UNIVERSITY OF CALIFORNIA
AT LOS ANGELES
DIE THEORIE
DER
PARALLELLINIEN
A^ON EUKLID BIS AUF GAUSS,
EINE URKÜNDENSAMMLÜNG
ZUR VORGESCHICHTE DER NICHTEUKLIDISCHEN GEOMETRIE,
IN GEMEINSCHAFT
MIT
FRIEDRICH ENGEL
HERAUSGEGEBEN
VON
PAUL STÄCKEL.
MIT 145 FIGUREN IM TEXT UND DER NACHBILDUNG
EINE8 BRIEFES VON GAUSS.
LEIPZIG,
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER.
1895.
ALLE KECHTE,
EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSEECHTS, VORBEHALTEN.
Engineering &
Mflthematical
Sciences
Q, /\ Library
511 t.
Vorwort.
Fast dreifsig Jahre sind vergangen, seitdem durch die Ver-
öffentlichung von Riemanus Probevorlesung und durch das Er-
^ scheinen von Helm hol tz' Abhandlung, Über die Thatsaclim, die der
^ Geometrie zu Grunde liegen das Raumproblem und damit auch die
^ Parallelenfrage Gegenstand eines allgemeinen und nachhaltigen Interesses
^ seworden ist. Uno-efähr um dieselbe Zeit wurde bekannt, dafs Gaufs
"^ schon sehr früh die Möglichkeit und die Berechtigung einer Geometrie
erkannt hatte, die vom Parallelenaxiome unabhängig ist, und es wurden
die Schriften von Lobatschefskij und Bolyai, in denen diese Geo-
metrie ihre systematische Entwickelung gefunden hatte, der Vergessen-
heit entrissen.
Gaufs, Lobatschefskij und Bolyai galten nunmehr als die
Schöpfer der nichteuklidischen Geometrie, deren weitere Ausbildung
I und tiefere Begründung von Riemann und Helmholtz angebahnt
a o worden war.
CD Es mufste daher ein gewisses Aufsehen erregen, als im Jahre 1889
Herr Beltrami darauf hinwies, dafs bereits 1733 ein italienischer
Jesuit, Girolamo Saccheri, bei dem Versuche, die fünfte Forderung
Euklids zu beweisen, zu einer Reihe von Sätzen gelangt war, die
man bis dahin Lobatschefskij und Bolyai zugeschrieben hatte.
Indes, so merkwürdig diese Entdeckung auch war, eine so verein-
zelte Erscheinung konnte doch nur den Wert einer Kuriosität haben.
Allerdings kam mir schon damals der Gedanke, ob nicht vielleicht
Saccheris Euclides ah omni naevo vindicatus als ein Glied in der Kette
einer geschichtlichen Eutwickelung anzusehen sei, sodafs also das
Grundgesetz der Stetigkeit auch bei der Entstehung der uichteuklidi-
schen Geometrie seine Geltung behalten habe. Aber erst einige Jahre
später zeigte mir ein glücklicher Zufall, dafs meine Vermutung ge-
rechtfertigt gewesen war.
Untersuchungen über die ältere Geschichte der Flächentheorie
waren die Veranlassung, dafs ich im Januar 1893 eine der ältesten
a*
319160
IV Vorwort.
mathematischen Zeitschriften in die Hand nahm, das wenig bekannte
Magazin für die reine und angewandte Mathematih , das J. Beruoulli
und C. F. Hindenburg von 1786 bis 1789 herausgegeben haben.
In dem ersten Jahrgange erregte eine Theorie der FaralleUinien von
duhann Heinrich Lambert meine Aufmerksamkeit, und die genauere
Prüfung führte zn dem überraschenden Ergebnis, dafs Lambert als
ein bisher übersehener Vorgänger von Gaufs, Lobatschefskij und
Bolyai anzusehen sei.
Hierdurch ermutigt, begami ich die Eutwickelung der Paralleleu-
theorie genauer zu studieren, und da auch meine weiteren Nach-
forschungen von Erfolg begleitet waren, konnte ich im Januar 1894
den Plan fassen, von den älteren Arbeiten über die Parallelentheorie
die wichtigsten, die von Euklid, Wallis, Saccheri, Lambert und
Gaufs neu herauszugeben und diese Urhiiulen durch einen verbinden-
den Text zu einer Vorgescliiclde der nichteiddidischen Geometrie zu ver-
einigen. Während der Drucklegung des Buches kam eine wesentliche
Ergänzung hinzu: es gelang mir. Genaueres über die Untersuchungen
von Schweikart zu ermitteln, und dabei stellte sich heraus, dafs ein
Neöe Schweikarts, ein gewisser Taurinus, schon 1826, demnach
früher als Lobatschefskij und Bolyai, eine nichteuMidische Trigo-
nometrie durch den Druck veröffentlicht hatte.
Von der Entdeckung der Lambertschen Abhandlung hatte ich
bereits im Februar 1893 meinem Fremide Friedrich Engel in Leipzig
Mitteilung gemacht, der ihre Wichtigkeit sogleich zu würdigen wufste,
und durch seine Vermittelung war Lambert in der Vorrede zu
dem dritten Bande von Lie's Theorie der Transformationsgruppen
(Leipzig 1893, S. X — XI) erwähnt worden. Jetzt gelang es mir,
Engel zum Mitarbeiter bei der Durchführung meines Planes zu ge-
winnen. In gemeinsamer Arbeit sind so die Übersetzungen aus
Euklid, Wallis, Saccheri und Taurinus entstanden, die hier
mitgeteilt werden. Dagegen übernahm ich die Beschaffung und Sich-
tung des geschichtlichen Materials sowie die Zusammenstellung des
Litteraturverzeichnisses. Ebenso bearbeitete ich zu den einzelnen Ab-
schnitten die Einleitungen, deren endgültige Fassung dann von uns
beiden in regem mündlichen und schriftlichen Gedankenaustausche fest-
gestellt wurde.
Das Vorhergehende dürfte schon deutlich zeigen, was, vom
mathematisch-historischen Standpunkte aus betrachtet, dieses Buch be-
zweckt. Es soU nicht eine Geschichte der Parallelentheorie sein; an
ein so weitschichtisfes Unternehmen, bei dem allein die Sammlung
Vorwort. V
und Durcharbeitung der Litteratur viele Jahre kosten würde, haben
wir uns nicht gewagt. Nur einen Beitrag dazu wollen Engel
und ich geben, indem wir die älteren Untersuchungen über die Pa-
rallelentheorie darauf hin betrachten, in wie weit sie für die nicht-
euklidische Geometrie von Bedeutung sind. Wir sind uns freilich wohl
bewufst, dafs auch unter dieser Beschränkung von uns nichts Ab-
geschlossenes gegeben wird. Haben meine systematisch beti-iebenen
Nachforschungen, denen eine Reihe glücklicher Zufälle zu Hilfe kam,
ein unerwartet günstiges Ergebnis gehabt, so bleibt doch in der Vor-
geschichte der nichteuklidischen Geometrie vieles in Dunkel gehüllt;
insbesondere ist der Abschnitt über Carl Friedrich Gaufs, nicht durch
unsre Schuld, recht dürftig ausgefallen.
Für nicht weniger wesentlich halten wir einen zweiten Gesichts-
punkt, von dem aus wir unser Buch betrachtet zu sehen wünschen.
Wenn immer mehr anerkannt wird, in wie hohem Mafse ü'erade
bei den feinsten Untersuchungen der neuereu Mathematik das tiefere
Verständnis durch die geschichtlich« Betrachtungsweise gefördert
wird, so trifft das ganz besonders bei der uichteuklidischen Geometrie
zu. Wir sind überzeugt, dafs das Eindringen in diese beim ersten
Anblick so paradoxen, dem gesunden Menschenverstände scheinbar so
widerstrebenden Gedankeubildungen durch nichts mehr erleichtert
wird, als wenn man ihrer geschichtlichen Entwickeluns- nachgeht,
wenn man verfolgt, wie die Emancipation von Euklid durch jahr-
hundertelange Arbeit vorbereitet wird, und wie sich dann die neuen
Ideen mit unwiderstehlicher Gewalt fast gleichzeitig an räumlich weit
entfernten Orten Europas Bahn brechen.
In engem Zusammenhange hiermit steht ein weiterer Zweck, dem
unser Buch dienen soll.
Wer sich über das Wesen der nichteuklidischen Geometrie Klar-
heit verschaffen wollte, befand sich bisher in einer recht schwierio-en
Lage: fast alle Arbeiten über diesen Gegenstand setzen erhebliche
Vorkenntnisse auf deu verschiedensten Gebieten der neueren Mathe-
matik voraus, und da, wo die Anforderungen in dieser Beziehung
geringer siud, wie bei Lobatschefskij und bei Bolyai, erschwert
die Art der Darstellung das Verständnis.
Unter diesen Umstäuden dürfte unser Buch namentlich denen will-
kommen sein, die in den Gedankenkreis der uichteuklidischen Geo-
metrie einzudringen gewillt sind, denn die Abhandlungen von Wallis,
Saccheri und Lambert sind einem jeden verständlich, der über die
elementarsten Vorkenntnisse verfügt, und, Avas die Darstellung betrifft,
so zeichnet sich Saccheris E^ididcs ah omni naevo rindicatus durch
VI Vorwort.
oine wahrhaft klassische Vollendung aus, während bei [Lamberts
Tlicorir dar FaraUclliniai, einem tief eindringenden Versuche dieses
scliarfsinuigen Denkers sich über die Parallelenfrage Rechenschaft zu
geben, die Frische und Natürlichkeit der Ausdrucksweise an Leon-
hiird Euler erinnert. Gröfsere Anforderungen an den Leser stellt
Taurinus; hier ist zum vollen Verständnis die Bekamitschaft mit
den Elementen der höheren Analysis erforderlich.
Haben wir uns bis jetzt an die Matlieniatilier gewendet, so möchten
wir doch auch die Fhüosoplien auf unser Buch aufmerksam machen,
denn die Parallelentheorie steht mit verschiedenen philosophischen
Grundproblemen in enger Verbindung, streift doch, wie Gaufs sich aus-
drückt, der FrcKjexmnld iinmittelhar an die 3IetcipJajsiJc. Freilich haben
wir darauf verzichtet, in diesem Buche, das zunächst für mathema-
tische Leser bestimmt ist, auf den oft recht nahe liegenden Zusammen-
hang der Untersuchungen über Parallelentheoiie mit den philosophi-
schen Fragen ihrer Zeit einzugehen. Immerhin glauben wir, dafs
imser Buch dem Philosophen mancherlei Ain'eguug zu weiteren Unter-
suchungen bietet, und möchten in dieser Hinsicht etwa auf die Be-
ziehungen zu dem Probleme des Unendlichen hinweisen, sowie den
unverkennbaren Einflufs der Kantischen Philosophie (Kritik der reinen
Vernunft 1781) auf das Wiedererwachen des Interesses für die Grund-
lagen der Geometrie und damit auch für die Parallelentheorie betonen.
Schliefslich müssen wir der Unterstützung gedenken, die uns bei
uusrer Arbeit von verschiedenen »Seiten zu teil wurde. Es ist uns
nicht möglich, an dieser Stelle allen denen namentlich zu danken, die
uns durch freundliche Auskunft auf uusre Anfragen, durch wertvolle
geschichtliche Mitteilungen, durch Überlassung von uns sonst unzu-
gänglichen Büchern verpflichtet haben, und wir müssen uns darauf
beschränken, hier folgende Herren zu nennen.
Dem Direktor der Biblioteca Estense in Modena, Herrn A. Forti,
verdanken wir eine Abschrift von Aufzeichnungen, die ein Freund
und Ordensbruder Saccheris über dessen Leben und Werke gemacht
hat; durch diese Aufzeichnungen Averden die spärlichen gedruckten
Nachrichten über Saccheri, die wir ermitteln konnten, wesentlich er-
gänzt. Herr Pastor A. Fürer in Merseburg, ein Stiefbruder des Tau-
rinus, hat uns zwei Briefe von Schweikart an Taurinus, sowie
einen Brief von Gaufs an Taurinus zur Veröffentlichung überlassen.
Er hat uns auch auf die Elementa des Taurinus aufmerksam ge-
macht die bis dahin ganz unbekannt o-eblieben waren. Herr Bau-
Vorwort. VII
meister Fr. Schmidt in Budapest stellte uns wichtige Mitteilungen
üher die beiden Bolyai, sowie über Schweikart zur Verfügung,
Herr Prof. A. Wassiljef in Kasan solche über Lobatschefskij.
Endlich hat Herr Dr. Wiegner in Leipzig aus reinem Interesse für
die Sache sich der grofsen Mühe unterzogen, für den Neudruck eine
genaue Abschrift von Lamberts Abhandlung anzufertigen.
An der Drucklegung des Werkes haben Engel und ich in
gleichem Mafse mitgewirkt. Wir liefsen uns dabei von den Grund-
Sätzen leiten, die Engel bei der Herausgabe von H. Grafsmanns
Gesammelten mathematischen und physikalischen Werken befolgt. Man
findet also bei den Abhandlungen, die wir mitteilen, die Seitenzahlen
der ursprünglichen Ausgaben am Rande angegeben. Ebenso sind
unsre Zusätze im Text durch Einschliefsen in eckige Klammern
kenntlich gemacht worden. Die ursprünglichen Lesarten von Stellen,
an denen eine Änderung des Textes notwendig erschien, findet man
jedes Mal am Schlüsse der betreffenden Abhandlung zusammengestellt.
Im Hinzufügen erläuternder Anmerkungen sind wir sparsam gewesen.
Es wäre freilich leicht gewesen, an vielen Stellen auf Grund der Ein-
sichten, die man den neueren Untersuchungen über die nichteuklidische
Geometrie verdankt, Kritik zu üben; uns schien jedoch, dafs solche
Bemerkungen, wenn sie nicht sehr ausführlich sind, den Anfänger nur
verwirren können, während sie für den Kenner überflüssig sind. Da-
gegen haben wir uns nach Kräften bemüht, dem Leser das Zurecht-
finden in dem Buche zu erleichtern, und hoffen, dafs die ausführlichen
Angaben an den Köpfen der Seiten sowie das Autorenverzeichnis am
Ende des Buches als zweckmäfsig anerkannt werden.
Herrn Dr. A. Gutzmer in Berlin sind wir für seine freundliche
Beihilfe bei der Korrektur zu Dank verpflichtet.
Wir können nicht schliefsen, ohne der Verlagsbuchhandlung
B. G. Teubner unsern Dank dafür auszusprechen, dafs sie alle unsre
Wünsche in Betreff der Ausstattung des Buches aufs bereitwilligste
erfüllt hat. Besonderen Wert legen wir darauf, dafs wir die zahl-
reichen Figuren in den Text aufnehmen konnten, obwohl es notwendig
wurde, einzelne Figuren drei, ja vier Mal zu wiederholen; ebenso
freuen wir uns, dafs wir dem Buche einen bisher unbekannten Brief
von Gaufs in getreuer Nachbildung beigeben können.
Halle a. S., im Juni 1895.
Paul Stäckel.
Inhaltsyerzeicliiiis.
Seite
Vorwort III— Yll
Euklid, um 300 v. Chr 1—14
Einleitung und Littei-atur 3 — ö
Euklids Elemente, erstes Buch, Erkliirungen, Forderungen,
Grundsätze, Satz 1—32 G — 14
John Wallis, IGIC— 1703 15— 30
Einleitung und Litteratur 17— 20
Euklid bei den Arabern 17
Ältere Euklidausgaben 17 — IH
Die Parallelentheorie in Frankreich (Ramus, Desargues) ... 18
Die Parallelentheorie in England (Savile; Wallis) 18^ ly
Der Beweisversuch von Wallis 19
Litteratur 19— i'd
Beweis der fünften Forderung Euklids, öffentlich vor-
getragen in Oxford am Abend des 11. Juli 1CG3 21 — 30
Girolamo Saecheri, 1007 — 1733 31 — 130
Einleitung und Litteratur 33 — 40
Die Parallelentheorie in Italien (Borelli, Giordano da Bitonto;
Saecheri) 33— 34
Saccheris Leben 34— 35
Seine mathematischen Schriften 35—36
Saccheris Euclides ab omni naevo vindicatus 36 — 39
Litteratm' 40
Euclides ab omni naevo vindicatu.s: sive conatus geo-
metricus quo stabiliuntur prima ipsa universae Geo-
metriae Principia. Liber 1 41 — 135
Vorwort an den Leser 45 — 47
Inhaltsverzeichnis 48 — 49
Erstes Buch, erster Teil, Lehrsatz I— XXXIII 50—122
Des ersten Buches zweiter Teil, Lehrsatz XXXIV— XXXIX , . 123-135
Abweichungen vom Urtext 136
Johann Heinrich Lambert, 1728—1777 137 — 208
Einleitung und Litteratur 139 — 151
Inlialtsverzeiclmis. TX
Poite
Die Piirallelentheorie in Deutschland (Kaestner, Kliigel; Lambert) VVJ -141
Die Parallelentheorie von Lambert 141 — 148
Lamberts Nachlafs 148 150
Litteratur 1«1
Theorie der Parallellinien 152—207
1) Vorläufige Betrachtungen. §. 1—11 152— 1G2
2) Vortrag einiger Sätze, die für sich betrachtet werden können.
§, 12—2(3 1G3— 17G
3) Theorie der Parallel-Linien. §. 27—88 170—207
Allgemeines §. 27—39 176—180
Erste Hypothese §. 40—51 180—185
Zwote Hypothese §. 52—64 186—192
Dritte Hypothese §. 65-88 192—207
Abweichungen vom Original 208
Carl Friedrich Gaufs, 1777—1855 209—236
Einleitung und Litteratur 211 — 218
Die Parallelentheorie in Frankreich (d'Alembert, Fourier, Lagrange,
Laplace, Legendre) 211 — 213
Die Parallelentheorie in Deutschland (Seyffer, Voit; Gaufs) . . 213—215
Die bisher bekannten Äufserungen von Gaufs 215 — 217
Litteratur 218
L Brief von Gaufs an W. Bolyai, Ende 1799 219
II. Eine Besprechung aus den Göttingischen gelehrten Anzeigen
vom 20. April 1816 220—223
III. Eine Besprechung aus den Göttingischen gelehrten Anzeigen
vom 28. October 1822 223—226
IV. Aus Briefen von Gaufs und Bessel, 1829 und 1830 226—227
V. Aus Briefen von Gaufs und Schumacher, 1831 und 1846 . . 227—235
Abweichungen von den Originalabdrücken 236
Ferdinand Karl Sehweikart, 1780—1857 und Franz Adolph Tau-
rinus, 1794—1874 237—286
Einleitung und Litteratur ■ 239—254
Allgemeines 239 — 240
N. Lobatschefskij 240—241
W. und J. Bolyai , 241—243
F. K. Sehweikart 243—246
Gaufs über Sehweikart, 1819 246
F. A. Taurinus 246—252
Aus der Vorrede zu den Elementa, 1826 247 — 248
Gaufs an Taurinus, 1824 249—250
Würdigung von Sehweikart und Taurinus 251 — 252
Litteratur 253—254
Stücke aus der Theorie der Parallellinien von F. A. Tau-
rinus, 1825 255—266
Stücke aus den Geometriae prima elementa von F. A. Tau-
rinus, 1826 267—283
Abweichungen vom Urtext der Elementa 284 — 286
X Inhaltsverzeichnis.
Seito
Verzeichnis von Schriften über die Parallelentheorie, die bis
zum .lahic 1837 erschienen .sind 287 — 31:^
KinloitunfT 289— 290
Bibliographische Quellen in chronologischer Reihenfolge 291 — 292
V^erzeichnis der Schriften nach den Jahren ihres Er-
scheinens 293 — 313
Alphabetisches Verzeichnis der Autoren dieser Schriften 314 — 31('.
Nachträge und Berichtigungen 317 — 320
Alphabetisches Verzeichnis der im Texte besprochenen oder erwähnten
Autoren 321—325
Tafel am Ende des Buches: Nachbildung eines Briefes von Gaufs an Taurinus
vom 8. November 1824.
EUKLID
UM 300 V. CHR.
Staolcel u. Engel, Parallelentheorie
Die Geschichte der Parallelentheorie beginnt mit den Griechen
oder genauer mit Euklid, denn erst die Griechen haben die Mathematik
zu dem Range einer Wissenschaft erhoben, indem sie nicht nur den
mathematischen Kenntnissen, die ihnen von den Ägyptern überkommen
waren, viel Neues hinzufügten, sondern auch vor allem das mathe-
matische Beweis verfahren in seiner vollen Strenge ausbildeten und die
einzelnen Sätze zu einem zusammenhängenden Ganzen vereinigten.
Euklids Elemente stellen uns das endgültige Ergebnis dieser jahr-
hundertelangen Entwickelung dar.
Für die Parallelentheorie kommt nur das erste Buch der Elemente
in Betracht. Beim ersten Anblick erscheint es als eine willkürliche
Zusammenstellung von Lehrsätzen und Aufgaben, aber bei tieferem
Eindringen zeigt sich, dafs man es mit einem wohldurchdachten Systeme
zu thun hat. Es ist kein Zufall, dafs die ersten achtundzwanzig Sätze
von der fünften Forderung, dem sogenannten Parallelenaxiom, durchaus
unabhängig sind, und dafs dieses erst beim Beweise des neunund-
zwanzigsten Satzes eintritt, es ist kein Zufall, dafs der Aufsenwinkel
des Dreiecks an zwei Stellen behandelt wird: zuerst, in Satz 16, wird
nur gezeigt, dafs er gröfser ist als jeder der beiden ihm gegenüber-
liegenden inneren Winkel, und erst später, in Satz 32, stellt sich
heraus, dafs der Aufsenwinkel der Summe jener beiden inneren Winkel
genau gleich ist.
Diese Anordnung berechtigt zu dem Schlüsse, dafs Euklid die
in der Parallelentheorie verborgene Schwierigkeit sehr wohl durch-
schaut hat.
Als Euklid Sätze beweisen wollte, welche die geometrische An-
schauung unmittelbar liefert, zum Beispiel das Vorhandensein von
Rechtecken, reichten die Grundsätze und Forderungen nicht mehr aus,
die für die ersten achtundzwanzig Sätze genügt hatten; er führte deshalb
eine neue Forderung ein, seine fünfte:
Wenn eine Gerade zwei Gerade trifft und mit ihnen auf der-
selben Seite innere Winkel bildet, die zusammen kleiner sind als
zwei Rechte, so sollen die beiden Geraden, ins Unendliche verlängert,
4 Einleitung zimi ersten Buche
schliefslich auf der Seite zusammentreffen, auf der die Winkel liegen,
die zusammen kleiner sind als zwei Rechte.
Es gehörte ein gewisser Mut dazu, eine solche Forderung neben
den andern, so überaus einfachen Grundsätzen und Forderungen aus-
zusprechen, und es ist daher erklärlich, dafs man schon im Altertum
Versuche machte, ein folgerichtiges System der Geometrie in ein-
facherer Weise aufzubauen. Über diese Versuche hat uns Proklos in
seinem Kommentar zum ersten Buche der Euklidischen Elemente aus-
führlich berichtet. Er machte selbst einen Versuch, indem er vorschlug,
man solle Euklids Erklärung der parallelen Geraden aufgeben und die
beständisce Gleichheit des Abstandes als charakteristisches Merkmal be-
nutzen. Freilich hat im Altertum keiner dieser Versuche, die im
Grunde die fünfte Forderung nur durch eine andere, auch nicht ein-
fachere ersetzen, die Euklidische Darstellung zu verdrängen vermocht.
Wenn wir im folgenden das erste Buch der Elemente bis zum
zweiunddreifsigsten Satze im Auszuge mitteilen, so geschieht dies nicht
nur, weil die ganze weitere Entwickelung der Parallelentheorie auf
dieser Grundlage beruht, sondern auch aus einem äufseren Grunde:
die älteren Schriftsteller, zum Beispiel Saccheri und Lambert, setzten
euklidfeste Leser voraus und durften das, man kann sie daher nicht
lesen, ohne die Elemente oder wenigstens das erste Buch zur Hand
zu haben.
Wir hielten es für das Beste, keine der älteren Euklid-Über-
setzungen zu benutzen, vielmehr haben wir uns möglichst eng an den
griechischen Text angeschlossen, wie er in Heibergs neuer aus-
gezeichneter Ausgabe vorliegt. Das ist insofern von Bedeutung, als
gerade beim ersten Buche die Überlieferung des Textes schwankend
ist. Wir folgen Heiberg auch in der Beziehung, dafs wir von der
fünften Forderung, nicht vom elften Axiom, sprechen, und dafs wir
diese Forderung nicht für einen späteren Zusatz halten.
Die Beweise der Sätze haben wir nur dann mitgeteilt, wenn sie
entweder von den gegenwärtig üblichen erheblich abweichen, oder für
das Verständnis der Euklidischen Parallelentheorie unentbehrlich sind.
Mit dem zweiunddreifsigsten Satze brechen wir ab, weil die folgenden
Sätze für unseren Zweck nicht in Betracht kommen, wollen aber noch
bemerken, dafs die Entwickelungen des ersten Buches der Elemente
in dem pythagoreischen Lehrsatze (Satz 47 und 48) ihren Ziel-
punkt haben.
der Elemente Euklids.
Litteratur.
Cantor, M. , Vorlesungen über Geschichte der Mathematik. Bd. I. Zweite Aufl.
Leipzig 1893. Kap. 12.
Hankel, H., Zur Geschichte der Mathematik im Altertum und Mittelalter. Leipzig
1874.
Ha üb er, C. F., Chrestomathia geometrica. Tübingen 1820.
Heiberg, J. L., Euclidis Elementa. 5 Bände. Leipzig 1883 — 1888.
Lindemann, F., Vorlesungen über Geometrie. Bd. IL T. L S. 540 — 558. Leipzig
1891.
Mai er, L. , Proklos über die Petita und Axiomata bei Euklid. (Programm des
Gymnasiums zu Tübingen. 1875.)
Proklos, In primiim Euclidis elementorum lihrum commentarii. Ex recognitione
E. Friedlein. Leipzig 1863.
Riccardi, P., Saggio di una bibliografia euclidea. (Memorie della R. Accademia
di Bologna, serie 4, tomo VIII, 1887, S. 401—523; tomo IX, 1888, S. 321—
343; Serie 5, tomo I, 1890, S. 27—84.)
Tannery, P., Sar l'autJienticite des axiomes d'Euclide (Bulletin dos scicnces mathe-
matiques, serie 2, tome VIII, 1884, S. 162 — 175), und: La Constitution des
Clements (a. a. 0. serie 2, tome X, 1886, S. 183—205).
Euklids Elemente.
Erstes Buch.
Erkläruugeii. Forderungen. Grnudsätze. Satz 1 — 32.
Erklärungen.
1. Was keine Teile hat, ist ein Punkt.
2. Eine Länge ohne Breite ist eine Linie.
3. Die Enden einer Linie sind Punkte.
4. Eine Linie ist gerade, wenn sie gegen die in ihr befind-
lichen Punkte auf einerlei Art gelegen ist.
5. Was nur Länge und Breite hat, ist eine Fläche.
6. Die Enden einer Fläche sind Linien.
7. Eine Fläche ist eben, wenn sie gegen die in ihr befindlichen
Geraden auf einerlei Art gelegen ist.
8. Ein ebener Winkel ist die gegenseitige Neigung zweier
Linien, die sich in einer Ebene trefi*en, ohne in einer geraden Linie
zu liegen.
9. Sind die den Winkel einschliefsenden Linien gerade, so heifst
der Winkel geradlinio;.
10. Wenn eine Gerade, die auf einer anderen errichtet ist, zu
beiden Seiten gleiche Winkel bildet, so ist jeder der beiden gleichen
Winkel ein Rechter, und die errichtete Gerade heifst senkrecht zu
der, auf der sie errichtet ist.
11. Stumpf ist ein Winkel, der gröfser ist als ein Rechter.
12. Spitz aber einer, der kleiner ist als ein Rechter.
13. Das Ende eines Dinges bildet dessen Grenze.
14. Was von einer oder von mehreren Grenzen eingeschlossen
wird, ist eine Figur.
15. Ein Kreis ist eine ebene, von einer einzigen Linie einge-
schlossene Figur, bei der die Geraden, die sich nach ihr von einem ge-
wissen Punkte innerhalb der Figur erstrecken, alle einander gleich sind.
Euklids Elemente, Buch I. — Erklili-ungen, Forderungen. 7
16. Dieser Punkt wird der Mittelpunkt des Kreises genannt.
17. Durclimesser des Kreises ist jede durch den Mittelpunkt
gezogene und auf beiden Seiten durch den Umfang des Kreises be-
grenzte Gerade; diese halbiert den Kreis.
18. Ein Halbkreis ist die Figur, die von einem Durchmesser und
dem von ihm abgeschnittenen Bogen eingeschlossen wird. Der Mittel-
punkt des Halbkreises ist derselbe wie der des Kreises.
19. Geradlinige Figuren sind solche, die von geraden Linien
eingeschlossen werden, und zwar sind sie dreiseitig, wenn sie von
drei, vierseitig, wenn sie von vier, vielseitig, weim sie von mehr
als vier Geraden eingeschlossen werden.
20. Unter den dreiseitigen Figuren ist ein gleichseitiges
Dreieck die mit drei gleichen Seiten, ein gleichschenkliges
Dreieck die mit nur zwei gleichen Seiten, endlich ein ungleich-
seitiges die mit drei ungleichen Seiten.
21. Unter den dreiseitigen Figuren ist ferner ein rechtwink-
liges Dreieck die mit einem rechten Winkel, ein stumpfwinkliges
die mit einem stumpfen Winkel, endlich ein spitzwinkliges die mit
drei spitzen Winkeln.
22. Unter den vierseitigen Figuren ist ein Quadrat eine solche,
die gleichseitig und rechtwinklig ist, ein Rechteck eine solche, die
rechtwinklig, aber nicht gleichseitig ist, ein Rhombus eine solche,
die gleichseitig, aber nicht rechtwinklig ist, ein Rhomboid eine
solche, deren gegenüberliegende Seiten und Winkel gleich sind, die
aber weder gleichseitig noch rechtwinklig ist. Alle übrigen vier-
seitigen Figuren sollen Trapeze heifsen.
23. Parallel sind gerade Linien, die in derselben Ebene liegen
und, nach beiden Seiten ins Unendliche verlängert, auf keiner Seite
zusammentreffen.
Forderungen.
1. Es soll gefordert werden, dafs sich von jedem Punkte nach
jedem Punkte eine gerade Linie ziehen lasse.
2. Ferner, dafs sich eine begrenzte Gerade stetig in gerader Linie
verlängern lasse.
3. Ferner, dafs sich mit jedem Mittelpunkt und Halbmesser ein
Kreis beschreiben lasse.
4. Ferner, dafs alle rechten Winkel einander gleich seien.
5. Endlich, wemi eine Gerade zwei Gerade trifft und mit ihnen
auf derselben Seite imiere Winkel bildet, die zusammen kleiner sind
8 Euklids Elemente, Buch 1.
als zwei Rechte, so sollen die beiden Geraden, ins Unendliche ver-
längert, schliefslich auf der Seite zusammentreffen, auf der die Winkel
liesien. die zusammen klehier sind als zwei Rechte,
Grundsätze.
1. Dinge, die demselben Dinge gleich sind, sind einander gleich.
2. Füsrt man zu Gleichem Gleiches hinzu, so sind die Summen
gleich.
3. Nimmt man von Gleichem Gleiches hinweg, so sind die Reste
gleich.
7. Was zur Deckung mit einander gebracht werden kami, ist
einander gleich.
8. Das Ganze ist gröfser als sein Teil.
[0. Zwei gerade Linien schliefsen keinen Raum ein*).]
1.
Über einer gegebenen begrenzten Geraden ein gleichseitiges Dreieck
zu errichten.
2.
An einen gegebenen Punkt eine einer gegebenen Geraden gleiche
Gerade zu legen.
3.
e
eine der kleineren Geraden gleiche Gerade abzuschneiden.
Wenn zwei ungleiche Gerade gegeben sind, von der grüfseren
4.
Sind in zwei Dreiecken zwei Seiten der Reihe nach zwei Seiten
gleich, und sind die von den gleichen Seiten eingeschlossenen Winkel
gleich, so sind auch die Grundlinien gleich, und das eine Dreieck ist
dem anderen gleich, und die übrigen Winkel, nämlich die gleichen
Seiten gegenüberliegenden, sind der Reihe nach den übrigen gleich**).
*) [Die Grundsätze 4 bis 6 und 9 i-ühren vermutlich nicht von Euklid her.]
**) [Euklid hat gewifs absichtlich in dem ganzen ersten Buche den Begriff der
Bewegung nur bei dem Beweise des ersten Kongruenzsatzes benutzt. Still-
schweigend macht er hier sogar Ton der Umlegung Gebrauch. Sollte ihm ent-
gangen sein, dafs bei der Geometrie der Ebene zwischen Bewegung und Um-
legung ein wesentlicher Unterschied besteht?]
Forderungen, Grundsätze. — Satz 1 — 7.
In jedem gleichschenkligen Dreieck sind die Winkel an der Grund-
linie einander gleich, und verlängert mau die gleichen Geraden, so
sind die Winkel unterhalb der Grundlinie einander gleich.
[Da Euklid au dieser Stelle die Konstruktion des
Lotes von der Spitze A des gleichschenkligen Dreiecks
BAT auf die Grundlinie BF noch nicht gelehrt hat,
verfährt er so: AB und AT werden Tini die gleichen
Stücke BZ und FH verlängert, und es wird BH und FZ
gezogen. Dann ist nach Lehrsatz 4 das Dreieck AB H dem.
Dreieck AFZ kongruent, also ZF gleich HB und der
Winkel ABH gleich dem Winkel AFZ. Hieraus folgt,
dafs, wieder nach Lehrsatz 4, das Dreieck FHB dem Dreieck ^
JBZ Inkongruent, also der Winkel ürBÄ" gleich dem Winkel
BFZ ist. Mithin ist auch nach Grundsatz 3 der Winkel
ABF gleich dem Winkel AFB. Endlich folgt aus der Kongruenz der
Dreiecke BFZ und FBH, dafs auch die Winkel unterhalb der Grund-
linie BF gleich sind.
Einfacher wäre es gewesen, Z mit ß, H mit F zusammenfallen zu
lassen und zu sagen, dafs die Dreiecke BAF und FAB kongruent sind.]
i-'ig. 1.
6.
Sind in einem Dreieck zwei Winkel einander gleich,
so sind auch die den gleichen Winkeln gegenüber-
liegenden Seiten einander gleich,
[Beweis: Es sei der Winkel ^5 P gleich dem Winkel
BFA. Wäre AB gröfser als AF, so mache man AB gleich
AF und ziehe AF. Dann wären nach Lehrsatz 4 die Drei-
ecke ABF uud AFB kongruent, was gegen Grundsatz 8
verstöfst.]
Sind von den Endpunkten einer Geraden nach einem Punkte
aufserhalb zwei Gerade gezogen, so kann man nicht von diesen End-
punkten aus nach einem anderen Punkte auf der-
selben Seite jener Geraden zwei Gerade ziehen, die
den ersten beziehungsweise gleich sind.
[Beweis: Es sei AF=AA, BF = BA. Man
ziehe F/i. Dann ist nach Lehrsatz 5 der Winkel AAF
gleich dem Winkel AFJ., folglich nach Grundsatz 8
BJF gröfser als BFA. Andererseits ist aber, wieder
nach Lehrsatz 5, der Winkel BAF gleich dem Winkel '"' ""
BFA., was unmöglich ist.
Auf ähnliche Art wird der Beweis in dem von Euklid nicht ausdrücklich
erwähnten Falle geführt, dafs A innerhalb des Dreiecks AFB liegt.]
10 Euklids Elemente, Buch I.
Sind in zwei Dreiecken zwei Seiten der Reihe nach zwei Seiten
gleich und sind aufserdem die Grundlinien gleich, so sind auch die
Winkel gleich, die von gleichen Seiten eingeschlossen werden.
0.
Einen gegebenen geradlinigen Winkel zu halbieren.
10.
Eine gegebene begrenzte Gerade zu halbieren.
11.
Aus einem gegebenen Punkte einer gegebenen Geraden eine Ge-
rade unter rechtem Winkel zu ziehen.
12.
Auf eine gegebene unbegrenzte Gerade von einem gegebenen
l'mikte aus, der nicht auf ihr liegt, das Lot zu fällen.
13.
Die Winkel, die eine Gerade mit einer anderen
bildet, auf der sie steht, sind entweder beide rechte
oder zusammen gleich zwei Rechten.
[Beweis: Sind die Winkel einander gleich, so sind
sie zwei Rechte. Sind sie ungleich, so errichte man in
B die Senkrechte BE. Mittelst der Grundsätze 1 und 2
J B T beweist man dann, dafs die Summe von FBA und ABJ
Fig- 4- gleich der Summe von TBE und EBJ ist.]
14.
Gehen durch einen und denselben Punkt einer Geraden zwei nicht
auf derselben Seite liegende Gerade, und bilden sie mit dieser Ge-
raden Winkel, die zusammen zwei Rechten gleich sind, so liegen sie
auf einer Geraden.
15.
Wemi zwei Gerade einander schneiden, so sind die von ihnen ge-
bildeten Scheitelwinkel gleich.
Satz 8 — 19.
11
Fig. 5.
16.
Wenn man bei irgend einem Dreieck eine der Seiten verlängert,
so ist der Aufsenwiukel gröfser als jeder der beiden imieren gegenüber-
liegenden Winkel.
Das Dreieck sei ABT, und man verlängere eine seiner Seiten BF
bis J. Ich behaupte, dafs der Aufsenwinkel ATA gröfser ist als jrder
der beiilen inneren gegenüberliegenden Winkel FBA
und BAR
Man halbiere AT in E, ziehe BE, verlängere es
bis Z und mache EZ gleich BE. Man ziehe noch ZIT,
und verlängere AT bis H.
Da nun AE gleich ET ist und BE gleich £Z, so
sind die beiden Geraden AE und EB der Eeihe nach
gleich den beiden Geraden FE und EZ, und da die
Winkel AEB und ZEF als Scheitelwinkel gleich sind,
so ist auch die Grundlinie AB der Grundlinie ZF gleich,
und das Dreieck ABE gleich dem Dreieck ZEjT, und die beiden übrigen
Winkel sind der Reihe nach den beiden übrigen Winkeln gleich, die nämlich,
die gleichen Seiten gegenüberliegen. Daher ist der Winkel BAE gleich
dem Winkel EFZ. Nun ist der Winkel EFA gröfser als der Winkel EFZ,
folglich ist auch der Winkel AFA gröfser als der Winkel BAE.
In ähnlicher Weise zeigt man nach Halbierung der Geraden BjT,
dafs der Winkel BFH gröfser ist als der Winkel ABF, das heifst, dafs
der Winkel AFA gröfser ist als der Winkel ABF*).
17.
In jedem Dreieck sind irgend zwei Winkel zusammen kleiner als
zwei Rechte.
18.
In jedem Dreieck liegt der gröfseren Seite
auch der gröfsere Winkel gegenüber.
[Beweis: Da AF gröfser als AB ist, so
mache man AA gleich AB und ziehe BA. Dann
ist der Winkel AAB gleich dem Winkel ABA.
Nun ist, nach Lehrsatz 16, AAB gröfser als
AFB. Mithin ist auch ABA., also um so mehr
ABF gröfser als AFB.]
19.
In jedem Dreieck liegt dem gröfseren Winkel auch die gröfsere
Seite gegenüber.
[Beweis indirekt aus Satz 5 und 18.]
*) [Bei diesem Beweise wird als selbstverständlich angenommen, dafs der
Punkt Z auf derselben Seite der Geraden B F liegt wie der Punkt A ; hierin steckt
die von Euklid nicht ausdrücklich ausgesprochene, wesentliche Voraussetzung,
dafs jede Gerade eine unendliche Länge hat.]
12 Euklids Elemente, Biuli T.
20.
In jedem Dreieck sind irgend zwei Seiten zu-
sammen gi'öfser als die dritte.
[Beweis: Man verlängere BA um AT bis ^ und
ziehe JF. Dann ist, nach Lehrsatz 19, BJ gröfser als
BF, also sind auch BA und AF zusammen gröfser
als BF.]
Fig. 7.
21.
Verbindet man die Endpunkte einer Dreiecksseite mit einem Punkte
im Innern des Dreiecks, so sind die Verbindungslinien zusammen kleiner
als die beiden übrigen Seiten des Dreiecks zusammengenommen; da-
gegen scbliefsen sie einen gröfseren Winkel ein.
22.
Aus drei Geraden, die drei gegebenen gleich sind, ein Dreieck
zu konstruieren; es müssen aber irgend zwei von ihnen zusammen
gröfser sein als die dritte.
23.
An eine gegebene Gerade in einem gegebeneu Punkte einen gerad-
linigen Winkel anzutragen, der einem gegebenen geradlinigen Winkel
gleich ist.
24.
AVenn in zwei Dreiecken zwei Seiten der Reihe nach zwei Seiten
gleich sind, und der Winkel, den die gleichen Seiten einschliefsen, in
dem einen gröfser ist als in dem andern, so ist die Grundlinie in
jenem gröfser als in diesem.
25.
Wenn in zwei Dreiecken zwei Seiten der Reihe nach zwei Seiten
gleich sind, und die Grundlinie des einen gröfser ist als die Grundlinie
des andern, so ist der von den gleichen Seiten eingeschlossene Winkel
in jenem gröfser als in diesem.
26.
Wenn in zwei Dreiecken zwei Winkel der Reihe nach zwei
Winkeln gleich sind, und eine Seite einer Seite gleich ist, nämlich
entweder die an den gleichen Winkeln oder die einem der gleichen
AV'inkel gegenüberliegende, so sind auch die beiden übrigen Seiten der
Reihe nach gleich mid der dritte Winkel dem dritten.
[Der Beweis wird von Euklid für jeden der beiden Teile des Satzes
besonders geführt. In der That besteht z^\'ischen beiden ein wesentlicher
Unterschied: Beim Beweis des zweiten Teiles kann nämlich der Satz 16,
Satz 20 — 29. 13
vom Aufsenwiiilicl, nicht entbebri werden, willirend der erste Teil, ebenso
wie die früheren Kongruenzsätze, durchaus davon unabhängig ist.]
27.
Weim eine Gerade, die zwei Gerade trifft, mit ihnen gleiche
Wechselwinkel bildet, so sind diese Geraden einander parallel.
Die Gerade JEZ schneide die beiden Geraden AB und FJ und bilde
die einander gleichen Wechselwinkel
AEZ und EZJ. Ich behaupte, dafs ^ j^/ ^
die Gerade AB der Geraden FA
parallel ist.
Denn wären sie es nicht, so .
träfen die Verlängerungen von AB -^ /" ■^
und F A entweder auf der Seite von ■^'^- ^'
B , A oder auf der Seite von A^ F zusammen. Es mögen ihre Verlänge-
rungen auf der Seite von JB, ^ im Punkte H zusammentreffen. Dann
wäre in dem Dreieck HEZ der Aufsenwinkel AEZ gleich dem inneren,
gegenüberliegenden Winkel £ZH, was unmöglich ist. Folglich treffen die
Verlängerungen von AB und FA auf der Seite von B, A nicht zusammen.
Auf ähnliche Art wird man beweisen, dafs sie auch nicht auf der
Seite von A, F zusammentreffen. Aber Gerade, die auf keiner Seite zu-
sammentreffen, sind parallel. Also ist die Gerade AB der Geraden FA
parallel.
28. •
Wenn eine Gerade, die zwei Gerade trifft, mit ihnen entweder
einen äufseren "Winkel bildet, der dem inneren, entgegengesetzten, auf
derselben Seite befindlichen Winkel gleich ist, oder innere Winkel
auf derselben Seite, die zusammen gleich zwei Rechten sind, so sind
diese Geraden einander parallel.
29.
Wenn eine Gerade zwei parallele Gerade schneidet, so bildet sie
gleiche Wechselwinkel', ferner ist jeder äufsere Winkel dem inneren,
entgegengesetzten gleich, und die inneren, auf
derselben Seite liegenden Winkel sind zusammen
gleich zwei Rechten.
Die Gerade £Z schneide nämlich die parallelen
Geraden AB und FA. Ich behaupte, dafs sie gleiche
Wechsel Winkel AH& iind HQA bildet, dafs der
äufsere Winkel E HB dem inneren, entgegengesetzten \
H&A gleich ist, und dafs die inneren, auf derselben ^ \^
Seite befindlichen Winkel BH& und H&A zusammen *^" '''
gleich zwei Rechten sind.
Wenn nämlich der Winkel AH& von dem Winkel H&A verschieden
ist, so ist einer von beiden gröfser. Es möge AH& gröfser sein. Man
füge zu beiden den Winkel BH& hinzu. Dann sind die Winkel AH& und
14 P^uklids Elemente, Bucli I. — Satz 29—32.
BH& zusammen gröfser als BH& und H&J. Aber AH0 und BHO
sind zusammen gleich zwei Rechten, mithin sind BH& und H&J zu-
sammen kleiner als zwei Rechte.
Werden aber zwei Gerade unter Winkeln, die kleiner sind als
zwei Rechte, ins Unendliche verlängert, so treffen sie zusammen.
Mithin werden AB und FJ, ins Unendliche verlängert, zusammen-
treiben. Sie können jedoch nicht zusammentreffen, weil sie nach der Vor-
aussetzung parallel sind. Folglich ist der Winkel AH& nicht verschieden
von dem Winkel H&A^ also ihm gleich.
Ferner ist der Winkel AHQ gleich dem Winkel EHB, und deshalb
auch der Winkel EHB gleich dem Winkel H&A. Man füge zu beiden
den Winkel BH& hinzu, so sind EHB und BH0 zusammen gleich BH&
und H&J. Aber EHB und BHQ sind zusammen gleich zwei Rechten.
Mithin sind auch BHQ und HQA zusammen gleich zwei Rechten.
30.
Gerade Linien, die derselben Geraden parallel sind, sind auch
einander parallel.
31.
Durch einen gegebenen Punkt eine Gerade parallel zu einer ge-
gebenen Geraden zu ziehen.
[Geschieht mit Hilfe von Satz 23 und 27.]
32.
In jedem Dreieck ist, wenn mau eine seiner Seiten verlängert,
der Aufsenwinkel gleich der Summe der beiden inneren, gegenüber-
liegenden Winkel, und die drei inneren Winkel des Dreiecks sind zu-
sammeu gleich zwei Rechten.
Es sei ABT ein Dreieck. Man verlängere eine Seite, etwa BI\
bis A. Ich behaupte, dafs der Aufsenwdnkel AFA gleich den beiden
inneren, ihm gegenüberliegenden Winkeln FAB und ABF
ist, und dafs die drei inneren Winkel des Dreiecks, näm-
lich ABF^ BFA und FAB gleich zwei Rechten sind.
Man ziehe nämlich durch den Punkt F parallel der
Geraden AB die Gerade FE. Da nun AB parallel
FE ist, und diese Geraden von AF geschnitten werden,
so sind die Wechselwinkel BAF und AFE einander
gleich. Da ferner AB parallel FE ist, und diese Ge-
raden von BA geschnitten werden, so ist der äufsere Winkel EFA gleich
dem' inneren, entgegengesetzten Winkel ABF. Es wurde aber bewiesen,
dafs auch AFE gleich BAF ist. Deshalb ist der ganze Winkel AFA
gleich ""^den ihm gegenüberliegenden Winkeln BAF imd ABF.
Fügt man zu beiden AFB hinzu, so sind AFA und AFB zusammen
gleich den drei Winkeln ABF, BFA und FAB. Aber AFA und AFB
sind zusammen gleich zwei Rechten. Mithin sind auch ABF., BFA und
FAB zusammen gleich zwei Rechten.
JOHN WALLIS
1616 — 1703.
Nach dem Untergange der antiken Kultur finden wir die ersten
Spuren einer Beschäftigung mit Parallelentheorie bei den Arabern.
Arabische Übersetzungen oder besser Bearbeitungen von Euklids
Elementen hat es in erheblicher Anzahl gegeben, und e.s fehlte auch
nicht an Bemühungen, die fünfte Forderung zu beweisen. Einflufs auf
die spätere Entwickelung der Parallelentheorie hatte jedoch nur
Nasir Eddin (1201 — 1274), dessen Euklid-Bearbeitung 1594 zu Rom
in arabischer Sprache gedruckt worden ist. Eine lateinische Über-
setzung der weitläufigen Betrachtungen Nasir Eddins, die den Beweis
der fünften Forderung bezwecken, findet man im zweiten Bande der
Werke von Wallis, der sie 1651 an der Universität Oxford öffentlich
vorgetragen hatte; nach Wallis hat Saccheri 1733 eine kritische
Darstellung dieses Beweisversuches gegeben.
Die lateinischen Euklid ausgaben des 15. Jahrhunderts enthalten
die fünfte Forderung ohne jede erklärende Bemerkung, und zwar als
elftes unter den sogenannten Axiomen (den Grundsätzen), ein Gebrauch,
der sich schon bei Proklos findet, der jedoch der Berechtigung ent-
behrt, wie die von Peyrard im Jahre 1814 herausgegebene älteste
der jetzt bekannten Euklid-Handschriften gezeigt hat. Im Jahre 1533
erschien dann die erste griechische Ausgabe von Euklids Elementen
mit dem beigefügten Kommentar des Proklos, und bald darauf gab
Barozzi eine lateinische Übersetzung des Proklos. Das Verdienst,
auf diesen ältesten uns erhaltenen Kommentar des Euklid aufmerksam
gemacht zu haben, darf Petrus Ramus (1569) für sich in Anspruch
nehmen; freilich war bei ihm das Interesse für Mathematik gröfser
als die mathematische Befähigung. Neben ihm kommt der Deutsche
Christoph Schlüssel, bekannt als Clavius, in Betracht, dessen
Euklidausgabe von 1574, die bis 1738 nicht weniger als 22mal ge-
druckt worden ist, alles damals Bekannte zusammenfafste; Kästner
hat sie die „Pandekten der Elementargeometrie" genannt. Clavius
ersetzt die Euklidische Darstellung in einer Anmerkung durch eine
andere; er sucht durch die Anschauung zu begründen, dafs eine Linie,
bei der jeder Punkt von einer gegebenen Geraden dieselbe Entfernung
hat, wieder eine gerade Linie sein müsse. Dabei zeichnet er eine
Stäckel u. Kngel, Parallelentheorie. 2
18 Einleitung zu dem Wallis'schen Beweise
Figur, die -wir später bei Giordano da Bitoiito (1G80) und Sac-
cheri (1733) wieder antreffen werden.
Mit dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts begegnen uns schon
Veröffentlichungen, die ausschliefslich der Theorie der Parallelen ge-
widmet sind: 1G03 erscheint Cataldi's Operetta delle linee rette equi-
distanti et non equidistanti, und 1G04 Oliver of Bury's: De rectarutu
linearum parallelismo et coucursu doctrina geometrica; so weit wir
sie kennen, enthalten diese Abhandlungen allerdings nichts wesent-
lich Neues.
Das Interesse für die Grundlagen der Geometrie war damals be-
sonders in Italien und in England rege. In Frankreich hatte Ramus
solchen Bestrebungen gegenüber geäufsert, es komme in der Geometrie
nicht darauf an, alles auf wenige Grundsätze zurückzuführen, vielmehr
bedürfe, was an sich klar sei, keines Beweises, und diese Ansicht hat
dort die Lehrbücher der Elementargeometrie fast bis ans Ende des acht-
zehnten Jahrhunderts beherrscht. Zum Beispiel geht Clairaut (1741)
davon aus, dafs das Vorhandensein von Rechtecken durch die An-
schauung gegeben sei, und leitet dann mit grofser Klarheit die Sätze
des ersten Euklidischen Buches ab. Zu vergessen ist freilich nicht,
dafs die Parallelentheorie dem Franzosen Desargues (1639) die neue,
fruchtbare Erklärung der Parallellinien verdankt: Linien heifsen pa-
rallel, wenn sie denselben unendlich fernen Punkt gemeinsam haben.
Diese Erklärung ist für die neuere Geometrie, besonders, nachdem sie
Steiner wieder aufgenommen hatte (Systematische Entwickelung, 1832,
Gesammelte Werke, Bd. I, S. 240), äufserst folgenreich geworden.
Auf die Entwickeluug der Parallelentheorie in Italien werden
wir bei den Vorbemerkungen zu Saccheris Endides ab omni naevo
vindicatus (1733) zurückkommen. In England war es besonders Sir
Henry Savile, der ein aufserordentliches Interesse für Euklids Ele-
mente an den Tag legte. Er hielt über diesen Gegenstand an der
Universität Oxford Vorlesungen, in denen er freilich nur bis zum
achten Satze des ersten Buches gelangte. Aus seinen Praelectiones
tresdecim in principium elementorum Euclidis, Oxford 1621,
teilen wir eine bemerkenswerte Stelle mit. S. 140 heifst es: lu pul-
cherrimo Geometriae corpore duo sunt naevi, duae labes uec quod
sciam plures, in quibus eluendis et emaculandis cum veterum tum
recentiorum, ut postea ostendam, vigilavit industria. Diese beiden
Makel sind die Theorie der Parallellinien und die Lehre von den Pro-
portionen. Savile hat auch einen mathematischen Lehrstuhl an der
Universität Oxford gestiftet, der noch jetzt besteht, und dessen Inhaber
die Verpflichtung hat, über Euklids Elemente Vorlesungen zu halten.
der fünften Forderung Euklids. 19
Einer der ersten dieser Professores Saviliani war John Wallis
(1616 — 1703), dessen Verdienste um die Infinitesimalrechnung und
um die Algebra bekannt sind-, wir haben ihn schon erwähnt, als wir
von Nasir Eddin sprachen. Eine weitere Vorlesung über Parallelen-
theorie hat er in Erfüllung seiner Amtspflicht im Jahre 1663 ge-
halten. Diese ist es, die wir im folgenden in der Übersetzung mit-
teilen. Beide Vorlesungen hat Wallis 1693 im zweiten Bande seiner
Werke auf S, 665—678 veröfl^entlicht und lehrreiche Bemerkungen
über die Geschichte der Parallelentheorie hinzugefügt.
Der neue Gedanke von Wallis besteht darin, dafs er zwar Euklids
Erklärung der Parallelen beibehält, aber die fünfte Forderung durch
die andere ersetzt, dafs sich zu jedem Dreieclce ein äJmlicJics in heliehig
grofsem Mafssfabe zeicJinen lasse. Übrigens hat er die Tragweite seiner
Forderung nicht vollständig durchschaut; Saccheri sah in dieser
Beziehunsc weiter als er. Saccheri weist nämlich nach, dafs die
Euklidische Geometrie in aller Strenge begründet werden kann,
sobald auch nur zu einem einzigen Dreieck ein von ihm verschiedenes
gehört, das dieselben Winkel aufweist: allerdings stützt er sich dabei
auf den Satz vom Aufsenwinkel. Entsprechende Bemerkungen finden
sich auch bei Lambert.
Es möge noch bemerkt werden, dafs dieser Wallis'sche Gedanke
in der Geschichte der Parallelentheorie wiederholt von neuem auf-
taucht, zum Beispiel haben Carnot und Laplace vorgeschlagen, die
fünfte Forderung durch das Princip der Ähnlichkeit zu ersetzen, und
in neuester Zeit ist dieser Gedanke von Delboeuf ausführlich erörtert
worden. Auch der analytische Beweis, den Legendre in seinen Ele-
menten für den Satz von der Winkelsumme des Dreiecks zu geben
versucht hat, kommt im Grunde auf dieselbe Idee hinaus.
Litteratur.
Cantor, M., Vorlesungen über die Geschichte der Blatliematik, besonders Bd. I,
Kap. 36, und Bd. III, Kap. 83.
Castillon, Sur les paralleles d'Eiiclide. Memoires de Berlin, Annees 1786/87.
S. 253—254, anne'es 1788/89, S. 171 — 203.
Clairaut, Elements de Geometrie. Paris 1741.
Clavius, Euclidis elementorum libri XV . . . omnes perspicuis demonstrationibus
accuratisque scholiis illustrati. Rom 1574.
Delboeuf, Prolegomenes philosophigiies de la geotiietrie et Solution des postulats.
Liege 1860.
Delbceuf, L'ancienne et les noiwelles geometries, UeYue philo sophique, dirigee par
Th. Ribot. T. XXXVI. 1893. S. 449-484. T. XXXVII. 1894. S. 353—383.
20 Litteratur zu Wallis.
Desargues, Bioiiillon iiroject d'unt atteinte uux evenements des rencotitres il'un
cone avec tin jAon. IGSi). S. üi]uvres de Desargues, Paris 1864, ßd. I, S. 104 f.
Gergonne, Annales de — . T. X. 1819. S. IGl— 184: Sur Vemploi de Valgorithme
des fonctions, dans la demotistration des theoremes de geometrie; vgl. auch
T. XV, 1824, S. 83.
Hankel, Theorie der comple.ren Zahlensysteme. Leipzig 1SG7. S. 59.
Klügel, t'onutüHW praecipuorum theoriam paralleJarum stahüiendi recensio. Disser-
tation. Göttingen 170.^.
Laplace, Exposition du Systeme du monde. .öi^me edition. Paris 1824. Livre V,
chap. 5, note.
Legendre, Elemens de geometrie. 1'^=" ed. Paris 1794. I2''''"e ed. 1823.
Loria, DeUe rarie fortune di Eudide in relazione von i problemi deW insegna-
mento gcometrico elementare. Periodico di Matematica per Tinsegnamento se-
condario. Anno Vlil. Rom 1893.
Moebius, Barycentrischer Calcul. 1827. Kapitel 2. Gesammelte Werke. Bd. 1. S. 17G.
Peyrard, Les ceuvres d' Eudide. Paris 1814.
Ramus, Scholarum mathematicarum libri XXXI. Basel 1569.
Savile, Praelediones tresdecim in principium elementonim Eudidis, Oxonii habitae
1G20. Oxford 1G21.
Sohuke, Artikel ParaUel in der Allgemeinen Encyclopädie der Wissenschaften
und Künste von Ersch und Gruber. Dritte Section. Bd. 11. S. 368 — 384,
Leipzig 1838.
Steinschneider, Eudid bei den Arabern. Zeitschrift für Mathematik und Physik.
Hist.-lit. Abt. Leipzig 188G. S. 81—100.
Wallis, De 2^ostidato (punto et definitiotie ipünta lib. 6. Eudidis disceptatio geo-
mdrica. Operum mathematicorum Volumen alteruni. Oxford 1G93. S. G65
— G78.
Beweis
der fünrteii Forderung Euklids,
öffentlich vorsretraffen in Oxford am Abend des 11. Juli 1663.
674
Bekanntlich haben einige alte wie auch einige neuere Autoren
es dem Euklid zum Vorwurf gemacht, dafs er die fünfte Forde-
rung, oder (wie andere sagen) das elfte Axiom oder (nach der
Zählung des Clavius) das dreizehnte Axiom ohne Beweis zu-
gestanden haben will, während er es doch (wie jene glauben) hätte
beweisen sollen. Namentlich hat man getadelt, dafs er für gerade
Linien etwas als an sich einleuchtend annimmt, was für Linien im
allgemeinen gar nicht richtig ist. Denn allerdings mag für gerade
Linien allgemein richtig sein, was er behauptet, nämlich:
Wenn zwei Gerade von einer dritten geschnitten Averden,
und die innern Winkel, die diese an derselben Seite bildet,
zusammen kleiner sind als zwei Rechte, so treffen die
beiden Geraden, ins Unendliche verlängert, einander
schliefslich auf der Seite, wo jene beiden Winkel zu-
sammen kleiner als zwei Rechte sind,
für krumme Linien ist es jedoch nicht allgemein richtig. Es können
ja zAvei Curven oder eine Gerade und eine Curve einander beständig
näher kommen, ohne doch jemals zusammenzutreffen.
Lidefs stützen die meisten dieser Ankläger des Euklid (wenigstens
soweit ich sie bis jetzt geprüft habe) ihre Beweise auf andere An-
nahmen, die man, wie mir scheint, keineswegs leichter zugeben wird,
als das, was Euklid fordert, und sie verfallen sogar nicht selten
gerade in den Fehler, den sie vermeiden wollen, indem sie nämlich
für gerade Linien etwas als unzweifelhaft richtig annehmen, was
für Linien im allgemeinen nicht richtig ist, wie ich an anderer
Stelle gezeigt habe*).
*) [Opera, t. II. S. 668 in der Einleitung zu den beiden Vorlesungen von
16.51 und 1663]
<2'2 John Wallis.
Ich meinesteils gestehe dem Euklid uiibedeuklich zu, was er
fordert, nicht nur, weil die Beweise der anderen an demselben Fehler
leiden, den sie bei ihm tadeln, oder weil ihre Forderungen durchaus
nicht einleuchtender sind, sondern weil man, wie mir scheint, unbedingt
entweder diese Fordermig oder statt ihrer eine andere stellen mufs,
und endlich, weil man, die Beweisbarkeit dieser Forderung zugestanden,
als Grundsatz nicht nur das gelten zu lassen pflegt, was gar nicht
beweisbar ist, sondern auch das, was an sich so klar ist, dafs es
keines Beweises bedarf; denn sicherlich können einige der übrigen
Axiome bewiesen werden, und das zu zeigen wäre nicht schwer, wenn
es dessen bedürfte.
Da ich aber sehe, wie viele bis jetzt einen Beweis jener Forderung
versucht haben, in der Meinung, dafs sie eines Beweises bedürftig sei,
will auch ich meinen Beitrag liefern und versuchen, ob ich nicht einen
Beweis liefern kann, der weniger angreifbar ist als die bis jetzt von
anderen gelieferten Beweise.
Den Beweis für die Behauptung erbringe ich nun auf Grund
einiger Hilfssätze, die ich vorausschicke, wie folgt:
I. Wird eine begrenzte Gerade,
V (i- die auf einer unbegrenzten Geraden
i'' c .1 liegt, geradlinig verlängert, so liegt
^^8- ^- auch die Verlängerung auf dieser
unbegrenzten Geraden.
Es sei EACF die unbegrenzte Gerade, und die auf ihr liegende
begrenzte Gerade AC möge geradlinig bis y verlängert werden. Ich
behaupte, dafs die ganze Linie ACy, das heifst, die Verlängerung
von AC, auch auf der unbegrenzten Geraden ACF liegt.
Da nämlich nach der Voraussetzung ACF eine einzige Gerade
ist, so liegt CF mit AC m gerader Linie. Es ist aber auch (da AC
bis y geradlinig verlängert wurde) Cy die geradlinige Verlängerung
von A C und liegt daher auf CF (denn alle Geometer nehmen an, dafs
an einem Endpunkt einer Geraden nicht verscbiedene Gerade als Ver-
längerungen angesetzt werden können, und ungefähr dasselbe ist der
Inhalt des dem Proklos entnommenen zehnten Axioms bei Clavius).
Aber AC liegt nach der Voraussetzung ebenfalls auf ACF. Mithin
liegt ACy, die Verlängerung von AC, ganz auf der unbegrenzten Ge-
raden ACF. Was zu beweisen war.
IL Denkt man sich eine begrenzte Gerade, die auf einer
unbegrenzten Geraden liegt, in ihrer Richtung beliebig weit
Beweis der fünften Forderung Euklids. 23
fortbewegt, so bleibt sie bei dieser Bewegung stets auf der-
selben unbegrenzten Geraden.
Es sei ÄC die begrenzte Gerade, die auf der unbegrenzten Ge-
raden ÄF liegt, und man denke sie sich in ihrer Richtung nach der
Seite von C bewegt, sodafs der Punkt Ä in a und C in y übergeht.
Ich behaupte, dafs die Gerade ay, also die bcAvegte Gerade ÄC, auf
derselben unbegrenzten Geraden ÄF liegt.
Es liegt nämlich Cy auf der Verlängerung der Geraden ÄC
(denn nach der Voraussetzung wird der Punkt C geradlinig, das hcifst, 676
auf der Verlängerung der Geraden ÄC fortbewegt), also auch auf der
unbegrenzten Geraden ÄCF (nach Hilfssatz I). Ebenso liegt auch a
auf der (nötigenfalls verlängerten) Geraden ÄC (denn nach der Vor-
aussetzung wird der Punkt Ä ebenfalls auf der Geraden ÄC geradlinig
fortbewegt), also auch auf der unbegrenzten Geraden ÄCF. In ähn-
licher Weise zeigt man dasselbe von jedem Zwischenpunkte der be-
wegten Geraden ÄC. Also liegt ay, das heifst die bewegte Gerade ÄC,
ganz auf der unbegrenzten Geraden ÄCF. Was zu beweisen war.
Dasselbe könnte man auch in ähnlicher Weise zeigen, wenn die-
selbe Gerade ÄC nach der Seite des Punktes Ä bewegt würde.
Man darf hier nicht einwenden, dafs Euklid bei seinen Beweisen
die Bewegung einer Geraden noch nicht angewandt zu haben
scheint und sie auch bei den Forderungen nicht erwähnt hat, deim, so
gut er später bei der Erklärung der Kugel die Bewegung eines
Kreises, bei der Erklärung des Kegels die Bewegung eines Dreiecks
und bei der Erklärung des Cylinders die Bewegung eines Rechteckes
anwendet, ebenso gut hätte er auch, falls es erforderlich gewesen
wäre, die Bewegung einer Geraden bei seinen Beweisen anwenden
können. Dasselbe thun ab und zu Archimedes, Apollonius und
andere Geometer. Ja sogar Euklid selbst wendet, (und zwar gleich
am Anfang), indem er den Satz 4 durch Aufeinanderlegen beweist,
eine Bewegung von zwei Geraden an, deren Winkel unverändert bleibt,
wie das zum Aufeinanderlegen nötig ist, (und in keinem anderen Sinne
rede ich in meinem Lehrsatze von der Bewegung einer Geraden),
Ferner wird dasselbe in der dritten Forderung angenommen (bei ge-
gebenem Mittelpunkt und Halbmesser den Kreis zu be-
schreiben), denn man setzt (bei der Zeichnung des Kreises) voraus,
dafs durch das Herumführen des Halbmessers (während der eine seiner
Endpunkte im Mittelpunkte verharrt) die Kreisfläche beschrieben wird.
Hieran erinnere ich, um nicht den Anschein zu erwecken, als (ver-
nachlässigte ich die Euklidische Strenge des Beweises und) führte
hier neue Forderungen ein (aufser denen, die Euklid zuläfst).
24 -Tolin Wallis.
Ili. Liegt eine begrenzte Gerade auf einer unbegrenzten
Geraden, und bildet eine auf ihr stehende Gerade mit ihr
einen "Winkel, so bildet sie mit der unbegrenzten Geraden
denselben AYinkel.
Es sei EÄF eine unbegrenzte Gerade, und auf ihr liege die be-
grenzte Gerade ÄC, mit der die darauf stehende Gerade AB den
Winkel BAC bildet. Dann behaupte ich, dafs die Gerade AB mit
der unbegrenzten Geraden AF denselben
N^ Winkel bildet. Da nämlich die Gerade AC
\ auf der Geraden AF liegt, und da BA
u , \ p beide Male dasselbe ist, so sind BAC und
j,. 2 ^ BAF (durch Kongruenz) derselbe Winkel.
Was zu beweisen war.
IV. Es liege eine begrenzte Gerade auf einer unbegrenz-
ten Geraden. Wird sie auf dieser geradlinig fortbewegt, und
macht eine auf ihr stehende Gerade (ohne Änderung des
Winkels) die Bewegung mit, so bildet sie mit jener unbe-
grenzten Geraden überall dieselben (oder gleiche) Winkel.
Auf der unbegrenzten Geraden EAF möge die auf ihr liegende
begrenzte Gerade AC geradlinig fortbewegt werden, und die auf dieser
stehende Gerade AB mache ohne Änderung
\^ \^ des Winkels die Bewegung so lange mit,
\ \ bis sie, wenn AC in die Lage ay ge-
jf, 1 >^ ^ — li langt, gleichzeitig nach ccß gelangt. Dann
Fig. 3. behaupte ich, dafs der Winkel ßuF dem
Winkel BAC oder BAF gleich ist.
i>ie Gerade AC geht nämlich bei ihrer Bewegung in die Gerade
ccy über, die (nach Hilfssatz 2) auf der unbegrenzten Geraden AF liegt.
Ferner bleibt (nach der Voraussetzung) der Winkel BAC, das heifst
ßay, unverändert. Da endlich (nach Hilf!?satz 3) dieser unveränderte
"\^'inkel zuerst mit dem Winkel BAF und dann mit dem Winkel
ßuF zur Deckung kommt, so sind mithin die Winkel BAF und ßaF
einander gleich. Was zu beweisen war.
In ähnlicher Weise könnte man zeigen, dafs der Nebenwinkel
ßciA dem Winkel BAE gleich ist.
V. Werden zwei Gerade von einer dritten geschnitten,
und sind die inneren Winkel an derselben Seite zusammen
kleiner als zwei Rechte, so ist jeder der beiden Aufsen-
winkel gröfser als der ihm gegenüberliegende innere Winkel.
Beweis der fünften Forderung Ruklids. 25
Die rieniclo ÄCF schneide die beiden Geraden AB und il) und
bilde auf derselben Seite die inneren Winkel BÄC und BGA, die
zusammen kleiner sind als zwei Rechte. Ich behaupte, dafs der Aulscn-
winkel BCF (der Nebenwinkel des inneren
Winkels BGA) gröfser ist als der ihm gegen-
überliegende innere Winkel BAG.
Die Winkel BGA und BCF sind nämlich \ \_j,^
(nach Satz 13 des ersten Buches) zusammen Fig. i.
gleich zwei Rechten. Hingegen sind (nach
der Voraussetzung) die beiden inneren Winkel BGA und BAG zu-
sammen kleiner als zwei Rechte. Nimmt man also beide Male den
gemeinsamen Winkel BGA fort, so ist der übrig bleibende BGF
gröfser als der übrig bleibende BAG. Was zu beweisen war.
Ich berufe mich übrigens hier beim Beweise auf den Satz 13 des
ersten Buches der Elemente, denn dieser steht zwar hinter der fünften
Forderung, jedoch noch vor dem Satze 29 des ersten Buches, bei dessen
Beweise diese Forderung zum ersten Male angewandt wird. Über-
haupt ist hinter dem Satz 28 die richtige oder wenigstens die beste
Stelle für den Beweis jener Forderung, und es dürfen dabei alle vor- 676
hergehenden Sätze oder beliebig viele davon ohne Bedenken für den
Beweis verwendet werden. Man könnte auch den Satz 13 des ersten
Buches (als einen weiteren Hilfssatz für den vorliegenden Lehrsatz)
vorher beweisen, wenn es nötig Aväre.
VI. Wird unter denselben Voraussetzungen die zwischen
AB und GB liegende Gerade AG geradlinig bis in die Lage
uy bewegt, sodafs der Punkt a mit (7 zusammenfällt, und ge-
langt zugleich AB (ohne Änderung des Winkels BAG) in die
Lage aß, so behaupte ich, dafs die ganze Gerade aß, das
heifst, die bewegte Gerade AB, aufserhalb BG fällt.
Da nämlich (nach Hilfssatz 2) ay, das heifst Gy, auf OjP liegt, und
da (nach Hilfssatz 3 und 4) der Winkel BAG, das heifst BAF, dem
Winkel ßaF, das heifst /3C-f^ gleich ist, und
da endlich (nach Hilfssatz 5) der Winkel
BAG kleiner ist als der Winkel BGF:
so ist auch der Winkel ßGF kleiner als
derselbe Winkel BGF. Demnach fällt
die Gerade Gß, das heifst aß, ganz aufser-
halb der Geraden GB (ganz, sage ich, denn sie kann CB nirgends
anders als in dem Punkte G treffen, nach der letzten Forderung oder
dem letzten Axiom, dafs zwei Gerade keinen Raum einschliefsen).
Xß
2C} Jobn Wallis
All. Unter denselbeu Voraussetzungen behaupte ich,
(lafs die Gerade aß, das lieifst AB, bei ihrer Bewegung die
(lerade CD schneidet, ehe der Punkt a nach C gelangt.
Da uämlicli (nach Ililfssatz 6), sobald der Punkt a nach C ge-
lanat, die sranze Gerade aß die Gerade CD überschritten hat, so
mufs sie diesen Übergang entweder als
/j n n^ Ganzes oder stückweise gemacht haben.
Aber als Ganzes kann sie den Übergang
nicht machen, sonst läge nämlich einmal
die Gerade aß auf der Geraden CD, und
Fig. 6. der Winkel DCF deckte sich mit dem
Winkel ßaF, ein gröfserer mit einem klei-
neren, was unmöglich ist. Mithin geschieht der Übergang stückweise,
das heifst, die Gerade aß schneidet einmal die Gerade CD, dann
nämlich, wenn ein Teil von ihr den Übergang gemacht hat, aber noch
nicht die ganze Gerade, und zwar (nach Hilfssatz 6), bevor der Punkt a
zum Punkte C gelangt ist. Was zu beweisen war,
VIII. Schliefslich will ich (indem ich die Lehre von den Ver-
hältnissen und den Begriff der ähnlichen Figuren als bekannt voraus-
setze) als Grundsatz annehmen:
Zu jeder beliebigen Figur gebe es stets eine andere ihr
ähnliche von beliebiger Gröfse.
Das scheint nämlich (da Gröfsen einer unbeschränkten Teilung mid
Vervielfachung fähig sind) aus dem Wesen der Gröfsenverhältnisse zu
folgen, dafs man nämlich jede Figur (während sie ihre Gestalt behält)
unbeschränkt verkleinern und vergröfsern kann.
In der That machen alle Geometer diese Annahme (ohne es aus-
drücklich auszusprechen oder vielleicht selbst zu bemerken), und dar-
unter auch Euklid. Denn, wenn er fordert, dafs sich bei gegebenem
Mittelpunkt und Halbmesser der Kreis beschreiben lasse, so
setzt er voraus, dafs es einen Kreis von beliebiger Gröfse oder mit be-
liebig grofsem Halbmesser gebe, und, wenn er voraussetzt, dafs etwas
möglich sei, so fordert er, dafs man es ausführen könne. Nun wäre
es freilich kein billiges Verlangen, dafs man (ohne die nötigen Vor-
kenntnisse) nach einem gegebenen Maufsstabe zu jeder Figur eine ähn-
liche solle zeichnen können. Aber dafs es ausführbar ist, das darf man
bei einer beliebigen Figur ebenso gut wie beim Kreise voraussetzen.
Denn nicht deshalb, weil er vor den übrigen Figuren etwas voraus hat,
gestattet es der Kreis, dafs man ihn ohne Änderung der Gestalt
nach Belieben stetig vergröfsert oder verkleinert, sondern wegen der
Beweis der fünften Forderung Euklids. 27
Eigeiiscliaften der stetigen Gröfseii, die den übrigen Figuren mit dem
Kreise gemeinschaftlich sind. Man darf demnach ebenso voraussetzen,
dafs auch bei diesen (ohne Änderung der Gestalt) eine stetige und
unbegrenzte Vergröfscrung oder Verkleinerung möglich sei.
Gegen unsere Annahme darf mau auch nicht einwenden, dafs
Euklid an dieser Stelle weder die Erklärung proportionaler Gröfsen
noch die Erklärung ähnlicher Dreiecke (die jene voraussetzt) gegeben
hat, dafs er vielmehr die eine erst im fünften, die andere erst im
sechsten Buche giebt. Denn Euklid hätte, wenn es ihm angebracht
erschienen wäre, beide dem ersten Buche vorausschicken können.
IX. Mittelst dieser Hilfssätze beweise ich uun auf folgende Art
den eigentlichen Satz, der so lautet:
Werden zwei Gerade von einer dritten geschnitten, und
sind die inneren Winkel an derselben Seite zusammen
kleiner als zwei Rechte, so treffen die Geraden, ins
Unendliche verlängert, einander auf der Seite, wo jene
beiden Winkel liegen, die zusammen kleiner sind als zwei
Rechte.
Es seien AB und CD die beiden Geraden, die von der unbe-
grenzten Geraden ACF getroifen werden und mit ihr an derselben
Seite innere Winkel BA C und D CA bilden,
die zusammen kleiner sind als zwei Rechte. P^
Ich behaupte, dafs jene beiden Geraden AB
und CD, ins Unendliche verlängert, einander
treffen, und zwar auf der Seite der Geraden '"'x^
AF, wo sich jene beiden Winkel befinden.
V
Man denke sich nämlich die Gerade A C, ^, ' ^- .^
die zwischen ihnen auf der unbegrenzten Fig. 7.
Geraden ACF liegt, auf dieser geradlinig
bewegt. Die Gerade yl^, die auf ^C steht, mache die Bewegung ohne
Änderung des Winkels BAC mit, bis aß, das heifst, die bewegte Gerade
AB, die Gerade CD (nach Hilfssatz 7) in einem Punkte jc schneidet.
Alsdann ist 7t Ca ein Dreieck, und es giebt (nach Hilfssatz 8) ähn-
liche Dreiecke von jeder beliebigen Gröfse. Man kann daher über der
Geraden CA ein Dreieck zeichnen, das dem Dreieck jtCa mit der
Grundlinie Ca ähnlich ist. Man denke sich das ausgeführt, und es
sei PCA dieses Dreieck.
Hier darf man nicht einwenden, dafs Euklid noch nicht gelehrt
habe, wie man über einer gegebenen Grundlinie ein Dreieck zeichnet.
677
2S John Wallis.
(las einem gegebenen ähnlich ist*). Denn vielfach setzt man bei der
Vorbereitung**) zum Beweise von Lehrsätzen (bei der Lösung von
Aufgaben durch Konstruktion ist es freilich weniger am Platze) Dinge
als ausführbar und ausgeführt voraus, deren geometrische Ausführ-
barkeit noch nicht gelehrt wird, zum Beispiel die beiden mittleren
Proportionalen von zwei (Tcraden, ebenso die dem Kreisumfange gleiche
Gerade und unzählig vieles andere. Und doch gelingen die Beweise
der Lehrsätze nicht schlechter, als wenn die geometrische Konstruktion
völlig bekannt wäre. Und wenn jemand die Gleichheit des arktischen
Kreises mit dem antarktischen dadurch begründete, dafs sie zur
Deckung gebracht werden können, da ja, wenn man den Mittel-
punkt auf den Mittelpunkt und die Ebene auf die Ebene legt, der
Umfang mit dem Umfang (wegen der Gleichheit der Halbmesser)
und der Kreis mit dem Kreise zur Deckung gelangt, so hat niemand
ein Recht diesen Beweis als unerlaubt zurückzuweisen, weil es doch
geometrisch nicht ersichtlich ist, wie jemand den antarktischen Kreis
an den arktischen anlegen könne. Es genügt, wenn diese Kreise so
beschaffen sind, dafs sie, falls mau sie aneinanderlegt, notwendig zur
Deckung gelangen.
Ebenso gut gelingt hier der Beweis, sobald nur feststeht, dafs
mau das ausführen kann, was hier als ausgeführt gedacht wird, näm-
lich das Dreieck PCA zu zeichneu. Wir fahren in dem Beweise fort.
Da also PCA ein Dreieck ist, so treffen (nach der Erklärung
des Dreiecks) die beiden Geraden CP und AP einander im Punkte P,
und ila das Dreieck PCA dem Dreieck TcCa (nach Konstruktion)
älinlich ist, so sind die einzelnen Winkel den einzelnen Winkeln der
Reihe nach gleich (nach der Erklärung ähnlicher geradliniger Figuren).
Mithin ist der Winkel PCA dem Winkel nCu, das heifst dem Winkel
DCA gleich, und es liegt daher die Gerade CP in der Verlängerung
der Geraden CD. Läge nämlich die Gerade CD jenseits oder diesseits,
so wäre der Winkel PCA gröfser oder kleiner als der Winkel DCA,
während doch ihre Gleichheit bewiesen wurde.
Ebenso ist der Winkel PAC gleich dem Winkel TtaC. Demselben
Winkel naC, das heifst dem Winkel ßciF, ist aber der Winkel BAF
oder BAC gleich (nach Hilfssatz 3 und 4), und daher ist auch der
Winkel BAC gleich dem Winkel PAC. Mithin liegt die Gerade AP
in der Verlängerung der Geraden AB (läge sie nämlich jenseits oder
*) [Was Wallis hier behauptet, ist nicht ganz richtig: merkwürdiger Weise
Qpdet sich in den Elementen nichts über die Konstruktion von Dreiecken, die
einem gegebenen Dreieck ähnlich sind.)
**) [Im Original steht: in :tuQaay.iV7j ad demonstrationes theorematum.]
Beweis der fünften Forderung Euklids. 29
diesseits, so wären die Winkel BÄC und FÄC verschieden, deren
Gleichheit bewiesen ist).
Demnach fällt die Gerade ÄP mit der Verlängerung von AB
zusammen. Ebenso bilden CP und die Verlängerung von CD eine
Gerade. Es treffen sich aber (wie schon gezeigt ist) AP und CP in
dem Punkte P, also treffen sich auch die Verlängerungen von AB
und CD, und zwar in eben diesem Punkte P, das heifst, auf der Seite
der Geraden EAF, wo jene beiden Winkel liegen, die zusammen
kleiner als zwei Rechte sind. Was zu beweisen war.
Diesen Beweis habe ich nach den strengsten Regeln für das Be-
weisen durchgeführt, indem ich mir Euklid zum Vorbild genommen
habe, damit auch ein strenger Richter mir nicht den Vorwurf macheu
kann, dafs zum vollgültigen Beweise etwas fehle. Jedoch tadle ich
ganz und gar nicht, dafs Euklid keinen Beweis gegeben hat, vielmehr
würde ich sogar nichts dagegen haben, wenn er noch mehr un-
bewiesene Forderungen aufgestellt hätte, zum Beispiel, wenn er (mit
Archimedes) gefordert hätte, dafs die gerade Linie unter allen
Linien zwischen denselben Endpunkten die kürzeste sei,
(dabei hätte er dann nicht neunzehn Sätze vorauszuschicken gebraucht,
ehe er bewies, dafs zwei Dreiecksseiten zusammengenommen
gröfser sind als die dritte) und anderes, was an und für sich
einleuchtend ist.
Aber Euklid scheint die Absicht gehabt zu haben, auf Grund mög-
lichst weniger Forderungen das Übrige durch die strengsten Schlüsse
zu beweisen, und so kommt es, dafs er sich nicht selten damit ab-
quält, Dinge zu beweisen, die ihm jedermann ohne weiteres zugestehen
wird. Bei jedem Beweise, und zwar in jedem Gebiete ohne Ausnahme,
mufs man etwas voraussetzen. Denn, ohne etwas vorauszusetzen (oder
es vorher zuzugeben oder vorher zu beweisen), ist kein Beweis möglich.
Freilich pflegen diese Voraussetzungen von anderen Schriftstellern
(über andere Gegenstände) nicht ausdrücklich genannt zu werden (wie
das Euklid gethan hat), sondern sie nehmen solche Voraus- G7»
Setzungen stillschweigend an, ohne es zu bemerken.
Auch bei Euklid selbst finden sich im Fortgange seines Werkes
neben den ausdrücklich erwähnten Voraussetzungen (den wichtigsten
und bemerkenswertesten) zuweilen noch andere, die entweder aus dem
Anblicke der Figur oder anderswoher einleuchten, die aber nie-
mand bestreiten wird. Eine solche Voraussetzung (die überall vor-
kommt) ist die, dafs das Ganze genau dasselbe ist wie die Summe
der Teile (woraus man schliefst, dafs, wenn sich zeigen läfst, etwas
30 John Wallis. Beweis der fünften Forderung Euklids.
sei gleich der Summe der Teile, es auch dem Ganzen gleich ist),
ebenso, dafs, was für die einzelnen Fälle als richtig bewiesen ist,
allgemein richtig ist (zum Beispiel, was für das rechtwinklige, das
spitzwinklige, xmd das stumpfwinklige Dreieck gilt, gilt für
jedes geradlinige Dreieck, weil es eben keine anderen gerad-
linigen Dreiecke giebt), und ebenso, dafs eins und eins zwei, und vier
und eins fünf ist, und iihnliches, was ein aufmerksamer Leser ab und
zu bemerken, was aber niemand tadeln wird, (nicht zu erwähnen, dafs
er bei der Erklärung der Kugel, des Kegels und des Cylinders
die Bewegung der Ebene voraussetzt, die er weder erklärt noch
gefordert hat). Aber auch wenn er noch mehr entweder stillschweigend
vorausgesetzt oder ausdrücklich gefordert hätte, was an sich ein-
leuchtend ist, darf man ihn deshalb nicht anklagen, also auch nicht,
wenn er fordert, dafs zwei (in derselben Ebene liegende) Ge-
rade, die einander näher kommen, schliefslich zusammen-
treffen sollen.
GIROLAMO SACCHERI
1667—1733.
In den Vorbemerkungen zu dem Versuche von Wallis hatten wir
bereits erwähnt, dafs im siebzehnten Jahrhundert auch in Italien
das Interesse für die Grundlagen der Geometrie rege war, und zwar
sind die Gegenstände, mit denen sich die Mathematiker damals haupt-
sächlich beschäftigten, die Lehre von den Proportionen und die Pa-
rallelentheorie.
Für die Parallelentheorie ist zunächst Borelli zu nennen, der
allerdings durch seine Untersuchungen über die Bewegung der Lebe-
wesen (De motu animalium, Rom 1680) bekannter ist. Er gab 1658
seinen Euclides restitutus heraus und kritisierte in einer An-
merkung (S. 37) Euklids Parallelentheorie: er wirft ihr vor, dafs der
Begriff des Unendlichen hineingezogen werde, insofern Gerade als
parallel erklärt werden, wenn sie, ins Unendliche verlängert, einander
nicht schneiden. Borelli schlägt deshalb vor, gerade Linien dann
parallel zu nennen, wenn sie ein gemeinsames Lot besitzen; das sei
eine durchaus fafsliche, dem menschlichen Geiste zugängliche Eigen-
schaft. Bald aber stellt sich heraus, dafs diese Erklärung zum Be-
weise der fünften Forderung nicht ausreicht, und Borelli sieht sich,
genötigt, als neues Axiom das bereits bei Clavius angeführte zu Hilfe
zu nehmen, das er nach dem Vorgange von Guldin so formuliert':
Wird eine gerade Linie, die auf einer anderen senkrecht
steht, in der Weise verschoben, dafs der eine Endpunkt
immer auf der Geraden verharrt und der rechte Winkel in
ihm erhalten bleibt, so beschreibt der andere Endpunkt eine
gerade Linie. Wir müssen daher sagen, dafs er die von ihm her-
vorgehobene Schwierigkeit im Grunde nur umgangen hat.
In den meisten Lehrbüchern der Elementargeometrie vom sech-
zehnten bis zum Anfange des achtzehnten Jahrhunderts werden —
was ja sehr bequem ist — parallele Gerade sofort als äquidistante
erklärt. Der erste, der erkannte, dafs diese Erklärung nur dann zu-
lässig ist, wenn man das Vorhandensein solcher Geraden erweisen
kann, scheint Giordano da Bitonto (1680) gewesen zu sein. In
den Endpunkten einer Grundlinie denkt er sich Lote von gleicher
Länge errichtet und sucht zu beweisen, dafs die Verbindungsgerade
Stäckol u. Engel , ParaUelentheorie. 3
34 Einleitung zu Saccheris
der Endpunkte dieser Loie von der Grundlinie überall denselben Ab-
stand hat. Zu diesem Zwecke stellt er eine etwas verwickelte Be-
trachtung an, aus der hervorgehen soll, dafs die Lote, die man von
den Punkten irgend einer krummen Linie auf die Grundlinie fällen
kaim, nicht alle gleich sein können. Die Unzulänglichkeit seines
Sehlufsverfahrens hat bereits Klügel in zutreffender Weise dargethan.
Bemerkenswert erscheint noch, dafs wir bei diesem Beweise Gior-
dauos der Figur wieder begegnen, die wir schon bei Clavius fanden,
und die wir abermals bei Saccheri finden werden.
Zu diesem merkwürdigen Manne wenden wir uns jetzt und be-
richten zunächst über sein Leben und seine Person. Wir sind dabei
in der glücklichen Lage, Aufzeichnungen benutzen zu können, die
der Jesuitenpater Fr. Gambarana über seinen Ordensbruder gemacht
hat, mit dem zusammen er 35 Jahre lang in Pavia gewirkt hatte.
Bei dieser Gelegenheit wollen wir auch dem Direktor der Biblioteca
Estense, Herrn Forti in Modeua, nochmals unseren Dank dafür aus-
sprechen, dafs er uns eine Abschrift dieser als Codice Estense I. H. 10.
(18 Seiten Folio) bezeichneten Handschrift hat zukommen lassen.
Girolamo Saccheri ist am 5. September 1667 in San Remo
geboren, das damals zum Gebiete der Republik Genua gehörte; über
seine Eltern wissen wir nichts. Am 24. März 1685 ward er in die
Gesellschaft Jesu aufgenommen, und zwar geschah dies in Genua,
wo er sich schon einige Jahre vorher aufgehalten zu haben scheint.
Nach Beendigung des Noviziats wirkte er als Lehrer der Grammatik
an dem von Jesuiten geleiteten Collegio di Brera in Mailand.
Lehrer der Mathematik war daselbst Tommaso Ceva (1648 — 1737),
ein Bruder des bekannten Mathematikers Giovanni Ceva; mit beiden
Brüdern hat Saccheri in wissenschaftlichem Verkehr gestanden und
von ihnen mannigfache Anregungen empfangen. Darauf war er eine
Zeit lang Lehrer der Philosophie und der polemischen Theologie an
dem Jesuitenkollegium zu Turin und kam endlich im Jahre 1697
an das Collegium zu Pavia. Dort hat er aufserdem an der Uni-
versität Yorlösungen über Arithmetik, Algebra, Geometrie und andere
Gegenstände der Mathematik gehalten. Die Herbstferien pflegte er in
Mailand am Collegio di Brera zuzubringen, wo er auch nach langer
Krankheit am 25. Oktober 1733 gestorben ist.
Saccheris Charakter schildert sein Biograph Gambarana mit
folgenden Worten: „Er kümmerte sich nicht um seine Person, um
Speise, um Kleidung, um Bequemlichkeit, nur die Wahrheit, das
"\^ ohl anderer, die Ehre und die Fortschritte des heiligen römischen
Glaubens lagen ihm am Herzen."
Euclidcs ab omni naevo vindicatus. 35
Mit besonderer Ausführlichkeit verweilt Gambarana bei einer
Seite von Saecheris Begabung, die auf jeden, der ihn kennen lernte,
besonderen Eindruck machen mufste, bei seiner ungewöhnlichen Ge-
dächtniskraft und Combinationsgabe. Schon früh zeigte sich sein
Rechengenie. Als Knabe von fünf Jahren löste er bereits schwierige
Rechenaufgaben, die man ihm vorgelegt hatte. Später wurde er ein
vorzÄiglicher Schachspieler, er spielte gleichzeitig drei Partieen ohne
Ansicht des Brettes und siegte in der Regel. Während des Spiels
konnte er sich mit andern unterhalten und sogar „über abstruse Pro-
bleme der Geometrie nachdenken"; nachher wiederholte er die Partieen
aus dem Gedächtnis. Tommaso Ceva hat ihn in seiner Philosophia
Novo-antiqua, Mailand 1704, mit den Versen besungen:
Scacchia qui triplici certamine versat eodem
Tempore, summotus ludo procul omnia mente
Complexus memori.
Eine ebenso grofse Geschicklichkeit besafs Saccheri in der Kunst des
Chiffernlesens, wovon Gambarana erstaunliche Proben mitteilt.
Auf Saecheris theologische Schriften einzugehen, ist hier nicht
der Ort. Ehe wir von den mathematischen sprechen, wollen wir er-
wähnen, dafs er, nach Gambarana, im Jahre 1692 in Turin eine
Abhandkmg über Logik veröffentlichte, deren Titel: Logica demon-
strativa war. Indes ist eine solche Schrift weder in Backers Biblio-
theque des ecrivains de la Conipagnie de Jesus, noch in Ric-
cardis Biblioteca matematica italiana angeführt. Dort findet
sich vielmehr ein Werk: Logica demonstrativa theologicis, philo-
sophicis et mathematicis disciplinis accommodata, auctore
R. P. Hieronymo Saccherio Societatis Jesu. Ticini Regii 1701,
8*^, sowie ein Nachdruck: Augustae Ubiorum 1735, 8", 162 Seiten.
Genaueres über dieses Werk, auf das sich Saccheri bei seinen Unter-
suchungen über die Parallelentheorie beruft, können wir leider nicht
mitteilen.
Dagegen haben wir die drei mathematischen Schriften Sae-
cheris sämtlich eingesehen. Die königlichen Bibliotheken in Berlin
und in München besitzen sein Erstlingswerk:
Quaesita geometrica a Comite Ruggerio de Viginti
Milliis Omnibus proposita, ab Hieronymo Saccherio Ge-
nuensi Societatis Jesu soluta. Mediolani 1693, 4P, 37 Seiten,
von dem Riccardi eine zweite Ausgabe erwähnt:
Sphinx geometra seu quaesita geometrica proposita et
soluta rursus prodeunt auspiciis Serenissimi Principis
Francisci Farnese, Parma 1694. 4°.
3*
30 Einleitung zu Saccheris
Es handelt sich in diesem Werke um sechs geometrische Auf-
gaben, die Graf Roger Ventimiglia aus Palermo (1670 — 1698) im
April 1692 in dem Diarium Parmense gestellt hatte, und die haupt-
sächlich Kegelschnitte betreffen. Bei der Lösung dieser Aufgaben be-
dient sich Saccheri, der recht beträchtliche geometrische Kenntnisse
zeigt, der geistreichen Methoden, die Giovanni Ceva in seinem
Werke: De lineis rectis se invicem secantibus statica con-
structio, Mailand 1678, entwickelt hatte, einem Werke, das als ein
Vorläufer von Moebius' Barycentrischem Calcul bezeichnet werden
darf. Die Quaesita werden erwähnt in dem Traite analytique des
sections coniques von L'Hospital (Paris 1707, S. 259), wo der
Pere Saquerius als sehr bewandert in der Geometrie gerühmt wird.
Weniger günstig müssen wir über Saccheris zweite Schrift
urteilen, die wir in den Universitätsbibliotheken zu Wien und zii
München gefunden haben, und die den Titel führt:
Neostatica auetore Hieronymo Saccherio e Societate Jesu.
Excellentissirao senatui Mediolanensi dicata. Mediolaui
1708, 4". 168 Seiten.
Sie verdankt ihre Entstehung einem Gedanken, den Tommaso Ceva
in seinem Buche: De natura gravium, Mailand 1699, ausgesprochen
hatte, dafs nämlich, wenn die Schwerkraft nach dem Erdmittelpunkt
gerichtet sei, Galileis Fallgesetze nicht wahr sein könnten, die ja
voraussetzen, dafs die Schwerkraft überall dieselbe Richtung habe.
Diesen Gedanken weiter verfolgend, untersucht Saccheri zunächst
die Zusammensetzung von Kräften, die alle nach demselben Punkte
gerichtet sind. Dann macht er, ebenfalls nach dem Vorgange Cevas,
die Annahme, die Schwerkraft sei proportional dem Abstände vom
Erdmittelpunkte und leitet den bereits in Newtons Principieu 1687
(Lib. I, Sectio X, Propositio 47) angegebenen Satz her, dafs bei einem
solchen Gesetze der Anziehung die Wurfbahn immer eine Ellipse sein
müsse.
Wir kommen endlich zu Saccheris Hauptwerk:
Euclides ab omni naevo vindicatus: sive conatus geo-
metricus quo stabiliuntur prima ipsa universae geometriae
principia. Auetore Hieronymo Saccherio Societatis Jesu.
Mediolani 1733, 4'', XVI und 142 Seiten, mit 6 Figurentafeln.
Sein Titel erinnert an Saviles Aufserung über die beiden Makel, die
den wunderschönen Leib der Geometrie entstellen.
Die Druckerlaubnis der Inquisition ist am 13. Juli 1733, die des
Provinzials der Gesellschaft Jesu am 16. August 1733 erteilt worden.
^^h• dürfen daher annehmen, dafs Saccheri, der, wie Gambarana
Euclicles ab omni naevo vindicatus. 37
berichtet, nach lauger Krankheit am 25. Oktober 1733 starb, dieses
Werk, das wohl die Arbeit eines Menschenlebens darstellt, noch vor
seinem Tode gedruckt sehen wollte; ob er die Vollendung des Druckes
erlebt hat, erscheint fraglich. Diese Umstände erklären es sehr gut,
dafs einige Beweise noch kleine Lücken zeigen, sowie auch, dafs sich
an einigen Stellen falsche Rückverweisungen auf frühere Sätze finden.
Das Werk besteht aus zwei Büchern, die an Umfang, wie an
Wert, sehr ungleich sind. Das zweite, kürzere betrifft die Lehre von
den Proportionen und braucht hier nicht berücksichtigt zu werden.
Um so wichtiger ist das erste, das einen geistreichen Versuch enthält,
die Euklidische Geometrie als die einzig mögliche nachzuweisen.
Saccheri hat das unvergängliche Verdienst, dem Probleme der
Parallellinien eine ganz neue Seite abgewonnen zu haben. Die Ver-
suche, die wir im Vorhergehenden kennen gelernt haben, beruhten auf
dem gemeinschaftlichen Grundgedanken, dafs man die fünfte Forde-
rung unmittelbar aus den anderen Voraussetzungen der Euklidischen
Geometrie herleiten wollte. Alle diese Versuche litten an dem wesent-
lichen Mangel, dafs bei ihnen, mehr oder weniger offen, ein neues
Axiom an Stelle des zu beweisenden eingeführt wurde.
Saccheri giebt nun der Frage die neue Wendung: Wäre die fünfte
Forderung keine Folge der übrigen Voraussetzungen Euklids, so könnten
bei einem Viereck ABDG, das in A und B rechte Winkel hat und
wo AG = BD ist, die Winkel bei G und D spitz oder stumpf sein.
Macht man eine dieser beiden Annahmen, die er als die Hypothese
des spitzen bez. des stumpfen Winkels bezeichnet, so lassen sich aus
ihr weitere geometrische Folgerungen ziehen. Um die Wahrheit der
fünften Forderung nachzuweisen, an der Saccheri nicht gezweifelt
zu haben scheint, mufs man also zeigen, dafs jede dieser Annahmen
schliefslich zu einem Widerspruch führt. Einen solchen Widersprucli
zu finden, gelingt Saccheri bei der Hypothese des stumpfen Winkels
ohne Schwierigkeit, jedoch bei der Hypothese des spitzen Winkels
erst, wie er sich ausdrückt, nach einem langwierigen Kampfe. Er
sieht sich dabei genötigt, die Folgerungen ziemlich weit zu treiben,
und gelangt so zu einer Reihe von Sätzen, die man gewöhnlich teils
Legendre, teils den Begründern der nichteuklidischen Geometrie
Lobatschefskij und Bolyai zuschreibt.
Legendre, dessen Untersuchungen über die Parallelentheorie in
die Zeit von 1794 — 1838 fallen, hat unter ausschliefslicher Benutzung
der ersten achtundzwanzig Sätze des ersten Buches der Elemente be-
wiesen, dafs die Summe der Winkel eines Dreiecks nicht kleiner sein
kann als zwei Rechte, und dafs sie gleich zwei Rechten sein mufs,
38 Einleitung zu Saccheiis
sobald das für irgend ein Dreieck der Fall ist. Beide Sätze finden sich
schon bei Saccheri, der nicht nur die Hypothese des stumpfen
Winkels widerlegt, sondern auch eine ganze Reihe von Sätzen ent-
wickelt hat, in denen Kennzeichen zur Unterscheidung der Hypothese
des rechten Winkels von den beiden anderen Hypothesen aufgestellt
werden; eins dieser Kennzeichen ist das von Legendre wieder-
gefundene.
Weiter aber hat Saccheri bei der Hypothese des spitzen
Winkels das Verhalten zweier sich nicht schneidender Geraden ein-
gehend untersucht und das Vorhandensein des gemeinsamen Lotes
und der Grenzlinien in aller Strenge nachgewiesen. Er hat auch
schon den Ort der Punkte betrachtet, die von einer Geraden gleich
weit entfernt sind, und ist so zu den Oricyclen von Lobatschefskij
gelangt.
Hervorzuheben ist noch, dafs Saccheris Beweise für diese Sätze
sehr klar und elegant sind, während später, wo es gilt, die angeb-
lichen "Widersprüche zu finden, seine Darstellung mühsam und weit-
schweifig wird.
Fragt man nun, wie Saccheri zu dieser Problemstellung gelangt
ist, ,so läfst sich wenigstens zweierlei feststellen: Einmal betont er
immer wieder und wieder, dafs es unzulässig sei, parallele Gerade als
äquidistante zu erklären, dafs vielmehr das Vorhandensein solcher äqui-
distanter Geraden durchaus eines Beweises bedürfe; dies hatte — wie
wir wissen — schon Giordano da Bitonto erkannt, dessen Werk
indes Saccheri entgangen zu seiu scheint. Dann aber ist Boreliis
Erklärung der Parallelen als solcher Geraden, die ein gemeinschaft-
liches Lot besitzen, auf Saccheris Gedankengang von Einflufs ge-
wesen. Will man nämlich, von dieser Erklärung ausgehend, die Sätze
der Euklidischen Geometrie herleiten, so kommt alles darauf an,
zu zeigen, dafs der Abstand jener beiden Geraden an einer beliebigen
Stelle dem gemeinsamen Lote gleich ist, und hierdurch wird man gerade
auf die schon vorhin erwähnte Figur geführt, die den Ausgangspunkt
von Saccheris Untersuchungen bildet.
Der Euclides ab omni naevo vindicatus scheint ein ziemlich
verbreitetes Buch gewesen zu sein. In Deutschland haben wir sein Vor-
handensein auf den Königlichen Bibliotheken zu Berlin und Dresden
und auf den Universitätsbibliotheken in Göttiugen (seit 1770), Halle,
Rostock und Tübingen festgestellt. Auch findet man das Werk im
achtzehnten Jahrhundert wiederholt erwähnt. So erschien, um nur das
Wichtigste anzuführen, im Jahre 1736 eine Anzeige in den Acta Eru-
ditorum (S. 277), die jedoch auf den Inhalt nur oberflächlich eingeht,
Euclicles ab ouini nacvo vindicatus. 39
im Jalire 1742 finden wir es in Heilbronners Historia matlie-
seos (S. 162) unter den Schriften über Euklids Elemente erwähnt,
1758 nennt es Montucla, als er vom Parallelenaxiom spricht, im
ersten Bande der Histoire des mathematiques (2. Aufl. S. 209),
und endlich 1763 wird dieses „sonderbare Buch" von Klügel in seiner
Dissertation über die Geschichte der Parallelentheorie eingehend be-
sprochen. Klügel erkennt die Sorgfalt und den Scharfsinn Saccheris
an. Jedoch haben sie, so urteilt er sehr richtig, nicht zum Ziele ge-
führt, denn die Widersprüche, zu denen Saccheri gelangt, beruhen teils
auf einem unzulässigen Gebrauch des Unendlichen, teils sind sie auf
unrichtige Vorstellungen über die Erzeugung von Curven durch die
Bewegung eines Punktes zurückzuführen.
Auch später ist Saccheris Werk nicht ganz in Vergessenheit
geraten; wir finden es erwähnt in C. F. A. Jacobis Dissertation 1824,
in Camerers Euklidausgabe 1824, und in den Gymnasialprogrammen
von Thiermann 1862 und Maier 1875. Auch hier wird Saccheris
„grofse Sorgfalt und erfinderischer Scharfsinn" gepriesen, indessen ver-
missen wir überall ein genaueres Eingehen auf das Wesen der Sache.
Erst Beltrami hat im Jahre 1889 nachdrücklich hervorgehoben, dafa
wir in Saccheri einen Vorläufer Lobatschefskijs zu sehen haben,
und hat dadurch auch in weiteren Kreisen den Namen seines Lands-
mannes bekannt gemacht.
Beltrami hatte damals mitgeteilt, dafs der Jesuitenpater Mang a-
uotti eine neue Ausgabe des Euclides ab omni naevo vindicatus
vorbereite; diese Absicht ist jedoch bis jetzt nicht zur Ausführung
gekommen. Eine englische Übersetzung des ersten Buches hat George
Bruce Hälsted im American Mathematical Monthly begonnen,
und es sind von Juni bis December 1894 die ersten dreizehn Lehrsätze
erschienen. Wir haben uns bei unsrer Übersetzung möglichst eng
an das Original gehalten und sind ihm auch da gefolgt, wo es möglich
gewesen wäre, durch den Gebrauch moderner Ausdrücke eine kürzere
und vielleicht auch leichter verständliche Fassung zu erzielen, denn nur
so glaubten wir dem historischen Standpunkte unsers Buches gerecht
zu werden.
40 Litteratur zu Saccheri.
Litteratur.
Back er, Augustin et Alois de, Bibliotheqiie des ecrivains de la compagnie de Jesus.
4iöino s^rie. Liege 1858. S. 650.
Beltrami, Un precursorc italiano di Legendre et di Lohatschewsky. Atti della
Reale Accademia dei Lincei. Anno 1889. Serie 4. Vol. V. S. 441—448.
Borelli, Euclides restitutus sive prisca geometriae elementa brevius et facilius
contexta. Pisa 1658.
Camerer, Eitdidi,<: demcnta graece et latine, commentariis instructa, ed. Camerer
et Hauber. Berlin 18-24. Bd. 1. S. 423.
Cantor, M., Vorlestmgen über die Geschichte der Mathematik, Bd. 2. 1892. S. (507;
Bd. 3. 1894. S. 13 und 18.
Ceva, Thomas, Philosophia Novo-antiqua, Mailand 1704. 2. Ausgabe, Venedig 1732:
Dissertatio I, S. 24.
Ferrari, Guido, Opnscidorum CoUectio, Lugani 1777, S. 82, 99 und 101.
Giordano da Bitonto, Eiiclide restituto overo gli antichi elementi geometrici
ristaurati e facilitati, Rom 1680. Fol. Zweite Ausgabe 1686.
Quid in, Centrobaryca seu de centro gravitatis trium specierum quantitatis con-
tinuae. Lib. IV. Wien 1641. S. 350.
Halsted, George Bruce, Non Euclidean Geometry, historical and expository. The
American Mathematical Monthly, Kidder (Missouri) 1894, S. 70—72, 112—115,
149—152, 188—191, 222—223, 259—260, 301—303, 345—346, 378—379, 421—423.
Jacobi, C. F. A. , De midecimo EucUdis axiomate iudicium. Dissertation. Jena
1824.
Klügel, Conatuum praecipuanim theoriam parallelartim stdbiliendi recensio. Disser-
tation. Göttingen 1763.
Lombardi, Storia della letteratiira italiana nel secölo XVIII. Tomo I. Modena
1827. S. 352.
Maier, Froklos über die Petita und Axiomata bei Euklid. Programm. Tübingen
1875.
Mansion, Analyse des Pecherches du P. Saccheri, S. J., sur h Postulatum d'EucUde.
Annales de la Sociale scientifique de Bruxelles. 1890. Part. I. S. 43.
Riccardi, Bibliotecu matematica italiana. Parte prima. Vol. I. Modena 1870.
Vol. U. 1876. Appendice, Ser. I— VI. 1878-1893.
Thiermann, Geometrisclie Abhandlung über Erklärungen, Forderungen und Grund-
sätze nebst einer elementaren Begründung der Lehre von den Parallellinien.
Programm. Göttingen 1862. S. 40—56.
Verci, Giambatista, Lettere alla nobile Signora Contessa Francesca Poberti Franco
sopra il giuoco degli scacchi. Venezia 1778. Dieses Buch, das wir nicht ge-
sehen haben, enthält nach Anton Schmid, Literatur des Schachspiels,
Wien 1847, S. 299 eine Abhandlung über das Schachspiel und verschiedene Er-
zählungen. Verci vergleicht den P. Saccheri von S. Remo mit Julius Caesar,
der zu gleicher Zeit Audienz erteilte, Briefe las und seinen Schreibern Briefe
vorsagte.
Veronese, Fundamenti di geometria, Padua 1891, deutsch von Sche^ip unter
dem Titel : Grundzüge der Geometrie ti. s. lo., Leipzig 1894, S. 636 f.
EUCLIDES
AB OMNI N^VO VINDICATUS:
SIVE
CONATUS GEOMETRICUS
aUO STABILIUNTUR
Prima ipfa univerfae Geometriae Principia.
AU CT O R E
HIERONYMO SACCHERIO
SOCIETATIS JESU
In Ticinenfl Univerfitate Mathefeos Profeffore.
OPUSCULUM
EX"SENATUI
MEDIOLANENSI
Ab AuÄore Dicatum.
MEDIOLANI, MDCCXXXIII.
Ex Typographia Pauli Antonli Montani. Superiorum permißti.
DER VON JEDEM MAKEL BEEREIETE
EUKLID
ODER
EIN GEOMETRISCHER VERSUCH
ZUR BEGRÜNDUNG
der Grundsätze der ganzen Geometrie.
VERFASSET
VON
GIROLAMO SACCHERI
VON DER GESELLSCHAFT JESU
Der Mathematik Professor an der Universität zu Pavia.
EINEM
HOCHEDLEN SENATE
VON MAILAND
WIDMET DIESES WERK
DER VERFASSER.
MAILAND 1733.
Druck von Paolo Antonio Montano. Mit Erlaubni/s der Oberen.
Vorwort an den Leser*). ix
Wer überhaupt Mathematik gelernt hat, würdigt die hohen Vor-
züge der Elemente Euklids. Hierfür kann ich als auserlesene Zeugen
ArchimedeS; Apollonius, Theodosius anführen und aufserdem beinahe un-
zählig viele andere mathematische Schriftsteller bis auf die Gegenwart,
die Euklids Elemente als die längst feststehende und vollkommen uner-
schütterliche Grundlage benutzen. Freilich hat dieses grofse Ansehen
nicht hindern können, dafs viele alte wie neue und zwar angesehene
Geometer behaupteten, sie hätten in diesen so schönen und niemals
genug gepriesenen Elementen gewisse Makel gefunden, und zwar uemien
sie drei solche Makel, die ich sogleich anführe.
Der erste betrifft die Erklärung der Parallellinien und in Ver-
bindung damit das Axiom, das bei Clavius das dreizehnte des ersten
Buches ist, wo Euklid sagt: Werden zwei gerade Linien, die in
derselben Ebene liegen, von einer dritten geschnitten, und
sind die inneren Winkel, die sie auf der einen Seite bilden,
zusammen kleiner als zwei Rechte, so müssen beide Linien,
nach dieser Seite ins Unendliche verlängert, zusammen-
treffen.
Gewifs zweifelt niemand an der Wahrheit dieser Behauptung, viel-
mehr wird Euklid nur deshalb getadelt, weil er dafür den Namen Axiom
gebraucht hat, als wenn sie schon bei richtigem Verständnis ihres
Wortlautes von selbst einleuchtete. Nicht wenige haben daher ver-
sucht (während sie im übrigen Euklids Erklärung der Parallelen bei-
behielten) dieses Axiom ausschliefslich auf Grund der Sätze des ersten
Euklidischen Buches zu beweisen, welche dem neunundzwanzigsten vor-
angehen, denn bei diesem wird das strittige Axiom zum ersten Male X
angewendet.
Da aber wiederum die Versuche der Alten in dieser Frage nicht
vollständig zum Ziele zu führen scheinen, so ist es gekommen, dafs
*) [Seite III — V enthält die Widmung, S. VII die Druckerlaubnis des Pro-
vincials in Mailand vom 16. Aug. 17.H3, S. VllI die Druckerlaubnis der Inquisition
vom 13. Juli 1733.]
40 Saccberi, Enclides ab omni naevo vindicatus.
viele ausgezeiclmete Geometer der folgenden Zeiten sieh dieselbe Auf-
gabe gestellt und eine neue Erklärung der Parallelen für notwendig
befunden haben. Während also EukMd parallele Gerade als solche er-
klärt, die in derselben Ebene liegen und, wenn sie nach
beiden Seiten ins Unendliche verlängert werden, einander
niemals treffen, so setzen sie an Stelle der letzten Worte der eben
angeführten Erklärung diese anderen: die immer gleiche Ent-
fernung von einander haben, sodafs nämlich alle Lote, die von
beliebigen Pimkten der einen auf die andere gefällt werden, immer
einander gleich sind.
Hieraus aber entspringt ein neuer Zwiespalt. Einige nämlich,
und zwar die scharfsinnigeren, suchen das Vorhandensein der so er-
klärten Parallellinien zu beweisen und schreiten von da aus zum Be-
weise jenes Axioms, das, so wie es Euklid ausspricht, strittig ist;
denn auf ihm beruht ja von jenem neuuundzwanzigsten Satze des
ersten Euklidischen Buches an (mit sehr wenigen Ausnahmen) die
ganze Geometrie.
Andere aber nehmen (nicht ohne einen groben Verstofs gegen
die strenge Logik) parallele Geraden dieser Art, nämlich gleich weit
von einander entfernte, von vorn herein als gegeben an, um von
da aus zum Beweise der anderen Sätze überzugehen.
Dies genüge, um den Leser auf das vorzubereiten, was den Gegen-
stand des ersten Buches meiner Abhandlung bilden wird, denn eine
ausfülirlichere Erklärung alles eben Gesagten wird in den Anmerkungen
hinter dem Lehrsatze XXI dieses Buches gegeben werden.
Ich teile dieses Buch in zwei Teile. In dem ersten werde ich
jenen älteren Geometern folgen und mich demnach nicht um die
Natur oder den Namen derjenigen Linie bekümmern, die in allen
ihren Punkten von einer angenommenen geraden Linie gleich weit
entfernt ist. Ich werde vielmehr blofs darauf ausgehen, das strittige
Euklidische Axiom ohne jeden Zirkelschlufs klar zu beweisen. Daher
werde ich von den früheren Sätzen des ersten Euklidischen Buches
weder den siebenundzwanzigsten noch den achtundzwanzigsten jemals
benutzen, ja nicht einmal den sechzehnten oder siebzehnten, aufser
wo es sich deutlich um ein auf allen Seiten begrenztes Dreieck
XI handelt. Dann werde ich in dem zweiten Teile, um eine neue Be-
stätigung desselben Axioms zu geben, beweisen, dafs die Linie, die in
allen ihren Punkten von einer angenommenen geraden Linie gleich-
o o O
weit entfernt ist, nur eine gerade Linie sein kann. Dafs aber bei
dieser Gelegenheit die ersten Grundsätze der Geometrie einer strengen
Prüfling zu unterwerfen sein werden, sieht jedermann ein.
Vorwort an den Leser. 47
Ich gelic zu den beiden anderen Makeln über, die man Euklid
vorgeworfen hat. Der erste bezieht sich auf die sechste Erklärung
des fünften Buches über proportionale Gröfsen , der zweite auf die
fünfte Erklärung des sechsten Buches über die Zusammensetzung von
Verhältnissen. Es wird das einzige Ziel meines zweiten Buches seiu,
die erwähnten Euklidischen Erklärungen eingehend zu erörtern und
zugleich zu zeigen, dafs Euklids Ruhm hier mit Unrecht angegriffen
worden ist.
Es ist indes nützlich, noch zu bemerken, dafs ich bei dieser Ge-
legenheit ein gewisses Axiom beweisen werde, das in der ganzen
Geometrie mit Sicherheit angewendet werden kann, ohne dafs ich jener
Forderung bedarf, die, wie mir scheint, von Erklärern unter dem
Namen eines Axioms eingeschoben worden ist, und deren Gebrauch
vom achtzehnten Satze des fünften Buches an beginnt.
XII Au Stelle eines Inlialtsverzeiclinisses glaube icli Folgendes
hinzufügen zu sollen.
1. Im Lehrsätze I und II des ersten Buches werden zwei Grund-
sätze aufgestellt, mit deren Hilfe in III und IV bewiesen wird, dafs die
inneren Winkel an der Verbindungsgeraden zwischen den Endpunkten
sleicher Senkrechten, die in zwei Punkten einer anderen Geraden,
der Grundlinie, nach derselben Seite (in derselben Ebene) errichtet
werden, nicht nur einander gleich, sondern aufserdem entweder rechte
oder stumpfe oder spitze sind, jenachdem jene Verbindungsgerade der
genannten Grundlinie gleich ist oder kleiner oder gröfser ist als diese,
und umgekehrt. von s. i an.
2. Hieraus wird Veranlassung genommen, drei verschiedene Hypo-
thesen zu unterscheiden, erstens die des rechten Winkels, zweitens die
des stumpfen und drittens die des spitzen. Von diesen Hypothesen
wird in den Lehrsätzen V, VI und VII bewiesen, dafs jede unter ihnen
immer allein die richtige ist, sobald sie sich in irgend einem beson-
deren Falle als richtig erweist. vou s. 5 an.
3. Nach Einschaltung dreier anderer unentbehrlicher Lehrsätze
wird in den Lehrsätzen XI, XII und XIII die allgemeine Gültigkeit
des bekannten Axioms für den Fall bewiesen, dafs ausschliefslich die
beiden ersten Hypothesen, die des rechten Winkels und die des stumpfen
Winkels, berücksichtigt werden, und endlich wird in Lehrsatz XIV
die vollständige Unrichtigkeit der Hypothese des stumpfen Winkels
nachgewiesen. Und von jetzt an beginnt ein langwieriger Kampf gegen
die Hypothese des spitzen Winkels, die allein der Wahrheit jenes
Axioms entgegensteht. von s. 10 an.
XIII 4. Daher wird in den Lehrsätzen XV und XVI bewiesen, dafs
der Reihe nach die Hypothese des rechten Winkels oder die des
stumpfen oder die des spitzen durch irgend ein geradliniges Dreieck
Ijedingt wird, dessen drei Winkel zusammen der Reihe nach gleich
zwei Rechten sind oder gröfser oder kleiner, und in ähnlicher Weise
durch irgend ein geradliniges Viereck, dessen vier W'inkel zusammen
der Reihe nach gleich vier Rechten sind oder gröfser oder kleiner.
Von S. 20 an.
5. Es folgen fünf weitere Lehrsätze, in denen andere Kennzeichen
zur Unterscheidung der wahren Hypothese von den falschen abgeleitet
werden. von s. 23 an.
Saccheri, Euclides ab omni nacvo vindicatus. — Inhaltsangabe. 49
6. Hier kommen vier wichtige Anmerkungen hinzu. In der
letzten wird eine gewisse geometrische Figur erklärt, an die Euklid
vielleicht gedacht hat, um sein Axiom als an und für sich einleuchtend
hinzustellen. In den drei vorhergehenden wird nachgewiesen, dafs die
früheren Versuche ausgezeichneter Geometer ihr Ziel nicht erreicht
haben. Weil aber das strittige Axiom ganz streng bewiesen werden
kann, wenn man von vornherein voraussetzt, dafs es zwei gerade
Linien giebt, die gleiche Entfernung von einander haben, so
macht der Verfasser dort darauf aufmerksam, dafs eine solche Vor-
aussetzung einen offenbaren Zirkelschlufs enthält. Und wenn man
sich hier auf die allgemein verbreitete Überzeugung und auf die Ge-
wifsheit der Erfahrung berufen will, so macht er wiederum darauf
aufmerksam, dafs man sich nicht auf Versuche berufen darf, die un-
endlich viele Punkte betreffen, da ein Versuch in Bezug auf irgend
einen Punkt genügen kann. An dieser Stelle bringt er drei eigene,
unwiderlegliche physikalisch- geometrische Beweismethoden, von s. 29 an.
7. Es bleiben bis zum Ende des ersten Teiles dieses Buches noch XIV
zwölf Lehrsätze übrig. Die einzelnen B ehauptuugen gebe ich nicht
an, weil sie zu verwickelt sind, sondern sage nur, dafs dort endlich
die widerspenstige Hypothese des spitzen Winkels einer offenbaren
Unrichtigkeit überführt wird, weil sie nämlich zwei gerade Linien
zulassen müfste, die in einem und demselben Punkte in derselben.
Ebene ein gemeinsames Lot hätten. Dafs dies der Natur der ge-
raden Linie widerstreitet, wird auf Grund von fünf Hilfssätzen be-
wiesen, in denen die fünf hauptsächlichsten Axiome der Geometrie
enthalten sind, die sich auf die gerade Linie und den Kreis beziehen,
nebst den zugehörigen Forderungen. von s. 43 an.
8. Der zweite Teil enthält sechs Lehrsätze. In ihm wird (bei
der Hypothese des spitzen Winkels) die Beschaffenheit der Linie unter-
sucht, die in allen ihren Punkten von einer angenommenen geraden
Linie die gleiche Entfernung hat. Es wird auf viele Arten gezeigt,
dafs sie der gegenüberliegenden Grundlinie gleich ist, woraus sich mit
vollständiger Sicherheit die Unrichtigkeit der erwähnten Hypothese
ergiebt. Deshalb wird endlich in dem letzten Lehrsatze XXXIX voll-
kommen streng jenes berühmte Euklidische Axiom bewiesen, auf dem
ja (wie jedermann weifs) die ganze Geometrie beruht, von s. st an [bis s. loi].
[Nunmehr folgt der Inhalt des zweiten Buches, das hier nicht in Betracht
kommt. Auf S. XVI befindet sich noch ein Di-uckfehlerverzeichuis.]
Htiickol u. Engel Parallelentheorio.
Euklid
von jedem Makel befreiet.
Erstes Biicli,
worin bewiesen wird:
Werden zwei gerade Linien, die in derselben Ebene liegen,
von einer dritten geschnitten, und sind die von dieser auf
derselben Seite gebildeten inneren Winkel zusammen kleiner
als zwei Rechte, so treffen die beiden Linien, ins Unendliche
verlängert, schliefslich auf dieser Seite zusammen.
Erster Teil.
Lehrsatz L Wenn zivei gleiche gerade Linien (Fig. 1) AC und BD
mit der Geraden AB auf derselben Seite gleiche Winlcel bilden, so behaupte
ich, dafs die Winhel an der Verbindungslinie CD
-r\D einander gleich sind.
Beweis. Man ziehe AD und CB und betrachte
die Dreiecke GAB und DBA. Ihre Grundlinien
GB und AD sind (nach I. 4*)) sicher gleich.
Darauf betrachte man die Dreiecke AGD und
BDC. Die Wmkel AGD und BDG sind (nach
L 8) sicher gleich. Was zu beweisen war.
Fig. 1.
Lehrsatz IL Hat man ein solches Vierech ABDG und halbiert die
2 Seiten AB und GD (Fig. 2) in den Pmikten M und H, so behaupte ich,
dafs die Winl'el an der Verbindungslinie 31 Häuf beiden Seiten rechte sind.
*) ri. 4 bedeutet: Satz 4 des ersten Buches der Euklidischen Elemente.]
Saccheri. — I. Buch, T. Teil. Lehrsatz I - III.
51
Beweis. Mau ziehe ÄH und BH, sowie CM und DM. Da in
dem Viereck die Winkel Ä und B gleich sein sollen, und da
ebenso (nach dem vorhergehenden Lehrsatze) die Winkel C und I)
gleich sind, so folgt aus I. 4 (da die Gleich-
heit der Seiten schon bekannt ist), dafs in
den Dreiecken CAM und DBM die Grund-
linien C3I und DM gleich sind, und ebenso
in den Dreiecken ACH und BBH die Grund-
linien AH und BH. Vergleicht man daher
die Dreiecke OHM und DHM und ebenso
die Dreiecke A3IH und BMH mit einander,
so ergiebt sich (aus I. 8), dafs die Winkel zu beiden Seiten der
Punkte M und H einander gleich und daher rechte sind. Was zu
beweisen war.
Lehrsatz IIL Wenn swei gleiche gerade Linien A C und BD (Fig. 3)
auf irgend einer Geraden AB senlireclit stehen, so behaupte ich, dafs
die Verhindungslinie CD enttveder gleich AB oder Jdeiner oder gröfser ist,
jenachdem die Winhel an CD rechte oder stumpfe oder spitze sind.
Beweis des ersten Teiles. Sind die beiden Winkel C und D
rechte, so sei, wenn das überhaupt möglich ist, die eine der beiden
Geraden, etwa DC, gröfser als die andere BA, Man nehme auf DC
das Stück DK gleich BA an und ziehe
AK. Da nun die gleich langen Geraden
BA und DK auf BD senkrecht stehen,
so sind (nach Lehrsatz I) die Winkel
BAK und DKA gleich. Das ist aber
widersinnig, da nach der Konstruktion
der Winkel BAK kleiner ist als der
Winkel BAC, der als rechter voraus-
gesetzt wurde, und da der Winkel DKA
nach der Konstruktion Aufsenwinkel und
somit (nach I. 16) gröfser ist, als der innere gegenüberliegende Winkel
DCA, der ein Rechter sein sollte. Mithin ist keine der genannten
Geraden DC und BA gröfser als die andere, sobald die Winkel an
der Verbindungslinie CD rechte sind, und daher sind sie einander
gleich. Was an erster Stelle zu beweisen war.
Beweis des zweiten Teiles. Wenn aber die Winkel an der Ver- 3
bindungslinie CD stumpf sind, so halbiere man AB und CD in den
Punkten M und H und ziehe MH Da nun (nach dem vorhergehenden
Lehrsatze) die beiden Geraden AM und CH auf der Geraden MH
52
Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
senkrecht steheD, und da der Winkel Ä an der Verbindungslinie AC
ein Rechter sein sollte, so ist (nach Lehrsatz I) die Gerade CH nicht
gleich AM, denn in C ist kein rechter Winkel vorhanden*),
Sie kann aber auch nicht gröfser sein. Sonst wären nämlich,
wenn man auf HC das Stück KH gleich A3I annähme, (nach Lehr-
satz 1) die Winkel an der Verbindungslinie AK gleich. Das ist
aber, wie vorhin, widersinnig. Denn der Winkel 31 AK ist kleiner
als ein Rechter, und der Winkel HKA ist (nach L 16) gröfser als der
innere gegenüberliegende Winkel HCA, der als stumpf vorausgesetzt
wurde**). Daher bleibt nur übrig, dafs C^ kleiner ist als A3I, sobald
die Winkel an der Verbindungslinie CD als stumpf vorausgesetzt
werden, und deshalb ist CD, das Doppelte der ersten Linie, kleiner als
Al>, das Doppelte der zweiten. Was au zweiter Stelle zu beweisen war.
Beweis des dritten Teiles. Sind endlich die Winkel an. der Ver-
bindungslinie CD spitz, so zieht man in derselben Weise (nach dem
vorhergehenden Lehrsätze) die Senkrechte 3IH und verfährt, wie folgt:
Da die beiden Geraden A3I und CH auf der Geraden 3IH
senkrecht stehen, und da der Winkel A an der Verbindungslinie AC
ein Rechter sein sollte, so ist (wie vorhin) die Gerade CH nicht
gleich A3I, denn in C ist kein rechter Winkel vorhanden**),
Sie kann aber auch nicht kleiner sein. Sonst wären nämlich, wenn
man HC verlängerte und HL gleich A3I annähme, (wie vorhin) che
Winkel an der Verbindungslinie AL
gleich. Das ist aber widersinnig. Denn
der Winkel 31 AL ist nach der Kon-
struktion gröfser als 31 AC, der als rech-
ter angenommen war, und der Winkel
HLA ist nach der Konstruktion ein
innerer gegenüberliegender Winkel und
somit (nach I 16) kleiner als der Aufsen-
winkel HCA, der als spitz angenommen
war. Daher bleibt 'nur übrig, dafs CH
gröfser ist als A3I, sobald die Winkel an der Verbindungslinie CD
spitz sind, und deshalb ist CD, das Doppelte der ersten Linie, gröfser als
AB, das Doppelte der zweiten. Was an dritter Stelle zu beweisen war.
Demnach mufs die Verbindungslinie CD gleich J.B sein oder kleiner
*) (Besser wäre es, zu sagen: denn die Winkel in Ä und C sind nicht gleich.]
''") [Der Satz vom Aufsenwinkel (I. 16), der hier benutzt wird, setzt die un-
endliche Länge der geraden Linie voraus (vgl. die Anmerkung zu I. 16, S. 11) und
ist bei der Hypothese des stumpfen Winkels nicht allgemein gültig. Deshalb sind
alle hier und im Folgenden gegebenen Beweise für Sätze, die bei der Hypothese
des stumpfen Wmkels gelten sollen, ungenügend.]
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz III, Zusatz [ — III. 53
oder gröfser, jenachdem die Winkel au CT) rechte oder stumpfe oder 4
spitze sind. Was zu beweisen war.
Zusatz I. Enthält daher ein Viereck drei rechte Winkel und einen
stumpfen oder spitzen, so ist in ihm jede dem nicht rechten Winkel
anliegende Seite kleiner als die gegenüberliegende, wenn der Winkel
stumpf ist, wenn er aber spitz ist, gröfser. Denn für die Seite CH,
im Vergleich zu der gegenüberliegenden Seite AM, ist das schon be-
wiesen, und auf ähnliche Art zeigt man es von der Sei ' e A C, im Ver-
gleich zu der gegenüberliegenden Seite 3IH.
Da nämlich die Geraden AC und MH auf AM senkrecht stehen,
so können sie wegen der Ungleichheit der Winkel an der Verbindungs-
linie CH (nach Lehrsatz I) nicht gleich sein. Es kann aber auch
nicht (bei der Annahme eines stumpfen Winkels in C) ein Stück AN
von AC gleich 3IH sein, indem nämlich AC gröfser wäre, als diese
Gerade, denn sonst wären die Winkel an der Verbindungslinie HN
(wieder nach Lehrsatz I) gleich, was widersinnig ist, wie vorhin.
Nähme man aber wiederum an (wenn der Winkel im Punkte C
spitz ist), dafs eine auf der Verlängerung von ^C gewählte Gerade AX
gleich 31 H wäre, indem nämlich ^ C kleiner wäre als diese Gerade, so
wären aus demselben Grunde die Winkel an HX gleich, was, ebenso
wie vorhin, ganz widersinnig ist.
Daher bleibt nur übrig, dafs bei der Annahme eines stumpfen
Winkels im Punkte C die Seite AC kleiner ist als die gegenüber-
liegende Seite 3£]I, bei der Annahme eines spitzen Winkels aber
gröfser. Was behauptet war.
Zusatz IL Noch viel gröfser aber ist CH als irgend ein Stück
von A3I, zum Beispiel als FM, wenn nämlich die Verbindungslinie
CP mit CH auf der Seite des Punktes H einen noch spitzeren Winkel 5
und mit PM auf der Seite des Punktes 31 (wegen L 16) einen
stumpfen Winkel bildet'").
Zusatz in. Alles dies gilt ferner" nicht blofs, wenn wir den an-
genommenen Loten AC und BD eine bestimmte Länge beilegen,
sondern auch, wenn sie unendlich klein sind oder als unendlich klein
*) [Dieser Zusatz II des Lehrsatzes III wird später mehrfach benutzt und zwar
in der Bedeutung, dafs bei jedem Viereck HCFM, bei dem die Winkel in H
und M i'echte sind, während iu C ein spitzer, in P ein stumpfer Winkel vor-
handen ist, PM kleiner als CH sein mufs. Aus der Fassung des Zusatzes ist
das nicht ohne Weiteres klar, aber der Betveis des dritten Teiles läfst sich in der
That sisMf jedes derartige Viereck HCPM anwenden.
54 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindlcatus.
vorausgesetzt werden. Es ist zweckmäfsig, sich das bei den folgendeu
Lelirsätzeu zu merken.
Lekrsatz IV. Unigclchrt ahcr sind (in derselben Figur, wie hei dem
vorhergehenden Lehrsätze) die Winlcel an der Verhindungslinie CD reehte
oder stumpfe oder spitze, je naehdem die Gerade CD gleich der gegen-
üherliegenden ÄJB ist oder Meiner oder gröfser.
Beweis. Wenn nämlicli die Gerade CD der gegenüberliegenden
AB gleich ist, und nichtsdestoweniger die Winkel an ihr stumpf oder
spitz sind, so beweisen gerade diese Winkel (nach dem vorhergehenden
Lehrsatze), dafs sie der Gegenseite AB nicht gleich ist, sondern kleiner
oder gröfser, was gegen die Annahme verstöfst.
Dasselbe gilt iu gleicher Weise für die übrigen Fälle.
Die Winkel an der Verbindungslinie CD sind demnach sicher
rechte oder stumpfe oder spitze, jenachdem die Gerade CD der gegen-
überliegenden AB gleich ist oder kleiner oder gröfser. Was zu be-
weisen war.
Erklärungen. Weil (nach Lehrsatz 1) die Verbindungsgerade
zwischen den Endpunkten gleicher Senkrechten, die auf derselben Ge-
raden errichtet sind (wir werden diese letztere Grundlinie nennen),
6 gleiche Winkel mit diesen Loten bildet, so sind infolgedessen drei
Hypothesen je nach der Art dieser Winkel zu unterscheiden. Und
zwar werde ich die erste die Hypothese des recJdcn Winl-els nennen, die
zweite und die dritte aber die Hypothese des stumpfen WinJcels und die
Hypothese des spitzen WinJiels.
Lehrsatz V. Wenn die Hypothese des rechten WinMs auch mir in
einem Falle richtig ist, so ist sie imm^r in jedem, Falle allein die richtige.
Beweis. Die A^erbindungslinie CD (Fig. 4)
bilde rechte Winkel mit irgend zwei gleichen
Senkrechten AC und BD, die auf irgend einer
Geraden AB errichtet sind. Dann ist (nach Lehr-
satz III) CD gleich AB. Man nehme nun auf
den Verlängerungen von AC und BD zwei Stücke
CR und DX, die gleich AC und BD sind, und
ziehe BX. Dann zeigt man leicht, dafs die Ver-
Fig. 4. bindungslinie RX gleich AB ist, und die Winkel
an ihr rechte sind. Einmal nämlich, indem man das
Viereck ABDC, unter Benutzung der gemeinsamen Grundlinie CD, auf
das Viereck CDXR legt. Eleg-anter aber verfährt man so.
I. Buch , I. Teil. — Lehrsatz IV. Erklärungen. Lehrsatz V. 55
Man ziehe ÄD uutl BD. Nun sind (nach I, 4) in den Dreiecken
ÄCD und RCD die Grundlinien J.D und BD und ebenso die Winkel
CDA und CDU sicher gleich. Deshalb sind auch ihre Ergänzungen
zu einem Rechten, ADB und BDX, gleich. Mithin ist wiederum
(auch nach I. 4) in den Dreiecken ADB und BDX die Grundlinie
AB gleich der Grundlinie BX. Folglich sind (nach dem vorher-
gehenden Lehrsatze) die Winkel an der Verbindungslinie BX rechte,
und wir kommen daher wieder auf die Hypothese des rechten Winkels*).
Da nun auf diese Weise, während die Grundlinie AB beibehalten
wird, die Länge der Senkrechten bis ins Unendliche vermehrt werden
kann**), ohne dafs die Hypothese des rechten Winkels jemals zu be-
stehen aufhört, so mufs noch bewiesen werden, dafs diese Hypothese
auch im Falle einer beliebigen Verkleinerung derselben Senkrechten
immer gültig bleibt. Und das erhärtet man so.
Man nehme auf AB und BX zwei beliebige gleiche Senkrechte 7
AL und BK und ziehe LK, Sind die Winkel an der Verbindungs-
linie LK keine rechten, so sind sie doch (nach Lehrsatz I) gleich.
Sie sind also auf der einen Seite, etwa auf der von AB, stumpf und
auf der von BX spitz, denn die Winkel zu beiden Seiten jedes dieser
Funkte sind (nach L 13) gleich zwei Rechten. Aber auch die auf
BX senkrecht stehenden Geraden LB und KX sind sicher einander
gleich. Also ist (nach Lehrsatz HI) LK gröfser als die gegenüber-
liegende Seite BX und kleiner als die gegenüberliegende Seite AB.
Das ist aber widersinnig, denn es ist bewiesen, dafs AB und
BX gleich sind. Daher bleibt die Hypothese des rechten Winkels,
wenn nur die einmal angenommene Grundlinie festgehalten wird, bei
beliebiger Verkleinerung der Lote unverändert erhalten.
Aber die Hypothese des rechten Winkels bleibt auch dann un-
verändert erhalten, wenn man die Grundlinie irgendwie verkleinert oder
vergröfsert, denn es ist klar, dafs man als Grundlinie jede der Senk-
rechten BK oder BX ansehen darf, und dafs man entsprechend AB
und die gleiche gegenüberliegende Gerade KL, oder auch XB, als Senk-
rechte ansehen darf.
Somit steht fest, dafs die Hypothese des rechten Winkels, wenn
sie auch nur in einem Falle richtig ist, immer in jedem Falle allein
die richtige ist. Was zu beweisen war.
*) [Den zweiten Beweis bezeichnet Saccheri als eleganter, weil er streng
Euklidisch ist. Aber auch bei ihm mufs man eine Umklappung um die Grundlinie Gl)
vornehmen, nämlich AGB auf RGD legen, sodafs die eigentliche Schwierigkeit
in Wahrheit bestehen bleibt; vergl. auch die Anmerkung zu Euklid L 4, S. 8.]
*") [Man beachte, dafs hier die unendliche Länge der geraden Linie als etwas
Selbstverständliches hingestellt wird. Vgl. die zweite Anmerkung zu S. 52.]
;"-)(', Sacchcii, Euclides ao omni naevo vindicatus.
Lehrsatz VI. Wcini die Hijpothcse des stumpfen WinMs auch
nur in einem Falle richfifj ist, so ist sie immer in jedem Falle allein
die richtige.
Beweis. Die Vei-biuduugslinie CD (Fig. 5) bilde stumpfe Winkel mit
irgend zwei gleichen Senkrechten AC und BB, die auf irgend einer Ge-
raden AB errichtet sind. Dann ist (nach Lehrsatz III)
i?i i-T CD kleiner als AB. Man verlängere AC und BD,
nehme auf ihnen irgend zwei einander gleiche Stücke
CR und DX an und ziehe BX. Jetzt untersuche
ich die Winkel an der Verbindungslinie i?X, die ja
(nach Lehrsatz I) einander gleich sind.
^ Wenn sie stumpf sind, haben wir unsre Be-
hauptung. Sie sind jedoch auch keine Rechten, Aveil
S'^'
A
i-jg. 5. wir dann einen Fall def Hypothese des rechten
Winkels hätten und also (nach dem vorhergehenden
Lehrsatze) für die Hypothese des stumpfen Winkels kein Platz übrig
bliebe. Sie sind indes auch nicht spitz.
Dann wäre nämlich (nach Lehrsatz III) PiX. gröfser als AB
und daher noch viel gröfser als CD. Dafs dies jedoch nicht eintreten
kann, zeigt man so. Denkt mau sich das Viereck CDXR mit Ge-
raden angefüllt, die von CR und DX gleiche Stücke abschneiden, so
zieht dies nach sich, dafs man von der Geraden CD, die kleiner als
AB ist, 7A\ der gröfseren Geraden RX nur durch Vermittelung einer
gewissen, AB gleichen Geraden ST übergehen kann*). Dafs hierin
aber bei dieser Hypothese ein Widerspruch liegt, geht daraus hervor,
dafs man alsdaini (nach Lehrsatz IV) einen Fall für die Hypothese
des rechten '\^'inkels hätte, der (nach dem vorhergehenden Lehrsatze)
für die Hypothese des stumpfen Winkels keinen Platz übrig liefse.
Mithin müssen die Winkel an der Verbindungslinie RX stumpf sein.
Nimmt man weiter auf AC und BD selbst gleiche Stücke AL
und BK an, so läfst sich in ähnlicher Weise zeigen, dafs die Winkel
an der Verbindungslinie LK auf der Seite von AB nicht spitz sein
können. Sonst wäre nämlich diese Verbindungslinie gröfser als AB
und daher noch viel gröfser als CD. Hieraus aber fände man, wie
vorhin, eine Zwischenlinie zwischen CD, das kleiner, und LK, das
gröfser als AB ist, eine Zwischenlinie sage ich, die gleich AB ist,
und die liefse, wie schon bekannt, für die Hypothese des stumpfen
Winkels überhaupt keinen Platz. Endlich können aus demselben
*') [Hierbei wird nämlich stillschweigend vorausgesetzt, dafs die Länge der
Geraden bei dem Übergange von CD nach RX sich stetig ändert. Die Be-
hauptung ist jedoch, wie Lamlert gezeigt hat, von dieser Voraussetzimg unabhängig.]
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz VI, VII. 57
Grunde die Winkel an der Verbindungslinie LK keine rechten sein.
Folglicli sind sie stumpf.
Wenn also auf derselben Grundlinie AB die Senkrechten beliebig
vergröfsert oder verkleinert werden, so bleibt stets die Hypothese des
stumpfen Winkels erhalten.
Dasselbe mufs aber auch gezeigt werden, wenn die Grundlinie be-
liebig angenommen wird. Zur Grundlinie wähle man (Fig. 6) irgend
eine der genannten Senkrechten, zum Beispiel I>X Man halbiere
AB und jRX in den Punkten 31 und H und ziehe
MH. Dann steht (nach Lehrsatz 11) 3IH senk-
recht auf AB und auf BX. Nun ist, nach unsrer
Annahme, der Winkel beim Punkte B ein rechter,
der beim Punkte X, wie schon bewiesen, ein
stumpfer. Man mache also den Winkel BXP auf
der Seite von 31 H gleich einem Rechten. Dann
trifft XP die Gerade 3IH in einem gewissen
Punkte P, der zwischen den Punkten 31 und \ffliegt,
denn erstens ist der Winkel BXH stumpf, und
zweitens ist, wenn noch X3I gezogen wird, (nach
T. 17) der Winkel BX3I spitz. W^eiter aber enthält das Viereck XB3IF,
wie schon bekannt, drei rechte Winkel und (nach I. 16) im Punkte P
einen stumpfen, denn dieser ist Aufsenwinkel für den inneren, gegen-
überliegenden rechten Winkel an der Ecke H des Dreiecks PHX.
Mithin ist die Seite XP (nach Zusatz I hinter lichrsatz III) kleiner
als die gegenüberliegende Seite B3I. Nimmt man daher auf B3I
ein Stück BF gleich XP an, so sind (nach Lehrsatz I) die Winkel
an der Verbindungslinie PF einander gleich, und zwar stumpf, da
der Winkel BFP (nach I. 16) stumpf ist wegen des inneren gegen-
überliegenden rechten Winkels FMP. Mithin besteht für jede be-
liebige Grundlinie BX die Hypothese des stumpfen Winkels.
Es gilt aber, wie vorhin, dieselbe Hypothese auch, wenn unter
Beibehaltung der Grundlinie BX die gleichen Senkrechten beliebig
vergröfsert oder verkleinert werden. Demnach steht fest, dafs die
Hypothese des stnmpfen Winkels, wenn sie auch nur in einem Falle
richtig ist, immer in jedem Falle allein die richtige ist. Was zu be-
weisen war.
Lehrsatz VIL Wenn die Hypothese des spitzen WinJccls auch nur in
einem Falle richtig ist, so ist sie immer in jedem Falle allein die richtige.
Der Beweis ist sehr leicht. Wäre nämlich mit der Hypothese
des spitzen Winkels auch nur irgend ein Fall einer der beiden Hypo-
58 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
thescii des rechten oder des stumpfen Winkels verträglieli, so bliebe
10 (nach den beiden vorhergehenden Lehrsätzen) kein Platz für eben
diese Hypothese des spitzen AViukels, was widersinnig ist. Wenn also
die Hypothese des spitzen Winkels auch nur in einem Falle richtig
ist, so ist sie immer in jedem Falle allein die richtige. Was zu be-
weisen war.
Lehrsatz VHL Gegeben sei irgend ein Breiech ABB (Fig. 7), das
in B rechtivinldig ist. Man verlängere BA his mi einem heliebigen
Piüilie X und siehe durch A, auf AB senh-echt, HA C, wo H innerhalb
des WinJiels XAB liege. Ich hehaupte, dafs der üufsere Winlicl XAH
gleich dem inneren gcgeniiherlicgenden Winliel ABB oder Jcleiner oder grüfser
als dieser ist, jenachdem die Hypothese des rechten WinJcels oder die des
stumpfen WinJicls oder die des spitzen WinJcels richtig ist. Und umgekehrt.
Beweis. Man nehme auf HC ein Stück AC gleich BB an und
ziehe CB. Dann ist bei der Hypothese des rechten Winkels (nach
Lehrsatz HI) CB gleich AB. Daher ist (nach L 8)
der Winkel ABB gleich dem AVinkel BAC oder
dem (nach L 15) ebenso grofsen Winkel XAH.
VsAS an erster Stelle zu beweisen war.
Weiter ist bei der Hypothese des stumpfen
Winkels (wieder nach Lehrsatz HI) CB kleiner
als AB. Daher ist in den Dreiecken ABB und
BAC (nach I. 25) der Winkel BAC oder (sein
Fi?. 7. Scheitelwinkel) XAH kleiner als der Winkel
ABB. Was an zweiter Stelle zu beweisen war.
Endlich ist bei der Hypothese des spitzen "Winkels (wieder nach
Lehrsatz Hl) CB gröfser als die Gegenseite AB. Daher ist in den
erwähnten Dreiecken (wieder nach 1. 25) der Winkel BAC oder (sein
Scheitelwinkel) XAH gröfser als der Winkel ABB. Was an dritter
Stelle zu beweisen war.
Ist aber umgekehrt der Winkel CAB oder sein Scheitelwinkel
XAH gleich dem inneren gegenüberliegenden Winkel ABB, »o ist
(nach I. 4) die Verbindungslinie CB gleich AB, und deshalb (nach
11 Lehi'satz IV) die Hypothese des rechten Winkels richtig.
Werm dagegen der W^inkel CAB oder sein Scheitelwinkel XAH
kleiner oder gröfser ist, als der iunere gegenüberliegende Winkel ABB,
so ist (nach 1. 24) auch die Verbindungslinie CB kleiner oder gröfser
als AB, und deshalb ist (nach Lehrsatz IV) jenachdem die Hypo-
these des stumpfen oder die des spitzen Winkels richtig. Und das
ist alles, was zu beweisen war.
T. Buch", I. Teil. — Lehrsatz VH-X. 59
Lehrsatz IX. In jedem recliUvinläigen Dreicclc sind die leiden übrigen
spitsen WinJcel zusammengenommen gleich einem Bechten hei der Hypo-
these des rechten Winkels, gröfser als ein Bechter hei der Hypothese des
stumpfen Winkels und Meiner als ein Bechter hei der Hypothese des
spitzen Winkels*).
Beweis. Ist nämlich der Winkel XAH (in derselben Figur, wie
bei dem vorhergehenden Lehrsatze) gleich dem Winkel ADJB (versteht
sieh, bei der Hypothese des rechten Winkels, nach dem vorhergehenden
Lehrsatze), so ergiebt der Winkel ABB mit dem Winkel HAB zu-
sammen zwei Rechte, da ja (nach L 13) der schon genannte Winkel
XAH mit demselben Winkel HAB zwei Rechte ergiebt. Also bleibt,
wenn man den rechten Winkel HAB wegnimmt, die Summe der
Winkel ABB und BAB gleich einem Rechten. Das war das Erste.
Ferner aber, ist der Winkel XAH (versteht sich, bei der Hypo-
these des stumpfen Winkels, nach dem vorhergehenden Lehrsatze)
kleiner als der Winkel ABB, so ergiebt der Winkel ABB zusammen
mit dem Winkel HAB mehr als zwei Rechte, da der Winkel XAH
(wieder nach L 13) mit diesem zusammen zwei Rechte ergiebt. Also
bleibt, wenn man den rechten Winkel HAB wegnimmt, die Summe der
Winkel ABB und BAB gröfser als ein Rechter. Das war das Zweite.
Endlich, ist der Winkel XAH (versteht sich, bei der Hypothese
des spitzen Winkels, nach dem vorhergehenden Lehrsatze) gröfser als
der Winkel ABB, so ergiebt der Winkel ABB zusammen mit dem
AVinkel HAB weniger als zwei Rechte, da der Winkel XAH (aber-
mals nach L 13) mit diesem zusammen zwei Rechte ergiebt. Also l*-
bleibt, wenn man den rechten Winkel HAB wegnimmt, die Summe der
Winkel ABB und BAB kleiner als ein Rechter. Das war das Dritte.
Lehrsatz X. Steht die Gerade BB (Fig. 8) scnhrecht auf irgend
einer Geraden ABM, und ist die VerhindungsUme B3I gröfser cds die
Verbindungslinie BA, so ist auch die Grundlinie B3I gröfser als die
Grundlinie BA, und umgekehrt.
Beweis. Zunächst sind diese Grundlinien nicht einander gleich,
denn sonst wären (nach I. 4), gegen die Voraussetzung, auch AB und
BM einander gleich. Es ist aber auch BA nicht gröfser als BM.
*) [Saccheri sagt „die beiden übrigen spitzen Winkel", indem er I. 17 be-
nutzt, wonach die Summe zweier Dreieckswinkel stets kleiner als zwei Rechte
ist. Lässt man aber die Hypothese des stumpfen Winkels zu, so gilt der Satz
I. 17 nicht mehr, denn er ist ja eine unmittelbare Folge des Satzes I. 16 über
den Aufsenwinkel. In der That beweist Saccheri später, in Lehrsatz XIV, dafs
die Hypothese des stumpfen Winkels sich selbst zerstört, indem sie auf einen Wider-
spruch gegen I. 17 führt. Vergl. auch die zweite Anmerkung auf S. 52.]
6(»
Sacclieri, Euclides ab omni naevo viudicatus.
Sonst wären nämlich, wenn mau auf BA ein Stück BS gleich B3I an-
nähme und SD zöge, (wieder nach I. 4) die Winkel BSD und BMD
bleich. Nun ist (nach I. 16) der
Winkel BSD gröfser als der Winkel
BAD. Es wäre also auch der
Winkel BMD gröfser als dieser.
Das verstöfst aber gegen I. 18, da
nach der Voraussetzung in dem
Dreieck MDA die Seite DM gröfser
ist als die Seite DA. Es bleibt also nur übrig, dafs die Grundlinie
B3I gröfser ist als die Grundlinie BA. Das war an erster Stelle zu
beweisen.
Wenn zweitens eine der beiden Grundlinien, zum Beispiel (um
die Figur beizubehalten) BA, gröfser als die andere B3I angenommen
wird, so ist die Verbindungslinie DS, die von BA ein Stück SB
gleich B3I abschneidet, (nach I. 4) gleich der Verbindungslinie D3L
Ferner wird (nach I. 16} der Winkel DSA stumpf und (nach I. 17)
der Winkel DAS spitz. Deshalb ist (nach I. 19) die Verbindungs-
linie DA gröfser als die Verbindungslinie DS und auch gröfser als
die Verbindungslinie D3I, die nach der Annahme gleich DS ist. Das
war an zweiter Stelle zu beweisen.
Mithin ist die Behauptung durchaus richtig.
LS Lehrsatz XI. Eine Gerade AP (von heliebiger Länge) schneide
Zivei Gerade l'L und AD (Fig. 0), und mar die erste in P unter
i"ig. 9.
einem rechten Winlet, die zweite aber in A unter einem heliebigen spitzen
Winlcel, der sich nach der Seite von PL hin öffnet Ich hehaupte, dafs (hei
der Hypothese des rechten WinJcels) die Geraden AD und PL in
einrm gcn-issrn Punlte, und zwar in endliche)' oder hegrenzter Entfernung,
schJiefslich zusammentreffen zcerden, zvenn man sie nach der Seite ver-
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz X, XI. 61
lungert, ivo sie mit der Grundlinie AP zivei Winlicl bilden, die zu-
sammen Meiner sind als zwei Hechte.
Beweis. Man verlängere J)A naeli der andern Seite bis zu einem
beliebigen Punkte X und ziehe durch A die Gerade HAC senkrecht
zu AP, wo der Punkt H innerhalb des Winkels XAP liegt. Dann
nehme man auf der Verlängerung von AD nach der Seite von PL
zwei gleich lange Strecken AD und DF an und fälle auf die Grund-
linie AP die Lote DB und FM, die wegen I. 17 stets in das Innere
des spitzen Winkels DAP fallen. Man ziehe noch DM. Ich mufs
zeigen, dafs die Verbindungslinie DM gleich DF oder DA wird.
Zunächst kann D3I nicht gröfser als DF sein. Sonst wäre
nämlich (nach I. 18) der Winkel DMF kleiner als der Winkel DFM
oder als der diesem gleiche Winkel XAH (nach Lehrsatz VIIT, im Fall
der Hypothese des rechten Winkels) oder als sein Scheitelwinkel CAD.
Mithin wäre (da der Voraussetzung nach die Winkel CA 31 und FMA
gleich sind, nämlich rechte) der übrig bleibende Winkel DMA
gröfser als der übrig bleibende Winkel DAM. Das ist aber wider-
sinnig (gegen I. 18), weil ja D3I gröfser als DF oder DA an-
genommen ist.
Es ist aber auch D3I nicht kleiner als DF. Sonst wäre nämlich
(auch nach I. 18) der Winkel D3IF gröfser als der Winkel DF3I
oder als der ihm gleiche Winkel XAH (nach dem erwähnten Lehr-
satze VIII, im Fall der Hypothese des rechten Winkels) oder als
sein Scheitelwinkel CAD. Mithin wäre wiederum, wie vorhin, der
übrig bleibende Winkel D3IA nicht gröfser sondern kleiner als der 14
übrig bleibende Winkel DA3I. Das ist aber widersinnig (auch gegen
I. 18), weil ja D3I kleiner als DF oder DA angenommen wurde.
Es bleibt daher nur übrig, dafs die Verbindungslinie D3I gleich
DF oder DA wird. Deshalb sind (nach I. 5) in dem Dreieck DA3I
die W^inkel an den Ecken A und 3f gleich und mithin (nach I. 26)
in den Dreiecken DBA und DB3I, die in B rechtwinklig sind, die
Grundlinien AB und B3I gleich. Darauf aber kam es hier an.
Da somit (wenn man auf der Verlängerung von AD die Strecke
AF doppelt so grofs als AD nimmt) das auf die Grundlinie AP ge-
fällte Lot F3I von AP nach P hin eine Grundlinie A3I abschneidet,
doppelt so grofs als die Grundlinie AB, welche das von D aus ge-
fällte Lot abschneidet, so ist klar, dafs diese Verdoppelung der vor-
hergehenden Strecke so oft geschehen kann, dafs man auf diese Art
zu einem Punkte T in der Verlängerung von AD gelangt, bei welchem
das von ihm auf die Verlängerung von AP gefällte Lot eine Grund-
linie APi, abschneidet, die gröfser ist als das beliebige, endliche AP.
C2
Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Dies kauu jedoch sicher uicht eintreten, wenn nicht vorher die Ver-
längerung von AD einen gewissen Punkt L von TL getroffen hat.
Wenn nämlich der Punkt T vor jenem Zusammentreffen läge, so
müfste das Lot TU dieselbe Gerade PL in einem Punkte K schneiden.
Dann aber befänden sich bei dem Dreieck KPE in den Ecken P
und jR zwei rechte Winkel, was gegen I. 17 verstöfst.
Demnach steht fest, dafs die beiden Geraden AD und PL (iui
Fall der Hypothese des rechten Winkels) einander in einem Punkte
treffen werden (und zwar in einem endlichen oder begrenzten Abstände),
wenn sie nach der Seite hin verlängert werden, auf der sie mit der
Grundlinie AP (von beliebiger, endlicher Länge) zwei Winkel bilden,
die zusammen kleiner sind als zwei Rechte. Was zu beweisen war.
13 Lehrsatz XII. Wiederum heliaupte ich, dafs auch hei der Hypo-
these des stumpfen Winkels die Gerade AD irgemlwo auf jener Seife
die Gerade PL treffen wird (und zwar in einem endlichen oder be-
grenzten Abstände)'^).
Beweis. Ist nämlich, wie bei dem vorhergehenden Lehrsatze, DF
gleich AD gemacht [Fig. 10] und sind die schon bekannten Lote ge-
fällt, so mufs ich zeigen, dafs die Verbindungslinie D3I gröfser ist
als DF oder DA, und dafs mithin (nach Lehrsatz X) BM gröfser
ist als AB.
Zunächst wird DM nicht gleich DF sein. Sonst wäre nämlich
(nach I. 5) der Winkel D3IF gleich dem Winkel DFM und mithin
(nach Lehrsatz VllI, im Fall der Hypothese des stumpfen Winkels)
gröfser als der äufsere Wiukel XAH oder als sein Scheitelwinkel
CAF. Mithin wäre (da der Voraussetzung nach die Winkel CAM
und FMA gleich sind, nämlich rechte) der übrigbleibende Winkel
DMA kleiner als der übrigbleibende Winkel DAM. Das verstöfst
aber gegen I. 5, weil ja DM gleich DF oder DA sein sollte.
*) [Dieser Satz ist richtig, wälirend der folgende Beweis beanstandet werden
mufs, da in ihm der Satz vom Aufsenwinkel (I. 16) verwendet wird, der bei der
Hypothese des stumpfen Winkels seine Gültigkeit verliert.]
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XI — XIII. 63
Es ist aber DM aucli nicht kleiner als BF oder DA. Sonst
wäre nämlich (nach I. 18) der Winkel DMF gröfser als der Winkel
DFM und. mithin (bei der gegenwärtigen Hypothese des stumpfen
Winkels) noch viel gröfser als der äufsere Winkel XÄII oder sein
Scheitelwinkel CAD. Mithin Aväre wieder, wie vorhin, der übrig-
bleibende Winkel DMA viel kleiner als der übrigbleibende Winkel
DAM. Das verstöfst aber wieder gegen I. 18, weil ja DM kleiner
sein sollte als DF oder DA.
Es bleibt also nur übrig, dafs die Verbindungslinie D3I gröfser
ist als DF oder DA, und dafs daher (nach Lehrsatz X) BM gröfser
ist als AB. Darauf aber kam es hier an.
Da mithin, wenn man in der Verlängerung von AD eine Strecke
AF doppelt so grofs als die Strecke AD nimmt, das auf die Grund-
linie AP gefällte Lot FM von dieser mehr als doppelt so viel ab-
schneidet, als das von D auf sie gefällte Lot, so kommt man bei der IG
Hypothese des stumpfen Winkels noch bei Weitem schneller als vorhin
bei der Hypothese des rechten Winkels zu einer so grofsen Strecke,
dafs das von ihrem Endpunkte aus gefällte Lot eine Grundlinie ab-
schneidet, die gröfser ist als die beliebig grofse, gegebene AP. Das
kann aber, wie bei dem vorhergehenden Lehrsatze, nicht eintreten,
wenn nicht vorher die Verlängerung von AD einen gewissen Punkt
von PL, und zwar in einer endlichen oder begrenzten Entfernung ge-
troffen hat. Was zu beweisen war.
Lehrsatz XHL Wenn eine Gerade XA (von beliebig gröfser ge-
gebener Länge) die beiden Geraden AD und XL schneidet und mit ihnen
auf derselben Seite (Fig. 11) innere Winkel XAD und AXL bildet, die
zusammen Meiner als Bwei Beeide
sind, so behaupte ich, dafs diese
beiden Geraden (auch wenn keiner
von jenen beiden Winkeln einBechter
ist) endlich in einem Punlite auf der
Seite jener Winkel msammentreffen
IV er den, und stvar in einem endlichen oder begrenzten Abstände, sobald
eine der beiden Hypothesen entweder die des rechten oder die des
stumpfen Winkels besteht*).
Beweis. Einer der genannten Winkel, zum Beispiel AXL, wird
spitz sein. Wenn man daher vom Scheitelpunkte des andern Winkels
auf XL das Lot AP fällt, so liegt es (wegen L 17) stets im Innern
*) [Auch hier gilt, was bereits in der Anmerkung zu Lehrsatz XII gesagt
■worden ist.]
64 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
tles spitzen Winkels ÄXL. Da nun in dem Dreieck APX, das bei
P rechtwinklig ist, die beiden spitzen Winkel FAX und PXÄ (nacli
Lehrsatz IX) zusammengenommen nicht kleiner sind als ein Rechter,
sowohl bei der Hypothese des rechten als bei der des stumf)fen
Winkels, so wird, wenn man diese beiden AVinkel von der Summe
der vorgelegten abzieht, der übrig bleibende Winkel PÄD kleiner
als ein Kechter sein. Mithin sind wir im Falle der beiden vorher-
gehenden Lehrsätze, da ja eine von beiden Hypothesen, entweder die
des rechten Winkels oder die des stumpfen Winkels besteht. Dem-
nach werden (nach denselben Lehrsätzen) die Geraden AD und PL
oder XL in einem Punkte von endlichem oder begrenztem Abstände
17 auf der bekannten Seite zusammentreffen, sowohl bei der einen als
auch bei der andern der vorhin erwähnten Hypothesen. Was zu be-
weisen war.
Anmerkuiig L Hier möge ein beachtenswerter Unterschied gegen-
über der Hypothese des spitzen Winkels angemerkt werden. Denn
bei dieser kömite man das Zusammentreffen derartiger Geraden nicht
allgemein beweisen, so oft nämlich eine Gerade, die zwei andere
schneidet, auf einer Seite zwei innere Winkel bildet, die zusammen
kleiner sind als zwei Rechte. Man könnte es, sage ich, nicht einmal
dann direkt beweisen, w^enn man bei dieser Hypothese das erwähnte
Zusammentreffen allgemein zuliefse, sobald einer der zwei Winkel ein
Rechter ist. Denn selbst, wenn die Gerade AD [Fig. 11] auch ihrerseits
auf AP senkrecht wäre, ein Fall, in dem sie wegen I. 17 sicher mit
dem andern Lote PL nicht zusammentreffen könnte, so wäre trotzdem
die Summe der beiden Winkel DAX und PXA, gemäfs der erwähnten
Hypothese, kleiner als zwei Rechte, da bei dieser (nach Lehrsatz IX)
die Winkel PAX und PXA zusammen kleiner als ein Rechter sind*).
Das zu bemerken war aber von Wichtigkeit.
Wie man aber die Hypothese des spitzen Winkels zerstören kann,
indem man blofs das Zusammentreffen allgemein zuläfst, so lange einer
der beiden AVinkel ein Rechter ist, und überdies die gegebene schnei-
dende Gerade \_PA] eine beliebig kleine Länge hat, das werde ich
hinter den drei folgenden Lehrsätzen zeigen.
Anmerkung II**). Mit Fleifs habe ich bei den drei soeben auf-
*) [Man hätte also einen Fall, bei dem die beiden Geraden AB und XL
nicht zusammentreffen, obwohl die Summe der inneren "Winkel LXA und XAD
kleiner als zwei Rechte ist.]
**) [Der Sinn der folgenden Ausführungen ist der: Sind zwei Winkel ge-
geben, die zusammen weniger als zwei Rechte betragen, so ist es stets möglich,
T. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XlII. Anmerkung 1, II
65
gestellten Theoremen die Bedingung hinzugefügt, dafs die schneidende
Gerade ÄP oder XÄ von heliehig (jrofser, gegebener Länge sein soll.
Handelt es sich nämlich, ohne jedes bestimmte Mafs der einfallenden
Geraden, darum, genau darzulegen und zu beweisen, dafs es zwei Ge-
rade giebt, die in der Spitze eines Dreiecks zusammentreffen, dessen 18
Winkel an der Grundlinie gegeben sind (und
zwar zusammen kleiner als zwei Rechte, zum
Beispiel sei einer gleich einem Rechten und der
andere weiche nur um zwei Grad oder, wenn
man will, noch weniger von einem Rechten
ab), dann kann jeder, der einige Erfahrung
in der Geometrie besitzt, sofort die Sache dar-
legen und beweisen.
Gesetzt nämlich, es sei (Fig. 12*)) ein
Winkel BAP gegeben, zum Beispiel von 88 Grad. Fällt man dann
(nach I. 12) von irgend einem Punkte B der Geraden AB das Lot
BP auf die Grundlinie AP, so wird augenscheinlich durch das Drei-
eck ABP das gewünschte Zusammentreffen im Punkte B dargelegt
und bewiesen.
Fordert man nun, dafs auch der andere Winkel an der Grund-
linie kleiner als ein Rechter sei, zum Beispiel 84 Grad, wie ihn der
gegebene Winkel K darstellen mag**), so kann man (nach 1. 23) auf
Dreiecke zu konstruieren, in denen diese gegebenen Winkel vorkommen. Wählt
man daher die Dreiecksseite, der sie anliegen, zur Grundlinie AX, so hat man
für diese Winkel das gewünschte Zusammentreffen. Es bleibt jedoch unent-
schieden, ob man auf diese Art auch zu jeder gegebenen Grundlinie Ä X gelangt,
was doch zum vollständigen Beweise des Euklidischen Axioms erforderlich wäre.]
*) [Saccheri benutzt in vielen Figuren denselben Buchstaben, hier X, zur
Bezeichnung verschiedener Punkte, die jedoch in gewisser Beziehung mit einander
gleichberechtigt sind.
Diese Bezeichnungsweise ist ihm nicht eigentümlich, sie findet sich viel-
mehr auch sonst in der älteren mathematischen Literatur, zum Beispiel ge-
braucht sie Blaise Pascal (1623—1660) in seinen geometrischen Untersuchungen
((Euvres completes, t. III. Paris 1882, S. 370—446), John Barroiv (1630—1677)
in seinen Lectiones geometricae , London 1670 (Zweite Ausgabe London 1674),
Johann Bernoulli (1667 — ^1748) in seiner Abhandlung über die Brachistochrone
(Acta Eruditorum, Mui 1697; Opera omnia, Lausanne und Genf 1742, T. 1. S. 192).
Die Zahl der Beispiele liefse sich gewifs noch beliebig vermehren.
Die so bequeme Methode der Indices, die bereits am Ende des siebzehnten
Jahrhunderts von Leibniz vorgeschlagen worden war, ist erst in diesem Jahr-
hundert ein Gemeingut der Mathematiker geworden.]
**) [Dafs der Winkel K in Fig. 12 statt 84 Grad etwa 30 Grad beträgt,
ebenso wie nachher der Winkel JB statt 91 Grad etwa 120 Grad, das stört
Saccheri nicht, der, wie später noch augenfälliger werden wird, seine Zeichnungen
immer nur als schematisch betrachtet haben mufs; man vergleiche in dieser Be-
ziehung etwa noch die rechten Winkel in Fig. 19, S. 74.
Wir haben uns nicht für befugt gehalten, Zeichnung und Text in Überein-
stimmung zu bringrn und geben hier wie überall die Figuren in ihrer ursprüng-
lichen Gestalt.]
Stäckel H. Eugol, Parallelentheorie. 5
()() Sacclieri, Euclides ab omni iiaevo viudicatus.
der Seite der Geraden AB einen ebenso grofsen Winkel APD an-
tragen, und dann Avird AB von FD in einem Zwischenpunkte 7) ge-
troffen. Man hat also wieder einen Beweis für das gewünschte
Zusammentreifen im Punkte IJ.
Fordert man endlich, dafs der eine Winkel stumpf, aber kleiner
als 92 Grad ist, damit ihn der andere gegebene Winkel BAP nicht
zu zwei Rechten ergänzt, so möge er durch einen Winkel B von
91 Grad dargestellt werden. Zu zeigen ist, dafs es auf AP einen
solchen Punkt X giebt, dafs die Verbindungslinie BX einen Winkel
BXA bildet, der gleich dem gegebenen Winkel B von 91 Grad ist,
sodafs man also bei einer gewissen sclmeideuden Geraden AX das
gewünschte Zusammentreffen in dem genannten Punkte B hat. Man
verfahrt dann so.
Da ja (wenn man PA bis zu irgend einem Punkte H verlängert)
der äufsere Winkel BAH (wegen I. 13) gleich 92 Grad ist, wenn der
gegebene innere Winkel BAP 88 Grad beträgt, und da er wiederum,
wegen I. 16, nicht nur gröfser ist als der rechte Winkel BPA,
sondern auch gröfser als alle die, ebendeshalb stumpfen Winkel BXA,
Avo der Punkt X beliebig innerhalb PA angenommen wird, und da, auch
wegen I. 16, diese Winkel um so gröfser sind, je näher der Punkt X
an dem Punkte A angenommen wird, so folgt augenscheinlich, dafs
lö zwischen den beiden Winkeln, dem einen von 90 Grad im Pmikte P
und dem andern von 92 Grad im Punkte A ein AVinkel BXA ge-
funden werden kann, der 91 Grad beträgt und also dem gegebenen
Winkel R gleich ist*).
Nichtsdestoweniger mufs man, abgesehen von dieser letzten Be-
merkung über den stumpfen Winkel, sorgfältig beachten, dafs die
Schwierigkeit bei jenem Axiom des Euklid darin besteht, dafs es das
Zusammentreffen zweier Geraden fordert, und zwar stets nach der
Seite, auf welcher sie mit der schneidenden Geraden zwei Winkel
bilden, die zusammen kleiner sind als zwei Rechte, und dafs es das
genannte Zusammentreffen auch dann fordert, wenn die Länge der
gegebenen schneidenden Geraden heliehig grofs ist.
Übrigens Averde ich (worauf ich schon in der vorhergehenden An-
merkung aufmerksam machte) jenes Zusammentreffen allgemein be-
weisen**), sobald nur das Zusammentreffen für den Fall zugelassen wird,
dafs einer der Winkel ein rechter [und der andere irgend ein be-
liebiger spitzer Winkel] ist, und zwar selbst dann, wenn es nicht für
*) [Sacchrri setzt dabei voraus, dal's sich der Winkel BXA stetig ändert,
wenn der Punkt X von A nach P wandert. Vergl. auch die Anmerkung S. 56.]
**) [Nämlich in Lehrsatz XVII und in Anmerkung I dazu.]
I. Buch, I. Teil. — Anmerkung II zu Lehrsatz XIII. Lehrsatz XIV, XV. 67
jede beliebige augebbare eudlicbe schneidende Gerade zugelassen wird,
sondern nur innerhalb der Grenzen irgend einer gegebenen, sehr
kleinen schneidenden Geraden.
Lehrsatz XIV. Die Hypothese des stumiifen Winkels ist gans und
gar falsch, iveil sie sich selbst zerstört.
Beweis. Indem wir die Hypothese des stumpfen Winkels als
richtig annahmen, haben wir daraus bereits die Wahrheit jenes Eukli-
dischen Axioms hergeleitet, dafs zwei Gerade einander in einem Punkte
auf der Seite treffen werden, auf welcher eine beliebige sie schnei-
dende Gerade irgend zwei innere Winkel bildet, die zusammen kleiner
als zwei Rechte sind. Steht aber dieses Axiom fest, auf das sich
Euklid nach dem achtundzwanzigsten Satze seines ersten Buches
stützt, dann ist allen Geometern klar, dafs allein die Hypothese des
rechten Winkels richtig ist, und dafs für die Hypothese des stumpfen
Winkels kein Platz übrig bleibt. Mithin ist die Hypothese des stumpfen
Winkels ganz und gar falsch, weil sie sich selbst zerstört. Was zu
beweisen war.
Anders und unmittelbarer. Da wir (in Lehrsatz IX) auf Grund 20
der Hypothese des stumpfen Winkels bewiesen haben, dafs die beiden
spitzen Winkel (Fig. 11) eines
Dreiecks ÄPX, das in P recht-
winklig ist, zusammen gröfser als
ein Rechter sind, so kann man
augenscheinlich einen spitzen
Winkel PÄD so annehmen, dafs
er mit den genannten beiden spitzen Winkeln zwei Rechte ausmacht.
Dann aber müfste die Gerade ÄD (nach dem vorhergehenden Lehr-
satze, im Fall der Hypothese des stumpfen Winkels) schliefslich mit
PL oder XL zusammentreffen, wenn man ÄP als die schneidende
oder treffende Gerade ansieht. Das verstöfst aber augeuscheinlich
gegen I. 17, wenn man ÄX als die schneidende oder treffende Ge-
rade ansieht.
Lehrsatz XV. Durch irgend ein Dreieck ABC, dessen drei Winkel
(Fig. 13) zusammen gleich zwei Bechten oder gröfser oder kleiner sind,
wird der Beihe nach die Hypothese des rechten Winkels oder die des
sümpfen Winkels oder die des spitzen Winkels hedingt*).
*) [Auch für den Beweis dieses Satzes gilt das in den Anmerkungen auf
S. 59 und G2 Gesagte.]
(38 Saccheri, Euclides ab omni iiaevo vindicatus.
Beweis. Es werden uilmlich wegeu I. 17 wenigstens zwei Winkel
jenes Dreiecks, zum Beispiel die an den Ecken Ä und C, spitz sein.
Deshalb wird das Lot, das vom Scheitelpunkte des letzten Winkels B
auf AC gefällt wird, ÄC selbst (wieder wegen
I. 17) in einem gewissen Zwisclienpunkte D
schneiden.
Nimmt man also an, dafs die drei W^iukel
des Dreiecks ^^C zusammen gleich zwei Rechten
sind, so sind augenscheinlich alle Winkel der Drei-
ecke ADJB und CDB zusammen gleich vier
Rechten, da ja die beiden rechten Winkel bei dem
Punkte D hinzugekommen sind. Nunmehr wird bei keinem der eben
erwähnten Dreiecke, etwa bei ABB, die Winkelsumme kleiner oder
gröfser als zwei Rechte sein, denn alsdann wären dementsprechend
die Winkel des andern Dreiecks zusammen gröfser oder kleiner als
zwei Rechte, und infolgedessen würde (nach Lehrsatz IX) durch das
eine Dreieck die Hypothese des spitzen Winkels, durch das andre die
21 Hypothese des stumpfen AVinkels bedingt, was den Lehrsätzen VI
und VII widerstreitet. Also sind bei jedem der genannten beiden
Dreiecke die drei W^inkel zusammen gleich zwei Rechten, und dadurch
wird (nach Lehrsatz IX) die Hypothese des rechten Winkels bedingt.
Was an erster Stelle zu beweisen war.
Nimmt man aber an, dafs die drei Winkel des vorgelegten Dreiecks
ABC zusammen gröfser als zwei Rechte sind, so werden die Winkel
der beiden Dreiecke ABB und CBB alle zusammen gröfser als vier
Rechte, weil ja die beiden rechten W^inkel beim Punkte D hinzugekommen
sind. Demnach werden bei keinem der eben genannten Dreiecke die drei
\\'inkel zusammen genau gleich zwei Rechten sein oder kleiner, denn
alsdann wären dementsprechend die drei W^inkel des anderen Dreiecks
zusammen gröfser als zwei Rechte, es würde also (nach Lehrsatz IX)
durch das eine Dreieck die Hypothese des rechten W^inkels oder die
des spitzen Winkels, durch das andere die Hypothese des stumpfen
Winkels bedingt, was den Lehrsätzen V, VI und VII widerstreitet.
Also sind bei jedem der genannten beiden Dreiecke die drei W^inkel
zusammen gröfser als zwei Rechte und dadurch wird (nach Lehr-
satz IX) die Hypothese des stumpfen Winkels bedingt. Was an
zweiter Stelle zu beweisen war.
Nimmt man aber endlich an, dafs die drei Winkel des vorgelegten
Dreiecks ABC zusammen kleiner als zwei Rechte sind, so werden die
Winkel der beiden Dreiecke ABB und CBB alle zusammen kleiner
als vier Rechte, weil ja die beiden rechten Winkel beim Punkte B hinzu-
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz X\\ Znsatz, Lehrsatz XVI 69
gekommen sind. Demnach werden bei keinem der eben genannten Drei-
ecke die drei Winkel zusammen genau gleich zwei Rechten oder gröfser
sein, denn alsdann wären dementsprechend die drei Winkel des andern
Dreiecks zusammen kleiner als zwei Rechte, es würde also nach Lehr-
satz IX durch das eine Dreieck die Hypothese des rechten Winkels
oder die des stumpfen Winkels, durch das andere die Hypothese des
spitzen Winkels bedingt, was den Lehrsätzen V, VI und VII wider-
streitet. Also sind bei jedem der genannten beiden Dreiecke die
drei Winkel zusammen kleiner als zwei Rechte, und dadurch wird
(nach Lehrsatz IX) die Hypothese des spitzen Winkels bedingt. Was 22
an dritter Stelle zu beweisen war.
Mithin wird durch ein beliebiges Dreieck ABC, dessen drei
Winkel zusammen gleich zwei Rechten oder gröfser oder kleiner sind,
der Reihe nach die Hypothese des rechten Winkels, die des stumpfen
Winkels oder die des spitzen Winkels bedingt. Was behauptet wurde.
Zusatz. Verlängert man also irgend eine Seite eines beliebigen
vorgelegten Dreiecks, zum Beispiel ^IL' bis jff [Fig. 13], so ist (nach
1. 13) der Aufsenwinkel HBC entweder gleich der Summe der beiden
übrigen inneren, gegenüberliegenden Winkel bei den Ecken A und G,
oder kleiner oder gröfser als diese, jenachdem die Hypothese des
rechten Winkels oder die des stumpfen Winkels oder die des spitzen
Winkels richtig ist, und umgekehrt.
Lehrsatz XVI. Durch jedes Viereck AB CD, dessen vier Winlcel
zusammen gleich vier Hechten oder gröfser oder Meiner sind, ivird der
Bcihe nach die Hypothese des rechten Winlels, die des stumpfen Winhcls
oder die des spitzen Winkels bedingt.
Beweis. Zieht man AC, so sind (Fig. 14) die drei Winkel des
Dreiecks ABC zusammen nicht gleich zwei Rechten oder gröfser oder
kleiner, ohne dafs auch die drei Winkel des
Dreiecks ABC zusammen gleich zwei Rechten
oder gröfser oder kleiner sind, denn sonst
würde (nach dem vorhergehenden Lehrsatze)
durch eines dieser Dreiecke eine Hypothese,
durch das andere eine andere bedingt, ent-
° ' Fig. 14.
gegen den Lehrsätzen V, VI und VII.
Wenn demnach die vier Winkel des vorgelegten Vierecks zu-
sammen gleich vier Rechten sind, so betragen augenscheinlich in
jedem der eben genannten Dreiecke die drei Winkel zusammen zwei
Rechte, und dadurch wird (nach dem vorhergehenden Lehrsatze) die
Hypothese des rechten Winkels bedingt. 23
70 Saccheri, Euclides ab omni naovo vindicatus.
'Weiiii aber die vier Winkel desselben Vierecks zusammen gröfser
oder kleiner als vier Rechte sind, so müssen in ähnlicher AVeise die
drei AYinkel jedes jener Dreiecke zusammen beziehungsweise entweder
f^leichzeitio" fröfser oder gleichzeitig kleiner als zwei Kechte sein.
Deshalb wird (nach dem vorhergehenden Lehrsatze) durch diese Drei-
ecke beziehungsweise die Hypothese des stumpfen Winkels oder die
Hypothese des spitzen Winkels bedingt.
Somit wird durch jedes Viereck, dessen vier Winkel zusammen
gleich vier Rechten oder gröfser oder kleiner sind, der Reihe nach die
Hypothese des rechten Winkels, die des stumpfen Winkels oder die
des spitzen Winkels bedingt. Was zu beweisen war.
Zusatz. Verlängert man also irgend zwei Gegenseiten eines vor-
gelegten Vierecks [Fig. 14] nach derselben Seite, etwa AD bis Hnnd BC
bis M, so ist (nach I. 13) die Summe der beideu Aufsenwinkel HDC
und 31 CB entweder gleich der Summe der beiden inneren, gegen-
überliegenden Winkel bei den Ecken A und B, oder kleiner oder
gröfser, jenachdem die Hypothese des rechten Winkels oder die des
stumpfen AVinkels oder die des spitzen Winkels richtig ist.
Lehrsatz XVIL Wenn auf einer heliebig Meinen Geraden AB
(Fig. 15) die Gerade AH senJcredit steht, so hcliaupte icJi, dafs hei der
Hypothese des s)iitzen Winhels nielit jede Gerade BD, die mit AB auf
der Seite von AH einen beliebigen spitzen Winliel bildet, die Verlängerung
von AH scJdiefslich in einer endlichen oder begrenzten Entfernung trifft.
Beweis. Zieht man HB, so ist (nach I. 17) der Winkel ABH
spitz, weil der AVinkel beim Punkte A ein Rechter ist. Nunmehr
ziehe man (nach I. 23) nach der Seite des Punktes B
24 Jv eine Gerade HD, die den Winkel AHB nicht
schneidet und mit HB einen spitzen Winkel bildet,
der gleich dem spitzen Winkel ABH ist. Sodann
fälle man von dem Punkte B auf HD das Lot BD,
das auf die Seite des genannten spitzen Winkels bei
dem Punkte H fallen wird.
Da also die Seite HB in dem Dreieck HDB
Fjg 15 dem rechten AAlnkel bei D gegenüberliegt und ebenso
im Dreieck BAH dem rechten AAlnkel bei A, und
da wiederum in diesen beiden Dreiecken an derselben Seite HB gleiche
Winkel liegen, nämlich im ersten Dreieck der Winkel BHD und im
zweiten der AA'iukel HBA, so ist (nach I. 26) auch der letzte Winkel
HBD im ersten Dreieck gleich dem letzten AViukel BHA im zweiten
I. Buch, 1. Teil. — Lehrsatz XVI, Zusatz, Lehrsatz XVIL 71
Dreieck. Deshalb ist der ganze Winkel DBA gleich dem ganzen
Winkel AHD.
Nun sind aber die genannten gleichen Winkel nicht beide stumpf,
denn sonst gerieten wir (nach dem vorhergehenden Lehrsatze) auf
einen Fall der schon widerlegten Hypothese des stumpfen Winkels.
Sie sind aber auch nicht rechte, denn sonst gerieten wir (wieder nach
dem vorhergehenden Lehrsatze) auf einen Fall der Hypothese des
rechten Winkels, die (nach Lehrsatz V) für die Hypothese des spitzen
Winkels keinen Raum liefse. Daher sind beide Winkel spitz.
Nunmehr beweist man folgendermafsen, dafs die Verlängerung der
Geraden JBD mit der Verlängerung der Geraden AH nach derselben
Seite hin nicht in einem Punkte K zusammentreffen kann.
In dem Dreieck KDH wäre nämlich aufser dem rechten Winkel
bei D ein stumpfer Winkel in H vorhanden, da der Winkel AHD bei
der hier vorgeschriebenen Hypothese des spitzen Winkels als spitz
erwiesen ist. Das ist aber unverträglich mit L 17. Mithin ist es bei
dieser Hypothese ausgeschlossen, dafs jede Gerade DD, die mit einer
beliebig kleinen Geraden AD auf der Seite von AH einen beliebigen
spitzen Winkel bildet, die Verlängerung von AH schliefslich in einer
endlichen oder begrenzten Entfernung trifft. Was zu beweisen war.
Dasselbe anders und einfacher. Auf einer beliebig kleinen Ge-
raden AD (Fig. 16) mögen AK und DM beide senkrecht stehen.
Mau fälle auf AK aus einem Punkte M von DM 26
das Lot MH und ziehe DH. Dann ist der Winkel
DHM spitz. Ebenso ist bei der Hypothese des
spitzen Winkels (nach dem vorhergehenden Lehr-
satze) der Winkel J>J/iZ' spitz. Mithin wird das Lot
DDX, das von dem Punkte D auf HM gefällt
wird, (nach I. 17) HM in einem Zwischenpunkte
D schneiden, also ist der Winkel XDA spitz.
Nun weifs man (wieder aus L 17), dafs die beiden Fig. le.
Geraden AHK und DDX, beliebig verlängert,
nicht zusammentreffen können (versteht sich, in einer endlichen oder
begrenzten Entfernung), weil die W^inkel an den Punkten H und D
rechte sind. Mithin ist es bei der Hypothese des spitzen Winkels
ausgeschlossen, dafs jede Gerade DD, die mit einer beliebig kleinen
Geraden AD auf der Seite von AH, das auf AD senkrecht steht,
einen beliebigen spitzen Winkel bildet, die Verlängerung von AH
schliefslich (in einer endlichen oder begrenzten Entfernung) trifft.
Was behauptet war.
Anmerkung L Das ist es gerade, was ich in den Anmerkungen
72 Saccheri, Euclides ob omni naevo vindicatus.
hinter dem Lehrsätze XllI versprochen hatte, dafs nämlich die Hypothese
des spitzen AA'inkels (die nunmehr allein der allgemeinen Gültigkeit
jenes Euklidischen Axioms im A\'ege sein kann) hinfällig wird, sobcild
man nur allgemein zuläfst, dafs zwei Gerade auf der Seite zusammen-
treflen müssen, auf der irgend eine sie schneidende Gerade, die be-
liebig klein sein darf, zwei innere Winkel bildet, die zusammen kleiner
sind als zwei Rechte, und zwar auch dann noch, wenn verlangt wird,
dafs der eine der beiden Winkel ein Rechter sei.
Anmerkung IL Wiederum werde ich an einer geeigneteren Stelle,
nämlich [in der Anmerkung III] hinter dem Lehrsatze XXVII, zeigen,
dafs die Hypothese des spitzen Winkels ebenfalls hinfällig Avird, sobald
26 man irgend einen noch so kleinen spitzen W^inkel von der Beschaffen-
heit angeben kann, dafs die Verlängerung einer Geraden, die unter
diesem Winkel von einer anderen geschnitten wird, schliefslich (in
endlicher oder begrenzter Entfernung) jedes in beliebigem, endlichem
Abstände auf der schneidenden Geraden errichtete Lot treffen mufs.
Lehrsatz XVIII. Durch jedes beliebige Breieck ABC, dessen Winlcl
beim Punkte B (Fig. 17) in irgend einem Halbkreise mit A C als Burcli-
messer liegt, wird der Reihe nach die Hypothese des rechten Winkels
oder die des stumpfen Winkels oder die des spitzen Winkels bedingt, je-
nachdem der Winkel beim Punkte B ein rechter oder stumpfer oder spitzer ist.
Beweis. Vom Mittelpunkte T) aus ziehe man DB. Dann sind
(nach I. 5) in den Dreiecken ADB und CDB die Winkel an der
Grundlinie AB und ebenso die an der Grund-
linie BC gleich. Mithin sind in dem Dreieck
ABC die beiden Winkel an der Grundlinie
AC zusammen gleich dem ganzen W^inkel
ABC, und es sind daher die drei Winkel des
Dreiecks ABC zusammen gleich zwei Rechten
oder gröfser oder kleiner, jenachdem der Winkel
beim Punkte B ein rechter, stumpfer oder spitzer ist.
Daher wird durch jedes beliebige Dreieck ABC, dessen Winkel
beim Punkte B in irgend einem Halbkreise mit AC als Durchmesser
liegt, (nach Lehrsatz XV) der Reihe nach die Hypothese des rechten
Winkels, die des stumpfen Winkels oder die des spitzen W'inkels be-
dingt, jenachdem der Winkel beim Punkte B ein rechter, sturaj^fer
oder spitzer ist. Was zu beweisen war.
Lehrsatz XIX. Irgend ein Dreieck AHD (Fig. 18) sei in H recht-
winklig. Auf der Verlängei'ung von AD werde das Stück DC gleich AD
I. Buch, 1. Teil. — Anmerkung l u. 11 zu Lehrsatz X Vif. Lehrsatz XVlIt-XX. 73
angenommen, und auf die Verlängerung von AH das Lot (JB gefällt
Ich heJiau].}te, daß hierdurch der Beihe nach die Hypothese des rechten
WinJcels, die des stumpfen oder die des sp)itzen Winkels bedingt wird,
jenachdcm das Stück HB gleich AH oder gröfser oder kleiner ist. 27
Beweis. Die Verbindungslinie DB wird nämlich (nach I. 4 und
nach Lehrsatz X) gleich AD oder gröfser oder kleiner als AD oder
DC sein, jenachdem jenes Stück HB gleich AH
oder gröfser oder kleiner ist.
Es sei nun erstens HB gleich AH, sodafs
also die Verbindungslinie DB gleich AD oder
DC wird. Dann geht der Umfang des Kreises,
der um D als Mittelpunkt mit dem Halbmesser
DB beschrieben wird, sicher durch die Punkte
A und C. Demnach liegt der Winkel ABC,
welcher der Voraussetzung nach ein Rechter ist, p. ^g
in diesem Halbkreise, dessen Durchmesser A C ist,
und hierdurch wird (nach dem vorhergehenden Lehrsatze) die Hypo-
these des rechten Winkels bedingt. Was an erster Stelle zu be-
weisen war.
Es sei zweitens HB gröfser als AH, sodafs also die Ver-
bindungslinie DB gröfser als AD oder DC ist. Dann wird der Um-
fang des Kreises, der um D als Mittelpunkt mit dem Halbmesser DA
oder DC beschrieben wird, DB sicher in einem gewissen Zwischen-
punkte K treffen. Demnach ist, wenn man AK und CK zieht, der
Winkel AKC stumpf, denn er ist (nach L 21) gröfser als der Winkel
ABC, welcher, der Voraussetzung nach, ein Rechter ist, und hierdurch
wird (nach dem vorhergehenden Lehrsatze) die Hypothese des stumpfen
Winkels bedingt. Was an zweiter Stelle zu beweisen war.
Es sei drittens HB kleiner als AH, sodafs also die Ver-
bindungslinie DB kleiner als AD oder DC ist. Dann wird der Um-
fang des Kreises, der um D als Mittelpunkt mit dem Halbmesser DA
oder DC beschrieben wird, die Verlängerung von DB sicher in einem
Pimkte M treffen. Demnach ist, wenn man AM und CM zieht, der
Winkel AMC spitz, denn er ist (wieder nach L 21) kleiner als der
Winkel ABC, der ein Rechter sein sollte, und hierdurch wird (nach
dem vorhergehenden Lehrsatze) die Hypothese des spitzen Winkels
bedingt. Was an dritter Stelle zu beweisen war.
Mithin ist die ganze Behauptung richtig.
Lehrsatz XX. Das Dreieck ACM (Fig. 19) sei in C rechtwinklig. 28
Wird dann vom Halhierungspunkte B der Geraden A3I auf AC das
74
Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Lot BD gefällt, so behaupte ich, dafs dieses Lot (hei der Hypothese
des spitzen WinJcels) nicht gröfser ist, als die Hälfte des Lotes MC,
Beweis. Mau mache nämlich die Verlängerung DH von DB
doppelt so grofs als DB selbst. Dann wäre (-svenn DB gröfser als
die genannte Hälfte wäre) DH gröfser als C3I
und deshalb gleich einer gewissen Verlängerung
C3IK. Man ziehe nun ÄH, HK, HM, MD
und verfahre so:
Da in den Dreiecken HBA und DBM die
Seiten HB und BA den Seiten DB und B3I
gleich sein sollten, und da (nach I. 15) die Winkel
an dem Pimkte B gleich sind, so ist auch (nach
I. 4) die Grundlinie HA der Grundlinie MD
gleich. Ferner sind aus demselben Grunde in
den Dreiecken HBM und DBA die Grund-
linien HM und DA gleich. Daher sind (nach
I. 8) in den Dreiecken MHA und ADM die
Winkel MHA und AD3I gleich. Wiederum ist bei den Dreiecken
AHB und MDB der übrig bleibende Winkel MHB gleich dem
übrig bleibenden rechten Winkel ADB, mithin ist 21 HB ein rechter
Winkel. Das ist jedoch bei der Hypothese des spitzen Winkels wider-
sinnig, da die Gerade KH, die Verbindungslinie der gleichen Lote
KC und HD, (nach Lehrsatz I, VII und XVI) spitze Winkel mit diesen
Loten bildet. Daher ist (bei der Hypothese des spitzen Winkels) das
Lot BD nicht gröfser als die Hälfte des Lotes MC'^). Was zu
beweisen war.
i'ig. 10.
29
Lehrsatz XXL Denkt man sic-Ji, unter denselben Voraussetzungen,
A M und A C ins Unendliche verlängert, so behaupte ich, dafs ihr Abstaiid
(sowohl bei der Hypothese des rechten als auch hei der des
spitzen Winlels) gröfser wird als jede beliebige, angebbare endliche Länge.
Beweis. Auf der Verlängerung von AM nehme man AP doppelt
so grofs an als AM und fälle auf die Verlängerung von AC das Lot
PN. Bei jeder der beiden genannten Hypothesen ist (nach- dem vor-
hergehenden Lehrsätze) das Lot MC nicht gröfser als die Hälfte des
Lotes PN. Daher ist PN wenigstens doppelt so grofs als 3IC,
ebenso wie 3IC wenigstens doppelt so grofs als BD ist.
So verhält es sich nun stets, wenn auf der Verlängerung von AM
das Doppelte von AP genommen und von dem Endpunkte das Lot
*) [Mit Absicht sagt Saccheri: nicht gröfser, weil der Satz in dieser
Fassung auch für die Hypothese des rechten Winkels gilt.]
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XX, XXI. Zusatz. Anmerkung I. 75
auf die Verlängerung von ÄC gefällt wird. Das halfst, das Lot, das man
von der immer weiter verlängerten Geraden AM auf die Verlängerung
von AC fällt, wird schliefslich ein Vielfaches der bestimmten Ge-
raden BD, über jede endliche angebbare Zahl hinaus. Mithin wird
(bei jeder der beiden genannten Hypothesen) der Abstand der ge-
nannten Geraden gröfser als irgend eine angebbare endliche Länge.
Was zu beweisen war.
Zusatz. Da die Hypothese des stumpfen Winkels, die allein hier
hinderlich sein könnte, bereits als ganz und gar falsch erwiesen ist, so
folgt nunmehr die unbedingte Richtigkeit des Satzes, dafs der gegen-
seitige Abstand der genannten Geraden, sobald sie ins Unendliche ver-
längert werden, gröfser als jede beliebige, endliche angebbare Länge wird.
Anmerkung I, tvorin der Versuch des ProJdos geprüft tvird.
Nachdem ich bis jetzt einige Theoreme ganz unabhängig von
dem Euklidischen Axiom bewiesen habe, zu dessen durchaus strengem
Beweise sie alle dienen sollen, glaube ich gut zu thun, wenn ich nun-
mehr die Bemühungen einiger bekannterer Geometer, die nach dem-
selben Ziele gestrebt haben, sorgfältig prüfe.
Ich beginne mit Proklos, von dem sich bei Clavius hinter dem 30
Satze 28 des ersten Buches folgende Behauptung findet:
Gehen von einem Punkte 0tvei Gerade aus, die einen Winkel mit ein-
ander bilden, so wird ihr Abstand, wenn sie ins Unendliche verlängert
iverden, jede endliche Gröfse überschreiten.
Proklos beweist nun (wie Clavius dort sehr gut bemerkt) zwar,
dafs zwei Gerade wie AH midi AD (Fig. 20), die
sich von demselben Punktet nach derselben Seite
erstrecken, um so mehr von einander abstehen,
je gröfser der Abstand vom Punkte A wird, nicht
aber auch, dafs dieser Abstand über jede endliche ■^'^- ^^•
angebbare Grenze wächst, wie es doch für seinen Zweck erforderlich wäre.
An dieser Stelle führt der eben erwähnte Clavius das Beispiel
der Conchoide des Nikomedes an. Wenn sich diese nämlich von
dem Punkte A aus nach derselben "Seite erstreckt, wie die Gerade AH,
so entfernt sie sich zwar von dieser immer mehr, jedoch so, dafs ihr
Abstand erst bei unendlicher Verlängerung beider gleich einer ge-
wissen endlichen Geraden AJB wird, die senkrecht steht auf den nach
derselben Seite ins Unendliche verlängerten Geraden AH und BC.
Warum könnte man also nicht, aufser wenn ein besonderer Grund
das Gegenteil fordert, von den beiden angenommenen Geraden AH
und AD dasselbe behaupten?
76 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Man darf übrigens den Clavius nicht tadeln, dafs er dem Pro-
klos diese Eigenschaft der Conchoide entgegenhält, die nur mit Hilfe
mehrerer, auf dem hier strittigen Axiom beruhender Theoreme bewiesen
werden kann. Denn ich behaupte, dafs gerade hierdurch die Kraft
der Widerlegung des Clavius verstärkt wird. Nimmt man nämlich
dieses Axiom als richtig an, so folgt augenscheinlich die Möglichkeit,
dafs zwei ins Unendliche verlängerte Linien, von denen die eine gerade,
die andere gekrümmt ist, zwar immer mehr von einander abweichen,
jedoch nur innerhalb einer bestimmten, endlichen Grenze; hieraus aber
kann man jedenfalls Verdacht schöpfen, dafs etwas ähnliches auch bei
zwei geraden Linien eintreten kann, wofern nicht das Gegenteil be-
Aviesen wird.
Mau kann aber nicht etwa, nachdem ich in dem Zusatz zu dem
31 vorhergehenden Lehrsatze die unbedingte Wahrheit der vorhin erwähnten
Behauptung festgestellt habe, deshalb sofort dazu übergehen, jenes
Euklidische Axiom als wahr hinzustellen. Vorher müfste nämlich
noch bewiesen werden, dafs jene beiden Geraden AH und J5C, die
mit der schneidenden Geraden ÄJB auf derselben Seite zwei Winkel
bilden, die zusammen gleich zwei Rechten sind, also etwa jeder gleich
einem Rechten, nicht auch selber nach dieser Seite ins Unendliche ver-
längert immer mehr über jede endliche angebbare Entfernung hinaus
auseinandergehen. Macht man nämlich die Annahme, dafs dies eintritt,
was bei der Hypothese des spitzen Winkels durchaus richtig ist, so
ist es gewifs keine erlaubte Folgerung, dafs eine Gerade AD, die
den Winkel HAB irgendwie schneidet, wobei dann die beiden imieren
Winkel an derselben Seite, DAB und CBA, zusammen kleiner als
zwei Rechte sind, — dafs, sage ich, diese Gerade AI), ins LTnendliche
verlängert, schliefslich mit der Verlängerung von BC zusammentreffen
mufs, wenn auch anderweitig bewiesen ist, dafs der Abstand der beiden
ins Unendliche verlängerten Geraden AH und AD immer gröfser wird,
und zwar über jede endliche angebbare Grenze hinaus.
Wenn aber der schon erwähnte Clavius glaubte, die Wahrheit
jener Behauptung genüge zum Beweise des hier strittigen Axioms, so
entschuldigt dies das Vorurteil, das er in Betreff gerader Linien von
gleichem Abstände gefafst hatte. Hierüber werden wir jedoch be-
quemer in der folgenden Anmerkung sprechen.
Anmerkung II, irorin die Ansicht geprüft wird, die der herühmte
Giovanni Alfonso Borelli in seinem Euclides restitiitus aus-
gesprochen hat.
Dieser grofse Gelehrte klagt den Euklid an, weil er parallele
I. Buch, I. Teil. — Anmerkung 1 und l\ zu Lehrsatz XXI. 77
Liüieu als solche erklärt habe, die in derselben Ebene liegen und auf
Jieiner von beiden Seiten zusammentreffen, selbst wenn sie ins Unendliehe
verlängert werden'-^'). Als Grund für seine Anklage giebt er an, ein
solches Verhalten sei unbekannt, einmal, sagt er, weil ivir nicht wissen, 32
ob es solche unendliche, nicht msammentreffende Linien wirklich giebt,
dann aber auch, weil wir die Eigenschaften des Unendlichen nicht fassen
können, und daher ein solches Verhalten nicld deutlich bekannt ist.
Mit der gebührenden Ehrfurcht vor einem so grofseu Manne sei
es gesagt: kann man etwa Euklid tadeln, weil er (um ein Beispiel
unter unzähligen anzuführen) das Quadrat als eine viereckige, gleich-
seitige, rechtwinklige Figur erklärt liat'^'*), während man doch zweifeln
kann, ob es in Wirklichkeit eine solche Figur giebt? Billig, sage
ich, hätte man ihn tadeln können, wenn er die genannte Figur als
gegeben angenommen hätte, ohne vorher in Form einer Aufgabe ihre
Konstruktion nachzuweisen. Euklid ist aber von diesem Fehler frei,
wie deutlich daraus hervorgeht, dafs er das Quadrat nicht eher als
an und für sich erklärt annimmt, als nach dem Satze 46 des ersten
Buches, wo er in Form einer Aufgabe lehrt und zeigt, zvie man eben
das Quadrat, das er erklärt hat, aus einer gegebenen Linie AB zeichnet.
Ebenso wenig darf man also Euklid tadeln, weil er die parallelen
geraden Linien auf die angegebene Art erklärt hat, da er sie nicht
eher bei irgend einer Aufgabe in der Konstruktion als gegeben an-
nimmt, als nach dem Satze 31 des ersten Buches, wo er in Form einer
Aufgabe zeigt, wie durch einen aufserhalh einer Geraden angenommenen
Punkt die ihr parallele gerade Linie zu ziehen ist, und zwar gemäfs der
von ihm gegebenen Erklärung der Parallelen, wonach sie, bis ins Un-
endliche verlängert, auf keiner Seite zusammentreffen. Und was mehr ist,
gerade das zeigt er ohne die geringste Benutzung des hier strittigen
Axioms. Mithin zeigt Euklid ohne jeden Zirkelschlufs , dafs es in
Wirklichkeit ztvei gerade Linien giebt, die (in derselben Ebene liegen
und) nach beiden Seiten ins Unendliche verlängert niemals zusammen- -
treffen, und dadurch giebt er uns eine klare Erkenntnis von dem Ver-
halten, durch das er parallele Linien erklärt.
Gehen wir weiter, wohin uns der gewissenhafte Ankläger Euklids
führt. Parallele gerade Linien nennt er irgend zwei gerade Linien AC
und BD, die auf derselben Seite (bei mir Fig. 21***)) auf einer Ge- 33
raden AB senkrecht stehen. Ich gebe zu, dafs diese Erklärung auf
einem, wie er selbst sagt, möglichen und sehr deutlichen Verhalten
'■') [Euklid, Elemente, Buch I, Erklärung 23.J
**) [Euklid, Elemente, Buch I, Erklärung 22. |
***) [Dieselbe Figur hat Clavius schon 1574, Giordano da Bitonto 1G80.]
78 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
beruht, da man ja (nach I. 11) auf einer gegebenen Geraden in jedem
Punkte das Lot errichten kann.
Ich habe jedoch bewiesen, dafs eben diese Möglichkeit und Deut-
lichkeit auch der Erklärung Euklids zukommt. Es bleibt daher nur
übrig, jenes bekannte Axiom Euklids mit dem andern neuen Axiome
zu vergleichen, das man notwendig braucht, wenn man nach jener
neuen Erklärung der Parallelen weiter gehen will. In der That be-
findet sich dieses andere Axiom bei Clavius (auf den sich Bor eil i
ausdrücklich beruft) in der Anmerkung hinter I. 28:
Bewegt sich eine gerade Linie, zum Beispiel BD [Fig. 21],
längs einer andern Geraden, zum Bei-
spiel BA, und bildet sie dabei in ihrem
EndpunMe B immer rechte Winlcel [mit
BA], so ivird ihr anderer Endpunkt D
auch eine Gerade DC beschreiben, ivenn
nämlich BD schliefslich zur Deckung mit
der anderen gleich grofsen Geraden AC
gelangt.
Ich erkenne an, dafs es möglich ist, von diesem Axiome aus zum
Beweise jenes andern. Euklidischen Axioms überzugehen, auf das man
schliefslich die ganze übrige Geometrie stützen mufs. Denn Clavius
hatte vorher als Lehrsatz aufgestellt, dafs eine Linie, deren Punkte
sämtlich von einer angenommeneu Geraden AB gleich weit ab-
stehen, und von dieser Beschaifenheit ist ja (grade nach der Voraus-
setzung der erwähnten Konstruktion) die Liuie DC, auch ihrerseits
gerade sein mufs, weil sie so beschaffen ist, dafs alle ihre Zwischen-
punkte zwischen ihren Endpunkten D und C auf einerlei Art liegen
(das ist eben die Erklärung der geraden Linie*)); auf einerlei Art liefen,
sage ich, da sie alle von der angenommenen Geraden AB gleich weit
abstehen, nämlich um die Länge von BD oder AC.
An dieser Stelle führt Clavius als Beispiel die Kreislinie an,
über die wir aber besser weiter unten sprechen werden; dort werde ich
34 ins hellste Licht setzen, wodurch sich die gerade Linie und die kreis-
förmige in dieser Beziehung unterscheiden.
Inzwischen sage ich nur, dafs es nicht genügend einleuchtet, ob
die von jenem Punkte D beschriebene Linie wirklich die Gerade DC
ist, und nicht vielmehr eine gewisse Kurve DGC, die nach der Seite
von BA gewölbt oder hohl sein kann.
*) [Euklid, Elemente, Buch I, Erklärung 4:
Ev9siu YQu^LLij iaxLv, tjtls £| laov i ßecta linea est, quaecunque ex aeqou
TOis i(p' iavTi)g ar,u£ioLs y-itrai. j punctis in ea sitis iacet.]
I. Buch, I. Teil. — Anmerkung II zu Lehrsatz XXI. 79
Denkt man sich nämlich in dem Halbierungspunkte F von A B
die Senkrechte errichtet, welche die (lerade I)C in E, die genannten
Curven in G und G trifft, so sind (nach Lehrsatz II) die Winkel zu
beiden Seiten des Punktes E sicher rechte, wofern man sich bei jener
Bewegung des Punktes D die Linie B C beschrieben denkt, und es sind
aufserdem (vermöge einer leicht verständlichen Aufeinanderlegung*))
die Winkel zu beiden Seiten der Punkte G einander gleich, falls die
eine oder die andere Curve DGC beschrieben worden sein sollte.
Nimmt man wiederum auf AB irgend einen Punkt M an und
errichtet die Senkrechte, welche die Gerade DC in N und die ge-
nannten Linien in H und H treffen möge, so werde ich etwas später
beweisen, dafs die Winkel zu beiden Seiten des Punktes N rechte
werden, sobald man voraussetzt, dafs der Punkt D bei seiner Be-
wegung eben die Gerade DC erzeugt, oder sobald man annimmt, dafs
die Gerade MN gleich BD sei. Ist man aber der Ansicht, dafs eine
der beiden Linien DHC erzeugt wird, so beweist man mittelst der-
selben soeben vorgeschriebeneu leichten Aufeinanderlegung, dafs wieder
auf beiden Seiten die Winkel MHD und 3£HC gleich werden, gleich-
gültig, wo man auf einer der beiden beschriebenen Linien den Punkt
H amiimmt, von dem aus man sich auf die Grundlinie AB das Lot
HM gefällt denkt. Hierüber jedoch Ausführlicheres und Genaueres im
zweiten Teile dieses Buches, wohin es besser pafst.
Wozu demi, wird man fragen, diese unzeitige Vor wegnähme? Zu
dem Zwecke, entgegne ich, damit man nicht aus dieser Eigenschaft
der so erzeugten Linie — einer Eigenschaft, die zweifellos ist, und
von der ich am angeführten Orte aufs Strengste beweisen werde, dafs
sie ohne irgend welche unendlich kleine Abweichung gilt — den
voreiligen Schlufs ziehe, diese Liuie könne nur die Gerade sein. Hier
handelt es sich nämlich um eine tiefere Erkenntnis der Beschaffenheit
der geraden Linie, ohne welche die Geometrie, kaum den Kinder-
schuhen entwachsen, an dieser Stelle stehen bleiben müfste. Demnach [^5
darf man es bei einer solchen Angelegenheit nicht tadeln, wenn die
Wahrheit auf das Genaueste ergründet wird.
Und doch leugne ich hier nicht, dafs man durch sorgfältige physi-
kalische Versuche feststellen kann, die auf jene Weise erzeugte Linie
DC könne nur für eine gerade Linie erklärt werden. Damit ich mich
aber hier überhaupt auf physikalische Versuche berufen darf, will ich
sofort drei physikalisch-geometrische Beweise zur Erhärtung des Eukli-
dischen Axioms beibringen.
*) [Im Original: super positio. Gemeint ist die Umklappung der Figur
um die Gerade FG\ vergl. auch die Anmerkung S. 55.]
80 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Dabei rede ich von keinem pliysikaliscbeu Versuch, der sich ins
Unendliche erstreckt und uns deshalb unmöglich ist, wie er erforderlich
wäre, um zu erkennen, dafs die Punkte der Verbinduugsgeraden ])C
sämtlich gleich weit von der (leraden AB abstehen, die nach der
Voraussetzung mit D C in derselben Ebene liegt. Mir wird ein einziger
besonderer Fall genügen, zum Beispiel, wenn man die Gerade D C zieht
I Fig. 21], auf ihr irgend einen Punkt -A" annimmt, und es sich dann
herausstellt, dafs das auf die Grundlinie ÄIj gefällte Lot gleich BD oder
ÄC ist. Dann wären nämlich die Winkel zu beiden Seiten des Punktes
N (nach Lehrsatz I) gleich den einander entsprechenden Winkeln an
den Punkten C und D, die ihrerseits (wieder nach Lehrsatz I) einander
gleich wären. Deshalb werden die Winkel zu beiden Seiten des
Punktes N und somit auch die beiden übrigen rechte sein. Folglich
werden wir einen Fall für die Hypothese des rechten Winkels bekommen,
und haben damit (nacji Lehrsatz V und XIII) das Euklidische Axiom
bewiesen. Dies möge der erste physikalisch-geometrische Beweis sein.
Ich gehe zum zweiten über. Es werde ein Halbkreis angenommen
mit D als Mittelpunkt und ÄC als Durchmesser. Wenn nun (Fig. 17)
auf dem Umfange irgend ein Punkt B ge-
wählt wird, und sich herausstellt, dafs die nach
ihm gezogenen Geraden AB und CB einen
rechten Winkel einschliefsen, so genügt dieser
7 DO
einzige Fall (wie ich in Lehrsatz XVIII be-
wiesen habe), um die Hypothese des rechten
Winkels zu bedingen, und deshalb (nach dem eben erwähnten Lehr-
satze XIll), um jenes bekannte Axiom zu beweisen.
36 Es bleibt der dritte physikalisch-geometrische Beweis übrig, den
ich für den allerwirksamsten und einfachsten halte. Denn ihm liegt
ein jedem zugänglicher, sehr leichter und höchst
bequemer Versuch zu Grunde. Legt man nämlich
in einem Kreise, der den Mittelpunkt I) hat
(Fig. 22), drei gerade Linien CB, BL und LA
au einander, jede gleich dem Halbmesser DC,
und stellt es sich heraus, dafs die Verbindungs-
gerade AC durch den Mittelpunkt D geht, so wird dies zum Beweise
der Behauptung genügen.
Ziehen wir nämlich BB und DL, so werden wir drei Dreiecke
bekommen, die (nach I. 8 und 5) sowohl untereinander als auch jedes
für sich lauter gleiche Winkel besitzen. Da nun die drei Winkel am
Punkte D, nämlich ADL, LDB und BDC (nach I. L3) zusammen
gleich zwei Rechten sind, so sind auch die drei Winkel jedes dieser
T. Buch, I. Teil. — Anmerkung TI zu Lehrsatz XXT. 81
Dreiecke zusammeü gleich zwei Rechten, zum Beispiel die des Dreiecks
J)DC. Dadurch wird aher (nach Lehrsatz XV) die Hypothese des
rechten Winkels bedingt, und daher wird (nach dem schon benutzten
Lehrsätze XIII) jenes Axiom bewiesen sein.
Wenn man aber, ohne einen Beweis oder eine Darstellung durch
Zeichnung zu versuchen, jene beiden Axiome mit einander vergleichen
will, dann gestehe ich, dafs allerdings das Euklidische dunkler oder
sogar fehlerhaft erscheinen kann. Aber nach der Darstellung durch
Zeichnung, die ich für die spätere Anmerkung IV aufspare, wird man
sehen, dafs grade umgekehrt das Axiom Euklids die Würde und den
Namen eines Axioms behalten kann, während man besser thut, das
andre unter die Lehrsätze zu rechnen.
Hier mufs ich aber (was zu thun ich vor Kurzem versprochen
habe) den augenfälligen Unterschied auseinandersetzen, der in dieser
Beziehung zwischen der kreisförmigen und der geraden
Linie besteht. Dieser Unterschied entspringt daraus,
dafs eine Linie gerade heifst in Bezug auf sich selbst,
kreisförmig aber, wie zum Beispiel MDHNM
(Fig. 23), nicht in Bezug auf sich selbst, sondern
in Bezug auf etwas andres, nämlich auf einen ge-
wissen andern Punkt Ä, der mit ihr in derselben rig. 23.
Ebene liegt: ihren Mittelpunkt.
Hieraus folgt, wie Clavius vortrefflich beweist, dafs die Linie 37
FBCL, die in derselben Ebene liegt wie jene, und deren Punkte
sämtlich von der genannten Linie MDHNM gleich weit abstehen,
auch ihrerseits kreisförmig ist, das heifst, in allen ihren Punkten von
dem gemeinsamen Mittelpunkte Ä gleichen Abstand hat. Dafs nämlich
BDj die geradlinige Verlängerung von AB, das Mafs des Abstandes
jenes Punktes B von dieser Kreislinie MDHNM ist, weifs man daher,
dafs sie (nach HI. 7*), was von dem hier strittigen Axiome unab-
hängig ist) die kleinste von allen Geraden ist, die von diesem Punkte
aus nach jenem Umfange gezogen werden können. Dasselbe gilt von
den übrigen Geraden CH, LN und FM. Da nun auch die ganzen
Geraden AM, AD und AH als Halbmesser vom Mittelpunkte A nach
der angenommenen Kreislinie MDHNM gleich sind, und da ebenso
die Abschnitte FM, BD^ CH und LN gleich sind, weil sie das Mafs
des gleichen Abstandes aller Punkte jener Linie FBCLF von der
angenommenen Kreislinie MDHNM darstellen, so folgt offenbar,
dafs die übrigbleibenden Stücke AF, AB, AC und AL ebenfalls
*) [Vergleiche die Anmerkung aut" Seite 50.]
Stäckel u. Engel, Parallelentheorie.
82 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
gleich sind, und diifs deshalb auch die Linie FBCLF eine Kreis-
linie um denselben Mittelpunkt ist.
Wird denn aber, um zu beweisen, dal's die durch eine solche Be-
wegung von dem Punkte D erzeugte Linie DC (Fig. 21) eine gerade
Linie ist, in derselben Weise der gleiche Abstand aller ihrer Punkte
von der zu Grunde gelegten Geraden AB genügen? Keineswegs.
Denn eine Linie heifst gerade durchaus in Bezug auf sich selbst oder
an sich selbst, weil sie nämlich in der Weise auf einerlei Art zwischen
ihren Piinlien liegt, und namentlich zwischen ihren Endpunkten, dafs
sie, wenn diese unbewegt bleiben, durch eine Drehung niemals eine
neue Lage annehmen kann*). Wenn man dieses Verhalten nicht auf
irgend eine Art für jene Linie DC nachweist, kann man nicht sicher
sein, dafs sie eine Gerade ist, was man auch sonst über die Beziehung
aller ihrer Punkte zu der in derselben Ebene liegenden Geraden AB
annehmen oder beweisen mag. Namentlich aber dürfen wir nicht in
gleicher Weise sagen, dafs in jener Ebene eine Linie [BC\ sicher
dann eine Gerade ist, wenn sie in allen ihren Punkten von der als
Gerade angenommenen Linie AB den gleichen Abstand hat.
38 Man darf aber meine W orte nicht so auffassen, als ob ich glaubte,
es liefse sich nicht zeigen, dafs die so erzeugte Linie [JDC\ selbst eine
gerade Linie ist, bevor mau die Wahrheit des strittigen Axioms be-
wiesen hat, da ich vielmehr grade vorhabe, gegen das Ende des
ersten Buches das zu beweisen, um dadurch eben dieses Axiom zu
bekräftigen.
Anmerkung III, tvorin der Versuch des Arabers Nassaradin und
zugleich die Ansicht des herühmten John Wallis über dieselbe Frage
geprüft ivird.
Diesen Versuch des Arabers Nassaradin hat der schon angeführte
John Wallis in lateinischer Sprache durch den Druck veröffentlicht
mit Anmerkungen, die er an passender Stelle hinzugefügt hat. Und
zwar verlangt Nassaradin, dass man ihm für sein Unternehmen
zweierlei zugestehe.
Erstens, dafs irgend zwei in derselben Ebene liegende gerade
Linien, auf die irgend welche andre gerade Linien so treffen, dafs
sie immer auf einer von ihnen senkrecht stehen, die andre aber
immer unter ungleichen Winkeln schneiden, nämlich auf der einen
Seite stets unter einem spitzen Winkel und auf der andern Seite
*) [Saccheri deutet Eullids Erklärung der Geraden in einer Weise, die
diesem durchaus fern gelegen hat, da er ja den Begriff der Bewegung sorgfältig
vermeidet.]
I. Euch, T. Teil. — Anmerkung II und IIT zu Lohrsatz XXf. 83
stets unter einem stumpfen Winkel, dafs, sage ich, die eben erwähnten
Geraden, so lange sie einander nicht schneiden, auf der Seite der
spitzen Winkel einander immer näher kommen sollen und umgekehrt
auf der Seite der stumpfen Winkel immer mehr auseinandergehen.
Wenn ihm sonst nichts Schwierigkeiten macht, so gestehe ich
meines Teils gern zu, was Nassar adin fordert, denn grade das, was
bei ihm unbewiesen bleibt, habe ich, wie man erkennt, in dem Zu-
sätze II hinter Lehrsatz III aufs Strengste bewiesen.
Die zweite Forderung Nassaradins ist die Umkehrung der
ersten, es soll nämlich der Winkel immer spitz sein auf der Seite, wo
die schon erwähnten Lote der Annahme nach immer kürzer werden, 39
stumpf aber auf der andern Seite, wo der Annahme nach dieselben
Lote immer länger werden.
Hierin steckt aber eine Zweideutigkeit. Denn warum sollen (wenn
man von einem Lote, das man als erstes angenommen hat, zu den
andern fortschreitet) die Winkel der folgenden Lote, die alle auf
derselben Seite spitz sind, nicht immer gröfser werden, bis mau auf
einen rechten Winkel trifft, also auf ein Lot, welches das gemeinsame
Lot der beiden genannten Geraden ist? Und wenn das eintritt, da
werden die listigen Zurüstungen des Nassaradin zu nichte, ver-
mittelst deren er recht scharfsinnig, jedoch mit grofser Mühe Euklids
Axiom beweist.
Wenn es nun Nassaradin mit einer gewissen Berechtigmig als
selbstverständlich hinstellen sollte, dafs die Winkel immer auf der-
selben Seite spitz bleiben, warum kann man dann nicht auch (ich
spreche mit Wallis) als an und für sich einleuchtend aimehmen, dafs
zwei Gerade, die in derselben Ebene liegen und sieh einander nähern,
wenn sie verlängert werden, endlieh zusammentreffen müssen? (Damit
meine ich zwei Gerade, mit denen eine schneidende Gerade an der-
selben Seite zwei Winkel bildet, die zusammen kleiner sind als zwei
Rechte, zum Beispiel einen rechten und einen beliebigen spitzen.)
Man darf nämlich auch nicht einwenden, dafs jene Annäherung
auf der einen Seite immer innerhalb einer gewissen bestimmten Grenze
bleiben könne, sodafs also die beiden Linien auf dieser Seite immer
einen Abstand von gewisser Gröfse von einander behielten, obgleich
im Übrigen die eine der andern immer näher kommt. Das darf mau
nicht einwenden, sage ich, weil ich grade daraus [in dem Zusätze I] hinter
Lehrsatz XXV beweisen werde, dafs alle solchen geraden Linien, gemäfs
dem Euklidischen Axiome, in endlicher Entfernung zusammentreffen.
Ich wende mich nunmehr zu dem schon erwähnten John Wallis,
der, um soviel grofsen Männern, alten sowohl als neueren, zu will-
84 Saccberi, Euclides ab omni naevo vindicatus.
■10 fuhren luul aulserdem, weil seinem Lehrstuhle in Oxford diese Ver-
pflichtung auferlegt war, ebenfalls die Aufgabe in Angriff nahm, das
oft genannte Axiom zu beweisen. Dabei nimmt er einzig und allein
Folgendes als sicher an, dafs nämlich zu jeder gegebenen Figur eine ähn-
liche von heliebiger Gröfse möglich sei. Dafs man dies von jeder Figur
voraussetzen dürfe (obwohl er für seinen Zweck nur das geradlinige
Dreieck benützt), begründet er gut mit dem Kreise, den man, wie
jeder zugiebt, mit beliebigem Halbmesser beschreiben kann. Ferner
bemerkt der scharfsinnige Mann sehr vorsichtig, dieser seiner Voraus-
setzung stehe nicht entgegen, dafs aufser der Gleichheit entsprechender
Winkel auch die Proportionalität aller entsprechenden Seiten gefordert
werde, damit eine geradlinige Figur, zum Beispiel eine dreieckige, einer
andern geradlinigen, dreieckigen ähnlich sei, da ja die Erklärung der
Proportionen und damit die der ähnlichen Figuren aus dem fünften
und sechsten Buche Euklids zu entnehmen sei. Denn EuMid hätte
(so sagt er selbst) heide dem ersten Buche voi'ansschicJcen können.
Nachdem dies feststeht (was man freilich leugnen könnte, so lange
es nicht bewiesen ist), führt er sein Unternehmen mit wirklich
schönen und scharfsinnigen Bemübungen zu Ende.
Aber ich will es bei dem von mir unternommenen Geschäfte an
nichts fehlen lassen. Daher nehme ich zwei Dreiecke an, das eine ABC
und das andere BEF (Fig. 24), beide mit
denselben Winkeln. Ich sage nicht geradezu
ähnliche Dreiecke, denn ich habe die Pro-
portionalität der Seiten an gleichen Winkeln
o;ar nicht nötig, und nicht einmal ein be-
stimmtes Mafs der Seiten. Ich will nur
■^'^- ^^' nicht, dafs die Dreiecke gleiche Seiten haben,
denn sonst genügte schon I. 8, ohne jede weitere Voraussetzung.
Es seien also die Winkel an den Pmikten A, B, C der Reihe
nach gleich den Winkeln an den Punkten B, E, F. Ferner sei die
Seite BE kleiner als die Seite AB, und man nehme auf AB ein
Stück AG an gleich BE und ebenso auf AC ein Stück AH gleich
BF] dafs aber BF kleiner als AC sein mufs, werde ich nachher
zeigen. Dann sind, wenn man GH zieht, die Winkel an den Punkten
41 E und F (nach I. 4) gleich A GH xmd AHG. Da nun die eben genannten
Winkel zusammen mit den andern BGH und CHG (nach I. 13)
gleich vier Rechten sind, so sind die Winkel bei B und C zusammen
mit denselben Winkeln BGH und CHG ebenfalls gleich vier Rechten.
Mithin sind die vier Winkel des Vierecks BGHC zusammen gleich vier
Rechten, und dadurch wird (nach Lehrsatz XVI) die Hypothese des
I. Buch, I. Teil. — Anmerkung III und IV zu Lehrsatz XXI. 85
rechten Winkels bedingt, und gleichzeitig (nach Lehrsatz XIII) das
Euklidische Axiom.
Allerdings habe ich vorausgesetzt, dafs die Seite DF oder AH,
das ihr gleich angenommen war, kleiner sei als die Seite AC.
Wäre sie nämlich dieser gleich, und fiele also der Punkt H in den
Punkt C, dann wäre der Winkel BGA (nach der Annahme) gleich
dem Winkel EFD oder GCA (in den dieser dann überginge), das
Ganze dem Teile, was widersinnig ist. Wäre sie aber gröfser, und
schnitte also die Verbindungsgerade GH die Seite BC in einem ge-
wissen Punkte, so wäre nach der Annahme (gegen I. 16) der Aufsen-
winkel AGB gleich dem inneren, gegenüberliegenden Winkel (der
dann entstände) AHG oder GHA*).
Daher habe ich mit Recht vorausgesetzt, dafs die Seite DF des
einen Dreiecks kleiner ist als die Seite AG des andern Dreiecks,
und diese meine Annahme ist hiermit bestätigt.
Mithin wird durch irgend zwei Dreiecke, die gleiche Winkel,
aber nicht gleiche Seiten haben, das Euklidische Axiom bedingt. Und
das war unser Ziel.
Anmerkung IV, worüz eine gewisse BetracMimg an einer Figur
auseinandergesetzt wird, an die FuJdid vielleicht gedacht hat, um sein
Axiom als an sich einleuchtend mi erweisen.
Ich bemerke erstens, dafs innerhalb jedes beliebigen spitzen
Winkels BAX (man gehe auf Fig. 12 zurück)
aus einem gewissen Punkte X von AX eine
Gerade XB gezogen werden kann, die unter \
irgend einem gegebenen, wenn auch stumpfen /r"
Winkel R, der nur mit dem spitzen BAX zu-
sammen weniger als zwei Rechte betrage, —
eine Gerade XB, sage ich, kann gezogen
werden, die in endlicher Entfernung mit AB
in einem gewissen Punkte B zusammentrifft.
Denn grade das habe ich in einer Anmerkung**) hinter Lehrsatz XIII
bewiesen.
*) [Dafs SaccJieri I. 16 benutzt und dadurch die Hypothese des stumpfen
Winkels ausschliefst, ist ein wesentlicher Mangel seines Beweises, da ja die An-
nahme der Existenz zweier ähnlicher Dreiecke schon ausreicht, um beide Hypo-
thesen, die des stumpfen wie die des spitzen Winkels zu beseitigen. Man vergleiche
auch die -Bemerkungen in der Einleitung zu Wallis (S. 10), sowie Lamberts Theorie
der Parallellinien, § 79 und 80.]
**) [Nämlich in Anmerkung IL]
80 Saccheii, P^ncliclcs ab omni uaevo vindicatus.
Ich bemerke zweitens, dais man sieh diese Geraden AU und
^IX (Fig. 2b) ins Unendliche ver-
längert denken kann bis zu gewissen
Punkten ¥'■'■) und Z, und dafs man
sich ebenso die genannte Gerade
XB (die auch ins Unendliche bis
zu einem Punkte Y verlängert ist)
längs ^IZ nach der Seite des Punktes
Z so bewegt denken kann, dafs
der Winkel beim Punkte X auf
der Seite des Punktes A immer gleich dem gegebenen stumpfen
Winkel li ist.
Ich bemerke drittens, dafs jenes Euklidische Axiom keinem
Zweifel mehr unterliegen würde, wenn die vorher genannte Gerade
XY bei jener längs AZ beliebig weit fortgesetzten Bewegung AY
immer in gewissen Punkten B, H, D, P schnitte, und so fort in andern
von A noch weiter entfernten Punkten. Der Grund liegt auf der
Hand: weil nämlich so zwei beliebige, in derselben Ebene befindliche
Gerade AB und XH, mit denen eine beliebige schneidende Gerade
.IX auf derselben Seite zwei Winkel BAX und HXA bildet, die
zusammen kleiner als zwei Rechte sind, schliefslich auf dieser Seite
in einem und demselben Punkte H zusammenkommen müfsten.
Ich bemerke viertens, dafs auch über die Wahrheit der vorher-
gehenden hypothetischen Annahme kein Zweifel herrschen könnte,
wenn die späteren unter jenen äufsern Winkeln YHD, YBP und
ebenso die andern beliebig folgenden entweder immer dem früheren
äufsern Winkel YBB gleich, oder wenigstens niemals um so viel
kleiner sind, dafs nicht jeder unter ihnen immer noch gröfser ist, als
irgend ein sehr kleiner gegebener spitzer Winkel K. Wenn näm-
lich das feststeht, wird es sich offenbar so verhalten, dafs die Ge-
rade XY bei ihrer beliebig weit fortgesetzten Bewegung nach der
Seite des Punktes Z niemals aufhören wird, die vorher erwähnte A Y
zu schneiden, was -ja (nach der vorhergehenden Bemerkung) voll-
43 kommen ausreichend ist, um das strittige Axiom zu erweisen.
Es bleibt also einzig und allein übrig, dafs ein Gegner sagt, jene
äufseren Winkel würden bei gröfserer und gröfserer Entfernung von
jenem Punkte A immer kleiner ohne irgend eine bestimmte Grenze,
Daraus aber würde folgen, dafs XY bei seiner Bewegung längs der
Geraden ÄZ schliefslich AY in einem Punkte P treffen müfste, ohne
'") [Dabei wird, wie sich nachher zeigt, der Linienzug APY als die Ver-
längerung der geraden Linie AB angesehen.]
I. Blieb, I. Teil. — Anmerkung IV /u Lehrsatz XXI. Lehrsatz XXIL <S7
einen Winkel mit dem Abschnitte PY zu bilden, sodafs also die beiden
Geraden APY und XPY auf diese Art einen Abselmitt gemeinsam
hätten. Das widerstrebt aber augenscheinlich der Natur der geraden
Linie*).
Wer aber den stumpfen Winkel bei jenem Punkte X auf der
Seite des Punktes Ä unbequem findet, der darf ihn ohne Weiteres als
rechten voraussetzen, sodafs (^da die erwähnte Gerade XY sich immer
unter rechtem Winkel längs der Geraden ÄZ bewegt) noch deutlicher
erhellt, wie die Punkte von XY sich gleichmäfsig in Bezug auf die
Grundlinie ÄZ bewegen, und dafs deshalb die schon erwähnte Gerade
XY nicht aus einer, welche die andere unbegrenzte Gerade ÄY
schneidet, in eine nicht schneidende übergehen kann, ohne sie entweder
einmal in einem Punkte genau zu berühren oder sie in einem Punkte
P zu treffen, wo sie mit ÄY einen Abschnitt PY gemeinsam hat.
Dafs aber dieses beides der Natur der geraden Linie entgegen ist,
werde ich bei dem Lehrsatze XXXIII zeigen.
Mithin mufs dem wahren Begriffe der geraden Linie zufolge jene
Gerade XY bei beliebigem Abstände des Punktes X vom Punkte Ä
die Gerade Ä Y immer in einem gewissen Punkte treffen. Und dafs
eben dies (wie klein auch der spitze Winkel beim Punkte Ä ange-
nommen wird) genügt, um, entgegen der Hypothese des spitzen
Winkels, das Euklidische Axiom zu beweisen, das wird aus Lehrsatz
XXVII hervorgehen.
Lehrsatz XXIL Stehen swei Gerade ÄJB und CD, die in derselben
Ebene liegen, auf einer Geraden BD senhrecht, und bildet die Ver-
bindungslinie ÄC dieser Lote spitze innere WinJccl mit Urnen (bei
der Hypothese des spitzen Winkels), so behaupte ich (Fig. 26), 44
dafs die beiden begrenzten Geraden ÄC und BD ein gemeinsames Lot
besitzen, und zwar innerhalb der Grenzen, die durch die gegebenen PimJäe
Ä und C festgelegt sind.
Beweis. Sind nämlich AB und ÖL) gleich, so steht (nach Lehr-
satz II) die Gerade LK, die ÄC und BD beide
halbiert, sicher auf beiden gleichzeitig senkrecht. ^1 * ^
Ist aber eine von beiden gröfser, zum Bei- ^ ~~~
spiel AB, so fälle man auf BD (nach I. 12) aus l
einem Punkte L von ÄC das Lot LIC, das die x — '■
andere BD in K treffe. Dieses wird sie dann in c ____
einem Punkte K treffen, der zwischen den Punkten Fig. 26.
*) [Hier ist die Möglichkeit übersehen, dafs der Punkt P ins Unendliche
fällt, und dann kommt man auf keinen Widerspruch.]
83 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
B und D liegt, denn sonst scliiiitte das Lot LK (gegen I. 17) eine der
beiden Geraden AB oder CD, die gleichfalls auf BD senkrecht stehen.
Sind nun die Wmkel an dem Punkte L keine rechten, so ist der eine
von ihnen spitz und der andre stumpf. Es liege der stumpfe auf
der Seite des Punktes C.
Jetzt denke man sich die Gerade LK derart nach AB hin be-
wegt, dafs sie immer auf BD senkrecht steht und zugleich, geeignet
vergröfsert oder verkleinert, die Gerade AC in einem ihrer Punkte
schneidet. Die Winkel an den Schnittpunkten mit AC können auf
der Seite von C sicher nicht alle stumpf seui, sonst wäre schliefslich
auch in dem Punkte A, wo die Geraden LK und AB einander
decken, der Winkel am Punkte A auf der Seite von C stumpf,
während er doch auf dieser Seite, nach der Annahme, spitz ist. Da
nun vorausgesetzt wurde, dafs der Winkel von LK beim Punkte L
auf der Seite von C stumpf sei, so kann die Gerade LK bei ihrer
Bewegung nicht dazu übergehen, in einem ihrer Punkte auf der Seite
des genannten Punktes C einen spitzen W^inkel mit der Geraden AC
zu bilden, ohne vorher in einem ihrer Punkte auf der Seite desselben
Punktes C mit AG einen rechten Winkel gebildet zu haben. Es
giebt also zwischen den Pimkteu A und L einen gewissen Zwischeu-
punkt H, wo die auf BD senkrecht stehende Gerade HK auch auf
der andern AC senkrecht steht*).
Auf ähnliche Weise zeigt man, dafs es eine Gerade XK zwischen
LK und CD giebt, die sowohl auf der Geraden
\B BD als auch auf der Geraden AC senkrecht
ib A
H K steht, wenn nämlich vorausgesetzt wird, dafs der
L K stumpfe Winkel bei L auf der Seite von A liegt.
j- ^ Die Geraden AC und BD haben also sicher
^,| Ijr, ein gemeinsames Lot, und zwar innerhalb der
1 ig. 26. durch die gegebenen Punkte A und C festgelegten
Grenzen, sobald die Verbindungsgeraden AB und
CD in derselben Ebene liegen und auf BD senkrecht stehen [und mit
AC spitze innere Winkel bilden]. Was zu beweisen war.
Lehrsatz XXTIL Liegen irgetul swei Gerade AX und BX*"')
(Fig. 27) in derselh&ii Ehern, so haben sie (auch hei der Hypothese
*) [Auch hier macht SaccJieri you dem Axiome der stetigen Änderung Ge-
brauch; man vergleiche die Anmerkung S. .56.]
**) [An dieser Stelle benutzt Sacduri denselben Buchstaben, X, wohl des-
halb zweimal, weil er in dem Falle, wo die beiden Geraden ÄD und BK ein-
ander treffen, X als ihren Schnittpunkt auffafst.]
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXII, XXIII, Zusatz I. 89
des spitzen Winkels) entweder ein gemeinsames Lot oder sie müssen,
ivenn man sie nach einer gewissen, aber heide nach derselben Seite ver-
längert, entweder einmal in endlicher Entfernung zusammentreffen oder
wenigstens einander immer näher kommen.
Beweis. Aus irgend einem Punkte A von AH fälle mau auf die
Gerade BX das Lot AB. Wenn BA m.iiAX einen
recliten Winkel bildet, liaben wir den behaupteten
Fall des gemeinsamen Lotes. Sonst aber wird
diese Gerade auf einer von beiden Seiten, zum
Beispiel auf der des Punktes X, einen spitzen
Winkel bilden. Dann wähle man auf der ge-
nannten Geraden AX zwischen den Punkten A
und X irgend welche Punkte D, H, L und fälle
von diesen auf die Gerade BX die Lote DK, ^^^' ^'^•
HK, LK. Ist einer der Winkel bei den Punkten D, H, L auf der
Seite des Punktes A spitz, so giebt es (nach dem vorhergehenden
Lehrsatze) sicher ein gemeinsames Lot von AX und BX. Wenn aber
jeder dieser Winkel gröfser als ein spitzer ist, so ist entweder einer
ein rechter, und dann haben wir wiederum den Fall des gemeinsamen
Lotes, da alle Winkel bei den Punkten K als rechte ansenommen
sind , oder es müssen alle jene Winkel auf der Seite von A stumpf,
und somit auf der Seite von X spitz sein. Dann schliefse ich wieder so:
Da in dem Viereck KBHK die Winkel bei den Punkten K
rechte sind, der Winkel beim Punkte B aber spitz sein soll, so ist 46
(nach Zusatz II hinter Lehrsatz III) die Seite BK gröfser als die
Seite HK. Auf ähnliche Art zeigt man* dafs die Seite HK gröfser
ist als die Seite LK, und so geht es immer weiter, wenn man die
Lote mit einander vergleicht, die aus immer weiter hinauf liegenden
Punkten von AX auf die andre Gerade BX gefällt sind. Deshalb
werden sich AX und BX auf der Seite des Punktes X einander immer
mehr nähern, und dies ist die zweite unter den beiden Möglichkeiten
unsers Lehrsatzes.
Nach alledem ist sicher, dafs irgend zwei Gerade AX und BX,
die in derselben Ebene liegen, entweder (auch bei der Hypothese
des spitzen Winkels) ein gemeinsames Lot besitzen, oder, wenn
man sie nach einer gewissen, aber beide nach derselben Seite ver-
längert, entweder einmal in endlicher Entfernung zusammentreffen
oder wenigstens einander immer näher kommen müssen. Was zu be-
weisen war.
Zusatz I. Hiernach sind bei jedem Punkte von AX, von dem
aus man das Lot auf die Gerade BX fällt, die Winkel auf der Seite
00 Saccheri, Euclicles iib omni naevo vindicatus.
der CTnmdliuie AB immer stumpf; sie sind immer stumpf, wiederhole
ich, so oft sich jene beiden Geraden AX und BX auf der Seite der
l'unkte X einander immer mehr nähern. Das mufs man richtig
auffassen, es sind nämlich die Lote zu nehmen, die vor dem erwähnten
Zusammentreflen gefällt sind, falls etwa die eine Gerade die andre in
endlichem Abstände treffen sollte.
Anmerkung. Ich sehe freilich, dafs hier noch die Frage offen
bleibt, auf welche Weise man das Vor-
handensein jenes gemeinsamen Lotes
zeigen soll, wenn irgend eine Gerade
FF HD (Fig. 28), welche die beiden
Geraden AX und BX in den Punkten
F und H trifft, auf derselben Seite
zwei innere Winkel AHF und BFH
47 bildet, die zwar keine rechten, aber zusammen gleich zwei Rechten
sind. Hier folgt deshalb eine geometrische Herleitung dieses gemein-
samen Lotes.
Man halbiere FH in M und fälle auf AX und BX die Lote
3IK und ML. Der Winkel 31FL ist (nach L 13) gleich dem Winkel
MHK, der ja nach der Voraussetzung mit dem Winkel BFH zwei
Rechte ausmacht. Aufserdem sind die Winkel an den Punkten K
und L rechte, und endlich sind 31 F und MH gleich. Also sind
(nach I. 26) auch die Winkel F3IL und H3IK gleich. Deshalb ist
der Winkel HMK zusammen mit dem Winkel HML gleich zwei
Rechten, da (nach L L3) der Winkel FML mit diesem zusammen gleich
zwei Rechten ist. Folglich ist K3IL (nach L 14) eine zusammen-
hängende gerade Linie und mithin für die genannten Geraden AX
und BX das gemeinsame Lot. Was zu beweisen war.
Zusatz H. Hieraus kann ich wieder beweisen, dafs jene beiden
Geraden ^X und BX, mit denen die schneidende Gerade PF HI)
entweder auf derselben Seite zwei innere Winkel bildet, die zusammen
gleich zwei Rechten sind, oder, was daraus (nach I. 13 und 15) folgt,
gleiche äufsere oder innere Wechsel winkel, oder auch, aus demselben
Grunde, einen äufseren (zum Beispiel DHX), der gleich ist dem
inneren gegenüberliegenden HFX, dafs, sage ich, jene beiden Geraden
auch bei der Verlängerung ins Unendliche nicht zusammentreffen
können.
Wenn man nämlich aus irgend einem Punkte N von AX auf
BX das Lot NB, fällt, so Avird dieses bei der Hypothese des spitzen
AA inkels (die uns ja allein hinderlich sein kann) gröfser als das ge-
meinsame Lot KL (nach Zusatz I hinter Lehrsatz EI). Daher
I. Bucl], I. Teil. — Zusatz I und II /u Lehrsab XXIII. Lehrsatz XXIV. Dl
können jene beiden Geraden AX und BX niemals mit einander zu-
sammentreffen.
Ferner haben wir hiermit die Lehrsätze 27 und 28 des ersten
Buches von Euklid bewiesen, und zwar ohne die vorhergehenden Lehr-
sätze 16 und 17 desselben ersten Buches in ihrer vollen Allgemeinheit
zu benutzen. Bei diesen könnte nämlich eine Schwierigkeit entstehen, 48
wenn sich über einer endlichen Grundlinie ein Dreieck mit unendlich
grofsen Seiten befände, und auf ein solches Dreieck würde sich mit
Recht berufen, wer glaubt, dafs jene Geraden ÄX und BX wenigstens
in unendlich grofser Entfernung zusammentreffen, selbst wenn die
Winkel bei der schneidenden Geraden PFHD so beschaffen sind, wie
wir sie voraussetzten.
Übrigens können wegen des Nachweises eines gemeinsamen Lotes
KL die beiden Geraden KX und LX auf der Seite der Punkte X
sicher nicht zusammenlaufen, da sonst (wegen einer leicht verständ-
lichen Aufeinanderlegung) zugleich auf der andern Seite die übrig-
bleibenden unbegrenzten Geraden KA und LB zusammenliefen und
infolgedessen die Geraden AX und BX einefi Raum einschlössen, was
gegen die Natur der geraden Linie ist.
Doch darauf kommen wir später zurück. Denn im Vorher-
gehenden habe ich I. 16 und 17 nur dann angewandt, wenn es sich
augenscheinlich um ein vollständig begrenztes Dreieck handelte, wofür
Sorge zu tragen ich in dem Vorwort an den Leser versprochen hatte.
Lehrsatz XXIV. Unter denselben Voraussetzungen'-'-) behaupte ich,
dafs die vier Winlcel (Fig. 27) des der Grundlinie AB näheren VierecliS
KDHK (bei der Hypothese des spitzen WinJcels) zusammen Meiner
sind, als die vier Winliel des von derselben Grundlinie entfernteren Vier-
ecliS KHLK, und ztvar gilt das soivohl, ivenn die beiden Geraden AX
und BX einmal in endlicher Entfernung auf der Seite der PunJdc X
zusammentreffen, als auch, wenn sie einander niemcds treffen, vielmehr auf
jener Seite enttveder einander mehr und mehr näher Iwmmen, oder einmal
ein gemeinsames Lot erhalten, von dem aus sie ja doch (nach Zusatz II
zu dem vorhergehenden Lehrsatze) nach eben dieser Seife auseinanderzu-
gehen anfangen.
Beweis. Hier setzen wir jedoch voraus, dafs die Stücke KK ein-
ander gleich gewählt sind. Da nun (nach dem Vorhergehenden) die 49
Seite I)K gröfser ist als die Seite IIK und ebenso HK gröfser ist
als die Seite LK, so nehme man auf HK ein Stück 31 K gleich LK
*) [Nämlich wie beim Beweise des Lehrsatzes XXIIl für den Fall, dafs die
Winkel ADK, AHK, und so weiter alle stumpf sind.]
-
X.
L
lI
a:
^
Jl/''^
fC
\
\
K
n
/
/
^
y 2^
92 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
und auf DK eiu Stück "NK gleich IIK und verbinde M mit ^, M
mit K und L mit K, nämlich den mittelsten Pmikt K mit dem
Punkte L und den B näheren Punkt K mit dem
Pimkte M. Jetzt verfahre ich so:
Da ja die Seiten des Dreiecks KKL (ich
werde immer mit dem Punkte K beginnen, der
näher an B liegt) den Seiten des Dreiecks
KKM gleich sind und auch die eingeschlossenen
Winkel gleich sind, nämlich rechte, so sind (nach
I. 4) auch die Grundlinien LK und MK gleich,
^'^8- 2^ und ebenso sind die einander entsprechenden
Winkel an diesen Grundlinien gleich, also der Winkel KLK dem
Winkel K3IK und der Winkel LKK dem Winkel MKK. Folglich
sind auch die Reste NKM und HKL gleich. Da ferner ebenso die
Seiten NK und KM des Dreiecks NKM den Seiten HK und KL
des Dreiecks HKL gleich sind, so sind (wieder nach I. 4) auch die
Grundlinien NM und HL, die Winkel KNM und KHL und endlich
die Winkel KMN und KLH gleich. Es wurde aber schon bei den
früheren Dreiecken nachgewiesen, dafs die Winkel KLK und KMK
gleich sind. Mithin ist der ganze Winkel NMK gleich dem ganzen
Winkel HLK. Deshalb folgt offenbar, da alle Winkel bei den Punkten
K rechte sind, dafs die vier Winkel des Vierecks KNMK zusammen
den vier Winkeln des Vierecks KHLK gleich sind. Weil aber (nach
dem Zusätze hinter Lehrsatz XVI) die beiden Winkel an den Pimkten N
und M in dem Viereck KNMK bei der Hypothese des spitzen Winkels
zusammen gröfser sind, als die beiden Winkel des Vierecks NB HM
oder des Vierecks KDHK bei B und H zusammen, so folgt hieraus,
dafs (nach Hinzufügung der gemeinsamen rechten Winkel an den
Punkten K) die vier Winkel des Vierecks KNMK oder des Vierecks
KHLK (bei der Hypothese des spitzen Winkels) zusammen gröfser
sind, als die vier Winkel des Vierecks KBHK zusammen. Was zu
beweisen war.
50 Zusatz. Es ist übrigens zweckmäfsig hier zu bemerken, dafs die
angewandte Beweisführung gültig bleibt, auch wenn — bei der Hypo-
these des spitzen Winkels — der Winkel beim Punkte L als rechter
angenommen wird. Denn das gemeinsame Lot LK wäre (nach Zu-
satz I hinter Lehrsatz HI) immer noch kleiner, als das andre Lot
HKy und deshalb könnte man auf diesem ein Stück gleich dem
erwähnten Lote annehmen. Sobald aber das feststeht, kann nichts
Störendes mehr eintreten.
Anmerkung. Nichtsdestoweniger könnte man zweifeln, ob eine
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXIV, Zusatz, Anmerkung. Lehrsatz XXV. 93
Senkrechte, die in irgend einem Punkte K (der auf BX vor dem
Zusammentreffen von BJ(. mit der andern Geraden AX angenommen
ist) nach der Seite von AX. errichtet wird, diese Gerade in einem
Punkte L treffen mufs (Fig. 29), wofern man nämlich voraussetzt,
dafs sich jene beiden Geraden vor dem erwähnten Zusammentreffen
einander immer mehr nähern*). Ich behaupte aber, dafs es sich auf
folgende Weise vollständig ergiebt.
Beweis. Man wähle auf BX einen beliebigen Punkt K und
auf AX. nehme man ein Stück AM an, gleich
BK vermehrt um das Doppelte von AB. Dann
fälle man von 31 aus (nach I. 12) auf BX das
Lot MN. Es ist (bei der gegenwärtigen Voraus-
setzung) 3IN kleiner als AB. Deshalb ist AM
(das gleich BK vermehrt um das Doppelte von AB
ist) gröfser als die Summe von BK, AB und
NM. Jetzt mufs gezeigt werden, dafs AM
seinerseits kleiner ist, als die Summe von BN,
... Fig. 29.
AB und MN, damit sich hieraus ergebe, dafs
BN gröfser ist als die genannte Gerade BK, und dafs deshalb der
Punkt K zwischen den Punkten B und N liegt.
Man ziehe B3L Die Seite AM ist (nach I. 20) kleiner als die
beiden übrigen Seiten AB und B3I zusammen. Ebenso ist die Seite 51
B3I (wieder nach I. 20) kleiner als die beiden Seiten BN und 31 N
zusammen. Folglich ist die Seite AM viel kleiner, als die Seiten
AB, BN und NM zusammen. Das aber war zu zeigen, damit sich
ergäbe, dafs der Punkt K zwischen die Punkte B und N fällt.
Hieraus folgt nun, dafs die Senkrechte, die im Punkte K nach
der Seite von AX errichtet wird, diese Gerade in einem Punkte L
ti-effen mufs, der zwischen den Punkten A und M liegt, denn sonst
müfste sie (im Widerspruche mit I. 17) eine der beiden auf BX
senkrechten Geraden AB oder 3IN schneiden. Was zu beweisen war.
Lehrsatz XXV. Wenn zwei in derselben Ebene liegende Gerade
{Fig. 30) AX und BX (und zwar soll die eine in dem Punkte A einen
spitzen Winkel^ mit AB bilden, die andre in dem Pmikte B einen
rechten WinJcel) auf der Seite der Punkte X einander immer näher
'*) [Saccheri will hiermit sagen, dafs die beiden Geraden AX und BX erst
im Unendlichen zusammentreffen sollen. Ohne diese Voraussetzung würde man
in dem folgenden Beweise nicht behaupten dürfen, dafs MN kleiner als AB
sein mufs, denn M könnte dann jenseits des Schnittpunktes der beiden Geraden
liegen.]
ii4
Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Fig. 30.
hommen, tvährend jedoch ihr Abstand stets gröfser hleiht als eine geivisse
(jefjcbene Lämjc: so Icommt die Hypothese des spitzen WinJcels zu Falle.
Beweis. Gegeben sei die Lauge Ix. Nimmt mau uun auf BX
ein Stück BK au, das ein beliebiges Vielfaches der vorgelegten
Länge B ist, so wird (nach der vorhergehenden Anmerkung) das in K
nach der Seite von ÄX errichtete Lot diese Gerade sicher in einem
Punkte L treffen, und ferner ist (bei der gegenwärtigen Annahme)
KL sicher gröfser als die orenannte Länge B. Weiter denke man
sich BK in lauter Stücke KK geteilt, von denen jedes einzelne
gleich B ist, bis zuletzt auch KB gleich der
Länge B wird. Endlich mögen in den Funkten
K auf BX Senkrechte errichtet werden, die
ÄX in den Punkten L, H, D, M bis zu einem
Punkte N trefien, der dem Punkte Ä am
nächsten ist. Nun verfahre ich so:
Es sind (nach dem vorhergehenden Lehr-
satze) die vier Winkel des von der Grundlinie
entfernteren Vierecks KHLK zusa^mmen gröfser
als die vier Winkel des der Grundlinie näheren
Vierecks KDHK, und die vier Winkel dieses
Vierecks sind zusammen gröfser als die vier Winkel des Vierecks
KMDK, das ihm in der Richtung nach der Grundlinie zu folgt.
Und so geht es immer weiter bis zum letzten Viereck KNAB,
dessen vier Winkel zusammen am kleinsten sind im Vergleich zur
Summe der vier Winkel jedes der Vierecke, die weiter oben nach
den Punkten X zu liegen. Da es aber solcher Vierecke, wie sie im
Vorhergehenden beschrieben wurden, eben so viele giebt als man,
abgesehen von der Grundlinie AB, Lote aus Punkten von AX auf
die Gerade BX gefällt hat, so kann man die Gesamtsumme aller der
Winkel ermitteln, die in jenen Vierecken enthalten sind.
Wir wollen annehmen, man habe neun solche Lote gefällt und
habe daher auch neun Vierecke. Nun sind (nach I. 13) gleich vier
Rechten die Winkel zu beiden Seiten der beiden Endpunkte jedes der
acht Lote, die zwischen der Grundlinie AB und dem entferntesten
Lote LK liegen. Daher ist die Summe aller dieser Winkel gleich
32 Rechten. Übrig bleiben die beiden Winkel an dem Lote LK
und die beiden an der Grundlinie AB. Aber der Winkel beim Punkte
K und der beim Punkte B sind der Annahme nach rechte, während
der Winkel beim Punkte L (nach dem Zusätze [I] hinter Lehrsatz XXIII)
stumpf ist. Mithin übertrifft (auch ohne Berücksichtigung des spitzen
Winkels bei dem Punkte A) die Summe aller Winkel, die von den
I. Buch, I. 'l'eil. — Lehrsatz XXV. 95
neun Vierecken gebildet werden, 35 Rechte. Hieraus folgt aber, dafs
die Summe der vier Winkel des am weitesten von der Grundlinie
entfernten Vierecks KHLK sich von vier Rechten um weniger als
den neunten Teil eines Rechten unterscheidet, und zwar auch dann
noch, wenn jedem einzelnen jeuer Vierecke der gleiche Anteil an der
genannten Summe aller Winkel zukäme. Mithin wird der betreffende
Unterschied sogar noch kleiner sein, da gezeigt worden ist, dafs die
Summe der vier Wiukel jenes Vierecks KHLK im Vergleich zur Summe
der vier Winkel jedes der übrigen Vierecke die allergröfste ist. 53
Ferner aber kann man wegen der Annahme, unter der dieser
Lehrsatz gültig sein soll, die Länge von BK so grofs annehmen, dafs
über den Grundlinien KK, die jede für sich jener gegebenen Länge jR
gleich sind, soviele Vierecke gezeichnet werden können, als man nur
will. Daher wird sich die Abweichung der Winkelsumme des ent-
ferntesten Vierecks KHLK von vier Rechten schliefslich kleiner heraus-
stellen als ein Hundertstel und als ein Tausendstel und überhaupt als
jeder noch so kleine angebbare Teil eines Rechten.
Weiter sind jedoch (nach der vorhergenannten Voraussetzung) LK
und HK gröfser als die gegebene Länge H. Wenn man also auf KL
O OD O
und KH Stücke KS und KT gleich KK^ oder der Länge jB annimmt,
so ist, wenn man ST zieht, (nach dem Zusätze hinter Lehrsatz XVI)
die Summe der Winkel KST und KTS (bei der Hypothese des
spitzen Winkels) gröfser als in dem Viereck THLS oder in dem
Viereck KHLK die Summe der Winkel bei den Punkten H und L,
und deshalb sind (nach Hinzufügung der gemeinsamen rechten Winkel
bei den Punkten K und K) die vier Winkel des Vierecks KTSK
zusammen gröfser als die vier Winkel jenes Vierecks KHLK.
Nunmehr ist einerseits unveränderlich und gegeben das Viereck
KTSK, denn es wird gebildet von der Grundlinie ICK, die gleich der
gegebenen Länge R sein sollte, ferner von den beiden Loten TK
und TS, die dieser Grundlinie gleich sind und endlich von der Ver-
bindungsgeraden TS, die durchaus bestimmt ausfällt, und andrerseits ist
bewiesen, dafs die Summe der vier Winkel jenes unveränderlichen und
gegebenen Vierecks gröfser ist als die Summe der vier Winkel des
Vierecks KHLK, das von der Grundlinie AB beliebig weit absteht. -
Folglich fällt die Summe der Winkel jenes unveränderlichen und
gegebenen Vierecks KTSK gröfser aus als irgend eine Summe von
Winkeln, die auch noch so wenig von vier Rechten abweicht, denn
es ist gezeigt worden, dafs man immer ein solches Viereck KHLK
angeben kann, bei dem die Winkelsumme von vier Rechten weniger 54
abweicht als irgend ein angebbarer noch so kleiner Teil eines rechten
96 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Winkels. Mithin ist die Summe der Winkel jenes unveränderlichen
und gegebenen Vierecks entweder gleich vier Rechten oder gröfser.
Dadurch aber wird (nach Lehrsatz XVI) die Hypothese des rechten
AViukels oder die des stumpfen Winkels bedingt, und infolgedessen
kommt (nach Lehrsatz V und VI) die Hypothese des spitzen Winkels
zu Falle.
Daher wird die Hypothese des spitzen Winkels sicher zerstört,
wenn zwei in derselben Ebene liegende Gerade einander immer näher
kommen, während jedoch ihr Abstand stets gröfser bleibt, als eine
gewisse gegebene Länge. Das aber war zu beweisen.
Zusatz I. Aber (wenn einmal die Hypothese des spitzen Winkels
zerstört ist) so liegt nach Lehrsatz XIII das strittige Euklidische Axiom
auf der Hand, was eben hier darzulegen, ich in der Anmerkung III
hinter Lehrsatz XXI verheiTsen habe, als ich den Versuch des Arabers
Nassaradin besprach.
Zusatz II. Andrerseits läfst dieser Lehrsatz und der frühere
dreiundzwanzigste deutlich erkennen, dafs es zur Begründung der Eu-
klidischen Geometrie nicht genügt, wenn man die beiden folgenden
Festsetzungen trifft:
Die erste besteht darin, dafs man solche Gerade parallel nennt,
die in derselben Ebene liegen und ein gemeinsames Lot besitzen. Die
zweite besteht darin, dafs alle Geraden, die in derselben Ebene liegen
und kein gemeinsames Lot besitzen und daher nach der angenommenen
Erklärung nicht parallel sind, sich einmal, sobald sie nach einer von
beiden Seiten immer mehr verlängert werden, wenn nicht in endlicher,
55 so doch in unendlicher Entfernung schneiden müssen. Es wäre nämlich
erst noch zu beweisen, dafs irgend zwei Gerade, die in derselben
Ebene liegen und mit denen eine schneidende Gerade auf derselben
Seite innere Winkel bildet, die zusammen kleiner als zwei Rechte
sind, sonst nirgends ein gemeinsames Lot erhalten können. Es wird
sich aber weiter unten*) herausstellen, dafs, wenn man dieses bewiesen
hat, die Euklidische Geometrie aufs Strengste begründet ist.
Lehrsatz XXVI. Wenn die vorJiergenannten Geraden ÄX und BX
(Fig. 31) zivar zusammentreffen sollen, jedoch erst, wenn man sie nach
der Seite der PunJcte X ins Unendliche verlängert hat, so hehaupte ich,
dafs man auf AB Ticinen PunJä T angehen Jcann, hei dem die nach der
Seite von AX errichtete Senkrechte diese Gerade AX nicht in einem
endlicJien oder hegrmzten Abstände in einem Punkte F trifft.
*) [Nämlich in der Anmerkung I zu Lehrsatz XXVII.]
I. Buch, L Teil. — Lehrsatz XXV, Zusatz T, II. Lehrsatz XXVI, Zusatz I— III. 07
Beweis. Es giebt nämlich (bei der obigen Ainiahme) auf ^X einen
Punkt N, der so beschaffen ist, dafs das von ihm auf BX gefällte
Lot NK kleiner ist, als jede beliebige gegebene Länge, zum Bei-
spiel als TB. Dann aber nehme
man auf TB ein Stück* CB gleich
NK und ziehe CK Bei der Hy-
pothese des spitzen Winkels ist nun
der Winkel NCB spitz. Mithin
wird (nach I. 13) der Nebenwinkel
NCT stumpf. Also wird die Ge-
rade, die von einem Punkte T aus
(der zwischen den Punkten Ä und
C liegt) senkrecht nach der Seite
von ÄX gezogen wird, (nach L 17)
keinen Punkt von CN treffen und deshalb (weil sie sonst mit AT
oder mit TC einen Raum einschlösse) die begrenzte Gerade ^iV^ in
einem Punkte F treffen.
Daher liegt sogar bei der Hypothese des spitzen Winkels (die, wie
wir wissen, hier allein noch störend sein kann) auf AB kein angeb-
barer Punkt T, bei dem die nach der Seite von AX errichtete Senk-
rechte die Gerade AX nicht in endlicher oder begrenzter Entfernung
in einem Punkte F trifft. Was zu beweisen war.
Zusatz L Hieraus folgt aber, dafs, wenn man auf der Ver-
längerung von AB irgend einen Punkt 31 annimmt und von ihm aus
nach der Seite der Punkte X die Senkrechte MZ zieht, diese, auch
wenn sie ins Unendliche verlängert wird, nicht mit der genannten
Geraden AX zusammentreffen kann, denn sonst müfste die andre
Gerade BX (nach dem vorhergehenden Beweise) eben diese Gerade
-4X in endlichem Abstände treffen, was der gegenwärtigen Voraus-
setzung widerspricht.
Zusatz n. Daraus folgt ferner, dafs jede Senkrechte, die in einem
Punkte jener, beliebig verlängerten. Geraden AB errichtet ist, aber
freilich nicht in einem unendlich entfernten Punkte, die genannte
Gerade AX in endlichem Abstände treffen mufs, sobald mau nämlich
die Annahme macht, dafs sich jede solche Senkrechte der andern
immer weiter verlängerten Geraden AX immer mehr ohne jede be-
stimmte Grenze nähert.
Zusatz in. Hieraus folgt endlich, dafs BX von jener Geraden
AX nicht geschnitten werden kann, auch wenn diese ins Unendliche
verlängert wird, weil man sich sonst aus einem Punkte von AX jenseits
des genannten Schnittes auf die Verlängeruno; von AB ein Lot ZM
Stäckol u. Engel , Parallelentheorie. 7
56
98
Saccheii, Euclides ab omni naevo vindicatus.
gefällt denken könnte, woraus wiederum folgte, dafs BX (gegen die
eben gemaclite Voraussetzung) die genannte Gerade ÄX nicht in
einem unendlichen, sondern schon in einem endlichen Abstände träfe.
Aber diese letzte Bemerkung zu machen, liegt eigentlich hier
noch kein Bedürfnis vor*).
Lehrsatz XXVII. Zieht man von dem Funlde A der Geraden AB
aus unter einem heliehig Meinen Winkel eine Gerade AX (Fig. S2), 7ind
muß diese sclüiefslicli (wenigstens in unendlicher Entfernung) jede SenJi-
reclite BX treffen, die man sich in irgend eine)' Entfernung von dem Punlie
A auf der schneidenden Geraden AB errichtet denkt, so behaupte ich, dafs
für die Hypothese des stützen Winkels kein Baum mehr vorhanden ist.
Beweis. In einem Punkte K, der in der Nähe des Punktes A
auf AB beliebig angenommen sei,
errichte man auf AB das Lot KL,
das (nach Zusatz II zum vorher-
gehenden Lehrsatze) AX stets in
endlicher oder begrenzter Entfer-
nung in einem Punkte L trifft.
Nun kann man auf KB Stücke
KK annehmen, deren jedes einer
gewissen gegebenen Länge M gleich
ist, und deren Anzahl grofser ist
als irgend eine gegebene endliche Zahl, da ja der Punkt B, nach der
gegenwärtigen Voraussetzung, in beliebiger Entfernung von dem Punkte
A angenommen werden darf.
Demnach errichte man [erstens] in den andern Punkten K auf
AB die Lote KH, KD, KB, die (nach dem eben erwähnten Zusätze)
alle die Gerade AX in gewissen Punkten H, B, P treffen; und eben
dasselbe gilt für die übrigen, in gleicher Weise gewählten Punkte K
nach B hin.
Zweitens sind (nach I. 16) die Winkel bei den Punkten L, H, D, P
auf der Seite der Punkte X alle stumpf, und ebenso (nach I. LS)
die Winkel an den genannten Punkten auf der Seite des Punktes
A alle spitz. Also ist (nach Zusatz 11 hinter Lehrsatz III) die Seite
KH gröfser als die Seite KL, die Seite KB gröfser als die Seite KH,
und so immer weiter, wenn man nach den Punkten X hin wandert.
Drittens ist die Summe der vier Winkel des Vierecks KLHK
*) [Saccheri behandelt hier den unendlich fernen Schnittpunkt, als ob er ein
im Endlichen liegender Punkt •wäre. Sein späterer Beweis für das Euklidische
Axiom (Lehrsatz XXXIII) beruht auf derselben in-tümlichen Auffassung.]
I. Buch, I. Teil. — Zusatz III zu Lehrsatz XXVI. Lehrsatz XXVII, Anmerkung I. 99
s'röfser als die Summe der vier Winkel des Vierecks KHT)K, denn
das ist in einem ähnlichen Falle schon in Lehrsatz XXIV bewiesen
worden.
Viertens gilt dasselbe von dem Viereck KHDK im Vergleich
zu dem Viereck KDPK, und so immer, wenn man zu Vierecken
übergeht, die von dem Punkte Ä weiter entfernt sind. .58
Da es nun (wie bei Lehrsatz XXV) solcher Vierecke, wie sie
eben beschrieben worden sind, ebenso viele giebt als, abgesehen von
dem ersten Lote LK, aus Punkten von AX auf die Gerade AB Lote
gefällt sind, so ist (wenn wir annehmen, dafs aufser dem ersten neun
solche Lote gefällt sind) in gleicher Weise sicher, dafs die Summe
aller Winkel, die von jenen neun Vierecken gebildet werden, 35 Rechte
übersteigt, und dafs deshalb die Summe der vier Winkel des ersten
Vierecks KLHK, das in dieser Beziehung die andern alle übertrifft,
von vier Rechten um weniger abweicht, als der neunte Teil eines
Rechten beträgt. Vermehrt man daher die Vierecke über jede be-
liebige angebbare endliche Zahl, indem mau immer nach der Seite
der Punkte X hin wandert, so unterscheidet sich in ähnlicher Weise
(wie bei dem schon erwähnten Lehrsatze) die Summe der vier Winkel
jenes festen Vierecks KLHK von vier Rechten um weniger, als
irgend ein beliebiger angebbarer Bruchteil eines Rechten. Also ist
die Summe jener vier Winkel entweder gleich vier Rechten oder
gröfser. Dadurch aber wird (nach Lehrsatz XVI) die Hypothese des
rechten Winkels oder die des stumpfen Winkels bedingt, und deshalb
(nach Lehrsatz V und VI) die Hypothese des spitzen Winkels zu
Falle gebracht.
Daher ist sicher kein Raum für die Hypothese des spitzen Winkels
vorhanden, wenn eine Gerade AX, die unter einem beliebig kleinen
Winkel von dem Punkte A der Geraden AB aus gezogen ist, schliefs-
lich (wenigstens in unendlicher Entfernung) jede Senkrechte BX
treffen mufs, die man sich in irgend einer Entfernung von dem Punkte
A auf der schneidenden Geraden AB errichtet denkt. Was zu be-
weisen war.
Anmerkung I. Grade dieses habe ich in dem Zusätze II hinter
Lehrsatz XXV vorausgesagt, dafs nämlich für die Hypothese des
spitzen Winkels kein Raum übrig bleibt, oder dafs die Euklidische 59
Geometrie aufs Strengste begründet wird, wenn irgend zwei Gerade,
die in derselben Ebene liegen, zum Beispiel AX und BX, und mit
denen eine schneidende Gerade AB (wo der Punkt B in beliebiger
Entfernung vom Punkte A angenommen ist) auf der Seite der Punkte
X zwei Winkel bildet, die zusammen kleiner sind als zwei Rechte,
IQQ Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
wenn (sage ich) diese Geraden (unter der gemachten Voraussetzung)
niry-euds ein cremeinsames Lot besitzen. Dami kommen nämlich jene
DO
beiden Geraden .IX und BX einander immer näher imd zwar ent-
weder bis zu einer gewissen bestimmten Grenze, wie in Lehrsatz XXY,
oder ohue bestimmte Grenze und daher bis zum Zusammentreffen,
wenigstens nach unendlicher Verlängerung, wie in diesem Lehr-
satze XXVII. Wir wissen aber, dafs in jedem der beiden erwähnten
Fälle die Hinfälligkeit der Hypothese des spitzen Winkels bereits er-
wiesen ist, und das war unsre Absicht.
Anmerkung IL Und das ist wiederum, was ich am Schlüsse der
Anmerkung IV hinter Lehrsatz XXI versprochen habe, wie aus meinen
Worten selbst deutlich hervorgeht.
Anmerkung III. Übrigens möchte ich hier auf den Unterschied
zwischen diesem Lehrsatze und dem früheren sieb-
zehnten aufmerksam machen. Denn dort (man gehe
auf Fig. 15 zurück) wurde die Hinfälligkeit der Hypo-
these des spitzen Winkels gezeigt, wenn (unter der
Voraussetzung, dafs die Gerade AB beliebig klein
y^ ist) jede Gerade BD, die unter einem beliebigen
spitzen Winkel gezogen ist, schliefslich in einem
^ . Punkte K die Verlängerung des Lotes AH treffen
Fig. 15. mufs. Hier aber wird (umgekehrt) die Wahl eines
beliebigen, äufserst kleinen spitzen Winkels bei A
gestattet, während das Stück AB, auf dem das unbegrenzte Lot BX
60 zu errichten ist, von beliebiger Länge angenommen werden darf.
Lehrsatz XXVIII. Wenn zwei Gerade AX und BX (die beide
nach derselben Seite, die erste unter einem spitzen und die ziveite unter
einem rechten Winl-el von einer beliebig grofsen Geraden AB aus
gezogen sind) ohne jede bestimmte Grenze einander immer näher liommen,
tvenigstens solange man die Verlängerung nicht bis ins Unendliclte erstreckt,
so behaupte ich erstens, dafs edle Winkel (Fig. 33) an beliebigen Punkten
L, H, D von AX, von denen man auf die Gerade BX Lote LK, HK, I)K
gefüllt hat, auf der Seite des Punktes A durchtveg stumpf tverden, ziveitens,
dafs sie immer kleiner werden, je iveiter sie von dem Punkte A entfernt
sind, und endlich, dafs diese Winkel, je weiter sie von denselben Punkte
A entfernt sind, sich um so mehr, ohne jede bestimmte Grenze, der
Gleichheit mit dem rechten Winkel nähern.
Beweis. Der erste Teil ist klar aus Zusatz I hinter Lehr-
satz XXIIL
I. Buch, I. Teil. — Anmerkung I— III zu Lehrsatz XXVII. Lehrsatz XXVIII. 101
Fig. 33.
Der zweite Teil aber wird so erliilrtot: Es sind iiämlich die
beiden Winkel an LK auf der Seite der Grundlinie Ali (nach dem
Zusätze liinter Lehrsatz XVI) zusammen gröfser
als die beiden inneren gegenüberliegenden Winkel
an HK, Avieder auf der Seite der Grundlinie
AB. Es sind aber einander gleich, nämlich als
rechte, die Winkel an jedem der beiden Punkte
K auf der Seite der Grundlinie AB. Also ist
der stumpfe Winkel bei L auf der Seite der
Grundlinie AB gröfser als der stumpfe Winkel
bei H, wieder auf der Seite der Grundlinie AB.
Auf ähnliche Weise zeigt man, dafs der ge-
nannte stumpfe Winkel bei H gröfser ist als
der stumpfe Winkel bei dem Punkte D. Und so immer, wenn man
nach den Punkten X hin wandert.
Der dritte Teil endlich erfordert eine längere Untersuchung.
Wenn das möglich ist, so sei MNC (Fig. 34) ein
gewisser gegebener Winkel von der Beschaffen-
heit, dafs der Überschufs jedes der erwähnten
stumpfen Winkel über einen Rechten gröfser oder
Avenigstens nicht kleiner ist als dieser Winkel.
Nun können (nach Lehrsatz XXI) die Seiten NM
und NC, die jenen Winkel MNC einschliefsen,
augenscheinlich so weit verlängert werden, dafs
das Lot MC, das aus einem Punkte M von MN
auf NC gefällt ist, (auch hier bei der Hypothese des
spitzen Winkels) gröfser wird als irgend eine gegebene endliche Länge,
zum Beispiel als die genannte Grundlinie AB.
Man nehme demnach auf BX (Fig. 35) ein Stück BT gleich GN
an und errichte in dem Punkte T nach der Seite von AX die
Senkrechte TS, die (nach der Anmerkung
hinter Lehrsatz XXIV) ^X in einem Punkte
S trifft. Sodann fälle man von dem Punkte
S auf AB das Lot SQ. Dieses fällt (nach
I. 17) auf die Seite des spitzen Winkels SAB
zwischen die Punkte A und B. Weiter ist
der Winkel QST in dem Viereck QSTB
spitz, weil die drei übrigen Winkel rechte
sind, sonst kämen wir ja (gegen Lehrsatz V
und VI) auf die Hypothese des rechten Win-
kels oder auf die des stumpfen Winkels. Fig. 35.
Fig. 31.
61
102
Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Mitlim ist die Gerade SQ (nach Zusatz I hinter Lehrsatz III) gröfser
als die Gerade JBT oder CN, und ferner der Winkel ÄSQ gröfser als
der Überschufs des stumpfen Winkels ÄST über einen Rechten und
somit gröfser als der Winkel 3INC.
Man ziehe nunmehr die Gerade SF, die J.^ in i^ schneidet und mit
SÄ einen Winkel gleich 3INC bildet. Darauf fälle man von Ä auf die
Verlängerung von SF das Lot ÄO. Der Pimkt 0 liegt (nach I. 17)
unterhalb des Punktes F, da der Winkel ÄFS (nach I. 16) stumpf ist.
Endlich aber: Da FS (nach I. 19) gröfser ist als QS und daher
viel gröfser als BT oder CN, so nehme man auf FS ein Stück IS
gleich CN an und errichte auf FS in dem Punkte I die Senkrechte IR,
die ÄS in dem Punkte B treffe. Es fällt aber der Punkt B zwischen
die Punkte Ä und S. Fiele er nämlich in einen Punkt von ÄF, so
hätten wir (gegen I. 17) in einem Dreieck zwei Winkel, die zusammen
gröfser als zwei Rechte wären, da ja der Winkel bei dem Punkte F
auf der Seite des Punktes Ä schon als stumpf erwiesen ist.
Nach diesen umständlichen Vorbereitimgen schliefse ich so: Da
in dem Viereck ÄOIB die Winkel au den Punkten 0 und I rechte
sind, und da der Winkel an dem Punkte Ä
wegen des rechten Winkels ÄOS (nach I. 17)
spitz ist, imd da ferner der Winkel IBÄ wegen
des rechten Winkels BIS (nach I. 16) stumpf
ist, so folgt hieraus endlich (nach Zusatz II
hinter Lehrsatz III), dafs die Seite ä 0 gröfser
als die Seite IB ist. Es ist aber (wenn man
OQ zieht) wegen des stumpfen Winkels bei
0 die Seite ÄQ (nach I. 19) gröfser als die
Seite ÄO, denn der Winkel ÄOS wurde ja
gleich einem Rechten gemacht. Deshalb ist
die Gerade ÄQ viel gröfser als die Gerade IB oder (nach I. 26) als
die Gerade 3IC und mithin viel gröfser als die Gerade AB: der Teil
gröfser als das Ganze, was widersinnig ist.
Man kann daher keinen solchen Winkel MNC angeben, dafs der
Überschufs jedes der genannten stumpfen Winkel über einen rechten
Winkel stets gröfser oder doch nicht kleiner als dieser ist. Folglich
müssen jene stumpfen Winkel, je weiter sie vom Punkte Ä entfernt
sind, sich um so mehr, ohne jede bestimmte Grenze, der Gleichheit mit
dem rechten Winkel nähern. Was an letzter Stelle zu beweisen war.
Zusatz. Wenn aber das feststeht, was an letzter Stelle bewiesen
ist, so folgt augenscheinlich, dafs jene beiden Geraden ÄX und BX
ins Unendliche verlängert schliefslich ein gemeinsames Lot haben
Fig. 35.
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXVTII, Zusatz. Lehrsatz XXIX. 103
werden, entweder in zwei verschiedenen Punkten oder in ein und
demselben unendlich weit entfernten Punkte X.
Dafs aber jenes gemeinsame Lot nicht in zwei verschiedenen
Punkten vorhanden sein kann, erhellt augenscheinlich daraus, dafs
sonst (nach Zusatz II hinter Lehrsatz XXIII) jene beiden Geraden als-
dann anfingen sich von einander zu entfernen und daher auch nicht
in unendlicher Entfernung zusammenträfen, sondern (gegen die aus-
drückliche Voraussetzung) auf jener Seite überhaupt nicht einander
ohne jede bestimmte Grenze immer näher und näher kämen. Daher
müssen sie das gemeinsame Lot in ein und demselben unendlich ent-
fernten Punkte X besitzen.
Lehrsatz XXIX. Nimmt man wieder die Figur 33 des vorher- 63
gehenden Lehrsatzes, so behaupte ich, dafs jede Gerade AC, die den
Winkel BAX schneidet, einmal in endlicher oder hegrenster Entfernung
(auch hei der Hypothese des spitzen WinJcels) BX in einem Funkte
P treffen tvird, sdbcdd nämlich AG nach der Seite der Punkte X hin
immer iveiter verlängert tvird.
Beweis. Zunächst wird die Gerade AG (weil sie sonst mit AX
einen Raum einschlösse) die Geraden LK, HK, DK in endlicher
Entfernung in gewissen Punkten G, N, M treffen,
wenn sie nicht vorher BX (versteht sich in
endlicher Entfernung, was wir eben verlangen)
in einem Punkte trifft, der zwischen B und
einem der Punkte K liegt. Sodann sind (nach
Zusatz I hinter Lehrsatz XXIII) die Winkel
AGK, ANK und AMK stumpf.
Weiter nähern sich (nach dem vorhergehenden
Lehrsatze) jene Winkel, die sämtlich stumpf sind,
ohne irgend eine bestimmte Grenze immer mehr „. „,
ö _ Flg. 83.
der Gleichheit mit dem rechten Winkel, falls
nämlich jene Gerade AG die Gerade BX erst in unendlicher Entfer-
nung treffen sollte. Man könnte daher zu einer Ordinate KMD
kommen, bei der der Überschufs des Winkels AMK über einen
rechten Winkel kleiner wäre, als der Winkel DAG beträgt. Dann
aber wäre der Winkel DAG oder Z)^iltf zusammen mit dem Winkel
AMD gröfser als ein Rechter, daher ergäben, wenn man den stumpfen
Winkel ADM hinzufügt, die drei Winkel des Dreiecks ADM zu-
sammen mehr als zwei Rechte, was gegen die Hypothese des spitzen
Winkels ist.
Mithin mufs jede Gerade AC, die jenen Winkel BAX schneidet,
104 Saccheii, Euclides ab omni nacvo vindicatus.
schliefslich (auch bei der Hypothese des spitzen ^^ iiikcls) BX
m endlicher oder begrenzter Entfernung in einem Punkte P trelVen.
A\'as zu beweisen vrar.
64 Zusatz I. Wenn daher eine Gerade ÄZ auf der Seite der
Tunkte X einen spitzen Winkel bildet, der gröfser ist als BÄX, so
kann sie niemals, weder in endlicher noch in unendlicher Entfernung,
UX treften. Falls dies nämlich stattfände, so müfste ÄX, das ja
den Winkel BAZ teilt, (gegen die vorausgeschickte Annahme) BX
in endlicher Entfernung treffen, wie das für die Gerade AG bewiesen
wurde, die den Winkel BAX teilt.
Zusatz IL Die spitzen Winkel, unter denen sich durch den
Punkt ^4. gerade Linien legen lassen, die BX in endlicher Entfernung
treffen, haben übrigens, wie aus dem Vorhergehenden folgt, die Eigen-
schaft, dafs es unter ihnen keinen bestimmten giebt, der der gröfste
ist. Wenn man nämlich nach der Seite der Punkte X hin irgend
einen Punkt annimmt, der oberhalb des Punktes P liegt, so bildet die
Verbindungsgerade zwischen dem Punkte A und diesem höher ge-
legeneu Punkte mit AB einen Winkel, der sicher gröfser ist, als
der Winkel BAP. Und so immer fort ohne jede innere Grenze*).
Deshalb wird der Winkel BAX (wenn nämlich AX sich zwar der
Geraden BX immer mehr und mehr nähert, aber erst in unendlicher
Entfernung damit zusammentrifft) die äufsere Grenze**) aller spitzen
AVinkel sein, unter denen sich durch den Punkt A Gerade lecjen
lassen, welche die erwähnte Gerade BX in endlicher Entfernung treffen.
Lehrsatz XXX. Auf irycnd einer hajrcnzten Geraden AB (Fig. 36)
stehe eine unhegrenzte Gerade BX senhrecht. Dann behaupte ich erstens,
dafs die auf AB nach derselben Seite hin errichtete Senkrechte A Y die
eine Grenze, und zwar nach Innen, edler der Geraden ist, die von dem
65 PunJite A aus nach derselben Seite gezogen (bei der Hypothese des
spitzen Winkels) in zivei verschiedemn Punkten mit der andern un-
begrenzten Geraden BX ein Lot gemeinsam haben'*^'-^). Zweitens behaupte
ich von den spitzen Winkeln, unter denen sich durch den erwähnten
Punkt A gerade Linien legen lassen, die (bei der genannten Hypothese)
mit BX ein Lot in ztvei verschiedenen Punkten gemeinsam haben,
Folgendes: es giebt unter ihnen keinen, der von allen der kleinste ist.
*) [Im Original steht: sine nllo termino intrinseco. Gemeint ist, ohne jede
Grenze innerhalb des Winkels BAX nach AX hin.]
**) [limes extrinsecus.]
***) [Saceheri betrachtet nämlich nur die Halbstrahlen, die von dem Punkte
A ausgehen, und dann haben die jenseits der Senkrechten AY liegenden Halb-
strahlen, wie AZ, mit BX kein Lot gemeinsam.]
I. Buch, I. Teil. — Zusatz I, II zu Lehrsatz XXIX. Lehrsatz XXX. 105
>
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L
L
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B
A
Fig. 36.
Beweis des ersten Teiles. Da nilmlich A Y mit BX. das Lot
AB in den beiden verschiedenen Punkten A und B gemeinsam hat,
so kann eine Gerade
AZ^ die nach derselben
Seite unter einem stum-
pfen Winkel gezogen ist,
auf dieser Seite mit2>X
sicher kein Lot in zwei
verschiedenen Punkten
gemeinsam haben, weil
sonst ein Viereck ent-
stände, das vier Winkel
enthielte, die zusammen gröfser als vier Rechte wären, und man somit
(nach Lehrsatz XVI) in Widerspruch mit der hier angenommenen
Hypothese des spitzen Winkels auf die bereits widerlegte Hypothese
des stumpfen Winkels stiefse. Daher ist das Lot A Y auf jener Seite
nach Innen die Grenze aller der Geraden, die von jenem Punkte A
aus nach derselben Seite gezogen (bei der genannten Hypothese des
spitzen Winkels) in zwei verschiedenen Punkten ein Lot mit der andern
unbegrenzten Geraden BX gemeinsam haben. Das Avar das Erste.
Beweis des zweiten Teiles. Es sei AN eine Gerade, die mit BX
in zwei verschiedenen Punkten ein Lot ND gemeinsam hat, und es
sei, wenn das überhaupt möglich ist, der zu ihr gehörige Winkel
[BAN] der kleinste von allen den spitzen Winkeln, unter denen sich
durch A gerade Linien von dieser Beschaffenheit ziehen lassen. Dann
nehme man auf BX einen höher gelegenen Punkt K an, errichte in
ihm auf BX die Senkrechte KL und fälle auf diese (nach I. 12) vom
Punkte A das Lot AL. Wenn nun dieses Lot AL die Gerade ND
in einem Punkte S trifft, so ist der Winkel BAL sicher kleiner als
BAN, und dieser ist deshalb nicht der kleinste, unter dem gezogen
AN mit BX ein Lot ND in zwei verschiedenen Punkten gemein-
sam hat.
Dafs aber die genannte Gerade ND von diesem Lote AL in einem 60
gewissen Zwischenpunkte S geschnitten wird, beweist man so:
Zunächst folgt nämlich aus I. 17 mit unbedingter Sicherheit, dafs
BK von AL nicht in einem Punkte M geschnitten werden kann,
weil sonst in einem und demselben Dreieck MKL in den Punkten
K und L zwei rechte Winkel wären, abgesehen davon, dafs sich grade
in diesem Falle unsre Behauptung über den Winkel BAN bestätigte,
dafs er nämlich unter diesen Umständen nicht für den kleinsten erklärt
werden darf.
■[()() Saccberi, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Ferner aber kann die Gerade ÄL auch nicht die Verlängerung von
AN sein, weil man sonst in dem Viereck NB KL vier rechte Winkel
hätte, gegen die Hypothese des spitzen Winkels. Sie kann auch nicht
die Verlängerung von BN in. einem jenseits von N gelegenen Punkte
H schneiden, weil dann (nach I. 16) der Winkel AHN spitz wäre,
da der Aufsenwinkel ANB der Annahme nach ein rechter ist, und weil
deshalb der Winkel BHL stumpf wäre, und man in dem Viereck
BHLK vier Winkel hätte, die zusammengenommen gröfser als vier
Rechte wären, gegen die erwähnte Hypothese des spitzen Winkels.
Mithin wird der Winkel 5 J[ iV notwendig von der Geraden AfSJL
geschnitten und kann daher nicht als der kleinste von allen gelten,
unter denen gezogen AN mit BX ein Lot NB in zwei verschiedeneu
Punkten gemeinsam hat. Was an zweiter Stelle zu beweisen war.
Und so steht fest, dafs und so weiter.
Zusatz. Hieraus darf man entnehmen, dafs man bei dem kleineren
Winkel BAL (bei der Hypothese des spitzen Winkels) ein gemein-
sames Lot LK bekommt, das einerseits, wie die Zeichnung erkennen
läfst, von der Grundlinie AB weiter entfernt ist und andrerseits
kleiner ist als das nähere gemeinsame Lot NB, das man bei dem
gröfseren Winkel BAN bekommt. Die zweite Behauptung wird da-
67 durch begründet, dafs in dem Viereck LKBS der Winkel an dem
Punkte S bei der genannten Hypothese spitz ist, weil die drei andern
der Annahme nach rechte sind. Deshalb ist (nach Zusatz I hinter
Lehrsatz HI) die Seite LK kleiner als die gegenüberliegende Seite
SB und daher viel kleiner als die Seite NB.
Lehrsatz XXXI. Jetzt leliaupte ich, dafs es für die genannten ge-
meinsamen Lote in sivei verscMedenen Punlien Jieine bestimmte Grenze
gieht, sodafs man also fbei der Hypothese des spitzen Winkels) unter
einem immer kleineren spitzen Winkel mit dem Scheitelpimkte A stets zu
einem gemeinsamen Lote in zwei verscMedenen Punkten gelangen kann,
das kleiner ist, als irgend eine gegebene Länge B.
Beweis. Wofern es sich nämlich anders verhielte, errichte man
in einem Punkte K (man gehe auf Fig. 30 zurück), der auf BX in
beliebig grofser Entfernung von dem Punkte B angenommen ist, die
Senkrechte KL und denke sich auf diese (nach I. 12) von dem Punkte
A das Lot AL gefällt. Dann müfste KL gröfser sein als die Länge R.
Der Grund dafür ist folgender: Nimmt man wieder auf J5X einen höher
gelegenen Punkt Q an, errichtet in ihm auf BX die Senkrechte QF
und fällt (wieder nach I. 12) auf diese das Lot AF, so darf QF
wiederum nicht kleiner sein als die Länge R. Es ist aber KL (nach
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXX, Zusatz. Lehrsatz XXXI, XXXII. 107
dem Zusätze zu dem vorhergehenden Lehrsatze) gröfser als QF. Daher
wäre KL grüfser als die genamite Länge R. Und so weiter, wenn
man höher hinaufgeht.
Denkt man sich nunmehr die beliebig
grofse Gerade KB (wie in Lehrsatz XXV) in
Stücke KK geteilt, die jener Länge B gleich
sind, und errichtet man in diesen Punkten K
Senkrechte, die AX in den Punkten H, B, M
treffen, so sind die Winkel an diesen Punkten
auf der Seite des Punktes L weder rechte noch
stumpfe, weil sonst in einem Viereck, zum Bei-
spiel in KLMK, die vier Winkel zusammen
^ ^ _ Flg. 30.
gleich oder gröfser als vier Rechte wären, gegen 68
die Hypothese des spitzen Winkels, die wir zu Grunde legen. Alle diese
Winkel sind also auf der Seite des Punktes L spitz, und deshalb sind
wiederum alle Winkel an diesen Punkten auf der Seite des Punktes A
stumpf. Somit ist (nach Zusatz I zu Lehrsatz III) KL, das am weitesten
von der Grundlinie entfernt ist, unter den genannten Senkrechten die
kleinste, und K3I, das derselben Grundlinie am nächsten ist, die
gröfste. Und von den übrigen ist die nähere immer gröfser als die
entferntere. Deshalb sind (nach dem früheren Lehrsatze XXIV und
dem zugehörigen Zusätze) die vier Winkel des Vierecks KHLK, das
von der Grundlinie AB am entferntesten ist, zusammen gröfser als
die Summe der Winkel jedes andern Vierecks, das der Grundlinie
näher ist. Demnach würde (wie in Lehrsatz XXV) die Hypothese des
spitzen Winkels hinfällig.
Daher giebt es sicher keine bestimmte Grenze der genannten
gemeinsamen Lote in zwei verschiedenen Punkten, sodafs man also
unter einem immer kleineren spitzen Winkel beim Punkte A (bei der
Hypothese des spitzen Winkels) stets zu einem solchen gemeinsamen
Lote in zwei verschiedenen Punkten gelangen kann, das kleiner ist
als irgend eine gegebene Länge B. Was zu beweisen war.
Lehrsatz XXXII. Jetzt hehaupte ich, dafs es (hei der Hypothese
des spitzen Winkels) einen 'bestimmten spitzen Winkel BAX giebt,
unter dem gezogen AX (Fig. 33) erst in unendlicher Entfernung mit BX
zusammentrifft und somit nach Innen die Grenze ist aller der Geraden,
die unter Meineren spitzen Winkeln gezogen die Gerade BX in endlicJier
Entfernung schneiden, nach Aufsen aber die Grenze der andern, die unter
gröfseren spitzen Winkeln gezogen, bis zum Bechten, diesen eingeschlossen,
mit BX ein Lot in zivei verschiedenen Punkten gemeinsam haben.
108
Saccheri, Euclides ab omni naevo vinilicatus.
l'ig. 33.
Beweis. Erstens giebt es (nach Zusatz 11 hinter Lehrsatz XXIX)
69 sicher kehien bestimmten spitzen Winkel , welcher der gröfste von
allen ist, unter denen eine durch Ä gezogene
Gerade die genannte Gerade BX in endlicher
Entfernung trifft.
Zweitens giebt es (bei der Hypothese des
spitzen Winkels) ebensowenig einen kleinsten
spitzen Winkel, unter dem gezogen eine Gerade
mit BX ein Lot in zwei verschiedenen Punkten
gemeinsam hat, da es (nach dem vorhergehenden
Lehrsatze) keine bestimmte Grenze geben kann,
man vielmehr zu einem kleineren spitzen Winkel
mit dem Scheitelpunkte Ä ein solches gemein-
sames Lot in zwei verschiedenen Punkten finden kann, das kleiner als
irgend eine angebbare Länge II ist.
Hieraus folgt drittens, dafs es (bei dieser Hypothese) einen ge-
wissen bestimmten spitzen Winkel BÄX geben mufs, unter dem
gezogen ÄX sich der Geraden BX zwar immer mehr nähert, sie
jedoch erst in unendlicher Entfernung trifft.
Dafs aber eben dieses ÄX teils nach Innen teils nach Aufsen
die Grenze für jede der beiden genannten Arten von Geraden ist, das
beweist man so:
Erstens nämlich hat sie mit jenen Geraden, die BX in endlicher
Entfernung treffen, das gemeinsam, dafs sie selbst einmal mit BX
zusammentrifft; sie unterscheidet sich aber von ihnen, weil das erst
.in unendlicher Entfernung geschieht.
Zweitens stimmt sie überein mit und unterscheidet sich zugleich
von den Geraden, die mit BX ein Lot in zwei verschiedenen Punkten
gemeinsam haben, weil sie selber mit BX ein Lot gemeinsam hat,
jedoch in ein und demselben unendlich weit entfernten Punkte X.
Das zweite nämlich mufs vermöge Lehrsatz XXVIII als bewiesen
gelten, worauf ich in dem zugehörigen Zusätze aufmerksam ge-
macht habe.
Folglich giebt es (bei der Hypothese des spitzen Winkels) sicher
einen bestimmten spitzen Winkel BÄX, unter dem gezogen ÄX erst
70 in unendlicher Entfernung mit BX zusammentrifft, und der somit
teils nach Innen teils nach Aufsen die Grenze ist einerseits aller der
Geraden, die unter kleineren spitzen Winkeln gezogen die Gerade BX
in endlicher Entfernung treffen, andrerseits der andern, die unter
gröfseren spitzen Winkeln gezogen, bis zum Rechten, diesen ein-
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXXII, XXXIII. Hilfssatz I. 109
geschlossen, mit BX ein Lot in zwei verschiedenen Punkten gemein-
sam haben. Was zu beweisen war.
Lehrsatz XXXIIL Die Hypothese des spitzen WinMs ist durch
und durcli falsch, tceil sie der Natur der geroden Linie ivider spricht.
Beweis. Wie aus den vorhergehenden Thaoremen hervorgeht,
führt die der Euklidischen Geometrie entgegenstehende Hypothese des
spitzen Winkels schliefslich dahin, dafs wir das Vorhandensein zweier
in derselben Ebene liegender Geraden AX. und BX zugeben müssen,
die nach der Seite der Punkte X ins Unendliche verlängert schliefslich
in ein und dieselbe gerade Linie zusammenlaufen müssen, da sie
nämlich in ein und demselben unendlich entfernten Punkte X ein Lot
gemeinsam haben, das in derselben Ebene liegt, wie sie selbst*).
Da ich aber hier auf die allerersten Grundsätze eingehen mufs,
so werde ich sorgfältig darauf achten, keinen Einwurf, selbst wenn
er noch so pedantisch erscheinen möchte, zu übergehen, da dies,
wie mir scheint, zu einem vollkommen strengen Beweise der richtige
Weg ist.
Hilfssatz L Zivei gerade Linien schliefsen Ticinen Raum ein.
Euklid erklärt die gerade Linie als eine solche, die sivischen
ihren Punlten auf einerlei Art liegt Es sei also (Fig. 37)
AX irgend eine Linie, die von dem Punkte A durch
beliebige Zwischenpunkte stetig bis zum Punkte X ver-
läuft. Diese Linie heifst dann keine Gerade, wenn sie so
beschaffen ist, dafs sie, während ihre beiden Endpunkte
fest bleiben, um diese auf die andre Seite gedreht werden
kann, zum Beispiel von der linken auf die rechte Seite.
Sie heifst dann, sage ich, keine gerade Linie, weil sie
nicht auf einerlei Art zwischen ihren gegebenen Endpunkten
liegt; sie wird nämlich entweder nach links abweichen, wenn sie sich
von dem Punkte A nach dem Punkte X durch gewisse Zwischenpunkte
B erstreckt, oder sie wird nach rechts abweichen, wenn sie sich von
demselben festgehaltenen Punkte A nach demselben festgehaltenen
Punkte X durch gewisse Zwischenpunkte C erstreckt, die von den
genannten Punkten B durchaus verschieden sind. Denn einzig und
allein diejenige Linie AX darf eine Gerade genannt werden, die sich
von dem Punkte A zu dem Punkte X durch solche Zwischenpunkte
D erstreckt, die ihrerseits in der Anordnung, in der sie auf einander
^) [Vergleiche die Bemerkung S. 98 ]
110 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
folgen*), bei einer Drehung um jene beiden festgehaltenen Endpunkte Ä
und X niemals neue und neue Lagen aimehmen können.
In diesem Begriffe der geraden Linie liegt aber offenbar die an-
gekündigte Wahrheit, dafs nämlich zwei gerade Linien keinen Raum
einsehliefsen. In der That, sind zwei Linien gegeben, die ehien Raum
einschliefsen und deren gemeinsame Endpunkte die beiden Punkte Ä
und X sind, so zeigt man leicht, dafs entweder keine oder nur die
eine von beiden Linien eine Gerade ist.
Von den beiden Linien, zum Beispiel ABBX und ÄCCX, wird
keine eine Gerade sein, wemi man sich ABBX und ÄCCX um die
beiden festgehaltenen Endpunkte A und X derart gedreht denken
kann, dafs ihre übrigen Zwischenpunkte dazu übergehen, immer neue
Lagen anzunehmen. Nur eine, zum Beispiel ABBX, wird eine Gerade
sein, wenn man sich ABBX und ACCX, die mit ABBX auf jeder
von beiden Seiten einen Raum einschliefsen, derart um die festen
Endpunkte gedreht denken kann, dafs zwar die Zwisehenpimkte von
ABBX und ACCX dazu übergehen, immer neue Lagen anzunehmen,
während dagegen alle Zwischenpunkte von ABBX in derselben Lage
verbleiben.
Folglich ist es unmöglich, dafs zwei Linien, die dem vorher ent-
wickelten Begriffe der Geraden entsprechen, einen Raum einschliefsen.
Und das war behauptet.
Zusatz I. Hieraus folgt weiter, dafs man jene Fordermig des
Euklid zulassen mufs, wonach man von einem gegebenen PnnJde nach
jedem heliehig getvähUen Ptinlie eine gerade Linie sielien kann**). Denn
man erkennt deutlich, dafs sich immer ohne jede bestimmte Grenze
zwei Linien mit den erwähnten Punkten A und X als Endpunkten
ziehen lassen, die einander näher kommen und deshalb weniger
Raum einschliefsen, während die eine nach der linken Seite, die
andre auf gleiche Art nach der rechten Seite gezogen ist, oder die
eine nach oben, die andre nach imten; es lassen sich, sage ich,
Linien dieser Art ziehen, die ohne bestimmte Grenze einander immer
näher kommen, die in ihrer Gestalt vollkommen mit einander über-
einstimmen und deshalb auf einander folgen, wenn man sie um die fest-
gehaltenen Endpunkte A und X gedreht denkt. Hieraus erkennt man
ebenso deutlich, dafs (wenn diese gleichgestalteten Linien einander
immer näher und näher kommen) sie sich schliefslich in eine einzige
vereinigen müssen, und zwar in die Linie ABX, die eben bei einer
*) [Im Original heifst es: prout sie invicem continuata.]
**) [Euklid, Elemente, Buch 1, Forderung 1.]
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXXIII. Zusatz 1, 11 zu Hilfssatz I. Hilfssatz H. 111
Drehung um jene festen Endpunkte keine neue Lage annehmen kann.
Und das wird die geforderte gerade Linie sein.
Es giebt daher wiederum sicher nur eine einzige gerade Linie,
die von einem gegebenen Punkte nach einem andern beliebig ge-
wählten Punkte gezogen werden kann.
Zusatz IL Übrigens folgt hieraus, dafs man genau ebenso die
andre Erklärung Euklids verstehen mufs, in der er sagt, eine Ober-
fläche sei eben, ivenn sie auf einerlei Art gegen ihre Linien liegt*).
In der That, denkt man sich eine Oberfläche, die von den vorhin
genannten Linien eingeschlossen wird, nämlich [Fig. 37] von der geraden
ÄDDX und von der andern ÄJBBX (mag diese nun eine einfache oder
eine zusammengesetzte krumme Linie sein oder mag sie aus zwei oder
mehr geraden Linien, zum Beispiel aus AB, JBB und J5X zusammen-
gesetzt sein), denkt man sich, sage ich, eine solche Oberfläche um 73
die festgehaltene Gerade ADX gedreht, bis die Linie ABX mit der
entgegengesetzt liegenden Linie ACX zum Zusammenfallen kommt,
die überall vollständig gleich und ähnlich mit ABX ist und ihrer-
seits mit der Geraden ABX (auf derselben Seite, der obern oder
der untern) eine Oberfläche einschliefst, die der vorhergenannten ganz
gleich und ähnlich ist, so giebt es nur zwei Möglichkeiten: entweder
deckt sich die eine Oberfläche vollständig mit der andern, oder
die beiden Oberflächen schliefsen einen Raum von dreifacher Aus-
dehnung ein.
Tritt das Erste ein, dann heifst die Oberfläche eben. Tritt
aber das Zweite ein, dann heifst die Oberfläche nicht eben, denn man
kann sich Zwischenoberflächen mit denselben Begrenzungslinien ein-
geschaltet denken, die einander gleich und ähnlich sind und ohne jede
bestimmte Grenze einander immer näher kommen und daher auch
soweit, dafs jeder Zwischenraum wegfällt. Dann aber mufs man
diese beiden Oberflächen eben nennen, weil sie thatsächlich auf einerlei
Art zwischen ihren Begrenzungslinien liegen, ohne sich nach den ver-
schiedenen Seiten zu heben oder zu senken.
Hilfssatz II. Zwei gerade Linien können nicht ein und denselben
Abschnitt gemeinsam haben.
Beweis. Wenn das überhaupt möglich ist, so sei ein und der-
selbe Abschnitt AX (Fig. 38) den beiden in derselben Ebene über
den Punkt X hinaus verlängerten Geraden AXB und AXC gemein-
*) [Euklid, Elemente, Buch I, Erklärung 7:
'E-Jtiitsdog inicpccvsid iariv , ijrig i^ 1 Plana superficies est, quaecunque es
I'gov taig tcp' eccvti]g sv&fiaig -/.sIxccl. \ aequo rectis in ea sitis iacet.]
"[12 Saccheii, Euclides ab omni naevo vindicatus.
schaftlich. Dann beschreibe man um X als Mittelpunkt mit dem
Halbmesser XB oder XC den Bogen BMC und ziehe durch X
nach irgend einem seiner Punkte M die Ge-
rade XM.
Ich behaupte erstens, dafs unter der ge-
machten Amiahme auch die Linie AXM eine
Gerade ist, die von dem Punkte A nach dem
Punkte X gezogen und über X hinaus ver-
längert ist. Wäre nämlich diese Linie keine
Gerade, so könnte man (nach Zusatz I des vor-
hergehenden Hilfssatzes) eine andre Linie AM
ziehen, die ihrerseits gerade wäre. Diese wird
entweder eine der beiden Geraden XB und XC
in einem gewissen Punkte K schneiden oder eine von beiden, zum
Beispiel XB, in den Flächenraum einschliefsen, der von AX, XM
und APLM begrenzt wird. Aber die erste Möglichkeit widerstreitet
augenscheinlich dem vorhergehenden Hilfssatze, weil dann die beiden
Linien AXK und ATK, die der Annahme nach Gerade sind, einen
Raum einschlössen. Die zweite aber wird sogleich eines ebensolchen
Widersinns überführt.
Die Gerade XB mufs nämlich bei ihrer Verlängerung über B
hinaus APL3I schliefslich in einem Punkte L treffen. Infolgedessen
schlössen wieder die beiden Linien AXBL und APL, die der An-
nahme nach Gerade sind, einen Raum ein. Wollte man übrigens
annehmen, dafs die Gerade XB über B hinaus verlängert schliefslich
entweder die Gerade X3I oder die Gerade XA in einem andern Punkte
träfe, so käme man in gleicher Weise auf einen Widerspruch.
Hieraus aber folgt augenscheinlich, dafs bei der gemachten An-
nahme die Linie AXM selber die gerade Linie ist, die von dem
Punkte A nach dem Punkte M gezogen wurde, und das war die
Behauptung.
Zweitens behaupte ich, dafs die Gerade AXB, von der wir aus
gingen (wofern man sich jene beliebig gewählte Verlängerung von
dem Punkte A über X nach B beibehalten denkt*)), nicht noch zwei
verschiedene Lagen in derselben Ebene annehmen kaim derart, dafs
das Stück AX bei beiden Lagen an seiner Stelle verharrt, während
das andre Stück XB bei der einen der beiden Lagen (zum Beispiel)
mit XC, bei der andern mit XM zusammenfällt.
Freilich leugne ich hierbei nicht, dafs man sich das Stück XB in
*) [ßaccheri denkt sich AX und XB starr verbunden und dieses starre
System um AX gedreht.]
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXXIII, Hilfssatz II. 113
seiner Ebene um den Punkt X so gedreht denken kann, dafs es nach
einander (nach dem vorhergehenden Hilfssatze) nicht nur mit XM
und XC genau zusammenfällt, sondern auch mit den unzählig vielen 75
andern Geraden genau zusammenfällt, die von dem Punkte Ä aus nach
den übrigen Zwischenpunkten des Bogens BC gezogen werden können.
Ich leugne hierbei nicht, sage ich, dafs XB in jeder dieser Lagen als
die geradlinige Verlängerung der festen Geraden ÄX angesehen werden
darf, da ich ja vielmehr schon bewiesen habe, dafs dies bei ÄXM
eintreten wird, wenn man das Vorhandensein eines gemeinsamen Ab-
schnittes annimmt. Somit behaupte ich hier weiter nichts, als dafs XB
blofs bei einer jener neuen Lagen*), nämlich wenn es mit XC zu-
sammenföllt, dieselbe beliebig gewählte Verlängerung darstellt, wie
in der ersten Lage, wo man von dem Punkte Ä über X nach dem
Punkte B fortging.
Dies wird nun so bewiesen: Zunächst kann nämlich jene Ver-
längerung ÄXB der Verlängerung AXC nicht durchaus ähnlich oder
gleich sein, sobald man beide auf derselben Seite, auf der linken oder auf
der rechten, betrachtet, weil sonst ÄXB und AXC unter diesen Um-
ständen mit einander zusammenfallen müfsten, was gegen die Annahme
in Betreff jenes gemeinsamen Abschnittes AX ist. Sie müfsten, sage
ich, zusammenfallen, sobald nämlich in Bezug auf die feste Gerade
AX die Verlängerungen XB und XC in der betreffenden Ebene sich
beide genau in derselben Weise entweder nach links oder nach rechts
erstreckten.
Ferner hindert sicher nichts, dafs die genannte Verlängerung
AXB auf der einen Seite, zum Beispiel auf der linken, betrachtet
genau ähnlich oder gleich der Verlängerung AXC ist, wenn diese
auf der entgegengesetzten Seite betrachtet wird, hier also auf der
rechten, sodafs mithin AXB, ohne irgend eine Veränderung zu er-
leiden, in derselben Ebene mit der andern Geraden AXC zur Deckung
gebracht werden kann.
Augenscheinlich geht es aber nicht an, dafs die Gerade AXB
ohne irgend eine Veränderung ihrer Verlängerung in derselben Ebene
mit der andern Geraden AXM zur Deckung gebracht werden kann, die
jenen gewissen Winkel BXC bei X teilt. Denn dafs die Verlängerung
AXB ganz verschieden ist von der Verlängerung AXM, wenn beide auf
derselben Seite, entweder auf der linken oder auf der rechten, betrachtet
werden, das ist deshalb klar, weil sonst (wie schon bei ähnlicher 76
*) [Nämlich bei der durch Drehung des starreu Systems AXB \xm AX
entstandenen neuen Lage AXC, die zu AXB symmetrisch ist.]
Stackel u. EnRel, rar.iUrlentheorie. 8
114 Saccberi, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Gelegenheit bemerkt worden ist) unter diesen Umständen AXB und
ÄX3I zusammenfallen müfsten.
Es kann aber auch nicht aufrecht erhalten werden, dafs die
Verlängerung AXB auf der einen Seite betrachtet, zum Beispiel auf
der linken, gauz ähnlich oder gleich sei der Verlängerung ÄXM,
wenn diese auf der entgegengesetzten Seite betrachtet wird, also zum
Beispiel auf der rechten. Sonst wäre ja die Verlängerung ÄX31 auf
der rechten Seite betrachtet ganz ähnlich oder gleich der Verlange-
rung ÄXC, wenn diese auch auf der rechten Seite betrachtet wird,
nämlich wegen der vorausgesetzten vollständigen Ähnlichkeit oder
Gleichheit zwischen der eben genannten Verlängerung und der Ver-
längerung AXB, wenn diese auf der linken Seite betrachtet wird,
unter diesen Umständen müfsten aber (wie schon vorher gesagt wurde)
AX3I und AXC mit einander zusammenfallen, was der gegen war tigen
Annahme widerspricht.
Aus alle dem ziehe ich den Schlufs: dafs die angenommene
gerade Linie AXB (wofeiii man sich ihre beliebig gewählte Verlänge-
rung von A bis B beibehalten denkt) nicht noch zwei verschiedene
Lagen in dieser Ebene annehmen kann derart, dafs das Stück AX
beide Male an seiner Stelle verharrt, während das andre Stück XB
bei einer der beiden Lagen (zum Beispiel) mit XC, bei der andern
Lage mit X3I zusammenfällt. Und das war die Behauptung.
Drittens behaupte ich, dafs die angenommene Gerade AXB
auf keine andre Weise ihre beliebig gewählte Verlängerung behalten
kann, wenn mau sich ihren Teil XB in neue und neue Lagen ge-
bracht denkt, bis er in jener Ebene mit XC zusammenfällt, während
das Stück AX inzwischen an derselben Stelle verharrt, sie kami,
sage ich, ihre beliebig gewählte Verlängerung nicht bewahren, wenn
man sich nicht vorstellt, dafs das Stück XB hinauf- oder herab-
steigt, um mit der festgehaltenen Geraden AX in immer neuen Ebenen
zu liegen, bis es zur alten Ebene zurückkehrt und dort mit der ge-
nanuten Geraden XC zusammenfällt.
77 Dies kann in der That schon für bewiesen gelten, weil man
nämlich in derselben Ebene keine andre Lage finden kann, bei der
die Gerade AXB (während das Stück AX an seinem Platze ver-
harrt) ihre beliebig gewählte Verlängerung beibehält, aufser wemi
sie mit der genannten Geraden AXC zur Deckung gelaugt.
Viertens behaupte ich, dafs man auf dem Bogen BC einen
solchen Punkt B angeben kami, dafs, wenn XB gezogen wird, AXB
nicht nur eme gerade Linie ist, sondern sich auch so verhält, dafs
die Verlängerung AXB auf der linken Seite betrachtet genau gleich
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXXIIT, Hüfssatz II. 115
oder ähnlich derselben Verlängerung ist, wenn man sie auf der
rechten Seite betrachtet.
Beweis. Den ersten Teil beweist man (unabhängig von der be-
sondern Wahl des Punktes D auf dem Bogen BC) durch das Ver-
fahren, das wir vorhin bei der Verlängerung ÄXM benutzt haben.
Der zweite Teil wird so erhärtet: Wir legen dabei zwei Gerade
AXB und ÄXC mit dem gemeinsamen Abschnitte ÄX zu Grunde.
Ferner setzen wir voraus, dafs die Verlängerung AXB auf der linken
Seite betrachtet nicht vollständig ähnlich oder gleich derselben Ver-
längeruno- ist, wenn man sie auf der rechten betrachtet. Bestände
nämlich eine solche vollständige Ähnlichkeit oder Gleichheit, so könnte
man leicht zeigen, dafs jener Abschnitt AX keiner andern Geraden
angehören kann, und zwar ebenso, wie wir es nachher für die Ver-
längerung AXB zeigen werden. Endlich setzen wir demzufolge voraus,
dafs die Verlängerung AXB, bei Festhaltung des Abschnittes AX, in
derselben Ebene eine solche Lage bekommen kami, dafs sie sich mit
einer gewissen andern Geraden AXC deckt,
wobei die Verlängerung AXC auf der rechten
Seite betrachtet ganz ähnlich oder gleich ist
der Verlängerung AXB, wemi diese auf der
linken Seite betrachtet wird, und wobei wiederum
die Verlängerung AXC auf der linken Seite be-
trachtet ganz ähnlich oder gleich ist der Ver-
längerung AXB, wenn diese auf der rechten
Seite betrachtet wird.
Nunmehr nehme man einen Punkt M auf
dem Bogen BC an und ziehe XM. Dann ist
die Verlängerung AXM entweder auf der linken und auf der rechten 7i
Seite von AX sich selbst vollkommen gleich gestaltet, oder nicht.
Tritt das Erste ein, so kann ich von AXM dasselbe beweisen,
was ich sogleich von jener Verlängerung AXB beweisen werde. Tritt
das Zweite ein, so kann die genannte Gerade AX3I in derselben
Ebene eine solche Lage bekommen, dafs AX wieder unverändert
bleibt, während AXM mit einer Verlängerung AXF zusammenfällt,
wobei die Verlängerung AXF auf der rechten Seite betrachtet ganz
ähnlich oder gleich ist der Verlängerung AXM, wenn man diese auf
der linken betrachtet, und wobei wiederum die Verläno-erung AXF
auf der linken Seite betrachtet ganz ähnlich oder gleich ist der Ver-
längerung AXM, wenn man diese auf der rechten betrachtet.
Da ferner der Punkt M näher an dem Punkte B angenommen
werden kann als der Punkt 6', so wird der Punkt F nicht in den
8*
11(3 Saccheri, Euclides ob omni naevo vindicatus.
Punkt C fallen. Denn sonst wäre die Verlängerung ÄX3I auf der
linken Seite betrachtet ganz ähnlich oder gleich der Verlängerung
AXF oder ÄXC, wenn man diese auf der rechten betrachtet, und
deshalb ganz ähnlich oder gleich der Verlängerung AXB, wenn man
diese auf der linken Seite betrachtet, und das ist widersinnig, da die
beiden Geraden XM und XB bei der Lage, die für sie angenommen
wurde, nicht zusammenfallen.
Der Punkt F liegt aber auch nicht jenseits des Punktes C in
der Verlängeruno; des Bogens BC, weil sonst eine ähnliche Über-
legung zeigte, dafs auch der Punkt M, gegen die Annahme, in der
Verlängerung des Bogens CB läge, und dann teilte X3I links den
Winkel AXB, ebenso wie XF rechts den Winkel AXC teilen
sollte. Der Punkt 31, sage ich, müfste deshalb so liegen, damit
AX3f, während der Abschnitt AX festgehalten wird, in derselben
Ebene zum Zusammenfallen mit AXF gebracht werden kann, weil
die Verlängerung AXF auf der rechten Seite betrachtet ganz ähnlich
oder gleich ist der Verlängerung AXM, wenn man diese auf der
linken betrachtet, und wiederum die Verlängerung AXF auf der
linken Seite betrachtet ganz ähnlich oder gleich ist der Verlängerung
AX3I, wenn man diese auf der rechten betrachtet.
Da nun der Bogen BC gröfser ist als sein Teil 31 F, und da man
in gleicher Weise auf dem Stücke 3IF zwei andre Punkte mit klei-
nerem Zwischenräume angeben kann, ohne jede bestimmte Grenze, so
muls, weil sich die genannten Punkte einander nähern , eine der beiden
folgenden Möglichkeiten eintreten: die erste besteht darin, dafs man
schliefslich zu ein und demselben Zwischenpunkte D gelangt und
durch Verbindung von X mit D eine solche Verlängerung AXI)
erhält, die (wenn man die linke und die rechte Seite vergleicht) einzig
und allein die Eigenschaft besitzt, sich selbst durchaus ähnlich oder
gleich zu sein. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dafs man zwei
verschiedene Punkte dieser Art, 31 und F, findet, und dafs, wenn
man X3f und XF zieht, zwei Verlängerungen vorhanden sind, die
eine AX3I, die andre AXF, von denen jede sich selbst ähnlich
oder gleich ist, in der schon beschriebenen Art.
Dafs aber diese zweite Möglichkeit ausgeschlossen ist, beweise
ich so: Aus dem Wortlaute [der Erklärung der geraden Linie] geht
nämlich hervor, dafs eine gerade Linie, die von A aus gezogen über X
verlängert wird, in der Ebene nur eine einzige Lage annehmen kaim,
sobald die hinzugefügte Gerade XF sich auf der rechten und auf
der linken Seite der angenommenen Geraden AX ganz gleich ver-
hält, oder nicht mehr nach ihrer linken als nach ihrer rechten Seite
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXXIII, Hilfssatz II. 117
abweicht. Es wird also keine zweite Verlängerung ÄXM geben, die
sich ebenfalls auf der linken und auf der rechten Seite von AX ganz
gleich verhält. Mithin kann es sicher nicht zugleich eintreten, dafs
einerseits die Verlängerung ÄXF auf der rechten und auf der linken
Seite betrachtet sich selbst ganz ähnlich oder gleich ist, und dafs
andrerseits eine andre Verlängerung ÄXM (die ihrer Lage wegen
von der linken Seite kleiner erscheint als die Verlängerung ÄXF)
auf der linken Seite betrachtet wiederum gleich ist derselben Ver-
längerung [^Xiüf] auf der rechten Seite betrachtet, während doch
diese, abermals ihrer Lage wegen, von der rechten Seite gröfser er-
scheint als die erwähnte Verlängerung ÄXF.
Folglich kann man auf dem Bogen BC nicht zwei solche Punkte
M und F finden, dafs die Verbindungsgeraden XM und XF zwei Ver-
längerungen ÄXM und ÄXF liefern, die beide auf die schon erklärte 80
Art sich selbst durchaus ähnlich oder gleich sind. Hieraus folgt end-
lich, dafs man schliefslich zu ein und demselben Punkte D gelangt,
und dafs dann die Verbindungslinie XD eine solche Verlängerung
ÄXD ergiebt, die einzig und allein die Eigenschaft besitzt, dafs sie
(wenn man die linke und die rechte Seite mit einander vergleicht) sich
selbst durchaus ähnlich oder gleich ist. Was an dieser Stelle zu be-
weisen war.
Endlich behaupte ich fünftens, dafs dieses ÄXD allein eine
gerade Linie ist, nämlich die unmittelbare Verlängerung von Ä über X
nach D. Wenn man nämlich auch das „auf einerlei Ärtf'*) bei der
Erklärung der geraden Linie zunächst auf die Zwischenpunkte gegenüber
den Endpunkten anwenden mufs, woraus wir schon folgerten, dafs
mvei gerade Linien keinen Baum einschliefsen, so mufs man es doch auch
bei der geradlinigen Verlängerung dieser geraden Linie hinzu denken.
Daher heifst allein XJ) (das mit -4X in derselben Ebene liegt) die
geradlinige Verlängerung der genannten Geraden ÄX, wenn XD weder
nach der rechten noch nach der linken Seite von ÄX abweicht, viel-
mehr nach beiden Seiten auf einerlei Art fortgeht, sodafs jene Ver-
längerung ÄXD auf der linken Seite betrachtet vollständig ähnlich
oder gleich ist derselben Verlängerung, wenn man sie auf der rechten
betrachtet. Hieraus folgt nämlich, dafs ÄXD allein die Eigenschaft
hat, wenn ÄX festgehalten wird, keine andre Lage in der Ebene an-
nehmen zu können, während (nach dem schon Bewiesenen) jene andern
Linien ÄXB und ÄXM ohne jedwede Änderung ihrer Verlängerungen
*) [Im Original heifst es: ly ex aequo. Die Bedeutung des Wörtchens ly
haben wir nicht ermitteln können.]
118 Saccheri, Euclides ab omni naevo vimlicatus.
bei festgelialtouem AX andre Lagen in derselben Ebene annehmen
können, nämlich die Lagen ÄXC und AXF.
Mithin ist allein AXD, dessen Verlängerung XD nicht blofs mit
^X in derselben Ebene liegt, sondern sich auch auf der linken und
auf der rechten Seite der genannten Geraden AX ganz gleich ver-
hält, nach der besprochenen Erklärung eine gerade Linie oder die
geradlinige Verlängerung der angenommenen Geraden AX.
Aus alle dem geht schliefslich die Unmöglichkeit hervor, dafs es
81 euieu gemeinsamen Abschnitt von zwei geraden Linien giebt. Was
zu beweisen war.
Zusatz. Es ist zweckmäfsig, drei Folgerungen aus den zwei vor-
hergehenden Hilfssätzen anzumerken.
Die erste ist die, dafs zwei Gerade, selbst wenn sie einen un-
endlich kleinen Abstand von einander haben, keinen Raum einschliefsen
können. Der Grund hierfür liegt darin, dafs (wie in dem ersten Hilfs-
satze) entweder jede von beiden, unter Festhaltuug jener beiden ge-
meinsamen Endpunkte, durch Drehung eine neue Lage erhalten könnte,
und dafs daher (nach der früher mitgeteilten Erklärung der geraden
Linie) keine von beiden eine gerade Linie wäre, oder dafs nur die eine
in ihrer Lage beharrte und daher allein eine gerade Linie wäre.
Dafs aber nicht beide in derselben Lage beharren können, solange
sie einen, wenn auch unendlich kleinen, Raum einschliefsen, leuchtet
ein, wenn man erwägt, dafs die obere und die untere Seite der Ebene,
in der die beiden Geraden liegen, vertauscht werden können, während
übrigens jene beiden Endpunkte an derselben Stelle verbleiben.
Die zweite Folgerung besteht darin, dafs keine gerade Linie
sich bei beliebiger geradliniger Verlängerung in zwei spalten kann,
auch nicht in solche mit unendlich kleinem Zwischenräume. Der
Grund hiervon liegt darin, dafs (wie bei dem vorhergehenden Hilfssatze)
keine andre geradlinige Verlängerung irgend einer angenommenen ein-
fachen Geraden AX denkbar ist, als die eine XD, die auf einerlei Art
nach beiden Seiten, sowohl nach der linken als nach der rechten Seite
der genannten Geraden AX, fortgeht, woraus folgt, dafs sie bei fest-
gehaltenem AX in dieser Ebene keine andre Lage annehmen kann,
w^enn sie [als Ganzes] unverändert bleiben soll.
Dafs man aber in derselben Ebene zur Linken eine andre Gerade
XM angeben kann, die von XD unendlich wenig abweicht, das nützt
nichts. Denn man könnte wiederum zur Rechten eine andre Gerade
XF angeben, die gleichfalls unendlich wenig von XD abweicht. Des-
82 halb ist (wie in dem schon erwähnten Hilfssatze) AXD allein eine
gerade Linie, wie wir sie erklärt haben.
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXXIII, Ililfssatz II, Zusatz. Ililfssatz III. HO
Die dritte Folgerung endlich ist die, dafs durch den zweiten
Hilfssatz unmittelbar der Satz XI. 1 bewiesen -wird, dafs nämlich von
ein und derselben Geraden nicht ein Teil in einer unteren und ein
Teil in einer oberen Ebene liegen kann.
Hilfssatz in. Wenn zwei Gerade AB und CXD einander in einem
Zwisclienpmikte X treffen {Fig. 39), so herühren sie sich dort nicht, son-
dern schneiden einander.
Beweis. Es liege CXD, wenn das überhaupt möglich ist, ganz
auf der einen Seite von AB. Man ziehe AC. Dann fällt AC nicht
mit AXC zusammen, was dann als Verlängerung
[von AX] aufzufassen wäre, weil sonst (gegen
den vorhergehenden Hilfssatz) zwei Gerade, erstens
AXC und zweitens die von vornherein gegebene
BXC, ein und denselben Abschnitt XC ge-
, ... , ° Fig. 39.
memsam hatten.
Man ziehe ebenso BC. Dann entsteht wiederum BC nicht durch
Verlängerung von BA bis zum Punkte C, weil sonst zwei Gerade
XAC, ein Stück von BAC, und XC, entgegen dem vorausgeschickten
ersten Hilfssatze, einen Raum einschlössen. Daher wird BC entweder
XJD, das heifst die angenommene Gerade BXC, in einem Punkte L
schneiden, und dann schlössen wieder zwei gerade Linien, nämlich LC,
ein Stück von BC, und LXC, ein Stück der genannten Geraden BXC,
einen Raum ein, oder einer der beiden Endpunkte, nämlich entweder
A von BA oder B von CXB, wäre in dem Räume eingeschlossen,
der von CX, XB und, jenachdem, von BFC oder BHC begrenzt würde.
In beiden Fällen ergiebt sich jedoch derselbe Widerspruch, sei es,
dafs die Verlängerung von BA über A hinaus BFC in einem Punkte
F trifft, sei es, dafs die Verlängerung von CXB über B hinaus
BHC in einem Punkte H trifft. Immer kommt man auf denselben
Widerspruch, dafs zwei Gerade einen Raum einschlössen, nämlich ent- 83
weder die Gerade BF, ein Stück von BFC, mit der andern Geraden
BAF oder die Gerade HC, ein Stück von BHC, mit der Verlange-
ruug CXDH der angenommenen Geraden CXB.
Überdies ergiebt sich derselbe oder ein noch gröfserer Widei*-
spruch, wenn die Verlängerung von BA über A hinaus entweder CX
in irgend einem Punkte, oder sich selbst in irgend einem Punkte ihres
Stückes XB treffen sollte. Und dies gilt in älinlicher Weise, wenn
die Verlängerung von CXD über D hinaus entweder XB in irgend
einem Punkte oder sich selbst in irgend einem Punkte ihres Stückes
CX treffen sollte.
120 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Folglich -svercleii zwei Gerade AB und CXD, die einander in
einem Zwisclienpuukte X treffen, sich dort nicht berühren, sondern
einander schneiden. AVas zu beweisen war.
Hilfssatz IV. Jeder Durchmesser halbiert seinen Kreis und dessen
Umfang.
Beweis. Es sei (man kelire zu Fig. 23 zurück) MBHNKM ein
Kreis, A sein Mittelpunkt, MN ein Durchmesser. Man denke sich
das Stück MNKM des Kreises um die festgehal-
teneu Punkte M und N so gedreht, dafs es sich
schliefslich dem übrigen Stücke MNHDM anfügt
oder anpasst.
Dann bleibt erstens der ganze Durchmesser
j,. 23 MAN mit allen seinen Punkten sicher in derselben
Lage, weil sonst zwei gerade Linien (gegen den
vorhergehenden ersten Hilfssatz) einen Raum einschlössen.
Zweitens fällt sicher kein Punkt K des Umfanges NK3I inner-
halb oder aufserhalb des Flächenraumes, der von dem Durchmesser
MAN und von dem andern Teile des umfanges, NHD3I ein-
geschlossen'wird , weil sonst gegen die Natur des Kreises ein Halb-
messer, zum Beispiel AK, kleiner oder gröfser als ein andrer Halb-
messer desselben Kreises wäre, zum Beispiel als AH.
Drittens kann jeder Halbmesser MA sicher nur durch einen ein-
84 zigen andern Halbmesser AN geradlinig verlängert werden, weil sonst
(gegen den vorhergehenden zweiten Hilfssatz) zwei der Annahme nach
gerade Linien, zum Beispiel MAN und MAH, ein und denselben
gemeinsamen Abschnitt MA hätten.
Viertens schneiden sich (nach dem unmittelbar vorhergehenden
Hilfssatze) alle Durchmesser des Kreises augenscheinlich in dem Mittel-
punkte, und zwar halbieren sie dort einander wegen der bekannten
Eigenschaften des Kreises.
Aus alle dem geht hervor, dafs der Durchmesser MAN seinen
Kreis und dessen Umfang ganz genau in zwei gleiche Teile teilt, und
man kann dasselbe auch allgemein für jeden beliebigen Durchmesser
desselben Kreises behaupten. Was zu beweisen war.
Anmerkung. Bei Clavius liest man, dafs Thaies aus Milet
einen Beweis für diese Wahrheit gegeben habe. Aber vielleicht war
dieser Beweis nicht vollkommen einwurfsfrei.
Hilfssatz V. Unter den geradlinigen Winkeln sind alle rechten ganz
genau einaiuler gleich und stvar ohne irgend eine, tvenn auch nur unend-
lich Meine Ahtveichimg.
I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXXI 11, Uilfssatz IV, V.
121
Fig. 40
Beweis. Euklid erklärt einen geradlinigen Winkel dann für
einen rechten , ivcnn er seinem Nehemvinhcl gleich ist*). Er verlangt
nicht, dafs man ihm das Vorhandensein eines solchen Winkels zu-
gebe, sondern er beweist es in Form einer Aufgabe in dem elften
Satze des ersten Buches. Dort lehrt er nämlich, wie man in einem
beliebig gegebenen Punkte Ä (Fig. 40) auf der Ge
raden BC die Senkrechte ÄD errichten kann, bei der
die Winkel BAB und BAC einander gleich sind,
Dafs aber jene Winkel ganz genau gleich sind ohne
jede auch nur unendlich kleine Abweichung, das er-
giebt sich aus dem Zusätze hinter den beiden ersten
Hilfssätzen, die ich vorausgeschickt habe, wenn nämlich
AB und AC einander genau gleich gewählt sind.
Es könnte aber ein Bedenken entstehen, wenn man zwei andre
rechte Winkel LHF und LHM (Fig. 41) an irgend einer andern
Geraden FM mit den genannten rechten Winkeln
BAB und BAC vergleicht**).
Es sei also HL gleich AB, und man denke
sich die ganze spätere Figur [41] so auf die frühere
[40] gelegt, dafs der Funkt H auf den Punkt A
fällt und der Punkt L auf den Punkt B. Nun ver-
fahre ich so :
Zunächst wird FHM (nach einem früheren Hilfssatze) die Gerade
BC in dem Punkte A nicht genau berühren, also wird es entweder
genau mit BC zusammenfallen, oder es so schneiden, dafs einer der
Endpunkte, zum Beispiel F, oberhalb und der andre, 31, unterhalb
fällt. Findet das Erste statt, so haben wir schon deutlich die be-
hauptete ganz genaue Gleichheit zwischen allen geradlinigen rechten
Winkeln. Das Zweite kann aber gar nicht eintreten, weil sonst der
Winkel LHF, das ist BAF, kleiner Aväre als der Winkel BAB und
als der Winkel BAC, der diesem der Annahme nach durchaus gleich
ist, und daher viel kleiner als der Winkel BAM oder LHM, was
gegen die Voraussetzung ist.
Es hilft auch nichts anzunehmen, dafs der Winkel BAF unendlich
wenig von dem Winkel BAB oder von dem ihm ganz genau gleichen
Winkel BAC abwiche, der wiederum unendlich wenig von dem Winkel
BAM übertroffen würde. Denn immer wäre, gegen die Voraussetzung,
F-
H
Fig. 41.
-3/
*) [Euklid, Elemente, Buch 1, Erklärung 10.]
**) \Euklid verlangt in der Forderung 4 des ersten Buches ausdrücklich,
dafs alle rechten Winkel einander gleich seien. Vermutlich hat er diese For-
derung eingeführt, weil er den Begriff der Bewegung vermeiden wollte.]
122 Sacchcri, I. Buch, I. Teil. — Lehrsatz XXXIII, Hilfssatz V. Sthlufs.
der Winkel DAF oder LHF nicht ganz genau gleich dem Winkel
BAM oder LHM.
Folglich müssen alle geradlinigen rechten Winkel einander ganz
genau gleich sein ohne irgend eine, wenn auch nur unendlich kleine
Abweichung. Was zu beweisen war.
Zusatz. Hieraus folgt, dafs die Gerade, die in einem gegebenen
Punkte einer beliebigen geraden Linie in einer Ebene senkrecht zu
der Geraden gezogen ist, in dieser Ebene durchaus einzig in ihrer
Art ist und sich nicht in zwei spalten kann.
86 Naclidem ich diese fünf Hilfssätze und ihre Zusätze vorausgeschicid
habe, darf ich nunmehr zum Beweise des Haupteinivandes gegen die Hypo-
these des spitzen Winlcels übergehen.
Es ist, wie ich hier als an sich einleuchtend hinstellen darf, kein
geringerer Widerspruch, dafs zwei gerade Linien (sei es bei endlicher,
sei es bei unendlicher Verlängerung) schliefslich in ein und dieselbe
gerade Linie zusammenlaufen, als dafs ein und dieselbe gerade Linie
(sei es bei endlicher, sei es bei unendlicher Verlängerung) sich in
zwei gerade Linien spaltet, entgegen dem vorhergehenden Hilfssatze II
und dem zugehörigen Zusätze. Da es also der Natur der geraden
Linie (nach dem Zusätze zum letzten Hilfssatze) ebenso widerspricht,
dafs zwei Gerade in ein und demselben Punkte auf einer dritten
Geraden in derselben gemeinsamen Ebene senkrecht stehen, so mufs
die Hypothese des spitzen Winkels, da sie der angegebenen Be-
schaffenheit [der geraden Linie] widerspricht, als durchaus falsch
angesehen werden, weil nämlich bei ihr jene beiden Geraden AX und
BX (Fig. 33) in ein und demselben gemeinsamen Punkte X senkrecht
auf einer dritten Geraden stehen mttfsten, die mit ihnen in der-
selben Ebene liegt*). Das ist aber grade der Punkt, auf dessen
Beweis es mir hauptsächlich ankam.
Anmerkung. Hierbei könnte ich mich gut und gern beruhigen.
Aber ich will nichts unversucht lassen, um die widerspenstige Hypo-
these des spitzen Winkels, die ich schon mit der Wurzel ausgerissen
habe, als sich selbst widersprechend nachzuweisen. Das wird nun der
einzige Zweck der folgenden Theoreme dieses Buches sein.
*) [Vergl. Lehrsatz XXXIII, S. 109 und die Anmerkung S. 98.]
Des ersten Buclies zweiter Teil, s?
wo das Euklidische Axiom abermals durch Widerlegung der
Hypothese des spitzen Winkels bewiesen wird.
Lehrsatz XXXIV, in dem eine gewisse Kurve untersucht wird, die
aus der Hypothese des spitzen Whikels cntsprimjt.
Die Gerade CD verbinde zwei gleiche Gerade AC und BD, die
auf irgend einer Geraden AB senkrecht stehen. Man halbiere AB
und CD in M und H (Fig. 42) und ziehe die Verbindungsgerade
3III, die (nach Lehrsatz II) auf beiden senk-
recht steht. Bei der gegenwärtigen Hypo-
these werden ferner an der Verbindungslinie
CD spitze Winkel vorausgesetzt. Deshalb
ist in dem Viereck AM HC (nach Zusatz I
hinter Lehrsatz III) MH kleiner als AC.
Wenn man jetzt auf der Verlängerung
von MH das Stück MK gleich A C annimmt,
so sollen die Punkte C, K und D der hier
untersuchten Kurve angehören.
Weiter sind die Winkel an der Verbindungslinie CK (nach Lehr-
satz VII) ebenfalls spitz, also ist die Gerade LX, die AM und CK
halbiert und deshalb (nach Lehrsatz II) unter rechten Winkeln trifft,
(nach Zusatz I hinter Lehrsatz III) ebenfalls kleiner als AC Wenn
man daher LF in der Verlängerung von LX gleich AC oder 3IK
annimmt, so soll auch der Punkt F der Kurve angehören. Zieht man
ferner CF und FK, so findet man in ähnlicher Weise zwei andre
Punkte, die auch der Kurve augehören sollen. Und so immer fort.
Es gilt aber die Vorschrift, nach der man Punkte zwischen C und K
findet, in derselben Weise auch, wenn man Punkte zwischen K und D
finden will.
Die Kurve CKD, die aus der Hypothese des spitzen Winkels
entspringt, ist nämlich die Verbindungslinie der Endpunkte aller
124
Saccheri, p]uclicles ab omni naevo vindicatus.
gleichen Senkrechten, die auf derselben Grundlinie nach derselben
Seite eri-ichtet sind, und die man gewöhnlich Ordinaten nennt ■^■).
Sie ist, füge ich hinzu, eine Linie, die wegen der Hypothese des spitzen
Winkels, aus der sie entspringt, der gegenüberliegenden Grundlinie AB
stets ihre hohle Seite zukehrt.
Grade das wollte ich an dieser Stelle darlegen und beweisen.
Lehrsatz XXXV. Zieht man in irgend einem Punlde L der Grund-
linie AB die Ordinate LF der Kurve CKD, so hehaupte ich, dafs die
Gerade NFX, die auf LF senkrecht steht, beiderseits ganz auf der ge-
icöTbten Seite der Kurve liegt und daher Tangente dieser Kurve ist.
Beweis. Es liege, wenn das überhaupt möglich ist, ein Punkt X
(Fig. 43) von NFX in der Höhlung dieser Kurve. Man fälle von dem
Punkte X auf die Grundlinie AB das Lot XP,
das über X hinaus verlängert die Kurve in
einem gewissen Punkte B treffe. Dann
schliefse ich so:
In dem Viereck LFXP wird der Win-
kel bei dem Punkte X weder ein rechter
noch ein stumpfer sein, sonst würde näm-
lich (nach Lehrsatz V und VI) die gegen-
wärtige Hypothese des spitzen Winkels hin-
fällig. Infolgedessen ist der genannte Winkel spitz. Deshalb wird
(nach Zusatz I hinter Lehrsatz III) PX und daher um so mehr PR
gröfser sein als LF. Das widerspricht aber (nach dem Vorhergehenden)
der Natur unsrer Kurve. Folglich mufs die Verlängerung der Ge-
raden NF ganz auf die gewölbte Seite fallen, und diese Gerade wird
daher Tangente der Kurve sein. Was zu beweisen war.
Fig. 43.
B
89 . Lehrsatz XXXVI. We^m irgend eine Gerade XF (Fig. 44) mit
irgend einer Ordinate LF einen spitzen Winkel bildet, so liegt der Punkt
X nicJit aufserhalh der Höhlung der Kurve, wenn nicht XF vorher die
Kurve in einem Punkte 0 geschnitten hat.
Beweis. Man kann jedenfalls auf XF den Punkt X so nahe an
dem Punkte F annehmen, dafs die Verbindungslinie LX die Kurve
vorher in einem [von F verschiedenen] Punkte S schneidet, denn
sonst läge XF entweder nicht ganz aufserhalh der Höhlung der
Kurve, und dann hätten wir schon die Behauptung, oder es bildete
*) [Im Original: rectae ordinatim applicatae.]
I. Buch, II. Teil. — Lehrsatz XXXIV— XXXVII.
125
Fig. 44.
sogar mit FL keinen spitzen Winkel, man müfste vielmehr scliliefsen,
dafs X.F mit LF in eine Gerade zusammenfällt.
Man fälle demnach von dem Punkte S
auf die Grundlinie AB das Lot SP, das
(nach Lehrsatz XXXIV) gleich LF ist. Es
ist aber SP (nach I. 19) kleiner als LS.
Also ist auch LF kleiner als LS und daher
viel kleiner als LX. Mithin ist in dem Dreieck
LXF der Winkel bei dem Punkte X spitz,
weil er (nach I. 1 8) kleiner ist als der Winkel
LFX, der als spitz vorausgesetzt wurde.
Nunmehr fälle man auf i^X das Lot LT. Dieses fällt (nach I. 17)
auf die Seite der beiden spitzen Winkel. Deshalb liegt der Punkt T
zwischen den Punkten X und F. Darauf fälle man von dem Punkte T
auf die Grundlinie AB das Lot TQ. Dann wird LF (wegen des rechten
Winkels in T) gröfser als LT und dieses (wegen des rechten Winkels
in Q) gröfser als QT. Also ist ü^ viel gröfser als QT. Nimmt man
daher in der Verlängerung von QT das Stück QK gleich LF an, so
gehört der Punkt K (nach Lehrsatz XXXIV) der betrachteten Kurve
an, und es fällt daher der Punkt T in die Höhlung dieser Kurve.
Folglich kann die Gerade FT, welche die beiden Geraden QK
und LT in T schneidet, mit der Verlängerung von LS nicht in einem
Punkte X zum Schnitte kommen, der aufserhalb der Höhlung der
betrachteten Kurve liegt, wenn nicht vorher die Verlängerung von FT
das Stück dieser Kurve, das zwischen den Punkten S und K liegt,
in einem Punkte 0 schneidet. Das aber war zu beweisen. 90
Zusatz. Hieraus geht deutlich hervor, dafs zwischen die Tangente
dieser Kurve und die Kurve selbst keine Gerade [Halbstrahl] gelegt
werden kann, die auf der einen oder auf der andern Seite der Tangente
ganz aufserhalb der Höhlung der Kurve liegt, da ja eine so gelegte
Gerade (nach dem vorhergehenden Lehrsatze) einen spitzen Winkel
mit dem Lote bilden mufs, das von dem Berührungspunkte auf die
gegenüberliegende Grundlinie gefällt ist.
Lehrsatz XXXVH. Die Kurve CKD, 'die aus der Hypothese des
spitzen Winkels entspringt, müfste der gegenüberliegenden Grundlinie
gleich sein.
Dem Beweise schicke ich folgendes Axiom voraus: Werden zwei
Linien halbiert, dann ihre Hälften und wiederum ihre Viertel halbiert,
und verfährt man in derselben Weise beliebig oft bis ins Unendliche,
so sind die beiden Linien sicher einander gleich, so oft es sich bei
126
Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
^ XQL
Fig. 45.
B
dieser bis ins üuendliche gleiclimäfsig fortgesetzten Teilung heraus-
stellt oder beweisen läfst, daXs man scliliefslich zu zwei einander ent-
sprechenden Teilen kommen mufs, von denen feststeht, dafs sie einander
gleich sind.
Nunmehr folgt der Beweis der Behauptung.
Man denke sich auf der Grundlinie AB nach der Kurve OKI)
hin (Fig. 45) beliebig viele Senkrechte l^F, LF, FF, 3IK, TF,
VF, IF errichtet, und es seien die
Stücke der Grundlinie AN, NL, LP,
P3I, MT, TV, VI, IB einander gleich.
Dann ist erstens der Winkel
zwischen AC und der Kurve sicher
gleich den einzelneu Winkeln, welche
die genannten Lote mit der Kurve zu
beiden Seiten der Punkte F oder des
Punktes K oder beim Punkte D bilden.
Denkt man sich nämlich das gemischte
<ti Viereck ANFC auf das gemischte Viereck NLFF gelegt, sodafs die
Grundlinie AN auf die gleiche Gruudlinie NL zu liegen kommt, so
fallt AC auf NF und NF auf LF, weil jeder der Winkel bei den
Punkten A, N und L gleich einem Rechten ist. Femer fällt (nach
Lehrsatz XXXIV) wegen der Gleichheit der Geraden AC, NF und
LF der Punkt C auf den Punkt F von NF und dieser auf den andern
Punkt F von LF. Aufserdem deckt sich die Kurve CF ganz genau
mit der Kurve FF. Käme nämlich eine von beiden, zum Beispiel CF,
innerhalb oder aufserhalb zu liegen, so könnte man irgend einen
Punkt Q zwischen den Punkten N und L annehmen und iu ihm die
Senkrechte errichten, welche die eine Kurve in X, die andre in S
schnitte, und dann wären (nach der bekannten Beschaffenheit der Kurve)
QX und QS gleich, was widersinnig ist. Dasselbe gilt, wenn bei dem
erwähnten Aufeinanderlegen die Gerade NF in ihrer Lage bleibt,
und AC auf ii^ fällt. Dasselbe gilt ferner, wenn mau sich das näm-
liche gemischte Viereck ANFC in einer der beiden Weisen auf irgend
eins der übrigen Vierecke gelegt denkt, bis zum letzten Viereck BDFI
einschliefslich. Folglich ist der Winkel zwischen AC und der Kurve
gleich den einzelnen Winkeln zwischen den genannten Senkrechten
und derselben Kurve zu beiden Seiten der Punkte F oder des Punktes
K oder beim Punkte D.
Zweitens geht hieraus hervor, dafs die einzelnen Stücke der
Kurve, die von je zwei benachbarten Senkrechten abgeschnitten werden,
einander vollständis: gleich sind.
I. Buch, II. Teil. — Lehrsatz XXXVII, Amnerkung I. 127
Wenn also die Grundlinie AB in M halbiert und die Hälfte AM
in L halbiert wird, dann das Viertel LM in P halbiert wird und so
fort bis ins Unendliche, wobei man immer nach der Seite des Punktes
M fortgeht, so wird drittens ofteubar auch die Kurve CKD in K
von der Senkrechten MK halbiert, ebenso die Hälfte CK wieder in F
von der Senkrechten LF halbiert, das Viertel FK in F von der Senk-
rechten PF halbiert, und so weiter bis ins Unendliche, wenn man in
derselben Weise nach der Seite des Punktes K fortgeht.
Nun können wir annehmen, dafs man bei dieser ins Unendliche
fortgesetzten Teilung der Grundlinie AB schliefslich zu einem unend- 92
lieh kleinen Stück von AB gelangt, das durch die unendlich kleine
Breite der Senkrechten MK dargestellt wird, und dann ergiebt sich
viertens (aus dem voran geschickten Axiome) die behauptete Gleich-
heit der ganzen Grundlinie AB mit der ganzen Kurve CKD, wenn
ich nur zeigen kann, dafs das unendlich kleine Stück, das die Senk-
rechte MK von der Grundlinie AB abschneidet, genau gleich ist dem
unendlich kleinen Stück, das dieselbe Senkrechte von der Kurve CKD
abschneidet. Und dieses letztere beweise ich so :
Wenn die Gerade BK auf KM senkrecht steht, so berührt sie
(nach Lehrsatz XXXV) die Kurve in K, und zwar berührt sie diese
in K so, dafs (nach dem Zusätze hinter Lehrsatz XXXVI) zwischen
die Tangente und die Kurve auf keiner von beiden Seiten eine Gerade
[Halbstrahl] gelegt werden kann, welche die Kurve nicht schneidet.
Mithin ist das zur Kurve gehörige, unendlich kleine Stück K genau
ebenso grofs, wie das zur Tangente gehörige, unendlich kleine Stück K.
Nun ist aber das zur Tangente gehörige, unendlich kleine Stück K weder
gröfser noch kleiner als das unendlich kleine, zur Grundlinie AB gehörige
Stück Jf, vielmehr ihm vollständig gleich, weil man sich nämlich die
Gerade MK dadurch beschrieben denken kann, dafs eben dieser Punkt
M in beständig gleichmäfsiger Bewegung bis zu der Höhe von K
hinaufrückt.
Deshalb müfste (nach dem vorausgeschickten Axiome) die Kurve
CKD, die aus der Hypothese des spitzen Winkels entspringt, der
gegenüberliegenden Grundlinie AB gleich sein. Was zu beweisen war.
Anmerkung L Aber vielleicht wird manchem die eben behauptete
genaue Gleichheit zwischen jenen unendlich kleinen Stücken M und K
zu wenig einleuchtend erscheinen*). Um daher dieses Bedenken zu
beseitigen, verfahre ich wiederum so :
*) [Saccheri scheint also selbst gefühlt zu haben, dafs der eben geführte
Beweis ungenügend ist.]
128
Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Auf irgend einer Geraden AB mögen in derselben Ebene zwei
gleicbe Geraden ÄC und BD (Fig. 48) senkrecht stehen. Man denke
sich in derselben Ebene einen Kreis BLDH mit dem Durchmesser
93 BD, dessen halber Umfang BLD der genannten Geraden AB gleich
ist. Nunmehr stelle man sich vor, dieser Kreis rolle in seiner Ebene
derart über die Gerade AB hin, dafs er in stetiger und gleichmäfsiger
Bewegung mit den Punkten seines halben Umfanges die genannte
Gerade BA durchraisst oder beschreibt, bis nämlich der zu jenem
halben Umfange gehörige Punkt D
mit dem Punkte A zusammenfällt,
wobei dann der Punkt B, der andre
Endpunkt desselben halben Um-
fanges, mit dem Punkte C zu-
sammenfällt.
Nunmehr möge auf dem halben
Umfange BLD irgend ein Punkt
L gewählt werden, dem bei der Beschreibung der geraden Linie
BA der Punkt M entspricht. In M errichte man in derselben
Ebene die Senkrechte MK gleich BD. Dann behaupte ich, dafs dem
Punkte K grade der Endpunkt H des durch L gehenden Durch-
messers entspricht.
Es berührt nämlich hier die Gerade AB den genannten Kreis in
dem Punkte M oder L, infolgedessen geht die Gerade MK, die auf
AB senkrecht steht (nach III. 19*), was von dem strittigen Axiome
durchaus unabhängig ist), durch den Mittelpunkt desselben Kreises.
Sobald daher der Punkt L bei einem solchen Rollen des Kreises
BLDH mit dem Punkte M auf AB zusammenfällt, wird auch der
Endpunkt H des durch den genannten Punkt L gehenden Durch-
messers auf den Punkt K von 3IK fallen.
Weiter gilt dasselbe sicher in entsprechender Weise von den
übrigen Punkten des halben Umfanges BLD und den gegenüber-
liegenden Endpunkten der zugehörigen Durchmesser, die auf dem
andern halben Umfange BHD liegen. Daher ist die Linie, die auf
diese Weise von den Punkten des halben Umfanges BHD nach und
nach beschrieben wird, die schon mitersuchte Linie DKC, die in
allen ihren Punkten von der Geraden BA denselben Abstand hat, und
die infolgedessen (bei der Hypothese des spitzen Winkels) auf der
Seite von AB immer hohl ist.
*) [Wenn eine Gerade einen Kreis berührt, und man vom Berührungspunkte
aus senkrecht zu der berührenden Geraden eine gerade Linie zieht, so liegt auf
dieser der Mittelpunkt des Kreises.]
I. Buch, II. Teil. -Anmerkung I, II zu Lehrsatz XXXVII. Lehrsatz XXXVIIl. 129
Hieraus aber folgt, dafs die Punkte M auf BÄ und K auf DKC
als genau gleich anzusehen sind, weil sie nämlich den beiden End- 94
punkten L und H des zu ihnen gehörigen Durchmessers des Kreises
BLDH durchaus gleich sind. Da nun dasselbe von allen Punkten
der Geraden BÄ gilt, die bei dem Rollen beschrieben wird, wenn man
sie mit den andern, ihnen ebenso gegenüberliegenden Punkten jener
angenommenen Kurve DKC vergleicht, so folgt offenbar, dafs eben
diese Kurve, die aus der Hypothese des spitzen Winkels entspringt,
der gegenüberliegenden Grundlinie AB gleich zu erachten ist. Aber
grade das hatte ich durch diese neue Methode wiederum zu beweisen
unternommen *).
Anmerkung II. Weil man sich aber die Gerade BÄ bei jener
immer gleichmäfsigen und stetigen Bewegung nach und nach von den
Punkten des halben Umfanges BLI) beschrieben denkt, und weil in
entsprechender Weise die Linie DKC von den zugehörigen gegen-
überliegenden Punkten des andern halben Umfanges BHD beschrieben
wird, so erkennt man leicht, dafs die Gerade BÄ durch jene immer
gleichmäfsige und stetige Bewegung von einem einzigen Punkte B
beschrieben wird, den mau sich mit jenem halben Umfange (gewisser-
mafsen abgewickelt) immer auf BÄ hinlaufend denken mufs, während
inzwischen in genau derselben Zeit durch dieselbe immer gleichmäfsige
und stetige Bewegung jene andre Kurve DKC von einem einzigen
Punkte D beschrieben wird, nämlich von dem andern Endpunkte des
zu B gehörigen Durchmessers, den man sich seinerseits (gewisser-
mafsen abgewickelt) mit seinem andern halben Umfange BHD immer
auf der genannten Kurve DKC hinlaufend denken mufs. Dann aber
erkennt man leichter die behauptete Gleichheit zwischen DKC und
der gegenüberliegenden Geraden BÄ, weil beide in gleicher Zeit und
durch die gleiche Bewegung von zwei einander ganz genau gleichen
Punkten oder besser unendlich kleinen Stücken beschrieben werden**).
Übrigens hat die ganz genaue Gleichheit der genannten Punkte offen-
bar auf die neue Betrachtung gar keinen Einflufs.
Lehrsatz XXX VHL Die Hypothese des spitzen Winkels ist ganz 95
und gair falsch, weil sie sich seihst zerstört.
*) [Dieser Beweis leidet an genau denselben Gebrechen wie der vorher-
gehende.]
**) [Auch diese Betrachtungen sind nicht besser als die vorhergehenden.
Der Kreis BHDL rollt zwar auf der Geraden AB und wickelt sich auf ihr ab,
aber er rollt nicht zu gleicher Zeit auf der Kurve DKC und wickelt sich infolge-
dessen auch nicht auf dieser ab.]
Stäckel II. Engel, Parallelentheorie. 9
loO
Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Beweis. Vorhin haben wir nämlich aus der Hypothese des spitzen
Winkels deutlich erschlossen, dafs die aus ihr abgeleitete Kurve CKD
(Fig. 46) der gegenüberliegenden Grundlinie
AB gleich sein mufs. Jetzt aber erschliefsen
wir aus derselben Hypothese das Gegenteil,
dafs nämlich die Kurve CKD jener Grundlinie
nicht gleich sein kann , weil sie uubedingt
gröfser ist als diese.
Dafs nämlich die Kurve CKD gröfser ist
als die Gerade CD, die ihre Endpunkte ver-
bindet, das zeigt die unmittelbare Anschauung.
Man kann es allerdings auch mit Hilfe von
I. 20 beweisen, wonach zwei Seiten eines Dreiecks zusammen immer
gröfser sind als die dritte, indem man nämlich CK und KD zieht,
und wiederum in ähnlicher Weise zunächst die S^iitzen von zwei Ab-
schnitten verbindet, dann von vier und so weiter ins Unendliche, wobei
die Anzahl der so entstehenden Abschnitte sich immer verdoppelt, bis
die ganze Kurve CKD auf diese Weise schliefslich iu die unendlich
kleinen Sehnen oder Tangeuten zerlegt ist. Indes brauchen wir uns
hier blofs auf die unmittelbare Anschauung zu berufen.
Dafs jedoch andrerseits die Verbindungslinie CD gröfser ist als
die Grundlinie AD, das haben wir im dritten Lehrsatze aus der
innersten Natur der Hypothese des spitzen Winkels bewiesen. Daher
ist die Kurve CKD, die aus der Hypothese des spitzen Winkels ent-
springt, gewifs gröfser als die Grundlinie AB, denn nach der un-
mittelbaren Anschauimg ist sie gröfser als die Gerade CD, und diese
ist, wie bei der Hypothese des spitzen Winkels bewiesen werden kann,
gröfser als die Grundlinie AB. Damit ist aber nicht vereinbar, dafs die
Kurve CKD der Grundlinie AB gleich ist.
Mithin steht fest, dafs die Hypothese des spitzen Winkels ganz
und gar falsch ist, weil sie sich selbst zerstört.
96
Anmerkung.
IT
M
Fig. 47.
D
Ich mufs noch bemerken, dafs auch aus der Hypo-
these des stumpfen Wiakels eine gewisse
Kurve CKD entspringt, die jedoch auf der
Seite der Grundlinie AB gewölbt ist. Denn
die Halbierungslinie MH (Fig. 47) von AB
und CD steht (nach Lehrsatz II) auf beiden
senkrecht und ist bei der Hypothese des
stumpfen Winkels (nach Zusatz I hinter Lehr-
satz ITI) gröfser als AC und BD. Deshalb
B
I. Buch, II. Teil. - Lehrsatz XXXVIfl. Anmerkung. Lehrsatz XXXIX. 1,'U
ist ein gewisses Stück MK von MH gleich AC oder BD. Zieht
man jetzt CK und KD und halbiert die Geraden CK, AM, MB,
KD in den Punkten X., P, Q, N, so stehen (wieder nach Lehr-
satz II) die Verbindungslinien PX und QN sicher auf den durch sie
geteilten Geraden senkrecht. Sie sind aber wiederum (ebenfalls nach
Zusatz I hinter Lehrsatz IIT) gröfser als AC, MK und BD. Nimmt
man daher auf ihnen Stücke PL und QS an, die den genannten
Geraden gleich sind, so hat man eine aus der Hypothese des stumpfen
Winkels entspringende Kurve, die durch die Punkte C, L, K, S, D
hindurchgeht. Und so immer weiter, wenn man die übrigen Punkte
derselben Kurve angeben will. Hieraus aber geht hervor, dafs die
Kurve auf der Seite der Grundlinie AB gewölbt ist.
Nun gebe ich zu, dafs man genau auf dieselbe Weise die Gleich-
heit dieser Kurve mit der Grundlinie AB hätte beweisen können.
Aber was wäre der Erfolg? Sicherlich gar keiner! Denn, wenn einer-
seits jene Kurve CKD, nach der unmittelbaren Anschauung, für gröfser
gelten mufs als die Gerade CD, so wird andrerseits (in Lehrsatz HI)
bewiesen, dafs die Grundlinie AB gröfser ist als CD, sobald die
Hypothese des stumpfen Winkels gilt. Es ist also hier kein Wider-
sinn, wenn die Grundlinie AB der genamiten Kurve gleich ist. Dafs
es sich aber bei der Hypothese des spitzen Winkels ganz anders ver-
hält, das geht aus dem vorhin Gesagten hervor.
Aus dieser Anmerkung nun und aus einer andern hinter Lehr-
satz Xni ist zu ersehen, dafs wir zur Widerlegung der beiden fal-
schen Hypothesen, der des stumpfen Winkels und der des spitzen
Winkels, zwei ganz verschiedene Wege einschlagen mufsten.
Übrigens erkennt man aus dem Vorhergehenden ohne Mühe, dafs
nur die gerade Linie CD in allen ihren Punkten gleichen Abstand
von der Grundlinie AB haben kann.
Lehrsatz XXXIX. Werden zwei gerade Linien von einer andern {-i
yescl mitten, und sind die innern Winl;el, die diese auf derselben Seite
bildet, zusammen Meiner als ztvei Beeide, so treffen die beiden Linien,
ins Unendliehe verlängert, einander auf der Seite, tco die Whikel zusammen
Meiner sind als zwei Beeilte.
Das ist eben das berühmte Euklidische Axiom, das ich endlich
vollständig zu beweisen unternehme.
Zu diesem Endzwecke aber genügt es, au einige der vorher-
gehenden Beweise zu erinnern. Ich habe in meinen Lehrsätzen bis
zum siebenten einschliefslich in Bezug auf die Verbindungsgerade
der Endpunkte von zwei gleich langen Geraden, die in derselben
9*
132 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Ebene auf einer von mir Grundlinie genannten Geraden senkrecht
stellen, drei Hypothesen unterschieden. Von diesen Hypothesen (deren
Kennzeichen bei mir die Beschaffenheit der ^^'inkel ist, die an der Ver-
bindungslinie auftreten sollen) beweise ich ferner, dafs, wenn eine von
ihnen, nämlich entweder die des rechten Winkels oder die des stumpfen
Winkels oder die des spitzen Winkels, auch uur in einem Falle richtig
ist, dafs sie dann in jedem Falle immer allein die richtige ist.
Darauf zeige ich in Lehrsatz XUI die allgemeine Giltigkeit des
strittigen Axioms, sobald eine von den beiden Hypothesen des rechten
oder des stumpfen Winkels besteht. Hieraus leite ich im Lehr-
satze XIV ab, dafs die Hypothese des stumpfen Winkels ganz und
gar falsch ist, weil sie sich selbst zerstört, weil sie nämlich die Wahr-
heit des genannten Axioms nach sich zieht, das, in Widerspruch mit
den beiden übrigen Hypothesen, nur für die Hypothese des rechten
Winkels Raum übrig läfst. Daher bleibt blofs die Hypothese des
spitzen Winkels übrig, gegen die längere Zeit gekämpft werden mufste.
Aber auch von dieser zeige ich (nachdem ich bei geeigneter
Gelegenheit Vieles, um nicht zu sagen Alles, geprüft habe) endlich
in Lehrsatz XXXHI, dafs sie ganz und gar falsch ist, weil sie der
Natur der geraden Linie widerspricht, über die ich dort viele, jedoch un-
entbehrliche Hilfssätze einfüge. Endlich aber beweise ich in dem vor-
hergehenden Lehrsatze in aller Vollständigkeit, dais die Hypothese
98 des spitzen Winkels sich selbst widerspricht. Da somit einzig und
allein die Hypothese des rechten Winkels übrig bleibt, so folgt hieraus
offenbar, dafs durch den erwähnten Lehrsatz XHI das vorhin aus-
gesprochene Euklidische Axiom vollständig begründet wird. Und das
war die Behauptung.
Anmerkung. An dieser Stelle möchte ich einen bemerkenswerten
Unterschied zwischen den vorhergehenden Widerlegungen der beiden
Hypothesen zur Sprache bringen.
Bei der Hypothese des stumpfen Winkels ist nämlich die Sache
heller als die Sonne im Mittag, weil sich ja, wenn man sie als wahr
annimmt, aus ihr die vollständige und allgemeine Giltigkeit des strit-
tigen Euklidischen Axioms erweisen läfst, und daraus kann nachher
die vollständige Unrichtigkeit eben dieser Hypothese bewiesen werden,
wie das aus Lehrsatz XHI und XIV hervorgeht.
Dagegen gelingt es mir nicht, die Unrichtigkeit der andern Hypo-
these, nämlich der des spitzen Winkels, nachzuweisen, ohne vorher zu
zeigen, dafs die Linie, deren Punkte alle von einer angenommenen
I. Buch, 11. Teil. — Lehrsatz XXXIX. Anmerkung. 133
geraden Linie gleich weit abstehen, und die in derselben Ebene mit
dieser liegt, eben dieser Geraden gleich ist.
Nun könnte es scheinen, als ob ich grade das nicht aus dem
eigentlichen Wesen dieser Hypothese bewiesen hätte, was doch für
eine tadellose Widerlegung erforderlich gewesen wäre. Ich antworte
aber, dafs ich in Lehrsatz XXXVII drei Mittel gebraucht habe, um
die genannte Gleichheit zu beweisen. Zunächst beweise ich in diesem
Lehrsatze selbst, dafs die Kurve CKD, die ja aus der Hypothese des
spitzen Winkels entspringt (mid die deshalb auf der Seite jener Ge-
raden AB immer hohl ist), dieser gleich sein mufs, und zwar, indem
ich meine Beweisgründe von den Tangenten dieser Kurve hernehme.
Darauf beweise ich in den beiden Anmerkungen zu demselben Lehr-
satze, ohne die Giltigkeit einer besonderen der drei Hypothesen voraus-
zusetzen, wiederum zweimal die Gleichheit der so erzeugten Linie CD
mit der Grundlinie AB, gleichgiltig welche Beschaffenheit man sonst
der so erzeugten Linie CD zuschreibt.
Erkennt man nun an, dafs die Gleichheit jener Kurve CKD, wie
sie aus der Hypothese des spitzen Winkels entspringt, mit der Grund- 99
linie AB auf die erste Art wirklich bewiesen ist, so bekommt
man eine überzeugende Widerlegung, denn bei derselben Hypothese
läfst sich offenbar nachweisen, dafs CKD gröfser ist. Erkennt man
aber an, dafs die Gleichheit auf eine der beiden andern Arten bewiesen
ist, so wird auch dann die Widerlegung der Hypothese des spitzen
Winkels mit nichten versagen. Der Grund liegt darin, dafs CD zwar
sehr gut krumm und nichtsdestoweniger der Geraden AB gleich
sein kann, wenn nur CD immer auf jener Seite gewölbt, und somit
die Verbindungsgerade derselben Punkte C und D kleiner ist als die
gegenüberliegende Grundlinie AB, was bei der Hypothese des stumpfen
Winkels eintritt; dafs es aber durchaus ein Widerspruch ist, wenn CD
auf derselben Seite immer hohl und somit die genannte Verbindungs-
gerade jener Punkte C und D gröfser ist als die gegenüberliegende
Grundlinie AB, was bei der Hypothese des spitzen Winkels eintritt.
In dieser Weise ist die Sache bereits in der Anmerkung zu dem vor-
hergehenden Lehrsatze auseinandergesetzt worden. Freilich leuchtet
ein, dafs hieraus keine Widerlegung der Hypothese des stumpfen
Winkels folgt, dafs vielmehr auf diese Art einzig und allein die
Hypothese des spitzen Winkels zerstört wird.
Vielleicht könnte aber hier jemand fragen, warum ich so besorgt
bin nachzuweisen, dafs die Widerlegung der beiden falschen Hypo-
thesen unanfechtbar ist. Deshalb, erwiedere ich, weil daraus hervor-
geht, dafs Euklid nicht ohne genügenden Grund jenes berühmte
134 Saccheri, Euclides ab omni naevo vindicatus.
Axiom als au und für sich einleuchtend angenommen hat. Deun grade
darin scheint, sozusagen, der Charakter jeder Grundwahrheit zu liegen,
dafs sie nur, indem die Wahrheit ihres Gegenteils gründlich widerlegt
wnrd, in ihr altes Recht wieder eingesetzt werden kann. Und ich darf
sagen, dafs mir dies von meiner Jugend an bei der Untersuchung
einiger Grundwahrheiten geglückt ist, wie aus meiner Logica demon-
strativa [1692, 1701] hervorgeht.
Nimmehr kann ich mich dazu wenden, auseinanderzusetzen, warum
ich in dem Vorwort au den Leser gesagt habe: gewisse Leute Jiätten
nicht ohne eineii (/rohen Verstoß gegen die strenge Logik Paare gleichweit
100 entfernter gerader Linien von vorn herein als gegeben angenommen. Dabei
mufs ich ausdrücklich erklären, dafs ich hiermit keinen von denen
augreife, die ich in meinem Buche, wemi auch nur mittelbar, genannt
habe-, demi sie sind wahrhaft grofse Geometer und von diesem Ver-
stofse unzweifelhaft frei.
Ich sage aber: einen groben Verstofs gegen die strenge Logik, denn
was heifst: ;iWei gleich iveit entfernte gerade Linien als gegeben annehmen
andres, als entweder verlangen, dafs jede Linie, die in derselben Ebene
von einer angenommenen Geraden gleich weit entfernt ist, wieder eine
gerade Linie sei, oder wenigstens annehmen, dafs eine gewisse gleich
weit entfernte Linie eine gerade Linie sein kann, sodafs man also eine
solche entweder auf Grund einer Hypothese oder auf Grund einer
Forderung in der betreffenden Entfernung von der andern annehmen
darf? Unzweifelhaft kann man keins von beiden als an sich einleuchtend
einschmuggeln, denn dafs der reine Begriff einer Linie, die in allen ihren
Punkten von einer angenommenen geraden Linie gleich weit entfernt
ist, mit dem ursprünglichen Begriffe der geraden Linie zusammenfällt,
ist keineswegs unmittelbar klar. Zwei gerade Linien für ^parallel zu
erklären, ivenn sie gleich iceit von einamJer entfernt sind, ist deshalb
ein Fehler, den ich in meiner Logik den der ziveideutigen Erklärung
nenne; bei einer solchen ist aber jeder Versuch, zur unbedingten
Wahrheit zu gelangen, nutzlos.
Ich finde jedoch, dafs noch eine Bemerkung gemacht werden mufs.
Wir alle wollen zugeben, dafs die Verbindungslinie der Endpunkte
aller Senkrechten, die in ein und derselben Ebene nach derselben
Seite in den einzelnen Punkten einer angenommenen geraden Linie
AJß errichtet sind, sowohl der genannten Geraden AB gleich als auch
selbst eine Gerade sein mufs. Ich behaupte aber: Wir erkennen
zuerst, dafs sie gleich ist, und erst dann, dafs sie gerade ist. Da
man sich nämlich vorstellen kann, dafs die einzelnen Funkte jener
Geraden AB immer gleichmäfsig auf ihren Senkrechten fortschreiten,
I. Buch, 11. Teil. — Anmerkung zu Lehrsatz XXXIX. 135
bis sie endlich jene gewisse Linie CD bilden, so mufs einleuchten,
dafs die so erzeugte Linie CD, wie sie auch sonst beschaffen sei,
gleich AB ist, besonders wenn man die Auseinandersetzung berück-
sichtigt, die in der Anmerkung 11 hinter Lehrsatz XXXVII enthalten 101
ist, wo dieser Punkt auf das Deutlichste bewiesen wurde.
Indes bleibt alsdann noch eine grofse Schwierigkeit, nämlich zu
beweisen, dafs die so erzeugte Kurve CD nur eine gerade Linie sein
kann. Und daher kommt es, wie mir scheint, dafs man, um leichter
von der Stelle zu kommen, einem allgemein verbreiteten Vorurteile
nachgebend, lieber von vorn herein angenommen hat, CD sei eine
gerade Linie, um daraus abzuleiten, dafs es der Grundlinie AD gleich
ist, und um nachher die rechten Winkel an der Verbindungso-eradeu
CD einzuführen.
Ich sage aber: eine grofse Schtvieriglceü, denn es mussten zuerst
die drei Hypothesen in Betreff der Winkel an der Yerhindungsgeraden
CD eingeführt werden, die rechte sind, wenn CD gleich der Grund-
linie AB ist, oder stumpf, wenn es kleiner, oder spitz, wenn es gröfser
ist. Dann aber mufste gezeigt werden, dafs die krumme Linie, die
(bei der Hypothese des spitzen Winkels) die Endpunkte jener gleichen
Senkrechten verbindet, auf der Seite von AB nur hohl sein könne,
und dafs wiederum die andre Kurve, die (bei der Hypothese des stumpfen
Winkels) die Endpunkte derselben Senkrechten verbindet, auf der ge-
nannten Seite nur gewölbt sein könne. Nunmehr aber mufste hieraus
die Unrichtigkeit der Hypothese des spitzen Winkels nachgewiesen
werden, weil die Linie, welche die Endpunkte der genannten Senk-
rechten verbindet, der Grundlinie AB nicht gleich, sondern vielmehr
(wie die Anschauung unmittelbar lehrt) gröfser ist als jene Verbin-
dungsgerade OD, die nach der Beschaffenheit eben dieser Hypothese
gröfser ist als die genannte Grundlinie AB. Dafs aber die Hypothese
des stumpfen Winkels sich selbst widerspricht, mufste anderswoher
gezeigt werden, so wie es in Lehrsatz XIV geschehen ist. Aber damit
sei es nun genug.
Ende des ersten Buches.
136 Saccheri. Abweichungen vom Urtext.
Abweichungen vom Urtext.
S. 60, Z. 18 V. 0. (S. 12, Z. 3 v. u.V Im Urtext steht I. 18 st.-}.tt: I. 19.
S. 61, Z. 7 V. o. (S. 13, Z. 14 V. 0.) ÄP statt: ÄD.
S. 62, Z. 10 V. u. (S. 15, Z. 11 V. o.) I. 4 statt: I. 5.
S. 72, Z. 10 V. 0. (S. 25, Z. 3 v. u.) XXV statt: XXVII.
S. 74, Z. 18 V. u. (S. 28, Z. 9 v. u.) (nach Lehrsatz III) statt: (nach Lehrsatz!,
VII und X\l\
S. 86, Z. 16, 25 V. 0. (S. 42, Z. 17, 8 v. u.) B, D, H, P statt: B, H, D, P und
YDH, YEP statt: YHD, YDP.
S. 102, Z. 9 V. o. (S. 61, Z. 13 V. u.) L 18 statt: I. 19.
S. 102, Z. 11 V. u. (S. 62, Z. 7 v. o.) NC statt: MC.
S. 119, Z. 2 V. 0. (S. 82, Z. 3 V. o.) XL 4 statt: XI. 1
S. 125, Z. 6 V. 0. (S. 89, Z. 14 v. o.) I. 18 statt: L 19.
Druckfehler, die bereits im Druckfehlerverzeichnisse des Originals (S. XVI)
angeführt sind oder die das Verständnis des Textes nicht stören, wie die häufige
Vertauschung von n und m, /' und /", ;• und t, haben wir hier unberücksichtigt
gelassen. Die in runde Klammem eingeschlossenen Seitenzahlen beziehen sich
auf die Originalausgabe.
JOHANN HEINRICH LAMBERT
1728—1777.
Mit Johann Heinrich Lambert kommen wir nach Dcntsch-
land. Wir wollen daher zunächst berichten, wie sich die Entwicke-
knig der Parallelentheorie dort gestaltet hatte.
In der Einleitung zu Wallis ist bereits der vortreffliche Euklid-
Kommentar des Jesuiten Christoph Schlüssel (1574) besprochen
worden. Aber erst nach einem Zeiträume von fast zweihundert Jahren
begegnet uns in Deutschland wieder eine Veröffentlichung, die erwähnt
zu werden verdient; denn die scharfsinnigen Bemerkungen, die Leibniz
über die Grundlagen der Geometrie gemacht hatte, sind erst in diesem
Jahrhunderte aus seinem Nachlasse ans Licht o-ezogen worden. Das
Interesse für die Parallelentheorie erwacht erst wieder in der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, und zwar war es Abraham
Gotthelf Kaestner (1719 — 1800), der die Wichtigkeit der Unter-
suchungen über die fünfte Forderung erkannte, die Aufmerksamkeit der
Mathematiker auf diesen Gegenstand lenkte und damit eine Bewegung
einleitete, die erst in diesem Jahrhunderte ihren Abschlufs gefunden hat.
In der Vorrede zu seinen weitverbreiteten An fang so- runden
der Arithmetik und Geometrie, deren erste Auflage im Jahre
1757 erschienen ist, erzählt uns Kaestner Folgendes:
„Die Schwierigkeit, welche bei der Lehre von den Parallellinien
sich findet, hat mich schon viele Jahre beschäftigt. Ich glaubte, sie
wäre durch Hausens Elementis matheseos [1734] völlig gehoben.
Der vormahlige Prediger bei der französischen Gemeinde in Leipzig
Mr. Coste benahm mir diese Zufriedenheit, als er mir einmahl bei
dem Umgange, den er mir oft gönnete, anzeigte, es sey an dem an-
geführten Orte von Hausen ein Schlufs gemacht worden, der nicht
folge. Ich entdeckte diesen Fehler bald selbst und bemühte mich
von der Zeit an, die Schwierigkeit selbst zu heben oder Schriftsteller
zu finden, die sie gehoben hätten, aber in beider Absicht vergebens,
ob ich gleich fast eine kleine Bibliothek von einzelnen Schriften oder
Anfangsgründen der Geometrie sammelte, wo dieser Gegenstand war
besonders betrachtet worden. Nachdem gegenwärtige Arbeit mich
veranlasset die Sache von neuem zu überlegen, so habe ich kein Ver-
14ri Einleitung zu Lamberts
fahren liudeu küimeii, das meiner Befriedigung näher käme als das-
jenige, das ich in dem Zusätze des elften Satzes und im zwölften
Satze gewählt habe."
Dieses Verfahren besteht darin, dafs, ähnlich wie es bei Wallis
geschieht, die eine der beiden schneidenden Geraden parallel mit sich
selbst verschoben wird. Liegt ihr Schnittpunkt mit der Grundlinie
in der Nähe des Schnittpunktes der zweiten Geraden mit der Grund-
linie, so findet ein Zusammentreffen der beiden schneidenden Geraden
statt. „Man sieht aber nicht", fährt Kaestner fort, „wie blofs die
längere Grundlinie die Dreiecke unmöglich machen soll, mau wird
vielmehr urtheilen, dafs bei einer längeren Grundlinie nur die Seiten
bis zum Zusammentreffen weiter müssen fortgeschoben werden."
Kaestners Interesse für die Parallelentheorie zeigte sich jedoch
nicht nur darin, dafs er die betreffenden Schriften sammelte — das 1801
veröffentlichte Verzeichnis seiner Büchersammlung, die über 7000 Werke
umfafste, enthält fast alles, was über diesen Gegenstand etwa bis 1770
erschienen war — vielmehr entstand auch unter seiner Beihilfe eine
noch heute wertvolle Dissertation, in der zum ersten Male eine Ge-
schichte der Parallelentheorie gegeben wurde. Ihr Titel lautet:
Conatuum praecipuorum theoriam parallelarum demon-
strandi recensio, quam publico examini Submittent Abrah.
Gotthelf Kaestner et auctor respondens Georgius Simon
Klügel, Göttingen 17G3. 4°. 34 Seiten, 1 Figurentafel.
Ihr Verfasser, später Professor der Mathematik in Helmstedt und
in Halle, ist noch jetzt durch sein Mathematisc^s Wörterbuch bekannt.
Gegen dreifsig Versuche, das Parallelenaxiom zu beweisen, unter
ihnen auch, wie wir schon früher erwähnten, der Versuch Saccheris,
werden hier mit sehr verständiger Kritik behandelt, und immer stellt
sich heraus, dafs sie als mifslungen anzusehen sind. Es ist daher
erklärlich, dafs Klügel (S. 16) zu der Ansicht gelaugt: „Möglich
wäre es freilich, dafs Gerade, die sich nicht schneiden, von einander
abweichen. Dafs so etwas widersinnig ist, wissen wir nicht in Folge
strenger Schlüsse oder vermöge deutlicher Begriffe von der geraden
und der krummen Linie, vielmehr durch die Erfahrung und durch das
Urteil unsrer Augen", und dafs Kaestner in einem Nachworte sich
dahin äufsert, ein Beweis für das Parallelenaxiom sei nur zu erhoffen
durch eine genauere Ausbildung der Lehre von der Lage, die mit
Leibniz untergegangen sei. Gegenwärtig bleibe nur übrig, offen, wie
es Hütern der reinsten Wahrheit gezieme, die Forderung Euklids als
solche auszusprechen; niemand, der bei gesunden Sinnen sei, werde sie
ja bestreiten wollen.
Theorie der Parallellinien. 141
Dieser Skeptizismus Kaestners scheint sich später fast noch ver-
schärft zu haben, denn Schweikart berichtet 1807, „dafs Kaestner
vor vielen Jahren schon, an der Möglichkeit der Lösung verzweifelnd,
mit unbegreiflicher Resignation, anstatt nach der wahren Demonstra-
tion zu forschen, ein blindes Annehmen öffentlich anrieth".
Klügeis Dissertation hat noch ein andres Interesse, sie scheint
die Veranlassung gewesen zu sein, dafs Johann Heinrich Lambert
der Parallelentheorie seine Aufmerksamkeit zuwandte (vergl. S. 155).
Indem wir zu den Untersuchungen dieses merkwürdigen Mannes
übergehen, wollen wir zunächst über seinen Lebenslauf berichten.
Lambert ist am 26. August 1728 in der Stadt Mühlhausen im
Ober-Elsafs geboren, die seit 1506 der Schweizer Eidgenossenschaft
„zugewendet" war. Diese Verbindung hat erst 1798 aufgehört, wo
Mühlhausen von der französischen Republik weggenommen wurde.
Lambert betrachtete sich selbst als Schweizer — er nennt sich
Muelhusio-Helvetus — , und als er nach mancherlei Irrfahrten
1764 nach Berlin kam, nahm ihn die einflufsreiche schweizerische
Kolonie als Landsmann auf. Bald darauf wurde er Mitglied der Aka-
demie; in Berlin hat er dann die letzten dreizehn Jahre seines
Lebens zugebracht. Genaueres über sein Leben sowie über seine
hervorragenden Leistungen in der Mathematik, der Physik und der
Philosophie findet man in den Schriften, die am Schlüsse dieser Ein-
leitung angeführt sind.
Lambert hat seine „Theorie der Parallellinien" nicht selbst
veröffentlicht, wahrscheinlich weil sie ihn noch nicht befriedigte. Erst
1786 ist die Abhandlung aus Lamberts Nachlafs durch Johann
Bernoulli, einen Enkel des bekannten Baseler Mathematikers gleichen
Namens, herausgegeben worden. Bernoulli sagt in einer Anmerkung,
sie sei im September 1766 aufgesetzt. Dafs sich Lambert um diese
Zeit mit dem ersten Buche der Elemente eingehend beschäftigt hat,
zeigt eine Stelle in einem Briefe an den Baron Georg Jonathan von
Holland (1742—1784). In diesem Briefe, der vom 11. April 1765
datiert ist, äufsert sich Lambert über Euklids Verfahren in folgender
Weise (Lamberts Briefwechsel, Teil I, S. 28—30):
„Ich stelle mir nun Euclidens Verfahren so vor:
1. Dafs Euclid seine Definitionen vorausschickt und aufhäuft,
das ist gleichsam nur eine Nomenclatur. Er thut dabei weiter
nichts als was z. B. ein Uhrmacher oder anderer Künstler
thut, wenn er anfängt, seinem Lehrjungen die Namen seiner
Werkzeuge bekannt zu machen.
142 Einleitung • zu Lamberts
2. Dabey ist es Eucliden genug, wenn man ihm einräumt, dafs
es solche Figuren gebe, sollte es auch nur eine seyn.
3. Hingegen fordert er die unbedingte Möglichkeit gerader Linien
und Circul von jeder Gröfse und Lage. Et hoc si dederis,
danda sunt omnia*). Denn
4. Sogleich trägt Euclid eine Aufgabe vor, um denen, welche ihm
die allgemeine und unbedingte Möglichkeit eines gleichseitigen
A [Triangels] in Zweifel ziehen wollten, ex coucessis postu-
latis zu zeigen, wie sie ihn von jeder Gröfse machen können.
5. Vermittelst dieser ersten Aufgabe zeigt Euclid in der zweiten,
wie man eine Linie von gegebener Länge hintragen könne, wo
man will.
G. Im folgenden zeigt er sodann, dafs in jedem A zwei Seiten
gröfser sein müssen, als die dritte, und dafs demnach tinter
dieser Bedingung Triangel von jeder Gestalt und Gr()fse inöglich
sind. Dieses hätte man ihm aus der blofsen Definition des A
nicht eingeräumt.
7. In Ansehung der Parallellinien ist dieses Verfahren noch
augenscheinlicher, weil die Definition von derselben Möglichkeit
gar nichts angiebt. Denn man müfste sie sich gerade und
beiderseits ins Unendliche verlängert vorstellen köimen.
8. In den Beweisen braucht Euclid den Ausdruck per defini-
tionem im geringsten nicht anders als den Ausdruck per
hypothesin. Denn bis die Möglichkeit des Begrifs nicht
erwiesen ist, ist die Definition nur noch eine Hypothesis. Ist
es ftir sich oder auch nur durch ein einziges Bey spiel klar,
dafs es wenigstens einige solcher Figuren giebt, die die Defi-
nition anzeigt, so mag die Definition vorausgeschickt werden,
und zwar als eine blofse Benennung. Die Bedingungen ihrer
Möglichkeit müssen aber aus Grundsätzen und Postulatis
folgen. Dies ist der Fall von dem A (Nr. 6). Die Definition
der Parallellinien ist schlechthin eine Hypothese bis ihre
Möglichkeit erwiesen wird, und da wird die Definition zum
Subjekt (Alethiol. § 242**)).
Dieses ist nun meines Erachtens die Art, wie Euclid mit Defi-
nitionen und Begrifien umgeht."
Trotz sorgfältiger Nachforschungen ist es uns nicht gelungen, in
*) [Cicero, de finibus bonorum et malorum, lib. V. 8.B.]
**) [Gemeint ist der Absclinitt Alethiologie aus Lamberts Werk: Neues
Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des
Wahren und d essen Unte r Scheidung vomirrth um und Seh ein. liiga 1764.]
Theorie der Parallellinien. 143
den zahlreiclieu Sclirifteu Lamberts weitere Bemerkungen über die
Parallelentheorie aufzufinden; höchstens wäre zu erwähnen^ dafs er in
einem Briefe an Klügel vom 3. Juli 1773 äufsert, er besitze dessen
Dissertation über die Parallellinieu. Dagegen haben wir Grund zu der
Vermutung, dafs in dem nicht veröffentlichten Teile des Nachlasses
solche Bemerkungen enthalten waren; unsre erfolglosen Bemühungen,
den Verbleib dieser Papiere zu ermitteln, werden nachher zur Sprache
kommen.
Bei dem Versuche, die Bedeutung der Untersuchungen Lamberts
zu kennzeichnen, werden wir naturgemäfs Saccheris Euclides ab
omni naevo vindicatus zur Vergleichung heranziehen; wir möchten
jedoch ausdrücklich bemerken, dafs nach unsrer Überzeugung Lam-
bert von diesem Werke nur das Wenige gekannt hat, was Klügel
in seiner Dissertation mitgeteilt hatte.
Lamberts „Theorie der Parallellinieu'' gliedert sich in drei
Abschnitte sehr verschiedenen Inhalts. Der erste sehr klar ge-
schriebene und noch heute nicht veraltete Abschnitt (§ 1 — 11) hat
den Zweck darzulegen, was es bedeutet, wenn man von einem Beweise
der fünften Forderung spricht. Grade Lambert war für solche
Auseinandersetzungen mathematisch-philosophischer Art der rechte
Mann, denn seine Leistungen auf dem Gebiete der Philosophie stehen
den mathematischen nicht nach: Kant nennt ihn mit der gröfsten
Achtung, und Lamberts Untersuchungen über Logik werden noch
heute geschätzt.
In dem zweiten Abschnitte (§ 12 — 26) finden wir verschiedene
Ansätze zu einem Beweise des Parallelenaxioms, bei deren Durchführung
jedoch immer eiu Rest bleibt. C. F. Hindenburg (1741 — 1808) hat
daher im Leipziger Magazin (Jahrgang 1786, S. 361) beim Erscheinen
der Lambertschen Abhandlung zu § 21 sehr richtig bemerkt:
„Was behauptet wird, der Beweis von Euklid's Grundsätze lasse
sich leicht so weit treiben, dafs das, was daran noch etwa zurück bleibt,
nicht nur augenscheinlich richtig ist, sondern auch allen Anschein
hat, dafs es nachgeholt, und der Beweis dadurch ergänzt werden
könne; habe ich, aus vielfältiger Erfahrung, etwas anders befunden,
nehmlich: Das, was etwa noch zu erweisen übrig ist, scheint anfangs
eine Kleinigkeit zu seyn; aber diese anscheinende Kleinigkeit, soll
sie nach aller Strenge berichtigt werden, ist, wenn man genauer nach-
sieht, immer die Hauptsache selbst; gewöhnlich setzt sie den Satz,
oder einen ihm gleichgültigen, voraus, den man eben erweisen soll."
Übrigens ist jener Rest bei Lamberts Beweisversuchen im
Grunde das Axiom Bolyais: Durch drei Punkte der Ebene kann
144 Einleitung zu Lamberts
stets eiu Kreis gelegt werden, das, sobald die gerade Linie eine
unendliche Länge hat, mit der Euklidischen Forderung gleich-
bedeutend ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Beweisversuche, den
Lambert am Schlüsse des dritten Abschnittes (§ 88) mitteilt, und
dessen Unzulänglichkeit Hindenburg ebenfalls erkannt hatte. Wir
vermuten, dafs auch Lambert die Schwäche dieses Beweises nicht
entgangen ist, und sehen hierin mit Hindenburg den Grund, der ihn
bewogen hat, „die Bekanntmachimg seiner Theorie aufzuschieben"
Wir kommen nunmehr zu dem dritten und wichtigsten Ab-
schnitte (§ 27 — 88), in dem Lambert seine eigentliche Theorie
der Parallellinien entwickelt.
Während Saccheri von einem Vierecke ABDC ausgeht, das in
A und J5 rechte Winkel hat und bei dem die Seiten AC und J5Z)
einander gleich sind, geht Lambert von einem Viereck ABDC aus,
das in A, JB und C rechte Winkel hat, also mit andern Worten, von
einem der beiden Vierecke, die man erhält, wenn man in dem Sac-
cherischen Viereck die Mitten der beiden Seiten AB und CD mit
einander verbindet. Er ist nun, ebenso wie Saccheri, genötigt, je-
nachdem der Winkel BBC ein rechter, stumpfer oder spitzer ist, drei
Hypothesen zu unterscheiden und bezeichnet diese Hypothesen der
Reihe nach als erste, zweite und dritte Hypothese.
Lamberts Dai*stellung zeigt gegenüber der Saccheris wesent-
liche Vorzüge. Die drei Hypothesen werden getrennt von einander
behandelt, und die Untersuchung der Hypothese des stumpfen Winkels
ist wenigstens zum Teil unabhängig von dem Satze über den
Aufsenwinkel (Euklid L 16), der ja bei dieser Hypothese nicht
mehr giltig ist. Lambert hatte auch erkannt, dafs in der Annahme,
CD ändere sich stetig mit AC, eine neue Voraussetzung steckt, die
den Euklidischen Grundsätzen fremd ist; er zeigt daher ausdrücklich,
dafs die Beweise auch ohne diese Voraussetzung durchgeführt werden
können, ebenso giebt er für Punkte, von denen Saccheri nur die
Existenz auf Grund des Axioms der Stetigkeit erschlossen hatte,
eine wirkliche Konstruktion an (§ 57). Besonders erwähnt zu
werden verdient noch, dafs Lambert von dem Verfahren der Um-
legung ausgiebigen Gebrauch macht, während Saccheri dieses Ver-
fahren möglichst vermeidet (vergleiche S. 55).
Ferner hat Lambert die beiden Hypothesen des spitzen und
des stumpfen Winkels noch weiter verfolgt als Saccheri und ins-
besondere das Verhalten von zwei sich nicht schneidenden Geraden
genauer untersucht. Aus dem Aufhören der Ähnlichkeit erschliefst er,
dafs, wenn eine von jenen beiden Hypothesen stattfände, ein absolutes
Theorie der l'arallelliüien. 145
Maafs der Länge vorhanden wäre. Dagegen spricht er den wichtigen
Satz Saccheris, dafs jede der drei Hypothesen allgemein giltig ist,
sobald sie nur in einem Falle gilt, nur für seine erste Hypothese (§ 42
und 51) ausdrücklich aus; auch die L ob atschefskij sehen Grenz-
geraden, die uns schon bei Saccheri begegnet sind, kommen bei ihm
nicht vor.
Endlich finden sich bei Lambert sehr bemerkenswerte Betrach-
tungen über den Flächeninhalt des Dreiecks. Er erkennt, dafs
dieser Flächeninhalt bei der zweiten und dritten Hypothese der Ab-
weichung der Winkelsumme des Dreiecks von zwei Rechten propor-
tional ist. Dies veranlafst ihn in § 82 zu folgender Bemerkung:
„Hierbey scheint mir merkwürdig zu seyn, dafs die zwote
Hypothese statt hat, wenn man statt ebener Triangel sphä-
rische nimmt, weil bei diesen sowohl die Summe der Winkel
gröfser als 180 Gr. als auch der Überschufs dem Flächen-
raume des Triangels proportional ist. Noch merkwürdiger
scheint es, dafs, was ich hier von den sphärischen Triangeln
sage, sich ohne Rücksicht auf die Schwierigkeit der Parallel-
linien erweisen lasse, und keinen andern Grundsatz voraus-
setzt, als dafs jede durch den Mittelpunkt der Kugel gehende
ebene Fläche die Kugel in zween gleiche Theile theile. Ich
sollte daraus fast den Schlufs machen, die dritte Hypothese
komme bey einer imaginären Kugelfläche vor. Wenigstens
mufs immer etwas seyn, warum sie sich bey ebenen Flächen
langeuichtsoleichtumstofsen läfst,als es sich bey derzwoten
thun liefs."
Lambert hatte also erkannt, dafs die zweite Hypothese auf
der Kugel verwirklicht ist. Dieser Gedanke, die Geometrie auf der
Ebene mit der Geometrie auf der Kugel zu vergleichen, ist für die
neueren Untersuchungen über die Grundlagen der Geometrie von ent-
scheidender Bedeutung geworden; es genüge hier an Riemauns Habi-
litationsvorlesung von 1854 zu erinnern.
Aber Lambert ist weiter gegangen, indem er die für die da-
malige Zeit aufserordentlich kühne Vermutung aussprach, dafs für die
dritte Hypothese eine imaginäre Kugelfläche dasselbe leiste;
diese Vermutung war, wie wir jetzt wissen, durchaus richtig. Über-
haupt war Lambert ein wunderbarer prophetischer Blick eigen. Gab
er doch 1767 den ersten Beweis für die Irrationalität der Zahl tc
und behauptete gleichzeitig die Transcendenz dieser Zahl, die zu
beweisen erst mehr als hundert Jahre später gelungen ist.
Dafs Lambert das Imaginäre heranzieht, kann nicht über-
Stiickel u. Engel, rarallelentlieorie. 10
14*) Einleitung zu Lamberts
raschen, tleuu auch sonst hatte er, seiueu Zeitgenossen vorauseilend,
keine Scheu vor dem Imaginären. Bezeichnend für ihn ist die
Aufserung: .,Das Zeichen )/ — 1 stellt ein nicht gedenkbares
Unding dar, und doch kann es Lehrsätze zu finden gut ge-
braucht werden". Sie findet sich in einem Briefe an Kant aus
dem Jahre 1770 (Briefwechsel, Teil I. S. 3G5).
Da Lambert die imaginäre Kugel im Zusammenhange mit
dem Flächeninhalte des Dreiecks nennt, so scheint es nicht aus-
geschlossen, dafs er in der Formel:
r-{Ä + B-{- C -7t)
für den Flächeninhalt eines sphärischen Dreiecks mit den Winkeln A,
B, C auf einer Kugel vom Halbmesser r au die Stelle von r:
gesetzt hat, denn so mufste er den Ausdruck:
r^n — A — B—C)
erhalten, der ihm zeigte, dafs auf der imaginären Kugel der
Flächeninhalt des Dreiecks ebenfalls der Abweichuucr von
zwei Rechten proportional ist, und dafs die Winkelsumme
^+5-|-C nicht gröfser als zwei Rechte ausfällt, genau ebenso,
wie es die dritte Hypothese mit sich bringt.
Lobatschefskij hat 1837 seine Geometrie, die der dritten Hypo-
these Lamberts entspricht, Geometrie imaginaire genannt, weil
ihre trigonometrischen Formeln aus denen für das sphärische Dreieck
hervorgehen, wenn mau die Seiten als imaginär ansieht, oder, was
dasselbe ist, wie Wolfgang Bolyai 1851 hervorgehoben hat, wenn
man den Halbmesser der Kugel imaginär setzt.
Gaufs sagt in einem Briefe an Schumacher vom 12. Juli 1831,
in der nichteuklidischen Geometrie gelte für den Umfang eines Kreises
vom Halbmesser q der Ausdruck:
/i. _^\
7tr\e'' — e '/,
in dem r eine Konstante bedeutet. Das ist aber nichts andres als
der elementare Ausdruck für den Umfang eines Kreises vom Halb-
messer q auf einer Kugel vom Halbmesser r, nachdem man )/ — 1 • r
an die Stelle von r gesetzt hat.
Hat Lambert auch von diesen Zusammenhängen etwas geahnt?
Merkwürdig ist jedenfalls der Umstand, dafs grade er sich mit
den Werten der trigonometrischen Funktionen für ein rein
imaginäres Argument eingehend beschäftigt hat, und zwar
zu einer Zeit, die der Abfassung seiner Parallelentheorie
Theorie der Parallellinien. 147
unmittelbar folgt. Im September 1766 hatte er diese Abhandlung
aufgesetzt, im September 1767 (Briefwechsel, Teil I, S. 254) las er
in der Berliner Akademie seine Abhandlung: Sur quelques pro-
prietes remarquables des quantites transcendantes circu-
laires et logarithmiques, und er setzte diese Untersuchungen später
in den Observations trigonometriques fort.
In der ersten dieser beiden Abhandlungen zeigt Lambert, dafs
die Beziehungen zwischen den trio-onometrischen Funktionen einen
reellen Sinn behalten, wenn die Argumente rein imaginär werden.
An Stelle des Kreises tritt dann die gleichseitige Hyperbel, und
man gelangt so zu einer „hyperbolischen Trigonometrie". Aller-
dings führte Lambert hier nur einen Gedanken aus, den bereits Vin-
centio Riccati und Daviet de Foncenex zu entwickeln begonnen
hatten. In der zweiten Abhandlung werden die hyperbolischen
Funktionen benutzt zur Lösung von Aufgaben aus der sphärischen
Astronomie; sie dienen dazu, die Formeln zu vereinfachen und für
die Rechnung mit Logarithmen geschickter zu machen. Freilich hat
Lambert — wie wir ausdrücklich hervorheben wollen — in keiner
der beiden Abhandlungen bei Formeln der sphärischen Trigonometrie
den Halbmesser imaginär gesetzt, aber die Thatsache, dafs diese For-
meln auch bei einer solchen Annahme einen reellen Sinn behalten,
würde für ihn sicher nichts Überraschendes gehabt haben.
Als Lamberts Theorie der Parallellinien im Jahre 1786 ver-
öffentlicht wurde, war das Interesse für diesen Gegenstand in Deutsch-
land und Frankreich bereits sehr lebhaft. Etwa seit 1781 beginnt
die Zahl der Veröffentlichungen über Parallelentheorie beständig zu-
zunehmen, und das Jahr 1786 weist in unserm Verzeichnis nicht
weniger als sieben solcher Schriften auf; wenn auch die späteren Jahre
meistens kleinere Zahlen aufweisen, so ist doch während des nächsten
halben Jahrhunderts kaum ein Jahr vergangen, in dem nicht wenig-
stens ein neuer Beweisversuch zum Vorschein kam. Lamberts Ab-
handlung, das Bedeutendste, was, neben Saccheris Euclides
ab omni naevo vindicatus, auf dem Gebiete der Parallelen-
theorie bis zu den Arbeiten von Lobatschefskij und Bolyai
veröffentlicht worden ist, hat freilich auf diese Bemühungen
keinen Einflufs gehabt; sie wird zwar in den Litterarturverzeichnissen
wiederholt aufgeführt, ein genaueres Eingehen auf ihren Inhalt haben
wir jedoch nur selten, eine Weiterführung von Lamberts Ideen über-
haupt nicht angetroffen.
Zunächst kommt hier eine Abhandlung C. F. Hindenburgs in
10*
\4'P> Einleitung zu Lamberts
Betracht, die sich iu dem Magazin für Mathematik unmittelbar
an Lamberts Parallelentheorie ansehliefst; wir haben sie schon auf
S. 143 ausreichend erwähnt. Dann hat C. F. A. Jacobi in seiner
Dissertation vom Jahre 1824, die wir in der Einleitung zu Saccheri
anführten, auf die Ähnlichkeit der Betrachtungen dieser beiden Forscher
hingewiesen. Endlich verdient noch Erwähnung, dafs Bessel in einem
Briefe an Gaufs vom 10. Februar 1829 sich auf Lambert beruft:
„Durch das, was Lambert gesagt hat und was Schweikard
mündlich äufserte, ist mir klar geworden, dafs unsere Geo-
metrie unvollständig ist und eine Korrektion erhalten sollte,
welche hypothetisch ist, und wenn die Summe der Winkel
des ebenen Dreiecks = 180° ist, verschwindet. Das wäre
die wahre Geometrie, die Euklidische aber die praktische,
wenigstens für die Figuren auf der Erde."
In der späteren Zeit ist Lamberts Abhandlung gänzlich in Ver-
gessenheit geraten*).
Wir wollen jetzt noch ein paar Worte sagen über unsern Neu-
druck von Lamberts Theorie der Parallellinien.
Als Lambert am 25. September 1777 gestorben war, unter-
suchte sein Landsmann Johann Georg Sulzer, der bekannte Ästhe-
tiker, die hinterlassenen zahlreichen Handschriften und fand so viel
Wichtiges, dafs er der Berliner Akademie den Ankauf anriet, der
auch gegen eine beträchtliche Summe, die den Erben ausgezahlt
wurde, zu Stande kam. Die Akademie überliefs den Nachlafs Lam-
berts „unter annehmlichen Bedingungen" einem ihrer Mitglieder, dem
damaligen Direktor der Königlichen Sternwarte zu Berlin, Johann
Bernoulli (1744 — 1807), „damit er einen für das gelehrte Publikum
nützlichen Gebrauch davon machen sollte". So erzählt uns Bernoulli
in einer „Nachricht an die Gelehrten, von Johann Heinrich
Lamberts hinterlassenen Schriften", die er 1781 in dem Leip-
ziger Magazin für Naturkunde, Mathematik und Ökonomie
(S. 291 — 292) veröffentlichte; auf diese Quelle sind wir angewiesen,
da die Akten der Berliner Akademie nichts auf die Angelegenheit
Bezügliches enthalten.
Li dieser „Nachricht^' teilt Bernoulli weiter mit, dafs er den
Nachlafs Lamberts geordnet habe, und zeigt an, „zu welchen Schriften
er den Gelehrten Hoffnung machen könne". Es sind dies:
*) Die Schrift: Theorie des paralleles par Lambert, Tours 1859 ist
nicht etwa eine Übersetzung von Joh. Heinr. Lamberts Theorie der Parallel-
linien, sondern hat einen Colonel du genie Cesar Lambert zum Verfasser.
Theoriü der Parallellinien. 149
1) „ein Moiiatsbucli oder eine Art Tagebuch, in welchem
Lambert von 1752 an bis zu seinem Ende von Monat zu Monat
kurz aufzuzeichnen pflegte, mit welchen gelehrten Arbeiten und Unter-
suchungen er sich den ganzen Monat hindurch beschäftigt hatte.
Wird sehr merkwürdig und lehrreich befunden werden."
2) „Lamberts Briefwechsel mit unzähligen, zum Theil sehr
berühmten Gelehrten: Philosophen, Mathematiker, Physiker, Astro-
nomen, Litteratoren u. s, w. Wird etliche Bände betragen."
3) „Materialien zu ein Paar Bänden philosophischer und
philologischer Abhandlungen."
4) „Vermischte Abhandlungen zu den mathematischen und
physikalischen Wissenschaften gehörig, die etwa zwey Bände
ausmachen werden und als eine Fortsetzung der bekannten in drei
Theilen erschienenen Beyträge anzusehen sind."
Bernoulli eröffnete nun eine Subskription auf Lamberts Hinter-
lassene Schriften, aber leider fand, wie er 1783 klagt, „das Unter-
nehmen wenige Beförderer". So sind denn „nach manchen über-
standenen Hindernissen" nur die logischen und philosophischen
Abhandlungen in zwei Bänden (Berlin 1781 und 1789) und der
Deutsche gelehrte Briefwechsel in fünf Bänden (Berlin 1781
bis 1787) erschienen.
Die Diathematischen und physikalischen Abhandlungen
wären uns wohl verloren gegangen, wenn nicht Bernoulli zusammen
mit C. F. Hindenburg eine Zeitschrift rein mathematischen Inhalts
ins Leben gerufen hätte, wohl die erste ihrer Art, das Magazin
für die reine und angewandte Mathematik, von dem das erste
Stück im Dezember 1785 herauskam. Freilich erreichte diese Zeit-
schrift nur den dritten Jahrgang, und auch ein erneuter Versuch
Hindenburgs hatte keinen dauernden Erfolg; sein Archiv für
reine und angewandte Mathematik hat es von 1795 bis 1801
nur auf elf Hefte gebracht. In diesen beiden Zeitschriften wurde
eine Reihe von Abhandlungen aus dem Nachlasse Lamberts abge-
druckt, „indem Zeit und Umstände Herrn Bernoulli sonst noch
lange hindern würden, alles das, wie anfangs beschlossen
war, in einem eigenen Bande gesammelt herauszugeben."
Die erste dieser Abhandlungen ist die Theorie der Parallel-
linien, die man in dem zweiten Stücke des Magazins für 1786,
S. 137 — 164 und in dem dritten Stücke S. 325 — 358 findet. Im
Folgenden geben wir einen getreuen Wiederabdruck dieser Abhand-
lung; nur einige unbedeutende Druckfehler haben wir verbessert.
150 JJinleitimg und Littciatur zu liiimberts
Dio Figuren, die im Original zwei Tafeln füllen, sind in den Text
aufgenommen worden.
Gern hätten wir unserm Neudruck die Urschrift Lamberts zu
Grunde gelegt, und da wir überdies vermuteten, dafs der nicht ver-
öffentlichte Teil des Nachlasses, insbesondere das Tagebuch, Be-
merkungen über die Parallelentheorie enthalten konnte, haben wir
vms bemüht, Genaueres über den Verbleib von Lamberts Nachlafs
zu ermitteln.
Solche Nachforschungen hatte bereits 1847 Rudolf Wolf für
seine Lebensbeschreibungen von Lambert und Daniel Bernoulli
angestellt; es lag ihm daran, den wichtigen Briefwechsel dieser beiden
Gelehrten ausfindig zu machen, der nach einer Ankündigung Ber-
noullis in dem ersten Bande des Französischen Briefwechsels
hatte erscheinen sollen. Rudolf Wolf fand zwar auf der Berliner
Sternwarte einige Handschriften Lamberts, aber sie „sind durchaus
von untergeordnetem Werte und geben nicht den geringsten Auf-
sclilufs über das Schicksal der übrigen Manuskripte"; gegenwärtig
sind übrigens Handschriften Lamberts dort nicht mehr vt^rhanden,
und dasselbe gilt von dem Archive der Königlichen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin.
Auch die Königliche Bibliothek in Berlin besitzt nur drei un-
wichtige Briefe Lamberts an Forme y. Ebensowenig hat sich Lam-
berts Nachlafs in Johann Beruoullis Familie vererbt. Der einzige
noch lebende Enkel, Herr Paul Bernoulli in Berlin, ist so freund-
lich gewesen, uns mitzuteilen, dafs ihm Briefschaften aus dem Nach-
lasse seines Grofsvaters überhaupt nicht überkommen sind, und dafs
in den Papieren, die er besitzt, nichts auf Lambert Bezügliches zu
finden gewesen ist.
Eine Möglichkeit ist allerdings noch vorhanden: Durch einen
glücklichen Zufall ist es Rudolf Wolf gelungen festzustellen, dafs
Bernoulli in den Jahren 1793 und 1799 Teile des „grofsartigen
Briefwechsels seiner Familie" an die Grofsherzoglich Sächsische
Bibliothek in Gotha verkauft hat, wo sie sich noch gegenwärtig
befinden. Hat vielleicht Lamberts Nachlafs ein ähnliches
Schicksal gehabt? Oder ist er 1807, als das Haus Bernoullis
in Köpenick bei Berlin abbrannte, mit verbrannt?
Theorie dex* Piirallellinien. 15]
Litteratur.
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Hub er, D., Johann Heinrich Lambert, nach seinem Leben und Wirken dargestellt.
Basel 1829, enthält:
1. Einen Vorbericht des Herausgebers über die Lambertfeier zu Mühlhauseu im Jahre 1828,
2. Lamberts Leben, von Matthias Oraf,
3. Lamberts Verdienste um die theoretische Philosophie, von Simon Erhardt,
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137
Theorie der Parallelliuien,
Joh. Heinr. Lambert*).
1) Vorlaufige Betracbtuugeu.
§• 1-
Gegenwärtige Abliaudlung betrift eine Schwierigkeit, die in den
ersten Anfangen der Geometrie vorkommt, und schon seit Euldid's
Zeiten denjenigen anstossig gewesen, welche die Lehren dieser Wissen-
schaft nicht blofs andern nachglauben, sondern aus Gründen davon
überzeugt seyn, und diejenige Schärfe, die sie in den meisten Beweisen
fanden, nirgends missen wollten.
Diese Schwierigkeit fällt Jedem, der Euldid's Elemente lieset,
gleich anfangs in die Augen, weil sie sich nicht erst unter den Lehr-
sätzen, sondern selbst unter den Grundsätzen findet, die Eiüdid dem
ersten Buche vorsetzt. Von diesen Grundsätzen nimmt der Ute als
138 etwas für sich Klares und keines Beweises bediirftiges an,
dafs, wenn zivo Linien CD, BD (Fig. L) von einer dritten BC
durchschnitten icerden,
und die heyden innern
Winkel BGB, BBC
zusammen genommen,
Meiner als zween rechte
WinJcel sind, die heijden
Linien CB, BB gegen
B, oder auf der Seite, ico diese Winkel sind, susammen laufen.
§. 2.
Dieser Grundsatz ist unstreitig lange nicht so klar und einleuch-
tend als die iibrigen; und der Eindruck, den er natürlicher Weise
*) Aufgesetzt im Septemb. 1766.
B[emoulli]
1) Vork'lufige Betrachtungen. §. 1 — 3. 153
macht, ist, dafs man nicht nur einen Beweis davon verlangt, sondern
gewissermasseu empfindet, dafs er eines Beweises fähig sey, oder dafs
es einen Beweis davon geben müsse.
Dieses ist, soviel ich mir die Sache vorstelle, der crstß Eindruck.
Lieset man aber im Eulilid weiter fort: so mufs man nicht nur die
Sorgfalt und Schärfe seiner Beweise, und eine gewisse edle Einfalt in
seinem Vortrage bewundern; sondern mau wird über seinen Uten Grund-
satz noch um desto mehr stutzig, wenn man sieht, dafs Euldid Sätze
beweist, die man viel leichter würde ohne Beweis zugegeben haben.
Mau giebt zwar vor, Euldid habe dieses gethan, um seine Lehren
auch gegen die spitzfindigsten Einwürfe der damaligen Sophisten in
Sicherheit zu setzen*). Allein wenn dieses ist: so gestehe ich, dafs
ich mir von diesen Sophisten keinen Begriff machen kanu, wenn Euldid
voraussetzen konnte, dafs sie ihm seinen Uten Grundsatz würden
unangefochten gelteu lassen, weil mit demselben der grofste Theil der
geometrischen Lehrsätze wegfällt. Man sollte vielmehr gedenken, dafs
Euldid und die Sophisten, wenn je diese zu Euldid' s Zeiten nichts
eingewandt haben, andre Maximen zur Beurtheilung der Grundsätze
und des Vortrags der geometrischen Beweise müssen gehabt haben,
als verschiedene von denen, die in den folgenden Zeiten über diese
Sache gedacht, oder Schwierigkeiten wider die etwan ] von andern 139
versuchten Beweise gemacht haben.
Von diesen Schwierigkeiten oder Einwendungen sind mir solche
vorgekommen, wobey ordentlich vorausgesetzt werden mufs, dafs man,
um den Euklidischen Grundsatz zu beweisen, oder überhaupt die Geo-
metrie festzusetzen, weder seilen noch sich von der Sache seihst eine
Vorstellung machen dürfe. Es ist unstreitig, dafs man bey einer solchen
Foderung den 12teu Euklidischen Grundsatz, dafs sivo gerade Linien
lieinen Baum scldiessen, ebenfalls wird anfechten können.
§. 3.
Es ist aber auch eben so unstreitig, dafs die Sophisten zu Euldid's
Zeiten minder strenge gewesen seyn, und die Vorstellung der Sache
müfsten zugegeben haben. Mit dieser Voraussetzung aber läfst sich
*) [Lamlert denkt wohl an folgende Äufserung von Clairaut {Elements de
Geometrie, 1741, S. X): Dieser Geometer musste die hartnäckigen Sophisten über-
zeugen, die ihren Ruhm darin suchten, die augenscheinlichsten Wahrheiten an-
zugreifen. Deshalb musste die Geometrie damals, ebenso wie die Logik, um
Böswilligen den Mund zu stopfen, zum schulgerechten Schlussverfahren greifen.
Die Sache hat sich aber geändert. Weitläufige Auseinandersetzungen über Dinge,
bei denen von vornherein der gesunde Menschenverstand entscheidet, sind durch-
aus überflüssig und dienen nur dazu, die Wahrheit zu verdunkeln und die Leser
abzuschrecken.]
154
Job. Heinr. Lamberts Theorie der rarallellinien.
EuJdid's Vortrag, wenigstens in Ermangelung eines andern und min-
dern Schwierigkeiten unterworfenen, ganz ordentlich rechtfertigen.
Man kann numlich den Uten Grundsatz aufgeschoben seyn lassen, bis
man zu der Frop. XXIX des ersten Buchs kommt. Inzwischen lernt
man ganz gewifs die Sache selbst, wovon in dem Grundsatze die Rede
ist, Jcennen, und das, was an dem Grundsatze und dessen Vorstellung
zu mangeln scheint, auch wenn man es nicht mit Worten ausdrücken
kann, noch hinzudenken. In den beyden nächst vorhergehenden Prop.
XXVII und XXVIII lernt man, dafs, wenn die Winkel
FCB + CJBD = 180 Gr.
oder die Winkel FCB = CBÄ sind, die Linien AB, CF weder gegen
F noch gegen G zu-
sammen laufen. Man
lernt dadurch, dafs die
34ste Definition*) nicht
ein Unding oder leeres
Hirngespinnst angiebt;
sondern dafs nichtzu-
sammeulaufende gerade Linien im Reiche der Wahrheit wirklich vor-
kommen. Denn bis dahin blieb diese Definition ausgestellt; und bis
dahin konnte mau auch den Grundsatz ausgestellt seyn lassen, weil
derselbe doch mit den Parallellinieu in enger Verbindung stehet, und
140 so zu reden | zwischen Parallellinien und zusammenlaufenden Linien
die Gränze bezeichnet.
Was man sich nun, um sich von der Richtigkeit und GedenTibarkeit
des Grundsatzes zu versichern, noch ferner vorstellt, kommt meines
Erachtens darauf an: Man stellt sich GF, AB nach der Prop. XXVII
oder XXVIII als nichtzusammenlaufend vor, und gedenkt sich eine
jede durch den Winkel BCF gezogene gerade Linie CD. und so weifs
man, dafs, so klein auch der Winkel BCF seyn mag, nothwendig
BBC -f BGB < 180 Gr.
ist, und demnach der Bedingung des Grundsatzes Genüge geschieht.
Soll man sich mm die Folge, dafs CD, BD zusammen laufen, eben-
falls vorstellen : so wird allerdings erfordert, dafs man sich die Linien
CF, CB, AB als gerade Linien vorstelle. Durch diese Vorstellung
erhalt man, dafs CB verlängert , sich nicht nur von CF immer weiter
entfernt, sondern auch sich gegen AB dergestalt nähert, dafs sie die-
selbe nothwendig in irgend einer Entfernung BB durchschneiden mufs.
*) [In der Ausgabe von Heiher g ist es die •23ste.]
1) Vüiiauligo IJetrachtungen. §. 3, 4, 155
Wer hiebey den Einwurf macht, CD konnte sich vielleicht gegen
AD auf eine asymptotische Art nähern, wie z. E. die Hyperbel und
andre asymptotische krumme Linien, der ändert meines Erachtens
das, was man in der Vernunftlehre statum quaestionis heifst, oder er
weicht davon ab, dafs bey EtiMiden nicht von Beweisen, sondern von
der Vorstellung und der GedenTibarkeit der Sache die Rede ist; weil
man es Euldiden ganz sicher zutrauen kann, dafs er sonst seinen Satz
nicht würde unter die Grundsätze gezählt oder gesetzt haben. Kommt
es aber auf die Vorstellung der Sache an: so sehe ich nicht, wie sich
bey der Vorstellung gerader Linien Einwurfe von Hyperbeln hernehmen
lassen, weil man auf eine ganz gleiche Art würde anstehen können,
ob zwo gerade Linien nicht dergestalt könnten aneinander gelegt
werden, dafs sie einen Raum einschliefsen ; weil es doch mit zween
gleich I grossen Cirkelbogen, wenn man ihre Holung gegen einander 141
kehrt, angeht.
Ich führe dieses nur au, um zu zeigen, dafs sich mit Voraus-
setzung von der wirklichen Vorstellung der Sache, und wemi man
nicht schlechthin nur V^orte fordert, Euklid's Verfahren rechtfertigen
lasse; um so mehr, da sein Vortrag, so viel mir bekannt ist, noch
bis dermalen weniger Schwierigkeiten hat, als sich bey allen seit
Eiüdid's Zeiten angestellten Versuchen, die Sache anders vorzutragen,
gefunden haben. Man kann hienVber eine kurze und sehr bimdig ge-
schriebene akademische Dissertation von Hrn. Klügel nachlesen, worin
die in solchen Versuchen zurücke gebliebenen Mängel und öfters mit
untergelaufene logische Cirkel, Lücken, Sprünge, Paralogismen,
unrichtig gebrauchte und gratis angenommene Definitionen und Grund-
sätze mit vielem Scharfsinn und vieler Mäfsigung angezeigt werden.
§• 4.
ungeachtet, wie es auch in dieser Dissertation erzählt wird, in
gegenwärtigem Jahrhundert verschiedene solcher gewagten Versuche
im Drucke herausgekommen: so ist doch gar kein Zweifel, dafs es^
besonders in Deutschland, nicht viel mehrere sollte gegeben haben,
wenn Wolf, welcher in einem Zeitraum von 40 und mehr Jahren, in
Absicht auf die herausgekommenen geometrischen Schriften, Dux
gregis war, und es allerdings aus vielen guten Griinden zu seyn ver-
diente; wenn Wolf] sage ich, vorbemeldte Schwierigkeit, theils besser
empfunden, vornehmlich aber in seinen Anfangsgründen mehr rüge
gemacht hätte. Letzteres hätte aus leicht begreiflichen Gründen eine
Menge Schriften darüber zum Vorschein gebracht. Ersteres würde.
156 Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
SU viel ich mir ilie Sache vorstelle, selbst auf Wolfens Weltweisheit
eiuen sehr merklicheu Einflufs gehabt haben.
Es liegt nicht an dem, dafs Wolf nicht ganz ordentlich wufste,
düfs ivälhüiich zusammengesetzte Begriffe müssen eriviesen ivenlen. Er
l-4-i schärft es ia seinen beyden | Vernunftlehren, und selbst auch in seinen
Vorberichten von der mathematischen Methode, ein, und erläutert es
durch Beyspiele aus der Geometrie. Ich folgere aber daraus, Wolf
müsse seine Definition von den Parallellinien nicht als einen tvillkur-
licli msammengesetzten Begriff angesehen haben, weil ich ihm zutraue,
er würde sonst auf einen Beweis ihrer Möglichkeit gedacht, oder
wenigstens erinnert haben, dafs noch etwas zurück bleibe; oder er
hätte EiüdicVs Verfahren beybehalten, und so wäre die Schwierigkeit
wie bey Euldiden in die Augen gefallen.
Untersuche ich aber, warum Wolf, ohne an etwas Willkürliches
zu denken, sich begnügt habe, die Parallellinieu aeqiädistantes zu
nennen: so mufs ich voraussetzen, er habe diesen Begriff nach seiner
andern Methode Begriffe zu finden, das will sagen, durchs AJbstraliiren
aus einzelnen Bei)S])ielen gefunden. Von solchen Begriffen und Defini-
tionen sagt er, dafs sie keines fernem Beweises bedürfen. Ich gebe
es zu. Aber im Vortrage mufs man sodaun allerdings auch gegen
die Leser die Billigkeit haben, dafs man ihnen vorzeige, wie man den
Begriff abstrahirt habe. Sonst können sich die Leser das Recht an-
massen, zu vermuthen, es möchte ein Vitium suhre^jtionis vorgegangen
oder mit untergelaufen seyn. Denn Begriffe, die man aus Bey spielen
abstrahirt, sind in soferne allemal auch ä posteriori; und man kann
sie nur alsdann ä priori ansehen, wenn sie, nachdem man sie gefunden,
für sich gedenkbar, das will sagen, einfach sind. Widrigenfalls mufs
man die Beyspiele den Lesern vorweisen, und von allen Behutsam-
keiten bey dem Abstrahiren Rechnung geben, wenn man allen Ver-
dacht eines Vitii suhreptionis von sich ablehnen will,
Bulfinger*) empfand die Nothwendigkeit dieses Verfahrens sehr
wohl, und war eben dadurch besser als Wolf selbst im Stande, die
wider die Wolfische Weltweisheit erregten Schwierigkeiten merklich
143 zu vermindern. Es wäre aber zu wünschen gewesen, dafs Wolf
selbst in den Hauptstücken seiner beyden Vernunftlehren, wo er theils
vom Definiren, theils vom schriftlichen Vortrage dogmatischer Sätze
handelt, die Nothwendigkeit und die Art ausführlich und mit allem
Nachdrucke gezeigt hätte, wie man den Verdacht des Vitii suhreptionis
*) [Georg Bernhard 5t7/j«(/er (IG93— 1740), Dilucidationes pMlosopliicae, 1725.
Vergleiche: Zeller, Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz, München
1875, S. 231.]
1) Vorläufige Betrachtungen. §. 4 — G. 157
bey Definitionen, die durchs Abstraliiren gefunden worden, im Vortrage
derselben von sich ablehnen müsse.
§. 5.
Dieses wäre nun bey der Definition der Parallellinien schlechthin
nicht angegano-en. Demi so viel man sich auch solche vorzeichnen
will: so bleiben doch zwo merkliche Unvollstandigkeiteu zuriick.
Einmal fehlt bey dem Vorzeichnen die geometrische Schärfe. Sodann
ist es schlechthin unmöglich, sie beyderseits ins Unendliche fortzu-
ziehen. Und so reicht man ä posfsriori und mit dem Abstrahiren
nicht aus; und die Definition, oder besser zu sagen, die Möglichkeit
der Sache mufs aus andern und einfachem Gründen erwiesen werden,
die für sich gedenkbar sind.
Wolf hat unstreitig diese Betrachtungen nicht gemacht. Man
findet auch bey ihm solche Spuren, woraus sich nicht undeutlich
schliefsen läfst, dafs er den Definitionen zu viel eingeräumt, und aus
dem Grunde, dafs er sie der Sache gemäfs einrichten wollte, die
Schwierigkeiten, die in der Sache sind, in die Definitionen gebracht
habe*). Dafs sie darin mehrentheils versteckter waren, als sonst in
der Sache selbst, konnte man, in Absicht auf die Parallellinien, wenig-
stens daraus schliefsen, dafs in solchen Zeiten, wo eine allgemeine
Demonstrirsucht die herrschendste Mode war, mehr Wesens wäre daraus
gemacht worden, wenn Wolf in seinen Anfangsgründen der Mefskuust
den Euklidischen Vortrag beybehalteu hätte.
§. 6. 144
Ich sagte erst, Wolf habe den Definitionen zu viel eingeräumt.
Dieses ist nun vielmehr in der That selbst, als mit ausdrücklichen
Worten geschehen; und es wurde bey vielen unvermerkt Mode, dafs
sie von einer Sache gar keinen Begriff m liahen glaubten, dafern nicht
der Name derselben definirt tvurde. Selbst allen Grundsätzen mufsten
Definitionen vorgehen, ohne welche sie nicht sollten können verstanden
werden. Dabey war es nun kein Wunder, wenn der Satz, dafs eine
jede Definition, ehe sie bewiesen ist, eine leere Hypothese sey; wenn dieser
Satz, den Euldid so genau wufste und so durchgängig beobachtete,
darüber, wo nicht verloren gieng, doch sehr vergessen wurde.
Ich merke dieses hier um so mehr an, weil es in Absicht auf
den Vortrag der philosophischen Wissenschaften sehr nachtheilige
*) [In einem Briefe Lamberts an Kant (Februar 1766) heisst es: „Wolf nahm
Nominaldefinitionen gleichsam gratis an und schob oder versteckte, ohne es zu
merken, alle Schwierigkeiten in dieselben" (Lamberts Briefwechsel, Teil I. S. 347.)]
158 Job. Heinr. Laraberts Theorie der Parallellinien.
Folgen hatte; iugleicliem, weil es eben das ist, worin Wolf, als er
seine Methode aus Eukliden abstrahirte, noch zurück geblieben; und
endlich, weil eben die Parallellinien das augenscheinlichste Beyspiel
geben, dafs eine vorausgeschicldc Definition, bis sie nicht seihst erwiesen
ist, nichts beweise.
§. 7.
Es ist falsch, dafs EuTüid irgend eine seiner Definitionen, ehe er
die Möglichkeit der Sache erwiesen, anders als eine blosse Hypotliese
gebrauche, oder sie als ein categorisches Principium äemonstrandi an-
sehe. Der Ausdruck per definitionem gilt bey ihm nicht mehr als der
Ausdruck ^jcr hypothesin. Sieht man auch genauer nach: so nimmt er
das Categorische in seinen Lehrsätzen nicht von den Definitionen, son-
dern eigentlich und vornehmlich von den Postidatis. Von diesen gilt
es eigentlich, wenn Cicero sagt: Si dcderis, danda sunt omnia*).
Unter den Grundsätzen finde ich vornehmlich nur den Uten, der
eine positive und die Figuren unmittelbar betreffende Categorie ent-
145 hält. Aber eben derselbe ist auch der Einzige, den man nicht will
gelten lassen. Das Categorische darin sollte aus den Postulatis durch
Schlüsse herausgebracht werden. Die übrigen betreffen grofstentheils
nur den Begriff der Gleichheit und Ungleichheit, und gehören eben
darum, weil sie Verhrdtnifsbegriffc betreffen, nicht zu der 3Interie, son-
dern eigentlich zu der Form der Schlüsse, die Euklid in seinen Be-
weisen macht, und in welchen sie immer nur als Obersätze vorkommen.
Der 12te Grundsatz, dafs zivo gerade Linien keinen Raum schliefaen,
ist verneinend, und wird von Eukliden eben so wie der 9te, daß das
Ganze grosser ist cds sein Theil, da gebraucht, wo der Beweis apago-
gisch ist, oder die Wahrheit des Satzes aus der Unmöglichkeit des
Gegentheils erwiesen wird.
Dieses ist nun in einem kurzen Entwürfe der Geist der Euklidi-
schen Methode, und zugleich dasjenige, wovon ich in Wolfs Vernunft-
lehren wenig oder nichts, in seinem Verfahren und Vortrage sehr oft
das Gegentheil finde.
So z. E. glaubte Wolf mit mehrern andern, dafs mau die Schwie-
rigkeit, die Euklids 1 Iten Grmidsafz drückt, dadurch heben könne,
wenn man seine Definition der Parallelliuien änderte. Sie wird aber
'*) [In geometria prima si decleris, danda sunt omnia. De finibns bonorum
et malorum, Jib. V. 83.]
1) Vorhiufige Betrachtungen. §. 6—1). 159
dadurch weder gehoben, noch vermieden, noch auf eine geschickte
Art umgegangen, und gleichsam von hinten her weggehoben. Sie
wird vielmehr, wenn auch Alles richtig geht, nur von dem Grundsätze
tveg, und in die Definition gebracM; und zwar, so viel ich sehe, ohne
dafs sie dadurch leichter konnte gehoben werden. In der That auch
läfst sich Euklids Definition ohne Rücksicht auf seinen Uten Grund-
satz beweisen. Wolfs Definition hingegen kann entweder ohne diesen
Grundsatz nicht bewiesen werden; oder wenn sie bewiesen werden
kann: so ist dieser Grundsatz so gut als zugleich mit erwiesen.
Es kömmt aber eigentlich auf die Definition | gar nicht an. Man 146
kann sie bey Eukliden ganz weglassen; und so wird man in der
Prop. XXVII und XXVIII von selbst anstatt parallelae lineae den
Ausdruck lineae sibi non coincidentes setzen. Man wird, aus Be-
trachtung, dafs dieses ein merkwürdiger Umstand ist, sodann von
selbst darauf verfallen, auf eine kurze und schickliche Benennung zu
denken, oder solchen Linien, die nicht zusammen laufen, so viel man
sie auch auf beyden Seiten verlängert, einen Namen zu geben. Und
man wird dazu noch mehr verleitet werden, wenn man im Folgenden
darauf verfällt, dafs eben diese Linien noch überdies durchaus in
gleicher Entfernung von einander bleiben.
Dies ist die eigentlich synthetische Art zu verfahren; und man
denkt dabey erst dann auf die Benennung, wenn die Sache heraus-
gebracht und erheblich genug ist, einen besondern Namen zu ver-
dienen. Beyspiele davon kommen in der Mathematik unzähliche vor,
und sollen auch in allen denen Wissenschaften, wo man a priori
gehen kann oder zu gehen gedenkt, nicht selten seyu.
§. 9.
ProMus, welchem Euklid's llter Grundsatz ebenfalls anstossig
war, fordert deswegen einen Beweis davon, weil derselbe, wenn man
ihn umkehrt, erweisbar ist
In der That findet sich der umgekehrte Satz in der Prop. XVII.
Libr. I. erwiesen. Mir kommt es ebenfalls ganz richtig vor, dafs es
bey einem Grundsatze für sich klar seyn müsse, was es mit demselben
gerade oder umgekehrt für eine Bewandtnifs habe. Denn, nach aller
Schärfe betrachtet, soll ein Grundsatz aus lauter einfachen, und daher
für sich gedenkbaren Begriifen bestehen; und es mufs, ob und wie-
fern sie mit einander verbunden werden können, unmittelbar aus der
Vorstellung der Begriffe erhellen.
So z. E, ist der achte Euklidische Grundsatz, dafs ausgedehnte
Grossen, die a/)if einander passen, einander gleich \ sind; (Quae sihini
160 Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
mutuo congnmnt, sunt aequalia) dieser Satz ist für sich geJeukbar
Es ist aber auch eben so für sich gedenkbar, dafs er nur bey geraden
Linien und Winkeln umgekehrt gilt, bey Figuren aber noch eine Be-
stimmung, und zwar die von der Aehnlichkeit, hinzu kommen müsse,
wenn er dabey umgekehrt anwendbar seyn soll.
§. 10.
Um nun nach diesen allgemeinen Betrachtungen näher zu der
Theorie der Parallellinien zu kommen, wodurch ich sowohl die
Schwierigkeiten deutlich zu macheu, als auch sie zu heben gedenke:
so werde ich vorerst den eigentlichen stafimi quaestionis feste setzen.
Die Frage seihst betrift nehmlich erstlich iveder die Wahrheit
noch die GedenJiharJieit des Euklidischen Grundsatzes. Es hätte um den
grSfsten Theil der Geometrie bisher ilbel ausgesehen, wenn dieses die
Frage seyn sollte. Ich habe in Absicht auf die Gedenl'harleit bereits
oben (§. 3.) angezeigt, nach welcher Ordnung sie bey dem Durchlesen
des Eiddides entstehe. Dafs der Grundsatz dadurch zugleich auch als
ivaJir gedacht werde, ist für sich klar. Es wird aber die Wahrheit
desselben auch aus allen Folgen, die in allen Absichten daraus ge-
zogen werden, dergestalt erwiesen, einleuchtend und noth wendig, dafs
man diese Folgen, zusammengenommen, als eine auf vielfache Arten
vollständige Induction ansehen kann.
Sodann findet sich auch bey vielen Versuchen, die mau anstellen
kann, um diesen Grundsatz zu beweisen, dafs er, um bewiesen zu
werden, fast immer sich selbst voraussetzt, und auf sehr vielerley
Arten eine Folge von sich selbst ist, auf keine Art aber umge-
stossen wird.
Dieses mag auch ein Grund mit seyn, warum EuMid denselben,
in Ermanglung eines Beweises, unter die Grundsätze genommen: zumal
da er diejenige Definition gewählt, die ohne Rücksicht auf diesen
148 Grundsatz erweisbar war, und sich mit demselben am | unmittelbarsten
verbinden liefs. Denn man sieht ganz offenbar, dafs seine Proj). XXIX,
wo dieser Grundsatz gebraucht wird, vornehmlich nur dient zu be-
weisen, dafs es, ausser denen in den beyden Prop. XXVII und XXVIII
erwiesenen Parallelliuien, keine andern mehr gebe, und in dieser
Absicht wird dadurch eine in der That sehr kleine Lücke ausgefüllt,
weil mau sich ohne Mühe vorstellen kann, dafs nur noch solche
Linien aus der Zahl der nichtzusammenlaufenden auszuschliefsen
blieben, die mit CF (Fig. T.) einen Meinern Winkel machen, als alle
diejenigen Linien CD, Cd, deren Durchschnitt D, d gegeben werden
kann, das will sagen, der eine endliche Entfernung vou Ä hat. Denn,
1) Vorläufige Betnichtnngen. §. 1), 10. 161
wenn man CF um den Punkt G herunter gegen D dreht: so merkt
Hr. Prof. Kastner mit Recht an, dafs sich der erste Durchschnitts-
punkt nicht angeben
lasse, weil, wo man ''-^^^>>-^ ^„.^"""^
ihn immer auf AD a ^^>^<f<cr^^^ ^
hinaus setzen wollte, ^^^-""^^^ / \^^^^"^-^^<:--,
noch ein entfernterer ge- ^^-""'^^^ ■■' \ ^~'~~-^^' "■--..
nommen werden kann. ^' "' '^ ^
Dieses hat aber meines
Erachtens den Erfolg, dafs, wo die Winkel BGF, dCF sehr klein
sind, die Entfernungen AD, Ad in umgekehrter Verhältnifs der Winkel
DCF, dCF, oder einer davon nicht viel verschiedenen Funktion der-
selben, zunehmen müssen. Denn in gerader Verhältnifs der Winkel
ACD, ACd, oder einer Funktion derselben, können sie deswegen
nicht zunehmen, weil sonst CF, auch wo
DAC\ACF^ 180 Gr.
oder gar noch grosser ist, die Linie AD in einer endlichen Ent-
fernung von A schneiden müfste; welches der Frop. XXVIII. Libr. I.
des Euklides zuwider wäre.
Indessen glaube ich nicht, dafs sich die Sache auf diese Art
erörtern lasse; ungeachtet sich's, wenn die Sache einmal berichtigt ist,
leicht erweisen läfst, dafs man, um jeden Winkel DCF zu halbiren,
nur Dd = DC zu machen habe. So giebt es auch noch andre Arten,
sich die Sache vorzustellen.
Wer z. E. die beyden nichtzusammenlaufenden Linien CF, AD
so ansieht, dafs sie einen | Winkel machen, der =0 ist: der wird 149
leicht beweisen können, dafs jede Linie Cd mit Ad einen Winkel
mäche, der > 0 ist, und dafs demnach diese beyden Linien sich
irgendwo schneiden. Der Beweis ist eben der, wodurch man zeigt,
dafs CDA > CdA sey (Frop. XVI. Libr. I. Eudid.). Denn dreht man
CD um den Punkt C aufwärts: so wird der Winkel CDA immer
kleiner, und endlich vollends negativ, sobald CD über CF hinauf
k6mmt. Er mufs demnach irgend = 0 werden; und dafs dieses in
der Lage CF geschehe, folgt meines Erachtens aus der Vorstellung,
dafs AD, CF gerade Linien sind, womit die Vorstellung von einer
asymptotischen Näherung nicht bestehen kann.
Ob sich aber diese Betrachtung von negativen Winkeln, und von
solchen die = 0 sind, in das erste Buch des EiMides schicke, das ist
eine ganz andre Frage, die man leicht verneinen, und behaupten wird,
ein solcher Vortrag sey mehr algebraisch als geometrisch.
Stäckcl u. Engel, Paralloleutheorie. 11
162 Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
§. 11.
Ich mag es auch gelten lassen; und merke imn ferner an, dafs
es hey den Schwierigkeiten über Enllids Uten Grundsatz eigentlich
nur die Frage ist, oh derselbe aus den Eiüdidischen Postidatis mit Zu-
ziehung seiner übrigen Grundsätze in richtige)' Folge hergeleitet werden
Iconnc? Oder, wenn diese nicht hinrcicliend icaren, ob sodann noch andre
Postulata oder Grundsätze, oder Bcydes honnten vorgebracht iverden, die
mit den Euldidischen gleiche Evidenz hätten, und aus ivelchen sein llter
Grundsatz eriviesen werden konnte?
Bey dem ersten Theile dieser Frage kaim man nun von Allem,
was ich im Vorhergehenden Vorstellung der Sache genennt habe, ab-
strahiren. Und da Euldid's Postulata und übrigen Grundsätze einmal
mit "Worten ausgedrückt sind: so kann und soll gefordert werden,
150 dafs man sich in dem Beweise nirgends auf die | Sache selbst berufe,
sondern den Beweis durchaus symbolisch vortrage — wenn er möglich
ist. In. dieser Absicht sind Euldid's Postulata gleichsam wie eben so
viele algebraische Gleichungen, die man bereits vor sich hat, und aus
welchen x, y, z, &c herausgebracht werden soll, ohne dafs man auf
die Sache selbst zurücke sehe. Da es aber nicht ganz solche Formeln
sind: so kann man allerdings die Vorzeichnung einer Figur als einen
Leitfaden, um den Beweis zu führen, dabey zugeben.
Hingegen würde es bey dem andern Theile der Frage ungereimt
seyn, wenn man die Betrachtung und Vorstellung der Sache dabey
untersagen, und fordern wollte, die neuen Postulata und Grundsätze
müfsten, ohne an die Sache zu denken, und gleichsam aus dem Steg-
reife gefunden werden. Ich sehe aber auch nicht, wie man gegen
EuMiden billiger ist, wenn man seinen Grundsatz verwirft, ohne die
Frage darüber so zu stellen, wie ich sie zu Anfang des gegenwärtigen
Paragraphs gestellt habe. Denn da Euklid seinen Satz einmal unter
die Grundsätze rechnet: so setzt er unstreitig dabey die Vorstellung
der Sache voraus: und man kann es ihm zutrauen, dafs er, wenigstens
in Ermangelung des noch dermalen zu findenden Vortrages, den
seinigen mit Bewufstseyn gewählt habe.
Ich zweifle auch nicht, dafs Euklid nicht selbst sollte auf Mittel
gedacht haben, seinen Uten Grundsatz unter die Lehrsätze zu bringen.
Wenigstens kommen im ersten Buche seiner Elemente einige Spuren
vor, woraus es sich nicht undeutlich abnehmen läfst. Wie leicht
folgt z. E. seine Prop. XVII aus Prop. XXXII, wenn diese einmal
erwiesen isti Indessen beweist Euklid jene besonders, vermuthlich
um zu zeigen, wie weit sich, ohne Zuziehung des Uten Grundsatzes,
etwas von den Winkeln eines Triangels bestimmen läfst.
1) Vorläufige Betrachtungen. §. 11. — -2) §. 12, 13. 163
2) Vortrag einiger Sätze, 151
die fiir sich betrachtet werden können.
[§. 12.]
Nach der Festsetzung dessen, was in Absicht auf den Uten
Euklidischen Grundsatz eigentlich die Frage ist, konnte ich nun die
Theorie der Sache selbst vortragen. Ich werde aber erst den 3ten Ab-
schnitt dieser Abhandlung dazu widmen, inzwischen aber einige Sätze
beybringen, die sich, ohne Rücksicht auf diese Theorie, für sich be-
trachten lassen.
Ich setze dabey voraus, dafs mau wisse, oder wenigstens ohue
Mühe finden könne, welche Sätze in dem ersten Buche der Euklidi-
schen Elemente von dessen Uten Grundsatze abhängen; dafs z. E.
bis auf die Proposit. XXIX, Alles ohne Zuziehung dieses Grundsatzes
erwiesen sey, von da an aber bis zum Ende Alles mittelbar oder
unmittelbar davon abhänge, wohin besonders die Bestimmung der
Summe der 3 Winkel eines jeden Triangels, und Alles was von
Parallelogrammen, Rectangeln und Quadraten gesagt wird, gehört.
In den folgenden Büchern trägt EuMid hin und wieder noch
einige Sätze vor, die von seinem Uten Grundsatze unabhängig sind.
Es sind aber auch viele von denen, die auf diesem Grundsatze be-
ruhen, von der Art, dafs, wenn sie für sich erwiesen werden können,
sie den Beweis des Grundsatzes selbst nach sich ziehen, so, dafs man
auf diese Art bey dem Aufsuchen eines Beweises für diesen Grundsatz
mehr als Eine Wahl hat, wo man anfangen komie. So z. E. ist man
mit dem Beweise des Grundsatzes bald fertig, wenn man, ohne Zu-
ziehung desselben, erweisen kann, dafs in jedem Triangel die Summe
der 3 Winkel zween rechten Winkeln gleich ist; dafs eine gerade
Linie entweder von keiner oder von allen Parallellinien durchschnitten
werde; u. s. w.
Da es unnothig ist, das, was Euldid in seinem ersten Buche ohne
Zuziehung des Uten Grundsatzes erwiesen, hier von neuem | zu be- 152
weisen: so werde ich dasselbe als bekannt voraussetzen, und, wo es
nothig, die Propositionen, die ich gebrauche, citiren.
§. 13.
Es sey nun (Fig. I.) ÄCB ein in Ä rechtwinklichter Triangel;
und, indem man die Seite AB verlängert, ziehe man durch C jede
Linie ECB, Avelche AB schneide: so wird die Summe der jbeyden
spitzen Winkel des Triangels
11*
\Q4: Joli- Heiur. Lamberts Theorie der Parallellinien.
ÄCB-\-ABC>ÄCD,
und
ÄCB-\- ÄBC<äCE
seyn. Deun erstlich mache man FCB = CBA, und ziehe FCG: so ist
äcb-\-äbc = äcf-
js^..^^^ ^j und die Linie GF läuft
^""^"^^^r-..-.,,^^^ ^^^.-^"''''^"^ mit S^D auf keiner
gr .^^__^^ö,^;-_--^^^- Seite zusammen. (Pro}).
^^^--^^^^^ \^^^^^^<:Z- , XXVII.) Da nun CD
11^==^— ~\ — ^^ ^^ --'d mit BB gegen B zu-
Fig. I. sammen läuft: so ist
demnach auch
oder
ACB<ACB-^ ABC,
AGB -{- ABO AGB.
Ferner trage man AB aus A in H, und ziehe HCJ durch H,
G gerade. Da nun JCH mit AH auf der Seite H zusammenläuft,
FGG aber nicht: so ist wiederum
GGA>HGA;
und hingegen
JGA>ACF.
Nun ist
FCA = JCA,
weil, wenn man die Figur nach der Linie AG zusammenlegt, FCB
auf JCH fällt. Demnach ist
ACF<ECA,
und daher auch
AGB + ABC < FCA.
§. 14.
Dieser Lehrsatz zeigt nun genauer, wie weit man mit der Prop.
XVII. Fuclid. in Absicht auf die Bestimmung der Summe der drey
Winkel eines Triangels zurücke bleibt.
Denn einmal ist bey jedem rechtwinklichten Triangel AGB diese
Summe grosser, als die Summe, welche entsteht, wenn man zu 90 Gr.
153 jeden | spitzen Winkel AGB*) addirt. Hingegen ist sie kleiner, als
*) [Damit meint Lambert: jeden spitzen Winkel ACD, hei dem AB von
CD geschnitten tvird. Diese spitzen Winkel besitzen eine obere Grenze, von der
man von vom herein nicht weifs, ob sie gleich einem Rechten ist. Entsprechend
ist im Folgenden der stumpfe Winkel ECA zu verstehen.]
2) Scitze, die für sich betrachtet werden können. §. 13 — 15. 165
die Summe von einem rechten und jedem stumpfen Winkel ECA.
Eben dieses gilt von jedem schiefTP-inklichten Triangel hCA] jedoch
mit dem Unterschied, dafs die Summe seiner drey Winkel grosser,
als jeder spitze Winkel A CD doppelt genommen, und hingegen kleiner
als jeder stumpfe Winkel ACE, doppelt genommen, gefunden wird.
Man kann sich auch leicht versichern, dafs das Mittel aus diesen
beyden Schranken genau 180 Gr. ist, weil ECA -f- ACB = 180 Gr.,
demnach das Mittel davon 90 Gr. und das Doppelte von 90 Gr. =
180 Gr. ist. Ferner findet sich, dafs, wenn D weiter hinaus, z. E.
in d genommen wird, die beyden Schranken einander, jede um gleich
viel, näher kommen, und sich daher dem Mittel gleichförmig nähern.
Endlich kann man sich leicht wenigstens vorstellen, dafs der Winkel
DCF desto kleiner wird, je weiter man den Punkt D von A hinweg-
rückt. Und eben dadurch erhält man Schranken, die ungemein nahe
zusammen treffen; und man kann daraus schliefsen, dafs, wenn auch
die Summe der drey Winkel eines Triangels nicht genau 180 Gr.
seyii sollte, sie deunoch bey jedem Triangel gar nicht viel davon
verschieden seyn könne.
Dieses ist aber auch Alles, was hieraus folgt; und es wird sich
dabey schwerlich weiter gehen lassen. Indessen ist der Satz eben
nicht ganz unerheblich.
§. 15.
Ich werde nun noch einen andern beyfügen.
Die Summe der Winkel eines Triangels mag nun genau =180 Gr.
oder um etwas davon verschieden seyn: so können wir dieselbe z. E.
(Fig.II) bey dem Triangel ACB=im + a Grade
setzen. Man ziehe nun durch einen der Winkel eine
beliebige Linie AD: so entstehen zween Triangel
ACD, ADD, und damit 6 Winkel. Die zween
Winkel C, B bleiben wie vorhin. A wird auf
beyde Triangel vertheilt; und die neu hinzu-
gekommenen I Winkel CDA, ADD machen zu- "'"" "' 154
sammen 180 Gr. {Prop. XIII) Demnach ist in beyden Triangeln die
Summe aller 6 Winkel nur 180" + 180" + a. Man hätte denken
sollen, sie würde = 180" -{- 180" -{- a -{- J) seyn. Wird von diesen
Triangeln wiederum Einer, z. E. DAB durch eine Linie DE getheilt:
so entstehen drey Triangel; und die Summe ihrer Winkel ist wiederum
nur = 180 + 180 + 180 + « Grade.
Fährt man weiter fort: so kömmt zu jedem neuen Triangel nur
immer wiederum 180 Gr. hinzu. Man sollte allerdings daraus die
166
Job. lleinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
Folge ziehen koiiiieu, es müsse « = 0 seyu*). Demi da mau die
Linien AD, DJS, &c nach Belieben und nach unendlich vielerley Ab-
wechselungen ziehen kann: so kömmt es eben so heraus, als wenn
man in einer Reihe
Ä = a -\- hx -\- ex- -f- dx^ -\- kc
A beständig, und x veränderlich setzt. Denn da werden alle Coefti-
cienten h, c, d, &c = 0; und es bleibt A = a, das will sagen: In jedem
Triangel ist die Summe der AVinkel = 180 Gr.
Ich führe dieses nur im Vorbey gehen an, weil daraus erhellet,
dals mau noch nicht alle Mittel aufgesucht hat, die Schwierigkeit
der Parallellinien zu heben.
16.
Ich finde ferner, dafs Hr. Prof. Kastner angemerkt hat, diese
Schwierigkeit komme nicht so wohl auf die Winkel, als vielmehr auf
die GrSfse der Linien und auf die Entfernung der Parallellinien an.
B
^
J
/r
G
K
^^^'^
"" - ^^
{■
-^
' -
C
A
B
r
Fig. III.
Wenn z. E. (Fig. III j F ein rechter Winkel ist: so mag AGF, so wenig
man will, von einem rechten Winkel verschieden, und kleiner als der-
selbe seyn, und es läfst sich auf GA kein Punkt angeben, aus wel-
chem nicht sollten Perpeudicularen auf GF gefällt werden können.
Ob sich aber hinwiederum durch GF keine senkrechte Linie FA
ziehen lasse, die nicht auch GA in irgend einem Punkte A durch-
schneide, das ist allerdings eine andre Frage, welche nicht bejahet
155 werden kann, dafern man sie nicht entweder | direde beweist, oder
umgekehrt zeigt, dafs sich aus den Punkten A der Linie GA Per-
peudicularen AF auf GF fällen lassen, welche in jeder beliebigen
Entfernung von G auffallen. Liefse sich aber für jeden Fall, wo die
Summe der Winkel AGF -\- GFA <1%Q Gr. ist, ohne Rücksicht
auf die Grofse der Linie GF, beweisen, der Winkel GAF sey > 0,
*) [Indem nämlich stillschweigend die Winkelsumme des Dreiecks als kon-
stant, das heifst für jedes Dreieck gleich grofs, angenommen wird. Ist aber die
Winkelsumme variabel, so beweist diese Schlufsweise nur, dafs es Dreiecke giebt,
deren Winkelsumme beliebig wenig von 180' abweicht.]
2) Sätze, die für sich betrachtet werden können. §. 15—18.
167
das will sagen, in der That ein angeblicher Winkel: so sehe ich nicht,
wie man an der Wirklichkeit des Durchschneidens einigen Anstand
haben konnte. Denn, wie sich von selbst versteht, so fällt die Frage,
ob zwo Linien sich durchschneiden, ganz weg, und findet nicht statt,
sobald sich der Winkel angeben läfst', unter welchem sie sich durch-
schneiden. Non entls nulla sunt pracdicata.
§. 17.
Nun kommt, so viel ich mir die Sache vorstelle, in der Prop. XVI.
Lihr. in. Etwas vor, das hieher dienen kann.
Daselbst wird, ohne Rücksicht auf den coutroversirten Uten Grund-
satz erwiesen, dafs, Aveun J.Z/ (Fig. V.) auf den Diameter ^IP eines Cirkels
senkrecht gezogen wird, so dafs diese
Linie durch den Endpunkt des Dia-
meters gehe, dieselbe ausser den Cirkel
falle, oder den Cirkel ausserhalb in
einem einigen Punkte berühre; und
dafs zwischen der Linie Ab und dem
Cirkelbogen AB keine andre gerade
Linie könne durchgezogen werden, die
nicht den Cirkel in zween Punkten,
z. E. Ä, B, schneide, so lange der
Winkel BÄh nicht kleiner, als jeder
vorgegebene Winkel ist. Denn in
diesem Fall würde er = 0 seyn, und daher AB auf Ah fallen, dem-
nach nicht zwo, sondern nur eine Linie seyn.
Der Beweis, den Euklid giebt, kommt schlechthin darauf an, dafs
die aus dem Mittelpunkt 0 auf AB fallende Perpendiculare ausser
den Cirkel fallen, und demnach grösser als AO seyn müfste; welches
seiner Pro2J. XVIIL Lihr. 1. zuwider ist. Demnach setzt dieser Beweis
weder die Grofse des Diameters, noch die Grofse von AB, noch | die 156
von der Perpendiculare, noch die Verhältnifs zwischen AB und AP,
sondern schlechthin nur den Satz voraus, dafs die Perpendiculare auf
die Seite des spitzen Winkels OAB falle, und dafs sie nicht grosser
als AO seyn könne, sondern vielmehr kleiner seyn müsse, so grofs
oder klein alle diese Linien an sich auch immer seyn mögen.
§. 18.
Nun lafst sichs weiter gehen und zeigen, dafs, so lange BAh
nicht kleiner als jeder vorgegebene Winkel ist, auch AOB nicht
kleiner als jeder vorgegebene Winkel seyn könne, und demnach > 0
168
.loh. Ileinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
seyn müsse. Deun da BÄh > 0 ist: so läfst sich durch den ^^'illkel
BAh jede beliebige Linie ÄQ ziehen; und es wird auch QÄh^O
seyn. Da demnach, vermöge des erst angeführten Euklidischen Satzes,
ÄQ nicht ausser den Cirkel fallen kann: so giebt es zwischen AB
einen Durchschnittspunkt q. Dieses könnte aber nicht seyn, wemi
AOB kleiner als jeder vorgegebene Winkel wäre. Demnach mufs
uothwendig AOB^ 0, das will sagen, ein Winkel von angeblicher
C^rösse seyn. Bey AOB = 0 würde BO auf AO, und demnach AB auf
Ah fallen; und so wäre BAb = 0, der Voraussetzung BAh > 0 zuwider.
Man sieht ohne Mühe, dafs auch dieser Beweis von der Grosse
des Diameters AP und der Chorde AB ganz unabhängig ist; und
dafs demnach der Durchsehnittswinkel > 0 ist, so grofs oder klein
AB und der Winkel BAh immer
angenommen wird, nur dafs BA.h > 0
sey, und demnach OAB ein spitzer
Winkel bleibe. Da nun OB=OA:
so ist auch OBA = OAB, und demnach
OAB + OBA < 180 Gr.
Eben so, wenn Oq auf AB senkrecht
fällt, ist Ar = rB, und
OAr + OrA < 180 Gr.
Demnach mag bey dem rechten Win-
kel OrA der Winkel OAr, so wenig
mau will, kleiner als 90 Grade seyn:
so wird der Durchschnittswinkel AOr > 0, und daher in der Tliat
ein Durchschnitt seyn.
157
19.
Dieses ist nun zum Beweise des Euklidischen Grimdsatzes meines
Erachtens mehr als hinreichend, weil es sich leicht eben so allgemein
machen läfst. Ich werde es aber hier nicht ausführen, sondern nur
bemerken, dafs, wenn man
OBD= ODB= OI)F= OFD = &c= OBA= OAB,
und
BD = I)F=kc = AB
macht, dieses eben so viel ist, als wenn die Chorde AB aus B in D,
aus I) in F, und so weiter, im Cirkel herumgetragen wird. Man
wird auf beyderley Arten nicht nur Einmal, sondern so vielmal man
will, im Cirkel ganz herumkommen, weil AOB^O ist, demnach
nothwendig auch ein Multiplum von AOB ^ 360 Grad, und, so viel-
mal man will, grösser als 360 Grad seyn mufs.
2) Satze, die für sich betrachtet werden können. §. 18—21.
169
§. 20.
Sind demnacli (Fig. IV) die Winkel aÄB, hBÄ einander gleich
und kleiner als 90 Grad: so lälst sich auf erst angezeigte Art die
gleichseitige und gleichwink- q
lichte Figur
aECÄBDFH
zeichnen; und wenn man fort-
fährt: so wird man damit im
Kreise, so vielmal man will,
herum kommen. Die Punkte
a, E, C, A, B, D, F, H &c
werden sämtlich in dem Um-
kreise eines Cirkels liegen,
dessen Mittelpunkt 0 der
gemeinsame Durchschnittspunkt aller Linien Gg, Ee, Co, Aa, &c seyn
wird. Demnach kommt auch hiebey die Frage, ob Aa^ Bh sich
durchschneiden, gleichsam zu späte und unschicklich vor.
Fig. IV.
§. 21.
Es giebt ferner mehi-ere Arten, einen Beweis des Euklidischen
Grundsatzes so weit zu treiben, dafs das, was daran noch etwan
zurücke bleibt, nicht nur augenscheinlich richtig ist, sondern auch
allen Anschein hat, dafs es nachgeholt, und der Beweis dadurch er-
gänzt werden könne. Einige Beyspiele werden dieses ganz offenbar
machen.
Es seyn (Fig. VI) die beyden Winkel aAB, hBA spitze und ein-
ander gleich: so sollen die Linien Aa, Bh
zusammen laufen und sich durchschneiden.
Man mache
J)BG=cCB=1jBA,
und BC = AB: so wird aABh auf cCBh
passen, wenn die Figur längst der Linie l)B
zusammen gelegt wird. Es werde ferner AG
gezogen, und
cGB = dDG= cGA,
und GD = GA gemacht: so wird ebenfalls
wiederum aAGc auf dBGc passen, wenn
man sich die Figur längst der Linie cG zu-
sammengelegt vorstellt. Man ziehe ferner
AD] und wenn man eben so fortfährt, wird aADd auf eEDd passen,
158
Fig. VI.
170 Job. Ileinr. Lamberts Theorie der raralleUinien.
Man kann auch leicht beweisen, dafs bey Q, R, S, &e rechte
Winkel sind. Dafs aber von den Winkeln CÄB, DAC, EAD, &c
jeder doppelt so grofs als der nächst vorhergehende ist, das ist zwar
wahr; allein ohne die vorgängige Berichtigung des Euklidischen Grund-
satzes wird es sich schwerlich erweisen lassen. Doch ich verlange
hierbey nicht so viel. Es wird mir genug seyn, wenn ohne Zu-
ziehung des Euklidischen Grundsatzes erwiesen werden kann, dafs
BAC grosser als CAB, und auf gleiche Art EAB'> BAC, &c sey.
So weit fallt die Sache in die Augen; und an sich betrachtet, sollte
es leichter seyn zu beweisen, dafs unter den Winkeln CAB, BAC,
EAB, &c jeder folgende grosser ist, als wenn man beweisen sollte,
jeder sey genau doppelt so grofs, als der nächst vorhergehende.
Sollte es sich aber, ohne Rücksicht auf die Schwierigkeit der
Parallellinien, erweisen lassen, dafs die Winkel CAB, BAC, EAB
der Ordnung nach immer grosser werden: so wird auch noth wendig
folgen, dafs von den Linien AC, AB, AE, kc Eine anfängt ausser-
halb Aa zu fallen; wie denn dieses in dem Beyspiele der Figur be-
reits schon bey der dritten dieser Linien, AE, geschieht. Dieses hat
aber den Erfolg, dafs die Linien Aa, Bh, Cc, Bd, Ee, &c sich noth-
wendig in einem Punkte durchsclmeiden, welcher innerhalb dem
Triangel ABE liegt. Denn so mufs Aa, verlängert, nothwendig die
Seite EB durchschneiden; und ehe dieses geschieht, mufs sie bereits
150 schon BdS durchschnitten haben. Dafs aber alle die Linien Aa,
Bh, Cc, Bd, Ee, &c sich in Einem und eben dem Punkte durch-
schneiden, folgt aus der Art, wie die Figur längst den Linien hB,
cC, dB, &c zusammen gelegt worden, ohne Mxihe; so, dafs ich mich
dabey eben nicht aufhalten werde.
Man sieht demnach, dafs hier nur noch zu beweisen bleibt, dafs
wenigstens die Winkel CAB, BAC, EAB, &c immer grosser werden.
Uebrigens läfst sichs eben so wie vorhin zeigen, dafs die Punkte
A, B, C, B, E, &c sämtlich in dem Umkreise eines Cirkels liegen,
dessen Mittelpunkt der gesuchte Durchschnittspunkt der Linien Aa,
Bh, &c ist.
§. 22.
Noch ein Beyspiel. Es seyn (Fig. VII) die Winkel aAB, hBA
spitze und einander gleich. Man ziehe durch den Winkel aAB jede
Linie AT-, und es ist, ohne Zuziehung des oft bemeldten Euklidischen
Grundsatzes, zu beweisen, dafs, wenn aus der Mitte von AB die
Linie Cc senkrecht aufgerichtet wird, immer der abgeschnittene Theil
SR kleiner als AS sey. Kann dieses erwiesen werden: so erhält
man damit so viel, dafs, wenn >ST= AS gemacht wird, der Punkt T
i) Siitze, die für sich betrachtet werden können. §. '21, 22.
171
ausserhalb der Linie £h falle. Und daraus läfst sich sodann her-
leiten, dafs die Linien Äa, Bh einander nothwendig durchschneiden.
Nun läfst sich der Beweis auf fol-
gende Art vornehmen. Man ziehe aus
A mit dem Halbmesser AB einen Cirkel-
bogen Bd, und mit dem Halbmesser
AC einen Cirkelbogen Cm. Da nun
ABl < 90 Gr. ist: so wird Bh den
erstem dieser Cirkelbogen in zween
Punkten B, d schneiden. Durch Ad
werde die Linie AD gezogen, und
31 B =AM gemacht. Da nun AC=CB:
so ist auch Am = md. Folglich:
AM= Am-\- in 21.
Md = md — m3I.
= Am — m3I.
Demnach
AM>3Id.
Macht man nun 3IB = A M: so 160
fällt der Punkt D ausserhalb Bh, weil MD > 3Id ist.
Nun beschreibt man ferner die Cirkelbogen De, 3In aus dem
Mittelpunkte A. Und indem man durch e die Linie AE zieht, und
NE = AN macht: so wird auf gleiche Art erwiesen, dafs der Punkt
E ausserhalb Bh falle, indem NE^ Ne gefunden wird. Auf eben
diese Art läfst sich mit Ziehung neuer Cirkelbogen Ef, Np weiter
fortfahren.
Dafs nun jeder andre Punkt T, Avenn ST = AS gemacht wird,
ausserhalb Bh falle, wird leicht erwiesen. Denn es ist
As = sr.
Demnach
AS=^As + sS.
SB = sr — sS — Br.
= AS—2.sS- Br.
AS>SB; ■
Fig. VII.
Und folglich
und damit auch
ST>SB.
Nun bleibt noch zu beweisen, dafs die, der Ordnung nach, ge-
fundenen Linien Ad, Ae, Af, &c der Linie Aa nicht nur näher
172
Job. Heiiir. Lamberts Tbeorie der Parallellinien.
ach
161
kommeu, soiidern dafs Eine derselben anfängt, ausserhalb Aa zu
fallen. Die Sache an sich ist richtig. Aber sie mufs ohne Zuziehung
des Uten Euklidischen Grundsatzes erwiesen werden. Kann dieses
geschehen: so erhält man auf allen ausserhalb Aa fallenden Linien
einen Punkt, der eben so wie die Punkte D, E, ko, ausserhalb Bh
fällt. Und zieht man aus diesem Punkt eine Linie in B: so hat man
einen Triangel, welcher die be3'den Linien Aa, Bh, und zugleich ihren
Durchschnittspunkt in sich schliefst oder umgiebt.
Um nun aber zu beweisen, dafs die Linien Ad, Ae, Af, &c sich
in der That auf vorbemeldte Art gegen Aa nähern, und endlich
ausserhalb Aa fallen, ziehe man AK mitten durch den Winkel DAB\
und da Avird es genug seyn, wenn man zeigen kann, dafs jeder der
^Vinkel eAd, f Ae, kc grosser ist als der Winkel JDAK oder KAB.
Zum Behuf dieses Beweises läfst siclis
noch ferner anmerken, dafs jeder der
Punkte B, B, T, E, &c von Cc gleich
weit entfernt ist. Dieses kann obne Mühe
'^' erwiesen werden, weil iiberhaupt J.5= /ST,
AC = CB, und in C ein rechter Winkel
ist. Ferner läfst sich aus dem Mittel-
punkte A der Cirkelbogen liß durch h
ziehen-, und so wird Aß <i AB seyn.
Nun soll noch bewiesen werden, dafs,
wenn mau aus jedem der Punkte B, E, &c
z. E. aus B eine Linie in ß zieht, der
Winkel BßA stumpf sey, und demnach
die aus B au den Cirkel Jiß zu ziehende
Tangente [Bf] unterhalb ß falle. Denn
so wird man zween gleiche und ähnliche
oder auf einander passende Triangel ^cZ;,
demnach
und folglich
Fig. vn.
ABt erhalten, und daher die Winkel
eAk =BAt,
eAB = lAt,
eAB > kAB
haben.
Ich habe aber nicht finden können, dafs sichs, ohne die vor-
gängige Berichtigung des Euklidischen Grundsatzes, erweisen liefse,
dafs BßA^ 90 Gr. sey, ungeachtet es ohne diesen Grundsatz er-
weisbar ist, dafs sich durch Cc eine Menge von Perpendikularen
ziehen lassen, Avelche die Linie Bß unter einem schiefen Winkel
•2) Sätze, die für sich betrachtet werden können. §. 22— 24.
173
schneiden, weil die aus D auf Cc fallende Perpendikulare = CB und
demnach > Cß ist.
§. 23.
Um dieses noch zu zeigen, so seyn (Fig. III.) in B^ D rechte
Winkel, und CB < BE. Man ziehe die Punkte C, E durch eine gerade
Linie zusammen, und richte aus der Mitten von BD die Linie FG
senkrecht auf. Man mache Bc = Bü, und ziehe Gc. Wird nun die
E
^
J
^^^--"'^
H
G
^^----'''''^
K
^^..---^
~--.^^
C
"~--,^
e
^ B F D
Fig. III.
Figur längst der Linie GF zusammen gelegt: so fällt B auf D,
C auf c, demnach GC auf Gc] und es ist cGF = CGF = JGE.
Da nun EGc>0 ist: so sind die Winkel cGF, JGE, CGF sämt-
lich spitze. Demnach ist auf der Linie CE wenigstens ein Punkt G
gefunden, wo dieselbe die Perpendikulare GF unter einem schiefen
Winkel schneidet.
Ich merke noch im Vorbeygehen an, dafs ] sich der Satz um- 162
kehren läfst, indem man, wenn CGF < 90 Gr. ist, leicht zeigen kann,
dafs CB<DE sey. Denn wird die Figur längst der Linie GF
zusammen gelegt: so fällt der Winkel CGF auf cGF, und CB
auf De. Da nun FGC ^ JGE kleiner als 90 Gr. ist: so ist
i^(^O-fJ'G^^<180Gr. Demnach £6^c>0; demnach auch Ec>0, und
ED > De, oder ED > BC.
§. 24.
Wiederum seyn (Fig. VIII.) in C, c rechte Winkel, und CB > eh.
Man trage CB aus C in A, und eh aus c in a, und ziehe die Linien
Ah, Ba, Aa, Bh: so läfst sich die Figur längst der Linie CH zu-
sammen legen; und es wird A auf B, a auf h, demnach Ah auf Ba
fallen; und so mufs der Durchschnittspunkt dieser beyden Linien E
auf der Linie CH seyn.
Man mache ferner CM^Ec, und CN = eh, und ziehe NM: so
werden die Winkel NMC =^hEc seyn; demnach 2iVid\ N MC =AEC.
Da nun auf diese Art die Linien NM, AE nicht zusammen laufen,
und C'iV< CA ist: so ist nothwendig auch CM < CE:, demnach auch
Ec < EC. Trägt man nun CE aus E in H, und zieht HJ auf CH
174
Job. Heinv. Lamberts Theorie der Parallellinien.
1"
V
NjA/
e h\/
/\
IF /
M N. \
r
Fig. VIIL
senkrecht: so wird HJ^ AC, uud EJ= EA seyn. Da demnach auch
HJ= CB ist: so darf man nur durch E die Linie FEK senkrecht
ziehen, und indem man JB zieht:
so wird man in K rechte Winkel
haben. Denn wird die Figur
längst der Linie FK zusammen
gelegt: so fällt H in C, J in B,
und damit KJ in KB-, und es
wird JKE = BKE demnach
= 90 Gr., und so müssen die
Winkel in G, so wie auch die in
jP, schiefe Winkel seyn. Also ist
auch hierdurch wiederum ein Punkt
Cr gefunden, wo die senkrechte
B Linie GE mit Bh schiefe Winkel
macht. Es ist auch wiederum
HL<HJ', folglich HL<CB.
Und so läfst sich der Beweis fortsetzen.
Man kami diesen Satz ebenfalls umkehren. Es sey nämlich
EGh < 90 Gr. so fälle man aus jedem Punkt B auf CH die Linie
163 BC senkrecht, und mache CA=^ CB. Aus A ziehe ] man Ah durch E,
und fälle aus b die Perpendikulare hc auf CS: so wird hc <C BC
seyn. Denn setzte man &c = BC: so würde b in J und G in K fallen,
demnach bGE ^= 90 Grad seyn. Und eben so würde bGE^dO Grad
gefunden werden, wenn man bc^ BC setzen wollte. Beydes der Be-
dingung b GE < 90 Gr. zuwider.
§. 25.
Es seyn nun (Fig. IX.) in A rechte Winkel, und BBA < 90 Gr.
Die Linie AB werde, so viel man will, verlängert. Da nun Z) BA < 90 Gr.
ist: so fällt aus jedem Punkt E die senkrechte Linie EF auf die Seite
BD. Da nun in A rechte Winkel sind: so ist EGA und damit auch
FGH<C 90 Gr. Demnach fällt aus i'^die senkrechte Linie FH gegen C.
Da nun DFE = 90 Gr. so ist BFSK 90 Gr. Wiederum, da
eBf<C 90 Gr. ist: so fällt aus jedem Punkt e die senkrechte Linie
cf auf die Seite Bf, und verlängert macht sie egA < 90 Gr., weil in A
rechte Winkel sind. Demnach fällt aus /' die senkrechte fJi zwischen
A(/. Da nun Bfg = 90 Gr. so ist Bfh < 90 Gr.
Der Anstand, als ob cf verlängert mit Ag nicht zusammen laufe,
hat hiebey nichts zu sagen. Denn da /'// auf Ag trift: so wird um
desto ehender noch Bfh < 90 Gr.
2) SiUze, die für sich betrachtet werden können, ij. M — 20.
17/
So viel also aus jeden Punkten der Linie cE Perpendikularen
auf BI können gefällt werden, so viele schiefe Winkel DFH, IJfh
finden sich auch, demnach
allerdings unzähliche. Die-
ses war nun, in Absicht
auf das zu Ende des §. 22.
gesagte, zu beweisen. Ich
habe übrigens nicht finden
können, dafs man ohne
Zuziehung des Euklidi-
schen Grundsatzes damit
ausreiche.
§. 26.
Liefs es sich aber
ohne diesen Grundsatz er-
weisen, dafs, so oft ein
Winkel D5^< 90 Gr. ist,
auch jeder andere Winkel
DFH < 90 Gr. sey, wo
auch immer der Punkt F
auf der Linie DF ange-
nommen wird: so kann
auch ohne viele Mühe erwiesen werden; dafs alle
DBA, Bfli, &c einander gleich sind.
Fig. IX.
die Winkel BFH, 164
E
^
j
n
a
K
^^^^^
""---.,
c
(■
B
Fig. ni.
Denn man setze, in der 3ten Figur in F seyen rechte Winkel, und
GGF <m Gr. Man mache nach Belieben BF=FB, und richte
in B, D, Perpendikularen auf. Oder, indem man den Punkt E nach
Belieben annimmt: so falle man aus demselben die Linie ED auf FD
senkrecht, trage FD aus F in B, und richte in B die Perpendikulare
BH auf. Wird nun die Figur längst der Linie FG zusammen gelegt:
so wird FB auf FD, BC auf De fallen; und es wird
CGF=JGE = cGF
17() Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
seyu. Mau setze nun, die Wiukel ACB, ÄED seyn ungleich: so
siucl auch GcE, GEc, und damit auch die Seiten GE, Gc ungleich.
Dieses hat aber den Erfolg, dafs, wenn GK durch FG senkrecht,
oder welches eiuerley ist, mitten durch den Winkel EGc gezogen
wird, die Winkel in K schief seyn werden. Damit aber würden auch
die Winkel in D schief seyn. Es sind aber vermöge der Construktiou,
in D rechte Winkel. Demnach geht es nicht an, dafs man die Winkel
ÄCB, ÄED ungleich setze; und so mufs AGB = ÄED seyu. Damit
erhält man aber Ge = GE = GC] ingleichen EKG =^ cKG
= CEG = 90 Grad, und BRKD ist ein Rectangel 2C.
Ich setze diesen ohnehin kurz vorgetragenen Beweis nicht weiter
fort, weil man leicht sieht, dafs derselbe auf dem Satze beruhet, daXs
man wo KGF, DFG rechte Winkel sind, aus dem schiefen Winkel
in K auf den schiefen Winkel in D schliefsen könne. Dieses ist es
aber eben, wovon noch ein von dem Euklidischen Uten Grundsatze unab-
hängiger Beweis gefunden werden soll. Kann derselbe aber gefunden
werden: so erhellet aus dem erstgesagten, dafs damit zugleich auch
die Gleichheit der Winkel ÄCB, ÄED und die AYinkel eines Rec-
tangels :c bestimmt und erörtert sind.
325 3) Theorie der Parallel-Liuieu.
§. 27.
Die Theorie der Parallellinien, die ich hier zu geben mir vor-
genommen, findet ihre Stelle unmittelbar nach der Prop. XXVIII.
Libr. I. der Elemente des EuJdids, weil bis dahin der Ute Grundsatz
nicht gebraucht wird, und auch hier nicht gebraucht werden soll.
Dieses bestimmt den Gesichtspunkt, aus welchem nachfolgende Theorie
anzusehen ist; und mau wird sich eben deswegen damit nicht auf-
halten, wenn ich sehr bekannte Sätze, wie z. E. die durchaus gleiche
Entfernung der Parallellinien ic als imbekannt und sehr zweifelhaft
werde anzusehen haben. Auch dieses habe ich noch voraus zu er-
innern, dafs ich nicht blofs gedenke, solche Sätze zu beweisen, son-
dern zugleich auch die dawider gemachten Schwierigkeiten deutlich
ins Licht zu setzen.
Daraus wird sichs zeigen, dafs sich die ganze Sache auf eiue
dreyfache Hypothese reduciren läfst, von welchen jede einer besondern
Theorie fähig ist, und wovon zwo nur in ihren entferntem Folgen
umgestofseu werden können; so dafs auch von den unmöglichen Ilypo-
326thesen eine ziemliche | Anzahl von Sät/eu können und zum Theil
2) §. 26. — 3) Theorie der Parallel-Linien. Allgemeines. §. 27—30. 177
müssen erwiesen werden, bis es sich zeigt, dafs sie nicht bestehen.
Auf gleiche Art werden selbst von der wahren Hypothese mehrere
Sätze ex hypothesi erwiesen, ehe es sich zeigen läfst, dafs sie wirklich
die wahre ist.
In der Geometrie schien mir" ein solches Verfahren sehr uner-
wartet. Da es aber darin vorkommt: so kann es zugleich- die Art,
mit physischen Hypothesen umzugehen, wie durch eh^JBeyspiel er-
läutern. In dieser Absicht kann es leicht seyn, clSs ich aus den
beyden irrigen Hypothesen mehrere Folgen ziehe, als es, blofs um
sie umzustossen, nothig wäre.
§. 28.
Dafs sich auf einer ebenen Fläche gerade Linien ziehen lassen,
die, so viel man sie auch auf beyden Seiten verlängert, nicht zu-
sammenlaufen, wird durch die Prop. XXVII und XXVIII ausser allen
Zweifel gesetzt. Hingegen bleibt dabey unausgemacht, ob es ausser
den daselbst angegebenen nicht noch andre giebt. Und selbst von
denen in bemeldten beyden Propositionen erwiesenen bleiben noch
mehrere Eigenschaften und Symptomata zu bestimmen. Hiebey werde
ich nun den Anfang machen.
§. 29.
Es seyn (Fig. X.) in Ä und B rechte Winkel; oder, indem man
AC durch ÄJB senkrecht gezogen, werde AB nach Belieben ange-
nommen, und der Winkel ABB eben-
falls = 90 Gr. gemacht: so sind, ver-
möge erstbemeldter Prop. XXVII,
XXVIH; BB, J-O Linien, die beyder-
B u
seits, soviel man will^ verlängert, j,. ^
nicht zusammenlaufen.
Ferner läfst sichs leicht zeigen, dafs, wenn die Figur längs der
Linie AB zusammengelegt wird, der Winkel dBA auf BBA, iugleichen
cAB auf CAB, und demnach Bd auf BB, und Ac auf AC fällt,
weil in A, B alles rechte Winkel sind. Die Linien dB, cC sind dem-
nach auf beyden Seiten des Striches AB einander durchaus gleich und
ähnlich, so dafs, was von der einen Seite | erwiesen wird, mit Bey-327
behaltung eben der Bedingungen auch auf der andern Seite statt findet.
§. 30.
So z. E. wenn man Ac = AC macht, und in c,' C Perpendiku-
laren cd, CB aufrichtet: so wird cd=CB,Bd = BD, cdB= CBB seyn.
Stack el u. Engel, Parallelentheorie. 12
178
Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
§. 31.
Eben so, wenn Bd ^ BD gemacht wird, und man fällt aus (7,
B senkrechte Linien de, BC auf cC: so wird cA = ÄC, cdB =^ CBB,
und cd = CB seyn.
§. 32.
Wiederum, wenn man cÄ = CA, uud dB = BB macht: so wird
man ebenfalls CfZ = CB, Acd = ACB, und BBC = Bdc haben.
§. 33.
Wenn es demnach noch mehrere Arten von nicht zusammen-
laufenden geraden Linien geben sollte: so wird diejenige, wo A, B
rechte Winkel sind, immer wegen der vollkommenen Gleichheit und
Aehnlichkeit auf beyden Seiten von AB etwas voraus haben.
Der Umstand, dafs dB^ cC nicht zusammenlaufen, läfst noch un-
bestimmt, ob die Entfernungen cd, CB immer gleich sind, oder
grösser oder kleiner werden. Wie dem aber auch immer sey: so weifs
man, dafs es auf beyden Seiten von AB durchaus einerley Beschaifen-
heit damit habe.
§. 34.
Mau kann aber auch vermittelst schiefer Winkel gerade Linien
ziehen, die nicht zusammenlaufen; und da ist allerdings die Frage, ob
diese nicht von der erst betrachteten Art verschieden sind?
Es seyn z. E. (Fig. XL) die Winkel BAC = ABB, oder FAK =
EBA, oder EBA -\- FAB= 180 ": so folgt aus vorhin bemeldten
Prop. XXVII und XXVIII,
dafs die Linien EB, FC
ebenfalls nicht zusammen-
laufen, so viel oder wenig
schief die Winkel in A und
B seyn mögen. Wollte man
nun auch hier die Figur
längs der Linie AB zusammenlegen: so würde man nichts Congruirendes
328 erhalten, weil keine | Linie auf die andre und kein Winkel auf den
andern passen würde. Und man würde höchstens daraus schliessen
können, dafs sich EB gegen FA eben so, wie AC gegen BB, ver-
halte; so dafs z. E. wenn sich EB gegen FA näherte, sich eben so
AC gegen BB nähern würde 2C.
E
\j
B^--^
"^ D
F
^^'■^^
"^
C
-^
,--'<^
JI
Fig. XI.
3) Theorie der Parallel -Linien. Allgemeines. §. 31—38. 179
§. 35.
Man theile aber AB in zween gleiche Theile AG, GB. Aus G
fälle man GH auf AC, und GJ auf BE senkrecht: so wird man
JG=GH, und AH^JB, und AGH=BGJ erhalten. Und da
AGB eine gerade Linie ist: so werden AGH^= BGJ Scheitelwinkel,
und demnach JGH auch eine gerade Linie seyn. Da nun in J, H
rechte Winkel sind: so läfst sich die Figur längs der Linie JH zu-
sammenlegen; und es wird EJ auf DJ, und FH auf CH passen.
Dadurch läfst sich also diese, vermittelst der schiefen Winkel A, B,
gezogene Art von nicht zusammenlaufenden geraden Linien auf die
vorhin betrachtete reduciren; weil hier in Absicht auf JH eben das
gilt, was bey der lOten Figur in Absicht auf AB gesagt worden.
Man kann auch den Fall umkehren. Denn man setze, dafs An-
fangs ED, FC durch JH senkrecht wären gezogen worden: so darf
man nur JG = GH machen, und durch G jede Linie AB ziehen; so
wird man allemal auch AG = GjB, und GAH= GBJ erhalten.
§. 36.
Es ist liiebey angenommen worden, dafs sich aus AG = GB^
GAH= GBJ, und H=J=90 Gr. auf die Gleichheit und Aehn-
lichkeit der beyden Triangel AGH, BGJ schliefsen lasse. Dieses hat
keinen Anstand. Denn man darf nur den Winkel GBJ dergestalt
auf GAH legen, dafs GB auf GA falle: so wird G auf G, B auf A,
und BE auf AC passen. Nun läfst sich aus G auf AC nur eine
Perpendikulare GH ziehen, weil man sonst einen Triangel mit zween
rechten Winkeln erhalten würde. Demnach fällt nicht nur die Linie
BE auf ^C, sondern insbesondre auch d^r Punkt J auf den Punkt H
Und so sind die Triangel AGH, BGJ durchaus auf einander passend. 329
§. 37.
Uebrigens hätte in dem §. 35 auch schlechthin nur GH auf AC.
senkrecht gezogen und gegen J verlängert werden können. Denn so
wdrde man AG = BG, GAH= GBJ, und AGH = BGJ gehaht
haben. Und damit wäre ebenfalls GJB = GHA = 90 Gr. und
GH= GJ gewesen. {Prop. XX VL Libr. L Ehm. Euclid.)
§. 38.
Da demnach in Absicht auf die Linie JH eben das gilt, was in
der lOden Figur in Absicht auf die Linie AB gesagt worden: so sind
die Linien ED, FC (Fig. 1 1 ) in der That nicht von einer von den
12*
180
Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
Linien dD, cC (Fig. 10.) verschiedenen Art. Dadurch wird aber aller-
dings die Theorie der Parallellinien abgekürzt, weil die Eigenschaften
und Symptomata, so sich in Absicht auf die lOde Figur erweisen
lassen, ohne Muhe auf die Ute Figur angewandt werden können.
§. 39.
Ich werde demnach zu der 10 den Figur zurück kehren, und die
Voraussetzung, dafs in ^, J5 rechte
Winkel sind, beybehalten.
Es seyn nun in C ebenfalls rechte
Winkel: so laufen erstlich auch AJB
und CD nicht zusammen. Die Frage
kommt nun eigentlich auf die Winkel
in D an; und da müssen wir nothwendig drey Hypothesen annehmen.
Denn es konnte
P. BDC=90 Gr.
II« J5Z>C> 90 Gr.
M_
Fig. X.
III« BDO< 90 Gr.
seyn.
Diese drey Hypothesen werde ich der Ordnung nach annehmen,
und Folgen daraus ziehen. Es wird sich zeigen, dafs diese Folgen
ziemlich weit können und theils müssen getrieben werden, ehe man
auf ein Quod est absurdum oder Quod est contra hypothesin verfallt.
330 Der dritte Ausdruck Quod est contra Dcfinitionem, \ oder auch jper
Definitionem , wird dabey gar nicht vorkommen, weil die Definition
selbst wegbleibt, und, wenn mau sie auch gebrauchen wollte, nichts
beweisen würde.
Erste Hypothese.
§. 40.
Es seyn demnach (Fig. XII.) AC, BB, AB, CD gerade Linien,
und A, B, C D rechte Winkel: so
wird AB= CD, xmdAC=BD seyn.
Man theile [nämlich] AC in
AE = EC, und richte in E die
Linie EF senkrecht auf: so läfst
sich die Figur längs der Linie EF
zusammenlegen, so dafs EA auf EC^
EAB auf ECB fällt. Setzt man nun, es seyn AB, CD nicht gleich:
so ist entweder AB < CD, oder AB > CD.
ß
F
D
b
A
E
('
Fig. XII.
3) Theorie der Parallel-Linien. Allgemeines. §.38,39. Erste Hypothese. §.40^41. 181
Im ersten Fall mache man Ch = AB, und ziehe Fh: so wird
FbC = FDC == 90 Gr.; demnach werden in dem Triangel hFB zween
rechte Winkel D, h seyn, welches ungereimt ist. {Prop. XVII.) Dem-
nach kann nicht AB <C CB seyn.
Wäre nun ferner AB > CB: so wurde b oberhalb B fallen, vmd
wiederum einen Triangel von zween rechten Winkeln geben. Dem-
nach kann auch nicht AB > CB seyn. Demnach ist nothwendig
AB = CB. Und so fallt h auf D; und es ist zugleich auch
BFE =BFE= 90°. Demnach auch AB = EF.
Auf eben diese Art wird erwiesen, dafs BB == AC sey, wenn
man durch die Mitten von AB eine senkrechte Linie zieht.
J3
S
F K
D
L \
A
d
r
S .7
C
Fig. XIII.
§. 41.
Es seyn wiederum (Fig. XIII. und XIV.) AC, BB,AB, CB gerade
Linien, und in A, B, C, B rechte Winkel. Auf ^.0 nehme man jeden be-
liebigen Punkt E, und richte aus
demselben E F senkrecht auf: so wird
EF=AB=CB, und in F werden
rechte Winkel seyn.
Man halbire [nämlich] AE in
G, CE in «7, und richte in G und J
Perpendikularen GH, JK auf. Setzt
man nun, es sey EF^ AB: so mache man EL = AB] und | so 331
wird auch EL = CB seyn (§. 40). Man ziehe HL, KL: und so ist
HLE = HBA = 90 Gr. Ingleichem KLE==KBC= 90 Gr. welches
klar erhellet, wenn man die Figur längs den Linien GH, JK
zusammenlegt. Hieraus folgt aber, in Absicht auf die 13de Figur,
dafs HLK eine gerade Linie sey. Da nun auch HK eine gerade
Linie ist: so würden zwo gerade Linien einen Raum schliefsen, wel-
ches nicht angeht. Demnach kann L nicht unterhalb, und aus glei
chem Grunde auch nicht oberhalb F fallen. Und so müssen noth-
wendig EF = AB=CB,
H
n
A
und in F rechte Winkel seyn.
In Ansehung der 14ten
Figur folgt eben dieses, weil
sich aus Einem Punkt L
nicht zwo Linien LH, LK
senkrecht auf EL ziehen lassen. Demnach mufs Z in JP fallen; und
so sind in F rechte Winkel, und es ist EF = AB = CB.
j
Fig. XIV.
182
Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
§. 42.
Hiedurcli ist nun die erste Hypothese (§. 39.) zureichend charak-
terisirt, weil «lle Perpendikularen FE = AB, und in F rechtwink-
liclit sind, sobald irgendwo 4 rechte Winkel A, B, C, B vorkommen.
§. 43.
Es seyn nun wiederum (Fig. XV.) A, B, C, B rechte Winkel.
Durch jeden Punkt K werde HKL schief gezogen. Aus K falle KE
auf CA senkrecht; und es Averde EG = EF nach Belieben an-
genommen, und in G, F Perpendikularen GJ, FL aufgerichtet:
so werden die beyden Triangel
JHK, 31 LK einander gleich und
ahnlich seyn. Denn in <7, 31 sind
rechte Winkel (§. 41.); und JK
ist = GE = EF = K3I; und
JKH= 31 KL (§. 36. 37.).
J
__^^
--"B
M
J)
i
^^^^ — -^
K- ■■■■-... ■
AT i'
P
^1
n\
B
Fig. XV.
A F
§. 44.
Da nun hierbey ferner GJ=^ EK = F3I ist (§. 41.): so sind die
Linien GH, EK, FL, jede um gleich viel länger als die nächst vor-
hergehende. Oder es ist
Demnach
332
EK= GH-\-HJ.
FL = EK -]- L3I = EK -\- HJ.
FL = GH+ 2 HJ.
§. 45.
Man ziehe ferner durch H die Linie HN auf GJ senkrecht. Da
nun G, J, K, E rechte Winkel sind : so ist auch HN = JK, und in
N sind rechte Winkel (§. 41.). Demnach ist auch JH= KN (§. 40.).
Und damit sind die Triangel JKH, NHK einander gleich und ähn-
lich. Demnach ist der Winkel HKN = JHK = KL3f.
§. 46.
Hieraus folgt ferner, dafs, aus welchem Punkt k man auf GC
eine Linie senkrecht fälle, der Winkel ETke = HKE seyn werde.
Denn eJc, in in verlängert, durchschneidet JK rechtwinklicht; imd
eben so sind auch in n rechte Winkel (§. 41.). Fällt man ferner ki
aus k auf JG senkrecht: so ist auch ikn = 90 Gr. und damit ik =^ Hn.
Demnach sind die Triangel ikH, ukH einander gleich und ähnlich,
und folcrlich der Winkel Hkc = HKE.
3) Theorie der Parallel-Linien. Erste Hypothese. §. 42—49. 183
§. 47.
Daraus wird ohne Muhe die Folge gezogen, dafs die Linien LH,
CG, gegen G verlängert, einander durchschneiden müssen. Denn weil
die Linien FL, EK, GH, &c immer um einen gleichen Theil LM
kürzer Averden: so müssen die Punkte L, K, H, &c einmal unter CG
kommen. Dafs der Durchschnitts winkel beyder Linien LH, CG jeden
Winkeln JKH, iJcH, &c gleich sey, folgt ebenfalls ohne Mühe.
§. 48.
Die Sache läfst sich nun folgendermassen umkehren.
Es seyn 6r, F, rechte Winkel, und die Winkel JHL, HLF
spitze, aber einander gleich: so wird jeder Winkel
Hle = JHL = HLF
seyn. Denn man halbire GF in E. Aus E richte man EK senk-
recht auf: und durch K ziehe man JK ebenfalls senkrecht: so ist
erstlich GJK=FMK, und JK=MK. (§. 30.) Da nun JKH= 31 KL,
und JHK ^^ KLM ist: so sind die Triangel HJK, LMK einander
gleich und ähnlich; demnach der Winkel HJK = LMK^ demnach
auch LMK = KMF = 90 Gr.
Da nun solchergestalt in J, M, G, F, rechte Winkel sind: so 333
folgt schlechthin und durchaus Alles was vorhin (§. 43—47.) über die
Figur gesagt worden. Jede Winkel Hke sind = HKE\ und die
Linien LH, FG, gegen G verlängert, schneiden sich unter einem
Winkel, der dem Winkel JKH oder jedem Winkel iJcH gleich ist.
§. 49.
Es kann ferner die Sache noch auf folgende Art umgekehrt werden.
Man setze GE = EF. Ih G, E, F, seyn rechte Winkel. Die
Linie HL sey gerade; und es sey
FL — EK=EK— GH
Man trage GH in EP, und EK in FM, und ziehe KM und KP:
so werden die Winkel
HKE = QKL = PKE,
ingleichem die Winkel EKM=FMK, und QKM=LMK, und
LM=MP seyn.
Denn HKE, QKL sind Scheitelwinkel; demnach sind sie einander
gleich. Wird ferner die Figur längs der Linie EK zusammengelegt:
so fällt G auf F, GH auf EP; demnach KH auf KP, und folglich
EKH auf EKP; und so ist
EKH=EKP=QKL.
184
Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
Dafs ferner EKM = FMK, und QKM= L3IK sex, folgt aus dem
§. 30, wenn mau sich eine, mitten auf EF errichtete Perpendikulare
und längs derselben die Figur zu-
sammengelegt gedenkt. Endlich
ist P3I= 3IL, weil
J
r
c--"'' ^
M n
i
n\
--
P \
E
Fig. XV.
A F
und
ML = FL -
P3I=EK
EK,
- GH
ist, und weil vorausgesetzt worden, dafs
FL — EK=EK — GH
sey.
Nun sage ich ferner, dafs EKM, FMK rechte Winkel sind, und
folglich damit Alles gilt, was vorhin (§. 43. und folg.) über die Figur
gesagt worden. Der Beweis, dafs KMF ein rechter Winkel sey,
gründet sich auf einen Lehusatz, den ich im folgenden Paragraph vor-
tragen werde, um hier die Ordnung der Gedanken nicht zu unter
brechen.
Man setze demnach, die Winkel in Mseyn schief, z. E. -BT J/P< 90 Gr.:
so wird KML > 90 Gr. seyn. Daraus folgt aber, dafs, weil KM= KM-
und ML = MF ist, der Winkel LKM < MKP sey. (§. seqq.) Dieses
334 gehet aber | nicht an. Denn vermöge des vorhin erwiesenen ist
QKM=LMK, demnach > 90 Gr.; und EKM = KMF, demnach
< 90 Gr. Da nun also
QKM>EKM
und hingegen
QKL = EKP
ist: so bleibt, wenn man abzieht,
LKM>PKM.
Setzt man hingegen Ä'J/P>90Gr.:
seyn. Und damit ist auch MKE > QK31,
QKL = EKP abzieht, bleibt PKM> MKL. Da nun aber KMF>KML
gesetzt worden, und K3I = KM, ML = MP ist ; so folgt hieraus,
dafs der Winkel PKM <i MKL seyn mufste; welches aber mit dem
erst gefundenen PKM > MKL nicht bestehen kann.
Demnach läfst sich weder KMP > 90 Gr. noch KMP < 90 Gr.
setzen; und so müssen in 31 rechte Winkel sseyn. Da nun EKM=^F3IK
erwiesen worden: so ist auch EK3I = 90 Gr. Und so, weil in K,
31, F, E rechte Winkel sind, gilt Alles, was §. 43. und folg. von der
Figur gesagt worden. LH, FG, verlängert, laufen auf der Seite G
zusammen, und durchschneiden sich unter einem Winkel, der jeden
Winkeln ikH, JKH, LK3I, :c. gleich ist.
so wird K3IL < 90 Gr.
und folglich, wenn man
3) Theorie der Parallel-Linien. Erste Hypothese §. 49—51. 185
§. 50.
Der Lehnsatz, von welchem erst die Rede war, ist folgender.
Die Linien KM, PL (Fig. XVI.) durchschneiden sich in M schief-,
und es sey Jf P = ML. Man ziehe KL, KP: so wird, wenn
KML > 90 Gr. ist, LKM < PKM seyn.
Aus L falle Lq auf KM senkrecht; und eben so werde aus P
die Linie Pr durch KM senkrecht gezogen, und pr=i)P gemacht.
Da nun pMP = qML, PM=ML,
und in Py q rechte Winkel sind: so
sind die Triangel pPM, qLM ein-
ander gleich und ähnlich. (§. 36.) k^C^^^^
Demnach ist \^^"
Lq = Pp = pr.
Wird also durch rL eine gerade Linie
. Fig. XVI.
gezogen: so lauft diese mit KM auf
keiner Seite zusammen. Denn zieht man durch M die | Linie ilfi?335
auf KM senkrecht, und legt die Figur längs MB zusammen: so fällt
p auf q, pr auf qL, und Br auf BL. Demnach sind in jR rechte
Winkel. Damit ist nun rKM> LKM. Da aber rKM=PKM
ist: so ist auch PK3I> LKM. Und dieses war zu beweisen.
§. 51.
Man sieht aus dem bisher gesagten, dafs ich nicht nur die erste
Hypothese und ihre Folgen für sich betrachtet, sondern auch einige
andre zugleich mitgenommen habe, welche sowohl bey derselben zu-
gleich statt haben und eine Folge davon sind, als auch dieselbe nach
sich ziehen, und in beyden Absichten, das will sagen, gerade und
umgekehrt damit verbunden sind.
Man kann auch leicht voraus sehen, dafs eben dadurch die beyden
andern Hypothesen sehr merklich eingeschränkt und näher bestimmt
werden; weil dabey nothwendig alle die Möglichkeiten ausgeschlossen
bleiben, wodurch man auf die erste Hypothese verfallen würde.
Uebrigens ist bey der ersten Hypothese besonders merkwürdig,
dafs ein einziges Rectangel alle andre von jeder Grosse und Verhält-
nifs der Seiten nach sich zieht; und dafs ebenfalls ein einziges Tra-
pezium GHLF (Fig. XV.), wo G, F rechte Winkel sind, und
IHL = HLF ist, sowohl die Rectangel als jede andre Trapezia und
zusammenlaufende Linien zur Folge hat; und dafs Alles dieses sich
ebenfalls einfindet, wenn auch nur in Einem Fall
FL — EK=EK— GH
ist.
186
Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
336
Zwote Hypothese.
§. 52.
Da es aber bey Allem, was über die erste Hypothese gesagt
worden, unausgemaclit bleibt, ob dieselbe möglich oder unmöglich,
wahr oder falsch ist: so werde ich zu der andern Hypothese fort-
schreiten, und ihre Symptomata untersuchen.
Bey dieser sind in ^, ^, 0, c
(Fig. X.) rechte Winkel; BDG aber
wird stumpf gesetzt. | Da nun wegen
der rechten Winkel in A und B,
auf bey den Seiten der Linie AB,
Alles einerley Bewandtuifs hat: so
wird es, überhaupt betrachtet, genug seyn, die Symptomata für die
eine Seite zu beweisen, und es, wo etwan beyde Seiten in Betrach-
tung gezogen werden müssen, ausdrücklich anzuzeigen.
Fig. X.
M
.v-
D
F
}
c n
A
M
c
^
J
G
Fig. XVII.
§. 53.
Es seyn nun in A, B, (Fig. XVH.) rechte Winkel; und so auch in
0, E, G, &c. Der Winkel D oder BBC sey stumpf: so ist erstlich
DC <C AB. Denn man setze
CD = AB, Man halbire
AC und richte die Perpen-
dikulare MN auf. Wird nun
nach dieser die Figur zu-
sammengelegt: so fällt A auf
C, AB auf OD; demnach NB auf iVD; und so wäre NDC = NBA-,
der Voraussetzung zuwider, dafs B ein rechter, D ein stumpfer Winkel
sey. Wollte man CD > AB setzen: so würde auf eben die Art er-
hellen, dafs NDC <C NBA seyn müfste; welches noch mehr der Vor-
aussetzung zuwider wäre. Demnach ist CD <C AB.
§. 54.
Auf eben die Art erhellet, dafs auch BD<CAC sey, wenn man
mitten durch AB eine senkrechte Linie zieht.
§. 55.
Ferner, so viel man auch auf AG senkrechte Linien EF, GH
aufrichtet, oder aus BH auf AG herunterfällt, werden sie sämtlich
unter sich ungleich seyn; oder man findet nicht zwo, die einander
3) Theorie der Parallel-Linien. Zwote Hypothese. §. 52—57. 187
gleich wären. Es versteht sich, dafs sie auf gleicher Seite des Striches
AB genommen werden. (§. 52.)
Man setze, es sey z. E. EF = GH. Wird demnach mitten auf
EG die senkrechte Linie JK aufgerichtet, und die Figur längs der-
selben zusammengelegt: so wird ^i^ auf KH i'aWen. Demnach werden
in K rechte Winkel seyn. Damit ist aber auch D ein rechter Winkel.
(§. 41.) Da nun dadurch die Voraussetzung umgestossen wird: so
kann auch nicht EF=^ GH seyn.
§. 56. 337
Es sind aber nicht nur die Senkstriche CD, EF, GH durchaus
ungleich, (§. 55.) sondern jeder von AB entferntere ist kleiner als
jeder nähere.
Man setze erstlich, es sey EFy^ CD. Da nun auch AB ^ CD
ist: so giebt es zwischen AC und zwischen CE nothwendig solche
Perpendikularen, die einander gleich sind; weil sonst die Linie BF
sich Sprungs weise von AE entfernen müfste, um in F wiederum ent-
fernter zu seyn, als sie in D war. Nun aber ist ein solches Ent-
fernen der Natur der geraden Linie, die Gleichheit der Perpendiku-
laren aber dem vorhergehenden §. 55 zuwider. Demnach kann auch
nicht EF> DC seyn. Da nun auch EF = DC nicht angeht (§. 55.):
so muss EF<iDC seyn.
Ist aber EF<iDC: so wird auf eben die Art erwiesen, dafs
auch HG < EF sey. Denn man setze, es sey HG > EF-. so giebt
es zwischen EG und zwischen AE nothwendig solche Senkstriche, die
einander gleich sind; weil sonst die Linie BH sich sprungsweise von AG
entfernen müfste. Nun können aber auch nicht zween Senkstriche ein-
ander gleich seyn. Demnach geht es nicht an, dafs GH^ EF sey.
Da nun auch nicht GH = EF seyn kann (§. 55.): so ist nothwendig
GH<EF.
§. 57.
Ich habe diesen Beweis auf das Gesetz der Continuität gegründet,
weil er sich auf diese Art am kürzesten vortragen läfst. Ich glaube
auch nicht, dafs er dadurch minder evident und schlüfsig sey, als wenn
er auf die Euklidischen Grundsätze wäre gebaut worden. Indessen
läfst er sich allerdings auch darauf gründen.
Es seyn in A, B, E, G, (Fig. XVIII.) rechte Winkel. Die Linie BH
[sey] gerade; (welches sich zwar für sich verstehet, aber der Um-
stände wegen erinnert werden mufs) AB sey grosser als EF und GH.,
hingegen GH grosser als EF. Man halbire AG in N, und EG
in M. Aus N, M richte man Perpendikularen Nu, Mm auf. Ferner
188
Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
K
r B
X E P
Fig. XVIII.
M n
338 mache ! man Gh = AB, und Gf = EF, und ziehe nh, ingleichem fm
bis in j) verlängert. Endlich ziehe mau aus jj die Linie ])P auf AG
senkrecht herunter; und in-
dem man QN= NP, und
B3I=MP macht, richte
man in Q, B, die Perpendi-
kularen Qq^ Br auf.
Ich sage, es sey Qq = Br.
Denn, legt man die Figur
längs der Linie ^'« zusammen: so fällt AB auf Gh, und Qq auf Pp.
Legt man aber die Figur längs der Linie 31 m zusammen: so fällt EF
auf Gf, und Pp auf i?r; oder mr auf mp, wenn man MG auf ME
legt. Demnach ist Pp = Br. Da nun auch Pp = ^g ist: so ist
Br = Qq. ■ Das Uebrige des Beweises ist nun wie §. 56.
§. 58.
Was nun erst in Ansehung der Senkstriche JSJP, GS,kc (Fig.XVIL)
erwiesen worden, gilt auch in Ansehung der Winkel F, H, &c. Sie
sind sämtlich stumpf, durchaus ungleich, und jeder von B entferntere
z. E. H, ist stumpfer, als jeder nähere F.
Dafs sie sämtlich stumpf sind, erhellet ohne Mühe daraus, dafs
jede GH<AB ist. Auf diese Art fällt AB (Fig. XVIII.) beym Zu-
sammenlegen [längs der Linie Nn] auf Gb. In b sind, wie in B, rechte
Winkel. Und so ist in dem Triangel nbH der Winkel uHb < 9U Gr.
Demnach uHG > 90 Gr.
Dafs ferner alle die Winkel BFE, BHG, kc von ungleicher
Grosse seyn müssen, erhellet aus dem §. 48. Denn man setze z. E.
BFE =^ BHG: so sind JFE, JHG spitze und einander gleich. Da-
mit aber laufen die Linien BH, AG gegen G zusammen; und es ist
auch JBA = JFE. Demnach JBA < 90 Gr. Beydes der Voraus-
setzung zuwider. Demnach kann kein Winkel JFE einem andern
JHG gleich seyn.
Dafs endlich jeder entferntere Winkel BHG stumpfer seyn müsse,
als jeder nähere BFE, folgt wiederum aus dem Gesetze der Continuität.
Demi Aväre BHG weniger stumpf als BFE: so würden zwischen BF
339 und JF'S' nothwendig Winkel vorkommen, die gleich] stumpf wären;
und so würden BH, AG gegen G zusammenlaufen, und in B gleich
schiefe Winkel seyn. (§.48.) Demnach mufs durchaus BHG^BFEsejn.*)
{Lambois Zusatz zu §. 58 auf einem besondern Blatte)
*) „Der eigentliche Beweis ist folgender:
„BFE(Fig.XYlll.) sey stumpfer a 1 s .B und JL Man lege die Figur wie §.57.
„zusammen: so fällt F va f unter H. Ferner B m h über F\ (es mag nun
3) Theorie der Parallel-Linien. Zwote Hypothese. §. 57—60.
189
§,. 59.
Man kann dieses Letztere auch auf folgende Art beweisen. Auf
HD (Fig. XIX) nehme man die Distanzen HG, GF, FE, EA, AB,
V
R
M
A^
(>
JL
i:
n
n
Fig. XIX.
BC^ CD, &c gleich und so klein man will. Aus allen diesen Punkten
richte man Perpendikularen auf, und ziehe BF durch EJ rechtwink-
licht: so werden, unsrer zwoten Hypothese zufolge, die AVinkel JJf J-,
JNB, JQC, JFD, &c iugleichem auf der andern Seite die Winkel
JKF, [JLG], JBH, &c sämtlich stumpf, und die auf beyden Seiten
von EJ gleich entfernten gleich seyn. (§. 30.) Man ziehe nun durch
M die Linie rp auf AM senkrecht: so ist ebenfalls EiM = MnB,
FIM = MqC, GIM = 3£pD, &c. Da nun MJE ein rechter
Winkel ist: so ist MiE, und damit auch MnB und MNB noch
mehr stumpf. Nun ist MNB = MLG; daher MIG = MpD noch
mehr stumpf als MnB. Und eben so MPD noch mehr stumpf als
MpD; folglich noch viel mehr als MnB, &c. Ferner, da MKF> 90 Gr.
ist: so ist auch MhF = MqC noch stumpfer. Und da MQC> MqC-
so ist auch MQC noch viel mehr stumpf, und damit auch MBH
= MQC, und um so mehr noch MrH, &c.
Man sieht leicht, dafs auf eben die Art immer fortgeschlossen
werden kann, und demnach die Winkel M, N, Q, P, &c desto mehr
stumpf sind, je mehr sie | von J entfernt sind. Dafs eben dieses von 340
jeden zwischen M, N, Q, P, &c fallenden Winkeln gelte, folgt daraus,
dafs AB, BC, CD, &c so klein angenommen werden können, als
man will.
§. 60.
Es ist ferner merkwürdig, dafs diese in Einem fortgehende Ver-
grSsserung der stumpfen Winkel 31, N, Q, P, &c nicht nur von der
absoluten Länge der Linien EA, EB, EC, ED, &c sondern auch von
der absoluten Länge der Perpendikularen EJ, AM, BN, &c abhängt.
Um dieses noch zu zeigen: so seyn in A, B, C, D, E (Fig. XX.)
rechte Winkel, und AB = BC = AD = DE. Demnach sind, ver-
„über oder unter If seyn.) Demnach sind (eben so wie §. 57.) Pp = Br = Qq;
„welches die Hypothese umstofst. 2c."
„Auf eine ähnliche Art wird §. 69. verfahren." [Es scheint, dafs Lamhert
auch hier versucht hat, den Beweis unabhängig von dem Gesetze der Continuität
zu führen. So wie der Zusatz lautet, ist er uns freilich unverständlich geblieben.]
190
Joh. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
möge unsrer zwoten Hypothese, die Winkel G, H, F, J sämtlich
stumpf; und zwar S^ G, und ebeu so ?/> S; demnach um so
mehr J^ G. Nun sind J und G nur darin verschieden, dafs
ÄE = ÄC doppelt so grofs angenommen
worden, als AD = AB. Man sieht daraus,
wie mit jeder Verdoppelung die Winkel G,
J stumpfer werden. Eben dieses gilt, wenn
auch AE = AC schlechthin nur grosser als
AD = AE genommen wird.
E
P
J
G
H
\
61.
B
1-ig. XX.
In dieser Figur ist ferner AD ^ GB,
und GB > CE. (§. 56.) Man trage CH aus
A in h, und ziehe Gh. Legt man nun die
Figur längs der Linie BF zusammen: so fällt GH in Gh. Da nun in
D TD
D rechte Winkel sind: so ist Gh > GD. Demnach [wegen GD = GB]
auch GH>GB. DaimnGB>CH\st: so ist um so mehr noch GS'> CA
Auf gleiche Art wird man FJ^EF finden. Hingegen ergiebt
sich FJ< GF daraus, dafs JE = JE, GF= GH, und FGH<FJH
ist. So wird man auch, wenn man AG, GC zieht, die Winkel DAG,
GAB, GCB einem halben rechten Winkel gleich, und hingegen
AGC=DGB>90 Gr. finden. 2C. —
Ich halte mich aber bey solchen Folgen, die leicht noch weiter
können getrieben werden, nicht mehr länger auf, sondern werde die
341 bisher betrachtete Hypothese nun von der widersprechenden Seite zu
zeigen vornehmen.
§. 62.
Diese widersprechende Seite liegt nicht blofs darin, dafs die von
AB (Fig. XVn.) entferntem Senkstriche £'JP, G^ 5" immer kürzer werden.
Denn mau konnte gedenken, dafs sie auf eine asymptotenmäfsige Art
sich verkürzen, ohne jemals
= 0 oder gar negativ zu
werden. Hingegen thun die
immer stumpfer werdenden
Winkel F, Hmehr zur Sache.
Denn daraus wird erhellen,
dafs sich BH gegen AG ungefähr eben so wie ein Cirkelbogen nähern
müfste, dessen Mittelpunkt unter A ist, und dessen Diameter bis in
B reicht. Ein solcher Cirkelbogen nehmlich durchschneidet noth-
weudig die Linie ^(r. Eben dieses wird sich nun auch von der Linie
BH erweisen lassen. Da nun wegen der rechten Winkel in B, A
J3
.r
n
F
1
C H
A
M
c
J?
J
(r
Fig. XVII.
3) Theorie der Parallel-Linien. Zwote Hypothese. §. 60 — 63.
191
n
U
N
L
K
A
E l
G
Fig. XXI.
kein solcher Durchschnitt statt haben kann: so folgt für sich, dafs
nnsre zwote Hypothese dadurch werde ad absurdum gebracht seyn.
Die Art, wie dieses geschehen kann, ist nun folgende.
§. 63.
Es seyn in A, B, (Fig. XXI.) rechte Winkel. Auf ä(t nehme
man nach Belieben drey Punkte E, F, G, so dafs EF = FG sey,
und richte aus denselben
die Linien EH, FJ, GK
senkrecht auf: so ist zu
beweisen , dafs allemal
EH—FJ<FJ-GK
oder
FJ- GK>EH~FJ
sey, wenn die bisher betrachtete zwote Hypothese wahr ist.
Nun suid, dieser Hypothese zufolge, die Winkel BHE, BJF,
BKG nicht nur stumpf; sondern es ist BKG > BJF, und BJF>BHE.
Zieht man demnach durch J die Linie LM senkrecht auf JE: so
geht sie unter H und über K durch; und es ist EL = GM. (§. 30.)
Mau mache nun GN = EH, und ziehe JN: so wird, wenn man die
Figur längs der Linie FJ zusammenlegt, FE auf FG, EL auf GM,
EH auf GN, demnach JL auf JM und JH auf JN fallen; und die
Winkel HJL, MJK, NJM \ werden gleich seyn. Da nun BHE < BKG: 342
so ist EHJ>JKN. Es ist aber EHJ=JNK. Demnach ist
JNK > JKN Damit aber ist auch JK > JN.
Man mache Jn = JK, und ziehe Mn: so ist der Winkel JMK
= JMn. Demnach ist JMK stumpf. Demnach, ebenfalls vermöge
der zwoten Hypothese, GM = EL kleiner als FJ. Ferner, da
JNG = JHE ein spitzer Winkel ist: so ist nNM stumpf; und da-
mit ist Mn > MN. Es ist aber Mn = MK. Demnach ist auch
MK> MN; und eben so, weil 3IN= LH ist: so ist auch MK> LH.
Demnach
GM— GK>EH—EL.
Nun aber ist
GM = EL.
Demnach
GM— GK> EH— GM.
Es ist aber, vermöge des erst erwiesenen,
FJ> GM.
2 FJ> 2 GM.
Folglich
192 Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
Demnach, wenn man addirt,
GM-\- 2 FJ— GK>2 GM+EH—GM.
Und folglich
2FJ—GK>EH-
Oder
FJ— GK>EH—FJ.
Und dieses war zu beweisen.
§. 64.
Die Perpendikel ES, JE, KG, &c nehmen demnach nicht etwan
nur gleichförmig, sondern immer stärker ab. So klein demnach auch
die Abnahme seyn mag: so mufs, wenn man fortfahrt in gleichen Ent-
fernungen EF, EG, Perpeudikularen aufzurichten, die Summe der
Abnahmen nothweudig einmal anfangen grosser als AB zu werden.
Und da dieses nicht geschehen kann, es sey denn, dafs die Linie BK,
bis dahin verlängert, sich unter die ebenfalls verlängerte AG herab-
senke: so wird dadurch offenbar der Satz, dafs BK, AG wegen der
rechten Winkel in A, B nicht zusammenlaufen, umgestossen. Da sich
aber dieser Satz nicht umstossen läfst: so fällt die zwote Hypothese
343 ins Unmögliche. Sie wird aber | noch viel unmittelbarer dadurch un-
gereimt, dafs die Linie BK auf beyden Seiten des Senkstriches AB
sich unter die Linie GA herabsenken, und demnach die zwo Linien
BKj AG einen Raum schliefsen müfsten. —
Lafst uns nun noch sehen, was aus der dritten Hypothese werden wird.
Dritte Hypothese.
§. 65.
Man kann nun nach der Betrachtung der beyden ersten Hypo-
thesen voraus vermuthen, dafs bey der dritten immer spitzere Winkel
und immer grosser werdende Perpeudikularen zum Vorschein kommen
werden. Hingegen läfst es sich eben daher a.uch nicht voraussehen,
wie diese Hypothese in Absicht auf die Möglichkeit werde geprüft
werden kSunen. Ich werde demnach die Sache beschreiben, wie ich
sie gefunden habe.
§. 66.
Es seyn wiederum m A, B, C, (Fig. XVH.) und so auch in jeden
Punkten E, J, G, &c rechte Winkel: so ist bey der dritten Hypothese
der Winkel B oder BDC spitze. (§. 39.) Die erste Folge, die wir
daraus ziehen, ist, dafs DC^AB ist. Denn wäre CD ^= AB: so
3) Theorie d.Parallel-Linien. ZwoteHypothcso.§.(58,64. Dritte ITypotheso §.65-G8. W^
würde eben so wie §. 53. folgen, dafs BBC ein rechter Winkel wäre,
und dieses würde der Voraussetzung zuwider seyn. Wollte man
aber CB <i AB annehmen:
so würde, wenn man die
Figur längs der mittlem Per-
pendikulare MN zusammen-
legt, A auf C, B aber über
B hinauf fallen; und damit
würde iV^DC>90Gr. seyn; welches der Voraussetzung noch mehr
zuwider wäre. Demnach ist CB > AB.
B
.V
n
F
K \n-
A
M
c
j']
j
(j
§■ 67.
Auf gleiche Art ist auch BB ^ AC.
§. 68.
Ferner sind jede andre Perpendikularen EF, GH, nicht nur
grosser als AB'^ sondern es ist keine der andern gleich, und jede ent-
ferntere GH ist grosser als jede nähere EF.
Man setze erstlich, es sey GH=EF. Mitten i auf EG errichte 344
man JK senkrecht: so sind in K rechte Winkel; und damit sind auch
in B rechte Winkel. (§. 41.) Nun ist aber, vermöge der Hypothese
B ein spitzer Winkel. Demnach läfst sich nicht GH= EF setzen.
Man kann aber ferner auch nicht EF < BC setzen. Denn da
CB > AB ist: so würden nothwendig zwischen AC und zwischen CE
Perpendikularen vorkommen, die einander gleich wären. Da nun dieses
dem erst erwiesenen zuwider ist, und aus gleichem Grunde auch nicht
EF = CB seyn kann: so ist EF> CB. Auf gleiche Art folgt auch
dafs GH'>EF seyn müsse. Und so ist auch jede zwischen A, C
fallende Perpendikulare grosser als AB, und kleiner als CB. &c.
Ich habe hierbey ebenfalls wiederum wie oben (§. 56.) das Gesetz
der Continuität gebraucht. Will man aber lieber den Beweis auf
die Euklidischen Grundsätze
bauen: so kann dieses auf ^ q n ^r---- rn
eine der im §. 57. angegebe-
nen durchaus ähnliche Art
geschehen. Denn man wird u q n e p m n
finden, dafs für gegenwär- p^ig xviii.
tigen Fall, in der 18den
Figur, 6 unterhalb, f aber oberhalb H, und damit auch <p unter Fm
kömmt, und dadurch an dem Satze Qq, = Br nichts geändert wird.
Stäckel 11. Engel, Parallelentheorie. 1^
/'
194
Joh. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
§. 69.
In Ansehung der Winkel D, F, H, &c (Fig. XVII.): so sind hier
nicht nur alle spitze, sondern auch alle ungleich ; und jeder entferntere
H ist spitzer als jeder nähere F.
Dafs alle spitze sind, folgt daraus, dafs alle Perpendikularen
grösser als AB sind, ohne Mühe, wenn man, z. E. in Absicht auf den
Winkel F die Figur so zusammenlegt, dafs E auf A falle. Denn so
wird F oberhalb B fallen; und da in B rechte Winkel sind: so mufs
BFE < 90 Gr. seyn.
Dafs ferner nicht zween Winkel F, H gleich spitze sind, folgt
aus dem §. 48, weil die Linien HF, GE, gegen A verlängert, sich
durchschneiden, und in B schiefe Winkel seyn würden. Da nun dieses
der Voraussetzung zuwider : so kann auch nicht F ^= H seyn.
345 Endlich kann auch nicht H^ F seyn. Denn wo dieses wäre:
so würden zwischen BF und zwischen FH Winkel vorkommen, die
einander gleich wären; und damit würde auch F=H seyn. (§. 48.)
Demnach mufs H <i F seyn.
Man kann, um dieses ohne Zuziehung des Gesetzes der Continuität
zu beweisen, eben so wie §. 59 verfahren, wenn man in der 19den
n
JL
Ji j- j^r
n -ö
r .-/
?....
r
l"
— bc "
t
jV
Q
P
M
Fig. XIX.
/?
T>
Figur in i rechte Winkel, und iMA < 90 Gr., JMA aber = 90 Gr.
setzt. Denn so wird EJM= 31 NB spitze, und damit MnB = MIG
noch kleiner, und eben dadurch MLG = MPD noch mehr kleiner. 2C.
70.
Aus dem aber, dafs die entferntem Winkel immer spitzer werden,
folgt nun ferner, dafs die Perpendikularen mit der Entfernung von A
(Fig. XVn.) nicht etwan nur gleichförmig, sondern immer mehr grosser
werden, so dafs sich BH, verlängert, von AG^ ebenfalls verlängert,
dergestalt entfernt, dafs die Perpendikularen grosser werden, als jede
gegebene Grosse.
Es seyn in A, B (Fig. XXII.) rechte Winkel. Man nehme nach
Belieben die Punkte E, F, G, so dafs EF= FG sey, und richte aus
denselben die Perpendikularen EH, FJ, GK auf: so sind,"; vermöge
uusrer dritten Hypothese BHE, BJF, BKG spitze Winkel, und
3) Theorie der Parallel-Linien. Dritte Hypothese. §. 69, 70.
195
jeder folgende spitzer als der vorhergehende. Zieht man demnach
durch J die Linie LM auf FJ senkrecht: so geht LM oberhalb H
und unterhalb K durch, weil HJF < 90 Gr. ist.
B ^
--^^__^_
K
/
H
J
N
^,.
«i—
- ' E F Q
Fig. XXII.
Man mache GN = EH, und ziehe JNn. Da nun EL=GM
ist (§. 30.): so fällt N unterhalb M. Und indem man die Figur längs
der Linie FJ zusammenlegt, wird JH Siui JN, JL aber auf JM füllen;
und die Winkel LJR, KJM, MJN werden gleich seyn. Denn LJH
fällt beym Zusammenlegen auf MJN] und LJH, KJM sind Scheitel-
winkeL Da nun ferner JHE auf JNG fällt: so ist JNG = JHE,
demnach auch JNK = JBHE. Nun aber ist EHE > JKN-^ j dem- .346
nach ist ebenfalls JNK > JKN. Daraus folgt aber JK > JN Man
mache also Jn = JK, und ziehe Mn: so ist Mn = MK^ und der
Winkel JMK = JMn stumpf; demnach JMG spitze. Dadurch ist
aber, ebenfalls vermöge der dritten Hypothese, G My- FJ, und damit
auch EL > FJ, weil EL = GM ist. Da nun ferner JNM=BHE
spitze ist: so ist MNn stumpf, und damit Mn^ 3IN Es ist aber
Mn = MK, MN= LH, demnach K3I> LH, und damit
GK— GM> EL - EH
Nun aber ist
GM=EL.
Demnach
GK— GM> GM— EH
Da nun, vermöge des erst erwiesenen,
GM>FJ,
und
2 GM>2FJ:
so ist, wenn man addirt,
GK-{- 2 G3I - GM> GM -^ 2 FJ — EH
Folglich
GK>2FJ - EH,
oder
GK—FJ>FJ—EH.
Demnach wächst bey gleich zunehmenden Entfernungen AE,
ÄF, AG, die Perpendikulare GK in Absicht auf FJ um ein mehrers
13*
19G Job. Heinr. Lamberts Tbeorie der Parallellinien.
als FJ in Absicht auf EH. Da nun dieses von jeden folgenden Ent-
fernungen gilt: so wird die Summe aller Zunahmen oder Incrementen
endlich grosser als jede gegebene GrSfse.
§. 71.
Dadurch fallt nun der Unterschied zwischen einer geraden und
krummen Linie eben so weg, wie bey der zwoteu Hypothese. (§. 64.)
Indessen, da es sich bey der zwoten Hypothese dadurch erweisen liefs,
dafs sich die Linie JBK auf beyden Seiten des Senkstriches AB unter
die Linie AG herabzog: so hat' man bey der dritten, wo sich BK
von AG auf beyden Seiten unendlich entfernt, nichts dergleichen zu
befahren. Es macht aber eben dieses Entfernen, dafs, wenn man ja
347 noch einen andern Beweis | der Unmöglichkeit der dritten Hypothese
verlangt, derselbe auf eine andre Art gefunden werden mufs.
Ich merke inzwischen an, dafs vermittelst der §. 64 und 70. eine
Menge von Einwendungen wegfallt, die man sonst wider die Parallel-
linien und deren von verschiedenen Geometern versuchte Beweise ge-
macht hat. Denn die ganze Sache k6mmt auf die bisher betrachteten
drey Hypothesen an. Nach der erstem laufen die Linien BK, AG
in immer gleicher Entfernung fort. Nach der zwoten durchschneiden
sie sich auf beyden Seiten von AB. Nach der dritten nimmt ihre
Entfernung auf beyden Seiten immer mehr zu, und wird grosser als
jede gegebene Entfernung.
Demnach fallen alle Einwendungen weg, die sich auf ein asymp-
totisches Annähern oder auf ein asymptotisches Entfernen gründen
würden; wobey uehmlich die Entfernungen EH, JE, GK, &c sich
einer gewissen Grosse immer mehr näherten, ohue sie jedoch zu
erreichen.
Eben so fallen auch diejenigen Einwendungen weg, wobey die
zwote Hypothese zum Grunde liegen oder vorausgesetzt würde; wie
z. E. wo zu drey rechten Winkeln A, B, C der vierte H stumpf,
demnach die Summe > 360 Gr. oder in einem Triangel die Summe
der drey Winkel > 180 Gr. angenommen würde, ic weil die zwote
Hypothese an sich wegfallt.
§. 72.
In Ansehung des immer mehrern Entfernens, so bey der dritten
Hypothese vorkommt, konnte man anstehen, ob die aus jeden Punkten
E, E, G, &c aufgerichteten Perpendikularen die Linie BK alle noch
schneiden, so grofs man auch AE, AE, AG, &c annehmen würde.
Nun sehe ich zwar nicht, wie bey diesem Austande BK eine gerade
3) Theorie der Parallel-Linien. .Dritte Hypothese. §. 70—7.3.
197
Linie bleiloen konnte. Indessen wenn es auch wäre: so hat es auf die
vorhergehenden Sätze keinen Einflufs, Die Vergrosserung, oder das
Anwachsen der Perpendikularen, so weit diese nehmlich aus jeden
Punkten H, J, K, &c auf AG können gefällt werden, wird da-
durch I nicht nur nicht angefochten, sondern noch um desto merk-348
licher. Und eben dieses findet auch in Ansehung der Winkel H, J,
K statt, welche dadurch nicht nur bis auf einen bestimmten Grad
sondern vollends bis auf 0 kleiner werden wurden.
§. 73.
Bey der dritten Hypothese ist in jedem Triangel die Summe der
drey Winkel kleiner als 180 Gr. Da sich jeder Triangel in zween
rechtwinklichte zerfallen läfst, weil bey jedem uothwendig wenigstens
zween Winkel spitze sind: so werde ich diesen Satz erstlich von den
rechtwinklichten Triangeln erweisen.
Es sey ein solcher BÄE. Man ziehe HB auf JBÄ, und HE
auf EÄ rechtwinklicht: so ist BH> AE, und EH> AB. (§. m. 67.)
Trägt man demnach den Triangel BHE in EaB, so dafs BH in
Ea, und EH in Ba falle: so fällt aB ausserhalb ABH, und aE
ausserhalb AEH. Demnach ist der Winkel
aBE>ABE,
und
aEB>AEB.
Folglich, wenn man addirt,
aBE + aEB > ABE + AEB.
Es ist aber die Summe dieser vier Winkel = 180 Gr. Demnach ist
aBE + ciEB > 90 Gr.
und
Folglich
ABE -\- AEB < 90 Gr.
ABE 4- AEB + BAE < 180 Gr.
Die Besorgnifs, als mochten BH, EH einander nicht schneiden,
hat hier ebenfalls nichts zu sagen; weil, wenn es auch wäre, die
198
Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
349
Linien Ba, Ea nur um so mehr noch ausserhalb BAE fallen
würden.
§. 74.
Nun seyn in jedem Triangel AGC (Fig. XX.) die Winkel A, C
spitze. Aus G falle GB auf J. (7 senkrecht:
'/ so ist
AGB-\- GAB + ABG < 180 Gr.
CGB -\- GCB -\- CBG < 180 Gr.
fL- Demnach die Summe
AGC-{- GAC -{- GCA + ABG-^ CBG
< 360 Gr.
Es ist aber
ABG-j- CBG= 180 Gr.
Demnach
AGC-\- GAC+ GCA< 180 Gt.
§. 75.
Da in einem gleichseitigen Triangel ABC (Fig. XXIII.) die
Winkel A, B, C gleich sind: so ist, bey
der dritten Hypothese, jeder derselben
kleiner als 60 Gr.
§. 76.
Man ziehe nun in einem gleichseitigen
Triangel ABC aus jedem Winkel senk-
rechte Linien auf die gegenüber stehende
Seite: so werden sowohl die Winkel als
die Seiten halbirt; und die Perpendikularen haben einen gemeinsamen
Durchschnittspunkt D. Alles dieses läfst sich durch das Zusammen-
legen der Figur längs jeder Perpendikulare leicht erweisen. Und
eben daraus wird auch gefolgert, dafs die Winkel in D sämtlich
gleich, und demnach jeder = 60 Gr. ist. Ferner, da der Winkel
ACG<GAC: so ist auch ^(r<G^C, oder GC> AG. Hingegen
wegen des rechten Winkels in G, ist AC'> GC. Demnach ist die
Perpendikulare zwar kleiner als jede Seite, aber grosser als die Hälfte
einer Seite.
§. 77.
Man beschreibe nun auf BD noch einen gleichseitigen Triangel
BDd. Da nun auch in diesem jeder Winkel < 60 Gr. ist; (es ver-
steht sich bey der dritten Hypothese:) so fällt die Seite Dd innerhalb
3) Theorie clei rarallel-Linien. Dritte Hypothese. §. 73—79.
199
BBF, weil BDF=m Gr. ist; und so mufs die aus B a,nf Bd
fallende Perpendikulare Bf ausserlialb ABC fallen. Demnach ist
Bf">Bg. Es ist aber, wegen des rechten Winkels in F, Bg^ BF-^
demnach, um desto mehr Bf>BF. Da nun Bf = ^ Bd = BB
= ^BA ist: so ist ^BA>BF, und BA>2BF', demnach auch
AF> SBF, oder BF <^^ AF. Dieses hat bey der dritten Hypo-
these statt. Denn bey der ersten läfst sichs leicht erweisen, dafs
BF= - AF sey. Die zwote Hypothese, | wobey BF> AF sejn 360
würde, fällt an sich weg. Und demnach kann BF wenigstens nicht
grosser als -_- AF seyn,
§• 78.
Ferner ist, bey der dritten Hypothese, in jedem Triangel KLM
(Fig. XVI.) die Summe zweener Winkel LKM -{- KLM kleiner als
der aussen an dem dritten liegende
Winkel LMq. Denn es ist
LMK + LKM + KLM < 180 Gr.
Hingegen
180 Gr. = LMK -i- LMq.
Demnach
LKM -j- KLM < LMq.
Und wenn KM = ML ist: so ist LKM kleiner als die Hälfte
von LMq.
§. 79.
Man sieht leicht, dafs sich auf diese Art bey der dritten Hypo-
these noch weiter gehen läfst; und dafs sich ähnliche Sätze auch bey
der zwoten finden lassen, doch mit ganz entgegengesetztem Erfolge.
Ich habe aber vornehmlich bey der dritten Hypothese solche Folg-
sätze aufgesucht, um zu sehen, ob sich nicht Widersprüche äufsern
würden. Aus Allem sah ich, dafs sich diese Hypothese gar nicht
leicht umstossen läfst. Ich werde demnach noch einige solcher Folg-
sätze anführen, ohne darauf zu sehen, wiefern sie auch bey der
zwoten Hypothese mit gehöriger Veränderung gezogen werden können.
Die erheblichste von solchen Folgen ist, dafs, wenn die drUte
Hypothese statt hatte, wir ein absolutes Maafs der Lange jeder Linien,
des InhaUs jeder Flächenraume und jeder horperlichen Baume haben
würden. Dieses stöfst nun einen Satz um, den man ohne Bedenken
Fig. XVI.
200
Job. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
unter die Grundsätze der Geometrie rechnen kann, und woran bisher
noch kein Mensch gezweifelt hat, dafs es nehralich kein solches abso-
lutes Maafs (jche. Es machte zwar Wolf einen Lehrsatz daraus, indem
er die Definition der Grosse (Quantitas) so einrichtete, dafs er im
Folgenden daraus herleiten konnte: Quantitas dari sed non per se
351 infelligi potesf. | Allein dieser Lehrsatz mufs, so wie die Definition, ge-
ändert werden, weil es unstreitig Grossen giebt, die für sich kenntlich
sind, und eine bestimmte Einheit haben. Bey Linien, Flächen und
körperlichen Räumen gilt derselbe allerdings; und da glaube ich nicht,
dafs man, um ihn in der Geometrie anzubringen, erst eine Definition
dazu zurechte machen müfste.
§. 80.
Um aber die erst erwähnte Folge zu beweisen; so seyn in J., B,
C, I), E (Fig. XX.) rechte Winkel; und es werden, bey der dritten
Hypothese, G, F, H, J spitze, und zwar
H <i G, und J <iH\ imd eben so F <i G
und J <C F seyn. Nun sage ich, der Winkel
G sey das Maafs des Viereckes ABGB,
wenn nehmlich AJB = AD ist; und eben
so sey der Winkel J das Maafs des Vier-
eckes ACJE, wenn AC ^ AE ist.
Denn, mit Beybehaltung der Gleichheit
der Seiten AB = AD und der rechten ^^ inkel
A, B, D, wird der spitze Winkel G bey
keinem andern Vierecke passen, als bey
solchen, deren Seiten AB, AD die absolute Länge von AB, AD
haben. Man nehme z. E. grossere Seiten AE=AC, und mache in
E, C rechte Winkel: so ist bey der dritten Hj^pothese der Winkel
J<CG. Demnach pafst G nicht auf J. Wäre AE ^^ AC kleiner
als AD = AB genommen worden: so würde J^ G herausgekommen
seyn; und so würde G ebenfalls nicht auf J gepafst haben.
Demnach ist der Winkel G das absolute Maafs des Viereckes
ADGB. Da die Winkel ein für sich kenntliches Maafs haben: so
dürfte man z. E. wenn AB = AD ein Pariser Fufs, und dabey der
Winkel G^ = 80 Gr. wäre, nur sagen, man soll das Viereck ADGB
so grofs machen, bis der Winkel 6^ = 80 Gr. würde: so werde man
die absolute Länge eines Pariser Fufses auf AB = AD haben.
Diese Folge hat etwas Reizendes, welches leicht den Wunsch
352 abdringt, die dritte Hypothese mochte doch wahr | seyn!
Allein ich wünschte es, dieses Vortheils unerachtet, dennoch
A
E
F
j
\
a
H
\
li
rig. XX.
.'5) Theorie der Parallel-Linien. Dritte Hypothese. §. 79—81. 201
nicht, weil unzäliliclie andre Unbequemliclikeiten dabey mit seyn
würden. Die trigonometrischen Tafeln würden unendlich weitläuftig;
und die Aehnlichkeit und Proportionalität der Figuren würde ganz
wegfallen; keine Figur Heise sich anders als in ihrer absoluten Grofse
vorstellen; um die Astronomie wäre es übel bestellt; u. s. w.
§• 81.
Jedoch dies sind Argumenta ab amore & inuidia duda, die aus
der Geometrie, so wie aus allen Wissenschaften, ganz wegbleiben
müssen.
Ich wende mich demnach wiederum zu der dritten Hypothese.
Bey dieser ist nicht nur, wie wir vorhin gesehen haben, in jedem
Triangel die Summe der drey Winkel kleiner als 180 Gr. oder zween
rechte Winkel; sondern der Unterschied von 180 Gr. wächst schlecht-
hin nach dem Flächenraume des Triangels; das will sagen: wenn von
zween Triangeln der eine einen grossem Flächenraum hat, als der
andre: so ist in dem erstem die Summe
der drey Winkel kleiner als sie in dem
andern ist.
Ich werde diesen Satz hier nicht so
ausfixbrlich beweisen, als ich ihn vortrage,
sondern von dem Beweise nur so viel an-
führen, dafs sich das üebrige daraus über-
haupt begreifen läfst.
Es sey z, E. in dem Triangel ÄCB
(Fig. XXIII.) der Triangel EFG, so dafs des Letztern Ecken auf die
Seiten des erstem stossen. Da auf diese Art EFG ganz in ABC
ist: so ist der Raum des erstem unstreitig kleiner als der Raum des
Letztern. Nun ist die Summe der Winkel:
EFG + EGF-\- GEF= 180 Gr. — a.
EGA-\-EAG + AEG= 180 Gr. — h.
FGB + GBF + GFB = 180 Gr. - c.
FCE + FEG + EEG = 180 Gr. - d.
Hingegen 353
EGA + EGF+ FGB = 180 Gr.
AEG -f GEF + EEG = 180 Gr.
EEG -f EFG -f GFB = 180 Gr.
Ziehet man die Summe dieser drey letztern Gleichungen von der
Summe der vier erstem ab: so bleibt
GAB + ABC + BGA =^ 180 Gr. — a — h — c — d.
202 Joh. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
Da demnach liier nicht nur a, sondern a -\- h -\- c -{- d von 180 Gr.
abgezogen werden mufs: so sieht man, dafs sich bey dem Triangel
ABC alle Defecte a, h, c, d der vier Triangel AEG, ECF, FBG,
GEF zusammenhäufen, und demnach die Summe seiner drey Winkel
um so viel mehr kleiner als 180 Gr. ist.
Kann das kleinere Dreyeck nicht ganz in das grossere gelegt
werden: so steht etwas davon voraus, und dieses wird abgeschnitten
und in das hervorstehende des grossem Dreyeckes gelegt, und allen-
falls so fortgefahren, bis das nunmehr in Theile zerschnittene kleinere
Dreyeck ganz im grossem liegt. Der im grSssern unbedeckt bleibende
Raum wird in Triangel zerfallt. So viel nun die Summe aller Winkel
in diesen Triangeln kleiner ist als eben so vielmal 180 Gr. um eben
so viel ist die Summe der drey Winkel des grossem vorgegebenen
Dreyeckes kleiner als die Summe der drey Winkel des vorgegebenen
kleinern Dreyeckes.
§. 82.
Wenn es bey der dritten Hypothese möglich wäre, mit gleichen
und ähnlichen Triangeln einen grossem Triangel zu bedecken: so
wurde es sich auch leichte darthun lassen, dafs bey jedem Triangel
der Ueberschufs von 180 Gr. über die Summe seiner drey Winkel
dem Flächenraume des Triangels proportional wäre. Indessen da sich
dieser Ueberschufs nach dem Räume richtet: so läfst sich dennoch
eine solche Proportionalität auf eine andre Art gedenken.
Man setze z. E. zween Triangel. Der eine habe doppelt so viel
354 Flächenraum als der andre: | so wird ersterer, so viel man will, zer-
schnitten, doppelt auf den andern gelegt Averden können. Und wenn
der kleinere um a Gr. in Absicht auf die Summe seiner Winkel von
180 Gr. abgeht: so Avird der grossere um 2a Gr. davon abgehen. —
Ich werde nun noch folgende Anmerkung beyfügen. Bey der
zwoten Hypothese kommen ganz ähnliche Sätze vor, nur dafs dabey
in jedem Triangel die Summe der drey Winkel grosser als 180 Gr.
wird. Der Ueberschufs proportionirt sich ebenfalls nach dem Flächen-
raume des Triangels.
Hierbey scheint mir merkwürdig zu seyn, dafs die zwote Hypo-
these statt hat, wenn man statt ebener Triangel sphärische nimmt,
weil bey diesen sowohl die Summe der Winkel grosser als 180 Gr.
als auch der Ueberschufs dem Flächenraume des Triangels propor-
tional ist.
Noch merkwürdiger scheint es, dafs, was ich hier von den sphä-
rischen Triangeln sage, sich ohne Rücksicht auf die Schwierigkeit
3) Theorie der Parallel-Linien. Dritte Hypothese. §. 81 — 83.
203
der Parallellinieu ei weisen lasse, und keinen andern Grundsatz voraus-
setzt, als dafs jede durch den Mittelpunkt der Kugel gehende ebene
Fläche die Kugel in zween gleiche Theile theile.
Ich sollte daraus fast den Schlufs machen, die dritte Hypothese
komme bey einer imaginären Kugelfläche vor. Wenigstens mufs
immer Etwas seyn, warum sie sieh bey ebenen Flächen lange nicht
so leicht umstossen läfst, als es sich bey der zwoten thun liefs.
§. 83.
Was ich erst von den Triangeln sagte, gilt auch von den vier-
eckichten Figuren. Weil jede sich in zween Triangel zerfallen läfst:
so beträgt, bey der dritten Hypothese, die Summe der vier Winkel
eines Viereckes weniger als 360 Gr. und der Unterschied ist dem
Flächenraume des Viereckes proportional.
Es seyn nun (Fig. XIX.) in E, r, G, F, E, A, &c rechte Winkel,
und HG = GF = FE = EA = &c, so sind bey der dritten Hypo-
these die Perpendikularen Hr, Gl, Fh, Ei, \ AM, Bn, &c nicht nur 355
R
IC
J
]\r
9
.k
JV:
JI
Fig. XIX.
B
n
der Ordnung nach grosser, sondern sie nehmen immer um mehr zu.
Dieses macht, dafs auch der Flächenraum, die Vierecke HrlG, GlkF,
FhiE, &c immer grosser, und eben so wie die Perpendikularen immer
um mehr grosser werden. Demnach ist die Summe der 4 Winkel
nicht nur immer kleiner, sondern immer um mehr kleiner als 360 Gr.
Da nun die Linien rp, HD gerade sind: so lassen sich die sämtlichen
Vierecke, oder so viel deren hintereinander liegend genommen werden,
in Eines zusammennehmen; und da die an einander stossenden Winkel
in l, Je, i, &c G, F, E, &c immer zusammen =180 Gr. sind: so
werden bey jedem neu addirten Vierecke von der Summe der Winkel
360 Grade weggeworfen. Und so ist z. E. die Summe der Winkel
H, r, l, G = 360GY. — a.
H, r, k, F= 360 Gr. — 2a — /3.
H, r, i, ^ = 360 Gr. — 3a — 2/3 — y.
H, r, M, A = 360 Gr. — 4a — 3/3 — 2y — d.
&e &c &c
204 Joli. lieinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
Kami man nun damit immer fortfahren: so wird nothwendig
folgen, dafs mau zuletzt auf Vierecke verfällt, in welchen die Summe
der vier Winkel kleiner als drey rechte Winkel sind. Es sey HrpD
ein solches Viereck. Da nun bereits in H, r, D drey rechte Winkel
sind: so ist
7/ + r + 7) + j) > 270 Gr.
Und dieses stofst die Folge, und mit derselben entweder die ganze
dritte Hypothese, oder den Satz um, dafs die aus G, F, E, Ä, B, &c
errichtete Perpendikularen irgend aufhören, die Linie rii zu schneiden*).
Allein, wenn auch dieses wäre: so würden die Ordinaten dennoch bis
ins Unendliche Avachsen, und demnach der Raum des letzten Viereckes
so vielmal den Raum des ersten HrLG fassen, dafs die Summe der
Winkel kleiner als 270 Gr. wäre.
Indessen werde ich darauf nicht bestehen, weil man allerdings
356 vorerst die | Vermuthung heben mufste, es mochten die Vierecke
gerade aufhören möglich zu seyn, wo die Summe der vier Winkel
= 270 Gr. würde. Es kommt demnach vielmehr darauf an, ob die
aus den Punkten G, F, E, A, B, &c errichteten Perpendikularen die
Linie rp sämtlich schneiden?
Wollte man diese Frage auf die blofse Vorstellung der Sache an-
kommen lassen: so sage ich nochmals, dafs dabey der Begriff einer
geraden Linie ganz wegfällt. Und ich würde, statt des Uten Eukli-
dischen Grundsatzes, allemal lieber als für sich evident annehmen,
dafs eine Linie, die die PerpendiJudare Hr recJdidnJdicM schneidet, und
sich sodann z. E. längs der Berpendiladare Dp, ohne diese zu schneiden,
aufwärts zieht, Iceine gerade Linie sein könne.
§. '84.
Da es aber die Frage ist, ob sich, ohne Zuziehung neuer Grund-
sätze, die dritte Hypothese vermittelst der übrigen Euklidischen Grund-
sätze umstossen lasse: so bleiben bey der gegenwärtigen Betrachtung
noch zween Wege zu versuchen.
Der erste, wenn sichs aus der dritten Hypothese selbst folgern
liefse, dafs die Perpendikularen Gl, Fl', Ei, &c sämtlich die Linie rp
schneiden müssen. Könnte dieses geschehen: so würde, vermöge des
vorhin erwiesenen, die Hypothese sich selbst umstossen. Ich habe
*) [Wir sind geneigt zu glauben, dafs Lambert nicht „irgend" sondern „nir-
gend" geschrieben hat ; wenigstens giebt der jetzige Wortlaut keinen Sinn. Das
Folgende bezieht sich ja offenbar auf den Fall, dafs die Perpendikularen auf-
hören, rj) zu schneiden; man vergleiche dazu §. 7-2.]
3) Theorie der Parallel-Linien. Dritte Hypothese. §. 83— 8G.
205
es nicht versucht, weil es mir sehr wenig wahrscheiulicli vorkam,
und dabey immer Ausfluchte bleiben.
Der andre Weg ist, wenn sich erstbemeldtes Durchschneiden aus
den übrigen Euklidischen Grundsätzen herleiten lafst. Auch hierüber
habe ich nichts gefunden, das mir völlig Genügen gethan hätte; un-
geachtet sich die Sache vielfältig auf solche Sätze reduciren läfst, die
ganz augenscheinlich wahr sind.
Es seyn z. E. in Ä, D, C (Fig. XX.) rechte Winkel; und man
steht an, ob CH, DH sich schneiden. Es sey ACy- AD: so trage
man AC aus -4 in E, und ziehe EJ auf
AE senkrecht: so ist | erstlich für sich IfiL \LL K_ 357
klar, dafs, wenn EJ, CJ sich schneiden,
der Durchschnitt H nothwendig auch statt
habe. Setzt man nun auf EC einen gleich-
seitigen Triangel, wovon jede Seiten = EC
sind: so wird EJC allemal innerhalb dem
gleichseitigen Triangel fallen.
Allein den Beweis dazu habe ich nicht
finden können.
Hingegen liefs es sich beweisen, dafs,
wenn man den gleichseitigen Triangel umlegt, EAC ganz in den-
selben fällt, weil man weifs, dafs A ein rechter Winkel ist.
-1 D
h
E
P
./
a
H
\
B
Fig. XX.
§. 85.
Wiederum sey AB ^^ AB-^ in A, B, B rechte Winkel; und man
steht an, ob BG, BG sich schneiden? Trägt man nun AB aus B
in E, und beschreibt auf AE einen gleichseitigen Triangel: so wird
allemal der Durchschnittspunkt G in denselben fallen.
Hier wäre nun nur zu beweisen, dafs in jedem gleichseitigen
Triangel jeder Winkel grosser als 45^, das will sagen, grosser als
der Winkel GAB = GAB ist. Dafs jeder grosser sey als der
Winkel GEA, wenn nehmlich AC = AE gemacht wird, das kann
bey der dritten Hypothese leicht erwiesen werden.
§. 86.
Wiederum, wenn man ansteht, ob EJ, CJ sich schneiden: so
darf man nur ACr mitten durch A ziehen, so dafs GAB = GAB
= 45 Gr. sey. Fällt man nun aus jedem Punkt G eine senkrechte
GB auf AE, und man kann beweisen, dafs AB grosser als die
206
Joh. Heinr. Lamberts Theorie der Parallellinien.
Hälfte, oder auch nur gn'isser als „ , . , 2C von ÄG sey: so wird
der Durchschnitt J ebenfalls erwiesen seyn, weil AJ kleiner als das
2, 3, 4, :c fache von ÄE seyn wird. Dafs es Fälle giebt, wo
J.Z)> — ^G ist, wird leicht erwiesen.
§. 87.
In dem Cirkel ÄC (Fig. XXIV.) seyn AE, EB, BF, FC, &c
Oetanten. Man ziehe die Vierecke ABCD, EFHG: so werden die
Durchschnittspunkte J, K, L ebenfalls
in einem conceutrischen Cirkel herum-
358 E^ — ^^(^-^~r^^ — V^ liegen, | und die Winkel JMK, KML, &c
Oetanten seyn. Man ziehe nun JL: so
wird leicht bewiesen, dafs MB > BK,
c demnach MB>^MK oder MB>^MJ
ist. Denn £"^^=90 Gr. Demnach
E KB <90 Gr. Folglich J^L> 90 Gr.;
JKM> 45 Gr. Da nun J3IK 45 Gr.
ist: so ist BM> BK
Auf diese Art lafst sichs von jedem
Cirkel auf einen kleinern schliessen.
Man mufste nur auch beweisen können, dafs, wenn man jenen, so viel
man will, vergrossert, dieser nicht zurücke bleibe. Und dieses wird
man erhalten, sobald man erweisen kann, dafs entweder EB = BK,
oder auch nur EB < JK, oder EB < B3f, oder, ohne Rücksicht auf
den äussern Cirkel, der Winkel JKL stumpf ist.
§. 88.
Man sieht aus Allem diesem, dafs, so leicht die zwote Hypothese umzu-
stossen war, es noch ganz im Gegentheil mit der dritten viel härter halte.
Ich übergehe noch mehrere solcher Versuche; und werde nun
ü
K
i\r
IL
J-'
Fig. XIX.
J3
(Fig. XIX.) AB= BC= C'D = &c und in A, B, C, D &c rechte
Winkel, und A3£ =^ BN= CQ = DB = &c setzen. Dabey sind nun
3) Theorie der Parallel- Linien. Dritte Hypothese. §. 80—88. 207
die Winkel AMN = MNB ^ BNQ = NQC = CQP=QFD = &c,
zufolge der dritten Hypothese, sämtlicli spitze, und MN=NQ= QP=kc.
Das will nun sagen: MNQP ist nicht eine gerade Linie, sondern ein
Theil eines regulären Vieleckes, das sich in einen Cirkel beschreiben
läfst, dessen Mittelpunkt unterhalb M auf jeder der Linien 3lÄj NB,
QC, PB, &c ist. (§. 20.) Da nun damit B, C, B, &c nicht mehr
rechte Winkel seyn können: so wird dadurch die Voraussetzung und
mit derselben die dritte Hypothese umgestossen.
208 Lamberts Theorie der Parallellinien. Abweichungen vom Original.
Abweichungen vom Original.
S. 157, Z. 4 V. u. (S. 144, Z. 15 v. o.). Im Urtext steht nach „Vortrag" ein Komma.
S. 165, Z.8 v.u. (S. 154, Z. 2 v. o.) (Prop. XIV) statt: (Prop. XIII).
S. 172, Z. 22, 21, 18, 17, 16, 15, 3 und 1 v. u., Seite 173, Z. 2 v. o (S, 161, Z. 5,
5, 8, 8, 9, 10, 18, 21 und 23 v. o.) b statt ß.
S. 174, Z. 19 V. u. (S. 163, Z. 1 v. o.) aus B statt: aus b.
S. 175, Z. 2 V. 0. (S. 163, Z. 11 V. u.) D Fh statt DFE.
S. 184, Z. G T. u. (S. 334, Z. 16 v. o.) K statt M.
S. 187, Z. 6 V. 0. (S. 336, Z. 4 v. u.) H statt JT.
S. 188, Z. 12 V. 0. (S. 338, Z. 9 v. o.) GF statt G^/".
S. 199, Z. 8 V. 0. (S. 350, Z. 1 v. o.) AF < J DF statt: D F :> ^- AF.
S. 204, Z. 4, 6, 12 y. o. (S. 355, Z. 11, 10, 3 v. u.) R statt r.
S. 205, Z. 15 V. 0. (S. 357, Z. 4 v. o.) Seite statt: Seiten.
In Figur V ist b für ß gesetzt worden, um sie mit dem Texte in Übereinstimmung
zu bringen; ferner ist der Buchstabe 0 ergänzt.
In Figur VII des Originals ist Dßt eine gerade Linie, während nach dem Texte
Kßt ein Cirkelbogen ist, der die Gerade Dt m t berührt; dem entsprechend
mufste die Figur geändert werden.
In Figur XIII ist der Punkt zwischen A und E^ dem Texte entsprechend, mit
G statt mit C bezeichnet.
Die in runde Klammem eingeschlossenen Seitenzahlen beziehen sich auf die
Originalausgabe im Leipziger Magazin für Mathematik, Jahrgang 1786.
CARL FRIEDRICH GAUSS
1777—1855.
Stäckel u. Engel, Paralleleutheovie. 14
In der Einleitung zu Lamberts Theorie der Parallellinien
hatten wir berichtet, dafs etwa vom Jahre 1780 an die Frage nach
dem Beweise der fünften Forderung die Aufmerksamkeit der Mathe-
matiker immer mehr und mehr zu fesseln beginnt. Nunmehr wollen
wir diese Bewegung in grofseu Zügen darstellen.
Während bisher nur wenige französische Forscher erwähnt werden
konnten, wird es am Ende des achtzehnten Jahrhunderts ganz anders:
fast alle die grofsen französischen Mathematiker dieser Zeit haben
den Grundlagen der Geometrie ihr Interesse zugewendet.
„Die Erklärung und die Eigenschaften der geraden Linie,
sowie der parallelen Geraden, sind die Klippe und sozu-
sagen das Argernifs der Elemeutargeometrie", hatte d'Alem-
bert in einem bemerkenswerten Aufsatze über die Elemente der
Geometrie 1759 ausgerufen und hatte hinzugefügt, man könne aller-
dings parallele Gerade als solche erklären, die auf einer dritten
Geraden senkrecht stehen, dann aber sei unbedingt erforderlich, zu
beweisen, dafs der Abstand der beiden Geraden immer gleich dem
gemeinsamen Lote sei. In ähnlicher Weise äufserte sich d'Alembert
in dem Artikel Parallele der Encyclopedie; der betreffende Band ist
erst nach seinem Tode, 1789, erschienen.
Fourier schlug 1795 neue Erklärungen der Geraden und der
Ebene vor, bei denen er von dem Begriffe der Beweguno- auso-ing und
mit der Kugel begann; es ist das ein Gedanke, der sich in neuereu
Untersuchungen über die Grundlagen der Geometrie als sehr fruchtbar
erwiesen hat.
Dafs auch Lagrange die fünfte Forderung beweisen wollte, wissen
wir aus einer Mitteilung von Lefort, die Hoüel in seinen Essai
critique (1867) aufgenommen hat: „Lagrange hatte erkamit, dafs
die Formeln der sphärischen Trigonometrie von dem elften Axiome
unabhängig sind, und hoffte hieraus einen Beweis dieses Axioms zu
gewinnen. Alle andern Beweis versuche betrachtete er als ungenügend.
So hat er sich in seinen Unterhaltungen mit Biot ausgedrückt."
14*
212 Einleitung zu den Aufserungen von Gaufs
Auf diesen Beweisversuch dürfte sich wohl folgende Erzählung
de Morgans beziehen:
„Lagrauge verfafste am Ende seines Lebens eine Abhandlung
über die Parallellinien. Er begann sie in der Akademie zu lesen, aber
plötzlich hielt er inne und sagte: II faut que j'y souge encore;
damit steckte er seine Papiere wieder ein."
In engem Zusammenhange mit der Parallelentheorie stehen auch
Untersuchungen über das Parallelogramm der Kräfte, die Daviet de
Fonceuex 1759 veröffentlichte; ihre Grundgedanken hatte wahrschein-
lich der junge Lagrange seinem Freunde mitgeteilt.
In der Eiiileitunp; zu Wallis haben wir darauf hingewiesen, dafs
Laplace sich ebenfalls mit der Begründung der Euklidischen Geo-
metrie beschäftigt hat; die betreffenden Bemerkuugen in der Expo-
sition du Systeme du monde stammen aus dem Jahre 1824.
Am folgenreichsten für die Geschichte der Parallelentheorie wurden
jedoch die Arbeiten von Adrien Marie Legend re (1752 — 1833).
In der ersten Auflage seiner Elemente der Geometrie vom Jahre
1794 zeigte Legendre, dafs die fünfte Euklidische Forderung gleich-
bedeutend ist mit dem Lehrsatze, dafs die Winkelsumme des Dreiecks
zwei Rechte beträgt, und gab für diesen Lehrsatz einen analytischen
Beweis, dessen wir schon in der Einleitung zu Wallis gedacht haben.
Dieser Beweis geht davon aus, ,^dafs die Wahl der Längeneinheit für
die Richtigkeit des zu beweisenden Lehrsatzes gleichgiltig ist", an
Stelle des Parallelenaxioms tritt also, wie bei Wallis, das Axiom von
der Existenz ähnlicher Figuren.
Aber Legendre erkannte bald, dafs dieser analytische Beweis
für Anfänger zu schwer sei, und liefs ihn deshalb fallen. In der dritten
Auflage findet man daher an dessen Stelle einen rein geometrischen
Beweis des Satzes, dafs die Winkelsumme des Dreiecks nicht gröfser
sein kann als zwei Rechte; das Beweisverfahren erinnert lebhaft an
das von Saccheri und Lambert für denselben Zweck angewandte.
Später ersetzte Legendre diesen Beweis abermals durch einen andern.
Dieser beruhte auf wiederholter Anwendung der Konstruktion, deren
sich Euklid in I. 16 bedient, um zu zeigen, dafs der Aufsenwinkel
gröfser sein muTs als jeder der gegenüberliegenden inneren Winkel.
Dagegen gelang es Legendre nicht, in entsprechender Weise zu
zeigen, dafs die Winkelsumme nicht kleiner sein kann als zwei
Rechte, und er kehrte daher in der neunten Auflage zu der Dar-
stellung Euklids zurück.
In der zwölften Auflage von 1823 behauptete er, endlich auch diesen
bisher vermifsten Beweis geben zu können. Er gebrauchte jedoch dabei
über die Parallelentheorie. 213
ein Axiom, das im Grunde mit dem zu Leweisenden Satze gleich-
bedeutend ist, es soll nämlich, wenn innerhalb eines Winkel-
raums irgend ein Punkt gegeben ist, stets möglich sein, durch
ihn Gerade zu ziehen, welche die beiden Schenkel des Win-
kels schneiden. Dieses Axiom war übrigens nicht neu, bereits 1791
hatte es Lorenz in seinem vortrefflichen Grundrifs der reinen
Mathematik zum Beweise der fünften Forderung benutzt.
Eine zusammenfassende Darstellung seiner Untersuchungen über
die Parallelentheorie hat Legend re im Jahre 1833 gegeben. Hier
hat er auch gezeigt, dafs die Winkelsumme des Dreiecks stets zwei
Rechte beträgt, sobald das bei einem einzigen Dreieck der Fall ist.
Wir wissen, dafs dieser Satz bereits hundert Jahre früher von
Saccheri bewiesen worden ist, und bemerken noch, dafs auch die Art
des Beweises bei Legendre im Wesentlichen dieselbe ist wie bei
Saccheri.
Wenn Legendre am Schlüsse der Abhandlimg von 1833 sagt,
dafs die Parallelentheorie durch seine Untersuchungen nach
zweitausend Jahren vergeblicher Bemühungen endlich zu
einem befriedigenden Abschlufs gekommen sei, so war er in
einem verzeihlichen Irrtume befangen: weder die Ergebnisse seiner
Untersuchungen noch die Methoden, die ihn zu diesen Ergebnissen
führen, können als ein ■wesentlicher Fortschritt gegenüber den
Leistungen von Wallis, Saccheri und Lambert bezeichnet werden.
Andrerseits mufs hervorgehoben Averden, dafs die grofse Verbreitung,
deren sich Legend res Elemente — und gewifs mit Recht — in
Frankreich wie in Deutschland erfreut haben, wesentlich dazu bei-
getragen hat, das Interesse für die Parallelentheorie zu beleben, und
dafs Legendre insofern in der Geschichte der Parallelentheorie eine
hervorragende Rolle spielt; rein äufserlich zeigt sich das schon darin,
dafs in den zahlreichen Parallelentheorien der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts immer wieder auf Legendre Bezug genommen wird,
während jene älteren Versuche ganz in Vergessenheit gei-aten waren.
Während desselben Zeitraumes waren auch England und Italien
der Schauplatz ähnlicher Bestrebungen, wie das unser Litteraturver-
zeichnis am Schlüsse des Werkes nachweist; Genaueres können wir
freilich nicht mitteilen, weil uns die betreffenden Schriften gröfsten-
teils unzugänglich geblieben sind.
Wie stand es unterdessen in Deutschland? Auch hier begegnen
wir angestrengter Bemühung, das Parallelenaxiom zu beweisen, finden
wir die innige Überzeugung, das erlösende Wort gesprochen zu haben.
214 Einleitung zu den Äufserungen von Gaufs
aber daueben sehen wir, dafs Klügeis Skepticismus und Kaestners
Resignation Nachfolge gefunden hatten. Sehr bezeichnend für diesen
Standpunkt ist eine Besprechung in dem Stück der Göttingischen
gelehrten Anzeigen vom 9. März 1801 (S. 407 — 408), die wir wort-
getreu wieder abdrucken:
„Hamburg.
Demonstratio theorematis parallelarum. Ex officina Schnie-
besiana 1799. 30 S. in Octav.
Der uns unbekannte Verfasser schlägt den von Mehreren vor ihm
betretenen Weg ein, das XL Axiom des Euklides zu beweisen.
Natürlich bedarf es auch bey ihm eines neuen Axioms, das er zu
Hülfe nimmt. Es ist dieses: Recta linea et curva nequeunt esse
aeque distantes. Diesem Axiom gehet begreiflich die Definition von
liueis aequidistantibus voran. Bey der Definition der Parallel-Linien, die
nach dem Axiome folgt, liegt der Begrifl:' von Bewegung zu Grunde.
Die Begriffe von Distanz, von Bewegung, von krummen Linien, ge-
hören nicht in die reine Elementar-Geometrie; aber, abgesehen von
diesem, so ist auch dieses Axiom kein für sich selbst einleuchtender
Satz, und bedarf gar sehr eines Beweises. Die beiden Simpson,
Robert und Thomas, haben sich schon dieses Axioms mit vielem
Scharfsinn, aber mit wenig Glück, bedient, wenn gleich diese beiden
Versuche, als Versuche, oben an stehen. Also mit diesem Axiom das
XL Axiom des Euklides begründen oder beweisen zu wollen, scheint
dem Rec. ungeometrisch, so schön und strenge auch die Theoreme und
Beweise der Schrift sind, die darauf gebauet werden. Dafs dieses aber,
ohne ein neues Axiom zu Hülfe zu nehmen, überhaupt nur möglich sey,
scheint wohl mehr als zweifelhaft zu werden, wenn man alle Versuche,
von dem des Ptolemäus an bis auf Franceschini 's (Professors in
Bologna: „LaTeoria delle parallele rigorosamente dimostrata",
gedruckt zu Bassano), betrachtet. Das rigorosamente des letztern
ist ein wahres desideratum, auch wenn man seine Theorie gelesen hat:
denn in dem Beweise seines Fundamental-Theorems liegt ein offenbarer
Paralogismus, von dem es unbegreiflich ist, wie er einem in der Schule
der Alten gebildeten Geometer verborgen bleiben konnte."
Für den Verfasser dieser anonymen Besprechung halten wir
K. F. Seyffer (1762—1822), der von 1789 bis 1804 aufserordentlicher
Professor der Astronomie und Direktor der Sternwarte in Göttingen
war. Das unmittelbar vorhergehende Stück der Anzeigen vom 7. März
1801 enthält nämlich auf S. 377 — 387 eine sehr interessante Besprechung
des Tentamen novae parallelarum theoriae von Schwab, die mit
der vom 9. März desselben Jahres nach Stil und Inhalt die gröfste Ahn-
über die Parallelentheorie. 215
lichkeit hat. Dafs aber die Anzeige vom 7. März Seyffer zum Ver-
fasser hat, erzählt Voit in seiner 1802 zu Göttingen erschienenen
Dissertation: Percursio conatuum demonstrandi parallelarum
theoriam de iisque Judicium, die vermutlich einer Anregung
Seyffers ihre Entstehung verdankt. Übereinstimmend mit Seyffer
kommt Voit zu dem Ergebnis, dafs der Beweis des Parallelenaxioms
noch ein frommer Wunsch sei, und läfst dahingestellt, ob die Schwie-
rigkeiten überhaupt beseitigt werden können.
Ahnliche Ansichten über den Beweis der fünften Forderung
scheint Pfaff gehabt zu haben; er meinte, wie Hessling 1818 be-
richtet, das einzige, was sich noch thun liefse, sei, das Parallelenaxiom
durch ein einfacheres zu ersetzen, es zu „simplificieren."
Von diesem Skepticismus zu einem thatkräftigen Handeln über-
zugehen, sich von der zweitausendjährigen Autorität Euklids zu
emancipieren und eine Geometrie unabhängig vom Parallelenaxiom
aufzubauen: das war auch nach den Vorarbeiten von Saccheri und
Lambert immer noch ein gewaltiger Schritt. Diesen Schritt gewagt
zu haben, ist das Verdienst von Carl Friedrich Gaufs.
Gaufs hat sich, wie er in Briefen an Bessel und Schumacher
aus den Jahren 1829 und 1831 erzählt und wie durch einen Brief an
seinen Jugendfreund Wolfgang Bolyai aus dem Jahre 1799 be-
stätigt wird, seit 1792 mit der Theorie der Parallellinien beschäftigt,
er hat jedoch darauf verzichtet, seine ausgedehnten Untersuchungen
über diesen Gegenstand öffentlich bekannt zu machen. Andeutungen
über seine Ansichten finden sich allerdings in zwei Besprechungen, die
1816 und 1822 in den Göttinger gelehrten Anzeigen ohne Nennung
des Verfassers erschienen sind. Hier spricht Gaufs die Überzeugung
aus, „dafs alle bisherigen Versuche, die Theorie der Parallellinien streng
zu beweisen, oder die Lücke in der Euklidischen Geometrie auszufüllen,
uns diesem Ziele nicht näher gebracht haben", und läfst durchblicken,
dafs seine eignen Untersuchungen über das Bekannte hinausgehen.
Wie Gaufs an Schumacher schreibt, hat er erst im Jahre 1831
einiges über seine Untersuchungen aufzuschreiben angefangen: „ich
wünschte nicht, dafs es mit mir unterginge", und als ihm sein
Jugendfreund Wolfgang Bolyai das „Tentamen" übersandt hatte,
in dessen Appendix die nichteuklidische Geometrie von Wolfgangs
Sohn, Johann Bolyai enthalten war, antwortet Gaufs 1832 in einem
leider noch nicht veröffentlichten Briefe*), „dafs er überrascht war,
") So erzählt Wolfgang Bolyai in seinem Kurzen Grundriss von 1851.
216 Einleitung zu den Aufserungen von Gaufs
gethan zu sehen, was er begonnen hatte, um es unter seinen
Papieren zu hinterlassen."
Gaufs hatte nicht nur die Erfolglosigkeit aller bisherigen Be-
mühungen, die fünfte Forderung zu beweisen, erkannt, sondern er
wufste auch, dafs es notwendig so sein mufste, weil sich eine von
dem Paralleleuaxiom unabhängige, in sich folgerichtige Geometrie auf-
bauen lässt. Aber alles das hat man erst nach seinem Tode erfahren.
Zuerst veröffentlichte im Jahre 1856 Sartorius von Walters-
hauseu, Professor der Mineralogie in Göttingen, der in persön-
lichem Verkehr mit Gaufs gestanden hatte, Aufserungen, die Gaufs
über die „Antieuklidische" Geometrie gemacht habe:
„Die Geometrie betrachtete Gaufs nur als ein consequentes Ge-
bäude, nachdem die Parallelentheorie als Axiom an der Spitze zuge-
geben sei: er sei indefs zur Uberzeus-unQ; oelans-t, dafs dieser Satz
nicht bewiesen werden könne, doch wisse man aus der Erfahrung,
zum Beispiel aus den Winkeln des Dreiecks Brocken, Hohenhagen,
Inselsberg, dafs er näheruugsweise richtig sei. Wolle man dagegen
das genannte Axiom nicht zugeben, so folge daraus eine andere, ganz
selbständige Geometrie, die er gelegentlich ein Mal verfolgt und mit
dem Namen Antieuklidische Geometrie bezeichnet habe."
Eine wichtige Ergänzung dieser kurzen Mitteilung lieferte dann
der Briefwechsel zwischen Gaufs und Schumacher, dessen zweiter,
1860 erschienener Band einige Briefe aus dem Jahre 1831 enthielt,
die zeigten, dafs Gaufs damals im Besitze einer weit ausgebildeten
nicht- euklidischen Geometrie war. Ein weiterer Brief aus dem Jahre
1846, der im fünften Bande des Briefwechsels 1863 erschien, war in-
sofern von Wichtigkeit, als darin Lobatschefskijs Geometrische
Untersuchungen zur Theorie der Parallellinien (1840) er-
wähnt und als meisterhafte Leistung bezeichnet werden. Wenn wir
noch hinzufügen, dafs 1877 zwei Briefe von Gaufs an Bessel aus
den Jahren 1829 und 1830 veröffentlicht worden sind, so haben wir
wohl alles erschöpft, was bis jetzt von Gaufs'schen Aufserungen
über das Parallelenaxiom durch den Druck bekannt ist.
Der Nachlafs von Gaufs ist Eigentum der Königlichen Gesell-
schaft der Wissenschaften zu Göttingen. —
Im Folgenden geben wir eine, wie wir hoffen, vollständige Samm-
lung aller bis jetzt gedruckten Aufserungen von Gaufs über die
Parallelentheorie. Wir haben geglaubt, sie nach der Zeit ihrer Ent-
stehung ordnen zu sollen; nicht als ob es dadurch möglich wäre, ein
Bild von dem Entwickelungsgange der Gaufs'schen Ideen zu ge-
über die rarallelcntheoric. 217
winnen — dazu reicht das vorliegende Material nicht aus, es ist
jedoch auf diese Weise immerhin erleichtert, die Bedeutung der Ge-
danken von Gaufs gegenüber den gleichzeitigen Arbeiten in der
Parallelentheorie zu würdigen.
Wir geben also im Folgenden :
I. Einen Brief von Gaufs an Wolf gang Bolyai vom- Jahre 1799
nach dem Abdruck in den Abhandlungen der Königlichen Gesell-
schaft der Wissenschaften zu Göttingen, Bd. 22, 1877.
II. Eine Besprechung in den Göttinger gelehrten Anzeigen
vom 20. April 1816 (S. 617— 622); wieder abgedruckt in Gaufs'
Werken, Bd. IV, Göttingen 1873, S. 364-368.
III. Eine Besprechung ebendaselbst in dem Stück vom 28. Oktober
1822 (S. 1725—1728); wieder abgedruckt in den Werken Bd. IV,
S. 368—370.
IV. Zwei Briefe von Gaufs und einen von Bessel aus den Jahren
1829 ulid 1830 nach dem Abdruck in dem Briefwechsel zwischen
Gaufs und Bessel, herausgegeben auf Veranlassung der
Königlich Preufsischen Akademie der Wissenschaften,
Leipzig 1880, S. 490 — 497. Die beiden Briefe von Gaufs waren
bereits 1877 im 22. Bande der Göttinger Abhandlungen, jedoch
ungenau, veröffentlicht worden.
V. Einige Briefe von Gaufs und Schuoiacher, die wir dem
Briefwechsel zwischen C. F. Gaufs und H. C. Schumacher,
herausgegeben von C. A. F. Peters, entnehmen, und zwar
finden sich die Briefe vom Jahre 1831 im Bande 2, Altona
1860, S. 255—262, 266—272 und der Brief von Gaufs vom
Jahre 1846 im Bande 5, Altona 1863, S. 246—247.
Zwei noch nicht gedruckte Aufserungen von Gaufs über die
Parallelenfrage, die aus den Jahren 1820 und 1824 stammen, werden
wir in dem letzten Abschnitte unsers Werkes mitteilen.
218 Litteratur zu Gauls.
LitteratuT.
d'Alembert, 3Iehmges de Litterature, d'Histoire et de Philosophie, 4A^Taie ed. t. V.
Amsterdam 17G7. S. 200—219.
d'Alembert, Artikel Parallele in: Dictionnaire encyclopedique des MatMmatiques,
t. II. Paris 1789. S. 519.
Bolyai, W., Tentamen juventutetn studiosam in elementa matheseos . . . introdu-
cendi. Bd. I. Maros Väsärhely 1832.
Bolj-ai, W., Kurzer Grundrifs eines Versuches usw. Maros Väsärhely 1851.
Bunjakofskij, Conside'rations sur les de'monstrations principales de la theorie des
paralleles, lu le 27. oct. 1843, Nouvelle theorie des paralleles, lu le 12. dec.
1845. Memoires de l'Academie imperiale des Sciences de Saint-Petersbourg,
ßiöme Serie. Sciences mathematiques et i:)hysiques. t. IV. Petersburg 1850.
S. 87—108 und S. 207—232.
Erdmann, B., Die Axiome der Geometrie, eine philosophische Untersuchung der
Riemann-Helmholtzschen Raumtbeorie. Leipzig 1877. Kapitel 1.
Foncenex, Daviet de, Sur les principes fondamentaux de la mechaniqiie. Miscel-
lanea Taurinensia. t. 2. Annee 1760—61. Turin 1761. S. 299—322.
Fourier, Seances des Ecoles normales. Debats. t. I. Nouvelle Edition. Paris
1800. S. 28. (Se'ance An III, Pluviose II.)
Genocchi, Sur un memoire de Daviet de Foncenex et sur les geometries non eucli-
diennes. Memorie dell' Accademia di Torino. Serie II. t. 29. 1878. S. 365.
Günther, S., Die Lehre von den Hyperhelfunktionen. Halle 1881. Kapitel VI.
Günther, S., Artikel Seyffer in der Allgemeinen Deutschen Biographie, Bd. 34,
Leipzig 1892. S. 107.
Halsted, George Bruce, The Non-eucUdean Geometry inevitahle. The Monist.
Vol. 4. Chicago 1894. S. 483—493.
Hessling, C. W., Versuch einer Theorie der Parallelen. Halle 1818. S. XXX,
Hoüel, J., Essai critique sur les principes fondamentaux de la geometrie elementaire.
1. ed. Paris 1867. S. 76; 2 ed. Paris 1883. S. 84.
Laplace, S., Exposition dti Systeme du monde. Oeuvres t. V. S. 445.
Legendre, A. M., Beflexions sur differentes manieres de demontrer la theorie des
2)aralleles oti le theoreme sur la somme des trois angles du triangle. Memoires
de rAcadämie royale des Sciences, t. XII. Paris 1833. S. 365—410.
Lorenz, J. F., Grundriss der reinen und angewandten Mathematik. Helmstedt 1791.
Mansion, P., Sur la Geometrie non euclidienne, Annales de la Societe scientifique
de Bruxelles, ISi^me anne'e, Brüssel 1888/89. I. S. 57—61.
Morgan, Augustus de, Budget of Paradoxes. London 1872. S. 173.
Sartorius. W., von Waltershausen, Gatiss zum Gedächtnifs. Leipzig 1856. S. 81.
Brief von Gauls an W. Bolyai, P]nde 1799. 219
I.
Gaufs an Wolfgaiig von Bolyai in Klausenburg. Ende 1799.
Es tliut mir sehr leid, dafs ich unsere ehemalige gröfsere Nähe*)
nicht benutzt habe, um melir von Deinen Arbeiten über die ersten
Gründe der Geometrie zu erfahren; ich würde mir gewifs dadurch
manche vergebliche Mühe erspart haben und ruhiger geworden sein
als jemand, wie ich, es sein kann, solange bei einem solchen Gegen-
stande noch so viel zu wünschen übrig ist.
Ich selbst bin in meinen Arbeiten darüber weit vorgerückt (wie-
wol mir meine anderen ganz heterogenen Geschäfte wenig Zeit dazu
lassen) allein der Weg, den ich eingeschlagen habe, führt nicht so
wol zu dem Ziele, das man wünscht, als vielmehr dahin, die Wahr-
heit der Geometrie zweifelhaft zu machen. Zwar bin ich auf manches
gekommen, was bei den meisten schon für einen Beweis gelten würde,
aber was in meinen Augen so gut wie nichts beweiset.
Zum Beispiel, wenn man beweisen könnte, dafs ein geradlinigtes
Dreieck möglich sei, dessen Inhalt gröfser wäre, als eine jede gegebene
Fläche, so bin ich im Stande, die ganze Geometrie völlig streng zu
beweisen.
Die meisten würden nun wol jenes als ein Axiom gelten lassen;
ich nicht; es wäre ja wol möglich, dafs, so entfernt man auch die
drei Eckpunkte des Dreiecks im Räume von einander annähme, doch
der Inhalt immer unter einer gegebenen Grenze wäre.
Dergleichen Sätze habe ich mehrere, aber in Keinem finde ich
etwas Befriedigendes.
*) [Bolyai hat von 1796 bis 1799 in Göttingen studiert; am 5. Juni 1799
reiste er von Göttingen nach seiner Heimat ab. Ganfs hatte Göttingen bereits
1798 verlassen und sich dann teils in Braunschweig, teils in Helmstedt auf-
gehalten.]
220 Äufserungen von Gaufs über die Parallelentheorie.
IL
Göttiiigisclie gelehrte Anzeigen. 63. Stück. Den 20. April 1816.
Stuttgardt.
Typis J. F. Steinkopf: Commentatio in primum elementorum Eiiclidis
librum, qua veritatem ffeometriae principiis ontologicis niti evincitur, om-
nesque propositiones, axiomatum geometricorum loco habitae, demonstrantur.
Auetore J. C. Schwab, Regi Württembergiae a consiliis aulicis secretio-
ribus, acadeiuiae scieutiarum Petropolitanae, Bcrolinensis et Harlemensis
Sodali. 1814. 65 Seiten in Octav.
Maynz.
Auf Kosten des Verfassers und in Commission bey Florian Kupferberg:
Vollständige Theorie der Parallel-Linien. Nebst einem Anhange,
in welchem der erste Grundsatz zur Technik der geraden Linie angegeben
\vird. Herausgegeben von Matthias Mette mich, Doctor der Philosophie,
Professor der Mathematik, Mitglied der gelehrten Gesellschaft nützlicher
Wissenschaften zu Erfurt. 1815. 44 Seiten in Octav.
Es wird wenige Gegenstände im Gebiete der Mathematik geben,
über welche so viel geschrieben wäre, wie über die Lücke im Anfange
der Geometrie bei Begründung der Theorie der Parallellinieu. Selten
vergeht ein Jahr, wo nicht irgend ein neuer Versuch zum Vor-
schein käme, diese Lücke auszufüllen, ohne dafs wir doch, wenn wir
ehrlich und offen reden wollen, sagen könnten, dafs wir im Wesent-
lichen irgend weiter gekommen wären, als Euklides vor 2000 Jahren
war. Ein solches aufrichtiges und unumwundenes Geständnifs scheint
uns der "Würde der Wissenschaft angemessener, als das eitele Be-
mühen, die Lücke, die man nicht ausfüllen kann, durch ein unhalt-
bares Gewebe von Scheinbeweisen zu verbergen.
Der Verfasser der erstem Schrift hatte bereits vor 15 Jahren in
einer kleinen Abhandlung: „Tentamen uovae parallelarum theoriae
notione situs fundatae'' einen ähnlichen Versuch gemacht, indem
er Alles auf den Begriff' von Identität der Lage zu stützen suchte. Er
definirt Parallellinien als solche gerade Linien, die einerlei Lage haben,
und schliefst daraus, dafs solche Linien von jeder dritten geraden
Linie nothwendig unter gleichen Winkeln geschnitten werden müssen,
weil diese Winkel nichts anders seien, als das Maafs der Verschieden-
heit der Lage dieser dritten Linie von den Lagen der beiden Parallellinien.
Diese Beweisart ist in der vorliegenden neuen Schrift wiederholt,
ohne dafs wir sagen könnten, dafs sie durch die eingewebten philo-
sophischen Betrachtungen an Stärke gewonnen hätte. Der Behaup-
Eine Besprechung aus dem Jahre 181G. 221
tung S. 24: ,.Notionem situs e geometria adeo non excludi posse, ut
potius notionibus ejus fundamentalibus annumeranda sit, dudum omnes
agnovere geometrae" mufs in dem Sinne, in welchem der Verf. den
Begriff Lage in seinem Beweise gebraucht, jeder Geometer wider-
sprechen. Wenn wir von des Verfassers Definition: „Situs est modus,
quo plura coexistunt vel juxta se existunt in spatio" ausgehen, so ist
Lage ein blofser Verhältnifs-Begriff, und man kann wohl sagen, dafs
zwei gerade Linien Ä^ JB eine gewisse Lage gegen einander haben,
die mit der gegenseitigen Lage zweier andern C, D einerlei ist. Aber
der Verfasser gebraucht das Wort Lage in seinem Beweise als abso-
luten Begriff, indem er von Identität der Lage zweier nicht coincidi-
rendeu geraden Linien spricht. Diese Bedeutung ist offenbar so lange
leer und ohne Haltung, bis wir wissen was wir uns bei einer solchen
Identität denken und woran wir dieselbe erkennen sollen. Soll sie an der
Gleichheit der Winkel mit einer dritten geraden Linie erkannt werden,
so wissen wir ohne vorangegangeneu Beweis noch nicht, ob eben die-
selbe Gleichheit auch bei den Winkeln mit einer vierten geraden Linie
Statt haben werde: soll die Gleichheit der Winkel mit jeder andern
geraden Linie das Criterium sein, so wissen wir wiederum nicht, ob
gleiche Lage ohne Coincidenz möglich ist. Wir stehen mithin nach
des Verf. Beweise noch gerade auf demselben Puncte, wo wir vor dem-
selben standen.
Ein grofser Theil der Schrift dreht sieh um die Behauptung gegen
Kant, dafs die Gewifsheit der Geometrie sich nicht auf Anschauung,
sondern auf Definitionen und auf das Principium identitatis und
das Principium contradictionis gründe. Dafs von diesen logischen
Hülfsmitteln zur Einkleidung und Verkettung der Wahrheiten in der
Geometrie fort und fort Gebrauch gemacht werde, hat wohl Kant
nicht läugnen wollen: aber dafs dieselben für sich nichts zu leisten ver-
mögen, und nur taube Blüthen treiben, wenn nicht die befruchtende
lebendige Anschauung des Gegenstandes selbst überall waltet, kann wohl
niemand verkennen, der mit dem Wesen der Geometrie vertraut ist.
Herrn Schwabs Widerspruch scheint übrigens zum Theil nur auf Mifs-
verständnifs zu beruhen: wenigstens scheint uns, nach dem 16ten Para-
graph seiner Schrift, welcher von Anfang bis zu Ende gerade das
Anschauungs vermögen in Anspruch nimmt, und am Ende beweisen
soll, „postulata Euclidis in generaliora resolui posse, non sensu et
intuitione, sed intellectu fundata", dafs Hr. Schwab sich bei diesen
Benennungen verschiedener Zweige des Erkenntnifsvermögens etwas
anderes gedacht haben. müsse, als der Königsberger Philosoph.
Obgleich der Verfasser der zweiten Schrift seinen Gegenstand
222 Aufserungen von Gauls über die Parallelentheorie.
auf eine ganz andere und wirklich mathematisclie Art behandelt hat,
so können wir doch über das Resultat derselben nicht günstiger
urtheilen. Wir haben nicht die Absicht, hier den ganzen Gang seines
versuchten Beweises darzulegen, sondern begnügen uns, dasjenige hier
herauszuheben, worauf im Grunde alles ankommt.
Man denke sich zwei im Puncte N unter rechten Winkeln
einander schneidende gerade Linien, und fälle von einem Puncte S,
der aufserhalb dieser geraden Linien aber in der-
selben Ebne liegt, senkrechte auf dieselben ST und
SM. Es kommt nun darauf au zu beweisen, dafs
MST ein rechter Winkel wird. Der Verf. sucht
diefs apagogisch zu beweisen; zuvörderst nimmt
er an, 31 ST sei spitz, fället von T auf 31 S das
Perpendikel Tp, und beweiset, dafs p zwischen S und
31 fallen mufs. Hierauf fället er wieder aus ^ auf
NT das Perpendikel pq, wo q zwischen T und N fallen wird. Dann
fället er abermals aus q auf 3IS das Perpendikel q2)', wo ^/ zwischen
j> und 31 liegen wird. Sodann abermals aus 2^' auf NT das Perpen-
dikel p'q' u. s. w.
Diese Operationen lassen sich ohne Aufhören fortsetzen, und so
werden von der Linie 31 S nach und nach die Stücke Sj), pip' u. s. w
abgeschnitten, die jedes eine angebliche Gröfse haben, und deren Zahl
unbegrenzt ist. Der Verfasser meint nun, dafs diefs widersprechend
sei, weil auf diese Weise nothwendig 31 S zuletzt erschöpft werden müfste.
Es ist kaum begreiflich, wie er sich auf eine solche Weise selbst täuschen
konnte. Er macht sich sogar selbst den Einwurf, dafs die Summe der
Stücke Sp, pp u. s. w., wenn diese Stücke immer kleiner und kleiner
werden, doch, ungeachtet ihre Anzahl ohne Aufhören zunehme, nicht
über eine gewisse Grenze hinaus wachsen könnte, und meint diesen
Einwurf damit zu heben, dafs jene Stücke, auch wenn sie immer
kleiner und kleiner werden, doch immer gröfser bleiben, als eine
angeblicJie Gröfse-^ nämlich jene Stücke sind Katheten von recht-
winkligten Dreiecken, und folglich immer gröfser als der Unterschied
zwischen Hypotenuse und der anderen Kathete. Fast scheint es, dafs
eine grammatische Zweideutigkeit den Verf. irre geleitet hat, nämlich
der zwiefache Sinn des Artikels eine angebliche Gröfse. Der Schlufs
des Verf würde nur dann richtig sein, wenn sich zeigen liefse, dafs
die Stücke Sp, pp' u. s. w. immer gröfser bleiben, als Eine bestimmte
angebliche Gröfse, z. B. als der Unterschied zwischen der Hypotenuse
2)T und der Kathete ST. Aber das läfst sich nicht beweisen, sondern
nur, dafs jedes Stück immer gröfser bleibt, als eine angebliche Gröfse,
Zwei Besprechungen aus den Jahren 18 IC und 1822. 223
die aber selbst für jedes Stück eine andere ist, nämlicli S2) grofser
als der Unterschied zwischen pT und S2\ ferner pp' gröfser als der
Unterschied zwischen qp' und qp u. s. w. Hiemit verschwindet nun
aber die ganze Kraft des Beweises.
Auf dieselbe Art, wie er seinen Beweis führen zu können geglaubt
hat, könnte er auch beweisen, dafs in einem ebnen Dreiecke ABC,
worin S ein rechter Winkel ist, C nicht spitz sein könne 5 er brauchte
nur aus B ein Perpendikel BD auf die Hypote-
nuse ÄC zu. fällen, dann wieder das Perpendikel
DJB auf AB und so ohne Aufhören die Perpen-
dikel BF, FG, GH u. s. w. wechselsweise auf A C
und A:ß. Die Stücke CD, DF, FH u. s. w. sind
immer gröfser als der angebliche Unterschied
zwischen Hypotenuse und einer Kathete desjenigen
rechtwinkligten Dreiecks, worin jede der Reihe nach
die andere Kathete ist, demungeachtet erschöpft ihre
Summe offenbar die Hypotenuse, AC nie, so grofs
auch ihre Anzahl genommen wird.
Wir müfsten fast bedauren, bei so bekannten und leichten
Dingen so lange verweilt zu haben, wenn nicht diese Schrift, deren
Verf. es übrigens wirklich um Wahrheit zu thun zu sein scheint,
durch die Art wie sie schon vor ihrer Erscheinung in öffentlichen
Blättern angekündigt wurde, eine mehr als gewöhnliche Aufmerksam-
keit auf sich gezogen hätte. Wir bemerken daher hier nur noch,
dafs der Verf. nachher auf eine ganz ähnliche, und daher eben so nicli-
tige Art beweisen will, dafs der Winkel MST nicht stumpf sein
kann: allein hierbei ist doch ein wesentlicher Unterschied, weil in der
That die Unmöglichkeit dieses Falles in aller Strenge bewiesen werden
kann, welches weiter auszuführen aber hier nicht der Ort ist.
HI.
Göttiiigische gelehrte Anzeigen. 172. 173. Stück. Den 28. Oct. 1822.
Marburg.
Theorie der Parallelen, von Carl Reinhard Müller, Doctor der
Philosophie, aufserordentlichem Professor der Mathematik u. s. w. 1822.
40 S. in 4.
Rec. hat bereits vor sechs Jahren in diesen Blättern seine Über-
zeugung ausgesprochen, dafs alle bisherigen Versuche, die Theorie der
Parallellinien streng zu beweisen, oder die Lücke in der Euklidischen
Geometrie auszufüllen, uns diesem Ziele nicht näher gebracht haben,
224
Aufserungen von Gaufs über die Parallelentheorie.
und kann nicht anders, als dies Urtheil auch auf alle späteren ihm
bekannt gewordenen Versuche ausdehnen. Inzwischen bleiben doch
manche solcher Versuche, obgleich der eigentliche Hauptzweck ver-
fehlt ist, Avegen des darin bewiesenen Scharfsinns den Freunden der
Geometrie lesenswert, und Rec. glaubt in dieser Rücksicht die vor-
liegende bei Gelegenheit einer Schulprüfung bekannt gemachte kleine
Schrift besonders auszeichnen zu müssen. Den ganzen sinnreichen
Ideeugang des Verf. hier ausführlich darzulegen, wäre für unsre
Blätter zu weitläuftig und auch überflüssig, da die Schrift selbst ge-
lesen zu werden verdient; aber sie hat ihre schwache Stelle, wie alle
übrigen Versuche, und diese herauszuheben, ist der Zweck dieser
Anzeige.
Wir finden diese schwache Stelle S. 15 in dem Beweise des Lehr-
satzes des 15. Artikels. Dieser Lehrsatz ist der wahre Nerv der
ganzen Theorie, welche fällt, so bald jener nicht streng bewiesen werden
kann. Wir führen daher zuvörderst diesen Lehrsatz hier auf; die dazu
gehörige Figur wird jeder leicht selbst zeichnen können.
Wenn jeder Winkel an der Grundlinie ON eines gleichschenk-
ligen Dreiecks gröfser ist, als der Winkel an der Spitze Ä, und man
setzt in 0 an die Seite OÄ einen Winkel
von der Gröfse des Winkels Ä, dessen
anderer Schenkel OL die ^iV" in dem
Puncte L zwischen Ä und N trifft,
schneidet alsdann von AO ein Stück
031 =NL ab und zieht ML-^ wenn
man ferner in 31 an 3IÄ abermals einen
Winkel von der Gröfse des Winkels A
setzt, dessen anderer Schenkel 31 C die
AN in dem Puncte C zwischen A und
L trifft, hierauf von A3I ein Stück
3IB = LC abschneidet und BG ziehet,
und sodann diese Construction auf ähn-
liche Art fortsetzt, so dafs auf der Linie
OA die Puncte 0, 31, B, E, G, K u. s. w.,
auf der Linie NA hingegen die Puncte
N, L, G, D, F, H u. s. w. liegen, so wird
behauptet, dafs die Stücke 031, 3IB,
BE, EGj GK u. s. w. oder die ihnen resp. gleichen NL, LG, GD
BF, FH u. s. w. eine abweichende Progression bilden.
Den Beweis dieses Lehrsatzes sucht der Verfasser aj)agogisch so
zu führen, dafs er die übrigen möglichen Fülle, wenn der Lehrsatz
Eine Besprechung aus dem .lahre 1822. 225
uiclit wahr wäre, aufzählt, und die ünstatthaftigkeit eines jeden zu
erweisen versucht. Der Verf. beliauptet nemlich, dafs unter jener
Voraussetzung einer von folgenden fünf Fällen Statt finden müfste.
Die auf einander folgenden Stücke, von OM an gerechnet, wären
1) alle einander gleich, oder
2) jedes nachfolgende gröfser als das vorhergehende, oder
3) einige einander gleich und das darauf folgende gröfser odel*
kleiner, oder
4) einige auf einander folgende nähmen fortschreitend ab, und
die darauf folgenden fortschreitend zu oder
5) sie würden abwechselnd gröfser und kleiner.
In dieser Aufzählung ist der mögliche Fall übergangen, dafs die
Stücke anfangs fortschreitend zu und dann fortschreitend abnähmen,
und nach Rec. eigener Überzeugung (deren tiefer liegende Gründe
hier aber nicht angeführt werden können) wäre dessen Erledigung
gerade die Hauptsache und die eigentliche Auflösung des Gordischen
Knotens. Inzwischen kann man zugeben, dafs diese Auslassung hier in
so fern wenig auf sich hat, als die Beweisart des Verf. für die ünstatt-
haftigkeit des dritten Falles, wenn sie zulässig wäre, auch auf diesen
Fall von selbst erstreckt werden könnte. Allein eben diesem angeb-
lichen Beweise der ünstatthaftigkeit des dritten Falls können wir
keine Gültigkeit zugestehen. Der Verf. stellt die Sache so vor.
Wenn z. B., in dem dritten Falle angenommen wird, die beiden
ersten Stücke seien gleich, das dritte aber gröfser, so wäre DC also
gröfser als CL. Da nun aber AML gleichfalls ein gleichschenk-
ligtes Dreieck ist, dem dieselbe Grundbedingung zukommt, wie dem
ursprünglichen Dreieck AON, so müfste, wenn jener dritte Fall mit
seiner angenommenen ünterabtheilung der gültige wäre, DC =^ CL
sein, in Widerspruch mit dem vorher gefundenen.
Wir haben, wie wir glauben, bei diesem Moment des Beweises,
das worauf es ankommt, noch etwas klarer und bestimmter nach der
Ansicht des Verf. augedeutet, als er es selbst gethan hat, Avodurcli
dann aber auch, die Schwäche desselben, wie uns scheint, leichter er-
kannt wird. Denn offenbar ist hier ganz Avillkürlich angenommen,
dafs bei allen gleichschenkligen Dreiecken mit dem Winkel A an der
Spitze und gröfsern Winkel an der Basis, wenn mit ihnen die im
Lehrsatz angezeigte Construction vorgenommen wird, die Folge der
abgeschnittenen Stücke in Rücksicht auf ihr Gleichbleiben, gröfser
oder kleiner werden, allemal, unabhängig von der Gröfse der Seiten,
nothwendig dieselbe sein müsse, eine Annahme, die doch unmöglich
als von selbst evident betrachtet werden darf. Da sich nun aber
stück Ol u. Kngol, ParaUelenthoorio. 15
226 Äufserungen von Gaufs über die Parallelentheorie.
hierauf allein der versuchte Beweis der üustatthaftigkeit des dritten
(wie auch vierten und fünften) Falls stützt, und der ganze Artikel
auch keine andere Kessourceu zum Beweise der üustatthaftigkeit des
übergangenen Falls darbietet, so glauben wir hierdurch das oben
ausgesprochene Urtheil hinlänglich gerechtfertigt zu haben, wobei wir
aber gern der ganzen übrigen sinnreichen Durchführung in den fol-
irenden Artikeln volle Gerechtigkeit widerfahren lassen.
IV.
Gaufs und Bessel.
1. Aus einem Briefe von Gaufs an Bessel, vom 27. Januar 1829.
(Briefwechsel S. 490.)
Auch über ein anderes Thema, das bei mir schon fast 40 Jahr alt
ist, habe ich zuweilen in einzelnen freien Stunden wieder nachgedacht;
ich meine die ersten Gründe der Geometrie; ich weifs nicht, ob ich
Ihnen je über meine Ansichten darüber gesprochen habe. Auch hier
habe ich manches noch weiter consolidirt, und meine Überzeugung,
dafs wir die Geometrie nicht vollständig a priori begründen können,
ist wo möglich noch fester geworden. Inzwischen werde ich wohl noch
lange nicht dazu kommen, meine selir ausgedehnten Untersuchungen
darüber zur öffentlichen Bekanntmachung auszuarbeiten, und vielleicht
wird diefs auch bei meinen Lebzeiten nie geschehen, da ich das
Geschrei der Boeoter scheue, wenn ich meine Ansicht ganz aussprechen
wollte. — Seltsam ist es aber, dafs aufser der bekannten Lücke in
Euklid's Geometrie, die man bisher umsonst auszufüllen gesucht hat,
und nie ausfüllen wird, es noch einen andern Mangel in derselben
gibt, den meines Wissens niemand bisher gerügt hat, und dem ab-
zuhelfen keineswegs leicht (obwohl möglich) ist. Diefs ist die Defi-
nition des Planum als einer Fläche, in der die irgend zwei Puncte
verbindende gerade Linie ganz liegt. Diese Definition enthält mehr,
als zur Bestimmung der Fläche nöthig ist, und involvirt tacite ein
Theorem, welches erst bewiesen werden mufs*).
*) [J?. Baltzer sagt in seinen Elementen der MatlmnaUk (Bd. 2, zweite Auf-
lage, Leipzig 1867, S. 5):
„Deahna {Demonstratio theorematis, esse superficiem plctnam. Dissertatio in-
auguralis. Marburg 1837) konstruiert die Ebene durch Rotation eines Winkels
um einen seiner Schenkel mit der Bedingung, dals eine conceutrische Kugelfiäche
in zwei congruente Teile zerschnitten werde. Gaufs ist der Meinung gewesen,
dafs Deahna's Darstellung von einigen Mängeln, die in ihr anzutreffen sind, sich
Aus Briefen von Gaufs und Bessel, 1829 und 1830. 227
2. Aus einem Briefe von Bessel an Gaufs, vom 10. Februar 1829.
(Briefwechsel S. 493.)
Ich würde sehr beklagen, wenn Sie sich „durch das Geschrei der
Boeoter" abhalten liefsen, Ihre geometrischen Ansichten aus einander zu
setzen. Durch das was Lambert gesagt hat, und was Schweikardt
mündlich äufserte, ist mir klar geworden, dafs unsere Geometrie un-
vollständig ist, und eine Correction erhalten sollte, welche hypothe-
tisch ist, und wenn die Summe der Winkel des ebenen Dreiecks
= 180*^ ist verschwindet. Das wäre die wahre Geometrie, die Eukli-
dische die praläische, wenigstens für Figuren auf der Erde.
3. Aus einem Briefe von Gaufs an Bessel, vom 9. April 1830.
(Briefwechsel S. 497.)
Wahre Freude hat mir die Leichtigkeit gemacht, mit der Sie in
meine Ansichten über die Geometrie eingegangen sind, zumal da so
wenige offenen Sinn dafür haben. Nach meiner innigsten Über-
zeugung hat die Raumlehre zu unserm Wissen a priori eine ganz
andere Stellung wie die reine Gröfsenlehre; es geht unserer Kennt-
nifs von jener durchaus diejenige vollständige Überzeugung von ihrer
Nothwendigkeit (also auch von ihrer absoluten Wahrheit) ab, die
der letzteren eigen ist*, wir müssen in Demuth zugeben, dafs wenn
die Zahl hlofs unseres Geistes Product ist, der Raum auch aufser
unserm Geiste eine Realität hat, der wir a priori ihre Gesetze nicht
vollständig vorschreiben können.
V.
traufs mul Schumacher.
1831.
1. Schumacher an Gaufs. Copenhagen, 1831. Mai 3.
•(Briefwechsel, Bd. 2, S. 255.)
Ich bin so frei Ihnen anbei einen Versuch zu senden, ohne Parallel -
linien und ohne [ihre] Theorie zu gebrauchen, den Satz zu beweisen,
befreien lasse; in seinem Nachlasse befindet sich ein diesen Gegeastand betreffender
{auch heute, 1895 noch nicht veröffentlichter} Aufsatz. Auf ähnliche Art haben
CreJle (Journ. 45, p. 15), Gerling (Grelle J. 2ü, p. 332), Erb (die Probleme der
Geraden u. s. w. Heidelberg 1846) das Axiom von der Ebene zu beseitigen
gesucht."]
15*
228
Äufseruncren von Gaufs über die Parallelentbeorie.
(lafs die Summe aller drei Winkel eines gradlinichten Dreyeckes = 180"
sey, aus dem dann der Beweis des Euclidischeu Axioms folgen würde.
Ich setze nichts voraus, als dafs die Summe aller um einen Punct
liegenden Winkel = 360" = 4i?, und daXs die Scheitelwinkel sich
gleich sind.
Da ich aus Erfahrung weifs, wie sonderbar blind man (ich wenig-
stens) mitunter in Bezug auf eigene Arbeiten ist, so fürchte ich sehr,
dafs eine petitio principii dabei zum Grunde liegt. Ich bin aber jetzt
nicht im Stande sie zu entdecken, und erwarte Belehrung von Ihnen.
[Beilage.] Man verlängere die Seiten eines gradlinichten Dreiecks
ABC unbestimmt, oder man betrachte ein System von drei graden
Linien in einer Ebene, deren Durchschnitte das Dreyeck ABC bilden,
so geben die drei Winkelpuncte uns die Gleichungen :
2a + 2u = 4B,
2h + 2ß = 4B,
2c + 2y = 4B,
also
a^ß-i-y = GB-{a-j-h-j-c).
[Fig. 1.]
Da diese Relationen bestehen wie auch die Puncte A, B, C liegen
mögen oder, was einerley ist, wie auch die drei Linien im Räume [in
der Ebene] gezogen sind, so lasse man die Linien BG, EH, unver-
rückt, und ziehe JF durch den Punct A, so dafs sie denselben Winkel
Aus Briefen von Gauls und Schumacher, 1831.
229
als in ihrer vorigen Lage mit i/JT macht oder, da dieser Winkel beliehig
ist, überhaupt nur so, dafs sie iimerhalb des Winkel a fallt, so haben wir
also
a-|_ h + 6- = 4ij!
Kann man dagegen sagen, dafs freilich
& (Iste Figur) = l (2te Figur)
nach der Annahme, dafs aber der Satz
c (Iste Figur) = c (2te Figur)
dann bewiesen werden müsse?
Mir scheint bei der Willkührlichkeit der Winkel dieser Beweis
nicht noth wendig.
Dies sind die Grundzüge des Beweises und ich erwarte Ihre Ent-
scheidung. Ich füge nur, um meinen Beweis zu rechtfertigen, hinzu,
dafs freilich durch die zweite Operation das Dreyeck ABC ver-
schwindet, aber nicht die Winkel des Dreyecks. Wie die Linien
auch liegen, so ist immer
JBH^ß, GCF=y, BAE=a
im endlichen, so wie im verschwindenden Dreyeck, mitunter die Summe
JÄH-\- GÄF-\- BÄE
immer gleich der Summe der Winkel eines gradlinichten Dreyecks.
Soll man also den Satz von einem beliebigen Dreyecke (dessen
Winkel Ä, B, C) beweisen, so zieht mau die Linien BG, EH, so dafs
a ^= A,
man nimmt ferner den Winkel JAH = B, GAF= C.
230 Äufserungen von Gaufs über die l'arallelentheorie.
Ist dann JAF keine grade, sondern eine gebrochene Linie JAF',
so ist freilich der Winkel c dadurch um de kleiner, der Winkel h
aber um ebensoviel gröfser geworden, mithin ihre Summe unver-
ändert geblieben, oder wir haben was zur Bringung des Beweises
gehört
6 + c(Fig. i;) = & + c (Fig. 2).
2. Gaufs an Schumacher. Göttingen, den 17. Mai 1831.
(Briefwechsel, Bd. 2, S. 'im.)
Bei dem, was Sie über die Parallellinien schreiben, haben Sie,
genau besehen in Biren Syllogismen einen Zwischensatz gebraucht,
ohne ihn ausdrücklich auszusprechen, der so lauten müfste:
Wenn zwei einander schneidende gerade Linien (1) und (2) mit
einer dritten (3), von der sie geschnitten werden, respective die Winkel
A' , A" machen, und dann eine vierte (4) in derselben Ebne liegende
Gerade von (1) gleichfalls unter dem Winkel A' geschnitten wird, so
wird (4) von (2) unter dem Winkel A" geschnitten werden.
Allein dieser Satz ist nicht blofs eines Beweises bedürftig, son-
dern man kann sagen, dafs er im Grunde der zu beweisende Satz
selbst ist*).
Von meinen eignen Meditationen, die zum Theil schon gegen
40 Jahre alt sind, wovon ich aber nie etwas aufgeschrieben habe,
und daher manches drei- oder viermal von neuem auszusinnen ge-
nöthigt gewesen bin, habe ich vor einigen W^ochen doch einiges auf-
zuschreiben angefangen. Ich wünschte doch, dafs es nicht mit
mir unterginge**).
3. Schumacher an Gaufs. Lübeck, 1831. Mai 25.
(Briefwechsel Bd. 2, S. 261.)
Ich falle Ihnen, mein theuerster Freund ! noch einmal mit der
Parallelentheorie beschwerlich.
Man verlängere die Seiten des gradlinichten Dreyecks unbe-
stimmt, und nehme einen Radius jR so grofs, dafs ^, »? p> kleiner,
als jede gegebene Gröfse werden. Mit diesem Radius beschreibe man
*) [Er besagt nämlich, dafs in dem Viereck (1), (2), (3), (4) die Winkelsumme
gleich vier Rechten ist.]
**) [Hoüel machte zu dieser Stelle im Jahre 1867 folgende Anmerkung, die
wir im Jahre 1895 nur wiederholen können:
„Als wir das Verzeichnis der Gegenstände durchsahen, die der vierte Band
der Ausgabe der Werke von Gaufs enthalten soll, welche gegenwärtig von der
Akademie zu Göttingen veröflFentlicht wird, haben wir keinen Artikel angezeigt ge-
funden, der sich auf den hier von dem grofsen Geometer angekündigten Plan
bezieht. Es wäre sehr bedauerlich, wenn diese so tiefen und originalen Unter-
suchungen ulit ihm untergegangen wären.''''}
Aus Briefen von Gaufs und Schumacher, 1831. 231
aus C den Halbkreis DEFG. Weil in Bezug auf diesen Halbkreis
«, bf c als verschwindend zu betrachten sind, also die Puncte Ä, B,
als in C fallend, so ist dieser Halbkreis das Maafs der drei Winkel
des Dreiecks, die mithin weniger als jede gegebene Gröfse von 180°
differiren*).
Mir scheint, wenn man den Begriff des endlos wachsenden nicht
ausschliefst, so zeigt dieser Beweis sehr einfach, dafs in jedem end-
lichen gradlinichten Dreyecke die Summe der Winkel = ISO*' ist,
oder eigentlich, dafs die Constante die, wenn Euclid's Geometrie
nicht wahr wäre, zu der Summe der Winkel kommt, um die Gleich-
heit mit 180** zu bewürken, kleiner als jede gegebene Gröfse ist, und
da sich dies für jedes Dreieck beweisen läfst, so kann diese Constante
ebensowenig von der Gröfse des Dreiecks abhängen.
4. Schumacher an Gaufs. Altena, 1831. Junius 29.
(Briefwechsel Bd. 2, S. 267.)
Nur etwas habe ich in Ihrem Briefe vermifst — Ihr Urtheil über
meinen Beweis, dafs die Summe der Winkel in einem gradlinichten
Dreiecke nur um eine Gröfse, die kleiner als jede gegebene ist, von
180** verschieden sey. Sie können leicht denken, dafs mir Ihr Urtheil
sehr wichtig ist, da Sie jede Schwäche eines Beweises so leicht ent-
decken. Aufser Ihnen, meinen Gehülfen, und Professor Hausen vom
Seeberg habe ich noch Niemanden etwas mitgetheilt. Keiner von uns
kann einen Paralogismus entdecken.
Sollte jemand den Satz, dafs man die Winkelpuncte eines Drei-
ecks als coincidirende Mittelpuncte eines Kreises von unendlichem
(brevitatis causa unendlich genannt) Halbmesser betrachten könne,
*) [Dasselbe Beweisverfahren hat bereits der Theologe Äntoine Ärnaud
(1612—1694) angewandt (vergl. Ä. Transon, Comptes rendus, t. 73. 1871. S. 368).
Später haben es Bertrand (1778) und Schulz (1784) benutzt.]
232
ÄufsemnKen von Gaul« über die Parallelentheorie.
eines Beweises bedürfend halten, obgleich ich dies nicht glaube, so
läfst sich dieser Beweis strenge führen.
Mir scheint, wenn zwei Puncto eine endliche Entfernung von
einander haben, so wird diese Entfernung in Bezug auf eine unend-
liche Linie = 0 zu setzen seyn, sie coincidiren mithin in Bezug auf
diese unendliche Linie betrachtet.
5. Gaufs an Schumacher. Göttingen, den 12. Julius 1831.
(Briefwechsel, Bd. 2, S. 268.)
Was die Parallellinien betrifft , so würde ich Ihnen mein Urtheil
sehr gern schon auf Ihren ersten Brief geschrieben haben, wenn ich
nicht hätte voraussetzen müssen, dafs Ihnen mit demselben ohne voll-
ständige Entwickelungen wenig gedient sein würde. Zu solchen voll-
ständigen Entwickelungen, wenn sie wahrhaft überzeugend sein sollen,
würden aber vielleicht bogenlange Auseinandersetzungen in Erwiederung
auf das, was Sie in wenigen Zeilen im Grunde nur angedeutet haben,
nijthig sein, zu welchen Auseinandersetzungen mir aber gegenwärtig
die erforderliche Geistesheiterkeit fehlt*). Um Ihnen jedoch meinen
guten Willen zu bethätigen, will ich folgendes hersetzen.
Die eigentliche Pointe richten Sie sogleich auf jedes Dreieck;
allein Sie würden im Grunde Ihr nemliches Raisonnement anwenden,
wenn Sie das Geschäft zuerst auf den einfachsten Fall anAvendeten
und den Satz aufstellten:
1) In jedem Dreieck, dessen eine Seite endlich, die zweite und
folglich auch die dritte hingegen unendlich ist, ist die Summe der
beiden Winkel an jener = 180^.
Beweis nach Ihrer Manier: Der Kreisbogen CD
ist eben so gut das Maafs des Winkels GAB als
CBD, weil bei einem Kreise von unendlichem Halb-
messer eine endliche Verrückung des Mittelpunkts
für 0 zu achten ist. Also CAD = CBB,
A B
D
CAB + CBA = CBB + CBA = 180
Das übrige ergibt sich leicht von selbst,
ist nemlich: nach diesem Lehrsatze:
a + /3 + d = 180 I
180 = £ + d
;,-{_£ = 180 )
Es
Also addendo
« + /5 + 7 = 180.
'^) [Gaufs' Frau war damals ki-ank. Sie ist ivd September des Jahres gestorben.]
Aus Briefen von Gaufs und Schnuiacher, 1831.
233
Was nun aber Ihren Beweis für 1) betrifft, so protcstire ich
zuvörderst gegen den Gebrauch einer unendliclion Gröfse als einer
Vollendeten, welcher in der Mathematik niemals erlaubt ist. Das
Unendliche ist nur eine Fayon de parier, indem man eigentlich
von Grenzen spricht, denen gewisse Verhältnisse so nahe kommen als
man will, während anderen ohne Einschränkung zu wachsen verstattet
ist. In diesem Sinne enthält die Nicht-Euclidische Geometrie
durchaus nichts Widersprechendes, wenn gleich diejenigen viele Ergeb-
nisse derselben anfangs für paradox halten müssen, was aber für
widersprechend zu halten nur eine Selbsttäuschung sein würde, hervor-
gebracht von der frühern Gewöhnung, die Euklidische Geometrie für
streng wahr zu halten.
In der Nicht-Euclidischen Geometrie gibt es gar keiue ähn-
liche Figuren ohne Gleichheit, zum Beispiel die Winkel eines gleicli-
2
seitigen Dreiecks sind nicht blofs von -^ B, sond£rn auch nach Maafs-
gabe der Gröfse der Seiten unter sich verschieden
und können, wenn die Seite über alle Grenzen
wächst, so klein werden, wie man will. Es ist
daher schon an sich widersprechend, ein solches
Dreieck durch ein kleineres zeichnen zu wollen,
man kann es im Grunde nur bezeichnen.
Die Bezeichnung des unendlichen Dreiecks in
diesem Sinne wäre am Ende*)
In der Euklidischen Geometrie gibt es
nichts absolut grofses, wohl aber in der
Nicht-Euklidischen, dies ist gerade ihr wesent-
licher Karakter, und diejenigen, die dies
nicht zugeben, setzen eo ipso schon die
ganze Euklidische Geometrie., aber wie ge-
sagt, nach meiner Überzeugung ist dies
blofse Selbsttäuschung.
Für den fraglichen Fall ist nun durch-
aus nichts widersprechendes darin, dafs wenn
die Punkte Ä, B und die Richtung AC ge-
geben sind, während C ohne Beschränkung
wachsen kann, dafs dann obgleich so BBC
dem BAC immer näher kommt, doch der
Unterschied nie unter eine gewisse endliche . „
Differenz heruntergebracht werden könne.
Z^
ü
*) [Die Figur soll wohl andeuten, dafs die Winkel gleich Null sind.
2U
Äul'sei'un^on von Gauls über die Parallelentheürie.
Jhr Hineinziehen des Bogens CD macht allerdings den Schhifs
um viel captiöser, allein wenn man, was Bie nur angedeutet haben, klar ent-
wickeln will so müfste
"^"~^^^ es so lauten:
Es ist:
GAB: CBB==
CD
ECB
CD'
E'CD'
E E'
.1 B
DD'
und indem AC in's un-
endliche Aväclist, kom-
men CD und CD' einer-
seits und ECD, E'CD' andererseits der Wahrheit immer näher.
Beides ist in der Nicht-Euklidischen Geometrie nicht wahr, wenn
man darunter versteht, dafs ihre geometrischen Verhältnisse der Gleich-
heit so nahe kommen, wie man will. In der That ist in der Nicht-
Euklidischen Geometrie der halbe Umfang eines Kreises, dessen Halb-
messer = r:
wo Je eine Constaute ist, von der wir durch Erfahrung wissen, dafs
sie gegen alles durch uns mefsbare ungeheuer grofs sein mufs. In
Euklid's Geometrie wird sie unendlich.
In der Bildersprache des Unendlichen würde man also sagen
müssen, dafs die Peripherien zweier unendlichen Kreise, deren Halb-
messer um eine endliche Gröfse verschieden sind, selbst um eine
Gröfse verschieden sind, die zu ihnen ein endliches Verhältnifs hat.
Hierin ist aber nichts Widersprechendes, wenn der endliche
Mensch sich nicht vermifst, etwas Unendliches als etwas Gegebenes
und von ihm mit seiner gewohnten Anschauung zu Umspannendes
betrachten zu wollen.
Sie sehen, dafs hier in der That der Fragepunkt unmittelbar an
die Metaphysik streift.
6. Schumacher an Gaufs. Altena, 1831, Julius 19.
(Briefwechsel Bd. 2, S. 272.)
Meinen herzlichsten Dank statte ich Ihnen, mein theuerster Freund,
für Ihren letzten Brief ab. Ich kann nicht sagen, dafs er mich schon
überzeugt hätte. Ich glaube die unendliche Gröfse nicht als ge-
schlossen gebraucht zu haben. Mir scheint man kann zeigen, dafs mit
dem Wachsen des Halbmessers die Differenz der Winkelpuncte des
Dreyecks immer mehr verschwindet, und sich der Gränze des Zusammen-
Aus Briefen von Gaufs und Schumacher, 1831 und 1846. 235
fallens, so viel man immer will^ nähert. Sagt man also, der Kürze
halber, sie fallen für einen unendlichen Radius würklich zusammen,
so wird dies ebenso wie gewöhnlich verstanden, und es folgt daraus,
dafs in Bezug auf die Peripherie, die von den graden Linien inter-
captirten Bögen, sich ohne Gränze dem Maafse der Winkel nähern.
Indessen gebe ich gern zu, dafs ich mich täusche, und werde
theils selbst die Sache reiflicher durchdenken, theils und vorzüglich den
Augenblick erwarten, wo mündliche Belehrung von Ihrer Seite mög-
lich wird. Warum man bei Linien nicht, wie bei allgemeinen Gröfsen,
Schlüsse brauchen soll, die sich auf ohne Ende wachsende Linien
gründen, sehe ich nicht ein, vorausgesetzt, dafs man die Gränzen be-
stimmen kann, denen man sich dabei, so weit man will, nähert.
1846.
7. Gaufs an Schumacher. Göttingen, den 28. Nov. 1846.
(Briefwechsel Bd. 5, S. 246.)
Ich habe kürzlich Veranlassung gehabt, das Werkchen von Lobat-
schefski (Geometrische Untersuchungen zur Theorie der Parallel-
linien. Berlin 1840, bei G. Funcke. 4 Bogen stark) wieder durchzu-
sehen. Es enthält die Grundzüge derjenigen Geometrie, die Statt finden
müfste und strenge consequent Statt finden könnte, wenn die Euclidische
nicht die wahre ist. Ein gewisser Schweikardt*) nannte eine solche
Geometrie Astralgeometrie, Lobatschefsky imaginaire Geo-
metrie. Sie wissen, dafs ich schon seit 54 Jahren (seit 1792) die-
selbe Überzeugung habe (mit einer gewissen späteren Erweiterung,
deren ich hier nicht erwähnen will). Materiell für mich Neues habe
ich also im Lobatschefsky'schen Werke nicht gefunden, aber die Ent-
wickelung ist auf anderem Wege gemacht, als ich selbst eingeschlagen
habe, und zwar von Lobatschefsky auf eine meisterhafte Art in acht
geometrischem Geiste. Ich glaube Sie auf das Buch aufmerksam
machen zu müssen, welches Ihnen gewifs ganz exquisiten Genufs ge-
währen wird.
*) Früher in Marburg, jetzt Professor der Jurispr. in Königsberg. [Diese An-
merkung rührt von Gaufs her.]
236 Gaufs, Abweichungen von den Originalabdrücken.
Abweichungen von den Originalabdrücken.
S. •220, Z. 1 V. u. (Gott. gel. Anz. 1816, S. 618, Z. 5 v. u.). Im Urtext steht „Die"
statt ,,Der".
S. 221, Z. 3 V. 0. (a. a. 0. S. 618, Z. 1 v. u.) „welchen" statt „welchem".
S. 222, Z. 14 V. u. (a. a. 0. S. 621, Z. 12 v. o.) „ihre" statt „ihrer".
S. 223, Z. 6 V. 0. (a. a. 0. S. 622, Z. 1 v. o.) „in einen ebnem" statt „in einem
ebnen".
5. 224, Z. 11 V. u. (Gott. gel. Anz. 1822, S. 1726, Z. 15 v. u.) „iY5" statt „J/JS".
Die Figuren auf Seite 222 und 224 sind den von Gaufs besprochenen Ab-
handlungen entnommen, die auf Seite 223 ist neu gezeichnet. Die Rechtschreibung
der Gott. gel. Anz. ist beibehalten, ausgenommen in Wörtern wie Dreyeck, gleich-
schenklicht, mehrmals und dergleichen. In einem Briefe an Schumacher, vom
6. .Tanuar 1833 (Briefwechsel Bd. 2, S. 320) sagt Gaufs: „Ich schi-eibe nicht
beynahe, drey, interpolieren, <fec., sondern beinahe, drei, interpoHren."
S. 227, Z. 16 V. 0. (Briefwechsel zwischen Gaufs und Bessel, S. 497, Z. 7 v. o.)
,,rn" statt „zu". Diese Abweichung, die der Sinn des Textes erfordert, findet
sich bereits in dem S. 217 erwähnten ersten Abdruck des Briefes.
S. 228, Z. 4 u. 13 V. o. (Briefwechsel zwischen Gaufs und Schumacher, Bd. 2,
S. 256, Z. 4 V. 0. und 6 v. u.) „Wechsel winkel" statt „Scheitelwinkel" und
„und" statt „uns".
S. 235, Z. 18 V. 0. (ebenda Bd. 5, S. 247, Z. 1 v. o.) „Parallellinie" statt „Parallel-
linien".
Die Figuren auf Seite 229 und 231 sind gegenüber den Originalfiguren etwas
verändert: bei der ersten ist c im Original kein Kreisbogen mit dem Mittel-
punkte A, bei der zweiten fällt der Mittelpunkt des Kreises im Original nicht in
den Punkt C, was doch nach dem Texte der Fall sein mufs.
In einem Briefe an Schumacher, vom 2. Januar 1836 (Briefwechsel Bd. 2,
S. 431) berührt Gaufs einen Beweis versuch von Lübsen, der sich wohl auch auf
die Parallelentheorie bezog. Die Stelle ist jedoch an und für sich kaum verständ-
lich und auch zu unbedeutend, um mitgeteilt zu werden.
Ebensowenig haben wir es für nötig gehalten, solche Aufserungen von Gaufs
mitzuteilen, die sich blofs auf den Raumbegrifi' im Allgemeinen beziehen, ohne auf
die Parallelentheorie insbesondere Licht zu werfen.
FERDINAND KARL SCHWEIKART
1780—1857.
FRANZ ADOLPH TAURINÜS
1794—1874.
Als nach Gaufs' Tode bekannt wurde, dafs der „princeps mathe-
maticorum" von der Möglichkeit und der Berechtigung einer nicht-
euklidischen Geometrie überzeugt gewesen war, da wandte sich die
Aufmerksamkeit der Mathematiker dem Probleme der Parallelentheorie
wieder zu.
In der Periode von 1780 bis 1830 waren alle Beweisversuche
gescheitert, und man war schliefslich dahin gelangt, die Beschäftigung
mit der „berüchtigten" fünften Forderung als Vorrecht unklarer Köpfe
anzusehen und mit den Bemühungen um die Quadratur des Kreises
und um das Perpetuum mobile auf eine Stufe zu stellen. Dieses Vor-
urteil war so stark, dafs, um mit Hoüel zu reden, selbst ein Mann von
so imposanter Autorität wie Gaufs mit seinen Untersuchungen nicht
hervortrat, „weil er das Geschrei der Bceoter scheute."
Jetzt wurde es anders, und zwar war es R. Baltzer, der in der
zweiten Auflage seiner Elemente auf Gaufs' Ansicht über die
Parallelentheorie hinwies und die bis dahin nicht beachteten Unter-
suchungen von Nikolaus Lobatschefskij und Johann Bolyai
nach Verdienst würdigte.
Durch Baltzer angeregt gab Hoüel 1866Lobatschefskijs „Geo-
metrische Untersuchungen zur Theorie der Parallellinien"
(1840) und 1867 Johann Bolyais „Appendix scientiam spatii
absolute veram exhibens" (1832) in französischer Übersetzung heraus
und machte so diese seltenen Schriften einem gröfsern Kreise zu-
gänglich. Der Übersetzung von Lobatschefskij s Abhandlung war
als Anhang eine Übersetzung der schon mitgeteilten Briefe von Gaufs
und Schumacher beigefügt. Es folgte die italienische Übersetzung
des Appendix von Battaglini (1868) und die deutsche Bearbeitung
von Frischauf (1872). In jüngster Zeit sind diese Schriften von
Lobatschefskij und Bolyai auch ins Englische übertragen worden
(Halsted 1891).
Da Lobatschefskij und Bolyai als die eigentlichen Begründer
der nichteuklidischen Geometrie anzusehen sind, wollen wir über ihre
Arbeiten einiges mitteilen. Genauer auf deren Inhalt einzugehen, ist
240 F. K. Schweikart und F. A. Taurinus.
an dieser Stelle nicht, möglich; wohl aher können wir auf Grund
neuerer Forschungen des Baumeisters Fr. Schmidt in Budapest
und des Professors A. Wassiljef in Kasan eine geschichtliche Dar-
stellung geben, die über das bis jetzt Bekannte hinaus geht.
Nikolaus Lobatschefskij (1793 — 1856) hat bereits in den
Jahren 1815 und 1816 an der Universität zu Kasan Vorlesungen
über Geometrie gehalten. Ein von Wassiljef Anfang 1804 gefundenes
Heft enthält drei verschiedene Versuche, die Parallelentheorie zu ver-
bessern. „In dem einen wird der Begriff der Richtung als der funda-
mentale vorausgesetzt; im zweiten werden die Betrachtungen über die
unendlichen Zweiecke eingeführt [Bertraud 1778, Schulz 1784J;
der dritte Beweis schliefst sich an den Legendre'schen Beweis an,
dafs die Summe der Winkel des Dreiecks nicht gröfser und nicht
kleiner als zwei Rechte ist. Man sieht also, dafs bei Lobatschefskij
eine langjährige Denkarbeit der Veröffentlichung von 1826 seiner
eigentümlichen Anschauungen über die Parallelentheorie voraus-
gegangen ist." Soweit Wassiljef.
Wir müssen hierzu Folgendes bemerken. Am 11. Februar 1826
(alten Stiles) legte Lobatschefskij der physisch -mathematischen
Abteilung der Universität Kasan eine Abhandlung vor: Exposition
succincte des priucipes de la Geometrie avec une demonstra-
tion rigoureuse du theoreme des paralleles. Diese Abhandlung
ist jedoch niemals veröffentlicht worden. Ein Auszug aus ihr ist die
russisch geschriebene Abhandlung: Über die Anfangsgründe der
Geometrie, die im Jahre 1829 im Kasaner Boten erschienen ist
(Lobatschefskijs Gesammelte geometrische Werke, Bd. 1, S. 1 — 67).
Li dieser Veröffentlichung von 1829 hatte Lobatschefskij die
Möglichkeit einer vom Parallelenaxiom unabhängigen Geometrie be-
wiesen. Eine ausführliche Darstellung der Untersuchungen, die er über
diesen Gegenstand angestellt hat, enthalten die „Neuen Anfangs-
gründe der Geometrie mit einer vollständigen Theorie der
Parallelen", die 1835 — 1838 in den Schriften der Universität
Kasan erschienen sind. Ein Auszug aus diesen in russischer Sprache
geschriebenen Abhandlungen ist die Geometrie imaginaire, die
Lobatschefskij im Jahre 1837 in Grelles Journal veröffentlichte.
Seine Geometrischenüntersuchungen zurTheorie der Parallel-
liuien von 1840 haben wir bereits erwähnt. Eine zusammenfassende
Bearbeitung aller seiner Untersuchungen, die Pangeometrie, ist 1855
gleichzeitig in russischer und in französischer Sprache erschienen.
Alle diese Schriften sind jetzt in den Gesammelten geometri-
schen Werken vereinigt; der erste Band (1883) enthält die in russi-
Lobatscbefskij und die beiden Bolyai. 241
scher Sprache, der zweite (188G) die in deutscher und französischer
Sprache verfafsten Schriften •, ihnen geht eine Lebensbeschreibung voraus.
Wolfgang Bolyai (1775—1856) aus Bolya in Siebenbürgen,
ein Jugendfreund von Gaufs, mit dem zusammen er in Göttingen
studiert hat, veranlafste seinen Sohn Johann (1802 — 1860) sich mit
der Parallelentheorie zu beschäftigen, der er selbst schon früh sein
Interesse zugewandt hatte. Am 3. November 1823 berichtet Johann
seinem Vater:
„Ich habe mich entschlossen, sobald die Sachen geordnet sind,
eine Arbeit über die Parallelen herauszugeben. Es ist noch nicht
abgeschlossen, aber der Weg, den ich eingeschlagen, verspricht gewifs
die Erreichung des Zieles, wenn es überhaupt erreichbar ist. Es ist
noch nicht erreicht, aber ich habe Sachen herausgebracht, dafs ich
selbst darüber erstaunte. Es wäre ewig schade, wenn sie verloren gingen.
Sie werden dieselben erkennen. Ich kann nur sagen: dafs ich aus nichts
eine andre neue Welt geschaffen habe. Was ich Ihnen bishero ge-
sendet habe, verhält sich wie ein Kartenhaus zu einem Thurme."*)
In einer nicht veröffentlichten Selbstbiographie, deren Abfassungs-
zeit Fr. Schmidt in die fünfziger Jahre setzt, schreibt Johann
Bolyai:
„Erst im Jahre 1823 habe ich dem Wesen nach das Problem
durchdrungen, obschon auch nachher noch Vervollkommnungen hinzu-
kamen. Ich theilte im Jahre 1825 meinem einstmaligen Lehrer Herrn
Johann Walter von Eckwehr (später k. k. General) einen schrift-
lichen Aufsatz mit, der sich noch in seinen Händen befindet. Auf
Veranlassung meines Vaters habe ich meinen Aufsatz in lateinische
Sprache übersetzt, wo selber als Appendix zum Tentamen 1832
erschienen ist."
Dieses gegenwärtig recht selten gewordene Tentamen war ein
zweibändiges Lehrbuch der Mathematik, dessen vollständiger Titel
lautet: Tentamen juventutem studiosam in elementa matheseos
purae, elementaris ac sublimioris, methodo intuitiva, evi-
dentiaque huic propria, introducendi. Cum appendice triplici.
Band I; Maros Väsarhely 1832. 8*^. In dem dritten Anhange, der nur
28 Seiten umfafst, hat Johann Bolyai seine neue Geometrie ent-
wickelt; der Titel lautet:
Appendix scientiam spatii absolute veram exhibens: a
*) Der Brief Johanns ist ursprünglich in magyarischer Sprache geschrieben;
die deutsche Übersetzung, die wir mitteilen, verdanken wir Herrn Baumeister
Fr. Schmidt in Budapest.
Stäckel u. Engel, Paralleleiitheorie. IG
242 F. K. Schweikart mid F. A. Taurinus.
veritate aut falsitate Axiomatis XI Euclidei fa priori haud
unquam decidenda) independentem; adjecta ad casum falsi-
tatis, quadratura circuli geometrica. Auetore lolianne Bolyai
de eadem, Geometrarum inExercitu Caesar eo Regio Austriaco
Castreusium Capitaneo.
Die ungarische Akademie der Wissenscliafteu hat mit der Herstellung
eines Neudrucks begonnen, der hcifentlicli bald zu Ende geführt sein wird.
Einen Auszug aus dem Tentamen giebt das 1851 zu Maros Vasär-
hely erschienene, ebenfalls recht seltene Werkchen Wo If gang Bolyais:
Kurzer Grundrifs eines Versuchs
I. Die Arithmetik, durch zvekmässig konstruirte Begriffe, von
eingebildeten und unendlich-kleinen Grössen gereinigt, anschaulich und
logisch-streng darzustellen.
II. In der Geometrie, die Begriffe der geraden Linie, der Ebene,
des Winkels allgemem, der winkellosen Formen, und der Krummen,
der verschiedenen Arten der Gleichheit u. d. gl. nicht nur scharf zu
bestimmen; sondern auch ihr Seyn im Räume zu beweisen: und da die
Frage, ob zwey von der dritten geschnittene Geraden, wenn
die summe der inneren Winkel nicht =^ 2 JS, sich schneiden
oder nicht? niemand auf der Erde ohne ein Axiom (wie Euklid
das XI) aufzustellen, beantworten wird; die davon unabhängige Geo-
metrie abzusondern; und eine" auf die Ja- Antwort, andere auf das
Nein so zu bauen, dafs die Formeln der letzten, auf einen Wink
auch in der ersten gültig seyen.
Nach einem lateinischen Werke von 1829.*) M. Väsärhely, und
eben daselbst gedruckten ungrischen.
Maros Yäsärhely 1851. S^, 88 Seiten.
Was endlich das Verhältnis von Lobatschefskij und Bolyai
zu Gaufs betrifft, so sagt F. Klein in seinen Vorlesungen über
Nicht-euklidische Geometrie (1889/90): „Es ist keinem Zweifel
unterworfen, dafs Gaufs durch seinen Einflufs die Unter-
suchungen von Lobatschewsky und Bolyai angeregt hat." Er
beruft sich dabei auf die Thatsache, dafs Gaufs und Wolfgang
Bolyai Universitätsfreunde waren, und zwischen Gaufs und Lobat-
schefskij will er einen Zusammenhang daraus herleiten, dafs Lobat-
schefskij Schüler von Bartels (1769 — 1836) gewesen ist, über dessen
freundschaftliche Beziehungen zu Gaufs uns Sartorius von Walters-
hausen berichtet hat.
*) Gemeint ist das Tentamen, dessen Druckerlaubnis vom 1-2. Oktober 1829
datiert, dessen I. Band jedoch erst 18.3-2 er.«!chienen ist.
Die beiden Bolyai. — Schweikart. 243
Eine Entscheidung über die Richtigkeit dieser Vermutungen wird
kaum möglich sein, solange der Nachlafs von Gaufs der Forschung
unzugänglich ist.
Aufser Lobatschefskij erwähnt Gaufs in seinem Briefe an
Schumacher vom 28. Nov. 1846 noch einen andern Namen: „Ein
gewisser Schweikardt . . . nannte eine solche Geometrie Astral-
geometrie"-, auf Unterhaltungen mit demselben Schweikardt hatte
sich schon Bessel im Jahre 1829 berufen und mit ihm zugleich
Lambert genannt. Es schien uns von Interesse zu sein, etwas Ge-
naueres über diesen bis jetzt nicht beachteten Mann zu ermitteln, und
wir haben Folgendes feststellen können:
Ferdinand Karl Schweikart (1780—1857) studierte von 179G
bis 1798 in Marburg Rechtswissenschaften; daneben hörte er mathe-
matische Vorlesungen bei J. K. F. Hauff, der seit 1793 verschiedene
Schriften über die Farallelenfrage veröffentlicht hat. Von 1812 ab
war Schweikart in Charkow, von 1816 ab in Marburg und zu-
letzt, seit 1820, in Königsberg Professor der Rechtswissenschaften.
Schweikarts einzige Veröffentlichung mathematischen Inhalts
ist die 1807 erschienene Schrift: Die Theorie der Parallellinien
nebst dem Vorschlage ihrer Verbannung aus der Geometrie.
Jena und Leipzig 1807. 8^. 138 S. mit 5 Tafeln.*) Sie enthält nicht
etwa, wie der Titel vermuten lassen könnte, den Versuch einer vom
Parallelenuxiom unabhängigen Geometrie, vielmehr steht Schweikart
hier durchaus auf dem Boden der Euklidischen Elemente, die er
nur auf Grund philosophischer Erwägungen formal umgestalten will:
statt von Parallelen soll nur von Parallelogrammen die Rede sein.
Später hat Schweikart Untersuchungen angestellt, die mit denen
von Saccheri und Lambert auf eine Linie zu stellen sind, und ist
schliefslich unabhängig von Gaufs zur Entwickelung einer
nicht-euklidischen Geometrie gelangt.
Als Beleg für die eben ausgesprochenen Behauptungen kann zu-
nächst ein Brief dienen, den Gerling (1788 — 1864), ein Schüler von
Gaufs, seit 1817 Professor der Astronomie in Marburg, am
31. Oktober 1851 an Wolfgang Bolyai zum Dank für die Über-
sendung des Kurzen Grundrisses geschrieben hat. In diesem be-
merkenswerten Briefe, von dem wir eine Abschrift der Güte des Bau-
meisters Fr. Schmidt in Budapest verdanken, sagt Gerling:
*) Diese seltene Schrift besitzen von den gröfseren Bücliersammlungen Deutsch-
lands nur die Königliche Universitätsbibliothek in Kiel und die Königliche Hof-
und Staatsbibliothek in München.
IG*
244 F. K. Schweikart und F. A. Taurinus.
„Meine früheren Beschäftigungen mit der Parallelentheorie er-
wähne ich nicht, denn schon im Jahre 1810 — 1812 hatte ich bei
Gaufs, sowie früher 1809 bei J. F. Pfaff einsehen gelernt, wie alle
bisherigen Versuche das Euklidische Axiom zu beweisen mifslungen
waren. Ich hatte dann auch vorläufige Kenntnifs von Ihren Arbeiten
erhalten, und so schon, als ich zuerst 1820 etwas von meiner Ansicht
darüber drucken lassen mufste, es genau ebenso geschrieben, wie es
S. 187 der neuesten Ausgabe noch zu lesen steht."
Gerling meint hier die Bearbeitung des Lorenzschen Grund-
risses der reinen Mathematik, die er 1820 besorgt hatte; die im
Briefe erwähnte neueste Ausgabe war 1851 erschienen. An der be-
treffenden Stelle heifst es: „Dieser Beweis [des Parallelenaxioms] ist
auf mamiigfaltige Weise von scharfsinnigen Mathematikern versucht,
aber bis jetzt noch nicht vollkommen genügend aufgefunden worden.
Solange er fehlt, bleibt der Satz, sowie alles, was sich auf ihn stützt,
eine Hypothese, deren Gültigkeit für unser Leben freilich hinlänglich
durch die Erfahrung dargethan wird, deren allgemeine, nothwen-
dige Richtigkeit aber ohne Absurdität bezweifelt werden könnte."
Gerling fährt fort:
„Wir hatten gegen diese Zeit [1819] hier einen juristischen Pro-
fessor Schweikart, welcher ehemals in Charkow gewesen war,
und auf ähnliche Ideen gekommen war, indem er ohne Hilfe der
euklidischen Axiome eine Geometrie, die er Astralgeometrie nanute,
in ihren Anfängen entwickelte. Was er mir darüber mittheilte, schickte
ich Gaufs, der dann mittheilte, wieviel weiter man schon auf diesem
Wege gekommen und später auch sich über den grofsen Gewinn er-
klärte, der in dem Appendix zu Ihrem Buche den wenigen Sach-
keimern dargeboten ist."
Dieser Brief von Gerling zeigt, dafs der noch nicht veröffent-
lichte Briefwechsel zwischen Gaufs und Gerling wertvolle Aufschlüsse
über die Geschichte der nichteuklidischen Geometrie enthalten mufs.
Glücklicherweise ist uns von jenem Gaufs'schen Briefe an Ger-
ling, der sich auf die Astralgeometrie bezog und der wegen seiner
frühen Abfassungszeit, stammt er doch aus dem Jahre 1819, von
hervorragender Bedeutung ist, ein Bruchstück erhalten, und zwar
in einem Schreiben, das Schweikart im Jahre 1824 seinem Neffen
Taurinus zugehen liefs. Wir verdanken dieses Schreiben der
Güte des Herrn Pastor A. Für er in Merseburg, der uns auch einen
weiteren Brief von Schweikart an Taurinus, sowie einen Brief von
Gaufs an Taurinus zur Verfügung gestellt hat. Auch diese beiden
Briefe werden hier zum ersten Male zur Veröffentlichung gelangen.
Gerlinff über Schweikart. Brief von Schweikart an Tauiinus.
245
Am 18. November 1824 schreibt Schweilcart von Köniü'sbcrir
aus au seinen Neffen Taurinus in Köln:
„Sehr richtig hast Du den Grundfehler meiner Demonstrationen*)
in dem Postulat von Quadraten gefunden. Deiner Auflösung, welche
Dir alle Ehre macht (wiewohl sie schon mehrere auf ähnliche Art
versucht haben) würde ich unbedingt beytreten, wenn nicht ein kleiner
Umstand im Wege stünde.
„Du nimmst an, dafs hd = df = fh, das wäre mir unbedenklich,
wenn Du von d, f, h Lothe auf die entgegengesetzte Linie fallen
liefsest ; allein Du läfst
von c, e, g Lothe auf hlt ~
fallen, — wie willst Du
es nun machen, dafs diese
gerade nach d,f kommen? —
Du bedarfst eines Axioms,
d
Ch
das auf gleiche Art eines Beweises bedarf, wie das Euclidische, näm-
lich entweder das: wenn man in einem Punkt**) d, der Linie hh ein
Loth errichtet, so muss es hinlänglich verlängert die ag schneiden;
oder das: wenn man auf der Linie ag einen überaus entfernten Punkt i
annimmt & von da eine Linie ik unter einem rechten Winkel auf
die hh fallen läfst, so ist J)li gröfser, als eine gegebene Linie Ith, Allein
es ist möglich, dass die Punkte /', h, Je, ob sie gleich alle hinter d
kommen einem gewifsen Punkte z. B. C sich immer mehr nähern,
ohne ihn jemals zu erreichen.
„Nach der neuen Geometrie, die ich, wie ich Dir einst nach Göt-
tingen schrieb, gefunden habe, verhält sich die Sache wirklich so.
Es gibt eine gewisse constante Linie bC, welche alle Lothe von der,
noch so weit verlängerten ag auf hJi, nicht überschreiten können. Die
Winkel im Dreyeck sind immer kleiner als 2 M und um so kleiner,
je gröfser das Dreyeck ist. Aus der Summe der
Winkel läfst sich jedenfalls der Inhalt des Drey-
ecks bestimmen und umgekehrt. Der Satz, dafs
ac & hd verlängert zusammentreffen müfsen, wenn
hac -\- al)d <C 2 B, ist unwahr. Es hängt davon
ab, wie gros ah ist. Eben so giebt es eine
Constante für den Flächeninhalt geradliniger Figuren, die sie, man
mag ihre Seiten noch so gros machen, nie erreichen können.
„Auf eine Notiz hierüber, die ich vor länger als 5 .Jahren meinem
*) [In der Schrift über die Theorie der Parallellinien, vom Jahre 1807.]
") [Im Original steht „auf einen Punkt."]
246 F. K. Schweikait und F. A. Taurinus.
Frcujule Gerliug in Marljurg & dieser Gaufsen mitgetheilt hatte,
antwortete letzterer unter andern:
„„Die Nutiz von 'Hi Pr, Schw. hat mir ungemein viel Vergnügen
gemacht, und ich bitte ihm darüber von mir recht viel Schönes zu
sagen. Es ist mir fast alles aus der Seele geschrieben.
„„Nur blos bey dem einen Artikel, der so anfängt: ist diese Con-
staute für uns die halbe Erdaxe & — & — &.
„„Ich vermuthe, dafs ([ii Schw. mit allem diesem einverstanden
seyu wird, was mich bey dem gänzlichen Zusammentreffen seiner
Ansicht mit der meiuigen sehr freuen wird. Ich will hinzufügen, dass'^)
ich die Astralgeometrie (so hatte ich sie zum Unterschier^e genannt)
so weit ausgebildet habe, dafs ich alle Aufgaben vollständig lösen Icann,
sobald die Constaute = C gegeben wird. & — &. Die Gvä7ize für den
TtCC
Inhalt eines ieden Drevecks ist dann: ?r-^ö, & also für das
(log.hyp.a-fV-2)-
Polvijon ""
(log.hyp.Cl+l/2,^)-'
Das ist freilich Alles, Avas wir über Schweikart mitteilen
können, denn dieser hat — ebenso wie Gaufs — seine Unter-
suchungen über die Astral geometrie nicht veröffentlicht, und unsre Be-
mühungen, in den Besitz von Aufzeichnungen aus seiuem Nachlasse zu
gelangen, sind bis jetzt ohne Erfolg geblieben. Dagegen haben imsre
Nachforschungen in Betreff jenes Neffen Schweikarts, des Tau-
rinus, zu dem überraschenden Ergebnis geführt, dafs auch Tau-
rinus für die Vorgeschichte der uichteuklidischen Geometrie von
Bedeutung ist: zuerst angeregt durch seinen Oheim Schweikart,
dann beeinflufst durch Gaufs hat er bemerkenswerte selbständiffe
Untersuchungen angestellt imd in den Jahren 1825 und 1826 ver-
öffentlicht. Er ist darin schliefslich zur Entwickelimg einer nicht-
euklidischen Trigonometrie gelangt und hat somit einen wich-
tigen Teil der Ergebnisse von Lobatschefskij und Bolyai vorweg
genommen.
Über das Leben von Taurinus haben wir Folgendes ermittelt:
Franz Adolph Taurinus ist am 15. November 1794 zu König im
*) [Das cujsiv Gedruckte ist unsre Ergänzung, da der Originalbrief leider
an der betreffenden Stelle beschädigt ist. Sollten wir auch den Wortlaut der
(T«!t/s"schen Aufserungen nicht c^enau getroffen haben, so kann doch über ihren
Sinn kein Zweifel bestehen. — Die Bemerkung in runden Klammem ist offenbar ein
Zusatz von SchiveiJcart.]
Gauls über Schwcikart. — Taurinus. Aus der Vorrede zu den Elementa. 247
Odenwalde geboren: seine Eltern waren Julius Ephraim Taurinus,
gräflich Erbach-Schönbergiseher Hofrat, und Luise Juliane, geborene
Schweikart. Nachdem er in Heidelberg, Giefsen und Gröttingen
Rechtswissenschaften studiert hatte, lebte er von 1822 an in Köln
ohne Amt und Beruf und fand Mufse, sich mannigfachen wissen-
schaftlichen Interessen zu widmen. In Köln ist er auch hochbetagt
am 1?). Februar 1874 gestorben.
Veröffentlicht hat Taurinus nur wenig: 1825 ei'schien seine
Theorie der Parallellinien, Köln am Rhein, 102 S. 8''. 4 Tafehi
und im folgenden Jahre als Fortsetzung die Schrift: Geometriae
prima elementa, Coloniae Agrippinae, 76 S. 8**. 2 Tafeln.
In dem Vorwort zu den Elementa hat Taurinus auf Seite
IV — VI den Ursprung und Verlauf seiner Untersuchungen über die
Parallelentheorie folgendermafsen geschildert:
„Der erste, der mich auf das neue System der Geometrie auf-(iv)
merksam gemacht hat, war ein mit mir verwandter und eng befreun-
deter Mann, Schweikart, Professor der Rechte an der Universität
zu Königsberg. Dieser schrieb mir vor vier Jahren ungefähr fol-
gendermafsen: Durch emsiges Studium der Geometrie sei er zu der
Überzeugung gelangt, dass es eine gewisse neue Geometrie gebe —
er nannte sie Astralgeometrie — , bei der die Winkelsumme im Dreieck
kleiner als zwei Rechte sei, und er habe zu seiner Freude erfahren,
dass der berühmte Gaufs, dem seine Entdeckung mitgeteilt worden v
war, schon lange mit demselben Gegenstande beschäftigt gewesen
und darin noch weiter gekommen sei.
„Da jedoch unser Briefwechsel nicht fortgesetzt wurde, und da
ich selbst damals keine Zeit zur Beschäftigung mit der Geometrie
hatte, so kam es, dass ich meine Aufmerksamkeit diesem Gegenstande
nicht eher wieder zuwendete, als bis mir die 1807 in Jena er-
schienene Schrift desselben Schweikart über die Parallellinien in
die Hände fiel.
„Dieses Buch war mir deshalb höchst willkommen, weil ich daraus
den Sinn und die Schwierigkeit des Problems gründlich kennen lernte,
sowie auch alle die Methoden zum Beweise der Parallelentheorie, die
bis dahin bekannt geworden waren.
„Bei der Ausarbeitung der von mir bereits herausgegebenen Theorie
habe ich nämlich, wie ich gestehen muss, nur sehr wenige Bücher
benutzt, hatte ich doch ausser der Ausgabe des Euklid von Lorenz*)
*) [Johann Friedrich Lorenz hatte 1773 das erste bis sechste sowie das elfte
und zwölfte Buch der Elemente in deutscher Übersetzung herausgegeben; diese
248 F. K. Schweikart uiul F. A. Taurinus.
kaum (las eiue oder andere Elementarbucli gelesen. Was ich daher
aus Camerers Ausgabe der Elemente*) kennen lernte — einem
Werke, das ich hochschätze — , das war mir zum Teil neu, besonders,
dass ich, ohne es zu wissen, auf Gedanken gekommen war, welche
denen, die man dem Italiener Saccheri und unserm Landsmanne Lam-
bert zuschreibt, sehr ähnlich sind. Ich für meine Person hatte diese
Beweismethode von vorn herein für die beste, ja für die einzige ge-
halten, die es ermöglicht, die Schwierigkeit zu überwinden, und habe
deshalb kein Bedenken getragen, einige meiner Beweise Gaufs selber
mitzuteilen. Dieser hat mir sogleich aufs freundlichste geantwortet
VI und einiges über den Gegenstand ^hinzugefügt, woraus ich freilich
seine Ansicht über die Sache nicht vollständig habe erraten können.
Möchte daher dieser ausgezeichnete Mann seine Gedanken über die
sauze Frage, die bei einem solchen Geiste von unschätzbarem Werte
sein müssen, baldigst veröffentlichen! Mit mir werden alle Geometer
ihn immer von Neuem inständigst darum bitten.
„Zur Abfassung des vorliegenden Büchleins bin ich um so lieber
geschritten, als meine Theorie, der ich nur ziemlich wenig Zeit ge-
widmet hatte, noch nicht öffentlich besprochen worden ist**), und
ausserdem vieles enthält, was mir selbst bereits nicht mehr gefällt.
Übrigens ging meine Absicht besonders dahin, die Analogien ZAvischeu
den verschiedenen Geometrien deutlicher hervortreten zu lassen. Ob
mir das einigermassen gelungen ist, das zu entscheiden überlasse ich
dem Urteile erfahrener Männer, die , wie ich zuversichtlich hoffe,
wenigstens meine eifrigen Bemühungen, die Wissenschaft der Geometrie
zu fördern, anerkennen und mir gewogen sein werden.
„Köln am Rhein, den 1. December 1825."
Dafs Taurinus zu seinen Untersuchungen über die Parallelen-
theorie durch Schweikart angeregt worden ist, bestätigt einmal eine
Stelle seiner Theorie der Parallellinien, die wir S. 261 mitteilen
werden, noch deutlicher jedoch ein Brief, den Schweikart am
1. Oktober 1820 aus Marburg an Taurinus abgehen liefs, der da-
mals in Göttingen Jura studierte. In diesem Briefe heifst es:
„Was die Mathematik betrifft, so überzeugte mich das, was Du
Euklid-Übersetzung ist wiederholt neu aufgelegt worden und war in Deutschland
sehr verbreitet.]
*) [Euclidis Elementa graece et latine, ed. Camerer et Hauber. Bd. I. Berlin
1824. Der Exciirsii-s ad Elementornm I. 29 enthält eine wertvolle Geschichte der
Versuche, die fünfte Forderung zu beweisen; für das Folgende kommen beson-
ders die Ausführungen auf S. 423 — 426 in Betracht.]
**) [Eine wohlwollende Besprechung der Parallelentheorie von Taurinus ist
im September 1827 in der Alhjemcinen Deutschen Litteraturzeitung erschienen.]
Aus der Vorrede zu den Elementa. Schweikart und Giiul's an Taurinus. 249
schriebst, dafs ich mich auch in diesem Punkte nicht in Dir geirrt
hatte. —
„Durch meine vieljährigen Studien bin ich zuletzt zu der Einsicht
gelangt, dafs unsere Geometrie nur eine relative Wahrheit habe, und
dafs es eine höhere, welche ich die Astralgeometrie nenne, gebe, nach
vs^elcher z. B. die Winkel im Dreyecke kleiner als 2 rechte sind und
immer mehr abnehmen, jemehr der Inhalt wächst, ja dafs mit der
Gröfse der Winkel auch der Inhalt und umgekehrt gegeben ist.
„Zu meiner Freude erfuhr ich, dass der berühmte Gaufs schon
lange auf demselben Wege und darauf schon weit vorgeschritten ist.
In kurzer Zeit würde ich Dich in diese Ansicht einführen können
und Deinem Erfindungstriebe ein weites Feld eröffnen.'^
Es folgt eine Einladung an Taurinus, nach Königsberg zu
kommen, die jedoch abgelehnt wurde.
Erst seit dem Jahre 1824 scheint Taurinus sich eingehender
mit der Parallelentheorie beschäftigt zu haben. Die Ergebnisse, zu
denen er kam, hat er dann Schweikart und Gaufs vorgelegt.
Das Antwortschreiben Schweikarts vom 18. November 1824 ist
schon auf Seite 245 — 246 mitgeteilt. Wir lassen nunmehr auch das
Schreiben von Gaufs folgen:
„Ewr. Wohlgeboren
gefälliges Schreiben vom 30 Oct. nebst dem beigefügten kleinen
Aufsatz habe ich nicht ohne Vergnügen gelesen, um so mehr, da ich
sonst gewohnt bin, bei der Mehrzahl der Personen, die neue Versuche
über die sogenannte Theorie der Parallellinien [machen,] gar keine
Spur von wahrem geometrischen Geiste anzutreffen.
„Gegen Ihren Versuch habe ich nichts (oder nicht viel) anderes
zu erinnern als dafs er unvollständio; ist. Zwar lässt Ihre Darstelluns*
des Beweises, dafs die Summe der drei Winkel eines ebnen Dreiecks
nicht grösser als 180*^ seyn kann in Rücksicht auf geometrische
Schärfe noch zu desideriren übrig. Allein dies würde sich ergänzen
lassen, und es leidet keinen Zweifel dafs jene Unmöglichkeit sich auf
das allerstrengste beweisen läfst. Ganz anders verhält es sich aber'
mit dem 2". Theil, dafs die Summe der Winkel nicht kleiner als 180"
seyn kann; dies ist der eigentliche Knoten, die Klippe woran alles
scheitert. Ich vermuthe, dafs Sie sich noch nicht lange mit diesem
Gegen stände beschäftigt haben. Bei mir ist es über 30 Jahr, und
ich glaube nicht, dafs jemand sich eben mit diesem 2". Theil mehr
beschäftigt haben könne als ich obgleich ich niemals etwas darüber
bekannt gemacht habe. Die Annahme, dafs die Summe der 3 Winkel
kleiner sei als 180*^, führt auf eine eigne von der unsrigen (Euclidi-
250 i^- K. Schweikait und F. A. T;iurinus.
sclieji) gauz verschiedene CTeometrie, die in sich selbst durchaus con-
sequent ist, und die ich für mich selbst ganz befriedigend ausgebildet
habe, so dafs ich jede Aufgabe in derselben auflösen kann mit Aus-
nahme der Bestimmung einer Constante, die sich a priori nicht aus-
mitteln Uifst. Je grösser man diese Constante annimmt, desto mehr
niihert man sich der Euclidischen Geometrie und ein unendlich grofser
AVertli macht beide zusammenfallen. Die Sätze jener Geometrie
scheinen zum Theil paradox, und dem Ungeübten ungereimt; bei ge-
nauerer ruhiger Überlegung findet man aber, dafs sie an sich durch-
aus nichts unmögliches enthalten. So z. B. können die drei Winkel
eines Dreiecks so klein werden als man nur will, wenn man nur die
Seiten grofs genug nehmen darf, dennoch kann der Flächeninhalt
eines Dreiecks, wie grols auch die Seiten genommen werden, nie eine
bestimmte Grenze überschreiten, ja sie nicht einmahl erreichen. Alle
meine Bemühungen einen Widerspruch, eine Inconsequenz in dieser
Nicht -Euclidischen Geometrie zu finden sind fruchtlos gewesen, und
das Einzige was unserm Verstände darin widersteht, ist dafs es, wäre
sie wahr, im Raum eine an sich bestimmte (obwohl uns unbekannte)
Lineargrösse geben müfste. Aber mir deucht, wir wissen, trotz der
Nichts Sagenden AVort-Weisheit der Metaphysiker eigentlich zu wenig
oder gar nichts über das wahre Wesen des Raumes, als dafs wir
etwas uns unnatürlich vorkommendes mit Absolut Unmöglich ver-
wechsehi dürfen. Wäre die Nicht-Euclidische Geometrie die wahre,
und jene Constante in einigem Verhältnifse zu solchen Grössen die im
Bereich unsrer Messungen auf der Erde oder am Himmel liegen, so
liefse sie sich a posteriori ausmittelu. Ich habe daher wohl zuweilen
im Scherz den Wunsch geäufsert, dafs die Euclidische Geometrie
nicht die Wahre wäre, weil wir dann ein absolutes Maass a priori
haben würden.
„Von einem Manne, der sich mir als einen denkenden Mathema-
tischen Kopf gezeigt hat, fürchte ich nicht, dafs er das Vorstehende
misverstehen werde: auf jeden Fall aber haben Sie es nur als eine
Privat-Mittheilung anzusehen, von der auf keine Weise ein öfi'entlicher
oder zur Oefi'entlichkeit führenkönnender Gebrauch zu machen ist.
Vielleicht werde ich, wenn ich einmahl mehr Mufse gewinne, als in
meinen gegenwärtigen Verhältnifsen , selbst in Zukunft meine Unter-
suchungen bekannt machen.
„Mit Hochachtung verharre ich
Ewr Wohlgeboren
Göttingen den 8 November ergebenster Diener
1824. CFGaufs."
Gauls an Tauiinus. Der Stamlpunkt des Taurinus. 251
Wir glauben nicht fehlzugeben, wenn wir annehmen, dafs der
Aufsatz, den Taurinus an Scbweikart und Graufs gesandt hat,
im Wesentlichen das enthielt, was die ersten 87 Seiten der Theorie
der Parallellinien ausmacht. Diese Untersuchungen bezwecken, die
Euklidische Geometrie als die einzig zulässige nachzuweisen. Dafs es
möglich sei, diesen Nachweis zu führen, sobald man nur das Axiom
der geraden Linie voraussetzt, das heifst fordert, dafs die Gerade
durch zwei Punkte vollständig und eindeutig bestimmt ist, davon ist
Taurinus fest überzeugt gewesen. Freilich zeigt die Nachschrift
(S. 88—93) und noch mehr der Nachtrag (S. 95—102) zu seiner
Theorie der Parallellinien, dafs er schon 1825 nicht umhin konnte,
die innere Konsequenz des „dritten Systems der Geometrie" an-
zuerkennen, das heifst, des Systems, bei dem die Summe der Drei-
eckswinkel weniger als zwei Rechte beträgt. Aber er suchte die
Euklidische Geometrie auch jetzt noch zu retten, indem er an der
unendlichen Menge derartiger geometrischer Systeme Anstofs nahm,
denn diese Systeme sind ja eben so zahlreich, wie die Systeme sphä-
rischer Geometrien.
Auch die 1825 verfassteu und 1826 veröffentlichten Geometriae
prima elementa bedeuten in dieser Hinsicht keinen Fortschritt:
Taurinus stellt sich auch hier noch durchaus auf den Boden der
Euklidischen Geometrie. Dies ist um so wunderbarer, als er die
Widerspruchslosigkeit des dritten Systems oder, wie er jetzt sagt,
der logarithmisch- sphärischen Geometrie, klar erkannt und
sogar die zugehörige Trigonometrie entAvickelt und auf eine Reihe
von elementaren Aufgaben mit Erfolg angewandt hatte. So tiefe
Wurzeln hatte die zweitausendjährige Autorität Euklids!
Was die Einzelheiten betrifft, so verweisen wir auf die Auszüge
aus den Schriften von Taurinus, die wir im Folgenden mitteilen
werden. Wir haben uns dabei auf das Wichtigste beschränkt und
bemerken noch, dafs die Theorie der Parallellinien von 1825 in
den Königlichen Bibliotheken zu Berlin und Dresden, sowie in den
Universitätsbibliotheken zu Bonn und Jena vorhanden ist, während
die Geometriae prima elementa nur im Besitze der Universitäts-
bibliothek zu Bonn sind. Die Elementa gehören zu den seltensten
Schriften, welche die Bücherkunde aufzuweisen hat. Man findet sie
in keinem der bis jetzt veröffentlichten Verzeichnisse von Schriften
über die Parallelentheorie und die Grundlagen der Geometrie aufgeführt.
Wir haben von dem Vorhandensein der Elementa erst durch Herrn
Pastor A. Für er Kunde erhalten; wie dieser mitteilt, hat Taurinus
252 1''. K. Schweikart und F. A. Tauriiius.
einige wenige Exemplare der auf eigoiie Kosten gedruckten Elementa
an Freunde verschenkt sowie mathematiscben Autoritäten übersandt
und hat später aus Unmut darüber, dafs seine Bestrebungen keine
Anerkennung fanden, den Rest der Auflage den Flammen überliefert.
Fassen wir schliefslich die Ergebnisse unsrer Nachforschungen
zusammen, so können wir sagen, dafs Schweikart und Taurinus
ein bis jetzt nicht beachtetes, jedoch sehr beachtenswertes Mittelglied
bilden zwischen Saccheri und Lambert einerseits und Gaufs, Lobat-
schefskij und Bolyai andrerseits.
Schweikarts Leistung besteht darin, dafs er selbständig die
Möglichkeit und die Berechtigung einer nichteuklidischen Geometrie
klar erkaunt und ausgesprochen hat, und in dieser Beziehung ist er
mit Gaufs gleichberechtigt. Da er jedoch in der Ausbildung seiner
neuen Geometrie nicht über die Anfänge hinaus gekommen zu sein
scheint, so können wir ihn nicht mit Gaufs, Lobatschefskij und
Bolyai in eine Linie stellen.
Taurinus konnte sich nicht zu der Freiheit der Auffassung: er-
heben, durch die sich Gaufs und Schweikart auszeichnen; er war
ebenso wie Saccheri und Lambert von der unbedingten Wahrheit
der Euklidischen Geometrie überzeugt. Aber während schon Saccheri
den Kampf gegen die widerspenstige Hypothese des spitzen Winkels nur
mühsam durchgeführt hatte, und Lambert diesen Kampf, Avie wir an-
nehmen dürfen, abgebrochen hat, so sah sich Taurinus genötigt, die
Widerspruchsfreiheit des „dritten Systems" anzuerkennen, versuchte aber
die Alleinherrschaft der Euklidischen Geometrie dadurch zu retten, dafs
er sich auf die Vielheit der Geometrien des dritten Systems berief und
diese für unzulässig erklärte. Das sind, um mit Lambert zu reden,
„argumenta ab amore et inuidia ducta", die aus der Wissenschaft zu
verbannen sind. Jedoch ist Taurinus vermöge seiner Erkenntnis
von der Widerspruchsfreiheit der neuen Geometrie in der Ausbildung
dieser Geometrie viel weiter vorgedrungen als Saccheri und Lam-
bert und ist sogar durch einen genialen Gedanken, dem Lambert
schon sehr nahe gewesen war, zu einer nichteuklidischen Trigono-
metrie gelangt, wie sie später Lobatschefskij und Bolyai auf
systematischem Wege ausgebildet haben. Endlich war sich Taurinus,
ebenso wie Lambert, darüber vollkommen klar, dafs das geometrische
System, das aufser dem Euklidischen und dem logarithmisch-sphä-
rischen noch möglich ist, auf der Kugel seine Verwirklichung findet,
eine Einsicht, der man erst bei Riemann wieder begegnet.
Litteratur zu Schweikart und Taurinus. 253
Litteratur.
Baltzer, R., Elemente der Mathematilc. Bd. 2. Zweite Auflage. Leipzig 18G7.
S. III. S. 13—17. S. 146.
Bartels, J. M. C, Vorlesungen über mathematiseJie Analysis. Herausgegeben von
F. Gr. W. Struve. Dorpat 1837. (Enthält eine Biographie von Bartels.)
Battaglini, Sulla Scienza dello Sxxizio assolutamente vera , ecl indipendtnte della
veritä o della falsitä delV assioma XI di Euclide, giammai da potersi decidere
a 2Jriori par Giovanni Bolyai (versione dal latino). Giornale di Matema-
tiche ad uso degli studenti delle universitä italiane pubblicato per cura del
Prof. G. Battaglini. Vol. VI. 1868.
Frischauf, J., Absolute Geometrie nach Johann Bolyai. Leipzig 1872.
Grün er t, J., Über den neuesten Stand der Frage von der Theorie der Parallelen.
Grunerts Archiv. Teil 47. Greifswald 1867. S. 307—327.
Halsted, Georg Bruce, Geometrical Besearches on the theory of parallel s by NicJio-
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Halsted, Georg Bruce, Science Absolute of Space of Johann Bolyai. Austin [1891.]
Hoüel, Etudes geometriques sur la theorie des paralleles par J. N. Lob at sehe wsky,
traduit de l'Allemand. Suivie d'un extrait de la Correspondance de Gauss et
Schumacher. Paris 1866. Zuerst veröffentlicht in den Memoires de la Societe
des sciences physiques et naturelles de Bordeaux. Tome IV". S. 83 — 128. Bor-
deaux 1866.
[Hoüel] La science absolue de l'espiace independaute de la verite ou de la faussete
de l'Axiome XI d'Euclide (que Ton ne pourra jamais etablir a priori); suivie
de la quadrature geometrique du cercle, dans le cas de la faussete de
l'Axiome XL Par Jean Bolyai, Capitaine au Corps du Genie dans l'armt'e
autrichienne. [Traduit du Latin par J. Hoüel]. Precede d'une notice sur la
vie et les travaux de W. et J. Bolyai par M. Fr. Schmidt, Architecte ä
Temesvär. Paris 1868. Zuerst veröffentlicht in den Memoires de la Societe
des sciences physiques et naturelles de Bordeaux. Tome V. Bordeaux 1867.
Justi, K. W., Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten-^ Schriftsteller- und Künstler-
geschichte vom Jahre 1806 bis zum Jahre 1830. Marburg 1831. S. 622.
Klein, F., Nicht-EuJclidische Geometrie. Vorlesung gehalten im Wintersemester
1889—90. Autographirt. Göttingen 1893.
Lobatschefskij, N. J., Polnoje sobranije sotschinenij po geometrii. Bd. I, die
russisch geschriebenen Arbeiten enthaltend, Kasan 1883. Bd. IT, die deutsch
und die französisch geschriebenen Arbeiten enthaltend, Kasan 1886. Bd. II
führt auch den Titel: Collection complete des oßuvres geometriqiies de N. J.
Ijobatscheffsky.
Poggendorff, Artikel Schweikart in dem Biographisch-litterarischen Handwörter-
buch. Leipzig 1863. 4». Bd. 2. S. 876.
Sartovius, W., von Waltershausen, Gaufs zum Gedächtnifs. Leipzig 1856.
254 Litteratur zu Schweikart und Taurinus.
Schmidt, ¥., Aus dem Leben zioeier ungarischer Mathematiker, Johann und Wolf-
gang Bohjai von Bohja. Grunerta Archiv. Bd. 48. 1868. S. 217.
Die unter [Hoüel] erwähnte Kotice Sur la vie et les travaux de W. et.
J. Bolyai ist eine Übersetzung dieser Mitteilungen. Ferner giebt es eine
italienische Übersetzung (A. Forti): Intorno alla vita ed agli scritti dt Wolf-
gang c Giovanni Bolyai di Bolya matematici ungheresi in dem Bulletino di
Bibliografia e di storia delle scienze matematiche et fisiche. t. I. Rom 1868.
Scriba, H. E., Biograj)hisch-literärisches Lexicon der Schriftsteller des Grofsherzog-
thtims Hessen im ersten Viertel des neunzehnten Jahrhundeiis. Erste Abthei-
lung. Darmstadt 1831. S. 382 (Schweikart), S. 403 (Taurinus).
Wassiljef, A. , Nicolai Ivänovieh Lohachevsky , Address pronounced October 22,
1893. Translated by 6. B. Halsted. Austin, Texas. 1894. S. 9. Eine von
F. Engel bearbeitete Übersetzung des russischen Originals wird im Laufe
des Jahres 1895 bei B. G. Teubner in Leipzig erscheinen.
Winter, Artikel Schweikart in der Allgemeinen Deutschen Biographie. Bd. 33.
Leipzig 1891. S. 388.
THEORIE
DER
»li^ii2,r^]^^Mmi^
F. A. TAURINUS.
verum curo et rogo.
HORAT.
MIT DREI STEINTAFELN.
GEDRUCKT UNO ZU HABEN BEI .lOHANN PETER BACHEiM.
1 8 2 5.
Was die hier aufgestellte Theorie der Parallellinien betrifft, so (81)
giebt gleich der 51. Satz zu einer äufserst interessanten Bemerkung
Anlafs. In diesem Satze wird bewiesen, dafs, unter der Voraussetzung,
die Summe der Winkel eines Vierecks könne gröfser | sein, als vier 82
Kechte (oder, was auf eins hinausläuft, die Summe der Dreiecks-
winkel gröfser, als zwei Rechte) alle Linien, die auf einer andern
senkrecht stehen, sich in zwei Puncten in gleicher Entfernung zu
beiden Seiten schneiden. Daraus ergiebt sich der offenbarste Wider-
spruch mit dem Axiom der geraden Linie f), und ein solches geome-
trisches System kann nicht geradlinig sein: weiter aber erstreckt sich
auch die Unmöglichkeit nicht: man gelangt vielmehr zu der klarsten
Ueberzeugung , dafs ein consequentes System der Art nichts anderes
ist und nichts anderes sein kann, als ein System von grÖfsten Kreisen
auf der Oherfläche einer Kugel oder eine sphärische Geometrie.
Wenn es ein Mittel gäbe, sich zu überzeugen, dafs die Linien,
die man zeichnet oder sich denkt, alle gerade und in einer Ebene
befindlich wären, so müfste nach unserer Einsicht sich ohne Mühe er-
geben haben, dafs die Euklidische Geometrie die einzige ebene gerad-
linige Geometrie sein kann und die Theorie der Parallellinien würde
nie die mindeste Schwierigkeit gemacht haben. Allein es ist nicht
möglich, bei allen denkbaren Constructionen die Anschauung der Ebene
festzuhalten, und so kann es geschehen, dafs man der geraden Linie
Eigenschaften beilegt, die sie nicht hat, und der Widerspruch sich
nicht sogleich an den Tag legt. Bogen eines und desselben Kreises
haben alle Eigenschaften gerader Linien; sie sind sich ähnlich in allen
ihren Theilen und bringen ähnliche Erscheinungen hervor, ob sie sich
gleich nicht in jeder Lage decken. In der That wird man sich \ leicht 83
überzeugen, dafs zu der Möglichkeit eines consequenten geometrischen
Systems nichts gehört, als ein System von gleichen Linien in einer
zusammenhängenden ebenen oder gekrümmten Fläche.
Es wäre zu wünschen, dafs in dem entgegengesetzten Falle, wenn
die Winkel des Dreiecks zusammen weniger als zwei Rechte aus-
t) [S. 22: „Besonderer Grumhatz der Geometrie. Zwischen zwei Puncten
ist nur eine gerade Linie möglieb."]
Stäckel u. Engel, Paralleleutheorie. 17
258 F. A. Taurinus.
machen — iiiid wenn diefs bei einem einzigen statt fände, so konnte
es bei allen Dreiecken nicht anders sein — der Widerspruch mit dem
Axiom der geraden Linie sich eben so leicht aufdecken liefse: allein
diefs scheint mit weit gröfserer Schwierigkeit verbunden. Wir wollen
indessen den Weg nachzeigen, der unserer Einsicht nach zu dem ge-
wünschten Ziele führen könnte.
[Taurinus führt (S. 83 — 86) folgende Gründe an:
1) Es wäre alsdann die Folge, dafs {gerade} „Linien theilweise zu-
sammenfallen und dann auseinanderlaufen würden, was bei geraden Linien
doch gewifs nicht der Fall sein kann"; es ist das genau die Widerlegung
der Hypothese des spitzen Winkels, die man bei Saceheri (Seite 122) findet.
2) „Es giebt { in der Ebene } nur zwei Arten von Linien, die sich in
allen ihren einzelnen Tbeilen gleich nnd ähnlich sind: die geraden Linien
und Bogen eines und desselben KJreises: eine solche Aehnlichkeit der Linien
wird aber zur Möglichkeit eines geometrischen Systems nothwendig voraus-
gesetzt." Nun können es keine Kreisbogen sein, .,und sind sie gerade Linien,
so folgt unwidersprecblicb, dafs das Euklidische Sj'Stem das einzige ebene
und geradlinige, jedes andere aber uneben und krummlinig sei."]
(86) Eine tiefere Untersuchung über die wahre Natur des dritten
Systems (in welchem die Winkel eines Dreiecks noch keine zwei
Rechte zusammen ausmachen) liegt aufserhalb dem Zweck dieser
Darstellung und wir gestehen, dafs sie imsere Kräfte übersteigen
möchte.
Dafs in einem geradlinigen Viereck die Summe der Winkel gröfser
als vier Rechte sei, ist absolut unmöglich: dagegen können in einem
unebenen geradlinigen Vierecke sehr wohl drei rechte und ein spitzer
Winkel sein, aber man überzeugt sich sogleich, dafs ein solches un-
ebenes Viereck nicht die CTrundlage eines geometrischen Systems sein
kann, dafs dazu wenigstens eine regelmäfsige zusammenhängende
Fläche gehört.
Wir haben gegen die Annahme eines solchen Systems als gerad-
linig noch folgendes einzuwenden:
1. Es widerspricht aller Anschauung. Es ist wahr, ein solches
System würde im Kleinen die nemlichen Erscheinungen dar-
bieten können, wie das Euklidische: allein, wenn die Vorstellung
des Raumes als die blofse Form der üufsern Sinne betrachtet werden
darf, so ist unstreitig das Euklidische System das wahre und es läfst
sich nicht annehmen, dafs eine beschränkte Erfahrimg eine sinnliche
Täuschung erzeugen könne.
2. Das Euklidische System ist die Grunze des ersten (wo die
87 Dreieckswinkel mehr als zwei Rechte | ausmachen): mit dieser Gränze
■ Stücke aus der Theorie der Parallellinien. 1825. 259
hört der Widerspruch, der sich mit dem Axiom der geraden Linie
findet, auf.
3. Wäre das dritte System das wahre, so gäbe es überhaupt keine
Euklidische Geometrie, da doch ihre Möglichkeit nicht geläugnet
werden kann.
4. Es findet sich bei der Voraussetzung eines solchen Systems
als geradlinig kein stetiger Uebergang: die Winkel eines Dreiecks
könnten nur mehr oder weniger, als zwei Rechte ausmachen.
5. Dieses System würde ganz paradoxe Folgen haben, die allen
Vorstellungen geradezu widersprechen: man wird geneigt, dem Raum
Eigenschaften beizulegen, die er nicht haben kann.
6. Alle vollkommene Aehnlichkeit der Flächen und Kör-
per fällt weg, und doch scheint dieser Begriff in der Anschauung
gegründet und ein wahres Postulat zu sein.
7. Das Euklidische System ist auf jeden Fall das vollkommenste
und schon deshalb spricht die höchste Wahrscheinlichkeit dafür, dafs
es auch das wahre sei.
8. Die innere Cousequeuz des dritten Systems ist kein Grund,
es als ein geradliniges zu betrachten: es findet sich in demselben nur
bis jetzt kein Widerspruch mit dem Axiom der geraden Linie, wie in
dem andern f).
Was das dritte System nun eigentlich sei, ob etwa ein System
von Linien auf der Oberfläche einer Kugel, die durch ebene Schnitte
entstehen — ob es Linien enthalte, die gleich sein können, ohne dabei
allemal ähnlich zu sein und sich zu | decken — oder ob es vielleicht 88
auf etwas Unmögliches führeff), lassen wir dahin gestellt sein und
sprechen zum Schlüsse unsere Ueberzeugung dahin aus, dafs es ein
solches System allerdings gebe; dafs wir aber zweifeln, ob es eine ge-
radlinige und eine ebene Geometrie sein werde.
\^Aiis der Nachschrift teilen wir folgende Stelle mit:]
Es läfst sich sehr leicht zeigen, dafs ein geometrisches System,(89)
in welchem weniger als zwei Rechte im Dreieck enthalten sind, an
sich nicht bestimmt ist, sondern eine besondere Bestimmungso-rörse
oder Constante erfordert. Hieraus ergiebt sich sogleich, dafs es
a priori gar keine andere Geometrie, als die | Euklidische für uns 90
t) [Diesen Einwand hat Taurinus später fallen lassen ; vergleiche S. 96 seiner
Theorie der Parallellinien, hier S. 201 unten.]
tt) [Man erinnere sich an Lamberts imaginäre Kugel (S. 145 dieses
Werkes.)]
17
2G0 F. A. Tauriuus.
giebt, weil eine solche Coustante ganz willkührlicli augeiiommen
werden kannf).
Man denke sich im Raum drei feste Puncte, die nicht in gerader
Linie liegen, durch Linien verbunden. Einer jeden willkührlichen An-
nahme der Winkelsumme in dem so entstandenen Dreieck entspricht
auch eine besondere Natur der drei Linien; denn die Winkel hängen
durchaus von der Natur der Linien ab und die Constante, die dem
geometrischen System zum Grunde liegt, hat unmittelbar nur auf die
Beschaffenheit der Linien Einflufs. Die Linien des Dreiecks sind also,
so lange es noch einer Constante bedarf, durch die zwei Puncte,
zwischen welchen sie liegen, nicht bestimmt; daher sind sie, wenn sie
auch gerade Linien sein könnten, doch nicht von der Art, wie die-
jenige, die die Grundlage unserer Geometrie ausmacht: denn diese soll
durch zwei Puncte vollkommen bestimmt sein. Nun bedarf es nur in
dem Falle keiner Coustante, wenn die Dreieckswiukel zwei Rechte
ausmachen; also kann auch nur in diesem Falle die gerade Linie
schon durch zwei Puncte bestimmt sein oder die Euklidische Geometrie
entspricht allein uuserm Axiom von der geraden Linie.
Li derselben ist die Summe der Winkel von der Gröfse der
Seiten unabhängig und in allen Dreiecken gleich grofs.
Darf man voraussetzen, dafs ein consequentes System, in welchem
weniger als zwei Rechte im Dreieck enthalten siud, nur einer Con-
stante bedürfe, wie die sphärische Geometrie, so könnte man daraus
91 schliefsen, dafs es nur ein System von Bogen eines Kreises sein
könne: denn durch eine Constante kann aufser den ZAvei Puncten,
zwischen welchen eine Linie liegt, nur noch ein dritter Pimct be-
stimmt werden: drei Puncte aber bestimmen einen Kreis. Allein eine
solche Voraussetzung scheint sich nicht rechtfertigen zu
lassenft).
In der sphärischen Geometrie hat man
(^='i^'^'^)'
wo A, B, C die drei Tangenten-Winkel, w die von den Winkeln
Äj JB eingeschlossene Seite, j) die Ludolphische Zahl, r den Halbmesser
bezeichnet. Da mau für ein geometrisches System, in welchem weniger
als zwei Rechte im Dreieck enthalten sind, die Gröfsen Ä, B, m, r
die nemlichen sein lassen kann, so wären für C bei gleichen Be-
Stücke aus der Theorie der Piirallelliriien. 1825. 201
stimmimgsgröfsen zweierlei Werthe möglich, welches doch dem wider-
spricht, dafs C eine defcerminirte Function von Ä, B, m, r sein soll.
Die Idee einer Geometrie, in welcher die Summe der Dreiecks-
winkel kleiner als zwei Rechte wäre, ist mir schon vor vier Jahren
mitgetheilt worden;*) ich habe mich aber nicht damit befreunden
können und kann es jetzt noch viel weniger. Wenn es ein solches
System gäbe, so wäre unter den unzählig vielen möglichen nur eines
das wahre: allein es ist mir viel wahrscheinlicher, dafs alle diese
Systeme zugleich existiren, so wie es unzählig verschiedene sphä-
rische Geometrieen giebt, weil man sich Kugeln von unzählig ver-
schiedenen Halbmessern denken kann.
[Aus dem Nachtrag:]
Der Satz, bei welchem die Eigenschaft der geraden Linie [durch(95)
zwei Puncte eindeutig bestimmt zu sein] am meisten in Betracht
kommt, dessen Beweis daher der ganzen Geometrie die eigentliche
Gestalt giebt, ist der Satz von der Summe der in einer ebenen gerad-
linigen Figur enthaltenen Winkel. Die gründlichste Methode, den
Beweis zu führen, ist ohne Widerrede die, wenn man die drei mög-
lichen, ganz verschiedenen, geometrischen Systeme hinreichend ent-
wickelt, um die Uebereinstimmung oder den Widerspruch mit dem
Axiom der geraden Linie aufzudecken. Eine Geometrie, in welcher
mehr als zwei Rechte im Dreieck enthalten sind, führt auf einen
offenbaren Widerspruch mit deai Axiom der geraden Linie; denn in
jedem System der Art würden die geraden Linien sich in zwei Puncten
schneiden, ohne zusammenzufallen.
In dem umgekehrten Falle scheint sich auf den ersten Blick eine
grofse Schwierigkeit zu erheben: allein die Wahrheit liegt meiner
Einsicht nach doch j bei weitem nicht so tief, als man zu glauben ge- 96
neigt sein möchte und ich mich anfangs selbst überredet habe. Jede
Geometrie, in welcher die Winkelsumme im Dreieck kleiner, als zwei
Rechte, angenommen wird, enthält in sielt selbst — dem Begriff nach
— keinen Widerspruch mit dem Axiom der geraden Linie und ich
nehme meine Vermuthung, dafs ein solcher sich möchte auffinden lassen,
ganz zurück. Es ist diefs eine nothwendige Folge des Axioms, dafs
zwischen zwei Puncten nur eine gerade Linie möglich sei, welches
eine solche Geometrie gewissermafsen nicht ausschliefst. Der Wider-
spruch mufs darin gesucht werden, dafs es nicht ein, sondern eine
*) Von meinem Oheim Prof. S[chweikai't] in K[önig8berg], damals noch in
M[arburg]. [Brief vom 1. October 1820, Seite 248 f. dieses Buches.]
262
F. A. Tauiinus.
unendliche Menge von ►Systemen der Art gicbt, vun welchen jedes auf
Clültigkeit gleichen Anspruch haben würde; dafs es daher zwischen
zwei Puncten im Räume unendlich viele gerade Linien gäbe, da es
doch nach unserm Axiom nur eine einzige, durch zwei Puncte voll-
kommen bestimmte geben soll. Die Linien eines Dreiecks, das weniger
als zwei Rechte enthält, sind also nicht gerade und können sich nicht
in jeder Lage decken; höchstens dürfte man voraussetzen, dafs diefs
in gewissen Lagen statt finden möchte.
(97) Indessen läfst sich ein System der Art vielleicht vollständig ent-
wickebi und bietet immer einen interessanten Gegenstand der Unter-
suchung dar. Ich vermuthe, dafs es auch nicht ohne Bedeutung in
der Mathematik sein werde.
Wenn in einem ebenen geradlinigen Vierecke drei rechte und
ein spitzer Winkel sein können, so läfst sich folgendes beweisen:
98 LIn jedem Dreiecke sind weniger, als zwei rechte Winkel.
Denn es seien in dem A al)c
(Fig. IL) zwei Rechte, oder mehr als
zwei Rechte. Fälle (22.) f) von a
auf de das Loth ad, so müssen, da
in den AA ahd, ade die Summe
der Winkel bei d um zwei Rechte
vermehrt ist, in dem einen oder
dem andern gleichfalls zwei, oder mehr als zwei Rechte sein. Es sei
diefs in A ade der Fall: beschreibe (34.) demselben über ac ein
gleiches aec, so dafs ae = de:, alsdann "ist eac = aed, eca = dac,
daher ead= ccd und da a[ngenommener] M[afsen] dac -f- aed = Il oder
> JB, so ist auch ead (= ecd) = R oder > Fi. Errichtet man daher (16.)
in «, c Lothe, so würden sie im ersten Fall mit ae, ee zusammenfallen
und es entstände ein Rechteck aedc. allein alsdann würden auch alle
Linien, die auf einer andern senkrecht stehn, parallelff) sein. Denn
verlängere (21.) ad nach /, de nach g, errichte (16.) in f,y Lothe, die
sich in li schneiden, verlängere auch ec nach i, ae nach h, so ist,
weil aedc ein Rechteck (46.) fi = ae, folglich (4L) fiae ein Recht-
t) [Diese Zahlen bedeuten hier und im Folgenden die Nummern der Lehrsätze
aus Taurinus' System der ebenen Geometrie, das unter dem Namen: Die ersten
Elemente der Geometrie den gröisteu Teil seines Buches (S. 17 — 72) ausmacht. Es
schien uns nicht erforderlich, diese Lehrsätze jedesmal anzuführen.]
tt) [Von Euklid abweichend erklärt Taurinus (S. 17) als parallel „Linien, die
beständig einerlei Entfernung von einander behalten."]
Stücke aus der Theorie der Parallellinien. 1825.
263
eck, daher auch iheh ein Rechteck oder fhg = B, also auch fhdg
ein Rechteck, dessen Seiten parallel sind und es ist einleuchtend, dafs
diefs Verhältuifs allgemein statt finden würde, gegen die Voraussetzung.
Im letzten Fall würden die Lothe innerhalb des A ace, z. B.
in l sich schneiden, es wäre (23.) alc^ amc, amc'> aec, folglich
alc > aec > R und in der Figur aide wären bei a, d, c rechte Winkel,
dagegen alc>B, folghch (51.) alle Linien, die auf einer andern
senkrecht stehen, convergirend und nicht gerade, was der Voraus-
setzung widerspricht.
2. Wenn von einem Puncte aus nach einer Linie andere
Linien gezogen werden, so können die Winkel, | die die letz- 99
tern mit der erstem machen, kleiner als jede angebliche
Gröfse werden.
Denn es sei a (Fig. IIL) ein Punct, aus welchem nach der bc
Linien ad, ae gezogen sind. In dem A
ade sind die Winkel zusammen < 2 jR.
Mache (7.) ef=ae, ziehe af, so ist (8.)
eaf = afe und {eaf + C'fß + (^ef) < 2 JR.
Aber (17.) aef -f- aed = 2 JR, daher aed ^
> (eaf -{- afe) und afe < ^ aed. Da mau
von der hc Stücke, so grofs wie man nur will und ohne Ende nehmen
kann, weil sich für ihre Verlängerung keine Gränze absehen läfst, so
mufs man (wie die Arithmetik lehrt) einmal auf einen Winkel
kommen können, der kleiner ist, als jeder angebliche.
e f
Fig. III.
3. Wenn zwei Linien von einer dritten unter gleichen
Wechselwinkeln geschnitten werden, so giebt es eine an-
dere, die auf den beiden ersten lothrecht steht, welche sich
alsdann nicht schneiden können.
Denn es seien «&, cd (Fig. IV.) zwei Linien, die von der ef so
geschnitten werden, dafs hef = efc. Halbire (13.) ef in g, fälle (22.) gJi,
gi. In den AA egi, ghf ist a[ngenommener]
M[afsen] ieg=gfh, d[uv eh.] C[onstruction] ^
eg = gf, eig = ghf, daher (33.) A egi
= Aghf: egi = hgf. Aber (17.) egi -f igf
==2B, daher auch igf-j-fg]i = 2B, folg- ^
lieh (20.) ig, gh in gerader Linie, die
sowohl auf ah als cd senkrecht steht: daher (48.) ah, cd zu beiden
Seiten von ih divergirend.
d
Fig. IV.
264
F. A. Tauiiuus.
4. Zwei Linii'ii schneiden sich oder eine dritte kann auf
beiden senkrecht stehu.
Es seien ah, cd (Fig. V.) zwei Linien, die sich nicht schneiden,
ef ein Loth auf cd und hef < R: ziehe eg. Wäre heg>egf, so
wird es immer eine Linie eh
von der Lage geben, dafs hcJt
= ehf, alsdann giebt es nach
dem vorigen Beweis auch eine
Linie, die auf ab und cd senk-
recht steht. Wäre heg <. egf, so
100 r ^. \: 1= d giebt es | eine Lage ei, in welcher
die von e aus gezogenen Linien
die cd nicht mehr treffen werden.
Allein die von e nach der cd gezogenen Linien können, nach dem
obigen Beweis, mit derselben Winkel bilden, für deren Abnahme es
keine Gränze giebt, während der Winkel hei immer eine angebliche
Grofse behalten wird: daher giebt es gewifs eine Linie zwischen e
und der cd, die die Lage hat, dafs sie mit ah, cd gleiche Wechsel-
winkel bildet, folglich auch eine andere, die auf beiden lothrecht steht.
5. Nun seien ah, ac (Fig. VL) zwei Linien, die unter dem spitzen
Winkel hac zusammentreffen. Errichte (16.) in dem beliebigen Punct e
das Loth ed, so sind
in dem A ade we-
niger, als zwei Rechte.
Mache (7.) ef = ae,
ziehe df, so ist (6.)
A def=A dae. Er-
richte in f das Loth
fg. Da in dem A
gdf höchstens zwei
Rechte sein können, so sind, wenn D den Unterschied zwischen zwei
Rechten und den im A dae enthaltenen Winkeln bezeichnet, in den
AA dae, def, gdf höchstens 6 R — 2 D, und, wenn 2 R bei d, 2 R
bei e abgezogen werden, in A gaf höchstens 2R — 2D. Aber
A gaf hat mit A dae den Winkel hac und einen Rechten gleich;
folglich ist es nur der Winkel agf, der um den Unterschied D ab-
genommen hat. Wird dem A gaf ein gleiches verzeichnet, indem
man fJi = af macht, so ist es einleuchtend, dafs das in h aufgerich-
tete Loth, bis zur ah verlängert, mit dieser einen Winkel bilden würde,
der wenigstens um den doppelten Unterschied D kleiner wäre, als
Stücke aus der Theorie der Parallellinien. 1825.
265
ayf, und tla man die Coustruction gleiclier Dreiecke ohne Ende fort-
setzen kann, Aveil es für die Verlängerung der ac keine Gränze giebt,
so wird zuletzt die Summe der Winkel, wie gering auch der Unter-
schied D gedacht werden ] mag, so klein als man will und = 0 loi
werden können. Diefs ist aber, da allen Dreiecken der Winkel l)ac
und der rechte Winkel, den das auf ac aufgerichtete Loth bildet, ge-
mein ist, gar nicht möglich. Daher bleibt nichts übrig, als anzu-
nehmen, dafs es auf der ac einen Punct gebe, wo das auf-
gerichtete Loth die ah nicht mehr trifft.
6. Schliefsen die geraden ha, ac (Fig. VIT.) einen rechten Winkel
hac ein, der durch die ad in zwei gleiche Theile getheilt wird, so giebt
es nach den vorigen ^
Beweisen immer eine
auf a d senkrechte
Linie feg, welche die
Asymptote sowohl
von ah als ac, oder
die Gränze ist, welche
ah, ac nie erreichen
können, obgleich sie
sich derselben ohne -^'s- ^^^•
Ende bis zu einer unangeblichen Entfernung nähern. Man wird aber auch
eg als die letzte Linie betrachten können, die durch den Punct e geht,
ohne die ac zu treffen: alsdann giebt es nach dem obigen Beweis eine Linie,
die auf eg und ac zugleich senkrecht steht: ebenso darf ef für die
letzte Linie genommen werden, die durch den Punct e gehend, die ah
noch schneidet, folglich mit derselben einen Winkel von nicht mehr
angeblicher Gröfse bildet. Werden daher von der feg Lothe auf die ac
herabgefällt, so werden sie mit der erstem jeden möglichen W^inkel,
von einem rechten durch alle Zwischenstufen hindurch bis zum kleinsten
bilden können, die Figur hacgef stellt also die Asymptoten für jeden
Winkel, unter welchem Linien zusammentreffen können, dar.
Die Linie ae kann die Bestimmungsgröfse (Parameter, Axe,
Potenz) des geometrischen Systems genannt werden und es erhellt
von selbst, dafs man sie willkührlich annehmen kaun.
Wäre ae als Grundlinie | eines Dreiecks und gea = R, eac
gegeben, so würde die Summe der Winkel des A age, da der
Winkel bei g verschwindet, = f i2 sein: aber für den Parameter ah
würde die Summe, weil das in l errichtete Loth die ac noch träfe
und einen angeblichen Winkel mit derselben machte, gröfser sein.
^El02
26fy V. A. Taurinus. Stücke aus <ler Theorie der Parallellinien. 18-J5.
Da aber (31.) ein Dreieck durch die Grundlinie und die anliegenden
AVinkel bestimmt ist, so könnte, wenn ein geometrisches System, das
weniger als zwei Rechte im Dreiecke enthält, das geradlinige sein
sollte, von allen möglichen nur eines das wahre sein, es müfste irgend
eine absolute Linie demselben zu Grunde liegen und von dieser
würde dann, wenn drei Puncte als Eckpuncte eines Dreiecks gegeben
wären, die Summe der Winkel desselben, also auch die Gestalt der
Linien abhängen. Aber es läfst sich gar kein Grund einsehen, dem
einen System vor allen andern eine aus schlief? liehe Gültigkeit beizu-
legen, man mufs vielmehr die gleichzeitio-e Möglichkeit aller Svsteme
annehmen und es wären also, wenn mau sie als geradlinig betrachten
wollte, zwischen zwei Puncten unendlich viele gerade Linien denkbar.
Aber zwischen zwei Puncten soll es überhaupt nur eine einzige
gerade Linie geben: daher können die Linien einer Geometrie, in
welcher alle Dreiecke weniger, als zwei Rechte enthalten, nicht gerade
Linien sein.
Anmerkung. Wenn man das Axiom der geraden Linie so ausdrücken will,
dal's die gerade Linie durch zwei Puncte absolut bestimmt sei, so kann keine
Geometrie, in welcher weniger als zwei Rechte im Dreiecke sind, geradlinig sein,
weü die Linien derselben aufser den zwei Puncten, zwischen welchen sie liegen,
ihrer Gestalt nach auch noch von dem Parameter des geometrischen Systems ab-
hängen würden. Man sieht daraus, dafs es auf keinen Fall nöthig ist, wie
manche glauben, entweder das Euklidische 11. Axiom beizubehalten, oder ein
anderes an dessen Stelle zu setzen.
GEÜMETRIAE
PRIMA ELEMENTA.
RECENSUIT
ET NOVAS OBSERVATIONES ADJECIT
FRANC. ADOLPH. TAURINUS.
CUM TABULA LITHOGRAPHICA.
COLONIAE AGRIPPINAE.
T Y P I S J. l\ B A (; H E M 1 1.
MDCCCXXVI.
Es bleibt mir uoch übrig, einiges Wenige über die neue Geo-(56)
metrie hinzuzufügen, die uns bei Gelegenheit dieses Satzes*) ent-
gegentritt.
Der Flächeninhalt der Dreiecke wird, ebenso wie in der sphäri-
schen Geometrie, durch die Winkelsumme bestimmt. Hat man nämlich
ein Dreieck, das eine beliebige Winkelsumme besitzt, und zerlegt es
durch im Innern gezogene Linien in lauter Dreiecke, so wird die
Summe der Winkel aller so entstehenden Dreiecke, vermindert um so
viel mal zwei Rechte, als die Anzahl dieser Dreiecke weniger eins
beträgt, gleich der Winkelsumme des ganzen Dreiecks sein. Haben
daher zwei Dreiecke gleichen Flächeninhalt, so werden sich entweder
beide in eine gleiche Anzahl gleicher Dreiecke zerlegen lassen, und
es wird auch die Winkelsumme in beiden gleich sein, oder, wenn das 57
nicht angeht, wird man doch in beiden Dreiecken eine gleiche Anzahl
gleicher Dreiecke annehmen können, und die überschiefsenden Flächen-
räume werden so klein sein, dafs man sie vernachlässigen darf.
Ebenso wird jedes sehr kleine Dreieck fast genau zwei Rechte ent-
halten, da es ja eine um so gröfsere Winkelsumme hat, je kleiner es
ist. Mithin wird man behaupten dürfen, dafs gleiche Dreiecke gleiche
Winkelsumme haben, und dafs sich die Inhalte der Dreiecke so ver-
halten wie die Unterschiede zwischen zwei Rechten und den jeweiligen
Winkelsummen der einzelnen Dreiecke.
Hieraus folgt eine allgemeine Formel für den Flächeninhalt des
Dreiecks. Es seien a und A die Flächeninhalte zweier Dreiecke, d
und D die Unterschiede ihrer Winkelsummen von zwei Rechten,
dann ist:
« : A=^ d: B
und daher:
d .
a = w A.
*) [Gemeint ist der Satz 24 : Die drei Winkel jedes geradlinigen Dreiecls sind
zusammen gleich zwei Rechten, den Taurimis S. 30 — 36 zu beweisen versucht
hatte. Die Seiten 53 bis 68 enthalten Bemerkungen zu Satz 24, von denen wir
hier einen Teil in deutscher Übersetzung wiedergeben.]
270 F. A. Taminus.
Aus dieser Formel lassen sich verschiedene Folgerungen herleiten.
Zum Beispiel müssen die Unterschiede entweder beide positiv oder
beide negativ sein, damit ^ positiv wird, denn sonst hat die Propor-
tion oder die Gleichung gar keinen Sinn. Ist aber bei ungleichen
d
D
Oberflächen beide Male der Unterschied gleich Null, so wird ^ gleich
, das lieifst, a ist unbestimmt, was in der ebenen Geometrie ein-
tritt. Sind dagegen beide Unterschiede negativ, so kann keiner von
ihnen grösser als zwei Rechte werden, und es ist somit das Dreieck,
dessen Winkelsumme gleich Null ist, die Grenze aller Dreiecke oder
das gröfste von allen. Demnach kann die Fläche des Dreiecks ein
bestimmtes Mafs des Inhaltes nicht überschreiten, und dasselbe gilt
auch für jede geradlinige Figur, die mau als aus solchen Dreiecken
zusammengesetzt anzusehen hat.
Dafs es übrigens unmöglich ist, der Geometrie, bei der im Dreieck
weniger als zwei Rechte sind, einen Widerspruch mit dem Axiome
der geraden Linie nachzuweisen, geht daraus hervor, dafs man, um
zu einem solchen Nachweise zu gelangen, erhärten müfste, dafs zwei
<*erade Linien einander in zwei Punkten schneiden, ohne zusammen-
zufallen; so oft nämlich zwei Linien einander [in dieser Weise]
schneiden, hat, wie wir gezeigt haben, jedes Dreieck mehr als zwei
Rechte. Mithin besteht, soweit es auf die Begründung der Parallelen-
theorie ankommt, zwischen der sphärischen Geometrie und dieser
Geometrie der Unterschied, dafs die erste dem Axiom der geraden
Linie durchaus widerstreitet, während hingegen bei der zweiten der
Widerspruch nur eine Folge der Vielheit der [möglichen] Systeme ist*).
(^G4) Dies war bereits gedruckt, und es blieb mir nur noch übrig,
meine Ansicht über das wahre Wesen dieser Geometrie vorzu-
bringen, da gelangte ich endlich zu der Gewifsheit, dafs sich diese
meine Ansicht wirklich beweisen läfst. Von Anfang an hatte ich
nämlich die Vermutung gehegt, dafs eine solche Geometrie gewisser-
mafsen die Umkehrung der sphärischen sei, dafs sie Logarithmen mit
sich bringe und sich aus der allgemeinen Formel der sphärischen
65 Geometrie herleiten lasse, und ich würde mich darüber wundern, dafs
ich eine Sache, die so klar ist und die für jedermann auf der Hand
*) [Es folgt ein Versuch, luv die neue Geometrie eine Trigonometrie aufzu-
bauen, der jedoch als mil'sglückt anzusehen ist.]
Stücke aus den Geometriae prima elementa. 1826. 271
liegt, nicht früher durchschaut habe und so grofse Weitläufigkeiten
nötig hatte, wenn ich mich nicht erinnerte, dafs gerade Dinge, die
ganz selbstverständlich scheinen, oft sogar bedeutenden Männern lange
verborgen geblieben sind. Übrigens habe ich geglaubt, an alle dem,
was vorher aus analytischen Formeln hergeleitet wurde, nichts ändern
zu sollen, da sich das nur auf das Verständnis jener Geometrie bezieht
und bei blofser Änderung der Formeln vollständig gültig bleibt.
Betrachten wir also die allgemeine geometrische Formel*)
. cosa — cosß cosy
A = arc cos ■ o ■
smp smy
oder auch die folgende einfachere für das gleichseitige Dreieck:
. coso;
A = arc cos - — ; .
1 -j- cos a
Wird hierin a = 0 gesetzt, so ist der ganze Cosinus gleich ^, und
daher der Winkel Ä gleich - , denn die drei Winkel können [hier]
nicht kleiner als zwei Rechte sein. Aber a kann nicht gröfser als
— sein, denn wäre es ein gröfserer Bogen, so würde der Cosinus des
Winkels Ä kleiner als — 1, das heifst unmöglich.
Man setze jedoch**):
coso:
1 -\- cos a "^ ■
Dann ist
dy r äy
da =
W L
j/l- 42/ + 52/^-22/^1 (l-2/)l/l
und
IS a. dy . arc cos y
da . arc cos
l + cosa yi __ 4^/ -|_ 5^/2 — 22/'
Diese Differentialfunktion ist integrabel, auch wenn y kleiner als — 1
ist, denn sie geht in die folgende über:
dy . log y ~yy ~
y+Vy^--^
2")/22/=' — 52/- + 42/— 1
Wenn dagegen y gröfser als — ist, dann scheint die Formel weder
Kreisbogen noch Logarithmen auszudrücken.
Setzt man jedoch 66
cosa = \ -\- X,
*) [A bedeutet einen Winkel, und cc, ß, y sind den Seiten des Dreiecks ^J^'O-
portional.]
*'*) [Der Zweck der folgenden Differentiation ist uns nicht verständlich.]
272 F. A. Taurinus.
wobei ich mir x positiv denke, so wird der Winkel Ä kleiner als ,
und zwar um so kleiner, je gröfser cos« ist. Man setze dalier an
Stelle des Bogens a den imaginären Bogen «]/ — i, dessen Cosinus
gröfser als die Einheit ist, so hat man nach einer den Analytikern
wolil bekannten Formel:
1 , cos (a v^^) + Vcos* Uy^^) — T
ay— 1 = - — : los ^^^^ ^^ ^-'^
2 1/- 1 =" cos {a Y- l) — |/cos« (a-|/- l) — 1
oder
1 , cos (a V— l) — l/cos^ (ccV— l) — 1
a = ^ log ^ "^ ^
008 (a y^^) + ]/cos^ («l/— l) — 1
und diese Formel*) enthält nichts Unmögliches, da man für den Cosinus
des imaginären Bogens ay^^ jede Zahl einsetzen darf, die gröfser
als die Einbeit ist.
Aus dieser Gleichung geht hervor:
cos («y'=^) = Y (e" + e-"),
sin (ay^~i) = ,, (e" — c~") ]/^^.,
und da sich diese Formeln von den in der Geometrie schon längst
gebräucblichen nur dadurcb unterscheiden, dafs hier u an die Stelle
des Exponenten «)/— i gesetzt ist, so gilt offenbar Alles, was man
von den trigonometrischen Linien zu beweisen pflegt, eben so gut
auch für die hier auftretenden imaginären. Zum Beispiel wird sein:
sin (9|/— 1 + ^y— i) = sin ((py^^) cos (ipy::^) -f-
+ sin (j^-y— T) cos (g)}/^^;,
und ebenso bei allen übrigen Formeln.
Mithin wird die Formel**):
cos {ccy~^l) — cos (ß Y^^) C08 (rV-^)
sin (jSy^^J . sin (yl/^^)
, cos (ßY— l) cos (vi/— l) — cos (aV— 1)
A = arc cos - — -
ycos-ißY—i) — !
*) [Sie läfst sich auch in der Form
u = log (cos («l/^^ I — ")/cos* {aY-^} — 1 )
schreiben, die im Folgenden ebenfalls benutzt wird.J
**) [Hierzu heilst es im Druckfehlerrerzeichnis Seite 76 :
„Es hätte bemerkt werden sollen, dass, wenn die Cosinus negativ und kleiner
als — 1 werden , die allgemeine Formel S. 65 umgekehrt wird und die Seite
durch die Winkel, jedoch negativ, ausdrückt. Dies scheint den Sinn zu haben,
dass die Winkel, die hier grösser als l-JO" sind, nicht die Winkel des Dreiecks,
sondern ihre Ergänzungen zu zwei Rechten bedeuten."]
Stücke aus den Geometriae prima elementa. 182G. 273
eine Geometrie bestimmen, bei der alle Dreiecke weniger als zwei G7
Rechte enthalten, wenn nämlich für den imaginären Cosinus oder besser
den Cosinus des imaginären Bogens irgend eine Zahl gesetzt wird,
die gröfser als die Einheit ist. Dabei müssen jedoch von den Zahlen
^> Ä 7 J6 zwei zusammen gröfser als die dritte sein: ich denke mir
nämlich, dafs diese Zahlen die durch eine gewisse konstante Linie R
geteilten Seiten eines Dreiecks sind*). Gleichzeitig erhellt, dafs es
unzählig viele Systeme giebt, da ja, wenn die Linien a, h, c, die Seiten
des Dreiecks, gegeben sind, die Zahlen a, ß, y gröfser oder kleiner
ausfallen, je nachdem man B kleiner oder gröfser annimmt.
Da ferner bei einem sphärischen Dreieck die Abweichung der
Winkelsumme von zwei Rechten gleich:
n 1 + cosa 4- cosß -|- cosy
2 arc cos -— — ; — r» r
4 cos ^ a ■ cos -1 p ■ cos -h y
ist: so wird in der logarithmisch-sphärischen Geometrie der
Unterschied — der von zwei Rechten abzuziehen ist — gleich:
2 2 4- e" + e-" + e^ + e"!^ + e^' + e~^
Setzt man also a, ß, y gleich — , so wird der Unterschied gleich
Null sein, denn in einem sehr kleinen Dreieck ist die Winkel-
summe gleich 7t. Sind dagegen a, ß, y gleich 00, so ist der Unter-
schied gleich 7t, denn die Winkelsumme des gröfsten Dreiecks ist
gleich Null. Wenn endlich a und ß gleich 00 gesetzt werden, y aber
sehr klein ist, so wird der Unterschied, wie es sein mufs, gleich Null.
Auf diese Weise leitet man leicht noch vieles Andre her.
Läfst man diese Geometrie zu, so zeigt sich bei der Winkel-
summe des Dreiecks eben die ununterbrochene Stetigkeit, welche die
Wissenschaft der Geometrie zu erfordern scheint. Geht man nämlich
von dem gröfsten Dreieck der logarithmisch-sphärischen Geo-
metrie aus, so ist diese Summe gleich Null, und je kleiner der Inhalt
des DreiecKS wird, um so mehr wächst die Summe, bis sie den asymp-
totischen Wert, nämlich zwei Rechte, erreicht. Wenn andrerseits die
Summe volle zwei Rechte beträgt, so entsteht die ebene Geometrie, 68
bei der alle Dreiecke zwei Rechte enthalten. Diese liegt in der Mitte
zwischen den sphärischen Geometrien. Wenn in dem Dreieck mehr
als zwei Rechte sind, so nimmt die Summe mit wachsendem Flächen-
inhalte zu, bis sie gleich 3 7t wird, und die Seiten in eine Linie, näm-
*) [Die Konstaute B nennt Taurinus später die Basis des Systems.]
Stäckel u. Engel, Parallelentheorie. 18
69
274 F. A. Taurinus.
lieh in einen [gröfsten] Kreis zusammenfallen; dies tritt ein, "svenn der
Inhalt gleich der halben Kugelobertläche ist.
Auf einen Punkt mufs ich noch zum Schlüsse die Geometer auf-
merksam machen: sie dürfen bei dem Beweise der Parallelentheoric
fernerhin keine Schwierigkeit mehr suchen, denn eine solche ist meiner
Ansicht nach ganz und gar nicht vorhanden. Eine Linie sehen wir
nämlich als gerade au, wenn sie durch zwei Punkte bestimmt ist, und
zum Beweise des elften Euklidischen Axioms ist auTser dieser Er-
klärung nichts erforderlich; die Beweise, die ich in der von mir früher
herausgegebenen Theorie veröffentlicht habe (einige unwesentliche
Punkte sind darin freilich noch zu verbessern), genügen mir auch
heute noch.
Die Untersuchung der Frage, was nun das wahre Wesen der
logarithmisch- sphärischen Geometrie ist, ob sie etwas ^Mögliches ent-
hält oder ob sie nur imaginär ist, wäre zwar für die höchste Gelehr-
samkeit eine würdige Aufgabe, überschreitet jedoch sicher die Grenzen
der Elemente.
Anhang
mit den Lösungen für die bemerkenswertesten Aufgaben der
logarithmisch. - sphärischen Geometrie.
1. Gegeben ist das gröfste Breieck ABC (Fig. L); 2U finden ist das
von [einem PunläeJ der einen Seite AB auf die andre BC gefällte
Lot, zum Beispiel DE, wenn der Winlcel EBB gegeben ist.
In dem Dreieck BEB ist der Winkel BEB oder a*) gleich B
[90"J, gegeben ist der Winkel EBB oder ß, und BBC oder y ist
gleich Null, denn BC ist Asymptote der Linie AB. Wird noch BE
mit C und die Basis des geometrischen Systems mit B bezeichnet, und
C
li
gesetzt, so ist nach der Formel:
cosy + cos u ■ cosß
cos c = — —! ^^ — '^
sma • sinp
[bei dem Dreieck BEB]:
1
COSC = -T— 3-
Sin p
*) [Man beachte, dafs liier und im Folgenden abweichend von der früheren
Bezeichnung «, (3, y für die Winkel, J, B, C für die Seiten des Dreiecks ge-
braucht werden j
Stücke aus den Geonietriae piima elenienta. 1826
275
cosc
Es ist aber
und daher*)
Es sei zum Beispiel a
ß = 9()°, dann ist ^"^
cot ^ /5 = 1 und c = 0;
in der Tliat mufs die Linie
C verschwiDden, wenn sie
auf i?Cund ani AB senk-
recht stehen soll.
Es sei ß = 0, dann
ist C = oo, denn das Lot
ÄF wird unendlich grofs.
Setzt man ß = 45**
so wird
0=Iilog (1+1/2).
Diese Linie FG haben wir
den Parameter genannt,
da von ihr das ganze geo-
= i_(,cv^i + ,-.>/-.)
c = ^7= log cotang \ ß.
Fig. I.
metrische System abhängt**). Wenn also P der Parameter ist, so ist
die Basis:
P
log (1 + -j/2)
cotang \ß = g'^-''^
Umgekehrt ist: 70
und wenn man c = — ]/— 1 setzt, cotang \ß == e und C = B. Die
Basis Bf oder besser Jt]/ — ^ 1, hat man sich übrigens im Mittel-
punkte X des gröfsten Dreiecks ABC (Fig. IL [S. 278]) senkrecht zu
dessen Ebene oder zu der im Punkte x berührenden Ebene vorzustellen.
*) [Es ist (vergleiche die erste Anmerkung auf Seite 272):
c = }/— 1 log (cos c — ycos*6' — l) ,
woraus für
1
sin ß
der angegebene Wert von c hervorgeht. Mithin ist:
G = B log cotang | ß .]
**) \^Taiirinus bezieht sich hier auf seine Theorie der ParaUelh'nien von 1825,
S. 101, bei uns S. 265.]
18*
270
F. A. Taurinus.
In gleicher Weise ist jede Linie, zum Beispiel HJ (Fig. L), welche
die beiden Seiten [Ä C und B C] des gröfsten Dreiecks unter den Win-
keln CHJ=a und CJII=ß schneidet, gleich:
JB log cot ^a cot ^ß-
Diese Formel ist für den Beweis des elften Euklidischen Axioms
von Wichtigkeit. Es mögen nämlich zwei Linien mit einer dritten
sie schneidenden A auf derselben Seite der letzteren die Winkel cc
und ß bilden. Nun hat man, wenn a -{- ß = 180*^ ist :
log cot ^ a ' cot ^ /3 = 0,
sollten also die Linien ein-
ander schneiden, so müfste
^ = 0 sein, und zwar bei
beliebiger Gröfse der Kon-
stanten B. Mithin schnei-
den die Linien einander
nicht, auch nicht in der
ebenen oder Euklidischen
Geometrie; wenn näm-
lich B = <xi ist, geht die
logarithmisch - sphärische
Geometrie in die Eukli-
dische über.
Ist aber « + /3 < 180",
so wird
cot ^- a . cot 1 /3 > 1
^'s- 1. und daher
A^Blog (cot ^- ci . cot i- ß)
um so grösser, ie grösser die Constante B ist. Mithin schneiden die
Linien einander, wenn die schneidende kleiner als
B log cot ^ a . cot ^ ß
ist, und in der- Euklidischen Geometrie, wenn sie beliebig grofs ist.
Ist dagegen a -{- ß > 180", so wird der Logarithmus negativ,
und die Linien treffen auf der andern Seite zusammen.
Auch die Hypotenuse [Ä] und die andre*) Kathete [B] eines
rechtwinkligen Dreiecks, bei dem ein Winkel gleich Null ist, findet
man aus der Formel
cosa -|- cosß • cosy
COS a =
sin (3 ' siny
*) [Die Kathete, die dem verschwindeuden "Winkel gegenüberliegt, ist ja
schon in Nr. 1 des Anhangs Lestimnit.]
Stücke aus den (leometriac, piiiiia clciiienta. I82C. 277
indem man y = 0 und a = 00*' setzt. Es wird nümlicli | wegen
A
a =
jsy — 1
und wegen a = 90**] die Hypotenuse:
^ = E log (cot /3 cot y + ycot^/3cotV — i) ,
oder, da cot y = oo sein soll: 71
= R log (2 oo cot ß) = B (log 2 + log oo + log cot ß).
Ebenso wird die andre Kathete
B == B (log 2 -f- log cos ß -\- log oo) ,
und mithin der Unterschied zwischen Hypotenuse und Kathete gleich:
— B log sin ß *).
Wenn daher ß = 90*^ ist, so verschwindet der Unterschied, und
die Hypotenuse wird ebenso wie die andre Kathete gleich Null;
demnach wird eine Linie, die auf zwei von den Seiten des gröfsten
Dreiecks senkrecht steht, in das Ende dieser Seiten fallen, die freilich
unendlich sind.
Setzt man ß = 45*^, so wird der Unterschied zwischen der Hypo-
tenuse Ä und der Kathete B gleich B ^ log 2, und, wenn /3 =» 0 ist,
wird der Unterschied gleich oo.
Aus solchen Unterschieden kann man auch die Linien finden, die
von zwei Loten abgeschnitten werden**).
*) [Das Ergebnis ist richtig. Um es in aller Strenge herzuleiten, hat man
in den Formeln:
J. = i? log (cot (3 cot y + Ycot^ß cotV -^)
und
B^M^o,r:^.+y'iSj-^)
cosß
sin y
den Winkel y als sehr klein anzunehmen und Ä — B nach Potenzen von y zu
entwickeln. Dann wird
Ä — B = — Blog sin(3 + (y),
wo (y) für y = 0 verschwindet.]
**) [Wahrscheinlich hat Tauritms hier Folgendes gemeint: Werden Ton zwei
Punkten D und D' der Seite AB des gröfsten Dreiecks ABC die Lote DE und
D' E' auf die Seite BG gefällt, so entstehen zwei rechtwinklige Dreiecke BEB
imd BE' D', die beide in B den Winkel Null haben. Die beiden Lote schneiden
also von AB eine Linie DU ab, die gleich dem Unterschiede der beiden Hypo-
tenusen BD' und BD, also gleich
„, cot BD' E'
M l0£f ■
° cot BDE
ist. Ebenso ist
„, cos BD'E'
^^'^-^S^BDE
der Ausdruck für die Länge der Linie EE. Von dieser Formel wird später, am
Ende der Seite 72 des Originals (hier S. 280), Gebrauch gemacht.]
278
F. A. Taurinus.
2. 3Ion soll die Seiten und die Winkel des gleichseitigen Drcieclcs
finden, das innerhalb des gröfsten Breiechs so gezeichnet ist, dafs seine
Eclien auf dessen Seiten liegen.
In dem gröfsten Dreieck ABC
(Fig. II.) seien AB, BE, CF die
Lote, die einander in dem Mittcl-
})uukte X des Dreiecks schneiden.
Man ziehe FE, FB, EB, sodafs
das gleichseitige Dreieck FEB ent-
steht. Da für jedes gleichseitige
Dreieck die Formel gilt:
cos a
1 -f- cos a
A
Fig. n.
cosa =
und da der "Winkel EBC gleich
90^ — ^a = arc cos (sin -^- «) ist, so
wird*)
3 — coso: 3 -}- 2 cosa
1 -|- coso; 1 -f 2 coso'
und aus dieser Gleichung ergiebt sich die Seite des Dreiecks
A 7,1 1/5 + 3
.4 = ii'log-^^^^;
ferner ist cos « = | und cos cc = 0,6.
3. Man soll den Inhalt eines Bi'ciecks finden, ivenn dessen Seifen
gegeben sind.
Der Inhalt des gröfsten Dreiecks sei gleich 31. Wir haben schon
72 bewiesen, dafs sich die Flächeninhalte von Dreiecken wie die Unter-
schiede ihrer "Winkelsummen von zwei Rechten verhalten. Nun ist der
*) [Das Dreieck ^DC hat nämlich die Winkel 0", 90' -, 90*— --, und
es ist DE = xi. Folglich hat mau nach der allgemeinen Formel S. 274, Z. G v. u.
1 -f- sin* ;^
1 -f cos a
Wird hierin für cosa sein Wert
1 -j- cos a
eingesetzt, so ergiebt sich die Gleichung des Textes.]
Stücke aus den Cieometriae prima clcmcnta. 1826. 270
Uiitcr-scliiod, Aveim die Seitoji a, h, c !^'<'gcbeji siml'-'j, deren luilbe
Summe gleich S sei, gleich :
j: arc sin
1/ sin ; • sin ; • sm ; • sin
S- a . S—h .S — c
• sm • sin — —
■Ry-1 iiy-i E]/— 1 B-\/-i
1 a 1 b 1 c
"2 cos ■ cos • cos
und diese Formel hat man, um den Inhalt zu finden, mit M zu mul-
tiplicieren und durch n zu dividieren.
Wenn aber das Dreieck gleichseitig ist und sehr kleine Seiten
hat, so sind die Winkel ungefähr gleich zwei Rechten, und der Inhalt
des Dreiecks ist gleich dem Inhalte des ebenen Dreiecks, das von den-
selben Seiten gebildet wird. Nun ist:
.5^
-S 1
sm — -^^_ = — ; V c " — e
BY—l 2^—1
und so weiter, man erkennt daher leicht, dafs der Inhalt des Drei-
ecks dem Werte:
in ' ir-
sehr nahe kommt**), der seinerseits dem Werte [für das ebene Dreieck] :
a^ys
4
gleich sein mufs. Mithin ist:
oder, da der Parameter
ist:
(log a-f 1/2 0'
Zu derselben Gleichuno; kann man auch auf folgende Art un-
mittelbar gelangen :
Es mögen AB, CD (Fig. III.) zwei Lote sein, die man in einem
gröfsten Dreieck von einer Seite auf die andre gefällt hat, und zwar
seien sie so klein, dafs der Winkel ECD einem Rechten nahe kommt.
Alsdann darf man den Flächenraum ÄBCD dem Inhalt der ebenen
*) [Folgerichtig müfsten die Seiten Ä, B, G genannt werden.]
**) [Ist a = b = c und a sehr klein, so darf man in der Formel für den
Dreiecksinhalt die Cosinus dm-ch 1, die Sinus durch ihre Bogen ersetzen. Dann
erhält man
~^ ' 2 V 2 Ey^ ' v^ By^J ~~ ~^^~
als Wert für den Inhalt des gleichseitigen Dreiecks.]
3 If
280 F. A. Tauiinus.
Figur gleich setzen, die von denselben Linien eingeschlossen wird,
und dasselbe gilt für den ganzen Kaum zwischen den unendlichen
Linien CE und DJE, die sich auf der Seite von E einander immer
mehr nähern. Ist aber BD sehr klein, so ist es gleich
R.dlo^ cos ECB
oder, wenn ECB mit (p bezeichnet
vdrd, gleich*)
sing)
— x\
Ferner ist**)
COSqp ^
n 71 T> 1 cos qp + 1
LB = 11 lose ?— ' — •
^ smqp
Folglich ist der ganze Flächeninhalt bis zum Lote CB gleich:
*^ ^ cosqp ° smqp
Solange nun q) beinahe ein Rechter ist oder sin (p nahezu gleich
Eins, ist der Logarithmus gleich
log (cos 9 + 1)
und, da cos^ ^^ ^^5 ^^^' gleich
cosg?,
mithin die ganze Ditferentialfunktion gleich — Brdcp oder der ganze
Inhalt gleich
(90° — cp) R^,
und das gröfste Dreieck gleich***)
4. Man soll den Umfang eines Kreises finden, dessen Halbmesser
gegeben ist
Wir denken uns ein Dreieck, das von zwei Halbmessern a und
von der Sehne b des zwischen beiden liegenden Winkels (p gebildet
wird. Nach der Formel:
*) [Setzt man in der zweiten Anmerkung auf S. "277
BB'E' = cp 4- f?(p, BDE= cp,
so erhält man für die gesuchte Linie :
cos (qp -f (Z qp) ■
B log — ■ — = B. dlog cosqp.]
cosqp o -r j
**) [In Nr. 1 des Anhangs war ja gefunden : C = B log cot h ß.]
***) [Da das Dreieck ECB den Flächeninhalt (90" — qp)\R^ besitzt, während
seine Winkelsumme 90" -j- qp beträgt, so gilt die Gleichung:
(90» - gj) iü- : ili" = (90« — 9) : TT,
und es wird daher, wie im Texte richtig angegeben ist: 31 = itB'.]
cos
wird :
cos
Stücke aus den Oeomctriae prima elementa. 18-26. 281
I — '^^] = sin^ ( "^ I cos OD + cos^ ( — ^== |
\rV-iJ \nV-iJ ^ \rV-v
( — ; ) = (1 — coscd) cos^ I — :=^] + cosro .
Wenn daher der Winkel qp sehr klein ist, und man für cosg?:
1 „- sin'' <p
setzt, so ist:
'—^ = I sin^95 (cos'^ [-^^=) - 0 + ^
und ;
+ i-sinV(eos^(^-)-l) + l).
Man setze sinqp gleich seinem Bogen, gleich — , wo n = oo. Ver-
nachlässigt man sodann die Glieder, die sin^g? enthalten, so wird der
Logarithmus gleich:
'"^G^V-nÄ)-^+0
oder, da n = oo ist, gleich
"V cos^ (-^) - 1
Mithin wird der ganze Umfang gleich*):
2nR ^Vcos'^ (-^^) - 1 = ^^rVcos' (-^ A - 1 .
n Y \Ey—l/ Y XBy^iJ
Man setze zum Beispiel cos| — 7=) =V^ oder «=i?log (1 +l/^),
*) [Setzt man in diesem Ausdruck an die Stelle von cos ( \ seinen Wert
so erhält man für den Umfang genau den Ausdruck
den Gaufs 1831 in dem einen seiner Briefe an Schumacher angegeben hat
(s. S. 234).]
282
F. A. Taurinus.
SO ist der Umfaiif;- oleicli 21{7t. Oder, wenn cos ( r;^-)= 1 + f7,
° ° ' \Ry-ll ' '
Avo d sehr klein ist, so ist der Umfang gleich 27tEy2d, und der
74 Halbmesser [«] gleich
R log (l + (? -f Vil^df^ l) = RYM.
Bei sehr kleinen Kreisen verhält sich daher der Umfang zum Halb-
messer ebenso, Avie in der Euklidischen Geometrie. Ist dagegen
cos
(z?y-i)
so ist der Umfang im Verhältnis 7Aim Halbmesser unendlich o-rofs.
Auf ähnliche Weise findet man den Inhalt des Kreises, wenn
der Halbmesser a gegeben ist. Er ist nämlich gleich*):
oder, da
271 (cos
(i?V~i)
1 U^"
ist, gleich
„ = iilog(.os(^)+yeos^(^)-.)
"■"(-'iw^)-')'"
Ist zum Beispiel cos ( ^r= ) = V2, so ist der Inhalt des Krei-
^ \Ry~lJ ^ '
ses gleich:
2 TT (]/2 — l)a='
(log (1+1/2)/'
"während der Umfang desselben Kreises gleich:
2 TT a
ist.
iog(i+y2)
Die Oberfläche*) der Kugel findet man gleich:
*) [In seiner Geometrie imaginaire (Crellesches Journal Bd. 17, S. 307
und 309, Geometrische Werke Bd. 2, S. 596 und 598) findet Lobatschefskij für den
Flächeninhalt des Kreises vom Halbmesser r den Wert
und für Oberfläche und Rauminhalt der Kugel vom Halbmesser ;• die Werte :
n (e' — e ')" und 4« (e"
4r);
die Ton Taiirinus angegebenen Ausdrücke gehen für E = 1, a = r in die Lobat-
schefskijschen über.]
Stücke aus den Geometiiae prima elrnieiita. 182(3. 28B
^-(™^^(,7>feT)-')^^'
und ihren Rauminhalt ccleich
4;rE^ - I ( l/cos^ (-^) - 1 ■ cos (-^) - A .
2 \r \By-i/ \Ey- 1/ uj'
und ebenso beweist man mit leichter Mühe noch vieles Andre.
Zum Sclilufs sei noch Folgendes bemerkt : In der logarithmisch-
sphärischeu Geometrie sind zwar die Sinus alle unmöglich, aber die
trigonometrischen Formeln enthalten trotzdem nichts Unmögliches,
da die Sinus immer in solchen Verbindungen vorkommen, dafs ihr
Produkt möglich wird. Das ist auch gar nicht Avunderbar, weil alle
Verbindungen der trigonometrischen Linien aus der Ähnlichkeit von
Dreiecken hergeleitet werden, und daher Alles, was von den wahren
trigonometrischen Linien bewiesen wird, ebenso auch von den imagi-
nären gilt.
284 F. A. Taurinus.
Abweichungen vom Urtext.
S. -271, Z. 17, 10 V. u. (S. 65, Z. 9, 4 v. u.). Im Urtext steht: > — 1 statt: < — 1.
Das wiederholt sich auch im Druckfehlerverzeichnis S. 76, Z. 6 v. u., bei uns
S. •272, Z. 5, 4 V. u.
O .-.-1 V 11 ,a f- ry f. ^ 7 1 -j- COS. « COS.«
b. 2(1, Z. 11 V. u. (S. 6o, Z. 6 V. u.^. du arc. cos. — statt «aarccos. — ; •
COS . « 1 + (^os . u
S. 271, Z. 7 V. u. (S. 65, Z. 2 v. u.) ^ •< ^ statt: y > ?r, was übrigens schon Tau-
rinus selbst im Druckfehlerverzeichnis (S. 76, Z. 8 v. u.) verbessert hat.
S. 272, Z. 6, 8 v. 0. (S. 66, Z. 7, 8 v. o). Taurinus hat diese Formeln ofienbar
aus der vorher benutzten richtigen Gleichung:
1 , y —Vy^— 1
arc cos y = log '^ ^
durch die Substitution: y = cos («j/— l) abgeleitet; bei den so entstehen-
den Formeln mufs aber:
y C0&- (a|/^^) — 1 = — Y— 1 sin («]/— l)
gesetzt werden, was unbequem ist und zu Verwechselungen Anlals giebt.
Wir haben deshalb in beiden Formeln der rechten Seite das entgegen-
gesetzte Vorzeichen erteilt, als bei Taurinus.
S. 272, Z. 5 — 1 V. u. (S. 76, Z. 7 — 1 v. u.). Die Anmerkung lautet im Urtext
folgendermafsen :
,,pag. 66. notandum erat, si cosinus fierent negativi, > — 1, formulam
generalem p. 65. converti eaque etiam exprimi latus per angulos, negative
tamen; quod eum sensum habere videtur, ut anguli (qui hie sunt >- 120".)
non eint anguli trianguli, sed eorum complementa ad duos rectos."
S. 274, Z. 18—16 V. u. (S. 69, Z. 1—4 v. o.). Die Überschrift lautet im Urtext:
„Additamentum | solutiones problematum geometriae logarithmo- | sphaericae
insigniorum continens. | (Cum adjecta tabula.)"
S. 275, Z. 2—4 V. 0. (S. 69, Z. 15 v. o.). Im Urtext steht: „sed cos.c=^ \^ ,
itaque c = log . cotang . + ß", während nachher für ß = 45" richtig:
C ^ R log . (l -|- y2) angegeben ist.
S. 275, Z. 14, 13 V. u. (S. 70, Z. 1 v. o.). „Vice versa cotang . ^ ß est = e*"' etpo-
sito c = 1".
Abweichungen vom Urtext der Elementa. 285
S. 276, Z. 4 V. 0. (S. 70, Z. 8 v. o.). Der Faktor li fehlt im Urtext, während
er nachher, bei der Betrachtung des Falles a -\- (3<;i80", angegeben ist.
S. 276, Z. 6, 5 V. u. (S. 70, Z. 5, 4 v. u.) „Hypoteiiusae quoque et alteri catheti
trianguli rectangnli . . . inveniuntur."
S. 277, Z. 10 V. 0. (S. 71, Z. 5 v. o.). Der Faktor B fehlt.
S. 278, Z. 14, 15 V. 0. (S. 71, Z. 7 v. u.). „angulus EDG = go» — x a, = arc. sin. \ a".
S 279, Z. 3 V. 0. (S. 72, Z. 5 v. o.). Im Urtext fehlt bei S,'a, b, c der Faktor
den wir hier wie im Folgenden überall hinzugefügt haben.
Man könnte allerdings annehmen, dafs Taurinus wie früher auch hier
unter a, h, c die durch i?)/— 1 dividierten Seiten versteht, aber selbst
dann hätte eine ganze Anzahl von Formeln geändert werden müssen. Tau-
rinus hat offenbar den ganzen Anhang sehr schnell geschrieben und sich
dabei gewisser Abkürzungen bedient , wie man das in Aufzeichnungen für
den eignen Gebrauch zu thun pflegt; zum Beispiel hat es ganz den Anschein,
dafs er die Zeichen cos c und sin c in ähnlicher Bedeutung benutzt, wie man
heutzutage den hyperbolischen cosinus und sinus benutzt. Da er immer den
richtigen Weg angiebt und auch zu richtigen Endergebnissen gelangt, so
unterliegt es keinem Zweifel, dafs die Ungenauigkeiten des Urtextes durch
das Gesagte zur Genüge erklärt sind. Wir haben uns bestrebt, alle diese
Ungenauigkeiten zu beseitigen und den Text unmittelbar verständlich zu
machen, werden aber im Folgenden, wie immer, von jeder, auch noch so
kleinen Abweichung vom Urtext Rechenschaft geben.
S. 279, Z. 9, 10 V. 0. (S. 72, Z. 11, 12 v. o.). „Et cum sit sin . S = etc."
S. 279, Z. 13 V. 0. (S. 72, Z. 13 v. o.). Im Nenner fehlt der Faktor E^, während
nachher richtig: M = Ttli^ gefunden wird.
S. 280, Z. .5, 8, 10 V, 0. (S. 72, Z. 3, 2, 2 v. u.). Bei allen drei Formeln fehlt
der Faktor B.
S. 280, Z. 12, 18 v. 0. (S. 73, Z. 1, 4 v. o.). Bei den Differentialausdrücken fehlt
beide Male der Faktor B^, während er in der endgültigen Formel für den
Flächeninhalt: (90** — q))B^ angegeben ist.
S. 280, Z. 14 V. u. (S. 73, Z. 7 v. o.). „3." statt: „4."
S. 281, Z. 1, 3 V. 0. (S. 73, Z. 11, 12 v. o.). Bei a und h fehlt wiederum der
Faktor
1
S. 281, Z. 7, 9, 10, 14, 16, 18 v. o. (S. 73, Z. 11, 10, 9, 6, 5, 4 v. u.). Dem Vor-
hergehenden entsprechend stehen im Urtext a und h statt:
a ,6
und .=r •
BY-l -B
S. 281, Z. 8 V. u. (S. 73, Z. 4 v. u.). In beiden Ausdrücken fehlt der Faktor B.
S. 281, Z. 7 v. u. und S. 282, Z. 1, 2 v. o. (S. 73, Z. 3, 2, 1 v. u.). „Ponatur v. g.
cos . a = |/2, vel a = log . (l -|-y^), peripheria erit = Bn: vel si cos . a sit.
= 1 -\- d, ubi d exiguum sit, circumferentia erit = |/2f/".
28G F- A. Taurinus. Abweichntigen vom Urtext der Elementa.
S. 282, Z. 4. V. 0. (S. 74, Z. 1, 2 v. o.) fehlt in beiden Ausdrücken der Faktor li,
S. 282, Z. 7, 11, 13, 15, 16 v. u. (S. 74, Z. 3, 7, 8, 9, 10 v. o.). Überall cos.«
statt cos I =- I •
S. 283, Z. 1, 3 V. 0. (S. 74, Z. 12, 11 v. u.). cos.« und a statt:
a
Uy- 1)
und j^
Die in runde Klammern eingeschlossenen Seitenzahleu beziehen sich auf die
Originalausgabe der Geometriae prima elementa. Köln 1826.
VERZEICHNIS
VON
SCHRIFTEN ÜBER DIE PARALLELENTHEORIE,
DIE BIS ZUM JAHRE 1837 ERSCHIENEN SIND.
Bei der Aufstellung des folgenden Verzeichnisses von Schriften
über die Parallelentheorie haben wir eine Reihe wertvoller Vor-
arbeiten benutzen können, die am Ende dieser Einleitung in chrono-
logischer Reihenfolge aufgezählt sind.
Wir haben geglaubt, eine Pflicht der Gerechtigkeit zu erfüllen,
indem wir hinter den Schriften, die wir von unsern Vorgängern über-
nommen haben, den Namen des Autors nannten, bei dem sie zuerst
erwähnt werden. Hiermit haben wir zugleich einen andern Zweck
erreicht. Da wir uns bald überzeugten, dafs viele unter diesen An-
gaben unvollständig und ungenau waren, sind wir bemüht gewesen,
die Schriften, die wir anführen, soweit das irgend möglich war,
selbst einzusehen. Die Schriften, die wir uns verschaffen konnten,
sind mit einem (*) bezeichnet; wo uns nur eine spätere Auflage zu
Gebote stand, ist ein (f) angewandt worden. Nur für den so ge-
kennzeichneten Teil unsers Verzeichnisses können wir die volle Ver-
antwortlichkeit übernehmen. Wo wir uns auf unsre Vorgänger ver-
lassen mufsten, ist auf die soeben erwähnte Art immer ein Gewährs-
mann, in Fällen, wo die Angaben einander widersprechen, sind
mehrere angeführt.
Obgleich die Anzahl der Schriften unsers Verzeichnisses bis auf
253 angewachsen ist, können wir keinen Anspruch auf unbedingte
Vollständigkeit machen. Wir hoffen indes, nichts Wesentliches
übersehen zu haben. Damit man erkennt, was wir als wesentlich
ansehen, wollen wir die Grundsätze darlegen, die uns bei der Auf-
stellung des Verzeichnisses geleitet haben.
Eine grofse Schwierigkeit lag darin, dafs es unmöglich ist, eine
scharfe Grenze zwischen den Schriften zu ziehen, welche die Paralleleu-
theorie im engern Sinne und denjenigen, welche die Grundlagen der
Geometrie überhaupt behandeln. Von der überaus grofsen Zahl der
Euklid-Kommentare haben wir daher nur die aufgenommen, in denen
die Parallelentheorie ausführlicher behandelt wird. Dasselbe gilt von
den ebenso zahlreichen Lehrbüchern der elementaren Geometrie.
Wir verkennen nicht, dafs die Entscheidung über die Aufnahme oft
Stäckel u. Engel, Paralleleutbeorie. 19
290 Einleitung zu dem Litteraturverzeichnis.
recht schwer war, und dafs subjektives Ermessen dabei ins Spiel ge-
kommen sein mag. Übrigens hat Riccardi 1887 — 1890 in den Memorie
di Bologna eine sehr sorgfältige und vollständige Aufzählung der Euklid-
Ausgaben und Euklid-Kommentare gegeben, und eine grofse An-
zahl von Lehrbüchern ist von Schotten besprochen worden.
Ebenso haben wir darauf verzichtet, Besprechungen von Wer-
ken über Paralleleutheorie, die sich in kritischen Zeitschriften
— wie den Göttingischen gelehrten Anzeigen, der Jenaer
Literaturzeitung, den Heidelberger Jahrbüchern — finden, in
unser Verzeichnis aufzunehmen; nur in einigen wichtigen Fällen sind
wir von diesem Grundsatze abgewichen. Endlich ist zu bemerken,
dafs neue Auflagen nur dann besonders angeführt worden sind,
wenn sie von den älteren erheblich abweichen.
Hinter dem chronologisch geordneten Verzeichnisse der Schriften
über die Parallelentheorie findet man die Autoreu, so weit das
möglich war mit Angabe ihrer Lebenszeit, in alphabetischer Folge
angegeben.
Das Jahr 1837, mit dem wir unser Verzeichnis abbrechen, ist für
die Geschichte der nichteuklidischen Geometrie von besonderer Bedeu-
tung: 1837 erschien im siebzehnten Bande von Grelles Journal für
die reine und angewandte Mathematik Lobatschefskijs Geometrie
imaginaire, und damit erfuhr zum ersten Male die ganze mathema-
tische Welt etwas von dem Vorhandensein einer nichteuklidischen
Geometrie. Die in den Jahren von 1837 bis zum Tode von Gaufs
erschienenen Arbeiten über Parallelentheorie sind zum gröfsten Teil
so unbedeutend, dafs wir nicht für nötig gehalten haben, sie voll-
ständig aufzuführen; die wirklich wichtigen unter ihnen haben wir
ja bereits in der Einleitung zu dem Abschnitte über Schweikart
und Taurinus erwähnt.
Zum Schlüsse richten wir an die Leser unsers Buches die Bitte,
Lücken oder Ungenauigkeiten, die sie in uuserm Verzeichnis be-
merken, der Verlagsbuchhandlung mitteilen zu wollen; jede, auch die
kleinste Verbesserung werden wir mit Dank entgegennehmen.
Bibliographische Quellen in chronologischer Folge. 291
Bibliographische Quellen
in chronologischer Folge.
Hinter jeder dieser Quellenschriften ist in kleiner Schrift das Stichwort angegeben, durch das sie im
Folgenden bezeichrjct wird.
Klügel, G. S., Conatmmi jiraecipuormn theoriam parallelanim demonstrandi recensio.
Dissertation. Göttingen 1763. 4". -^'«>'-
Murhardt, F. W. G., Litteratur der mathematischen Wissenschafteil. Band 1,
Leipzig 1797, Band 2, 1798. 8«. Muri.arjt.
Volt, P. Chr., Percursio conatmmi demonstrandi paraUelarum theoriam de üsque
judicitm. Dissertation. Göttingen 1802. 8". ''<-"■'■
Hoffmaim, J. J. J., CritiJc der Parallelentlieorie. Erster Teil. Jena 1807.
ffoffmann, Crilik.
Scliweikart, F. C, Die Theorie der Parallellinien nebst dem Vorschlage ihrer Ver-
bannung aus der Geometrie. Leipzig und Jena 1807. 8". S. 2—6. ■■^chwmkart.
Müller, J. W., Auserlesene Mathematische Bibliothek. Nürnberg 1820. 8".
S. 229—234. ^'^«""■•
Müller, J. W., Bepertorium der mathematischen Literatur. Augsburg und Leipzig.
3 Teile. [f822 bis 1825]. 8^ MüUer, RepcnoniuH.
Wahl, F. W. L., Dissertatio mathematica symbolas ad epicrisin theoriarum parallelas
spcctantium continens. Particula I. Insunt IV theoriae earumque censura.
Jena 1823. 4«. '' "««•
Ersch, Joh. Sa., Literatur der Mathematik, Natur ivissenschaft und Geiverbekunde
mit Lihegriff der Kriegskunst. Neue fortgesetzte Ausgabe von F. W. Schweiger.
Band 3 der zweiten Abteilung von: Ersch, Handbuch der deutschen Lite-
ratur. Zweite Ausgabe. Leipzig 1828. 8*'. Spalte 49—51. ■'^''sc''-
Rog'g, J., Handbuch der mathematischen Literatur, Erste Abteilung. Tübingen 1 830. 8".
Roffg.
Hill, C. J., Conatuum theoriam linearum parallelarum stabiliendi praecipuorum
brevis recensio. Pars 1. Lund 1835. 4^. ^^'«•
Solinke, L. A., Artikel Parallel in der Allgemeinen Encyclopädie der Wissen-
schaften und Künste von Ersch und Grub er. Dritte Section. Bd. 11.
Leipzig 1838. 4". S. 368—384. Sohnke.
Sohnke, L. A. , Bibliotheca mathematica. Verzeichniss der Bücher über die ge-
sammten Zweige der Mathematik, welche in Deutschland und dem Auslande
vom Jahre 1830 bis Mitte des Jahres 1854 erschienen sind. Leipzig 1854. 8".
Sohnke, Bibliotheca.
Hoffmann, J. J. J., Das eilfte Axiom der Elemente des Euclides, neu bewiesen,
mit erläuternden und erweiternden Bemerkungen versehen. Halle a. S. 1859. 8*.
Jloß'iiiann.
19*
292 Bibliographische Quellen iu chronologischer Folge.
Poggendorff, J. C, Biographisch-literarisclies Handwörterhuch. 2 Bände. Leipzig
l.SGH. 4". Poggendorg.
Kiccardi; P., Bibliotcca matcmatica italiuna dalhi origtnc della stampa ai primi
anni del secolo XIX. Vol. I. P. 1. Modena 1870. P. 2. Modena 1876. 8".
Uiccardi, BilAioteca.
Riccnrdi, P., Saggio di %ma hihliografta euclidea. Memorie della R. Accademia
di Bologna, serie 4, t. VIII, 1887, S. 401—523; t. IX, 1888, S. 321—343;
Serie 5, t. I, 1890, S. 27—64. Rkcardi, Saggio.
Riccardij P., Elenco cronologico di una serie di monografie attinenti al quinto
X)Ostidato di Euclide, alla teoria delle parallele ed ai pirincipj della geometria
euclidea. Memorie della R. Accademia di Bologna, serie 5, 1. 1. 1890, S. 65 — 84.
Uiccardi.
Schotten, H., Inhalt und Methode des planimetrischen Unierrichis. 2 Bände. Leipzig
1890 und 1893. 8». Schotten.
1482.
^'Euldid, Preclarissimus liber elementorum Euclidis etc. Venedig
(Erhard Ratdolt). fol. {Erster Druck.)
1533.
■■^ Proklos, EvoiXf.tdov ötoixsicov ßtßL le' m tav Ssävog 6vvov6icbv.
Eis tov avtov xo nQcotov s^rjyrj^dtcov IIqoxIov ßißX. Ö' . Basel
(Job. Herwag), fol. {Editlo princeps.)
1557.
*Peletier, Jacques. In Euclidis Elementa Geometrica Demonstra-
tionuni libri sex. Leyden. fol. wndt m5, schweikan.
1560.
*Barozzi, Francesco, Prodi Diadoclii Lycii philosophi platonici et
mathematici probatissimi in primum Euclidis Elementorum librum
commentariorum ad universam mathematicam disciplinam prin-
cipium eruditionis tradentium libri IUI summa opera a Francisco
Barocio Patritio Veneto expurgati Scholiis et Figuris aucti primum
iam romanae linguae venustate donati et nunc recens editi.
Padua. fol. Poggemlorf 1, 104 hat 1565.
1569.
*Ramus, Petrus, Scholarum matliematicarum libri XXXI. Lib. V.
S. 41. Lib. VII. S. 165. Basel. 4*^. sohnJcc.
um 1570.
Belli, Silvio, GH Elementi Geometrici.
In seinem TraUato della proportione et proportionalitä comnmni passioni del
quarito libri tre, Venedig 1573 sagt Belli (Blatt 5), da/s er am Ende seiner
Elementi Geometrici einen Beiveis der fünften Forderung gegeben halte.
Diese Elemente werden jedoch weder hei Poggendorff noch bei Biccardi
angeführt, noch sind sie auf den uns zugänglichen Bibliotheken vorhanden.
1574.
fClavius, Christoph, Euclidis elementorum libri XV. Accessit XVI.
de solidorum regularium comparatione. Omnes perspicuis demon-
strationibus, accuratisque scholiis illustrati. Rom. 8^. (''Opera,
t. I. Mainz 1591.) lUccardi, Saggio,t.IX, S. 320.
294 Verzeichnis von Schriftfa
1587.
*Patricio, Francesco, Della nuova geomctria libri XV. Ferrara. 4".
Hiccardi, Biblioteca 2, 25'J.
1594.
*Nasir-E(l(liii, Euclidis elemeutoruin libri XIII studio Nassirediui
Tusiiii primum arabice impressi. Kom. fol. müaei.
1003.
*Catal(li, Pietro Antonio, Operetta delle linee rette equidistanti,
et non equidistanti. Bologua. 4''. 36 S. musd.
* Dasselbe lateinisch:
Opusculum de lineis rectis aequidistantibus, et non aequidistan-
tibus. Bologna. 4". 36 S. Aiügei.
1604.
Cataldi, Pietro Antonio, Aggiunta all' operetta delle linee rette
equidistanti, et non equidistanti. Bologna. 4".
Riccardi, Biblioteca 1, 303.
f Kepler, Joliann, Ad Vitellionem paralipomena, quibus astronomiae
pars optica traditur. Frankfurt. 4". (* Opera omnia ed. Frisch.
Vol. JL S. 185—188.) Hagen, Synopsis, 2, 7.
Oliver of Biiry, Thomas, De rectarnm liuearum parallelismo et con-
cursu doctrina geometrica. waius, opera, t. ii, s. eeo.
um 1613.
Yalerio, Luca, Trattato sulla quiuta dimauda del primo d'Euclide.
Von Valerio in einem Briefe an Galilei vom 31. August 1613 erwähnt:
La (Jeduzione si estende per molte proposizioni e passi difficili, ma perö con
facilitä e chiarezza dimostrati. (Le Opere di Galileo Gcdilei, p^Hma edizione
complcta, t. VIII. Firenze 1851. S. 283.) Ein solcher Trattato loird
jedoch iveder hei Poggendorff noch bei Hiccardi angeführt, noch ist er
auf den ims zugänglichen Bibliotheken vorhanden.
1621.
*SaTile, Henry, Praelectiones tresdecim in principiuni Elementorum
Euclidis habitae 1620. Oxford. 4«.
1637.
Gestriii, Martin, In geometriam Euclidis demonstrationum libri sex.
Upsala. Eneslröni, liiblioteca rnataiiatica, Bd. 1. Stockholm 1SS4. S. 70.
1639.
fDesargues, Girard, Brouillon project d'une atteinte aux evenemens
des rencontres d'un cone avec un plan. (* Oeuvres de Desargues.
Paris 1864. Bd. 1. S. 104.j U. Ballzer, Elememe l. Auß. Bd. 2, S. 1.3, ISO2.
über die Pariillclcntheorie, bi« /-um .lahrc 1837. 295
1641.
*(iul(lili, l'aul, Ceiitrobaryca seu de ceiitro gravitati.s trium specie-
nini quantitatis coutinuae. Lib. IV. Wien. fol. noreui io.js.
1654.
•|*Tjicquet, Andrea^ Elementa geometriae planae et solidae, quibus
accedunt selecta ex Archimede theoremata. Antwerpen. 4*^.
(* Amsterdam 1701.) luccardi, say/io, t. ix, s. 320.
1655.
fHol)l)es, Thomas, Elementorum pbilosophiae Sectio prima. London.
(*The english Works of Thomas Hobbes, edited by Sir William
Molesworth, Vol. I. London 1839. 8«. S. 189 — 190.)
1656.
fHobbes, Thomas, Six lessons to the professors of the mathema-
tics, one of geometry, the other öf astronomy, in the chairs set
np by the noble and learned Sir Henry Savile, in the university
of Oxford. London. (*The english Works of Thomas Hobbes,
edited by Sir William Molesworth, Vol. VIL London 1845. 8".
S. 205—206.)
1658.
*Borelli, Jo. Alphons, Euclidis restitutus sive prisca geometriae
elementa brevius et facilius contexta. Pisa. 4''. Sacchen 1133.
1667.
f [Ariiaiild, xlntoine], Nouveaux Elements de Geometrie. Paris. 4^.
(*Haag, 1690. S*').
1671.
*Guariui, Guarino, Euclides adauctus et methodicus. Turin, foh
*rardies, Ignace Gaston, Elemens de Geometrie. Paris. 12".
1680.
*Gior(laiio, Vitale da Bitonto, Euclide restituto overo gli antichi
elementi geometrici ristaurati, e facilitati. Libri XV. Rom. fol.
Klügel.
1686.
OiortlaiiO, Vitale da Bitonto, Euclide restituto overo gli antichi
elementi geometrici ristaurati e facilitati. Libri XV. Seconda
inipres«ione con nuove Additioni. Rom. fol.
iliirhardt 2, 36. Riccardi, Bibliotcca 1, 603.
296 Verzeichnis von Scbriften
1693.
*Nasir-E(l(liii, Nasaraddini Demonstratio. (Vou Wallis vorgetragen
1G51. Opera t. IL Oxford. 1693. fol. S. 669.) sacc/,en im.
■••Wallis, Jobu, Demonstratio Postulati Quiuti. (Vorgetragen 1663.
Opera t. IL Oxford. 1603. fol. S. 674— 678.) Sacd^en ms.
* Wallis, John, De Postulato quinto; et definitione quinta Lib. 6.
Euclidis; diseeptatio geometrica. Opera t. IL Oxford. fol.
S. 665 669. Saccheri 1133.
1710.
*Wolif, Christian, Die Anfangsgründe aller mathematischen Wissen-
schaften. Erster Theil. Halle. 8°.
1715.
fMalezicu, Nico laus de, Elemens de Geometrie pour Monseigneur
le Duc de Bourgogne. (*2. ed. 1722.)
Klüyel. Poogendorff 2, 25. Murhardt l, 248 hat VOX
*Wolff, Christian, Elementa Matheseos Universae. 1. 1. Halle 1715. 4°.
Klügel erwähnt die ^Ausgabe von 173'J.
1731.
Yarigiiou, Pierre, Ele'mens de Mathematiques. Paris. 4*^.
Klügel. Poggendorff 2, 1115 hat 1732.
1733.
*Sacclierij Girolamo, Euclides ab omni uaevo vindicatus; sive
conatus geometricus quo stabiliuntur prima ipsa geometriae prin-
cipia. Mailand. 4". Kiügei.
1734.
*Hauseii, Christian August, Elementa matheseos. Leipzig. 4P.
Klügel.
1731).
ySegiier, Johann Andreas, Elementa arithmeticae geometriae et
calculi gcometrici. Göttingen. 8*^. (*Halle 1756. 8°.)
1741.
*Clairaut, Alexis Claude, Elements de Geometrie. Paris. 8". Kiügei.
1744.
Strömer, Märten, Euclidis elementa eller gruudeliga inledning tili
geometrien. Första delen som innehäller de sex första böckerna.
XJpsala. 8°. -^'"- Poggendorff 2, 1020 hat r.dO.
über die Purallelcntlicorio, bis zum Jahre 1837. 297
1746.
*La Cliapelle, de, Institutions de geometrie. 2 vol. Paris. 8°.
l'o'jijciulurjf 1, 133S. Voit erwälini die [vierte] *Aus'jabe von 1165.
1747.
*Segiier, Joliann Andreas, Deutliche und vollständige Vorlesungen
über die Rechenkunst und Geometrie. Lemgo. 4*^. KUi;,ni.
fSimpsoii, Thomas, The elements of Geometry. London. 8".
(*London 1821.)
1750.
Camus, Charles Etienne Louis, Cours de mathematiques. IL partie:
Elemens de Geometrie. Paris. KUigei. i-ogoendorff i, 3<;s hat iiet;.
1751.
Hanke, F. G., Principia theoriae de infinito mathematico et demon-
strationem possibilitatis parallelarum publice eruditorum examini
subjiciunt Fredericus Gottlob Hanke et Benjamin Gottlob
Binder. Breslau. 4*^. 19 S. Kiwjei.
1752.
fBoscOTich, Ruggiero Giuseppe, Elemeutorum universae mathe-
seos ad usum studiosae juventutis Tomas L Rom. 8. (Die König-
liche Bibliothek zu Berlin besitzt Ausgaben von *1754 und *1759.)
Riccardi, Biblioteca 1, 177.
* Kraft, G. W., De numero pari, rectis parallelis et principio actionis
miuimae. Tübingen. Poggendorff i, 1309 hat 1753.
1753.
* Kraft, Georg Wolf gang, Institutiones geometriae sublimioris.
Tübingen. 4".
Sauveiir, Joseph, Geometrie elementaire et pratique du feu M. Sau-
veur M. le Blond. Paris. 4^.
Klügel. Poggendorff hat unter le Blond 1, 1308 die Jahreszahl 175S.
1756.
f Simson, Robert, The Elements of Euclid, viz. The first six books,
together witli the eleventh and twelfth. In this Edition Errors
by which Theon, or others, have long ago vitiated these books
are corrected aud some of Euclid's Demonstrations are restored,
Glasgow. 4''. (*2. edition, Glasgow 1762. 8".) von.
298 Verzeicbnis von Schriften
1758.
'••KaestiKT, Abraham Gottlielf, Anfangsgründe der Arithmetik,
Geometrie, Trigonometrie und Perspective. Göttingen. 8^ niügei.
Karsten, Wenceslaus Johann Gustav, Praeleetioues matheseos
tlieoreticae elementaris. Eostock und Wismar. S*'. Kiüoei.
Koeuig, C. G., Elemeus de Geometrie, coutenant les six premiers
livres d'Euclide mis dans un nouvel ordre et ä la portee de la
jeuneSSe. Haag. KlUgel. mccardi, Sagglo.
*Moutucla, Jean Etienne, Histoire des Mathematiques. 1. 1. Paris. 4^
1759.
*(AIeinberl, Jean le Roud d'], Me'langes de Litterature, d'Histoire
et de Philosophie. Nouvelle edition. t. V. Amsterdam. 8".
Voit erwähnt die [eierte] Ausgabe von 1767.
1760.
*Karsteii, Wenceslaus Johann Gustav, Mathesis theoretica ele-
mentaris et sublimior. Rostock und Greifswald. 8". Kiügei.
1761.
Hagen, Johann Jacob von, Dissertatio mathematica sisteus liuearum
parallelarum proprietates uova ratione demonstratas, quam publicae
eruditorum disquisitioni subjiciunt Frederieus Daniel Beim et
respondens Johann Jacob de Hagen. Jena. 4P. 28 S. Kiügei.
1763.
*Klügel, Georg Simon, Conatuum praecipuorum theoriam paralle-
larum demonstrandi recensio, quam publico examini Submittent
Abrah. Gotthelf Kaestner et auctor respondens Georgius
Simon Klügel, Göttiugen. 4". 30 S. 1 Tfl. Lambert me.
1770.
*l{ezoiit, Etienne, Cours de mathematiques ä l'usage du corps royal
d'artillerie. 4 Vol. Paris 1770—1772. S». sohnke.
^Scherffer, Karl, Institutionum geometricorum pars prior sive geo-
metria elementaris, Wien. 4". Jiaug i703.
1771.
Boehm, Andreas, De rectis parallelis dissertatiuncula. Acta philo-
sophico-medica societ. acad. scient. Hassiacae. Jahrgang 1771.
S. 1. Frankfurt und Leipzig. uurhardi 2,79.
über die ParalJelenthcorio, bis zum Jahre ISiil. 20'J
1772.
"'Luino, Francesco, Lczioni di matematica elementare. Mailand. 8".
Riccaidi, Diblioteca 2, hl.
1775.
*Bossut, Charles, Traite elementaire de Geometrie. Paris. S''.
Sohnke. Pü(j'jendorff 1, 240 hat 1774.
*Büsch, Johann Georg, Encyclopaedie der historisclien, philoso-
phischen und mathematischen Wissenschaften. Hamburg. 8*^.
Poggendorf 1, 330. Hill hat n<)r>.
Simson, Robert, The elements of Euclid etc. To this fifth Edition
also amiexed Elements of piain and spherical trigonoraetry.
Edinburg. 8°. lUccardi, Sayuiu.
1778.
*Bertraii(l, Louis, Developpemeut nouveau de la partie elementaire
des mathematiques. Genf 4^. t. II. S. 19.
Hindenhurg 1786. Poggendorff 1, 171 hat 1774.
^Karsten, Wenceslaus Johann Gustav, Versuch einer yöllig be-
richtigten Theorie der Parallelen. Halle a. S. 4^. 20 S. vou.
Kesaer, Franz Xaver von, Abhandlung über die Lehre von den
Parallellinien. Wien. 8^. 27 S. 1 Tfl. Murhanit 2, 7<j.
1780.
Hauser, Matthias, Theorie der Parallelen. Abhandlungen der An-
fangsgründe der Mathematik zum Gebrauche der k. k. Ingenieur-
Academie. Wien. 2. Teil. S. 34. mn.
Schultz, Johann, Vorläufige Anzeige des entdeckten Beweises für
die Theorie der Parallellinien. Königsberg. 8". Poggendorff 2, sgo.
1781.
Austiu, William, An examination of the first six books of Euclid's
elements. London. Murkardt 2, 44.
Felke! , Anton, Neu eröfihetes Geheimniss der Parallellinien. Wien.
8^. 6 Bogen. 1 Tfl. Murhardl 2,80.
*Hmdenlburg, Karl Friedrich, Ueber die Schwierigkeiten bei der
Lehre von den Parallellinien. Magazin für Naturkunde, Mathe-
matik und Oekonomie. Leipzig. 8". Jahrgang 1781. S. 145 — 168,
342—371. Sohnke.
1783.
[Paguini, Joseph Maria], Theoria rectarum parallelarum ab omni
scrupulo vindicata. Auetore J. M. P. C. P. Parma. 8*^. Rkcardi.
oUU Verzeichnis von Schritten
1784.
Schultz, Joliauu, Entdeckte Theorie der Paralleleu, nebst einer
Untersuchung über den Ursprung ihrer bisherigen Schwierigkeit.
Königsberg. S". 144 S. 2 Tfl. Murhamt, 2, so.
Vcuturi, Giambattista, Memoria intorno alle linee parallele. (In
seinem Lehrbuche: Proposizione di geometria plana.) Modena. 4^
Riccanli.
1786.
^•' Bendavid , Lazarus, Über die Parallellinien. Schreiben an Herrn
Hofrath Karsten. Berlin. 8". 16 S. 1 Tfl. mrhardt 2, so.
"-•'Eichler, Caspar, De theoria parallelarum Schulziaua. Dissertation
Leipzig. 4". 25 S. 4 Fig. icrsc/,. um.
Geiisichou, J. F., Bestätigung der Schulze'schen Theorie der Parallelen
und Widerlegung der Beudavidschen Abhandlung über die Parallelen.
Königsberg. 8^. l^rscU. Rogg S. 330.
*Hi)uleiil)urg, Karl Friedrich, Noch etwas über die Parallellinien.
— System der Parallellinien. !\In gazin für reine und angewandte
Mathematik, herausgegeben von BernouUi und Hindenburg. Leipzig.
8". Jahrgang 1786. 3. Stück. S. 359—404. von.
Hofinaiiu, Berichtigung der ersten Gründe der Geometrie nebst dem
Beweise, dass ein einzelnes Körpertheilchen einen Raum einnimmt.
Mainz. Hindenburg 17S6, S. 306.
*Karstoii, Wenceslaus Johann Gustav, Über die Parallellinien.
Mathematische Abhandlungen, zweite Abhandlung. Halle a. S. 4''.
ilurhardt 2, 81.
^Lambert, Johann Heinrich, Theorie der Parallelliuien (aufgesetzt
Sept. 1766). Magazin für die reine nnd angewandte Mathematik,
herausgegeben von BernouUi und Hindenburg. Leipzig. 8^. Jahr-
gang 1786. 2. Stück, S. 137-164, 3. Stück, S. 325—358. vdt.
Schultz, Johann, Darstellung der vollkommenen Evidenz und Schärfe
seiner Theorie der Parallelen. Königsberg. 8°. 60 S. Ersch. sohnke.
1787.
*Frauceschiui, Francesco Maria, Teoria delle parallele rigorosa-
mente dimonstrata. Opuscoli matematici. Bassano. 8". vou.
1788.
Schüblcr, Christian Ludwig, Versuch der Einrichtung unseres Er-
kenutnissvermögens durch die Algebra nachzuspüren. Leipzig. «'«/''■
1789.
*Alemhert, Jean le Rond d', Artikel: Parallele in dem Diction-
naire encjclopedique des Mathematiques. Paris. 4*^. t. H. S. 511.
über die Parallelentheorie, bis zum Jahro 1S?,7. 301
yBoniiycasUe, John, Elements of Geometry containing tlie principal
propositions in tlie first six and tlie eleventh and twelftli book of
Euclid, with notes critical and explanatory. London. (*5. edition.
London 1811. 8".) Rogg.s.sos.
Liudqiiist, Johann Hendrik, Dissertatio sistens theoriam linearum
parallelarum. Aboe. 16 S, 1 Tfl. hui. Hlurharat 2,80 untpr Rosenbacl;.
Voigt, Johann Heinrich, Dissertatio mathematica exhibens teiitamen
ex notione distincta et completa lineae reetae axiomatis XI Euclidis
veritatem demonstrandi. Jena. 4^. 34 S. 1 Tfl. Hoffmann, Crink
1790.
Cagnazzi, Lucca, Memoria sulle curve parallele. Neapel. soj,>de.
*Kaestner, Abraham Gotthelf, Was heisst in Euclids Geometrie
möglich? Philosophisches Magazin herausgegeben von J. A. Eber-
hardt. Halle a. S. uurhardt 2, 4;.
* Seil Otter iugk, M. W. von, Demonstratio theorematis parallelarum.
Hamburg. 8". 30 S. Murhardt 2,81.
*Swmdeii, Jan Hendrik van, Grondbeginsels der Meetkunde. Amster-
dam. 8*>.
1791.
*Loreiiz, Johann Friedrich, Grundriss der reinen und angewandten
Mathematik. Helmstedt. 8^. 2 Teile. hui.
Toigt, Johann Heinrich, Die Grundlehren der reinen Mathematik.
Jena. 8^. 2 Tfln. na«.
1792.
*Castilloii (Castiglione), Giovan, Sur les paralleles d'Euclide.
Nouveaux memoires de l'Academie royale de Berlin. Annees
1786/87. Berlin 1792. S. 233— 254, Annees 1788/89. Berlin 1793.
S. 171—202. Berlin. 4". schweihart.
*El)ert, Johann Jacob, Programma academicum de lineis rectis
parallelis. Wittenberg. 4". 14 S. 1 Tfl. Muihardt 2,81.
1793.
*Hauft', Johann Karl Friedrich, Programma academicum quo duas
vexatissimas matheseos purae elementaris theorias enodare inque
luce dudum desiderata collocare conatur. Marburg. 4^. 33 S.
Müller.
1794.
*Legeiulre, Adrien Marie, Elements de geometrie. Paris. 8°.
Hof mann, Crilik.
302 Verzeichnis von Schriften
Fagiiiiii, Joseph Maria, Epistola in qua coutiuentur castigationes
ac supplementa libelli Parmae anno MDCCLXXXIII editi. Parma. 8°.
Riccardi.
1795.
'■"Fourier, Jean Baptiste Joseph, Seance de l'Ecole normale du
25 pluviose an III. Seances des Ecoles normales. Debats. Tome I.
Nouvelle edition, Paris 1800. S. 28. (Wieder abgedruckt Mathesis,
t. IX. 1889. S. 137—141.)
Mansion, Annales de la Socii'le scientißque de Bntxelles, Annee 1888/80. S. 57.
*Rchl)eiii, J. H. E., Versuch einer neuen Grundlegung der Geometrie.
Göttingen. 8°. näiier.
[Saladiiii, Girolamo], Trattato delle parallele. luccardi.
Wildt, Johann Christian Daniel, Systematis matheseos jiroxime
vulgandi specimen. Theses quae de lineis parallelis respondent.
Habilitationsschrift. Göttingeu. 8^. 35 S. 1 Tfl. Muruardt 2, 82.
1796.
* [Anders], Bemerkungen über die Theorie der Parallelen des Herrn
Hofprediger Schulz und der Herrn Geusichen und Bendavid. Libau.
8*^. 207 S. 2 Tfl. Schweikart.
*Kaestuer, Abraham Gotthelf, Geschichte der Mathematik. Bd. I.
S. 269. ScJiweiiart.
1797.
*Laugsdorf, Karl Christian, Theorie der Parallellinien in: Ch. v.
Wolfs neuer Auszug . aus den Anfano-sojründen aller mathema-
tischen Wissenschaften. Mit Zusätzen von Joh. Tob. Mayer und
Karl Chr. Langsdorf. Marburg. -^a«/ i~->->-
Playfair, Elements of geometry, containing the first six books of
Euclid. Edinburgh und London. S^. i<offg. s.324. Poggemiorff 2,4:0 hat 11 w.
*Scbmidt, Georg Gottlieb, Anfangsgründe der Mathematik zum
Gebrauche auf Schulen und Universitäten. Frankfurt a. M. 8^.
Bd. 1. S. 131. Sohnke.
1798.
* Gilbert, Ludwig Wilhelm, Die Geometrie nach Legendre, Simpson,
van Swinden, Gregorius a S* Vincentio und den Alten ausführlich
dargestellt. Teil 1. Halle a. S. 8".
1799.
*Hauff, Johann Karl Friedrich, Neuer Versuch einer Berichtigung
der Euklidischen Theorie der Parallelen. Archiv der reinen und
angewandten Mathematik, herausgegeben von Hindeuburg. Leipzig.
H''. Heft 9, S. 74. Heft 10, S. 178. uofmann, cnuk.
über die Parallelentheorie, bis zum Jahre 1837. 303
* Hindenburg', Karl Fricdricli, Bemerkungen zu dem Aufsatz von
Hauff. Archiv der reinen und angewandten Mathematik, heraus-
gegeben von Hindenburg. Leipzig. 8". Heft 9, S. 75.
^Montucla, Jean Etienne, Histoire des Miithematiques. 2. editiou.
t. I. Paris. 4^ An VH. S. 209. schweüart.
[? Schöttering'k, M. W. vonj, Demonstratio theorematis parallelarum.
Hamburg. 8^ 30 S. Vou.
1800.
'^Wildt, Johann Christian Daniel, Drei Bew^eise des elften Grund-
satzes im ersten Buche von Euclids Elementen. Göttingische ge-
lehrte Anzeigen. Stück 178. S. 1769—1772. Göttingen. 12".
Schiveihart.
1801.
Gumaelius, S., Dissertatio sistens novam theoriam linearum parallela-
rum. Lund. Klüijel, Wörterbuch (1808), 3, 730.
Hoifüiaiili, Johann Joseph Ignaz, Versuch einer neuen und gründ-
lichen Theorie der Parallelliuien, nebst Widerlegung des Haufi'-
schen Versuchs. OfFenbach a. M. 8". 48 S. 1 Tfl. iiofmann, cruik.
*Scli"wab, Johann Christian, Tentameu novae parallelarum theoriae,
notione situs fundatae. Stuttgart. 8". XXX u. 25 S. 1 Tfl. Müiier.
*[Seyft'er, Karl Friedrich], Besprechung der Demonstratio theore-
matis parallelarum, Hamburg 1799. Göttingische gelehrte An-
zeigen. 1801 12^ S. 407—408.
1802.
*Krause, Karl Christian Friedrich, Dissertatio philosophico-mathe-
matica de philosophiae et matheseos notione et earum intima con-
junctione. Jena. na/,/.
Laugsdorf, Karl Christian, Anfangsgründe der reinen Elementar-
und höheren Mathematik. Erlangen. 8*^. wa?d.
*Voit, Paul Christian, Percursio conatuum demonstrandi theoriam
parallelarum de iisque Judicium^ Dissertation. Göttingen. 8". itui-
1803.
*Carnot, Lazare Nicolas Marguerite, Geometrie de Position.
Paris. An XI. 4". Art. 435.
Hauff, Johann Karl Friedrich, Lehrbegi'iff der reinen Mathematik.
Teil I. Band 1. Frankfurt a. M. schuenart.
*Ide, Johann Joseph Anton, Anfangsgründe der reinen Mathematik.
2. Teil. Geometrie. Berlin. 8".
304 Verzeichnis von Schritten
"■="[Kireher, AdolfJ, Nouvelle theorie des paralleles, avec uii appeudice
contenant la maniere de perfectionner la theorie des paralleles de
A. M. Legeudre. Paris. 8«. 64 S. 1 Tfl.
Hof mann, Critik: \yieJerholt irrtümlich als Abhandlung von Legendre angeführ!, zum Beispiel
bei Pogijendorff 1, 140'.
fLacroix, Sylvestre Frauc/ois, Elemens de Geometrie ä l'usage
de Tecole centrale des quatre nations. Paris. (* Paris 1830. 8".)
Hoffmann, Critik.
1804.
Bolzauo, Bernhard, Betrachtungen über einige Gegenstände der
Elementargeometrie. Prag. 8". X u. 63 S. mffmann.
Jacques, i\Iatthieu Joseph, Demonstration directe et simple des
proprietes des paralleles rencoutrees par uue secante. Paris. S''.
Sclnveikart.
1805.
*Lacroix, Sylvestre Fran^ois, Essai sur l'euseignement en general
et sur celui des mathematiques en particulier. Paris. An XIV. 8*'.
Riccardi.
1806.
Geldern, -Tacob van, Handleiding tot de beschouwende werkdadige
iMeetkunde. Amsterdam. 4*^. Hessung isis, s. xv.
*(Trasliof, Friedrich Carl August, Theses sphaerologicae quae ex
sphaerae notione veram rectae lineae sistunt defiuitionem, omnique
geometriae firmum jacent fundamentum. Berlin. 8^. 64 S. 1 Tfl. ^vahi.
*Sinisou, Robert, Die sechs ersten Bücher nebst dem elften und
zwölften des Euclid mit Verbesserung der Fehler, wodurch Theon
und andere sie entstellt haben, nebst den Anfangsgründen der
ebenen und sphärischen Trigonometrie, mit erklärenden An-
merkungen von Robert Simson. Aus dem Englischen übersetzt von
J. Mtthi. Reder. Herausgegeben von Joh. Niesert. Paderborn. 8°.
1807.
Hauff, Johann Carl Friedrich, Euklids Elemente das erste bis
zum sechsten, sammt dem elften und zwölften Buche, übersetzt
von J. C. Hauff. Zweite Auflage. Marburg. na/,/.
*Hoffnianu^ Johann Joseph Ignaz, Critik der Parallelentheorie.
Erster Teil. Jena. 8". XH u. 276 S. 10 Tfl. Ersch.
*Sclieibel, Johann Ephraim, Vertheidigung der Theorie der Parallel-
linien nach Euklides. Breslau. 8". Müuer.
* Schweikart, Ferdinand Karl, Die Theorie der Parallellinien, nebst
dem Vorschlage ihrer Verbannung aus der Geometrie. Leipzig
und Jena. 136 S. 5 Tfl. MäUer. Poggendorß 2, SIG hat ISOS.
über die Parallelenthcorie, bis zum Jahre 1837. ;305
1808.
*KlÜg"el, Georg Simon, Artikel: Parallel. Mathematisches Wörter-
buch. Dritter Teil. Leipzig. 8". S. 727 — 739.
*Ouvrier, Carl Siegmund, Theorie der Parallelen, als Ankündigung
eines neuen Versuches über das Erkenutnissvermögen. Leipzig. 8".
55 S. 1 Tfl. ' r.r,rj,.
'''SchAvab, Johann Christian, Essai sur la Situation pour servir de
Supplement aux principes de la geometrie. Stuttgart. 50 S. mecardi.
1809.
Abreu, Joao Manuel de, Supplement a la traduction de la geome-
trie d'Euclide de Peyrard, publice en 1804, et la geometrie de
Legendre, suivi d'un essai sur la vraie theorie des paralleles. Paris
et Bordeaux. 8«. 76 S. 1 Tfl. Rogg. s. 20s.
*TUibaut, Bernhard Friedrich, Grundriss der reinen Mathematik.
2. Aufl. Göttingen. 8^ (*3. Aufl. 1818. Die *erste Auflage 1801
enthält den Beweisversuch noch nicht.) waiu.
1810.
Gelderu, Jacob van, Beginselen der Meetkunst. Amsterdam. 8".
Hesüing ISIS, S. X V.
Suzaime, P. H., De la maniere d'etudier les mathematiques. Paris.
Riccarcli.
1811.
*Briinacci, Vincenzo, Elementi di algebra e geometria. Edizione
riveduta ed illustrata con nuove correzione ed aggiunte fra le
quali la teoria dell' interesse del denaro ed uua nuova dimonstra-
zione del teorema fondamentale delle parallele. Mailand. 8°.
Riccardi erwähnt eine Ai/ngaOe von 1830.
* Neubig-, Andreas, Vindiciae Euclidis. 2 Hefte. Erlangen. 8".
1812.
Bertrand, Louis, Elemens de geometrie. Paris. schotten, 2,200.
*Oergonne, Joseph Diez, Essai sur la theorie des paralleles. An-
nales de Gergonne. t. III. Nismes. 4*^. S. 353 — 356. Riccardi.
1813.
Buttenhofer, Jacob Friedrich, Versuch eines strengen Beweises
der Th^reme von den Parallellinien, vermittelst einer von jenen
Theoremen unabhängigen Construction des Rechtecks. Stuttgart.
8". 24 S. ^ Ersch.
St ii ekel u. Jlngel, Paralleleutlieorie. 20
306 Verzeichnis von Schritten
*llerrmauii, Christian Alois, Versuch einer einfachen Begründung
des eilften Euclidischen Axioms und einer darauf gebauten Theorie
der Parallelen. Frankfurt a. M. 4P. 28 S. 2 Tfl.
Solnike. Hiccardi führt diese Abhandlung unter Eoffmann irrtümlich noch einmal an.
1814.
*Peyrard, Fran9ois, Les cpuvres d'Euclide, en grec, latin et frau^ais,
Vol. I. Paris. 4».
^Schwab, Johann Christian, Commentatio in primum ^lementorum
Euclidis Librum, qua veritatem geometriae priucipiis ontologicis
niti evincitur omnesque propositiones, axiomatum geometricorum
loco habitae, demonstrantur. Stuttgart. 8*^. 61 S. nüiier.
1815.
Grlintz, Elementare Theorie der parallelen Geraden. Beiträge zur
reinen und technischen Mathematik. Heft 1. Grätz. Müiier.
Kjelliu, Carl Erik, Grunderna tili geometrien. uni. roggendorff 1,1205 hat ish.
* Metteruicli^ Matthias, Vollständige Theorie der Parallellinien. Nebst
einem Anhange, in welchem der erste Grundsatz zur Technik der
geraden Linie gegeben wird. Mainz. 8". XIV u. 44 S. 1 TU. Müiier.
0^0^
1816.
Bürger, J. A. P., Vollständige Theorie der Parallellinien. Nebst An-
merkungen über andere bisher erschienene Parallel-Theorieu. Karls-
ruhe. 8". XII u. 35 S. 1 Tfl. mtier.
*Crelle, August Leopold, Über Parallelen-Theorien und das System
der Geometrie. Berlin. 8°. 116 S. 1 Tfl. iimier.
*[CT}aufs, Carl Friedrich], Besprechung von Schwab (1814) und
Metternich (1815). Göttingische Gelehrte Anzeigen. 1816. Stück
63. S. 617-622.
■■'■•Hoft'inaiiii, Johann Joseph Ignaz, Bemerkung zu der Parallelen-
theorie von L[üdicke]. Gilberts Annalen der Physik. Bd. 54. S. 134,
*Lüdicke, August Friedrich, Über die Parallelentheorie. Gilberts
Annalen der Physik, Bd. 52, S. 451—452.
Vermelireii, Carl Christian Hermann, Versuch die Lehre von den
parallelen und convergeuten Linien aus einfachen Begriflen voll-
ständio- herzuleiten und o-ründlich zu erweisen. Güstrow. 8". 26 S.
1 Tfl. ^läUer.
1817.
*ljüdicke, August Friedrich, Bemerkungen über die Vierecke mit
gleichen gegenüberliegenden Seiten. Gilberts Annaleu der Physik,
Bd. 56. S. 198, 334 und 439.
über die Parallelentheorie, bis zum Jahre 18.'57. 307
*Ohm, Georg Simon, Grundlinien zu einer zweckmässigen Behand-
lung der Geometrie. Erlangen. 8". 91 S. 2 Tfl.
Wa/il. Poggendorjf 2, 317 hat 1818.
Wächter, Friedricli Ludwig, Demonstratio axiomatis geometrici
in Euclideis undecimi. Danzig. S*'. 15 S. nüuer.
1818.
Exley, Thomas, The theory of parallel lines perfected, or the twelfth
axiom of Euclids Elements demonstrated. London. 8". luccarui.
Flauti, Vincenzo, Nuova dimonstrazione del postulato quinto in
Euclide con aggiuute altre ricerche suUo stesso argumento fatte
dal Proclo, da Nassir- Eddin, da Clavio e da Simson. Neapel. 4**.
liiccardi.
[Hellwag, Christoph Friedrich], Euklids eilfter Grundsatz als
Lehrsatz bewiesen. Hamburg. 4^. 8 S. Müuer. soimke.
*Hesslmgv C. W., Versuch einer Theorie der Parallelen. Halle a. S.
8«. 223 S. 5 Tfl. Müiler.
Mayer, Johann Tobias, Wolfs Anfangsgründe der reinen Elemeutar-
und höheren Mathematik mit Veränderungen und Zusätzen von
Mayer und Langsdorf und umgeändertem Text von Müller. 2. Aus-
gabe. Marburg. "«ä«.
*Critisclie Revision der im jüngst verflossenen Quinquennium er-
schienenen Schriften über Parallelen-Theorie. Heidelberger Jahr-
bücher der Literatur. Heidelberg. 1818. S. 689—703, 849—862.
Rogg. S. 308.
1819.
Häuft', Johann Karl Friedrich, Nova rectarum parallelarum theoria.
Gandae. 4^. MUUer, lleperlorium 2, 123.
*Köiiig, Georg Ludwig, Supplementa in Euclidem. Eutin. 4*^. ^yaui.
Lüdicke, August Friedrich, Versuch einer neuen Theorie der
Parallellinien im Zusammenhange mit den Grundlehren der Geo-
metrie. Meissen. 8". 15 S. 1 Tfl. Mue,-.
Müller, Johann Wolfgang, Ausführliche evidente Theorie der
Parallellinien. Nürnberg. 8°. 79 S. 1 Tfl. Müuer.
*01im, Martin, Kritische Beleuchtungen der Mathematik überhaupt
und der euklidischen Geometrie insbesondere. Berlin. 8*^. mu-
*Sur l'emploi de l'algorithme des fonctions dans la demonstratiou des
theoremes en geometrie. Annales de Gergonne. Nismes 4°. t. X.
S. 161 — 184. ~ Riccanli.
1820.
*Bürg'er, J. A. P., Vollständige Theorie der Parallellinien nebst An-
wendungen über andere bisher erschienene Paralleltheorien. Zweite
Ausgabe. Karlsruhe. 8°. 53 S. Ersch. sounke.
•20*
308 Verzeichnis von Schriften
f Gerliug, Christian Ludwig, Johann Friedrich Lorenz' Grundriss
der reinen und angewandten Mathematik, neu herausgegeben von
Ch. L. Gerling. Helmstedt. 8^ 2 Teile. (*Ausgabe von 1851.)
*HjuiI)er, Carl Friedrich, Chrestomatia geometrica contineus Eucli-
dis elementorum principium graece usque ad libri primi proposi-
tionem XXVI et ad illud Graeca Prodi Latina Savilii aliorumque
scholia cum notitiis historicis. Nebst einem Anhang aus Prof.
Pfleiderers Papieren. Tübingen. 8*^.
*Lüdicke, August Friedrich, Zur Theorie der Parallelliuien. Gil-
berts Annalen der Physik, Bd. 64. S. 341. Pogqendorff i, m-.
Struve, K. L., Theorie der Parallellinien. Königsberg. 8^. 36 S. nüiier.
1821.
*Creizenacli, M., Abhandlung über den elften Euklidischen Grundsatz
in Betreff der Parallellinien. Mainz. 4". 28 S. Ersch. so/mke.
*Hauff, Johann Karl Friedrich, Nova rectarum parallelarum
theoria, editio altera supplementis aucta. Frankfurt a. M. 4°.
VIII U. 86 S. 1 Tfl. Ersd. SoMe.
Küster, J. C, Versuch einer neuen Theorie der Parallelen. Mit einer
Vorrede von Hofrath Bährens. Hamm. 8". 38 S. 1 Tfl.
Müller, Repertorium 2, 124.
Mönnich, B. F., Ein Versuch die Theorie der Parallellinien auf einen
Grundbegritf der allgemeinen Grössenlehre zurückzuführen. Berlin.
8^ 56 S. 2 Tfl. Ersc/. Hill.
Sulla teoria delle parallele e su quella delle figure equivalenti. Gazetta
di Bologna 1821, No. 38. Bologna. mccardi.
1822.
*rries, Jacob Friedrich, Die mathematische Natur-Philosophie nach
philosophischer Methode bearbeitet. Heidelberg. 8*^. "««.
*[Gaiifs, Carl Friedrich], Besprechung von C. R. Müller (1822).
Göttingische Gelehrte Anzeigen. 1822. Stück 73. S. 1725—1728.
*Lüdicke, August Friedrich, Rein geometrische Theorie der Parallel-
linien. Gilberts Annalen der Physik. Bd. 72. S. 423. Pogye,idorßi,mi.
*Metternicli, Matthias, Vollständige Theorie der Parallellinien, oder
o-eometrischer Beweis des eilften Euklidischen Grundsatzes. Zweite
umgearbeitete Auflage. Mainz. S''. XX u. 41 S. Hm-
*Müller, Carl Reinhard, Theorie der Parallelen. Marburg. 4".
IV u. 40 S. 1 Tfl. ^w/.
1823.
Hul>er, Daniel, Nova theoria de parallelarum rectarum proprietati-
buS. Basel. 8*^. 40 S. ^""««'•> HepertoHum 3, 06.
über die Parallelcntheorie, bis zum Jiihre 18.37. 3(t0
*Legen<lre, Adrien Marie, Eleineiis de geometrie. XII. ed. Paris. 8°.
*Paucker, Magnus Georg, Die ebene Geometrie der geraden Linie
und des Kreises oder die Elemente. Königsberg. 8". itui.
'^'Wahl, Friedrich Wilhelm Ludwig, Dissertatio mathematica,
symbolas ad epicrisin theoriarum parallclas spectantium continens.
Particula 1. Insunt IV theoriae earumque cen.sura. Jena. 4". VIII
u. 44 S. 1 Tfl. mu.
1824.
Beusemaiiii, .lohanu David, Dissertatio de undecimo axiomate ele-
mentorum Euclidis, pro facultate legendi. Halle a. S. 8°. 50 S.
1 Tfl. Sohnke.
■''Cainerer, Johann Wilhelm, Euclidis elementorum libri sex priores,
graece et latine, commentario e scriptis veterum ac recentiorum
mathematicorum illustrati. Vol. L Berlin. 8°. Riccanu.
*Foex, Memoire relatif ä la theorie des paralleles. Rapport fait par
MM. Ampere et Cauehy. Bulletin des Sciences mathematiques
publie par Ferussac. Paris. 8°. t. L S. 70. hui.
*Jacobi, Carl Friedrich Andreas, De undecimo Euclidis axiomate
Judicium, cui accedunt pauca de trisectione anguli. Jena. 8^. 54 S.
1 Tfl. Hm.
*Laplace, Pierre Simon, Exposition du Systeme du monde. 5. editiou.
Paris. 4^. Livre V, Chap. 5. Note, ßelboeu/, Reoue phUosopMque. i.3€. Paris 1S03.
*Stein, Johann Peter Wilhelm, Examen de quelques tentatives
de theorie des paralleles. Annales de Gergonne. Nismes. 4".
t. XV. S. 77—89. t. XVL S. 45—64, S. 257—261. mccardi.
* Essai de demonstration du principe qui sert de fondement ä la
theorie des paralleles. Amiales de Gergonne. Nismes. 4°. t. XIV.
S. 269. Riccanli.
1826.
Colbiirii, W., Nouvelle theorie des lignes paralleles. Boston Journal
of Philosophy and the Arts. Oct. 1825. S. 81, Juni 1826. S. 490.
Annales de Ferussac, Annee 1827. S. 162.
Hegenberg, F. A., Vollständige, auf die bekannten Elementarsätze
von den geraden Linien und Winkeln gegründete Theorie der
Parallellinien. Berlin. 8<^. 46 S. 1 Tfl. Ersch.
*SerTOis, Lettre au redacteur des Annales sur la theorie des paral-
leles. Annales de Gergonne, Nismes 4<'. t. XVL S. 223-238. imi.
*Taiirmus, Franz Adolph, Theorie der Parallellinien. Köln. 8°.
93 S. 3 Tfl. Ersah.
310 Verzeichnis von Schriften
1826.
Hoit'maun, Johann Joseph Ignaz, Vermischte Aufsätze aus der
Physik, Philosophie und Mathematik für Liebhaber dieser Wissen-
schaften: Über das Verhältniss des Parallelenproblems zur Elementar-
geometrie. Frankfurt a. M. 8". uni.
Miiiiirelli, C, Dimostrazione del quinto postulato d'Euclide. Bologna.
8". 20 S. 1 Tfl. Annalei de Ferussac, Annee 1827. S. 162.
Müller, Johann Wolf gang, Neue Beiträge zu der Parallelentheorie,
den Beweisen des P3'thagoräischen Lehrsatzes und den Berech-
uungsarten der Pythagoräischen Zahlendreiecke. Augsburg und
Leipzig. 8^. 71 S. Hofmann.
*01ivier, Louis, Über den eilften Grundsatz in Euklids Elementen
der Geometrie. Journal für die reine und angewandte Mathematik.
Berlin. 4". Bd. 1. S. 151. mu.
*Tauviims, Franz Adolph, Geometriae prima elementa. Köln 1826.
8". 76 S. 2 Tfl. (Universitätsbibliothek in Bonn.)
1827.
*Kiiar, Joseph, Über die Theorie der Parallellinieu. Zeitschrift für
Physik und Mathematik, herausgegeben von Baumgartner und
V. Ettinghausen. Wien. Bd. 3. S. 404-439. um.
Koch, Christian Adolf, Über Parallellinien. Ein Versuch, dem
Urtheil Sachkundiger gewidmet. Hamburg. 8". 12 S. hui.
*3Ioel)ius, August Ferdinand, Der barycentrische Calcul, ein neues
Hülfsmittel zur analytischen Geometrie. Leipzig. (*Gesammelte
Werke. Bd. L Leipzig 1890. 8«. S. 176.)
^"eubig, Andreas, Die Parallelentheorie. Programm. Bayreuth. 4".
Svhnh'. Bii'Uotheca S. 177.
1828.
*Kliar, Joseph, Berichtigung seiner Ansicht von den Parallellinien.
Zeitschrift für Physik und Mathematik, herausgegeben von Baum-
gartner und V. Ettinghausen. Wien. Bd. 4. S. 427 — 438.
Lampredi, Urbano, lutorno ad un passo di Euclide sulla teoria
delle parallele. Giornale arcadico di Roma. t. 40. Rom. luccardi.
hicorza, Giuseppe, Euclide veudicato. Neapel. luccard,:
Terquem, Olry, Manuel de Geometrie. Paris. 8°. Note I.
Bcllrami, Atii. dci Lincei, 1889.
1829.
yLobatscliefskij, Nikolaj Iwano witsch, 0 natschalach geometrii
(Über die Anfangsgründe der Geometrie). Kasaner Bote 1829 und
1830. (*Gesammelte geometrische Werke Bd. 1. S. 1 — 67.)
über die Parallelentheoric, bis zum Jahre 18iJ7. 311
*Rciuhol(l, H. J., Theorie des Krummzapfens nebst einem Anhange:
Versuch einer rein geometrischen Begründung der Lehre von den
Parallellinien. Münster. 8^. sohnkc.
1830.
Hill, Carl Jolian, Euclidis Elementorum prop. XXXll libri I. ex-
plicata. Lund. 4'', lUccardi, Hayßo.
1831.
Falck, Henrik, Practisk Lärobok i Geometrien och Trigonometrien
med strängt bevis i läran om parallela linier. Upsala. um.
*Lelimaiiii, Jacob Wilhelm Heinrich, Anfangsgründe der höheren
Mechanik, nach der antiken rein geometrischen Methode bearbeitet.
Berlin. 8*'. sm hat isso.
1832.
*Bol,yai, Johann, Appendix scientiam spatii absolute veram exhibens:
a veritate aut falsitate Axiomatis XI Euclidei (a priori haud un-
quam decidenda) independentem ; adjecta ad casum falsitatis,
quadratura circuli geometrica. 8*^. 28 S. Anhang zu: Wolf gang
Bolyai, Tentamen juventutem studiosam in elementa matheseos ...
introducendi., T. 1. Maros Väsarhely.
Doppler, Christian, Beiträge zur Parallelentheoric. Jahrbücher des
K. K. polytechnischen Instituts in W^ien, herausgegeben von J. C.
Prechel. Band XVII. Wien. Bürger ms.
* Steiner, Jacob, Systematische Entwickelung der Abhängigkeit geo-
metrischer Gestalten von einander. Berlin. 8". (*Gesammelte Werke,
Bd. 1. Berlin 1886. 8». S. 240.)
1833.
Bürger, J. A. P., Vollständig erwiesene, von den ältesten Zeiten bis
jetzt noch unberichtigt gevresene Theorie der Parallellinien, nebst
einer Critik mehrer bisher erschienener Paralleltheorien und An-
führung anderer neuerfundener geometrischer Gegenstände. Heidel-
berg. 8^ XII U. 208 S. 2 Tfl. SoknJce.
Ekstrantl, Johan, Lärobok i Geometriens Elementer. Teil 1. Jön-
köping. -ff'«-
*Legendre, Adrien Marie, Reflexious sur differentes manieres de
demontrer la theorie des paralleles ou le theoreme sur la somme
des trois angles du triangle. Memoires de l'Academie des Sciences.
Paris. 4«. t. XII. S. 367—410. Ricoardi.
312 Verzeichnis von Schriften
Thoiiipsoii, Thuimis Porrouet, Geometry withoui. iixioras, or the
first books of Euclid's elements with alterations aud notes ; and
an intercalary book, in which the straight linc and plane are
derived from properties of the sphere, with an appendix containing
notices of methods proposed for getting over the difficulty in tlie
12*'^ axiom of Enclid. London. 8". jaccuru,:
Wicssner, Gottfried, Beweis über Parallellinien oder dass alle drei
Winkel eines jeden Dreieckes zusammen genommen zwei reclitea
Winkeln afleicli sind. 2. Auflage. 8". 1 Tfl. soiMe, inbuothcca .y. /;/;.
1834.
■•'Bürger, J. A. P., Neu aufgefundener Beweis von dem seit 21 hundert
Jahren unberichtigt gewesenen eilften Euklidischen Grundsatze in
der Geometrie in ßetreif der Parallelentheorie. Heidelberg. 8*^.
16 S. 1 Tfl. Solinke. Riccardi nennt als Verfasser irrtümlich: Dessen (.')•
*Metziiig, S., Beweis des eilften Euklidischen Grundsatzes. Berlin.
8«. 43 S. 1 Tfl. Sohnke.
*Swin(leii, Jan Hendrik van, Elemente der Geometrie, übersetzt
von C. F. A. Jacobi. Jena. 8°.
1835.
Bürger, J. A. P., Rettung meiner Ehre. Vertheidigungsschrift. Heidel-
berg. 8". Suhnke, Bibliothem .S'. 142.
* [Grelle^ August Leopold], Theorie des paralleles. Journal für die
reine und angewandte Mathematik. Berlin. 4^. Band 11. S. 198.
Sohnke.
*Hill, Carl Johan, Conatus theoriam parallelarum stabiliendi prae-
cipui, quos recensuit novisque superstruxit fundamentis atque
auxit Auetor. Pars 1. [P. 2. 1843. P. 3—5. 1844]. Lund. 4«.
Im Ganzen: 72 S. 2 Tfl.
f Lobatschefskij , N. L, Woobrashajemaja geometrija (Imaginäre Geo-
metrie). Gelehrte Schriften der Universität Kasan. 1835. (*Ge-
sammelte geometrische Werke Bd. 1, S. 71 — 120.)
f Lobatschefskij, N. J., Nowyja natschala geometrii s polnoj teorijej
parallelnych (Neue Anfangsgründe der Geometrie mit einer voll-
ständigen Theorie der Parallelen). Gelehrte Schriften der Uni-
versität Kasan. 1835 — 1838. (^Gesammelte geometrische Werke,
Bd. 1, S. 249—486.)
1836.
Gsiudaiii, Lettre a M. van Tenac sur la theorie des paralleles. An-
nales maritimes et coloniales. Nov. 1836. sohnke.
{ibt'r die riitaHelenilicoiit', bis zum .lahrc 1837. 313
Heniiij^, Karl August, Neue ßogrüiulung der i'anillelentheorie.
Nürnberg. 4". 16 S. 2 TU. soxnke.
Kaiser, Ignaz, Versuch die Theorie der paraUclen Jinien streng
nachzuweisen. Wien. S'*. 32 S. 2 TU. Soimke.
Liimpretli, Urbano, Tentativo di una nuova teorica elementare delle
linee perpendicuhire, obblique e parallele. Seconda edizione. Neapel.
o2 S. 1 Tfl. i^o/inke, ßibliol/m:a ,S'. JO^.
Lemoniiier, Nouvelle theorie des paralleles. Annales maritimes et
coloniales. Juli 1836. soimke.
fLobatschefskij , N. I., Primjenjenije woobrashajemoj geometrii k
njekotorych integralach (Anwendung der imaginären Geometrie auf
einige Integrale). Gelehrte Schriften der Universität Kasan. 1836.
(*Gesammelte geometrische Werke Bd. 1, S. 121—218.)
Thomson, Thomas Perronet, Geometrie sans axiomes, ou le pre-
mier livre des Elemens d'Euclide demontre dune maniere com-
pletement rigoureux. 5. edit., traduit de l'anglais par van Tenac.
Paris, 8^. Solmke, Bibliotheca S. 192.
Van Tenac, Nouvelle theorie des paralleles. Annales maritimes et
coloniales. Mai 1836. soimke.
1837.
Graf, Carl, Der Satz von der Winkelsumme des Dreiecks ohne Hilfe
der Parallellinien bewiesen. Ein Beitrag zur Gründung des elften
Grundsatzes des Euclides und die darauf ruhende Theorie der
Parallellinien. Rudolstadt. 8*^. 16 S. 1 Tfl. soimke, Bibuotheca s. m.
Hörn, Das Parallelenproblem. Programm. Glüekstadt. schotten 2, 226.
*Lobatscliefskij , Nikolaj Iwanowitsch, Geometrie imaginaire.
.Journal für die reine und angewandte Mathematik. Berlin. 4®.
Bd. 17. S. 295. (*Gesammelte geometrische Werke, Bd. 2, S. 581.)
Wiessner, Gottfried, Begründung der Parallelentheorie, auf den ohne
Beihilfe der Parallellinieu geführten Beweis, dass die Winkelsumme
eines jeden Dreiecks zwei rechten Winkeln gleich sei. Jena. 8^.
13 S. 1 Tfl. ^ Sohnke.
Alphabetisches Verzeichnis
der im Litleratnr Verzeichnis vorkommenden Autoren.
Hinter jedem Autor ist zunächst, soweit sie sich ermitteln liefs, die Lebenszeit augeführt. Die darauf
folgenden cursic gedruckten Zahleu bedeuten die Jahre des Erscheinens der einzelnen Schriften.
Abreu, Joao Manuel de (1754 — 1815)
1S09.
Alembert, Jeanle RoncI d'(1717 — 1783)
1759, 1789.
[Anders] 1706.
fArnauld, Antoine) (1612—1694) 1667.
Austin, William (1754—1793) 1781.
Barozzi, Francesco (* 1538) 1560.
Bahn, Daniel 1761 siehe Hagen.
Belli, Silvio (11575) um 1570.
Bendavid, Lazarus (176-2 -1832, 17 86.
Bensemanu, Johann David (Gymna-
siallehrer in Cöslin) lS2i.
Bertrand, Louis (1731-1812) 1778,
1812.
Bezout, Etienne (1730—1783) 1770.
Binder, Benjamin Gottlob 1751 siehe
Hanke.
Boehm, Andreas (1720—1790) 1771.
Bolyai, Johann (1802— 1860) iS3^.
Bolzano, Bernhard (1781—1848) 1804.
B onny Castle, John (1750?— 1821") 1789.
Borelli, Giovanni Alfonso (1608—1679)
1658.
Boscovich, Ruggiero Giuseppe (1711 —
■ 1787) 1752.
Bossut, Charles (1730-1814) 1775.
Brunacci, Vincenzio(1768 — l8l8)iS;i.
Bürger, J. A. P. 1816, 1820, 1833,
1834, 1835.
Busch, Johann Georg (1728— 1800) i77.3.
Cagnazzi, Lucca 1790.
Camerer, Johann Wilhelm (1763 — 1847)
1824.
Camus, Charles fitienne Louis (1699 —
1768) 1750.
Carnot, Lazare Nicolaus Marguerite
(1753—1823) 1803.
Castillon (Castiglione), Giovan(1708 —
1791) 1792.
Cataldi, Pietro Antonio (f 1626) 1603,
1603, 1604.
Clairaut, Alexis Claude (1713—1765)
1741.
Clavius, Christoph (1537—1612) 1574.
Colburn, W. 1825.
Creizenach, M. 1821.
Grelle, August Leopold (1780 — 1855)
1816, 1835.
Desargues, Girard (1593—1662) 1639.
Doppler, Christian (1803—1853) 1832.
Duttenhofe r, Jacob Friedrich 1813.
Ebert, Johann Jacob (1737 — 1805) 1792.
Eichler, Caspar 1786.
Ekstrand, Johan ('1787—1862) 1833.
Euklid (um 300 v.^ Chr.) 1482.
Exley, Thomas 1818.
Falck, Henrik (1791—1866) 1831.
Felkel, Anton (;* 1740) 1781.
Flauti, Vincenzo 1818.
Foex 1824.
Fourier, Jean Baptiste Joseph (1768 —
1830) 1795.
Franceschini, Francesco Maria (1756
—1840) 1787.
Fries, Jacob Friedrich(1773—1843)iS5^.
Gaudain 1836.
[Gaufs, Carl Friedrich] (1777—1855)
1816, 1822.
Geldern, Jacob van (1785— 1848), 1806,
1810.
Gensich en, J. F. 1786.
Gergonne, Joseph Diez (+1771) 1812.
Gerling, Christian Ludwig (1788—1864)
1820.
Gestrin, Martin (1594—1648) 16S7.
Gilbert, Ludwig Wilhelm (1769—1824)
1798.
Alphabetisches Verzeichnis der Autoren.
315
Giordano da Bitonto, Vitale (1G33 —
1711) 1680, 1686.
Graf, Carl 1837.
Grashof, Friedrich Carl August 1806.
Guarini, Guarino (1624—1683) 1671.
Guldin, Paul (1577— 1G43) 1641.
Gumaelius, Samuel (1776—1849) 1801.
Guntz 1815.
Hagen, Johann Jacob von 1761.
Hanke, F. G. 1751.
Hauber, Carl Friedrich (1775—1851)
1820.
Hauff, Johann Karl Friedrich (1766—
1846) 1793, 1799, 18'f3, 1807, 1819.,
1821.
Hausen, Christian August (1693—1743)
1734.
Haus er, Matthias 1780.
Hegenberg, F. A. 1825.
[Hell wag, Christoph Friedrich] (1754—
1835) 1818.
Hennig, Karl August 1836.
Herr mann, Christian Alois 1813.
Hessling, C. W. 1818.
Hill, Carl JohanDanieläson(1793 — 1875)
1830, 1835.
Hindenburg, Karl Friedrich (1741 —
1808) 1781, 1786, 1799.
Hobbes, Thomas (1588-1679) 1655,
1656.
Hoffmann, Johann Joseph Ignaz (1777
—1866) 1801, 1607, 1816, 1826.
Hof mann 1786.
Hörn 1837.
Huber, Daniel (1768—1829) 1823.
Ide, Johann Joseph Anton (1775 — 1806)
1803.
Jacobi, Carl Friedrich Andreas (1795
—1855) 1824, 1834 siehe Swinden.
Jacques, Matthieu Joseph (1736—1821)
1804.
Kaestner, Abraham Gotthelf (1719 —
1800) 1758, 1763 siehe Klügel, 1790,
1796.
Kaiser, Ignaz 1836.
Karsten, Wenceslaus Johann Gustav
(1732—1787) 1758, 1760, 1778, 1786.
Kepler, Johann (1571—1630) 1604.
K esaer, Franz Xaver von (1740—1804)
1778.
[Kirch er, Adolf] 1803.
Kj ellin, Carl Erik (1776—1844) 1815.
Klügel, Georg Simon (1739 — 1812)
1763, 1808.
Knar, Joseph 1827, 1828.
Koch, Christian Adolph 1827.
Koenig, C. G. 1758.
Koenig, Georg Ludwig (1766 — 1849)
1819.
Kraft, Georg Wolfgang (1701—1754)
1752, 1753.
Krause, Karl Christian Friedrich (1781
— 1832) 1802.
Küster, J. C. 1821.
La Chapelle, de (1710—1792) 1746.
Lacroix, Sylvestre Fran9ois (1765 —
1843) 1803, 1805.
Lambert, Johann Heinrich (1728—1777)
17 S6 (1766)
Lampredi, Urbano (1761—1838) 1828,
1836.
Langsdorf, KarlChristian (1757—1834)
1797, 1802, 1818 siehe Mayer.
Laplace, Pierre Simon (1749—1827)
1824.
Legendre, Adrien Marie (1752—1833)
1794, 1823, 1833.
Lehmann, Jacob Wilhelm Heinrich
(* 1800) 1831.
Lemonnier 1836.
Lindquist, Johann Henrik(1743 — 1798)
1789.
Lobatschefskij, Nikolaj Iwano witsch
(1793—1856) 1829, 1835, 1835, 1836,
1837.
Lorenz, Johann Friedrich (1738—1807)
1791.
L ü d i c k e , August Friedrich (1 748— 1822)
1816, 1817, 1819, 1820, 1822.
Luino, Francesco (1740—1792) 1772.
Male'zieu, Nicolaus de (1650 — 1727)
1715.
Mayer, Johann Tobias (1752—1830)
1797 ^ieho. Langsdorf, 1818.
Metternich, Matthias (1758—1825)
1815, 1822.
Metzing, S. 1834.
Minarelli, C. 1826.
Moebius, August Ferdinand (1790—
1868) 1827.
Mönnich, B. F. 1821.
Montucla, Jean fitienne (1725 — 1799)
1758, 1799.
Müller, Carl Eeinhard (* 1774) 1822
Müller, Johann Wolfgang (* 1765)
1819, 1826.
Nasir-Eddin (1201—1274) 1594, 1693
(1651).
Neubig, Andreas (*17S0) 1811, 1827.
Niesert, J. 1806 siehe Simson.
Ohm, Martin (1792—1872) 1819.
Ohm, Georg Simon (1787—1854) 1817.
Oliver of Bury, Thomas 1604.
Olivier, Louis 1826.'
Ouvrier, Carl Sigmund 1808.
316
Alphabetiscbes Verzeichnis der Autoien.
P a g n i n i
Pardies,
1671.
Patricio
Paucker
1S23.
Peletier
Peyrard
PI ay fair
Proklos
Barozzi.
, Joseph Maria 17S3, 17 Di.
Ignacc Gaston (1636 — 1673)
, Francesco (15-29—1597) 1587.
, Magnus Georg (1787—1855)
, Jacques (1517—1582) 1557.
, Fran^ois (1760—1822) 1814.
, John (1748—1819) 1797.
(410—485) 1J33, 1560 siehe
Ramus, Petrus (1515—1572) 1569.
Red er, J. M. 1806 siehe Simson.
Kehbein, J. H. E 1795.
Ueinhold, H. J. 1829.
Rosenback 1789 siehe Lindquist.
Saccheri, Girolamo (1667 — 1733) 1733.
[Saladini, Girolamo] (1731—1813)
1795.
Sauveur, Joseph (1653 — 1716') 1753.
Savile, Henry ;i549— 1622) 1621.
Scheibel,JohannEphraim (^1736— 1809)
1807.
Scherffer, Karl (1716—1783) 1770.
Schmidt, Georg Gottlieb (1768—1837)
1797.
Schötteringk, M.W. von 1790,71799.
Schübler, Christian Ludwig (1754—
1820) 1788.
Schultz, Johann (1739—1805) 1780,
1784, 1786.
Schwab, Johann Christian 1801, ISOS,
1814.
Schweikart, Ferdinand Karl (1780—
1859) 1S07.
Scorza, Giuseppe il781— 1844'i 1S2S.
Segner, Johann Andreas (170#— 1777)
1739, 1747.
Servois 1825.
[Sevffer, Karl Friedrich] (1762—1822)
1801.
Simpson, Thomas (1710—1761) 1747.
Simson, Robert (1687-1768) 1756,
1775, 1806.
Stein, Johann Peter Wilhelm (1795 —
1831) 1824.
Steiner, Jacob (1796—1863) 1832.
Strömer, Märten (1707—1770) 1744.
Struve, K. L. 1820.
Suzanue, P. H. 1810.
Swinden,JanHendrik van (1746— 1823)
1790, 1834.
Tacquet, Andrea (1612—1660) 1654.
Taurinus, Franz Adolph (1794—1874)
1825, 1826.
Terquem, Olry (1782—1862) 1828.
Thibaut, Bernhard Friedrich (1775 —
1832) 1809.
Thompson, Thomas Perronet (1783 —
1869) 1833, 1836.
Talerio, Luca (1552?— 1618) um 1613.
Van Tenac 1836.
Varignou, Pierre (1654 — 1722) 1731.
Venturi, Giambattista ^1746— 1822)
1784.
Vermehren, Carl Christian Hermann
1816.
Voigt, Johann Heinrich (1751 — 1823)
1789. 1791.
Voit, Paul Christian 1802.
Wächter, Friedrich Ludwig 1817.
Wahl, Friedrich Wilhelm Ludwig
1^1795—1831) 1823.
Wallis, John (1616—1703) 1693 (1663^
1693.
Wiessner, Gottfried 1833, 1837.
Wildt, Johann Christian Daniel (1770
—1844) 1795, 1803.
Wolff, Christian (1679—1754) 1710,
1715, 1797 siehe Langsdorf, 1818
siehe Mayer.
Verfasser unbekannt oder zweifel-
haft: 1799, 1818, 1819, 1821, 1824.
Nachträge und Berichtigungen.
EuTclid.
S. 4, Z. 9 V. 0. sind hinter: „Er machte selbst einen "Versuch," die Worte einzu-
schalten: „dessen Mangelhaftigkeit schon Saccheri (Seite 75 — 76 dieses
Buches) dargethan hat. Noch weiter von Euklid entfernte sich Ptolemaeus".
S. 5 ist am Ende der Litteratur hinzuzufügen:
Tannery, P., La geometrie grecque. Comment son histoire nous est parvenue
et ce que nous en savons. Paris 1887.
Wallis.
S. 17, Z. 6 V. u. muss es heifsen „Kaestner" statt „Kästner".
S. 18, Z. 14 V. 0. ist die Anmerkung hinzuzufügen:
,,Dafs Ramus auf die Bedeutung des Euklidkommentars von Proklos
aufmerksam macht, während er Untersuchungen über die Grundlagen der
Geometrie verwirft, könnte als ein Widerspruch erscheinen. In Wahrheit
ist beides die Folge seines Bestrebens, die Fesseln der Überlieferung zu
brechen. Ramus konnte für seinen Grundsatz: Nulla auctoritas rationis, sed
ratio auctoritatis regina doniinaque esse debet (Scholae mathematicae lib. III)
sich sehr gut auf Proklos berufen: hatte doch hier schon einer der Alten
Euklid zu tadeln gewagt, dessen Autorität zu Ramus' Zeiten als unan-
tastbar galt. Auf der andern Seite schien aber bei der unmittelbaren
Gewifsheit, die der anschaulichen geometrischen Erkenntnis zukommt, die
ratio, der gesunde Menschenverstand, zu verlangen, dafs man seine Zeit nicht
an so selbstverständliche Dinge verschwende."
S. 18, Z. 17 V. u. ist einzuschalten:
„Neuerdings hat Hagen (Synopsis der höheren Mathematik^ Bd. II. Berlin
1894. S. 7) darauf hingewiesen, dafs diese Erklärung der Parallelen bereits
1604 von Kepler benutzt worden ist (Opera omnia, ed. Frisch, Vol. II.
S. 185 — 188), freilich, wie wir hinzufügen möchten, nur gelegentlich, während
es sich bei Desargues um eine grundlegende Auffassung handelt. Sie findet
sich auch, wie schon R. Baltzer in seinen Elementen (1. Aufl., Bd. 2. S. 13)
bemerkt hat, bei Newton, und zwar am Schlüsse des Scholium zum
Lemma XVIII in der Sectio V des ersten Buches der Philosophiae naturalis
principia mathematica (London 1687).
S. 19. Bei der Litteratur ist einzuschalten:
Barrow, J., Lectiones habitae in scliolis publicis Academiae Cantabrigiensis
Anno 1664. London 1683. S. 67.
318 Nachträge und Berichtigungen.
Carnot, Geometrie de positiou. Paris An XI (1803). Art. 435.
Günther, S., Geschichte des mathematischen Unterrichtes im deutschen
Mittelalter bis zum Jahre 1525. Berlin 1887.
Waddington, Pierre de la Ramee. Paris 1856.
Saccheri.
S. 35, Z. 14 V. 0. Das Komma mufs nach „procul" stehen, nicht nach „Tempore".
S. 37, Z. 14 V. u. ist die Anmerkung hinzuzufügen:
„Dafs Saccheri von der unbedingten Richtigkeit der euklidischen Geo-
metrie überzeugt war, zeigt besonders der Appendix seines Werkes (S. 139
bis 142), wo er zu beweisen versucht, dafs das Verhältnis von Figuren in der
Ebene, also — fügen wir hinzu — auch der Inhalt einer solchen Figur, sich
nur dann ermitteln lasse, wenn vorher das Parallelenaxiom begründet sei."
Wir führen noch einige Stellen aus dem Appendix an:
(139) „Hier möge noch die Bemerkung Platz finden, dafs man durch die Ana-
lysis nicht ermitteln kann, in welchem Verhältnisse eine beliebig
gegebene Figur, selbst wenn sie geradlinig ist, zu irgend einer
andern gegebenen geradlinigen Figur steht, so lange man nicht
voraussetzt, dafs jenes Euklidische Axiom, von dem die Lehre
von den Parallelen abhängt, schon begründet worden ist.
„Beweis. Ich schicke voraus, dafs die Analysis und die gewöhnliche
Arithmetik alle Regeln der Addition, Subtraktion, [Multiplikation,] Division
und Wurzelausziehung gemeinsam haben, sobald man nämlich die niedrigste
Art des Seienden begründet hat und sich dann ganz auf diese Art beschränkt.
Will man jedoch von einer Art zu einer andern übergehen, zum Beispiel (dm-ch
Multiplikation, das heifst durch Verknüpfung*) irgend einer geraden Linie
mit einer andern geraden Linie) von der blofsen Länge zu der ebenen Fläche,
darauf in ähnlicher Weise von dieser (indem man sie wiederum mit einer
140 geraden Linie multipliciert) zu einem Körperraume von drei Abmessungen und,
indem man so aufsteigt, durch neue Multiplikationen zu den denkbaren
höheren Stufen von noch mehr Abmessungen**), wobei Entsprechendes für
die Division gilt, vermittelst deren man zu den niedrigeren Stufen herab-
steigt — dann bin ich fest überzeugt, dafs die Analysis keinen Grundsatz liefern
kann, auf den sich die Rechnungen stützen lassen, die sie vorschreibt, damit
man das richtige Ergebnis erhält."
Saccheri denkt sich zuerst in den Endpunkten einer Grundlinie von der
Länge 1, darauf in den Endpunkten einer Grundlinie von der Länge 2
jedesmal Lote von der Länge 1 errichtet und die Endpunkte durch Gerade
verbunden, und bemerkt, man könne nur dann zeigen, dafs sich diese Figuren
wie ihre Grundlinien verhalten, wenn jene Verbindungsgeraden mit dem Orte
der Punkte gleicher Entfernung von den Grundlinien zusammenfallen. Wir
teilen hier nur noch den Schlufs seiner Auseinandersetzungen mit:
„Darum halte ich schliefslich dafür, dafs mau immer die Geometrie zu
*) [Im Original steht: „per multiplieationem seu ductum."]
**) [Im Original heifst es: „ad altiores conceptibiles gradus plurium dimen-
sionum."J
Nachträge und Berichtigungen. 310
llilfe nehmen mul's, die ja, aobakl jenes Euklidische Axiom begründet ist,
die Beschaffenheit solcher [Verbindungs-JLinien feststellt."
S. 38, Z. 11 — 14 V. 0. mufs lauten:
„und der Grenzgeraden, das heilst der Geraden, die zwischen den schnei-
denden und den nicht schneidenden die Gi-enze bilden, in aller Strenge nach-
gewiesen. Er hat auch schon den Ort der Punkte betrachtet, die von einer
Geraden gleichweit entfernt sind." Die Worte : „und ist . . . gelangt" sind
zu tilgen.
S. 40. Bei der Litteratur ist einzuschalten:
Cordara, Giulio Cesare, Vita del padre Tomaso Ceva in den: Vite degli
Arcadi illustri, t. V. Rom 1751. S. 142—143.
Halsted, George Bruce. Die Übersetzung des Euclides ab omni naevo vin-
dieatus ist inzwischen in dem Jahrgange 1895 des American Mathematical
Monthly S. 10, 42—43, 67—69, 108-109, 144—146 bis Lehrsatz XVIH (im
Urtext bis S. 26) fortgeschritten.
S. 53, Z. 1 V. u. fehlt hinter „anwenden" die eckige Klammer.
S. 109, Z. 1 V. u. fehlt hinter „S. 98" der Punkt.
S. 117, Z. 1, 2 V. u. Weitere Nachforschulagen , bei denen wir uns der gütigen
Unterstützung des Herrn Hofrat Förstemann in Leipzig zu erfreuen hatten,
haben Folgendes ergeben. In dem Werke: Micraelius, J. , Lexicon Philo-
sophicum. Jena 1653 heifst es S. 608 :
„Ly est tei'minus scholasticorum , quo denotatur acceptio vocis materialLs:
ut Ly Mus est monosyllabum, Nos dicimus zb Mus est monosyllabum."
Die Entstehung dieser Bezeichnung ist damit freilich noch nicht erklärt.
Lamherf.
S. 147, Z. 13 V. u. statt „sieben" lies „acht".
S. 148, Z. 6 V. 0. ist hinzuzufügen:
„und auch C. F. Camerer, den wir dort ebenfalls erwähnten, hat dieselbe
Bemerkung gemacht."
S. 148, Z. 16 V. 0. ist hinzuzufügen:
„Jedoch hat F. A. Taurinus in seinen Geometriae prima elementa
(Köln 1826), ohne Lamberts Theorie der Parallellinien zu kennen, bemerkens-
werte Untersuchungen angestellt, in denen Lamberts Vermutung in betreff
der imaginären Kugel ihre Bestätigung findet."
S. 151. Bei der Litteratur ist einzuschalten:
Camerer, C. F., Euclidis elementa graece et latine, commentariis instructa,
ed. Camerer et Hauber. Bd. 1. Berlin 1824. S. 425-426.
S. 188, 189 Anm. Der Beweis für das immer stumpfer werden der Winkel läfst
sich im Lambert sehen Stile folgendermafsen führen:
Li Fig. XIX (S. 189) seien in E, B, D und J rechte Winkel, zu beweisen
ist, dafs JPD > JNB. Man mache EG ^ EB und ziehe durch G die
Senkrechte GL, dann ist JLG = JNB und LG = NB (§. 52). Halbiert
man GD in A, richtet AM senkrecht auf und legt die Figur längs AM zu-
320 Nachtrüge und Berichtif)fungen.
sainmen, so fällt L in p über P, da GL ^= BN ^ DP ist (§. 57), demnach
wird MPD > MpD und also auch JPD > JiS^S.
Auf eine ähnliche Art wird in §. 69 verfahren.
Gaufs.
S. 213, Z. 15 V. 0. ist die Anmerkung hinzuzufügen:
Nach einer Angabe Beltramis erzählt Terquem (Manuel de Geometrie,
Paris 1828), dafs ihm Legendre diesen Satz bereits im Jahre 1808 brieflich
mitgeteilt habe.
S. 217, Z. 1 V. u. statt „letzten" lies: „nächsten".
S. 222, Z. 8 V. u. statt „anderen" lies: „andern".
S. 231, Z. 3 V. u. statt „Arnaud" lies „Arnanlä".
Verzeichnis
der im Texte erwähnten oder besprochenen Autoren*).
Die ciirslo gedruckten Seitouzahlcii beziobou sich auf die Litterat uraugaben am Schlüsse
der Einleitungen zu den hier mitgeteilten Schriften und auf die Nachträge.
d'Alembert, J., nennt die Parallelen-
theoiie das Ai'gei'nis der Elementar-
geometrie 211, 218.
Anding, E., über Lambert 151.
ApoUonius benutzt Euklid als Grund-
lage 45.
Archimedes benutzt Euklid als Grund-
lage 45.
Arnauld, A., verwendet Winkelrüume
zum Beweise der fünftenForderung231.
Backer, Augustin und Alois de, über
Saccheri 40.
Baltzer, R. erwähnt eine noch nicht
veröffentlichte Abhandlung von Gaufs
über die Erklärung der Ebene 226,
macht auf Bolyai und Lobatschefskij
aufmerksam 239, 353; erwähnt New-
tons Erklärung paralleler Geraden
317.
Barozzi, F. übersetzt Proklos 17.
Barrow, J., Bezeichnung in den Figuren
65, bekämpft Ramus 317.
Bartels, J. M. C, mit Gaufs befreun-
det, Lehrer von Lobatschefskij 242,
353.
Battaglini G. übersetzt J. Bolyai 239,
353.
Beez, R., imaginäre Kugel 151.
Beltrami, E., Saccheri precursore di
Lobatschefskij III, 39, 40.
Bernoulli, Daniel, Briefwechsel mit
Lambert verloren gegangen 150.
Bernoulli, Johann I, Bezeichnung in
den Figuren 65.
Bernoulli, Johann III, giebt Lam-
berts Theorie der Parallellinien heraus
141, kauft Lamberts Nachlafs 148,
Subski'iption auf Lamberts hintcr-
lassene Schriften 149, begründet mit
C. F. Hindenburg das Magazin für
die reine und angenundte Mathematik,
IV, 149.
Bernoulli, Paul, einziger Enkel von
Johann III: 150.
Bertrand, L., verwendet Wiiikelräume
zum Beweise der fünften Forderung
231, 240.
B es sei, F. W., erwähnt Lambert 148,
227, Gaufs und B., Briefe 1829 und
1830: 226—227.
Bilfinger, B. G., verbessert Chi*. Wolff
156.
Biot, J. B. , Unterhaltungen mit La-
grange 211.
Bolyai, Johann, Schöpfer der nicht-
euklidischen Geometrie III, 215, 318,
B. und Saccheri 37 , Lehen und
Schriften 241 — 243, B. und Taurinus
246, 252.
Bolyai, Wolfgang, Axiom 143, 260;
imaginäre Kugel 146, 151; 215, 217,
Brief von Gaufs an B. 219, Leben
und Schriften 241 — 243.
Borelli, J. A. , neue Erklärung der
Parallelen 33, Einflufs auf Saccheri
38, von Saccheri geprüft 76—82.
Bunjakofskij, Kritik Legendres 318.
Caesar, Caius Julius, Saccheri mit Cae-
sar verglichen 40.
Camerer, J. W., erwähnt Saccheri 39,
40, erwähnt Saccheri und Lambert
248, 319.
Cantor, M., über Euklid 5, über Wal-
lis und Nasir Eddin 39, über G. Ceva
*) Die im Litteraturverzeichnis, S. 293 — .S13, angeführten Autoren sind
hier nicht aufgenommen, da von ihnen bereits S. 314 — 316 ein alphabetisches Ver-
zeichnis gegeben worden ist.
Stäckel u. Engel, Paralltleiitheorio. 21
322 Verzeichnis der im Texte erwähnten oder besprochenen Autoren.
und J. A. Jjürelli 'i(>, über Kaeslner
151.
Carnot, L , ersetzt das Vardllelemuiotti
durch das Princip der Ähnlichkeit 10,
318.
Castillon, G., über Euklid, Proklos
und Nasir- Eddin 19.
Cataldi, P. A., Erste Schrift über die
Parallelentheorie als solche 18.
Ceva, Giovanni, Verkehr mit Sacchcri
34, Vorläufer von Moebius 36.
Ceva, Tommaso, Verkehr mit Saccheri
34, 310, besingt Saccheri 35, 40, regt
Saccheris Xcosfatica an 36.
Cicero, Marcus Tullius, von Lambert
erwähnt 142, 158.
Clairaut, A. , gründet die Elementar-
geometrie auf das Bechteck 18, l'J;
Euklid und die Sophisten 153.
Clavius, Chr., Euklid-Kommentar 17,
19, 45, 139; merkwürdige Figur 17 f.;
widerlegt Proklos 75 f.: sein Axiom 78,
von Saccheri geprüft 81 — 82.
Cor dar a, G. C, über Saccheri 319.
Coste, Prediger in Leipzig, widerlegt
Hausen 139.
Grelle, A. L., über die Erklärung der
Ebene 227.
Deahna, über die Erklärung der Ebene
226.
Delbceuf, J., über das Princip der J/(/i-
lichkeit 19, 19.
Desargues, G., neue Erklärung der
Parallelen 18, 30, 317.
Eck wehr, .L W. von, Lehrer von J. Bo-
lyai 241.
Engel, F., übersetzt Wassiljefs Rede
vom 22. Oct. 1893: 2.5i.
Erb, über die Erklärung diQx Ebene 227.
Erdmann, B., über die Axiome der
Geometrie 21S.
Erhardt, S., über Lambert 151.
Euklid, IV, Einleitung und Littera-
tur 3 — 5, erstes Buch der Elemente
6—14, von Wallis verteidigt 21 — 23,
29, 30, von Saccheri verteidigt 45—
47, 77 f., 84; Lambert über Euklids
Verfahren 141 — 142, Lambert über
Euklids Absichten 152—162.
Euler, L,, VI.
Ferrari, G., über Saccheri 40.
Förstemann unterstützt unsre Nach-
forschungen über die Bedeutung von
„Ly" (S. 117) 319.
Foncenex, Daviet de, hyperbolische
Trigonometrie 147, 151; Parallelo-
gramm der Kräfte 212, 318.
Furmey, J. 11. S., 3 Briefe Lamberts
an F. 150, Kede auf Lambert 151.
Forti, A., überläl'st uns eine Abschrift
der Aufzeichnungen Gambaranas VI,
34; übersetzt Fr. Schmidts Notice sur
W. et J. Bolyai 254.
Fourier, J., neue Erklärungen der Ge-
raden und der Ebene 211, 218.
Franceschini, Fr., versucht die fünfte
Forderung zu beweisen 214.
Friedlein, E., giebt Proklos heraus 5.
Frischauf, J., bearbeitet die nichteukli-
dische Geometrie J. Bolyais 239, 253.
Fürer, A., Stiefbruder von Taurinu.s,
überläfst uns zwei Briefe von Schwei-
kart und einen von Gaufs an Tauri-
nus, macht uns auf die Elementa des
Taurinus aufmerk>am VI f., 244, 251 f.
Galilei, G., von T. Ceva und Sac-
cheri augegriffen 36.
G a m b a r a n a , Fr., Aufzeichnungen über
Saccheri VI, 34—36.
Ganfs, C. F., III, 146, Einleitung und
Litteratur 211 — 218, seine bis jetzt
gedruckten Aufserungen über die
ParaUelentheorie 219—236; F. Kleins
Vermutungen über das Verhältnis von
Lobatschefskij und Bolyai zu G. : 242
— 243; Brief an Gerling über Schwei-
kart 11819) 246, Brief au Taurinus
(1824) 249—250, G. und Schweikart
252; 281.
Genocchi, A., über Foncenex 218.
Ger gönne, J. D., über Legendres ana-
lytischen Beweis für den Satz von
der Winkelsumme des Dreiecks 20.
Gerling, Ch. L. , über die Erklärung
der Ebene 227, Brief von G. an W.
Bolyai über Schweikart (1851) 243—
244, Brief von Gaufs an G. über
Schweikart (1819) 246.
Giordano da Bitonto, V., merkwürdige
Figur 18, verlangt, dafs man das Vor-
handensein äquidistanter Geraden be-
weise 33 — 34, 38, 40; seine Figur auch
bei Saccheri 77.
Graf, M., über Lambert 151.
Grafsmann, H., VII.
Grunert, J., über Gaufs, Lobatschefskij
und Bolyai 253.
Guldin, P. , Neue Formulierung des
Axioms von Clavius 33, 40.
Günther, S., über Riccati, Foncenex
und Lambert 151, über Foncenex und
Lagva,nge21S, überSeyfFer5i6'; Euklid
im Mittelalter 318.
Hagen, J., erwähnt Keplers Erklämng
paralleler Geraden 317.
Halsted, B. G., beginnt Juni 1894 eine
Verzeichnis der im Texte erwiUinttüi oder beaproclienen Autoren.
\2?j
Übersetzung von Saccheri zu ver-
öffentlichen 39, 40, 3in-, über die
Entwickelung der nichteuklidischen
Geometrie 218; übersetzt Lobatschcfs-
kij und Bolyai '239, 253.
Ilankel, H., über Euklids Elemente 5;
über das Princip der Ähnlichkeit 20.
Hansen, der Astronom, '231.
IIa üb er, C. F., Stücke aus Euklid,
Proklos, Savile U.S.W. 5; ygl.Camerer.
Hauff, J. K. F., Lehrer von Schwci-
kart 243.
Hausen, Gh., versucht die fünfte For-
derung zu beweisen 139.
Heiberg, J. L., neue Euklidausgabe
4, 5; 154.
Heilb ronner, J. Chr., erwähnt Sac-
cheri 39.
Helmholtz, H., Über die Thatsachen,
die der Geometrie zu Grunde liegen:
III.
Hessling, C. W., über Pfafis Ansicht
in betreff' des Parallelenaxioms 215,
218.
Hindenburg, C. F., IV, über Lam-
berts Theorie der Parallellinien 143
— 144, 147, giebt mit J. BernouUi
das McKjazin für die reine und an-
geioandte MatJiematiJc, allein das Ar-
chiv für reine und angeivandte Mathe-
matik heraus 149; 151.
Holland, G. J. von, Brief von Lam-
bert an H. 141.
L'Hospital über Saccheri als Geo-
meter 36.
Hoüel, J., Mitteilung über Lagrange
211, ^iS, Anmerkung über das Fehlen
der Untersuchungen von Gaufs über
nichteuklidische Geometrie in den
Werken 230, übersetzt Lobatschefskij,
Bolyai und Briefe von Gaufs und
Schumacher 239, 253.
Huber, D., über Lambert 151.
Jacobi, C. F. A., erwähnt Saccheri 39,
40, und Lambert 148, 151.
Justi, K. W., über Schweikart 253.
Kaestner, A. G., über Clavius' EuJclid-
kommentar 17, sein Interesse für die
Parallelentheorie 139, regt Klügeis
Dissertation an 140, spätere Resigna-
tion 141, 214.
Kant, J., Bedeutung für die Parallelen-
theorie VI, über Lambert 143, Brief
Lamberts an K. über das Imaginäre
146, Brief Lamberts an K. über Wolft's
Nominaldefinitionen 157, Schwab be-
kämpft K.s Ansichten über die Ge-
wifsheit der Geometrie 221
Kepler,,!., Erklärung paralleler Geraden
317.
Klein, F., über das Verhältnis von
Lobatschefskij und Bolyai zu Gaufs
242, 253.
Klügel, G. S., über ältere Versuche in
der Parallelentheorie 20, zeigt den
Fehler bei Giordano da Bitonto 34,
bespricht Saccheri 39, 40, 140, seine
Diascrtation 140—141, Brief Lamberts
an K. 143, Dissertation von Lambert
gelobt 155, sein Skepticismus findet
Nachfolge 214.
Lagrange, J. L. , versucht die fünfte
Forderung zu beweisen 211 — 212, be-
einflufst seinen Freund Foncenex 212.
Lambert, Cesar, Schrift über ParaWeZen-
tJieorie (1859) 148.
Lambert, Johann Heinrich, IV — VI,
setzt euklidfeste Leser voraus 4, über
das Princip der Almlichkeit 19, 85,
199 if.; zeigt, dafs man das Axiom
, der Stetigkeit vermeiden kann 56,
144, 187 f., 193, 319; Einleitung und
Litteratur 139 — 151, Lebenslauf 141,
Theorie der Parallellinien 1766 ver-
fafst 141—143, über Euklids Verfah-
ren 141 — 142, Unzulänglichkeit des
L.schen Beweises 143—144, Verhältnis
zu Saccheri 144 — 145, Geometi'ieaufder
Kugel 145, 202, imaginäre Kugel 145 —
147, 203, 259, 151; seine Parallelen-
theoriespäter fastganz vergessen 147 —
148, Schicksale von Lamberts Naclüafs
148 — 150, Theorie der Parallellinien
152—208; 211, L. über Klügel 155,
über Chr. Wolfi"155— 159, über Prok-
los 159; L. und Legendre 212—213;
215; von Bessel erwähnt 148, 227, 243;
von CamerÄ erwähnt 248; 252, 259.
Laplace, P. S., Princip der Ähnlich-
keit 19, 20; 212, 218.
Lefort, P. A. F., Mitteilung an Hoüel
über Lagrange 211.
Legendre, A. M., analytischer Beweis
für den Satz von der Winkelsumme
19, 20; 218 \ Verhältnis zu Saccheri
37 — 38, zu Wallis, Saccheri und Lam-
bert 212, Bedeutung für die Ge-
schichte der Parallelentheorie 213;
Satz über die Summe der Dreiecks-
winkel schon 1808 gefunden 320.
Leibniz, G. W., Indicesbezeichnung 65,
Geometrie der Lage von Kaestner er-
wähnt 140, Untersuchungen über Pa-
rallelentheorie aus demNachlafsl39,i5i.
Lepsius, J., über Lambert 151.
Lie, Sophus, IV.
Lindemann, F., über das erste Buch von
Euklids Elementen 5.
21*
324 Verzeichnis der im Texte erwäbnteu oder besprochenen Autoren.
Lobatscliefskij, X., Schöpfer der
nic]itii(kli(lische)i Geometrie, III, L.
und Saccheri 37 — 3'J , Lambert und
L. 146; 151; seine Untersuchungen
über die Parallellinien von Gauls
•gelobt 210, -235; Lehen und Schriften
•_'40— 241, ä53; L. und Gaufs 242,
L. und Taurinus 246, 252, 282.
Lombardi, A., über Saccheri 40.
Lorenz, .J. F., Axiom 213; Grundrils
244; Euklidübersetzung 247.
Loria, G., über Euklids Elemente und
über P. Ramus 20.
Lübsen, H. B., versucht das Parallelen-
axiom zu beweisen 236.
Maier, L. , über Proklos 5, erwähnt
Saccheri 39, 40.
Manganotti, A., will Saccheris Schrif-
ten neu herauszugeben 39.
Mansion, P., über Saccheri 40, über
Fourier 218.
Metternich, M., sein Beweisversuch
von Gaufs besprochen 221 — 223.
Micraelius, J, Bedeutung von „Ly"
319.
Moebius, A. F., über das Princip der
Ähnlichkeit 20, G. Ceva sein Vor-
läufer 36.
Monfucla, J. , erwähnt Saccheri 39.
Morgan, A. de, über Lagranges Be-
weisversuch 212, 21S.
Müller, C. R., sein Beweisversuch von
Gaufs besprochen 223—226.
Nasir Eddin (Nassaradin), arabische
Bearbeitung von Euklids Elementen
17, sein Beweisversuch von Saccheri
besprochen 82 — 83.
Newton, J., über Anziehmig proportio-
nal der Entfernung 'M, Erklärung
paralleler Geraden 317.
Nicomedes, Conchoide 75.
Oliver of Bury, Th., zweite Schrift
über die Parallelentheorie als solche 18.
Pascal, Bl., Bezeichnung in den Figuren
65.
Peters, C. A. F., giebt den Briefwechsel
zwischen Gauls imd Schumacher her-
aus 217.
Peyrard, F., entdeckt die älteste der
bekannten Euklidhandschriften 17, 20.
Pfaff, J. F., Skepticismus 215, 244.
Poggendorff, .J. C. , über Schweikart
253.
Proklos, Euklidkommentar 4, 5, sein
Beweisversuch 4, 317, übersetzt von
Barozzi, gewm-digt durch Kamus 17,
sein Beweisversuoh besprochen von
Saccheri 75 — 76, von Lambert er-
wähnt 159.
Ptolemaeus versucht die fünfte For-
derung zu beweisen 214, 317.
Kamus, P., würdigt Proklos 17, ver-
wirft jedoch Untersuchungen über die
Grundlagen der Geometrie 18, 20,
317.
Riccardi, P., Euklidbibliographie 5,
über Saccheri 40.
Riccati, V., hyperbolische Trigono-
metrie 147, 151.
Riemann, B., Probevorlesung III, Geo-
metrie auf der Kugel schon bei Lam-
bert 145 und bei Taurinus 252; 151.
Saccheri, G. , sein Euclides ab omni
naevo vindicatus von Beltrami ent-
deckt III, 39, 40; setzt euklidfeste
Leser voraus 4, prüft den Beweisver-
such von Wallis 17, 19, 83—85; Ein-
leitung itnd Litteratur 33 — 40; Leben
und Charakter 34 f. , seine Schriften
35 — 37, Inhalt und Bedeutung des
Euclides ah omni naevo vindicatus
37 — 39, Bibliotheken, die dieses Werk
besitzen, 38, ältere Autoren, die S.
erwähnen, 39; S. und Legendre 37 —
38, 212, 213, S., Lobatschefskij und
Bolyai 37 — 39; Bemerkungen aus
dem Appendix 318, deutsche Über-
setzung des ersten Buches des Eucli-
des vindicatus (1733) 41 — 136, prüft
den Beweisversuch des Proklos 75 — 76,
den des Borelli 76 — 78, des Clavius
78—82, des Nasir Eddin 17, 82—83 ; S.
und Lambert 144—145 ; 215, 243, 248.
Sartorius von Waltershausen, W., teilt
Aufserungen von Gaufs über die Anti-
euklidische Geometrie mit 216, 218,
berichtet über Bartels 242.
Savile, H, , sein Interesse für Euklids
Elemente 18, 20; spricht von den
Makeln bei Euklid 36.
Schlüssel siehe Clavius.
Schmid, Anton, über Saccheri als
Schachspieler 40.
Schmidt, Franz, Mitteilungen über die
beiden Bolyai VlI, 240—242, Mittei-
lung eines Briefes von Gerling an
W. Bolyai über Schweikart 243—244,
schreibt über das Leben der beiden
Bolyai 253, 254.
Schulz, .J., verwendet Winkelräume
zum Beweise der fünften Forderung
231, 240.
Schumacher, Gaufs und S., Briefe von
1831 und 1846, 227—235.
Verzeichnis der im Texte erwähnten uder besprochenen Autoren. 325
Schwab, J. Gh., sein Tcntamcn (1801)
von Reyfter besprochen 214, seine
Coinmenlatio (1814) Ton Gaufs be-
sprochen 220— 2-21.
Schweikart, F. K., IV, von Bessel er-
wähnt 148, 227; erzählt von Kaestnera
Resignation 151 ; seine Astralgeomctric
von Gaufs erwähnt 235, Lehen und
Schriften 243, Bibliotheken, in denen
S.s Parallelentheorie vorhanden ist 243,
Gerling über S. 244, Brief an seinen
Neffen Taurinus (1824)245— 246; Gaufs
an Gerling über Schweikart 246 ; regt
Taurinus an 246, 247 ff., 261, Brief
an Taurinus (1820) 248—249; inwie-
fern mit Gaufs gleichberechtigt 252.
Scriba, H. E., über Schweikart und
Taurinus 254.
Seyffer, K. F., bespricht die anonyme
Demonstratio theor. par. (1799) und
das Tentamen novae theor. par. (1801)
von Schwab 214 — 215.
Simpson, R., Beweis versuch von Seyffer
erwähnt 214.
Simson, Tb., Beweisversuch von Seyffer
erwähnt 214.
So linke, L. A., giebt Bemerkungen über
die Geschichte der Parallellinien bis
1837: 20.
Steiner, J., seine Erklärung paralleler
Geraden 18.
Steinschneider, M., Euklid bei den
Arabern 20.
Sulz er, J. G., ordnet Lamberts Nach-
lafs 148.
Tannery, P., über Euklids Elemente
5, 317.
Taurinus, F. A., IV, Brief von Schwei-
kart an T. (1824) 245—246, Leben und
Schriften 246—252, Bibliotheken, in
denen diese Schriften vorhanden sind,
251, aus dem Vorwort zu den Elementa
247 f. , Brief von Schweikart an T.
(1820) 248—249, Brief von Gaufs an
T.(1824)249f.; seine IJedeutuug für die
Geschichte der nichteuklidisehen Geo-
metrie 252, oI'J; Stücke aus der Tlieo-
rie der Parallellinien (1825) 255—266;
Stücke aus den Geometriae inimu
dementa 267—286.
Ter quem, 0., über Legendre 320.
Thaies von Milet beweist, dafs jeder
Durchmesser seinen Kreis halbiert 120.
Theodosius benutzt Euklid als Grund-
lage 45.
T hier mann erwähnt Saccheri 39, 40.
Trans on, A. , erwähnt Arnaulds Be-
weisversuch 231.
Ventimiglia, R., stellt 1692 sechs geo-
metrische Aufgaben, die Saccheri 1693
löst 35 f.
Verci, G., über Saccheri 40.
Veronese, G., über Saccheri 40.
Voit, P. Gh., angeregt durch Seyffer,
Dissertation, Skepticismus 215.
Wad dington, über Ramus, 318.
Wallis, J., IV, Einleitung ^jmd Littc-
ratiir 17 — 20, deutsche Übersetzung
der Demonstratio postulati quinti {l&G'd)
21 — 30, sein Beweisversuch von Sac-
cheri besprochen 83 — 85, Kaestners
Verfahren dem von W. ähnlich 140;
Legendres Beweis von 1794_ beruht
auch auf dem Princip der Ähnlich-
keit 212.
Wassiljef, A. , Mitteilungen über Lo-
batschefskij VII, 240; Rede auf Lobat-
schefskij vom 22. Okt. 1893: 254.
Winter, über Schweikart 254.
Wolf, R., forscht nach Lamberts Nach-
lafs 150; über Lambert 151.
Wolff, Chr., von Lambert angegriffen
155—159.
Zell er, E., über Bilfinger 156.
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