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Full text of "Die theorie der parallellinien von Euklid bis auf Gauss; eine urkundensammlung zur vorgeschichte der nichteuklidischen geometrie"

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UNIVERSITY  OF  CALIFORNIA 
AT   LOS  ANGELES 


DIE  THEORIE 

DER 

PARALLELLINIEN 

A^ON   EUKLID    BIS   AUF    GAUSS, 

EINE  URKÜNDENSAMMLÜNG 
ZUR  VORGESCHICHTE  DER  NICHTEUKLIDISCHEN  GEOMETRIE, 

IN   GEMEINSCHAFT 

MIT 

FRIEDRICH   ENGEL 

HERAUSGEGEBEN 
VON 

PAUL   STÄCKEL. 


MIT    145    FIGUREN    IM   TEXT    UND    DER    NACHBILDUNG 
EINE8   BRIEFES    VON  GAUSS. 


LEIPZIG, 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  B.  G.  TEUBNER. 

1895. 


ALLE  KECHTE, 
EINSCHLIESSLICH  DES   ÜBERSETZUNGSEECHTS,  VORBEHALTEN. 


Engineering  & 
Mflthematical 
Sciences 
Q,  /\  Library 

511  t. 


Vorwort. 


Fast    dreifsig    Jahre    sind    vergangen,    seitdem    durch    die    Ver- 
öffentlichung   von    Riemanus    Probevorlesung    und    durch    das    Er- 
^     scheinen  von  Helm  hol  tz'  Abhandlung,    Über  die  Thatsaclim,  die  der 
^     Geometrie    zu   Grunde  liegen   das  Raumproblem    und   damit    auch    die 
^     Parallelenfrage  Gegenstand  eines  allgemeinen  und  nachhaltigen  Interesses 
^     seworden  ist.    Uno-efähr  um  dieselbe  Zeit  wurde  bekannt,  dafs  Gaufs 
"^     schon  sehr  früh  die  Möglichkeit  und  die  Berechtigung  einer  Geometrie 
erkannt  hatte,  die  vom  Parallelenaxiome  unabhängig  ist,  und  es  wurden 
die  Schriften  von  Lobatschefskij  und  Bolyai,  in  denen  diese  Geo- 
metrie ihre  systematische  Entwickelung  gefunden  hatte,  der  Vergessen- 
heit entrissen. 

Gaufs,    Lobatschefskij    und  Bolyai  galten   nunmehr  als   die 
Schöpfer   der  nichteuklidischen  Geometrie,    deren  weitere  Ausbildung 
I      und  tiefere  Begründung  von  Riemann   und  Helmholtz    angebahnt 
a  o   worden  war. 

CD  Es  mufste  daher  ein  gewisses  Aufsehen  erregen,  als  im  Jahre  1889 

Herr  Beltrami  darauf  hinwies,  dafs  bereits  1733  ein  italienischer 
Jesuit,  Girolamo  Saccheri,  bei  dem  Versuche,  die  fünfte  Forderung 
Euklids  zu  beweisen,  zu  einer  Reihe  von  Sätzen  gelangt  war,  die 
man  bis  dahin  Lobatschefskij  und  Bolyai  zugeschrieben  hatte. 
Indes,  so  merkwürdig  diese  Entdeckung  auch  war,  eine  so  verein- 
zelte Erscheinung  konnte  doch  nur  den  Wert  einer  Kuriosität  haben. 
Allerdings  kam  mir  schon  damals  der  Gedanke,  ob  nicht  vielleicht 
Saccheris  Euclides  ah  omni  naevo  vindicatus  als  ein  Glied  in  der  Kette 
einer  geschichtlichen  Eutwickelung  anzusehen  sei,  sodafs  also  das 
Grundgesetz  der  Stetigkeit  auch  bei  der  Entstehung  der  uichteuklidi- 
schen  Geometrie  seine  Geltung  behalten  habe.  Aber  erst  einige  Jahre 
später  zeigte  mir  ein  glücklicher  Zufall,  dafs  meine  Vermutung  ge- 
rechtfertigt gewesen  war. 

Untersuchungen    über    die    ältere   Geschichte    der    Flächentheorie 
waren  die  Veranlassung,  dafs  ich   im   Januar  1893   eine   der  ältesten 

a* 

319160 


IV  Vorwort. 

mathematischen  Zeitschriften  in  die  Hand  nahm,  das  wenig  bekannte 
Magazin  für  die  reine  und  angewandte  Mathematih ,  das  J.  Beruoulli 
und  C.  F.  Hindenburg  von  1786  bis  1789  herausgegeben  haben. 
In  dem  ersten  Jahrgange  erregte  eine  Theorie  der  FaralleUinien  von 
duhann  Heinrich  Lambert  meine  Aufmerksamkeit,  und  die  genauere 
Prüfung  führte  zn  dem  überraschenden  Ergebnis,  dafs  Lambert  als 
ein  bisher  übersehener  Vorgänger  von  Gaufs,  Lobatschefskij  und 
Bolyai  anzusehen  sei. 

Hierdurch  ermutigt,  begami  ich  die  Eutwickelung  der  Paralleleu- 
theorie  genauer  zu  studieren,  und  da  auch  meine  weiteren  Nach- 
forschungen von  Erfolg  begleitet  waren,  konnte  ich  im  Januar  1894 
den  Plan  fassen,  von  den  älteren  Arbeiten  über  die  Parallelentheorie 
die  wichtigsten,  die  von  Euklid,  Wallis,  Saccheri,  Lambert  und 
Gaufs  neu  herauszugeben  und  diese  Urhiiulen  durch  einen  verbinden- 
den Text  zu  einer  Vorgescliiclde  der  nichteiddidischen  Geometrie  zu  ver- 
einigen. Während  der  Drucklegung  des  Buches  kam  eine  wesentliche 
Ergänzung  hinzu:  es  gelang  mir.  Genaueres  über  die  Untersuchungen 
von  Schweikart  zu  ermitteln,  und  dabei  stellte  sich  heraus,  dafs  ein 
Neöe  Schweikarts,  ein  gewisser  Taurinus,  schon  1826,  demnach 
früher  als  Lobatschefskij  und  Bolyai,  eine  nichteuMidische  Trigo- 
nometrie durch  den  Druck  veröffentlicht  hatte. 

Von  der  Entdeckung  der  Lambertschen  Abhandlung  hatte  ich 
bereits  im  Februar  1893  meinem  Fremide  Friedrich  Engel  in  Leipzig 
Mitteilung  gemacht,  der  ihre  Wichtigkeit  sogleich  zu  würdigen  wufste, 
und  durch  seine  Vermittelung  war  Lambert  in  der  Vorrede  zu 
dem  dritten  Bande  von  Lie's  Theorie  der  Transformationsgruppen 
(Leipzig  1893,  S.  X — XI)  erwähnt  worden.  Jetzt  gelang  es  mir, 
Engel  zum  Mitarbeiter  bei  der  Durchführung  meines  Planes  zu  ge- 
winnen. In  gemeinsamer  Arbeit  sind  so  die  Übersetzungen  aus 
Euklid,  Wallis,  Saccheri  und  Taurinus  entstanden,  die  hier 
mitgeteilt  werden.  Dagegen  übernahm  ich  die  Beschaffung  und  Sich- 
tung des  geschichtlichen  Materials  sowie  die  Zusammenstellung  des 
Litteraturverzeichnisses.  Ebenso  bearbeitete  ich  zu  den  einzelnen  Ab- 
schnitten die  Einleitungen,  deren  endgültige  Fassung  dann  von  uns 
beiden  in  regem  mündlichen  und  schriftlichen  Gedankenaustausche  fest- 
gestellt wurde. 

Das  Vorhergehende  dürfte  schon  deutlich  zeigen,  was,  vom 
mathematisch-historischen  Standpunkte  aus  betrachtet,  dieses  Buch  be- 
zweckt. Es  soU  nicht  eine  Geschichte  der  Parallelentheorie  sein;  an 
ein   so   weitschichtisfes   Unternehmen,   bei    dem    allein   die    Sammlung 


Vorwort.  V 

und  Durcharbeitung  der  Litteratur  viele  Jahre  kosten  würde,  haben 
wir  uns  nicht  gewagt.  Nur  einen  Beitrag  dazu  wollen  Engel 
und  ich  geben,  indem  wir  die  älteren  Untersuchungen  über  die  Pa- 
rallelentheorie darauf  hin  betrachten,  in  wie  weit  sie  für  die  nicht- 
euklidische  Geometrie  von  Bedeutung  sind.  Wir  sind  uns  freilich  wohl 
bewufst,  dafs  auch  unter  dieser  Beschränkung  von  uns  nichts  Ab- 
geschlossenes gegeben  wird.  Haben  meine  systematisch  beti-iebenen 
Nachforschungen,  denen  eine  Reihe  glücklicher  Zufälle  zu  Hilfe  kam, 
ein  unerwartet  günstiges  Ergebnis  gehabt,  so  bleibt  doch  in  der  Vor- 
geschichte der  nichteuklidischen  Geometrie  vieles  in  Dunkel  gehüllt; 
insbesondere  ist  der  Abschnitt  über  Carl  Friedrich  Gaufs,  nicht  durch 
unsre  Schuld,  recht  dürftig  ausgefallen. 

Für  nicht  weniger  wesentlich  halten  wir  einen  zweiten  Gesichts- 
punkt, von  dem  aus  wir  unser  Buch  betrachtet  zu  sehen  wünschen. 

Wenn  immer  mehr  anerkannt  wird,  in  wie  hohem  Mafse  ü'erade 
bei  den  feinsten  Untersuchungen  der  neuereu  Mathematik  das  tiefere 
Verständnis  durch  die  geschichtlich«  Betrachtungsweise  gefördert 
wird,  so  trifft  das  ganz  besonders  bei  der  uichteuklidischen  Geometrie 
zu.  Wir  sind  überzeugt,  dafs  das  Eindringen  in  diese  beim  ersten 
Anblick  so  paradoxen,  dem  gesunden  Menschenverstände  scheinbar  so 
widerstrebenden  Gedankeubildungen  durch  nichts  mehr  erleichtert 
wird,  als  wenn  man  ihrer  geschichtlichen  Entwickeluns-  nachgeht, 
wenn  man  verfolgt,  wie  die  Emancipation  von  Euklid  durch  jahr- 
hundertelange Arbeit  vorbereitet  wird,  und  wie  sich  dann  die  neuen 
Ideen  mit  unwiderstehlicher  Gewalt  fast  gleichzeitig  an  räumlich  weit 
entfernten  Orten  Europas  Bahn  brechen. 

In  engem  Zusammenhange  hiermit  steht  ein  weiterer  Zweck,  dem 
unser  Buch  dienen  soll. 

Wer  sich  über  das  Wesen  der  nichteuklidischen  Geometrie  Klar- 
heit verschaffen  wollte,  befand  sich  bisher  in  einer  recht  schwierio-en 
Lage:  fast  alle  Arbeiten  über  diesen  Gegenstand  setzen  erhebliche 
Vorkenntnisse  auf  deu  verschiedensten  Gebieten  der  neueren  Mathe- 
matik voraus,  und  da,  wo  die  Anforderungen  in  dieser  Beziehung 
geringer  siud,  wie  bei  Lobatschefskij  und  bei  Bolyai,  erschwert 
die  Art  der  Darstellung  das  Verständnis. 

Unter  diesen  Umstäuden  dürfte  unser  Buch  namentlich  denen  will- 
kommen sein,  die  in  den  Gedankenkreis  der  uichteuklidischen  Geo- 
metrie einzudringen  gewillt  sind,  denn  die  Abhandlungen  von  Wallis, 
Saccheri  und  Lambert  sind  einem  jeden  verständlich,  der  über  die 
elementarsten  Vorkenntnisse  verfügt,  und,  Avas  die  Darstellung  betrifft, 
so  zeichnet  sich  Saccheris  E^ididcs    ah  omni  naevo  rindicatus   durch 


VI  Vorwort. 

oine  wahrhaft  klassische  Vollendung  aus,  während  bei  [Lamberts 
Tlicorir  dar  FaraUclliniai,  einem  tief  eindringenden  Versuche  dieses 
scliarfsinuigen  Denkers  sich  über  die  Parallelenfrage  Rechenschaft  zu 
geben,  die  Frische  und  Natürlichkeit  der  Ausdrucksweise  an  Leon- 
hiird  Euler  erinnert.  Gröfsere  Anforderungen  an  den  Leser  stellt 
Taurinus;  hier  ist  zum  vollen  Verständnis  die  Bekamitschaft  mit 
den  Elementen  der  höheren  Analysis  erforderlich. 

Haben  wir  uns  bis  jetzt  an  die  Matlieniatilier  gewendet,  so  möchten 
wir  doch  auch  die  Fhüosoplien  auf  unser  Buch  aufmerksam  machen, 
denn  die  Parallelentheorie  steht  mit  verschiedenen  philosophischen 
Grundproblemen  in  enger  Verbindung,  streift  doch,  wie  Gaufs  sich  aus- 
drückt, der  FrcKjexmnld  iinmittelhar  an  die  3IetcipJajsiJc.  Freilich  haben 
wir  darauf  verzichtet,  in  diesem  Buche,  das  zunächst  für  mathema- 
tische Leser  bestimmt  ist,  auf  den  oft  recht  nahe  liegenden  Zusammen- 
hang der  Untersuchungen  über  Parallelentheoiie  mit  den  philosophi- 
schen Fragen  ihrer  Zeit  einzugehen.  Immerhin  glauben  wir,  dafs 
imser  Buch  dem  Philosophen  mancherlei  Ain'eguug  zu  weiteren  Unter- 
suchungen bietet,  und  möchten  in  dieser  Hinsicht  etwa  auf  die  Be- 
ziehungen zu  dem  Probleme  des  Unendlichen  hinweisen,  sowie  den 
unverkennbaren  Einflufs  der  Kantischen  Philosophie  (Kritik  der  reinen 
Vernunft  1781)  auf  das  Wiedererwachen  des  Interesses  für  die  Grund- 
lagen der  Geometrie  und  damit  auch  für  die  Parallelentheorie  betonen. 

Schliefslich  müssen  wir  der  Unterstützung  gedenken,  die  uns  bei 
uusrer  Arbeit  von  verschiedenen  »Seiten  zu  teil  wurde.  Es  ist  uns 
nicht  möglich,  an  dieser  Stelle  allen  denen  namentlich  zu  danken,  die 
uns  durch  freundliche  Auskunft  auf  uusre  Anfragen,  durch  wertvolle 
geschichtliche  Mitteilungen,  durch  Überlassung  von  uns  sonst  unzu- 
gänglichen Büchern  verpflichtet  haben,  und  wir  müssen  uns  darauf 
beschränken,  hier  folgende  Herren  zu  nennen. 

Dem  Direktor  der  Biblioteca  Estense  in  Modena,  Herrn  A.  Forti, 
verdanken  wir  eine  Abschrift  von  Aufzeichnungen,  die  ein  Freund 
und  Ordensbruder  Saccheris  über  dessen  Leben  und  Werke  gemacht 
hat;  durch  diese  Aufzeichnungen  Averden  die  spärlichen  gedruckten 
Nachrichten  über  Saccheri,  die  wir  ermitteln  konnten,  wesentlich  er- 
gänzt. Herr  Pastor  A.  Fürer  in  Merseburg,  ein  Stiefbruder  des  Tau- 
rinus, hat  uns  zwei  Briefe  von  Schweikart  an  Taurinus,  sowie 
einen  Brief  von  Gaufs  an  Taurinus  zur  Veröffentlichung  überlassen. 
Er  hat  uns  auch  auf  die  Elementa  des  Taurinus  aufmerksam  ge- 
macht    die    bis   dahin   ganz   unbekannt   o-eblieben   waren.      Herr  Bau- 


Vorwort.  VII 

meister  Fr.  Schmidt  in  Budapest  stellte  uns  wichtige  Mitteilungen 
üher  die  beiden  Bolyai,  sowie  über  Schweikart  zur  Verfügung, 
Herr  Prof.  A.  Wassiljef  in  Kasan  solche  über  Lobatschefskij. 
Endlich  hat  Herr  Dr.  Wiegner  in  Leipzig  aus  reinem  Interesse  für 
die  Sache  sich  der  grofsen  Mühe  unterzogen,  für  den  Neudruck  eine 
genaue  Abschrift  von  Lamberts  Abhandlung  anzufertigen. 

An  der  Drucklegung  des  Werkes  haben  Engel  und  ich  in 
gleichem  Mafse  mitgewirkt.  Wir  liefsen  uns  dabei  von  den  Grund- 
Sätzen  leiten,  die  Engel  bei  der  Herausgabe  von  H.  Grafsmanns 
Gesammelten  mathematischen  und  physikalischen  Werken  befolgt.  Man 
findet  also  bei  den  Abhandlungen,  die  wir  mitteilen,  die  Seitenzahlen 
der  ursprünglichen  Ausgaben  am  Rande  angegeben.  Ebenso  sind 
unsre  Zusätze  im  Text  durch  Einschliefsen  in  eckige  Klammern 
kenntlich  gemacht  worden.  Die  ursprünglichen  Lesarten  von  Stellen, 
an  denen  eine  Änderung  des  Textes  notwendig  erschien,  findet  man 
jedes  Mal  am  Schlüsse  der  betreffenden  Abhandlung  zusammengestellt. 
Im  Hinzufügen  erläuternder  Anmerkungen  sind  wir  sparsam  gewesen. 
Es  wäre  freilich  leicht  gewesen,  an  vielen  Stellen  auf  Grund  der  Ein- 
sichten, die  man  den  neueren  Untersuchungen  über  die  nichteuklidische 
Geometrie  verdankt,  Kritik  zu  üben;  uns  schien  jedoch,  dafs  solche 
Bemerkungen,  wenn  sie  nicht  sehr  ausführlich  sind,  den  Anfänger  nur 
verwirren  können,  während  sie  für  den  Kenner  überflüssig  sind.  Da- 
gegen haben  wir  uns  nach  Kräften  bemüht,  dem  Leser  das  Zurecht- 
finden in  dem  Buche  zu  erleichtern,  und  hoffen,  dafs  die  ausführlichen 
Angaben  an  den  Köpfen  der  Seiten  sowie  das  Autorenverzeichnis  am 
Ende  des  Buches  als  zweckmäfsig  anerkannt  werden. 

Herrn  Dr.  A.  Gutzmer  in  Berlin  sind  wir  für  seine  freundliche 
Beihilfe  bei  der  Korrektur  zu  Dank  verpflichtet. 

Wir  können  nicht  schliefsen,  ohne  der  Verlagsbuchhandlung 
B.  G.  Teubner  unsern  Dank  dafür  auszusprechen,  dafs  sie  alle  unsre 
Wünsche  in  Betreff  der  Ausstattung  des  Buches  aufs  bereitwilligste 
erfüllt  hat.  Besonderen  Wert  legen  wir  darauf,  dafs  wir  die  zahl- 
reichen Figuren  in  den  Text  aufnehmen  konnten,  obwohl  es  notwendig 
wurde,  einzelne  Figuren  drei,  ja  vier  Mal  zu  wiederholen;  ebenso 
freuen  wir  uns,  dafs  wir  dem  Buche  einen  bisher  unbekannten  Brief 
von  Gaufs  in  getreuer  Nachbildung  beigeben  können. 

Halle  a.  S.,  im  Juni  1895. 

Paul  Stäckel. 


Inhaltsyerzeicliiiis. 


Seite 

Vorwort III— Yll 

Euklid,  um  300  v.  Chr 1—14 

Einleitung  und  Littei-atur 3 —     ö 

Euklids  Elemente,  erstes  Buch,  Erkliirungen,  Forderungen, 

Grundsätze,  Satz  1—32 G —   14 


John  Wallis,   IGIC— 1703 15—  30 

Einleitung  und  Litteratur 17—  20 

Euklid  bei  den  Arabern 17 

Ältere  Euklidausgaben 17 —  IH 

Die  Parallelentheorie  in  Frankreich  (Ramus,  Desargues)     ...  18 

Die  Parallelentheorie  in  England  (Savile;  Wallis) 18^  ly 

Der  Beweisversuch  von  Wallis 19 

Litteratur      19—  i'd 

Beweis    der  fünften   Forderung   Euklids,     öffentlich    vor- 
getragen in  Oxford  am  Abend  des  11.  Juli  1CG3 21 —  30 

Girolamo  Saecheri,  1007 — 1733 31 — 130 

Einleitung  und  Litteratur 33 —  40 

Die  Parallelentheorie  in   Italien  (Borelli,   Giordano  da  Bitonto; 

Saecheri) 33—  34 

Saccheris  Leben 34—  35 

Seine  mathematischen  Schriften      35—36 

Saccheris  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus 36 —  39 

Litteratm'      40 

Euclides    ab    omni    naevo    vindicatu.s:    sive    conatus    geo- 
metricus    quo    stabiliuntur    prima    ipsa    universae    Geo- 

metriae  Principia.     Liber  1 41 — 135 

Vorwort  an  den  Leser 45 —  47 

Inhaltsverzeichnis 48 —  49 

Erstes  Buch,  erster  Teil,  Lehrsatz  I— XXXIII 50—122 

Des  ersten  Buches  zweiter  Teil,   Lehrsatz  XXXIV— XXXIX  ,    .  123-135 

Abweichungen  vom  Urtext 136 

Johann  Heinrich  Lambert,    1728—1777 137 — 208 

Einleitung  und  Litteratur 139 — 151 


Inlialtsverzeiclmis.  TX 

Poite 

Die  Piirallelentheorie  in  Deutschland  (Kaestner,  Kliigel;  Lambert)  VVJ  -141 

Die  Parallelentheorie  von  Lambert 141  —  148 

Lamberts  Nachlafs      148     150 

Litteratur      1«1 

Theorie  der  Parallellinien 152—207 

1)  Vorläufige  Betrachtungen.    §.  1—11 152— 1G2 

2)  Vortrag  einiger  Sätze,   die  für  sich  betrachtet  werden  können. 

§,  12—2(3 1G3— 17G 

3)  Theorie  der  Parallel-Linien.    §.  27—88 170—207 

Allgemeines  §.  27—39 176—180 

Erste  Hypothese  §.  40—51 180—185 

Zwote  Hypothese  §.  52—64 186—192 

Dritte  Hypothese  §.  65-88 192—207 

Abweichungen  vom  Original 208 

Carl  Friedrich  Gaufs,  1777—1855 209—236 

Einleitung  und  Litteratur 211 — 218 

Die  Parallelentheorie  in  Frankreich  (d'Alembert,  Fourier,  Lagrange, 

Laplace,  Legendre) 211 — 213 

Die  Parallelentheorie  in  Deutschland  (Seyffer,  Voit;  Gaufs)   .    .    213—215 

Die  bisher  bekannten  Äufserungen  von  Gaufs 215 — 217 

Litteratur      218 

L  Brief  von  Gaufs  an  W.  Bolyai,  Ende  1799 219 

II.  Eine  Besprechung  aus   den  Göttingischen  gelehrten  Anzeigen 

vom  20.  April  1816 220—223 

III.  Eine  Besprechung   aus  den  Göttingischen  gelehrten  Anzeigen 

vom  28.  October  1822 223—226 

IV.  Aus  Briefen  von  Gaufs  und  Bessel,  1829  und  1830 226—227 

V.  Aus  Briefen  von  Gaufs  und  Schumacher,  1831  und  1846    .    .   227—235 

Abweichungen  von  den  Originalabdrücken 236 

Ferdinand  Karl  Sehweikart,    1780—1857  und  Franz  Adolph  Tau- 

rinus,  1794—1874 237—286 

Einleitung  und  Litteratur ■ 239—254 

Allgemeines 239 — 240 

N.  Lobatschefskij      240—241 

W.  und  J.  Bolyai      , 241—243 

F.  K.  Sehweikart 243—246 

Gaufs  über  Sehweikart,  1819 246 

F.  A.  Taurinus 246—252 

Aus  der  Vorrede  zu  den  Elementa,  1826 247 — 248 

Gaufs  an  Taurinus,  1824 249—250 

Würdigung  von  Sehweikart  und  Taurinus 251 — 252 

Litteratur 253—254 

Stücke   aus    der  Theorie   der   Parallellinien  von  F.  A.  Tau- 
rinus, 1825 255—266 

Stücke  aus  den  Geometriae  prima  elementa  von  F.  A.  Tau- 
rinus,  1826 267—283 

Abweichungen  vom  Urtext  der  Elementa 284 — 286 


X  Inhaltsverzeichnis. 

Seito 

Verzeichnis    von  Schriften   über    die    Parallelentheorie,    die    bis 

zum  .lahic  1837  erschienen  .sind 287 — 31:^ 

KinloitunfT 289— 290 

Bibliographische  Quellen  in  chronologischer  Reihenfolge 291 — 292 

V^erzeichnis     der    Schriften    nach     den    Jahren    ihres    Er- 
scheinens        293 — 313 

Alphabetisches  Verzeichnis  der  Autoren  dieser  Schriften 314 — 31('. 

Nachträge  und  Berichtigungen 317  —  320 

Alphabetisches  Verzeichnis   der  im  Texte  besprochenen  oder  erwähnten 

Autoren 321—325 

Tafel  am  Ende  des  Buches:  Nachbildung  eines  Briefes  von  Gaufs  an  Taurinus 
vom  8.  November  1824. 


EUKLID 

UM    300    V.    CHR. 


Staolcel  u.  Engel,  Parallelentheorie 


Die  Geschichte  der  Parallelentheorie  beginnt  mit  den  Griechen 
oder  genauer  mit  Euklid,  denn  erst  die  Griechen  haben  die  Mathematik 
zu  dem  Range  einer  Wissenschaft  erhoben,  indem  sie  nicht  nur  den 
mathematischen  Kenntnissen,  die  ihnen  von  den  Ägyptern  überkommen 
waren,  viel  Neues  hinzufügten,  sondern  auch  vor  allem  das  mathe- 
matische Beweis  verfahren  in  seiner  vollen  Strenge  ausbildeten  und  die 
einzelnen  Sätze  zu  einem  zusammenhängenden  Ganzen  vereinigten. 
Euklids  Elemente  stellen  uns  das  endgültige  Ergebnis  dieser  jahr- 
hundertelangen Entwickelung  dar. 

Für  die  Parallelentheorie  kommt  nur  das  erste  Buch  der  Elemente 
in  Betracht.  Beim  ersten  Anblick  erscheint  es  als  eine  willkürliche 
Zusammenstellung  von  Lehrsätzen  und  Aufgaben,  aber  bei  tieferem 
Eindringen  zeigt  sich,  dafs  man  es  mit  einem  wohldurchdachten  Systeme 
zu  thun  hat.  Es  ist  kein  Zufall,  dafs  die  ersten  achtundzwanzig  Sätze 
von  der  fünften  Forderung,  dem  sogenannten  Parallelenaxiom,  durchaus 
unabhängig  sind,  und  dafs  dieses  erst  beim  Beweise  des  neunund- 
zwanzigsten Satzes  eintritt,  es  ist  kein  Zufall,  dafs  der  Aufsenwinkel 
des  Dreiecks  an  zwei  Stellen  behandelt  wird:  zuerst,  in  Satz  16,  wird 
nur  gezeigt,  dafs  er  gröfser  ist  als  jeder  der  beiden  ihm  gegenüber- 
liegenden inneren  Winkel,  und  erst  später,  in  Satz  32,  stellt  sich 
heraus,  dafs  der  Aufsenwinkel  der  Summe  jener  beiden  inneren  Winkel 
genau  gleich  ist. 

Diese  Anordnung  berechtigt  zu  dem  Schlüsse,  dafs  Euklid  die 
in  der  Parallelentheorie  verborgene  Schwierigkeit  sehr  wohl  durch- 
schaut hat. 

Als  Euklid  Sätze  beweisen  wollte,  welche  die  geometrische  An- 
schauung unmittelbar  liefert,  zum  Beispiel  das  Vorhandensein  von 
Rechtecken,  reichten  die  Grundsätze  und  Forderungen  nicht  mehr  aus, 
die  für  die  ersten  achtundzwanzig  Sätze  genügt  hatten;  er  führte  deshalb 
eine  neue  Forderung  ein,  seine  fünfte: 

Wenn  eine  Gerade  zwei  Gerade  trifft  und  mit  ihnen  auf  der- 
selben Seite  innere  Winkel  bildet,  die  zusammen  kleiner  sind  als 
zwei  Rechte,  so  sollen  die  beiden  Geraden,  ins  Unendliche  verlängert, 


4  Einleitung  zimi  ersten  Buche 

schliefslich  auf  der  Seite  zusammentreffen,  auf  der  die  Winkel  liegen, 
die  zusammen  kleiner  sind  als  zwei  Rechte. 

Es  gehörte  ein  gewisser  Mut  dazu,  eine  solche  Forderung  neben 
den  andern,  so  überaus  einfachen  Grundsätzen  und  Forderungen  aus- 
zusprechen, und  es  ist  daher  erklärlich,  dafs  man  schon  im  Altertum 
Versuche  machte,  ein  folgerichtiges  System  der  Geometrie  in  ein- 
facherer Weise  aufzubauen.  Über  diese  Versuche  hat  uns  Proklos  in 
seinem  Kommentar  zum  ersten  Buche  der  Euklidischen  Elemente  aus- 
führlich berichtet.  Er  machte  selbst  einen  Versuch,  indem  er  vorschlug, 
man  solle  Euklids  Erklärung  der  parallelen  Geraden  aufgeben  und  die 
beständisce  Gleichheit  des  Abstandes  als  charakteristisches  Merkmal  be- 
nutzen.  Freilich  hat  im  Altertum  keiner  dieser  Versuche,  die  im 
Grunde  die  fünfte  Forderung  nur  durch  eine  andere,  auch  nicht  ein- 
fachere ersetzen,  die  Euklidische  Darstellung  zu  verdrängen  vermocht. 

Wenn  wir  im  folgenden  das  erste  Buch  der  Elemente  bis  zum 
zweiunddreifsigsten  Satze  im  Auszuge  mitteilen,  so  geschieht  dies  nicht 
nur,  weil  die  ganze  weitere  Entwickelung  der  Parallelentheorie  auf 
dieser  Grundlage  beruht,  sondern  auch  aus  einem  äufseren  Grunde: 
die  älteren  Schriftsteller,  zum  Beispiel  Saccheri  und  Lambert,  setzten 
euklidfeste  Leser  voraus  und  durften  das,  man  kann  sie  daher  nicht 
lesen,  ohne  die  Elemente  oder  wenigstens  das  erste  Buch  zur  Hand 
zu  haben. 

Wir  hielten  es  für  das  Beste,  keine  der  älteren  Euklid-Über- 
setzungen zu  benutzen,  vielmehr  haben  wir  uns  möglichst  eng  an  den 
griechischen  Text  angeschlossen,  wie  er  in  Heibergs  neuer  aus- 
gezeichneter Ausgabe  vorliegt.  Das  ist  insofern  von  Bedeutung,  als 
gerade  beim  ersten  Buche  die  Überlieferung  des  Textes  schwankend 
ist.  Wir  folgen  Heiberg  auch  in  der  Beziehung,  dafs  wir  von  der 
fünften  Forderung,  nicht  vom  elften  Axiom,  sprechen,  und  dafs  wir 
diese  Forderung  nicht  für  einen  späteren  Zusatz  halten. 

Die  Beweise  der  Sätze  haben  wir  nur  dann  mitgeteilt,  wenn  sie 
entweder  von  den  gegenwärtig  üblichen  erheblich  abweichen,  oder  für 
das  Verständnis  der  Euklidischen  Parallelentheorie  unentbehrlich  sind. 
Mit  dem  zweiunddreifsigsten  Satze  brechen  wir  ab,  weil  die  folgenden 
Sätze  für  unseren  Zweck  nicht  in  Betracht  kommen,  wollen  aber  noch 
bemerken,  dafs  die  Entwickelungen  des  ersten  Buches  der  Elemente 
in  dem  pythagoreischen  Lehrsatze  (Satz  47  und  48)  ihren  Ziel- 
punkt haben. 


der  Elemente  Euklids. 


Litteratur. 


Cantor,  M. ,   Vorlesungen  über  Geschichte  der  Mathematik.    Bd.  I.    Zweite  Aufl. 

Leipzig  1893.     Kap.  12. 
Hankel,  H.,  Zur  Geschichte  der  Mathematik  im  Altertum  und  Mittelalter.  Leipzig 

1874. 
Ha  üb  er,  C.  F.,  Chrestomathia  geometrica.     Tübingen  1820. 
Heiberg,  J.  L.,  Euclidis  Elementa.    5  Bände.    Leipzig  1883 — 1888. 
Lindemann,  F.,   Vorlesungen  über  Geometrie.    Bd.  IL   T.  L  S.  540  —  558.    Leipzig 

1891. 
Mai  er,  L. ,  Proklos  über  die  Petita   und  Axiomata  bei  Euklid.    (Programm    des 

Gymnasiums  zu  Tübingen.    1875.) 
Proklos,  In  primiim  Euclidis  elementorum  lihrum  commentarii.    Ex  recognitione 

E.  Friedlein.    Leipzig  1863. 
Riccardi,  P.,  Saggio  di  una  bibliografia  euclidea.    (Memorie  della  R.  Accademia 

di  Bologna,  serie  4,  tomo  VIII,  1887,  S.  401—523;  tomo  IX,  1888,  S.  321— 

343;  Serie  5,  tomo  I,  1890,  S.  27—84.) 
Tannery,  P.,  Sar  l'autJienticite  des  axiomes  d'Euclide  (Bulletin  dos  scicnces  mathe- 

matiques,  serie  2,  tome  VIII,   1884,   S.  162  — 175),  und:    La  Constitution  des 

Clements  (a.  a.  0.  serie  2,  tome  X,  1886,  S.  183—205). 


Euklids  Elemente. 


Erstes  Buch. 
Erkläruugeii.   Forderungen.   Grnudsätze.   Satz  1  —  32. 

Erklärungen. 

1.  Was  keine  Teile  hat,  ist  ein  Punkt. 

2.  Eine  Länge  ohne  Breite  ist  eine  Linie. 

3.  Die  Enden  einer  Linie  sind  Punkte. 

4.  Eine  Linie  ist  gerade,  wenn  sie  gegen  die  in  ihr  befind- 
lichen Punkte  auf  einerlei  Art  gelegen  ist. 

5.  Was  nur  Länge  und  Breite  hat,  ist  eine  Fläche. 

6.  Die  Enden  einer  Fläche  sind  Linien. 

7.  Eine  Fläche  ist  eben,  wenn  sie  gegen  die  in  ihr  befindlichen 
Geraden  auf  einerlei  Art  gelegen  ist. 

8.  Ein  ebener  Winkel  ist  die  gegenseitige  Neigung  zweier 
Linien,  die  sich  in  einer  Ebene  trefi*en,  ohne  in  einer  geraden  Linie 
zu  liegen. 

9.  Sind  die  den  Winkel  einschliefsenden  Linien  gerade,  so  heifst 
der  Winkel  geradlinio;. 

10.  Wenn  eine  Gerade,  die  auf  einer  anderen  errichtet  ist,  zu 
beiden  Seiten  gleiche  Winkel  bildet,  so  ist  jeder  der  beiden  gleichen 
Winkel  ein  Rechter,  und  die  errichtete  Gerade  heifst  senkrecht  zu 
der,  auf  der  sie  errichtet  ist. 

11.  Stumpf  ist  ein  Winkel,  der  gröfser  ist  als  ein  Rechter. 

12.  Spitz  aber  einer,  der  kleiner  ist  als  ein  Rechter. 

13.  Das  Ende  eines  Dinges  bildet  dessen  Grenze. 

14.  Was  von  einer  oder  von  mehreren  Grenzen  eingeschlossen 
wird,  ist  eine  Figur. 

15.  Ein  Kreis  ist  eine  ebene,  von  einer  einzigen  Linie  einge- 
schlossene Figur,  bei  der  die  Geraden,  die  sich  nach  ihr  von  einem  ge- 
wissen Punkte  innerhalb  der  Figur  erstrecken,  alle  einander  gleich  sind. 


Euklids  Elemente,  Buch  I.  —  Erklili-ungen,  Forderungen.  7 

16.  Dieser  Punkt  wird  der  Mittelpunkt  des  Kreises  genannt. 

17.  Durclimesser  des  Kreises  ist  jede  durch  den  Mittelpunkt 
gezogene  und  auf  beiden  Seiten  durch  den  Umfang  des  Kreises  be- 
grenzte Gerade;  diese  halbiert  den  Kreis. 

18.  Ein  Halbkreis  ist  die  Figur,  die  von  einem  Durchmesser  und 
dem  von  ihm  abgeschnittenen  Bogen  eingeschlossen  wird.  Der  Mittel- 
punkt des  Halbkreises  ist  derselbe  wie  der  des  Kreises. 

19.  Geradlinige  Figuren  sind  solche,  die  von  geraden  Linien 
eingeschlossen  werden,  und  zwar  sind  sie  dreiseitig,  wenn  sie  von 
drei,  vierseitig,  wenn  sie  von  vier,  vielseitig,  weim  sie  von  mehr 
als  vier  Geraden  eingeschlossen  werden. 

20.  Unter  den  dreiseitigen  Figuren  ist  ein  gleichseitiges 
Dreieck  die  mit  drei  gleichen  Seiten,  ein  gleichschenkliges 
Dreieck  die  mit  nur  zwei  gleichen  Seiten,  endlich  ein  ungleich- 
seitiges die  mit  drei  ungleichen  Seiten. 

21.  Unter  den  dreiseitigen  Figuren  ist  ferner  ein  rechtwink- 
liges Dreieck  die  mit  einem  rechten  Winkel,  ein  stumpfwinkliges 
die  mit  einem  stumpfen  Winkel,  endlich  ein  spitzwinkliges  die  mit 
drei  spitzen  Winkeln. 

22.  Unter  den  vierseitigen  Figuren  ist  ein  Quadrat  eine  solche, 
die  gleichseitig  und  rechtwinklig  ist,  ein  Rechteck  eine  solche,  die 
rechtwinklig,  aber  nicht  gleichseitig  ist,  ein  Rhombus  eine  solche, 
die  gleichseitig,  aber  nicht  rechtwinklig  ist,  ein  Rhomboid  eine 
solche,  deren  gegenüberliegende  Seiten  und  Winkel  gleich  sind,  die 
aber  weder  gleichseitig  noch  rechtwinklig  ist.  Alle  übrigen  vier- 
seitigen Figuren  sollen  Trapeze  heifsen. 

23.  Parallel  sind  gerade  Linien,  die  in  derselben  Ebene  liegen 
und,  nach  beiden  Seiten  ins  Unendliche  verlängert,  auf  keiner  Seite 
zusammentreffen. 

Forderungen. 

1.  Es  soll  gefordert  werden,  dafs  sich  von  jedem  Punkte  nach 
jedem  Punkte  eine  gerade  Linie  ziehen  lasse. 

2.  Ferner,  dafs  sich  eine  begrenzte  Gerade  stetig  in  gerader  Linie 
verlängern  lasse. 

3.  Ferner,  dafs  sich  mit  jedem  Mittelpunkt  und  Halbmesser  ein 
Kreis  beschreiben  lasse. 

4.  Ferner,  dafs  alle  rechten  Winkel  einander  gleich  seien. 

5.  Endlich,  wemi  eine  Gerade  zwei  Gerade  trifft  und  mit  ihnen 
auf  derselben  Seite  imiere  Winkel  bildet,   die  zusammen  kleiner  sind 


8  Euklids  Elemente,  Buch  1. 

als  zwei  Rechte,  so  sollen  die  beiden  Geraden,  ins  Unendliche  ver- 
längert, schliefslich  auf  der  Seite  zusammentreffen,  auf  der  die  Winkel 
liesien.  die  zusammen  klehier  sind  als  zwei  Rechte, 


Grundsätze. 

1.  Dinge,  die  demselben  Dinge  gleich  sind,  sind  einander  gleich. 

2.  Füsrt  man   zu  Gleichem  Gleiches  hinzu,  so  sind  die  Summen 
gleich. 

3.  Nimmt  man  von  Gleichem  Gleiches  hinweg,  so  sind  die  Reste 
gleich. 

7.  Was    zur  Deckung   mit  einander  gebracht    werden   kami,    ist 
einander  gleich. 

8.  Das  Ganze  ist  gröfser  als  sein  Teil. 

[0.    Zwei  gerade  Linien  schliefsen  keinen  Raum  ein*).] 


1. 
Über  einer  gegebenen  begrenzten  Geraden  ein  gleichseitiges  Dreieck 
zu  errichten. 

2. 

An  einen  gegebenen  Punkt  eine  einer  gegebenen  Geraden  gleiche 
Gerade  zu  legen. 


3. 

e 
eine  der  kleineren  Geraden  gleiche  Gerade  abzuschneiden. 


Wenn   zwei    ungleiche   Gerade    gegeben    sind,    von   der   grüfseren 


4. 
Sind  in  zwei  Dreiecken  zwei  Seiten  der  Reihe  nach  zwei  Seiten 
gleich,  und  sind  die  von  den  gleichen  Seiten  eingeschlossenen  Winkel 
gleich,  so  sind  auch  die  Grundlinien  gleich,  und  das  eine  Dreieck  ist 
dem  anderen  gleich,  und  die  übrigen  Winkel,  nämlich  die  gleichen 
Seiten  gegenüberliegenden,  sind  der  Reihe  nach  den  übrigen  gleich**). 


*)  [Die  Grundsätze  4  bis  6  und  9  i-ühren  vermutlich  nicht  von  Euklid  her.] 
**)  [Euklid  hat  gewifs  absichtlich  in  dem  ganzen  ersten  Buche  den  Begriff  der 
Bewegung  nur  bei  dem  Beweise  des  ersten  Kongruenzsatzes  benutzt.  Still- 
schweigend macht  er  hier  sogar  Ton  der  Umlegung  Gebrauch.  Sollte  ihm  ent- 
gangen sein,  dafs  bei  der  Geometrie  der  Ebene  zwischen  Bewegung  und  Um- 
legung ein  wesentlicher  Unterschied  besteht?] 


Forderungen,  Grundsätze.  —  Satz  1  —  7. 


In  jedem  gleichschenkligen  Dreieck  sind  die  Winkel  an  der  Grund- 
linie einander  gleich,  und  verlängert  mau  die  gleichen  Geraden,  so 
sind  die  Winkel  unterhalb  der  Grundlinie  einander  gleich. 

[Da  Euklid   au   dieser  Stelle   die   Konstruktion    des 
Lotes   von  der   Spitze  A  des   gleichschenkligen   Dreiecks 
BAT   auf    die   Grundlinie   BF  noch    nicht    gelehrt   hat, 
verfährt   er   so:    AB    und   AT   werden   Tini   die   gleichen 
Stücke  BZ  und  FH  verlängert,  und  es  wird  BH  und  FZ 
gezogen.    Dann  ist  nach  Lehrsatz  4  das  Dreieck  AB  H  dem. 
Dreieck  AFZ   kongruent,   also  ZF  gleich   HB   und   der 
Winkel  ABH  gleich  dem  Winkel  AFZ.     Hieraus  folgt, 
dafs,  wieder  nach  Lehrsatz  4,  das  Dreieck  FHB  dem  Dreieck    ^ 
JBZ Inkongruent,  also  der  Winkel  ürBÄ" gleich  dem  Winkel 
BFZ  ist.  Mithin     ist  auch  nach  Grundsatz  3  der  Winkel 
ABF  gleich   dem   Winkel   AFB.      Endlich  folgt    aus   der  Kongruenz    der 
Dreiecke    BFZ   und   FBH,    dafs    auch   die   Winkel   unterhalb   der   Grund- 
linie BF  gleich  sind. 

Einfacher  wäre  es  gewesen,  Z  mit  ß,  H  mit  F  zusammenfallen  zu 
lassen  und   zu   sagen,  dafs  die  Dreiecke  BAF  und  FAB  kongruent  sind.] 


i-'ig.  1. 


6. 

Sind  in  einem  Dreieck  zwei  Winkel  einander  gleich, 
so  sind  auch  die  den  gleichen  Winkeln  gegenüber- 
liegenden  Seiten  einander  gleich, 

[Beweis:  Es  sei  der  Winkel  ^5 P  gleich  dem  Winkel 
BFA.  Wäre  AB  gröfser  als  AF,  so  mache  man  AB  gleich 
AF  und  ziehe  AF.  Dann  wären  nach  Lehrsatz  4  die  Drei- 
ecke ABF  uud  AFB  kongruent,  was  gegen  Grundsatz  8 
verstöfst.] 


Sind    von    den   Endpunkten    einer    Geraden   nach    einem    Punkte 
aufserhalb  zwei  Gerade  gezogen,  so  kann  man  nicht  von  diesen  End- 
punkten  aus  nach   einem  anderen  Punkte  auf  der- 
selben Seite  jener  Geraden  zwei  Gerade  ziehen,  die 
den  ersten  beziehungsweise  gleich  sind. 

[Beweis:  Es  sei  AF=AA,  BF  =  BA.  Man 
ziehe  F/i.  Dann  ist  nach  Lehrsatz  5  der  Winkel  AAF 
gleich  dem  Winkel  AFJ.,  folglich  nach  Grundsatz  8 
BJF  gröfser  als  BFA.  Andererseits  ist  aber,  wieder 
nach  Lehrsatz  5,  der  Winkel  BAF  gleich  dem  Winkel  '"'  "" 

BFA.,  was  unmöglich  ist. 

Auf  ähnliche  Art  wird  der  Beweis  in  dem  von  Euklid  nicht  ausdrücklich 
erwähnten  Falle  geführt,  dafs  A  innerhalb  des  Dreiecks  AFB  liegt.] 


10  Euklids  Elemente,  Buch  I. 


Sind  in  zwei  Dreiecken  zwei  Seiten  der  Reihe  nach  zwei  Seiten 
gleich  und  sind  aufserdem  die  Grundlinien  gleich,  so  sind  auch  die 
Winkel  gleich,  die  von  gleichen  Seiten  eingeschlossen  werden. 

0. 
Einen  gegebenen  geradlinigen  Winkel  zu  halbieren. 

10. 

Eine  gegebene  begrenzte  Gerade  zu  halbieren. 

11. 

Aus  einem  gegebenen  Punkte  einer  gegebenen  Geraden  eine  Ge- 
rade unter  rechtem  Winkel  zu  ziehen. 

12. 

Auf  eine  gegebene  unbegrenzte  Gerade  von  einem  gegebenen 
l'mikte  aus,  der  nicht  auf  ihr  liegt,  das  Lot  zu  fällen. 

13. 

Die  Winkel,  die  eine  Gerade  mit  einer  anderen 
bildet,  auf  der  sie  steht,  sind  entweder  beide  rechte 
oder  zusammen  gleich  zwei  Rechten. 

[Beweis:  Sind  die  Winkel  einander  gleich,  so  sind 
sie  zwei  Rechte.    Sind  sie  ungleich,  so  errichte  man  in 
B  die  Senkrechte  BE.    Mittelst  der  Grundsätze  1  und  2 
J        B         T         beweist  man  dann,  dafs  die  Summe  von  FBA  und  ABJ 
Fig-  4-  gleich  der  Summe  von  TBE  und  EBJ  ist.] 

14. 

Gehen  durch  einen  und  denselben  Punkt  einer  Geraden  zwei  nicht 
auf  derselben  Seite  liegende  Gerade,  und  bilden  sie  mit  dieser  Ge- 
raden Winkel,  die  zusammen  zwei  Rechten  gleich  sind,  so  liegen  sie 
auf  einer  Geraden. 

15. 

Wemi  zwei  Gerade  einander  schneiden,  so  sind  die  von  ihnen  ge- 
bildeten Scheitelwinkel  gleich. 


Satz  8  —  19. 


11 


Fig.  5. 


16. 

Wenn  man  bei  irgend  einem  Dreieck  eine  der  Seiten  verlängert, 
so  ist  der  Aufsenwiukel  gröfser  als  jeder  der  beiden  imieren  gegenüber- 
liegenden Winkel. 

Das   Dreieck   sei  ABT,    und   man   verlängere    eine   seiner   Seiten  BF 
bis  J.     Ich   behaupte,   dafs   der   Aufsenwinkel  ATA   gröfser   ist   als  jrder 
der    beiilen    inneren    gegenüberliegenden    Winkel    FBA 
und  BAR 

Man  halbiere  AT  in  E,  ziehe  BE,  verlängere  es 
bis  Z  und  mache  EZ  gleich  BE.  Man  ziehe  noch  ZIT, 
und  verlängere  AT  bis  H. 

Da  nun  AE  gleich  ET  ist  und  BE  gleich  £Z,  so 
sind  die  beiden  Geraden  AE  und  EB  der  Eeihe  nach 
gleich  den  beiden  Geraden  FE  und  EZ,  und  da  die 
Winkel  AEB  und  ZEF  als  Scheitelwinkel  gleich  sind, 
so  ist  auch  die  Grundlinie  AB  der  Grundlinie  ZF  gleich, 
und  das  Dreieck  ABE  gleich  dem  Dreieck  ZEjT,  und  die  beiden  übrigen 
Winkel  sind  der  Reihe  nach  den  beiden  übrigen  Winkeln  gleich,  die  nämlich, 
die  gleichen  Seiten  gegenüberliegen.  Daher  ist  der  Winkel  BAE  gleich 
dem  Winkel  EFZ.  Nun  ist  der  Winkel  EFA  gröfser  als  der  Winkel  EFZ, 
folglich  ist  auch  der  Winkel  AFA  gröfser  als  der  Winkel  BAE. 

In  ähnlicher  Weise  zeigt  man  nach  Halbierung  der  Geraden  BjT, 
dafs  der  Winkel  BFH  gröfser  ist  als  der  Winkel  ABF,  das  heifst,  dafs 
der  Winkel  AFA  gröfser  ist  als  der  Winkel  ABF*). 

17. 

In  jedem  Dreieck  sind  irgend  zwei  Winkel  zusammen  kleiner  als 
zwei  Rechte. 

18. 

In  jedem  Dreieck  liegt  der  gröfseren  Seite 
auch  der  gröfsere  Winkel  gegenüber. 

[Beweis:  Da  AF  gröfser  als  AB  ist,  so 
mache  man  AA  gleich  AB  und  ziehe  BA.  Dann 
ist  der  Winkel  AAB  gleich  dem  Winkel  ABA. 
Nun  ist,  nach  Lehrsatz  16,  AAB  gröfser  als 
AFB.  Mithin  ist  auch  ABA.,  also  um  so  mehr 
ABF  gröfser  als  AFB.] 

19. 

In  jedem  Dreieck  liegt  dem  gröfseren  Winkel  auch  die  gröfsere 
Seite  gegenüber. 

[Beweis  indirekt  aus  Satz  5  und  18.] 

*)  [Bei  diesem  Beweise  wird  als  selbstverständlich  angenommen,  dafs  der 
Punkt  Z  auf  derselben  Seite  der  Geraden  B  F  liegt  wie  der  Punkt  A ;  hierin  steckt 
die  von  Euklid  nicht  ausdrücklich  ausgesprochene,  wesentliche  Voraussetzung, 
dafs  jede  Gerade  eine  unendliche  Länge  hat.] 


12  Euklids  Elemente,  Biuli  T. 


20. 

In  jedem  Dreieck  sind  irgend  zwei  Seiten  zu- 
sammen gi'öfser  als  die  dritte. 

[Beweis:  Man  verlängere  BA  um  AT  bis  ^  und 
ziehe  JF.  Dann  ist,  nach  Lehrsatz  19,  BJ  gröfser  als 
BF,  also  sind  auch  BA  und  AF  zusammen  gröfser 
als  BF.] 


Fig.  7. 


21. 

Verbindet  man  die  Endpunkte  einer  Dreiecksseite  mit  einem  Punkte 
im  Innern  des  Dreiecks,  so  sind  die  Verbindungslinien  zusammen  kleiner 
als  die  beiden  übrigen  Seiten  des  Dreiecks  zusammengenommen;  da- 
gegen scbliefsen  sie  einen  gröfseren  Winkel  ein. 

22. 
Aus   drei   Geraden,  die  drei  gegebenen  gleich   sind,   ein  Dreieck 
zu    konstruieren;    es    müssen  aber   irgend  zwei  von  ihnen  zusammen 
gröfser  sein  als  die  dritte. 

23. 
An  eine  gegebene  Gerade  in  einem  gegebeneu  Punkte  einen  gerad- 
linigen Winkel  anzutragen,  der  einem  gegebenen  geradlinigen  Winkel 
gleich  ist. 

24. 
AVenn  in  zwei  Dreiecken  zwei  Seiten  der  Reihe  nach  zwei  Seiten 
gleich  sind,  und  der  Winkel,  den  die  gleichen  Seiten  einschliefsen,  in 
dem   einen   gröfser  ist  als  in    dem   andern,    so  ist  die   Grundlinie  in 
jenem  gröfser  als  in  diesem. 

25. 

Wenn  in  zwei  Dreiecken  zwei  Seiten  der  Reihe  nach  zwei  Seiten 
gleich  sind,  und  die  Grundlinie  des  einen  gröfser  ist  als  die  Grundlinie 
des  andern,  so  ist  der  von  den  gleichen  Seiten  eingeschlossene  Winkel 
in  jenem  gröfser  als  in  diesem. 

26. 

Wenn  in  zwei  Dreiecken  zwei  Winkel  der  Reihe  nach  zwei 
Winkeln  gleich  sind,  und  eine  Seite  einer  Seite  gleich  ist,  nämlich 
entweder  die  an  den  gleichen  Winkeln  oder  die  einem  der  gleichen 
AV'inkel  gegenüberliegende,  so  sind  auch  die  beiden  übrigen  Seiten  der 
Reihe  nach  gleich  mid  der  dritte  Winkel  dem  dritten. 

[Der  Beweis  wird  von  Euklid  für  jeden  der  beiden  Teile  des  Satzes 
besonders  geführt.  In  der  That  besteht  z^\'ischen  beiden  ein  wesentlicher 
Unterschied:   Beim  Beweis   des   zweiten  Teiles   kann   nämlich  der  Satz   16, 


Satz  20  —  29.  13 

vom  Aufsenwiiilicl,  nicht  entbebri  werden,  willirend  der  erste  Teil,  ebenso 
wie  die  früheren  Kongruenzsätze,  durchaus  davon  unabhängig  ist.] 

27. 

Weim  eine  Gerade,  die  zwei  Gerade  trifft,  mit  ihnen  gleiche 
Wechselwinkel  bildet,  so  sind  diese  Geraden  einander  parallel. 

Die  Gerade  JEZ  schneide  die  beiden  Geraden  AB  und  FJ  und  bilde 
die  einander  gleichen  Wechselwinkel 

AEZ  und  EZJ.    Ich  behaupte,  dafs        ^ j^/  ^ 

die    Gerade    AB    der    Geraden    FA 
parallel  ist. 

Denn    wären    sie    es    nicht,    so     . 

träfen   die   Verlängerungen    von   AB    -^       /"  ■^ 

und  F A  entweder  auf  der  Seite  von  ■^'^-  ^' 

B ,  A  oder  auf  der  Seite  von  A^  F  zusammen.  Es  mögen  ihre  Verlänge- 
rungen auf  der  Seite  von  JB,  ^  im  Punkte  H  zusammentreffen.  Dann 
wäre  in  dem  Dreieck  HEZ  der  Aufsenwinkel  AEZ  gleich  dem  inneren, 
gegenüberliegenden  Winkel  £ZH,  was  unmöglich  ist.  Folglich  treffen  die 
Verlängerungen  von  AB  und  FA  auf  der  Seite  von  B,  A  nicht  zusammen. 

Auf  ähnliche  Art  wird  man  beweisen,  dafs  sie  auch  nicht  auf  der 
Seite  von  A,  F  zusammentreffen.  Aber  Gerade,  die  auf  keiner  Seite  zu- 
sammentreffen, sind  parallel.  Also  ist  die  Gerade  AB  der  Geraden  FA 
parallel. 

28.  • 

Wenn  eine  Gerade,  die  zwei  Gerade  trifft,  mit  ihnen  entweder 
einen  äufseren  "Winkel  bildet,  der  dem  inneren,  entgegengesetzten,  auf 
derselben  Seite  befindlichen  Winkel  gleich  ist,  oder  innere  Winkel 
auf  derselben  Seite,  die  zusammen  gleich  zwei  Rechten  sind,  so  sind 
diese  Geraden  einander  parallel. 

29. 

Wenn   eine  Gerade  zwei  parallele  Gerade  schneidet,   so  bildet  sie 
gleiche  Wechselwinkel',  ferner  ist  jeder   äufsere  Winkel   dem  inneren, 
entgegengesetzten  gleich,  und   die  inneren,  auf 
derselben  Seite  liegenden  Winkel  sind  zusammen 
gleich  zwei  Rechten. 

Die  Gerade  £Z  schneide  nämlich  die  parallelen 
Geraden  AB  und  FA.  Ich  behaupte,  dafs  sie  gleiche 
Wechsel  Winkel  AH&  iind  HQA  bildet,  dafs  der 
äufsere  Winkel  E  HB  dem  inneren,  entgegengesetzten  \ 

H&A  gleich  ist,  und  dafs  die  inneren,  auf  derselben  ^        \^ 

Seite  befindlichen  Winkel  BH&  und  H&A  zusammen  *^"  ''' 

gleich  zwei  Rechten  sind. 

Wenn  nämlich  der  Winkel  AH&  von  dem  Winkel  H&A  verschieden 
ist,  so  ist  einer  von  beiden  gröfser.  Es  möge  AH&  gröfser  sein.  Man 
füge  zu  beiden  den  Winkel  BH&  hinzu.    Dann  sind  die  Winkel  AH&  und 


14  P^uklids  Elemente,  Bucli  I.  —  Satz  29—32. 

BH&  zusammen  gröfser  als  BH&  und  H&J.  Aber  AH0  und  BHO 
sind  zusammen  gleich  zwei  Rechten,  mithin  sind  BH&  und  H&J  zu- 
sammen kleiner  als  zwei  Rechte. 

Werden  aber  zwei  Gerade  unter  Winkeln,  die  kleiner  sind  als 
zwei  Rechte,  ins  Unendliche  verlängert,  so  treffen  sie  zusammen. 

Mithin  werden  AB  und  FJ,  ins  Unendliche  verlängert,  zusammen- 
treiben. Sie  können  jedoch  nicht  zusammentreffen,  weil  sie  nach  der  Vor- 
aussetzung parallel  sind.  Folglich  ist  der  Winkel  AH&  nicht  verschieden 
von  dem  Winkel  H&A^  also  ihm  gleich. 

Ferner  ist  der  Winkel  AHQ  gleich  dem  Winkel  EHB,  und  deshalb 
auch  der  Winkel  EHB  gleich  dem  Winkel  H&A.  Man  füge  zu  beiden 
den  Winkel  BH&  hinzu,  so  sind  EHB  und  BH0  zusammen  gleich  BH& 
und  H&J.  Aber  EHB  und  BHQ  sind  zusammen  gleich  zwei  Rechten. 
Mithin  sind  auch  BHQ  und  HQA  zusammen  gleich  zwei  Rechten. 

30. 
Gerade  Linien,    die    derselben  Geraden   parallel  sind,    sind   auch 

einander  parallel. 

31. 

Durch  einen  gegebenen  Punkt  eine  Gerade  parallel  zu  einer  ge- 
gebenen Geraden  zu  ziehen. 

[Geschieht  mit  Hilfe  von  Satz  23  und  27.] 

32. 
In  jedem  Dreieck  ist,  wenn  mau   eine   seiner   Seiten   verlängert, 
der  Aufsenwinkel  gleich  der  Summe    der  beiden  inneren,  gegenüber- 
liegenden Winkel,  und  die  drei  inneren  Winkel  des  Dreiecks  sind  zu- 
sammeu  gleich  zwei  Rechten. 

Es    sei    ABT   ein   Dreieck.      Man    verlängere    eine    Seite,    etwa   BI\ 
bis   A.     Ich    behaupte,    dafs    der    Aufsenwdnkel    AFA    gleich    den    beiden 
inneren,  ihm  gegenüberliegenden  Winkeln  FAB  und  ABF 
ist,  und  dafs  die  drei  inneren  Winkel  des  Dreiecks,  näm- 
lich ABF^  BFA  und  FAB  gleich  zwei  Rechten  sind. 

Man  ziehe  nämlich  durch  den  Punkt  F  parallel  der 
Geraden  AB  die  Gerade  FE.  Da  nun  AB  parallel 
FE  ist,  und  diese  Geraden  von  AF  geschnitten  werden, 
so  sind  die  Wechselwinkel  BAF  und  AFE  einander 
gleich.  Da  ferner  AB  parallel  FE  ist,  und  diese  Ge- 
raden von  BA  geschnitten  werden,  so  ist  der  äufsere  Winkel  EFA  gleich 
dem'  inneren,  entgegengesetzten  Winkel  ABF.  Es  wurde  aber  bewiesen, 
dafs  auch  AFE  gleich  BAF  ist.  Deshalb  ist  der  ganze  Winkel  AFA 
gleich ""^den  ihm  gegenüberliegenden  Winkeln  BAF  imd  ABF. 

Fügt  man  zu  beiden  AFB  hinzu,  so  sind  AFA  und  AFB  zusammen 
gleich  den  drei  Winkeln  ABF,  BFA  und  FAB.  Aber  AFA  und  AFB 
sind  zusammen  gleich  zwei  Rechten.  Mithin  sind  auch  ABF.,  BFA  und 
FAB  zusammen  gleich  zwei  Rechten. 


JOHN  WALLIS 

1616  —  1703. 


Nach  dem  Untergange  der  antiken  Kultur  finden  wir  die  ersten 
Spuren  einer  Beschäftigung  mit  Parallelentheorie  bei  den  Arabern. 
Arabische  Übersetzungen  oder  besser  Bearbeitungen  von  Euklids 
Elementen  hat  es  in  erheblicher  Anzahl  gegeben,  und  e.s  fehlte  auch 
nicht  an  Bemühungen,  die  fünfte  Forderung  zu  beweisen.  Einflufs  auf 
die  spätere  Entwickelung  der  Parallelentheorie  hatte  jedoch  nur 
Nasir  Eddin  (1201 — 1274),  dessen  Euklid-Bearbeitung  1594  zu  Rom 
in  arabischer  Sprache  gedruckt  worden  ist.  Eine  lateinische  Über- 
setzung der  weitläufigen  Betrachtungen  Nasir  Eddins,  die  den  Beweis 
der  fünften  Forderung  bezwecken,  findet  man  im  zweiten  Bande  der 
Werke  von  Wallis,  der  sie  1651  an  der  Universität  Oxford  öffentlich 
vorgetragen  hatte;  nach  Wallis  hat  Saccheri  1733  eine  kritische 
Darstellung  dieses  Beweisversuches  gegeben. 

Die  lateinischen  Euklid  ausgaben  des  15.  Jahrhunderts  enthalten 
die  fünfte  Forderung  ohne  jede  erklärende  Bemerkung,  und  zwar  als 
elftes  unter  den  sogenannten  Axiomen  (den  Grundsätzen),  ein  Gebrauch, 
der  sich  schon  bei  Proklos  findet,  der  jedoch  der  Berechtigung  ent- 
behrt, wie  die  von  Peyrard  im  Jahre  1814  herausgegebene  älteste 
der  jetzt  bekannten  Euklid-Handschriften  gezeigt  hat.  Im  Jahre  1533 
erschien  dann  die  erste  griechische  Ausgabe  von  Euklids  Elementen 
mit  dem  beigefügten  Kommentar  des  Proklos,  und  bald  darauf  gab 
Barozzi  eine  lateinische  Übersetzung  des  Proklos.  Das  Verdienst, 
auf  diesen  ältesten  uns  erhaltenen  Kommentar  des  Euklid  aufmerksam 
gemacht  zu  haben,  darf  Petrus  Ramus  (1569)  für  sich  in  Anspruch 
nehmen;  freilich  war  bei  ihm  das  Interesse  für  Mathematik  gröfser 
als  die  mathematische  Befähigung.  Neben  ihm  kommt  der  Deutsche 
Christoph  Schlüssel,  bekannt  als  Clavius,  in  Betracht,  dessen 
Euklidausgabe  von  1574,  die  bis  1738  nicht  weniger  als  22mal  ge- 
druckt worden  ist,  alles  damals  Bekannte  zusammenfafste;  Kästner 
hat  sie  die  „Pandekten  der  Elementargeometrie"  genannt.  Clavius 
ersetzt  die  Euklidische  Darstellung  in  einer  Anmerkung  durch  eine 
andere;  er  sucht  durch  die  Anschauung  zu  begründen,  dafs  eine  Linie, 
bei  der  jeder  Punkt  von  einer  gegebenen  Geraden  dieselbe  Entfernung 
hat,    wieder    eine    gerade   Linie    sein   müsse.     Dabei   zeichnet  er  eine 

Stäckel  u.  Kngel,  Parallelentheorie.  2 


18  Einleitung  zu  dem  Wallis'schen  Beweise 

Figur,   die   -wir   später  bei   Giordano   da  Bitoiito  (1G80)  und  Sac- 
cheri  (1733)  wieder  antreffen  werden. 

Mit  dem  Beginn  des  siebzehnten  Jahrhunderts  begegnen  uns  schon 
Veröffentlichungen,  die  ausschliefslich  der  Theorie  der  Parallelen  ge- 
widmet sind:  1G03  erscheint  Cataldi's  Operetta  delle  linee  rette  equi- 
distanti  et  non  equidistanti,  und  1G04  Oliver  of  Bury's:  De  rectarutu 
linearum  parallelismo  et  coucursu  doctrina  geometrica;  so  weit  wir 
sie  kennen,  enthalten  diese  Abhandlungen  allerdings  nichts  wesent- 
lich Neues. 

Das  Interesse  für  die  Grundlagen  der  Geometrie  war  damals  be- 
sonders in  Italien  und  in  England  rege.  In  Frankreich  hatte  Ramus 
solchen  Bestrebungen  gegenüber  geäufsert,  es  komme  in  der  Geometrie 
nicht  darauf  an,  alles  auf  wenige  Grundsätze  zurückzuführen,  vielmehr 
bedürfe,  was  an  sich  klar  sei,  keines  Beweises,  und  diese  Ansicht  hat 
dort  die  Lehrbücher  der  Elementargeometrie  fast  bis  ans  Ende  des  acht- 
zehnten Jahrhunderts  beherrscht.  Zum  Beispiel  geht  Clairaut  (1741) 
davon  aus,  dafs  das  Vorhandensein  von  Rechtecken  durch  die  An- 
schauung gegeben  sei,  und  leitet  dann  mit  grofser  Klarheit  die  Sätze 
des  ersten  Euklidischen  Buches  ab.  Zu  vergessen  ist  freilich  nicht, 
dafs  die  Parallelentheorie  dem  Franzosen  Desargues  (1639)  die  neue, 
fruchtbare  Erklärung  der  Parallellinien  verdankt:  Linien  heifsen  pa- 
rallel, wenn  sie  denselben  unendlich  fernen  Punkt  gemeinsam  haben. 
Diese  Erklärung  ist  für  die  neuere  Geometrie,  besonders,  nachdem  sie 
Steiner  wieder  aufgenommen  hatte  (Systematische  Entwickelung,  1832, 
Gesammelte  Werke,  Bd.  I,  S.  240),  äufserst  folgenreich  geworden. 

Auf  die  Entwickeluug  der  Parallelentheorie  in  Italien  werden 
wir  bei  den  Vorbemerkungen  zu  Saccheris  Endides  ab  omni  naevo 
vindicatus  (1733)  zurückkommen.  In  England  war  es  besonders  Sir 
Henry  Savile,  der  ein  aufserordentliches  Interesse  für  Euklids  Ele- 
mente an  den  Tag  legte.  Er  hielt  über  diesen  Gegenstand  an  der 
Universität  Oxford  Vorlesungen,  in  denen  er  freilich  nur  bis  zum 
achten  Satze  des  ersten  Buches  gelangte.  Aus  seinen  Praelectiones 
tresdecim  in  principium  elementorum  Euclidis,  Oxford  1621, 
teilen  wir  eine  bemerkenswerte  Stelle  mit.  S.  140  heifst  es:  lu  pul- 
cherrimo  Geometriae  corpore  duo  sunt  naevi,  duae  labes  uec  quod 
sciam  plures,  in  quibus  eluendis  et  emaculandis  cum  veterum  tum 
recentiorum,  ut  postea  ostendam,  vigilavit  industria.  Diese  beiden 
Makel  sind  die  Theorie  der  Parallellinien  und  die  Lehre  von  den  Pro- 
portionen. Savile  hat  auch  einen  mathematischen  Lehrstuhl  an  der 
Universität  Oxford  gestiftet,  der  noch  jetzt  besteht,  und  dessen  Inhaber 
die  Verpflichtung  hat,  über  Euklids  Elemente  Vorlesungen  zu  halten. 


der  fünften  Forderung  Euklids.  19 

Einer  der  ersten  dieser  Professores  Saviliani  war  John  Wallis 
(1616  — 1703),  dessen  Verdienste  um  die  Infinitesimalrechnung  und 
um  die  Algebra  bekannt  sind-,  wir  haben  ihn  schon  erwähnt,  als  wir 
von  Nasir  Eddin  sprachen.  Eine  weitere  Vorlesung  über  Parallelen- 
theorie hat  er  in  Erfüllung  seiner  Amtspflicht  im  Jahre  1663  ge- 
halten. Diese  ist  es,  die  wir  im  folgenden  in  der  Übersetzung  mit- 
teilen. Beide  Vorlesungen  hat  Wallis  1693  im  zweiten  Bande  seiner 
Werke  auf  S,  665—678  veröfl^entlicht  und  lehrreiche  Bemerkungen 
über  die  Geschichte  der  Parallelentheorie  hinzugefügt. 

Der  neue  Gedanke  von  Wallis  besteht  darin,  dafs  er  zwar  Euklids 
Erklärung  der  Parallelen  beibehält,  aber  die  fünfte  Forderung  durch 
die  andere  ersetzt,  dafs  sich  zu  jedem  Dreieclce  ein  äJmlicJics  in  heliehig 
grofsem  Mafssfabe  zeicJinen  lasse.  Übrigens  hat  er  die  Tragweite  seiner 
Forderung  nicht  vollständig  durchschaut;  Saccheri  sah  in  dieser 
Beziehunsc  weiter  als  er.  Saccheri  weist  nämlich  nach,  dafs  die 
Euklidische  Geometrie  in  aller  Strenge  begründet  werden  kann, 
sobald  auch  nur  zu  einem  einzigen  Dreieck  ein  von  ihm  verschiedenes 
gehört,  das  dieselben  Winkel  aufweist:  allerdings  stützt  er  sich  dabei 
auf  den  Satz  vom  Aufsenwinkel.  Entsprechende  Bemerkungen  finden 
sich  auch  bei  Lambert. 

Es  möge  noch  bemerkt  werden,  dafs  dieser  Wallis'sche  Gedanke 
in  der  Geschichte  der  Parallelentheorie  wiederholt  von  neuem  auf- 
taucht, zum  Beispiel  haben  Carnot  und  Laplace  vorgeschlagen,  die 
fünfte  Forderung  durch  das  Princip  der  Ähnlichkeit  zu  ersetzen,  und 
in  neuester  Zeit  ist  dieser  Gedanke  von  Delboeuf  ausführlich  erörtert 
worden.  Auch  der  analytische  Beweis,  den  Legendre  in  seinen  Ele- 
menten für  den  Satz  von  der  Winkelsumme  des  Dreiecks  zu  geben 
versucht  hat,  kommt  im  Grunde  auf  dieselbe  Idee  hinaus. 


Litteratur. 


Cantor,  M.,    Vorlesungen  über  die  Geschichte  der  Blatliematik,  besonders  Bd.  I, 

Kap.  36,  und  Bd.  III,  Kap.  83. 
Castillon,   Sur  les  paralleles  d'Eiiclide.     Memoires  de   Berlin,   Annees   1786/87. 

S.  253—254,  anne'es  1788/89,  S.  171  —  203. 
Clairaut,  Elements  de  Geometrie.  Paris  1741. 
Clavius,  Euclidis  elementorum  libri  XV  .  .  .  omnes  perspicuis  demonstrationibus 

accuratisque  scholiis  illustrati.    Rom  1574. 
Delboeuf,    Prolegomenes  philosophigiies  de  la   geotiietrie  et  Solution  des  postulats. 

Liege  1860. 
Delbceuf,  L'ancienne  et  les  noiwelles  geometries,  UeYue  philo sophique,  dirigee  par 

Th.  Ribot.    T.  XXXVI.   1893.   S.  449-484.     T.  XXXVII.   1894.   S.  353—383. 


20  Litteratur  zu  Wallis. 

Desargues,   Bioiiillon  iiroject  d'unt  atteinte  uux  evenements  des  rencotitres  il'un 

cone  avec  tin  jAon.    IGSi).    S.  üi]uvres  de  Desargues,  Paris  1864,  ßd.  I,  S.  104  f. 
Gergonne,  Annales  de  — .    T.  X.  1819.    S.  IGl— 184:  Sur  Vemploi  de  Valgorithme 

des  fonctions,   dans  la  demotistration   des  theoremes  de   geometrie;   vgl.    auch 

T.  XV,  1824,  S.  83. 
Hankel,  Theorie  der  comple.ren  Zahlensysteme.    Leipzig  1SG7.    S.  59. 
Klügel,  t'onutüHW  praecipuorum  theoriam  paralleJarum  stahüiendi  recensio.   Disser- 
tation.    Göttingen  170.^. 
Laplace,  Exposition  du  Systeme  du  monde.     .öi^me  edition.    Paris  1824.    Livre  V, 

chap.  5,  note. 
Legendre,  Elemens  de  geometrie.    1'^="  ed.    Paris  1794.    I2''''"e  ed.  1823. 
Loria,  DeUe  rarie  fortune  di  Eudide   in   relazione  von  i  problemi   deW  insegna- 

mento  gcometrico  elementare.    Periodico  di  Matematica  per  Tinsegnamento  se- 

condario.     Anno  Vlil.    Rom  1893. 
Moebius,  Barycentrischer  Calcul.  1827.  Kapitel  2.  Gesammelte  Werke.  Bd.  1.  S.  17G. 
Peyrard,  Les  ceuvres  d' Eudide.  Paris  1814. 
Ramus,  Scholarum  mathematicarum  libri  XXXI.     Basel  1569. 
Savile,  Praelediones  tresdecim  in  principium  elementonim  Eudidis,  Oxonii  habitae 

1G20.     Oxford  1G21. 
Sohuke,  Artikel  ParaUel  in  der  Allgemeinen  Encyclopädie  der  Wissenschaften 

und  Künste  von  Ersch  und   Gruber.     Dritte   Section.    Bd.  11.     S.  368  —  384, 

Leipzig  1838. 
Steinschneider,  Eudid  bei  den  Arabern.  Zeitschrift  für  Mathematik  und  Physik. 

Hist.-lit.  Abt.     Leipzig  188G.     S.  81—100. 
Wallis,   De  2^ostidato  (punto  et  definitiotie  ipünta  lib.  6.   Eudidis  disceptatio  geo- 

mdrica.     Operum   mathematicorum  Volumen   alteruni.     Oxford    1G93.     S.  G65 

—  G78. 


Beweis 

der  fünrteii  Forderung  Euklids, 

öffentlich  vorsretraffen  in  Oxford  am  Abend  des  11.  Juli  1663. 


674 


Bekanntlich  haben  einige  alte  wie  auch  einige  neuere  Autoren 
es  dem  Euklid  zum  Vorwurf  gemacht,  dafs  er  die  fünfte  Forde- 
rung, oder  (wie  andere  sagen)  das  elfte  Axiom  oder  (nach  der 
Zählung  des  Clavius)  das  dreizehnte  Axiom  ohne  Beweis  zu- 
gestanden haben  will,  während  er  es  doch  (wie  jene  glauben)  hätte 
beweisen  sollen.  Namentlich  hat  man  getadelt,  dafs  er  für  gerade 
Linien  etwas  als  an  sich  einleuchtend  annimmt,  was  für  Linien  im 
allgemeinen  gar  nicht  richtig  ist.  Denn  allerdings  mag  für  gerade 
Linien  allgemein  richtig  sein,  was  er  behauptet,  nämlich: 

Wenn  zwei  Gerade   von  einer  dritten  geschnitten  Averden, 
und  die  innern  Winkel,  die  diese  an  derselben  Seite  bildet, 
zusammen    kleiner    sind   als    zwei    Rechte,    so    treffen    die 
beiden   Geraden,   ins   Unendliche   verlängert,    einander 
schliefslich   auf  der  Seite,  wo  jene  beiden  Winkel  zu- 
sammen kleiner  als  zwei  Rechte  sind, 
für  krumme  Linien  ist  es  jedoch  nicht  allgemein  richtig.     Es  können 
ja    zAvei  Curven   oder   eine  Gerade   und  eine  Curve  einander   beständig 
näher  kommen,  ohne  doch  jemals  zusammenzutreffen. 

Lidefs  stützen  die  meisten  dieser  Ankläger  des  Euklid  (wenigstens 
soweit  ich  sie  bis  jetzt  geprüft  habe)  ihre  Beweise  auf  andere  An- 
nahmen, die  man,  wie  mir  scheint,  keineswegs  leichter  zugeben  wird, 
als  das,  was  Euklid  fordert,  und  sie  verfallen  sogar  nicht  selten 
gerade  in  den  Fehler,  den  sie  vermeiden  wollen,  indem  sie  nämlich 
für  gerade  Linien  etwas  als  unzweifelhaft  richtig  annehmen,  was 
für  Linien  im  allgemeinen  nicht  richtig  ist,  wie  ich  an  anderer 
Stelle  gezeigt  habe*). 


*)  [Opera,  t.  II.    S.  668   in   der  Einleitung   zu   den  beiden  Vorlesungen   von 
16.51  und  1663] 


<2'2  John  Wallis. 

Ich  meinesteils  gestehe  dem  Euklid  uiibedeuklich  zu,  was  er 
fordert,  nicht  nur,  weil  die  Beweise  der  anderen  an  demselben  Fehler 
leiden,  den  sie  bei  ihm  tadeln,  oder  weil  ihre  Forderungen  durchaus 
nicht  einleuchtender  sind,  sondern  weil  man,  wie  mir  scheint,  unbedingt 
entweder  diese  Fordermig  oder  statt  ihrer  eine  andere  stellen  mufs, 
und  endlich,  weil  man,  die  Beweisbarkeit  dieser  Forderung  zugestanden, 
als  Grundsatz  nicht  nur  das  gelten  zu  lassen  pflegt,  was  gar  nicht 
beweisbar  ist,  sondern  auch  das,  was  an  sich  so  klar  ist,  dafs  es 
keines  Beweises  bedarf;  denn  sicherlich  können  einige  der  übrigen 
Axiome  bewiesen  werden,  und  das  zu  zeigen  wäre  nicht  schwer,  wenn 
es  dessen  bedürfte. 

Da  ich  aber  sehe,  wie  viele  bis  jetzt  einen  Beweis  jener  Forderung 
versucht  haben,  in  der  Meinung,  dafs  sie  eines  Beweises  bedürftig  sei, 
will  auch  ich  meinen  Beitrag  liefern  und  versuchen,  ob  ich  nicht  einen 
Beweis  liefern  kann,  der  weniger  angreifbar  ist  als  die  bis  jetzt  von 
anderen  gelieferten  Beweise. 

Den  Beweis  für  die  Behauptung  erbringe  ich  nun  auf  Grund 
einiger  Hilfssätze,  die  ich  vorausschicke,  wie  folgt: 

I.    Wird  eine  begrenzte  Gerade, 

V  (i-  die  auf  einer  unbegrenzten  Geraden 

i''  c         .1  liegt,  geradlinig  verlängert,  so  liegt 

^^8-  ^-  auch    die    Verlängerung    auf    dieser 

unbegrenzten  Geraden. 

Es  sei  EACF  die  unbegrenzte  Gerade,  und  die  auf  ihr  liegende 

begrenzte  Gerade  AC  möge  geradlinig  bis  y  verlängert  werden.     Ich 

behaupte,    dafs  die  ganze  Linie  ACy,    das    heifst,    die  Verlängerung 

von  AC,  auch  auf  der  unbegrenzten  Geraden  ACF  liegt. 

Da  nämlich  nach  der  Voraussetzung  ACF  eine  einzige  Gerade 
ist,  so  liegt  CF  mit  AC  m  gerader  Linie.  Es  ist  aber  auch  (da  AC 
bis  y  geradlinig  verlängert  wurde)  Cy  die  geradlinige  Verlängerung 
von  A  C  und  liegt  daher  auf  CF  (denn  alle  Geometer  nehmen  an,  dafs 
an  einem  Endpunkt  einer  Geraden  nicht  verscbiedene  Gerade  als  Ver- 
längerungen angesetzt  werden  können,  und  ungefähr  dasselbe  ist  der 
Inhalt  des  dem  Proklos  entnommenen  zehnten  Axioms  bei  Clavius). 
Aber  AC  liegt  nach  der  Voraussetzung  ebenfalls  auf  ACF.  Mithin 
liegt  ACy,  die  Verlängerung  von  AC,  ganz  auf  der  unbegrenzten  Ge- 
raden ACF.     Was  zu  beweisen  war. 

IL  Denkt  man  sich  eine  begrenzte  Gerade,  die  auf  einer 
unbegrenzten  Geraden  liegt,  in  ihrer  Richtung  beliebig  weit 


Beweis  der  fünften  Forderung  Euklids.  23 

fortbewegt,  so  bleibt  sie  bei  dieser  Bewegung  stets  auf  der- 
selben unbegrenzten  Geraden. 

Es  sei  ÄC  die  begrenzte  Gerade,  die  auf  der  unbegrenzten  Ge- 
raden ÄF  liegt,  und  man  denke  sie  sich  in  ihrer  Richtung  nach  der 
Seite  von  C  bewegt,  sodafs  der  Punkt  Ä  in  a  und  C  in  y  übergeht. 
Ich  behaupte,  dafs  die  Gerade  ay,  also  die  bcAvegte  Gerade  ÄC,  auf 
derselben  unbegrenzten  Geraden  ÄF  liegt. 

Es  liegt  nämlich  Cy  auf  der  Verlängerung  der  Geraden  ÄC 
(denn  nach  der  Voraussetzung  wird  der  Punkt  C  geradlinig,  das  hcifst,  676 
auf  der  Verlängerung  der  Geraden  ÄC  fortbewegt),  also  auch  auf  der 
unbegrenzten  Geraden  ÄCF  (nach  Hilfssatz  I).  Ebenso  liegt  auch  a 
auf  der  (nötigenfalls  verlängerten)  Geraden  ÄC  (denn  nach  der  Vor- 
aussetzung wird  der  Punkt  Ä  ebenfalls  auf  der  Geraden  ÄC  geradlinig 
fortbewegt),  also  auch  auf  der  unbegrenzten  Geraden  ÄCF.  In  ähn- 
licher Weise  zeigt  man  dasselbe  von  jedem  Zwischenpunkte  der  be- 
wegten Geraden  ÄC.  Also  liegt  ay,  das  heifst  die  bewegte  Gerade  ÄC, 
ganz  auf  der  unbegrenzten  Geraden  ÄCF.     Was  zu  beweisen  war. 

Dasselbe  könnte  man  auch  in  ähnlicher  Weise  zeigen,  wenn  die- 
selbe Gerade  ÄC  nach  der  Seite  des  Punktes  Ä  bewegt  würde. 

Man  darf  hier  nicht  einwenden,  dafs  Euklid  bei  seinen  Beweisen 
die  Bewegung  einer  Geraden  noch  nicht  angewandt  zu  haben 
scheint  und  sie  auch  bei  den  Forderungen  nicht  erwähnt  hat,  deim,  so 
gut  er  später  bei  der  Erklärung  der  Kugel  die  Bewegung  eines 
Kreises,  bei  der  Erklärung  des  Kegels  die  Bewegung  eines  Dreiecks 
und  bei  der  Erklärung  des  Cylinders  die  Bewegung  eines  Rechteckes 
anwendet,  ebenso  gut  hätte  er  auch,  falls  es  erforderlich  gewesen 
wäre,  die  Bewegung  einer  Geraden  bei  seinen  Beweisen  anwenden 
können.  Dasselbe  thun  ab  und  zu  Archimedes,  Apollonius  und 
andere  Geometer.  Ja  sogar  Euklid  selbst  wendet,  (und  zwar  gleich 
am  Anfang),  indem  er  den  Satz  4  durch  Aufeinanderlegen  beweist, 
eine  Bewegung  von  zwei  Geraden  an,  deren  Winkel  unverändert  bleibt, 
wie  das  zum  Aufeinanderlegen  nötig  ist,  (und  in  keinem  anderen  Sinne 
rede  ich  in  meinem  Lehrsatze  von  der  Bewegung  einer  Geraden), 
Ferner  wird  dasselbe  in  der  dritten  Forderung  angenommen  (bei  ge- 
gebenem Mittelpunkt  und  Halbmesser  den  Kreis  zu  be- 
schreiben), denn  man  setzt  (bei  der  Zeichnung  des  Kreises)  voraus, 
dafs  durch  das  Herumführen  des  Halbmessers  (während  der  eine  seiner 
Endpunkte  im  Mittelpunkte  verharrt)  die  Kreisfläche  beschrieben  wird. 
Hieran  erinnere  ich,  um  nicht  den  Anschein  zu  erwecken,  als  (ver- 
nachlässigte ich  die  Euklidische  Strenge  des  Beweises  und)  führte 
hier  neue  Forderungen  ein  (aufser  denen,  die  Euklid  zuläfst). 


24  -Tolin  Wallis. 

Ili.  Liegt  eine  begrenzte  Gerade  auf  einer  unbegrenzten 
Geraden,  und  bildet  eine  auf  ihr  stehende  Gerade  mit  ihr 
einen  "Winkel,  so  bildet  sie  mit  der  unbegrenzten  Geraden 
denselben  AYinkel. 

Es  sei  EÄF  eine  unbegrenzte  Gerade,  und  auf  ihr  liege  die  be- 
grenzte Gerade  ÄC,  mit  der  die  darauf  stehende  Gerade  AB  den 
Winkel   BAC  bildet.     Dann  behaupte   ich,   dafs   die  Gerade  AB  mit 

der    unbegrenzten    Geraden   AF  denselben 

N^  Winkel  bildet.    Da  nämlich  die  Gerade  AC 

\  auf   der   Geraden   AF   liegt,    und    da   BA 

u , \      p    beide  Male  dasselbe  ist,  so  sind  BAC  und 

j,.    2  ^  BAF  (durch  Kongruenz)  derselbe  Winkel. 

Was  zu  beweisen  war. 

IV.  Es  liege  eine  begrenzte  Gerade  auf  einer  unbegrenz- 
ten Geraden.  Wird  sie  auf  dieser  geradlinig  fortbewegt,  und 
macht  eine  auf  ihr  stehende  Gerade  (ohne  Änderung  des 
Winkels)  die  Bewegung  mit,  so  bildet  sie  mit  jener  unbe- 
grenzten  Geraden    überall   dieselben   (oder  gleiche)   Winkel. 

Auf  der  unbegrenzten  Geraden  EAF  möge  die  auf  ihr  liegende 
begrenzte  Gerade  AC  geradlinig  fortbewegt  werden,  und  die  auf  dieser 

stehende  Gerade  AB  mache  ohne  Änderung 

\^      \^  des  Winkels   die  Bewegung  so  lange   mit, 

\        \  bis    sie,    wenn    AC  in    die   Lage    ay    ge- 

jf, 1 >^ ^ — li     langt,  gleichzeitig  nach  ccß  gelangt.    Dann 

Fig.  3.  behaupte  ich,  dafs   der  Winkel  ßuF  dem 

Winkel  BAC  oder  BAF  gleich  ist. 
i>ie  Gerade  AC  geht  nämlich  bei  ihrer  Bewegung  in  die  Gerade 
ccy  über,  die  (nach  Hilfssatz  2)  auf  der  unbegrenzten  Geraden  AF  liegt. 
Ferner  bleibt  (nach  der  Voraussetzung)  der  Winkel  BAC,  das  heifst 
ßay,  unverändert.  Da  endlich  (nach  Hilf!?satz  3)  dieser  unveränderte 
"\^'inkel  zuerst  mit  dem  Winkel  BAF  und  dann  mit  dem  Winkel 
ßuF  zur  Deckung  kommt,  so  sind  mithin  die  Winkel  BAF  und  ßaF 
einander  gleich.     Was  zu  beweisen  war. 

In  ähnlicher  Weise  könnte  man  zeigen,  dafs  der  Nebenwinkel 
ßciA  dem  Winkel  BAE  gleich  ist. 

V.  Werden  zwei  Gerade  von  einer  dritten  geschnitten, 
und  sind  die  inneren  Winkel  an  derselben  Seite  zusammen 
kleiner  als  zwei  Rechte,  so  ist  jeder  der  beiden  Aufsen- 
winkel  gröfser  als  der  ihm  gegenüberliegende  innere  Winkel. 


Beweis  der  fünften  Forderung  Ruklids.  25 

Die  rieniclo  ÄCF  schneide  die  beiden  Geraden  AB  und    il)  und 
bilde   auf  derselben   Seite   die   inneren   Winkel   BÄC  und   BGA,   die 
zusammen  kleiner  sind  als  zwei  Rechte.    Ich  behaupte,  dafs  der  Aulscn- 
winkel  BCF  (der  Nebenwinkel    des    inneren 
Winkels  BGA)  gröfser  ist  als  der  ihm  gegen- 
überliegende innere  Winkel  BAG. 

Die  Winkel  BGA  und  BCF  sind  nämlich \ \_j,^ 

(nach  Satz  13    des  ersten  Buches)   zusammen  Fig.  i. 

gleich    zwei    Rechten.     Hingegen    sind   (nach 

der  Voraussetzung)  die  beiden  inneren  Winkel  BGA  und  BAG  zu- 
sammen kleiner  als  zwei  Rechte.  Nimmt  man  also  beide  Male  den 
gemeinsamen  Winkel  BGA  fort,  so  ist  der  übrig  bleibende  BGF 
gröfser  als  der  übrig  bleibende  BAG.     Was  zu  beweisen  war. 

Ich  berufe  mich  übrigens  hier  beim  Beweise  auf  den  Satz  13  des 
ersten  Buches  der  Elemente,  denn  dieser  steht  zwar  hinter  der  fünften 
Forderung,  jedoch  noch  vor  dem  Satze  29  des  ersten  Buches,  bei  dessen 
Beweise  diese  Forderung  zum  ersten  Male  angewandt  wird.  Über- 
haupt ist  hinter  dem  Satz  28  die  richtige  oder  wenigstens  die  beste 
Stelle  für  den  Beweis  jener  Forderung,  und  es  dürfen  dabei  alle  vor-  676 
hergehenden  Sätze  oder  beliebig  viele  davon  ohne  Bedenken  für  den 
Beweis  verwendet  werden.  Man  könnte  auch  den  Satz  13  des  ersten 
Buches  (als  einen  weiteren  Hilfssatz  für  den  vorliegenden  Lehrsatz) 
vorher  beweisen,  wenn  es  nötig  Aväre. 

VI.  Wird  unter  denselben  Voraussetzungen  die  zwischen 
AB  und  GB  liegende  Gerade  AG  geradlinig  bis  in  die  Lage 
uy  bewegt,  sodafs  der  Punkt  a  mit  (7  zusammenfällt,  und  ge- 
langt zugleich  AB  (ohne  Änderung  des  Winkels  BAG)  in  die 
Lage  aß,  so  behaupte  ich,  dafs  die  ganze  Gerade  aß,  das 
heifst,  die  bewegte  Gerade  AB,  aufserhalb  BG  fällt. 

Da  nämlich  (nach  Hilfssatz  2)  ay,  das  heifst  Gy,  auf  OjP  liegt,  und 
da  (nach  Hilfssatz  3  und  4)  der  Winkel  BAG,  das  heifst  BAF,  dem 
Winkel  ßaF,  das  heifst  /3C-f^ gleich  ist,  und 
da  endlich  (nach  Hilfssatz  5)  der  Winkel 
BAG  kleiner  ist  als  der  Winkel  BGF: 
so  ist  auch  der  Winkel  ßGF  kleiner  als 
derselbe    Winkel   BGF.     Demnach    fällt 
die  Gerade  Gß,  das  heifst  aß,  ganz  aufser- 
halb  der  Geraden   GB  (ganz,   sage   ich,   denn   sie  kann  CB  nirgends 
anders  als  in  dem  Punkte  G  treffen,  nach  der  letzten  Forderung  oder 
dem  letzten  Axiom,  dafs  zwei  Gerade  keinen  Raum  einschliefsen). 


Xß 


2C}  Jobn  Wallis 

All.  Unter  denselbeu  Voraussetzungen  behaupte  ich, 
(lafs  die  Gerade  aß,  das  lieifst  AB,  bei  ihrer  Bewegung  die 
(lerade  CD  schneidet,  ehe  der  Punkt  a  nach  C  gelangt. 

Da  uämlicli  (nach  Ililfssatz  6),  sobald  der  Punkt  a  nach  C  ge- 
lanat,    die    sranze   Gerade    aß  die   Gerade    CD   überschritten   hat,    so 

mufs   sie   diesen  Übergang    entweder  als 
/j  n    n^  Ganzes   oder   stückweise   gemacht   haben. 

Aber  als  Ganzes  kann  sie  den  Übergang 
nicht  machen,  sonst  läge  nämlich  einmal 
die  Gerade  aß  auf  der  Geraden  CD,  und 
Fig.  6.  der  Winkel  DCF  deckte  sich  mit   dem 

Winkel  ßaF,  ein  gröfserer  mit  einem  klei- 
neren, was  unmöglich  ist.  Mithin  geschieht  der  Übergang  stückweise, 
das  heifst,  die  Gerade  aß  schneidet  einmal  die  Gerade  CD,  dann 
nämlich,  wenn  ein  Teil  von  ihr  den  Übergang  gemacht  hat,  aber  noch 
nicht  die  ganze  Gerade,  und  zwar  (nach  Hilfssatz  6),  bevor  der  Punkt  a 
zum  Punkte  C  gelangt  ist.     Was  zu  beweisen  war, 

VIII.  Schliefslich  will  ich  (indem  ich  die  Lehre  von  den  Ver- 
hältnissen und  den  Begriff  der  ähnlichen  Figuren  als  bekannt  voraus- 
setze) als  Grundsatz  annehmen: 

Zu  jeder   beliebigen  Figur  gebe   es   stets   eine   andere    ihr 

ähnliche  von  beliebiger  Gröfse. 
Das  scheint  nämlich  (da   Gröfsen   einer  unbeschränkten   Teilung  mid 
Vervielfachung  fähig  sind)  aus  dem  Wesen  der  Gröfsenverhältnisse  zu 
folgen,  dafs  man  nämlich  jede  Figur  (während  sie  ihre  Gestalt  behält) 
unbeschränkt  verkleinern  und  vergröfsern  kann. 

In  der  That  machen  alle  Geometer  diese  Annahme  (ohne  es  aus- 
drücklich auszusprechen  oder  vielleicht  selbst  zu  bemerken),  und  dar- 
unter auch  Euklid.  Denn,  wenn  er  fordert,  dafs  sich  bei  gegebenem 
Mittelpunkt  und  Halbmesser  der  Kreis  beschreiben  lasse,  so 
setzt  er  voraus,  dafs  es  einen  Kreis  von  beliebiger  Gröfse  oder  mit  be- 
liebig grofsem  Halbmesser  gebe,  und,  wenn  er  voraussetzt,  dafs  etwas 
möglich  sei,  so  fordert  er,  dafs  man  es  ausführen  könne.  Nun  wäre 
es  freilich  kein  billiges  Verlangen,  dafs  man  (ohne  die  nötigen  Vor- 
kenntnisse) nach  einem  gegebenen  Maufsstabe  zu  jeder  Figur  eine  ähn- 
liche solle  zeichnen  können.  Aber  dafs  es  ausführbar  ist,  das  darf  man 
bei  einer  beliebigen  Figur  ebenso  gut  wie  beim  Kreise  voraussetzen. 
Denn  nicht  deshalb,  weil  er  vor  den  übrigen  Figuren  etwas  voraus  hat, 
gestattet  es  der  Kreis,  dafs  man  ihn  ohne  Änderung  der  Gestalt 
nach  Belieben  stetig  vergröfsert   oder  verkleinert,   sondern  wegen  der 


Beweis  der  fünften  Forderung  Euklids.  27 

Eigeiiscliaften  der  stetigen  Gröfseii,  die  den  übrigen  Figuren  mit  dem 
Kreise  gemeinschaftlich  sind.  Man  darf  demnach  ebenso  voraussetzen, 
dafs  auch  bei  diesen  (ohne  Änderung  der  Gestalt)  eine  stetige  und 
unbegrenzte  Vergröfscrung  oder  Verkleinerung  möglich  sei. 

Gegen  unsere  Annahme  darf  mau  auch  nicht  einwenden,  dafs 
Euklid  an  dieser  Stelle  weder  die  Erklärung  proportionaler  Gröfsen 
noch  die  Erklärung  ähnlicher  Dreiecke  (die  jene  voraussetzt)  gegeben 
hat,  dafs  er  vielmehr  die  eine  erst  im  fünften,  die  andere  erst  im 
sechsten  Buche  giebt.  Denn  Euklid  hätte,  wenn  es  ihm  angebracht 
erschienen  wäre,  beide  dem  ersten  Buche  vorausschicken  können. 

IX.  Mittelst  dieser  Hilfssätze  beweise  ich  uun  auf  folgende  Art 
den  eigentlichen  Satz,  der  so  lautet: 

Werden  zwei  Gerade  von  einer  dritten  geschnitten,  und 
sind  die  inneren  Winkel  an  derselben  Seite  zusammen 
kleiner  als  zwei  Rechte,  so  treffen  die  Geraden,  ins 
Unendliche  verlängert,  einander  auf  der  Seite,  wo  jene 
beiden  Winkel  liegen,  die  zusammen  kleiner  sind  als  zwei 
Rechte. 

Es    seien  AB  und   CD  die   beiden   Geraden,    die  von  der  unbe- 
grenzten  Geraden  ACF  getroifen   werden    und    mit  ihr  an   derselben 
Seite  innere  Winkel  BA  C  und  D  CA  bilden, 
die  zusammen  kleiner  sind  als  zwei  Rechte.  P^ 

Ich  behaupte,  dafs  jene  beiden  Geraden  AB 
und  CD,  ins  Unendliche  verlängert,  einander 
treffen,  und  zwar  auf  der  Seite  der  Geraden  '"'x^ 

AF,  wo  sich  jene  beiden  Winkel  befinden. 

V 

Man  denke  sich  nämlich  die  Gerade  A  C,    ^, ' ^-  .^ 

die    zwischen   ihnen    auf   der   unbegrenzten  Fig.  7. 

Geraden  ACF  liegt,   auf  dieser  geradlinig 

bewegt.  Die  Gerade  yl^,  die  auf  ^C  steht,  mache  die  Bewegung  ohne 
Änderung  des  Winkels  BAC  mit,  bis  aß,  das  heifst,  die  bewegte  Gerade 
AB,  die  Gerade  CD  (nach  Hilfssatz  7)  in  einem  Punkte  jc  schneidet. 
Alsdann  ist  7t Ca  ein  Dreieck,  und  es  giebt  (nach  Hilfssatz  8)  ähn- 
liche Dreiecke  von  jeder  beliebigen  Gröfse.  Man  kann  daher  über  der 
Geraden  CA  ein  Dreieck  zeichnen,  das  dem  Dreieck  jtCa  mit  der 
Grundlinie  Ca  ähnlich  ist.  Man  denke  sich  das  ausgeführt,  und  es 
sei  PCA  dieses  Dreieck. 

Hier  darf  man  nicht  einwenden,  dafs  Euklid  noch  nicht  gelehrt 
habe,  wie  man  über  einer  gegebenen  Grundlinie  ein  Dreieck  zeichnet. 


677 


2S  John  Wallis. 

(las  einem  gegebenen  ähnlich  ist*).  Denn  vielfach  setzt  man  bei  der 
Vorbereitung**)  zum  Beweise  von  Lehrsätzen  (bei  der  Lösung  von 
Aufgaben  durch  Konstruktion  ist  es  freilich  weniger  am  Platze)  Dinge 
als  ausführbar  und  ausgeführt  voraus,  deren  geometrische  Ausführ- 
barkeit noch  nicht  gelehrt  wird,  zum  Beispiel  die  beiden  mittleren 
Proportionalen  von  zwei  (Tcraden,  ebenso  die  dem  Kreisumfange  gleiche 
Gerade  und  unzählig  vieles  andere.  Und  doch  gelingen  die  Beweise 
der  Lehrsätze  nicht  schlechter,  als  wenn  die  geometrische  Konstruktion 
völlig  bekannt  wäre.  Und  wenn  jemand  die  Gleichheit  des  arktischen 
Kreises  mit  dem  antarktischen  dadurch  begründete,  dafs  sie  zur 
Deckung  gebracht  werden  können,  da  ja,  wenn  man  den  Mittel- 
punkt auf  den  Mittelpunkt  und  die  Ebene  auf  die  Ebene  legt,  der 
Umfang  mit  dem  Umfang  (wegen  der  Gleichheit  der  Halbmesser) 
und  der  Kreis  mit  dem  Kreise  zur  Deckung  gelangt,  so  hat  niemand 
ein  Recht  diesen  Beweis  als  unerlaubt  zurückzuweisen,  weil  es  doch 
geometrisch  nicht  ersichtlich  ist,  wie  jemand  den  antarktischen  Kreis 
an  den  arktischen  anlegen  könne.  Es  genügt,  wenn  diese  Kreise  so 
beschaffen  sind,  dafs  sie,  falls  mau  sie  aneinanderlegt,  notwendig  zur 
Deckung  gelangen. 

Ebenso  gut  gelingt  hier  der  Beweis,  sobald  nur  feststeht,  dafs 
mau  das  ausführen  kann,  was  hier  als  ausgeführt  gedacht  wird,  näm- 
lich das  Dreieck  PCA  zu  zeichneu.    Wir  fahren  in  dem  Beweise  fort. 

Da  also  PCA  ein  Dreieck  ist,  so  treffen  (nach  der  Erklärung 
des  Dreiecks)  die  beiden  Geraden  CP  und  AP  einander  im  Punkte  P, 
und  ila  das  Dreieck  PCA  dem  Dreieck  TcCa  (nach  Konstruktion) 
älinlich  ist,  so  sind  die  einzelnen  Winkel  den  einzelnen  Winkeln  der 
Reihe  nach  gleich  (nach  der  Erklärung  ähnlicher  geradliniger  Figuren). 
Mithin  ist  der  Winkel  PCA  dem  Winkel  nCu,  das  heifst  dem  Winkel 
DCA  gleich,  und  es  liegt  daher  die  Gerade  CP  in  der  Verlängerung 
der  Geraden  CD.  Läge  nämlich  die  Gerade  CD  jenseits  oder  diesseits, 
so  wäre  der  Winkel  PCA  gröfser  oder  kleiner  als  der  Winkel  DCA, 
während  doch  ihre  Gleichheit  bewiesen  wurde. 

Ebenso  ist  der  Winkel  PAC  gleich  dem  Winkel  TtaC.  Demselben 
Winkel  naC,  das  heifst  dem  Winkel  ßciF,  ist  aber  der  Winkel  BAF 
oder  BAC  gleich  (nach  Hilfssatz  3  und  4),  und  daher  ist  auch  der 
Winkel  BAC  gleich  dem  Winkel  PAC.  Mithin  liegt  die  Gerade  AP 
in  der  Verlängerung  der  Geraden  AB  (läge  sie  nämlich  jenseits  oder 


*)  [Was  Wallis  hier  behauptet,  ist  nicht  ganz  richtig:  merkwürdiger  Weise 
Qpdet  sich  in  den  Elementen  nichts  über  die  Konstruktion  von  Dreiecken,  die 
einem  gegebenen  Dreieck  ähnlich  sind.) 

**)  [Im  Original  steht:  in  :tuQaay.iV7j  ad  demonstrationes  theorematum.] 


Beweis  der  fünften  Forderung  Euklids.  29 

diesseits,   so  wären  die  Winkel  BÄC   und  FÄC  verschieden,    deren 
Gleichheit  bewiesen  ist). 

Demnach  fällt  die  Gerade  ÄP  mit  der  Verlängerung  von  AB 
zusammen.  Ebenso  bilden  CP  und  die  Verlängerung  von  CD  eine 
Gerade.  Es  treffen  sich  aber  (wie  schon  gezeigt  ist)  AP  und  CP  in 
dem  Punkte  P,  also  treffen  sich  auch  die  Verlängerungen  von  AB 
und  CD,  und  zwar  in  eben  diesem  Punkte  P,  das  heifst,  auf  der  Seite 
der  Geraden  EAF,  wo  jene  beiden  Winkel  liegen,  die  zusammen 
kleiner  als  zwei  Rechte  sind.     Was  zu  beweisen  war. 

Diesen  Beweis  habe  ich  nach  den  strengsten  Regeln  für  das  Be- 
weisen durchgeführt,  indem  ich  mir  Euklid  zum  Vorbild  genommen 
habe,  damit  auch  ein  strenger  Richter  mir  nicht  den  Vorwurf  macheu 
kann,  dafs  zum  vollgültigen  Beweise  etwas  fehle.  Jedoch  tadle  ich 
ganz  und  gar  nicht,  dafs  Euklid  keinen  Beweis  gegeben  hat,  vielmehr 
würde  ich  sogar  nichts  dagegen  haben,  wenn  er  noch  mehr  un- 
bewiesene Forderungen  aufgestellt  hätte,  zum  Beispiel,  wenn  er  (mit 
Archimedes)  gefordert  hätte,  dafs  die  gerade  Linie  unter  allen 
Linien  zwischen  denselben  Endpunkten  die  kürzeste  sei, 
(dabei  hätte  er  dann  nicht  neunzehn  Sätze  vorauszuschicken  gebraucht, 
ehe  er  bewies,  dafs  zwei  Dreiecksseiten  zusammengenommen 
gröfser  sind  als  die  dritte)  und  anderes,  was  an  und  für  sich 
einleuchtend  ist. 

Aber  Euklid  scheint  die  Absicht  gehabt  zu  haben,  auf  Grund  mög- 
lichst weniger  Forderungen  das  Übrige  durch  die  strengsten  Schlüsse 
zu  beweisen,  und  so  kommt  es,  dafs  er  sich  nicht  selten  damit  ab- 
quält, Dinge  zu  beweisen,  die  ihm  jedermann  ohne  weiteres  zugestehen 
wird.  Bei  jedem  Beweise,  und  zwar  in  jedem  Gebiete  ohne  Ausnahme, 
mufs  man  etwas  voraussetzen.  Denn,  ohne  etwas  vorauszusetzen  (oder 
es  vorher  zuzugeben  oder  vorher  zu  beweisen),  ist  kein  Beweis  möglich. 
Freilich  pflegen  diese  Voraussetzungen  von  anderen  Schriftstellern 
(über  andere  Gegenstände)  nicht  ausdrücklich  genannt  zu  werden  (wie 
das  Euklid  gethan  hat),  sondern  sie  nehmen  solche  Voraus-  G7» 
Setzungen  stillschweigend  an,  ohne  es  zu  bemerken. 

Auch  bei  Euklid  selbst  finden  sich  im  Fortgange  seines  Werkes 
neben  den  ausdrücklich  erwähnten  Voraussetzungen  (den  wichtigsten 
und  bemerkenswertesten)  zuweilen  noch  andere,  die  entweder  aus  dem 
Anblicke  der  Figur  oder  anderswoher  einleuchten,  die  aber  nie- 
mand bestreiten  wird.  Eine  solche  Voraussetzung  (die  überall  vor- 
kommt) ist  die,  dafs  das  Ganze  genau  dasselbe  ist  wie  die  Summe 
der  Teile  (woraus  man  schliefst,   dafs,  wenn  sich  zeigen  läfst,  etwas 


30  John  Wallis.     Beweis  der  fünften  Forderung  Euklids. 

sei  gleich  der  Summe  der  Teile,  es  auch  dem  Ganzen  gleich  ist), 
ebenso,  dafs,  was  für  die  einzelnen  Fälle  als  richtig  bewiesen  ist, 
allgemein  richtig  ist  (zum  Beispiel,  was  für  das  rechtwinklige,  das 
spitzwinklige,  xmd  das  stumpfwinklige  Dreieck  gilt,  gilt  für 
jedes  geradlinige  Dreieck,  weil  es  eben  keine  anderen  gerad- 
linigen Dreiecke  giebt),  und  ebenso,  dafs  eins  und  eins  zwei,  und  vier 
und  eins  fünf  ist,  und  iihnliches,  was  ein  aufmerksamer  Leser  ab  und 
zu  bemerken,  was  aber  niemand  tadeln  wird,  (nicht  zu  erwähnen,  dafs 
er  bei  der  Erklärung  der  Kugel,  des  Kegels  und  des  Cylinders 
die  Bewegung  der  Ebene  voraussetzt,  die  er  weder  erklärt  noch 
gefordert  hat).  Aber  auch  wenn  er  noch  mehr  entweder  stillschweigend 
vorausgesetzt  oder  ausdrücklich  gefordert  hätte,  was  an  sich  ein- 
leuchtend ist,  darf  man  ihn  deshalb  nicht  anklagen,  also  auch  nicht, 
wenn  er  fordert,  dafs  zwei  (in  derselben  Ebene  liegende)  Ge- 
rade, die  einander  näher  kommen,  schliefslich  zusammen- 
treffen sollen. 


GIROLAMO  SACCHERI 

1667—1733. 


In  den  Vorbemerkungen  zu  dem  Versuche  von  Wallis  hatten  wir 
bereits  erwähnt,  dafs  im  siebzehnten  Jahrhundert  auch  in  Italien 
das  Interesse  für  die  Grundlagen  der  Geometrie  rege  war,  und  zwar 
sind  die  Gegenstände,  mit  denen  sich  die  Mathematiker  damals  haupt- 
sächlich beschäftigten,  die  Lehre  von  den  Proportionen  und  die  Pa- 
rallelentheorie. 

Für  die  Parallelentheorie  ist  zunächst  Borelli  zu  nennen,  der 
allerdings  durch  seine  Untersuchungen  über  die  Bewegung  der  Lebe- 
wesen (De  motu  animalium,  Rom  1680)  bekannter  ist.  Er  gab  1658 
seinen  Euclides  restitutus  heraus  und  kritisierte  in  einer  An- 
merkung (S.  37)  Euklids  Parallelentheorie:  er  wirft  ihr  vor,  dafs  der 
Begriff  des  Unendlichen  hineingezogen  werde,  insofern  Gerade  als 
parallel  erklärt  werden,  wenn  sie,  ins  Unendliche  verlängert,  einander 
nicht  schneiden.  Borelli  schlägt  deshalb  vor,  gerade  Linien  dann 
parallel  zu  nennen,  wenn  sie  ein  gemeinsames  Lot  besitzen;  das  sei 
eine  durchaus  fafsliche,  dem  menschlichen  Geiste  zugängliche  Eigen- 
schaft. Bald  aber  stellt  sich  heraus,  dafs  diese  Erklärung  zum  Be- 
weise der  fünften  Forderung  nicht  ausreicht,  und  Borelli  sieht  sich, 
genötigt,  als  neues  Axiom  das  bereits  bei  Clavius  angeführte  zu  Hilfe 
zu  nehmen,  das  er  nach  dem  Vorgange  von  Guldin  so  formuliert': 
Wird  eine  gerade  Linie,  die  auf  einer  anderen  senkrecht 
steht,  in  der  Weise  verschoben,  dafs  der  eine  Endpunkt 
immer  auf  der  Geraden  verharrt  und  der  rechte  Winkel  in 
ihm  erhalten  bleibt,  so  beschreibt  der  andere  Endpunkt  eine 
gerade  Linie.  Wir  müssen  daher  sagen,  dafs  er  die  von  ihm  her- 
vorgehobene Schwierigkeit  im  Grunde  nur  umgangen  hat. 

In  den  meisten  Lehrbüchern  der  Elementargeometrie  vom  sech- 
zehnten bis  zum  Anfange  des  achtzehnten  Jahrhunderts  werden  — 
was  ja  sehr  bequem  ist  —  parallele  Gerade  sofort  als  äquidistante 
erklärt.  Der  erste,  der  erkannte,  dafs  diese  Erklärung  nur  dann  zu- 
lässig ist,  wenn  man  das  Vorhandensein  solcher  Geraden  erweisen 
kann,  scheint  Giordano  da  Bitonto  (1680)  gewesen  zu  sein.  In 
den  Endpunkten  einer  Grundlinie  denkt  er  sich  Lote  von  gleicher 
Länge   errichtet  und   sucht  zu   beweisen,   dafs   die  Verbindungsgerade 

Stäckol  u.  Engel  ,  ParaUelentheorie.  3 


34  Einleitung  zu  Saccheris 

der  Endpunkte  dieser  Loie  von  der  Grundlinie  überall  denselben  Ab- 
stand hat.  Zu  diesem  Zwecke  stellt  er  eine  etwas  verwickelte  Be- 
trachtung an,  aus  der  hervorgehen  soll,  dafs  die  Lote,  die  man  von 
den  Punkten  irgend  einer  krummen  Linie  auf  die  Grundlinie  fällen 
kaim,  nicht  alle  gleich  sein  können.  Die  Unzulänglichkeit  seines 
Sehlufsverfahrens  hat  bereits  Klügel  in  zutreffender  Weise  dargethan. 
Bemerkenswert  erscheint  noch,  dafs  wir  bei  diesem  Beweise  Gior- 
dauos  der  Figur  wieder  begegnen,  die  wir  schon  bei  Clavius  fanden, 
und  die  wir  abermals  bei  Saccheri  finden  werden. 

Zu  diesem  merkwürdigen  Manne  wenden  wir  uns  jetzt  und  be- 
richten zunächst  über  sein  Leben  und  seine  Person.  Wir  sind  dabei 
in  der  glücklichen  Lage,  Aufzeichnungen  benutzen  zu  können,  die 
der  Jesuitenpater  Fr.  Gambarana  über  seinen  Ordensbruder  gemacht 
hat,  mit  dem  zusammen  er  35  Jahre  lang  in  Pavia  gewirkt  hatte. 
Bei  dieser  Gelegenheit  wollen  wir  auch  dem  Direktor  der  Biblioteca 
Estense,  Herrn  Forti  in  Modeua,  nochmals  unseren  Dank  dafür  aus- 
sprechen, dafs  er  uns  eine  Abschrift  dieser  als  Codice  Estense  I.  H.  10. 
(18  Seiten  Folio)  bezeichneten  Handschrift  hat  zukommen  lassen. 

Girolamo  Saccheri  ist  am  5.  September  1667  in  San  Remo 
geboren,  das  damals  zum  Gebiete  der  Republik  Genua  gehörte;  über 
seine  Eltern  wissen  wir  nichts.  Am  24.  März  1685  ward  er  in  die 
Gesellschaft  Jesu  aufgenommen,  und  zwar  geschah  dies  in  Genua, 
wo  er  sich  schon  einige  Jahre  vorher  aufgehalten  zu  haben  scheint. 
Nach  Beendigung  des  Noviziats  wirkte  er  als  Lehrer  der  Grammatik 
an  dem  von  Jesuiten  geleiteten  Collegio  di  Brera  in  Mailand. 
Lehrer  der  Mathematik  war  daselbst  Tommaso  Ceva  (1648 — 1737), 
ein  Bruder  des  bekannten  Mathematikers  Giovanni  Ceva;  mit  beiden 
Brüdern  hat  Saccheri  in  wissenschaftlichem  Verkehr  gestanden  und 
von  ihnen  mannigfache  Anregungen  empfangen.  Darauf  war  er  eine 
Zeit  lang  Lehrer  der  Philosophie  und  der  polemischen  Theologie  an 
dem  Jesuitenkollegium  zu  Turin  und  kam  endlich  im  Jahre  1697 
an  das  Collegium  zu  Pavia.  Dort  hat  er  aufserdem  an  der  Uni- 
versität Yorlösungen  über  Arithmetik,  Algebra,  Geometrie  und  andere 
Gegenstände  der  Mathematik  gehalten.  Die  Herbstferien  pflegte  er  in 
Mailand  am  Collegio  di  Brera  zuzubringen,  wo  er  auch  nach  langer 
Krankheit  am  25.  Oktober  1733  gestorben  ist. 

Saccheris  Charakter  schildert  sein  Biograph  Gambarana  mit 
folgenden  Worten:  „Er  kümmerte  sich  nicht  um  seine  Person,  um 
Speise,  um  Kleidung,  um  Bequemlichkeit,  nur  die  Wahrheit,  das 
"\^  ohl  anderer,  die  Ehre  und  die  Fortschritte  des  heiligen  römischen 
Glaubens  lagen  ihm  am  Herzen." 


Euclidcs  ab  omni  naevo  vindicatus.  35 

Mit  besonderer  Ausführlichkeit  verweilt  Gambarana  bei  einer 
Seite  von  Saecheris  Begabung,  die  auf  jeden,  der  ihn  kennen  lernte, 
besonderen  Eindruck  machen  mufste,  bei  seiner  ungewöhnlichen  Ge- 
dächtniskraft und  Combinationsgabe.  Schon  früh  zeigte  sich  sein 
Rechengenie.  Als  Knabe  von  fünf  Jahren  löste  er  bereits  schwierige 
Rechenaufgaben,  die  man  ihm  vorgelegt  hatte.  Später  wurde  er  ein 
vorzÄiglicher  Schachspieler,  er  spielte  gleichzeitig  drei  Partieen  ohne 
Ansicht  des  Brettes  und  siegte  in  der  Regel.  Während  des  Spiels 
konnte  er  sich  mit  andern  unterhalten  und  sogar  „über  abstruse  Pro- 
bleme der  Geometrie  nachdenken";  nachher  wiederholte  er  die  Partieen 
aus  dem  Gedächtnis.  Tommaso  Ceva  hat  ihn  in  seiner  Philosophia 
Novo-antiqua,  Mailand  1704,  mit  den  Versen  besungen: 

Scacchia  qui  triplici  certamine  versat  eodem 
Tempore,  summotus  ludo  procul  omnia  mente 
Complexus  memori. 
Eine  ebenso  grofse  Geschicklichkeit  besafs  Saccheri  in  der  Kunst  des 
Chiffernlesens,  wovon  Gambarana  erstaunliche  Proben  mitteilt. 

Auf  Saecheris  theologische  Schriften  einzugehen,  ist  hier  nicht 
der  Ort.  Ehe  wir  von  den  mathematischen  sprechen,  wollen  wir  er- 
wähnen, dafs  er,  nach  Gambarana,  im  Jahre  1692  in  Turin  eine 
Abhandkmg  über  Logik  veröffentlichte,  deren  Titel:  Logica  demon- 
strativa  war.  Indes  ist  eine  solche  Schrift  weder  in  Backers  Biblio- 
theque  des  ecrivains  de  la  Conipagnie  de  Jesus,  noch  in  Ric- 
cardis  Biblioteca  matematica  italiana  angeführt.  Dort  findet 
sich  vielmehr  ein  Werk:  Logica  demonstrativa  theologicis,  philo- 
sophicis  et  mathematicis  disciplinis  accommodata,  auctore 
R.  P.  Hieronymo  Saccherio  Societatis  Jesu.  Ticini  Regii  1701, 
8*^,  sowie  ein  Nachdruck:  Augustae  Ubiorum  1735,  8",  162  Seiten. 
Genaueres  über  dieses  Werk,  auf  das  sich  Saccheri  bei  seinen  Unter- 
suchungen über  die  Parallelentheorie  beruft,  können  wir  leider  nicht 
mitteilen. 

Dagegen  haben  wir  die  drei  mathematischen  Schriften  Sae- 
cheris sämtlich  eingesehen.  Die  königlichen  Bibliotheken  in  Berlin 
und  in  München  besitzen  sein  Erstlingswerk: 

Quaesita    geometrica    a    Comite    Ruggerio    de    Viginti 
Milliis   Omnibus    proposita,    ab    Hieronymo   Saccherio    Ge- 
nuensi  Societatis  Jesu  soluta.    Mediolani  1693,  4P,  37  Seiten, 
von  dem  Riccardi  eine  zweite  Ausgabe  erwähnt: 

Sphinx  geometra  seu  quaesita  geometrica  proposita  et 
soluta  rursus  prodeunt  auspiciis  Serenissimi  Principis 
Francisci  Farnese,  Parma  1694.    4°. 

3* 


30  Einleitung  zu  Saccheris 

Es  handelt  sich  in  diesem  Werke  um  sechs  geometrische  Auf- 
gaben, die  Graf  Roger  Ventimiglia  aus  Palermo  (1670 — 1698)  im 
April  1692  in  dem  Diarium  Parmense  gestellt  hatte,  und  die  haupt- 
sächlich Kegelschnitte  betreffen.  Bei  der  Lösung  dieser  Aufgaben  be- 
dient sich  Saccheri,  der  recht  beträchtliche  geometrische  Kenntnisse 
zeigt,  der  geistreichen  Methoden,  die  Giovanni  Ceva  in  seinem 
Werke:  De  lineis  rectis  se  invicem  secantibus  statica  con- 
structio,  Mailand  1678,  entwickelt  hatte,  einem  Werke,  das  als  ein 
Vorläufer  von  Moebius'  Barycentrischem  Calcul  bezeichnet  werden 
darf.  Die  Quaesita  werden  erwähnt  in  dem  Traite  analytique  des 
sections  coniques  von  L'Hospital  (Paris  1707,  S.  259),  wo  der 
Pere  Saquerius  als  sehr  bewandert  in  der  Geometrie  gerühmt  wird. 
Weniger  günstig  müssen  wir  über  Saccheris  zweite  Schrift 
urteilen,  die  wir  in  den  Universitätsbibliotheken  zu  Wien  und  zii 
München  gefunden  haben,  und  die  den  Titel  führt: 

Neostatica  auetore  Hieronymo  Saccherio  e  Societate  Jesu. 

Excellentissirao   senatui    Mediolanensi    dicata.     Mediolaui 

1708,  4".  168  Seiten. 
Sie  verdankt  ihre  Entstehung  einem  Gedanken,  den  Tommaso  Ceva 
in  seinem  Buche:  De  natura  gravium,  Mailand  1699,  ausgesprochen 
hatte,  dafs  nämlich,  wenn  die  Schwerkraft  nach  dem  Erdmittelpunkt 
gerichtet  sei,  Galileis  Fallgesetze  nicht  wahr  sein  könnten,  die  ja 
voraussetzen,  dafs  die  Schwerkraft  überall  dieselbe  Richtung  habe. 
Diesen  Gedanken  weiter  verfolgend,  untersucht  Saccheri  zunächst 
die  Zusammensetzung  von  Kräften,  die  alle  nach  demselben  Punkte 
gerichtet  sind.  Dann  macht  er,  ebenfalls  nach  dem  Vorgange  Cevas, 
die  Annahme,  die  Schwerkraft  sei  proportional  dem  Abstände  vom 
Erdmittelpunkte  und  leitet  den  bereits  in  Newtons  Principieu  1687 
(Lib.  I,  Sectio  X,  Propositio  47)  angegebenen  Satz  her,  dafs  bei  einem 
solchen  Gesetze  der  Anziehung  die  Wurfbahn  immer  eine  Ellipse  sein 
müsse. 

Wir  kommen  endlich  zu  Saccheris  Hauptwerk: 

Euclides  ab  omni  naevo   vindicatus:   sive  conatus  geo- 

metricus  quo  stabiliuntur  prima  ipsa  universae  geometriae 

principia.     Auetore  Hieronymo  Saccherio   Societatis  Jesu. 

Mediolani  1733,  4'',  XVI  und  142  Seiten,  mit  6  Figurentafeln. 
Sein  Titel  erinnert  an  Saviles  Aufserung  über  die  beiden  Makel,  die 
den  wunderschönen  Leib  der  Geometrie  entstellen. 

Die  Druckerlaubnis  der  Inquisition  ist  am  13.  Juli  1733,  die  des 
Provinzials  der  Gesellschaft  Jesu  am  16.  August  1733  erteilt  worden. 
^^h•  dürfen  daher  annehmen,  dafs   Saccheri,  der,  wie  Gambarana 


Euclicles  ab  omni  naevo  vindicatus.  37 

berichtet,  nach  lauger  Krankheit  am  25.  Oktober  1733  starb,  dieses 
Werk,  das  wohl  die  Arbeit  eines  Menschenlebens  darstellt,  noch  vor 
seinem  Tode  gedruckt  sehen  wollte;  ob  er  die  Vollendung  des  Druckes 
erlebt  hat,  erscheint  fraglich.  Diese  Umstände  erklären  es  sehr  gut, 
dafs  einige  Beweise  noch  kleine  Lücken  zeigen,  sowie  auch,  dafs  sich 
an  einigen  Stellen  falsche  Rückverweisungen  auf  frühere  Sätze  finden. 

Das  Werk  besteht  aus  zwei  Büchern,  die  an  Umfang,  wie  an 
Wert,  sehr  ungleich  sind.  Das  zweite,  kürzere  betrifft  die  Lehre  von 
den  Proportionen  und  braucht  hier  nicht  berücksichtigt  zu  werden. 
Um  so  wichtiger  ist  das  erste,  das  einen  geistreichen  Versuch  enthält, 
die  Euklidische  Geometrie  als  die  einzig  mögliche  nachzuweisen. 

Saccheri  hat  das  unvergängliche  Verdienst,  dem  Probleme  der 
Parallellinien  eine  ganz  neue  Seite  abgewonnen  zu  haben.  Die  Ver- 
suche, die  wir  im  Vorhergehenden  kennen  gelernt  haben,  beruhten  auf 
dem  gemeinschaftlichen  Grundgedanken,  dafs  man  die  fünfte  Forde- 
rung unmittelbar  aus  den  anderen  Voraussetzungen  der  Euklidischen 
Geometrie  herleiten  wollte.  Alle  diese  Versuche  litten  an  dem  wesent- 
lichen Mangel,  dafs  bei  ihnen,  mehr  oder  weniger  offen,  ein  neues 
Axiom  an  Stelle  des  zu  beweisenden  eingeführt  wurde. 

Saccheri  giebt  nun  der  Frage  die  neue  Wendung:  Wäre  die  fünfte 
Forderung  keine  Folge  der  übrigen  Voraussetzungen  Euklids,  so  könnten 
bei  einem  Viereck  ABDG,  das  in  A  und  B  rechte  Winkel  hat  und 
wo  AG  =  BD  ist,  die  Winkel  bei  G  und  D  spitz  oder  stumpf  sein. 
Macht  man  eine  dieser  beiden  Annahmen,  die  er  als  die  Hypothese 
des  spitzen  bez.  des  stumpfen  Winkels  bezeichnet,  so  lassen  sich  aus 
ihr  weitere  geometrische  Folgerungen  ziehen.  Um  die  Wahrheit  der 
fünften  Forderung  nachzuweisen,  an  der  Saccheri  nicht  gezweifelt 
zu  haben  scheint,  mufs  man  also  zeigen,  dafs  jede  dieser  Annahmen 
schliefslich  zu  einem  Widerspruch  führt.  Einen  solchen  Widersprucli 
zu  finden,  gelingt  Saccheri  bei  der  Hypothese  des  stumpfen  Winkels 
ohne  Schwierigkeit,  jedoch  bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels 
erst,  wie  er  sich  ausdrückt,  nach  einem  langwierigen  Kampfe.  Er 
sieht  sich  dabei  genötigt,  die  Folgerungen  ziemlich  weit  zu  treiben, 
und  gelangt  so  zu  einer  Reihe  von  Sätzen,  die  man  gewöhnlich  teils 
Legendre,  teils  den  Begründern  der  nichteuklidischen  Geometrie 
Lobatschefskij  und  Bolyai  zuschreibt. 

Legendre,  dessen  Untersuchungen  über  die  Parallelentheorie  in 
die  Zeit  von  1794 — 1838  fallen,  hat  unter  ausschliefslicher  Benutzung 
der  ersten  achtundzwanzig  Sätze  des  ersten  Buches  der  Elemente  be- 
wiesen, dafs  die  Summe  der  Winkel  eines  Dreiecks  nicht  kleiner  sein 
kann  als  zwei  Rechte,  und   dafs   sie   gleich   zwei  Rechten   sein   mufs, 


38  Einleitung  zu  Saccheiis 

sobald  das  für  irgend  ein  Dreieck  der  Fall  ist.  Beide  Sätze  finden  sich 
schon  bei  Saccheri,  der  nicht  nur  die  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels  widerlegt,  sondern  auch  eine  ganze  Reihe  von  Sätzen  ent- 
wickelt hat,  in  denen  Kennzeichen  zur  Unterscheidung  der  Hypothese 
des  rechten  Winkels  von  den  beiden  anderen  Hypothesen  aufgestellt 
werden;  eins  dieser  Kennzeichen  ist  das  von  Legendre  wieder- 
gefundene. 

Weiter  aber  hat  Saccheri  bei  der  Hypothese  des  spitzen 
Winkels  das  Verhalten  zweier  sich  nicht  schneidender  Geraden  ein- 
gehend untersucht  und  das  Vorhandensein  des  gemeinsamen  Lotes 
und  der  Grenzlinien  in  aller  Strenge  nachgewiesen.  Er  hat  auch 
schon  den  Ort  der  Punkte  betrachtet,  die  von  einer  Geraden  gleich 
weit  entfernt  sind,  und  ist  so  zu  den  Oricyclen  von  Lobatschefskij 
gelangt. 

Hervorzuheben  ist  noch,  dafs  Saccheris  Beweise  für  diese  Sätze 
sehr  klar  und  elegant  sind,  während  später,  wo  es  gilt,  die  angeb- 
lichen "Widersprüche  zu  finden,  seine  Darstellung  mühsam  und  weit- 
schweifig wird. 

Fragt  man  nun,  wie  Saccheri  zu  dieser  Problemstellung  gelangt 
ist,  ,so  läfst  sich  wenigstens  zweierlei  feststellen:  Einmal  betont  er 
immer  wieder  und  wieder,  dafs  es  unzulässig  sei,  parallele  Gerade  als 
äquidistante  zu  erklären,  dafs  vielmehr  das  Vorhandensein  solcher  äqui- 
distanter  Geraden  durchaus  eines  Beweises  bedürfe;  dies  hatte  —  wie 
wir  wissen  —  schon  Giordano  da  Bitonto  erkannt,  dessen  Werk 
indes  Saccheri  entgangen  zu  seiu  scheint.  Dann  aber  ist  Boreliis 
Erklärung  der  Parallelen  als  solcher  Geraden,  die  ein  gemeinschaft- 
liches Lot  besitzen,  auf  Saccheris  Gedankengang  von  Einflufs  ge- 
wesen. Will  man  nämlich,  von  dieser  Erklärung  ausgehend,  die  Sätze 
der  Euklidischen  Geometrie  herleiten,  so  kommt  alles  darauf  an, 
zu  zeigen,  dafs  der  Abstand  jener  beiden  Geraden  an  einer  beliebigen 
Stelle  dem  gemeinsamen  Lote  gleich  ist,  und  hierdurch  wird  man  gerade 
auf  die  schon  vorhin  erwähnte  Figur  geführt,  die  den  Ausgangspunkt 
von  Saccheris  Untersuchungen  bildet. 

Der  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus  scheint  ein  ziemlich 
verbreitetes  Buch  gewesen  zu  sein.  In  Deutschland  haben  wir  sein  Vor- 
handensein auf  den  Königlichen  Bibliotheken  zu  Berlin  und  Dresden 
und  auf  den  Universitätsbibliotheken  in  Göttiugen  (seit  1770),  Halle, 
Rostock  und  Tübingen  festgestellt.  Auch  findet  man  das  Werk  im 
achtzehnten  Jahrhundert  wiederholt  erwähnt.  So  erschien,  um  nur  das 
Wichtigste  anzuführen,  im  Jahre  1736  eine  Anzeige  in  den  Acta  Eru- 
ditorum  (S.  277),  die  jedoch  auf  den  Inhalt  nur  oberflächlich  eingeht, 


Euclicles  ab  ouini  nacvo  vindicatus.  39 

im  Jalire  1742  finden  wir  es  in  Heilbronners  Historia  matlie- 
seos  (S.  162)  unter  den  Schriften  über  Euklids  Elemente  erwähnt, 
1758  nennt  es  Montucla,  als  er  vom  Parallelenaxiom  spricht,  im 
ersten  Bande  der  Histoire  des  mathematiques  (2.  Aufl.  S.  209), 
und  endlich  1763  wird  dieses  „sonderbare  Buch"  von  Klügel  in  seiner 
Dissertation  über  die  Geschichte  der  Parallelentheorie  eingehend  be- 
sprochen. Klügel  erkennt  die  Sorgfalt  und  den  Scharfsinn  Saccheris 
an.  Jedoch  haben  sie,  so  urteilt  er  sehr  richtig,  nicht  zum  Ziele  ge- 
führt, denn  die  Widersprüche,  zu  denen  Saccheri  gelangt,  beruhen  teils 
auf  einem  unzulässigen  Gebrauch  des  Unendlichen,  teils  sind  sie  auf 
unrichtige  Vorstellungen  über  die  Erzeugung  von  Curven  durch  die 
Bewegung  eines  Punktes  zurückzuführen. 

Auch  später  ist  Saccheris  Werk  nicht  ganz  in  Vergessenheit 
geraten;  wir  finden  es  erwähnt  in  C.  F.  A.  Jacobis  Dissertation  1824, 
in  Camerers  Euklidausgabe  1824,  und  in  den  Gymnasialprogrammen 
von  Thiermann  1862  und  Maier  1875.  Auch  hier  wird  Saccheris 
„grofse  Sorgfalt  und  erfinderischer  Scharfsinn"  gepriesen,  indessen  ver- 
missen wir  überall  ein  genaueres  Eingehen  auf  das  Wesen  der  Sache. 
Erst  Beltrami  hat  im  Jahre  1889  nachdrücklich  hervorgehoben,  dafa 
wir  in  Saccheri  einen  Vorläufer  Lobatschefskijs  zu  sehen  haben, 
und  hat  dadurch  auch  in  weiteren  Kreisen  den  Namen  seines  Lands- 
mannes bekannt  gemacht. 

Beltrami  hatte  damals  mitgeteilt,  dafs  der  Jesuitenpater  Mang a- 
uotti  eine  neue  Ausgabe  des  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus 
vorbereite;  diese  Absicht  ist  jedoch  bis  jetzt  nicht  zur  Ausführung 
gekommen.  Eine  englische  Übersetzung  des  ersten  Buches  hat  George 
Bruce  Hälsted  im  American  Mathematical  Monthly  begonnen, 
und  es  sind  von  Juni  bis  December  1894  die  ersten  dreizehn  Lehrsätze 
erschienen.  Wir  haben  uns  bei  unsrer  Übersetzung  möglichst  eng 
an  das  Original  gehalten  und  sind  ihm  auch  da  gefolgt,  wo  es  möglich 
gewesen  wäre,  durch  den  Gebrauch  moderner  Ausdrücke  eine  kürzere 
und  vielleicht  auch  leichter  verständliche  Fassung  zu  erzielen,  denn  nur 
so  glaubten  wir  dem  historischen  Standpunkte  unsers  Buches  gerecht 
zu  werden. 


40  Litteratur  zu  Saccheri. 

Litteratur. 

Back  er,  Augustin  et  Alois  de,  Bibliotheqiie  des  ecrivains  de  la  compagnie  de  Jesus. 
4iöino  s^rie.     Liege  1858.    S.  650. 

Beltrami,  Un  precursorc  italiano  di  Legendre  et  di  Lohatschewsky.  Atti  della 
Reale  Accademia  dei  Lincei.   Anno  1889.    Serie  4.    Vol.  V.    S.  441—448. 

Borelli,  Euclides  restitutus  sive  prisca  geometriae  elementa  brevius  et  facilius 
contexta.    Pisa  1658. 

Camerer,  Eitdidi,<:  demcnta  graece  et  latine,  commentariis  instructa,  ed.  Camerer 
et  Hauber.    Berlin  18-24.    Bd.  1.    S.  423. 

Cantor,  M.,  Vorlestmgen  über  die  Geschichte  der  Mathematik,  Bd.  2.  1892.  S.  (507; 
Bd.  3.    1894.    S.  13  und  18. 

Ceva,  Thomas,  Philosophia  Novo-antiqua,  Mailand  1704.  2.  Ausgabe,  Venedig  1732: 
Dissertatio  I,  S.  24. 

Ferrari,  Guido,  Opnscidorum  CoUectio,  Lugani  1777,  S.  82,  99  und  101. 

Giordano  da  Bitonto,  Eiiclide  restituto  overo  gli  antichi  elementi  geometrici 
ristaurati  e  facilitati,  Rom  1680.    Fol.    Zweite  Ausgabe  1686. 

Quid  in,  Centrobaryca  seu  de  centro  gravitatis  trium  specierum  quantitatis  con- 
tinuae.    Lib.  IV.    Wien  1641.     S.  350. 

Halsted,  George  Bruce,  Non  Euclidean  Geometry,  historical  and  expository.  The 
American  Mathematical  Monthly,  Kidder  (Missouri)  1894,  S.  70—72,  112—115, 
149—152,  188—191,  222—223,  259—260, 301—303, 345—346, 378—379, 421—423. 

Jacobi,  C.  F.  A. ,  De  midecimo  EucUdis  axiomate  iudicium.  Dissertation.  Jena 
1824. 

Klügel,  Conatuum  praecipuanim  theoriam  parallelartim  stdbiliendi  recensio.  Disser- 
tation.    Göttingen  1763. 

Lombardi,  Storia  della  letteratiira  italiana  nel  secölo  XVIII.  Tomo  I.  Modena 
1827.     S.  352. 

Maier,  Froklos  über  die  Petita  und  Axiomata  bei  Euklid.  Programm.  Tübingen 
1875. 

Mansion,  Analyse  des  Pecherches  du  P.  Saccheri,  S.  J.,  sur  h  Postulatum  d'EucUde. 
Annales  de  la  Sociale  scientifique  de  Bruxelles.    1890.    Part.  I.    S.  43. 

Riccardi,  Bibliotecu  matematica  italiana.  Parte  prima.  Vol.  I.  Modena  1870. 
Vol.  U.    1876.    Appendice,  Ser.  I— VI.    1878-1893. 

Thiermann,  Geometrisclie  Abhandlung  über  Erklärungen,  Forderungen  und  Grund- 
sätze nebst  einer  elementaren  Begründung  der  Lehre  von  den  Parallellinien. 
Programm.     Göttingen  1862.     S.  40—56. 

Verci,  Giambatista,  Lettere  alla  nobile  Signora  Contessa  Francesca  Poberti  Franco 
sopra  il  giuoco  degli  scacchi.  Venezia  1778.  Dieses  Buch,  das  wir  nicht  ge- 
sehen haben,  enthält  nach  Anton  Schmid,  Literatur  des  Schachspiels, 
Wien  1847,  S.  299  eine  Abhandlung  über  das  Schachspiel  und  verschiedene  Er- 
zählungen. Verci  vergleicht  den  P.  Saccheri  von  S.  Remo  mit  Julius  Caesar, 
der  zu  gleicher  Zeit  Audienz  erteilte,  Briefe  las  und  seinen  Schreibern  Briefe 
vorsagte. 

Veronese,  Fundamenti  di  geometria,  Padua  1891,  deutsch  von  Sche^ip  unter 
dem  Titel :  Grundzüge  der  Geometrie  ti.  s.  lo.,  Leipzig  1894,  S.  636  f. 


EUCLIDES 

AB    OMNI   N^VO   VINDICATUS: 

SIVE 

CONATUS  GEOMETRICUS 

aUO    STABILIUNTUR 

Prima  ipfa  univerfae  Geometriae  Principia. 

AU  CT  O  R  E 

HIERONYMO  SACCHERIO 

SOCIETATIS    JESU 

In  Ticinenfl  Univerfitate  Mathefeos  Profeffore. 

OPUSCULUM 

EX"SENATUI 

MEDIOLANENSI 

Ab  AuÄore  Dicatum. 

MEDIOLANI,    MDCCXXXIII. 

Ex  Typographia  Pauli  Antonli  Montani.  Superiorum  permißti. 


DER  VON  JEDEM  MAKEL  BEEREIETE 

EUKLID 


ODER 


EIN   GEOMETRISCHER    VERSUCH 

ZUR  BEGRÜNDUNG 

der  Grundsätze  der  ganzen  Geometrie. 

VERFASSET 

VON 

GIROLAMO    SACCHERI 

VON  DER  GESELLSCHAFT  JESU 
Der  Mathematik  Professor  an  der  Universität  zu  Pavia. 

EINEM 

HOCHEDLEN  SENATE 

VON   MAILAND 

WIDMET    DIESES    WERK 

DER  VERFASSER. 

MAILAND    1733. 
Druck  von  Paolo  Antonio  Montano.        Mit  Erlaubni/s  der  Oberen. 


Vorwort  an  den  Leser*).  ix 

Wer  überhaupt  Mathematik  gelernt  hat,  würdigt  die  hohen  Vor- 
züge der  Elemente  Euklids.  Hierfür  kann  ich  als  auserlesene  Zeugen 
ArchimedeS;  Apollonius,  Theodosius  anführen  und  aufserdem  beinahe  un- 
zählig viele  andere  mathematische  Schriftsteller  bis  auf  die  Gegenwart, 
die  Euklids  Elemente  als  die  längst  feststehende  und  vollkommen  uner- 
schütterliche Grundlage  benutzen.  Freilich  hat  dieses  grofse  Ansehen 
nicht  hindern  können,  dafs  viele  alte  wie  neue  und  zwar  angesehene 
Geometer  behaupteten,  sie  hätten  in  diesen  so  schönen  und  niemals 
genug  gepriesenen  Elementen  gewisse  Makel  gefunden,  und  zwar  uemien 
sie  drei  solche  Makel,  die  ich  sogleich  anführe. 

Der  erste  betrifft  die  Erklärung  der  Parallellinien  und  in  Ver- 
bindung damit  das  Axiom,  das  bei  Clavius  das  dreizehnte  des  ersten 
Buches  ist,  wo  Euklid  sagt:  Werden  zwei  gerade  Linien,  die  in 
derselben  Ebene  liegen,  von  einer  dritten  geschnitten,  und 
sind  die  inneren  Winkel,  die  sie  auf  der  einen  Seite  bilden, 
zusammen  kleiner  als  zwei  Rechte,  so  müssen  beide  Linien, 
nach  dieser  Seite  ins  Unendliche  verlängert,  zusammen- 
treffen. 

Gewifs  zweifelt  niemand  an  der  Wahrheit  dieser  Behauptung,  viel- 
mehr wird  Euklid  nur  deshalb  getadelt,  weil  er  dafür  den  Namen  Axiom 
gebraucht  hat,  als  wenn  sie  schon  bei  richtigem  Verständnis  ihres 
Wortlautes  von  selbst  einleuchtete.  Nicht  wenige  haben  daher  ver- 
sucht (während  sie  im  übrigen  Euklids  Erklärung  der  Parallelen  bei- 
behielten) dieses  Axiom  ausschliefslich  auf  Grund  der  Sätze  des  ersten 
Euklidischen  Buches  zu  beweisen,  welche  dem  neunundzwanzigsten  vor- 
angehen, denn  bei  diesem  wird  das  strittige  Axiom  zum  ersten  Male  X 
angewendet. 

Da  aber  wiederum  die  Versuche  der  Alten  in  dieser  Frage  nicht 
vollständig  zum  Ziele  zu  führen  scheinen,   so  ist  es  gekommen,  dafs 


*)  [Seite  III  — V  enthält  die  Widmung,  S.  VII  die  Druckerlaubnis  des  Pro- 
vincials  in  Mailand  vom  16.  Aug.  17.H3,  S.  VllI  die  Druckerlaubnis  der  Inquisition 
vom  13.  Juli  1733.] 


40  Saccberi,  Enclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

viele  ausgezeiclmete  Geometer  der  folgenden  Zeiten  sieh  dieselbe  Auf- 
gabe gestellt  und  eine  neue  Erklärung  der  Parallelen  für  notwendig 
befunden  haben.  Während  also  EukMd  parallele  Gerade  als  solche  er- 
klärt, die  in  derselben  Ebene  liegen  und,  wenn  sie  nach 
beiden  Seiten  ins  Unendliche  verlängert  werden,  einander 
niemals  treffen,  so  setzen  sie  an  Stelle  der  letzten  Worte  der  eben 
angeführten  Erklärung  diese  anderen:  die  immer  gleiche  Ent- 
fernung von  einander  haben,  sodafs  nämlich  alle  Lote,  die  von 
beliebigen  Pimkten  der  einen  auf  die  andere  gefällt  werden,  immer 
einander  gleich  sind. 

Hieraus  aber  entspringt  ein  neuer  Zwiespalt.  Einige  nämlich, 
und  zwar  die  scharfsinnigeren,  suchen  das  Vorhandensein  der  so  er- 
klärten Parallellinien  zu  beweisen  und  schreiten  von  da  aus  zum  Be- 
weise jenes  Axioms,  das,  so  wie  es  Euklid  ausspricht,  strittig  ist; 
denn  auf  ihm  beruht  ja  von  jenem  neuuundzwanzigsten  Satze  des 
ersten  Euklidischen  Buches  an  (mit  sehr  wenigen  Ausnahmen)  die 
ganze  Geometrie. 

Andere  aber  nehmen  (nicht  ohne  einen  groben  Verstofs  gegen 
die  strenge  Logik)  parallele  Geraden  dieser  Art,  nämlich  gleich  weit 
von  einander  entfernte,  von  vorn  herein  als  gegeben  an,  um  von 
da  aus  zum  Beweise  der  anderen  Sätze  überzugehen. 

Dies  genüge,  um  den  Leser  auf  das  vorzubereiten,  was  den  Gegen- 
stand des  ersten  Buches  meiner  Abhandlung  bilden  wird,  denn  eine 
ausfülirlichere  Erklärung  alles  eben  Gesagten  wird  in  den  Anmerkungen 
hinter  dem  Lehrsatze  XXI  dieses  Buches  gegeben  werden. 

Ich  teile  dieses  Buch  in  zwei  Teile.  In  dem  ersten  werde  ich 
jenen  älteren  Geometern  folgen  und  mich  demnach  nicht  um  die 
Natur  oder  den  Namen  derjenigen  Linie  bekümmern,  die  in  allen 
ihren  Punkten  von  einer  angenommenen  geraden  Linie  gleich  weit 
entfernt  ist.  Ich  werde  vielmehr  blofs  darauf  ausgehen,  das  strittige 
Euklidische  Axiom  ohne  jeden  Zirkelschlufs  klar  zu  beweisen.  Daher 
werde  ich  von  den  früheren  Sätzen  des  ersten  Euklidischen  Buches 
weder  den  siebenundzwanzigsten  noch  den  achtundzwanzigsten  jemals 
benutzen,  ja  nicht  einmal  den  sechzehnten  oder  siebzehnten,  aufser 
wo  es  sich  deutlich  um  ein  auf  allen  Seiten  begrenztes  Dreieck 
XI  handelt.  Dann  werde  ich  in  dem  zweiten  Teile,  um  eine  neue  Be- 
stätigung desselben  Axioms  zu  geben,  beweisen,  dafs  die  Linie,  die  in 
allen   ihren  Punkten   von   einer   angenommenen   geraden   Linie   gleich- 

o  o  O 

weit  entfernt  ist,  nur  eine  gerade  Linie  sein  kann.  Dafs  aber  bei 
dieser  Gelegenheit  die  ersten  Grundsätze  der  Geometrie  einer  strengen 
Prüfling  zu  unterwerfen  sein  werden,  sieht  jedermann  ein. 


Vorwort  an  den  Leser.  47 

Ich  gelic  zu  den  beiden  anderen  Makeln  über,  die  man  Euklid 
vorgeworfen  hat.  Der  erste  bezieht  sich  auf  die  sechste  Erklärung 
des  fünften  Buches  über  proportionale  Gröfsen ,  der  zweite  auf  die 
fünfte  Erklärung  des  sechsten  Buches  über  die  Zusammensetzung  von 
Verhältnissen.  Es  wird  das  einzige  Ziel  meines  zweiten  Buches  seiu, 
die  erwähnten  Euklidischen  Erklärungen  eingehend  zu  erörtern  und 
zugleich  zu  zeigen,  dafs  Euklids  Ruhm  hier  mit  Unrecht  angegriffen 
worden  ist. 

Es  ist  indes  nützlich,  noch  zu  bemerken,  dafs  ich  bei  dieser  Ge- 
legenheit ein  gewisses  Axiom  beweisen  werde,  das  in  der  ganzen 
Geometrie  mit  Sicherheit  angewendet  werden  kann,  ohne  dafs  ich  jener 
Forderung  bedarf,  die,  wie  mir  scheint,  von  Erklärern  unter  dem 
Namen  eines  Axioms  eingeschoben  worden  ist,  und  deren  Gebrauch 
vom  achtzehnten  Satze  des  fünften  Buches  an  beginnt. 


XII        Au  Stelle  eines  Inlialtsverzeiclinisses  glaube  icli  Folgendes 

hinzufügen  zu  sollen. 

1.  Im  Lehrsätze  I  und  II  des  ersten  Buches  werden  zwei  Grund- 
sätze aufgestellt,  mit  deren  Hilfe  in  III  und  IV  bewiesen  wird,  dafs  die 
inneren  Winkel  an  der  Verbindungsgeraden  zwischen  den  Endpunkten 
sleicher  Senkrechten,  die  in  zwei  Punkten  einer  anderen  Geraden, 
der  Grundlinie,  nach  derselben  Seite  (in  derselben  Ebene)  errichtet 
werden,  nicht  nur  einander  gleich,  sondern  aufserdem  entweder  rechte 
oder  stumpfe  oder  spitze  sind,  jenachdem  jene  Verbindungsgerade  der 
genannten  Grundlinie  gleich  ist  oder  kleiner  oder  gröfser  ist  als  diese, 
und  umgekehrt.  von  s.  i  an. 

2.  Hieraus  wird  Veranlassung  genommen,  drei  verschiedene  Hypo- 
thesen zu  unterscheiden,  erstens  die  des  rechten  Winkels,  zweitens  die 
des  stumpfen  und  drittens  die  des  spitzen.  Von  diesen  Hypothesen 
wird  in  den  Lehrsätzen  V,  VI  und  VII  bewiesen,  dafs  jede  unter  ihnen 
immer  allein  die  richtige  ist,  sobald  sie  sich  in  irgend  einem  beson- 
deren Falle  als  richtig  erweist.  vou  s.  5  an. 

3.  Nach  Einschaltung  dreier  anderer  unentbehrlicher  Lehrsätze 
wird  in  den  Lehrsätzen  XI,  XII  und  XIII  die  allgemeine  Gültigkeit 
des  bekannten  Axioms  für  den  Fall  bewiesen,  dafs  ausschliefslich  die 
beiden  ersten  Hypothesen,  die  des  rechten  Winkels  und  die  des  stumpfen 
Winkels,  berücksichtigt  werden,  und  endlich  wird  in  Lehrsatz  XIV 
die  vollständige  Unrichtigkeit  der  Hypothese  des  stumpfen  Winkels 
nachgewiesen.  Und  von  jetzt  an  beginnt  ein  langwieriger  Kampf  gegen 
die  Hypothese  des  spitzen  Winkels,  die  allein  der  Wahrheit  jenes 
Axioms  entgegensteht.  von  s.  10  an. 

XIII  4.    Daher  wird  in   den  Lehrsätzen  XV   und  XVI   bewiesen,  dafs 

der  Reihe  nach  die  Hypothese  des  rechten  Winkels  oder  die  des 
stumpfen  oder  die  des  spitzen  durch  irgend  ein  geradliniges  Dreieck 
Ijedingt  wird,  dessen  drei  Winkel  zusammen  der  Reihe  nach  gleich 
zwei  Rechten  sind  oder  gröfser  oder  kleiner,  und  in  ähnlicher  Weise 
durch  irgend  ein  geradliniges  Viereck,  dessen  vier  W'inkel  zusammen 
der  Reihe  nach  gleich  vier  Rechten  sind  oder  gröfser  oder  kleiner. 

Von  S.  20  an. 

5.  Es  folgen  fünf  weitere  Lehrsätze,  in  denen  andere  Kennzeichen 
zur  Unterscheidung  der  wahren  Hypothese  von  den  falschen  abgeleitet 
werden.  von  s.  23  an. 


Saccheri,  Euclides  ab  omni  nacvo  vindicatus.    —  Inhaltsangabe.  49 

6.  Hier  kommen  vier  wichtige  Anmerkungen  hinzu.  In  der 
letzten  wird  eine  gewisse  geometrische  Figur  erklärt,  an  die  Euklid 
vielleicht  gedacht  hat,  um  sein  Axiom  als  an  und  für  sich  einleuchtend 
hinzustellen.  In  den  drei  vorhergehenden  wird  nachgewiesen,  dafs  die 
früheren  Versuche  ausgezeichneter  Geometer  ihr  Ziel  nicht  erreicht 
haben.  Weil  aber  das  strittige  Axiom  ganz  streng  bewiesen  werden 
kann,  wenn  man  von  vornherein  voraussetzt,  dafs  es  zwei  gerade 
Linien  giebt,  die  gleiche  Entfernung  von  einander  haben,  so 
macht  der  Verfasser  dort  darauf  aufmerksam,  dafs  eine  solche  Vor- 
aussetzung einen  offenbaren  Zirkelschlufs  enthält.  Und  wenn  man 
sich  hier  auf  die  allgemein  verbreitete  Überzeugung  und  auf  die  Ge- 
wifsheit  der  Erfahrung  berufen  will,  so  macht  er  wiederum  darauf 
aufmerksam,  dafs  man  sich  nicht  auf  Versuche  berufen  darf,  die  un- 
endlich viele  Punkte  betreffen,  da  ein  Versuch  in  Bezug  auf  irgend 
einen  Punkt  genügen  kann.  An  dieser  Stelle  bringt  er  drei  eigene, 
unwiderlegliche  physikalisch- geometrische  Beweismethoden,     von  s.  29  an. 

7.  Es  bleiben  bis  zum  Ende  des  ersten  Teiles  dieses  Buches  noch  XIV 
zwölf  Lehrsätze   übrig.     Die   einzelnen  B  ehauptuugen  gebe  ich  nicht 
an,   weil   sie  zu  verwickelt   sind,   sondern  sage  nur,  dafs  dort  endlich 

die  widerspenstige  Hypothese  des  spitzen  Winkels  einer  offenbaren 
Unrichtigkeit  überführt  wird,  weil  sie  nämlich  zwei  gerade  Linien 
zulassen  müfste,  die  in  einem  und  demselben  Punkte  in  derselben. 
Ebene  ein  gemeinsames  Lot  hätten.  Dafs  dies  der  Natur  der  ge- 
raden Linie  widerstreitet,  wird  auf  Grund  von  fünf  Hilfssätzen  be- 
wiesen, in  denen  die  fünf  hauptsächlichsten  Axiome  der  Geometrie 
enthalten  sind,  die  sich  auf  die  gerade  Linie  und  den  Kreis  beziehen, 
nebst  den  zugehörigen  Forderungen.  von  s.  43  an. 

8.  Der  zweite  Teil  enthält  sechs  Lehrsätze.  In  ihm  wird  (bei 
der  Hypothese  des  spitzen  Winkels)  die  Beschaffenheit  der  Linie  unter- 
sucht, die  in  allen  ihren  Punkten  von  einer  angenommenen  geraden 
Linie  die  gleiche  Entfernung  hat.  Es  wird  auf  viele  Arten  gezeigt, 
dafs  sie  der  gegenüberliegenden  Grundlinie  gleich  ist,  woraus  sich  mit 
vollständiger  Sicherheit  die  Unrichtigkeit  der  erwähnten  Hypothese 
ergiebt.  Deshalb  wird  endlich  in  dem  letzten  Lehrsatze  XXXIX  voll- 
kommen streng  jenes  berühmte  Euklidische  Axiom  bewiesen,  auf  dem 
ja  (wie  jedermann  weifs)  die  ganze  Geometrie  beruht,  von  s.  st  an  [bis  s.  loi]. 

[Nunmehr  folgt  der  Inhalt  des  zweiten  Buches,  das  hier  nicht  in  Betracht 
kommt.     Auf  S.  XVI  befindet  sich  noch  ein  Di-uckfehlerverzeichuis.] 


Htiickol  u.  Engel    Parallelentheorio. 


Euklid 

von  jedem   Makel  befreiet. 


Erstes  Biicli, 

worin  bewiesen  wird: 

Werden  zwei  gerade  Linien,  die  in  derselben  Ebene  liegen, 
von  einer  dritten  geschnitten,  und  sind  die  von  dieser  auf 
derselben  Seite  gebildeten  inneren  Winkel  zusammen  kleiner 
als  zwei  Rechte,  so  treffen  die  beiden  Linien,  ins  Unendliche 
verlängert,  schliefslich  auf  dieser  Seite  zusammen. 


Erster  Teil. 

Lehrsatz  L    Wenn  zivei  gleiche  gerade  Linien  (Fig.  1)  AC  und  BD 
mit  der  Geraden  AB  auf  derselben  Seite  gleiche  Winlcel  bilden,  so  behaupte 
ich,  dafs  die  Winhel  an  der  Verbindungslinie  CD 
-r\D    einander  gleich  sind. 

Beweis.  Man  ziehe  AD  und  CB  und  betrachte 
die  Dreiecke  GAB  und  DBA.  Ihre  Grundlinien 
GB  und  AD  sind  (nach  I.  4*))  sicher  gleich. 
Darauf  betrachte  man  die  Dreiecke  AGD  und 
BDC.  Die  Wmkel  AGD  und  BDG  sind  (nach 
L  8)  sicher  gleich.     Was  zu  beweisen  war. 


Fig.  1. 


Lehrsatz  IL    Hat  man  ein  solches  Vierech  ABDG  und  halbiert  die 

2  Seiten  AB  und  GD  (Fig.  2)  in  den  Pmikten  M  und  H,  so  behaupte  ich, 

dafs  die  Winl'el  an  der  Verbindungslinie  31  Häuf  beiden  Seiten  rechte  sind. 


*)  ri.  4  bedeutet:  Satz  4  des  ersten  Buches  der  Euklidischen  Elemente.] 


Saccheri.  —  I.  Buch,  T.  Teil.    Lehrsatz  I  -  III. 


51 


Beweis.  Mau  ziehe  ÄH  und  BH,  sowie  CM  und  DM.  Da  in 
dem  Viereck  die  Winkel  Ä  und  B  gleich  sein  sollen,  und  da 
ebenso  (nach  dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  die  Winkel  C  und  I) 
gleich  sind,  so  folgt  aus  I.  4  (da  die  Gleich- 
heit der  Seiten  schon  bekannt  ist),  dafs  in 
den  Dreiecken  CAM  und  DBM  die  Grund- 
linien C3I  und  DM  gleich  sind,  und  ebenso 
in  den  Dreiecken  ACH  und  BBH  die  Grund- 
linien AH  und  BH.  Vergleicht  man  daher 
die  Dreiecke  OHM  und  DHM  und  ebenso 
die  Dreiecke  A3IH  und  BMH  mit  einander, 

so  ergiebt  sich  (aus  I.  8),  dafs  die  Winkel  zu  beiden  Seiten  der 
Punkte  M  und  H  einander  gleich  und  daher  rechte  sind.  Was  zu 
beweisen  war. 


Lehrsatz  IIL  Wenn  swei  gleiche  gerade  Linien  A  C  und  BD  (Fig.  3) 
auf  irgend  einer  Geraden  AB  senlireclit  stehen,  so  behaupte  ich,  dafs 
die  Verhindungslinie  CD  enttveder  gleich  AB  oder  Jdeiner  oder  gröfser  ist, 
jenachdem  die  Winhel  an  CD  rechte  oder  stumpfe  oder  spitze  sind. 

Beweis   des   ersten   Teiles.      Sind   die   beiden  Winkel    C  und   D 
rechte,   so   sei,  wenn   das   überhaupt   möglich  ist,  die  eine   der  beiden 
Geraden,  etwa  DC,  gröfser  als  die  andere  BA,    Man  nehme  auf  DC 
das  Stück  DK  gleich  BA  an  und  ziehe 
AK.    Da  nun  die  gleich  langen  Geraden 
BA  und  DK  auf  BD  senkrecht  stehen, 
so   sind   (nach  Lehrsatz  I)    die   Winkel 
BAK  und  DKA  gleich.     Das  ist  aber 
widersinnig,  da  nach  der  Konstruktion 
der  Winkel  BAK  kleiner  ist    als   der 
Winkel  BAC,   der  als  rechter  voraus- 
gesetzt wurde,  und  da  der  Winkel  DKA 
nach  der  Konstruktion  Aufsenwinkel  und 

somit  (nach  I.  16)  gröfser  ist,  als  der  innere  gegenüberliegende  Winkel 
DCA,  der  ein  Rechter  sein  sollte.  Mithin  ist  keine  der  genannten 
Geraden  DC  und  BA  gröfser  als  die  andere,  sobald  die  Winkel  an 
der  Verbindungslinie  CD  rechte  sind,  und  daher  sind  sie  einander 
gleich.     Was  an  erster  Stelle  zu  beweisen  war. 

Beweis  des  zweiten  Teiles.     Wenn  aber  die  Winkel  an  der  Ver-  3 
bindungslinie  CD  stumpf  sind,   so   halbiere  man  AB  und  CD  in  den 
Punkten  M  und  H  und  ziehe  MH    Da  nun  (nach  dem  vorhergehenden 
Lehrsatze)   die  beiden   Geraden   AM  und   CH  auf  der   Geraden  MH 


52 


Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 


senkrecht  steheD,  und  da  der  Winkel  Ä  an  der  Verbindungslinie  AC 
ein  Rechter  sein  sollte,  so  ist  (nach  Lehrsatz  I)  die  Gerade  CH  nicht 
gleich  AM,  denn  in  C  ist  kein  rechter  Winkel  vorhanden*), 

Sie  kann  aber  auch  nicht  gröfser  sein.  Sonst  wären  nämlich, 
wenn  man  auf  HC  das  Stück  KH  gleich  A3I  annähme,  (nach  Lehr- 
satz 1)  die  Winkel  an  der  Verbindungslinie  AK  gleich.  Das  ist 
aber,  wie  vorhin,  widersinnig.  Denn  der  Winkel  31  AK  ist  kleiner 
als  ein  Rechter,  und  der  Winkel  HKA  ist  (nach  L  16)  gröfser  als  der 
innere  gegenüberliegende  Winkel  HCA,  der  als  stumpf  vorausgesetzt 
wurde**).  Daher  bleibt  nur  übrig,  dafs  C^  kleiner  ist  als  A3I,  sobald 
die  Winkel  an  der  Verbindungslinie  CD  als  stumpf  vorausgesetzt 
werden,  und  deshalb  ist  CD,  das  Doppelte  der  ersten  Linie,  kleiner  als 
Al>,  das  Doppelte  der  zweiten.  Was  au  zweiter  Stelle  zu  beweisen  war. 
Beweis  des  dritten  Teiles.  Sind  endlich  die  Winkel  an.  der  Ver- 
bindungslinie CD  spitz,  so  zieht  man  in  derselben  Weise  (nach  dem 
vorhergehenden  Lehrsätze)  die  Senkrechte  3IH  und  verfährt,  wie  folgt: 
Da  die  beiden  Geraden  A3I  und  CH  auf  der  Geraden  3IH 
senkrecht  stehen,  und  da  der  Winkel  A  an  der  Verbindungslinie  AC 
ein  Rechter  sein  sollte,  so  ist  (wie  vorhin)  die  Gerade  CH  nicht 
gleich  A3I,  denn  in  C  ist  kein  rechter  Winkel  vorhanden**), 

Sie  kann  aber  auch  nicht  kleiner  sein.    Sonst  wären  nämlich,  wenn 
man  HC  verlängerte  und  HL  gleich  A3I  annähme,  (wie  vorhin)  che 

Winkel    an    der    Verbindungslinie    AL 
gleich.    Das  ist  aber  widersinnig.    Denn 
der  Winkel  31  AL   ist   nach  der  Kon- 
struktion gröfser  als  31  AC,  der  als  rech- 
ter angenommen  war,  und  der  Winkel 
HLA    ist    nach    der    Konstruktion    ein 
innerer  gegenüberliegender  Winkel  und 
somit  (nach  I  16)  kleiner  als  der  Aufsen- 
winkel  HCA,  der  als  spitz  angenommen 
war.     Daher  bleibt 'nur  übrig,  dafs  CH 
gröfser  ist  als  A3I,   sobald  die  Winkel   an  der  Verbindungslinie  CD 
spitz  sind,  und  deshalb  ist  CD,  das  Doppelte  der  ersten  Linie,  gröfser  als 
AB,  das  Doppelte  der  zweiten.    Was  an  dritter  Stelle  zu  beweisen  war. 
Demnach  mufs  die  Verbindungslinie  CD  gleich  J.B  sein  oder  kleiner 

*)  (Besser  wäre  es,  zu  sagen:  denn  die  Winkel  in  Ä  und  C  sind  nicht  gleich.] 
''")  [Der  Satz  vom  Aufsenwinkel  (I.  16),  der  hier  benutzt  wird,  setzt  die  un- 
endliche Länge  der  geraden  Linie  voraus  (vgl.  die  Anmerkung  zu  I.  16,  S.  11)  und 
ist  bei  der  Hypothese  des  stumpfen  Winkels  nicht  allgemein  gültig.  Deshalb  sind 
alle  hier  und  im  Folgenden  gegebenen  Beweise  für  Sätze,  die  bei  der  Hypothese 
des  stumpfen  Wmkels  gelten  sollen,  ungenügend.] 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  III,  Zusatz  [  —  III.  53 

oder  gröfser,  jenachdem  die  Winkel  au  CT)  rechte  oder  stumpfe  oder  4 
spitze  sind.     Was  zu  beweisen  war. 

Zusatz  I.  Enthält  daher  ein  Viereck  drei  rechte  Winkel  und  einen 
stumpfen  oder  spitzen,  so  ist  in  ihm  jede  dem  nicht  rechten  Winkel 
anliegende  Seite  kleiner  als  die  gegenüberliegende,  wenn  der  Winkel 
stumpf  ist,  wenn  er  aber  spitz  ist,  gröfser.  Denn  für  die  Seite  CH, 
im  Vergleich  zu  der  gegenüberliegenden  Seite  AM,  ist  das  schon  be- 
wiesen, und  auf  ähnliche  Art  zeigt  man  es  von  der  Sei '  e  A  C,  im  Ver- 
gleich zu  der  gegenüberliegenden  Seite  3IH. 

Da  nämlich  die  Geraden  AC  und  MH  auf  AM  senkrecht  stehen, 
so  können  sie  wegen  der  Ungleichheit  der  Winkel  an  der  Verbindungs- 
linie CH  (nach  Lehrsatz  I)  nicht  gleich  sein.  Es  kann  aber  auch 
nicht  (bei  der  Annahme  eines  stumpfen  Winkels  in  C)  ein  Stück  AN 
von  AC  gleich  3IH  sein,  indem  nämlich  AC  gröfser  wäre,  als  diese 
Gerade,  denn  sonst  wären  die  Winkel  an  der  Verbindungslinie  HN 
(wieder  nach  Lehrsatz  I)  gleich,  was  widersinnig  ist,  wie  vorhin. 

Nähme  man  aber  wiederum  an  (wenn  der  Winkel  im  Punkte  C 
spitz  ist),  dafs  eine  auf  der  Verlängerung  von  ^C gewählte  Gerade  AX 
gleich  31 H  wäre,  indem  nämlich  ^ C  kleiner  wäre  als  diese  Gerade,  so 
wären  aus  demselben  Grunde  die  Winkel  an  HX  gleich,  was,  ebenso 
wie  vorhin,  ganz  widersinnig  ist. 

Daher  bleibt  nur  übrig,  dafs  bei  der  Annahme  eines  stumpfen 
Winkels  im  Punkte  C  die  Seite  AC  kleiner  ist  als  die  gegenüber- 
liegende Seite  3£]I,  bei  der  Annahme  eines  spitzen  Winkels  aber 
gröfser.     Was  behauptet  war. 

Zusatz  IL     Noch   viel   gröfser  aber  ist  CH  als  irgend  ein  Stück 
von  A3I,   zum  Beispiel  als  FM,   wenn  nämlich  die  Verbindungslinie 
CP  mit  CH  auf  der  Seite  des  Punktes  H  einen  noch  spitzeren  Winkel  5 
und    mit    PM   auf   der    Seite    des    Punktes   31   (wegen   L   16)    einen 
stumpfen  Winkel  bildet'"). 

Zusatz  in.  Alles  dies  gilt  ferner"  nicht  blofs,  wenn  wir  den  an- 
genommenen Loten  AC  und  BD  eine  bestimmte  Länge  beilegen, 
sondern  auch,  wenn  sie  unendlich  klein  sind  oder  als  unendlich  klein 


*)  [Dieser  Zusatz  II  des  Lehrsatzes  III  wird  später  mehrfach  benutzt  und  zwar 
in  der  Bedeutung,  dafs  bei  jedem  Viereck  HCFM,  bei  dem  die  Winkel  in  H 
und  M  i'echte  sind,  während  iu  C  ein  spitzer,  in  P  ein  stumpfer  Winkel  vor- 
handen ist,  PM  kleiner  als  CH  sein  mufs.  Aus  der  Fassung  des  Zusatzes  ist 
das  nicht  ohne  Weiteres  klar,  aber  der  Betveis  des  dritten  Teiles  läfst  sich  in  der 
That  sisMf  jedes  derartige  Viereck  HCPM  anwenden. 


54  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindlcatus. 

vorausgesetzt  werden.     Es  ist  zweckmäfsig,  sich  das  bei  den  folgendeu 
Lelirsätzeu  zu  merken. 

Lekrsatz  IV.  Unigclchrt  ahcr  sind  (in  derselben  Figur,  wie  hei  dem 
vorhergehenden  Lehrsätze)  die  Winlcel  an  der  Verhindungslinie  CD  reehte 
oder  stumpfe  oder  spitze,  je  naehdem  die  Gerade  CD  gleich  der  gegen- 
üherliegenden  ÄJB  ist  oder  Meiner  oder  gröfser. 

Beweis.  Wenn  nämlicli  die  Gerade  CD  der  gegenüberliegenden 
AB  gleich  ist,  und  nichtsdestoweniger  die  Winkel  an  ihr  stumpf  oder 
spitz  sind,  so  beweisen  gerade  diese  Winkel  (nach  dem  vorhergehenden 
Lehrsatze),  dafs  sie  der  Gegenseite  AB  nicht  gleich  ist,  sondern  kleiner 
oder  gröfser,  was  gegen  die  Annahme  verstöfst. 

Dasselbe  gilt  iu  gleicher  Weise  für  die  übrigen  Fälle. 

Die  Winkel  an  der  Verbindungslinie  CD  sind  demnach  sicher 
rechte  oder  stumpfe  oder  spitze,  jenachdem  die  Gerade  CD  der  gegen- 
überliegenden AB  gleich  ist  oder  kleiner  oder  gröfser.  Was  zu  be- 
weisen war. 

Erklärungen.  Weil  (nach  Lehrsatz  1)  die  Verbindungsgerade 
zwischen  den  Endpunkten  gleicher  Senkrechten,  die  auf  derselben  Ge- 
raden errichtet  sind  (wir  werden  diese  letztere  Grundlinie  nennen), 
6  gleiche  Winkel  mit  diesen  Loten  bildet,  so  sind  infolgedessen  drei 
Hypothesen  je  nach  der  Art  dieser  Winkel  zu  unterscheiden.  Und 
zwar  werde  ich  die  erste  die  Hypothese  des  recJdcn  Winl-els  nennen,  die 
zweite  und  die  dritte  aber  die  Hypothese  des  stumpfen  WinJcels  und  die 
Hypothese  des  spitzen  WinJiels. 

Lehrsatz  V.  Wenn  die  Hypothese  des  rechten  WinMs  auch  mir  in 
einem  Falle  richtig  ist,  so  ist  sie  imm^r  in  jedem,  Falle  allein  die  richtige. 

Beweis.  Die  A^erbindungslinie  CD  (Fig.  4) 
bilde  rechte  Winkel  mit  irgend  zwei  gleichen 
Senkrechten  AC  und  BD,  die  auf  irgend  einer 
Geraden  AB  errichtet  sind.  Dann  ist  (nach  Lehr- 
satz III)  CD  gleich  AB.  Man  nehme  nun  auf 
den  Verlängerungen  von  AC  und  BD  zwei  Stücke 
CR  und  DX,  die  gleich  AC  und  BD  sind,  und 
ziehe  BX.  Dann  zeigt  man  leicht,  dafs  die  Ver- 
Fig.  4.  bindungslinie  RX  gleich  AB  ist,  und  die  Winkel 

an  ihr  rechte  sind.  Einmal  nämlich,  indem  man  das 
Viereck  ABDC,  unter  Benutzung  der  gemeinsamen  Grundlinie  CD,  auf 
das  Viereck  CDXR  legt.     Eleg-anter  aber  verfährt  man  so. 


I.  Buch ,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  IV.    Erklärungen.    Lehrsatz  V.  55 

Man  ziehe  ÄD  uutl  BD.  Nun  sind  (nach  I,  4)  in  den  Dreiecken 
ÄCD  und  RCD  die  Grundlinien  J.D  und  BD  und  ebenso  die  Winkel 
CDA  und  CDU  sicher  gleich.  Deshalb  sind  auch  ihre  Ergänzungen 
zu  einem  Rechten,  ADB  und  BDX,  gleich.  Mithin  ist  wiederum 
(auch  nach  I.  4)  in  den  Dreiecken  ADB  und  BDX  die  Grundlinie 
AB  gleich  der  Grundlinie  BX.  Folglich  sind  (nach  dem  vorher- 
gehenden Lehrsatze)  die  Winkel  an  der  Verbindungslinie  BX  rechte, 
und  wir  kommen  daher  wieder  auf  die  Hypothese  des  rechten  Winkels*). 

Da  nun  auf  diese  Weise,  während  die  Grundlinie  AB  beibehalten 
wird,  die  Länge  der  Senkrechten  bis  ins  Unendliche  vermehrt  werden 
kann**),  ohne  dafs  die  Hypothese  des  rechten  Winkels  jemals  zu  be- 
stehen aufhört,  so  mufs  noch  bewiesen  werden,  dafs  diese  Hypothese 
auch  im  Falle  einer  beliebigen  Verkleinerung  derselben  Senkrechten 
immer  gültig  bleibt.     Und  das  erhärtet  man  so. 

Man  nehme  auf  AB  und  BX  zwei  beliebige  gleiche  Senkrechte  7 
AL  und  BK  und  ziehe  LK,  Sind  die  Winkel  an  der  Verbindungs- 
linie LK  keine  rechten,  so  sind  sie  doch  (nach  Lehrsatz  I)  gleich. 
Sie  sind  also  auf  der  einen  Seite,  etwa  auf  der  von  AB,  stumpf  und 
auf  der  von  BX  spitz,  denn  die  Winkel  zu  beiden  Seiten  jedes  dieser 
Funkte  sind  (nach  L  13)  gleich  zwei  Rechten.  Aber  auch  die  auf 
BX  senkrecht  stehenden  Geraden  LB  und  KX  sind  sicher  einander 
gleich.  Also  ist  (nach  Lehrsatz  HI)  LK  gröfser  als  die  gegenüber- 
liegende Seite  BX  und  kleiner   als   die   gegenüberliegende   Seite  AB. 

Das  ist  aber  widersinnig,  denn  es  ist  bewiesen,  dafs  AB  und 
BX  gleich  sind.  Daher  bleibt  die  Hypothese  des  rechten  Winkels, 
wenn  nur  die  einmal  angenommene  Grundlinie  festgehalten  wird,  bei 
beliebiger  Verkleinerung  der  Lote  unverändert  erhalten. 

Aber  die  Hypothese  des  rechten  Winkels  bleibt  auch  dann  un- 
verändert erhalten,  wenn  man  die  Grundlinie  irgendwie  verkleinert  oder 
vergröfsert,  denn  es  ist  klar,  dafs  man  als  Grundlinie  jede  der  Senk- 
rechten BK  oder  BX  ansehen  darf,  und  dafs  man  entsprechend  AB 
und  die  gleiche  gegenüberliegende  Gerade  KL,  oder  auch  XB,  als  Senk- 
rechte ansehen  darf. 

Somit  steht  fest,  dafs  die  Hypothese  des  rechten  Winkels,  wenn 
sie  auch  nur  in  einem  Falle  richtig  ist,  immer  in  jedem  Falle  allein 
die  richtige  ist.     Was  zu  beweisen  war. 

*)  [Den  zweiten  Beweis  bezeichnet  Saccheri  als  eleganter,  weil  er  streng 
Euklidisch  ist.  Aber  auch  bei  ihm  mufs  man  eine  Umklappung  um  die  Grundlinie  Gl) 
vornehmen,  nämlich  AGB  auf  RGD  legen,  sodafs  die  eigentliche  Schwierigkeit 
in  Wahrheit  bestehen  bleibt;  vergl.  auch  die  Anmerkung  zu  Euklid  L  4,  S.  8.] 

*")  [Man  beachte,  dafs  hier  die  unendliche  Länge  der  geraden  Linie  als  etwas 
Selbstverständliches  hingestellt  wird.     Vgl.  die  zweite  Anmerkung  zu  S.  52.] 


;"-)(',  Sacchcii,  Euclides  ao  omni  naevo  vindicatus. 

Lehrsatz  VI.  Wcini  die  Hijpothcse  des  stumpfen  WinMs  auch 
nur  in  einem  Falle  richfifj  ist,  so  ist  sie  immer  in  jedem  Falle  allein 
die  richtige. 

Beweis.   Die  Vei-biuduugslinie  CD  (Fig.  5)  bilde  stumpfe  Winkel  mit 
irgend  zwei  gleichen  Senkrechten  AC  und  BB,  die  auf  irgend  einer  Ge- 
raden AB  errichtet  sind.   Dann  ist  (nach  Lehrsatz  III) 

i?i i-T    CD  kleiner  als  AB.    Man  verlängere  AC  und  BD, 

nehme  auf  ihnen  irgend  zwei  einander  gleiche  Stücke 
CR  und  DX  an  und  ziehe  BX.     Jetzt  untersuche 
ich  die  Winkel  an  der  Verbindungslinie  i?X,  die  ja 
(nach  Lehrsatz  I)  einander  gleich  sind. 
^  Wenn  sie    stumpf  sind,    haben   wir  unsre   Be- 

hauptung.    Sie  sind  jedoch  auch  keine  Rechten,  Aveil 


S'^' 


A 


i-jg.  5.  wir    dann    einen   Fall    def    Hypothese    des    rechten 

Winkels  hätten  und  also  (nach  dem  vorhergehenden 
Lehrsatze)  für  die  Hypothese  des  stumpfen  Winkels  kein  Platz  übrig 
bliebe.     Sie  sind  indes  auch  nicht  spitz. 

Dann  wäre  nämlich  (nach  Lehrsatz  III)  PiX.  gröfser  als  AB 
und  daher  noch  viel  gröfser  als  CD.  Dafs  dies  jedoch  nicht  eintreten 
kann,  zeigt  man  so.  Denkt  mau  sich  das  Viereck  CDXR  mit  Ge- 
raden angefüllt,  die  von  CR  und  DX  gleiche  Stücke  abschneiden,  so 
zieht  dies  nach  sich,  dafs  man  von  der  Geraden  CD,  die  kleiner  als 
AB  ist,  7A\  der  gröfseren  Geraden  RX  nur  durch  Vermittelung  einer 
gewissen,  AB  gleichen  Geraden  ST  übergehen  kann*).  Dafs  hierin 
aber  bei  dieser  Hypothese  ein  Widerspruch  liegt,  geht  daraus  hervor, 
dafs  man  alsdaini  (nach  Lehrsatz  IV)  einen  Fall  für  die  Hypothese 
des  rechten  '\^'inkels  hätte,  der  (nach  dem  vorhergehenden  Lehrsatze) 
für  die  Hypothese  des  stumpfen  Winkels  keinen  Platz  übrig  liefse. 
Mithin  müssen  die  Winkel  an  der  Verbindungslinie  RX  stumpf  sein. 

Nimmt  man  weiter  auf  AC  und  BD  selbst  gleiche  Stücke  AL 
und  BK  an,  so  läfst  sich  in  ähnlicher  Weise  zeigen,  dafs  die  Winkel 
an  der  Verbindungslinie  LK  auf  der  Seite  von  AB  nicht  spitz  sein 
können.  Sonst  wäre  nämlich  diese  Verbindungslinie  gröfser  als  AB 
und  daher  noch  viel  gröfser  als  CD.  Hieraus  aber  fände  man,  wie 
vorhin,  eine  Zwischenlinie  zwischen  CD,  das  kleiner,  und  LK,  das 
gröfser  als  AB  ist,  eine  Zwischenlinie  sage  ich,  die  gleich  AB  ist, 
und  die  liefse,  wie  schon  bekannt,  für  die  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels    überhaupt    keinen    Platz.      Endlich    können    aus    demselben 

*')  [Hierbei  wird  nämlich  stillschweigend  vorausgesetzt,  dafs  die  Länge  der 
Geraden  bei  dem  Übergange  von  CD  nach  RX  sich  stetig  ändert.  Die  Be- 
hauptung ist  jedoch,  wie  Lamlert  gezeigt  hat,  von  dieser  Voraussetzimg  unabhängig.] 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  VI,  VII.  57 

Grunde   die  Winkel   an  der  Verbindungslinie  LK  keine  rechten  sein. 
Folglicli  sind  sie  stumpf. 

Wenn  also  auf  derselben  Grundlinie  AB  die  Senkrechten  beliebig 
vergröfsert  oder  verkleinert  werden,  so  bleibt  stets  die  Hypothese  des 
stumpfen  Winkels  erhalten. 

Dasselbe  mufs  aber  auch  gezeigt  werden,  wenn  die  Grundlinie  be- 
liebig angenommen  wird.  Zur  Grundlinie  wähle  man  (Fig.  6)  irgend 
eine  der  genannten  Senkrechten,  zum  Beispiel  I>X  Man  halbiere 
AB  und  jRX  in  den  Punkten  31  und  H  und  ziehe 
MH.  Dann  steht  (nach  Lehrsatz  11)  3IH  senk- 
recht auf  AB  und  auf  BX.  Nun  ist,  nach  unsrer 
Annahme,  der  Winkel  beim  Punkte  B  ein  rechter, 
der  beim  Punkte  X,  wie  schon  bewiesen,  ein 
stumpfer.  Man  mache  also  den  Winkel  BXP  auf 
der  Seite  von  31 H  gleich  einem  Rechten.  Dann 
trifft  XP  die  Gerade  3IH  in  einem  gewissen 
Punkte  P,  der  zwischen  den  Punkten  31  und \ffliegt, 
denn  erstens  ist  der  Winkel  BXH  stumpf,  und 
zweitens  ist,  wenn  noch  X3I  gezogen  wird,  (nach 
T.  17)  der  Winkel  BX3I  spitz.  W^eiter  aber  enthält  das  Viereck  XB3IF, 
wie  schon  bekannt,  drei  rechte  Winkel  und  (nach  I.  16)  im  Punkte  P 
einen  stumpfen,  denn  dieser  ist  Aufsenwinkel  für  den  inneren,  gegen- 
überliegenden rechten  Winkel  an  der  Ecke  H  des  Dreiecks  PHX. 
Mithin  ist  die  Seite  XP  (nach  Zusatz  I  hinter  lichrsatz  III)  kleiner 
als  die  gegenüberliegende  Seite  B3I.  Nimmt  man  daher  auf  B3I 
ein  Stück  BF  gleich  XP  an,  so  sind  (nach  Lehrsatz  I)  die  Winkel 
an  der  Verbindungslinie  PF  einander  gleich,  und  zwar  stumpf,  da 
der  Winkel  BFP  (nach  I.  16)  stumpf  ist  wegen  des  inneren  gegen- 
überliegenden rechten  Winkels  FMP.  Mithin  besteht  für  jede  be- 
liebige Grundlinie  BX  die  Hypothese  des  stumpfen  Winkels. 

Es  gilt  aber,  wie  vorhin,  dieselbe  Hypothese  auch,  wenn  unter 
Beibehaltung  der  Grundlinie  BX  die  gleichen  Senkrechten  beliebig 
vergröfsert  oder  verkleinert  werden.  Demnach  steht  fest,  dafs  die 
Hypothese  des  stnmpfen  Winkels,  wenn  sie  auch  nur  in  einem  Falle 
richtig  ist,  immer  in  jedem  Falle  allein  die  richtige  ist.  Was  zu  be- 
weisen war. 

Lehrsatz  VIL  Wenn  die  Hypothese  des  spitzen  WinJccls  auch  nur  in 
einem  Falle  richtig  ist,  so  ist  sie  immer  in  jedem  Falle  allein  die  richtige. 

Der  Beweis  ist  sehr  leicht.  Wäre  nämlich  mit  der  Hypothese 
des  spitzen  Winkels  auch  nur  irgend  ein  Fall  einer  der  beiden  Hypo- 


58  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

thescii  des  rechten  oder   des  stumpfen  Winkels  verträglieli,   so  bliebe 

10  (nach  den  beiden  vorhergehenden  Lehrsätzen)  kein  Platz  für  eben 
diese  Hypothese  des  spitzen  AViukels,  was  widersinnig  ist.  Wenn  also 
die  Hypothese  des  spitzen  Winkels  auch  nur  in  einem  Falle  richtig 
ist,  so  ist  sie  immer  in  jedem  Falle  allein  die  richtige.  Was  zu  be- 
weisen war. 

Lehrsatz  VHL  Gegeben  sei  irgend  ein  Breiech  ABB  (Fig.  7),  das 
in  B  rechtivinldig  ist.  Man  verlängere  BA  his  mi  einem  heliebigen 
Piüilie  X  und  siehe  durch  A,  auf  AB  senh-echt,  HA  C,  wo  H  innerhalb 
des  WinJiels  XAB  liege.  Ich  hehaupte,  dafs  der  üufsere  Winlicl  XAH 
gleich  dem  inneren  gcgeniiherlicgenden  Winliel  ABB  oder  Jcleiner  oder  grüfser 
als  dieser  ist,  jenachdem  die  Hypothese  des  rechten  WinJcels  oder  die  des 
stumpfen  WinJicls  oder  die  des  spitzen  WinJcels  richtig  ist.  Und  umgekehrt. 
Beweis.  Man  nehme  auf  HC  ein  Stück  AC  gleich  BB  an  und 
ziehe  CB.  Dann  ist  bei  der  Hypothese  des  rechten  Winkels  (nach 
Lehrsatz  HI)  CB  gleich  AB.  Daher  ist  (nach  L  8) 
der  Winkel  ABB  gleich  dem  AVinkel  BAC  oder 
dem  (nach  L  15)  ebenso  grofsen  Winkel  XAH. 
VsAS  an  erster  Stelle  zu  beweisen  war. 

Weiter  ist  bei   der  Hypothese   des  stumpfen 

Winkels   (wieder  nach  Lehrsatz  HI)   CB  kleiner 

als  AB.     Daher  ist  in  den  Dreiecken  ABB  und 

BAC  (nach  I.  25)  der  Winkel  BAC  oder  (sein 

Fi?.  7.  Scheitelwinkel)    XAH   kleiner    als    der    Winkel 

ABB.     Was   an  zweiter  Stelle  zu  beweisen  war. 

Endlich  ist  bei  der  Hypothese  des  spitzen  "Winkels  (wieder  nach 

Lehrsatz  Hl)  CB  gröfser   als   die  Gegenseite  AB.     Daher  ist  in  den 

erwähnten  Dreiecken  (wieder  nach  1.  25)  der  Winkel  BAC  oder  (sein 

Scheitelwinkel)  XAH  gröfser  als  der  Winkel  ABB.    Was  an  dritter 

Stelle  zu  beweisen  war. 

Ist  aber  umgekehrt  der  Winkel  CAB  oder  sein  Scheitelwinkel 
XAH  gleich  dem  inneren  gegenüberliegenden  Winkel  ABB,  »o  ist 
(nach   I.  4)   die  Verbindungslinie  CB  gleich  AB,  und  deshalb   (nach 

11  Lehi'satz  IV)  die  Hypothese  des  rechten  Winkels  richtig. 

Werm  dagegen  der  W^inkel  CAB  oder  sein  Scheitelwinkel  XAH 
kleiner  oder  gröfser  ist,  als  der  iunere  gegenüberliegende  Winkel  ABB, 
so  ist  (nach  1.  24)  auch  die  Verbindungslinie  CB  kleiner  oder  gröfser 
als  AB,  und  deshalb  ist  (nach  Lehrsatz  IV)  jenachdem  die  Hypo- 
these des  stumpfen  oder  die  des  spitzen  Winkels  richtig.  Und  das 
ist  alles,  was  zu  beweisen  war. 


T.  Buch",  I.  Teil.  —  Lehrsatz  VH-X.  59 

Lehrsatz  IX.  In  jedem  recliUvinläigen  Dreicclc  sind  die  leiden  übrigen 
spitsen  WinJcel  zusammengenommen  gleich  einem  Bechten  hei  der  Hypo- 
these des  rechten  Winkels,  gröfser  als  ein  Bechter  hei  der  Hypothese  des 
stumpfen  Winkels  und  Meiner  als  ein  Bechter  hei  der  Hypothese  des 
spitzen  Winkels*). 

Beweis.  Ist  nämlich  der  Winkel  XAH  (in  derselben  Figur,  wie 
bei  dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  gleich  dem  Winkel  ADJB  (versteht 
sieh,  bei  der  Hypothese  des  rechten  Winkels,  nach  dem  vorhergehenden 
Lehrsatze),  so  ergiebt  der  Winkel  ABB  mit  dem  Winkel  HAB  zu- 
sammen zwei  Rechte,  da  ja  (nach  L  13)  der  schon  genannte  Winkel 
XAH  mit  demselben  Winkel  HAB  zwei  Rechte  ergiebt.  Also  bleibt, 
wenn  man  den  rechten  Winkel  HAB  wegnimmt,  die  Summe  der 
Winkel  ABB  und  BAB  gleich  einem  Rechten.    Das  war  das  Erste. 

Ferner  aber,  ist  der  Winkel  XAH  (versteht  sich,  bei  der  Hypo- 
these des  stumpfen  Winkels,  nach  dem  vorhergehenden  Lehrsatze) 
kleiner  als  der  Winkel  ABB,  so  ergiebt  der  Winkel  ABB  zusammen 
mit  dem  Winkel  HAB  mehr  als  zwei  Rechte,  da  der  Winkel  XAH 
(wieder  nach  L  13)  mit  diesem  zusammen  zwei  Rechte  ergiebt.  Also 
bleibt,  wenn  man  den  rechten  Winkel  HAB  wegnimmt,  die  Summe  der 
Winkel  ABB  und  BAB  gröfser  als  ein  Rechter.    Das  war  das  Zweite. 

Endlich,  ist  der  Winkel  XAH  (versteht  sich,  bei  der  Hypothese 
des  spitzen  Winkels,  nach  dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  gröfser  als 
der  Winkel  ABB,  so  ergiebt  der  Winkel  ABB  zusammen  mit  dem 
AVinkel  HAB  weniger  als  zwei  Rechte,  da  der  Winkel  XAH  (aber- 
mals nach  L  13)  mit  diesem  zusammen  zwei  Rechte  ergiebt.  Also  l*- 
bleibt,  wenn  man  den  rechten  Winkel  HAB  wegnimmt,  die  Summe  der 
Winkel  ABB  und  BAB  kleiner  als  ein  Rechter.    Das  war  das  Dritte. 

Lehrsatz  X.  Steht  die  Gerade  BB  (Fig.  8)  scnhrecht  auf  irgend 
einer  Geraden  ABM,  und  ist  die  VerhindungsUme  B3I  gröfser  cds  die 
Verbindungslinie  BA,  so  ist  auch  die  Grundlinie  B3I  gröfser  als  die 
Grundlinie  BA,  und  umgekehrt. 

Beweis.  Zunächst  sind  diese  Grundlinien  nicht  einander  gleich, 
denn  sonst  wären  (nach  I.  4),  gegen  die  Voraussetzung,  auch  AB  und 
BM  einander  gleich.     Es   ist   aber  auch  BA   nicht  gröfser  als  BM. 


*)  [Saccheri  sagt  „die  beiden  übrigen  spitzen  Winkel",  indem  er  I.  17  be- 
nutzt, wonach  die  Summe  zweier  Dreieckswinkel  stets  kleiner  als  zwei  Rechte 
ist.  Lässt  man  aber  die  Hypothese  des  stumpfen  Winkels  zu,  so  gilt  der  Satz 
I.  17  nicht  mehr,  denn  er  ist  ja  eine  unmittelbare  Folge  des  Satzes  I.  16  über 
den  Aufsenwinkel.  In  der  That  beweist  Saccheri  später,  in  Lehrsatz  XIV,  dafs 
die  Hypothese  des  stumpfen  Winkels  sich  selbst  zerstört,  indem  sie  auf  einen  Wider- 
spruch gegen  I.  17  führt.     Vergl.  auch  die  zweite  Anmerkung  auf  S.  52.] 


6(» 


Sacclieri,  Euclides  ab  omni  naevo  viudicatus. 


Sonst  wären  nämlich,  wenn  mau  auf  BA  ein  Stück  BS  gleich  B3I  an- 
nähme und  SD  zöge,  (wieder  nach  I.  4)  die  Winkel  BSD  und  BMD 

bleich.     Nun    ist  (nach   I.    16)    der 

Winkel  BSD  gröfser  als  der  Winkel 

BAD.      Es    wäre    also    auch    der 

Winkel    BMD    gröfser  als    dieser. 

Das   verstöfst  aber  gegen  I.  18,  da 

nach     der    Voraussetzung    in     dem 

Dreieck  MDA  die  Seite  DM  gröfser 

ist  als   die  Seite  DA.     Es  bleibt  also  nur  übrig,   dafs  die  Grundlinie 

B3I  gröfser  ist  als  die  Grundlinie  BA.    Das  war  an  erster  Stelle  zu 

beweisen. 

Wenn  zweitens  eine  der  beiden  Grundlinien,  zum  Beispiel  (um 
die  Figur  beizubehalten)  BA,  gröfser  als  die  andere  B3I  angenommen 
wird,  so  ist  die  Verbindungslinie  DS,  die  von  BA  ein  Stück  SB 
gleich  B3I  abschneidet,  (nach  I.  4)  gleich  der  Verbindungslinie  D3L 
Ferner  wird  (nach  I.  16}  der  Winkel  DSA  stumpf  und  (nach  I.  17) 
der  Winkel  DAS  spitz.  Deshalb  ist  (nach  I.  19)  die  Verbindungs- 
linie DA  gröfser  als  die  Verbindungslinie  DS  und  auch  gröfser  als 
die  Verbindungslinie  D3I,  die  nach  der  Annahme  gleich  DS  ist.  Das 
war  an  zweiter  Stelle  zu  beweisen. 

Mithin  ist  die  Behauptung  durchaus  richtig. 

LS  Lehrsatz  XI.     Eine    Gerade  AP  (von   heliebiger   Länge)   schneide 

Zivei   Gerade  l'L   und  AD  (Fig.  0),    und  mar   die   erste  in  P  unter 


i"ig.  9. 


einem  rechten  Winlet,  die  zweite  aber  in  A  unter  einem  heliebigen  spitzen 
Winlcel,  der  sich  nach  der  Seite  von  PL  hin  öffnet  Ich  hehaupte,  dafs  (hei 
der  Hypothese  des  rechten  WinJcels)  die  Geraden  AD  und  PL  in 
einrm  gcn-issrn  Punlte,  und  zwar  in  endliche)'  oder  hegrenzter  Entfernung, 
schJiefslich  zusammentreffen  zcerden,  zvenn  man  sie  nach  der  Seite  ver- 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  X,  XI.  61 

lungert,    ivo   sie  mit  der   Grundlinie  AP  zivei    Winlicl  bilden,    die  zu- 
sammen Meiner  sind  als  zwei  Hechte. 

Beweis.  Man  verlängere  J)A  naeli  der  andern  Seite  bis  zu  einem 
beliebigen  Punkte  X  und  ziehe  durch  A  die  Gerade  HAC  senkrecht 
zu  AP,  wo  der  Punkt  H  innerhalb  des  Winkels  XAP  liegt.  Dann 
nehme  man  auf  der  Verlängerung  von  AD  nach  der  Seite  von  PL 
zwei  gleich  lange  Strecken  AD  und  DF  an  und  fälle  auf  die  Grund- 
linie AP  die  Lote  DB  und  FM,  die  wegen  I.  17  stets  in  das  Innere 
des  spitzen  Winkels  DAP  fallen.  Man  ziehe  noch  DM.  Ich  mufs 
zeigen,  dafs  die  Verbindungslinie  DM  gleich  DF  oder  DA  wird. 

Zunächst  kann  D3I  nicht  gröfser  als  DF  sein.  Sonst  wäre 
nämlich  (nach  I.  18)  der  Winkel  DMF  kleiner  als  der  Winkel  DFM 
oder  als  der  diesem  gleiche  Winkel  XAH  (nach  Lehrsatz  VIIT,  im  Fall 
der  Hypothese  des  rechten  Winkels)  oder  als  sein  Scheitelwinkel  CAD. 
Mithin  wäre  (da  der  Voraussetzung  nach  die  Winkel  CA  31  und  FMA 
gleich  sind,  nämlich  rechte)  der  übrig  bleibende  Winkel  DMA 
gröfser  als  der  übrig  bleibende  Winkel  DAM.  Das  ist  aber  wider- 
sinnig (gegen  I.  18),  weil  ja  D3I  gröfser  als  DF  oder  DA  an- 
genommen ist. 

Es  ist  aber  auch  D3I  nicht  kleiner  als  DF.  Sonst  wäre  nämlich 
(auch  nach  I.  18)  der  Winkel  D3IF  gröfser  als  der  Winkel  DF3I 
oder  als  der  ihm  gleiche  Winkel  XAH  (nach  dem  erwähnten  Lehr- 
satze VIII,  im  Fall  der  Hypothese  des  rechten  Winkels)  oder  als 
sein  Scheitelwinkel  CAD.  Mithin  wäre  wiederum,  wie  vorhin,  der 
übrig  bleibende  Winkel  D3IA  nicht  gröfser  sondern  kleiner  als  der  14 
übrig  bleibende  Winkel  DA3I.  Das  ist  aber  widersinnig  (auch  gegen 
I.  18),  weil  ja  D3I  kleiner  als  DF  oder  DA  angenommen  wurde. 

Es  bleibt  daher  nur  übrig,  dafs  die  Verbindungslinie  D3I  gleich 
DF  oder  DA  wird.  Deshalb  sind  (nach  I.  5)  in  dem  Dreieck  DA3I 
die  W^inkel  an  den  Ecken  A  und  3f  gleich  und  mithin  (nach  I.  26) 
in  den  Dreiecken  DBA  und  DB3I,  die  in  B  rechtwinklig  sind,  die 
Grundlinien  AB  und  B3I  gleich.     Darauf  aber  kam  es  hier  an. 

Da  somit  (wenn  man  auf  der  Verlängerung  von  AD  die  Strecke 
AF  doppelt  so  grofs  als  AD  nimmt)  das  auf  die  Grundlinie  AP  ge- 
fällte Lot  F3I  von  AP  nach  P  hin  eine  Grundlinie  A3I  abschneidet, 
doppelt  so  grofs  als  die  Grundlinie  AB,  welche  das  von  D  aus  ge- 
fällte Lot  abschneidet,  so  ist  klar,  dafs  diese  Verdoppelung  der  vor- 
hergehenden Strecke  so  oft  geschehen  kann,  dafs  man  auf  diese  Art 
zu  einem  Punkte  T  in  der  Verlängerung  von  AD  gelangt,  bei  welchem 
das  von  ihm  auf  die  Verlängerung  von  AP  gefällte  Lot  eine  Grund- 
linie APi,  abschneidet,  die  gröfser  ist  als  das  beliebige,   endliche  AP. 


C2 


Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 


Dies  kauu  jedoch  sicher  uicht  eintreten,  wenn  nicht  vorher  die  Ver- 
längerung von  AD  einen  gewissen  Punkt  L  von  TL  getroffen  hat. 

Wenn  nämlich  der  Punkt  T  vor  jenem  Zusammentreffen  läge,  so 
müfste  das  Lot  TU  dieselbe  Gerade  PL  in  einem  Punkte  K  schneiden. 
Dann  aber  befänden  sich  bei  dem  Dreieck  KPE  in  den  Ecken  P 
und  jR  zwei  rechte  Winkel,  was  gegen  I.  17  verstöfst. 

Demnach  steht  fest,  dafs  die  beiden  Geraden  AD  und  PL  (iui 
Fall  der  Hypothese  des  rechten  Winkels)  einander  in  einem  Punkte 
treffen  werden  (und  zwar  in  einem  endlichen  oder  begrenzten  Abstände), 
wenn  sie  nach  der  Seite  hin  verlängert  werden,  auf  der  sie  mit  der 
Grundlinie  AP  (von  beliebiger,  endlicher  Länge)  zwei  Winkel  bilden, 
die   zusammen  kleiner   sind   als  zwei  Rechte.     Was  zu  beweisen  war. 

13  Lehrsatz  XII.     Wiederum  heliaupte  ich,  dafs  auch  hei  der  Hypo- 

these des  stumpfen  Winkels  die  Gerade  AD  irgemlwo  auf  jener  Seife 
die  Gerade  PL  treffen  wird  (und  zwar  in  einem  endlichen  oder  be- 
grenzten Abstände)'^). 

Beweis.  Ist  nämlich,  wie  bei  dem  vorhergehenden  Lehrsatze,  DF 
gleich  AD  gemacht  [Fig.  10]  und  sind  die  schon  bekannten  Lote  ge- 
fällt, so  mufs  ich  zeigen,  dafs  die  Verbindungslinie  D3I  gröfser  ist 


als  DF  oder  DA,   und   dafs   mithin  (nach  Lehrsatz  X)  BM  gröfser 
ist  als  AB. 

Zunächst  wird  DM  nicht  gleich  DF  sein.  Sonst  wäre  nämlich 
(nach  I.  5)  der  Winkel  D3IF  gleich  dem  Winkel  DFM  und  mithin 
(nach  Lehrsatz  VllI,  im  Fall  der  Hypothese  des  stumpfen  Winkels) 
gröfser  als  der  äufsere  Wiukel  XAH  oder  als  sein  Scheitelwinkel 
CAF.  Mithin  wäre  (da  der  Voraussetzung  nach  die  Winkel  CAM 
und  FMA  gleich  sind,  nämlich  rechte)  der  übrigbleibende  Winkel 
DMA  kleiner  als  der  übrigbleibende  Winkel  DAM.  Das  verstöfst 
aber  gegen  I.  5,  weil  ja  DM  gleich  DF  oder  DA  sein  sollte. 

*)  [Dieser  Satz  ist  richtig,  wälirend  der  folgende  Beweis  beanstandet  werden 
mufs,  da  in  ihm  der  Satz  vom  Aufsenwinkel  (I.  16)  verwendet  wird,  der  bei  der 
Hypothese  des  stumpfen  Winkels  seine  Gültigkeit  verliert.] 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XI  — XIII.  63 

Es  ist  aber  DM  aucli  nicht  kleiner  als  BF  oder  DA.  Sonst 
wäre  nämlich  (nach  I.  18)  der  Winkel  DMF  gröfser  als  der  Winkel 
DFM  und.  mithin  (bei  der  gegenwärtigen  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels)  noch  viel  gröfser  als  der  äufsere  Winkel  XÄII  oder  sein 
Scheitelwinkel  CAD.  Mithin  Aväre  wieder,  wie  vorhin,  der  übrig- 
bleibende Winkel  DMA  viel  kleiner  als  der  übrigbleibende  Winkel 
DAM.  Das  verstöfst  aber  wieder  gegen  I.  18,  weil  ja  DM  kleiner 
sein  sollte  als  DF  oder  DA. 

Es  bleibt  also  nur  übrig,  dafs  die  Verbindungslinie  D3I  gröfser 
ist  als  DF  oder  DA,  und  dafs  daher  (nach  Lehrsatz  X)  BM  gröfser 
ist  als  AB.     Darauf  aber  kam  es  hier  an. 

Da  mithin,  wenn  man  in  der  Verlängerung  von  AD  eine  Strecke 
AF  doppelt  so  grofs  als  die  Strecke  AD  nimmt,  das  auf  die  Grund- 
linie AP  gefällte  Lot  FM  von  dieser  mehr  als  doppelt  so  viel  ab- 
schneidet, als  das  von  D  auf  sie  gefällte  Lot,  so  kommt  man  bei  der  IG 
Hypothese  des  stumpfen  Winkels  noch  bei  Weitem  schneller  als  vorhin 
bei  der  Hypothese  des  rechten  Winkels  zu  einer  so  grofsen  Strecke, 
dafs  das  von  ihrem  Endpunkte  aus  gefällte  Lot  eine  Grundlinie  ab- 
schneidet, die  gröfser  ist  als  die  beliebig  grofse,  gegebene  AP.  Das 
kann  aber,  wie  bei  dem  vorhergehenden  Lehrsatze,  nicht  eintreten, 
wenn  nicht  vorher  die  Verlängerung  von  AD  einen  gewissen  Punkt 
von  PL,  und  zwar  in  einer  endlichen  oder  begrenzten  Entfernung  ge- 
troffen hat.     Was  zu  beweisen  war. 

Lehrsatz  XHL      Wenn  eine  Gerade  XA  (von  beliebig  gröfser  ge- 
gebener Länge)  die  beiden  Geraden  AD  und  XL  schneidet  und  mit  ihnen 
auf  derselben  Seite  (Fig.  11)  innere  Winkel  XAD  und  AXL  bildet,  die 
zusammen  Meiner  als  Bwei  Beeide 
sind,   so  behaupte  ich,   dafs  diese 
beiden  Geraden  (auch  wenn  keiner 
von  jenen  beiden  Winkeln  einBechter 
ist)  endlich  in  einem  Punlite  auf  der 
Seite  jener  Winkel  msammentreffen 

IV  er  den,  und  stvar  in  einem  endlichen  oder  begrenzten  Abstände,  sobald 
eine  der  beiden  Hypothesen  entweder  die  des  rechten  oder  die  des 
stumpfen  Winkels  besteht*). 

Beweis.  Einer  der  genannten  Winkel,  zum  Beispiel  AXL,  wird 
spitz  sein.  Wenn  man  daher  vom  Scheitelpunkte  des  andern  Winkels 
auf  XL  das  Lot  AP  fällt,  so  liegt  es  (wegen  L  17)  stets  im  Innern 

*)  [Auch  hier  gilt,  was  bereits  in  der  Anmerkung  zu  Lehrsatz  XII  gesagt 
■worden  ist.] 


64  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

tles  spitzen  Winkels  ÄXL.  Da  nun  in  dem  Dreieck  APX,  das  bei 
P  rechtwinklig  ist,  die  beiden  spitzen  Winkel  FAX  und  PXÄ  (nacli 
Lehrsatz  IX)  zusammengenommen  nicht  kleiner  sind  als  ein  Rechter, 
sowohl  bei  der  Hypothese  des  rechten  als  bei  der  des  stumf)fen 
Winkels,  so  wird,  wenn  man  diese  beiden  AVinkel  von  der  Summe 
der  vorgelegten  abzieht,  der  übrig  bleibende  Winkel  PÄD  kleiner 
als  ein  Kechter  sein.  Mithin  sind  wir  im  Falle  der  beiden  vorher- 
gehenden Lehrsätze,  da  ja  eine  von  beiden  Hypothesen,  entweder  die 
des  rechten  Winkels  oder  die  des  stumpfen  Winkels  besteht.  Dem- 
nach werden  (nach  denselben  Lehrsätzen)  die  Geraden  AD  und  PL 
oder  XL  in  einem  Punkte  von  endlichem  oder  begrenztem  Abstände 
17  auf  der  bekannten  Seite  zusammentreffen,  sowohl  bei  der  einen  als 
auch  bei  der  andern  der  vorhin  erwähnten  Hypothesen.  Was  zu  be- 
weisen war. 

Anmerkuiig  L  Hier  möge  ein  beachtenswerter  Unterschied  gegen- 
über der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  angemerkt  werden.  Denn 
bei  dieser  kömite  man  das  Zusammentreffen  derartiger  Geraden  nicht 
allgemein  beweisen,  so  oft  nämlich  eine  Gerade,  die  zwei  andere 
schneidet,  auf  einer  Seite  zwei  innere  Winkel  bildet,  die  zusammen 
kleiner  sind  als  zwei  Rechte.  Man  könnte  es,  sage  ich,  nicht  einmal 
dann  direkt  beweisen,  w^enn  man  bei  dieser  Hypothese  das  erwähnte 
Zusammentreffen  allgemein  zuliefse,  sobald  einer  der  zwei  Winkel  ein 
Rechter  ist.  Denn  selbst,  wenn  die  Gerade  AD  [Fig.  11]  auch  ihrerseits 
auf  AP  senkrecht  wäre,  ein  Fall,  in  dem  sie  wegen  I.  17  sicher  mit 
dem  andern  Lote  PL  nicht  zusammentreffen  könnte,  so  wäre  trotzdem 
die  Summe  der  beiden  Winkel  DAX  und  PXA,  gemäfs  der  erwähnten 
Hypothese,  kleiner  als  zwei  Rechte,  da  bei  dieser  (nach  Lehrsatz  IX) 
die  Winkel  PAX  und  PXA  zusammen  kleiner  als  ein  Rechter  sind*). 
Das  zu  bemerken  war  aber  von  Wichtigkeit. 

Wie  man  aber  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels  zerstören  kann, 
indem  man  blofs  das  Zusammentreffen  allgemein  zuläfst,  so  lange  einer 
der  beiden  AVinkel  ein  Rechter  ist,  und  überdies  die  gegebene  schnei- 
dende  Gerade  \_PA]  eine  beliebig  kleine  Länge  hat,  das  werde  ich 
hinter  den  drei  folgenden  Lehrsätzen  zeigen. 

Anmerkung  II**).     Mit  Fleifs  habe  ich  bei  den  drei  soeben  auf- 


*)  [Man  hätte  also  einen  Fall,  bei  dem  die  beiden  Geraden  AB  und  XL 
nicht  zusammentreffen,  obwohl  die  Summe  der  inneren  "Winkel  LXA  und  XAD 
kleiner  als  zwei  Rechte  ist.] 

**)    [Der   Sinn  der  folgenden  Ausführungen  ist  der:   Sind  zwei  Winkel  ge- 
geben, die  zusammen  weniger  als  zwei  Rechte  betragen,  so  ist  es  stets  möglich, 


T.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XlII.     Anmerkung  1,  II 


65 


gestellten  Theoremen  die  Bedingung  hinzugefügt,  dafs  die  schneidende 
Gerade  ÄP  oder  XÄ  von  heliehig  (jrofser,  gegebener  Länge  sein  soll. 
Handelt  es  sich  nämlich,  ohne  jedes  bestimmte  Mafs  der  einfallenden 
Geraden,  darum,  genau  darzulegen  und  zu  beweisen,  dafs  es  zwei  Ge- 
rade giebt,  die  in  der  Spitze  eines  Dreiecks  zusammentreffen,  dessen  18 
Winkel  an  der  Grundlinie  gegeben  sind  (und 
zwar  zusammen  kleiner  als  zwei  Rechte,  zum 
Beispiel  sei  einer  gleich  einem  Rechten  und  der 
andere  weiche  nur  um  zwei  Grad  oder,  wenn 
man  will,  noch  weniger  von  einem  Rechten 
ab),  dann  kann  jeder,  der  einige  Erfahrung 
in  der  Geometrie  besitzt,  sofort  die  Sache  dar- 
legen und  beweisen. 

Gesetzt  nämlich,  es  sei  (Fig.  12*))  ein 
Winkel  BAP  gegeben,  zum  Beispiel  von  88  Grad.  Fällt  man  dann 
(nach  I.  12)  von  irgend  einem  Punkte  B  der  Geraden  AB  das  Lot 
BP  auf  die  Grundlinie  AP,  so  wird  augenscheinlich  durch  das  Drei- 
eck ABP  das  gewünschte  Zusammentreffen  im  Punkte  B  dargelegt 
und  bewiesen. 

Fordert  man  nun,  dafs  auch  der  andere  Winkel  an  der  Grund- 
linie kleiner  als  ein  Rechter  sei,  zum  Beispiel  84  Grad,  wie  ihn  der 
gegebene  Winkel  K  darstellen  mag**),  so  kann  man  (nach  1.  23)  auf 


Dreiecke  zu  konstruieren,  in  denen  diese  gegebenen  Winkel  vorkommen.  Wählt 
man  daher  die  Dreiecksseite,  der  sie  anliegen,  zur  Grundlinie  AX,  so  hat  man 
für  diese  Winkel  das  gewünschte  Zusammentreffen.  Es  bleibt  jedoch  unent- 
schieden, ob  man  auf  diese  Art  auch  zu  jeder  gegebenen  Grundlinie  Ä  X  gelangt, 
was  doch  zum  vollständigen  Beweise  des  Euklidischen  Axioms  erforderlich  wäre.] 

*)  [Saccheri  benutzt  in  vielen  Figuren  denselben  Buchstaben,  hier  X,  zur 
Bezeichnung  verschiedener  Punkte,  die  jedoch  in  gewisser  Beziehung  mit  einander 
gleichberechtigt  sind. 

Diese  Bezeichnungsweise  ist  ihm  nicht  eigentümlich,  sie  findet  sich  viel- 
mehr auch  sonst  in  der  älteren  mathematischen  Literatur,  zum  Beispiel  ge- 
braucht sie  Blaise  Pascal  (1623—1660)  in  seinen  geometrischen  Untersuchungen 
((Euvres  completes,  t.  III.  Paris  1882,  S.  370—446),  John  Barroiv  (1630—1677) 
in  seinen  Lectiones  geometricae ,  London  1670  (Zweite  Ausgabe  London  1674), 
Johann  Bernoulli  (1667 — ^1748)  in  seiner  Abhandlung  über  die  Brachistochrone 
(Acta  Eruditorum,  Mui  1697;  Opera  omnia,  Lausanne  und  Genf  1742,  T.  1.  S.  192). 
Die  Zahl  der  Beispiele  liefse  sich  gewifs  noch  beliebig  vermehren. 

Die  so  bequeme  Methode  der  Indices,  die  bereits  am  Ende  des  siebzehnten 
Jahrhunderts  von  Leibniz  vorgeschlagen  worden  war,  ist  erst  in  diesem  Jahr- 
hundert ein  Gemeingut  der  Mathematiker  geworden.] 

**)  [Dafs  der  Winkel  K  in  Fig.  12  statt  84  Grad  etwa  30  Grad  beträgt, 
ebenso  wie  nachher  der  Winkel  JB  statt  91  Grad  etwa  120  Grad,  das  stört 
Saccheri  nicht,  der,  wie  später  noch  augenfälliger  werden  wird,  seine  Zeichnungen 
immer  nur  als  schematisch  betrachtet  haben  mufs;  man  vergleiche  in  dieser  Be- 
ziehung etwa  noch  die  rechten  Winkel  in  Fig.  19,  S.  74. 

Wir  haben  uns  nicht  für  befugt  gehalten,  Zeichnung  und  Text  in  Überein- 
stimmung zu  bringrn  und  geben  hier  wie  überall  die  Figuren  in  ihrer  ursprüng- 
lichen Gestalt.] 

Stäckel  H.  Eugol,  Parallelentheorie.  5 


()()  Sacclieri,  Euclides  ab  omni  iiaevo  viudicatus. 

der  Seite  der  Geraden  AB  einen  ebenso  grofsen  Winkel  APD  an- 
tragen, und  dann  Avird  AB  von  FD  in  einem  Zwischenpunkte  7)  ge- 
troffen. Man  hat  also  wieder  einen  Beweis  für  das  gewünschte 
Zusammentreifen  im  Punkte  IJ. 

Fordert  man  endlich,  dafs  der  eine  Winkel  stumpf,  aber  kleiner 
als  92  Grad  ist,  damit  ihn  der  andere  gegebene  Winkel  BAP  nicht 
zu  zwei  Rechten  ergänzt,  so  möge  er  durch  einen  Winkel  B  von 
91  Grad  dargestellt  werden.  Zu  zeigen  ist,  dafs  es  auf  AP  einen 
solchen  Punkt  X  giebt,  dafs  die  Verbindungslinie  BX  einen  Winkel 
BXA  bildet,  der  gleich  dem  gegebenen  Winkel  B  von  91  Grad  ist, 
sodafs  man  also  bei  einer  gewissen  sclmeideuden  Geraden  AX  das 
gewünschte  Zusammentreffen  in  dem  genannten  Punkte  B  hat.  Man 
verfahrt  dann  so. 

Da  ja  (wenn  man  PA  bis  zu  irgend  einem  Punkte  H  verlängert) 
der  äufsere  Winkel  BAH  (wegen  I.  13)  gleich  92  Grad  ist,  wenn  der 
gegebene  innere  Winkel  BAP  88  Grad  beträgt,  und  da  er  wiederum, 
wegen  I.  16,  nicht  nur  gröfser  ist  als  der  rechte  Winkel  BPA, 
sondern  auch  gröfser  als  alle  die,  ebendeshalb  stumpfen  Winkel  BXA, 
Avo  der  Punkt  X  beliebig  innerhalb  PA  angenommen  wird,  und  da,  auch 
wegen  I.  16,  diese  Winkel  um  so  gröfser  sind,  je  näher  der  Punkt  X 
an  dem  Punkte  A  angenommen  wird,  so  folgt  augenscheinlich,  dafs 
lö  zwischen  den  beiden  Winkeln,  dem  einen  von  90  Grad  im  Pmikte  P 
und  dem  andern  von  92  Grad  im  Punkte  A  ein  AVinkel  BXA  ge- 
funden werden  kann,  der  91  Grad  beträgt  und  also  dem  gegebenen 
Winkel  R  gleich  ist*). 

Nichtsdestoweniger  mufs  man,  abgesehen  von  dieser  letzten  Be- 
merkung über  den  stumpfen  Winkel,  sorgfältig  beachten,  dafs  die 
Schwierigkeit  bei  jenem  Axiom  des  Euklid  darin  besteht,  dafs  es  das 
Zusammentreffen  zweier  Geraden  fordert,  und  zwar  stets  nach  der 
Seite,  auf  welcher  sie  mit  der  schneidenden  Geraden  zwei  Winkel 
bilden,  die  zusammen  kleiner  sind  als  zwei  Rechte,  und  dafs  es  das 
genannte  Zusammentreffen  auch  dann  fordert,  wenn  die  Länge  der 
gegebenen  schneidenden  Geraden  heliehig  grofs  ist. 

Übrigens  Averde  ich  (worauf  ich  schon  in  der  vorhergehenden  An- 
merkung aufmerksam  machte)  jenes  Zusammentreffen  allgemein  be- 
weisen**), sobald  nur  das  Zusammentreffen  für  den  Fall  zugelassen  wird, 
dafs  einer  der  Winkel  ein  rechter  [und  der  andere  irgend  ein  be- 
liebiger spitzer  Winkel]  ist,  und  zwar  selbst  dann,  wenn  es  nicht  für 

*)  [Sacchrri  setzt  dabei  voraus,   dal's   sich   der  Winkel  BXA  stetig  ändert, 
wenn  der  Punkt  X  von  A  nach  P  wandert.     Vergl.  auch  die  Anmerkung  S.  56.] 
**)  [Nämlich  in  Lehrsatz  XVII  und  in  Anmerkung  I  dazu.] 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Anmerkung  II  zu  Lehrsatz  XIII.     Lehrsatz  XIV,  XV.      67 

jede  beliebige  augebbare  eudlicbe  schneidende  Gerade  zugelassen  wird, 
sondern  nur  innerhalb  der  Grenzen  irgend  einer  gegebenen,  sehr 
kleinen  schneidenden  Geraden. 

Lehrsatz  XIV.  Die  Hypothese  des  stumiifen  Winkels  ist  gans  und 
gar  falsch,  iveil  sie  sich  selbst  zerstört. 

Beweis.  Indem  wir  die  Hypothese  des  stumpfen  Winkels  als 
richtig  annahmen,  haben  wir  daraus  bereits  die  Wahrheit  jenes  Eukli- 
dischen Axioms  hergeleitet,  dafs  zwei  Gerade  einander  in  einem  Punkte 
auf  der  Seite  treffen  werden,  auf  welcher  eine  beliebige  sie  schnei- 
dende Gerade  irgend  zwei  innere  Winkel  bildet,  die  zusammen  kleiner 
als  zwei  Rechte  sind.  Steht  aber  dieses  Axiom  fest,  auf  das  sich 
Euklid  nach  dem  achtundzwanzigsten  Satze  seines  ersten  Buches 
stützt,  dann  ist  allen  Geometern  klar,  dafs  allein  die  Hypothese  des 
rechten  Winkels  richtig  ist,  und  dafs  für  die  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels  kein  Platz  übrig  bleibt.  Mithin  ist  die  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels  ganz  und  gar  falsch,  weil  sie  sich  selbst  zerstört.  Was  zu 
beweisen  war. 

Anders  und  unmittelbarer.  Da  wir  (in  Lehrsatz  IX)  auf  Grund  20 
der  Hypothese  des  stumpfen  Winkels  bewiesen  haben,  dafs  die  beiden 
spitzen  Winkel  (Fig.  11)  eines 
Dreiecks  ÄPX,  das  in  P  recht- 
winklig ist,  zusammen  gröfser  als 
ein  Rechter  sind,  so  kann  man 
augenscheinlich  einen  spitzen 
Winkel  PÄD  so  annehmen,  dafs 

er  mit  den  genannten  beiden  spitzen  Winkeln  zwei  Rechte  ausmacht. 
Dann  aber  müfste  die  Gerade  ÄD  (nach  dem  vorhergehenden  Lehr- 
satze, im  Fall  der  Hypothese  des  stumpfen  Winkels)  schliefslich  mit 
PL  oder  XL  zusammentreffen,  wenn  man  ÄP  als  die  schneidende 
oder  treffende  Gerade  ansieht.  Das  verstöfst  aber  augeuscheinlich 
gegen  I.  17,  wenn  man  ÄX  als  die  schneidende  oder  treffende  Ge- 
rade ansieht. 

Lehrsatz  XV.  Durch  irgend  ein  Dreieck  ABC,  dessen  drei  Winkel 
(Fig.  13)  zusammen  gleich  zwei  Bechten  oder  gröfser  oder  kleiner  sind, 
wird  der  Beihe  nach  die  Hypothese  des  rechten  Winkels  oder  die  des 
sümpfen  Winkels  oder  die  des  spitzen   Winkels  hedingt*). 


*)  [Auch  für  den  Beweis  dieses   Satzes  gilt  das  in  den  Anmerkungen  auf 
S.  59  und  G2  Gesagte.] 


(38  Saccheri,  Euclides  ab  omni  iiaevo  vindicatus. 

Beweis.    Es  werden  uilmlich  wegeu  I.  17  wenigstens  zwei  Winkel 

jenes  Dreiecks,  zum  Beispiel  die  an  den  Ecken  Ä  und  C,  spitz  sein. 

Deshalb  wird  das  Lot,  das  vom  Scheitelpunkte  des  letzten  Winkels  B 

auf  AC  gefällt  wird,  ÄC  selbst  (wieder  wegen 

I.   17)    in    einem    gewissen    Zwisclienpunkte    D 

schneiden. 

Nimmt  man  also  an,  dafs  die  drei  W^iukel 
des  Dreiecks  ^^C  zusammen  gleich  zwei  Rechten 
sind,  so  sind  augenscheinlich  alle  Winkel  der  Drei- 
ecke ADJB  und  CDB  zusammen  gleich  vier 
Rechten,  da  ja  die  beiden  rechten  Winkel  bei  dem 
Punkte  D  hinzugekommen  sind.  Nunmehr  wird  bei  keinem  der  eben 
erwähnten  Dreiecke,  etwa  bei  ABB,  die  Winkelsumme  kleiner  oder 
gröfser  als  zwei  Rechte  sein,  denn  alsdann  wären  dementsprechend 
die  Winkel  des  andern  Dreiecks  zusammen  gröfser  oder  kleiner  als 
zwei  Rechte,  und  infolgedessen  würde  (nach  Lehrsatz  IX)  durch  das 
eine  Dreieck  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels,  durch  das  andre  die 
21  Hypothese  des  stumpfen  AVinkels  bedingt,  was  den  Lehrsätzen  VI 
und  VII  widerstreitet.  Also  sind  bei  jedem  der  genannten  beiden 
Dreiecke  die  drei  W^inkel  zusammen  gleich  zwei  Rechten,  und  dadurch 
wird  (nach  Lehrsatz  IX)  die  Hypothese  des  rechten  Winkels  bedingt. 
Was  an  erster  Stelle  zu  beweisen  war. 

Nimmt  man  aber  an,  dafs  die  drei  Winkel  des  vorgelegten  Dreiecks 
ABC  zusammen  gröfser  als  zwei  Rechte  sind,  so  werden  die  Winkel 
der  beiden  Dreiecke  ABB  und  CBB  alle  zusammen  gröfser  als  vier 
Rechte,  weil  ja  die  beiden  rechten  W^inkel  beim  Punkte  D  hinzugekommen 
sind.  Demnach  werden  bei  keinem  der  eben  genannten  Dreiecke  die  drei 
\\'inkel  zusammen  genau  gleich  zwei  Rechten  sein  oder  kleiner,  denn 
alsdann  wären  dementsprechend  die  drei  W^inkel  des  anderen  Dreiecks 
zusammen  gröfser  als  zwei  Rechte,  es  würde  also  (nach  Lehrsatz  IX) 
durch  das  eine  Dreieck  die  Hypothese  des  rechten  W^inkels  oder  die 
des  spitzen  Winkels,  durch  das  andere  die  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels  bedingt,  was  den  Lehrsätzen  V,  VI  und  VII  widerstreitet. 
Also  sind  bei  jedem  der  genannten  beiden  Dreiecke  die  drei  W^inkel 
zusammen  gröfser  als  zwei  Rechte  und  dadurch  wird  (nach  Lehr- 
satz IX)  die  Hypothese  des  stumpfen  Winkels  bedingt.  Was  an 
zweiter  Stelle  zu  beweisen  war. 

Nimmt  man  aber  endlich  an,  dafs  die  drei  Winkel  des  vorgelegten 
Dreiecks  ABC  zusammen  kleiner  als  zwei  Rechte  sind,  so  werden  die 
Winkel  der  beiden  Dreiecke  ABB  und  CBB  alle  zusammen  kleiner 
als  vier  Rechte,  weil  ja  die  beiden  rechten  Winkel  beim  Punkte  B  hinzu- 


I.  Buch,  I.  Teil.  —   Lehrsatz  X\\  Znsatz,  Lehrsatz  XVI  69 

gekommen  sind.  Demnach  werden  bei  keinem  der  eben  genannten  Drei- 
ecke die  drei  Winkel  zusammen  genau  gleich  zwei  Rechten  oder  gröfser 
sein,  denn  alsdann  wären  dementsprechend  die  drei  Winkel  des  andern 
Dreiecks  zusammen  kleiner  als  zwei  Rechte,  es  würde  also  nach  Lehr- 
satz IX  durch  das  eine  Dreieck  die  Hypothese  des  rechten  Winkels 
oder  die  des  stumpfen  Winkels,  durch  das  andere  die  Hypothese  des 
spitzen  Winkels  bedingt,  was  den  Lehrsätzen  V,  VI  und  VII  wider- 
streitet. Also  sind  bei  jedem  der  genannten  beiden  Dreiecke  die 
drei  Winkel  zusammen  kleiner  als  zwei  Rechte,  und  dadurch  wird 
(nach  Lehrsatz  IX)  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels  bedingt.  Was  22 
an  dritter  Stelle  zu  beweisen  war. 

Mithin  wird  durch  ein  beliebiges  Dreieck  ABC,  dessen  drei 
Winkel  zusammen  gleich  zwei  Rechten  oder  gröfser  oder  kleiner  sind, 
der  Reihe  nach  die  Hypothese  des  rechten  Winkels,  die  des  stumpfen 
Winkels  oder  die  des  spitzen  Winkels  bedingt.    Was  behauptet  wurde. 

Zusatz.  Verlängert  man  also  irgend  eine  Seite  eines  beliebigen 
vorgelegten  Dreiecks,  zum  Beispiel  ^IL'  bis  jff  [Fig.  13],  so  ist  (nach 
1.  13)  der  Aufsenwinkel  HBC  entweder  gleich  der  Summe  der  beiden 
übrigen  inneren,  gegenüberliegenden  Winkel  bei  den  Ecken  A  und  G, 
oder  kleiner  oder  gröfser  als  diese,  jenachdem  die  Hypothese  des 
rechten  Winkels  oder  die  des  stumpfen  Winkels  oder  die  des  spitzen 
Winkels  richtig  ist,  und  umgekehrt. 

Lehrsatz  XVI.  Durch  jedes  Viereck  AB  CD,  dessen  vier  Winlcel 
zusammen  gleich  vier  Hechten  oder  gröfser  oder  Meiner  sind,  ivird  der 
Bcihe  nach  die  Hypothese  des  rechten  Winlels,  die  des  stumpfen  Winhcls 
oder  die  des  spitzen  Winkels  bedingt. 

Beweis.  Zieht  man  AC,  so  sind  (Fig.  14)  die  drei  Winkel  des 
Dreiecks  ABC  zusammen  nicht  gleich  zwei  Rechten  oder  gröfser  oder 
kleiner,  ohne  dafs  auch  die  drei  Winkel  des 
Dreiecks  ABC  zusammen  gleich  zwei  Rechten 
oder  gröfser  oder  kleiner  sind,  denn  sonst 
würde  (nach  dem  vorhergehenden  Lehrsatze) 
durch  eines  dieser  Dreiecke  eine  Hypothese, 
durch    das    andere   eine   andere   bedingt,    ent- 

°    '  Fig.  14. 

gegen  den  Lehrsätzen  V,  VI  und  VII. 

Wenn  demnach  die  vier  Winkel  des  vorgelegten  Vierecks  zu- 
sammen gleich  vier  Rechten  sind,  so  betragen  augenscheinlich  in 
jedem  der  eben  genannten  Dreiecke  die  drei  Winkel  zusammen  zwei 
Rechte,  und  dadurch  wird  (nach  dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  die 
Hypothese  des  rechten  Winkels  bedingt.  23 


70  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naovo  vindicatus. 

'Weiiii  aber  die  vier  Winkel  desselben  Vierecks  zusammen  gröfser 
oder  kleiner  als  vier  Rechte  sind,  so  müssen  in  ähnlicher  AVeise  die 
drei  AYinkel  jedes  jener  Dreiecke  zusammen  beziehungsweise  entweder 
f^leichzeitio"  fröfser  oder  gleichzeitig  kleiner  als  zwei  Kechte  sein. 
Deshalb  wird  (nach  dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  durch  diese  Drei- 
ecke beziehungsweise  die  Hypothese  des  stumpfen  Winkels  oder  die 
Hypothese  des  spitzen  Winkels  bedingt. 

Somit  wird  durch  jedes  Viereck,  dessen  vier  Winkel  zusammen 
gleich  vier  Rechten  oder  gröfser  oder  kleiner  sind,  der  Reihe  nach  die 
Hypothese  des  rechten  Winkels,  die  des  stumpfen  Winkels  oder  die 
des  spitzen  Winkels  bedingt.     Was  zu  beweisen  war. 

Zusatz.  Verlängert  man  also  irgend  zwei  Gegenseiten  eines  vor- 
gelegten Vierecks  [Fig.  14]  nach  derselben  Seite,  etwa  AD  bis  Hnnd  BC 
bis  M,  so  ist  (nach  I.  13)  die  Summe  der  beideu  Aufsenwinkel  HDC 
und  31 CB  entweder  gleich  der  Summe  der  beiden  inneren,  gegen- 
überliegenden Winkel  bei  den  Ecken  A  und  B,  oder  kleiner  oder 
gröfser,  jenachdem  die  Hypothese  des  rechten  Winkels  oder  die  des 
stumpfen  AVinkels  oder  die  des  spitzen  Winkels  richtig  ist. 

Lehrsatz   XVIL      Wenn   auf  einer    heliebig   Meinen    Geraden   AB 
(Fig.  15)  die  Gerade  AH  senJcredit  steht,  so  hcliaupte  icJi,  dafs  hei  der 
Hypothese  des  s)iitzen   Winhels  nielit  jede  Gerade  BD,  die  mit  AB  auf 
der  Seite  von  AH  einen  beliebigen  spitzen  Winliel  bildet,  die  Verlängerung 
von  AH  scJdiefslich  in  einer  endlichen  oder  begrenzten  Entfernung  trifft. 
Beweis.     Zieht  man  HB,   so   ist  (nach  I.  17)   der  Winkel  ABH 
spitz,    weil    der  AVinkel   beim   Punkte  A    ein  Rechter  ist.     Nunmehr 
ziehe  man  (nach  I.  23)  nach  der  Seite  des  Punktes  B 
24     Jv  eine    Gerade    HD,    die    den   Winkel    AHB    nicht 

schneidet  und  mit  HB  einen  spitzen  Winkel  bildet, 
der  gleich  dem  spitzen  Winkel  ABH  ist.  Sodann 
fälle  man  von  dem  Punkte  B  auf  HD  das  Lot  BD, 
das  auf  die  Seite  des  genannten  spitzen  Winkels  bei 
dem  Punkte  H  fallen  wird. 

Da  also   die  Seite  HB  in  dem  Dreieck  HDB 
Fjg  15  dem  rechten  AAlnkel  bei  D  gegenüberliegt  und  ebenso 

im  Dreieck  BAH  dem  rechten  AAlnkel  bei  A,  und 
da  wiederum  in  diesen  beiden  Dreiecken  an  derselben  Seite  HB  gleiche 
Winkel  liegen,  nämlich  im  ersten  Dreieck  der  Winkel  BHD  und  im 
zweiten  der  AA'iukel  HBA,  so  ist  (nach  I.  26)  auch  der  letzte  Winkel 
HBD  im  ersten  Dreieck  gleich  dem  letzten  AViukel  BHA  im  zweiten 


I.  Buch,  1.  Teil.  —  Lehrsatz  XVI,  Zusatz,  Lehrsatz  XVIL  71 

Dreieck.     Deshalb    ist    der  ganze   Winkel  DBA   gleich  dem  ganzen 
Winkel  AHD. 

Nun  sind  aber  die  genannten  gleichen  Winkel  nicht  beide  stumpf, 
denn  sonst  gerieten  wir  (nach  dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  auf 
einen  Fall  der  schon  widerlegten  Hypothese  des  stumpfen  Winkels. 
Sie  sind  aber  auch  nicht  rechte,  denn  sonst  gerieten  wir  (wieder  nach 
dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  auf  einen  Fall  der  Hypothese  des 
rechten  Winkels,  die  (nach  Lehrsatz  V)  für  die  Hypothese  des  spitzen 
Winkels  keinen  Raum  liefse.     Daher  sind  beide  Winkel  spitz. 

Nunmehr  beweist  man  folgendermafsen,  dafs  die  Verlängerung  der 
Geraden  JBD  mit  der  Verlängerung  der  Geraden  AH  nach  derselben 
Seite  hin  nicht  in  einem  Punkte  K  zusammentreffen  kann. 

In  dem  Dreieck  KDH  wäre  nämlich  aufser  dem  rechten  Winkel 
bei  D  ein  stumpfer  Winkel  in  H  vorhanden,  da  der  Winkel  AHD  bei 
der  hier  vorgeschriebenen  Hypothese  des  spitzen  Winkels  als  spitz 
erwiesen  ist.  Das  ist  aber  unverträglich  mit  L  17.  Mithin  ist  es  bei 
dieser  Hypothese  ausgeschlossen,  dafs  jede  Gerade  DD,  die  mit  einer 
beliebig  kleinen  Geraden  AD  auf  der  Seite  von  AH  einen  beliebigen 
spitzen  Winkel  bildet,  die  Verlängerung  von  AH  schliefslich  in  einer 
endlichen  oder  begrenzten  Entfernung  trifft.  Was  zu  beweisen  war. 
Dasselbe  anders  und  einfacher.  Auf  einer  beliebig  kleinen  Ge- 
raden AD  (Fig.  16)  mögen  AK  und  DM  beide  senkrecht  stehen. 
Mau  fälle  auf  AK  aus  einem  Punkte  M  von  DM  26 

das  Lot  MH  und  ziehe  DH.  Dann  ist  der  Winkel 
DHM  spitz.  Ebenso  ist  bei  der  Hypothese  des 
spitzen  Winkels  (nach  dem  vorhergehenden  Lehr- 
satze) der  Winkel  J>J/iZ' spitz.  Mithin  wird  das  Lot 
DDX,  das  von  dem  Punkte  D  auf  HM  gefällt 
wird,  (nach  I.  17)  HM  in  einem  Zwischenpunkte 
D  schneiden,  also  ist  der  Winkel  XDA  spitz. 
Nun  weifs  man  (wieder  aus  L  17),  dafs  die  beiden  Fig.  le. 

Geraden  AHK  und  DDX,  beliebig  verlängert, 
nicht  zusammentreffen  können  (versteht  sich,  in  einer  endlichen  oder 
begrenzten  Entfernung),  weil  die  W^inkel  an  den  Punkten  H  und  D 
rechte  sind.  Mithin  ist  es  bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels 
ausgeschlossen,  dafs  jede  Gerade  DD,  die  mit  einer  beliebig  kleinen 
Geraden  AD  auf  der  Seite  von  AH,  das  auf  AD  senkrecht  steht, 
einen  beliebigen  spitzen  Winkel  bildet,  die  Verlängerung  von  AH 
schliefslich  (in  einer  endlichen  oder  begrenzten  Entfernung)  trifft. 
Was  behauptet  war. 

Anmerkung  L     Das  ist  es  gerade,   was  ich  in  den  Anmerkungen 


72  Saccheri,  Euclides  ob  omni  naevo  vindicatus. 

hinter  dem  Lehrsätze  XllI  versprochen  hatte,  dafs  nämlich  die  Hypothese 
des  spitzen  AA'inkels  (die  nunmehr  allein  der  allgemeinen  Gültigkeit 
jenes  Euklidischen  Axioms  im  A\'ege  sein  kann)  hinfällig  wird,  sobcild 
man  nur  allgemein  zuläfst,  dafs  zwei  Gerade  auf  der  Seite  zusammen- 
treflen  müssen,  auf  der  irgend  eine  sie  schneidende  Gerade,  die  be- 
liebig  klein  sein  darf,  zwei  innere  Winkel  bildet,  die  zusammen  kleiner 
sind  als  zwei  Rechte,  und  zwar  auch  dann  noch,  wenn  verlangt  wird, 
dafs  der  eine  der  beiden  Winkel  ein  Rechter  sei. 

Anmerkung  IL  Wiederum  werde  ich  an  einer  geeigneteren  Stelle, 
nämlich  [in  der  Anmerkung  III]  hinter  dem  Lehrsatze  XXVII,  zeigen, 
dafs  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels  ebenfalls  hinfällig  Avird,  sobald 
26  man  irgend  einen  noch  so  kleinen  spitzen  W^inkel  von  der  Beschaffen- 
heit angeben  kann,  dafs  die  Verlängerung  einer  Geraden,  die  unter 
diesem  Winkel  von  einer  anderen  geschnitten  wird,  schliefslich  (in 
endlicher  oder  begrenzter  Entfernung)  jedes  in  beliebigem,  endlichem 
Abstände   auf  der  schneidenden  Geraden   errichtete   Lot  treffen   mufs. 

Lehrsatz  XVIII.  Durch  jedes  beliebige  Breieck  ABC,  dessen  Winlcl 
beim  Punkte  B  (Fig.  17)  in  irgend  einem  Halbkreise  mit  A  C  als  Burcli- 
messer  liegt,  wird  der  Reihe  nach  die  Hypothese  des  rechten  Winkels 
oder  die  des  stumpfen  Winkels  oder  die  des  spitzen  Winkels  bedingt,  je- 
nachdem  der  Winkel  beim  Punkte  B  ein  rechter  oder  stumpfer  oder  spitzer  ist. 
Beweis.  Vom  Mittelpunkte  T)  aus  ziehe  man  DB.  Dann  sind 
(nach  I.  5)  in  den  Dreiecken  ADB  und  CDB  die  Winkel  an  der 
Grundlinie  AB  und  ebenso  die  an  der  Grund- 
linie BC  gleich.  Mithin  sind  in  dem  Dreieck 
ABC  die  beiden  Winkel  an  der  Grundlinie 
AC  zusammen  gleich  dem  ganzen  W^inkel 
ABC,  und  es  sind  daher  die  drei  Winkel  des 
Dreiecks  ABC  zusammen  gleich  zwei  Rechten 
oder  gröfser  oder  kleiner,  jenachdem  der  Winkel 
beim  Punkte  B  ein  rechter,  stumpfer  oder  spitzer  ist. 

Daher  wird  durch  jedes  beliebige  Dreieck  ABC,  dessen  Winkel 
beim  Punkte  B  in  irgend  einem  Halbkreise  mit  AC  als  Durchmesser 
liegt,  (nach  Lehrsatz  XV)  der  Reihe  nach  die  Hypothese  des  rechten 
Winkels,  die  des  stumpfen  Winkels  oder  die  des  spitzen  W'inkels  be- 
dingt, jenachdem  der  Winkel  beim  Punkte  B  ein  rechter,  sturaj^fer 
oder  spitzer  ist.     Was  zu  beweisen  war. 

Lehrsatz  XIX.  Irgend  ein  Dreieck  AHD  (Fig.  18)  sei  in  H  recht- 
winklig.   Auf  der  Verlängei'ung  von  AD  werde  das  Stück  DC  gleich  AD 


I.  Buch,  1.  Teil.  —  Anmerkung  l  u.  11  zu  Lehrsatz  X  Vif.    Lehrsatz  XVlIt-XX.     73 

angenommen,  und  auf  die  Verlängerung  von  AH  das  Lot  (JB  gefällt 
Ich  heJiau].}te,  daß  hierdurch  der  Beihe  nach  die  Hypothese  des  rechten 
WinJcels,  die  des  stumpfen  oder  die  des  sp)itzen  Winkels  bedingt  wird, 
jenachdcm  das  Stück  HB  gleich  AH  oder  gröfser  oder  kleiner  ist.  27 

Beweis.     Die  Verbindungslinie  DB  wird  nämlich  (nach  I.  4  und 
nach  Lehrsatz  X)   gleich  AD  oder  gröfser  oder  kleiner  als  AD  oder 
DC  sein,  jenachdem  jenes  Stück  HB  gleich  AH 
oder  gröfser  oder  kleiner  ist. 

Es  sei  nun  erstens  HB  gleich  AH,  sodafs 
also  die  Verbindungslinie  DB  gleich  AD  oder 
DC  wird.  Dann  geht  der  Umfang  des  Kreises, 
der  um  D  als  Mittelpunkt  mit  dem  Halbmesser 
DB  beschrieben  wird,  sicher  durch  die  Punkte 
A  und  C.  Demnach  liegt  der  Winkel  ABC, 
welcher  der  Voraussetzung  nach  ein  Rechter  ist,  p.    ^g 

in  diesem  Halbkreise,  dessen  Durchmesser  A  C  ist, 

und  hierdurch  wird  (nach  dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  die  Hypo- 
these des  rechten  Winkels  bedingt.  Was  an  erster  Stelle  zu  be- 
weisen war. 

Es  sei  zweitens  HB  gröfser  als  AH,  sodafs  also  die  Ver- 
bindungslinie DB  gröfser  als  AD  oder  DC  ist.  Dann  wird  der  Um- 
fang des  Kreises,  der  um  D  als  Mittelpunkt  mit  dem  Halbmesser  DA 
oder  DC  beschrieben  wird,  DB  sicher  in  einem  gewissen  Zwischen- 
punkte K  treffen.  Demnach  ist,  wenn  man  AK  und  CK  zieht,  der 
Winkel  AKC  stumpf,  denn  er  ist  (nach  L  21)  gröfser  als  der  Winkel 
ABC,  welcher,  der  Voraussetzung  nach,  ein  Rechter  ist,  und  hierdurch 
wird  (nach  dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  die  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels  bedingt.     Was  an  zweiter  Stelle  zu  beweisen  war. 

Es  sei  drittens  HB  kleiner  als  AH,  sodafs  also  die  Ver- 
bindungslinie DB  kleiner  als  AD  oder  DC  ist.  Dann  wird  der  Um- 
fang des  Kreises,  der  um  D  als  Mittelpunkt  mit  dem  Halbmesser  DA 
oder  DC  beschrieben  wird,  die  Verlängerung  von  DB  sicher  in  einem 
Pimkte  M  treffen.  Demnach  ist,  wenn  man  AM  und  CM  zieht,  der 
Winkel  AMC  spitz,  denn  er  ist  (wieder  nach  L  21)  kleiner  als  der 
Winkel  ABC,  der  ein  Rechter  sein  sollte,  und  hierdurch  wird  (nach 
dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels 
bedingt.     Was  an  dritter  Stelle  zu  beweisen  war. 

Mithin  ist  die  ganze  Behauptung  richtig. 

Lehrsatz  XX.    Das  Dreieck  ACM  (Fig.  19)  sei  in  C  rechtwinklig.  28 
Wird  dann  vom  Halhierungspunkte  B  der  Geraden  A3I  auf  AC  das 


74 


Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 


Lot  BD  gefällt,  so  behaupte  ich,  dafs  dieses  Lot  (hei  der  Hypothese 

des  spitzen  WinJcels)  nicht  gröfser  ist,  als  die  Hälfte  des  Lotes  MC, 

Beweis.      Mau    mache    nämlich    die   Verlängerung    DH  von  DB 

doppelt  so   grofs   als  DB  selbst.     Dann   wäre  (-svenn  DB  gröfser  als 

die  genannte  Hälfte  wäre)  DH  gröfser  als  C3I 

und  deshalb  gleich  einer  gewissen  Verlängerung 

C3IK.     Man  ziehe  nun  ÄH,  HK,  HM,  MD 

und  verfahre  so: 

Da  in  den  Dreiecken  HBA  und  DBM  die 
Seiten  HB  und  BA  den  Seiten  DB  und  B3I 
gleich  sein  sollten,  und  da  (nach  I.  15)  die  Winkel 
an  dem  Pimkte  B  gleich  sind,  so  ist  auch  (nach 
I.  4)  die  Grundlinie  HA  der  Grundlinie  MD 
gleich.  Ferner  sind  aus  demselben  Grunde  in 
den  Dreiecken  HBM  und  DBA  die  Grund- 
linien HM  und  DA  gleich.  Daher  sind  (nach 
I.  8)  in  den  Dreiecken  MHA  und  ADM  die 
Winkel  MHA  und  AD3I  gleich.  Wiederum  ist  bei  den  Dreiecken 
AHB  und  MDB  der  übrig  bleibende  Winkel  MHB  gleich  dem 
übrig  bleibenden  rechten  Winkel  ADB,  mithin  ist  21  HB  ein  rechter 
Winkel.  Das  ist  jedoch  bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  wider- 
sinnig, da  die  Gerade  KH,  die  Verbindungslinie  der  gleichen  Lote 
KC  und  HD,  (nach  Lehrsatz  I,  VII  und  XVI)  spitze  Winkel  mit  diesen 
Loten  bildet.  Daher  ist  (bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels)  das 
Lot  BD  nicht  gröfser  als  die  Hälfte  des  Lotes  MC'^).  Was  zu 
beweisen  war. 


i'ig.  10. 


29 


Lehrsatz  XXL  Denkt  man  sic-Ji,  unter  denselben  Voraussetzungen, 
A  M  und  A  C  ins  Unendliche  verlängert,  so  behaupte  ich,  dafs  ihr  Abstaiid 
(sowohl  bei  der  Hypothese  des  rechten  als  auch  hei  der  des 
spitzen  Winlels)  gröfser  wird  als  jede  beliebige,  angebbare  endliche  Länge. 

Beweis.  Auf  der  Verlängerung  von  AM  nehme  man  AP  doppelt 
so  grofs  an  als  AM  und  fälle  auf  die  Verlängerung  von  AC  das  Lot 
PN.  Bei  jeder  der  beiden  genannten  Hypothesen  ist  (nach-  dem  vor- 
hergehenden Lehrsätze)  das  Lot  MC  nicht  gröfser  als  die  Hälfte  des 
Lotes  PN.  Daher  ist  PN  wenigstens  doppelt  so  grofs  als  3IC, 
ebenso  wie  3IC  wenigstens  doppelt  so  grofs  als  BD  ist. 

So  verhält  es  sich  nun  stets,  wenn  auf  der  Verlängerung  von  AM 
das  Doppelte  von  AP  genommen  und  von  dem  Endpunkte   das  Lot 

*)  [Mit  Absicht  sagt  Saccheri:  nicht  gröfser,  weil  der  Satz  in  dieser 
Fassung  auch  für  die  Hypothese  des  rechten  Winkels  gilt.] 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XX,  XXI.     Zusatz.     Anmerkung  I.  75 

auf  die  Verlängerung  von  ÄC  gefällt  wird.  Das  halfst,  das  Lot,  das  man 
von  der  immer  weiter  verlängerten  Geraden  AM  auf  die  Verlängerung 
von  AC  fällt,  wird  schliefslich  ein  Vielfaches  der  bestimmten  Ge- 
raden BD,  über  jede  endliche  angebbare  Zahl  hinaus.  Mithin  wird 
(bei  jeder  der  beiden  genannten  Hypothesen)  der  Abstand  der  ge- 
nannten Geraden  gröfser  als  irgend  eine  angebbare  endliche  Länge. 
Was  zu  beweisen  war. 

Zusatz.  Da  die  Hypothese  des  stumpfen  Winkels,  die  allein  hier 
hinderlich  sein  könnte,  bereits  als  ganz  und  gar  falsch  erwiesen  ist,  so 
folgt  nunmehr  die  unbedingte  Richtigkeit  des  Satzes,  dafs  der  gegen- 
seitige Abstand  der  genannten  Geraden,  sobald  sie  ins  Unendliche  ver- 
längert werden,  gröfser  als  jede  beliebige,  endliche  angebbare  Länge  wird. 

Anmerkung  I,  tvorin  der  Versuch  des  ProJdos  geprüft  tvird. 

Nachdem  ich  bis  jetzt  einige  Theoreme  ganz  unabhängig  von 
dem  Euklidischen  Axiom  bewiesen  habe,  zu  dessen  durchaus  strengem 
Beweise  sie  alle  dienen  sollen,  glaube  ich  gut  zu  thun,  wenn  ich  nun- 
mehr die  Bemühungen  einiger  bekannterer  Geometer,  die  nach  dem- 
selben Ziele  gestrebt  haben,  sorgfältig  prüfe. 

Ich  beginne  mit  Proklos,  von  dem  sich  bei  Clavius  hinter  dem  30 
Satze  28   des  ersten  Buches  folgende  Behauptung  findet: 

Gehen  von  einem  Punkte  0tvei  Gerade  aus,  die  einen  Winkel  mit  ein- 
ander bilden,  so  wird  ihr  Abstand,  wenn  sie  ins  Unendliche  verlängert 
iverden,  jede  endliche  Gröfse  überschreiten. 

Proklos  beweist  nun  (wie  Clavius  dort  sehr  gut  bemerkt)  zwar, 
dafs  zwei  Gerade  wie  AH  midi  AD  (Fig.  20),  die 
sich  von  demselben  Punktet  nach  derselben  Seite 
erstrecken,  um  so  mehr  von  einander  abstehen, 
je  gröfser  der  Abstand  vom  Punkte  A  wird,  nicht 
aber  auch,  dafs  dieser  Abstand  über  jede  endliche  ■^'^-  ^^• 

angebbare  Grenze  wächst,  wie  es  doch  für  seinen  Zweck  erforderlich  wäre. 

An  dieser  Stelle  führt  der  eben  erwähnte  Clavius  das  Beispiel 
der  Conchoide  des  Nikomedes  an.  Wenn  sich  diese  nämlich  von 
dem  Punkte  A  aus  nach  derselben  "Seite  erstreckt,  wie  die  Gerade  AH, 
so  entfernt  sie  sich  zwar  von  dieser  immer  mehr,  jedoch  so,  dafs  ihr 
Abstand  erst  bei  unendlicher  Verlängerung  beider  gleich  einer  ge- 
wissen endlichen  Geraden  AJB  wird,  die  senkrecht  steht  auf  den  nach 
derselben  Seite  ins  Unendliche  verlängerten  Geraden  AH  und  BC. 
Warum  könnte  man  also  nicht,  aufser  wenn  ein  besonderer  Grund 
das  Gegenteil  fordert,  von  den  beiden  angenommenen  Geraden  AH 
und  AD  dasselbe  behaupten? 


76  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

Man  darf  übrigens  den  Clavius  nicht  tadeln,  dafs  er  dem  Pro- 
klos diese  Eigenschaft  der  Conchoide  entgegenhält,  die  nur  mit  Hilfe 
mehrerer,  auf  dem  hier  strittigen  Axiom  beruhender  Theoreme  bewiesen 
werden  kann.  Denn  ich  behaupte,  dafs  gerade  hierdurch  die  Kraft 
der  Widerlegung  des  Clavius  verstärkt  wird.  Nimmt  man  nämlich 
dieses  Axiom  als  richtig  an,  so  folgt  augenscheinlich  die  Möglichkeit, 
dafs  zwei  ins  Unendliche  verlängerte  Linien,  von  denen  die  eine  gerade, 
die  andere  gekrümmt  ist,  zwar  immer  mehr  von  einander  abweichen, 
jedoch  nur  innerhalb  einer  bestimmten,  endlichen  Grenze;  hieraus  aber 
kann  man  jedenfalls  Verdacht  schöpfen,  dafs  etwas  ähnliches  auch  bei 
zwei  geraden  Linien  eintreten  kann,  wofern  nicht  das  Gegenteil  be- 
Aviesen  wird. 

Mau  kann  aber  nicht  etwa,  nachdem  ich  in  dem  Zusatz  zu  dem 
31  vorhergehenden  Lehrsatze  die  unbedingte  Wahrheit  der  vorhin  erwähnten 
Behauptung  festgestellt  habe,  deshalb  sofort  dazu  übergehen,  jenes 
Euklidische  Axiom  als  wahr  hinzustellen.  Vorher  müfste  nämlich 
noch  bewiesen  werden,  dafs  jene  beiden  Geraden  AH  und  J5C,  die 
mit  der  schneidenden  Geraden  ÄJB  auf  derselben  Seite  zwei  Winkel 
bilden,  die  zusammen  gleich  zwei  Rechten  sind,  also  etwa  jeder  gleich 
einem  Rechten,  nicht  auch  selber  nach  dieser  Seite  ins  Unendliche  ver- 
längert immer  mehr  über  jede  endliche  angebbare  Entfernung  hinaus 
auseinandergehen.  Macht  man  nämlich  die  Annahme,  dafs  dies  eintritt, 
was  bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  durchaus  richtig  ist,  so 
ist  es  gewifs  keine  erlaubte  Folgerung,  dafs  eine  Gerade  AD,  die 
den  Winkel  HAB  irgendwie  schneidet,  wobei  dann  die  beiden  imieren 
Winkel  an  derselben  Seite,  DAB  und  CBA,  zusammen  kleiner  als 
zwei  Rechte  sind,  —  dafs,  sage  ich,  diese  Gerade  AI),  ins  LTnendliche 
verlängert,  schliefslich  mit  der  Verlängerung  von  BC  zusammentreffen 
mufs,  wenn  auch  anderweitig  bewiesen  ist,  dafs  der  Abstand  der  beiden 
ins  Unendliche  verlängerten  Geraden  AH  und  AD  immer  gröfser  wird, 
und  zwar  über  jede  endliche  angebbare  Grenze  hinaus. 

Wenn  aber  der  schon  erwähnte  Clavius  glaubte,  die  Wahrheit 
jener  Behauptung  genüge  zum  Beweise  des  hier  strittigen  Axioms,  so 
entschuldigt  dies  das  Vorurteil,  das  er  in  Betreff  gerader  Linien  von 
gleichem  Abstände  gefafst  hatte.  Hierüber  werden  wir  jedoch  be- 
quemer in  der  folgenden  Anmerkung  sprechen. 

Anmerkung  II,  irorin  die  Ansicht  geprüft  wird,  die  der  herühmte 
Giovanni  Alfonso  Borelli  in  seinem  Euclides  restitiitus  aus- 
gesprochen hat. 

Dieser   grofse  Gelehrte   klagt   den  Euklid    an,   weil   er   parallele 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Anmerkung  1  und  l\  zu  Lehrsatz  XXI.  77 

Liüieu  als  solche  erklärt  habe,  die  in  derselben  Ebene  liegen  und  auf 
Jieiner  von  beiden  Seiten  zusammentreffen,  selbst  wenn  sie  ins  Unendliehe 
verlängert  werden'-^').  Als  Grund  für  seine  Anklage  giebt  er  an,  ein 
solches  Verhalten  sei  unbekannt,  einmal,  sagt  er,  weil  ivir  nicht  wissen,  32 
ob  es  solche  unendliche,  nicht  msammentreffende  Linien  wirklich  giebt, 
dann  aber  auch,  weil  wir  die  Eigenschaften  des  Unendlichen  nicht  fassen 
können,  und  daher  ein  solches  Verhalten  nicld  deutlich  bekannt  ist. 

Mit  der  gebührenden  Ehrfurcht  vor  einem  so  grofseu  Manne  sei 
es  gesagt:  kann  man  etwa  Euklid  tadeln,  weil  er  (um  ein  Beispiel 
unter  unzähligen  anzuführen)  das  Quadrat  als  eine  viereckige,  gleich- 
seitige, rechtwinklige  Figur  erklärt  liat'^'*),  während  man  doch  zweifeln 
kann,  ob  es  in  Wirklichkeit  eine  solche  Figur  giebt?  Billig,  sage 
ich,  hätte  man  ihn  tadeln  können,  wenn  er  die  genannte  Figur  als 
gegeben  angenommen  hätte,  ohne  vorher  in  Form  einer  Aufgabe  ihre 
Konstruktion  nachzuweisen.  Euklid  ist  aber  von  diesem  Fehler  frei, 
wie  deutlich  daraus  hervorgeht,  dafs  er  das  Quadrat  nicht  eher  als 
an  und  für  sich  erklärt  annimmt,  als  nach  dem  Satze  46  des  ersten 
Buches,  wo  er  in  Form  einer  Aufgabe  lehrt  und  zeigt,  zvie  man  eben 
das  Quadrat,  das  er  erklärt  hat,  aus  einer  gegebenen  Linie  AB  zeichnet. 

Ebenso  wenig  darf  man  also  Euklid  tadeln,  weil  er  die  parallelen 
geraden  Linien  auf  die  angegebene  Art  erklärt  hat,  da  er  sie  nicht 
eher  bei  irgend  einer  Aufgabe  in  der  Konstruktion  als  gegeben  an- 
nimmt, als  nach  dem  Satze  31  des  ersten  Buches,  wo  er  in  Form  einer 
Aufgabe  zeigt,  wie  durch  einen  aufserhalh  einer  Geraden  angenommenen 
Punkt  die  ihr  parallele  gerade  Linie  zu  ziehen  ist,  und  zwar  gemäfs  der 
von  ihm  gegebenen  Erklärung  der  Parallelen,  wonach  sie,  bis  ins  Un- 
endliche verlängert,  auf  keiner  Seite  zusammentreffen.  Und  was  mehr  ist, 
gerade  das  zeigt  er  ohne  die  geringste  Benutzung  des  hier  strittigen 
Axioms.  Mithin  zeigt  Euklid  ohne  jeden  Zirkelschlufs ,  dafs  es  in 
Wirklichkeit  ztvei  gerade  Linien  giebt,  die  (in  derselben  Ebene  liegen 
und)  nach  beiden  Seiten  ins  Unendliche  verlängert  niemals  zusammen-  - 
treffen,  und  dadurch  giebt  er  uns  eine  klare  Erkenntnis  von  dem  Ver- 
halten, durch  das  er  parallele  Linien  erklärt. 

Gehen  wir  weiter,  wohin  uns  der  gewissenhafte  Ankläger  Euklids 
führt.    Parallele  gerade  Linien  nennt  er  irgend  zwei  gerade  Linien  AC 
und  BD,  die  auf  derselben  Seite  (bei  mir  Fig.  21***))  auf  einer  Ge-  33 
raden  AB  senkrecht  stehen.     Ich   gebe  zu,   dafs  diese  Erklärung  auf 
einem,   wie  er   selbst  sagt,   möglichen  und   sehr  deutlichen   Verhalten 


'■')  [Euklid,  Elemente,  Buch  I,  Erklärung  23.J 
**)  [Euklid,  Elemente,  Buch  I,  Erklärung  22. | 
***)  [Dieselbe  Figur  hat  Clavius  schon  1574,  Giordano  da  Bitonto  1G80.] 


78  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

beruht,  da  man  ja  (nach  I.  11)  auf  einer  gegebenen  Geraden  in  jedem 
Punkte  das  Lot  errichten  kann. 

Ich  habe  jedoch  bewiesen,  dafs  eben  diese  Möglichkeit  und  Deut- 
lichkeit auch  der  Erklärung  Euklids  zukommt.  Es  bleibt  daher  nur 
übrig,  jenes  bekannte  Axiom  Euklids  mit  dem  andern  neuen  Axiome 
zu  vergleichen,  das  man  notwendig  braucht,  wenn  man  nach  jener 
neuen  Erklärung  der  Parallelen  weiter  gehen  will.  In  der  That  be- 
findet sich  dieses  andere  Axiom  bei  Clavius  (auf  den  sich  Bor  eil  i 
ausdrücklich  beruft)  in  der  Anmerkung  hinter  I.  28: 

Bewegt  sich  eine  gerade  Linie,  zum  Beispiel  BD  [Fig.  21], 
längs  einer  andern  Geraden,  zum  Bei- 
spiel BA,  und  bildet  sie  dabei  in  ihrem 
EndpunMe  B  immer  rechte  Winlcel  [mit 
BA],  so  ivird  ihr  anderer  Endpunkt  D 
auch  eine  Gerade  DC  beschreiben,  ivenn 
nämlich  BD  schliefslich  zur  Deckung  mit 
der  anderen  gleich  grofsen  Geraden  AC 
gelangt. 
Ich  erkenne  an,  dafs  es  möglich  ist,  von  diesem  Axiome  aus  zum 
Beweise  jenes  andern.  Euklidischen  Axioms  überzugehen,  auf  das  man 
schliefslich  die  ganze  übrige  Geometrie  stützen  mufs.  Denn  Clavius 
hatte  vorher  als  Lehrsatz  aufgestellt,  dafs  eine  Linie,  deren  Punkte 
sämtlich  von  einer  angenommeneu  Geraden  AB  gleich  weit  ab- 
stehen, und  von  dieser  Beschaifenheit  ist  ja  (grade  nach  der  Voraus- 
setzung der  erwähnten  Konstruktion)  die  Liuie  DC,  auch  ihrerseits 
gerade  sein  mufs,  weil  sie  so  beschaffen  ist,  dafs  alle  ihre  Zwischen- 
punkte zwischen  ihren  Endpunkten  D  und  C  auf  einerlei  Art  liegen 
(das  ist  eben  die  Erklärung  der  geraden  Linie*));  auf  einerlei  Art  liefen, 
sage  ich,  da  sie  alle  von  der  angenommenen  Geraden  AB  gleich  weit 
abstehen,  nämlich  um  die  Länge  von  BD  oder  AC. 

An    dieser    Stelle    führt   Clavius    als   Beispiel   die   Kreislinie   an, 
über  die  wir  aber  besser  weiter  unten  sprechen  werden;  dort  werde  ich 
34  ins  hellste  Licht  setzen,  wodurch  sich  die  gerade  Linie  und  die  kreis- 
förmige in  dieser  Beziehung  unterscheiden. 

Inzwischen  sage  ich  nur,  dafs  es  nicht  genügend  einleuchtet,  ob 
die  von  jenem  Punkte  D  beschriebene  Linie  wirklich  die  Gerade  DC 
ist,  und  nicht  vielmehr  eine  gewisse  Kurve  DGC,  die  nach  der  Seite 
von  BA  gewölbt  oder  hohl  sein  kann. 


*)  [Euklid,  Elemente,  Buch  I,  Erklärung  4: 
Ev9siu  YQu^LLij  iaxLv,   tjtls  £|    laov   i         ßecta  linea  est,  quaecunque  ex  aeqou 
TOis  i(p'  iavTi)g  ar,u£ioLs  y-itrai.  j   punctis  in  ea  sitis  iacet.] 


I.  Buch,  I.  Teil.   —  Anmerkung  II  zu  Lehrsatz  XXI.  79 

Denkt  man  sich  nämlich  in  dem  Halbierungspunkte  F  von  A  B 
die  Senkrechte  errichtet,  welche  die  (lerade  I)C  in  E,  die  genannten 
Curven  in  G  und  G  trifft,  so  sind  (nach  Lehrsatz  II)  die  Winkel  zu 
beiden  Seiten  des  Punktes  E  sicher  rechte,  wofern  man  sich  bei  jener 
Bewegung  des  Punktes  D  die  Linie  B  C  beschrieben  denkt,  und  es  sind 
aufserdem  (vermöge  einer  leicht  verständlichen  Aufeinanderlegung*)) 
die  Winkel  zu  beiden  Seiten  der  Punkte  G  einander  gleich,  falls  die 
eine  oder  die  andere  Curve  DGC  beschrieben  worden  sein  sollte. 

Nimmt  man  wiederum  auf  AB  irgend  einen  Punkt  M  an  und 
errichtet  die  Senkrechte,  welche  die  Gerade  DC  in  N  und  die  ge- 
nannten Linien  in  H  und  H  treffen  möge,  so  werde  ich  etwas  später 
beweisen,  dafs  die  Winkel  zu  beiden  Seiten  des  Punktes  N  rechte 
werden,  sobald  man  voraussetzt,  dafs  der  Punkt  D  bei  seiner  Be- 
wegung eben  die  Gerade  DC  erzeugt,  oder  sobald  man  annimmt,  dafs 
die  Gerade  MN  gleich  BD  sei.  Ist  man  aber  der  Ansicht,  dafs  eine 
der  beiden  Linien  DHC  erzeugt  wird,  so  beweist  man  mittelst  der- 
selben soeben  vorgeschriebeneu  leichten  Aufeinanderlegung,  dafs  wieder 
auf  beiden  Seiten  die  Winkel  MHD  und  3£HC  gleich  werden,  gleich- 
gültig, wo  man  auf  einer  der  beiden  beschriebenen  Linien  den  Punkt 
H  amiimmt,  von  dem  aus  man  sich  auf  die  Grundlinie  AB  das  Lot 
HM  gefällt  denkt.  Hierüber  jedoch  Ausführlicheres  und  Genaueres  im 
zweiten  Teile  dieses  Buches,  wohin  es  besser  pafst. 

Wozu  demi,  wird  man  fragen,  diese  unzeitige  Vor  wegnähme?  Zu 
dem  Zwecke,  entgegne  ich,  damit  man  nicht  aus  dieser  Eigenschaft 
der  so  erzeugten  Linie  —  einer  Eigenschaft,  die  zweifellos  ist,  und 
von  der  ich  am  angeführten  Orte  aufs  Strengste  beweisen  werde,  dafs 
sie  ohne  irgend  welche  unendlich  kleine  Abweichung  gilt  —  den 
voreiligen  Schlufs  ziehe,  diese  Liuie  könne  nur  die  Gerade  sein.  Hier 
handelt  es  sich  nämlich  um  eine  tiefere  Erkenntnis  der  Beschaffenheit 
der  geraden  Linie,  ohne  welche  die  Geometrie,  kaum  den  Kinder- 
schuhen entwachsen,  an  dieser  Stelle  stehen  bleiben  müfste.  Demnach  [^5 
darf  man  es  bei  einer  solchen  Angelegenheit  nicht  tadeln,  wenn  die 
Wahrheit  auf  das  Genaueste  ergründet  wird. 

Und  doch  leugne  ich  hier  nicht,  dafs  man  durch  sorgfältige  physi- 
kalische Versuche  feststellen  kann,  die  auf  jene  Weise  erzeugte  Linie 
DC  könne  nur  für  eine  gerade  Linie  erklärt  werden.  Damit  ich  mich 
aber  hier  überhaupt  auf  physikalische  Versuche  berufen  darf,  will  ich 
sofort  drei  physikalisch-geometrische  Beweise  zur  Erhärtung  des  Eukli- 
dischen Axioms  beibringen. 

*)  [Im  Original:  super positio.  Gemeint  ist  die  Umklappung  der  Figur 
um  die  Gerade  FG\  vergl.  auch  die  Anmerkung  S.  55.] 


80  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

Dabei  rede  ich  von  keinem  pliysikaliscbeu  Versuch,  der  sich  ins 
Unendliche  erstreckt  und  uns  deshalb  unmöglich  ist,  wie  er  erforderlich 
wäre,   um  zu  erkennen,  dafs  die  Punkte  der  Verbinduugsgeraden  ])C 
sämtlich    gleich    weit   von   der   (leraden    AB  abstehen,    die   nach   der 
Voraussetzung  mit  D  C  in  derselben  Ebene  liegt.    Mir  wird  ein  einziger 
besonderer  Fall  genügen,  zum  Beispiel,  wenn  man  die  Gerade  D  C  zieht 
I  Fig.  21],   auf  ihr  irgend  einen  Punkt  -A"  annimmt,   und  es  sich  dann 
herausstellt,  dafs  das  auf  die  Grundlinie  ÄIj  gefällte  Lot  gleich  BD  oder 
ÄC  ist.    Dann  wären  nämlich  die  Winkel  zu  beiden  Seiten  des  Punktes 
N  (nach  Lehrsatz  I)  gleich  den  einander  entsprechenden  Winkeln  an 
den  Punkten  C  und  D,  die  ihrerseits  (wieder  nach  Lehrsatz  I)  einander 
gleich    wären.      Deshalb    werden    die    Winkel    zu    beiden    Seiten    des 
Punktes  N  und  somit  auch  die  beiden  übrigen  rechte  sein.     Folglich 
werden  wir  einen  Fall  für  die  Hypothese  des  rechten  Winkels  bekommen, 
und  haben  damit  (nacji  Lehrsatz  V  und  XIII)  das  Euklidische  Axiom 
bewiesen.    Dies  möge  der  erste  physikalisch-geometrische  Beweis  sein. 
Ich  gehe  zum  zweiten  über.    Es  werde  ein  Halbkreis  angenommen 
mit  D  als  Mittelpunkt  und  ÄC  als  Durchmesser.    Wenn  nun  (Fig.  17) 
auf    dem    Umfange    irgend    ein    Punkt    B  ge- 
wählt wird,  und  sich  herausstellt,  dafs  die  nach 
ihm    gezogenen    Geraden  AB   und    CB   einen 
rechten  Winkel  einschliefsen,  so  genügt  dieser 

7  DO 

einzige   Fall   (wie   ich   in   Lehrsatz   XVIII    be- 
wiesen habe),    um   die  Hypothese   des  rechten 
Winkels   zu   bedingen,   und   deshalb  (nach  dem  eben  erwähnten  Lehr- 
satze XIll),  um  jenes  bekannte  Axiom  zu  beweisen. 
36  Es  bleibt  der  dritte  physikalisch-geometrische  Beweis  übrig,  den 

ich  für  den  allerwirksamsten  und  einfachsten  halte.  Denn  ihm  liegt 
ein  jedem  zugänglicher,  sehr  leichter  und  höchst 
bequemer  Versuch  zu  Grunde.  Legt  man  nämlich 
in  einem  Kreise,  der  den  Mittelpunkt  I)  hat 
(Fig.  22),  drei  gerade  Linien  CB,  BL  und  LA 
au  einander,  jede  gleich  dem  Halbmesser  DC, 
und  stellt  es  sich  heraus,  dafs  die  Verbindungs- 
gerade AC  durch  den  Mittelpunkt  D  geht,  so  wird  dies  zum  Beweise 
der  Behauptung  genügen. 

Ziehen  wir  nämlich  BB  und  DL,  so  werden  wir  drei  Dreiecke 
bekommen,  die  (nach  I.  8  und  5)  sowohl  untereinander  als  auch  jedes 
für  sich  lauter  gleiche  Winkel  besitzen.  Da  nun  die  drei  Winkel  am 
Punkte  D,  nämlich  ADL,  LDB  und  BDC  (nach  I.  L3)  zusammen 
gleich   zwei  Rechten   sind,  so   sind  auch  die  drei  Winkel  jedes  dieser 


T.  Buch,  I.  Teil.  —  Anmerkung  TI  zu  Lehrsatz  XXT.  81 

Dreiecke  zusammeü  gleich  zwei  Rechten,  zum  Beispiel  die  des  Dreiecks 
J)DC.  Dadurch  wird  aher  (nach  Lehrsatz  XV)  die  Hypothese  des 
rechten  Winkels  bedingt,  und  daher  wird  (nach  dem  schon  benutzten 
Lehrsätze  XIII)  jenes  Axiom  bewiesen  sein. 

Wenn  man  aber,  ohne  einen  Beweis  oder  eine  Darstellung  durch 
Zeichnung  zu  versuchen,  jene  beiden  Axiome  mit  einander  vergleichen 
will,  dann  gestehe  ich,  dafs  allerdings  das  Euklidische  dunkler  oder 
sogar  fehlerhaft  erscheinen  kann.  Aber  nach  der  Darstellung  durch 
Zeichnung,  die  ich  für  die  spätere  Anmerkung  IV  aufspare,  wird  man 
sehen,  dafs  grade  umgekehrt  das  Axiom  Euklids  die  Würde  und  den 
Namen  eines  Axioms  behalten  kann,  während  man  besser  thut,  das 
andre  unter  die  Lehrsätze  zu  rechnen. 

Hier  mufs  ich   aber    (was   zu  thun  ich  vor  Kurzem  versprochen 
habe)   den  augenfälligen  Unterschied   auseinandersetzen,   der  in  dieser 
Beziehung  zwischen  der  kreisförmigen  und  der  geraden 
Linie  besteht.    Dieser  Unterschied  entspringt  daraus, 
dafs  eine  Linie  gerade  heifst  in  Bezug  auf  sich  selbst, 
kreisförmig    aber,    wie    zum    Beispiel     MDHNM 
(Fig.  23),  nicht  in  Bezug   auf  sich  selbst,    sondern 
in  Bezug   auf  etwas  andres,  nämlich  auf  einen  ge- 
wissen andern  Punkt  Ä,  der  mit   ihr  in  derselben  rig.  23. 
Ebene  liegt:  ihren  Mittelpunkt. 

Hieraus  folgt,  wie  Clavius  vortrefflich  beweist,  dafs  die  Linie  37 
FBCL,  die  in  derselben  Ebene  liegt  wie  jene,  und  deren  Punkte 
sämtlich  von  der  genannten  Linie  MDHNM  gleich  weit  abstehen, 
auch  ihrerseits  kreisförmig  ist,  das  heifst,  in  allen  ihren  Punkten  von 
dem  gemeinsamen  Mittelpunkte  Ä  gleichen  Abstand  hat.  Dafs  nämlich 
BDj  die  geradlinige  Verlängerung  von  AB,  das  Mafs  des  Abstandes 
jenes  Punktes  B  von  dieser  Kreislinie  MDHNM  ist,  weifs  man  daher, 
dafs  sie  (nach  HI.  7*),  was  von  dem  hier  strittigen  Axiome  unab- 
hängig ist)  die  kleinste  von  allen  Geraden  ist,  die  von  diesem  Punkte 
aus  nach  jenem  Umfange  gezogen  werden  können.  Dasselbe  gilt  von 
den  übrigen  Geraden  CH,  LN  und  FM.  Da  nun  auch  die  ganzen 
Geraden  AM,  AD  und  AH  als  Halbmesser  vom  Mittelpunkte  A  nach 
der  angenommenen  Kreislinie  MDHNM  gleich  sind,  und  da  ebenso 
die  Abschnitte  FM,  BD^  CH  und  LN  gleich  sind,  weil  sie  das  Mafs 
des  gleichen  Abstandes  aller  Punkte  jener  Linie  FBCLF  von  der 
angenommenen  Kreislinie  MDHNM  darstellen,  so  folgt  offenbar, 
dafs    die    übrigbleibenden   Stücke  AF,   AB,    AC   und    AL   ebenfalls 


*)  [Vergleiche  die  Anmerkung  aut"  Seite  50.] 

Stäckel  u.  Engel,  Parallelentheorie. 


82  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

gleich  sind,  und  diifs  deshalb  auch  die  Linie  FBCLF  eine  Kreis- 
linie um  denselben  Mittelpunkt  ist. 

Wird  denn  aber,  um  zu  beweisen,  dal's  die  durch  eine  solche  Be- 
wegung von  dem  Punkte  D  erzeugte  Linie  DC  (Fig.  21)  eine  gerade 
Linie  ist,  in  derselben  Weise  der  gleiche  Abstand  aller  ihrer  Punkte 
von  der  zu  Grunde  gelegten  Geraden  AB  genügen?  Keineswegs. 
Denn  eine  Linie  heifst  gerade  durchaus  in  Bezug  auf  sich  selbst  oder 
an  sich  selbst,  weil  sie  nämlich  in  der  Weise  auf  einerlei  Art  zwischen 
ihren  Piinlien  liegt,  und  namentlich  zwischen  ihren  Endpunkten,  dafs 
sie,  wenn  diese  unbewegt  bleiben,  durch  eine  Drehung  niemals  eine 
neue  Lage  annehmen  kann*).  Wenn  man  dieses  Verhalten  nicht  auf 
irgend  eine  Art  für  jene  Linie  DC  nachweist,  kann  man  nicht  sicher 
sein,  dafs  sie  eine  Gerade  ist,  was  man  auch  sonst  über  die  Beziehung 
aller  ihrer  Punkte  zu  der  in  derselben  Ebene  liegenden  Geraden  AB 
annehmen  oder  beweisen  mag.  Namentlich  aber  dürfen  wir  nicht  in 
gleicher  Weise  sagen,  dafs  in  jener  Ebene  eine  Linie  [BC\  sicher 
dann  eine  Gerade  ist,  wenn  sie  in  allen  ihren  Punkten  von  der  als 
Gerade  angenommenen  Linie  AB  den  gleichen  Abstand  hat. 
38  Man  darf  aber  meine  W  orte  nicht  so  auffassen,  als  ob  ich  glaubte, 

es  liefse  sich  nicht  zeigen,  dafs  die  so  erzeugte  Linie  [JDC\  selbst  eine 
gerade  Linie  ist,  bevor  mau  die  Wahrheit  des  strittigen  Axioms  be- 
wiesen hat,  da  ich  vielmehr  grade  vorhabe,  gegen  das  Ende  des 
ersten  Buches  das  zu  beweisen,  um  dadurch  eben  dieses  Axiom  zu 
bekräftigen. 

Anmerkung  III,  tvorin  der  Versuch  des  Arabers  Nassaradin  und 
zugleich  die  Ansicht  des  herühmten  John  Wallis  über  dieselbe  Frage 
geprüft  ivird. 

Diesen  Versuch  des  Arabers  Nassaradin  hat  der  schon  angeführte 
John  Wallis  in  lateinischer  Sprache  durch  den  Druck  veröffentlicht 
mit  Anmerkungen,  die  er  an  passender  Stelle  hinzugefügt  hat.  Und 
zwar  verlangt  Nassaradin,  dass  man  ihm  für  sein  Unternehmen 
zweierlei  zugestehe. 

Erstens,  dafs  irgend  zwei  in  derselben  Ebene  liegende  gerade 
Linien,  auf  die  irgend  welche  andre  gerade  Linien  so  treffen,  dafs 
sie  immer  auf  einer  von  ihnen  senkrecht  stehen,  die  andre  aber 
immer  unter  ungleichen  Winkeln  schneiden,  nämlich  auf  der  einen 
Seite    stets    unter    einem    spitzen   Winkel    und    auf    der   andern   Seite 


*)  [Saccheri  deutet  Eullids  Erklärung  der  Geraden  in  einer  Weise,  die 
diesem  durchaus  fern  gelegen  hat,  da  er  ja  den  Begriff  der  Bewegung  sorgfältig 
vermeidet.] 


I.  Euch,  T.  Teil.  —  Anmerkung  II  und  IIT  zu  Lohrsatz  XXf.  83 

stets  unter  einem  stumpfen  Winkel,  dafs,  sage  ich,  die  eben  erwähnten 
Geraden,  so  lange  sie  einander  nicht  schneiden,  auf  der  Seite  der 
spitzen  Winkel  einander  immer  näher  kommen  sollen  und  umgekehrt 
auf  der  Seite  der  stumpfen  Winkel  immer  mehr  auseinandergehen. 

Wenn  ihm  sonst  nichts  Schwierigkeiten  macht,  so  gestehe  ich 
meines  Teils  gern  zu,  was  Nassar adin  fordert,  denn  grade  das,  was 
bei  ihm  unbewiesen  bleibt,  habe  ich,  wie  man  erkennt,  in  dem  Zu- 
sätze II  hinter  Lehrsatz  III  aufs  Strengste  bewiesen. 

Die    zweite    Forderung    Nassaradins    ist    die    Umkehrung    der 
ersten,  es  soll  nämlich  der  Winkel  immer  spitz  sein  auf  der  Seite,  wo 
die   schon   erwähnten  Lote   der  Annahme   nach  immer  kürzer  werden,  39 
stumpf  aber  auf  der  andern  Seite,   wo   der  Annahme  nach  dieselben 
Lote  immer  länger  werden. 

Hierin  steckt  aber  eine  Zweideutigkeit.  Denn  warum  sollen  (wenn 
man  von  einem  Lote,  das  man  als  erstes  angenommen  hat,  zu  den 
andern  fortschreitet)  die  Winkel  der  folgenden  Lote,  die  alle  auf 
derselben  Seite  spitz  sind,  nicht  immer  gröfser  werden,  bis  mau  auf 
einen  rechten  Winkel  trifft,  also  auf  ein  Lot,  welches  das  gemeinsame 
Lot  der  beiden  genannten  Geraden  ist?  Und  wenn  das  eintritt,  da 
werden  die  listigen  Zurüstungen  des  Nassaradin  zu  nichte,  ver- 
mittelst deren  er  recht  scharfsinnig,  jedoch  mit  grofser  Mühe  Euklids 
Axiom  beweist. 

Wenn  es  nun  Nassaradin  mit  einer  gewissen  Berechtigmig  als 
selbstverständlich  hinstellen  sollte,  dafs  die  Winkel  immer  auf  der- 
selben Seite  spitz  bleiben,  warum  kann  man  dann  nicht  auch  (ich 
spreche  mit  Wallis)  als  an  und  für  sich  einleuchtend  aimehmen,  dafs 
zwei  Gerade,  die  in  derselben  Ebene  liegen  und  sieh  einander  nähern, 
wenn  sie  verlängert  werden,  endlieh  zusammentreffen  müssen?  (Damit 
meine  ich  zwei  Gerade,  mit  denen  eine  schneidende  Gerade  an  der- 
selben Seite  zwei  Winkel  bildet,  die  zusammen  kleiner  sind  als  zwei 
Rechte,  zum  Beispiel  einen  rechten  und  einen  beliebigen  spitzen.) 

Man  darf  nämlich  auch  nicht  einwenden,  dafs  jene  Annäherung 
auf  der  einen  Seite  immer  innerhalb  einer  gewissen  bestimmten  Grenze 
bleiben  könne,  sodafs  also  die  beiden  Linien  auf  dieser  Seite  immer 
einen  Abstand  von  gewisser  Gröfse  von  einander  behielten,  obgleich 
im  Übrigen  die  eine  der  andern  immer  näher  kommt.  Das  darf  mau 
nicht  einwenden,  sage  ich,  weil  ich  grade  daraus  [in  dem  Zusätze  I]  hinter 
Lehrsatz  XXV  beweisen  werde,  dafs  alle  solchen  geraden  Linien,  gemäfs 
dem  Euklidischen  Axiome,  in  endlicher  Entfernung  zusammentreffen. 

Ich  wende  mich  nunmehr  zu  dem  schon  erwähnten  John  Wallis, 
der,   um   soviel   grofsen  Männern,   alten   sowohl   als  neueren,   zu  will- 


84  Saccberi,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

■10  fuhren  luul  aulserdem,  weil  seinem  Lehrstuhle  in  Oxford  diese  Ver- 
pflichtung auferlegt  war,  ebenfalls  die  Aufgabe  in  Angriff  nahm,  das 
oft  genannte  Axiom  zu  beweisen.  Dabei  nimmt  er  einzig  und  allein 
Folgendes  als  sicher  an,  dafs  nämlich  zu  jeder  gegebenen  Figur  eine  ähn- 
liche von  heliebiger  Gröfse  möglich  sei.  Dafs  man  dies  von  jeder  Figur 
voraussetzen  dürfe  (obwohl  er  für  seinen  Zweck  nur  das  geradlinige 
Dreieck  benützt),  begründet  er  gut  mit  dem  Kreise,  den  man,  wie 
jeder  zugiebt,  mit  beliebigem  Halbmesser  beschreiben  kann.  Ferner 
bemerkt  der  scharfsinnige  Mann  sehr  vorsichtig,  dieser  seiner  Voraus- 
setzung stehe  nicht  entgegen,  dafs  aufser  der  Gleichheit  entsprechender 
Winkel  auch  die  Proportionalität  aller  entsprechenden  Seiten  gefordert 
werde,  damit  eine  geradlinige  Figur,  zum  Beispiel  eine  dreieckige,  einer 
andern  geradlinigen,  dreieckigen  ähnlich  sei,  da  ja  die  Erklärung  der 
Proportionen  und  damit  die  der  ähnlichen  Figuren  aus  dem  fünften 
und  sechsten  Buche  Euklids  zu  entnehmen  sei.  Denn  EuMid  hätte 
(so  sagt  er  selbst)  heide  dem  ersten  Buche  voi'ansschicJcen  können. 
Nachdem  dies  feststeht  (was  man  freilich  leugnen  könnte,  so  lange 
es  nicht  bewiesen  ist),  führt  er  sein  Unternehmen  mit  wirklich 
schönen  und  scharfsinnigen  Bemübungen  zu  Ende. 

Aber  ich  will  es  bei  dem  von  mir  unternommenen  Geschäfte  an 
nichts  fehlen  lassen.    Daher  nehme  ich  zwei  Dreiecke  an,  das  eine  ABC 

und  das  andere  BEF  (Fig.  24),  beide  mit 
denselben  Winkeln.  Ich  sage  nicht  geradezu 
ähnliche  Dreiecke,  denn  ich  habe  die  Pro- 
portionalität der  Seiten  an  gleichen  Winkeln 
o;ar  nicht  nötig,  und  nicht  einmal  ein  be- 
stimmtes  Mafs  der  Seiten.  Ich  will  nur 
■^'^-  ^^'  nicht,  dafs  die  Dreiecke  gleiche  Seiten  haben, 

denn  sonst  genügte  schon  I.  8,  ohne  jede  weitere  Voraussetzung. 

Es  seien  also  die  Winkel  an  den  Pmikten  A,  B,  C  der  Reihe 
nach  gleich  den  Winkeln  an  den  Punkten  B,  E,  F.  Ferner  sei  die 
Seite  BE  kleiner  als  die  Seite  AB,  und  man  nehme  auf  AB  ein 
Stück  AG  an  gleich  BE  und  ebenso  auf  AC  ein  Stück  AH  gleich 
BF]  dafs  aber  BF  kleiner  als  AC  sein  mufs,  werde  ich  nachher 
zeigen.  Dann  sind,  wenn  man  GH  zieht,  die  Winkel  an  den  Punkten 
41  E  und  F  (nach  I.  4)  gleich  A  GH xmd  AHG.  Da  nun  die  eben  genannten 
Winkel  zusammen  mit  den  andern  BGH  und  CHG  (nach  I.  13) 
gleich  vier  Rechten  sind,  so  sind  die  Winkel  bei  B  und  C  zusammen 
mit  denselben  Winkeln  BGH  und  CHG  ebenfalls  gleich  vier  Rechten. 
Mithin  sind  die  vier  Winkel  des  Vierecks  BGHC  zusammen  gleich  vier 
Rechten,   und   dadurch  wird  (nach  Lehrsatz  XVI)  die  Hypothese  des 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Anmerkung  III  und  IV  zu  Lehrsatz  XXI.  85 

rechten  Winkels  bedingt,   und   gleichzeitig  (nach  Lehrsatz  XIII)    das 
Euklidische  Axiom. 

Allerdings  habe  ich  vorausgesetzt,  dafs  die  Seite  DF  oder  AH, 
das  ihr  gleich  angenommen  war,  kleiner  sei  als  die  Seite  AC. 
Wäre  sie  nämlich  dieser  gleich,  und  fiele  also  der  Punkt  H  in  den 
Punkt  C,  dann  wäre  der  Winkel  BGA  (nach  der  Annahme)  gleich 
dem  Winkel  EFD  oder  GCA  (in  den  dieser  dann  überginge),  das 
Ganze  dem  Teile,  was  widersinnig  ist.  Wäre  sie  aber  gröfser,  und 
schnitte  also  die  Verbindungsgerade  GH  die  Seite  BC  in  einem  ge- 
wissen Punkte,  so  wäre  nach  der  Annahme  (gegen  I.  16)  der  Aufsen- 
winkel  AGB  gleich  dem  inneren,  gegenüberliegenden  Winkel  (der 
dann  entstände)  AHG  oder  GHA*). 

Daher  habe  ich  mit  Recht  vorausgesetzt,  dafs  die  Seite  DF  des 
einen  Dreiecks  kleiner  ist  als  die  Seite  AG  des  andern  Dreiecks, 
und  diese  meine  Annahme  ist  hiermit  bestätigt. 

Mithin  wird  durch  irgend  zwei  Dreiecke,  die  gleiche  Winkel, 
aber  nicht  gleiche  Seiten  haben,  das  Euklidische  Axiom  bedingt.  Und 
das  war  unser  Ziel. 

Anmerkung  IV,  worüz  eine  gewisse  BetracMimg  an  einer  Figur 
auseinandergesetzt  wird,  an  die  FuJdid  vielleicht  gedacht  hat,  um  sein 
Axiom  als  an  sich  einleuchtend  mi  erweisen. 

Ich  bemerke  erstens,  dafs  innerhalb  jedes  beliebigen  spitzen 
Winkels  BAX  (man  gehe  auf  Fig.  12  zurück) 
aus  einem  gewissen  Punkte  X  von  AX  eine 
Gerade  XB  gezogen  werden  kann,  die  unter  \ 
irgend  einem  gegebenen,  wenn  auch  stumpfen  /r" 
Winkel  R,  der  nur  mit  dem  spitzen  BAX  zu- 
sammen weniger  als  zwei  Rechte  betrage,  — 
eine  Gerade  XB,  sage  ich,  kann  gezogen 
werden,  die  in  endlicher  Entfernung  mit  AB 
in  einem  gewissen  Punkte  B  zusammentrifft. 
Denn  grade  das  habe  ich  in  einer  Anmerkung**)  hinter  Lehrsatz  XIII 
bewiesen. 


*)  [Dafs  SaccJieri  I.  16  benutzt  und  dadurch  die  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels  ausschliefst,  ist  ein  wesentlicher  Mangel  seines  Beweises,  da  ja  die  An- 
nahme der  Existenz  zweier  ähnlicher  Dreiecke  schon  ausreicht,  um  beide  Hypo- 
thesen, die  des  stumpfen  wie  die  des  spitzen  Winkels  zu  beseitigen.  Man  vergleiche 
auch  die  -Bemerkungen  in  der  Einleitung  zu  Wallis  (S.  10),  sowie  Lamberts  Theorie 
der  Parallellinien,  §  79  und  80.] 

**)  [Nämlich  in  Anmerkung  IL] 


80  Saccheii,  P^ncliclcs  ab  omni  uaevo  vindicatus. 

Ich   bemerke   zweitens,  dais    man   sieh   diese   Geraden  AU  und 

^IX  (Fig.  2b)  ins  Unendliche  ver- 
längert denken  kann  bis  zu  gewissen 
Punkten  ¥'■'■)  und  Z,  und  dafs  man 
sich  ebenso  die  genannte  Gerade 
XB  (die  auch  ins  Unendliche  bis 
zu  einem  Punkte  Y  verlängert  ist) 
längs  ^IZ  nach  der  Seite  des  Punktes 
Z  so  bewegt  denken  kann,  dafs 
der  Winkel  beim  Punkte  X  auf 
der  Seite  des  Punktes  A  immer  gleich  dem  gegebenen  stumpfen 
Winkel  li  ist. 

Ich  bemerke  drittens,  dafs  jenes  Euklidische  Axiom  keinem 
Zweifel  mehr  unterliegen  würde,  wenn  die  vorher  genannte  Gerade 
XY  bei  jener  längs  AZ  beliebig  weit  fortgesetzten  Bewegung  AY 
immer  in  gewissen  Punkten  B,  H,  D,  P  schnitte,  und  so  fort  in  andern 
von  A  noch  weiter  entfernten  Punkten.  Der  Grund  liegt  auf  der 
Hand:  weil  nämlich  so  zwei  beliebige,  in  derselben  Ebene  befindliche 
Gerade  AB  und  XH,  mit  denen  eine  beliebige  schneidende  Gerade 
.IX  auf  derselben  Seite  zwei  Winkel  BAX  und  HXA  bildet,  die 
zusammen  kleiner  als  zwei  Rechte  sind,  schliefslich  auf  dieser  Seite 
in  einem  und  demselben  Punkte  H  zusammenkommen  müfsten. 

Ich  bemerke  viertens,  dafs  auch  über  die  Wahrheit  der  vorher- 
gehenden hypothetischen  Annahme  kein  Zweifel  herrschen  könnte, 
wenn  die  späteren  unter  jenen  äufsern  Winkeln  YHD,  YBP  und 
ebenso  die  andern  beliebig  folgenden  entweder  immer  dem  früheren 
äufsern  Winkel  YBB  gleich,  oder  wenigstens  niemals  um  so  viel 
kleiner  sind,  dafs  nicht  jeder  unter  ihnen  immer  noch  gröfser  ist,  als 
irgend  ein  sehr  kleiner  gegebener  spitzer  Winkel  K.  Wenn  näm- 
lich das  feststeht,  wird  es  sich  offenbar  so  verhalten,  dafs  die  Ge- 
rade XY  bei  ihrer  beliebig  weit  fortgesetzten  Bewegung  nach  der 
Seite  des  Punktes  Z  niemals  aufhören  wird,  die  vorher  erwähnte  A  Y 
zu  schneiden,  was  -ja  (nach  der  vorhergehenden  Bemerkung)  voll- 
43  kommen  ausreichend  ist,  um  das  strittige  Axiom  zu  erweisen. 

Es  bleibt  also  einzig  und  allein  übrig,  dafs  ein  Gegner  sagt,  jene 
äufseren  Winkel  würden  bei  gröfserer  und  gröfserer  Entfernung  von 
jenem  Punkte  A  immer  kleiner  ohne  irgend  eine  bestimmte  Grenze, 
Daraus  aber  würde  folgen,  dafs  XY  bei  seiner  Bewegung  längs  der 
Geraden  ÄZ  schliefslich  AY  in  einem  Punkte  P  treffen  müfste,  ohne 

'")  [Dabei  wird,  wie  sich  nachher  zeigt,  der  Linienzug  APY  als  die  Ver- 
längerung der  geraden  Linie  AB  angesehen.] 


I.  Blieb,  I.  Teil.  —  Anmerkung  IV  /u  Lehrsatz  XXI.     Lehrsatz  XXIL       <S7 

einen  Winkel  mit  dem  Abschnitte  PY  zu  bilden,  sodafs  also  die  beiden 
Geraden  APY  und  XPY  auf  diese  Art  einen  Abselmitt  gemeinsam 
hätten.  Das  widerstrebt  aber  augenscheinlich  der  Natur  der  geraden 
Linie*). 

Wer  aber  den  stumpfen  Winkel  bei  jenem  Punkte  X  auf  der 
Seite  des  Punktes  Ä  unbequem  findet,  der  darf  ihn  ohne  Weiteres  als 
rechten  voraussetzen,  sodafs  (^da  die  erwähnte  Gerade  XY  sich  immer 
unter  rechtem  Winkel  längs  der  Geraden  ÄZ  bewegt)  noch  deutlicher 
erhellt,  wie  die  Punkte  von  XY  sich  gleichmäfsig  in  Bezug  auf  die 
Grundlinie  ÄZ  bewegen,  und  dafs  deshalb  die  schon  erwähnte  Gerade 
XY  nicht  aus  einer,  welche  die  andere  unbegrenzte  Gerade  ÄY 
schneidet,  in  eine  nicht  schneidende  übergehen  kann,  ohne  sie  entweder 
einmal  in  einem  Punkte  genau  zu  berühren  oder  sie  in  einem  Punkte 
P  zu  treffen,  wo  sie  mit  ÄY  einen  Abschnitt  PY  gemeinsam  hat. 
Dafs  aber  dieses  beides  der  Natur  der  geraden  Linie  entgegen  ist, 
werde  ich  bei  dem  Lehrsatze  XXXIII  zeigen. 

Mithin  mufs  dem  wahren  Begriffe  der  geraden  Linie  zufolge  jene 
Gerade  XY  bei  beliebigem  Abstände  des  Punktes  X  vom  Punkte  Ä 
die  Gerade  Ä  Y  immer  in  einem  gewissen  Punkte  treffen.  Und  dafs 
eben  dies  (wie  klein  auch  der  spitze  Winkel  beim  Punkte  Ä  ange- 
nommen wird)  genügt,  um,  entgegen  der  Hypothese  des  spitzen 
Winkels,  das  Euklidische  Axiom  zu  beweisen,  das  wird  aus  Lehrsatz 
XXVII  hervorgehen. 

Lehrsatz  XXIL  Stehen  swei  Gerade  ÄJB  und  CD,  die  in  derselben 
Ebene  liegen,  auf  einer  Geraden  BD  senhrecht,  und  bildet  die  Ver- 
bindungslinie ÄC  dieser  Lote  spitze  innere  WinJccl  mit  Urnen  (bei 
der  Hypothese  des  spitzen  Winkels),  so  behaupte  ich  (Fig.  26),  44 
dafs  die  beiden  begrenzten  Geraden  ÄC  und  BD  ein  gemeinsames  Lot 
besitzen,  und  zwar  innerhalb  der  Grenzen,  die  durch  die  gegebenen  PimJäe 
Ä  und  C  festgelegt  sind. 

Beweis.     Sind  nämlich  AB  und  ÖL)  gleich,  so  steht   (nach  Lehr- 
satz II)   die  Gerade  LK,   die  ÄC  und  BD  beide 
halbiert,   sicher  auf  beiden  gleichzeitig  senkrecht.     ^1      *  ^ 

Ist   aber   eine   von  beiden  gröfser,  zum  Bei-     ^ ~~~ 

spiel  AB,  so  fälle  man  auf  BD  (nach  I.  12)  aus     l 

einem  Punkte  L  von  ÄC  das   Lot  LIC,   das   die     x — '■ 

andere  BD  in  K  treffe.     Dieses  wird  sie  dann  in     c ____ 


einem  Punkte  K  treffen,  der  zwischen  den  Punkten  Fig.  26. 

*)  [Hier  ist   die  Möglichkeit  übersehen,   dafs   der  Punkt  P  ins  Unendliche 
fällt,  und  dann  kommt  man  auf  keinen  Widerspruch.] 


83  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

B  und  D  liegt,  denn  sonst  scliiiitte  das  Lot  LK  (gegen  I.  17)  eine  der 
beiden  Geraden  AB  oder  CD,  die  gleichfalls  auf  BD  senkrecht  stehen. 
Sind  nun  die  Wmkel  an  dem  Punkte  L  keine  rechten,  so  ist  der  eine 
von  ihnen  spitz  und  der  andre  stumpf.  Es  liege  der  stumpfe  auf 
der  Seite  des  Punktes  C. 

Jetzt  denke  man  sich  die  Gerade  LK  derart  nach  AB  hin  be- 
wegt, dafs  sie  immer  auf  BD  senkrecht  steht  und  zugleich,  geeignet 
vergröfsert  oder  verkleinert,  die  Gerade  AC  in  einem  ihrer  Punkte 
schneidet.  Die  Winkel  an  den  Schnittpunkten  mit  AC  können  auf 
der  Seite  von  C  sicher  nicht  alle  stumpf  seui,  sonst  wäre  schliefslich 
auch  in  dem  Punkte  A,  wo  die  Geraden  LK  und  AB  einander 
decken,  der  Winkel  am  Punkte  A  auf  der  Seite  von  C  stumpf, 
während  er  doch  auf  dieser  Seite,  nach  der  Annahme,  spitz  ist.  Da 
nun  vorausgesetzt  wurde,  dafs  der  Winkel  von  LK  beim  Punkte  L 
auf  der  Seite  von  C  stumpf  sei,  so  kann  die  Gerade  LK  bei  ihrer 
Bewegung  nicht  dazu  übergehen,  in  einem  ihrer  Punkte  auf  der  Seite 
des  genannten  Punktes  C  einen  spitzen  W^inkel  mit  der  Geraden  AC 
zu  bilden,  ohne  vorher  in  einem  ihrer  Punkte  auf  der  Seite  desselben 
Punktes  C  mit  AG  einen  rechten  Winkel  gebildet  zu  haben.  Es 
giebt  also  zwischen  den  Pimkteu  A  und  L  einen  gewissen  Zwischeu- 
punkt  H,  wo  die  auf  BD  senkrecht  stehende  Gerade  HK  auch  auf 
der  andern  AC  senkrecht  steht*). 

Auf  ähnliche  Weise  zeigt  man,  dafs  es  eine  Gerade  XK  zwischen 
LK  und   CD  giebt,   die  sowohl  auf  der  Geraden 

\B     BD    als    auch    auf    der    Geraden    AC   senkrecht 


ib  A 


H K     steht,  wenn  nämlich  vorausgesetzt  wird,  dafs  der 

L K     stumpfe  Winkel  bei  L  auf  der  Seite  von  A  liegt. 

j- ^  Die  Geraden  AC  und  BD  haben  also  sicher 

^,| Ijr,      ein    gemeinsames    Lot,    und    zwar    innerhalb    der 

1  ig.  26.  durch  die  gegebenen  Punkte  A  und  C  festgelegten 

Grenzen,  sobald  die  Verbindungsgeraden  AB  und 
CD  in  derselben  Ebene  liegen  und  auf  BD  senkrecht  stehen  [und  mit 
AC  spitze  innere  Winkel  bilden].     Was  zu  beweisen  war. 

Lehrsatz   XXTIL     Liegen    irgetul   swei   Gerade  AX   und  BX*"') 
(Fig.  27)  in  derselh&ii  Ehern,  so  haben  sie  (auch  hei  der  Hypothese 

*)  [Auch  hier  macht  SaccJieri  you   dem  Axiome  der  stetigen  Änderung  Ge- 
brauch; man  vergleiche  die  Anmerkung  S.  .56.] 

**)  [An  dieser  Stelle  benutzt  Sacduri  denselben  Buchstaben,  X,  wohl  des- 
halb zweimal,  weil  er  in  dem  Falle,  wo  die  beiden  Geraden  ÄD  und  BK  ein- 
ander treffen,  X  als  ihren  Schnittpunkt  auffafst.] 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXII,  XXIII,  Zusatz  I.  89 

des  spitzen  Winkels)  entweder  ein  gemeinsames  Lot  oder  sie  müssen, 
ivenn  man  sie  nach  einer  gewissen,  aber  heide  nach  derselben  Seite  ver- 
längert, entweder  einmal  in  endlicher  Entfernung  zusammentreffen  oder 
wenigstens  einander  immer  näher  kommen. 

Beweis.  Aus  irgend  einem  Punkte  A  von  AH  fälle  mau  auf  die 
Gerade  BX  das  Lot  AB.  Wenn  BA  m.iiAX  einen 
recliten  Winkel  bildet,  liaben  wir  den  behaupteten 
Fall  des  gemeinsamen  Lotes.  Sonst  aber  wird 
diese  Gerade  auf  einer  von  beiden  Seiten,  zum 
Beispiel  auf  der  des  Punktes  X,  einen  spitzen 
Winkel  bilden.  Dann  wähle  man  auf  der  ge- 
nannten Geraden  AX  zwischen  den  Punkten  A 
und  X  irgend  welche  Punkte  D,  H,  L  und  fälle 
von    diesen    auf  die  Gerade  BX  die  Lote  DK,  ^^^'  ^'^• 

HK,  LK.  Ist  einer  der  Winkel  bei  den  Punkten  D,  H,  L  auf  der 
Seite  des  Punktes  A  spitz,  so  giebt  es  (nach  dem  vorhergehenden 
Lehrsatze)  sicher  ein  gemeinsames  Lot  von  AX  und  BX.  Wenn  aber 
jeder  dieser  Winkel  gröfser  als  ein  spitzer  ist,  so  ist  entweder  einer 
ein  rechter,  und  dann  haben  wir  wiederum  den  Fall  des  gemeinsamen 
Lotes,  da  alle  Winkel  bei  den  Punkten  K  als  rechte  ansenommen 
sind ,  oder  es  müssen  alle  jene  Winkel  auf  der  Seite  von  A  stumpf, 
und  somit  auf  der  Seite  von  X  spitz  sein.    Dann  schliefse  ich  wieder  so: 

Da  in  dem  Viereck  KBHK  die  Winkel  bei  den  Punkten  K 
rechte  sind,  der  Winkel  beim  Punkte  B  aber  spitz  sein  soll,  so  ist  46 
(nach  Zusatz  II  hinter  Lehrsatz  III)  die  Seite  BK  gröfser  als  die 
Seite  HK.  Auf  ähnliche  Art  zeigt  man*  dafs  die  Seite  HK  gröfser 
ist  als  die  Seite  LK,  und  so  geht  es  immer  weiter,  wenn  man  die 
Lote  mit  einander  vergleicht,  die  aus  immer  weiter  hinauf  liegenden 
Punkten  von  AX  auf  die  andre  Gerade  BX  gefällt  sind.  Deshalb 
werden  sich  AX  und  BX  auf  der  Seite  des  Punktes  X  einander  immer 
mehr  nähern,  und  dies  ist  die  zweite  unter  den  beiden  Möglichkeiten 
unsers  Lehrsatzes. 

Nach  alledem  ist  sicher,  dafs  irgend  zwei  Gerade  AX  und  BX, 
die  in  derselben  Ebene  liegen,  entweder  (auch  bei  der  Hypothese 
des  spitzen  Winkels)  ein  gemeinsames  Lot  besitzen,  oder,  wenn 
man  sie  nach  einer  gewissen,  aber  beide  nach  derselben  Seite  ver- 
längert, entweder  einmal  in  endlicher  Entfernung  zusammentreffen 
oder  wenigstens  einander  immer  näher  kommen  müssen.  Was  zu  be- 
weisen war. 

Zusatz  I.  Hiernach  sind  bei  jedem  Punkte  von  AX,  von  dem 
aus  man  das  Lot  auf  die  Gerade  BX  fällt,  die  Winkel  auf  der  Seite 


00  Saccheri,  Euclicles  iib  omni  naevo  vindicatus. 

der  CTnmdliuie  AB  immer  stumpf;  sie  sind  immer  stumpf,  wiederhole 
ich,  so  oft  sich  jene  beiden  Geraden  AX  und  BX  auf  der  Seite  der 
l'unkte  X  einander  immer  mehr  nähern.  Das  mufs  man  richtig 
auffassen,  es  sind  nämlich  die  Lote  zu  nehmen,  die  vor  dem  erwähnten 
Zusammentreflen  gefällt  sind,  falls  etwa  die  eine  Gerade  die  andre  in 
endlichem  Abstände  treffen  sollte. 

Anmerkung.     Ich    sehe    freilich,    dafs   hier  noch  die  Frage   offen 

bleibt,  auf  welche  Weise  man  das  Vor- 
handensein jenes    gemeinsamen  Lotes 
zeigen   soll,  wenn  irgend  eine  Gerade 
FF  HD  (Fig.  28),  welche  die   beiden 
Geraden  AX  und  BX  in  den  Punkten 
F  und  H  trifft,    auf   derselben    Seite 
zwei  innere  Winkel  AHF  und  BFH 
47  bildet,   die   zwar  keine  rechten,  aber  zusammen  gleich  zwei  Rechten 
sind.     Hier  folgt  deshalb  eine  geometrische  Herleitung  dieses  gemein- 
samen Lotes. 

Man  halbiere  FH  in  M  und  fälle  auf  AX  und  BX  die  Lote 
3IK  und  ML.  Der  Winkel  31FL  ist  (nach  L  13)  gleich  dem  Winkel 
MHK,  der  ja  nach  der  Voraussetzung  mit  dem  Winkel  BFH  zwei 
Rechte  ausmacht.  Aufserdem  sind  die  Winkel  an  den  Punkten  K 
und  L  rechte,  und  endlich  sind  31 F  und  MH  gleich.  Also  sind 
(nach  I.  26)  auch  die  Winkel  F3IL  und  H3IK  gleich.  Deshalb  ist 
der  Winkel  HMK  zusammen  mit  dem  Winkel  HML  gleich  zwei 
Rechten,  da  (nach  L  L3)  der  Winkel  FML  mit  diesem  zusammen  gleich 
zwei  Rechten  ist.  Folglich  ist  K3IL  (nach  L  14)  eine  zusammen- 
hängende gerade  Linie  und  mithin  für  die  genannten  Geraden  AX 
und  BX  das  gemeinsame  Lot.     Was  zu  beweisen  war. 

Zusatz  H.  Hieraus  kann  ich  wieder  beweisen,  dafs  jene  beiden 
Geraden  ^X  und  BX,  mit  denen  die  schneidende  Gerade  PF  HI) 
entweder  auf  derselben  Seite  zwei  innere  Winkel  bildet,  die  zusammen 
gleich  zwei  Rechten  sind,  oder,  was  daraus  (nach  I.  13  und  15)  folgt, 
gleiche  äufsere  oder  innere  Wechsel winkel,  oder  auch,  aus  demselben 
Grunde,  einen  äufseren  (zum  Beispiel  DHX),  der  gleich  ist  dem 
inneren  gegenüberliegenden  HFX,  dafs,  sage  ich,  jene  beiden  Geraden 
auch  bei  der  Verlängerung  ins  Unendliche  nicht  zusammentreffen 
können. 

Wenn  man  nämlich  aus  irgend  einem  Punkte  N  von  AX  auf 
BX  das  Lot  NB,  fällt,  so  Avird  dieses  bei  der  Hypothese  des  spitzen 
AA  inkels  (die  uns  ja  allein  hinderlich  sein  kann)  gröfser  als  das  ge- 
meinsame   Lot    KL    (nach    Zusatz    I    hinter    Lehrsatz    EI).      Daher 


I.  Bucl],  I.  Teil.  —  Zusatz  I  und  II  /u  Lehrsab  XXIII.    Lehrsatz  XXIV.       Dl 

können  jene   beiden  Geraden  AX  und  BX  niemals   mit  einander  zu- 
sammentreffen. 

Ferner  haben  wir  hiermit  die  Lehrsätze  27  und  28  des  ersten 
Buches  von  Euklid  bewiesen,  und  zwar  ohne  die  vorhergehenden  Lehr- 
sätze 16  und  17  desselben  ersten  Buches  in  ihrer  vollen  Allgemeinheit 
zu  benutzen.  Bei  diesen  könnte  nämlich  eine  Schwierigkeit  entstehen,  48 
wenn  sich  über  einer  endlichen  Grundlinie  ein  Dreieck  mit  unendlich 
grofsen  Seiten  befände,  und  auf  ein  solches  Dreieck  würde  sich  mit 
Recht  berufen,  wer  glaubt,  dafs  jene  Geraden  ÄX  und  BX  wenigstens 
in  unendlich  grofser  Entfernung  zusammentreffen,  selbst  wenn  die 
Winkel  bei  der  schneidenden  Geraden  PFHD  so  beschaffen  sind,  wie 
wir  sie  voraussetzten. 

Übrigens  können  wegen  des  Nachweises  eines  gemeinsamen  Lotes 
KL  die  beiden  Geraden  KX  und  LX  auf  der  Seite  der  Punkte  X 
sicher  nicht  zusammenlaufen,  da  sonst  (wegen  einer  leicht  verständ- 
lichen Aufeinanderlegung)  zugleich  auf  der  andern  Seite  die  übrig- 
bleibenden unbegrenzten  Geraden  KA  und  LB  zusammenliefen  und 
infolgedessen  die  Geraden  AX  und  BX  einefi  Raum  einschlössen,  was 
gegen  die  Natur  der  geraden  Linie  ist. 

Doch  darauf  kommen  wir  später  zurück.  Denn  im  Vorher- 
gehenden habe  ich  I.  16  und  17  nur  dann  angewandt,  wenn  es  sich 
augenscheinlich  um  ein  vollständig  begrenztes  Dreieck  handelte,  wofür 
Sorge  zu  tragen  ich  in  dem  Vorwort  an  den  Leser  versprochen  hatte. 

Lehrsatz  XXIV.  Unter  denselben  Voraussetzungen'-'-)  behaupte  ich, 
dafs  die  vier  Winlcel  (Fig.  27)  des  der  Grundlinie  AB  näheren  VierecliS 
KDHK  (bei  der  Hypothese  des  spitzen  WinJcels)  zusammen  Meiner 
sind,  als  die  vier  Winliel  des  von  derselben  Grundlinie  entfernteren  Vier- 
ecliS KHLK,  und  ztvar  gilt  das  soivohl,  ivenn  die  beiden  Geraden  AX 
und  BX  einmal  in  endlicher  Entfernung  auf  der  Seite  der  PunJdc  X 
zusammentreffen,  als  auch,  wenn  sie  einander  niemcds  treffen,  vielmehr  auf 
jener  Seite  enttveder  einander  mehr  und  mehr  näher  Iwmmen,  oder  einmal 
ein  gemeinsames  Lot  erhalten,  von  dem  aus  sie  ja  doch  (nach  Zusatz  II 
zu  dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  nach  eben  dieser  Seife  auseinanderzu- 
gehen anfangen. 

Beweis.     Hier  setzen  wir  jedoch  voraus,  dafs  die  Stücke  KK  ein- 
ander gleich   gewählt  sind.     Da  nun  (nach  dem  Vorhergehenden)   die  49 
Seite  I)K  gröfser  ist   als  die  Seite  IIK  und   ebenso  HK  gröfser  ist 
als  die  Seite  LK,   so  nehme  man  auf  HK  ein  Stück  31 K  gleich  LK 

*)  [Nämlich  wie  beim  Beweise  des  Lehrsatzes  XXIIl  für  den  Fall,  dafs  die 
Winkel  ADK,  AHK,  und  so  weiter  alle  stumpf  sind.] 


- 

X. 

L 

lI 

a: 

^ 

Jl/''^ 

fC 

\ 

\ 

K 

n 

/ 

/ 

^ 

y    2^ 

92  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

und   auf  DK  eiu  Stück   "NK  gleich  IIK  und  verbinde  M  mit  ^,  M 
mit  K  und  L   mit   K,    nämlich    den   mittelsten  Pmikt  K   mit    dem 
Punkte  L  und  den  B  näheren  Punkt  K  mit  dem 
Pimkte  M.     Jetzt  verfahre  ich  so: 

Da  ja  die  Seiten  des  Dreiecks  KKL  (ich 
werde  immer  mit  dem  Punkte  K  beginnen,  der 
näher  an  B  liegt)  den  Seiten  des  Dreiecks 
KKM  gleich  sind  und  auch  die  eingeschlossenen 
Winkel  gleich  sind,  nämlich  rechte,  so  sind  (nach 
I.  4)  auch  die  Grundlinien  LK  und  MK  gleich, 
^'^8-  2^  und    ebenso    sind    die    einander    entsprechenden 

Winkel  an  diesen  Grundlinien  gleich,  also  der  Winkel  KLK  dem 
Winkel  K3IK  und  der  Winkel  LKK  dem  Winkel  MKK.  Folglich 
sind  auch  die  Reste  NKM  und  HKL  gleich.  Da  ferner  ebenso  die 
Seiten  NK  und  KM  des  Dreiecks  NKM  den  Seiten  HK  und  KL 
des  Dreiecks  HKL  gleich  sind,  so  sind  (wieder  nach  I.  4)  auch  die 
Grundlinien  NM  und  HL,  die  Winkel  KNM  und  KHL  und  endlich 
die  Winkel  KMN  und  KLH  gleich.  Es  wurde  aber  schon  bei  den 
früheren  Dreiecken  nachgewiesen,  dafs  die  Winkel  KLK  und  KMK 
gleich  sind.  Mithin  ist  der  ganze  Winkel  NMK  gleich  dem  ganzen 
Winkel  HLK.  Deshalb  folgt  offenbar,  da  alle  Winkel  bei  den  Punkten 
K  rechte  sind,  dafs  die  vier  Winkel  des  Vierecks  KNMK  zusammen 
den  vier  Winkeln  des  Vierecks  KHLK  gleich  sind.  Weil  aber  (nach 
dem  Zusätze  hinter  Lehrsatz  XVI)  die  beiden  Winkel  an  den  Pimkten  N 
und  M  in  dem  Viereck  KNMK  bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels 
zusammen  gröfser  sind,  als  die  beiden  Winkel  des  Vierecks  NB  HM 
oder  des  Vierecks  KDHK  bei  B  und  H  zusammen,  so  folgt  hieraus, 
dafs  (nach  Hinzufügung  der  gemeinsamen  rechten  Winkel  an  den 
Punkten  K)  die  vier  Winkel  des  Vierecks  KNMK  oder  des  Vierecks 
KHLK  (bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels)  zusammen  gröfser 
sind,  als  die  vier  Winkel  des  Vierecks  KBHK  zusammen.  Was  zu 
beweisen  war. 
50  Zusatz.     Es  ist  übrigens  zweckmäfsig  hier  zu  bemerken,  dafs  die 

angewandte  Beweisführung  gültig  bleibt,  auch  wenn  —  bei  der  Hypo- 
these des  spitzen  Winkels  —  der  Winkel  beim  Punkte  L  als  rechter 
angenommen  wird.  Denn  das  gemeinsame  Lot  LK  wäre  (nach  Zu- 
satz I  hinter  Lehrsatz  HI)  immer  noch  kleiner,  als  das  andre  Lot 
HKy  und  deshalb  könnte  man  auf  diesem  ein  Stück  gleich  dem 
erwähnten  Lote  annehmen.  Sobald  aber  das  feststeht,  kann  nichts 
Störendes  mehr  eintreten. 

Anmerkung.     Nichtsdestoweniger  könnte   man   zweifeln,    ob   eine 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXIV,  Zusatz,  Anmerkung.     Lehrsatz  XXV.       93 

Senkrechte,  die  in  irgend  einem  Punkte  K  (der  auf  BX  vor  dem 
Zusammentreffen  von  BJ(.  mit  der  andern  Geraden  AX  angenommen 
ist)  nach  der  Seite  von  AX.  errichtet  wird,  diese  Gerade  in  einem 
Punkte  L  treffen  mufs  (Fig.  29),  wofern  man  nämlich  voraussetzt, 
dafs  sich  jene  beiden  Geraden  vor  dem  erwähnten  Zusammentreffen 
einander  immer  mehr  nähern*).  Ich  behaupte  aber,  dafs  es  sich  auf 
folgende  Weise  vollständig  ergiebt. 

Beweis.  Man  wähle  auf  BX  einen  beliebigen  Punkt  K  und 
auf  AX.  nehme  man  ein  Stück  AM  an,  gleich 
BK  vermehrt  um  das  Doppelte  von  AB.  Dann 
fälle  man  von  31  aus  (nach  I.  12)  auf  BX  das 
Lot  MN.  Es  ist  (bei  der  gegenwärtigen  Voraus- 
setzung) 3IN  kleiner  als  AB.  Deshalb  ist  AM 
(das  gleich  BK  vermehrt  um  das  Doppelte  von  AB 
ist)  gröfser  als  die  Summe  von  BK,  AB  und 
NM.  Jetzt  mufs  gezeigt  werden,  dafs  AM 
seinerseits  kleiner  ist,   als  die  Summe  von  BN, 

...  Fig.  29. 

AB  und  MN,   damit  sich  hieraus  ergebe,   dafs 

BN  gröfser  ist  als   die   genannte  Gerade  BK,  und  dafs  deshalb  der 

Punkt  K  zwischen  den  Punkten  B  und  N  liegt. 

Man  ziehe  B3L  Die  Seite  AM  ist  (nach  I.  20)  kleiner  als  die 
beiden  übrigen  Seiten  AB  und  B3I  zusammen.  Ebenso  ist  die  Seite  51 
B3I  (wieder  nach  I.  20)  kleiner  als  die  beiden  Seiten  BN  und  31 N 
zusammen.  Folglich  ist  die  Seite  AM  viel  kleiner,  als  die  Seiten 
AB,  BN  und  NM  zusammen.  Das  aber  war  zu  zeigen,  damit  sich 
ergäbe,  dafs  der  Punkt  K  zwischen  die  Punkte  B  und  N  fällt. 

Hieraus  folgt  nun,  dafs  die  Senkrechte,  die  im  Punkte  K  nach 
der  Seite  von  AX  errichtet  wird,  diese  Gerade  in  einem  Punkte  L 
ti-effen  mufs,  der  zwischen  den  Punkten  A  und  M  liegt,  denn  sonst 
müfste  sie  (im  Widerspruche  mit  I.  17)  eine  der  beiden  auf  BX 
senkrechten  Geraden  AB  oder  3IN  schneiden.    Was  zu  beweisen  war. 

Lehrsatz  XXV.  Wenn  zwei  in  derselben  Ebene  liegende  Gerade 
{Fig.  30)  AX  und  BX  (und  zwar  soll  die  eine  in  dem  Punkte  A  einen 
spitzen  Winkel^  mit  AB  bilden,  die  andre  in  dem  Pmikte  B  einen 
rechten    WinJcel)   auf  der   Seite   der   Punkte  X  einander   immer    näher 


'*)  [Saccheri  will  hiermit  sagen,  dafs  die  beiden  Geraden  AX  und  BX  erst 
im  Unendlichen  zusammentreffen  sollen.  Ohne  diese  Voraussetzung  würde  man 
in  dem  folgenden  Beweise  nicht  behaupten  dürfen,  dafs  MN  kleiner  als  AB 
sein  mufs,  denn  M  könnte  dann  jenseits  des  Schnittpunktes  der  beiden  Geraden 
liegen.] 


ii4 


Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 


Fig.  30. 


hommen,  tvährend  jedoch  ihr  Abstand  stets  gröfser  hleiht  als  eine  geivisse 
(jefjcbene  Lämjc:  so  Icommt  die  Hypothese  des  spitzen  WinJcels  zu  Falle. 
Beweis.  Gegeben  sei  die  Lauge  Ix.  Nimmt  mau  uun  auf  BX 
ein  Stück  BK  au,  das  ein  beliebiges  Vielfaches  der  vorgelegten 
Länge  B  ist,  so  wird  (nach  der  vorhergehenden  Anmerkung)  das  in  K 
nach  der  Seite  von  ÄX  errichtete  Lot  diese  Gerade  sicher  in  einem 
Punkte  L  treffen,  und  ferner  ist  (bei  der  gegenwärtigen  Annahme) 
KL  sicher  gröfser  als  die  orenannte  Länge  B.  Weiter  denke  man 
sich  BK  in  lauter  Stücke  KK  geteilt,  von  denen  jedes  einzelne 
gleich  B  ist,  bis  zuletzt  auch  KB  gleich  der 
Länge  B  wird.  Endlich  mögen  in  den  Funkten 
K  auf  BX  Senkrechte  errichtet  werden,  die 
ÄX  in  den  Punkten  L,  H,  D,  M  bis  zu  einem 
Punkte  N  trefien,  der  dem  Punkte  Ä  am 
nächsten  ist.     Nun  verfahre  ich  so: 

Es  sind  (nach  dem  vorhergehenden  Lehr- 
satze) die  vier  Winkel  des  von  der  Grundlinie 
entfernteren  Vierecks  KHLK  zusa^mmen  gröfser 
als  die  vier  Winkel  des  der  Grundlinie  näheren 
Vierecks  KDHK,  und  die  vier  Winkel  dieses 
Vierecks  sind  zusammen  gröfser  als  die  vier  Winkel  des  Vierecks 
KMDK,  das  ihm  in  der  Richtung  nach  der  Grundlinie  zu  folgt. 
Und  so  geht  es  immer  weiter  bis  zum  letzten  Viereck  KNAB, 
dessen  vier  Winkel  zusammen  am  kleinsten  sind  im  Vergleich  zur 
Summe  der  vier  Winkel  jedes  der  Vierecke,  die  weiter  oben  nach 
den  Punkten  X  zu  liegen.  Da  es  aber  solcher  Vierecke,  wie  sie  im 
Vorhergehenden  beschrieben  wurden,  eben  so  viele  giebt  als  man, 
abgesehen  von  der  Grundlinie  AB,  Lote  aus  Punkten  von  AX  auf 
die  Gerade  BX  gefällt  hat,  so  kann  man  die  Gesamtsumme  aller  der 
Winkel  ermitteln,  die  in  jenen  Vierecken  enthalten  sind. 

Wir  wollen  annehmen,  man  habe  neun  solche  Lote  gefällt  und 
habe  daher  auch  neun  Vierecke.  Nun  sind  (nach  I.  13)  gleich  vier 
Rechten  die  Winkel  zu  beiden  Seiten  der  beiden  Endpunkte  jedes  der 
acht  Lote,  die  zwischen  der  Grundlinie  AB  und  dem  entferntesten 
Lote  LK  liegen.  Daher  ist  die  Summe  aller  dieser  Winkel  gleich 
32  Rechten.  Übrig  bleiben  die  beiden  Winkel  an  dem  Lote  LK 
und  die  beiden  an  der  Grundlinie  AB.  Aber  der  Winkel  beim  Punkte 
K  und  der  beim  Punkte  B  sind  der  Annahme  nach  rechte,  während 
der  Winkel  beim  Punkte  L  (nach  dem  Zusätze  [I]  hinter  Lehrsatz  XXIII) 
stumpf  ist.  Mithin  übertrifft  (auch  ohne  Berücksichtigung  des  spitzen 
Winkels   bei   dem  Punkte  A)   die  Summe   aller  Winkel,   die   von   den 


I.  Buch,  I.  'l'eil.  —  Lehrsatz  XXV.  95 

neun  Vierecken  gebildet  werden,  35  Rechte.  Hieraus  folgt  aber,  dafs 
die  Summe  der  vier  Winkel  des  am  weitesten  von  der  Grundlinie 
entfernten  Vierecks  KHLK  sich  von  vier  Rechten  um  weniger  als 
den  neunten  Teil  eines  Rechten  unterscheidet,  und  zwar  auch  dann 
noch,  wenn  jedem  einzelnen  jeuer  Vierecke  der  gleiche  Anteil  an  der 
genannten  Summe  aller  Winkel  zukäme.  Mithin  wird  der  betreffende 
Unterschied  sogar  noch  kleiner  sein,  da  gezeigt  worden  ist,  dafs  die 
Summe  der  vier  Wiukel  jenes  Vierecks  KHLK  im  Vergleich  zur  Summe 
der  vier  Winkel  jedes  der  übrigen  Vierecke  die  allergröfste  ist.  53 

Ferner  aber  kann  man  wegen  der  Annahme,  unter  der  dieser 
Lehrsatz  gültig  sein  soll,  die  Länge  von  BK  so  grofs  annehmen,  dafs 
über  den  Grundlinien  KK,  die  jede  für  sich  jener  gegebenen  Länge  jR 
gleich  sind,  soviele  Vierecke  gezeichnet  werden  können,  als  man  nur 
will.  Daher  wird  sich  die  Abweichung  der  Winkelsumme  des  ent- 
ferntesten Vierecks  KHLK  von  vier  Rechten  schliefslich  kleiner  heraus- 
stellen als  ein  Hundertstel  und  als  ein  Tausendstel  und  überhaupt  als 
jeder  noch  so  kleine  angebbare  Teil  eines  Rechten. 

Weiter  sind  jedoch  (nach  der  vorhergenannten  Voraussetzung)  LK 
und  HK  gröfser  als  die  gegebene  Länge  H.    Wenn  man  also  auf  KL 

O  OD  O 

und  KH  Stücke  KS  und  KT  gleich  KK^  oder  der  Länge  jB  annimmt, 
so  ist,  wenn  man  ST  zieht,  (nach  dem  Zusätze  hinter  Lehrsatz  XVI) 
die  Summe  der  Winkel  KST  und  KTS  (bei  der  Hypothese  des 
spitzen  Winkels)  gröfser  als  in  dem  Viereck  THLS  oder  in  dem 
Viereck  KHLK  die  Summe  der  Winkel  bei  den  Punkten  H  und  L, 
und  deshalb  sind  (nach  Hinzufügung  der  gemeinsamen  rechten  Winkel 
bei  den  Punkten  K  und  K)  die  vier  Winkel  des  Vierecks  KTSK 
zusammen  gröfser  als  die  vier  Winkel  jenes  Vierecks  KHLK. 

Nunmehr  ist  einerseits  unveränderlich  und  gegeben  das  Viereck 
KTSK,  denn  es  wird  gebildet  von  der  Grundlinie  ICK,  die  gleich  der 
gegebenen  Länge  R  sein  sollte,  ferner  von  den  beiden  Loten  TK 
und  TS,  die  dieser  Grundlinie  gleich  sind  und  endlich  von  der  Ver- 
bindungsgeraden TS,  die  durchaus  bestimmt  ausfällt,  und  andrerseits  ist 
bewiesen,  dafs  die  Summe  der  vier  Winkel  jenes  unveränderlichen  und 
gegebenen  Vierecks  gröfser  ist  als  die  Summe  der  vier  Winkel  des 
Vierecks  KHLK,  das  von  der  Grundlinie  AB  beliebig  weit  absteht. - 
Folglich  fällt  die  Summe  der  Winkel  jenes  unveränderlichen  und 
gegebenen  Vierecks  KTSK  gröfser  aus  als  irgend  eine  Summe  von 
Winkeln,  die  auch  noch  so  wenig  von  vier  Rechten  abweicht,  denn 
es  ist  gezeigt  worden,  dafs  man  immer  ein  solches  Viereck  KHLK 
angeben  kann,  bei  dem  die  Winkelsumme  von  vier  Rechten  weniger  54 
abweicht  als  irgend  ein  angebbarer  noch  so  kleiner  Teil  eines  rechten 


96  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

Winkels.  Mithin  ist  die  Summe  der  Winkel  jenes  unveränderlichen 
und  gegebenen  Vierecks  entweder  gleich  vier  Rechten  oder  gröfser. 
Dadurch  aber  wird  (nach  Lehrsatz  XVI)  die  Hypothese  des  rechten 
AViukels  oder  die  des  stumpfen  Winkels  bedingt,  und  infolgedessen 
kommt  (nach  Lehrsatz  V  und  VI)  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels 
zu  Falle. 

Daher  wird  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels  sicher  zerstört, 
wenn  zwei  in  derselben  Ebene  liegende  Gerade  einander  immer  näher 
kommen,  während  jedoch  ihr  Abstand  stets  gröfser  bleibt,  als  eine 
gewisse  gegebene  Länge.     Das  aber  war  zu  beweisen. 

Zusatz  I.  Aber  (wenn  einmal  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels 
zerstört  ist)  so  liegt  nach  Lehrsatz  XIII  das  strittige  Euklidische  Axiom 
auf  der  Hand,  was  eben  hier  darzulegen,  ich  in  der  Anmerkung  III 
hinter  Lehrsatz  XXI  verheiTsen  habe,  als  ich  den  Versuch  des  Arabers 
Nassaradin  besprach. 

Zusatz  II.  Andrerseits  läfst  dieser  Lehrsatz  und  der  frühere 
dreiundzwanzigste  deutlich  erkennen,  dafs  es  zur  Begründung  der  Eu- 
klidischen Geometrie  nicht  genügt,  wenn  man  die  beiden  folgenden 
Festsetzungen  trifft: 

Die  erste  besteht  darin,  dafs  man  solche  Gerade  parallel  nennt, 
die  in  derselben  Ebene  liegen  und  ein  gemeinsames  Lot  besitzen.  Die 
zweite  besteht  darin,  dafs  alle  Geraden,  die  in  derselben  Ebene  liegen 
und  kein  gemeinsames  Lot  besitzen  und  daher  nach  der  angenommenen 
Erklärung  nicht  parallel  sind,  sich  einmal,  sobald  sie  nach  einer  von 
beiden  Seiten  immer  mehr  verlängert  werden,  wenn  nicht  in  endlicher, 
55  so  doch  in  unendlicher  Entfernung  schneiden  müssen.  Es  wäre  nämlich 
erst  noch  zu  beweisen,  dafs  irgend  zwei  Gerade,  die  in  derselben 
Ebene  liegen  und  mit  denen  eine  schneidende  Gerade  auf  derselben 
Seite  innere  Winkel  bildet,  die  zusammen  kleiner  als  zwei  Rechte 
sind,  sonst  nirgends  ein  gemeinsames  Lot  erhalten  können.  Es  wird 
sich  aber  weiter  unten*)  herausstellen,  dafs,  wenn  man  dieses  bewiesen 
hat,  die  Euklidische  Geometrie  aufs  Strengste  begründet  ist. 

Lehrsatz  XXVI.  Wenn  die  vorJiergenannten  Geraden  ÄX  und  BX 
(Fig.  31)  zivar  zusammentreffen  sollen,  jedoch  erst,  wenn  man  sie  nach 
der  Seite  der  PunJcte  X  ins  Unendliche  verlängert  hat,  so  hehaupte  ich, 
dafs  man  auf  AB  Ticinen  PunJä  T  angehen  Jcann,  hei  dem  die  nach  der 
Seite  von  AX  errichtete  Senkrechte  diese  Gerade  AX  nicht  in  einem 
endlicJien  oder  hegrmzten  Abstände  in  einem  Punkte  F  trifft. 


*)  [Nämlich  in  der  Anmerkung  I  zu  Lehrsatz  XXVII.] 


I.  Buch,  L  Teil.  —  Lehrsatz  XXV,  Zusatz  T,  II.    Lehrsatz  XXVI,  Zusatz  I— III.     07 


Beweis.    Es  giebt  nämlich  (bei  der  obigen  Ainiahme)  auf  ^X  einen 
Punkt  N,  der  so  beschaffen   ist,   dafs   das   von  ihm  auf  BX  gefällte 
Lot  NK  kleiner    ist,    als   jede   beliebige   gegebene   Länge,    zum  Bei- 
spiel als  TB.     Dann  aber  nehme 
man  auf  TB  ein  Stück*  CB  gleich 
NK  und  ziehe  CK    Bei  der  Hy- 
pothese des  spitzen  Winkels  ist  nun 
der  Winkel   NCB  spitz.     Mithin 
wird  (nach  I.  13)  der  Nebenwinkel 
NCT  stumpf.     Also  wird  die  Ge- 
rade, die  von  einem  Punkte  T  aus 
(der  zwischen  den  Punkten  Ä  und 
C  liegt)  senkrecht  nach  der  Seite 
von  ÄX  gezogen  wird,  (nach  L  17) 

keinen  Punkt  von  CN  treffen  und  deshalb  (weil  sie  sonst  mit  AT 
oder  mit  TC  einen  Raum  einschlösse)  die  begrenzte  Gerade  ^iV^  in 
einem  Punkte  F  treffen. 

Daher  liegt  sogar  bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  (die,  wie 
wir  wissen,  hier  allein  noch  störend  sein  kann)  auf  AB  kein  angeb- 
barer Punkt  T,  bei  dem  die  nach  der  Seite  von  AX  errichtete  Senk- 
rechte die  Gerade  AX  nicht  in  endlicher  oder  begrenzter  Entfernung 
in  einem  Punkte  F  trifft.     Was  zu  beweisen  war. 

Zusatz  L  Hieraus  folgt  aber,  dafs,  wenn  man  auf  der  Ver- 
längerung von  AB  irgend  einen  Punkt  31  annimmt  und  von  ihm  aus 
nach  der  Seite  der  Punkte  X  die  Senkrechte  MZ  zieht,  diese,  auch 
wenn  sie  ins  Unendliche  verlängert  wird,  nicht  mit  der  genannten 
Geraden  AX  zusammentreffen  kann,  denn  sonst  müfste  die  andre 
Gerade  BX  (nach  dem  vorhergehenden  Beweise)  eben  diese  Gerade 
-4X  in  endlichem  Abstände  treffen,  was  der  gegenwärtigen  Voraus- 
setzung widerspricht. 

Zusatz  n.  Daraus  folgt  ferner,  dafs  jede  Senkrechte,  die  in  einem 
Punkte  jener,  beliebig  verlängerten.  Geraden  AB  errichtet  ist,  aber 
freilich  nicht  in  einem  unendlich  entfernten  Punkte,  die  genannte 
Gerade  AX  in  endlichem  Abstände  treffen  mufs,  sobald  mau  nämlich 
die  Annahme  macht,  dafs  sich  jede  solche  Senkrechte  der  andern 
immer  weiter  verlängerten  Geraden  AX  immer  mehr  ohne  jede  be- 
stimmte Grenze  nähert. 

Zusatz  in.  Hieraus  folgt  endlich,  dafs  BX  von  jener  Geraden 
AX  nicht  geschnitten  werden  kann,  auch  wenn  diese  ins  Unendliche 
verlängert  wird,  weil  man  sich  sonst  aus  einem  Punkte  von  AX  jenseits 
des   genannten  Schnittes   auf  die  Verlängeruno;  von  AB  ein  Lot  ZM 

Stäckol  u.  Engel ,  Parallelentheorie.  7 


56 


98 


Saccheii,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 


gefällt  denken  könnte,  woraus  wiederum  folgte,  dafs  BX  (gegen  die 
eben  gemaclite  Voraussetzung)  die  genannte  Gerade  ÄX  nicht  in 
einem  unendlichen,  sondern  schon  in  einem  endlichen  Abstände  träfe. 
Aber  diese  letzte  Bemerkung  zu  machen,  liegt  eigentlich  hier 
noch  kein  Bedürfnis  vor*). 

Lehrsatz  XXVII.  Zieht  man  von  dem  Funlde  A  der  Geraden  AB 
aus  unter  einem  heliehig  Meinen  Winkel  eine  Gerade  AX  (Fig.  S2),  7ind 
muß  diese  sclüiefslicli  (wenigstens  in  unendlicher  Entfernung)  jede  SenJi- 
reclite  BX  treffen,  die  man  sich  in  irgend  eine)'  Entfernung  von  dem  Punlie 
A  auf  der  schneidenden  Geraden  AB  errichtet  denkt,  so  behaupte  ich,  dafs 
für  die  Hypothese  des  stützen  Winkels  kein  Baum  mehr  vorhanden  ist. 
Beweis.     In   einem  Punkte   K,  der  in  der  Nähe   des  Punktes  A 

auf  AB  beliebig  angenommen  sei, 
errichte  man  auf  AB  das  Lot  KL, 
das  (nach  Zusatz  II  zum  vorher- 
gehenden Lehrsatze)  AX  stets  in 
endlicher  oder  begrenzter  Entfer- 
nung in  einem  Punkte  L  trifft. 

Nun  kann  man  auf  KB  Stücke 

KK  annehmen,    deren  jedes   einer 

gewissen  gegebenen  Länge  M  gleich 

ist,   und   deren  Anzahl   grofser   ist 

als  irgend  eine  gegebene  endliche  Zahl,  da  ja  der  Punkt  B,  nach  der 

gegenwärtigen  Voraussetzung,  in  beliebiger  Entfernung  von  dem  Punkte 

A  angenommen  werden  darf. 

Demnach  errichte  man  [erstens]  in  den  andern  Punkten  K  auf 
AB  die  Lote  KH,  KD,  KB,  die  (nach  dem  eben  erwähnten  Zusätze) 
alle  die  Gerade  AX  in  gewissen  Punkten  H,  B,  P  treffen;  und  eben 
dasselbe  gilt  für  die  übrigen,  in  gleicher  Weise  gewählten  Punkte  K 
nach  B  hin. 

Zweitens  sind  (nach  I.  16)  die  Winkel  bei  den  Punkten  L,  H,  D,  P 
auf  der  Seite  der  Punkte  X  alle  stumpf,  und  ebenso  (nach  I.  LS) 
die  Winkel  an  den  genannten  Punkten  auf  der  Seite  des  Punktes 
A  alle  spitz.  Also  ist  (nach  Zusatz  11  hinter  Lehrsatz  III)  die  Seite 
KH  gröfser  als  die  Seite  KL,  die  Seite  KB  gröfser  als  die  Seite  KH, 
und  so  immer  weiter,  wenn  man  nach  den  Punkten  X  hin  wandert. 
Drittens  ist  die  Summe  der  vier  Winkel  des  Vierecks  KLHK 


*)  [Saccheri  behandelt  hier  den  unendlich  fernen  Schnittpunkt,  als  ob  er  ein 
im  Endlichen  liegender  Punkt  •wäre.  Sein  späterer  Beweis  für  das  Euklidische 
Axiom  (Lehrsatz  XXXIII)  beruht  auf  derselben  in-tümlichen  Auffassung.] 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Zusatz  III  zu  Lehrsatz  XXVI.  Lehrsatz  XXVII,  Anmerkung  I.     99 

s'röfser  als  die  Summe  der  vier  Winkel  des  Vierecks  KHT)K,  denn 
das  ist  in  einem  ähnlichen  Falle  schon  in  Lehrsatz  XXIV  bewiesen 
worden. 

Viertens  gilt  dasselbe  von  dem  Viereck  KHDK  im  Vergleich 
zu  dem  Viereck  KDPK,  und  so  immer,  wenn  man  zu  Vierecken 
übergeht,  die  von  dem  Punkte  Ä  weiter  entfernt  sind.  .58 

Da  es  nun  (wie  bei  Lehrsatz  XXV)  solcher  Vierecke,  wie  sie 
eben  beschrieben  worden  sind,  ebenso  viele  giebt  als,  abgesehen  von 
dem  ersten  Lote  LK,  aus  Punkten  von  AX  auf  die  Gerade  AB  Lote 
gefällt  sind,  so  ist  (wenn  wir  annehmen,  dafs  aufser  dem  ersten  neun 
solche  Lote  gefällt  sind)  in  gleicher  Weise  sicher,  dafs  die  Summe 
aller  Winkel,  die  von  jenen  neun  Vierecken  gebildet  werden,  35  Rechte 
übersteigt,  und  dafs  deshalb  die  Summe  der  vier  Winkel  des  ersten 
Vierecks  KLHK,  das  in  dieser  Beziehung  die  andern  alle  übertrifft, 
von  vier  Rechten  um  weniger  abweicht,  als  der  neunte  Teil  eines 
Rechten  beträgt.  Vermehrt  man  daher  die  Vierecke  über  jede  be- 
liebige angebbare  endliche  Zahl,  indem  mau  immer  nach  der  Seite 
der  Punkte  X  hin  wandert,  so  unterscheidet  sich  in  ähnlicher  Weise 
(wie  bei  dem  schon  erwähnten  Lehrsatze)  die  Summe  der  vier  Winkel 
jenes  festen  Vierecks  KLHK  von  vier  Rechten  um  weniger,  als 
irgend  ein  beliebiger  angebbarer  Bruchteil  eines  Rechten.  Also  ist 
die  Summe  jener  vier  Winkel  entweder  gleich  vier  Rechten  oder 
gröfser.  Dadurch  aber  wird  (nach  Lehrsatz  XVI)  die  Hypothese  des 
rechten  Winkels  oder  die  des  stumpfen  Winkels  bedingt,  und  deshalb 
(nach  Lehrsatz  V  und  VI)  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels  zu 
Falle  gebracht. 

Daher  ist  sicher  kein  Raum  für  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels 
vorhanden,  wenn  eine  Gerade  AX,  die  unter  einem  beliebig  kleinen 
Winkel  von  dem  Punkte  A  der  Geraden  AB  aus  gezogen  ist,  schliefs- 
lich  (wenigstens  in  unendlicher  Entfernung)  jede  Senkrechte  BX 
treffen  mufs,  die  man  sich  in  irgend  einer  Entfernung  von  dem  Punkte 
A  auf  der  schneidenden  Geraden  AB  errichtet  denkt.  Was  zu  be- 
weisen war. 

Anmerkung  I.  Grade  dieses  habe  ich  in  dem  Zusätze  II  hinter 
Lehrsatz  XXV  vorausgesagt,  dafs  nämlich  für  die  Hypothese  des 
spitzen  Winkels  kein  Raum  übrig  bleibt,  oder  dafs  die  Euklidische  59 
Geometrie  aufs  Strengste  begründet  wird,  wenn  irgend  zwei  Gerade, 
die  in  derselben  Ebene  liegen,  zum  Beispiel  AX  und  BX,  und  mit 
denen  eine  schneidende  Gerade  AB  (wo  der  Punkt  B  in  beliebiger 
Entfernung  vom  Punkte  A  angenommen  ist)  auf  der  Seite  der  Punkte 
X  zwei  Winkel   bildet,   die   zusammen   kleiner   sind  als   zwei  Rechte, 


IQQ  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

wenn  (sage  ich)  diese  Geraden  (unter  der  gemachten  Voraussetzung) 
niry-euds  ein  cremeinsames  Lot  besitzen.     Dami  kommen  nämlich  jene 

DO 

beiden  Geraden  .IX  und  BX  einander  immer  näher  imd  zwar  ent- 
weder bis  zu  einer  gewissen  bestimmten  Grenze,  wie  in  Lehrsatz  XXY, 
oder  ohue  bestimmte  Grenze  und  daher  bis  zum  Zusammentreffen, 
wenigstens  nach  unendlicher  Verlängerung,  wie  in  diesem  Lehr- 
satze XXVII.  Wir  wissen  aber,  dafs  in  jedem  der  beiden  erwähnten 
Fälle  die  Hinfälligkeit  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  bereits  er- 
wiesen ist,  und  das  war  unsre  Absicht. 

Anmerkung  IL  Und  das  ist  wiederum,  was  ich  am  Schlüsse  der 
Anmerkung  IV  hinter  Lehrsatz  XXI  versprochen  habe,  wie  aus  meinen 
Worten  selbst  deutlich  hervorgeht. 

Anmerkung  III.     Übrigens   möchte   ich  hier   auf  den  Unterschied 
zwischen   diesem  Lehrsatze    und  dem  früheren   sieb- 
zehnten aufmerksam  machen.    Denn  dort  (man  gehe 
auf  Fig.  15  zurück)  wurde  die  Hinfälligkeit  der  Hypo- 
these des  spitzen  Winkels  gezeigt,  wenn  (unter  der 
Voraussetzung,   dafs   die  Gerade  AB  beliebig  klein 
y^    ist)  jede  Gerade  BD,   die  unter  einem  beliebigen 
spitzen  Winkel  gezogen  ist,  schliefslich  in  einem 
^  .     Punkte  K  die  Verlängerung   des  Lotes  AH  treffen 
Fig.  15.  mufs.     Hier  aber  wird  (umgekehrt)  die  Wahl  eines 

beliebigen,    äufserst   kleinen  spitzen  Winkels   bei  A 
gestattet,  während  das  Stück  AB,  auf  dem  das  unbegrenzte  Lot  BX 
60  zu   errichten   ist,   von  beliebiger  Länge   angenommen   werden  darf. 

Lehrsatz  XXVIII.  Wenn  zwei  Gerade  AX  und  BX  (die  beide 
nach  derselben  Seite,  die  erste  unter  einem  spitzen  und  die  ziveite  unter 
einem  rechten  Winl-el  von  einer  beliebig  grofsen  Geraden  AB  aus 
gezogen  sind)  ohne  jede  bestimmte  Grenze  einander  immer  näher  liommen, 
tvenigstens  solange  man  die  Verlängerung  nicht  bis  ins  Unendliclte  erstreckt, 
so  behaupte  ich  erstens,  dafs  edle  Winkel  (Fig.  33)  an  beliebigen  Punkten 
L,  H,  D  von  AX,  von  denen  man  auf  die  Gerade  BX  Lote  LK,  HK,  I)K 
gefüllt  hat,  auf  der  Seite  des  Punktes  A  durchtveg  stumpf  tverden,  ziveitens, 
dafs  sie  immer  kleiner  werden,  je  iveiter  sie  von  dem  Punkte  A  entfernt 
sind,  und  endlich,  dafs  diese  Winkel,  je  weiter  sie  von  denselben  Punkte 
A  entfernt  sind,  sich  um  so  mehr,  ohne  jede  bestimmte  Grenze,  der 
Gleichheit  mit  dem  rechten   Winkel  nähern. 

Beweis.  Der  erste  Teil  ist  klar  aus  Zusatz  I  hinter  Lehr- 
satz XXIIL 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Anmerkung  I— III  zu  Lehrsatz  XXVII.    Lehrsatz  XXVIII.      101 


Fig.  33. 


Der  zweite  Teil  aber  wird  so  erliilrtot:  Es  sind  iiämlich  die 
beiden  Winkel  an  LK  auf  der  Seite  der  Grundlinie  Ali  (nach  dem 
Zusätze  liinter  Lehrsatz  XVI)  zusammen  gröfser 
als  die  beiden  inneren  gegenüberliegenden  Winkel 
an  HK,  Avieder  auf  der  Seite  der  Grundlinie 
AB.  Es  sind  aber  einander  gleich,  nämlich  als 
rechte,  die  Winkel  an  jedem  der  beiden  Punkte 
K  auf  der  Seite  der  Grundlinie  AB.  Also  ist 
der  stumpfe  Winkel  bei  L  auf  der  Seite  der 
Grundlinie  AB  gröfser  als  der  stumpfe  Winkel 
bei  H,  wieder  auf  der  Seite  der  Grundlinie  AB. 
Auf  ähnliche  Weise  zeigt  man,  dafs  der  ge- 
nannte stumpfe  Winkel  bei  H  gröfser  ist  als 
der  stumpfe  Winkel  bei  dem  Punkte  D.  Und  so  immer,  wenn  man 
nach  den  Punkten  X  hin  wandert. 

Der  dritte  Teil  endlich  erfordert  eine  längere  Untersuchung. 
Wenn  das  möglich  ist,  so  sei  MNC  (Fig.  34)  ein 
gewisser  gegebener  Winkel  von  der  Beschaffen- 
heit, dafs  der  Überschufs  jedes  der  erwähnten 
stumpfen  Winkel  über  einen  Rechten  gröfser  oder 
Avenigstens  nicht  kleiner  ist  als  dieser  Winkel. 
Nun  können  (nach  Lehrsatz  XXI)  die  Seiten  NM 
und  NC,  die  jenen  Winkel  MNC  einschliefsen, 
augenscheinlich  so  weit  verlängert  werden,  dafs 
das  Lot  MC,  das  aus  einem  Punkte  M  von  MN 
auf  NC  gefällt  ist,  (auch  hier  bei  der  Hypothese  des 
spitzen  Winkels)  gröfser  wird  als  irgend  eine  gegebene  endliche  Länge, 
zum  Beispiel  als  die  genannte  Grundlinie  AB. 

Man  nehme  demnach  auf  BX  (Fig.  35)  ein  Stück  BT  gleich  GN 
an  und  errichte  in  dem  Punkte  T  nach  der  Seite  von  AX  die 
Senkrechte  TS,  die  (nach  der  Anmerkung 
hinter  Lehrsatz  XXIV)  ^X  in  einem  Punkte 
S  trifft.  Sodann  fälle  man  von  dem  Punkte 
S  auf  AB  das  Lot  SQ.  Dieses  fällt  (nach 
I.  17)  auf  die  Seite  des  spitzen  Winkels  SAB 
zwischen  die  Punkte  A  und  B.  Weiter  ist 
der  Winkel  QST  in  dem  Viereck  QSTB 
spitz,  weil  die  drei  übrigen  Winkel  rechte 
sind,  sonst  kämen  wir  ja  (gegen  Lehrsatz  V 
und  VI)  auf  die  Hypothese  des  rechten  Win- 
kels    oder     auf    die    des    stumpfen    Winkels.  Fig.  35. 


Fig.  31. 


61 


102 


Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 


Mitlim  ist  die  Gerade  SQ  (nach  Zusatz  I  hinter  Lehrsatz  III)  gröfser 
als  die  Gerade  JBT  oder  CN,  und  ferner  der  Winkel  ÄSQ  gröfser  als 
der  Überschufs  des  stumpfen  Winkels  ÄST  über  einen  Rechten  und 
somit  gröfser  als  der  Winkel  3INC. 

Man  ziehe  nunmehr  die  Gerade  SF,  die  J.^  in  i^  schneidet  und  mit 
SÄ  einen  Winkel  gleich  3INC  bildet.  Darauf  fälle  man  von  Ä  auf  die 
Verlängerung  von  SF  das  Lot  ÄO.  Der  Pimkt  0  liegt  (nach  I.  17) 
unterhalb  des  Punktes  F,  da  der  Winkel  ÄFS  (nach  I.  16)  stumpf  ist. 
Endlich  aber:  Da  FS  (nach  I.  19)  gröfser  ist  als  QS  und  daher 
viel  gröfser  als  BT  oder  CN,  so  nehme  man  auf  FS  ein  Stück  IS 
gleich  CN  an  und  errichte  auf  FS  in  dem  Punkte  I  die  Senkrechte  IR, 
die  ÄS  in  dem  Punkte  B  treffe.  Es  fällt  aber  der  Punkt  B  zwischen 
die  Punkte  Ä  und  S.  Fiele  er  nämlich  in  einen  Punkt  von  ÄF,  so 
hätten  wir  (gegen  I.  17)  in  einem  Dreieck  zwei  Winkel,  die  zusammen 
gröfser  als  zwei  Rechte  wären,  da  ja  der  Winkel  bei  dem  Punkte  F 
auf  der  Seite  des  Punktes  Ä  schon  als  stumpf  erwiesen  ist. 

Nach  diesen   umständlichen  Vorbereitimgen  schliefse  ich  so:   Da 
in  dem  Viereck  ÄOIB  die  Winkel   au  den  Punkten  0  und  I  rechte 

sind,  und  da  der  Winkel  an  dem  Punkte  Ä 
wegen  des  rechten  Winkels  ÄOS  (nach  I.  17) 
spitz  ist,  imd  da  ferner  der  Winkel  IBÄ  wegen 
des  rechten  Winkels  BIS  (nach  I.  16)  stumpf 
ist,  so  folgt  hieraus  endlich  (nach  Zusatz  II 
hinter  Lehrsatz  III),  dafs  die  Seite  ä  0  gröfser 
als  die  Seite  IB  ist.  Es  ist  aber  (wenn  man 
OQ  zieht)  wegen  des  stumpfen  Winkels  bei 
0  die  Seite  ÄQ  (nach  I.  19)  gröfser  als  die 
Seite  ÄO,  denn  der  Winkel  ÄOS  wurde  ja 
gleich  einem  Rechten  gemacht.  Deshalb  ist 
die  Gerade  ÄQ  viel  gröfser  als  die  Gerade  IB  oder  (nach  I.  26)  als 
die  Gerade  3IC  und  mithin  viel  gröfser  als  die  Gerade  AB:  der  Teil 
gröfser  als  das  Ganze,  was  widersinnig  ist. 

Man  kann  daher  keinen  solchen  Winkel  MNC  angeben,  dafs  der 
Überschufs  jedes  der  genannten  stumpfen  Winkel  über  einen  rechten 
Winkel  stets  gröfser  oder  doch  nicht  kleiner  als  dieser  ist.  Folglich 
müssen  jene  stumpfen  Winkel,  je  weiter  sie  vom  Punkte  Ä  entfernt 
sind,  sich  um  so  mehr,  ohne  jede  bestimmte  Grenze,  der  Gleichheit  mit 
dem  rechten  Winkel  nähern.  Was  an  letzter  Stelle  zu  beweisen  war. 
Zusatz.  Wenn  aber  das  feststeht,  was  an  letzter  Stelle  bewiesen 
ist,  so  folgt  augenscheinlich,  dafs  jene  beiden  Geraden  ÄX  und  BX 
ins    Unendliche    verlängert    schliefslich    ein    gemeinsames    Lot   haben 


Fig.  35. 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXVTII,  Zusatz.    Lehrsatz  XXIX.  103 

werden,  entweder  in  zwei  verschiedenen  Punkten  oder  in  ein  und 
demselben  unendlich  weit  entfernten  Punkte  X. 

Dafs  aber  jenes  gemeinsame  Lot  nicht  in  zwei  verschiedenen 
Punkten  vorhanden  sein  kann,  erhellt  augenscheinlich  daraus,  dafs 
sonst  (nach  Zusatz  II  hinter  Lehrsatz  XXIII)  jene  beiden  Geraden  als- 
dann anfingen  sich  von  einander  zu  entfernen  und  daher  auch  nicht 
in  unendlicher  Entfernung  zusammenträfen,  sondern  (gegen  die  aus- 
drückliche Voraussetzung)  auf  jener  Seite  überhaupt  nicht  einander 
ohne  jede  bestimmte  Grenze  immer  näher  und  näher  kämen.  Daher 
müssen  sie  das  gemeinsame  Lot  in  ein  und  demselben  unendlich  ent- 
fernten Punkte  X  besitzen. 

Lehrsatz  XXIX.  Nimmt  man  wieder  die  Figur  33  des  vorher-  63 
gehenden  Lehrsatzes,  so  behaupte  ich,  dafs  jede  Gerade  AC,  die  den 
Winkel  BAX  schneidet,  einmal  in  endlicher  oder  hegrenster  Entfernung 
(auch  hei  der  Hypothese  des  spitzen  WinJcels)  BX  in  einem  Funkte 
P  treffen  tvird,  sdbcdd  nämlich  AG  nach  der  Seite  der  Punkte  X  hin 
immer  iveiter  verlängert  tvird. 

Beweis.  Zunächst  wird  die  Gerade  AG  (weil  sie  sonst  mit  AX 
einen  Raum  einschlösse)  die  Geraden  LK,  HK,  DK  in  endlicher 
Entfernung  in  gewissen  Punkten  G,  N,  M  treffen, 
wenn  sie  nicht  vorher  BX  (versteht  sich  in 
endlicher  Entfernung,  was  wir  eben  verlangen) 
in  einem  Punkte  trifft,  der  zwischen  B  und 
einem  der  Punkte  K  liegt.  Sodann  sind  (nach 
Zusatz  I  hinter  Lehrsatz  XXIII)  die  Winkel 
AGK,  ANK  und  AMK  stumpf. 

Weiter  nähern  sich  (nach  dem  vorhergehenden 
Lehrsatze)  jene  Winkel,  die  sämtlich  stumpf  sind, 
ohne  irgend  eine  bestimmte  Grenze  immer  mehr  „.    „, 

ö  _  Flg.  83. 

der   Gleichheit    mit  dem   rechten   Winkel,   falls 

nämlich  jene  Gerade  AG  die  Gerade  BX  erst  in  unendlicher  Entfer- 
nung treffen  sollte.  Man  könnte  daher  zu  einer  Ordinate  KMD 
kommen,  bei  der  der  Überschufs  des  Winkels  AMK  über  einen 
rechten  Winkel  kleiner  wäre,  als  der  Winkel  DAG  beträgt.  Dann 
aber  wäre  der  Winkel  DAG  oder  Z)^iltf  zusammen  mit  dem  Winkel 
AMD  gröfser  als  ein  Rechter,  daher  ergäben,  wenn  man  den  stumpfen 
Winkel  ADM  hinzufügt,  die  drei  Winkel  des  Dreiecks  ADM  zu- 
sammen mehr  als  zwei  Rechte,  was  gegen  die  Hypothese  des  spitzen 
Winkels  ist. 

Mithin  mufs  jede  Gerade  AC,  die  jenen  Winkel  BAX  schneidet, 


104  Saccheii,  Euclides  ab  omni  nacvo  vindicatus. 

schliefslich  (auch  bei  der  Hypothese  des  spitzen  ^^  iiikcls)  BX 
m  endlicher  oder  begrenzter  Entfernung  in  einem  Punkte  P  trelVen. 
A\'as  zu  beweisen  vrar. 

64  Zusatz  I.  Wenn  daher  eine  Gerade  ÄZ  auf  der  Seite  der 
Tunkte  X  einen  spitzen  Winkel  bildet,  der  gröfser  ist  als  BÄX,  so 
kann  sie  niemals,  weder  in  endlicher  noch  in  unendlicher  Entfernung, 
UX  treften.  Falls  dies  nämlich  stattfände,  so  müfste  ÄX,  das  ja 
den  Winkel  BAZ  teilt,  (gegen  die  vorausgeschickte  Annahme)  BX 
in  endlicher  Entfernung  treffen,  wie  das  für  die  Gerade  AG  bewiesen 
wurde,  die  den  Winkel  BAX  teilt. 

Zusatz  IL  Die  spitzen  Winkel,  unter  denen  sich  durch  den 
Punkt  ^4.  gerade  Linien  legen  lassen,  die  BX  in  endlicher  Entfernung 
treffen,  haben  übrigens,  wie  aus  dem  Vorhergehenden  folgt,  die  Eigen- 
schaft, dafs  es  unter  ihnen  keinen  bestimmten  giebt,  der  der  gröfste 
ist.  Wenn  man  nämlich  nach  der  Seite  der  Punkte  X  hin  irgend 
einen  Punkt  annimmt,  der  oberhalb  des  Punktes  P  liegt,  so  bildet  die 
Verbindungsgerade  zwischen  dem  Punkte  A  und  diesem  höher  ge- 
legeneu Punkte  mit  AB  einen  Winkel,  der  sicher  gröfser  ist,  als 
der  Winkel  BAP.  Und  so  immer  fort  ohne  jede  innere  Grenze*). 
Deshalb  wird  der  Winkel  BAX  (wenn  nämlich  AX  sich  zwar  der 
Geraden  BX  immer  mehr  und  mehr  nähert,  aber  erst  in  unendlicher 
Entfernung  damit  zusammentrifft)  die  äufsere  Grenze**)  aller  spitzen 
AVinkel  sein,  unter  denen  sich  durch  den  Punkt  A  Gerade  lecjen 
lassen,  welche  die  erwähnte  Gerade  BX  in  endlicher  Entfernung  treffen. 

Lehrsatz  XXX.  Auf  irycnd  einer  hajrcnzten  Geraden  AB  (Fig.  36) 
stehe  eine  unhegrenzte  Gerade  BX  senhrecht.  Dann  behaupte  ich  erstens, 
dafs  die  auf  AB  nach  derselben  Seite  hin  errichtete  Senkrechte  A  Y  die 
eine  Grenze,  und  zwar  nach  Innen,  edler  der  Geraden  ist,  die  von  dem 

65  PunJite  A  aus  nach  derselben  Seite  gezogen  (bei  der  Hypothese  des 
spitzen  Winkels)  in  zivei  verschiedemn  Punkten  mit  der  andern  un- 
begrenzten Geraden  BX  ein  Lot  gemeinsam  haben'*^'-^).  Zweitens  behaupte 
ich  von  den  spitzen  Winkeln,  unter  denen  sich  durch  den  erwähnten 
Punkt  A  gerade  Linien  legen  lassen,  die  (bei  der  genannten  Hypothese) 
mit  BX  ein  Lot  in  ztvei  verschiedenen  Punkten  gemeinsam  haben, 
Folgendes:  es  giebt  unter  ihnen  keinen,  der  von  allen  der  kleinste  ist. 


*)  [Im  Original  steht:   sine  nllo  termino  intrinseco.     Gemeint  ist,  ohne  jede 
Grenze  innerhalb  des  Winkels  BAX  nach  AX  hin.] 
**)  [limes  extrinsecus.] 
***)  [Saceheri  betrachtet  nämlich   nur  die  Halbstrahlen,    die  von  dem  Punkte 
A  ausgehen,   und  dann  haben  die  jenseits  der  Senkrechten  AY  liegenden  Halb- 
strahlen, wie  AZ,  mit  BX  kein  Lot  gemeinsam.] 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Zusatz  I,  II  zu  Lehrsatz  XXIX.     Lehrsatz  XXX.      105 


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B 

A 

Fig.  36. 


Beweis  des  ersten  Teiles.  Da  nilmlich  A  Y  mit  BX.  das  Lot 
AB  in  den  beiden  verschiedenen  Punkten  A  und  B  gemeinsam  hat, 
so  kann  eine  Gerade 
AZ^  die  nach  derselben 
Seite  unter  einem  stum- 
pfen Winkel  gezogen  ist, 
auf  dieser  Seite  mit2>X 
sicher  kein  Lot  in  zwei 
verschiedenen  Punkten 
gemeinsam  haben,  weil 
sonst  ein  Viereck  ent- 
stände, das  vier  Winkel 
enthielte,  die  zusammen  gröfser  als  vier  Rechte  wären,  und  man  somit 
(nach  Lehrsatz  XVI)  in  Widerspruch  mit  der  hier  angenommenen 
Hypothese  des  spitzen  Winkels  auf  die  bereits  widerlegte  Hypothese 
des  stumpfen  Winkels  stiefse.  Daher  ist  das  Lot  A  Y  auf  jener  Seite 
nach  Innen  die  Grenze  aller  der  Geraden,  die  von  jenem  Punkte  A 
aus  nach  derselben  Seite  gezogen  (bei  der  genannten  Hypothese  des 
spitzen  Winkels)  in  zwei  verschiedenen  Punkten  ein  Lot  mit  der  andern 
unbegrenzten  Geraden  BX  gemeinsam  haben.     Das  Avar  das  Erste. 

Beweis  des  zweiten  Teiles.  Es  sei  AN  eine  Gerade,  die  mit  BX 
in  zwei  verschiedenen  Punkten  ein  Lot  ND  gemeinsam  hat,  und  es 
sei,  wenn  das  überhaupt  möglich  ist,  der  zu  ihr  gehörige  Winkel 
[BAN]  der  kleinste  von  allen  den  spitzen  Winkeln,  unter  denen  sich 
durch  A  gerade  Linien  von  dieser  Beschaffenheit  ziehen  lassen.  Dann 
nehme  man  auf  BX  einen  höher  gelegenen  Punkt  K  an,  errichte  in 
ihm  auf  BX  die  Senkrechte  KL  und  fälle  auf  diese  (nach  I.  12)  vom 
Punkte  A  das  Lot  AL.  Wenn  nun  dieses  Lot  AL  die  Gerade  ND 
in  einem  Punkte  S  trifft,  so  ist  der  Winkel  BAL  sicher  kleiner  als 
BAN,  und  dieser  ist  deshalb  nicht  der  kleinste,  unter  dem  gezogen 
AN  mit  BX  ein  Lot  ND  in  zwei  verschiedenen  Punkten  gemein- 
sam hat. 

Dafs  aber  die  genannte  Gerade  ND  von  diesem  Lote  AL  in  einem  60 
gewissen  Zwischenpunkte  S  geschnitten  wird,  beweist  man  so: 

Zunächst  folgt  nämlich  aus  I.  17  mit  unbedingter  Sicherheit,  dafs 
BK  von  AL  nicht  in  einem  Punkte  M  geschnitten  werden  kann, 
weil  sonst  in  einem  und  demselben  Dreieck  MKL  in  den  Punkten 
K  und  L  zwei  rechte  Winkel  wären,  abgesehen  davon,  dafs  sich  grade 
in  diesem  Falle  unsre  Behauptung  über  den  Winkel  BAN  bestätigte, 
dafs  er  nämlich  unter  diesen  Umständen  nicht  für  den  kleinsten  erklärt 
werden  darf. 


■[()()  Saccberi,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

Ferner  aber  kann  die  Gerade  ÄL  auch  nicht  die  Verlängerung  von 
AN  sein,  weil  man  sonst  in  dem  Viereck  NB  KL  vier  rechte  Winkel 
hätte,  gegen  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels.  Sie  kann  auch  nicht 
die  Verlängerung  von  BN  in.  einem  jenseits  von  N  gelegenen  Punkte 
H  schneiden,  weil  dann  (nach  I.  16)  der  Winkel  AHN  spitz  wäre, 
da  der  Aufsenwinkel  ANB  der  Annahme  nach  ein  rechter  ist,  und  weil 
deshalb  der  Winkel  BHL  stumpf  wäre,  und  man  in  dem  Viereck 
BHLK  vier  Winkel  hätte,  die  zusammengenommen  gröfser  als  vier 
Rechte  wären,  gegen  die  erwähnte  Hypothese  des  spitzen  Winkels. 

Mithin  wird  der  Winkel  5 J[  iV  notwendig  von  der  Geraden  AfSJL 
geschnitten  und  kann  daher  nicht  als  der  kleinste  von  allen  gelten, 
unter  denen  gezogen  AN  mit  BX  ein  Lot  NB  in  zwei  verschiedeneu 
Punkten  gemeinsam  hat.     Was  an  zweiter  Stelle  zu  beweisen  war. 

Und  so  steht  fest,  dafs  und  so  weiter. 

Zusatz.  Hieraus  darf  man  entnehmen,  dafs  man  bei  dem  kleineren 
Winkel  BAL  (bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels)  ein  gemein- 
sames Lot  LK  bekommt,  das  einerseits,  wie  die  Zeichnung  erkennen 
läfst,  von  der  Grundlinie  AB  weiter  entfernt  ist  und  andrerseits 
kleiner  ist  als  das  nähere  gemeinsame  Lot  NB,  das  man  bei  dem 
gröfseren  Winkel  BAN  bekommt.  Die  zweite  Behauptung  wird  da- 
67  durch  begründet,  dafs  in  dem  Viereck  LKBS  der  Winkel  an  dem 
Punkte  S  bei  der  genannten  Hypothese  spitz  ist,  weil  die  drei  andern 
der  Annahme  nach  rechte  sind.  Deshalb  ist  (nach  Zusatz  I  hinter 
Lehrsatz  HI)  die  Seite  LK  kleiner  als  die  gegenüberliegende  Seite 
SB  und  daher  viel  kleiner  als  die  Seite  NB. 

Lehrsatz  XXXI.  Jetzt  leliaupte  ich,  dafs  es  für  die  genannten  ge- 
meinsamen Lote  in  sivei  verscMedenen  Punlien  Jieine  bestimmte  Grenze 
gieht,  sodafs  man  also  fbei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels)  unter 
einem  immer  kleineren  spitzen  Winkel  mit  dem  Scheitelpimkte  A  stets  zu 
einem  gemeinsamen  Lote  in  zwei  verscMedenen  Punkten  gelangen  kann, 
das  kleiner  ist,  als  irgend  eine  gegebene  Länge  B. 

Beweis.  Wofern  es  sich  nämlich  anders  verhielte,  errichte  man 
in  einem  Punkte  K  (man  gehe  auf  Fig.  30  zurück),  der  auf  BX  in 
beliebig  grofser  Entfernung  von  dem  Punkte  B  angenommen  ist,  die 
Senkrechte  KL  und  denke  sich  auf  diese  (nach  I.  12)  von  dem  Punkte 
A  das  Lot  AL  gefällt.  Dann  müfste  KL  gröfser  sein  als  die  Länge  R. 
Der  Grund  dafür  ist  folgender:  Nimmt  man  wieder  auf  J5X  einen  höher 
gelegenen  Punkt  Q  an,  errichtet  in  ihm  auf  BX  die  Senkrechte  QF 
und  fällt  (wieder  nach  I.  12)  auf  diese  das  Lot  AF,  so  darf  QF 
wiederum  nicht  kleiner  sein  als  die  Länge  R.    Es  ist  aber  KL  (nach 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXX,  Zusatz.     Lehrsatz  XXXI,  XXXII.        107 

dem  Zusätze  zu  dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  gröfser  als  QF.  Daher 
wäre  KL  grüfser  als  die  genamite  Länge  R.  Und  so  weiter,  wenn 
man  höher  hinaufgeht. 

Denkt  man  sich  nunmehr  die  beliebig 
grofse  Gerade  KB  (wie  in  Lehrsatz  XXV)  in 
Stücke  KK  geteilt,  die  jener  Länge  B  gleich 
sind,  und  errichtet  man  in  diesen  Punkten  K 
Senkrechte,  die  AX  in  den  Punkten  H,  B,  M 
treffen,  so  sind  die  Winkel  an  diesen  Punkten 
auf  der  Seite  des  Punktes  L  weder  rechte  noch 
stumpfe,  weil  sonst  in  einem  Viereck,  zum  Bei- 
spiel in  KLMK,   die   vier  Winkel   zusammen 

^  ^  _  Flg.  30. 

gleich  oder  gröfser  als  vier  Rechte  wären,  gegen  68 

die  Hypothese  des  spitzen  Winkels,  die  wir  zu  Grunde  legen.  Alle  diese 
Winkel  sind  also  auf  der  Seite  des  Punktes  L  spitz,  und  deshalb  sind 
wiederum  alle  Winkel  an  diesen  Punkten  auf  der  Seite  des  Punktes  A 
stumpf.  Somit  ist  (nach  Zusatz  I  zu  Lehrsatz  III)  KL,  das  am  weitesten 
von  der  Grundlinie  entfernt  ist,  unter  den  genannten  Senkrechten  die 
kleinste,  und  K3I,  das  derselben  Grundlinie  am  nächsten  ist,  die 
gröfste.  Und  von  den  übrigen  ist  die  nähere  immer  gröfser  als  die 
entferntere.  Deshalb  sind  (nach  dem  früheren  Lehrsatze  XXIV  und 
dem  zugehörigen  Zusätze)  die  vier  Winkel  des  Vierecks  KHLK,  das 
von  der  Grundlinie  AB  am  entferntesten  ist,  zusammen  gröfser  als 
die  Summe  der  Winkel  jedes  andern  Vierecks,  das  der  Grundlinie 
näher  ist.  Demnach  würde  (wie  in  Lehrsatz  XXV)  die  Hypothese  des 
spitzen  Winkels  hinfällig. 

Daher  giebt  es  sicher  keine  bestimmte  Grenze  der  genannten 
gemeinsamen  Lote  in  zwei  verschiedenen  Punkten,  sodafs  man  also 
unter  einem  immer  kleineren  spitzen  Winkel  beim  Punkte  A  (bei  der 
Hypothese  des  spitzen  Winkels)  stets  zu  einem  solchen  gemeinsamen 
Lote  in  zwei  verschiedenen  Punkten  gelangen  kann,  das  kleiner  ist 
als  irgend  eine  gegebene  Länge  B.     Was  zu  beweisen  war. 

Lehrsatz  XXXII.  Jetzt  hehaupte  ich,  dafs  es  (hei  der  Hypothese 
des  spitzen  Winkels)  einen  'bestimmten  spitzen  Winkel  BAX  giebt, 
unter  dem  gezogen  AX  (Fig.  33)  erst  in  unendlicher  Entfernung  mit  BX 
zusammentrifft  und  somit  nach  Innen  die  Grenze  ist  aller  der  Geraden, 
die  unter  Meineren  spitzen  Winkeln  gezogen  die  Gerade  BX  in  endlicJier 
Entfernung  schneiden,  nach  Aufsen  aber  die  Grenze  der  andern,  die  unter 
gröfseren  spitzen  Winkeln  gezogen,  bis  zum  Bechten,  diesen  eingeschlossen, 
mit  BX  ein  Lot  in  zivei  verschiedenen  Punkten  gemeinsam  haben. 


108 


Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vinilicatus. 


l'ig.  33. 


Beweis.     Erstens  giebt  es  (nach  Zusatz  11  hinter  Lehrsatz  XXIX) 

69  sicher    kehien   bestimmten    spitzen  Winkel ,    welcher  der  gröfste  von 

allen  ist,  unter  denen  eine  durch  Ä  gezogene 
Gerade  die  genannte  Gerade  BX  in  endlicher 
Entfernung  trifft. 

Zweitens  giebt  es  (bei  der  Hypothese  des 
spitzen  Winkels)  ebensowenig  einen  kleinsten 
spitzen  Winkel,  unter  dem  gezogen  eine  Gerade 
mit  BX  ein  Lot  in  zwei  verschiedenen  Punkten 
gemeinsam  hat,  da  es  (nach  dem  vorhergehenden 
Lehrsatze)  keine  bestimmte  Grenze  geben  kann, 
man  vielmehr  zu  einem  kleineren  spitzen  Winkel 
mit  dem  Scheitelpunkte  Ä  ein  solches  gemein- 
sames Lot  in  zwei  verschiedenen  Punkten  finden  kann,  das  kleiner  als 
irgend  eine  angebbare  Länge  II  ist. 

Hieraus  folgt  drittens,  dafs  es  (bei  dieser  Hypothese)  einen  ge- 
wissen bestimmten  spitzen  Winkel  BÄX  geben  mufs,  unter  dem 
gezogen  ÄX  sich  der  Geraden  BX  zwar  immer  mehr  nähert,  sie 
jedoch  erst  in  unendlicher  Entfernung  trifft. 

Dafs  aber  eben  dieses  ÄX  teils  nach  Innen  teils  nach  Aufsen 
die  Grenze  für  jede  der  beiden  genannten  Arten  von  Geraden  ist,  das 
beweist  man  so: 

Erstens  nämlich  hat  sie  mit  jenen  Geraden,  die  BX  in  endlicher 
Entfernung  treffen,   das   gemeinsam,    dafs   sie   selbst  einmal   mit  BX 
zusammentrifft;   sie   unterscheidet   sich    aber   von  ihnen,   weil  das  erst 
.in  unendlicher  Entfernung  geschieht. 

Zweitens  stimmt  sie  überein  mit  und  unterscheidet  sich  zugleich 
von  den  Geraden,  die  mit  BX  ein  Lot  in  zwei  verschiedenen  Punkten 
gemeinsam  haben,  weil  sie  selber  mit  BX  ein  Lot  gemeinsam  hat, 
jedoch  in  ein  und  demselben  unendlich  weit  entfernten  Punkte  X. 
Das  zweite  nämlich  mufs  vermöge  Lehrsatz  XXVIII  als  bewiesen 
gelten,  worauf  ich  in  dem  zugehörigen  Zusätze  aufmerksam  ge- 
macht habe. 

Folglich  giebt  es  (bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels)  sicher 
einen  bestimmten  spitzen  Winkel  BÄX,  unter  dem  gezogen  ÄX  erst 

70  in  unendlicher  Entfernung  mit  BX  zusammentrifft,  und  der  somit 
teils  nach  Innen  teils  nach  Aufsen  die  Grenze  ist  einerseits  aller  der 
Geraden,  die  unter  kleineren  spitzen  Winkeln  gezogen  die  Gerade  BX 
in  endlicher  Entfernung  treffen,  andrerseits  der  andern,  die  unter 
gröfseren    spitzen    Winkeln    gezogen,    bis    zum    Rechten,    diesen    ein- 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXXII,  XXXIII.     Hilfssatz  I.  109 

geschlossen,  mit  BX  ein  Lot  in  zwei  verschiedenen  Punkten  gemein- 
sam haben.     Was  zu  beweisen  war. 

Lehrsatz  XXXIIL  Die  Hypothese  des  spitzen  WinMs  ist  durch 
und  durcli  falsch,  tceil  sie  der  Natur  der  geroden  Linie  ivider spricht. 

Beweis.  Wie  aus  den  vorhergehenden  Thaoremen  hervorgeht, 
führt  die  der  Euklidischen  Geometrie  entgegenstehende  Hypothese  des 
spitzen  Winkels  schliefslich  dahin,  dafs  wir  das  Vorhandensein  zweier 
in  derselben  Ebene  liegender  Geraden  AX.  und  BX  zugeben  müssen, 
die  nach  der  Seite  der  Punkte  X  ins  Unendliche  verlängert  schliefslich 
in  ein  und  dieselbe  gerade  Linie  zusammenlaufen  müssen,  da  sie 
nämlich  in  ein  und  demselben  unendlich  entfernten  Punkte  X  ein  Lot 
gemeinsam  haben,  das  in  derselben  Ebene  liegt,  wie  sie  selbst*). 

Da  ich  aber  hier  auf  die  allerersten  Grundsätze  eingehen  mufs, 
so  werde  ich  sorgfältig  darauf  achten,  keinen  Einwurf,  selbst  wenn 
er  noch  so  pedantisch  erscheinen  möchte,  zu  übergehen,  da  dies, 
wie  mir  scheint,  zu  einem  vollkommen  strengen  Beweise  der  richtige 
Weg  ist. 

Hilfssatz  L     Zivei  gerade  Linien  schliefsen  Ticinen  Raum  ein. 

Euklid  erklärt  die  gerade  Linie  als  eine  solche,  die  sivischen 
ihren  Punlten  auf  einerlei  Art  liegt  Es  sei  also  (Fig.  37) 
AX  irgend  eine  Linie,  die  von  dem  Punkte  A  durch 
beliebige  Zwischenpunkte  stetig  bis  zum  Punkte  X  ver- 
läuft. Diese  Linie  heifst  dann  keine  Gerade,  wenn  sie  so 
beschaffen  ist,  dafs  sie,  während  ihre  beiden  Endpunkte 
fest  bleiben,  um  diese  auf  die  andre  Seite  gedreht  werden 
kann,  zum  Beispiel  von  der  linken  auf  die  rechte  Seite. 
Sie  heifst  dann,  sage  ich,  keine  gerade  Linie,  weil  sie 
nicht  auf  einerlei  Art  zwischen  ihren  gegebenen  Endpunkten 
liegt;  sie  wird  nämlich  entweder  nach  links  abweichen,  wenn  sie  sich 
von  dem  Punkte  A  nach  dem  Punkte  X  durch  gewisse  Zwischenpunkte 
B  erstreckt,  oder  sie  wird  nach  rechts  abweichen,  wenn  sie  sich  von 
demselben  festgehaltenen  Punkte  A  nach  demselben  festgehaltenen 
Punkte  X  durch  gewisse  Zwischenpunkte  C  erstreckt,  die  von  den 
genannten  Punkten  B  durchaus  verschieden  sind.  Denn  einzig  und 
allein  diejenige  Linie  AX  darf  eine  Gerade  genannt  werden,  die  sich 
von  dem  Punkte  A  zu  dem  Punkte  X  durch  solche  Zwischenpunkte 
D  erstreckt,  die  ihrerseits  in  der  Anordnung,  in  der  sie  auf  einander 


^)  [Vergleiche  die  Bemerkung  S.  98  ] 


110  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

folgen*),  bei  einer  Drehung  um  jene  beiden  festgehaltenen  Endpunkte  Ä 
und  X  niemals  neue  und  neue  Lagen  aimehmen  können. 

In  diesem  Begriffe  der  geraden  Linie  liegt  aber  offenbar  die  an- 
gekündigte Wahrheit,  dafs  nämlich  zwei  gerade  Linien  keinen  Raum 
einsehliefsen.  In  der  That,  sind  zwei  Linien  gegeben,  die  ehien  Raum 
einschliefsen  und  deren  gemeinsame  Endpunkte  die  beiden  Punkte  Ä 
und  X  sind,  so  zeigt  man  leicht,  dafs  entweder  keine  oder  nur  die 
eine  von  beiden  Linien  eine  Gerade  ist. 

Von  den  beiden  Linien,  zum  Beispiel  ABBX  und  ÄCCX,  wird 
keine  eine  Gerade  sein,  wemi  man  sich  ABBX  und  ÄCCX  um  die 
beiden  festgehaltenen  Endpunkte  A  und  X  derart  gedreht  denken 
kann,  dafs  ihre  übrigen  Zwischenpunkte  dazu  übergehen,  immer  neue 
Lagen  anzunehmen.  Nur  eine,  zum  Beispiel  ABBX,  wird  eine  Gerade 
sein,  wenn  man  sich  ABBX  und  ACCX,  die  mit  ABBX  auf  jeder 
von  beiden  Seiten  einen  Raum  einschliefsen,  derart  um  die  festen 
Endpunkte  gedreht  denken  kann,  dafs  zwar  die  Zwisehenpimkte  von 
ABBX  und  ACCX  dazu  übergehen,  immer  neue  Lagen  anzunehmen, 
während  dagegen  alle  Zwischenpunkte  von  ABBX  in  derselben  Lage 
verbleiben. 

Folglich  ist  es  unmöglich,  dafs  zwei  Linien,  die  dem  vorher  ent- 
wickelten Begriffe  der  Geraden  entsprechen,  einen  Raum  einschliefsen. 
Und  das  war  behauptet. 

Zusatz  I.  Hieraus  folgt  weiter,  dafs  man  jene  Fordermig  des 
Euklid  zulassen  mufs,  wonach  man  von  einem  gegebenen  PnnJde  nach 
jedem  heliehig  getvähUen  Ptinlie  eine  gerade  Linie  sielien  kann**).  Denn 
man  erkennt  deutlich,  dafs  sich  immer  ohne  jede  bestimmte  Grenze 
zwei  Linien  mit  den  erwähnten  Punkten  A  und  X  als  Endpunkten 
ziehen  lassen,  die  einander  näher  kommen  und  deshalb  weniger 
Raum  einschliefsen,  während  die  eine  nach  der  linken  Seite,  die 
andre  auf  gleiche  Art  nach  der  rechten  Seite  gezogen  ist,  oder  die 
eine  nach  oben,  die  andre  nach  imten;  es  lassen  sich,  sage  ich, 
Linien  dieser  Art  ziehen,  die  ohne  bestimmte  Grenze  einander  immer 
näher  kommen,  die  in  ihrer  Gestalt  vollkommen  mit  einander  über- 
einstimmen und  deshalb  auf  einander  folgen,  wenn  man  sie  um  die  fest- 
gehaltenen Endpunkte  A  und  X  gedreht  denkt.  Hieraus  erkennt  man 
ebenso  deutlich,  dafs  (wenn  diese  gleichgestalteten  Linien  einander 
immer  näher  und  näher  kommen)  sie  sich  schliefslich  in  eine  einzige 
vereinigen  müssen,  und  zwar  in  die  Linie  ABX,  die  eben  bei   einer 

*)  [Im  Original  heifst  es:  prout  sie  invicem  continuata.] 
**)  [Euklid,  Elemente,  Buch  1,  Forderung  1.] 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXXIII.    Zusatz  1,  11  zu  Hilfssatz  I.  Hilfssatz  H.     111 

Drehung  um  jene  festen  Endpunkte  keine  neue  Lage  annehmen  kann. 
Und  das  wird  die  geforderte  gerade  Linie  sein. 

Es  giebt  daher  wiederum  sicher  nur  eine  einzige  gerade  Linie, 
die  von  einem  gegebenen  Punkte  nach  einem  andern  beliebig  ge- 
wählten Punkte  gezogen  werden  kann. 

Zusatz  IL  Übrigens  folgt  hieraus,  dafs  man  genau  ebenso  die 
andre  Erklärung  Euklids  verstehen  mufs,  in  der  er  sagt,  eine  Ober- 
fläche sei  eben,  ivenn  sie  auf  einerlei  Art  gegen  ihre  Linien  liegt*). 

In  der  That,  denkt  man  sich  eine  Oberfläche,  die  von  den  vorhin 
genannten  Linien  eingeschlossen  wird,  nämlich  [Fig.  37]  von  der  geraden 
ÄDDX  und  von  der  andern  ÄJBBX  (mag  diese  nun  eine  einfache  oder 
eine  zusammengesetzte  krumme  Linie  sein  oder  mag  sie  aus  zwei  oder 
mehr  geraden  Linien,  zum  Beispiel  aus  AB,  JBB  und  J5X  zusammen- 
gesetzt sein),  denkt  man  sich,  sage  ich,  eine  solche  Oberfläche  um  73 
die  festgehaltene  Gerade  ADX  gedreht,  bis  die  Linie  ABX  mit  der 
entgegengesetzt  liegenden  Linie  ACX  zum  Zusammenfallen  kommt, 
die  überall  vollständig  gleich  und  ähnlich  mit  ABX  ist  und  ihrer- 
seits mit  der  Geraden  ABX  (auf  derselben  Seite,  der  obern  oder 
der  untern)  eine  Oberfläche  einschliefst,  die  der  vorhergenannten  ganz 
gleich  und  ähnlich  ist,  so  giebt  es  nur  zwei  Möglichkeiten:  entweder 
deckt  sich  die  eine  Oberfläche  vollständig  mit  der  andern,  oder 
die  beiden  Oberflächen  schliefsen  einen  Raum  von  dreifacher  Aus- 
dehnung ein. 

Tritt  das  Erste  ein,  dann  heifst  die  Oberfläche  eben.  Tritt 
aber  das  Zweite  ein,  dann  heifst  die  Oberfläche  nicht  eben,  denn  man 
kann  sich  Zwischenoberflächen  mit  denselben  Begrenzungslinien  ein- 
geschaltet denken,  die  einander  gleich  und  ähnlich  sind  und  ohne  jede 
bestimmte  Grenze  einander  immer  näher  kommen  und  daher  auch 
soweit,  dafs  jeder  Zwischenraum  wegfällt.  Dann  aber  mufs  man 
diese  beiden  Oberflächen  eben  nennen,  weil  sie  thatsächlich  auf  einerlei 
Art  zwischen  ihren  Begrenzungslinien  liegen,  ohne  sich  nach  den  ver- 
schiedenen Seiten  zu  heben  oder  zu  senken. 

Hilfssatz  II.  Zwei  gerade  Linien  können  nicht  ein  und  denselben 
Abschnitt  gemeinsam  haben. 

Beweis.  Wenn  das  überhaupt  möglich  ist,  so  sei  ein  und  der- 
selbe Abschnitt  AX  (Fig.  38)  den  beiden  in  derselben  Ebene  über 
den  Punkt  X  hinaus  verlängerten  Geraden  AXB  und  AXC  gemein- 


*)  [Euklid,  Elemente,  Buch  I,  Erklärung  7: 
'E-Jtiitsdog    inicpccvsid   iariv ,   ijrig   i^   1         Plana  superficies  est,  quaecunque  es 
I'gov  taig  tcp'  eccvti]g  sv&fiaig  -/.sIxccl.         \   aequo  rectis  in  ea  sitis  iacet.] 


"[12  Saccheii,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

schaftlich.     Dann    beschreibe    man    um    X    als   Mittelpunkt    mit    dem 
Halbmesser    XB   oder    XC   den    Bogen    BMC  und    ziehe    durch    X 
nach    irgend    einem    seiner   Punkte  M  die   Ge- 
rade XM. 

Ich  behaupte  erstens,  dafs  unter  der  ge- 
machten Amiahme  auch  die  Linie  AXM  eine 
Gerade  ist,  die  von  dem  Punkte  A  nach  dem 
Punkte  X  gezogen  und  über  X  hinaus  ver- 
längert  ist.  Wäre  nämlich  diese  Linie  keine 
Gerade,  so  könnte  man  (nach  Zusatz  I  des  vor- 
hergehenden Hilfssatzes)  eine  andre  Linie  AM 
ziehen,  die  ihrerseits  gerade  wäre.  Diese  wird 
entweder  eine  der  beiden  Geraden  XB  und  XC 
in  einem  gewissen  Punkte  K  schneiden  oder  eine  von  beiden,  zum 
Beispiel  XB,  in  den  Flächenraum  einschliefsen,  der  von  AX,  XM 
und  APLM  begrenzt  wird.  Aber  die  erste  Möglichkeit  widerstreitet 
augenscheinlich  dem  vorhergehenden  Hilfssatze,  weil  dann  die  beiden 
Linien  AXK  und  ATK,  die  der  Annahme  nach  Gerade  sind,  einen 
Raum  einschlössen.  Die  zweite  aber  wird  sogleich  eines  ebensolchen 
Widersinns  überführt. 

Die  Gerade  XB  mufs  nämlich  bei  ihrer  Verlängerung  über  B 
hinaus  APL3I  schliefslich  in  einem  Punkte  L  treffen.  Infolgedessen 
schlössen  wieder  die  beiden  Linien  AXBL  und  APL,  die  der  An- 
nahme nach  Gerade  sind,  einen  Raum  ein.  Wollte  man  übrigens 
annehmen,  dafs  die  Gerade  XB  über  B  hinaus  verlängert  schliefslich 
entweder  die  Gerade  X3I  oder  die  Gerade  XA  in  einem  andern  Punkte 
träfe,  so  käme  man  in  gleicher  Weise  auf  einen  Widerspruch. 

Hieraus  aber  folgt  augenscheinlich,  dafs  bei  der  gemachten  An- 
nahme die  Linie  AXM  selber  die  gerade  Linie  ist,  die  von  dem 
Punkte  A  nach  dem  Punkte  M  gezogen  wurde,  und  das  war  die 
Behauptung. 

Zweitens  behaupte  ich,  dafs  die  Gerade  AXB,  von  der  wir  aus 
gingen  (wofern  man  sich  jene  beliebig  gewählte  Verlängerung  von 
dem  Punkte  A  über  X  nach  B  beibehalten  denkt*)),  nicht  noch  zwei 
verschiedene  Lagen  in  derselben  Ebene  annehmen  kaim  derart,  dafs 
das  Stück  AX  bei  beiden  Lagen  an  seiner  Stelle  verharrt,  während 
das  andre  Stück  XB  bei  der  einen  der  beiden  Lagen  (zum  Beispiel) 
mit  XC,  bei  der  andern  mit  XM  zusammenfällt. 

Freilich  leugne  ich  hierbei  nicht,  dafs  man  sich  das  Stück  XB  in 

*)  [ßaccheri  denkt  sich  AX  und  XB  starr  verbunden  und  dieses  starre 
System  um  AX  gedreht.] 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXXIII,  Hilfssatz  II.  113 

seiner  Ebene  um  den  Punkt  X  so  gedreht  denken  kann,  dafs  es  nach 
einander  (nach  dem  vorhergehenden  Hilfssatze)  nicht  nur  mit  XM 
und  XC  genau  zusammenfällt,  sondern  auch  mit  den  unzählig  vielen  75 
andern  Geraden  genau  zusammenfällt,  die  von  dem  Punkte  Ä  aus  nach 
den  übrigen  Zwischenpunkten  des  Bogens  BC  gezogen  werden  können. 
Ich  leugne  hierbei  nicht,  sage  ich,  dafs  XB  in  jeder  dieser  Lagen  als 
die  geradlinige  Verlängerung  der  festen  Geraden  ÄX  angesehen  werden 
darf,  da  ich  ja  vielmehr  schon  bewiesen  habe,  dafs  dies  bei  ÄXM 
eintreten  wird,  wenn  man  das  Vorhandensein  eines  gemeinsamen  Ab- 
schnittes annimmt.  Somit  behaupte  ich  hier  weiter  nichts,  als  dafs  XB 
blofs  bei  einer  jener  neuen  Lagen*),  nämlich  wenn  es  mit  XC  zu- 
sammenföllt,  dieselbe  beliebig  gewählte  Verlängerung  darstellt,  wie 
in  der  ersten  Lage,  wo  man  von  dem  Punkte  Ä  über  X  nach  dem 
Punkte  B  fortging. 

Dies  wird  nun  so  bewiesen:  Zunächst  kann  nämlich  jene  Ver- 
längerung ÄXB  der  Verlängerung  AXC  nicht  durchaus  ähnlich  oder 
gleich  sein,  sobald  man  beide  auf  derselben  Seite,  auf  der  linken  oder  auf 
der  rechten,  betrachtet,  weil  sonst  ÄXB  und  AXC  unter  diesen  Um- 
ständen mit  einander  zusammenfallen  müfsten,  was  gegen  die  Annahme 
in  Betreff  jenes  gemeinsamen  Abschnittes  AX  ist.  Sie  müfsten,  sage 
ich,  zusammenfallen,  sobald  nämlich  in  Bezug  auf  die  feste  Gerade 
AX  die  Verlängerungen  XB  und  XC  in  der  betreffenden  Ebene  sich 
beide  genau  in  derselben  Weise  entweder  nach  links  oder  nach  rechts 
erstreckten. 

Ferner  hindert  sicher  nichts,  dafs  die  genannte  Verlängerung 
AXB  auf  der  einen  Seite,  zum  Beispiel  auf  der  linken,  betrachtet 
genau  ähnlich  oder  gleich  der  Verlängerung  AXC  ist,  wenn  diese 
auf  der  entgegengesetzten  Seite  betrachtet  wird,  hier  also  auf  der 
rechten,  sodafs  mithin  AXB,  ohne  irgend  eine  Veränderung  zu  er- 
leiden, in  derselben  Ebene  mit  der  andern  Geraden  AXC  zur  Deckung 
gebracht  werden  kann. 

Augenscheinlich  geht  es  aber  nicht  an,  dafs  die  Gerade  AXB 
ohne  irgend  eine  Veränderung  ihrer  Verlängerung  in  derselben  Ebene 
mit  der  andern  Geraden  AXM  zur  Deckung  gebracht  werden  kann,  die 
jenen  gewissen  Winkel  BXC  bei  X  teilt.  Denn  dafs  die  Verlängerung 
AXB  ganz  verschieden  ist  von  der  Verlängerung  AXM,  wenn  beide  auf 
derselben  Seite,  entweder  auf  der  linken  oder  auf  der  rechten,  betrachtet 
werden,    das    ist  deshalb   klar,    weil   sonst   (wie    schon  bei    ähnlicher  76 


*)  [Nämlich    bei    der    durch   Drehung  des   starreu   Systems   AXB   \xm   AX 
entstandenen  neuen  Lage  AXC,  die  zu  AXB  symmetrisch  ist.] 

Stackel  u.  EnRel,  rar.iUrlentheorie.  8 


114  Saccberi,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

Gelegenheit  bemerkt  worden  ist)  unter  diesen  Umständen  AXB  und 
ÄX3I  zusammenfallen  müfsten. 

Es  kann  aber  auch  nicht  aufrecht  erhalten  werden,  dafs  die 
Verlängerung  AXB  auf  der  einen  Seite  betrachtet,  zum  Beispiel  auf 
der  linken,  gauz  ähnlich  oder  gleich  sei  der  Verlängerung  ÄXM, 
wenn  diese  auf  der  entgegengesetzten  Seite  betrachtet  wird,  also  zum 
Beispiel  auf  der  rechten.  Sonst  wäre  ja  die  Verlängerung  ÄX31  auf 
der  rechten  Seite  betrachtet  ganz  ähnlich  oder  gleich  der  Verlange- 
rung  ÄXC,  wenn  diese  auch  auf  der  rechten  Seite  betrachtet  wird, 
nämlich  wegen  der  vorausgesetzten  vollständigen  Ähnlichkeit  oder 
Gleichheit  zwischen  der  eben  genannten  Verlängerung  und  der  Ver- 
längerung AXB,  wenn  diese  auf  der  linken  Seite  betrachtet  wird, 
unter  diesen  Umständen  müfsten  aber  (wie  schon  vorher  gesagt  wurde) 
AX3I  und  AXC  mit  einander  zusammenfallen,  was  der  gegen  war  tigen 
Annahme  widerspricht. 

Aus  alle  dem  ziehe  ich  den  Schlufs:  dafs  die  angenommene 
gerade  Linie  AXB  (wofeiii  man  sich  ihre  beliebig  gewählte  Verlänge- 
rung von  A  bis  B  beibehalten  denkt)  nicht  noch  zwei  verschiedene 
Lagen  in  dieser  Ebene  annehmen  kann  derart,  dafs  das  Stück  AX 
beide  Male  an  seiner  Stelle  verharrt,  während  das  andre  Stück  XB 
bei  einer  der  beiden  Lagen  (zum  Beispiel)  mit  XC,  bei  der  andern 
Lage  mit  X3I  zusammenfällt.     Und  das  war  die  Behauptung. 

Drittens  behaupte  ich,  dafs  die  angenommene  Gerade  AXB 
auf  keine  andre  Weise  ihre  beliebig  gewählte  Verlängerung  behalten 
kann,  wenn  mau  sich  ihren  Teil  XB  in  neue  und  neue  Lagen  ge- 
bracht  denkt,  bis  er  in  jener  Ebene  mit  XC  zusammenfällt,  während 
das  Stück  AX  inzwischen  an  derselben  Stelle  verharrt,  sie  kami, 
sage  ich,  ihre  beliebig  gewählte  Verlängerung  nicht  bewahren,  wenn 
man  sich  nicht  vorstellt,  dafs  das  Stück  XB  hinauf-  oder  herab- 
steigt, um  mit  der  festgehaltenen  Geraden  AX  in  immer  neuen  Ebenen 
zu  liegen,  bis  es  zur  alten  Ebene  zurückkehrt  und  dort  mit  der  ge- 
nanuten  Geraden  XC  zusammenfällt. 
77  Dies    kann    in    der   That    schon    für    bewiesen    gelten,    weil   man 

nämlich  in  derselben  Ebene  keine  andre  Lage  finden  kann,  bei  der 
die  Gerade  AXB  (während  das  Stück  AX  an  seinem  Platze  ver- 
harrt) ihre  beliebig  gewählte  Verlängerung  beibehält,  aufser  wemi 
sie  mit  der  genannten  Geraden  AXC  zur  Deckung  gelaugt. 

Viertens  behaupte  ich,  dafs  man  auf  dem  Bogen  BC  einen 
solchen  Punkt  B  angeben  kami,  dafs,  wenn  XB  gezogen  wird,  AXB 
nicht  nur  eme  gerade  Linie  ist,  sondern  sich  auch  so  verhält,  dafs 
die  Verlängerung  AXB  auf  der  linken  Seite  betrachtet  genau  gleich 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXXIIT,  Hüfssatz  II.  115 

oder    ähnlich    derselben    Verlängerung    ist,    wenn    man    sie    auf   der 
rechten  Seite  betrachtet. 

Beweis.  Den  ersten  Teil  beweist  man  (unabhängig  von  der  be- 
sondern Wahl  des  Punktes  D  auf  dem  Bogen  BC)  durch  das  Ver- 
fahren,  das  wir   vorhin  bei   der  Verlängerung  ÄXM  benutzt  haben. 

Der  zweite  Teil  wird  so  erhärtet:  Wir  legen  dabei  zwei  Gerade 
AXB  und  ÄXC  mit  dem  gemeinsamen  Abschnitte  ÄX  zu  Grunde. 
Ferner  setzen  wir  voraus,  dafs  die  Verlängerung  AXB  auf  der  linken 
Seite  betrachtet  nicht  vollständig  ähnlich  oder  gleich  derselben  Ver- 
längeruno- ist,  wenn  man  sie  auf  der  rechten  betrachtet.  Bestände 
nämlich  eine  solche  vollständige  Ähnlichkeit  oder  Gleichheit,  so  könnte 
man  leicht  zeigen,  dafs  jener  Abschnitt  AX  keiner  andern  Geraden 
angehören  kann,  und  zwar  ebenso,  wie  wir  es  nachher  für  die  Ver- 
längerung AXB  zeigen  werden.  Endlich  setzen  wir  demzufolge  voraus, 
dafs  die  Verlängerung  AXB,  bei  Festhaltung  des  Abschnittes  AX,  in 
derselben  Ebene  eine  solche  Lage  bekommen  kami,  dafs  sie  sich  mit 
einer  gewissen  andern  Geraden  AXC  deckt, 
wobei  die  Verlängerung  AXC  auf  der  rechten 
Seite  betrachtet  ganz  ähnlich  oder  gleich  ist 
der  Verlängerung  AXB,  wemi  diese  auf  der 
linken  Seite  betrachtet  wird,  und  wobei  wiederum 
die  Verlängerung  AXC  auf  der  linken  Seite  be- 
trachtet ganz  ähnlich  oder  gleich  ist  der  Ver- 
längerung AXB,  wenn  diese  auf  der  rechten 
Seite  betrachtet  wird. 

Nunmehr  nehme   man   einen  Punkt  M  auf 
dem   Bogen  BC  an   und   ziehe  XM.     Dann  ist 

die  Verlängerung  AXM  entweder  auf  der  linken  und  auf  der  rechten  7i 
Seite  von  AX  sich  selbst  vollkommen  gleich   gestaltet,  oder  nicht. 

Tritt  das  Erste  ein,  so  kann  ich  von  AXM  dasselbe  beweisen, 
was  ich  sogleich  von  jener  Verlängerung  AXB  beweisen  werde.  Tritt 
das  Zweite  ein,  so  kann  die  genannte  Gerade  AX3I  in  derselben 
Ebene  eine  solche  Lage  bekommen,  dafs  AX  wieder  unverändert 
bleibt,  während  AXM  mit  einer  Verlängerung  AXF  zusammenfällt, 
wobei  die  Verlängerung  AXF  auf  der  rechten  Seite  betrachtet  ganz 
ähnlich  oder  gleich  ist  der  Verlängerung  AXM,  wenn  man  diese  auf 
der  linken  betrachtet,  und  wobei  wiederum  die  Verläno-erung  AXF 
auf  der  linken  Seite  betrachtet  ganz  ähnlich  oder  gleich  ist  der  Ver- 
längerung AXM,  wenn  man  diese  auf  der  rechten  betrachtet. 

Da  ferner  der  Punkt  M  näher  an  dem  Punkte  B  angenommen 
werden  kann    als   der    Punkt  6',    so   wird   der   Punkt  F  nicht  in   den 

8* 


11(3  Saccheri,  Euclides  ob  omni  naevo  vindicatus. 

Punkt  C  fallen.  Denn  sonst  wäre  die  Verlängerung  ÄX3I  auf  der 
linken  Seite  betrachtet  ganz  ähnlich  oder  gleich  der  Verlängerung 
AXF  oder  ÄXC,  wenn  man  diese  auf  der  rechten  betrachtet,  und 
deshalb  ganz  ähnlich  oder  gleich  der  Verlängerung  AXB,  wenn  man 
diese  auf  der  linken  Seite  betrachtet,  und  das  ist  widersinnig,  da  die 
beiden  Geraden  XM  und  XB  bei  der  Lage,  die  für  sie  angenommen 
wurde,  nicht  zusammenfallen. 

Der  Punkt  F  liegt  aber  auch  nicht  jenseits  des  Punktes  C  in 
der  Verlängeruno;  des  Bogens  BC,  weil  sonst  eine  ähnliche  Über- 
legung  zeigte,  dafs  auch  der  Punkt  M,  gegen  die  Annahme,  in  der 
Verlängerung  des  Bogens  CB  läge,  und  dann  teilte  X3I  links  den 
Winkel  AXB,  ebenso  wie  XF  rechts  den  Winkel  AXC  teilen 
sollte.  Der  Punkt  31,  sage  ich,  müfste  deshalb  so  liegen,  damit 
AX3f,  während  der  Abschnitt  AX  festgehalten  wird,  in  derselben 
Ebene  zum  Zusammenfallen  mit  AXF  gebracht  werden  kann,  weil 
die  Verlängerung  AXF  auf  der  rechten  Seite  betrachtet  ganz  ähnlich 
oder  gleich  ist  der  Verlängerung  AXM,  wenn  man  diese  auf  der 
linken  betrachtet,  und  wiederum  die  Verlängerung  AXF  auf  der 
linken  Seite  betrachtet  ganz  ähnlich  oder  gleich  ist  der  Verlängerung 
AX3I,  wenn  man  diese  auf  der  rechten  betrachtet. 

Da  nun  der  Bogen  BC  gröfser  ist  als  sein  Teil  31 F,  und  da  man 
in  gleicher  Weise  auf  dem  Stücke  3IF  zwei  andre  Punkte  mit  klei- 
nerem Zwischenräume  angeben  kann,  ohne  jede  bestimmte  Grenze,  so 
muls,  weil  sich  die  genannten  Punkte  einander  nähern ,  eine  der  beiden 
folgenden  Möglichkeiten  eintreten:  die  erste  besteht  darin,  dafs  man 
schliefslich  zu  ein  und  demselben  Zwischenpunkte  D  gelangt  und 
durch  Verbindung  von  X  mit  D  eine  solche  Verlängerung  AXI) 
erhält,  die  (wenn  man  die  linke  und  die  rechte  Seite  vergleicht)  einzig 
und  allein  die  Eigenschaft  besitzt,  sich  selbst  durchaus  ähnlich  oder 
gleich  zu  sein.  Die  zweite  Möglichkeit  besteht  darin,  dafs  man  zwei 
verschiedene  Punkte  dieser  Art,  31  und  F,  findet,  und  dafs,  wenn 
man  X3f  und  XF  zieht,  zwei  Verlängerungen  vorhanden  sind,  die 
eine  AX3I,  die  andre  AXF,  von  denen  jede  sich  selbst  ähnlich 
oder  gleich  ist,  in  der  schon  beschriebenen  Art. 

Dafs  aber  diese  zweite  Möglichkeit  ausgeschlossen  ist,  beweise 
ich  so:  Aus  dem  Wortlaute  [der  Erklärung  der  geraden  Linie]  geht 
nämlich  hervor,  dafs  eine  gerade  Linie,  die  von  A  aus  gezogen  über  X 
verlängert  wird,  in  der  Ebene  nur  eine  einzige  Lage  annehmen  kaim, 
sobald  die  hinzugefügte  Gerade  XF  sich  auf  der  rechten  und  auf 
der  linken  Seite  der  angenommenen  Geraden  AX  ganz  gleich  ver- 
hält, oder  nicht  mehr  nach  ihrer  linken  als   nach   ihrer  rechten  Seite 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXXIII,  Hilfssatz  II.  117 

abweicht.  Es  wird  also  keine  zweite  Verlängerung  ÄXM  geben,  die 
sich  ebenfalls  auf  der  linken  und  auf  der  rechten  Seite  von  AX  ganz 
gleich  verhält.  Mithin  kann  es  sicher  nicht  zugleich  eintreten,  dafs 
einerseits  die  Verlängerung  ÄXF  auf  der  rechten  und  auf  der  linken 
Seite  betrachtet  sich  selbst  ganz  ähnlich  oder  gleich  ist,  und  dafs 
andrerseits  eine  andre  Verlängerung  ÄXM  (die  ihrer  Lage  wegen 
von  der  linken  Seite  kleiner  erscheint  als  die  Verlängerung  ÄXF) 
auf  der  linken  Seite  betrachtet  wiederum  gleich  ist  derselben  Ver- 
längerung [^Xiüf]  auf  der  rechten  Seite  betrachtet,  während  doch 
diese,  abermals  ihrer  Lage  wegen,  von  der  rechten  Seite  gröfser  er- 
scheint als  die  erwähnte  Verlängerung  ÄXF. 

Folglich  kann  man  auf  dem  Bogen  BC  nicht  zwei  solche  Punkte 
M  und  F  finden,  dafs  die  Verbindungsgeraden  XM  und  XF  zwei  Ver- 
längerungen ÄXM  und  ÄXF  liefern,  die  beide  auf  die  schon  erklärte  80 
Art  sich  selbst  durchaus  ähnlich  oder  gleich  sind.  Hieraus  folgt  end- 
lich, dafs  man  schliefslich  zu  ein  und  demselben  Punkte  D  gelangt, 
und  dafs  dann  die  Verbindungslinie  XD  eine  solche  Verlängerung 
ÄXD  ergiebt,  die  einzig  und  allein  die  Eigenschaft  besitzt,  dafs  sie 
(wenn  man  die  linke  und  die  rechte  Seite  mit  einander  vergleicht)  sich 
selbst  durchaus  ähnlich  oder  gleich  ist.  Was  an  dieser  Stelle  zu  be- 
weisen war. 

Endlich  behaupte  ich  fünftens,  dafs  dieses  ÄXD  allein  eine 
gerade  Linie  ist,  nämlich  die  unmittelbare  Verlängerung  von  Ä  über  X 
nach  D.  Wenn  man  nämlich  auch  das  „auf  einerlei  Ärtf'*)  bei  der 
Erklärung  der  geraden  Linie  zunächst  auf  die  Zwischenpunkte  gegenüber 
den  Endpunkten  anwenden  mufs,  woraus  wir  schon  folgerten,  dafs 
mvei  gerade  Linien  keinen  Baum  einschliefsen,  so  mufs  man  es  doch  auch 
bei  der  geradlinigen  Verlängerung  dieser  geraden  Linie  hinzu  denken. 
Daher  heifst  allein  XJ)  (das  mit  -4X  in  derselben  Ebene  liegt)  die 
geradlinige  Verlängerung  der  genannten  Geraden  ÄX,  wenn  XD  weder 
nach  der  rechten  noch  nach  der  linken  Seite  von  ÄX  abweicht,  viel- 
mehr nach  beiden  Seiten  auf  einerlei  Art  fortgeht,  sodafs  jene  Ver- 
längerung ÄXD  auf  der  linken  Seite  betrachtet  vollständig  ähnlich 
oder  gleich  ist  derselben  Verlängerung,  wenn  man  sie  auf  der  rechten 
betrachtet.  Hieraus  folgt  nämlich,  dafs  ÄXD  allein  die  Eigenschaft 
hat,  wenn  ÄX  festgehalten  wird,  keine  andre  Lage  in  der  Ebene  an- 
nehmen zu  können,  während  (nach  dem  schon  Bewiesenen)  jene  andern 
Linien  ÄXB  und  ÄXM  ohne  jedwede  Änderung  ihrer  Verlängerungen 


*)  [Im  Original  heifst  es:    ly  ex  aequo.     Die  Bedeutung  des  Wörtchens    ly 
haben  wir  nicht  ermitteln  können.] 


118  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vimlicatus. 

bei  festgelialtouem  AX  andre  Lagen  in  derselben  Ebene  annehmen 
können,  nämlich  die  Lagen  ÄXC  und  AXF. 

Mithin  ist  allein  AXD,  dessen  Verlängerung  XD  nicht  blofs  mit 
^X  in  derselben  Ebene  liegt,  sondern  sich  auch  auf  der  linken  und 
auf  der  rechten  Seite  der  genannten  Geraden  AX  ganz  gleich  ver- 
hält, nach  der  besprochenen  Erklärung  eine  gerade  Linie  oder  die 
geradlinige  Verlängerung  der  angenommenen  Geraden  AX. 

Aus  alle  dem  geht  schliefslich  die  Unmöglichkeit  hervor,  dafs   es 

81  euieu  gemeinsamen  Abschnitt  von   zwei   geraden  Linien  giebt.     Was 
zu  beweisen  war. 

Zusatz.  Es  ist  zweckmäfsig,  drei  Folgerungen  aus  den  zwei  vor- 
hergehenden Hilfssätzen  anzumerken. 

Die  erste  ist  die,  dafs  zwei  Gerade,  selbst  wenn  sie  einen  un- 
endlich kleinen  Abstand  von  einander  haben,  keinen  Raum  einschliefsen 
können.  Der  Grund  hierfür  liegt  darin,  dafs  (wie  in  dem  ersten  Hilfs- 
satze) entweder  jede  von  beiden,  unter  Festhaltuug  jener  beiden  ge- 
meinsamen Endpunkte,  durch  Drehung  eine  neue  Lage  erhalten  könnte, 
und  dafs  daher  (nach  der  früher  mitgeteilten  Erklärung  der  geraden 
Linie)  keine  von  beiden  eine  gerade  Linie  wäre,  oder  dafs  nur  die  eine 
in  ihrer  Lage  beharrte  und  daher  allein  eine  gerade  Linie  wäre. 

Dafs  aber  nicht  beide  in  derselben  Lage  beharren  können,  solange 
sie  einen,  wenn  auch  unendlich  kleinen,  Raum  einschliefsen,  leuchtet 
ein,  wenn  man  erwägt,  dafs  die  obere  und  die  untere  Seite  der  Ebene, 
in  der  die  beiden  Geraden  liegen,  vertauscht  werden  können,  während 
übrigens  jene  beiden  Endpunkte  an  derselben  Stelle  verbleiben. 

Die  zweite  Folgerung  besteht  darin,  dafs  keine  gerade  Linie 
sich  bei  beliebiger  geradliniger  Verlängerung  in  zwei  spalten  kann, 
auch  nicht  in  solche  mit  unendlich  kleinem  Zwischenräume.  Der 
Grund  hiervon  liegt  darin,  dafs  (wie  bei  dem  vorhergehenden  Hilfssatze) 
keine  andre  geradlinige  Verlängerung  irgend  einer  angenommenen  ein- 
fachen Geraden  AX  denkbar  ist,  als  die  eine  XD,  die  auf  einerlei  Art 
nach  beiden  Seiten,  sowohl  nach  der  linken  als  nach  der  rechten  Seite 
der  genannten  Geraden  AX,  fortgeht,  woraus  folgt,  dafs  sie  bei  fest- 
gehaltenem AX  in  dieser  Ebene  keine  andre  Lage  annehmen  kann, 
w^enn  sie  [als  Ganzes]  unverändert  bleiben  soll. 

Dafs  man  aber  in  derselben  Ebene  zur  Linken  eine  andre  Gerade 
XM  angeben  kann,  die  von  XD  unendlich  wenig  abweicht,  das  nützt 
nichts.  Denn  man  könnte  wiederum  zur  Rechten  eine  andre  Gerade 
XF  angeben,  die  gleichfalls  unendlich  wenig  von  XD  abweicht.    Des- 

82  halb   ist  (wie  in   dem  schon   erwähnten   Hilfssatze)  AXD    allein    eine 
gerade  Linie,  wie  wir  sie  erklärt  haben. 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXXIII,  Ililfssatz  II,  Zusatz.     Ililfssatz  III.  HO 

Die  dritte  Folgerung  endlich  ist  die,  dafs  durch  den  zweiten 
Hilfssatz  unmittelbar  der  Satz  XI.  1  bewiesen  -wird,  dafs  nämlich  von 
ein  und  derselben  Geraden  nicht  ein  Teil  in  einer  unteren  und  ein 
Teil  in  einer  oberen  Ebene  liegen  kann. 

Hilfssatz  in.  Wenn  zwei  Gerade  AB  und  CXD  einander  in  einem 
Zwisclienpmikte  X  treffen  {Fig.  39),  so  herühren  sie  sich  dort  nicht,  son- 
dern schneiden  einander. 

Beweis.  Es  liege  CXD,  wenn  das  überhaupt  möglich  ist,  ganz 
auf  der  einen  Seite  von  AB.  Man  ziehe  AC.  Dann  fällt  AC  nicht 
mit  AXC  zusammen,  was  dann  als  Verlängerung 
[von  AX]  aufzufassen  wäre,  weil  sonst  (gegen 
den  vorhergehenden  Hilfssatz)  zwei  Gerade,  erstens 
AXC  und  zweitens  die  von  vornherein  gegebene 
BXC,    ein    und    denselben    Abschnitt   XC    ge- 

,  ...  ,  °  Fig.  39. 

memsam  hatten. 

Man  ziehe  ebenso  BC.  Dann  entsteht  wiederum  BC  nicht  durch 
Verlängerung  von  BA  bis  zum  Punkte  C,  weil  sonst  zwei  Gerade 
XAC,  ein  Stück  von  BAC,  und  XC,  entgegen  dem  vorausgeschickten 
ersten  Hilfssatze,  einen  Raum  einschlössen.  Daher  wird  BC  entweder 
XJD,  das  heifst  die  angenommene  Gerade  BXC,  in  einem  Punkte  L 
schneiden,  und  dann  schlössen  wieder  zwei  gerade  Linien,  nämlich  LC, 
ein  Stück  von  BC,  und  LXC,  ein  Stück  der  genannten  Geraden  BXC, 
einen  Raum  ein,  oder  einer  der  beiden  Endpunkte,  nämlich  entweder 
A  von  BA  oder  B  von  CXB,  wäre  in  dem  Räume  eingeschlossen, 
der  von  CX,  XB  und,  jenachdem,  von  BFC  oder  BHC  begrenzt  würde. 

In  beiden  Fällen  ergiebt  sich  jedoch  derselbe  Widerspruch,  sei  es, 
dafs  die  Verlängerung  von  BA  über  A  hinaus  BFC  in  einem  Punkte 
F  trifft,  sei  es,  dafs  die  Verlängerung  von  CXB  über  B  hinaus 
BHC  in  einem  Punkte  H  trifft.  Immer  kommt  man  auf  denselben 
Widerspruch,  dafs  zwei  Gerade  einen  Raum  einschlössen,  nämlich  ent-  83 
weder  die  Gerade  BF,  ein  Stück  von  BFC,  mit  der  andern  Geraden 
BAF  oder  die  Gerade  HC,  ein  Stück  von  BHC,  mit  der  Verlange- 
ruug  CXDH  der  angenommenen  Geraden  CXB. 

Überdies  ergiebt  sich  derselbe  oder  ein  noch  gröfserer  Widei*- 
spruch,  wenn  die  Verlängerung  von  BA  über  A  hinaus  entweder  CX 
in  irgend  einem  Punkte,  oder  sich  selbst  in  irgend  einem  Punkte  ihres 
Stückes  XB  treffen  sollte.  Und  dies  gilt  in  älinlicher  Weise,  wenn 
die  Verlängerung  von  CXD  über  D  hinaus  entweder  XB  in  irgend 
einem  Punkte  oder  sich  selbst  in  irgend  einem  Punkte  ihres  Stückes 
CX  treffen  sollte. 


120  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

Folglich  -svercleii  zwei  Gerade  AB  und  CXD,  die  einander  in 
einem  Zwisclienpuukte  X  treffen,  sich  dort  nicht  berühren,  sondern 
einander  schneiden.     AVas  zu  beweisen  war. 

Hilfssatz  IV.  Jeder  Durchmesser  halbiert  seinen  Kreis  und  dessen 
Umfang. 

Beweis.  Es  sei  (man  kelire  zu  Fig.  23  zurück)  MBHNKM  ein 
Kreis,  A  sein  Mittelpunkt,  MN  ein  Durchmesser.  Man  denke  sich 
das  Stück  MNKM  des  Kreises  um  die  festgehal- 
teneu Punkte  M  und  N  so  gedreht,  dafs  es  sich 
schliefslich  dem  übrigen  Stücke  MNHDM  anfügt 
oder  anpasst. 

Dann  bleibt   erstens   der   ganze  Durchmesser 
j,.    23  MAN  mit  allen  seinen  Punkten  sicher  in  derselben 

Lage,    weil    sonst    zwei    gerade   Linien    (gegen    den 
vorhergehenden    ersten   Hilfssatz)    einen  Raum    einschlössen. 

Zweitens  fällt  sicher  kein  Punkt  K  des  Umfanges  NK3I  inner- 
halb oder  aufserhalb  des  Flächenraumes,  der  von  dem  Durchmesser 
MAN  und  von  dem  andern  Teile  des  umfanges,  NHD3I  ein- 
geschlossen'wird ,  weil  sonst  gegen  die  Natur  des  Kreises  ein  Halb- 
messer, zum  Beispiel  AK,  kleiner  oder  gröfser  als  ein  andrer  Halb- 
messer desselben  Kreises  wäre,  zum  Beispiel  als  AH. 

Drittens  kann  jeder  Halbmesser  MA  sicher  nur  durch  einen  ein- 

84  zigen  andern  Halbmesser  AN  geradlinig  verlängert  werden,  weil  sonst 

(gegen  den  vorhergehenden  zweiten  Hilfssatz)  zwei  der  Annahme  nach 

gerade  Linien,    zum    Beispiel  MAN  und   MAH,    ein    und    denselben 

gemeinsamen  Abschnitt  MA  hätten. 

Viertens  schneiden  sich  (nach  dem  unmittelbar  vorhergehenden 
Hilfssatze)  alle  Durchmesser  des  Kreises  augenscheinlich  in  dem  Mittel- 
punkte, und  zwar  halbieren  sie  dort  einander  wegen  der  bekannten 
Eigenschaften  des  Kreises. 

Aus  alle  dem  geht  hervor,  dafs  der  Durchmesser  MAN  seinen 
Kreis  und  dessen  Umfang  ganz  genau  in  zwei  gleiche  Teile  teilt,  und 
man  kann  dasselbe  auch  allgemein  für  jeden  beliebigen  Durchmesser 
desselben  Kreises  behaupten.     Was  zu  beweisen  war. 

Anmerkung.  Bei  Clavius  liest  man,  dafs  Thaies  aus  Milet 
einen  Beweis  für  diese  Wahrheit  gegeben  habe.  Aber  vielleicht  war 
dieser  Beweis  nicht  vollkommen  einwurfsfrei. 

Hilfssatz  V.  Unter  den  geradlinigen  Winkeln  sind  alle  rechten  ganz 
genau  einaiuler  gleich  und  stvar  ohne  irgend  eine,  tvenn  auch  nur  unend- 
lich Meine  Ahtveichimg. 


I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXXI 11,  Uilfssatz  IV,  V. 


121 


Fig.  40 


Beweis.  Euklid  erklärt  einen  geradlinigen  Winkel  dann  für 
einen  rechten ,  ivcnn  er  seinem  Nehemvinhcl  gleich  ist*).  Er  verlangt 
nicht,  dafs  man  ihm  das  Vorhandensein  eines  solchen  Winkels  zu- 
gebe, sondern  er  beweist  es  in  Form  einer  Aufgabe  in  dem  elften 
Satze  des  ersten  Buches.  Dort  lehrt  er  nämlich,  wie  man  in  einem 
beliebig  gegebenen  Punkte  Ä  (Fig.  40)  auf  der  Ge 
raden  BC  die  Senkrechte  ÄD  errichten  kann,  bei  der 
die  Winkel  BAB  und  BAC  einander  gleich  sind, 
Dafs  aber  jene  Winkel  ganz  genau  gleich  sind  ohne 
jede  auch  nur  unendlich  kleine  Abweichung,  das  er- 
giebt  sich  aus  dem  Zusätze  hinter  den  beiden  ersten 
Hilfssätzen,  die  ich  vorausgeschickt  habe,  wenn  nämlich 
AB  und  AC  einander  genau  gleich  gewählt  sind. 

Es   könnte   aber  ein  Bedenken  entstehen,   wenn  man  zwei  andre 
rechte  Winkel   LHF  und  LHM  (Fig.  41)    an    irgend    einer    andern 
Geraden  FM  mit  den   genannten  rechten  Winkeln 
BAB  und  BAC  vergleicht**). 

Es  sei  also  HL  gleich  AB,  und  man  denke 
sich  die  ganze  spätere  Figur  [41]  so  auf  die  frühere 
[40]  gelegt,  dafs  der  Funkt  H  auf  den  Punkt  A 
fällt  und  der  Punkt  L  auf  den  Punkt  B.  Nun  ver- 
fahre ich  so : 

Zunächst  wird  FHM  (nach  einem  früheren  Hilfssatze)  die  Gerade 
BC  in  dem  Punkte  A  nicht  genau  berühren,  also  wird  es  entweder 
genau  mit  BC  zusammenfallen,  oder  es  so  schneiden,  dafs  einer  der 
Endpunkte,  zum  Beispiel  F,  oberhalb  und  der  andre,  31,  unterhalb 
fällt.  Findet  das  Erste  statt,  so  haben  wir  schon  deutlich  die  be- 
hauptete ganz  genaue  Gleichheit  zwischen  allen  geradlinigen  rechten 
Winkeln.  Das  Zweite  kann  aber  gar  nicht  eintreten,  weil  sonst  der 
Winkel  LHF,  das  ist  BAF,  kleiner  Aväre  als  der  Winkel  BAB  und 
als  der  Winkel  BAC,  der  diesem  der  Annahme  nach  durchaus  gleich 
ist,  und  daher  viel  kleiner  als  der  Winkel  BAM  oder  LHM,  was 
gegen  die  Voraussetzung  ist. 

Es  hilft  auch  nichts  anzunehmen,  dafs  der  Winkel  BAF  unendlich 
wenig  von  dem  Winkel  BAB  oder  von  dem  ihm  ganz  genau  gleichen 
Winkel  BAC  abwiche,  der  wiederum  unendlich  wenig  von  dem  Winkel 
BAM  übertroffen  würde.    Denn  immer  wäre,  gegen  die  Voraussetzung, 


F- 


H 

Fig.  41. 


-3/ 


*)  [Euklid,  Elemente,  Buch  1,  Erklärung  10.] 
**)  \Euklid   verlangt   in  der  Forderung  4    des    ersten  Buches    ausdrücklich, 
dafs    alle  rechten  Winkel  einander  gleich  seien.     Vermutlich  hat  er  diese  For- 
derung eingeführt,  weil  er  den  Begriff  der  Bewegung  vermeiden  wollte.] 


122      Sacchcri,  I.  Buch,  I.  Teil.  —  Lehrsatz  XXXIII,  Hilfssatz  V.    Sthlufs. 

der  Winkel  DAF  oder  LHF  nicht  ganz  genau  gleich  dem  Winkel 
BAM  oder  LHM. 

Folglich  müssen  alle  geradlinigen  rechten  Winkel  einander  ganz 
genau  gleich  sein  ohne  irgend  eine,  wenn  auch  nur  unendlich  kleine 
Abweichung.     Was  zu  beweisen  war. 

Zusatz.  Hieraus  folgt,  dafs  die  Gerade,  die  in  einem  gegebenen 
Punkte  einer  beliebigen  geraden  Linie  in  einer  Ebene  senkrecht  zu 
der  Geraden  gezogen  ist,  in  dieser  Ebene  durchaus  einzig  in  ihrer 
Art  ist  und  sich  nicht  in  zwei  spalten  kann. 

86  Naclidem  ich  diese  fünf  Hilfssätze  und  ihre  Zusätze  vorausgeschicid 

habe,  darf  ich  nunmehr  zum  Beweise  des  Haupteinivandes  gegen  die  Hypo- 
these des  spitzen  Winlcels  übergehen. 

Es  ist,  wie  ich  hier  als  an  sich  einleuchtend  hinstellen  darf,  kein 
geringerer  Widerspruch,  dafs  zwei  gerade  Linien  (sei  es  bei  endlicher, 
sei  es  bei  unendlicher  Verlängerung)  schliefslich  in  ein  und  dieselbe 
gerade  Linie  zusammenlaufen,  als  dafs  ein  und  dieselbe  gerade  Linie 
(sei  es  bei  endlicher,  sei  es  bei  unendlicher  Verlängerung)  sich  in 
zwei  gerade  Linien  spaltet,  entgegen  dem  vorhergehenden  Hilfssatze  II 
und  dem  zugehörigen  Zusätze.  Da  es  also  der  Natur  der  geraden 
Linie  (nach  dem  Zusätze  zum  letzten  Hilfssatze)  ebenso  widerspricht, 
dafs  zwei  Gerade  in  ein  und  demselben  Punkte  auf  einer  dritten 
Geraden  in  derselben  gemeinsamen  Ebene  senkrecht  stehen,  so  mufs 
die  Hypothese  des  spitzen  Winkels,  da  sie  der  angegebenen  Be- 
schaffenheit [der  geraden  Linie]  widerspricht,  als  durchaus  falsch 
angesehen  werden,  weil  nämlich  bei  ihr  jene  beiden  Geraden  AX  und 
BX  (Fig.  33)  in  ein  und  demselben  gemeinsamen  Punkte  X  senkrecht 
auf  einer  dritten  Geraden  stehen  mttfsten,  die  mit  ihnen  in  der- 
selben Ebene  liegt*).  Das  ist  aber  grade  der  Punkt,  auf  dessen 
Beweis  es  mir  hauptsächlich  ankam. 

Anmerkung.  Hierbei  könnte  ich  mich  gut  und  gern  beruhigen. 
Aber  ich  will  nichts  unversucht  lassen,  um  die  widerspenstige  Hypo- 
these des  spitzen  Winkels,  die  ich  schon  mit  der  Wurzel  ausgerissen 
habe,  als  sich  selbst  widersprechend  nachzuweisen.  Das  wird  nun  der 
einzige  Zweck  der  folgenden  Theoreme  dieses  Buches  sein. 


*)  [Vergl.  Lehrsatz  XXXIII,  S.  109  und  die  Anmerkung  S.  98.] 


Des  ersten  Buclies  zweiter  Teil,  s? 

wo  das  Euklidische  Axiom  abermals  durch  Widerlegung  der 
Hypothese  des  spitzen  Winkels  bewiesen  wird. 


Lehrsatz  XXXIV,  in  dem  eine  gewisse  Kurve  untersucht  wird,  die 
aus  der  Hypothese  des  spitzen  Whikels  cntsprimjt. 

Die  Gerade  CD  verbinde  zwei  gleiche  Gerade  AC  und  BD,  die 
auf  irgend  einer  Geraden  AB  senkrecht  stehen.  Man  halbiere  AB 
und  CD  in  M  und  H  (Fig.  42)  und  ziehe  die  Verbindungsgerade 
3III,  die  (nach  Lehrsatz  II)  auf  beiden  senk- 
recht steht.  Bei  der  gegenwärtigen  Hypo- 
these werden  ferner  an  der  Verbindungslinie 
CD  spitze  Winkel  vorausgesetzt.  Deshalb 
ist  in  dem  Viereck  AM  HC  (nach  Zusatz  I 
hinter  Lehrsatz  III)  MH  kleiner  als  AC. 

Wenn  man  jetzt  auf  der  Verlängerung 
von  MH  das  Stück  MK  gleich  A  C  annimmt, 
so  sollen  die  Punkte  C,  K  und  D  der  hier 
untersuchten  Kurve  angehören. 

Weiter  sind  die  Winkel  an  der  Verbindungslinie  CK  (nach  Lehr- 
satz VII)  ebenfalls  spitz,  also  ist  die  Gerade  LX,  die  AM  und  CK 
halbiert  und  deshalb  (nach  Lehrsatz  II)  unter  rechten  Winkeln  trifft, 
(nach  Zusatz  I  hinter  Lehrsatz  III)  ebenfalls  kleiner  als  AC  Wenn 
man  daher  LF  in  der  Verlängerung  von  LX  gleich  AC  oder  3IK 
annimmt,  so  soll  auch  der  Punkt  F  der  Kurve  angehören.  Zieht  man 
ferner  CF  und  FK,  so  findet  man  in  ähnlicher  Weise  zwei  andre 
Punkte,  die  auch  der  Kurve  augehören  sollen.  Und  so  immer  fort. 
Es  gilt  aber  die  Vorschrift,  nach  der  man  Punkte  zwischen  C  und  K 
findet,  in  derselben  Weise  auch,  wenn  man  Punkte  zwischen  K  und  D 
finden  will. 

Die  Kurve  CKD,  die  aus  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels 
entspringt,    ist    nämlich    die    Verbindungslinie    der    Endpunkte    aller 


124 


Saccheri,  p]uclicles  ab  omni  naevo  vindicatus. 


gleichen  Senkrechten,  die  auf  derselben  Grundlinie  nach  derselben 
Seite  eri-ichtet  sind,  und  die  man  gewöhnlich  Ordinaten  nennt ■^■). 
Sie  ist,  füge  ich  hinzu,  eine  Linie,  die  wegen  der  Hypothese  des  spitzen 
Winkels,  aus  der  sie  entspringt,  der  gegenüberliegenden  Grundlinie  AB 
stets  ihre  hohle  Seite  zukehrt. 

Grade  das  wollte  ich  an  dieser  Stelle  darlegen  und  beweisen. 


Lehrsatz  XXXV.  Zieht  man  in  irgend  einem  Punlde  L  der  Grund- 
linie AB  die  Ordinate  LF  der  Kurve  CKD,  so  hehaupte  ich,  dafs  die 
Gerade  NFX,  die  auf  LF  senkrecht  steht,  beiderseits  ganz  auf  der  ge- 
icöTbten  Seite  der  Kurve  liegt  und  daher  Tangente  dieser  Kurve  ist. 

Beweis.  Es  liege,  wenn  das  überhaupt  möglich  ist,  ein  Punkt  X 
(Fig.  43)  von  NFX  in  der  Höhlung  dieser  Kurve.    Man  fälle  von  dem 

Punkte  X  auf  die  Grundlinie  AB  das  Lot  XP, 
das  über  X  hinaus  verlängert  die  Kurve  in 
einem  gewissen  Punkte  B  treffe.  Dann 
schliefse  ich  so: 

In  dem  Viereck  LFXP  wird  der  Win- 
kel bei  dem  Punkte  X  weder  ein  rechter 
noch  ein  stumpfer  sein,  sonst  würde  näm- 
lich (nach  Lehrsatz  V  und  VI)  die  gegen- 
wärtige Hypothese  des  spitzen  Winkels  hin- 
fällig. Infolgedessen  ist  der  genannte  Winkel  spitz.  Deshalb  wird 
(nach  Zusatz  I  hinter  Lehrsatz  III)  PX  und  daher  um  so  mehr  PR 
gröfser  sein  als  LF.  Das  widerspricht  aber  (nach  dem  Vorhergehenden) 
der  Natur  unsrer  Kurve.  Folglich  mufs  die  Verlängerung  der  Ge- 
raden NF  ganz  auf  die  gewölbte  Seite  fallen,  und  diese  Gerade  wird 
daher  Tangente  der  Kurve  sein.     Was  zu  beweisen  war. 


Fig.  43. 


B 


89  .  Lehrsatz  XXXVI.  We^m  irgend  eine  Gerade  XF  (Fig.  44)  mit 
irgend  einer  Ordinate  LF  einen  spitzen  Winkel  bildet,  so  liegt  der  Punkt 
X  nicJit  aufserhalh  der  Höhlung  der  Kurve,  wenn  nicht  XF  vorher  die 
Kurve  in  einem  Punkte  0  geschnitten  hat. 

Beweis.  Man  kann  jedenfalls  auf  XF  den  Punkt  X  so  nahe  an 
dem  Punkte  F  annehmen,  dafs  die  Verbindungslinie  LX  die  Kurve 
vorher  in  einem  [von  F  verschiedenen]  Punkte  S  schneidet,  denn 
sonst  läge  XF  entweder  nicht  ganz  aufserhalh  der  Höhlung  der 
Kurve,   und  dann  hätten  wir  schon  die  Behauptung,    oder    es  bildete 


*)  [Im  Original:  rectae  ordinatim  applicatae.] 


I.  Buch,  II.  Teil.  —  Lehrsatz  XXXIV— XXXVII. 


125 


Fig.  44. 


sogar  mit  FL  keinen  spitzen  Winkel,  man  müfste  vielmehr  scliliefsen, 
dafs  X.F  mit  LF  in  eine  Gerade  zusammenfällt. 

Man  fälle  demnach  von  dem  Punkte  S 
auf  die  Grundlinie  AB  das  Lot  SP,  das 
(nach  Lehrsatz  XXXIV)  gleich  LF  ist.  Es 
ist  aber  SP  (nach  I.  19)  kleiner  als  LS. 
Also  ist  auch  LF  kleiner  als  LS  und  daher 
viel  kleiner  als  LX.  Mithin  ist  in  dem  Dreieck 
LXF  der  Winkel  bei  dem  Punkte  X  spitz, 
weil  er  (nach  I.  1 8)  kleiner  ist  als  der  Winkel 
LFX,  der  als  spitz  vorausgesetzt  wurde. 

Nunmehr  fälle  man  auf  i^X  das  Lot  LT.  Dieses  fällt  (nach  I.  17) 
auf  die  Seite  der  beiden  spitzen  Winkel.  Deshalb  liegt  der  Punkt  T 
zwischen  den  Punkten  X  und  F.  Darauf  fälle  man  von  dem  Punkte  T 
auf  die  Grundlinie  AB  das  Lot  TQ.  Dann  wird  LF  (wegen  des  rechten 
Winkels  in  T)  gröfser  als  LT  und  dieses  (wegen  des  rechten  Winkels 
in  Q)  gröfser  als  QT.  Also  ist  ü^  viel  gröfser  als  QT.  Nimmt  man 
daher  in  der  Verlängerung  von  QT  das  Stück  QK  gleich  LF  an,  so 
gehört  der  Punkt  K  (nach  Lehrsatz  XXXIV)  der  betrachteten  Kurve 
an,  und  es  fällt  daher  der  Punkt  T  in  die  Höhlung  dieser  Kurve. 

Folglich  kann  die  Gerade  FT,  welche  die  beiden  Geraden  QK 
und  LT  in  T  schneidet,  mit  der  Verlängerung  von  LS  nicht  in  einem 
Punkte  X  zum  Schnitte  kommen,  der  aufserhalb  der  Höhlung  der 
betrachteten  Kurve  liegt,  wenn  nicht  vorher  die  Verlängerung  von  FT 
das  Stück  dieser  Kurve,  das  zwischen  den  Punkten  S  und  K  liegt, 
in  einem  Punkte  0  schneidet.     Das  aber  war  zu  beweisen.  90 

Zusatz.  Hieraus  geht  deutlich  hervor,  dafs  zwischen  die  Tangente 
dieser  Kurve  und  die  Kurve  selbst  keine  Gerade  [Halbstrahl]  gelegt 
werden  kann,  die  auf  der  einen  oder  auf  der  andern  Seite  der  Tangente 
ganz  aufserhalb  der  Höhlung  der  Kurve  liegt,  da  ja  eine  so  gelegte 
Gerade  (nach  dem  vorhergehenden  Lehrsatze)  einen  spitzen  Winkel 
mit  dem  Lote  bilden  mufs,  das  von  dem  Berührungspunkte  auf  die 
gegenüberliegende  Grundlinie  gefällt  ist. 


Lehrsatz  XXXVH.  Die  Kurve  CKD,  'die  aus  der  Hypothese  des 
spitzen  Winkels  entspringt,  müfste  der  gegenüberliegenden  Grundlinie 
gleich  sein. 

Dem  Beweise  schicke  ich  folgendes  Axiom  voraus:  Werden  zwei 
Linien  halbiert,  dann  ihre  Hälften  und  wiederum  ihre  Viertel  halbiert, 
und  verfährt  man  in  derselben  Weise  beliebig  oft  bis  ins  Unendliche, 
so  sind  die  beiden  Linien  sicher  einander  gleich,   so   oft  es   sich  bei 


126 


Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 


^    XQL 


Fig.  45. 


B 


dieser  bis  ins  üuendliche  gleiclimäfsig  fortgesetzten  Teilung  heraus- 
stellt oder  beweisen  läfst,  daXs  man  scliliefslich  zu  zwei  einander  ent- 
sprechenden Teilen  kommen  mufs,  von  denen  feststeht,  dafs  sie  einander 
gleich  sind. 

Nunmehr  folgt  der  Beweis  der  Behauptung. 

Man  denke  sich  auf  der  Grundlinie  AB  nach  der  Kurve  OKI) 
hin  (Fig.  45)   beliebig  viele   Senkrechte   l^F,    LF,    FF,    3IK,    TF, 

VF,  IF  errichtet,  und  es  seien  die 
Stücke  der  Grundlinie  AN,  NL,  LP, 
P3I,  MT,  TV,  VI,  IB  einander  gleich. 
Dann  ist  erstens  der  Winkel 
zwischen  AC  und  der  Kurve  sicher 
gleich  den  einzelneu  Winkeln,  welche 
die  genannten  Lote  mit  der  Kurve  zu 
beiden  Seiten  der  Punkte  F  oder  des 
Punktes  K  oder  beim  Punkte  D  bilden. 
Denkt  man  sich  nämlich  das  gemischte 
<ti  Viereck  ANFC  auf  das  gemischte  Viereck  NLFF  gelegt,  sodafs  die 
Grundlinie  AN  auf  die  gleiche  Gruudlinie  NL  zu  liegen  kommt,  so 
fallt  AC  auf  NF  und  NF  auf  LF,  weil  jeder  der  Winkel  bei  den 
Punkten  A,  N  und  L  gleich  einem  Rechten  ist.  Femer  fällt  (nach 
Lehrsatz  XXXIV)  wegen  der  Gleichheit  der  Geraden  AC,  NF  und 
LF  der  Punkt  C  auf  den  Punkt  F  von  NF  und  dieser  auf  den  andern 
Punkt  F  von  LF.  Aufserdem  deckt  sich  die  Kurve  CF  ganz  genau 
mit  der  Kurve  FF.  Käme  nämlich  eine  von  beiden,  zum  Beispiel  CF, 
innerhalb  oder  aufserhalb  zu  liegen,  so  könnte  man  irgend  einen 
Punkt  Q  zwischen  den  Punkten  N  und  L  annehmen  und  iu  ihm  die 
Senkrechte  errichten,  welche  die  eine  Kurve  in  X,  die  andre  in  S 
schnitte,  und  dann  wären  (nach  der  bekannten  Beschaffenheit  der  Kurve) 
QX  und  QS  gleich,  was  widersinnig  ist.  Dasselbe  gilt,  wenn  bei  dem 
erwähnten  Aufeinanderlegen  die  Gerade  NF  in  ihrer  Lage  bleibt, 
und  AC  auf  ii^  fällt.  Dasselbe  gilt  ferner,  wenn  mau  sich  das  näm- 
liche gemischte  Viereck  ANFC  in  einer  der  beiden  Weisen  auf  irgend 
eins  der  übrigen  Vierecke  gelegt  denkt,  bis  zum  letzten  Viereck  BDFI 
einschliefslich.  Folglich  ist  der  Winkel  zwischen  AC  und  der  Kurve 
gleich  den  einzelnen  Winkeln  zwischen  den  genannten  Senkrechten 
und  derselben  Kurve  zu  beiden  Seiten  der  Punkte  F  oder  des  Punktes 
K  oder  beim  Punkte  D. 

Zweitens  geht  hieraus  hervor,  dafs  die  einzelnen  Stücke  der 
Kurve,  die  von  je  zwei  benachbarten  Senkrechten  abgeschnitten  werden, 
einander  vollständis:  gleich  sind. 


I.  Buch,  II.  Teil.  —  Lehrsatz  XXXVII,  Amnerkung  I.  127 

Wenn  also  die  Grundlinie  AB  in  M  halbiert  und  die  Hälfte  AM 
in  L  halbiert  wird,  dann  das  Viertel  LM  in  P  halbiert  wird  und  so 
fort  bis  ins  Unendliche,  wobei  man  immer  nach  der  Seite  des  Punktes 
M  fortgeht,  so  wird  drittens  ofteubar  auch  die  Kurve  CKD  in  K 
von  der  Senkrechten  MK  halbiert,  ebenso  die  Hälfte  CK  wieder  in  F 
von  der  Senkrechten  LF  halbiert,  das  Viertel  FK  in  F  von  der  Senk- 
rechten PF  halbiert,  und  so  weiter  bis  ins  Unendliche,  wenn  man  in 
derselben  Weise  nach  der  Seite  des  Punktes  K  fortgeht. 

Nun  können  wir  annehmen,  dafs  man  bei  dieser  ins  Unendliche 
fortgesetzten  Teilung  der  Grundlinie  AB  schliefslich  zu  einem  unend-  92 
lieh  kleinen  Stück  von  AB  gelangt,  das  durch  die  unendlich  kleine 
Breite  der  Senkrechten  MK  dargestellt  wird,  und  dann  ergiebt  sich 
viertens  (aus  dem  voran  geschickten  Axiome)  die  behauptete  Gleich- 
heit der  ganzen  Grundlinie  AB  mit  der  ganzen  Kurve  CKD,  wenn 
ich  nur  zeigen  kann,  dafs  das  unendlich  kleine  Stück,  das  die  Senk- 
rechte MK  von  der  Grundlinie  AB  abschneidet,  genau  gleich  ist  dem 
unendlich  kleinen  Stück,  das  dieselbe  Senkrechte  von  der  Kurve  CKD 
abschneidet.     Und  dieses  letztere  beweise  ich  so : 

Wenn  die  Gerade  BK  auf  KM  senkrecht  steht,  so  berührt  sie 
(nach  Lehrsatz  XXXV)  die  Kurve  in  K,  und  zwar  berührt  sie  diese 
in  K  so,  dafs  (nach  dem  Zusätze  hinter  Lehrsatz  XXXVI)  zwischen 
die  Tangente  und  die  Kurve  auf  keiner  von  beiden  Seiten  eine  Gerade 
[Halbstrahl]  gelegt  werden  kann,  welche  die  Kurve  nicht  schneidet. 
Mithin  ist  das  zur  Kurve  gehörige,  unendlich  kleine  Stück  K  genau 
ebenso  grofs,  wie  das  zur  Tangente  gehörige,  unendlich  kleine  Stück  K. 
Nun  ist  aber  das  zur  Tangente  gehörige,  unendlich  kleine  Stück  K  weder 
gröfser  noch  kleiner  als  das  unendlich  kleine,  zur  Grundlinie  AB  gehörige 
Stück  Jf,  vielmehr  ihm  vollständig  gleich,  weil  man  sich  nämlich  die 
Gerade  MK  dadurch  beschrieben  denken  kann,  dafs  eben  dieser  Punkt 
M  in  beständig  gleichmäfsiger  Bewegung  bis  zu  der  Höhe  von  K 
hinaufrückt. 

Deshalb  müfste  (nach  dem  vorausgeschickten  Axiome)  die  Kurve 
CKD,  die  aus  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  entspringt,  der 
gegenüberliegenden  Grundlinie  AB  gleich  sein.    Was  zu  beweisen  war. 

Anmerkung  L  Aber  vielleicht  wird  manchem  die  eben  behauptete 
genaue  Gleichheit  zwischen  jenen  unendlich  kleinen  Stücken  M  und  K 
zu  wenig  einleuchtend  erscheinen*).  Um  daher  dieses  Bedenken  zu 
beseitigen,  verfahre  ich  wiederum  so  : 

*)  [Saccheri  scheint  also  selbst  gefühlt  zu  haben,  dafs  der  eben  geführte 
Beweis  ungenügend  ist.] 


128 


Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 


Auf  irgend  einer  Geraden  AB  mögen  in  derselben  Ebene  zwei 
gleicbe  Geraden  ÄC  und  BD  (Fig.  48)  senkrecht  stehen.  Man  denke 
sich  in  derselben  Ebene  einen  Kreis  BLDH  mit  dem  Durchmesser 
93  BD,  dessen  halber  Umfang  BLD  der  genannten  Geraden  AB  gleich 
ist.  Nunmehr  stelle  man  sich  vor,  dieser  Kreis  rolle  in  seiner  Ebene 
derart  über  die  Gerade  AB  hin,  dafs  er  in  stetiger  und  gleichmäfsiger 
Bewegung  mit  den  Punkten  seines  halben  Umfanges  die  genannte 
Gerade   BA   durchraisst   oder   beschreibt,    bis   nämlich    der    zu   jenem 

halben  Umfange  gehörige  Punkt  D 
mit  dem  Punkte  A  zusammenfällt, 
wobei  dann  der  Punkt  B,  der  andre 
Endpunkt  desselben  halben  Um- 
fanges, mit  dem  Punkte  C  zu- 
sammenfällt. 

Nunmehr  möge  auf  dem  halben 
Umfange  BLD  irgend  ein  Punkt 
L  gewählt  werden,  dem  bei  der  Beschreibung  der  geraden  Linie 
BA  der  Punkt  M  entspricht.  In  M  errichte  man  in  derselben 
Ebene  die  Senkrechte  MK  gleich  BD.  Dann  behaupte  ich,  dafs  dem 
Punkte  K  grade  der  Endpunkt  H  des  durch  L  gehenden  Durch- 
messers entspricht. 

Es  berührt  nämlich  hier  die  Gerade  AB  den  genannten  Kreis  in 
dem  Punkte  M  oder  L,  infolgedessen  geht  die  Gerade  MK,  die  auf 
AB  senkrecht  steht  (nach  III.  19*),  was  von  dem  strittigen  Axiome 
durchaus  unabhängig  ist),  durch  den  Mittelpunkt  desselben  Kreises. 
Sobald  daher  der  Punkt  L  bei  einem  solchen  Rollen  des  Kreises 
BLDH  mit  dem  Punkte  M  auf  AB  zusammenfällt,  wird  auch  der 
Endpunkt  H  des  durch  den  genannten  Punkt  L  gehenden  Durch- 
messers auf  den  Punkt  K  von  3IK  fallen. 

Weiter  gilt  dasselbe  sicher  in  entsprechender  Weise  von  den 
übrigen  Punkten  des  halben  Umfanges  BLD  und  den  gegenüber- 
liegenden Endpunkten  der  zugehörigen  Durchmesser,  die  auf  dem 
andern  halben  Umfange  BHD  liegen.  Daher  ist  die  Linie,  die  auf 
diese  Weise  von  den  Punkten  des  halben  Umfanges  BHD  nach  und 
nach  beschrieben  wird,  die  schon  mitersuchte  Linie  DKC,  die  in 
allen  ihren  Punkten  von  der  Geraden  BA  denselben  Abstand  hat,  und 
die  infolgedessen  (bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels)  auf  der 
Seite  von  AB  immer  hohl  ist. 


*)  [Wenn  eine  Gerade  einen  Kreis  berührt,  und  man  vom  Berührungspunkte 
aus  senkrecht  zu  der  berührenden  Geraden  eine  gerade  Linie  zieht,  so  liegt  auf 
dieser  der  Mittelpunkt  des  Kreises.] 


I.  Buch,  II.  Teil.  -Anmerkung  I,  II  zu  Lehrsatz  XXXVII.  Lehrsatz XXXVIIl.  129 

Hieraus  aber  folgt,  dafs  die  Punkte  M  auf  BÄ  und  K  auf  DKC 
als  genau  gleich  anzusehen  sind,  weil  sie  nämlich  den  beiden  End-  94 
punkten  L  und  H  des  zu  ihnen  gehörigen  Durchmessers  des  Kreises 
BLDH  durchaus  gleich  sind.  Da  nun  dasselbe  von  allen  Punkten 
der  Geraden  BÄ  gilt,  die  bei  dem  Rollen  beschrieben  wird,  wenn  man 
sie  mit  den  andern,  ihnen  ebenso  gegenüberliegenden  Punkten  jener 
angenommenen  Kurve  DKC  vergleicht,  so  folgt  offenbar,  dafs  eben 
diese  Kurve,  die  aus  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  entspringt, 
der  gegenüberliegenden  Grundlinie  AB  gleich  zu  erachten  ist.  Aber 
grade  das  hatte  ich  durch  diese  neue  Methode  wiederum  zu  beweisen 
unternommen  *). 

Anmerkung  II.  Weil  man  sich  aber  die  Gerade  BÄ  bei  jener 
immer  gleichmäfsigen  und  stetigen  Bewegung  nach  und  nach  von  den 
Punkten  des  halben  Umfanges  BLI)  beschrieben  denkt,  und  weil  in 
entsprechender  Weise  die  Linie  DKC  von  den  zugehörigen  gegen- 
überliegenden Punkten  des  andern  halben  Umfanges  BHD  beschrieben 
wird,  so  erkennt  man  leicht,  dafs  die  Gerade  BÄ  durch  jene  immer 
gleichmäfsige  und  stetige  Bewegung  von  einem  einzigen  Punkte  B 
beschrieben  wird,  den  mau  sich  mit  jenem  halben  Umfange  (gewisser- 
mafsen  abgewickelt)  immer  auf  BÄ  hinlaufend  denken  mufs,  während 
inzwischen  in  genau  derselben  Zeit  durch  dieselbe  immer  gleichmäfsige 
und  stetige  Bewegung  jene  andre  Kurve  DKC  von  einem  einzigen 
Punkte  D  beschrieben  wird,  nämlich  von  dem  andern  Endpunkte  des 
zu  B  gehörigen  Durchmessers,  den  man  sich  seinerseits  (gewisser- 
mafsen  abgewickelt)  mit  seinem  andern  halben  Umfange  BHD  immer 
auf  der  genannten  Kurve  DKC  hinlaufend  denken  mufs.  Dann  aber 
erkennt  man  leichter  die  behauptete  Gleichheit  zwischen  DKC  und 
der  gegenüberliegenden  Geraden  BÄ,  weil  beide  in  gleicher  Zeit  und 
durch  die  gleiche  Bewegung  von  zwei  einander  ganz  genau  gleichen 
Punkten  oder  besser  unendlich  kleinen  Stücken  beschrieben  werden**). 
Übrigens  hat  die  ganz  genaue  Gleichheit  der  genannten  Punkte  offen- 
bar auf  die  neue  Betrachtung  gar  keinen  Einflufs. 

Lehrsatz  XXX VHL     Die  Hypothese   des  spitzen  Winkels   ist  ganz  95 
und  gair  falsch,  weil  sie  sich  seihst  zerstört. 


*)  [Dieser  Beweis    leidet   an   genau  denselben   Gebrechen    wie    der  vorher- 
gehende.] 

**)  [Auch  diese  Betrachtungen  sind  nicht  besser  als  die  vorhergehenden. 
Der  Kreis  BHDL  rollt  zwar  auf  der  Geraden  AB  und  wickelt  sich  auf  ihr  ab, 
aber  er  rollt  nicht  zu  gleicher  Zeit  auf  der  Kurve  DKC  und  wickelt  sich  infolge- 
dessen auch  nicht  auf  dieser  ab.] 

Stäckel  II.  Engel,  Parallelentheorie.  9 


loO 


Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 


Beweis.  Vorhin  haben  wir  nämlich  aus  der  Hypothese  des  spitzen 
Winkels  deutlich  erschlossen,  dafs  die  aus  ihr  abgeleitete  Kurve  CKD 

(Fig.  46)  der  gegenüberliegenden  Grundlinie 
AB  gleich  sein  mufs.  Jetzt  aber  erschliefsen 
wir  aus  derselben  Hypothese  das  Gegenteil, 
dafs  nämlich  die  Kurve  CKD  jener  Grundlinie 
nicht  gleich  sein  kann ,  weil  sie  uubedingt 
gröfser  ist  als  diese. 

Dafs  nämlich  die  Kurve  CKD  gröfser  ist 
als  die  Gerade  CD,  die  ihre  Endpunkte  ver- 
bindet, das  zeigt  die  unmittelbare  Anschauung. 
Man  kann  es  allerdings  auch  mit  Hilfe  von 
I.  20  beweisen,  wonach  zwei  Seiten  eines  Dreiecks  zusammen  immer 
gröfser  sind  als  die  dritte,  indem  man  nämlich  CK  und  KD  zieht, 
und  wiederum  in  ähnlicher  Weise  zunächst  die  S^iitzen  von  zwei  Ab- 
schnitten verbindet,  dann  von  vier  und  so  weiter  ins  Unendliche,  wobei 
die  Anzahl  der  so  entstehenden  Abschnitte  sich  immer  verdoppelt,  bis 
die  ganze  Kurve  CKD  auf  diese  Weise  schliefslich  iu  die  unendlich 
kleinen  Sehnen  oder  Tangeuten  zerlegt  ist.  Indes  brauchen  wir  uns 
hier  blofs  auf  die  unmittelbare  Anschauung  zu  berufen. 

Dafs  jedoch  andrerseits  die  Verbindungslinie  CD  gröfser  ist  als 
die  Grundlinie  AD,  das  haben  wir  im  dritten  Lehrsatze  aus  der 
innersten  Natur  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  bewiesen.  Daher 
ist  die  Kurve  CKD,  die  aus  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  ent- 
springt, gewifs  gröfser  als  die  Grundlinie  AB,  denn  nach  der  un- 
mittelbaren Anschauimg  ist  sie  gröfser  als  die  Gerade  CD,  und  diese 
ist,  wie  bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  bewiesen  werden  kann, 
gröfser  als  die  Grundlinie  AB.  Damit  ist  aber  nicht  vereinbar,  dafs  die 
Kurve   CKD  der  Grundlinie  AB  gleich  ist. 

Mithin  steht  fest,  dafs  die  Hypothese  des  spitzen  Winkels  ganz 
und  gar  falsch  ist,  weil  sie  sich  selbst  zerstört. 


96 


Anmerkung. 


IT 


M 

Fig.  47. 


D 


Ich  mufs  noch  bemerken,  dafs  auch  aus  der  Hypo- 
these des  stumpfen  Wiakels  eine  gewisse 
Kurve  CKD  entspringt,  die  jedoch  auf  der 
Seite  der  Grundlinie  AB  gewölbt  ist.  Denn 
die  Halbierungslinie  MH  (Fig.  47)  von  AB 
und  CD  steht  (nach  Lehrsatz  II)  auf  beiden 
senkrecht  und  ist  bei  der  Hypothese  des 
stumpfen  Winkels  (nach  Zusatz  I  hinter  Lehr- 
satz ITI)   gröfser  als  AC  und  BD.     Deshalb 


B 


I.  Buch,  II.  Teil.  -  Lehrsatz  XXXVIfl.    Anmerkung.    Lehrsatz  XXXIX.       1,'U 

ist  ein  gewisses  Stück  MK  von  MH  gleich  AC  oder  BD.  Zieht 
man  jetzt  CK  und  KD  und  halbiert  die  Geraden  CK,  AM,  MB, 
KD  in  den  Punkten  X.,  P,  Q,  N,  so  stehen  (wieder  nach  Lehr- 
satz II)  die  Verbindungslinien  PX  und  QN  sicher  auf  den  durch  sie 
geteilten  Geraden  senkrecht.  Sie  sind  aber  wiederum  (ebenfalls  nach 
Zusatz  I  hinter  Lehrsatz  IIT)  gröfser  als  AC,  MK  und  BD.  Nimmt 
man  daher  auf  ihnen  Stücke  PL  und  QS  an,  die  den  genannten 
Geraden  gleich  sind,  so  hat  man  eine  aus  der  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels  entspringende  Kurve,  die  durch  die  Punkte  C,  L,  K,  S,  D 
hindurchgeht.  Und  so  immer  weiter,  wenn  man  die  übrigen  Punkte 
derselben  Kurve  angeben  will.  Hieraus  aber  geht  hervor,  dafs  die 
Kurve  auf  der  Seite  der  Grundlinie  AB  gewölbt  ist. 

Nun  gebe  ich  zu,  dafs  man  genau  auf  dieselbe  Weise  die  Gleich- 
heit dieser  Kurve  mit  der  Grundlinie  AB  hätte  beweisen  können. 
Aber  was  wäre  der  Erfolg?  Sicherlich  gar  keiner!  Denn,  wenn  einer- 
seits  jene  Kurve  CKD,  nach  der  unmittelbaren  Anschauung,  für  gröfser 
gelten  mufs  als  die  Gerade  CD,  so  wird  andrerseits  (in  Lehrsatz  HI) 
bewiesen,  dafs  die  Grundlinie  AB  gröfser  ist  als  CD,  sobald  die 
Hypothese  des  stumpfen  Winkels  gilt.  Es  ist  also  hier  kein  Wider- 
sinn, wenn  die  Grundlinie  AB  der  genamiten  Kurve  gleich  ist.  Dafs 
es  sich  aber  bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  ganz  anders  ver- 
hält, das  geht  aus  dem  vorhin  Gesagten  hervor. 

Aus  dieser  Anmerkung  nun  und  aus  einer  andern  hinter  Lehr- 
satz Xni  ist  zu  ersehen,  dafs  wir  zur  Widerlegung  der  beiden  fal- 
schen Hypothesen,  der  des  stumpfen  Winkels  und  der  des  spitzen 
Winkels,  zwei  ganz  verschiedene  Wege  einschlagen  mufsten. 

Übrigens  erkennt  man  aus  dem  Vorhergehenden  ohne  Mühe,  dafs 
nur  die  gerade  Linie  CD  in  allen  ihren  Punkten  gleichen  Abstand 
von  der  Grundlinie  AB  haben  kann. 

Lehrsatz  XXXIX.     Werden   zwei  gerade  Linien   von   einer  andern  {-i 
yescl mitten,  und  sind  die  innern  Winl;el,  die  diese  auf  derselben  Seite 
bildet,   zusammen  Meiner  als  ztvei  Beeide,   so  treffen  die  beiden  Linien, 
ins  Unendliehe  verlängert,  einander  auf  der  Seite,  tco  die  Whikel  zusammen 
Meiner  sind  als  zwei  Beeilte. 

Das  ist  eben  das  berühmte  Euklidische  Axiom,  das  ich  endlich 
vollständig  zu  beweisen  unternehme. 

Zu  diesem  Endzwecke  aber  genügt  es,  au  einige  der  vorher- 
gehenden Beweise  zu  erinnern.  Ich  habe  in  meinen  Lehrsätzen  bis 
zum  siebenten  einschliefslich  in  Bezug  auf  die  Verbindungsgerade 
der    Endpunkte    von    zwei    gleich    langen    Geraden,    die    in    derselben 

9* 


132  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

Ebene  auf  einer  von  mir  Grundlinie  genannten  Geraden  senkrecht 
stellen,  drei  Hypothesen  unterschieden.  Von  diesen  Hypothesen  (deren 
Kennzeichen  bei  mir  die  Beschaffenheit  der  ^^'inkel  ist,  die  an  der  Ver- 
bindungslinie auftreten  sollen)  beweise  ich  ferner,  dafs,  wenn  eine  von 
ihnen,  nämlich  entweder  die  des  rechten  Winkels  oder  die  des  stumpfen 
Winkels  oder  die  des  spitzen  Winkels,  auch  uur  in  einem  Falle  richtig 
ist,  dafs  sie  dann  in  jedem  Falle  immer  allein  die  richtige  ist. 
Darauf  zeige  ich  in  Lehrsatz  XUI  die  allgemeine  Giltigkeit  des 
strittigen  Axioms,  sobald  eine  von  den  beiden  Hypothesen  des  rechten 
oder  des  stumpfen  Winkels  besteht.  Hieraus  leite  ich  im  Lehr- 
satze XIV  ab,  dafs  die  Hypothese  des  stumpfen  Winkels  ganz  und 
gar  falsch  ist,  weil  sie  sich  selbst  zerstört,  weil  sie  nämlich  die  Wahr- 
heit des  genannten  Axioms  nach  sich  zieht,  das,  in  Widerspruch  mit 
den  beiden  übrigen  Hypothesen,  nur  für  die  Hypothese  des  rechten 
Winkels  Raum  übrig  läfst.  Daher  bleibt  blofs  die  Hypothese  des 
spitzen  Winkels  übrig,  gegen  die  längere  Zeit  gekämpft  werden  mufste. 
Aber  auch  von  dieser  zeige  ich  (nachdem  ich  bei  geeigneter 
Gelegenheit  Vieles,  um  nicht  zu  sagen  Alles,  geprüft  habe)  endlich 
in  Lehrsatz  XXXHI,  dafs  sie  ganz  und  gar  falsch  ist,  weil  sie  der 
Natur  der  geraden  Linie  widerspricht,  über  die  ich  dort  viele,  jedoch  un- 
entbehrliche Hilfssätze  einfüge.  Endlich  aber  beweise  ich  in  dem  vor- 
hergehenden Lehrsatze  in  aller  Vollständigkeit,  dais  die  Hypothese 
98  des  spitzen  Winkels  sich  selbst  widerspricht.  Da  somit  einzig  und 
allein  die  Hypothese  des  rechten  Winkels  übrig  bleibt,  so  folgt  hieraus 
offenbar,  dafs  durch  den  erwähnten  Lehrsatz  XHI  das  vorhin  aus- 
gesprochene Euklidische  Axiom  vollständig  begründet  wird.  Und  das 
war  die  Behauptung. 

Anmerkung.  An  dieser  Stelle  möchte  ich  einen  bemerkenswerten 
Unterschied  zwischen  den  vorhergehenden  Widerlegungen  der  beiden 
Hypothesen  zur  Sprache  bringen. 

Bei  der  Hypothese  des  stumpfen  Winkels  ist  nämlich  die  Sache 
heller  als  die  Sonne  im  Mittag,  weil  sich  ja,  wenn  man  sie  als  wahr 
annimmt,  aus  ihr  die  vollständige  und  allgemeine  Giltigkeit  des  strit- 
tigen Euklidischen  Axioms  erweisen  läfst,  und  daraus  kann  nachher 
die  vollständige  Unrichtigkeit  eben  dieser  Hypothese  bewiesen  werden, 
wie  das  aus  Lehrsatz  XHI  und  XIV  hervorgeht. 

Dagegen  gelingt  es  mir  nicht,  die  Unrichtigkeit  der  andern  Hypo- 
these, nämlich  der  des  spitzen  Winkels,  nachzuweisen,  ohne  vorher  zu 
zeigen,   dafs    die  Linie,    deren  Punkte   alle   von   einer  angenommenen 


I.  Buch,  11.  Teil.  —  Lehrsatz  XXXIX.     Anmerkung.  133 

geraden  Linie  gleich  weit  abstehen,    und   die   in  derselben  Ebene  mit 
dieser  liegt,  eben  dieser  Geraden  gleich  ist. 

Nun  könnte  es  scheinen,  als  ob  ich  grade  das  nicht  aus  dem 
eigentlichen  Wesen  dieser  Hypothese  bewiesen  hätte,  was  doch  für 
eine  tadellose  Widerlegung  erforderlich  gewesen  wäre.  Ich  antworte 
aber,  dafs  ich  in  Lehrsatz  XXXVII  drei  Mittel  gebraucht  habe,  um 
die  genannte  Gleichheit  zu  beweisen.  Zunächst  beweise  ich  in  diesem 
Lehrsatze  selbst,  dafs  die  Kurve  CKD,  die  ja  aus  der  Hypothese  des 
spitzen  Winkels  entspringt  (mid  die  deshalb  auf  der  Seite  jener  Ge- 
raden AB  immer  hohl  ist),  dieser  gleich  sein  mufs,  und  zwar,  indem 
ich  meine  Beweisgründe  von  den  Tangenten  dieser  Kurve  hernehme. 
Darauf  beweise  ich  in  den  beiden  Anmerkungen  zu  demselben  Lehr- 
satze, ohne  die  Giltigkeit  einer  besonderen  der  drei  Hypothesen  voraus- 
zusetzen, wiederum  zweimal  die  Gleichheit  der  so  erzeugten  Linie  CD 
mit  der  Grundlinie  AB,  gleichgiltig  welche  Beschaffenheit  man  sonst 
der  so  erzeugten  Linie  CD  zuschreibt. 

Erkennt  man  nun  an,  dafs  die  Gleichheit  jener  Kurve  CKD,  wie 
sie  aus  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  entspringt,  mit  der  Grund-  99 
linie  AB  auf  die  erste  Art  wirklich  bewiesen  ist,  so  bekommt 
man  eine  überzeugende  Widerlegung,  denn  bei  derselben  Hypothese 
läfst  sich  offenbar  nachweisen,  dafs  CKD  gröfser  ist.  Erkennt  man 
aber  an,  dafs  die  Gleichheit  auf  eine  der  beiden  andern  Arten  bewiesen 
ist,  so  wird  auch  dann  die  Widerlegung  der  Hypothese  des  spitzen 
Winkels  mit  nichten  versagen.  Der  Grund  liegt  darin,  dafs  CD  zwar 
sehr  gut  krumm  und  nichtsdestoweniger  der  Geraden  AB  gleich 
sein  kann,  wenn  nur  CD  immer  auf  jener  Seite  gewölbt,  und  somit 
die  Verbindungsgerade  derselben  Punkte  C  und  D  kleiner  ist  als  die 
gegenüberliegende  Grundlinie  AB,  was  bei  der  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels  eintritt;  dafs  es  aber  durchaus  ein  Widerspruch  ist,  wenn  CD 
auf  derselben  Seite  immer  hohl  und  somit  die  genannte  Verbindungs- 
gerade jener  Punkte  C  und  D  gröfser  ist  als  die  gegenüberliegende 
Grundlinie  AB,  was  bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  eintritt. 
In  dieser  Weise  ist  die  Sache  bereits  in  der  Anmerkung  zu  dem  vor- 
hergehenden Lehrsatze  auseinandergesetzt  worden.  Freilich  leuchtet 
ein,  dafs  hieraus  keine  Widerlegung  der  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels  folgt,  dafs  vielmehr  auf  diese  Art  einzig  und  allein  die 
Hypothese  des  spitzen  Winkels  zerstört  wird. 

Vielleicht  könnte  aber  hier  jemand  fragen,  warum  ich  so  besorgt 
bin  nachzuweisen,  dafs  die  Widerlegung  der  beiden  falschen  Hypo- 
thesen unanfechtbar  ist.  Deshalb,  erwiedere  ich,  weil  daraus  hervor- 
geht,   dafs    Euklid    nicht    ohne    genügenden    Grund   jenes    berühmte 


134  Saccheri,  Euclides  ab  omni  naevo  vindicatus. 

Axiom  als  au  und  für  sich  einleuchtend  angenommen  hat.  Deun  grade 
darin  scheint,  sozusagen,  der  Charakter  jeder  Grundwahrheit  zu  liegen, 
dafs  sie  nur,  indem  die  Wahrheit  ihres  Gegenteils  gründlich  widerlegt 
wnrd,  in  ihr  altes  Recht  wieder  eingesetzt  werden  kann.  Und  ich  darf 
sagen,  dafs  mir  dies  von  meiner  Jugend  an  bei  der  Untersuchung 
einiger  Grundwahrheiten  geglückt  ist,  wie  aus  meiner  Logica  demon- 
strativa  [1692,  1701]  hervorgeht. 

Nimmehr  kann  ich  mich  dazu  wenden,  auseinanderzusetzen,  warum 
ich  in  dem  Vorwort  au  den  Leser  gesagt  habe:  gewisse  Leute  Jiätten 
nicht  ohne  eineii  (/rohen  Verstoß  gegen  die  strenge  Logik  Paare  gleichweit 
100  entfernter  gerader  Linien  von  vorn  herein  als  gegeben  angenommen.  Dabei 
mufs  ich  ausdrücklich  erklären,  dafs  ich  hiermit  keinen  von  denen 
augreife,  die  ich  in  meinem  Buche,  wemi  auch  nur  mittelbar,  genannt 
habe-,  demi  sie  sind  wahrhaft  grofse  Geometer  und  von  diesem  Ver- 
stofse  unzweifelhaft  frei. 

Ich  sage  aber:  einen  groben  Verstofs  gegen  die  strenge  Logik,  denn 
was  heifst:  ;iWei  gleich  iveit  entfernte  gerade  Linien  als  gegeben  annehmen 
andres,  als  entweder  verlangen,  dafs  jede  Linie,  die  in  derselben  Ebene 
von  einer  angenommenen  Geraden  gleich  weit  entfernt  ist,  wieder  eine 
gerade  Linie  sei,  oder  wenigstens  annehmen,  dafs  eine  gewisse  gleich 
weit  entfernte  Linie  eine  gerade  Linie  sein  kann,  sodafs  man  also  eine 
solche  entweder  auf  Grund  einer  Hypothese  oder  auf  Grund  einer 
Forderung  in  der  betreffenden  Entfernung  von  der  andern  annehmen 
darf?  Unzweifelhaft  kann  man  keins  von  beiden  als  an  sich  einleuchtend 
einschmuggeln,  denn  dafs  der  reine  Begriff  einer  Linie,  die  in  allen  ihren 
Punkten  von  einer  angenommenen  geraden  Linie  gleich  weit  entfernt 
ist,  mit  dem  ursprünglichen  Begriffe  der  geraden  Linie  zusammenfällt, 
ist  keineswegs  unmittelbar  klar.  Zwei  gerade  Linien  für  ^parallel  zu 
erklären,  ivenn  sie  gleich  iceit  von  einamJer  entfernt  sind,  ist  deshalb 
ein  Fehler,  den  ich  in  meiner  Logik  den  der  ziveideutigen  Erklärung 
nenne;  bei  einer  solchen  ist  aber  jeder  Versuch,  zur  unbedingten 
Wahrheit  zu  gelangen,  nutzlos. 

Ich  finde  jedoch,  dafs  noch  eine  Bemerkung  gemacht  werden  mufs. 
Wir  alle  wollen  zugeben,  dafs  die  Verbindungslinie  der  Endpunkte 
aller  Senkrechten,  die  in  ein  und  derselben  Ebene  nach  derselben 
Seite  in  den  einzelnen  Punkten  einer  angenommenen  geraden  Linie 
AJß  errichtet  sind,  sowohl  der  genannten  Geraden  AB  gleich  als  auch 
selbst  eine  Gerade  sein  mufs.  Ich  behaupte  aber:  Wir  erkennen 
zuerst,  dafs  sie  gleich  ist,  und  erst  dann,  dafs  sie  gerade  ist.  Da 
man  sich  nämlich  vorstellen  kann,  dafs  die  einzelnen  Funkte  jener 
Geraden  AB  immer  gleichmäfsig  auf  ihren  Senkrechten  fortschreiten, 


I.  Buch,  11.  Teil.  —  Anmerkung  zu  Lehrsatz  XXXIX.  135 

bis   sie   endlich  jene   gewisse   Linie   CD  bilden,   so   mufs   einleuchten, 
dafs    die   so    erzeugte   Linie    CD,    wie   sie   auch  sonst  beschaffen   sei, 
gleich  AB  ist,   besonders  wenn   man  die  Auseinandersetzung  berück- 
sichtigt, die  in  der  Anmerkung  11  hinter  Lehrsatz  XXXVII  enthalten  101 
ist,  wo  dieser  Punkt  auf  das  Deutlichste  bewiesen  wurde. 

Indes  bleibt  alsdann  noch  eine  grofse  Schwierigkeit,  nämlich  zu 
beweisen,  dafs  die  so  erzeugte  Kurve  CD  nur  eine  gerade  Linie  sein 
kann.  Und  daher  kommt  es,  wie  mir  scheint,  dafs  man,  um  leichter 
von  der  Stelle  zu  kommen,  einem  allgemein  verbreiteten  Vorurteile 
nachgebend,  lieber  von  vorn  herein  angenommen  hat,  CD  sei  eine 
gerade  Linie,  um  daraus  abzuleiten,  dafs  es  der  Grundlinie  AD  gleich 
ist,  und  um  nachher  die  rechten  Winkel  an  der  Verbindungso-eradeu 
CD  einzuführen. 

Ich  sage  aber:  eine  grofse  Schtvieriglceü,  denn  es  mussten  zuerst 
die  drei  Hypothesen  in  Betreff  der  Winkel  an  der  Yerhindungsgeraden 
CD  eingeführt  werden,  die  rechte  sind,  wenn  CD  gleich  der  Grund- 
linie AB  ist,  oder  stumpf,  wenn  es  kleiner,  oder  spitz,  wenn  es  gröfser 
ist.  Dann  aber  mufste  gezeigt  werden,  dafs  die  krumme  Linie,  die 
(bei  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels)  die  Endpunkte  jener  gleichen 
Senkrechten  verbindet,  auf  der  Seite  von  AB  nur  hohl  sein  könne, 
und  dafs  wiederum  die  andre  Kurve,  die  (bei  der  Hypothese  des  stumpfen 
Winkels)  die  Endpunkte  derselben  Senkrechten  verbindet,  auf  der  ge- 
nannten Seite  nur  gewölbt  sein  könne.  Nunmehr  aber  mufste  hieraus 
die  Unrichtigkeit  der  Hypothese  des  spitzen  Winkels  nachgewiesen 
werden,  weil  die  Linie,  welche  die  Endpunkte  der  genannten  Senk- 
rechten verbindet,  der  Grundlinie  AB  nicht  gleich,  sondern  vielmehr 
(wie  die  Anschauung  unmittelbar  lehrt)  gröfser  ist  als  jene  Verbin- 
dungsgerade OD,  die  nach  der  Beschaffenheit  eben  dieser  Hypothese 
gröfser  ist  als  die  genannte  Grundlinie  AB.  Dafs  aber  die  Hypothese 
des  stumpfen  Winkels  sich  selbst  widerspricht,  mufste  anderswoher 
gezeigt  werden,  so  wie  es  in  Lehrsatz  XIV  geschehen  ist.  Aber  damit 
sei  es  nun  genug. 

Ende  des  ersten  Buches. 


136  Saccheri.     Abweichungen  vom  Urtext. 


Abweichungen  vom  Urtext. 

S.     60,  Z.  18  V.  0.  (S.  12,  Z.  3  v.  u.V     Im  Urtext  steht  I.  18  st.-}.tt:  I.  19. 

S.     61,  Z.  7  V.  o.  (S.  13,  Z.  14  V.  0.)  ÄP  statt:  ÄD. 

S.     62,  Z.  10  V.  u.  (S.  15,  Z.  11  V.  o.)  I.  4  statt:  I.  5. 

S.     72,  Z.  10  V.  0.  (S.  25,  Z.  3  v.  u.)  XXV  statt:  XXVII. 

S.     74,  Z.  18  V.  u.  (S.  28,  Z.  9  v.  u.)    (nach  Lehrsatz  III)  statt:  (nach  Lehrsatz!, 

VII  und  X\l\ 
S.     86,  Z.  16,  25  V.  0.  (S.  42,  Z.  17,  8  v.  u.)  B,  D,  H,  P  statt:    B,  H,  D,  P  und 

YDH,  YEP  statt:  YHD,  YDP. 
S.  102,  Z.  9  V.  o.  (S.  61,  Z.  13  V.  u.)  L  18  statt:  I.  19. 
S.  102,  Z.  11  V.  u.  (S.  62,  Z.  7  v.  o.)  NC  statt:  MC. 
S.  119,  Z.  2  V.  0.  (S.  82,  Z.  3  V.  o.)  XL  4  statt:  XI.  1 
S.  125,  Z.  6  V.  0.  (S.  89,  Z.  14  v.  o.)  I.  18  statt:  L  19. 

Druckfehler,  die  bereits  im  Druckfehlerverzeichnisse  des  Originals  (S.  XVI) 
angeführt  sind  oder  die  das  Verständnis  des  Textes  nicht  stören,  wie  die  häufige 
Vertauschung  von  n  und  m,  /'  und  /",  ;•  und  t,  haben  wir  hier  unberücksichtigt 
gelassen.  Die  in  runde  Klammem  eingeschlossenen  Seitenzahlen  beziehen  sich 
auf  die  Originalausgabe. 


JOHANN  HEINRICH  LAMBERT 

1728—1777. 


Mit  Johann  Heinrich  Lambert  kommen  wir  nach  Dcntsch- 
land.  Wir  wollen  daher  zunächst  berichten,  wie  sich  die  Entwicke- 
knig  der  Parallelentheorie  dort  gestaltet  hatte. 

In  der  Einleitung  zu  Wallis  ist  bereits  der  vortreffliche  Euklid- 
Kommentar  des  Jesuiten  Christoph  Schlüssel  (1574)  besprochen 
worden.  Aber  erst  nach  einem  Zeiträume  von  fast  zweihundert  Jahren 
begegnet  uns  in  Deutschland  wieder  eine  Veröffentlichung,  die  erwähnt 
zu  werden  verdient;  denn  die  scharfsinnigen  Bemerkungen,  die  Leibniz 
über  die  Grundlagen  der  Geometrie  gemacht  hatte,  sind  erst  in  diesem 
Jahrhunderte  aus  seinem  Nachlasse  ans  Licht  o-ezogen  worden.  Das 
Interesse  für  die  Parallelentheorie  erwacht  erst  wieder  in  der  zweiten 
Hälfte  des  achtzehnten  Jahrhunderts,  und  zwar  war  es  Abraham 
Gotthelf  Kaestner  (1719  —  1800),  der  die  Wichtigkeit  der  Unter- 
suchungen über  die  fünfte  Forderung  erkannte,  die  Aufmerksamkeit  der 
Mathematiker  auf  diesen  Gegenstand  lenkte  und  damit  eine  Bewegung 
einleitete,  die  erst  in  diesem  Jahrhunderte  ihren  Abschlufs  gefunden  hat. 

In  der  Vorrede  zu  seinen  weitverbreiteten  An  fang  so- runden 
der  Arithmetik  und  Geometrie,  deren  erste  Auflage  im  Jahre 
1757  erschienen  ist,  erzählt  uns  Kaestner  Folgendes: 

„Die  Schwierigkeit,  welche  bei  der  Lehre  von  den  Parallellinien 
sich  findet,  hat  mich  schon  viele  Jahre  beschäftigt.  Ich  glaubte,  sie 
wäre  durch  Hausens  Elementis  matheseos  [1734]  völlig  gehoben. 
Der  vormahlige  Prediger  bei  der  französischen  Gemeinde  in  Leipzig 
Mr.  Coste  benahm  mir  diese  Zufriedenheit,  als  er  mir  einmahl  bei 
dem  Umgange,  den  er  mir  oft  gönnete,  anzeigte,  es  sey  an  dem  an- 
geführten Orte  von  Hausen  ein  Schlufs  gemacht  worden,  der  nicht 
folge.  Ich  entdeckte  diesen  Fehler  bald  selbst  und  bemühte  mich 
von  der  Zeit  an,  die  Schwierigkeit  selbst  zu  heben  oder  Schriftsteller 
zu  finden,  die  sie  gehoben  hätten,  aber  in  beider  Absicht  vergebens, 
ob  ich  gleich  fast  eine  kleine  Bibliothek  von  einzelnen  Schriften  oder 
Anfangsgründen  der  Geometrie  sammelte,  wo  dieser  Gegenstand  war 
besonders  betrachtet  worden.  Nachdem  gegenwärtige  Arbeit  mich 
veranlasset  die  Sache  von  neuem  zu  überlegen,  so  habe  ich  kein  Ver- 


14ri  Einleitung  zu  Lamberts 

fahren  liudeu  küimeii,  das  meiner  Befriedigung  näher  käme  als  das- 
jenige, das  ich  in  dem  Zusätze  des  elften  Satzes  und  im  zwölften 
Satze  gewählt  habe." 

Dieses  Verfahren  besteht  darin,  dafs,  ähnlich  wie  es  bei  Wallis 
geschieht,  die  eine  der  beiden  schneidenden  Geraden  parallel  mit  sich 
selbst  verschoben  wird.  Liegt  ihr  Schnittpunkt  mit  der  Grundlinie 
in  der  Nähe  des  Schnittpunktes  der  zweiten  Geraden  mit  der  Grund- 
linie, so  findet  ein  Zusammentreffen  der  beiden  schneidenden  Geraden 
statt.  „Man  sieht  aber  nicht",  fährt  Kaestner  fort,  „wie  blofs  die 
längere  Grundlinie  die  Dreiecke  unmöglich  machen  soll,  mau  wird 
vielmehr  urtheilen,  dafs  bei  einer  längeren  Grundlinie  nur  die  Seiten 
bis  zum  Zusammentreffen  weiter  müssen  fortgeschoben  werden." 

Kaestners  Interesse  für  die  Parallelentheorie  zeigte  sich  jedoch 
nicht  nur  darin,  dafs  er  die  betreffenden  Schriften  sammelte  —  das  1801 
veröffentlichte  Verzeichnis  seiner  Büchersammlung,  die  über  7000  Werke 
umfafste,  enthält  fast  alles,  was  über  diesen  Gegenstand  etwa  bis  1770 
erschienen  war  —  vielmehr  entstand  auch  unter  seiner  Beihilfe  eine 
noch  heute  wertvolle  Dissertation,  in  der  zum  ersten  Male  eine  Ge- 
schichte der  Parallelentheorie  gegeben  wurde.     Ihr  Titel  lautet: 

Conatuum  praecipuorum  theoriam  parallelarum  demon- 
strandi  recensio,  quam  publico  examini  Submittent  Abrah. 
Gotthelf  Kaestner  et  auctor  respondens  Georgius  Simon 
Klügel,  Göttingen  17G3.    4°.     34  Seiten,  1  Figurentafel. 

Ihr  Verfasser,  später  Professor  der  Mathematik  in  Helmstedt  und 
in  Halle,  ist  noch  jetzt  durch  sein  Mathematisc^s  Wörterbuch  bekannt. 

Gegen  dreifsig  Versuche,  das  Parallelenaxiom  zu  beweisen,  unter 
ihnen  auch,  wie  wir  schon  früher  erwähnten,  der  Versuch  Saccheris, 
werden  hier  mit  sehr  verständiger  Kritik  behandelt,  und  immer  stellt 
sich  heraus,  dafs  sie  als  mifslungen  anzusehen  sind.  Es  ist  daher 
erklärlich,  dafs  Klügel  (S.  16)  zu  der  Ansicht  gelaugt:  „Möglich 
wäre  es  freilich,  dafs  Gerade,  die  sich  nicht  schneiden,  von  einander 
abweichen.  Dafs  so  etwas  widersinnig  ist,  wissen  wir  nicht  in  Folge 
strenger  Schlüsse  oder  vermöge  deutlicher  Begriffe  von  der  geraden 
und  der  krummen  Linie,  vielmehr  durch  die  Erfahrung  und  durch  das 
Urteil  unsrer  Augen",  und  dafs  Kaestner  in  einem  Nachworte  sich 
dahin  äufsert,  ein  Beweis  für  das  Parallelenaxiom  sei  nur  zu  erhoffen 
durch  eine  genauere  Ausbildung  der  Lehre  von  der  Lage,  die  mit 
Leibniz  untergegangen  sei.  Gegenwärtig  bleibe  nur  übrig,  offen,  wie 
es  Hütern  der  reinsten  Wahrheit  gezieme,  die  Forderung  Euklids  als 
solche  auszusprechen;  niemand,  der  bei  gesunden  Sinnen  sei,  werde  sie 
ja  bestreiten  wollen. 


Theorie  der  Parallellinien.  141 

Dieser  Skeptizismus  Kaestners  scheint  sich  später  fast  noch  ver- 
schärft zu  haben,  denn  Schweikart  berichtet  1807,  „dafs  Kaestner 
vor  vielen  Jahren  schon,  an  der  Möglichkeit  der  Lösung  verzweifelnd, 
mit  unbegreiflicher  Resignation,  anstatt  nach  der  wahren  Demonstra- 
tion zu  forschen,  ein  blindes  Annehmen  öffentlich  anrieth". 

Klügeis  Dissertation  hat  noch  ein  andres  Interesse,  sie  scheint 
die  Veranlassung  gewesen  zu  sein,  dafs  Johann  Heinrich  Lambert 
der  Parallelentheorie   seine  Aufmerksamkeit  zuwandte  (vergl.  S.  155). 

Indem  wir  zu  den  Untersuchungen  dieses  merkwürdigen  Mannes 
übergehen,  wollen  wir  zunächst  über  seinen  Lebenslauf  berichten. 
Lambert  ist  am  26.  August  1728  in  der  Stadt  Mühlhausen  im 
Ober-Elsafs  geboren,  die  seit  1506  der  Schweizer  Eidgenossenschaft 
„zugewendet"  war.  Diese  Verbindung  hat  erst  1798  aufgehört,  wo 
Mühlhausen  von  der  französischen  Republik  weggenommen  wurde. 
Lambert  betrachtete  sich  selbst  als  Schweizer  —  er  nennt  sich 
Muelhusio-Helvetus  — ,  und  als  er  nach  mancherlei  Irrfahrten 
1764  nach  Berlin  kam,  nahm  ihn  die  einflufsreiche  schweizerische 
Kolonie  als  Landsmann  auf.  Bald  darauf  wurde  er  Mitglied  der  Aka- 
demie; in  Berlin  hat  er  dann  die  letzten  dreizehn  Jahre  seines 
Lebens  zugebracht.  Genaueres  über  sein  Leben  sowie  über  seine 
hervorragenden  Leistungen  in  der  Mathematik,  der  Physik  und  der 
Philosophie  findet  man  in  den  Schriften,  die  am  Schlüsse  dieser  Ein- 
leitung angeführt  sind. 

Lambert  hat  seine  „Theorie  der  Parallellinien"  nicht  selbst 
veröffentlicht,  wahrscheinlich  weil  sie  ihn  noch  nicht  befriedigte.  Erst 
1786  ist  die  Abhandlung  aus  Lamberts  Nachlafs  durch  Johann 
Bernoulli,  einen  Enkel  des  bekannten  Baseler  Mathematikers  gleichen 
Namens,  herausgegeben  worden.  Bernoulli  sagt  in  einer  Anmerkung, 
sie  sei  im  September  1766  aufgesetzt.  Dafs  sich  Lambert  um  diese 
Zeit  mit  dem  ersten  Buche  der  Elemente  eingehend  beschäftigt  hat, 
zeigt  eine  Stelle  in  einem  Briefe  an  den  Baron  Georg  Jonathan  von 
Holland  (1742—1784).  In  diesem  Briefe,  der  vom  11.  April  1765 
datiert  ist,  äufsert  sich  Lambert  über  Euklids  Verfahren  in  folgender 
Weise  (Lamberts  Briefwechsel,  Teil  I,  S.  28—30): 

„Ich  stelle  mir  nun  Euclidens  Verfahren  so  vor: 
1.  Dafs  Euclid  seine  Definitionen  vorausschickt  und  aufhäuft, 
das  ist  gleichsam  nur  eine  Nomenclatur.  Er  thut  dabei  weiter 
nichts  als  was  z.  B.  ein  Uhrmacher  oder  anderer  Künstler 
thut,  wenn  er  anfängt,  seinem  Lehrjungen  die  Namen  seiner 
Werkzeuge  bekannt  zu  machen. 


142  Einleitung  •  zu  Lamberts 

2.  Dabey  ist  es  Eucliden  genug,  wenn  man  ihm  einräumt,  dafs 
es  solche  Figuren  gebe,  sollte  es  auch  nur  eine  seyn. 

3.  Hingegen  fordert  er  die  unbedingte  Möglichkeit  gerader  Linien 
und  Circul  von  jeder  Gröfse  und  Lage.  Et  hoc  si  dederis, 
danda  sunt  omnia*).     Denn 

4.  Sogleich  trägt  Euclid  eine  Aufgabe  vor,  um  denen,  welche  ihm 
die  allgemeine  und  unbedingte  Möglichkeit  eines  gleichseitigen 
A  [Triangels]  in  Zweifel  ziehen  wollten,  ex  coucessis  postu- 
latis  zu  zeigen,  wie  sie  ihn  von  jeder  Gröfse  machen  können. 

5.  Vermittelst  dieser  ersten  Aufgabe  zeigt  Euclid  in  der  zweiten, 
wie  man  eine  Linie  von  gegebener  Länge  hintragen  könne,  wo 
man  will. 

G.  Im  folgenden  zeigt  er  sodann,  dafs  in  jedem  A  zwei  Seiten 
gröfser  sein  müssen,  als  die  dritte,  und  dafs  demnach  tinter 
dieser  Bedingung  Triangel  von  jeder  Gestalt  und  Gr()fse  inöglich 
sind.  Dieses  hätte  man  ihm  aus  der  blofsen  Definition  des  A 
nicht  eingeräumt. 

7.  In  Ansehung  der  Parallellinien  ist  dieses  Verfahren  noch 
augenscheinlicher,  weil  die  Definition  von  derselben  Möglichkeit 
gar  nichts  angiebt.  Denn  man  müfste  sie  sich  gerade  und 
beiderseits  ins   Unendliche  verlängert  vorstellen  köimen. 

8.  In  den  Beweisen  braucht  Euclid  den  Ausdruck  per  defini- 
tionem  im  geringsten  nicht  anders  als  den  Ausdruck  per 
hypothesin.  Denn  bis  die  Möglichkeit  des  Begrifs  nicht 
erwiesen  ist,  ist  die  Definition  nur  noch  eine  Hypothesis.  Ist 
es  ftir  sich  oder  auch  nur  durch  ein  einziges  Bey  spiel  klar, 
dafs  es  wenigstens  einige  solcher  Figuren  giebt,  die  die  Defi- 
nition anzeigt,  so  mag  die  Definition  vorausgeschickt  werden, 
und  zwar  als  eine  blofse  Benennung.  Die  Bedingungen  ihrer 
Möglichkeit  müssen  aber  aus  Grundsätzen  und  Postulatis 
folgen.  Dies  ist  der  Fall  von  dem  A  (Nr.  6).  Die  Definition 
der  Parallellinien  ist  schlechthin  eine  Hypothese  bis  ihre 
Möglichkeit  erwiesen  wird,  und  da  wird  die  Definition  zum 
Subjekt  (Alethiol.  §  242**)). 

Dieses  ist  nun  meines  Erachtens  die  Art,   wie  Euclid  mit  Defi- 
nitionen und  Begrifien  umgeht." 

Trotz  sorgfältiger  Nachforschungen  ist  es  uns  nicht  gelungen,  in 


*)  [Cicero,  de  finibus  bonorum  et  malorum,  lib.  V.  8.B.] 

**)  [Gemeint  ist  der  Absclinitt  Alethiologie  aus  Lamberts  Werk:  Neues 
Organon  oder  Gedanken  über  die  Erforschung  und  Bezeichnung  des 
Wahren  und  d  essen  Unte  r  Scheidung  vomirrth  um  und  Seh  ein.  liiga  1764.] 


Theorie  der  Parallellinien.  143 

den  zahlreiclieu  Sclirifteu  Lamberts  weitere  Bemerkungen  über  die 
Parallelentheorie  aufzufinden;  höchstens  wäre  zu  erwähnen^  dafs  er  in 
einem  Briefe  an  Klügel  vom  3.  Juli  1773  äufsert,  er  besitze  dessen 
Dissertation  über  die  Parallellinieu.  Dagegen  haben  wir  Grund  zu  der 
Vermutung,  dafs  in  dem  nicht  veröffentlichten  Teile  des  Nachlasses 
solche  Bemerkungen  enthalten  waren;  unsre  erfolglosen  Bemühungen, 
den  Verbleib  dieser  Papiere  zu  ermitteln,  werden  nachher  zur  Sprache 
kommen. 

Bei  dem  Versuche,  die  Bedeutung  der  Untersuchungen  Lamberts 
zu  kennzeichnen,  werden  wir  naturgemäfs  Saccheris  Euclides  ab 
omni  naevo  vindicatus  zur  Vergleichung  heranziehen;  wir  möchten 
jedoch  ausdrücklich  bemerken,  dafs  nach  unsrer  Überzeugung  Lam- 
bert von  diesem  Werke  nur  das  Wenige  gekannt  hat,  was  Klügel 
in  seiner  Dissertation  mitgeteilt  hatte. 

Lamberts  „Theorie  der  Parallellinieu''  gliedert  sich  in  drei 
Abschnitte  sehr  verschiedenen  Inhalts.  Der  erste  sehr  klar  ge- 
schriebene und  noch  heute  nicht  veraltete  Abschnitt  (§  1  — 11)  hat 
den  Zweck  darzulegen,  was  es  bedeutet,  wenn  man  von  einem  Beweise 
der  fünften  Forderung  spricht.  Grade  Lambert  war  für  solche 
Auseinandersetzungen  mathematisch-philosophischer  Art  der  rechte 
Mann,  denn  seine  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Philosophie  stehen 
den  mathematischen  nicht  nach:  Kant  nennt  ihn  mit  der  gröfsten 
Achtung,  und  Lamberts  Untersuchungen  über  Logik  werden  noch 
heute  geschätzt. 

In  dem  zweiten  Abschnitte  (§  12 — 26)  finden  wir  verschiedene 
Ansätze  zu  einem  Beweise  des  Parallelenaxioms,  bei  deren  Durchführung 
jedoch  immer  eiu  Rest  bleibt.  C.  F.  Hindenburg  (1741  — 1808)  hat 
daher  im  Leipziger  Magazin  (Jahrgang  1786,  S.  361)  beim  Erscheinen 
der  Lambertschen  Abhandlung  zu  §  21  sehr  richtig  bemerkt: 

„Was  behauptet  wird,  der  Beweis  von  Euklid's  Grundsätze  lasse 
sich  leicht  so  weit  treiben,  dafs  das,  was  daran  noch  etwa  zurück  bleibt, 
nicht  nur  augenscheinlich  richtig  ist,  sondern  auch  allen  Anschein 
hat,  dafs  es  nachgeholt,  und  der  Beweis  dadurch  ergänzt  werden 
könne;  habe  ich,  aus  vielfältiger  Erfahrung,  etwas  anders  befunden, 
nehmlich:  Das,  was  etwa  noch  zu  erweisen  übrig  ist,  scheint  anfangs 
eine  Kleinigkeit  zu  seyn;  aber  diese  anscheinende  Kleinigkeit,  soll 
sie  nach  aller  Strenge  berichtigt  werden,  ist,  wenn  man  genauer  nach- 
sieht, immer  die  Hauptsache  selbst;  gewöhnlich  setzt  sie  den  Satz, 
oder  einen  ihm  gleichgültigen,   voraus,   den  man  eben  erweisen  soll." 

Übrigens  ist  jener  Rest  bei  Lamberts  Beweisversuchen  im 
Grunde  das  Axiom  Bolyais:  Durch  drei  Punkte  der  Ebene  kann 


144  Einleitung  zu  Lamberts 

stets  eiu  Kreis  gelegt  werden,  das,  sobald  die  gerade  Linie  eine 
unendliche  Länge  hat,  mit  der  Euklidischen  Forderung  gleich- 
bedeutend ist.  Ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  Beweisversuche,  den 
Lambert  am  Schlüsse  des  dritten  Abschnittes  (§  88)  mitteilt,  und 
dessen  Unzulänglichkeit  Hindenburg  ebenfalls  erkannt  hatte.  Wir 
vermuten,  dafs  auch  Lambert  die  Schwäche  dieses  Beweises  nicht 
entgangen  ist,  und  sehen  hierin  mit  Hindenburg  den  Grund,  der  ihn 
bewogen  hat,  „die  Bekanntmachimg  seiner  Theorie  aufzuschieben" 

Wir  kommen  nunmehr  zu  dem  dritten  und  wichtigsten  Ab- 
schnitte (§  27  —  88),  in  dem  Lambert  seine  eigentliche  Theorie 
der  Parallellinien  entwickelt. 

Während  Saccheri  von  einem  Vierecke  ABDC  ausgeht,  das  in 
A  und  J5  rechte  Winkel  hat  und  bei  dem  die  Seiten  AC  und  J5Z) 
einander  gleich  sind,  geht  Lambert  von  einem  Viereck  ABDC  aus, 
das  in  A,  JB  und  C  rechte  Winkel  hat,  also  mit  andern  Worten,  von 
einem  der  beiden  Vierecke,  die  man  erhält,  wenn  man  in  dem  Sac- 
cherischen  Viereck  die  Mitten  der  beiden  Seiten  AB  und  CD  mit 
einander  verbindet.  Er  ist  nun,  ebenso  wie  Saccheri,  genötigt,  je- 
nachdem  der  Winkel  BBC  ein  rechter,  stumpfer  oder  spitzer  ist,  drei 
Hypothesen  zu  unterscheiden  und  bezeichnet  diese  Hypothesen  der 
Reihe  nach  als  erste,  zweite  und  dritte  Hypothese. 

Lamberts  Dai*stellung  zeigt  gegenüber  der  Saccheris  wesent- 
liche Vorzüge.  Die  drei  Hypothesen  werden  getrennt  von  einander 
behandelt,  und  die  Untersuchung  der  Hypothese  des  stumpfen  Winkels 
ist  wenigstens  zum  Teil  unabhängig  von  dem  Satze  über  den 
Aufsenwinkel  (Euklid  L  16),  der  ja  bei  dieser  Hypothese  nicht 
mehr  giltig  ist.  Lambert  hatte  auch  erkannt,  dafs  in  der  Annahme, 
CD  ändere  sich  stetig  mit  AC,  eine  neue  Voraussetzung  steckt,  die 
den  Euklidischen  Grundsätzen  fremd  ist;  er  zeigt  daher  ausdrücklich, 
dafs  die  Beweise  auch  ohne  diese  Voraussetzung  durchgeführt  werden 
können,  ebenso  giebt  er  für  Punkte,  von  denen  Saccheri  nur  die 
Existenz  auf  Grund  des  Axioms  der  Stetigkeit  erschlossen  hatte, 
eine  wirkliche  Konstruktion  an  (§  57).  Besonders  erwähnt  zu 
werden  verdient  noch,  dafs  Lambert  von  dem  Verfahren  der  Um- 
legung ausgiebigen  Gebrauch  macht,  während  Saccheri  dieses  Ver- 
fahren  möglichst  vermeidet  (vergleiche  S.  55). 

Ferner  hat  Lambert  die  beiden  Hypothesen  des  spitzen  und 
des  stumpfen  Winkels  noch  weiter  verfolgt  als  Saccheri  und  ins- 
besondere das  Verhalten  von  zwei  sich  nicht  schneidenden  Geraden 
genauer  untersucht.  Aus  dem  Aufhören  der  Ähnlichkeit  erschliefst  er, 
dafs,  wenn  eine  von  jenen  beiden  Hypothesen  stattfände,  ein  absolutes 


Theorie  der  l'arallelliüien.  145 

Maafs  der  Länge  vorhanden  wäre.  Dagegen  spricht  er  den  wichtigen 
Satz  Saccheris,  dafs  jede  der  drei  Hypothesen  allgemein  giltig  ist, 
sobald  sie  nur  in  einem  Falle  gilt,  nur  für  seine  erste  Hypothese  (§  42 
und  51)  ausdrücklich  aus;  auch  die  L ob atschefskij sehen  Grenz- 
geraden, die  uns  schon  bei  Saccheri  begegnet  sind,  kommen  bei  ihm 
nicht  vor. 

Endlich  finden  sich  bei  Lambert  sehr  bemerkenswerte  Betrach- 
tungen über  den  Flächeninhalt  des  Dreiecks.  Er  erkennt,  dafs 
dieser  Flächeninhalt  bei  der  zweiten  und  dritten  Hypothese  der  Ab- 
weichung der  Winkelsumme  des  Dreiecks  von  zwei  Rechten  propor- 
tional ist.     Dies  veranlafst  ihn  in  §  82  zu  folgender  Bemerkung: 

„Hierbey  scheint  mir  merkwürdig  zu  seyn,  dafs  die  zwote 
Hypothese  statt  hat,  wenn  man  statt  ebener  Triangel  sphä- 
rische nimmt,  weil  bei  diesen  sowohl  die  Summe  der  Winkel 
gröfser  als  180  Gr.  als  auch  der  Überschufs  dem  Flächen- 
raume  des  Triangels  proportional  ist.  Noch  merkwürdiger 
scheint  es,  dafs,  was  ich  hier  von  den  sphärischen  Triangeln 
sage,  sich  ohne  Rücksicht  auf  die  Schwierigkeit  der  Parallel- 
linien erweisen  lasse,  und  keinen  andern  Grundsatz  voraus- 
setzt, als  dafs  jede  durch  den  Mittelpunkt  der  Kugel  gehende 
ebene  Fläche  die  Kugel  in  zween  gleiche  Theile  theile.  Ich 
sollte  daraus  fast  den  Schlufs  machen,  die  dritte  Hypothese 
komme  bey  einer  imaginären  Kugelfläche  vor.  Wenigstens 
mufs  immer  etwas  seyn,  warum  sie  sich  bey  ebenen  Flächen 
langeuichtsoleichtumstofsen  läfst,als  es  sich  bey  derzwoten 
thun  liefs." 

Lambert  hatte  also  erkannt,  dafs  die  zweite  Hypothese  auf 
der  Kugel  verwirklicht  ist.  Dieser  Gedanke,  die  Geometrie  auf  der 
Ebene  mit  der  Geometrie  auf  der  Kugel  zu  vergleichen,  ist  für  die 
neueren  Untersuchungen  über  die  Grundlagen  der  Geometrie  von  ent- 
scheidender  Bedeutung  geworden;  es  genüge  hier  an  Riemauns  Habi- 
litationsvorlesung von  1854  zu  erinnern. 

Aber  Lambert  ist  weiter  gegangen,  indem  er  die  für  die  da- 
malige Zeit  aufserordentlich  kühne  Vermutung  aussprach,  dafs  für  die 
dritte  Hypothese  eine  imaginäre  Kugelfläche  dasselbe  leiste; 
diese  Vermutung  war,  wie  wir  jetzt  wissen,  durchaus  richtig.  Über- 
haupt war  Lambert  ein  wunderbarer  prophetischer  Blick  eigen.  Gab 
er  doch  1767  den  ersten  Beweis  für  die  Irrationalität  der  Zahl  tc 
und  behauptete  gleichzeitig  die  Transcendenz  dieser  Zahl,  die  zu 
beweisen  erst  mehr  als  hundert  Jahre  später  gelungen  ist. 

Dafs    Lambert    das    Imaginäre    heranzieht,    kann    nicht    über- 

Stiickel  u.  Engel,  rarallelentlieorie.  10 


14*)  Einleitung  zu  Lamberts 

raschen,  tleuu  auch  sonst  hatte  er,  seiueu  Zeitgenossen  vorauseilend, 
keine  Scheu  vor  dem  Imaginären.  Bezeichnend  für  ihn  ist  die 
Aufserung:  .,Das  Zeichen  )/ —  1  stellt  ein  nicht  gedenkbares 
Unding  dar,  und  doch  kann  es  Lehrsätze  zu  finden  gut  ge- 
braucht werden".  Sie  findet  sich  in  einem  Briefe  an  Kant  aus 
dem  Jahre  1770  (Briefwechsel,  Teil  I.  S.  3G5). 

Da  Lambert  die  imaginäre  Kugel  im  Zusammenhange  mit 
dem  Flächeninhalte  des  Dreiecks  nennt,  so  scheint  es  nicht  aus- 
geschlossen, dafs  er  in  der  Formel: 

r-{Ä  +  B-{-  C  -7t) 
für  den  Flächeninhalt  eines  sphärischen  Dreiecks  mit  den  Winkeln  A, 
B,  C  auf  einer  Kugel  vom  Halbmesser  r  au  die  Stelle  von  r: 

gesetzt  hat,  denn  so  mufste  er  den  Ausdruck: 

r^n  —  A  —  B—C) 
erhalten,  der  ihm  zeigte,  dafs  auf  der  imaginären  Kugel  der 
Flächeninhalt  des  Dreiecks  ebenfalls  der  Abweichuucr  von 
zwei  Rechten  proportional  ist,  und  dafs  die  Winkelsumme 
^+5-|-C  nicht  gröfser  als  zwei  Rechte  ausfällt,  genau  ebenso, 
wie  es  die  dritte  Hypothese  mit  sich  bringt. 

Lobatschefskij  hat  1837  seine  Geometrie,  die  der  dritten  Hypo- 
these Lamberts  entspricht,  Geometrie  imaginaire  genannt,  weil 
ihre  trigonometrischen  Formeln  aus  denen  für  das  sphärische  Dreieck 
hervorgehen,  wenn  mau  die  Seiten  als  imaginär  ansieht,  oder,  was 
dasselbe  ist,  wie  Wolfgang  Bolyai  1851  hervorgehoben  hat,  wenn 
man  den  Halbmesser  der  Kugel  imaginär  setzt. 

Gaufs  sagt  in  einem  Briefe  an  Schumacher  vom  12.  Juli  1831, 

in  der  nichteuklidischen  Geometrie  gelte  für  den  Umfang  eines  Kreises 

vom  Halbmesser  q  der  Ausdruck: 

/i.         _^\ 
7tr\e''  —  e    '/, 

in  dem  r  eine  Konstante  bedeutet.  Das  ist  aber  nichts  andres  als 
der  elementare  Ausdruck  für  den  Umfang  eines  Kreises  vom  Halb- 
messer  q  auf  einer  Kugel  vom  Halbmesser  r,  nachdem  man  )/ —  1  •  r 
an  die  Stelle  von  r  gesetzt  hat. 

Hat  Lambert  auch  von  diesen  Zusammenhängen  etwas  geahnt? 
Merkwürdig  ist  jedenfalls  der  Umstand,  dafs  grade  er  sich  mit 
den  Werten  der  trigonometrischen  Funktionen  für  ein  rein 
imaginäres  Argument  eingehend  beschäftigt  hat,  und  zwar 
zu    einer   Zeit,    die    der    Abfassung    seiner    Parallelentheorie 


Theorie  der  Parallellinien.  147 

unmittelbar  folgt.  Im  September  1766  hatte  er  diese  Abhandlung 
aufgesetzt,  im  September  1767  (Briefwechsel,  Teil  I,  S.  254)  las  er 
in  der  Berliner  Akademie  seine  Abhandlung:  Sur  quelques  pro- 
prietes  remarquables  des  quantites  transcendantes  circu- 
laires  et  logarithmiques,  und  er  setzte  diese  Untersuchungen  später 
in  den  Observations  trigonometriques  fort. 

In  der  ersten  dieser  beiden  Abhandlungen  zeigt  Lambert,  dafs 
die  Beziehungen  zwischen  den  trio-onometrischen  Funktionen  einen 
reellen  Sinn  behalten,  wenn  die  Argumente  rein  imaginär  werden. 
An  Stelle  des  Kreises  tritt  dann  die  gleichseitige  Hyperbel,  und 
man  gelangt  so  zu  einer  „hyperbolischen  Trigonometrie".  Aller- 
dings führte  Lambert  hier  nur  einen  Gedanken  aus,  den  bereits  Vin- 
centio  Riccati  und  Daviet  de  Foncenex  zu  entwickeln  begonnen 
hatten.  In  der  zweiten  Abhandlung  werden  die  hyperbolischen 
Funktionen  benutzt  zur  Lösung  von  Aufgaben  aus  der  sphärischen 
Astronomie;  sie  dienen  dazu,  die  Formeln  zu  vereinfachen  und  für 
die  Rechnung  mit  Logarithmen  geschickter  zu  machen.  Freilich  hat 
Lambert  —  wie  wir  ausdrücklich  hervorheben  wollen  —  in  keiner 
der  beiden  Abhandlungen  bei  Formeln  der  sphärischen  Trigonometrie 
den  Halbmesser  imaginär  gesetzt,  aber  die  Thatsache,  dafs  diese  For- 
meln auch  bei  einer  solchen  Annahme  einen  reellen  Sinn  behalten, 
würde  für  ihn  sicher  nichts  Überraschendes  gehabt  haben. 

Als  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien  im  Jahre  1786  ver- 
öffentlicht wurde,  war  das  Interesse  für  diesen  Gegenstand  in  Deutsch- 
land und  Frankreich  bereits  sehr  lebhaft.  Etwa  seit  1781  beginnt 
die  Zahl  der  Veröffentlichungen  über  Parallelentheorie  beständig  zu- 
zunehmen, und  das  Jahr  1786  weist  in  unserm  Verzeichnis  nicht 
weniger  als  sieben  solcher  Schriften  auf;  wenn  auch  die  späteren  Jahre 
meistens  kleinere  Zahlen  aufweisen,  so  ist  doch  während  des  nächsten 
halben  Jahrhunderts  kaum  ein  Jahr  vergangen,  in  dem  nicht  wenig- 
stens ein  neuer  Beweisversuch  zum  Vorschein  kam.  Lamberts  Ab- 
handlung, das  Bedeutendste,  was,  neben  Saccheris  Euclides 
ab  omni  naevo  vindicatus,  auf  dem  Gebiete  der  Parallelen- 
theorie bis  zu  den  Arbeiten  von  Lobatschefskij  und  Bolyai 
veröffentlicht  worden  ist,  hat  freilich  auf  diese  Bemühungen 
keinen  Einflufs  gehabt;  sie  wird  zwar  in  den  Litterarturverzeichnissen 
wiederholt  aufgeführt,  ein  genaueres  Eingehen  auf  ihren  Inhalt  haben 
wir  jedoch  nur  selten,  eine  Weiterführung  von  Lamberts  Ideen  über- 
haupt nicht  angetroffen. 

Zunächst   kommt   hier   eine  Abhandlung  C.  F.  Hindenburgs  in 

10* 


\4'P>  Einleitung  zu  Lamberts 

Betracht,  die  sich  iu  dem  Magazin  für  Mathematik  unmittelbar 
an  Lamberts  Parallelentheorie  ansehliefst;  wir  haben  sie  schon  auf 
S.  143  ausreichend  erwähnt.  Dann  hat  C.  F.  A.  Jacobi  in  seiner 
Dissertation  vom  Jahre  1824,  die  wir  in  der  Einleitung  zu  Saccheri 
anführten,  auf  die  Ähnlichkeit  der  Betrachtungen  dieser  beiden  Forscher 
hingewiesen.  Endlich  verdient  noch  Erwähnung,  dafs  Bessel  in  einem 
Briefe   an   Gaufs   vom    10.  Februar  1829   sich   auf  Lambert  beruft: 

„Durch  das,  was  Lambert  gesagt  hat  und  was  Schweikard 
mündlich  äufserte,  ist  mir  klar  geworden,  dafs  unsere  Geo- 
metrie unvollständig  ist  und  eine  Korrektion  erhalten  sollte, 
welche  hypothetisch  ist,  und  wenn  die  Summe  der  Winkel 
des  ebenen  Dreiecks  =  180°  ist,  verschwindet.  Das  wäre 
die  wahre  Geometrie,  die  Euklidische  aber  die  praktische, 
wenigstens  für  die  Figuren  auf  der  Erde." 

In  der  späteren  Zeit  ist  Lamberts  Abhandlung  gänzlich  in  Ver- 
gessenheit geraten*). 

Wir  wollen  jetzt  noch  ein  paar  Worte  sagen  über  unsern  Neu- 
druck von  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 

Als  Lambert  am  25.  September  1777  gestorben  war,  unter- 
suchte sein  Landsmann  Johann  Georg  Sulzer,  der  bekannte  Ästhe- 
tiker, die  hinterlassenen  zahlreichen  Handschriften  und  fand  so  viel 
Wichtiges,  dafs  er  der  Berliner  Akademie  den  Ankauf  anriet,  der 
auch  gegen  eine  beträchtliche  Summe,  die  den  Erben  ausgezahlt 
wurde,  zu  Stande  kam.  Die  Akademie  überliefs  den  Nachlafs  Lam- 
berts „unter  annehmlichen  Bedingungen"  einem  ihrer  Mitglieder,  dem 
damaligen  Direktor  der  Königlichen  Sternwarte  zu  Berlin,  Johann 
Bernoulli  (1744 — 1807),  „damit  er  einen  für  das  gelehrte  Publikum 
nützlichen  Gebrauch  davon  machen  sollte".  So  erzählt  uns  Bernoulli 
in  einer  „Nachricht  an  die  Gelehrten,  von  Johann  Heinrich 
Lamberts  hinterlassenen  Schriften",  die  er  1781  in  dem  Leip- 
ziger Magazin  für  Naturkunde,  Mathematik  und  Ökonomie 
(S.  291 — 292)  veröffentlichte;  auf  diese  Quelle  sind  wir  angewiesen, 
da  die  Akten  der  Berliner  Akademie  nichts  auf  die  Angelegenheit 
Bezügliches  enthalten. 

Li  dieser  „Nachricht^'  teilt  Bernoulli  weiter  mit,  dafs  er  den 
Nachlafs  Lamberts  geordnet  habe,  und  zeigt  an,  „zu  welchen  Schriften 
er  den  Gelehrten  Hoffnung  machen  könne".     Es  sind  dies: 


*)  Die  Schrift:  Theorie  des  paralleles  par  Lambert,  Tours  1859  ist 
nicht  etwa  eine  Übersetzung  von  Joh.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallel- 
linien, sondern  hat  einen  Colonel  du  genie  Cesar  Lambert  zum  Verfasser. 


Theoriü  der  Parallellinien.  149 

1)  „ein  Moiiatsbucli  oder  eine  Art  Tagebuch,  in  welchem 
Lambert  von  1752  an  bis  zu  seinem  Ende  von  Monat  zu  Monat 
kurz  aufzuzeichnen  pflegte,  mit  welchen  gelehrten  Arbeiten  und  Unter- 
suchungen er  sich  den  ganzen  Monat  hindurch  beschäftigt  hatte. 
Wird  sehr  merkwürdig  und  lehrreich  befunden  werden." 

2)  „Lamberts  Briefwechsel  mit  unzähligen,  zum  Theil  sehr 
berühmten  Gelehrten:  Philosophen,  Mathematiker,  Physiker,  Astro- 
nomen, Litteratoren  u.  s,  w.     Wird  etliche  Bände  betragen." 

3)  „Materialien  zu  ein  Paar  Bänden  philosophischer  und 
philologischer  Abhandlungen." 

4)  „Vermischte  Abhandlungen  zu  den  mathematischen  und 
physikalischen  Wissenschaften  gehörig,  die  etwa  zwey  Bände 
ausmachen  werden  und  als  eine  Fortsetzung  der  bekannten  in  drei 
Theilen  erschienenen  Beyträge  anzusehen  sind." 

Bernoulli  eröffnete  nun  eine  Subskription  auf  Lamberts  Hinter- 
lassene  Schriften,  aber  leider  fand,  wie  er  1783  klagt,  „das  Unter- 
nehmen wenige  Beförderer".  So  sind  denn  „nach  manchen  über- 
standenen  Hindernissen"  nur  die  logischen  und  philosophischen 
Abhandlungen  in  zwei  Bänden  (Berlin  1781  und  1789)  und  der 
Deutsche  gelehrte  Briefwechsel  in  fünf  Bänden  (Berlin  1781 
bis  1787)  erschienen. 

Die  Diathematischen  und  physikalischen  Abhandlungen 
wären  uns  wohl  verloren  gegangen,  wenn  nicht  Bernoulli  zusammen 
mit  C.  F.  Hindenburg  eine  Zeitschrift  rein  mathematischen  Inhalts 
ins  Leben  gerufen  hätte,  wohl  die  erste  ihrer  Art,  das  Magazin 
für  die  reine  und  angewandte  Mathematik,  von  dem  das  erste 
Stück  im  Dezember  1785  herauskam.  Freilich  erreichte  diese  Zeit- 
schrift nur  den  dritten  Jahrgang,  und  auch  ein  erneuter  Versuch 
Hindenburgs  hatte  keinen  dauernden  Erfolg;  sein  Archiv  für 
reine  und  angewandte  Mathematik  hat  es  von  1795  bis  1801 
nur  auf  elf  Hefte  gebracht.  In  diesen  beiden  Zeitschriften  wurde 
eine  Reihe  von  Abhandlungen  aus  dem  Nachlasse  Lamberts  abge- 
druckt, „indem  Zeit  und  Umstände  Herrn  Bernoulli  sonst  noch 
lange  hindern  würden,  alles  das,  wie  anfangs  beschlossen 
war,  in  einem  eigenen  Bande  gesammelt  herauszugeben." 

Die  erste  dieser  Abhandlungen  ist  die  Theorie  der  Parallel- 
linien, die  man  in  dem  zweiten  Stücke  des  Magazins  für  1786, 
S.  137  — 164  und  in  dem  dritten  Stücke  S.  325  —  358  findet.  Im 
Folgenden  geben  wir  einen  getreuen  Wiederabdruck  dieser  Abhand- 
lung;   nur    einige    unbedeutende    Druckfehler    haben    wir    verbessert. 


150  JJinleitimg  und  Littciatur  zu  liiimberts 

Dio  Figuren,  die  im  Original  zwei  Tafeln  füllen,  sind  in  den  Text 
aufgenommen  worden. 

Gern  hätten  wir  unserm  Neudruck  die  Urschrift  Lamberts  zu 
Grunde  gelegt,  und  da  wir  überdies  vermuteten,  dafs  der  nicht  ver- 
öffentlichte Teil  des  Nachlasses,  insbesondere  das  Tagebuch,  Be- 
merkungen über  die  Parallelentheorie  enthalten  konnte,  haben  wir 
vms  bemüht,  Genaueres  über  den  Verbleib  von  Lamberts  Nachlafs 
zu  ermitteln. 

Solche  Nachforschungen  hatte  bereits  1847  Rudolf  Wolf  für 
seine  Lebensbeschreibungen  von  Lambert  und  Daniel  Bernoulli 
angestellt;  es  lag  ihm  daran,  den  wichtigen  Briefwechsel  dieser  beiden 
Gelehrten  ausfindig  zu  machen,  der  nach  einer  Ankündigung  Ber- 
noullis  in  dem  ersten  Bande  des  Französischen  Briefwechsels 
hatte  erscheinen  sollen.  Rudolf  Wolf  fand  zwar  auf  der  Berliner 
Sternwarte  einige  Handschriften  Lamberts,  aber  sie  „sind  durchaus 
von  untergeordnetem  Werte  und  geben  nicht  den  geringsten  Auf- 
sclilufs  über  das  Schicksal  der  übrigen  Manuskripte";  gegenwärtig 
sind  übrigens  Handschriften  Lamberts  dort  nicht  mehr  vt^rhanden, 
und  dasselbe  gilt  von  dem  Archive  der  Königlichen  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  Berlin. 

Auch  die  Königliche  Bibliothek  in  Berlin  besitzt  nur  drei  un- 
wichtige Briefe  Lamberts  an  Forme y.  Ebensowenig  hat  sich  Lam- 
berts Nachlafs  in  Johann  Beruoullis  Familie  vererbt.  Der  einzige 
noch  lebende  Enkel,  Herr  Paul  Bernoulli  in  Berlin,  ist  so  freund- 
lich gewesen,  uns  mitzuteilen,  dafs  ihm  Briefschaften  aus  dem  Nach- 
lasse seines  Grofsvaters  überhaupt  nicht  überkommen  sind,  und  dafs 
in  den  Papieren,  die  er  besitzt,  nichts  auf  Lambert  Bezügliches  zu 
finden  gewesen  ist. 

Eine  Möglichkeit  ist  allerdings  noch  vorhanden:  Durch  einen 
glücklichen  Zufall  ist  es  Rudolf  Wolf  gelungen  festzustellen,  dafs 
Bernoulli  in  den  Jahren  1793  und  1799  Teile  des  „grofsartigen 
Briefwechsels  seiner  Familie"  an  die  Grofsherzoglich  Sächsische 
Bibliothek  in  Gotha  verkauft  hat,  wo  sie  sich  noch  gegenwärtig 
befinden.  Hat  vielleicht  Lamberts  Nachlafs  ein  ähnliches 
Schicksal  gehabt?  Oder  ist  er  1807,  als  das  Haus  Bernoullis 
in  Köpenick  bei  Berlin  abbrannte,  mit  verbrannt? 


Theorie  dex*  Piirallellinien.  15] 


Litteratur. 


Anding,  E.,  Lamberts  Lehen  und  Schriften,  Anhang  zu  Lamberts  Photometrie, 

Klassiker  der  exakten  Wissenschaften  Nr.  33. 
Beez,  R.,  Über  Euklidische  imd  Nicht -Euklidische  Geometrie.    Gyninasialprogramm, 

Plauen  i.  V.  1888.     S.  18. 
Bolyai,  W.,  Kurzer  Grundrifs  eines  Versuches  usw.    Maros  Vasärhely  1851.    S.  35. 
Cantor,   M. ,  Artikel   Abraham    Gotthelf  Kaestner   in  der  Deutschen  Biographie, 

Bd.  15.     Leipzig  1882,  S.  439—446. 
Foncenex,  Daviet  de,  Reflexions  sur  les  quantites  imaginaires,  Miscellanea  philo- 

sophico-mathematica   Societatis  Privatae   Taurinensis.     Tom.  I.     Turin  1759. 

S.  113. 
Formej,    Eloge    de    31.   Lambert,    Histoire    de  TAcademie  royale,    Annee   1778, 

Berlin  1780,  S.  72—90. 
Günther,  S.,  Die  Lehre  von  den  Hyperhelfunctionen.    Halle  1881.     S.  24—29. 
Hindenburg,  C.  F.,  Noch  Etivas  über  die  Parallellinien.    Magazin  für  die  reine 

und  angewandte  Mathematik,  Jahrgang  1786.     S.  359  —  367. 
Hub  er,  D.,  Johann  Heinrich  Lambert,  nach  seinem  Leben  und  Wirken  dargestellt. 

Basel  1829,  enthält: 

1.  Einen  Vorbericht  des  Herausgebers  über  die  Lambertfeier  zu  Mühlhauseu  im  Jahre  1828, 

2.  Lamberts  Leben,  von  Matthias  Oraf, 

3.  Lamberts  Verdienste  um  die  theoretische  Philosophie,  von  Simon  Erhardt, 

i.   Lamberts  Verdienste  in  den  mathematischen  und  physikalischen  Wissenschaften,  von  Daniel 
Huber. 

Jacobi,  C.  F.  A.,  De  undecimo  EucUdis  axiomate  iudicium,  cui  accedimt  pauca 

de  trisectione  anguli.    Jena  1824. 
Lambert,   J.  H. ,    Memoire    sur   quelques  proprietes   remarquables   des   quantites 

transcendantes   circulaires   et   logarithmiques.     Histoire  de  l'Academie  royale. 

Annee  1761.     Berlin  1768.     S.  265. 
Lambert,  J.  H. ,    Observations  trigonometriques.     Histoire  de  l'Academie   royale. 

Annee  1768.     Berlin  1770.     S.  327. 
Leibniz,  G.  W.,  Brieftvechsel  mit  Giordano  da  Bitonto  aus  der  Zeit  von  1690—1700. 

Leibnizens  mathematische  Schriften,  herausgegeben  von  C.  J.  Gerhardt,  Bd.  1. 

S.  196. 
Leibniz,  G.W.,  In  EucUdis  UPSITA  (handschriftlich  auf  der  Königlichen  Bibliothek 

zu  Hannover),  Leibnizens  mathematische  Schriften,  Bd.  4.    Halle  1858.   S.  183. 
Lepsius,  Job.,  Johann  Heinrich  Lambert.     München  1881. 
Lobatschefskij,  N.,  Geometrie  imaginaire,  Journal  für  die  reine  und  angewandte 

Mathematik,  Bd.  17.     Berlin  1837.     S.  299. 
Riccati,  Vincentio,  Opuscula  ad  res  physicas  et  mathematicas  pertinentia.  Tom.  I. 

Bologna  1757.     S.  45. 
Riemann,  B.,   Über  die  Hypothesen,  ivelche  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen,  Habi- 
litationsvorlesung,  gehalten  am  10.   Juni  1854.    Gesammelte  Werke,    1.  Aufl. 

S.  254—269. 
Schweikart,  F.  C,  Die  Theorie  der  Parallellinien.    Jena  und  Leipzig  1807.    S.  6. 
Wolf,  R. ,  Biographien  zur  Kulturgeschichte  der  Schweiz.,  Dritter  Cyklus.     Zürich 

1860.     S.  317—356:  Job.  Heinr.  Lambert  von  Mühlhausen;  vgl.  auch  S.  195. 


137 


Theorie  der  Parallelliuien, 


Joh.  Heinr.  Lambert*). 


1)  Vorlaufige  Betracbtuugeu. 

§•  1- 
Gegenwärtige  Abliaudlung  betrift  eine  Schwierigkeit,  die  in  den 
ersten  Anfangen  der  Geometrie  vorkommt,  und  schon  seit  Euldid's 
Zeiten  denjenigen  anstossig  gewesen,  welche  die  Lehren  dieser  Wissen- 
schaft nicht  blofs  andern  nachglauben,  sondern  aus  Gründen  davon 
überzeugt  seyn,  und  diejenige  Schärfe,  die  sie  in  den  meisten  Beweisen 
fanden,  nirgends  missen  wollten. 

Diese    Schwierigkeit    fällt   Jedem,    der  Euldid's  Elemente   lieset, 
gleich  anfangs  in  die  Augen,  weil  sie  sich  nicht  erst  unter  den  Lehr- 
sätzen,  sondern  selbst  unter  den  Grundsätzen  findet,   die  Eiüdid  dem 
ersten  Buche  vorsetzt.     Von   diesen  Grundsätzen   nimmt  der  Ute  als 
138  etwas  für  sich  Klares  und  keines  Beweises  bediirftiges    an, 

dafs,  wenn  zivo  Linien  CD,  BD  (Fig.  L)   von  einer  dritten  BC 

durchschnitten  icerden, 
und  die  heyden  innern 
Winkel  BGB,  BBC 
zusammen  genommen, 
Meiner  als  zween  rechte 
WinJcel  sind,  die  heijden 
Linien  CB,  BB  gegen 
B,  oder  auf  der  Seite,  ico  diese  Winkel  sind,  susammen  laufen. 


§.  2. 
Dieser  Grundsatz  ist  unstreitig  lange  nicht  so  klar  und  einleuch- 
tend   als    die   iibrigen;    und    der  Eindruck,    den   er   natürlicher  Weise 


*)  Aufgesetzt  im  Septemb.  1766. 


B[emoulli] 


1)  Vork'lufige  Betrachtungen.     §.  1 — 3.  153 

macht,  ist,  dafs  man  nicht  nur  einen  Beweis  davon  verlangt,  sondern 
gewissermasseu  empfindet,  dafs  er  eines  Beweises  fähig  sey,  oder  dafs 
es  einen  Beweis  davon  geben  müsse. 

Dieses  ist,  soviel  ich  mir  die  Sache  vorstelle,  der  crstß  Eindruck. 
Lieset  man  aber  im  Eulilid  weiter  fort:  so  mufs  man  nicht  nur  die 
Sorgfalt  und  Schärfe  seiner  Beweise,  und  eine  gewisse  edle  Einfalt  in 
seinem  Vortrage  bewundern;  sondern  mau  wird  über  seinen  Uten  Grund- 
satz noch  um  desto  mehr  stutzig,  wenn  man  sieht,  dafs  Euldid  Sätze 
beweist,    die  man   viel  leichter  würde   ohne  Beweis  zugegeben  haben. 

Mau  giebt  zwar  vor,  Euldid  habe  dieses  gethan,  um  seine  Lehren 
auch  gegen  die  spitzfindigsten  Einwürfe  der  damaligen  Sophisten  in 
Sicherheit  zu  setzen*).  Allein  wenn  dieses  ist:  so  gestehe  ich,  dafs 
ich  mir  von  diesen  Sophisten  keinen  Begriff  machen  kanu,  wenn  Euldid 
voraussetzen  konnte,  dafs  sie  ihm  seinen  Uten  Grundsatz  würden 
unangefochten  gelteu  lassen,  weil  mit  demselben  der  grofste  Theil  der 
geometrischen  Lehrsätze  wegfällt.  Man  sollte  vielmehr  gedenken,  dafs 
Euldid  und  die  Sophisten,  wenn  je  diese  zu  Euldid' s  Zeiten  nichts 
eingewandt  haben,  andre  Maximen  zur  Beurtheilung  der  Grundsätze 
und  des  Vortrags  der  geometrischen  Beweise  müssen  gehabt  haben, 
als  verschiedene  von  denen,  die  in  den  folgenden  Zeiten  über  diese 
Sache  gedacht,  oder  Schwierigkeiten  wider  die  etwan  ]  von  andern  139 
versuchten  Beweise  gemacht  haben. 

Von  diesen  Schwierigkeiten  oder  Einwendungen  sind  mir  solche 
vorgekommen,  wobey  ordentlich  vorausgesetzt  werden  mufs,  dafs  man, 
um  den  Euklidischen  Grundsatz  zu  beweisen,  oder  überhaupt  die  Geo- 
metrie festzusetzen,  weder  seilen  noch  sich  von  der  Sache  seihst  eine 
Vorstellung  machen  dürfe.  Es  ist  unstreitig,  dafs  man  bey  einer  solchen 
Foderung  den  12teu  Euklidischen  Grundsatz,  dafs  sivo  gerade  Linien 
lieinen  Baum  scldiessen,  ebenfalls  wird  anfechten  können. 

§.  3. 
Es  ist  aber  auch  eben  so  unstreitig,  dafs  die  Sophisten  zu  Euldid's 
Zeiten    minder  strenge   gewesen  seyn,   und   die   Vorstellung  der  Sache 
müfsten   zugegeben  haben.     Mit   dieser  Voraussetzung  aber   läfst  sich 


*)  [Lamlert  denkt  wohl  an  folgende  Äufserung  von  Clairaut  {Elements  de 
Geometrie,  1741,  S.  X):  Dieser  Geometer  musste  die  hartnäckigen  Sophisten  über- 
zeugen, die  ihren  Ruhm  darin  suchten,  die  augenscheinlichsten  Wahrheiten  an- 
zugreifen. Deshalb  musste  die  Geometrie  damals,  ebenso  wie  die  Logik,  um 
Böswilligen  den  Mund  zu  stopfen,  zum  schulgerechten  Schlussverfahren  greifen. 
Die  Sache  hat  sich  aber  geändert.  Weitläufige  Auseinandersetzungen  über  Dinge, 
bei  denen  von  vornherein  der  gesunde  Menschenverstand  entscheidet,  sind  durch- 
aus überflüssig  und  dienen  nur  dazu,  die  Wahrheit  zu  verdunkeln  und  die  Leser 
abzuschrecken.] 


154 


Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  rarallellinien. 


EuJdid's  Vortrag,  wenigstens  in  Ermangelung  eines  andern  und  min- 
dern Schwierigkeiten  unterworfenen,  ganz  ordentlich  rechtfertigen. 

Man  kann  numlich  den  Uten  Grundsatz  aufgeschoben  seyn  lassen,  bis 
man  zu  der  Frop.  XXIX  des  ersten  Buchs  kommt.  Inzwischen  lernt 
man  ganz  gewifs  die  Sache  selbst,  wovon  in  dem  Grundsatze  die  Rede 
ist,  Jcennen,  und  das,  was  an  dem  Grundsatze  und  dessen  Vorstellung 
zu  mangeln  scheint,  auch  wenn  man  es  nicht  mit  Worten  ausdrücken 
kann,  noch  hinzudenken.  In  den  beyden  nächst  vorhergehenden  Prop. 
XXVII  und  XXVIII  lernt  man,  dafs,  wenn  die  Winkel 
FCB  +  CJBD  =  180  Gr. 

oder  die  Winkel  FCB  =  CBÄ  sind,  die  Linien  AB,  CF  weder  gegen 

F  noch  gegen  G  zu- 
sammen laufen.  Man 
lernt  dadurch,  dafs  die 
34ste  Definition*)  nicht 
ein  Unding  oder  leeres 
Hirngespinnst  angiebt; 
sondern  dafs  nichtzu- 
sammeulaufende  gerade  Linien  im  Reiche  der  Wahrheit  wirklich  vor- 
kommen. Denn  bis  dahin  blieb  diese  Definition  ausgestellt;  und  bis 
dahin  konnte  mau  auch  den  Grundsatz  ausgestellt  seyn  lassen,  weil 
derselbe  doch  mit  den  Parallellinieu  in  enger  Verbindung  stehet,  und 
140  so  zu  reden  |  zwischen  Parallellinien  und  zusammenlaufenden  Linien 
die  Gränze  bezeichnet. 

Was  man  sich  nun,  um  sich  von  der  Richtigkeit  und  GedenTibarkeit 
des  Grundsatzes  zu  versichern,  noch  ferner  vorstellt,  kommt  meines 
Erachtens  darauf  an:  Man  stellt  sich  GF,  AB  nach  der  Prop.  XXVII 
oder  XXVIII  als  nichtzusammenlaufend  vor,  und  gedenkt  sich  eine 
jede  durch  den  Winkel  BCF  gezogene  gerade  Linie  CD.  und  so  weifs 
man,  dafs,  so  klein  auch  der  Winkel  BCF  seyn  mag,  nothwendig 
BBC  -f  BGB  <  180  Gr. 

ist,  und  demnach  der  Bedingung  des  Grundsatzes  Genüge  geschieht. 
Soll  man  sich  mm  die  Folge,  dafs  CD,  BD  zusammen  laufen,  eben- 
falls vorstellen :  so  wird  allerdings  erfordert,  dafs  man  sich  die  Linien 
CF,  CB,  AB  als  gerade  Linien  vorstelle.  Durch  diese  Vorstellung 
erhalt  man,  dafs  CB  verlängert ,  sich  nicht  nur  von  CF  immer  weiter 
entfernt,  sondern  auch  sich  gegen  AB  dergestalt  nähert,  dafs  sie  die- 
selbe nothwendig  in  irgend  einer  Entfernung  BB  durchschneiden  mufs. 


*)  [In  der  Ausgabe  von  Heiher g  ist  es  die  •23ste.] 


1)  Vüiiauligo  IJetrachtungen.     §.  3,  4,  155 

Wer  hiebey  den  Einwurf  macht,  CD  konnte  sich  vielleicht  gegen 
AD  auf  eine  asymptotische  Art  nähern,  wie  z.  E.  die  Hyperbel  und 
andre  asymptotische  krumme  Linien,  der  ändert  meines  Erachtens 
das,  was  man  in  der  Vernunftlehre  statum  quaestionis  heifst,  oder  er 
weicht  davon  ab,  dafs  bey  EtiMiden  nicht  von  Beweisen,  sondern  von 
der  Vorstellung  und  der  GedenTibarkeit  der  Sache  die  Rede  ist;  weil 
man  es  Euldiden  ganz  sicher  zutrauen  kann,  dafs  er  sonst  seinen  Satz 
nicht  würde  unter  die  Grundsätze  gezählt  oder  gesetzt  haben.  Kommt 
es  aber  auf  die  Vorstellung  der  Sache  an:  so  sehe  ich  nicht,  wie  sich 
bey  der  Vorstellung  gerader  Linien  Einwurfe  von  Hyperbeln  hernehmen 
lassen,  weil  man  auf  eine  ganz  gleiche  Art  würde  anstehen  können, 
ob  zwo  gerade  Linien  nicht  dergestalt  könnten  aneinander  gelegt 
werden,  dafs  sie  einen  Raum  einschliefsen ;  weil  es  doch  mit  zween 
gleich  I  grossen  Cirkelbogen,  wenn  man  ihre  Holung  gegen  einander  141 
kehrt,  angeht. 

Ich  führe  dieses  nur  au,  um  zu  zeigen,  dafs  sich  mit  Voraus- 
setzung von  der  wirklichen  Vorstellung  der  Sache,  und  wemi  man 
nicht  schlechthin  nur  V^orte  fordert,  Euklid's  Verfahren  rechtfertigen 
lasse;  um  so  mehr,  da  sein  Vortrag,  so  viel  mir  bekannt  ist,  noch 
bis  dermalen  weniger  Schwierigkeiten  hat,  als  sich  bey  allen  seit 
Eiüdid's  Zeiten  angestellten  Versuchen,  die  Sache  anders  vorzutragen, 
gefunden  haben.  Man  kann  hienVber  eine  kurze  und  sehr  bimdig  ge- 
schriebene akademische  Dissertation  von  Hrn.  Klügel  nachlesen,  worin 
die  in  solchen  Versuchen  zurücke  gebliebenen  Mängel  und  öfters  mit 
untergelaufene  logische  Cirkel,  Lücken,  Sprünge,  Paralogismen, 
unrichtig  gebrauchte  und  gratis  angenommene  Definitionen  und  Grund- 
sätze  mit  vielem  Scharfsinn    und   vieler  Mäfsigung    angezeigt  werden. 

§•  4. 

ungeachtet,  wie  es  auch  in  dieser  Dissertation  erzählt  wird,  in 
gegenwärtigem  Jahrhundert  verschiedene  solcher  gewagten  Versuche 
im  Drucke  herausgekommen:  so  ist  doch  gar  kein  Zweifel,  dafs  es^ 
besonders  in  Deutschland,  nicht  viel  mehrere  sollte  gegeben  haben, 
wenn  Wolf,  welcher  in  einem  Zeitraum  von  40  und  mehr  Jahren,  in 
Absicht  auf  die  herausgekommenen  geometrischen  Schriften,  Dux 
gregis  war,  und  es  allerdings  aus  vielen  guten  Griinden  zu  seyn  ver- 
diente; wenn  Wolf]  sage  ich,  vorbemeldte  Schwierigkeit,  theils  besser 
empfunden,  vornehmlich  aber  in  seinen  Anfangsgründen  mehr  rüge 
gemacht  hätte.  Letzteres  hätte  aus  leicht  begreiflichen  Gründen  eine 
Menge   Schriften   darüber  zum   Vorschein    gebracht.     Ersteres   würde. 


156  Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 

SU  viel  ich  mir  ilie  Sache  vorstelle,  selbst  auf  Wolfens  Weltweisheit 
eiuen  sehr  merklicheu  Einflufs  gehabt  haben. 

Es  liegt  nicht  an  dem,  dafs  Wolf  nicht  ganz  ordentlich  wufste, 
düfs  ivälhüiich  zusammengesetzte  Begriffe  müssen  eriviesen  ivenlen.  Er 
l-4-i  schärft  es  ia  seinen  beyden  |  Vernunftlehren,  und  selbst  auch  in  seinen 
Vorberichten  von  der  mathematischen  Methode,  ein,  und  erläutert  es 
durch  Beyspiele  aus  der  Geometrie.  Ich  folgere  aber  daraus,  Wolf 
müsse  seine  Definition  von  den  Parallellinien  nicht  als  einen  tvillkur- 
licli  msammengesetzten  Begriff  angesehen  haben,  weil  ich  ihm  zutraue, 
er  würde  sonst  auf  einen  Beweis  ihrer  Möglichkeit  gedacht,  oder 
wenigstens  erinnert  haben,  dafs  noch  etwas  zurück  bleibe;  oder  er 
hätte  EiüdicVs  Verfahren  beybehalten,  und  so  wäre  die  Schwierigkeit 
wie  bey  Euldiden  in  die  Augen  gefallen. 

Untersuche  ich  aber,  warum  Wolf,  ohne  an  etwas  Willkürliches 
zu  denken,  sich  begnügt  habe,  die  Parallellinieu  aeqiädistantes  zu 
nennen:  so  mufs  ich  voraussetzen,  er  habe  diesen  Begriff  nach  seiner 
andern  Methode  Begriffe  zu  finden,  das  will  sagen,  durchs  AJbstraliiren 
aus  einzelnen  Bei)S])ielen  gefunden.  Von  solchen  Begriffen  und  Defini- 
tionen sagt  er,  dafs  sie  keines  fernem  Beweises  bedürfen.  Ich  gebe 
es  zu.  Aber  im  Vortrage  mufs  man  sodaun  allerdings  auch  gegen 
die  Leser  die  Billigkeit  haben,  dafs  man  ihnen  vorzeige,  wie  man  den 
Begriff  abstrahirt  habe.  Sonst  können  sich  die  Leser  das  Recht  an- 
massen,  zu  vermuthen,  es  möchte  ein  Vitium  suhre^jtionis  vorgegangen 
oder  mit  untergelaufen  seyn.  Denn  Begriffe,  die  man  aus  Bey  spielen 
abstrahirt,  sind  in  soferne  allemal  auch  ä  posteriori;  und  man  kann 
sie  nur  alsdann  ä  priori  ansehen,  wenn  sie,  nachdem  man  sie  gefunden, 
für  sich  gedenkbar,  das  will  sagen,  einfach  sind.  Widrigenfalls  mufs 
man  die  Beyspiele  den  Lesern  vorweisen,  und  von  allen  Behutsam- 
keiten bey  dem  Abstrahiren  Rechnung  geben,  wenn  man  allen  Ver- 
dacht eines   Vitii  suhreptionis  von  sich  ablehnen  will, 

Bulfinger*)  empfand  die  Nothwendigkeit  dieses  Verfahrens  sehr 
wohl,  und  war  eben  dadurch  besser  als  Wolf  selbst  im  Stande,  die 
wider  die  Wolfische  Weltweisheit  erregten  Schwierigkeiten  merklich 
143  zu  vermindern.  Es  wäre  aber  zu  wünschen  gewesen,  dafs  Wolf 
selbst  in  den  Hauptstücken  seiner  beyden  Vernunftlehren,  wo  er  theils 
vom  Definiren,  theils  vom  schriftlichen  Vortrage  dogmatischer  Sätze 
handelt,  die  Nothwendigkeit  und  die  Art  ausführlich  und  mit  allem 
Nachdrucke  gezeigt  hätte,  wie  man  den  Verdacht  des  Vitii  suhreptionis 


*)  [Georg  Bernhard  5t7/j«(/er  (IG93— 1740),  Dilucidationes  pMlosopliicae,  1725. 
Vergleiche:  Zeller,  Geschichte  der  deutschen  Philosophie  seit  Leibniz,  München 
1875,  S.  231.] 


1)  Vorläufige  Betrachtungen.     §.  4 — G.  157 

bey  Definitionen,  die  durchs  Abstraliiren  gefunden  worden,  im  Vortrage 
derselben  von  sich  ablehnen  müsse. 

§.  5. 

Dieses  wäre  nun  bey  der  Definition  der  Parallellinien  schlechthin 
nicht  angegano-en.  Demi  so  viel  man  sich  auch  solche  vorzeichnen 
will:  so  bleiben  doch  zwo  merkliche  Unvollstandigkeiteu  zuriick. 
Einmal  fehlt  bey  dem  Vorzeichnen  die  geometrische  Schärfe.  Sodann 
ist  es  schlechthin  unmöglich,  sie  beyderseits  ins  Unendliche  fortzu- 
ziehen. Und  so  reicht  man  ä  posfsriori  und  mit  dem  Abstrahiren 
nicht  aus;  und  die  Definition,  oder  besser  zu  sagen,  die  Möglichkeit 
der  Sache  mufs  aus  andern  und  einfachem  Gründen  erwiesen  werden, 
die  für  sich  gedenkbar  sind. 

Wolf  hat  unstreitig  diese  Betrachtungen  nicht  gemacht.  Man 
findet  auch  bey  ihm  solche  Spuren,  woraus  sich  nicht  undeutlich 
schliefsen  läfst,  dafs  er  den  Definitionen  zu  viel  eingeräumt,  und  aus 
dem  Grunde,  dafs  er  sie  der  Sache  gemäfs  einrichten  wollte,  die 
Schwierigkeiten,  die  in  der  Sache  sind,  in  die  Definitionen  gebracht 
habe*).  Dafs  sie  darin  mehrentheils  versteckter  waren,  als  sonst  in 
der  Sache  selbst,  konnte  man,  in  Absicht  auf  die  Parallellinien,  wenig- 
stens daraus  schliefsen,  dafs  in  solchen  Zeiten,  wo  eine  allgemeine 
Demonstrirsucht  die  herrschendste  Mode  war,  mehr  Wesens  wäre  daraus 
gemacht  worden,  wenn  Wolf  in  seinen  Anfangsgründen  der  Mefskuust 
den  Euklidischen  Vortrag  beybehalteu  hätte. 

§.  6.  144 

Ich  sagte  erst,  Wolf  habe  den  Definitionen  zu  viel  eingeräumt. 
Dieses  ist  nun  vielmehr  in  der  That  selbst,  als  mit  ausdrücklichen 
Worten  geschehen;  und  es  wurde  bey  vielen  unvermerkt  Mode,  dafs 
sie  von  einer  Sache  gar  keinen  Begriff  m  liahen  glaubten,  dafern  nicht 
der  Name  derselben  definirt  tvurde.  Selbst  allen  Grundsätzen  mufsten 
Definitionen  vorgehen,  ohne  welche  sie  nicht  sollten  können  verstanden 
werden.  Dabey  war  es  nun  kein  Wunder,  wenn  der  Satz,  dafs  eine 
jede  Definition,  ehe  sie  bewiesen  ist,  eine  leere  Hypothese  sey;  wenn  dieser 
Satz,  den  Euldid  so  genau  wufste  und  so  durchgängig  beobachtete, 
darüber,  wo  nicht  verloren  gieng,  doch  sehr  vergessen  wurde. 

Ich  merke  dieses  hier  um  so  mehr  an,  weil  es  in  Absicht  auf 
den   Vortrag    der    philosophischen   Wissenschaften    sehr    nachtheilige 


*)  [In  einem  Briefe  Lamberts  an  Kant  (Februar  1766)  heisst  es:  „Wolf  nahm 
Nominaldefinitionen  gleichsam  gratis  an  und  schob  oder  versteckte,  ohne  es  zu 
merken,  alle  Schwierigkeiten  in  dieselben"  (Lamberts  Briefwechsel,  Teil  I.  S.  347.)] 


158  Job.  Heinr.  Laraberts  Theorie  der  Parallellinien. 

Folgen  hatte;  iugleicliem,  weil  es  eben  das  ist,  worin  Wolf,  als  er 
seine  Methode  aus  Eukliden  abstrahirte,  noch  zurück  geblieben;  und 
endlich,  weil  eben  die  Parallellinien  das  augenscheinlichste  Beyspiel 
geben,  dafs  eine  vorausgeschicldc  Definition,  bis  sie  nicht  seihst  erwiesen 
ist,  nichts  beweise. 

§.  7. 

Es  ist  falsch,  dafs  EuTüid  irgend  eine  seiner  Definitionen,  ehe  er 
die  Möglichkeit  der  Sache  erwiesen,  anders  als  eine  blosse  Hypotliese 
gebrauche,  oder  sie  als  ein  categorisches  Principium  äemonstrandi  an- 
sehe. Der  Ausdruck  per  definitionem  gilt  bey  ihm  nicht  mehr  als  der 
Ausdruck  ^jcr  hypothesin.  Sieht  man  auch  genauer  nach:  so  nimmt  er 
das  Categorische  in  seinen  Lehrsätzen  nicht  von  den  Definitionen,  son- 
dern eigentlich  und  vornehmlich  von  den  Postidatis.  Von  diesen  gilt 
es  eigentlich,  wenn  Cicero  sagt:   Si  dcderis,  danda  sunt  omnia*). 

Unter  den  Grundsätzen  finde  ich  vornehmlich  nur  den  Uten,  der 
eine  positive  und  die  Figuren  unmittelbar  betreffende  Categorie  ent- 
145 hält.  Aber  eben  derselbe  ist  auch  der  Einzige,  den  man  nicht  will 
gelten  lassen.  Das  Categorische  darin  sollte  aus  den  Postulatis  durch 
Schlüsse  herausgebracht  werden.  Die  übrigen  betreffen  grofstentheils 
nur  den  Begriff  der  Gleichheit  und  Ungleichheit,  und  gehören  eben 
darum,  weil  sie  Verhrdtnifsbegriffc  betreffen,  nicht  zu  der  3Interie,  son- 
dern eigentlich  zu  der  Form  der  Schlüsse,  die  Euklid  in  seinen  Be- 
weisen macht,  und  in  welchen  sie  immer  nur  als  Obersätze  vorkommen. 
Der  12te  Grundsatz,  dafs  zivo  gerade  Linien  keinen  Raum  schliefaen, 
ist  verneinend,  und  wird  von  Eukliden  eben  so  wie  der  9te,  daß  das 
Ganze  grosser  ist  cds  sein  Theil,  da  gebraucht,  wo  der  Beweis  apago- 
gisch  ist,  oder  die  Wahrheit  des  Satzes  aus  der  Unmöglichkeit  des 
Gegentheils  erwiesen  wird. 


Dieses  ist  nun  in  einem  kurzen  Entwürfe  der  Geist  der  Euklidi- 
schen Methode,  und  zugleich  dasjenige,  wovon  ich  in  Wolfs  Vernunft- 
lehren wenig  oder  nichts,  in  seinem  Verfahren  und  Vortrage  sehr  oft 
das  Gegentheil  finde. 

So  z.  E.  glaubte  Wolf  mit  mehrern  andern,  dafs  mau  die  Schwie- 
rigkeit, die  Euklids  1  Iten  Grmidsafz  drückt,  dadurch  heben  könne, 
wenn  man  seine  Definition  der  Parallelliuien   änderte.     Sie   wird  aber 


'*)  [In  geometria  prima  si  decleris,   danda  sunt  omnia.     De  finibns  bonorum 
et  malorum,  Jib.  V.  83.] 


1)  Vorhiufige  Betrachtungen.     §.  6—1).  159 

dadurch  weder  gehoben,  noch  vermieden,  noch  auf  eine  geschickte 
Art  umgegangen,  und  gleichsam  von  hinten  her  weggehoben.  Sie 
wird  vielmehr,  wenn  auch  Alles  richtig  geht,  nur  von  dem  Grundsätze 
tveg,  und  in  die  Definition  gebracM;  und  zwar,  so  viel  ich  sehe,  ohne 
dafs  sie  dadurch  leichter  konnte  gehoben  werden.  In  der  That  auch 
läfst  sich  Euklids  Definition  ohne  Rücksicht  auf  seinen  Uten  Grund- 
satz beweisen.  Wolfs  Definition  hingegen  kann  entweder  ohne  diesen 
Grundsatz  nicht  bewiesen  werden;  oder  wenn  sie  bewiesen  werden 
kann:  so  ist  dieser  Grundsatz  so  gut  als  zugleich  mit  erwiesen. 

Es  kömmt  aber  eigentlich  auf  die  Definition  |  gar  nicht  an.  Man  146 
kann  sie  bey  Eukliden  ganz  weglassen;  und  so  wird  man  in  der 
Prop.  XXVII  und  XXVIII  von  selbst  anstatt  parallelae  lineae  den 
Ausdruck  lineae  sibi  non  coincidentes  setzen.  Man  wird,  aus  Be- 
trachtung, dafs  dieses  ein  merkwürdiger  Umstand  ist,  sodann  von 
selbst  darauf  verfallen,  auf  eine  kurze  und  schickliche  Benennung  zu 
denken,  oder  solchen  Linien,  die  nicht  zusammen  laufen,  so  viel  man 
sie  auch  auf  beyden  Seiten  verlängert,  einen  Namen  zu  geben.  Und 
man  wird  dazu  noch  mehr  verleitet  werden,  wenn  man  im  Folgenden 
darauf  verfällt,  dafs  eben  diese  Linien  noch  überdies  durchaus  in 
gleicher  Entfernung  von  einander  bleiben. 

Dies  ist  die  eigentlich  synthetische  Art  zu  verfahren;  und  man 
denkt  dabey  erst  dann  auf  die  Benennung,  wenn  die  Sache  heraus- 
gebracht und  erheblich  genug  ist,  einen  besondern  Namen  zu  ver- 
dienen. Beyspiele  davon  kommen  in  der  Mathematik  unzähliche  vor, 
und  sollen  auch  in  allen  denen  Wissenschaften,  wo  man  a  priori 
gehen  kann  oder  zu  gehen  gedenkt,  nicht  selten  seyu. 

§.  9. 

ProMus,  welchem  Euklid's  llter  Grundsatz  ebenfalls  anstossig 
war,  fordert  deswegen  einen  Beweis  davon,  weil  derselbe,  wenn  man 
ihn  umkehrt,  erweisbar  ist 

In  der  That  findet  sich  der  umgekehrte  Satz  in  der  Prop.  XVII. 
Libr.  I.  erwiesen.  Mir  kommt  es  ebenfalls  ganz  richtig  vor,  dafs  es 
bey  einem  Grundsatze  für  sich  klar  seyn  müsse,  was  es  mit  demselben 
gerade  oder  umgekehrt  für  eine  Bewandtnifs  habe.  Denn,  nach  aller 
Schärfe  betrachtet,  soll  ein  Grundsatz  aus  lauter  einfachen,  und  daher 
für  sich  gedenkbaren  Begriifen  bestehen;  und  es  mufs,  ob  und  wie- 
fern sie  mit  einander  verbunden  werden  können,  unmittelbar  aus  der 
Vorstellung  der  Begriffe  erhellen. 

So  z.  E,  ist  der  achte  Euklidische  Grundsatz,  dafs  ausgedehnte 
Grossen,    die   a/)if  einander  passen,   einander  gleich  \  sind;    (Quae  sihini 


160  Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 

mutuo  congnmnt,  sunt  aequalia)  dieser  Satz  ist  für  sich  geJeukbar 
Es  ist  aber  auch  eben  so  für  sich  gedenkbar,  dafs  er  nur  bey  geraden 
Linien  und  Winkeln  umgekehrt  gilt,  bey  Figuren  aber  noch  eine  Be- 
stimmung, und  zwar  die  von  der  Aehnlichkeit,  hinzu  kommen  müsse, 
wenn  er  dabey  umgekehrt  anwendbar  seyn  soll. 

§.  10. 

Um  nun  nach  diesen  allgemeinen  Betrachtungen  näher  zu  der 
Theorie  der  Parallellinien  zu  kommen,  wodurch  ich  sowohl  die 
Schwierigkeiten  deutlich  zu  macheu,  als  auch  sie  zu  heben  gedenke: 
so  werde  ich  vorerst  den  eigentlichen  stafimi  quaestionis  feste  setzen. 

Die  Frage  seihst  betrift  nehmlich  erstlich  iveder  die  Wahrheit 
noch  die  GedenJiharJieit  des  Euklidischen  Grundsatzes.  Es  hätte  um  den 
grSfsten  Theil  der  Geometrie  bisher  ilbel  ausgesehen,  wenn  dieses  die 
Frage  seyn  sollte.  Ich  habe  in  Absicht  auf  die  Gedenl'harleit  bereits 
oben  (§.  3.)  angezeigt,  nach  welcher  Ordnung  sie  bey  dem  Durchlesen 
des  Eiddides  entstehe.  Dafs  der  Grundsatz  dadurch  zugleich  auch  als 
ivaJir  gedacht  werde,  ist  für  sich  klar.  Es  wird  aber  die  Wahrheit 
desselben  auch  aus  allen  Folgen,  die  in  allen  Absichten  daraus  ge- 
zogen werden,  dergestalt  erwiesen,  einleuchtend  und  noth wendig,  dafs 
man  diese  Folgen,  zusammengenommen,  als  eine  auf  vielfache  Arten 
vollständige  Induction  ansehen  kann. 

Sodann  findet  sich  auch  bey  vielen  Versuchen,  die  mau  anstellen 
kann,  um  diesen  Grundsatz  zu  beweisen,  dafs  er,  um  bewiesen  zu 
werden,  fast  immer  sich  selbst  voraussetzt,  und  auf  sehr  vielerley 
Arten  eine  Folge  von  sich  selbst  ist,  auf  keine  Art  aber  umge- 
stossen  wird. 

Dieses  mag  auch  ein  Grund  mit  seyn,  warum  EuMid  denselben, 
in  Ermanglung  eines  Beweises,  unter  die  Grundsätze  genommen:  zumal 
da  er  diejenige  Definition  gewählt,  die  ohne  Rücksicht  auf  diesen 
148  Grundsatz  erweisbar  war,  und  sich  mit  demselben  am  |  unmittelbarsten 
verbinden  liefs.  Denn  man  sieht  ganz  offenbar,  dafs  seine  Proj).  XXIX, 
wo  dieser  Grundsatz  gebraucht  wird,  vornehmlich  nur  dient  zu  be- 
weisen, dafs  es,  ausser  denen  in  den  beyden  Prop.  XXVII  und  XXVIII 
erwiesenen  Parallelliuien,  keine  andern  mehr  gebe,  und  in  dieser 
Absicht  wird  dadurch  eine  in  der  That  sehr  kleine  Lücke  ausgefüllt, 
weil  mau  sich  ohne  Mühe  vorstellen  kann,  dafs  nur  noch  solche 
Linien  aus  der  Zahl  der  nichtzusammenlaufenden  auszuschliefsen 
blieben,  die  mit  CF  (Fig.  T.)  einen  Meinern  Winkel  machen,  als  alle 
diejenigen  Linien  CD,  Cd,  deren  Durchschnitt  D,  d  gegeben  werden 
kann,  das  will  sagen,  der  eine  endliche  Entfernung  vou  Ä  hat.     Denn, 


1)  Vorläufige  Betnichtnngen.     §.  1),  10.  161 

wenn  man  CF  um  den  Punkt  G  herunter  gegen  D  dreht:    so  merkt 
Hr.  Prof.  Kastner   mit  Recht  an,    dafs   sich    der  erste  Durchschnitts- 
punkt   nicht    angeben 
lasse,    weil,    wo    man  ''-^^^>>-^  ^„.^"""^ 

ihn     immer    auf    AD  a ^^>^<f<cr^^^ ^ 

hinaus     setzen    wollte,  ^^^-""^^^ /  \^^^^"^-^^<:--, 

noch  ein  entfernterer  ge-        ^^-""'^^^  ■■'         \  ^~'~~-^^' "■--.. 

nommen  werden  kann.  ^'     "'      '^  ^ 

Dieses  hat  aber  meines 

Erachtens  den  Erfolg,  dafs,  wo  die  Winkel  BGF,  dCF  sehr  klein 
sind,  die  Entfernungen  AD,  Ad  in  umgekehrter  Verhältnifs  der  Winkel 
DCF,  dCF,  oder  einer  davon  nicht  viel  verschiedenen  Funktion  der- 
selben, zunehmen  müssen.  Denn  in  gerader  Verhältnifs  der  Winkel 
ACD,  ACd,  oder  einer  Funktion  derselben,  können  sie  deswegen 
nicht  zunehmen,  weil  sonst  CF,  auch  wo 

DAC\ACF^  180  Gr. 

oder  gar  noch  grosser  ist,  die  Linie  AD  in  einer  endlichen  Ent- 
fernung von  A  schneiden  müfste;  welches  der  Frop.  XXVIII.  Libr.  I. 
des  Euklides  zuwider  wäre. 

Indessen  glaube  ich  nicht,  dafs  sich  die  Sache  auf  diese  Art 
erörtern  lasse;  ungeachtet  sich's,  wenn  die  Sache  einmal  berichtigt  ist, 
leicht  erweisen  läfst,  dafs  man,  um  jeden  Winkel  DCF  zu  halbiren, 
nur  Dd  =  DC  zu  machen  habe.  So  giebt  es  auch  noch  andre  Arten, 
sich  die  Sache   vorzustellen. 

Wer  z.  E.  die  beyden  nichtzusammenlaufenden  Linien  CF,  AD 
so  ansieht,  dafs  sie  einen  |  Winkel  machen,  der  =0  ist:  der  wird  149 
leicht  beweisen  können,  dafs  jede  Linie  Cd  mit  Ad  einen  Winkel 
mäche,  der  >  0  ist,  und  dafs  demnach  diese  beyden  Linien  sich 
irgendwo  schneiden.  Der  Beweis  ist  eben  der,  wodurch  man  zeigt, 
dafs  CDA  >  CdA  sey  (Frop.  XVI.  Libr.  I.  Eudid.).  Denn  dreht  man 
CD  um  den  Punkt  C  aufwärts:  so  wird  der  Winkel  CDA  immer 
kleiner,  und  endlich  vollends  negativ,  sobald  CD  über  CF  hinauf 
k6mmt.  Er  mufs  demnach  irgend  =  0  werden;  und  dafs  dieses  in 
der  Lage  CF  geschehe,  folgt  meines  Erachtens  aus  der  Vorstellung, 
dafs  AD,  CF  gerade  Linien  sind,  womit  die  Vorstellung  von  einer 
asymptotischen  Näherung  nicht  bestehen  kann. 

Ob  sich  aber  diese  Betrachtung  von  negativen  Winkeln,  und  von 
solchen  die  =  0  sind,  in  das  erste  Buch  des  EiMides  schicke,  das  ist 
eine  ganz  andre  Frage,  die  man  leicht  verneinen,  und  behaupten  wird, 
ein  solcher  Vortrag  sey  mehr  algebraisch  als  geometrisch. 

Stäckcl  u.  Engel,  Paralloleutheorie.  11 


162  Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 

§.    11. 

Ich  mag  es  auch  gelten  lassen;  und  merke  imn  ferner  an,  dafs 
es  hey  den  Schwierigkeiten  über  Enllids  Uten  Grundsatz  eigentlich 
nur  die  Frage  ist,  oh  derselbe  aus  den  Eiüdidischen  Postidatis  mit  Zu- 
ziehung seiner  übrigen  Grundsätze  in  richtige)'  Folge  hergeleitet  werden 
Iconnc?  Oder,  wenn  diese  nicht  hinrcicliend  icaren,  ob  sodann  noch  andre 
Postulata  oder  Grundsätze,  oder  Bcydes  honnten  vorgebracht  iverden,  die 
mit  den  Euldidischen  gleiche  Evidenz  hätten,  und  aus  ivelchen  sein  llter 
Grundsatz  eriviesen  werden  konnte? 

Bey  dem  ersten  Theile  dieser  Frage  kaim  man  nun  von  Allem, 
was  ich  im  Vorhergehenden  Vorstellung  der  Sache  genennt  habe,  ab- 
strahiren.  Und  da  Euldid's  Postulata  und  übrigen  Grundsätze  einmal 
mit  "Worten  ausgedrückt  sind:  so  kann  und  soll  gefordert  werden, 
150  dafs  man  sich  in  dem  Beweise  nirgends  auf  die  |  Sache  selbst  berufe, 
sondern  den  Beweis  durchaus  symbolisch  vortrage  —  wenn  er  möglich 
ist.  In. dieser  Absicht  sind  Euldid's  Postulata  gleichsam  wie  eben  so 
viele  algebraische  Gleichungen,  die  man  bereits  vor  sich  hat,  und  aus 
welchen  x,  y,  z,  &c  herausgebracht  werden  soll,  ohne  dafs  man  auf 
die  Sache  selbst  zurücke  sehe.  Da  es  aber  nicht  ganz  solche  Formeln 
sind:  so  kann  man  allerdings  die  Vorzeichnung  einer  Figur  als  einen 
Leitfaden,  um  den  Beweis  zu  führen,  dabey  zugeben. 

Hingegen  würde  es  bey  dem  andern  Theile  der  Frage  ungereimt 
seyn,  wenn  man  die  Betrachtung  und  Vorstellung  der  Sache  dabey 
untersagen,  und  fordern  wollte,  die  neuen  Postulata  und  Grundsätze 
müfsten,  ohne  an  die  Sache  zu  denken,  und  gleichsam  aus  dem  Steg- 
reife gefunden  werden.  Ich  sehe  aber  auch  nicht,  wie  man  gegen 
EuMiden  billiger  ist,  wenn  man  seinen  Grundsatz  verwirft,  ohne  die 
Frage  darüber  so  zu  stellen,  wie  ich  sie  zu  Anfang  des  gegenwärtigen 
Paragraphs  gestellt  habe.  Denn  da  Euklid  seinen  Satz  einmal  unter 
die  Grundsätze  rechnet:  so  setzt  er  unstreitig  dabey  die  Vorstellung 
der  Sache  voraus:  und  man  kann  es  ihm  zutrauen,  dafs  er,  wenigstens 
in  Ermangelung  des  noch  dermalen  zu  findenden  Vortrages,  den 
seinigen  mit  Bewufstseyn  gewählt  habe. 

Ich  zweifle  auch  nicht,  dafs  Euklid  nicht  selbst  sollte  auf  Mittel 
gedacht  haben,  seinen  Uten  Grundsatz  unter  die  Lehrsätze  zu  bringen. 
Wenigstens  kommen  im  ersten  Buche  seiner  Elemente  einige  Spuren 
vor,  woraus  es  sich  nicht  undeutlich  abnehmen  läfst.  Wie  leicht 
folgt  z.  E.  seine  Prop.  XVII  aus  Prop.  XXXII,  wenn  diese  einmal 
erwiesen  isti  Indessen  beweist  Euklid  jene  besonders,  vermuthlich 
um  zu  zeigen,  wie  weit  sich,  ohne  Zuziehung  des  Uten  Grundsatzes, 
etwas  von  den  Winkeln  eines  Triangels  bestimmen  läfst. 


1)  Vorläufige  Betrachtungen.    §.  11.  —  -2)  §.  12,  13.  163 

2)  Vortrag  einiger  Sätze,  151 

die  fiir  sich  betrachtet  werden  können. 

[§.  12.] 

Nach  der  Festsetzung  dessen,  was  in  Absicht  auf  den  Uten 
Euklidischen  Grundsatz  eigentlich  die  Frage  ist,  konnte  ich  nun  die 
Theorie  der  Sache  selbst  vortragen.  Ich  werde  aber  erst  den  3ten  Ab- 
schnitt dieser  Abhandlung  dazu  widmen,  inzwischen  aber  einige  Sätze 
beybringen,  die  sich,  ohne  Rücksicht  auf  diese  Theorie,  für  sich  be- 
trachten lassen. 

Ich  setze  dabey  voraus,  dafs  mau  wisse,  oder  wenigstens  ohue 
Mühe  finden  könne,  welche  Sätze  in  dem  ersten  Buche  der  Euklidi- 
schen Elemente  von  dessen  Uten  Grundsatze  abhängen;  dafs  z.  E. 
bis  auf  die  Proposit.  XXIX,  Alles  ohne  Zuziehung  dieses  Grundsatzes 
erwiesen  sey,  von  da  an  aber  bis  zum  Ende  Alles  mittelbar  oder 
unmittelbar  davon  abhänge,  wohin  besonders  die  Bestimmung  der 
Summe  der  3  Winkel  eines  jeden  Triangels,  und  Alles  was  von 
Parallelogrammen,  Rectangeln  und  Quadraten  gesagt  wird,  gehört. 

In  den  folgenden  Büchern  trägt  EuMid  hin  und  wieder  noch 
einige  Sätze  vor,  die  von  seinem  Uten  Grundsatze  unabhängig  sind. 
Es  sind  aber  auch  viele  von  denen,  die  auf  diesem  Grundsatze  be- 
ruhen, von  der  Art,  dafs,  wenn  sie  für  sich  erwiesen  werden  können, 
sie  den  Beweis  des  Grundsatzes  selbst  nach  sich  ziehen,  so,  dafs  man 
auf  diese  Art  bey  dem  Aufsuchen  eines  Beweises  für  diesen  Grundsatz 
mehr  als  Eine  Wahl  hat,  wo  man  anfangen  komie.  So  z.  E.  ist  man 
mit  dem  Beweise  des  Grundsatzes  bald  fertig,  wenn  man,  ohne  Zu- 
ziehung desselben,  erweisen  kann,  dafs  in  jedem  Triangel  die  Summe 
der  3  Winkel  zween  rechten  Winkeln  gleich  ist;  dafs  eine  gerade 
Linie  entweder  von  keiner  oder  von  allen  Parallellinien  durchschnitten 
werde;  u.  s.  w. 

Da  es  unnothig  ist,  das,  was  Euldid  in  seinem  ersten  Buche  ohne 
Zuziehung   des  Uten  Grundsatzes  erwiesen,  hier  von  neuem  |  zu  be- 152 
weisen:    so   werde   ich   dasselbe   als  bekannt  voraussetzen,  und,  wo  es 
nothig,  die  Propositionen,  die  ich  gebrauche,  citiren. 

§.  13. 

Es  sey  nun  (Fig.  I.)  ÄCB  ein  in  Ä  rechtwinklichter  Triangel; 
und,  indem  man  die  Seite  AB  verlängert,  ziehe  man  durch  C  jede 
Linie  ECB,  Avelche  AB  schneide:  so  wird  die  Summe  der  jbeyden 
spitzen  Winkel  des  Triangels 

11* 


\Q4:  Joli-  Heiur.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 

ÄCB-\-ABC>ÄCD, 
und 

ÄCB-\-  ÄBC<äCE 

seyn.    Deun  erstlich  mache  man  FCB  =  CBA,  und  ziehe  FCG:  so  ist 

äcb-\-äbc  =  äcf- 

js^..^^^  ^j  und  die  Linie  GF  läuft 

^""^"^^^r-..-.,,^^^      ^^^.-^"''''^"^  mit    S^D    auf    keiner 

gr  .^^__^^ö,^;-_--^^^-  Seite  zusammen.  (Pro}). 

^^^--^^^^^  \^^^^^^<:Z-     ,  XXVII.)     Da  nun  CD 

11^==^— ~\ — ^^ ^^      --'d    mit  BB  gegen  B  zu- 

Fig.  I.  sammen  läuft:  so  ist 


demnach  auch 
oder 


ACB<ACB-^  ABC, 
AGB -{-  ABO  AGB. 


Ferner  trage  man  AB  aus  A  in  H,  und  ziehe  HCJ  durch  H, 
G  gerade.  Da  nun  JCH  mit  AH  auf  der  Seite  H  zusammenläuft, 
FGG  aber  nicht:  so  ist  wiederum 

GGA>HGA; 

und  hingegen 

JGA>ACF. 
Nun  ist 

FCA  =  JCA, 

weil,  wenn  man  die  Figur  nach  der  Linie  AG  zusammenlegt,  FCB 
auf  JCH  fällt.     Demnach  ist 

ACF<ECA, 

und  daher  auch 

AGB  +  ABC  <  FCA. 

§.  14. 

Dieser  Lehrsatz  zeigt  nun  genauer,  wie  weit  man  mit  der  Prop. 
XVII.  Fuclid.  in  Absicht  auf  die  Bestimmung  der  Summe  der  drey 
Winkel  eines  Triangels  zurücke  bleibt. 

Denn  einmal  ist  bey  jedem  rechtwinklichten  Triangel  AGB  diese 

Summe  grosser,  als  die  Summe,  welche  entsteht,  wenn  man  zu  90  Gr. 

153 jeden  |  spitzen  Winkel  AGB*)  addirt.     Hingegen  ist  sie  kleiner,   als 


*)  [Damit  meint  Lambert:  jeden  spitzen  Winkel  ACD,  hei  dem  AB  von 
CD  geschnitten  tvird.  Diese  spitzen  Winkel  besitzen  eine  obere  Grenze,  von  der 
man  von  vom  herein  nicht  weifs,  ob  sie  gleich  einem  Rechten  ist.  Entsprechend 
ist  im  Folgenden  der  stumpfe  Winkel  ECA  zu  verstehen.] 


2)  Scitze,  die  für  sich  betrachtet  werden  können.     §.  13 — 15.  165 

die  Summe  von  einem  rechten  und  jedem  stumpfen  Winkel  ECA. 
Eben  dieses  gilt  von  jedem  schiefTP-inklichten  Triangel  hCA]  jedoch 
mit  dem  Unterschied,  dafs  die  Summe  seiner  drey  Winkel  grosser, 
als  jeder  spitze  Winkel  A  CD  doppelt  genommen,  und  hingegen  kleiner 
als  jeder   stumpfe  Winkel  ACE,  doppelt  genommen,  gefunden  wird. 

Man  kann  sich  auch  leicht  versichern,  dafs  das  Mittel  aus  diesen 
beyden  Schranken  genau  180  Gr.  ist,  weil  ECA  -f-  ACB  =  180  Gr., 
demnach  das  Mittel  davon  90  Gr.  und  das  Doppelte  von  90  Gr.  = 
180  Gr.  ist.  Ferner  findet  sich,  dafs,  wenn  D  weiter  hinaus,  z.  E. 
in  d  genommen  wird,  die  beyden  Schranken  einander,  jede  um  gleich 
viel,  näher  kommen,  und  sich  daher  dem  Mittel  gleichförmig  nähern. 
Endlich  kann  man  sich  leicht  wenigstens  vorstellen,  dafs  der  Winkel 
DCF  desto  kleiner  wird,  je  weiter  man  den  Punkt  D  von  A  hinweg- 
rückt.  Und  eben  dadurch  erhält  man  Schranken,  die  ungemein  nahe 
zusammen  treffen;  und  man  kann  daraus  schliefsen,  dafs,  wenn  auch 
die  Summe  der  drey  Winkel  eines  Triangels  nicht  genau  180  Gr. 
seyii  sollte,  sie  deunoch  bey  jedem  Triangel  gar  nicht  viel  davon 
verschieden  seyn  könne. 

Dieses  ist  aber  auch  Alles,  was  hieraus  folgt;  und  es  wird  sich 
dabey  schwerlich  weiter  gehen  lassen.  Indessen  ist  der  Satz  eben 
nicht  ganz  unerheblich. 

§.  15. 

Ich  werde  nun  noch  einen  andern  beyfügen. 

Die  Summe  der  Winkel  eines  Triangels  mag  nun  genau  =180  Gr. 
oder  um  etwas  davon  verschieden  seyn:   so  können  wir  dieselbe  z.  E. 
(Fig.II)  bey  dem  Triangel  ACB=im  +  a  Grade 
setzen.  Man  ziehe  nun  durch  einen  der  Winkel  eine 
beliebige  Linie  AD:  so  entstehen  zween  Triangel 
ACD,  ADD,  und  damit  6  Winkel.     Die  zween 
Winkel  C,  B  bleiben  wie  vorhin.     A  wird  auf 
beyde   Triangel    vertheilt;    und    die    neu   hinzu- 
gekommenen I  Winkel  CDA,  ADD  machen  zu-  "'""  "'  154 
sammen  180  Gr.  {Prop.  XIII)     Demnach  ist  in  beyden  Triangeln  die 
Summe    aller    6   Winkel    nur    180"  +  180"  +  a.     Man   hätte    denken 
sollen,    sie    würde  =  180"  -{-  180"  -{-  a  -{-  J)    seyn.     Wird    von   diesen 
Triangeln  wiederum  Einer,  z.  E.  DAB  durch  eine  Linie  DE  getheilt: 
so  entstehen  drey  Triangel;  und  die  Summe  ihrer  Winkel  ist  wiederum 
nur  =  180  +  180  +  180  +  «  Grade. 

Fährt  man  weiter  fort:  so  kömmt  zu  jedem  neuen  Triangel  nur 
immer    wiederum   180  Gr.    hinzu.     Man    sollte    allerdings    daraus    die 


166 


Job.  lleinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


Folge  ziehen  koiiiieu,  es  müsse  « =  0  seyu*).  Demi  da  mau  die 
Linien  AD,  DJS,  &c  nach  Belieben  und  nach  unendlich  vielerley  Ab- 
wechselungen ziehen  kann:  so  kömmt  es  eben  so  heraus,  als  wenn 
man  in  einer  Reihe 

Ä  =  a  -\-  hx  -\-  ex-  -f-  dx^  -\-  kc 

A  beständig,  und  x  veränderlich  setzt.  Denn  da  werden  alle  Coefti- 
cienten  h,  c,  d,  &c  =  0;  und  es  bleibt  A  =  a,  das  will  sagen:  In  jedem 
Triangel  ist  die  Summe  der  AVinkel  =  180  Gr. 

Ich  führe  dieses  nur  im  Vorbey gehen  an,  weil  daraus  erhellet, 
dals  mau  noch  nicht  alle  Mittel  aufgesucht  hat,  die  Schwierigkeit 
der  Parallellinien  zu  heben. 


16. 


Ich  finde  ferner,  dafs  Hr.  Prof.  Kastner  angemerkt  hat,  diese 
Schwierigkeit  komme  nicht  so  wohl  auf  die  Winkel,  als  vielmehr  auf 
die  GrSfse   der  Linien   und   auf  die  Entfernung   der  Parallellinien  an. 


B 

^ 

J 

/r 

G 

K 

^^^'^ 

""  -  ^^ 

{■ 

-^ 

'    - 

C 

A 


B 


r 


Fig.  III. 


Wenn  z.  E.  (Fig.  III j  F  ein  rechter  Winkel  ist:  so  mag  AGF,  so  wenig 
man  will,  von  einem  rechten  Winkel  verschieden,  und  kleiner  als  der- 
selbe seyn,  und  es  läfst  sich  auf  GA  kein  Punkt  angeben,  aus  wel- 
chem nicht  sollten  Perpeudicularen  auf  GF  gefällt  werden  können. 

Ob  sich  aber  hinwiederum  durch  GF  keine  senkrechte  Linie  FA 
ziehen  lasse,  die  nicht  auch  GA  in  irgend  einem  Punkte  A  durch- 
schneide, das  ist  allerdings  eine  andre  Frage,  welche  nicht  bejahet 
155  werden  kann,  dafern  man  sie  nicht  entweder  |  direde  beweist,  oder 
umgekehrt  zeigt,  dafs  sich  aus  den  Punkten  A  der  Linie  GA  Per- 
peudicularen AF  auf  GF  fällen  lassen,  welche  in  jeder  beliebigen 
Entfernung  von  G  auffallen.  Liefse  sich  aber  für  jeden  Fall,  wo  die 
Summe  der  Winkel  AGF -\-  GFA  <1%Q  Gr.  ist,  ohne  Rücksicht 
auf  die  Grofse   der  Linie  GF,  beweisen,  der  Winkel    GAF  sey  >  0, 


*)  [Indem  nämlich  stillschweigend  die  Winkelsumme  des  Dreiecks  als  kon- 
stant, das  heifst  für  jedes  Dreieck  gleich  grofs,  angenommen  wird.  Ist  aber  die 
Winkelsumme  variabel,  so  beweist  diese  Schlufsweise  nur,  dafs  es  Dreiecke  giebt, 
deren  Winkelsumme  beliebig  wenig  von  180'  abweicht.] 


2)  Sätze,  die  für  sich  betrachtet  werden  können.     §.  15—18. 


167 


das  will  sagen,  in  der  That  ein  angeblicher  Winkel:  so  sehe  ich  nicht, 
wie  man  an  der  Wirklichkeit  des  Durchschneidens  einigen  Anstand 
haben  konnte.  Denn,  wie  sich  von  selbst  versteht,  so  fällt  die  Frage, 
ob  zwo  Linien  sich  durchschneiden,  ganz  weg,  und  findet  nicht  statt, 
sobald  sich  der  Winkel  angeben  läfst',  unter  welchem  sie  sich  durch- 
schneiden.    Non  entls  nulla  sunt  pracdicata. 

§.  17. 

Nun  kommt,  so  viel  ich  mir  die  Sache  vorstelle,  in  der  Prop.  XVI. 
Lihr.  in.  Etwas  vor,  das  hieher  dienen  kann. 

Daselbst  wird,  ohne  Rücksicht  auf  den  coutroversirten  Uten  Grund- 
satz erwiesen,  dafs,  Aveun  J.Z/  (Fig.  V.)  auf  den  Diameter  ^IP  eines  Cirkels 
senkrecht  gezogen  wird,  so  dafs  diese 
Linie  durch  den  Endpunkt  des  Dia- 
meters gehe,  dieselbe  ausser  den  Cirkel 
falle,  oder  den  Cirkel  ausserhalb  in 
einem  einigen  Punkte  berühre;  und 
dafs  zwischen  der  Linie  Ab  und  dem 
Cirkelbogen  AB  keine  andre  gerade 
Linie  könne  durchgezogen  werden,  die 
nicht  den  Cirkel  in  zween  Punkten, 
z.  E.  Ä,  B,  schneide,  so  lange  der 
Winkel  BÄh  nicht  kleiner,  als  jeder 
vorgegebene  Winkel  ist.  Denn  in 
diesem  Fall  würde  er  =  0  seyn,  und  daher  AB  auf  Ah  fallen,  dem- 
nach nicht  zwo,  sondern  nur  eine  Linie  seyn. 

Der  Beweis,  den  Euklid  giebt,  kommt  schlechthin  darauf  an,  dafs 
die  aus  dem  Mittelpunkt  0  auf  AB  fallende  Perpendiculare  ausser 
den  Cirkel  fallen,  und  demnach  grösser  als  AO  seyn  müfste;  welches 
seiner  Pro2J.  XVIIL  Lihr.  1.  zuwider  ist.  Demnach  setzt  dieser  Beweis 
weder  die  Grofse  des  Diameters,  noch  die  Grofse  von  AB,  noch  |  die  156 
von  der  Perpendiculare,  noch  die  Verhältnifs  zwischen  AB  und  AP, 
sondern  schlechthin  nur  den  Satz  voraus,  dafs  die  Perpendiculare  auf 
die  Seite  des  spitzen  Winkels  OAB  falle,  und  dafs  sie  nicht  grosser 
als  AO  seyn  könne,  sondern  vielmehr  kleiner  seyn  müsse,  so  grofs 
oder  klein  alle  diese  Linien  an  sich  auch  immer  seyn  mögen. 

§.  18. 

Nun  lafst  sichs  weiter  gehen  und  zeigen,  dafs,  so  lange  BAh 
nicht  kleiner  als  jeder  vorgegebene  Winkel  ist,  auch  AOB  nicht 
kleiner  als  jeder  vorgegebene  Winkel  seyn  könne,    und  demnach  >  0 


168 


.loh.  Ileinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


seyn  müsse.  Deun  da  BÄh  >  0  ist:  so  läfst  sich  durch  den  ^^'illkel 
BAh  jede  beliebige  Linie  ÄQ  ziehen;  und  es  wird  auch  QÄh^O 
seyn.  Da  demnach,  vermöge  des  erst  angeführten  Euklidischen  Satzes, 
ÄQ  nicht  ausser  den  Cirkel  fallen  kann:  so  giebt  es  zwischen  AB 
einen  Durchschnittspunkt  q.  Dieses  könnte  aber  nicht  seyn,  wemi 
AOB  kleiner  als  jeder  vorgegebene  Winkel  wäre.  Demnach  mufs 
uothwendig  AOB^  0,  das  will  sagen,  ein  Winkel  von  angeblicher 
C^rösse  seyn.  Bey  AOB  =  0  würde  BO  auf  AO,  und  demnach  AB  auf 
Ah  fallen;  und  so  wäre  BAb  =  0,  der  Voraussetzung  BAh  >  0  zuwider. 
Man  sieht  ohne  Mühe,  dafs  auch  dieser  Beweis  von  der  Grosse 
des  Diameters  AP  und  der  Chorde  AB  ganz  unabhängig  ist;  und 
dafs   demnach    der   Durchsehnittswinkel  >  0  ist,   so  grofs   oder  klein 

AB  und  der  Winkel  BAh  immer 
angenommen  wird,  nur  dafs  BA.h  >  0 
sey,  und  demnach  OAB  ein  spitzer 
Winkel  bleibe.  Da  nun  OB=OA: 
so  ist  auch  OBA  =  OAB,  und  demnach 

OAB  +  OBA  <  180  Gr. 
Eben  so,  wenn  Oq  auf  AB  senkrecht 
fällt,  ist  Ar  =  rB,  und 

OAr  +  OrA  <  180  Gr. 
Demnach  mag  bey  dem  rechten  Win- 
kel OrA  der  Winkel  OAr,   so  wenig 
mau  will,  kleiner  als  90  Grade  seyn: 
so  wird   der  Durchschnittswinkel  AOr  >  0,    und   daher  in  der  Tliat 
ein  Durchschnitt  seyn. 


157 


19. 


Dieses  ist  nun  zum  Beweise  des  Euklidischen  Grimdsatzes  meines 
Erachtens  mehr  als  hinreichend,  weil  es  sich  leicht  eben  so  allgemein 
machen  läfst.  Ich  werde  es  aber  hier  nicht  ausführen,  sondern  nur 
bemerken,  dafs,  wenn  man 

OBD=  ODB=  OI)F=  OFD  =  &c=  OBA=  OAB, 
und 

BD  =  I)F=kc  =  AB 

macht,  dieses  eben  so  viel  ist,  als  wenn  die  Chorde  AB  aus  B  in  D, 
aus  I)  in  F,  und  so  weiter,  im  Cirkel  herumgetragen  wird.  Man 
wird  auf  beyderley  Arten  nicht  nur  Einmal,  sondern  so  vielmal  man 
will,  im  Cirkel  ganz  herumkommen,  weil  AOB^O  ist,  demnach 
nothwendig  auch  ein  Multiplum  von  AOB  ^  360  Grad,  und,  so  viel- 
mal man  will,  grösser  als  360  Grad  seyn  mufs. 


2)  Satze,  die  für  sich  betrachtet  werden  können.     §.  18—21. 


169 


§.  20. 

Sind  demnacli  (Fig.  IV)  die  Winkel  aÄB,  hBÄ  einander  gleich 
und  kleiner  als  90  Grad:  so  lälst  sich  auf  erst  angezeigte  Art  die 
gleichseitige  und  gleichwink-  q 

lichte  Figur 

aECÄBDFH 
zeichnen;  und  wenn  man  fort- 
fährt: so  wird  man  damit  im 
Kreise,  so  vielmal  man  will, 
herum  kommen.  Die  Punkte 
a,  E,  C,  A,  B,  D,  F,  H  &c 
werden  sämtlich  in  dem  Um- 
kreise eines  Cirkels  liegen, 
dessen  Mittelpunkt  0  der 
gemeinsame  Durchschnittspunkt  aller  Linien  Gg,  Ee,  Co,  Aa,  &c  seyn 
wird.  Demnach  kommt  auch  hiebey  die  Frage,  ob  Aa^  Bh  sich 
durchschneiden,  gleichsam  zu  späte  und  unschicklich  vor. 


Fig.  IV. 


§.  21. 

Es  giebt  ferner  mehi-ere  Arten,  einen  Beweis  des  Euklidischen 
Grundsatzes  so  weit  zu  treiben,  dafs  das,  was  daran  noch  etwan 
zurücke  bleibt,  nicht  nur  augenscheinlich  richtig  ist,  sondern  auch 
allen  Anschein  hat,  dafs  es  nachgeholt,  und  der  Beweis  dadurch  er- 
gänzt werden  könne.  Einige  Beyspiele  werden  dieses  ganz  offenbar 
machen. 

Es  seyn  (Fig.  VI)  die  beyden  Winkel  aAB,  hBA  spitze  und  ein- 
ander gleich:   so   sollen  die  Linien  Aa,  Bh 
zusammen  laufen  und    sich    durchschneiden. 

Man  mache 

J)BG=cCB=1jBA, 

und  BC  =  AB:  so  wird  aABh  auf  cCBh 
passen,  wenn  die  Figur  längst  der  Linie  l)B 
zusammen  gelegt  wird.  Es  werde  ferner  AG 
gezogen,  und 

cGB  =  dDG=  cGA, 
und  GD  =  GA  gemacht:  so  wird  ebenfalls 
wiederum  aAGc  auf  dBGc  passen,  wenn 
man  sich  die  Figur  längst  der  Linie  cG  zu- 
sammengelegt vorstellt.  Man  ziehe  ferner 
AD]  und  wenn  man  eben  so  fortfährt,  wird  aADd  auf  eEDd  passen, 


158 


Fig.  VI. 


170  Job.  Ileinr.  Lamberts  Theorie  der  raralleUinien. 

Man  kann  auch  leicht  beweisen,  dafs  bey  Q,  R,  S,  &e  rechte 
Winkel  sind.  Dafs  aber  von  den  Winkeln  CÄB,  DAC,  EAD,  &c 
jeder  doppelt  so  grofs  als  der  nächst  vorhergehende  ist,  das  ist  zwar 
wahr;  allein  ohne  die  vorgängige  Berichtigung  des  Euklidischen  Grund- 
satzes wird  es  sich  schwerlich  erweisen  lassen.  Doch  ich  verlange 
hierbey  nicht  so  viel.  Es  wird  mir  genug  seyn,  wenn  ohne  Zu- 
ziehung des  Euklidischen  Grundsatzes  erwiesen  werden  kann,  dafs 
BAC  grosser  als  CAB,  und  auf  gleiche  Art  EAB'>  BAC,  &c  sey. 
So  weit  fallt  die  Sache  in  die  Augen;  und  an  sich  betrachtet,  sollte 
es  leichter  seyn  zu  beweisen,  dafs  unter  den  Winkeln  CAB,  BAC, 
EAB,  &c  jeder  folgende  grosser  ist,  als  wenn  man  beweisen  sollte, 
jeder  sey  genau  doppelt  so  grofs,  als  der  nächst  vorhergehende. 

Sollte  es  sich  aber,  ohne  Rücksicht  auf  die  Schwierigkeit  der 
Parallellinien,  erweisen  lassen,  dafs  die  Winkel  CAB,  BAC,  EAB 
der  Ordnung  nach  immer  grosser  werden:  so  wird  auch  noth wendig 
folgen,  dafs  von  den  Linien  AC,  AB,  AE,  kc  Eine  anfängt  ausser- 
halb Aa  zu  fallen;  wie  denn  dieses  in  dem  Beyspiele  der  Figur  be- 
reits schon  bey  der  dritten  dieser  Linien,  AE,  geschieht.  Dieses  hat 
aber  den  Erfolg,  dafs  die  Linien  Aa,  Bh,  Cc,  Bd,  Ee,  &c  sich  noth- 
wendig  in  einem  Punkte  durchsclmeiden,  welcher  innerhalb  dem 
Triangel  ABE  liegt.  Denn  so  mufs  Aa,  verlängert,  nothwendig  die 
Seite  EB  durchschneiden;  und  ehe  dieses  geschieht,  mufs  sie  bereits 
150  schon  BdS  durchschnitten  haben.  Dafs  aber  alle  die  Linien  Aa, 
Bh,  Cc,  Bd,  Ee,  &c  sich  in  Einem  und  eben  dem  Punkte  durch- 
schneiden, folgt  aus  der  Art,  wie  die  Figur  längst  den  Linien  hB, 
cC,  dB,  &c  zusammen  gelegt  worden,  ohne  Mxihe;  so,  dafs  ich  mich 
dabey  eben  nicht  aufhalten  werde. 

Man  sieht  demnach,  dafs  hier  nur  noch  zu  beweisen  bleibt,  dafs 
wenigstens  die  Winkel  CAB,  BAC,  EAB,  &c  immer  grosser  werden. 
Uebrigens  läfst  sichs  eben  so  wie  vorhin  zeigen,  dafs  die  Punkte 
A,  B,  C,  B,  E,  &c  sämtlich  in  dem  Umkreise  eines  Cirkels  liegen, 
dessen  Mittelpunkt  der  gesuchte  Durchschnittspunkt  der  Linien  Aa, 
Bh,  &c  ist. 

§.  22. 

Noch  ein  Beyspiel.  Es  seyn  (Fig.  VII)  die  Winkel  aAB,  hBA 
spitze  und  einander  gleich.  Man  ziehe  durch  den  Winkel  aAB  jede 
Linie  AT-,  und  es  ist,  ohne  Zuziehung  des  oft  bemeldten  Euklidischen 
Grundsatzes,  zu  beweisen,  dafs,  wenn  aus  der  Mitte  von  AB  die 
Linie  Cc  senkrecht  aufgerichtet  wird,  immer  der  abgeschnittene  Theil 
SR  kleiner  als  AS  sey.  Kann  dieses  erwiesen  werden:  so  erhält 
man  damit  so  viel,  dafs,  wenn  >ST=  AS  gemacht  wird,  der  Punkt  T 


i)  Siitze,  die  für  sich  betrachtet  werden  können.     §.  '21,  22. 


171 


ausserhalb    der  Linie  £h   falle.     Und    daraus    läfst    sich   sodann  her- 
leiten,  dafs   die  Linien  Äa,  Bh   einander  nothwendig  durchschneiden. 

Nun  läfst  sich  der  Beweis  auf  fol- 
gende Art  vornehmen.  Man  ziehe  aus 
A  mit  dem  Halbmesser  AB  einen  Cirkel- 
bogen  Bd,  und  mit  dem  Halbmesser 
AC  einen  Cirkelbogen  Cm.  Da  nun 
ABl  <  90  Gr.  ist:  so  wird  Bh  den 
erstem  dieser  Cirkelbogen  in  zween 
Punkten  B,  d  schneiden.  Durch  Ad 
werde  die  Linie  AD  gezogen,  und 
31 B  =AM  gemacht.  Da  nun  AC=CB: 
so  ist  auch  Am  =  md.     Folglich: 

AM=  Am-\-  in 21. 

Md  =  md  —  m3I. 

=  Am  —  m3I. 
Demnach 

AM>3Id. 

Macht    man    nun    3IB  =  A  M:    so  160 

fällt  der  Punkt  D  ausserhalb  Bh,  weil  MD  >  3Id  ist. 

Nun  beschreibt  man  ferner  die  Cirkelbogen  De,  3In  aus  dem 
Mittelpunkte  A.  Und  indem  man  durch  e  die  Linie  AE  zieht,  und 
NE  =  AN  macht:  so  wird  auf  gleiche  Art  erwiesen,  dafs  der  Punkt 
E  ausserhalb  Bh  falle,  indem  NE^  Ne  gefunden  wird.  Auf  eben 
diese  Art  läfst  sich  mit  Ziehung  neuer  Cirkelbogen  Ef,  Np  weiter 
fortfahren. 

Dafs  nun  jeder  andre  Punkt  T,  Avenn  ST  =  AS  gemacht  wird, 
ausserhalb  Bh  falle,  wird  leicht  erwiesen.     Denn  es  ist 

As  =  sr. 
Demnach 

AS=^As  +  sS. 
SB  =  sr  —  sS  —  Br. 
=  AS—2.sS-  Br. 

AS>SB;  ■ 


Fig.  VII. 


Und  folglich 
und  damit  auch 


ST>SB. 


Nun   bleibt   noch   zu  beweisen,   dafs  die,   der  Ordnung  nach,   ge- 
fundenen   Linien    Ad,  Ae,  Af,   &c    der    Linie    Aa    nicht    nur    näher 


172 


Job.  Heiiir.  Lamberts  Tbeorie  der  Parallellinien. 


ach 


161 


kommeu,  soiidern  dafs  Eine  derselben  anfängt,  ausserhalb  Aa  zu 
fallen.  Die  Sache  an  sich  ist  richtig.  Aber  sie  mufs  ohne  Zuziehung 
des  Uten  Euklidischen  Grundsatzes  erwiesen  werden.  Kann  dieses 
geschehen:  so  erhält  man  auf  allen  ausserhalb  Aa  fallenden  Linien 
einen  Punkt,  der  eben  so  wie  die  Punkte  D,  E,  ko,  ausserhalb  Bh 
fällt.  Und  zieht  man  aus  diesem  Punkt  eine  Linie  in  B:  so  hat  man 
einen  Triangel,  welcher  die  be3'den  Linien  Aa,  Bh,  und  zugleich  ihren 
Durchschnittspunkt  in  sich  schliefst  oder  umgiebt. 

Um  nun  aber  zu  beweisen,  dafs  die  Linien  Ad,  Ae,  Af,  &c  sich 
in  der  That  auf  vorbemeldte  Art  gegen  Aa  nähern,  und  endlich 
ausserhalb  Aa  fallen,  ziehe  man  AK  mitten  durch  den  Winkel  DAB\ 
und  da  Avird  es  genug  seyn,  wenn  man  zeigen  kann,  dafs  jeder  der 
^Vinkel  eAd,  f  Ae,  kc  grosser  ist  als  der  Winkel  JDAK  oder  KAB. 

Zum  Behuf  dieses  Beweises  läfst  siclis 
noch  ferner  anmerken,  dafs  jeder  der 
Punkte  B,  B,  T,  E,  &c  von  Cc  gleich 
weit  entfernt  ist.  Dieses  kann  obne  Mühe 
'^'  erwiesen  werden,  weil  iiberhaupt  J.5=  /ST, 
AC  =  CB,  und  in  C  ein  rechter  Winkel 
ist.  Ferner  läfst  sich  aus  dem  Mittel- 
punkte A  der  Cirkelbogen  liß  durch  h 
ziehen-,  und  so  wird  Aß  <i  AB  seyn. 

Nun  soll  noch  bewiesen  werden,  dafs, 
wenn  mau  aus  jedem  der  Punkte  B,  E,  &c 
z.  E.  aus  B  eine  Linie  in  ß  zieht,  der 
Winkel  BßA  stumpf  sey,  und  demnach 
die  aus  B  au  den  Cirkel  Jiß  zu  ziehende 
Tangente  [Bf]  unterhalb  ß  falle.  Denn 
so  wird  man  zween  gleiche  und  ähnliche 
oder  auf  einander  passende  Triangel  ^cZ;, 


demnach 
und  folglich 


Fig.  vn. 
ABt  erhalten,  und  daher  die  Winkel 

eAk  =BAt, 

eAB  =  lAt, 

eAB  >  kAB 

haben. 

Ich  habe  aber  nicht  finden  können,  dafs  sichs,  ohne  die  vor- 
gängige Berichtigung  des  Euklidischen  Grundsatzes,  erweisen  liefse, 
dafs  BßA^  90  Gr.  sey,  ungeachtet  es  ohne  diesen  Grundsatz  er- 
weisbar ist,  dafs  sich  durch  Cc  eine  Menge  von  Perpendikularen 
ziehen    lassen,    Avelche    die    Linie    Bß    unter    einem    schiefen    Winkel 


•2)  Sätze,  die  für  sich  betrachtet  werden  können.     §.  22— 24. 


173 


schneiden,  weil  die  aus  D  auf  Cc  fallende  Perpendikulare  =  CB  und 
demnach  >  Cß  ist. 

§.  23. 

Um  dieses  noch  zu  zeigen,  so  seyn  (Fig.  III.)  in  B^  D  rechte 
Winkel,  und  CB  <  BE.  Man  ziehe  die  Punkte  C,  E  durch  eine  gerade 
Linie  zusammen,  und  richte  aus  der  Mitten  von  BD  die  Linie  FG 
senkrecht  auf.    Man  mache  Bc  =  Bü,  und  ziehe  Gc.     Wird  nun  die 


E 

^ 

J 

^^^--"'^ 

H 

G 

^^----'''''^ 

K 

^^..---^ 

~--.^^ 

C 

"~--,^ 

e 

^  B  F  D 

Fig.  III. 

Figur  längst  der  Linie  GF  zusammen  gelegt:  so  fällt  B  auf  D, 
C  auf  c,  demnach  GC  auf  Gc]  und  es  ist  cGF  =  CGF  =  JGE. 
Da  nun  EGc>0  ist:  so  sind  die  Winkel  cGF,  JGE,  CGF  sämt- 
lich spitze.  Demnach  ist  auf  der  Linie  CE  wenigstens  ein  Punkt  G 
gefunden,  wo  dieselbe  die  Perpendikulare  GF  unter  einem  schiefen 
Winkel  schneidet. 

Ich  merke  noch  im  Vorbeygehen  an,  dafs  ]  sich  der  Satz  um-  162 
kehren  läfst,  indem  man,  wenn  CGF  <  90  Gr.  ist,  leicht  zeigen  kann, 
dafs  CB<DE  sey.  Denn  wird  die  Figur  längst  der  Linie  GF 
zusammen  gelegt:  so  fällt  der  Winkel  CGF  auf  cGF,  und  CB 
auf  De.  Da  nun  FGC  ^  JGE  kleiner  als  90  Gr.  ist:  so  ist 
i^(^O-fJ'G^^<180Gr.  Demnach £6^c>0;  demnach  auch  Ec>0,  und 
ED  >  De,  oder  ED  >  BC. 

§.  24. 

Wiederum  seyn  (Fig.  VIII.)  in  C,  c  rechte  Winkel,  und  CB  >  eh. 
Man  trage  CB  aus  C  in  A,  und  eh  aus  c  in  a,  und  ziehe  die  Linien 
Ah,  Ba,  Aa,  Bh:  so  läfst  sich  die  Figur  längst  der  Linie  CH  zu- 
sammen legen;  und  es  wird  A  auf  B,  a  auf  h,  demnach  Ah  auf  Ba 
fallen;  und  so  mufs  der  Durchschnittspunkt  dieser  beyden  Linien  E 
auf  der  Linie  CH  seyn. 

Man  mache  ferner  CM^Ec,  und  CN  =  eh,  und  ziehe  NM:  so 
werden  die  Winkel  NMC  =^hEc  seyn;  demnach  2iVid\  N MC  =AEC. 
Da  nun  auf  diese  Art  die  Linien  NM,  AE  nicht  zusammen  laufen, 
und  C'iV<  CA  ist:  so  ist  nothwendig  auch  CM  <  CE:,  demnach  auch 
Ec  <  EC.     Trägt  man  nun  CE  aus  E  in  H,  und  zieht  HJ  auf  CH 


174 


Job.  Heinv.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


1" 

V 

NjA/ 

e             h\/ 

/\ 

IF                 / 

M              N.          \ 

r 

Fig.  VIIL 


senkrecht:  so  wird  HJ^  AC,  uud  EJ=  EA  seyn.    Da  demnach  auch 
HJ=  CB  ist:   so   darf  man  nur  durch  E  die  Linie  FEK  senkrecht 

ziehen,  und  indem  man  JB  zieht: 
so  wird  man  in  K  rechte  Winkel 
haben.  Denn  wird  die  Figur 
längst  der  Linie  FK  zusammen 
gelegt:  so  fällt  H  in  C,  J  in  B, 
und  damit  KJ  in  KB-,  und  es 
wird  JKE  =  BKE  demnach 
=  90  Gr.,  und  so  müssen  die 
Winkel  in  G,  so  wie  auch  die  in 
jP,  schiefe  Winkel  seyn.  Also  ist 
auch  hierdurch  wiederum  ein  Punkt 
Cr  gefunden,  wo  die  senkrechte 
B  Linie  GE  mit  Bh  schiefe  Winkel 
macht.  Es  ist  auch  wiederum 
HL<HJ',  folglich  HL<CB. 
Und  so  läfst  sich  der  Beweis  fortsetzen. 

Man  kami  diesen  Satz  ebenfalls  umkehren.  Es  sey  nämlich 
EGh  <  90  Gr.  so  fälle  man  aus  jedem  Punkt  B  auf  CH  die  Linie 
163  BC  senkrecht,  und  mache  CA=^  CB.  Aus  A  ziehe  ]  man  Ah  durch  E, 
und  fälle  aus  b  die  Perpendikulare  hc  auf  CS:  so  wird  hc  <C  BC 
seyn.  Denn  setzte  man  &c  =  BC:  so  würde  b  in  J  und  G  in  K  fallen, 
demnach  bGE  ^=  90  Grad  seyn.  Und  eben  so  würde  bGE^dO  Grad 
gefunden  werden,  wenn  man  bc^  BC  setzen  wollte.  Beydes  der  Be- 
dingung b  GE  <  90  Gr.  zuwider. 

§.  25. 

Es  seyn  nun  (Fig.  IX.)  in  A  rechte  Winkel,  und  BBA  <  90  Gr. 
Die  Linie  AB  werde,  so  viel  man  will,  verlängert.  Da  nun  Z)  BA  <  90  Gr. 
ist:  so  fällt  aus  jedem  Punkt  E  die  senkrechte  Linie  EF  auf  die  Seite 
BD.  Da  nun  in  A  rechte  Winkel  sind:  so  ist  EGA  und  damit  auch 
FGH<C  90  Gr.  Demnach  fällt  aus  i'^die  senkrechte  Linie  FH  gegen  C. 
Da  nun  DFE  =  90  Gr.  so  ist  BFSK  90  Gr.  Wiederum,  da 
eBf<C  90  Gr.  ist:  so  fällt  aus  jedem  Punkt  e  die  senkrechte  Linie 
cf  auf  die  Seite  Bf,  und  verlängert  macht  sie  egA  <  90  Gr.,  weil  in  A 
rechte  Winkel  sind.  Demnach  fällt  aus  /'  die  senkrechte  fJi  zwischen 
A(/.     Da  nun  Bfg  =  90  Gr.  so  ist  Bfh  <  90  Gr. 

Der  Anstand,  als  ob  cf  verlängert  mit  Ag  nicht  zusammen  laufe, 
hat  hiebey  nichts  zu  sagen.  Denn  da  /'//  auf  Ag  trift:  so  wird  um 
desto  ehender  noch  Bfh  <  90  Gr. 


2)  SiUze,  die  für  sich  betrachtet  werden  können,     ij.  M — 20. 


17/ 


So  viel  also  aus  jeden  Punkten  der  Linie  cE  Perpendikularen 
auf  BI  können  gefällt  werden,  so  viele  schiefe  Winkel  DFH,  IJfh 
finden  sich  auch,  demnach 
allerdings  unzähliche.  Die- 
ses war  nun,  in  Absicht 
auf  das  zu  Ende  des  §.  22. 
gesagte,  zu  beweisen.  Ich 
habe  übrigens  nicht  finden 
können,  dafs  man  ohne 
Zuziehung  des  Euklidi- 
schen Grundsatzes  damit 
ausreiche. 


§.  26. 

Liefs  es  sich  aber 
ohne  diesen  Grundsatz  er- 
weisen, dafs,  so  oft  ein 
Winkel  D5^<  90  Gr.  ist, 
auch  jeder  andere  Winkel 
DFH  <  90  Gr.  sey,  wo 
auch  immer  der  Punkt  F 
auf  der  Linie  DF  ange- 
nommen wird:  so  kann 
auch  ohne  viele  Mühe  erwiesen  werden;  dafs  alle 
DBA,  Bfli,  &c  einander  gleich  sind. 


Fig.  IX. 


die  Winkel  BFH,  164 


E 

^ 

j 

n 

a 

K 

^^^^^ 

""---., 

c 

(■ 

B 


Fig.  ni. 


Denn  man  setze,  in  der  3ten  Figur  in  F  seyen  rechte  Winkel,  und 
GGF  <m  Gr.  Man  mache  nach  Belieben  BF=FB,  und  richte 
in  B,  D,  Perpendikularen  auf.  Oder,  indem  man  den  Punkt  E  nach 
Belieben  annimmt:  so  falle  man  aus  demselben  die  Linie  ED  auf  FD 
senkrecht,  trage  FD  aus  F  in  B,  und  richte  in  B  die  Perpendikulare 
BH  auf.  Wird  nun  die  Figur  längst  der  Linie  FG  zusammen  gelegt: 
so  wird  FB  auf  FD,  BC  auf  De  fallen;  und  es  wird 


CGF=JGE  =  cGF 


17()  Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 

seyu.  Mau  setze  nun,  die  Wiukel  ACB,  ÄED  seyn  ungleich:  so 
siucl  auch  GcE,  GEc,  und  damit  auch  die  Seiten  GE,  Gc  ungleich. 
Dieses  hat  aber  den  Erfolg,  dafs,  wenn  GK  durch  FG  senkrecht, 
oder  welches  eiuerley  ist,  mitten  durch  den  Winkel  EGc  gezogen 
wird,  die  Winkel  in  K  schief  seyn  werden.  Damit  aber  würden  auch 
die  Winkel  in  D  schief  seyn.  Es  sind  aber  vermöge  der  Construktiou, 
in  D  rechte  Winkel.  Demnach  geht  es  nicht  an,  dafs  man  die  Winkel 
ÄCB,  ÄED  ungleich  setze;  und  so  mufs  AGB  =  ÄED  seyu.  Damit 
erhält  man  aber  Ge  =  GE  =  GC]  ingleichen  EKG  =^  cKG 
=  CEG  =  90  Grad,  und  BRKD  ist  ein  Rectangel  2C. 

Ich  setze  diesen  ohnehin  kurz  vorgetragenen  Beweis  nicht  weiter 
fort,  weil  man  leicht  sieht,  dafs  derselbe  auf  dem  Satze  beruhet,  daXs 
man  wo  KGF,  DFG  rechte  Winkel  sind,  aus  dem  schiefen  Winkel 
in  K  auf  den  schiefen  Winkel  in  D  schliefsen  könne.  Dieses  ist  es 
aber  eben,  wovon  noch  ein  von  dem  Euklidischen  Uten  Grundsatze  unab- 
hängiger Beweis  gefunden  werden  soll.  Kann  derselbe  aber  gefunden 
werden:  so  erhellet  aus  dem  erstgesagten,  dafs  damit  zugleich  auch 
die  Gleichheit  der  Winkel  ÄCB,  ÄED  und  die  AYinkel  eines  Rec- 
tangels  :c  bestimmt  und  erörtert  sind. 


325  3)    Theorie  der  Parallel-Liuieu. 

§.  27. 

Die  Theorie  der  Parallellinien,  die  ich  hier  zu  geben  mir  vor- 
genommen, findet  ihre  Stelle  unmittelbar  nach  der  Prop.  XXVIII. 
Libr.  I.  der  Elemente  des  EuJdids,  weil  bis  dahin  der  Ute  Grundsatz 
nicht  gebraucht  wird,  und  auch  hier  nicht  gebraucht  werden  soll. 
Dieses  bestimmt  den  Gesichtspunkt,  aus  welchem  nachfolgende  Theorie 
anzusehen  ist;  und  mau  wird  sich  eben  deswegen  damit  nicht  auf- 
halten, wenn  ich  sehr  bekannte  Sätze,  wie  z.  E.  die  durchaus  gleiche 
Entfernung  der  Parallellinien  ic  als  imbekannt  und  sehr  zweifelhaft 
werde  anzusehen  haben.  Auch  dieses  habe  ich  noch  voraus  zu  er- 
innern, dafs  ich  nicht  blofs  gedenke,  solche  Sätze  zu  beweisen,  son- 
dern zugleich  auch  die  dawider  gemachten  Schwierigkeiten  deutlich 
ins  Licht  zu  setzen. 

Daraus    wird    sichs   zeigen,    dafs   sich   die   ganze   Sache    auf  eiue 

dreyfache  Hypothese  reduciren  läfst,  von  welchen  jede  einer  besondern 

Theorie   fähig   ist,   und   wovon   zwo   nur   in   ihren   entferntem   Folgen 

umgestofseu  werden  können;  so  dafs  auch  von  den  unmöglichen  Ilypo- 

326thesen    eine    ziemliche  |  Anzahl    von    Sät/eu    können    und   zum    Theil 


2)  §.  26.  —  3)  Theorie  der  Parallel-Linien.     Allgemeines.     §.  27—30.     177 

müssen  erwiesen  werden,  bis  es  sich  zeigt,  dafs  sie  nicht  bestehen. 
Auf  gleiche  Art  werden  selbst  von  der  wahren  Hypothese  mehrere 
Sätze  ex  hypothesi  erwiesen,  ehe  es  sich  zeigen  läfst,  dafs  sie  wirklich 
die  wahre  ist. 

In  der  Geometrie  schien  mir"  ein  solches  Verfahren  sehr  uner- 
wartet. Da  es  aber  darin  vorkommt:  so  kann  es  zugleich-  die  Art, 
mit  physischen  Hypothesen  umzugehen,  wie  durch  eh^JBeyspiel  er- 
läutern. In  dieser  Absicht  kann  es  leicht  seyn,  clSs  ich  aus  den 
beyden  irrigen  Hypothesen  mehrere  Folgen  ziehe,  als  es,  blofs  um 
sie  umzustossen,  nothig  wäre. 

§.  28. 

Dafs  sich  auf  einer  ebenen  Fläche  gerade  Linien  ziehen  lassen, 
die,  so  viel  man  sie  auch  auf  beyden  Seiten  verlängert,  nicht  zu- 
sammenlaufen, wird  durch  die  Prop.  XXVII  und  XXVIII  ausser  allen 
Zweifel  gesetzt.  Hingegen  bleibt  dabey  unausgemacht,  ob  es  ausser 
den  daselbst  angegebenen  nicht  noch  andre  giebt.  Und  selbst  von 
denen  in  bemeldten  beyden  Propositionen  erwiesenen  bleiben  noch 
mehrere  Eigenschaften  und  Symptomata  zu  bestimmen.  Hiebey  werde 
ich  nun  den  Anfang  machen. 

§.  29. 

Es  seyn  (Fig.  X.)  in  Ä  und  B  rechte  Winkel;  oder,  indem  man 
AC  durch  ÄJB  senkrecht  gezogen,  werde  AB  nach  Belieben  ange- 
nommen, und  der  Winkel  ABB  eben- 
falls =  90  Gr.  gemacht:  so  sind,  ver- 
möge erstbemeldter  Prop.  XXVII, 
XXVIH;  BB,  J-O  Linien,  die  beyder- 


B u 


seits,    soviel    man    will^    verlängert,  j,.    ^ 

nicht  zusammenlaufen. 

Ferner  läfst  sichs  leicht  zeigen,  dafs,  wenn  die  Figur  längs  der 
Linie  AB  zusammengelegt  wird,  der  Winkel  dBA  auf  BBA,  iugleichen 
cAB  auf  CAB,  und  demnach  Bd  auf  BB,  und  Ac  auf  AC  fällt, 
weil  in  A,  B  alles  rechte  Winkel  sind.  Die  Linien  dB,  cC  sind  dem- 
nach auf  beyden  Seiten  des  Striches  AB  einander  durchaus  gleich  und 
ähnlich,  so  dafs,  was  von  der  einen  Seite  |  erwiesen  wird,  mit  Bey-327 
behaltung  eben  der  Bedingungen  auch  auf  der  andern  Seite  statt  findet. 

§.  30. 

So  z.  E.  wenn  man  Ac  =  AC  macht,  und  in  c,' C  Perpendiku- 
laren  cd,  CB  aufrichtet:  so  wird  cd=CB,Bd  =  BD,  cdB=  CBB  seyn. 

Stack el  u.  Engel,  Parallelentheorie.  12 


178 


Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


§.  31. 

Eben  so,  wenn  Bd  ^  BD  gemacht  wird,  und  man  fällt  aus  (7, 
B  senkrechte  Linien  de,  BC  auf  cC:  so  wird  cA  =  ÄC,  cdB  =^  CBB, 
und  cd  =  CB  seyn. 

§.  32. 

Wiederum,  wenn  man  cÄ  =  CA,  uud  dB  =  BB  macht:  so  wird 
man  ebenfalls  CfZ  =  CB,  Acd  =  ACB,  und  BBC  =  Bdc  haben. 


§.  33. 

Wenn  es  demnach  noch  mehrere  Arten  von  nicht  zusammen- 
laufenden geraden  Linien  geben  sollte:  so  wird  diejenige,  wo  A,  B 
rechte  Winkel  sind,  immer  wegen  der  vollkommenen  Gleichheit  und 
Aehnlichkeit  auf  beyden  Seiten  von  AB  etwas  voraus  haben. 

Der  Umstand,  dafs  dB^  cC  nicht  zusammenlaufen,  läfst  noch  un- 
bestimmt, ob  die  Entfernungen  cd,  CB  immer  gleich  sind,  oder 
grösser  oder  kleiner  werden.  Wie  dem  aber  auch  immer  sey:  so  weifs 
man,  dafs  es  auf  beyden  Seiten  von  AB  durchaus  einerley  Beschaifen- 
heit  damit  habe. 

§.  34. 

Mau  kann  aber  auch  vermittelst  schiefer  Winkel  gerade  Linien 
ziehen,  die  nicht  zusammenlaufen;  und  da  ist  allerdings  die  Frage,  ob 
diese  nicht  von  der  erst  betrachteten  Art  verschieden  sind? 

Es  seyn  z.  E.  (Fig.  XL)  die  Winkel  BAC  =  ABB,  oder  FAK  = 
EBA,   oder  EBA  -\-  FAB=  180 ":    so  folgt  aus   vorhin   bemeldten 

Prop.  XXVII  und  XXVIII, 
dafs  die  Linien  EB,  FC 
ebenfalls  nicht  zusammen- 
laufen, so  viel  oder  wenig 
schief  die  Winkel  in  A  und 
B  seyn  mögen.  Wollte  man 
nun  auch  hier  die  Figur 
längs  der  Linie  AB  zusammenlegen:  so  würde  man  nichts  Congruirendes 
328  erhalten,  weil  keine  |  Linie  auf  die  andre  und  kein  Winkel  auf  den 
andern  passen  würde.  Und  man  würde  höchstens  daraus  schliessen 
können,  dafs  sich  EB  gegen  FA  eben  so,  wie  AC  gegen  BB,  ver- 
halte; so  dafs  z.  E.  wenn  sich  EB  gegen  FA  näherte,  sich  eben  so 
AC  gegen  BB  nähern  würde  2C. 


E 

\j 

B^--^ 

"^      D 

F 

^^'■^^ 

"^ 

C 

-^ 

,--'<^ 

JI 

Fig.  XI. 


3)  Theorie  der  Parallel -Linien.    Allgemeines.    §.  31—38.  179 

§.  35. 

Man  theile  aber  AB  in  zween  gleiche  Theile  AG,  GB.  Aus  G 
fälle  man  GH  auf  AC,  und  GJ  auf  BE  senkrecht:  so  wird  man 
JG=GH,  und  AH^JB,  und  AGH=BGJ  erhalten.  Und  da 
AGB  eine  gerade  Linie  ist:  so  werden  AGH^=  BGJ  Scheitelwinkel, 
und  demnach  JGH  auch  eine  gerade  Linie  seyn.  Da  nun  in  J,  H 
rechte  Winkel  sind:  so  läfst  sich  die  Figur  längs  der  Linie  JH  zu- 
sammenlegen; und  es  wird  EJ  auf  DJ,  und  FH  auf  CH  passen. 
Dadurch  läfst  sich  also  diese,  vermittelst  der  schiefen  Winkel  A,  B, 
gezogene  Art  von  nicht  zusammenlaufenden  geraden  Linien  auf  die 
vorhin  betrachtete  reduciren;  weil  hier  in  Absicht  auf  JH  eben  das 
gilt,  was  bey  der  lOten  Figur  in  Absicht  auf  AB  gesagt  worden. 

Man  kann  auch  den  Fall  umkehren.  Denn  man  setze,  dafs  An- 
fangs ED,  FC  durch  JH  senkrecht  wären  gezogen  worden:  so  darf 
man  nur  JG  =  GH  machen,  und  durch  G  jede  Linie  AB  ziehen;  so 
wird  man  allemal  auch  AG  =  GjB,  und  GAH=  GBJ  erhalten. 

§.  36. 

Es  ist  liiebey  angenommen  worden,  dafs  sich  aus  AG  =  GB^ 
GAH=  GBJ,  und  H=J=90  Gr.  auf  die  Gleichheit  und  Aehn- 
lichkeit  der  beyden  Triangel  AGH,  BGJ  schliefsen  lasse.  Dieses  hat 
keinen  Anstand.  Denn  man  darf  nur  den  Winkel  GBJ  dergestalt 
auf  GAH  legen,  dafs  GB  auf  GA  falle:  so  wird  G  auf  G,  B  auf  A, 
und  BE  auf  AC  passen.  Nun  läfst  sich  aus  G  auf  AC  nur  eine 
Perpendikulare  GH  ziehen,  weil  man  sonst  einen  Triangel  mit  zween 
rechten  Winkeln  erhalten  würde.  Demnach  fällt  nicht  nur  die  Linie 
BE  auf  ^C,  sondern  insbesondre  auch  d^r  Punkt  J  auf  den  Punkt  H 
Und  so  sind  die  Triangel  AGH,  BGJ  durchaus  auf  einander  passend.  329 

§.  37. 

Uebrigens  hätte  in  dem  §.  35  auch  schlechthin  nur  GH  auf  AC. 
senkrecht  gezogen  und  gegen  J  verlängert  werden  können.  Denn  so 
wdrde  man  AG  =  BG,  GAH=  GBJ,  und  AGH  =  BGJ  gehaht 
haben.  Und  damit  wäre  ebenfalls  GJB  =  GHA  =  90  Gr.  und 
GH=  GJ  gewesen.     {Prop.  XX VL  Libr.  L  Ehm.  Euclid.) 

§.  38. 

Da  demnach  in  Absicht  auf  die  Linie  JH  eben  das  gilt,  was  in 
der  lOden  Figur  in  Absicht  auf  die  Linie  AB  gesagt  worden:  so  sind 
die  Linien  ED,  FC  (Fig.  1 1  )  in  der  That  nicht   von   einer  von  den 

12* 


180 


Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


Linien  dD,  cC  (Fig.  10.)  verschiedenen  Art.  Dadurch  wird  aber  aller- 
dings die  Theorie  der  Parallellinien  abgekürzt,  weil  die  Eigenschaften 
und  Symptomata,  so  sich  in  Absicht  auf  die  lOde  Figur  erweisen 
lassen,  ohne  Muhe  auf   die   Ute  Figur  angewandt  werden  können. 

§.  39. 

Ich   werde   demnach  zu  der  10 den  Figur  zurück  kehren,  und  die 

Voraussetzung,  dafs  in  ^,  J5  rechte 
Winkel  sind,  beybehalten. 

Es  seyn  nun  in  C  ebenfalls  rechte 
Winkel:  so  laufen  erstlich  auch  AJB 
und  CD  nicht  zusammen.  Die  Frage 
kommt  nun  eigentlich  auf  die  Winkel 
in  D  an;  und  da  müssen  wir  nothwendig  drey  Hypothesen  annehmen. 
Denn  es  konnte 

P.  BDC=90  Gr. 

II«   J5Z>C>  90  Gr. 


M_ 


Fig.  X. 


III«   BDO<  90  Gr. 


seyn. 


Diese  drey  Hypothesen  werde  ich  der  Ordnung  nach  annehmen, 
und  Folgen  daraus  ziehen.  Es  wird  sich  zeigen,  dafs  diese  Folgen 
ziemlich  weit  können  und  theils  müssen  getrieben  werden,  ehe  man 
auf  ein  Quod  est  absurdum  oder  Quod  est  contra  hypothesin  verfallt. 
330  Der  dritte  Ausdruck  Quod  est  contra  Dcfinitionem,  \  oder  auch  jper 
Definitionem ,  wird  dabey  gar  nicht  vorkommen,  weil  die  Definition 
selbst  wegbleibt,  und,  wenn  mau  sie  auch  gebrauchen  wollte,  nichts 
beweisen  würde. 


Erste  Hypothese. 

§.  40. 

Es  seyn  demnach  (Fig.  XII.)  AC,  BB,  AB,  CD  gerade  Linien, 

und  A,  B,  C  D  rechte  Winkel:  so 
wird  AB=  CD, xmdAC=BD  seyn. 
Man  theile  [nämlich]  AC  in 
AE  =  EC,  und  richte  in  E  die 
Linie  EF  senkrecht  auf:  so  läfst 
sich  die  Figur  längs  der  Linie  EF 
zusammenlegen,  so  dafs  EA  auf  EC^ 

EAB  auf  ECB  fällt.    Setzt  man  nun,  es  seyn  AB,  CD  nicht  gleich: 

so  ist  entweder  AB  <  CD,  oder  AB  >  CD. 


ß 

F 

D 



b 

A 

E 

(' 

Fig.  XII. 


3)  Theorie  der  Parallel-Linien.  Allgemeines.  §.38,39.  Erste  Hypothese.  §.40^41.  181 

Im  ersten  Fall  mache  man  Ch  =  AB,  und  ziehe  Fh:  so  wird 
FbC  =  FDC  ==  90  Gr.;  demnach  werden  in  dem  Triangel  hFB  zween 
rechte  Winkel  D,  h  seyn,  welches  ungereimt  ist.  {Prop.  XVII.)  Dem- 
nach kann  nicht  AB  <C  CB  seyn. 

Wäre  nun  ferner  AB  >  CB:  so  wurde  b  oberhalb  B  fallen,  vmd 
wiederum  einen  Triangel  von  zween  rechten  Winkeln  geben.  Dem- 
nach kann  auch  nicht  AB  >  CB  seyn.  Demnach  ist  nothwendig 
AB  =  CB.  Und  so  fallt  h  auf  D;  und  es  ist  zugleich  auch 
BFE  =BFE=  90°.     Demnach  auch  AB  =  EF. 

Auf  eben  diese  Art  wird  erwiesen,  dafs  BB  ==  AC  sey,  wenn 
man  durch  die  Mitten  von  AB  eine  senkrechte  Linie  zieht. 


J3 

S 

F                K 

D 

L                \ 

A 

d 

r 

S             .7 

C 

Fig.  XIII. 


§.  41. 

Es  seyn  wiederum  (Fig.  XIII.  und  XIV.)  AC,  BB,AB,  CB  gerade 
Linien,  und  in  A,  B,  C,  B  rechte  Winkel.   Auf  ^.0  nehme  man  jeden  be- 
liebigen   Punkt   E,    und    richte    aus 
demselben  E  F  senkrecht  auf:  so  wird 
EF=AB=CB,  und  in  F  werden 
rechte  Winkel  seyn. 

Man  halbire  [nämlich]  AE  in 
G,  CE  in  «7,  und  richte  in  G  und  J 
Perpendikularen  GH,  JK  auf.  Setzt 
man  nun,  es  sey  EF^  AB:  so  mache  man  EL  =  AB]  und  |  so  331 
wird  auch  EL  =  CB  seyn  (§.  40).  Man  ziehe  HL,  KL:  und  so  ist 
HLE  =  HBA  =  90 Gr.  Ingleichem  KLE==KBC=  90 Gr.  welches 
klar  erhellet,  wenn  man  die  Figur  längs  den  Linien  GH,  JK 
zusammenlegt.  Hieraus  folgt  aber,  in  Absicht  auf  die  13de  Figur, 
dafs  HLK  eine  gerade  Linie  sey.  Da  nun  auch  HK  eine  gerade 
Linie  ist:  so  würden  zwo  gerade  Linien  einen  Raum  schliefsen,  wel- 
ches nicht  angeht.  Demnach  kann  L  nicht  unterhalb,  und  aus  glei 
chem  Grunde  auch  nicht  oberhalb  F  fallen.  Und  so  müssen  noth- 
wendig   EF  =  AB=CB, 


H 


n 


A 


und  in  F  rechte  Winkel  seyn. 
In  Ansehung  der  14ten 
Figur  folgt  eben  dieses,  weil 
sich  aus  Einem  Punkt  L 
nicht  zwo  Linien  LH,  LK 
senkrecht  auf  EL  ziehen  lassen.  Demnach  mufs  Z  in  JP  fallen;  und 
so  sind  in  F  rechte  Winkel,  und  es  ist  EF  =  AB  =  CB. 


j 

Fig.  XIV. 


182 


Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


§.  42. 
Hiedurcli  ist  nun  die  erste  Hypothese  (§.  39.)  zureichend  charak- 
terisirt,    weil  «lle  Perpendikularen  FE  =  AB,   und  in  F  rechtwink- 
liclit  sind,  sobald  irgendwo  4  rechte  Winkel  A,  B,  C,  B  vorkommen. 

§.  43. 
Es  seyn  nun  wiederum  (Fig.  XV.)    A,  B,  C,  B   rechte  Winkel. 
Durch  jeden  Punkt  K  werde  HKL  schief  gezogen.     Aus  K  falle  KE 
auf    CA    senkrecht;    und    es    Averde   EG  =  EF   nach    Belieben    an- 
genommen,   und    in    G,   F   Perpendikularen    GJ,    FL    aufgerichtet: 

so  werden  die  beyden  Triangel 
JHK,  31 LK  einander  gleich  und 
ahnlich  seyn.  Denn  in  <7,  31  sind 
rechte  Winkel  (§.  41.);  und  JK 
ist  =  GE  =  EF  =  K3I;  und 
JKH=  31  KL  (§.  36.  37.). 


J 

__^^ 

--"B 

M 

J) 

i 

^^^^ — -^ 

K- ■■■■-...  ■ 

AT                 i' 

P 

^1 

n\ 

B 

Fig.  XV. 


A  F 


§.  44. 

Da  nun  hierbey  ferner  GJ=^  EK  =  F3I  ist  (§.  41.):  so  sind  die 
Linien  GH,  EK,  FL,  jede  um  gleich  viel  länger  als  die  nächst  vor- 
hergehende.    Oder  es  ist 


Demnach 


332 


EK=  GH-\-HJ. 

FL  =  EK  -]-  L3I  =  EK  -\-  HJ. 

FL  =  GH+  2  HJ. 

§.  45. 


Man  ziehe  ferner  durch  H  die  Linie  HN  auf  GJ  senkrecht.  Da 
nun  G,  J,  K,  E  rechte  Winkel  sind :  so  ist  auch  HN  =  JK,  und  in 
N  sind  rechte  Winkel  (§.  41.).  Demnach  ist  auch  JH=  KN  (§.  40.). 
Und  damit  sind  die  Triangel  JKH,  NHK  einander  gleich  und  ähn- 
lich.    Demnach  ist  der  Winkel  HKN  =  JHK  =  KL3f. 

§.  46. 

Hieraus  folgt  ferner,  dafs,  aus  welchem  Punkt  k  man  auf  GC 
eine  Linie  senkrecht  fälle,  der  Winkel  ETke  =  HKE  seyn  werde. 
Denn  eJc,  in  in  verlängert,  durchschneidet  JK  rechtwinklicht;  imd 
eben  so  sind  auch  in  n  rechte  Winkel  (§.  41.).  Fällt  man  ferner  ki 
aus  k  auf  JG  senkrecht:  so  ist  auch  ikn  =  90  Gr.  und  damit  ik  =^  Hn. 
Demnach  sind  die  Triangel  ikH,  ukH  einander  gleich  und  ähnlich, 
und  folcrlich  der  Winkel  Hkc  =  HKE. 


3)  Theorie  der  Parallel-Linien.    Erste  Hypothese.    §.  42—49.  183 

§.  47. 
Daraus  wird  ohne  Muhe  die  Folge  gezogen,  dafs  die  Linien  LH, 
CG,  gegen  G  verlängert,  einander  durchschneiden  müssen.  Denn  weil 
die  Linien  FL,  EK,  GH,  &c  immer  um  einen  gleichen  Theil  LM 
kürzer  Averden:  so  müssen  die  Punkte  L,  K,  H,  &c  einmal  unter  CG 
kommen.  Dafs  der  Durchschnitts winkel  beyder  Linien  LH,  CG  jeden 
Winkeln  JKH,  iJcH,  &c  gleich  sey,  folgt  ebenfalls  ohne  Mühe. 

§.  48. 

Die  Sache  läfst  sich  nun  folgendermassen  umkehren. 

Es    seyn    6r,  F,    rechte   Winkel,    und    die  Winkel    JHL,    HLF 
spitze,  aber  einander  gleich:  so  wird  jeder  Winkel 

Hle  =  JHL  =  HLF 
seyn.  Denn  man  halbire  GF  in  E.  Aus  E  richte  man  EK  senk- 
recht auf:  und  durch  K  ziehe  man  JK  ebenfalls  senkrecht:  so  ist 
erstlich  GJK=FMK,  und  JK=MK.  (§.  30.)  Da  nun  JKH=  31  KL, 
und  JHK ^^  KLM  ist:  so  sind  die  Triangel  HJK,  LMK  einander 
gleich  und  ähnlich;  demnach  der  Winkel  HJK  =  LMK^  demnach 
auch  LMK  =  KMF  =  90  Gr. 

Da  nun   solchergestalt    in  J,  M,  G,  F,    rechte  Winkel   sind:    so 333 
folgt  schlechthin  und  durchaus  Alles  was  vorhin  (§.  43—47.)  über  die 
Figur    gesagt    worden.      Jede    Winkel    Hke   sind  =  HKE\    und    die 
Linien  LH,  FG,    gegen  G  verlängert,    schneiden    sich    unter   einem 
Winkel,  der  dem  Winkel  JKH  oder  jedem  Winkel  iJcH  gleich  ist. 

§.  49. 
Es  kann  ferner  die  Sache  noch  auf  folgende  Art  umgekehrt  werden. 
Man  setze  GE  =  EF.     Ih  G,  E,  F,  seyn  rechte  Winkel.     Die 
Linie  HL  sey  gerade;  und  es  sey 

FL  —  EK=EK—  GH 
Man    trage  GH  in  EP,    und  EK  in  FM,    und   ziehe  KM  und  KP: 
so  werden  die  Winkel 

HKE  =  QKL  =  PKE, 
ingleichem    die  Winkel   EKM=FMK,   und    QKM=LMK,    und 
LM=MP  seyn. 

Denn  HKE,  QKL  sind  Scheitelwinkel;  demnach  sind  sie  einander 
gleich.  Wird  ferner  die  Figur  längs  der  Linie  EK  zusammengelegt: 
so  fällt  G  auf  F,  GH  auf  EP;  demnach  KH  auf  KP,  und  folglich 
EKH  auf  EKP;  und  so  ist 

EKH=EKP=QKL. 


184 


Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


Dafs  ferner  EKM  =  FMK,  und  QKM=  L3IK  sex,  folgt  aus  dem 
§.  30,  wenn  mau  sich  eine,  mitten  auf  EF  errichtete  Perpendikulare 

und  längs  derselben  die  Figur  zu- 
sammengelegt gedenkt.  Endlich 
ist  P3I=  3IL,  weil 


J 

r 

c--"'' ^ 

M    n 

i 

n\ 

-- 

P      \ 

E 
Fig.  XV. 


A  F 


und 


ML  =  FL  - 
P3I=EK 


EK, 
-  GH 


ist,  und  weil  vorausgesetzt  worden,  dafs 

FL  —  EK=EK  —  GH 

sey. 

Nun  sage  ich  ferner,  dafs  EKM,  FMK  rechte  Winkel  sind,  und 
folglich  damit  Alles  gilt,  was  vorhin  (§.  43.  und  folg.)  über  die  Figur 
gesagt  worden.  Der  Beweis,  dafs  KMF  ein  rechter  Winkel  sey, 
gründet  sich  auf  einen  Lehusatz,  den  ich  im  folgenden  Paragraph  vor- 
tragen werde,  um  hier  die  Ordnung  der  Gedanken  nicht  zu  unter 
brechen. 

Man  setze  demnach,  die  Winkel  in  Mseyn  schief,  z.  E. -BT J/P< 90  Gr.: 
so  wird  KML  >  90  Gr.  seyn.  Daraus  folgt  aber,  dafs,  weil  KM=  KM- 
und  ML  =  MF  ist,  der  Winkel  LKM  <  MKP  sey.  (§.  seqq.)  Dieses 
334  gehet  aber  |  nicht  an.  Denn  vermöge  des  vorhin  erwiesenen  ist 
QKM=LMK,  demnach  >  90  Gr.;  und  EKM  =  KMF,  demnach 
<  90  Gr.     Da  nun  also 

QKM>EKM 
und  hingegen 

QKL  =  EKP 

ist:  so  bleibt,  wenn  man  abzieht, 

LKM>PKM. 

Setzt  man  hingegen  Ä'J/P>90Gr.: 
seyn.  Und  damit  ist  auch  MKE  >  QK31, 
QKL  =  EKP  abzieht,  bleibt  PKM>  MKL.  Da  nun  aber  KMF>KML 
gesetzt  worden,  und  K3I  =  KM,  ML  =  MP  ist ;  so  folgt  hieraus, 
dafs  der  Winkel  PKM  <i  MKL  seyn  mufste;  welches  aber  mit  dem 
erst  gefundenen  PKM  >  MKL  nicht  bestehen  kann. 

Demnach  läfst  sich  weder  KMP  >  90  Gr.  noch  KMP  <  90  Gr. 
setzen;  und  so  müssen  in  31  rechte  Winkel  sseyn.  Da  nun  EKM=^F3IK 
erwiesen  worden:  so  ist  auch  EK3I  =  90  Gr.  Und  so,  weil  in  K, 
31,  F,  E  rechte  Winkel  sind,  gilt  Alles,  was  §.  43.  und  folg.  von  der 
Figur  gesagt  worden.  LH,  FG,  verlängert,  laufen  auf  der  Seite  G 
zusammen,  und  durchschneiden  sich  unter  einem  Winkel,  der  jeden 
Winkeln  ikH,  JKH,  LK3I,  :c.  gleich  ist. 


so    wird    K3IL  <  90  Gr. 
und  folglich,  wenn  man 


3)  Theorie  der  Parallel-Linien.     Erste  Hypothese  §.  49—51.  185 

§.  50. 

Der  Lehnsatz,  von  welchem  erst  die  Rede  war,  ist  folgender. 

Die  Linien  KM,  PL  (Fig.  XVI.)  durchschneiden  sich  in  M  schief-, 
und  es  sey  Jf P  =  ML.  Man  ziehe  KL,  KP:  so  wird,  wenn 
KML  >  90  Gr.  ist,  LKM  <  PKM  seyn. 

Aus  L  falle  Lq  auf  KM  senkrecht;   und  eben   so   werde  aus  P 
die   Linie  Pr  durch   KM  senkrecht  gezogen,  und  pr=i)P  gemacht. 
Da  nun  pMP  =  qML,  PM=ML, 
und  in  Py  q   rechte  Winkel    sind:    so 
sind    die    Triangel  pPM,    qLM  ein- 
ander   gleich    und    ähnlich.      (§.  36.)       k^C^^^^ 
Demnach  ist  \^^" 

Lq  =  Pp  =  pr. 
Wird  also  durch  rL  eine  gerade  Linie 

.  Fig.  XVI. 

gezogen:   so   lauft   diese  mit  KM  auf 

keiner   Seite  zusammen.     Denn  zieht   man   durch  M  die  |  Linie  ilfi?335 
auf  KM  senkrecht,  und  legt  die  Figur  längs  MB  zusammen:  so  fällt 
p  auf  q,  pr  auf  qL,    und  Br  auf  BL.     Demnach    sind   in  jR    rechte 
Winkel.      Damit  ist  nun  rKM>  LKM.      Da   aber    rKM=PKM 
ist:  so  ist  auch  PK3I>  LKM.     Und  dieses  war  zu  beweisen. 

§.  51. 

Man  sieht  aus  dem  bisher  gesagten,  dafs  ich  nicht  nur  die  erste 
Hypothese  und  ihre  Folgen  für  sich  betrachtet,  sondern  auch  einige 
andre  zugleich  mitgenommen  habe,  welche  sowohl  bey  derselben  zu- 
gleich statt  haben  und  eine  Folge  davon  sind,  als  auch  dieselbe  nach 
sich  ziehen,  und  in  beyden  Absichten,  das  will  sagen,  gerade  und 
umgekehrt  damit  verbunden  sind. 

Man  kann  auch  leicht  voraus  sehen,  dafs  eben  dadurch  die  beyden 
andern  Hypothesen  sehr  merklich  eingeschränkt  und  näher  bestimmt 
werden;  weil  dabey  nothwendig  alle  die  Möglichkeiten  ausgeschlossen 
bleiben,  wodurch  man  auf  die  erste  Hypothese  verfallen  würde. 

Uebrigens  ist  bey  der  ersten  Hypothese  besonders  merkwürdig, 
dafs  ein  einziges  Rectangel  alle  andre  von  jeder  Grosse  und  Verhält- 
nifs  der  Seiten  nach  sich  zieht;  und  dafs  ebenfalls  ein  einziges  Tra- 
pezium  GHLF  (Fig.  XV.),  wo  G,  F  rechte  Winkel  sind,  und 
IHL  =  HLF  ist,  sowohl  die  Rectangel  als  jede  andre  Trapezia  und 
zusammenlaufende  Linien  zur  Folge  hat;  und  dafs  Alles  dieses  sich 
ebenfalls  einfindet,  wenn  auch  nur  in  Einem  Fall 

FL  —  EK=EK—  GH 

ist. 


186 


Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


336 


Zwote  Hypothese. 

§.  52. 
Da  es   aber   bey   Allem,    was    über    die    erste   Hypothese    gesagt 
worden,    unausgemaclit    bleibt,    ob   dieselbe   möglich   oder    unmöglich, 
wahr   oder  falsch   ist:    so   werde   ich    zu   der    andern  Hypothese   fort- 
schreiten, und  ihre  Symptomata  untersuchen. 

Bey  dieser  sind  in  ^,  ^,  0,  c 
(Fig.  X.)  rechte  Winkel;  BDG  aber 
wird  stumpf  gesetzt.  |  Da  nun  wegen 
der  rechten  Winkel  in  A  und  B, 
auf  bey  den  Seiten  der  Linie  AB, 
Alles  einerley  Bewandtuifs  hat:  so 
wird  es,  überhaupt  betrachtet,  genug  seyn,  die  Symptomata  für  die 
eine  Seite  zu  beweisen,  und  es,  wo  etwan  beyde  Seiten  in  Betrach- 
tung gezogen  werden  müssen,  ausdrücklich  anzuzeigen. 


Fig.  X. 


M 

.v- 

D 

F 

} 

c       n 

A 

M 

c 

^ 

J 

G 

Fig.  XVII. 


§.  53. 

Es  seyn  nun  in  A,  B,  (Fig.  XVH.)  rechte  Winkel;  und  so  auch  in 
0,  E,  G,  &c.     Der  Winkel  D  oder  BBC  sey  stumpf:  so  ist  erstlich 

DC  <C  AB.  Denn  man  setze 
CD  =  AB,  Man  halbire 
AC  und  richte  die  Perpen- 
dikulare  MN  auf.  Wird  nun 
nach  dieser  die  Figur  zu- 
sammengelegt: so  fällt  A  auf 
C,  AB  auf  OD;  demnach  NB  auf  iVD;  und  so  wäre  NDC  =  NBA-, 
der  Voraussetzung  zuwider,  dafs  B  ein  rechter,  D  ein  stumpfer  Winkel 
sey.  Wollte  man  CD  >  AB  setzen:  so  würde  auf  eben  die  Art  er- 
hellen, dafs  NDC  <C  NBA  seyn  müfste;  welches  noch  mehr  der  Vor- 
aussetzung zuwider  wäre.     Demnach  ist  CD  <C  AB. 

§.  54. 

Auf  eben  die  Art  erhellet,  dafs  auch  BD<CAC  sey,   wenn  man 
mitten  durch  AB  eine  senkrechte  Linie  zieht. 


§.  55. 

Ferner,  so  viel  man  auch  auf  AG  senkrechte  Linien  EF,  GH 
aufrichtet,  oder  aus  BH  auf  AG  herunterfällt,  werden  sie  sämtlich 
unter  sich   ungleich   seyn;    oder   man   findet   nicht   zwo,    die   einander 


3)  Theorie  der  Parallel-Linien.     Zwote  Hypothese.     §.  52—57.  187 

gleich  wären.    Es  versteht  sich,  dafs  sie  auf  gleicher  Seite  des  Striches 
AB  genommen  werden.    (§.  52.) 

Man  setze,  es  sey  z.  E.  EF  =  GH.  Wird  demnach  mitten  auf 
EG  die  senkrechte  Linie  JK  aufgerichtet,  und  die  Figur  längs  der- 
selben zusammengelegt:  so  wird  ^i^  auf  KH  i'aWen.  Demnach  werden 
in  K  rechte  Winkel  seyn.  Damit  ist  aber  auch  D  ein  rechter  Winkel. 
(§.  41.)  Da  nun  dadurch  die  Voraussetzung  umgestossen  wird:  so 
kann  auch  nicht  EF=^  GH  seyn. 

§.  56.  337 

Es  sind  aber  nicht  nur  die  Senkstriche  CD,  EF,  GH  durchaus 
ungleich,  (§.  55.)  sondern  jeder  von  AB  entferntere  ist  kleiner  als 
jeder  nähere. 

Man  setze  erstlich,  es  sey  EFy^  CD.  Da  nun  auch  AB  ^  CD 
ist:  so  giebt  es  zwischen  AC  und  zwischen  CE  nothwendig  solche 
Perpendikularen,  die  einander  gleich  sind;  weil  sonst  die  Linie  BF 
sich  Sprungs  weise  von  AE  entfernen  müfste,  um  in  F  wiederum  ent- 
fernter zu  seyn,  als  sie  in  D  war.  Nun  aber  ist  ein  solches  Ent- 
fernen der  Natur  der  geraden  Linie,  die  Gleichheit  der  Perpendiku- 
laren aber  dem  vorhergehenden  §.  55  zuwider.  Demnach  kann  auch 
nicht  EF>  DC  seyn.  Da  nun  auch  EF  =  DC  nicht  angeht  (§.  55.): 
so  muss  EF<iDC  seyn. 

Ist  aber  EF<iDC:  so  wird  auf  eben  die  Art  erwiesen,  dafs 
auch  HG  <  EF  sey.  Denn  man  setze,  es  sey  HG  >  EF-.  so  giebt 
es  zwischen  EG  und  zwischen  AE  nothwendig  solche  Senkstriche,  die 
einander  gleich  sind;  weil  sonst  die  Linie  BH sich  sprungsweise  von  AG 
entfernen  müfste.  Nun  können  aber  auch  nicht  zween  Senkstriche  ein- 
ander gleich  seyn.  Demnach  geht  es  nicht  an,  dafs  GH^  EF  sey. 
Da  nun  auch  nicht  GH  =  EF  seyn  kann  (§.  55.):  so  ist  nothwendig 
GH<EF. 

§.  57. 

Ich  habe  diesen  Beweis  auf  das  Gesetz  der  Continuität  gegründet, 
weil  er  sich  auf  diese  Art  am  kürzesten  vortragen  läfst.  Ich  glaube 
auch  nicht,  dafs  er  dadurch  minder  evident  und  schlüfsig  sey,  als  wenn 
er  auf  die  Euklidischen  Grundsätze  wäre  gebaut  worden.  Indessen 
läfst  er  sich  allerdings  auch  darauf  gründen. 

Es  seyn  in  A,  B,  E,  G,  (Fig.  XVIII.)  rechte  Winkel.  Die  Linie  BH 
[sey]  gerade;  (welches  sich  zwar  für  sich  verstehet,  aber  der  Um- 
stände wegen  erinnert  werden  mufs)  AB  sey  grosser  als  EF  und  GH., 
hingegen  GH  grosser  als  EF.  Man  halbire  AG  in  N,  und  EG 
in  M.    Aus  N,  M  richte  man  Perpendikularen  Nu,  Mm  auf.     Ferner 


188 


Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


K 


r  B 


X    E   P 

Fig.  XVIII. 


M    n 


338  mache  !  man  Gh  =  AB,  und  Gf  =  EF,  und  ziehe  nh,  ingleichem  fm 
bis  in  j)  verlängert.     Endlich  ziehe  mau  aus  jj  die  Linie  ])P  auf  AG 

senkrecht  herunter;  und  in- 
dem man  QN=  NP,  und 
B3I=MP  macht,  richte 
man  in  Q,  B,  die  Perpendi- 
kularen  Qq^  Br  auf. 

Ich  sage,  es  sey  Qq  =  Br. 
Denn,  legt  man  die  Figur 
längs  der  Linie  ^'«  zusammen:  so  fällt  AB  auf  Gh,  und  Qq  auf  Pp. 
Legt  man  aber  die  Figur  längs  der  Linie  31 m  zusammen:  so  fällt  EF 
auf  Gf,  und  Pp  auf  i?r;  oder  mr  auf  mp,  wenn  man  MG  auf  ME 
legt.  Demnach  ist  Pp  =  Br.  Da  nun  auch  Pp  =  ^g  ist:  so  ist 
Br  =  Qq.  ■  Das  Uebrige  des  Beweises  ist  nun  wie  §.  56. 

§.  58. 

Was  nun  erst  in  Ansehung  der  Senkstriche  JSJP,  GS,kc  (Fig.XVIL) 
erwiesen  worden,  gilt  auch  in  Ansehung  der  Winkel  F,  H,  &c.  Sie 
sind  sämtlich  stumpf,  durchaus  ungleich,  und  jeder  von  B  entferntere 
z.  E.  H,  ist  stumpfer,   als  jeder  nähere  F. 

Dafs  sie  sämtlich  stumpf  sind,  erhellet  ohne  Mühe  daraus,  dafs 
jede  GH<AB  ist.  Auf  diese  Art  fällt  AB  (Fig.  XVIII.)  beym  Zu- 
sammenlegen [längs  der  Linie  Nn]  auf  Gb.  In  b  sind,  wie  in  B,  rechte 
Winkel.  Und  so  ist  in  dem  Triangel  nbH  der  Winkel  uHb  <  9U  Gr. 
Demnach  uHG  >  90  Gr. 

Dafs  ferner  alle  die  Winkel  BFE,  BHG,  kc  von  ungleicher 
Grosse  seyn  müssen,  erhellet  aus  dem  §.  48.  Denn  man  setze  z.  E. 
BFE  =^  BHG:  so  sind  JFE,  JHG  spitze  und  einander  gleich.  Da- 
mit aber  laufen  die  Linien  BH,  AG  gegen  G  zusammen;  und  es  ist 
auch  JBA  =  JFE.  Demnach  JBA  <  90  Gr.  Beydes  der  Voraus- 
setzung zuwider.  Demnach  kann  kein  Winkel  JFE  einem  andern 
JHG  gleich  seyn. 

Dafs  endlich  jeder  entferntere  Winkel  BHG  stumpfer  seyn  müsse, 
als  jeder  nähere  BFE,  folgt  wiederum  aus  dem  Gesetze  der  Continuität. 
Demi  Aväre  BHG  weniger  stumpf  als  BFE:  so  würden  zwischen  BF 

339  und  JF'S' nothwendig  Winkel  vorkommen,  die  gleich]  stumpf  wären; 
und  so  würden  BH,  AG  gegen  G  zusammenlaufen,  und  in  B  gleich 
schiefe  Winkel  seyn.  (§.48.)  Demnach  mufs  durchaus  BHG^BFEsejn.*) 

{Lambois  Zusatz  zu  §.  58  auf  einem  besondern  Blatte) 
*)  „Der  eigentliche  Beweis  ist  folgender: 
„BFE(Fig.XYlll.)  sey  stumpfer  a  1  s  .B  und  JL   Man  lege  die  Figur  wie  §.57. 
„zusammen:    so  fällt  F  va  f  unter  H.      Ferner  B  m   h    über  F\    (es    mag    nun 


3)  Theorie  der  Parallel-Linien.     Zwote  Hypothese.     §.  57—60. 


189 


§,.  59. 
Man  kann  dieses  Letztere  auch  auf  folgende  Art  beweisen.     Auf 
HD  (Fig.  XIX)  nehme  man  die  Distanzen  HG,  GF,  FE,  EA,  AB, 

V 


R 


M 


A^ 


(> 


JL 


i: 


n 


n 


Fig.  XIX. 

BC^  CD,  &c  gleich  und  so  klein  man  will.  Aus  allen  diesen  Punkten 
richte  man  Perpendikularen  auf,  und  ziehe  BF  durch  EJ  rechtwink- 
licht:  so  werden,  unsrer  zwoten  Hypothese  zufolge,  die  AVinkel  JJf  J-, 
JNB,  JQC,  JFD,  &c  iugleichem  auf  der  andern  Seite  die  Winkel 
JKF,  [JLG],  JBH,  &c  sämtlich  stumpf,  und  die  auf  beyden  Seiten 
von  EJ  gleich  entfernten  gleich  seyn.  (§.  30.)  Man  ziehe  nun  durch 
M  die  Linie  rp  auf  AM  senkrecht:  so  ist  ebenfalls  EiM  =  MnB, 
FIM  =  MqC,  GIM  =  3£pD,  &c.  Da  nun  MJE  ein  rechter 
Winkel  ist:  so  ist  MiE,  und  damit  auch  MnB  und  MNB  noch 
mehr  stumpf.  Nun  ist  MNB  =  MLG;  daher  MIG  =  MpD  noch 
mehr  stumpf  als  MnB.  Und  eben  so  MPD  noch  mehr  stumpf  als 
MpD;  folglich  noch  viel  mehr  als  MnB,  &c.  Ferner,  da  MKF>  90  Gr. 
ist:  so  ist  auch  MhF  =  MqC  noch  stumpfer.  Und  da  MQC>  MqC- 
so  ist  auch  MQC  noch  viel  mehr  stumpf,  und  damit  auch  MBH 
=  MQC,  und  um  so  mehr  noch  MrH,  &c. 

Man  sieht  leicht,  dafs  auf  eben  die  Art  immer  fortgeschlossen 
werden  kann,  und  demnach  die  Winkel  M,  N,  Q,  P,  &c  desto  mehr 
stumpf  sind,  je  mehr  sie  |  von  J  entfernt  sind.  Dafs  eben  dieses  von  340 
jeden  zwischen  M,  N,  Q,  P,  &c  fallenden  Winkeln  gelte,  folgt  daraus, 
dafs  AB,  BC,  CD,  &c  so  klein  angenommen  werden  können,  als 
man  will. 

§.  60. 

Es  ist  ferner  merkwürdig,  dafs  diese  in  Einem  fortgehende  Ver- 
grSsserung  der  stumpfen  Winkel  31,  N,  Q,  P,  &c  nicht  nur  von  der 
absoluten  Länge  der  Linien  EA,  EB,  EC,  ED,  &c  sondern  auch  von 
der  absoluten  Länge  der  Perpendikularen  EJ,  AM,  BN,  &c  abhängt. 

Um  dieses  noch  zu  zeigen:  so  seyn  in  A,  B,  C,  D,  E  (Fig.  XX.) 
rechte  Winkel,   und  AB  =  BC  =  AD  =  DE.     Demnach   sind,    ver- 

„über  oder  unter  If  seyn.)     Demnach  sind  (eben   so  wie   §.  57.)    Pp  =  Br  =  Qq; 
„welches  die  Hypothese  umstofst.  2c." 

„Auf  eine  ähnliche  Art  wird  §.  69.  verfahren."  [Es  scheint,  dafs  Lamhert 
auch  hier  versucht  hat,  den  Beweis  unabhängig  von  dem  Gesetze  der  Continuität 
zu  führen.    So  wie  der  Zusatz  lautet,  ist  er  uns  freilich  unverständlich  geblieben.] 


190 


Joh.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


möge  unsrer  zwoten  Hypothese,  die  Winkel  G,  H,  F,  J  sämtlich 
stumpf;  und  zwar  S^  G,  und  ebeu  so  ?/>  S;  demnach  um  so 
mehr    J^  G.      Nun    sind    J   und    G    nur    darin    verschieden,    dafs 

ÄE  =  ÄC  doppelt  so  grofs  angenommen 
worden,  als  AD  =  AB.  Man  sieht  daraus, 
wie  mit  jeder  Verdoppelung  die  Winkel  G, 
J  stumpfer  werden.  Eben  dieses  gilt,  wenn 
auch  AE  =  AC  schlechthin  nur  grosser  als 
AD  =  AE  genommen  wird. 


E 

P 

J 

G 

H 

\ 

61. 


B 

1-ig.  XX. 


In    dieser  Figur   ist   ferner    AD  ^  GB, 
und  GB  >  CE.  (§.  56.)    Man  trage  CH  aus 
A  in  h,  und  ziehe  Gh.     Legt  man  nun  die 
Figur  längs  der  Linie  BF  zusammen:  so  fällt  GH  in  Gh.    Da  nun  in 

D  TD 

D  rechte  Winkel  sind:  so  ist  Gh  >  GD.  Demnach  [wegen  GD  =  GB] 
auch  GH>GB.  DaimnGB>CH\st:  so  ist  um  so  mehr  noch  GS'>  CA 

Auf  gleiche  Art  wird  man  FJ^EF  finden.  Hingegen  ergiebt 
sich  FJ<  GF  daraus,  dafs  JE  =  JE,  GF=  GH,  und  FGH<FJH 
ist.  So  wird  man  auch,  wenn  man  AG,  GC  zieht,  die  Winkel  DAG, 
GAB,  GCB  einem  halben  rechten  Winkel  gleich,  und  hingegen 
AGC=DGB>90  Gr.  finden.    2C.  — 

Ich  halte  mich  aber   bey  solchen  Folgen,   die  leicht   noch  weiter 
können  getrieben    werden,    nicht   mehr  länger  auf,  sondern  werde  die 
341  bisher  betrachtete  Hypothese  nun  von  der  widersprechenden  Seite  zu 
zeigen  vornehmen. 

§.  62. 

Diese  widersprechende  Seite  liegt  nicht  blofs  darin,  dafs  die  von 
AB  (Fig.  XVn.)  entferntem  Senkstriche  £'JP,  G^ 5"  immer  kürzer  werden. 
Denn  mau  konnte  gedenken,  dafs  sie  auf  eine  asymptotenmäfsige  Art 

sich  verkürzen,   ohne  jemals 

=  0    oder    gar    negativ    zu 

werden.     Hingegen  thun  die 

immer    stumpfer    werdenden 

Winkel  F,  Hmehr  zur  Sache. 

Denn   daraus    wird   erhellen, 

dafs  sich  BH  gegen  AG  ungefähr  eben  so  wie  ein  Cirkelbogen  nähern 

müfste,  dessen  Mittelpunkt  unter  A  ist,  und  dessen  Diameter  bis  in 

B   reicht.     Ein    solcher    Cirkelbogen   nehmlich    durchschneidet    noth- 

weudig  die  Linie  ^(r.    Eben  dieses  wird  sich  nun  auch  von  der  Linie 

BH  erweisen    lassen.     Da   nun    wegen    der  rechten  Winkel  in  B,  A 


J3 

.r 

n 

F 

1 

C         H 

A 

M 

c 

J? 

J 

(r 

Fig.  XVII. 


3)  Theorie  der  Parallel-Linien.     Zwote  Hypothese.     §.  60 — 63. 


191 


n 

U 

N 

L 

K 

A 

E                    l 

G 

Fig.  XXI. 


kein  solcher  Durchschnitt  statt  haben  kann:  so  folgt  für  sich,  dafs 
nnsre  zwote  Hypothese  dadurch  werde  ad  absurdum  gebracht  seyn. 
Die  Art,  wie  dieses  geschehen  kann,  ist  nun  folgende. 

§.  63. 

Es  seyn  in  A,  B,  (Fig.  XXI.)  rechte  Winkel.  Auf  ä(t  nehme 
man  nach  Belieben  drey  Punkte  E,  F,  G,  so  dafs  EF  =  FG  sey, 
und  richte  aus  denselben 
die  Linien  EH,  FJ,  GK 
senkrecht  auf:  so  ist  zu 
beweisen ,  dafs  allemal 
EH—FJ<FJ-GK 
oder 

FJ-  GK>EH~FJ 
sey,  wenn  die  bisher  betrachtete  zwote  Hypothese  wahr  ist. 

Nun  suid,  dieser  Hypothese  zufolge,  die  Winkel  BHE,  BJF, 
BKG  nicht  nur  stumpf;  sondern  es  ist  BKG  >  BJF,  und  BJF>BHE. 
Zieht  man  demnach  durch  J  die  Linie  LM  senkrecht  auf  JE:  so 
geht  sie  unter  H  und  über  K  durch;  und  es  ist  EL  =  GM.  (§.  30.) 
Mau  mache  nun  GN  =  EH,  und  ziehe  JN:  so  wird,  wenn  man  die 
Figur  längs  der  Linie  FJ  zusammenlegt,  FE  auf  FG,  EL  auf  GM, 
EH  auf  GN,  demnach  JL  auf  JM  und  JH  auf  JN  fallen;  und  die 
Winkel  HJL,  MJK,  NJM  \  werden  gleich  seyn.  Da  nun  BHE < BKG:  342 
so  ist  EHJ>JKN.  Es  ist  aber  EHJ=JNK.  Demnach  ist 
JNK  >  JKN     Damit  aber  ist  auch  JK  >  JN. 

Man  mache  Jn  =  JK,  und  ziehe  Mn:  so  ist  der  Winkel  JMK 
=  JMn.  Demnach  ist  JMK  stumpf.  Demnach,  ebenfalls  vermöge 
der  zwoten  Hypothese,  GM  =  EL  kleiner  als  FJ.  Ferner,  da 
JNG  =  JHE  ein  spitzer  Winkel  ist:  so  ist  nNM  stumpf;  und  da- 
mit ist  Mn  >  MN.  Es  ist  aber  Mn  =  MK.  Demnach  ist  auch 
MK>  MN;  und  eben  so,  weil  3IN=  LH  ist:  so  ist  auch  MK>  LH. 
Demnach 

GM—  GK>EH—EL. 
Nun  aber  ist 

GM  =  EL. 
Demnach 

GM—  GK>  EH—  GM. 


Es  ist  aber,  vermöge  des  erst  erwiesenen, 

FJ>  GM. 
2  FJ>  2  GM. 


Folglich 


192  Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 

Demnach,  wenn  man  addirt, 

GM-\-  2  FJ—  GK>2  GM+EH—GM. 

Und  folglich 

2FJ—GK>EH- 
Oder 

FJ—  GK>EH—FJ. 

Und  dieses  war  zu  beweisen. 

§.  64. 

Die  Perpendikel  ES,  JE,  KG,  &c  nehmen  demnach  nicht  etwan 
nur  gleichförmig,  sondern  immer  stärker  ab.  So  klein  demnach  auch 
die  Abnahme  seyn  mag:  so  mufs,  wenn  man  fortfahrt  in  gleichen  Ent- 
fernungen EF,  EG,  Perpeudikularen  aufzurichten,  die  Summe  der 
Abnahmen  nothweudig  einmal  anfangen  grosser  als  AB  zu  werden. 
Und  da  dieses  nicht  geschehen  kann,  es  sey  denn,  dafs  die  Linie  BK, 
bis  dahin  verlängert,  sich  unter  die  ebenfalls  verlängerte  AG  herab- 
senke: so  wird  dadurch  offenbar  der  Satz,  dafs  BK,  AG  wegen  der 
rechten  Winkel  in  A,  B  nicht  zusammenlaufen,  umgestossen.  Da  sich 
aber  dieser  Satz  nicht  umstossen  läfst:  so  fällt  die  zwote  Hypothese 
343  ins  Unmögliche.  Sie  wird  aber  |  noch  viel  unmittelbarer  dadurch  un- 
gereimt, dafs  die  Linie  BK  auf  beyden  Seiten  des  Senkstriches  AB 
sich  unter  die  Linie  GA  herabsenken,  und  demnach  die  zwo  Linien 
BKj  AG  einen  Raum  schliefsen  müfsten.  — 

Lafst  uns  nun  noch  sehen,  was  aus  der  dritten  Hypothese  werden  wird. 

Dritte  Hypothese. 

§.  65. 

Man  kann  nun  nach  der  Betrachtung  der  beyden  ersten  Hypo- 
thesen voraus  vermuthen,  dafs  bey  der  dritten  immer  spitzere  Winkel 
und  immer  grosser  werdende  Perpeudikularen  zum  Vorschein  kommen 
werden.  Hingegen  läfst  es  sich  eben  daher  a.uch  nicht  voraussehen, 
wie  diese  Hypothese  in  Absicht  auf  die  Möglichkeit  werde  geprüft 
werden  kSunen.  Ich  werde  demnach  die  Sache  beschreiben,  wie  ich 
sie  gefunden  habe. 

§.  66. 

Es  seyn  wiederum  m  A,  B,  C,  (Fig.  XVH.)  und  so  auch  in  jeden 
Punkten  E,  J,  G,  &c  rechte  Winkel:  so  ist  bey  der  dritten  Hypothese 
der  Winkel  B  oder  BDC  spitze.  (§.  39.)  Die  erste  Folge,  die  wir 
daraus  ziehen,    ist,    dafs  DC^AB  ist.     Denn   wäre    CD  ^=  AB:    so 


3) Theorie  d.Parallel-Linien.  ZwoteHypothcso.§.(58,64.  Dritte ITypotheso  §.65-G8.  W^ 


würde  eben  so  wie  §.  53.  folgen,  dafs  BBC  ein  rechter  Winkel  wäre, 
und  dieses  würde  der  Voraussetzung  zuwider  seyn.  Wollte  man 
aber  CB  <i  AB  annehmen: 
so  würde,  wenn  man  die 
Figur  längs  der  mittlem  Per- 
pendikulare  MN  zusammen- 
legt, A  auf  C,  B  aber  über 
B  hinauf  fallen;    und   damit 

würde   iV^DC>90Gr.    seyn;    welches    der  Voraussetzung    noch    mehr 
zuwider  wäre.     Demnach  ist  CB  >  AB. 


B 

.V 

n 

F 

K       \n- 

A 

M 

c 

j'] 

j 

(j 

§■  67. 
Auf  gleiche  Art  ist  auch  BB  ^  AC. 


§.  68. 

Ferner  sind  jede  andre  Perpendikularen  EF,  GH,  nicht  nur 
grosser  als  AB'^  sondern  es  ist  keine  der  andern  gleich,  und  jede  ent- 
ferntere GH  ist  grosser  als  jede  nähere  EF. 

Man  setze  erstlich,  es  sey  GH=EF.    Mitten  i  auf  EG  errichte  344 
man  JK  senkrecht:  so  sind  in  K  rechte  Winkel;  und  damit  sind  auch 
in  B  rechte  Winkel.    (§.  41.)    Nun  ist  aber,  vermöge  der  Hypothese 
B  ein  spitzer  Winkel.     Demnach   läfst  sich   nicht  GH=  EF  setzen. 

Man  kann  aber  ferner  auch  nicht  EF  <  BC  setzen.  Denn  da 
CB  >  AB  ist:  so  würden  nothwendig  zwischen  AC  und  zwischen  CE 
Perpendikularen  vorkommen,  die  einander  gleich  wären.  Da  nun  dieses 
dem  erst  erwiesenen  zuwider  ist,  und  aus  gleichem  Grunde  auch  nicht 
EF  =  CB  seyn  kann:  so  ist  EF>  CB.  Auf  gleiche  Art  folgt  auch 
dafs  GH'>EF  seyn  müsse.  Und  so  ist  auch  jede  zwischen  A,  C 
fallende  Perpendikulare  grosser  als  AB,  und  kleiner  als  CB.  &c. 

Ich  habe  hierbey  ebenfalls  wiederum  wie  oben  (§.  56.)  das  Gesetz 
der  Continuität  gebraucht.  Will  man  aber  lieber  den  Beweis  auf 
die  Euklidischen  Grundsätze 

bauen:    so  kann  dieses   auf       ^  q         n  ^r---- rn 

eine  der  im  §.  57.  angegebe- 
nen  durchaus    ähnliche   Art 

geschehen.    Denn  man  wird       u  q         n  e  p     m     n 

finden,    dafs    für   gegenwär-  p^ig  xviii. 

tigen    Fall,    in    der    18den 

Figur,  6  unterhalb,  f  aber  oberhalb  H,   und  damit  auch  <p  unter  Fm 
kömmt,  und  dadurch  an  dem  Satze  Qq,  =  Br  nichts  geändert  wird. 

Stäckel  11.  Engel,  Parallelentheorie.  1^ 


/' 


194 


Joh.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


§.  69. 

In  Ansehung  der  Winkel  D,  F,  H,  &c  (Fig.  XVII.):  so  sind  hier 
nicht  nur  alle  spitze,  sondern  auch  alle  ungleich ;  und  jeder  entferntere 
H  ist  spitzer  als  jeder  nähere  F. 

Dafs  alle  spitze  sind,  folgt  daraus,  dafs  alle  Perpendikularen 
grösser  als  AB  sind,  ohne  Mühe,  wenn  man,  z.  E.  in  Absicht  auf  den 
Winkel  F  die  Figur  so  zusammenlegt,  dafs  E  auf  A  falle.  Denn  so 
wird  F  oberhalb  B  fallen;  und  da  in  B  rechte  Winkel  sind:  so  mufs 
BFE  <  90  Gr.  seyn. 

Dafs  ferner  nicht  zween  Winkel  F,  H  gleich  spitze  sind,  folgt 
aus  dem  §.  48,  weil  die  Linien  HF,  GE,  gegen  A  verlängert,  sich 
durchschneiden,  und  in  B  schiefe  Winkel  seyn  würden.  Da  nun  dieses 
der  Voraussetzung  zuwider :  so  kann  auch  nicht  F  ^=  H  seyn. 
345  Endlich  kann  auch  nicht  H^  F  seyn.  Denn  wo  dieses  wäre: 
so  würden  zwischen  BF  und  zwischen  FH  Winkel  vorkommen,  die 
einander  gleich  wären;  und  damit  würde  auch  F=H  seyn.  (§.  48.) 
Demnach  mufs  H  <i  F  seyn. 

Man  kann,  um  dieses  ohne  Zuziehung  des  Gesetzes  der  Continuität 
zu  beweisen,  eben  so  wie  §.  59   verfahren,    wenn  man  in   der    19den 


n 

JL 

Ji        j-       j^r 

n -ö 

r .-/ 

?.... 

r 

l" 

— bc " 

t 

jV 

Q 

P 

M 


Fig.  XIX. 


/? 


T> 


Figur  in  i  rechte  Winkel,  und  iMA  <  90  Gr.,  JMA  aber  =  90  Gr. 
setzt.  Denn  so  wird  EJM=  31  NB  spitze,  und  damit  MnB  =  MIG 
noch  kleiner,  und  eben  dadurch  MLG  =  MPD  noch  mehr  kleiner.  2C. 


70. 


Aus  dem  aber,  dafs  die  entferntem  Winkel  immer  spitzer  werden, 
folgt  nun  ferner,  dafs  die  Perpendikularen  mit  der  Entfernung  von  A 
(Fig.  XVn.)  nicht  etwan  nur  gleichförmig,  sondern  immer  mehr  grosser 
werden,  so  dafs  sich  BH,  verlängert,  von  AG^  ebenfalls  verlängert, 
dergestalt  entfernt,  dafs  die  Perpendikularen  grosser  werden,  als  jede 
gegebene  Grosse. 

Es  seyn  in  A,  B  (Fig.  XXII.)  rechte  Winkel.  Man  nehme  nach 
Belieben  die  Punkte  E,  F,  G,  so  dafs  EF=  FG  sey,  und  richte  aus 
denselben  die  Perpendikularen  EH,  FJ,  GK  auf:  so  sind,";  vermöge 
uusrer    dritten    Hypothese  BHE,    BJF,    BKG   spitze    Winkel,    und 


3)  Theorie  der  Parallel-Linien.     Dritte  Hypothese.    §.  69,  70. 


195 


jeder  folgende  spitzer  als  der  vorhergehende.  Zieht  man  demnach 
durch  J  die  Linie  LM  auf  FJ  senkrecht:  so  geht  LM  oberhalb  H 
und  unterhalb  K  durch,  weil  HJF  <  90  Gr.  ist. 


B                                 ^ 

--^^__^_ 

K 

/ 

H 

J 

N 

^,. 

«i— 

- '      E                      F                      Q 

Fig.  XXII. 

Man  mache  GN  =  EH,  und  ziehe  JNn.  Da  nun  EL=GM 
ist  (§.  30.):  so  fällt  N  unterhalb  M.  Und  indem  man  die  Figur  längs 
der  Linie  FJ  zusammenlegt,  wird  JH  Siui  JN,  JL  aber  auf  JM  füllen; 
und  die  Winkel  LJR,  KJM,  MJN  werden  gleich  seyn.  Denn  LJH 
fällt  beym  Zusammenlegen  auf  MJN]  und  LJH,  KJM  sind  Scheitel- 
winkeL  Da  nun  ferner  JHE  auf  JNG  fällt:  so  ist  JNG  =  JHE, 
demnach  auch  JNK  =  JBHE.  Nun  aber  ist  EHE  >  JKN-^  j  dem-  .346 
nach  ist  ebenfalls  JNK  >  JKN.  Daraus  folgt  aber  JK  >  JN  Man 
mache  also  Jn  =  JK,  und  ziehe  Mn:  so  ist  Mn  =  MK^  und  der 
Winkel  JMK  =  JMn  stumpf;  demnach  JMG  spitze.  Dadurch  ist 
aber,  ebenfalls  vermöge  der  dritten  Hypothese,  G My-  FJ,  und  damit 
auch  EL  >  FJ,  weil  EL  =  GM  ist.  Da  nun  ferner  JNM=BHE 
spitze  ist:  so  ist  MNn  stumpf,  und  damit  Mn^  3IN  Es  ist  aber 
Mn  =  MK,  MN=  LH,  demnach  K3I>  LH,  und  damit 

GK—  GM>  EL  -  EH 
Nun  aber  ist 

GM=EL. 
Demnach 

GK— GM> GM— EH 

Da  nun,  vermöge  des  erst  erwiesenen, 

GM>FJ, 
und 

2  GM>2FJ: 

so  ist,  wenn  man  addirt, 

GK-{-  2  G3I  -  GM>  GM  -^  2  FJ  —  EH 
Folglich 

GK>2FJ  -  EH, 
oder 

GK—FJ>FJ—EH. 

Demnach    wächst    bey    gleich    zunehmenden    Entfernungen    AE, 
ÄF,  AG,  die  Perpendikulare  GK  in  Absicht  auf  FJ  um  ein  mehrers 

13* 


19G  Job.  Heinr.  Lamberts  Tbeorie  der  Parallellinien. 

als  FJ  in  Absicht  auf  EH.  Da  nun  dieses  von  jeden  folgenden  Ent- 
fernungen gilt:  so  wird  die  Summe  aller  Zunahmen  oder  Incrementen 
endlich  grosser  als  jede  gegebene  GrSfse. 

§.  71. 

Dadurch  fallt  nun  der  Unterschied  zwischen  einer  geraden  und 
krummen  Linie  eben  so  weg,  wie  bey  der  zwoteu  Hypothese.  (§.  64.) 
Indessen,  da  es  sich  bey  der  zwoten  Hypothese  dadurch  erweisen  liefs, 
dafs  sich  die  Linie  JBK  auf  beyden  Seiten  des  Senkstriches  AB  unter 
die  Linie  AG  herabzog:  so  hat'  man  bey  der  dritten,  wo  sich  BK 
von  AG  auf  beyden  Seiten  unendlich  entfernt,  nichts  dergleichen  zu 
befahren.  Es  macht  aber  eben  dieses  Entfernen,  dafs,  wenn  man  ja 
347  noch  einen  andern  Beweis  |  der  Unmöglichkeit  der  dritten  Hypothese 
verlangt,  derselbe  auf  eine  andre  Art  gefunden  werden  mufs. 

Ich  merke  inzwischen  an,  dafs  vermittelst  der  §.  64  und  70.  eine 
Menge  von  Einwendungen  wegfallt,  die  man  sonst  wider  die  Parallel- 
linien und  deren  von  verschiedenen  Geometern  versuchte  Beweise  ge- 
macht hat.  Denn  die  ganze  Sache  k6mmt  auf  die  bisher  betrachteten 
drey  Hypothesen  an.  Nach  der  erstem  laufen  die  Linien  BK,  AG 
in  immer  gleicher  Entfernung  fort.  Nach  der  zwoten  durchschneiden 
sie  sich  auf  beyden  Seiten  von  AB.  Nach  der  dritten  nimmt  ihre 
Entfernung  auf  beyden  Seiten  immer  mehr  zu,  und  wird  grosser  als 
jede  gegebene  Entfernung. 

Demnach  fallen  alle  Einwendungen  weg,  die  sich  auf  ein  asymp- 
totisches Annähern  oder  auf  ein  asymptotisches  Entfernen  gründen 
würden;  wobey  uehmlich  die  Entfernungen  EH,  JE,  GK,  &c  sich 
einer  gewissen  Grosse  immer  mehr  näherten,  ohue  sie  jedoch  zu 
erreichen. 

Eben  so  fallen  auch  diejenigen  Einwendungen  weg,  wobey  die 
zwote  Hypothese  zum  Grunde  liegen  oder  vorausgesetzt  würde;  wie 
z.  E.  wo  zu  drey  rechten  Winkeln  A,  B,  C  der  vierte  H  stumpf, 
demnach  die  Summe  >  360  Gr.  oder  in  einem  Triangel  die  Summe 
der  drey  Winkel  >  180  Gr.  angenommen  würde,  ic  weil  die  zwote 
Hypothese  an  sich  wegfallt. 

§.  72. 

In  Ansehung  des  immer  mehrern  Entfernens,  so  bey  der  dritten 
Hypothese  vorkommt,  konnte  man  anstehen,  ob  die  aus  jeden  Punkten 
E,  E,  G,  &c  aufgerichteten  Perpendikularen  die  Linie  BK  alle  noch 
schneiden,  so  grofs  man  auch  AE,  AE,  AG,  &c  annehmen  würde. 
Nun  sehe  ich  zwar  nicht,    wie  bey  diesem  Austande  BK  eine  gerade 


3)  Theorie  der  Parallel-Linien.  .Dritte  Hypothese.    §.  70—7.3. 


197 


Linie  bleiloen  konnte.  Indessen  wenn  es  auch  wäre:  so  hat  es  auf  die 
vorhergehenden  Sätze  keinen  Einflufs,  Die  Vergrosserung,  oder  das 
Anwachsen  der  Perpendikularen,  so  weit  diese  nehmlich  aus  jeden 
Punkten  H,  J,  K,  &c  auf  AG  können  gefällt  werden,  wird  da- 
durch I  nicht  nur  nicht  angefochten,  sondern  noch  um  desto  merk-348 
licher.  Und  eben  dieses  findet  auch  in  Ansehung  der  Winkel  H,  J, 
K  statt,  welche  dadurch  nicht  nur  bis  auf  einen  bestimmten  Grad 
sondern  vollends  bis  auf  0  kleiner  werden  wurden. 

§.  73. 

Bey  der  dritten  Hypothese  ist  in  jedem  Triangel  die  Summe  der 
drey  Winkel  kleiner  als  180  Gr.  Da  sich  jeder  Triangel  in  zween 
rechtwinklichte  zerfallen  läfst,  weil  bey  jedem  uothwendig  wenigstens 
zween  Winkel  spitze  sind:  so  werde  ich  diesen  Satz  erstlich  von  den 
rechtwinklichten  Triangeln  erweisen. 

Es  sey  ein  solcher  BÄE.  Man  ziehe  HB  auf  JBÄ,  und  HE 
auf  EÄ  rechtwinklicht:  so  ist  BH>  AE,  und  EH>  AB.  (§.  m.  67.) 


Trägt  man  demnach  den  Triangel  BHE  in  EaB,  so  dafs  BH  in 
Ea,  und  EH  in  Ba  falle:  so  fällt  aB  ausserhalb  ABH,  und  aE 
ausserhalb  AEH.     Demnach  ist  der  Winkel 

aBE>ABE, 
und 

aEB>AEB. 

Folglich,  wenn  man  addirt, 

aBE  +  aEB  >  ABE  +  AEB. 

Es  ist  aber  die  Summe    dieser    vier  Winkel  =  180  Gr.     Demnach  ist 

aBE  +  ciEB  >  90  Gr. 


und 
Folglich 


ABE -\-  AEB  <  90  Gr. 


ABE  4-  AEB  +  BAE  <  180  Gr. 
Die  Besorgnifs,  als  mochten  BH,  EH  einander  nicht  schneiden, 
hat    hier    ebenfalls    nichts    zu    sagen;    weil,    wenn   es    auch   wäre,   die 


198 


Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


349 


Linien    Ba,    Ea    nur    um    so    mehr    noch    ausserhalb    BAE    fallen 
würden. 

§.  74. 

Nun  seyn  in  jedem  Triangel  AGC  (Fig.  XX.)  die  Winkel  A,  C 
spitze.    Aus  G  falle  GB  auf  J.  (7  senkrecht: 
'/       so  ist 

AGB-\-  GAB  +  ABG  <  180  Gr. 
CGB  -\-  GCB  -\-  CBG  <  180  Gr. 
fL-    Demnach  die  Summe 

AGC-{-  GAC  -{-  GCA  +  ABG-^  CBG 

<  360  Gr. 

Es  ist  aber 

ABG-j-  CBG=  180  Gr. 
Demnach 
AGC-\-  GAC+  GCA<  180  Gt. 

§.  75. 
Da    in    einem    gleichseitigen    Triangel    ABC   (Fig.  XXIII.)    die 
Winkel  A,  B,  C  gleich  sind:    so  ist,   bey 
der    dritten    Hypothese,    jeder    derselben 
kleiner  als  60  Gr. 

§.  76. 
Man  ziehe  nun  in  einem  gleichseitigen 
Triangel  ABC  aus  jedem  Winkel  senk- 
rechte Linien  auf  die  gegenüber  stehende 
Seite:  so  werden  sowohl  die  Winkel  als 
die  Seiten  halbirt;  und  die  Perpendikularen  haben  einen  gemeinsamen 
Durchschnittspunkt  D.  Alles  dieses  läfst  sich  durch  das  Zusammen- 
legen der  Figur  längs  jeder  Perpendikulare  leicht  erweisen.  Und 
eben  daraus  wird  auch  gefolgert,  dafs  die  Winkel  in  D  sämtlich 
gleich,  und  demnach  jeder  =  60  Gr.  ist.  Ferner,  da  der  Winkel 
ACG<GAC:  so  ist  auch  ^(r<G^C,  oder  GC>  AG.  Hingegen 
wegen  des  rechten  Winkels  in  G,  ist  AC'>  GC.  Demnach  ist  die 
Perpendikulare  zwar  kleiner  als  jede  Seite,  aber  grosser  als  die  Hälfte 
einer  Seite. 

§.  77. 

Man  beschreibe  nun  auf  BD  noch  einen  gleichseitigen  Triangel 
BDd.  Da  nun  auch  in  diesem  jeder  Winkel  <  60  Gr.  ist;  (es  ver- 
steht sich  bey  der  dritten  Hypothese:)  so  fällt  die  Seite  Dd  innerhalb 


3)  Theorie  clei  rarallel-Linien.     Dritte  Hypothese.     §.  73—79. 


199 


BBF,  weil  BDF=m  Gr.  ist;  und  so  mufs  die  aus  B  a,nf  Bd 
fallende  Perpendikulare  Bf  ausserlialb  ABC  fallen.  Demnach  ist 
Bf">Bg.  Es  ist  aber,  wegen  des  rechten  Winkels  in  F,  Bg^  BF-^ 
demnach,  um  desto  mehr  Bf>BF.     Da  nun  Bf  =  ^  Bd  =       BB 

=  ^BA  ist:  so  ist  ^BA>BF,  und  BA>2BF',  demnach  auch 
AF>  SBF,  oder  BF <^^  AF.  Dieses  hat  bey  der  dritten  Hypo- 
these statt.  Denn  bey  der  ersten  läfst  sichs  leicht  erweisen,  dafs 
BF=  -  AF  sey.  Die  zwote  Hypothese,  |  wobey  BF>  AF  sejn  360 
würde,  fällt  an  sich  weg.  Und  demnach  kann  BF  wenigstens  nicht 
grosser  als  -_-  AF  seyn, 

§•  78. 

Ferner  ist,  bey  der  dritten  Hypothese,  in  jedem  Triangel  KLM 
(Fig.  XVI.)  die  Summe  zweener  Winkel  LKM  -{-  KLM  kleiner  als 
der  aussen  an  dem  dritten  liegende 
Winkel  LMq.  Denn  es  ist 
LMK  +  LKM  +  KLM  <  180  Gr. 
Hingegen 

180  Gr.  =  LMK -i-  LMq. 
Demnach 

LKM -j- KLM <  LMq. 

Und    wenn    KM  =  ML   ist:    so    ist    LKM   kleiner    als    die    Hälfte 
von  LMq. 

§.  79. 

Man  sieht  leicht,  dafs  sich  auf  diese  Art  bey  der  dritten  Hypo- 
these noch  weiter  gehen  läfst;  und  dafs  sich  ähnliche  Sätze  auch  bey 
der  zwoten  finden  lassen,  doch  mit  ganz  entgegengesetztem  Erfolge. 
Ich  habe  aber  vornehmlich  bey  der  dritten  Hypothese  solche  Folg- 
sätze aufgesucht,  um  zu  sehen,  ob  sich  nicht  Widersprüche  äufsern 
würden.  Aus  Allem  sah  ich,  dafs  sich  diese  Hypothese  gar  nicht 
leicht  umstossen  läfst.  Ich  werde  demnach  noch  einige  solcher  Folg- 
sätze anführen,  ohne  darauf  zu  sehen,  wiefern  sie  auch  bey  der 
zwoten  Hypothese  mit  gehöriger  Veränderung  gezogen  werden  können. 

Die  erheblichste  von  solchen  Folgen  ist,  dafs,  wenn  die  drUte 
Hypothese  statt  hatte,  wir  ein  absolutes  Maafs  der  Lange  jeder  Linien, 
des  InhaUs  jeder  Flächenraume  und  jeder  horperlichen  Baume  haben 
würden.     Dieses   stöfst   nun   einen  Satz  um,   den  man  ohne  Bedenken 


Fig.  XVI. 


200 


Job.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


unter  die  Grundsätze  der  Geometrie  rechnen  kann,  und  woran  bisher 
noch  kein  Mensch  gezweifelt  hat,  dafs  es  nehralich  kein  solches  abso- 
lutes Maafs  (jche.  Es  machte  zwar  Wolf  einen  Lehrsatz  daraus,  indem 
er  die  Definition  der  Grosse  (Quantitas)  so  einrichtete,  dafs  er  im 
Folgenden  daraus  herleiten  konnte:  Quantitas  dari  sed  non  per  se 
351  infelligi  potesf.  |  Allein  dieser  Lehrsatz  mufs,  so  wie  die  Definition,  ge- 
ändert werden,  weil  es  unstreitig  Grossen  giebt,  die  für  sich  kenntlich 
sind,  und  eine  bestimmte  Einheit  haben.  Bey  Linien,  Flächen  und 
körperlichen  Räumen  gilt  derselbe  allerdings;  und  da  glaube  ich  nicht, 
dafs  man,  um  ihn  in  der  Geometrie  anzubringen,  erst  eine  Definition 
dazu  zurechte  machen  müfste. 

§.  80. 

Um  aber  die  erst  erwähnte  Folge  zu  beweisen;  so  seyn  in  J.,  B, 
C,  I),  E  (Fig.  XX.)   rechte  Winkel;  und   es   werden,   bey  der  dritten 

Hypothese,  G,  F,  H,  J  spitze,  und  zwar 
H  <i  G,  und  J  <iH\  imd  eben  so  F  <i  G 
und  J  <C  F  seyn.  Nun  sage  ich,  der  Winkel 
G  sey  das  Maafs  des  Viereckes  ABGB, 
wenn  nehmlich  AJB  =  AD  ist;  und  eben 
so  sey  der  Winkel  J  das  Maafs  des  Vier- 
eckes ACJE,  wenn  AC ^  AE  ist. 

Denn,  mit  Beybehaltung  der  Gleichheit 
der  Seiten  AB  =  AD  und  der  rechten  ^^  inkel 
A,  B,  D,  wird  der  spitze  Winkel  G  bey 
keinem  andern  Vierecke  passen,  als  bey 
solchen,  deren  Seiten  AB,  AD  die  absolute  Länge  von  AB,  AD 
haben.  Man  nehme  z.  E.  grossere  Seiten  AE=AC,  und  mache  in 
E,  C  rechte  Winkel:  so  ist  bey  der  dritten  Hj^pothese  der  Winkel 
J<CG.  Demnach  pafst  G  nicht  auf  J.  Wäre  AE  ^^  AC  kleiner 
als  AD  =  AB  genommen  worden:  so  würde  J^  G  herausgekommen 
seyn;  und  so  würde  G  ebenfalls  nicht  auf  J  gepafst  haben. 

Demnach  ist  der  Winkel  G  das  absolute  Maafs  des  Viereckes 
ADGB.  Da  die  Winkel  ein  für  sich  kenntliches  Maafs  haben:  so 
dürfte  man  z.  E.  wenn  AB  =  AD  ein  Pariser  Fufs,  und  dabey  der 
Winkel  G^  =  80  Gr.  wäre,  nur  sagen,  man  soll  das  Viereck  ADGB 
so  grofs  machen,  bis  der  Winkel  6^  =  80  Gr.  würde:  so  werde  man 
die  absolute  Länge  eines  Pariser  Fufses  auf  AB  =  AD  haben. 

Diese   Folge    hat    etwas   Reizendes,    welches    leicht  den  Wunsch 
352  abdringt,  die  dritte  Hypothese  mochte  doch  wahr  |  seyn! 

Allein    ich    wünschte    es,    dieses    Vortheils    unerachtet,    dennoch 


A 


E 

F 

j 

\ 

a 

H 

\ 

li 

rig.  XX. 


.'5)  Theorie  der  Parallel-Linien.     Dritte  Hypothese.     §.  79—81.  201 

nicht,  weil  unzäliliclie  andre  Unbequemliclikeiten  dabey  mit  seyn 
würden.  Die  trigonometrischen  Tafeln  würden  unendlich  weitläuftig; 
und  die  Aehnlichkeit  und  Proportionalität  der  Figuren  würde  ganz 
wegfallen;  keine  Figur  Heise  sich  anders  als  in  ihrer  absoluten  Grofse 
vorstellen;  um  die  Astronomie  wäre  es  übel  bestellt;  u.  s.  w. 

§•  81. 

Jedoch  dies  sind  Argumenta  ab  amore  &  inuidia  duda,  die  aus 
der  Geometrie,  so  wie  aus  allen  Wissenschaften,  ganz  wegbleiben 
müssen. 

Ich  wende  mich  demnach  wiederum  zu  der  dritten  Hypothese. 
Bey  dieser  ist  nicht  nur,  wie  wir  vorhin  gesehen  haben,  in  jedem 
Triangel  die  Summe  der  drey  Winkel  kleiner  als  180  Gr.  oder  zween 
rechte  Winkel;  sondern  der  Unterschied  von  180  Gr.  wächst  schlecht- 
hin nach  dem  Flächenraume  des  Triangels;  das  will  sagen:  wenn  von 
zween  Triangeln  der  eine  einen  grossem  Flächenraum  hat,  als  der 
andre:  so  ist  in  dem  erstem  die  Summe 
der  drey  Winkel  kleiner  als  sie  in  dem 
andern  ist. 

Ich  werde  diesen  Satz  hier  nicht  so 
ausfixbrlich  beweisen,  als  ich  ihn  vortrage, 
sondern  von  dem  Beweise  nur  so  viel  an- 
führen, dafs  sich  das  üebrige  daraus  über- 
haupt begreifen  läfst. 

Es  sey  z,  E.  in  dem  Triangel  ÄCB 
(Fig.  XXIII.)  der  Triangel  EFG,  so  dafs  des  Letztern  Ecken  auf  die 
Seiten  des  erstem  stossen.  Da  auf  diese  Art  EFG  ganz  in  ABC 
ist:  so  ist  der  Raum  des  erstem  unstreitig  kleiner  als  der  Raum  des 
Letztern.     Nun  ist  die  Summe  der  Winkel: 

EFG  +  EGF-\-  GEF=  180  Gr.  —  a. 
EGA-\-EAG  +  AEG=  180  Gr.  —  h. 
FGB  +  GBF  +  GFB  =  180  Gr.  -  c. 

FCE  +  FEG  +  EEG  =  180  Gr.  -  d. 
Hingegen  353 

EGA  +  EGF+  FGB  =  180  Gr. 

AEG  -f  GEF  +  EEG  =  180  Gr. 

EEG  -f  EFG  -f  GFB  =  180  Gr. 
Ziehet    man    die    Summe    dieser    drey    letztern   Gleichungen    von    der 
Summe  der  vier  erstem  ab:  so  bleibt 

GAB  +  ABC  +  BGA  =^  180  Gr.  —  a —  h  —  c  —  d. 


202  Joh.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 

Da  demnach  liier  nicht  nur  a,  sondern  a  -\-  h  -\-  c  -{-  d  von  180  Gr. 
abgezogen  werden  mufs:  so  sieht  man,  dafs  sich  bey  dem  Triangel 
ABC  alle  Defecte  a,  h,  c,  d  der  vier  Triangel  AEG,  ECF,  FBG, 
GEF  zusammenhäufen,  und  demnach  die  Summe  seiner  drey  Winkel 
um  so  viel  mehr  kleiner  als  180  Gr.  ist. 

Kann  das  kleinere  Dreyeck  nicht  ganz  in  das  grossere  gelegt 
werden:  so  steht  etwas  davon  voraus,  und  dieses  wird  abgeschnitten 
und  in  das  hervorstehende  des  grossem  Dreyeckes  gelegt,  und  allen- 
falls so  fortgefahren,  bis  das  nunmehr  in  Theile  zerschnittene  kleinere 
Dreyeck  ganz  im  grossem  liegt.  Der  im  grSssern  unbedeckt  bleibende 
Raum  wird  in  Triangel  zerfallt.  So  viel  nun  die  Summe  aller  Winkel 
in  diesen  Triangeln  kleiner  ist  als  eben  so  vielmal  180  Gr.  um  eben 
so  viel  ist  die  Summe  der  drey  Winkel  des  grossem  vorgegebenen 
Dreyeckes  kleiner  als  die  Summe  der  drey  Winkel  des  vorgegebenen 
kleinern  Dreyeckes. 

§.  82. 

Wenn  es  bey  der  dritten  Hypothese  möglich  wäre,  mit  gleichen 
und  ähnlichen  Triangeln  einen  grossem  Triangel  zu  bedecken:  so 
wurde  es  sich  auch  leichte  darthun  lassen,  dafs  bey  jedem  Triangel 
der  Ueberschufs  von  180  Gr.  über  die  Summe  seiner  drey  Winkel 
dem  Flächenraume  des  Triangels  proportional  wäre.  Indessen  da  sich 
dieser  Ueberschufs  nach  dem  Räume  richtet:  so  läfst  sich  dennoch 
eine  solche  Proportionalität  auf  eine  andre  Art  gedenken. 

Man  setze  z.  E.  zween  Triangel.  Der  eine  habe  doppelt  so  viel 
354 Flächenraum  als  der  andre:  |  so  wird  ersterer,  so  viel  man  will,  zer- 
schnitten, doppelt  auf  den  andern  gelegt  Averden  können.  Und  wenn 
der  kleinere  um  a  Gr.  in  Absicht  auf  die  Summe  seiner  Winkel  von 
180  Gr.  abgeht:   so  Avird   der  grossere  um  2a  Gr.  davon  abgehen.  — 

Ich  werde  nun  noch  folgende  Anmerkung  beyfügen.  Bey  der 
zwoten  Hypothese  kommen  ganz  ähnliche  Sätze  vor,  nur  dafs  dabey 
in  jedem  Triangel  die  Summe  der  drey  Winkel  grosser  als  180  Gr. 
wird.  Der  Ueberschufs  proportionirt  sich  ebenfalls  nach  dem  Flächen- 
raume des  Triangels. 

Hierbey  scheint  mir  merkwürdig  zu  seyn,  dafs  die  zwote  Hypo- 
these statt  hat,  wenn  man  statt  ebener  Triangel  sphärische  nimmt, 
weil  bey  diesen  sowohl  die  Summe  der  Winkel  grosser  als  180  Gr. 
als  auch  der  Ueberschufs  dem  Flächenraume  des  Triangels  propor- 
tional ist. 

Noch  merkwürdiger  scheint  es,  dafs,  was  ich  hier  von  den  sphä- 
rischen  Triangeln    sage,    sich    ohne   Rücksicht    auf  die   Schwierigkeit 


3)  Theorie  der  Parallel-Linien.     Dritte  Hypothese.     §.  81 — 83. 


203 


der  Parallellinieu  ei  weisen  lasse,  und  keinen  andern  Grundsatz  voraus- 
setzt, als  dafs  jede  durch  den  Mittelpunkt  der  Kugel  gehende  ebene 
Fläche  die  Kugel  in  zween  gleiche  Theile  theile. 

Ich  sollte  daraus  fast  den  Schlufs  machen,  die  dritte  Hypothese 
komme  bey  einer  imaginären  Kugelfläche  vor.  Wenigstens  mufs 
immer  Etwas  seyn,  warum  sie  sieh  bey  ebenen  Flächen  lange  nicht 
so  leicht  umstossen  läfst,  als  es  sich  bey  der  zwoten  thun  liefs. 

§.  83. 

Was  ich  erst  von  den  Triangeln  sagte,  gilt  auch  von  den  vier- 
eckichten  Figuren.  Weil  jede  sich  in  zween  Triangel  zerfallen  läfst: 
so  beträgt,  bey  der  dritten  Hypothese,  die  Summe  der  vier  Winkel 
eines  Viereckes  weniger  als  360  Gr.  und  der  Unterschied  ist  dem 
Flächenraume  des  Viereckes  proportional. 

Es  seyn  nun  (Fig.  XIX.)  in  E,  r,  G,  F,  E,  A,  &c  rechte  Winkel, 
und  HG  =  GF  =  FE  =  EA  =  &c,  so  sind  bey  der  dritten  Hypo- 
these die  Perpendikularen  Hr,  Gl,  Fh,  Ei,  \  AM,  Bn,  &c  nicht  nur  355 


R 


IC 


J 


]\r 


9 


.k 


JV: 


JI 


Fig.  XIX. 


B 


n 


der  Ordnung  nach  grosser,  sondern  sie  nehmen  immer  um  mehr  zu. 
Dieses  macht,  dafs  auch  der  Flächenraum,  die  Vierecke  HrlG,  GlkF, 
FhiE,  &c  immer  grosser,  und  eben  so  wie  die  Perpendikularen  immer 
um  mehr  grosser  werden.  Demnach  ist  die  Summe  der  4  Winkel 
nicht  nur  immer  kleiner,  sondern  immer  um  mehr  kleiner  als  360  Gr. 
Da  nun  die  Linien  rp,  HD  gerade  sind:  so  lassen  sich  die  sämtlichen 
Vierecke,  oder  so  viel  deren  hintereinander  liegend  genommen  werden, 
in  Eines  zusammennehmen;  und  da  die  an  einander  stossenden  Winkel 
in  l,  Je,  i,  &c  G,  F,  E,  &c  immer  zusammen  =180  Gr.  sind:  so 
werden  bey  jedem  neu  addirten  Vierecke  von  der  Summe  der  Winkel 
360  Grade  weggeworfen.     Und  so  ist  z.  E.  die  Summe  der  Winkel 

H,  r,  l,     G  =  360GY.  —  a. 

H,  r,  k,     F=  360  Gr.  —  2a  —  /3. 

H,  r,  i,     ^  =  360  Gr. —  3a  — 2/3  — y. 

H,  r,  M,  A  =  360  Gr.  —  4a  —  3/3  —  2y  —  d. 
&e  &c  &c 


204  Joli.  lieinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 

Kami  man  nun  damit  immer  fortfahren:  so  wird  nothwendig 
folgen,  dafs  mau  zuletzt  auf  Vierecke  verfällt,  in  welchen  die  Summe 
der  vier  Winkel  kleiner  als  drey  rechte  Winkel  sind.  Es  sey  HrpD 
ein  solches  Viereck.  Da  nun  bereits  in  H,  r,  D  drey  rechte  Winkel 
sind:  so  ist 

7/  +  r  +  7)  +  j)  >  270  Gr. 

Und  dieses  stofst  die  Folge,  und  mit  derselben  entweder  die  ganze 
dritte  Hypothese,  oder  den  Satz  um,  dafs  die  aus  G,  F,  E,  Ä,  B,  &c 
errichtete  Perpendikularen  irgend  aufhören,  die  Linie  rii  zu  schneiden*). 
Allein,  wenn  auch  dieses  wäre:  so  würden  die  Ordinaten  dennoch  bis 
ins  Unendliche  Avachsen,  und  demnach  der  Raum  des  letzten  Viereckes 
so  vielmal  den  Raum  des  ersten  HrLG  fassen,  dafs  die  Summe  der 
Winkel  kleiner  als  270  Gr.  wäre. 

Indessen  werde  ich  darauf  nicht  bestehen,  weil  man  allerdings 
356  vorerst  die  |  Vermuthung  heben  mufste,  es  mochten  die  Vierecke 
gerade  aufhören  möglich  zu  seyn,  wo  die  Summe  der  vier  Winkel 
=  270  Gr.  würde.  Es  kommt  demnach  vielmehr  darauf  an,  ob  die 
aus  den  Punkten  G,  F,  E,  A,  B,  &c  errichteten  Perpendikularen  die 
Linie  rp  sämtlich  schneiden? 

Wollte  man  diese  Frage  auf  die  blofse  Vorstellung  der  Sache  an- 
kommen lassen:  so  sage  ich  nochmals,  dafs  dabey  der  Begriff  einer 
geraden  Linie  ganz  wegfällt.  Und  ich  würde,  statt  des  Uten  Eukli- 
dischen Grundsatzes,  allemal  lieber  als  für  sich  evident  annehmen, 
dafs  eine  Linie,  die  die  PerpendiJudare  Hr  recJdidnJdicM  schneidet,  und 
sich  sodann  z.  E.  längs  der  Berpendiladare  Dp,  ohne  diese  zu  schneiden, 
aufwärts  zieht,  Iceine  gerade  Linie  sein  könne. 

§.  '84. 

Da  es  aber  die  Frage  ist,  ob  sich,  ohne  Zuziehung  neuer  Grund- 
sätze, die  dritte  Hypothese  vermittelst  der  übrigen  Euklidischen  Grund- 
sätze umstossen  lasse:  so  bleiben  bey  der  gegenwärtigen  Betrachtung 
noch  zween  Wege  zu  versuchen. 

Der  erste,  wenn  sichs  aus  der  dritten  Hypothese  selbst  folgern 
liefse,  dafs  die  Perpendikularen  Gl,  Fl',  Ei,  &c  sämtlich  die  Linie  rp 
schneiden  müssen.  Könnte  dieses  geschehen:  so  würde,  vermöge  des 
vorhin   erwiesenen,    die   Hypothese   sich   selbst  umstossen.     Ich  habe 


*)  [Wir  sind  geneigt  zu  glauben,  dafs  Lambert  nicht  „irgend"  sondern  „nir- 
gend" geschrieben  hat ;  wenigstens  giebt  der  jetzige  Wortlaut  keinen  Sinn.  Das 
Folgende  bezieht  sich  ja  offenbar  auf  den  Fall,  dafs  die  Perpendikularen  auf- 
hören, rj)  zu  schneiden;  man  vergleiche  dazu  §.  7-2.] 


3)  Theorie  der  Parallel-Linien.     Dritte  Hypothese.     §.   83— 8G. 


205 


es    nicht    versucht,    weil    es   mir   sehr   wenig   wahrscheiulicli   vorkam, 
und  dabey  immer  Ausfluchte  bleiben. 

Der  andre  Weg  ist,  wenn  sich  erstbemeldtes  Durchschneiden  aus 
den  übrigen  Euklidischen  Grundsätzen  herleiten  lafst.  Auch  hierüber 
habe  ich  nichts  gefunden,  das  mir  völlig  Genügen  gethan  hätte;  un- 
geachtet sich  die  Sache  vielfältig  auf  solche  Sätze  reduciren  läfst,  die 
ganz  augenscheinlich  wahr  sind. 

Es  seyn  z.  E.  in  Ä,  D,  C  (Fig.  XX.)  rechte  Winkel;  und  man 
steht  an,  ob  CH,  DH  sich  schneiden.  Es  sey  ACy-  AD:  so  trage 
man  AC  aus  -4  in  E,   und   ziehe  EJ  auf 

AE   senkrecht:    so    ist   |   erstlich    für    sich       IfiL \LL K_  357 

klar,  dafs,  wenn  EJ,  CJ  sich  schneiden, 
der  Durchschnitt  H  nothwendig  auch  statt 
habe.  Setzt  man  nun  auf  EC  einen  gleich- 
seitigen Triangel,  wovon  jede  Seiten  =  EC 
sind:  so  wird  EJC  allemal  innerhalb  dem 
gleichseitigen  Triangel  fallen. 

Allein  den  Beweis  dazu  habe  ich  nicht 
finden  können. 

Hingegen  liefs  es   sich   beweisen,   dafs, 
wenn    man    den    gleichseitigen  Triangel   umlegt,    EAC   ganz  in   den- 
selben fällt,  weil  man  weifs,  dafs  A  ein  rechter  Winkel  ist. 


-1    D 
h 


E 

P 

./ 

a 

H 

\ 

B 

Fig.  XX. 


§.  85. 

Wiederum  sey  AB  ^^  AB-^  in  A,  B,  B  rechte  Winkel;  und  man 
steht  an,  ob  BG,  BG  sich  schneiden?  Trägt  man  nun  AB  aus  B 
in  E,  und  beschreibt  auf  AE  einen  gleichseitigen  Triangel:  so  wird 
allemal  der  Durchschnittspunkt   G  in  denselben  fallen. 

Hier  wäre  nun  nur  zu  beweisen,  dafs  in  jedem  gleichseitigen 
Triangel  jeder  Winkel  grosser  als  45^,  das  will  sagen,  grosser  als 
der  Winkel  GAB  =  GAB  ist.  Dafs  jeder  grosser  sey  als  der 
Winkel  GEA,  wenn  nehmlich  AC  =  AE  gemacht  wird,  das  kann 
bey  der  dritten  Hypothese  leicht  erwiesen  werden. 


§.  86. 

Wiederum,  wenn  man  ansteht,  ob  EJ,  CJ  sich  schneiden:  so 
darf  man  nur  ACr  mitten  durch  A  ziehen,  so  dafs  GAB  =  GAB 
=  45  Gr.  sey.  Fällt  man  nun  aus  jedem  Punkt  G  eine  senkrechte 
GB   auf  AE,    und    man   kann    beweisen,    dafs   AB    grosser    als    die 


206 


Joh.  Heinr.  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien. 


Hälfte,   oder  auch   nur  gn'isser  als    „  ,    .  ,  2C   von  ÄG    sey:    so   wird 

der   Durchschnitt  J  ebenfalls  erwiesen  seyn,  weil  AJ  kleiner  als  das 
2,   3,  4,  :c   fache    von    ÄE    seyn    wird.      Dafs    es    Fälle    giebt,    wo 

J.Z)>  — ^G  ist,  wird  leicht  erwiesen. 

§.  87. 

In    dem    Cirkel  ÄC  (Fig.  XXIV.)    seyn  AE,  EB,  BF,  FC,  &c 
Oetanten.     Man  ziehe   die  Vierecke  ABCD,  EFHG:   so   werden  die 

Durchschnittspunkte  J,  K,  L  ebenfalls 

in  einem  conceutrischen  Cirkel  herum- 

358        E^ — ^^(^-^~r^^ — V^  liegen,  |  und  die  Winkel  JMK,  KML,  &c 

Oetanten  seyn.    Man  ziehe  nun  JL:  so 
wird  leicht  bewiesen,  dafs  MB  >  BK, 

c   demnach MB>^MK oder MB>^MJ 

ist.     Denn  £"^^=90  Gr.     Demnach 

E KB <90 Gr.  Folglich J^L> 90 Gr.; 

JKM>  45  Gr.    Da  nun  J3IK  45  Gr. 

ist:  so  ist  BM>  BK 

Auf  diese  Art  lafst  sichs  von  jedem 

Cirkel  auf  einen  kleinern  schliessen. 
Man  mufste  nur  auch  beweisen  können,  dafs,  wenn  man  jenen,  so  viel 
man  will,  vergrossert,  dieser  nicht  zurücke  bleibe.  Und  dieses  wird 
man  erhalten,  sobald  man  erweisen  kann,  dafs  entweder  EB  =  BK, 
oder  auch  nur  EB  <  JK,  oder  EB  <  B3f,  oder,  ohne  Rücksicht  auf 
den  äussern  Cirkel,  der  Winkel  JKL  stumpf  ist. 

§.  88. 

Man  sieht  aus  Allem  diesem,  dafs,  so  leicht  die  zwote  Hypothese  umzu- 

stossen  war,  es  noch  ganz  im  Gegentheil  mit  der  dritten  viel  härter  halte. 

Ich    übergehe    noch    mehrere   solcher    Versuche;    und  werde  nun 


ü 


K 


i\r 


IL 


J-' 


Fig.  XIX. 


J3 


(Fig.  XIX.)  AB=  BC=  C'D  =  &c    und    in  A,  B,  C,  D  &c  rechte 
Winkel,  und  A3£  =^  BN=  CQ  =  DB  =  &c  setzen.    Dabey  sind  nun 


3)  Theorie  der  Parallel- Linien.    Dritte  Hypothese.    §.  80—88.  207 

die  Winkel  AMN  =  MNB  ^  BNQ  =  NQC  =  CQP=QFD  =  &c, 

zufolge  der  dritten  Hypothese,  sämtlicli  spitze,  und  MN=NQ=  QP=kc. 
Das  will  nun  sagen:  MNQP  ist  nicht  eine  gerade  Linie,  sondern  ein 
Theil  eines  regulären  Vieleckes,  das  sich  in  einen  Cirkel  beschreiben 
läfst,  dessen  Mittelpunkt  unterhalb  M  auf  jeder  der  Linien  3lÄj  NB, 
QC,  PB,  &c  ist.  (§.  20.)  Da  nun  damit  B,  C,  B,  &c  nicht  mehr 
rechte  Winkel  seyn  können:  so  wird  dadurch  die  Voraussetzung  und 
mit  derselben  die  dritte  Hypothese  umgestossen. 


208      Lamberts  Theorie  der  Parallellinien.     Abweichungen  vom  Original. 


Abweichungen  vom  Original. 

S.  157,  Z.  4  V.  u.  (S.  144,  Z.  15  v.  o.).    Im  Urtext  steht  nach  „Vortrag"  ein  Komma. 

S.  165,  Z.8  v.u.  (S.  154,  Z.  2  v.  o.)  (Prop.  XIV)  statt:  (Prop.  XIII). 

S.  172,  Z.  22,  21,  18,  17,  16,  15,  3  und  1  v.  u.,  Seite  173,  Z.  2  v.  o    (S,  161,  Z.  5, 

5,  8,  8,  9,  10,  18,  21  und  23  v.  o.)  b  statt  ß. 

S.  174,  Z.  19  V.  u.  (S.  163,  Z.  1  v.  o.)  aus  B  statt:  aus  b. 

S.  175,  Z.  2  V.  0.  (S.  163,  Z.  11  V.  u.)  D  Fh  statt  DFE. 
S.  184,  Z.  G  T.  u.  (S.  334,  Z.  16  v.  o.)  K  statt  M. 

S.  187,  Z.  6  V.  0.  (S.  336,  Z.  4  v.  u.)  H  statt  JT. 

S.  188,  Z.  12  V.  0.  (S.  338,  Z.  9  v.  o.)  GF  statt  G^/". 

S.  199,   Z.  8  V.  0.  (S.  350,  Z.  1  v.  o.)  AF  <    J  DF  statt:  D F  :>  ^-  AF. 

S.  204,  Z.  4,  6,  12  y.  o.  (S.  355,  Z.  11,  10,  3  v.  u.)  R  statt  r. 
S.  205,  Z.  15  V.  0.  (S.  357,  Z.  4  v.  o.)  Seite  statt:  Seiten. 

In  Figur  V  ist  b  für  ß  gesetzt  worden,  um  sie  mit  dem  Texte  in  Übereinstimmung 

zu  bringen;  ferner  ist  der  Buchstabe  0  ergänzt. 
In  Figur  VII  des  Originals  ist  Dßt  eine  gerade  Linie,  während  nach  dem  Texte 

Kßt  ein  Cirkelbogen  ist,  der  die  Gerade  Dt  m  t  berührt;  dem  entsprechend 

mufste  die  Figur  geändert  werden. 
In  Figur  XIII   ist   der  Punkt  zwischen  A   und  E^    dem  Texte  entsprechend,    mit 

G  statt  mit  C  bezeichnet. 

Die  in  runde  Klammem  eingeschlossenen  Seitenzahlen   beziehen   sich  auf  die 
Originalausgabe  im  Leipziger  Magazin  für  Mathematik,  Jahrgang  1786. 


CARL  FRIEDRICH  GAUSS 

1777—1855. 


Stäckel  u.  Engel,  Paralleleutheovie.  14 


In  der  Einleitung  zu  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien 
hatten  wir  berichtet,  dafs  etwa  vom  Jahre  1780  an  die  Frage  nach 
dem  Beweise  der  fünften  Forderung  die  Aufmerksamkeit  der  Mathe- 
matiker immer  mehr  und  mehr  zu  fesseln  beginnt.  Nunmehr  wollen 
wir  diese  Bewegung  in  grofseu  Zügen  darstellen. 

Während  bisher  nur  wenige  französische  Forscher  erwähnt  werden 
konnten,  wird  es  am  Ende  des  achtzehnten  Jahrhunderts  ganz  anders: 
fast  alle  die  grofsen  französischen  Mathematiker  dieser  Zeit  haben 
den  Grundlagen  der  Geometrie  ihr  Interesse  zugewendet. 

„Die  Erklärung  und  die  Eigenschaften  der  geraden  Linie, 
sowie  der  parallelen  Geraden,  sind  die  Klippe  und  sozu- 
sagen das  Argernifs  der  Elemeutargeometrie",  hatte  d'Alem- 
bert  in  einem  bemerkenswerten  Aufsatze  über  die  Elemente  der 
Geometrie  1759  ausgerufen  und  hatte  hinzugefügt,  man  könne  aller- 
dings parallele  Gerade  als  solche  erklären,  die  auf  einer  dritten 
Geraden  senkrecht  stehen,  dann  aber  sei  unbedingt  erforderlich,  zu 
beweisen,  dafs  der  Abstand  der  beiden  Geraden  immer  gleich  dem 
gemeinsamen  Lote  sei.  In  ähnlicher  Weise  äufserte  sich  d'Alembert 
in  dem  Artikel  Parallele  der  Encyclopedie;  der  betreffende  Band  ist 
erst  nach  seinem  Tode,  1789,  erschienen. 

Fourier  schlug  1795  neue  Erklärungen  der  Geraden  und  der 
Ebene  vor,  bei  denen  er  von  dem  Begriffe  der  Beweguno-  auso-ing  und 
mit  der  Kugel  begann;  es  ist  das  ein  Gedanke,  der  sich  in  neuereu 
Untersuchungen  über  die  Grundlagen  der  Geometrie  als  sehr  fruchtbar 
erwiesen  hat. 

Dafs  auch  Lagrange  die  fünfte  Forderung  beweisen  wollte,  wissen 
wir  aus  einer  Mitteilung  von  Lefort,  die  Hoüel  in  seinen  Essai 
critique  (1867)  aufgenommen  hat:  „Lagrange  hatte  erkamit,  dafs 
die  Formeln  der  sphärischen  Trigonometrie  von  dem  elften  Axiome 
unabhängig  sind,  und  hoffte  hieraus  einen  Beweis  dieses  Axioms  zu 
gewinnen.  Alle  andern  Beweis  versuche  betrachtete  er  als  ungenügend. 
So    hat    er    sich    in    seinen    Unterhaltungen    mit  Biot    ausgedrückt." 

14* 


212  Einleitung  zu  den  Aufserungen  von  Gaufs 

Auf  diesen  Beweisversuch  dürfte  sich  wohl  folgende  Erzählung 
de  Morgans  beziehen: 

„Lagrauge  verfafste  am  Ende  seines  Lebens  eine  Abhandlung 
über  die  Parallellinien.  Er  begann  sie  in  der  Akademie  zu  lesen,  aber 
plötzlich  hielt  er  inne  und  sagte:  II  faut  que  j'y  souge  encore; 
damit  steckte  er  seine  Papiere  wieder  ein." 

In  engem  Zusammenhange  mit  der  Parallelentheorie  stehen  auch 
Untersuchungen  über  das  Parallelogramm  der  Kräfte,  die  Daviet  de 
Fonceuex  1759  veröffentlichte;  ihre  Grundgedanken  hatte  wahrschein- 
lich der  junge  Lagrange  seinem  Freunde  mitgeteilt. 

In  der  Eiiileitunp;  zu  Wallis  haben  wir  darauf  hingewiesen,  dafs 
Laplace  sich  ebenfalls  mit  der  Begründung  der  Euklidischen  Geo- 
metrie beschäftigt  hat;  die  betreffenden  Bemerkuugen  in  der  Expo- 
sition du  Systeme  du  monde  stammen  aus  dem  Jahre  1824. 

Am  folgenreichsten  für  die  Geschichte  der  Parallelentheorie  wurden 
jedoch  die  Arbeiten  von  Adrien  Marie  Legend re  (1752 — 1833). 

In  der  ersten  Auflage  seiner  Elemente  der  Geometrie  vom  Jahre 
1794  zeigte  Legendre,  dafs  die  fünfte  Euklidische  Forderung  gleich- 
bedeutend  ist  mit  dem  Lehrsatze,  dafs  die  Winkelsumme  des  Dreiecks 
zwei  Rechte  beträgt,  und  gab  für  diesen  Lehrsatz  einen  analytischen 
Beweis,  dessen  wir  schon  in  der  Einleitung  zu  Wallis  gedacht  haben. 
Dieser  Beweis  geht  davon  aus,  ,^dafs  die  Wahl  der  Längeneinheit  für 
die  Richtigkeit  des  zu  beweisenden  Lehrsatzes  gleichgiltig  ist",  an 
Stelle  des  Parallelenaxioms  tritt  also,  wie  bei  Wallis,  das  Axiom  von 
der  Existenz  ähnlicher  Figuren. 

Aber  Legendre  erkannte  bald,  dafs  dieser  analytische  Beweis 
für  Anfänger  zu  schwer  sei,  und  liefs  ihn  deshalb  fallen.  In  der  dritten 
Auflage  findet  man  daher  an  dessen  Stelle  einen  rein  geometrischen 
Beweis  des  Satzes,  dafs  die  Winkelsumme  des  Dreiecks  nicht  gröfser 
sein  kann  als  zwei  Rechte;  das  Beweisverfahren  erinnert  lebhaft  an 
das  von  Saccheri  und  Lambert  für  denselben  Zweck  angewandte. 
Später  ersetzte  Legendre  diesen  Beweis  abermals  durch  einen  andern. 
Dieser  beruhte  auf  wiederholter  Anwendung  der  Konstruktion,  deren 
sich  Euklid  in  I.  16  bedient,  um  zu  zeigen,  dafs  der  Aufsenwinkel 
gröfser  sein  muTs  als  jeder  der  gegenüberliegenden  inneren  Winkel. 
Dagegen  gelang  es  Legendre  nicht,  in  entsprechender  Weise  zu 
zeigen,  dafs  die  Winkelsumme  nicht  kleiner  sein  kann  als  zwei 
Rechte,  und  er  kehrte  daher  in  der  neunten  Auflage  zu  der  Dar- 
stellung Euklids  zurück. 

In  der  zwölften  Auflage  von  1823  behauptete  er,  endlich  auch  diesen 
bisher  vermifsten  Beweis  geben  zu  können.    Er  gebrauchte  jedoch  dabei 


über  die  Parallelentheorie.  213 

ein  Axiom,  das  im  Grunde  mit  dem  zu  Leweisenden  Satze  gleich- 
bedeutend ist,  es  soll  nämlich,  wenn  innerhalb  eines  Winkel- 
raums irgend  ein  Punkt  gegeben  ist,  stets  möglich  sein,  durch 
ihn  Gerade  zu  ziehen,  welche  die  beiden  Schenkel  des  Win- 
kels schneiden.  Dieses  Axiom  war  übrigens  nicht  neu,  bereits  1791 
hatte  es  Lorenz  in  seinem  vortrefflichen  Grundrifs  der  reinen 
Mathematik  zum  Beweise  der  fünften  Forderung  benutzt. 

Eine  zusammenfassende  Darstellung  seiner  Untersuchungen  über 
die  Parallelentheorie  hat  Legend re  im  Jahre  1833  gegeben.  Hier 
hat  er  auch  gezeigt,  dafs  die  Winkelsumme  des  Dreiecks  stets  zwei 
Rechte  beträgt,  sobald  das  bei  einem  einzigen  Dreieck  der  Fall  ist. 
Wir  wissen,  dafs  dieser  Satz  bereits  hundert  Jahre  früher  von 
Saccheri  bewiesen  worden  ist,  und  bemerken  noch,  dafs  auch  die  Art 
des  Beweises  bei  Legendre  im  Wesentlichen  dieselbe  ist  wie  bei 
Saccheri. 

Wenn  Legendre  am  Schlüsse  der  Abhandlimg  von  1833  sagt, 
dafs  die  Parallelentheorie  durch  seine  Untersuchungen  nach 
zweitausend  Jahren  vergeblicher  Bemühungen  endlich  zu 
einem  befriedigenden  Abschlufs  gekommen  sei,  so  war  er  in 
einem  verzeihlichen  Irrtume  befangen:  weder  die  Ergebnisse  seiner 
Untersuchungen  noch  die  Methoden,  die  ihn  zu  diesen  Ergebnissen 
führen,  können  als  ein  ■wesentlicher  Fortschritt  gegenüber  den 
Leistungen  von  Wallis,  Saccheri  und  Lambert  bezeichnet  werden. 
Andrerseits  mufs  hervorgehoben  Averden,  dafs  die  grofse  Verbreitung, 
deren  sich  Legend  res  Elemente  —  und  gewifs  mit  Recht  —  in 
Frankreich  wie  in  Deutschland  erfreut  haben,  wesentlich  dazu  bei- 
getragen hat,  das  Interesse  für  die  Parallelentheorie  zu  beleben,  und 
dafs  Legendre  insofern  in  der  Geschichte  der  Parallelentheorie  eine 
hervorragende  Rolle  spielt;  rein  äufserlich  zeigt  sich  das  schon  darin, 
dafs  in  den  zahlreichen  Parallelentheorien  der  ersten  Hälfte  dieses 
Jahrhunderts  immer  wieder  auf  Legendre  Bezug  genommen  wird, 
während  jene  älteren  Versuche  ganz  in  Vergessenheit  gei-aten  waren. 

Während  desselben  Zeitraumes  waren  auch  England  und  Italien 
der  Schauplatz  ähnlicher  Bestrebungen,  wie  das  unser  Litteraturver- 
zeichnis  am  Schlüsse  des  Werkes  nachweist;  Genaueres  können  wir 
freilich  nicht  mitteilen,  weil  uns  die  betreffenden  Schriften  gröfsten- 
teils  unzugänglich  geblieben  sind. 

Wie  stand  es  unterdessen  in  Deutschland?  Auch  hier  begegnen 
wir  angestrengter  Bemühung,  das  Parallelenaxiom  zu  beweisen,  finden 
wir  die  innige  Überzeugung,  das  erlösende  Wort  gesprochen  zu  haben. 


214  Einleitung  zu  den  Äufserungen  von  Gaufs 

aber  daueben  sehen  wir,  dafs  Klügeis  Skepticismus  und  Kaestners 
Resignation  Nachfolge  gefunden  hatten.  Sehr  bezeichnend  für  diesen 
Standpunkt  ist  eine  Besprechung  in  dem  Stück  der  Göttingischen 
gelehrten  Anzeigen  vom  9.  März  1801  (S.  407 — 408),  die  wir  wort- 
getreu wieder  abdrucken: 

„Hamburg. 
Demonstratio  theorematis  parallelarum.    Ex  officina  Schnie- 
besiana  1799.     30  S.  in  Octav. 

Der  uns  unbekannte  Verfasser  schlägt  den  von  Mehreren  vor  ihm 
betretenen  Weg  ein,  das  XL  Axiom  des  Euklides  zu  beweisen. 
Natürlich  bedarf  es  auch  bey  ihm  eines  neuen  Axioms,  das  er  zu 
Hülfe  nimmt.  Es  ist  dieses:  Recta  linea  et  curva  nequeunt  esse 
aeque  distantes.  Diesem  Axiom  gehet  begreiflich  die  Definition  von 
liueis  aequidistantibus  voran.  Bey  der  Definition  der  Parallel-Linien,  die 
nach  dem  Axiome  folgt,  liegt  der  Begrifl:'  von  Bewegung  zu  Grunde. 
Die  Begriffe  von  Distanz,  von  Bewegung,  von  krummen  Linien,  ge- 
hören nicht  in  die  reine  Elementar-Geometrie;  aber,  abgesehen  von 
diesem,  so  ist  auch  dieses  Axiom  kein  für  sich  selbst  einleuchtender 
Satz,  und  bedarf  gar  sehr  eines  Beweises.  Die  beiden  Simpson, 
Robert  und  Thomas,  haben  sich  schon  dieses  Axioms  mit  vielem 
Scharfsinn,  aber  mit  wenig  Glück,  bedient,  wenn  gleich  diese  beiden 
Versuche,  als  Versuche,  oben  an  stehen.  Also  mit  diesem  Axiom  das 
XL  Axiom  des  Euklides  begründen  oder  beweisen  zu  wollen,  scheint 
dem  Rec.  ungeometrisch,  so  schön  und  strenge  auch  die  Theoreme  und 
Beweise  der  Schrift  sind,  die  darauf  gebauet  werden.  Dafs  dieses  aber, 
ohne  ein  neues  Axiom  zu  Hülfe  zu  nehmen,  überhaupt  nur  möglich  sey, 
scheint  wohl  mehr  als  zweifelhaft  zu  werden,  wenn  man  alle  Versuche, 
von  dem  des  Ptolemäus  an  bis  auf  Franceschini 's  (Professors  in 
Bologna:  „LaTeoria  delle  parallele  rigorosamente  dimostrata", 
gedruckt  zu  Bassano),  betrachtet.  Das  rigorosamente  des  letztern 
ist  ein  wahres  desideratum,  auch  wenn  man  seine  Theorie  gelesen  hat: 
denn  in  dem  Beweise  seines  Fundamental-Theorems  liegt  ein  offenbarer 
Paralogismus,  von  dem  es  unbegreiflich  ist,  wie  er  einem  in  der  Schule 
der  Alten  gebildeten  Geometer  verborgen  bleiben  konnte." 

Für  den  Verfasser  dieser  anonymen  Besprechung  halten  wir 
K.  F.  Seyffer  (1762—1822),  der  von  1789  bis  1804  aufserordentlicher 
Professor  der  Astronomie  und  Direktor  der  Sternwarte  in  Göttingen 
war.  Das  unmittelbar  vorhergehende  Stück  der  Anzeigen  vom  7.  März 
1801  enthält  nämlich  auf  S.  377 — 387  eine  sehr  interessante  Besprechung 
des  Tentamen  novae  parallelarum  theoriae  von  Schwab,  die  mit 
der  vom  9.  März  desselben  Jahres  nach  Stil  und  Inhalt  die  gröfste  Ahn- 


über  die  Parallelentheorie.  215 

lichkeit  hat.  Dafs  aber  die  Anzeige  vom  7.  März  Seyffer  zum  Ver- 
fasser hat,  erzählt  Voit  in  seiner  1802  zu  Göttingen  erschienenen 
Dissertation:  Percursio  conatuum  demonstrandi  parallelarum 
theoriam  de  iisque  Judicium,  die  vermutlich  einer  Anregung 
Seyffers  ihre  Entstehung  verdankt.  Übereinstimmend  mit  Seyffer 
kommt  Voit  zu  dem  Ergebnis,  dafs  der  Beweis  des  Parallelenaxioms 
noch  ein  frommer  Wunsch  sei,  und  läfst  dahingestellt,  ob  die  Schwie- 
rigkeiten überhaupt  beseitigt  werden  können. 

Ahnliche  Ansichten  über  den  Beweis  der  fünften  Forderung 
scheint  Pfaff  gehabt  zu  haben;  er  meinte,  wie  Hessling  1818  be- 
richtet, das  einzige,  was  sich  noch  thun  liefse,  sei,  das  Parallelenaxiom 
durch  ein  einfacheres  zu  ersetzen,  es  zu  „simplificieren." 

Von  diesem  Skepticismus  zu  einem  thatkräftigen  Handeln  über- 
zugehen, sich  von  der  zweitausendjährigen  Autorität  Euklids  zu 
emancipieren  und  eine  Geometrie  unabhängig  vom  Parallelenaxiom 
aufzubauen:  das  war  auch  nach  den  Vorarbeiten  von  Saccheri  und 
Lambert  immer  noch  ein  gewaltiger  Schritt.  Diesen  Schritt  gewagt 
zu  haben,  ist  das  Verdienst  von  Carl  Friedrich  Gaufs. 

Gaufs  hat  sich,  wie  er  in  Briefen  an  Bessel  und  Schumacher 
aus  den  Jahren  1829  und  1831  erzählt  und  wie  durch  einen  Brief  an 
seinen  Jugendfreund  Wolfgang  Bolyai  aus  dem  Jahre  1799  be- 
stätigt wird,  seit  1792  mit  der  Theorie  der  Parallellinien  beschäftigt, 
er  hat  jedoch  darauf  verzichtet,  seine  ausgedehnten  Untersuchungen 
über  diesen  Gegenstand  öffentlich  bekannt  zu  machen.  Andeutungen 
über  seine  Ansichten  finden  sich  allerdings  in  zwei  Besprechungen,  die 
1816  und  1822  in  den  Göttinger  gelehrten  Anzeigen  ohne  Nennung 
des  Verfassers  erschienen  sind.  Hier  spricht  Gaufs  die  Überzeugung 
aus,  „dafs  alle  bisherigen  Versuche,  die  Theorie  der  Parallellinien  streng 
zu  beweisen,  oder  die  Lücke  in  der  Euklidischen  Geometrie  auszufüllen, 
uns  diesem  Ziele  nicht  näher  gebracht  haben",  und  läfst  durchblicken, 
dafs  seine  eignen  Untersuchungen  über  das  Bekannte  hinausgehen. 

Wie  Gaufs  an  Schumacher  schreibt,  hat  er  erst  im  Jahre  1831 
einiges  über  seine  Untersuchungen  aufzuschreiben  angefangen:  „ich 
wünschte  nicht,  dafs  es  mit  mir  unterginge",  und  als  ihm  sein 
Jugendfreund  Wolfgang  Bolyai  das  „Tentamen"  übersandt  hatte, 
in  dessen  Appendix  die  nichteuklidische  Geometrie  von  Wolfgangs 
Sohn,  Johann  Bolyai  enthalten  war,  antwortet  Gaufs  1832  in  einem 
leider  noch  nicht  veröffentlichten  Briefe*),  „dafs  er  überrascht  war, 


")  So  erzählt  Wolfgang  Bolyai  in  seinem  Kurzen  Grundriss  von  1851. 


216  Einleitung  zu  den  Aufserungen  von  Gaufs 

gethan  zu  sehen,   was  er  begonnen  hatte,  um  es  unter  seinen 
Papieren  zu  hinterlassen." 

Gaufs  hatte  nicht  nur  die  Erfolglosigkeit  aller  bisherigen  Be- 
mühungen, die  fünfte  Forderung  zu  beweisen,  erkannt,  sondern  er 
wufste  auch,  dafs  es  notwendig  so  sein  mufste,  weil  sich  eine  von 
dem  Paralleleuaxiom  unabhängige,  in  sich  folgerichtige  Geometrie  auf- 
bauen lässt.     Aber  alles  das  hat  man  erst  nach  seinem  Tode  erfahren. 

Zuerst  veröffentlichte  im  Jahre  1856  Sartorius  von  Walters- 
hauseu,  Professor  der  Mineralogie  in  Göttingen,  der  in  persön- 
lichem Verkehr  mit  Gaufs  gestanden  hatte,  Aufserungen,  die  Gaufs 
über  die  „Antieuklidische"  Geometrie  gemacht  habe: 

„Die  Geometrie  betrachtete  Gaufs  nur  als  ein  consequentes  Ge- 
bäude, nachdem  die  Parallelentheorie  als  Axiom  an  der  Spitze  zuge- 
geben sei:  er  sei  indefs  zur  Uberzeus-unQ;  oelans-t,  dafs  dieser  Satz 
nicht  bewiesen  werden  könne,  doch  wisse  man  aus  der  Erfahrung, 
zum  Beispiel  aus  den  Winkeln  des  Dreiecks  Brocken,  Hohenhagen, 
Inselsberg,  dafs  er  näheruugsweise  richtig  sei.  Wolle  man  dagegen 
das  genannte  Axiom  nicht  zugeben,  so  folge  daraus  eine  andere,  ganz 
selbständige  Geometrie,  die  er  gelegentlich  ein  Mal  verfolgt  und  mit 
dem  Namen  Antieuklidische  Geometrie  bezeichnet  habe." 

Eine  wichtige  Ergänzung  dieser  kurzen  Mitteilung  lieferte  dann 
der  Briefwechsel  zwischen  Gaufs  und  Schumacher,  dessen  zweiter, 
1860  erschienener  Band  einige  Briefe  aus  dem  Jahre  1831  enthielt, 
die  zeigten,  dafs  Gaufs  damals  im  Besitze  einer  weit  ausgebildeten 
nicht- euklidischen  Geometrie  war.  Ein  weiterer  Brief  aus  dem  Jahre 
1846,  der  im  fünften  Bande  des  Briefwechsels  1863  erschien,  war  in- 
sofern von  Wichtigkeit,  als  darin  Lobatschefskijs  Geometrische 
Untersuchungen  zur  Theorie  der  Parallellinien  (1840)  er- 
wähnt und  als  meisterhafte  Leistung  bezeichnet  werden.  Wenn  wir 
noch  hinzufügen,  dafs  1877  zwei  Briefe  von  Gaufs  an  Bessel  aus 
den  Jahren  1829  und  1830  veröffentlicht  worden  sind,  so  haben  wir 
wohl  alles  erschöpft,  was  bis  jetzt  von  Gaufs'schen  Aufserungen 
über  das  Parallelenaxiom  durch  den  Druck  bekannt  ist. 

Der  Nachlafs  von  Gaufs  ist  Eigentum  der  Königlichen  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  zu  Göttingen.  — 

Im  Folgenden  geben  wir  eine,  wie  wir  hoffen,  vollständige  Samm- 
lung aller  bis  jetzt  gedruckten  Aufserungen  von  Gaufs  über  die 
Parallelentheorie.  Wir  haben  geglaubt,  sie  nach  der  Zeit  ihrer  Ent- 
stehung ordnen  zu  sollen;  nicht  als  ob  es  dadurch  möglich  wäre,  ein 
Bild    von    dem    Entwickelungsgange    der  Gaufs'schen    Ideen    zu    ge- 


über  die  rarallelcntheoric.  217 

winnen  —  dazu  reicht  das  vorliegende  Material  nicht  aus,  es  ist 
jedoch  auf  diese  Weise  immerhin  erleichtert,  die  Bedeutung  der  Ge- 
danken von  Gaufs  gegenüber  den  gleichzeitigen  Arbeiten  in  der 
Parallelentheorie  zu  würdigen. 

Wir  geben  also  im  Folgenden : 
I.  Einen  Brief  von  Gaufs  an  Wolf  gang  Bolyai  vom- Jahre  1799 
nach  dem  Abdruck  in  den  Abhandlungen  der  Königlichen  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  zu  Göttingen,  Bd.  22,  1877. 
II.  Eine  Besprechung  in  den  Göttinger  gelehrten  Anzeigen 
vom  20.  April  1816  (S.  617— 622);  wieder  abgedruckt  in  Gaufs' 
Werken,  Bd.  IV,  Göttingen  1873,  S.  364-368. 

III.  Eine  Besprechung  ebendaselbst  in  dem  Stück  vom  28.  Oktober 
1822  (S.  1725—1728);  wieder  abgedruckt  in  den  Werken  Bd.  IV, 
S.  368—370. 

IV.  Zwei  Briefe  von  Gaufs  und  einen  von  Bessel  aus  den  Jahren 

1829  ulid  1830  nach  dem  Abdruck  in  dem  Briefwechsel  zwischen 
Gaufs  und  Bessel,  herausgegeben  auf  Veranlassung  der 
Königlich  Preufsischen  Akademie  der  Wissenschaften, 
Leipzig  1880,  S.  490 — 497.  Die  beiden  Briefe  von  Gaufs  waren 
bereits  1877  im  22.  Bande  der  Göttinger  Abhandlungen,  jedoch 
ungenau,  veröffentlicht  worden. 
V.  Einige  Briefe  von  Gaufs  und  Schuoiacher,  die  wir  dem 
Briefwechsel  zwischen  C.  F.  Gaufs  und  H.  C.  Schumacher, 
herausgegeben  von  C.  A.  F.  Peters,  entnehmen,  und  zwar 
finden  sich  die  Briefe  vom  Jahre  1831  im  Bande  2,  Altona 
1860,  S.  255—262,  266—272  und  der  Brief  von  Gaufs  vom 
Jahre  1846  im  Bande  5,  Altona  1863,  S.  246—247. 

Zwei  noch  nicht  gedruckte  Aufserungen  von  Gaufs  über  die 
Parallelenfrage,  die  aus  den  Jahren  1820  und  1824  stammen,  werden 
wir  in  dem  letzten  Abschnitte  unsers  Werkes  mitteilen. 


218  Litteratur  zu  Gauls. 


LitteratuT. 

d'Alembert,  3Iehmges  de  Litterature,  d'Histoire  et  de  Philosophie,  4A^Taie  ed.  t.  V. 

Amsterdam  17G7.     S.  200—219. 
d'Alembert,  Artikel  Parallele  in:  Dictionnaire  encyclopedique  des  MatMmatiques, 

t.  II.     Paris  1789.     S.  519. 
Bolyai,  W.,   Tentamen  juventutetn  studiosam  in  elementa  matheseos  .  .  .  introdu- 

cendi.     Bd.  I.     Maros  Väsärhely  1832. 
Bolj-ai,  W.,  Kurzer  Grundrifs  eines  Versuches  usw.    Maros  Väsärhely  1851. 
Bunjakofskij,  Conside'rations  sur  les  de'monstrations  principales  de  la  theorie  des 

paralleles,  lu  le  27.  oct.  1843,   Nouvelle  theorie  des  paralleles,   lu  le  12.  dec. 

1845.     Memoires  de  l'Academie  imperiale  des  Sciences  de  Saint-Petersbourg, 

ßiöme  Serie.     Sciences   mathematiques  et  i:)hysiques.   t.  IV.     Petersburg  1850. 

S.  87—108  und  S.  207—232. 
Erdmann,  B.,  Die  Axiome  der  Geometrie,  eine  philosophische  Untersuchung  der 

Riemann-Helmholtzschen  Raumtbeorie.     Leipzig  1877.     Kapitel  1. 
Foncenex,  Daviet  de,  Sur  les  principes  fondamentaux  de  la  mechaniqiie.    Miscel- 

lanea  Taurinensia.     t.  2.     Annee  1760—61.     Turin  1761.     S.  299—322. 
Fourier,    Seances   des   Ecoles   normales.     Debats.    t.  I.     Nouvelle  Edition.    Paris 

1800.     S.  28.     (Se'ance  An  III,  Pluviose  II.) 
Genocchi,  Sur  un  memoire  de  Daviet  de  Foncenex  et  sur  les  geometries  non  eucli- 

diennes.    Memorie  dell'  Accademia  di  Torino.     Serie  II.    t.  29.    1878.    S.  365. 
Günther,  S.,  Die  Lehre  von  den  Hyperhelfunktionen.    Halle  1881.    Kapitel  VI. 
Günther,  S.,  Artikel  Seyffer  in  der  Allgemeinen  Deutschen  Biographie,  Bd.  34, 

Leipzig  1892.     S.  107. 
Halsted,    George  Bruce,    The  Non-eucUdean  Geometry   inevitahle.     The  Monist. 

Vol.  4.     Chicago  1894.     S.  483—493. 
Hessling,  C.  W.,  Versuch  einer  Theorie  der  Parallelen.    Halle  1818.     S.  XXX, 
Hoüel,  J.,  Essai  critique  sur  les  principes  fondamentaux  de  la  geometrie  elementaire. 

1.  ed.  Paris  1867.  S.  76;  2  ed.  Paris  1883.  S.  84. 
Laplace,  S.,  Exposition  dti  Systeme  du  monde.     Oeuvres  t.  V.     S.  445. 
Legendre,  A.  M.,  Beflexions  sur  differentes  manieres  de  demontrer  la  theorie  des 

2)aralleles  oti  le  theoreme  sur  la  somme  des  trois  angles  du  triangle.    Memoires 

de  rAcadämie  royale  des  Sciences,    t.  XII.    Paris  1833.     S.  365—410. 
Lorenz,  J.  F.,  Grundriss  der  reinen  und  angewandten  Mathematik.  Helmstedt  1791. 
Mansion,  P.,  Sur  la  Geometrie  non  euclidienne,  Annales  de  la  Societe  scientifique 

de  Bruxelles,  ISi^me  anne'e,  Brüssel  1888/89.   I.     S.  57—61. 
Morgan,  Augustus  de,  Budget  of  Paradoxes.    London  1872.     S.  173. 
Sartorius.  W.,  von  Waltershausen,  Gatiss  zum  Gedächtnifs.    Leipzig  1856.   S.  81. 


Brief  von  Gauls  an  W.  Bolyai,  P]nde  1799.  219 


I. 

Gaufs  an  Wolfgaiig  von  Bolyai  in  Klausenburg.   Ende  1799. 

Es  tliut  mir  sehr  leid,  dafs  ich  unsere  ehemalige  gröfsere  Nähe*) 
nicht  benutzt  habe,  um  melir  von  Deinen  Arbeiten  über  die  ersten 
Gründe  der  Geometrie  zu  erfahren;  ich  würde  mir  gewifs  dadurch 
manche  vergebliche  Mühe  erspart  haben  und  ruhiger  geworden  sein 
als  jemand,  wie  ich,  es  sein  kann,  solange  bei  einem  solchen  Gegen- 
stande noch  so  viel  zu  wünschen  übrig  ist. 

Ich  selbst  bin  in  meinen  Arbeiten  darüber  weit  vorgerückt  (wie- 
wol  mir  meine  anderen  ganz  heterogenen  Geschäfte  wenig  Zeit  dazu 
lassen)  allein  der  Weg,  den  ich  eingeschlagen  habe,  führt  nicht  so 
wol  zu  dem  Ziele,  das  man  wünscht,  als  vielmehr  dahin,  die  Wahr- 
heit der  Geometrie  zweifelhaft  zu  machen.  Zwar  bin  ich  auf  manches 
gekommen,  was  bei  den  meisten  schon  für  einen  Beweis  gelten  würde, 
aber  was  in  meinen  Augen  so  gut  wie  nichts  beweiset. 

Zum  Beispiel,  wenn  man  beweisen  könnte,  dafs  ein  geradlinigtes 
Dreieck  möglich  sei,  dessen  Inhalt  gröfser  wäre,  als  eine  jede  gegebene 
Fläche,  so  bin  ich  im  Stande,  die  ganze  Geometrie  völlig  streng  zu 
beweisen. 

Die  meisten  würden  nun  wol  jenes  als  ein  Axiom  gelten  lassen; 
ich  nicht;  es  wäre  ja  wol  möglich,  dafs,  so  entfernt  man  auch  die 
drei  Eckpunkte  des  Dreiecks  im  Räume  von  einander  annähme,  doch 
der  Inhalt  immer  unter  einer  gegebenen  Grenze  wäre. 

Dergleichen  Sätze  habe  ich  mehrere,  aber  in  Keinem  finde  ich 
etwas  Befriedigendes. 

*)  [Bolyai  hat  von  1796  bis  1799  in  Göttingen  studiert;  am  5.  Juni  1799 
reiste  er  von  Göttingen  nach  seiner  Heimat  ab.  Ganfs  hatte  Göttingen  bereits 
1798  verlassen  und  sich  dann  teils  in  Braunschweig,  teils  in  Helmstedt  auf- 
gehalten.] 


220  Äufserungen  von  Gaufs  über  die  Parallelentheorie. 

IL 
Göttiiigisclie  gelehrte  Anzeigen.    63.  Stück.    Den  20.  April  1816. 

Stuttgardt. 

Typis  J.  F.  Steinkopf:  Commentatio  in  primum  elementorum  Eiiclidis 
librum,  qua  veritatem  ffeometriae  principiis  ontologicis  niti  evincitur,  om- 
nesque  propositiones,  axiomatum  geometricorum  loco  habitae,  demonstrantur. 
Auetore  J.  C.  Schwab,  Regi  Württembergiae  a  consiliis  aulicis  secretio- 
ribus,  acadeiuiae  scieutiarum  Petropolitanae,  Bcrolinensis  et  Harlemensis 
Sodali.     1814.     65   Seiten  in  Octav. 

Maynz. 

Auf  Kosten  des  Verfassers  und  in  Commission  bey  Florian  Kupferberg: 
Vollständige  Theorie  der  Parallel-Linien.  Nebst  einem  Anhange, 
in  welchem  der  erste  Grundsatz  zur  Technik  der  geraden  Linie  angegeben 
\vird.  Herausgegeben  von  Matthias  Mette  mich,  Doctor  der  Philosophie, 
Professor  der  Mathematik,  Mitglied  der  gelehrten  Gesellschaft  nützlicher 
Wissenschaften  zu  Erfurt.     1815.    44  Seiten  in  Octav. 

Es  wird  wenige  Gegenstände  im  Gebiete  der  Mathematik  geben, 
über  welche  so  viel  geschrieben  wäre,  wie  über  die  Lücke  im  Anfange 
der  Geometrie  bei  Begründung  der  Theorie  der  Parallellinieu.  Selten 
vergeht  ein  Jahr,  wo  nicht  irgend  ein  neuer  Versuch  zum  Vor- 
schein käme,  diese  Lücke  auszufüllen,  ohne  dafs  wir  doch,  wenn  wir 
ehrlich  und  offen  reden  wollen,  sagen  könnten,  dafs  wir  im  Wesent- 
lichen irgend  weiter  gekommen  wären,  als  Euklides  vor  2000  Jahren 
war.  Ein  solches  aufrichtiges  und  unumwundenes  Geständnifs  scheint 
uns  der  "Würde  der  Wissenschaft  angemessener,  als  das  eitele  Be- 
mühen, die  Lücke,  die  man  nicht  ausfüllen  kann,  durch  ein  unhalt- 
bares Gewebe  von  Scheinbeweisen  zu  verbergen. 

Der  Verfasser  der  erstem  Schrift  hatte  bereits  vor  15  Jahren  in 
einer  kleinen  Abhandlung:  „Tentamen  uovae  parallelarum  theoriae 
notione  situs  fundatae''  einen  ähnlichen  Versuch  gemacht,  indem 
er  Alles  auf  den  Begriff'  von  Identität  der  Lage  zu  stützen  suchte.  Er 
definirt  Parallellinien  als  solche  gerade  Linien,  die  einerlei  Lage  haben, 
und  schliefst  daraus,  dafs  solche  Linien  von  jeder  dritten  geraden 
Linie  nothwendig  unter  gleichen  Winkeln  geschnitten  werden  müssen, 
weil  diese  Winkel  nichts  anders  seien,  als  das  Maafs  der  Verschieden- 
heit der  Lage  dieser  dritten  Linie  von  den  Lagen  der  beiden  Parallellinien. 

Diese  Beweisart  ist  in  der  vorliegenden  neuen  Schrift  wiederholt, 
ohne  dafs  wir  sagen  könnten,  dafs  sie  durch  die  eingewebten  philo- 
sophischen Betrachtungen   an   Stärke   gewonnen  hätte.     Der  Behaup- 


Eine  Besprechung  aus  dem  Jahre  181G.  221 

tung  S.  24:  ,.Notionem  situs  e  geometria  adeo  non  excludi  posse,  ut 
potius  notionibus  ejus  fundamentalibus  annumeranda  sit,  dudum  omnes 
agnovere  geometrae"  mufs  in  dem  Sinne,  in  welchem  der  Verf.  den 
Begriff  Lage  in  seinem  Beweise  gebraucht,  jeder  Geometer  wider- 
sprechen. Wenn  wir  von  des  Verfassers  Definition:  „Situs  est  modus, 
quo  plura  coexistunt  vel  juxta  se  existunt  in  spatio"  ausgehen,  so  ist 
Lage  ein  blofser  Verhältnifs-Begriff,  und  man  kann  wohl  sagen,  dafs 
zwei  gerade  Linien  Ä^  JB  eine  gewisse  Lage  gegen  einander  haben, 
die  mit  der  gegenseitigen  Lage  zweier  andern  C,  D  einerlei  ist.  Aber 
der  Verfasser  gebraucht  das  Wort  Lage  in  seinem  Beweise  als  abso- 
luten Begriff,  indem  er  von  Identität  der  Lage  zweier  nicht  coincidi- 
rendeu  geraden  Linien  spricht.  Diese  Bedeutung  ist  offenbar  so  lange 
leer  und  ohne  Haltung,  bis  wir  wissen  was  wir  uns  bei  einer  solchen 
Identität  denken  und  woran  wir  dieselbe  erkennen  sollen.  Soll  sie  an  der 
Gleichheit  der  Winkel  mit  einer  dritten  geraden  Linie  erkannt  werden, 
so  wissen  wir  ohne  vorangegangeneu  Beweis  noch  nicht,  ob  eben  die- 
selbe Gleichheit  auch  bei  den  Winkeln  mit  einer  vierten  geraden  Linie 
Statt  haben  werde:  soll  die  Gleichheit  der  Winkel  mit  jeder  andern 
geraden  Linie  das  Criterium  sein,  so  wissen  wir  wiederum  nicht,  ob 
gleiche  Lage  ohne  Coincidenz  möglich  ist.  Wir  stehen  mithin  nach 
des  Verf.  Beweise  noch  gerade  auf  demselben  Puncte,  wo  wir  vor  dem- 
selben standen. 

Ein  grofser  Theil  der  Schrift  dreht  sieh  um  die  Behauptung  gegen 
Kant,  dafs  die  Gewifsheit  der  Geometrie  sich  nicht  auf  Anschauung, 
sondern  auf  Definitionen  und  auf  das  Principium  identitatis  und 
das  Principium  contradictionis  gründe.  Dafs  von  diesen  logischen 
Hülfsmitteln  zur  Einkleidung  und  Verkettung  der  Wahrheiten  in  der 
Geometrie  fort  und  fort  Gebrauch  gemacht  werde,  hat  wohl  Kant 
nicht  läugnen  wollen:  aber  dafs  dieselben  für  sich  nichts  zu  leisten  ver- 
mögen, und  nur  taube  Blüthen  treiben,  wenn  nicht  die  befruchtende 
lebendige  Anschauung  des  Gegenstandes  selbst  überall  waltet,  kann  wohl 
niemand  verkennen,  der  mit  dem  Wesen  der  Geometrie  vertraut  ist. 
Herrn  Schwabs  Widerspruch  scheint  übrigens  zum  Theil  nur  auf  Mifs- 
verständnifs  zu  beruhen:  wenigstens  scheint  uns,  nach  dem  16ten  Para- 
graph seiner  Schrift,  welcher  von  Anfang  bis  zu  Ende  gerade  das 
Anschauungs vermögen  in  Anspruch  nimmt,  und  am  Ende  beweisen 
soll,  „postulata  Euclidis  in  generaliora  resolui  posse,  non  sensu  et 
intuitione,  sed  intellectu  fundata",  dafs  Hr.  Schwab  sich  bei  diesen 
Benennungen  verschiedener  Zweige  des  Erkenntnifsvermögens  etwas 
anderes  gedacht  haben. müsse,  als  der  Königsberger  Philosoph. 

Obgleich    der   Verfasser    der    zweiten   Schrift    seinen    Gegenstand 


222  Aufserungen  von  Gauls  über  die  Parallelentheorie. 

auf  eine  ganz  andere  und  wirklich  mathematisclie  Art  behandelt  hat, 
so  können  wir  doch  über  das  Resultat  derselben  nicht  günstiger 
urtheilen.  Wir  haben  nicht  die  Absicht,  hier  den  ganzen  Gang  seines 
versuchten  Beweises  darzulegen,  sondern  begnügen  uns,  dasjenige  hier 
herauszuheben,  worauf  im  Grunde  alles  ankommt. 

Man  denke  sich  zwei  im  Puncte  N  unter  rechten  Winkeln 
einander  schneidende  gerade  Linien,  und  fälle  von  einem  Puncte  S, 
der  aufserhalb  dieser  geraden  Linien  aber  in  der- 
selben Ebne  liegt,  senkrechte  auf  dieselben  ST  und 
SM.  Es  kommt  nun  darauf  au  zu  beweisen,  dafs 
MST  ein  rechter  Winkel  wird.  Der  Verf.  sucht 
diefs  apagogisch  zu  beweisen;  zuvörderst  nimmt 
er  an,  31  ST  sei  spitz,  fället  von  T  auf  31 S  das 
Perpendikel  Tp,  und  beweiset,  dafs  p  zwischen  S  und 
31  fallen  mufs.  Hierauf  fället  er  wieder  aus  ^  auf 
NT  das  Perpendikel  pq,  wo  q  zwischen  T  und  N  fallen  wird.  Dann 
fället  er  abermals  aus  q  auf  3IS  das  Perpendikel  q2)',  wo  ^/  zwischen 
j>  und  31  liegen  wird.  Sodann  abermals  aus  2^'  auf  NT  das  Perpen- 
dikel p'q'  u.  s.  w. 

Diese  Operationen  lassen  sich  ohne  Aufhören  fortsetzen,  und  so 
werden  von  der  Linie  31 S  nach  und  nach  die  Stücke  Sj),  pip'  u.  s.  w 
abgeschnitten,  die  jedes  eine  angebliche  Gröfse  haben,  und  deren  Zahl 
unbegrenzt  ist.  Der  Verfasser  meint  nun,  dafs  diefs  widersprechend 
sei,  weil  auf  diese  Weise  nothwendig  31 S  zuletzt  erschöpft  werden  müfste. 
Es  ist  kaum  begreiflich,  wie  er  sich  auf  eine  solche  Weise  selbst  täuschen 
konnte.  Er  macht  sich  sogar  selbst  den  Einwurf,  dafs  die  Summe  der 
Stücke  Sp,  pp  u.  s.  w.,  wenn  diese  Stücke  immer  kleiner  und  kleiner 
werden,  doch,  ungeachtet  ihre  Anzahl  ohne  Aufhören  zunehme,  nicht 
über  eine  gewisse  Grenze  hinaus  wachsen  könnte,  und  meint  diesen 
Einwurf  damit  zu  heben,  dafs  jene  Stücke,  auch  wenn  sie  immer 
kleiner  und  kleiner  werden,  doch  immer  gröfser  bleiben,  als  eine 
angeblicJie  Gröfse-^  nämlich  jene  Stücke  sind  Katheten  von  recht- 
winkligten  Dreiecken,  und  folglich  immer  gröfser  als  der  Unterschied 
zwischen  Hypotenuse  und  der  anderen  Kathete.  Fast  scheint  es,  dafs 
eine  grammatische  Zweideutigkeit  den  Verf.  irre  geleitet  hat,  nämlich 
der  zwiefache  Sinn  des  Artikels  eine  angebliche  Gröfse.  Der  Schlufs 
des  Verf  würde  nur  dann  richtig  sein,  wenn  sich  zeigen  liefse,  dafs 
die  Stücke  Sp,  pp'  u.  s.  w.  immer  gröfser  bleiben,  als  Eine  bestimmte 
angebliche  Gröfse,  z.  B.  als  der  Unterschied  zwischen  der  Hypotenuse 
2)T  und  der  Kathete  ST.  Aber  das  läfst  sich  nicht  beweisen,  sondern 
nur,  dafs  jedes  Stück  immer  gröfser  bleibt,  als  eine  angebliche  Gröfse, 


Zwei  Besprechungen  aus  den  Jahren  18  IC  und  1822.  223 

die  aber  selbst  für  jedes  Stück  eine  andere  ist,  nämlicli  S2)  grofser 
als  der  Unterschied  zwischen  pT  und  S2\  ferner  pp'  gröfser  als  der 
Unterschied  zwischen  qp'  und  qp  u.  s.  w.  Hiemit  verschwindet  nun 
aber  die  ganze  Kraft  des  Beweises. 

Auf  dieselbe  Art,  wie  er  seinen  Beweis  führen  zu  können  geglaubt 
hat,  könnte  er  auch  beweisen,  dafs  in  einem  ebnen  Dreiecke  ABC, 
worin  S  ein  rechter  Winkel  ist,  C  nicht  spitz  sein  könne  5  er  brauchte 
nur  aus  B  ein  Perpendikel  BD  auf  die  Hypote- 
nuse ÄC  zu.  fällen,  dann  wieder  das  Perpendikel 
DJB  auf  AB  und  so  ohne  Aufhören  die  Perpen- 
dikel BF,  FG,  GH  u.  s.  w.  wechselsweise  auf  A  C 
und  A:ß.  Die  Stücke  CD,  DF,  FH  u.  s.  w.  sind 
immer  gröfser  als  der  angebliche  Unterschied 
zwischen  Hypotenuse  und  einer  Kathete  desjenigen 
rechtwinkligten  Dreiecks,  worin  jede  der  Reihe  nach 
die  andere  Kathete  ist,  demungeachtet  erschöpft  ihre 
Summe  offenbar  die  Hypotenuse,  AC  nie,  so  grofs 
auch  ihre  Anzahl  genommen  wird. 

Wir  müfsten  fast  bedauren,  bei  so  bekannten  und  leichten 
Dingen  so  lange  verweilt  zu  haben,  wenn  nicht  diese  Schrift,  deren 
Verf.  es  übrigens  wirklich  um  Wahrheit  zu  thun  zu  sein  scheint, 
durch  die  Art  wie  sie  schon  vor  ihrer  Erscheinung  in  öffentlichen 
Blättern  angekündigt  wurde,  eine  mehr  als  gewöhnliche  Aufmerksam- 
keit auf  sich  gezogen  hätte.  Wir  bemerken  daher  hier  nur  noch, 
dafs  der  Verf.  nachher  auf  eine  ganz  ähnliche,  und  daher  eben  so  nicli- 
tige  Art  beweisen  will,  dafs  der  Winkel  MST  nicht  stumpf  sein 
kann:  allein  hierbei  ist  doch  ein  wesentlicher  Unterschied,  weil  in  der 
That  die  Unmöglichkeit  dieses  Falles  in  aller  Strenge  bewiesen  werden 
kann,  welches  weiter  auszuführen  aber  hier  nicht  der  Ort  ist. 


HI. 
Göttiiigische  gelehrte  Anzeigen.    172.  173.  Stück.  Den  28.  Oct.  1822. 

Marburg. 

Theorie  der  Parallelen,  von  Carl  Reinhard  Müller,  Doctor  der 
Philosophie,  aufserordentlichem  Professor  der  Mathematik  u.  s.  w.  1822. 
40  S.  in  4. 

Rec.  hat  bereits  vor  sechs  Jahren  in  diesen  Blättern  seine  Über- 
zeugung ausgesprochen,  dafs  alle  bisherigen  Versuche,  die  Theorie  der 
Parallellinien  streng  zu  beweisen,  oder  die  Lücke  in  der  Euklidischen 
Geometrie  auszufüllen,  uns  diesem  Ziele  nicht  näher  gebracht  haben, 


224 


Aufserungen  von  Gaufs  über  die  Parallelentheorie. 


und  kann  nicht  anders,  als  dies  Urtheil  auch  auf  alle  späteren  ihm 
bekannt  gewordenen  Versuche  ausdehnen.  Inzwischen  bleiben  doch 
manche  solcher  Versuche,  obgleich  der  eigentliche  Hauptzweck  ver- 
fehlt ist,  Avegen  des  darin  bewiesenen  Scharfsinns  den  Freunden  der 
Geometrie  lesenswert,  und  Rec.  glaubt  in  dieser  Rücksicht  die  vor- 
liegende bei  Gelegenheit  einer  Schulprüfung  bekannt  gemachte  kleine 
Schrift  besonders  auszeichnen  zu  müssen.  Den  ganzen  sinnreichen 
Ideeugang  des  Verf.  hier  ausführlich  darzulegen,  wäre  für  unsre 
Blätter  zu  weitläuftig  und  auch  überflüssig,  da  die  Schrift  selbst  ge- 
lesen zu  werden  verdient;  aber  sie  hat  ihre  schwache  Stelle,  wie  alle 
übrigen  Versuche,  und  diese  herauszuheben,  ist  der  Zweck  dieser 
Anzeige. 

Wir  finden  diese  schwache  Stelle  S.  15  in  dem  Beweise  des  Lehr- 
satzes des  15.  Artikels.  Dieser  Lehrsatz  ist  der  wahre  Nerv  der 
ganzen  Theorie,  welche  fällt,  so  bald  jener  nicht  streng  bewiesen  werden 
kann.  Wir  führen  daher  zuvörderst  diesen  Lehrsatz  hier  auf;  die  dazu 
gehörige  Figur  wird  jeder  leicht  selbst  zeichnen  können. 

Wenn  jeder  Winkel  an  der  Grundlinie  ON  eines  gleichschenk- 
ligen Dreiecks  gröfser  ist,  als  der  Winkel  an  der  Spitze  Ä,  und  man 

setzt  in  0  an  die  Seite  OÄ  einen  Winkel 
von  der  Gröfse  des  Winkels  Ä,  dessen 
anderer  Schenkel  OL  die  ^iV"  in  dem 
Puncte  L  zwischen  Ä  und  N  trifft, 
schneidet  alsdann  von  AO  ein  Stück 
031  =NL  ab  und  zieht  ML-^  wenn 
man  ferner  in  31  an  3IÄ  abermals  einen 
Winkel  von  der  Gröfse  des  Winkels  A 
setzt,  dessen  anderer  Schenkel  31 C  die 
AN  in  dem  Puncte  C  zwischen  A  und 
L  trifft,  hierauf  von  A3I  ein  Stück 
3IB  =  LC  abschneidet  und  BG  ziehet, 
und  sodann  diese  Construction  auf  ähn- 
liche Art  fortsetzt,  so  dafs  auf  der  Linie 
OA  die  Puncte  0,  31,  B,  E,  G,  K  u.  s.  w., 
auf  der  Linie  NA  hingegen  die  Puncte 
N,  L,  G,  D,  F,  H  u.  s.  w.  liegen,  so  wird 
behauptet,    dafs    die    Stücke    031,    3IB, 

BE,  EGj    GK  u.  s.  w.   oder  die  ihnen  resp.  gleichen  NL,  LG,  GD 

BF,  FH  u.  s.  w.  eine   abweichende  Progression  bilden. 

Den  Beweis  dieses  Lehrsatzes  sucht  der  Verfasser  aj)agogisch  so 
zu  führen,    dafs  er   die   übrigen   möglichen  Fülle,   wenn   der  Lehrsatz 


Eine  Besprechung  aus  dem  .lahre  1822.  225 

uiclit  wahr  wäre,  aufzählt,  und  die  ünstatthaftigkeit  eines  jeden  zu 
erweisen  versucht.  Der  Verf.  beliauptet  nemlich,  dafs  unter  jener 
Voraussetzung  einer  von  folgenden  fünf  Fällen  Statt  finden  müfste. 
Die  auf  einander  folgenden  Stücke,  von   OM  an  gerechnet,  wären 

1)  alle  einander  gleich,  oder 

2)  jedes  nachfolgende  gröfser  als  das  vorhergehende,  oder 

3)  einige   einander  gleich   und   das  darauf  folgende  gröfser  odel* 
kleiner,  oder 

4)  einige   auf  einander    folgende  nähmen  fortschreitend  ab,   und 
die  darauf  folgenden  fortschreitend  zu  oder 

5)  sie  würden  abwechselnd  gröfser  und  kleiner. 

In  dieser  Aufzählung  ist  der  mögliche  Fall  übergangen,  dafs  die 
Stücke  anfangs  fortschreitend  zu  und  dann  fortschreitend  abnähmen, 
und  nach  Rec.  eigener  Überzeugung  (deren  tiefer  liegende  Gründe 
hier  aber  nicht  angeführt  werden  können)  wäre  dessen  Erledigung 
gerade  die  Hauptsache  und  die  eigentliche  Auflösung  des  Gordischen 
Knotens.  Inzwischen  kann  man  zugeben,  dafs  diese  Auslassung  hier  in 
so  fern  wenig  auf  sich  hat,  als  die  Beweisart  des  Verf.  für  die  ünstatt- 
haftigkeit des  dritten  Falles,  wenn  sie  zulässig  wäre,  auch  auf  diesen 
Fall  von  selbst  erstreckt  werden  könnte.  Allein  eben  diesem  angeb- 
lichen Beweise  der  ünstatthaftigkeit  des  dritten  Falls  können  wir 
keine  Gültigkeit  zugestehen.     Der  Verf.  stellt  die  Sache  so  vor. 

Wenn  z.  B.,  in  dem  dritten  Falle  angenommen  wird,  die  beiden 
ersten  Stücke  seien  gleich,  das  dritte  aber  gröfser,  so  wäre  DC  also 
gröfser  als  CL.  Da  nun  aber  AML  gleichfalls  ein  gleichschenk- 
ligtes  Dreieck  ist,  dem  dieselbe  Grundbedingung  zukommt,  wie  dem 
ursprünglichen  Dreieck  AON,  so  müfste,  wenn  jener  dritte  Fall  mit 
seiner  angenommenen  ünterabtheilung  der  gültige  wäre,  DC  =^  CL 
sein,    in  Widerspruch  mit  dem  vorher  gefundenen. 

Wir  haben,  wie  wir  glauben,  bei  diesem  Moment  des  Beweises, 
das  worauf  es  ankommt,  noch  etwas  klarer  und  bestimmter  nach  der 
Ansicht  des  Verf.  augedeutet,  als  er  es  selbst  gethan  hat,  Avodurcli 
dann  aber  auch,  die  Schwäche  desselben,  wie  uns  scheint,  leichter  er- 
kannt wird.  Denn  offenbar  ist  hier  ganz  Avillkürlich  angenommen, 
dafs  bei  allen  gleichschenkligen  Dreiecken  mit  dem  Winkel  A  an  der 
Spitze  und  gröfsern  Winkel  an  der  Basis,  wenn  mit  ihnen  die  im 
Lehrsatz  angezeigte  Construction  vorgenommen  wird,  die  Folge  der 
abgeschnittenen  Stücke  in  Rücksicht  auf  ihr  Gleichbleiben,  gröfser 
oder  kleiner  werden,  allemal,  unabhängig  von  der  Gröfse  der  Seiten, 
nothwendig  dieselbe  sein  müsse,  eine  Annahme,  die  doch  unmöglich 
als    von  selbst   evident  betrachtet  werden   darf.      Da    sich    nun    aber 

stück  Ol  u.  Kngol,    ParaUelenthoorio.  15 


226  Äufserungen  von  Gaufs  über  die  Parallelentheorie. 

hierauf  allein  der  versuchte  Beweis  der  üustatthaftigkeit  des  dritten 
(wie  auch  vierten  und  fünften)  Falls  stützt,  und  der  ganze  Artikel 
auch  keine  andere  Kessourceu  zum  Beweise  der  üustatthaftigkeit  des 
übergangenen  Falls  darbietet,  so  glauben  wir  hierdurch  das  oben 
ausgesprochene  Urtheil  hinlänglich  gerechtfertigt  zu  haben,  wobei  wir 
aber  gern  der  ganzen  übrigen  sinnreichen  Durchführung  in  den  fol- 
irenden  Artikeln  volle  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen. 


IV. 
Gaufs  und  Bessel. 

1.  Aus  einem  Briefe  von  Gaufs  an  Bessel,  vom  27.  Januar  1829. 

(Briefwechsel  S.  490.) 

Auch  über  ein  anderes  Thema,  das  bei  mir  schon  fast  40  Jahr  alt 
ist,  habe  ich  zuweilen  in  einzelnen  freien  Stunden  wieder  nachgedacht; 
ich  meine  die  ersten  Gründe  der  Geometrie;  ich  weifs  nicht,  ob  ich 
Ihnen  je  über  meine  Ansichten  darüber  gesprochen  habe.  Auch  hier 
habe  ich  manches  noch  weiter  consolidirt,  und  meine  Überzeugung, 
dafs  wir  die  Geometrie  nicht  vollständig  a  priori  begründen  können, 
ist  wo  möglich  noch  fester  geworden.  Inzwischen  werde  ich  wohl  noch 
lange  nicht  dazu  kommen,  meine  selir  ausgedehnten  Untersuchungen 
darüber  zur  öffentlichen  Bekanntmachung  auszuarbeiten,  und  vielleicht 
wird  diefs  auch  bei  meinen  Lebzeiten  nie  geschehen,  da  ich  das 
Geschrei  der  Boeoter  scheue,  wenn  ich  meine  Ansicht  ganz  aussprechen 
wollte.  —  Seltsam  ist  es  aber,  dafs  aufser  der  bekannten  Lücke  in 
Euklid's  Geometrie,  die  man  bisher  umsonst  auszufüllen  gesucht  hat, 
und  nie  ausfüllen  wird,  es  noch  einen  andern  Mangel  in  derselben 
gibt,  den  meines  Wissens  niemand  bisher  gerügt  hat,  und  dem  ab- 
zuhelfen keineswegs  leicht  (obwohl  möglich)  ist.  Diefs  ist  die  Defi- 
nition des  Planum  als  einer  Fläche,  in  der  die  irgend  zwei  Puncte 
verbindende  gerade  Linie  ganz  liegt.  Diese  Definition  enthält  mehr, 
als  zur  Bestimmung  der  Fläche  nöthig  ist,  und  involvirt  tacite  ein 
Theorem,  welches  erst  bewiesen  werden  mufs*). 


*)  [J?.  Baltzer  sagt  in  seinen  Elementen  der  MatlmnaUk  (Bd.  2,  zweite  Auf- 
lage, Leipzig  1867,  S.  5): 

„Deahna  {Demonstratio  theorematis,  esse  superficiem  plctnam.  Dissertatio  in- 
auguralis.  Marburg  1837)  konstruiert  die  Ebene  durch  Rotation  eines  Winkels 
um  einen  seiner  Schenkel  mit  der  Bedingung,  dals  eine  conceutrische  Kugelfiäche 
in  zwei  congruente  Teile  zerschnitten  werde.  Gaufs  ist  der  Meinung  gewesen, 
dafs  Deahna's  Darstellung  von  einigen  Mängeln,  die  in  ihr  anzutreffen  sind,  sich 


Aus  Briefen  von  Gaufs  und  Bessel,  1829  und  1830.  227 

2.  Aus  einem  Briefe  von  Bessel  an  Gaufs,  vom  10.  Februar  1829. 

(Briefwechsel  S.  493.) 

Ich  würde  sehr  beklagen,  wenn  Sie  sich  „durch  das  Geschrei  der 
Boeoter"  abhalten  liefsen,  Ihre  geometrischen  Ansichten  aus  einander  zu 
setzen.  Durch  das  was  Lambert  gesagt  hat,  und  was  Schweikardt 
mündlich  äufserte,  ist  mir  klar  geworden,  dafs  unsere  Geometrie  un- 
vollständig ist,  und  eine  Correction  erhalten  sollte,  welche  hypothe- 
tisch ist,  und  wenn  die  Summe  der  Winkel  des  ebenen  Dreiecks 
=  180*^  ist  verschwindet.  Das  wäre  die  wahre  Geometrie,  die  Eukli- 
dische die  praläische,  wenigstens  für  Figuren  auf  der  Erde. 

3.  Aus  einem  Briefe  von  Gaufs  an  Bessel,  vom  9.  April  1830. 

(Briefwechsel  S.  497.) 

Wahre  Freude  hat  mir  die  Leichtigkeit  gemacht,  mit  der  Sie  in 
meine  Ansichten  über  die  Geometrie  eingegangen  sind,  zumal  da  so 
wenige  offenen  Sinn  dafür  haben.  Nach  meiner  innigsten  Über- 
zeugung hat  die  Raumlehre  zu  unserm  Wissen  a  priori  eine  ganz 
andere  Stellung  wie  die  reine  Gröfsenlehre;  es  geht  unserer  Kennt- 
nifs  von  jener  durchaus  diejenige  vollständige  Überzeugung  von  ihrer 
Nothwendigkeit  (also  auch  von  ihrer  absoluten  Wahrheit)  ab,  die 
der  letzteren  eigen  ist*,  wir  müssen  in  Demuth  zugeben,  dafs  wenn 
die  Zahl  hlofs  unseres  Geistes  Product  ist,  der  Raum  auch  aufser 
unserm  Geiste  eine  Realität  hat,  der  wir  a  priori  ihre  Gesetze  nicht 
vollständig  vorschreiben  können. 


V. 
traufs  mul  Schumacher. 

1831. 
1.  Schumacher  an  Gaufs.    Copenhagen,  1831.   Mai  3. 

•(Briefwechsel,  Bd.  2,  S.  255.) 

Ich  bin  so  frei  Ihnen  anbei  einen  Versuch  zu  senden,  ohne  Parallel - 
linien  und  ohne  [ihre]  Theorie  zu  gebrauchen,  den  Satz   zu  beweisen, 


befreien  lasse;  in  seinem  Nachlasse  befindet  sich  ein  diesen  Gegeastand  betreffender 
{auch  heute,  1895  noch  nicht  veröffentlichter}  Aufsatz.  Auf  ähnliche  Art  haben 
CreJle  (Journ.  45,  p.  15),  Gerling  (Grelle  J.  2ü,  p.  332),  Erb  (die  Probleme  der 
Geraden  u.  s.  w.  Heidelberg  1846)  das  Axiom  von  der  Ebene  zu  beseitigen 
gesucht."] 

15* 


228 


Äufseruncren  von  Gaufs  über  die  Parallelentbeorie. 


(lafs  die  Summe  aller  drei  Winkel  eines  gradlinichten  Dreyeckes  =  180" 
sey,  aus  dem  dann  der  Beweis  des  Euclidischeu  Axioms  folgen  würde. 
Ich  setze  nichts  voraus,  als  dafs  die  Summe  aller  um  einen  Punct 
liegenden  Winkel  =  360"  =  4i?,  und  daXs  die  Scheitelwinkel  sich 
gleich  sind. 

Da  ich  aus  Erfahrung  weifs,  wie  sonderbar  blind  man  (ich  wenig- 
stens) mitunter  in  Bezug  auf  eigene  Arbeiten  ist,  so  fürchte  ich  sehr, 
dafs  eine  petitio  principii  dabei  zum  Grunde  liegt.  Ich  bin  aber  jetzt 
nicht  im  Stande  sie  zu  entdecken,  und  erwarte  Belehrung  von  Ihnen. 

[Beilage.]  Man  verlängere  die  Seiten  eines  gradlinichten  Dreiecks 
ABC  unbestimmt,  oder  man  betrachte  ein  System  von  drei  graden 
Linien  in  einer  Ebene,  deren  Durchschnitte  das  Dreyeck  ABC  bilden, 
so  geben  die  drei  Winkelpuncte  uns  die  Gleichungen : 

2a  +  2u  =  4B, 
2h  +  2ß  =  4B, 

2c  +  2y  =  4B, 

also 

a^ß-i-y  =  GB-{a-j-h-j-c). 


[Fig.  1.] 


Da  diese  Relationen  bestehen  wie  auch  die  Puncte  A,  B,  C  liegen 
mögen  oder,  was  einerley  ist,  wie  auch  die  drei  Linien  im  Räume  [in 
der  Ebene]  gezogen  sind,  so  lasse  man  die  Linien  BG,  EH,  unver- 
rückt, und  ziehe  JF  durch  den  Punct  A,  so  dafs  sie  denselben  Winkel 


Aus  Briefen  von  Gauls  und  Schumacher,  1831. 


229 


als  in  ihrer  vorigen  Lage  mit  i/JT  macht  oder,  da  dieser  Winkel  beliehig 
ist,  überhaupt  nur  so,  dafs  sie  iimerhalb  des  Winkel  a  fallt,  so  haben  wir 


also 


a-|_  h  +  6-  =  4ij! 


Kann  man  dagegen  sagen,  dafs  freilich 

&  (Iste  Figur)  =  l  (2te  Figur) 
nach  der  Annahme,  dafs  aber  der  Satz 

c  (Iste  Figur)  =  c  (2te  Figur) 
dann  bewiesen  werden  müsse? 

Mir  scheint  bei  der  Willkührlichkeit  der  Winkel  dieser  Beweis 
nicht  noth wendig. 

Dies  sind  die  Grundzüge  des  Beweises  und  ich  erwarte  Ihre  Ent- 
scheidung. Ich  füge  nur,  um  meinen  Beweis  zu  rechtfertigen,  hinzu, 
dafs  freilich  durch  die  zweite  Operation  das  Dreyeck  ABC  ver- 
schwindet, aber  nicht  die  Winkel  des  Dreyecks.  Wie  die  Linien 
auch  liegen,  so  ist  immer 

JBH^ß,     GCF=y,     BAE=a 
im  endlichen,  so  wie  im  verschwindenden  Dreyeck,  mitunter  die  Summe 

JÄH-\-  GÄF-\-  BÄE 
immer  gleich  der  Summe  der  Winkel   eines   gradlinichten  Dreyecks. 

Soll  man  also  den  Satz  von  einem  beliebigen  Dreyecke  (dessen 
Winkel  Ä,  B,  C)  beweisen,  so  zieht  mau  die  Linien  BG,  EH,  so  dafs 

a  ^=  A, 
man  nimmt  ferner  den  Winkel  JAH  =  B,  GAF=  C. 


230  Äufserungen  von  Gaufs  über  die  l'arallelentheorie. 

Ist  dann  JAF  keine  grade,  sondern  eine  gebrochene  Linie  JAF', 
so  ist  freilich  der  Winkel  c  dadurch  um  de  kleiner,  der  Winkel  h 
aber  um  ebensoviel  gröfser  geworden,  mithin  ihre  Summe  unver- 
ändert geblieben,  oder  wir  haben  was  zur  Bringung  des  Beweises 
gehört 

6  +  c(Fig.  i;)  =  &  +  c  (Fig.  2). 

2.  Gaufs  an  Schumacher.    Göttingen,  den  17.  Mai  1831. 

(Briefwechsel,  Bd.  2,  S.  'im.) 

Bei  dem,  was  Sie  über  die  Parallellinien  schreiben,  haben  Sie, 
genau  besehen  in  Biren  Syllogismen  einen  Zwischensatz  gebraucht, 
ohne  ihn  ausdrücklich  auszusprechen,  der  so  lauten  müfste: 

Wenn  zwei  einander  schneidende  gerade  Linien  (1)  und  (2)  mit 
einer  dritten  (3),  von  der  sie  geschnitten  werden,  respective  die  Winkel 
A' ,  A"  machen,  und  dann  eine  vierte  (4)  in  derselben  Ebne  liegende 
Gerade  von  (1)  gleichfalls  unter  dem  Winkel  A'  geschnitten  wird,  so 
wird  (4)  von  (2)  unter  dem  Winkel  A"  geschnitten  werden. 

Allein  dieser  Satz  ist  nicht  blofs  eines  Beweises  bedürftig,  son- 
dern man  kann  sagen,  dafs  er  im  Grunde  der  zu  beweisende  Satz 
selbst  ist*). 

Von  meinen  eignen  Meditationen,  die  zum  Theil  schon  gegen 
40  Jahre  alt  sind,  wovon  ich  aber  nie  etwas  aufgeschrieben  habe, 
und  daher  manches  drei-  oder  viermal  von  neuem  auszusinnen  ge- 
nöthigt  gewesen  bin,  habe  ich  vor  einigen  W^ochen  doch  einiges  auf- 
zuschreiben angefangen.  Ich  wünschte  doch,  dafs  es  nicht  mit 
mir  unterginge**). 

3.  Schumacher  an  Gaufs.    Lübeck,  1831.    Mai  25. 

(Briefwechsel  Bd.  2,  S.  261.) 

Ich  falle  Ihnen,  mein  theuerster  Freund !  noch  einmal  mit  der 
Parallelentheorie  beschwerlich. 

Man  verlängere  die  Seiten  des  gradlinichten  Dreyecks  unbe- 
stimmt, und  nehme  einen  Radius  jR  so  grofs,  dafs  ^,  »?  p>  kleiner, 
als  jede  gegebene  Gröfse  werden.    Mit  diesem  Radius  beschreibe  man 

*)  [Er  besagt  nämlich,  dafs  in  dem  Viereck  (1),  (2),  (3),  (4)  die  Winkelsumme 
gleich  vier  Rechten  ist.] 

**)  [Hoüel  machte  zu  dieser  Stelle  im  Jahre  1867  folgende  Anmerkung,  die 
wir  im  Jahre  1895  nur  wiederholen  können: 

„Als  wir  das  Verzeichnis  der  Gegenstände  durchsahen,  die  der  vierte  Band 
der  Ausgabe  der  Werke  von  Gaufs  enthalten  soll,  welche  gegenwärtig  von  der 
Akademie  zu  Göttingen  veröflFentlicht  wird,  haben  wir  keinen  Artikel  angezeigt  ge- 
funden, der  sich  auf  den  hier  von  dem  grofsen  Geometer  angekündigten  Plan 
bezieht.  Es  wäre  sehr  bedauerlich,  wenn  diese  so  tiefen  und  originalen  Unter- 
suchungen ulit  ihm  untergegangen  wären.''''} 


Aus  Briefen  von  Gaufs  und  Schumacher,  1831.  231 

aus  C   den   Halbkreis  DEFG.     Weil   in   Bezug    auf  diesen  Halbkreis 
«,  bf  c  als   verschwindend   zu  betrachten  sind,   also  die  Puncte  Ä,  B, 


als  in  C  fallend,  so  ist  dieser  Halbkreis  das  Maafs  der  drei  Winkel 
des  Dreiecks,  die  mithin  weniger  als  jede  gegebene  Gröfse  von  180° 
differiren*). 

Mir  scheint,  wenn  man  den  Begriff  des  endlos  wachsenden  nicht 
ausschliefst,  so  zeigt  dieser  Beweis  sehr  einfach,  dafs  in  jedem  end- 
lichen gradlinichten  Dreyecke  die  Summe  der  Winkel  =  ISO*'  ist, 
oder  eigentlich,  dafs  die  Constante  die,  wenn  Euclid's  Geometrie 
nicht  wahr  wäre,  zu  der  Summe  der  Winkel  kommt,  um  die  Gleich- 
heit mit  180**  zu  bewürken,  kleiner  als  jede  gegebene  Gröfse  ist,  und 
da  sich  dies  für  jedes  Dreieck  beweisen  läfst,  so  kann  diese  Constante 
ebensowenig  von  der  Gröfse  des  Dreiecks  abhängen. 

4.  Schumacher  an  Gaufs.   Altena,  1831.  Junius  29. 

(Briefwechsel  Bd.  2,  S.  267.) 

Nur  etwas  habe  ich  in  Ihrem  Briefe  vermifst  —  Ihr  Urtheil  über 
meinen  Beweis,  dafs  die  Summe  der  Winkel  in  einem  gradlinichten 
Dreiecke  nur  um  eine  Gröfse,  die  kleiner  als  jede  gegebene  ist,  von 
180**  verschieden  sey.  Sie  können  leicht  denken,  dafs  mir  Ihr  Urtheil 
sehr  wichtig  ist,  da  Sie  jede  Schwäche  eines  Beweises  so  leicht  ent- 
decken. Aufser  Ihnen,  meinen  Gehülfen,  und  Professor  Hausen  vom 
Seeberg  habe  ich  noch  Niemanden  etwas  mitgetheilt.  Keiner  von  uns 
kann  einen  Paralogismus  entdecken. 

Sollte  jemand  den  Satz,  dafs  man  die  Winkelpuncte  eines  Drei- 
ecks als  coincidirende  Mittelpuncte  eines  Kreises  von  unendlichem 
(brevitatis  causa  unendlich  genannt)   Halbmesser  betrachten  könne, 


*)  [Dasselbe  Beweisverfahren  hat  bereits  der  Theologe  Äntoine  Ärnaud 
(1612—1694)  angewandt  (vergl.  Ä.  Transon,  Comptes  rendus,  t.  73.  1871.  S.  368). 
Später  haben  es  Bertrand  (1778)  und  Schulz  (1784)  benutzt.] 


232 


ÄufsemnKen  von  Gaul«  über  die  Parallelentheorie. 


eines  Beweises  bedürfend  halten,   obgleich   ich  dies  nicht   glaube,    so 
läfst  sich  dieser  Beweis  strenge  führen. 

Mir  scheint,  wenn  zwei  Puncto  eine  endliche  Entfernung  von 
einander  haben,  so  wird  diese  Entfernung  in  Bezug  auf  eine  unend- 
liche Linie  =  0  zu  setzen  seyn,  sie  coincidiren  mithin  in  Bezug  auf 
diese  unendliche  Linie  betrachtet. 


5.  Gaufs  an  Schumacher.   Göttingen,  den  12.  Julius  1831. 

(Briefwechsel,  Bd.  2,  S.  268.) 

Was  die  Parallellinien  betrifft ,  so  würde  ich  Ihnen  mein  Urtheil 
sehr  gern  schon  auf  Ihren  ersten  Brief  geschrieben  haben,  wenn  ich 
nicht  hätte  voraussetzen  müssen,  dafs  Ihnen  mit  demselben  ohne  voll- 
ständige Entwickelungen  wenig  gedient  sein  würde.  Zu  solchen  voll- 
ständigen Entwickelungen,  wenn  sie  wahrhaft  überzeugend  sein  sollen, 
würden  aber  vielleicht  bogenlange  Auseinandersetzungen  in  Erwiederung 
auf  das,  was  Sie  in  wenigen  Zeilen  im  Grunde  nur  angedeutet  haben, 
nijthig  sein,  zu  welchen  Auseinandersetzungen  mir  aber  gegenwärtig 
die  erforderliche  Geistesheiterkeit  fehlt*).  Um  Ihnen  jedoch  meinen 
guten  Willen  zu  bethätigen,  will  ich  folgendes  hersetzen. 

Die  eigentliche  Pointe  richten  Sie  sogleich  auf  jedes  Dreieck; 
allein  Sie  würden  im  Grunde  Ihr  nemliches  Raisonnement  anwenden, 
wenn  Sie  das  Geschäft  zuerst  auf  den  einfachsten  Fall  anAvendeten 
und  den  Satz  aufstellten: 

1)  In  jedem  Dreieck,  dessen  eine  Seite  endlich,  die  zweite  und 
folglich  auch  die  dritte  hingegen  unendlich  ist,  ist  die  Summe  der 
beiden  Winkel  an  jener  =  180^. 

Beweis  nach  Ihrer  Manier:  Der  Kreisbogen  CD 
ist  eben  so  gut  das  Maafs  des  Winkels  GAB  als 
CBD,  weil  bei  einem  Kreise  von  unendlichem  Halb- 
messer eine  endliche  Verrückung  des  Mittelpunkts 
für  0  zu  achten  ist.     Also  CAD  =  CBB, 


A      B 


D 


CAB  +  CBA  =  CBB  +  CBA  =  180 

Das  übrige  ergibt  sich  leicht  von   selbst, 
ist  nemlich:  nach  diesem  Lehrsatze: 
a  +  /3  +  d  =  180      I 
180  =  £  +  d 
;,-{_£  =  180     ) 


Es 


Also  addendo 


«  +  /5  +  7  =  180. 


'^)  [Gaufs'  Frau  war  damals  ki-ank.  Sie  ist  ivd  September  des  Jahres  gestorben.] 


Aus  Briefen  von  Gaufs  und  Schnuiacher,  1831. 


233 


Was  nun  aber  Ihren  Beweis  für  1)  betrifft,  so  protcstire  ich 
zuvörderst  gegen  den  Gebrauch  einer  unendliclion  Gröfse  als  einer 
Vollendeten,  welcher  in  der  Mathematik  niemals  erlaubt  ist.  Das 
Unendliche  ist  nur  eine  Fayon  de  parier,  indem  man  eigentlich 
von  Grenzen  spricht,  denen  gewisse  Verhältnisse  so  nahe  kommen  als 
man  will,  während  anderen  ohne  Einschränkung  zu  wachsen  verstattet 
ist.  In  diesem  Sinne  enthält  die  Nicht-Euclidische  Geometrie 
durchaus  nichts  Widersprechendes,  wenn  gleich  diejenigen  viele  Ergeb- 
nisse derselben  anfangs  für  paradox  halten  müssen,  was  aber  für 
widersprechend  zu  halten  nur  eine  Selbsttäuschung  sein  würde,  hervor- 
gebracht von  der  frühern  Gewöhnung,  die  Euklidische  Geometrie  für 
streng  wahr  zu  halten. 

In  der  Nicht-Euclidischen  Geometrie  gibt  es  gar  keiue  ähn- 
liche Figuren  ohne  Gleichheit,  zum  Beispiel  die  Winkel  eines  gleicli- 

2 

seitigen  Dreiecks  sind  nicht  blofs  von  -^  B,  sond£rn  auch  nach  Maafs- 

gabe  der  Gröfse  der  Seiten  unter  sich  verschieden 

und   können,    wenn   die   Seite   über    alle  Grenzen 

wächst,   so  klein  werden,  wie   man  will.     Es  ist 

daher  schon  an  sich  widersprechend,    ein  solches 

Dreieck  durch  ein  kleineres  zeichnen  zu  wollen, 

man  kann  es  im   Grunde  nur  bezeichnen. 

Die  Bezeichnung  des  unendlichen  Dreiecks  in 
diesem  Sinne  wäre   am  Ende*) 

In  der  Euklidischen  Geometrie  gibt  es 
nichts  absolut  grofses,  wohl  aber  in  der 
Nicht-Euklidischen,  dies  ist  gerade  ihr  wesent- 
licher Karakter,  und  diejenigen,  die  dies 
nicht  zugeben,  setzen  eo  ipso  schon  die 
ganze  Euklidische  Geometrie.,  aber  wie  ge- 
sagt, nach  meiner  Überzeugung  ist  dies 
blofse  Selbsttäuschung. 

Für  den  fraglichen  Fall  ist  nun  durch- 
aus nichts  widersprechendes  darin,  dafs  wenn 
die  Punkte  Ä,  B  und  die  Richtung  AC  ge- 
geben sind,  während  C  ohne  Beschränkung 
wachsen  kann,  dafs  dann  obgleich  so  BBC 
dem  BAC  immer  näher  kommt,  doch  der 
Unterschied  nie  unter  eine  gewisse  endliche  .  „ 
Differenz  heruntergebracht  werden  könne. 


Z^ 


ü 


*)  [Die  Figur  soll  wohl  andeuten,  dafs  die  Winkel  gleich  Null  sind. 


2U 


Äul'sei'un^on  von  Gauls  über  die  Parallelentheürie. 


Jhr   Hineinziehen  des  Bogens  CD  macht   allerdings  den   Schhifs 
um  viel  captiöser,  allein  wenn  man,  was  Bie  nur  angedeutet  haben,  klar  ent- 
wickeln will  so  müfste 
"^"~^^^  es  so  lauten: 

Es  ist: 

GAB:  CBB== 


CD 
ECB 


CD' 
E'CD' 


E    E' 


.1  B 


DD' 


und  indem  AC  in's  un- 
endliche Aväclist,  kom- 
men CD  und  CD'  einer- 
seits und  ECD,  E'CD'  andererseits  der  Wahrheit  immer  näher. 

Beides  ist  in  der  Nicht-Euklidischen  Geometrie  nicht  wahr,  wenn 
man  darunter  versteht,  dafs  ihre  geometrischen  Verhältnisse  der  Gleich- 
heit so  nahe  kommen,  wie  man  will.  In  der  That  ist  in  der  Nicht- 
Euklidischen  Geometrie  der  halbe  Umfang  eines  Kreises,  dessen  Halb- 
messer =  r: 

wo  Je  eine  Constaute  ist,  von  der  wir  durch  Erfahrung  wissen,  dafs 
sie  gegen  alles  durch  uns  mefsbare  ungeheuer  grofs  sein  mufs.  In 
Euklid's  Geometrie  wird  sie  unendlich. 

In  der  Bildersprache  des  Unendlichen  würde  man  also  sagen 
müssen,  dafs  die  Peripherien  zweier  unendlichen  Kreise,  deren  Halb- 
messer um  eine  endliche  Gröfse  verschieden  sind,  selbst  um  eine 
Gröfse   verschieden    sind,   die  zu  ihnen   ein  endliches  Verhältnifs  hat. 

Hierin  ist  aber  nichts  Widersprechendes,  wenn  der  endliche 
Mensch  sich  nicht  vermifst,  etwas  Unendliches  als  etwas  Gegebenes 
und  von  ihm  mit  seiner  gewohnten  Anschauung  zu  Umspannendes 
betrachten  zu  wollen. 

Sie  sehen,  dafs  hier  in  der  That  der  Fragepunkt  unmittelbar  an 
die  Metaphysik  streift. 

6.  Schumacher  an  Gaufs.    Altena,  1831,  Julius  19. 

(Briefwechsel  Bd.  2,  S.  272.) 

Meinen  herzlichsten  Dank  statte  ich  Ihnen,  mein  theuerster  Freund, 
für  Ihren  letzten  Brief  ab.  Ich  kann  nicht  sagen,  dafs  er  mich  schon 
überzeugt  hätte.  Ich  glaube  die  unendliche  Gröfse  nicht  als  ge- 
schlossen gebraucht  zu  haben.  Mir  scheint  man  kann  zeigen,  dafs  mit 
dem  Wachsen  des  Halbmessers  die  Differenz  der  Winkelpuncte  des 
Dreyecks  immer  mehr  verschwindet,  und  sich  der  Gränze  des  Zusammen- 


Aus  Briefen  von  Gaufs  und  Schumacher,  1831  und  1846.  235 

fallens,  so  viel  man  immer  will^  nähert.  Sagt  man  also,  der  Kürze 
halber,  sie  fallen  für  einen  unendlichen  Radius  würklich  zusammen, 
so  wird  dies  ebenso  wie  gewöhnlich  verstanden,  und  es  folgt  daraus, 
dafs  in  Bezug  auf  die  Peripherie,  die  von  den  graden  Linien  inter- 
captirten  Bögen,  sich  ohne  Gränze  dem  Maafse  der  Winkel  nähern. 
Indessen  gebe  ich  gern  zu,  dafs  ich  mich  täusche,  und  werde 
theils  selbst  die  Sache  reiflicher  durchdenken,  theils  und  vorzüglich  den 
Augenblick  erwarten,  wo  mündliche  Belehrung  von  Ihrer  Seite  mög- 
lich wird.  Warum  man  bei  Linien  nicht,  wie  bei  allgemeinen  Gröfsen, 
Schlüsse  brauchen  soll,  die  sich  auf  ohne  Ende  wachsende  Linien 
gründen,  sehe  ich  nicht  ein,  vorausgesetzt,  dafs  man  die  Gränzen  be- 
stimmen kann,  denen  man  sich  dabei,  so  weit  man  will,  nähert. 

1846. 

7.  Gaufs  an  Schumacher.    Göttingen,  den  28.  Nov.  1846. 

(Briefwechsel  Bd.  5,  S.  246.) 

Ich  habe  kürzlich  Veranlassung  gehabt,  das  Werkchen  von  Lobat- 
schefski  (Geometrische  Untersuchungen  zur  Theorie  der  Parallel- 
linien.  Berlin  1840,  bei  G.  Funcke.  4  Bogen  stark)  wieder  durchzu- 
sehen. Es  enthält  die  Grundzüge  derjenigen  Geometrie,  die  Statt  finden 
müfste  und  strenge  consequent  Statt  finden  könnte,  wenn  die  Euclidische 
nicht  die  wahre  ist.  Ein  gewisser  Schweikardt*)  nannte  eine  solche 
Geometrie  Astralgeometrie,  Lobatschefsky  imaginaire  Geo- 
metrie. Sie  wissen,  dafs  ich  schon  seit  54  Jahren  (seit  1792)  die- 
selbe Überzeugung  habe  (mit  einer  gewissen  späteren  Erweiterung, 
deren  ich  hier  nicht  erwähnen  will).  Materiell  für  mich  Neues  habe 
ich  also  im  Lobatschefsky'schen  Werke  nicht  gefunden,  aber  die  Ent- 
wickelung  ist  auf  anderem  Wege  gemacht,  als  ich  selbst  eingeschlagen 
habe,  und  zwar  von  Lobatschefsky  auf  eine  meisterhafte  Art  in  acht 
geometrischem  Geiste.  Ich  glaube  Sie  auf  das  Buch  aufmerksam 
machen  zu  müssen,  welches  Ihnen  gewifs  ganz  exquisiten  Genufs  ge- 
währen wird. 


*)  Früher  in  Marburg,  jetzt  Professor  der  Jurispr.  in  Königsberg.    [Diese  An- 
merkung rührt  von  Gaufs  her.] 


236  Gaufs,   Abweichungen  von  den  Originalabdrücken. 


Abweichungen  von  den  Originalabdrücken. 

S.  •220,  Z.  1  V.  u.  (Gott.  gel.  Anz.  1816,  S.  618,  Z.  5  v.  u.).    Im  Urtext  steht  „Die" 

statt  ,,Der". 
S.  221,  Z.  3  V.  0.  (a.  a.  0.  S.  618,  Z.  1  v.  u.)  „welchen"  statt  „welchem". 
S.  222,  Z.  14  V.  u.  (a.  a.  0.  S.  621,  Z.  12  v.  o.)  „ihre"  statt  „ihrer". 
S.  223,  Z.  6  V.  0.  (a.  a.  0.  S.  622,  Z.  1  v.  o.)    „in   einen  ebnem"   statt  „in   einem 

ebnen". 

5.  224,  Z.  11  V.  u.  (Gott.  gel.  Anz.  1822,  S.  1726,  Z.  15  v.  u.)  „iY5"  statt  „J/JS". 

Die  Figuren  auf  Seite  222  und  224  sind  den  von  Gaufs  besprochenen  Ab- 
handlungen entnommen,  die  auf  Seite  223  ist  neu  gezeichnet.  Die  Rechtschreibung 
der  Gott.  gel.  Anz.  ist  beibehalten,  ausgenommen  in  Wörtern  wie  Dreyeck,  gleich- 
schenklicht,  mehrmals  und  dergleichen.    In  einem  Briefe  an  Schumacher,  vom 

6.  .Tanuar  1833    (Briefwechsel    Bd.  2,    S.  320)    sagt   Gaufs:    „Ich    schi-eibe    nicht 
beynahe,    drey,    interpolieren,  <fec.,  sondern  beinahe,  drei,  interpoHren." 

S.  227,  Z.  16  V.  0.  (Briefwechsel   zwischen  Gaufs  und  Bessel,   S.  497,    Z.  7  v.  o.) 
,,rn"  statt  „zu".    Diese  Abweichung,  die  der  Sinn  des  Textes  erfordert,  findet 
sich  bereits  in  dem  S.  217  erwähnten  ersten  Abdruck  des  Briefes. 
S.  228,   Z.  4  u.  13   V.  o.    (Briefwechsel   zwischen  Gaufs    und   Schumacher,    Bd.  2, 
S.  256,  Z.  4  V.  0.  und  6  v.  u.)  „Wechsel winkel"   statt  „Scheitelwinkel"  und 
„und"  statt  „uns". 
S.  235,  Z.  18  V.  0.  (ebenda  Bd.  5,  S.  247,  Z.  1  v.  o.)  „Parallellinie"  statt  „Parallel- 
linien". 

Die  Figuren  auf  Seite  229  und  231  sind  gegenüber  den  Originalfiguren  etwas 
verändert:  bei  der  ersten  ist  c  im  Original  kein  Kreisbogen  mit  dem  Mittel- 
punkte A,  bei  der  zweiten  fällt  der  Mittelpunkt  des  Kreises  im  Original  nicht  in 
den  Punkt  C,  was  doch  nach  dem  Texte  der  Fall  sein  mufs. 

In  einem  Briefe  an  Schumacher,  vom  2.  Januar  1836  (Briefwechsel  Bd.  2, 
S.  431)  berührt  Gaufs  einen  Beweis  versuch  von  Lübsen,  der  sich  wohl  auch  auf 
die  Parallelentheorie  bezog.  Die  Stelle  ist  jedoch  an  und  für  sich  kaum  verständ- 
lich und  auch  zu  unbedeutend,  um  mitgeteilt  zu  werden. 

Ebensowenig  haben  wir  es  für  nötig  gehalten,  solche  Aufserungen  von  Gaufs 
mitzuteilen,  die  sich  blofs  auf  den  Raumbegrifi'  im  Allgemeinen  beziehen,  ohne  auf 
die  Parallelentheorie  insbesondere  Licht  zu  werfen. 


FERDINAND   KARL   SCHWEIKART 

1780—1857. 

FRANZ   ADOLPH   TAURINÜS 

1794—1874. 


Als  nach  Gaufs'  Tode  bekannt  wurde,  dafs  der  „princeps  mathe- 
maticorum"  von  der  Möglichkeit  und  der  Berechtigung  einer  nicht- 
euklidischen Geometrie  überzeugt  gewesen  war,  da  wandte  sich  die 
Aufmerksamkeit  der  Mathematiker  dem  Probleme  der  Parallelentheorie 
wieder  zu. 

In  der  Periode  von  1780  bis  1830  waren  alle  Beweisversuche 
gescheitert,  und  man  war  schliefslich  dahin  gelangt,  die  Beschäftigung 
mit  der  „berüchtigten"  fünften  Forderung  als  Vorrecht  unklarer  Köpfe 
anzusehen  und  mit  den  Bemühungen  um  die  Quadratur  des  Kreises 
und  um  das  Perpetuum  mobile  auf  eine  Stufe  zu  stellen.  Dieses  Vor- 
urteil war  so  stark,  dafs,  um  mit  Hoüel  zu  reden,  selbst  ein  Mann  von 
so  imposanter  Autorität  wie  Gaufs  mit  seinen  Untersuchungen  nicht 
hervortrat,  „weil  er  das  Geschrei  der  Bceoter  scheute." 

Jetzt  wurde  es  anders,  und  zwar  war  es  R.  Baltzer,  der  in  der 
zweiten  Auflage  seiner  Elemente  auf  Gaufs'  Ansicht  über  die 
Parallelentheorie  hinwies  und  die  bis  dahin  nicht  beachteten  Unter- 
suchungen von  Nikolaus  Lobatschefskij  und  Johann  Bolyai 
nach  Verdienst  würdigte. 

Durch  Baltzer  angeregt  gab  Hoüel  1866Lobatschefskijs  „Geo- 
metrische Untersuchungen  zur  Theorie  der  Parallellinien" 
(1840)  und  1867  Johann  Bolyais  „Appendix  scientiam  spatii 
absolute  veram  exhibens"  (1832)  in  französischer  Übersetzung  heraus 
und  machte  so  diese  seltenen  Schriften  einem  gröfsern  Kreise  zu- 
gänglich. Der  Übersetzung  von  Lobatschefskij s  Abhandlung  war 
als  Anhang  eine  Übersetzung  der  schon  mitgeteilten  Briefe  von  Gaufs 
und  Schumacher  beigefügt.  Es  folgte  die  italienische  Übersetzung 
des  Appendix  von  Battaglini  (1868)  und  die  deutsche  Bearbeitung 
von  Frischauf  (1872).  In  jüngster  Zeit  sind  diese  Schriften  von 
Lobatschefskij  und  Bolyai  auch  ins  Englische  übertragen  worden 
(Halsted  1891). 

Da  Lobatschefskij  und  Bolyai  als  die  eigentlichen  Begründer 
der  nichteuklidischen  Geometrie  anzusehen  sind,  wollen  wir  über  ihre 
Arbeiten  einiges  mitteilen.     Genauer  auf  deren  Inhalt  einzugehen,  ist 


240  F.  K.  Schweikart  und  F.  A.  Taurinus. 

an  dieser  Stelle  nicht,  möglich;  wohl  aher  können  wir  auf  Grund 
neuerer  Forschungen  des  Baumeisters  Fr.  Schmidt  in  Budapest 
und  des  Professors  A.  Wassiljef  in  Kasan  eine  geschichtliche  Dar- 
stellung geben,  die  über  das  bis  jetzt  Bekannte  hinaus  geht. 

Nikolaus  Lobatschefskij  (1793  —  1856)  hat  bereits  in  den 
Jahren  1815  und  1816  an  der  Universität  zu  Kasan  Vorlesungen 
über  Geometrie  gehalten.  Ein  von  Wassiljef  Anfang  1804  gefundenes 
Heft  enthält  drei  verschiedene  Versuche,  die  Parallelentheorie  zu  ver- 
bessern. „In  dem  einen  wird  der  Begriff  der  Richtung  als  der  funda- 
mentale vorausgesetzt;  im  zweiten  werden  die  Betrachtungen  über  die 
unendlichen  Zweiecke  eingeführt  [Bertraud  1778,  Schulz  1784J; 
der  dritte  Beweis  schliefst  sich  an  den  Legendre'schen  Beweis  an, 
dafs  die  Summe  der  Winkel  des  Dreiecks  nicht  gröfser  und  nicht 
kleiner  als  zwei  Rechte  ist.  Man  sieht  also,  dafs  bei  Lobatschefskij 
eine  langjährige  Denkarbeit  der  Veröffentlichung  von  1826  seiner 
eigentümlichen  Anschauungen  über  die  Parallelentheorie  voraus- 
gegangen  ist."     Soweit  Wassiljef. 

Wir  müssen  hierzu  Folgendes  bemerken.  Am  11.  Februar  1826 
(alten  Stiles)  legte  Lobatschefskij  der  physisch -mathematischen 
Abteilung  der  Universität  Kasan  eine  Abhandlung  vor:  Exposition 
succincte  des  priucipes  de  la  Geometrie  avec  une  demonstra- 
tion  rigoureuse  du  theoreme  des  paralleles.  Diese  Abhandlung 
ist  jedoch  niemals  veröffentlicht  worden.  Ein  Auszug  aus  ihr  ist  die 
russisch  geschriebene  Abhandlung:  Über  die  Anfangsgründe  der 
Geometrie,  die  im  Jahre  1829  im  Kasaner  Boten  erschienen  ist 
(Lobatschefskijs  Gesammelte  geometrische  Werke,  Bd.  1,  S.  1 — 67). 

Li  dieser  Veröffentlichung  von  1829  hatte  Lobatschefskij  die 
Möglichkeit  einer  vom  Parallelenaxiom  unabhängigen  Geometrie  be- 
wiesen. Eine  ausführliche  Darstellung  der  Untersuchungen,  die  er  über 
diesen  Gegenstand  angestellt  hat,  enthalten  die  „Neuen  Anfangs- 
gründe der  Geometrie  mit  einer  vollständigen  Theorie  der 
Parallelen",  die  1835 — 1838  in  den  Schriften  der  Universität 
Kasan  erschienen  sind.  Ein  Auszug  aus  diesen  in  russischer  Sprache 
geschriebenen  Abhandlungen  ist  die  Geometrie  imaginaire,  die 
Lobatschefskij  im  Jahre  1837  in  Grelles  Journal  veröffentlichte. 
Seine  Geometrischenüntersuchungen  zurTheorie  der  Parallel- 
liuien  von  1840  haben  wir  bereits  erwähnt.  Eine  zusammenfassende 
Bearbeitung  aller  seiner  Untersuchungen,  die  Pangeometrie,  ist  1855 
gleichzeitig  in  russischer  und  in  französischer  Sprache  erschienen. 

Alle  diese  Schriften  sind  jetzt  in  den  Gesammelten  geometri- 
schen Werken  vereinigt;  der  erste  Band  (1883)  enthält  die  in  russi- 


Lobatscbefskij  und  die  beiden  Bolyai.  241 

scher  Sprache,  der  zweite   (188G)  die   in  deutscher  und  französischer 
Sprache  verfafsten  Schriften  •,  ihnen  geht  eine  Lebensbeschreibung  voraus. 

Wolfgang  Bolyai  (1775—1856)  aus  Bolya  in  Siebenbürgen, 
ein  Jugendfreund  von  Gaufs,  mit  dem  zusammen  er  in  Göttingen 
studiert  hat,  veranlafste  seinen  Sohn  Johann  (1802 — 1860)  sich  mit 
der  Parallelentheorie  zu  beschäftigen,  der  er  selbst  schon  früh  sein 
Interesse  zugewandt  hatte.  Am  3.  November  1823  berichtet  Johann 
seinem  Vater: 

„Ich  habe  mich  entschlossen,  sobald  die  Sachen  geordnet  sind, 
eine  Arbeit  über  die  Parallelen  herauszugeben.  Es  ist  noch  nicht 
abgeschlossen,  aber  der  Weg,  den  ich  eingeschlagen,  verspricht  gewifs 
die  Erreichung  des  Zieles,  wenn  es  überhaupt  erreichbar  ist.  Es  ist 
noch  nicht  erreicht,  aber  ich  habe  Sachen  herausgebracht,  dafs  ich 
selbst  darüber  erstaunte.  Es  wäre  ewig  schade,  wenn  sie  verloren  gingen. 
Sie  werden  dieselben  erkennen.  Ich  kann  nur  sagen:  dafs  ich  aus  nichts 
eine  andre  neue  Welt  geschaffen  habe.  Was  ich  Ihnen  bishero  ge- 
sendet habe,  verhält  sich  wie  ein  Kartenhaus  zu  einem  Thurme."*) 

In  einer  nicht  veröffentlichten  Selbstbiographie,  deren  Abfassungs- 
zeit Fr.  Schmidt  in  die  fünfziger  Jahre  setzt,  schreibt  Johann 
Bolyai: 

„Erst  im  Jahre  1823  habe  ich  dem  Wesen  nach  das  Problem 
durchdrungen,  obschon  auch  nachher  noch  Vervollkommnungen  hinzu- 
kamen. Ich  theilte  im  Jahre  1825  meinem  einstmaligen  Lehrer  Herrn 
Johann  Walter  von  Eckwehr  (später  k.  k.  General)  einen  schrift- 
lichen Aufsatz  mit,  der  sich  noch  in  seinen  Händen  befindet.  Auf 
Veranlassung  meines  Vaters  habe  ich  meinen  Aufsatz  in  lateinische 
Sprache  übersetzt,  wo  selber  als  Appendix  zum  Tentamen  1832 
erschienen  ist." 

Dieses  gegenwärtig  recht  selten  gewordene  Tentamen  war  ein 
zweibändiges  Lehrbuch  der  Mathematik,  dessen  vollständiger  Titel 
lautet:  Tentamen  juventutem  studiosam  in  elementa  matheseos 
purae,  elementaris  ac  sublimioris,  methodo  intuitiva,  evi- 
dentiaque  huic  propria,  introducendi.  Cum  appendice  triplici. 
Band  I;  Maros  Väsarhely  1832.  8*^.  In  dem  dritten  Anhange,  der  nur 
28  Seiten  umfafst,  hat  Johann  Bolyai  seine  neue  Geometrie  ent- 
wickelt; der  Titel  lautet: 

Appendix    scientiam   spatii    absolute  veram   exhibens:    a 


*)  Der  Brief  Johanns  ist  ursprünglich  in  magyarischer  Sprache  geschrieben; 
die  deutsche  Übersetzung,  die  wir  mitteilen,  verdanken  wir  Herrn  Baumeister 
Fr.  Schmidt  in  Budapest. 

Stäckel  u.  Engel,  Paralleleiitheorie.  IG 


242  F.  K.  Schweikart  mid  F.  A.  Taurinus. 

veritate  aut  falsitate  Axiomatis  XI  Euclidei  fa  priori  haud 
unquam  decidenda)  independentem;  adjecta  ad  casum  falsi- 
tatis,  quadratura  circuli  geometrica.  Auetore  lolianne  Bolyai 
de  eadem,  Geometrarum  inExercitu  Caesar eo  Regio  Austriaco 
Castreusium  Capitaneo. 

Die  ungarische  Akademie  der  Wissenscliafteu  hat  mit  der  Herstellung 
eines  Neudrucks  begonnen,  der  hcifentlicli  bald  zu  Ende  geführt  sein  wird. 

Einen  Auszug  aus  dem  Tentamen  giebt  das  1851  zu  Maros  Vasär- 
hely  erschienene,  ebenfalls  recht  seltene  Werkchen  Wo If gang  Bolyais: 

Kurzer  Grundrifs  eines  Versuchs 

I.  Die  Arithmetik,  durch  zvekmässig  konstruirte  Begriffe,  von 
eingebildeten  und  unendlich-kleinen  Grössen  gereinigt,  anschaulich  und 
logisch-streng  darzustellen. 

II.  In  der  Geometrie,  die  Begriffe  der  geraden  Linie,  der  Ebene, 
des  Winkels  allgemem,  der  winkellosen  Formen,  und  der  Krummen, 
der  verschiedenen  Arten  der  Gleichheit  u.  d.  gl.  nicht  nur  scharf  zu 
bestimmen;  sondern  auch  ihr  Seyn  im  Räume  zu  beweisen:  und  da  die 
Frage,  ob  zwey  von  der  dritten  geschnittene  Geraden,  wenn 
die  summe  der  inneren  Winkel  nicht  =^  2  JS,  sich  schneiden 
oder  nicht?  niemand  auf  der  Erde  ohne  ein  Axiom  (wie  Euklid 
das  XI)  aufzustellen,  beantworten  wird;  die  davon  unabhängige  Geo- 
metrie abzusondern;  und  eine"  auf  die  Ja- Antwort,  andere  auf  das 
Nein  so  zu  bauen,  dafs  die  Formeln  der  letzten,  auf  einen  Wink 
auch  in  der  ersten  gültig  seyen. 

Nach  einem  lateinischen  Werke  von  1829.*)  M.  Väsärhely,  und 
eben  daselbst  gedruckten  ungrischen. 

Maros  Yäsärhely  1851.     S^,  88  Seiten. 

Was  endlich  das  Verhältnis  von  Lobatschefskij  und  Bolyai 
zu  Gaufs  betrifft,  so  sagt  F.  Klein  in  seinen  Vorlesungen  über 
Nicht-euklidische  Geometrie  (1889/90):  „Es  ist  keinem  Zweifel 
unterworfen,  dafs  Gaufs  durch  seinen  Einflufs  die  Unter- 
suchungen von  Lobatschewsky  und  Bolyai  angeregt  hat."  Er 
beruft  sich  dabei  auf  die  Thatsache,  dafs  Gaufs  und  Wolfgang 
Bolyai  Universitätsfreunde  waren,  und  zwischen  Gaufs  und  Lobat- 
schefskij will  er  einen  Zusammenhang  daraus  herleiten,  dafs  Lobat- 
schefskij Schüler  von  Bartels  (1769  —  1836)  gewesen  ist,  über  dessen 
freundschaftliche  Beziehungen  zu  Gaufs  uns  Sartorius  von  Walters- 
hausen berichtet  hat. 


*)  Gemeint  ist  das  Tentamen,  dessen  Druckerlaubnis  vom  1-2.  Oktober  1829 
datiert,  dessen  I.  Band  jedoch  erst  18.3-2  er.«!chienen  ist. 


Die  beiden  Bolyai.  —  Schweikart.  243 

Eine  Entscheidung  über  die  Richtigkeit  dieser  Vermutungen  wird 
kaum  möglich  sein,  solange  der  Nachlafs  von  Gaufs  der  Forschung 
unzugänglich  ist. 

Aufser  Lobatschefskij  erwähnt  Gaufs  in  seinem  Briefe  an 
Schumacher  vom  28.  Nov.  1846  noch  einen  andern  Namen:  „Ein 
gewisser  Schweikardt  .  .  .  nannte  eine  solche  Geometrie  Astral- 
geometrie"-, auf  Unterhaltungen  mit  demselben  Schweikardt  hatte 
sich  schon  Bessel  im  Jahre  1829  berufen  und  mit  ihm  zugleich 
Lambert  genannt.  Es  schien  uns  von  Interesse  zu  sein,  etwas  Ge- 
naueres über  diesen  bis  jetzt  nicht  beachteten  Mann  zu  ermitteln,  und 
wir  haben  Folgendes  feststellen  können: 

Ferdinand  Karl  Schweikart  (1780—1857)  studierte  von  179G 
bis  1798  in  Marburg  Rechtswissenschaften;  daneben  hörte  er  mathe- 
matische Vorlesungen  bei  J.  K.  F.  Hauff,  der  seit  1793  verschiedene 
Schriften  über  die  Farallelenfrage  veröffentlicht  hat.  Von  1812  ab 
war  Schweikart  in  Charkow,  von  1816  ab  in  Marburg  und  zu- 
letzt,  seit  1820,    in  Königsberg  Professor  der  Rechtswissenschaften. 

Schweikarts  einzige  Veröffentlichung  mathematischen  Inhalts 
ist  die  1807  erschienene  Schrift:  Die  Theorie  der  Parallellinien 
nebst  dem  Vorschlage  ihrer  Verbannung  aus  der  Geometrie. 
Jena  und  Leipzig  1807.  8^.  138  S.  mit  5  Tafeln.*)  Sie  enthält  nicht 
etwa,  wie  der  Titel  vermuten  lassen  könnte,  den  Versuch  einer  vom 
Parallelenuxiom  unabhängigen  Geometrie,  vielmehr  steht  Schweikart 
hier  durchaus  auf  dem  Boden  der  Euklidischen  Elemente,  die  er 
nur  auf  Grund  philosophischer  Erwägungen  formal  umgestalten  will: 
statt  von  Parallelen  soll  nur  von  Parallelogrammen  die  Rede  sein. 

Später  hat  Schweikart  Untersuchungen  angestellt,  die  mit  denen 
von  Saccheri  und  Lambert  auf  eine  Linie  zu  stellen  sind,  und  ist 
schliefslich  unabhängig  von  Gaufs  zur  Entwickelung  einer 
nicht-euklidischen  Geometrie  gelangt. 

Als  Beleg  für  die  eben  ausgesprochenen  Behauptungen  kann  zu- 
nächst ein  Brief  dienen,  den  Gerling  (1788  — 1864),  ein  Schüler  von 
Gaufs,  seit  1817  Professor  der  Astronomie  in  Marburg,  am 
31.  Oktober  1851  an  Wolfgang  Bolyai  zum  Dank  für  die  Über- 
sendung des  Kurzen  Grundrisses  geschrieben  hat.  In  diesem  be- 
merkenswerten Briefe,  von  dem  wir  eine  Abschrift  der  Güte  des  Bau- 
meisters Fr.  Schmidt  in  Budapest  verdanken,  sagt  Gerling: 


*)  Diese  seltene  Schrift  besitzen  von  den  gröfseren  Bücliersammlungen  Deutsch- 
lands nur  die  Königliche  Universitätsbibliothek  in  Kiel  und  die  Königliche  Hof- 
und  Staatsbibliothek  in  München. 

IG* 


244  F.  K.  Schweikart  und  F.  A.  Taurinus. 

„Meine  früheren  Beschäftigungen  mit  der  Parallelentheorie  er- 
wähne ich  nicht,  denn  schon  im  Jahre  1810 — 1812  hatte  ich  bei 
Gaufs,  sowie  früher  1809  bei  J.  F.  Pfaff  einsehen  gelernt,  wie  alle 
bisherigen  Versuche  das  Euklidische  Axiom  zu  beweisen  mifslungen 
waren.  Ich  hatte  dann  auch  vorläufige  Kenntnifs  von  Ihren  Arbeiten 
erhalten,  und  so  schon,  als  ich  zuerst  1820  etwas  von  meiner  Ansicht 
darüber  drucken  lassen  mufste,  es  genau  ebenso  geschrieben,  wie  es 
S.  187  der  neuesten  Ausgabe  noch  zu  lesen  steht." 

Gerling  meint  hier  die  Bearbeitung  des  Lorenzschen  Grund- 
risses der  reinen  Mathematik,  die  er  1820  besorgt  hatte;  die  im 
Briefe  erwähnte  neueste  Ausgabe  war  1851  erschienen.  An  der  be- 
treffenden Stelle  heifst  es:  „Dieser  Beweis  [des  Parallelenaxioms]  ist 
auf  mamiigfaltige  Weise  von  scharfsinnigen  Mathematikern  versucht, 
aber  bis  jetzt  noch  nicht  vollkommen  genügend  aufgefunden  worden. 
Solange  er  fehlt,  bleibt  der  Satz,  sowie  alles,  was  sich  auf  ihn  stützt, 
eine  Hypothese,  deren  Gültigkeit  für  unser  Leben  freilich  hinlänglich 
durch  die  Erfahrung  dargethan  wird,  deren  allgemeine,  nothwen- 
dige  Richtigkeit   aber   ohne  Absurdität  bezweifelt  werden  könnte." 

Gerling  fährt  fort: 

„Wir  hatten  gegen  diese  Zeit  [1819]  hier  einen  juristischen  Pro- 
fessor Schweikart,  welcher  ehemals  in  Charkow  gewesen  war, 
und  auf  ähnliche  Ideen  gekommen  war,  indem  er  ohne  Hilfe  der 
euklidischen  Axiome  eine  Geometrie,  die  er  Astralgeometrie  nanute, 
in  ihren  Anfängen  entwickelte.  Was  er  mir  darüber  mittheilte,  schickte 
ich  Gaufs,  der  dann  mittheilte,  wieviel  weiter  man  schon  auf  diesem 
Wege  gekommen  und  später  auch  sich  über  den  grofsen  Gewinn  er- 
klärte, der  in  dem  Appendix  zu  Ihrem  Buche  den  wenigen  Sach- 
keimern  dargeboten  ist." 

Dieser  Brief  von  Gerling  zeigt,  dafs  der  noch  nicht  veröffent- 
lichte Briefwechsel  zwischen  Gaufs  und  Gerling  wertvolle  Aufschlüsse 
über   die    Geschichte   der  nichteuklidischen  Geometrie   enthalten  mufs. 

Glücklicherweise  ist  uns  von  jenem  Gaufs'schen  Briefe  an  Ger- 
ling, der  sich  auf  die  Astralgeometrie  bezog  und  der  wegen  seiner 
frühen  Abfassungszeit,  stammt  er  doch  aus  dem  Jahre  1819,  von 
hervorragender  Bedeutung  ist,  ein  Bruchstück  erhalten,  und  zwar 
in  einem  Schreiben,  das  Schweikart  im  Jahre  1824  seinem  Neffen 
Taurinus  zugehen  liefs.  Wir  verdanken  dieses  Schreiben  der 
Güte  des  Herrn  Pastor  A.  Für  er  in  Merseburg,  der  uns  auch  einen 
weiteren  Brief  von  Schweikart  an  Taurinus,  sowie  einen  Brief  von 
Gaufs  an  Taurinus  zur  Verfügung  gestellt  hat.  Auch  diese  beiden 
Briefe    werden    hier    zum    ersten  Male   zur  Veröffentlichung  gelangen. 


Gerlinff  über  Schweikart.     Brief  von  Schweikart  an  Tauiinus. 


245 


Am  18.  November  1824  schreibt  Schweilcart  von  Köniü'sbcrir 
aus  au  seinen  Neffen  Taurinus  in  Köln: 

„Sehr  richtig  hast  Du  den  Grundfehler  meiner  Demonstrationen*) 
in  dem  Postulat  von  Quadraten  gefunden.  Deiner  Auflösung,  welche 
Dir  alle  Ehre  macht  (wiewohl  sie  schon  mehrere  auf  ähnliche  Art 
versucht  haben)  würde  ich  unbedingt  beytreten,  wenn  nicht  ein  kleiner 
Umstand  im  Wege  stünde. 

„Du  nimmst  an,  dafs  hd  =  df  =  fh,  das  wäre  mir  unbedenklich, 
wenn  Du  von  d,  f,  h  Lothe  auf  die  entgegengesetzte  Linie  fallen 
liefsest ;  allein  Du  läfst 
von  c,  e,  g  Lothe  auf  hlt  ~ 
fallen,  —  wie  willst  Du 
es  nun  machen,  dafs  diese 
gerade  nach  d,f  kommen?  — 
Du  bedarfst  eines  Axioms, 


d 


Ch 


das  auf  gleiche  Art  eines  Beweises  bedarf,  wie  das  Euclidische,  näm- 
lich entweder  das:  wenn  man  in  einem  Punkt**)  d,  der  Linie  hh  ein 
Loth  errichtet,  so  muss  es  hinlänglich  verlängert  die  ag  schneiden; 
oder  das:  wenn  man  auf  der  Linie  ag  einen  überaus  entfernten  Punkt  i 
annimmt  &  von  da  eine  Linie  ik  unter  einem  rechten  Winkel  auf 
die  hh  fallen  läfst,  so  ist  J)li  gröfser,  als  eine  gegebene  Linie  Ith,  Allein 
es  ist  möglich,  dass  die  Punkte  /',  h,  Je,  ob  sie  gleich  alle  hinter  d 
kommen  einem  gewifsen  Punkte  z.  B.  C  sich  immer  mehr  nähern, 
ohne  ihn  jemals  zu  erreichen. 

„Nach  der  neuen  Geometrie,  die  ich,  wie  ich  Dir  einst  nach  Göt- 
tingen schrieb,  gefunden  habe,  verhält  sich  die  Sache  wirklich  so. 
Es  gibt  eine  gewisse  constante  Linie  bC,  welche  alle  Lothe  von  der, 
noch  so  weit  verlängerten  ag  auf  hJi,  nicht  überschreiten  können.  Die 
Winkel  im  Dreyeck  sind  immer  kleiner  als  2  M  und  um  so  kleiner, 
je  gröfser  das  Dreyeck  ist.  Aus  der  Summe  der 
Winkel  läfst  sich  jedenfalls  der  Inhalt  des  Drey- 
ecks  bestimmen  und  umgekehrt.  Der  Satz,  dafs 
ac  &  hd  verlängert  zusammentreffen  müfsen,  wenn 
hac  -\-  al)d  <C  2  B,  ist  unwahr.  Es  hängt  davon 
ab,  wie  gros  ah  ist.  Eben  so  giebt  es  eine 
Constante  für  den  Flächeninhalt  geradliniger  Figuren,  die  sie,  man 
mag  ihre  Seiten  noch  so  gros  machen,  nie  erreichen  können. 

„Auf  eine  Notiz  hierüber,  die  ich  vor  länger  als  5  .Jahren  meinem 


*)  [In  der  Schrift  über  die  Theorie  der  Parallellinien,  vom  Jahre  1807.] 
")  [Im  Original  steht  „auf  einen  Punkt."] 


246  F.  K.  Schweikait  und  F.  A.  Taurinus. 

Frcujule   Gerliug   in  Marljurg   &  dieser  Gaufsen   mitgetheilt  hatte, 
antwortete  letzterer  unter  andern: 

„„Die  Nutiz  von  'Hi  Pr,  Schw.  hat  mir  ungemein  viel  Vergnügen 
gemacht,  und  ich  bitte  ihm  darüber  von  mir  recht  viel  Schönes  zu 
sagen.     Es  ist  mir  fast  alles  aus  der  Seele  geschrieben. 

„„Nur  blos  bey  dem  einen  Artikel,  der  so  anfängt:  ist  diese  Con- 
staute  für  uns  die  halbe  Erdaxe  &  —  &  —  &. 

„„Ich  vermuthe,  dafs  ([ii  Schw.  mit  allem  diesem  einverstanden 
seyu  wird,  was  mich  bey  dem  gänzlichen  Zusammentreffen  seiner 
Ansicht  mit  der  meiuigen  sehr  freuen  wird.  Ich  will  hinzufügen,  dass'^) 
ich  die  Astralgeometrie  (so  hatte  ich  sie  zum  Unterschier^e  genannt) 
so  weit  ausgebildet  habe,  dafs  ich  alle  Aufgaben  vollständig  lösen  Icann, 
sobald  die  Constaute  =  C  gegeben  wird.   & — &.     Die  Gvä7ize  für  den 

TtCC 

Inhalt  eines  ieden  Drevecks  ist  dann: ?r-^ö,  &  also  für  das 

(log.hyp.a-fV-2)- 

Polvijon  "" 


(log.hyp.Cl+l/2,^)-' 

Das  ist  freilich  Alles,  Avas  wir  über  Schweikart  mitteilen 
können,  denn  dieser  hat  —  ebenso  wie  Gaufs  —  seine  Unter- 
suchungen über  die  Astral geometrie  nicht  veröffentlicht,  und  unsre  Be- 
mühungen, in  den  Besitz  von  Aufzeichnungen  aus  seiuem  Nachlasse  zu 
gelangen,  sind  bis  jetzt  ohne  Erfolg  geblieben.  Dagegen  haben  imsre 
Nachforschungen  in  Betreff  jenes  Neffen  Schweikarts,  des  Tau- 
rinus, zu  dem  überraschenden  Ergebnis  geführt,  dafs  auch  Tau- 
rinus für  die  Vorgeschichte  der  uichteuklidischen  Geometrie  von 
Bedeutung  ist:  zuerst  angeregt  durch  seinen  Oheim  Schweikart, 
dann  beeinflufst  durch  Gaufs  hat  er  bemerkenswerte  selbständiffe 
Untersuchungen  angestellt  imd  in  den  Jahren  1825  und  1826  ver- 
öffentlicht. Er  ist  darin  schliefslich  zur  Entwickelimg  einer  nicht- 
euklidischen  Trigonometrie  gelangt  und  hat  somit  einen  wich- 
tigen Teil  der  Ergebnisse  von  Lobatschefskij  und  Bolyai  vorweg 
genommen. 

Über  das  Leben  von  Taurinus  haben  wir  Folgendes  ermittelt: 
Franz  Adolph  Taurinus  ist  am  15.  November  1794  zu  König  im 


*)  [Das  cujsiv  Gedruckte  ist  unsre  Ergänzung,  da  der  Originalbrief  leider 
an  der  betreffenden  Stelle  beschädigt  ist.  Sollten  wir  auch  den  Wortlaut  der 
(T«!t/s"schen  Aufserungen  nicht  c^enau  getroffen  haben,  so  kann  doch  über  ihren 
Sinn  kein  Zweifel  bestehen.  —  Die  Bemerkung  in  runden  Klammem  ist  offenbar  ein 
Zusatz  von  SchiveiJcart.] 


Gauls  über  Schwcikart.  —  Taurinus.    Aus  der  Vorrede  zu  den  Elementa.   247 

Odenwalde  geboren:  seine  Eltern  waren  Julius  Ephraim  Taurinus, 
gräflich  Erbach-Schönbergiseher  Hofrat,  und  Luise  Juliane,  geborene 
Schweikart.  Nachdem  er  in  Heidelberg,  Giefsen  und  Gröttingen 
Rechtswissenschaften  studiert  hatte,  lebte  er  von  1822  an  in  Köln 
ohne  Amt  und  Beruf  und  fand  Mufse,  sich  mannigfachen  wissen- 
schaftlichen Interessen  zu  widmen.  In  Köln  ist  er  auch  hochbetagt 
am  1?).  Februar  1874  gestorben. 

Veröffentlicht  hat  Taurinus  nur  wenig:  1825  ei'schien  seine 
Theorie  der  Parallellinien,  Köln  am  Rhein,  102  S.  8''.  4  Tafehi 
und  im  folgenden  Jahre  als  Fortsetzung  die  Schrift:  Geometriae 
prima  elementa,  Coloniae  Agrippinae,  76  S.    8**.    2  Tafeln. 

In  dem  Vorwort  zu  den  Elementa  hat  Taurinus  auf  Seite 
IV — VI  den  Ursprung  und  Verlauf  seiner  Untersuchungen  über  die 
Parallelentheorie  folgendermafsen  geschildert: 

„Der  erste,  der  mich  auf  das  neue  System  der  Geometrie  auf-(iv) 
merksam  gemacht  hat,  war  ein  mit  mir  verwandter  und  eng  befreun- 
deter Mann,  Schweikart,  Professor  der  Rechte  an  der  Universität 
zu  Königsberg.  Dieser  schrieb  mir  vor  vier  Jahren  ungefähr  fol- 
gendermafsen: Durch  emsiges  Studium  der  Geometrie  sei  er  zu  der 
Überzeugung  gelangt,  dass  es  eine  gewisse  neue  Geometrie  gebe  — 
er  nannte  sie  Astralgeometrie  — ,  bei  der  die  Winkelsumme  im  Dreieck 
kleiner  als  zwei  Rechte  sei,  und  er  habe  zu  seiner  Freude  erfahren, 
dass  der  berühmte  Gaufs,  dem  seine  Entdeckung  mitgeteilt  worden  v 
war,  schon  lange  mit  demselben  Gegenstande  beschäftigt  gewesen 
und  darin  noch  weiter  gekommen  sei. 

„Da  jedoch  unser  Briefwechsel  nicht  fortgesetzt  wurde,  und  da 
ich  selbst  damals  keine  Zeit  zur  Beschäftigung  mit  der  Geometrie 
hatte,  so  kam  es,  dass  ich  meine  Aufmerksamkeit  diesem  Gegenstande 
nicht  eher  wieder  zuwendete,  als  bis  mir  die  1807  in  Jena  er- 
schienene Schrift  desselben  Schweikart  über  die  Parallellinien  in 
die  Hände  fiel. 

„Dieses  Buch  war  mir  deshalb  höchst  willkommen,  weil  ich  daraus 
den  Sinn  und  die  Schwierigkeit  des  Problems  gründlich  kennen  lernte, 
sowie  auch  alle  die  Methoden  zum  Beweise  der  Parallelentheorie,  die 
bis  dahin  bekannt  geworden  waren. 

„Bei  der  Ausarbeitung  der  von  mir  bereits  herausgegebenen  Theorie 
habe  ich  nämlich,  wie  ich  gestehen  muss,  nur  sehr  wenige  Bücher 
benutzt,  hatte  ich  doch  ausser  der  Ausgabe  des  Euklid  von  Lorenz*) 


*)  [Johann  Friedrich  Lorenz  hatte  1773  das  erste  bis  sechste  sowie  das  elfte 
und  zwölfte  Buch  der  Elemente  in   deutscher  Übersetzung  herausgegeben;    diese 


248  F.  K.  Schweikart  uiul  F.  A.  Taurinus. 

kaum  (las  eiue  oder  andere  Elementarbucli  gelesen.  Was  ich  daher 
aus  Camerers  Ausgabe  der  Elemente*)  kennen  lernte  —  einem 
Werke,  das  ich  hochschätze  — ,  das  war  mir  zum  Teil  neu,  besonders, 
dass  ich,  ohne  es  zu  wissen,  auf  Gedanken  gekommen  war,  welche 
denen,  die  man  dem  Italiener  Saccheri  und  unserm  Landsmanne  Lam- 
bert zuschreibt,  sehr  ähnlich  sind.  Ich  für  meine  Person  hatte  diese 
Beweismethode  von  vorn  herein  für  die  beste,  ja  für  die  einzige  ge- 
halten, die  es  ermöglicht,  die  Schwierigkeit  zu  überwinden,  und  habe 
deshalb  kein  Bedenken  getragen,  einige  meiner  Beweise  Gaufs  selber 
mitzuteilen.  Dieser  hat  mir  sogleich  aufs  freundlichste  geantwortet 
VI  und  einiges  über  den  Gegenstand  ^hinzugefügt,  woraus  ich  freilich 
seine  Ansicht  über  die  Sache  nicht  vollständig  habe  erraten  können. 
Möchte  daher  dieser  ausgezeichnete  Mann  seine  Gedanken  über  die 
sauze  Frage,  die  bei  einem  solchen  Geiste  von  unschätzbarem  Werte 
sein  müssen,  baldigst  veröffentlichen!  Mit  mir  werden  alle  Geometer 
ihn   immer   von  Neuem  inständigst  darum  bitten. 

„Zur  Abfassung  des  vorliegenden  Büchleins  bin  ich  um  so  lieber 
geschritten,  als  meine  Theorie,  der  ich  nur  ziemlich  wenig  Zeit  ge- 
widmet hatte,  noch  nicht  öffentlich  besprochen  worden  ist**),  und 
ausserdem  vieles  enthält,  was  mir  selbst  bereits  nicht  mehr  gefällt. 
Übrigens  ging  meine  Absicht  besonders  dahin,  die  Analogien  ZAvischeu 
den  verschiedenen  Geometrien  deutlicher  hervortreten  zu  lassen.  Ob 
mir  das  einigermassen  gelungen  ist,  das  zu  entscheiden  überlasse  ich 
dem  Urteile  erfahrener  Männer,  die ,  wie  ich  zuversichtlich  hoffe, 
wenigstens  meine  eifrigen  Bemühungen,  die  Wissenschaft  der  Geometrie 
zu  fördern,  anerkennen  und  mir  gewogen  sein  werden. 
„Köln  am  Rhein,  den  1.  December  1825." 

Dafs  Taurinus  zu  seinen  Untersuchungen  über  die  Parallelen- 
theorie durch  Schweikart  angeregt  worden  ist,  bestätigt  einmal  eine 
Stelle  seiner  Theorie  der  Parallellinien,  die  wir  S.  261  mitteilen 
werden,  noch  deutlicher  jedoch  ein  Brief,  den  Schweikart  am 
1.  Oktober  1820  aus  Marburg  an  Taurinus  abgehen  liefs,  der  da- 
mals in  Göttingen  Jura  studierte.     In  diesem  Briefe  heifst  es: 

„Was  die  Mathematik  betrifft,   so  überzeugte  mich  das,  was  Du 

Euklid-Übersetzung  ist  wiederholt  neu  aufgelegt  worden  und  war  in  Deutschland 
sehr  verbreitet.] 

*)  [Euclidis  Elementa  graece  et  latine,  ed.  Camerer  et  Hauber.  Bd.  I.  Berlin 
1824.  Der  Exciirsii-s  ad  Elementornm  I.  29  enthält  eine  wertvolle  Geschichte  der 
Versuche,  die  fünfte  Forderung  zu  beweisen;  für  das  Folgende  kommen  beson- 
ders die  Ausführungen  auf  S.  423 — 426  in  Betracht.] 

**)  [Eine    wohlwollende  Besprechung   der  Parallelentheorie  von  Taurinus   ist 
im  September  1827  in  der  Alhjemcinen  Deutschen  Litteraturzeitung  erschienen.] 


Aus  der  Vorrede  zu  den  Elementa.     Schweikart  und  Giiul's  an  Taurinus.  249 

schriebst,    dafs  ich  mich  auch  in   diesem  Punkte  nicht  in  Dir  geirrt 
hatte.  — 

„Durch  meine  vieljährigen  Studien  bin  ich  zuletzt  zu  der  Einsicht 
gelangt,  dafs  unsere  Geometrie  nur  eine  relative  Wahrheit  habe,  und 
dafs  es  eine  höhere,  welche  ich  die  Astralgeometrie  nenne,  gebe,  nach 
vs^elcher  z.  B.  die  Winkel  im  Dreyecke  kleiner  als  2  rechte  sind  und 
immer  mehr  abnehmen,  jemehr  der  Inhalt  wächst,  ja  dafs  mit  der 
Gröfse  der  Winkel  auch  der  Inhalt  und  umgekehrt  gegeben  ist. 

„Zu  meiner  Freude  erfuhr  ich,  dass  der  berühmte  Gaufs  schon 
lange  auf  demselben  Wege  und  darauf  schon  weit  vorgeschritten  ist. 
In  kurzer  Zeit  würde  ich  Dich  in  diese  Ansicht  einführen  können 
und  Deinem  Erfindungstriebe  ein  weites  Feld  eröffnen.'^ 

Es  folgt  eine  Einladung  an  Taurinus,  nach  Königsberg  zu 
kommen,  die  jedoch  abgelehnt  wurde. 

Erst  seit  dem  Jahre  1824  scheint  Taurinus  sich  eingehender 
mit  der  Parallelentheorie  beschäftigt  zu  haben.  Die  Ergebnisse,  zu 
denen  er  kam,  hat  er  dann  Schweikart  und  Gaufs  vorgelegt. 
Das  Antwortschreiben  Schweikarts  vom  18.  November  1824  ist 
schon  auf  Seite  245 — 246  mitgeteilt.  Wir  lassen  nunmehr  auch  das 
Schreiben  von  Gaufs  folgen: 
„Ewr.  Wohlgeboren 

gefälliges  Schreiben  vom  30  Oct.  nebst  dem  beigefügten  kleinen 
Aufsatz  habe  ich  nicht  ohne  Vergnügen  gelesen,  um  so  mehr,  da  ich 
sonst  gewohnt  bin,  bei  der  Mehrzahl  der  Personen,  die  neue  Versuche 
über  die  sogenannte  Theorie  der  Parallellinien  [machen,]  gar  keine 
Spur  von  wahrem  geometrischen  Geiste  anzutreffen. 

„Gegen  Ihren  Versuch  habe  ich  nichts  (oder  nicht  viel)  anderes 
zu  erinnern  als  dafs  er  unvollständio;  ist.  Zwar  lässt  Ihre  Darstelluns* 
des  Beweises,  dafs  die  Summe  der  drei  Winkel  eines  ebnen  Dreiecks 
nicht  grösser  als  180*^  seyn  kann  in  Rücksicht  auf  geometrische 
Schärfe  noch  zu  desideriren  übrig.  Allein  dies  würde  sich  ergänzen 
lassen,  und  es  leidet  keinen  Zweifel  dafs  jene  Unmöglichkeit  sich  auf 
das  allerstrengste  beweisen  läfst.  Ganz  anders  verhält  es  sich  aber' 
mit  dem  2".  Theil,  dafs  die  Summe  der  Winkel  nicht  kleiner  als  180" 
seyn  kann;  dies  ist  der  eigentliche  Knoten,  die  Klippe  woran  alles 
scheitert.  Ich  vermuthe,  dafs  Sie  sich  noch  nicht  lange  mit  diesem 
Gegen  stände  beschäftigt  haben.  Bei  mir  ist  es  über  30  Jahr,  und 
ich  glaube  nicht,  dafs  jemand  sich  eben  mit  diesem  2".  Theil  mehr 
beschäftigt  haben  könne  als  ich  obgleich  ich  niemals  etwas  darüber 
bekannt  gemacht  habe.  Die  Annahme,  dafs  die  Summe  der  3  Winkel 
kleiner  sei  als  180*^,  führt  auf  eine  eigne  von    der  unsrigen  (Euclidi- 


250  i^-  K.  Schweikait  und  F.  A.  T;iurinus. 

sclieji)  gauz  verschiedene  CTeometrie,  die  in  sich  selbst  durchaus  con- 
sequent  ist,  und  die  ich  für  mich  selbst  ganz  befriedigend  ausgebildet 
habe,  so  dafs  ich  jede  Aufgabe  in  derselben  auflösen  kann  mit  Aus- 
nahme der  Bestimmung  einer  Constante,  die  sich  a  priori  nicht  aus- 
mitteln  Uifst.  Je  grösser  man  diese  Constante  annimmt,  desto  mehr 
niihert  man  sich  der  Euclidischen  Geometrie  und  ein  unendlich  grofser 
AVertli  macht  beide  zusammenfallen.  Die  Sätze  jener  Geometrie 
scheinen  zum  Theil  paradox,  und  dem  Ungeübten  ungereimt;  bei  ge- 
nauerer ruhiger  Überlegung  findet  man  aber,  dafs  sie  an  sich  durch- 
aus nichts  unmögliches  enthalten.  So  z.  B.  können  die  drei  Winkel 
eines  Dreiecks  so  klein  werden  als  man  nur  will,  wenn  man  nur  die 
Seiten  grofs  genug  nehmen  darf,  dennoch  kann  der  Flächeninhalt 
eines  Dreiecks,  wie  grols  auch  die  Seiten  genommen  werden,  nie  eine 
bestimmte  Grenze  überschreiten,  ja  sie  nicht  einmahl  erreichen.  Alle 
meine  Bemühungen  einen  Widerspruch,  eine  Inconsequenz  in  dieser 
Nicht -Euclidischen  Geometrie  zu  finden  sind  fruchtlos  gewesen,  und 
das  Einzige  was  unserm  Verstände  darin  widersteht,  ist  dafs  es,  wäre 
sie  wahr,  im  Raum  eine  an  sich  bestimmte  (obwohl  uns  unbekannte) 
Lineargrösse  geben  müfste.  Aber  mir  deucht,  wir  wissen,  trotz  der 
Nichts  Sagenden  AVort-Weisheit  der  Metaphysiker  eigentlich  zu  wenig 
oder  gar  nichts  über  das  wahre  Wesen  des  Raumes,  als  dafs  wir 
etwas  uns  unnatürlich  vorkommendes  mit  Absolut  Unmöglich  ver- 
wechsehi  dürfen.  Wäre  die  Nicht-Euclidische  Geometrie  die  wahre, 
und  jene  Constante  in  einigem  Verhältnifse  zu  solchen  Grössen  die  im 
Bereich  unsrer  Messungen  auf  der  Erde  oder  am  Himmel  liegen,  so 
liefse  sie  sich  a  posteriori  ausmittelu.  Ich  habe  daher  wohl  zuweilen 
im  Scherz  den  Wunsch  geäufsert,  dafs  die  Euclidische  Geometrie 
nicht  die  Wahre  wäre,  weil  wir  dann  ein  absolutes  Maass  a  priori 
haben  würden. 

„Von  einem  Manne,  der  sich  mir  als  einen  denkenden  Mathema- 
tischen Kopf  gezeigt  hat,  fürchte  ich  nicht,  dafs  er  das  Vorstehende 
misverstehen  werde:  auf  jeden  Fall  aber  haben  Sie  es  nur  als  eine 
Privat-Mittheilung  anzusehen,  von  der  auf  keine  Weise  ein  öfi'entlicher 
oder  zur  Oefi'entlichkeit  führenkönnender  Gebrauch  zu  machen  ist. 
Vielleicht  werde  ich,  wenn  ich  einmahl  mehr  Mufse  gewinne,  als  in 
meinen  gegenwärtigen  Verhältnifsen ,  selbst  in  Zukunft  meine  Unter- 
suchungen  bekannt  machen. 

„Mit  Hochachtung  verharre  ich 

Ewr  Wohlgeboren 
Göttingen  den  8  November  ergebenster  Diener 

1824.  CFGaufs." 


Gauls  an  Tauiinus.     Der  Stamlpunkt  des  Taurinus.  251 

Wir  glauben  nicht  fehlzugeben,  wenn  wir  annehmen,  dafs  der 
Aufsatz,  den  Taurinus  an  Scbweikart  und  Graufs  gesandt  hat, 
im  Wesentlichen  das  enthielt,  was  die  ersten  87  Seiten  der  Theorie 
der  Parallellinien  ausmacht.  Diese  Untersuchungen  bezwecken,  die 
Euklidische  Geometrie  als  die  einzig  zulässige  nachzuweisen.  Dafs  es 
möglich  sei,  diesen  Nachweis  zu  führen,  sobald  man  nur  das  Axiom 
der  geraden  Linie  voraussetzt,  das  heifst  fordert,  dafs  die  Gerade 
durch  zwei  Punkte  vollständig  und  eindeutig  bestimmt  ist,  davon  ist 
Taurinus  fest  überzeugt  gewesen.  Freilich  zeigt  die  Nachschrift 
(S.  88—93)  und  noch  mehr  der  Nachtrag  (S.  95—102)  zu  seiner 
Theorie  der  Parallellinien,  dafs  er  schon  1825  nicht  umhin  konnte, 
die  innere  Konsequenz  des  „dritten  Systems  der  Geometrie"  an- 
zuerkennen, das  heifst,  des  Systems,  bei  dem  die  Summe  der  Drei- 
eckswinkel weniger  als  zwei  Rechte  beträgt.  Aber  er  suchte  die 
Euklidische  Geometrie  auch  jetzt  noch  zu  retten,  indem  er  an  der 
unendlichen  Menge  derartiger  geometrischer  Systeme  Anstofs  nahm, 
denn  diese  Systeme  sind  ja  eben  so  zahlreich,  wie  die  Systeme  sphä- 
rischer Geometrien. 

Auch  die  1825  verfassteu  und  1826  veröffentlichten  Geometriae 
prima  elementa  bedeuten  in  dieser  Hinsicht  keinen  Fortschritt: 
Taurinus  stellt  sich  auch  hier  noch  durchaus  auf  den  Boden  der 
Euklidischen  Geometrie.  Dies  ist  um  so  wunderbarer,  als  er  die 
Widerspruchslosigkeit  des  dritten  Systems  oder,  wie  er  jetzt  sagt, 
der  logarithmisch- sphärischen  Geometrie,  klar  erkannt  und 
sogar  die  zugehörige  Trigonometrie  entAvickelt  und  auf  eine  Reihe 
von  elementaren  Aufgaben  mit  Erfolg  angewandt  hatte.  So  tiefe 
Wurzeln  hatte  die  zweitausendjährige  Autorität  Euklids! 

Was  die  Einzelheiten  betrifft,  so  verweisen  wir  auf  die  Auszüge 
aus  den  Schriften  von  Taurinus,  die  wir  im  Folgenden  mitteilen 
werden.  Wir  haben  uns  dabei  auf  das  Wichtigste  beschränkt  und 
bemerken  noch,  dafs  die  Theorie  der  Parallellinien  von  1825  in 
den  Königlichen  Bibliotheken  zu  Berlin  und  Dresden,  sowie  in  den 
Universitätsbibliotheken  zu  Bonn  und  Jena  vorhanden  ist,  während 
die  Geometriae  prima  elementa  nur  im  Besitze  der  Universitäts- 
bibliothek zu  Bonn  sind.  Die  Elementa  gehören  zu  den  seltensten 
Schriften,  welche  die  Bücherkunde  aufzuweisen  hat.  Man  findet  sie 
in  keinem  der  bis  jetzt  veröffentlichten  Verzeichnisse  von  Schriften 
über  die  Parallelentheorie  und  die  Grundlagen  der  Geometrie  aufgeführt. 
Wir  haben  von  dem  Vorhandensein  der  Elementa  erst  durch  Herrn 
Pastor  A.  Für  er  Kunde  erhalten;  wie  dieser  mitteilt,  hat  Taurinus 


252  1''.  K.  Schweikart  und  F.  A.  Tauriiius. 

einige  wenige  Exemplare  der  auf  eigoiie  Kosten  gedruckten  Elementa 
an  Freunde  verschenkt  sowie  mathematiscben  Autoritäten  übersandt 
und  hat  später  aus  Unmut  darüber,  dafs  seine  Bestrebungen  keine 
Anerkennung  fanden,  den  Rest  der  Auflage   den  Flammen  überliefert. 

Fassen  wir  schliefslich  die  Ergebnisse  unsrer  Nachforschungen 
zusammen,  so  können  wir  sagen,  dafs  Schweikart  und  Taurinus 
ein  bis  jetzt  nicht  beachtetes,  jedoch  sehr  beachtenswertes  Mittelglied 
bilden  zwischen  Saccheri  und  Lambert  einerseits  und  Gaufs,  Lobat- 
schefskij  und  Bolyai  andrerseits. 

Schweikarts  Leistung  besteht  darin,  dafs  er  selbständig  die 
Möglichkeit  und  die  Berechtigung  einer  nichteuklidischen  Geometrie 
klar  erkaunt  und  ausgesprochen  hat,  und  in  dieser  Beziehung  ist  er 
mit  Gaufs  gleichberechtigt.  Da  er  jedoch  in  der  Ausbildung  seiner 
neuen  Geometrie  nicht  über  die  Anfänge  hinaus  gekommen  zu  sein 
scheint,  so  können  wir  ihn  nicht  mit  Gaufs,  Lobatschefskij  und 
Bolyai  in  eine  Linie  stellen. 

Taurinus  konnte  sich  nicht  zu  der  Freiheit  der  Auffassung:  er- 
heben,  durch  die  sich  Gaufs  und  Schweikart  auszeichnen;  er  war 
ebenso  wie  Saccheri  und  Lambert  von  der  unbedingten  Wahrheit 
der  Euklidischen  Geometrie  überzeugt.  Aber  während  schon  Saccheri 
den  Kampf  gegen  die  widerspenstige  Hypothese  des  spitzen  Winkels  nur 
mühsam  durchgeführt  hatte,  und  Lambert  diesen  Kampf,  Avie  wir  an- 
nehmen dürfen,  abgebrochen  hat,  so  sah  sich  Taurinus  genötigt,  die 
Widerspruchsfreiheit  des  „dritten  Systems"  anzuerkennen,  versuchte  aber 
die  Alleinherrschaft  der  Euklidischen  Geometrie  dadurch  zu  retten,  dafs 
er  sich  auf  die  Vielheit  der  Geometrien  des  dritten  Systems  berief  und 
diese  für  unzulässig  erklärte.  Das  sind,  um  mit  Lambert  zu  reden, 
„argumenta  ab  amore  et  inuidia  ducta",  die  aus  der  Wissenschaft  zu 
verbannen  sind.  Jedoch  ist  Taurinus  vermöge  seiner  Erkenntnis 
von  der  Widerspruchsfreiheit  der  neuen  Geometrie  in  der  Ausbildung 
dieser  Geometrie  viel  weiter  vorgedrungen  als  Saccheri  und  Lam- 
bert und  ist  sogar  durch  einen  genialen  Gedanken,  dem  Lambert 
schon  sehr  nahe  gewesen  war,  zu  einer  nichteuklidischen  Trigono- 
metrie gelangt,  wie  sie  später  Lobatschefskij  und  Bolyai  auf 
systematischem  Wege  ausgebildet  haben.  Endlich  war  sich  Taurinus, 
ebenso  wie  Lambert,  darüber  vollkommen  klar,  dafs  das  geometrische 
System,  das  aufser  dem  Euklidischen  und  dem  logarithmisch-sphä- 
rischen noch  möglich  ist,  auf  der  Kugel  seine  Verwirklichung  findet, 
eine  Einsicht,  der  man  erst  bei  Riemann  wieder  begegnet. 


Litteratur  zu  Schweikart  und  Taurinus.  253 


Litteratur. 

Baltzer,  R.,  Elemente  der  Mathematilc.  Bd.  2.  Zweite  Auflage.  Leipzig  18G7. 
S.  III.     S.  13—17.     S.  146. 

Bartels,  J.  M.  C,  Vorlesungen  über  mathematiseJie  Analysis.  Herausgegeben  von 
F.  Gr.  W.  Struve.     Dorpat  1837.     (Enthält  eine  Biographie  von  Bartels.) 

Battaglini,  Sulla  Scienza  dello  Sxxizio  assolutamente  vera ,  ecl  indipendtnte  della 
veritä  o  della  falsitä  delV  assioma  XI  di  Euclide,  giammai  da  potersi  decidere 
a  2Jriori  par  Giovanni  Bolyai  (versione  dal  latino).  Giornale  di  Matema- 
tiche  ad  uso  degli  studenti  delle  universitä  italiane  pubblicato  per  cura  del 
Prof.  G.  Battaglini.     Vol.  VI.     1868. 

Frischauf,  J.,  Absolute  Geometrie  nach  Johann  Bolyai.    Leipzig  1872. 

Grün  er  t,  J.,  Über  den  neuesten  Stand  der  Frage  von  der  Theorie  der  Parallelen. 
Grunerts  Archiv.     Teil  47.     Greifswald  1867.     S.  307—327. 

Halsted,  Georg  Bruce,  Geometrical  Besearches  on  the  theory  of  parallel s  by  NicJio- 
laus  Lobatschevslcy.     Austin  [1891]. 

Halsted,  Georg  Bruce,  Science  Absolute  of  Space  of  Johann  Bolyai.  Austin  [1891.] 

Hoüel,  Etudes  geometriques  sur  la  theorie  des  paralleles  par  J.  N.  Lob at sehe  wsky, 
traduit  de  l'Allemand.  Suivie  d'un  extrait  de  la  Correspondance  de  Gauss  et 
Schumacher.  Paris  1866.  Zuerst  veröffentlicht  in  den  Memoires  de  la  Societe 
des  sciences  physiques  et  naturelles  de  Bordeaux.  Tome  IV".  S.  83 — 128.  Bor- 
deaux 1866. 

[Hoüel]  La  science  absolue  de  l'espiace  independaute  de  la  verite  ou  de  la  faussete 
de  l'Axiome  XI  d'Euclide  (que  Ton  ne  pourra  jamais  etablir  a  priori);  suivie 
de  la  quadrature  geometrique  du  cercle,  dans  le  cas  de  la  faussete  de 
l'Axiome  XL  Par  Jean  Bolyai,  Capitaine  au  Corps  du  Genie  dans  l'armt'e 
autrichienne.  [Traduit  du  Latin  par  J.  Hoüel].  Precede  d'une  notice  sur  la 
vie  et  les  travaux  de  W.  et  J.  Bolyai  par  M.  Fr.  Schmidt,  Architecte  ä 
Temesvär.  Paris  1868.  Zuerst  veröffentlicht  in  den  Memoires  de  la  Societe 
des  sciences  physiques  et  naturelles  de  Bordeaux.     Tome  V.    Bordeaux  1867. 

Justi,  K.  W.,  Grundlage  zu  einer  Hessischen  Gelehrten-^  Schriftsteller-  und  Künstler- 
geschichte vom  Jahre  1806  bis  zum  Jahre  1830.     Marburg  1831.     S.  622. 

Klein,  F.,  Nicht-EuJclidische  Geometrie.  Vorlesung  gehalten  im  Wintersemester 
1889—90.     Autographirt.     Göttingen  1893. 

Lobatschefskij,  N.  J.,  Polnoje  sobranije  sotschinenij  po  geometrii.  Bd.  I,  die 
russisch  geschriebenen  Arbeiten  enthaltend,  Kasan  1883.  Bd.  IT,  die  deutsch 
und  die  französisch  geschriebenen  Arbeiten  enthaltend,  Kasan  1886.  Bd.  II 
führt  auch  den  Titel:  Collection  complete  des  oßuvres  geometriqiies  de  N.  J. 
Ijobatscheffsky. 

Poggendorff,  Artikel  Schweikart  in  dem  Biographisch-litterarischen  Handwörter- 
buch.    Leipzig  1863.     4».     Bd.  2.     S.  876. 

Sartovius,  W.,  von  Waltershausen,  Gaufs  zum  Gedächtnifs.     Leipzig  1856. 


254  Litteratur  zu  Schweikart  und  Taurinus. 

Schmidt,  ¥.,  Aus  dem  Leben  zioeier  ungarischer  Mathematiker,  Johann  und  Wolf- 
gang Bohjai  von  Bohja.     Grunerta  Archiv.     Bd.  48.     1868.     S.  217. 

Die  unter  [Hoüel]  erwähnte  Kotice  Sur  la  vie  et  les  travaux  de  W.  et. 
J.  Bolyai  ist  eine  Übersetzung  dieser  Mitteilungen.  Ferner  giebt  es  eine 
italienische  Übersetzung  (A.  Forti):  Intorno  alla  vita  ed  agli  scritti  dt  Wolf- 
gang c  Giovanni  Bolyai  di  Bolya  matematici  ungheresi  in  dem  Bulletino  di 
Bibliografia  e  di  storia  delle  scienze  matematiche  et  fisiche.    t.  I.    Rom  1868. 

Scriba,  H.  E.,  Biograj)hisch-literärisches  Lexicon  der  Schriftsteller  des  Grofsherzog- 
thtims  Hessen  im  ersten  Viertel  des  neunzehnten  Jahrhundeiis.  Erste  Abthei- 
lung.    Darmstadt  1831.     S.  382  (Schweikart),  S.  403  (Taurinus). 

Wassiljef,  A. ,  Nicolai  Ivänovieh  Lohachevsky ,  Address  pronounced  October  22, 
1893.  Translated  by  6.  B.  Halsted.  Austin,  Texas.  1894.  S.  9.  Eine  von 
F.  Engel  bearbeitete  Übersetzung  des  russischen  Originals  wird  im  Laufe 
des  Jahres  1895  bei  B.  G.  Teubner  in  Leipzig  erscheinen. 

Winter,  Artikel  Schweikart  in  der  Allgemeinen  Deutschen  Biographie.  Bd.  33. 
Leipzig  1891.     S.  388. 


THEORIE 


DER 


»li^ii2,r^]^^Mmi^ 


F.  A.  TAURINUS. 


verum  curo  et  rogo. 

HORAT. 


MIT  DREI  STEINTAFELN. 


GEDRUCKT   UNO  ZU   HABEN  BEI  .lOHANN   PETER  BACHEiM. 


1  8  2  5. 


Was  die  hier  aufgestellte  Theorie  der  Parallellinien  betrifft,  so  (81) 
giebt  gleich  der  51.  Satz  zu  einer  äufserst  interessanten  Bemerkung 
Anlafs.  In  diesem  Satze  wird  bewiesen,  dafs,  unter  der  Voraussetzung, 
die  Summe  der  Winkel  eines  Vierecks  könne  gröfser  |  sein,  als  vier  82 
Kechte  (oder,  was  auf  eins  hinausläuft,  die  Summe  der  Dreiecks- 
winkel gröfser,  als  zwei  Rechte)  alle  Linien,  die  auf  einer  andern 
senkrecht  stehen,  sich  in  zwei  Puncten  in  gleicher  Entfernung  zu 
beiden  Seiten  schneiden.  Daraus  ergiebt  sich  der  offenbarste  Wider- 
spruch mit  dem  Axiom  der  geraden  Linie  f),  und  ein  solches  geome- 
trisches System  kann  nicht  geradlinig  sein:  weiter  aber  erstreckt  sich 
auch  die  Unmöglichkeit  nicht:  man  gelangt  vielmehr  zu  der  klarsten 
Ueberzeugung ,  dafs  ein  consequentes  System  der  Art  nichts  anderes 
ist  und  nichts  anderes  sein  kann,  als  ein  System  von  grÖfsten  Kreisen 
auf  der  Oherfläche  einer  Kugel  oder  eine  sphärische  Geometrie. 

Wenn  es  ein  Mittel  gäbe,  sich  zu  überzeugen,  dafs  die  Linien, 
die  man  zeichnet  oder  sich  denkt,  alle  gerade  und  in  einer  Ebene 
befindlich  wären,  so  müfste  nach  unserer  Einsicht  sich  ohne  Mühe  er- 
geben haben,  dafs  die  Euklidische  Geometrie  die  einzige  ebene  gerad- 
linige Geometrie  sein  kann  und  die  Theorie  der  Parallellinien  würde 
nie  die  mindeste  Schwierigkeit  gemacht  haben.  Allein  es  ist  nicht 
möglich,  bei  allen  denkbaren  Constructionen  die  Anschauung  der  Ebene 
festzuhalten,  und  so  kann  es  geschehen,  dafs  man  der  geraden  Linie 
Eigenschaften  beilegt,  die  sie  nicht  hat,  und  der  Widerspruch  sich 
nicht  sogleich  an  den  Tag  legt.  Bogen  eines  und  desselben  Kreises 
haben  alle  Eigenschaften  gerader  Linien;  sie  sind  sich  ähnlich  in  allen 
ihren  Theilen  und  bringen  ähnliche  Erscheinungen  hervor,  ob  sie  sich 
gleich  nicht  in  jeder  Lage  decken.  In  der  That  wird  man  sich  \  leicht  83 
überzeugen,  dafs  zu  der  Möglichkeit  eines  consequenten  geometrischen 
Systems  nichts  gehört,  als  ein  System  von  gleichen  Linien  in  einer 
zusammenhängenden  ebenen  oder  gekrümmten  Fläche. 

Es  wäre  zu  wünschen,  dafs  in  dem  entgegengesetzten  Falle,  wenn 
die  Winkel    des  Dreiecks    zusammen    weniger    als    zwei  Rechte    aus- 


t)  [S.  22:   „Besonderer    Grumhatz    der   Geometrie.      Zwischen   zwei  Puncten 
ist  nur  eine  gerade  Linie  möglieb."] 

Stäckel  u.  Engel,  Paralleleutheorie.  17 


258  F.  A.  Taurinus. 

machen  —  iiiid  wenn  diefs  bei  einem  einzigen  statt  fände,  so  konnte 
es  bei  allen  Dreiecken  nicht  anders  sein  —  der  Widerspruch  mit  dem 
Axiom  der  geraden  Linie  sich  eben  so  leicht  aufdecken  liefse:  allein 
diefs  scheint  mit  weit  gröfserer  Schwierigkeit  verbunden.  Wir  wollen 
indessen  den  Weg  nachzeigen,  der  unserer  Einsicht  nach  zu  dem  ge- 
wünschten Ziele  führen  könnte. 

[Taurinus  führt  (S.  83  —  86)  folgende  Gründe  an: 

1)  Es  wäre  alsdann  die  Folge,  dafs  {gerade}  „Linien  theilweise  zu- 
sammenfallen und  dann  auseinanderlaufen  würden,  was  bei  geraden  Linien 
doch  gewifs  nicht  der  Fall  sein  kann";  es  ist  das  genau  die  Widerlegung 
der  Hypothese  des  spitzen  Winkels,  die  man  bei  Saceheri  (Seite  122)  findet. 

2)  „Es  giebt  { in  der  Ebene }  nur  zwei  Arten  von  Linien,  die  sich  in 
allen  ihren  einzelnen  Tbeilen  gleich  nnd  ähnlich  sind:  die  geraden  Linien 
und  Bogen  eines  und  desselben  KJreises:  eine  solche  Aehnlichkeit  der  Linien 
wird  aber  zur  Möglichkeit  eines  geometrischen  Systems  nothwendig  voraus- 
gesetzt." Nun  können  es  keine  Kreisbogen  sein,  .,und  sind  sie  gerade  Linien, 
so  folgt  unwidersprecblicb,  dafs  das  Euklidische  Sj'Stem  das  einzige  ebene 
und  geradlinige,  jedes  andere  aber  uneben  und  krummlinig  sei."] 

(86)  Eine  tiefere  Untersuchung  über  die  wahre  Natur  des  dritten 
Systems  (in  welchem  die  Winkel  eines  Dreiecks  noch  keine  zwei 
Rechte  zusammen  ausmachen)  liegt  aufserhalb  dem  Zweck  dieser 
Darstellung  und  wir  gestehen,  dafs  sie  imsere  Kräfte  übersteigen 
möchte. 

Dafs  in  einem  geradlinigen  Viereck  die  Summe  der  Winkel  gröfser 
als  vier  Rechte  sei,  ist  absolut  unmöglich:  dagegen  können  in  einem 
unebenen  geradlinigen  Vierecke  sehr  wohl  drei  rechte  und  ein  spitzer 
Winkel  sein,  aber  man  überzeugt  sich  sogleich,  dafs  ein  solches  un- 
ebenes Viereck  nicht  die  CTrundlage  eines  geometrischen  Systems  sein 
kann,  dafs  dazu  wenigstens  eine  regelmäfsige  zusammenhängende 
Fläche  gehört. 

Wir  haben  gegen  die  Annahme  eines  solchen  Systems  als  gerad- 
linig noch  folgendes  einzuwenden: 

1.  Es  widerspricht  aller  Anschauung.  Es  ist  wahr,  ein  solches 
System  würde  im  Kleinen  die  nemlichen  Erscheinungen  dar- 
bieten können,  wie  das  Euklidische:  allein,  wenn  die  Vorstellung 
des  Raumes  als  die  blofse  Form  der  üufsern  Sinne  betrachtet  werden 
darf,  so  ist  unstreitig  das  Euklidische  System  das  wahre  und  es  läfst 
sich  nicht  annehmen,  dafs  eine  beschränkte  Erfahrimg  eine  sinnliche 
Täuschung  erzeugen  könne. 

2.  Das    Euklidische    System    ist    die    Grunze   des    ersten    (wo   die 
87  Dreieckswinkel  mehr  als  zwei  Rechte  |  ausmachen):  mit  dieser  Gränze 


■  Stücke  aus  der  Theorie  der  Parallellinien.     1825.  259 

hört   der  Widerspruch,    der   sich   mit  dem  Axiom   der  geraden   Linie 
findet,  auf. 

3.  Wäre  das  dritte  System  das  wahre,  so  gäbe  es  überhaupt  keine 
Euklidische  Geometrie,  da  doch  ihre  Möglichkeit  nicht  geläugnet 
werden  kann. 

4.  Es  findet  sich  bei  der  Voraussetzung  eines  solchen  Systems 
als  geradlinig  kein  stetiger  Uebergang:  die  Winkel  eines  Dreiecks 
könnten  nur  mehr  oder  weniger,  als  zwei  Rechte  ausmachen. 

5.  Dieses  System  würde  ganz  paradoxe  Folgen  haben,  die  allen 
Vorstellungen  geradezu  widersprechen:  man  wird  geneigt,  dem  Raum 
Eigenschaften  beizulegen,  die  er  nicht  haben  kann. 

6.  Alle  vollkommene  Aehnlichkeit  der  Flächen  und  Kör- 
per fällt  weg,  und  doch  scheint  dieser  Begriff  in  der  Anschauung 
gegründet  und  ein  wahres  Postulat  zu  sein. 

7.  Das  Euklidische  System  ist  auf  jeden  Fall  das  vollkommenste 
und  schon  deshalb  spricht  die  höchste  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dafs 
es  auch  das  wahre  sei. 

8.  Die  innere  Cousequeuz  des  dritten  Systems  ist  kein  Grund, 
es  als  ein  geradliniges  zu  betrachten:  es  findet  sich  in  demselben  nur 
bis  jetzt  kein  Widerspruch  mit  dem  Axiom  der  geraden  Linie,  wie  in 
dem  andern f). 

Was  das  dritte  System  nun  eigentlich  sei,  ob  etwa  ein  System 
von  Linien  auf  der  Oberfläche  einer  Kugel,  die  durch  ebene  Schnitte 
entstehen  —  ob  es  Linien  enthalte,  die  gleich  sein  können,  ohne  dabei 
allemal  ähnlich  zu  sein  und  sich  zu  |  decken  —  oder  ob  es  vielleicht  88 
auf  etwas  Unmögliches  führeff),  lassen  wir  dahin  gestellt  sein  und 
sprechen  zum  Schlüsse  unsere  Ueberzeugung  dahin  aus,  dafs  es  ein 
solches  System  allerdings  gebe;  dafs  wir  aber  zweifeln,  ob  es  eine  ge- 
radlinige und  eine  ebene  Geometrie  sein  werde. 

\^Aiis  der  Nachschrift  teilen  wir  folgende  Stelle  mit:] 

Es  läfst  sich  sehr  leicht  zeigen,  dafs   ein  geometrisches  System,(89) 
in   welchem   weniger   als    zwei  Rechte  im  Dreieck   enthalten  sind,   an 
sich  nicht   bestimmt   ist,    sondern   eine   besondere  Bestimmungso-rörse 
oder    Constante    erfordert.      Hieraus    ergiebt    sich    sogleich,    dafs    es 
a  priori   gar   keine    andere  Geometrie,    als    die  |  Euklidische    für    uns  90 


t)  [Diesen  Einwand  hat  Taurinus  später  fallen  lassen ;  vergleiche  S.  96  seiner 
Theorie  der  Parallellinien,  hier  S.  201  unten.] 

tt)  [Man    erinnere    sich    an    Lamberts    imaginäre    Kugel    (S.    145    dieses 
Werkes.)] 


17 


2G0  F.  A.  Tauriuus. 

giebt,  weil  eine  solche  Coustante  ganz  willkührlicli  augeiiommen 
werden  kannf). 

Man  denke  sich  im  Raum  drei  feste  Puncte,  die  nicht  in  gerader 
Linie  liegen,  durch  Linien  verbunden.  Einer  jeden  willkührlichen  An- 
nahme der  Winkelsumme  in  dem  so  entstandenen  Dreieck  entspricht 
auch  eine  besondere  Natur  der  drei  Linien;  denn  die  Winkel  hängen 
durchaus  von  der  Natur  der  Linien  ab  und  die  Constante,  die  dem 
geometrischen  System  zum  Grunde  liegt,  hat  unmittelbar  nur  auf  die 
Beschaffenheit  der  Linien  Einflufs.  Die  Linien  des  Dreiecks  sind  also, 
so  lange  es  noch  einer  Constante  bedarf,  durch  die  zwei  Puncte, 
zwischen  welchen  sie  liegen,  nicht  bestimmt;  daher  sind  sie,  wenn  sie 
auch  gerade  Linien  sein  könnten,  doch  nicht  von  der  Art,  wie  die- 
jenige, die  die  Grundlage  unserer  Geometrie  ausmacht:  denn  diese  soll 
durch  zwei  Puncte  vollkommen  bestimmt  sein.  Nun  bedarf  es  nur  in 
dem  Falle  keiner  Coustante,  wenn  die  Dreieckswiukel  zwei  Rechte 
ausmachen;  also  kann  auch  nur  in  diesem  Falle  die  gerade  Linie 
schon  durch  zwei  Puncte  bestimmt  sein  oder  die  Euklidische  Geometrie 
entspricht  allein  uuserm  Axiom  von  der  geraden  Linie. 

Li  derselben  ist  die  Summe  der  Winkel  von  der  Gröfse  der 
Seiten  unabhängig  und  in  allen  Dreiecken  gleich  grofs. 

Darf  man  voraussetzen,  dafs  ein  consequentes  System,  in  welchem 
weniger  als  zwei  Rechte  im  Dreieck  enthalten  siud,  nur  einer  Con- 
stante  bedürfe,  wie  die  sphärische  Geometrie,  so  könnte  man  daraus 
91  schliefsen,  dafs  es  nur  ein  System  von  Bogen  eines  Kreises  sein 
könne:  denn  durch  eine  Constante  kann  aufser  den  ZAvei  Puncten, 
zwischen  welchen  eine  Linie  liegt,  nur  noch  ein  dritter  Pimct  be- 
stimmt werden:  drei  Puncte  aber  bestimmen  einen  Kreis.  Allein  eine 
solche  Voraussetzung  scheint  sich  nicht  rechtfertigen  zu 
lassenft). 

In  der  sphärischen  Geometrie  hat  man 


(^='i^'^'^)' 


wo  A,  B,  C  die  drei  Tangenten-Winkel,  w  die  von  den  Winkeln 
Äj  JB  eingeschlossene  Seite,  j)  die  Ludolphische  Zahl,  r  den  Halbmesser 
bezeichnet.  Da  mau  für  ein  geometrisches  System,  in  welchem  weniger 
als  zwei  Rechte  im  Dreieck  enthalten  sind,  die  Gröfsen  Ä,  B,  m,  r 
die    nemlichen    sein    lassen    kann,    so   wären   für  C   bei    gleichen  Be- 


Stücke  aus  der  Theorie  der  Piirallelliriien.     1825.  201 

stimmimgsgröfsen  zweierlei  Werthe  möglich,  welches  doch  dem  wider- 
spricht, dafs  C  eine  defcerminirte  Function  von  Ä,  B,  m,  r  sein  soll. 
Die  Idee  einer  Geometrie,  in  welcher  die  Summe  der  Dreiecks- 
winkel kleiner  als  zwei  Rechte  wäre,  ist  mir  schon  vor  vier  Jahren 
mitgetheilt  worden;*)  ich  habe  mich  aber  nicht  damit  befreunden 
können  und  kann  es  jetzt  noch  viel  weniger.  Wenn  es  ein  solches 
System  gäbe,  so  wäre  unter  den  unzählig  vielen  möglichen  nur  eines 
das  wahre:  allein  es  ist  mir  viel  wahrscheinlicher,  dafs  alle  diese 
Systeme  zugleich  existiren,  so  wie  es  unzählig  verschiedene  sphä- 
rische Geometrieen  giebt,  weil  man  sich  Kugeln  von  unzählig  ver- 
schiedenen Halbmessern  denken  kann. 

[Aus  dem  Nachtrag:] 

Der  Satz,  bei  welchem  die  Eigenschaft  der  geraden  Linie  [durch(95) 
zwei  Puncte  eindeutig  bestimmt  zu  sein]  am  meisten  in  Betracht 
kommt,  dessen  Beweis  daher  der  ganzen  Geometrie  die  eigentliche 
Gestalt  giebt,  ist  der  Satz  von  der  Summe  der  in  einer  ebenen  gerad- 
linigen Figur  enthaltenen  Winkel.  Die  gründlichste  Methode,  den 
Beweis  zu  führen,  ist  ohne  Widerrede  die,  wenn  man  die  drei  mög- 
lichen, ganz  verschiedenen,  geometrischen  Systeme  hinreichend  ent- 
wickelt, um  die  Uebereinstimmung  oder  den  Widerspruch  mit  dem 
Axiom  der  geraden  Linie  aufzudecken.  Eine  Geometrie,  in  welcher 
mehr  als  zwei  Rechte  im  Dreieck  enthalten  sind,  führt  auf  einen 
offenbaren  Widerspruch  mit  deai  Axiom  der  geraden  Linie;  denn  in 
jedem  System  der  Art  würden  die  geraden  Linien  sich  in  zwei  Puncten 
schneiden,  ohne  zusammenzufallen. 

In  dem  umgekehrten  Falle  scheint  sich  auf  den  ersten  Blick  eine 
grofse  Schwierigkeit  zu  erheben:  allein  die  Wahrheit  liegt  meiner 
Einsicht  nach  doch  j  bei  weitem  nicht  so  tief,  als  man  zu  glauben  ge-  96 
neigt  sein  möchte  und  ich  mich  anfangs  selbst  überredet  habe.  Jede 
Geometrie,  in  welcher  die  Winkelsumme  im  Dreieck  kleiner,  als  zwei 
Rechte,  angenommen  wird,  enthält  in  sielt  selbst  —  dem  Begriff  nach 
—  keinen  Widerspruch  mit  dem  Axiom  der  geraden  Linie  und  ich 
nehme  meine  Vermuthung,  dafs  ein  solcher  sich  möchte  auffinden  lassen, 
ganz  zurück.  Es  ist  diefs  eine  nothwendige  Folge  des  Axioms,  dafs 
zwischen  zwei  Puncten  nur  eine  gerade  Linie  möglich  sei,  welches 
eine  solche  Geometrie  gewissermafsen  nicht  ausschliefst.  Der  Wider- 
spruch mufs   darin  gesucht  werden,    dafs   es  nicht   ein,    sondern   eine 


*)  Von  meinem  Oheim  Prof.  S[chweikai't]  in  K[önig8berg],    damals  noch   in 
M[arburg].     [Brief  vom  1.  October  1820,  Seite  248  f.  dieses  Buches.] 


262 


F.  A.  Tauiinus. 


unendliche  Menge  von  ►Systemen  der  Art  gicbt,  vun  welchen  jedes  auf 
Clültigkeit  gleichen  Anspruch  haben  würde;  dafs  es  daher  zwischen 
zwei  Puncten  im  Räume  unendlich  viele  gerade  Linien  gäbe,  da  es 
doch  nach  unserm  Axiom  nur  eine  einzige,  durch  zwei  Puncte  voll- 
kommen bestimmte  geben  soll.  Die  Linien  eines  Dreiecks,  das  weniger 
als  zwei  Rechte  enthält,  sind  also  nicht  gerade  und  können  sich  nicht 
in  jeder  Lage  decken;  höchstens  dürfte  man  voraussetzen,  dafs  diefs 
in  gewissen  Lagen  statt  finden  möchte. 

(97)  Indessen  läfst  sich  ein  System  der  Art  vielleicht  vollständig  ent- 
wickebi  und  bietet  immer  einen  interessanten  Gegenstand  der  Unter- 
suchung dar.  Ich  vermuthe,  dafs  es  auch  nicht  ohne  Bedeutung  in 
der  Mathematik  sein  werde. 

Wenn  in  einem    ebenen    geradlinigen  Vierecke    drei   rechte    und 
ein  spitzer  Winkel  sein  können,  so  läfst  sich  folgendes  beweisen: 


98         LIn  jedem  Dreiecke  sind  weniger,  als  zwei  rechte  Winkel. 

Denn  es  seien  in  dem  A  al)c 
(Fig.  IL)  zwei  Rechte,  oder  mehr  als 
zwei  Rechte.  Fälle  (22.)  f)  von  a 
auf  de  das  Loth  ad,  so  müssen,  da 
in  den  AA  ahd,  ade  die  Summe 
der  Winkel  bei  d  um  zwei  Rechte 
vermehrt  ist,  in  dem  einen  oder 
dem  andern  gleichfalls  zwei,  oder  mehr  als  zwei  Rechte  sein.  Es  sei 
diefs  in  A  ade  der  Fall:  beschreibe  (34.)  demselben  über  ac  ein 
gleiches  aec,  so  dafs  ae  =  de:,  alsdann  "ist  eac  =  aed,  eca  =  dac, 
daher  ead=  ccd  und  da  a[ngenommener]  M[afsen]  dac  -f-  aed  =  Il  oder 
>  JB,  so  ist  auch  ead  (=  ecd)  =  R  oder  >  Fi.  Errichtet  man  daher  (16.) 
in  «,  c  Lothe,  so  würden  sie  im  ersten  Fall  mit  ae,  ee  zusammenfallen 
und  es  entstände  ein  Rechteck  aedc.  allein  alsdann  würden  auch  alle 
Linien,  die  auf  einer  andern  senkrecht  stehn,  parallelff)  sein.  Denn 
verlängere  (21.)  ad  nach  /,  de  nach  g,  errichte  (16.)  in  f,y  Lothe,  die 
sich  in  li  schneiden,  verlängere  auch  ec  nach  i,  ae  nach  h,  so  ist, 
weil  aedc  ein  Rechteck  (46.)  fi  =  ae,  folglich  (4L)  fiae  ein  Recht- 


t)  [Diese  Zahlen  bedeuten  hier  und  im  Folgenden  die  Nummern  der  Lehrsätze 
aus  Taurinus'  System  der  ebenen  Geometrie,  das  unter  dem  Namen:  Die  ersten 
Elemente  der  Geometrie  den  gröisteu  Teil  seines  Buches  (S.  17 — 72)  ausmacht.  Es 
schien  uns  nicht  erforderlich,   diese  Lehrsätze  jedesmal   anzuführen.] 

tt)  [Von  Euklid  abweichend  erklärt  Taurinus  (S.  17)  als  parallel  „Linien,  die 
beständig  einerlei  Entfernung  von  einander  behalten."] 


Stücke  aus  der  Theorie  der  Parallellinien.    1825. 


263 


eck,  daher  auch  iheh  ein  Rechteck  oder  fhg  =  B,  also  auch  fhdg 
ein  Rechteck,  dessen  Seiten  parallel  sind  und  es  ist  einleuchtend,  dafs 
diefs  Verhältuifs  allgemein  statt  finden  würde,  gegen  die  Voraussetzung. 
Im  letzten  Fall  würden  die  Lothe  innerhalb  des  A  ace,  z.  B. 
in  l  sich  schneiden,  es  wäre  (23.)  alc^  amc,  amc'>  aec,  folglich 
alc  >  aec  >  R  und  in  der  Figur  aide  wären  bei  a,  d,  c  rechte  Winkel, 
dagegen  alc>B,  folghch  (51.)  alle  Linien,  die  auf  einer  andern 
senkrecht  stehen,  convergirend  und  nicht  gerade,  was  der  Voraus- 
setzung widerspricht. 


2.  Wenn  von  einem  Puncte  aus  nach   einer  Linie  andere 
Linien  gezogen  werden,  so  können  die  Winkel,  |  die  die  letz-  99 
tern   mit    der   erstem   machen,    kleiner    als  jede    angebliche 
Gröfse  werden. 

Denn  es  sei  a  (Fig.  IIL)  ein  Punct,  aus  welchem  nach  der  bc 
Linien  ad,  ae  gezogen  sind.  In  dem  A 
ade  sind  die  Winkel  zusammen  <  2  jR. 
Mache  (7.)  ef=ae,  ziehe  af,  so  ist  (8.) 
eaf  =  afe  und  {eaf  +  C'fß  +  (^ef)  <  2  JR. 
Aber  (17.)  aef  -f-  aed  =  2  JR,  daher  aed  ^ 
>  (eaf  -{-  afe)  und  afe  <  ^  aed.     Da  mau 

von  der  hc  Stücke,  so  grofs  wie  man  nur  will  und  ohne  Ende  nehmen 
kann,  weil  sich  für  ihre  Verlängerung  keine  Gränze  absehen  läfst,  so 
mufs  man  (wie  die  Arithmetik  lehrt)  einmal  auf  einen  Winkel 
kommen  können,  der  kleiner  ist,  als  jeder  angebliche. 


e  f 

Fig.  III. 


3.  Wenn  zwei  Linien  von  einer  dritten  unter  gleichen 
Wechselwinkeln  geschnitten  werden,  so  giebt  es  eine  an- 
dere, die  auf  den  beiden  ersten  lothrecht  steht,  welche  sich 
alsdann  nicht  schneiden  können. 

Denn  es  seien  «&,  cd  (Fig.  IV.)   zwei  Linien,   die  von  der  ef  so 
geschnitten  werden,  dafs  hef  =  efc.    Halbire  (13.)  ef  in  g,  fälle  (22.)  gJi, 
gi.  In  den  AA  egi,  ghf  ist  a[ngenommener] 
M[afsen]  ieg=gfh,  d[uv eh.]  C[onstruction]   ^ 
eg  =  gf,    eig  =  ghf,  daher  (33.)    A  egi 
=  Aghf:  egi  =  hgf.    Aber  (17.)  egi  -f  igf 

==2B,  daher  auch  igf-j-fg]i  =  2B,  folg-    ^ 

lieh    (20.)    ig,    gh   in   gerader    Linie,    die 

sowohl  auf  ah  als  cd  senkrecht   steht:   daher  (48.)  ah,  cd  zu   beiden 

Seiten  von  ih  divergirend. 


d 


Fig.  IV. 


264 


F.  A.  Tauiiuus. 


4.  Zwei  Linii'ii  schneiden   sich  oder  eine  dritte   kann  auf 
beiden  senkrecht  stehu. 

Es  seien  ah,  cd  (Fig.  V.)  zwei  Linien,   die  sich   nicht  schneiden, 
ef   ein    Loth   auf   cd  und  hef  <  R:   ziehe    eg.      Wäre   heg>egf,    so 

wird  es  immer  eine  Linie  eh 
von  der  Lage  geben,  dafs  hcJt 
=  ehf,  alsdann  giebt  es  nach 
dem  vorigen  Beweis  auch  eine 
Linie,  die  auf  ab  und  cd  senk- 
recht steht.     Wäre  heg  <.  egf,  so 

100  r ^. \: 1= d  giebt  es  |  eine  Lage  ei,  in  welcher 

die  von  e  aus  gezogenen  Linien 
die  cd  nicht  mehr  treffen  werden. 
Allein  die  von  e  nach  der  cd  gezogenen  Linien  können,  nach  dem 
obigen  Beweis,  mit  derselben  Winkel  bilden,  für  deren  Abnahme  es 
keine  Gränze  giebt,  während  der  Winkel  hei  immer  eine  angebliche 
Grofse  behalten  wird:  daher  giebt  es  gewifs  eine  Linie  zwischen  e 
und  der  cd,  die  die  Lage  hat,  dafs  sie  mit  ah,  cd  gleiche  Wechsel- 
winkel bildet,  folglich  auch  eine  andere,  die  auf  beiden  lothrecht  steht. 


5.  Nun  seien  ah,  ac  (Fig.  VL)  zwei  Linien,  die  unter  dem  spitzen 
Winkel  hac  zusammentreffen.    Errichte  (16.)  in  dem  beliebigen  Punct  e 

das  Loth  ed,  so  sind 
in  dem  A  ade  we- 
niger, als  zwei  Rechte. 
Mache  (7.)  ef  =  ae, 
ziehe  df,  so  ist  (6.) 
A  def=A  dae.  Er- 
richte in  f  das  Loth 
fg.  Da  in  dem  A 
gdf  höchstens  zwei 
Rechte  sein  können,  so  sind,  wenn  D  den  Unterschied  zwischen  zwei 
Rechten  und  den  im  A  dae  enthaltenen  Winkeln  bezeichnet,  in  den 
AA  dae,  def,  gdf  höchstens  6  R  —  2  D,  und,  wenn  2  R  bei  d,  2  R 
bei  e  abgezogen  werden,  in  A  gaf  höchstens  2R  —  2D.  Aber 
A  gaf  hat  mit  A  dae  den  Winkel  hac  und  einen  Rechten  gleich; 
folglich  ist  es  nur  der  Winkel  agf,  der  um  den  Unterschied  D  ab- 
genommen hat.  Wird  dem  A  gaf  ein  gleiches  verzeichnet,  indem 
man  fJi  =  af  macht,  so  ist  es  einleuchtend,  dafs  das  in  h  aufgerich- 
tete Loth,  bis  zur  ah  verlängert,  mit  dieser  einen  Winkel  bilden  würde, 
der  wenigstens    um    den    doppelten  Unterschied  D  kleiner   wäre,    als 


Stücke  aus  der  Theorie  der  Parallellinien.     1825. 


265 


ayf,  und  tla  man  die  Coustruction  gleiclier  Dreiecke  ohne  Ende  fort- 
setzen kann,  Aveil  es  für  die  Verlängerung  der  ac  keine  Gränze  giebt, 
so  wird  zuletzt  die  Summe  der  Winkel,  wie  gering  auch  der  Unter- 
schied D  gedacht  werden  ]  mag,  so  klein  als  man  will  und  =  0  loi 
werden  können.  Diefs  ist  aber,  da  allen  Dreiecken  der  Winkel  l)ac 
und  der  rechte  Winkel,  den  das  auf  ac  aufgerichtete  Loth  bildet,  ge- 
mein ist,  gar  nicht  möglich.  Daher  bleibt  nichts  übrig,  als  anzu- 
nehmen, dafs  es  auf  der  ac  einen  Punct  gebe,  wo  das  auf- 
gerichtete Loth  die  ah  nicht  mehr  trifft. 


6.  Schliefsen  die  geraden  ha,  ac  (Fig.  VIT.)  einen  rechten  Winkel 
hac  ein,  der  durch  die  ad  in  zwei  gleiche  Theile  getheilt  wird,  so  giebt 
es  nach  den  vorigen  ^ 
Beweisen  immer  eine 
auf  a  d  senkrechte 
Linie  feg,  welche  die 
Asymptote  sowohl 
von  ah  als  ac,  oder 
die  Gränze  ist,  welche 
ah,  ac  nie  erreichen 
können,  obgleich  sie 
sich  derselben  ohne  -^'s-  ^^^• 

Ende  bis  zu  einer  unangeblichen  Entfernung  nähern.  Man  wird  aber  auch 
eg  als  die  letzte  Linie  betrachten  können,  die  durch  den  Punct  e  geht, 
ohne  die  ac  zu  treffen:  alsdann  giebt  es  nach  dem  obigen  Beweis  eine  Linie, 
die  auf  eg  und  ac  zugleich  senkrecht  steht:  ebenso  darf  ef  für  die 
letzte  Linie  genommen  werden,  die  durch  den  Punct  e  gehend,  die  ah 
noch  schneidet,  folglich  mit  derselben  einen  Winkel  von  nicht  mehr 
angeblicher  Gröfse  bildet.  Werden  daher  von  der  feg  Lothe  auf  die  ac 
herabgefällt,  so  werden  sie  mit  der  erstem  jeden  möglichen  W^inkel, 
von  einem  rechten  durch  alle  Zwischenstufen  hindurch  bis  zum  kleinsten 
bilden  können,  die  Figur  hacgef  stellt  also  die  Asymptoten  für  jeden 
Winkel,  unter  welchem  Linien  zusammentreffen  können,  dar. 

Die  Linie  ae  kann  die  Bestimmungsgröfse  (Parameter,  Axe, 
Potenz)  des  geometrischen  Systems  genannt  werden  und  es  erhellt 
von  selbst,  dafs  man  sie  willkührlich  annehmen  kaun. 

Wäre  ae  als  Grundlinie  |  eines  Dreiecks  und  gea  =  R,  eac 
gegeben,  so  würde  die  Summe  der  Winkel  des  A  age,  da  der 
Winkel  bei  g  verschwindet,  =  f  i2  sein:  aber  für  den  Parameter  ah 
würde  die  Summe,  weil  das  in  l  errichtete  Loth  die  ac  noch  träfe 
und    einen    angeblichen  Winkel    mit    derselben   machte,    gröfser   sein. 


^El02 


26fy      V.  A.  Taurinus.     Stücke  aus  <ler  Theorie  der  Parallellinien.    18-J5. 

Da  aber  (31.)  ein  Dreieck  durch  die  Grundlinie  und  die  anliegenden 
AVinkel  bestimmt  ist,  so  könnte,  wenn  ein  geometrisches  System,  das 
weniger  als  zwei  Rechte  im  Dreiecke  enthält,  das  geradlinige  sein 
sollte,  von  allen  möglichen  nur  eines  das  wahre  sein,  es  müfste  irgend 
eine  absolute  Linie  demselben  zu  Grunde  liegen  und  von  dieser 
würde  dann,  wenn  drei  Puncte  als  Eckpuncte  eines  Dreiecks  gegeben 
wären,  die  Summe  der  Winkel  desselben,  also  auch  die  Gestalt  der 
Linien  abhängen.  Aber  es  läfst  sich  gar  kein  Grund  einsehen,  dem 
einen  System  vor  allen  andern  eine  aus  schlief?  liehe  Gültigkeit  beizu- 
legen, man  mufs  vielmehr  die  gleichzeitio-e  Möglichkeit  aller  Svsteme 
annehmen  und  es  wären  also,  wenn  mau  sie  als  geradlinig  betrachten 
wollte,  zwischen  zwei  Puncten  unendlich  viele  gerade  Linien  denkbar. 
Aber  zwischen  zwei  Puncten  soll  es  überhaupt  nur  eine  einzige 
gerade  Linie  geben:  daher  können  die  Linien  einer  Geometrie,  in 
welcher  alle  Dreiecke  weniger,  als  zwei  Rechte  enthalten,  nicht  gerade 
Linien  sein. 

Anmerkung.  Wenn  man  das  Axiom  der  geraden  Linie  so  ausdrücken  will, 
dal's  die  gerade  Linie  durch  zwei  Puncte  absolut  bestimmt  sei,  so  kann  keine 
Geometrie,  in  welcher  weniger  als  zwei  Rechte  im  Dreiecke  sind,  geradlinig  sein, 
weü  die  Linien  derselben  aufser  den  zwei  Puncten,  zwischen  welchen  sie  liegen, 
ihrer  Gestalt  nach  auch  noch  von  dem  Parameter  des  geometrischen  Systems  ab- 
hängen würden.  Man  sieht  daraus,  dafs  es  auf  keinen  Fall  nöthig  ist,  wie 
manche  glauben,  entweder  das  Euklidische  11.  Axiom  beizubehalten,  oder  ein 
anderes  an  dessen  Stelle  zu  setzen. 


GEÜMETRIAE 

PRIMA  ELEMENTA. 


RECENSUIT 
ET  NOVAS  OBSERVATIONES  ADJECIT 

FRANC.  ADOLPH.  TAURINUS. 


CUM  TABULA  LITHOGRAPHICA. 


COLONIAE  AGRIPPINAE. 

T  Y  P  I  S    J.    l\    B  A  (;  H  E  M  1  1. 


MDCCCXXVI. 


Es  bleibt  mir  uoch  übrig,  einiges  Wenige  über  die  neue  Geo-(56) 
metrie    hinzuzufügen,    die  uns   bei  Gelegenheit   dieses  Satzes*)    ent- 
gegentritt. 

Der  Flächeninhalt  der  Dreiecke  wird,  ebenso  wie  in  der  sphäri- 
schen Geometrie,  durch  die  Winkelsumme  bestimmt.  Hat  man  nämlich 
ein  Dreieck,  das  eine  beliebige  Winkelsumme  besitzt,  und  zerlegt  es 
durch  im  Innern  gezogene  Linien  in  lauter  Dreiecke,  so  wird  die 
Summe  der  Winkel  aller  so  entstehenden  Dreiecke,  vermindert  um  so 
viel  mal  zwei  Rechte,  als  die  Anzahl  dieser  Dreiecke  weniger  eins 
beträgt,  gleich  der  Winkelsumme  des  ganzen  Dreiecks  sein.  Haben 
daher  zwei  Dreiecke  gleichen  Flächeninhalt,  so  werden  sich  entweder 
beide  in  eine  gleiche  Anzahl  gleicher  Dreiecke  zerlegen  lassen,  und 
es  wird  auch  die  Winkelsumme  in  beiden  gleich  sein,  oder,  wenn  das  57 
nicht  angeht,  wird  man  doch  in  beiden  Dreiecken  eine  gleiche  Anzahl 
gleicher  Dreiecke  annehmen  können,  und  die  überschiefsenden  Flächen- 
räume  werden  so  klein  sein,  dafs  man  sie  vernachlässigen  darf. 
Ebenso  wird  jedes  sehr  kleine  Dreieck  fast  genau  zwei  Rechte  ent- 
halten, da  es  ja  eine  um  so  gröfsere  Winkelsumme  hat,  je  kleiner  es 
ist.  Mithin  wird  man  behaupten  dürfen,  dafs  gleiche  Dreiecke  gleiche 
Winkelsumme  haben,  und  dafs  sich  die  Inhalte  der  Dreiecke  so  ver- 
halten wie  die  Unterschiede  zwischen  zwei  Rechten  und  den  jeweiligen 
Winkelsummen  der  einzelnen  Dreiecke. 

Hieraus  folgt  eine  allgemeine  Formel  für  den  Flächeninhalt  des 
Dreiecks.  Es  seien  a  und  A  die  Flächeninhalte  zweier  Dreiecke,  d 
und    D    die    Unterschiede    ihrer    Winkelsummen    von    zwei    Rechten, 

dann  ist: 

« :  A=^  d:  B 
und  daher: 

d      . 
a  =  w  A. 


*)  [Gemeint  ist  der  Satz  24 :  Die  drei  Winkel  jedes  geradlinigen  Dreiecls  sind 
zusammen  gleich  zwei  Rechten,  den  Taurimis  S.  30 — 36  zu  beweisen  versucht 
hatte.  Die  Seiten  53  bis  68  enthalten  Bemerkungen  zu  Satz  24,  von  denen  wir 
hier  einen  Teil  in  deutscher  Übersetzung  wiedergeben.] 


270  F.  A.  Taminus. 

Aus  dieser  Formel  lassen  sich  verschiedene  Folgerungen  herleiten. 
Zum  Beispiel    müssen    die  Unterschiede    entweder  beide   positiv    oder 

beide  negativ  sein,  damit  ^    positiv  wird,  denn  sonst  hat  die  Propor- 
tion   oder    die   Gleichung    gar    keinen   Sinn.     Ist   aber   bei  ungleichen 

d 
D 


Oberflächen  beide  Male  der  Unterschied  gleich  Null,  so  wird  ^  gleich 


,  das  lieifst,  a  ist  unbestimmt,  was  in  der  ebenen  Geometrie  ein- 
tritt. Sind  dagegen  beide  Unterschiede  negativ,  so  kann  keiner  von 
ihnen  grösser  als  zwei  Rechte  werden,  und  es  ist  somit  das  Dreieck, 
dessen  Winkelsumme  gleich  Null  ist,  die  Grenze  aller  Dreiecke  oder 
das  gröfste  von  allen.  Demnach  kann  die  Fläche  des  Dreiecks  ein 
bestimmtes  Mafs  des  Inhaltes  nicht  überschreiten,  und  dasselbe  gilt 
auch  für  jede  geradlinige  Figur,  die  mau  als  aus  solchen  Dreiecken 
zusammengesetzt  anzusehen  hat. 

Dafs  es  übrigens  unmöglich  ist,  der  Geometrie,  bei  der  im  Dreieck 
weniger  als  zwei  Rechte  sind,  einen  Widerspruch  mit  dem  Axiome 
der  geraden  Linie  nachzuweisen,  geht  daraus  hervor,  dafs  man,  um 
zu  einem  solchen  Nachweise  zu  gelangen,  erhärten  müfste,  dafs  zwei 
<*erade  Linien  einander  in  zwei  Punkten  schneiden,  ohne  zusammen- 
zufallen;  so  oft  nämlich  zwei  Linien  einander  [in  dieser  Weise] 
schneiden,  hat,  wie  wir  gezeigt  haben,  jedes  Dreieck  mehr  als  zwei 
Rechte.  Mithin  besteht,  soweit  es  auf  die  Begründung  der  Parallelen- 
theorie ankommt,  zwischen  der  sphärischen  Geometrie  und  dieser 
Geometrie  der  Unterschied,  dafs  die  erste  dem  Axiom  der  geraden 
Linie  durchaus  widerstreitet,  während  hingegen  bei  der  zweiten  der 
Widerspruch  nur  eine  Folge  der  Vielheit  der  [möglichen]  Systeme  ist*). 


(^G4)  Dies  war  bereits  gedruckt,  und  es  blieb  mir  nur  noch  übrig, 
meine  Ansicht  über  das  wahre  Wesen  dieser  Geometrie  vorzu- 
bringen, da  gelangte  ich  endlich  zu  der  Gewifsheit,  dafs  sich  diese 
meine  Ansicht  wirklich  beweisen  läfst.  Von  Anfang  an  hatte  ich 
nämlich  die  Vermutung  gehegt,  dafs  eine  solche  Geometrie  gewisser- 
mafsen  die  Umkehrung  der  sphärischen  sei,  dafs  sie  Logarithmen  mit 
sich  bringe    und    sich    aus    der    allgemeinen   Formel   der    sphärischen 

65  Geometrie  herleiten  lasse,  und  ich  würde  mich  darüber  wundern,  dafs 
ich  eine  Sache,   die  so  klar  ist  und  die  für  jedermann    auf  der  Hand 


*)  [Es  folgt  ein  Versuch,  luv  die  neue  Geometrie  eine  Trigonometrie  aufzu- 
bauen, der  jedoch  als  mil'sglückt  anzusehen  ist.] 


Stücke  aus  den  Geometriae  prima  elementa.    1826.  271 

liegt,  nicht  früher  durchschaut  habe  und  so  grofse  Weitläufigkeiten 
nötig  hatte,  wenn  ich  mich  nicht  erinnerte,  dafs  gerade  Dinge,  die 
ganz  selbstverständlich  scheinen,  oft  sogar  bedeutenden  Männern  lange 
verborgen  geblieben  sind.  Übrigens  habe  ich  geglaubt,  an  alle  dem, 
was  vorher  aus  analytischen  Formeln  hergeleitet  wurde,  nichts  ändern 
zu  sollen,  da  sich  das  nur  auf  das  Verständnis  jener  Geometrie  bezieht 
und  bei  blofser  Änderung  der  Formeln  vollständig  gültig  bleibt. 

Betrachten  wir  also  die  allgemeine  geometrische  Formel*) 

.  cosa  —  cosß  cosy 

A  =  arc  cos ■   o   ■ 

smp  smy 

oder  auch  die  folgende  einfachere  für  das  gleichseitige  Dreieck: 

.  coso; 

A  =  arc  cos  - — ; . 

1  -j-  cos  a 

Wird   hierin  a  =  0  gesetzt,  so   ist   der  ganze  Cosinus    gleich  ^,   und 

daher  der  Winkel  Ä  gleich  -  ,    denn  die   drei  Winkel   können    [hier] 

nicht  kleiner  als  zwei  Rechte  sein.     Aber   a  kann  nicht   gröfser  als 

—  sein,  denn  wäre  es  ein  gröfserer  Bogen,  so  würde  der  Cosinus  des 

Winkels  Ä  kleiner  als  —  1,  das  heifst  unmöglich. 

Man  setze  jedoch**): 

coso: 
1  -\-  cos  a         "^  ■ 
Dann  ist 

dy  r  äy 


da  = 


W  L 


j/l- 42/ +  52/^-22/^1         (l-2/)l/l 
und 

IS  a.  dy  .  arc  cos  y 


da  .  arc  cos 


l  +  cosa         yi  __  4^/ -|_  5^/2  —  22/' 


Diese  Differentialfunktion  ist  integrabel,  auch  wenn  y  kleiner  als  —  1 
ist,  denn  sie  geht  in  die  folgende  über: 

dy .  log  y  ~yy  ~ 


y+Vy^--^ 


2")/22/='  — 52/-  +  42/— 1 

Wenn  dagegen  y  gröfser  als  —  ist,  dann  scheint  die  Formel  weder 

Kreisbogen  noch  Logarithmen  auszudrücken. 

Setzt  man  jedoch  66 

cosa  =  \  -\-  X, 


*)  [A  bedeutet  einen  Winkel,  und  cc,  ß,  y  sind  den  Seiten  des  Dreiecks  ^J^'O- 
portional.] 

*'*)  [Der  Zweck  der  folgenden  Differentiation  ist  uns  nicht  verständlich.] 


272  F.  A.  Taurinus. 

wobei  ich  mir  x  positiv  denke,  so  wird  der  Winkel  Ä  kleiner  als  , 
und  zwar  um  so  kleiner,  je  gröfser  cos«  ist.  Man  setze  dalier  an 
Stelle  des  Bogens  a  den  imaginären  Bogen  «]/ —  i,  dessen  Cosinus 
gröfser  als  die  Einheit  ist,  so  hat  man  nach  einer  den  Analytikern 
wolil   bekannten  Formel: 

1      ,     cos  (a  v^^) + Vcos*  Uy^^)  —  T 

ay—  1  =  - — : los       ^^^^  ^^ ^-'^ 


2  1/-  1        ="  cos  {a  Y-  l)  —  |/cos«  (a-|/-  l)  —  1 


oder 


1    ,       cos  (a  V—  l)  —  l/cos^  (ccV—  l)  —  1 
a  =  ^   log        ^    "^        ^ 


008  (a  y^^)  +  ]/cos^  («l/—  l)  —  1 

und  diese  Formel*)  enthält  nichts  Unmögliches,  da  man  für  den  Cosinus 
des  imaginären  Bogens  ay^^  jede  Zahl  einsetzen  darf,  die  gröfser 
als  die  Einbeit  ist. 

Aus  dieser  Gleichung  geht  hervor: 

cos  («y'=^)  =  Y  (e"  +  e-"), 

sin  (ay^~i)  =  ,,  (e"  —  c~")  ]/^^., 

und  da  sich  diese  Formeln  von  den  in  der  Geometrie  schon  längst 
gebräucblichen  nur  dadurcb  unterscheiden,  dafs  hier  u  an  die  Stelle 
des  Exponenten  «)/— i  gesetzt  ist,  so  gilt  offenbar  Alles,  was  man 
von  den  trigonometrischen  Linien  zu  beweisen  pflegt,  eben  so  gut 
auch  für  die  hier  auftretenden  imaginären.  Zum  Beispiel  wird  sein: 
sin  (9|/— 1  +  ^y—  i)  =  sin  ((py^^)  cos  (ipy::^)  -f- 
+  sin  (j^-y— T)  cos  (g)}/^^;, 

und  ebenso  bei  allen  übrigen  Formeln. 
Mithin  wird  die  Formel**): 

cos  {ccy~^l)  —  cos  (ß  Y^^)   C08  (rV-^) 

sin  (jSy^^J  .  sin  (yl/^^) 


,                        cos  (ßY—  l)  cos  (vi/—  l)  —  cos  (aV—  1) 
A  =  arc  cos  - — - 

ycos-ißY—i)  —  ! 


*)  [Sie  läfst  sich  auch  in  der  Form 

u  =  log  (cos  («l/^^  I  —  ")/cos*  {aY-^}  —  1 ) 

schreiben,  die  im  Folgenden  ebenfalls  benutzt  wird.J 

**)  [Hierzu  heilst  es  im  Druckfehlerrerzeichnis  Seite  76 : 

„Es  hätte  bemerkt  werden  sollen,  dass,  wenn  die  Cosinus  negativ  und  kleiner 
als  —  1  werden ,  die  allgemeine  Formel  S.  65  umgekehrt  wird  und  die  Seite 
durch  die  Winkel,  jedoch  negativ,  ausdrückt.  Dies  scheint  den  Sinn  zu  haben, 
dass  die  Winkel,  die  hier  grösser  als  l-JO"  sind,  nicht  die  Winkel  des  Dreiecks, 
sondern  ihre  Ergänzungen  zu  zwei  Rechten  bedeuten."] 


Stücke  aus  den  Geometriae  prima  elementa.     182G.  273 

eine  Geometrie  bestimmen,  bei  der  alle  Dreiecke  weniger  als  zwei  G7 
Rechte  enthalten,  wenn  nämlich  für  den  imaginären  Cosinus  oder  besser 
den  Cosinus  des  imaginären  Bogens  irgend  eine  Zahl  gesetzt  wird, 
die  gröfser  als  die  Einheit  ist.  Dabei  müssen  jedoch  von  den  Zahlen 
^>  Ä  7  J6  zwei  zusammen  gröfser  als  die  dritte  sein:  ich  denke  mir 
nämlich,  dafs  diese  Zahlen  die  durch  eine  gewisse  konstante  Linie  R 
geteilten  Seiten  eines  Dreiecks  sind*).  Gleichzeitig  erhellt,  dafs  es 
unzählig  viele  Systeme  giebt,  da  ja,  wenn  die  Linien  a,  h,  c,  die  Seiten 
des  Dreiecks,  gegeben  sind,  die  Zahlen  a,  ß,  y  gröfser  oder  kleiner 
ausfallen,  je  nachdem  man  B  kleiner  oder  gröfser  annimmt. 

Da  ferner  bei  einem  sphärischen  Dreieck  die  Abweichung  der 
Winkelsumme  von  zwei  Rechten  gleich: 

n  1  +  cosa  4-  cosß  -|-  cosy 

2  arc  cos  -— — ; — r»     r 

4  cos  ^  a  ■  cos  -1  p  ■  cos  -h  y 

ist:    so  wird  in    der    logarithmisch-sphärischen   Geometrie  der 
Unterschied  —  der  von  zwei  Rechten  abzuziehen  ist  —  gleich: 

2  2  4-  e"  +  e-"  +  e^  +  e"!^  +  e^'  +  e~^ 

Setzt  man  also  a,  ß,  y  gleich  — ,  so  wird  der  Unterschied  gleich 
Null  sein,  denn  in  einem  sehr  kleinen  Dreieck  ist  die  Winkel- 
summe gleich  7t.  Sind  dagegen  a,  ß,  y  gleich  00,  so  ist  der  Unter- 
schied gleich  7t,  denn  die  Winkelsumme  des  gröfsten  Dreiecks  ist 
gleich  Null.  Wenn  endlich  a  und  ß  gleich  00  gesetzt  werden,  y  aber 
sehr  klein  ist,  so  wird  der  Unterschied,  wie  es  sein  mufs,  gleich  Null. 
Auf  diese  Weise  leitet  man  leicht  noch  vieles  Andre  her. 

Läfst  man  diese  Geometrie  zu,  so  zeigt  sich  bei  der  Winkel- 
summe des  Dreiecks  eben  die  ununterbrochene  Stetigkeit,  welche  die 
Wissenschaft  der  Geometrie  zu  erfordern  scheint.  Geht  man  nämlich 
von  dem  gröfsten  Dreieck  der  logarithmisch-sphärischen  Geo- 
metrie aus,  so  ist  diese  Summe  gleich  Null,  und  je  kleiner  der  Inhalt 
des  DreiecKS  wird,  um  so  mehr  wächst  die  Summe,  bis  sie  den  asymp- 
totischen Wert,  nämlich  zwei  Rechte,  erreicht.  Wenn  andrerseits  die 
Summe  volle  zwei  Rechte  beträgt,  so  entsteht  die  ebene  Geometrie,  68 
bei  der  alle  Dreiecke  zwei  Rechte  enthalten.  Diese  liegt  in  der  Mitte 
zwischen  den  sphärischen  Geometrien.  Wenn  in  dem  Dreieck  mehr 
als  zwei  Rechte  sind,  so  nimmt  die  Summe  mit  wachsendem  Flächen- 
inhalte zu,  bis  sie  gleich  3  7t  wird,  und  die  Seiten  in  eine  Linie,  näm- 

*)  [Die  Konstaute  B  nennt  Taurinus  später  die  Basis  des  Systems.] 

Stäckel  u.  Engel,  Parallelentheorie.  18 


69 


274  F.  A.  Taurinus. 

lieh  in  einen  [gröfsten]  Kreis  zusammenfallen;  dies  tritt  ein,  "svenn  der 
Inhalt  gleich  der  halben  Kugelobertläche  ist. 

Auf  einen  Punkt  mufs  ich  noch  zum  Schlüsse  die  Geometer  auf- 
merksam machen:  sie  dürfen  bei  dem  Beweise  der  Parallelentheoric 
fernerhin  keine  Schwierigkeit  mehr  suchen,  denn  eine  solche  ist  meiner 
Ansicht  nach  ganz  und  gar  nicht  vorhanden.  Eine  Linie  sehen  wir 
nämlich  als  gerade  au,  wenn  sie  durch  zwei  Punkte  bestimmt  ist,  und 
zum  Beweise  des  elften  Euklidischen  Axioms  ist  auTser  dieser  Er- 
klärung nichts  erforderlich;  die  Beweise,  die  ich  in  der  von  mir  früher 
herausgegebenen  Theorie  veröffentlicht  habe  (einige  unwesentliche 
Punkte  sind  darin  freilich  noch  zu  verbessern),  genügen  mir  auch 
heute  noch. 

Die  Untersuchung  der  Frage,  was  nun  das  wahre  Wesen  der 
logarithmisch- sphärischen  Geometrie  ist,  ob  sie  etwas  ^Mögliches  ent- 
hält oder  ob  sie  nur  imaginär  ist,  wäre  zwar  für  die  höchste  Gelehr- 
samkeit eine  würdige  Aufgabe,  überschreitet  jedoch  sicher  die  Grenzen 
der  Elemente. 

Anhang 

mit  den  Lösungen  für  die  bemerkenswertesten  Aufgaben  der 
logarithmisch.  -  sphärischen  Geometrie. 

1.  Gegeben  ist  das  gröfste  Breieck  ABC  (Fig.  L);  2U  finden  ist  das 
von  [einem  PunläeJ  der  einen  Seite  AB  auf  die  andre  BC  gefällte 
Lot,  zum  Beispiel  DE,   wenn  der  Winlcel  EBB  gegeben  ist. 

In  dem  Dreieck  BEB  ist  der  Winkel  BEB  oder  a*)  gleich  B 
[90"J,  gegeben  ist  der  Winkel  EBB  oder  ß,  und  BBC  oder  y  ist 
gleich  Null,  denn  BC  ist  Asymptote  der  Linie  AB.  Wird  noch  BE 
mit  C  und  die  Basis  des  geometrischen  Systems  mit  B  bezeichnet,  und 

C 


li 

gesetzt,  so  ist  nach  der  Formel: 

cosy  +  cos  u  ■  cosß 

cos  c  =  — —! ^^ — '^ 

sma  •  sinp 

[bei  dem  Dreieck  BEB]: 

1 

COSC  =  -T— 3- 
Sin  p 


*)  [Man  beachte,  dafs  liier  und  im  Folgenden  abweichend  von  der  früheren 
Bezeichnung  «,  (3,  y  für  die  Winkel,  J,  B,  C  für  die  Seiten  des  Dreiecks  ge- 
braucht werden  j 


Stücke  aus  den  Geonietriae  piima  elenienta.     1826 


275 


cosc 


Es  ist  aber 
und  daher*) 


Es  sei    zum   Beispiel  a 
ß  =  9()°,  dann  ist  ^"^ 

cot  ^  /5  =  1    und   c  =  0; 

in  der  Tliat  mufs  die  Linie 
C  verschwiDden,  wenn  sie 
auf  i?Cund  ani  AB  senk- 
recht stehen  soll. 

Es  sei  ß  =  0,  dann 
ist  C  =  oo,  denn  das  Lot 
ÄF  wird  unendlich  grofs. 

Setzt  man  ß  =  45** 
so  wird 

0=Iilog  (1+1/2). 

Diese  Linie  FG  haben  wir 
den  Parameter  genannt, 
da  von  ihr  das  ganze  geo- 


=  i_(,cv^i  +  ,-.>/-.) 


c  =  ^7=  log  cotang  \  ß. 


Fig.  I. 


metrische  System  abhängt**).    Wenn  also  P  der  Parameter  ist,  so  ist 

die  Basis: 

P 


log  (1  +  -j/2) 

cotang  \ß  =  g'^-''^ 


Umgekehrt  ist:  70 


und  wenn  man  c  =  — ]/—  1  setzt,  cotang  \ß  ==  e  und  C  =  B.  Die 
Basis  Bf  oder  besser  Jt]/ — ^  1,  hat  man  sich  übrigens  im  Mittel- 
punkte X  des  gröfsten  Dreiecks  ABC  (Fig.  IL  [S.  278])  senkrecht  zu 
dessen  Ebene  oder  zu  der  im  Punkte  x  berührenden  Ebene  vorzustellen. 


*)  [Es  ist  (vergleiche  die  erste  Anmerkung  auf  Seite  272): 
c  =  }/—  1  log  (cos  c  — ycos*6'  —  l)  , 


woraus  für 


1 

sin  ß 


der  angegebene  Wert  von  c  hervorgeht.     Mithin  ist: 

G  =  B  log  cotang  |  ß .] 

**)  \^Taiirinus  bezieht  sich  hier  auf  seine  Theorie  der  ParaUelh'nien  von  1825, 
S.  101,  bei  uns  S.  265.] 

18* 


270 


F.  A.  Taurinus. 


In  gleicher  Weise  ist  jede  Linie,  zum  Beispiel  HJ  (Fig.  L),  welche 
die  beiden  Seiten  [Ä  C  und  B  C]  des  gröfsten  Dreiecks  unter  den  Win- 
keln CHJ=a  und  CJII=ß  schneidet,  gleich: 

JB  log  cot  ^a  cot  ^ß- 

Diese  Formel  ist  für  den  Beweis  des  elften  Euklidischen  Axioms 

von  Wichtigkeit.     Es    mögen   nämlich   zwei  Linien   mit   einer   dritten 

sie   schneidenden  A  auf  derselben    Seite   der   letzteren    die    Winkel  cc 

und  ß  bilden.     Nun  hat  man,  wenn  a  -{-  ß  =  180*^  ist : 

log  cot  ^  a  '  cot  ^  /3  =  0, 

sollten  also  die  Linien  ein- 
ander schneiden,  so  müfste 
^  =  0  sein,  und  zwar  bei 
beliebiger  Gröfse  der  Kon- 
stanten B.  Mithin  schnei- 
den die  Linien  einander 
nicht,  auch  nicht  in  der 
ebenen  oder  Euklidischen 
Geometrie;  wenn  näm- 
lich B  =  <xi  ist,  geht  die 
logarithmisch  -  sphärische 
Geometrie  in  die  Eukli- 
dische über. 

Ist  aber  «  +  /3  <  180", 
so  wird 

cot  ^-  a  .  cot  1  /3  >  1 
^'s- 1.  und  daher 

A^Blog  (cot  ^-  ci  .  cot  i-  ß) 
um  so  grösser,    ie  grösser  die  Constante  B  ist.     Mithin  schneiden  die 
Linien  einander,    wenn    die    schneidende  kleiner    als 

B  log  cot  ^  a  .  cot  ^  ß 
ist,  und  in  der-  Euklidischen  Geometrie,  wenn  sie  beliebig  grofs  ist. 

Ist  dagegen  a  -{-  ß  >  180",  so  wird  der  Logarithmus  negativ, 
und  die  Linien  treffen  auf  der  andern  Seite  zusammen. 

Auch  die  Hypotenuse  [Ä]  und  die  andre*)  Kathete  [B]  eines 
rechtwinkligen  Dreiecks,   bei  dem  ein  Winkel   gleich  Null  ist,   findet 

man  aus  der  Formel 

cosa  -|-  cosß  •  cosy 


COS  a  = 


sin  (3  '  siny 


*)  [Die  Kathete,    die  dem  verschwindeuden  "Winkel    gegenüberliegt,    ist   ja 
schon  in  Nr.  1  des  Anhangs  Lestimnit.] 


Stücke  aus  den  (leometriac,  piiiiia  clciiienta.     I82C.  277 

indem  man  y  =  0  und  a  =  00*'  setzt.     Es  wird  nümlicli  |  wegen 

A 

a  = 


jsy  —  1 

und  wegen  a  =  90**]  die  Hypotenuse: 

^  =  E  log  (cot  /3  cot  y  +  ycot^/3cotV  —  i) , 
oder,  da  cot y  =  oo  sein  soll:  71 

=  R  log  (2  oo  cot  ß)  =  B  (log  2  +  log  oo  +  log  cot  ß). 
Ebenso  wird  die  andre  Kathete 

B  ==  B  (log  2  -f-  log  cos  ß  -\-  log  oo) , 
und  mithin  der  Unterschied  zwischen  Hypotenuse  und  Kathete  gleich: 

—  B  log  sin  ß  *). 
Wenn  daher  ß  =  90*^  ist,  so  verschwindet  der  Unterschied,  und 
die  Hypotenuse  wird  ebenso  wie  die  andre  Kathete  gleich  Null; 
demnach  wird  eine  Linie,  die  auf  zwei  von  den  Seiten  des  gröfsten 
Dreiecks  senkrecht  steht,  in  das  Ende  dieser  Seiten  fallen,  die  freilich 
unendlich  sind. 

Setzt  man  ß  =  45*^,  so  wird  der  Unterschied  zwischen  der  Hypo- 
tenuse Ä  und  der  Kathete  B  gleich  B  ^  log  2,  und,  wenn  /3  =»  0  ist, 
wird  der  Unterschied  gleich  oo. 

Aus  solchen  Unterschieden  kann  man  auch  die  Linien  finden,  die 
von  zwei  Loten  abgeschnitten  werden**). 


*)  [Das  Ergebnis  ist  richtig.     Um  es  in  aller  Strenge  herzuleiten,  hat  man 
in  den  Formeln: 

J.  =  i?  log  (cot  (3  cot  y  +  Ycot^ß  cotV  -^) 
und 


B^M^o,r:^.+y'iSj-^) 


cosß 
sin  y 

den  Winkel  y  als  sehr  klein  anzunehmen   und  Ä  —  B  nach  Potenzen   von  y   zu 
entwickeln.     Dann  wird 

Ä  —  B  =  —  Blog  sin(3  +  (y), 

wo  (y)  für  y  =  0  verschwindet.] 

**)  [Wahrscheinlich  hat  Tauritms  hier  Folgendes  gemeint:  Werden  Ton  zwei 
Punkten  D  und  D'  der  Seite  AB  des  gröfsten  Dreiecks  ABC  die  Lote  DE  und 
D' E'  auf  die  Seite  BG  gefällt,  so  entstehen  zwei  rechtwinklige  Dreiecke  BEB 
imd  BE'  D',  die  beide  in  B  den  Winkel  Null  haben.  Die  beiden  Lote  schneiden 
also  von  AB  eine  Linie  DU  ab,  die  gleich  dem  Unterschiede  der  beiden  Hypo- 
tenusen BD'  und  BD,  also  gleich 

„,      cot  BD' E' 

M  l0£f  ■ 

°    cot  BDE 
ist.     Ebenso  ist 

„,      cos  BD'E' 
^^'^-^S^BDE 

der  Ausdruck  für  die  Länge  der  Linie  EE.     Von  dieser  Formel  wird  später,  am 
Ende  der  Seite  72  des  Originals  (hier  S.  280),  Gebrauch  gemacht.] 


278 


F.  A.  Taurinus. 


2.  3Ion  soll  die  Seiten  und  die  Winkel  des  gleichseitigen  Drcieclcs 
finden,  das  innerhalb  des  gröfsten  Breiechs  so  gezeichnet  ist,   dafs  seine 

Eclien  auf  dessen  Seiten  liegen. 

In  dem  gröfsten  Dreieck  ABC 
(Fig.  II.)  seien  AB,  BE,  CF  die 
Lote,  die  einander  in  dem  Mittcl- 
})uukte  X  des  Dreiecks  schneiden. 
Man  ziehe  FE,  FB,  EB,  sodafs 
das  gleichseitige  Dreieck  FEB  ent- 
steht. Da  für  jedes  gleichseitige 
Dreieck   die  Formel  gilt: 


cos  a 


1  -f-  cos  a 
A 


Fig.  n. 


cosa  = 


und  da  der  "Winkel  EBC  gleich 
90^  —  ^a  =  arc  cos  (sin  -^- «)  ist,  so 
wird*) 

3  —  coso:  3  -}-  2  cosa 

1  -|-  coso;  1  -f  2  coso' 

und  aus  dieser  Gleichung  ergiebt  sich  die  Seite  des  Dreiecks 

A  7,1  1/5  +  3 

.4  =  ii'log-^^^^; 
ferner  ist  cos  «  =  |  und  cos  cc  =  0,6. 

3.  Man  soll  den  Inhalt  eines  Bi'ciecks  finden,  ivenn  dessen  Seifen 
gegeben  sind. 

Der  Inhalt  des  gröfsten  Dreiecks  sei  gleich  31.  Wir  haben  schon 
72  bewiesen,  dafs  sich  die  Flächeninhalte  von  Dreiecken  wie  die  Unter- 
schiede ihrer  "Winkelsummen  von  zwei  Rechten  verhalten.    Nun  ist  der 


*)  [Das  Dreieck  ^DC  hat  nämlich  die  Winkel  0",  90' -,  90*—  --,  und 

es  ist  DE  =  xi.    Folglich  hat  mau  nach  der  allgemeinen  Formel  S.  274,  Z.  G  v.  u. 

1  -f-  sin*    ;^ 


1  -f  cos  a 


Wird  hierin  für  cosa  sein  Wert 


1  -j-  cos  a 
eingesetzt,  so  ergiebt  sich  die  Gleichung  des  Textes.] 


Stücke  aus  den  Cieometriae  prima  clcmcnta.     1826.  270 

Uiitcr-scliiod,    Aveim    die    Seitoji    a,  h,  c    !^'<'gcbeji    siml'-'j,    deren    luilbe 
Summe  gleich  S  sei,  gleich : 


j:  arc  sin 


1/  sin ; •  sin ; •  sm ; •  sin 


S-  a       .     S—h       .S  —  c 
•  sm •  sin — — 

■Ry-1      iiy-i      E]/— 1      B-\/-i 

1         a  1         b  1  c 

"2  cos ■  cos •  cos 


und  diese  Formel  hat  man,  um  den  Inhalt  zu  finden,  mit  M  zu  mul- 
tiplicieren  und  durch  n  zu  dividieren. 

Wenn  aber  das  Dreieck  gleichseitig  ist  und  sehr  kleine  Seiten 
hat,  so  sind  die  Winkel  ungefähr  gleich  zwei  Rechten,  und  der  Inhalt 
des  Dreiecks  ist  gleich  dem  Inhalte  des  ebenen  Dreiecks,  das  von  den- 
selben Seiten  gebildet  wird.     Nun  ist: 

.5^ 


-S                  1 
sm  — -^^_  =  — ; V  c  "  —  e 


BY—l        2^—1 

und  so  weiter,    man  erkennt  daher  leicht,    dafs   der  Inhalt    des  Drei- 
ecks dem  Werte: 

in    '  ir- 

sehr  nahe  kommt**),  der  seinerseits  dem  Werte  [für  das  ebene  Dreieck] : 

a^ys 

4 
gleich  sein  mufs.     Mithin  ist: 

oder,  da  der  Parameter 
ist: 

(log  a-f  1/2  0' 

Zu  derselben  Gleichuno;  kann  man  auch  auf  folgende  Art  un- 
mittelbar  gelangen : 

Es  mögen  AB,  CD  (Fig.  III.)  zwei  Lote  sein,  die  man  in  einem 
gröfsten  Dreieck  von  einer  Seite  auf  die  andre  gefällt  hat,  und  zwar 
seien  sie  so  klein,  dafs  der  Winkel  ECD  einem  Rechten  nahe  kommt. 
Alsdann   darf  man   den  Flächenraum  ÄBCD   dem  Inhalt    der  ebenen 


*)  [Folgerichtig  müfsten  die  Seiten  Ä,  B,  G  genannt  werden.] 
**)  [Ist  a  =  b  =  c   und  a   sehr    klein,    so  darf  man  in    der  Formel   für  den 
Dreiecksinhalt  die  Cosinus  dm-ch  1,    die  Sinus  durch  ihre  Bogen  ersetzen.     Dann 
erhält  man 


~^ '  2  V  2  Ey^ '  v^  By^J  ~~  ~^^~ 

als  Wert  für  den  Inhalt  des  gleichseitigen  Dreiecks.] 


3    If 


280  F.  A.  Tauiinus. 

Figur  gleich  setzen,  die  von  denselben  Linien  eingeschlossen  wird, 
und  dasselbe  gilt  für  den  ganzen  Kaum  zwischen  den  unendlichen 
Linien  CE  und  DJE,  die  sich  auf  der  Seite  von  E  einander  immer 
mehr  nähern.     Ist  aber  BD  sehr  klein,  so  ist  es  gleich 

R.dlo^  cos  ECB 
oder,  wenn  ECB  mit  (p  bezeichnet 
vdrd,  gleich*) 


sing) 
—  x\ 

Ferner  ist**) 


COSqp      ^ 


n  71         T>  1        cos  qp  +  1 

LB  =  11  lose ?— ' —  • 

^       smqp 

Folglich  ist  der  ganze  Flächeninhalt  bis  zum  Lote  CB  gleich: 
*^  ^   cosqp       °        smqp 

Solange  nun  q)  beinahe  ein  Rechter  ist  oder  sin  (p  nahezu  gleich 
Eins,  ist  der  Logarithmus  gleich 

log  (cos  9  +  1) 
und,  da  cos^  ^^  ^^5  ^^^'  gleich 

cosg?, 
mithin  die  ganze  Ditferentialfunktion  gleich  —  Brdcp   oder  der  ganze 

Inhalt  gleich 

(90°  —  cp)  R^, 

und  das  gröfste  Dreieck  gleich***) 

4.  Man  soll  den  Umfang  eines  Kreises  finden,  dessen  Halbmesser 
gegeben  ist 

Wir  denken  uns  ein  Dreieck,    das  von   zwei  Halbmessern  a   und 

von  der  Sehne  b  des    zwischen    beiden   liegenden  Winkels  (p   gebildet 

wird.     Nach  der  Formel: 


*)  [Setzt  man  in  der  zweiten  Anmerkung  auf  S.  "277 
BB'E'  =  cp  4-  f?(p,  BDE=  cp, 

so  erhält  man  für  die  gesuchte  Linie : 

cos  (qp  -f  (Z  qp)  ■ 

B  log — ■ —  =  B.  dlog  cosqp.] 

cosqp  o  -r  j 

**)  [In  Nr.  1  des  Anhangs  war  ja  gefunden :  C  =  B  log  cot  h  ß.] 
***)  [Da  das  Dreieck  ECB  den  Flächeninhalt  (90"  — qp)\R^  besitzt,    während 
seine  Winkelsumme  90"  -j-  qp  beträgt,  so  gilt  die  Gleichung: 

(90»  -  gj)  iü- :  ili"  =  (90«  —  9)  :  TT, 

und  es  wird  daher,  wie  im  Texte  richtig  angegeben  ist:  31  =  itB'.] 


cos 

wird : 

cos 


Stücke  aus  den  Oeomctriae  prima  elementa.     18-26.  281 

I — '^^]  =  sin^  (       "^    I  cos  OD  +  cos^  ( — ^==  | 

\rV-iJ  \nV-iJ      ^  \rV-v 

( — ; )  =  (1  —  coscd)  cos^  I — :=^]  +  cosro . 


Wenn  daher  der  Winkel  qp  sehr  klein  ist,  und  man  für  cosg?: 

1 „-  sin''  <p 

setzt,  so  ist: 


'—^  =  I  sin^95  (cos'^  [-^^=)  -  0  +  ^ 


und ; 


+  i-sinV(eos^(^-)-l)  +  l). 

Man  setze  sinqp  gleich  seinem  Bogen,  gleich  — ,  wo  n  =  oo.     Ver- 
nachlässigt man  sodann  die  Glieder,  die  sin^g?  enthalten,  so  wird  der 


Logarithmus  gleich: 


'"^G^V-nÄ)-^+0 


oder,  da  n  =  oo  ist,  gleich 


"V  cos^  (-^)  -  1 


Mithin  wird  der  ganze  Umfang  gleich*): 


2nR  ^Vcos'^  (-^^)  -  1  =  ^^rVcos'  (-^  A  -  1 . 
n  Y  \Ey—l/  Y  XBy^iJ 

Man  setze  zum  Beispiel  cos| — 7=)  =V^  oder  «=i?log  (1  +l/^), 


*)  [Setzt  man  in  diesem  Ausdruck  an  die  Stelle  von  cos  ( \  seinen  Wert 


so  erhält  man  für  den  Umfang  genau  den  Ausdruck 


den  Gaufs  1831   in  dem    einen  seiner  Briefe    an   Schumacher  angegeben   hat 

(s.  S.  234).] 


282 


F.  A.  Taurinus. 


SO  ist  der  Umfaiif;-  oleicli  21{7t.      Oder,    wenn   cos  ( r;^-)=  1  +  f7, 

°  °  '  \Ry-ll  '      ' 

Avo  d  sehr   klein   ist,   so   ist   der  Umfang   gleich    27tEy2d,    und    der 

74  Halbmesser  [«]  gleich 

R  log  (l  +  (?  -f  Vil^df^  l)  =  RYM. 

Bei  sehr  kleinen  Kreisen   verhält   sich  daher   der  Umfang   zum  Halb- 
messer ebenso,  Avie  in  der  Euklidischen  Geometrie.     Ist  dagegen 


cos 


(z?y-i) 


so  ist  der  Umfang  im  Verhältnis  7Aim  Halbmesser  unendlich  o-rofs. 

Auf   ähnliche  Weise   findet    man    den   Inhalt    des   Kreises,    wenn 
der  Halbmesser  a  gegeben  ist.     Er  ist  nämlich  gleich*): 


oder,  da 


271  (cos 


(i?V~i) 


1  U^" 


ist,  gleich 


„  =  iilog(.os(^)+yeos^(^)-.) 


"■"(-'iw^)-')'" 


Ist  zum  Beispiel  cos  ( ^r= )  =  V2,  so  ist  der  Inhalt  des  Krei- 

^  \Ry~lJ        ^     ' 

ses  gleich: 

2  TT  (]/2  — l)a=' 

(log  (1+1/2)/' 

"während  der  Umfang  desselben  Kreises  gleich: 


2  TT  a 


ist. 


iog(i+y2) 


Die  Oberfläche*)  der  Kugel  findet  man  gleich: 


*)  [In  seiner  Geometrie  imaginaire  (Crellesches  Journal  Bd.  17,  S.  307 
und  309,  Geometrische  Werke  Bd.  2,  S.  596  und  598)  findet  Lobatschefskij  für  den 
Flächeninhalt  des  Kreises  vom  Halbmesser  r  den  Wert 

und  für  Oberfläche  und  Rauminhalt  der  Kugel  vom  Halbmesser  ;•  die  Werte : 


n  (e'  —  e    ')"  und  4«  (e" 


4r); 


die  Ton  Taiirinus  angegebenen  Ausdrücke  gehen  für  E  =  1,  a  =  r  in  die  Lobat- 
schefskijschen  über.] 


Stücke  aus  den  Geometiiae  prima  elrnieiita.     182(3.  28B 


^-(™^^(,7>feT)-')^^' 


und  ihren  Rauminhalt  ccleich 


4;rE^  -  I  ( l/cos^  (-^)  -  1  ■  cos  (-^)  -  A . 

2  \r        \By-i/  \Ey- 1/     uj' 

und  ebenso  beweist  man  mit  leichter  Mühe  noch  vieles  Andre. 

Zum  Sclilufs  sei  noch  Folgendes  bemerkt :  In  der  logarithmisch- 
sphärischeu  Geometrie  sind  zwar  die  Sinus  alle  unmöglich,  aber  die 
trigonometrischen  Formeln  enthalten  trotzdem  nichts  Unmögliches, 
da  die  Sinus  immer  in  solchen  Verbindungen  vorkommen,  dafs  ihr 
Produkt  möglich  wird.  Das  ist  auch  gar  nicht  Avunderbar,  weil  alle 
Verbindungen  der  trigonometrischen  Linien  aus  der  Ähnlichkeit  von 
Dreiecken  hergeleitet  werden,  und  daher  Alles,  was  von  den  wahren 
trigonometrischen  Linien  bewiesen  wird,  ebenso  auch  von  den  imagi- 
nären gilt. 


284  F.  A.  Taurinus. 


Abweichungen  vom  Urtext. 

S.  -271,  Z.  17, 10  V.  u.  (S.  65,  Z.  9,  4  v.  u.).  Im  Urtext  steht:  >  —  1  statt:  <  —  1. 
Das  wiederholt  sich  auch  im  Druckfehlerverzeichnis  S.  76,  Z.  6  v.  u.,  bei  uns 
S.  •272,  Z.  5,  4  V.  u. 

O      .-.-1       V      11  ,a     f-      ry     f.  ^        7  1    -j-  COS.    «  COS.« 

b.  2(1,  Z.  11  V.  u.  (S.  6o,  Z.  6  V.  u.^.  du  arc.  cos.  — statt  «aarccos.  — ; • 

COS  .  «  1  +  (^os .  u 

S.  271,  Z.  7  V.  u.  (S.  65,  Z.  2  v.  u.)  ^  •<  ^  statt:  y  >  ?r,  was  übrigens  schon  Tau- 
rinus selbst  im  Druckfehlerverzeichnis  (S.  76,  Z.  8  v.  u.)  verbessert  hat. 

S.  272,  Z.  6,  8  v.  0.  (S.  66,  Z.  7,  8  v.  o).  Taurinus  hat  diese  Formeln  ofienbar 
aus  der  vorher  benutzten  richtigen  Gleichung: 

1        ,      y  —Vy^—  1 
arc  cos  y  = log '^  ^ 

durch    die   Substitution:    y  =  cos  («j/—  l)  abgeleitet;  bei  den  so  entstehen- 
den Formeln  mufs  aber: 


y  C0&-  (a|/^^)  —  1  =  —  Y—  1  sin  («]/—  l) 

gesetzt  werden,  was  unbequem  ist  und  zu  Verwechselungen  Anlals  giebt. 
Wir  haben  deshalb  in  beiden  Formeln  der  rechten  Seite  das  entgegen- 
gesetzte Vorzeichen  erteilt,  als  bei  Taurinus. 

S.  272,  Z.  5 — 1  V.  u.  (S.  76,  Z.  7 — 1  v.  u.).  Die  Anmerkung  lautet  im  Urtext 
folgendermafsen : 

,,pag.  66.  notandum  erat,  si  cosinus  fierent  negativi,  >  —  1,  formulam 
generalem  p.  65.  converti  eaque  etiam  exprimi  latus  per  angulos,  negative 
tamen;  quod  eum  sensum  habere  videtur,  ut  anguli  (qui  hie  sunt  >-  120".) 
non  eint  anguli  trianguli,  sed  eorum  complementa  ad  duos  rectos." 

S.  274,  Z.  18—16  V.  u.  (S.  69,  Z.  1—4  v.  o.).  Die  Überschrift  lautet  im  Urtext: 
„Additamentum  |  solutiones  problematum  geometriae  logarithmo-  |  sphaericae 
insigniorum  continens.  |  (Cum  adjecta  tabula.)" 

S.  275,  Z.  2—4  V.  0.  (S.  69,  Z.  15  v.  o.).    Im  Urtext  steht:  „sed  cos.c=^   \^      , 

itaque    c  =  log  .  cotang  .  +  ß",     während    nachher     für     ß  =  45"    richtig: 
C  ^  R  log  .  (l  -|-  y2)  angegeben  ist. 
S.  275,  Z.  14,  13  V.  u.  (S.  70,  Z.  1  v.  o.).    „Vice  versa  cotang .  ^  ß  est  =  e*"'  etpo- 
sito  c  =  1". 


Abweichungen  vom  Urtext  der  Elementa.  285 

S.  276,  Z.  4  V.  0.  (S.  70,  Z.  8  v.  o.).  Der  Faktor  li  fehlt  im  Urtext,  während 
er  nachher,  bei  der  Betrachtung  des  Falles  a  -\-  (3<;i80",  angegeben  ist. 

S.  276,  Z.  6,  5  V.  u.  (S.  70,  Z.  5,  4  v.  u.)  „Hypoteiiusae  quoque  et  alteri  catheti 
trianguli  rectangnli  .  .  .  inveniuntur." 

S.  277,  Z.  10  V.  0.  (S.  71,  Z.  5  v.  o.).     Der  Faktor  B  fehlt. 

S.  278,  Z.  14,  15  V.  0.  (S.  71,  Z.  7  v.  u.).  „angulus  EDG  =  go»  —  x  a,  =  arc.  sin.  \  a". 

S    279,  Z.  3  V.  0.  (S.  72,  Z.  5  v.  o.).     Im  Urtext  fehlt  bei  S,'a,  b,  c  der  Faktor 


den  wir  hier  wie  im  Folgenden  überall  hinzugefügt  haben. 

Man  könnte  allerdings  annehmen,  dafs  Taurinus  wie  früher  auch  hier 
unter  a,  h,  c  die  durch  i?)/— 1  dividierten  Seiten  versteht,  aber  selbst 
dann  hätte  eine  ganze  Anzahl  von  Formeln  geändert  werden  müssen.  Tau- 
rinus hat  offenbar  den  ganzen  Anhang  sehr  schnell  geschrieben  und  sich 
dabei  gewisser  Abkürzungen  bedient ,  wie  man  das  in  Aufzeichnungen  für 
den  eignen  Gebrauch  zu  thun  pflegt;  zum  Beispiel  hat  es  ganz  den  Anschein, 
dafs  er  die  Zeichen  cos  c  und  sin  c  in  ähnlicher  Bedeutung  benutzt,  wie  man 
heutzutage  den  hyperbolischen  cosinus  und  sinus  benutzt.  Da  er  immer  den 
richtigen  Weg  angiebt  und  auch  zu  richtigen  Endergebnissen  gelangt,  so 
unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dafs  die  Ungenauigkeiten  des  Urtextes  durch 
das  Gesagte  zur  Genüge  erklärt  sind.  Wir  haben  uns  bestrebt,  alle  diese 
Ungenauigkeiten  zu  beseitigen  und  den  Text  unmittelbar  verständlich  zu 
machen,  werden  aber  im  Folgenden,  wie  immer,  von  jeder,  auch  noch  so 
kleinen  Abweichung  vom  Urtext  Rechenschaft  geben. 

S.  279,  Z.  9,  10  V.  0.  (S.  72,  Z.  11,  12  v.  o.).    „Et  cum  sit  sin  .  S  = etc." 

S.  279,  Z.  13  V.  0.  (S.  72,  Z.  13  v.  o.).    Im  Nenner  fehlt  der  Faktor  E^,  während 

nachher  richtig:  M  =  Ttli^  gefunden  wird. 
S.  280,  Z.  .5,  8,  10  V,  0.  (S.  72,  Z.  3,  2,  2  v.  u.).      Bei    allen    drei    Formeln   fehlt 

der  Faktor  B. 
S.  280,  Z.  12,  18  v.  0.  (S.  73,  Z.  1,  4  v.  o.).     Bei  den  Differentialausdrücken  fehlt 

beide  Male  der  Faktor  B^,    während   er  in  der  endgültigen  Formel  für  den 

Flächeninhalt:  (90**  —  q))B^  angegeben  ist. 
S.  280,  Z.  14  V.  u.  (S.  73,  Z.  7  v.  o.).  „3."  statt:  „4." 
S.  281,  Z.  1,   3  V.  0.  (S.  73,   Z.  11,  12  v.  o.).      Bei  a  und  h   fehlt  wiederum    der 

Faktor 

1 


S.  281,  Z.  7,  9,  10,  14,  16,  18  v.  o.  (S.  73,  Z.  11,  10,  9,  6,  5,  4  v.  u.).     Dem  Vor- 
hergehenden entsprechend  stehen  im  Urtext  a  und  h  statt: 

a  ,6 

und  .=r  • 

BY-l  -B 

S.  281,  Z.  8  V.  u.  (S.  73,  Z.  4  v.  u.).     In  beiden  Ausdrücken  fehlt  der  Faktor  B. 
S.  281,  Z.  7  v.  u.  und  S.  282,  Z.  1,  2  v.  o.  (S.  73,  Z.  3,  2,  1  v.  u.).    „Ponatur  v.  g. 

cos  .  a  =  |/2,  vel  a  =  log  .  (l  -|-y^),  peripheria  erit  =  Bn:  vel  si  cos  .  a  sit. 

=  1  -\-  d,  ubi  d  exiguum  sit,  circumferentia  erit  =  |/2f/". 


28G  F-  A.  Taurinus.    Abweichntigen  vom  Urtext  der  Elementa. 

S.  282,  Z.  4.  V.  0.  (S.  74,  Z.  1,  2  v.  o.)  fehlt  in  beiden  Ausdrücken  der  Faktor  li, 
S.  282,   Z.  7,  11,  13,  15,  16  v.  u.   (S.  74,   Z.  3,  7,  8,  9,  10  v.  o.).     Überall  cos.« 


statt  cos  I =-  I  • 


S.  283,   Z.  1,   3  V.  0.  (S.  74,  Z.  12,  11  v.  u.).    cos.«  und  a  statt: 

a 


Uy- 1) 


und     j^ 


Die  in  runde  Klammern  eingeschlossenen  Seitenzahleu  beziehen   sich  auf  die 
Originalausgabe  der  Geometriae  prima  elementa.  Köln  1826. 


VERZEICHNIS 


VON 


SCHRIFTEN  ÜBER  DIE  PARALLELENTHEORIE, 


DIE  BIS  ZUM  JAHRE  1837  ERSCHIENEN  SIND. 


Bei  der  Aufstellung  des  folgenden  Verzeichnisses  von  Schriften 
über  die  Parallelentheorie  haben  wir  eine  Reihe  wertvoller  Vor- 
arbeiten benutzen  können,  die  am  Ende  dieser  Einleitung  in  chrono- 
logischer Reihenfolge  aufgezählt  sind. 

Wir  haben  geglaubt,  eine  Pflicht  der  Gerechtigkeit  zu  erfüllen, 
indem  wir  hinter  den  Schriften,  die  wir  von  unsern  Vorgängern  über- 
nommen haben,  den  Namen  des  Autors  nannten,  bei  dem  sie  zuerst 
erwähnt  werden.  Hiermit  haben  wir  zugleich  einen  andern  Zweck 
erreicht.  Da  wir  uns  bald  überzeugten,  dafs  viele  unter  diesen  An- 
gaben unvollständig  und  ungenau  waren,  sind  wir  bemüht  gewesen, 
die  Schriften,  die  wir  anführen,  soweit  das  irgend  möglich  war, 
selbst  einzusehen.  Die  Schriften,  die  wir  uns  verschaffen  konnten, 
sind  mit  einem  (*)  bezeichnet;  wo  uns  nur  eine  spätere  Auflage  zu 
Gebote  stand,  ist  ein  (f)  angewandt  worden.  Nur  für  den  so  ge- 
kennzeichneten Teil  unsers  Verzeichnisses  können  wir  die  volle  Ver- 
antwortlichkeit übernehmen.  Wo  wir  uns  auf  unsre  Vorgänger  ver- 
lassen  mufsten,  ist  auf  die  soeben  erwähnte  Art  immer  ein  Gewährs- 
mann, in  Fällen,  wo  die  Angaben  einander  widersprechen,  sind 
mehrere  angeführt. 

Obgleich  die  Anzahl  der  Schriften  unsers  Verzeichnisses  bis  auf 
253  angewachsen  ist,  können  wir  keinen  Anspruch  auf  unbedingte 
Vollständigkeit  machen.  Wir  hoffen  indes,  nichts  Wesentliches 
übersehen  zu  haben.  Damit  man  erkennt,  was  wir  als  wesentlich 
ansehen,  wollen  wir  die  Grundsätze  darlegen,  die  uns  bei  der  Auf- 
stellung des  Verzeichnisses  geleitet  haben. 

Eine  grofse  Schwierigkeit  lag  darin,  dafs  es  unmöglich  ist,  eine 
scharfe  Grenze  zwischen  den  Schriften  zu  ziehen,  welche  die  Paralleleu- 
theorie  im  engern  Sinne  und  denjenigen,  welche  die  Grundlagen  der 
Geometrie  überhaupt  behandeln.  Von  der  überaus  grofsen  Zahl  der 
Euklid-Kommentare  haben  wir  daher  nur  die  aufgenommen,  in  denen 
die  Parallelentheorie  ausführlicher  behandelt  wird.  Dasselbe  gilt  von 
den  ebenso  zahlreichen  Lehrbüchern  der  elementaren  Geometrie. 
Wir  verkennen  nicht,   dafs   die  Entscheidung   über   die  Aufnahme  oft 

Stäckel  u.  Engel,  Paralleleutbeorie.  19 


290  Einleitung  zu  dem  Litteraturverzeichnis. 

recht  schwer  war,  und  dafs  subjektives  Ermessen  dabei  ins  Spiel  ge- 
kommen sein  mag.  Übrigens  hat  Riccardi  1887  — 1890 in  den  Memorie 
di  Bologna  eine  sehr  sorgfältige  und  vollständige  Aufzählung  der  Euklid- 
Ausgaben  und  Euklid-Kommentare  gegeben,  und  eine  grofse  An- 
zahl von  Lehrbüchern  ist  von  Schotten  besprochen  worden. 

Ebenso  haben  wir  darauf  verzichtet,  Besprechungen  von  Wer- 
ken über  Paralleleutheorie,  die  sich  in  kritischen  Zeitschriften 
—  wie  den  Göttingischen  gelehrten  Anzeigen,  der  Jenaer 
Literaturzeitung,  den  Heidelberger  Jahrbüchern  —  finden,  in 
unser  Verzeichnis  aufzunehmen;  nur  in  einigen  wichtigen  Fällen  sind 
wir  von  diesem  Grundsatze  abgewichen.  Endlich  ist  zu  bemerken, 
dafs  neue  Auflagen  nur  dann  besonders  angeführt  worden  sind, 
wenn  sie  von  den  älteren  erheblich  abweichen. 

Hinter  dem  chronologisch  geordneten  Verzeichnisse  der  Schriften 
über  die  Parallelentheorie  findet  man  die  Autoreu,  so  weit  das 
möglich  war  mit  Angabe  ihrer  Lebenszeit,  in  alphabetischer  Folge 
angegeben. 

Das  Jahr  1837,  mit  dem  wir  unser  Verzeichnis  abbrechen,  ist  für 
die  Geschichte  der  nichteuklidischen  Geometrie  von  besonderer  Bedeu- 
tung: 1837  erschien  im  siebzehnten  Bande  von  Grelles  Journal  für 
die  reine  und  angewandte  Mathematik  Lobatschefskijs  Geometrie 
imaginaire,  und  damit  erfuhr  zum  ersten  Male  die  ganze  mathema- 
tische Welt  etwas  von  dem  Vorhandensein  einer  nichteuklidischen 
Geometrie.  Die  in  den  Jahren  von  1837  bis  zum  Tode  von  Gaufs 
erschienenen  Arbeiten  über  Parallelentheorie  sind  zum  gröfsten  Teil 
so  unbedeutend,  dafs  wir  nicht  für  nötig  gehalten  haben,  sie  voll- 
ständig aufzuführen;  die  wirklich  wichtigen  unter  ihnen  haben  wir 
ja  bereits  in  der  Einleitung  zu  dem  Abschnitte  über  Schweikart 
und  Taurinus  erwähnt. 

Zum  Schlüsse  richten  wir  an  die  Leser  unsers  Buches  die  Bitte, 
Lücken  oder  Ungenauigkeiten,  die  sie  in  uuserm  Verzeichnis  be- 
merken, der  Verlagsbuchhandlung  mitteilen  zu  wollen;  jede,  auch  die 
kleinste  Verbesserung  werden  wir  mit  Dank  entgegennehmen. 


Bibliographische  Quellen  in  chronologischer  Folge.  291 


Bibliographische  Quellen 

in    chronologischer    Folge. 

Hinter  jeder  dieser  Quellenschriften  ist  in  kleiner  Schrift  das  Stichwort  angegeben,  durch  das  sie  im 

Folgenden  bezeichrjct  wird. 

Klügel,  G.  S.,  Conatmmi  jiraecipuormn  theoriam  parallelanim  demonstrandi  recensio. 

Dissertation.     Göttingen  1763.     4".  -^'«>'- 

Murhardt,    F.  W.   G.,    Litteratur  der  mathematischen    Wissenschafteil.      Band  1, 

Leipzig  1797,  Band  2,  1798.     8«.  Muri.arjt. 

Volt,    P.  Chr.,    Percursio  conatmmi  demonstrandi  paraUelarum  theoriam  de  üsque 

judicitm.     Dissertation.     Göttingen  1802.     8".  ''<-"■'■ 

Hoffmaim,  J.  J.  J.,  CritiJc  der  Parallelentlieorie.     Erster  Teil.     Jena  1807. 

ffoffmann,  Crilik. 

Scliweikart,  F.  C,  Die  Theorie  der  Parallellinien  nebst  dem  Vorschlage  ihrer  Ver- 
bannung aus  der  Geometrie.    Leipzig  und  Jena  1807.    8".    S.  2—6.  ■■^chwmkart. 

Müller,  J.  W.,  Auserlesene  Mathematische  Bibliothek.  Nürnberg  1820.  8". 
S.  229—234.  ^'^«""■• 

Müller,  J.  W.,  Bepertorium  der  mathematischen  Literatur.  Augsburg  und  Leipzig. 
3  Teile.     [f822  bis  1825].     8^  MüUer,  RepcnoniuH. 

Wahl,  F.  W.  L.,  Dissertatio  mathematica  symbolas  ad  epicrisin  theoriarum  parallelas 
spcctantium  continens.  Particula  I.  Insunt  IV  theoriae  earumque  censura. 
Jena  1823.     4«.  ''  "««• 

Ersch,  Joh.  Sa.,  Literatur  der  Mathematik,  Natur ivissenschaft  und  Geiverbekunde 
mit  Lihegriff  der  Kriegskunst.  Neue  fortgesetzte  Ausgabe  von  F.  W.  Schweiger. 
Band  3  der  zweiten  Abteilung  von:  Ersch,  Handbuch  der  deutschen  Lite- 
ratur.    Zweite  Ausgabe.     Leipzig  1828.     8*'.     Spalte  49—51.  ■'^''sc''- 

Rog'g,  J.,  Handbuch  der  mathematischen  Literatur,  Erste  Abteilung.  Tübingen  1 830. 8". 

Roffg. 

Hill,  C.  J.,  Conatuum  theoriam  linearum  parallelarum  stabiliendi  praecipuorum 
brevis  recensio.     Pars  1.     Lund  1835.     4^.  ^^'«• 

Solinke,  L.  A.,  Artikel  Parallel  in  der  Allgemeinen  Encyclopädie  der  Wissen- 
schaften und  Künste  von  Ersch  und  Grub  er.  Dritte  Section.  Bd.  11. 
Leipzig  1838.     4".     S.  368—384.  Sohnke. 

Sohnke,  L.  A. ,  Bibliotheca  mathematica.  Verzeichniss  der  Bücher  über  die  ge- 
sammten  Zweige  der  Mathematik,  welche  in  Deutschland  und  dem  Auslande 
vom  Jahre  1830  bis  Mitte  des  Jahres  1854  erschienen  sind.   Leipzig  1854.    8". 

Sohnke,  Bibliotheca. 

Hoffmann,  J.  J.  J.,  Das  eilfte  Axiom  der  Elemente  des  Euclides,  neu  bewiesen, 
mit  erläuternden  und  erweiternden  Bemerkungen  versehen.   Halle  a.  S.  1859.  8*. 

Jloß'iiiann. 
19* 


292  Bibliographische  Quellen  iu  chronologischer  Folge. 

Poggendorff,  J.  C,  Biographisch-literarisclies  Handwörterhuch.    2  Bände.    Leipzig 

l.SGH.      4".  Poggendorg. 

Kiccardi;  P.,  Bibliotcca  matcmatica  italiuna  dalhi  origtnc  della  stampa  ai  primi 
anni  del  secolo  XIX.   Vol.  I.    P.  1.    Modena  1870.    P.  2.    Modena  1876.    8". 

Uiccardi,  BilAioteca. 

Riccnrdi,  P.,  Saggio  di  %ma  hihliografta  euclidea.  Memorie  della  R.  Accademia 
di  Bologna,    serie  4,   t.  VIII,  1887,   S.  401—523;    t.  IX,  1888,    S.  321—343; 

Serie   5,   t.   I,    1890,    S.    27—64.  Rkcardi,  Saggio. 

Riccardij  P.,  Elenco  cronologico  di  una  serie  di  monografie  attinenti  al  quinto 
X)Ostidato  di  Euclide,  alla  teoria  delle  parallele  ed  ai  pirincipj  della  geometria 
euclidea.    Memorie  della  R.  Accademia  di  Bologna,  serie  5,  1. 1.  1890,  S.  65 — 84. 

Uiccardi. 

Schotten,  H.,  Inhalt  und  Methode  des planimetrischen  Unierrichis.  2  Bände.  Leipzig 
1890  und  1893.     8».  Schotten. 


1482. 

^'Euldid,    Preclarissimus    liber    elementorum    Euclidis   etc.     Venedig 
(Erhard  Ratdolt).     fol.    {Erster  Druck.) 

1533. 
■■^  Proklos,    EvoiXf.tdov   ötoixsicov   ßtßL    le'  m   tav  Ssävog  6vvov6icbv. 
Eis  tov    avtov   xo    nQcotov   s^rjyrj^dtcov   IIqoxIov   ßißX.   Ö' .     Basel 
(Job.  Herwag),     fol.     {Editlo  princeps.) 

1557. 

*Peletier,   Jacques.     In  Euclidis  Elementa  Geometrica  Demonstra- 
tionuni libri  sex.     Leyden.     fol.  wndt  m5,  schweikan. 

1560. 
*Barozzi,  Francesco,  Prodi  Diadoclii  Lycii  philosophi  platonici  et 
mathematici  probatissimi  in  primum  Euclidis  Elementorum  librum 
commentariorum  ad  universam  mathematicam  disciplinam  prin- 
cipium  eruditionis  tradentium  libri  IUI  summa  opera  a  Francisco 
Barocio  Patritio  Veneto  expurgati  Scholiis  et  Figuris  aucti  primum 
iam    romanae    linguae    venustate     donati     et    nunc    recens    editi. 

Padua.       fol.  Poggemlorf  1,  104  hat  1565. 

1569. 
*Ramus,  Petrus,   Scholarum  matliematicarum  libri  XXXI.     Lib.  V. 
S.  41.    Lib.  VII.     S.  165.     Basel.     4*^.  sohnJcc. 

um  1570. 

Belli,  Silvio,  GH  Elementi  Geometrici. 

In  seinem  TraUato  della  proportione  et  proportionalitä  comnmni  passioni  del 
quarito  libri  tre,  Venedig  1573  sagt  Belli  (Blatt  5),  da/s  er  am  Ende  seiner 
Elementi  Geometrici  einen  Beiveis  der  fünften  Forderung  gegeben  halte. 
Diese  Elemente  werden  jedoch  weder  hei  Poggendorff  noch  bei  Biccardi 
angeführt,  noch  sind  sie  auf  den   uns  zugänglichen  Bibliotheken  vorhanden. 

1574. 
fClavius,  Christoph,  Euclidis  elementorum  libri  XV.    Accessit  XVI. 
de  solidorum  regularium  comparatione.     Omnes  perspicuis  demon- 
strationibus,   accuratisque  scholiis    illustrati.     Rom.     8^.     (''Opera, 

t.    I.       Mainz     1591.)  lUccardi,  Saggio,t.IX,  S.  320. 


294  Verzeichnis  von  Schriftfa 

1587. 
*Patricio,  Francesco,  Della  nuova  geomctria  libri  XV.    Ferrara.    4". 

Hiccardi,  Biblioteca  2,  25'J. 

1594. 
*Nasir-E(l(liii,    Euclidis    elemeutoruin    libri    XIII    studio    Nassirediui 
Tusiiii  primum  arabice  impressi.     Kom.     fol.  müaei. 

1003. 
*Catal(li,   Pietro  Antonio,    Operetta  delle   linee  rette   equidistanti, 

et  non  equidistanti.     Bologua.     4''.     36  S.  musd. 

*  Dasselbe  lateinisch: 

Opusculum  de  lineis  rectis  aequidistantibus,   et  non  aequidistan- 
tibus.     Bologna.     4".     36  S.  Aiügei. 

1604. 

Cataldi,    Pietro   Antonio,   Aggiunta  all'  operetta  delle   linee  rette 
equidistanti,  et  non  equidistanti.     Bologna.     4". 

Riccardi,  Biblioteca  1,  303. 

f  Kepler,  Joliann,  Ad  Vitellionem  paralipomena,  quibus  astronomiae 
pars  optica  traditur.      Frankfurt.      4".     (*  Opera  omnia  ed.  Frisch. 

Vol.  JL        S.    185—188.)  Hagen,  Synopsis,  2,  7. 

Oliver  of  Biiry,  Thomas,  De  rectarnm  liuearum  parallelismo  et  con- 
cursu  doctrina  geometrica.  waius,  opera,  t.  ii,  s.  eeo. 

um  1613. 

Yalerio,   Luca,   Trattato   sulla   quiuta  dimauda   del   primo  d'Euclide. 

Von  Valerio  in  einem  Briefe  an  Galilei  vom  31.  August  1613  erwähnt: 
La  (Jeduzione  si  estende  per  molte  proposizioni  e  passi  difficili,  ma  perö  con 
facilitä  e  chiarezza  dimostrati.  (Le  Opere  di  Galileo  Gcdilei,  p^Hma  edizione 
complcta,  t.  VIII.  Firenze  1851.  S.  283.)  Ein  solcher  Trattato  loird 
jedoch  iveder  hei  Poggendorff  noch  bei  Hiccardi  angeführt,  noch  ist  er 
auf  den  ims  zugänglichen  Bibliotheken  vorhanden. 

1621. 

*SaTile,  Henry,  Praelectiones  tresdecim  in  principiuni  Elementorum 
Euclidis  habitae  1620.     Oxford.     4«. 

1637. 
Gestriii,  Martin,  In  geometriam  Euclidis  demonstrationum  libri  sex. 

Upsala.  Eneslröni,  liiblioteca  rnataiiatica,  Bd.  1.     Stockholm  1SS4.    S.  70. 

1639. 
fDesargues,  Girard,  Brouillon  project  d'une  atteinte  aux  evenemens 
des  rencontres  d'un   cone   avec  un  plan.     (*  Oeuvres  de  Desargues. 

Paris    1864.       Bd.    1.      S.    104.j  U.  Ballzer,  Elememe  l.  Auß.  Bd.  2,  S.  1.3,  ISO2. 


über  die  Pariillclcntheorie,  bi«  /-um  .lahrc  1837.  295 

1641. 
*(iul(lili,    l'aul,   Ceiitrobaryca  seu  de  ceiitro  gravitati.s  trium  specie- 
nini  quantitatis  coutinuae.     Lib.  IV.     Wien.     fol.  noreui  io.js. 

1654. 

•|*Tjicquet,  Andrea^  Elementa  geometriae  planae  et  solidae,  quibus 
accedunt  selecta  ex  Archimede  theoremata.  Antwerpen.  4*^. 
(* Amsterdam  1701.)  luccardi,  say/io,  t.  ix,  s.  320. 

1655. 

fHol)l)es,  Thomas,  Elementorum  pbilosophiae  Sectio  prima.  London. 
(*The  english  Works  of  Thomas  Hobbes,  edited  by  Sir  William 
Molesworth,  Vol.  I.     London  1839.     8«.     S.   189  —  190.) 

1656. 
fHobbes,  Thomas,  Six  lessons  to  the  professors  of  the  mathema- 
tics,  one  of  geometry,  the  other  öf  astronomy,  in  the  chairs  set 
np  by  the  noble  and  learned  Sir  Henry  Savile,  in  the  university 
of  Oxford.  London.  (*The  english  Works  of  Thomas  Hobbes, 
edited  by  Sir  William  Molesworth,  Vol.  VIL  London  1845.  8". 
S.  205—206.) 

1658. 
*Borelli,    Jo.  Alphons,    Euclidis   restitutus    sive  prisca   geometriae 
elementa  brevius  et  facilius  contexta.     Pisa.     4''.  Sacchen  1133. 

1667. 
f  [Ariiaiild,  xlntoine],  Nouveaux  Elements  de  Geometrie.    Paris.    4^. 
(*Haag,  1690.     S*'). 

1671. 
*Guariui,  Guarino,  Euclides  adauctus  et  methodicus.    Turin,    foh 
*rardies,  Ignace  Gaston,  Elemens  de  Geometrie.     Paris.     12". 


1680. 
*Gior(laiio,  Vitale  da  Bitonto,   Euclide  restituto  overo  gli  antichi 
elementi  geometrici  ristaurati,  e  facilitati.     Libri  XV.     Rom.     fol. 

Klügel. 

1686. 
OiortlaiiO,   Vitale  da  Bitonto,    Euclide  restituto   overo   gli  antichi 
elementi    geometrici    ristaurati    e    facilitati.      Libri  XV.      Seconda 
inipres«ione  con  nuove  Additioni.     Rom.     fol. 

iliirhardt  2,  36.     Riccardi,  Bibliotcca  1,  603. 


296  Verzeichnis  von  Scbriften 

1693. 
*Nasir-E(l(liii,  Nasaraddini  Demonstratio.     (Vou  Wallis  vorgetragen 

1G51.     Opera  t.  IL     Oxford.  1693.     fol.     S.  669.)  sacc/,en  im. 

■••Wallis,   Jobu,  Demonstratio  Postulati  Quiuti.     (Vorgetragen  1663. 

Opera   t.  IL     Oxford.  1603.     fol.     S.  674— 678.)  Sacd^en  ms. 

*  Wallis,    John,    De   Postulato   quinto;    et  definitione   quinta  Lib.  6. 

Euclidis;    diseeptatio     geometrica.       Opera    t.  IL       Oxford.       fol. 

S.    665 669.  Saccheri  1133. 

1710. 

*Wolif,  Christian,  Die  Anfangsgründe  aller  mathematischen  Wissen- 
schaften.    Erster  Theil.     Halle.     8°. 

1715. 
fMalezicu,   Nico  laus  de,   Elemens  de  Geometrie  pour  Monseigneur 
le  Duc  de  Bourgogne.     (*2.  ed.  1722.) 

Klüyel.     Poogendorff  2,  25.     Murhardt  l,  248  hat  VOX 

*Wolff,  Christian,  Elementa  Matheseos  Universae.  1. 1.  Halle  1715.  4°. 

Klügel  erwähnt  die  ^Ausgabe  von  173'J. 

1731. 
Yarigiiou,  Pierre,  Ele'mens  de  Mathematiques.     Paris.     4*^. 

Klügel.    Poggendorff  2,  1115  hat  1732. 

1733. 

*Sacclierij  Girolamo,  Euclides  ab  omni  uaevo  vindicatus;  sive 
conatus  geometricus  quo  stabiliuntur  prima  ipsa  geometriae  prin- 
cipia.     Mailand.     4".  Kiügei. 

1734. 

*Hauseii,  Christian  August,  Elementa  matheseos.     Leipzig.     4P. 

Klügel. 

1731). 

ySegiier,  Johann  Andreas,  Elementa  arithmeticae  geometriae  et 
calculi  gcometrici.     Göttingen.     8*^.     (*Halle  1756.     8°.) 

1741. 

*Clairaut,  Alexis  Claude,  Elements  de  Geometrie.  Paris.  8".      Kiügei. 

1744. 

Strömer,  Märten,  Euclidis  elementa  eller  gruudeliga  inledning  tili 
geometrien.     Första  delen  som  innehäller   de  sex  första  böckerna. 

XJpsala.       8°.  -^'"-     Poggendorff  2,  1020  hat  r.dO. 


über  die  Purallelcntlicorio,  bis  zum  Jahre  1837.  297 

1746. 

*La  Cliapelle,  de,  Institutions  de  geometrie.     2  vol.     Paris.     8°. 

l'o'jijciulurjf  1,  133S.     Voit  erwälini  die  [vierte]  *Aus'jabe  von  1165. 

1747. 

*Segiier,  Joliann  Andreas,  Deutliche  und  vollständige  Vorlesungen 
über  die  Rechenkunst  und  Geometrie.     Lemgo.     4*^.  KUi;,ni. 

fSimpsoii,  Thomas,  The  elements  of  Geometry.  London.  8". 
(*London  1821.) 

1750. 

Camus,  Charles  Etienne  Louis,  Cours  de  mathematiques.  IL  partie: 
Elemens  de  Geometrie.     Paris.  KUigei.  i-ogoendorff  i,  3<;s  hat  iiet;. 

1751. 

Hanke,  F.  G.,  Principia  theoriae  de  infinito  mathematico  et  demon- 
strationem  possibilitatis  parallelarum  publice  eruditorum  examini 
subjiciunt  Fredericus  Gottlob  Hanke  et  Benjamin  Gottlob 
Binder.     Breslau.     4*^.     19  S.  Kiwjei. 

1752. 

fBoscOTich,  Ruggiero  Giuseppe,  Elemeutorum  universae  mathe- 
seos  ad  usum  studiosae  juventutis  Tomas  L  Rom.  8.  (Die  König- 
liche Bibliothek  zu  Berlin  besitzt  Ausgaben  von  *1754  und  *1759.) 

Riccardi,  Biblioteca  1, 177. 

*  Kraft,  G.  W.,  De  numero  pari,  rectis  parallelis  et  principio  actionis 

miuimae.     Tübingen.  Poggendorff  i,  1309  hat  1753. 

1753. 

*  Kraft,    Georg    Wolf  gang,    Institutiones    geometriae    sublimioris. 

Tübingen.     4". 
Sauveiir,  Joseph,  Geometrie  elementaire  et  pratique  du  feu  M.  Sau- 
veur  M.  le  Blond.     Paris.     4^. 

Klügel.     Poggendorff  hat  unter  le  Blond  1,  1308  die  Jahreszahl  175S. 

1756. 

f  Simson,  Robert,  The  Elements  of  Euclid,  viz.  The  first  six  books, 
together  witli  the  eleventh  and  twelfth.  In  this  Edition  Errors 
by  which  Theon,  or  others,  have  long  ago  vitiated  these  books 
are  corrected  aud  some  of  Euclid's  Demonstrations  are  restored, 
Glasgow.    4''.     (*2.  edition,  Glasgow  1762.     8".)  von. 


298  Verzeicbnis  von  Schriften 

1758. 

'••KaestiKT,  Abraham  Gottlielf,  Anfangsgründe  der  Arithmetik, 
Geometrie,  Trigonometrie  und  Perspective.    Göttingen.   8^      niügei. 

Karsten,  Wenceslaus  Johann  Gustav,  Praeleetioues  matheseos 
tlieoreticae  elementaris.     Eostock  und  Wismar.     S*'.  Kiüoei. 

Koeuig,  C.  G.,  Elemeus  de  Geometrie,  coutenant  les  six  premiers 
livres  d'Euclide   mis  dans   un  nouvel    ordre    et   ä  la   portee   de  la 

jeuneSSe.       Haag.  KlUgel.    mccardi,  Sagglo. 

*Moutucla,  Jean  Etienne,  Histoire  des  Mathematiques.  1. 1.  Paris.  4^ 

1759. 

*(AIeinberl,  Jean  le  Roud  d'],  Me'langes  de  Litterature,  d'Histoire 

et  de  Philosophie.     Nouvelle  edition.     t.   V.     Amsterdam.     8". 

Voit  erwähnt  die  [eierte]  Ausgabe  von  1767. 

1760. 
*Karsteii,    Wenceslaus  Johann  Gustav,    Mathesis  theoretica  ele- 
mentaris et  sublimior.     Rostock  und  Greifswald.     8".  Kiügei. 

1761. 
Hagen,  Johann  Jacob  von,  Dissertatio  mathematica  sisteus  liuearum 
parallelarum  proprietates  uova  ratione  demonstratas,  quam  publicae 
eruditorum  disquisitioni   subjiciunt  Frederieus  Daniel  Beim    et 
respondens  Johann  Jacob  de  Hagen.    Jena.    4P.    28  S.      Kiügei. 

1763. 
*Klügel,    Georg  Simon,   Conatuum  praecipuorum  theoriam  paralle- 
larum  demonstrandi    recensio,    quam    publico    examini    Submittent 
Abrah.    Gotthelf   Kaestner    et    auctor    respondens    Georgius 
Simon  Klügel,     Göttiugen.     4".     30  S.     1  Tfl.  Lambert  me. 

1770. 
*l{ezoiit,  Etienne,  Cours  de  mathematiques  ä  l'usage  du  corps  royal 

d'artillerie.     4  Vol.     Paris   1770—1772.     S».  sohnke. 

^Scherffer,   Karl,   Institutionum  geometricorum   pars  prior  sive  geo- 

metria  elementaris,     Wien.     4".  Jiaug  i703. 

1771. 

Boehm,  Andreas,  De  rectis  parallelis  dissertatiuncula.  Acta  philo- 
sophico-medica  societ.  acad.  scient.  Hassiacae.  Jahrgang  1771. 
S.   1.     Frankfurt  und  Leipzig.  uurhardi  2,79. 


über  die  ParalJelenthcorio,  bis  zum  Jahre  ISiil.  20'J 

1772. 
"'Luino,  Francesco,  Lczioni  di  matematica  elementare.  Mailand.   8". 

Riccaidi,  Diblioteca  2,  hl. 

1775. 

*Bossut,  Charles,  Traite  elementaire  de  Geometrie.     Paris.     S''. 

Sohnke.     Pü(j'jendorff  1,  240  hat  1774. 

*Büsch,  Johann  Georg,  Encyclopaedie  der  historisclien,  philoso- 
phischen und  mathematischen  Wissenschaften.     Hamburg.     8*^. 

Poggendorf  1,  330.   Hill  hat  n<)r>. 

Simson,  Robert,  The  elements  of  Euclid  etc.  To  this  fifth  Edition 
also    amiexed    Elements     of    piain    and     spherical    trigonoraetry. 

Edinburg.        8°.  lUccardi,  Sayuiu. 

1778. 

*Bertraii(l,  Louis,  Developpemeut  nouveau  de  la  partie  elementaire 
des  mathematiques.     Genf     4^.     t.  II.     S.  19. 

Hindenhurg  1786.     Poggendorff  1,  171  hat  1774. 

^Karsten,  Wenceslaus  Johann  Gustav,  Versuch  einer  yöllig  be- 
richtigten Theorie  der  Parallelen.     Halle  a.  S.     4^.     20  S.         vou. 

Kesaer,  Franz  Xaver  von,  Abhandlung  über  die  Lehre  von  den 
Parallellinien.     Wien.     8^.     27  S.     1  Tfl.  Murhanit  2, 7<j. 

1780. 

Hauser,  Matthias,  Theorie  der  Parallelen.  Abhandlungen  der  An- 
fangsgründe der  Mathematik  zum  Gebrauche  der  k.  k.  Ingenieur- 
Academie.     Wien.     2.  Teil.     S.  34.  mn. 

Schultz,  Johann,  Vorläufige  Anzeige  des  entdeckten  Beweises  für 
die  Theorie  der  Parallellinien.     Königsberg.     8".        Poggendorff  2,  sgo. 

1781. 

Austiu,  William,  An  examination  of  the  first  six  books  of  Euclid's 

elements.     London.  Murkardt  2, 44. 

Felke! ,  Anton,  Neu  eröfihetes  Geheimniss  der  Parallellinien.    Wien. 

8^.       6    Bogen.        1    Tfl.  Murhardl  2,80. 

*Hmdenlburg,  Karl  Friedrich,  Ueber  die  Schwierigkeiten  bei  der 
Lehre  von  den  Parallellinien.  Magazin  für  Naturkunde,  Mathe- 
matik und  Oekonomie.    Leipzig.    8".    Jahrgang  1781.  S.  145 — 168, 

342—371.  Sohnke. 

1783. 
[Paguini,   Joseph  Maria],  Theoria   rectarum   parallelarum  ab  omni 
scrupulo  vindicata.    Auetore  J.  M.  P.  C.  P.    Parma.     8*^.       Rkcardi. 


oUU  Verzeichnis  von  Schritten 

1784. 
Schultz,    Joliauu,    Entdeckte    Theorie    der    Paralleleu,    nebst    einer 

Untersuchung  über  den  Ursprung  ihrer   bisherigen  Schwierigkeit. 

Königsberg.     S".     144  S.     2  Tfl.  Murhamt,  2,  so. 

Vcuturi,    Giambattista,    Memoria  intorno   alle  linee  parallele.     (In 

seinem  Lehrbuche:  Proposizione  di  geometria  plana.)    Modena.    4^ 

Riccanli. 

1786. 
^•' Bendavid ,    Lazarus,    Über  die  Parallellinien.     Schreiben  an  Herrn 

Hofrath  Karsten.     Berlin.     8".     16  S.     1  Tfl.  mrhardt  2,  so. 

"-•'Eichler,  Caspar,  De  theoria  parallelarum  Schulziaua.    Dissertation 

Leipzig.     4".     25  S.     4  Fig.  icrsc/,.  um. 

Geiisichou,  J.  F.,  Bestätigung  der  Schulze'schen  Theorie  der  Parallelen 

und  Widerlegung  der  Beudavidschen  Abhandlung  über  die  Parallelen. 

Königsberg.      8^.  l^rscU.     Rogg  S.  330. 

*Hi)uleiil)urg,  Karl  Friedrich,  Noch  etwas  über  die  Parallellinien. 

—  System  der  Parallellinien.     !\In  gazin  für  reine    und  angewandte 

Mathematik,  herausgegeben  von  BernouUi  und  Hindenburg.    Leipzig. 

8".     Jahrgang  1786.     3.  Stück.     S.  359—404.  von. 

Hofinaiiu,  Berichtigung  der  ersten  Gründe  der  Geometrie  nebst  dem 

Beweise,  dass  ein  einzelnes  Körpertheilchen  einen  Raum  einnimmt. 

Mainz.  Hindenburg  17S6,  S.  306. 

*Karstoii,  Wenceslaus  Johann  Gustav,  Über  die  Parallellinien. 
Mathematische  Abhandlungen,  zweite  Abhandlung.    Halle  a.  S.    4''. 

ilurhardt  2,  81. 

^Lambert,  Johann  Heinrich,  Theorie  der  Parallelliuien  (aufgesetzt 
Sept.  1766).  Magazin  für  die  reine  nnd  angewandte  Mathematik, 
herausgegeben  von  BernouUi  und  Hindenburg.  Leipzig.  8^.  Jahr- 
gang 1786.    2.  Stück,  S.  137-164,  3.  Stück,  S.  325—358.     vdt. 

Schultz,  Johann,  Darstellung  der  vollkommenen  Evidenz  und  Schärfe 
seiner  Theorie  der  Parallelen.     Königsberg.    8°.    60  S.  Ersch.   sohnke. 

1787. 

*Frauceschiui,  Francesco  Maria,  Teoria  delle  parallele  rigorosa- 
mente  dimonstrata.     Opuscoli  matematici.     Bassano.     8".  vou. 

1788. 
Schüblcr,  Christian  Ludwig,  Versuch  der  Einrichtung  unseres  Er- 
kenutnissvermögens  durch  die  Algebra  nachzuspüren.  Leipzig.    «'«/''■ 

1789. 
*Alemhert,    Jean   le    Rond  d',   Artikel:    Parallele    in    dem   Diction- 
naire  encjclopedique  des  Mathematiques.    Paris.    4*^.    t.  H.    S.  511. 


über  die  Parallelentheorie,  bis  zum  Jahro  1S?,7.  301 

yBoniiycasUe,  John,  Elements  of  Geometry  containing  tlie  principal 
propositions  in  tlie  first  six  and  tlie  eleventh  and  twelftli  book  of 
Euclid,  with  notes  critical  and  explanatory.  London.  (*5.  edition. 
London  1811.     8".)  Rogg.s.sos. 

Liudqiiist,  Johann  Hendrik,  Dissertatio  sistens  theoriam  linearum 

parallelarum.       Aboe.        16    S,        1     Tfl.  hui.     Hlurharat  2,80  untpr  Rosenbacl;. 

Voigt,  Johann  Heinrich,  Dissertatio  mathematica  exhibens  teiitamen 
ex  notione  distincta  et  completa  lineae  reetae  axiomatis  XI  Euclidis 
veritatem  demonstrandi.    Jena.    4^.    34  S.     1  Tfl.         Hoffmann,  Crink 

1790. 

Cagnazzi,  Lucca,  Memoria  sulle  curve  parallele.     Neapel.         soj,>de. 

*Kaestner,  Abraham  Gotthelf,  Was  heisst  in  Euclids  Geometrie 
möglich?  Philosophisches  Magazin  herausgegeben  von  J.  A.  Eber- 
hardt.     Halle  a.  S.  uurhardt  2, 4;. 

*  Seil  Otter  iugk,  M.  W.  von,  Demonstratio  theorematis  parallelarum. 
Hamburg.     8".     30  S.  Murhardt  2,81. 

*Swmdeii,  Jan  Hendrik  van,  Grondbeginsels  der  Meetkunde.  Amster- 
dam.    8*>. 

1791. 

*Loreiiz,  Johann  Friedrich,  Grundriss  der  reinen  und  angewandten 
Mathematik.     Helmstedt.     8^.     2  Teile.  hui. 

Toigt,  Johann  Heinrich,  Die  Grundlehren  der  reinen  Mathematik. 
Jena.     8^.     2  Tfln.  na«. 

1792. 

*Castilloii    (Castiglione),    Giovan,    Sur    les    paralleles    d'Euclide. 

Nouveaux    memoires    de    l'Academie    royale    de    Berlin.      Annees 

1786/87.    Berlin  1792.    S.  233— 254,  Annees  1788/89.    Berlin  1793. 

S.  171—202.     Berlin.     4".  schweihart. 

*El)ert,    Johann   Jacob,    Programma    academicum    de   lineis   rectis 

parallelis.     Wittenberg.     4".     14  S.     1  Tfl.  Muihardt  2,81. 

1793. 

*Hauft',  Johann  Karl  Friedrich,  Programma  academicum  quo  duas 
vexatissimas  matheseos  purae  elementaris  theorias  enodare  inque 
luce  dudum  desiderata  collocare  conatur.     Marburg.     4^.     33  S. 

Müller. 

1794. 

*Legeiulre,  Adrien  Marie,  Elements  de  geometrie.     Paris.     8°. 

Hof  mann,  Crilik. 


302  Verzeichnis  von  Schriften 

Fagiiiiii,  Joseph  Maria,  Epistola  in  qua  coutiuentur  castigationes 
ac  supplementa  libelli  Parmae  anno  MDCCLXXXIII  editi.  Parma.  8°. 

Riccardi. 

1795. 
'■"Fourier,    Jean  Baptiste  Joseph,    Seance   de  l'Ecole   normale   du 
25  pluviose  an  III.      Seances  des  Ecoles  normales.   Debats.   Tome  I. 
Nouvelle  edition,  Paris  1800.  S.  28.  (Wieder  abgedruckt  Mathesis, 
t.  IX.     1889.    S.  137—141.) 

Mansion,  Annales  de  la  Socii'le  scientißque  de  Bntxelles,  Annee  1888/80.     S.  57. 

*Rchl)eiii,  J.  H.  E.,  Versuch  einer  neuen  Grundlegung  der  Geometrie. 

Göttingen.     8°.  näiier. 

[Saladiiii,  Girolamo],  Trattato  delle  parallele.  luccardi. 

Wildt,   Johann  Christian  Daniel,    Systematis    matheseos   jiroxime 

vulgandi    specimen.     Theses    quae  de    lineis   parallelis   respondent. 

Habilitationsschrift.     Göttingeu.     8^.    35  S.     1  Tfl.         Muruardt  2, 82. 

1796. 

*  [Anders],    Bemerkungen   über   die  Theorie  der  Parallelen  des  Herrn 

Hofprediger  Schulz  und  der  Herrn  Geusichen  und  Bendavid.     Libau. 

8*^.       207     S.       2    Tfl.  Schweikart. 

*Kaestuer,  Abraham  Gotthelf,  Geschichte  der  Mathematik.    Bd.  I. 

S.    269.  ScJiweiiart. 

1797. 

*Laugsdorf,    Karl  Christian,    Theorie  der  Parallellinien  in:    Ch.  v. 

Wolfs    neuer    Auszug  .  aus    den    Anfano-sojründen    aller    mathema- 

tischen  Wissenschaften.     Mit   Zusätzen   von  Joh.  Tob.  Mayer   und 

Karl  Chr.  Langsdorf.     Marburg.  -^a«/  i~->->- 

Playfair,    Elements   of  geometry,    containing  the   first   six  books  of 

Euclid.     Edinburgh  und  London.     S^.  i<offg.  s.324.  Poggemiorff  2,4:0  hat  11  w. 
*Scbmidt,    Georg  Gottlieb,    Anfangsgründe    der  Mathematik   zum 
Gebrauche   auf  Schulen    und    Universitäten.     Frankfurt  a.  M.     8^. 

Bd.    1.       S.    131.  Sohnke. 

1798. 

*  Gilbert,  Ludwig  Wilhelm,  Die  Geometrie  nach  Legendre,  Simpson, 

van  Swinden,  Gregorius  a  S*  Vincentio  und  den  Alten  ausführlich 
dargestellt.     Teil  1.     Halle  a.  S.     8". 

1799. 

*Hauff,  Johann  Karl  Friedrich,  Neuer  Versuch  einer  Berichtigung 
der  Euklidischen  Theorie  der  Parallelen.  Archiv  der  reinen  und 
angewandten  Mathematik,  herausgegeben  von  Hindeuburg.  Leipzig. 
H''.     Heft  9,  S.  74.     Heft  10,  S.  178.  uofmann,  cnuk. 


über  die  Parallelentheorie,  bis  zum  Jahre  1837.  303 

*  Hindenburg',  Karl  Fricdricli,  Bemerkungen  zu  dem  Aufsatz  von 
Hauff.  Archiv  der  reinen  und  angewandten  Mathematik,  heraus- 
gegeben von  Hindenburg.    Leipzig.    8".    Heft  9,   S.  75. 

^Montucla,  Jean  Etienne,  Histoire  des  Miithematiques.  2.  editiou. 
t.  I.     Paris.     4^     An   VH.     S.  209.  schweüart. 

[?  Schöttering'k,  M.  W.  vonj,  Demonstratio  theorematis  parallelarum. 
Hamburg.  8^  30  S.  Vou. 

1800. 

'^Wildt,  Johann  Christian  Daniel,  Drei  Bew^eise  des  elften  Grund- 
satzes im  ersten  Buche  von  Euclids  Elementen.  Göttingische  ge- 
lehrte Anzeigen.    Stück  178.    S.  1769—1772.    Göttingen.    12". 

Schiveihart. 

1801. 

Gumaelius,  S.,  Dissertatio  sistens  novam  theoriam  linearum  parallela- 
rum.      Lund.  Klüijel,  Wörterbuch  (1808),  3,  730. 

Hoifüiaiili,  Johann  Joseph  Ignaz,  Versuch  einer  neuen  und  gründ- 
lichen Theorie  der  Parallelliuien,  nebst  Widerlegung  des  Haufi'- 
schen  Versuchs.     OfFenbach  a.  M.    8".    48  S.    1  Tfl.     iiofmann,  cruik. 

*Scli"wab,  Johann  Christian,  Tentameu  novae  parallelarum  theoriae, 
notione  situs  fundatae.    Stuttgart.  8".  XXX  u.  25  S.    1  Tfl.     Müiier. 

*[Seyft'er,  Karl  Friedrich],  Besprechung  der  Demonstratio  theore- 
matis parallelarum,  Hamburg  1799.  Göttingische  gelehrte  An- 
zeigen.    1801      12^     S.  407—408. 

1802. 

*Krause,  Karl  Christian  Friedrich,  Dissertatio  philosophico-mathe- 
matica  de  philosophiae  et  matheseos  notione  et  earum  intima  con- 
junctione.     Jena.  na/,/. 

Laugsdorf,  Karl  Christian,  Anfangsgründe  der  reinen  Elementar- 
und  höheren  Mathematik.     Erlangen.     8*^.  wa?d. 

*Voit,  Paul  Christian,  Percursio  conatuum  demonstrandi  theoriam 
parallelarum  de  iisque  Judicium^   Dissertation.    Göttingen.   8".    itui- 

1803. 

*Carnot,    Lazare    Nicolas    Marguerite,    Geometrie    de    Position. 

Paris.     An  XI.     4".     Art.  435. 
Hauff,  Johann  Karl  Friedrich,  Lehrbegi'iff  der  reinen  Mathematik. 

Teil  I.     Band  1.     Frankfurt  a.  M.  schuenart. 

*Ide,  Johann  Joseph  Anton,  Anfangsgründe  der  reinen  Mathematik. 

2.  Teil.     Geometrie.     Berlin.     8". 


304  Verzeichnis  von  Schritten 

"■="[Kireher,  AdolfJ,  Nouvelle  theorie  des  paralleles,  avec  uii  appeudice 
contenant  la  maniere  de  perfectionner  la  theorie  des  paralleles  de 
A.  M.  Legeudre.    Paris.    8«.    64  S.     1  Tfl. 

Hof  mann,  Critik:     \yieJerholt  irrtümlich  als  Abhandlung  von  Legendre  angeführ!,  zum  Beispiel 
bei  Pogijendorff  1,  140'. 

fLacroix,  Sylvestre  Frauc/ois,  Elemens  de  Geometrie  ä  l'usage 
de  Tecole  centrale  des  quatre  nations.     Paris.     (*  Paris  1830.     8".) 

Hoffmann,  Critik. 

1804. 
Bolzauo,    Bernhard,    Betrachtungen    über    einige    Gegenstände    der 

Elementargeometrie.     Prag.     8".     X  u.  63  S.  mffmann. 

Jacques,    i\Iatthieu  Joseph,    Demonstration    directe    et   simple   des 

proprietes  des  paralleles  rencoutrees  par  uue  secante.     Paris.     S''. 

Sclnveikart. 

1805. 
*Lacroix,  Sylvestre  Fran^ois,  Essai  sur  l'euseignement  en  general 
et  sur  celui  des  mathematiques  en  particulier.    Paris.    An  XIV.   8*'. 

Riccardi. 

1806. 

Geldern,  -Tacob  van,  Handleiding  tot  de  beschouwende  werkdadige 
iMeetkunde.     Amsterdam.     4*^.  Hessung  isis,  s.  xv. 

*(Trasliof,  Friedrich  Carl  August,  Theses  sphaerologicae  quae  ex 
sphaerae  notione  veram  rectae  lineae  sistunt  defiuitionem,  omnique 
geometriae  firmum  jacent  fundamentum.  Berlin.  8^.  64  S.  1  Tfl.  ^vahi. 

*Sinisou,  Robert,  Die  sechs  ersten  Bücher  nebst  dem  elften  und 
zwölften  des  Euclid  mit  Verbesserung  der  Fehler,  wodurch  Theon 
und  andere  sie  entstellt  haben,  nebst  den  Anfangsgründen  der 
ebenen  und  sphärischen  Trigonometrie,  mit  erklärenden  An- 
merkungen von  Robert  Simson.  Aus  dem  Englischen  übersetzt  von 
J.  Mtthi.  Reder.    Herausgegeben  von  Joh.  Niesert.    Paderborn.    8°. 

1807. 
Hauff,    Johann   Carl  Friedrich,    Euklids   Elemente    das   erste   bis 

zum  sechsten,    sammt   dem   elften  und  zwölften  Buche,   übersetzt 

von  J.  C.  Hauff.    Zweite  Auflage.    Marburg.  na/,/. 

*Hoffnianu^    Johann  Joseph    Ignaz,    Critik   der  Parallelentheorie. 

Erster  Teil.     Jena.     8".     XH  u.  276  S.     10  Tfl.  Ersch. 

*Sclieibel,  Johann  Ephraim,  Vertheidigung  der  Theorie  der  Parallel- 

linien  nach  Euklides.     Breslau.     8".  Müuer. 

* Schweikart,  Ferdinand  Karl,  Die  Theorie  der  Parallellinien,  nebst 

dem   Vorschlage    ihrer  Verbannung    aus    der    Geometrie.     Leipzig 

und    Jena.        136    S.        5    Tfl.  MäUer.     Poggendorß  2,  SIG  hat  ISOS. 


über  die  Parallelenthcorie,  bis  zum  Jahre  1837.  ;305 

1808. 

*KlÜg"el,  Georg  Simon,  Artikel:  Parallel.  Mathematisches  Wörter- 
buch.    Dritter  Teil.     Leipzig.     8".     S.  727  —  739. 

*Ouvrier,  Carl  Siegmund,  Theorie  der  Parallelen,  als  Ankündigung 
eines  neuen  Versuches  über  das  Erkenutnissvermögen.   Leipzig.  8". 

55    S.        1    Tfl.  '  r.r,rj,. 

'''SchAvab,  Johann  Christian,  Essai  sur  la  Situation  pour  servir  de 
Supplement  aux  principes  de  la  geometrie.  Stuttgart.  50  S.     mecardi. 

1809. 

Abreu,  Joao  Manuel  de,  Supplement  a  la  traduction  de  la  geome- 
trie d'Euclide  de  Peyrard,  publice  en  1804,  et  la  geometrie  de 
Legendre,  suivi  d'un  essai  sur  la  vraie  theorie  des  paralleles.  Paris 
et  Bordeaux.    8«.     76  S.     1  Tfl.  Rogg.  s.  20s. 

*TUibaut,  Bernhard  Friedrich,  Grundriss  der  reinen  Mathematik. 
2.  Aufl.  Göttingen.  8^  (*3.  Aufl.  1818.  Die  *erste  Auflage  1801 
enthält  den  Beweisversuch  noch  nicht.)  waiu. 

1810. 

Gelderu,  Jacob  van,  Beginselen  der  Meetkunst.     Amsterdam.     8". 

Hesüing  ISIS,  S.  X  V. 

Suzaime,    P.  H.,    De  la  maniere  d'etudier  les  mathematiques.     Paris. 

Riccarcli. 

1811. 

*Briinacci,  Vincenzo,  Elementi  di  algebra  e  geometria.  Edizione 
riveduta  ed  illustrata  con  nuove  correzione  ed  aggiunte  fra  le 
quali  la  teoria  dell'  interesse  del  denaro  ed  uua  nuova  dimonstra- 
zione  del  teorema  fondamentale  delle  parallele.     Mailand.     8°. 

Riccardi  erwähnt  eine  Ai/ngaOe  von  1830. 

*  Neubig-,  Andreas,  Vindiciae  Euclidis.     2  Hefte.     Erlangen.     8". 

1812. 
Bertrand,  Louis,  Elemens  de  geometrie.     Paris.  schotten,  2,200. 

*Oergonne,  Joseph  Diez,  Essai  sur  la  theorie  des  paralleles.  An- 
nales de  Gergonne.    t.  III.     Nismes.     4*^.     S.  353 — 356.         Riccardi. 

1813. 

Buttenhofer,  Jacob  Friedrich,  Versuch  eines  strengen  Beweises 
der  Th^reme  von  den  Parallellinien,  vermittelst  einer  von  jenen 
Theoremen   unabhängigen  Construction   des  Rechtecks.      Stuttgart. 

8".       24    S.  ^  Ersch. 

St  ii  ekel  u.  Jlngel,  Paralleleutlieorie.  20 


306  Verzeichnis  von  Schritten 

*llerrmauii,  Christian  Alois,  Versuch  einer  einfachen  Begründung 
des  eilften  Euclidischen  Axioms  und  einer  darauf  gebauten  Theorie 
der  Parallelen.     Frankfurt  a.  M.    4P.     28  S.    2  Tfl. 

Solnike.      Hiccardi  führt  diese  Abhandlung  unter  Eoffmann  irrtümlich  noch  einmal  an. 

1814. 

*Peyrard,  Fran9ois,  Les  cpuvres  d'Euclide,  en  grec,  latin  et  frau^ais, 
Vol.  I.     Paris.     4». 

^Schwab,  Johann  Christian,  Commentatio  in  primum  ^lementorum 
Euclidis  Librum,  qua  veritatem  geometriae  priucipiis  ontologicis 
niti  evincitur  omnesque  propositiones,  axiomatum  geometricorum 
loco  habitae,  demonstrantur.     Stuttgart.     8*^.     61  S.  nüiier. 

1815. 

Grlintz,  Elementare  Theorie  der  parallelen  Geraden.  Beiträge  zur 
reinen  und  technischen  Mathematik.     Heft  1.     Grätz.  Müiier. 

Kjelliu,  Carl  Erik,  Grunderna  tili  geometrien.   uni.  roggendorff  1,1205 hat ish. 

*  Metteruicli^  Matthias,  Vollständige  Theorie  der  Parallellinien.  Nebst 
einem  Anhange,  in  welchem  der  erste  Grundsatz  zur  Technik  der 
geraden  Linie  gegeben  wird.  Mainz.  8".  XIV  u.  44  S.  1  TU.     Müiier. 


0^0^ 


1816. 

Bürger,  J.  A.  P.,  Vollständige  Theorie  der  Parallellinien.  Nebst  An- 
merkungen über  andere  bisher  erschienene  Parallel-Theorieu.  Karls- 
ruhe.    8".     XII  u.  35  S.     1  Tfl.  mtier. 

*Crelle,  August  Leopold,  Über  Parallelen-Theorien  und  das  System 
der  Geometrie.     Berlin.     8°.     116  S.     1  Tfl.  iimier. 

*[CT}aufs,  Carl  Friedrich],  Besprechung  von  Schwab  (1814)  und 
Metternich  (1815).  Göttingische  Gelehrte  Anzeigen.  1816.  Stück 
63.     S.  617-622. 

■■'■•Hoft'inaiiii,  Johann  Joseph  Ignaz,  Bemerkung  zu  der  Parallelen- 
theorie von  L[üdicke].    Gilberts  Annalen  der  Physik.  Bd.  54.  S.  134, 

*Lüdicke,  August  Friedrich,  Über  die  Parallelentheorie.  Gilberts 
Annalen  der  Physik,  Bd.  52,  S.  451—452. 

Vermelireii,  Carl  Christian  Hermann,  Versuch  die  Lehre  von  den 
parallelen  und  convergeuten  Linien  aus  einfachen  Begriflen  voll- 
ständio-  herzuleiten  und  o-ründlich  zu  erweisen.    Güstrow.   8".   26  S. 

1     Tfl.  ^läUer. 

1817. 
*ljüdicke,  August  Friedrich,  Bemerkungen  über  die  Vierecke  mit 
gleichen   gegenüberliegenden  Seiten.    Gilberts  Annaleu  der  Physik, 
Bd.  56.     S.  198,  334  und  439. 


über  die  Parallelentheorie,  bis  zum  Jahre  18.'57.  307 

*Ohm,  Georg  Simon,  Grundlinien  zu  einer  zweckmässigen  Behand- 
lung der  Geometrie.     Erlangen.     8".     91  S.     2  Tfl. 

Wa/il.     Poggendorjf  2,  317  hat  1818. 

Wächter,  Friedricli  Ludwig,  Demonstratio  axiomatis  geometrici 
in  Euclideis  undecimi.     Danzig.     S*'.     15  S.  nüuer. 

1818. 

Exley,  Thomas,  The  theory  of  parallel  lines  perfected,  or  the  twelfth 
axiom  of  Euclids  Elements  demonstrated.     London.     8".      luccarui. 

Flauti,  Vincenzo,  Nuova  dimonstrazione  del  postulato  quinto  in 
Euclide  con  aggiuute  altre  ricerche  suUo  stesso  argumento  fatte 
dal  Proclo,  da  Nassir- Eddin,  da  Clavio  e  da  Simson.     Neapel.    4**. 

liiccardi. 

[Hellwag,    Christoph    Friedrich],    Euklids    eilfter    Grundsatz    als 

Lehrsatz  bewiesen.     Hamburg.     4^.     8  S.  Müuer.  soimke. 

*Hesslmgv  C.  W.,  Versuch  einer  Theorie  der  Parallelen.     Halle  a.  S. 

8«.       223    S.       5    Tfl.  Müiler. 

Mayer,  Johann  Tobias,  Wolfs  Anfangsgründe  der  reinen  Elemeutar- 
und  höheren  Mathematik  mit  Veränderungen  und  Zusätzen  von 
Mayer  und  Langsdorf  und  umgeändertem  Text  von  Müller.  2.  Aus- 
gabe.   Marburg.  "«ä«. 

*Critisclie  Revision  der  im  jüngst  verflossenen  Quinquennium  er- 
schienenen Schriften  über  Parallelen-Theorie.  Heidelberger  Jahr- 
bücher der  Literatur.  Heidelberg.  1818.  S.  689—703,  849—862. 

Rogg.  S.  308. 

1819. 

Häuft',  Johann  Karl  Friedrich,  Nova  rectarum  parallelarum  theoria. 

Gandae.        4^.  MUUer,  lleperlorium  2,  123. 

*Köiiig,  Georg  Ludwig,  Supplementa  in  Euclidem.  Eutin.  4*^.    ^yaui. 

Lüdicke,  August  Friedrich,  Versuch  einer  neuen  Theorie  der 
Parallellinien  im  Zusammenhange  mit  den  Grundlehren  der  Geo- 
metrie.    Meissen.     8".     15  S.     1  Tfl.  Mue,-. 

Müller,  Johann  Wolfgang,  Ausführliche  evidente  Theorie  der 
Parallellinien.     Nürnberg.     8°.     79  S.     1  Tfl.  Müuer. 

*01im,  Martin,  Kritische  Beleuchtungen  der  Mathematik  überhaupt 
und  der  euklidischen  Geometrie  insbesondere.    Berlin.    8*^.         mu- 

*Sur  l'emploi  de  l'algorithme  des  fonctions  dans  la  demonstratiou  des 
theoremes  en  geometrie.    Annales  de  Gergonne.     Nismes  4°.     t.  X. 

S.    161  —  184.  ~  Riccanli. 

1820. 
*Bürg'er,  J.  A.  P.,  Vollständige  Theorie  der  Parallellinien  nebst  An- 
wendungen über  andere  bisher  erschienene  Paralleltheorien.    Zweite 
Ausgabe.     Karlsruhe.     8°.     53  S.  Ersch.  sounke. 

•20* 


308  Verzeichnis  von  Schriften 

f Gerliug,  Christian  Ludwig,  Johann  Friedrich  Lorenz'  Grundriss 
der  reinen  und  angewandten  Mathematik,  neu  herausgegeben  von 
Ch.  L.  Gerling.     Helmstedt.     8^     2  Teile.     (*Ausgabe  von  1851.) 

*HjuiI)er,  Carl  Friedrich,  Chrestomatia  geometrica  contineus  Eucli- 
dis  elementorum  principium  graece  usque  ad  libri  primi  proposi- 
tionem  XXVI  et  ad  illud  Graeca  Prodi  Latina  Savilii  aliorumque 
scholia  cum  notitiis  historicis.  Nebst  einem  Anhang  aus  Prof. 
Pfleiderers  Papieren.    Tübingen.    8*^. 

*Lüdicke,  August  Friedrich,  Zur  Theorie  der  Parallelliuien.  Gil- 
berts Annalen  der  Physik,  Bd.  64.    S.  341.  Pogqendorff  i,  m-. 

Struve,  K.  L.,  Theorie  der  Parallellinien.  Königsberg.  8^.  36  S.      nüiier. 

1821. 
*Creizenacli,  M.,  Abhandlung  über  den  elften  Euklidischen  Grundsatz 

in  Betreff  der  Parallellinien.     Mainz.     4".     28  S.  Ersch.  so/mke. 

*Hauff,    Johann    Karl    Friedrich,    Nova    rectarum    parallelarum 

theoria,    editio    altera    supplementis    aucta.      Frankfurt  a.  M.      4°. 

VIII   U.    86    S.        1    Tfl.  Ersd.     SoMe. 

Küster,  J.  C,  Versuch  einer  neuen  Theorie  der  Parallelen.  Mit  einer 
Vorrede  von  Hofrath  Bährens.     Hamm.     8".     38  S.     1  Tfl. 

Müller,  Repertorium  2,  124. 

Mönnich,  B.  F.,  Ein  Versuch  die  Theorie  der  Parallellinien  auf  einen 
Grundbegritf  der  allgemeinen  Grössenlehre  zurückzuführen.    Berlin. 

8^       56    S.       2    Tfl.  Ersc/.    Hill. 

Sulla  teoria  delle  parallele  e  su  quella  delle  figure  equivalenti.  Gazetta 
di  Bologna  1821,  No.  38.     Bologna.  mccardi. 

1822. 

*rries,  Jacob  Friedrich,  Die  mathematische  Natur-Philosophie  nach 
philosophischer  Methode  bearbeitet.     Heidelberg.     8*^.  "««. 

*[Gaiifs,  Carl  Friedrich],  Besprechung  von  C.  R.  Müller  (1822). 
Göttingische  Gelehrte  Anzeigen.    1822.    Stück  73.    S.  1725—1728. 

*Lüdicke,  August  Friedrich,  Rein  geometrische  Theorie  der  Parallel- 
linien.   Gilberts  Annalen  der  Physik.    Bd.  72.  S.  423.  Pogye,idorßi,mi. 

*Metternicli,  Matthias,  Vollständige  Theorie  der  Parallellinien,  oder 
o-eometrischer  Beweis  des  eilften  Euklidischen  Grundsatzes.  Zweite 
umgearbeitete  Auflage.     Mainz.     S''.     XX  u.  41  S.  Hm- 

*Müller,  Carl  Reinhard,  Theorie  der  Parallelen.  Marburg.  4". 
IV  u.  40  S.     1  Tfl.  ^w/. 

1823. 

Hul>er,  Daniel,   Nova  theoria  de  parallelarum   rectarum  proprietati- 

buS.       Basel.       8*^.       40    S.  ^""««'•>  HepertoHum  3,  06. 


über  die  Parallelcntheorie,  bis  zum  Jiihre   18.37.  3(t0 

*Legen<lre,  Adrien  Marie,  Eleineiis  de  geometrie.  XII.  ed.  Paris.  8°. 
*Paucker,  Magnus  Georg,  Die  ebene  Geometrie  der  geraden  Linie 

und  des  Kreises  oder  die  Elemente.    Königsberg.     8".  itui. 

'^'Wahl,    Friedrich    Wilhelm    Ludwig,    Dissertatio    mathematica, 

symbolas  ad  epicrisin  theoriarum  parallclas  spectantium  continens. 

Particula  1.    Insunt  IV  theoriae  earumque  cen.sura.  Jena.    4".  VIII 

u.  44  S.     1  Tfl.  mu. 

1824. 

Beusemaiiii,  .lohanu  David,  Dissertatio  de  undecimo  axiomate  ele- 
mentorum  Euclidis,  pro  facultate  legendi.     Halle  a.  S.     8°.     50  S. 

1    Tfl.  Sohnke. 

■''Cainerer,  Johann  Wilhelm,  Euclidis  elementorum  libri  sex  priores, 
graece  et  latine,  commentario  e  scriptis  veterum  ac  recentiorum 
mathematicorum  illustrati.     Vol.  L     Berlin.     8°.  Riccanu. 

*Foex,  Memoire  relatif  ä  la  theorie  des  paralleles.  Rapport  fait  par 
MM.  Ampere  et  Cauehy.  Bulletin  des  Sciences  mathematiques 
publie  par  Ferussac.     Paris.     8°.    t.  L     S.  70.  hui. 

*Jacobi,  Carl  Friedrich  Andreas,  De  undecimo  Euclidis  axiomate 
Judicium,  cui  accedunt  pauca  de  trisectione  anguli.  Jena.  8^.  54  S. 
1  Tfl.  Hm. 

*Laplace,  Pierre  Simon,  Exposition  du  Systeme  du  monde.  5.  editiou. 

Paris.      4^.      Livre    V,    Chap.    5.    Note,    ßelboeu/,  Reoue phUosopMque.  i.3€.  Paris  1S03. 

*Stein,  Johann  Peter  Wilhelm,  Examen  de  quelques  tentatives 
de  theorie  des  paralleles.  Annales  de  Gergonne.  Nismes.  4". 
t.  XV.    S.  77—89.    t.  XVL    S.  45—64,  S.  257—261.  mccardi. 

*  Essai  de  demonstration  du  principe  qui  sert  de  fondement  ä  la 
theorie  des  paralleles.     Amiales  de  Gergonne.    Nismes.  4°.  t.  XIV. 

S.    269.  Riccanli. 

1826. 

Colbiirii,  W.,  Nouvelle  theorie  des  lignes  paralleles.  Boston  Journal 
of  Philosophy  and  the  Arts.    Oct.  1825.  S.  81,  Juni  1826.  S.  490. 

Annales  de  Ferussac,  Annee  1827.    S.  162. 

Hegenberg,  F.  A.,  Vollständige,  auf  die  bekannten  Elementarsätze 
von  den  geraden  Linien  und  Winkeln  gegründete  Theorie  der 
Parallellinien.     Berlin.     8<^.     46  S.     1  Tfl.  Ersch. 

*SerTOis,  Lettre  au  redacteur  des  Annales  sur  la  theorie  des  paral- 
leles. Annales  de  Gergonne,  Nismes  4<'.  t.  XVL  S.  223-238.        imi. 

*Taiirmus,    Franz   Adolph,    Theorie    der  Parallellinien.     Köln.     8°. 

93    S.      3   Tfl.  Ersah. 


310  Verzeichnis  von  Schriften 

1826. 

Hoit'maun,  Johann  Joseph  Ignaz,  Vermischte  Aufsätze  aus  der 
Physik,  Philosophie  und  Mathematik  für  Liebhaber  dieser  Wissen- 
schaften: Über  das  Verhältniss  des  Parallelenproblems  zur  Elementar- 
geometrie.    Frankfurt  a.  M.     8".  uni. 

Miiiiirelli,  C,  Dimostrazione  del  quinto  postulato  d'Euclide.   Bologna. 

8".       20    S.       1    Tfl.  Annalei  de  Ferussac,  Annee  1827.    S.  162. 

Müller,  Johann  Wolf  gang,  Neue  Beiträge  zu  der  Parallelentheorie, 
den  Beweisen  des  P3'thagoräischen  Lehrsatzes  und  den  Berech- 
uungsarten    der    Pythagoräischen    Zahlendreiecke.      Augsburg    und 

Leipzig.       8^.        71     S.  Hofmann. 

*01ivier,  Louis,  Über  den  eilften  Grundsatz  in  Euklids  Elementen 
der  Geometrie.  Journal  für  die  reine  und  angewandte  Mathematik. 
Berlin.     4".     Bd.  1.     S.  151.  mu. 

*Tauviims,  Franz  Adolph,  Geometriae  prima  elementa.  Köln  1826. 
8".    76  S.    2  Tfl.     (Universitätsbibliothek  in  Bonn.) 

1827. 
*Kiiar,  Joseph,  Über  die  Theorie  der  Parallellinieu.    Zeitschrift  für 

Physik    und    Mathematik,    herausgegeben    von    Baumgartner    und 

V.  Ettinghausen.     Wien.     Bd.  3.     S.  404-439.  um. 

Koch,    Christian    Adolf,    Über   Parallellinien.      Ein  Versuch,    dem 

Urtheil  Sachkundiger  gewidmet.     Hamburg.     8".     12  S.  hui. 

*3Ioel)ius,  August  Ferdinand,  Der  barycentrische  Calcul,  ein  neues 

Hülfsmittel    zur   analytischen   Geometrie.     Leipzig.     (*Gesammelte 

Werke.     Bd.  L     Leipzig  1890.     8«.     S.  176.) 
^"eubig,  Andreas,  Die  Parallelentheorie.    Programm.    Bayreuth.    4". 

Svhnh'.  Bii'Uotheca  S.  177. 

1828. 

*Kliar,  Joseph,  Berichtigung  seiner  Ansicht  von  den  Parallellinien. 
Zeitschrift  für  Physik  und  Mathematik,  herausgegeben  von  Baum- 
gartner und  V.  Ettinghausen.     Wien.     Bd.  4.     S.  427 — 438. 

Lampredi,  Urbano,  lutorno  ad  un  passo  di  Euclide  sulla  teoria 
delle  parallele.     Giornale  arcadico  di  Roma.    t.  40.    Rom.   luccardi. 

hicorza,  Giuseppe,  Euclide  veudicato.     Neapel.  luccard,: 

Terquem,  Olry,  Manuel  de  Geometrie.     Paris.     8°.     Note  I. 

Bcllrami,  Atii.  dci  Lincei,  1889. 

1829. 
yLobatscliefskij,    Nikolaj   Iwano witsch,  0  natschalach  geometrii 
(Über  die  Anfangsgründe  der  Geometrie).    Kasaner  Bote  1829  und 
1830.     (*Gesammelte  geometrische  Werke    Bd.  1.     S.  1 — 67.) 


über  die  Parallelentheoric,  bis  zum  Jahre  18iJ7.  311 

*Rciuhol(l,  H.  J.,  Theorie  des  Krummzapfens  nebst  einem  Anhange: 
Versuch  einer  rein  geometrischen  Begründung  der  Lehre  von  den 
Parallellinien.     Münster.     8^.  sohnkc. 

1830. 
Hill,  Carl  Jolian,    Euclidis  Elementorum  prop.  XXXll    libri  I.   ex- 

plicata.       Lund.       4'',  lUccardi,  Hayßo. 

1831. 

Falck,  Henrik,  Practisk  Lärobok  i  Geometrien  och  Trigonometrien 
med  strängt  bevis  i  läran  om  parallela  linier.     Upsala.  um. 

*Lelimaiiii,  Jacob  Wilhelm  Heinrich,  Anfangsgründe  der  höheren 
Mechanik,  nach  der  antiken  rein  geometrischen  Methode  bearbeitet. 
Berlin.     8*'.  sm  hat  isso. 

1832. 

*Bol,yai,  Johann,  Appendix  scientiam  spatii  absolute  veram  exhibens: 
a  veritate  aut  falsitate  Axiomatis  XI  Euclidei  (a  priori  haud  un- 
quam  decidenda)  independentem ;  adjecta  ad  casum  falsitatis, 
quadratura  circuli  geometrica.  8*^.  28  S.  Anhang  zu:  Wolf  gang 
Bolyai,  Tentamen  juventutem  studiosam  in  elementa  matheseos  ... 
introducendi.,    T.  1.     Maros  Väsarhely. 

Doppler,  Christian,  Beiträge  zur  Parallelentheoric.  Jahrbücher  des 
K.  K.  polytechnischen  Instituts  in  W^ien,  herausgegeben  von  J.  C. 
Prechel.     Band  XVII.     Wien.  Bürger  ms. 

*  Steiner,  Jacob,  Systematische  Entwickelung  der  Abhängigkeit  geo- 
metrischer Gestalten  von  einander.  Berlin.  8".  (*Gesammelte  Werke, 
Bd.  1.     Berlin  1886.     8».     S.  240.) 

1833. 
Bürger,  J.  A.  P.,  Vollständig  erwiesene,  von  den  ältesten  Zeiten  bis 
jetzt  noch  unberichtigt  gevresene  Theorie  der  Parallellinien,  nebst 
einer  Critik  mehrer  bisher  erschienener  Paralleltheorien  und  An- 
führung anderer  neuerfundener  geometrischer  Gegenstände.  Heidel- 
berg.      8^       XII  U.   208    S.       2   Tfl.  SoknJce. 

Ekstrantl,  Johan,  Lärobok  i  Geometriens  Elementer.  Teil  1.  Jön- 
köping.  -ff'«- 

*Legendre,  Adrien  Marie,  Reflexious  sur  differentes  manieres  de 
demontrer  la  theorie  des  paralleles  ou  le  theoreme  sur  la  somme 
des  trois  angles  du  triangle.  Memoires  de  l'Academie  des  Sciences. 
Paris.     4«.     t.  XII.     S.  367—410.  Ricoardi. 


312  Verzeichnis  von  Schriften 

Thoiiipsoii,  Thuimis  Porrouet,  Geometry  withoui.  iixioras,  or  the 
first  books  of  Euclid's  elements  with  alterations  aud  notes ;  and 
an  intercalary  book,  in  which  the  straight  linc  and  plane  are 
derived  from  properties  of  the  sphere,  with  an  appendix  containing 
notices  of  methods  proposed  for  getting  over  the  difficulty  in  tlie 
12*'^  axiom  of  Enclid.     London.     8".  jaccuru,: 

Wicssner,  Gottfried,  Beweis  über  Parallellinien  oder  dass  alle  drei 
Winkel  eines  jeden  Dreieckes  zusammen  genommen  zwei  reclitea 
Winkeln  afleicli  sind.     2.  Auflage.     8".     1  Tfl.     soiMe,  inbuothcca  .y.  /;/;. 

1834. 

■•'Bürger,  J.  A.  P.,  Neu  aufgefundener  Beweis  von  dem  seit  21  hundert 
Jahren  unberichtigt  gewesenen  eilften  Euklidischen  Grundsatze  in 
der    Geometrie    in   ßetreif   der   Parallelentheorie.      Heidelberg.    8*^. 

16    S.        1    Tfl.  Solinke.     Riccardi  nennt  als  Verfasser  irrtümlich:  Dessen  (.')• 

*Metziiig,   S.,  Beweis   des   eilften  Euklidischen  Grundsatzes.     Berlin. 

8«.       43    S.       1     Tfl.  Sohnke. 

*Swin(leii,  Jan  Hendrik  van,  Elemente  der  Geometrie,  übersetzt 
von  C.  F.  A.  Jacobi.     Jena.     8°. 

1835. 

Bürger,  J.  A.  P.,  Rettung  meiner  Ehre.  Vertheidigungsschrift.  Heidel- 
berg.      8".  Suhnke,  Bibliothem  .S'.  142. 

*  [Grelle^  August  Leopold],  Theorie  des  paralleles.  Journal  für  die 
reine  und  angewandte  Mathematik.    Berlin.    4^.    Band  11.    S.  198. 

Sohnke. 

*Hill,  Carl  Johan,  Conatus  theoriam  parallelarum  stabiliendi  prae- 
cipui,  quos  recensuit  novisque  superstruxit  fundamentis  atque 
auxit  Auetor.  Pars  1.  [P.  2.  1843.  P.  3—5.  1844].  Lund.  4«. 
Im  Ganzen:  72  S.     2  Tfl. 

f  Lobatschefskij ,  N.  L,  Woobrashajemaja  geometrija  (Imaginäre  Geo- 
metrie). Gelehrte  Schriften  der  Universität  Kasan.  1835.  (*Ge- 
sammelte  geometrische  Werke  Bd.  1,  S.  71 — 120.) 

f  Lobatschefskij,  N.  J.,  Nowyja  natschala  geometrii  s  polnoj  teorijej 
parallelnych  (Neue  Anfangsgründe  der  Geometrie  mit  einer  voll- 
ständigen Theorie  der  Parallelen).  Gelehrte  Schriften  der  Uni- 
versität Kasan.  1835 — 1838.  (^Gesammelte  geometrische  Werke, 
Bd.  1,  S.  249—486.) 

1836. 
Gsiudaiii,    Lettre  a  M.  van  Tenac  sur  la  theorie  des  paralleles.     An- 
nales maritimes  et  coloniales.     Nov.  1836.  sohnke. 


{ibt'r  die  riitaHelenilicoiit',  bis  zum  .lahrc   1837.  313 

Heniiij^,    Karl    August,    Neue    ßogrüiulung    der    i'anillelentheorie. 

Nürnberg.     4".     16  S.     2  TU.  soxnke. 

Kaiser,    Ignaz,    Versuch    die  Theorie    der    paraUclen    Jinien    streng 

nachzuweisen.     Wien.     S'*.     32  S.     2  TU.  Soimke. 

Liimpretli,  Urbano,  Tentativo  di  una  nuova  teorica  elementare  delle 

linee  perpendicuhire,  obblique  e  parallele.  Seconda  edizione.  Neapel. 

o2    S.        1     Tfl.  i^o/inke,  ßibliol/m:a  ,S'.  JO^. 

Lemoniiier,  Nouvelle  theorie  des  paralleles.  Annales  maritimes  et 
coloniales.     Juli  1836.  soimke. 

fLobatschefskij ,  N.  I.,  Primjenjenije  woobrashajemoj  geometrii  k 
njekotorych  integralach  (Anwendung  der  imaginären  Geometrie  auf 
einige  Integrale).  Gelehrte  Schriften  der  Universität  Kasan.  1836. 
(*Gesammelte  geometrische  Werke  Bd.  1,  S.  121—218.) 

Thomson,  Thomas  Perronet,  Geometrie  sans  axiomes,  ou  le  pre- 
mier  livre  des  Elemens  d'Euclide  demontre  dune  maniere  com- 
pletement  rigoureux.     5.  edit.,    traduit  de  l'anglais  par  van  Tenac. 

Paris,    8^.  Solmke,  Bibliotheca  S.  192. 

Van  Tenac,  Nouvelle  theorie  des  paralleles.  Annales  maritimes  et 
coloniales.     Mai  1836.  soimke. 

1837. 

Graf,  Carl,  Der  Satz  von  der  Winkelsumme  des  Dreiecks  ohne  Hilfe 
der  Parallellinien  bewiesen.  Ein  Beitrag  zur  Gründung  des  elften 
Grundsatzes  des  Euclides  und  die  darauf  ruhende  Theorie  der 
Parallellinien.     Rudolstadt.     8*^.     16  S.     1  Tfl.   soimke,  Bibuotheca  s.  m. 

Hörn,  Das  Parallelenproblem.     Programm.     Glüekstadt.     schotten  2, 226. 

*Lobatscliefskij ,  Nikolaj  Iwanowitsch,  Geometrie  imaginaire. 
.Journal  für  die  reine  und  angewandte  Mathematik.  Berlin.  4®. 
Bd.  17.  S.  295.    (*Gesammelte   geometrische  Werke,  Bd.  2,  S.  581.) 

Wiessner,  Gottfried,  Begründung  der  Parallelentheorie,  auf  den  ohne 
Beihilfe  der  Parallellinieu  geführten  Beweis,  dass  die  Winkelsumme 
eines  jeden  Dreiecks  zwei   rechten  Winkeln  gleich  sei.     Jena.     8^. 

13    S.        1    Tfl.  ^  Sohnke. 


Alphabetisches  Verzeichnis 
der  im  Litleratnr Verzeichnis  vorkommenden  Autoren. 


Hinter  jedem  Autor  ist  zunächst,  soweit  sie  sich  ermitteln  liefs,  die  Lebenszeit  augeführt.    Die  darauf 
folgenden  cursic  gedruckten  Zahleu  bedeuten  die  Jahre   des  Erscheinens  der  einzelnen  Schriften. 


Abreu,    Joao  Manuel  de    (1754 — 1815) 

1S09. 
Alembert,  Jeanle  RoncI  d'(1717 — 1783) 

1759,  1789. 
[Anders]  1706. 

fArnauld,  Antoine)  (1612—1694)  1667. 
Austin,  William  (1754—1793)  1781. 

Barozzi,  Francesco  (*  1538)  1560. 

Bahn,  Daniel  1761  siehe  Hagen. 

Belli,  Silvio  (11575)  um  1570. 

Bendavid,  Lazarus  (176-2 -1832,  17 86. 

Bensemanu,  Johann  David  (Gymna- 
siallehrer in  Cöslin)  lS2i. 

Bertrand,  Louis  (1731-1812)  1778, 
1812. 

Bezout,  Etienne  (1730—1783)  1770. 

Binder,  Benjamin  Gottlob  1751  siehe 
Hanke. 

Boehm,  Andreas  (1720—1790)  1771. 

Bolyai,  Johann  (1802— 1860)  iS3^. 

Bolzano,  Bernhard  (1781—1848)  1804. 

B  onny  Castle,  John  (1750?— 1821")  1789. 

Borelli,  Giovanni  Alfonso  (1608—1679) 
1658. 

Boscovich,  Ruggiero  Giuseppe  (1711  — 
■  1787)  1752. 

Bossut,  Charles  (1730-1814)  1775. 

Brunacci,  Vincenzio(1768  — l8l8)iS;i. 

Bürger,  J.  A.  P.  1816,  1820,  1833, 
1834,  1835. 

Busch,  Johann  Georg  (1728— 1800)  i77.3. 

Cagnazzi,  Lucca  1790. 

Camerer,  Johann  Wilhelm  (1763  — 1847) 

1824. 
Camus,  Charles  fitienne  Louis  (1699 — 

1768)  1750. 
Carnot,    Lazare    Nicolaus    Marguerite 

(1753—1823)  1803. 
Castillon  (Castiglione),  Giovan(1708 — 

1791)  1792. 


Cataldi,  Pietro  Antonio  (f  1626)  1603, 

1603,  1604. 
Clairaut,  Alexis  Claude   (1713—1765) 

1741. 
Clavius,  Christoph  (1537—1612)  1574. 
Colburn,  W.  1825. 
Creizenach,  M.  1821. 
Grelle,   August    Leopold   (1780  —  1855) 

1816,  1835. 

Desargues,  Girard  (1593—1662)  1639. 
Doppler,  Christian  (1803—1853)  1832. 
Duttenhofe r,  Jacob  Friedrich  1813. 

Ebert,  Johann  Jacob  (1737 — 1805)  1792. 
Eichler,  Caspar  1786. 
Ekstrand,  Johan  ('1787—1862)  1833. 
Euklid  (um  300  v.^  Chr.)  1482. 
Exley,  Thomas  1818. 

Falck,  Henrik  (1791—1866)  1831. 

Felkel,  Anton  (;*  1740)  1781. 

Flauti,  Vincenzo  1818. 

Foex  1824. 

Fourier,  Jean  Baptiste  Joseph  (1768 — 

1830)  1795. 
Franceschini,  Francesco  Maria  (1756 

—1840)  1787. 
Fries,  Jacob  Friedrich(1773—1843)iS5^. 

Gaudain  1836. 

[Gaufs,    Carl   Friedrich]    (1777—1855) 

1816,  1822. 
Geldern,  Jacob  van  (1785— 1848),  1806, 

1810. 
Gensich en,  J.  F.  1786. 
Gergonne,  Joseph  Diez  (+1771)  1812. 
Gerling,  Christian  Ludwig  (1788—1864) 

1820. 
Gestrin,  Martin  (1594—1648)  16S7. 
Gilbert,  Ludwig  Wilhelm  (1769—1824) 

1798. 


Alphabetisches  Verzeichnis  der  Autoren. 


315 


Giordano   da  Bitonto,  Vitale  (1G33  — 

1711)  1680,  1686. 
Graf,  Carl  1837. 

Grashof,  Friedrich  Carl  August  1806. 
Guarini,  Guarino  (1624—1683)  1671. 
Guldin,  Paul  (1577— 1G43)  1641. 
Gumaelius,  Samuel  (1776—1849)  1801. 
Guntz  1815. 

Hagen,  Johann  Jacob  von  1761. 

Hanke,  F.  G.  1751. 

Hauber,    Carl    Friedrich    (1775—1851) 

1820. 
Hauff,   Johann  Karl  Friedrich  (1766— 

1846)  1793,  1799,  18'f3,  1807,  1819., 

1821. 
Hausen,  Christian  August  (1693—1743) 

1734. 
Haus  er,  Matthias  1780. 
Hegenberg,  F.  A.  1825. 
[Hell  wag,  Christoph  Friedrich]  (1754— 

1835)  1818. 
Hennig,  Karl  August  1836. 
Herr  mann,  Christian  Alois  1813. 
Hessling,  C.  W.  1818. 
Hill,  Carl  JohanDanieläson(1793 — 1875) 

1830,  1835. 
Hindenburg,    Karl   Friedrich   (1741  — 

1808)  1781,  1786,  1799. 
Hobbes,    Thomas    (1588-1679)    1655, 

1656. 
Hoffmann,  Johann  Joseph  Ignaz  (1777 

—1866)  1801,  1607,  1816,  1826. 
Hof  mann  1786. 
Hörn  1837. 
Huber,  Daniel  (1768—1829)  1823. 

Ide,  Johann  Joseph  Anton  (1775 — 1806) 
1803. 

Jacobi,  Carl  Friedrich  Andreas  (1795 
—1855)  1824,  1834  siehe  Swinden. 

Jacques,  Matthieu  Joseph  (1736—1821) 
1804. 

Kaestner,  Abraham  Gotthelf  (1719 — 

1800)  1758,  1763  siehe  Klügel,  1790, 

1796. 
Kaiser,  Ignaz  1836. 
Karsten,    Wenceslaus  Johann    Gustav 

(1732—1787)  1758,  1760,  1778,  1786. 
Kepler,  Johann  (1571—1630)  1604. 
K esaer,  Franz  Xaver  von  (1740—1804) 

1778. 
[Kirch er,  Adolf]  1803. 
Kj ellin,    Carl  Erik  (1776—1844)  1815. 
Klügel,     Georg    Simon    (1739  —  1812) 

1763,  1808. 
Knar,  Joseph  1827,  1828. 
Koch,  Christian  Adolph  1827. 
Koenig,  C.  G.  1758. 


Koenig,    Georg    Ludwig    (1766 — 1849) 

1819. 
Kraft,    Georg    Wolfgang    (1701—1754) 

1752,  1753. 
Krause,  Karl  Christian  Friedrich  (1781 

—  1832)  1802. 
Küster,  J.  C.  1821. 

La  Chapelle,  de  (1710—1792)  1746. 
Lacroix,    Sylvestre    Fran9ois    (1765 — 

1843)  1803,  1805. 
Lambert,  Johann  Heinrich  (1728—1777) 

17 S6  (1766) 
Lampredi,  Urbano  (1761—1838)  1828, 

1836. 
Langsdorf,  KarlChristian (1757—1834) 

1797,  1802,  1818  siehe  Mayer. 
Laplace,    Pierre    Simon    (1749—1827) 

1824. 
Legendre,  Adrien  Marie  (1752—1833) 

1794,  1823,  1833. 
Lehmann,     Jacob    Wilhelm    Heinrich 

(*  1800)  1831. 
Lemonnier  1836. 
Lindquist,  Johann  Henrik(1743 — 1798) 

1789. 
Lobatschefskij,  Nikolaj  Iwano witsch 

(1793—1856)  1829,  1835,  1835,  1836, 

1837. 
Lorenz,  Johann  Friedrich  (1738—1807) 

1791. 
L  ü  d  i  c  k  e ,  August  Friedrich  (1 748— 1822) 

1816,  1817,  1819,  1820,  1822. 
Luino,  Francesco  (1740—1792)  1772. 

Male'zieu,    Nicolaus    de    (1650 — 1727) 

1715. 
Mayer,    Johann    Tobias    (1752—1830) 

1797 ^ieho.  Langsdorf,  1818. 
Metternich,      Matthias     (1758—1825) 

1815,  1822. 
Metzing,  S.  1834. 
Minarelli,  C.  1826. 
Moebius,    August    Ferdinand    (1790— 

1868)  1827. 
Mönnich,  B.  F.  1821. 
Montucla,  Jean  fitienne  (1725 — 1799) 

1758,  1799. 
Müller,   Carl  Eeinhard  (*  1774)   1822 
Müller,      Johann     Wolfgang     (*  1765) 

1819,  1826. 

Nasir-Eddin  (1201—1274)   1594,  1693 

(1651). 
Neubig,  Andreas  (*17S0)   1811,  1827. 
Niesert,  J.  1806  siehe  Simson. 

Ohm,  Martin  (1792—1872)  1819. 
Ohm,  Georg  Simon  (1787—1854)  1817. 
Oliver  of  Bury,   Thomas  1604. 
Olivier,  Louis  1826.' 
Ouvrier,  Carl  Sigmund  1808. 


316 


Alphabetiscbes  Verzeichnis  der  Autoien. 


P  a  g  n  i  n  i 
Pardies, 

1671. 
Patricio 
Paucker 

1S23. 
Peletier 
Peyrard 
PI  ay  fair 
Proklos 

Barozzi. 


,  Joseph  Maria  17S3,  17 Di. 
Ignacc   Gaston  (1636 — 1673) 

,  Francesco  (15-29—1597)  1587. 
,  Magnus  Georg  (1787—1855) 

,  Jacques  (1517—1582)   1557. 
,  Fran^ois  (1760—1822)  1814. 
,   John  (1748—1819)  1797. 
(410—485)  1J33,  1560  siehe 


Ramus,  Petrus  (1515—1572)  1569. 
Red  er,  J.  M.  1806  siehe  Simson. 
Kehbein,  J.  H.  E    1795. 
Ueinhold,  H.  J.  1829. 
Rosenback  1789  siehe  Lindquist. 

Saccheri,  Girolamo  (1667 — 1733)  1733. 
[Saladini,      Girolamo]      (1731—1813) 

1795. 
Sauveur,  Joseph  (1653 — 1716')  1753. 
Savile,  Henry  ;i549— 1622)  1621. 
Scheibel,JohannEphraim  (^1736— 1809) 

1807. 
Scherffer,  Karl  (1716—1783)  1770. 
Schmidt,  Georg  Gottlieb  (1768—1837) 

1797. 
Schötteringk,  M.W.  von  1790,71799. 
Schübler,    Christian   Ludwig    (1754— 

1820)  1788. 
Schultz,    Johann    (1739—1805)    1780, 

1784,  1786. 
Schwab,  Johann  Christian  1801,  ISOS, 

1814. 
Schweikart,    Ferdinand  Karl  (1780— 

1859)  1S07. 
Scorza,   Giuseppe  il781— 1844'i  1S2S. 
Segner,  Johann  Andreas  (170#— 1777) 

1739,  1747. 
Servois  1825. 
[Sevffer,  Karl  Friedrich]  (1762—1822) 

1801. 
Simpson,  Thomas   (1710—1761)  1747. 


Simson,      Robert     (1687-1768)    1756, 

1775,  1806. 
Stein,  Johann  Peter  Wilhelm  (1795 — 

1831)  1824. 

Steiner,  Jacob  (1796—1863)  1832. 
Strömer,  Märten  (1707—1770)  1744. 
Struve,  K.  L.  1820. 
Suzanue,  P.  H.  1810. 
Swinden,JanHendrik  van  (1746— 1823) 
1790,  1834. 

Tacquet,  Andrea  (1612—1660)  1654. 
Taurinus,  Franz  Adolph  (1794—1874) 

1825,  1826. 
Terquem,  Olry  (1782—1862)  1828. 
Thibaut,    Bernhard  Friedrich  (1775 — 

1832)  1809. 

Thompson,  Thomas  Perronet  (1783 — 
1869)  1833,  1836. 

Talerio,  Luca  (1552?— 1618)  um  1613. 
Van  Tenac  1836. 

Varignou,  Pierre  (1654 — 1722)  1731. 
Venturi,      Giambattista     ^1746— 1822) 

1784. 
Vermehren,   Carl  Christian  Hermann 

1816. 
Voigt,    Johann  Heinrich    (1751  —  1823) 

1789.  1791. 
Voit,  Paul  Christian  1802. 

Wächter,  Friedrich  Ludwig  1817. 
Wahl,      Friedrich     Wilhelm     Ludwig 

1^1795—1831)  1823. 
Wallis,  John  (1616—1703)  1693  (1663^ 

1693. 
Wiessner,  Gottfried  1833,  1837. 
Wildt,  Johann  Christian  Daniel  (1770 

—1844)  1795,  1803. 
Wolff,    Christian    (1679—1754)    1710, 

1715,    1797    siehe    Langsdorf,    1818 

siehe  Mayer. 

Verfasser  unbekannt  oder  zweifel- 
haft: 1799,  1818,  1819,  1821,  1824. 


Nachträge  und  Berichtigungen. 


EuTclid. 

S.  4,  Z.  9  V.  0.  sind  hinter:  „Er  machte  selbst  einen  "Versuch,"  die  Worte  einzu- 
schalten: „dessen  Mangelhaftigkeit  schon  Saccheri  (Seite  75 — 76  dieses 
Buches)  dargethan  hat.  Noch  weiter  von  Euklid  entfernte  sich  Ptolemaeus". 

S.  5  ist  am  Ende  der  Litteratur  hinzuzufügen: 

Tannery,  P.,  La  geometrie  grecque.  Comment  son  histoire  nous  est  parvenue 
et  ce  que  nous  en  savons.     Paris  1887. 

Wallis. 

S.  17,  Z.  6  V.  u.  muss  es  heifsen  „Kaestner"  statt  „Kästner". 

S.  18,  Z.  14  V.  0.  ist  die  Anmerkung  hinzuzufügen: 

,,Dafs  Ramus  auf  die  Bedeutung  des  Euklidkommentars  von  Proklos 
aufmerksam  macht,  während  er  Untersuchungen  über  die  Grundlagen  der 
Geometrie  verwirft,  könnte  als  ein  Widerspruch  erscheinen.  In  Wahrheit 
ist  beides  die  Folge  seines  Bestrebens,  die  Fesseln  der  Überlieferung  zu 
brechen.  Ramus  konnte  für  seinen  Grundsatz:  Nulla  auctoritas  rationis,  sed 
ratio  auctoritatis  regina  doniinaque  esse  debet  (Scholae  mathematicae  lib.  III) 
sich  sehr  gut  auf  Proklos  berufen:  hatte  doch  hier  schon  einer  der  Alten 
Euklid  zu  tadeln  gewagt,  dessen  Autorität  zu  Ramus'  Zeiten  als  unan- 
tastbar galt.  Auf  der  andern  Seite  schien  aber  bei  der  unmittelbaren 
Gewifsheit,  die  der  anschaulichen  geometrischen  Erkenntnis  zukommt,  die 
ratio,  der  gesunde  Menschenverstand,  zu  verlangen,  dafs  man  seine  Zeit  nicht 
an  so  selbstverständliche  Dinge  verschwende." 

S.  18,  Z.  17  V.  u.  ist  einzuschalten: 

„Neuerdings  hat  Hagen  (Synopsis  der  höheren  Mathematik^  Bd.  II.  Berlin 
1894.  S.  7)  darauf  hingewiesen,  dafs  diese  Erklärung  der  Parallelen  bereits 
1604  von  Kepler  benutzt  worden  ist  (Opera  omnia,  ed.  Frisch,  Vol.  II. 
S.  185 — 188),  freilich,  wie  wir  hinzufügen  möchten,  nur  gelegentlich,  während 
es  sich  bei  Desargues  um  eine  grundlegende  Auffassung  handelt.  Sie  findet 
sich  auch,  wie  schon  R.  Baltzer  in  seinen  Elementen  (1.  Aufl.,  Bd.  2.  S.  13) 
bemerkt  hat,  bei  Newton,  und  zwar  am  Schlüsse  des  Scholium  zum 
Lemma  XVIII  in  der  Sectio  V  des  ersten  Buches  der  Philosophiae  naturalis 
principia  mathematica  (London  1687). 

S.  19.     Bei  der  Litteratur  ist  einzuschalten: 

Barrow,  J.,  Lectiones  habitae  in  scliolis  publicis  Academiae  Cantabrigiensis 
Anno  1664.     London  1683.     S.  67. 


318  Nachträge  und  Berichtigungen. 

Carnot,  Geometrie  de  positiou.     Paris  An  XI  (1803).     Art.  435. 

Günther,    S.,    Geschichte    des    mathematischen    Unterrichtes    im    deutschen 

Mittelalter  bis  zum  Jahre  1525.    Berlin  1887. 
Waddington,  Pierre  de  la  Ramee.     Paris  1856. 

Saccheri. 
S.  35,  Z.  14  V.  0.    Das  Komma  mufs  nach  „procul"  stehen,  nicht  nach  „Tempore". 

S.  37,  Z.  14  V.  u.  ist  die  Anmerkung  hinzuzufügen: 

„Dafs  Saccheri  von  der  unbedingten  Richtigkeit  der  euklidischen  Geo- 
metrie überzeugt  war,  zeigt  besonders  der  Appendix  seines  Werkes  (S.  139 
bis  142),  wo  er  zu  beweisen  versucht,  dafs  das  Verhältnis  von  Figuren  in  der 
Ebene,  also  —  fügen  wir  hinzu  —  auch  der  Inhalt  einer  solchen  Figur,  sich 
nur  dann  ermitteln  lasse,  wenn  vorher  das  Parallelenaxiom  begründet  sei." 
Wir  führen  noch  einige  Stellen  aus  dem  Appendix  an: 

(139)  „Hier  möge  noch  die  Bemerkung  Platz  finden,  dafs  man  durch  die  Ana- 
lysis  nicht  ermitteln  kann,  in  welchem  Verhältnisse  eine  beliebig 
gegebene  Figur,  selbst  wenn  sie  geradlinig  ist,  zu  irgend  einer 
andern  gegebenen  geradlinigen  Figur  steht,  so  lange  man  nicht 
voraussetzt,  dafs  jenes  Euklidische  Axiom,  von  dem  die  Lehre 
von  den  Parallelen  abhängt,   schon  begründet  worden  ist. 

„Beweis.  Ich  schicke  voraus,  dafs  die  Analysis  und  die  gewöhnliche 
Arithmetik  alle  Regeln  der  Addition,  Subtraktion,  [Multiplikation,]  Division 
und  Wurzelausziehung  gemeinsam  haben,  sobald  man  nämlich  die  niedrigste 
Art  des  Seienden  begründet  hat  und  sich  dann  ganz  auf  diese  Art  beschränkt. 
Will  man  jedoch  von  einer  Art  zu  einer  andern  übergehen,  zum  Beispiel  (dm-ch 
Multiplikation,  das  heifst  durch  Verknüpfung*)  irgend  einer  geraden  Linie 
mit  einer  andern  geraden  Linie)  von  der  blofsen  Länge  zu  der  ebenen  Fläche, 
darauf  in  ähnlicher  Weise   von  dieser  (indem  man  sie  wiederum  mit  einer 

140  geraden  Linie  multipliciert)  zu  einem  Körperraume  von  drei  Abmessungen  und, 
indem  man  so  aufsteigt,  durch  neue  Multiplikationen  zu  den  denkbaren 
höheren  Stufen  von  noch  mehr  Abmessungen**),  wobei  Entsprechendes  für 
die  Division  gilt,  vermittelst  deren  man  zu  den  niedrigeren  Stufen  herab- 
steigt —  dann  bin  ich  fest  überzeugt,  dafs  die  Analysis  keinen  Grundsatz  liefern 
kann,  auf  den  sich  die  Rechnungen  stützen  lassen,  die  sie  vorschreibt,  damit 
man  das  richtige  Ergebnis  erhält." 

Saccheri  denkt  sich  zuerst  in  den  Endpunkten  einer  Grundlinie  von  der 
Länge  1,  darauf  in  den  Endpunkten  einer  Grundlinie  von  der  Länge  2 
jedesmal  Lote  von  der  Länge  1  errichtet  und  die  Endpunkte  durch  Gerade 
verbunden,  und  bemerkt,  man  könne  nur  dann  zeigen,  dafs  sich  diese  Figuren 
wie  ihre  Grundlinien  verhalten,  wenn  jene  Verbindungsgeraden  mit  dem  Orte 
der  Punkte  gleicher  Entfernung  von  den  Grundlinien  zusammenfallen.  Wir 
teilen  hier  nur  noch  den  Schlufs  seiner  Auseinandersetzungen  mit: 

„Darum  halte  ich  schliefslich  dafür,   dafs  mau  immer   die  Geometrie  zu 


*)  [Im  Original  steht:  „per  multiplieationem  seu  ductum."] 
**)  [Im  Original  heifst  es:    „ad  altiores  conceptibiles  gradus   plurium  dimen- 
sionum."J 


Nachträge  und  Berichtigungen.  310 

llilfe  nehmen  mul's,    die  ja,    aobakl  jenes  Euklidische  Axiom  begründet  ist, 
die  Beschaffenheit  solcher  [Verbindungs-JLinien  feststellt." 

S.  38,  Z.  11  —  14  V.  0.  mufs  lauten: 

„und  der  Grenzgeraden,  das  heilst  der  Geraden,  die  zwischen  den  schnei- 
denden und  den  nicht  schneidenden  die  Gi-enze  bilden,  in  aller  Strenge  nach- 
gewiesen. Er  hat  auch  schon  den  Ort  der  Punkte  betrachtet,  die  von  einer 
Geraden  gleichweit  entfernt  sind."  Die  Worte :  „und  ist  .  .  .  gelangt"  sind 
zu  tilgen. 

S.  40.     Bei  der  Litteratur  ist  einzuschalten: 

Cordara,   Giulio  Cesare,    Vita   del  padre  Tomaso  Ceva  in  den:    Vite  degli 

Arcadi  illustri,  t.  V.     Rom  1751.     S.  142—143. 
Halsted,  George  Bruce.     Die  Übersetzung  des  Euclides  ab  omni  naevo  vin- 

dieatus  ist  inzwischen  in  dem  Jahrgange  1895  des  American  Mathematical 

Monthly  S.  10,  42—43,  67—69,  108-109,  144—146  bis  Lehrsatz  XVIH  (im 

Urtext  bis  S.  26)  fortgeschritten. 

S.  53,  Z.  1  V.  u.  fehlt  hinter  „anwenden"  die  eckige  Klammer. 
S.  109,  Z.  1  V.  u.  fehlt  hinter  „S.  98"  der  Punkt. 

S.  117,  Z.  1,  2  V.  u.  Weitere  Nachforschulagen ,  bei  denen  wir  uns  der  gütigen 
Unterstützung  des  Herrn  Hofrat  Förstemann  in  Leipzig  zu  erfreuen  hatten, 
haben  Folgendes  ergeben.  In  dem  Werke:  Micraelius,  J. ,  Lexicon  Philo- 
sophicum.     Jena  1653  heifst  es  S.  608 : 

„Ly  est  tei'minus  scholasticorum ,    quo  denotatur  acceptio  vocis  materialLs: 
ut  Ly  Mus  est  monosyllabum,  Nos  dicimus  zb  Mus  est  monosyllabum." 
Die  Entstehung  dieser  Bezeichnung  ist  damit  freilich  noch  nicht  erklärt. 

Lamherf. 
S.  147,  Z.  13  V.  u.  statt  „sieben"  lies  „acht". 

S.  148,  Z.  6  V.  0.  ist  hinzuzufügen: 

„und  auch  C.  F.  Camerer,   den  wir  dort  ebenfalls   erwähnten,   hat  dieselbe 
Bemerkung  gemacht." 

S.  148,  Z.  16  V.  0.  ist  hinzuzufügen: 

„Jedoch  hat  F.  A.  Taurinus  in  seinen  Geometriae  prima  elementa 
(Köln  1826),  ohne  Lamberts  Theorie  der  Parallellinien  zu  kennen,  bemerkens- 
werte Untersuchungen  angestellt,  in  denen  Lamberts  Vermutung  in  betreff 
der  imaginären  Kugel  ihre  Bestätigung  findet." 

S.  151.     Bei  der  Litteratur  ist  einzuschalten: 

Camerer,  C.  F.,  Euclidis  elementa  graece  et  latine,  commentariis  instructa, 
ed.  Camerer  et  Hauber.     Bd.  1.     Berlin  1824.     S.  425-426. 

S.  188,  189  Anm.  Der  Beweis  für  das  immer  stumpfer  werden  der  Winkel  läfst 
sich  im  Lambert  sehen  Stile  folgendermafsen  führen: 

Li  Fig.  XIX  (S.  189)  seien  in  E,  B,  D  und  J  rechte  Winkel,  zu  beweisen 
ist,  dafs  JPD  >  JNB.  Man  mache  EG  ^  EB  und  ziehe  durch  G  die 
Senkrechte  GL,  dann  ist  JLG  =  JNB  und  LG  =  NB  (§.  52).  Halbiert 
man  GD  in  A,  richtet  AM  senkrecht  auf  und  legt  die  Figur  längs  AM  zu- 


320  Nachtrüge  und   Berichtif)fungen. 

sainmen,  so  fällt  L  in  p  über  P,  da  GL  ^=  BN  ^  DP  ist  (§.  57),  demnach 
wird  MPD  >  MpD  und  also  auch  JPD  >  JiS^S. 
Auf  eine  ähnliche  Art  wird  in  §.  69  verfahren. 

Gaufs. 

S.  213,  Z.  15  V.  0.  ist  die  Anmerkung  hinzuzufügen: 

Nach  einer  Angabe  Beltramis   erzählt  Terquem  (Manuel  de  Geometrie, 

Paris  1828),  dafs  ihm  Legendre  diesen  Satz  bereits  im  Jahre  1808  brieflich 

mitgeteilt  habe. 
S.  217,  Z.  1  V.  u.  statt  „letzten"  lies:  „nächsten". 
S.  222,  Z.  8  V.  u.  statt  „anderen"  lies:  „andern". 
S.  231,  Z.  3  V.  u.  statt  „Arnaud"  lies  „Arnanlä". 


Verzeichnis 

der  im  Texte  erwähnten  oder  besprochenen  Autoren*). 


Die  ciirslo  gedruckten  Seitouzahlcii  beziobou  sich  auf  die  Litterat uraugaben  am  Schlüsse 
der  Einleitungen  zu  den  hier  mitgeteilten  Schriften  und  auf  die  Nachträge. 


d'Alembert,  J.,  nennt  die  Parallelen- 
theoiie  das  Ai'gei'nis  der  Elementar- 
geometrie  211,  218. 

Anding,  E.,  über  Lambert  151. 

ApoUonius  benutzt  Euklid  als  Grund- 
lage 45. 

Archimedes  benutzt  Euklid  als  Grund- 
lage 45. 

Arnauld,  A.,  verwendet  Winkelrüume 
zum  Beweise  der  fünftenForderung231. 

Backer,  Augustin  und  Alois  de,  über 
Saccheri  40. 

Baltzer,  R.  erwähnt  eine  noch  nicht 
veröffentlichte  Abhandlung  von  Gaufs 
über  die  Erklärung  der  Ebene  226, 
macht  auf  Bolyai  und  Lobatschefskij 
aufmerksam  239,  353;  erwähnt  New- 
tons Erklärung  paralleler  Geraden 
317. 

Barozzi,  F.  übersetzt  Proklos  17. 

Barrow,  J.,  Bezeichnung  in  den  Figuren 
65,  bekämpft  Ramus  317. 

Bartels,  J.  M.  C,  mit  Gaufs  befreun- 
det, Lehrer  von  Lobatschefskij  242, 
353. 

Battaglini  G.  übersetzt  J.  Bolyai  239, 
353. 

Beez,  R.,  imaginäre  Kugel  151. 

Beltrami,  E.,  Saccheri  precursore  di 
Lobatschefskij  III,  39,  40. 

Bernoulli,  Daniel,  Briefwechsel  mit 
Lambert  verloren  gegangen  150. 

Bernoulli,  Johann  I,  Bezeichnung  in 
den  Figuren  65. 

Bernoulli,  Johann  III,  giebt  Lam- 
berts Theorie  der  Parallellinien  heraus 
141,    kauft    Lamberts    Nachlafs    148, 


Subski'iption  auf  Lamberts  hintcr- 
lassene  Schriften  149,  begründet  mit 
C.  F.  Hindenburg  das  Magazin  für 
die  reine  und  angenundte  Mathematik, 
IV,  149. 

Bernoulli,  Paul,  einziger  Enkel  von 
Johann  III:   150. 

Bertrand,  L.,  verwendet  Wiiikelräume 
zum  Beweise  der  fünften  Forderung 
231,  240. 

B es  sei,  F.  W.,  erwähnt  Lambert  148, 
227,  Gaufs  und  B.,  Briefe  1829  und 
1830:  226—227. 

Bilfinger,  B.  G.,  verbessert  Chi*.  Wolff 
156. 

Biot,  J.  B. ,  Unterhaltungen  mit  La- 
grange 211. 

Bolyai,  Johann,  Schöpfer  der  nicht- 
euklidischen Geometrie  III,  215,  318, 
B.  und  Saccheri  37 ,  Lehen  und 
Schriften  241 — 243,  B.  und  Taurinus 
246,  252. 

Bolyai,  Wolfgang,  Axiom  143,  260; 
imaginäre  Kugel  146,  151;  215,  217, 
Brief  von  Gaufs  an  B.  219,  Leben 
und  Schriften  241 — 243. 

Borelli,  J.  A. ,  neue  Erklärung  der 
Parallelen  33,  Einflufs  auf  Saccheri 
38,  von  Saccheri  geprüft  76—82. 

Bunjakofskij,   Kritik  Legendres  318. 

Caesar,  Caius  Julius,  Saccheri  mit  Cae- 
sar verglichen  40. 

Camerer,  J.  W.,  erwähnt  Saccheri  39, 
40,  erwähnt  Saccheri  und  Lambert 
248,  319. 

Cantor,  M.,  über  Euklid  5,  über  Wal- 
lis und  Nasir  Eddin  39,  über  G.  Ceva 


*)  Die  im  Litteraturverzeichnis,  S.  293 — .S13,  angeführten  Autoren  sind 
hier  nicht  aufgenommen,  da  von  ihnen  bereits  S.  314  —  316  ein  alphabetisches  Ver- 
zeichnis gegeben  worden  ist. 

Stäckel  u.  Engel,  Paralltleiitheorio.  21 


322        Verzeichnis  der  im   Texte  erwähnten  oder  besprochenen  Autoren. 


und  J.   A.   Jjürelli 'i(>,    über  Kaeslner 

151. 
Carnot,  L  ,  ersetzt  das  Vardllelemuiotti 

durch  das  Princip  der  Ähnlichkeit  10, 

318. 
Castillon,  G.,    über    Euklid,    Proklos 

und  Nasir- Eddin  19. 
Cataldi,  P.  A.,  Erste  Schrift  über  die 

Parallelentheorie  als  solche  18. 
Ceva,  Giovanni,   Verkehr  mit  Sacchcri 

34,   Vorläufer  von  Moebius  36. 
Ceva,  Tommaso,  Verkehr  mit  Saccheri 

34,  310,  besingt  Saccheri  35,  40,  regt 

Saccheris  Xcosfatica  an  36. 
Cicero,   Marcus  Tullius,   von  Lambert 

erwähnt  142,  158. 
Clairaut,  A. ,  gründet  die  Elementar- 
geometrie   auf   das    Bechteck   18,  l'J; 

Euklid  und  die  Sophisten  153. 
Clavius,   Chr.,   Euklid-Kommentar  17, 

19,  45,  139;  merkwürdige  Figur  17  f.; 

widerlegt  Proklos  75 f.:  sein  Axiom  78, 

von  Saccheri  geprüft  81  —  82. 
Cor  dar  a,  G.  C,  über  Saccheri  319. 
Coste,  Prediger  in  Leipzig,    widerlegt 

Hausen  139. 
Grelle,  A.  L.,   über  die  Erklärung  der 

Ebene  227. 

Deahna,  über  die  Erklärung  der  Ebene 

226. 
Delbceuf,  J.,  über  das  Princip  der  J/(/i- 

lichkeit  19,  19. 
Desargues,    G.,    neue  Erklärung    der 

Parallelen  18,  30,  317. 

Eck  wehr,  .L  W.  von,  Lehrer  von  J.  Bo- 
lyai  241. 

Engel,  F.,  übersetzt  Wassiljefs  Rede 
vom  22.  Oct.  1893:  2.5i. 

Erb,  über  die  Erklärung  diQx  Ebene  227. 

Erdmann,  B.,  über  die  Axiome  der 
Geometrie  21S. 

Erhardt,  S.,  über  Lambert  151. 

Euklid,  IV,  Einleitung  und  Littera- 
tur  3 — 5,  erstes  Buch  der  Elemente 
6—14,  von  Wallis  verteidigt  21 — 23, 
29,  30,  von  Saccheri  verteidigt  45— 
47,  77  f.,  84;  Lambert  über  Euklids 
Verfahren  141 — 142,  Lambert  über 
Euklids  Absichten  152—162. 

Euler,  L,,  VI. 

Ferrari,  G.,  über  Saccheri  40. 

Förstemann  unterstützt  unsre  Nach- 
forschungen über  die  Bedeutung  von 
„Ly"  (S.  117)  319. 

Foncenex,  Daviet  de,  hyperbolische 
Trigonometrie  147,  151;  Parallelo- 
gramm der  Kräfte  212,  318. 


Furmey,  J.  11.  S.,  3  Briefe  Lamberts 
an  F.  150,  Kede  auf  Lambert  151. 

Forti,  A.,  überläl'st  uns  eine  Abschrift 
der  Aufzeichnungen  Gambaranas  VI, 
34;  übersetzt  Fr.  Schmidts  Notice  sur 
W.  et  J.  Bolyai  254. 

Fourier,  J.,  neue  Erklärungen  der  Ge- 
raden und  der  Ebene  211,  218. 

Franceschini,  Fr.,  versucht  die  fünfte 
Forderung  zu  beweisen  214. 

Friedlein,  E.,  giebt  Proklos  heraus  5. 

Frischauf,  J.,  bearbeitet  die  nichteukli- 
dische Geometrie  J.  Bolyais  239,  253. 

Fürer,  A.,  Stiefbruder  von  Taurinu.s, 
überläfst  uns  zwei  Briefe  von  Schwei- 
kart  und  einen  von  Gaufs  an  Tauri- 
nus,  macht  uns  auf  die  Elementa  des 
Taurinus  aufmerk>am  VI  f.,  244,  251  f. 

Galilei,  G.,  von  T.  Ceva  und  Sac- 
cheri augegriffen  36. 

G  a  m b  a  r  a  n  a ,  Fr.,  Aufzeichnungen  über 
Saccheri   VI,  34—36. 

Ganfs,  C.  F.,  III,  146,  Einleitung  und 
Litteratur  211 — 218,  seine  bis  jetzt 
gedruckten  Aufserungen  über  die 
ParaUelentheorie  219—236;  F.  Kleins 
Vermutungen  über  das  Verhältnis  von 
Lobatschefskij  und  Bolyai  zu  G. :  242 
— 243;  Brief  an  Gerling  über  Schwei- 
kart  11819)  246,  Brief  au  Taurinus 
(1824)  249—250,  G.  und  Schweikart 
252;  281. 

Genocchi,  A.,  über  Foncenex  218. 

Ger  gönne,  J.  D.,  über  Legendres  ana- 
lytischen Beweis  für  den  Satz  von 
der  Winkelsumme  des  Dreiecks  20. 

Gerling,  Ch.  L. ,  über  die  Erklärung 
der  Ebene  227,  Brief  von  G.  an  W. 
Bolyai  über  Schweikart  (1851)  243— 
244,  Brief  von  Gaufs  an  G.  über 
Schweikart  (1819)  246. 

Giordano  da  Bitonto,  V.,  merkwürdige 
Figur  18,  verlangt,  dafs  man  das  Vor- 
handensein äquidistanter  Geraden  be- 
weise 33 — 34,  38,  40;  seine  Figur  auch 
bei  Saccheri  77. 

Graf,  M.,  über  Lambert  151. 

Grafsmann,  H.,  VII. 

Grunert,  J.,  über  Gaufs,  Lobatschefskij 
und  Bolyai  253. 

Guldin,  P. ,  Neue  Formulierung  des 
Axioms  von  Clavius  33,  40. 

Günther,  S.,  über  Riccati,  Foncenex 
und  Lambert  151,  über  Foncenex  und 
Lagva,nge21S,  überSeyfFer5i6';  Euklid 
im  Mittelalter  318. 

Hagen,  J.,  erwähnt  Keplers  Erklämng 

paralleler  Geraden  317. 
Halsted,  B.  G.,  beginnt  Juni  1894  eine 


Verzeichnis  der  im  Texte  erwiUinttüi  oder  beaproclienen  Autoren. 


\2?j 


Übersetzung  von  Saccheri  zu  ver- 
öffentlichen 39,  40,  3in-,  über  die 
Entwickelung  der  nichteuklidischen 
Geometrie  218;  übersetzt  Lobatschcfs- 
kij  und  Bolyai  '239,  253. 

Ilankel,  H.,  über  Euklids  Elemente  5; 
über  das  Princip  der  Ähnlichkeit  20. 

Hansen,  der  Astronom,  '231. 

IIa  üb  er,  C.  F.,  Stücke  aus  Euklid, 
Proklos,  Savile  U.S.W.  5;  ygl.Camerer. 

Hauff,  J.  K.  F.,  Lehrer  von  Schwci- 
kart  243. 

Hausen,  Gh.,  versucht  die  fünfte  For- 
derung zu  beweisen  139. 

Heiberg,  J.  L.,  neue  Euklidausgabe 
4,  5;  154. 

Heilb ronner,  J.  Chr.,  erwähnt  Sac- 
cheri 39. 

Helmholtz,  H.,  Über  die  Thatsachen, 
die  der  Geometrie  zu  Grunde  liegen: 
III. 

Hessling,  C.  W.,  über  Pfafis  Ansicht 
in  betreff'  des  Parallelenaxioms  215, 
218. 

Hindenburg,  C.  F.,  IV,  über  Lam- 
berts Theorie  der  Parallellinien  143 
— 144,  147,  giebt  mit  J.  BernouUi 
das  McKjazin  für  die  reine  und  an- 
geioandte  MatJiematiJc,  allein  das  Ar- 
chiv für  reine  und  angeivandte  Mathe- 
matik heraus  149;  151. 

Holland,  G.  J.  von,  Brief  von  Lam- 
bert an  H.  141. 

L'Hospital  über  Saccheri  als  Geo- 
meter  36. 

Hoüel,  J.,  Mitteilung  über  Lagrange 
211,  ^iS,  Anmerkung  über  das  Fehlen 
der  Untersuchungen  von  Gaufs  über 
nichteuklidische  Geometrie  in  den 
Werken  230,  übersetzt  Lobatschefskij, 
Bolyai  und  Briefe  von  Gaufs  und 
Schumacher  239,  253. 

Huber,  D.,  über  Lambert  151. 

Jacobi,  C.  F.  A.,  erwähnt  Saccheri  39, 

40,  und  Lambert  148,  151. 
Justi,  K.  W.,  über  Schweikart  253. 

Kaestner,  A.  G.,  über  Clavius'  EuJclid- 
kommentar  17,  sein  Interesse  für  die 
Parallelentheorie  139,  regt  Klügeis 
Dissertation  an  140,  spätere  Resigna- 
tion 141,  214. 

Kant,  J.,  Bedeutung  für  die  Parallelen- 
theorie VI,  über  Lambert  143,  Brief 
Lamberts  an  K.  über  das  Imaginäre 
146,  Brief  Lamberts  an  K.  über  Wolft's 
Nominaldefinitionen  157,  Schwab  be- 
kämpft K.s  Ansichten  über  die  Ge- 
wifsheit  der  Geometrie  221 


Kepler,,!.,  Erklärung  paralleler  Geraden 
317. 

Klein,  F.,  über  das  Verhältnis  von 
Lobatschefskij  und  Bolyai  zu  Gaufs 
242,  253. 

Klügel,  G.  S.,  über  ältere  Versuche  in 
der  Parallelentheorie  20,  zeigt  den 
Fehler  bei  Giordano  da  Bitonto  34, 
bespricht  Saccheri  39,  40,  140,  seine 
Diascrtation  140—141,  Brief  Lamberts 
an  K.  143,  Dissertation  von  Lambert 
gelobt  155,  sein  Skepticismus  findet 
Nachfolge  214. 

Lagrange,  J.  L. ,  versucht  die  fünfte 
Forderung  zu  beweisen  211 — 212,  be- 
einflufst  seinen  Freund  Foncenex  212. 

Lambert,  Cesar,  Schrift  über  ParaWeZen- 
tJieorie  (1859)  148. 

Lambert,  Johann  Heinrich,  IV — VI, 
setzt  euklidfeste  Leser  voraus  4,  über 
das  Princip  der  Almlichkeit  19,  85, 
199  if.;    zeigt,    dafs  man    das  Axiom 

,  der  Stetigkeit  vermeiden  kann  56, 
144,  187  f.,  193,  319;  Einleitung  und 
Litteratur  139 — 151,  Lebenslauf  141, 
Theorie  der  Parallellinien  1766  ver- 
fafst  141—143,  über  Euklids  Verfah- 
ren 141 — 142,  Unzulänglichkeit  des 
L.schen  Beweises  143—144,  Verhältnis 
zu  Saccheri  144 — 145,  Geometi'ieaufder 
Kugel  145,  202,  imaginäre  Kugel  145 — 

147,  203,  259,  151;  seine  Parallelen- 
theoriespäter  fastganz  vergessen  147 — 

148,  Schicksale  von  Lamberts  Naclüafs 
148 — 150,  Theorie  der  Parallellinien 
152—208;  211,  L.  über  Klügel  155, 
über  Chr.  Wolfi"155— 159,  über  Prok- 
los 159;  L.  und  Legendre  212—213; 
215;  von  Bessel  erwähnt  148,  227,  243; 
von  CamerÄ  erwähnt  248;  252,  259. 

Laplace,  P.  S.,  Princip  der  Ähnlich- 
keit 19,  20;  212,  218. 

Lefort,  P.  A.  F.,  Mitteilung  an  Hoüel 
über  Lagrange  211. 

Legendre,  A.  M.,  analytischer  Beweis 
für  den  Satz  von  der  Winkelsumme 
19,  20;  218  \  Verhältnis  zu  Saccheri 
37 — 38,  zu  Wallis,  Saccheri  und  Lam- 
bert 212,  Bedeutung  für  die  Ge- 
schichte der  Parallelentheorie  213; 
Satz  über  die  Summe  der  Dreiecks- 
winkel  schon  1808    gefunden  320. 

Leibniz,  G.  W.,  Indicesbezeichnung  65, 
Geometrie  der  Lage  von  Kaestner  er- 
wähnt 140,  Untersuchungen  über  Pa- 
rallelentheorie aus  demNachlafsl39,i5i. 

Lepsius,  J.,  über  Lambert  151. 

Lie,  Sophus,  IV. 

Lindemann,  F.,  über  das  erste  Buch  von 
Euklids  Elementen  5. 
21* 


324        Verzeichnis  der  im  Texte  erwäbnteu  oder  besprochenen  Autoren. 


Lobatscliefskij,  X.,  Schöpfer  der 
nic]itii(kli(lische)i  Geometrie,  III,  L. 
und  Saccheri  37 — 3'J ,  Lambert  und 
L.  146;  151;  seine  Untersuchungen 
über  die  Parallellinien  von  Gauls 
•gelobt  210,  -235;  Lehen  und  Schriften 
•_'40— 241,  ä53;  L.  und  Gaufs  242, 
L.  und  Taurinus  246,  252,  282. 

Lombardi,  A.,  über  Saccheri  40. 

Lorenz,  .J.  F.,  Axiom  213;  Grundrils 
244;  Euklidübersetzung  247. 

Loria,  G.,  über  Euklids  Elemente  und 
über  P.  Ramus  20. 

Lübsen,  H.  B.,  versucht  das  Parallelen- 
axiom zu  beweisen  236. 

Maier,  L. ,  über  Proklos  5,  erwähnt 
Saccheri  39,  40. 

Manganotti,  A.,  will  Saccheris  Schrif- 
ten neu  herauszugeben  39. 

Mansion,  P.,  über  Saccheri  40,  über 
Fourier  218. 

Metternich,  M.,  sein  Beweisversuch 
von  Gaufs  besprochen  221 — 223. 

Micraelius,  J,  Bedeutung  von  „Ly" 
319. 

Moebius,  A.  F.,  über  das  Princip  der 
Ähnlichkeit  20,  G.  Ceva  sein  Vor- 
läufer 36. 

Monfucla,  J. ,  erwähnt  Saccheri  39. 

Morgan,  A.  de,  über  Lagranges  Be- 
weisversuch 212,  21S. 

Müller,  C.  R.,  sein  Beweisversuch  von 
Gaufs  besprochen  223—226. 

Nasir  Eddin  (Nassaradin),  arabische 
Bearbeitung  von  Euklids  Elementen 
17,  sein  Beweisversuch  von  Saccheri 
besprochen  82 — 83. 

Newton,  J.,  über  Anziehmig  proportio- 
nal der  Entfernung  'M,  Erklärung 
paralleler  Geraden  317. 

Nicomedes,  Conchoide  75. 

Oliver  of  Bury,  Th.,  zweite  Schrift 
über  die  Parallelentheorie  als  solche  18. 


Pascal,  Bl.,  Bezeichnung  in  den  Figuren 
65. 

Peters,  C.  A.  F.,  giebt  den  Briefwechsel 
zwischen  Gauls  imd  Schumacher  her- 
aus 217. 

Peyrard,  F.,  entdeckt  die  älteste  der 
bekannten  Euklidhandschriften  17,  20. 

Pfaff,  J.  F.,  Skepticismus  215,  244. 

Poggendorff,  .J.  C. ,  über  Schweikart 
253. 

Proklos,  Euklidkommentar  4,  5,  sein 
Beweisversuch  4,  317,  übersetzt  von 
Barozzi,    gewm-digt  durch  Kamus  17, 


sein    Beweisversuoh    besprochen    von 
Saccheri    75 — 76,    von    Lambert    er- 
wähnt 159. 
Ptolemaeus   versucht  die   fünfte  For- 
derung zu  beweisen  214,  317. 

Kamus,  P.,  würdigt  Proklos  17,  ver- 
wirft jedoch  Untersuchungen  über  die 
Grundlagen  der  Geometrie  18,  20, 
317. 

Riccardi,  P.,  Euklidbibliographie  5, 
über  Saccheri  40. 

Riccati,  V.,  hyperbolische  Trigono- 
metrie 147,  151. 

Riemann,  B.,  Probevorlesung  III,  Geo- 
metrie auf  der  Kugel  schon  bei  Lam- 
bert 145  und  bei  Taurinus  252;  151. 

Saccheri,  G. ,  sein  Euclides  ab  omni 
naevo  vindicatus  von  Beltrami  ent- 
deckt III,  39,  40;  setzt  euklidfeste 
Leser  voraus  4,  prüft  den  Beweisver- 
such von  Wallis  17,  19,  83—85;  Ein- 
leitung itnd  Litteratur  33 — 40;  Leben 
und  Charakter  34  f. ,  seine  Schriften 
35 — 37,  Inhalt  und  Bedeutung  des 
Euclides  ah  omni  naevo  vindicatus 
37 — 39,  Bibliotheken,  die  dieses  Werk 
besitzen,  38,  ältere  Autoren,  die  S. 
erwähnen,  39;  S.  und  Legendre  37 — 
38,  212,  213,  S.,  Lobatschefskij  und 
Bolyai  37 — 39;  Bemerkungen  aus 
dem  Appendix  318,  deutsche  Über- 
setzung des  ersten  Buches  des  Eucli- 
des vindicatus  (1733)  41 — 136,  prüft 
den  Beweisversuch  des  Proklos  75 — 76, 
den  des  Borelli  76 — 78,  des  Clavius 
78—82,  des  Nasir  Eddin  17,  82—83 ;  S. 
und  Lambert  144—145 ;  215,  243,  248. 

Sartorius  von  Waltershausen,  W.,  teilt 
Aufserungen  von  Gaufs  über  die  Anti- 
euklidische Geometrie  mit  216,  218, 
berichtet  über  Bartels  242. 

Savile,  H, ,  sein  Interesse  für  Euklids 
Elemente  18,  20;  spricht  von  den 
Makeln  bei  Euklid  36. 

Schlüssel  siehe  Clavius. 

Schmid,  Anton,  über  Saccheri  als 
Schachspieler  40. 

Schmidt,  Franz,  Mitteilungen  über  die 
beiden  Bolyai  VlI,  240—242,  Mittei- 
lung eines  Briefes  von  Gerling  an 
W.  Bolyai  über  Schweikart  243—244, 
schreibt  über  das  Leben  der  beiden 
Bolyai  253,  254. 

Schulz,  .J.,  verwendet  Winkelräume 
zum  Beweise  der  fünften  Forderung 
231,  240. 

Schumacher,  Gaufs  und  S.,  Briefe  von 
1831  und  1846,  227—235. 


Verzeichnis  der  im  Texte  erwähnten  uder  besprochenen  Autoren.        325 


Schwab,  J.  Gh.,  sein  Tcntamcn  (1801) 
von  Reyfter  besprochen  214,  seine 
Coinmenlatio  (1814)  Ton  Gaufs  be- 
sprochen 220— 2-21. 

Schweikart,  F.  K.,  IV,  von  Bessel  er- 
wähnt 148,  227;  erzählt  von  Kaestnera 
Resignation  151 ;  seine  Astralgeomctric 
von  Gaufs  erwähnt  235,  Lehen  und 
Schriften  243,  Bibliotheken,  in  denen 
S.s  Parallelentheorie  vorhanden  ist  243, 
Gerling  über  S.  244,  Brief  an  seinen 
Neffen  Taurinus  (1824)245— 246;  Gaufs 
an  Gerling  über  Schweikart  246 ;  regt 
Taurinus  an  246,  247  ff.,  261,  Brief 
an  Taurinus  (1820)  248—249;  inwie- 
fern mit  Gaufs   gleichberechtigt  252. 

Scriba,  H.  E.,  über  Schweikart  und 
Taurinus  254. 

Seyffer,  K.  F.,  bespricht  die  anonyme 
Demonstratio  theor.  par.  (1799)  und 
das  Tentamen  novae  theor.  par.  (1801) 
von  Schwab  214 — 215. 

Simpson,  R.,  Beweis  versuch  von  Seyffer 
erwähnt  214. 

Simson,  Tb.,  Beweisversuch  von  Seyffer 
erwähnt  214. 

So  linke,  L.  A.,  giebt  Bemerkungen  über 
die  Geschichte  der  Parallellinien  bis 
1837:  20. 

Steiner,  J.,  seine  Erklärung  paralleler 
Geraden  18. 

Steinschneider,  M.,  Euklid  bei  den 
Arabern  20. 

Sulz  er,  J.  G.,  ordnet  Lamberts  Nach- 
lafs  148. 

Tannery,  P.,  über  Euklids  Elemente 
5,  317. 

Taurinus,  F.  A.,  IV,  Brief  von  Schwei- 
kart an  T.  (1824)  245—246,  Leben  und 
Schriften  246—252,  Bibliotheken,  in 
denen  diese  Schriften  vorhanden  sind, 
251,  aus  dem  Vorwort  zu  den  Elementa 
247  f. ,    Brief   von    Schweikart   an   T. 


(1820)  248—249,  Brief  von  Gaufs  an 
T.(1824)249f.;  seine  IJedeutuug  für  die 
Geschichte  der  nichteuklidisehen  Geo- 
metrie 252,  oI'J;  Stücke  aus  der  Tlieo- 
rie  der  Parallellinien  (1825)  255—266; 
Stücke  aus  den  Geometriae  inimu 
dementa  267—286. 

Ter  quem,  0.,  über  Legendre  320. 

Thaies  von  Milet  beweist,  dafs  jeder 
Durchmesser  seinen  Kreis  halbiert  120. 

Theodosius  benutzt  Euklid  als  Grund- 
lage 45. 

T  hier  mann   erwähnt   Saccheri  39,  40. 

Trans on,  A. ,  erwähnt  Arnaulds  Be- 
weisversuch 231. 

Ventimiglia,  R.,  stellt  1692  sechs  geo- 
metrische Aufgaben,  die  Saccheri  1693 
löst  35  f. 

Verci,  G.,  über  Saccheri  40. 

Veronese,  G.,  über  Saccheri  40. 

Voit,  P.  Gh.,  angeregt  durch  Seyffer, 
Dissertation,  Skepticismus  215. 

Wad dington,  über  Ramus,  318. 

Wallis,  J.,  IV,  Einleitung ^jmd  Littc- 
ratiir  17  —  20,  deutsche  Übersetzung 
der  Demonstratio postulati  quinti {l&G'd) 
21 — 30,  sein  Beweisversuch  von  Sac- 
cheri besprochen  83 — 85,  Kaestners 
Verfahren  dem  von  W.  ähnlich  140; 
Legendres  Beweis  von  1794_  beruht 
auch  auf  dem  Princip  der  Ähnlich- 
keit 212. 

Wassiljef,  A. ,  Mitteilungen  über  Lo- 
batschefskij  VII,  240;  Rede  auf  Lobat- 
schefskij  vom  22.  Okt.  1893:  254. 

Winter,  über  Schweikart  254. 

Wolf,  R.,  forscht  nach  Lamberts  Nach- 
lafs  150;  über  Lambert  151. 

Wolff,  Chr.,  von  Lambert  angegriffen 
155—159. 

Zell  er,  E.,  über  Bilfinger  156. 


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