stimms 
recht bei Erwählung des Metropoliten erhalten. Um ble Wähler 
auf eine größere Zahl, — allenfalls auf fünfundzwanzig — 
zu bringen, würde es zweckmaͤßig fein, einer entfprechenven Zahl 
von Ehrendomherren dad Wahlrecht zu verleihen. * 


Der Regierung Euerer Majeftät Tann es nur willlommen 
fein, wenn ein Grunbíag, an welchem fie bei Verleihung von 
Saatsämtern ftet3 fefthalten wird, auch in Bezug auf firchlice 
Würden volle Geltung erlangt. Auch bie Beftimmungen, welde 
bie verfammelten Biſchofe bei der Wahl der Erzbifchöfe von 
Salzburg und Olmüg eingeführt zu fehen wünfchen, exfcheinen 
als vollfommen zweckmaͤßig. 

Geruhen Euere Majeftät allergnädigft zu genehmigen, baf 
den Bifchöfen zur Durchführung biefer Beſtimmungen die kraͤf⸗ 
tigfte Unterflügung der Regierung, in fo weit fie dazu mil 
wirken berufen tjt, zugeſichert werbe. 


Das Kirchengefeß verorbnet, bag zu SBefegung erledigter 
Pfarren ein Goncurs ausgefehrieben , und die Befähigung ber 
Bewerber durch dazu beftellte Eraminatoren geprüft werde. Diefe 
zweeimäßige Maßregel ward in Defterreih von der politifchen 
Geſetzgebung gänzlich in ihren Bereich gezogen. 

Stoatöverorbnungen regelten bie Art und Welfe der Shri» 
fung, fo wie bte Verbindlichkeit, fich verfelben zu unterziehen, 
unb bie Zeit; für melche die mit Erfolg beftanbene Prüfung 
Geltung hatte; vom Staate waren ble Profefforen der theo⸗ 
Iogifchen Lehranftalt al8 Eraminatoren aufgeftellt, nur der ταν 
minator aus der Dogmatik blieb bem Bifchofe zu freier Au 


Pa) 


Aktenſtücke. 677 


wahl überlaſſen, an die Landesregierung hatte man ſich um 
Diſpens von der Concursprüfung zu wenden. 

Die verſammelten Bifchöfe haben das Recht, die Befäht- 
gung zur Uebung ber Seelforge zu beurthetlen, für die geiftliche 
Gewalt in Anſpruch genommen, und bie Stantögewalt kann 
ihr im Hinblick auf $. 2 des Allerhöchften Patentes vom 
. 4. März 1849 dieſes Recht nicht ftreitig machen. Allein auch 
für den Staat iff es von Wichtigkeit, daß bie Befähtgung von 
Männern, welche a[8 Pfarrer wirken folfen, auf eine zweckmaͤßige 
Weiſe geprüft werde; die Megierung muß wünfchen, daß in 
dieſer Beziehung in den verfdjlebenen Didcefen ein gleichmäßiger 
Vorgang beobachtet werde. Sie muß wiſſen, welche Bürgfchaft 
für die Befähigung ber Seelforger durch die Einrichtung bet 
Goncuréprüfung geboten ift, um beurteilen zu fónnen, in wie 
weit unb unter welchen SBebingungen fle ihnen ihrerſeits in Be⸗ 
ziehung auf bie Schule, das Armenweſen und die Ehe-Angele- 
genheiten Sunctionen übertragen Tann, deren Verbindung mit 
dem geiftlichen Amte für den Staat, mie für die Kirche wün« 
ſchenswerth ijt. 

. fie Regierung Euerer Majeftät darf und muß daher das 

Verlangen ftellen, daß bie über bie Concurd-Prüfungen zu ete 
laffenden Verfügungen, bevor fie in Ausführung fommen, zu 
ihrer Kenntniß gebracht werben, damit fie dad, was fle von 
ihrem Standpunkte aus wünfhen muß, in Anregung bringen, 
unb auf allfällige Schwierigkeiten aufmerkfam machen fónne. 
Die verfammelten Bifchöfe Haben nicht verfannt, daß bie für 
die Pfarr-Coneurd- Prüfung bisher geltenden Anordnungen vieled 
Swedmáfige enthalten, und daß e8 nothwendig fet, überall, 
wo nicht ausnahmsweiſe SBerBáltniffe eine Ausnahme begründen, 
ein übereinſtimmendes Verfahren zu beobachten. Deßhalb Haben 
fie fid) über folgende Beſtimmungen gertniget : 

„Die Pfarr⸗Concurs⸗Prüfung ſoll in jeder Diöcefe jährlich 
zum wenigſten einmal und amar münblih unb ſchriftlich oot» 
genommen werben. ^ 

„Gegenftände biefer Prüfung find: 1. Dogmatif, 2, Gr. 
Täuterung der heiligen Schrift nach ber Bulgata, 3. Moral 
und Paftoral fammt giturgif mit vorherrfchenn praftifcher Nich- 
tung, 4. Kirchenrecht, 5. Bollftändiger Entwurf unb theilwelfe 
ee. einer Predigt, 6. Mündlicher Vortrag, 7. Kates 

efe.* . ; a 


44* 


678 Altenſtuͤcke. 


„Zur Erlangung jedes Amtes ſelbſtſtaͤndiger Seelſorge iſt 
erforderlich, daß der Bewerber die Pfarr⸗Concurs⸗Prüfung mit 
gutem Erfolge beftanden habe.“ 

„In wie fern für Ganonicate, mit welchen zwar die Ber 
pflichtung zur Seelforge, aber Fein felbfifländiges Seelſorgsamt 
verbunden ift, die Pfarr-Goncurd- Prüfung nothwendig fel, bleibt 
dem Ermeflen des Didcefan-Bifchofes überlaffen. ^ 

„Zur Pfarr-Eoncurs-Prüfung follen nur Solche augelaffen 
werben, welche feit wenigftend drei Jahren die Befugnig zur 
Berwaltung der Seelforge erlangt Haben. ^ 

„Die Eoncursprüfung Bat in der Negel für fedj8 Jahre zu 
gelten, doch fann burd) Provinzial-Eoneiltum ein Tängerer ober 
kürzerer Zeitraum beflimmt werben. ^ 

„Nur ble bienfitDuenben oder emeritixten Profefforen der 
Theologie, jene Doctore der Theologie, welche zu Erlangung 
biefer Würde (id) den firengen Prüfungen unterzogen, unb folde 
Männer, welche ὦ in einem theologifchen Fache als Schrift 
ftellev ausgezeichnet haben, dürfen von Ablegung ber Pfarr 
Eoncurd-Prüfung diſpenſirt werden. ^ 

„Don Wiederholung derſelben fann ber Bifchof auch Solche 
loszaͤhlen, welche als Seelforger ober in anderer Welfe ihre 
theologiſchen Kenntniffe hinreichend erprobt haben.“ 

„Kein Bifchof ift verbunden, die Pfarr-Eoncurs- Prüfung, 
welcher fid) ein Bewerber in einer fremden Dipcefe unterzogen 
hat, als für Pfründen feines Sprengeld genügend anzuerkennen. 

Diefe Anordnungen enthalten nichts, wogegen Die Regie⸗ 
rung Einfprache erheben müßte; im Gegentheile genügen fte jedem 
Intereffe, welches der Staat an ber Einrichtung biefer Prüfung 
haben fann. Allein e8 liegt Feine Bürgfchaft vor, baf bie ge 
faßten Befchlüffe von ben Bifchöfen und ihren Nachfolgern, al? 
fle rechtlich verbindend angefehen werben, Mit Müdficht auf 
bleje8 Verhaͤltniß glaubt ber treugehorfamfte Minifterrath den 
ehrfurchtsvollen Antrag ftellen zu follen, Guere Majeftät geruben 
anzuordnen, bag die vollftändige Durchführung ber oon den 
verfammelten Bifchöfen über die PfarrsConcurs-Prüfung ge 
troffenen Beflimmungen Fein Hinderniß finde, unter dem Vor⸗ 
behalte, daß biefelben nicht ohne mit der Regierung gepflogene 
Rüdfprache abgeändert werden, unb bag wo und in fo weit 
als dieſe Veichlüffe nicht zur Michtfehnur genommen werben, 


LI 


Aktenſtüucke. 679 


bet bet Pfarrs-Eoncurd- Prüfung nad) den biöherigen Anordnun⸗ 
gen vorgegangen werbe. 


' Bon der Anficht ausgehend, daß Alles, was auf ben 


Staat Einfluß nehmen Tonne, ber Verfügung be8 Staates unter- 
ftehe, erließ ble Oeſterreichiſche Gefeggebung über ben Gottes⸗ 
bienft der Fatholifchen Kirche Die genaueften Anordnungen, 
deren viele jedoch Tängft in Vergeſſenheit gerathen find. Das 
gegen erklären ble. verfammelten Biſchöfe mit Berufung auf $. 2 
der Grundrechte, baf (te fernerhin den Gottesdienſt, und alles 
darauf bezügliche inner der Grdngen der allgemeinen Staats⸗ 
gefege felbftfländig anorbnen, und nur ben Geiſt und bie Gefege 
der Eatholifchen Kirche babel zur Richtſchnur nehmen werden. 
Der treugehorfamfte Minifterratd muß den von ben Bifchöfen 
erhobenen Anfpruch ald begründet erkennen. 

Allerdings tft e8 für Die Negierung von Wichtigfeit, bag 
ba8 Necht, ben Gotteüblenft zu orbnen, ſtets mit welfer Vor⸗ 
ficht geübt werde, um fo mehr, ba bie Verfammlungen, welche 
bie Ausübung eines gefeßlich geftatteten Guftu8 zum ausſchließ⸗ 
Vichen Zwede haben, von ben gefeglichen Beichränfungen des 
Verſammlungsrechtes entbunben find. Auch Dat bie Staats⸗ 
gewalt unftreitig wie das Recht, fo bie Pflicht, Würfotge zu 
tragen, bag nicht unter dem Vorwande gotteßdienftlicher Hand⸗ 
lungen ble Ruhe geftört, oder bie Sicherheit gefaͤhrdet verbe, 
und ber treugehorfamfte Minifterrath behält (id) vor, zu biefem 
Zwede Euerer Majeftät gefegliche Beſtimmungen vorzufchlagen, 
melche [ὦ auf den Gottesdienſt aller Religionsgeſellſchaften zu 
beziehen haben werben. Aber bie verfanimelten Bifchöfe haben 
ausgefprochen, daß fie e8 (id) zur Pflicht machen, Alles, was 
am ber beſtehenden Gottesdienſtordnung zweckmäßig und Deiljam 
ift, forgfam aufrecht zu halten, unb daß feine Abänderung ohne 
Zuftimmung der Provinzial- Synode gemacht werben folle; fte 
haben audgefprochen, bag fie in ber veränderten Stellung ber 
Gefeßgebung eine doppelte Aufforderung finden, jeber willfür- 
fidjen Neuerung und jenem Mißbrauche, welcher fich beim Gottes⸗ 
dienſte einfchleichen könnte, mit unermüblicher Thätigkeit zu bes 
gegnen. Zwar kehrt auch Dier bie Schwierigkeit Hinfichtlich ber 
Geltung der Befchlüffe zurüd. Dennoch glaubt ber treugehor« 
famfte Minifterrath in Berudfichtigung be8 der Kirche verbürg- 
ten Rechtes, bie Ttrchlichen Angelegenheiten, zu welchen der Gotteds 
bienft vor allem Andern gehört, felbftftändig zu orbnem, darauf 


4A 


680 Aktenftüde 


einvathen zu follen, Euere Majeftät gerufen. zu genehmigen, baf 
e8 jedem Bifchofe freiftehe, den Gottesdienſt feiner Diöcefe im 
Sinne ber eben erwähnten, von den verfammelten Bifchöfen ges 
foßten Beichlüffe zu orbnen und zu leiten. 

Die verfammelten Bifchöfe Haben endlich auch bie Bitte 
geftellt, „Daß die Megierung Euerer Majeftät der Feier des 
Gonntage8 unb ber wenigen fatfoli(jen Feiertage ihren 
Schug nicht entziehe, unb wie bisher Alles, was die Heiligung 
diefer Tage ftórt, ferne halte.“ 

Der treugehorfamfte Minifterrath erfennt die Nachtheile 
und Störungen, melche entfteben müßten, wenn diefer Gegenftand 
dem Bereiche polizeilicher Auffiht gänzlich entzogen würde, und 
die Staatögewalt in Feiner Beziehung bie Rückſichten, welche bie 
Staatsbürger einander Hinfichtlich der äußern Darftellung ihrer 
religlöfen Ueberzeugung ſchuldig find, durch ihr Einfchreiten 
aufrecht halten wollte. Die eigenthümlichen VBerhältniffe einzelner 
Kronländer bieten jebod) in diefer Beziehung Schwierigkeiten, 
welche es nothwendig machen, ble genaue Reglung des Gegen- 
ftanbe8. einem fpäteren Seltpunfte vorzubehalten; Euere Majeftät 
dürften fid) jedoch bewogen finden, anzuorbnen, daß tnbeffem bie 
Behörden angewiefen werben, auf Grundlage der beftehenven 
Geſetze darüber zu wachen, daß an Orten, wo ble Eatholifche 
Bevölkerung die Mehrzahl bildet, bie Beier ber Sonn- unb 
Feſttage nicht Durch geráufd)ool(e Arbeiten ober durch öffentlichen 
Handelöbetrieb geftört mwerbe. 

Geruhen Cuere Majeftät den geftellten Anträgen bte Aller 
höchfte Genehmigung zu ertheilen, und ben ehrfurchtsvoll Unter- 
zeichneten zu ermächtigen, bie Eingaben ver bifchöflichen Ver⸗ 
fammlung in Gemäßheit der in btefem allerunterthänigften Vor⸗ 
trage entwidelten Anflchten zu erledigen. 

Mien, am 7. April 1850. & pum, 


Auf biefen Vortrag erließ ber Kaifer nachftehende zwei 
allerhöchfte Verordnungen : 
ὶ Α 


Koiferl. Verordnung vom 18. April 1850, 
betreffend das BVerhältniß ber fotfolifdjen Kicche zur Gtaatégewalt. 


, Zum Vollzug der durch $. 2 des Patented vom 4. März 
1849 ber Fatholifchen Kirche verbürgten Nechte, genehmige Ich 








Hetenftüdke, 681 


über Antrag Deines Minifters des Eultus und Unterrichtes und 
auf Einrathen Meines Minifterrathes für alle Kronlänver Meines 
Neicheß, für welche jenes Patent erfloffen ift, nachſtehende Bes 
flimmungen: | 

4.1. Somohl den Bifchöfen, als ben ihnen unterftehen- 
den Gläubigen flieht e8 frei, fid) in geiftlichen Angelegenheiten 
an den Papft zu wenden, und die Cntfdjeibungen und Anord⸗ 
nungen be8 Papftes zu empfangen, ohne dabei an eine vorläus 
fige Zuftimmung der weltlichen Behörden gebunden zu fein, 

6. 2. Den Eatholifchen Bifchöfen flet es frei, über Ges 
genftánbe ihrer Amtögewalt und innerhalb der Gränzen berfel- 
ben an ihren Elerus und ihre Gemeinden ohne vorläufige Ges 
nehmigung der Staatsbehörde Ermahnungen und Anordnungen 
zu erlaſſen; fte haben jebod) von ihren Erläfien, in jo ferne 
fie äußere Wirkungen nach fid) ziehen, ober öffentlich funb ges 
macht merben follen, gleichzeitig den Negierungsbehörben, in 
deren Bereich die Kundmachung erfolgen, oder ble Anwendung 
gefcheben fol, Abfchriften mitzutheilen. 

6. 3. Die Verordnungen, durch welche bie Kirchengewalt 
bisher gehindert war, Kirchenftrafen, bie auf bürgerliche Mechte 
feine Rückwirkung üben, zu verhängen, werben außer Kraft geſetzt. 

6. 4. Der geiftlichen Gewalt fleht ba8 Necht zu, Sene, 
welche bie Kirchenämter nicht der übernommenen DBerpflichtung 
gemäß verwalten, in der durch das Kirchengefeg beflimmten Form 
zu fufpenbiren ober abzufegen, und fie der mit bem Amte θεῖε 
bundenen Einkünfte verluftig zu erflären. 

$. 5. Zur Durchführung des Erkenntniſſes fanm die Mit- 
wirkung der Staatsbehörden in Anſpruch genommen werben, 
wenn benfeben der orbnungsmäßige Vorgang ber geiftlichen 
Behörde durch Mittheilung der Unterfuchungsaeten nachgewiefen 
wird. . 

$. 6. Mit ber Durchführung dieſer Veſtimmungen tft 
Mein Minifter des Eultus unb Unterrichtes beauftragt. 

Meine Behörben find anzuweifen, bag, wenn ein Tatholifcher 
Belftlicher feine Stellung unb bie ihm in derfelben für fitdjs 
liche Zwecke guftebenben Befugnifie zu anderen Zweden in ber 
Art mißbraucht, bag feine Entfernung vom Amte für nothwen⸗ 
big erfannt wird, fte ſich deßhalb vorerſt mit feinen Firchlichen 
Vorgefehten Ins Einvernehmen fegen. 

Den Gerichtsbehörden ift zu verorpnen, bag, wenn ein 


682 9fftenftü de. 


katholiſcher Geiftlicher megen Verbrechen ober. Vergehen verur⸗ 
theilt wird, dem Bifchofe die Verhandlungsacten auf fein Ber: 
langen mitgetheilt werden. 

In ber Mir zuftehenden Ernennung der Bifchöfe" erkenne 
Sd) ein von Meinen erlauchten Vorfahren überfommene8 Recht, 
welches Ich gewiffenhaft zum Helle und zum Frommen der 
Kirche und be8 Meiches auszuüben gebenfe, Um bei ber Aus 
wahl ber Perfon das SBejte der Kirche zu wahren, werde 3d 
ſtets geneigt fein, bei Befegung von Bisthümern, vote bief auch 
biöher in Uebung war, den Rath von Bifhöfen, und nament- 
lich von Bifchdfen der Kirchenprovinz, in welcher das Bisthum 
erlediget ift, zu hören. _ 

Meber bie bei Ausübung der Yandeöfürftlichen Rechte in 
Betreff der SBefegung geiftlicher Aemter und Pfründen zu θεοῦ» 
achtende Form Dat Dein Minifter des Eultus und Unterrichtes 
Mir bie geeigneten Anträge zu erflatten. 

Zur Durchführung ber von ber Berfammlung der Bifchöfe 
in Betreff ver 3Bebingung zur Erlangung von Domherrnſtellen, 
der Domtcellar-Banonicate, dann in Betreff ver Wahl-Eapitel 
zu Olmütz und Salzburg befchloffenen Maßregeln find bie Bis 
fhöfe, in fo weit Meine Regierung dazu mitzuwirken berufen 
ift, fráftigit zu unterſtützen. 

Die vollftändige Durchführung ber von der Berfammlung 
ber Bifchöfe über die Pfarr⸗Concurs⸗Prüfung getroffenen Be 
flimmungen foll, unter bem Vorbehalte, daß dieſelben nicht ohne 
mit ber Regierung gepflogene 9tüd[prad)e abgeändert werden, 
fein Hinderniß finden, jedoch foll dort, wo, und in fo welt, 
als jene Beſchlüſſe nicht zur Richtſchnur genommen werben, bei 
bet Pfarr-Concurd-Prüfung nach ben biäherigen Anordnungen 
vorgegangen werben. 

3d) genehmige, bag ed jedem Bifchofe freiftehen foll, ben 
Gottesdienſt in feiner Diöcefe Im Sinne ber von der Verſamm⸗ 
lung ber Bifchöfe gefaßten Befchlüffe zu orbnem unb zu leiten. 

Meine Behörden find anzuweiſen, auf Grundlage ber be 
ſtehenden Gefepe darüber zu wachen, bag an Orten, wo bit 
tatholifche Bevölkerung ble Mehrzahl bildet, bie &eler ber Sonn- 
und katholiſchen Feſttage nicht durch geraͤuſchvolle Arbeiten ober 
durch öffentlichen Handelsbetrieb geftört werde. 

Im llebrigen nehme Ich den Inhalt der Mix vorgelegten 
Eingaben der Berfammlung der Bifchöfe zur Kenntniß, unb 


Aktenftüde. . 683 


ermächtige Meinen Minifter des Eultus unb Unterrichtes, folche 
in Gemäßheit der in dieſem Vortrage entwidelten Anftchten zu 
erledigen. Ueber bie nod) unerledigten ragen find Mir die 
geeigneten Anträge mit thunlicher Befchleunigung zu erftatten, 
unb infoferne ein Einvernehmen mit dem paͤpſtlichen Stuhle 
notfwenbtg ift, find hiezu bie nöthigen Vorbereitungen und 
Einleitungen zu treffen. 

Diefed Einvernehmen wird fid) auch auf bie Negelung des 
Einfluffes zu erſtrecken haben, ber Meiner Otegierung gewahrt 
werden muß, um von geiftlichen Aemtern und Pfründen im 
Allgemeinen Männer fern zu falten, welche ble bürgerliche Ord⸗ 
nung gefährden fünnten, 

Min am 18, April 1850. 


rans Joſeph. m. p. 
Thun. m. p. 


Katferl. Verordnung vom 28. April 1850, 
betreffend das Berhältniß der Kirche zum öffentlichen Unterricht. 


In Erwägung der $8. 2, 3 und 4 des Patented vom 
4. März 1849 genehmige Ich, nadj dem Antrage Meined Mi- 
nifter8 des Cultus unb Unterrichtes und über Einrathen Meines 
Pinifterratbes, für alle Kronländer, für welche jened Patent 
erfloffen ift, nadjftebenbe Beſtimmungen: 

$. 1. Niemand fann an nleberen. ober höheren öffentlichen 
Lehranftalten als katholiſcher Religionslehrer oder Profeffor bet 
Theologie wirken, ohne die Ermächtigung Diegt von dem Bi⸗ 
ſchofe erhalten zu haben, in beffen. Diöcefe (id) die Anftalt be» 
findet. 

6. 2. Der Bifchof fann ble Iemanden ertheilte Ermaͤch⸗ 
tigung jederzeit wieder entziehen; die bloße Entziehung diefer 
Ermächtigung macht jedoch einen von ber Otegterung angeftellten 
Lehrer nicht des Ihm gefeglich zuftehennen Anfpruches auf einen 
Nuhegehalt verluftig. 

$. 3. Es bleibt Sache ber Oteglerung, Männer, welche 
vom Bifchofe bie Ermächtigung zum Vortrage der Theologte 
erhalten haben, an ben theologifchen Facultäten zu Profefforen 
zu ernennen, ober als Privatdocenten gugulaffen, und dieſe vers 
walten tbr Amt nadj Mafigabe der alavemifchen Geſetze. 


684 Altenſtucke. 


F. 4. Dem Biſchofe ſteht es frei, feinen Alumnen bie 
Vortraͤge, welche ſie an der Univerſitaͤt zu beſuchen haben, und 
deren Reihenfolge vorzuzeichnen, und ſie darüber in feinem Se⸗ 
minarium prüfen zu lafien. 

6. 5. Zu bm firengen Prüfungen der Gandivaten bet 
theologifhen Doctorswürde ernennt der Bifchof die Hälfte bet 
Prüfungs-Commiffäre aus Männern, welche felbft den theolo⸗ 
gifchen Doctorsgrad erlangt haben. 

€. 6. Es fann Niemand die tbeo[ogijdje Doktorswürde 
erlangen, ber nicht vor bem Bifchofe, oder bem von ibm Bes 
auftragten, das tridentinifche Glaubensbekenntniß abgelegt bat. 

Mit der Durchführung dieſer SSeftimmungen ift Mein Mis 
nifler des Cultus und Unterrichtes beauftragt. 

Franz Joſeph m. p. 
Thun m. p. 


Rah Gmanirung diefer beiden Faiferl. Defrete ließ 
endlich das F.-F. Minifterium im Auftrag Sr. Majeftät 
den hochw. Bifchöfen nachftehende Eröffnung auf ihre Gin: 
gabe vom 30. Mai 1849 zugehen: 


Die verfammelten Bifchöfe haben e8 für nöthig erachtet, 
fd in ihrer Zufchrift vom 30. Mat vorigen Jahres zuvoͤrderſt 
im Allgemeinen über bte Stellung zu erklären, welche die fa» 
tholifche Kirche in Anfpruch nimmt, und bie Ueberzgeugung aud» 
gebrüdt, bag bie Regierung Seiner Majeftät, während [ an» 
deren Religionsgeſellſchaften neue echte verleibe, bie alten, 
wohlerworbenen Rechte der katholiſchen Kirche anerfenne und 
zu beſchützen bereit fel. 

Sie werden in biefem. Bertrauen fich nicht täufcgen. Die 
Regierung Seiner Majeftät ift von dem Girumbjage ausgegangen, 
daß bie lieberzeugungen, welche ben Menfchen mit einer höheren 
Welt verfnüpfen, dem heiligften Bereiche der Freiheit angehören, 
und enthielt fid) auf biefelben auch nur mittelbar einzumirken, 
unter der Vorausſetzung, bag ed (id) um wahrhaft religiöfe 
Meberzeugungen, alfo um folche handle, welche ben Pflichten, 
ohne deren Erfüllung ein wohlgeorbnetes Staatsleben unmöglich 
it, zur feflen Gtüge dienen. Deßwegen wurben hie bürger 
lihen und politifchen Nechte yon bem Religionsbekenntniſſe uns 


Altenftüde. 685 


abhängig gemacht, und hinſichtlich ber Mechte, welche ber $. 2 
des mehrerwähnten a. D. Patente® oom 4. März 1849 zuflchert, 
alle gefeglih anerkannten Kirchen und NReligiondgefellfchaften 
einander gleichgeftellt. 

Dadurch find aber bie befonderen Nechtöverhältniffe, welche 
fij zwifchen Oeſterreichs Herrfchern und der Fatholifchen Kirche 
jet Jahrhunderten entwicelt haben, weder aufgehoben noch im 
Frage geftellt. Auch wird bie 9tegierung Gr. Majeftät, während 
fle jeder Neligiondgefellfchaft bie geſetzlich zugeficherte Freiheit 
gewährt, ber Kirche, von welcher eine fo große Mehrzahl bet 
‚Staatöbürger für fo wichtige, geiftige Intereffen Befriedigung 
erwartet, fletd bie’ forgfamfte Berüudfichtigung zuwenden. 

Die verfammelten Biſchoͤfe haben ferner den Zufak, baf 
bie Kirchen und Neligionsgefellfchaften wie jede Geſellſchaft ben 
allgemeinen Staatögefegen unterworfen feien, zum Gegenftanbe 
einer Erläuterung gemacht, unb [ie beziehen ihn ganz im 
Sinne des Gejeggeberà auf die Erfüllung jener allgemeinen 
Bürgerpflichten, welche den Wirkungskreis der Fatholifchen Kirche 
nicht beeinträchtigen, fondern vielmehr durch ihre Lehren unb 
Ermahnungen geheiligt werben. 

Im llebrigen Dat die Regierung Seiner Majeftät niemals 
verfannt, bag bie katholiſche Kirche auf dem feften Grunde ber 
Ueberzeugung, daß fie nicht nur Ihre Glaubens⸗ unb Gitten- 
lere, fondern auch die Grundzüge ihrer Verfafjung durch gött« 
fide Offenbarung empfangen babe, nicht wie andere Gefells 
ſchaften ihre eigenen Gefege willführlich ändern fünne, und baf 
daher jede Staatögewalt, bie eine SBerftánbigung über ihre Bes 
ziehungen zur Eatholifchen Kirche wünfcht, jene Geſetze anets 
kennen müſſe. 

Die verſammelten Bifchöfe gehen von ber Vorausſetzung 
aus, bag durch $. 2 der Grundrechte bie Hemmniſſe, welche 
ihrem Verkehr mit dem Heiligen Stuhle bisher im Wege ſtan⸗ 
den, vollfommen gehoben feien, und weder für fie, nod) für 
die Ihnen unterftehenden Gläubigen fernerhin eine Schwierigkeit 
obwalten werde, fld in geiftlichen Dingen an ben Papft zu 
wenden, ober ble Cntfdjeibungen und Anordnungen bejjelben zu 
empfangen. 

Ste fprechen ferner die zuverfichtliche Erwartung aus, bag 
in Folge der zugeflcherten Selbftftänbigfeit der Kirchenverwal- 
tung ihnen fletö werde geftattet fein, über Gegenftänbe ihrer 


686 Aktenftüde. 


Amtsgewalt an ihre Gemeinden ohne vorläufige Genehmigung 
der Staatöbehörden Ermahnungen und Anorpnungen zu erlafien. 

Die Taiferliche Regierung erkennt biefe Anforderungen für 
wohlbegründet, und hält jenes Mißtrauen gegen ben. heiligen 
Stuhl unb den Fatholifchen Episkopat ihrer unmürbig. 

Darum ift in der sub A *) anrufenben Verordnung vom 
18. 1. M. Hinfichtlich des Verkehrs mit Nom feftgejept worden: 

» Sowohl den Fatholtfchen Bifchöfen, als den ihnen untere 
ſtehenden Gläubigen ftebt es frei, fid) in geiftlichen Angelegen- 
beiten an den PBapft zu wenden, und bie Entjcheidungen unb 
Anoronnngen des Papftes zu empfangen, ohne babel an eine vor» 
läufige Zuſtimmung der weltlichen Behörden gebunden zu fein. * 

Diefe gefehliche SBeftimmung wird in dem Sinne, in welchem 
fle gegeben ward, und ohne Fleinliche Verfümmerung durchge 
führt werben; bod) hält das Miniſterium e8 für wünfchensmerth, 
dag bie hochwürdigſten Bifchöfe aus eigener Wahl fid) beftimmt 
fühlen, in Parteifachen (id) τοῖς bisher des zu Nom angeftellten 
Taiferlichen Agenten zu bedienen. 

Eine vieljährige Erfahrung hat für die Unzufömmlichkeiten, 
welche mit der Benügung von Privatagenten verbunden find, 
Binreidjenbe Beweiſe gegeben unb die elgennítgigen Berechnungen, 
deren biefefben ὦ nicht felten fdjufbig machen, bringen nicht 
nur ben betreffenden Parteien Nuchtheil, fondern veranlaffen 
auch ungerechte Beſchwerden miber den päpftlichen Stuhl. 

Auch In Betreff des Verkehrs, welcher zwiſchen bem Bi⸗ 
ſchofe und der ihm anvertrauten Diödcefe zum Behufe der Ober: 
leitung einzutreten Dat, tft ben Wünfchen ber hochwürdigſten 
Bifchöfe entfprochen: denn Seine Mafeftät haben laut obiger 
Beilage zu verordnen gerubt: 

„Den katholiſchen Bifchöfen fteht es frei, über Gegenftände 
ihrer Amtögewalt, und innerhalb der Gränzen verfelben, an 
Ihren Clerus und ihre Gemeinden ohne vorläufige Genehmigung 
der Gtaatübefürbe Ermahnungen und Anordnungen zu erlaflen; 
fte haben jedoch von ihren Erlaͤſſen, infofern fle äußere Wirs 
tungen nad) (td) ziehen, ober öffentlich fund gemacht werben 
follen, gleichzeitig ben Negterungsbehörben, in deren Bereich 
bie Kundmachung erfolgen, ober die Anordnung gefchehen foll, 
Abfchriften mitzuteilen. ^ 


*) Siehe oben lit. A. 


WA BÀ. o VQ ἘΞ τὰ τὸ * wu. , 3 


Ἂς 


rn. Dan RZ Zu 2 3 


bac --——— A. —M 9 


Aktenſtuͤcke. 687 


Provinzialconeillen und Diöcefanfpnoben zu Halten, Dat 
die öfterreichifche Regierung niemals verboten. 

Umfoweniger wird fie jet Dinbernb entgegentreten, ba (te 
unter ben von den Kirchengefegen vorgefhriebeuen Bedingungen 
wieder abgehalten werben, 

Jedoch erwartet bie Regierung Seiner Majeftät, taf ihr 
vorher bie Beitimmungen, nach welchen fle einberufen werben 
follen, werben bekannt gegeben, und daß die auf denfelben bes 
ſchloſſenen Anordnungen, infofern fie äußere Wirkungen nad) 
fich ziehen, ober öffentlich funbgemadjt werden follen, den Re⸗ 
gierungsbehörven werden mitgetheilt werben. 

Die verfammelten Bifchäfe haben in ihrer Zuſchrift vom 
16. Sunt v. 3. erklärt, baf wenn ble Lebensthätigkeit ber Kirche 
fid) fraftool( erneuern foll, jte auch in Betreff der Gerichte. 
barkeit wieder in Uebung ihres Mechtes eintreten müſſe. 

Die Regierung Seiner Majeftät geht von dem Grunbfage 
aus, daß, gemäß $. 2 des Allechöchften Patentes vom 4. März 
1849, über Firchliche Angelegenheiten von den kirchlichen Bes 
hörden, unb nach Maßgabe ber firdjengefege zu entſcheiden ſei. 

Die hochwürdigſten Bifchöfe deuten jedoch felbft auf bie 
Nothwendigkeit Din, Einleltungen zu treffen, um über einige 
wichtige Punkte der geiftlichen Gerichtsordnung nähere Beſtim⸗ 
mungen zu erzielen, nachdem bie Entwidlung des Gewohnheits⸗ 
rechted in ihren Diöcefen durch vieljährige Unterbrechung der 
geiftlichen Gerichtsbarkeit gehemmt wurde. 

Die Oteglerung darf Π ber Erwartung Hingeben, bag 
diefe Einleitungen fo [πεῖ ald e8 bie Natur der Sache ge - 
flattet, werben getroffen und deren Grgebnijje ihr mitgetheilt 
werden. 

PVorläufig mug fie jedoch für den Ball, bag die geiftliche 
Behörde eine Unterflügung von Gelte ber Gtaatügewalt anfpricht, 
fij vorbehalten, in die Yinterfuchungsacten Einflcht zu nedmen 
unb fich bie Meberzeugung zu verichaffen, bag ber Vorgang den 
Kicchengefeßen, auf welche e8 babet allein anfómmt, vollkom⸗ 
menb entfprechend fe. Demgemäß find über die geiftliche Ges 
richtsbarkeit durch bie $$. 3 bi8 5 der Allerhoͤchſten Verordnung 
vom 18. I. M. nachftehenne Beflimmungen getroffen worden: 

„Die Geſetze und Verordnungen, welche der Kirchengemwalt 
verwehrten, Kicchenftrafen, die auf bürgerliche Mechte Teine 
Rückwirkung üben, zu verhängen, werben außer Kraft ge[egt. " 


688 Aktenſtücke. 


„Der geiſtlichen Gewalt ſteht das Recht zu, Sete, welche 
die Kirchenaͤmter nicht der übernommenen Verpflichtung gemäß 
verwalten, in ber Durch das Kirchengefe beflimmten Form zu 
fufpenbiren ober abzufehen, und (fe ber mit bem Amte ver 
bundenen Einkünfte verluftig zu erklären. ^ 

„Zur Durchführung des Erkenntniffes fann die Mitwir⸗ 
tung bet Staatöbehörden in Anfpruch genommen werben, wenn 
denfelben der ordnungsmaͤßige Vorgang der geiftlichen Behörde 
durch Mittheilung der Unterfuchungsacten nachgewiefen wird. * 

Die verfanmelten Bifchöfe haben im Gelfte der Kirche, 
welche (le vertreten, es ausgeſprochen, daß geiftlicher Aemter 
und Pfründen nur Solche würdig íepen, welche geeignet find, 
wie in jeder chriftlichen Tugend, fo aud) in Erfüllung ber 
Pflichten gegen die bürgerliche Obrigkeit ber. chriftlichen Ge. 
meinbe mit Wort und Beifptel vorzuleuchten. 

Die Regierung Seiner Majeftät vertraut darauf, Daß jeder 
Vorſteher der Eatholtfchen Kirche diefen Grundſatz ſowohl bel 
Candidaten von geiftlichen Aemtern, als auch bei ſchon ange 
ftellten Geiftlichen durchführen und ble Hand bieten werde, um 
Geiftliche, welche ihren Heiligen Wirkungskreis auf eine bem 
Staate gefährliche Weiſe mißbrauchen, unſchadlich zu machen. 

Durch jede Abweichung von diefer Hegel geriethe ble Staats⸗ 
gewalt in eine traurige Colliſton zwiſchen ber Pflicht, die ihr 
als Gütern der Orbnung obliegt, und ihrem Wunfche, fogat 
den Schein εἰπε Eingriffes in kirchliche Mechte zu vermeiden. 

In der Hoffnung, daß es, wenn folche traurige Kalle fid) 
ereignen, ſtets möglich fein verbe, im Einverflänbniffe mit bem 
betreffenden Bifchofe vorzugehen, haben Seine Mafeftät mit a. D. 
Entſchließung vom 18. 1. M. anjuorbnen gerubt, bag, wenn 
ein Geiftlicher feine Stellung und die ihm: in derſelben für 
tirchliche Zwecke zuftchenden Befugniffe zu anderen Sweden. in 
ber Art mißbraucht, baf feine Entfernung vom Amte fid) der 
Otegterung als nothwendig darſtellt, die weltlichen Behörben 
ſich deshalb vorerft an feinen Tirchlichen Vorgefegten zu wenden 
fa6en. Es werden zu dem Ende die geeigneten Welfungen an 
die Behörden erlaffen werben. Andererſeits entfpricht es bet 
Gerechtigkeit, daß, wofern eim Geiftlicher vom ben weltlichen 
Berichten wegen Verbrechen oder Vergeben verurtbeilt wird, ber 
Biſchof In bie Möglichkelt verfeßt werde, zum Behufe bet Ver⸗ 
hangung einer geiſtlichen Strafe ſowohl ber Thatbeſtand ale 








Aktenftüce. 689 


auch die Schufpbarkeit des Verbrechens felbftflännig zu beur⸗ 
theilen. Daß der Bifchof zu bem Ende vor Vollzug bet Strafe 
von ber Verurtheilung in Kenntniß gefeßt verbe, ift bereits 
durch bie beſtehenden Gefepe angeordnet. Auch bie Mittheilung 
der Acten ijt fdjon biäher nicht verweigert worden. Seine Ma⸗ 
jeftät haben jedoch nunmehr anjuorbnen gerubt, baf ben Ges 
richten ausprüdlich zur Pflicht gemacht werde, in folchen Fällen 
ble Acten dem Bifchofe auf fein Verlangen mitzuteilen. 

In der Seiner Majeflät zuftehenden Ernennung der Bi⸗ 
fchöfe erfennen Allerhoͤchſtdieſelben ein von Ihren erlauchten Vor⸗ 
fahren überfommenes8 Recht, welches Ste gemiffenBaft zum Selle 
und zum Wrommen ber Kirche und be8 Reiches auszuüben ges 
benfen. Um bet ber Ausmahl ber Perfon das Befte der Kirche 
zu wahren, werben Seine Majeflät, mie ble8 auch bisher in 
Hebung war, fidj flet8 geneigt finden, bei SBefegung von Bis⸗ 
thümern ben Rath von Bifchöfen, und namentlich von Bifchöfen 
der &irdenprooin;, in welcher das Bisthum erledigt ift, zu 
hören. Seine Mafeftät haben Allerhächft Ihre Regierung beauf⸗ 
tragt, den hochwürdigſten Bifchöfen diefe Erklärung zu ihrer 
Beruhigung zu erthellen, und zugleich angeorbnet, über bie 
Form, in welcher bie landesfürftlichen Otedjte in Betreff ber 
fBefegung geiftlicher Aemter und Würden künftig geübt werben 
ſollen, eine Verhandlung einzuleiten. Infofern εδ΄ erforberlich 

ift, wird hierüber das Einvernehmen mit dem päpftlichen Stuble 
herbeigeführt werben. 

Diefem Einvernehmen bleibt auch die Otegelung des Ein- 
flufies vorbehalten, welcher der Regierung Seiner Majeftät ge» 
wahrt werden muß, um von geiftlichen Aemtern und Pfründen, 
zu welchen nicht Seine Mafeflät ernennt, Männer ferne zu 
halten, deren Wirkfamkeit der bürgerlichen Ordnung Gefahr 
brobt. 

Der kaiſerlichen Regierung kann e8 nur willkommen fein, 
wenn bie Bedingungen zur Crlangung einer Domberrnftelle, 
durch welche man dem Verdienſte und der Erfahrung den ges 
Pübrenben Vorzug zu fichern- firebte, die Tirchliche Anerkennung 
erhalten. Sie (feft der baldigen Mittheilung entgegen, daß 
dies geſchehen jet. 

Daß bei Verleihung von Aemtern und Würden nur Bes 
fählgung unb Verdienſt in Anfchlag gebracht werden bürfe, ift 
ein Grunbíag, an weldjem bie Regierung Seiner Majeftät flets 


6% Altenſtücke. 


feſthalten wird. Die verſammelten Biſchoͤfe haben für nothwen⸗ 
dig erkannt, daß auch im kirchlichen Bereiche jede Abweichung 
von dieſer Regel ausgeſchloſſen werde, und beſchloſſen dahin 
zu wirken, daß das Erforderniß adeliger Geburt, welches noch 
für mehrere Domherrnſtellen beſteht, in ſo weit die in der 
Stiftung geſetzten und angenommenen Bedingungen es zulaſſen, 
aufgehoben, und das Inſtitut der Domicellar⸗Domherrn dem 
Erloͤſchen entgegengeführt werde. 

Die Regierung Seiner Majeſtaͤt zollt ihren vollen Beifall; 
fle wünfcht, daß bie dazu nötbigen Einleitungen fobald als 
möglich getroffen werben, und wird benfelben, in fo weit fie 
dabei mitzuwirken Bat, bie Eräftigfte Unterftlügung gewähren. 
Daffelbe gilt Hinfichtlich ber Beſtimmungen, weldje die verſam⸗ 
melten Bifchöfe bei den Wahlen der Erzbifchöfe von Salzburg 
und Olmütz eingeführt zu fehen wünfchten. 

Die Wünfche ber Bifchöfe In Betreff ber Betheiligung der 
Geiſtlichen an ber von allen Staatsbürgern zu tragenden aft 
der Borfpanngleiftung unb Militär-Einquartirung, dann Hin 
πε ὦ der Befreiung der Candidaten des geiftlichen Standes 
von ber Milttärpflicht werden gerechte Würbigung finden. 

Die 9teglerung Seiner Majeſtaͤt weiß, welche hohe Bes 
deutung bie fittlich religiöfe Bildung für bie Gefellfchaft Habe, 
und wird bie Rechte, welche der Kirche In dieſer Beziehung 
zuftehen, ftet8. ehren und fchügen. Sie erkennt es ald Grund⸗ 
fag an, bag Niemand an irgend einer für Katholiken bes 
flimmten Unterrichtsanftalt als Lehrer ber Religion ober ber 
theologtfchen Wiffenfchaft wirken fónne, ohne Diegu von bem 
Bifchofe, in beffem Diöcefe die Anftalt fid) befindet, bie Gr» 
mächtigung erhalten zu haben unb bag ed dem Bifchofe jeder⸗ 
zeit frei flee, dieſe Ermächtigung wieder zurüczuziehen. Nur 
verfteht e8 (id) von ſelbſt, bag dies nicht Hinreichen kann, einen 
von ber Meglerung angeftellten Lehrer des ihm gefeßlich zufte- 
henden Anfpruches auf einen Ruhegehalt ohne weitere Verhand⸗ 
fung verluftig zu machen. 

Die verfammelten Bifchöfe Haben in ber. Zufchrift vom 
15. Juni erklärt, baf die Heranbildung der Candidaten des 
geiftlichen Standes, und hiemit fowohl der Unterricht in ber 
Theologie, als die Einrichtung und Leitung der geifllichen Ges 
minarien unläugbar in ben Bereich ber Tirchlichen Gewalt gehöre. 

Was die geiftlichen Seminarien betrifft, fo haben bie ver» 


Atınflüde. 691 


fommelten Biſchofe ſelbſt anerkannt, bag bie Staatögewalt in 
dieſer Hinſicht ble Kirche bisher nicht beirrt, fondern vielmehr 
durch ihre Verordnungen unterflüßt Habe. 
Auch in, Zukunft wird Fein Bifchof gehindert fein, bae 
geiftliche Seminartum nad) Vorfchrift ber Kirchengefege zu fetten. 
Die Errihtung von Knabenfeminarien kann inner ben 
Örenzen, welche $. 3. der allgemeinen Bürgerrechte vorzeichnet, 
keinem Anftande unterliegen. : 
Ueber ben Unterricht in ben "theologifchen Wiffenfchaften 
dat bie biſchöfliche Verfammlung Beſchlüſſe gefaßt, welche fid) 
nicht nur auf die DidcefansLehranftalten, fonbern auch auf die an 
den Untverfitäten beftehenden Facultaͤten der Theologie beziehen. 
Ber Berückſichtigung berfefben muß die Faiferliche Regie⸗ 
tung zwiſchen bem theologiſchen Didcefan- und Klofterlehran« 
flalten und bem theologifchen Facultaätsſtudium unterfcheiden. 
Infofern die mitgetheilten DBefchlüffe die Diöcefan» und 
Klofterlehranftalten betreffen, erklärt das Miniftertum fete volle 
Belftimmung, und ἐδ hätte bei Seiner Majeftät fogleich die 
Auflaffung ber bisherigen, biefe Gegenflánbe berüfrenben An⸗ 
ordnungen beantragt, wenn ed bafür Bürgfchaft Hätte, daß 
diefe Befchlüffe von ben Hochmwürbigften Biſchöfen, welche fte 
gefaßt Haben, für eine fie unb ihre Nachfolger verpflichtenbe 
Nichtfehnur angefehen würden. 
Es Tiegt nicht in der Abficht des Miniſteriums, hinſicht⸗ 
[ijj ber Einrichtung der theologifchen Didcefan- und Kloftere 
leranftaltem für ben Staat eine die Beſtimmungen des $. 3 
des Alterhöchften Batentes vom 4. März 1849 überfchreitenve 
geſetzgebende Macht In Anſpruch zu nehmen. | 
Doch einerfeitd (ff e& nicht wünfchenswerth, daß bent eite 
zelnen Bifchofe in dieſer Beziehung ein unbefchränkter Spielraum 
gelafien werde; andererfelts hält das Miniſterium die Staatd- 
gewalt allerdings für berechtigt, in bie bießfälligen Anord⸗ 
rungen ber geiftlichen Gewalt, bevor fie in S'Birffamfett treten, 
Einficht zu nehmen, und fowohl ihre Wünfche auszudrüden, 
als aud) auf etwa "obwaltende Schwierigkeiten aufmerfíam zu 
machen. Abgefehen davon, daß ber Religtondfond, aus welchem 
ble Diöcefanlehranftalten erhalten werden, bebeutender Zufchüfie 
aus dem Staatövermögen bedarf, muß εδ aud) von ber Ein- 
richtung ber Dideefan- und Klofterlehranftalten abhängen, in 
wie fem der an denfelben erhaltene Unterricht für die Befähl« 
Weol. Duartalſchrift. 1850. IV. Heft. 45 


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Berselarzit -up-utr meer iunm rhe Bp Βα degernmy 


füm;. ur rjr Sie dur rum durolenide πεῖ; iagedue, τας: 








Altenſtuͤcke. 693 


Dideeſanlehranſtalt Habe, über welche er inner den Graͤnzen, 
welche durch bie Beſchlüſſe der bifchöflichen Verfammlung ober 
durch bie beſtehenden Einrichtungen gezogen werden, frei ver» 
fügen fune. ^ Zu wünfchen bliebe nur, daß feine Wahl ftet8 
auf Männer falle, welche bie noͤthigen Eigenfchaften befiken, 
um von der Regierung zugleich als Profefioren an der theo⸗ 
Iogifchen Facultaͤt angeftellt zu werben. Um die Eirchliche Gel» 
tung der theologifchen Doctorswürde ficher zu ftellen, erfcheint- 
εὖ zweckmaͤßig, daß ber Biſchof die Hälfte ber Prüfungs-Coms 
mifläre ernenne, und daß Jeder, welcher zu dieſer akademiſchen 
Würde befördert wird, das tridentinifche Glaubensbekenntniß 
abzulegen Dat. 

Seine Majeftät haben ble Grundfäge, nach welchen ba8 Mi⸗ 
nifterium bie Einrichtung der theologifchen Studien beurtheilt, 
gutgebeigen , und bie sub B *) beiliegende allerhoͤchſte Ver⸗ 
ordnung vom 23. [. M. enthält hierüber nachftehende Bes 
flimmungen: 

„Niemand ἔαππ an niederen ober höheren öffentlichen Lehre 
änftalten als fatholifcher Religionslehrer oder Profeffor ver 
Theologie wirken, ohne die Ermächtigung Dieu von bem Bi⸗ 
fchofe erhalten zu haben, in deſſen Diöcefe ſich bie Anftalt 
befindet. * 

„Der Biſchof fanm die Iemanden eriBel[te Ermächtigung 
jeverzeit wieder entziehen ; bie bloße Entziehung dieſer Ermäch- 
tigung macht jebod) einen oon ber Negierung angeftellten Lehrer 
nicht des Ihm gefehlich zuſtehenden Anſpruches auf einen Ruhe⸗ 
gehalt verluftig. ^ 

„Männer, woeldje vom Biſchofe die Ermächtigung zum 
Vortrage der Theologie erhalten haben, an den theologiſchen 
Facultaͤten zu Profeſſoren zu ernennen, oder als Privatdozenten 
zuzulaſſen, bleibt der Regierung vorbehalten.“ 

„Sie verwalten Ihr Lehramt nad) Maßgabe der akade⸗ 
mifchen Geſetze.“ 

„Dem Bifchofe ſteht es frei, feinen Alumnen die Vor⸗ 
träge, welche ffe an der Uniberfitát zu befuchen haben, unb 
deren Reihenfolge vorzuzeichnen, und (ie darüber in feinem 
Seminarium prüfen zu laffen. ^ 

„Zu den firengen Prüfungen der Ganbibaten der theolo⸗ 


*) Gite oben lit. B. | 
45 * 





694 Atenſtucke. 


giſchen Doctorswurde ernennt der Biſchof bie Hälfte der Prüs 
fungs-Gommiffäre aus Männern, welche felbft den theokogifchen 
Doetorögrad erlangt haben. " 

ν G8 fann Niemand diefe Würde erlangen, der nicht vor 
bem Bifchofe dad triventinifche Glaubensbelenntniß abgelegt Dat. " 

Zugleich haben Seine Majeflät anzuorbnen geruht, daß 
die volíflánbige Durchführung der Beichlüffe, welche bie vers 
fammelten Bifchöfe über die Einrichtung der theologifchen Dioͤ⸗ 
ceſan⸗ und Klofterlehranftalten gefaßt haben, fein Qinbernig 
finde; unter dem Vorbehalte, bag Feine Abänderung ohne mit 
der Megierung gepflogene Nüdfpradye werde verfügt werben; 
daß aber, wo unb infoweit Diöcefan» und Klofterlehranftalten 
biefe Befchlüffe nicht zur Nichtfchnur nehmen, nad) den bishe⸗ 


rigen Beflimmungen vorzugehen ſei. 


Auch Haben Seine Majeftät genehmigt, daß, wo in Zu⸗ 
kunft eine theologiſche Facultaͤt beſtehen wird, zugleich eine 
Diöcefananftalt eingerichtet werde, welche ber Bifchof unter ben 
angegebenen Bedingungen leite. 

Die Berbefierung ber Gehalte, welche bie verfammelten 
Bifchöfe für bie Profefforen ber DiöcefansLehranftalten beantragt 
haben, ift unftreitig wünfchenswerth; doch kann fie gleich allen 
Beränderungen, mit welchen eine DBermehrung der Ausgaben 
verbunden wäre, erft bann. in nähere Erwägung gezogen werben, 
wenn bie Verhandlungen über den Meligiondfond gefchlofien 
fegn werden. Was ben von den hochwürbigften Bifchöfen aus⸗ 
gebrüdten Wunſch anbelangt, bag zu Wien eine höhere kirch⸗ 
liche Bildungsanftalt unter dem leitenden Ginffuffe der Bifchöfe 
beftebe, fo unterliegt es feinem. Zweifel, bag eine folche Anftalt 
bei einer zwedimäßigen Einrichtung [εὖτ Deiljam zu wirken vet» 
möge. Ja (le iff unter den gegenwärtigen Berhältuiffen ein 
bringenbered SBebürfnig ala bisher, weil bie ber Kirche ges 
währte größere Freiheit ba8 fBebürfnig nah Prieftern fteigert, 
welche mit gründlicher Vorbildung für ihre beſonderen Berufs« 
zweige eine allgemeine wiffenfchaftliche Ausbildung verbinden. 
Nachdem die Leitung einer folchen Anftalt als einer rein kirch⸗ 
lichen den Bifchöfen zufteht, fo fieht bie Negierung Seiner Mas 
jeftät baldigen Vorfchlägen der hochwürdigſten Bifchöfe in biefes 
wichtigen Angelegenheit entgegen. 

3n Betreff der mittleren Schulen haben bie. verfammelten 
Biſchoͤfe ben Wunfch ausgefprochen, bag ihnen überlafien werbe, 








Aktenſtlicke. 695 


an denfelben die Neligtondlehrer unter denfelben Bedingungen 
zu beftellen, unter welchen für den Bifchof bie Anftellung tet 
Profeſſoren ber Theologie beantragt wurde. Das Minifterium 
muß vorerft darauf aufmerffam machen, bag in Folge bet 
Neugeftaltung dieſer Lehranftalten aud) der an denſelben mite 
kende Religlonslehrer eine veränderte Stellung einnehmen wird. 
Menn berfefbe hinter den übrigen Gnmnaflallehrern an Bildung 
und Kenntniffen zurüdflünde, fo würde dieß ibm in ber Ach» 
tung ber Schüler (djaben, und. daher auf den Erfolg, feiner 
Borträge nuchtheilig einwirken. Darum ijt zu wünfchen, baf 
kein Priefter als Religionslehrer an ben. Gymnaſten angeftelft 
werbe, welcher fid) nicht gleich andern Bewerbern um ein Gym⸗ 
naftallehramt über feine allgemeine Bildung ausgewieſen habe. 
Aus demfelben Grunde ift e8 zweiimäßig, bag ber Religions⸗ 
lehrer ebenfo, wie dieß oon andern Gymnaſtallehrern verlangt 
wird, fählg fet, wenigſtens aus zwei verwandten Bächern Uns 
terricht zu ertheilen; fein Einfluß und fen Anfehen wird da⸗ 
dutch gewahrt werden. Doch aud) eine andere Ruͤckſicht weifet 
Sarauf Dim. Da die vollftändigen Gymnaſien Fünftig aus acht 
Jahrgaͤngen beſtehen, und der Religionslehrer zu Haltung bet 
fomes und fefttäglichen Erbauungsreden verpflichtet bleibt, fo 
ft es nicht wohl möglich, daß für bie vollſtaͤndigen Gymnaſien 
ein einziger Meligionslehrer ausreiche. Wenn aber deren amet 
(ber Eine für das Ober, ber Andere für ba8 Untergymnaflum) 
angeftellt werden, fo find (le weniger als alle anderen Gym⸗ 
nnaftallehrer befchäftigt, und koͤnnen daher um fo leichter zu⸗ 
gleich fur den Vortrag eines ihrem Berufäftudium nabeftegenben 
Gegenſtandes verwendet werden. Wenn der Neligionslehrer au» 
gleich auch ein anderes Lehramt verwalten, wenn er ferner auf 
bte Leitung des Gymnaſiums gleich den übrigen Lehrern Einfluß 
nehmen foll, fo muß feine Anftellung Demjenigen vorbehalten 
bleiben, welcher bie Anftalt erhält, und die Verantwortung 
für den Suftanb derſelben trägt; fle muß daher an Gtaat&» 
gymnaſten der Regierung zuftehen. | 
Sm Bereiche der kirchlichen Autorität Tiegt es aber, bie 
Befähtgung, in ber Neltgton Unterricht zu geben, zu beurtheilen, 
und die Ermächtigung dazu zu verleihen. Auch verkennt die 
kaiſerliche Megierung nicht, wie febr εδ für den Zwei des Re⸗ 
Tigiondunterrichtes wünfchenswerth ſey, bag Der, welder ihn 
ertheilt, bat volle Vertrauen feines Biſchofes befige. Allein e8 


696 Altenſtucke. 


wird, wenigſtens in der naͤchſten Zukunft, nicht ſelten der Fall 
eintreten, bag ber Biſchof einen Mann, welcher mit voller Be- 
fábigung zum Religionslehrer aud) bie von bem Gymnaſial⸗ 
lehramte geforberte Bildung verbindet, nicht zu finden vermag. 
In Erwägung biefer Umftände Dat ba8 Minifterium die aller 
höchfte Genehmigung erlangt, den Neligtonsunterricht in. nad? 
ſtehender Welfe zu ordnen: 

Wenn an einem Stantsgymnaflum die Stelle eines katho⸗ 
Tifchen Religionslehrers erledigt ift, fo wird nach ben von den 
verfammelten Bifchöfen angetragenen Beflimmungen eine Gon- 
curéprüfung abgehalten und ber geeignetfte Bewerber der gam» 
desfchulbehörde von bem Bifchofe unter Mitthellung der Prü- 
fungdarbeiten nambaft gemacht. Wofern wider ben Bezeichneten 
fein volitiſches Bedenken obwaltet, foll von dem Borfchlage 
des Bifchofes in ber Regel nicht abgewichen werben; nur für 
ausnahmsweiſe Verhältniffe muß es ber Regierung vorbehalten 
bleiben, einen anderen von dem Biſchofe als befähigt anerkannten 
Priefter zu. wählen. Die Eigenfchaft, in welcher ber von bem 
Bifchofe Bezeichnete angeftellt wird, hängt aber von feiner fone 
fligen Befähigung ab. Hat er ὦ der für die Gymnaſlallehr⸗ 
amtésGanbibaten vorgefchriebenen Prüfung mit gutem Exfolge 
unterzogen, fo wird er ald wirklicher Gymnaſtallehrer, bat ec 
fid) biefer Prüfung gar nicht ober mit unentfprechendem Erfolge 
unterzogen, fo wird er nut ald Supplent angeftellt. An ben 
übrigen mittleren Schulen, welche Stantdanftalten find, wird bie 
Anftellung der Religtonslehrer in berfelben Weife vor fid) geben. 

Die verfammelten Bifchöfe haben ben Wunfch ausgedrückt, 
dag aud) an den philofophifchen Facultaͤten ble katholiſche Re⸗ 
ligton in entſprechender Weiſe vertreten und die Beſetzung ber 
dort zu errichtenden ober vielmehr beizubehaltennen Lehrkanzel 
dem Bifchofe überlaffen metbe. 

Die Regierung Seiner Mafeftät erkennt, daß in einer Zeit, 
mo aud) bie Wifjenfchaften ‚nicht felten eine ber Religlon feind- 
[tdje Richtung genommen haben, bie Tatholifche Kirche fid) ind 
befondere berufen fühlen muß, auch an der philoſophlſchen fa» 
eultät bie Sache des. Ehriftenthums zu führen, feinen Zufam- 
menfang mit den wahrhaften. Errungenfchaften der Wiffenfchaft 
nachzumweljen und Mißverfländniffe und Vorurtheile zu berichtigen. 

Durch Die freiere Einrichtung des Univerſitaͤtsſtudiums, 
welche das Lehramt nicht zum ausſchließenden Nechte angeftellter 








Aktenftüce, 697 


Profefforen macht, ift zwar ohnehin Gelegenheit geboten, ihre 
Anfchauungsweife wifjenfchaftlich geltend zu machen. Indeſſen 
ſteht zu beforgen, daß e8 ber Kirche nicht Leicht möglich feyn 
werde, bleje Gelegenheit zu benügen, wenn nicht für ben Uns 
terhalt be8 dazu auserlefenen Mannes geforgt würde. Anderer⸗ 
feitö fann der Zweck, welchen die hochwürdigſten Bifchöfe im 
Auge haben, nur dann erreicht werden, wenn ein Mann von 
ganz audgezeichneter Befählgung für dieſe Lehrvorträge verfügbar 
ft. So febr e8 daher auch für wünfchenswerth erkannt wird, 
folche Männer an yphilofophifchen Facultäten wirken zu fehen, 
fo erſcheint es bod) nicht bem Zwecke entfprechend, dafür eigene 
Lehrkanzeln förmlich zu ſyſtemiſiren; bod) wenn ber Bifchof 
einen Dann bezeichnet, welcher vorzüglich befähigt ift, ble chrift« 
Tide lMebergeugung auf dem Gebiete der Wifjenfchaft zu bere 
treten, fo tft das Miniftertum ermächtiget, vemfelben, wenn 
wider ihn fein andermweites Bedenken obwaltet, einen angemefjenen 
Gehalt anzuweiſen. 

Da bie Univerfitäten der Länder, um deren Firchliche Ver⸗ 
haͤltniſſe es ὦ handelt, fünmtlich für eine weit übermiegend 
katholiſche Bevolkerung beftimmt find, fo foll an denfelben, in 
fo weit dieß nicht fdjon ber Fall tft, ein Prediger angeftef(t 
und bie Auswahl beffefóen bem Bifchofe überlaſſen werben. 
Ohne Zweifel wird ble Auswahl ftet8 in jenem Geifte gefchehen, 
in welchem die verfammelten Bifchöfe erklärt Haben: bem Bis 
fdjofe werde es Pflicht fein, bleB Amt einem Priefter zu über» 
tragen, welcher mit gründlichen Kenntniſſen audgezeichnete Ned» 
nergaben verbindet, und in jeder Hinſicht befähigt ift, auf 
Jüͤnglinge einen wohlthätigen und nachhaltigen Einfluß zu üben. 

Das Recht, ben Meltgionsunterricht in den Fatholifchen 
Volksſchulen zu Beforgen, ift der Kirche durch $. 4 des aller- 
hochſten Patentes vom 4. März 1849 verbürgt worden. Die 
Regierung Seiner Majeftät iff von der llebergeugung durch⸗ 
brungen, daß biefer Unterricht, um wirkſam zu fein, unb ben 
in der Volksſchule vorherrfchennen Zweck der Erziehung zu 
fördern, nicht von dem andermeitigen Unterrichte getrennt, und 
dag die Schule nicht zum Kampfplage entgegengefeßter Lebens⸗ 
anfchauungen werden darf. Dagegen erkennen die hocdhmür- 
bigften Bifchöfe das Recht und ba8 Intereffe an, welches aud) 
der Staat Dat, leltenb und übermadjenb auf die Volksſchulen 
einzuwirken, unb (fe finden bie Anfprüche, welche Kirche und 





698 Altınftlde. 


Staat auf bie Schulm machen, in der bisherigen Schulver⸗ 
faffung billig berücfichtiget. Die Regierung Seiner Majsfät 
fühlt ble Verpflichtung auch auf bem Gebiete der Volksſchule 
Verbefferungen anzuftreben. Der innige Zufammenhang, in 
welchem das Volksfchulwefen mit anderen Inftitutionen fleht, bie 
in gänzlicher Umgeftaltung begriffen find, macht ed jedoch noth- 
wendig, die Megelung dieſes Gegenftandes, in fo fern eà fid 
dabei um theilmeife Aenderung der bisherigen Einrichtung han⸗ 
delt, noch ber weiteren Verhandlung vorzubehalten. Die Re 
gierung Seiner Majeftät beabflchtiget aber dabei Feinedwegs, ben 
Einfluß, welchen die Kirche auf die Volksſchulen bisher geübt 


Dat, zu befchränfen ober zu beeinträchtigen. 


In Betreff ber Pfarreoncuräprüfung muß die Faiferliche 
Otegierung fi) auf denfelben Standpunkt ftellen, wie In Betreff 
der theologifchen Diöcefans und Klofterlehranftalten. Sie nimmt 
feine gefeßgebende Macht in Anſpruch, fie muß aber verlangen, 
daß In den darüber beftehbenden Anorbnungen nichts ohne mit 
ibt gepflogene Nüdfprache geändert merde. Die Beichlüffe, 
welche bie verfammelten Bifchöfe über bie SDfarrconcuréprüfung 
gefaßt haben, enthalten nichts, wogegen bie Regierung Ein» 
Sprache erheben müßte; vielmehr genügen fte jedem Intervefle, 
welches der Staat an ber Einrichtung diefer Prüfung haben 
fann. Seine Majeftät haben daher anzuorbnen gerubt, daß 
bie vollftändige . Durchführung dverfelben fein. Hinderniß finde, 
unter dem Vorbehalte, bag an ber getroffenen Einrichtung 
nicht8 ohne mit der Oteglerung gepflogene Ruͤckſprache geändert 
werde; daß aber, wo und inſoweit als biefe Beichlüffe nicht 
zur Richtfchnur genommen werben, bei der Pfarrconcuräprüfung 
nach den bisherigen Anordnungen vorzugehen fei. 

Das Recht der Fatholifchen Kirche, ben Gotteóblenft und 
alles darauf Bezügliche inner den Gränzen der allgemeinen 
Stantögefege felbfiftändig anguorbnen, ift durch $. 2 der Girunbs 
rechte unzweideutig anerfannt. Allerdings tft εὖ für bie Re 
gierung von Wichtigkeit, daß dieſes Mecht Immer und überall 
mit ber mwünfchendwerthen DVorficht gehandhabt werde; umſo⸗ 
mehr, ba die Verfammlungen, welche bie Ausübung eines ge» 
feglich geftatteten Cultus zum ausfchließlichen Zwecke haben, von 
den gefeglichen Befchränfungen des DBerfammlungsrechtes ent» 
bunden find. Auch Hat bie Staatsgewalt unftreitig wie das 
Recht fo bie Pflicht, Furſorge zu tragen, baf nicht unter bem 


Altenſtuce. 899 
Vorwande getteöbienftlicher Handlungen bie Ruhe geſtoͤrt, ober 
bte Sicherheit gefährdet werde, und die Talferliche Regierung 
mug fij vorbehalten, zu. biefem Zwecke gefegliche Beſtimmungen 
zu erlafien. Uber bie verfanmelten Bifchdfe haben ausgefprochen, 
daß fie e8 ſich zur Pflicht machen, Alles, was att der beſtehen⸗ 
den Gottesdienſtordnung zweckmaͤßig und heilſam ft, forgfam 
aufrecht zu Halten, und daß feine Abänderung ohne Zuſtim⸗ 
mung ber Provinzialfonode gemacht werben folle; fle haben 
auögefprochen, baf fle in ber veränderten Stellung der Gefeh- 
gebung eine doppelte Aufforderung finden,. jeder willfürlichen 
Neuerung und jedem Mißbrauche, welcher fid) beim Gottesdienſte 
einfihleichen fóunte, mit unermüblicher Thätigkett zu begegnen. 
Auch dieſen Befchlüffen fehlt e8 zwar an einer allgemein und 
bleibend bindenvden Kraft. Gleichwohl nimmt die Regierung 
feinen Anftand zu erklären, daß (8 jedem Bifchofe frei ſtehe, 
den Gotteóblenft In feiner Didcefe im Sinne ber von den vere 
fammelten Bifchöfen gefagten Beſchlüſſe zu orbnen und zu leiten. 

Die verfammelten Bifchöfe Haben in der Sufdjrift vom 
16. Sunt v. 3. das Anfuchen geftellt, bie Regierung Seiner 
Majeftät wolle ber Beier be8 Sontags unb ber wenigen fatfos 
liſchen Feſttage Ihren Schug nicht entziehen, und wie bisher 
Alles, was bie Heiligung diefer Tage ftórt, ferne halten. Das 
Miniftertum erkennt die Nachtheile und Störungen, weldje zu 
beforgen flünden, wenn biefer Gegenftanb dem Bereiche polizels 
licher Aufficht gänzlich entzogen würde. 

Die eigenthümlichen Verhältniffe einzelner Kronländer bieten’ 
aber Schwierigkeiten, welche e8 nothwendig machen, bie defi⸗ 
nitive Regelung dieſes Gegenftandes einem fpätern Seitpuntte 
vorzubehalten.  Inzwifchen werben jeboch zufolge allerhöchfter 
Entſchließung vom 18. J. M. bie Behörden angewiefen werben, 
auf Grundlage ber beflehenden Gefege darüber zu machen, baf 
an Orten, wo bie Eatholifche Bevölkerung bie Mehrzahl Kilvet, 
die Weler ber Sonn- und Fefttage nicht durch geräufchvolle Ar⸗ 
beiten ober durch öffentlichen Handelsbetrieb geflört werde. 

Da bie Zahl ber Fatholifchen Feſttage für Die öfterreichifchen 
Länder auf Grundlage eines zmifchen bem päpftlichen Stuhle 
und bem Landedfürften gepflogenen Cinvernehmens feftgeftellt 
wurde, fo ergibt fid) daraus von felbft, bag eine Vermehrung 
derfelben ohne Zuftimmung ber Regierung nicht eintreten fónne. 

Die Hochmwürbigften Bifchöfe werden In dieſen Mitthellungen 


100 ὶ Attenftüde, 


eine Bürgfchaft finden, bag εδ der kaiſerlichen Regierung Ernſt 
ii, den Rechten der Tatholifchen Kirche ben. gegebenen Zuſiche⸗ 
zungen gemäß volle Geltung zu gewähren, unb bie Vorſteher 
berfelben in. den Stand zu fehen, zur Belebung höherer Ins 
terefien und Beftrebungen ihre volle Wirkfamfeit zu entwideln. 
Die Gegenfldnbe, über welche bie Verhandlung nod) nicht been⸗ 
digt ifl, werben mit möglichfier Befchleunigung der Entſcheidung 
entgegengeführt werben. 











Inhaltsverzeichniß 


des 


zweiunddreißigſten Jahrgangs der theologiſchen Quartalſchrift. 


I. Abhandlungen. 


Die Verwerfung des ὁμοούσιος zu Antiochien. Frohſ ——— 

Die Ketzertaufe. Zweiter Artikel. Mattes... — ὦ 

Kritik der Oiſchinger'ſchen Principien der ſpeculativen Teinitätee 
Ichre. Zweiter Artikel. Sufvigl. . . 

Die germanifchen und romanifchen Bölter in ihrem Berhältniffe 
zur Kirche Gam& . 2 0 2 2 ren. 

Ehrenrettung des Dionyſius Betavins und der Fatholifchen Auf⸗ 
faffung bet Dogmengeſchichte Kuhn. . . 2». 2... 

Nachklänge der Lehre vom Primat bei beu Neftorianern unb Monos 
phufiten des Driente. Denzinger.  . 2 2: .. . . 

Erklärung von Gen. 4, 3—7. Krüger. 

Ueber bie scientia media und ihre Verwendung für bie Lehre von 
der Gnade unb Wreibeit. Schwan. . .. . ... 

Sut $omiletif. Mal. . . . .. .. . . 


IL Recenfionen. 


Amberger, SBaftorait&eologie. Bendel. ee 
Bähring, Thomas von Kempen. Oefelt. - ©... 
Beidtel, bie kirchlichen Zuftände in Oeſtreich Qefele .. 
Brandes, P. Carl, bet.sBapft ale Fürſt des Kirchenftaate. Drey. 
Buß, der Kampf der Kirche gegen den Staat. Hefele. 
Caſpari, über ben forifchsephraimitifchen Krieg unter ἜΝ 
unb Ahas. Welte . . 
Dentinger, ble ältern Matrikeln des Bisthume Freyſing Dre v. 
Diemer, deutsche gedichte. des XI: und XII. jahrhunderts. 
Aufgefunden im regulierten chorherrnstifte zu Vorau in 
der Steiermark . . . . . vv . . . . s. s. s s 


Seite 


702 Inhalt. 


Seite 
Dieringer, Dogmatik, zweite Aufl. Drey. 576 
Dupanloup, bie weltliche Souverainetaͤt des Papfies Orey 167 
Feßler, über die Provincial- und Diöceſanſynoden. Drey. 460 
Foörſter, Predigten, Homilien unb Umblick jIac. Bendel.. 632 
Gärtner, kath. Kirchenthum in Predigten. Bendel. 632 
Güntner, Hermeneutica biblica generalis. Welte.. 609 

Höfliger, bie chriftliche ibd unb i en zum Staate. 
Hefele . . . 624 
$ungati, Mufterprebigten. Bend e 631 
Ketteler, Predigten. Bendel. 633 

Kirche und Staat (n Bayern unter bem Minifer Abel in 
feinen Nachfolgern. Wrig. . . . £43» wa AM 
Martin, Lehrbuch ber Moral. Zukrigl. "n 294 

fone, Inteinifche unb griechiſche Meſſen ans dem. weiten bi⸗ 
fechäten. Sahrhundert. Denzinger . . - . . 900 
Steanber, Autignoſtikus, Beil des. Zertulltaume. Sefele. 334 
Ridel, .Berilopen. Bendel. . . get erga 631 
8 egeften der fchweizerifchen Klöſter und Richen. — 135 
Keinke, Weiſſagung Safobe. . Welte. 0... 48 
Schmid, hiſtoriſcher Katechiemue. Fri. . - à 150 
Gi tul, die Trennung der Schule von der Kirche. Seftle. 624 
Staudenmater, ble Firdilide Aufgabe ber Gegenwart. 139 
. — . 0. . ble Grundfragen der uus e ele. . 580 
Zoczek, homiletiſch⸗ Achrenlefe . "12 : : 632 

..... . IM Aktenflüce. 

. Í. Vertrag bet ‚öftreichifchen Miniſters Grafen Thun über bit 

mit den Fatholifchen Bifchöfen wegen Regelung ber Firchlichen 
Angelegenheiten gepflogenen Verhandlungen. 661 

‘2 Kaiferlihe. Verordnung vom 18. April 1850, betreffend - 
Verhaͤltniß ber faib. Kirche zur Gitaatégemalt. . . .-. 680 

.8, Kaiferliche Verordnung vom 23. April 1850, betreffend bus 
Derbältniß der Kirche zum öffentlichen Unterrichte. . . 688 

4. Eröffnung bes f. t ee an ble — v. 30. Mei 
1849. . . . 684 


IV. : — — 
Nr. 1. 2. S u. 4 am Ende jedes Heften. 


Literarifchber Anzeiger 
Nr. 4. | 


QNUEUUUSEDUPEMNCMOC TU EMMRGNMEEM IM ICTU MER πο τ! 

Die bier angezeigten Schriften findet man in ber $. Laupp'ſchen 

Buchhandlung (Saupp & Siebech) in Tübingen vorräthig, fo 
wie alle Erfcheinungen ber neueften Literatur. 


Sn ber Wohler'ſchen Buchhandlung in Ulm if erſchienen 
und überall zu haben: 


Handbuch der Pafloral-Medizin 
: für ; x 
Seelforger auf bem Laube. 
Bearbeitet mit befonderer Rüdfiht auf bie in ten ſüddeutſchen 
Staaten geltenden Sanitäts:Gefege und SSerorbnungen von 
Dr. Fr. X. Brißger, kath. Pfarrer. 
Mit einem Borwort von Profeffor Dr. von Otett in Münden. - 
19 Bogen in groß Dftav. Preis 2 fl. ober 1-Thl. 6 Nor. 
(Bei Abnahme von 10 Eremplaren das 11te gratis und 
bei größeren Parthieen noch mwohlfeiler.) 
Das Werk ift in einer Recenfion in biefer Zeitfehrift (1849. . 


4 Heft.) febr gelobt und möchte aud) als $anbbud) in ben Se⸗ 
minarien zu empfehlen fein! — 


Im Berlage der Wagner'ſchen Buchhandlung in Innsbrud 
ift fo eben erſchienen: 


HERMENEUTICA 


BIBLICA GENERALIS. 
AUCTORE 
JOSEPH KOHLGRUBER, 


S. S. Theologiae Doctore, studii biblici N. F. in Universitate Grae- * 

censi ac Vindobonensi C. R. Professore emerito, ecclesiae Metropo- 

litanae ad S. Stephanum Canonico Capitulari, Consiliario ecclesiastico 
Viennensi atque Brixensi. 


1850. 8. maj. brochirt. 2 fl. CM. oder fl. 2. 24 kr. 


Diefes Werk dürfte vorzüglich deshalb Beachtung verbienen, weil 
ber Verfaſſer fid) befirebt hat, für die Auslegung der heiligen Schrift - 
mit den allgemeinen Geſetzen, melde bei der Erklaͤrung eines jeden 
Buches Geltung haben, die befondern Vorfchriften, welche von der 
högern Stellung berfelben und ihrem innigen Berhältniffe zu ber Lehre 
und bem Lchramte ber Fatholifchen Kirche gefordert werben, in wiffens . 
ſchaftliche Verbindung zu bringen. We 24 








ὶ 2 


Aübingen, Im H. Laupp’ichen Verlage (faupp ἃ Bicheh) 
it foeben erfhienen und in allen Buch⸗ uud Mufſikalienhand⸗ 
lungen zu haben: 


Harmonie= und Sompofitionslehre, 
furz und populär bargeftelit 
von 


Sriedrich Silcher, 
Lehrer und Director ber Stuff an der Univerfität Tübingen. 


121,4 Bog. gr. 8. broch. Sir. 1. — fl. 1. 36 fr. 


Ein — au zum Selbfunterrigt — für Freunde unb Lehrer 
ber Wtufif, Organiſten etc. burdaus praltifh gehaltenes, ebenfo 
feines befcheidenen Sreife8 wegen aud für Unbemittelte zugäng: 
lied Wert, das nad bem Urtheile Gadjoerftánbiger gründlige 
Bollſtändigkeit mit mogtidfler Kürze verbindet. Es enthält 
. nit nut die ganze Harmonielepre in Berbindung mit bem 2, 3 
unb 4 fiimmigen Gabe, wobei der Schüler überall felbfithatig 
vom Leichteren jum Schwereren fortfchreitet, fondern auch bie Lehre 
vom muftlalifchen Periodenbau und ber Diebulationdotonung, ferner 
das Wiflenswertpefle in Betreff der Harmonifirung bes neurren 
Chorals, der alten Kirchentonarten, fomite des chythmifchen Chorals, 
ntbff einem Anhang über 9tadabmung in ber Stuff, über den 
Canon, ven doppelten Contrapuntt unb die Zuge, mit vielen Sti 
fpielen aus den Haffifhen Werfen eines Händel, €eb. und Phil 
Em. Bad, Braun, Haydn, Mozart, Beethoven, Mendel 
ſohn etc. unb fo glauben wir, daß ein ſolches Buch feiner weiteren 
Empfehlung von unferer Seite bebarf. 


Ausgewählter Nachlaß 
Sof eb Balder ER 


Stadipfarrer in Munderkingen, mehrjährigem Schulinfpector, und 
‚Director des Wilhelmoſtifts in Tübingen. 


Mit Halder’s Portrait. 
38 Bog. gr. 8. broch. fl. 3. 48 fr. Subir. 2. 8 Agr. 


Diefer Nachlaß des beliebten homiletifhen Schriftſtellers ent. 
pält eine Reihe audsgefudter Previgten, Gelegenheit 
reden und verſchiedene wiſſenſchaftliche Aufläbe theologifhen Inhalte. 
Ein 9efrofog des Serewigten if vieſen vorangefiellt und hoffen 
wir den — Freunden und Abnehmern der früheren 
Predigtwerke, die größtentheils in neuer Auflage Won 
mit diefem ausgewählten Nachlaffe eine milltommene Erſchei⸗ 
nung au bieten. . 


— 





8 
Geſchichte 


der 


europãiſchen Nevolutionen 


ſeit der Reformation. 
Don 


- Dr. Sofe ehr 
Privatdocent ber mu yb Be Tübingen. 


24!/, Bogen. gr. 8. brofd). Preis ἢ. 2. 36 fr. Rthlr. 1. 18 9tgr. 


. Su feiner Zeit dürfte eine Gefchichte der eutopáifdben Nevo⸗ 
Intionen von größerem Sntereffe fein als in der gegenwärtigen. Durch 
ein genaues Studium berfelten könnte Volk und Regiernng es dahin 
bringen, ben Nupen einer Revolution fid) zu eigen zu madjen, ohne 
ihre berben Uebel tragen zu müflen. Das Buch dürfte daher nádjft bem 
hiſtoriſchen Inhalte auch barum intereffant fein, weil bie ‚parallelen Gv 
fheinungen jeder Otevolution darin zufammengeftellt find, und es fo 
muthmaßlich gemacht wird, wie die Bewegung unferer Tage verlanfen 
werde. Dabei geht der Berfafler bei feiner Geſchichtsauffaſſung vom 
ſpecifiſch chriſtlichen Standpunfte ‚aus. 

Der ecfte Band enthält bie Geſchichte der engliſchen Revolu⸗ 
tion, ber zweite, meldet bie Preffe bemnád)ft verlaffen wird, die 
d f ranjófifd)en in ihren Folgen auf bie widtigften europälfchen 

taaten. 


. Ausgang und Biel 


ὦ εἴ ὦ ἱ ὦ ἐ ε. 


| Dr. Bonif. Gams, 
Profefſor an bem Bifhöflihen Seminar zu Hildesheim. 


281}, Bogen. gr. 8. brofch. Preis fl. 2. 54 fv, Rthlr. 1. 22 Ngr. 


Diefe Schrift Hat fid) bie Aufgabe geſtellt, bie Geſchichte auf das 
Chriſtenthum GREEN, oder zu zeigen, daß ohne Chriſtus und fein 
Merk in ber Welt e& weder eine — gäbe, nod) ohne ihn die 
wirkliche Gefchichte genügend verftanben und erflärt werden fónne, — Auf 
die genenwärtige Lage der Dinge ift überall 9tüdfidt genommen. Der 
Berfaffer hat — neben anderem — in biefer Schrift befonders zu zeigen 
gefitfjt, in welchem Zufammenhange die Hriftliche Freiheit mit der poli; 
fifden Freiheit Rebe; daß bie erftere der letztern nidjt nur nicht im 
Wege fondern die einzige Bürgfchaft fel, bag bie bürgerliche Freiheit 
nicht früher ober fpäter in fid ſelbſt untergebe. 

Der zweite Theil gibt eine Ueberſicht bor Weligeſchichte, fiet aber 


4. 


in feinem nothwendigen Sufammenhange mit bem erflen ober allgemeinen 
Theile. 9tamentiid) macht er Feinen'Anfpruch daranf, bie nähere Aus 
führung desjenigen zu fein, was der exfle Theil in feinen allgemeinern 
Umriffen gezeigt hat. Gine ſolche Geſchichte vom chriſtlichen Stand» 
puntte hätte unmöglich anf fo engem Raum sufammengebrängt werben 
fönnen. Durch die Beifügung biefes gebrángten Abriffes der Gefchichte 
dürfte den Wünſchen mandjer Leſer entfprochen werden. 


Im Berlage der QV. X. Promperger'ſchen Buchhandlung in 
Bozen ift erfchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


Wandle vor Gott! Ein vollftändiges Gebet 
unb Andahtsbudh für bie driftfatbolifde 
Jugend, wie aud) für Erwachſene finbliden 

. Gemiütbee. Mit 1 Ctabijt. Mit Bewilligung des 
body. Orbinar. Brixen ἃ Grient. 12. 15 fr. — 5 Rear. 


Im Verlage der @berer’schen Buchhandlung in Salzburg 
erschienen : T 


Universalgeschichte 
der 


christlichen Kirche. 


Zunächst zum Gebrauche bei academischen Vorle- 
subgen auf deutschen theologischen Lehranstalten. 





Mnemenisch bearbeitet von 
Dr. Joh. Georg Honifaz Huber. 
5 Bog. 8. broeh. Preis fl. — 48 kr. 


Intereffante 9teuigfeit ! 


Bei Gebrüder Carl und Nikolaus Benziger in Ein 
fiedeln in der Schweiz ift erfhienen und in allen foliden Buß 
bandlungen vorräthig: 


Das große Wunder unferer Zeit ober das heilige Maria: 
bild zu Nimini in Italien, , verberriichet durch öftere Be 
wegung der Augen, durch große Belehrungen und Heilungen. 
Nah authentifhen Quellen erjáplt. Wit der getreuen 
Abbildung bed wunderbaren Bildniffes Mariä 
zu Rimini ín Italien. 12, gefeftet 3 9ügr. oder 9 Kr. 

Das wunderbare Mariabild zu Stimini verehrt unter 
bemzZitel„Mutterder Barmherzigkeit“. Bierfeitiges 
Gebetbild. per Bund von 100 Städ ſchwarz fi. 2. — Zhlr. 1. 
6.95. gemalt f£. 3. — xir. 2.. 





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in feinem notwendigen Zuſammenhange mit bem erſten ober allgemeinen 
Theile. Namentlih macht er keinen Anſpruch daranf, die nähere Auss 
führung besjenigen zu fein, was der erite Theil in feinen allgemeinern 
Umriffen gezeigt hat. Gine fole Geſchichte vom chriſtlichen Stand» 
punkte hätte uumágíid) auf fo engem Maum zuſammengedrängt werben 
fönnen. Durch die Beifügung biefes gebrángten Abriffes der Gefchichte 
dürfte den Wünfchen mancher Leſer entfprochen werben. 


Sm Berloge der QV. X. Prom (hen Buchhandlung in 
Bozen ift erfchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 
Wandle vor Gott! Ein vollftändiges Gebet 

und Andachtsbuch für bie diriftfatbolifde 
Jugend, wie aud) für Crmadjfene finbliden 
Gemüthes Mit 1 Stahlſt. Mit Bewilligung δε 
body. Orbinar. Srizen & Grient. 12. 15 fr. — 5 Nr. 


Im Verlage der @perer’schen Buchhandlung in Balzb 
ist — x nd 


Universalgeschichte 
der 


christlichen Kirche 


Zunächst zum Gebrauche bei academischen Vorle- 
sungen auf deutschen theologischen Lehranstalten. 








Mnemonisch bearbeitet von 
Dr. Joh. Georg Honifaz Huber. 
5 Bog. 8. broeh. Preis fl. — 49 kr. 


Interefiante Reuigkeit 


Bei Gebrüder Carl unb Rikolaus Benziger in Ein 
fiedeln in der Schweiz ift erfiienen und in allen foliben Sud: 
Handlungen vorräthig: 


Das grofe Wunder unferer Zeit ober das heilige Mariar 
bild zu Nimini in Sytaliem , verherrlichet durch öftere Ber 
wegung ber Augen, durch große Bekehrungen unb Heilungen. 
Nah autfentiíden Quellen erzäplt. Mit der getreucn 
Koulldung des wunderbaren Bildniffes Mariä 
zu Rimini in Italien. 12. geheftet 3 9ügr. oder 9 Kr. 

Das wunderbare Mariabild zu Stimini verehrt unter 
bemXitel„Mutterder Barmherzigkeit“. Bierfeitiges 
Gebetbilb. per Bund von 100 Stüd fhwarz fl. 2. — Zhlr. 1. 
86.95. gemalt f£. ἃ, — Mir. 2. 





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