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Full text of "Theosophie; oder, Psychologische Religion. Gifford: Vorlesunge, gehalten vor der Universität Glasgow im Jahre 1892"

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TlIEOSdPHiE 


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fCHOLOOISCHE  RELIGION 

GIFFOEB-VOElliaUNGEN 

SDBEDSIVBÜaiTÄTeLJLeGOW  IM  JAllliF.  i-lJ 

FTWAX  MOtlEB^/^ 
Tbä  Uta  tsansoBK»  ffBüiisiTzi 

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DR.  MOfii;  wihternitz.  i 

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LEIFZIG 
VKKI.AII  VO.V  WILHELIi  F.Nflei.VA.V.N 

i5»s.  :  ■ 


THEOSOPHIE 


ODEB 


PSYCHOLOGISCHE  RELIGION 


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THEOSOPHIE 


ODER 


PSYCHOLOGISCHE  RELIGION 


J 


GIFFOED-VORLESUNGEN 


GEHALTEN 


VOR  DER  UNIVERSITÄT  GLASGOW  IM  JAHRE  1892 


vox 


F.  MAX  MÜLLER. 


AUS  DEM  ENGLISCHEN  ÜBEKSETZT 


vox 


DR.  MORIZ  WINTERNin. 


AnORISIERTE,  VOM  VERFASSER  DURCHGESEHENE  AFSOABE. 


JDfnlsdjfr  iUrrs 


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Hcto  Öori 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  WILHELM  ENGELMANN 

IS93. 


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ACTCn     LC?-'C<    AND 

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Alle  Rechte  vorbehalten. 


Vorrede. 


N 


Die  Entdeckung  Gottes,  die  Entdeckung  der  Seele 
und  die  Entdeckung  der  Einheit  Gk)ttes  und  der  Seele  — 
dies  waren  die  drei  Hauptgegenstande  meiner  Gifford- 
Vorlesungen,  und  ich  habe  wenigstens  den  Versuch  ge- 
macht, jeden  derselben  nicht  bloß  als  Philosoph,  sondern 
als  Historiker  zu  behandeln.  Während  die  Religions- 
philosophie den  Glauben  an  eine  erste  Ursache  des  Welt- 
alls, an  ein  Ich  oder  Selbst  und  an  das  wahre  Verhältnis 
zwischen  den  Beiden  als  eine  Sache  psychologischer  Ent^ 
Wicklung  oder  logischer  Folgerung  behandelt,  war  es  meine 
Absicht  zu  zeigen,  nicht  wie  jede  dieser  drei  Entdeckungen 
vor  sich  gegangen  sein  kann  oder  sein  muss,  sondern  wie 
sie  in  der  Geschichte  der  Welt,  so  weit  wir  sie  gegen- 
wärtig kennen,  vor  sich  gegangen  ist.  Ich  weiß  recht 
gut,  dass  diese  historische  Methode  mit  ernstlichen  Schwie- 
rigkeiten behaftet  ist  und  infolgedessen  vor  den  Augen 
der  spekulativen  Philosophen  nur  selten  Gnade  gefunden 
hat  So  lange  wir  die  Geschichte  des  Menschengeschlechts 
als  etwas  ansehen,  was  sein  konnte  oder  auch  hätte  nicht 
sein  können,  dürfen  wir  uns  nicht  wundem,  dass  der 
Religionsforscher  sich  seine  Ansichten  über  das  Wesen 
der  Religion  und  die  Gesetze  ihrer  Entwicklung  lieber 
aus  dem  Meisterwerke  des  Thomas  von  Aquino,  der 
Summa  Sacra  Tlieohytac,   als  aus   den  heiligen  Büchern 


Vortode. 


'/(■ä  Osteim  bildet.  Wenn  wir  aber  gelernt  habeu,  in  der 
Geschiebte  die  Verwirtüchung  eines  vemtinftigen  Zweckes 
zu  sehen,  wenn  wir  gelernt  haben,  sie  als  ein  göttliches 
Drama  im  wahrsten  Sinne  des  Wortes  zu  betrachten,  sollte 
der  in  diesem  Drama  entbüllte  Knoten  auch  in  den  Äugen 
des  Philosophen  eine  weit  tiefere  Bedeutung  und  einen 
viel  höheren  Wert  erhalten,  als  die  Spekulationen  selbst 
diir  erleuchtetsten  und  logischesten  Theologen. 

Ich  kenne  die  G-efahren  eines  solchen  Unternehmens 
nur  zu  gut  und  bin  mir  der  bei  einem  ersten  Versuch 
imTermeidlichen  UnvoUkommenheiten  schmerzlich  bewusst. 
Die  Hauptgefahr  liegt  darin,  dass  wir  so  sehr  geneigt  sind, 
in  den  Tliataacben  der  Geschichte  die  Lehre  zu  finden,  die 
wir  darin  zu  finden  wünschen.  Es  ist  bekannt,  als  wie  irre- 
führend sich  in  dieser  Beziehung  die  Hegeische  Methode  er- 
wiesen hat,  weil  Hegel  so  sehr  dazu  geneigt  war,  in  der  Ge- 
schicbte  der  Religion  das  zu  sehen,  was  nach  seiner  Ansicht 
von  der  logischen  ^Notwendigkeit  in  der  Entwicklung  der 
Idee,  oder  gar  von  dem  psychologischen  Wachstum  des 
menschlichen  Geistes,  darinnen  sein  sollte.  Die  Folge  war, 
dass  die  historische  Seite  in  Hegels  Keligionsphilosophie 
fast  ganz  unzuverlässig  ist.  Dagegen  ist  es  mein  Bemühen 
gewesen,  mich  keinerlei  Mutmaßungen  hinzugeben,  son- 
dern mich  nur  den  Thatsachen  allein  zu  unterwerfen,  den 
Thateachen,  wie  wir  sie  in  den  heiligen  Bi\chem  des  Ostens 
finden,  zu  versuchen,  sie  zu  entziffern  und  zu  verstehen,  wie 
wir  die  geologischen  Ännalen  der  Erde  zu  entziffern  und 
zu  verstehen  suchen,  und  in  ihnen  Vernunft,  Ursache  und 
Wirkung,  «od  womöglich  jenen  engen  genealogischen 
Zusammenhang  zu  entdecken,  der  allein  empirisches 
Wissen  tu  wissenschaftlicher  Erkenntnis  erhebt.  Diese 
f/cjicaloffiscke  Methode  ist  ohne  Zweifel  die  vollkommenste, 
wenn  wir  die  Entwicklung  religiöser  Ideen  gleichsam  vom 
Sohn  auf  den  Vater,  vom  Schüler  auf  den  Lehrer,  von 
dem  negativen  zu  dem  positiven  Stadium  verfolgen  kön- 
Dcu.     Wo  dies  aber  unmöglicb  ist,  hut  auch  die  auHloiji- 


Vorrede.  vn 

sehe  Methode  ihre  Vorteile,  indem  sie  uns  in  stand 
setzt  zn  beobachten,  wie  dieselben  Glaubenssätze  an  ver- 
schiedenen Orten  unabhängig  voneinander  entstehen,  und 
aus  ihren  Ähnlichkeiten  und  Unahnlichkeiten  herauszufin- 
den, was  von  unserer  gemeinsamen  Menschennatur  her- 
rOhrt,  imd  was  dem  Einfluss  individueller  Denker  zuge- 
schrieben werden  muss.  Qiu)d  semper,  quod  ul/ique,  quod 
ab  Omnibus  ist  nicht  unbedingt  das,  was  wahr  ist,  aber 
es  ist  das,  was  natürlich  ist,  es  macht  das  aus,  was  wir 
natürliche  Religion  zu  nennen  pflegen,  obzwar  we- 
nige Geschichtsforscher  heutzutage  behaupten  würden, 
dass  die  übernatürliche  Religion  kein  Anrecht  auf 
den  Titel  natürliche  Religion  habe,  oder  dass  sie 
nicht  auch  einen  Teil  des  göttlichen  Dramas  des  Men- 
schen bilde,  wie  es  von  Zeitalter  zu  Zeitalter  auf  der 
historischen  Bühne  der  Welt  gespielt  worden  ist. 

Mein  Zweck  in  diesen  drei  aufeinanderfolgenden  Kur- 
sen von  Vorlesungen  über  physische,  anthropologische 
und  psychologische  Religion  war  es,  auf  Grund  histori- 
scher Zeugnisse  den  Nachweis  zu  liefern,  dass  das,  was 
ich  in  meinem  ersten  Bande  als  eine  vorläufige  Definition 
der  Religion  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  aufstellte, 
nämlich  die  Wahrnehmung  des  Unendlichen,  das  Eine 
Element  gewesen  ist,  welches  alle  Religionen  der  Welt 
miteinander  gemein  hatten.  Nur  dürfen  wir  nicht  ver- 
gessen, dass  wie  jeder  andere  Begriff  auch  der  des  Un- 
endlichen in  seiner  historischen  Entwicklung  durch  viele 
Phasen  hindurchgehen  musste,  von  der  einfachen  Negie- 
rung dessen,  was  endlich  ist,  und  der  Behauptung  eines 
unsichtbaren  Jenseits  angefangen,  bis  hinauf  zu  dem  be- 
wussten  Glauben  an  jenes  höchste  wirkliche  Unendliche, 
in  dem  wir  leben,  weben  und  sind.  Diese  historische 
Entwicklung  des  Begriffes  des  objektiven  Unendlichen 
suchte  ich  in  meinen  Vorlesungen  über  physische  Religion 
zu  verfolgen,  die  des  Begriffes  des  subjektiven  Unendli- 
chen in  meinen  Vorlesungen  über  anthropologische  Religion, 


während  dieser  letzte  Hand  dem  Studium  der  Entdeckung 
der  Einheit  des  objektiven  Gottes  imd  der  subjektiTen 
Seele ,  welche  den  endgültigen  Abschluss  aller  Religion 
und  aller  l'hilosophie  bildet,  vorbehalten  blieb. 

Die  Un  vollkommen  he  ite  n ,  denen  ein  erster  Versuch 
aof  dem  Gebiete  der  vergleichenden  Religionswissenschaft 
auBgeeetzt  ist,  rühren  von  der  ungeheueren  Masse  des  Ma- 
terials her,  das  man  zu  Rate  zu  ziehen  bat,  und  von  der 
immer  zunehmenden  Zahl  von  Biichem,  die  der  Aus- 
legung desselben  gewidmet  sind.  Die  Zahl  der  Bücher, 
die  man  lesen  mUsste,  um  diesen  Gegenstand  zu  behaa- 
deln,  wie  er  behandelt  werden  sollte,  ist  zu  groß,  als 
dass  sie  irgend  ein  einzelner  Gelehrter  in  der  kurzen 
Spanne  seines  Lebens  je  bewältigen  könnte.  Es  ist  leicht 
zu  tadeln  und  zu  sagen:  f^ti  Irop  embrasse..  mal  eireint, 
aber  bei  vergleichenden  Studien  ist  es  unmöglich  zn  viel 
zu  umfassen,  und  Kritiker  mUssen  lernen,  vemUnftig  zu 
sein  und  von  einem  Gelehrten,  der  sich  mit  dem  ver- 
gleichenden Studium  vieler  Religionen  beschäftigt,  nicht 
dieselbe  gründliche  Vertrautheit  mit  jeder  einzelnen  der- 
selben zn  erwarten,  die  sie  von  einem  Specialisten  vor- 
aussetzen dürfen.  Niemand  hat  es  bitterer  empfunden 
als  ich,  wie  unangenehm  es  ist,  sich  mit  einem  bloßen 
reUUa  refern  begnügen  und  die  Urteile  Anderer  annehmen 
zu  müssen,  selbst  wenn  man  weiß,  daas  jene  besser  be- 
fähigt sind  zu  urteilen,  als  man  es  selbst  ist. 

Dies  gilt  namentlich  von  meinen  abschließenden  Vor- 
teanngen,  der  zwölften  bis  fünfzehnten  Vorlesung  in  die- 
sem Bande.  Diese  Vorlesungen  enthalten  den  Schlüssel 
zu  der  ganzen  Serie,  und  sie  bildeten  von  allem  Anfang 
an  das  Endziel,  das  ich  vor  Augen  hatte.  Sie  sollten 
der  Deckstein  des  Bogens  sein,  der  auf  den  zwei  Pfeilern 
der  physischen  und  der  anthropologischen  Religion  ruht 
und  die  beiden  zu  dem  wahren  Thore  des  Tempels  der 
Zukunftisreligion  vereinigt  Sie  sollen  zeigen,  dass  vom 
rein  Itistorischcn  Standpunkt   das  Christentum   nicht  eine 


Vorrede.  IX 

bloBe  Fortsetzung,  ja  nicht  einmal  eine  Reform  des  Jaden- 
tams  ist,  sondern  dass  es  namentlich  in  seiner  Theologie 
oder  Theosophie  eine  Zosammensetznng  semitischen  und 
arischen  Denkens  darstellt,  welche  dessen  wirkliche  Starke 
bildet  und  demselben  die  Macht  verleiht,  nicht  nor  die 
Erfordernisse  des  Herzens,  sondern  auch  die  Anforderun- 
gen der  Vernunft  zu  befriedigen. 

Mein  Zweck  war  es,  zu  zeigen,  dass  in  der  Entwick- 
lung religiöser  Ideen  eine  fortwährende  Aktion  und  Reak- 
tion herrscht  und  dass  auf  die  erste  Aktion,  durch  welche 
das  Grottliche  von  dem  menschlichen  Verstände  getrennt 
und  beinahe  aus  seinem  Gesichtskreis  entfernt  wurde, 
eine  Reaktion  folgte,  welche  die  Beiden  wieder  zu  Ter- 
einigen  suchte.  Dieser  Prozess.  obzwar  er  in  vielen  Re- 
ligionen, namentlich  in  der  des  Vedanta,  bemerkbar  ist^ 
war  doch  am  au^esprochensten  im  Judentum  in  dessen 
Übergang  zum  Christentum.  Nirgends  war  der  unsichi^ 
bare  Grott  weiter  von  der  sichtbaren  Welt  entfernt  ge- 
wesen, ab  in  der  altjüdischen  Religion,  und  nirgends  sind 
die  Beiden  wieder  so  nahe  aneinander  gerückt  und  Eins 
gemacht  worden,  als  durch  jene  Grundlehre  des  Christen- 
toms« die  göttliche  Sohnschaft  des  Menschen.  Es  ist 
mein  Hauptzweck  gewesen,  zu  zeigen,  dass  diese  Reaktion 
durch  die  historische  Berührung  zwischen  semitischem 
und  arischem  Denken,  hauptsächlich  zu  Alexandria.  her- 
vorgerufen oder  doch  beschleunigt  wurde,  und  in  diesem 
Punkte  habe  ich  mir.  wie  ich  gestehen  muss.  erlaubt 
weit  über  Hamack.  Drununond,  Westcott  und  Andere 
hinauszugehen.  Sie  scheinen  mir  dem  Einfluss  der  grie- 
chischen Philosophie  in  der  Bildung  der  ältesten  christ- 
lichen Theologie  zu  wenig  Wichtigkeit  beizumessen,  wäh- 
rend ich  überzeugt  bin.  dass  ohne  diesen  Einfluss  die 
Theologie  von  Alexandria  schlechterdings  unmöglich  ge- 
wesen oder  doch  vermutlich  nie  über  die  des  Talmud 
hinansgerückt  wäre.  Was  bei  mir.  indem  ich  mir  diese 
Meinung  gebildet  habe,  mehr  als  irgend  etwas  anderes  in 


die  Wagschale  ffiUt,  sind  die  Thatsaclion  der  Sprache, 
tlie  philoBophiache  Terminologie,  welche  sowohl  Juden  wie 
Philo,  als  aach  Christen  wie  St,  Clemens  anwenden,  nnd 
welche  offenbar  aus  der  griechischen  Philosophie  herllber- 
genommen  ist.  Wer  immer  Ausdrücke  wie  Logos,  'das 
Wort',  Mtmogen&i,  'der  Eingeborene',  rrolotokos,  'der 
Erstgeborene',  Uifws  ton  Iheou.  'der  Sohn  Gottes',  gebraucht, 
hat  die  eigentlichen  Keime  seiner  religiösen  Gedanken 
von  der  griechischen  Philosophie  entlehnt  Anzunehmen, 
dass  die  Kirchenväter  diese  Ausdrücke  herü hergenommen 
hätten,  ohne  auch  die  Ideen  zu  entlehnen,  wäre  dasselbe, 
als  wollte  man  amiehmen,  daas  Wilde  Feuerwaffen  weg- 
tragen würden,  ohne  sich  zu  gleicher  Zeit  SchieBpulver  und 
Kugeln  zum  Schießen  zu  yerschafl'en,  Wörter  können 
entlehnt  und  die  Ideen ,  welche  sie  ausdrücken,  können 
von  den  Entlehnem  umgestaltet,  gereinigt  und  vergrößert 
werden;  die  Substanz  ist  aber  immer  dieselbe,  imd  das 
Gold,  das  in  einer  Goldmünze  ist,  wird  immer  dasselbe 
Gold  bleiben,  wenn  es  auch  in  ein  Götterbild  verwandelt 
worden  ist.  Ich  habe  zu  zeigen  gesucht,  dass  die  Lehre 
von  dem  Logos,  das  eigentliche  Herzblut  des  Christen- 
tums, ausschließlich  arisch,  und  dass  sie  eine  der  einfach- 
sten und  richtigsten  Schluasf olger ungen  ist,  zu  denen  der 
menschliche  Geist  gelangen  kann,  wenn  das  Vorhan- 
densein von  Vernunft  —  sei  es  in  der  Einzahl  oder 
in  der  Mehrzalü  —  in  der  Welt  einmal  anerkannt  wor- 
den ist. 

Wir  kennen  Alle  die  Worte  des  Lukrez: 

'Pmctcre»  caoli  rationes  ordine  certo 

Et  varU  nunoTum  ceraebant  tompora  vorti'. 

iV,  1182.) 

Wenn  die  menschliche  Vernunft  einmal  erkannt  hat, 
dass  es  Vernunft  —  in  der  Einzahl  oder  in  der  HehmJil 
ili^i)  —  im  Weltall  gibt,  so  kann  es  Lukrez  wohl  alk 
einen  verhängnisvollen  Irrtum  bezeichnen,  wenn  man  A 


YoiTede.  xi 

den  Göttern  zuschreibt  —  aber  soll  man  sie  Niemand 
zoschreiben?  Ist  die  Vemonft,  der  Logos,  in  der  Welt 
nichts  als  ein  Name,  eine  bloße  Yerallgemeinenmg  oder 
Abstraktion,  oder  ist  sie  eine  wirkliche  Macht,  und  wenn 
es  eine  ist,  wessen  Macht  ist  sie?  Wenn  die  Klamaihs, 
ein  Indianerstamm,  erklarten,  dass  die  Welt  Ton  dem 
'Alten  oben'  gedacht  und  gewollt  worden  sei.  so  gingen 
die  Griechen  nur  noch  Einen  Schritt  weiter,  indem  sie 
behaupteten,  dass  dieser  Gedanke  des  höchsten  Wesens. 
dieser  Logos,  wie  sie  ihn  nannten,  der  Ausfluss.  die  Nach- 
konmienschaft,  der  Sohn  Gottes  sei.  und  dass  er  aus  den 
Logoi  oder  den  Ideen  oder,  wie  wir  jetzt  sagen,  den  Typen 
aller  geschaffenen  Dinge  bestehe.  Da  der  höchste  Ton  diesen 
IVpen  der  Typus  der  Menschheit  war.  so  legten  die  alexandri- 
nischen  EirchenTäter,  indem  sie  Christum  als  den  Logos 
oder  das  Wort  oder  den  Sohn  Gottes  bezeichneten,  das 
höchste  Prädikat  das  sie  in  ihrem  Wortschatze  besaßen. 
Christus  bei,  in  dem.  wie  sie  glaubten,  die  gottliche  Idee 
der  Menschheit  in  ihrer  ganzen  Vollständigkeit  verwirk- 
licht worden  war.  Dieses  Prädikat  stanmite  jedoch  nicht 
aas  ihrer  eigenen  Werkstatte,  auch  war  es  nicht  eine  bloße 
Modifikation  der  semitischen  11  m/re/Y,  welche  im  Anfange 
bei  Gott  war.  Diese  Weisheit  —  ein  Femininum  — 
kann  man  in  der  Epistrmt  oder  der  Erkenntnis,  mit  wel- 
cher der  Vater  den  Sohn  erzeugt,  wiederfinden,  aber  es 
geht  nicht  an,  sie  zu  gleicher  Zeit  als  das  Vorbild  des 
männlichen  Logos  oder  des  gesprochenen  Wortes  oder  des 
Sohnes  Gottes  aufzufassen. 

Dieser  philosophische  Begrifl*  Ton  dem  Solme  Gottes 
kann  nicht  aus  dem  alttestamentlichen  Begriff  Israels  als 
des  Sohnes  Gottes,  und  ebensowenig  aus  den  gelegent- 
lichen Ausdrucken  personlicher  Frömmigkeit,  welche  an 
Tahre  als  den  Vater  aller  Menschensölme  gerichtet  sind, 
hergeleitet  werden.  Der  Ausdruck  >Sohn  GU>ttes«,  auf 
Jesus  angewandt,    verliert  seine  wahre  Bedeutung,  wenn 

ihn  nicht  in  seinem  idiomatischen  griechischen  Sinne 


Xn  Vorrede. 

als  den  Logos')  auffassen,  und  wenn  wir  nicht  Terstehen 
lernen,  was  die  Kirchenväter  völlig  verstanden  hatten, 
dofis  der  Logos  oder  das  Wort  Gottes  nur  in  Einer 
Form,  nämlich  in  der  des  Menschen,  des  idealen  oder 
vollkommenen  Menschen,  offenbar  werden  konnte  1  Ich 
gebe  andererseits  gerne  zu,  dass  ein  Ausdruck  wie  'des 
Mensclien  Sohn'  semitischer  Herkunft  ist.  Es  ist  ein  ub- 
griechischer  Ausdruck,  selbst  wenn  er  ins  Griechische 
tibersetzt  wird.  Kein  Grieche  würde  je  'des  Menschen 
Sohn'  in  dem  Sinne  von  'Mensch'  gebraucht  haben,  ebenso- 
wenig als  irgend  ein  K5mer  je  von  A^iivs  Det  gesprochen 
haben  würde,  außer  unter  dem  Einfliiss  jüdischen  Denkens. 
'Des  Menschen  Sohn'  bedeutete  einfach  'Mensch',  bevor  es  auf 
den  Messias  angewandt  wurde.  Nur  so  können  wir  die 
Antithese  verstehen,  die  uns  schon  im  ersten  Jahrhundert 
begegnet:  »Der  Sohn  Gottes,  nicht  des  Menschen  Sohn, ■^} 
Wenn  wir  uns  einmal  in  die  Gedanken  des  Philo  und 
de»  St.  Glemena  als  der  Vertreter  jüdischer  imd  christ- 
licher Theologie  zu  Alesandria  hineingeiebt  haben,  werden 
wir  bemerken,  wie  enge  die  Lehre  von  der  Inkarnation 
mit  der  von  dem  Logos  zusammenhängt  und  ihre  wahre 
historisclie  Erklärung  von  dieser  und  nur  von  dieser  allein 
ompföngt.  Nur  auf  Grund  ihres  alten  Glaubens  an  den 
Logos  konnten  es  die  ersten  griechischen  Konvertiten  mit 
vollkommener  Ehrlichkeit  und  den  Sticheleien  des  Celsua 
imd  anderer  griechischen  Philosophen  zum  Trotz  Ober 
sich  bringen ,  Jeaum  von  Nazareth  als  den  Fleisch  ge- 
wordenen Logos,  als  das  Wort  oder  den  Sohn  Gottes, 
anzunehmen.  Wenn  sie  irgend  eine  niedrigere  Anschau- 
ung von  Christus  gehabt,  wenn  sie  sich  mit  einem  my- 
tholo^schen   Sohne  Gottes  oder   mit  einem  Christus  ans 


11  In  Stellen  wie  Mattb.  VIII.  2!t:  Mure.  XIV,  (11;  XV,  3« 
wird  'Sohn  äottes',  im  Volks tllmliclioo  Sinne  gebraucht,  wm  dea 
Juden  als  Biaiiplieniie  eracbieu. 

21  Bamabas   XII,  10:    «n^i    viot  u^^qw^'n:    iAlh    ,■•!,,■    ...C 


Voirede  xm 

Nazareth  begnOgt,  und  wenn  sie  glaubt  bitten,  wie 
manche  Theologen  späterhin  glaubten,  ja  wie  Manche 
noch  jetzt  glauben,  dass  es  zwischen  Christas  und  seinen 
Brüdern  einen  Unterschied  der  Art  —  wie  sie  es  nennen 
—  und  nicht  einen  sei  es  auch  noch  so  weiten  Unter- 
schied des  Grades  gebe,  —  so  hatten  sie  auf  die  Sticheleien 
ihrer  froheren  Mitforscher  nichts  erwidern  können,  so 
hatten  sie  sich  nicht  der  katechetischen  Schule  zu  Alexan- 
dria,  oder  Lehrern  wie  Athenagoras,  Pantaenus,  St.  Cle- 
mens und  Origenes  anschliefien  können. 

Was  Athenagoras,  Einer  der  frühesten  Apologeten 
des  Christentums,  über  den  Sohn  Grottes  dachte,  können 
wir  aus  seiner  an  Marc  Aurel  gerichteten  Verteidi- 
gung ersehen,  wo  er  sagt  (cap.  X.:  >Niemand  halte  es 
fiir  lacherlich,  dass  Grott  einen  Sohn  habe.  Denn  wenn- 
^eich  die  Dichter  in  ihren  Dichtungen  die  Götter  als 
nicht  besser  denn  Menschen  (d.  h.  als  Söhne  erzeugend: 
darstellen,  so  ist  doch  unsere  Denkweise,  was  €h>tt  den 
Vater  oder  den  Sohn  anbelangt,  nicht  dieselbe  wie  ihre. 
Sondern  der  Sohn  Gottes  ist  der  Logos  des  Vaters,  der 
Idee  nach  und  der  Thatigkeit  nach:  denn  nach  seinem 
Muster  und  Ton  ihm  wurden  alle  Dinge  gemacht,  da  ja 
der  Vater  und  der  Sohn  Eins  sind.c 

Dies  alles  bezieht  sich  bloB  auf  die  christliche  Theologie 
oder  Theosophie,  und  nicht  auf  das,  was  wir  unter  christlicher 
Religion  Terstehen.  Diese  schöpfte  ihre  Lebenskraft  aus  einer 
anderen  QueUe,  aus  der  historischen  Persönlichkeit  Ton  Jesus« 
and  nicht  aus  dem  alexandrimschen  Logos.  Diese  Unter- 
scheidung ist  für  die  älteste  Geschichte  des  Christentums 
sehr  wichtig,  und  wir  dürfen  nie  yergessen.  dass  die  grie- 
chischen Philosophen,  die  sich  der  christlichen  Gemeinde 
anschlössen,  nachdem  sie  einmal  ihr  philosophisches  Ge- 
wissen beruhigt  hatten,  wahre  Schüler  Christi  wurden 
und  das  sittliche  Gesetz,  welches  er  gepredigt  hatte,  das 
Gesetz  der  Liebe,  an  dem  aUe  seine  Gebote  hangen,  von 
ganzem  Herzen  annahmen.   Welcher  Art  diese  Persönlich- 


keif,  war,  masBCQ  sie  viel  besser  gewusst  haben,  als  wir 
es  wissen  k&anen,  denn  Clemens,  der  in  der  Mitte  dea 
zweiten  Jahrhunderts  geboren  war,  hat  möglicherweise 
den  I'apias  odor  manche  Ton  seinen  Freunden  gekannt, 
welche  die  Apostel  kannten,  und  er  kannte  gewisa  viele 
christliche  Schriften,  welche  für  uns  jetzt  verloren  sind.') 
Es  muss  jedem  Christusgläiibigen  fiberlassen  bleiben,  sich 
ein  Bild  dieser  Persönlichkeit  zu  machen,  je  nach  den 
Idealen,  deren  sein  Geist  fähig  ist,  und  je  nach  seiner 
Fähigkeit,  die  tiefe  Bedeutung  der  wenigen  Worte  Christi, 
die  uns  von  den  Aposteln  und  ihren  Schülern  aufbewahrt 
worden  sind,  zu  erfassen.  Fllr  den  Geschichtsforscher 
aber  ist  es  von  Interesse,  zu  verstehen,  wie  der  Glaube 
einer  kleinen  Gemeinde  galiläischer  t^scher  und  ihre  Er- 
gebenheit gegen  ihren  Meister  die  religiösen  Meinungen 
und  die  [ihilosophiachen  Überzeugungen  der  ganzen  alten 
Welt  in  dem  Maße,  als  es  wirklich  der  Fall  war,  be- 
einflussen konnten.  Uer  Schlüssel  zu  diesem  Rätsel  moss 
meiner  Ansicht  nach  eher  in  Alexandria  als  in  Jeru- 
salem gesucht  werden.  Wenn  aber  dieses  Uatsel  je  zu 
lösen  ist,  so  ist  es  die  Pflicht  dea  Geschichtsforschers, 
die  Thatsachen  und  nur  die  Thatsachen  zu  prüfen,  ohne 
ji;de  Voreingenommenheit  sei  es  zu  Gunsten  der  Or- 
thodoxie, des  Hationalismus  oder  des  Agnosticismua. 
Für  den  Geschichtsforscher  existiert  die  Orthodoxie  nicht. 
Er  hat  es  nur  mit  Thatsachen  zu  thun  und  mit  Schlnss- 
fojgerungen,  die  sich  durch  Thatsachen  rechtfertigen 
lassen. 

Ich  kann  hier  nicht  die  Titel  aller  Bücher  anführen, 
welche  mir  bei  der  Zusammenstellung  dieser  Vorlesungen 
von  Nutzen  gewesen  sind.  Viele  derselben  habe  ich  in 
den  Anmerkungen  citiert.  Meine  früheste  Bekanntschaft 
mit  dem  in  diesem  Bande  behandelten  Gegenstande  geht 
auf  die  Vorlesungen   von  Weisse,    Lotze   und   Niedner  in 


1 1   Bigg',   Chriüia,,  VlatimisU,  p.  iü. 


Vorrede.  XV 

Leipzig,  und  Yon  Schelling  und  Neander  in  Berlin  zurück, 
die  ich  vor  mehr  als  fünfidg  Jahren  gehört  habe.  Seit 
dftinalfi  ist  unsere  Kenntnis  der  alten  Religionen  und  des 
Christentums  in  seiner  ältesten  Form  in  so  außerordent- 
lichem MaBe  bereichert  worden,  dass  schon  ein  bibliogra- 
phischer Index  einen  Band  föllen  würde.  Ich  kann  jedoch 
diese  Vorrede  nicht  schließen,  ohne  meine  Verpflichtungen 
gegen  die  Verfasser  einiger  neueren  Werke,  die  mir  von 
dem  größten  Nutzen  gewesen  sind,  anzuerkennen.  Zu 
tiefstem  Danke  verpflichtet  bin  ich  Herrn  Professor  Har- 
nack,  dessen  Dogmengesckiehte^  1888,  die  wunderbarste 
Schatzkammer  gutbeglaubigter  Thatsachen  in  der  6e* 
schichte  der  christlichen  Kirche  ist,  Herrn  Dr.  Charles 
Bigg,  dessen  gelehrte  Bampton  Lectures  ort  the  Christian 
Plaionists,  1888,  uns  nur  bedauern  lassen,  dass  sie  nie 
fortgesetzt  wurden,  und  Herrn  Dr.  James  Drunmiond, 
dessen  Werk  über  Philo  Judaeus,  1888,  mir  nicht  nur 
höchst  wertvolle  Zeugnisse  geliefert  hat,  sondern  auch 
die  sorgfaltigste  Analyse  aller  Zeugnisse,  welche  zur  Auf- 
klärung der  Epoche  von  Philo  dem  Juden  dienen  können. 
Diese  Epoche  war  eine  Epoche  im  wahren  Sinne  des 
Wortes,  denn  sie  veranlasste,  dass  sowohl  Griechen  als 
Juden  eine  Zeit  lang  stiUe  hielten,  bevor  sie  jeder  seinen 
eigenen  Weg  weiter  gingen.  Es  war  eine  wirkliche 
Epoche  in  der  Geschichte  des  Christentums,  denn  Philo's 
Werke  wurden  von  St.  Clemens  und  anderen  alexandnni- 
sehen  Kirchenvätern  studiert,  denen  sie  die  Augen  öffne- 
ten, so  dass  sie  die  Wahrheit  in  den  inspirierten  Schriften 
des  Moses  und  der  Propheten,  sowie  auch  in  den  inspi- 
rierten Schriften  des  Plato  und  Aristoteles  sahen.  Es 
war  eine  wirkliche  Epoche  in  der  Weltgeschichte,  wenn 
wir  mit  Recht  annehmen  dürfen,  dass  wir  den  philosophi- 
schen Verteidigern  des  christlichen  Glaubens  zu  Alexan- 
dria den  schließlichen  Sieg  der  christlichen  Philosophie 
und  der  christlichen  Religion  über  die  Religion  und  Phi- 
losophie des  ganzen  römischen  Reiches  verdanken. 


XVI  Vorrede. 

Ich  sollte  vielleicht  erklären,  warum  ich  zu  dem 
ursprünglich  fUr  diesen  letzten  Kursus  von  Gifford- Vor- 
lesungen gewählten  Titel  'Psychologische  Reh'giofi'  noch 
den  Titel  'Theosophie'  hinzugefügt  habe.  Es  schien  mir, 
dass  dieser  ehrwürdige  Name,  der  bei  den  frühesten 
christlichen  Denkern  so  bekannt  war  und  von  ihnen  ge- 
braucht wurde,  um  die  höchste  im  Bereiche  des  mensch- 
lichen Geistes  liegende  Erkenntnis  Gottes  auszudrücken, 
in  jüngster  Zeit  so  sehr  missbraucht  worden  ist,  dass  es 
hoch  an  der  Zeit  war,  ihm  wieder  seine  gebührende  Stelle 
anzuweisen.  Man  sollte  sich  ein  für  alle  mal  darüber 
klar  sein,  dass  man  sich  als  einen  Theosophisten  bezeich- 
nen kann,  ohne  sich  dem  Verdachte  auszusetzen,  dass  man 
an  Geisterklopfen,  Tischrücken  oder  irgend  welche  andere 
Geheimwissenschafben  und  schwarze  Künste  glaube. 

Ich  bin  mir  schmerzlich  bewusst,  dass  meine  Äugen 
mit  Siebzig  nicht  mehr  so  scharf  sind,  als  mit  Siebzehn, 
und  ich  darf  diese  Vorrede  nicht  schließen,  ohne  meine 
Leser  wegen  etwaiger  Druckfehler  oder  falscher  Citate, 
die  ich  übersehen  haben  mag,  um  Entschuldigung  zu 
bitten. 

Oxford,  Februar  1893. 

V.  Max  Müllen 


Vorwort  des  Übersetzers. 


fast  gleichzeitig  mit  dieser  Übersetzung  erscheint 
die  zweite  Auflage  des  englischen  Originals.  Dieselbe 
enthalt  jedoch  keine  wesentlichen  Änderungen.  Einzelne 
Verbesserungen,  die  stattgefunden  haben,  sind  auch  schon 
der  Torliegenden  Übersetzung  zu  gute  gekommen. 

Ehe  ich  dieses  Vorwort  schließe,  erftüle  ich  eine  an- 
genehme Pflicht,  indem  ich  dem  geehrten  Verfasser  für 
die  große  MOhe  danke,  die  er  sich  mit  der  Durchsicht 
der  Druckbogen   gegeben. 

Oxford,  den  5.  September  1895. 

II.  Winternitz. 


Max  M&Iler,  Tkeosopkie. 


InhaltsYerzeichnis. 


Seit« 

Vorrede V 

Vorwort  des  Obersetzers XVII 


Einleitende  Yorlesong. 
Das  historische  Stadium  der  Religion. 

Die  Weltgeschichte  ist  das  Weltgericht  —  Das  Grundprinzip 
der  historischen  Schule.  —  Beligionsgeschichte  ist  die  wahre 
Beligionsphilosophie.  —  Natürliche  Religion  die  Grundlage 
unseres  Glaubens  an  Grott  —  Der  eigentliche  Zweck  der 
Biographie  Agnis.  —  Natürliche  Offenbarung.  —  Der  wahre 
Zweck  der  Vergleichung  der  christlichen  mit  anderen  Re- 
ligionen. —  Alte  Gebete:  Ein  ägyptisches,  ein  accadisches, 
ein  babylonisches,  ein  vedisches,  ein  anderes  vedisches,  ein 
ayeatisches  Gebet;  Verse  aus  den  Gäthas  2^roa8ter8;  chine- 
sisches Gebet,  Gebet  des  Kaisers;  mohammedanisches  Glau- 
bensbekenntnis; neu-indisches  Gebet.  —  Moses  und  der  Schäfer. 
—  Vorteile  der  vergleichenden  Religionswissenschaft    .  .  .  1—26 

Zweite  Vorlesung. 
Der  wahre  Wert  der  heiligen  Bücher  untersucht 

Historische  Dokumente  für  das  Studium  des  Ursprungs  der  Re- 
ligion. —  Religiöse  Sprache.  —  Litterarische  Dokumente.  — 
Modernes  Datum  der  heiligen  Bücher.  —  Fragmentarischer 
Charakter  der  heiligen  Bücher  Indiens.  —  Verlust  der  heili- 
gen Litteratur  Persiens.  —  Das  Verhältnis  zwischen  dem  Avesta 
and  dem  Alten  Testament  —  Ich  werde  sein,  der  ich  sein 
werde 27— 5r» 

b* 


XE  Inhal  taverzei  eil  uls. 

Dritte  Vorleeuo^. 

Uio  biBtorischc  Vorwnndtachnft 
ReligioDeD  und  riiiiosopbiun. 

Wir  man  hUc  Religionen  und  nito  Philoaopljien  Tergteicben 
soll    —  Gemeinsames  Menscbentum.  —  Gemeinaame  Sjtr&che. 

—  UemeiDsame  Goachicbte.  —  Gomeinsame  Haclibarechsft.  — 
Vcrbültnis  inischeD  den  ReligioneD  Indiene  und  Persions.  — 
Unabhängiger  Charakter  der  todischen  Pblloaopbie.  —  Die  in- 
dische Lebens anscb an iing.  —  Die  Sprache,  der  gemelDaame 
ItiDtergriind  der  Philosophie.  —  Qemeinsame  arische  Religion 
UDiI  Mythologie.  —  Charites  =^  Haritas.  —  Das  spätere  Wachs- 
tum der  PhiloBophie.  —  Bilfe,  uelche  die  Spranbe  der  Philo- 
sophie leiBlet.  —  Unabhängiger  Charakter  der  indischen  Philo- 
Bophie, —  War  die  griechische  PhiloBophie  ana  dem  Orient 
OQtlehnl?  —  We  indische  Philosophie  autochthonisch ,   -   .  57—^ 

Tlerte  Vorlesnng. 

Das  VerhältnlB  der  psycbutugischen  znr  phyat-J 
scheu  und  antbropologiscben  Reltgic 

Die  wesenClicbea  Elemente  der  Religion.  —  Meine  eigene  Ein- 
teilung. —  Die  Bedeutung  des  Namens  'Psychologische  Reli- 
gion'. —  L  Rückkehr  der  Seele  zu  Gott  nach  dem  Tode.  — 
II.  Kenntnis  vou  der  Einheit  des  OüttUcben  nnd  des  Mensofa-.j 
liehen.  —  Veda  und  Vedünta.  —  Die  Upanisbaden.  —  Vedänta- 
Sfltras.  —  Kommentar  von  SuukaniiüryB.  —  Kommentar  von 
Rämänn^.  —  Drei  Perioden  der  Vedänta-Littoratur.  —  Eigen- 
tümlicher Charakter  der  indischen  Philosophie.  —  Die  Philo- 
sophie beginnt  mit  Zweifeln  an  dem  Zengnisse  der  Sinne,  — 
Sruti  oder  Inspiration.  —  Tat  tvam  asi.  —  Zwei  Vedänta- 
bchulen.  —  Die  Upanishadcn  schwer  su  Übersetzen    .    .   .  SG— Itl 

Fünfte  VorlcBnng. 

Die  Wanderung  der  Seele  nach  dem  Tode. 

Verschiedene  Angaben   aus   den  Upauishaden,  —  Stellen  aus 
den  Upanisbaden,  —  Sobwicrigkoiteu  der  Auslegung. —  Uisto- 
riscbcr  Fortschritt  in  doo  Upanisbaden.  ~  Veraucho,  die  ver-.  < 
schiedenen  Angaben  der  Upauishaden  In  Einklang  zu  bringen,  j 

—  Vedäata-Siltraa,  viertes  Buch,  drittes  Kapitel.  —  UnabhäikS 


Inhaltaverzeichnifl.  XXI 

8«iie 

g!ge  Angmben  in  den  Mantru.  —  Missverstandene  mythologi- 
sche Sprache.  —  Der  Devayäna  oder  Götterpfad.  —  Metern- 
psychose.  —  Wirklichkeit  unsichtbarer  Dinge.  —  Das  Fehlen 
von  Hollen.  —  Die  Seelenwandemng  nach  der  Auffassung  des 
Gesetsbnches  Mann's.  —  Die  drei  Qualitäten:  Finsternis,  Thä- 
tigkeit  nnd  Güte.  —  Die  nenn  Klassen.  —  Die  Strafen  der 
Bösen.  —  Brficken 112—173 

Sechste  Torlesiing. 
Die  Esohatologie  des  Avesta. 

Allgemeine  Ähnlichkeiten  in  eschatologischen  Legenden.  — 
Eigentümliches  Verhältnis  zwischen  den  Religionen  Indiens 
nnd  Persiens.  —  Zoroaster  lehrt  weder  Feueranbetung  noch 
Dualismus.  —  Das  Problem  vom  Ursprung  des  Bösen.  —  Die 
Engel  ursprünglich  Eigenschaften  des  Ormazd.  —  Asuras  und 
Suras.  —  Abschwörung  des  Dadva-Knltes.  —  Unsterblichkeit 
der  Seele  im  Avesta.  —  Die  Pitrw  oder  Väter  nach  der  Auf- 
fassung der  vedischen  Hymnen.  —  Das  Schicksal  der  indivi- 
duellen Seele  bei  der  allgemeinen  Auferstehung.  —  Belohnun- 
gen und  Strafen  nach  dem  Tode.  —  Gute  Werke  in  der  Gestalt 
einer  schönen  Jungfrau.  —  Einfluss  auf  den  Mohammedanismus. 

—  Auszug  aus  dem  Minokhired  über  das  Wägen  der  Toten. 

—  Ankunft  der  Seele  vor  dem  Throne  des  Bahman  und 
Ahuramazda.  —  Gremeinsamer  Hintergrund  des  Avesta  und 
des  Veda.  —  PitrtiB,  die  Väter  im  Veda,  die  Fravashis  im 
Avesta.  —  Weitere  Bedeutung  von  Fravashi 174 — 204 

Siebente  Yorlesung. 
Die  Eschatologie  Plato's. 

Plato*8  Autorität  —  Plato^s  mythologische  Sprache.  —  Die 
Geschichte  von  der  Seele.  —  Der  Wagenlenker  und  die  Pferde. 

—  Die  Prozession  der  Götter.  —  Der  Glaube  an  Metempsy- 
chose  bei  Plato  und  in  den  Upanishaden.  —  Die  neun  Klassen 
Plato^s  und  Manuls.  —  Wanderung  menschlicher  Seelen  in 
tierische  Körper.  —  Die  Greschichte  von  Er.  —  Obereinstim- 
mnngen  und  Verschiedenheiten.  —  Der  Mythe  zu  Grunde  lie- 
gende Wahrheit.  —  Die  Haidas  über  die  Unsterblichkeit  der 
Seele.  —   Die  Polynesier  über  die  Unsterblichkeit  der  Seele. 

—  Dm  letzte  Resultat  der  physischen  Religion 205—229 


Inhaltsvoi'Eoichtiis. 


Wahre  Um 


erblichkeit. 


Judentum  und  Buddhismus.  —  Dio  VedünU- Lehre  über  die 
wahre  Unsterbliolikeit.  —  Persüoltchkeit  eine  Buscbräukung 
dor  Gottheit.  —  Das  Ringen  nach  einer  höheren  Auffaseung 
der  Gottheit.  —  Nume  für  dio  büchste  Gottheit,  Bruhman.  — 
Purushu.  —  Priina,  Geist.  —  Andere  Namen  des  höchsten 
WesonB,  Skambbs.  —  Namen  für  die  Seele.  —  Ahiim,  Ego.  — 
Ätman.  —  Dialog  a.ng  der  A'^ändogya-Upanishad.  —  Deduk- 
tionen von  dem  Dialog.  —  Sankata'B  Bemerkungen.  —  Die 
wahre  Natur  der  individuellen  Seele.  —  Das  Phänomenale  nnd  ^ 
das  Reale.  —  Der  Atman  iioTeriindert  mitten  unter  den  VeM 
änderungen  der  Welt.  —  Nichtwiasen  oder  Avidyä  die  Ur^ 
Bache  phUnomenalen  Scheinee.  —  Satyabbedaväda  und  BhodS 
bhedaväda.  -*  Dia  Annäherung  dor  Seele  an  Brahman.  - 
Spätere  Spekulationen.  —  IdentitUt  der  Seele  mit  Brahrnftu    230— 


Nennte  TorleBmig;, 
Die  Vedänta-FhiloBojjhie. 

Dur  Vi'däiita  als  ein  philosophischee  System,  —  tdentiUit  der 
Seele  oml  des  Brahman.  —  Dialog  aus  der  KMndogya-Upa- 
nishad.  —  Einheit  mit,  nicht  Aufgehen  in  dem  Brahman.  — 
Kenntnis  Gottes,  nicht  Liebe  zu  Gott.  —  Avidyä  oder  das 
Nichtwissen.  —  Brahman  als  fiat.als  kit  und  als  änanda.  — 
Philosophie  und  Eeliglon.  —  Der  höchste  Herr  oder  Isvara.  — 
Upfidhis,  SftkshmMarirn  und  SthUlairsrira.  —  Schöpfung  oder 
Snanation.  —  Brahman  und  Avidyä  die  Ursache  der  phäno- 
menalen Welt-  —  Das  wahre  Wesen  des  Mengchen,  —  Karmu  I 
oder  Apilrva.  —  Verschiedene  Zustände  der  Seele.  —  Kramir  J 
miikti-  —  trlvanmukti.  —  Persünliclikcit  der  Seele  ,    . 


Zehnte  Vorlesung. 
Dio  zwei  Schulen  dos  Vedftnta. 


D'ippelHinnige   Stollen   in  den  Upanishaden.  —   Slaakara  u 
lUmÄDUj/a.  —  Rämänupa.  —  ^aükara.  —  Moralischer  Charakter  " 
des  VedAnta.  —  Ascetlscho   Übungen.  —    Esoterische  Lehren, 
—  VerKhiedouhoit  zwischen  Indien  und  Griechenland,   .  307—330 


InbftltoverzeicbniB.  xxm 

Elfte  Yorlesnngr« 

Sufiismus. 

Seite 

Die  Religion  ein  System  der  Beziebangen  zwiflcben  Mensch 
nnd  Gott  —  SafiiBmoB,  der  Ursprung  desselben.  —  Karzer 
Abr^ss  der  Lebren  des  Bnfiismns.   —   Babia,  die  älteste  Snfi. 

—  Zasammephang  des  Safiismns  mit  dem  Urchristentnm«  — 
Aba  Said  Abpl  Cbeir,  Stifter  des  Safiismos.  —  Abu  Yastd 
und  Dscbnnaid.  —  Sufl,  Faktr,  Dar\FtBch.  —  Ascetismus.  — 
Die  Me^nevi.  —  Mohammeds  Anschauung.  —  Die  vier  Stadien. 

—  Die  poetische  Sprache  ies  Sufiismus.  —  Moralität  des  Su- 
fiismus.  —  Auszüge  aus  sufiistischen  Dichtem.  —  Saläman 
nnd  Absab,  yon  Dscbämi 331—354 

ZwSlfte  Yorlesung« 
Der  Logos. 

Die  Religion  eine  Brücke  zwischen  dem  Sichtbaren  und  dem 
Unsichtbaren.  —  Die  orientalischen  Einflüsse  im  Urchristen- 
tum. —  Entlehnung  religiöser  Gedanken.  —  Philo  und  seine 
allegorische  Interpretation.  —  Synesius.  —  Logos.  —  Der 
Logos  bei  den  Klamaths.  —  Die  historischen  Antecedentien 
des  Logos.  —  Der  Ursprung  der  Arten.  —  Heraklit  —  Ana- 
xagoras.  —  Sokrates  nnd  Plato.  —  Aristoteles.  —  Die  Stoiker. 

—  Philo's  Erbschaft  —  Philo's  Philosophie.  —  Der  Logos  als 
eine  Brücke  zwischen  Gott  und  der  Welt  —  Logos  als  der 
Sohn  Gottes.  —  Weisheit  oder  Sophia.  —  Monogenes,  der  Ein- 
geborene. —  Jnpiter  als  der  Sohn  Gottes 355—417 

Drelzehiite  Yorlesung« 

Alexandrinisches  Christentum. 

Stoiker  nnd  Neuplatoniker.  —  Plotinus.  —  Brief  von  Plotinus 
an  Flaccns.  —  Verzückte  geistige  Anschauung.  —  Alexan- 
drinisches Christentum;  St  Clemens.  —  Die  Dreieinigkeit  bei 
St  Clemens.  —  Origenes.  —  Die  Alogoi 418—451 


XXIV  Inhaltsverzeichnis. 

Ylerzehiite  Yorlesiuigr« 

•    DionysiuB  der  Areopagite. 

Seite 

Der  Logos  in  der  lateinischen  Kirche.  —  Tertullian.  —  Dio- 
nysius  der  Areopagite.  —  Schriften  des  Dionjrsios.  —  Über- 
setzung durch  Scotus  Erigena.  —  Der  Einfluss  der  Schriften 
des  Dionysius.  —   Quellen  des  Dionysius.  —    Die  Daimones. 

—  Einfluss  des  Dionysius  während  des  Mittelalters.  —  Das 
System  des  Dionysius.  —  Milman  über  Dionysius.  —  Der 
wahre  Zauber  des  Dionysius.  —  Das  fünfte  Jahrhundert.  — 
Fünf  Stadien  der  mystischen  Vereinigung.  —  Mysterien.  — 
Mystische  und  scholastische  Theologie.  —  Mysticismus  und 
christlicher  Mystioismns.  —  Einwendungen  gegen  die  mystische 
Religion  erwogen.  —  St%  Bernard.  —  Liebe  zu  Gott  —  Ver- 
zückung nach  St.  Bemard.  —  St.  Bemards  Stellung  in  der 
Kirche  und  im  Staate.  —  Hugo  von  St.  Victor,  Wissen  zuver- 
lässiger als  Glaube.  —  Thomas  von  Aquino 452—491 

Fünfzehnte  Yorlesnng« 

Christliche  Theosophie. 

Mystisches  Christentum.  —  Die  deutschen  Mystiker.  —  Das 
vierzehnte  Jahrhundert  in  Deutschland.  —  Das  Interdikt  — 
Das  Volk  und  die  Priester.  —  Dominikaner  und  Franziskaner. 

—  Eckhart  und  Tauler.  —  Eckharts  Mysticismus.  —  Eckharts 
Definition  der  Gottheit  —  Schöpfung  ist  Emanation.  —  Die 
menschliche  Seele.  —  Der  Messias  und  der  Logos.  —  Die  An- 
näherung an  Gott  —  Geburt  des  Sohnes.  —  Stellen  ans  dem 
vierten  Evangelium.  —  Einwendungen  gegen  die  mystische  Be- 
ligion.  —  Übermäßiger  Ascetismus.  —  Sündlosigkeit  —  Man- 
gel an  Ehrfurcht  vor  Gott  —  Die  Beligion,  die  Brücke  zwi- 
schen dem  Endlichen  und  dem  Unendlichen 492—537 

Anhang  zur  fünften  Vorlesung 538 — 539 

Corrigenda 540 

Index •. 641—580 


Einleitende  Vorlesung. 
Das  historische  Stadium  der  fieligion. 


Die  Weltgf sehiclite  ist  das  Weltgericht. 

Die  Weltgeschichte  ist  das  Weitgericht  —  dies  ist 
einer  von  jenen  Tielsagenden  Aussprüchen  Schillers,  welche 
eine  Fiel  umfassendere  Anwendung  haheu.  als  wir  zunächst 
rennuten  möchten.  Im  Deutschen  bedeutet  nämlich  das  Welt- 
gericht zn  gleicher  Zeit  auch  *das  jüngste  Gericht*.  Was 
also  Schiller  meinte,  war  dies:  Jeder  Tag  ist  ein  jüDg>tes 
Gericht:  die  Geschichte  der  Welt,  wenn  sie  als  ein  Ganzes 
anfgefasst  wird,  ist  das  wahre  Gericht  über  die  Welt:  und 
wir  müssen  dieses  Gericht  verstehen  lernen,  wir  müssen 
lernen,  es  als  gerecht  hinzunehmen.  Wenn  wir  uns  dieser 
Anflkäsnng  Schillers  anschließen  und  lernen,  die  Geschichte 
der  Welt  als  eine  nnnnterbrochene  Rechtfertigung  der  höch- 
sten Weisheit  nnd  der  vollkommensten  Gerechtigkeit  an- 
XBselien.  welche  trotz  Allem,  was  für  das  Gegenteil  zu 
sprechen  acheint  die  Welt  regieren,  so  würde  daraus  folgen, 
das«  das.  was  von  der  Weltgeschichte  im  Allgemeinen  gilt. 
auch  von  Allem,  was  diese  Geschichte  ausmacht,  gelten 
Busse.  Schillers  Ausspruch  würde  in  der  That  in  allgemeinen 
Ausdrücken  das  besagen,  was  ich  Ihnen  in  meinen  früheren 
Vorksangen  als  das  Grundprinzip  der  historischen  Schule  zu 
erkliren  suchte. 


2  Einleitende  Vorlesung. 

Das  GrondprlDzip  der  historischen  Schule. 

Dio  Anbänger  dieser  Schule  glauben  mit  Schüler,  dass 
zum  Beispiel  die  Geschiebte  der  Religion  die  wahrste  Recht- 
fertigung der  Religion,  die  Geschichte  der  Philosophie  die 
beste  Kritik  der  Philosophie,  die  Geschichte  der  Kunst  die 
höchste  und  endgflltige  Beurteilung  der  Kunst  ist.  Wenn  wir 
dio  Weltgeschichte  oder  irgend  einen  Theil  derselben  in  diesem 
Sinne  studieren,  so  werden  wir  lernen,  dass  viele  Dinge  zur 
Zeit  falsch  scheinen  mögen,  die  doch  für  kommende  Zeiten, 
für  alle  Zeit  oder  in  alle  Ewigkeit  richtig  sein  mögen,  ja  richtig 
sein  müssen.  Viele  Dinge,  die  unvollkommen  scheinen,  stellen 
sich  als  höchst  vollkommen  heraus,  wenn  sie  nur  als  eine 
Vorbereitung  auf  höhere  Zwecke  verstanden  werden.  Haben 
wir  es  einmal  über  uns  gebracht,  einzusehen,  dass  es  in  der 
Geschichte  der  Weit  eine  ununterbrochene  Kontinuität,  ein 
fortwährendes  Aufsteigen,  oder  einen  ewigen  Zweck,  nicht 
bloß  eine  mechanische  Entwicklung  gibt,  so  werden  wir  auf- 
hören, an  dem,  was  erst  ein  unvollkommener  Keim  und  noch 
nicht  die  vollkommene  Blüte  oder  die  reife  Frucht  ist,  Aus- 
stellungen zu  machen;  wir  werden  nicht  die  Kindheit  der 
Welt,  noch  die  Kindheit  der  Religionen  der  Welt  verachten, 
wenn  wir  gleich  in  derselben  nicht  jenes  reife  und  vollendete 
Mannesalter  entdecken  können,  das  wir  in  späteren  Perioden 
der  Geschichte  bewundern.  Wir  werden  das  Unvollkommene 
oder  minder  Vollkommene  als  eine  notwendige  Vorbereitung 
auf  das  Vollkommenere  verstehen  lernen.  Allerdings  erfordert 
eine  solche  Auffassung  der  Weltgeschichte  Glauben;  einfach 
auf  Grund  der  festen  Überzeugung,  dass  es  nicht  anders  sein 
kann,  müssen  wir  oft  glauben,  wenn  wir  es  auch  nicht  be- 
weisen können,  dass  es  Gesetz,  Ordnung  und  Zweck  in  der 
Welt,  dass  es  Güte  und  Gerechtigkeit  in  der  Gottheit  geben 
müsse.  Diesem  Glauben  hat  Friedrich  Logau  in  dem  bekannten 
Verse  Ausdruck  gegeben:  »Gottes  Mühlen  mahlen  langsam, 
mahlen  aber  trefflich  klein,  c  Und  denselben  Glauben  hat  auch 
schon  lauge  vorher  Euripides  ausgesprochen,  wenn  er  sagte: 


Dm  historische  Studium  der  Religion.  3 

»Allerdings  ist  das  Wirken  der  Götter  langsam,   aber   es  ist 
sicher  and  stark.«  >) 

Wie  dem  anch  sein  mag,  jene  Philosophen  zum  minde- 
sten.  welche  sich  mit  der  Idee  von  dem  Überleben  des  Taug- 
lichsten Yertrant  gemacht  haben,  können  schwerlich  gegen 
das  Prinzip  etwas  einwenden,  dass  das.  was  ist.  tauglich  ist 
und  sich  am  Ende  als  richtig  erweisen  wird,  oder  —  um  mit 
Schiller  zn  sprechen  —  dass  'die  Weltgeschichte  das  Welt- 
gericht i8t\ 

Rellgionsgeschlclite  Ist  die  wahre  Religionsphllosophle. 

Knn  erst  werden  Sie  verstehen,  warum  ich  so  fest  über- 
zengt  war,  dass  die  befriedigendste  Art  und  Weise,  die  Ab- 
sichten des  Begründers  dieser  Vorlesungen  zu  verwirklichen, 
and  die  einzig  wirksame  Art  and  Weise,  das  zu  studieren. 
was  man  Religionsphilosophie,  die  philosophische  Kritik  der 
Religion,  nennt,  die  sei,  die  Geschichte  der  Religion  zu  stu- 
dieren. Die  Geschichte  sichtet  und  prüft  alle  Formen  und 
Abarten  der  Religion  weit  wirksamer,  als  es  irgend  ein  einzelner 
Philosoph  je  zu  thun  hoffen  könnte.  Ich  will  damit  nicht 
gesagt  haben,  dass  eine  rein  theoretische,  zum  Unterschiede 
von  einer  historischen  Behandlung  der  Religion,  gclnzlicli 
natzlos  sei.  Dnrchaus  nicht.  Ich  weiß,  dass  Kant  die  Idee 
mit  Verachtung  zurückweist,  dass  die  Geschichte  der  Philo- 
sophie selbst  Philosophie  sei.  Aber  ist  nicht  Kants  eigene  Philo- 
sophie nanmehr  ein  wesentlicher  Bestandteil  der  Geschichte 
der  Philosophie  ?  Es  ist  ganz  richtig,  dass  wir  uns  mit  einer 
WisseBsehaft  beschäftigen  können  ohne  Rücksieht  auf  dereu 
Geschichte.  Wir  können  zum  Beispiel  Nationalökonomie  stu- 
dieren, getrennt  von  aller  Geschichte.  Wir  können  lernen. 
was  nach  den  allgemeinen  Prinzipien  dieser  Wissenschaft  sein 
sollte  and  was   nicht  sein   sollte.     Alles,   was  ich  behaupte. 


1    Baochae,  882:  'Oftuüttct  u6/.ty,  ti).y  üuiüs   ntaiby  t6  ys  9thn' 

\* 


4  Einleitende  Vorlesung. 

ist,  dass  63  besser  sei,  die  Wahrheit  dieser  allgemeinen 
Prinzipien  durch  die  Geschichte  zu  erproben,  und  nicht  durch 
Theorie  allein.  Gewisse  Theorien  der  Nationalökonomie,  die 
in  abstrarfo  ganz  vollkommen  schienen,  sind  versucht  und 
zu  leicht  befunden  worden.  Wir  hören  selbst  jetzt  noch, 
dass  die  Prinzipien  der  Handelsfreiheit  und  des  Schutzzoll- 
systems probeweise  versucht  werden.  Was  heißt  das  anders, 
als  dass  sie  durch  das  Urteil  der  Geschichte,  durch  die 
Resultate,  durch  die  Thatsachen,  durch  die  Statistik  erprobt 
werden  —  Dinge,  gegen  die  es  keine  Berufung  auf  eine 
höhere  Instanz  gibt,  es  sei  denn,  dass  wir  mit  manchen 
Philosophen  sagen :  'iant  pis  pour  les  faits\  oder  Hant  pis 
pour  Vhuitoire\ 

Ein  Strategiker  in  seinem  Studierzimmer  mag  mit  allen 
Kegeln  der  Eriegswissenschaft  bekannt  sein,  aber  der  große 
Feldherr  muss  wissen,  wie  diese  Regeln  die  Probe  der  Ge- 
schichte bestanden  haben ;  er  muss  die  wirklichen  Schlachten 
studieren,  die  geschlagen  worden  sind,  und  muss  so  lernen, 
die  Siege  und  die  Niederlagen  der  größten  Heerführer  zn 
erklären.  In  derselben  Weise  also,  wie  die  wahre  Eriegs- 
wissenschaft die  Geschichte  des  Erieges,  ist,  glaube  ich,  die 
wahre  Religionswissenschaft  die  Geschichte  der  Religion. 

Natürliche  Religion  die  Grundlage  unseres  Glaubens  an  Gott« 

Zu  beweisen,  dass  unter  der  Voraussetzung  des  mensch- 
lichen Geistes,  so  wie  er  eben  ist,  und  seiner  Umgebungen, 
so  wie  sie  eben  sind,  der  Begriff  Gottes  und  der  Glaube  an 
Gott  unvermeidlich  sein  würden,  ist  immerhin  etwas.  Doch, 
Sie  wissen,  wie  alle  Beweise  für  das  Dasein  Gottes,  welche 
von  den  hervorragendsten  Philosophen  und  Theologen  auf- 
gestellt worden  sind,  von  ebenso  hervorragenden  Philosophen 
und  Theologen  bestritten  wurden.  Sie  wissen,  dass  selbst 
jetzt  noch  einige  halb  versteinerte  Philosophen  und  Theologen 
übrig  sind,  die  es  Eetzerei  nennen,  zu  glauben,  dass  die 
ununterstützto  menschliche  Vernunft  je  zu  dem  Begriff  Gottes 


Das  historische  Stadiam  der  Religion.  5 

oder  zo  dem  Glanben  an  Gott  gelangen  könnte,  die  behaupten. 
da»  zu  diesem  Zweck  eine  spezielle  Offenbamng  nnamgäng- 
lieh  nötig  seL  dass  aber  eine  solche  Oflenbarnng  dem  Meoschen- 
goschlechte  nnr  zweimal  —  einmal  im  Alten  und  einmal  im 
Kesen  TestJiment  —  gewährt  worden.  Triumphierend  weisen 
sie  anf  Kants  'Kritik  der  reinen  Vernunft'  hin,  welche,  wie 
sie  sagen,  solch  armselige  Spinnengewebe  wie  den  kosmolo- 
gisehen.  den  teleologischen  und  den  ontologischen  Beweis  für 
das  Dasein  eines  göttlichen  Wesens  ein  für  alle  Mal  zerstört 
■ad  so  —  Ton  dner  Seite,  ron  der  man  es  gar  nicht  erwartet 
kitte  —  bewiesen  habe,  dass  die  nnnnterstützte  menschliche 
Temnnfl  nnmöglich  zu  einer  sicheren  Kenntnis  selbst  nnr  von 
den  bloßen  Dasein  Gottes  gelangen  könne. 

Man  kann  ja  sagen,  dass  solche  Anschauungen  bloße 
Überlebsel  seien,  nnd  nicht  gerade  Beispiele  des  Überlebens 
des  Tai^lichsten.  Diejenigen,  welche  dieselben  behaupten. 
wissen  jedenfalls  nicht,  was  sie  thun.  Allein  solche  An- 
sekaanngen.  so  sehr  sie  auch  in  Wirklichkeit  alle  wahre 
Religion  umstoßen,  werden  oft  als  fDr  den  christlichen  Glanben 
wcieattich  gepredigt,  und  viele,  die  nicht  die  Geschichte  der 
Retigion  kennen,  lassen  sich  durch  die  wiederholte  Behauptung 
derselben  irre  fdhren. 

Sic  wissen,  dass  in  einem  Gerichtshof  ein  geschickter 
Adrokat  fast  Alles  yerteidigen  kann:  nnd  auch  in  dem 
Gerichtshof  der  Philosophie  lassen  sich,  glaube  ich,  stets 
Adrokaten  finden,  die  bereit  sind,  in  der  beredtesten  Weise 
catweder  fftr  den  KUger  oder  für  den  Angeklagten  zn 
tprcchen.  Das  einzige  Beweismaterial  jedoch,  welches  am 
Eade  Bit  Sicherheit  den  Ausschlag  gibt,  besteht  in  Thatsachen. 

Der  eigeatliche  Zweck  der  Biographie  Agnis. 

Da  s'ch  denn  dies  so  verhält,  so  widmete  ich  den  Haupt- 
tkefl  meines  zweiten  Kursus  Ton  Vorlesungen  dem  Sammeln 
Tom  Tkatsacken,    die   ich  Ihnen  vorlegte.  —  Tliatsacben.  die 

■icht  bestreiten   lassen,   oder  die    doch  jedenfalls   nicht 


Ö  Einleitende  Vorlesung. 

bestritten  worden  sind,  und  die  xeigen,  daas  der  mensHilidie 
Geist  ohne  Hilfe  deBaen,  was  man  eine  apeeielle  Offonbarun^ 
nennt,  Scliritt  für  Schritt  Beinen  Weg  fand  von  der  niedrig- 
sten Walirnehmung  des  Materiellen  nod  tiichtbaren  zn  dem 
erhabensten  BegriiT  einen  höchsten  und  unsichtbaren  Qottes. 
7m  diesem  Behufe  wfthlte  icb  mir,  was  ich  die  Biographie 
Agii's  oder  des  li'eners  nannte,  d.  b.  die  Anfeinanderfolgc 
der  mannigfachen  Ideen,  welche  dnrch  die  verschiedenen  Er- 
echeinnogsformon  des  Fencrs  im  menschlichen  Geiste  hervor- 
gerufen wurden,  —  Ideen,  welche  mit  der  einfachsten  Wahr- 
nehmung des  Feuers  auf  dem  Herde,  das  Jung  und  Alt  Wärme, 
Licht  und  Leben  gibt,  begannen  und  in  dem  Begriffe  Agni 
nia  des  Gottes  des  Liclits,  des  Schöpfers  and  Boherrschera 
der  gunien  Welt,  ihren  Höhepunkt  erreichten. 

Es  war  dies  eine  schwierige  Aufgabe,  und  sie  mag  wohl 
meinen  Zuhörern  ebenso  langweilig  vorgekommen  sein,  ab  sie 
fOr  mich  mühsam  gewesen  ist.  Doch  gab  es  kein  anderes 
Mittel,  alle  Gegner  ein  fllr  alle  Mal  zum  Schweigen  zu  bringen. 
Sollte  irgend  ein  sogenannter  cbristlicber  Oottesgelehrler  die 
Thatsache  bezweifeln,  dass  in  vergangenen  Zeiten  >Gott  sich 
selbst  nicht  nubczougt  gelassen  hat,  nns  viel  Gutes  gethan. 
und  vom  Himmel  Regen,  und  auch  Feuer,  das  da  Lieht  u 
Wärme  ist,  vom  Himmel,  und  fruchtbare  Zeiten  gcgebi 
unsere  Herzen  erfüllet  mit  Speise  und  Freude»  'Apostelgo- 
Bchirbte  XIV,  17),  so  wird  das,  was  ich  die  niographie  Agnh 
nenne,  in  Zuknnft  Beweismaterinl  liefern,  das  sowohl  dio- 
janigen,  welche  an  die  Worte  von  Paulus  nnd  Barnabas 
glauben,  als  auch  diejenigen,  welche  nicht  an  sie  glauben, 
überzeugen  sollte;  nnd  dieses  Beweismaterial  znm  mindoateo 
kann  nicht  weggeleugnet  werden.  Ich  kann  den  Arger,  den 
die  Vorbringnng  dieses  Beweismalerials  verursacht  bat,  gan< 
gnf  verstehen,  wenn  ich  auch  die  Anstrengungen  niobt  be- 
wundern kann,  die  man  gemacht  bat,  dessen  Zuverlllssigkelt 
in  Zweifel  zn  ;eiehon.  Es  ist  ja  ganz  gut  mijglicb,  dasa  icli 
bei  der  Zusammenslellnng  dieser  Biographie  Agnis  manche 
Stellen  de»  Veda,  die  für  meinen  Zweck  von  Nutzen  gewesen 


Das  historlBche  Stncüam  der  Religion.  7 

wiren,  fibergaDgen  habe.  Man  weise  sie  nach,  und  ich  werde 
höchst  dankbar  sein.  Es  ist  auch  ganz  gut  möglich,  dass 
ich  hier  nnd  da  die  genaue  Bedentang  eines  Verses  ans  dem 
Teda  missrerstanden  habe.  Wiederum  sage  ich :  Man  beweise 
es,  nnd  ich  werde  höchst  dankbar  sein.  Es  ist  mir  nie  ein- 
gefallen, anf  Unfehlbarkeit  Ansprach  za  erheben,  nicht  einmal 
in  Bezog  anf  die  Interpretation  des  Veda.  Wenn  aber  Lente 
irgend  welche  Yon  meinen  Behauptungen,  die  sie  missbilligen, 
bestreiten  wollen,  so  sollten  sie  wissen,  dass  es  nur  zwei 
Wege  gibt,  dies  zu  thun.  Sie  müssen  entweder  zeigen,  dass 
meine  Thatsachen  falsch,  oder  dass  meine  Schlussfolgernngen 
ans  diesen  Thatsachen  fehlerhaft  sind.  In  dem  einen  oder 
dem  andern  Falle  wird  ihnen  Niemand  dankbarer  sein,  als 
ich  selbst.  Denn  wenn  sie  zeigen  können,  dass  meine  That- 
sachen falsch  waren,  so  werden  sie  uns  natürlich  zu  gleicher 
Zeit  die  wahren  Thatsachen  an  die  Hand  geben,  und  wenn 
meine  Schlussfolgerungen  fehlerhaft  waren,  so  kann  dies 
durch  die  Regeln  der  Logik  ein  für  alle  Mal  entschieden 
werden.  Wurden  sich  die  Kritiker  auf  diese  zwei  Aufgaben 
beschrtnken,  so  würden  sie  uns  eine  Wohlthat  erweisen,  f&r 
die  ihnen  jeder  wahre  Gelehrte  aufrichtig,  dankbar  sein 
würde.  Wenn  sie  sich  aber,  wie  es  nur  zu  oft  vorkommt,  in 
bloßen  Redekünsten  und  Schmähungen  gefallen,  so  dürfen 
sie  sich  nicht  beleidigt  ftlhlen,  wenn  man  ihrer  blinden  Wut 
und  ihren  leeren  Einbildungen  weiter  keine  Aufmerksamkeit 
schenkt.  Diese  Dinge  sind  viel  zu  ernst,  ja  in  meinen  Augen 
fiel  zu  heilig  ftir  bloßes  Gez&nke.  Mögen  auch  manche  aus- 
gezeichnete Theologen  anderer  Meinung  sein  als  ich.  so  sollten 
sie  doch  wissen,  dass  der  Sache  der  Wahrheit  durch  bloße 
Behanptnngen  nie  gedient  ist,  noch  weniger  durch  Ver- 
dlchtigungen,  nnd  dass  solche  Verdächtigungen  jenen,  weklic 
sie  Yorbringen,  weit  mehr  zur  Unehre  gereichen  müssen,  als 
jenen,  gegen  die  sie  vorgebracht  werden. 


8  Einleitende  Vorlesung. 

Natürliche  Offenbamngr. 

Ich  behaupte  also,  so  lange  man  nicht  irgend  welche  von 
meinen  Angaben  durch  Thatsachen  widerlegt  bat,  dass  wir  in 
der  Geschichte  der  vedischen  Religion  sehen  können,  wie  der 
menschliche  Geist  durch  eine  natürliche  Offenbarung,  die  weit 
überzeugender  ist,  als  irgend  eine  sogenannte  übernatürliche 
Offenbarung,  von  der  Wahrnehmung  der  großen  Naturerschei- 
nungen zu  dem  Begriff  von  Agentien  hinter  diesen  Erschei- 
nungen geführt  wurde.  Das  Beispiel  von  Agni  oder  dem 
Feuer  wurde  von  mir  als  ein  typisches  Beispiel  gewählt,  und 
zwar  nur  als  eines  von  vielen,  welche  alle  zeigen,  wie  die 
Erscheinungen  der  Natur  den  menschlichen  Geist  mit  einer 
für  die  menschliche  Vernunft  unwiderstehlichen  Gewalt  zu 
dem  Begriffe  von  und  zu  dem  Glauben  an  Agentien  hinter 
der  Natur,  und  am  Ende  zu  dem  Glauben  an  Ein  Agens 
hinter  oder  über  allen  diesen  Agentien  zwangen;  wie  sie  ihn 
zwangen  zu  dem  Glauben  an  Einen  Gott  der  Natur,  zu  dem 
Glauben  an  eine  kosmische  oder  objektive  Gottheit  Dies 
war  meine  Antwort  auf  die  immer  und  immer  wieder  wieder- 
holte Behauptung,  dass  der  menschliche  Geist  ohne  den  Bei- 
stand einer  speziellen  Offenbarung  unfähig  sei,  ein  höchstes 
Wesen  zu  begreifen.  Meine  Antwort  war  nicht  ein  Argument, 
noch  eine  bloße  Behauptung.  Meine  Antwort  bestand  in 
historischen  Thatsachen,  in  genauen  Citaten  aus  dem  Yeda; 
und  diese  Thatsachen  sind  widerspenstige  Dinge,  die  man 
durch  bloßes  Gezeter  und  Gescheite  nicht  aus  der  Welt 
schaffen  kann. 


Dor  wahre  Zweck  der  Vergleichnng  der  christlichen  mit 

anderen  Religionen. 

Ich  muss  jedoch  gestehen,  dass  ich  nicht  erwartet  h&tte, 
dass  die  Angriffe  auf  das,  was  ich  den  historischen  Beweis 
fiir  das  Pasein  eines  höchsten  Wesens  nannte,  von  der  Seite 
kommen  würden,  von  der  sie  gekommen  sind,     ich  hätte  ge- 


Das  historisclie  Stadium  der  Beligion.  9 

dacht,  das3  diejenigen,  welche  sich  als  Christen  ausgeben 
und  «eh  Christen  nennen,  die  Thatsachen,  welche  die  Lehre 
des  Panlns  bestätigen,  mit  Frenden  begrüßen  wfirden.  Ich 
hatte  gehofft,  sie  wfirden  einsehen,  dass  die  Thatsachen,  die 
ich  von  den  alten  Religionen  der  Welt  zusammengetragen. 
iB  Wirklichkeit  die  einzig  sichere  Grundlage  der  natürlichen 
Religion  nnd  mittelbar  die  stärkste  Bekräftigung  der  Wahrheit 
der  christliehen  Religion  seien.  Ich  wiederhole:  Die  christliche 
Religion  sollte  rielmehr  zur  Vergleichung  herausfordern,  als  sie 
ablehnen.  Wenn  wir  gewisse  Lehren,  die  wir  ftlr  das  ausschließ- 
liche Eigentum  des  Christentums  hielten,  auch  in  anderen 
Religionen  finden  —  verliert  das  Christentum  dadurch?  Oder 
wird  die  Wahrheit  dieser  Lehren  dadurch  beeinträchtigt,  dass 
sie  anch  von  anderen  Lehrern  anerkannt  werden  ?  Man  hat 
wie  Sie  wissen,  oft  behauptet,  dass  sich  fast  jede  christliche 
Lehre  auf  den  Talmud  znrfickfähren  lasse.  Ich  kann  fiber 
diesen  Punkt  kein  Urteil  abgeben;  aber  wenn  dem  so  wäre, 
was  wflrden  wir  dabei  verlieren?  Ich  kann  nur  sagen,  dass 
mir  in  den  Auszügen  aus  dem  Talmud  nie  die  bezeichnend- 
ste, ja  die  Grundlehre  des  Christentums,  die  Anerkennung 
des  göttlichen  Elements  im  Menschen,  oder  der  göttlichen 
Sohnschafl  des  Menschen  begegnet  ist.  Vieles,  was  das  Chri- 
^tentnm  mit  dem  Talmud  gemein  hat.  hat  es.  wie  wir  jetzt 
wissen,  auch  mit  anderen  Religionen  gemein.  Es  ist  wahr, 
dass  Eillei,  als  man  ihn  bat.  die  Religion  der  Juden  in  ein 
paar  Worten  zu  beschreiben,  antwortete:  >Thue  anderen 
nicht,  was  du  nicht  willst,  dass  man  dir  thue.  Dies  ist  das 
ganze  Gesetz ;  alles  Übrige  ist  nur  Interpretation.  Gehe  denn 
hin  und  lerne,  was  es  bedeutet. <^  Es  ist  aber  nunmehr 
wohlbekannt,  dass  dieselbe  Lehre  fast  in  jeder  Religion  vor- 
kommt. Confucius  sagte:  »Was  ich  nicht  wünsche,  dass  die 
Menschen  mir  thuen,  das  will  ich  auch  nicht  den  Menschen 
tban.<      Wir  lesen  im  Mahahhilrata :    >Uöre  die  Summe  aller 


I)  Talmnd   babli,  Sabbath.   fol.  31  a.     Kuenen.  Hihhert  Lec- 
tm-tt,  p.  211. 


10  Einleitende  Vorlesung. 

Pflichten,  nnd,  wenn  dn  sie  gehört  hast,  beherzige  sie:  Thoe 
Anderen  nicht,  was  dir  selbst  unangenehm  wäre«  (Pancßt, 
1871,  p.  238).  ^Wamm  sollten  also  die  Christen  ein  ans- 
scbließliches  Eigentumsrecht  auf  diese  Wahrheit  für  sich  in 
Anspruch  nehmen  wollen? 

Der  Talmud  —  das  dürfen  wir  nicht  yergessen  —  ent- 
sprang demselben  historischen  Boden  wie  das  Christentum; 
die  Verfasser  desselben  atmeten  dieselbe  Luft  wie  die  Schüler 
Christi.  Übereinstimmungen  zwischen  den  Beiden  sind  daher 
sehr  natürlich,  und  es  folgt  keineswegs,  dass  der  Talmud 
immer  Priorität  in  Bezug  auf  die  Zeit  beanspruchen  kann. 
Wem  immer  aber  die  Priorität  zukommen  mag,  wer  immer 
geborgt  oder  entlehnt  haben  mag,  ich  gestehe,  mich  freut  es 
jedesmal,  wenn  ich  auf  Stellen  aus  dem  Talmud  oder  irgend 
einem  anderen  heiligen  Buche  stoße,  die  mich  an  das  A)jte 
oder  das  Neue  Testament  erinnern.  So  lesen  wir  zum  Bei- 
spiel im  Talmud:  »Seid  nicht  wie  Knechte,  die  dem  Herrn 
um  des  Lohnes  willen  dienen;  sondern  seid  wie  Knechte,  die 
dem  Herrn  ohne  Kacksiebt  auf  Belohnung  dienen;  und  Got- 
tesfurcht soll  euch  stets  beseelen«  (Antigonus  aus  Sochow  in 
den  Pirk<5  Aboth,  I,  3;  Kuenen,  a.  a.  0.  p.  212).  Und  wie- 
derum: >Thue  seinen  Gottes)  Willen,  als  ob  es  dein  Wille 
wäre,  damit  er  deinen  Willen  thue,  als  ob  es  sein  Wille  wäre« 
(Gamliel,  a.  a.  0.   II,  4). 

Dies  sind  christliche  Gedanken,  seien  sie  nun  aus  dem  Tal- 
mud entlehnt  oder  nicht.  Es  sind  Strahlen  Ton  einer  Sonne, 
welche  die  ganze  Welt  erleuchtet,  Marc  Aurel  sagte:  »Liebe  die 
Menschheit,  folge  Gott-  (VII,  31);  Epiktet  sagte :  »Wage  es  zu 
Gott  aufzublicken  und  zu  sagen :  Thue  mit  mir  hinfort,  wie  es 
dein  Wille  ist.  Ich  bin  Eines  Sinnes  mit  dir.  Ich  bin  dein.  Ich 
verweigere  nichts,  was  dir  gut  scheint.  Führe  mich,  wohin 
du  willst.  Kleide  mich,  wie  du  willst.  Willst  du,  dass  ich  ein 
öffentliches  Amt  übernehme  oder  ein  Privatleben  führe,  zu  Hause 
bleibe  oder  in  die  Verbannung  gehe,  arm  oder  reich  sei,  ich 
will  deine  Absichten  mit  mir  in  Bezug  auf  alle  diese  Dinge  ver- 
teidigen«  (Gespräche,  II,    lü.    Dies  sind  wahrhaft  christliche 


Dm  historiflcbe  Stadium  der  Religion.  1 1 

Gfefflhlslaßernngen ,  christliche,  weil  sie  ewig  und  universal 
sind;  es  wllrde  aber  sehr  schwer  fallen,  zu  beweisen,  dass  sie 
entweder  Yom  Christentum  entlehnt  seien,  oder  dass  das  Chri- 
stentum sie  entlehnt  habe.  Und  warum  sollte  jede  Wahrheit 
Tom  Christentum  entlehnt  sein?  Warum  sollte  nicht  auch 
das  Christentum  entlehnt  haben?  und  warum  sollten  nicht 
gewisse  Wahrheiten  über  die  ganze  Welt  verbreitet  und  uni- 
versal sein?  Mir  scheinen  diese  Wahrheiten  eher  an  Macht 
zu  gewinnen  als  zu  verlieren,  wenn  wir  annehmen,  dass  sie 
in  verschiedenen  Köpfen  von  selbst  entspringen,  statt  zu 
behaupten,  dass  sie  nur  Einmal  ausgedacht  und  dann  von 
Anderen  entlehnt  worden  seien. 

Der  Grund,  weshalb  die  Leute  die  Identität  einer  Wahr- 
heit, wie  sie  in  verschiedenen  Religionen  verkündet  wird, 
nicht  einsehen  wollen,  ist  gewöhnlich  die  Sonderbarkeit  der 
ioßeren  Hülle,  in  die  sie  gekleidet  ist.  Allerdings  sind  ja 
die  alten  heidnischen  Namen  der  Götter,  selbst  des  höchsten 
Gottes,  für  unsere  Begriffe  oft  sehr  anstößig  durch  das.  was 
sie  in  sich  schließen.  Ist  es  aber  nicht  um  so  interessanter, 
zu  sehen,  wie  zum  Beispiel  Aristides  der  Sophist  (176  n. 
Chr.!,  obwohl  er  den  Namen  Jupiter  beibehält,  mit  aller 
Macht  nach  einem  höheren  und  reineren  Begriff  der  Gottheit 
strebt,  reiner  sogar,  als  der  ist,  den  wir  in  vielen  Teilen 
des  Alten  Testaments  finden.  In  folgender  Weise  spricht 
Aristides  von  Jnpiter: 

> Jupiter  hat  alle  Ding:e  geschaffen:  alle  Dinge,  so  viele 
es  gibt,  sind  das  Werk  Jupiters:  die  Flüsse,  die  Erde,  das  Meer, 
der  Himmel  und  was  immer  zwischen  oder  über  oder  unter  die- 
sen ist.  so  auch  Götter  und  Menschen,  alles  Lebendig^e  und 
alle  sichtbaren  und  verständlichen  Dinge.  Vor  Allem  hat  er 
sieh  selbst  geschaffen;  auch  ist  er  nie  in  den  (trotten  von 
Kreta  aufgezogen  worden;  und  Satarn  wollte  ihn  nie  ver- 
schlingen, noch  verschlang  er  einen  Stein  an  Jupiters  Stelle; 
überhaupt  war  Jupiter  nie  und  wird  nie  in  irgend  einer  Ge- 
fahr sein.  .  .  .  Sondern  er  ist  der  Erste  und  der  Älteste  und 
der  Fürst  aller  Dinge,  und  er  selbst  aus  sieb  selbst.« 


12 


Etnlcitendo  Voflesnng. 


Vr'Hi'um  sollten  wh'  wuniger  im  Stande  und  geneigt  seil 
durch  den  Nebel  der  Mytliologie  hindarch  zn  sehen,  als  di« 
jenigen,  welche  rait  dem  Glauben  an  ihre  eigenen  mytholo- 
gischen Götter  aufgewachsen  waren  ?  Warum  sollten  wir 
uns  weigern,  den  höheren  Zweck  anzuerkennen,  der  in  dieseD  _ 
göttlichen  Namen  von  Anfang  an  log,  nnd  den  die  Best« 
nnter  den  Heiden  nie  anzuerkennen  verfehlten. 


tlte  (jobvti'. 

Man  hat  oft  behauptet,  daaa  das,  was  wir  unter  'debetf^l 
veratehen,  in  keiner  der  heidnischen  lleligionen  vorhanden  sei 
oder  auch  nur  vorhanden  sein  kOnne.  Es  mag  ja  richtig  sein, 
das»  daa  Verhältnis  gegenseitiger  Liebe  zwischen  Mensch  and 
Qott,  das  rar  al  cor,  in  den  Gebeten  der  heidnischen  Welt  fehlt. 
Ea  ist  gewiss  richtig,  dass  es  manche  Religionen  gibt,  die  sich 
gegen  daa  Gehet  ablehnend  verhallen,  namentlich  wc 
nnter  'Gebet'  das  Beten  nnd  Bitten  um  weltliche  Güter  verstel 
Die  Buddhisten  kennen  im  Allgemeinen  keine  Gebete  an  ( 
allbeherrsohende  Gottheit,  da  sie  das  Dasein  einer  solchen  * 
Gottheit  leugnen;  aber  selbst  Gehet«  an  die  Buddbas  oder  die 
buddhistischen  Heiligen  dürfen  nie  den  Charakter  von  Ge- 
suchen annehmen.  Es  sind  vielmehr  Lobpreisungen  nnd 
Meditationen,  als  Änflehungeu.  Gebete  in  dem  Sinne  von 
Gesuchen  gelten  bei  der  Sin-shin-Sekte  der  Buddhisten  in 
Japan  für  geradezu  sündhaft.  Anders  verhält  es  sieh  mit 
den  Anhlingern  des  Confucius.  Sie  glauben  an  einen  Gott, 
nn  den  man  wohl  Gebete  richten  darf.  Doch  sagt  nns  Pro- 
fessur Legge,  lUsa  wir  in  ihrer  alten  Litteratur  vergebens  nach 
wirklichen  Gebeten  suchen,  und  dies  dürfte  wohl  jenem 
Gefühl  der  Scheu  nnd  Ehrfurcht  zuzuschreiben  sein,  dem 
Cenfiicina  selbst  Ausdruck  gab,  wenn  er  sagte,  dass  wir  gei- 
stige Wesen  hochachten,  ober  in  ehrerbietiger  Entfernung 
von  denselben  bleiben  sollten.') 


1  AnaltcU.  VI.  20. 


Das  historiBche  Stadiam  der  Religion.  13 

Es  ist  aaeh  richtig,  dass  die  Gebete  des  Menschen,  wenn 
er  einmal  za  einem  philosophischen  Begrifif  der  Gottheit  ge- 
langt ist,  ganz  anderer  Art  sind,  als  die  Gebete,  die  ein  Kind 
an  seinen  Vater  im  Himmel  richtet.  Doch  sind  auch  solche 
Gebete  von  dem  gi'ößten  Interesse.  Fast  das  letzte  Wort, 
das  die  griechische  Philosophie  der  Welt  hinterlassen  hat,  ist 
ein  Gebet,  das  wir  am  Ende  des  Kommentars  des  Simplicins 
znm  Epiktet  finden,    ein  Gebet   voll  der  ehrlichsten  Absicht: 

»Ich  flehe  dich  an,  o  Herr,  Vater,  Lenker  unserer  Ver- 
nunft, mache  nns  eingedenk  des  edlen  Ursprungs,  dessen  du 
uns  wert  erachtet  hast;  stehe  nns  bei,  anf  dass  wir  handeln, 
wie  es  mit  freiem  Willen  begabten  Wesen  geziemt;  auf  dass 
wir  gereinigt  werden  von  den  unvernünftigen  Leidenschaften 
des  Körpers  und  dieselben  unterwerfen  und  beherrschen,  in- 
dem wir  sie  auf  geeignete  Weise  als  Werkzeuge  gebrauchen; 
nnd  stehe  ans  bei,  dass  wir  die  Vernunft,  die  in  uns  ist.  ge- 
hörig leiten,  nnd  dass  sie  teilhabe  an  dem.  was  wirklich 
ist  im  Lichte  der  Wahrheit.  Und  zum  Dritten  flehe  ich  dich 
an,  mein  Erlöser,  entferne  gänzlich  das  Dunkel  von  den 
Augen  unserer  Seele,  auf  dass  wir,  wie  Homer  sagt,  sowohl 
Gott  als  die  Menschen  richtig  erkennen  mögen.«  (Siehe 
J.  A.  Farrer,  Paganism  and  Chrisiianify,  p.  41.) 

Ich  will  den  Rest  dieser  einleitenden  Vorlesung  dazu 
verwenden.  Ihnen  einige  Auszüge  vorzulesen,  die  Ihnen,  hofi'e 
ich.  zeigen  werden,  dass  auch  der  Heide  Gebete  sprechen 
konnte,  und  zwar  manche  Gebete,  die  nur  geringer  Um- 
änderung bedürfen,  ehe  wir  selbst  in  sie  einstimmen  köuueu. 


Igyptisches  Gebet« 

>Heil  dir,  Macher  aller  Wesen,  Herr  des  Gesetzes,  Vater  der 
Götter;  Macher  der  Menschen,  Schöpfer  der  Tiere:  Herr  des 
Getreides,  der  du  den  Tieren  des  Feldes  die  Nahrung  bereitest . . . 
—  DUf  der  Eine  allein  ohne  einen  Zweiten  .  .  .  König  allein, 
einzig  unter  den  Göttern;  von  vielen  Namen,  unbekannt  ist 
ihre  ZahL 

Ich  komme  zu  dir,  o  Herr  der  Götter,  der  du  vom  Anbeginn 


14  Einleitende  Vorlesung. 

existiert  hast,  ewiger  Gott,  der  du  Alles,  was  da  ist,  gemacht 
hast.  Dein  Name  sei  mein  Schutz;  verlängere  meine  Lebensfrist 
zu  gutem  hohem  Alter;  möge  mein  Sohn  (nach  mir)  an  meiner 
Stelle  sein;  möge  meine  Würde  bei  ihm  (und  den  Seinen]  immer- 
dar bleiben,  wie  es  dem  Frommen  geschieht,  der  herrlich  ist  im 
Hause  seines  Herrn. 

Wer  bist  du  denn,  o  mein  Vater  Amon?  Vergisst  ein  Vater 
seines  Sohnes?  Wahrlich  ein  elendes  Los  erwartet  den,  der  sich 
deinem  Willen  entgegensetzt;  gesegnet  aber  ist  derjenige,  der  dich 
kennet,  denn  deine  Thaten  gehen  hervor  aus  einem  Herzen  voll 
Liebe.  Ich  rufe  dich  an,  o  mein  Vater  Amon!  Sieh  mich  in  der 
Mitte  vieler  Völker,  die  mir  unbekannt  sind;  alle  Nationen  sind 
gegen  mich  vereinigt,  und  ich  bin  allein;  kein  Anderer  ist  mit  mir. 
Meine  vielen  Krieger  haben  mich  verlassen.  Keiner  meiner  Beiter 
hat  sich  nach  mir  umgesehen;  und  als  ich  sie  rief,  hat  Keiner  auf 
meine  Stimme  gehört.  Aber  ich  glaube,  dass  Amon  mir  mehr 
wert  ist,  als  eine  Million  von  Kriegern,  als  hunderttausend  Beiter 
und  zehntausend  Brüder  und  Söhne,  wären  sie  auch  Alle  versam- 
melt. Das  Werk  vieler  Menschen  ist  nichts;  Amon  wird  mächti- 
ger sein  denn  sie.« 

(Aus  Le  Page  Eenouf,  Ilihbert  Lecturea,  p.  227.) 


Ein  accadisches  Gebet. 

»0  mein  Gott,  Herr  des  Gebetes,  möge  mein  Gebet  dich  anreden! 

0  meine  Göttin,  Herrin  der  flehentlichen  Bitte,  möge  meine 
flehentliche  Bitte  dich  anreden! 

0  Mato  (Matu),  Herr  des  Gebirges,  möge  mein  Gebet  dich  an- 
reden! 

0  Gubarra,  Herrin  von  Eden  (sie),  möge  mein  Gebet  dich  anreden! 

0  Herr  des  Himmels  und  der  Erde,  Herr  von  Eridu,  möge  meine 

flehentliche  Bitte  dich  anreden! 
0  Merodach  ( Asar-raula-dag),   Herr  von  Tin-tir  (Babylon),  möge 

mein  Gebet  dich  anreden! 
0  Gattin  von  ihm  (dem  fürstlichen  Sprössling  (?)  des  Himmels  und 

der  Erde),  möge  meine  flehentliche  Bitte  dich  anreden! 
0  (Bote  des  Geistes)  des  Gottes,  der  (den  guten  Namen)  verkündet, 

möge  mein  Gebet  dich  anreden! 

0  (Braut,  Erstgeborne  von)  üras  (?],  möge  meine  flehentliche  Bitte 
dich  anreden! 

0  (Herrin,  die  den  feindlichen  (?)  Mund  bindet),  möge  mein  Gebet 
dich  anreden! 


Das  historische  Studium  der  Religion.  15 

0  (Erhmbene,  große  Göttio,  meine  Herrin  Nana),  möge  meine  flehent- 
liche ßitte  dich  anreden! 
Möge  sie  zn  dir  sagen:  »(Richte  dein  Auge  freundlich  auf  mich;.< 
Möge  sie  zu  dir  sagen:  »(Wende  dein  Angesicht  mir  freundlich  zu).« 
(Möge  sie  zu  dir  sagen:  »Es  ruhe  dein  Uerz.<) 
:Möge  sie  zu  dir  sagen:  »Deine  Leber  sei  beruhigt.«) 
(Möge  sie  zn  dir  sagen:  »Dein  Herz  sei  erfreut,  wie  das  Herz  einer 

Mutter,  die  Kinder  geboren  hat.«) 
v»Wie  eine  Mutter,  die  Kinder  geboren  hat,  wie  ein  Vater,  der  ein 
Kind  erzeugt  hat,  sei  es  erfreut. <)< 

(Sayce,  Hihbert  Lectures,  p.  336.) 

Ein  babylonisches  Gebet 

»0  mein  Gott,  der  du  heftig  (gegen  mich)  bist,  empfange  (meine 
flehentliche  Bitte'. 

0  meine  Gröttin,  du.  die  du  (über  mich)  aufgebracht  bist,  nimm 
(mein  Gebet)  an. 

Nimm  an  mein  Gebet,  (möge  deine  Leber  beruhigt  sein). 

0  mein  Herr,  langmütig  und]  erbarmungsvoll ,  (möge  dein  Herz 
TCraOhnt  sein). 

Bei  Tage,  das,  was  mich  zerstört,  dem  Tode  zuweisend,  o  mein 
Gott,  deute  (das  Traumgesiebt . 

0  meine  Göttin,  sieh  auf  mich  und  nimm  mein  Gebet  an. 

Möge  meine  Sünde  yergeben  sein,  möge  mein  Vergehen  wegge- 
waschen sein. 

Das  Joch  werde  abgenommen,  die  Kette  losgemacht. 

Mögen  die  sieben  Winde  mein  Stöhnen  hinwegtragen. 

Möge  ich  mein  Übel  abstreifen,  so  dass  der  Vogel  (es,  zum  Himmel 
hinauftrage. 

Möge  der  Fisch  mein  Unglück  hinwegtragen,  möge  der  Fluss  es) 
dahintragen. 

Möge  das  Reptil  des  Feldes  (es]  von  mir  empfangen;  mögen 
die  Wasser  des  Flusses  mich  reinigen,  wie  sie  dahin- 
fließen. 

Lasse  mich  glänzen,  wie  eine  Maske  von  Gold. 

Möge  ich  kostbar  sein  in  deinen  Augen  wie  ein  Becher  ;V  von 
Glas. 

Verbrenne  (?)  mein  Obel,  knüpfe  mein  Leben  zusammen ;  binde  zu- 
sammen deinen  Altar,  damit  ich  dein  Bildnis  auf- 
stelle. 

Lass  mich  von  meinem  Übel  hinweggehen,  nud  lass  mich  bei  dir 
bleiben. 


16  Einleitende  Yorleanng. 

Erleuchte  mich  und  lass  mich  einen  günstigen  Traum  träumen. 

Möge  der  Traum,  den  ich  träume,  günstig  sein;  möge  der  Traum, 
den  ich  träume,  bestätigt  werden. 

Verwandle  den  Traum,  den  ich  träume,  in  einen  Segen. 

Möge  Makhir,  der  Gott  der  Träume,  auf  meinem  Haupte  rahen. 

Ja,  lass  mich  eintreten  in  E-Sagil,  den  Palast  der  Götter,  den  Tem- 
pel des  Lebens. 

Merodach,  dem  erbarmungsvollen ,  der  Glückseligkeit,  den  gedei- 
henden Häuden,  vertraue  mich  an. 

Lass   mich   deine    Größe   erheben,   lass  mich   deine   Göttlichkeit 
preisen. 

Lass  die  Männer  meiner  Stadt  deine  mächtigen  Thaten  ehren.« 

(Sayce,  Hibhert  LecUtres^  p.  355.) 

Ein  Tedisches  Gebet. 

Rig-veda,  VIL  89: 

1.  Lass  mich  noch  nicht,  o  Vani;ia,  in  das  tönerne  Haus  ein- 
gehen; hab'  Erbarmen,  Allmächtiger,  hab'  Erbarmen! 

2.  Wenn  ich  zitternd  dahingehe,  wie  eine  vom  Winde  getrie- 
bene Wolke;  hab'  Erbarmen,  Allmächtiger,  hab'  Erbarmen! 

3.  Aus  Mangel  an  Stärke,  du  starker  und  glänzender  Grott 
bin  ich  ans  unrechte  Gestade  gegangen;  hab'  Erbarmen,  Allmäch- 
tiger, hab'  Erbarmen! 

4.  Durst  befiel  den  Verehrer,  wenn  er  gleich  in  der  Mitte  der 
Wasser  stand;  hab'  Erbarmen,  Allmächtiger,  hab'  Erbarmen! 

5.  Wenn  immer  wir  Menschen,  o  Varuwa,  einen  Verstoß  gegen 
die  himmlische  Schar  begehen;  wenn  immer  wir  aus  Gedanken- 
losigkeit das  Gesetz  verletzen;  füg'  uns,  o  Gott,  infolge  dieser 
Sünde  kein  Unheil  zu! 

(M.  M.,  Hiatory  of  Ancient  Sanskrit  Literaturen  p.  5-10.) 

Ein  anderes  vedisches  Gebet. 

Kig-vcda,  II.  28: 

Lass  uns  in  deinem  Dienst  gesegnet  sein,  o  Varnna;  denn 
wir  denken  allzeit  an  dich  und  preisen  dich,  Tag  für  Tag  dich 
grüßend,  gleich  den  Feuern,  die  auf  dem  Altar  angezündet  werden 
beim  Nahen  der  reichen  Morgenröten.    2. 

Lass  uns  in  deiner  Hut  stehen,  o  Varu^2a,  unser  Führer,  der 
du  heldenreich  bist  und  weit  gepriesen!  Und  ihr,  unbesiegte  Söhne 
der  Aditi,  nehmet  uns  gnädig  als  eure  Freunde  an,  ihr  Götter!   3. 

Aditya,  der  Herrscher,  hat  diese  Flüsse  ausgesandt,  sie  folgen 


Das  historische  Stadium  der  Religion.  17 

dem  Gesetze  Varnnas.  Sie  ermüden  nicht ,  sie  rasten  nicht;  gleich 
VOgeln  fliegen  sie  schnell  nach  allen  Seiten.    4. 

Nimm  von  mir  meine  Sünde,  gleich  einer  Fessel,  und  wir  wer- 
den, o  Varuna,  die  Quelle  deines  Gesetzes  fordern.  Möge  nicht 
der  Faden  (des  Lebens)  abreißen,  während  ich  meinen  Gesang 
webe!  Möge  nicht  die  Form  des  Arbeiters  vor  der  Zeit  zer- 
brechen!   5. 

Kimm  weit  Ton  mir  hinweg  diesen  Schrecken,  o  Varu/ta! 
Habe  £rbarmen  mit  mir,  o  gerechter  König!  Wie  den  Strick  von 
einem  Kalbe,  löse  von  mir  meine  Sünde;  fern  von  dir  bin  ich  nicht 
einmal  Herr  über  das  Zwinkern  meines  Auges.    6. 

Triff  uns  nicht,  o  Varuita,  mit  Waffen,  die  auf  dein  Gebeiß 
den  Missethiter  verletzen.  Lass  uns  nicht  dahin  gehen,  wo  das 
Licht  verschwunden  ist!  Zerstreue  unsere  Feinde,  auf  dass  wir 
leben!    7. 

Wir  sangen  dir  früher,  o  Varuna,  und  singen  dir  jetzt,  und 
werden  dir  in  Zukunft  auch  Lob  singen,  o  Mächtiger.  Denn  auf 
dir,  unbesiegbarer  Held,  ruhen  alle  Satzungen,  unerschütterlich  wie 
auf  einem  Felsen  gegründet.    8. 

Entferne  von  mir  alle  selbstbegangene  Sünde,  und  lass  mich. 
o  König,  nicht  leiden  für  das,  was  andere  begangen  haben !  Noch 
sind  viele  Morgenröten  nicht  aufgegangen;  verleihe  uns,  in  ihnen 
zu  leben,  o  Vamna!    9. 

(M.  M.,  Indien  in  seiner  weltgeschichtlichen  Bedeutung. 

p.  16S  fg.) 

Ein  avestiflehes  Gebet« 

1.  »Gresegnet  ist  der,  gesegnet  ist  Jedermann,  dem  Ahura- 
maxda,  der  durch  seinen  eigenen  Willen  herrschende,  die  beiden 
ewigwihrenden  Kräfte  Gesundheit  und  Unsterblichkeit  verleihet 
Um  eben  dieses  Gut  flehe  ich  dich  an.  Mögest  du  durch  deinen 
Engel  der  Frömmigkeit  mir  Glück  gewähren,  die  guten  wahren 
Dinge  und  den  Besitz  des  guten  Geistes. 

2.  Ich  glaube,  dass  du  das  beste  aller  Wesen  bist,  die  Quelle 
des  Lichts  für  die  Welt.  Jedermann  soll  an  dich  als  die  Quelle 
des  Lichts  glauben;  an  dich,  o  Mazda,  höchst  gütiger  Geist!  Du 
•chnfest  alle  guten  wahren  Dinge  vermittelst  der  Kraft  deines  ^u- 
ttü  Creistes  su  jeder  Zeit  und  du  versprachst  uns  langes  Leben. 

4.  Ich  will  glauben,  dass  du  der  mächtige  Wohlthäter  bist. 
o  Mazda!  Denn  du  gibst  mit  deiner  Hand,  die  mit  Hilfen  gefüllt 
ist  die  für  den  Bechtschaffenen  sowohl  als  für  den  Schlechten  gut 
Bind,    Termittelst  der   Wärme   des   die   guten   Dinge   stärkenden 

X»z  Maller,  Theosophi«.  2 


IS 


Eialuittind«  Vorlesuiit'' 


Feuors.    Au»  diesem  Grunde  ist  mir  die  Knifi  iKu  giilcu  Üfislun 
luger&lliin. 

5.  Also  glsubto  ich  an  dicb,  t>  Ahuramazda,  sie  den  FUrdorcr 
»lleB  Gaton;  n-eil  Ich  in  dir  die  uranfäDj^liche  llrenclie  des  l.ebeOB 
in  der  ScbSpfung  erblickte;  ilenn  du,  der  da  Beluhnungcin  Dir 
Tlinten  und  Wi>rte  lia^t,  hast  den  Btlscn  Übles  und  den  Gut«n 
Gutes  gegeben.  Icli  will  nn  dich,  o  Ahura,  glauben  in  der  letxten 
Periode  der  Welt. 

ü.  1d  welcher  Periode  nteines  Lobeus  auch  iniuior  ich  au  dich 
gluulite,  o  Mazda,  freigebiger  Geiat!  in  der  kämest  du  mit  Keich- 
tiira    und   mit  dem  guten  Geiet,   durch    desaen  Thäligkeit  unsere 

Anaiedeluugcn  gedeihen > 

:M.  Haug.  Efsaifi  on  the  Pariit,  p.  155  seq.,  aus  Vaann 

XLIH,  1~U;   siehe   auch  L.  B.  Hills,   Sarred  Booia  of 

ihe  EaxI,  Vol.  XXXI,  p.  9B,)  ■) 


Vergf^  AUS  den  (ÜkthttB  Zoroasters. 

•Dies  fiHgc  ich  dich,  u  AliumI  Sage  es  intr  der  Wahrheil 
gemüß:  Wenn  Lobpreisung  dargebrncht  werden  soll,  wie  (soll  ich 
vollenden)  die  Lobpreisung  von  Einem  gleich  dir,  o  MBEdaV  Müge 
lÜiDeT  gleich  dir  es  dem  Ftenode.  der  so  wie  ich  ist.  ernsUicb  er- 
klUrea,  daas  er  also  durch  dciuo  Frlimmlgkeit  uns  froundliche 
Hilfe  gewähre,  to  dass  Einer  gleich  dir  sich  uns  nSbere  durch 
ddinen  guten  Geiat.    I. 

Dies  frnge  ich  dich,  o  .\hura!  Sage  es  mir  der  Wahrheit 
geaiäO:  Wer  war  duruh  Zi:uguug  der  erste  Vater  des  Ordens  der 
Fnmiuieni'  Wer  gab  der  (»ioderkehrendeuj  Soune  and  den  Sternen 
ihren  (unwandelbaren)  Weg?  Wer  anders  als  du  bat  das  fest- 
geeetst,  wodurch  der  Mond  zunimmt,  nnd  wodarch  er  abnimiDtv 
Diese  Dinge,  o  großer  Scbüpfcr,  inüchte  ich  wiesen,  nnd  noch  an- 
dere obenfAlls.    3. 

Dies  frage  ich  dli'.h,  u  Ahurn!  Sage  ca  mir  der  Wahrheit 
guniül3:  Wer  bat  die  Erde  von  unten  nnd  die  Wolken  oben  ge> 
halten,  doas  aiu  uicbl  falb^nV  Wer  ni:ichte  die  Wasser  und  die 
Pfiannen'i'  Wer  hat  dem  Winde  die  Sturmwolkon,  die  achoellon 
und  flüchtigsten.  Eugosellt?  Wer,  o  großer  SchQpfer,  ist  der  Kr- 
weoker  der  gnten  Gedanken  (In  unseren  Seelen)'!*    4. 

Dies  frage  Ich  dich,  o  Ahiira!  Sage  rs  mir  der  Wahrheil 
gumäC:    Wer  bitt  als  ein  geschickter  Handwerker  die  Lichter  unJ 


I)  Sehr  abweichend  in  Spiegel.  . 
U,  143  fg. 


Das  historische  Stndium  der  Religion.  19 

die  Finsternis  gemacht?  Wer  hat,  als  ein  so  geschickter,  den 
Schlaf  und  das  Wohlbehagen  (der  Standen  des  Wachens)  gemacht? 
Wer  hat  die  Dämmerungen,  die  Mittagszaiten  and  die  Mittemacht 
aaagebreitet,  als  Mahner  fdr  den  verständigen  (Menschen),  als  der 
Pflicht  wahre  (Führer)?    5. 

Dies  frage  ich  dich,  o  Ahura!  Sage  mir  der  Wahrheit  ge- 
mäß: ob  sich  diese  Dinge,  die  ich  aussprechen  werde,  wirklich  so 
verhalten.  Vermehrt  die  Frömmigkeit  (die  wir  hegen)  wirklich  die 
heilige  Ordnung  in  unseren  Handlungen?  Diesen  deinen  wahren 
Heiligen  hat  sie  das  Reich  gegeben  durch  den  guten  Geist.  Ffir 
wen  hast  da  die  Mutterkuh  gemacht,  die  Uervorbringerin  der 
Freude?    6. 

Dies  frage  ich  dich,  o  Ahura!  Sage  es  mir  der  Wahrheit 
gemäß,  auf  dass  ich  über  diese  deine  Offenbarungen,  o  Mazda, 
nachdenke  und  über  die  Worte,  welche  dein  guter  Geist  (in  uns) 
von  dir)  erfragte,  and  über  das,  wodurch  wir  auf  deinen  Befehl 
zur  Vollendung  dieses  Lebens  gelangen  mögen.  Ja,  wie  kann 
meine  Seele  mit  Freudigkeit  an  Güte  zunehmen?    So  sei  es.    8. 

Dies  frage  ich  dich,  o  Ahura!  Sage  es  uns  der  Wahrheit 
gemäß:  Wie  soll  ich  diesen  Dämon  der  Lüge  verbannen  von  uns 
hier  zu  denen  unten,  welche  mit  aufrührerischem  Geiste  erfüllt 
sind?  Die  Freunde  der  Frömmigkeit  (wie  sie  in  deinen  Heiligen 
lebt)  gewinnen  kein  Licht  (von  ihren  Lehren),  auch  haben  sie  nicht 
die  Fragen  geliebt,  welche  dein  guter  Geist  (in  der  Seele  fragt  .<  13. 
(Yasna  XLIV.  L.  H.  Mills,  Sacred  Booka  of  the  Easf, 
vol.  XXXI,  pp.  111  seq.  ') 

Chinesisches  Gebet.    Gebet  des  Kaisers. 

>Zu  dir,  o  geheimnisvoll  wirkender  Schöpfer,  blicke  ich  auf 
in  Gedanken.  Wie  stattlich  ist  die  sich  ausdehnende  Wölbung, 
wo  da  wohnst  .  .  .  Dein  Diener,  bin  ich  nur  ein  Schilfrohr  oder 
eine  Weide;  mein  Herz  ist  nur  wie  das  einer  Ameise;  und  doch 
habe  ich  deinen  huldvollen  Beschluss  erhalten,  der  mich  zur  Herr- 
schaft über  dieses  Reich  einsetzt.  Tief  emp6nde  ich  das  Bewusst- 
sein  meiner  Unwissenheit  und  Blindheit,  und  ich  fürchte,  dass  ich 
mich  unwürdig  erweise  deiner  großen  Gunstbezeigungen.  Darum 
will  ich  alle  Regeln  und  Satzungen  beobachten,  bestrebt,  unbedeu- 
tend wie  ich  bin,  meine  gesetzliche  Pflicht  zu  erfüllen.  Weit  ent- 
fernt hier,  blicke  ich  auf  zu  deinem  himmlischen  Palaste.     Komme 


1]  Vgl.  Spiegel,  AceHa,  ins  Deutsche  übersetzt,  II,   140  ff. 

-  Aum.  des   Vbei's. 


•)* 


20 


KinleitODdu  Vork-sun^*. 


in  ilcinoiTi  kostbaren  Wugen  itun  Altäre.  Dein  DiL^nür.  nelgfl 
nieiti  nnupt  nur  Erde,  die  Fiillo  deiner  Gnade  ehrfurcUtavoli^ 
wartend.  Alle  meine  Beamton  einri  hier  ao  raeieer  Si^ite  auf 
stellt,  indem  sie  dir  freudig  Verehrung  dnrbriugen.  Alle  Oeister 
begleiten  dich  hIb  llUter,  von  Osten  nach  Westen  (die  Luft  crfUUetidj. 
Dein  Diener,  werfe  ich  mich  vor  dieh  hin,  dir  xu  begegnen,  und 
ehrfurchtsvoll  sehe  ich  deinem  Kommen  entgegen,  i>  üott.  0  dasa 
du  dich  borahließest  unsere  Spenden  auzunelimen  und  unser  au 
achten,  während  wir  dich  so  verehren,  dich,  dessen  GUte  nuer- 
schUpflich  ist!- 

•Du  hast  dich  heriibgelaasen,  o  Gott,  nna  zu  hliren,  denn  du 
siehst  uns  an  wie  eiu  Vuter  Ich.  dein  Kind,  einfältig  und  uner- 
leuchtet,  hin  nicht  im  sUnde.  meine  Gefühle  der  Pflichtergebeolielt 
an  den  THg  zu  legen.  Ich  danke  dir,  dass  du  die  Kundgebung 
angenommen  hast  Ehrenvoll  ist  dein  gruGer  Name.  Hit  Ehrfurcht 
bretlen  wir  diese  Edelsteine  und  Setdenetoffu  aus,  und  wie  Soliwal- 
ben,  die  sich  des  FrUhlinga  freuen,   preisen   wir  die    Fülle  deiner 

(Ans  dem  kaiserlichen  Gebetbuch  xur  Zeit  dea  Kaj- 
sera  Keatstng.  Stehe  James  Legge.  On  the  Notim 
of  Ihe  (JhiniaB  noHrerning  God  and  Spiriln.  Houg-kn 
ISä!,  p.  24.    Dieses  Gebet  ist  modernen  Dalut 


HHlummeduilsctieB  Olaobeuabebenntola. 

Koran,  II.  255—256: 

>0  ihr  Gläubigen!  gebt  von   demjenigen,  was  wir  euoii] 
eurem  L'utL'vhalle  verlieben  haben,  ehe  der  JUngate  Tag  e 
An  diesem  Tage  wird  kein  Handel,  keine  Freundschaft,  keino  | 
littto  alattünden.    Die  Ungläubigen  sind  boshafte  Leute. 

Gott  ist  Gott!  Es  ist  sonst  kein  Gott,  wie  er!  1 
lebende,  der  AllselbatSndige  ist  er!  Kein  Schlaf  Uberfilllt  1 
kein  Schlummer  nimmt  ihn  ein.  Sein  ist,  was  in  dem  Bimmel  t 
auf  der  Krde  ist.  Wer  kann  bei  ihm  eine  Fürbitte  einlegen,  obilt 
dnss  er  es  erlaubt?  Daa  Vergaugene  nnd  diis  Zukünftige  weiß  er. 
Die  Henscben  können  von  ihm  nichts  wissen,  als  was  er  will,  dssa 
s\ii  von  ihm  wissen  solleu.  Sein  Tliron  ist  Uhor  die  Himmel  nnd  Erde 
»uagedohnl,  und  die  Erhaltung  beider  vollzieht  er  ohne  Beschwerde. 
Der  Höchste  ist  er.    Der  MMciitigste  ist  er.« 

(Nach   der  deutschen  Cberseitnng  des  Koran  von 
F.  E.  Boysun  und  S.  F.  G.  Wahl,  Halle  ISlh,  p.3».)i) 

1)  Der  Verfasser  citlert  dieses  Gebet  nach  Falmera  Übersetzung 


Das  historische  Stadiam  der  Religion.  21 

Nen-iiidiBeheg  Gebet. 

1.  >Wa8  immer  gemacht  worden  ist.  hat  Grott  gemacht.  Was 
immer  gemacht  werden  soll,  wird  Gott  machen.  Was  immer  ist, 
macht  Gott,  —  warum  also  bekümmert  sich  irgend  Einer  von  euch? 

2.  Dada  sagt :  Da,  o  Gott,  bist  der  Urheber  aller  Dinge,  welche 
gemacht  worden  sind,  nnd  von  dir  werden  alle  Dinge  entstehen, 
die  SU  machen  sind.  Du  bist  der  Macher  und  die  Ursache  aller 
gemachten  Dinge.    Es  gibt  keinen  Anderen  außer  dir. 

3.  Er  ist  mein  Gott,  der  alle  Dinge  vollkommen  macht.  Sinne 
nach  über  ihn.  in  dessen  Händen  Leben  und  Tod  sind. 

4.  Er  ist  mein  Gott,  der  Himmel,  Erde,  Hölle  und  den  Mittel- 
räum  geschaffen;  der  der  Anfang  und  das  Ende  aller  Schöpfung 
ist:  und  der  für  Alle  sorgt. 

5.  Ich  glaube,  dass  Gott  den  Menschen  geschaffen,  und  dass 
er  Alles  macht    Er  ist  mein  Freund. 

6.  Möge  Glaube  an  Gott  alle  eure  Gedanken,  Worte  und 
Thaten  charakterisieren.  Wer  Gott  dienet,  setzt  auf  nichts  An- 
deres Vertrauen. 

7.  Wenn  die  Erinnerung  an  Gott  in  euren  Herzen  ist,  so 
werdet  ihr  im  stände  sein  Dinge  zu  vollführen,  die  undurchführ- 
bar sind.    Doch  deren ,  die  Gottes  Wege  suchen,  gibt  es  Wenige ! 

S.  Wer  es  versteht,  seinen  Beruf  sündlos  zu  machen,  wird  in 
diesem  Berufe  glücklich  sein,  vorausgesetzt,  dass  er  mit  Gott  ist. 

9.  OThörichter!  Gott  ist  nicht  fern  von  dir.  Er  ist  dir  nahe. 
Du  bist  unwissend,  aber  er  weiß  Alles  und  ist  vorsichtig  im  Ge- 
währen. 

10.  Was  immer  der  Wille  Gottes  ist,  wird  sicherlich  gesche- 
hen. Darum  zerstöre  dich  nicht  selbst  durch  Sorge  und  Kummer. 
sondern  höre. 

11.  Missgeschick  ist  gut,  wenn  es  um  Gottes  willen  sich  ereig- 
net: aber  es  ist  zwecklos,  den  Körper  zu  quälen.  Ohne  Gott  sind 
die  Annehmlichkeiten  des  Reichtums  nutzlos. 

12.  Wer  nicht  an  den  Einen  Gott  glaubt,   hat  einen  unsteten 


in  den  Sacred  Books  of  the  Ecmt.  vol.  VI,  p.  39  seq.  >In  dem  Ori- 
ginale lautet  diese  fast  unübersetzbare  Stelle,  die  den  Muham- 
medanem  besonders  heilig  ist.  ungemein  prächtig. <  bemerkt 
Boysen;  und  Wahl  fügt  hinzu,  dass  diese  Stulle  Gutt  ist  Gott' 
0.  8.  w.  der  Vers  des  Thrones  genannt  wird,  »weil  Mubammed,  als 
er  denselben  empfing,  den  Himmel  geöffnet  und  den  Thron  Gottes 
vor  demselben  schwebend  gesehen  haben  soll.« 

Aum.  des    Uhercs. 


22 


Einlei tendo  Vurlosiing. 


iletst;    er  wird   in  Sorgen  soiQi    wono   er  ^Ipich   im  Bosilze  von 
KeichtUiuerD  ist:  aber  Gott  ist  iioscbäialiiir. 

13.  Gott  ist  meine  Gleidung  und  meine  Wo1in>iDg,  Er  ist 
mein  Bensohcr,  mein  Kitrpor  und  meine  Seele. 

U  Gott  hegt  nud  väeft  seine  GescliUpfe  imtuenlur:  bu  wie 
eine  Mutter  ilir  Kind  pflegt  und  es  vor  Leid  bevithrt 

|.>.  0  Ciott,  du,  der  du  dio  Wabrbeit  bist,  verleibt-  mir  Zu- 
friedenheit, Liebe,  Ergebung  und  Glaiilien.  Dein  Kneulil  Dadn 
betet  um  wulirc  Geduld,  und  durum,  dnss  er  dir  ergeben  iei,< 

.Vcrae   von   Lludu.    dem  Gründer   der  Dadupanthi- 
Sekte.  uo^-efäbr  lÜUU  u.  Cbr) 

loli  gestehe,  ilass  mir  das  UerE  vor  Freude  höher  schlägt, 
wenn  ich  auf  BOtche  Aaßerangen  in  den  heiligen  BOohäin 
des  Oatoas  stoße.  Eiue  ptfttEliche  Helle  scheint  sich  Olter 
die  dunkelsten  Thüler  der  Erde  zu  verbreiten.  Wir  erfahren, 
dnsa  keine  mensclilluhe  Seele  je  ^anz  vergessen  ward,  nnd 
daäs  es  keine  Wolken  dos  Aberglanbena  gibt,  durch  welche 
die  Strahlen  ewiger  Wahrlioit  Dicht  hindurchdringen  kdnneti. 
Solche  Augenblicke  sind  der  beste  Lohn  für  den  Reli^ont- 
forscher  —  es  sind  Augenblicke  wahrer  Offenbarung,  indem 
sie  die  Thatsacho  offenbaren,  dass  Oott  keines  aeioer  Kindw 
vorUesen  hat,  wenn  sie  ihn  nur  suchen,  ob  sie  doch  Um 
fllhleu  nud  linden  mochten.  Ich  weiß  recht  gut,  wie  leicht  «t 
ist,  diese  kindischen  Versuche,  iui  Unnkeln  den  Weg  in  findm, 
zu  bekritteln,  und  wie  gerne  die  Leute  in  ein  Gelächter  ein- 
stimmen, wenn  man  sie  anf  irgend  eine  sonderbare  und  ftf 
uusere  Begriffe  groteske  Ausdrucksweise  in  den  Gebeten  der 
alten  Welt  aufmerksam  macht.  Wir  wissen,  dass  vom  Er- 
hahouen  zum  Lächerlichen  nur  Ein  Schntt  ist.  and  nirgends 
ist  die»  ao  «ehr  der  Fall,  als  in  der  ICeligion.  JelAleddtn* 
Lelire  in  seinen  Uesnevi  dflrfte  vielleicht  auch  bei  modernoii 
Spöttern  nicht  weggeworfen  sein. 


HoHea  and  der  Scliüfer. 

•Muses  hOrte  einst  einen  Scbllfcr  folgcndcraiaßon  beten: 
'0  Ooll,  xeige  mir,  wo  du  bist,  damit  ich  dein  Diener  werde. 


Das  historische  Stadium  der  Religion.  23 

Ich  will  deine  Schuhe  patzen,  dir  das  Haar  kammeD.  deine 
Kleider  niüien  und  dir  Milch  holen/  Als  Moses  ihn  anf  diese 
sinnlose  Weise  beten  hörte,  tadelto  er  ihn.  indem  er  sagte: 
'0  Thdrichter.  obgleich  dein  Vater  ein  Mnselmann  war.  bist 
da  ein  CngUabiger  geworden.  Gott  ist  ein  Geist  and  bedarf 
so  grober  Dienstleistangen  nicht,  wie  da  sie  in  deiner  Un- 
wissenheit voranssetzest.*  Der  Schäfer  war  beschämt  Aber 
diesen  Vorwarf,  zerriss  seine  Kleider  and  floh  in  die  Wfiste. 
Da  ward  eine  Stimme  vom  Himmel  vemommen,  die  rief:  '0 
Moses,  weshalb  hast  da  meinen  Diener  hinweggejagt?  Dein 
Amt  ist  es.  meine  Lente  mit  mir  zu  yersöhnen,  nicht  sie  von 
mir  hinwegzatreiben.  Ich  iiabe  jedem  Volke  verschiedene 
Gebrlocbe  und  Formen  gegeben,  mich  zu  preisen  und  anzu- 
beten. Ich  bedarf  ihrer  Lobpreisungen  nicht,  da  ich  fiber 
alle  solche  Bedflrfnisse  erhaben  bin.  Ich  sehe  nicht  auf  die 
Worte,  die  gesprochen  werden,  sondern  auf  das  Herz,  das 
sie  darbringt.  Ich  brauche  nicht  schöne  Worte,  sondern  ein 
glQhend  Herz.  Mannigfach  sind  die  Wege  der  Menschen,  mir 
Andacht  zu  beweisen,  so  lange  aber  die  Andacht:*bczeiguD<ren 
echt  sind,  werden  sie  angenommen.' c 

Vorteile  der  vergleichenden  Beliglonswissensehaft« 

Ich  habe  nie  ein  Hehl  aus  meiner  Überzeugung  gemacht. 
dass  ein  vergleichendes  Studium  der  Religionen  der  Welt  den 
Glauben  an  unsere  eigene  Religion  nicht  nur  nicht  untergräbt. 
sondern  vielmehr  nur  dazu  dient,  uns  deutlicher  sehen  zu 
lassen,  worin  der  unterscheidende  und  wesentliche  Charakter 
der  Lehren  Christi  besteht,  und  uns  hilft  den  starken  Felsen 
n  entdecken,  auf  den  die  christliche  sowohl  als  jede  andere 
Reügion  gegründet  sein  muss. 

Wie  aber  ein  guter  Feldherr,  wenn  er  eine  Festung  ver- 
teidigen will,  oft  darauf  bestehen  muss.  dass  die  Landhäuser 
ud  Lustgärten  der  Umgegend  dem  Erdboden  gleichgemacht 
Verden,  damit  sie  nicht  dem  Feinde  zum  Schutze  dienen. 
so   mflssen    auch    diejenigen,    welche    die    feste    Burg    ihrer 


2^1 


Efnleitemle  Vorlee iinp. 


lügenen  Religion  verteidigen  wollen,  oft  darauf  bestehen. 
die  sußenliegcnden  VerBchanznngen  and  nntzlosen  W&Ue  en 
xerstOrcn,  welche  zwar  Vielen  durch  langt)  Gowohnheil  lieb 
und  leni^r  gevordcD  sind,  aber  keine  wirkliche  Biehcrlieit 
bieten,  ja  EOgar  gef&hrlicli  werden  kOuiien,  insofern  sie  dem 
Feinde  Hilfe  gewähren,  d.  h.  denjenigen,  welche  deu  Felsen 
KU  untergraben  suchen,  auf  den  alle  wahre  —  man  nenne 
sie  natürliche  oder  Ubernalürliche  —  Religion  gegröndet  Bein 
muss. 

Es  ht  zum  Beispiel  ganz  richtig,  dass  die  Thataache, 
(lass  wir  fast  in  jeder  Religion  aaf  sogenannte  Wunder  stoßen, 
nicht  ohne  Einflusj  auf  nns  bleiben  kann  und  selbst  unseren 
licgriiT  des  Wunders  verändern  mnss.  Weun  die  vevgleiehende 
Theologie  uns  irgend  etwas  gelehrt  hat,  so  Ist  es  dies,  dass 
der  Ulaube  au  Wunder,  weit  entfernt  nnmSglich  zu  sein,  fast 
na  verm eidlich  ist,  und  dass  derselbe  überall  aus  derselben 
Quelle  entspringt,  aus  einem  tiefen  Gefühl  der  Ehrfurcht,  das 
Mftnuer,  Frauen  und  Kinder  für  die  Stifter  und  Lehrer 
ihrer  Religion  hegen.  Dies  verleiht  allen  Wundern  eine  neue, 
möglich  erweise  eine  tiefere  Bedeutung.  Es  befreit  uns  sofort 
von  all  den  endlosen  KrSrterungen  darüber,  was  möglieb, 
wahracbeiulich  oder  wirklich,  und  was  vernünftig  oder  unver- 
nünftig, natürlich  oder  Übernatürlich  sei.  Es  gibt  nns  wahre 
mim  statt  kleiuor  miracula,  es  macht  uns  ehrlich  gegen  uns 
selbat  und  ehrlich  gegen  den  Stifter  unserer  eigenen  Religion. 
Es  versetiit  uns  iu  eine  neue  und  wirkliche  Welt,  wo  Alles 
wunderbar,  Alles  hewuuderungswfirdig  ist,  wo  kein  Platz  fUr 
kleine  Uberrasobungou  bleibt,  eiue  Welt,  in  der  kein  Sperling 
auf  die  Erde  fiillet  ohne  den  Vater,  eine  Weit  des  Glaubens 
und  nicht  des  äcbaueus.  >)  Wenu  wir  die  Bebandluug,  welche 
die  Wunder  von  seilen  Humes  erfuhren,  mit  der  vergleichen, 
welche  ibneu  jetzt  von  aeiten  der  vergleichenden  Relifciuna- 
forscher   zu  teil   werden,   so   sehon   wir,   daas  die  Welt,  Ja 


1 !  Siehe  eioiKe  auBgezeichnelo  ll«nierkun)^en  Über  dioM-n  Punkt 
U  dOB  Kev.  Charles  Quro  Uamptan  LeHurei,  p.  13U, 


Das  historische  Stadium  der  Religion.  25 

s<^ar  die  theologische  Welt,  deDn  doch  vorwärts  rückt.  Nur 
Wenige  werden  heutzutage  leugnen  ^  dass  Christen  ohne 
das.  was  man  den  Glauben  an  Wunder  nannte.  Christen  sein 
können;  ja  Wenige  werden  leugnen,  dass  sie  ohne  diesen 
Glanben  bessere  Christen  sind,  als  mit  demselben.  Was  der 
Tergleichende  fieligionsforscher  mit  der  Einen  Hand  weg- 
nimmt, das  gibt  er  mit  der  andern  hundertfältig  wieder 
znrtlck.  Dass  in  unseren  Tagen  ein  Mann  wie  Professor  Hux- 
lej  seine  Zeit  damit  yerschwenden  musste,  die  Unmöglichkeit 
des  Wunders  von  den  Gergesenem  durch  wissenschaftliche 
Argumente  zu  beweisen,  wird  in  kommenden  Zeiten  als  Eines 
der  sonderbarsten  Überlebsel  in  der  Geschichte  der  Theologie 
anfgefUrt  werden. 

Was  ich  f&rchtete.  als  ich  diese  Vorlesungen  hielt, 
waren,  ich  muss  gestehen,  nicht  so  sehr  die  Schmähungen 
derjenigen,  welche  sich  wie  Heinrich  VIIL  die  Verteidiger 
des  Glaubens  nennen,  als  die  Verdächtigungen  derjenigen. 
welche  meine  YÖliige  Ehrlichkeit  und  Unparteilichkeit  an- 
zweifeln könnten,  wenn  ich  das  Christentum  yerteidigte.  indem 
ich  zeigte,  dass  es,  wenn  es  nur  gehörig  verstanden  wird. 
•her  alle  anderen  Religionen  unendlich  erhaben  sei.  Eine 
gute  Sache  und  eine  heilige  Sache  gewinnt  nichts  durch  eine 
nnehiüche  Verteidigung,  sie  wird  durch  eine  solche  nur  ge- 
ächidigt.  und  ich  mache  denen  keinen  Vorwurf,  welche  von 
einem  ^chrisÜichen  Advokaten'  (eine  Stelle,  die  bis  vor  kurzem 
in  Cambridge  unterhalten  wurde,  der  die  Sache  des  Christen- 
tuns gegen  alle  anderen  Religionen  zu  fuhren  hat.  nichts 
wissen  wollen.  Aus  diesem  Grunde  waren  mir  die  Angriffe 
gewisser  christlicher  Theologen  eigentlich  höchst  willkommen. 
denn  sie  haben  jedenfalls  gezeigt,  dass  ich  nicht  ihr  Ver- 
treter bin,  und  dass  ich  und  diejenigen,  welche  meine  Über- 
zengongen  ehrlich  teilen,  wenn  wir  ein  vollkommcDcs  Recht 
aif  den  Namen  von  Christen  für  uns  in  Anspruch  nehmen. 
dies  mit  gutem  Gewissen  thun  können.  Wir  haben  das 
Christentnm  der  strengsten  Kritik  unterworfen  und  haben  es 
■iekt  zn  leicht  befunden.    Wir  haben  getLan.  wozu  Paulus  jeden 


26 


Einleitende  Vorlesung. 


Christen  aufifordert,  wir  haben  Alles  geprüft,  wir  haben  uns 
nicht  gescheut,  das  Christentum  mit  jeder  beliebigen  anderen 
Religion  zu  vergleichen,  und  wenn  wir  es  beibehalten,  so 
thaten  wir  es  aus  keinem  anderen  Grunde ,  als  weil  wir 
es  für  das  Beste  befunden  haben.  Alle  Religionen,  das 
Christentum  nicht  ausgenommen,  scheinen  in  der  That  weit 
mehr  von  ihren  Verteidigern  als  von  ihren  Angreifern  ge- 
litten zu  haben,  und  ich  kenne  sicherlich  keine  größere  Gefahr 
für  das  Christentum,  als  jene  Verachtung  der  Natürlichen 
Religion,  welcher  in  jüngster  Zeit  mit  solcher  Heftigkeit  Aus- 
druck gegeben  worden  ist  von  denen,  welche  sowohl  den 
Gründer  dieser  Lektorstelle  über  Natürliche  Religion,  als  auch 
die  Lektoren,  ja  selbst  diejenigen,  welche  es  gewagt  haben, 
deren  Vorlesungen  zu  besuchen,  so  hartnäckig  angegriffen 
haben. 


Zweite  Vorlesonsr 


o 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  Bächer  ontersocht. 


HM^risehe  Doknente  fir  das  SUdiam  des  rrspniB^s 

der  Reli^on« 

Man  hat  die  Orientalisten  oft  beschuldigt,  dass  sie  den 
Wert,  den  die  heiligen  Bflcher  des  Ostens  für  das  Stndinm  des 
Ursprungs  und  Wachstums  der  Religion  haben,  fibertreiben. 
Es  Itsst  sich  wohl  nicht  leugnen,  dass  diese  Bücher  yiel 
weniger  vollkommen  sind,  als  man  wünschen  könnte.  Es  sind 
■ur  armselige  Fragmente,  und  die  Zeit,  wo  sie  gesammelt 
■nd  niedergeschrieben  worden  sind,  ist  in  den  meisten  Fällen 
weit  entfernt  Ton  dem  Datum  ihrer  ursprünglichen  Abfassung, 
geschweige  denn  von  den  Zeiten,  die  sie  zu  schildern  vor- 
geben. Das  ist  Alles  ganz  richtig:  aber  meine  Kritiker  hatten 
wissen  sollen,  dass  ich.  weit  entfernt,  diese  Thatsachen  ver- 
bergen zu  wollen,  selbst  der  Erste  gewesen  bin.  der  immer 
wieder  auf  dieselben  aufmerksam  gemacht  hat.  Wo  immer 
wir  eine  Religion  finden,  ist  sie  stets  längst  über  die  Jahre 
der  Kindheit  hinaus:  sie  ist  zumeist  völlig  ausgewachsen  und 
letzt  eine  Vergangenheit  voraus,  die  kein  historisches  Blei- 
lot ergrflnden  kann.  Selbst  was  moderne  Religionen,  wie  das 
Ckristentum  und  den  Islam  anbelangt,  so  wissen  wir  gar 
wenig  über  ihre  eigentlichen  historischen  Anfänge  oder  An- 
tecedentien.  Wenn  wir  auch  deren  W^iege  und  diejenigen. 
velche  dieselbe  umstanden,  kennen,  so  scheint  doch  die  ge- 
waltige Persönlichkeit  der  Stifter  in  jedem  solchen  Falle  Alles. 


28  Zweite  Vorlesung. 

was  um  sie  herum  vorging  und  was  vor  ihnen  lag,  über- 
schattet zu  haben;  ja  es  mag  zuweilen  die  Absicht  ihrer 
Schüler  und  unmittelbaren  Anhänger  gewesen  sein,  die  neue 
Religion  als  ganz  neu,  als  recht  eigentlich  die  Schöpfung 
Eines  Geistes,  darzustellen,  was  ja  doch  eine  historische 
Religion  nie  sein  kann.  ^)  Was  nun  ältere  Religionen  anbelangt, 
so  können  wir  schwerlich  jemals  hoffen,  bis  zu  ihren  tiefsten 
Quellen  zu  gelangen,  so  wenig  als  wir  hoffen  können,  je  die 
tiefsten  Schichten  alter  Sprachen  zu  erreichen.  Und  doch  zeigt 
die  Religion,  ebenso  wie  die  Sprache,  überall  die  deutlichsten 
Spuren  historischer  Antecedentien  und  einer  ununterbrochenen 
Entwicklung. 

Religiöse  Sprache. 

In  meinen  früheren  Vorlesungen  habe  ich  es  mir  ange- 
legen sein  lassen,  zu  zeigen,  dass  es  nur  Einen  Weg  gibt, 
auf  dem  wir,  so  zu  sagen,  hinter  jene  Phase  einer  Religion, 
welche  uns  in  ihren  heiligen  oder  kanonischen  Büchern  vor- 
liegt, zurückgehen  können.  In  der  Sprache  der  Religion,  in 
den  Namen  der  verschiedenen  Gottheiten  und  in  dem  Namen, 
welcher  am  Ende  als  der  des  Einen  wahren  Gottes  übrig 
bleibt,  liegen  thatsächlich  manche  der  wertvollsten  Dokumente 
für  die  Geschichte  der  Religion  eingebettet.  Auch  gewisse 
Ausdrücke  für  *Opfer ,  für  'Sünde',  für  *Atem'  und  'Seele 
und  so  fort,  erschließen  uns  gelegentlich  manche  von  den 
religiösen  Ideen  der  Menschen,  unter  denen  diese  heiligen 
Bücher  entstanden.  Ich  habe  auch  zu  zeigen  gesucht,  wie  viel 
sich  aus  einer  Vergleichung  dieser  alten  religiösen  Terminolo- 
gien entnehmen  lässt,  und  wie  insbesondere  die  religiöse 
Terminologie  des  alten  Indien  auf  viele  der  religiösen  Aus- 
drücke, welche  selbst  im  Griechischen  und  Lateinischen 
dunkel  und  ganz  und  gar  bedeutungslos  geworden  sind,  ein 
höchst  erwünschtes  Licht  wirft. 

1;  Siebe  Kuenen,  Uihhert  Lectun-a,  p.  Ib9  seq. 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  BQcher  untersacht  29 

Beslßen  wir  nicht  die  im  Veda  enthaltenen  Zengniase. 
wie  bitten  wir  gewnsst.  da^  Zeos  nrsprfinglieh  das  helle 
Lieht  des  Firmaments  bedeutete,  nnd  dass  dens  zuerst  ein 
AdjektiT  war  nnd  'gUlnzend*  hieß?  Den  Unglünbigen,  oder 
rielmebr  den  Unwissenden,  welche  nicht  einsehen  wollen, 
dass  das  Pantheon  des  Zens  nicht  Ton  Zens  selbst  losgetrennt 
werden  kann,  nnd  dass  die  anderen  olympischen  Götter  dieselben 
phjaischen  Anfänge  gehabt  haben  mfissen.  wie  Zens,  der  Vater 
der  Gotter  nnd  Mensehen,  kann  diese  Lehre  von  Zens  oder 
Japüer  nicht  oft  genng  in  die  Ohren  gemfen  werden.  Es 
gibt  noch  immer  ein  paar  Ungläubige,  die  ihr  weises  Hanpt 
ichfitteln,  wenn  man  ihnen  sagt,  dass  Erinys  die  Dämme- 
rung. Agni  das  Feuer,  und  Marut  oder  Mars  den  Sturm- 
wind bedeutete,  ganz  eben  so  sicher  als  dass  Eos  die  Morgen- 
röte. Helios  die  Sonne  und  Selene  den  Mond  bedeutete. 
Wenn  nicht  dies,  was  denn  bedeuteten  diese  Namen,  es  wäre 
denn,  dass  sie  gar  keine  Bedeutung  hätten! 

Haben  wir  einmal  in  dieser,  der  frühesten  Keimstufe 
religidsen  Denkens  und  Sprechens  einen  wirklichen  historischen 
Hintergnini  für  die  Religionen  Indiens.  Griechenlands  und 
Rons  gewonnen,  so  haben  wir  uns  eine  Lehre  zu  eigen  ge- 
■aebt.  die  wir  —  obgleich  allerdings  mit  gewissen  Modifi- 
kationen —  mhig  auch  auf  andere  Religionen  anwenden 
k^sen.  die  Lehre  nämlich,  dass  in  jedem  göttlichen  Namen 
eine  Bedeutung  liegt,  und  dass  zwischen  einer  Religion  und 
der  Sprache,  in  der  sie  geboren  ward  und  in  die  Welt  hioaus- 
gcüchickt  wurde,  eine  innige  Wechselbeziehung  herrscht. 
Dau  erst  können  wir  zu  den  heiligen  Bflchem  fibergehen 
lad  aas  ihnen  so  viel  Belehrung  als  nur  möglich  sammeln 
ii  Bezng  auf  die  großen  Religionen  der  Welt  in  ihrer  späteren 
kiMrischen  Entwicklung. 

Litterarisehe  Dokumente. 

Und  hier  —  was  man  auch  sagen  mag.  uro  das  Gegen- 
teil xa  beweisen  —  haben    wir    nichts   Wichtigeres,   nichts. 


30  Zweiie  VurieBüiig. 

worauf  wir  uns  mit  giCtCerer  Siclierlieit  verlassen  köuaen,  als 
die  litterariscben  OoknineDle,  welche  cinigo  der  alten  Keli- 
gionen  der  Welt  una  liinlerlasaen  haben,  und  welche  von  den 
Allen  selbst  als  höchste  Anturitlit  unerkannt  wurden.  Diese 
Materialien  sind  erat  in  den  leinten  Jnhreu  zugünglioli  ge- 
worden, und  ich  habe  es  mir  ungelegen  sein  lassen,  unter 
der  Mitwirkung  einiger  meiner  Freunde,  eine  große  Samm- 
lung von  Cberselxungen  dieser  heiligen  Bücher  des  Oslens 
herauBEUgeben.  Diese  Sammlung  belauft  sich  jetzt  auf 
49  Bände,  und  sie  wird  in  itukunft  jeden  vergleichenden 
RoligioDsforscber  in  den  Stand  setzen,  sieb  über  den  wahren 
Charakter  der  religiösen  Meinungen  der  Ilauplvölker  des 
Altertums  eine  eigene  Meinung  zu  bilden. 

Modernes  Datum  der  h«IU^&  BUcher. 

Wenn  man  diesi;  BUcher  modern  nennen  will,  so  habe 
ich  nichts  dagegen,  nur  vergesse  man  nicht,  dass  es  jeden- 
falls nichts  Älteres  in  irgend  einer  Litteratnr  gibt.  Man 
kann  sagen,  dass  fast  in  jedem  Lande  die  Qoachichte  der 
Litlerutur  mit  heiligen  BOcbern  beginn).  Ja  daaa  die  Idee 
einer  Litteratnr  selbst  von  diesen  heiligen  BOcbern  herstammt 
Die  Litteratnr.  zum  mindesten  eine  geschriebene  Litleratur, 
und  gar  eine  Litteratnr  in  alphabetischer  Schrift  ist  schon 
ihrer  Natur  Dach  eine  sehr  moderne  Erfindung.  Es  kann 
keinem  Zweifel  nnterliegen,  dass  der  Ursprung  aller  alten 
Ueligionen  der  Welt  auf  eine  Zeit  zurückgeht,  wo  das  Schreiben 
ftlr  lilterarische  Zwecke  noch  ganz  unbekannt  war.  Ich  bin 
nucb  immer  der  Meinung,  dass  das  BOchersch reiben  oder 
das  SobreibcD  fUr  litterarischo  Zwecke  nirgends  in  der 
(Jescbichle  der  Welt  lange  vor  dem  siebenten  Jahrhundert 
V.  Chr.  aultrilt.  Ich  weiß,  dass  ich  fast  allein  damit  stehe, 
dass  ich  das  Vorhandensein  einer  geschriebenen  Litteratur, 
wirklicher  BQcher,  die  von  der  grollen  Masse  des  Volkes 
gelesen  werden  sollten,  üo  spxt  datiere.  Mir  sind  aber  keio« 
Thaisacheu  bekannt,  die  uns  in  den  Stand  setzen  wurden,  res 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  Bücher  untersucht.  31 

einer  Littentar  im  wahren  Sinne  des  Wortes  vor  diesem 
Datnm  mit  ZuTersicht  zn  sprechen.  Man  hat  mir  eingewendet 
daas  das  allerspiteste  Datum,  welches  nach  der  einstimmigen 
Meimuig  alier  kompetenten  Semitologen  für  die  E^Doknmente 
des  A.  T.  fiuert  worden,  das  Jahr  750  v.  Chr.  ist.  Allein 
Niemand  hat  gezeigt,  in  was  f&r  einem  Alphabet,  ja  anch 
nur  in  was  für  einem  Dialekt  dieselben  damals  geschrieben 
worden  wiren.  Man  hat  mich  auch  an  das  viel  frühere  Datnm 
einer  igyptischen  and  einer  babylonischen  Litteratnr  erinnert, 
aber  ich  dachte,  ich  hätte  mich  sorgfältig  dagegen  verwahrt, 
einer  solchen  Mahnung  zu  bedflrfen.  indem  ich  nur  von 
Bftchem  in  alphabetischer  Schrift  sprach.  Bficher  setzen 
nicht  nur  das  Vorhandensein  von  Leuten  voraus,  welche 
sehreiben,  sondern  auch  von  Leuten,  welche  lesen  können, 
ad  deren  Zahl  muss  im  Jahre  750  gar  sehr  gering  ge- 
wesen sein. 

Lenten.  welche  mit  all  der  Kraft  des  menschlichen  6e- 
diehtnisses,  wenn  es  gut  gedrillt,  oder  vielmehr  wenn  es 
lieht,  wie  das  unsrige,  systematisch  zu  Grunde  gerichtet  wor- 
den ist,  nicht  bekannt  sind,  mag  es  fast  unglaublich  vorkommen. 
dass  Ton  der  alten  traditionellen  Litteratur  so  viel  verfasst 
worden  ist  und  sich  Jahrhunderte  lang  erhalten  hat.  ehe  es 
eidgftltig  der  Schrift  anvertraut  ward.  Immerhin  haben  wir 
et  so  weit  gebracht,  dass  Jedermann  jetzt  zugibt,  dass  die 
Dichter  des  Yeda  ihre  Hymnen  nicht  geschrieben,  und  dass 
Zoroaster  keine  schriftlichen  Dokumente  hinterlassen  hat.  Es 
^bt  im  Veda  kein  Wort  fflr  'Schreiben.,  und.  wie  Haug 
\Euay9  on  the  Parsis,  p.  136  n.  gezeigt  bat.  auch  nicht  im 
Aveita.  Ich  selbst  habe  darauf  hingewiesen,  wie  vertraut  die 
Verfasser  gewisser  Bficher  des  Alten  Testaments  mit  der 
Idee  des  Schreibens  gewesen  zu  sein  scheinen,  und  wie  eben 
dies  die  Datierung  dieser  Bücher  gar  sehr  beeinflnsst. 

Wir  lesen  im  ersten  Buch  der  Könige  IV.  3  von 
Treibern  nnd  Chronisten  am  Hofe  des  Köi  igs  Salomo.  und 
fiMelben  Beamten  werden  im  zweiten  Buch  der  Könige  XVIII. 
\S  am  Hofe  des  Hiskia  wieder  erwähnt,  während  wir  nnter 


32 


Zw, 


)  VoriesiiHg. 


der  Ko^iernng  des  Königs  Josla  tliataüchlich  von  der  Anf- 
(indiiDg  des  <  iesetzbnches  leaeu.  Doch  finden  wir  dieBolben 
ADachronismea  t)ber&U.  Throne  and  Soepter  werden  Eönigon 
zugeaohrieben,  welche  dieaelbon  nie  hatten,  und  im  ShähnAmeh 
(910,  5)  lesen  wir  von  Feridfin,  daea  er  nicht  nur  einen 
Fener-Tempel  in  Baikend  gebaut,  sondern  dads  er  aach  ein 
in  goldenen  (keiUSrmigen  ?)  Buchataben  gefichriebenca  Biemptar 
des  Avcsta  daselbst  deponiert  habe.  Kirjatb-Bepher,  die  im 
Itncb  Josaa  XV,  \b  erwähnte  Stadt  der  Buchstaben,  bezieht 
äich  wobi  auf  irgend  eine  Inschrift  in  jener  Gegend,  nicht 
auf  Bacher. 

Auch  von  Buddha  kaun  man  jetzt  ohne  Fnrcht.  xuf 
Widerspruch  zu  stoßen,  behaupten,  dass  er  nie  irgend  welche 
M88.  seiner  Predigten  hinterließ. ') 

W&re  dem  anders  gewesen,  so  würde  es  sicherlich  erwilhnt 
worden  sein,  wie  so  viele  minder  wichtige  Dingo,  das  tägliche 
Loben  und  die  tätlichen  Beschäftigungen  Buddhas  betreffend, 
selbst  sein  Lernen  des  Abc,  in  spfitoren  buddhistischen  Schriften 
erwähnt  worden  sind.  Uns  mag  es  freilich  fast  unmöglich 
seheinen,  das«  liinge  poetische,  ja  selbst  prosaische  Werke  bloß 
mOndlicli  ausgearbeitet  und  llberliefert  worden  seien,  aber  es 
ist  wichtig  zu  bemerken,  dass  die  Allen  selbst  nie  irgend  das 
geringste  Erstaunen  über  die  anßerordentlichen  Leistungen  doa 
menschlichen  Gedächtnisses  ausdrucken ,  während  die  bloße 
Idee  eines  Alphabets,  einer  Alphabetischen  Scbrifl.  oder  von 
Papier  und  Tinte,  ihnen  gar  nicht  in  den  Sinn  kommr. 

Ich  gebe  also  gerne  zo,  dass  Alles,  was  wir  von  einer 
heiligen  Litteratur  Schriftliches  besitzen,  verhßltnismflßig  mo- 
dern ist:  auch  dasa  es  nur  einen  sehr  kleinen  Bruchteil 
dessen  darstellt,  was  nr^prllnglich  vorbanden  war.  Wir  wissen, 
dass  selbst,  nachdem  ein  Buch  niedergeschrii^ben  worden, 
die  Gefahr  eines  Verlostes  keineswegs  vorüber  war.  Wir 
wiason,  wie  viel  von  der  griechischen  und  lateinischen  Litt»- 
ratnr,  uachdcm  es  Ihatsächlich  der  Schrift  anvertraut  wor 


,  Der  Baddllismus,  p.  247, 


Der  wmhre  Wert  der  heiligen  Bücher  nntersacht  33 

verloren  gegangen  ist.  Äschylos  soll  neunzig  Schanspiele 
yer&sst  haben.  Wir  besitzen  nur  von  sieben  Mannskripte. 
Und  was  ist  ans  den  Werken  von  Berosns,  Manetho  nnd 
Sanehoniatlion  geworden?  Was  ans  den  yollstllndigen  MS8. 
des  Polybins,  des  Diodorns  Sicnlus,  des  Dionjsins  von  Hali- 
eamass,  des  Dio  Cassins?  Was  aus  denen  des  Livios  nnd 
des  Taeitus? 

Wenn  also  die  Leute  durchaus  behaupten  wollen,  dass 
das,  was  wir  von  heiligen  Bfichem  besitzen,  modern  ist,  so 
habe  icb  nichts  dagegen,  wenn  sie  nur  definieren  wollten, 
was  sie  unter  'modern^  verstehen.  Und  wenn  sie  durchaus 
daranf  bestehen,  das,  was  aus  dem  allgemeinen  Schiffbruch 
gerettet  worden,  als  bloßes  Strandgut  und  Wrackgut  zu  be- 
zeiehnen,  so  brauchen  wir  um  solcher  Namen  willen  nicbt 
zu  streiten.  Von  den  alten  Litteraturdenkmälern  fast  jeder 
Religion  ist  Vieles  verloren  gegangen;  das  macht  aber  das- 
jenige, was  uns  geblieben  ist,  nur  um  so  wertvoller. 

Fragmentariseher  Charakter  der  heiligen  BOcher  Indiens. 

In  der  Sanskrit-Litteratur  begegnen  wir  häufig  Verwei* 
sangen  auf  verloren  gegangene  Bflcher.  In  theologischen 
IHsputationen  in  Indien  ist  es  eine  nicht  ungewöhnliche  Sitte, 
dass  man  sich  auf  verloren  gegangene  iSäkhäs  des  Veda  be- 
ruft, namentlich  wenn  es  sich  darum  handelt,  Gebräuche,  fflr 
die  es  in  den  vorhandenen  Vedas  keine  Autorität  gibt,  zu 
verteidigen.  Wenn  z.  B.  europäische  Gelehrte  bewiesen 
hatten,  dass  es  in  dem  uns  bekannten  Veda  keine  Autorität 
filr  die  Witwenverbrennung  gebe,  so  beriefen  sich  eingeborene 
Gelehrte  auf  verloren  gegangene  iSäkbäs  des  Veda,  um  diese 
gransame  Sitte  zu  rechtfertigen.  Doch  haben  uns  eingeborene 
Kasuisten  selbst  die  richtige  Antwort  auf  derlei  Argumente 
aa  die  Hand  gegeben.  Sie  nennen  es  das  'Totenschädel- 
Argument'  und  bemerken  mit  gi'oßem  ScharfsiDD.  man  könnte 
eben  so  gut  einen  Totenscbädel  als  Zeugeu  vor  Gericht 
fthren,   als   sich  auf   ein    verloren    gegangenes    Kapitel    des 

Xftx  Mftller,  Theosophie.  3 


34 


Zweite  Vorlesung. 


Veda  zur  Stütze  iv^nd  einer  herrschenden  Sitte  odet  Lehm 
berufen.  iSUkhä  bedeutet  'Zweig',  und  da  der  Veda  oft  al* 
ttin  Baum  dargestellt  wird,  so  ist  eine  i^ftkhä  des  Veda  das- 
selbe, was  wir  auch  einen  Zweig  des  Veda  nennen   könnten. 

Wir  dürfen  jedoch  nicht  denken ,  dsss  das,  was  wir 
jetzt  von  der  vediscben  Lilteratnr  besitzen,  Alles  sei.  was  ja 
vorbanden  gewesen,  oder  dasä  ea  uns  anch  nnr  ein  balbwega 
vollständiges  Bild  der  vedischen  Religion  geben  könne. 

Die  Buddhisten  pflegen  gleiolifails  von  manchen  der 
Beden  oder  Aussprüche  Buddha's  zn  sagen .  sie  seien  ver- 
loren gegangen,  oder  nicht  verzeichnet. 

Im  Allen  Testament  haben  wir  die  bekannten  Aospie- 
Inngen  nnf  das  Buch  Jascher  'ßuch  der  Redlichen'.  II.  Sam. 
I,  Ih]  and  daä  'Buch  von  den  Streiten  des  Herrn'  (IV.  Uoss 
XXI.  14),  auf  die  Chronika  des  Kitnigs  David  und  di« 
Chronika  von  Salomo,  die  das  ehemalige  Vorhandensein ^ 
wenn  nicht  von  Büchem,  so  doch  von  voiksiDmlicben  LiadenK 
und  Legenden  unter  diesen  Titeln  beweisen. 

Und  itncb  in  Bezug  auf  das  Neue  Testament  sagt  uns 
nicht  nnr  St.  Lukas,  dass  'sichs  viel  unterwnnden  habei 
stellen  die  Rede  von  den  Geschichten,  so  unter  uns  ergangen 
sind,  wie  uns  das  gegeben  haben,  die  es  von  Anfang  selbst 
gesehen  nnd  Diener  des  Worts  gewesen  sind,  <  sondern  wir.' 
wissen  auch,  dass  es  in  den  ersten  Jahrhunderten  ander» 
Evangelien  und  andere  l<)pisteln  gab.  die  entweder  verlores' 
gegangen  oder  von  späteren  Antoritälcn  für  apokrvpb  erklKrt' 
worden  sind,  wie  die  Evangelien  der  Hebräer  nnd  der 
Äg>-pter.  die  Chronika  des  Andreas.  Johannes  und  Tlloi 
die  Episteln  von  Barnabas  und  von  St.  Elemens.  n.  a.  >} 
Wir  lesen  außerdem  am  Ende  des  vierten  Evangeliums:  >Ga 
sind  auch  viel  andere  Dinge,  die  Jesus  gcthan  hat.  welche, 
so  sie  sollten  eines  nach  dem  andern  geschrieben  werden,^ 
achte  ich,  die  Welt  würde  die  DDehcr  nicht  begreifen,  dJi 
zn  beschreiben  w&ren.  >     Das  mag  fibertrietien  sein,  aber  ei 

1)  Sitho  J.  E.  Cnrpenter.  T/,r  Fi<->t  Thm  Goi-ptl;  p.  3. 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  Bücher  antersacht.  35 

9<^te  immerhin  zor  Warnong  dienen  gegen  die  Annahme, 
dass  das  Nene  Testament  ans  jemals  eine  yoUstindige  Sehil- 
dening  der  Beligionslehren  Christi  geben  könne. 

Terlnst  der  heiligen  Litteratnr  Persiens. 

Es  gibt  jedoch  keine  Heligion,  in  der  wir  den  Verlost 
eines  großen  Teils  ihrer  heiligen  Litteratnr  so  genan  ver- 
folgen können,  wie  in  der  Religion  Zoroasters  nnd  seiner 
Schaler,  und  wir  than  got  daran,  eine  Lehre  daraus  zu 
entnehmen.  Was  wir  mit  einem  ganz  falschen  Namen  als 
'Zend  Avesta'  bezeichnen,  ist  ein  Buch  von  sehr  mäßigem 
Uni£uig.  Ich  erklärte  Ihnen,  glanbe  ich,  in  einer  früheren 
Vorlesung,  warum  ^Zend  Avesta'  ein  falscher  Name  ist.  Die 
Perser  nennen  ihre  heiligen  Schriften  nicht  Zend  Avesta. 
sondern  Avesta  Zend,  oder  im  Pehlevi  Avistdk  va  Zand. 
■nd  dies  bedeutet  einfach  ^ext  und  Kommentar.  Avesta  ist 
wahrscheinlich  von  vid,  'wissen',  abgeleitet,  wovon  wir,  wie 
Sie  ach  vielleicht  erinnern,  auch  den  Namen  ^Veda  haben.  ^) 
Aber  avesta  ist  ein  Participium  perfecti  passivi.  ursprüng- 
lich i  +  vista  für  vid-ta'.  und  bedeutete  daher  ^das  6e- 
wusste'  oder  'das  Bekanntgemachte',  während  Zend  von  der 
ansehen  Wurzel  *zeno,  bissen'.  Sanskrit  ^/7ä,  Griech. 
yi-yvvj-cyM,  abgeleitet  ist  und  daher  ursprünglich  ebenfalls 
'Wissen  oder  'Verständnis  des  Avesta  bedeutete.  Während 
der  Name  'avista*  zur  Bezeichnung  der  alten  Lehren  und 
Vonehriflen  Zarathushtras  gebraucht  ward,  wurde  der  Ans- 
drack  *Zend'  auf  alle  späteren  Erklärungen  jener  heiligen 
Texte,  nnd  namentlich  auf  die  Übersetzungen  und  Erklärungen 
des  alten  Textes  im  Pehlevi  oderPahlavi.  der  persischen 
Sprache,  wie  sie  im  Sassaniden-Reiche  gesprochen  wurde,  an- 
gewandt Trotzdem  ist  es  Sitte  geworden,  die  alte  Sprache 
Zaradinshtra's  'Zend',  wörtlich  'Kommentar,  zu   nennen   und 


1)  Oppert  'Journal  Asiatique,  1S72.  März    vergleicht  das  alt- 
perrische  abasta.  Gesetz. 

3* 


36 


Zweite  Vorlesung'. 


vria  dem,  was  ana  von  dem  heiligen  Gesetzbuch  der  Zoro- 
astrier  flbri^  ist,  als  dem  Zend  Avesta  zu  sprechen.  Es  ist 
dies  einer  von  jenen  Irrtttmem,  die  man  schwer  los  werdoo 
wird;  die  Gelehrten  scheinen  sich  darüber  geeinigt  zn  haben, 
denselben  als  unvermeidlich  hinzanebmen,  und  sie  werden 
wähl  fortfahren,  vom  Zend  Aresta  und  von  der  Zend-Sprache 
zn  reden.  Manche  Schriftsteller,  die  offenbar  wähnen,  dass 
Zoroaster  das  Feuer  und  nicht  Ormszd  als  höchste  Gottheit 
verehrt  habe,  nnd  die  annehmen,  dsss  Vesta  ursprünglich 
eine  Gottheit  des  Feuers  gewesen  sei,  sind  thatsitcblich  so 
weit  gegangen,  'Zenda  Vesta  zn  schreiben,  als  ob  'Vesta'  der 
Name  des  heiligen  Feuers  bei  den  Parsen  wäre.  Wenn  wir 
nns  richtig  ausdrucken  wollen,  so  sollten  wir  vom  Avestn 
als  den  alten  Texten  des  Zarathushtra  sprechen,  nnd  wir 
sollten  als  Zend  Alles  bezeichnen,  was  in  späterer  Zeit  von 
Cberseizungen  und  Erläuterungen  des  Ävesfa,  sei  es  in  der 
alten  avestiscben  Sprache  oder  im  Puhlevi,  geschrieben  worden 
ist.  Dieses  'Pehlevl'  ist  einfach  der  alte  Name  für  die  per- 
sische Sprache,  und  es  kann  kxnm  einem  Zweifel  nnterli^en. 
dass  Pehlevi,  das  persische  Wort  tttr 'das  Alte',  von  pahlav  ab- 
geleitet ist.  Dieses  pahl  av,  welches  'kriegerischer  Held'  heißt, 
ist  selbst  wieder  eine  regelmäßige  Modtfikaliou  von  parth»v, 
dem  Namen  der  Parther.  welche  fast  fünfhundert  Jahre  lang 
(2[.fi  V.  Chr.  bis  220  n.  Chr.)  die  Beherrscher  Persiens  waren. 
So  mochte  es  zwar  scheinen,  als  ob  Pehlevi  die  Sprache  der 
Partber  bedeutete;  dennoch  ist  es  in  Wirklichkeit  der  Name 
der  persischen  Sprache,  wie  sie  in  Persien  unter  der  Herrschaft 
der  Parfher  gesprochen  ward.  Es  ist  ein»  arische  Sprache, 
die  in  einem  e ige nttlmli eben  semitischen  Alphabet  geschrieben 
und  mit  vielen  iiemitischen  Wörtern  gemischt  ist.  Die  erstem 
Spuren  des  Pehleri  sind  auf  Münzen  entdeckt  worden,  welche 
Jem  dritten  oder  vierten  Jalirhundcrt  v.  Cbr.  zugeschrieben 
werden,  möglicherweise  sogar  auf  gewissen  in  Niniveh  ge- 
fundenen Täfelcben,  die  dem  siebenten  .lahrhnndcrt  v.  Chr. 
angeboren  sollen.  'J  Wir  ßndeu  Pehlevi  in  zwei  Alphabeten 
I)  Haug.  Eiiiiyt,  p.  SI. 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  Bücher  untersucht.  37 

geschrieben,  wie  in  den  berflhmten  bei  den  Rninen  von 
Persepolis  gefundenen  Inschriften  von  Häjfäbäd  (3.  Jahrb. 
n.  Ohr.),  ^j  Außer  der  Sprache  des  Avesta,  die  wir  Zend 
nennen,  und  der  Sprache  der  Glossen  und  Übersetzungen,  die 
wir  Peblevi  nennen,  gibt  es  noch  das  Pazend,  welches  nr- 
sprflnglich  ebensowenig  wie  Zend  der  Name  einer  Sprache, 
sondern  der  Name  eines  Kommentars  zu  einem  Kommentar 
war.  Es  gibt  solche  im  Avestischen  ^)  oder  im  Pehlevi  ge- 
schriebene Pazends.  Wenn  aber  Pazend  als  Name  einer 
Sprache  gebraucht  wird,  so  bedeutet  es  das  Iranische  des 
Mittelalters,  das  hauptsächlich  in  den  Transskriptionen  von 
Pehleyi- Texten,  die  entweder  in  avestischen  oder  persischen 
Buchstaben  geschrieben  sind,  gebraucht  wird  und  von  allen 
semitischen  Bestandteilen  frei  ist.  In  der  That  ist  die 
Sprache  des  großen  epischen  Dichters  Firdusi  (1000  n.  Chr.) 
nicht  sehr  verschieden  von  der  Pazend-Sprache ;  und  beide 
stammen  in  gerader  Linie  vom  Pehlevi  und  Altpersischen  ab. 

Eines  jedoch  ist  ganz  sicher,  nämlich  dass  die  heilige 
litteratur,  welche  einst  in  diesen  drei  aufeinanderfolgenden 
Sprachen,  dem  Avestischen,  dem  Pehlevi  und  dem  Pazend, 
existierte,  unendlich  größer  gewesen  sein  muss,  als  das,  was 
wir  jetzt  besitzen. 

Es  ist  wichtig  zu  bemerken,  dass  das  Vorhandensein 
dieser  viel  größeren  alten  heiligen  Litteratur  in  Persien  selbst 
den  Griechen  und  Römern  bekannt  war,  wie  z.  B.  dem  Her- 
mippos,  ^)  der  sein  Buch  *Über  die  Magi'  schrieb,  während 
er  sich  in  Smyrna  aufhielt.  Er  lebte  in  der  Mitte  des  dritten 
Jahrhunderts  v.  Chr.  Dieses  Buch  ist  zwar  verloren,  es 
wird  aber  von  Plutarch,  Diogenes  Laertius  und  Plinius  ci- 
tiert  Plinius  (H.  N.  XXX,  2]  -sagt  uns,  Herrn ippos  habe 
die  Bflcher  Zoroasters  studiert,  welche  damals  zwei  Millionen 


1;  Siehe  Haug  a.  a.  0.  p.  87,  und  Friedrich  Müller,  Die  Pdh- 
lawi  Inschriften  von  HadziäMd. 

2)  Haug  a.  a.  0.  p.  122. 

3)  Diogenes  Laertius,  Prooem.  6. 


38  Zweite  Vorleaung. 

Zeilen  lunfaast  haben  soUen.  Selbst  ein  so  später  GewährB- 
mann  wie  Abu  Jafir  Attarari  (ein  arabischer  Gescbicbte- 
sohreiber)  vereichert  nne.  dass  Zoroasters  Sobriftea  zw&U- 
bnndert  Kuhliäute  (Pergamente]  bedeckt  battea. 

ßioso  Angaben  klasaiscber  tjchrißateller  werden  in  hohem 
Maße  durch  die  Traditionen  bestätigt,  weiche  bei  den  An- 
hängern Zoroaaters  in  Persien  im  Umlaufe  sind,  die  iLber- 
einstimmend  Alexander  den  Großen  beschnldigen,  ihre  heiligen 
Mannskripte  vernichtet  oder  weggeschleppt  zu  haben.  Wir 
lesen  im  Dinkarf/  [West,  p.  412),  dasa  die  erste  SAmmlnng 
der  bdiigen  Texte  Zoroaaters  zur  Zeit  des  Viatasp,  des  rajthi- 
schen  Herrschers,  der  die  Religion  Zoroaaters  annahm,  stattge- 
funden habe.  Später,  heißt  es,  habe  DärAi  befohlen,  dass  zwei 
vollstEndige  Exemplare  des  ganzen  Avesta  und  Zend  anfbewahrt 
werden  sollten,  das  eine  in  der  Schatzkammer  von  Shapigiln, 
das  andere  in  der  Festung,  wo  die  geschriebenen  Dokumente 
anfbewahrt  wurden.  Dieser  IJäräi  ist  gleichfalls  mehr  oder 
minder  mythisch,  er  wird  aber  von  den  peraisohen  Dichtern 
allgemein  als  der  Vorläufer  Alexanders  angesehen.  Wir  befin- 
den uns  anf  mehr  historischem  Boden,  wenn  wir  im  Djnkart/ 
(West,  p.  XXXI:  lesen,  dass  das  MS.,  welches  in  der  Festang 
der  Dokumente  war,  durch  einen  Zufall  verbr.innt  ward,  wäh- 
rend das  in  der  Schatzkammer  von  Shäpigän  den  Griechen  in 
die  Hände  fiel  nnd,  als  'Belebrang  Ober  alte  Zeiten'  enthaltend, 
von  oder  für  Alexander  in  die  griechische  Sprache  Ilhersetxl 
wurde.  Die  Thalsache  uan,  dass  der  königliche  Palast  lu 
Persopolis  von  .A-lesander  in  einem  Augenblick  trnukeaen 
Übermuts  verbrannt  wurde,  wird  von  griechischen  Gescbichte- 
schreibern  bestätigt,  obzwar  sie  von  einer  giieohiscben  (Iber- 
setznng  der  aveatischen  Schriften  nichts  erwähnen.  Bs  ist 
jedoch  ganit  gnt  mfiglich,  dass  Hermippos  eben  jenes  HS. 
vor  sich  hatte,  welches  von  Alexanders  Soldaten  aus  der 
Schatzkammer  von  ShapIgAn  weggeschleppt  worden  war. 

Wir  hören  nichts  mehr  ober  den  Avesta.  bis  wir  zur  Zeit 
des  Valkhas,  offenbar  eines  Vologeses.  möglicherweise  Volo- 
geses  1-,  des  Zeitgenossen  Nero's,  kommen.     Obgleich  er  ein 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  B&cher  antersncht.  39 

Parther  war,  heißt  es  doch  im  Dinkarc/,  dass  er  befahl  >die 
sofgftltige  Anfbewahnmg  und  das  Maehen  von  Memoranda 
fitr  die  königliehe  Stadt  yom  Avesta  nnd  Zend,  wie  er  rein 
auf  sie  gekommen,  nnd  gleichfalls  yon  jeglicher  davon  herrüh- 
renden Notix,  die  sieh  —  indem  darüber  geschrieben  worden, 
oder  anch,  indem  sie  yon  einem  Hohepriester  mfindlich  vor- 
zitragen  war  —  im  Lande  Iran  erhalten  hat,  nnd  zwar  in 
zentrentem  Znstande,  infolge  der  Plünderongen  nnd  Yer- 
heemngen  Alexanders  und  der  Reiterei  nnd  des  FnßTolks 
der  Arümans  (Griechen).  < 

Was  anch  die  genane  Bedeutung  dieser  Worte  sein  mag, 
so  liegt  doch  so  viel  deutlich  in  ihnen  ausgesprochen,  dass 
schon  Tor  dem  Auftreten  der  Sassaniden  ein  Versuch  ge- 
Backt  worden  war,  sei  es  aus  zerstreuten  Fragmenten  von 
MSä.  oder  aus  mflndlicher  Tradition  von  den  alten  heiligen 
Schriften  zu  sammeln,  was  noch  gesammelt  werden  konnte. 
Es  yeiiantet  nicht,  dass  vor  dieser  Zeit  nnd  nach  den  dem 
Alexander  zugeschriebenen  Verheerungen  irgend  ein  Versuch 
derselben  Art  gemacht  worden  seL  Daraus  scheint  mir  jedoch 
nickt  an  folgen,  dass  die  Partherherrscher,  wie  M.  Darmesteter 
aemt  {&  B.  E,  lY  Einleitung),  thatsächlich  den  Zoroastrianismus 
als  Staatsreligion  in  ihrem  Reiche  angenommen  bitten.  Dies 
blieb  den  Sassaniden  vorbehalten.  Aber  es  zeigt  immerhin,  dass 
sie  den  alten  Glauben  ihrer  ünterthanen  zu  schätzen  wussten. 
Thaisache  ist  dass  manche  von  den  philhellenischen  Parther- 
testen  denselben  wirklich  angenommen  hatten. 

Die  eigentliche  Wiederherstellung  des  Zoroastrianismus 
als  der  Nationalreligion  Persiens  nnd  die  schliefiliche  An- 
ordnung des  avestischen  Kanons  rOhrt  ohne  Zweifel  von 
den  Sassaniden  her.  Wir  lesen  im  Dinkarc/,  dass  Artakshatar 
Ardeakir),  der  Sohn  Pipaks.  König  der  Könige  (226 — 240 
n.  Chr.),  Tösar  und  andere  Priester  in  die  Hauptstadt  berief, 
um  die  wahre  Lehre  der  alten  Religion  festzustellen.  Sein 
Sdin,  Skahpnhar  (240—271  n.  Chr.  .  folgte  seinem  Beispiel 
■nd  brachte  anch  eine  Ann^hl  weltlicher  Schriften  zusammen, 
die,  wie  wir  erfahren,   im   Lande,   in   Indien.    Griechenland 


40 


Zweite  Vorlesung. 


f 


und  anderswo  zerstreot  waren,  und  befahl  deren  Anordnn 
neben  dem  Äveata.  Hierauf  nurde  noch  einmal  ein  fetiM 
freiea  Exemplar  in  der  Schatzltammer  von  SbaptgUo  deponiert. 

Sliahpuhar  U.  (Saporesl,  der  Sohn  des  Adliarmazd  (30H 
— 379  □,  Clir.j,  scheint  für  die  avestiacbe  lieligion  so  ziemiicli 
dasselbe  gethan  zu  haben,  was  Konstantin  unfefäUr  nm  die- 
selbe 'l,e\t  für  das  Christentam  that.  Er  berief,  beißt  es.  >  einen 
Gerichtshof  für  den  Streit  der  Einwohner  aller  Gegenden, 
und  brachte  alle  Aassagen  zu  gehöriger  Erwägung  and  Unter- 
snchnng'.  Die  ReUerei.  mit  der  sich  Shahpohar  IL  und 
Atürp&d  zu  beschäftigen  hatten,  war  wahrscheinlich  die  des 
Uanichaismus.  Die  Lehren  ile^  Mäni  hatten  sich  während 
Jos  dritten  Jahrhunderts  so  weit  verbreitet,  dass  selbst  ein 
König.  Shahpnhar  L,  sie  angenommen  haben  soll.  Wahrend 
alao  Konstantin  und  Athanaslas  im  .Tnhre  32 ä  n.  Chr.  ku 
Nic&a  die  orthodoxen  Lehren  des  Cliristenlnms  festsetzten, 
waren  Shabpuhar  H.  und  Atürpäd,  der  Sohn  des  Müraspand. 
in  Persien  damit  beschäftigt,  die  Ketzerei  des  Mäni  ansEnrotten 
und  den  Hazüaismiis  in  seiner  nrsprflnglichen  ßeinheit  wieder 
herzustellen.  Die  Sammlaug  der  Nasks  und  die  Zähloug 
derselben  als  einundzwanzig  wird  dem  .Viiirp.^d  zugeschrieben. 
Darmesteter  (Einleitung,  p.  XXXIX)  nimmt  an,  dass  es  zur 
Zeit  desselben  noch  mSgliub  gewi-sen  sei,  Znsätze  zu  den 
avestischeo  Texten  zu  machen,  und  er  verweist  auf  Stellen 
im  VendidfXd,  die  auf  das  t^ehiamn  des  Müui.  wenn  nicht  gar 
auf  das  Christentnm,  wie  es  im  Orient  bekannt  war.  Bezug 
haben  können. 

Zu  einer  noch  späteren  Zeit,  unter  KbOsrdi  (Rhosroos*, 
Anösharnvän  genannt,  dem  Sohne  des  KavÄd  (5J1 — 579  n. 
Chr.),  lesen  wir,  dass  neue  Ketzereien  unterdrückt  werden 
muasten,  nnd  dass  ein  neuer  Befehl  gegeben  ward  fdr  >dic 
gehörige  Erwägung  des  Avesta  nnd  Zend  der  nrsprnnglichcD 
Aussagen  der  Magien. 

Bald  nachher  folgte  die  Crobernug  Peraiens  durch  die 
Araber,  and  wir  hören,  dass  damals  die  Archive  nnd  Schatz- 
kammern  des  Reiohea   noch  einmal  der  PlOndening  anbeim- 


Dor  wahre  Wert  der  heiligen  Bücher  antersncht  4] 

fielen«  Doch  scheinen  die  mohammedanischen  Eroberer  viel 
weniger  barbarisch  gewesen  zn  sein,  als  Alexander  nnd  seine 
griechischen  Soldaten,  denn  als  nach  dem  Verlanfe  Ton  drei 
Jahrhunderten  ein  neuer  -Versuch  unternommen  wurde,  die 
ayestischen  Schriften  zu  sammeln,  war  Atür-fambagl  Faru- 
khoHK&dän  im  stände,  eine  sehr  Tollstftndige  Sammlung  der 
alten  Kasks  zu  machen.  Ja  selbst  am  Ende  des  neunten 
Jahrhunderts,  als  ein  anderer  Hohepriester,  Ätürpäd,  der 
Sohn  des  Himid,  der  Verüasser  oder  doch  der  Beender  des 
Dinkar«/,  eine  endgültige  Sammlung  des  Avesta  nnd  Zend 
dnrehfUirte,  scheinen  sich  MSS.  sftmmtlicher  Kasks  mit  sehr 
wenigen  Ansnahmen  yorgefnnden  zu  haben,  sei  es  in  der 
alten  arestischen  Sprache  oder  im  Pehlevi.  so  dass  Atür- 
pid  in  seinem  Dink^rd  eine  fast  TolUt&ndige  Darstellung  der 
Zoroastrischen  Religion  und  ihrer  heiligen  Litteratur  geben 
konnte.  Nach  manchen  Autoritäten  war  es  Atür-fambagi 
Farakho-zWän,  der  den  Dink^rd  begann,  während  Atürpad, 
der  Sohn  des  Himid,  ihn  beendigte.  Danach  hätten  wir  das 
Werk  zwischen  820  und  890  n.  Chr.  anzusetzen.  Atürpäd, 
oder  wer  immer  es  war,  spricht  von  den  einundzwanzig  Nasks 
oder  Bflchom  des  Avesta,  als  ob  er  sie  entweder  in  der 
Ur^nche  oder  in  der  Pchlevi-übersetzung  gelesen  hätte. 
Der  einzige  Nask,  den  er  nicht  bekommen  konnte,  war  der 
Vaitag  Nask,  und  die  Pehlevi-übersetzung  von  dem  Kädar 
Xaak.  Wir  yerdanken  alle  diese  Aufschlösse  teils  Dr.  Haug. 
teüs  Dr.  West,  der  große  Teile  des  MS.  des  Dinkzrd  aufge- 
ftadtm  und  im  XXXYIL  Bande  der  Sacred  Books  of  the  East 
tbenetzt  hat 

Von  diesen  einundzwanzig  Nasks,  welche  seit  den  Tagen 
dee  Atfirpäd,  des  Sohnes  des  Märaspand,  den  avestischeD 
KaMm  ansmachten,  und  welche,  wie  ausgerechnet  worden 
ist,  ant  345,700  Wörtern  im  Zend,  und  aus  2,094,200  Wör- 
tern im  Pehleri  bestanden  (West,  a.  a.  0.  p.  XLV),  sind  nur 
drei,  der  14.,  19.  und  21.,  vollständig  erhalten.  Es  heißt  in 
der  persischen  Riväyats  (*S'.  B.  E,  XXX\TU,  p.  437  , 
•dlbst  znr  2«eit,  wo   der  erste  Versnch  gemacht  wurde. 


42 


Zweite  Vorlesung. 


die  heilige  Litteratnr  zu  sammeln,  soweit  sie  den  Sold&ten 
.Uexanders  entronnen  war,  nur  Teile  von  jedem  Nask  sich 
vorfanden,  und  keiner  in  seiner  uraprOnglichen  VoIUtindig- 
keit,  außer  der  VindAd,  d.  h.  der  Vendfd&d.  Wenn  wir 
dieser  Angabe  trauen  könuten,  so  wQrde  sie  beweisen,  dass 
die  Einteilung  in  die  Naska  gar  achou  vor  der  Zeit  dM 
AtürpAd.  des  Sohnes  des  Mitraapand  [^25  n.  Ohr,),  existierte 
und  möglicherweise  achftmenidigchen  Ursprungs  war. 

Es  gibt  noch  Fragmente  von  einigen  anderen  Kagka, 
wie  dem  Virtflsp  sästö,  HWfiklitii  und  Baku;  was  aber  die 
Paräeu  jetzt  als  ihren  heiligen  Kanon  ansehen,  besieht  außer 
ilem  Vendidäd  aus  nicht  mehr  als  dem  Yasua,  dem  Vispered, 
den  Yashts  u.  s.  w.,  welche  die  Hauptmasse  der  beiden 
anderen  vorhandenen  Nasks,  des  StOd  Yasht  uud  BakiSn  Yaaht. 
enthalten. 

Der  Vendidäd  enth&lt  reli^ase  VorsohrlfteD  und  alt« 
Legenden.  Der  Vigpered  enthält  Litaneien ,  hanptsAehlieh 
ritr  die  Feier  der  sechs  Jahreszeitfoate ,  der  sogenannten 
Gahäubnrä.  Anch  der  Yasna  entfaillt  Litaneien,  aber  den 
wichtigsten  Bestandteil  deasolben  bilden  die  borUhmten  Güthas 
(Stamm:  grithä,Nom.8tng.:gätha),  metrische,  in  einem  älteren  Dia- 
lekt geschriebene  Bestandteile,  wahrscheinlich  der  Älteste  Kern, 
um  den  sich  die  ganze  fibrige  Avcsta-Litteratur  gruppiert«.  Die 
Gäthas  finden  sich  im  Yasna  XXVllI— XXXIV,  SLIU— XLVI, 
XLVII^L,  LI  und  Llil.  Jede  dieser  drei  Sammlungen,  der 
VendidAd,  der  Vispered  und  der  Yasna,  wenn  sie  einsein 
kopiert  sind,  ist  gewöhnlich  von  einer  Pehlevi-übersetznng 
und  von  Glossen,  dem  sogenannten  Zcnd.  begleitet.  Wenn 
sie  aber  alle  zusammen  in  der  Reihenfolge,  in  der  sie  flir 
liturgische  Zwecke  gebraucht  werden,  kopiert  sind,  so  er- 
scheinen sie  ohne  die  Pehlevi-l'bersetzung,  und  die  ganze 
Sammlung  heißt  dann  Vendiddd  Sädah,  d.  h.  der  Vendid&'l 
schlechthin,  d.   h.  ohne  Kommentar. 

Die  abrigun  Fragmeute  werden  unter  dem  Namen  Kfaorda 
Avcsta  oder  'Kleiner  Avesta'  znsammengefassl.  Sie  bestehen 
hauptsächlich  aus  Gebeten,  wie  den  fänf  GAh,   dem  Ströteh, 


*     Der  wahre  Wert  der  heiligen  Bücher  untersucht  43 

den  drei  Afringftn,  den  ffinf  Nyäyish,  den  Yashts  [wOrtlich: 
'Akte  der  Verehmng^),  den  Hymnen  an  die  dreißig  Izads, 
von  denen  nnr  zwanzig  erhalten  sind,  und  einigen  anderen 
Bnichatacken,  z.  B.  dem  HOdhökht  Nask  (S.  B.  E.  IV, 
p.  XXX :  XXin,  p.  2). 

Die  Parsen  teilen  zuweilen  die  einundzwanzig  Nasks  in 
drei  Klassen:  (1)  die  Gäthisehen,  (2)  die  Hadha-mäthrischen, 
(3)  das  Oesetz.  Der  Gäthische  Bestandteil  stellt  die  höhere 
geistige  Erkenntnis  und  geistige  Pflicht  dar,  das  Gesetz  die 
niedrigeren  weltlichen  Pflichten,  und  der  Hadha-mathrische  Teil 
das,  was  zwischen  den  beiden  ist  (Dinkarc/  VIII,  1,  5).  In 
vielen  F&Uen  jedoch  sind  diese  Gegenstände  gemischt. 

Die  Gäthas  sind  offenbar  die  ältesten  Fragmente  der 
aTestisehen  Religion,  als  dieselbe  noch  in  einem  einfachen 
älanben  an  Ahuramazda  als  den  höchsten  Geist,  und  in  einer 
Verlengnnng  der  Da^ras  (von  denen  uns  die  meisten  als  von  den 
Dtehtem  des  Veda  verehrt  bekannt  sind)  bestanden.  Wenn 
Zarathnshtra  der  Name  des  Stifters  oder  Reformators  dieser  alten 
Religion  war,  so  dfirfen  jene  Gäthas  ihm  zugeschrieben  werden. 
Da  die  Sprache  derselben  von  der  der  Achämenidischen  In- 
sehiiften  dialektisch  abweicht,  und  da  die  Pehlevi-Erklärer, 
obgleich  sie  mit  der  gewöhnlichen  avestischen  Sprache  ver- 
tmt  sind,  es  sehr  schwer  fanden,  diese  Gäthas  zu  erklären,  so 
ist  die  Vermutung  gerechtfertigt,  dass  der  Gätha-Dialekt  ur- 
sprflnglieh  der  Dialekt  von  Medien  gewesen  sei,  denn  Medien 
war  das  Land,  von  dem  die  Magi^)  oder  die  Lehrer  und 
Prediger  der  Religion  Ahuramazda s  gekommen  sein  sollen.^) 
Haa  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  gewisse  im  Veda 
■ad  in  späteren  Avestischen  Texten  wohlbekannte  Gottheiten 
den  Gäthas    fehlen;    zum   Beispiel  Mithra  und  Homa.    auch 


1}  Xagi,  die  Magavas  der  Gäthas,  die  Magush  in  den  Keil- 
iisehriften,  die  llog  späterer  2^iten,  Hang.  p.  1()9  d..  mügllcher- 
weise  die  rab  mag  von  Jerem.  XXXIX,  3. 

2;  Darmesteter,  S.  B,  £.,  IV,  p.  XLVI  gibt  alle  Zeugnisse, 
welche  dafür  sprechen,  den  Ursprung  der  Religion  Zoroasters  nach 
Medien  zu  versetzen. 


44 


Zwoitii  Vorlesung. 


Anähita  und  der  Titel  Ameabaspenta  (Haug  8.  a.  0.,  p.  259'. 
Viulti  abstrakte  Begriffti,  wie  A^ha,  Gurechtigkeit,  VohilmanO. 
gutes  Deukeu,  Laben  in  den  im  Gütha-Dialekt  vei-fosaten  Ka- 
pitelD  noch  Dicht  eioe  bestimmte  mythologische  VerkOrpernng 
aageDommen  (Uaug,  |>.  IT  1),  L'nd  was  noch  wichtiger  ist, 
der  Angro  Muinyu  oder  AUrimaii  der  epftteren  Aveati&chbii 
ächriflen  hat  in  den  Gäthaa  uooh  uicht  den  Charakter  des 
bösen  Geistes,  des  Teufels,  des  beständigen  Geguera  Afaur»- 
mazda's, ')  erhalten  (Uaug  a.  a.  0.,  p.  3u3 — 4<.  Ich  nenne 
diea  wichtig,  weil  auch  in  den  Keilin Schriften  dieser  Cbai-akter 
niclit  —  und  wir  werden  wohl  berechtigt  sein  zu  sagen:  aoeb 
nicht  —  vorkommt.  Auch  die  frnhesten  griechiscbeD  Schrift- 
steller, wie  Uerodot,  Theopomp  und  Uermippos.  obgleich  sie 
mit  der  Lehre  der  Magier  von  einem  Dualismus  in  der  Katar 
und  selbst  iu  der  Gottheit  vortraut  »ind,  scheinou  den  Namen 
Ahriman  nicht  gekannt  zn  haben.  Plato  kannte  den  Namen 
Ahuramaüda,  denn  er  nennt  Zoroaster  den  i^obn  des  Oro- 
masos,  was  l'llr  'Ahuramazda  gemeint  äein  rnnss,  aber  auch 
er  erwfthnt  nie  den  Nameu  Angrö  Mainyu  oder  Areimanios. 
Aristoteles  liat  möglicherweise  den  Namen  Areimanios  eben 
so  gut  ala  den  Namen  Oromasdes  gekannt,  obgleich  wir  nur 
die  Autoritftt  des  Diogenes  Laertius  (Proocm.  c.  b)  dafllr 
babeu.  äpätere.  sowohl  griechische  uls  auch  römische.  Schrift- 
ätelier  sind  mit  beiden  Nameu  wobl  vertraut. 

Ich  erwähne  dies  Allea  hauptsächlich  um  zu  zeigen,  daas 
es  in  den  verschiedenen  Beatandteilen  dessen,  was  wir  Avo- 
stische  Litteratur  nennen,  Zeichen  historischen  Wacbstnma  UdiI 
historischen  Verfalls  gibt.  Wenn  wir  mit  Haug  die  Älteste 
Gätba- Litteratur  um  lUüO — I2t)Ü  v.  Chr.  ansetzen,  was  natQl^ 
liob  ein  rein  hypothetisches  Datum  ist,  so  können  wir  jedentalU 
sagen,  duss  die  Gütha»  im  Gedankengehalt,  wenn  nicht  anch 
in  der  Sprache,  älter  sind  als  die  Inschriften  des  Dartas;  data 
sie  Medien  angehörten  und  dort  wahrscheinlich  vor  Aw  ZeH 
des  Cyrus  und  seiner  Erohcruug  des  Perserreicbes  exiatierten. 


1)  Angra  kommt  in  den  Gällin 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  Bücher  untersucht.  45 

Wenn  wir  zn  der  Zeit  Alexanders  kommen,  so  sehen 
wir,  dass  damals  eine  so  große  Masse  heiliger  Litteratnr  vor- 
handen war,  dass  wir  nicht  sehr  fehl  gehen  kOnnen,  wenn 
wir  die  ganzen  einundzwanzig  Nasks  einer  yorachftmenidi- 
sehen  Periode,  der  Zeit  vor  500  v.  Chr.,  zuschreiben.  Hier 
können  wir  wieder  zwischen  dem  alten  und  dem  späteren 
Yasna  unterscheiden.  Der  Yendidäd,  der  Vispered,  die  Yashts 
nnd  die  kleineren  Gebete  kOnnen  dem  Ende  der  avestischen 
Periode  zugeschrieben  werden.  Hang  setzt  den  größeren 
Teil  des  ursprflnglichen  Yendtdäd  in  die  Periode  von  ungefähr 
1000 — 900  V.  Chr.,  die  Abfassung  des  späteren  Yasna  in 
die  Zeit  von  ungefthr  800 — 700  v.  Chr. 

Die  Pehlevi-Litteratur  dürfte  etwa  bald  nach  Alexander 
begonnen  haben.  Die  Chronologie  auf  Grund  sprachlicher 
Thatsachen  ist  freilich  stets  von  sehr  unsicherer  Art.  Doch, 
dass  von  den  Gäthas  zu  dem  Yasna,  und  vom  Yasna  zu  den 
Yashts  ein  historischer  Fortschritt  sowohl  in  der  Sprache  als 
auch  im  Gedankengehalt  zu  bemerken  ist,  kann  kaum  be- 
zweifelt werden.  Leider  fehlen  wirkliebe  historische  Daten, 
abgesehen  von  der  Erwähnung  des  Gaotama  im  Fravardin 
Yasht  (16).  Wenn  dies  für  Gautama,  den  Stifter  des  Buddhis- 
mus, gemeint  ist,  so  können  wir  kaum  fehl  gehen,  wenn  wir 
annehmen,  dass  dieser  Name  Buddha's  während  des  ersten 
Jahrhunderts  nach  Buddha's  Tode,  etwa  zwischen  477  und 
377  V.  Chr.,  nach  Baktrien  gelangt  sei.  In  späteren  Zeiten 
kann  an  dem  Vorhandensein  von  Buddhisten  in  Baktrien 
nicht   gezweifelt  werden,  i)     Um   dieselbe  Zeit  waren  Münzen 


1)  Das  Vorhandensein  von  Buddhisten  in  Baktrien  im  ersten 
Jahrhundert  v.  Chr.  ist  durch  mehrere  Gewährsmänner  beghiubiprt. 
Alexander  Polyhistor,  der  zwischen  80—60  v.  Chr.  schrieb,  erwähnt 
in  einem  Citate  bei  Cyrillus  contra  Julian.)  unter  den  Philosophen 
die  Samanyioi  bei  den  persischen  Baktrern,  die  Magoi  bei  den  Per- 
lem  ond  die  Gymnosopbisten  bei  den  Indem.  Mit  den  S.imanyioi 
waren  die  Buddhisten  gemeint.  Noch  später  spricht  Clemens  von 
Alexandria,  Strom.  I,  p.  359,  von  Samanaioi  bei  den  Kaktrern  nnd 
von  Gymnosophifiten  bei  den  Indern,  während  Eusebins  'Praep. 
Ev.  VII,  10)  von  Tausenden  von  Brahmnnen  bei   Indem  und  Bak- 


46  Zweite  Vorlesung. 

•feprägt  worden  mit  iDRcbriften  im  Pehlevi.  welclioB  am  di4 
Zeit  der  KrobemDgeii  Alexauders  die  Sprache  des  Vollci 
gewesen  sein  mnss.  Die  Aveatiache  SpracLe  jedoch  wonh 
noch  lauge  nachher  weiter  verstanden,  so  d&»s  unter  dei 
Hegiening  der  Purther  und  der  Sass&niden  Übersetzer  ge- 
funden werden  konnten,  die  ici  stände  waren,  die  alt«i 
heiligen  Texte  zu  llberaetzen  und  zu  erklltren.  Ja,  wem 
M.  Darmesteter  Recht  hat ,  wurden  selbat  im  viert«! 
Jahrhundert  n.  Cbr.  noch  weitere  HinzufDgangi 
stischer  Sprache  gemacht,  vorausgesetzt  nämlich,  dass  die  voi 
ihm  hervorgehobenen  Stellen  im  Vendidäd  sich  wirklich  aal 
die  Unterdnickung  der  Ketzerei  des  Mäui  durch  König 
Sbalipbr  11.  Iieziehen. 

Das  VerbUtnis  Kwlsohon  dem  ATeatn  und  dem  Alten  Testament 

lob  hielt  ea  fflr  nCttg.  auf  die  Geschichte  des  Entst«faeiii 
and  des  Verfalls  der  heiligen  Litteratnr  Peisiens  so  ansfOhp 
lieh  einsugehen,  weil  ich  Ihnen  zeigen  wollte,  wie  unmi 
es  ist,  eine  befriedigende  Vergleichung  zwiachon  der  persische 
und  irgend  einer  anderen  Keligion  anzustellen,  wenn  wir  ni 
uicbt  Ober  das  historische  Wachstum  ihres  heiligen  Kanoi 
völlig  klar  sind.  Obgleich  schon  U.nug  auf  diesen  Oegei 
stand  viel  Licht  geworfen  hat.  sind  wir  doch  erat  jtlngi 
durch  die  schätzbare  Cbevsetzung  des  DfnkurJ,  welche  Wa 
zu  meinen  Sacred  Boo/ts  of  tlie  lütiit  beigetragen  hat,  i 
den  Stand  gesetzt  worden,  uns  ein  unabhitngiges  Urteil  tlb< 
diesen  Punkt  zu  bilden.  Die  persische  Religion  ist  oft  ej 
Oegenstand  der  Vergleichung  sowohl  mit  der  Religion  Indiei 
aIb  mit  der  der  Juden,  namentlich  nach  deren  Rückkehr  at 
dorn  £ul,  gewesen.  Die  Haupttehren,  von  denen  man  ai 
nimmt,  dass  die  Juden  sie  von  den  Anhängern  Zoroasteii 
entlehnt  hätten,   aind   der   Glaube   an   die  Auferstehung  dt 


trem  spricht.    Siehe  Lassen,  JudUehc  Allri-tuiuskni. 
Spiegel,  Erauüch»  Altertunuhmdt.  1,  ti71. 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  BQcher  untersocht.  47 

Leibes,  der  Glaube  an  die  ÜDsterblichkeit  der  8eele  und 
der  Glanb«  an  Bdohnungen  und  Strafen  im  Jenseits. 

Bekanntlieh  fehlten  diese  Lehren  der  ältesten  Phase  der 
Religion  bei  den  Juden  ganz  oder  fast  ganz,  so  dass  deren 
Vorhandensein  in  einigen  der  Psalmen  und  der  Propheten  oft 
ab  Argoment  gebraucht  wird,  um  das  spätere  Datum,  das 
jetzt  für  diese  Werke  angenommen  wird,  zu  beweisen.  Es 
stehen  hier  keine  ehronoli^schen  Schwierigkeiten  im  Wege. 
Diese  Lehren  sind,  wie  wir  sehen  werden,  mindestens  in  ihrer 
Keimstufe,  in  den  Gäthas  vorhanden,  während  von  den  ge- 
ringfügigeren Einzelheiten,  welche  in  den  späteren  Teilen  des 
Avesta  oder  in  den  noch  späteren  Pehlevi-Schriften  zu  diesen 
alten  Lehren  hinzugefügt  worden  sind,  selbst  in  den  nach- 
exiliseben  Bflchem  des  Alten  Testaments  keine  Spur  zu 
finden  ist.  Dieser  Punkt  ist  von  Cheyne  in  den  Erpository 
Times  (Juni -Juli -August  1891)  sehr  gut  auseinandergesetzt 
worden.  ^) 

¥a  gibt  aber  einen  anderen  Punkt,  in  Bezug  auf  den 
wir  eine'  noch  auffallendere  Ähnlichkeit  zwischen  dem  Alten 
Testament  und  dem  Avesta  beobachten  können,  nämlich  die 
stsrice  Betonung  der  Einzigkeit  Gottes.  Hier  jedoch  scheint 
es  Mir,  dass  es,  wenn  irgend  ein  Gedankenaustausch  zwischen 
den  Anhängern  Moses'  und  Zoroasters  stattgefunden  hat,  die 
Letxteren  gewesen  sein  dflrften,  welche  beeinflusst  wurden. 
Der  plötzliche  Übergang  vom  Henotheismus  des  Yeda  zum 
Mcmoilieismus  des  Avesta  ist  nie  erklärt  worden,  und  ich  er- 
lanbe  mir,  wenn  auch  nicht  ohne  einige  Bedenken,  darauf 
hinznweisen,  dass  derselbe  in  Medien,  der  ursprünglichen 
HeimiU  der  Zoroastrischen  Religion,  stattgefunden  haben 
kdonte.  Die  Städte  Mediens  waren  es.  wo  eine  starke  jüdische 
Bevölkerung  angesiedelt  war,  nachdem  der  König  von  Assy- 
rien Israel  weggefahrt  und  sie  gesetzt  hatte  zu  Halah  und 
Habor,    am    Wasser    Gosan    und    in    die    Städte    der    Meder 


1)  Oh  possible  Zcroastrtan  Inßuences  on  ihe  Beliijion  of  Israel 
Siehe  aach  Spiegel,  Eranisehe  Altertumskunde,  Bd.  I.  pp.  446  fg. 


4S 


Zweite  Vorlesung. 


(II.  Könige  XVIII.  11).  So  scliver  non  aurb  ein  AnüUngcl 
religiöser  Ideen  xwiacben  Leuten,  welche  verschiedene  Sprachi 
reden,  sein  ma^,  so  honnte  doch  die  Thataache.  daas  sie  enb 
weder  Einen  Gott  oder  viele  GOtter  verobrlen.  schwerliol 
verfehlen,  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  zu  lonken.  Wem 
also  die  Jnden  ihren  Nacbbitm  die  Überzeugung  beibrachten 
dass  es  nur  Einen  (iott  geben  könne,  eine  überzengung', 
welche  trotz  wiederholter  Abtrünnigkeit  nie  aufgehört 
habfln  scheint,  einen  Bestandteil  des  Nation alglanbena  Isra^ 
zn  bilden,  so  wUrde  alles  Andere  von  selbst  genan  so  gefolg 
sein,  wie  wir  es  im  Avesta  finden,  wenn  wir  dfinselbeo 
dem  Veda  vergleichen.  Einer  der  alten  Oötter,  der  Asaxi 
Vsrnna,  wurde  nnter  dem  Nameu  Abura  Mazda  als  der  I 
und  höchste  (Iott,  der  Gott  Ober  alle  Götter,  aufgestellt; 
anderen  Dcvaa,  wenn  sie  darauf  Anspruch  erhoben  Göllw 
ZD  sein,  wurden  verleugnet,  und  nur  diejenigen,  welche 
untergeordnete  Ooister  behandelt  werden  konnten,  darftol 
bleiben,  ja  ihre  Zahl  wurde  noch  dnrch  Geister  oder  Eng« 
wie  Ameretät,  Iluurvalilt,  Vohumunö,  nnd  wie  sie  alle  heiilC'll 
verstarkl. 

Ich  will  durchaus  nicht  behauptet  haben,  dass  sich  dii 
streng  beweisen  Usst.  Ebensowenig  IlLsat  es  sich  beweism 
dass  die  Juden  den  Glauben  an  eine  Auferstehung  und 
Unsterblichkeit  notwendigerweise  von  den  Zoroastriern  esl 
lehnt  haben  müssen.  Schlieiilieh  können  ja  doch  di^enigei 
welche  dio  Unsterblichkeit  der  Seele  lengnen,  sie  snoh  U 
hanpten.  Alles,  was  ich  sage,  ist,  duss  eine  solche  AnnshtM 
da  sie  historisch  möglich  iät,  uns  helfen  worde,  viele  Dtng 
im  Avesta  und  in  der  Entwickelung  desselben  ans  vedisdii 
oder  vor-vodischen  Elecaenteu  za  crhi&ren,  die  bisher  bm 
keine  befriedigende  ErklJmng  gefunden  bähen. 

leb  werde  seint  der  Icli  sein  nerde. 

Es    gibt    aber    ein   noch    UberraicUendorcs    Ztisammoi 
treffen.      Sic   erinnern   sich   vielleicht,    dass    der    orfai 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  Bücher  untersucht.  49 

Anadmck  fflr  dieses  höchste  Wesen,  den  man  in  Indien  er- 
reicht hatte,  einer  war,  der  sich  in  den  vedischen  Hymnen 
findet,  in  den  Worten:  'Er,  der  Aber  allen  Göttern  der  ein- 
zige Gott  ist'.  Ich  zweifle,  ob  die  Physische  Religion  ein 
höheres  Kiveau  erreichen  kann.  Wir  müssen  uns  daran  er- 
innern, dass  jeder  individuelle  Gott  von  Anfang  an  mit  einem 
Aber  jeden  menschlichen  hoch  erhabenen  Charakter  ausge- 
stattet worden  war.  Indra,  Soma,  Agni  und  alle  die  anderen 
Devas,  die  es  im  vedischen  Pantheon  gab,  waren  als  die 
Schöpfer  der  Welt,  als  die  Beschützer  des  Guten  und  Rechten, 
als  allmftchtig,  allweise  und  siegreich  über  alle  ihre  Feinde 
besehrieben  worden.  Was  konnte  also  menschliche  Sprache 
und  religiöse  Andacht  Größeres  leisten,  als  von  Einem  höchsten 
Wesen  zu  sprechen,  hoch  erhaben  über  alle  diese  Götter, 
und  allein  des  Namens  Gottes  wert. 

Wir  sahen,  dass  auch  in  Griechenland  eine  ähnliche 
erhabene  Auffassung  des  wahren  Gottes  schon  sehr  früh 
Ausdruck  gefunden  hat  in  einem  Verse  des  Xenophanes, 
der  trotz  Zeus,  Apollo  und  Athene  zu  sagen  wagte:  ^Es 
gibt  nur  Einen  Gott,  der  der  Größte  ist  unter  Göttern 
und  Menschen  und  weder  an  Gestalt  noch  an  Detiken  den 
Sterblichen  gleicht.  ^  Dies  scheint  mir  wiederum  die  er- 
habenste Höhe  zu  bezeichnen,  welche  die  menschliche  Sprache 
erreichen  kann  in  ihrem  Bestreben,  von  dem  Einen  wahren 
Gott  eine  angemessene  Beschreibung  zu  geben.  Denn  obzwar 
das  Dasein  anderer  Unsterblichen  zugegeben  wird,  so  wird 
doch  angenommen,  dass  er  seine  besondere  hervorragende 
Stellung  unter  oder  über  ihnen  einnehme,  und  selbst  eine 
Ähnlichkeit  mit  irgend  etwas  Menschlichem,  sei  es  an  Gestalt 
oder  an  Denken,  wird  ausdrücklich  geleugnet,  wodurch  denn 
alle  jene  anthropomorphischen  Auffassungen,  von  denen  selbst 
in  den  besten  Religionen  die  Gottheit  sich,  wie  es  scheint, 
nie  ganz  losmachen  kann,  ausgeschlossen  sind.  Der  hebräische 
Paalmiat  gebraucht  dieselbe  erhabene  Sprache  in  Bezug  auf 
Jehovah.  »Es  ist  dir  keiner  gleich  unter  den  Göttern,  < 
sagt  er,   als  ob  er   die  Möglichkeit  anderer   Götter    zugäbe. 

Xaz  MftlUr,  Theotophie.  4 


50 


Zweite  Vorlesnng. 


Und  wiederum  nennt  er  Jehovah  >einojt  großen  König  über 
alFe  GöttcT',  indem  er  fast  dieaelbeu  Worte  gebmncM,  wie 
iler  vediache  RUti  and  der  ulte  griecliische  Pliilosoph,  Die 
Auffassung  des  höcbslon  Wesens,  wie  wir  sie  im  Aresta  fin- 
den, gibt  der  von  Johovab  im  Allen  Testament  doruliaDS 
nicbts  nach.  Hang  [Essays,  p.  :iU2)  geht  se  weit,  zn  be- 
haupten, sie  sei  volIliommeD  identisch  mit  ihr.  Ahnra  Mazda  ist 
nach  Zarathashtra  >der  Schupfet  dea  irdischen  und  geistigen 
Lebens,  der  Herr  des  ganzen  Weltalls,  in  dessen  HAnden 
alle  Geschöpfe  sind.  Er  ist  das  Licht  und  die  Quelle  des 
Lichts;  er  ist  die  Welshoit  und  die  Einsiebt.  Er  ist  im  Be- 
sitze aller  guten  Dinge,  der  geistigen  und  der  weltlicheii, 
wie  des  guten  Oeistes  (vohn-manij),  der  Unsterblichkeit 
(ameretä'V),  der  tiesnudhult  ;hanrvattl(/),  der  besten  Wahrheit 
Hsha  viihishta],  der  Andacht  und  Frömmigkeit  [Jlrmaiti)  und 
des  übertlnsaes  an  irdischen  Gütern  (khshatbra  vairyaj,  d.  h. 
er  gewährt  alle  diese  Gaben  dem  Gerechten,  der  da  aufriobtig 
ist  in  Gedanken,  Worten  und  Thaten.  Als  Beherrscher  des 
ganzen  Weltalls  belohnt  er  nicht  nur  die  Guten,  sondern  er 
ist  zn  gleicher  Zeit  ein  Bestrufer  der  DCisen.  Alles  Geschaffene, 
Gutes  oder  Böses,  Glftck  oder  CnglOck,  ist  sein  Werk.  Ein 
besonderer  böser  Geist  von  gleicher  Macht  wie  Abura  Mazda, 
aber  diesem  immer  feindlieh  gegen  üb  erstehend,  ist  den  Ältesten 
Bestandteilen  des  Avesta  fremd,  wenn  man  auch  aus  einigen 
der  späteren  Schriften,  wie  dem  Vendidäd,  das  Vorhandensein 
eines  solchen  Glaubens  bei  den  Zoroastricm  erschließen  kann.- 

Übereinstimmungen  dieser  Art  sind  gewiss  überraschend, 
für  den  vergleichenden  Iteligiimsforachcr  beweisen  sie  aber 
nur  die  Uni  versa  lit&t  der  Wahrheit;  sie  zwingen  durchaus 
nicht  zur  Annahme  eines  gemeinsamen  historischen  Ursprungs 
oder  eines  Borgens  auf  der  einen  oder  der  anderen  Seite. 
Wir  sollten  uns  in  der  That  freuen,  dass  in  Bezug  auf  diese 
Grundwahrheiten  die  sogenannten  heidnischen  Keligioneo 
der  Jadischen  und  der  christlichen  Beligion  völlig  gleich- 
stehen. 

Aber  gesetzt,   wir   fJudeu   denselben   Namen,    denselben 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  Bücher  untersucht.  51 

Eigennamen    der  Gottheit,    etwa    Jehovah    im    Avesta,    oder 
Ahnra  Mazda    im   Alten  Testament,    was   wttrden   wir   dann 
sagen?     Wir  wflrden  sofort  eine  Entlehnung  auf  der  einen 
oder  der   anderen   Seite   zngeben   müssen.      Nun  finden   wir 
allerdings  nicht  den  Namen  Ahura  Mazda  im  Alten  Testament, 
aber  wir  finden  etwas  nicht  minder  Überraschendes.     Sie  er- 
innern sich  wohl,  wie  wir  uns  freuten,   als   wir  mitten   unter 
vielen  unvollkommenen  und  mehr  oder  minder   anthropomor- 
phischen   Namen,   welche    der  Gottheit   im  Alten   Testament 
gegeben  werden,  plötzlich  auf  jenen  überaus  erhabenen  Namen 
Jehovahs    stießen:     Ich   werde   sein,   der   ich    sein    werde. 
Dies  schien  so  verschieden    von   den   gewöhnlichen  Begriffen 
der  Gottheit   bei    den   alten   Juden.      Was  würden   wir   nun 
sagen,  wenn  wir   genau  dieselbe  höchst  abstrakte  Benennung 
der  Gottheit  im  Avesta   träfen  ?     Und  doch  gibt  es  auch  im 
Avesta  unter  den  zwanzig  heiligen  Namen  Gottes  den  Namen 
*Ahmi  ya/  ahmi',  Ich  bin,  der  ich  bin\     Sollen  wir  auch 
in  diesem  Zusammentreffen   die   alte   Lehre  lesen,   dass  Gott 
sich  Allen  offenbart   hat,  die  ihn   suchen,   ob    sie    doch    ihn 
fUilen  und  finden  möchten,  oder  ist  das  Zusammentreffen  ein 
so  genaues,  dass  wir  eine  thatsächliche  Entlehnung  zuzugeben 
haben?     Und  wenn   so,    auf  welcher   Seite   dürfte   die   Ent- 
lehnung   stattgefonden    haben?      Im    Avesta    begegnet    uns 
dieser  Name  in  den  Yashts.     Im  Alten  Testament  kommt  er 
Exodus  III,  13  vor.     Chronologisch  geht  also  der  hebräische 
Text  dem  avestischen  voraus.     Im  Exodus  lesen  wir: 

»Mose  sprach  zu  Gott:  Siehe,  wenn  ich  zu  den  Kindern 
Israel  komme  und  spreche  zu  ihnen:  Der  Gott  eurer  Väter 
bat  mich  zu  euch  gesandt;  und  sie  mir  sagen  werden:  Wie 
heißet  sein  Name  ?  Was  soll  ich  ihnen  sagen  ?  Gott  sprach 
m  Mose:  Ich  teer  de  sein,  der  ich  sein  werde.  Und  sprach: 
Also  sollst  du  zu  den  Kindern  Israel  sagen:  Ich  werds  sein, 
der  hat  mich  zu  euch  gesandt.« 

Wie  ich  von  den  besten  Autoritäten  erfahre,  wird  diese 
Stelle  jetzt  einstimmig  der  Elohistischen  Partie  des  A.  T. 
zugerechnet.     Dillmann,  Driver,  Kuenen,  Wellhausen,  Cornill. 

4* 


52  Zneitfl  VorlcBDng. 

Kittet  D.  s.  Btimmen  Alle  in  diesem  Ptuilcl  flberein.  Aber 
sielit  es  nicht  wie  ein  fremder  Gedanke  aus?  Waa  wir  alt 
Antwort  auf  die  Frage  doa  Moses  erwarlen,  ist  in  Wirklich- 
keit das,  was  Vers  15  folgt:  -Und  fielt  sprach  ;weiter)  xa 
Mose:  Also  sollst  du  zu  den  Kindern  Israel  SHgen:  Der 
Herr,  ouror  Väter  Gotr.  ist  mir  erschienen,  der  Gott  Abrahams, 
der  Gott  Isnnks,  der  Gott  Jakobs,  hat  mich  zn  euch  gesandt: 
das  ist  mein  Name  ewiglich.  .  .  .'  Das  ist  es,  was  wir  er- 
warten.  denn  es  war  thatsachltoh  im  Namen  Johovahe,  dea 
Gottes  Abrahams,  Isaaks  nnd  Jakobs,  dass  Moses  das  Volfc 
aus  Äfcypten  fflhrte;  anch  ist  keine  Spnr  davon  da,  dass 
Moses  einem  göttlichen  Befehle  gehorcht  nnd  sich  auf  'Ich 
werde  sein,  der  ich  sein  werde'  bemfen  habe  als  den  Gott, 
der  ihn  gesandt.  Ja,  es  findet  sich  nie  wieder  irgend  eine 
Anspielung  anf  einen  solchen  Namen  im  Alten  Testament, 
nicht  einmal  wo  wir  mit  vollem  Recht  erwarten  würden, 
demselben  zu  begegnen. 

Wenn  wir  Vers  14  als  eine  spätere  UinznfOgnng  ant- 
fassen  —  und  der  Rev.  J.  Estlin  Carpenter  teilt  mir  mit, 
daas  dies  in  der  Elobiätischcn  Erzählung  ganz  gnt  mOglieh 
ist  — ,  so  wird  Alles  klar  und  natürlich,  nnd  wir  kfinneS' 
daher  kaum  daran  zweifeln,  dass  diese  Hinznfagnng  von: 
einer  auswärtigen,  und  buchst  wahrscheinlich  einer  Zore- 
astrischen  Qnelle  stammt.  Im  Zond  mochte  der  Zusammenhan|f 
zwischen  A/iura,  dem  lebendigen  Gotte,  nnd  dem  Verbnoi' 
a/i.  'sein',  gefählt  worden  sein.  Anch  im  Sanskrit  könnt« 
der  Zusammenhang  zwischen  asura  und  as,  'sein',  kaum  der 
Iteacbtnng  entgangen  sein,  namentlich  da  es  anch  das  Wort 
iis-u,  'Atem',  gab.  Nun  ist  es  gewiss  sehr  sonderbar,  daat 
anch  im  Hebräischen  e/iyr-h  auf  dieselbe  Wurzel  wie  Jthoeatk 
hiniuweisen  scheint,  aber  selbst  wenn  diese  Ktymologla 
historisch  baltbar  wäre,  so  scheint  sie  doch  den  Juden  nickt 
aufgefallen  zu  sein,  außer  in  dieser  Stelle. 

Doch  sehen  wir  nns  nnn  unsere  Anloritäten  im  ZeoA 
genauer  an.  Dto  fragliche  Btelle  kommt  im  Ormasd  Tasht 
vor.  und  die  Taahts  waren,  wie  wir  sahen,  einige  der  spftteateB 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  Bücher  untersucht  53 

Erzeagnisse  der  ayestischen  Litteratnr,  in  manchen  Fällen  so 
spdU  als  das  vierte  Jalirhandert  y.  Chr.  Der  Verfasser  der 
Elohistischen  Partie  also,  der  nach  der  gewöhnlichen  An- 
nahme nicht  später  als  750  y.  Chr.  anzusetzen  ist,  konnte 
nicht  von  diesem  Tasht  entlehnt  haben.  Wohl  aber  könnte 
der  Interpolator  die  Stelle  entlehnt  haben.  Aoßerdem  dürfen 
wir  nicht  vergessen,  dass  dieser  Onnazd  Yasht  einfach  eine 
An&Lhlnng  der  Kamen  Ahura's  ist.  Die  zwanzig  Namen 
Ahnras  sind  gegeben,  am  ihre  Wirksamkeit  znm  Schutze 
gegen  alle  Gefahren  darznthun.  Es  kann  daher  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  diese  Kamen  als  heilige  Kamen  an- 
erkannt wurden,  und  dass  sie  lange  vor  der  Zeit  ihrer  Zu- 
sammenstellung existiert  hatten.  Ich  lasse  hier  die  Übersetzung 
der  einleitenden  Paragraphen  nach  den  S.  B.  E..  Bd.  XXIII, 
p.  23  folgen: 

Zarathushtra  fragte  Ahura  Mazda:  >0  Ahura  Mazda, 
höchst  wohlthätiger  Geist,  Schöpfer  der  körperlichen  Welt, 
du  Heiüger,  welches  heilige  Wort  ist  am  stärksten  ?  Welches 
ist  am  siegreichsten?  Welches  ist  am  glorreichsten?  Wel- 
ches ist  am  wirksamsten?  Welches  trifft  die  Feinde  am 
tödlichsten?  Welches  heilt  am  besten?  Welches  zerstört 
am  besten  die  Bosheit  der  Da^Tas  und  Menschen  ?  Welches 
lässt  die  körperliche  Welt  am  besten  zur  Erfüllung  ihrer 
Wftnsche  gelangen?  Welches  befreit  die  körperliche  W^elt 
am  besten  von  den  Sorgen  des  Herzens?«  Ahura  Mazda 
aatwortete:  »unser  Käme,  o  Spitama  Zarathushtra,  welches 
die  Ameahaspentas  sind,  das  ist  der  stärkste  Teil  des  heiligen 
Wortes,  das  ist  am  siegreichsten,  das  ist  am  glorreichsten«  u.  s.  vr. 
Dann  sagte  Zarathushtra:  > Offenbare  mir  jenen  von 
deinen  Namen,  o  Ahura  Mazda,  welcher  am  größten  ist.  am 
besten,  am  schönsten,  am  wirksamsten  u.  s.  w.c 

Ahura  Mazda  antwortete  ihm:  >Mein  Käme  ist  Der.  an 
den  Fragen  gestellt  werden',  o  heiliger  Zarathushtra! 

Nnn  finden  wir  sonderbarer  Weise,  dass  Haug  dieselbe 
dtelle  fr^,  aber  nicht  genau,  folgendermaßen  fibersetzt: 
»Der  erste  Name  ist  Ahmi,  'ich  bin'.- 


5-1 


Zweite  Vorlesung, 


Der  Text  lautet:  Frakhsbtya  näma  ahmi,  and  dies 
bedeutet:  »'Ein  zu  Fragender' mit  NaniBn  bin  ich.«  FrageD' 
ist  der  «nerkaunle  Ansdrnck  fUr  das  Fragen  um  offenbarte 
Wahrheit,  so  daaa  spento  Trasna.  die  heilige  Frage  mit 
Einscbluas  der  Antwort,  bei  den  Pai'sen  schließlich  fast  das- 
selbe bedeutete  wie  'OlTenbaraug'.  Haag  scheint  dieses  Wort 
nbersehen  za  haben,  und  aeiae  Überselzung  ist  daher  (älach- 
licher  Weise  angeführt  worden,  nra  darzuthuQ,  dass  'Ich  bin 
ein  Name  Ähnra  Mnzda's  sei. 

Wenn  wir  aber  zu  dem  zwanzigsten  Namen  kommen,  so 
linden  wir,  dass  Haugs  f'bersotzung  genauer  i^t  als  die 
Darmesteters.  Der  Text  lautet:  visastomO  ahmi  yaf 
ahmi  Mnüilau  nüma.  Dies  bedeutet:  »Der  zwanzigste, 
ich  hin,  was  icU  bin,  Mazda  mit  Namen.  <  IJier  tibersutzt 
Darmesteter:  >Meiu  zwanzigster  Nume  ist  Mazda  (der  AU- 
wisseudej,<  Hang  genauer:  'Der  zwanzigste  (Name  ist)  'Ich 
bin,  der  ich  bin,  Mazda'.«  ') 

Hier  also,  in  diesem  zwanzigsteu  Namen  Ahura  Mazda's, 
'leb  bin,  der  ich  bin',  haben  wir  wahrscheinlich  die  Quelle 
des  Verses  im  Exodus  UI,  14  zu  suchen,  wir  müsslen  denn 
geneigt  sein,  ein  ganz  außerordentliches  Zusammentreffen  U- 
zunebmeu.  und  zwar  unter  Umstanden,  wo  eine  gegenseitige 
Beeinflussung,  Ja  Ihats&cblichc  Entlehnuug,  nichts  weniger 
als  schwer  war.  und  wo  der  Charakter  der  Stelle  im  Exodas 
dentliohe  Anzeichen  zu  enthalten  scheint,  :iuf  welcher  $üt« 
die  Entlehnung  stattgefunden  haben  mnss. 

So  hoffe  ich  denn  klar  gemacht  zu  haben,  worin  der 
wahre  Wert    der    heiligen   Bücher   des   Ostens   für   die  ver- 

1)  Eine  andere  CbersetsiuiiK  der  Worte  visäBtemö  nbmi  yat 
uliai  Haxdsu  nüma  ist  von  West  vorgeschlagen  wurden.  Abmi 
im  Zeud,  scbrdbt  er.  ist  nicht  nur  dasselbe,  ^^ie  Sk.  usmt,  'ich 
bin',  sooderu  es  wird  auch  als  Lokativ  des  Person.iIproDomens  der 
ersten  Person,  dem  8k.  mayi  ent«precheail ,  gebrancht.  Es  Ist 
deoisaob  möglich  tu  übersetzen:  >ber  zwunzlgste  Name  fUr  niieh 
isi,  dass  ich  Mazda  bin;'  die  meisten  Oolebricn  werden  Judoob 
vüTziebeD,  die  beiden  ahmi's  tllr  dasselbe  zu  halten  iind  zu  Über- 
seUen:  >Der  zwanzigste  ist  leb  bin,  was  ich  biu.  Mazda'  mit 
Namen.* 


Der  wahre  Wert  der  heiligen  Bücher  untersucht.  55 

gleichende  Religionswissenschaft  besteht.  Wir  müssen  unum- 
wunden ^gestehen,  dass  yiele  litterarische  Dokumente,  in 
denen  wir  Spuren  des  frühesten  Wachstums  einer  Religion 
zu  finden  hätten  hoffen  können,  uns  auf  immer  verloren  sind. 
Ich  habe  Ihnen  zu  zeigen  gesucht,  wie  namentlich  bei  der 
Zoroastrischen  Religion  unser  Verlust  sehr  groß  gewesen  ist, 
und  die  vor  kurzem  erfolgte  Veröffentlichung  des  Dlnkar^/ 
durch  E.  W.  West  [S,  B,  E,,  Bd.  XXXVU)  hat  es  uns  erst 
recht  znm  vollen  Bewusstsein  gebracht,  wie  viel  höchst  wert- 
volle Belehrung  uns  auf  immer  verloren  ist.  Wir  lesen  zum 
Beispiel  (Buch  IX,  Kap.  31,  13),  dass  es  im  Varstmänsar 
Nask  ein  Kapitel  gegeben  habe  über  »das  Entstehen  der 
geistigen  Schöpfung,  als  den  ersten  Gedanken  des  Aüharmazef ; 
und  betreffs  der  Geschöpfe  Aüharma;?^s,  erst  die  geistige  Er- 
rungenschaft,  und  dann  die  materielle  Gestaltung  und  das 
Mischen  von  Geist  und  Materie  [das  Emporkommen  der 
Geschöpfe  vermittelst  dessen,  dadurch  dass  seine  Weisheit 
und  die  Gerechtigkeit  Vohümans  in  den  Geschöpfen  wohnt], 
und  dass  alle  guten  Geschöpfe  vermittelst  dessen  zur  Reinheit 
und  Freudigkeit  angestachelt  werden.  Auch  dies,  dass  ein 
völliges  Verständnis  der  Dinge  dadurch  entsteht,  dass  Vohüman 
in  eines  Menschen  Vernunft  (väröm)  sein  Heim  aufge- 
schlagen hat.« 

Die  eingehende  Behandlung  dieser  Fragen  im  Avesta 
sehen  zu  können,  würde  für  alle  Forscher  auf  dem  Gebiete 
der  Religionsgeschichte  von  dem  größten  Werte  gewesen  sein, 
ob  sie  nun  einen  unmittelbaren  Einflnss  des  persischen 
Denkens  auf  jüdisches  und  christliches  Denken  zugeben,  oder 
ob  sie  die  Zoroastrische  Idee  von  einer  geistigen  Schöpfung, 
auf  welche  eine  materielle  folgte,  einfach  als  eine  lehrreiche 
Parallele  zu  dem  Philonischen  Begriff  des  Logos  und  seiner 
Verwirklichung  in  der  materiellen  Welt  als  aaQ^,  und  Vohüman 
bloß  als  eine  Parallele  zu  dem  heiligen  Geist  ansehen.  Es  ist 
tber  jetzt  keine  Hoffnung  mehr  vorhanden,  dass  wir  je  wieder- 
fioden  werden,  was  schon  so  lange  Zeit  verloren  gewesen  ist. 
Wir  müssen  also  zugeben,  dass  trotz  aller  heiligen  Bücher  des 


hl> 


Zweite  Vorlcsang. 


Ostens  iiiiaere  Kenntnis  alter  ßeli^onen  stets  sehr  nnvoU- 
kommen  bleiben  wird,  und  dass  wir  oft  gezwungen  sind,  nns 
auf  Schriften  zn  vorlassen ,  deren  Datum  aU  Schriften,  im 
Vergleich  zu  der  Zeit,  die  sie  zn  achilderii  vorgeben,  sehr 
spät  iat.  Es  folgt  daraus  Dicht,  dass  nicht  t'borreste  aller 
Zeit  in  modernen  BQcbern  verborgen  sein  können,  aber  so 
viel  folgt  daraus,  dass  diese  modernen  Bdcher  mit  großer 
Vorsicht  gebraucht  werden  müssen,  auch  dass  deren  Cber- 
setzung  nicht  wörtlich  genug  sein  kann.  Es  herrscht  eine 
gefährliche  Tendenz  unter  den  Orientalisten,  nitmlich  eine 
fast  nnbewusste  Neigung,  gewisse  Stellen  im  Veda,  im  2end 
Avesta  oder  im  buddhistischen  Kanon  in  biblische,  vom  Alton 
oder  Neuen  Testament  hergenommene  Sprache  zn  Ubersetzen- 
In  msnchen  Beziehnngen  mag  ja  dies  nützlich  sein,  da  es 
uns  die  Bedentung  solcher  Stellen  nithor  bringt.  Aber  ea 
liegt  auch  eine  Gefahr  darin,  denn  solche  Übersetzungen 
geben  leicht  zu  der  Meinung  Anlass,  dass  die  Ähnlichkeil 
großer  sei,  als  sie  es  in  Wirklichkeit  ist,  ao  groß  in  der 
That,  dass  sie  nur  durch  wirkliebe  Entlehnnng  erklärt  werden 
könnte.  Wir  thun  recht  daran ,  zu  versuchen ,  orientali- 
sches Denken  und  Sprechen  unserem  eigenen  Denken  und 
Sprechen  so  nahe  als  möglich  zu  bringen,  aber  wir  mflssen 
tins  auch  davor  in  Acht  nehmen,  dass  wir  nicht  die  feinen 
ZQge,  welche  jedem  von  beiden  eigen  sind,  verwischen, 
sollte  auch  die  Cborsetzung  in  unsere  eigene  Sprache  darum 
zuweilen  fremdartig  und    nnidiomatisch  klingen. 


Dritte  Vorlesung. 

Die  historische  Verwandtschaft  alter  Beligionen  nnd 

Philosophien. 


Wie  auui  alte  Bellirionen  und  «Ite  Philosophien  Tergleiehen  soll. 


Wir  sahen  bei  dem  Avesta,  wie  unumgäDglich  nötig  es  ist. 
da»  wir  nns  von  dem  Verhältnis,  in  welchem  die  Religionen 
und  Philosophien  der  alten  Welt  zn  einander  stehen,  einen 
klaren  Begriff  machen,  ehe  wir  es  unternehmen,  sie  zu  ver- 
^eiehen. 

In  früheren  Zeiten,  als  man  von   den  entfernteren  Ver- 

wandtsehaftsgraden,    durch  welche  die  historischen  Nationen 

der  Weit  yerbnnden  sind,  wenig  wusste,  war  die  Yersnchnng 

grofi,  so  oft  irgend  eine  Ähnlichkeit  zwischen  den  Glaubens- 

ndnnngen     yerschiedener    Nationen     hervorgehoben    wurde. 

aizunehmen,    die   eine  habe  von  der  anderen  entlehnt.     Die 

Grieehen  redeten  sich,   wie  wir  sahen,  thatsächlich  ein,   dass 

se  die  Namen   einiger  ihrer  Götter    von   Ägypten    entlehnt 

bitten,    weil    sie    eine    gewisse    Ähnlichkeit    zwischen    ihren 

ei^en  Gottheiten  und  denen  jenes  alten  Landes  entdeckten. 

Wir  wissen  aber  jetzt,  dass  eine  derartige  Meinung  ganz  und 

gar  onbegrflndet  war.    Christliche  Theologen,  von  den  Tagen 

te  Clemens  von  Aiexandria  bis  auf  unsere  eigene  Zeit,  waren 

tbenengt,  dass  jede  aufHÜlige  Übereinstimmung  zwischen  der 

Bibel  und  den  heiligen  Btlchem  anderer  Religionen  nur  Einen 

Onad  haben  könne,  nämlich  Entlehnung  seitens  der  Heiden: 

andererseits    fehlte    es    nicht    an    griechischen    Philosophen. 


Dritte  Vorlesung. 


welche  christliche  Lehrer  beschuldigten,   ihre  besten  Lehren 
von  PUto  nnd  Aristoteles  hergenommen  zu  haben. 


(•eineiDSameg  Menschentnui. 

Wir  mttasen  dalier  zu  allererst  versuchen, 
diesen  Punkt  klar  zn  werden.  Wir  kOnnen,  glaube  ich.  vier 
verschiedene  Arten  von  Verwandtschaft  unterscheiden, 
entfernteste  Verwundtachnft  ist  die,  welche  einfach  auf  unserem 
gemeinäamen  Menschentum  beruht.  Homüies  snnius, 
humani  <i  nolii«  aUenum  putnmus.  Vieles  von  dem,  was  in 
den  Gegenden  des  Nordpols  möglich  ist,  ist  es  auch  in  den 
Gegenden  des  Sfldpols:  und  es  kann  nichts  Interessanteres 
geben,  als  wenn  es  uns  gelingt.  Cbereinstimmungen  £u  ent- 
decken zwischen  Glanbenameinungen ,  abergläubischen  Vor- 
stellungen und  Gebräncheu  bei  Völkern ,  die  voneinander 
ganz  getrennt  sind  und  nichts  miteinander  gemein  haben, 
als  ihr  gemeinsnraea  Menachentnm.  Solche  Glauben  am  oinungen, 
aberglflnbiache  Voralellnngen  und  Gebräuche  haben  eine  be- 
sondere Wichtigkeit  in  den  Augen  ilea  Psychologen,  weil  si«, 
wenn  wir  nicht  daa  Kapitel  des  Zufalls  gar  zu  weit  aus- 
dehnen wollen,  kaum  des  Anaprncbea  beraubt  werden  kOnne», 
als  in  der  menschlichen  Natur  begründet  zn  gelten  nnd  in 
diesem  Falle,  wenn  nicht  wabr,  so  doch  immerbin,  menseli- 
licb  geaprochen,  berechtigt  zu  sein.  Es  ist  wahr,  man  hat 
es  sehr  schwer  gefunden,  irgend  einen  Glauben  oder  irgend 
eine  Sitte  ala  ganz  allgemein  zn  beweisen.  Die  Spraobo 
allerdings  und  in  Einem  Sinne  auch  gewisse  grammaüsohe 
Prozesse,  der  Begrifl'  der  Zahl  und  die  Annahme  gewisser 
Zahlw(irter  können  ala  allgemein  bezeichnet  werden;  der 
Glaube  an  Götter  oder  Hbernatürliche  Mächte  ist  fast  altge- 
mein, so  auch  ein  Schamgefühl  in  geschlechtlichen  Dingeo, 
und  eine  mehr  oder  minder  genaue  Beobachtung  der  Ver- 
änderungen des  Mondca  und  der  Jahreszeiten. 

Einen  Punkt    aber    sollten    wir    als    Anthropologen    nie 
au&er  Acht  lassen.     Wir  gewinnen   nichts   oder    aehr   wenig 


Die  bistor.  Verwandtschaft  alt.  Religionen  u.  Philosophien.    59 

djtdnrch,  dass  wir  einfach  ähnliche  Formen  des  Aberglaubens 
oder  ähnliche  Oebränche  bei  verschiedenen  und  weit  entfernten 
Völkern  sammeln.     Dabei  kommt  nicht  viel  mehr  heraus,  als 
wenn  wir  als  vergleichende  Sprachforscher   entdecken,    dass 
*yeriiebf  im  Französischen   amoureux  und  im   Mandschn  in 
Nord-Cliina  amourou  heißt.    Das  ist  seltsam,  aber  nichts  mehr. 
Oder,  wenn  wir  Gebräuche  vergleichen,  so  ist  bekanntlich  eine 
sehr  sonderbare  Sitte,  die  sogenannte  Couvade^  bei  verschie- 
denen Völkern   sowohl  in  alten  wie  in  modernen  Zeiten  ent- 
deckt worden.     Sie  besteht,  wie  Sie  wissen,   darin,    dass  der 
Vater  zu  Bett  gebracht  wird,   wenn  die  Mutter  einem  Kinde 
das  Leben  geschenkt  hat.    Aber  außer  der  allgemeinen  Ähn- 
lichkeit der  Sitte,    die  ja   gewiss    sehr  außergewöhnlich   ist, 
hätten   die    örtlichen    Verschiedenheiten   derselben   viel    sorg- 
filtiger   studiert  werden   sollen,    als  es  bisher  geschehen  ist. 
In  manchen   Fällen   scheint  der   Gatte  höchst   rflcksichtsvoll 
gepfl^   und   bedient   zu  werden,  in  anderen  Fällen  wird  er 
einfach  zur  Ruhe  ermahnt  und  davon  abgehalten,  im  Hanse 
Lärm  zu  machen.    In  anderen  Ländern  hinwiederum  tritt  ein 
ganz    nenes   Element   dazu.      Der    arme   Vater    erfährt    eine 
höchst  feindselige  Behandlung  —  er  wird  von  den  weiblichen 
Mitgliedem   seines  Haushalts  thatsächlich   gepeitscht  und  als 
ein   großer  Verbrecher    behandelt     Solange    wir    nicht    das 
wirkliche  Motiv   jener   sonderbaren   Abarten   derselben   Sitte 
entdecken  können,   ist  die  bloße  Thatsache,  dass  man  sie  in 
vielen  Gregenden    angetroffen    hat,   nicht    mehr   als  seltsam. 
Sie  hat  nicht  mehr  wissenschaftlichen  Wert,   als   die   Über- 
dsstimmnng  zwischen  dem  französischen  amoureux  und  dem 
üandschn    amourou,      Oder,    um    ein    anderes    Beispiel    zu 
nehmen,    die    bloße  Thatsache,    dass    das   Sanskrit   Haritas 
Baehstabe  ftlr  Buchstabe  dasselbe  Wort  ist,   wie  das  griechi- 
aehe  ChariteSj   lehrt  uns   nichts.     Erst  wenn  wir   im   stände 
liad  zn  zeigen,  warum  die  Haritas  in  Indien  und  die  Charites 
ii  Griechenland  denselben  Namen  erhielten,   gewinnen  diese 
Ußerlichen   Ähnlichkeiten   einen   wahrhaft  wissenschaftlichen 
Werl    Zu  behaupten,  dass  etwas  Ähnliches  wie  die  Couvade 


ÖO 


i  Vorlesung. 


Iiis  gKoz  vor  kurzem  in  Spanien  nnd  auch  in  China  eiistiert«, 
erklärt  nichts,  oder  erklart  ignotum  per  ignotius.  Erat  wenn 
wir  das  gemeinsame  Motiv  eines  in  unserem  gemeinsamen 
Menschentum  bogrOndeten  Brauches  oder  Aherglanbens  ent- 
decken künnen,  dürfen  wir  für  diese  Studien  den  Titel  Anthropo- 
logie beanspruchen,  dürfen  wir  von  einer  wirklichen  Wissen- 
schaft vom  Menschen  sprechen.  ',1 

ßemelDsame  Sprache. 

Die  zweite  Art  von  Verwandtschaft  ist  die  einer  ge- 
meinsamen Sprache.  Die  meisten  Leute  «flrden  denken,  dsss 
Gemeinsamkeit  des  Blutes  ein  stärkeres  Band  sei.  als  Ge- 
meinsamkeit der  Sprache.  Allein  Niemand  bat  je  definiert, 
was  man  nnter  'Blut'  vereteht;  gewöhnlich  wird  es  aU  bloße 
Metapher  gebraucht;  nnd  es  bleibt  in  den  meisten  Fällen  die 
{Schwierigkeit,  oder  ich  euUte  vielmehr  sagen :  die  Uamag- 
licbkoit.  entweder  die  Reinheit  oder  die  Mischung  des  Blates 
in  den  ältesten  Perioden  des  Daseins  des  Menschen  auf  Erden 
zu  beweisen.  Schließlich,  wenn  wir  mit  Gl&nbensmeinunge« 
und  Sitten  zu  thun  haben,  ist  es  ja  doch  dor  Versland,  der 
den  Aosschlag  gibt,  und  nicht  das  Blut.  Nun  ist  aber  die 
äußere  oder  materielle  Form  des  Verstandes  die  Sprache, 
und  wenn  wir  mit  Völkern  zu  thun  haben,  welche  zu  der- 
selben Sprachen familie.  sei  es  der  semitischen,  der  arisobeo, 
oder  der  polyuestachen,  gehören,  so  sollten  wir  stets  anf  Ähn- 
lichkeiten in  ihren  Sitten ,  in  ihren  Religionen ,  ja  anoh  in 
ihren  philoso[ihischen  Ausdrücken  gefasst  sein. 


Drittens  gibt  es,  was  ich  eine  wirkliche  historische  Ver- 
wandtschaft nennen  möchte,  wie  wenn  Völker,  ob  sie  nun 
verwandte  oder  nicht- verwandle  Sprachen  reden,  eine  Zeit  lang 


li  Über  dieCouvadeBiehe.^.W™..r/lfi9a,  Nr  10.^0,  IU72,  lÖ'S. 


Die  histor.  Verwandtschaft  alt.  Religionen  u.  Philosophien.    61 

zusammen  gelebt  haben,  ehe  sie  politisch  voneinander  getrennt 
wurden.  Die  Einwohner  von  Island  znm  Beispiel  sprechen 
nicht  nnr  einen  mit  den  skandinavischen  Sprachen  enge  zn- 
sammenbAngenden  Dialekt,  sondern  sie  verlebten  thatsftchlich 
die  frtthesten  Perioden  ihrer  Geschichte  unter  derselben  poli- 
tisehen  Herrschaft  wie  die  Völker  Norwegens.  Gemeinsame 
Sitten  also,  die  wir  in  Island  und  Norwegen  finden,  lassen 
eine  historische  Erklärung  zu.  Dasselbe  gilt  fflr  amerikanische 
Sitten  der  Gegenwart,  wenn  wir  sie  mit  älteren  englischen 
oder  irischen  Sitten  vergleichen. 

Gemeinsame  Nachbarschaft* 

Verschieden  von   diesen  drei  Arten   der  Verwandtschaft 
ist  die  der  bloßen  Nachbarschaft,  welche  zur  Entlehnung  ge- 
wisser   fertig    vorliegender    Dinge    auf   der    einen    oder    der 
anderen  Seite  führen  mag,  —  eine  ganz  andere  Art  der  Ver- 
wandtschaft, als  die  Gemeinsamkeit  eines  von  denselben  Ahnen 
ererbten  Gutes.    Wir  wissen,  wie  viel  die  Finnen  zum  Beispiel 
von  ihren  skandinavischen  Nachbarn  in  Bezug  auf  Sitten,  Legen- 
den, Religion  und  Sprache  entlehnt  haben.     Es  kommt  nicht 
s^ten  vor,  dass  zwei,  wenn  nicht  drei  von  diesen  Arten  der 
Verwandtschaft  zu  gleicher  Zeit  vorhanden   sind.     So,  wenn 
wir  die  semitischen  und  arischen  Religionen  in  Betracht  ziehen, 
kann  irgend    eine  Übereinstimmung  zwischen   denselben   von 
dem  gemeinsamen  Menschentum  dieser  Völker  allein  herrühren. 
außer  in  Fällen,  wo  wir  in  späterer  Zeit  eine  historische  Be- 
rflhrung  zwischen  einem  arischen  und  einem  semitischen  Volke 
nachweisen  können.    Niemand  kann  daran  zweifeln,  dass  die 
Phönizier   die    Lehrmeister,    oder    mindestens   die   Schreibe- 
meister  der  Griechen  gewesen;  auch  dass  in  mehreren  Teilen 
der  Welt  Griechen  und  Phönizier  durch  Handelsverkehr  in 
nahe  Beziehungen  gebracht  worden  seien.    Wir  können  daher 
direh  bloße  Entlehnung   das  Vorhandensein   von  semitischen 
tarnen    wie    Melikertes    in    der    griechischen   Mythologie    er- 
l^liren;    desgleichen    das  Aufpfropfen   semitischer  Ideen   auf 


62  Dritte  Vorleaung. 

griechisclie  Gottbeiten.  wie  bei  Aphrodite  oder  U^raklea.  Kein 
grieoliiacher  Gelebrter  jedoch  würde  aunebmcn,  dass  die 
Oriccben  ibreo  nTsprflnglicfaeD  liegriff  niiit  Namon  run  Aphro- 
dite oder  Herakles  IhaUftclitich  aus  semitisuhen  Quellen  ent- 
lehut  hStlen,  wenn  auch  die  AufpfrojifuDg  semitisoher  Ideen 
auf  eiuen  griechiBclien  Stamm  in  gcwiKBeri  Fallen  zn  einer 
vollBtäniligen  Cberleifung  semitischen  Denkens  in  griechische 
Pormen  gefllbrl  haben  mag.  Im  allgemeioen  genügen  die 
Form  eines  Nnmcns  nnd  die  LautgeseiKe,  welche  den  allge- 
meinen Charakter  semitischer  nnd  arischer  Wörter  bestimmen, 
lim  uns  in  den  Stand  zn  äetzen,  zn  enlscheiden,  wer  bei 
diesen  Austauschen  der  Enllebner  und  wer  aar  Borger  ge- 
nesen; doch  gibt  es  manche  Fälle,  wo  wir  vorlSnfig  im 
Unklaren  sind. 

Obgleich  man  noch  keine  hofriBdigende  arische  Etymo- 
logie von  'Aphrodite'  gefunden  hat,  worde  doch  Niemand 
einen  semitischen  LTrsprung  ftlr  ein  solches  Wurt  behaupten 
wollen,  so  wenig  als  man  eine  griechisohe  Etvmologie  für 
'M'-Ukertes'  verlangen  würde,  Ks  ist  bedauerlich,  wenn  man 
sieht,  wie  die  alte  Idee,  griechische  mythologische  Namen 
geradeswegs  vom  Hebräischen,  nicht  einmal  vom  PhOnSii- 
scben,  abzuleiten,  von  einer  so  geachteten  ZeilschriA  wie  den 
Jahrbücher»  für  A-lansur/ie  Philoloi/ie  wieder  anfgetVisofal 
und  begünstigt  wird.  In  dem  Bande  fitr  18u:i,  pp.  177  Tg., 
ist  ein  Artikel  verO (Ten t lieht,  in  welchem  Dr.  Heinrich  Lewy 
Elyifion  von  'BltshA',  einem  der  vier  Söhne  des  Javan  (Ge- 
nesis X,  4)  ableitet,  der  ein  Repräsentant  Siziliens  nnd 
Unteritalions  sein   soll.  ■)     Gesetzt   dem  wäre   so,  sollen  wir 


Ij  Die  Sirenen  aollen  nach  Ür.  Lewy  ihren  Knmen  von  Shtr- 
cfaän,  'Gesang  der  Gunst',  erhalten  haben:  £>V«iUjrio  von  ebtiltb, 
'Geburtswehen';  UpU  in  Artmii*  Upix  von  chöphlth,  'GOttlo 
von  chAph,  dem  Gestade';  ChSh  vom  hebräischen 'Aö/An,  'Sehtr'; 
Selliropho»  von  'El  räphön,  'El  der  HclIuDg';  Sarprdon  rtm 
ZarpIidOn.  'FbIb  der  Rettung':  Europe  von  'Aröbliä,  'dia  Vor- 
(InakcUe';  Mino»  von  M6ne,  'Der  ItestiuiuieiKti*,  Aiordiionde';  Blw- 
damanthyt  von  RfidiVemeth,  'der  in  Wuhihufllgkoit  hi'rrsclieude'; 
Ailraiteia  von  Ditresbeth,    'der  Gi-tiugihuuog  fordernde,  Racb« 


Die  histor.  Verwandtschaft  alt.  Religionen  u.  Philosophien.    03 

glauben,  dass  nicht  nnr  die  Griechen,  sondern  auch  andere  an- 
sehe und  nichtarische  Völker  ihren  Glauben  an  den  Westen  als 
die  Wohnstätte  der  Seligen,  an  Hesperien  und  die  MavMQtov 
yf^aoL  von  den  Juden  ableiteten?  Ich  will  nicht  behaupten, 
dass  wir  eine  befriedigende  Etymologie  von  Elysion  im  Grie- 
chischen haben ;  Alles,  was  ich  behaupte,  ist,  dass  Nichts  da 
ist,  was  auf  ausländischen  Ursprung  hindeuten  würde.  JSlt/- 
stan  scheint  mit  dem  griechischen  ijkvO^  in  illvO^ov,  7tQoo- 
r^kvTog,  und  mit  dem  Sk.  ruh,  ^sich  erheben*,  ^sich  bewegen' 
zusammenzuhängen.  Im  Sk.  haben  wir  sowohl  ä-ruh,  *auf- 
steigen\  als  auch  ava-ruh,  ^herabsteigen.  Wir  finden  that- 
sächlich  Rv.  I,  52,  9  röha/^am  divä^,  ^Aufstieg'  oder 
'Gipfel  des  Himmels',  und  Rv.  I,  105,  11  mädhye  äröd- 
hane  diväA,  wo  wir,  wenn  wir  rudh  für  ruh  nehmen 
könnten,  eine  starke  Analogie  zu  einem  Elysion  als  einer 
himmlischen  Wohnstätte  haben  würden;  während  avaröd- 
hanam  diväA,  Rv.  IX,  113,  8  ein  anderer  Ausdruck  für 
die  Wohnstätte  der  Seligen  ist.  Das  griechische  ijlvoior 
würde  für  rjkvv^-Twy  stehen. ') 

Wir  sahen  in  unserer  letzten  Vorlesung,  dass  alle  Über- 
einstimmungen, die  es  zwischen  der  alten  Philosophie  der 
Griechen  und  der  der  Brahmanen  etwa  geben  mag,  durch 
das  gemeinsame  Menschentum  allein  erklärt  werden  sollten. 
In  manchen  Fällen  können  wir  uns  vielleicht  auf  die  ursprüng- 
liche Gemeinsamkeit  der  Sprache  zwischen  Brahmanen  und 
Griechen  berufen,  denn  die  Sprache  bildet  eine  Art  schiefer 
Ebene,  welche  die  allgemeine  Richtung  oder  Neigung  jedes 
inf  ihr  errichteten   intellektuellen  Gebäudes   bestimmt.     Von 


lehmende';  EndymionYon  'En  dimjon,  'Nicht- Vernichtung' ;  Kro- 
«w  von  Gärön,  'Schlund';  Orion  von  Öräri'ön,  'der  Schwinger 
der  Kraft',  oder,  Wie  man  uns  jetzt  sagt,  von  dem  Accadischen 
Ur-ana,  'Himmelslicht'  (Athenaeum,  Juni  25,  1892,  p.  816);  Niohe 
▼on  Nt-'ijjöbha,  'die  Klage  der  (von  den  Göttern)  Angefeindeten'; 
ApoUon,  Etmskisch  Aplun,  von  Ablu,  'Sohn'.  Was  würde  man 
zn  solchen  Ableitungen  sagen,  wenn  sie  vom  Sanskrit  und  nicht 
vom  Hebräischen  wären? 

1}  Siebe  Fick  in  K.  Z.,  XIX,  Anm. 


ß4  Dritte  Vorlesung. 

Mitteilong  jedoch    oder   GedankenauMaUBch    in    hiatorischen 
Zeiten  sclieiDt  bier,  so  viel  wir  zu  sehen  vermSgen,  gar  kdne 

Ktde  sein  zn  können. 


Verbältula  ztrischen  den  Retlgloneu  Indiens  nnd  Perslens. 

Wenn  wir  liingegen  die  alten  religiösen  und  philosophi- 
schen Ideen  Indiens  mit  denen  Fersiens  vo^leicben,  so  mflssen 
wir  nicht  nnr  das  zugeben,  was  man  eine  tiefer  gelegene 
Gemeinsamkeit  der  Sprache  nennen  könnte,  sondern  auch  eine 
historiäehe  Gemeinaamkeit  zwischen  den  Ahnen  der  Inder  und 
Perser,  welche  noch  lange  fortdanerte,  nachdem  die  anderen 
arischen  Völker  sich  endgUltig  voneinander  getrennt  hatten. 
Die  blofte  Th.ilsache,  dass  gewisse  KunstansdrOoke,  wie  xnm 
Beispiel  zaotar,  der  Titel  des  obersten  Priesters,  das  vedisohe 
hotar,  oder  ütharvan,  Feaerpriester,  das  Sanskrit  ikthar- 
van,  oder  haoma,  der  Name  einer  für  Opferzwecke  ge- 
branchten  Pflanze,  sowohl  im  Veda,  als  auch  im  Avesta 
vnrkomajen.  während  in  keiner  der  anderen  ariseht^n  Sprachen 
auch  nur  eine  Spur  von  denselben  Kit  finden  ist,  —  diese 
Thatsache  allein  genitgt,  za  zeigen,  dass  die  Vedagl.anbigen  und 
die  Avestagläubigen  bis  in  eine  apitte  Zeit  herein  eine  gesell- 
schaftliche Vereinigung  bildeten,  wo  ein  umständliches  Opfer- 
ceremonioll  völlig  ans«:earheiiot  worden  war.  FOr  8pSt«r« 
Entlehnungen  zwischen  den  Beiden,  außer  in  ganz  modernen 
Zeiten,  gibt  es  gar  keine  Zeugnisse. 

Eine  Vergleichnng  der  altindischen  und  der  altperüflcken 
Heügion  muss  daher  von  ganz  anderer  Art  sein,  als  eine  Ver- 
gleichnng der  frOhesten  religiösen  nnd  philosophischen  Ideen 
in  Indien  und  in  Griechenland.  In  beiden  Fillien  haben  wir 
die  gemeinsame  tief  gelegene  sprachliche  Schiebt;  während  aber 
der  griechische  nnd  der  indische  Gedanken  ström  vollstflodig 
getrennt  wurden,  rbe  man  norh  irgend  einen  Versuch  gemacht 
hatte,  beäiimmte  haUiphilosopfalBche,  halbreli^öse  Begriffe  zn 
bilden,  flössen  der  indische  itnd  der  persische  Gedankenstrom 
noch   weiter   in    demselben   Bette    fort,    lange    nachdem   der 


Die  histor.  Verwandtschaft  alt.  Religionen  u.  Philosophien.    65 

Punkt  erreicht  war,  wo  der  griechische  Strom  sich  von  ihnen 
getrennt  hatte. 

Da  sich  dies  so  verhält,  so  folgt,  dass  etwaige  Überein- 
stimmongen,  die  man  zwischen  den  späteren  Phasen  religiösen 
oder  philosophischen  Denkens  der  Griechen  nnd  Inder  ent- 
decken mag,  nicht  darch  irgend  welche  historische  BerOhrang 
erklärt  werden  sollten,  während  Übereinstimmungen  zwischen 
indischem  nnd  persischem  —  sei  es  religiösem  oder  philo- 
sophischem —  Denken  eine  derartige  Erklärung  gestatten. 

rnmbUngiger  Charakter  der  indischen  Philosopliie« 

Von  Einem  Gesichtspunkte  ans  betrachtet,  mag  dies  be- 
danerlich  scheinen.  Aber  es  verleiht  dem  Studium  der  indi- 
schen Philosophie  —  im  Vergleich  mit  der  Philosophie  Griechen- 
lands —  einen  neuen  Reiz,  weil  wir  in  derselben  wirklich 
das  finden  können,  was  man  wohl  ein  gänzlich  unabhängiges 
Unternehmen  des  menschlichen  Geistes  nennen  darf. 

Die  Entdeckung  einer  reichen  philosophischen  Litteratur  in 
Indien  Iiat  noch  lange  nicht  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  ge- 
zogen, die  sie  verdient.  Die  meisten  unserer  Philosophen  können 
nicht  Aber  die  Idee  hinwegkommen,  dass  es  nur  Einen  Weg 
gebe,  sich  mit  Philosophie  zu  besehäftigen.  nämlich  den. 
welcher  in  Griechenland  eingeschlagen  und  nachher  von  den 
■eisten  Philosophen  Europas  angenommen  wurde.  Fast 
unsere  ganze  philosophische  Terminologie  ist  uns  aus  Griechen- 
land zugekommen;  ohne  aber  gegen  die  Vortrefflichkeit  der- 
selben ein  Wort  sagen  zu  wollen,  sollten  wir  doch  nicht  jede 
andere  Philosopliie,  die  nicht  mit  unseren  eigenen  Formeln 
im  Einklang  steht,  als  ernster  Aufmerksamkeit  unwert  be- 
trachten. 

Ich  will  es  daher  versuchen,  diese  indische  Philosophie, 
und  namentlich  die  Vedänta- Philosophie  unserem  eigenen 
pliüosopliischen  Interessenkreise  so  nahe  zu  bringen,  als  ich 
es  rennag.     Ich  werde  zu  zeigen  suchen,   dass  sie  dieselben 

Jlftz  MfelUr,  Tkoiwophie.  5 


ÖÜ  Dritte  Voriesung, 

Pi-ohlemo  behnndolt,  welche  die  Gedanken  grioehischer  PlJlo- 
sophon  beschäftigt  haben,  ja,  welche  unsere  eigenen  OedaukuD 
beschüftigon,  wenn  sie  dieselben  auch  in  einer  Weise  behan- 
delt, die  nna  auf  den  ersten  Blick  sonderbar  oder  gar  ab- 
stoßend vorkommeu  mag.  Gerade  dieäca  Sonderbare  hat 
jedoch  einen  eigenen  Reiz,  denn  Alles,  was  wir  von  Philo- 
sophie besitzen,  ob  es  nun  aus  Grieehenland,  Italien  oder 
Deutschland,  oder  jetzt  ans  Amerika  und  den  entferntesten 
Kolonien  kommt,  ist  nnmittelbar  oder  mittelbar  von  den 
Strahlen  jener  großen  Leuchten,  welche  im  fflnften  Jahr- 
hundert V.  Chr.  in  Griechenland  erstanden,  berflUrt  worden. 
In  Indien  allein  war.  soweit  wir  wissen,  die  Philosophie 
niemals  durch  irgend  welche  äußere  Kintlilsse  berührt  worden. 
8io  entsprang  dort  apontun,  wie  in  Griechenland,  und  wenn 
vir  vor  den  Denkern  G riech enlands  wie  vor  einem  Wunder 
dastehen,  weil  wir  in  keinem  anderen  Teile  der  Welt  etwAS 
ihnen  Ähnliches  finden,  so  erfüllt  es  uns  mit  demselben  Er- 
staunen, wenn  wir  auf  vollständige  Systeme  der  Philosophie 
im  Süden  des  HimMaya- Gebirges  stoßen,  in  einem  Lande, 
wo  Jahrhunderle  lang,  bis  es  von  Völkern  unterjocht  wurde, 
die  den  Einwohnern  Indiens  zwar  an  physischer  Kraft  und 
militärischer  Organisation,  doch  keineswegs  an  iutellektneller 
Kraft  oder  Originalität  flberlegen  waren,  Heligion  nnd  Philo- 
sophie den  einzigen  alles  und  jedes  Interesse  in  Anspruch 
nehmenden  Gegenstand  des  Kachdcnkona  bildeten.  Wenn 
wir  uns  unsere  Vorstelinng  von  den  alten  arischen  Ansiedlem 
iu  Indien  nach  dem  bilden,  was  sie  uns  in  ihrer  Litteratnr 
hinterlassen  haben,  so  dürfen  wir  freilich  nie  vergessen,  dass 
fast  Alles,  was  wir  haben,  aus  Einer  Quelle  stammt,  oder 
durch  Einen  Kanal  hindurchgegangen  ist,  insofern  es  auf  die 
Brabmanen  zurückgebt.  Es  ist  daher  allerdings  einige  Gefahr 
vorhanden,  daaa  wir  uns  von  diesen  indischen  .iryas  ein 
Mzn  lichtes,  zu  ideales  Dild  malen,  als  wären  sie  ein  Volk 
gewesen,  das  an»  lauter  frommen  Verehrern  der  G0tter  mi 
Alis  Inatur  Philosophen  bcst.and,  die  nur  darauf  bedaobt  warm, 
die  gruUen  Probleme  dieses  Lebens  und  der  hinter  oder  unter 


Die  histor.  Verwandtschaft  alt.  Religionen  u.  PhilosophicD.    07 

demselben  verborgenen  Wirklichkeiten  zn  lösen.  Es  muss 
aneh  in  ihrem  Leben  Schattenseiten  gegeben  haben,  und 
selbst  ihre  eigene  heilige  Litteratur  lässt  uns  zuweilen  einen 
Blick  in  dieselben  thnn.  Doch  diese  dunkleren  Seiten  des 
Menschenlebens  können  wir  fiberall  studieren;  was  wir  aber 
nirgends  als  eben  in  Indien  studieren  können,  ist  der  allQber- 
wi^ende  Einfluss.  den  Religion  und  Philosophie  auf  den 
mensclüichen  Geist  ausQben  können.  Soweit  wir  die  Dinge 
beurteilen  können,  sah  in  Indien  eine  große  Klasse  von  Leuten, 
nicht  nur  die  Priestcrk lasse,  sondern  auch  der  Adel,  nicht 
nur  Männer,  sondern  auch  Frauen,  ihr  Leben  auf  Erden  nie 
als  etwas  Reales  an.  Das  Reale  für  sie  war  das  Unsichtbare, 
das  künftige  Leben.  Was  das  Thema  ihrer  Unterredungen, 
was  den  Gegenstand  ihres  Nachdenkens  bildete,  das  war  das 
Reale,  welches,  wie  sie  dachten,  allein  dieser  unrealen,  phäno- 
nenalen  Welt  eine  Art  Realität  verleihe.  Von  wem  immer 
man  annahm .  dass  ein  neuer  Strahl  der  Wahrheit  auf  ihn 
gefallen  sei,  der  wurde  von  Jung  und  Alt  aufgesucht,  von 
Fürsten  nnd  Königen  geehrt,  ja  der  wurde  als  hoch  über 
Königen  nnd  Prinzen  stehend  angesehen.  Das  ist  die  Seite 
des  Lebens  im  alten  Indien,  die  studiert  zn  werden  verdient, 
wdl  es  nichts  Ähnliches  in  der  ganzen  Welt,  nicht  einmal 
in  Griechenland  oder  in  Palästina,  gegeben  hat. 

Die  indische  Lebensanschannng. 

Unsere  Vorstellung  vom  Erdenleben  ist  immer  die  eines 
Kampfes  ums  Dasein,  e^es  Kampfes  um  Macht  und  Herr- 
schaft, um  Reichtum  und  Genuss  gewesen.  Dies  sind  die 
Ideen,  welche  die  Geschichte  aller  Völker,  deren  Geschichte 
nns  bekannt  ist,  beherrschen.  Auch  unsere  eigenen  Sympa- 
tliien  sind  fast  gänzlich  auf  dieser  Seite.  Ist  aber  der  Mensch 
bloß  zo  dem  Einen  Zweck  auf  diese  Erde  gesetzt  worden? 
Können  wir  uns  nicht  einen  anderen  Zweck  denken,  nament- 
lich unter  Bedingungen,  wie  sie  Jahrhunderte  lang  in  Indien 
und  sonst  nirgends  existierten  ?    In  indieu  gab  es  nur  wenige 

5* 


m 


lUitlc  VorloBiitig, 


Lebensbedürfnisse,  und  diejenigen,  die  03  gab.  wurden  von 
einer  gntigen  Katar  ohne  viele  Änatrenguug;  seitens  des 
Mcnsoben  berbeigeachafTI.  Die  Kleidung;,  spärlich  wie  sie 
war,  war  leichl  besorgt.  Das  Leben  im  Freien  oder  in  den 
Schatten  dea  Waldes  war  angenelimer  als  das  Leben  in 
Hätten  oder  PaUäten.  An  die  Gefahr  feindlicher  EiniUUe 
dachte  man  nie  auch  nar  im  Tranme  vor  den  Zeiten  des 
Darina  ond  Alexander,  nnd  auch  dann  nur  auf  Einer  Seile,  im 
Norden,  während  das  Meer  mit  mohr  als  einem  Silberstreifen  die 
weithin  sich  ovstrecltenden  Ufer  des  Landes  ringsum  beachntite. 
Warum  sollten  die  alten  Einwohner  Indiens  nicht  ihr  Los 
hittgenommoD  habeu,  wie  es  war?  War  es  gar  so  unnatflr- 
Itch,  dass  sie.  die  mit  einem  anßergewtjhnlichen  Verstände 
begabt  Wiiren,  dieses  Leben  nicht  als  einen  Kampfplatz  ihr 
Uladialorenlcitmpfe,  nicht  ala  einen  Markt  zum  Detrtlgon  nnd 
Feilschen  anaahen,  aondern  als  eine  llahest&tle.  einen  bloßen 
Wartesaal  an  einer  Station  auf  der  Reiae.  die  sie  vom  Be- 
kannten zum  Unbekannten  führte,  und  doch  gerade  ans  die- 
sem Grnnde  ibie  höchste  Neugierde  erregte  an  wiaaen,  woher 
sie  kämen  und  wohin  sie  gingen.  Ich  weiß  recht  gut,  dass 
es  nie  eine  gan/.o  Nation  von  Philosophen  oder  melaphysischen 
Träumern  geben  kann.  Die  Freuden  des  Lebens  und  wnn- 
liebe  Genüsse  werden  wohl  in  Indien  wie  anderswo  den  Geist 
der  Massen  abgestumpft  und  sie  veranlasst  haben,  sich  mit 
einem  rein  tierischen  Dasein  zu  hegnOgen,  ohne  von  jenen 
Kämpfen  des  Neides  nnd  Hasses  frei  zu  sein,  welche  dl« 
Menscbun  mit  den  wilden  Tieren  gemein  Laben.  Doch  das 
ideale  Leben,  welches  wir  in  der  alten  Lltteratur  Indiens 
abgespiegelt  finden,  muss  doch  zum  mindesten  von  den  Wenigen 
geführt  worden  aein,  und  wir  dQrfen  nie  vergessen,  dasa  es 
liberall  in  der  Geschichte  die  Wenigen  und  nicht  die  Massen 
aind,  welche  einem  Volke  ihren  Charakter  aufdrücken  und  ein 
Recht  haben,  es  als  ein  Ganzes  zn  vertreten.  Was  wissen  wir 
von  Griechenland  zur  Zeil  der  joniaohen  und  eluatischen  Philo- 
sophen, außer  denÄußernngon  der  sieben  Weisen?  Was  wisson 
wir  von  den  Juden  zur  Zeit  des  Moses  und  der  Propheten,  anfier 


Die  hifltor,  Verwandtschaft  alt.  Religionen  u.  Philosophien.    69 

den  ÜberÜeferongeD,  die  in  dem  Gesetz  und  in  den  Propheten 
erhalten  sind?  Die  Propheten  sind  es,  die  Dichter,  die  Ge- 
setzgeber und  Lehrer,  so  klein  anch  ihre  Zahl  sein  mag, 
weiche  im  Namen  des  Volkes  sprechen  und  welche  allein 
herForragen  als  Vertreter  der  hinter  ihnen  stehenden  kunter- 
bnnteB  Menge,  ihre  Gedanken  ansznsprechen  nnd  ihren  Ge- 
fUhlen  Ansdmck  zu  geben. 

Ich  gestehe,  mir  hat  es  immer  eines  der  traurigsten  Kapitel 
in  der  Geschichte  der  Welt  geschienen,  wenn  wir  sehen,  wie  die 
frflhesten  Einwohner  Indiens,  welche  von  der  übrigen  Welt,  von 
den  mlchtigeB  Reichen  Ägypten  nnd  Babylon,  von  deren  Kriegen 
nnd  Erobemngen  nichts  wnssten.  die  von  der  Welt  draußen 
nichts  wollten  nnd  in  ihrem  eigenen  irdischen  Paradies  glflck- 
lich  nnd  zufrieden  waren,  geschlitzt,  wie  es  schien,  von  den 
BergwiUen  im  Norden,  nnd  von  den  eifersüchtigen  Wogen  des 
indischen  Ozeans  auf  allen  Seiten  bewacht,  —  wenn  wir  sehen. 
wie  diese  glfleklichen  Menschen  auf  einmal  von  fremden  Kriegern, 
sei  es  Persem.  Griechen  oder  Macedoniern,  oder  in  späterer 
Zeit  von  Skythen,  Mohammedanern,  Mongolen  und  Christen 
mit  EinnUlen  geplagt  nnd  unterjocht  werden,  um  keiner  anderen 
Schuld  willen,  als  dass  sie  es  versäumt  hatten,  sich  in  der 
Kunst  des  Mordens  ihrer  Nebenmenschen  auszubilden.  Sie 
sdbat  hatten  keine  Eroberungsgelüste,  sie  wünschten  nichts, 
als  dass  man  sie  unbehelligt  lasse  und  ihnen  gestatte. 
ihre  Lebensanschauung  auszuarbeiten,  die  beschaulich  und 
heiter,  aber  freilich  in  Einem  Punkte  mangelhaft  war,  nämlich 
in  der  Kunst  der  Selbstverteidigung  und  der  Zerstörung.  Sie 
hatten  keinö  Ahnung,  dass  ein  Sturm  über  sie  hereinbrechen 
k^nne.  nnd  als  plötzlich  die  schwarzen  Wolken  über  die 
nördlichen  und  westlichen  Pässe  dabergezogen  kamen,  da 
blieb  ihnen  keine  Zuflucht,  sie  wurden  von  der  überlegenen 
bratalen  Gewalt  einfach  niedergerissen.  Sie  erinnern  uns 
an  Arehimedes,  der  den  grausamen  Eindringling  anflehte, 
nicht  seine  philosophischen  Zirkel  zu  stören.  —  allein  es  gab 
keine  Rettung  für  sie.  Jenes  Ideal  des  Menschenlebens. 
das  sie  sich  ausgemalt  hatten,    und    das    sie    bis    zu    einem 


70  Dritte  Vorlesung. 

gowisäun  Gi'nde  votwirklicbl  zu  liabcn  scliionon,  olie  sie  von 
deu  'Dncivilisierten  Barbaron'  entdeckt  nnd  gestört  wurden, 
DiDBste  preisgegebou  worden.  Es  sollte  nicht  soin,  die  ganze 
Welt  sotito  eine  kämpfende  und  feilschende  Welt  sein,  und 
selbst  die  Lösung  der  Luchsten  Probleme  der  Religion  und 
Philosophie  sollte  in  Znkunft  nicht  durch  Milde  und  Vernunft, 
sondern  durch  diu  stärksten  Bataillone  entschieden  werden. 
Wir  mltaaen  alle  diese  Lehre  verstehen  lernen,  aber  es  ist 
eine  traurige  Lelire  selbst  für  den  abgehtirteten  Ooschicbts- 
forscher. 

Doch  man  wird  vielleicht  sagen:  Was  sollen  ans  denn 
diese  Trftumer?  Wir  mtläsen  zu  l.lriechen  und  Römern  in 
die  Schule  gehen,  um  Lebensweisheit  zu  lernen.  Bie  sind 
unser  Licht  und  unsere  Führer.  Das  Blut,  das  iu  nnsei 
Adern  fließt,  ist  das  Blut  krilftiger  Sachsen  und  Normal 
nicht  das  der  träumerischen  OymDosophisten  Indiens. 

Ganz  richtig;  und  doch  sind  diese  träumerischen  Q] 
nosopfaisten  uus  nicht  ganz  und  gar  fremd.  Was  fQr  Blut 
es  auch  immer  sein  mag,  das  durch  unsere  Adern  fließt,  das 
Blut,  das  durch  unsere  Gedanken  fließt,  ich  meine  nosere 
äprache,  ist  dasselbe  wie  das  der  Äryas  Indiens,  und  diese 
Sprache  hat  mehr  mit  uns  selbst  zu  schaffen,  als  das  Blut, 
das  unseren  Körper  näbri  und  uns  eine  Zeit  lang  am  Leben 
erbütt. 


isera^^ 

M 


l>le  Sprache,  der  gemeinsame  Ilintergrond  der  Phllosoplilc. 

Versuchen  wir  daher,  ehe  wir  daran  gehen,"  die  Philo- 
sophie der  Inder  mit  unserer  eigenen  oder  mit  der  der 
tiriechon  nnd  KOmer  z^u  vergleichen,  ans  'ia  allererst  dnrOber 
gans  klar  zu  werden,  ob  es  etwa  eine  gemeinsame  Grund- 
lage fUr  Beide  gebe,  oder,  zweitens,  ob  wir  zuzugeben  hsb&n 
werden,  dass  in  spSterer  Zeit  eine  historische  BerUhrnng 
Kwischen  den  Philosophen  des  Ostens  und  denen  dea  Westens 
stat [gefunden.  Ich  glaube,  man  fUngt  doch  endlich  an  in 
rerstohen,    wie    sehr    wir   in    allen    unseren    Gedanken   von 


Die  histor.  Verwandtschaft  »lt.  Religionen  u.  Philosophien.    7 1 

Qoserer  Sprache  abhäDgen,  ja  wie  sehr  unsere  Sprache  uns  in 
allen  nnseren  Gedanken  und  später  in  den  Thaten,  welche 
auf  unsere  Gedanken  folgen,  behilflich  und  nattlrlich  auch 
hinderlich  ist.  Doch  müssen  wir  uns  in  acht  nehmen  und 
zwischen  zwei  Dingen  unterscheiden:  —  dem  gemeinsamen 
Vorrat  von  Wörtern  und  Gedanken,  welchen  die  arischen 
Völker  miteinander  gemein  hatten,  ehe  sie  sich  trennten,  und 
den  Systemen  des  Denkens,  welche  sie  in  späteren  Zeiten 
jedes  auf  seinem  eigenen  Boden  ausarbeiteten.  Das  gemein- 
same geistige  Erbe  der  arischen  Völker  ist  sehr  beträchtlich, 
—  viel  größer,  als  maif  früher  einmal  annahm.  Es  sind 
genug  Wörter  übrig,  welche,  da  sie  im  Griechischen  und  im 
Sanskrit  dieselben  sind,  existiert  haben  müssen,  bevor  die 
arische  Familie  sich  in  zwei  Zweige  zerteilte,  von  denen  der 
eine  nach  Westen  und  Norden,  der  andere  nach  Süden  und 
Osten  zog.  Mit*  Hilfe  dieser  Wörter  ist  es  möglich,  den  ge- 
nauen Grad  der  Civilisation,  wie  man  es  wohl  nennen  darf, 
zu  bestimmen,  der  erreicht  worden  war,  ehe  die  große  arische 
Völkertrennung  stattfand,  Jahrtausende  vor  dem  Anfang 
irgend  einer  Geschichte.  Wir  wissen,  dass  der  einzige  wirk- 
liche historische  Hintergrund  für  die  Religion,  die  Mythologie 
und  das  Recht  der  Griechen  und  Römer  in  den  Bruchstücken 
entdeckt  worden  ist,  die  uns  von  dem  gemeinsamen  Wort- 
vorrat der  arischen  Völker  übrig  geblieben  sind. 

Gemeinsame  arische  Religion  und  Mythologie. 

Von  griechischer  Religion,  Mythologie,  ja  selbst  von 
griecliischen  Rechtsbräuchen  zu  handeln,  ohne  deren  arische 
Anteeedentien  in  Betracht  zu  ziehen,  wäre  nicht  anders,  als 
wollte  man  vom  Italienischen  handeln,  ohne  eine  Kenntnis 
des  Lateinischen.  Dies  ist  jetzt  schon  eine  sehr  alte  Wahr- 
heit, obgleich  es,  glaube  ich,  immer  noch  ein  paar  klassische 
Philosophen  gibt,  die  über  die  Idee,  dass  der  griechische 
Zeus  mit  dem  vedischen  Dyaus  irgend  etwas  zu  thun  haben 
könne,  ganz  entsetzt  sind.    Sie  wissen,  es  gibt  gewisse  Leute, 


72 


Dritte  A'orlesung, 


die  gelegentlich  eine  Flugschrift  verOITetitliclieii,  um  en  zeigen, 
dass  dio  Erde  denn  doch  nicht  rnud  sei,  nnd  die  so^ar 
Preise  »usschreiben  und  die  ÄBlronomen  heranafordern,  zu 
beweisen,  dass  sie  rund  sei.  So  ist  ea  »ncli  in  der  rerglei- 
chenden  Sprach-  und  HeligioDawiasenachaft.  Ls  gibt  noch 
immer  einige  Troglodyten,  welche  aagen,  Zena  kSnne  von 
L'^c,  leben,  abgeleitet  sein,  Varn/ia  zeige  keine  Ähnlichkeii 
mit  Ourauos,  deva,  'glänzend'  nnd  'Gott'.  kOnne  nicht  das 
iHtoiniache  tleus  sein,  ifarvara  sei  nicht  Ker&eros,  und 
Sarariyu  könne  nicht  Erinnys  sein.  Für  sie  iat  die  grie- 
chisch e"_  Mythologie  einem  Lotna  gleich,  dor  ohne  8tengel.  ohne 
Wurzeln  anf  dem  Wasser  schwimmt  Ich  bin  alt  genug,  mich 
dor  Zeit  ZQ  erinnern,  wo  die  Welt  zam  ersten  Mal  durch 
die  Entdeckung  in  Staunen  versetzt  wnrde.  daas  die  dunklen 
Einwohner  Indiens  vor  mehr  als  dreitausend  Jahren  ihre 
Götter  mit  denselben  Namen  benannt  haben.'  mit  denen  die 
Römer  und  die  romanischcD  Völker  Oott  benannten  und  ihn 
noch  bis  zum  heutigen  Tage  benennen.  Die  Welt  ist  aber 
in  jflngater  Zeit  noclj  mehr  in  Stannen  veraetzt  worden 
durch  den  Wiederausbruch  jenes  alten  klassischen  Vorartella. 
welches  die  Annahme  eines  arischen  Ursprungs  griechiachen 
Denkens  und  griechisclier  Sprache  fast  als  eine  Beleidigung 
der  klassischen  Philologie  ansah.  Eine  der  größten  Ent- 
deckungen unseres  Jahrhunderts,  eine  Entdeckung,  bei  der 
Männer  wie  Humboldt,  Bepp,  Grimm  und  Kuhn  ihre 
unverwelklichen  Lorbeeren  errangen ,  wurde  noch  einmal 
behandelt,  wie  Schulmeister  die  Fehler  von  Schuljungen  be- 
handeln wltrdon,  und  zwar  von  Leuten,  die  mit  den  Anfang»- 
grflndeu  des  Sanskrit,  ja  mit  deu  allerersten  Anfangs  gründen 
der  Sprach vergl eich nng  unbekannt  sind.  Eine  der  größten 
Entdeckungen  unseres  Zeitalters  nenne  ich  sie,  denn  sie  hat 
auf  eines  der  dnnkelsten  Kapitel  in  dor  Geschichte  der  Welt 
Licht  geworfen,  sie  hat  uns  einige  der  verblüffen dsteu  Rllael 
in  dem  Wachstum  dos  menschlichen  Geistes  verstehen  gelehrt, 
nnd  sie  hat  hiatorische  Tliatsacben  an  die  Stelle  geaetat,  wo 
wir    frllher.    waa    dio   Geschichte    der    ariachcn    Völker    vor 


Die  histor.  Verwandtschaft  alt.  Religionen  u.  Philosophien.    73 

ihrem    Erscheioeo    auf   der  historischen    Bühne   Asiens   und 
Evropas  anbelangt,  nichts  als  Mutmaßungen  hatten. 

Es  würde  mir  nicht  einfallen,  zu  behaupten,  dass  nicht 
manehe  Fehler  gemacht  worden  sind  in  der  Zusammensetzung 
des  Bildes  der  arischen  Civilisation  vor  der  Völkertrennung, 
oder  in  der  Identifikation  der  Namen  gewisser  griechischer 
und  ve^iseher  Götter;  aber  solche  Fehler  sind  leicht  ver- 
bessert  worden,  sobald  sie  entdeckt  wurden.  Außerdem 
wissen  wir,  dass  das,  was  man  fftr  Fehler  hielt,  oft  gar  keine 
Fehler  waren.  Eines  der  stärksten  Argumente  gegen  die  Ver- 
gidchnng  griechischer  und  Tedischer  Gottheiten  ist  immer  das 
gewesen,  dass  die  Griechen  zu  Homers  Zeit  zum  Beispiel  keine 
Erinnemng  daran  hatten,  dass  Zeus  ursprflnglich  ein  Name 
des  lichten  Himmels,  oder  Erinnys  ein  Name  der  Dämmerung 
gewesen  sei.  Nichts  ist  so  leicht,  als  zu  widerlegen,  was 
Niemand  je  zu  beweisen  wünschte.  Kein  Franzose  ist  sich 
dessen  bewnsst,  dass  der  Name  epicier  irgend  etwas  mit 
species  nnd  am  Ende  mit  Plato's  Ideen  zu  thun  hat;  und 
doch  wissen  wir,  dass  eine  ununterbrochene  historische  Kette 
die  beiden  Namen  verbindet.  Mythologische  Studien  werden 
nie  eine  sichere  wissenschaftliche  Basis  erhalten,  solange  sie 
nicht  auf  derselben  gemeinsamen  arischen  Grundlage  aufge- 
bant  werden,  anf  der  alle  sprachwissenschaftlichen  Studien 
Zugestandener  Maßen  ruhen.  Es  ist  jetzt  Mode,  die  Ähnlich- 
keiten zwischen  der  Religion,  der  Mythologie  und  dem  Folklore 
der  arischen  Völker  nicht  durch  ihren  gemeinsamen  Ursprung, 
sondern  durch  unser  gemeinsames  Menschentum,  nicht  durch 
historische  Zeugnisse,  sondern  durch  psychologische  Speku- 
ktion  zn  erklären.  Es  ist  vollkommen  richtig,  dass  sich 
Sagen,  Märehen,  Gebräuche  und  Sprichwörter  bei  den  Sitdsee- 
InsoUnem  nnd  den  Einwohnern  der  Nordpolgegenden  finden. 
welche  eine  anffallende  Ähnlichkeit  mit  denen  der  arischen 
Völker  besitzen.  Viele  dergleichen  waren  längst  von  Anthro- 
p<dogen  wie  Bastholm,  Klemm,  Waitz  und  in  neuerer  Zeit 
von  Bastian,  Tylor  und  Anderen  gesammelt  worden.  Ich 
bin  selbst  einer  der  ersten  Arbeiter  auf  diesem  interessanten 


7( 


{isycholo^ 


Dritte  Vorlesung. 
.   Mytlmlogio 


gisclien  Mytliülügio  gowcscn,  Ähcr  dio 
Frage  ist:  Was  für  Sclilüsse  sind  wir  ans  aololieu  ÜUerein- 
stimmuDgeti  zu  ziehen  berechtigt?  Vor  Allem  wissen  wir 
aua  trauriger  Erfahrung ,  als  wie  trögeriach  sich  solche 
scheinbare  ÄhnUchkeiJen  oft  herauagesteltt  haben,  aus  dem 
einfacbeD  Gmnde,  weil  diejenigen,  welche  sie  sammelten. 
deren  wahre  Bedeutung  miaaverstanden.  Zweitons  dürfen  wir 
nie  die  alte  Regel  rergeasen,  daaa  es,  wenn  zwei  Leute  das- 
selbe sagen  oder  tbun,  nicht  immer  dasselbe  ist.  Doch  an- 
genommeD,  die  Ähnlichkeit  sei  vollständig  und  sei  genügend 
erwiesen,  so  haben  wir  nur  das  Recht  zu  sagen,  dass  der 
Mensch,  wenn  er  denselben  KiuflOssen  ausgesetzt  ist,  znweilen 
in  derselben  Weise  reagieren  wird.  Wir  haben  noch  kein 
Recht,  von  allgemeiuen  psychologischen  Instiulctttn,  von  un- 
geboreuen  Ideen  und  dergleichen  zu  sprechen.  Die  psyolio- 
logiachü  Mythologie  ist  oin  Feld,  das  einer  viel  sorgfältigeren 
BoarbeitiiDg  bedarf,  als  demselben  bisher  zu  teil  geworden. 
Bisher  haben  sich  ihre  Materialien  zumeist  als  nnzavcrlaasig, 
und  ihre  Schldase  infolgedessen  als  phantastisch  und  un- 
haltbar erwiesen. 

Wir  bewegen  uns  in  einer  gänzlich  verschiedenen  Atmo- 
sphäre, wenn  wir  die  Sagen,  Märchen,  Gebräuche  und  Sprich- 
wörter von  Völkern  untersuchen,  welche  verwandte  Spnichtiii 
reden.  Wir  haben  hier  einen  historiscben  Hinlergrnnd,  wir 
stehen  auf  einer  fasten  historischen  Grundlage. 


Cbarltes  =  llaritas. 

Ich  will  Ihnen  Ein  Beispiel  geben.  Vor  vielen  JAbnn 
schlug  ich  die  mythologische  Gleichung  Ilaritas  ^  ChariUl 
vor.  Alle  möglichen  Einwände  sind  dagegen  erhoben  worden, 
nicht  Einer,  den  ich  nicht  selbst  erwogen  hatte,  ehe  ieb  die 
Gletchnng  vorschlug,  nicht  Einer,  der  auch  nur  einen  Anges- 
blick  meine  Üborzengung  ersohQttern  kounte.  Wenn  also 
das  Sanskrit  Haritas  Konsonant  fflr  Konsonant  und  Vokal 
fUr  Vokal  dasselbe   Wort   ist,   wie   das   grieohischo   Cfiarilet 


Die  histor.  Verwandtschaft  alt.  Religionen  n.  Philosophien.    75 

oder  die  GrazieD.  haben  wir  nicht  das  Recht  zn  sagen,  dass 
diese  zwei  Wörter  denselben  historischen  Anfang  gehabt 
haben  müssen,  und  dass,  soweit  anch  die  besondere  Bedeutung 
der  griechischen  Grazien  sich  von  der  besonderen  Bedeutung 
der  Haritas  im  Sanskrit  entfernt  haben  mag.  diese  zwei  sich 
voneinander  entfernenden  Linien  von  einem  gemeinsamen 
IGttelpankt  ausgegangen  sein  mfissen  ?  Wie  Sie  wissen,  sind 
im  Sanskrit  die  Haritas  die  glänzenden  Pferde  der  Sonne, 
während  im  Griechischen  die  Charites  die  reizenden  Be- 
gleiterinnen der  Aphrodite  sind.  Der  gemeinsame  Ausgangs- 
punkt dieser  zwei  mythologischen  Begriffe  musste  entdeckt 
werden  und  ist  in  der  Thatsache  entdeckt  worden,  dass  im 
Veda  die  Haritas  ursprünglich  die  glänzenden  Strahlen  der 
ansehenden  Sonne  bedeuteten.  Diese  wurden  in  der  Sprache 
der  vedischen  Dichter  zu  den  Pferden  des  Sonnengottes, 
während  sie  in  der  griechischen  Mythologie  als  schöne  Jung- 
frauen im  Gefolge  der  aufgehenden  Sonne  —  sei  es  in  ihrem 
männliehen  oder  in  ihrem  weiblichen  Charakter  — aufgefasst 
wurden.  Wenn  wir  demnach  die  vedischen  Haritas  mit  den 
griechischen  Charites  vergleichen,  so  meinen  wir  damit  nichts 
Anderes,  als  dass  sie  beide  dieselben  Antecedentien  haben. 
Wenn  aber  die  griechische  Charis  zur  Gattin  des  Schmiedes 
Hephaistos  wird,  so  gibt  es  hier  keinen  Berührungspunkt  mehr 
zwischen  griechischem  und  indischem  Denken.  Diese  Sage 
ist  anf  dem  Boden  Griechenlands  entsprungen,  und  diejenigen, 
welche  sie  bildeten,  hatten  keine  auch  noch  so  unbestimmte 
Erinnerung  an  die  vedischen  Haritas,  die  Pferde  des  vedi- 
schen Sonnengottes. 

Das  filtere  Wachstum  der  Philosophie. 

Was  nun  die  älteste  Philosophie  der  Griechen  anbelangt. 
so  würde  es  Niemand  einfallen,  zu  sagen,  dass  sie.  so  wie  wir 
ae  kennen,  vor  der  arischen  Völkeitrennung  entwickelt 
worden  seL  Wenn  ich  sage,  ^Niemand',  so  ist  dies  vielleicht 
etwas  zu  viel  gesagt,  denn  wie  können  wir  uns  vor  gelegent- 


7fi  Dritte  Voricamig. 

liehen  AuabrUohen  vou  HHlluciniitioD  bewaliren,  and  was  für 
eine  Zwanjajaoke  gibt  es,  dio  ea  vorhindern  könnte,  öasa  der 
erste  Beste,  der  eine  Feder  zu  handhaben  vermag,  eine 
Schrift  blindlings  dmcken  Isase?  Nur  ist  es  nicht  billig, 
dass  man  für  ein  paar  räudige  Schafe  eine  ganze  Schule  ver- 
antwortlich macht.  Die  griechiäcbe  Philosophie  und  die 
indische  Philosophie  sind  Erzeugnisse  des  einheimiäohen  Bo- 
dens von  Griechenland  und  von  Indien  benieliungsweise,  und 
anzunehmen,  daas  ÄhnÜehlieitcn,  wie  sie  zwischen  der  Vedfinta- 
Philosophie  und  der  der  Eleulischen  Philosophen,  zwischen 
dem  (ihubcu  an  Seelenwandcrung  in  den  LTpanishaden  und 
demselben  Glauben  in  den  Schulen  der  Pytbagoräer  entdeckt 
worden  sind,  einer  Entlehnung  oder  gemeinsamen  arischen 
Rflckerinnernngen  zuzuschreiben  seien,  heißt  nichts  Anderes, 
als  zwei  gänzlich  verschiedene  Sphären  historischer  Foiselinng 
vermengen. 

Hilfe,  welche  die  Spravbe  der  Philosophie  leistet. 

Höchstens  das  können  wir  sagen,  dasa  es  eine  beide 
Philosophien  durchdringende  arische  Atmosphäre  gibt,  die 
von  jeder  semitischen  Atmosphäre  des  Denkens  unterschieden 
ist,  dass  OS  gewisse,  von  der  arischen  Sprache  eingegrabene, 
tiefe  Fngeu  des  Denkens  gibt,  in  denen  sich  die  Oedanken 
sowohl  der  indischen  als  auch  der  griechischen  PhilosopheB 
notwendigerweiae  bewegen  massten.  Ich  will  nar  ein  paar 
Beispiele  erwähnen.  Sie  wissen,  welch  eine  wichtige  Bolle 
bei  allen  philosophischen  Schluaafol gerungen  die  Kopula 
spielt.  Es  gibt  Sprachen,  welche  keine  Ko[)ula  habon, 
während  in  den  arischen  Sprachen,  ehe  sie  sich  trenotoB, 
die  Kopula  fertig  vorlag,  das  Sanskrit  nsti.  das  griechische 
(an,  das  lateinische  ett,  das  gormanische  ist.  Anch  das 
ficlativpronomon  ist  eine  auBorordentliehe  Hilfe  fttr  eine  eng» 
Uedankenverkettung ',  desgleichen  der  Artikel ,  sowohl  der 
bestimmte,  als  der  nnbestimmle.  Das  Relativpronomen  war 
ausgearbeitet  worden,  ehe   die  Arier  sich   trennten,    der   bo- 


Die  histor.  Verwandtschaft  alt.  Religionen  n.  Philosophien.    77 

stimmte  Artikel  war  wenigstens  in  rudimentärer  Gestalt  vor- 
handeo.  Wir  können  nns  kaum  irgend  eine  philosophische 
Belumdlang  eines  Gegenstandes  denken  ohne  die  Hilfe  von 
Indikativ  und  Konjunktiv,  ohne  die  Verwendung  von  Prä- 
pontionen  mit  ihren  anfangs  lokalen  und  temporalen,  gar 
bald  aber  auch  kausalen  und  modalen  Bedeutungen,  ohne 
Participien  und  Infinitive,  ohne  Komparative  und  Superlative. 
Denken  Sie  nur,  welche  Schwierigkeiten  die  Römer  fanden 
und  wir  selbst  im  Englischen  ^]  finden .  ein  Participium  wie 
rb  «iv  oder  gar  das  griechische  ovaiu  wiederzugeben.  Im 
Sanskrit  gibt  es  keine  solche  Schwierigkeit.  Es  drückt  rh  ov 
dareh  sat  und  ovaia  durch  sat-tva  aus.  Dies  Alles  bildet 
den  gemeinsamen  Besitz  des  Griechischen,  des  Sanskrit  und 
der  anderen  arischen  Sprachen.  Es  gibt  viele  andere  wesent- 
liche Bestandteile  der  Sprache,  die  wir  als  selbstverständlich 
kinnehmenf  die  aber,  wenn  wir  genauer  zusehen,  nur  das 
Ergebnis  einer  langen  geistigen  Ausarbeitung  gewesen  sein 
konnten.  Hierher  gehört  zum  Beispiel  die  Bildung  abstrakter 
Hauptwörter.  Ohne  abstrakte.  Hauptwörter  ^flrde  die  Philo- 
sophie schwerlich  den  Namen  Philosophie  verdienen,  und  wir 
sind  berechtigt  zu  sagen,  dass  die  Suffixe,  durch  welche  ab- 
strakte Hauptwörter  gebildet  werden,  da  sie  im  Griechischen 
und  im  Sanskrit  dieselben  sind,  vor  der  arischen  Völker- 
trennong  existiert  haben  mflssen.  Dasselbe  gilt  für  die 
EigeDsehaftswörter,  die  gleichfalls  allgemeine  und  abstrakte 
Begriffe  genannt  werden  können;  auch  sie  werden  in  vielen 
Fällen  im  Griechischen  und  im  Sanskrit  durch  dieselbeu 
Suffixe  gebildet.  Auch  der  Genitiv  war  ursprünglich  ein 
aOgemeioer  und  abstrakter  Begriff  und  wurde  yivi/.i]  genannt. 
weil  er  das  genus  ausdrückte,  zu  welchem  gewisse  Dinge 
gehörtes.  Ein  Vogel  des  Wassers  war  dasselbe  wie  ein 
Waaservogel;  'des  Wassers  bezeichnet  hier  die  Klasse,  zu 
der  gewisse  Vögel  gehören.     Es  gibt  Sprachen,    die  in  allen 

1  Im  Deatschen  haben  wir,  dem  Griechischen  nachgebildet,  die 
Ansdrfieke  'das  Seiende*,  'das  Sein',  'das  Wesen*,  die  im  Englischen 
sehr  schwer  aaseinanderzuhalteD  sind.      Anm.  ths  ('btrsttzera. 


78 


Dritte  VorlcBTing. 


oder  vielen  von  diesen  Punkten,  snch  in  Bezug  aiiflnGnitiro 
nnd  Farticipien,  muDgelliafl  sind,  und  diese  Mltn^el  haben 
sich  deutlich  als  Fesseln  für  den  Fortschritt  des  phltosophj- 
schen  Denkens  erwiesen,  wälirond  nrische  Philosophen  darch 
ihre  gemeinsame  Sprache  mit  Flügeln  för  den  kühnsten  Fing 
der  Spekul&liou  ansgeataflet  waren.  Es  gibt  sogar  gewisse 
Wörler.  welche  das  Ergebnis  philosophischen  Denkens  sind. 
nnd  welche  offenbar  eiiiBticrt  haben  müssen,  ehe  die  grieohi- 
sche  Sprache  sieh  vom  Sanskrit  trennte.  Solche  gemeinsame 
arische  Wörter  sind  zum  Beispiel  man,  denken  [jtifiQVV. 
raemini),  manas,  Qeiat  niimci,  zum  Unterschiede  von  cor- 
pus (Zend  Kehrp),  Körper;  miman.  Name;  väÄ',  Red«; 
veda,  ich  weiß,  tiiöii;  «raddudhau,  ich  glaube,  credidt; 
mrf'fyu,  Tod;  amr/la,  unaterlilich. 

Dies  Alles  ist  wahr,  und  es  berechtigt  uns,  von  dn«r 
Art  gemeinsamer  arischer  Atmosphilre  zu  sprechen,  «elelie 
die  Philosophie  der  Griechen  und  Inder  durchdringt,  —  einer 
gemeinsamen,  wenngleich  versunkenen  Schiebt  des  Denkens. 
ans  der  allein  die  Materialien,  sei  es  Stein  oder  Tlion,  KU 
holen  waren,  mit  denen  die  späteren  Tempel  der  Religion 
und  die  Paläste  der  Philosophie  erbaut  werden  konnten. 
Alles  das  seilte  nicht  vergessen,  über  es  sollte  anch  nicht 
nbertriehen  werden. 

L'nabhÜQglger  Charokter  der  liidlschen  rhilosophle. 

Die  eigentliche  indische  Philosophie .  selbst  in  jener 
embryonischen  Form,  in  der  wir  sie  in  den  U|iauishadeii 
finden,  steht  völlig  für  sieb  aliein.  Wir  kOnnen  fttr  sie  keine 
historische  Vorwandlschaft  mit  der  ältesten  griechischen  Philo- 
sophie gellend  machen.  Die  beiden  sind  ao  unabhängig  TOit- 
ciuander,  wie  die  griechischo  Ghana,  nachdem  sie  die  Oattin 
des  Hepbaistos  geworden,  von  den  roten  Pferden  der  vedi- 
fichon  Morgenröte. 

Und  gerade  darin,  gerade  in  dieser  l'nabliitugigkclt,  in 
diasem  au  loch  thoui  schon  Charakter,  Hegt  meiner  Ansicht  nach 


Die  hiBtor.  Verwandtschaft  alt.  Keligionen  u.  Philosophien.    7<) 

der  eigentliche  Reiz  der  indischen  Philosophie.  Sie  entstand, 
als  der  indische  Geist  keine  Erinnerung  mehr,  nicht  einmal 
mehr  eine  nnbewnsste  Ahnung  von  seiner  ursprünglichen 
Verwandtschaft  mit  dem  griechischen  Geiste  hatte.  Die  ge- 
meinsame arische  Periode  war  dem  Gedächtnis  derer,  die 
Sanskrit  nnd  Griechisch  sprachen,  längst  entschwunden,  als 
Thaies  erklärte,  dass  das  Wasser  der  Anfang  aller  Dinge 
sei;  und  wenn  wir  in  den  Upanishaden  Stellen  finden  wie  ^Am 
Anfange  war  dies  alles  Wasser^,  so  dürfen  wir  nicht  denken, 
dass  hier  irgend  eine  historische  Entlehnung  stattgefunden, 
wir  haben  nicht  einmal  das  Recht,  uns  auf  prähistorische 
arische  Erinnerungen  zn  bemfen.  Alles,  was  wir  zu  sagen 
berechtigt  sind,  ist  dies,  dass  der  menschliche  Geist,  sei  es 
in  Indien  oder  in  Griechenland,  spontan  zu  ähnlichen  Schluss- 
folgemngen  gelangte,  wenn  er  sich  den  alten  Weltproblemen 
gegenüber  sah.  Je  weiter  sich  der  Horizont  unserer  Unter- 
suchungen erstreckt,  desto  mehr  werden  wir  genötigt  zuzu- 
geben, dass  das,  was  an  Einem  Orte  wirklich,  an  einem 
andern  möglich  war. 

War  die  grieeliisehe  Philosophie  aus  dem  Orient  entlehnt! 

Indem  ich  diese  Anschauung  vertrete,  weiß  ich,  dass 
ich  mich  im  Widerspruch  befinde  zu  Männern  von  bedeutender 
Autorität,  welche  der  Ansicht  sind,  dass  die  alten  griechischen 
Philosophen  ihre  Weisheit  von  dem  Orient  geborgt  hätten, 
dass  sie  im  Orient  gereist,  nnd  dass  es  immer,  wenn  wir 
irgend  eine  Ähnlichkeit  zwischen  altgriechischer  und  orienta- 
lischer Philosophie  finden,  die  Griechen  gewesen  seien,  von 
denen  man  annehmen  müsse,  dass  sie  entlehnt  hätten,  sei  es 
ans  Ägypten  oder  ans  Babylon,  oder  selbst  ans  Indien. 
Diese  Frage,  ob  es  möglich  sei,  dass  die  Philosophen 
Ägyptens,'^ Persiens,  Babylons  und  Indiens  irgend  einen  Ein- 
flass  auf  die  älteste  griechische  Philosophie  ausgeübt,  erfordert 
eine  sorgfiütigere  Betrachtung,  ehe  wir  weiter  gehen.  Sic  ist 
von  Zeller   in   seinem  großen   Werke   ''Die  Philosopliic  (hr 


■50 


IJritie  Vitdesiiag. 


Griechen  sehr  ein  geh  ob  d  besprochen  worden.  Ich  stimme 
ganü  mit  aeinen  Schlnssfolgermigen  ttberein.  nnd  ich  werde 
versachen.  Ihnen  so  knrz  aXs  möglich  die  Resultate,  zu  denen 
er  gelangt  ist.  vorznfnhren.  Er  zeigt,  dass  die  Griechen  seit 
den  ältesten  Zeiten  geneigt  waren  zuzugeben,  dass  t&  ge- 
wissen Punkten  ihre  eigenen  Philosophen  von  der  orienta- 
lisolien  Philosophie  beoinflnssl  worden  seien.  Doch  gaben  >ie 
dies  nur  hinsichtlich  besonderer  Lehren  zu.  Dass  die  gut» 
griechische  Philosophie  ans  dem  Orient  stamme,  wurde  erri 
später  behauptet,  namentlich  tob  den  Priestern  Ägyptens 
nach  ihrem  ersten  Verkehr  mit  Griechenland,  nnd  von  den 
Juden  Älex&ndrieua.  nachdem  sie  angefangen  hatten,  sieh 
eifrig  mit  dem  Studium  der  griechischen  Philosophie  za  be- 
schäftigen. Es  ist  öbrigens  sonderbai  genug,  dass  selbst 
Uerodot  sich  Ton  den  igypiiscbeii  Priestern  volUtfindig  über- 
reden ließ,  zwar  nicht,  dass  die  griechische  Philosophie  von 
den  Ufern  des  Nils  entleliDl  sei.  aber  doch  dass  gewisse  Gütter 
nnd  Kulte  wie  der  des  Dionysos,  sowie  auch  gewisse  Religions- 
lehren, wie  die  der  Seelenwandernng,  thats&chlich  aus  Ägypten 
nach  Griechenland  eingeführt  worden  seien.  Er  ging  so  weit 
in  behaupten,  daes  die  Pelasger  nrsprtlnglich  bloß  Ofitter  Im 
Allgemeinen  verehrt,  dass  sie  aber  deren  Mamen  mit  wenigen 
Ausnahmen  aus  Ägypten  erhalten  bitten.  Die  ägj-ptisehea 
Priester  scheinen  Herodot  und  andere  griechische  Beisendo 
gar  nicht  viel  anders  bebandelt  'zu  haben,  als  Indisehi 
Priester  Wilford  nnd  Jacolliut  behaudelten.  indem  sie  Uwe: 
verüeherteu.  dass  Alles,  wonach  sie  fragten,  sei  es  in  deV 
griecbisehen  Mythologie  oder  im  Alten  Testament,  in  ihrei 
eigenen  heiligen  Bflcheru  enthalten  sei.  Wenn  jedoch  it«. 
Studium  der  igyptischeu  AltertQmer  irgend  etwas  bewies«! 
bat,  so  ist  ea  das.  dass  die  Namen  der  griechischen  Gdttoi 
nicht  ans  .Ägypten  entlehnt  waren.  Eruilar  —  nach  räicsi 
Imitate  bei  Procluä  lim  Tim.  24  Bi  —  war  vielleicht  der 
der  behauptete,  dass  die  berühmte  von  Plato  erzlhlte  MylbA 
von  den  Aihencni  und  den  Allantiden  in  Inschriften  entbaltensai« 
die  äkK  Bodi  iu  jj^ptsn  QLndea.    Ln  epUen»  Zeilt»  il0lL0^ 


Die  hifltor.  VerwandUchaft  alt.  Religionen  u.  PhilosopbieD.    S1 

Chr.)  berief  sich  Diodorns  Sicnlns   in  reichlichem  Maße  anf 
Angeblich  im  Besitze  ägyptischer  Priester  befindliche  Bflcher,  um 
zu  beweisen,  dass  Orpheus,  Mnsaeus,  Homer,  Lykurg,  Selon  und 
Andere  in  Ägypten  studiert  hätten:  ja,   er  flQgt  hinzu,   dass 
Reliquien   von   Pythagoras,    Plato,    Endoxus  und    Demokritus 
daselbst  gezeigt  wflrden,  um  deren  ehemaligen  Aufenthalt  an 
den  Ufern  des  Nils  zu  bezeugen.     Pythagoras  soll  sich  seine 
Kenntnis  der  Geometrie  und  Mathematik,  sowie  seinen  Glauben 
an  Seelenwanderung  in  Ägypten  angeeignet  haben;   so  auch 
Demokritos  seine  Astronomie,   Lykurg.    Selon  und  Plato  ihre 
Kenntnis  der  Gesetze.    Was  zuerst  you  ägyptischen  Priestern 
ans  nationaler  Eitelkeit  behauptet  worden  war,   wurde  nach- 
her, als  man  den  Orient  allgemein  ftir  die  Wiege  aller  Weis- 
hdt  hielt,   von  den  Griechen   selbst  gerne   wiederholt.     Die 
Neuplatoniker  namentlich  waren  überzeugt,  dass  alle  Weisheit 
ihre  erste  Heimstätte  im  Orient  habe.     Die   Juden  Alexan- 
^ns  folgten  bereitwillig  ihrem   Beispiel,   indem   sie  zu  be- 
Ydsen    suchten,    dass    von    der    griechischen    Religion    und 
Phüesophie  Vieles  aus  ihren   heiligen   Schriften  entlehnt  sei. 
Clemens  spricht  von  Plato  als  dem  Philosophen  der  Hebräer 
oder   dem    ron    den   Hebräern    herstammenden    Philosophen 
(i  I?  'EßQaiüßv  q>il6oo(fog.  Strom.  I,  274  B). 

Zeller  hat  gezeigt,  wie  wenig  historischer  Wert  diesen 
Bduptungen  beigemessen  werden  kann.  Er  hätte  zugleich 
^ttiif  verweisen  können,  dass  die  mehr  kritisch  angelegten 
Oneehen  selbst  in  Bezug  auf  diese  Orientreisen  ihrer  ersten  Phi- 
l*iophen  und  Gesetzgeber  sehr  zweifelhaft  waren.  So  sagt 
^^vtar^  in  seinem  Leben  des  Lykurg,  es  heiße ^  dass  Lykurg 
"i^kt  lur  naeh  Kreta  und  Kleinasien  gereist  sei,  wo  er  zum 
^"^te  Mal  mit  den  Gedichten  Homers  bekannt  geworden, 
'^^dera  dass  er  auch  nach  Ägypten  gegangen  sei.  Doch 
^  scheint  Plutarch  selbst  skeptisch  zu  werden,  denn  er 
^  Unzu,  dass  die  Äg>^ter  selbst  und  einige  griechische 
^^riftsteller  dies  behaupten;  was  hingegen  seine  Reisen  nach 
Afrika,  Spanien  und  Indien  anbelangt,  so  beruhen  diese,  fügt 

>»iMtlUr,  Theotophie.  6 


82 


Dritti!  Vorloauiig. 


er   hinzu,   auf  <]er  Antontilt   nur  £inee   Scbrirtstellois,    des 
Arislokrates,  des  Sohnes  von  Hipparchna. 

Andererseits  scheint  eine  Art  Zeugnis  dafllr  vorhanden 
zu  sein.  (Insa  ein  indischer  Philosoph  einiD&l  Athen  besnoht 
und  einigen  persönlichen  Verkehr  mit  8okrates  gehabt  habe. 
ÜsLss  Perser  nach  Griechenland  kamen,  und  dass  ihre  heilige 
Litteratur  In  Griechenland  bekannt  war.  können  wir  ans 
der  Thatsacha  entnehmeu ,  dass  der  Name  Zoroasters  all 
eines  Lehrers  dem  Flalo  und  dem  Aristotelee  ganz  gut  be- 
kannt war,  und  Anas  im  dritten  Jahrhundert  v.  Chr,  HermippttB 
eine  Analyse  der  Bücher  Zoroasters  gemacht  hatte.  DiCB  be- 
ruht auf  der  Äntorität  des  Plinins  {Die  Wissemehaft  der 
Spritfhe,  Bd.  1,  p.  2G4),  Da  Nordindien  unter  perüscher 
Herrschaft  stand,  ist  es  nicht  unmöglich,  daaa  nicht  allein 
Perser,  sondern  anch  Inder  nach  Griechenland  kamen  nnd 
dort  die  Bekanntschaft  griechischer  Philosophen  machten. 
Es  gibt  jedenfalls  Eine  Stelle,  welche  mehr  Beachtung  ver- 
dient, als  ihr  bisher  zu  teil  geworden.  Ensebius  [Prep,  er., 
XI,  3)  citiert  ein  Werk  über  Platonische  Philosophie  TOB 
Aristoklea,  der  in  demselben  auf  die  AutoritKt  des  Ariato- 
senoa ,  eines  Örhnlers  des  Aristoteles,  hin  erklärt,  ein  indi- 
scher Philosoph  sei  nach  Athen  gekommen  und  habe  ein« 
Unterredung  mit  Sakrales  gehabt.  Es  ist  daran  gar  niclita, 
was  unseren  Verdacht  erregen  kOunte;  und  waa  die  Angabe 
dea  Ariatoxenoa  noch  plansibfer  erscheinen  Ussl,  ist  die  B^ 
merkiing  selbst,  welche  der  indische  Philosoph  zu  Sokrates 
gemacht  haben  soll.  Als  nämlich  Sokrales  ihm  gesagt  hatte, 
dase  aoiuo  Philosophie  in  Nachforächnng>.'n  flber  das  Lobes 
dea  Menachen  bealebc,  aoU  der  indische  Philosoph  lächelnd, 
veraetzt  haben.  Niemand  könne  daa  Menschliche  rerstehoD^ 
der  nicht  zuerst  das  Göittiche  verstehe.  Das  ist  nnn  ein« 
so  durch  und  dnroh  indische  Bemerkung,  dass  sie  den  Eitk- 
druck   auf  mich  macht,   aie   könne  möglicherweise  echt  aeica 

Wenn  man  aber  selbst  diesen  vereinzelten  Fall  ZDgit»^ 
so  habe  ich  keinen  Zweifel,  dasa  alle  klasaischen  Phitolop«! 
Zcllurs   vernünftige  Behandlung   dieser  Frage   nach   dem  ITi 


Die  histor.  Verwandtschaft  alt.  Religionen  u.  Philosophien.    83 

spniDg  der  griechischen  Philosophie  gutheißen  werden.  Die 
griechische  Philosophie  ist  antochthonisch  und  bedarf  keiner 
orientalischen  Antecedentien.  Die  griechischen  Philosophen 
selbst  sagen  nie,  dass  sie  ihre  Lehren  aus  dem  Orient  entlehnt 
haben.  Dass  Pythagoras  nach  Ägypten  ging,  mag  wohl  wahr 
sein,  dass  er  sich  dort  mit  den  Lösungen  gewisser  geometri- 
scher Probleme  bekannt  gemacht,  mag  auch  wahr  sein,  aber 
dass  er  seine  ganze  Philosophie  aus  Ägypten  entlehnt  habe, 
ist  einfach  eine  rhetorische  Übertreibung  des  Isokrates.  Die 
Reisen  des  Demokritus  sind  besser  bezeugt,  es  gibt  aber 
keine  Zeugnisse  dafQr,  dass  er  von  seinen  barbarischen 
Freunden  in  philosophische  Lehren  eingeweiht  worden  sei. 
Dass  Plato  in  Ägypten  reiste,  braucht  nicht  angezweifelt  zu 
werden,  dass  er  aber  nach  Phönizien,  Chaldäa  und  Persien 
gegangen  sei,  um  Philosophie  zu  studieren,  ist  reine  Mut- 
maßung. Was  Plato  von  den  Ägyptern  hielt,  hat  er  uns 
selbst  in  der  ^Republik*  (436)  gesagt,  wenn  er  bemerkt,  dass 
das  besondere  Merkmal  der  Griechen  Liebe  zum  Wissen,  das 
der  Phönizier  und  Ägypter  Liebe  zum  Gelde  sei.  Wenn  er 
▼on  seinen  ägyptischen  Freunden  kein  Geld  geborgt  hat. 
so  hat  er  jedenfalls  keine  Philosophie  von  ihnen  geborgt. 

Als  man  in  den  letzten  Jahren  begann,  die  alten  Litte- 
ratnren  von  Ägypten,  Babylon,  Persien,  Indien  und  China  zu 
studieren,  fehlte  es  nicht  an  Orientalisten,  welche  dachten, 
tto  bitten  manche  von  den  Quellen  der  griechischen  Philo- 
sopbie  in  jedem  von  diesen  Ländern  entdeckt.  Aber  auch 
^^  Periode  ist  Yorübergegangen.  Die  Ansichten  von  Bohlen, 
^th,  Qladisch,  Lorinser  und  Anderen  werden  von  den  besten 
Fatalisten  nicht  mehr  geteilt.  8ie  geben  alle  das  Vorhanden- 
^  überraschender  Übereinstimmungen  in  Bezug  auf  gewisse 
^^te  und  besondere  Lehren  zwischen  morgenländischem  und 
^dlindischem  Denken  zu.  aber  sie  leugnen  die  Notwendigkeit, 

• 

'^d  eine  thatsächliche  Entlehnung  anzunehmen.  Ansichten 
^  der  des  Thaies,  dass  das  Wasser  der  Ursprung  aller 
^^^Mi,  der  des  Heraklit,  dass  das  Göttliche  Alles  durchdringe, 
««r  des  Pythagoras  und  des  Plato,  dass  die  menschliche  Seele 

6* 


H4 


Dritt«  N'^rluBung. 


durch  tioriscIiB  Körper  wandere,  der  des  Aristotelfis,  dass  ea  fllof 
I'ileaiente  gebe,  der  des  ICmpedokles  und  der  Or|iliiker,  linss 
FloifichnahruDg  tadelliaft  sei,  —  uUen  diesen  Anaicliten  Ifiast  sieb 
leicbt  etwas  Ätiolicbes  in  der  orientaüscben  Philosophie  an 
die  Seite  stcllcii ;  es  warde  aber  viel  stärkerer  ArgameDte 
bedlli'fen,  aU  bisher  vorgebracht  worden  sind,  nm  zd  be- 
weisen, daas  jene  Philosophon  sie  entlehnt,  oder  vielmehr 
daas  sie  sieb  dietielbon  iinohi'Iicberweisc  angeeignet  hatten. 


Die  indische  l'hnosophle  aut«chtfaontsch. 

Vergessen  wir  also  nicht,  das»  die  Schlussfvigerung,  id 
der  wir  gekommen  sind,  uns  in  den  Stand  setzt,  die  indische 
Phiiosophie  als  einen  vKllig  unabhängigen  Zeugen  zn 
handeln.  Anders  verhielt  es  sich  mit  der  indischen  Religion 
und  Mytholo^e.  Wenn  wir  die  indische  Religion  nnd 
Mythologie  mit  der  Religion  und  Mythologie  der  Oriecbeo 
nnd  Römer,  der  Kelten  nnd  TeDtouen  verglichen,  kennten  wir 
noch  dentlich  bemerken,  wie  der  gemeinsame  arische  Saner- 
teig  in  ihnen  alleo  guhr.  Ihre  Rudimente  sind  dieselben. 
so  verschieden  auch  ihre  individuelle  Eutwickelung  sein  mag. 
Wenn  wir  aber  dnriin  gehen,  die  indische  Philosophie  mit 
den  ältesten  Philosophien  anderer  arischer  Völker  zu  ver- 
gleichen, SD  steht  die  dache  ganz  anders.  M.  Hevillo  be- 
merkt in  seinem  gelehrten  Werke  über  die  amerik&nischuD 
Religionen ,  dass  die  Religionen  von  Mexiko  und  Peru  ni 
wie  die  Religionen  eines  anderen  Planeten  anmuten,  indem  » 
gar  keinen  Verdacht  aufkommen  lassen,  dass  das  Denken  der 
alten  Welt  je  den  geringsten  Einllnss  auf  das  der  uenen  WelL- 
BUSgeUbl.  Dasselbe  gilt  allerdings  nicht  fUr  die  Religion,  woliS 
aber  für  die  Philosophie  Indiens.  Abgesehen  von  dem  Ein— 
Ituss,  welcher  der  gemeinsamen  Sprache  zuzuschreiben  isb 
nnd  der  nie  ganz  außer  acht  gelassen  werden  darf,  kOnnftS 
wir  die  älteste  Philosophie  Indiens  wie  einen  gUnzlich  unat» 
hüugigun  Zengen,  wie  die  Philimophie  eines  anderen  Planet^rl 
behandeln;  nod  wenn  die  indische  UDddlegrieuhischei'hiloBOptsIl 


Die  histor.  Verwandtschaft  alt.  KeligioDcn  u.  Philosophien.    85 


in  Bezug  auf  gewisse  Punkte  zu  denselben  Resultaten  ge- 
langen, 80  können  wir  solche  Übereinstimmungen  begrfißen, 
wie  die  Astronomen  die  Übereinstimmungen  zwischen  den 
Forschungen  Leverriers  und  Adams  begrtlßten,  die  beide 
unabhftngig  voneinander  in  ihren  Studierzimmern  zu  Paris 
und  Cambridge  arbeiteten.  Wir  können  uns  in  der  That  auf 
das  deutsche  Sprichwort  berufen: 

Aus  zweier  Zeugen  Mund 

Wird  alle  Wahrheit  kund, 
und   eine  Wahrheit,    in   Bezug  auf  welche   Badaräya/^a  und 
Plato  fibereinstimmen,  als  nahezu  bewiesen,  nicht  aber  als  auf 
einer  oder  der  andern  Seite  geborgt,  ansehen. 


Vierte  Vorlesung. 

Das  Verhältnis  der  psychologischen  zur  physischen  und 

anthropologisohen  Beligion. 

Die  wesentltclien  Elemente  der  Beltgrlon. 

Eine  der  größten  Schwierigkeiten  bei  dem  Stadium  der 
alten  Religionen  ist  das  gänzliche  Fehlen  jeder  systematischen 
Anordnung  in  ihren  heiligen  Bflchem.  Vergeblich  suchen 
wir  nach  irgend  etwas  wie  Olanbensbekenntnissen^  Glanbens- 
artikeln  oder  einem  wohldurchdachten  Katechismus.  Es  bleibt 
daher  uns  selbst  fiberlassen,  das  Chaos  von  Gedanken,  das 
sie  enthalten,  in  eine  Art  Ordnung  zu  bringen. 

Dies  ist  auf  verschiedene  Weisen  versucht  worden. 

Zuweilen  sind  die  in  ihnen  enthaltenen  Lehren  in  zwei 
Klassen  angeordnet  worden,  als  Dogmen,  an  die  man  xn 
glauben  hat  (Theologie),  und  als  Lebensregeln,  die  zu  befolgen 
sind  (Ethik).  Andere  Gelehrte  haben  Alles,  was  sich  anT 
äußeres  Ceremoniell  bezieht,  gesammelt  und  von  dem,  w; 
über  die  Götter  geglaubt  wurde,  zu  trennen  gesucht.  In  d 
meisten  Religionen  würde  es  aber  geradezu  unmöglich  sei 
Ethik  und  Dogma  zu  trennen,  während  das  Ceremonie 
wenigstens  in  seinem  Ursprung  immer  mehr  die  äußere  Fe 
st,  in  der  sich  religiöser  Glaube  offenbart.  In  jüngster  Z^xi 
hat  man  diesen  äußeren  oder  auf  das  Opfer  bezüglioh^3X 
Elementen  der  Religion  Hehr  viel  Aufmerksamkeit  geschenlKi: 
und  es  ist  ein  langer  Streit  darüber  geführt  worden,  ob  &^i^ 
Opfer   der  eigentliche  Ursprung   aller  Religion    sei,   oder     ol 


Dm  Verhältnis  der  psychol.  zur  pbys.  n.  antbrop.  Religion.    S7 

jedes  Opfer,  wenn  es  nur  gehörig  verstanden  wird^  einen 
GUnben  an  Götter  voraussetzt,  denen  die  Opfer  dargebracht 
wurden. 

Die  hauptsächlich  von  Gruppe  vertretene  Theorie,   dass 
das  Opfer  zuerst  komme   und   dann    der  Glaube   an  Götter, 
scheint  mir  gänzlich  unhaltbar,  wenn  nicht  ein    Widerspruch 
m  sich  selbst.     Eine  Darbringung  kann  doch  nur  eine  Dar- 
bringung   an    irgend  Jemand   sein,    und   selbst   wenn   dieser 
Jemand  noch  keinen  eigenen  Namen  bekommen  hat,  so  muss 
er  doch   unter   einem    allgemeinen  Namen,    wie   ^himmlisch\ 
'unsterblich',  'göttlich,  ^mächtig  u.  dergl.  begriffen  worden  sein. 
Es  ist  zum  Beispiel  keine  neue  Entdeckung,   dass   viele 
der  Hymnen  des  Rigveda  das  Vorhandensein   eines   hochent- 
wickelten Geremoniells  voraussetzen,  aber  zu  sagen,  dass  dies 
bei  allen  der  Fall  sei,  oder  dass  kein  Hymnus  verfasst  wor- 
den sei,  außer  als  Hilfsmittel  zum  Opfer,  verrät  eine  sonderbare 
Unkenntnis  handgreiflicher  Thatsachen.     Selbst  die  zu  Opfer- 
iwecken    yerfassten    Hymnen    setzen    den    Glauben    an    eine 
Anzahl  von  Göttern  voraus,  denen  Opfer  dargebracht  werden. 
Wenn  ein  Hymnus  beim  Morgenopfer  verwendet  werden  sollte, 
ao  verdankte  schon  dieses  Morgenopfer  selbst  seinen  Ursprung 
dem  Glauben  an  einen  in  der  aufgehenden  Sonne  sich  offen- 
barenden  Gott,   oder   an   eine  Göttin    der  Dämmerung.     Das 
Opfer  war    flbrigens    so    spontan    wie    ein    Gebet    oder    ein 
Hymnus,   ehe  es  traditionell,   technisch  und  rein  ceremoniell 
^'wde.    über  diesen  Punkt  kann  es  nur  Eine  Meinung  geben. 
*o  lange  wir  uns  mit  Thatsachen  und  nicht  mit  Hirngespinn- 
>ten  besehäftigen. 

Meine  eigene  Einteilung. 

In  meinen  Vorlesungen  über  natürliche  Keligiou  habe 
^A  einer  anderen  Einteilung  den  Vorzug  gegeben  und  habe 
^  jeden  der  drei  Teile,  die  ich  als  die  wesentlichen  Be- 
•'■"»äteile  aller  Religionen  ansehe,  je  einen  Kursus  bestimmt. 
*ein  erster  Kursus  von  Vorlesungen  sollte  bloß  als  Einleitung 


SS 


;  Vorlesung. 


dien&n  und  hatte  die  DefiDition  der  natiirlichm  HcUgion  in 
ihi'om  weitesteu  Sinne  zum  UegensUnd.  Auch  Iiicit  ich  es 
fUt'  nöti^,  ehe  ich  an  den  Gegenatood  selbst  herantrat,  eine 
ScliilderuDg  der  Urkundeu  zu  geben,  ans  deuen  wir  zuver- 
Ussige  Auskunft  Über  die  nutttrliche  Religion,  wie  sie  sieb 
nna  in  der  historischen  Entwickelnng  der  haaptsäcMicheu 
Keligionen  der   Welt  darstellt,  erhalten  können. 

Mein  zweiter  Kursus,  der  Über  />Ay«i'»cAe  Jteliffion 
handelte,  sollte  zeigen,  wie  verschiedene  Volker  eu  dem 
Glauben  an  etwas  Unendliches  hinter  dem  Endlichen,  an 
etwas  Unsichtbares  hinter  dem  Sichtbaren,  an  viele  ungesehene 
Agenlieit  oder  Naturgötter  gelangt  waren,  bis  sie  znletzt  durch 
den  natürlichen  Wunsch  nach  Einheit  den  Glauben  an  Einen 
Gott  llber  allen  diesen  Göttern  erreichten.  Wir  sahen,  wie 
das.  was  ich  das  Unendliche  in  der  Natur  nannte,  oder  das, 
was  allem  Endlichen  und  Phänomenalen  in  unserer  kosmischen 
Erfahrung  zu  Grnnde  Hegt,  benannt,  individuBlisiert  nod 
personifiziert  wurde,  bis  es  am  Eude  wiederum  als  Ober  alle 
Namen  erhaben  aufgefasst  ward. 

Mein  dritter  Kurans,  der  Ober  anthropologische  Iteliffton 
handelte,  sollte  zeigen,  wie  verschiedene  Völker  tu  dem 
Glanben  an  eine  Seele  gelangten,  wie  sie  deren  mannigfaltige 
Krilfte  benannten,  and  was  sie  llber  ihr  Sobicksal  nach  den 
Tode  dachten. 

Während  also  mein  zweiter  Kursus  eine  Geschichte  dor 
Entdeckung  des  UnendUchen  in  der  Natur  sein  sollte,  BoUta 
mein  dritter  Kursus  die  Kntdecknng  des  Unendlichen  in 
Menschen  darthun. 

Es  bleibt  mir  nur  noch  Dbrig,  in  diesem  meinem  lelxten 
Kuraus  von  dem  Verhitltnis  zwischen  diesen  beiden  Arten 
des  Unendlichen  —  wenn  es  in  der  That  zwei  Arten  de» 
LTnendiichen  geben  kann  —  zn  handeln  oder  Ihnen  die  Vor- 
stellungen zu  erklären,  welche  einige  der  hauptsächlichstcta 
Völker  der  Welt  sich  Ober  das  Verhältnis  zwischen  der  Seele» 
und  Gott  gebildet.  Es  ist  von  Newman  mit  Recht  bemerkt 
und    aufs   nachdrtlcklichste    betont  worden,   dasa   weder  der 


Das  Verfailtnis  der  psyehol.  znr  phys.  n.  antbrop.  Religion.      S9 

Gliuibe  an  Gott  für  sich  allein,  noch  der  Glanbe  an  die 
Seele  flUr  sich  allein  eine  Religion  aasmachen  wttrde,  und 
daas  wirkliehe  Religion  anf  ein  wahres  Verständnis  des  T>r- 
hültnUses  der  Seele  zn  Gott  nnd  Gottes  zur  Seele  gegründet 
sd.  Was  ich  beweisen  will,  ist  eben  das,  dass  dies  Alles 
wahr  ist,  und  zwar  nicht  bloß  als  Postulat  sondern  als 
historische  Thatsache. 

Aneh   nnterli^  es   keinem  Zweifel,    dass   unser  Begriff 
Gottes   in   hohem  Maße  von  unserem   Begriff  der  Seele   ab- 
hingt,  und   es  ist  bemerkt  worden,    dass   es  besser  gewesen 
wtre,  wenn  ich  die  anthropologische  Religion  vor  der  physi- 
schen  behandelt  hätte,  denn   ein  Glaube  an  das  Unendliche 
in  der    Natur,    an    unsichtbare    Mächte    hinter    den    großen 
Pliänomenen  der   physischen  Welt;  und   schließlich   an   eine 
Seele   des  Weltalls   wäre    unmöglich   ohne   einen   vorherigen 
Glauben  an  das  Unendliche  im  Menschen,  an  ein  unsichtbares 
Agens  hinter  den  Aktionen  des  Menschen,    mit  einem  Wort, 
SB  eine  Seele  oder  einen  Geist.    Dieselbe  Idee  hatte  offenbar 
Mdster  Eekhart    im  Sinne,    wenn  er  sagte:    >Je  näher  ein 
Mensch  in    diesem  Leben  mit  seiner  Erkenntnis  dem  Wissen 
der  Seele  kommt,  desto  näher  ist  er  der  Erkenntnis  Gottes.  <*j 
Vom    historischen  Standpunkte  jedoch    scheinen  es   die 
ii  der  objektiven   Welt    bemerkten    großen   Phänomene   ge- 
veaen  zn   sein,    welche  zuerst   im   menschlichen   Geiste    die 
Uee  von  einem  Jenseits,   von  etwas  Unsichtbarem  und  doch 
Wirklichem,  von  etwas  Unendlichem  oder  die  Grenzen  mensch- 
licher   Erfahrung    Überschreitendem    erweckt    haben.      Und 
^^kseheinlich    in    diesem  Sinne    bemerkte  ein  alter   Rabbi: 
>6ott  sieht  nnd  wird  nicht  gesehen;  so  sieht  auch  die  Seele 
■■^  wird  nicht  gesehen.  <  ^)     Die  beiden  Prozesse,  welche  zn 
^  Glauben  an  einen  unsichtbaren  Gott  oder  das  Unendliche 

• 

^  ittBem    objektiven  Charakter,    und   zu   dem  Glauben    an 


Ij  AU  vil  ein  mensche  in  disem  leben  mit  sinem  bekenntnisse 
^  ■*her  kamt  dem  wisen  der  sele,  je  naher  er  ist  dem  bekennt- 
^*«  gotes   ed.  Pfeiffer,  p.  617,  Z.  32  . 

2  Bigg,  Bampion  Lectures,  pp.  h\  1  u.  n.  3. 


00 


Vipvte  Vorlesung. 


eine  nnsichtbaro  Seele  odet  das  Unendliche  in  seinem  aub- 
Jektiven  Charakter  fOhron,  sind  wirklich  so  enge  verknOpft, 
dass  es  schwer  zu  »agen  ist,  welcher  von  beiden  zuerst  be- 
handelt werden  sollte ,  oder  welcher  von  beiden  in  der 
historischen  Entwtckelung;  der  Retigion  zuerst  kam.  Soviel 
jedoch  ist  ganz  klar,  dasa  die  psychologische  Religion  sowohl 
die  physische  als  die  anthropologiBche  Religion  voraassetEt, 
and  dass  sowohl  der  Begriff  Gottes  als  der  Begriff  der  Seel« 
ansgearbeitet  werden  mnasten,  ehe  die  Seele  und  Gott  xn 
einander  iu  Beziehung  gebracht  werden  konnten.  Ja  Gott 
musste  zuerst  als  seelenähnlich',  und  die  Seele  des  Menachen 
als  gotlähulich  begriffen  werden,  denn  nur  das  Ähnliche  kann 
Ähnliches  erkennen,  nnr  das  Ähnliche  kann  das  Ähnliche  lieben, 
nnr  das  Ähnliche  kann  mit  dem  Ähnlichen  vereint  sein. 


IHe  Bedentnu^  des  NamenH  Ts7cholo(r!!>che  Rellg^ion'. 

Wenn  ich  den  Namen  "Psychologisohe  Religion'  gebrauch«, 
uro  darunter  alle  Yersache  zusammenzufassen,  die  gemacht 
worden  sind,  das  wahre  Verhältnis  zwischen  der  Seele  und 
Gott  zu  entdecken,  so  geschieht  dies,  weil  andere  Namen  wie 
Theosophisch,  Psijcimch  oder  Mystisch,  so  sehr  missbraucht 
worden  sind,  dass  sie  gewiss  eine  falsche  Vorstellung  er- 
wecken würden,  '■Tbeosophüch'  erweckt  die  Vorstellung  von 
nusschweifonden  Spekulationen  llber  die  verborgene  Katar 
Gottes;  'Psychisch'  erinnert  uns  an  Verzückungen,  Visloaeo 
und  Geister ;  bei  'Mystisch'  denkt  man  an  etwas  Vages,  Nebel- 
haftes und  Geheimnisvolles,  während  dem  Forscher,  der  srcli 
mit  der  psychologischen  Religion  bescIiÄfligt,  das  wahre  Vei^ 
haitnia  der  zwei  Seelen,  der  menschlichen  und  der  gOttliehen 
Seele,  so  klar  ist  oder  sein  soll,  wie  ein  streng  logischer 
Syllogismus.  Ich  werde  diese  Namen  nicht  ganz  vermelden 
künnen,  da  die  horvorragendstcD  Vertreter  der'  Theosophle 
und  mystischen  Religion  auf  diese  Namen  stolz  gewesen  sind, 
und  sie  sind  ganz  zutreffend,  wenn  sie  nur  klar  und  dentlnk 
definiert  werden.     Es   ist  freilich   nichts  leichter  nnd  dumn 


Dm  VerhältDis  der  psychol.  znr  phys.  u.  anthrop.  Religion.  91 

für  gewisse  Leute  verlockender,  als  dasselbe  Wort  im  schlimmen 
Sinne  zu  gebrauchen  und  so  durch  einen  bloßen  Namen 
Lehren  zu  verdammen,  welche  von  den  weisesten  und  besten 
der  Menschen  vertreten  worden  sind.  Mit  dieser  Art  von 
Kritik  brauchen  wir  uns  nicht  aufzuhalten,  und  sie  soll  uns 
nicht  hindern,  den  Namen  'Theosopliic'  für  unsere  Zwecke 
anzunehmen. 

In  den  meisten  Religionen  der  alten  Welt  ist  das  Ver- 
hiltnis  zwischen  der  Seele  und  Gott  als  eine  Rückkehr  der 
Seele  zu  Gott  dargestellt  worden.  Eine  Sehnsucht  nach  Gott, 
eine  Art  göttlichen  Heimwehs  findet  in  den  meisten  Religionen 
Ausdruck.  Der  Weg  aber,  der  uns  heim  führen  soll,  und 
die  Aufnahme,  welche  die  Seele  in  des  Vaters  Haus  erwarten 
darf,  sie  sind  in  verschiedenen  Ländern  und  in  verschiedenen 
Sprachen  auf  sehr  verschiedene  Arten  und  Weisen  ausge- 
drückt worden. 

I«  Rückkehr  der  Seele  zu  Gott  nach  dem  Tode« 

Wir  können  die  über  diesen  Gegenstand  gehegten  An- 
sichten und  Hoffnungen  in  zwei  Klassen  einteilen.  Nach  der 
Ansicht  mancher  Religionslehrer  ist  eine  Rückkehr  der  Seele 
zu  Gott  nur  nach  dem  Tode  möglich,  und  wir  werden  viele 
und  viele  Versuche  sehen,  viele  und  viele  Brücken,  die  von 
Hoffnung  und  Glauben  über  den  Abgrund  geschlagen  worden 
sind,  der  das  Menschliche  von  dem  Göttlichen  zu  trennen 
scheint  Die  meisten  dieser  Brücken  jedoch  führen  nur  zu 
der  Heimat  oder  zu  dem  Throne  Gottes  und  lassen  die  Seele 
dort  stehen,  versunken  im  Anschauen  und  in  der  Anbetung  einer 
nicht  verwandten  objektiven  Gottheit.  Alles  ist  noch  mehr 
oder  minder  mythologisch.  Die  Gottheit  sitzt  auf  einem 
goldenen  Throne,  und  die  Seelen  sind  zwar  ihrer  materiellen 
Körper  entkleidet,  aber  doch  noch  gleich  den  Schatten  ihrer 
irdischen  Körper,  sie  nahen  sich  den  Stufen  des  Thrones, 
bleiben  aber  immer  in  gewisser  Entfernung  von  dessen  gött- 
lichem Insassen. 


Vierte  Vorlesung. 


N&ch    der    AnHicht    anderer    Iteligionslohrer    kann    die     l 
endgültige    Seligkeit    der     Seele     schon    m    diesem    Leben 
errungen    werden .    ja     mnsH    in     dieBem    Leben     errangen 
werden,    wenn    sie    im    nilcbsten    Frucht  tragen   aoU.      Diese      | 
Seligkeit  erfordert  keine  Brücken,  sie  erfordert  nnr  Kenntnis,     J 
Konntniä    von     der    notwendigen    Einheit    dessen,    Vias    im     ' 
Menschen  göttlich  ist,  mit  dem,  was  in  Gott  grittlich  ist.    Die     j 
Brahmanen  nennen  es  Selbatkennlnis.  d.  h,  die  Kenntnis,  dase     I 
unser  wahres  Selbst,  wenn  es  irgend  etwas  ist,  nnr  dasjenige     ' 
Selbst  sein  kann,  welches  Alles  in  Allem  ist,  und  neben  dem 
es   nichts  Anderes  gibt,      Znweileo    bripht   diese   AafTassnng 
der    innigen    Beziehnng    zwischen    der   menschlichen   and   der 
göttliuhen    Natur    plötzlich    herein,     als     das    Ergebnis    einer     ! 
unerklärten  geistigen  Anschauung  oder  Selb  Sterin  nerung.    Zn-     1 
weilen  jedoch  acheint   es,   als  ob  die  Gewalt  der  Logik  den     , 
menschlichen    Geist    zn    demselben    Ergebnis    gebracht    hatte.      ] 
War  Gntt   einmal    als    das  Unendliche   in    der  Natnr   erkannt     | 
worden    und    die  Seele    als    das  Unendliche  im  Menschen,   so 
suhien  daraus  zu  folgen,   dass  es  nicht  zwei  Arten  des  Unend- 
lichen  geben  könne.     Die  Eleatiker   waren   offenbar  in  ihrer 
eigenen  Philoso|)hie   durch  eine   ilbnliche  l'base  des  Denkens 
gegangen.     >Wenn  es  ein  unendliches  gibt,'   sagten  sie,   >so 
ist  ea  Eines,    denn  wenn  ea  zwei  gftbe,    so  konnten  sie  nicht 
unendlich  sein,  sondern  wQrden  eines  gegen  das  andere  endlich 
sein.     Aber   daa  Seiende   ist  unendlich,    und  es  kann   davon 
nicht  mehrere  [iiifra)  geben.    Darum  ist  das  Seiende  Eines.  *'J 

Nichts  kann  ausgesprochener  sein,  als  dieser  eleatische 
Moniemna,  und  bei  diesem  wQrdo  die  Annahme  einer  Seele, 
dos  Unendliclien  im  Menschen,  als  verschieden  von  Gott,  dem 


I)  Sl  il  anttiiiiv.  tr  ■  fi  yä^  tfi'o  tii;,  obx  Ar  di'vnito  ituipt 
itraf  ilX'  (/Ol  «»■  nB/poin  Jtghg  !iXXi;Xn  •  äntt^ov  Ü  th  ibr,  eH 
(ipn  irl^u  in  inrtt  ■  tr  Stfa  ih  i6i'.    iMeliasus,  Frafftn.  3.1 


Das  Verhältnis  der  psychol.  zur  pliys.  u.  anthrop.  ReligioD.    93 

UncDdlichen   in  der  Natar,    uDverständlich  gewesen  sein.     In 
Indien  war  der  Vorgang   nicht  ganz  derselbe,  aber  er  führte 
am  Ende  zu   demselben   Resultat.     Man   hatte   erkannt,    dass 
Brahman   oder   das  Unendliche  in   der  Natnr  von  allen  Prä- 
dikaten   frei    sei,    außer    den   drei    Prädikaten:    sat,     Sein^ 
kit,     Wahrnehmen,     und    änanda,     Seligkeit.      Als    man 
späterhin    entdeckte,    dass    auch    von   dem   Unendlichen    im 
Menschen,     der    Seele,    oder    vielmehr     dem    Selbst,    dem 
Atman,    nichts  ausgesagt  werden   könne,   als  dieselben  drei 
Eigenschaften,    Sein,    Wahrnehmen    und   Sichfreuen,   war  die 
Sehlussfolgemng  fast  unabweisbar,    dass  diese  Beiden,  Brah- 
man nnd   Atman,    ihrer  Natnr  nach  Eins  seien.     Auch  die 
ersten  Christen,  wenigstens  diejenigen,  welche  in  den  Schulen 
der  nenplatonischen  Philosophie  aufgewachsen  waren,    hatten 
ebe  klare  Vorstellung  davon,  dass  die  Seele,  wenn  sie  ihrer 
Natnr  nach  unendlich  und  unsterblich  ist,   nichts  neben  Oott 
oder  an   der  Seite  Oottes   sein    kann,   sondern   dass  sie  von 
Gott  nnd  in  Oott  sein  muss.     Paulns  gab  demselben  Glauben 
oder   derselben    Erkenntnis    nur    in    seiner    eigenen    kühnen 
Weise   Ausdruck,   wenn    er   die  Worte   sprach,    die   so  [viele 
Theologen  verblüfft  haben:    »In  ihm   leben,   weben  und  sind 
wir«.     Hätte   irgend  jemand    anders   diese   Worte   geäußert, 
M  würden  sie  sofort  als  pantheistisch  verdammt  worden  sein. 
Pantheistisch  sind  sie  ja  ohne  Zweifel,  und  doch  drücken  sie 
den  eigentlichen  Grundton   des  Christentums  aus.     Die  gött- 
liche  Sohnschaft   des  Menschen    ist    nur  ein   metaphorischer 
Ausdruck,  aber  sie  sollte  ursprünglich  dieselbe  Idee  versinn- 
liehen.     Auch    war   diese  Sohnschaft   von  Anfang   an   nicht 
bloß  auf  Eine  Offenbarung   des  Göttlichen  beschränkt.     Zum 
ödesten  die  Macht  Söhne  Gottes  zu  werden  wurde  für  alle 
^»chen    beansprucht.     Und    wenn    die   Frage   aufgeworfen 
^^de,  wie  das  Bewusstsein  von  dieser  göttlichen  Sohnschaft 
J*  verloren   gehen   konnte,    so   lautete   die    vom  Christentum 
S^ebene  Antwort:    durch  die  Sünde,  und  die  von  den  Upa- 
^ibaden  gegebene  Antwort :  durch  a  v  i  d  y  A ,  das  Nichtwissen. 
^^  bezeichnet  die  Ähnlichkeit  und  zugleich  den  charakteri- 


■)4 


Viorto  Vorlesung. 


stisi^hen  UntoracLiod  zwischoii  diesen  beiden  ICeligiünen.  Di« 
Kr«ge,  wie  das  Nichlwiasen  sich  der  tnonschlicken  Seele  be- 
inachtigto  and  sie  v^mnlasste  za  denken,  sie  knnne  irgendvo 
nndora  als  in  Brahman  leben  oder  weben  oder  wahrhaft  sein, 
bleibt  in  der  indiBchen  Philosophie  ebenso  nnbeantwoitbar, 
wie  im  Cliristentam  die  Finge,  wie  die  Suudi-  zuerst  in  die 
Welt  gekommen  sei. ') 


Tcda  und  Vedänin. 

Wenn  wir  uns  ftlr  das  Stndium  der  pliysiaclien  Heligion. 
namentlich  der  Aufaugsal*dieii  der  physischen  Religion  hanpl- 
sachlich,  wenn  nicht  gilnzlich.  auf  den  Veda  verließen,  so 
werden  Sie  finden,  dass  auch  fOr  das  Studium  der  psychologi- 
schen Religion  und  ihrer  ersten  Außlnge  der  Veda  gleichfalls, 
ja  noch  mehr,  unsere  wichtigste,  wenn  nicht  nnaere  einzige 
AutoritSt  ist.  Es  sind  jedocb  nicht  melir  die  Hymnen  des 
Veda,  in  denen  wir  die  vollste  Verwirklichung  der  psyohoiiH 
gischen  HcÜgion  zu  suchen  haben  werden,  sondern  das,  was 
man  den  Vedünta,  'das  Ende  des  Veda*.  nennt.  Dies  ist 
der  Name,  der,  wie  Sic  sich  wohl  erinnern  werden,  den  Upa- 
niabadcn  oder  dem  CüAnakä/Jt/a,  dem  vom  Wissen  handeln- 
den AbBobnitte  des  Veda  gegeben  wird,  im  Gegeosati  iiun 
KarmakilMi/a,  dem  von  den  Werken  handelnden  Abschnitt«. 
Es  int  zweifelhaft,  ob  Vedänla  ursprünglich  das  Ende,  d.  b. 
die  letzte  Abteilung  des  Veda,  oder,  wie  es  manchmal  erklirt 
wird,  das  Ende,  d.  b.  das  bncbste  Endziel  des  Veda  bfr- 
deutete.  Beide  Deutungen  lassen  sich  verteidigen,  Die 
Upanishadeu  haben  wirklich  ihre  Stelle  als  die  letxten  AI>- 
schnitte  dos  Vod«.  sie  sollen  aber  nach  der  Ansieht  der  Inder 
auch  die  Mite  nnd  bSchste  Lehre  der  Religion  und  i'hllo- 
Sophie  dos  Veda  in  eich  achließen. 


I)  Haroack,  I,  p.  t03.    Clemena  Alex.  (Strom.  V.  14, 113^  «agt: 
oitue  iTüfa/iii-   }.tifi»i«a   ttvourKi/v   i;  ^vji;  fiiXriii  rti-ai   Stof,  cnior 


Iha  Verhältnis  der  psychol.  znr  phys.  u.  anthrop.  Religion.    95 

Die  üpanlshaden. 

Was   diese  Upanishaden    sind,   ist  allerdings  nicht  leicht 
ZD  beschreiben.    Ich  habe  in  den  Sacred  Books  of  the  East 
die    erste    voUstlndige    Übersetzung     der    zwölf    wichtigsten 
Upanishaden  veröffentlicht.     Der   charakteristische   Zag   der- 
selben,   anf  den  ich   Sie  jetzt  aufmerksam    machen  möchte, 
ist    ihr   fragmentarischer  Stil.     Es  sind   nicht   systematische 
Abhandinngen,    wie  wir  sie   in   der  griechischen  Philosophie 
zu  finden  gewohnt  sind,   sondern   es  sind  Fragmente,   bloße 
Xatmaßnngen     der    Wahrheit;     bald    werden    sie    gewissen 
Weisen,  deren  Namen  gegeben  sind,  zugeschrieben,  bald  sind 
sie  in  der  Form  von  Dialogen  dargestellt.     Sie  sind  meistens 
io   Prosa    abgefasst,    enthalten    aber    auch    häufig    Überreste 
plnlosophischer  Poesie.      Es   ist  jedoch   sonderbar,    dass   sie 
rwar  der  Form   nach   unsystematisch,    aber  doch  nicht  ohne 
ein  ihnen  allen  zu  Grunde  liegendes  System  sind.    Oft  finden 
wir.  dass  dieselben  Gegenstände  in  verschiedenen  Upanishaden 
ii  ähnlicher,  ja  in   derselben  Weise,   zuweilen  mit  denselben 
Worten   behandelt  werden,    und    sie   erinnern   uns  in   dieser 
Hinsicht  an    die  drei  synoptischen  Evangelien  mit  ihren  auf- 
ütUenden  Ähnlichkeiten   und  ihren  nicht  minder  auffallenden 
ÜBäknlichkeiten.     In   manchen  Fällen   sehen  wir   sogar  ein- 
aader  diametral  entgegengesetzte   Meinungen,    die  von   ver- 
scMedenen  Antoritäten   behauptet  werden.     Während  wir  an 
überstelle  lesen  ^Am  Anfange  war  Sat',  das  Seiende,  xo  or, 
Icien  wir   an  einer  anderen  Stelle  ^Am  Anfange  war  Asat\ 
^  Niehtseiende,  rb  firj  ov.    Andere  Autoritäten  sagen:  >Am 
^äfittge   war  Finsternis;    am  Anfange  war  Wasser;   am  An- 
'**^«  war  Pra^äpati,    der   Herr  alles  Geschaffenen;  am  An- 
^^e  war  Brahman;  am  Anfange  war  das  Selbst.« 

Es  seheint  wohl  auf  den  ersten  Blick  schwierig,  aus  so 
'^leiehartigen  Materialien  ein  gut  eingerichtetes  Gebäude 
**^^ibauen;  nnd  doch  ist  es  gerade  das.  was  die  Begründer 
****«iit  was  man  das  Vedänta-System  der  Philosophie  nennt, 
^  QUade  gebracht  haben. 


IMI 


Vierte  Vorltaung. 


Die  Schwierigkullen ,  mit  denen  die  Begründer  dieses 
Systems  zn  kämpfen  hatten,  waren  noch  dadurch  hnndertfach 
vermehrt,  dass  sie  jedes  Wort  nnd  joden  Sitti:  der  Upani- 
shadeu  aU  ofTenbart  nnd  ab  unfehlbar  hinnehmen  mnislcD. 
Alles,  was  in  den  l'panisbaden  stand,  ao  widersprechend  es 
»uf  den  ersten  Blick  auch  scheinen  mochte,  musste  als  wahr 
ungenommen.  mnsst«  erkUrt  und  mnsste  irgendwie  in  Einklang 
gebracht  werden  isamanvayaj.  Und  es  wnrde  in  Einklang 
gebracht  und  zu  einem  System  der  Philosophie  verschmolzen, 
das  in  Bezug  anf  Festigkeit  and  Abgeschlossenheit  mit  jedem 
anderen  philosophischen  System  der  Welt  den  Vergleich  ans- 
hftll.  Dies  geschah  in  einem  Werke,  das  nuter  dem  Namen 
'VedAnta-Sil  traa'  bckanni  ist. 


Vedünta'Sätras. 


ber^fl^l 


ßötra  bedeutet  wörtlich  'Schnur.  Faden',  ist  aber"n 
als  der  Name  kurzer,  fast  rätselhafter  Satze  gebraucht,  welche 
gleichsam  den  Kern  jedes  Kapitels  In  der  bündigsten  Sprache 
enthalten  und  so  eine  Art  Inhaltsangabe  dos  ganzen  Systems 
der  Philosophie  bilden  Mir  ist  nicbts  Ahnliches  wie  dieser 
Sfitraelil  in  irgend  einer  hitteratur  bekannt.  wBbrend  i 
Indien  eine  ganze  Littcraturperiode  gibt,  in  der  Alles,  wbb 
sonst  entweder  in  Prosa  oder  in  Versen  behandslt  wird, 
diese  karzen  Aphorismen  gebracht  wurde.  Die  ältesten  dieser 
Siitras  sind  noch  bis  zu  einem  gewissen  Grad  veretSndllch. 
obzwar  immer  schwer  zu  verstehen.  Nach  einiger  Zeit  wurden 
sie  aber  so  kurz  nnd  gedrflngt,  die  Verfasser  derselben  be- 
dienten sich  so  vieler  rein  algebraischer  Behelfe,  dsaa  icli 
glauben  mdchle,  sie  mllssten  an  nnd  fflr  sich  oft  ganz  natilot 
gewesen  sein.  Es  scheint,  dass  sie  den  Zweck  hatten,  znonl 
auswendig  gelernt  zu  werden,  um  ihnen  nachher  eine  mQnd- 
liehe  Erklärung  folgen  zu  lassen;  es  Ist  aber  schwer  zn  aagoD, 
ob  sie  onabhängig  verfaast  worden,  oder  ob  sie  von  Anfang  u 
ein  bloßer  Anszug  ans  einem  schon  vorhandenen  Werke,  ein» 
An    Inhal Isangabe    eines    vollständigen   Werkes   waren.      Iela._ 


Das  Verhäitnis  der  psychol.  zur  phys.  u.  anthrop.  Religion.    97 

mnss  gestehen,  die  Ausarbeitung  dieser  Sütras  —  ob  sie  nun 
zn  einer  Zeit  verfasst  wurden,  wo  die  Schrift  noch  unbekannt 
war,  oder  ob  sie  anfangs  die  Überschriften  geschriebener 
Abhandinngen  vorstellen  sollten  —  scheint  mir  Alles,  was 
wir  heutzutage  zu  stände  bringen  konnten,  weit  zu  flberbieten. 

• 

8ie  mUssen  eine  Konzentration  des  Denkens  erfordert  haben, 

die  wir  uns  nur  schwer  vorstellen  können.     Als  Kunstwerke 

sind  sie   natürlich   nichts,   aber  fQr  den  Zweck,    für  den  sie 

beabsichtigt  waren,   nämlich  einen  vollständigen  und  genauen 

Abriss  eines  ganzen  Systems   der  Philosophie  zu  geben,  sind 

sie  bewunderungswürdig;  denn  bei  gehöriger  Erklärung  lassen 

äe  nicht   den   geringsten  Zweifel   aufkommen  über  den   ge- 

iiiiien  Sinn  dessen,  was  die  Verfasser  philosophischer  Systeme 

in  Bezug  auf  irgend  einen  beliebigen  Punkt  lehrten.    Dasselbe 

^t  von    den    Handbüchern    über    Grammatik,    Ceremoniell, 

Recht  u.   8.   w.,   die  gleichfalls  in  Form  von   Sütras   abge- 

&S3t  sind« 

Die  Zahl  dieser  Sütras  oder  Überschriften  ftlr  das 
System  der  Vedänta-Philosophie  beläuft  sich  auf  ungefähr  555. 
fe  bilden  vier  Bücher  'adhyäyas  ,  von  denen  jedes  in  vier 
b^itel  (pAda)  eingeteilt  ist. 

Außer  als  VedAnta-sütras  ist  dieses  Riesenwerk  auch  unter 
te  Namen  'Mimämsä-sütras'  bekannt.  Andere  Namen  sind 
Brahmarsutras,  «Säriraka-MimamsA-sütras,  oder  Vyäsa-sütras. 
Kmimsä  ist  eine Desiderativform  der  Wurzel  man.  denken,  und 
**nat  ein  sehr  passender  Name  fflr  Thilosophie'.  Man  unter- 
■^«det  jedoch  zwischen  der  FürvA  und  der  Uttara  Mim:\msa,  d.  h. 
te  frttheren  und  späteren  Mim:\msA ;  die  erstere  ist  ein  Ver- 
^^  das  Ceremoniell  und  die  Opferregeln  des  Veda  in  ein 
'^■ttUDenhängendes  System  zu  bringen,  letztere  bezweckt, 
^  ^  sahen,  die  systematische  Anordnung  der  in  den  ver- 
•«üedenen  Upanishaden  zerstreuten  Äußerungen,  die  sich  auf 
^'^kttan  als  das  Selbst  des  Weltalls  und  zugleich  das  Selbst 
^  8eele  beziehen.  Die  Sütras  der  früheren  Mima//?sa  werden 
•••  Gttmini,  die  der  späteren  dem  Badaraya/^a  zugeschrieben. 
Wie  gewöhnlich  in  der  indischen  Litteratur,    wissen  wir 

***  M Aller,  Theosophie.  7 


9S 


;  Vorlesung, 


nicht,  w<jr  Bäd&räya»a  war  und  wanu  er  lebte.     Nur  au  viel 
können  wir  s&gen,  ilass  seine  Siitras  du  Vorhandensein  nicht   , 
nur  der  hauptsächlichen  Upanishaden  voran sset/e u ,   sondern 
nuch   einer   Anzahl   von  Lehrern,   die   mit  Namen   angeflüirt 


werden,  deren  Werke  aher  für  i 


■erloreu  sind. 


Koiumentiir  ' 


1  SauTtarkkärja, 


Der  bei'ShmtesCe,  wenu  auch  möglicherweise  nicht  -der 
älteste  vorhaudene  Kommentar  zu  diesen  Sütraa  ist  der  ven 
A'aAkara  oder  .S'a<^karä/-är,va.  Man  uimml  an.  dass  er  im 
achten  odor  uiebenten  Jahrhundert  n.  Chr.  gelebt  habe. 
äein  Kommentar  ist  mehrmals  im  Sanskrit  verSfl'entlicbt 
worden,  und  ea  gibt  zwei  Übersetzungen  desselben,  eine 
dcutschu  vou  Deussen,  und  eine  engÜBche  von  Thibant;  die 
letztere  bildet  den  XXXIV.  Band  der  Sacred  BooAn  of  tke 
Eiisf,  ein  zweiter  Band  soll  noch  folgen.  Obzwar  ,ä'afikara's 
Kommentar  die  höchste  AntoritJLt  in  ganz  Indien  genießt,  gibt 
es  aber  doch  noch  andere  Kommentare,  die  sich  neben  dem- 
selben ganz  gut  behaupten  und  iu  manchen  sehr  wese 
Funkicn  vou  demselbeu    abweichen. 


der,TP!P 


Der   bekannteste    ist    das    sogenannte    •$tt-bh&sh< 
Bftmftnn^a,   einem  berühmten   Valshnava-Tbeologen. 


I]  Piitliaks  im  Ind.  Ant.  XI,  t74  setzt  als  sein  Datum  Kalifnga. 
388tk— ay21  =187—7^9  n,  Chr.  an.  ein  Datum,  das  von  Wober 
llndiiche  Liiteralurptirhickle,  3.  Aafl..  p.  Sßi  und  anderen  Gelehrtan 
angenommen  wurde,  ^ankara's  Qeburt  soll  nach  der  goH  ithnliolie^ 
Annahme  zu  Ealäpi  in  Keräla  im  Jabre  de«  Kaliyuga  3b^9, 
Jäbre  der  Vikrfma-Ära  SU.  d.  h.  ungefähr  7SS  n.  Chr.  statlgefan- 
iten  haben  (Denssen,  Sytlrm  du  IWJnfa,  p.  37).  TeUng  jcdoekl 
set/r  Satifcarn's  Zeit  viel  früher,  5i>0  n  Cbr„  au,  und  Fleet  »e 
den  NcpaleBiscbfln  KOnlg  Vrtshadeva.  der  •Vankaca  kannte  i: 
seinen  Solin  nach  ihm  £aäkaradera  hieß,  zwischen  ti3U — S5& 
Chr.  {Deusaeo.  Sätra»,  p.  vii).    Siehe  Fleet  im  Ind.  Anl.,  Jan.  18 


Das  Verhältnis  der  pßychol.  zur  phys.  u.  anthrop.  Religion.    99 

man    annimmt,     im    zwölften    Jahrhundert    n.    Chr.    gelebt 
hat.     Er  bekämpft  oft  «S'aAkara's  Theorien,   nnd   zwar   nicht 
nur   in  seinem  eigenen   Namen,   sondern  aneh  als  Vertreter 
eines   gänzlich  nnabhängigen  Stromes  der  Überliefemng.     In 
Indien,    wo  noch  lange  nach  der  Einfflhmng  der  Schrift  das 
geistige  Leben  und  die  litterarische  Thätigkeit  sich  in  den  alten 
Bahnen  mündlichen  Unterrichts  weiter  bewegte,  stoßen  wir  fort- 
während anf  eine  Menge  von  Namen,  die  als  Autoritäten  an- 
geführt werden,    ohne   dass  wir  einen   Grnnd  zur  Annahme 
hätten,    dass  sie  je  irgend   etwas  Schriftliches   hinterließen. 
Rämännya  tritt   nicht   als  Anreger  einer   neuen  Theorie  des 
Vedänta   anf,    sondern   er   beruffc  sich   auf  Bodhäyana,    den 
Verfasser  einer  Vrttti  oder  Erklärung  der  Brahma-sütras,  als 
seine  Autorität,  ja   er  verweist  auf  frühere  Kommentatoren 
oder  Vrttti-käras  zu  Bodhäyana,  die  gleichfalls  seine  Ansichten 
unterstützen  sollen.     Man   hat  angenommen,  dass  Einer  der- 
selben,   Dramie/a,   der  Verfasser  eines  Dramie/abhäshya  oder 
eines    Kommentars    zn    Bodhäyana,    derselbe    sei,    wie    der 
Drävicia,    dessen    Bhäshya    zur    J[%ändogya-Upanishad    von 
^aj&kara   in   seinem   Kommentar  zu   dieser  Upanishad   (p.  1, 
Z.  2  infra)  mehrmals  angeführt  wird,    und  dessen  Ansichten 
tber   die    Vedänta-sütras    zuweilen,   von    «S'aükara  verfochten 
werden  (siehe  Thibaut,   S.  B.  E,  XXXIV,  p.  xxii).     B&darä- 
yana  selbst,    der  Verfasser   der  Vedänta-sütras,  citiert   eine 
Anzahl  älterer  Autoritäten,^)   es  folgt  aber  keineswegs,  dass 
TOD  ihnen  verfasste  Sütras  in  der  Form  von  Büchern  jemals 
Torhanden  waren. 

Drei  Perioden  der  Yedänta-Lltteratur. 

Bei  dem  Studium  der  Vedänta-Philosophie  haben  wir 
^  Aufeinander  folgende  Schichten  des  Denkens  zu  unter- 
scheiden.    Wir   haben   zunächst  die  üpanishaden,    die  eine 


1)  Z.  B.  Atreya,  Ä«marathya.  Auefulomi,  Kfirshwäi/ini ,  Ka»a- 
^'^'«Ä,  (?aimini,  Badari.    Thibaut,  !S.  B.  E.  XXX IV,  p.  xix. 


7* 


34ÖOSÖ 


100  Vierte  VorieBung, 

große  Anzahl  von  Lehrern  voraussetzen,  welche  Lofater  ia 
Bezug  Hof  weaentliche,  und  nicht  minder  in  Bezog  auf  klein- 
liche Pankle  oft  voneinander  abweichen.  Wir  haben  zweitens 
die  Sfttras  des  BftdarÄyana,  welche  die  wahre  Bedeutnng  der 
üpaniahaden,  in  eine  aystema tische  Form  gebracht,  g:eben 
wollen,  aber  dabei  das  Voihiindennein  verschiedener  Meinnn^en 
.  nicht  leugnen  und  anf  gewisse  Autoren,  die  abweichende 
Anscbaunngen  vertreten,  Bezog  nehmen.  Es  gab  drittens 
die  Kommentare  von  ^Safikara,  Bodhäj'ana,  Rftmänu^a  nnd 
vielen  Anderen.  Diese  Kommentare  sind  jedoch  nicht  blolle 
Kommentare  in  unserem  Sinne  des  Wortes,  sondern  sie  sind 
eigentlich  philosophische  Abhandlnngen,  indem  jeder  einzelne 
von  ihnen  eine  unabhängige  Ansicht  von  den  Sntraa  nnd 
mittelbar  den  l'panishaden  verteidigt, 

Ei^eullimlicher  Cliarukti-r  der  indlscheu  Phllo»o|>biv. 

Es  ist  nicht  (IberraacbeDd,  dass  Philosophen,  wenn  sie 
znm  ersten  Mal  die  üpanishaden  oder  die  Vedänla-sfltraa 
lesen,  dieselben  sonderbar  finden  nnd  iu  ihnen  jene  enge 
Ideen verkettnng  vermissen,  an  die  sie  in  der  Philosophie  des 
Abendlandes  gewohnt  sind.  Es  ist  schwer,  Aber  das  GefUhl 
hinwegzukommen,  dass  der  Strom  philosophischen  Denkens, 
wie  wir  ibn  in  Enropa  kennen,  der  sich  von  Griechenland 
dnrch  das  Mittelalter  hindurch  bis  an  unsere  eigenen  Oe- 
stade  hinzieht,  der  einrige  Strom  sei,  anf  dem  wir  seibat  mn 
frei  bewegen  können.  Es  ist  ganz  besonders  schwer,  di« 
Sprache  der  orientalischen  Philosophie  in  die  unserer  eignen 
zu  Öbersetzon  nnd  unsere  eigenen  Probleme  in  den  philo- 
sophischen und  religiösen  Schwierigkeiteu  der  Philosophen 
des  Orients  wieder  zu  erkennen.  Dennoch  werden  wir  findeBi 
dass  unter  der  Oberllftcbe  eine  Ähnlichkeit  des  Zweckes  in 
der  Philosophie  des  Ostens  nnd  der  des  Westens  vorbanden 
ist,  und  daas  wir  mit  dem  Ringen  nach  Wahrheit  sympathi- 
sieren können,  auch  wenn  es  unter  einer  Sprache  verborgeu 
ist,   die   fitr  Forscher,  die   dem  Studium   von  Aristotelvis  und 


Das  Verhältnis  der  psychol.  zur  phys.  u.  aothrop.  ReligioiL   101 

Plato,  von  Descartes  und  Spinoza,  von  Locke  und  Hegel  ob- 
liegen, zuerst  recht  sonderbar  klingt. 


Die  Philosophie  beginnt  mit  Zweifeln  an  dem  Zeugnisse 

der  Sinne. 

Beide  Philosophien,  die  des  Ostens  und  die  des  Westens, 
gehen  von  einem  und  demselben  Punkte  aus,  nämlich  von 
der  Überzeugung,  dass  unsere  gewöhnliche  Erkenntnis  un- 
sicher, wenn  nicht  ganz  und  gar  falsch  ist.  Diese  Auflehnung 
des  menschlichen  Geistes  gegen  sich  selbst  ist  der  erste 
Sehritt  in  aller  Philosophie.  Die  Vedänta-Philosophie  zeigt 
diese  Auflehnung  in  ihrer  ganzen  Vollständigkeit.  Nach  den 
indischen  Philosophen  hängt  unsere  Erkenntnis  von  zwei 
pramänas,  d.  h.  Maßstäben  oder  Autoritäten,  ab,  nämlich 
von  pratyaksha,  der  sinnlichen  Wahrnehmung,  und  von 
anumäna,  d.  h.  Deduktion. 

Srüti  oder  Inspiration. 

Der  orthodoxe  Philosoph  ffigt  jedoch  eine  dritte  Auto- 
rität hipzn,  nämlich  Smü  oder  Offenbarung.  Dies  mag  uns 
vom  philosophischen  Gesichtspunkte  aus  eine  Schwäche  scheinen. 
aber  selbst  als  solche  ist  sie  interessant,  und  wir  wissen,  dass 
dieselbe  Schwäche  auch  anderen  Philosophen,  die  wir  nicht 
weit  %u  suchen  haben,  eigen  ist.  ^Sruti  bedeutet  das  Hören 
oder  das  Gehörte,  und  es  wird  gewöhnlich  einfach  als  ^Veda' 
erklärt  Seit  den  ältesten  Zeiten,  von  denen  wir  irgend  etwas 
in  Bezug  auf  Indien  wissen,  wird  der  Veda  als  übermensch- 
lich angesehen;  nicht  als  erfunden  und  verfasst,  sondern  als 
bloß  gesehen  von  Menschen,  d.  h.  von  begeisterten  Sehern, 
als  ewig,  als  unfehlbar,  als  göttlich  im  höchsten  Sinne  des 
Wortes, 

Wir  sind  geneigt  zu  denken,  dass  die  Idee  der  Inspira- 
tion nnd  der  Glaube  an  den  inspirierten  Charakter  heiliger 
Bfleher  unsere  eigene  Erfindung  und  unser  eigenes  besonderes 


H)2 


Vierte  Vorlesung. 


Eigentum  sei.  Da«  ist  es  nnn  nicht,  und  die  vergleichende 
Religionswissenschaft  lehrt,  dasB,  vie  die  Idee  des  Wunder- 
baren, so  auch  die  Idee  der  Inspiration  in  gewissen  I'baaea 
der  hiatorischen  Entwicklung;  der  Religion  geradezu  nnvermeid- 
lich  ist.  Dadurch  wird  die  Bedeutung  der  Inspiration  nicht 
herabgesetzt,  sie  erhält  nnr  eine  nmfasaendere  und  tiefere  Be- 
dentnng. 

Wenn  wir  'Veda'  in  dem  gewöhnlichen  Sinne  gebrauchen, 
in  dem  das  Wort  von  indischen  Philosophen  in  der  Regel 
gebraucht  wird,  so  mQssen  wir  zugestehen,  dass  es  schwer  ver- 
ständlich scheint,  wie  man  die  Autorität  des  Veda  mit  dem  Zeugnis 
der  Sinne  und  den  Schlössen  der  Vernnnft  auf  eine  Slnfe  stellen 
konnte.  Es  ist  ja  die  Vernnnft  allein,  welche  die  Inspiration 
'Inspiration'  nennt;  die  Vernunft  steht  daher  hoch  tlber  der 
Inspiration.  Wenn  wir  aber  'Veda'  in  dem  Sinne  von  'Kenol- 
nis'  oder,  wie  es  znweilen  erklärt  wird,  von  Aptava^ana. 
d.  h.  'Sprache,  wie  sie  uns  überliefert  ist'  nehmen,  so  steht 
die  Sache  anders.  Die  Hpraehe.  die  uns  tlberliefert  ixt,  die 
Worte,  in  denen  das  Denken  verwirklicht  worden  ist,  £e 
Ideenwelt,  in  der  wir  aufgewachsen  sind,  sie  bilden  eine 
AntoritUt  and  Uben  eine  Herrschaft  über  uns  aus,  dl«  nnr, 
wenn  tlberhaupt^  der  Autorität  der  Sinne  nachsteht.  Wmb 
der  indische  Philosoph  die  großen  Worte  unserer  Sprache  ai» 
ewig,  als  von  oben  mitgeteilt,  als  bloß  gesehen,  nicht  ah 
von  uns  gemacht,  ansieht,  so  thut  er  nicht  mehr,  als  Plata, 
wenn  er  lehrte,  dass  seine  sogenannten  Ideen  ewig  und  ?0U^ 
lieh  seien. 

Wenn  aber  anch  diese  tiefere  Auffassung  von  ■  '>!^ti' 
gelegentlich  in  der  indischen  Philosophie  zum  Vorschein 
kommt,  so  ist  doch  die  gewöhnliche  nnd  allgemein  ange- 
nommene Bedentung  von  "iSVuti' :  der  Veda  schlechthin,  so 
wie  wir  ihn  besitzen,  aus  Hymnen  nnd  Brähmarias  bestehend, 
allerdings  zu  gleicher  Zeit  auch  uls  die  alte  Vorratskammer 
der  Sprache  nnd  des  Denkens,  nicht  so  sehr  in  dem,  was  er 
lehrt,  sondern  in  den  Mitteln,  durch  die  er  lehrt,  nfimlicb  in 
jeden  Wort,   das  eine  Idee  vermittelt. 


Das  VerhÜtnis  der  psycho!,  zur  phys.  u.  anthrop.  Religion.    103 

Nachdem  aber  der  Vedänta-Philosoph  diese  drei  Auto- 
ritäten anerkannt  hat,  wendet  er  sich  gegen  dieselben  and 
erkürt,  dass  sie  alle  unsicher  oder  gar  falsch  seien.  Mit 
den  gewöhnlichen  SinnesUnschnngen  ist  er  ebenso  yertraut 
wie  wir.  Er  weiß,  dass  das  Firmament  nicht  blan  ist,  ob- 
gleich wir  nicht  umhin  können  es  als  blan  zu  fsehen ;  nnd  da 
alle  Deduktionen  auf  die  Erfahrung  der  Sinne  gegründet 
sind,  werden  sie  natürlich  als  ebenso  dem  Irrtum  unterworfen 
angesehen. 

In  Bezug  auf  den  Veda  jedoch  macht  der  Vedäntist  eine 
wichtige  Unterscheidung  zwischen  dem,    was  er  den  ^prakti- 
schen  Abschnitt,   KBimikkndsL    und   ^den  theoretischen  Ab- 
schnitt,   GnknsikändsL    nennt.     Der   erstere  umfasst  Hymnen 
und  Brähmaiuis,   der  letztere  die  Upanishaden.     Der  erstere, 
der  Alles  das  in  sich  schließt,  was  eine  Priesterschaft  natür- 
licherweise am  höchsten  schätzen  würde,   wird  ohne  weiteres 
aufgegeben.     Es  wird  wohl  zugestanden,   dass  derselbe  eine 
Zeitlang  von  Nutzen   sein,   dass  er  als  eine  notwendige  Vor- 
bereitung dienen  mag,  aber  wir  hören,  dass  er  nie  die  höchste 
Erkenntnis   verleihen  könne,    die    nur  im  zweiten   Abschnitt 
ZB    finden    sei.      Selbst    dieser    zweite    Abschnitt,    selbst    die 
Upanishaden  mögen  viele   unvollkommene  Darstellungen   der 
höchsten  Wahrheit    zu   enthalten   scheinen,    aber  es  ist  der 
Zweck  des  Vedänta-Philosophen,  diese  unvollkommenen  Dar- 
tteUimgen   wegzuerklären  oder  sie  mit  dem  allgemeinen  Ge- 
dankengang  des  Vedänta  in  Einklang  zu  bringen.     Dies  ge- 
schieht mit  der  ganzen  Geschicklichkeit  des  philosophischen 
Sachwalters,    obgleich    es    den    vorurteilslosen    Forscher    oft 
darflber  in  Zweifel  lässt,   ob  er  dem  philosophischen   Sach- 
walter  folgen    solle,    oder  ob   er  in  diesen  unvollkommenen 
Darstellungen    Spuren     eines     historischen    Wachstums     und 
iadividueller  Bemühungen  zu  sehen  habe,  die  in  verschiedenen 
Brahmanischen  Niederlassungen    nicht    immer    gleich   erfolg- 
r^ch  gewesen  zu  sein  brauchen. 


Tnt  f  VAin  nsl. 

WeDH  wir  fragen,  waa  der  liöoliäle  Zweck  der  Phffi 
suphie  der  Upanishsden  war,  so  können  wir  denaelb^n  in 
drei  Worten  angebeD,  wie  er  von  den  größten  Vedänta- 
Lebrern  selbst  angegeben  worden  tat,  nämlich  In  den  Wiirteni 
Tat  tvati)  asi.  Das  beißt:  Das  bist  du.  ^Dan'  steM  hier 
ftU'  das.  was  ich  das  letzte  Resultat  der  pbysiscben  Religion 
nannte,  wie  wir  es  in  versciiledenen  Systemen  der  alten  und 
neueren  Philosophie  unter  verschiedenen  Namen  kennen  ge- 
lernt haben.  Es  ist  Zeus,  der  EJj,'  '^t''»  oder  <(i  üv  ib 
Jlriecbeuland :  es  ist  das.  was  Plalo  unter  der  ewigen  Idee 
verstand,  was  die  Agnostiker  das  Unwissbare  nennen,  vu 
ich  das  Unendliche  in  der  Natur  nenue.  Das  ist  es.  was  in 
Indien  Brahman,  als  Maskulin  oder  als  Neutrum,  heißt,  das 
Wesen  hinter  allen  Wesen,  die  Macht,  welche  das  Weltall 
»US  sich  entlasst,  es  erhült  und  es  wieder  in  sich  ziirUckiieht. 
Das  Du  ist  äa^,  was  ich  das  Unendliche  im  Mensclian 
nannte,  das  letzte  Resultat  der  An thropo logischen  Reiigion. 
die  Seele,  das  Selbst,  das  Wesen  hinler  jedem  menschlichen 
Ich.  frei  von  allen  körperlioben  Fesseln,  frei  von  Leidan- 
schaften,  frei  von  allen  Neignngen,  Der  Satz  'Das  bist  in. 
hpdeutet:  Dein  Atman,  deine  Seele,  dein  Selbst  ist  das  Brilt- 
niiin,  oder,  wie  wir  uns  auch  anadrücken  können,  das  letit« 
Resultat,  das  höchste  Objekt,  das  von  der  physischen  Religiös 
entdeckt  ward,  ist  dasselbe,  wie  das  letzte  Resultat,  dw 
höchste  Subjekt,  das  von  der  anthropologischen  Religion  tat- 
deckt  wnrde;  oder  mit  anderen  Worten,  das  Snbjekt  nitddw 
Objekt  alles  Seins  nnd  dies  Wissens  sind  ein  nnd  dasselbe. 
Dies  ist  der  Angelpunkt  dessen,  was  ich  pKychiilogUeltt 
lifligioH  oder  Theosophie  nenne,  der  höchste  Gipfel  de« 
Denkens,  den  der  menschliche  (ieist  erreiclit  hat,  der  ia  rar- 
Bchiedenen  Religionen  und  Philosophien  auf  venehiedeiie 
Weise  Ausdruck  gefunden  hat.  nirgends  .iber  mit  Bolehot 
Klarheit  und  Kraft  zum  vollen  Verständnis  gebracht  worden 
ist,  wie  in  den  alten  Upanishaden  Indiens. 


Du  Verhältnis  der  psychol.  zur  pbys.  u.  anthrop.  Religion.  105 

Denn  ich  will  es  nur  gleich  hinzufügen,  diese  Aner- 
kennung der  Identität  des  Das  nnd  des  Du  begnügt  sich 
nicht  mit  einer  bloßen  poetischen  Metapher,  wie  zum  Beispiel, 
dass  die  menschliche  Seele  ein  Aosflnss  oder  ein  Bestandteil 
der  göttlichen  Seele  sei;  nein,  was  behauptet  nnd  gegen  alle 
Widerredner  verteidigt  wird,  ist  die  wesentliche  Identität 
dessen,  was  eine  Zeitlang  fälschlich  als  Subjekt  und  Objekt 
der  Welt  unterschieden  worden  war. 

Das  Selbst,  sagt  der  Vedänta-Philosoph,  kann  nicht  vom 
Brahman  verschieden  sein,  denn  Brahman  umfasst  edle  Wirk- 
lichkeit und  nichts,  was  in  Wirklichkeit  ist,  kann  demnach  vom 
Brahman  verschieden  sein.  Zweitens  kann  das  individuelle  Selbst 
nicht  als  eine  Modifikation  von  Brahman  aufgefasst  werden,  denn 
Brahman  an  sich  kann  nicht  verändert  werden,  weder  durch 
sich  selbst,  da  er  ja  Eins  und  vollkommen  in  sich  selbst  ist, 
noch  durch  irgend  etwas  außerhalb  seiner.  Hier  sehen  wir  den 
Vedäntisten  sich  in  genau  derselben  Gedankenschicht  bewegen, 
in  der  die  eleatischen  Philosophen  in  Griechenland  sich  be- 
wegten. »Wenn  es  Ein  Unendliches  gibt,«  sagten  sie,  >so 
kann  es  kein  anderes  geben,  denn  das  andere  würde  das 
Eine  beschränken  und  es  so  endlich  machen.«  Oder  auf 
Gott  angewandt  lautete  die  Argumentation  der  Eleatiker: 
»Wenn  Gott  der  Mächtigste  und  der  Beste  sein  soll,  so  muss 
er  Siner  sein,  ^)  denn  wenn  es  zwei  oder  mehr  gäbe,  so  wäre 
er  nicht  der  Mächtigste  und  Beste.«  Die  Eleatiker  fuhren 
mit  ihrem  monistischen  Argument  fort,  indem  sie  zeigten, 
daas  dieses  Eine  unendliche  Wesen  nicht  geteilt  sein  könne. 
io  dass  irgend  etwas  ein  Bestandteil  desselben  genannt  werden 
könnte,  denn  es  gebe  keine  Macht,  die  irgend  etwas  von  dem- 
selben zu   trennen  vermöchte.^)     Ja,    es  kann    nicht   einmal 


1]  Zeller,  p.  453. 

2;  Zeller,  p.  472;  Farm.  v.  TS, 

oh6\  ^tatQBToy  lafiy.  Inet  ntcr  iaur  ouoior 
ov^i  tt  jfi  fjtäkXoy  loxey  etoyoi  uty  ^rrt'/faiV«« 
oi'Si  n  j^ei^oTe^oy  •  nuy  dk  nXiot'  lany  loyjoy 


106  ■ 


3  Vor!  0811  ng. 


Teile  hsbeo,  äana  da  es  keinen  Anfang:  nnä  kein  Ende  hat,') 
kann  ea  keine  Teile  haben,  denn  Jeder  Teil  hat  einen  Anfang 
und  ein  Ende.  ^) 

Diese  eleatiscben  Ideen  —  nSmÜch  dass  es  nnr  Ein  abao- 
Intea  Wesen  gibt  und  geben  kann,  das  unendlich,  unveränderlich, 
ohne  ein  zweitos,  ohne  Teile  und  ohne  Leidenschaften  ist  ~ 
sind  dieselben,  welche  den  Upanishaden  zu  Grunde  liegen  und 
in    den  VedAnta-aütr.i^   vollständig  ausgearbeitet  worden  sind. 

Zwei  VedäDta-!<i'hiilen> 

Aber  niuht  von  allen  VedAntial^n  werden  diese  Lehren 
angenommen.  Obgleich  alle  Vedäntisten  die  Upanishaden  al* 
inspiriert  und  unfehlbar  hinnehmen,  und  obgleich  sie  alle  die 
Antoritüt  der  Vedänfa-sVitras  anerkennen,  so  nehmen  sie  doch, 
gleich  anderen  orthodoxen  Philosophen,  die  Freiheit  der  Inter- 
pretation für  sich  in  Anspruch,  und  vermöge  dieser  Freiheit 
haben  sie  sich  in  zwei  Schulen  geteilt,  welche  bis  tum 
heutigen  Tage  die  Vedänta- Philosophen  Indiens  In  die  An- 
hSnger  des  Ä'aiikara  und  die  des  Rftmänn^^a  teilen.  Der 
letztere,  RämAnn^a,  bekennt  sich  zu  dem,  was  wir  die 
Evolutionstheorie  nennen  wllrden;  er  sieht  Brahmau  fQr  die 
Ursache,  die  Welt  tüv  die  Wirkung  an,  in  der  Weise,  dasa 
die  Beiden  zwar  in  Wirklichkeit  ein  und  dasselbe,  aber  ii 
der  Erscheinung  verschieden  seien.  Alles,  was  ist,  ist  Brak- 
man,  aber  Brahmau  enthalt  in  sich  selbst  die  eigentlicbeo 
Keime  jener  Mannigfaltigkeit,  welche  den  Gegenstand  nnservr 
sinnlichen  Wahrnehmung  bildet.  Der  Brahmau  des  Itämtaujra 
kCnnt«  fast  als  ein  persGnUcher  Gott  bezeichnet  werden,  nnil 


1    Zeller.  p.  511,  Fiogm.  3. 

2)  HeliBBUs,  Fr.  16;  el  /tlv  löf  laii,   Ai  nvib  If  thar  i^  Ji 

Fr.  3:  tl  rfJ  e.Tfipov,  llf  tl  yiif  ävo  e'ij,  eex  et«-  tinute 
änngtt  itrai-  Ali'  tgat  «(■  .teifcia  Tfoi  alXrjXtt  ■  iintifor  ü  ti 
l'iti-,  ofx  äga  iXia  r«  Inftn'  1f  ngn  lo  iöf. 


Das  YerhSltnis  der  psyehol.  znr  phys.  u.  anthrop.  Religion.  IQ? 

die  Seele  als  ein  ans  dem  Brahman  hervorgegangenes  in- 
diyidnelles  Wesen.  Man  nimmt  an,  dass  sie  stets  eine  Per- 
sdnliehkeit  ftir  sieh  bleibe,  obgleich  sie  nie  von  ihm  wirklich 
getrennt  seL  Der  erstere,  iSaökara,  verficht  die  Theorie  der 
Tinschnng  (vivarta)  oder  des  Nichtwissens  (avidy4).  Anch 
er  behauptet^  dass  Alles,  was  existiert,  Brahman  ist,  aber  er 
sieht  die  Welt  mit  ihrer  Mannigfaltigkeit  von  Formen  nnd 
Namen  Dir  das  Resultat  einer  Täuschung  an.  Brahman 
ist  bei  iSaAkara  unpersdnlich  und  ohne  Attribute.  Es 
wird  persönlich  (als  t^vara ,  der  Herr) ,  wenn  es  unter 
dem  Einflnss  der  avidyft  steht,  gerade  so  wie  die  indi- 
viduelle Seele  sich  persönlich  dflnkt,  wenn  sie  sich  vom 
höchsten  Brahman  abgewandt  hat,  in  Wirklichkeit  aber  nie- 
mals etwas  Anderes  ist  als  Brahman.  Diese  zwei  Lehren 
spalten  die  Vedäntisten  immerfort  bis  zum  heutigen  Tage, 
nnd  die  Schule  des  Rämänu^a  ist  die  beliebtere  von  den 
beiden.  Denn  Sie  dürfen  nicht  glauben,  dass  diese  alte 
Vediinta-Philosophie  ausgestorben  sei  oder  nur  von  Bernfs- 
philosophen  getrieben  werde.  Sie  ist  selbst  jetzt  noch  die 
vorherrschende  Philosophie  und  fast  Religion  Indiens,  und 
Niemand  kann  in  den  indischen  Geist,  sei  es  in  den  höchsten 
oder  in  den  niedrigsten  Schichten  der  Gesellschaft,  einen  Ein- 
bbek  gewinnen,  der  nicht  mit  den  Lehren  des  Vedänta  ver- 
traut ist. 

Um  zu  erklären,    wie   dieselben  Texte,   die  Upanishaden 

und  sogar  die  Vedänta-sütras,  so  verschiedenartige  Auslegungen 

ndanen  konnten,   wird  es  nötig  sein,  über  die  Schwierigkeit 

des  richtigen  Verständnisses   dieser  alten  heiligen  Texte  der 

^nhmanen  ein  paar  Worte  zu  sagen. 

Die  Upanishaden  schwer  zu  fibersetzeu. 

In  meinen  Vorlesungen  über  physische  Religion  musste 
^^  wenn  ich  aus  den  Hymnendes  Rigveda  eitierte,  Sie  oft  daran 
^'Äneni,  dass  es  viele  Stellen  in  diesen  alten  Hymnen  gibt, 
^*  bisher  noch   dunkel    oder  äußerst   schwer  zu  übersetzen 


lus 


ViLTte  VorU-auujt- 


sind.  Die  ^roße  Masse  dieser  Hymnen  ist  klar  genug,  aber 
—  ob  nnn  der  Oriind  in  TeitverderbnisBen  oder  ia  der 
Kühnheit  alten  Denkens  zn  suchen  ist  —  alle  ehrlichen  Ge- 
lehrten mflssen  bekennen,  das»  ihre  Übersetzungen  die  Originilo 
nii'ht  ganz  erreichen  nnd  kUnfliger  Berichtigung  unterworfen 
ainil.  Einem  Nichtfachmann  mag  ein  derartiger  Zustand  r«ehi 
hoffnungslos  vorkommen,  und  wenn  er  findet,  dass  zwei  vedi* 
sehe  Gelehrte  voneinander  abweichen  und  jeder  seine  eigene 
Auslegung  mit  einer  Wärme  verteidigt,  die  oft  mehr  j 
Eiubildang  als  aus  Überzeugung  hervorzugehen  scheint,  so 
glanbt  er  ein  Kecht  zu  haben,  Uott  zu  danken,  daas  er  nicht 
sei  wie  andere  Menschen.  Das  ist  natürlich  einfach  kindiscL 
Wenn  wir  gewartet  hätten,  bis  joder  hieruglyphische  Teil 
vom  Anfang  bis  znm  Ende  erkLlrt,  oder  bis  .jede  babyloniache 
Inschrift  vollständig  entziffert  sein  werdn,  ehe  wir  Irgend 
etwas  über  die  alte  Keligion  der  Ägypter  und  Babylonier 
sagten,  so  würden  wir  jetzt  nicht  die  aiisgeietchueteu  Werke 
von  LepaiuB.  Brngsch,  Muspero.  von  Schrader,  Smith,  Sftyc«, 
Pinches  und  Haii)>[  besitzen.  Dasselbe  gilt  von  der  vediscbes 
Litteratnr.  Auch  hier  i»t  das  Bessere  der  Feiud  des  Onten. 
nnd  so  lange  nur  eiu  Gelehrter  zwischen  dem,  was  sicher, 
und  dem.  was  vorläufig  noch  zweifelhaft  ist,  sorgfältig  nnlcr- 
scbeidet.  braucht  er  sich  um  die  Sticheleien  von  KritikasterB 
und  die  Schmähungen  von  Foriachritlsfetnden  nicht  zu  kflm- 
mern.  Der  ehrliche  Arbeiter  darf  nicht  warten,  bis  er  i 
hellen  Lichte  der  Mittagssonne  schaffen  kann  —  er  an 
frlDi  aufstehen  nud  lernen,  auch  im  trtlben  Zwielicht  des 
Morgens  seinen  Weg  zn  finden. 

Ich  lialte  es  daher  für  recht  und  billig,  8iti  daran  i 
erinnern,  duss  auch  die  Texte  der  Upanishaden,  auf  die  wir 
nns  in  unseren  Vorlesungen  hauptsächlich  wurden  verlui 
mOssen,  zuweilen  sehr  dnnkel  sind,  und  dass  es  oft  sehr 
schwer  iai.  sie  genau  ins  Englische  oder  in  irgend  eine  uidere 
moderne  Sprache  zu  Übersetzen.  Sie  lassen  oft  veraohiedeM 
Auslegungen  zu,  nnd  selbst  die  alten  einheimischen  Koaunen- 
laloren  derselben,  die  lange  Abhandlungen  (Iber  sie  geschrieben 


Das  Verhältnis  der  psycho!,  zur  phys.  u.  anthrop.  Religion.  109 

haben,  weichen  oft  voneinander  ab.  »Die  Einen  sind  dieser 
Ansicht,  die  Anderen  jener,«  sagen  sie  oft,  nnd  es  ist  nicht 
immer  leicht  fAr  nns,  eine  Auswahl  zu  treffen  nnd  mit  Be- 
stimmtheit zn  sagen,  welcher  von  den  alten  Erklärend  Recht, 
und  welcher  Unrecht  hatte.  Als  ich  es  nntemahm,  die  erste 
vollständige  Übersetzung  der  zwölf  wichtigsten  Upanishaden 
herauszugeben,  war  ich  mir  wohl  bewusst,  dass  dies  keine 
leichte  Aufgabe  sei.  Sie  war  in  ihrem  ganzen  Umfang  nie 
vorher  von  ii^end  einem  Sanskritisten  unternommen  worden. 
Da  ich  selbst  darauf  hingewiesen  hatte,  dass  gewisse  Stellen 
verschiedene  Erklärungen  gestatteten,  gab  es  nichts  Leichteres 
für  den  tadelsüchtigen  Kritiker,  als  bei  diesen  Stellen  zu 
verweilen  und  darauf  hinzuweisen,  dass  die  Übersetzung  der- 
selben zweifelhaft,  oder  dass  die  von  mir  angenommene 
Wiedergabe  falsch,  oder  zum  mindesten,  dass  irgend  eine 
andere  Übersetzung  ebenso  gut  möglich  sei.  Meine  Über- 
setzung ist  dieser  Art  von  Kritik  nicht  entgangen,  aber  trotz 
alledem  haben  selbst  meine  strengsten  Kritiker  nicht  leugnen 
können,  dass  meine  Übersetzung  gegenttber  denen,  die  hh 
dahin  versucht  worden  waren,  einen  Fortschritt  bezeichne, 
und  dies  ist  wie  Böhtlingk  mit  Recht  bemerkt  hat,  schließ- 
lich doch  Alles,  worum  sich  ein  ehrlicher  Forscher  kflmmem 
soUte.  Deussen,  die  beste  Autorität  über  diesen  Gegenstand, 
hat  unsere  unfreundlichen  und  schlecht  unterrichteten  Kritiker 
ermahnt,  dass  bei  der  Übersetzung  der  Upanishaden.  wi,;  bei 
anderen  ähnlichen  nur  versuchsweise  unternommenen  Arbeiten, 
le  mieuz  est  rennemie  du  bien.  Wir  sollten  Schritt  für 
Schritt  über  unsere  Vorgänger  hinaus  fortschreiten,  wohl 
wissend,  dass  die,  die  nach  uns  kommen,  über  uns  hinaus 
fortschreiten  werden.  Es  wundert  mich  auch  nicht,  dass 
eingeborene  Gelehrte  über  die  Kühnheit  staunen,  mit  der  wir 
es  wagen,  von  Männern  wie  «S'aAkara,  Rämatirtha  u.  a.  ab- 
zuweichen, die  sie  als  geradezu  unfehlbar  ansehen.  Ich 
kann  zu  meiner  Verteidigung  nur  soviel  sagen,  dass  schon 
die  einheimischen  Kommentatoren  die  Möglichkeit  verschie- 
dener Erklärungen  zugeben,  nnd  dass  wir,  wenn  wir  fÄr  uns 


1 1 0  Vierte  Vorlesung. 

das  liecht  io  Anspruch  uehinen  zwischen  Uintsu  zu  wählen, 
nichts  weiter  than,  als  was  sie  wohl  wunauhen,  daaa  wir 
Ihnn  sollen,  indem  sie  uns  die  Wahl  freistellen.  loh  habe 
die  gn'ißte  Äohtung  vor  einheimischen  Kommentiitoren,  aber 
ii;h  kann  meine  Achtung  fitr  dieae  gelehrten  Manner  nicht  so 
weit  treiben  nie  ein  eingeborene]'  indischer  tielehrter.  der  auf 
meine  Frage,  welche  von  zwei  sich  widersprechenden  Er- 
kUrnngen  er  für  die  richtige  halte,  ohne  alle  Bedenken  ant- 
wortete, d&3ä  wahracheinlich  beide  richtig  seien,  sonst  wären 
sie  von  den  alten  Kommentatoren  nicht  erwähnt  worden. 

Man  hat  mir  oft  gesagt,  es  sei  nicht  weise,  anf  die  Un- 
gewissheiteu  in  der  Cbersetzung  orientalischer  Teste,  nament- 
lich der  Vedas,  so  viel  Gewicht  zu  legen,  es  herrschten  ja 
dieselben  Ungewissheiten  in  der  Erkläning  der  Bibel,  ja  selbst 
der  griechischen  nnd  lateiuii^cheD  Klassiker,  um  der  griecbi- 
.'7<'hen  und  lateinischen  Inschriften  zn  gescbweigen.  Das  große 
Publikum,  sagen  sie,  ist  ohnehin  schon  ungläubig  genng,  und 
es  ist  weit  besser,  die  letzten  Ergebnisse  unserer  Forschnngen 
als  vorläufig  gesichert  zu  geben  und  es  der  Zuknnft  zn  über- 
lassen. Irrtümer,  wie  sie  bei  der  Entzifferung  alter  Texte 
unvermeidlich  sind,  zu  berichtigen.  Diesen  Kat  haben  viele 
Forscher,  insbesondere  die  Entzifferer  von  Hieroglyphen-  nnd 
Keilinschriften,  befolgt;  was  war  aber  das  Resultat?  Di 
jedes  Juhr  die  Kesultate  des  vorhergehenden  Jahres  beriohligl 
hat,  so  wagt  es  jetzt  kaum  irgend  Jemand  von  den  Ergeb- 
uissen  dieser  Forschungen  (iebrauch  zu  mncben,  so  unver^ 
sichtlich  sie  ancb  als  endgaltig  nnd  als  Ober  jeden  Zwelfal. 
L-rhaben  hingestellt  werden.  Es  ist  ganz  richtig,  dasa  di« 
Warnungen  gewissenhafter  Gelehrter  in  Uezug  anf  die  nnver- 
meidliche  Unsicherheit  bei  der  Übersetzung  vedischer  Tei%4» 
dieselbe  Wirkung  hervorrufen  mögen.  Die  Thatsache,  d&s 
ich  den  Veda  ein  Buch  mit  sieben  Siegeln  genannt  habe,  vst 
von  gewissen  Schriftstellern,  denen  schon  die  hlolie  Esiston 
des  Veda  ein  Dorn  im  Auge  war.  gierig  aufgegriffen  wordex 
um  die  Unsicherheit  aller  Systeme  der  vergleichenden  Spraoli-' 
Wissenschaft.   Mythologie    nnd  Theologie   darzathun.    di«  a»'^ 


Dm  VerhSItniB  der  psychol.  zur  pbys.  u.  antbrop.  Religion.  1 1 1 


irgendwelche  diesem  Buch  mit  sieben  Siegeln  entnommene  Zeng- 
nisse  gegrtlndet  sind.  Wahre  Gelehrte  jedoch  wissen  besser  Be- 
scheid. Sie  wissen,  dass  in  einer  langen  lateinischen  Inschrift 
gewisse  Wörter  ganz  unleserlicb,  andere  schwer  zn  entziffern 
nnd  zu  übersetzen  sein  mögen ,  dass  aber  doch  ein  beträcht- 
licher Teil  so  klar  nnd  so  verständlich  sein  kann,  wie  irgend 
eine  Seite  von  Cicero,  und  mit  yollkommener  Sicherheit  fflr 
linguistische  oder  historische  Zwecke  verwertet  werden  kann. 
Gelehrte  wissen,  dass  dasselbe  auch  vom  Veda  gilt,  dass  viele 
Wörter,  viele  Zeilen,  viele  Seiten  so  klar  sind,  wie  irgend 
eine  Seite  von  Cicero. 

Wenn  man  mich   ^agt,   was  uns  ein   Buch   mit  sieben 
Siegeln  fflr  die  vergleichende  Religionswissenschaft  und  Mytho- 
logie nützen  kann,   so  lautet   meine   Antwort,    dass  es   uns 
anspornt,    diese  Siegel   zu   entfernen.     Was   den  Veda  anbe- 
langt,   so   kann  ich  mit  Sicherheit  behaupten,   dass  mehrere 
Ton  diesen  Siegeln  nunmehr  schon  gebrochen   worden  sind, 
und  wir  haben   allen  Grund  zu  hoffen,   dass  mit  Ehrlichkeit 
uid  Ausdauer    sich    auch  die  übrigen   Siegel  mit   der   Zeit 
entfernen  lassen  werden. 


Fünfte  Vorlesung. 
Die  Wanderung  der  Seele  nach  dem  Tode. 


Verschiedene  Angaben  ans  den  Upanishaden. 

Wir  haben   nun  in  Betracht  zu   ziehen,   was  die   üpa- 
nishaden   selbst   über  das  Verhältnis   der  Seele  zn  Gott,  nnd 
namentlich  über  die  Rflckkehr  der  Seele  zn  Brahman  lehren. 
Hier  werden  wir  finden,  dass  beide  Schulen  der  Vedftntisten, 
die  des  Käm/innr/a  nnd  die  des  «Sankara,  sich  zur  Stütze  ihrer 
bezüglichen   Meinungen    auf  Texte   der  Upanishaden   berufen 
können,   so   dass  es  scheint,   als  ob   die   Upanishaden   beide 
tonangebende  Vedilnta-Theorien  in  sich  vereinigten  nnd  keine 
von   beiden   verwürfen.     Es   hat   natürlicherweise   unter   den 
VedAntisten  in  Indien,  sowie  auch  unter  den  Vedänta-Forschem 
in     Europa    lange    Auseinandersetzungen    darüber    gegeben, 
welche   von    den   zwei   Schulen   den   wahren  Geist    der  Upa- 
nishaden darstelle.    Wenn  wir  die  Upanishaden  als  ein  Ganze» 
nehmen,  so  würde  ich  sagen,  dass  «Sankara  der  gründlichere 
und  treuere  Vertreter   ihrer  Lehre  sei:   wenn  wir   aber  eine 
historische  Entwicklung   in   den  Upanishaden   selbst  zugeben  ^ 
so   können  wir    von  RAmAnu</a   sagen,    dass  er  in  genauerer 
Weise  eine  ältere  Periode  der  Lehren  der  Upanishaden  dar- 
stellt,    welche    Lehren    durch    das    spätere    Wachstum    der 
vedAntischen  Spekulation  in  den  Schatten  gestellt,  wenn  nicht 
vordrängt   wurden.     Dieses   spätere  Wachstum,   welches  sich 
in  der  Lengnung  aller  Realität  außer  der  des  höchsten  Brih^ 
man    darstellt,    wird    von   Ramamu/a    fast    ganz   außer   acht 


Die  Wandening  der  Seele  nach  dem  Tode.  H  3 

gelassen  oder  mit  großer  Freiheit  aasgelegt.  Wenn  wir  Bämä- 
nu^a  recht  verstehen,  so  würde  er  sich  wohl  damit  begnügen, 
dass  die  Seele  beim  Tode  vom  samsära  oder  von  weiteren  Oebnr- 
ten  befreit  werde,  zar  Welt  Brahmans  (masc.j  hingehe  und  sich 
dort  in  einer  Art  himmlischen  Paradieses  ewiger  Glückselig- 
keit erfrene.  «S'aAkara  hingegen  geht  weiter,  er  sieht  in  der 
endgültigen  Be^einng  ein  Wiedergewinnen  des  wahren  Selbst- 
bewnsstseins;  'Selbstbewnsstsein*  aber  bedeutet  bei  ihm  das 
Bewusstsein  des  Selbst,  dass  es  in  Wirklichkeit  das  ganze 
und  ungeteilte  Brahman  sei. 

Wir  werden  am  besten  im  stände  sein,  diese  zweifache 
Entwicklung  des  Yedäntischen  Denkens  zu  verfolgen,  wenn 
wir  zuerst  die  wichtigeren  Stellen  in  den  üpanishaden,  welche 
von  der  Rückkehr  der  Seele  zu  dem  niederen  Brahman 
bandeln,  untersuchen  und  dann  sehen,  wie  diese  Stellen  in 
den  Vedänta-sütras  miteinander  in  Einklang  gebracht  worden 
sind.ij 

Wir  beginnen  mit  den  Beschreibungen  des  Weges,  den 
die  Seele  nach  dem  Tode  einzuschlagen  hat  Hier  finden 
wir  die  folgenden  mehr  oder  minder  voneinander  abweichen- 
den Darstellungen  in  verschiedenen  Üpanishaden. 

Stellen  aus  den  üpanishaden. 

I.  BWhad-ära»yaka  VI  (8)  2,  13: 

»Ein  Mensch  lebt  so  lange  als  er  lebt,  und  dann,  wenn 


1)  Die  hier  gegebenen  Übersetzungen  weichen  an  mehreren 
Stellen  von  denen  ab,  die  ich  in  meiner  Übersetzung  in  den  &  B.  E. 
(Bd.  I  und  Bd.  XY)  gegeben.  In  meiner  Übersetzong  in  den  S.  B.  K 
stellte  ich  mich  mit  größerer  Konsequenz  auf  den  Standpunkt 
des  iSankara,  außer  in  Fällen,  wo  er  offenbar  unrecht  hatte.  In 
den  gegenwärtigen  Übersetzungen  habe  ich  es  so  viel  als  möglich 
versucht,  mich  nicht  so  sehr  von  «Sankara  beeinflussen  zu  lassen,  um 
Bämanu^  und  anderen  Erklärend  der  Üpanishaden  und  der  Yedänta- 
sttras  ganz  gerecht  zu  werden.  Ich  habe  auch  von  einigen  Konjek- 
turen Gebrauch  gemacht,  die  von  anderen  Gelehrten  vorgeschlagen 
worden  sind,  wo  immer  sie  mir  vernünftig  schienen. 

Max  Mikller,  Theosoplüe.  S 


114 


Fünfte  Vorlesung. 


er  stirbt,  bringen  aie  ihn  zu  dem  Feaer  (dem  8cheiterbtafen) ; 
und  dsnn  ist  das  Feuer  sein  Feuer,  das  BrennholE  iat  »eia 
Brennholz,  der  Ranch  sein  Hanch,  das  LJobt  sein  Lieht,  die 
Kohlen  sind  seine  Kohlen  und  die  Funken  seine  Funken. 
In  diesem  Feuer  bringen  die  Dcvae.  die  Götter,  den  Menschen 
(als  Opfer)  dar,  und  aus  diesem  Opfer  erhebt  sich  der  Mensch 
,purnaha),  von  glänzender  Farbe, 

•  Diejenigen,  welche  dieses  also  wissen,  und  diejenigen, 
welche  im  Walde  das  Wahre  als  Glauben  verehren,']  gehen 
zum  Lichte,  vom  Lichte  zum  Tage,  vom  Tage  zur  Monats- 
hftlfie  des  zunehmenden  Mondes  (Neumond),  van  der  Uonata- 
hftlfte  des  zunehmenden  Mondes  zu  den  sechs  Monaten,  wo 
die  Sonne  oacli  Norden  geht,  ^.  von  diesen  sechs  Monaten 
zur  Welt  der  Devas,  von  der  Welt  der  Devas  zur  Sonne, 
von  der  Sonne  zur  Stätte  des  Blitzes.^  Wenn  sie  die  Stfttt« 
des  Blitzes  erreicht  haben,  nähert  sich  ihnen  eine  Person, 
nicht  ein  Mensch,  <j    und   führt   sie  in  die  Welten  Brahniana. 


1)  Yi^riavulkfa  III,  192  erklürt  dies  durch  «rsddhayä  panyi 
yut&A,  'mit  dem  bücbflten  Glauben  ausgestattet'.  Die  genaue  Be- 
deutung ist  nicht  klar.    'Das  Wahre'  ist  fUr  Brahman'  gemeint. 

2;   Cf.  Deuflsen,  Sätr.  p.  I(J;  S>/at.,  p.  50». 

3;  Über  den  Zusamajenbani;  awiechen  dem  Blitz  und  den 
Mond  siehe  Hiilebrandt,    i'niiteha  Mythohgin,   Bd.  I,  pp.  343,  111. 

4)  Die  richtige  Lesart  hier  und  in  der  fAäadogjn-L'panishad 
IV,  la,  3  scheint  purusho  »mänava/i  zd  sein.  Wir  haben  Dbri> 
gons  für  die  andere  Lesart  mänasaA  die  AutoritUt  von  Ytii77iavalk]ra 
III,  194,  aber  amänava/i  ist  durch  die  Vedi'iutH-sfllras  und  dnmh 
die  Rommentatoreu  stark  gestUlzt  (siehe  uuien  p,  132'.  BiJhilbgk 
sieht  müuasa^  vor  und  llbersetzt'.  >Nnu  kommt  der  im  Denkorgati 
be6ndliche  Geist  herbei  und  befördert  jene  in  die  Stätten  Brah- 
mans.i  Das  geht  nicht,  >^auk«ra  erklärt  hier  purusho  mlnawA 
als  einen  von  Brabman  durch  seinen  Geist  hervorsebraohien  Men- 
sehen.  Das  ist  müglich  und  jedenfalls  besser  als  BUhtliugk's  Übor- 
seiznng-  Denn  wenn  puruiho  puinaiab  den  im  Denkorgan  befiad- 
licben  Oeiet  bedeutet  wie  z.  B.  Taitt  üp.  I.  Hi.  so  kUnnte  mao 
von  diesem  nicht  sagcu,  ilasB  er  sich  üen  Seelen  nühere,  denn  sie 
würden  Bolbst  die  pnruslia's  sein,  welche  den  Blitz  erreicht  habao. 
Wenn  wir  mäuasa  Irsen,  so  küunteu  %ilr  es  nur  als  'ein  piirnsha, 
eine  Person.  obEwar  nicht  ein  materielles  Wesen"  auffasaen:  der 
piirushaA   ktjnnte  also   mAnasaA  beißen,   entweder  insofern  er  nnr 


Die  Wanderung  der  Seele  nach  dem  Tode.  1]5 

In  diesen  Welten  Brahmans  verweilen  sie  auf  immer  und 
ewig  [parä/i  paräyata/i;,^)  nnd  es  gibt  keine  Rückkehr 
fklr  8ie.< 

Hier  sehen  Sie  eine  ausgesprochen  mythologische  An- 
schanong  vom  künftigen  Leben;  manches  darou  ist  fiOr  uns 
kanm  verständlich.  Der  Abgeschiedene,  nimmt  man  an,  er- 
hebe sich  vom  Scheiterhaufen,  auf  dem  sein  Körper  verbrannt 
wurde,  und  bewege  sich  zum  Lichte  arAis,  hin.  ^)  Das  ist 
verständlich,  aber  nach  dem  Lichte  folgt  der  Tag,  und  nach 
dem  Tage    die    sechs  Monate    des   Ganges    der  Sonne    nach 


f&r  den  Creist   manas    sichtbar  ist,  oder  insofern  er  vom  Geist  ge- 
schaffen ist,  mit  Einem  Wort  eine  Art  Geist  in  der  Gestalt  eines 
Xeoichen.  obzwar  nicht  ein  wirklicher  Mensch.    Ich  ziehe  jedoch 
vor.  amanava  zu  lesen.    Was  mich  in  diesem  Glauben  bekräftigt, 
ist  der  Umstand,  dass  es  auch  im  Avesta,  der  viele  Ideen  fiber 
die  Wanderung  der  Seelen  nach  dem  Tode  mit  den  Upanishaden 
gemein  hat.  heißt,  wenn  die  Seele  des  Verstorbenen  sich  dem  Pa- 
radiese der  endlosen  Lichter  nähere,  so  trete  ein  Geist  oder  —  wie 
ra*  in  einem  der  Yashts  (6*.  B.  E,  XXIII,  p.  '6\1,  lesen  —  Einer 
der  Glaubigen,  der  vor  ihm  verschieden  ist,  auf  den  Ankömmling 
sn  und  richte  verschiedene  Fragen  an  ihn,  ehe  Ahura  Mazda  ihm 
das  Öl  und  die  Speise  gebe,  die  im  Himmel  für  den  Jüngling  von 
guten  Gedanken,  Worten  und  Thaten  bestimmt  sind.    Dies  zeigt, 
wie  sehr  wir  uns  hüten  sollten,  in  unseren  Übersetzungen  schwie- 
riger Stellen  gar  zu  zuversichtlich  zu  sein.    Wir  können  uns  von 
der  Antorität   iSankara's   lossagen,   allenfalls   selbst   von   der  des 
Badaräjrana.  der  purusho   amänavaA   als   'eine   Person,   nicht  ein 
Memseli'  anffasst.     Aber  ehe  wir  dies   thun   können,   sollten   wir 
durch  Parallelstellen  zeigen,  dass  purusho  mänasa/i,  nicht  mano- 
■ayaA,   in  den  Upanishaden  jemals   in   dem  Sinne   von   dem  'im 
Denkofgan  befindliehen  Geist'  gebraucht  worden  ist.  So  lange  dies 
■iebt  geschehen  ist,  tbäte  Böhtlingk  vielleicht  besser,  die  traditio- 
nellen Erklürungen  von  Badaräja/ta  und  Äankara  nicht  mit  solch 
asTerbohlener  Verachtung  zu  behandeln. 

1  Dies  seheint  dem  «UvatlA  samaA  V,  10,  1  zu  entsprechen 
md  vielmebr  eine  zeitliche,  und  nicht  eine  lokale  Bedeutung  zu 
haben. 

2)  Darunter  kann  nickt  das  Feuer  des  ScbeiterbHufens,  mit 
den  er  verbrannt  worden  ist.  verstanden  sein;  denn  man  ^^aubt, 
dasa  der  Tote  in  dem  Feuer  und  von  demselben  verzehrt  sei.  Zu- 
weilen nimmt  man  an,  dass  es  für  Agoiloka.  die  Welt  Agni's,  ge- 
meint sei. 


116 


Fünfte  Vorlesung. 


Norden,  Was  k&nn  flunit  f^ememl  sein?  Eb  kOonte  be- 
deuten, dass  der  Abgeschiedene  einen  Tag  und  dann  sechs 
Monate  zu  warten  Labe,  ehe  ilim  Zutritt  verstattet  werde  znt 
Welt  der  Devas,  dann  zur  Sonne,  und  liernacli  zur  Statt« 
des  Blitzes.  Es  kann  aber  auch  bedeuten,  daäs  es  persönliche 
Kopr&sentanten  aller  dieser  Stationen  gebe  und  dass  der  Äb- 
geachieilene  diese  halbgöltlichen  Wesen  auf  seiner  Weiterreise 
zu  treffen  habe.  Dies  ist  ßädaräya/jas  Ansicht.  Hier  sehen 
Sie  die  eigentlichen  Schwierigkeiten  einer  Überaetznng.  Die 
Worte  sind  klar  genug,  allein  die  Schwierigkeit  ist,  wie  man 
irgend  eine  bestimmte  Idee  mit  den  Worten  verbinden  aoll. 
So  viel  von  jenen,  welche  auf  dem  Devayäna,  dem 
tidtterpfade.  vom  Scheiterhaufen  zu  den  Welten  Brahmani 
geben,  nnd  welche  nicht  der  Rückkehr,  d.  h.  neuen  Geburten, 
unterworfen  sind.  Wenn  aber  der  Abgeschiedene  noch  nicht 
eine  vollkommene  Kenntnis  Brahmans  erlangt  hat,  so  zieht  er 
nach  seinem  Tode  auf  dem  Pit/'/j-ftna.  dem  Vttterpfads, 
dahin.  Von  ihnen  beißt  es  im  Briliad-AraHyaks  VI,  [8],  2,  IS: 
■  Diejenigen  aber,  welche  durch  Opfer,  AUldthfttigktit  and 
uteiung  die  Welten  besiegen,  gehen  in  den  Rauch  ein,  vom 
neb  in  die  Nacht,  von  der  Nauht  in  die  Monatahälfte  da 
iünehmeuden  Mondes,  von  der  Monatshftifte  des  abnehmendeil 
Iffondes  in  die  sechs  Monate,  wo  die  Bouue  nach  Süden  geht; 
von  diesen  Monaten  in  die  Welt  der  Väter,  von  der  Welt 
der  Väter  in  den  Mond.  Nachdem  sie  den  Mond  erreicht 
haben,  werden  sie  zu  Speise,  und  die  GOtter  verzehren  sie 
daselbst,  wie  sie  den  König  Soma  (Mondj  verzehren,  indem 
sie  sagen;  'Nimm  zu  und  nimm  ab'.  Wenn  aber  dies  vorüber 
ist,  gehen  sie  zu  demselben  Äther']  zurOck,  vom  Äther  »or 
Luft,  von  der  Luft  zum  Regeu,  vom  Regen  zur  Erde.  Und 
wenn  sie  die  Erde  erreicht  haben,  werden  sie  zn  Speise,  äe 
werden  abermals  in  dem  Feuer  geopfert,  welches  der  Hum 
ist,  nnd  werden  von  da  aus  im  Feuer  des  Weibes  geboreD.^ 

li  Siebe  A-Mud,  Up.  V.  10,  i. 

2i  Dieser  Satz  wird  von    Bülit1iiig:k    ausgelassen.     Waru 
Siebe  A'^iind.  Up.  V,  7  und  ä. 


Die  Wanderung  der  Seele  nach  dem  Tode.  117 

Dann  erheben  sie  sich  zn  den  Welten  empor,  nnd  machen 
denselben  Kreislauf  ¥rie  vorher.  Diejenigen  aber,  welche 
keinen  der  zwei  Pfade  kennen,  werden  zn  Würmern,  Insekten 
and  kriechendem  Gewtlrm.« 

Wir  haben  nnn  einige  andere  Stellen  in  den  Upanisha- 
den  zn  nntersnchen,  wo  dieselben  zwei  Pfade  beschrieben 
werden. 

II.  Brthad-ftrawyaka  V,  (7),  10,  1: 

»Wenn  der  Pamsha  (die  Person]  aus  dieser  Welt  hinweg- 
geht, so  kommt  er  znm  Winde.  Da  macht  der  Wind  eine 
Offiinng  fOr  ihn,  so  groß  wie  das  Loch  eines  Rades,  nnd  durch 
diese  steigt  er  höher  hinanf.  Er  kommt  zur  Sonne.  Da 
macht  die  Sonne  eine  Öffnnng  für  ihn,  so  groß  wie  die 
Höhlung  eines  lambara  (einer  Trommel?},  und  durch  diese 
steigt  er  höher  hinauf.  Er  kommt  zum  Monde.  Da  macht 
der  Mond  eine  Öffnung  fiar  ihn,  so  groß  wie  die  Höhlung 
aber  Trommel,  und  durch  diese  steigt  er  höher  hinauf  und 
gelangt  zur  Welt,  wo  es  keinen  Kummer  und  keinen  Schnee 
gibt.     Dort  wohnt  er  ewige  Jahre   (stisysLith  samä//). 

m.  ÄXftndogya-Upanishad  VUI,  6,  5: 

»Wenn  er  aus  diesem  Körper  scheidet,  so  steigt  er 
hinanf  durch  eben  jene  Strahlen  (die  Strahlen  der  Sonne, 
welche  in  die  Arterien  des  Körpers  eindringen),  oder  er  wird 
hinweggeschafit ,  während  er  ^Om'  sagt.  ^)  Und  so  schnell 
wie  er  seinen  Geist  entsendet  [schnell  wie  der  Gedanke)  geht 
er  zur  Sonne.  Denn  die  Sonne  ist  die  Thüre  der  Welt 
lokadyäram),  eine  Eingangspforte  für  die  Wissenden,  eine 
Sehranke  f&r  die  Unwissenden.« 

IV.  Ä^ändogya-Upanishad  V,   1 0,  1 : 

»Diejenigen,  welche  dieses  wissen,  und  diejenigen,  welche 
im  Walde  sich  der  Kasteiung  als  Glauben  hingeben,  gehen 
znm  Lichte  (arAns),  vom  Lichte  zum  Tage,  vom  Tage  zur 
Monatshftlfte  des  zunehmenden  Mondes,  von  der  Monatshälfte 
des    zunehmenden    Mondes  zu    den    sechs  Monaten,    wo    die 


1    Böhtlingk's  Emendation  dieser  Stelle  scheint  mir  unnütig. 


118 


Fünfte  Vorleanog. 


Sonne  nach  Norden  geht,  von  den  sechs  MooKten.  wo  die 
Bonne  oacli  Norden  gebt,  zu  dem  Jahre,  von  dem  Jahre  zur 
Sonne,  von  der  Sonne  zoin  Monde,  vom  Honde  zum  Blitz. 
Dort  ist  eine  Person,  nicht  ein  Mensch,  er  fOhrt  sie  SD 
Brahman.     Dies  ist  der  Götterpfad. 

»Diejenigen  aber,  welche  in  ihrem  Dorfe  HildtbAtigkeit 
atä  Opfer  nnd  fromme  Werke  tlben,  gehen  in  den  Raach  ein, 
vom  Kanch  in  die  Nacht,  von  der  Nauht  in  die  andere 
Monatsbalfte  des  abDehroenden  Mondes),  von  der  anderen 
MonatshftlflQ  zu  den  sechs  Monaten,  wo  die  Sonne  nach 
Süden  geht.  Allein  sie  erreichen  nicht  das  Jahr.  Von  den 
Monaten  gehen  sie  in  die  Welt  der  Väier.  von  der  Well  der 
Väter  zum  Äther,  vom  Äther  zum  Monde.  Das  ist  Soma. 
der  König.  Das  ist  die  Speise  der  GOtter.  die  Götter  n&hren 
sich  davon.  Nacbdem  sie  dort  £0  lange  verweilt  als  noch  ein 
Kest  (von  Werken;  Übrig  ist,  kehren  sie  wieder  auf  dem 
Wege,  auf  dem  sie  gekommen,  zum  Äther  zurOck,  vom  Äther 
zur  Luft  [väyal.  Wenn  er  zu  Luft  geworden  ist,  wird  er 
zu  Rauch,  nachdem  er  zn  Ranch  geworden  ist,  wird  er  lu 
Nebel,  nachdem  er  zu  Nebel  geworden  ist.  wird  er  zn  einer 
Wolke,  nachdem  er  zn  einer  Wolke  geworden,  ßlilt  er  als 
Regen  herab.  Dann  werden  sie  als  Reis  und  Korn,  KrAntor 
und  Bflnme,  Sesam  und  Bohnen  geboren.']  Von  da  ist  du 
Entkommen  sehr  schwer.  Denn  wer  immer  diejenigen,  welche 
diese  Speise  essen  und  Samen  ausstreuen,  sein  mOgen.  er 
wird  gleich  ihnen.  Diejenigen,  deren  Lebenswandel  gnt  ge* 
Wesen  ist,  werden  wahrscheinlich  irgend  eine  gute  Geburt 
erlangen,  die  als  Brähma'ia,  oder  als  Kshatriya,  oder  als 
Tai«ya.  Diejenigen  aber,  deren  Lebenswandel  schleobi  ge- 
wesen ist,  werden  wahrscheinlich  eine  schlechte  Geburt  ei^ 
langen,  die  als  Hund,  oder  als  Sehwein,  oder  als  A'&ruAla. 
Auf  keinem  dieser  zwei  Wege  ziehen  jene  kleinen,  oft  wieder- 
kehrenden Geschöpfe  fort.  Flir  sie  gilt  der  dritte  Znstud, 
von  dem  es  heißt:  'Lebe  nnd  stirb'.- 

1)  Mao  erinnere  sieb,  dass  eohon  im  Rigveda  Sota*  der  reto- 
dhU,  der  äpender  von  Samen  und  Fruchtbar  keil  ist 


Die  Wandemag  der  Seele  nach  dem  Tode.  119 

Y.  JOUndogya-Upaiiishad  YIH,  4,  3 : 

>Niir  deojenigeB.  welche  jene  Brmhmawelt  vermitteUt 
BrahnuUbaryi  (Stiidiiim  nnd  Enthaltaiig)  finden,  gehört  jene 
Brahmawelt,  nnd  sie  bewegen  sieh  frei  in  allen  Welten 
imh^.c 

VL  iEAlnd<^3ra-üpanishad  Ym,  13: 

>Ich  gehe  von  Sykmz,  dem  Schwarzen  (dem  Mond  zn 
Adnla,  dem  Scheckigen  fder  Sonne),  nnd  vom  Scheckigen  znm 
Schwarzen.  Wie  ein  Pferd  seine  Haare  schüttelt,  (so  schflttle 
ich)  das  Böse  (ab);  wie  der  Mond,  der  sich  ans  dem  Rachen 
des  Bihn  befreit,  so  gehe  ich,  nachdem  ich  den  Körper  abge- 
sehftttelt,  gereinigt  im  Geiste,  znr  ewigen  Welt  des  Brahman.«  >) 

TIL  MnWaka-Upanishad.  I,  2,  11: 

»Diejenigen  aber,  welche  im  Walde  Buße  nnd  Glauben 
ftben,  mhig,  weise  nnd  von  Almosen  lebend,  gehen  dahin, 
Ton  Leidenschaften  (Stanb)  frei,  durch  das  Thor  der  Sonne, 
allwo  jener  unsterbliche  Pomsha  (Person)  wohnt,  dessen  Natur 
UTerglnglich  ist« 

YHL  KanshlUki-Upanishad  L  2: 

>Und  jntra  sagte:  Alle,  die  ans  dieser  Welt  (oder 
^esem  Körper)  scheiden,  gehen  znm  Monde.  In  der  ersten 
Hüfte  (der  Monatshilfte  des  zunehmenden  Mondes)  nimmt  der 
Mond  zn  und  fnrd  groß  durch  ihre  Lebensgeister,  in  der 
andern  Hilfte  aber  (der  Monatshälfte  des  abnehmenden 
Mondes]  llsst  der  Mond  sie  geboren  werden.  Wahrlich,  der 
Mond  ist  die  Thüre  der  S^argawelt  (der  himmlischen  Welt). 
NuL.  wenn  ein  Mensch  dem  Mond  (richtig)  antwortet,  2)  so 
lisat  er  ihn  fr«i.  Wenn  aber  ein  Mensch  dem  Mond  nicht 
antwortet  so  regnet  ihn  der  Mond,  nachdem  er  zum  Begen 
geworden,  auf  diese  Erde  herab.  Und  je  nach  seinen  Tbaten. 
nnd  je  nach  seiner  Erkenntnis,   wird  er   hier   entweder  als 


1 )  Siehe  Bloomfield,  Journal  of  the  Anierican  Orietitni  Society. 
roL  XV,  p.  168:  BühtÜDgk,  AAandogra-Upanishad.  p.  92. 

2.  V^  BöhtliDgk.  titer  eine  bisher  arg  missrerstandene  Steüe 
im  der  KmuhilaJü-Brähmana  -  Upanishad. 


120 


Fünfte  Vorlesung. 


Wurm,  oder  sU  Insekt,  oder  als  Fiaob,  oder  als  Vogel,  oder 
als  LSwe,  oder  &ls  Eber,  oder  als  Schlange  (?),  oder  als 
Tiger,  oder  als  Mensch,  oder  als  irgend  etwas  Anderes  an 
verschiedenen  Orten  wiedergeboren.  Wenn  er  aber  ange- 
kommen ist,  fragt  ihn  der  Mond:  -Wer  bist  du?«  Und  er 
soll  antworten :  >  0  Jahreszeiten, '}  der  Same  ward  vom  hellen 
Mond  gebracht,  der  sich  (im  Regen]  ei^osä :  der  ans  fanfsehn 
Teilen  besteht,  der  unsere  VÄler  beherbergt;'!  lasst  mich 
non  in  einem  kräftigen  Manne  entstehen  nnd  gießet  mich 
dnrch  einen  kräftigen  Mann  in  eine  Matter, 

>»Dann  werde  ich  als  der  hinzukommende  zwJ^lfte  oder 
dreizehnte  Monat  geboren  dnrch  den  zwj}lf~  oder  dreizebn- 
facben  Vater  (das  Jahr).  Ich  weiß  das,  ich  erinnere  mich 
dessen.  0  Jahreszeiten,  bringet  mich  sodann  zur  Unsterb- 
lichkeit. Durch  diese  Wahrheit  und  dnrcb  diese  BußUbung 
bin  ich  eine  JahreBzeif. '  ein  Eind  der  Jahreszeites.  Ich 
bin  dn..     Darauf  lässt  ihn  der  Mond  frei. 

■  Nachdem  er  den  Götterpfad  erreicht  bat,  kommt  er  znr 
Welt  Agni's  (des  Fenersi ,  znr  Welt  VSyna  (der  Lufi),  rnr 
Welt  Vamwa's,  zur  Welt  Indra's,  znr  Welt  Pra^äpati's,  znr 
Welt  Brahmans.  In  dieser  Welt  ist  der  See  Ära,  die  Yeslullia 
genannten  Augenblicke,  der  Fluss  Vitara  (Nichtaltemd),  der 
Baum  lija,  die  Stadt  SAlayya,  der  Palast  Aparäyita  fUa- 
OberwindlichJ ,  die  ThUrhilter  Indra  nnd  Pra^äpati,  die  Vibho 
genannte  Halle  Brahmans,  der  Thron  Vi^akshanä  (Einsicht, 
das  Rnhebett  Amitau^as  unendlicher  Glanz),  und  die  gt- 
liebte  Mäuaai  (Geist)  und  ihr  Bild  /filkshushi  lAnge),  dj«, 
Blumen  nehmend,  die  Welten  dechten,  nud  die  Apsaras,  die 
Amhäs     der   Veda?)    und  Ambfi;avis    (Verstand?)    und    die 


1}  Die  Jahreszeiten  werden  znweilen  die  Brüder  Soma'a,  dM 
Mondes,  genannt. 

2  Wenn  nur  der  ninfzehnte  Teil  des  Mondes  übrig  ist,  be- 
treten die  Pitris  denselben  Ludwig  faset  auch  die  Jii'bhua  als  die 
Uenien  der  Jahreszeiten  auf. 

3)  Die  Jahreszeiten  sind  Teile  des  Mondjahres,  die  wie  da« 
Leben  sterblicher  Menschen  zu  gehen  und  zu  kommen  scheinen. 


Die  Wanderung  der  Seele  nach  dem  Tode.  121 

Flflflse  Ambayäs.  Dieser  Welt  naht  deijenige,  der  dies  weiß. 
Brahnum  sagt:  »Lanfet  ihm  entgegen  mit  solcher  Verehrung, 
wie  sie  mir  selbst  gebflhrt.  Er  hat  den  Flnss  Vitara  (Nicht- 
alternd)  erreicht,  er  wird  nie  altem.« 

»Dann  gehen  fünfhundert  Apsaras  auf  ihn  zu,  einhundert 
mit  Frflehten  in  den  Händen,  einhundert  mit  Salben  in  den 
Händen,  einhundert  mit  Kränzen  in  den  Händen,  einhundert 
mit  Kleidern  in  den  Händen,  einhundert  mit  Wohlgerflchen 
in  den  Händen.  Sie  schmücken  ihn  mit  einem  des  Brahman 
würdigen  Schmuck,  und  wenn  der  Kenner  des  Brahman  also 
mit  dem  Schmucke  Brahmans  geschmückt  worden  ist,  geht  er 
auf  Brahman  zu.  Er  (der  Abgeschiedene)  nähert  sich  dem  See 
Ära  und  setzt  mit  Hilfe  des  Geistes  über  denselben  hinüber, 
während  diejenigen,  welche,  ohne  die  Wahrheit  zu  wissen, 
zu  dem  See  kommen,  darin  ertrinken.  Er  kommt  zu  den 
Teshdha  genannten  Augenblicken,  und  sie  fliehen  vor  ihm. 
Er  kommt  zu  dem  Fluss  Vitara  und  setzt  mit  Hilfe  des 
Geistes  allein  über  denselben  hinüber;  und  dann  schüttelt  er 
seine  gnten  und  bösen  Thaten  ab.^}  Seine  geliebten  Ver- 
wandten bekommen  die  gnten,  seine  ungeliebten  Verwandten 
die  bösen  Thaten,  die  er  gethan.  Und  wie  wohl  ein  Mann, 
der  in  einem  Wagen  fährt,  auf  die  zwei  Räder  sehen  mag, 
so  wird  er  auf  Tag  und  Nacht,  so  auf  gute  und  böse  Thaten 
und  auf  alle  Paare  (alle  korrelativen  Dinge)  blicken.  Vom 
Guten  und  Bösen  befreit,  geht  er,  der  Kenner  des  Brahman, 
auf  Brahman  zu. 

>Er  nähert  sich  dem  Baum  Ilya,  und  der  Geruch  Brah- 
mans dringt  zn  ihm.  Er  nähert  sich  der  Stadt  Säla^'a,  und 
der  (Sesehmack  Brahmans  dringt  zu  ihm.  Er  nähert  sich 
dem  Palast  Aparä^ta,  und  der  Glanz  Brahmans  dringt  zu 
ihm.  Er  nähert  sich  den  Thürhütem  Indra  und  Pra^äpati, 
nnd  sie  laufen  vor  ihm  davon.  Er  nähert  sich  der  Halle 
Vibho,  und  die  Herrlichkeit  Brahmans  dringt  zu  ihm.  Er 
nähert    sich    dem    Throne    Vi^aksha/tä.      Die    Säman-Verse 


1)  Vgl  JDfcand.  üp.  VIII,  13. 


122  Füafle  Vorlesung.  ^^M 

Brihat  nnd  Rathsntara  sind  liie  Östlichen  Fuße  tSieses  ThronM; 
die  SämaD-Verie  'S'yaita  nud  Nandhaaa  die  westlichen  Fßfie, 
die  Sfunan-Vene  VairApa  und  Vair&^a  sind  seine  Seiten  der 
Lange  nach ;  die  Säman-Verse  ^'Akvara  and  Raivata  seine 
Seiten  in  die  Qnere,  Dieser  Thron  ist  Prajfift  (Kenntnis), 
ilpnn  dnrch  Kenntnis  sieht  er  deotlich.  Er  nKhert  sieh 
<|i;m  Knhebett  Amitani/aB.  Dies  ist  Präna  (Atem,  Rede].  Die 
Vergangenheit  und  die  Zuicunft  sind  die  Östlichen  FüBe  des- 
selben: das  Gedeihen  und  die  Erde  die  westlichen  Fa&e: 
die  Saman-Verse  Briliat  und  Rathantara  sind  die  zwei  Lings- 
Seiten  den  Ruhebettes;  die  8äm&n-VerBe  Bhadra  nnd  Ya- 
fftlAynfffiiya  sind  die  Qnarseiten  xn  Hflnpten  und  zu  Fflßen 
(Ostlich  nnd  westlich) ;  die  Utk  und  Säman  sind  die  langes 
UettOchor,  die  Ya^us  sind  die  QuerbettUcher ;  die  Mond- 
strahlen sind  das  Sttzkissen,  der  Udgttha  die  Bettdeck«: 
Oeduihen  ist  das  Kopfkissen.  Anf  diesem  Rnhebetl«  sitit 
Brahman,  und  derjenige,  welcher  dieses  weiß,  besteigt  es 
luerst  mit  Einem  Fuße.  Dann  sagt  Brahman  la  ihm :  »Wsf 
bist  du  Vi  l'ud  er  soil  antworten:  »Ich  bin  eine  Jahresiüt 
Unit  das  Rind  der  Jahresieiten,  entsprungen  aus  dem  SchoOe 
des  nncndlichen  Raumes,  der  Barne  der  Gattin,  das  Uehl 
des  Jfthros.  das  Selbst  von  Allem,  was  da  ist.  Du  bist  du 
Selbst  von  Allem,  was  da  ist:  was  dn  bist,   das  bin  icb.<< 

Schwierigkeiten  der  Anslefvtif. 

Dies  ist  «ino  so  genaue  Cbersetiun^.  als  ich  sie  gebm 
kann.  Doch  muss  ich  gestehen,  dass  nir  ron  den  NaoMi, 
die  hier  bei  der  Beschreibung  des  Empfaag«s.  d«B  der  6«a 
Brahman  dem  Abgeschiedenen  bereitet,  gebraacht  verdco. 
Tlele  nnverstlndlich  üsd.  Sie  waren  ebenso  anverstiodlieh 
ftlr  die  einheimischen  Kommentatoren,  die  jedoch  in  naanoban 
der>elb«n  ^m  Bedeotm;  in  enideeki^a  snclien.  wi«  wenn 
ue  den  Namn  4«a  deoa  Ära.  aber  den  der  AbfeacUoden 
■n  Mtien  hat.  ab  ron  Ari.  -Feind',  abfelehet  crklAren;  nnd 
■tiea«  Feinde   >(*□•■   die   Leidenschaften   vmi  Neignngen  dt* 


Die  Wandemng  der  Seele  nach  dem  Tode.  123 

Herzens  sein.  Später  heißt  es,  dass  diejenigen,  welche  zu 
diesem  See  kommen,  ohne  die  Wahrheit  zn  kennen,  darin 
ertrinken.  Wenn  der  Thron,  auf  welchem  Brahman  sitzt, 
Tiihüahahi  genannt  ¥rird,  so  scheint  dies  ^Einsicht*  zu  be- 
deuten; und  auch  Mänast  ist  wahrscheinlich  eine  Personifika- 
tion des  Geistes,  von  dem  die  das  Auge  vorstellende 
jrikshnsht  sehr  gut  das  Bild  genannt  werden  kann.  Es  ist 
aber  ein  solches  Gemisch  von  symbolischer  und  rein  maleri- 
scher Sprache  in  all  dem,  nnd  der  Text  scheint  so  oft  ganz 
verderbt,  dass  es  hoffnungslos  soheint,  die  nrsprflngliche  Ab- 
sicht des  Dichters  herausfinden  zu  wollen,  wer  immer  es  war. 
der  dieses  Zusammentreffen  des  Abgeschiedenen  mit  dem  Gott 
Brahnum  zuerst  erdacht  hat  In  Bezug  auf  manche  Punkte 
erhalten  wir  einige  Aufklärung,  wie  wenn  es  zum  Beispiel 
heißt,  dass  der  Abgeschiedene,  nachdem  er  mit  Hilfe  seines 
Geistes  Aber  den  Fluss  Yiyarä  (Nichtaltemdj  gesetzt,  seine 
guten  nnd  seine  bösen  Thaten  abschüttle,  und  dass  er  das 
Verdienst  seiner  guten  Thaten  denjeuigen  unter  seinen  Ver- 
wandten hinterlasse,  die  ihm  lieb  sind,  während  seine  bösen 
Thaten  seinen  ungeliebten  Verwandten  zufallen.  Auch  sehen 
wir  ziemlich  deutlich,  dass  unter  dem  Thron,  auf  welchem 
Brahman  sitzt,  Pra^ä  oder  die  Weisheit  zu  verstehen  ist, 
während  das  Ruhebett  Amitau^as  mit  Präna,  d.  h.  dem  Atem 
und  der  Rede,  und  die  Bettdecken  mit  den  Veden  identifiziert 
werden. 

Obgleich  in  diesen  verschiedenen  Berichten  über  das 
Schicksal  der  Seele  nach  dem  Tode  eine  allgemeine  Ähnlich- 
keit herrscht,  sehen  wir  doch,  wie  jede  Upanishad  etwas 
Besonderes  über  den  Gegenstand  zu  sagen  hat.  In  manchen 
wird  der  Gegenstand  sehr  kurz  behandelt,  wie  in  der  Mu/M/aka- 
üpanishad  I,  2,  11,  wo  es  nur  heißt,  dass  die  Seele  des 
Frommen  durch  das  Thor  der  Sonne  hindurchgehe,  wo  der 
unsterbliche  Purusha  (Geist,  die  Person  wohne.  In  der 
Jf%ändogya-üpanishad  VIII,  6.  5  ist  Ein  Bericht  ebenso  kurz. 
Hier  heißt  es,  dass  die  Seele  dahingeht,  vermittelst  der 
Sonnenstrahlen  emporsteigt   und   die  Sonne   erreicht,   welche 


124 


Flinfle  Vorlesung. 


für  den  Weisen  die  ThUre  zu  den  Welten  (loka.i.  fUr  des 
Thoren  aber  eine  Schranke  .ist.  Aach  das  Brtbad-äranvaka 
gibt  an  Einer  Stelle  [V,  10,  I)  einen  kurzen  Bericht  von  der 
Wanderung  der  Seele  von  dem  Körper  in  die  Lnft,  von  der 
LTift  zor  Sonne,  von  der  Sonne  zum  Monde,  vom  Monde  lu 
der  schmerzlosen  Welt,  wo  die  Seele  ewige  Jahre  wohnt. 
Ahnliche  kurze  Berichte  kommen  in  der  Taitt.  Up,  1,  fi  nnd 
der  Prasua  Up.  I.  9  vor. 


tllatorlscher  Fortgehritt  in  den  Ipaiilshadcn. 


ihen.  M    I 


Wenn  wir  uns  die  anaffihrlicheren  Berichte  ansehen, 
können  wir  leicht  bemerken,  dass  die  älteste  Änflaasung  del 
Lebens  niich  dem  Tode  die  war,  welche  sich  im  PitriyiUis. 
dem  Väterpfade,  dnrslelK,  d.  h.  dem  Pfade,  welcher  die 
Öeele  zum  Monde  führte,  wo  die  Väter  oder  diejenigen,  welohn 
vor  ihm  dahingegangen  ^lod,  wohnen.  Die  Schilderung  dieses 
Pfades  iat  ungefähr  dieselbe  im  Bn'had-:^rBnyaka  und  in  der 
AViändogya-üpanishad.  Die  Seele  gelt  in  den  Rauch  (wahr- 
scheinlich des  Scheiterhaufens)  ein,  kommt  dann  zur  Nacht 
hernach  zur  Monatshälfte  des  abnehmenden  Mondes,  sodaiui 
zn  den  sechs  Mouateu,  wo  die  Sonne  sich  nach  Stldeu  be- 
wegt. Sie  erreicht  aber  niclit  das  Jahr,  sondern  aieht  gfr- 
ladeaus  zur  Wohnstatte  der  Väter  und  zum  Monde.  All 
diese  Wohnstätte  im  Monde  mit  der  Zeit  als  eine  bloß  Yor- 
Qhergehende  angesehen  wurde,  auf  die  ein  neuer  Cyklus  »od 
Existenzen  folgte,  so  war  es  nnr  natQrlich,  dass  man  eisen 
Devayäna  erdachte,  der  weiterhin  zu  den  Göltem  und  m 
ewiger  Glückseligkeit  führe  ohne  jede  Rückkehr  zn  nencn 
Wanderungen.  Aber  auch  diese  Wohnstätte  im  Devaloka 
befriedigte  uicht  alle  Wtlnsche,  nnd  mun  nahm  ein  weitens 
Vordringen  von  der  Sonne  znm  Monde  an,  oder  direkt  von 
der  Sonne  zur  Wohnstätte  des  Blitzes,  von  wo  ein  Geist  di« 
Seelen  zur  Welt  Brahmans  fahre.  Diese  Welt,  die  «war 
noch  immer  in  mythologischer  Phraseologie  anfgefasst  wird, 
war    wohl    auf   lauge    hinans    di^r    höchste   Punkt,    den    die 


Die  Wandenmg  der  Seele  nach  dem  Tode.  125 

Diehter  and  Denker  der  üpanishaden  erreicht  haben,  aber 
wir  werden  sehen,  dass  nach  einiger  Zeit  anch  diese  An- 
nlherong  an  einen  persönlichen  nnd  objektiTen  Gott  nicht 
mehr  Air  endgültig  angesehen  wurde,  und  dass  es  eine  höhere 
Seligkeit  gab,  die  nur  durch  Kenntnis  erreicht  werden  konnte^ 
oder  durch  das  Bewusstsein  von  der  Untrennbarkeit  der 
Seele  Ton  Brahnum.  Sparen  davon  sehen  wir  in  Stellen 
der  Üpanishaden,  wie  Brth.  Ar.  Up.  V,  4,  S:  »Weise  Men- 
schen, welche  Brahman  kennen,  gehen  auf  diesem  Wege 
(dcTayäna)  zur  Himmelswelt  (svarga).  und  von  da  höher 
hinauf  als  ganz  befreite.«  Oder  Maitr.  Brähm.  Up.  VI,  30: 
»Cber  die  Welt  Brahmans  schreitend,  gehen  sie  vermittelst 
dieser  zu  dem  höchsten  Pfade.« 

Während  in  unseren  Augen  der  Glaube  an  die  Wan- 
derung der  Seele  zur  Welt  der  Väter,  zur  Welt  der  Götter 
und  zur  Welt  des  mythologischen  Brahman  (masc.)  eine 
hiatorische  Entwicklung  darzubieten  scheint,  war  dies  bei 
den  Vedänta-Philosophen  nicht  der  Fall.  Sie  betrachteten 
jede  Stelle  in  den  üpanishaden  als  offenbart  und  daher  als 
^eich  wahr,  und  sie  suchten  alle  Berichte  über  die  Wan- 
dening  der  Seele,  selbst  wenn  sie  deutlich  voneinander  ab- 
wichen, zu  einem  harmonischen  Ganzen  zu  verbinden. 


Tenaehe,  die  Tersehiedenen  Angaben  der  üpanishaden  in 

Einklang  zu  bringen. 

Wie  ihnen  dies  gelungen  ist,  werde  ich  am  besten  da- 
durch zeigen  können,  dass  ich  einen  Abschnitt  der  Vedänta- 
fätras  BÜt  dem  Kommentar  des  «Saäkara  übersetze.  Sollte 
aach  manches  davon  langweilig  scheinen,  so  wird  es  doch 
Blllzlicb  sein,  indem  es  Ihnen  eine  Idee  von  dem  Stil  und 
dem  Geist  der  späteren  Vedänta-Philosophen  geben  kann. 
Sie  werden  bemerken ,  wie  die  Sütras  an  und  für  sich 
geradezu  unverständlich  sind,  obgleich  wir,  nachdem  wir 
Ä'aAkara's  Erklärungen  gelesen,  sehen,  dass  sie  wirklich  den 
Kernpunkt  des  ganzen  Arguments  enthalten. 


Fünfte  VorlesttDg. 

Vedänta-SOfras. 

Viertes  Bucb,  drittes  Kapitel. 

Erstes  Sdtra, 

Auf  dem  mit  Licht  u.  s.  w.  beginnenden    Wege. 

dieser  weit  und  breit  anerhannt  ist. 

^a6kara  erklärt:  Vom  Anfang  der  Kdse  ;des  Abge- 
schiedenen) ist  der  Vorgang,  wie  gesagt,  derselbe.  Die  eigent- 
liche Reise  aber  wird  in  verschiedenen  Schriftstellen  auf  ver- 
schiedene Weise  offenbart.  Die  eine  Stelle,  die  sich  auf  die 
Verbindung  der  Arterien  mit  den  Sonnenstrahlen  stntzt,  findet 
sich  in  der  KhäaA.  Up'  VUl,  6,  5,  wo  ea  heißt:  'Dann  steigt 
er  hinauf  durch  eben  jene  Strahlen, <  Eine  andere,  die  mit  dem 
Licht  (ar^is)  beginnt,  findet  sich  in  der  AVi.lnd.  Up,  V,  10,  I: 
igie  geben  zum  Lichte,  vom  Lichte  zum  Tage.'  Eine  andera 
kommt  in  der  Eansb.  Cp.  I,  'A  vor:  >Naohdem  er  den  Ofitter- 
pfad  erreicht  hat,  kommt  er  zur  Welt  Agnis  (des  Fenon}.* 
Wieder  eine  andere  Stelle  kommt  im  Brih.  Ar.  V,  10,  I  vor: 
•  Wenn  der  Purushn  jdie  Person)  aus  dieser  Welt  hinwegg^ 
so  kommt  er  zum  Winde  L'nd  noch  eine  andere  in  dv 
Mnnt/.  Up.  I,  2,  11  sagt:  >Sie  gehen  dahin,  von  Lttitah 
ächaften  frei,  durch  das  Thor  der  Sonne.« 

Hier  erbebt  sich  nun  die  ('rage,  ob  diese  Wege  wirUM 
voneinander  verschieden  sind,  oder  ob  es  ein  und  derselbe 
Weg  ist,  der  nur  auf  verschiedene  Weise  beschrieben  wird. 
Angenommen,  es  seien  verschiedene  Wege,  weil  sie  lo  den 
Lpanishaden  in  verschiedenen  Abschnitten  vorkommen  nnd 
verschiedenen  Arten  religiöser  Meditation  (upftaanft)  ange- 
hören; ferner  weil  es  mit  ditr  Beschränkung,  dass  er  dorsh 
eben  jene  Strahlen  hinaufsteigt,  im  Widersprnoh  stehen  «flrde, 
wenn  wir  das  über  das  Licht  (arAis)  u.  :.  w.  Gesagte  in  B<»> 
tracht  tOgen;  und  auch  die  Behauptung  bezUgUch  dar 
Scbnolligkeil,  wenn  es  heißt,  »So  schnell  wie  er  seinen  Oeut 
entsendet,')   geht   er  zur  Sonne,*    würde  umgestttrit  werden. 


1)  Die  Wtir 


11  jävut  kBbipyen 


t  sind  schwer  tn 


Die  Wandemng  der  Seele  tuush  dem  Tode.  127 

Wenn  man  nnn  auf  Grand  dessen  behauptet,  dass  diese  Wege 

Toneinander  Terschieden  sind,  so  antworten  wir:  Nein^  ^^uf 

dem   mit  Licht   beginnenden   Wege* ;   d.  h.,  wir  antworten, 

dass  Jeder,   der  sich  nach  Brahman  sehnt,   auf  dem  Wege, 

der  mit  dem  Licht  be^nnt,  forteilt.     Und  warum?  —   Weil 

dieser   Weg  so  weit  und  breit  anerkannt  ist.     Denn  dieser 

Weg  ist  in  der  That  allen  Weisen  bekannt.    So  heißt  es  in  dem 

Kapitel  Aber  die  ftlnf  Feuer:    >ünd  auch  diejenigen,   welche 

im  Walde    das  Wahre    (d.    h.   Brahman]    als    Glauben    Ter- 

ehren«  u.  s.  w.,  wodurch  deutlich  verkündet  wird,  dass  dieser 

mit  dem  Lichte  beginnende  Weg  auch  für  diejenigen  gemeint 

sei,    welche    andere  Arten    von  Kenntnis    flbeo.     Dies  mag 

hingehen,    sagt  man   uns,    und  in  Bezug  auf  jene  Arten  der 

Kenntnis,  ftlr  welche  gar  kein  Weg  erwähnt  wird,  mag  man 

ja  diesen  mit  dem  Licht  beginnenden  Weg  zugeben.     Wenn 

aber    ein   anderer    und   wieder  ein  anderer   Weg   verkflndet 

wird,    warum    sollte    der    mit    dem    Licht    beginnende   Weg 

gelten  ?   Unsere  Antwort  auf  all  diee  lautet  einfach  wie  folgt. 

Das  mochte  so  sein,   wenn  diese  Wege  gänzlich  Terschieden 

wären,    es  ist  aber  in  Wirklichkeit  ein   und   derselbe   Weg 

mit  Yerschiedenen  Attributen,  der  zur  Welt  Brahmans  führt  und 

nweilen  durch  das  eine,  zuweilen  durch  das  andere  Prädikat 

beatinunt  wird.  Denn  wenn  immer  Ein  Teil  erkannt  worden  ist, 

sollte  das  Verhältnis  von  der  Art  sein,  wie  zwischen  einer  Be- 

ttimoinng  und  dem  zu  Bestimmenden,  ^)  und  die  verschiedenen 


fibersetzen.  Sie  sollen  Schnelligkeit  (kshipratvam  von  kship  aus- 
drficken;  denn  Wind,  Geist  und  Pferd  sind  die  gewühnlichen  Bil- 
der für  Schnelligkeit  Ich  hatte  früher  übersetzt:  ^And  tchile  his 
it  faUing  (»und  während  sein  Geist  ihn  im  Stiche  lässt«^; 

Böhtlingk  nicht  hätte  annehmen  sollen,  indem  er  Übersetzte: 
»Während  das  Denkorgan  verschwindet.«  Es  ist  aber  klar,  dass 
Schnelligkeit  und  nicht  Verschwinden  ausgedrückt  werden  sollte, 
and  so  hat  es  auch  der  Verfasser  der  Vedänta-sutras  verstanden. 

1}  Die  technische  Bedeutung  von  ekade^a  ist  *ein  Teil',  wäh- 
rrnd  ekade#in  ^das  Ganze'  ist.  Die  Übersetzung  ist  aber  nicht 
befriedigend,  und  auch  Deussen  macht  den  eigentlichen  Sinn  des 
Satzes  nicht  klarer.  Hier  ist  ekade^a  einfach  für  den  Anfang  und 
das  Ende  des  Weges  gemeint. 


12H 


Fünfte  Vorlesung. 


Bestimmungen  des  Weges  mnssen  zussmmengefasst  werden, 
geradeso  wie  wir  die  verecbiedeDen  Altribtite  einer  Wiascn- 
ficbaft  zusammenfassen,  die  eine  und  dieselbe  ist,  obschon 
ihre  Behandinngs  weisen  versoLie  den  artig  sein  mOgen.  Und 
selbst  wenn  das  Sabjekt  (nnter  dam  ein  ftewisser  Weg  za 
Braiiman  gelebrt  wird)  vorscbieden  ist,  so  ist  doch  der  Weg 
derselbe,  weil  das  Ziel  dasselbe  ist,  und  weil  Ein  Teil  des 
Weges  (als  derselbe)  erkannt  worden  ist  Denn  in  allen 
folgenden  Stellen  zeigt  sich  deutlich  ein  nnd  dasselbe  Objekt, 
nämlich  die  Erlangung  der  Brahmawell.  Wir  lesen  (Bnli. 
Ar.  VI,  2,  15);  'In  diesen  Welten  Brahmans  verweilen  sie 
auf  immer  und  ewig.;  —  (Bnli.  Ar.  V,  10.  1):  .Dort  wohnl 
er  ewige  Jahre-;  —  (KaUfli.  üp.  I,  7):  -Welcher  Sieg  immer, 
welche  Uröße  immer  Brabman  gehört,  diesen  8ieg  gewAbrl 
er,  diese  Uröße  reicht  er  dar-  ;  —  (A'/änd.  Up.  VIII,  4,  3): 
> Jene  Ürahmawell  gehört  nur  denjenigen,  welche  sie  rer- 
mittelat  BratimaXarya  finden.'  Und  wenn  behauptet  wird, 
dass  bei  der  Annahme  der  Asnäherung  an  das  Licht  die  in  den 
Worten  'Durch  eben  jene  Strahlen  ansgodrückte  Kinsohrln- 
kung  keinen  Sinn  haben  würde,  so  antworten  wir:  Das  ist  kein 
Fehler;  denn  der  eigentliche  Zweck  derselben  ist  das  Er- 
reichen dieser  Strahlen.  Dasselbe  Wort,  welches  die  Er- 
langung der  Strahlen  einschließt,  braucht  das  lieht  u.  t.  w. 
nicht  anszuBchließen.  Darum  müssen  wir  zugeben,  dus 
gerade  diese  Vereinigung  mit  den  Sirahlen  hier  stark  herTOi<- 
gehoben  wird.  Und  was  über  die  Schnelligkeit  gesagt  wird, 
das  wird  nicht  umgestQizt,  wenn  wir  uns  auf  den  mit  Lieht 
beginnenden  Weg  besebr&nken,  denn  der  Zweck  ist  Schnellig- 
keit, wie  wenn  mau  sagen  wollte :  Man  gelangt  im  Ku  dahiiL 
Und  die  Stelle  (A'Aänd.  Up.  V,  10,  8):  .Anf  keinem 
dieser  zwei  Wege«,  wulcho  den  dritten  oder  den  bOaen  Ort 
bezeugt,  zeigt  zu  gleicher  Zeit,  duas  es  außer  dem  PitriyA»«, 
dem  Weg  zn  den  Vätern,  nur  Einen  anderen  Weg.  d«D 
Devayäna,  den  Weg  zu  den  Göttern  gebe,  von  dem  dis  Lieht 
Eine  Station  ist.  Und  wenn  in  der  Stelle  Ober  du  Lieht 
die  Wegstationen   zahlreicher  sind,   wahrend  sie  sn  andereo 


Die  Wandeniiig  der  Seele  nach  dem  Tode.  129 

Stellen  minder  zahlreich  sind,  so  leaehtet  es  ein,  dass  die 
minder  zahlreichen  in  Übereinstimmung  mit  den  zahlreicheren 
erklärt  werden  mfissen.  Ans  diesen  Gründen  sagt  anch  das 
Sütra:  >Anf  dem  mit  Licht  n.  s.  w.  beginnenden  Wege,  weil 
dieser  weit  nnd  breit  anerkannt  ist.« 


Zweites  Sütra. 

Vom  Jahre  zum   Winde^  wegen  des   Vorhandenseins 
und  Fehlens  von  Bestimmungen. 

^Sankara  erklärt:  Aber  dnrch  welche  besondere  Ver- 
bindung oder  Einschiebnng  kann  die  gegenseitige  Beziehung 
▼on  Bestimmung  (Attributen)  nnd  Bestimmtem  (Subjekt)  zwi- 
schen den  Yerschiedenen  At^buten  des  Weges  bestehen? 
Aus  Wohlwollen  gegen  uns  yerbindet  sie  der  Lehrer  wie 
folgt  Im  Kaushitaka  (1,  3)  wird  der  Devayäna  mit  folgenden 
Worten  beschrieben:  >Nachdem  er  den  Götterpfad  erreicht 
hat  kommt  er  zur  Welt  Agni^s  (des  Feuers),  zur  Welt  Väju  s 
der  Luft),  zur  Welt  Varuna  s,  zur  Welt  Indra  s,  zur  Welt  des 
Pra^pati  Tiri^  ,  zur  Welt  des  Brahman  (Hira/tyagarbha). « 
Hl«  bedeuten  nun  die  Ausdrucke  ^Licht'  und  'Welt  Agni's 
ein  und  dasselbe,  da  beide  ein  Brennen  bezeichnen,  und  es 
lieft  hier  keine  Notwendigkeit  vor,  nach  irgend  einer  Auf- 
dnanderfolge  zu  suchen.  Aber  Väyu  (der  Wind)  wird  nicht 
aaf  dem  mit  Licht  beginnenden  Wege  erwähnt,  wieso  ist  er 
also  hier  eingeschoben?  Die  Antwort  lautet:  In  der  Stelle 
(Khkü^  dp.  V,  10,  1)  lesen  wir:  »Sie  gehen  zum  Lichte,  vom 
Liehte  zum  Tage,  vom  Tage  zur  Monatshälfte  des  zunehmen- 
dem Mondes,  von  der  Monatshälfle  des  zunehmenden  Mondes 
zu  den  sechs  Monaten,  wo  die  Sonne  nach  Norden  geht,  von 
den  sechs  Monaten,  wo  die  Sonne  nach  Norden  geht,  zu  dem 
Jahre,  von  dem  Jahre  zur  Sonne.«  Hier  erreichen  sie  also 
Väyii,  den  Wind,  nach  dem  Jahre  nnd  vor  der  Sonne;  und 
wamm?  Weil  wir  in  dem  Falle  sowohl  ein  Fehlen  als  anch 
ein  Vorhandensein   von  Bestimmungen  haben.     Denn  in  den 

M»x  3f  aller.  Tlieosoplüe.  \) 


130 


Fünfie  Vorlesuug, 


WortBQ :  'Er  gelit  znr  Welt  VSyu's  (Kanah.  1,  3]  wird  Vlyn 
ohne  irgend  eine  Bestimmung  erw&bnt.  während  in  einer 
anderen  Stelle  eine  Bestimmung  vorkommt,  wo  es  heißt 
(Bnli.  V,  lll,  1):  >Wenn  der  Puruäha  die  Person)  aus  dieser 
Welt  hinweggehl,  bo  kommt  er  zum  Winde,  Da  roaclil  der 
Wind  eine  Öffnung  für  ihu,  BO  groß  wie  das  Loch  eines 
Rades,  und  durch  diese  steigt  er  höljer  hinauf.  Er  kommt 
znr  Sonne.  <  Also  infolge  der  Bestimmung,  welche  die 
Priorität  VÄyus  vor  der  Sonne  zeigt,  musa  VäjTi  swUcben 
das  Jahr  und  die  Sonne  eingeschoben  werden. 

Warum  ist  dann,  da  eine  Bestimmung  vorhanden  ist. 
welclie  zeigt,  dass  Väyu  nach  dem  Liebte  folgt,  dieser  nicht 
nach  dem  Liclite  eingeschoben  1-'  Weil  wir  sehen,  daas  hier 
keine  Bestimmung  vorhanden  ist.  Aber  ist  denn  nicht  eine 
Scbriftstelle  citiert  worden  (Kausb.  I,  3):  'Nachdem  er  den 
Götterpfad  erreicht  hat.  kommt  er  zur  Welt  A^i's,  znr  Well 
Vä)-n"3«?  Ja,  aber  hier  wird  nnr  das  Früher  und  SpSter  er- 
wähnt, von  einer  uu mitte liiarcn  Aufeinanderfolge  ist  kein  Wort 
gesagt.  Eine  einfache  Eonstatierung  von  Thatsachen  wird  hier 
gemacht,  indem  es  heißt,  daaa  er  zu  diesem  und  zu  jenem  gebe, 
aber  in  der  anderen  Schriftstelle  bemerkt  man  eine  regel- 
mäßige Aufeinanderfolge,  wenn  es  heißt,  dass  er.  nachdem 
er  durch  eine  von  Väyn  besorgte  Öffnung,  die  so  groß  wie 
ein  Wagenrad  ist,  emporgestiegen,  die  Sonne  erreiche.  Darum 
heißt  es  in  dem  Sfilra  sehr  richtig:  »Wegen  des  Vorhanden- 
seins und  Fehlens  von  Bestimmungen.' 

Die  Väyasaneyina  (Bnb.  VI,  2,  lä  behaupten  Jedoch. 
dass  er  von  den  Monaten  zur  Götterwelt  weitergehe,  nnd  von 
der  Götterwelt  zur  Sonne.  Um  nun  hier  den  unmittelbaren 
Zusammenhang  mit  der  Sonne  zu  wahren,  mllsstc  er  von  der 
Götterwelt  zu  Väyn  gehen.  .Von  dem  Jahre  zu  Viyo«, 
heißt  es  aber  in  dem  Stitra  mit  RUckäicbt  auf  die  Stelle  im 
A'A&ndogya.  Unter  den  beiden,  dem  Vä^asaneyaka  nnd  dem 
A7<fiudo^ya.  fehlt  in  dem  einen  die  Ootterwelt,  in  dem  anderen 
das  Jnbr.  Da  beide  Schriftstellen  als  glaubwürdig  anzunehmen 
sind,   mOssen   die  beideu  verbunden  werden,   und  dann  must 


Die  WandeniDg  der  Seele  nach  dem  Tode.  131 

w^en  der  Yerbindang  mit  den  Monaten,  die  Unterscheidung 
gemieht  werden,   daas   das  Jahr  zuerst  und   die  Gdtterwelt 
zuletzt  kommt.     (1)  Jahr   [Khknd.),   (2;    Gdtterwelt     Brtli.), 
3)  Welt  Yäjus  (Kaush.),    4)  Sonne  (J^änd.). 

Drittes  Sütra. 
C2ßer  dem  Blitze  Vartma^   wegen  des  Zusammenhanges. 

^ankara  erklirt:  Wenn  es  heißt  [Kh%,n^.  V,  10,  2) :  >Von 
der  Sonne  zum  Monde,  vom  Monde  zum  Blitze«,  so  wird 
Varuiui  damit  so  in  Zusammenhang  gebracht,  dass  er  Aber 
jenem  Blitze  zur  Welt  des  Vanma  geht  Denn  es  besteht 
ein  Zusammenhang  zwischen  dem  Blitz  und  Vanuta,  da  es 
ein  Brahmana  gibt  welches  lautet:  >Wenn  die  breiten  Blitze 
mit  tiefem  Donnerhall  aus  dem  Bauche  der  Wolke  hervor- 
tanzen,  so  stflrzen  die  Wasser  hernieder,  es  blitzt,  es  donnert 
und  es  wird  regnen.«  Der  Herr  des  Wassers  ist  aber 
Yanuia  nach  der  iSruti  und  der  Smrtti.  Und  oberhalb 
Tanuta  folgen  Indra  und  Pra^äpati,  weil  es  keinen  anderen 
Ort  fUr  sie  gibt  und  auch  nach  dem  Sinne  der  Schriftstelle. 
Aneh  deshalb  mflssen  Vanuia  u.  s.  w.  am  Ende  einge- 
sdioben  werden,  weil  sie  erst  nachträglich  hinzukommen  und 
ihnen  kein  besonderer  Platz  angewiesen  ist  Was  den  Blitz 
anbelangt,  so  ist  er  der  Letzte  auf  dem  mit  dem  Licht  be- 
psnenden  Wege. 

Viertes  Sütra. 
Sie  sind  Wegweiser,  weil  dies  angedeutet  ist. 

iSkäkara  erklirt:  In  Bezug  auf  die  mit  dem  Licht  Be- 
giaaenden  erhebt  sich  ein  Zweifel,  ob  sie  Wegzeichen,  Genuss- 
stüten oder  Fflhrer  von  Reisenden  sind.  Fürs  erste  mdchte 
aas  ansdunen,  dass  Licht  u.  s.  w.  Zeichen  seien,  weil  die 
Bdehrong  in  dieser  Form  gegeben  ist  Denn  wie  man  in 
der  Welt  einem  Menschen,  der  nach  einem  Dorfe  oder  einer 

9* 


132 


FUnfte  Vorlesung. 


Stadt  zu  gehen  wllnsoht,  sagt:  »Gelie  von  hier  zo  jenem 
HOgel,  dann  wirst  dn  zn  einem  Feigenbaum  kommen,  dann 
zu  einem  Flusse,  dann  zu  einem  Dorre,  dann  zu  der  Stadl.> 
so  sagt  er  aacli  hier:  >Vom  Liebte  zum  Tage,  vom  Tage  zur 
Mouatahllirte  des  zunehmcndeu  Mondes.-  Oder  man  kann 
annehmen,  dass  GenussstStten  darunter  zn  verstehen  seien. 
Denn  er  verbindet  Agni  n.  s.  w,  mit  dem  Worte  loka  (WelH, 
wie  wenn  er  sagt:  'Er  kommt  zur  Welt  des  Agni«.  Und 
das  Wort  'Welt'  wird  für  Oenussstatten  lebender  Wesen  ge- 
braucht, wie  wenn  man  sagt  'Die  Welt  der  Menschen,  'die  Well 
der  V&ter',  'die  Welt  der  Götter'.  Und  es  gibt  auch  ein 
Br&hma»a,  welches  lautet  >yat.  Br.  X,  2,  (i,  S):  'Sie  bleiben 
haften  in  den  Wellen,  welche  ans  Tag  und  Nacht  bestehen,' 
Darum  sind  Licht  u.  s.  w.  nicht  Wegweiser.  Auch  können 
sie  schon  deshalb  nicht  Wegweiser  sein,  weil  sie  ohne  V'er- 
atand  sind.  Denn  in  dieser  Welt  werden  verständige  Men- 
schen vom  Könige  dazu  angestellt,  diejenigen  zn  geldten, 
welche  sie  über  schwierige  Wege  zu  führen  haben. 

Auf  alles  dies  antworten  wir:  Es  sind  doch  Wefpreiser 
darunter  zu  verstehen,  weil  dies  klar  angedeutet  ist.  Denn 
es  heißt:  «Vom  Monde  zum  Blitz.  Dort  ist  eine  Person, 
nicht  ein  Mensch,  er  führt  sie  zn  Brahmnn;«  und  dies  zeigt 
dentUch  ihren  Charakter  als  Wegweiser.  Wenn  man  ein- 
wendet, dass  nach  der  ßegel,  'Hin  Satz  drückt  nicht  mehr 
aus,  als  was  er  aussagt',  dieser  Satz,  der  doch  anf  sein  be- 
sonderes Objekt  (dio  Person,  die  nicht  ein  Mensch  ist.  be- 
achrSnkt  ist,  sein  Gewicht  verliert,  so  sage  ich:  Nein,  denn 
das  Prädikat  amanava/i)  bat  nnr  den  Zweck,  seine  etw» 
angenommene  Mensclilichkeit  ausznschlielten.  Nnr  wenn  in 
Bezog  auf  Licht  n.  s.  w.  persönliche  Wegweiser,  nnd  zwar 
menschliche,  zugestandeu  werden,  ist  es  in  Ordnung,  dass 
liier,  um  diese  (Menschlichkeit)  auszuschließen,  das  Attribut 
amänava,  'nicht  ein  Mensch',  steht. 

Wenn  man  einwendet,  dass  eine  bloße  Andeutung  nicht 
gentigend  sei,  da  kein  Beweis  d»  ist,  so  sagen  wir:  Darin, 
liegt  kein  Fehler. 


Wuidermg  dar  Seele  nach  dem  Tode.  133 


Fünftes  Sütra. 
Weil,  da  beule  in   Verwirrung  sind,  dies  richtig  i^t. 

SMtkxnL,  erkllrt:    Da  diejenigen,    welche   anf  dem   mit 

Licht   hegiBBenden   Wege    dahingehen,    ohne    einen   Körper, 

■ad  da  alle  ihre  Oigane  zoaanmiengerollt  sind,  sind  de  nicht 

■f  hii«iipig    und  das   Licht  n.  s.  w.,   da  sie   ohne  Verstand 

sad,  sind  ebenfidls  nicht  anabhftngig.    Daraas  folgt  dass  die 

iadiridiielleB  verständigen  Gottheiten,  welche  das  Licht  n.  s.  w. 

darslellfiii«  mit  dem  Wegweiseramte  betraut  sind.     Denn  aoch 

in  dieaer  Welt  folgen  Betrunkene  oder  Ohnmächtige,   deren 

Sinnesorgane   insammeDgeroUt  and.    dem   Wege,    der  ihnen 

Ton  Asderen  gewiesen   wird.     Femer  können  Licht  a.  s.  w. 

nicht   filr  bloße  Zeichen  des  Weges  angesehen  werden,  weil 

fie  nicht  inmier  da  sind.    Denn  ein  Mensch,  der  in  der  Nacht 

sörbt,    kann    nicht    zu    dem   eigentlichen   Wesen    des  Tages 

kommen.     Es  gibt  ja,    wie  wir  oben  bemerkt  haben,    kein 

Warten.     Da  aber  die  Katar  der  Götter  ewig  ist   gilt  dieser 

Dnwand  nicht  Ar  diese.    Und  es  ist  ganz  richtig,  die  Götter 

als  Licht  n.   s.   w.   zu  bezeichnen,    weil  sie  Licht  u.   s.  w. 

dantellen.      Und    gegen    den    Ausdruck.    Tom  Lichte    zum 

Ta^  n.  8.  w.'   Usst   sich   nichts  einwenden,   wenn  der  Sinn 

ciaes  WegweiMramtes  angenommen  wird,  denn  der  Ausdruck 

bedeitet:    Durch    das   Licht    als  Ursache    kommen   sie    zum 

Tage,  durch   den  Tag   als  Ursache  zur  Monatshilfte  des  zu- 

Ȁstenden    Mondes.     Und    eine    derartige    Belehrung    sehen 

■ir  sich  bei  Wegweisem,  wie  sie  in  der  Welt  bekannt  sind. 

^caa  sie  sagen:   Gehe  von   hier  zu  Balavarman,   tou  da  zu 

^Ajasbiiha,  Ton  da  zo  Kmhitagnpta.    Außerdem  ist  am  An- 

^^^  wenn  es  heißt:    *Sie  gehen  zum  Lichte .   nur  ein  Ver- 

^^^Sais  au^edrflckt  nicht  ein  besonderes  Verhältnis :  am  Ende 

^^"^^h.   wenn  es  heißt:   *£r  fahrt  sie   zu  Brahman',   ist  ein 

"^^^deres  Verhältnis  ansgedrfickt    das  zwischen  einem  Ge- 

^^^^tea  and   einem  FUhrer.     Darum  wird  dies   auch  fUr  den 

''^^fsag  angenommen.     Und    da    die    Organe   der   Wanderer 


134  Fünfte  Vorlesiiog. 

ziisamm  enge  rollt  sind,  gibt  es  fDr  sie  keine  Möglichkeit  etvsa 
zn  gonioßen;  hingegen  kann  das  Wort  'Welt'  :loka<  auch  auf 
Wanderer  angewandt  werden ,  die  nichts  genießen,  weil  die 
Welten  OennssstSttea  für  Andere ,  die  dort  wolinen ,  sein 
können.  Wir  mSssen  demnach  verstehen,  dass  derjenige, 
welcher  die  Welt  Agni's  erreicht  hat,  von  Agni,  und  der- 
jenige, welcher  die  dem  Väyn  gehörige  Welt  erreicht  liat, 
von  Väyn  geführt  wird.  Wie  kann  aber,  wenn  ^r  diese 
Ansicht,  dass  sie  Wegweiser  sind,  annehmen,  dies  fflr  Vamna 
n.  a.  w.  gelten?  über  dem  Blitze  wurden  Ja  Varnum  u.  s.  w. 
eingeschoben,  nnd  nach  dem  Blitze  bis  zur  ErUngnng  Brah- 
mans  ist  die  Fubrersohaft  der  Peraon,  die  nicht  ein  Mensch 
ist ,  ofTenbart  worden.  Dieser  Einwand  wird  beantwortet 
durch 


v^n 


Das  sechste  Sülra. 
l^on  da  durch  den,  der  zum  Blitz  gehört,   weil  der  Vtdß 

so  sagt. 

■Sahkara  erkiflrt:  Man  hat  zu  verstehen,  dass  sie  von 
da  —  d.  h.  nachdem  sie  znm  Blitze  gekommen  sind  —  cnr 
Welt  des  Brahman  gehen,  indem  sie  von  der  Person,  welch» 
nicht  ein  Mensch  ist  nnd  welche  unmittelbar  nach  dem  Blitie 
folgt,  durch  die  Welten  des  Varu"»  n.  s.  w.  geführt  worden 
sind.  Dass  die  Person  sie  führt,  ist  durch  die  Worte  offen- 
bart: >Wenn  sie  die  Stfttte  des  Blitzes  erreicht  haben,  fBbrt 
sie  eine  Person,  nicht  ein  Mensch, ')  in  die  Welten  Brah- 
mans<  [Brih.  VI,  2,  l.'i).  Aber  Varuna  und  die  Änderen  — 
so  hat  man  zu  verstehen  —  bezeigen  ihr  Wohlwollen  entweder 
dadurch,  dass  sie  ihn  nicht  hindern,  oder  dadurch,  dass  sie 
ihm  beistehen.  Damm  ist  es  richtig  gesagt,  dass  Licht  u,  s.  w. 
die  Götter  sind,  welche  als  Wegweiser  dienen. 

Diese  Auszüge  ans  £afikara's  Kommentar  zu  den  Vedtnta — ■ 
sütras,   so   schwer  sie   auch  zu  verstehen  sind,    können 

1)  Hier  amänavaA,  allein  im  Texte  mänasaA. 


Die  Wanderung  der  Seele  nach  dem  Tode.  Ig5 

dienen«  Ihnen   doch   einen  Begriff  davon   zn  geben,   wie  ge- 
radesn  nnmöglich  es  ist,  die  Bestandteile  alter  heiliger  Litte- 
ratnr  in  ein  einheitliches  System  zn   bringen,    nnd  wie   die 
yedisehen  Apologeten  sich  vergebens  bemtlhten,  Widersprüche 
zn  beseitigen   nnd  jede  einzelne  Stelle  mit  allen  tibrigen  in 
Einklang   zn  bringen.     Fflr  nns  ist  diese  Schwierigkeit  nicht 
Torhanden.  wenigstens  nicht  in  dem  Maße.    Wir  wissen  jetzt, 
dass  heilige  Bücher,  wie  alle  anderen  Bücher,  eine  Geschichte 
haben,    dass   sie  die  Gedanken  verschiedener  Menschen   nnd 
rerscbiedener  Zeitalter  enthalten,  nnd   dass  wir,    anstatt  zn 
versuchen ,    Angaben,    welche    von    einander    abweichen,    ja 
sogar   einander  widersprechen,    in  Einklang  zn  bringen,    die- 
selben  einfach  als  Thatsachen   hinnehmen   nnd  in  ihnen  den 
stärksten    Beweis    für    den    historischen    Ursprung    und    den 
Cliarakter  der  Echtheit  dieser  Bücher  sehen  sollten.   Nachdem 
aber  die  Brähmanischen  Theologen   sich  einmal  einen  künst- 
lichen Begriff  der  Offenbarung  gebildet  hatten,  konnten  sie  die 
Fesseln,  die  sie  selbst  geschmiedet,   nicht  wieder  abschütteln 
und  mussten  daher  die  kflnstlichsten  Mittel   ersinnen,    um  zu 
beweisen,  dass  es  keine  Abweichung  nnd  keinen  Widerspruch 
zwischen   irgend  welchen   der  im  Veda  enthaltenen  Angaben 
gebe.     Da  sie  überzeugt  waren,  dass  jedes  Wort  ihrer  Smü 
nodttelbar  von  der  Gottheit  komme,    so  folgerten  sie,    dass 
et  ihre  eigene  Schuld    sein  müsse,   wenn  sie   die  überein- 
itimmong    widerstreitender    Äußerungen     nicht    herausfinden 
hörnten. 

rnabhingige  Angaben  in  den  Mantras« 

Sonderbar  ist  es  jedoch,  dass  man.  während  so  viel  An- 
nxQogung  gemacht  wird,  alle  in  den  Upanishaden  vorkommenden 
^Vllen  in  Ordnung  und  in  Einklang  zu  bringen,  kaum  irgend 
^^Ben  Versuch  gemacht  hat,  die  Angaben  der  Upanishaden 
'^^t  Stellen  in  den  Hymnen,  welche  sich  auf  das  Schicksal 
^^r  Seele  nach  dem  Tode  beziehen,  zu  vereinbaren.  Diese 
^^Uen   stehen  mit  denen   in  den  Upanishaden  keineswegs  in 


i 


131 


Fünfte  VorlesunK' 


Einklang,  ebensowenig  als  sie  mit  sich  salbet  immer  io  Ein- 
klang stehen.  Es  sind  diea  eben  nur  die  veracbiedenartigen 
Äußerungen  der  Hoffnungen  und  Besorgniaee  individueller 
Dichter,  nnd  sie  sind  noch  frei  von  den  anafabrlichen  Einzel- 
heiten über  die  Wanderung  zu  den  Vfiteni,  zu  den  Göttern 
und  zu  Brahman,  an  denen  die  L'panisbaden  so  reich  sind. 
Wenn  wir  die  Hymuen  des  Rigveda  nntersochen,  so 
finden  wir  in  denselben  den  schlichten  Glauben,  daas  die- 
jenigen, welche  ein  gnles  Leben  geführt  haben,  mit  einem 
neuen  und  vollkommenen  Körper  zu  den  Vfttem  im  Reiche 
des  Yama  gelien ;  und  zwar  ist  Yama  msprlln glich  ein 
Repräsentant  der  untergehendea  Sonne,')  der  erste  Unsterb- 
liche, nnd  Spaterhin  der  erste  Sterbliche,  der  die  selige  Woha- 
sUtte  jenseits  des  Westens  betreten.  So  heißt  es  in  einem 
beim  LeiohenbegSngnis  verwendeten  Hymnus  (Rv,  X.  14,  7  ff.) ^): 


•Geh  hin,  geh  hin,  auf  jenen  allen  Pfuden, 
Auf  denen  uu»re  Vnter  heimgegangen; 
Gott  Varuna  und  Yama  sollst  du  schauen. 
Die  beiden  KUuige,  die  SpeDdentrinkcr 

>Oeh  xn  den  Vütern,  weile  dort  bei  Yama, 
Iffl  liUebsten  Himmel,  so  du'a  reich  veidienteal, 
I.itas  dort  das  üble,  kebro  dann  nach  Banse, 
Und  nimm  Gestillt,  umairsblt  von  llchtetn  Glsuse. 


I 


Yama  wird  nie  der  Erste  der  SterbUoben  genannt,  außer 
im  Atharva-veda. ')  Im  Rigveda  kennen  viir  seinen  gOttlidieii 
Charakter  und  dessen  physisches  Substrat,  die  untergehende 
Sonne,  noch  deutlich  erkennen.     So  lesen  wir  X.   14,  2: 

•  Yama  war  der  Erste,  der  uns  den  Weg  gefunden,  einen 
Weideplatz,  der  uns  nicht  weggenommen  werden  kann,  w<>- 
hin  unsere  Vater  ehedem  gewandert  sind,  die  dort  geboren 
wurden,  jeglicher  nach  seinem  Wandel.< 

1)  Nach  Hillebrandt  ist  der  pliysiscbe  niniergrund  Vaua's  der 
HuDil  und  nicht  die  Abendsonne.    Das  ist  uichi  unmliglich. 
2    Anthropologische  Reli^ou,  p.  24S. 
3)  Ath.-veda   XVIII,    3,    13    ist    eine    Korruption    von    Bv 


IHe  Wiadenmg  der  Seele  nach  den  Tode.  137 

IMeMT  P£id  der  AbgesehiedeiieB  pnpadui)  wird  ab 
gtAluikli  ao^fjLSst^  lud  Püshaa  wird  nin  Sekatx  aaf  dem- 
selbeB  an^fleht  X  17.  4  .  An  Einer  Stelle  ist  tob  einem 
Kaeb^  nun  Überftetzen  eines  Flosses  die  Rede  (X.  63.  lu  . 
nnd  mnck  xwd  Hunde  werden  erwJüint.  an  denen  der  Ab^e- 
BckiedeBe  nerbeigehen  ants.  Ein  anderer  Vers  bringt  c^inen 
paa  neoen  Gedanken  herein.     Da  heißt  eä  'Rv.  X.  16.  3  : 

>Znr  Sonne  gehe  das  Ange.  anm  Wind  der  Atem:  geh 
xnm  Himmel  nnd  aar  Erde,  wie  es  recht  ist:  oder  gehe  an 
den  Gewissen,  wenn  es  dort  gnt  fülr  dich  ist:  mhe  in  den 
Piannen.c 

Man  hat  geglanbt  dass  manche  vedische  Dichter  die 
Wohnstitte  der  Seligen  nicht  in  den  Westen,  sondern  in  den 
Osten  reriegten:  es  hingt  dies  aber  bloß  Ton  der  richtigen 
Erklimig  Einer  Stelle.  Rt.  I.  115.  2.  ab.  Hier  wird  ein 
Sonnenaafgang  beschrieben:  >Da5  strahlende  Angesicht  der 
GOcter  ist  aofjgegangen.  das  Ange  Mitras.  Vam^tas.  Agni  s:  es 
fillte  Hiaunel  nnd  Elrde  nnd  die  Lnft.  die  Sonne  ist  das 
r^bst  Tcn  Allem,  was  sieh  bewegt  und  feststeht 

>IKe  Sonne  folgt  der  günxenden.  göttlichen  Morgenröte 
hinten  nach,  wie  ein  Mann  einem  Weibe  nachgeht,  da  wo 
die  Fr<*mmen  die  Menschenalter  Terlingem  von  Seligkeit  an 


Diese  letzte  Zeile  ist  auf  rerschiedene  Weisen  tibersetzt 
worden,  aber  die  gewöhnliche  Vorstellung  ist  immer  die  ge- 
wesen, dass  unter  den  Frommen  hier  wie  sonst  die  Abge- 
schiedenen zu  Tcrstehen  seien.  \  Es  liegt  jedoch  fOr  diese 
Eiklirang  keine  Notwendigkeit  vor.  Ich  sehe  in  diesen 
Worten  eine  im  Veda  oft  ausgedrockte  Idee,  das^  die  from- 
men  Verehrer  ihr  Leben  oder  ihre  Naehkommenscbait  rer- 
liagem.  dadurch  dass  sie  den  Göttern  des  Morgens  —  die 
M^rgensonne  ist  nimlich  das  Symbol  der  Emeuenmg  und 
langen   Lebens  —  Opfer    darbringen.     Wie    dem    anch    sein 


1    Grldner  n.  Kaegi.  Str^tehzip  Li f der  cV*  Eicr^da,  p.  55:  Zini- 
mar.  JÜtimd.  Lelai,  p.  410. 


13S  Fünfte  Yorlesimg. 

mag;  die  Wohnstätte  Yama's  und  der  Abgeschiedenen  ist  in 
der  Nähe  des  Sonnenuntergangs,  nicht  in  der  Nfthe  des 
Sonnenaufgangs. 

Die  Wohnung  der  Abgeschiedenen  wird  aber  keineswegs 
als  dunkel  oder  düster  beschrieben.  Wenigstens  wenn  Borna, 
der  Mond,  angerufen  wird,  Unsterblichkeit  an  gewfthren, 
lesen  wir  (IX,  113,  7  flF.) : 

»Wo  unvergängliches  Licht  ist,  in  die  Welt,  in  welche 
die  Sonne  gesetzt  ist,  in  jene  unsterbliche,  ewige  Welt  yer- 
setze  mich,  o  Soma! 

»Wo  Vaivasvata  (Yama)  König  ist,  wo  der  Abstieg  (oder 
das  Innerste)  des  Himmels  ist,  wo  die  ewigfliefienden  Wasser 
sind,  da  mache  mich  unsterblich,  o  Soma! 

»Wo  man  sich  bewegt,  wie  es  Einem  gefUlt,  im  dritten 
Licht,  dem  dritten  Himmel  des  Himmels,  wo  jeder  Ort  voll 
Licht  ist,  da  mache  mich  unsterblich,  o  Soma! 

»Wo  alle  Wünsche  und  Begierden  zu  finden  sind,  wo 
die  rote  Sonne  ihren  Gipfelpunkt  hat,  wo  es  Spenden  und 
Sättigung  gibt,  da  mache  mich  unsterblich,  o  Soma! 

»Wo  es  Freuden  und  Wonnen  gibt,  wo  Entzücken  und 
Genuss  wohnen,  wo  die  Wünsche  des  Herzens  erfüllt  werden, 
da  mache  mich  unsterblich,  o  Soma!« 

Es  folgt  jedoch  keineswegs,  dass  die  Wohnstätte  der 
Abgeschiedenen,  zu  welcher  dieselben  von  Soma  geführt  wer- 
den, immer  genau  in  derselben  Weise  aufgefasst  wird.  Die 
dichterische  Phantasie  der  vedischen  Sänger  ist  noch  sehr 
frei.  So  lesen  wir  in  einem  anderen  Hymnus  (I,  24,  1 — 2  , 
dass  Agni,  der  Erste  unter  den  unsterblichen  Göttern,  den 
Menschen  der  Aditi  dem  Unendlichen)  wiedergeben  solle, 
wo  der  Sohn  seinen  Vater  und  seine  Mutter  wieder  sehen 
könne.  In  einem  anderen  Hymnus  (X,  15)  werden  die  Ab- 
geschiedenen thatsächlich  in  verschiedene  Klassen  eingetdlt, 
die  entweder  in  der  Luft  oder  auf  der  Erde  und  in  den 
Dörfern  wohnen.  Dirghatamas  (I,  154,  5)  spricht  von  der 
geliebten  Stätte  Vishnn's,  wo  fromme  Männer  sich  erfreuen, 
als  der  Wohnstätte  der  Seligen.   Diese  Stätte  Vish/iu*8  würde 


4m  Secte  nck  dm  Tode  139 

Ort  icn.  wo  die  S^nme  ikrea  hdcktfCB  Paakt  er- 
racfti.  ■M-kl  vo  ae  BBtaKltt.  En  aadcrer  Dickter  X. 
lii>.  1  iftkkt  TOB  ciMfli  jch$B«B  Banne,  vo  Yaaa  ait 
GiMten  tinkL  !■  Atittm-T«da  bekoBaes  vir  Mck 
EtmtidkeBUm,  Da  kaea  wir  tob  Mlkkklkc&.  saaftea 
klbifdfai  Regca.  Toa  Kackea  aas  Scknehkaiser. 
die  Hit  Mllek  aad  Hoai^  diefica.  aad  Toa 
«acr  ^raficB  Mea^  Fiaaea.  laater  Diagea.  die  zmm  GeaaMe 


Es  sckciaf  lekr  «^ideikar.  da«  ketae  Toa  dieiea  ia  dca 
B jvKB  des  Bi^reda  eatkaheaea  Aa^abea  tber  das  Sckick- 
mk  <it3t  Seele  aaek  deai  Tode  ia  dea  Vediata-<itza5  keqiroekea 
räd.  Es  wird  kda  Venaek  gtaiikt,  se  waX  dea  Lekrca 
<i«r  CpaanikadcB  ia  Kiakiaag  za  kiiagea.  Daiselbe  pk  Toa 
Y^cAea  ia  dea  Brikaaitas  rwrkoMfadea  diellea.  obgleick  sie 
3DB  ifwlkfa  Beekte.  wie  die  üpaaükadea.  ja  tob  kistm- 
«km  dtoadpaakse  ait  aock  gr^fierc»  Reckte  als  die»  aaf 
km  CkanA^tv  der  ^rati  oder  Ofieabazaa;r  Asiprack  erkebea 
tiliMirBL  Dies  M  eca  Paakf.  dea  eiakeintieke  Vediatistea 
ia  BirtiiMki  liekea  soUtea.  eke  sie  die  Vcdiata-Pkflosopkie 
JÄ  wk£  .Skati  oder  OAakaraa^    im  aügeaeiaea  öiaae  dicaei 


Eia  aadeiei    lekwaeker  Paakt   bd  dea  Verifiuoen  der 
Tidiani  liliH  io.  wie  war  sekeiat,  ikre  Ua£Üügkeit  za  Ter- 

CS  ia  dea  iltetfen  Periodea  der  dpraeke  aanöp- 
fltf.  ii^ead  eiacB  Gcdaakca  aaders  als  Betapkoriick. 
oder  —  was  dasdbe  m  —  artkok^^iiek 
Die  attca  Weisea  deakea  aickt  so  «ekr  ia 
als  ia  KUeia.  Ftr  ass  siad  dwäc  Bü^ier  Ter- 
io  daas  TOB  ikaea  aickts  sas  der  itsu  Kern  ftÄsi^ 
^üeAc  WcBB  wir  z.  B.  dsToa  sprccbea.  das§  wir  aas  Gott 
^U&«ini  oder  am  Gott  kcfaakoaaBca.  k*  deakea  wir  ückt 
MeilcB  WcfCüi.    die   wir   zarickzale^ea.    oder   aa 


I III 


Fünfte  Vorli'Bung. 


UrQckan,  die  wir  la  Hbersohreiten,  oder  an  Seen,  die  wir  ed 
durchfahren  haben.  Und  wenn  wir  von  einem  Throne  Gottei 
sprechen,  gestatten  wir  una  nicht,  una  einen  königlichen 
Thron  mit  Fdßen,  Säulen  und  Baldachin  auszumalen.  Aber 
bei  den  alten  Sprechern  war  dies  anders.  Ihre  Gedanken 
waren  noch  nicht  frei  von  dem  Bilderwerk  der  Sprache.  Ihre 
Annäherung  an  Gott  konnte  nnr  als  eine  lange  Wanderanf: 
über  steile  Wege  und  enge  ßrUcken  dargestellt  werden,  und 
der  Thron  Gottes  oder  Brahmans  wurde  malerisch  beschrieben 
als  gülden  und  mit  kostbaren  Tüchern  und  Kiitsen  bedeckt. 
Zur  Ehre  der  Dichter  der  Upanishaden  aei  es  jedoch  gesagt. 
dasa  sie  bald  anlingen,  sich  zu  berichtigen.  Sie  sagen  uns. 
dass  der  Thron  Brahmans  nicht  ein  goldener  Thron  sei, 
sondern  dasa  man  darunter  die  Einsicht  za  verstehen  habe, 
wälireud  dessen  Decken  die  heiligen  Schriften  oder  die  Veda* 
darstellen.  So  wird  ein  Flnaa,  Aber  den  die  Seele  auf  ihrer 
Wanderung  zu  Brahman  zn  setzen  hat,  Vitara,  d.  h.  Nicht- 
allernd,  genannt;  wer  über  denselben  übergesetzt  ist,  wirft 
das  Alter  ab  und  wird  nie  wieder  alt.  Man  nimmt  an,  daas 
er  seine  guten  und  seine  büaen  Thaten  abgeachflttelt  habe, 
nnd  dass  er  das  Verdienst  der  ersteren  jenen  unter  seinen 
Verwandten  anf  Erden  hinterlasse,  die  ihm  lieb  gewesen. 
während  seine  bOsen  Thaten  seinen  ungeliebten  Verwandten 
zufielen.  Ein  See  wiederum,  der  den  Weg  zn  Brahmu 
hemmt,  heißt  Ära,  und  dieser  Name  soll  von  Art,  'Feind', 
abgeleitet  sein,  und  zwar  sollen  diese  Feinde  die  Leiden- 
schaften und  Neigungen  des  Herzens  sein,  die  alle  suröek- 
gt^lassen  werden  müssen,  ehe  der  Eingang  zur  Stadt  Gotiei 
gefunden  werden  kann,  während  diejenigen,  welche  nicht  dl« 
Wahrheit  wissen,  wie  man  glanbt,  in  diesem  See  ertrinken. 
Unter  den  aufgeklärtesten  Forschern  auf  dem  Gebiet« 
di^r  vedlachen  Lttteratur  in  Indien  gibt  es  selbst  Iieulzutago 
nur  wenige  —  wenn  es  überhaupt  welche  gibt  — ,  die  auch 
nur  die  Möglichkeit  eines  historischen  Wachstums  in  Beaug 
auf  den  Veda  zugeben  und  die  nicht  die  künstlichsten  Er- 
klärungen  dem    freinfltigeD  Zugeständnis   vorziehen   worden. 


Die  WiDdemng  der  Seele  naefa  dem  Tode.  1 4 1 


dl«  gleidi  iBderen  keiligen  Bllehem  auch  der  Yeda  ver- 
•ekiedesen  ÖrtfichkeiteB,  Tersehiedeneii  Zeitaltern  nnd  ver- 
»diiedenen  Köpfen  sdnen  Ursprung  verdankt. 

Wenn  wir  nicht  diese  metaphorische  oder  hieroglyphi- 
sehe  Sprache  der  alten  Welt  rerstehen  lernen,  so  werden 
wir  die  üpanithaden  nnd  die  meisten  heiligen  Bücher  des 
Ostens  bloß  als  kindisches  Geplapper  ansehen:  wenn  wir 
aher  dnrch  den  Schleier  hindnrchsehen  können,  so  werden 
wir  hinter  demselben  zwar  nicht  wie  Viele  sich  einbilden, 
tiefe  Mjsterien  oder  esoterische  Weisheit  aber  immerhin  Ter- 
ftindige  und  reretindliche  Bemftbnngen  im  ernsten  Snchen 
nach  Wahiiieit  sehen. 

Wir  dflrfen  jedoch  nicht  denken,  dass  wir  immer  den 
nrsprfiBglicken  Sinn  mytholo^scher  Phraseologie  ergründen 
können,  es  folgt  auch  gar  nicht  dass  die  von  den  indischen 
KcMuneatatoren  angenommene  Erkllrang  immer  die  richtige 
sein  mflflse.  Im  OegentdL  diese  einheimischen  Erklimngen 
md  oft  gerade  durch  die  Antoiitilt.  die  ihnen  natürlicher- 
weise  xncnkommen  scheint,  irreftlhrend,  und  wir  müssen 
trachten,   nns   so  viel  als  möglich  tod    ihnen  nnabhinpg  zu 


Im  den  ansftUirlichen  Schüdemngen  znm  Beispiel,  die 
Ihaen  aas  einigen  der  Upanish&den  vorlas,  die  Rückkehr 
der  Seele  zn  Brahman  betreffend,  wonach  die  Seele  mit  dem 
£aacte  des  Seheiterfaaafens  emporsteigt  nnd  die  Nacht  er- 
reicht, hierauf  die  llonatsh&lfte  des  abnehmenden  Mondes, 
tirdinn  die  leehs  Monate,  während  welcher  die  Sonne  nach 
Stden  seht  nnd  dann  erst  in  der  Welt  der  Viter  anlangt 
findf  wir  es  schwer,  wenn  nicht  unmöglich,  irgend  welche 
beaüniBte  Gedanken  mit  diesen  Wanderungen  der  Seele  zu 
verknApfen.  Was  kann  mit  den  sechs  Monaten,  während 
weleher  die  Sonne  nach  Süden  oder  nach  Norden  zieht  ge- 
seins  sein?  Man  möchte  glauben,  es  liege  darin  der  Ge- 
danke, dass  die  Seele  sechs  Monate,  während  die  Sonne  nach 
Süden  zieht  warten  müsse,  ehe  sie  hoffen  könne,  die  Welt 
der  T&t€r  und  den  Mond  zu  erreichen.    Dies  ist  aber  kones- 


142  Filufte  Vorlesung,  ^^^^^^^ 

wega  die  Erklirung  der  einbeimi sehen  Kommentatoren.  Ihnen 
liegt  eine  Stelle  int  Sinne,  wo  es  heißt,  dass  die  Seele  mit 
der  Schnelligkeit  des  Gedankens  voiwftrta  wandere,  nnd  sie 
würden  daher  nimmermehr  zugeben,  dass  in  dem  Anschlues 
der  Seele  an  den  nördlichen  oder  sOdlichen  Lau/  der  Sonne 
irgend  etwas  wie  Anfsehub  zn  sehen  aei.  Sie  mOgen  damit 
Recht  haben,  allein  sie  lassen  die  Schwierigkeit  von  den 
seebs  Monaten  als  einer  Station  anf  der  Wanderung  der 
Seele  unerklSrl.  Ich  kann  nur  Eine  Parallele  beibringen. 
die  vielleioht  etwas  Licht  anf  diesen  Pnnkt  werfen  mag. 

Sie  kommt  bei  Forplijrius,  De  Arifro  Nymphanim,  vor. 
Diese  von  Homer  (Odyss,  SUI,  104)  erw&hnte  Grotte  der 
Nymphen  wurde  von  Porphyrius  und  anderen  Philosophen. 
wie  Nnmenius  und  Cronine,  als  ein  Symbol  der  Erde  mit 
ihren  zwei  ThUren  aufgefasat: 

äiivi  äl  i(   oi  ttiiittt  flaly  ■ 
ai  /liv  TtQOi  Boqiao.  xatatßatoi  ifV^QÜinotatv, 
ni  (f  UV  nf'oe  Nöiav  eioi  »ttäiepii  ■  oiil  ii  «tiVi, 
äfigci  iaiQj/nytni,  (SU'   altufitjulv  niföf  iatir. 

Diese  ThUren  der  Grotte  sind  als  die  von  nnd  zu  der 
Erde  führenden  Pforten  erklärt  worden.  So  sagt  Porphyrin», 
dass  es  zwei  äußerste  Enden  in  den  Uimmeln  gebe,  n&mlieh 
das  Wintersolstitium  —  und  es  gebe  keinen  dem  SQden  nSher 
gelegenen  Teil,  als  dieses  —  nnd  das  Sommersolstitinm,  welches 
dem  Norden  am  nächsten  gelegen  sei.  Aber  die  Sommer- 
sonnenwende, d.  h.  der  Wendekreis,  liegt  im  Krebse,  nnd  die 
Wintersonnenwende  im  Steinbock.  Und  da  der  Krebs  der 
Erde  am  nächsten  ist,  wird  er  mit  Recht  dem  Monde  zog^ 
schrieben,  der  selbst  sieh  iu  nnmittelbarer  Nähe  der  Erd« 
befindet.  Da  aber  der  SOdpol  dnrch  seine  größte  EntfemODg 
für  nns  unbemerkbar  ist,  wird  der  Steinbock  dem  Satnin 
zugeschrieben,  der  der  höchste  und  entfernteste  aller  Planet«ii 
ist.  .  .  Theologen  nahmen  daher  zwei  Thore  an,  Krebs  and 
Steinbock,  und  auch  Plato  meinte  diese  mit  dem,  waa  er  die 
zwei  Münde  nennt.    Von  diesen,  behaupten  sie.  ist  der  Kr«ba 


Die  Wmiideniiig  der  Seele  luich  dem  Tode.  143 

du  Thor,  durch  welches  die  Sedea  hinabsteigeiL  der  Stein- 
bo^  aber  das|eBige.  durch  welches  sie  hinanfsteigeii  [und 
GBcn  malerielleii  Zustand  des  Seins  gegen  einen  göttlichen 
analaaschen'.  Und  in  der  That  heißt  es  von  den  gegen 
Sid^  gerichteten  Thoren  der  Grotte  mit  großem  Rechte, 
dais  sie  ^  das  Hinabsteigen  der  Menschen  den  Durchgang 
gcstaSlem:  aber  die  nördlichen  Thore  sind  nicht  die  Zaginge 
der  Götter,  sondern  der  zn  den  Göttern  emporsteigenden 
Seelen.  Ans  diesem  Grande  sagt  der  Dichter  nicht  dass  es 
der  Duchgang  der  Götter,  sondern  der  der  Unsterblichen 
icL  eine  Benennnng.  die  anch  anseren  Seelen  ankommt 
die  an  nnd  fftr  sich  oder  ihrem  Wesen  nach  ansterblich 
snd.^} 

Die  Vorstellong.  dass  der  Ort  nach  welchem  die  Sonne, 
iei  es  in  ihrem  nördlichen  oder  ihrem  sfidlichen  Laufe. 
nrtekkehrt  eine  Thftre  seL  dnrch  welche  die  Seelen  zam  Him- 
mel empontdgen  können,  ist  znm  mindesten  begreiflich :  ebenso 
begrdflick.  wie  die  YorsteUni^.  welche  Macrobias  im  zwölf- 
ten Kapitel  seines  Kommentars  zn  Scipios  Traom  dem 
PTtkagoras  znschreibt  der.  wie  er  ans  sagt  dachte,  dass  das 
Seieh  PInto's  Yim  der  Milchstraße  abwärts  beginne,  da  Seelen. 
wcicte  ans  derselben  herab&llen.  schon  Ton  den  Göttern 
nrtefcgewichen  zn  sein  scheinen. 

Es  sollte  anch  nicht  nnerwihnt  bleiben,  dass.  wie  Bai 
THak  in  seinen  Untersnchangen  Aber  das  Alter 
Tedas  bemeikt  »das  Sommersolstitiam.  welches  den  sQd- 
Lanf  der  Sonne  beginnt  das  ajana  der  Htns  genannt 
wird,  od  daas  der  erste  Monat  oder  Halbmonat  in  diesem 
der  Pitr»  ganz  besonders  der  Monat  oder  Halbmonat 
PIträ  oder  derFrayaahis  oder  der  Manen  ist  Die  Inder.« 
figt  er  kinzn.  »betrachten  bis  znm  heutigen  Tage  die  dunkle 
Hüfte  des  Monats  Bhidrapada  als  den  Halbmonat  der  Manen. 
nnd  ebenso  £e  Parsen.  deren  Jahr  mit  dem  Sommersobtitium 


äidbs  AMSrnm.  Forfk^riug,  PkOo.  ed.  Didot.  p.  »4.  §  21. 


144 


Fünfte  Vorlegung. 


»nhob,  90  dass  der  erste  Monat  dee  Jahres  den  Manen  ge- 
weiht war.«  (W.  Geiger,  OaüTäntsehe  Kultur  im  Alterttmi, 
p.  324.) 

Er  geht  noch  weiter  nnd  mactit  darauf  aiiftnerksam, 
(Uas.  wenn  die  FrllhlingsDftchtgl eiche  im  Orion  war,  dieses 
Gi-stirn  znaammen  mit  der  Milchstraße  nnd  dem  Unude  iozn- 
sagen  die  Grenze  zwischen  Himmel  und  H5lle.  EWisehen 
Devaloka  und  Yamaloka  bilden,  die  in  vedischen  Werken  die 
Hemisphären  nJtrdlioh  nnd  aDdlich  vom  Äqnator  bedeuten. 
Dies  wUrde,  glaubt  er.  auch  erklitren,  warnm  nach  den  parai- 
sehen,  den  grieclisehon  nnd  den  indischen  Überlieferaugen 
Himmel  und  Hölle  durch  einen  ['Inas  getrennt  sind,  nnd  wie 
US  kam,  dass  die  vieräugigen  oder  dreiköpiigen  Hnnde  an  den 
Thoren  der  HöLle  den  Weg  zn  Yama's  Keich  bewachten: 
diese  Hunde  seien  oftmlich  die  8ternbilder  des  großen  and 
kleinen  Hundes.  Er  uoternimmt  es,  noch  mehrere  andere 
von  den  alten  vedischen  Überlieferungen  durch  den  Hinweis 
auf  diese  Sternbilder  zu  erklären,  doch  hat  er  aebweilioh 
bewiesen,  dasa  diese  Sternbilder  nnd  ibre  Kamen  als  'der 
große  und  der  kleine  Hand'  schon  zar  2eit  der  Uichter  dea 
Kigreda  bekannt  waren. 

Was  auch  in  diesen  Spekulationen  unsicher  sein  mag, 
so  viel  scheint  klar,  dass  nrsprflDglich  der  Ort,  wo  die  Sonne 
sich  ihrem  nördlichen  Laufe  zuwandte,  als  der  Ort  aufgefasst 
wnrde,  wo  die  Seele  sich  der  Welt  der  Väter  nflhem  könne. 

Am  schwierigsten  zn  verstehen  ist  aber  das  UchiekMÜ, 
das  der  Seele  harrt,  während  sie  im  Monde  weilt,  Hier  im 
Monde  nämlich,  heißt  es,  werden  die  Abgeschiedenen  nr 
Speise  der  Götter.  Die  wörtliche  Bedeutung  ist,  'sie  werden 
von  den  Göttern  gegessen',  aber  die  Kommentatoren  warnen 
nns,  nicht  etwa  'Essen'  im  wörtlichen  Sinne  aufzufassen,  BOO' 
dern  in  dem  mehr  allgemeinen  Sinne  von  in  sich  aufnehmen . 
'genießen'  oder  'lieben'.  Die  Abgeschiedenen,  sagen  sie, 
werden  von  den  Devas  nicht  bissenweise  gegessen,  sondern 
man  hat  darunter  zn  verstehen,  dass  sie  das  Entzttcken  der 
Götter  bilden,  wie  Speise  das  Entzncken  der  Menschen  bildet. 


Die  Wandennip  der  Seele  DJch  di^m  Tode.  145 

Ja.  Hb  KomsBenUior  ^bt  noeh  weiter  und  sagt:  >We]i]i 
MMM  sagt,  dass  Franen  Ton  Mlnneni  geliebt  werden,  so  lie- 
\*m  ae.  iadein  sie  geliebt  werden,  ancb  selbst  80  lieben 
aacb  äese  Seelen,  indem  sie  von  den  Gditem  oder  Deras 
g)el5ebc  werden,  ihrerseits  wieder  die  Gdtter  ond  sind  glfiek- 
Ikk.  indea  sie  sieh  mit  den  Devas  freuen.«  Dies  scheint 
ranifhfl  eine  Temftnftige  Erkilmng.  nnd  wir  wissen,  dass 
aneh  in  der  Sprache  des  Xenen  Testaments  Essen  nndTrin- 
kiss  oder  Slchnähren  in  gewissen  allbekannten  Stellen  in 
d«  Sinne  ron  Empfangen.  Genießen  oder  Lieben  verstanden 
wefd«n  BBSSu 

Doch  dies  erklärt  unsere  Legende  niehc  ganx.  nnd  es 
M  klar,  da»  einige  andere  mythologische  Vorstellnngen  vom 
X«»!«  d5e  Gedanken  der  Dichter  der  Upan;shaden  beeinflnsst 
iahen  mt3(§en.  Eis  war  offenbar  eine  gellnfige  Vorstellung 
Ml  des  gemeinen  Volke  im  alten  Indien,  dass  der  Mond  di^t 
(|Küe  des  Lebens  und  der  Un^erblichke'Et  sei.  nnd  dass  er 
«SS  etwas  Ähnlichem,  wie  der  griechische  Nektar  bestehe. 
ia  des  Gittern  Unsterblichkeit  Tcrliek.  Das  Abaehoicn  des 
l^m*i*A  wurde  dieser  Verzehrung  Somas  des  Mondsafies 
iaztk  die  Gdtter  zugeschrieben,  während  das  Zunehmen  des- 
KibtB  durch  das  Eingehen  der  abgeschiedenen  Geister  in 
•i»  M*»d.  die  anerkannte  Wohnstltte  der  Väter,  erklärt 
wurde-  Wenn  man  also,  nachdem  der  Mond  wieder  voll  war. 
fhaile.  dass  die  Gdcter  noch  einmal  von  demselben  äEen.  so 
31  «i  bcgrüflich.  da»  man  annahm,  die  Gutter  nährten  sich 
74«  de*  Seelen  der  Abgeschiedenen,  die  in  den  Mond  einge- 
raren.'  Ich  wiU  nicht  behaupten,  dass  dieie  Er- 
Beher  sei.  auch  wird  sie  von  den  Kommentatoren 
•ia  rpanishaden  nicht  einmal  angedeutet,  jedenfalls  aber  :?: 
&e  ausuHiBenhäBgend  und  verständlich:  nn»i  dies  hz  m-rhr. 
a^  Bck  Ton  ^äükara's  Auslegung  sa^en  läss:. 

Es  ist  jedoch  nicht  unm«?gilch.  dass  ältere  mythologische 
m   vom  Monde    die    Gedanken    drrr    Dichter    der 


1    Stehe  Kll^iaadl,   Vidü^ie  J/yf  iotV^Ü.  I.  p.  5^4. 


146 


Fliafte  VorleeuDK, 


Upaniahaden  bceint^nast  haben.  Nicht  bloß  in  Indien  wardc 
der  Mond  ala  ein  Sinnbild  des  Lebens  und  der  Unsterblich- 
keit angeseben.  Wenn  die  Meoacben  nach  Monden  iBMten, 
so  wnrde  der  Mond  naturgemäß  die  Q.iieÜo  and  der  Spender 
des  Lebens.  Sie  baten  um  mehr  Monde,  sie  lebten  ao  vide 
Monde,  so  dasä  'Mond'  und  'Leben'  fast  synonym  wurden. 
Was  ferner  die  Idee  des  unsterblichen  Lebens  nach  dem  Tode 
anbelangt,  so  sah  man  dieselbe  versinnbildlicht  in  dem  Ab- 
nehmen oder  Sterben  des  Mondes  nnd  in  der  Auferstohnng: 
des  Neumondes.  Spuren  davon  hat  man  sogar  bei  den  nie- 
drigsten Völkern,  wie  den  Hottentotten,  entdeckt,  die  eine 
bekannte  Siige  vom  Monde  haben,  dass  er  einen  Boten  in 
den  Menschen  schicke,  um  ihnen  zu  sagen:  'Wie  ich  sterbe 
und  sterbend  lebe,  so  werdet  auch  ihr  sterben  und  sterbeod 
leben.« ' 

Indem    man    diese  zwei  AnfTassungen  verband,    gelangt« 
man   leicht   za   der  Vorstellung,   dasä  ebeuso,   wie  die  Abge- 
schiedeneu  znm  Monde  gingen,    und  wie  der  Mond   zu-  and 
abnahm,  auch  jene  mit  dem  Monde  zu-  und  abnähmen.    Dann 
gab  es  ferner  noch  eine  andere  Cberlieferung  in  Indien,  daas 
der   Mond,   der   Spender   von  Regen   und   Fruchtbarkeit,   die 
Lieblingsuiihrnng  der  Götter   sei;    es  war  somit  nichts  weiter 
uStig,    als    eine    Verbindung    dieser    CborlieferuDgeu ,    am    zu 
dem  Ausspruche  zu  gelangen,  dass  während  der  Mooalshllfte 
des  abnehmenden  Monats  die  Götter  sich  von  den  im  Hond^ 
wohnenden  Abgeschiedenen  nfibrten.     Einige  von  diesen  Ge — 
danken  siud  in  dem  Verse  Kv.  X,  S5.  10  ausgedrtlckl: 
NiVv.iA-iiava/i  lihiivati  jayiiuiiiiiiiA 
(liTiniu  ketiifi  naliAiüiQ  eti  agram 
BhfigAm  devi^bhynA  vi  dadhiiti  ä-yin 
PrA  landrAmä/i  liriite  dirghiim  s'i'yuA. 
•Kr  (der  Mond;  wird  immer  wieder  neu,  wenn  er 
nird;  das  Licht  der  Tage,  geht  er  un  di^r  Spitze  der  Horgenr{(i^*i>i 
wenn  er  ankommt,  verteilt    er  den  GCtiero  jedem  sein  Teil;  <3*r 
Mund  verlSogert  ein  Unges  Leben,« 


I)  SfltfUil  Bnay»,  I,  p.  Kl». 


Die  Wandernn^  der  Seele  naeh  dem  Tode.  147 

Hier  ist  es  kUr.  dasa  der  Mond  alä  die  Qnelle  und  der 
Spender  des  Lebens,  namentlieh  eines  Ungen  Lebens,  ange- 
sehen wird,  während  unter  dem  Teil,  den  er  den  Göttern 
Terteill  entweder  der  fÄr  jeden  der  Götter  bestimmte  Opfer- 
uteiL  der  dnreh  den  Mond  als  den  Regler  der  Jahreszeiten 
and  der  Opfer  bestimmt  wird,  zn  Terstehen  ist  oder  Tiel- 
leieht  der  Regen  als  Erhalter  des  Lebens,  der.  wie  man 
annahm,  rom  Monde  kommt  nnd  mit  demselben  fast  sjno- 
aym  ist. 

Ich  behaupte  nicht,  dass  alle  diese  Ideen  den  Verfassern 
der  Upanishaden  deutlieh  gegenwärtig  waren.  Ich  will  nur 
andeuten,  dass  sie  die  wesentlichen  Elemente  jener  legenden- 
haften Sprache  bildeten,  in  der  sie  ihre  Lehren  ausdrückten, 
seh  darauf  rerlaasend.  dass  die  Leute,  an  welche  ihre 
Lehren  gerichtet  waren,  dieselben  verstehen  würden. 

Wir  kommen  nun  zu  einer  neuen  Phase  halblegenden- 
Iiafter.  halbphilosophischer  Spekulation. 

Der  DeTayäna  oder  Gotterpfad. 

Die  Seelen  derjenigen,  welche  das  Entzücken  der  Götter 
bilden,  oder  welche  sich  der  GeselhchafI  der  Götter  und 
Titer  erfreuen,  während  sie  im  Monde  wohnen,  sollen  diese 
Seligkeit  durch  ihre  frommen  Werke,  durch  Opfer.  Wohl- 
Aitigkeit  und  Kasteiung.  nicht  dnrch  wirkliche  Erkenntnis 
errneht  haben.  Darum  kehren  sie.  wie  man  glaubt,  wieder 
zn  diesem  Leben  zurück,  nachdem  sie  den  vollen  Lohn  f&r 
ihre  gvten  Werke  genossen  haben :  diejenigen  hingegen,  welche 
wahre  Erkenntnis  oder  das.  was  wir  wahren  GLiuben  nennen 
würden,  erworben  haben,  kehren  nicht  wieder  zurück,  sondern 
dringen  Torwarts,  bis  sie  Brahman.  den  höchsten  «jotr.  er- 
rekhen.  Dies  gelingt  ihnen  mit  Hilfe  des  Devaväna  oder 
des  GötterpCndea.  zum  Unterschiede  von  dem  Pitriy;\/4a  oder 
dem  Väterpfade.  Für  diejenigen,  welche  diesen  r;«)tterpfad. 
der  zu  Brahman  filhrl  und  der  nur  durch  Erkenntnis  ent- 
deckt werden  kann,  aufgefunden  haben,   gibt  es  keine  Rück- 


14$  Fanfte  Vorlesnng. 

kehr^  d.  h.  sie  werden  nicht  wiedergeboren.  Wiedergeboren 
und  noch  einmal  in  den  Wirbel  kosmischen  Daseins  hinein- 
gezogen za  werden,  ist  in  den  Angen  der  Verfasser  der 
Upanishaden  das  größte  Unglflck,  das  man  sich  nnr  denken 
kann.  Der  Hauptzweck  ihrer  Philosophie  ist  es  daher  zu  ent- 
decken, wie  man  diesem  kosmischen  Wirbel  entrinnen,  wie 
man  es  vermeiden  könne,  immer  wieder  geboren  zu  werden. 

Wenn  wir  dies  alles  in  Betracht  ziehen,  so  können  wir, 
glaube  ich,  in  den  Gedanken,  welche  sich  die  Verfasser  der 
Upanishaden  über  das  Schicksal  der  Seele  nach  dem  Tode 
bildeten,  deutlich  drei  aufeinander  folgende  Stufen  unter- 
scheiden. In  den  Upanishaden  selbst  stehen  diese  verschie- 
denen Theorien  nebeneinander.  Es  wird  kein  Versuch  ge- 
macht, sie  in  Einklang  zu  bringen,  bis  wir  zu  den  Vedänta- 
Philosophcn  kommen,  die  Alles,  was  sich  im  Veda  findet, 
als  eine  einzige  vollständige  Offenbarung  ansahen.  Wenn  wir 
aber  die  Freiheit  historischer  Kritik,  oder  vielmehr  historischer 
Auslegung,  in  Anspruch  nehmen  dürfen,  so  würden  wir  den 
einfachen  Glauben  an  den  sogenannten  Pitrtysl;2a,  den  Väter- 
pfad, und  an  die  Wanderung  der  Seele  zum  Monde  als  der 
Heimat  der  Väter  der  ältesten  Periode  zuschreiben.  Es  ist 
nichts  weiter  als  ein  volkstümlicher  Glaube,  den  wir  auch 
sonst  finden,  dass  die  Seele  dahin  gehen  werde,  wohin  die 
Väter  gegangen,  und  dass  deren  Wohnstätte  nicht  in  der 
Sonne  sei,  sondern  in  dem  Monde,  dem  leuchtenden  Gestirn 
der  dunklen  Nacht.. 

Dann  kam  die  neue  Idee,  dass  dieses  glückliche  Leben 
mit  den  Göttern  und  den  Vätern  im  Monde  der  Lohn  fGUr 
gute  Werke  auf  Erden  sei,  und  dass  der  Lohn  für  diese 
guten  Werke  sich  nach  einiger  Zeit  erschöpfen  müsse.  Was 
dann?  War  mittlerweile  der  Begriff  Eines  höchsten  Gottes, 
eines  objektiven  Brahman,  gewonnen  worden,  und  hatte  man 
erkannt,  dass  wahre  Seligkeit  und  Unsterblichkeit  nicht  in 
solchen  halbirdischen  Genüssen  bestehe,  wie  sie  die  Abge- 
schiedenen im  Monde  zu  erwarten  hatten,  und  die  nach 
einiger  Zeit  zu   Ende  gehen   müssen,    sondern   in    einer  An- 


Die  Wando^ng  der  Seele  naeh  dem  Tode.  149 

nihemog  an  das  höchste  Wesen  und  einer  annähernden 
Erkenntnis  desselben,  so  ergab  sich  die  Schlossfolgernng  von 
selbst,  dass  es  außer  dem  lum  Monde  fahrenden  Väterpfade 
noch  einen  anderen  Pfad  geben  müsse,  nämlich  den  Götter- 
pfad  DeyaTäna  .  der  dnreh  verschiedene  Welten  der  Götter 
xn  dem  Throne  Brahmans  oder  des  höchsten  Gottes  f&hre. 
[Heser  Weg  stand  Allen  offen,  die  eine  wahre  Erkenntnis 
Brahmans  erlangt  hatten,  nnd  selbst  diejenigen,  welche  eine 
Zeitlang  den  Lohn  ftlr  ihre  guten  Werke  im  Monde  genossen 
kalten,  konnten  darauf  hoffen,  nachdem  sie  durch  wiederholte 
Existenzen  gegangen,  wieder  einmal  als  menschliche  Wesen 
geboren  zu  werden,  am  Ende  eine  wahre  Erkenntnis  des 
Einen  höchsten  Gottes  zu  erlangen  und  dann  auf  dem  Götter- 
pfade  weiter  zu  schreiten  zu  dem  Throne  der  höchsten  Gott- 
heit ob  sie  nun  dieselbe  Brahman.  Hira/iyagarbha.  oder  mit 
irgend  einem  anderen  Namen  benennen,  tod  wo  es  keine 
Rfickkehr  gibt. 

Wir  werden  jedoch  sehen,  dass  selbst  dies  noch  nicht 
endgültig  war.  sondern  dass  später  noch  eine  dritte  Phase 
des  Denkens  folgte,  in  der  selbst  diese  Annäherung  an  den 
Thron  Gottes  als  unzulänglich  zurOckgewiesen  wurde.  Ehe 
vir  aber  zu  einer  Betrachtung  dieser  letzten  Phase  weiter 
gehen,  müssen  wir  noch  einige  Augenblicke  bei  dem  ver- 
weüeo.  was.  wie  man  glaubte,  das  Schicksal  der  Seelen  war. 
wenn  sie  den  Mond  verlassen  und  einen  neuen  Kreislauf  von 
Gebarten  und  Wiedergeburten  antreten  mussten.  bis  sie  zr- 
letzt  ToUkommene  Freiheit  von  kosmischer  Existenz  durch 
eine  wahrere  Erkenntnis  Gottes  erlangten. 

Metempsjchose. 

Dies  ist  ein  merkwürdiges  und  wichtiges  Kapittrl.  weil 
wir  in  demselben  deutlich  die  ersten  Anfange  eines  Glaubens 
an  Metempsjchose  oder  Seelenwandemng  entdecken  können. 
Die  Alten  waren  überzeugt,  dass  dieser  Glaube  aus  dem 
Orient  stamme,  und  sie  wähnten,  dass  Pythagoras  nnd  Andere 


t 


Flinfi«  VorleBiing. 

ihren  Olaubcn  an  Metempsyohose  nur  aus  Indien  bStten  1 
kommen  ItOnnen.  Wir  sahen,  wio  wenig  begründet 
Aun&hme  war.  nnd  ob  lilBst  sich  kicht  ztiigen.  dass  der  Olai 
an  die  Seelenvanderung  aach  in  anderen  Ländern  entstanden 
ist,  die  unmöglich  von  den  Slrahlen  indischer  oder  gricehiseher 
Philosophie  gotiofTen  worden  sein  icCnnen.  l-ls  ist  aber  nichts- 
destoweniger interessant,  die  (Mston  Anfftnge  dieses  til&ukens 
in  Indien  zn  verfolgen;  denn  wir  haben  es  hier  mit  Tlint- 
sachen  und  nicht'  mit  bloßen  Theorien  zu  thnn,  wie  sie  von 
I  Anthropologen  Dber  den  Ursprung  der  Motempsychoae 
aufgebracht  worden  sind.  Diese  nehmen  an,  daas  der  Glaube 
sn  die  Wanderung  der  Seelen,  namentlich  die  Wnuderung 
menschlicher  Seelen  in  licrische  KOrper  mit  dem,  was  man 
'Animiamua'  nennt,  etwas  xu  thnn  habe.  Nun  isl  ja  'Aiii- 
mismus'  ein  sehr  nützliches  Wort,  wenn  es  nnr  gehörig 
definiert  wird.  Ks  ist  eine  Chersetnung  des  dontschen  'Be- 
si'fluni/\  und  wenn  es  einfach  als  ein  umfassender  Ansdrnek 
für  alle  VerBuche,  unbelebte  Objekte  als  belebte  Subjekte 
anfzufassen,  gebraucht  wird,  so  lüsat  sieh  nichts  dagegen 
einwenden.  Vor  einem  sehr  gewöhnlicben  Irrtum  jedocli 
mUssen  wir  uns  sorgfältig  in  acht  nehmeu.  Wenn  Reisende 
anf  Volksslitmmo  eloBen,  die  von  HAumeu  oder  Steinen  aU 
ompfindeudcu  Wesen  sprechen  und  ihnen  viele  Dinge  in- 
scbreiben,  die  von  Rechts  wegen  bloß  belebten  oder  meusoh- 
lichen  Wesen  zukommen,  so  sagt  man  uns,  dies  sei  ein  Fall 
von  Animismaa.  Das  ist  es  ja  ohne  Zweifel.  Aber  ist  nicht 
'Auimiamus'  in  diesem  Falle  einfach  ein  anderer  Name  tür 
den  Glauben,  dass  gewisse  unbelebte  Gegonstäude  belebt 
seien?  Ks  mag  gelehrter  klingen,  aber  der  Name  erklärt 
»fttllrlicb  nichts.  Was  wir  wissen  wollen,  ist.  ta>  mensch- 
liche Weaen,  die  doch  selbst  belebt  sind,  sich  so  irren  konnten, 
dass  sie  leblose  Dinge  als  belebte  bebandelten.  Selbst  Tiere  J 
verwechseln  seiton  leblose  Dinge  mit  lebendigen  Dingen, 
glaube,  dass  diese  Neigung  des  mooschlicheu  Oeistes,  lebloua  J 
nnd  seelenlosen  (jegenstftnden  Loben  nnd  Seele  zuzuschreiben,  J 
dnrch   eine   allgemeinere  Neigung,  ja  duich  eine  Notwendig 


Die  Wandemog  der  Seele  nach  dem  Tode.  151 

keit  —  wie  man  es  fast  nennen  könnte  —  erklirt  werden 
kann  nnd  erklärt  worden  ist:  eine  Notwendigkeit,  der  der 
menschliche  Geist  dnreh  die  menschliche  Sprache  unterworfen 
ist  die  ausschließlich  nur  yermittelst  Wurzeln,  die  sämtlich 
Handlungen  ausdrücken,  Namen  von  Gegenständen  hilden 
kann.  £s  war  unmöglich,  die  Sonne  oder  den  Mond  oder 
einen  Baum  oder  selbst  einen  Stein  zu  benennen  und  darum 
aufzufassen,  außer  als  Thner  von  etwas,  und  dieses  Etwas 
ist  in  einer  von  den  vier-  bis  fQnfhundert  Wurzeln  ausge- 
drückt welche  das  Stammkapital  der  Sprache  bildeten.  Dies, 
was  man  Energismus  genannt  hat  ist  die  höchste  Ver- 
allgemeinerung, und  es  umfasst  und  erklärt  zugleich  Animis- 
mus.  Personifikation.  Anthropomorphismus.  Spiritismus  und 
verschiedene  andere  ismen. 

Allein  die  Frage,  um  die  es  sich  uns  jetzt  handelt,  ist 
die:  Hatte  der  Glaube  an  Seelenwanderung  irgend  etwas  mit 
Animismus  zu  thnn.  oder  mit  jenem  allgemeinen  Glauben, 
dass  nicht  nur  Tiere  Seelen  hätten  wie  die  Menschen,  sondern 
dass  auch  leblose  Gegenstände  von  Seelen  bewohnt  sein 
könnten?  Denn  man  darf  nicht  vergessen,  dass  gleich  von 
Anfing  an  Metempsychose  die  Wanderung  der  Seelen  nicht 
bloß  in  Tiere,  sondern  auch  in  Pflanzen  bedeutete.  In 
Indien  hatte  dieser  Glaube  jedenfalls  nichts  mit  dem  ge- 
wöhnlichen Animismus  zu  thun.  Die  tiefste  Quelle  dessel- 
ben scheint  hier  rein  ethisch  gewesen  zu  sein.  Der  Grund, 
weshalb  die  Seele,  nachdem  sie  eine  Zeitlang  in  der  Welt 
der  Väter  gewohnt,  wiedergeboren  werden  musste.  war  — 
Sie  erinnern  sich  wohl  —  eben  der.  dass  der  Vorrat  ihrer 
guten  Werke  sich  erschöpft  hatte.  Hören  wir  denn,  was 
nch  die  alten  Inder  darüber  dachten,  wie  es  der  Seele 
nach  ihrer  Herabkunft  vom  Monde  ergehen  werde.  Hier 
mttascD  wir  wiederum  auf  recht  viel  kindisches  Geplapper  ge- 
fasst  sein ;  aber  Sie  wissen  wohl,  dass  Philosophen  —  geschweige 
denn  zärtliche  Väter  und  Großväter  —  selbst  in  kindischem 
Geplapper  recht  viel  Weisheit  entdecken  können.  Die  Seele,  so 
lesen  wir  In   den  rpjinishaden.   kehrt  durch  den  Äther  oder 


tfi2 


Filnl'ti-  VorlusunB, 


durch  den  Hanm  zurück  uiid  steigt  sodann  in  der  Gestalt  von 
Regen  zur  Erde  hinab.  Etwas,  was  so  im  Regen  herab^ 
kommen  ist,  verwandelt  sich  auf  Erden  in  ßpeise.  Diese 
Speise,  heißt  es,  wird  in  einem  neuen  Altarfoner  als  Opfer 
dargell  rächt,  nämlich  im  Mensehen,  und  von  da  aus  von 
einem  Weibe  geboren,  d.  b.  der  Mensch  isst  die  Speise  und 
mit  derselben  die  Keime  eines  nenen  Leben».  Diese  Keime 
sind  unsichtbar,  aber  nach  den  Upanishaden  nicht  minder 
wirklich. 

WIrklielikoit  unsichtbarer  Uln^. 

Dieser  Glaube  an  uusichtbare  Wirklichkeiten  wird  in 
dun  Upsnishaden  vollaläudig  anerkannt.  Er  bezog  sich  nicht 
nur  auf  die  unsichtbaren  Agentien  in  der  Natur,  ihre  Dbvu 
nder  Oölter,  die  sie  sorgfültig  von  ihren  sichtbaren  Kund- 
gebungen unterschieden.  Sie  glaubten  an  einen  sichtbaren 
Agni  [P^euer),  der  das  Opfer  vollzog,  aber  sie  unterschieden  ihn 
sorgfältig  von  dem  unsichtbaren  und  göttlichen  Agni,  der  in  der 
Dünimernng,  in  der  Morgenröte,  ja  selbst  in  den  beiden  Reib- 
hOlzem  verborgen  war,  von  keinem  Menschenauge  gesehen,  aber 
bereit  zn  erscheinen,  wenn  die  Priester  die  Reibhßher  gehBrig 
gerieben  hatten.  Derselbe  Glaube  gab  ihnen  ihren  klaren  üe- 
grilT  von  der  Seele,  die  nie  sichtbar  oder  greifbar,  und  doch 
wirklicher  filr  sie  war,  ah  irgend  etwas  Anderes.  Ihr  Glaube 
eudlich  an  etwas  Unsichtbares,  was  das  Leben  jedes  Teil«* 
der  Natur  ausmachte,  begegnet  uns  auf  jeder  Seite  der  Upa- 
nishaden.  So  loEen  wir  In  der  A'/jändogya-Upanishad  tlttn 
Dialog  zwischen  einem  Sohn  und  seinem  Vater,  der  dem  Ei^ 
steren  die  Augen  üffnen  will  in  Betreff  der  Wirklichkeit  des 
Ungesehenen  oder  des  Unendlichen  in  der  Natur,  welches  «tieli 
das  Uugeaehene  und  Unendliche  im  Menschen  ist,  welches  in 
der  That  sowohl  Brahmau  als  .Uman,  das  Selbst,  ist. 

Der  Vater  sagte:  -Mein  Sohn,  hole  mir  eiue  Fracht  von 
dem  Feigenbaum.« 

Der  Sohn  erwiderte:   »Hier  ist  eine.  Herr." 


Die  Waaderaig  der  Seele  hjkK  des  Tode-  153 


sie.«  sjigte  der  Vater. 

Der  Solu  erwiderte:  »Sie  ist  ^broehen.  Herr.« 

Der  Taler:  >Wa3  siebst  du  dariB?« 

Der  Sobo:  »Diese  fast  Tersebwiadend  kleinen  Samen- 
kt^rnebeii.« 

Der  Vater:  »Bricb  eines  derselben.« 

Der  Sobn:   >Es  ist  gebrocben.  Herr  < 

Der  Vater:  »Was  siebst  da  darin ?< 

Der  Sobn:   >6ar  nicbts.  Herr.« 

Der  Vater:  »Mein  Sobn.  jene  feine  Essenz,  die  dn  nicbt 
darin  siebst,  eben  ans  jener  Essenz  bestebt  dieser  große 
Feffenbana.« 

»Glaabe  es.  mein  Sohn.  Das.  was  die  nnsiebtbare. 
feine  Eaaenz  ist.  in  dem  hat  Alles,  was  da  ist  sein  Selbst. 
Es  ist  das  Wahre,  es  ist  das  Selbst,  nnd  da.  o  Sobn. 
bist  es.« 

Wenn  Lente  einmal  zn  diesem  Glaoben  an  feine,  nn- 
sebttaie  Keime  gelangt  sind,  so  ist  ihr  Glaabe  an  die  Keime 
kbeWiger  Seelen,  die  im  Regen  herabsteigen,  in  Getreide- 
kürwtT  rerwandelt  werden,  sieh,  nachdem  sie  gegessen  wor- 
den, in  Samen  rerwandeln  and  «cbließlieb  von  einer  Matter 
geb#r«i  werden.  —  was  immer  wir  als  Biologen  daron  hal- 
te« mSgea  —  metaphTsiseb  nicht  gar  so  sinnlos,  als  es  anf 
4i«  eisten  Blick  scheint.  Während  wir  aber  in  diesem  Falle 
■■r  eine  Wanderang  der  menschlichen  Seele  durch  Regen  nnd 
Spebe  in  einen  nenen  menschlichen  Körper  ror  ans  haben. 
iaden  wir  an  einer  anderen  Stelle  (ÄX^ndogra  V.  Im.  3  viel 
OBrtiBdlicbere  Einzelheiten.  Hier  heißt  es.  dass  der  Regen. 
welcher  die  Seele  znr  Erde  zarOckbringt.  in  Reis.  Gerste. 
Krtater  aller  Art  Biame.  Sesam  oder  Bohnen  anfgenommen 
wird.  Es  ist  sehr  schwer,  diesen  Pdanzenwohnangen  za  ent- 
rinsen.  nnd  wer  immer  die  Personen  sein  mögen,  die  die^e 
S{^nse  essen  and  nachher  Kinder  erzeugen,  ihnen  gleich 
wird  der  Keim  der  Seele.  Und  doch  h5rea  wir.  dass  nicht 
Al&»  dem  Zafall  flberlassen  bleibt,  sondern  das^  diejenigen, 
derea  LebensfUrnng  gnt  gewesen,  raseh  eine  gute  Geburt  in 


IM 


Fünfte  Voi-Iesnng. 


der  Familie  von  BrAlima«;ia  oder  KslialriyKS  oder  Vwsja* 
erlnDgen  werden,  wfthrend  Einer,  deaaen  Lebensführung 
schlecht  gewesen ,  schoeil  eine  Qble  Gebnrt  in  der  Familip 
eines  AaWäla,  eines  Auswilrfliugs,  erlangen  oder  —  und  liier 
stoßen  wir  zum  ersten  Mal  auf  die  Idee,  dass  eine  inenBeh- 
licbe  Seole  in  die  Körper  von  Tieren  wandere  —  üu  einem 
Hcind  oder  einem  Scbwein  werden  wird.  Icli  ^'lanbe ,  wir 
kennen  deutlich  sehen,  dass  dieser  Glaube  an  die  Wieder- 
geburt einer  menschlichen  Seele  als  Aoswllrfling,  oder  als 
Iluod  oder  Schwein  das  enthalt,  was  ich  ein  ethisches  Ele- 
ment nannte.  Dies  ist  sehr  wichtig,  zum  mindesten  so  weit 
es  sich  um  eine  Erklärung  der  Idee  der  Metempsychose  in 
Indien  bandelt.  Was  auch  der  EinlJuss  des  Animismaa  auf 
das  Entstehen  des  Glaubens  an  Metempsychose  in  anderen 
Ländern  gewesen  sein  mag,  in  Indien  ging  dieser  Glaube 
offenbar  ans  einem  Gefühl  moralischer  Oerechliglieit  hervor. 
Wie  man  schon  in  diesem  lieben  einem  Manne,  der  sich  nie- 
drige und  viehische  Handlungen  hat  j;u  Schulden  kommen 
lassen,  sagen  konnte,  er  sei  ein  Auswftrfling,  oder  er  sei  ein 
Hond  oder  ein  Schwein,  so  mochte  wohl  das  Gewissen  dos 
indischen  Volkes,  wenn  es  einmal  die  Idee  der  Fortdauer 
dos  Daseins  der  Seele  nach  dem  Tode  begriffen  halte,  allen 
Ernstes  behaupten,  dass  er  im  kanfUgen  Lehen  ein  Auswurf* 
ling  oder  ein  Hund  oder  ein  Schwein  sein  werde,  lud  nach- 
dem diese  Idee  der  Metempsychose  einmal  aufgebracht  wot^ 
den  war.  regte  sie  den  Geist  des  Volkes  bald  zum  Nachdenken 
an  Über  alle  Wechselfälle  und  Zuteile,  die  der  Seele  auf  ihren 
seltsamen  Wanderungen  zustoßen  kOnnton,  So  lesen  wir,  daai 
die  Seele  großen  Gefahren  ausgesetzt  sein  kann;  denn  vkh- 
rond  der  Kegeu,  der  aus  dem  Monde  (retodbuA)  aaf  die 
Erde  fAllt,  befruchtet  und  in  Reis.  Koni  und  Bohnen  fiber- 
geht,  hernach  gegessen  und  dann  als  die  Nachkommenschaß 
dos  Essers  geboren  wird,  kann  es  geschehen,  da«s  etwas  von 
dum  ßogen  in  die  Flttsse  uud  iu  das  Meer  fallt  und  voa 
Fischen  und  Socnngeheuern  verschlungen  wird.  Nach  einiger* 
Zeit  werden    sie    sich    im  Meer    anflOsen,    nnd  nachdem  d»8 


Die  WmndeniBg  der  Seele  nach  dem  Tode.  155 

Seevasser  ron  deo  Wolken  hinanfgezogeii   worden  ist,  kmnn 
et  vieder  mnf  eine  Wüste  oder  anf  trockenes  Land  herabfallen. 
Hier  kann  es  von  Schlangen   oder  wilden   Heren   angetrun- 
ken,   nnd    diese    können    wieder    von    anderen  Heren    Ter- 
•ehlnngen  werden«  so  dass  der  Ereislanf  Ton  Existenzen  und 
selbst  die  Gefahr  ginxliclier  Vemichtnng  endlos  wird.     Denn 
Baaebe    Begentropfen    können    ganz    eintrocknen,    oder    sie 
können    Ton    nneasbaren    Körpern    aufgesogen    werden.     Ja. 
selbst  wenn  der  Regen  aufgesogen  worden  und  zu  Reis  und 
Kom  geworden  ist.  kann  er  erst  noch  von  Kindern  oder  von 
Asoeten,   die   der  Ehe  entsagt  haben,  g^essen  werden,  und 
dann   ist  wohl  die  Aussicht  auf  eine  neue  Geburt  entfernter 
4ean  je.    Glflcklicberweise  ist  die  Seele,  obzwar  sie  in  ihrem 
JLiistieg  bewnsst  ist,  bei  ihrem  Herabsteigen  durch  alle  diese 
gdlLiüchen  Stadien,    wie    man  annimmt    ohne   Bewusstsein. 
Ihe  Brahmanen  haben  immer  sinnige  Vergleiche  bei  der  Hand. 
Die  Sede,  sagen  sie.  ist  wie  ein  Mann.    der.    wenn  er  auf 
eiiei  Baom  hinanffteigt  ganz  bei  Sinnen  ist.  aber  sein  Bewusst- 
Mia  verliert   wenn  er  kopfüber  von  einem  Baume  herabfallt. 
^Q.  trotz  all  dem  thörichten   Geschwitz   oder   kindischem 
^>cp^»per  fehlt  es  doch  nicht  an  großen  Gedanken,  die  sich 
^mk  das  Ganze  hindurchziehen.     Zunichst  sehen  wir  den 
v>Meakliehen  Glauben,    dass  die   Seele  nicht  sterbe,  wenn 
^  Körper  stirbt;  zweitens  sehen  wir  die  feste  Überzeugung, 
^  CS  eine  moralische  Regierung  der  Welt  gibt,    und   dass 
te  Schicksal  der  Seele  im  künftigen  Leben  durch  ihr  Leben 
w  aaf  Erden  bestimmt   ist    wozu    bald  als  unvermeidliche 
'^  der  Glanbe  trat  dass  das  Schicksal  der  Seele  hier  auf 
^'^  durch  ihre  Handlungen  in  einem  l^ilheren  Leben  be- 
"'■•l  sein  mOase.     Alle  diese  Gedanken  —  namentlich  bei 
^^'^  ersten   spontanen  Auftreten  —  sind  bedeutungsvoll  in 
*•  -^Hen  des  Religionsforschers ,  nnd  es  gibt  wenige  Län- 
■^'^owir  ihr  spontanes  Wachstum  so  gut  studieren  könoeo. 
^*  i*  alten  Indien. 


FUnl'te  Vorlesung. 


Dag  Fehleu  toii  UUlhii. 

Dieser  Glaube  an  Metern  psych  ose  erklftrt  (las  Fdileii 
von  IlfSUeo  ala  Slfttlon  der  Beslrnfung,  wenigsten»  Id  dea 
ältesten  Phasen  der  Upanisbaden.  Hiu  Unterschied  wird 
macht  Kwisehon  Seelen ,  welche  die  mannigfachen  Stadien 
von  Tioi-  und  PflanEenleben  bloß  durchlaufen,  um  am  Endi 
als  menschliche  Wesen  geboren  zu  werden ,  und  denjeni^n, 
welche  diese  Zwischen  formen  von  Heis  und  Korn 
als  eine  wirkliche  Boatrafnng  fflr  böse  Thalen  annehmen 
mtlssen.  Die  Letzteren  bleiben  in  diesem  Zustand,  bis  sie  fUr 
ihre  bösen  Thaten  vollständig  gebüßt  haben;  und  sie  haben 
ein  wirkliches  fieHitssIsein  von  ihrem  PrUfungsstadinm.  Wenn 
aber  ihre  Sohnlden  bezahlt  und  die  Kesultute  ihrer  bösen 
Thiiten  gSnzlich  erschöpft  sind,  so  haben  sie  eine  neue  Hoff- 
nung. Sie  können  einen  neuen  Körper  annehmen,  wie  Rau- 
pen, wenn  sie  sich  in  Schmetterlinge  verwandeln.  Selb»! 
dann  bleiben  noch  die  Eindrticke  ihrer  froheren  Misseihatou 
gleich  Tränmen.  Doch  können  sie  am  Ende  dadurch,  dau 
sie  ein  tugendhaftes  Leben  führen,  noch  einmal  Menseh«! 
werden  und  zur  Welt  der  Vftier  im  Monde  aafsteigeii.  Uiw 
wird  nun,  obgleich  nicht  sehr  dentlich,  eine  Unteracheidmg 
gemacht  zwischen  denjenigen,  welche  der  Mond  frei  UmI, 
und  denjenigen,  welche  er  zu  einer  neuen  Gebnrt  als 
herabfallen  lässt.  Diejenigen,  welche  dem  Honde  gut  Red« 
stehen  können  und  ihre  Identität  mit  dem  Monde  ala  d«r 
Quelle  aller  Dinge  behaupten,  werden  frei  gelassen,  um  auf 
dem  Göllerpfade  in  den  Svarguloka  einzugehen.  Oiejenigeit, 
welche  63  nicht  können,  kehren  zur  Erde  znrllck,  mSgen  mit 
der  Zeit  wahre  Erkenntnis  erlangen  und  schließlich  obenraU» 
den  Götterpfad  und  die  Welt  der  Dev&a,  die  Heimat  der 
Blitze  und  den  Thron  Brahmans  erreichen.  Einige  der  apft- 
teren  Upanishaden,  namentlich  die  Kaushitaki-Upaiirshad, 
gehen  viel  mehr  ins  Detail,  was  diese  letzte  Wanderung 
Throne  Brahmans  betrifft.  Wie  es  aber  gewöhnlicli  der  Fall 
zu  sein  pflegt,  werden,  wenn  auch  in  dem  allgcmeinon 


Die  WaBdenmg  der  Seele  njKh  dem  Tode.  157 

iipead  eine  remfiiiftige  Absicht  walten  mag,  die  geringfögi- 
geren  Dettüs  fast  immer  kfinstlieh  nnd  nichtssagend. 

Nun  aber^  wenn  die  Seele  die  Weit  der  Götter  and  die 
WohnsHtte  Brahmans  erreieht  hat,  von  wo  es  keine  Rfick- 
kAr  zu  einem  neaen  ELreialaof  kosmischer  Existenz  gibt, 
tritt  ein  nener  Ideenstrom  ein,  der  im  Vergleich  mit  dem 
Tiier|»fiid  nnd  dem  Gdtterpfad  eine  höhere  Phase  Tom  phi~ 
losophisehen,  nnd  Formntlieh  eine  spätere  Phase  rom  histo- 
risekeB  Standpunkt  bezeichnet.  Wir  werden  in  einen  Dialog 
eiBgeAlirt  ähnliek  dem  zwischen  der  Seele  nnd  dem  Monde, 
jetzt  aber  zwischen  dem  tot  dem  Throne  Brahmans  stehenden 
Abgeaeliledenen  nnd  Brahman  selbst. 

Bnüman  fragt  ihn:  >Wer  bist  da?< 

Und  er  soll  mit  den  folgenden  geheimnisrollen  Worten 
erwidern' 

»Ich  bin  wie  eine  Jahreszeit  und  das  Kiod  der  Jahres- 
zeiten, ans  dem  Schöße   des   endlosen  Raumes  entsprongen. 

ans  dem  Lichte.  Dieses  Licht,  die  Qaelle  des 
welehes  die  Vergangenheit  ist.  weiches  die  Gegenwart 
ist.  welches  alles  Lebendige  nnd  alle  Elemente  ist.  ist  das 
Selbst.     Da  bist  das  Selbst ^  nnd  was  da  bist,  das  bin  ich.« 

Der  Sinn  dieser  Antwort  ist  nicht  ganz  klar.  Doch 
steint  »e   zn  bedeuten,   dass  der  Abgeschiedene,   wenn  er 

BraluBan  gefragt  wird,  was  er  sei,  oder  was  er  seinem 
gemtß  sei.  sagt  er  sei  wie  eine  Jahreszeit,  i)  d.  h. 
wie  Etwas,  das  kommt  und  geht,  zu  gleicher  Zeit  aber  auch 

Kind  Ton  Raum  und  Zeit  oder  jenes  Lichtes,  von 
alle  Zeit  und  Alles,  was  in  Zeit  und  Raum  eiustiert. 
lt.  Diese  uniTcrsale  Quelle  alles  Daseins  nennt  er  das 
nnd  nachdem  er  den  Ausspruch  gethan  hat  dass  der 
Brakaaa  ror  ihm  jenes  Selbst  sei.  beendigt  er  sein  Glaabeos- 
bekeantnia  mit  den  Worten:   >Was  du  bist  das  bin  ich.« 

In  dieser  Steile   bemerken  wir  zwar  noch  einige  Spuren 


1    Aneh   der  Safi  nenot  sieh  das  Kind  der  Jahreszeit,  siehe 
XI.  Torlenug. 


158 


Fünfte  Vorlesung. 


mythukigUcben  Deskesä,  der  vorherrscheDde  Geist  aber  ist 
Oeatlicb  pliUosophiscb.  In  der  Annäherang  der  Seele  &n  den 
Thron  Brahmans  vermögen  wir  die  lelzlen  Resultate  zu  er- 
kennen, welche  von  der  physischen  und  von  der  anthro- 
pologiBcheii  Religion,  wie  sie  der  indische  Geist  anagearbeitet 
hat,  erreicht  werden  können.  In  dem  anf  seinem  Throne 
äiteenden  Brahman  haben  wir  noch  den  rein  objektiven  oder 
kosmischen  Gott,  den  höchsten  Punkt,  den  die  physiscbi 
Religion  erreicht  hat;  in  der  Seelo  des  Abgeschiedenen,  dl« 
Gott  von  Angesicht  sn  Angesicht  gegenübersteht,  sehen 
das  letzte  Resultat  der  anthropologischen  Religion.  Da  sehen 
wir  die  menschliche  Seele  als  ein  Subjekt,  das  die  göttllcbe 
Seele  ncich  immer  als  ein  Objekt  ansieht.  Der  n9chste  Schritt 
aber,  der  in  den  Worten,  r  Was  du  fiüf,  dm  hin  ich' 
Tage  tritt,  eröffnet  eine  nene  Perspektive  des  Denkens. 
menschliche  Seele  weiß  —  und  zwar  eben  anf  Gnind  der 
Thatsache,  dass  sie  die  wahre  Erkenntnis  Brabmans  erlangt 
hat,  —  dasä  anch  die  Seele  Brahman  ist,  sie  gewinnt 
eigene  Brahmaachaft  wieder,  sie  wird,  mit  Einem  Wort,  was 
sie  immer  gewesen  ist.  Brahman  oder  das  universale  Selbst, 
Erkenntnis,  wahre  Erkenntnis.  Selbsterkenntnis  genügt  in 
diesem  Zweck,  uod  nicht  mehr  bedarf  es  beschwerlicher 
Wanderungen,  sei  es  auf  dem  V&lerpfadc  oder  anf  dem 
GOttcrpfade. 


Khe  wir  jedoch  zu  einer  Betrachtung  dieses  faOch«lro 
FIngcs  der  indischen  Philosophie  Ohergehen  und  zu  enld«ckon 
suchen,  welchen  Phasen  des  Denkens  diese  Ähnlichkeit,  oder 
vielmehr  dieses  Einssein  mit  Gott,  diese  Homoiosia  oder 
Heuosis,  in  anderen  Religionen  entspricht.  mUssen  wir  noeh 
ein  wenig  bei  der  späteren  Entwickelung  der  Theorie  der 
Seelenwandernng  verweilen,  wie  wir  sie  in  dem  Geaetebncli 
des  Mann  nnd  an  anderen  Orten  finden,  und  wie  sie  bii  ittn 


Die  WandeiHDg  der  Seele  nuch  dem  Tode.  159 

hemtigen  Tage  von  MillioneD  von  Menschen  in  Indien  festgehal- 
tcB  wird.  Dieses  Gesetzbuch  Manu's  ist  natOrlich  viel  später 
als  die  üpanishaden.  Obwohl  es  alte  Materialien  enthllt,  kann 
es  Ib  seiner  gegenwftrtigen  metrischen  Form  kanm  einem  ^el 
iheren  Datum  zugeschrieben  werden,  als  ungefähr  dem  vierten 
Jahrhandert  n.  Chr.  Ursprftnglich  moss  es  in  der  Form  Ton 
Sätras  existiert  hjüien:  in  seiner  jetzigen  metrischen  Gestalt 
gehört  es  der  iSloka-Periode  der  indischen  Litteratnr  an. 
Ea  gab  Tiele  ihnliche  Sammlungen  von  alten  Gesetzen  und 
Gebrinehen«  sowohl  solche,  die  in  Sntras.  als  auch  solche, 
^e  —  später  —  in  Versen  abgefasst  sind:  da  aber  das  Ge- 
seUbvek  des  Manu  oder,  wie  es  richtiger  genannt  werden 
sollte,  das  Gesetzbuch  der  Mänavas  entschieden  eine  henror- 
ragende  Stdiung  in  Indien  einnimmt,  können  wir  gerade  in 
diesem  die  spätere  Entwickelung  des  Glaubens  an  Metem- 
psychose  am  besten  studieren. 

Wie  ich  Yorhin  bemerkte,  lag  die  Versuchung  nahe. 
nachdem  einmal  die  Idee  der  Wanderung  der  Seele  durch 
rerschiedene  Formen  von  Tier-  und  Pflanzenleben  aufge- 
bracht worden  war,  dieselbe  mehr  im  Detail  auszufahren. 
Während  es  in  den  üpanishaden  bloß  heißt  dass  ein  Mann, 
der  OB  schlechtes  Leben  geführt  hat,  eine  schlechte  Geburt 
erlangt  und  tiiatsächlich  als  Hund  oder  Schwein  wieder  zur 
Welt  kommen  kann,  ist  Manu  im  stände,  uns  bis  ins  kleinste 
Detail  zn  sagen,  was  ftir  eine  besondere  Geburt  für  jedes 
besondere  Verbrechen  bestimmt  ist.  So  lesen  wir  V.  164. 
EL  30.  dass  eine  Gattin,  die  ihre  Pflicht  gegen  ihren  Gatten 
Tcrletzt  hat.  als  Schakal  wiedergeboren  wird.  An  einer 
anderen  Stelle  VL  63  lesen  wir  Ton  zehntausend  Millionen 
fiiisteazen,  welche  die  Seele  zu  durchlaufen  hat.  nachdem 
sie  diesen  Körper  Tcriassen.  Ein  Brahmane.  heißt  es  XI.  25  . 
der  ii^ead  ein  Gut  für  Opferzwecke  erbettelt  hat  und  es 
■ickt  ganz  für  das  Opfer  Terwendet,  sondern  etwas  für  sich 
behält,  wird  anf  hundert  Jahre  ein  Geier  oder  eine  Krähe. 
Im  letzten  Bnehe  von  Manu  wird  dieser  Gegenstand  höchst 
aasfikriieh  behandelt.     Wir  lesen  da.  XII.  39: 


\m 


FUnfte  Vorleeiio«. 


Ich  vill  kurz  der  Reihe  nach  erkiBreu,  was  filr  ^X^and&- 
run^ren  in  der  ganzen  Welt  einem  Mensclieu  durch  jede  der 
drei  Qualitäten  zn  teil  werden.  Diese  QualitBien  sind  vor- 
her (:i5 — 37)    als  Mmiernis,    Thütigkeit  nnd  <Jiilt;  definiert 

worden, 

IMe  drei  (|ualllütoii :  FinHtoruIs,  ThiUlgbt^'il  niiit  flUU-. 

Handlungen  der  Fimleinis  sind  diejenigen,  deren  sieli 
elu  Mensch  achämt. 

Uandlungen  der  TUiUigkni  oder  Selbataiieht  sind  die- 
jenigen, durch  welche  ein  Mensch  Gewinn  oder  Ruhm  in  der 
Welt  zu  gewinnen  hoFTt,  deren  er  sieh  aber  nicht  ku  schämen 
braucht.  Mau  mag  sie  ab  selbatsQchlige  Handlungen  be- 
Kcichneu,  aber  vom  sittlichen  Standpunkte  sind  sie  gleich- 
gültig. 

Handlungen  der  Güte  sind  die,  wenn  ein  Mensch  von 
ganzem  Herzen  sich  nach  Erkenntnis  »ehnt  und  seine  Seele 
sich  erfreut,  und  kein  Gefühl  der  Scham  vorhanden  iat. 

Mauu  fUhi't  aodann  fürt:  Die  mit  Gate  Ausgestatteten 
erreichen  den  Zustand  von  GSIIern,  die  mit  ThSligkeit  Ana- 
geslatteten  den  Zustand  von  Menachen,  und  die  mit  FinBtonÜt 
Auageatatteten  sinken  zn  dem  Zustand  von  Tieren  herab; 
dies  ist  der  dreifache  Verlauf  der  Scelenwandorang.  Wisse 
aber,  dass  dieser  dreifache  Verlauf  der  Seeleuwanderung,  d«r 
ven  den  drei  Qualitäten  abhängt,  wieder  dreifach  ist,  niedrig, 
mittelmäßig  und  hoeh,  je  nach  der  besondereu  Art  der  Hsnd- 
Inagen  und  der  Birkenntuis  jedes  Menschen. 


Die  unuti  Klassen. 

Unbewegliche  Wesen,  sowohl  kleine  als  große  Insekten, 
Fische,  Schlangen,  Sohildkröten,  Vieh  und  wilde  Tier«  dnd 
die  niedrigsten  2ustftnde,  zu  denen  die  Qualität  der  Finattr- 
nis  fahrt, 

Elefanten,    Pferde,  ^<idras    und   verächtliche   Barbaren. 


Die  Wanderung  der  Seele  nach  dem  Tode.  161 

Ldwen,  Tiger  und  Eber  sind  die  mittleren  von  der  Qualität 
der  Finsternis  verurssehten  Zostände. 

Aünuias  (wahrscheinlich  herumziehende  Barden  and 
Gaukler),  Suparitas  (Vogel-Gottheiten  und  Heuchler,  B^ksha- 
sas  und  Pi«iX*as  (Kobolde,  nehmen  unter  den  Ton  der  Fin- 
sternis erzeugten  Zust&nden  die  höchste  Stufe  ein. 

Gr^ailas,  Mallas,  Na/as,  Menschen,  die  Ton  yer&chtlichen 
Beschlftigangen  leben,  und  solche,  die  dem  Spiel  und  ^m 
Trunk  ergeben  sind,  bilden  die  niedrigste  Stufe  unter  den 
TOtt  der  Thitigkeit  verursachten  Zuständen. 

Könige  und  Kshatrijas  (Adelige],  die  Familienpriester 
von  Königen  und  diejenigen,  die  sich  an  dem  Kampfe  von 
Streitrednem  erfreuen,  bilden  die  mittlere  Stufe  unter  den 
von  der  Thitigkeit  verursachten  Zuständen. 

Die  Gandharvas.  Guhyakas  und  die  Diener  der  Götter, 
desgieiehen  die  Apsarasen  nehmen  unter  den  von  der  Thätig- 
keit  erzeugten  Zuständen  die  höchste  Stufe  ein. 

Einsiedler,  Asceten.  Brahmanen,  die  Scharen  der  Vai- 
mauka-Gotlheiten  (Creister,  die  sich  auf  ihren  vimanas  oder 
Wagen  im  Luftraum  bewegen,  die  Götter  der  Mondstationen 
and  die  Daityas  bilden  die  erste  und  niedrigste  Stufe  der 
durch  Gfite  verursachten  Existenzen. 

Opferer,  die  Weisen  i^tshis  .  die  Götter,  die  Yedas, 
die  Himmelsliehter,  die  Jahre,  die  Manen  und  die  Sadhvas 
bilden  die  zweite  Rangklasse  der  durch  Güte  verursachten 
Exiateuen. 

Die  Weisen  erklären,  dass  Brahman.  die  Schöpfer  des 
Weltalls,  das  Gesetz,  der  Große  und  der  Unwahmehmbare 
die  höchste  Rangklasse  der  durch  Güte  verursachten  Dinge 
aasmaehen. 

So  haben  wir  denn  das  Resultat  der  dreifachen  Hand- 
lung, das  ganze  System  der  Seelenwanderungen,  welches  aus 
drei  Klassen  mit  je  drei  Unterabteilungen  bestellt,  und  wel- 
ches alles  Geschaffene  einschließt,  erklärt. 

Diese  systematische  Darstellung  der  verschiedenen  Sta- 
dien der  Seelenwanderung  ist  in   manchen   Punkten   dunkel, 

Saz  XtlUr.  TkMMpUe.  H 


162 


Fünfte  VoilesiinR. 


namentlich  wenn  nicht  nnr  lebende  Wesen,  sondern  Himmels- 
licbter,  die  Jahre,  und  selbst  der  Veda  als  das  Resultat  der 
Handlangen  der  Göte  erwähnt  worden.  Wir  werden  spater 
etwas  ganz  Ahnliehes  in  den  Hierarchien  dos  Frocins  und 
Dionysius  des  Arcopagiton  finden.  Die  gewissen  Klassen 
von  Menschen.  Gittlern  und  Uiklbgtlttem  angewiesene  Stelle 
ist  merkwürdig  nnd  lehrreich,  da  wir  darans  ersehen,  in  wel- 
cher Achtong  jede  dieser  Klassen  zn  der  Zeit  stand. 

Ich  f Drehte,  es  war  etwas  langweilig,  Mann  durch  alle 
neun  Klassen  von  Wesen,  dnroh  welche  die  menschliche 
Seele  gehen  kann,  zn  folgen.  Doch  gewinnen  diese  nenn 
Klassen  des  Mann  ein  gewisses  Interesse,  wenn  wir  nna  erinnern, 
dasa  nns  auch  Plato  ein  äholichee  Schema  von  nenn  Klassen 
gibt,  in  welche  die  menschliche  Seele  wiedergeboren  werden 
kann. 

Diose  übe  rein  Stimmung  in  der  Zahl  neun  braucht  nicht 
mehr  als  zufällig  £U  sein.  Eine  Vergleichung  dieser  zwei 
Listen  [Enneaden)  kt  jedoch  lehrreich,  da  sie  zeigt,  wie  ver- 
schieden die  Achtung  war,  in  der  gewisse  fies chaftignn gen 
in  Indien  und  in  Griechenland  standen.  In  Indien  beginnen 
die  nenn  Stufen  der  Leiter  der  Existenzen  mit  den  niedrig- 
sten Tieren  nnd  steigen  auf  zur  Welt  meuachlicher  Wesen 
mit  ihren  mannigfachen  BeschäRigungen,  dann  zu  den  DK- 
moucn,  zu  den  Vedaa,  den  Him meislich tern.  den  Jahren,  den 
Vätern  nnd  den  Göttern  mit  ihren  mannigfachen  Wirknnge- 
kreison.  und  schließlich  zum  Schöpfer  der  Welt  und  za  Brah- 
man  selbst.  Dies  erinnert  uns  vielfach  nicht  nur  an  die  neun 
Klassen  Ptato's,  sondern  auch  an  die  neun  Stufen  der  soge- 
nannten himmlischen  Hierarchie,  wie  wir  dieselben  bei  Proclns 
und  bei  Dionysius  dem  Areopagiten  finden.  Auch  da  ist  die  Zahl 
nenn,  ja  die  drei  Triaden  sind  hier  genau  so  wie  in  Indien 
in  je  drei  weitere  Stufen  abgeteilt,  und  wie  in  Indien  ist 
nicht  nnr  belebten  Wesen,  sei  es  Menschen  uder  Engeln, 
sondern  auch  leblosen  Dingen,  wie  Thronen,  Milchten  and 
Herrechaften  ein  Platz  eingeräumt.  Ob  diese  Übereinstim- 
mungen zu  groß  sind,  nm  als  rein  zuföUigo  Übereinstimmungen 


Die  WaodeniDg  der  Seele  naeh  dem  Tode.  163 

gelten  n  köuen,  werden  wir  besser  zn  benrteilen  im  stände 
sein,  wenn  wir  anf  die  Sehriften  von  Dionvsius  dem  Areopagiten 
nnd  deren  anfierordentUchen  Einfloss  sowolü  auf  die  sehen 
Insliseke  als  anck  anf  die  mystische,  d.  h.  psychologische  Theo- 
k)f:ie  des  Mittelalters  zn  sprechen  kommen  werden. 

Die  Strafen  der  BSsen. 

Ein  anderer  wichtiger  Zog.  weicher  f&r  das  spätere 
Datnsi  Ton  Manns  Gesetzbuch  bezeichnend  ist  ist  seine  Be- 
kanntsfkaft  nickt  nnr  mit  der  Metempsychose.  sondern  anch 
■it  Strafen,  weiche  den  Bösen  auferlegt  werden  an  Orten, 
die  wir  Höllen  nennen  müssen  —  denn  Höllen  sind  eine 
spite  Erfindnng  in  den  meisten  Religionen.  So  lesen  wir 
."XII,  54' :  > Diejenigen,  welche  Todsünden  (mahipÄtakas  be- 
gangen haben,  geken  zuerst  während  einer  großen  Anzahl 
T«n  Jakren  durch  schreckliche  Höllen  nnd  erlangen  dann 
nach  Ablauf  dieser  Strafzeit  die  folgenden  Geburten: 

>Der  Mörder  eines  Brähma/^a  gelangt  in  den  Schoß  einer 
Hftndin.  eines  Schweines,  eines  Kamels,  einer  Kuh,  einer 
Ziege,  eines  Schafes,  eines  Rehes,  eines  Vogels,  eines  Äa/i- 
^äU  nnd  eines  Pnkkasa.« 

EQer  haben  wir  deutlich  die  Idee  einer  Bestrafung  in 
der  Hölle,  abgesehen  ron  der  Bestrafung,  welche  die  bloße 
Wiedergeburt  als  ein  niedriges  Tier  im  Gefolge  hat.  Und 
das  Merkwürdige  ist.  dass  Yama.  der  zuerst  nur  als  Herr- 
scker  mter  den  Abgeschiedenen,  als  eine  freundliche  Gott- 
keil.  Bit  der  die  Htrts  sieh  erfreuten,  aufgefasst  wurde,  jetzt 
als  deijenige  erwihnt  wird,  der  den  Bösen  Qualen  auferlegt 
XII.  17..  eine  Bolle,  die  er  fortan  in  der  späteren  Litteratur 
Indiens  iamer  beibehält. 

In  den  Hymnen  des  Rigveda  finden  wir  sehr  wenig,  das 
sick  mix  den  späteren  Vorstellungen  einer  Hölle  Tergleichen 
fieEe.  Anck  liegt  kein  Grund  tof  anzunehmen,  wie  es 
iowokl  Rotk  ab  Weber  zu  thun  scheinen,  dass  die  Tcdi- 
Inder  mit  der  Idee   Tollständiger  Vernichtung  bekannt 


164 


Fünfte  VorlestiiiR. 


gewesen  seien  UDd  dasB  sie  geglaubt  hätten,  fänzHohe  Ver- 
nichtuDf;  sei  die  gehörige  Strafi:  der  BOgen.  Wie  sie  von 
dem  Aufenthaltsort  der  Seligen  in  ganz  allgumeinen  Aus- 
drücken als  dem  Lichtrdche  sprachen,  so  »agon  sie  von  den 
liftaen,  dass  sie  in  eine  Grube,  karta.  geworfen  werden 
oder  fallen  (Itv  II,  211.  6;  IX.  73.  S— 9),  Sie  sprechen 
auch  von  einem  tiefen  Orte  (])adani  gabhiram,  IV,  :>,  5)  und 
von  der  unteren  Finsternis  [adbamm  tamaA,  X,  tri2,  4)  aU 
deren  AnfenthaUsort. 

Es  gibt  noch  einige  Stollen  im  ßlgveds,  wetehe  sich 
möglicherweise  aof  Strafen  nach  dem  Tode  bezieben  kOn- 
non.  So  lesen  wir  (II.  2SI,  fi):  .SohOtzet  uns.  o  Götter,  vor 
dem  Vorachlnngenworden  duroli  den  Wolf,  vor  dem  F^l 
in  die  Grube.«  Und  wiederum  (K,  73,  8 — li);  »Der  wMm 
Hüter  des  Gesetzeit  Usst  sich  nieht  hintergehen;  er  hat  Bei- 
niger (das  Gewissen)  ins  Herz  gelegt;  wissend  sieht  er  auf 
alle  Dinge  und  sehleudeit  die  liOseu  und  Unoblosen  in  die 
Grube.  • 

Im  Atbarvaveda  wird  die  Sehildemng  des  AofL-nthaltt- 
ortes  der  Bösen  immer  detaillierter.  Wir  lesen  (II,  14,  S)  rvn 
einem  Hause  (grilial  fHr  böse  Geister,  und  selbst  der  moileme 
Name  Naraka  für  Hölle  kommt  darin  vor.  Dies  stimmt  A)l«s 
mit  dem  überein,  was  wir  Über  das  chronologische  Verhiltnta 
der  vedischen  Hymnen,  der  Upanisbaden  und  des  Qeseii- 
buchs  von  Mann  aus  anderen  Quellen  wissen.  Die  Upanish«l«D 
sprechen  von  einem  dritten  Pfade  außer  den  zwei  PfftdflB, 
die  za  den  Vätern  and  lu  den  Göttern  fahren,  und  sie  Mgea 
{Ürih.  Ar.  VI,  2,  IC):  >L>iejonigen,  welche  diese  iwei  PfUe 
nicht  kennen,  werden  zu  Wnrmern.  VOgelo  und  krieebendein 
Gewflrm.<  Auch  lesen  wir  in  einigen  Upanisbaden,  dKss  es  nn- 
aelige  oder  aanrya-Welten  gebe,  dio  mit  tiefer  Finsternis  bedeckt 
sind,  wohin  dio  Thoren  nach  dem  Tode  gehen.  Die  Brib- 
ma/ias  sind  zuweilen  noch  ansfubrlioher  in  ihren  Sehildcrnn- 
gen  der  HOlle, 'J  und  an  Einer  Stelle  des  'S'atapatbt-BrAbmaMi 


11  Weber,  ;;   D   M.  n.,  IX,  p.  240. 


Die  Wandemiif  der  Seele  ameh  dem  Tode.  165 

XL  7,  2,  33)  wird  sogar  dag  Wägen  der  Seele  erwähnt, 
eme  Vorstellnng,  die  ans  von  ftgyptisehen  Gräbern  so  ge- 
Uiifig  ist 

Brieken. 

Je  veiter  wir  vorrficken.  desto  aasf&hrlicher  werden 
die  Details  Aber  die  zwei  Wege,  den  zn  den  Pitr»,  nnd 
den  ra  den  Devas  filhrenden  Weg.  Ich  will  Sie  hier  nnr 
aaf  Eine  Stelle  im  Mahäbhirata  anfmerksam  machen,  die 
höchst  wichtig  ist.  weil  die  zwei  Wege  hier  zum  ersten 
Mal^]  Setos  oder  Brflcken  genannt  werden  (Anngita.  XX. 
p.  3 1 6),  Brflcken  der  Tagend  oder  Frömmigkeit.  Man  pflegte 
aaznnehmen.  dass  die  Idee  einer  Brficke.  welche  diese  Welt 
mit  der  kflnftigen  rerbinde.  Persien  eigentfimlich  sei,  wo  die 
berfihmte  jETinva^- Brficke  einen  so  hervorstechenden  Zag  in 
der  alten  Religion  bildet  Aber  das  Verhältnis  zwischen  dem 
Veda  nnd  dem  Avesta  ist  so  eigentfimlich  and  so  innig,  dass 
vir  kanm  zweifeln  können,  dass  entweder  die  Perser  den 
Glanben  an  Brflcken  zwischen  dieser  Welt  nnd  der  kflnftigen 
■nmittdbar  von  den  vedischen  Dichtem  entlehnt,  oder  dass 
Mde  denselben  von  ihren  gemeinsamen  Ahnen  ererbt  haben. 
Es  ist  ganz  richtig,  dass  dieselbe  Idee  von  einer  Brflcke 
zwischen  dieser  Welt  nnd  der  kflnftigen  ans  aach  in  anderen 
LiBdem  begegnet,  wo  von  einem  anmittelbaren  Einflass  in- 
disekea  Denkens  gar  keine  Rede  sein  kann,  wie  zam  Beispiel 
bd  den  nordamerikanischen  Indianern.'-,  Dies  ist  aber  nicht 
eise  Brflcke  der  Tagend  oder  des  Gerichtes  wie  in  Indien 
nd  Persien.     Die  Idee  einer  Brflcke  oder  einer  bloßen  Ver- 


1  Wie  gellnfig  die  Idee  einer  Brücke  zwischen  dieser  Welt 
der  kommenden  aach  in  vedischen  Zeiten  gewesen  &ein  mnss. 
man  ans  den  hänfigen  Anspiel ungcD  auf  den  AtaoaD  als  die 
wahre  Brficke  vom  Schein  zum  Sein.  Khknd.  Up.  VIII,  4. 
1  ete. 

2.  Jones,   Trmditian*    of  ikt  North- Amt rira$i    ludiam,  toI.  i. 
p.  227. 


1G6 


Fünfte  Vorlesung. 


bindnog  zwischen  dieaer  Welt  und  der  künftigen  ist  in  der 
That  so  natllrlick,  dasB  man  sie  als  die  leichteste  and  wahr- 
scbeinlich  die  frtlheBte  Lösung  des  Problems  bezeichnen 
könnte,  mit  dem  wir  uns  —  allerdings  von  einem  höheren 
Oesichlspmikte  ans  —  in  diesem  Kursus  von  Vorlesungen  zu 
beschäftigen  liabeu,  der  Beziehung  zwischen  dem  Natürlichen 
und  dem  Obernatürlichen.  Hatte  man  einmal  gelernt  an  ein 
Jenseits  zu  glauben,  so  fohlte  man  eine  Lücke  zwischen  dem 
liier  und  dem  Dort,  die  der  menschliche  Geist  nicht  vertra- 
gen konnte,  nnd  die  er  daher  —  zuerst  mythologisch  nnd 
nachher  philosophisch  —  zu  überbrücken  suchte.  Der  frü- 
heste, nocli  rein  mythologische  Versuch,  die  Welt  der  Men- 
schen nnd  die  Welt  der  Götter  zu  verbinden,  ist  der  Ulanbe 
an  eine  Briicke,  lüfröst,  wörtlicli  'hebende  Knhe',  geuanal, 
wie  wir  sie  in  der  nordischen  Mythologie  finden.  Offenbar 
war  damit  ursprünglich  der  Itegeubogen  gemeint.  Wir  hören. 
dass  sie  von  den  Göttern  geschaffen  und  Äs-brH,  die  BrQcke 
der  Äsen  oder  der  Götter,  genannt  war.  Sie  hatte  drei  Karben 
und  galt  für  sehr  stark.  So  stark  sie  aber  snch  war,  so 
glaabt  man  doch,  dass  sie  am  Endo  der  Welt,  wenn  diu 
Söhne  Muspels  darüber  hinwegreiten  werden,  zusammenbreohtm 
werde.  Die  Äsen  oder  Götter  reiten  jeden  Tag  über  diou 
Brücke  zu  ihrer  Gerichts  st  fllte  in  der  Nfthe  des  Urdsbrunnens. 
Sie  hat  auch  einen  Wächter,  der  Eeimdall  heißt. 

Dies  ist  ein  rein  mythologisches  Auskunftsmittel,  Himmel 
und  Erde  zu  verbinden ,  wofür  die  physische  Religion  ganz 
natürlich  das  Symbol  des  Rogenbogena  w.thlte. 

In  Indien  und  Persien  jedoch  steht  die  Sache  gans 
anders.  Vor  Allem  ist  die  Brücke  nicht  von  irgend  einem 
Gegenstand  in  der  Natur  hergenommen.  Sie  ist  vielmehr  «in 
ethisches  Postulat.  Es  muas,  so  folgerte  man,  einen  Weg 
geben,  auf  welchem  die  Seele  sich  der  Gottheit  nfthern,  oder 
dnrch  welchen  sie  von  der  Gottheit  ferngehalten  werden 
kniiii,  —  darnm  bildete  man  sich  ein,  dass  es  einen  solebea 
NN'eg  gebe.  Dieser  Weg  war  in  Indien  der  Weg  der  Vtter 
und  später  der  Weg   der  Götter.     Es  ist  aber  sehr  wiohtig 


Die  Wandenui^  der  Seele  nmeh  dem  Tode.  167 

n  benerken,  daas  aaeh  in  Indien  dieser  Weg  yüna  sein. 
Brieke.  genannt  wnrde.  obwohl  er  noch  keinen  Eigennamen 
bekomaen  hatte.  Im  Yeda  (Rv.  L  3S.  5  wird  der  Pfad 
Yasas  erwihnt,  der  in  Wirklichkeit  derselbe  ist  wie  der 
Viierpiad.  denn  Tama  war  nrsprflnglich  der  Beherrscher  der 
Titer.  Wenn  daher  die  Dichter  sagen:  Mi  to  ^arita  pathä 
Yanuaya  gad  npa.  'Möge  ener  Yerehrer  nicht  aof  dem  Pfad 
Yaaa's  gehen*,  so  meinen  sie  einfach:  *Mdge  er  noch  nicht 
iterbca*.  War  einmal  eine  Brficke  da.  so  erdachte  man  wohl 
aack  bald  einen  Flnss.  fiber  den  die  Brücke  gehen  sollte. 
Ein  solcher  Flnss  kommt  zwar  nicht  in  den  Hvmnen  tot, 
wohl  aber  in  den  Brahmanas  nnter  dem  Namen  Yaitarar?!. 
der  önCach  *das.  was  Torwirts  föhrt  oder  was  Obersehiitten 
werden  mnss*  bedeutet.  Wahrscheinlich  ist  dies  nur  ein  anderer 
Käme  für  den  Flnss  Yi^ara.  Xichtaltemd.  den.  wie  wir  in  den 
Cpanishaden  sahen,  der  Abgeschiedene  zu  fiberschreiten  hatte. 

Sie  erinnern  sich  Tielleicht.  dass  bei  den  Leichencere- 
■onien  der  Tedischen  Inder  eine  Koh  Annstaraz/i)  geopfert 
werden  mnarte.  Diese  Knh.  glaubte  man.  führe  den  Abge- 
schiedenen Aber  den  Flnss  Yaitara/»i  hin  Ober,  und  später  wurde 
es  in  Indien  Branch  —  und  die  Sitte  besteht,  wie  ich  höre,  noch 
jetzt  — .  daas  man  dem  Sterbenden  den  Schwanz  einer  Kuh 
oder,  wie  bei  den  Todaa.  die  Homer  eines  Bfiffels  zu  halten  gab. 
Obgleich  aber  in  Indien  der  Glaube  an  einen  Yiterpfad  und 
tmem  Gdtterpfiid  ans  der  moralischen  Überzeugung  herrorge- 
gaagen  xn  aein  scheint  dass  es  einen  solchen  Pfad  gebeo  müsse. 
mm  den  Abgeschiedenen,  entweder  zur  Belohnung  oder  zur 
Beatzmfing.  in  die  Welt  der  Ylter  und  in  die  Welt  der  Götter 
zn  fthren.    so  wnrde  doch  auch  in  Indien  dieser  Weg  nicht 

■nt  dem  Regenbogen,  sondern  auch,  wie  Kuhn  zu  zeigen 
hat  {K.  Z..  n.  p.  3 IS),  mit  der  Milchstraße  ideutifi- 
zicrt.  Im  Yisliiin-purlr*a  (p.  227  wird  der  Devayana  nörd- 
Eck  TOB  Stier  und  Widder  und  südlich  Tom  großen  Bären 
^lailif.  was  die  genaue  Lage  des  Ausgangspunktes  der  Milch- 
stnBe  iat  Knhn  hat  auf  eine  höchst  merkwürdige  Übereinstim- 
kiagewiesen.  Man  erinnere  sich,  dass  der  Abgeschiedene. 


16S 


Fiinflo  VorleBiinj. 


I 


um  den  vermatUoh  die  Miluhstrnßu  vorstellenden  DevayäDa 
zu  erreichen,  von  einer  Knli  Über  den  Flnsa  Vaitarani  ge- 
soliafTt  werden  mnsste.  lat  es  niclit  sonderbar,  Aa.B*  mNord- 
UeDtschlaDti  bis  zum  heutigen  Tag  die  Milcbälraße  Kaupat. 
d.  h.  Kubpfad,  g:eaannt  wird,  nnd  dssa  die  Slaven  sie  Mavra 
oder  Mavriza  nennen,  w&a  eine  scbwarzgeBprenkelte  Kuh 
bedeutet.  Ja,  iu  dem  Gedicht  von  Tnndalu»  (ed.  Habn. 
pp.  4!) — n<J)  leaen  wir,  dasa  die  Seele  eine  gestohlene  Kub 
Über  diese  Brücke  zu  treiben  hat.  Derartige  (Übereinstim- 
mungen Bind  hSoiiat  auffällig.  Man  weiß  kaum,  wie  man  sie 
erklären  hoH.  Natflriich  können  sie  einem  Zufall  zuinschrei- 
ben  sein,  wenn  aber  niolit,  welch  eine  auBerordentliobe 
Zähigkeit  selbst  in  dem  Folklore  der  arischen  Völker  wtlrdeii 
sie  zeigen. 

Wenn  aber  auch  an  manchen  Stellen  der  Devayäna  mit 
der  Milchslralie  identifiziert  worden  ist,  so  wurde  er  doch 
uu  anderen  und  lltoren  Stellen  deutlich  als  der  Regenbogen 
aufgefasst,  so  wenn  wir  in  der  Bnhad-Aranyaka  üpanishad 
IV.   I.  &  lesen: 

«Der  kleine,  alte,  sich  weithin  erstreckende  (vitataA  oder 
vitara/i)  Pfad  ist  von  mir  gefunden  worden.  Anf  dieHn 
ziehen  Weise,  welche  lirahman  kennen,  fort  zom  Srai^loka 
{Himmel),  und  von  da  höher  hinauf,  als  ganz  freie. 

•  Auf  diesem  Pfade,  sagen  sie,  gibt  es  Weiß,  Blau,  QtHb, 
Grün  nnd  Rot;  dieser  Pfad  wurde  von  Brahman  gefunda, 
und  auf  demselben  geht,  wer  immer  Brahman  kennt,  nnd 
wer  Gutes  gethan  und  Glanz  erlangt  bal.  <  Wir  haben  hier 
die  fünf  Farben  des  Kegenbngens.  w.llirend  der  Bifröst-Regen- 
bogen  nur  drei  hatte. 

Die  Idee,  dass  die  Bösen  nicht  den  Pfad  der  Viter  oder 
der  tiOtter  ßnden  können,  fehlt  in  den  Upanishaden  sieht 
ganz.     Üenn  wir  lesen    (Biih.   Ar.  IV,   4,    1K  : 

>  Alle,  welche  verehren,  was  nicht  Erkenntnis  ist,  gehe»  In 
dichte  Finsternis  ein;-  nnd  wiederum:  «Es  gibt  in  der  Thal 
jene  unseligen  Wellen,  welche  in  diohle  Finsternis  gebOUl 
sind.     Menschen,  die  unwissend,  nicht  erleuchtet  sind,  galus 


Die  Wanderung  der  Seele  nach  dem  Tode.  169 

Dich  ihrem  Tode  zu  diesen  Welten.«  Ja.  im  «Sktapatha- 
BrihmmitJt  L  9.  3«  2  lesen  wir  thatsächlich  Ton  Flammen 
auf  beiden  Seiten  des  Weges,  welche  die  Bösen  yerbrennen. 
die  reine  Seele  aber  nicht  berühren. 

>  Derselbe  Pfad  föhrt  entweder  zu  den  Göttern  oder  zn 
den  Vätern.  Auf  beiden  Seiten  brennen  immerdar  zwei  Flam- 
men; sie  versengen  den.  der  verdient  versengt  zu  werden, 
und  lassen  den  vorübergehen,  der  verdient  vorüberzugehen.« 

Es  gibt  auch  eine  im  Nirukta  citierte  Verszeile,  die  sich 
möglicherweise  auf  diesen  Pfad  bezieht,  wo  Frauen  sagen: 

ne^  j^bmajantyo  narakam  patama 
> Mögen  wir  nicht  krumme  Wege  gehen  und  in  die  Hölle  fallen.« 

Es  ist  jedoch  die  alte  Religion  Persiens,  in  der  diese 
Brücke  am  meisten  hervortritt.  Sie  hat  hier  den  Namen 
Alnvat  erhalten,  was  nur  'die  forschende,  rächende,  strafende 
Brücke*  bedeuten  kann,  da  kl  mit  dem  griechischen  n'oj, 
livoj  nnd  riaiq  zusammenhängt. 

Von  dieser  Brücke  heißt  es  im  Vendidäd  XIX,  29: 

»Dann  schleppt  der  Böse,  Vizaresha  genannt,  die  Seelen 
der  ruchlosen  Da6va- Verehrer,  die  in  Sünde  leben,  in  Banden 
hinweg.  Die  Seele  betritt  den  von  der  Zeit  gemachten  Weg, 
der  sowohl  den  Bösen  als  den  Tugendhaften  offen  steht.  Und 
am  Kopf  der  Alnvat  -  Brücke ,  der  heiligen  von  Mazda  ge- 
machten Brücke,  verlangen  sie  für  ihre  Geister  und  Seelen 
den  Lohn  für  die  weltlichen  Güter,  die  sie  hier  unten  ver- 
schenkt haben.« 

Diese  Brücke,  welche  über  die  Hölle  ausgespannt  ist 
und  zam  Paradiese  führt,  erweitert  sich  für  die  Tugendhaften 
zu  der  Breite  von  neun  Speeren,  für  die  Seelen  der  Bösen 
aber  verschmälert  sie  sich  bis  zu  einem  Faden,  und  sie  fallen 
in  die  HöUe.<] 


1)  Arda  Viraf,  V,  1.    Darmesteter,   Vendidad.  *!>.  B.  E.,  IV, 
p.  212  Note. 


170 


KUuflB  Vorlesung. 


Wenn  wir  fast  dieselbe  umständliche  ScIiüderuDg  bei  den 
Mohammedanern  Gnden,  so  werden  wir.  glaube  icb,  in  die- 
sem Falle  eine  thatsacLliehe  hlsloriscbe  Entlehnung,  ond 
nicbt,  wie  bei  Indem  und  Persern,  einen  ontfornten  ge- 
meiuBamon  Ursprung  anzunehmen  haben.  Die  Idee  der 
lirUcke  wurde  wahrachemlicli  von  den  Juden  in  Persien 
augenommen,  ',.  und  MoliamiDoJ  dürfle  sie  von  seinen 
judiächen  Freunden  entlehnt  haben.  Die  UrUcke  ist  am 
heslen  nuter  dem  Namen  Es-Sirät  bekannt,  Das  siebeute 
Kapitel  des  Koran.  AI  Aar&f  genannt,  gibt  folgende  Sehilde- 
rung  dersölbon: 

>Und  zwischen  Beiden  (den  Seligen  nämlieb  und  den 
Verdammten]  wird  ein  Vorhang  sein,  und  auf  der  äcbeide- 
wand  ^zwischen  dem  Paradiese  und  der  Höllc]^)  werden  Leute 
stehen,  welche  jene  an  ihren  Merkmalen  kennen  nnd  den 
Bewohnern  des  Paradieses  zurnfou  werden:  Friede  sei  über 
euch!  Sie  werden  aber  nicht  hincingeben,  und  gleichwohl  es 
begierigst  wünschen.  Wenn  sie  nun  Ihr  Antlitz  werden  hin- 
gerichtet haben  zu  den  Bewohnern  des  Feuers,  so  werden 
sie  bitten:  0  Herr!  setze  uns  nicht  bei  diesen  gottlosen  Leu- 
ten hin.  Und  diese,  welche  auf  der  Scheidewand  gleben, 
werden  zu  einigen  Uännem,  die  sie  an  ihren  Merkmalen  er- 
kennen, sagen:  Was  hat  es  euch  nun  geholfen,  dass  ihr  so 
viel  zeitliches  Glück  zusammengebracht  habt?  Und  wgs 
fdr  einen  Vorteil  habt  ihr  von  eurem  Stolze?  Sind  d« 
die  Leute,  von  denen  ihr  mit  einem  Schwur  betenertet,  Au» 
Oott  ihnen  keine  Barmherzigkeit  erzeigen  würde?  Und  doch 
ist  diesen  gesagt  worden;  Gehet  ihr  ein  ins  Paradies,  wo 
weder  Furcht  noch  Traurigkeit  euch  quälen  soll.  Die  Ver- 
dammten werden  die  Seligen  bitten:   Gießet  ein  wenig  Wauet 


1;  Im  vierten  oder  ain  Anfang  des  fünften  JahrbnndertB  an- 
ter  Sapor  II-  und  Vuidagard  waren,  wie  wir  wissen,  jüdiscfau  Ärata 

iiIhniLchtig   aiu  tlofe   der   Sussaniden.     .irtidemy,    Nov.  2S,    1681. 

2'  'Scheidewand',  i.e.  AI  Aar/if.  «omu^li  ila»  Kapil«I  benaaiil 
ist.  Amii.  dt*   t?lm. 


Die  WaDdernog  der  Seele  nuch  dem  Tode.  171 

asf  uns,  oder  lasst  uns  sonst  etwas  von  den  Erfrischnngen 
ib,  mit  denen  eueh  Gott  erquickt.«^) 

Wenn  wir  eine  ähnliche  Darstelinng  bei  den  Todas  in 
Sfldindien  finden,  ist  es  schwer  zn  sagen,  ob  sie  dieselbe 
?on  den  Brahmanen  hergenommen  haben,  oder  etwa  aas  einer 
mohammedanischen  Quelle.  Sie  sieht  der  mohammedanischen 
Darstellung  ähnlicher  als  der  brahmanischen,  und  manche 
Ethnologen  werden  Tielleicht  ein  unter  den  Dravidischen  Ein- 
wohnern Indiens  spontan  herrorgegangenes  Gewächs  darin 
wittern.  Nach  dem  Verfasser  eines  Artikels  im  "Nineteenth 
Century  Joni  1892,  p.  959)  haben  die  Todas  einen  Himmel 
nnd  eine  Hölle;  die  letztere  ist  ein  schrecklicher  Strom  voll 
Blntigel,  welchen  die  Seelen  der  Abgeschiedenen  auf  einem 
einzelnen  Faden  überschreiten  mfissen.  der  nnter  dem  Ge- 
wicht der  mit  Sünde  Beladenen  zosammenbricht,  jedoch  die 
geringe  Last  der  Seele  des  Goten  zo  tragen  vermag. 

Im  Talmnd  scheint,  wie  mir  Dr.  Gaster  mitteilt,  diese 
Brücke  nicht  bekannt  zn  sein.  Sie  wird  jedoch  im  21.  Ka- 
pitel des  Jana  debe  Eliahu  erwähnt,  eines  Werkes,  das  dem 
zehnten  Jahrhundert  angehört,  aber  Bruchstücke  viel  älteren 
Datums  enthält  Hier  lesen  wir:  >In  dieser  Stunde  (des 
jflngsten  Gerichts)  ruft  Gott  die  Götzen  der  Völker  ins  Leben 
zurück,  und  er  sagt:  'Jedes  Volk  gehe  mit  seinem  Gott 
Ober  die  Brücke  des  Gehinom.  und  wenn  sie  über  dieselbe 
gehen,  so  wird  sie  ihnen  wie  ein  Faden  erscheinen,  und  sie 
fallen  in  das  Gehinom  hinunter,  sowohl  die  Götzen  als  auch 
ihre  Verehrer*.«  Dieselbe  Stelle  kommt  noch  einmal  im 
Yalkut  Schimeani  U,  §  500,  ed.  pr.  Salonica,  152G). 
f.  S7  seq.  vor.  und  nach  den  besten  Kennern  geht  die 
Legende  selbst  auf  vorislamitische  Zeiten  zurück. 

So  weit  befinden  wir  uns  auf  sicherem  und  fast  histo- 
rischem Boden.     Allein  der  Glaube    an    eine    solche  Bracke 


I)  Nach   der  deutschen  CbersetzuDg  des  Koran   von    F.  E. 
Boyten  und  S.  F.  G.  Wahl    Halle  1828),  p.  121. 

Anm,  des   Vbers. 


172 


FÜLfiu  Vorlesung. 


ist  Dicht  suf  den  Orient  besohränkt;  und  doch,  wenn  wir 
Mren,  daaa  die  Banern  in  Vürkahiro  vor  nicht  alhaluiger 
Zeit  von  einer  'Brtloke  des  Schreckens,  nicht  breiter  aU  ein 
faden'  {'ßW^  o'  Dread,  Na  broader  than  a  thread)^] 
spr&ehen,  30  kennen  wir  kaum  glauben,  dass  diese  Brftcke 
des  Sohreckena  die  moderne  Oestalt  der  nordischen  BifrOst- 
BrQcke  vorslelle.  denn  letztere  war  nie  eine  sehr  enge  Brflcke. 
die  nur  von  den  liuten  Obersobritten  werden  könnte.  Ich 
«laube.  wir  mtlasen  nach  hier  eine  wirkliche  historische  Ver- 
mittlung zugeben.  Es  ist,  glaube  ich,  doch  wah  räch  ein  lieber, 
dass  die  Idee  dieser  Brücke  irgend  eiuem  Kreuzfahrer  bc- 
aondera  gefiel,  dass  er  bei  seiner  Rtickkebr  nach  Frankreich 
von  dersellien  sprach  oder  sang,  und  dass  mit  den  Normannen 
die  Brücke  des  Schreckens  nach  Engluud  wanderte.  Aneh 
in  Frankreich  wissen  die  Baneru  von  Niävre  von  dieser 
BrIIcku  KU  erzählen  als  einer  schmalen  Planke,  welche  SjüdI 
Jeaii  d'Archange  zwischen  die  Erde  und  das  Paradies  1 
imd  von  der  sie  singen : 

?Hs  pu  longue,  pas  pu  large 
Qu'un  ch'veu  de  In  Salute  Viarge 
CoLix  qu'savont  la  raiaon  d'Dieii, 
Pai'  desHUS  pnsseront 
Ceiix  iiu'ln  sauront  pas 
Äu  bout  u 


'Nicht  länger,  nicbl  breiter  aU  ein  Bmir  der  heiliguD  J 
fran,  diejenigen,  welche  die  Vuruunrt  Gottes  loder  das  QetM 
t«B)  kennen,  werden  darüber  gehen;  diejenigen,  welcho  aiVi'j 
es,  nicht  kennen,  werden  am  Ende  sterben.« 

Von  dem  Folklore  der  Bauern  ging  dieser  ÜUnb«  u 
eine  BrQoke,  die  aua  dieser  Well  in  eine  bessere  hinaber 
ftkhre,  in  das  Folklore  der  Theologen  des  Mittelalters  Über, 
und   wir  lesen  von   einer  kleinen  aas  dem  Fegefeuer  in  dai 


t]  J.  Thoms,    Atuettotn  and   TraiUtimu.    pp.  SV— 'JO;   Oriom. 
Dtu'ifhe  Jfylholvtfit,  p.  Tfl<. 


Die  W&nderuBg  der  Seele  nach  dem  Tode.  1 73 

fUirenden  Brflcke   in    der   Legenda    Aarea,    c.  50 
(De  8.  Pmtricio]  and  an  anderen  Orten.  ^) 

Ist  es  nicht  merkwfirdig,  diese  Idee  entweder  in  ver- 
aehiedenen  Teilen  der  Welt  spontan  auftreten,  oder  durch 
ane  wirkliche  historische  Überlieferung  von  Indien  nach  Per- 
sien, Ton  Persien  nach  Palästina,  von  Palästina  nach  Frank- 
rdch  und  von  Frankreich  sogar  nach  Yorkshire  flbergehen  zu 
sehen?  Und  die  Wurzel  von  all  dem  ist  jener  schlichte,  aber 
unansrottbare  Glaube,  dass  das  Menschliche  und  das  GdtÜiche 
nicht  auf  immer  getrennt  sein  können,  und  dass  es,  wie  der 
Begenbogen  Himmel  und  Erde  durch  eine  Brflcke  verbindet, 
oder  wie  die  Milchstraße  uns  eine  glänzende  Bahn  durch  My- 
riaden von  Sternen  bis  zum  höchsten  Feuerhimmel  zeigt,  eine 
Brflcke  geben  mflsse  zwischen  Erde  und  Himmel,  zwischen  der 
Seele  und  Gott;  dass  es  einen  Weg,  eine  Wahrheit  und  ein  Le- 
ben geben  mflsse,  die  Seele  in  ihre  wirkliche  Heimat  zu  fflhren, 
oder,  wie  eine  andere  Religion  sich  ausdrflckt,  dass  es  einen 
Glauben  geben  mflsse,  uns  heimzufahren  und  uns  Alle  Eins 
in  Gott  zu  machen.     (Vgl.  St.  Joh.  XVII,  2 1 .) 


1;  Vgl.  Liebrecht  zu  Gervasius  von  Tilbury,  Oüa  imperiaiia, 
Hannover  1S56,  p.  90. 


Sechste  Vorlesniig. 

Die  Eschatologie  des  ÄTesta. 


AJInremcliK!  Xltiilldikclt«ii  In  cHthatiilo^lHi-heu  l.cBredtfei 

Ich  erwähnte  am  Ende  meiner  letzten  Vorlesung  eine 
Anzahl  ans  verschiedenen  Teilen  der  Welt  zuaammengetra- 
goner  rberliefernngen.  welche  aich  alle  auf  eine  Brücke 
znischen  Erde  nnd  Himmel  beziehen.  Einige  von  diesen 
Üb  erliefe  Hingen  waren  rein  mytholggisoh  nnd  waren,  wie  0! 
acUien,  durch  wirkliche  Naturerscheinnngen,  wie  den  Regen- 
bogen und  die  Milchstraße,  veranlasst.  Ändere  hingegen  ent- 
sprangen offenbar  aus  der  moralischen  Überzengung,  daas  es 
einen  Weg  geben  mllsse,  anf  dem  die  menschliche  Seele  n 
Gott  znrflckkehren  könne,  einer  Überzeugung,  die,  so  abstrakt 
sie  anch  in  ihrem  Ursprang  war,  nicht  ganz  davor  bewalut 
bleiben  konnte,  scliließlicli  ebenfalls  in  mehr  oder  minder 
pbantastische  und  mythologiaclie  Phraseologie  gekleidet  in 
werden. 

Wenn  e»  sich  um  gemeinsame  Cberliefornngon  in  Indien, 
Griechenland  nnd  Deutschland  handelt,  so  müssen  wir  OBl 
im  Allgemeinen  damit  begnügen,  wenn  wir  ihre  einfachsten 
Keime  entdecken  nnd  zeigen  können,  wie  diese  Keime  wuch- 
sen nnd  auf  indischem,  griechiächem  oder  deutschem  Boden 
eine  verschiedene  Färbung  annahmen.  Ich  erklärte  Ihnen 
dies  vorher  bei  den  griechischen  Chariten,  den  Banakrit 
Haritas.     Hier  Gnden  wir,  dass  die  W^frler  genan  dieB«n>eB 


Die  EMhatolo^e  des  Avesta.  175 

Bid.  mmr  Terschiedeii  ausgesprochen  je  naeh  den  phoneti- 
sehen  Ei^ntfimiichkeiten  der  grieehisehen  nnd  der  Sanskrit- 
Sprache.  Der  gemeinsame  Keim  fand  sich  in  den  glinzenden 
Strahlen  der  8onne,  die  im  Veda  als  Pferde,  in  Griechenland 
als  schöne  Jungfrauen  anfgefasst  wurden.  Dasselbe  gilt  wie 
ich  Tor  Tielen  Jahren  zeigte.  Ton  der  griechischen  Daphne. 
'Daphne'  wfirde  im  Sanskrit  in  der  Form  tou  'Dahana 
efseheinen.  und  dies  wfbde  'die  Brennende*  oder  'die  GUn- 
sende'  bexeichnen.  Diese  Wurzel  dah  hat  im  Deutschen 
die  Xamen  fllr  ^ag*  und  'Dtmmemng*  geliefert.  Im  Sanakrjt 
ist  Ah  an  i  an  dessen  Stelle  getreten.')  £s  findet  sich  im 
Yeda  eine  deutliche  Anspielung  auf  die  Dimmerung,  die 
stirbt,  so  oft  die  Sonne  dch  ihr  zu  nlhem  sucht  und  wir 
äad  daher  berechtigt,  die  griechische  Legende  von  der 
Dapkne.  die  den  Umarmungen  des  Phoebus  zu  entrinnen 
nehl.  als  eine  Wiederholung  derselben  Erzählung  auszu- 
legen, dass  die  Dimmerung,  wenn  sie  den  Annlherungen 
der  Sonne  zu  entfliehen  trachtet,  entweder  stirbt  oder  sich 
in  einen  Lorbeerbaum  Tcrwandelt  Diese  Verwandlung  in 
einen  Lorbeerbaum  war  jedoch  nur  in  einer  griechischen 
Atmoa^ilre  möglich,  wo  'daphne'  zu  dem  Namen  des  Lor- 
beerbauas  geworden  war.  der  'daphne'  genannt  wurde,  weil 
das  Holz  des  Lorbeerbaums  leicht  zu  entzfinden  und  zu  Ter- 
brenen  war. 

Die  Lehren,  die  wir  aus  der  Tcrgleichenden  Mythologie 
eBOMMuneB.  gelten  auch  in  Bezug  auf  die  Tcrgleiehende  Theo- 
logie. Wenn  wir  Ihnliehe  religiöse  oder  selbst  philosophische 
Ideen  oder  Überlieferungen  in  Griechenland  und  in  Indien  fin- 
den, so  missen  wir  sie  einfach  als  das  Resultat  des  gemein- 
sames Mensehentums  oder  der  gemeinsamen  Sprache  der 
beiden  Völker  ansehen  und  uns  mit  ganz  allgemeinen  Zfigen 
znfrieden  geben:  wenn  wir  aber  daran  gehen,  die  Ideen  der 
allen  Panen  mit  denen  der  Tedischen  Dichter  zu  Tergleichen. 


I   Stehe  Hopkins.  On   English  day   and   Sanskrit     d  ah  an. 
JViifurfiii^i  mf  Aaurie^H  Oriemiai  ifofüty,  1892. 


176  SecIieCe  Vorlosang. 

so   haben   wir  ein   Recht,   tl berein atimmangen   gtuii   Anderer 
und  viel  mohr  bandgruifllcLer  Art  za  erwarten. 


Das  genaue  historiecbe  Verhiltnia  jedoch  swischen  den 
Ältesten  Religionen  Indiens  und  Persiena  ist  sehr  eigcntUmlioh 
nnd  keineswegs  schon  völlig  aufgeklärt.  Es  ist  so  oft  miw- 
v.erstauden  und  falsch  dargestellt  worden,  dass  wir  dio  Tbat- 
sachen  sehr  sorgföltig  zu  prüfen  haben  werden,  nm  einen 
klaren  Begriff  von  dem  wahren  Verhältnis  dieser  beiden 
Heligionea  zu  bekommen.  Keine  Religion  der  allen  Well 
ist  so  sehr  missdeutet  worden,  wie  die  im  Avesta  enthaltene. 
Wir  werden  daher  einigermaßen  ins  Detail  gehen  und  die 
ipsiseima  terla  des  Aveata  untersncben  müssen.  Indem  ich 
an  diese  Untersuchung  gehe,  furchte  ich,  dass  meine  heutig« 
Vorlesung  Aber  den  Avesta  und  seine  Lehren  in  Bezug  auf 
die  Unsterbliohkeit  der  Seele  nicht  viel  enthalten  wird,  da) 
fUr  irgend  einen,  der  nicht  Orientalist  ist,  von  Interesse  boIb 
kann.  Woran  mir  aber  immer  am  meisten  gelegen  war,  ilt 
dass  diejenigen,  welche  diesen  Vorlesungen  folgen,  ^e 
genaue  und  authentische  KennlniB  der  die  alten  ReügiooeO 
betreffenden  Thatsachen  gewinnen  sollten.  Viele  Leute  und 
sich  kanm  darttber  klar,  wie  schwer  es  Ist,  eine  wirklieh 
genaue  Darstellung  von  irgend  einer  der  alten  orientalischen 
Heligionen  £u  geben.  Aber  denken  Sic  nur,  wie  schwer  ea 
ist,  über  die  eigentliche  Lehre  Christi  irgend  etwas  auaau- 
aagen,  ohne  von  irgend  einem  Doktor  der  Theologie,  ob  er 
sich  nun  aus  Rom  oder  ans  Edinburgh  berschreibi,  elnei 
Besseren  belehrt  zu  werden.  Lud  doch  liegen  hier  die  That- 
sachen innerhalb  eines  sehr  engen  Umkreises,  sehr  vorsnliie- 
deu  von  der  umfangreichen  Litteratur  der  Religionen  der 
Itrahmanislen  oder  üuddhistcn.  Die  Sprache  des  Neuen 
TeBtaiounts  ist  Kinderspiel  im  Vergleich  nüt  vcdischem  San- 
skrit oder  aveslischem  Zend.    Wenn  man  nnn  sieht,  wie  man 


Die  Eschatologie  des  Avcsta.  177 

sieh  in  Kirchen  und  Bethäusern  über  die  richtige  Auslegung 
einiger  der  einfachsten  Stellen  in  den  Evangelien  herumzankt, 
so  möchte  es  fast  hoffnungslos  scheinen,  irgend  etwas  Be- 
stimmtes über  den  allgemeinen  Charakter  der  vedischen  oder 
der  avestischen  Religion  behaupten  zu  wollen.  Und  doch  ist 
es  sonderbarer  Weise  geschehen,  dass  dieselben  Personen, 
welche  zu  denken  scheinen,  dass  Niemand  außer  einem  Doktor 
der  Theologie  irgend  ein  Recht  habe,  die  einfachsten  Verse 
des  Neuen  Testaments  auszulegen,  kein  Bedenken  tragen, 
lange  Aufsätze  über  Zoroaster,  über  Buddhismus  und  Muham- 
medanismus  zu  schreiben,  ohne  ein  Wort  von  Zend,  Pali 
oder  Arabisch  zu  verstehen.  Sie  verbreiten  nicht  nur  irrige 
Ansichten  über  die  alten  Religionen  des  Orients,  sondern  sie 
glauben  auch,  dass  sie  dieselben  am  besten  widerlegen  kön- 
nen, nachdem  sie  sie  auf  solche  Weise  falsch  dargestellt 
haben.  Hat  man  einmal  die  avestische  Religion  als  Feuer- 
anbetnng  und  Dualismus  dargestellt,  was  kann  es  Leichteres 
geben,  als  Feueranbetung  und  Dualismus  zu  widerlegen? 
Wenn  wir  aber  die  Urkunden  selbst  zu  Rate  ziehen,  und 
wenn  wir.  wie  wir  es  beim  Neuen  Testament  thun,  zwischen 
Älterem  und  Jüngerem  in  dem  heiligen  Kanon  der  Zoroastrier 
unterscheiden,  so  werden  wir  finden,  dass  Zoroaster  weder 
Feneranbetung  noch  Dualismus  lehrte. 


Zoroaster  lehrt  weder  Feueranbetuug  noch  Dualismus. 

Die  höchste  Gottheit  Zoroasters  ist  Ahuramazda,  nicht 
Atar.  Feuer,  obschon  Atar  zuweilen  der  Sohn  Ahuramazda  s 
genannt  wird.  *)  Das  Feuer  ist  ja  ohne  Zweifel  ein  heiliger 
Gegenstand  bei  allen  alten  Opfern,  aber  das  Feuer  als  solches 
wird  im  Avesta  ebensowenig  als  höchster  Gott  verehrt,  als 
im  Veda. 


1/   Physische  Relujion^  p.  225. 
3lfti  M&ller.  Th^osophie.  12 


17S 


Sechste  Vurioannj;. 


Weim  wir  das  w«Ure  Weaoo  der  Heligioa  Zoroft%teTs 
veratuhen  wollen,  so  mllBseu  wir  uns  vor  Allem  daran  er- 
innern, dass  die  Sprachen,  in  denen  derVeda  und  der  Avesta 
abgefaBBt  sind,  enger  miteinander  verwandt  sind,  als  mit 
irgend  einer  anderen  Sprache  der  arischen  Familie.  Sie  sind 
in  der  That  vielmelir  Dialekte,  als  zwei  verschiedene  Sprachen. 
Wir  mflsseu  uns  auch  daran  erinnere,  dass  die  Religion  'lo- 
roastors  und  die  der  vodischcn  Itiähii  eine  gewisse  Anzahl 
ihrer  Üottheiton  miteinander  gemein  haben.  Weil  deva 
im  Vuda  der  Name  fOr  'ÜOtter ,  und  Im  Avesta  der  Käme 
für  'bOse  Oeister'  ist,  pdegte  man  anzunehmen,  dass  die  bei- 
den Iteligionen  einander  ganz  nnd  gar  feindlich  gegenUbor- 
litituden.  Das  ist  aber  nicht  der  Fall.  Der  Kume  fUr  'Otitter 
im  Veda  ist  nicht  nur  deva,  sondern  auch  asnra.  Dieser 
Name,  wenn  man  ihn  von  asu,  'Atem',  ableitet,  bedentele 
areprllnglicb :  'der  Lebendige',  'der  in  den  grollen  Natnr- 
crschoinnngen  lebt  nnd  webt",  oder,  wie  wir  sagen  vUrdui, 
'der  Ichi'ndif/e  Gott'.  Gewisse  vediache  tiotter,  namentlieb 
Varuna,  werden  auch  im  Veda  Asura  im  guten  Sinne  dot 
Wortes  genannt.  Aber  gar  bald  erhielt  das  Sanskrit  asnra 
eine  sohlechte  Bedeutung,  tum  Beispiel  im  letzten  Buche  des 
Rigvedn  und  im  Atharvaveda,  und  namentlich  iu  den  Brilb- 
maMas.  Hier  finden  wir  fortwährend  die  Asuras  im  Kampfe 
gegen  die  Devas.  'Deva'  war,  wie  Sie  wissen,  der  gemein- 
same arische  Käme  für  die  OCtter  als  die  glSnzonden  Wesen 
der  Natur.  Während  aber  'Asura'  im  Aveala  der  Name  IBr 
die  höchste  Uottbeh  wurde,  nämlich  Ahuramazda  oder  Or- 
mazd ,  begegnet  uns  d  u  va  im  Avesta  stets  im  schlechtes  J 
Sinne  als  der  Naiue  fDr  die  bösen  Uoister.  Diese  OüTasj 
(dafvas),  die  uenperslscheu  div,  sind  die  Urheber  alles| 
Sohleohten,  jeder  Unreinheit,  der  Sünde  und  des  Todes,  i 
denken  fortwährend  darau,  die  Zerstörung  der  Felder  i 
Bäume  und  der  Häuser  der  Frommen  zn  verursachen. 
Stellen,  die  sie  am  liebsten  babeu.  sind  nach  ZoniastrisehJ 
Begriffen  diejenigen,  welche  am  meisten  von  Scbmutx  i 
Unrat  erfüllt  »iud,  und  iuabesoudero  Friedhöfe,  Ställen,  welcl 


Die  Eschatologie  des  Avesta.  179 

iafblgedessen    f&r  den  wahren  Ormazd- Verehrer  Gegenstände 
des  größten  Absehens  sind.  <^ 

£3  ist  schwer,  diese  Thatsachen  zn  erklären,  allein  wir 
dürfen  nie  vergessen,  dass  zwar  einige  der  hauptsächlichsten 
Tedischen  Gottheiten,  wie  z.  B.  Indra.-'  im  Avesta  als  Dä- 
monen vorkommen,  dass  aber  andere  Devas  oder  göttliche 
Wesen  des  Veda  ihren  nrsprUnglichen  Charakter  im  Avesta 
beibeh^ten  haben,  so  z.  B.  Mithra.  der  vedische  Mitra. 
die  Sonne.  Airyaman,  der  vedische  Aryaman.  ebenfalls  ein 
Käme  der  Sonne,  eine  den  Ehen  vorstehende  Gottheit. 
Bhaga.  eine  andere  Sonnengottheit  im  Veda.  kommt  im 
Avesta  als  bagha  vor  und  ist  da  zu  einem  allgemeinen 
Namen  ftlr  'Gott*  geworden.  Dieses  Wort  muss  so  alt  wie 
deva  sein,  denn  es  kommt  in  den  slavischen  Sprachen  als 
bog,  ^Gott*.  vor.  Es  ist  auch  von  dem  Namen  Behistüu 
bekannt,  dem  Namen  des  Berges,  auf  welchem  Darius  seine 
großen  Inschriften  in  Keilschrift  einhauen  ließ.  Die  Griechen 
nennen  ihn  Bayaarura,  d.  h.  "Ort  der  Götter.  Andere 
Göttemamen.  welche  der  Avesta  mit  dem  Veda  gemein  hat. 
iind  die  avestische  Armaiti.  die  vedische  Aramati.  die 
Erde:  Xaräaamsa.  wörtlich  'der  unter  den  Männern  Be- 
rühmte' ;ein  Name  Agnis.  Püshans  und  anderer  Götter  im 
Veda^  der  avestische  Nairväsa/iha.  ein  Bote  des  Ormazd. 
Schließlich  finden  wir.  dass.  obwohl  Indra  unter  dem  Namen 
Andra  zu  einem  Dämon  geworden  ist.  eines  seiner  bekannte- 
sten vedisehen  Epitheta,  nämlich  Vritrahan.  'der  Vri'tra- 
Töter*.  im  Avesta  als  Verethraghna  vorkommt  und  hier  ein- 
fiich  'Sieger*,  'siegverleihender  Engel  bedeutet.  Sein  Name 
wird  zuletzt  Behräm.  und  einer  der  Yashts.  der  Yasht 
Behräm.  ist  an  ihn  gerichtet.  Man  hat  daher  gewöhnlich 
aBgenommen.  dass  ein  religiöses  Schisma  stattgefunden,  und 
dass    Zarathoshtra    sich    von    den    Verehrern    der    vedisehen 


1  Hang.  EsMQjfs  on  the  ParfU,  p.  26S. 

2  Aach  ^nrva  daeva.  d.  h.   S'arva.  uni  Näo/ihaithva  daeva. 
die  Nasatran. 

m 

VI* 


180 


SechBtP  Vorlesung. 


Devas  losgesagt  babe.  Es  ist  etwas  \Valir«a  daran,  aber 
obgleich  eine  Schetduag  stattgefuDÜen,  blieb  doch  immer  ein 
gemeinsamer  HiuEergrund  fUr  die  beiden  Keligionen.  Viele  der 
vedisoben  Gottheilen  wurden  beibehailen,  nur  daBs  sie  der 
Oberhoheit  des  Ahuramazda  unterwürfen  wurden.  Es  ist  die 
Idee  Eines  hScbstcu  Gottes,  des  Äbuiaarnzda ,  welche  den 
charakteristischen  unterschied  zwischen  der  avestischen  und 
der  vediächen  Religion  bildet.  Nur  schließt  Zaratbushtra'i! 
Monotheismus  nicht  den  Glanbcu  au  eine  Anzahl  von  Gott- 
heiten aus,  solange  diese  nicht  als  dem  Ahurtimuzda  eben- 
bürtig aufgefasst  werden.  In  seinem  moralischen  Charakter 
kanu  m.in  Abnraraazda  wirklieh  al^  eine  Eutwickelung  des 
vedisclieu  Varuwa  ansehen,  doch  tritt  der  moralische  Charak- 
ter dieser  Gottheit  im  Ävesla  viel  stärker  hervor. 

Die  aveatieehe  Heligiou,  wie  wir  sie  aus  ihren  oigenoi 
heiligen  BUchern  kennen,  ist  überhaupt  ein  eigeottlmliohea 
Gemisch  von  Monotheismus,  Polytheismus  und  Dnaliamitl. 
Ahuramazda  ist  ohne  Zwoifel  der  höchste  Gott,  der  SohSpfet 
und  Beherrscher  aller  Dingo,  aber  es  gibt  viele  and«»  gStt- 
liclic  Wesen,  welche  zwar  ihm  nnterworfeu  sind,  aber  doch 
als  würdig  angesehen  werden,  Anbetung  und  Verehrung 
durch  Opfer  zu  empfangen.  Wiederum  steht  dem  Ahura- 
mazda, insofern  er  den  guten  Geist,  speuta  malnyn, 
den  Geist  des  Lichtes,  darstellt,  Angra  maiuyu,  in  un- 
serer Zeit  am  besten  bekannt  als  Abriman,  der  hOse  Geist, 
der  Geist  der  Finsternis,  stets  feindlich  gegenflber.  Aber 
diese  zwei  Geister  wurden  ursprünglich  nicht  als  iwei  ge- 
trennte Wesen  aufgefasst.  In  don  alten  Gäthaa  findet  alek 
noch  keine  Spur  von  einem  persCnlichon  Kampf  xwisoken 
Orma^id  und  Ahriman.  Der  Feind,  gegen  den  Ormud 
da  kämpft,  ist  Drnkh,  die  vedische  Ürub,  'der  LUgeng^st'. 
AdcU  Uarius  iu  dou  Kciiinscbrifton  erwitlint  AhrintiiD  noch 
nicht  als  den  Üogner  des  Ormaitd. 


Die  Eschatologie  des  Avesta.  ISl 

Das  Problem  Tom  Ursprungr  des  Bösen» 

Haug  scheint  vollkommen  Recht  zn  haben,  wenn  er  be- 
hauptet, dass  Zarathnshtra.  nachdem  er  zu  der  Idee  von  der 
Einheit  nnd  Unteilbarkeit  des  höchsten  Wesens  gelangt  war, 
nachher  das  große  Problem  zu  lösen  hatte,  welches  so  viele 
weise  Männer  des  Altertums  nnd  selbst  der  Neuzeit  beschäf- 
tigt hat,  nämlich  das  Problem,  wie  sich  die  in  der  Welt 
wahrnehmbaren  Unvolikommenheiten,  die  mannigfachen  Arten 
des  Bösen,  der  Schlechtigkeit  und  der  Niedertracht  mit  der 
Gflte  und  Gerechtigkeit  des  Einen  Gottes  vereinigen  ließen. 
Er  löste  diese  Frage  philosophisch  durch  das  Zugeständnis 
zweier  Grundursachen,  welche  zwar  verschieden,  aber  doch 
vereinigt  seien,  und  welche  die  Welt  der  körperlichen  Dinge 
sowohl  als  die  Welt  des  Geistes  hervorgebracht  hätten.  Diese 
Lehre  kann  man  am  besten  im  dreißigsten  Kapitel  des  Yasna 
studieren.  Der  Eine,  der  alle  Wirklichkeit  gaya)  und  Gtlte 
hervorgebracht,  wird  da  *der  gute  Geist^  vohu  mand)  ge- 
nannt, der  Andere,  durch  den  die  Unwirklichkeit  (agyaiti) 
entstanden,  führt  den  Namen  ^der  böse  Geist'  (akem  mand). 
Alle  guten,  wahren  und  vollkommenen  Dinge,  welche  unt^r 
die  Kategorie  der  Wirklichkeit  fallen,  sind  die  Erzeugnisse 
des  'guten  Geistes',  während  alles  Schlechte  und  Trtigerische 
in  das  Gebiet  der  'Nichtwirklichkeit'  fällt  und  auf  den  'bösen 
Geist'  zurückgeftihrt  wird.  Dies  sind  die  zwei  bewegenden 
Ursachen  im  Weltall,  die  von  Anfang  an  vereinigt  sind  und 
daher  'Zwillinge'  (yemä,  Sk.  yamau'  genannt  werden.  Sie 
sind  ttberall  gegenwärtig,  sowohl  in  Ahuramazda  als  im 
Menschen.  Diese  zwei  Urprinzipien  werden,  wenn  man  sie 
sich  in  Ahnramazda  selbst  vereinigt  denkt,  spenta  mainyu, 
sein  wohlthätiger  Geist,  und  angra  mainyu,  sein  schädlicher 
Geist,  genannt.  Dass  Angra  mainyu  zu  der  Zeit  nicht  als 
ein  dem  Ahuramazda  entgegengesetztes,  besonderes  Wesen  auf- 
gefasst  wurde,  hat  Haug  aus  Yasna  XIX,  9  bewiesen,  wo 
Ahuramazda  von  diesen  beiden  Geistern  als  seiner  eigenen 
Natur  inwohnend  spricht,  obschon  er  sie  ausdrücklich  als  die 


182 


Sechste  VoriHsung, 


'beiden  Meister*  (pftyft)  und  die  beiden  Schöpfer"  beseichnete. 
Wahrend  aber  diese  beiden  schöpferischen  Oeiater  anrangB 
nnr  ala  zwei  Teile  oder  Ingredienticn  des  göttlichen  Wesen» 
anfge&sst  vurdeo,  WKrd  diese  Lehre  Zarathuahtra  s  im  Laufe 
der  Zeit  dnrch  Missverstfindnisse  nnd  falsche  Auslegungen 
verachl echter t.  Spenta  mainyu,  der  wohlthatige  Geist,  wstde 
als  ein  Name  dos  Ähuramazda  selbst  anfgefaset,  nnd  dar 
Aogra  mainyu,  indem  er  gänzlich  von  Ahuramazda  getrennl 
ward,  wnrde  dann  als  der  beständige  Gegner  des  Afantfr- 
mazda  angesehen.  Dies  ist  Hangs  Erklärung  des  OuaÜBmu 
in  den  späteren  Bestandteilen  iles  Avesta.  nnd  des  fortwik- 
renden  Kampfes  zwischen  Gott  und  dem  Teufel,  wie  vir  !hi 
zum  Beispiel  in  dem  ersten  Fargard  des  Vendidäd  sehea. 
Der  Ursprung  von  Gut  und  Böse  würde  demnach  auf  die 
Gottheit  selbst  übertragen  worden  sein,  obwohl  in  deradbtB 
das  mögliche  Böse  immer  von  dem  wirklichen  Guten  überwlt- 
tigt  wurde,  Zoroaster  hatte  offenbar  erkannt,  das»  «s  ohM 
ein  mögliches  Böses  kein  wirkliches  Gutes  geben  könne,  g^ 
rade  so  wie  es  ohne  Versuchung  keine  Tugend  geben  kam. 
Derselbe  Kampf,  der.  wie  man  annimmt,  in  der  GoUheil 
geföhrt  wird,  wird  auch  von  jedem  individuellen  Gläubiges 
gefUbrl.  .leder  Gläubige  wird  ermahut.  an  dem  Kampfe  gegen 
den  bösen  Geist  teilzunehmen,  bis  schließlich  der  endgflltigs 
Bieg  des  Gnten  dber  das  Böse  gesichert  sein  werde. 

Dies  steht  natürlich  nicht  gerade  mit  diesen  Worten  in 
Avesta,  aber  e^  folgt  aus  Stellen,  die  verschiedenen  Teilen 
des  Avesta  entnommen  sind. 

Die  Engel  nrsprllngrllch  Eigenschaften  des  Ormaiil. 

Denselben  Vorgang,  dass  gewisse  Eigenschaften  des 
göttlichen  Wesens  in  besondere  Wesen  verwandelt  werden, 
kann  man  sehr  dentlich  hei  den  Amcsha^pentas  beobachten. 
Die  Amealiaspentna  des  Avesta  sind  wfirtlich  'die  nnAtorb- 
lichen  WohllhÄter'.  Diese  waren  anfangs  offenbar  niclill 
Anderes  als  Bigenaohaften  des  göttlichen  Wesens  oder  Gaben, 


Die  Eschatologie  des  Avesta.  183 

die  Ormazd  seinen  Verehrern  verleihen  mochte ,  sie  wurden 
aber  späterhin  zu  Engeln  oder  halbgöttlichen  Wesen,  wie 
Vohu  manö  (Bahman) ,  der  gnte  Geist,  Asha  vahishta 
(Ardi  bahisht),  die  beste  Wahrheit,  Armaiti  (Spendarmad), 
Andacht  und  Frömmigkeit,  Ameretiic/  (Amardäd),  Unsterb- 
lichkeit, Hanrvatä^  (Khordäd),  Gesundheit,  Kshathra 
vairja  (Shahrivar),  überfluss  an  Erdengtttem. 

Da  in  späteren  Zeiten  diese  Engel  den  großen  Rat  des 
Ormazd  bildeten,  so  dachte  man  sich  auch  Ahriman  von 
einem  ähnlichen  Rat  der  Sechs  umgeben.  Sie  waren  Akem 
manö,  der  böse  Geist,  Indra,  Ä^aurva,  Näo/2haithya 
und  zwei  Personifikationen  der  Finsternis  und  des  Giftes. 
Auf  diese  Weise  wurde  der  ursprüngliche  Monotheismus  der 
Zoroastrischen  Religion  allmählich  durch  jenen  Dualismus 
▼erdrängt,  der  mit  Unrecht  für  den  charakteristischen  Zug 
der  alten  persischen  Religion  gilt,  und  der  viele  Ähnlichkeits- 
pnnkte  mit  dem  Glauben  an  Gott  und  seine  Engel  und  auch 
an  einen  Teufel  darbietet,  wie  wir  denselben  in  den  späteren 
Bestandteilen  des  Alten  Testaments  finden.  Von  da  ging  die- 
ser Glaube  in  das  Neue  Testament  über,  und  Vielen  gilt  er 
noch  als  ein  wesentlich  christliches  Dogma.  Ob  dieser  Glaube 
an  Gott  und  einen  Teufel  und  die  ihre  entsprechenden  Räte 
bildenden  Engel  wirklich  von  den  Juden  aus  Persien  entlehnt 
wurde,  ist  noch  eine  offene  Frage.  Wenn  man  irgend 
welche  von  den  persischen  Namen  dieser  Engel  oder  Teufel 
im  Alten  Testament  entdeckt  hätte,  so  wäre  die  Frage  so- 
fort erledigt  gewesen ;  es  gibt  aber  nur  Einen  wirklich  per- 
sischen Namen  Eines  dieser  dem  Ahriman  zugeteilten  bösen 
Geister,  der  sich  thatsächlich  in  das  Alte  Testament  einge- 
schlichen hat;  er  findet  sich  in  dem  apokryphen  Buche 
Tobit  III,  8,  nämlich  Asmodens^  der  persische  Ahhma  daeva^ 
der  Dämon  des  Ärgers  und  des  Zornes.  Dieser  Name  kann 
nur  aus  einer  persischen  Quelle  entlehnt  worden  sein  und 
beweist  daher  das  Vorhandensein  eines  wirklichen  historischen 
Verkehrs  zwischen  Juden  und  Persern  zur  Zeit,  als  das  Buch 
Tobit  geschrieben  wurde.    Wir  suchen  vergeblich  nach  irgend 


184  Sechaie  Voflosung, 

einem  aDdereu  perHisohen  Nameo  eines  guten  oder  eines  bOsen 
Geistes  in  den  echten  BDcbein  des  Alten  Testaments,'!  wenn- 
gleich ja  oline  Zweifel  zwischen  den  Engeln  und  Erzengeln 
des  Allen  Testaments  und  den  Ameshaspentas  des  Arcsta 
eine  große  Ähnlichkeit  besteht,  wie  Kohut  in  seinem  gelehr- 
ten Aufsatz  über  diesen  Gegenstand  gezeigt  hat. 

Von  all  dem,  der  ursprUnglichen  Oberhoheit  des  Ahnra- 
mazdu,  dem  späteren  Dnalismus  des  Ahur.-iroazda  nnd  Angra 
maioyn,  und  den  Ruten  dieser  zwei  feindlichen  Mächte  finilisl 
sich  im  Veda  lieine  Spnr.  Spnren  jedoch  einer  feindseligen 
Stimmnng  gegen  die  Asmas  im  allgemeinen  zeigen  sich  in 
dem  Wechsel  der  Bedentnng  dieses  Wortes  in  manchen 
Teilen  de»  Higvoda  und  des  Atharvaveda,  und  oamentlieb  ia 
den  ÜrAhmanas. 


.tsuraH  nnd  Suras, 

Ein  neuer  Wechsel  tritt  in  der  späteren  8anskrit-Litti>- 
ratnr  ein.  Hier  werden  die  Asnraa  nicht  mehr  als  gegen 
die  Devns,  sondern  als  gegen  die  Suras  kämpfend  dargestelli; 
das  heißt,  ans  reinem  Versehen  wnrde  das  'A'  van  'Asnra' 
als  ein  negatives  'a'  anfgofasst.  wfthrenJ  es  das  radikale  'a' 
von  asn.  'Atem',  ist,  nnd  ea  wurde  ein  neuer  Name  Snra 
gebildet,  der  mit  svar,  'Himmel',  zusammenzuhfiugcn  sclüen, 
nnd  dieser  Name  wurde  zur  Bezeichnung  der  Gitter  im  U«gett- 
satx  zn  den  Asuras,  den  Nichtgjfttern, '^)  verwendet.  Das  iit  di« 
Weise,  in  der  oft  Mythologie  gemacht  wird.  Alle  Kftmpfa  swi- 
schen  den  Suras  und  Asuras,  von  denen  wir  in  de>n  PnrAjtss  so 
viel  lesen,  beruhen  wirklieb  auf  einem  ilissverständnis  des  alten 
Namena  des  lebendigen  Gotte.E,  Asu-ra  nllmlich.  nicht  A-flUra. 

Wie  immer  wir  uns  die  Verwandlnng  der  vedi«ch«n 
Deras   oder  Gotler  in   die  avestischen  DaC'vas  oder  bOicn 


1)  Siehe  Jedoch  meine  Beuierknugcn  »af  8  51  S.  über  die  Be- 
nennung Ahmi  yal  >bmi. 

2)  Durch    donselbon   Prozess    «ohMnt    mun    sita,    'glünsend*, 
von  asita,  'dunkel',  gebildet  su  liaben. 


Die  Eschatologie  des  Avesta.  1S5 

Geister  erklären  mögen^  darüber  kann  kein  Zweifel  sein,  dass 
wir  es  hier  mit  einer  historischen  Thatsache  zu  thnn  haben. 
Ans  irgend  einem  Grande  müssen  sich  die  Verehrer  der 
wahren  Asnras  nnd  des  Ahnramazda  zu  einer  gewissen  Zeit 
von  den  Verehrern  der  vedischen  Devas  getrennt  haben. 
Sie  wichen  in  gewissen  Punkten  voneinander  ab^  in  anderen 
aber  stimmten  sie  überein.  Ja,  wir  besitzen  thatsächlich 
in  dem  Yasna.  einem  der  älteren  (  berreste  der  Religion  Zara- 
thnshtras.  einige  Verse,  die  sich  nur  als  eine  offizielle  For- 
mel erklären  lassen,  in  der  seine  Anhänger  ihren  Glanbcn 
an  die  Devas  abschworen.     Da  (Yasna  XII]  lesen  wir: 

Absehwornng  des  Daeva-Knltes» 

»Ich  höre  anf  ein  De va (-Verehrer)  zu  sein.  Ich  erkläre, 
dass  ich  ein  Zoroastrischer  Mazdayaznier  ein  Verehrer  des 
Ahnramazda)  bin,  ein  Feind  der  Devas  nnd  ein  Ergebener 
Ahnras,  ein  Lobpreiser  der  nnsterblichen  Wohlthäter  (Amesha- 
spentas).  Indem  ich  den  nnsterblichen  Ameshaspentas  opfere, 
schreibe  ich  alle  guten  Dinge  dem  Ahnramazda  zu.  der 
gut  ist  nnd  ^alles)  Gute  hat ,  der  gerecht ,  herrlich .  ruhm- 
reich, der  der  Urheber  aller  besten  Dinge,  des  Geistes  der 
Natur  (gäush) ,  der  Gerechtigkeit,  der  Himmelslichter  und 
des  von  selbst  scheinenden  Glanzes  ist,  der  in  den  Himmels- 
Uehtern  wohnt. 

»Ich  verlasse  die  Devas,  die  bösen,  schlechten,  ruchlosen 
Urheber  des  Unheils,  die  heillosesten,  verderblichsten  und 
niederträchtigsten  aller  Wesen.  Ich  verlasse  die  Devas  und 
diejenigen,  welche  den  Devas  gleichen,  die  Zauberer  und 
diejenigen,  welche  den  Zauberern  gleichen,  und  alle  Wesen 
der  Art,  die  es  gibt.  Ich  verlasse  sie  mit  Gedanken.  Worten 
und  Thaten,  ich  verlasse  sie  hiermit  öffentlich  und  erkläre, 
dass  alle  Lüge  nnd  Falschheit  abgeschafft  werden  soll.« 

Ich  sehe  nicht  ein,  wie  nach  diesem  irgend  Jemand 
daran  zweifeln  kann,  dass  die  Trennung  der  Anhänger  Zara- 
thnahtra'S.  der  an  Ahnramazda  Glaubenden,  von  den  Verehrern 


1 80  Sechste  Vorleaiing. 

der  vediscbeti  Devas  ein  wirkliohea  hiatorisclies  Ereignis  ge- 
wesen sei,  obschon  keineswegs  folgt,  dass  ihre  Trennung  eine 
vollständige  war.  und  daes  die  Anhänger  Zoroaeters  jeden 
(ilaubeusaatz,  den  sie  frflber  mit  den  vediscben  Afshis  gemein 
b;itten,  aufgaben, 

leb  glaube,  wir  werden  vollkommen  Recht  haben,  wenn 
wir  die  aveatiscbe  Ueligion  im  Vergleich  mit  der  alten  vodi- 
sehen  als  eine  sekundäre  Stnfo  betrachten,  nur  mttssen  wir 
uns  gegen  die  Annahme  verwahren,  dass  der  Avesta  nicht 
eine  Anzahl  von  Ideen  und  religitisen  Pberlioferungen  be- 
wahrt haben  könne,  die  sogar  Alter  und  einfacher  sind,  als 
das,  was  vir  im  Veda  finden.  Die  vedischen  Dichter  und 
namentlich  die  vedischen  Philosophen  sind  sicherlich  weit 
Über  das  Niveau  hinaus  vorgerllokt,  das  erreicht  worden  war, 
ehe  die  Zoroastrier  sich  von  ihnen  lossagteu,  aber  die  Zo- 
roastrior  können  Vieles  bewahrt  haben,  das  alt  nnd  einfach 
ist  nnd  aus  einer  Zeit  vor  ihrer  Trennung  stammt.  Vieles, 
das  wir  im  Veda  vergebens  suchen. 

ün Sterblichkeit  der  Seele  Im  Avesta. 

Das  ist  wohl  sicherlich  der  Füll,  wenn  wir  die  pcrsisohen 
Angaben  nber  die  Unsterblichkeit  der  Seele  und  ihre  Wut- 
derungen  nach  dem  Tode  mit  denen  vergleichen,  die  wir 
früher  in  den  Upaniahaden  nnterancht  haben.  Die  Idee,  dua 
Erkenntnis  oder  Glanbe  besser  sei.  als  gate  Werke,  nnd  dass 
den  Denker  eine  hitfaere  Unsterblichkeit  erwarte ,  all  den 
Thner.  eine  Idee,  mit  der  die  Verfasser  der  Upanishaden 
so  vertraut  sind,  ist  dem  Avesta  ganz  fremd.  Die  aveatiocho 
Religion  ist  vor  allen  Dingen  eino  ethische  I^ligion.  Sie  wlU 
die  Menschen  gut  machon.  Sie  verspricht  Belofauungeu  t))r 
die  Guten  und  Strafen  für  die  BCsen  in  diesem  Leben  nnd 
im  ktlnttigen.  Sie  steht  in  dieser  Beziehung  vielmehr  auf 
dem  alten  Standpunkt  der  vedischen  Hymnen ,  als  auf  dem 
der  Upanishaden.  In  den  Hymnen  wurde  dem  Abgeschie- 
denen, wie  wir  sahen,  einfach  gesagt,  er  solle  auf  dem  gnten 


Die  Eschatologie  des  Avesta.  1S7 

Pfade  fortlaufen,  an  den  beiden  vierängigen.  grauen  Hunden, 
der  Brut  der  Saramä,  vorbei,  und  dann  zu  den  weisen  Pit;*is 
oder  Vätern  hingehen,  die  sich  mit  Yama  froh  vereint  er- 
götzen. Oder  es  wird  dem  Abgeschiedenen  gesagt,  er  solle 
auf  jenen  alten  Pfaden  hingehen,  auf  denen  seine  Väter  heim- 
gegangen, und  die  beiden  Könige.  Yama  und  Gott  Vanma. 
treffen,  die  sich  an  Opferspenden  Sradhä)  ergötzen.  Da 
wird  nichts  erwähnt  von  dem  Rauche,  der  ihn  gen  Himmel 
trage,  noch  von  der  Sonne,  die  nach  Süden  oder  nach  Nor- 
den ziehe,  nichts  davon,  dass  der  Abgeschiedene  emporsteige, 
bis  er  den  Mond  oder  die  Stätte  der  Blitze  erreiche.  Das 
Ziel  der  Wanderung  des  Abgeschiedenen  ist  einfach  die  Stätte, 
wo  er  die  Väter  treffen  wird,  diejenigen,  welche  sich  durch 
Frömmigkeit  oder  Bußübungen  herrorgethan.  oder  diejenigen, 
welche  in  der  Schlacht  gefallen,  oder  diejenigen,  welche  im 
Leben  mit  ihren  Schätzen  freigebig  gewesen. 

Die  PftHs  oder  Titer  nach  der  Auffassung  der  vedlschen 

Bjmnen» 

Das  ist  Alles  viel  menschlicher,  als  die  in  den  Upa- 
nishaden  gegebene  Darstellung.  Und  wenn  wir  im  Rigveda 
die  an  die  Pitrts  oder  die  drei  Generationen  von  Ahnen  ge- 
lichteten Anrufungen  lesen,  so  finden  wir  auch  dort  wieder 
eine  viel  kindlichere  Auffassung  ihrer  Wohnstätte,  als  das. 
was  uns  in  den  Upanishaden  geboten  wird.  Zuweilen  denkt 
man  sich  die  Urgroßväter  im  Himmel,  die  Großväter  in  der  Luft 
and  die  Väter  noch  irgendwo  auf  der  Erde,  aber  alle  zusam- 
men werden  eingeladen,  die  Spenden  entgegenzunehmen,  die 
ihnen  bei  den  «S'räddhas  dargebracht  werden,  ja  man  glaubt. 
dass  sie  die  ihnen  vorgesetzten  Speisen  verzehrten.  So  heißt 
es  Rigveda  X.   15: 

1.  Mögen  die  Soma- liebenden  Väter.',  die  niedrigsten. 
die   höchsten   und   die   mittleren,   sich  erheben!     Mögen  die 


1    Die  Väter,  welche  den  Mond  erreicht  haben. 


18S 


Sechs to  VurlPBUug. 


milden    and    ^rechten    Vfiter,    welche     wieder)    zuio    Loben 
zurück  gell  ehrt  sind,  uns  in  diesen  Anrufungen  beschflticn! 

2.  Diese  Be^ößnog  sei  hente  für  die  Vster,  fitr  die- 
jenigen, welche  früher  oder  später  dahingegangen  sind;  ob 
sie  nun  im  Luftraum  aber  der  Erde  wohnen,  oder  bei  dem 
seligen  Volke! 

3.  Ich  habe  die  weisen  Vater  eingeladen  ....  mögen 
sie  rasch  hierher  kommen  nnd,  auf  dem  Grase  sitzend,  be- 
reitwillig von  dem  ansgegoasenen  Tranke  genießen! 

4.  Kommt  hierher  zu  uns  mit  eurer  Hilfe,  ihr  auf  dem 
Grase  sitzenden  Väter!  Wir  haben  diese  Trankopfer  für  unoh 
bereitet,  nehmt  sie  entgegen!  Kommt  hierher  mit  eorem 
heilsamsten  Schutze,  nnd  gebt  uns  unfehlbar  Gesundbeit  nud 
Reichtum! 

5.  Die  Soma'Iiebenden  Väter  sind  hierher  gerufen  worden 
zu  ihren  lieben  Speisen,  die  auf  das  Gras  gelegt  wurden. 
Mögen  sie  herannahen,  mögen  sie  uns  anhQren,  nns  segnen 
and  ons  beschützen ! 

6.  Das  Knie  beugend  und  zu  meiner  Bechtcn  sitzend, 
nehmt  Alle  dieses  Opfer  au,  Verletzet  nns  nicht,  o  Vtter. 
am  irgend  eines  Unreehta  willen,  das  wir  gegen  euch  began- 
gen haben  mftgen,  die  wir  doch  nur  Menschen  sindl 

7.  Wenn  ibr  euch  in  den  Schoß  der  roten  Dämni orangen 
setzet,  Bo  gewähret  den  freigebigen  Sterblichen  Roichtam! 
O  Vfiter.  gebt  den  Söhnen  dieses  Mannes  hier  von  eor«m 
Schatze,  und  verleihet  uns  hier  Kraft! 

S,  M«go  Yama,  als  ein  Freund  mit  Freunden,  die  Spen- 
den verzehren  nach  seinem  Wunsche,  vereint  mit  ansenn 
Vatem ,  jenen  alten  Boma-liobenden,  den  Vaaish/Äas,  wcleh« 
den  Somatranb  bereitet  haben! 

9.  Komm  hierher,  o  Agni,  mit  jenen  weisen  and  waiir> 
haftigen  Vatem.  welche  so  gerne  beim  Herde  sitzen,  welcbo 
dursteten  in  ihrer  Sehnsucht  nach  den  Ußtlem,  welch«  Um 
Opfer  kannten,  nnd  welche  stark  waren  in  der  Lobpr«)aang 
mit  ihren  Liedern! 

10.  Komm,  o  Agni,   mit  jenen   alten  Vätern,  welch*  ao 


Die  Eschatologie  des  Avesta.  1S9 

gerne  beim  Herde  sitzen,  welche  immerdar  die  Götter  prei- 
sen nnd  wahrhaftig  sind,  welche  unsere  Spenden  essen,  un- 
sere Spenden  trinken  nnd  mit  Indra  und  den  Göttern  Umgang 
pflegen ! 

ILO  Väter,  ihr.  die  ihr  von  Agni  verzehrt  worden 
seid,  kommt  hierher,  setzt  euch  nieder  auf  euren  Sitzen,  ihr 
freundlichen  Führer!  Esst  von  den  Spenden,  die  wir  auf  das 
Gras  gelegt  haben,  und  dann  verleihet  uns  Reichtum  und 
starke  Nachkommenschaft! 

12.  0  Agni.  6'ätavedas.  auf  unsere  Bitten  hast  du  die 
Opferspenden  weggeführt,  nachdem  du  sie  zuerst  angenehm 
gemacht.  Du  gabst  sie  den  Vätern,  und  sie  verzehrten 
ihren  Anteil.    Iss  auch  du.  o  Gott,  die  dargereichten  Spenden ! 

13.  Die  Väter,  die  hier  sind,  und  die  Väter,  die  nicht  hier 
sind,  diejenigen,  welche  wir  kennen,  und  diejenigen,  welche  wir 
nicht  kennen,  du.  o  6'ätavedas.  weißt,  wie  viele  deren  sind. 
nimm  das  wohlbereitete  Opfer  mit  den  Opferteilen  entgegen! 

14.  Denen,  welche  sich,  ob  sie  nun  vom  Feuer  ver- 
brannt oder  nicht  vom  Feuer  verbrannt  sind,  mitten  im  Him- 
mel an  ihrem  Anteil  erfreuen,  gewähre  du.  o  König,  dass 
ihr  Körper  jenes  Leben  annehme,  welches  sie  sich  wünschen ! 

Im  Vergleich  zu  diesen  Hymnen  stellen  die  Upanishaden 
eine  entschieden  spätere  Entwickelung  und  Verfeinerung  dar ; 
sie  stellen  eben  die  gekünstelteren  Anschauungen  spekulativer 
Theologen  dar.  und  nicht  mehr  die  schlichten  Einbildungen 
tranemder  Leidtragender. 

Wenn  wir  nun  wieder  zu  unserer  Untersuchung  der 
Vorstellungen  zurückkehren,  welche  die  Anhänger  Zoroasters 
seh  über  das  Geschick  der  Seele  nach  dem  Tode  und  ihre 
Annäherung  an  Gott  gebildet  hatten,  so  werden  wir  finden. 
dasa  auch  sie  einen  viel  einfacheren  Glauben  darstellen,  ob- 
schon  es  einige  Punkte  gibt,  in  welchen  sie  offenbar  vou  den 
Upanishaden  abhängig  oder  mit  denselben  enge  verwandt  sind, 
wir  mflssten  denn  annehmen,  dass  sowohl  die  Zoroastrier  als 
aacb  die  Verfasser  der  Upanishadeu  unabhängig  voneinander 
zu  denselben  Ideen  gelangten. 


SeuliBle  Vorlesung. 


Duü  Si'hicksul  der  ludiTldnclItin  Suole  bei  der  allgemd 
ADrersteliuii^. 

Wir  lesen  im  Vendidäd  SIX,  27;') 

idobCpfer  der  mit  GeBcli5pfeti  veraahenon  Ansiedt 
Uerechter!  Was  geschieht,  wenn  ein  Mensch  in  der  Welt  des 
Daseins  seine  Seele  aufgibt? 

'Da  sagte  ÄbnramaKila:  Nachdem  ein  Mann  tot  ist,  wenn 
seine  Zeit  vorllber,  so  fallen  die  hQUischen  nnlioilatiftenden 
Daevas  über  ihn  her,  nnd  venn  die  dritte  Nacht^;  vorbei- 
gegangen, wenn  die  Morgrenrüte  erscheint  und  anflencbtct  und 
Mithra,  den  Gott  mit  den  schönen  Waffen,  die  allglQck lieben 
Berge  erreichen  lAsst,  und  die  Sonne  aufgeht  — 

■  Dann  schleppt  der  ßfise,  Vizaresha  genannt,  die  See- 
len der  ruchlosen  Daö va- Verehrer ,  die  in  Sundu  leben,  in 
Banden  hinweg.  Die  Seele  betritt  den  von  der  Zeit  gt- 
machten  Weg,  der  sowohl  den  BOsen  als  den  Tugendhaften 
olTon  steht,  l'nd  um  Kopf  dei'  /i'invat-Brflcko.  der  lieiligen 
von  Mazda  gemachten  BrQcke,  verlangen  sie  fttr  ihre  Geiiter 
nnd  Seelen  den  Lohn  fQr  die  weltlichen  Güter,  dl«  aie  Wer 
unten  vorschenkt.' 

Diese  /i'invat- BrQcke,  von  der  ich  in  einer  fVflheren 
Vorlesung  sprach,  ist  schon  in  den  GAthas  (XLVi,  12^  be- 
kannt, nnd  sie  wird  dort  'die  Qrttcke  des  Gerichtes'  (p.  133],^) 
oder  auch  'die  Brücke  der  Erde'  (p.  183}  genannt.  Ad  Einer 
Stelle  Ip.  173)  lesen  wir  vou  den  Brücken,  gerade  so  wie 
wir  in  den  Upanishaden  von  zwei  Wegen  lesen,  von  dNieo 
der  Eine  za  den  Vätern,  der  Andere  zn  den  OOttem  Rihrl. 
ßs  kann  daher  kaitm  einem  Zweifel  unterliegen,  daaa  diese 
Brücke  des  Avesla  denselben  Ursprung  hat,  wie  die  Brflcke 
in  den  Upanishaden.  Wir  lesen  in  deriLVilnd.  l'p.  Vlll,  4,  3: 

ll  S.  S.  i'.,  vo!.  IV,  p.  212. 

3)  Dies  zeigt,  dass  AnferBiehun«  nncli  der  driltrn  Nacht  odot 
aiu  vierten  Tage  der  anerkanute  Glaube  in  I'ergieu  war;  nicht  an 
dritten  Tage,  wie  bei  den  Jaden. 

31  S.  H.  £.,  vül,  XXX!. 


Die  Escbatologie  des  Avesta.  191 

»Tag  nnd  Nacht  gehen  nicht  über  diese  Brücke,  noch  Alter, 
Tod  nnd  Knmmer,  weder  gute  noch  böse  Thaten ;  alle  übelthäter 
wenden  sich  von  ihr  hinweg,  denn  die  Welt  Brahmans  ist  frei 
von  allem  Übel.  Damm  hört  derjenige,  welcher  diese  Brücke 
aberschritten  hat,  anf  blind  zn  sein,  wenn  er  blind  ist;  wenn 
er  verwundet  ist,  hört  er  auf  verwandet  zu  sein;  wenn  er 
bekümmert  ist,  hört  er  aaf  bekümmert  zu  sein.  Darum  wird 
ja  au(  h,  wenn  man  diese  Brücke  überschritten  hat,  die  Nacht 
zum  Tage.«  Allerdings  wird  hier  diese  Brücke  schon  in 
einem  mehr  metaphysischen  Sinne  anfgefasst  und  mit  dem 
Atman,  dem  Selbst,  identifiziert;  was  vom  Standpunkt  der 
Vedänta-Philosophie  als  die  einzig  wahre  Brücke  zwischen 
dem  (menschlichen)  Selbst  und  dem  (höchsten;  Selbst  bezeich- 
net wird;  doch  ist  die  ursprüngliche  Idee  einer  Brücke, 
welche  diese  und  die  andere  Welt  trennt  (vidhn'ti]  und  zu 
gleicher  Zeit  verbindet,  welche  Übelthäter  zu  überschreiten 
fürchten,  und  auf  der  Alles,  was  vom  Bösen  ist,  zurück- 
gelassen wird,  deutlich  vorhanden.  Da  der  Kommentar  er- 
klärt, dass  diese  Brücke  aus  Erde  gemacht  sei,  und  da  sie 
auch  im  Avesta  ^die  Brücke  von  Erde'  genannt  wird,  so 
müssen  wir  annehmen,  dass  sie  ursprünglich  als  ein  Erddamm, 
ein  Fußsteig  [pons)  über  einen  Fluss  [Khänd.  Up.  VIII, 
4,  l  Anm.),  und  nicht  als  eine  Hängebrücke  über  einen 
Abgrund  anfgefasst  wurde. 

Belohnungen  und  Strafen  nach  dem  Tode. 

Ich  will  Ihnen  nun  einen  anderen  und  ausführlicheren 
Bericht  vorlesen,  der  Ihnen  zeigen  soll,  was  die  Zoroastrier 
über  jene  Brücke  und  über  das  Schicksal  der  Seele  nach  dem 
Tode,  und  namentlich  über  Belohnungen  nnd  Strafen  zu 
sagen  haben.  Dieser  Bericht  ist  dem  Hildhokht  Nask  ^)  ent- 
nommen: 

1.  Zarathushtra    fragte    den    Ahuramazda:     >0    Ahura- 


I]  Vgl.  Hang,  p.  220;  Darmesteter,  II,  314. 


192  Seuhaii;  Vnrlosiing- 

rauzda,  hCchst  woblthätlgcr  Gcisl,  SchGpror  der  kCrpei 
Welt,  du  Heiliger! 

»Wenn  Einer  der  Gläubigen  aus  diosem  Lelien  aebeldet, 
wo  weilt  seine  Seele  in  jener  Nacht?« 

2.  Ahnramazda  antwortete:  >Sie  nimmt  ihren  Sitz  in 
der  Kithe  dea  Uaiiptes  ein ,  (den  Ustavaiti  Gfltha)  singend 
und  QlQck  vorktlndend:  'Glücklich  ist  er,  glücklich  der  Mann, 
wer  immer  er  aei,  dem  Aliuramnr.da  die  volle  EifUlInng  sei- 
ner Wtlnscho  gewährt!'  In  dieser  Nacht  verkostet  seine  Seele 
ao  viel  Freude ,  aU  die  ganno  lebendige  Welt  verkosten 
kann. ' 

3.  »In  der  zweiten  Nacht,  wo  weilt  seine  Seele  dann?' 

4.  Ahnramazda  antwortete:  >Sie  nimmt  ihren  Sitz  m 
dir  Nähe  des  Uuuptcs  ein,  (dun  U«tavaiti Oätlia)  aingend  und 
('liick  verkOndcnd;  'GlDiiklich  ist  er,  glücklich  der  Haan, 
wer  immer  er  aei,  dem  Ahurnmazda  die  volle  ErfOllung  sei- 
ner Wünsche  gewährt!'  In  dieser  Naeht  verkostet  seine  Seele 
so  viel  Freude,  als  die  ganze  lebendige  Welt  verkosten 
kann.' 

5.  »In  der  dritten  Nacht,  wo  weilt  seine  Seele   dann?< 
li.  ALaramazda   antwortete:     »Sic   nimmt  ihren  Sitz  in 

der  Nithe  des  Hauptes  ein,  (den  Uslavaiti  Ofttha)  singeDd  nad 
Gluck  verkündend:  'GlQcklich  ist  or,  glücklich  der  Mann, 
wer  immer  er  sei,  dem  Ahnramazda  die  volle  ErfQllnng  a^ 
ner  Wünsche  gewährt.'  In  dieser  Nacht  verkostet  süne 
Seele  so  viel  Freude,  als  die  ganze  lebendige  Welt  verkoiten 
kann.* 

7.  Am  Ende  der  dritlen  Naoht,  wenu  die  Morgenröte 
erscheint,  kommt  es  der  Seele  des  Glauhigon  vor,  als  ob  sie 
mitten  unter  Pllauzeu  und  Wohlgerüche  gebracht  würde;  es 
kommt  ihr  vor,  als  ob  ein  Wind  ans  der  Gegend  des  Südani 
wehte,  aiia  deu  Gegenden  des  Südens,  ein  süß  duftender  Wind, 
stLßei'  duftend,  als  irgend  ein  anderer  Wiud  in  der  Well. 

S.  Cnd  es  kommt  der  Seele  des  Gläubigen  vor,  als  alOB 
er  Jenen  Wind    mit    der  Nase  ein,    und   er   denkt:     'Woher 


Die  Eschatologie  des  Avesta.  193 

weht  dieser  Wind,    der   süßest  duftende,  den  ich  je  mit  der 
Nase  eingeatmet?' 

9.  Und  es  kommt  ihm  vor,  als  schreite  in  diesem  Winde 
sein  eigenes  Gewissen  anf  ihn  zn,  in  Gestalt  einer  schönen 
Jungfrau,  glänzend,  weißarmig,  stark,  groß  an  Gestalt,  hoch 
aufgerichtet,  yollhrfisüg,  schön  an  Körper,  edel,  von  glor- 
reichem Namen,  von  der  Größe  einer  Jungfrau  in  ihrem 
fünfzehnten  Jahre,  so  schön  wie  das  Schönste  in  der  Welt. 

10.  Und  die  Seele  des  Gläubigen  redete  sie  an  mit  der 
Frage:  >Was  für  eine  Jungfrau  bist  du,  du,  die  du  die 
schönste  Jungfrau  bist,  die  ich  je  gesehen?« 

11.  Und  sie,  die  sein  eigenes  Gewissen  ist,  antwortet 
ihm:  >0  du  Jüngling  von  guten.  Gedanken,  gut^n  Worten 
und  guten  Thaten,  von  guter  Religion,  ich  bin  dein  eige- 
nes Gewissen! 

»Jedermann  liebte  dich  um  jener  Größe,  Güte  und  Schön- 
heit, um  des  süßen  Duftes,  der  siegreichen  Kraft  und  der 
Kummerlosigkeit  willen,  in  der  du  mir  erscheinst; 

12.  »Und  so  liebtest  du,  o  Jüngling  von  guten  Gedanken, 
guten  Worten  und  guten  Thaten,  von  guter  Religion,  mich 
um  jener  Größe,  Güte  und  Schönheit,  um  des  süßen  Duftes, 
der  siegreichen  Kraft  und  der  Kummerlosigkeit  willen,  in  der 
ich  dir  erscheine. 

13.  »Wenn  du  etwa  einen  Mann  Spott  und  Götzendienst 
treiben  oder  (die  Armen]  zurückweisen  und  sein  Thor  ver- 
schließen sähest,  dann  pflegtest  du  dazusitzen,  die  Gathas 
singend  und  die  guten  Wasser  und  Atar,  den  Sohn  des 
Ahuramazda,  verehrend,  und  die  Gläubigen,  die  von  Nah 
und  Fem  herbeizukommen  pflegten,  zu  erfreuen. 

14.  »Ich  war  lieblich,  und  du  machtest  mich  noch  lieb- 
licher; ich  war  schön,  und  du  machtest  mich  noch  schöner; 
ich  war  begehrenswert,  und  du  machtest  mich  noch  begeh- 
renswerter; ich  saß  an  einem  vorderen  Platze,  und  du  mach- 
test, dass  ich  am  vordersten  Platze  saß,  durch  diesen  deinen 
guten  Gedanken,  durch  diese  deine  gute  Rede,  durch  diese 
deine  gute  That;    und  so  verehren   mich   die  Menschen  von 

Xftz  M All  er,  Theotophie.  13 


191 


SerliBte  Vorlesung. 


nnn  an  darnm,  weil  icti  lange  Zeit  dem  AhurnrnHEda  geopfert 
und  mich  mit  ihm  nnterredet  habe. 

15.  'Der  erste  Schritt,  deu  die  Seele  des  Glänbigen 
machte,  versetzte  ihn  in  dus   Gute-Omiankett-Paradies. 

■  Der  zweite  Schritt,  den  die  Seele  des  GISobigeD  machte. 
veräelzl«  ihn  in  das  Gut.f-tf 'orte- Paradies. 

'Der  dritte  Schritt,  deu  die  Seele  des  Olftnbi^en  machte, 
versetzte  ihn  in  das   Gtäe-T/ialeri-Paradies. 

>Der  vierte  Schritt,  den  die  Seele  des  Olftobi^en  machte, 
versetzte  ihn  in  die  endloten  Ltchler.' 

16.  Dann  fragte  ihn  einer  der  Gl&abigen,  der  vor  ihm 
dahingegangen  war,  indem  er  sprach:  •  IVie  schiedeat  du 
ans  diesem  Leben,  du  heiliger  Mann?  Wie  kämest  dn,  du 
heiliger  Mann,  ans  den  WohnatHtten,  voll  -von  Vieh  and  voll 
von  den  Wünschen  und  GenüBsen  der  Liebe  ?  Von  der  kftr- 
perliehen  Welt  in  die  Welt  des  Geistes?  Von  der  vorgÄng- 
liohen  Welt  in  die  unvergängliche?  Wie  lange  danerte  dein 
Glftek?. 

IT.  Und  Ahuramazda  antwortete;  >Frage  ihn  nicht,  wa« 
du  ihn  fragst,  ihn,  der  eben  den  traurigen  Weg  voll  Angst 
und  Knmmer  gegangen,  wo  der  KOrper  und  die  Seele  von- 
einander scheiden. 

1'^.  >[Lasä  ihn  esseni  von  der  ihm  gebrachten  Speise, 
von  dem  Zaremaya-Öt:  das  ist  die  Speise  ftlr  den  Jfingling 
von  guten  Gedanken,  von  guten  Worten,  von  guten  Thaten, 
von  guter  Religion,  nachdem  er  aus  diesem  Leben  geRofale- 
den;  das  ist  die  Speise  fQr  die  heilige  Frau,  reich  au  gnten 
Gedanken,  guten  Worten  und  guten  Thaten,  wohlgesittet  and 
ihrem  Gatten  gehorsam,  nachdem  sie  aus  diesem  Leben  ge- 
schieden. • 

Das  Schicksal  der  Seele  des  BSsen  ist  genau  das  Gegen- 
teil von  dem ,  was  der  Seele  des  Tugendhaften  wldarfthrl- 
Während  dreier  Kftcbte  aitzl  sie  in  der  Nähe  des  Haup- 
tes und  duldet  soviel  Qual,  als  die  ganze  lebendige  Welt 
verkosten  kann.  Am  Ende  der  dritten  Nacht,  vonn  die 
Moi'genrOtc  erscheint,   kommt  es   ihr  vor,   ala  ob  sie  mitten 


Die  EBchatologie  des  Avesta.  195 

nnter  Schnee  nnd  Gestank  gebracht  würde,  nnd  als  ob  ein 
Wind  ans  dem  Norden  wehte,  der  übelriechendste  von  allen 
Winden  in  der  Welt.  Die  böse  Seele  mnss  diesen  Wind  ein- 
atmen nnd  dann  dnrch  die  Böse-Gedanlen-Hölle,  die  Böse- 
Worte-Hölle  und  die  Böse-ThcUen-HöUe  hindnrchschreiten. 
Der  vierte  Schritt  versetzt  die  Seele  in  endlose  Finsternis. 
Dann  mnss  sie  Speise  von  Gift  und  giftigem  Gestank  essen, 
ob  es  nun  die  Seele  eines  schlechten  Mannes  oder  einer 
schlechten  Frau  gewesen. 

Sie  werden  bemerkt  haben,  wie  viel  wirkliche  Wahrheit 
unter  all  der  allegorischen  Sprache  des  Avesta  verborgen 
liegt.  Die  Sprache  ist  allegorisch,  aber  wer  immer  sich  dieser 
Sprache  bediente,  musste  von  der  ihr  zu  Grunde  liegenden 
Wahrheit  überzeugt  sein,  nämlich  dass  die  Seele  des  Tugend- 
haften im  nächsten  Leben  durch  seine  eigenen  guten  Gedan- 
ken, seine  eigenen  guten  Worte  und  seine  eigenen  guten 
Thaten  belohnt  werden  werde.  Die  Idee,  dass  diese  guten 
Gedanken,  Worte  und  Thaten  ihm  in  der  Gestalt  einer  schönen 
Jungfrau  entgegenkommen,  die  er  zuerst  nicht  kennt,  bis  sie 
ihm  sagt,  wer  sie  sei,  ist  dem  Avesta  eigentümlich,  obschon 
einige  schwache  Andeutungen  derselben  sich  wiederum  in 
den  Upanishaden  nachweisen  lassen. 

Oote  Werke  in  der  Gestalt  einer  schonen  Jungfrau. 

Wir  lesen  nämlich  in  der  Kaushitaki-Upanishad,  I,  3, 
dass  der  Abgeschiedene,  wenn  er  sich  der  Halle  Brahmans 
nähert,  von  schönen  Jungfrauen,  Apsaras  genannt,  empfangen 
wird.  Was  wir  aber  in  den  Upanishaden  vergebens  suchen, 
das  ist  der  ethische  Charakter,  der  den  ganzen  Avesta  durch- 
zieht. Es  sind  gute  Gedanken,  Worte  uud  Thaten,  die  in 
der  nächsten  Welt  belohnt  werden,  nicht  Erkenntnis,  die.  wie 
wir  sahen,  nach  der  Lehre  der  Upanishaden  den  höchsten 
Lohn  davonträgt.  Auch  die  süßen  Dflfte,  welche  den  Ab- 
geschiedenen in  der  nächsten  Welt  begrüßen,  sind  ein  Punkt, 
den  die  Upanishaden  mit  dem  Avesta  gemein  haben. 

13» 


SecliBt«  VorloBiint. 


I 


ElndiiHB  anf  den  MnhnmincilniiEsinnii. 

Es  wäre  intereasant,  anslinilig  zu  machen,  ob  diese  s)l»> 
gorische  Anffassnng  der  BelotiDUDgen  derMenschen  im  Para- 
diese den  Geist  UoLamineda  beeinfliisst  habe,  wenn  er  seinen 
Kriegern  vorsprach,  dass  sie  dort  von  schönen  Jangfranen 
empfangen  worden  würden,  Wohl  wäre  dies  eine  merkwür- 
dig verkehrte  Änwendnn^:  einer  erhabenen  Idee.  Richtig  ist 
ea  ja,  dass  seibat  im  Avesta  die  Schönheit  der  Jnngfrau. 
welche  die  Tromme  Seele  empfängt,  in  — -  wio  wir  es  nennen 
wtirden  —  warmen,  sinnlichen  Karben  ausgemalt  wird;  ob- 
Kwar  die  Scbilderong  derselben  hier  nichts  enthält,  was  nach 
orien tauschen  Begriffen  anstößig  erscheinen  würde.  Solche 
Äudernngen  sind  anch  in  der  Geschichte  anderer  Religionen 
vorgekommen.  Die  wahrscheinlichste  historische  Vprmittelang 
zwischen  Mohammed  nnd  dem  Ävesla  wllrde  wieder  dieselbe 
sein,  wie  die,  durch  welche  die  Idee  der  Brticke  Es  Sirät  sd 
Mohammed  gelangte,  nämlich  die  dnroh  seine  jüdischen  Prenndo 
nnd  Lehret. 

Allerdings  findet  sich  keine  SpQr  von  einem  Glauben  an 
llouris  bei  iIod  Juden,  aber  Kohut  hat  vor  Jahren  in  der 
Zrilschriß  der  Deutschen  Morge?il.  (jetelUdiaß ,  XXI, 
p.  5Gli,  darauf  hingewiesen,  dass  die  Rabbint-n  glanbten  nnd 
lehrten,  dass  alle  Tbaten  eines  Menschen,  wenn  er  sieb  dem 
Tode  nähert,  vor  seiner  Seele  erscheinen,  und  dass  seine 
guten  Werke  ihn  zu  dem  Richterstühle  Gottes  zu  fnhrcn  ver- 
sprechen. Sie  meinen,  dass  die  Seelen  der  Frommen  nicht 
sofort  in  das  Paradies  Einlass  finden,  sondern  dass  sie  mertl 
Rechenschaft  ablegen  und  für  Mängel,  die  ihnen  noch  an- 
haften, Strafen  erleiden  müssen.  »Diese  Strafe  diinerl  iwölf 
Monate,  bis  zu  welcher  Zeit  der  Körper  dem  gänzlichen 
Verwesungsprozess  anheimgefalIeD  ist,  alsdann  die  Seele  is 
den  Himmel  filhrt  nnd  nicht  mehr  beraiukümmt  'Der  Kör- 
per', spricht  Gott,  'ist  aus  der  Erde  genommen,  nicht  vom 
Himmel,  aber  du.  o  Seele,  bist  Bürgerin  des  Himmels,  lc«nDst 
dessen  Gesetze,  du  allein  sollst  Rechenschaft  ablegen'.«    Diot 


Die  Eflchatoli^e  des  Avests.  197 

zeigt  ohne  Zweifel  deutliche  Sparen  peraischen  Einflasses.  zu 
gleicher  Zeit  aber  eine  unabhängige  Behandlung  persischer 
Ideen,  wie  wir  sie  zuerst  im  Avesta  finden.  Jedenfalls  wa- 
ren diese  Rabbinen  fiber  die  Ideen,  die  sich  im  Alten  Testa- 
ment  Aber  das  Schicksal  der  Seele  nach  dem  Tode  finden, 
weit  hinausgegangen. 

Kohut  citiert  noch  eine  andere  merkwürdige  Stelle  aus 
dem  Talmud  (S^nhedr.  91b,  Midrasch.  Genes.  Rabba  169}, 
f)lr  die  ich  jedoch  keine  Parallele  im  Avesta  kenne.  Hier 
heißt  es.  dass  zur  Zeit  der  Auferstehung  die  Seele  sich 
rechtfertigen  und  sagen  wird:  »Der  Körper  ist  allein  schuldig, 
er  allein  hat  sich  vergangen.  Kaum  hatte  ich  ihn  verlassen. 
so  flog  ich.  rein  wie  ein  Vogel,  durch  die  Luft.«  Der  Kör- 
per aber  wird  sagen:  >Die  Seele  allein  war  der  schuldige 
Teil,  sie  hat  mich  zur  Sfinde  getrieben.  Kaum  entfernte  sie 
sich  Yon  mir,  lag  ich  unbeweglich  auf  dem  Boden  und  ver- 
schuldete weiter  nichts.«  Da  legt  Gott  die  Seele  von  Neuem 
in  den  Körper  und  sagt:  > Sehet,  wie  ihr  gestlndigt  habt, 
jetzt  gebet  beide  Rechenschaft.« 

Amszig  aus  dem  MinokUred  Ober  das  Wägen  der  Toten. 


In  dem  Minokhired  finden  wir  einen  noch  ausffihrlicheren 
Bericht  von  der  Wanderung  der  Seele  fiber  die  Brficke,  als 
im  Avesta.     Da  lesen  wir,  II,   100:^} 

»Du  solltest  nicht  anmaßend  werden  durch  das  Leben, 
denn  schließlich  ereilt  dich  der  Tod.  der  Hund,  der  Vogel, 
sie  zerfleischen  den  Leichnam,  und  der  vergängliche  Teil  (sa,^i- 
nako)  ftllt  auf  die  Erde.  Während  dreier  Tage  und  ^chte 
sitzt  die  Seele  am  Scheitel  des  Hauptes  des  Körpers.  Und 
am  vierten  Tage,  im  Lichte  der  Morgenröte,  geht  sie  (unter 
der  Mitwirkung  von  Srösh  dem  Gerechten,  Vai  dem  Guten 
nsd  Vihräm   dem    Starken,    und   unter   der  Anfechtung   des 


1.  Siehe  auch  F.  Spiegel,  Einleitung  in  die  traditionellen  Schrif- 
ten der  Tonen  'Wien-Leipzig  1860),  11,  13>  ff.        Anm,  des  Übers, 


198  SechBto  Vurlesang. 

AstövtdiW,  des  Vfti  des  Bösen,  der  Dftmonen  FrazIshU  und 
Nixi«t6 ,  iinil  des  Böses  planenden  Aeshm,  des  Obelthaters, 
des  angestümen  Angreifers,  hinauf  zur  sclireckllrben  /ilndvai- 
Bi'Dcke  (Alnvat  ist  bier  zu  /Hndvar  verderbt),  zu  der  Jeder, 
der  Tugendhafte  wie  der  BOse,  liommt.  Und  <J  viele  Au* 
fecLter  haben  dort  gelauert,  mit  dem  Verlangen  nach  dem 
Cbel  von  Aeäbm,  dem  ungestttmen  Angreifer,  und  AstövtdiU/, 
der  Geschöpfe  jeder  Art  verzehrt  und  keine  SKtligung  kennt, 
und  mit  der  Vermitleluug  von  Mitrö  nnd  Srüsli  und  Rashofl, 
und  dem  Wägen  Rashnb's,  des  Gerechten,  mit  der  Wag- 
schale der  Geister,  die  auf  keiner  Seite  Begünstigung  gewährt, 
weder  den  Tugendhaften,  noch  den  Bösen,  weder  den  Her- 
ren, noch  auch  den  Uonarchen.  Nicht  einmal  nm  eine 
Haarbreite  wird  sie  abweichen,  und  aie  kennt  keine  Partei- 
lichkeit, und  wer  da  ein  Herr  uud  ein  Monarch  ist,  den 
eruchtet  sie  in  ihrer  Entacbeidung  gleich  dem  Niedrigsien 
der  Menschheit.  Und  wenn  die  Seele  eines  Tugendhaften 
llbur  die  Brücke  geht,  so  wird  die  Breite  der  Brßcke  gloioh- 
»am  eine  Meile,  und  die  tugendhafte  Seele  geht  darüber  hin- 
wog unter  der  Mitwirkung  von  Sr6sb,  dem  Gerechten.  •  Dans 
folgt,  was  wir  vorhin  hatten,  nämlich  seine  Begegnang  mit 
einer  Jangfraa,  die  schöner  nud  besser  ist,  als  irgend  etn« 
Jungfrau  in  der  Welt.  Und  die  tugendhafte  Seele  spricht  also: 
>Wur  magst,  du  wohl  sein,  dass  ich  eine  Jangfran,  die  schS- 
ner  und  besser  wäre  als  du,  nie  im  weltlichen  Dasein  ge- 
aehen?'  Darauf  gibt  die  Jungfrau  nur  Antwort:  -Ich  bin 
keine  Jungfrau,  sondern  ich  bin  deine  tugendliaflon  Thaten, 
du  JQngling,  der  du  gut  denkend,  gut  sprechend,  gut  linndtU^l 
und  von  guter  Religion  bist.« 

1|  Spiegel  n.  a.  Ü.   Übersetzt   klurur  \oh   richtigur,         

nioiit  buurteileii) :   >Uurt  fiudi-t  sie  viele  WidersnchL-r  vor:  KbSSI^ 
der  Tyruniiui  wUnscht  uud   mit  schrecklicher  Waffi*  verselieo  bt 
nnd  Aitu-Viihiif.  der  diese  gunze  Schüpfuug  verschlingt  und  ioA 
Dicht  satt  wird,    Voriolttler  siiiit  Mihr,  .SYosh  und  Haan-    DaaO>^'  | 
schüft  des  WSgena   liegt   drro   Rn8D-rä<;t  ob,   der  die  hlmi 
Wage  nach  keiner  Sötte  hin  ungleich  macht«  ntc. 


Die  Eschatologie  des  Aresu.  199 

Der  einzige  oeae  Zog  in  diesem  Bericht  ist  das  Wigen 
der  Seele  doreh  Rashnü.  den  Gerechten.  Davon  findet  sich 
in  den  Upanishaden  keine  Spnr.  obgleich  wir  sahen,  dass 
eine  Anspielung  darauf  in  den  Brahma/jas  Torkommt  siehe 
S.  164  fg.  .  Es  ist  eine  Vorstellnng.  mit  der  wir  in  Ägypten 
sehr  rertrant  sind,  doch  ist  es  wohl  unmöglich  anzunehmen, 
dass  in  so  firflher  Zeit  irgend  ein  Verkehr  zwischen  Ägypten 
und  Peraien  stattgefunden  habe.  Eis  ist  Eine  Ton  jenen  Über- 
eiastimmungen.  die  sich  nur  erklären  lassen,  indem  wir  uns 
erinnern,  dass  das.  was  in  Einem  Lande  natfirlich  war.  es 
aach  in  einem  anderen  Lande  gewesen  sein  kann. 


Ankwfl  der  Seele  ror  dem  Throne  des  Bahman  und 

Ahnramaida* 

Verfolgen  wir  nun  das  Schicksal  der  Seele,  nachdem 
sie  die  AlnTat-Brflcke  fiberschritten  hat.  Wenn  die  A'in- 
▼at-Brttcke  öberschritten  ist.  so  erhebt  sich  der  Erzengel 
boAmoM  ;  Vohu  -  manö  von  einem  goldenen  Throne  und 
tmft  aus:  >Wie  bist  du  zu  uns  hierher  gekommen,  o  Tugend- 
hafter. Ton  dem  rerginglichen  Leben  zum  uuTergänglichen 
Leben.« 

Die  Seelen  der  Tugendhaften  gehen  dann  freudig  weiter 
XQ  Ahnramazda.  zn  den  Ameshaspentas.  zu  dem  goldenen 
Throne,  zum  Paradiese  (Garo-nemana  .  d.  h.  zu  dem  Wohn- 
sitze Ahuramazda's ,  der  Ameshaspentas  and  der  anderen 
Tugendhaften. 

3o  sehen  wir  denn,  dass  die  Wanderung  der  Seele  aus 
4iesem  Leben  in  ein  besseres  Leben  im  Avesta  gar  nicht 
viel  anders  endet,  als  in  den  Upanishaden.  Die  Seele  steht  im 
ATCsta  Tor  dem  Throne  Ahuramazda's.  wie  in  den  Upanishaden 
Vor  dem  Throne  Brahmans.  Nur^  während  die  Upanishaden 
^hr  wenig  Aber  die  den  Bösen  auferlegten  Straten  sagen, 
«rkllrt  der  Aresta.  dass  die  sündhafte  Seele  selbst  von  den 
Verdammten,  ihren  kfinftigen  Leidensg':nossen .  mit  Hohn 
empfangen    und    auf   Befehl    des    An^ra    Mainyu.    obschon 


dieser  selbst  Jcr  Geist  des  Übels  ist, 
Speisen  gepeini^  wird. 


Ueiiiplit>tRm6r  Uintergrnud  dr»  .Ivesta  ouil  des  »da< 


Wenn  wir  die  Theorien  Ober  die  Seele  und  ihr  Sclitok- 
aal  nacb  dem  Todo,  wie  wir  dieselben  in  den  üpaDisbndeu 
und  im  Avesla  ßnden,  vergleichen,  so  sehen  wir,  doss  ein 
allgemeiner  (ilaube  an  eine  Seele  und  ihr  Leben  nach  dem 
Tode  Ueideo  gemeiDsam  ist.  nod  dass  ^ie  aacb  darin  Dber- 
oinstimmen ,  dass  sie  glauben,  die  tngendhaßo  Seele  werde 
ZD  dem  Throne  Ootl«s  geführt,  ob  diuser  nun  Brahman  oder 
Ähuramazda  genannt  wird.  In  mcbieren  Doaiebuugen  aber 
scheint  der  Bericht  von  der  Wandernng  der  Seele  im  Avesta 
einfacbei,  aU  in  den  Upanishaden.  Wir  sahi'n,  dass  derselbe 
mehr  mit  den  Anschauungen  obereiustimmt,  die  wir  in  den 
vediachen  Uymnenflber  die  AbgOBchiedeoen  ausgedrflckl fanden; 
er  legt  mehr  Gewicht  auf  den  tugendhaften  Charakter  der  Seele 
and  verteilt  Belohnungen  und  Strafen  in  genauer  Cbereia- 
stimmnng  mit  den  guten  Gedanken,  Worten  und  Thaten  der 
Abgeschiedenen.  Der  Avesta  sagt  wenig  oder  nicht«  über 
die  verschiedenen  Stationen  auf  den  zwei  zn  den  VXtem  und 
zn  den  tiötteru  fahrenden  Wegen,  aber  er  ist  ausführlich  er  in 
der  Schilderung  der  Brücke  und  des  Wagens  der  Seele.  Die 
Idee,  dass  Erkenntnis  oder  Olanbe  besser  sei,  als  gute  Ge- 
danken, Worte  nnd  TLalen .  Ist  dem  persischen  Geiste  noch 
nicht  aufgegangen,  noch  weniger  findet  sich  eine  Spur  von 
dem  Glauben  an  Metempsycbose  oder  die  Wanderung  der 
menschlichen  Seele  in  die  Körper  niedrigerer  Tiere. 

Der  gemeinsame  Hintergrund   der  beiden   Heligionen  itf 
klar  genug;  schwieriger  ist  es  freilicli,  lu  bestimmen,  »b  dai, 
was   jeder    von    Beiden    eigentümlich    ist,    ein    Überrest    an)  J 
«iiKT    ülteren   Periode    oder    das     Uesultat    spilerer  Gcdo*  I 


Die  Eeehatologie  des  Atcsu.  201 

PitWs,  «e  Titer  Im  Teda,  die  FniTaskis  ia  AresU. 

Wir  sahen,  das  die  Hymneii  des  Veda  von  den  Abge- 
selüedenen  oft  als  den  Pitrts,  den  Vfttem,  spraehen.  und 
dasi  diese,  nachdem  sie  durch  drei  Generationen  die  «Sräddha- 
Spenden  ihrer  Nachkommen  empfangen,  zu  einem  Range 
erhoben  wnrden.  der  beinahe  dem  der  Deras  gleich  kommt, 
ja  in  späterer  Zeit  denselben  fiberragt.  An  Stelle  dieser 
finden  wir  im  Aresta  die  Frarashis.  oder  die  Fra- 
wie  die  ältere  Form  laatet  Dies  würde  einem  San> 
ftkritwort  praTartin  entsprechen,  das  jedoch  im  Sanskrit 
micht  Torkommt.  Pravartin  könnte  ^vorwirts  bewegend'  oder 
"in  Bewegung  setzend'  bedeaten,  wie  pravartaka.  'ein  Beför- 
derer*, doch  wird  es  im  Zend  als  'Beschützer  erklärt  Der 
I^ersische  Name  Phraortes  ist  wahrscheinlich  eine  griechische 
Verderbnis  Ton  Pravarti. 

Merkwfirdig  ist  es.  dass  der  Name  Pitrts  nicht  im 
«^resta  and  der  Name  Pravartin  nicht  im  Veda  vorkommt, 
^»bgkich   die   Beiden   offenbar  anfangs   ganz  dasselbe  bedeu- 


Weitere  Bedentang  ron  FraraskL 

Jedoch  sind  die  Fravashis  nicht  auf  die  Abgeschiedenen 
Iwschrtnkt.  obgleich  deren  Fravashis  am  häufigsten  ange- 
vnfea  werden.  Jedes  Wesen,  ob  lebendig  oder  tot.  hat  seine 
I^raTaski,  sein  unsichtbares  Agens,  welches  zur  Zeit  der  6e- 
iHut  udt  dem  Körper  vereinigt  wird  und  denselben  zur  Zeit 
fka  Todes  wieder  verlässt  Die  Fravashis  erinnern  uns  an 
&  griechischen  Daimones  und  die  römischen  Genii.  Die 
Fravashis  gehören  zur  geistigen,  der  Körper  zur  materiellen 
Schöpfung.  Nicht  nur  die  Menschen,  sondern  auch  die  Götter. 
Ormazd.  das  heilige  Wort,  das  Firmament,  das  Wasser,  die 
Manzen,  sie  Alle  haben  ihre  Fravashis.  Wir  können  die 
Fravashi  als  den  Genius  von  irgend  etwas  bezeichnen.  Hang 
geht  aber  noch  weiter  und  identifiziert  die  Fravashis  mit  den 


202  Sechste  Vorlesang. 

Ideen  Plato's^  was  zn  weit  gegangen  ist,  denn  die  Fravashis 
sind  immer  selbstbewnsste,  oder  gar  persönliche  Wesen.  So 
lesen  wir  in  dem  Fravardin  Yasht:^) 

>Ahnramazda  sprach  zn  Spitama  Zarathnshtra :  Dir 
allein  werde  ich  erzählen  von  der  Macht  nnd  Stärke,  der  Herr- 
lichkeit,  Nützlichkeit  nnd  Glückseligkeit  der  heiligen  Schutz- 
engel, der  starken  nnd  siegreichen,  o  gerechter  Spitama 
Zarathnshtra,  wie  sie  kommen,  mir  zn  helfen.  Vermittelst 
ihres  Glanzes  und  ihrer  Herrlichkeit  halte  ich  das  Firmament 
aufrecht,  welches  so  schön  scheint,  nnd  welches  diese  Erde 
berührt  und  umgibt;  es  gleicht  einem  Vogel,  dem  Gott  be- 
fohlen hat  dort  stille  zn  stehen;  es  ist  hoch  wie  ein  Baum, 
weit  ausgebreitet,  von  eisernem  Körper,  mit  seinem  eigenen 
Licht  in  den  drei  Welten.  Ahnramazda,  zusammen  mit  Mithra, 
Kashnn  und  Spenta  Armaiti,  legt  ein  Gewand  an,  das  mit 
Sternen  ausgeschmückt  und  von  Gott  in  solcher  Weise  ge- 
macht ist,  dass  Niemand  die  Enden  seiner  Teile  sehen  kann. 
Vermittelst  des  Glanzes  und  der  Herrlichkeit  der  Fravashis 
halte  ich  die  hohe  starke  Anähita  (das  himmlische  Wasser} 
mit  Brücken  aufrecht,  die  heilsame,  welche  die  Dämonen 
wegtreibt,  welche  den  wahren  Glauben  hat  nnd  in  der  Welt 
zu  verehren  ist 

12.  >Wenn  die  starken  Schutzengel  der  Tugendhaften 
mir  nicht  Beistand  leisten  würden,  dann  würden  Vieh  nnd 
Menschen,  die  beiden  letzten  der  hundert  Klassen  von  Wesen, 
nicht  mehr  für  mich  existieren ;  dann  würde  des  Teufels  Macht, 
des  Teufels  Ursprung  beginnen,  die  ganze  lebendige  Schöpfung 
würde  dem  Teufel  gehören. 

16.  »Vermitteist  ihres  Glanzes  und  ihrer  Herrlichkeit 
hatte  der  geistreiche  Mann  Zarathnshtra,  der  so  gute  Worte 
sprach,  der  die  Quelle  der  Weisheit  war,  der  vor  Gotama 
geboren  ward,  solchen  Verkehr  mit  Gott.  Vermittelst  ihres 
Glanzes  und  ihrer  Herrlichkeit  geht  die  Sonne   ihren  Weg; 


1)  Haug,  p.  207. 


Die  Eschatologie  des  Avesta.  203 

yermittelst  ihres  Glanzes  nnd  ihrer  Herrlichkeit  geht  der 
Mond  seinen  Weg;  vermittelst  ihres  Glanzes  und  ihrer  Herr- 
lichkeit gehen  die  Sterne  ihren  Weg.« 

So  sehen  wir  denn,  dass  beinahe  Alles,  was  Ahnra- 
mazda  thnt,  von  ihm  unter  dem  Beistand  der  Fravashis  ge- 
than  wird,  die  ursprünglich  die  Geistor  der  Abgeschiedenen, 
später  aber  die  Geister  von  fast  Allem  und  Jedem  in  der 
Natur  waren.  Dass  sie  aber  ursprünglich,  gleich  den  ve- 
dischen  Pitns,  die  Geister  der  Abgeschiedenen  gewesen 
sind,  ersehen  wir  aus  Stellen,  wie  die  folgende: 

>Ich  preise,  ich  rufe  an  und  erhebe  die  guten,  star- 
ken, wohlthätigen  Schutzengel  der  Tugendhaften.  Wir 
preisen  diejenigen,  welche  in  den  Häusern  sind,  diejeni- 
gen, welche  in  den  Ländern  sind,  diejenigen,  welche  in 
den  Zoroastri sehen  Gemeinden  sind,  die  der  Gegenwart, 
die  der  Vergangenheit ,  die  der  Zukunft ,  die  Tugendhaften, 
alle  jene,  die  in  Ländern,  wo  Anrufung  geübt  wird,  ange- 
rufen werden. 

»Die  den  Himmel  aufrecht  halten,  die  das  Wasser 
aufrecht  halfen,  die  die  Erde  aufrecht  halten,  die  die  Natur 
aufrecht  halten,  u.  s.  w. 

»Wir  verehren  die  guten  und  wohlthätigen  Schutzengel 
der  Abgeschiedenen,  welche  in  der  Hamaspathma^da  ge- 
nannten Jahreszeit  in  das  Dorf  kommen.  Dann  streifen  sie 
dort  zehn  Nächte  herum,  indem  sie  zu  erfahren  wünschen, 
was  für  Beistand  sie  erlangen  könnten,  nnd  sie  sagen: 
»Wer  wird  uns  preisen?  Wer  wird  uns  verehren?  Wer 
wird  uns  anbeten?  Wer  wird  zu  uns  beten?  Wer  wird 
uns  mit  Milch  und  Kleidern  in  der  Hand  und  mit  einem 
Gebet  um  tugendhaften  Wandel  befriedigen?  Wen  von 
uns  wird  er  hierher  rufen?  Wessen  Seele  soll  euch  ver- 
ehren? Wem  von  uns  wird  er  jene  Spende  geben,  da- 
mit er  auf  immer  und  ewig  unvergängliche  Speise  ge- 
nieße ?  «  « 

Vielleicht  nirgends  kann  man  den  Vorgang,  durch  wel- 
chen   die  Geister    der    Abgeschiedenen    zu    dem  Range    von 


204 


Sechste  Vorlesung, 


Göttern  erhoben  wurden,  deutlicher  erkennen,  als  bei  den 
persischen  Fravashis,  nirgends  aber  können  wir  wieder 
stärkere  Beweise  für  die  Ansicht  ßnden,  die  ich  gegenüber 
Herbert  Spencer  so  oft  verteidigt  habe,  dass  nämlich  diese 
Vergötterung  der  abgeschiedenen  Geister  den  Glauben  a.n 
Götter  voraussetzt,  zu  deren  Rang  diese  Geister  erhoben 
werden  konnten. 


Siebente  Vorlesung. 
Die  Esohatologie  Flato's. 


Plato's  AatorltSt. 

ich   daran  gehe,  Ihnen  die  Ideen  der  späteren  in- 
lilosophen,  das  Schicksal  der  Seele  nach  dem  Tode 

ansffihrlicher  zn  erklären,  dttrfte  es  von  Nutzen 
Ire  es  anch  nur,  um  unser  Gedächtnis  aufzufri- 
ir  Betrachtung  der  besten  und  erhabensten  Gedanken, 
iselbe  Problem  in  Griechenland  hervorgerufen  hat, 
sung  zu  widmen.  Sollten  wir  späterhin  ßnden, 
Ischen  den  Gedanken  Plato's  und  denen  der  Dich- 
ropheten  der  Upanishaden  und  des  Avesta  gewisse 
ten  gibt,  so  sind  solche  Ähnlichkeiten  ohne  Zweifel 
,  und  vielleicht  um  so  interessanter,  weil  wir,  wie  ich 
nheren  Gelegenheit  gezeigt  habe,  dieselben  weder  auf 
isamkeit  der  Sprache,  noch  auf  historische  Über- 
urückführen  können.  Wir  können  sie  nur  durch 
nsame  Menschennatur  erklären,  welche  diese  Ideen 

gewisse  innere  Notwendigkeit  zu  bilden  scheint, 
lieh  auch  auf  keinerlei  handgreifliche  Beweise  für 
)  derselben  stützen  kann.  Sie  werden  nicht  über- 
,  wenn  ich  mich  sogleich  zu  Plato  wende, 
ich  Plato  nur  als  ein  Philosoph  bezeichnet  wird, 
doch  von  dem  Schicksal  der  Seele  nach  dem  Tode 
tat,  mit  derselben  Autorität  zum  mindesten,  wie 
3er  der  Upanishaden.  Allein  sowohl  Plato  als 
(er    der    Upanishaden    waren    von    der    wirklichen 


206  Siebente  Vorlesung. 

Wahrheit  ihrer  Lehren  viel  zn  sehr  erftült,  als  dass  sie  irgend 
eine  abenteuerliche  oder  wunderbare  Sanktion  fftr  dieselbe 
in  Anspruch  genommen  hätten.  Leider  konnten  sie  ihre 
weniger  begeisterten  und  weniger  flberzeugten  Schfller  nicht 
davon  abhalten,  ihren  Äußerungen  einen  gottbegeisterten, 
heiligeu,  ja  wunderbaren  Charakter  zuzuschreiben. 

Plato's  mjthologisehe  Sprache« 

Es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  die  Ähnlichkeit  zwi- 
schen Plato's  Sprache  und  der  der  Upanishaden  zuweilen 
sehr  überraschend  ist.  Plato  liebt  es,  wie  Sie  wissen,  seine 
Anschauungen  über  die  Seele  in  mythologische  Phraseoli^e 
zu  kleiden,  gerade  so  wie  die  Verfasser  der  Upanishaden, 
auch  sehe  ich  nicht  ein,  was  fttr  eine  andere  Sprache  ihnen 
zur  Verfügung  stand.  Es  ist  ein  ganz  unsinniger  Anachro- 
nismus, wenn  gewisse  Afterkritiker  alter  Religionen  und  alter 
Philosophien  mit  einer  Miene  geistiger  Überlegenheit  sich  in 
diese  mythologische  Phraseologie  hängen  und  mit  Verachtnng 
von  den  kindischen  Fabeln  Plato's  und  anderer  alten  Weisen 
als  der  ernsten  Betrachtuug  unseres  Zeitalters  unwilrdig 
sprechen.  Wer  hätte  —  sagen  sie  —  je  glauben  können, 
dass  einer  Seele  Flügel  wachsen,  oder  dass  sie  ihre  Flflgel 
verlieren  könne.  Wer  hätte  glauben  können,  dass  es  eine 
Brücke  zwischen  Erde  und  Himmel  gebe,  und  dass  eise 
schöne  Jungfrau  am  Ende  derselben  stehe,  um  die  Seele  des 
Abgeschiedenen  zu  empfangen?  Sollten  wir  nicht  vielm^r 
sagen:  Wer  kann  so  stumpfsinnig  sein,  dass  er  nicht  ein- 
sieht, wie  diejenigen,  welche  sieh  einer  solchen  Sprache 
bedienten,  eine  tiefe  Wahrheit  auszudrücken  suchten,  nämlich 
dass  die  Seele  durch  edle  Gedanken  und  edle  Thaten,  wie 
durch  Flügel,  emporgehoben  werde,  und  dass  der  höchste 
Richter,  der  nach  dem  Tode  über  die  Seele  zn  richten  habe, 
das  eigene  Gewissen  eines  Menschen  sein  werde,  das  in  aller 
Schönheit  und  Unschuld  vor  ihm  stehen  werde,  wie  die  schönste 
und   unschuldigste  Jungfrau    von   fünfzehn   Jahren.     Denken 


Die  Eschatologie  Plato^s.  207 

8ie  nor.  was  ftir  Geistesarbeit  es  erforderte,  ehe  auch  nnr 
solehe  Parabeln  ersonnen  werden  konnten;  und  statt  uns 
über  die  Sprache  zu  wnndem,  in  der  sie  ausgedrückt  wur- 
den, werden  wir  vielmehr  darüber  staunen,  dass  irgend  Je- 
mand sie  missverstehen  und  eine  Erklärung  solch  einfacher 
und  durchsichtiger  Parabeln  verlaugen  konnte. 

Die  Geschichte  tob  der  Seele. 

Ohne  Furcht,  auf  Widerspruch  zu  stoßen,  behauptet 
Plato,  dass  die  Seele  unsterblich  ist.  Die  Upanishaden  be- 
haupten es  kaum,  weil  sie  sich  nicht  denken  können,  dass 
ein  Zweifel  über  diesen  Punkt  möglich  sei.  »Wer  könnte 
sagen,  dass  die  Seele  sterblich  sei?«  ^Sterblich'  bedeutet 
Verfall  eines  materiellen,  organischen  Körpers,  es  hat  offen- 
bar gar  keinen  Sinn ,  wenn  es  auf  die  Seele  angewandt 
wird. 

»Von  Männern  und  Frauen,  die  in  göttlichen  Dingen 
weise  sind,  habe  ich,«  schreibt  Plato,  »eine  Geschichte  ver- 
nommen, eine  wahre  Geschichte,  wie  ich  glaube,  und  eine 
edle.  Meine  Berichterstatter  sind  jene  Priester  und  Prie- 
sterinnen, deren  Ziel  es  ist,  von  den  Gegenständen,  mit  denen 
sie  zu  thun  haben,  Rechenschaft  geben  zu  können.  Sie 
werden  auch  von  Pindar  und  vielen  anderen  Dichtem  unter- 
stützt —  ich  kann  wohl  sagen ,  von  Allen ,  die  wahrhaft 
inspiriert  sind.  Sie  lehren,  dass  die  Seele  des  Menschen 
unsterblich  ist;  dass  sie  zu  dem  Ende  einer  Daseinsform 
gelangt,  welche  die  Menschen  ^Sterben  nennen,  und  dann 
wieder  geboren  wird,  aber  nie  zu  Grunde  geht.  Da  also  die 
Seele  unsterblich  ^)  und  oft  geboren  worden  ist ,  und  da  sie 
die  Dinge  hier  auf  Erden  und  die  Dinge  im  Hades  gesehen  hat 
—  kurz  alle  Dinge :  es  gibt  nichts,  was  sie  nicht  gelernt  hat  — 
so  ist  es  kein  Wunder,  dass  sie  im  stände  ist,  sich  an  das  zu 
erinnern,  was  sie  über   die  Tugend  und  andere  Gegenstände 


1/   Westcott,  Religious  Thmight  in  the   West,  p.  27. 


20S  Siebente  Vorlesang. 

sicherlich  vorher  gewasst.  Da  nftmlich  die  ganse  Natur  ver- 
wandt ist;  und  da  die  Seele  alle  Dinge  gelernt  hat,  ist  kein 
Grund  vorhanden,  warum  ein  Mann,  der  sioh  nur  einer  ein- 
zigen Thatsache  erinnert  hat  —  was  die  Menschen  ^Lernen' 
nennen  — ,  nicht  durch  eigene  Kraft  alles  Andere  ausfindig 
machen  sollte,  falls  er  den  Mut  hat  und  in  dem  Forschen 
nicht  verzagt.  Denn  Suchen  und  Lernen  ist  Alles  nur  eine 
Kunst  der  Erinnerung.« 

Die  nächste  Stelle  kommt  im  Phaedrus  vor,  wo  wir  die 
Mythe  von  dem  Wagen  finden,  der  von  einem  Wagenlenker 
gelenkt  und  von  zwei  geflflgelten  Rossen,  von  den'en  —  beim 
Menschen  —  das  eine  gut  und  das  andere  schlecht  ist,  ge- 
zogen wird.  Ich  muss  Ihnen  einige  von  Plato's  Sitzen  voll- 
ständig geben,  damit  wir  sie  nachher  mit  gewissen  Stellen  am 
den  Upanishaden  vergleichen  können. 

Der  Wagenlenker  und  die  Pferde. 

Plato  (Phaedrus  246)  sagt:  ȟber  die  Unsterblichkeit 
selbst  ist  das  ausreichend.  Den  Begriff  derselben  aber  mflft- 
sen  wir  in  folgender  Weise  darstellen;  zu  sagen,  wie  sie 
beschaffen  ist,  bedarf  jedesfalls  und  durchaus  einer  gött- 
lichen und  ausführlichen  Darstellung,  einer  menschlichen  und 
minder  umfassenden  aber,  womit  sie  zu  vergleichen  ist.  Dem- 
nach wollen  wir  in  dieser  Weise  es  darstellen.  Sie  werde 
der  von  Natur  vereinten  Thätigkeit  eines  beschwingten  Ge- 
spannes und  Wagenlenkers  verglichen.  Nun  sind  die  Rosse 
und  Wagenlenker  der  Götter  selbst  wackere  und  wackeres 
Ursprungs,  bei  den  übrigen  aber  gemischt.  Und  erstens 
lenkt  das  uns  Beherrschende  ein  Zwiegespann,  ferner  ist  das 
eine  seiner  Rosse  schön  und  wacker  und  solchen  Ursprungs, 
das  andere  aber  entgegengesetztes  und  von  jenem  das  Gegen- 
teil. Schwierig  und  ungefttg  ist  also  bei  uns  das  Wagenlenken.  «V 


1]  Nach  Hieronymus  Müllers  deutscher  Übersetzung.    Piatons 
Werke,  Bd.  IV,  p.  117  fg.  Anm.  des  Übers. 


Die  Eschatologie  Piatos.  209 

Wenden  wir  ans  nan  zur  KaMa-Upanishad,  so  lesen  wir 
da,  III,  3  ff. :  »Wisse ,  dass  die  Seele  in  dem  Waagen  sitzt, 
der  Körper  ist  der  Wagen,  der  Verstand  (buddhi)  der  Wagen- 
lenker, nnd  der  Geist  der  Zügel.  Die  Sinne  heißt  man  die 
Pferde,  die  Sinnesobjekte  ihre  Wege  ....  Wer  keinen  Ver- 
stand  hat  and  wessen  Geist  Zögel  nie  fest  gehalten  ist, 
dessen  Sinne  Pferde)  sind  unlenkbar,  wie  bösartige  Pferde 
eines  Wagenlenkers.  Wer  aber  Verstand  hat  und  wessen 
Geist  immer  fest  gehalten  ist,  dessen  Sinne  sind  gezflgelt, 
wie  gate  Pferde  eines  Wagenlenkers.  Wer  keinen  Verstand 
hat,  wer  ananfmerks^m  und  stets  anrein  ist,  der  erreicht  nie 
das  Ziel,  sondern  tritt  in  den  Kreislauf  der  Wiedergeburten 
samsira,.  Wer  aber  Verstand  hat,  aufmerksam  ist  and  stets 
rein,  der  erreicht  in  der  That  das  Ziel,  von  wo  er  nicht 
wiedergeboren  wird«   (von  wo  es  keine  Rückkehr  gibt). 

Manche  Leute  haben  geglaubt,  dass  die  genaue  Cberein^ 
Stimmung  zwischen  dem  von  Plato  und  dem  von  der  Upanishad 
gebraaehten  Gleichnisse  —  und  die  Ähnlichkeit  ist  allerdings 
sehr  stark  —  zeige,  dass  schon  zu  dieser  sehr  frühen  Zeit 
zwischen  dem  religiösen  Denken  Indiens  und  dem  philoso- 
phischen Denken  Griechenlands  irgend  eine  Art  historischer 
Berfihrang  vorhanden  gewesen  sein  müsse.  Wir  können  die 
Möglichkeit  einer  solchen  Anschauung  nicht  bestreiten,  doch 
müssen  wir  bekennen,  dass  wir  von  irgend  einem  bestimmten 
Wege,  auf  welchem  schon  zu  jener  Zeit  indisches  Denken 
die  Gestade  Griechenlands  hätte  erreichen  können,  nichts 
wissen. 

Die  Prozession  der  Götter. 

Wir  wollen  nun  Plato's  Spekulationen  über  die  Seele 
noch  ein  wenig  weiter  verfolgen.  Da  haben  wir  seine  herr- 
liche Beschreibung  der  Prozession  der  Götter  im  Himmel, 
eine  Mythe,  wenn  Sie  wollen,  aber  eine  bedeutungsvolle  Mythe, 
wie  ja  jede  M^-the  ursprünglich  bedeutungsvoll  sein  sollte. 

2^08,    so  lesen  wir,   zieht  voran,    seinen  beschwingten 

Max  Xftller.  Tk«oiopliie.  14 


210 


Sie  beute  Vorlesung. 


Wagen  lenkend,  Allee  ordnend  nnd  he&nfBicb%6nd.  Ihm 
folgt,  in  elf  Hänfen  geordnet,  ein  Heer  von  Ojtttern  nnd 
Geistern ;  denn  HeHtin  bleibt  allein  in  der  Wobnnng  der  Göt- 
ter zurQcic.  Nun  gibt  es  gar  roanchea  beseligende  Schanspiel, 
gar  manche  den  Ilimraol  durchschneidende  Itahn,  anf  welcher 
der  Götler  aoligea  Geschlecht  oinherzieht,  indem  jeder  von 
ihnen  sein  Geschäft  betreibt,  ihnen  folgt  aber,  wer  immer 
will  und  kann;  denn  Mlssgnnst  weilt  außerhalb  des  Reigens 
der  GOtter.  Wenn  sie  aber  nacblier  zam  Gelage  ziehen,  tio 
fahren  «ie  auf  einer  jetzt  steilen  Buhn  den  inneren  Umkreis 
des  Himmelsgewölbes  entlang.  Die  Wagen  der  OOtter  unn 
fahren,  wohlgezügelt  nnd  im  Gleichgewicht,  leicht  dahin,  die 
andern  aber  mit  Mühe.  Denn  das  bösartige  Pferd,  wenn  der 
Wugenlenker  ea  nicht  grUadlich  gezAhmt  bat,  zieht  den  Wa- 
gen, eine  Cberwucht  bewirkend,  nach  der  Erde  hin.  Uier 
bat  nnu  die  Seele  die  gn^ßten  Muhsale  nnd  KSmpfe  zu  bc- 
sluhen.  Denn  die  Seelen  der  UDsterblichen  riehen,  wenn  sie 
zur  Höhe  gelangt  sind,  hinans  und  machen  auf  dem  Rücken 
des  Himmels  Halt ,  nnd  so  führt  sie  der  Umschwung  der 
Sphären  mit  hemm ;  sie  aber  schauen  das  außerhalb  des 
Himmels  Befindliche.  Jenen  überhimmliscben  Raum  aber  be- 
sang weder  je  ein  Dichter  anf  Erden,  noch  wird  ihn  einer 
würdig  besingen.  Er  wird  erfflllt  von  dem  farblosen,  gestalt- 
liisen,  untastbaren,  absoluten  Sein,  welches  die  Vernunft  allein 
schauen  kann ,  und  welches  der  Eine  Gegenstand  wahrer 
Erkenntnis  ist.  Wenn  aber  der  göttliche  Oeist  nacli  einem 
gewissen  Zeitraum  das  wirklich  Seiende  sieht,  so  ist  er  Äußerst 
glflcklich  und  gewinnt  Stärke  und  Genuas  durch  die  Betraob- 
lung  des  Wahret*  (Satyam),  bis  der  kreisende  Tmachwung 
vollendet  ist.  in  dessen  Verlaufe  sie  eine  klare  Anschauung 
der  absolnten  [idealen!  Gerechtigkeit,  Besonnenheit  nnd  Er- 
konntuis  erlangt;  und  wenn  die  Seele  sieb  also  an  dem  An- 
blick der  wirklichen  Wahrheit  aller  Dinge  erlabt  hat,  begibt 
sie  sieb  wieder  in  das  Himmelsgewölbe  und  kehrt  beim.') 

1)  Mit  Benutzung  vima.Mtlllere  Übersetzung  ia.a.0^p.  116  ITl 
Jins  deui   Engliaclien  Ubersetlt.  Anm.  d«t   ubart. 


Die  Eschatologie  Plato's.  211 

Hier  mnss  ich  nan  wieder  einen  Augenblick  verweilen, 
am  aof  eine  bedeutsame  Übereinstimmung  zwischen  Plato  und 
den  Upanishaden  aufmerksam  zu  machen. 


Der  Glaube  an  Metempsyehose  bei  Plato  und  in  den 

Upanishaden. 

Sie  erinnern  sich  wohl,  dass  nach  der  Darstellung  der 
Upanishaden  die  Seele,  selbst  nachdem  sie  die  Wohnst&tte 
der  Väter  erreicht  hat,  der  Rückkehr  zu  einem  neuen  Kreis- 
lauf von  Existenzen  unterworfen  ist,  und  wie  dies  in  Indien 
zu  dem  Glauben  an  Metempsychose  führte.  Sehen  wir  nun, 
wie  Plato  auf  demselben  Wege,  und  doch  ganz  unabhängig, 
zu  derselben  Schlussfolgemng  gelangt:  ^) 

»Und  das  ist  das  Leben  der  Götter.  Von  den  übrigen 
Seelen  aber  erhob  die  eine,  welche  der  Gottheit  am  besten 
nachfolgte  und  sie  abspiegelte,  das  Haupt  des  Wagenlenkers 
zu  dem  äußern  Räume  und  wurde  bei  dem  Umschwünge  mit 
hemmgeföhrt,  beunruhigt  jedoch  von  den  Rossen  und  kaum 
das  Seiende  (ro  &y  =  s  a  t  y  a  m  .  erschauend ;  die  andere 
aber  ließ  ihn  bald  sieh  erheben,  bald  niedertauchen,  und  er- 
schaute beim  Widerstreben  der  Rosse  Manches,  Anderes 
dagegen  nicht  Die  anderen  Seelen  jedoch  folgen,  indem  sie 
alle  nach  oben  sich  sehnen,  werden  aber,  ohne,  dess  unver- 
mögend ^  aufzutauchen,  mit  herumgeführt,  sich  stoßend  und 
übereinander  herfallend,  indem  die  eine  der  andern  zuvor- 
zneilen  strebt  So  entsteht  Getümmel,  Wettstreit  und  das 
größte  Schweißvergießen.  Hier  erlahmen  viele  durch  der 
Wagenlenker  Schuld,  vielen  wird  auch  manche  Schwinge  ge- 
knickt, alle  aber  ziehen,  ohne  zum  Anschauen  des  Seienden 
jr^g  Tov  Örrog  &iag)  zu  gelangen,  ab,  und  begnügen  sich 
nach  ihrem  Abzüge  mit  der  Nahrung  des  Vermeinten.    Wes- 


l,  Phaedrus,  p.  24S.  H.  Müllers  deutsche  Übersetzung,  a.  a. 
U.  p.  120  fg.  Die  im  Original  gegebene  englische  Übersetzung 
Jowetts  weicht  davon  oft  stark  ab.  Anm.  des  Übers, 


U* 


212 


Siebente  VorleBimg. 


halb  aber  dieser  große  Eifer,  zn  sobanen,  wo  das  Oelilde 
der  Walirbcit  ist,  stattfindol,  das  ist  eben  diu  iingetnesBoiiü 
Weide,  welche  die  dortige  Wieso  dem  besteu  Teile  der  Seele 
beut;  dadurch  wird  die  natürliche  Kraft  der  Schwinge,  die 
Seele  zu  erheben,  genährt,  und  das  ial  das  Gesetz  der  Ädra- 
sloia,  daäs  die  Seele,  welche  als  Nachfolgerin  der  Gottheit 
etwas  des  Wahren  erschaute,  bis  zn  einer  neuen  Umkreisiing 
unverletzt  und,  wenn  sie  das  fortwftbrend  zu  erlangen  ver- 
mag,  für  immer  woblb(<haIlen  bleibe;  erschaute  sie  es  aber, 
II  ni'h  zu  folgen  nuverraOgend,  nicht,  und  wurde  sie,  durub 
irgend  einen  rnfall  ven  Vergessenheit  uud  BrhleohlJgkeil 
befallen,  herabgezogen  nod  fiel,  so  herabgezogen  und  ihrer 
Kchwingen  beraubt,  zur  tOrde,  dann  gilt  daa  Gesetz,  diese  bei 
der  ersten  Geburt  nicht  in  einen  tierischen  Körper  zu  ver- 
pflanzen, sondern  diejenige,  die  das  Meiste  erschaute,  zur 
Erzeugung  eines  Mannes  zu  bestimmen,  der  die  Weisheit 
liebgewinnen  solle,  oder  eines  fdr  das  Schöne  Rmpfänglichen, 
eines  Musenliobüngs,  eines  von  Liebe  Erglühten:  dii^  awüites 
Kanges  zu  der  eines  gesetzmäßigen  oder  eines  kriegs-  nod 
herrschkandigon  Königs;  die  drittes  zu  der  eines  Staalsmannftt, 
Hauflhalters  oder  Rrwerbsamcn;  die  viertes  zu  der  eines  kftiiii! 
Anstrengung  scheuenden  Uingmeisters,  oder  eines  zu  neJIung 
des  KOrpers  Bestimmten;  die  fünftes  Itanges  bestimmte  du 
Gesetz  zur  Lebensweise  eines  Sehers  oder  Eingeweihten;  fOr 
die  sechstes  wird  sich  ein  Dichter-  oder  einer  andern  Art 
der  Nachbildung  geweihtes  Leben  eignen  ,  fflr  die  siebente« 
das  landmAnnische  oder  werkmeisterlicbe ,  für  diu  achtes  daa 
sophistische  oder  nach  Volksgunst  ringende,  für  die  nennt«! 
Ranges  dns  des  Gewaltlierrschers.  Wer  in  allen  diesen  La- 
gen fortwährend  seine  Pflicht  erfllllt,  dem  wird  ein  beaacres 
Los  EU  Teil,  wer  sie  aber  verletz!,   ein  schlechteres.* 


Dil'  neun  Klassen  l'lntn's  uml  Hano'«. 

Ich    habe    schon   in    einer   früheren   Vorlesung  auf  den 
merkwQi'digen  Parallelismns  zwischen  indischom  und  griechl- 


Die  Eschatolo^e  Plato's.  213 

schem  Denken  aufmerksam  gemacht.  Sie  erinnern  sich  wohl, 
dass  auch  Mann  genau  dieselbe  Anzahl  von  Klassen,  nämlich 
neun,  aufstellte,  und  dass  wir  ans  der  Stelle,  die  er  jeder 
derselben  anweist,  auf  die  Achtung,  in  der  gewisse  Beschäf- 
tigungen bei  seinen  Zeitgenossen  standen.  Schlüsse  ziehen 
konnten.  Plato  stellt  den  Philosophen  zuerst,  den  Tyrannen 
zuletzt ;  Manu  stellt  Könige  und  Krieger  in  die  fünfte  Klasse 
und  bestinunt  die  dritte  Klasse  für  Einsiedler,  Asceten  und 
Brahmanen,  während  er  die  erste  Klasse  Brahman  und  an- 
deren Göttern  einräumt.  So  finden  Sie  auch  hier  wie  zuvor 
eine  allgemeine  Ähnlichkeit,  aber  auch  sehr  charakteristische 
Unterschiede. 

Plato  fährt  dann  fort:  >Denn  dahin,  von  wannen  eine 
Seele  ausging,  gelangt  sie  vor  zehntausend  Jahren  nicht  wie- 
der, denn  vor  diesem  Zeiträume  erlangt  sie  keine  Schwingen, 
die  (Seelen)  der  redlich  der  Weisheit  Nachstrebenden  oder 
im  Sinne  der  Weisheit  der  Knabenliebe  Huldigenden  aus- 
genommen :  diese  ziehen  bei  der  dritten,  tausendjährigen  Um- 
kreisung, wenn  sie  dreimal  hintereinander  dieselbe  Lebensweise 
sieh  erkoren,  dadurch  mit  Schwingen  versehen,  im  dreitau- 
sendsten Jahre  davon.  Über  die  übrigen  aber  wird,  nachdem 
sie  ihr  erstes  Leben  vollendeten,  Gericht  gehalten.  Von  den 
Gerichteten  aber  kommen  die  Einen,  um  Strafe  zu  leiden,  in 
die  Straforte  unter  der  Erde ;  die  Andern  aber  führen ,  durch 
den  Riehterspruch  zu  irgend  einer  Stelle  des  Himmels  er- 
hoben, ein  Leben  dem  angemessen,  welches  sie  in  Menschen- 
gestalt führten.  Im  tausendsten  Jahre  kommen  beide  zum 
Losziehen  und  zur  Wahl  ihres  zweiten  Lebens,  und  jede 
wählt  das,  welches  ihr  gefällt.« 

Hier  gibt  es  nicht  viele  Ähnlichkeitspunkte  zwischen 
Plato  und  Manu,  außer  dass  wir  sehen,  wie  auch  Plato  neben 
der  unvermeidlichen  Kette  von  Ursache  und  Wirkung,  welche 
das  Schicksal  der  Seele  auf  ihren  Wanderungen  nach  dem 
Tode  bestimmt,  noch  überdies  Orte  der  Bestrafung  und  Bes- 
serung; die  wir  Höllen  nennen  mögen,  annimmt.  An  einer 
anderen  Stelle  [Phaedo  113  ff.   gibt  Plato  einen  ausführlicheren, 


214 


Siebente  Vorlöäiing. 


eines  Philosophen  niulit  ganz  würdigen  Bericht  von  dieses 
Hollen  und  den  den  CbdtbStern  nnferloglon  StraTen.  liier,  gUubl 
man,  werden  die  Seelen  geläutert  und  gezüchtigt,  und  venn  sie 
ihre  wohlverdienten  Strafen  erlitten  haben,  empfangen  sie  ji- 
nach  ihren  Verdiensten  die  Belohnnngen  ihrer  guteu  Thaten. 
Diejenigen  aber,  welche  fdr  ganx  und  gar  nnverbeaaerlicli 
gehalten  werden,  »schlendert  ihr  verdientes  Schickaal  in  dun 
Tartarus,  den  sie  nimmer  wieder  verlassem.  Andere  kfSanen, 
nachdem  sie  ein  Jahr  lang  im  Tartarus  gelitten,  wieder  eat- 
riunen,  wenn  diejenigen,  denen  sie  Unrecht  gothan,  ihnen 
verleihen.  »Diejenigen  aber,  deren  Leben  als  ein  ausge- 
Keichnet  heiliges  anerkaunt  wurde,  siud  ea.  welche  ätA 
hiesigen  Aufenthaltes  in  der  Erde  befreit  und  eines  Korken 
gewissermaßen  erlediget,  hinauf  zur  reinen  WohnstAtte  gelan* 
gen  und  oben  auf  der  Erde  wolinen.  Unter  diesen  leben 
Diejenigen,  welche  durch  das  Streben  nach  Weisheit  »nr 
OenOge  sich  läntorlen,  hinfort  ^anz  ohne  KOrper.  unil  gelsD- 
gen  zu  noch  soliAoeren  Wohnsitzen  als  diese,  welche  zu 
schildern  weder  leicht,  noch  jetzt  wegen  Kürze  der  Zeit  ge- 
stattet ist«') 

Wanderung  menschlicher  Seeleu  in  Hcrlüclie  Ktirper. 

Wir  kommen  jetxt  zu  dem,  waa  man  immer  fQr  dta 
auffUligate  U  berein  stimm  nag  zwischen  Flato  und  den  Fhilo- 
Bophen  Indiens  gehalten  hat,  nämlich  dem  Glauben  ui  die 
Wanderung  der  Seelen  ans  menschlichen  in  tierisolie  KSrper. 
Obwohl  irir  nns  an  diese  Idee  gewühnt  haben,  l&ast  es  alch 
doch  nicht  leugnen,  dasa  deren  erstes  Auftreten  Dherruaha&d 
war.  Man  hat  anf  verschiedene  Weisen  versucht,  sie  za  er- 
klXren.  Man  hat  oft  angenommen,  dass  der  Olanbe  an 
Ahnengeister  und  licsponster,  die  ihre  früheren  Heimat&tlen 
aufsuchen,   der   ganzen  Sache   zn  Ürunde  liege.     Allein  von 


1]  Plato's   PImeduu    lli 
p.  5*0  fg. 


UUIlL're    übereetzting    a.  a.  0. 


Die  Escbatologle  PUto's.  2 1 5 

der  ersten  Erwähnung  dieser  Art  von  Metempsychose  in  den 
Upanidhaden  ausgehend,  sahen  wir,  dass  dieser  Glaube  in 
Wirklichkeit  auf  rein  moralischen  Gründen  fußte.  Wir  finden 
die  erste  allgemeine  Anspielung  darauf  in  der  Ka^/<a-Upa- 
nishad. 

Da  lesen  wir  (II,  5  fg.) :  >Thoren,  die  im  Dunklen  woh- 
nen, weise  in  ihrem  eigenen  Dflnkel  und  aufgeblasen  von 
eitlem  Wissen,  gehen  umher,  hin  und  her  schwankend,  wie 
Blinde,  von  Blinden  geführt. 

»Das  Jenseits  tritt  dem  vom  Wahn  des  Reichtums  ver- 
blendeten sorglosen  Kind  nie  vor  Augen. 

»Dies  ist  die  Welt,  denkt  er,  es  gibt  keine  andere; 
nnd  so  gerät  er  immer  wieder  in  meine  Gewalt«  (die  Gewalt 
des  Todes.. 

Der  Sprechende  ist  hier  Yama.  der  Beherrscher  der 
Väter,  später  der  Todesgott  und  derjenige,  welcher  die  Bösen 
in  der  Hölle  bestraft. 

Auch  bei  Plato  scheint  die  erste  Idee  der  Metempsychose 
oder  der  Wanderung  menschlicher  Seelen  in  tierische  Körper 
durch  ethische  Betrachtungen  veranlasst  worden  zu  sein. 
Im  tausendsten  Jahre,  sagt  er,  kommen  Beide,  sowohl  die 
guten  als  auch  die  bösen  Seelen,  zum  Losziehen  und  zur 
Wahl  ihres  zweiten  Lebens,  und  jede  wählt  das,  welches  ihr 
gefiült.^;  Die  Seele  des  Menschen  kann  in  das  Leben  eines 
Tieres  übergehen  oder  von  dem  eines  Tieres  wieder  zum 
Menschen  zurückkehren.  Hier  wird  offenbar  angenommen, 
dass  der  Mensch  je  nach  seinem  Geschmack  und  Charakter 
wählen  würde,  so  dass  sein  nächstes  Leben  seinem  Charak- 
ter, wie  er  sich  in  einem  früheren  Leben  gebildet  hat.  ent- 
sprechen würde.  Dies  wird  noch  deutlicher,  wenn  wir  die 
Geschichte  von  £r  am  Ende  von  Plato's  *Staat'  lesen. 

1.  Phaedms,  p.  249. 


216 


Siehente  Vorlesung. 


Ule  (iesi-hkhU'  vod  ftr. 
Sie  orinacin  aicli  aUe  &n  ilen  HHiD|)liylier  l^r,  >)  dM 
SoliD  des  ArmeninB.  Dieser  wnr  in  (lt:r  Sotilacht  gefallen. 
und  aU  man  zehn  Tage  nachher  die  bereits  verwesemlen 
Leichen  der  Oerallenen  anfhob,  fand  man  iieineu  Kßrper 
ganz  nnbei'Qbrt  von  Verwesung  und  auliafTte  ibn  nsch  Hau»», 
um  ihn  zn  verbronnen.  Wie  er  aber  am  zwölften  Tage  *a( 
dem  Scheiterhaufen  lag,  kehrte  er  zum  Leben  zarQclc  nnd 
berichtete  Alles,  waa  er  in  der  anderen  Welt  gesehen.  Seine 
Seele,  sagte  er,  habe  den  Körper  verlaSBcn  und  habe  sodaua 
in  OesellHchaft  vieler  anderer  eine  lange  Wandornng  ango- 
treten.  loh  kann  Ihnen  hier  nicht  diese  ganie  Episode  vor- 
lesen —  Sie  kennen  sie  auch  wohl  Alle  —  jedenfalls  ist  Bie 
leicht  zngUngHch,  und  ein  knrzor  Abriss  wird  filr  unsere 
Zwecke  genügen. '']  £r  berichtet,  wie  er  zunächst  an  einen 
geheimnisPoUen  Ort  gekommen  sei;  dort  seien  zwei  OfTauDgea 
in  der  Erde  gewesen,  und  oben  am  Himmel,  diesen  gegen- 
über, zwei  andere.  Und  in  der  Hitte  zwischen  diesen  seien 
Hiehtcr  gesessen,  um  über  die  Seelen  Ihr  Urteil  zu  fllllen,  und 
diese  hfttlen  die  guten  Seelen  zum  Ilimmol  hinauf  und  die  soblocb- 
teu  in  diu  Erde  hinunter  gesandt,  l'nd  während  diese  Snelen 
durch  die  l^ine  Uffnnng  in  die  Krde  hinab  und  zum  Hiiurad 
hinauf  gestiegen  seien,  seien  Ändere,  vom  Himmel  herab-  nU« 
von  der  Erde  hinanfateigend,  aus  der  zweiton  ÖOhuug  liei^ 
ausgekommen;  und  auf  einer  Wiese  seien  sie  eusaromenge- 
kommen,  hätten  einander  umarmt  und  einander  ereftklt  vom 
den  Freuden  des  Himmels  und  den  Leiden  unter  der  Erde 
während  der  tausend  Jahre,  die  sie  dort  verlebt.  Naohdmi 
die  Geister  sieben  Tage  auf  der  Wiese  verweilt,  mnaeteB  afo 
weiter   ziehen.      Diese   Weiterreise    durch    die   SpbSreo    dea 


I|  über  ühnliche  Oeacbicblen  vgl.  Liebrcchl  ]d  seinen  Auidm- 
kungen   zu   des   flirrasiaa     can    TiBiwy    Otia    Imprrialia   (UB.Duror 


2)  Siehe  Platous  Werke, 

pp.  651  tr 


Die  Eschatologie  Plato's.  217 

Himmels  wird  ansftihrlich  beschrieben,  und  sie  endet  schließ- 
lich damit,  dass  die  Seelen  vor  den  drei  Schicksalsgöttinnen 
LachesLS,  Clotho  und  Atropos  stehen.  Hier  aber  empfangen 
sie  ihr  Los  fflr  ein  neues  Leben  nicht  etwa  als  eine  natfir- 
liehe  Folge  ihrer  früheren  Thaten  oder  Missethaten.  sondern 
sie  dfirfen  sich  ihr  eigenes  Los  wählen ,  und  sie  wählen  es 
natürlicher  Weise  je  nach  ihren  Erfahrungen  in  einem  frü- 
heren Leben,  und  je  nach  der  Neigung  ihres  im  früheren 
Leben  geformten  Charakters.  Manche  Menschen,  der  Mensch- 
heit überdrüssig ,  ziehen  es  vor .  als  Tiere .  als  Löwen  oder 
Adler,  geboren  za  werden,  manchen  Tieren  gefällt  es,  als 
Menschen  ihr  Glück  zu  versuchen.  Odysseus.  der  Weiseste 
von  Alien,  verachtet  das  Los  der  Königsherrschaft  und  des 
Reichtums  und  erwählt  das  ruhige  Leben  eines  Privatmannes 
als  das  glücklichste  Los  auf  Erden.  Nachdem  sie  hierauf 
an  dem  öden  Gefilde  der  Vergessenheit  und  dem  Flusse 
der  Nichterinnerung  vorbeigezogen,  werden  sie  von  einem 
Erdbeben  erfasst  und  zu  ihrer  neuen  Geburt  hinauf  getrieben. 
Flato  schließt  sodann  die  Vision  des  Pamphyliers  £r  mit  den 
folgenden  Worten:  »Darum  ist  es  mein  Rat,  dass  wir  immer- 
dar auf  dem  himmlischen  Wege  verharren  und  Gerechtigkeit 
und  Tugend  üben  sollen,  stets  bedenkend,  dass  die  Seele  un- 
sterblich und  fähig  ist,  alle  Arten  des  Guten  und  alle  Arten 
des  Übels  zu  ertragen.  Dann  werden  wir  leben,  einander 
liebend  und  von  den  Göttern  geliebt,  sowohl  während  wir 
hier  verweilen,  als  auch,  wenn  wir,  gleich  Siegern  in  den 
Kampfspielen,  die  herumgehen  Gaben  einzusammeln,  unseren 
Lohn  empfangen.  Und  es  wird  uns  wohl  ergehen  sowohl  in 
diesem  Leben,  als  auch  in  der  tausendjährigen  Wanderung, 
die  wir  beschrieben  haben.« 

Übereinstimmungen  und  Verschiedenheiten. 

Dies  ist  mit  Recht  als  die  herrlichste  Mythe  im  ganzen 
PUto  bezeichnet  worden,  es  ist  eine  Art  philosophischer 
Apokalypse,  welche  den  Glauben  an  Unsterblichkeit   bei  den 


218 


Siebente  Vork-sung. 


Oneolien,  und  nicht  nui'  bei  (ieo  Öiiechea.  soadorn  bei  Allen, 
die  ihre  ScbOler  wurden,  lebendig  erhuUen  bat.  In  den 
äußeren  Umrissen  dieser  die  Wandernng  der  Seele  nach  dem 
Tode  erlütitcirnden  Platoniaohen  Myllie  zeigt  sich  ohne  Zwrä- 
fel  eine  gewisse  Älinlicbkeit  mit  den  Stellen,  welche  wir 
finher  iiua  den  Upaniahaden  citiert  haben.  D&rin,  dass  £r 
oin  Pamphylier  war.  hat  man  aognr  eine  Andeutnog  du 
orienlalischen  Ursprungs  der  Platonischen  Mythe  sehen  wollen; 
ich  Icann  es  aber  nicht  Über  mich  bringen  zu  glanbpu.  dasa 
wir  ein  Hecht  bülten,  die  Quelle  irgend  eines  von  PUto's 
Gedanken  aus  Indien  oder  Pcrsien  hcrznleiten.  Die  Unter- 
schiede zwischen  der  indischen  und  der  griocbischen  Sag« 
scheinen  mir  nicht  minder  bedeutend,  als  deren  Obcreinstim- 
mungen.  Ee  mag  ja  sonderbar  scheinen,  dnse  die  mensch- 
liche Phantasie  sowohl  in  Griechenland  als  aneh  in  Indien 
diese  Mythe  von  der  Seele,  welche  den  Kürpor  verUsst  nnd 
nach  den  oberen  oder  unteren  Regionen  wandert,  am  ihren 
Lohn  oder  ihre  Strafe  zu  empfangen,  geschaffen  haben  soll; 
und  insbesondere  scheint  die  Vorstellung  von  ihrem  Hineingehen 
in  tierische  Körper  sehr  Überraschend,  wenn  wir  dieselbe  mm 
ersten  Mal  in  Oriechenland  sowohl  als  in  Indien  finden. 
Uennoch  ist  es  viel  leichter,  anzanehmen,  dasa  dieselben  IiJvm 
aus  denselben  Quellen,  den  Besorgnissen  und  Iloffnnngen  des 
Menachenherzena,  spontan  hervorbrachen,  als  zuzugeben,  in»» 
in  hiatorischen  Zeiten  ein  Ideenaustausch  zwischen  indi&ohen 
nnd  griechischen  Philosophen  stattgofnnden  habe.  Zn  den 
stürksten  Überelnstimmuugen  gehört  die  zwisched  den  neun 
oder  drei  mal  drei  Klaaaen  von  Beschäftigungen  der  Seele 
bei  Manu  und  bei  Pl&to;  nnd  wiederum  die  zwischen  den 
KIdss  Vi^arA ,  Nicblalternd .  wo  ein  Mensch  alle  seine  guten 
und  seine  böi^on  Thaten  hinter  sich  läsat.  nnd  dem  'JVunli 
vom  Zaremaya-Ol,  durch  welchen  nach  dem  Glauben  des 
Aveata  die  Seele  alle  weltlichen  Sorgen  und  KOmmcmiaae 
vergibst,  ehe  sie  in  das  Paradies  gelangt,  und  andereraeits 
dem  voD  Pinto  erwähnten  Gefilde  der  Vergesacnhoit  nnd 
Flusse  der  Nicbtcrinneriing.  oder  noch  mehr  dem  lietbestron 


Die  Esehatologie  Plato's.  219 

oder  dem  Strom  der  Vergessenheit  in  der  allgemeinen  grie- 
chischen Mythologie.  Doch  kann  selbst  dies  eine  Idee  sein. 
die  sich  den  griechischen  nnd  den  indischen  Denkern  unab- 
hängig darbot.  Wer  immer  glaubte,  dass  die  Seele  unsterb- 
lich sei.  musste  auch  glauben,  dass  sie  vorher  existiert  habe, 
oder  dass  sie  ohne  einen  Anfang  sei:  und  da  keine  Seele 
hier  anf  Erden  irgend  eine  Erinnerung  an  ihre  vorhergehen- 
den Existenzen  hatte,  so  waren  ein  Strom  der  Lethe  oder 
Vergessenheit,  ein  Fluss  Viz/arä,  oder  das  Ol  der  Vergessen- 
heit nicht  gar  so  unnatürliche  Anskunftsmittel,  dies  zu  er- 
klären. 

Der  M jthe  zu  Grunde  liegende  Wahrheit. 

Niemand  wfirde  so  weit  gehen  zu  behaupten,  dass  diese 
Theorien,  da  manche  derselben  in  Indien  und  in  Griechen- 
land dieselben  sind  und  in  beiden  Ländern  unabhängig  von- 
einander auftraten,  darum  unvermeidlich  oder  wahr  seien. 
Nur  so  viel  haben  wir  ein  Recht  zu  sagen,  dass  sie  natfiriich 
sind,  und  dass  ihnen  etwas  zu  Grunde  liegt,  was,  wenn  es 
in  weniger  mythologischer  Sprache  ausgedrückt  würde,  die 
strengste  Probe  philosophischer  Untersuchung  bestehen  könnte. 

Um  uns  dies  klarer  zu  machen  und  uns  darüber  Gewiss- 
heit zu  verschaffen,  was  für  eine  Art  von  Wahrheit  der 
nnunterstützte  menschliche  Geist  in  Bezug  auf  diese  Gegen- 
stände erreichen  könne,  mag  es  von  Nutzen  sein,  hier  die 
Theorien  von  einigen  der  sogenannten  vrilden  Völker  einer 
Cntersnehong  zu  unterziehen. 

Die  Haidas  Ober  die  Unsterblichkeit  der  Seele. 

Ich  wähle  zu  diesem  Zwecke  vor  Allem  die  Haidas. 
welche  die  Charlotte-Inseln  bewohnen  und  die  uns  kürzlich 
von  dem  mit  ihrer  Sprache  gründlich  vertrauten  Rev.  C.  Har- 
rison  geschildert  worden  sind. 

Nach  seiner  Schilderung  würde  die  Religion  dieser  wilden 


220 


-  V'urlesuu(f, 


Ilaidss  Bohr  viel  Ähnlichkeit  mit  der  Religion  der  alten  Per- 
lier  aufzaweiaen  soheinen.  Sie  glauben  an  zwei  Hauptgott- 
hoiten:  der  Eine  ist  der  Gott  dos2l>iohteK,  der  gnt  ist,  der 
Andere  der  Gott  der  Finsternis,  der  bfise  ist.  Außer  diesen 
Beiden  gibt  i^s  eine  AnEahl  kleinerer  Oottbeiton ,  zu  denen 
diu  llaidas  beten,  nnd  denen  aie  kleine  Opfer  darbringen.  Sie 
filrchlen  diese  kleineren  Gottheiten,  wie  den  Gott  der  Sonne 
lind  des  Heeri>a,  mehr  als  die  beiden  großen  Mllehto  des  Liohts 
lind  der  Finaternis.  obwolil  diese  beiden ,  wie  sie  annehmen, 
Alles  und  Jedes  mit  EinseUlu»s  selbst  dieser  kldnerco  Gott- 
heiten geschalTeii  haben. 

Die    Ilaidas  glauben   an   die   Unsterblichkeit  der  Seele, 
und    ihre    Ideen   über  die   Wanderung   der  Seele   nach  denk 
Tode    sind    fast   so  gekünstelt,    wie    die   der    Upanisliadun. 
Wenu   ein   guter   llaida   im   Bogriff  ist.  zu  sterben,  sieht  ar- 
oinen Uanmkahn,    der    mit  einigen  seiner   Freunde  liemaniat 
ist,    welche    mit  der   Flut  daherkommen,    um  ihn  iu  ihrem 
Keiche  willkommen  zu  heißen.     0er  Gott  dos  Todes,   glaubt 
man,  habe  sie  geschickt.     Der  Sterbende  sieht  sie  uud  fireat 
sich  zu  wissen,  dass  er,  nachdem  er  eine  gewisse  Periode    b 
der   Stadt   des   Todes   zugebracht,    mit  seinen   Freunden    im 
lioiclie  des  Lichlgottes  Aufnahme  finden  werde.    Seine  Frennde 
rufen  ihn  uud  heißen  ihn  kommen.     Sie  sagen : 
uns,   komm   in  das   Land    des  Liohtos;  komm   in   dan  Lud 
großer   Dinge,  wunderbarer  Dinge;   komm  in   das  Land  J« 
Tberflusses,    wo   man    keinen  Ilungor  keunt;   komm  mit  du 
und   ruhe   aus   auf  immer  nnd  ewig     ...     Komm  mit  uat 
in  unser  Land  des  Sonnenschoiua  nnd  sei  ein  großer  lIU|"t- 
ling  mit  eiuem  Gefolge  von  zahlreichen  Sklaven.    Komis  Jtttl 
mit  uns,   sageu   die   Geister,   denn    die  Flut   ist   im  Begtif^i 
zurflckzu treten,   uud  wir  müssen  scheiden.  <     Schließlich  rti 
Iftsst  die   Seele   des  Verstorbenen   den  Körper,   um  sich 
Gesellschaft  seiner  fröhureu  Freunde  luuu  schließ  cd.  wlhreaj 
sein  KOi'|ier  mit  großem  Pomp  und  Glanz  bestattet 
Ilaidas  glauben,  dass  die  Seele  den  KOrper  sofort  nach  dj 
Tode    verlasse,    und    dass    entweder    Häuptling    Wolke 


Die  Eschatologie  Plato's.  221 

HioptiiDg  Tod  TOD  ihr  Besitz  ergreife.  Von  der  guten  Seele 
nimmt  Häuptling  Tod  Besitz,  and  während  ihres  Aufenthalte:» 
im  Reiche  des  Todes  lernt  sie  riele  wunderbare  Dinge  und 
wird  in  die  Mysterien  des  Himmels  eingeweiht  (genau  so  wie 
die  8eele  des  NaX'iketas  im  Reiche  des  Yama  .  Endlich  wird 
er  zur  Essenz  des  reinsten  Lichtes  und  ist  im  stände,  seine 
Freonde  auf  Erden  wieder  zu  besuchen.  Nach  Verlauf  der 
einjährigen  Probezeit  naht  der  Augenblick  seiner  Erlösung 
ans  dem  Reiche  des  Todes.  Da  es  unmöglich  ist.  dass  die  reine 
Elssenz  des  Lichtes  mit  einem  verderbten  materiellen  Körper  in 
Berflhrung  komme,  so  nimmt  der  gute  Indianer  bloß  dessen 
Erscheinen  an.  und  dann  werden  die  Thore  weit  aufgerissen, 
nnd  seine  Seele,  welche  nunmehr  die  Gestalt  seines  irdischen 
Körpers  angenommen  hat.  jedoch  in  das  Licht  des  Licht- 
reiches gekleidet  ist.  wird  von  Häuptling  Tod.  in  dessen 
Beiche  er  in  den  im  Himmel  zu  beobachtenden  Gebräuchen 
unterwiesen  worden  ist.  dem  Häuptling  des  Lichtes  sichtbar 
^macht. 

Der  schlechte  Indianer  wird  in  dem  Reiche  der  Wolken 
Bnaufhörlich  gequält.  Zunächst  muss  seine  Seele  mit  ansehen, 
wie  der  Häuptling  dieses  Reiches  sich  an  seinem  Leichnam 
^tlich  thut.  bis  derselbe  ganz  aufgezehrt  ist.  Zweitens  ist 
er  dieser  Welt  so  nahe,  dass  er  ein  sehnliches  Verlangen 
trägt,  zu  seinen  Freunden  zurückzukehren  und  deren  Teil- 
nahme zu  gewinnen.  Drittens  schwebt  ihm  die  Angst,  in  die 
HöUe  (HetTwanUna:  abgef&hrt  zu  werden,  stets  vor  der  Seele. 
Keine  Idee  von  Buße  für  sein  vergangenes  böses  Leben  wird 
je  zugelassen,  da  seine  Seele  nach  dem  Tode  der  Besserung 
■nd  folglich  auch  der  Erlösung  unfähig  ist.  Das  ist  ganz  ver- 
schieden von  Plato  und  den  Upanishaden.  wo  es  doch  immer 
eme  Hoffnung  auf  schließliche  Erlösung  gibt. 

Zuweilen  wird  den  Seelen  in  den  Wolken  die  Erlaubnis 
gewährt,  wieder  die  Erde  zu  besuchen.  Dann  können  sie 
nur  von  dem  Saaga.  dem  großen  Medizinmann,  gesehen  wer- 
den, der  sie  als  aller  Kleidung  entblößt  beschreibt.  Sie 
werden  als  böse  und  verräterische  Geister  angesehen,  und  es 


m 


8I«beii(e  VorkauDg, 


ist   Sache    des    Medizinamnos,    sie  darun  tu  verhindern,  dkss 
sie    irgend    eines   der  Häaser    betreten;    und    nicht  nur   dies, 
solidem  sobald  der  Saaga  an  kundigst,  dawi  eine  gewisse  Sede 
von    den    Wolken  herabgestiegen  sei,    wird    keiner  sein  Hans 
vorlaaaen,  weil  der  Anblick  einer  bütaen  Seele  Krankheit  nnd 
Kummer,  und  deren  BerUhning  den  Tod  berbeifOhren  wßrdc. 
Zuweilen  kommt  es  vor,  dxss  die  Seelen  im  Reiche  des  Tode» 
innerbnlb  eines  Jahres  nicht  rein  und  heilig  gemacht  werden, 
wjihrend  sie  doch,  als  ihre  Körper  alHrben,  nicht  Schlucht  genng 
waren,  um  von  IlSuptting  Wölke  gefangen  zu  werden.    Dann 
wird  ea  notwendig,  dass  die  minder  geheiligten  Seelen  nur  Erdu 
zurtlckkehrcn  und  neu  geboren  werden.    Jode  Seele,  die  nlr.til. 
würdig  iet,  in  den  Himmel  einzugehen,  wird  EU  ihren  Krem — 
den  EurBckgesHndt   und   bei   der   ersten   Gelegenheit   wieder — 
geboren.   Der  Snaga  kommt  in  d&a  Tlaiis,  tun  das  neDgebom^ 
Kind  zn  sehen,  nnd  seine   dienstbaren  Üuister    kflndigen  thoa 
an,  dass  in  diesem  Kinde  die  Seele   eines  wKhrend  der  toc— 
hergehenden    Jahre    gestorbenen     abgeschiedenen     Fronnd^»« 
stecke.     Ihr  neues  Leben  muas  derart  sein,  dass  sie  in  dom— ., 
sollten  der  Vergeltung  fllr  die  Misseihaten   ihres  vergangen oxa 
Lebens    unterworfen    sind    (dieselbe    VorsteUiuig,    die    nns    in 
Indien  nnd  in  Griechenland  b(.'gegnete),  nnd  so  wird  diu  L&ale— 
rung   der  Seelen   in  aufeinanderfolgenden  Wanderungen  fort- 
goftthrt,  bis  sie  geeignet  sind,  in  das  ßeicli  des  ewigen  Lich- 
tes einzugehen. 

Zuweilen  geschieht  es,  dass  nach  einem  ein.jAhrigffD 
Aufenthalt  in  den  Wolken  manche  Seelen  za  lasterhaft  üod 
schlecht  sind,  nm  nach  Flelywanlana  geführt  xn  werden;  (i« 
werden  ebenfalls  auf  diese  Ktde  zarUckgesuidt,  ul)«r  lät  iW- 
fen  nicht  wieder  in  einen  in eiisc blieben  Körper  eindriDgtf' 
^io  dürfen  nnr  in  die  Körper  von  Tieren  und  Fi^iclien  eii- 
gohen  und  müssen  große  Qualen  erdulden. 

Wir  sehen  hier,  wie  die  Haidaa  xu  der  Idee  di^r  Meteii- 
psj-chose  so  ziemlich  auf  demselben  Wege  gelangten,  der  6(. 
Inder  zu  derselben  fllhrle.  Zum  Zweck  der  UübI 
dachte  man  aiofa,    mUsstcn   die   menschlichen  Soelen 


Die  Eschatologie  Plato's.  223 

Körper  gewisser  Tiere  eingehen.    Desgleichen  treffen  wir  bei 
den  Haidas   die   Idee,    welche    wir  in  den  Upanishaden  und 
bei  Plato  fanden,  dass  gewisse  Seelen  wieder  als  menschliche 
Wesen  geboren  werden,    am   eine   neue  Läuterung  durchzu- 
macheo,  ehe  es  ihnen  gestattet  werden  konnte,  in  das  Reich 
des  ewigen  Lichtes  einzugehen.  Diese  Zwischenstufe  —  die  ein- 
fachste Auffassung  eines  Fegefeuers  —  für   Seelen,   welche 
weder  gut  genug   für   den  Himmel,  noch  schlecht  genug  für 
die    Hdlle    sind,    kommt    auch    in     der    späteren    persischen 
Ldtteratur  vor.     Sie  wird  da  als  der  Hamistakän  bezeich- 
Bei,  der  zwischen  Himmel  und  Erde   in   der   Mitte    gelegene 
Ort,    der    fÄr  jene  Seelen    reserviert  ist,    deren  gute  Werke 
ibre  Sünden  genau   aufwiegen,   und   wo  sie  bis  zur  schließ- 
Uchen  Auferstehung    in    einem   unveränderten    Zustand   ver- 
la^rren.^) 

Die  Poljnesier  über  die  Unsterblichkeit  der  Seele. 

Ich  habe  mir  die  Haidas,  die  Aboriginer  der  Nordwest- 
kOste  Amerikas,  ausgewählt,  als  ein  Volk,  das  unmöglich  von 
^iaem  einzigen  Strahl  jener  Civiiisation    berührt  worden  sein 
k%nn.  die  in  Mesopotamien  oder  in  Persien,  in  Ägypten  oder 
^ti  Griechenland   ihren   Sitz  hatte.     Ihre   Gedanken  über  die 
Unsterblichkeit   der  Seele   und   über  das  Schicksal  der  Seele 
^«ch    dem    Tode   sind    offenbar   das    Resultat   unabhängigen 
Wachstums,    und   wenn   sie   in   gewissen   wichtigen   Punkten 
ikUt  den  Ansehanungen  der  Upanishaden.  des  Zendavesta  oder 
t^lato's    übereinstimmen,    so   beweist  diese    Übereinstimmung 
^war  nicht  deren  Wahrheit,  jedenfalls  aber  das,  was  ich  als 
deren  Katürlichkeit  bezeichne,  sie  beweist,    dass   sie  mit  den 
Hoflhongen   und  Besorgnissen    des   Menschenherzens   in  Ein- 
klang stehen. 

Ich  werde  nun   ein   anderes  Volk  vornehmen,  das  nicht 
niader   der   mesopotamischen ,    persischen,    ägyptischen    und 


1)  Haag,  a.  a.  0.  p.  389  n. 


■224 


Siclicnte  VorUisnng. 


grioobUclieo  fledankonwolt  outrflckt  und  von  don  Rinwolineni 
NordwoBt-Amorikag  so  »eit  als  mdglicb  entfernt  ist.  —  ich 
mein«  die  Volksatamme,  welche  die  polj-neaischen  Inseln  be- 
wohnen. Icli  wttlil»  sie,  weil  sie  uns  ein  Haß  geben,  welches 
zeigt,  was  für  ein  Grad  von  Ähnlichkeit  in  Bezog  auf  reli- 
giöse oder  philosophische  Gegenstände  möglich  ist,  ohne  dass 
wir  entweder  einen  gemeinsamen  historischen  Ursprung  oder 
einu  thatsüchliolie  Enllehnong  in  S|)iltärcT  Zeit  anznnehmeu 
haben.  Ich  wfthle  sie  auch  ans  einem  anderen  Grund,  i 
sie  nämlich  eines  der  wenigen  Völker  sind ,  von  denen 
gründlich  gelehrte  und  zuverlässige  Berichte  ans  der  Feder 
eines  Missionars  besitzen,  der  die  Sprache  nnd  die  Gedanken 
des  Volkes  grOudlich  beherrscht,  und  der  sich  als  von  allna 
aas  theologischer  oder  wiasenschaftlicher  Parteinahme  eDt— 
springenden  Vorurteilen  frei  erwiesen  hat.  Ich  meine  i 
liev.  W.  Wyatt  Gill.  Indem  er  von  den  Inseln  der  Hervey— 
Gruppe  im  Besonderen  spricht,  sagt  er: 

•  Anf  jeder  Uiael  der  Hervey-Gmppi'  gab  es  irgend  eino 
Verschiedenheit  des  Brauches  in  IJezng  anf  die  Toten.  Dte 
Il&nptlinge  von  Atiu  waren  wohl  am  ungezDgeltsten  in  il 
Trauer.  Ich  weiß  von  einem,  der  sieben  Jatirc  nm  sein  «I 
sigcs  Kind  trauerte,  indem  er  die  ganze  Zeit  in  einer  FISKo 
in  der  Nähe  dos  Grabes  lebte,  sich  Haar  und  NHgel  waebBso 
und  seinen  Leib  ungewnschen  ließ.  Dies  macht«  groß«*  An^^ 
sehen  auf  der  ganzen  Insel.  Im  Allgemeinen  waren  all"-' 
Trauere eremo nie a  in  einem  Jahre  vorüber.  • 

Was  dachten  aber  dieae  Inselbewohner  Aber  das  kDoftic* 
Leben'?  Nnr  selten  gelingt  es,  Ilber  diu  Ideen  der  Wilde» 
von  dem  äobicksal  ihrer  abgeschiedenen  Frenude  einen  Jtr- 
stündlichen  Bericht  zn  erhalten.  Viele  vermeiden  Jen  Ucpn)* 
stand  ganz,  und  selbst  diejenigen,  welche  bereit  *ind,  einen 
Weißen  ihre  Gedanken  unumwunden  mitzuteilen,  werden  vm 
denen,  die  sie  befragen,  oft  nicht  verstanden.  GUI  bildet  ■■> 
dieser  Beziehung  eino  lobenswerte  Ausnahme,  und  PolgoodH 
berichtet  er  uns  über  die  Vorstellung  von  der  Ueister«*!') 
wie  seine  polyneaisohen  Freuudi'  sie  hegt«n. 


Die  Escbatologie  Plato's.  225 

>Das  eigentliche  Geisterland  [ist  unten,  wo  der  Sonnen- 
tt  Rä  sich  aasroht,  nachdem  sein  Tagesgeschift  vollbracht 
,c  Dies  erinnert  nns  an  Yama.  den  Sohn  des  VivasTat 
iT  Sonne),  der  nach  dem  Glauben  der  Tedischen  Inder  in 
r  Welt  der  Väter  wohnt  und  der  Herrscher  über  die  Gei- 
r  der  Abgeschiedenen  ist.  Diese  Geisterwelt  »wird  mit 
-schiedenen  Namen  benannt  als:  Po  Nacht\  Araiki.  Ha- 
i*i.  Hawaiki  oder  die  Heimat  der  Ahnen.  Doch  sollen  alle 
iegergeister,  d.  h.  Alle,  die  eines  gewaltsamen  Todes  ge- 
rben sind,  zu  ihren  glflcklichen  Heimstätten  in  den  zehn 
mneln  oben  empor ateigen.  V^olksfiimUch  wird  vom  Tode 
jeder  Form  als  dem  In-die-Nacht-gehen'  gesprochen,  im 
gensatz  zum  Tage  (ao).  d.  h.  Leben.  Oben  und  unten 
d  zahlreiche  Länder  und  eine  große  Mannigfaltigkeit  von 
Bwohnem  —  fflr  sterbliche  Augen  unsichtbar:  diese  sind 
er  nichts  als  ein  Faksimile  dessen,  was  wir  um  uns 
nim  Jüchen. 

>Der  samoanische  Himmel  wurde  als  Pulotu  oder  TV- 
fu  bezeichnet,  und  man  nahm  an.  dass  er  unter  dem  Meere 
ge.  Auf  Mangaia  hofften  die  Krieger  >in  den  Himmels- 
Bm  zu  springen  <.  >den  Kriegertanz  in  Tairi  oben)  zu  tan- 
ii<.  in  vollkommener  Gifickseligkeit  >im  Fleckenlande  *; 
o^poe  zu  wohnen«.  Auf  Rarotonga  hoffte  der  ELrieger 
le  Stätte  im  Hause  des  Tiki  zu  finden,  in  welchem  die 
ipferen  vergangener  Zeitalter  versammelt  sind,  die  mit  Essen. 
Inken.  Tanzen  oder  Schlafen  die  Zeit  verbringen.  Auf  der 
«el  Aitutaki  gingen  die  Tapferen  zu  einem  guten  Lande 
a  unter  dem  Schutze  des  wohlwollenden  Tukaitaua.  um 
riglich  mit  nngeschwächtem  Appetit  Zackerrohr  zu  kauen. 
t  Tahitianer  hatten  ein  Elysium.  *Miru'  genannt.  Die  Be- 
phner  der  Gesellschafts-Inseln  hofften   auf  'Rohuta  noanoa. 


1    Es  heißt  so.  weil  diese  Kriegergeister  im  obersten  Luft- 
iim  aus   der  Feme  sich  wie  winzig  kleine  Flecken   aufnehmen 
'.  W.  Gill,  Mytht  and  Sohk/m  from  tfte  !Svuih  Padjic,  Londun  1^76. 
]^*4-  Aum.  Ht4    Vhvr Beizers. 

Max  M filier.  TkeoMpkie.  ]5 


il.  li.  nur  'd&s  atlßdnftenüe    Knliuta',   du»  voll  Obst  utid  Itlu- 
men  ist. 

•  Auf  Mangaia  wnndcrteu  diu  Geister  derjenigen,  welcbc 
rnhinloa  'auf  einem  Polster  starben', ')  trostlos  llber  die  Felsen 
uiD  Hände  des  Oceans,  bis  (einmal  des  Jahres]  der  von  iliretn 
Führer  bestimmte  Tag  kommt,  wo  sie  dem  Sonnengott  Rii 
Über  den  Ocean  folgen  und  in  seinem  Gefolge  znr  Unterwelt 
hinabsteigen.  In  der  Kegel  waren  diese  tieister  ihren  eigenen 
lebenden  Verwandten  freundlich  gesinnt,  uft  aber  worden  sie 
zu  Itächeru  wenn  ein  Lieblingskind  von  einer  Stiefmutter 
oder  anderen  Verwandten  misshandelt  wurde  u.  dgl.  Aber 
die  esoterische  Lehre  der  Priester  1  autele  wie  folgt:  UnglOok- 
iiche'J)  Geister  wandern  über  die  spitzigen  Felsen  riiiga  um 
die  Insel,  bis  sie  den  äußersten  Hand  des  Abhangs  gerado 
gegenüber  der  nntergehenden  Sonne  erreichen,  worauf  eine- 
gewaltige  Woge  sich  dem  Fuße  des  Abhangs  nähert  and  in 
gleicher  Zeit  ein  riesiger  am«'- Baum  {Fui/raea  liftrfrriana) 
mit  wohlriechenden  Bluten  bedeckt,  ans  Avaiki  hervorsprießt, 
nm  diese  trostloaeu  menschlichen  Geister  anfznnehmen.  Seibat 
in  diesem  letzten  Augenblicke,  wenn  sein  Fnß  den  verhilDg- 
nisvolten  Baum  beinahe  schon  berührt,  kann  eine  freaad- 
liche  Stimme  den  wandernden  Geist  noch  zum  Leben  iinA 
zur  Gesöudheit  zurückrufen.  Sonst  wird  er  dnrch  eine  ^e— 
heimnisTolle  iMaclit  dazQ  bewogen,  den  besonderen,  itlr  seioera 
eigenen  Stamm  reservierten  Zweig,  der  ihm  bcqnem  am  nioli — 
sten  gebracht  wird,  «n  besteigen.  Sobald  nun  die  mcawli— 
liehe  Buele  nuf  diesem  riesigen  'i/uu'  sicher  nntergebraekC 
ist,  sinkt  der  trügerische  Haum  mit  seiner  lebendigen  Last  in 
die  Unterwelt  hinab,  Akaanga  und  seine  Gehilfen  fangen 
den  anglückseligen  Geist  in  einem  Netä,  ertränken  Ihn  tor 
RsXttß  in  einem  Teiche  von  frischem  Wasser  und  führen  ib" 


1)  I  te  nrunga  piru.  d.  h.  eines  natürlichen  Todeti. 

2)  Weil  sie  das  lTu;;IUck  hatten,  'auf  einem  Polster  lu  iWf 
beo',  und  well  He  ihre  allen,  lieben  Scblapfwinkel  und  lleitnilü' 
l4.'u  verlassen 


Die  Eschatologie  Plato's.  227 

dann  vor  das  Angesicht  der  gefQrchteten  Mira,  der  Herrin 
der  Unterwelt,  wo  er  von  ihrer  berauschenden  Schale  trinken 
moss.  Der  betrunkene  Geist  wird  zu  dem  ewigbrennenden 
Ofen  fortgeschleppt,  gekocht  und  von  Mira,  ihrem  Sohne, 
nebst  vier  unvergleichlichen  Töchtern  verzehrt.  Die  Abfölle 
werden  ihren  Dienern,  dem  Akaanga  und  Andern,  vorge- 
worfen. So  das3  auf  Mangaia  gänzliche  Vernichtung,  oder 
doch  Verdautwerden,  das  Ende  des  Feiglings  ist. 

»Auf  Karotonga  musste  der  unglückselige  wandernde 
Geist,  der  kein  Geschenk  für  Tiki  hatte,  außerhalb  des  Hau- 
ses verweilen,  wo  die  Tapferen  vergangener  Zeitalter  ver- 
sammelt sind,  in  Regen  und  Finsternis  immerdar,  frierend 
und  hungernd.  Eine  andere  Ansicht  lautet,  dass  die  große  Zu- 
sammenkunft der  Geister  auf  einem  Felsenkamm  gerade 
gegenfiber  der  untergehenden  Sonne  stattfand.  Ein  Stamm 
ätreifle  am  Rande  der  See  hin,  bis  er  den  verhängnisvollen 
Platz  erreichte.  Ein  anderer  (der  Stamm  von  Tangiia  auf  der 
Ost  Seite  von  Rarotonga)  durchstreifte  die  Gebirgskette,  welche 
das  Rückgrat  der  Insel  bildet,  bis  derselbe  Ausgangspunkt 
erreicht  war.  Angehörige  des  ersteren  Volksstammes  klet- 
terten auf  einen  (noch  stehenden)  alten  ^Bua-Bsinm  hinauf. 
Sollte  der  Ast  zuföllig  brechen,  so  wird  der  Geist  sofort  im 
Xetz  von  *Murn  gefangen.  Zuweilen  aber  geschieht  es,  dass 
ein  lebhafter  Geist  die  Maschen  des  Netzes  zerreißt  und  auf 
kurze  Zeit  entrinnt,  indem  er  durch  einen  unwiderstehlichen 
nneren  Drang  gegen  den  äußeren  Rand  des  Felsenriffes  hin 
forteilt,  in  der  Hoffnung,  über  den  Ocean  zu  gelangen. 
Allein  in  gerader  Linie  vom  Ufer  ist  eine  runde  Höhlung,  wo 
Akaanga's  Netz  verborgen  ist.  In  diesem  werden  die  ganz 
Wenigen,  welche  den  Händen  der  Muru  entrinnen,  unfehlbar 
gefangen.  Die  entzückten  Dämonen  (taae)  nehmen  den  ge- 
fangenen Geist  aus  dem  Netze  heraus,  schlagen  ihm  an  der 
scharfen  Koralle  das  Hirn  ein  und  schleppen  ihn  im  Triumph 
zu  den  Schatten  fort,  um  ihn  zu  essen. 

»Für  den  Stamm  von  Tangiia  war  ein  Eisenholzbaum 
reserviert.    Die  Geister,  welche  auf  die  grünen  Zweige  dieses 

1^» 


228 


Sietiente  VurleBuug. 


Baamea  traten,  kehrten  wieder  zum  Leben  znrflck,  wihrend 
diejenigen,  welche  daa  Unglück  hatten,  auf  die  abgestarbenen 
Zweige  zu  kriechen,  sofort  iu  dem  Netze  von  Huru  oder 
Akaanga  gefangen,  enthirnt,  gekocht  und  aufgegessen  wurden! 

>Auf  Aitutaki  waren  die  Geister  von  Feiglingen  und 
Ruf^hlosen  ebenfalls  daEU  verdammt,  der  nnbeachreiblicb  bäsa- 
lichcn  Miru')  und  ihrem  (iefolge  zum  Schmause  eu  dienen. 

•  Der  alte  tUaube  der  Bewohner  der  Hervey-Inseln  war 
wesentlich  derselbe.  In  der  Hauptsache  wich  er  auch  oicht 
von  dem  Glauben  der  Tahitianer  und  der  Bewohner  der  G6- 
sellschaftaiuseln  ab;  die  Abweichungen  sind  nur  von  der 
Art,  wie  sie  sich  wohl  erwarten  ließen,  wenn  Bestandteile 
derselben  großen  Familie  durcb  Menschenalter  hindurch  von- 
einander getrennt  gewesen," 

Wir  sehen  in  diesen  polynesiachen  Legenden  ein  auf- 
fallendes Gemisch  von  rohen  und  erhabenen  Idven  Aber  dM 
Schicksal  der  Seele  nach  dem  Tode. 

Gilt  sagt.  dasB  im  östlichen  stillen  Meere  keine  8pnr 
von  Seelen  Wanderung  zu  finden  sei.  Und  doch  sagt  er  uns, 
dass  man  fabelt,  die  Geister  der  Toten  halten  zeitweilig  und 
fOr  einen  besonderen  Zweck  die  Gestalt  eines  Insekts,  räo« 
Vogels,  eines  Fisches  oder  einer  Wolke  angenommen.  Br 
fDgt  hinzu,  das»  man  glanbto,  dass  Götter  und  insbesoader« 
die  Oeister  vergötterter  Menschen  in  Haifischen,  Schwer^ 
fischen  u.  dgl.,  iu  Aalen,  Achtfflßlorn,  gelben  und  schwin- 
gefleckten Eidechsen  und  in  verschiedenen  Arten  von  VBgebi 
und  Insekten  für  immer  wohnten  oder  inkamiert  seien.  Hau 
kann  daher  nicht  sagen,  dasa  die  Idee  von  Seelen,  die  in 
TierkOrpern  wohnen,  den  Einwohnern  der  polj'nesischeD  In- 
seln gltnzlich  unbekannt  gewesen  sei. 

Wenn  man  fragt,  was  eine  Vergleichnng  der  Meinonges 
Über  das  Schicksal  der  Seele  nach  dem  Tode,  wie  sie  nicht 
nur    von    hochciviliaierten    Völkern ,    wie    den   ludern ,    den 


1)  Die  J/i'ru   ' 
Rarotooga. 


tiiki    \*t    diu  Motu   vni 


Die  Eschatologie  Plato's.  229 

Persern  und  den  Griechen,  sondern  auch  von  Völkern  auf 
einer  sehr  niedrigen  Stnfe  socialen  Lebens,  wie  den  Haidas 
nnd  Polynesien!,  gehegt  wurden,  uns  nützen  könne,  so  lautet 
meine  Antwort:  Wir  lernen  daraus,  dass  der  Glanbe  an  eine 
Seele  und  an  die  Unsterblichkeit  der  Seele  nicht  bloß  der 
Traum  von  ein  paar  philosophischen  Dichtern  oder  dichterischen 
Philosophen,  sondern  das  spontane  Erzeugnis  des  mensch- 
lichen Geistes  ist,  wenn  er  sich  dem  Mysterium  des  Todes 
von  Angesicht  zu  Angesicht  gegenüber  sieht. 

Das  letzt«  Resultat  der  physischen  Religion. 

Das  letzte  Resultat  von  dem,  was  ich  Thysische  Reli- 
gion und  ^Anthropologische  Religion'  nannte,  ist  eben  dieser 
Glanbe,  dass  die  menschliche  Seele  nach  dem  Tode  in  das 
Liichtreich  eingehen  und  vor  dem  Throne  Gottes  —  welchen 
Kamen  auch  immer  m&n  ihm  gegeben  haben  mag  —  stehen 
^erde.  Dies  scheint  in  der  That  der  höchste  Punkt,  den 
die  Natürliche  Religion  erreicht  hat.  Wir  werden  aber  sehen, 
dass  wenigstens  Eine  Religion,  die  des  Vediinta,  einen  ent- 
schiedonen  Schritt  darüber  hinaus  gethan  hat. 


Achte  Vorlesung. 
Wahre  Unsterbliohkeit. 


Judentam  und  Buddhismus. 

Sonderbar  ist  es,  dass  die  beiden  Religionen,  in  denen 
wir  nichts  oder  so  gut  wie  nichts  über  die  Unsterblichkeit 
der  Seele  oder  ihre  Annäherung  an  den  Thron  Gottes  oder 
ihr  Leben  im  Lichtreiche  finden,  gerade  die  jüdische  und 
die  buddhistische  Religion  sind,  die  eine  monotheistisch 
im  höchsten  Grade,  die  andere  in  den  Augen  der  Brahmi- 
nen  fast  rein  atheistisch.  Das  Alte  Testament  schweigt 
beinahe  still,  und  Stillschweigen  in  Bezug  auf  einen  solchen 
Gegenstand  lässt  nur  Eine  Auslegung  zu.  Die  Buddhisten 
gehen  aber  sogar  noch  weiter.  Was  auch  immer  die  volks- 
tümlicheu  abergläubischen  Vorstellungen  der  Buddhisten  in 
ludien  und  anderen  Ländern  gewesen  sein  mögen,  Buddha 
selbst  erklärte  aufs  entschiedenste,  dass  es  nutzlos,  ja  unrecht 
sei,  die  Frage  aufzuwerfen,  was  aus  den  Abgeschiedenen 
nach  dem  Tode  werde.  Über  den  Gegenstand  befragt,  lehnte 
es  Buddha  ab,  irgend  eine  Antwort  zu  geben.  Von  aUem. 
anderen  Religionen  der  Welt  jedoch ,  mit  diesen  zwei  Aus — 
nahmen,  erhalten  wir  eine  und  dieselbe  Autwort,  nämlicti. 
dass  die  höchste  Seligkeit  der  Seele  nach  dem  Tode  darlii 
bestehe,  dass  sie  sich  der  (Jegcnwart  Gottes  nähere,  möglicher- 
woisc  dass  sie  dem  höchsten  Wesen  Lobeshymnen  singe  und 
Verehrung  zolle. 


Wahre  Unsterblichkeit.  231 

Die  Ted&nta-Lehre  Aber  die  walire  ünsterbliehkeit. 

Es  gibt  nur  eine  Religion ,  welche  einen  entschiedenen 
Fortschritt  über  diesen  Punkt  hinaus  gemacht  hat.  Wohl 
stoßen  wir  in  anderen  Religionen  auf  gelegentliche  Ausdrücke 
der  Sehnsucht  nach  etwas  Höherem  als  dieses  bloße  Sich- 
versammeln  um  den  Thron  eines  höchsten  Wesens  und  Lob- 
singen seines  Namens;  auch  hat  es  seit  den  ältesten  Zeiten 
nie  an  Protesten  gefehlt  gegen  die  Idee  eines  Gottes,  der 
auf  einem  Throne  sitzt  und  eine  rechte  und  eine  linke  Hand 
hat.  Obgleich  aber  diese  alten,  durch  Glaubensbekenntnisse 
und  Katechismen  bekräftigten  anthropomorphischen  Ideen 
immer  wieder  zurückgewiesen  worden  sind,  hat  man  doch 
nichts  an  deren  Stelle  gesetzt,  und  so  tauchen  sie  natürlicher- 
weise mit  jeder  neuen  Generation  wieder  von  neuem  auf. 
In  Indien  allein  hat  sich  der  menschliche  Geist  über  diesen 
Punkt  hinaus  empor  geschwungen,  zuerst  durch  Mutmaßungen 
und  Postulate,  wie  wir  sie  in  manchen  der  Upanishaden  finden, 
später  durch  strenge  Argumentation,  wie  wir  sie  in  den  Ve- 
danta-sütras  und  noch  mehr  in  dem  Kommentar  des  «SaAkara 
finden.  Der  Vedänta  —  ob  wir  nun  denselben  als  Religion 
oder  als  Philosophie  bezeichnen  —  hat  mit  der  alten  abge- 
nutzten anthropomorphischen  Auffassung  von  Gott  und  der  sich 
dem  Throne  Gottes  nähernden  Seele  vollständig  gebrochen  und 
Perspektiven  eröfinet,  die  den  größten  Denkern  Europas  un- 
bekannt waren. 

Dieses  Ringen  nach  einer  reinen  Auffassung  der  Gott- 
heit begann  schon  sehr  früh.  Ich  habe  oft  die  Stelle  citiert, 
wo  ein  vedischer  Dichter  sagt: 

»Was  Eines  ist,  die  Dichter  nennen  es  mit  vielen  Namen. 
>Sie  nennen's  Agni.  Yama,  Mätaridvan.c 

(Rv.  I,    1G4,  4G.) 

Sie  bemerken ,  wie  das ,  von  dem  hier  als  Einem  ge- 
>prochen  wird,  schon  in  den  Hymnen  des  Rigveda  nicht 
mehr  ein  Maskulinum,  nicht  mehr  persönlich  im  menschlichen 
Sinne  des  Wortes  ist;  es  hat  nicht  einmal  einen  Namen. 


Perstliillchhclt  eine  BeschrBokiing  der  Oolttaelt. 

Oline  Zweifel  wird  dieser  Schritt  von  Vieleu 
ein  Scliritt  nach  vorwärts,  aondern  ah  ein  KUckschritt  an- 
gesehen werden.  Wir  hören  oft  Lente  sagen,  ein  nnperaön- 
licher  Gott  sei  gar  kt'm  Gott.  Und  doch,  wenn  wir  unaerc 
Worte  vorsichtig  gebrancLen,  wenn  wir  nicht  liloß  Wort« 
uauhsagen ,  sondern  ihren  Sinn  zu  erfassen  snoheo ,  so  kön- 
nen wir  leicht  begreifen ,  warum  jene  alten  Sucher  nach 
Wahrheit  es  ablehnten,  der  Gottheit  menschliche  Persönlich- 
keit zuzuschreiben.  Man  vergisst  zn  leicht,  dase  menschliche 
Persönlichkeit  stets  eine  Beschränkung  in  sich  schließt.  Da- 
rum waren  alle  persönlichen  Götter  der  allen  Mythologie 
beschränkt.  Jupiter  war  nicht  Apollo,  Indra  war  nicht 
Agni.  Wenn  Leute  von  menschlicher  Pers<lnliclikeit  spre- 
chen, so  schließen  eie  dabei  oft  jede  Art  von  BosohrKokang 
ein,  nicht  nur  Alter,  Geschlecht,  Sprache,  Nationalität,  er- 
orbleu  Charakter  und  Wissen,  sondern  auch  ftuBere  Enchei- 
nung  und  Gesichtsausdruck.  Alle  diese  näheren  BeBtimmiu- 
gen  wurden  den  alten  Göttern  beigelegt ,  aber  nül  dnn 
Aufdämmem  einer  höheren  Auffassung  der  Gottheit  trat  eine 
Ueaklion  ein.  Die  ersten  Philosophen  Griecheninnds,  die 
mindestens  ebenso  sehr  religiöse  als  philosophische  Lehrer 
waren,  erhoben  zum  Beispiel  durch  den  Mund  des  Xenophanet 
gegen  den  Glauben  Einspruch,  daas  Gott,  wenn  er  als  die 
hflohste  Gottheit  aufgefusst  wird,  entweder  an  Körper  oder 
an  Geist  einem  Menschen  gleich  erachtet  werden  könne.  In 
unseren  Tagen  hielt  es  noch  der  Bischof  von  London  l^r 
richtig  und  notwendig,  eine  christliche  Gemeinde  vor  der 
Gefahr  zu  warnen,  die  darin  liege,  dass  man  Gott  eine  Per- 
sönlichkeit  im  gewöhnlichen  8inne  des  Wortes  zuschreibe. 
>Bs  gibt  einen  Sinn,'  sagt  er, 'j  >in  dem  wir  dem  aiitw 
kiinnten  absoluten  Wesen  nicht  Persönlichkeit  caschreibeti 
künuen;  denn  unsere  Persiinlichkeit  ist  notwendiger  Vfmt 
von  Bescbrnnknngen  umgeben,  und  wir  linden  es  nnmOglieli, 


1i  Temple,  Bamplioi  Ltrtumt,  p.  bl. 


Wahre  Unsterblichkeit.  233 

UDseren  Begriff  einer  Person  von  diesen  Beschränkungen  za 
befreien.  Wenn  wir  von  Gott  als  einer  Person  sprechen,  so 
können  wir  nicht  umhin,  anzuerkennen,  dass  diese  Persön- 
lichkeit unsere  Begriffe  weit  übersteigt ....  Wenn  Gott  eine 
Persönlichkeit  absprechen  soviel  heißen  soll,  wie  ihn  einem 
blinden,  toten  Gesetz  gleich  machen,  so  können  wir  eine  solche 
Absprechung  nur  aufs  entschiedenste  zurückweisen.  Wenn  Gott 
eine  Persönlichkeit  absprechen  soviel  heißen  soll,  wie  seine 
Unbegreiflichkeit  behaupten,  so  sind  wir  sofort  bereit,  unsere 
Schwäche  und  Unfähigkeit  einzugestehen,  c 

Es  ist  sonderbar,  dass  die  Leute  nicht  einsehen  wollen, 
dass  wir  in  Bezug  auf  Persönlichkeit  genau  dieselbe  Lehre 
annehmen  müssen,  die  wir  in  Bezug  auf  alle  anderen  mensch- 
lichen Eigenschaften  annehmen  mussten,  wenn  wir  es  ver- 
suchen, sie  auf  Gott  zu  übertragen.  Wir  können  sagen,  dass 
Gott  weise  und  gerecht,  heilig  und  erbarmungsvol)  ist,  aber 
er  ist  alles  das  in  einem  über  den  menschlichen  Verstand 
hinausgehenden  Sinne.  Auf  dieselbe  Weise  müssen  wir,  wenn 
wir  von  Gott  als  persönlich  sprechen,  begreifen  lernen,  dass 
seine  Persönlichkeit  hoch  über  jeder  menschlichen  Persön- 
lichkeit, hoch  über  unserem  Verstand  sein  muss,  immer  vor- 
ausgesetzt, dass  wir  verstehen ,  was  ¥rir  meinen ,  wenn  wir 
von  unserer  eigenen  Persönlichkeit  sprechen.  Manche  Leute 
sagen,  dass  die  Gottheit  mindestetis  persönlich  sein  muss; 
ja,  aber  zu  gleicher  Zeit  muss  die  Gottheit  mindestens  über 
alle  jene  Beschränkungen  erhaben  sein,  welche  von  mensch- 
licher Persönlichkeit  untrennbar  sind. 

Aber  wenn  wir  auch  völlig  überzeugt  sind,  dass  Gott 
nicht  persönlich  im  menschlichen  Sinne  des  Wortes  sein 
kann,  so  müssen  wir  doch,  so  oft  wir  in  irgend  eine  Bezieh- 
ung zu  Gott  treten,  ihn  als  persönlich  auffassen.  Wir  kön- 
nen uns  unserer  menschlichen  Natur  nicht  entkleiden.  Wir 
wissen,  dass  die  Sonne  nicht  aufgeht,  aber  wir  können  nicht 
umhin,  sie  aufgehen  zu  sehen.  Wir  wissen,  dass  der  Him- 
mel nicht  blau  ist,  und  doch  können  wir  nicht  umhin,  ihn 
blau   zu   sehen.     Selbst   der    Bischof    knnn    uns    nur   sagen, 


234 


Aahtu  VorleHung. 


wie  wir  nicht  Aber  Oott  denken  dürfen;  aber  wie  wir  Ober 
ihn  anders  als  pereönüch  denken  aollen,  sagt  er  uns  nicht 
Wenn  wir  sehen,  wie  Xenophanoa  daa  höchste  Wesen  als 
aipuißOBidi]g  oder  kugelförmig  darzuatellon  versucht,  so 
sehen  wir,  wohin  alle  Versnche  dieser  Art  fflbren  würden.  Daa- 
aelbe  geistige  Bingen,  das  wir  in  don  Worten  eines  lobenden 
Bischofs  beobachten  können,  können  v.iv  auch  in  den  spa- 
teren Änßernngen  der  vedisehen  Dichter  verfolgen.  Sia 
fanden  in  ihrem  alten  Glauben  Namen  von  zahllosen  peraön- 
licLen  Göttern,  aber  sie  begannen  einzusehen,  dass  alle  dicsa 
Namen  nur  unvollkommene  Ausdrtlcke  seien  fOr  das.  was 
allein  ist,  das  anbekannte  absolute  Weseu,  wie  Dr.  Tcmplu 
es  nennt,  daa  Ekam  sat  der  Weisen  des  Veda, 


Uas  Bingen  nueh  einer  lißheren  AufruKSunu  der  (iottt 

Wie  war  also  das  Ekam  aat,  rii  JV  y.ui 
benennen?  Man  versuchte  es  mit  vielen  Namen.  MancliL- 
vedische  Weise  nannten  es  Prä/ja,  d.  b.  Atem,  was  dem 
griechischen  ij-'v^i),  Atem  oder  Geiät  oder  Seele,  am  nllclulcD 
kommt.  Andere  gestanden  ihre  Unf&bigkeit  ein,  es  untor  il^Bd 
einem  Namen  zn  begreifen.  Dass  es  ist,  nnd  dass  es  l^inW 
ist,  wird  gerne  zugegeben.  Was  aber  irgend  eine  beslimmtv 
Kenntnis  oder  irgend  einen  bestimmten  Namen  desselben  anbe- 
langt, so  erklären  die  vedisehen  Weisen  ihre  Unwissenheit  ebensd 
bereitwillig,  als  irgend  ein  moderner  Agnostiker.  Dieser  wahre 
Agnoaticismus,  diese  dorta  igtiorantia  der  Theologen  des  lUt-' 
telalters,  dieses  Bewusstsein  von  der  gitnzlichon  Uilflosigkeä  t 
and  Unfähigkeit  des  Menschen,  zu  irgend  einer  Erkenntnis  Got- 
tes zu  gelangen,  findet  nirgends  einen  so  nlhreudeu  Anadrock, 
wie  in  den  Worten  einiger  dieser  alten  vedisehen  Uichter. 

Ich  will  einige  ihrer  Äußerungen  eitleren. 

Kv.  X,  S2,  T.  >Du  wirst  ihn  nicht  finden,  der  disrt 
Dinge  gesohaS'en  hat;  etwas  Anderes  steht  Ewisdien  dir  nsd 
ihm.  In  Nebel  gehallt  und  mit  stammelnder  Stimme  wandiln 
die  Dichter  dahin,  sich  des  Lebens  erfrenend.« 


Wahre  Unsterblichkeit.  235 

Rv.  I,  164,  4 — 6.  »Wer  hat  den  Erstgebornen  gesehen, 
als  er,  der  keine  Knochen  (d.  h.  keine  Form)  hatte,  ihn  trug, 
der  Knochen  hatte.  Das  Leben,  das  Blut  and  die  Seele  der 
Erde  —  wo  sind  sie?  Wer  ging  zu  Einem,  der  es  wusste, 
ihn  darum  zu  fragen?  Schlichten  Geistes,  da  ich  es  in  mei- 
nem Geiste  nicht  begreife,  frage  ich  nach  den  verborgenen 
Stätten  der  Götter  ....  Unwissend,  frage  ich  die  wissenden 
Weisen,  damit  ich,  der  Nichtwissende,  wisse,  was  das  Eine 
in  der  Gestalt  des  Ungebornen  sei,  welches  diese  sechs  Räume 
festgestellt  hat.c 

Noch  stärker  ist  dieses  Geständnis,  wie  es  immer  wieder 
in  den  Upanishaden  wiederholt  wird. 

Zum  Beispiel  *S'vet.  Up.  IV,  19.  »Niemand  hat  ihn  oben, 
quer  über  oder  in  der  Mitte  erfasst.  Es  gibt  kein  Ebenbild 
von  ihm,  dessen  Name  *Große  Herrlichkeit'  ist.c 

Oder  Mund.  Up.  III,  1,8:  »Er  wird  nicht  mit  dem 
Auge,  nicht  mit  der  Sprache,  nicht  mit  den  anderen  Sinnen, 
auch  nicht  durch  Bußübung  oder  gute  Werke  begriffen.« 

Ken.  Up.  I,  3:  »Dein  Auge  geht  nicht  dahin,  noch 
deine  Sprache,  noch  dein  Geist.  Wir  wissen  nicht,  wir  ver- 
stehen nicht,  wie  irgend  Jemand  es  lehren  kann.  Es  ist 
verschieden  von  dem  Bekannten,  es  geht  auch  über  das  Un- 
bekannte hinaus,  so  haben  wir  von  denen  aus  alter  Zeit,  die 
uns  dies  gelehrt,  vernommen.« 

ÄÄänd.  Up.  IV,  3,  6:  »Sterbliche  sehen  ihn  nicht,  ob- 
gleich er  an  vielen  Orten  wohnt.« 

In  der  Taitt.  Up.  II,  4  heißt  es,  dass  sich  Worte  zugleich 
mit  dem  Geiste  davon  abwenden,  ohne  es  erreicht  zu  haben  — 
und  an  einer  anderen  Stelle,  KaM.  Up.  III,  15,  wird  es  aus- 
drücklich als  namenlos,  unberührbar,  formlos  und  unvergäng- 
lich bezeichnet.  Und  wiederum,  Mmid.  Up.  I,  1,  6  als  un- 
sichtbar und  nicht  zu  erfassen. 

Gerade  diese  Zweifel  und  ängstlichen  Fragen  sind  höchst 
rührend.  Ich  zweifle,  ob  wir  irgend  etwas  Ähnliches  anderswo 
finden.  Nur  in  Bezug  auf  Einen  Punkt  scheinen  diese  alten 
Sucher  nach  Gott  gar  keinen  Zweifel  zu  haben,  nämlich  dass 


■236 


Äclite  'VVrkisnng. 


dieses  Wesen  Eines  und  ohne  ein  Zweites  ist.  Wir  sahcD 
dies,  wenn  der  Dichter  sagte:  »Was  Eines  ist,  die  Dichter 
nennen  es  mit  vielen  Namen«;  nnd  in  den  Upanisbaden  wird 
dieses  'Eine  ohne  ein  Zweites'  zu  einem  beatAndigen  Nameo 
für  das  höchste  Wesen.  &a  sagt  die  Katfi.  Up.  V 
gibt  Einen  Herrsclier,  die  Seele  inoerlialb  aller  Dinge,  der  die 
Eine  Form  mannigfach  macht.  <  Und  die  6'veta«vatara  -  Up. 
VI,  II  fllgt  hinzn:  -Er  ist  der  Eine  Gott,  in  allen  Dingen 
verborgen ,  Alles  durchdringend ,  die  Seele  innerhalb  aller 
Wesen,  über  alle  Werke  wachend,  in  Allem  wohnend,  der 
Zeuge,  der  Wahmebmeude ,  der  Einzige,  von  allen  Eigeo- 
scbaften  frei,  er  ist  der  einEige  Herrseber  über  Viele,  die  (zo 
handeln  scheinen,  aber  in  Wirklicbkoit)  nicht  handeln.' 

Die  KHüä.  Up.  VI,  2,  1  sagt:  -Am  Anrange  war  nur 
das  Seiende,  Eines  nur,  ohne  ein  Zweites.;  und  die  Bnli. 
Ar.  Up.  IV,  3,  32  fügt  hinzu;  .Dieser  Eine  Seher  [8nli- 
jekt]  ist  ein  Oceao,  nnd  ohne  jede  Zweiheit.* 

Mu'itt  Up.  II,  2,  ü.  >ln  ihm  sind  der  Ilimmel,  die  Erde 
und  der  Luftraum  verwoben,  auch  der  Gotat  mit  allen  äinoen. 
Wisse,  daas  er  allein  das  Selbst  ist,  und  gib  andere  Naoon 
auf.  Er  ist  die  BrOcke  der  Insterhlicbon.  d.  h.  die  UrUdu, 
Tormittelst  deren  wir  nnsere  eigene  Unslorblichkeit  erroicben.* 

Das  sind  freilich  nichts  als  nnbehcdfone  Versuche  d» 
Menschen,  die  Wahrheit  zu  finden,  sich  im  Finittern  forteatappen; 
aber  auch  so,  —  wo,  außer  in  Indien,  finden  wir  noch  der- 
artige unbeholfene  Versuche,  Gott  zu  finden? 

Der  menschliche  Geist  kann  jodoch  nicht  lange  ohne 
Namen  auskommen,  nnd  manche  der  Namen,  die  dem  Binen 
nnkennbareu  und  nnhenennbaron  Wesen  gegeben  worden  sioiL 
und  die  wir  nun  zd  untersuchen  haben  wevdeu,  waren  nnd 
sind  noch  die  Ursache  großer  Schwierigkeiten. 


Kamo  für  die  hiicbste  flettlielt.  Itrahmau. 

Einer  der  bekannteBten  Namen  ist  Brahman,  nrtpi 
Hob    ein    Nenttam,     oft     ahor    auch    ohne  Unt«ncliied   lU   , 


Wahre  Unsterblichkeit.  237 

Masknlinnm  gebraucht.  Es  wäre  eine  außerordentliche  Hilfe, 
wenn  wir  über  die  Etymologie  von  Brahman  etwas  Sicheres 
wüssten.  Wir  würden  dann,  was  immer  am  wichtigsten  ist, 
die  erste  Auffassung  des  Wortes  wissen ;  denn  es  ist  klar  — 
und  die  Philosophen  sollten  das  jetzt  endlich  schon  einsehen 
gelernt  haben  — ,  dass  jedes  Wort  zuerst  das  bedeutet  haben 
muss,  was  es  etymologisch  bedeutet.  Viele  Versuche  sind 
gemacht  worden,  die  Etymologie  des  Wortes  Brahman  aufzu- 
finden, aber  weder  diese  noch  die  allmähliche  Entwickelung 
der  Bedeutungen  desselben  lässt  sich  mit  vollkommener 
Sicherheit  feststellen.  Man  hat  gemeint,  ^)  dass  gewisse  Stel- 
len in  der  KaMa-Upanishad  (II,  13;  VI,  17)  eine  Ableitung 
des  Wortes  brahman  von  der  Wurzel  barh  oder  brth, 
'abreißen',  enthalten  sollten,  als  ob  Brahman  zuerst  'das  Ab- 
gerissene', 'das  Losgelöste',  'das  Absolutum^  bedeutet  hätte; 
es  gibt  aber  keine  anderen  Zeugnisse  für  das  Vorhandensein 
dieser  Gedankenrichtung  in  Indien.  Andere  haben  brahman 
von  der  Wurzel  barh  oder  br«h  in  dem  Sinne  von  'Schwel- 
len' oder  'Wachsen'  abgeleitet.  So  hat  Hang  in  seiner  1871 
erschienenen  Abhandlung  ^Brahma  und  die  Brahmanen' 
angenommen,  dass  brahman  ursprünglich  'Gewächs,  Spross' 
bedeutet  haben  müsse,  und  er  sah  einen  Beweis  dafür  in  dem 
entsprechenden  Zendworte  Baresman  (Barsom),  welches  ein 
Bündel  Zweige  (virgae)  bezeichnet,  das  von  den  Priestern, 
namentlich  bei  den  Izeshan  -  Opfern ,  gebraucht  wird.  Er 
Bchreiibt  sodann  dem  Worte  brahman  die  mehr  abstrakte 
Bedeutung  von  'Wachstum,  Gedeihen'  und  'was  Gedeihen  und 
Wachstum  bewirkt',  nämlich , 'heilige  Lieder'  zu.  Auf  diese 
Weise,  meint  er,  sei  brahman  dazu  gekommen,  den  Veda, 
das  heilige  Wort,  zu  bezeichnen.  Schließlich  habe  Brahman 
die  Bedeutung  von  'Triebkraft  der  ganzen  Natur',  'höchstes 
Wesen',  'das  schlechthin  Absolute'  angenommen,  von  dem 
«Skftkara    sagt:    »Das  Brahma  ist  seiner    Natur   nach   ewig, 


i;  Deussen,  System  des  Vedänta,  p.  12S. 


2S8 


Achte  Vi-rleJäiiBir. 


rein,    mit   Intelligeni  begabt,   einsncipiert  (von  do 
xllwiasend,  mit  AUmacbi  begiibt.< 

Wenn  durch  einen  bekannten  grammatischen  Vorg^ 
dieses  Nentrom  brithman  (Nora,  brahma;  in  das  Maskniinum 
brahmiin  (Nom.  brahmül  verwandelt  wird,  so  evhlüt  oa  die 
Bedentnng  von  'Einer,  der  mit  Brabman  vertraut  isf.  'ein 
Mitglied  der  Prieaterkaste  ;  zweitens  bedeutet  es  einen  Prie- 
st*r,  der  die  besondere  Aufgabe  bat.  das  Opfer  zn  b«aaf- 
sichtigen,  aber  auch  den  persönlichen  Schöpfer,  die  als 
persönlichen  Gott  aafgefasste  universale  Kr^ft,  dasselbe  wie 
Prai^Apati,  und  in  späterer  Zeit  Einen  %'on  'den  die  Tri- 
rafirti  —  Brahmdn,  Vishnu  und  Alva  —  bildenden  Göttern.  So 
weit  llsug. 

Muir  {Sam/ivit  Texis,  I,  p.  240}  geht  von  brilliman  in 
dorn  8inne  von  'Gebet,  Hymnus'  xns,  wAhrend  er  das  davon 
abgeleitete  MaBkulinnm  brahmän  iu  der  Bedeutnng  von 
'Ueter,  Dichter,  Weiser',  dann  'Priester  im  Allgemeinen'  nnil 
flchließlich  'Kin  mit  besonderen  Pflichten  betrauter  Priester" 
auffa^at. 

Roth  nimmt  ebenfalls  an,  dass  der  ursprüngliche  Sinn 
von  ßrahman  'Gebet' gewesen  sei,  nicht  aber 'Lobpreisung' 
oder  'Danksagung',  sondern  jene  Art  von  Anrufung,  welche, 
mit  der  Kraft  des  Willens  an  den  Oott  gerichtet,  ilin  an  dem 
Verehrer  hinzuziehen  und  von  ihm  Befriedigung  zu  erluigea 
trachtet. 

Ich  muss  gestehen,  dass  die  Hymnen  des  Vcda,  wie  wir 
sie  jetzt  lesen,  kaum  so  voll  inbrllnstiger  Andacht  sind,  dut 
man  sie  so  eigentlich  als  Ausbrüche  bezeichnen  kiSnnte.  E* 
bleibt  auch  dann  noch  immer  die  Frage,  warum  die  scbOpforuch» 
Kraft  des  Weltalls  mit  demselben  Namen  bezeichnet  wnrd«. 
Mir  scheint  es,  dass  die  Idee  einer  schöpferischen  Kraft  od«T 
treibenden  Macht  zwar  ganz  gut  durch  Brithman  von  ünir 
Wurzel  barh,'}  'hervorbrechen,   hervortreiben',   anegvdrOckt 


I)  Brahman  wird  Euwcilen   mit  !>i-i'ljHt,   'wachsend.  groQ'  fp 
'/.iiaammenhang  g;ebracbt,  siehe  £vet.  Up.  II],  7. 


Wahre  Unsterblichkeit.  230 

werden  konnte;  dass  aber  das  andere  brahman,  ehe  es  die 
Bedeatang  Ton  'Hymnus,  Gebet*  erhielt,  die  ganz  einfache 
Bedeatnng  von  'Rede,  Wort*  gehabt  haben  mnss.  Es  sind  in 
der  That  noch  einige  Andentangen  vorhanden,  welche  zei- 
gen, dass  die  Wnrzel  barh  die  Bedeutung  von  *änßem'  oder 
'sprechen*  hatte.  Bn*has-pati,  der  auch  Brahma//as-pati  ge- 
nannt wird,  wird  oft  als  V:Uas-pati.  *Herr  der  Rede*,  erklärt, 
so  dass  b  r  *  h  ein  Synonym  von  v  ä  Z*  gewesen  zu  sein  scheint. 
Was  aber  noch  wichtiger  ist,  ist  die  Thatsache,  dass  das 
lateinische  cerbum,  wie  ich  vor  vielen  Jahren  gezeigt  habe. 
Buchstabe  für  Buchstabe  auf  dieselbe  Wurzel  zurflckgefflhrt 
werden  kann.  Ja.  wenn  wir  v/-idh  als  eine  Parallelform 
von  vrih  gelten  lassen,  so  kann  auch  das  englische  ^worcl 
(das  deutsche  "Wort)  auf  dieselbe  Quelle  zurückgehen.  Es 
scheint  daher  doch  wohl,  dass  brahman  ursprünglich  ^\uße- 
rung,  Wort*,  und  dann  erst  'Hymnus,  heiliges  Wort,  Veda*  be- 
deutet habe,  während  es,  wenn  es  in  dem  Sinne  von  'schöpfe- 
rische Kraft*  gebraucht  wird,  ursprünglich  als  'das  Äußernde. 
Hervorstoßende,  Offenbarende*  aufgefasst  worden  sein  würde. 
So  verlockend  es  auch  ist,  so  können  wir  doch  kaum  an- 
nehmen, dass  die  alten  Bildner  der  Sanskritsprache  irgend 
eine  Ahnung  von  der  Identität  des  Logos  prophorikos  und 
eiulidihetos  der  Stoiker,  oder  von  der  Welt  als  dem  geäußerten 
Wort  oder  dem  Gedanken,  dem  Logos  des  Schöpfers,  gehabt 
hätten.  Dass  sie  aber  doch  noch  eine  Erinnerung  daran  hatten, 
dass  Brahman  ursprünglich  'Wort*  bedeutet  habe,  lässt  sich 
durch  mehrere  Stellen  aus  dem  Veda  beweisen.  Ich  lege  kein 
Gewicht  auf  Stellen  wie  Br/h.  Ar.  Up.  IV.  1.  2:  vag  vai 
Brahma.  'Rede  ist  Brahman*.  denn  Brahman  wird  hier  auf 
dieselbe  Weise  mit  p  r  a  //  a ,  '  Atem  * ,  m  a  n  a  s .  '  Geist  *. 
iiditya,  'Sonne,  und  vielen  anderen  Dingen  identifiziert. 
Wenn  wir  aber  Rv.  I,  164,  35  lesen:  Brahma  ay.-im  vaZa// 
paramam  vjoma.  welchen  Sinn  könnte  es  haben,  dass  Brah- 
man 'mask.)  hier  'der  höchste  Himmel  der  Rede'  oder  viel- 
leicht 'das  höchste  Gewebe  der  Rede*  genannt  wird,  wenn 
nicht  irgend  ein  Zusammenhang   zwischen   brahman  und  y^h 


•^■lO 


Achte  Vorlosimg. 


dagewesen  wäre?  Kiue  andere  wichtige  Stelle  finiiet  sieb  io 
einem  an  Dnliaspati,  den  Herrn  der  Rede,  gerichteten  Hym- 
nus, wo  wir  lesen,  Kv.  X,  71.  I:  »0  Bf-thaapati  (Herr  der 
hrili  oder  Hede],  aU  die  NamoD  gebendiMi  Menscheii  den 
ersten  Anfang  der  Kede  heivorbrachlen ,  da  wurde  Alles, 
was  in  ihnen  am  besten  und  makellos,  was  in  ihnen  verbor- 
gen war,  durch  Verlangen  offenbar.'  Ich  glaube  daher,  daas 
das  Wort  Brahmnn  eine  doppelte  Geschichte  hat;  die  £iDO 
beginnt  mit  Brabman  als  Neutrum,  rö  ('Vrcj; 'V,  'die  treibende 
Kraft  des  Weltalls',  und  fflhrt  dann  über  zu  Brahman,  mask., 
als  dem  Schöpfer  der  Welt,  der  alle  Dinge  hervorbrechen  iftsst, 
and  der  spllter  zu  Einem  von  der  ans  Brahman,  'Viva  und  Vtsbnu 
bestehenden  indischen  Dreibeit  oder  Trimfirti  herabsinkt;  dio 
andere  beginnt  mit  brdli-man,  'Wort,  Äußerung',  das  allmählich 
auf  die  engere  Bedeutung  'eine  von  OpftTspenden  begleiteta 
Lobeshymne'  beschrlinkt  wird;  und  daher  stammt,  mit  Ver- 
änderung des  Geschlechts  und  Accents.  brabmifn,  'der 
Äußernde,  der  Beter  und  Opferer.  ein  Mitglied  der  Priestcr- 
knsle'. 

Selbst  wenn  Brähman  als  Neutrum  gebraucht  wird,  fol* 
gen  oft  männliche  Formen  darauf.  Und  es  gibt  viele  Stellea, 
wo  es  zweifelhaft  bleiben  muss,  ob  Brahman  als  eine  unpenfls- 
liche  Kraft  oder  als  ein  persönliches  Wesen  oder  gar  li» 
beides  zugleich  aufgefasst  wurde.  So  lesen  wir  in  der  Taitt. 
üp.  III.  I,  1:  >Das,  woraus  diese  Wesen  geboren  sind,  daa, 
wodurch  sie,  wenn  sie  geboren  sind,  leben,  das,  worein  al« 
bei  ihrem  Tode  eingeben,  versnche  das  zu  erkennen,  du 
ist  Brahman.' 

Im  Atbarvavcda  X,  2,  2b  lesen  wir:  >Von  wem  wnrdt 
diese  Erde  geordnet,  von  wem  der  obere  Himmel  gesolitflieii? 
Von  wem  wurde  dieses  emporgehoben?'   u.  s.  w. 

Die  Antwort  lautet:  -Von  Drabman  wurde  dteae  Brie 
geordnet«  a,  s.  w. 

Manolimal  wird  Brahman  mit  Präns,  'Atem',  Idenllfiel«rt, 
so    in  der   Bnli.  Xr.  Üp.  lU,  »,  9:    .Er    fragte:     Wer  ist 


Wahre  Unsterblichkeit.  241 

der  Eine  Gott  ?  Yä^Aavslkya  erwiderte :  Atem  oder  Geist,  und 
er  ist  Brahman.« 

Manchmal  wiederum  heißt  es.  dasa  Prii/^a.  'Geist*,  aas 
Brahman  entstanden  sei.  so  wenn  wir  MnW.  Up.  II.  1,  S 
lesen:  > Brahman  schwillt  dnrch  Hitze;  daraas  entsteht  Nah- 
mng  (oder  Stoffe  ans  Nahrung  Atem  (prä/ja  .  Geiste  u.  s.  w. 

Jedoch  ist  dieses  Brahman  nur  Einer  von  Tielen  Namen. 
Ton  denen  jeder  einen  Versuch  darstellt,  zu  dem  Begriff  eines 
höchsten  Wesens  zu  gelangen,  der  so  viel  als  möglich  ron 
allen  mvtholo^schen  Elementen,  von  rein  menschlichen  Eigen- 
schaften, auch  von  natttrlichem  oder  grammatischem  Geschlecht 
frei  sein  soll. 

Punsha« 

Ein  anderer  von  diesen  Namen  ist  Purnsha,  was  nr- 
iprUnglich  'Mann'  oder  *  Person  bedeutet.  So  lesen  wir 
Mu/i^.  Up.  II.  1.  1 — 3:  >Wie  ans  einem  lodernden  Feuer 
Funken,  die  dem  Feuer  ähnlich  sind,  zu  Tausenden  hervor- 
seiließen,  so  werden  verschiedene  Wesen  ans  dem  Unvergäng- 
lichen hervorgebracht  und  kehren  wieder  dahin  zurück. 
Dieser  himmlische  Parusha  ; Person,  ist  ohne  Körper,  er  ist 
sowohl  innerhalb  als  außerhalb,  nicht  erzeugt,  ohne  Atem 
■nd  ohne  Geist,  höher  als  das  Hohe,  unvergänglich.  Aus  ihm 
wird  der  Atem  (Geist^  geboren,  das  Denkorgan  und  alle  Sin- 
nesorgane. Äther.  Luft.  Licht.  Wasser  und  die  Erde,  die 
Trigerin  von  Allem.« 

Überhaupt  ist  meiner  Ansicht  nach  nichts  interessanten 
als  wenn  man  diese  wiederholten  Versuche,  zu  immer  böbe- 
ren.  reineren  Begriffen  der  Gottheit  zu  gelangen,  beobachtet. 
Diese  sogenannten  Heiden  wussten  ebenso  gut  als  wir.  dass 
ihre  alten  Namen  unvollkommen  und  der  Gottheit  nnwtlrdig 
wacen.  und  wenngleich  sich  jeder  neue  Versuch  aU  ein  neues 
Tehlsehlagen  erwies,  so  sind  doch  gerade  diese  Versuche 
aller  Ehren  wert,  und  wenn  wir  die  Zeit  nnd  die  Umstände 
in  Betracht  ziehen,    unter  denen  diese    Kämpfe   stattfanden. 

MsK  Mill«r.  Tk«M«pkie.  1(> 


242  Achte  Vurioanng. 

so  kann  ea  in  der  Jansen  Geschichte  des  menschlicheD  lici- 
stea  kanm  einen  Anblick  geben,  der  unsere  Teilnabrae  in 
höherem  Haße  erweckte  nnd  gierechteren  Anspruch  auf  noser 
sorgniltigstoa  Stnd'mni  h&tte.  Manche  Leate  aagen,  dies  AUes 
liege  hinter  uns,  aber  gerade  deshalb,  weil  ea  hinter  uns  li^t, 
sollte  63  uns  voraulassen,  hinter  uns  zu  sehen ;  das  heißt,  es 
sollte  UDB  zu  wahren  GeHcbtchtsforscherD  machen;  denn 
schließlich  iat  ja  die  Geschichte  doch  nur  ein  ZorDckblicken,  und 
indem  wir  bei  dem  Studium  derselben  auf  die  Vergangenheit 
des  Menschengeschlechts  zurnckblicken,  lesen  wir  zu  glei- 
cher Zeit  unsere  eigene  Oesohiohte  in  ihr.  Jeder  von  nni 
musate  genau  durch  dieselbe  Phase  des  üenkene  hindurch* 
gehen,  durch  welche  die  alten  Rishis  hindurchgehen  mussten, 
wenn  die  alten  Namen  und  Begriffe  Gottes  zu  enge,  in 
menacblich  und  zu  mytholo^sch  befanden  wurden. 

Praiu,  Geist. 

Wie  wir  lernen  mussten  und  noch  lernen  mDssen,  dass 
Oott  ein  Geist  ist,  so  sprachen  auch  die  vedischen  Inder  von  der 
höchsten  Gottheit  als  dem  PrAna,  indem  sie  das  Wort  nicht 
mehr  in  dem  Sinne  von  'Atem ,  sondern  von  'Geist*  gebraneh- 
ten.  wie  zum  Beispiel  in  einem  ao  l*rä'ia  gerichteten  Hymaiu 
des  Atharva-veda,  XI,  4,  wo  wir  losen:  •  Präna  ist  der  Herr 
alles  dessen,  was  atmet  und  was  nicht  atmet ....  Wende  dioh 
nicht  ab  von  mir.  o  FrA^ia,  du  bist  kein  Anderer  als  i«b.< 

Überaotzen  wir  Präwa  durch  'Geist'  oder  'göttlicher  Oelat', 
[ind  dies  wltrde  lauten:  'Der  göttliche  Geist  ist  der  Herr 
von  Allem  ....  0  göttlicher  Oeist,  wende  dich  oiehl  ab 
von  mir;  du  bist  kein  Anderer  als  icb.< 

Wiederum  lesen  wir  in  der  Frasna-Up.  II,  13:  •Diee  Allst 
ist  in  der  Macht  dos  PrA/ia,  waa  immer  iu  den  drei  "■""***■ 
existiert.  Iteschatso  uns,  wie  eine  Mutter  ihre  SShiu, be- 
schützt, und  gib  uus  Glück  und  Weisheit.' 

In  der  Kaush.  Up.  III,  &  dndon  wir  eine  noch  wiehtjgan 
ErkUrung:     >Er,   der  PrAna,  der  Geist,   tat   d«r  Bew^inr 


Wahre  Unsterblichkeit.  243 

der  Welt,  er  ist  der  König  der  Welt,  er  ist  der  Herr  des 
Weltalls,  er  ist  mein  Selbst,  dies  wisse  man.«  In  unserer 
eigenen  Sprache  wflrde  dies  heißen:  Der  göttliche  Geist  be- 
herrscht die  Welt,  und  in  ihm  leben,  weben  und  sind  wir. 

Was  Pumsha  anbelangt,  so  bedeutet  dieses  Wort  zwar 
gewöhnlich  ^Mann',  wenn  es  aber  auf  die  höchste  Gottheit  ange- 
wandt wird,  so  können  wir  es  nur  durch  Terson*  übersetzen, 
frei  von  Allem,  was  rein  menschlich  ist,  wenn  auch  gelegent- 
lich mit  Attributen  ausgestattet,  die  eigentlich  nur  menschlichen 
Wesen  zukommen.  In  dem  Geiste  der  Brahmanen  spielt  sich 
derselbe  unaufhörliche  Kampf  ab,  der  sich  auch  in  unserem 
Geiste  abspielt.  Sie  wollen  Alles,  was  beschränkt  und  Be- 
dingungen unterworfen,  Alles,  was  menschlich  und  persönlich 
ist,  von  ihrem  Begriff  der  Gottheit  ausschließen,  und  doch 
will  ihre  Sprache  sich  nicht  fügen,  und  der  männliche  Gott 
behält  stets  die  Oberhand  über  den  sächlichen. 

Pumsha,  heißt  es  in  einem  berühmten  Hymnus  des  Rig- 
veda  (X,  90;,  hat  tausend  Köpfe,  tausend  Augen  und  tausend 
Füße.  Das  ist  offenbar  metaphorisch  und  mythologisch.  Aber 
gleich  darauf  sagt  der  Dichter:  »Pumsha  ist  dies  Alles,  was 
gewesen  ist  und  was  sein  wird.« 

Dann  folgt  eine  merkwürdige  Stelle,  in  welcher  die 
Schöpfung  der  Welt  als  ein  Opfer  dieses  Pumsha  dargestellt 
wird,  bei  welchem  aus  seinem  Geiste  der  Mond,  aus  seinem 
Ange  die  Sonne,  aus  seinem  Munde  Indra  und  aus  seinem 
Atem  Väyu,  der  Wind,  entstanden  sei.  In  demselben  Hym- 
nus kommt  auch  die  früheste  Erwähnung  der  vier  Kasten 
vor,  wenn  es  heißt,  dass  der  Bn\hma/^a  sein  Mund  war,  dass 
seine  Arme  zu  dem  Rä^anya,  der  Kriegerkaste,  und  seine 
Beine  zu  dem  Vai^ya  wurden,  während  der  »STidra  aus  seinen 
Füßen  hervorgebracht  wurde. 

Andere  Namen  des  höchsten  Wesens,  Skambha« 

Es  gibt  noch  viele  Namen  ähnlicher  xVrt.  Skambha, 
wörtlich  ^Stütze',  wird  zu  einem  Namen  des  höchsten  Wesens. 

lü* 


244 


Achte  VorluBunt'- 


80  lesen  wir  im  Atharvgrveda  X,  S,  2 :  'Skambha  ist  alles  Be- 
seelte, was  immer  atmet  nnd  was  immer  die  Ängen  schließt.« 

Im  Kigveda  bereits  ist  Skambba  oft  erwähnt  aU  Sttttse 
des  Himmels.  Im  Atharva-vedu  ist  er  als  der  Hnchate  berflhmt 
I'ra^äpati,  der  Herr  der  Schöpfung,  heißt  ea  Av.  X,  7,  7), 
ruhte  snf  Skambba,  als  er  die  Welten  fest  machte.  Die  drei 
lind  dreißig  G()tter  sollen  die  Glieder  seines  Körpers  bilden 
(27),  die  gauxe  Welt  ruht  auf  ihm,  er  hat  Himmel  und  Erde 
befestigt,  und  er  durchdringt  das  Weltall  {'Sh).  Finsternis 
ist  gesondert  von  ihm,  er  ist  von  allem  Übel  entfernt  (40). 

Auf  diese  nnd  viele  andere  verschiedene  Weisen  sncbte 
der  indische  Geist  sich  mehr  und  mehr  von  der  früheren 
Bildersprache  der  physischen  Religion  zu  befreien,  and  er  er- 
reichte in  Brahman,  in  Pnrusba,  in  Prftna  nnd  in  Skambhk 
die  abstrakteste  Phase  des  Denkens,  die  in  irgend  einer  mensch- 
lichen Sprache  Ausdruck  linden  kann. 

Diese  Ausdrucke  sind  in  der  That  viel  mehr  abstrakt 
nnd  weniger  persönlich,  als  andere  Namen,  die  wir  vielleieht 
eher  geneigt  wären,  in  unserer  eigenen  religiösen  Sprache  m 
dulden,  wie  eum  Beispiel  Pra^äpati,  Herr  der  Geschöpfe, 
Vi^vakiirman,  der  Macher  aller  Dinge,  Svayambhü,  der  dorch 
sich  selbst  Existierende,  Namen,  welche  die  vedischen  Den- 
ker eine  Zeit  lang,  aber  auch  nur  eine  Zeit  lang  befHedi^a, 
bis  sie  alle  dnrch  Brahman,  dati  Neutrum,  als  das,  was  die 
Ursache  aller  Dinge  ist,  das  Unendliche  nnd  Göttliche  —  in 
weitesten  und  höchsten  Sinne  des  Wortes  —  verdraagl 
wurden. 


Namen  fUi-  die  üttele. 

Wahrend  aber  dieser  Prozesa,  die  Entbleidang  des  üött- 
lichen  von  allen  seinen  unvollkommenen  Attributen,  tob 
statten  ging,  gab  es  einen  anderen  noch  wichtigeres  PronoB, 
den  wir  gleichfalls  in  der  Sprache  des  Voda  verfolgen  kOa- 
nen  nnd  der  die  Seele  oder  das  Unendliche  im  MensehsB 
zum  Gegenstände  hat. 


Wahre  Unsterblichkeit.  245 

Nachdem  die  alten  Denker  die  Frage  aufgeworfen  hat- 
ten, was  das  wahre  Wesen  der  Gottheit  ausmache,  be- 
gannen sie  sich  zu  fragen,  was  das  wahre  Wesen  der 
Menschheit  ausmache. 


Aham,  Ego. 

Die  Sprache  gab  zunächst  den  Namen  Ego^  das  San- 
skrit ah  am,  an  die  Hand.  Dies  war  wohl  ursprünglich 
nicht  mehr  als  ein  Demonstrativpronomen  und  bedeutete,  gleich 
dem  griechischen  ode^  ^dieser  Mann  da',  ohne  dass  der  Sprecher 
sich  damit  auf  irgend  eine  weitere  Behauptung  einließ.  Der 
Mensch  sagte:  Ich  bin  ich,  wie  er  die  Gottheit  hatte  sagen 
lassen:  Ich  bin  ich.  Aber  bald  bemerkte  man,  dass  das, 
was  man  unter  diesem  Ich  verstand,  vieles  rein  ZaHUlige  in 
sich  schloss,  dass  es  Oberhaupt  das  Resultat  äußerer  Umstände 
war,  dass  es  vom  Körper,  von  Leben,  von  Alter,  von  Ge- 
schlecht, von  Erfahrung,  von  Charakter  und  Wissen  abhing 
und  nicht  ein  einfaches,  sondern  ein  höchst  zusammengesetz- 
tes Wesen  bezeichnete. 

A 

Atman« 

Zuweilen  wurde  das,  was  den  Menschen  ausmacht,  mit 
demselben  Namen  benannt,  wie  die  Gottheit:  präna,  Geist^ 
oder  asu,  Lebensodem,  auch  ^iva,  die  lebendige  Seele, 
und  manas,  Denkorgan.  Doch  bezeichneten  alle  diese  Na- 
men nur  verschiedene  Seiten  des  Ichs,  und  keiner  derselben 
befriedigte  die  indischen  Denker  auf  die  Dauer.  Sie  waren  auf 
der  Suche  nach  Etwas,  was  hinter  all  dem  lag,  und  sie  versuch- 
ten es  mit  einem  neuen  Namen,  dem  Namen  Atman,  zu 
erfassen.  Dieses  Atman  ist  wieder  sehr  schwer  etymologisch 
zu  erküren.  Man  nimmt  an,  dass  es  ursprtinglich  ^Atem' 
bedeutet  habe,  dann  ^Seele',  dann  ^Selbst'  als  Substantiv,  bis 
es  wie  ipse  oder  airrog  zu  dem  anerkannten  Reflexivprono- 
men   wurde.      Viele    Gelehrte    identifizieren    dieses    ätmän 


246 


Acht«  VorlesnDg. 


» 


mit  dem  ags.  ledio,  dem  alid.  adnm,  'Atem*  oder  'Odem'  im 
Nenhocbdentacben.  allein  weder  der  WurEelbestaudteil  Doch 
die  Ableitungssilbe  des  Wortes  ist  irgendwie  befriedigend 
erklärt. 

Wenn  fktman  als  der  Name  des  wahren  Wesens  des 
Mensclien  gebraucht  wird,  Ist  es  scliwer  zu  sagen,  ob  es  in 
der  Bedeutung  von  'Atem*  herftbergenommen  wurde,  oder  olt 
CS  schon  zu  dem  Pronomen  'selbst'  geworden  war  und  in 
diesem  Sinne  hertlbcrgenommen  ward,  um  nn  die  Stelle  Ton 
Aham.  Ego,  Ich,  zu  treten.  Es  wird  gewöhnlich  durch 
'Seele'  Übersetzt,  und  an  vielen  Stellen  ist  dies  ohne  Zweifel 
die  richtige  Übersetzung.  Nur  hat  'Seele'  selbst  wegen  ihrer 
vielen  Attribute  so  viele  Bedeutungen ,  und  mehrere  der- 
selben Uasen  »ich  auf  Atman  sowenig  anwenden,  dasa  ich 
es  vorzielie,  ätmun  durch  'Selbst'  —  d.  h.  das  wahre  Wesen 
des  Menschen,  das  noch  von  allen  Attributen  frei  ist  —  zn 
übersetzen. 

Ätman  stellt  eben  auf  Seiton  der  subjektiven  Henseh- 
lichitoit  das  dar,  was  Brahmaa  auf  Seiten  der  objekären 
flattlichkeit  darstellt;  es  war  der  abstrakteste  Name  fllr 
das,  was  ich  das  Unendliche  oder  das  Oüttlicho  im  Henaeben 
nenne. 

Es  hat  uatQrlich  in  alten  Zeiten  Philosophen  gegeben, 
wie  es  deren  noch  jetzt  gibt,  welche  leugnen,  dasa  es  etwas 
GCttlichcs  im  Menschen  gebe,  wie  sie  leugnen,  dass  es  etwas 
GGttliehos  in  der  Natnr  gebe.  Uoior  dem  OOttlichen  la 
Menschen  verstehe  ich  noch  nicht  mehr,  als  das  nicht-phioo- 
Dienale  Agens,  von  dem  die  phanomenaleu  Attribute  desFOhlaBS, 
Denkens  und  Wollens  abhängen.  Für  die  indischen  Philosophen 
war  dieses  Agens  von  selbst  einleacbtend  [svayam-prakä«a),  nad 
dies  kann  noch  immer  als  die  Anscbanung  des  gesonden  H«n- 
schen  verstau  des  hinsichtlich  dieser  Sache  bezeichnet  werdea. 
Aber  selbst  die  kritischesten  Philosophen,  welche  die  Wirklich- 
keit vuu  Allem,  was  nicht  in  unmittelbare  Berührung  mit  deo 
Sinnen  kommt ,  leugnen ,  werden  zugeben  müsaen ,  daaa  die 
Phänomone  des  Fohlens,    Denkens  und  Wollens    vi>n  Irgend 


Wahre  Unsterblichkeit.  247 

etwas  bedingt  sind,  nnd  dass  dieses  Etwas  znm  mindesten 
ebenso  wirklich  sein  mnss,  wie  die  Phänomene,  welche  von 
demselben  bedingt  sind. 

Dieses  Selbst  wurde  jedoch  nicht  in  Einem  Tage  ent- 
deckt Wir  sehen  in  den  Upanishaden  viele  Versuche,  es 
zn  entdecken  nnd  zu  begreifen.  Ich  will  Ihnen  wenigstens 
Eine  Probe  geben,  eine  Art  Allegorie,  welche  das  Sachen 
nach  dem  wahren  Selbst  im  Menschen  darstellt.  Es  ist  ein 
schätzbares  Bruchstflek  der  urältesten  Psychologie  und  ver- 
dient als  solches  ausführlich  citiert  zu  werden. 

Dialog  ans  der  JKAändogya-üpanlsliad. 

Es  ist  ein  Dialog  in  der  .A'XAndogya-Upanishad,  VIII,  7  ff., 
der  zwischen  Pra^äpati,  dem  Herrn  der  Schöpfung,  und  Indra 
als  dem  Vertreter  der  glänzenden  Götter,  und  ViroÄana  als 
dem  Vertreter  der  Asuras,  die  hier  schon  in  ihrem  späteren 
Charakter,  nämlich  als  die  Gegner  der  Devas,  aufgefasst 
werden,  stattgefunden  haben  soll. 

Pra^äpati,  heißt  es,  habe  den  folgenden  Ausspruch  ge- 
than:  »Das  Selbst  (Ätman),  welches  frei  von  Sünde,  welches 
von  Alter,  von  Tod  und  Kummer,  von  Hunger  und  Durst 
frei  ist,  welches  nichts  verlangt  als  das,  was  es  verlangen 
sollte,  welches  sich  nichts  vorstellt,  als  das,  was  es  sich 
vorstellen  sollte:  das  müssen  wir  ausfindig  machen,  das  müs- 
sen wir  zu  verstehe^  suchen.  Wer  dieses  Selbst  erkannt 
hat  nnd  es  versteht,  der  erlangt  alle  Welten  und  alle  Wün- 
sche, €  —  d.  h.  endgültige  Seligkeit. 

Die  Devas  die  Götter)  und  die  Asuras  die  Dämonen) 
hörten  Beide  diese  Worte  und  sagten:  > Wohlan,  wir  wollen 
nach  jenem  Selbst  suchen,  durch  welches  man,  wenn  man 
es  ausfindig  gemacht  hat,  alle  Welten  und  alle  Wünsche 
erlangt.« 

Mit  diesen  Worten  brach  Indra  von  den  Devas  und 
ViroX:ana  von  den  Asuras  auf,  und  ohne  sich  miteinander  ver- 
abredet zn  haben,  näherten  sich  beide  dem  Pra^apati,  Brennholz 


24  S 


Achlo  Vorlesunf;. 


in  der  Hand  haltend,  wie  es  bei  Schülern,  die  sich  ihfem 
Lehrer  nahen,  Brauch  ist. 

Sie  wohnten  dort  zweiunddreißig  Jahre  lang  als  SchDier. 
(Dies  spiegelt  das  Leben  in  Indien  in  alter  Zeit  ab,  wo 
Schüler  oft  Jahre  lang  ihren  Lehrern  fast  als  gemeine 
Knachte  dienen  muBBten,  am  sie  ssu  bewegen,  ihnen  ihre 
Kenntnis  mitzuteilen..! 

Nachdem  Indra  nnd  Viro^ana  zweiunddreißig  Jahre  bei 
Fra^äpati  gewohnt  hatten,  wandte  sich  Prayäpati  endlieh  an 
Bio  mit  der  Kroge: 

>1q  welcher  Absicht  habt  ihr  Beiden  hier  gewohnt?* 

äie  antworteten ,  sie  halten  Beide  den  Anssprnch  des 
Prai^flpali  gehiirt  nnd  sie  hätten  bei  ihm  gewohnt,  weil  siu 
das  Selbst  zn  erkennen  wünsohlen. 

Wie  viele  der  alten  Weisen,  zeigt  sich  jedoch  Praylpati 
nicht  sehr  geneigt,  seine  Wissenschaft  ohne  Weiteres  weg- 
zuschenken. Er  gibt  ihnen  verschiedene  Antworten,  welche 
zwar  nicht  gerade  falsch,  aber  doppelsinnig  und  einer  fal- 
schen Deutung  ausgesetzt  sind. 

Er  sagt  zunächst:  >Der  Parusha  (die  Person),  der  in 
dem  Auge  gesehen  wird,  das  ist  das  Selbst.  Das  ist  es. 
was  ich  gesagt  habe.  Das  ist  das  Unsterbliche,  das  Kurchl- 
lose,  das  ist  Brahman.« 

U&tteu  seine  SchQler  dies  in  dem  Sinne  verstanden, 
dass  es  sich  auf  die  Person  beziehe,  welche  durch  das  Angs 
oder  aus  dem  Auge  sieht,  so  hätten  sie  eine  richtige,  weu- 
gleich  indirekte  Vorstellung  von  dem  Selbst  bekommen.  Wann 
sie  aber  dachten,  dass  die  Abspiegelung  des  Mensehen  a 
dem  Auge  einer  andcreu  Person  damit  gemeint  sei,  so  hatten 
sie  Unrecht.  Und  sie  fassten  es  offenbar  in  dem  letstenn 
Sinne  anf,  denn  sie  fragten:  »Herr,  wer  ist  derjenige,  wd- 
cher  im  Wasser  bemerkt  wird,  und  derjenige',  welflher  ia 
einem  Spiegel  bemerkt  wird?« 

Er  erwiderte:  »Er  —  das  Selbst  selbst  eben  —  iil 
es,  der  in  diesen  allen  gesehen  wird.« 


Wahre  Unsterbliobkeit.  249 

>  Betrachtet  euch  selbst  in  einer  Pfanne  mit  Wasser,  nnd 
was  ihr  von  euch  nicht  versteht,  das  saget  mir.c 

Sie  schauten  in  die  Wasserpfanne.  Da  sagte  Pra^äpati 
za  ihnen: 

»Was  sehet  ihr?« 

Sie  sagten:  »Wir  sehen  das  Selbst  ganz  nnd  gar  so, 
ein  genaues  Ebenbild  bis  zu  den  Haaren  und  Nägeln  selbst. « 

Pra^äpati  sagte  zu  ihnen:  »Nachdem  ihr  ench  ge- 
schmückt, eure  besten  Kleider  angethan  und  euch  gereinigt 
habt,  schaut  wieder  in  die  Wasserpfanne.« 

Nachdem  sie  sich  geschmflokt,  ihre  besten  Kleider  an- 
gethan und  sich  gereinigt  hatten,  schauten  sie  in  die  Was- 
serpfanne. 

Pra^äpati  sagte:    »Was  sehet  ihr?« 

Sie  sagten:  »Gerade  so  wie  wir  sind,  schön  geschmflckt, 
mit  unseren  besten  Kleidern  und  rein,  so,  Herr,  sind  wir 
beide  darin,  schön  geschmückt,  mit  unseren  besten  Kleidern 
und  rein.« 

Pra^äpati  sagte:  »Das  ist  das  Selbst,  das  ist  das  Un- 
sterbliche, das  Furchtlose,  das  ist  Brahman.« 

Befriedigten  Herzens  gingen  sie  beide  von  dannen. 

Und  Pra^äpati  sagte,  ihnen  nachsehend:  »Sie  gehen 
beide  dahin,  ohne  das  Selbst  wahrgenommen,  ohne  es  erkannt 
zu  haben ;  und  wer  von  diesen  beiden  Teilen,  die  Devas  oder 
die  Asuras,  dieser  Lehre  (upanishad)  folgen  wird,  der  wird 
zu  Grunde  gehen. 

Befriedigten  Herzens  ging  nun  ViroXrana  zu  den  Asuras 
nnd  predigte  ihnen  diese  Lehre,  dass  man  das  Selbst  allein 
verehren,  dass  man  dem  Selbst  allein  huldigen  müsse,  und 
dass  derjenige,  welcher  das  Selbst  verehre  und  dem  Selbst 
huldige,  beide  Welten,  diese  nnd  die  nächste,  gewinne. 

Darum  nennt  man  noch  jetzt  einen  Mann,  der  hier  keine 
Almosen  gibt,  der  keinen  Glauben  hat  und  keine  Opfer  dar- 
bringt, einen  Äsura,  denn  dies  ist  die  Lehre  der  Asuras. 
Sie   putzen   den  Leib   der  Toten  mit  Wohlgerüchen,  Blumen 


250 


Achte  Vorieanng, 


Dud  ^ohßaen  UHwAnderii  aU  Schmuck  auf,  und  gUnben,  di 
sie  auf  dieaa  Weise  die  Welt  erringen  weiden. 

Indra  aber  sali,  ebe  er  nuch  zn  den  Devaa  znrQckge- 
kehrt  war.  ilte  folgende  Schwierigkeit:  >Wie  dieses  Selbst 
(der  Schatten  im  Wasserj  scLöd  geschmückt  eraobeiDt,  wenn 
der  Körper  schön  geachmOckt  ist,  schOn  gekleidet,  wenn 
der  Körper  schön  gttkleidet,  gut  gereinigt,  wenn  der  Kör- 
per gut  gereinigt  ist,  so  wird  dieses  Selbst  auch  blind 
erscheinen,  wenn  der  Körper  blind  ist.  lahm,  wenn  der  Kör- 
per lahm,  verkrüppelt,  wenn  der  Körper  verkrüppelt  ist,  and 
Uberhaupt  zu  Grande  gehen,  sobald  der  Körper  zn  Gründe 
geht.     Daram  sehe  ich  tu  dieser  Lehre  nichts  Gates.! 

Mit  Brennholz  in  der  Hand  kam  er  wieder  als  Schitier 
an  Pra^äpsli.  Pra^iÄputi  sagte  zu  ihm:  iMaghavat,  da  da 
doch  befriedigten  Ilerzens  mit  ViroZana  von  dannen  gil^B^ 
zo  welchem  Zweck  bist  dn  wieder  zurflckgekehrt?« 

Er  sagte:  >lieiT,  wie  dieses  Selbst  schön  geschmfiiM 
erscheint,  wenu  der  Körper  schön  geschmdckt  ist,  adiOi 
gekleidet,  wenn  der  Körper  schön  gekleidet,  gut  gereinigt, 
wenn  der  Körper  gut  gereinigt  ist,  so  wird  dieses  Seibit 
auch  bliud  erscheinen,  wenn  der  Körper  blind  ist.  lahn, 
wenn  der  Körper  lahm,  verkroppelt,  wenn  der  Körper  ver- 
krOppelt  ist,  und  tlberhanpt  zu  tirunde  gehen,  sobald  der 
Körper  zn  Grunde  geht.  Darnm  sehe  ich  in  dieser  Ldm 
nichts  Gntos.« 

•So  ist  CS  in  der  That,  Haghavat,'  roraettte  PrajApaÜ, 
■  aber  ich  werde  ihn  (das  wahre  Selbst)  dir  noch  w^ter  er- 
kUren.  Wohne  noch  einmal  zweinnddreißig  Jahre  hei  mir.« 
Er  wohnte  noch  einmal  zweinnddreiBig  Jahre  bri  ibm,  md 
dann  sagte  Prai7äpati: 

•  Der  inTrünmen  selig  umherwandert,  er  Ist  das  SelbU, 
dies  ist  das  Un.iterbliche.  das  Furchtlose,  dies  ist  firabnu.* 

Da  ging  ludra  befriedigten  Herzens  von  dannen.  Eh« 
er  aber  noch  zn  den  Devas  znrflckgekchrt  war,  sah  er  üt 
folgende  Schwierigkeit:  >Wohl  ist  es  wahr,  dass  dieses  Selbst 
uioht  blind  erscheint,    wenn  der  Körper  blind  ist,  nnd  niekt 


Wahre  Unsterblichkeit.  251 

lahm.  weoD  der  Körper  lahm  ist.  wohl  ist  es  wahr,  dass  die- 
ses Selbst  dnrch  seine  .des  KOrpers  Gebrechen  nicht  ge- 
brechlich wird,  dass  es  nicht  geschlagen  nnd  nicht  gelähmt 
wird,  wenn  (der  Körper)  geschlagen  oder  gelähmt  wird,  aber 
es  ist  doch,  als  ob  sie  ihn  (das  Selbst  in  Träumen  schlfi- 
gen.  ah  ob  sie  ihn  verfolgten.  Er  hat  sogar  gleichsam  ein 
Bewnsstsein  von  Schmerz  and  vergießt  in  seinen  Träumen 
Thränen.     Darum  sehe  ich  nichts  Gutes  darin.« 

Mit  Brennholz  in  der  Hand  ging  er  wieder  als  SchQler 
zu  Pra<74pati.  Pra^äpati  sagte  zu  ihm:  >Maghavat.  da  du 
doch  befriedigten  Herzens  von  dannen  gingst,  zu  welchem 
Zweck  bist  du  wieder  zurückgekehrt?« 

Er  sagte:  >Herr.  wohl  ist  es  wahr,  dass  dieses  Selbst 
nicht  blind  erscheint,  auch  wenn  der  Körper  blind  ist.  und 
nicht  lahm,  wenn  der  Körper  lahm  ist.  wohl  ist  es  wahr, 
dass  dieses  Selbst  durch  seine  ;des  Körpers  >  Gebrechen  nicht 
gebrechlich  wird,  dass  es  nicht  geschlagen  und  nicht  gelähmt 
wird,  wenn  er  der  Körper',  geschlagen  oder  gelähmt  wird, 
aber  es  ist  doch,  ah  ob  sie  ihn  ^das  Selbst)  in  Träumen 
schlagen,  ah  ob  sie  ihn  verfolgten.  Er  wird  sich  sogar  eines 
Schmerzes  gleichsam  bewusst  und  vergießt  (in  seinen  Träu- 
men^ Thränen.     Darum  sehe  ich  nichts  Gutes  darin.« 

>So  ist  es  in  der  That  Maghavat.«  versetzte  Pra^äpati. 
>aber  ich  werde  ihn  das  wahre  Selbst)  dir  noch  weiter  er- 
klären. Wohne  noch  einmal  zweinnddreißig  Jahre  bei  mir.« 
Er  wohnte  noch  einmal  zweiunddreißig  Jahre  bei  ihm.  Dann 
sagte  Pra^ipati:  »Wenn  ein  Mensch  schläft  und.  ruhig  da- 
liegend, in  vollkommener  Gemütsruhe,  keine  Träume  ^ieht. 
so  ist  dies  das  Selbst,  so  ist  dies  das  Unsterbliche,  das  Furcht- 
lose, so  ist  dies  Brahman.« 

Da  ging  Indra  befriedigten  Herzens  von  dannen.  Ehe 
er  aber  noch  zu  den  Devas  zurückgekehrt  war.  sah  er  die 
folgende  Schwierigkeit:  >Auf  diese  Weise  kennt  er  ja  doch 
sich  selbst  sein  Selbst  nicht,  er  weiß  nicht,  dass  er  Ich  ist. 
nnd  er  kennt  auch  nichts,  was  existiert.  Er  ist  in  gänzliche 
Vemichtong  fibergegangen.    Ich  sehe  darin  nichts  Gutes.« 


252 


Aehte  Voi-leBonp. 


Hit  Bronnliok  in  dei'  Hitnd  giug  er  Doch  einmal  als 
Schmer  zu  Prat/äpati.  Piayftpati  sagte  zu  ihm:  >Maghavat. 
da  du  doch  befriedigten  Herzens  von  dannen  gingst,  za  wel- 
chem Zweck  bist  da  wieder  zurückgekehrt?« 

Er  sagte:  'Herr,  auf  diese  Weise  kennt  er  ja  doch  sieb 
selbst  nicht,  er  weiß  nicht,  dass  er  Ich  ist,  und  er  kennt 
auch  nichts,  was  existiert.  Er  ist  in  gSnzliohe  Vernichtnng 
0  berge  gangen.     Ich  sehe  darin  nichts  Gates,* 

>So  ist  es  in  der  That,  Magharat,*  versetzte  Pra^Apati. 
.aber  ich  werde  ihn  {das  wahre  Selbst)  dir  noch  weiter  er- 
klflren,  und  nichts  mehr  als  dies.  Wohne  noch  fonf  Jahre 
hier.  < 

Ei  wohnte  noch  fOnf  Jahre  dort.  Das  macht  im  Oaoten 
hundertnndein  Jahre,  und  darum  heißt  es,  dass  [ndra  Hag- 
liavat  hunilertundeiu  Jahre  als  Schüler  bei  Pra^&pati  wohnt«. 

Praj^Apati  sngte  zu  ihm:  >Maghavat,  dieser  KOrper  ist 
sterblich  und  stets  vom  Tode  in  Besitz  genommen.  Er  ist  die 
WohnstAtte  des  Selbst,  welches  nnatetblich  und  ohne  KSrper 
ist.  Wenn  das  gelbst  in  dem  Körper  ist  (dadurch,  dass  ea  denkt: 
Dieser  Körper  ist  Ich,  und  ich  bin  dieser  Kflrper),  wird  es  von 
Lnat  und  Schmerz  in  Besitz  genommen,  tio  lange  es']  in  dem 
Körper  ist,  kann  es  nicht  von  Lnst  und  8chmerz  frei  werden. 
Wenn  es  aber  von  dem  Körper  frei  ist  (wenn  es  sich  selbst 
als  von  dem  Körper  verschieden  kennt  ,  dann  haften  weder 
Lust  noch  Schmerz  an  ihm.  Der  Wind  ist  ohne  Körper,  die 
Wolke,  der  Blitz  und  der  Donner  sind  ohne  Körper  {ohne 
Hände,  Fuße  u.  s.  w.  .  Wie  nun  diese,  nachdem  sie  an) 
diesem  Himmelsäther  (dem  Ranme)  sich  erhoben,  in  ihrer 
eigenen  Form  erscheinen,  sobald  sie  sich  d^m  höchsten  Licht 
genähert  haben,  so  erscheint  dieses  ruhig  heitere  Wesen, 
nachdem  ea  sich  aus  diesem  KSrper  erhaben,  in  seiner  ei$t- 
nen  Form,  sobald  es  sich  dem  bOcbston  Licht  (der  Kenntnil 


l)  Im  Sanskrit  iät  'daa  Selbst'  (Auumi;  uiiiskiilin,  daher  i» 
Englischen  'he'.  Im  Dentacben  können  wir  nicht  gut  'er'  afn, 
weil  'der  Körper'  luask,  ist.  Anm.  ärt   Vieri 


Wahre  Unsterblichkeit.  253 

des  Selbst)  genähert  hat.  Das  Selbst  (in  diesem  Zustande) 
ist  die  höchste  Person  (uttama  pürusha).  Es  wandert  dort 
hemm,  lachend  (oder:  essend),  spielend  nnd  sich  (im  Geiste) 
erfreuend,  sei  es  mit  Frauen  oder  Wagen  oder  Verwandten, 
ohne  sich  je  um  den  Körper  zu  kümmern,  in  welchen  es 
geboren  ward. 

»Wie  ein  Pferd  an  einen  Wagen  gespannt  ist,  so  ist 
der  Geist  (prä/ta,  pray/iätman)  an  diesen  Körper  gespannt. 

»Wo  nun  das  Gesicht  in  die  Leere  (den  offenen  Raum, 
die  schwarze  Pupille  des  Auges)  eingegangen  ist,  dort  ist 
die  Person  des  Auges,  das  Auge  selbst  ist  nur  das  Mittel 
zum  Sehen.  Derjenige,  welcher  weiß,  4ch  will  dies  riechen', 
der  ist  das  Selbst,  die  Nase  ist  nur  das  Mittel  zum  Riechen. 
Derjenige,  welcher  weiß,  ich  will  dies  reden',  der  ist  das 
Selbst,  die  Zunge  ist  nur  das  Mittel  zum  Reden.  Derjenige, 
welcher  weiß,  ich  will  dies  hören*,  der  ist  das  Selbst,  das 
Ohr  ist  nur  das  Mittel  zum  Hören. 

»Derjenige,  welcher  weiß,  ich  will  dies  denken',  der  ist 
das  Selbst,  das  Denkorgan  ist  nur  das  göttliche  Auge.  Er, 
das  Selbst,  freut  sich,  indem  er  durch  sein  göttliches  Auge, 
d.  b.  durch  das  Denkorgan,  diese  Genfisse  (welche  Anderen 
▼erborgen  sind,  wie  ein  vergrabener  Schatz  von  Gold) 
sieht 

»Die  Devas,  welche  in  der  Welt  Brahmans  sind,  den- 
ken über  dieses  Selbst  nach  (wie  es  Pra^äpati  den  Indra  und 
Indra  die  Devas  gelehrt  hat).  Darum  gehören  ihnen  alle 
Welten  an,  sowie  auch  alle  Wünsche.  Derjenige,  welcher  dieses 
Selbst  kennt  und  es  versteht,  erlangt  alle  Welten  und  alle 
Wünsche,  c     So  sprach  Pra^pati,  ja,  so  sprach  Pra^äpati. 

Dies  ist  eine  Art  psychologischer  Legende,  die  trotz 
gewisser  Ausdrücke,  die  uns  sonderbar,  vielleicht  Unverstand- 
lieh  vorkommen,  schwerlich  in  irgend  einer  alten  Litteratur 
ihres  Gleichen  hat.  Gibt  es  selbst  heutzutage,  nachdem 
mehr  als  zweitausend  Jahre  verstrichen  sind,  viele  Leute, 
die  sich  um  diese  Fragen  kümmern  ?  Wenn  Jemand  so  weit 
geht,  über  sein  Ich  zu  sprechen,   so  beginnt  er  schon,  sich 


tlA 


Achte  VorleaunR, 


einigermaßen  Dir  einen  Philosopheu  zn  halten.  Allein  nur 
»br  wenigen  Denkern  und  seibat  Pbilosophen  von  Beruf  ßlllt 
ee  ein,  zn  fragen,  was  dieses  Ic/i  sei.  was  es  aetn  kOnne 
nnd  W&9  ea  nicht  sein  k<)nne,  was  dahinter  liege,  und  wu 
dessen  wahres  Wesen  sei.  Die  Sprache  gibt  ihnen  den  Namen 
•ßeele'  fix  und  fertig  an  dio  Hand.  -Ich  Labe  eine  8eele,< 
sagen  sie,  aber  wer  oder  was  das  ist,  was  eine  Seele  hat,  nnd 
wober  diese  Seele  kommt,  kümmert  sie  wenig.  8ie  sprechen 
wohl  von  'v-h'  und  von  Hfh  selfisf,  aber  wer  nnd  was  jentn 
Selbst  iet,  das  sie  als  ihr  Selbst  bezeichnen,  und  wer  dai  ItA 
tat,  zu  dem  jenes  Solbat  geh5rl.  wird  nnr  selten  gefragt.  Kein 
indischer  Philosoph  witrdo  sagen:  >Ich  habe  einen  Atmasodar 
eine  Seele.  <  Und  hier  finden  wir  diese  alten  Denker  in  lodien, 
welche  die  zn  atellende  Frage  deutlich  erkennen  nnd  ais 
anch  besser  beantworten,  als  sie  je  beantwortet  worden  ist. 
Man  mag  sagen,  wir  wissen  Alle,  dass  unsere  Kleider  nichts 
mit  nnserem  Selbst  zu  tbnn  haben,  nnd  dass  nicht  nnr  PU- 
loBophen,  sondern  die  Leute  im  Allgemeinen  schon  In  der 
Kinderstnbe  gelernt  haben,  dass  ihr  Körper  nur  ein  Kind 
ist  und  mit  ihrer  Seele  nichts  zu  schaffen  hat.  AUein  «s 
gibt  Kleider  nml  Kleider.  Ein  Mann  mag  sagen,  er  sd  all 
Hchtngjttbriger  Greis  derselbe,  wie  als  er  acht  Woebea  alt 
war,  sein  Kfirper  habe  sich  voränderl,  aber  nicht  »ein  Selbtt 
Auch  das  Geschlecht  ist  nur  eines  von  vielen  Kleidern,  die  wir 
In  diesem  Leben  tragen.  Bin  Vedäntist  konnte  utm  fTagn: 
Wenn  ein  Manu  als  Weib  wiedergeboren  wDrdo .  würde  seiD 
Selbst  noch  dasselbe  sein,  wilvde  er  eine  and  dieselbe  Persm 
sein?  Andere  Kleider  der  Art  ^nd  Sprache,  NationaUU^ 
Religion.  Bin  VedAntisl;  knnnte  fragen:  Gesettt  ein  UeaKh 
wäre  in  dem  n&chslcn  Lebeu  von  allen  diesen  knßeren  Hül- 
len entblößt,  würde  er  noch  eine  und  dieselbe  Person  adn? 
Wir  bilden  nna  vielleicht  ein,  dass  wir  für  alle  dies«  Frafen 
eine  Antwort  bereit  haben,  oder  dass  sie  von  »o  weisen  Leo- 
tan,  wie  wir  sind,  gar  keine  Aulwort  verdienen,  nnd  doeb, 
wenn  wir  un«  die  einfache  Pr^e  stellen,  wie  «ir  die  SeelSB 
derjenigen ,   welche  uns   in  diesem  Loben  lieb  gtwesen  riid, 


Wahre  Unsterblichkeit.  255 

aDintreffen  hoffen,  so  werden  wir  finden,  dass  unsere  Ideen 
Ton  der  Seele  vieler  HfiUen  entkleidet  werden,  dass  sie  ebenso 
sehr  gereinigt  werden  mflssen.  wie  die  Ideen  der  Fragesteller 

•  

in  der  alten  Upanishad.  So  alt  auch  diese  Fragesteller  sind. 
so  fem  sie  uns  auch  stehen,  so  sonderbar  uns  anch  ihre  Sprache 
klingen  mag,  so  können  sie  nns  doch  mindestens  Freunde 
nnd  Helfer  im  Rate  werden. 

Dass  die  Legende,  welche  ich  Ihnen  aus  den  Upanisha- 
den  übersetzte,  eine  alte  Legende  ist,  oder  dass  etwas  Ähn- 
liches vorhanden  war,  bevor  das  Kapitel  in  unserer  Upani- 
shad verfasst  wurde,  können  wir  aus  der  Stelle  schließen,  wo 
wir  lesen:  »Damm  heißt  es«  —  oder  wörtlicher:  *Das  ist 
es,  was  sie  sagen'  —  »dass  Indra  Maghavat  hundertundein 
Jahre  als  Schfiler  bei  Pra^äpati  wohnte. «  Andererseits  kann 
die  Legende  nicht  der  ältesten  vedischen  Litteratur  zuge- 
sehrieben werden,  denn  in  den  Hymnen  ist  Indra  ein  höch- 
ster Gotty  der  die  Idee,  ein  Schfiler  des  Pra^&pati  zu  werden, 
mit  Verachtung  von  sich  weisen  würde.  Dieser  Pra^äpati, 
d.  b.  Herr  der  Schöpfung  oder  alles  Geschaffenen,  ist,  wie 
wir  sahen,  selbst  eine  spätere  Gottheit,  eine  Personifikation 
der  schöpferischen  Gewalt,  ein  Name  der  höchsten  und  doch 
eiaer  persönlichen,  mehr  oder  minder  mythologischen  Gottheit. 

Was  aber  auch  der  ürsprang  dieser  Legende  gewesen 
sein  mag.  wir  finden  sie  hier  in  einer  der  alten  und  aner- 
kannten Upanishaden  und  können  sie  schwerlich  später  an- 
setzen, als  die  Zeit  Plato's  und  seiner  Schüler.  Ich  nenne 
sie  eine  psychologische  Legende,  weil  sie  uns  einige  der  frü- 
heiten  Versuche  indischen  Denkens  aufbewahrt  zu  haben 
seheint,  das  zu  begreifen  und  zu  benennen,  was  wir  ohne 
viele  Überlegung  mit  dem  ererbten  Namen  *Seele  bezeichnen. 
Sie  erinnem  sich  vielleicht,  dass  gewisse  Anthropologen  die 
Ansicht  verteidigen,  dass  der  erste  Begriff  der  Seele  überall, 
Bad  namentlich  bei  wilden  Völkem,  der  eines  Schattens  ge- 
wesen sei,  ja  dass  manche  Wilde  selbst  jetzt  glaubten,  der 
Schatten  sei  die  Seele  eines  lebendigen  Menschen,  und  daram 
werfe  eine  Leiche  keinen  Schatten.     Es  wundert  mich,  dass 


256 


Achlp  Vürk'fiung. 


Anthropologen  nio  unBeren  Dialog  zur  SlStze  ihrer  Ansicbl 
angeffllirt  haben;  freilicL  wird  äie  in  unserem  Fall  niclit  von 
cineiD  nilcivilisierten ,  sondern  einem  hoch  civilisierten  Volke 
aufgestellt,  nnd  zwar  nnr  um  widerlegt  zu  werden. 

Anoh  die  zweite  Ansicht,  dass  die  Seele  das  sei,  was  im 
Schlafe  und  gleichaam  ohne  den  Körper  in  Träumen  Visioneii 
sehe,  könnte  zur  Stütze  einer  anderen  von  Anthropologeii 
oft  vorgebrachten  Meinung  angeführt  werden,  dass  nämlich 
die  erste  Idee  einer  körperlosen  Seele  aus  Träumen  hervor^ 
gegangen  sei,  uud  dass  selbst  jetzt  gewisse  wilde  Völker  glau- 
ben, die  Seele  verlasse  im  Traume  den  Körper  und  wuden 
fUr  Bich  herum.  Dies  mag  in  vereinzelten  Fällen  so  sein;  «k 
sahen  aber,  dasa  der  wirkliche  Ursprung  des  NameoB  i 
Begriffes  der  Seele  viel  vernunftgemäßer  war,  dasa  die  Ifw- 
Hchen  den  Atem,  das  greifbare  Zeichen  des  Agens  in  d 
als  Namen  der  Seele  gebrauchten,  indem  sie  ihn  im  La 
der  Zeit  aller  mit  einem  unsichtbaren  Agens  nnverträgtiebn 
Attribute  entkleideten.  Wie  dem  aber  auch  sein  mag,  fi 
Anthropologen  werden  vielleicht  einzusehen  beginnen,  du 
auch  der  Veda  Überreste  alten  Denkens  enthält,  obaehoa  e 
gleichfalls  zur  Warnung  dienen  kann  gegen  allsn  ruehs  To" 
allgemeinerung  und  namentlich  dagegen,  im  Veda  ein  TOlltMi- 
digesBild  des  Wilden  oder  dessen,  was  sie  den  Urmenachev 
nennen,  sehen  zn  wollen. 


Uedokttonen  von  dem  Dtaloir. 

Doch  nun  wollen  wir  sehen,  was  die  spätere  Vedänl«- 
PhiloBophie  ans  dieser  Legende  macht.  Die  Legende  aelbsl, 
wie  wir  sie  in  der  Upanishad  finden,  zeigt  schon,  dus 
sie  einen  höheren  Zweck  verfolgte,  als  einfach  darzathnn. 
dass  die  Seele  nicht  eine  bloße  Erscheinung,  nicht  du 
Spiegelbild  im  Ange,  nicht  der  Schatten  im  Wasser,  nicht 
die  Person  sei,  die  einen  Traum  hat  oder  im  traumlosen  .Schlaf 
alles  Bewnsstsein  verliert.  Einer  der  Schüler  des  I>ra<7äpiti, 
ViroX-ana,    ist   allerdings    von    der  Idee    befriedigt,   dass  d«r 


Wahre  Unsterblichkeit.  257 

Körper,  wie  er  sich  im  Auge  oder  im  Wasser  abspiegreit, 
das  Selbst  sei,  das  sei,  was  ein  Mensch  wirklich  ist.  Aber 
nicht  so  Indra.  £r  begntlgt  sich  nicht  einmal  damit,  dass  die 
Seele  die  Person  in  einem  Tranme  sei,  denn,  sagt  er.  selbst 
im  Tranme  hat  der  Mensch  ein  Bewasstsein  Ton  Schmerz 
und  vergießt  thatsächlich  Thränen.  and  darom  wOrde  die 
Seele,  wenn  sie  ein  Tranm  wäre,  nicht  vollkommen,  nicht 
frei  von  Leiden  sein.  Ja.  wenn  gesagt  wird,  dass  die  Seele 
die  Person  im  tiefen  nnd  tranmlosen  Schlafe  sei.  so  kann 
sogar  dies  den  Indra  nicht  befriedigen,  denn  in  dem  Falle, 
sagt  er.  wOrde  alles  Bewnsstsein  geschwanden  sein,  er  wQrde, 
wie  er  sieh  aasdrückt,  nicht  wissen,  dass  er,  das  Selbst.  *Ich' 
isU  oder  dass  es  ein  Ich  selbst'  gibt. 

Pra^äpati  gibt  ihm  sodann  die  höchste  Unterweisung,  die 
er  mitzateilen  vermag,  indem  er  sagt,  dass  die  Seele  durch 
Erkenntnis  allein  frei  werden  kann,  dass  sie  durch  Erkenntnis 

« 

allein  existiert,  dadurch  dass  sie  erkennt,  dass  sie  vom  Kör- 
per und  von  allen  anderen  Beschränkungen  frei  ist.  Dann 
kann  sie.  ein  ruhig  heiteres  Wesen  in  ihrer  eigenen  Form, 
üeh  aus  dem  Körper  erheben  nnd  sich  dem  höchsten 
Lichte,  der  höchsten  Erkenntnis  nähern,  der  Erkenntnis, 
dass  ihr  eigenes  Selbst  das  höchste,  in  der  That  das  göttliche 
Selbst  ist. 

So  weit  wäre  Alles  verständlich.  Es  wfirde  nicht  erst 
des  Todes  bedfirfen,  die  Seele  vom  Körper  zu  befreien,  Er- 
kenntnis allein  würde  diese  Befreiung  viel  besser  zu  Stande 
bringen,  nnd  die  Seele  wfirde  schon  in  diesem  Leben  ihrer 
körperlichen  Wohnung,  ihren  körperlichen  Freuden  und  ihren 
körpeiüchen  Leiden  gegenfiber  nichts  als  eine  Zuschauerin 
idn,  eine  stumme  Zuschauerin  selbst  bei  dem  Verfall  und 
Tode  des  Körpers. 

Doch  der  Vedänta-Philosoph  ist  nicht  so  leicht  zu  be- 
friedigen: nnd  ich  denke,  es  wird  interessant  sein  und  Ihnen 
eine  bessere  Idee  von  der  philosophischen  Schärfe  des 
Vedantisten  geben,    wenn   ich    Ihnen   «S'ankara's  Behandlung 

Mkx  utile r,  TkMMfkie.  17 


258  Aciite  VorleBiiDg, 

unaerer  paycbolo^sohen  Legeude  vorlese.  Dies  ist  natarÜch 
tiiue  viel  spätere  Phase  des  Denkens,  mindesteos  so  spU  alt 
das  siebeDte  Jahrlinndert  n.  Chr.  Dooli  was  in  Indien  neu 
und  modern  ist,  ist  es  für  ans  nicht  gar  so  Hehr. 


Nanknra'fl  Bern  erb  ungen. 

ä'aAkara,  der  Kommentator  der  Vedänta-Sütras.  quält  sich 
nicht  wenig  ab,  wenn  er  diesen  Dialog  Ewischeu  Pra^Bpati, 
ludra  und  ViioX:anH  über  die  wahre  Natur  des  Selbst  oder 
der  Seele  des  Menschen  za  erOrtern  bat.  Es  liegt,  wie  er 
glaubt,  ein  scheinbarer  Mangel  an  Wahrhaftigkeit  anf  Seitea 
des  Prai/äpati  darin,  duss  er  in  seinen  Schfllern  eine  fkls^ 
Vorstellung  vi>n  der  wirklichen  Natur  des  Atman  oder  dar 
menschlichen  Seele  und  ihrer  Beziehung  zu  Brahman,  det 
höchsten  Gottheit,  erweckt.  Ba  ist  gauii  richtig,  dass  stiac 
Worte  eine  zweifache  Auslegung,  eine  falsche  und  eine  lioh- 
li^e,  gestatten;  doch  weiß  Pia^äpati.  dass  mindestens  Einer 
von  seinen  Schülern,  Viro^aua.  wenn  er  zu  den  Asuni 
zurückkehrt,  sie  nicht  in  ihrem  wahren  Sinne  verstanden 
hat;  nnd  doch  lüaat  er  ihn  von  dannen  ziehen. 

Daiu  kommt  aber  noch  eine  wichtigere  Schwierigkeit. 
I'ra^äpatl  hatte  versprochen,  zu  lehren,  was  der  wtibre  Atman 
sei.  d&s  Unsterbliche,  das  Furchtlose,  daa  Selbst,  welch« 
frei  von  Sünde,  welches  von  Alter,  von  Tod  nnd  Knnunw, 
von  Hunger  und  Durst  frei  iat;  seine  Antworten  &ber  schei- 
nen sieb  nur  anf  das  individuelle  Selbst  zn  beziehen.  WoWl 
IT  zum  Beispiel  zuerst  sagt,  dass  die  Fersen,  wie  n«  in 
Auge  gesehen  wird,  diia  Selbst  ist  (ya  esho  kshini  dmykte), 
so  ist  es  ganz  klar,  dass  ViroXana  darunter  d&s  BildDlUB 
oder  das  Spiegelbild  versteht,  welches  ein  Mensch  von  ^cb 
selbst  in  der  Pupille  des  Auges  eines  Freundes  sieht.  Und 
darum  fragt  er,  ob  das  Selbst,  das  als  ein  Spiegelbild  !■ 
Auge  gesehen  wird,  dasselbe  sei,  wie  das,  was  als  väa  BfAf^" 
gelbild  im  Wasser  oder  in  einem  Spiegel  gesehen  wird.  P»> 
yftpati  bejaht   dies,   fVeilich   —   ohne  Zweifel  —   mit   einen 


Wahre  Unsterblichkeit.  259 

^heimen  Vorbehalt.  Er  hatte  von  Anfang  an  nicht  die  kleine 
Fignr  gemeint,  die  sich  im  Auge  abspiegelt,  sondern  den 
Seher  in  dem  Auge,  der  aus  dem  Ange  heraussieht,  den 
Seher  als  das  Subjekt  alles  Sehens,  der  sieht,  und  tou  dem 
man  sagen  kann,  dass  er  im  Auge  gesehen  wird.  Da  jedoch 
selbst  das  Spiegelbild  im  Auge  mittelbar  als  das  Spiegelbild 
des  wahren  Atman  bezeichnet  werden  kann,  fordert  er  den 
Viro^ana  auf,  seine  Behauptung  durch  eine  Art  Experiment 
zu  prüfen,  ein  Experiment,  das  ihm  die  Augen  hätte  Offnen 
sollen,  es  aber  nicht  that.  Er  fordert  seine  beiden  Schfller 
auf,  ihr  Bild  im  Wasser  oder  in  einem  Spiegel  zu  betrach- 
ten, zuerst  wie  sie  sind,  und  wieder,  nachdem  sie  sich  ge- 
schmfickt  haben.  Er  dachte,  sie  wfirden  bemerkt  haben,  dass 
diese  äußeren  Zieraten  unmöglich  ihr  eigenes  Selbst  aus- 
machen könnten,  eben  so  wenig  als  der  Körper,  aber  das 
Experiment  ist  an  ihnen  verloren.  Während  Pra^äpati  meint, 
dass  sie,  in  welchem  Spiegelbilde  immer  sie  sich  sähen,  wenn- 
gleich verborgen,  ihr  wahres  Selbst  schauten,  denken  sie, 
daas  das,  was  sie  sehen,  nämlich  der  Körper,  wie  er  sich  im 
Wasser  abspiegelt,  sogar  der  Körper  mit  Schmuck  und  EJei- 
dem,  ihr  wahres  Selbst  sei.  Es  thut  dem  Pra^äpati  leid  um 
sie,  und  dass  er  nicht  ganz  ffir  ihren  Irrtum  verantwortlich 
war,  zeigen  bald  darauf  die  Zweifel,  die  sich  wenigstens  in 
der  Brust  Eines  seiner  Schfiler  erheben.  Während  nämlich 
Yiro>tana  zu  den  Asuras  zurtlckkehrt,  um  sie  zu  lehren,  dass 
der  Körper  so,  wie  er  sich  im  Wasser  abspiegelt,  sogar  der 
Körper  mit  Schmuck  und  Kleidern  das  Selbst  sei,  wird  Indra 
bedenklich  und  kehrt  zu  Pra^äpati  zurück.  Wie,  fragt  er, 
kann  der  im  Wasser  sich  abspiegelnde  Körper  das  von  Pra- 
^pati  verkfindete  Selbst  sein,  von  dem  er  gesagt,  dass  es 
vollkommen  und  von  allen  Mängeln  frei  sei,  ist  ja  doch,  wenn 
der  Körper  verkrfippelt  ist,  auch  sein  Bild  im  W^asser  ver- 
krflppelt,  so  dass  das  Selbst,  wenn  dies  das  Selbst  wäre, 
nicht  das  sein  wflrde,  was  es  sein  muss,  nämlich  vollkommen 
und  unsterblich,  sondern  zu  Grunde  gehen  würde,  wenn  der 
Körper  zu  Grunde  geht. 

17* 


260  Achte  Vorlesung. 

Dans  dasselbe  gcscliieht  wie^ieriim  bei  der  zweiten  Lek- 
tion. Allerdings  ist  die  Person  im  Traume  von  geviasen 
Mängeln  des  Körpers  frei  —  eine  blinde  Person  sieht,  eine 
taube  Person  hört  im  Traume,  Aber  aelbBt  dann  acheint  er 
auch  dem  Leiden  nuterworlen.  denn  er  kann  im  TfMune 
tliats&chlich  weinen.  Damm  iiann  auch  die  trSnmeade  äeele 
nicht  das  vullicommene,  von  allem  Leiden  freie,  wahre  Selbe! 
sein. 

Wenn  Pra^äpati  in  der  dritten  Lektion  die  Seele  iu 
tiersten  Schlafe  als  das  Selbst  bezeichnet,  weil  sie  dann  niebt 
mehr  in  irgend  einer  Weise  leidet,  entgegnet  Indra,  dass  in 
dleaem  Falle '  die  Seele  gar  nichts  weiß  und  in  gSnilicbe 
Vernichtung  übergegangen  ist   [vinä^am  ova  lipeti). 

Erst  in  diesem  letzten  Augenblicke  oETeubart  Prsj^pati, 
gleich  anderen  Weisen  des  Altertnms,  aelneni  SchOler  tein 
vollBt&ndiges  Wissen.  Das  wahre  Seihst,  sagt  er.  hat  mit 
dem  Körper  nichts  zu  schaffen.  Denn  der  Kflrper  ist  sterb- 
lich, aber  das  Seihst  ist  nicht  sterblich  Da«  Selbst  wohnl 
in  dem  Körper,  und  so  lange  er  denkt,  'der  Körper  ist  Ich 
ond  ich  bin  dieser  Körper',  wird  das  Selbst  von  Last  nnd 
Schmerz  in  Fesseln  geschlagen,  es  ist  nicht  das  toIUcoid- 
mene,  es  ist  nicht  das  unsterbliche  Selbst.  Sobald  aber 
das  Selbst  weiß,  dass  es'!  vom  Körper  anabh&ngig  ist  nnä 
—  nicht  durch  den  Tod,  sondern  durch  Erkenntnis  —  vOD 
demselben  frei  wird,  leidet  es  nicht  mehr;  weder  Schmeii 
noch  Lust  berühren  es.  Wenn  es  sich  diesem  hflchsteo 
Licht  der  Erkenntnis  genähert  hat,  dann  herrscht  vottkom- 
mene  Ruhe  und  Heiterkeit.  Es  weiß,  dass  es  das  hOehite 
Selbst  ist,  nnd  darum  ist  es  das  höchste  Selbst,  und  ob- 
gleich es,  so  lange  dus  Leben  wahrt,  sich  unter  all  den 
Schönen  und  Angenehmen,  was  in  der  Welt  zu  sehen  ist, 
umherbewegt,  ktlmmert  es  sich  nicht  darum,  dies  Allei  g«fat 
nnr  seinen  Körper,  spin  körperliches  Selbst,  sein  Ich  an.  ninl 


1)  Siehe  Adui.  ntil'  Si:ire  'i 


Wahre  Unsterblichkeit  261 

es  hat  gelernt,  dass  dies  Alles  nicht  es  selbst,  nicht  sein 
Selbst,  nicht  sein  absolutes  Selbst  ist. 

Es  bleibt  aber  eine  noch  viel  größere  Schwierigkeit, 
welche  die  Kommentatoren  zu  lösen  haben,  und  die  sie  jeder 
in  seiner  Weise  lösen.  Ffir  uns  ist  die  Geschichte  Ton 
Pra^pati  einfach  eine  alte  Legende,  die,  wie  es  scheint, 
orsprUngllch  nicht  mehr  lehren  sollte,  als  dass  eine  Seele 
im  Menschen  wohne,  und  dass  diese  Seele  vom  Körper  unab- 
hängig sei.  Das  wäre  ffir  eine  so  alte  Zeit  Weisheit  genug 
gewesen,  insbesondere  wenn  unsere  Annahme  richtig  ist,  dass 
der  Glaube  an  die  Seele  als  einen  Schatten  oder  einen  Traum 
ein  damals  gäng  und  gäber  Volksglaube  war,  der  wirklich 
eine  Widerlegung  heischte.  Als  aber  in  späterer  Zeit  diese 
Legende  ffir  höhere  Zwecke  benfitzt  werden  musste,  als  man 
Aber  die  Seele  nicht  nur  lehrte,  dass  sie  nicht  der  Körper, 
nicht  dessen  Erscheinung,  nicht  dessen  Schatten,  nicht  ein 
Traumgesicht,  sondern  dass  sie  etwas  Höheres  sei,  dass  sie 
zur  Welt  Brahmans  emporsteigen  und  vor  seinem  Throne 
vollkommene  Gifickseligkeit  genießen  könne,  ja  als  man  noch 
später  entdeckte,  dass  die  Seele  fiber  den  Thron  Brahmans 
hinausgehen  und  noch  einmal  an  dem  eigentlichen  Wesen 
Brahmans  teilhaben  könne,  —  da  erhoben  sich  neue  Schwie- 
rigkeiten. Diese  Schwierigkeiten  wurden  von  iSaäkara  und 
anderen  Vedänta-Philosophen  sorgfältig  erwogen,  und  sie  bil- 
den noch  immer  einen  Punkt,  in  Bezug  auf  den  verschie- 
dene Abteilungen  der  VedAnta-Schule  abweichende  Ansichten 
verteidigen. 

Die  Hauptschwierigkeit  war  die,  zu  bestimmen,  was  das 
wahre  Verhältnis  der  individuellen  Seele  zu  Brahman  sei, 
ob  es  eine  wesentliche  Verschiedenheit  zwischen  den  beiden 
gebe,  und  ob  der  Ausspruch,  dass  die  Seele  vollkommen, 
furchtlos  und  unsterblich  sei,  auch  fQr  die  individuelle  Seele 
gelten  könne.  Diese  Anschauung,  dass  die  individuelle  Seele 
gemeint  sei,  wird  in  der  Vedänta-Philosopliie  von  dem  soge- 
nannten Pürvapakshin  verteidigt.  Dieser  Pürvapakshin  — 
eine  ansgezeichnete  Einrichtung  in  der  indischen  Philosophie 


262 


Acbio  VorleBiinif. 


—  ist  eino  finsierte  Person,  welcher  in  joder  Streitfrage 
das  Vorrecht  zukommt,  Alles  zu  eagen,  was  nur  gegen  die 
sohließlich  aufrecht  gehaltene  Meinung  vorgebracht  werden 
kann.  Alle  möglichen  Freiheiten  im  Erheben  von  Einw&nden 
sind  ihm  gestattet,  so  lange  er  nur  nicht  ganz  absnrd  ist; 
er  ist  etwaa  Ähnliches  wie  der  Strohmann,  den  moderne 
Schiiftsteller  in  ihren  Beweisführungen  so  gerne  aufstellen,  am 
sich  dann  dessen  Vernichtang  ais  ein  großes  Verdienst  an- 
rechnen zu  k<1nnen.  Vom  indischen  Standpunkt  jedoch  sind 
diese  Einwendungen  gleich  Pfählen,  die  mit  jedem  nach 
ihnen  gezielten  Schlage  tiefer  eingerammt  werden,  und  achlieO- 
lieh  den  Zweck  haben,  die  wahre  Schlussfolgerung  zu  stutzen, 
die  auf  ihnen  anfgebant  werden  soll.  Häufig  sind  die  im 
Pürvapaksha  enthaltenen  ElnwAnde  ehrlich  gemeinte  Einwen- 
dungen, die  von  Terschiodencn  Autoritäten  verteidigt  woiioi 
sein  mögen,  obzwar  sie  am  Ende  alle  beseitigt  werden  nl^ 
aen ,  wobei  denn  ihre  Beseitigung  dem  ntttzliohen  Zwecke 
dient,  die  featziistellende  Lehre  gegen  jeden  denkbaren  Ein- 
wurf geschützt  zu  haben. 

In  unserem  Falle  behauptet  der  Gegenredner,  dau  M 
die  individuelle  Seele  sei.  die  als  der  Gegenstand  von  Pra^ 
patis  Lehre  gemeint  sein  mQsse.  Von  dem  Seher  in  den 
Auge,  sagt  er,  oder  der  Person,  welche  in  dem  Ange  gb- 
dehen  wird,  wird  in  den  folgenden  Sätzen,  wenn  es  hiitii 
'Ich  werde  i/in  dir  noch  weiter  orkUren',  immer  wieder  all 
derselben  Wesenheit  gesprochen ,  und  in  den  folgendes  Br- 
klärnngen  ist  es  die  individuelle  Seele  in  ihren  versehiedenan 
Zustanden  [im  Traume  oder  im  tiefen  Schlafe),  von  der  ge- 
sprochen wird,  so  dass  die  zu  diesen  beiden  Erklirungen  geliA- 
rigen  Satze,  nämlich :  'ans  ist  das  Vollkommene,  das  Unstet^ 
liehe,  das  Makellose,  tlas  ist  Brahman',  sich  nur  auf  dk 
individuelle  Seele  beziehen  können,  von  der  es  heißt,  dMt 
sie  frei  von  SQnde  n.  dgl.  ist.  Hernacb.  wenn  Pn^lpati 
auuh  in  dem  Zustand  der  Seele  im  tiefen  Schlafe  einen  Hugd 
entdeckt  hat,  llsst  er  sich  auf  eine  weitere  ErkUmng  eb- 
Er   tadelt    die  Verbindung   der  Seele    mit    dem   Kftrper  und 


Wahre  UDBterbliehkeit.  263 

erkürt  achiießlich,  dass  es  die  individuelle  Seele  ist,  aber 
nur,  oachdem  sie  sich  ans  dem  Körper  heraus  erhoben  hat. 
Darans  folgert  der  Gegner,  dass  die  Schriftstelle  die  Mög- 
lichkeit zulasse,  dass  die  Eigenschaften  des  höchsten  Selbst 
dem  individuellen  Selbst  zukämen. 

«Sknkara  macht  sich  jedoch  sofort  daran,  diese  Ansicht 
zu  widerlegen,  obgleich  die  eigentlichen  Worte  des  Pra^Apati, 
wie  wir  sehen  werden,  allerdings  die  Erklärung  des  Gegners 
zulassen.  Wir  geben  nicht  zu,  sagt  «S'aiikara,  dass  die  indi- 
viduelle Seele  in  ihrer  phänomenalen  Realität  das  höchste 
Selbst  sei,  sondern  nur  die  individuelle  Seele,  insofern  ihre 
wahre  Natur  in  ihr  offenbar  geworden  \U  'ävirbhütasva- 
rApa),  d.  h.  nachdem  sie  vermittelst  wahrer  Erkenntnis  auf- 
gehört hat,  eine  individuelle  Seele  zu  sein,  oder  nachdem  sie 
ihre  absolute  Realität  wiedergewonnen  hat.  Diese  Zweideu- 
tigkeit zieht  sich  durch  das  ganze  System  der  Vedänta-Phi- 
losophie,  wie  sie  von  «S^afikara  aufgefasst  wird.  Pra^äpati 
konnte  scheinbar  eine  Menge  Dinge  von  der  individuellen 
Seele  behaupten,  die  eigentlich  nur  fflr  das  höchste  Selbst 
gelten,  weil  das  individuelle  Selbst  seiner  wahren  Natur  nach, 
d.  h.  nachdem  es  die  Erkenntnis  seiner  wahren  Natur  wie- 
dergewonnen hat,  in  Wirklichkeit  das  höchste  Selbst  ist  und 
thatsächlich  nie  etwas  Anderes  gewesen  ist.  «Skökara  sagt, 
sehon  dieser  Ausdruck  (*deren  wahre  Natur  offenbar  gewor- 
den ist)  qualifiziere  die  individuelle  Seele  in  Bezug  auf  ihren 
vorherigen  Zustand.  Darum  hat  man  zu  verstehen,  dass 
Pra^äpati  zuerst  von  dem  durch  das  Auge  charakterisierten 
Seher  spreche,  und  dass  er  dann  in  der  von  dem  Spiegel- 
bild im  Wasser  oder  im  Spiegel  handelnden  Stelle  zeige,  dass 
er,  der  Seher,  sein  wahres  Selbst  nicht  in  dem  Körper  oder 
io  dem  Spiegelbild  des  Körpers  habe.  Pra^äpati  verweist 
dann  wieder  auf  diesen  Seher  als  das  zu  erklärende  Subjekt, 
indem  er  sagt:  »Ich  werde  ihn  noch  weiter  erklären;«  und 
nachdem  er  hierauf  von  ihm  als  den  Zuständen  des  Träumens 
und  des  tiefen  Schlafes  unterworfen  gesprochen  hat,  erklärt 
er    schließlich    die   individuelle    Seele   ihrem   wahren  Wesen 


264 


Ariit'-  Vorlosiinp- 


Dsoli,  d.  b.  insofern  sie  das  liScbsto  Briihmnn  lat,  nicht  ioao- 
fern  sie  eise  individDelle  Seele  za  sein  scheint.  Du  hßchato 
Licht,  welches  in  der  zuletzt  ungeftlhrten  Stelle  als  diisjenigr, 
dem  man  sich  za  nähern  hat,  erwähnt  vird ,  ist  nichts  An- 
deres, als  das  h^^chsto  Biahman,  welches  durch  Ättributo 
wie  Vollkommenheit,  Freiheit  von  SQnde,  Freiheit  von  Alter, 
von  Tod  nnd  von  allen  UnvoUkommenheiten  nnd  Begierden 
nasgeteichnet  ist.  Dies  sind  sämtlich  Eigenschaften,  welche 
nicht  der  individoellen  Seele  oder  dem  Ich  in  dem  Körper 
zDgeschriehen  werden  können.  Sie  gehOren  bloß  dem  höch- 
sten Wesen  an.  Es  ist  dieses  höchste  Wesen,  dieses  Brah- 
man  allein,  welches  die  Essenz  der  individnellen  Seele  .aos- 
macht,  während  ihre  phäeomennle  Seite,  welche  auf  nur 
scheinbaren  ReschriLnknngieu  nnd  Bedin^angen  (upildhia)  oder 
auf  dem  Nichtwissen  beruht,  nicht  ihre  wahre  Natnr  sein 
kann.  Denn  so  lange  die  individuelle  Seele  sich  nicht  too 
dem  Nichtwissen  oder  dem  Glauben  an  eine  Zweiheit  frei 
macht,  halt  sie  etwas  Anderes  filr  sich  selbst. 

Wahre  Erkenntnis  des  Selbst  oder  wahre  Selbsterkennt- 
nis drftckt  sich  in  den  Worten  ans:  >Da  bist  das«  oder 
•  loh  bin  Brahmant,  denn  die  Natnr  des  Brahman  ist  nnver> 
ftnderliches,  ewiges  Erkennen.  So  lange  die  individnello 
Seele  nicht  diese  Stufe  erreicht  hat,  bleibt  sie  die  von  den 
Körper,  von  den  Sinnesorganen,  ja  selbst  von  dem  Denk- 
urgan  und  dessen  mannigfachen  Funktionen  gefesselte  indi- 
viduelle Seele.  Vermittelet  der  ^'ruti  oder  Offenbarung  alloB, 
durch  die  von  derselben  abgeleitete  Erkenntnis  nimmt  äi» 
Seele  wahr,  diiss  sie  nicht  der  Körper,  dass  sie  nicht  die 
Sinne,  dass  sie  nicht  das  Denkorgan  ist.  dass  sie  keinm 
Teil  des  Seelenwaoderungsprozesses  bildet,  sondern  dua  eie 
das  Wahre,  das  Wirkliebe,  iii  ''>>,  das  Selbst,  dessen  Natnr 
in  reiner  Intelligenz  besteht,  ist  nnd  immer  gewesen  ist  Wenn 
sie  sich  einmal  über  die  thörichl«  Einbildung  erhoben  hat. 
daaa  sie  mit  dem  Kürper.  mit  den  Sinnesorganen  nnd 
mit  dem  Denkorgan  Eins  sei,  wird  sie  tu  dem  Selbst,  oder 
sie  weiß,  dass  sie  das  Selbst  ist  ond  immer  gewexen  ist,  du 


Wahre  ÜDsterblichkcit.  265 

Selbsfy  dessen  Natur  oiiTeränderliche,  ewige  Intelligenz  ist. 
Dies  wird  erklärt  in  Stellen  wie  die  folgende:  >Wer  das 
höchste  Brahman  kennt,  wird  zn  dem  Brahnian  selbst.  Und 
dies  ist  die  wahre  Natnr  der  individuellen  Seele,  vermittelst 
deren  sie  sich  ans  dem  Körper  erhebt  und  in  ihrer  eigenen 
Form  erscheint,  c 

Die  wahre  Natur  der  indlvldnellen  Seele. 

Hier  wird  ein  neuer  Einwand  erhoben.  Wie,  wird  ge- 
fragt, können  wir  von  der  Offenbarung  der  wahren  Natur 
fsvarupa)  dessen  sprechen,  was  unveränderlich  und  ewig 
ist?  Wie  können  wir  überhaupt  von  demselben  als  eine 
Zeit  lang  verborgen  und  dann  erst  in  seiner  eigenen  Form 
oder  in  seiner  wahren  Natur  wieder  erscheinend  sprechen? 
Von  Gold  und  ähnlichen  Substanzen,  deren  wahre  Natur 
verborgen  bleibt,  indem  ihre  specifischen  Qualitäten  durch 
ihre  Berührung  mit  irgend  einer  anderen  Substanz  nicht  zur 
Erscheinung  kommen,  kann  man  allerdings  sagen,  ihre  wahre 
Natur  sei  verborgen  gewesen  und  werde  offenbar,  wenn  sie 
durch  Anwendung  irgend  einer  Säure  gereinigt  werden.  So 
kann  man  auch  sagen,  dass  die  Sterne,  deren  Licht  tagüber 
von  dem  höheren  Glanz  der  Sonne  verdunkelt  wird,  des 
Nachts,  wenn  die  überwältigende  Sonne  verschwunden  ist,  in 
ihrer  wahren  Natur  offenbar  werden.  Es  ist  aber  unmöglich. 
von  einem  analogen  Überwältigen  des  ewigen  Lichtes  der 
Intelligenz  durch  irgend  eine  Kraft  in  der  Welt  zu  spre- 
chen, da  es  ja  von  aller  Berührung  frei  ist.  Wie  hat  also 
doch  diese  bedeutsame  Veränderung  stattgefunden? 

Das  Phänomenale  und  das  Reale. 

it  unserer  eigenen  philosophischen  Sprache  könnten  wir 
dieselbe  Frage  so  ausdrücken:  Wie  wurde  das  Reale  phä- 
nomenal, und  wie  kann  das  Phänomenale  wieder  real  werden  ? 
Oder  mit  anderen  Worten :  Wie  wurde  das  Unendliche  in  das 


■i66 


AchtL-  Vorleeuog, 


Endliche,  wie  das  lilwige  iu  das  Zeitlicho  omgo wandelt,  und 
wie  kann  das  Zeitliche  seine  ewige  Natnr  wiedergowinnen  ? 
Oder  —  um  es  in  geläufigerer  Sprache  aaszudrncken  —  wie 
wnrde  diese  Welt  geschliffen,  und  wie  kann  sie  wieder  unge- 
»chaffeD  gemacht  worden? 

Wir  dürfen  nicht  vergessen,  dass  gleich  den  eleatisehen 
Philosophen  anch  die  alten  Vedäntisten  von  der  nnerschfltter- 
licheu  Überzengnng  aasgingen,  dass  Gott,  das  höchste  Wesen, 
oder  Brabman,  wie  es  in  Indien  genannt  wird,  Eines  und 
Alles  ist,  und  dass  es  außer  ihm  nichts  geben  kann.  Uea 
iat  der  vollkommenste  Monismus.  Wenn  man  es  Pantheigmai 
ncnul,  so  lässt  sich  nichts  dagegen  einwenden,  und  wir  wer- 
den denselben  Pantheismna  in  einigen  der  vollkommensten 
KoLigionen  der  Welt  wieder  finden,  in  allen,  welche  glauben, 
dasa  Gott  Alles  in  Allem  ist  oder  sein  wird,  und  dasa  er,  weu 
wirklich  irgend  etwas  außer  ihm  existierte,  nicht  mehr  Vit- 
endlich,  allgegenwärtig  nud  allmächtig,  dass  er  nicht  nMb 
Gott  im  höchsten  Sinne  des  Wortes  sein  würde,  Eb  ilt 
natOrlich  ein  großer  Unterschied ,  ob  wir  sagen ,  dass  ifi* 
Dinge  ihr  wahres  Sein  in  nnd  von  Gott  haben,  oder  ob  vir 
sagen,  dass  alle  Dingo,  so  wie  wir  sie  sehen .  Gott  ^ai. 
Oder  nm  es  anders  aaszndrtlcken :  sobald  wir  sagen,  dua  M 
eine  ph&uomenate  Welt  gibt,  so  sxgen  wir  damit  notwwdiga 
Weise,  dass  es  auch  eine  nicht-phSnomenale,  eine  oonmeBda 
oder  eine  absolut  reale  Welt  gebe,  gerade  so  wie  wir,  wtat 
wir  'Dunkelheit'  sagen,  anch  'Licht'  einsclüießen.  Wer  immer 
von  irgend  etwas  Relativem,  Bedingtem  oder  ZnOUUgsm 
spricht,  gibt  zu  gleicher  Zelt  zu,  dass  es  etwas  Nichtrelativei^ 
Nichtbedingtes,  Nlchtzuralliges  gehe,  etwas,  was  wir  rul, 
absolut,  ewig.  gOttlich  oder  mit  irgend  einem  andern  Kamen 
nennen.  Es  iat  ftlr  den  menschlichen  Versland  leicht  gtmg, 
eine  nonmenale  oder  nicht-phänomenale  Welt  zu  sohaSbs; 
wir  thun  damit  eigentlich  nicht  mehr,  als  dies  wir  dai 
Gesetz  der  Kausalität  auf  unsere  Erfahrung  anwendeii  und 
sagen:  Es  musa  fQr  Alles  eine  Ursache  geben,  und  dltte 
Ursache  oder   dieser  Schopfer   ist  das  Eine  absolute  Weses. 


Wahre  Untterbllchkeit  267 

Wenn  wir  aber  dies  gethan  haben,  dann  kommt  das  wirk- 
liehe Problem,  nämlich:  W^ie  ward  die  Ursache  je  in  eine 
Wirkung  verwandelt,  wie  wurde  das  Absolute  relativ,  wie 
wurde  das  Noumenale  ph&nomenal?  Oder,  um  es  in  mehr 
theologischer  Sprache  auszudrucken,  wie  wurde  diese  Welt 
ersehaffen?  Es  brauchte  lange,  ehe  der  menschliche  Geist 
es  über  sich  bringen  konnte,  seine  gänzliche  Unfähigkeit  und 
Unwissenheit  in  Bezug  auf  diesen  Punkt,  seinen  Agnosticis- 
mus,  seine  Docta  ignorantia^  wie  Kardinal  Cusanus  sich 
ausdrückte,  einzugestehen.  Und  es  scheint  mir  äußerst 
interessant,  die  verschiedenen  Anstrengungen  zu  verfolgeui 
die  der  menschliche  Geist  in  jedem  Teile  der  Welt  gemacht 
hat,  dieses  größte  und  älteste  Rätsel  zu  lösen,  ehe  es  end- 
gttltig  aufg^eben  wurde. 

Der  indische  Vedäntist  behandelt  diese  Frage  haupt- 
sächlich vom  subjektiven  Gesichtspunkt.  Er  fragt  nicht  anl 
einmal,  wie  die  Welt  geschaffen  wurde,  sondern  zunächst, 
wie  die  individuelle  Seele  dazu  kam,  das  zu  sein,  was  sie 
ist,  und  wie  ihr  Glaube  an  eine  objektive,  geschaffene  Welt 
entstand.  Ehe,  sagt  er,  die  Erkenntnis  des  Getrenntseins 
oder  des  Sichfernhaltens  der  Seele  von  dem  Körper  entsteht, 
ist  die  Natur  der  individuellen  Seele,  welche  in  dem  Licht 
des  Gesichtes  u.  s.  w.  besteht,  von  den  sogenannten  Upä- 
dhis  oder  beschränkenden  Bedingungen,  wie  dem  Körper, 
den  Sinnen,  dem  Denkorgan,  den  Sinnesobjekten  und  der 
Wahrnehmung,  gleichsam  nicht  getrennt.  Wie  in  einem  reinen 
Bergkry stall,  wenn  er  in  die  Nähe  einer  roten  Rose  gebracht 
wird,  dessen  wahre  Natur  (welche  in  Durchsichtigkeit  und 
vollkommener  Weiße  besteht  von  den  beschränkenden  Bedin- 
gungen den  Upädhis),  d.  h.  der  roten  Rose,  gleichsam  nicht 
getrennt  ist,  solange  man  sein  Getrenntsein  nicht  erkannt  hat. 
wohingegen  dieser  Bergkrystall,  wenn  man  einmal  sein  Ge- 
trenntsein auf  Grund  glaubwürdiger  Autorität  erkannt  hat. 
sofort  seine  wahre  Natur  (Durchsichtigkeit  und  Weiße)  wieder 
annimmt,  obgleich  er  doch  in  W'irkiichkeit  immer  durchsich- 
tig und  weiß  gewesen  ist,  —  in  derselben  Weise  entsteht  in 


Aar  iDÜividuellenSbelc,  welche  vob  den  bescUrADkendeD  Itedin* 
gnngen  (den  Upädhis]  des  Körpers  ii.  a.  w.  noch  nicht  getrennl 
ist,  die  durch  die  .S'ruti  erzengte  Erkenntnis  dea  (jetrenntS(>inB 
und  des  t^ichfernhaltens ;  nnd  es  fo^t  die  Auferstehung  des 
Atman  aus  dem  Eürper,  die  Verwirklichung  der  wahren  Natur 
des  Ätman  vermittelst  wahrer  Erkenntnis,  und  Am  Be^^ifeii 
des  Einen  und  einzigen  Atman.  So  sind  denn  der  verkörperte 
und  der  nicht  verkörperte  Znstand  des  Selbst  gänr.  nnd  gar  dm 
Ergebnis  von  Unterscheidung  nnd  Nicht-Duterscheidnng,  wie 
es  heißt  [Ka/Aa-Up.  I,  2,  22);  ■Körperlos  innerhalb  der  K6r- 
per.i  Diese  Niehtverschiedenheit  des  verkörperten  von  dem 
nicht  verkörperten  S^ustand  wird  auch  in  der  SmWli  (Bhig. 
Gitä  XUl,  3!)  in  Erinnerung  gebracht,  weun  es  heißt:  >Mein 
Freund,  obgk-ich  es  (der  Atmau,  daa  Selbst  oder  die  Seele) 
in  dem  Körper  wohnt,  handelt  es  doch  nicht  und  wird  sncli 
nicht  verunreinigt.' 

Der  AtmuH  uu  verändert  mitten  nnler  den  Verrniili'ruUfrD 
der  Welt, 

Sie  sehen  nun,  was  •Ü'aAkara  heransfaringen  will,  unil 
was  aotucr  Ansicht  nach  in  der  Sprache  der  Upauishadea 
stillschweigend  ausgesprochen  ist.  ist  dies,  dasa  der  Atman 
stets  derselbe  ist.  und  dass  die  scheinbare  Verschiedenheit 
zwischen  der  individuellen  Seele  und  der  höchsten  Seele  ein- 
fach das  Ergebnis  falscher  Erkenntnis,  dea  Kichlwinsem  uL 
nicht  aber  von  irgend  einem  nirkUcheu  Verhältnis  herrtlbrL 
Es  ist  ihm  sehr  viel  daran  gelegen,  darznthun,  dasd  aoeli 
Pra^Apati  in  den  Lohren,  die  er  dem  Indra  nnd  dem  Viro- 
^ana  mitgeteilt,  nichts  Anderes  gemeint  haben  kiiuno.  Kaeh- 
dem  Frayilpati,  sagt  er,  auf  die  individuelle  oder  lehstidige 
Seele  i^!va<,  welche  im  Äuge  gesehen  wird  odttr  vielurahr 
sieht  u.  s.  w.,  hingewiesen  hat,  f^lirt  er  fort:  >r>iea  bt 
(wenn  ihr  es  nur  wQsstet)  das  Unsterbliche,  das  Farehtlo». 
dies  ist  Brahmao.«  Wenn,  folgert  er,  der  Seher  !u  doM 
Ange,  der  tudividuelle  Seher,   in  Wirklichkeit  von  Brafamaji, 


Wahre  Unsterblichkeit.  269 

dem  Unsterblichen  und  Furchtlosen,  verschieden  wflre,  so 
▼ttrde  er  nicht  (wie  es  von  Pra^äpati  geschieht)  mit  dem 
unsterblichen,  dem  furchtlosen  Brahman  in  eine  Hangordnung 
gebracht  werden.  Von  dem  abgespiegelten  Selbst  hingegen 
wird  nicht  als  dem  durch  das  Auge  Charakterisierten  'dem 
Seher  in  dem  Auge)  gesprochen,  denn  dadurch  würde  sich 
Pra^pati  dem  Vorwurfe  aussetzen,  dass  er  trflgerische  Dinge 
Mge, 

•S'a&kara  ist  fibrigens  ehrlich  genug,  uns  zu  sagen,  dass 
seine  EiUärung  nicht  die  einzige  ist,  die  man  vorgeschlagen 
hat.  Andere,  sagt  er  uns.  glauben,  dass  Pra^äpati  durchaus 
von  dem  freien  und  makellosen  Selbst  (Atman)  und  gar  nicht 
von  der  individuellen  Seele  spreche.  Aber  er  macht  darauf 
aufmerksam,  dass  die  in  dem  Texte  gebrauchten  Pronomina 
deutlich  auf  zwei  Subjekte,  die  individuelle  Seele  auf  der 
einen,  und  die  höchste  Seele  auf  der  anderen  Seite,  hinwei- 
sen :  und  Alles,  was  wir  zu  lernen  haben,  ist.  dass  die  indi- 
viduelle Seele  nicht  das  ist.  was  sie  zu  sein  scheint;  gerade 
80  wie  wir  um  unserer  Gemütsruhe  willen  ausfindig  machen 
müssen,  dass  etwas,  was  uns  eine  Schlange  schien  und  uns 
dann  erschreckte,  keine  Schlange,  sondern  ein  Strick  ist  und 
uns  nicht  mehr  zu  erschrecken  braucht. 

XiehtwisscH  oder  Äridjk  die  Ursache  phlHomenaien  Scheines« 

Wieder  Andere  gibt  es,  fihrt  «Sankara  fort,  einige  von 
unseren  Freunden  (möglicherweise  die  Anhänger  des  RämA- 
nu^  .  welche  der  Meinung  sind,  dass  die  individuelle  Seele 
als  solche  absolut  real  sei:  aber  dagegen  wendet  er  ein.  dass 
die  ganzen  Vedänta-sütras  den  Zweck  hätten,  zu  zeigen. 
dass  nur  das  Eine  höchste  Wesen  die  höchste  und  ewige 
intelligente  Realität  ist,  und  dass  es  nur  das  Ergebnis  des 
Nichtwissens  ist,  wenn  wir  denken,  die  vielen  individuellen 
Seelen  könnten  auf  irgend  eine  unabhängige  Realität  An- 
spruch erheben.  Es  läuft  darauf  hinaus,  dass  nach  6'ankara 
das   höchste  Selbst  eine  Zeit  lang  als  von  der  individuellen 


270 


Achte  VurleBung. 


Seale  verschiedea  bezeichnet  werden  kann,  aUeb  die  indi- 
viduelle Seele  ist  ihrem  Wesen  nach  nie  irgend  etwas 
Anderes  ab  (las  bSohate  Selbst,  xnßer  durch  ihr  eigene« 
zeitweiliges  Nichtwissen,  Dieses  kleine  Zugeständnis  einer 
zeitweiligen  Realität  der  individaellen  Seele  hielt  .S'aAkan. 
der  doch  schließlich  nicht  nur  Philosoph,  sondern  auch 
Tbeolog  war,  fUr  notwendig,  weil  der  in  seinen  Angen  un- 
fehlbare Veda  alle  seine  Opfer-  nnd  Moral  Vorschriften  fit 
individnelle  Seelen  gibt,  deren  Existenz  somit  als  feststehend 
HDgenommen  wird,  wenngleich  solche  Vorschriften  ohne  Zwei- 
fel hauptsächlich  fdr  Personen  bestimmt  sind,  die  noch  nicbl 
die  volle  Erkenntnis  des  Selbst  besitzen. 

Es  gibt  noch  viele  andere  auf  das  Verhältnis  des  indi- 
viduellen Selbst  zn  dem  höchsten  Selbst  bezUgliche  Punkte, 
welche  von  iS'afikara  höchst  ausführlich  erörtert  werden;  allein 
wir  branchen  hier  nicht  langer  bei  denselben  zu  verweilen, 
da  wir  anf  diesen  Öegenstand  wieder  zurückkommen  mDsaei, 
wenn  wir  von  der  systematischen  Philosophie  ^'aAkara'a  han- 
deln werden.  Was  ^'aftkara's  Anschauung  von  der  Einbnl 
der  individuellen  Seele  mit  der  höchsten  Seele  besonders  ut- 
zeichnet,  ist  die  vollständige  Henoais  oder  Einerldheit,  welob* 
nach  ibra  stets  eiistierl,  in  der  individuellen  Seele  aber  eiM 
Zeit  lang  durch  das  Nichtwissen  verdunkelt  werden  kuB- 
Es  gibt  noch  andere  Arten  der  Einheit,  welche  er  ausflüii- 
lich  erörtert,  am  Eude  aber  verwirft.  So  argumentiert  et 
z.  B.  in  Beeng  auf  die  Lebre  des  Asmarathya  (I,  4,  20): 
'Wenn  die  individuelle  Seele  von  dem  höchsten  Selbst  W- 
schiedon  w&re,  so  wQrde  die  Kenntnis  der  böohsteo  8eel( 
nicht  die  Eenutnia  der  individuellen  Seele  einschließen,  und 
so  würde  das  in  einer  der  Upanisbadeu  gegebene  Verspn- 
ohen,  dass  durch  die  Kenntnis  des  Einen  (der  hAcbsles 
Seelei  Altes  zu  erkennen  sei,  nicht  in  ErfUllDog  geb«i.< 
Er  will  nicht  zugeben,  dass  die  individuelle  Seele  in  irgend 
(.nnem  Sinne  die  Schöpfung  der  höchsten  Seele  genannt  wer- 
den könne;  freilich  ist  der  von  ihm  angegebene  Grund  wivdM 
mehr  theologisch,   als   philusophisch.     Wenn   der  Veda,  sigl 


Wahre  Unsterblicbkeit.  271 

er,  die  Schöpfung  des  Feuers  und  der  anderen  Elemente 
beriehtet,  so  berichtet  er  niemals  zu  gleicher  Zeit  irgend  eine 
besondere  Schöpfung  der  individuellen  Seele.  Darum  hat  der 
Vedintist  —  so  folgert  «SaAkara  —  kein  Recht,  die  Seele 
als  ein  geschaffenes  Ding,  als  ein  Erzeugnis  des  höchsten 
Selbst,  das  von  demselben  verschieden  ist,  zu  betrachten. 
Sie  sehen,  wie  sich  diese  Frage  ins  Unendliche  diskutieren 
lisst,  und  sie  ist  von  verschiedenen  Schulen  der  VedÄnta- 
Philosophie  ins  Unendliche  diskutiert  worden. 

SatjabhedaT&da  und  Bhed&bhedaT&da. 

Diese  verschiedenen  Ansichten  werden  durch  zwei  Namen 
bezeichnet,  und  zwar  die  eine  als  Satyabhedavida,  die 
Lehre  von  der  wirklichen  Trennung  oder  Verschiedenheit 
des  individuellen  Selbst  von  dem  höchsten  Selbst,  die  andere 
als  Bhedäbhedaväda,  die  Lehre  von  gleichzeitiger  Tren- 
nung und  Nichttrennung.  Sie  geben  beide  zu,  dass  die  in- 
dividuelle Seele  und  die  Weltseele  wesentlich  Eins  sind.  Die 
Verschiedenheit  zwischen  den  beiden  dreht  sich  um  die  Frage, 
ob  die  individuelle  Seele,  ehe  sie  zur  Erkenntnis  ihrer  Wahren 
Xator  geUngt,  jus  unabhängig,  als  ein  Ding  für  sich,  bezeichnet 
werden  kann  oder  nicht.  Ein  sehr  beliebtes  Gleichnis,  dessen 
mjm  sich  bedient,  ist  das  von  dem  Fener  und  den  Funken. 
Wie  die  von  einem  Feuer  ansgehenden  Funken,  heißt  es,*) 
von  dem  Fener  nicht  schlechterdings  verschieden  sind,  weil 
sie  an  der  Natur  des  Feuers  teilnehmen,  und  andererseits 
nicht  schlechterdings  nichtverschieden  sein  können,  weil  sie 
in  dem  Falle  von  dem  Feuer  und  voneinander  nicht  zu 
unterscheiden  sein  wfirden,  —  so  sind  auch  die  individuellen 
Seelen,  wenn  sie  als  Wirkungen  Brahmans  anfgefasst  werden. 
weder  schlechterdings  verschieden  von  Brahman,  denn  dies 
würde  bedeuten,  dass  sie  nicht  von  der  Natur  der  Intelligenz 


l;  Siehe  BhAmat!   zu  Ved.    Sütra  I.  4.  21:    Thibuut,  part  T. 
p.  2<«. 


272 


Ai^lit«  ViirleRunir. 


{d.  h.  Brahmnns)  sind,  nooli  ücfalechterdings  niohtverschiedeii 
von  Brshm&n ,  denn  in  letzterem  Falle  würen  sia  vooein- 
ander  nicht  unterschieden;  nuch  vQrde  es,  wenn  sie  mit 
BrahniHn  identisch  und  daher  allwissend  wären,  nntilos  sein, 
den  Leuten  irgend  eine  Unterweisung  von  der  Art  in  geben. 
wie  sie  in  den  üpaniahaden  gegeben  wird.  Sie  sehen,  dus 
die  indischen  Pliiiosophen  sich  in  ihren  GleichniBaen  und 
Bildern  besonilera  hervorthun,  und  diese  Idee,  dasa  die  Seelen 
von  Gott  aussprdhende  Funken  seien,  wird  nna  anch  in  an- 
deren Ländern  immer  wieder  begegnen. 

In  der  That  konnten  wir  diese  Gedanken  der  Upani— 
shaden  in  unserer  eigenen  Sprache  nicht  zutreffender  aos- 
drDcken,  als  mit  den  Worten  des  berlthmten  Cambridgor 
Theolügen  Henry  More,  wenn  er  sagt:  — 

»A  spark  or  ray  of  the  Diviuitj- 

Clonded  ia  earthy  fogs,  yclad  in  clay, 
A  preclous  drop,  sunk  from  Eternity, 

Spilt  on  ibe  gronnd,  or  rathor  eluak  away; 
For  theo  we  feil  when  we  'gan  first  lo  a^say 

By  BCealth  of  oar  own  aelvca  something  to  boen,J 
üncentring  ourselvea  frum  our  great  Stay, 
Which  fondly  we  new  liberty  did  ween. 
And  from  thut  prank  right  jolly  wights  nurselvea  dId  d«i 

Diejenigen,  welche  die  andere  Theorie,  den  8alytbh*4^  ■ 
vilda,  verteidigen,  argumentieren  wie  folgt:  Die  individusüe 
8eele  ist  eine  Zeit  lang  von  dem  hOehsten  Selbst  abulBt 
verschieden.  In  den  Upanishadeu  wird  über  von  dorselben 
als  nichtverschieden  gesprocheu,  weil  sie,  nachdem  sie  ati 
vermittelst  Erkenntnis   und    Nachdenken   gereinigt   hat,  uu 


1)  >EIn  Funke  oder  Strahl  der  GtltUichkoiC,  in  irdlKsb«  H*- 
bei  gebullt,  in  Tbon  gekleidet,  ein  kUstlicIier  Tropfen,  »at  d« 
Ewigkeit  herabgefallen,  auf  dem  Buden  verschüttet,  oder  vidaelit 
entecbltipft ;  denn  damals  fielen  wir,  als  wir  zuerst  begannen,  hiiit- 
lieh  zu  VLTBiiüheD,  selbst  etWH»  zu  aeio ,  uns  von  unserem  Hlttel- 
punkte,  unserem  gro&en  Ualt,  enlfemenU.  wrs  wir  in  tbilriclii** 
Wahn  rUr  neue  Freiheit  lifllcn:  und  gnr  prKehtige  Kerlp  dOst 
ten  «ir  uns  seit  jener  Tolllieit..  Awn.  äu   tim. 


Wahre  UnBterblichkeit.  273 

dem  Körper  entweichen  und  noch  einmal  mit  dem  höchsten 
Selbst  Eins  werden  kann.  Der  Text  der  Upanishaden  Aber- 
trägt  also  einen  künftigen  Zustand  der  Nichtverschiedenheit 
auf  die  Zeit,  wo  thatsächlich  noch  eine  Verschiedenheit  vor- 
handen ist.  So  sagen  die  Pa/lXarntrikas :  Bis  zu  dem 
Augenblick,  wo  die  Emancipation  erreicht  ist,  swd  die  Seele 
and  das  höchste  Selbst  verschieden.  Die  emancipierte  oder 
anfgekl&rte  Seele  aber  ist  von  dem  höchsten  Selbst  nicht 
mehr  verschieden,  da  keine  weitere  Ursache  der  Verschieden- 
heit vorhanden  ist. 

Die  Annäherung  der  Soelo  an  Brahnian. 

Wenn  wir  uns  diese  Idee  deutlich  vor  Augen  halten,  so 
können  wir  jetzt  zu  der  aus  der  B/zTiadäramaka-Upanishad 
entnommenen  Legende,  welche  wir  zuerst  untersucht  haben, 
zurfickkehren.  Sie  erinnern  sich  wohl,  dass  wir  auch  dort 
|»hilosophische  Ideen  fanden,  die  auf  alte  Legenden  auf- 
gepfropft waren.  Die  Wanderung  der  Seele  auf  dem  Väter- 
pfade zu  dem  Monde  war  oflenbar  eine  alte  Legende.  Man 
glaubte,  wie  Sie  sich  wohl  erinnern,  dass  die  Seele  aus  dem 
Monde  zu  einem  neuen  Leben  zurückkehre,  nachdem  ihre 
Verdienste  sich  erschöpft  hätten.  Der  Väterpfad  führte  eben 
nicht  vollkommen  aus  dem  sogenannten  Sa/;^sära,  dem  Welten- 
Unf,  dem  Kreislauf  kosmischen  Daseins,  der  Folge  von  Geburt 
DodTod,  heraus.  Wir  lesen  hier  nicht  am  Knde  des  Kapitels: 
»Es  gibt  keine  Rückkehr. « 

Der  nächste  Schritt  war  der  Glaube  an  einen  Devavana. 
den  Götterpfad,  der  wirklich  zu  ewiger  Glückseligkeit  ohne 
alle  Rückkehr  zu  erneuertem  kosmischem  Dasein  führte.  Wir 
verließen  die  Seele,  wie  sie  vor  dem  Throne  Brahmans  stand 
and  in  jenem  göttlichen  Anblick  voUkomment;  (tlückscligkeit 
genoss.  Mehr  wird  in  den  alten  Upanishaden  nicht  gesagt. 
Es  wird  jedoch  allgemein  zugegeben,  dass  selbst  diejenigen, 
welche   zuerst  auf  dem  Väterpfad  dahinziehen   und  aus  dem 

Mmz  X  Aller,  Theofophie.  1^ 


274  Aclito  Vorlesung'. 

Monde  zu rllck kehren ,  nm  einen  nenen  Kreislauf  dea  ] 
anzutreten,  am  Etiile  höhere  Erkenntoia  erlangen  nstf^ 
auf  dem  Gittterpfaile  weiter  ziehen  können,  bis  sie  den  t 
hitck  BralimaDS  erreichen.  Die  Upaaiahad  achließt  mit  aocli 
oinem  andern  kurzen  Absatz,  in  dero  erklärt  wird,  dass  die* 
jenigen,  welche  keinen  dieser  zwei  Wege  kennen,  zu  Warmem, 
VSgeln  und  kriechendem  GewDrm  werden.  Das  ist  Alles,  wu 
die  alten  Upanishaden  zu  sagen  hatten.  Nachdem  aber  di< 
psychologische  Spekulation  den  indischen  Geist  zu  einem 
neuen  Begriff  von  der  Seele  als  etwas  nicht  mehr  durch 
die  Fesseln  irdischer  Individualität  ÜeschrAnktem  gefohrl 
hatte,  verlor  selbst  die  bloße  Idee  einer  Annäherung  die- 
ser Seele  an  den  Thron,  auf  welchem  Draliman  sitze,  aUn 
Bedeutung.  \ 


Spütere  Spckuintinneu.  ■ 

Brahman  war  nicht  mehr  ein  objektives  Wesen,  dem  i 
sich  nähern  konnte,  wie  ein  Unterthan  sich  einem  Koni? 
nähert,  nnd  so  finden  wir  in  einer  andern  Upanisbad,  der 
Kanshitaki ,  wo  dieselbe  Legende  von  der  Seele,  welche  aif 
dem  Gdtterwege  fortzieht,  bis  sie  den  Thron  Brahmans  i^ 
reicht,  erzählt  wird,  auf  einmal  eine  ganz  nene  Idee,  & 
Idee,  um  die  sieh  der  ganze  Veditntismus  ä'aäkva's  dreU. 
Das  legendenhafte  RaUmenwerk  ist  allerdings  vollständig  ber- 
behalten,  aber  wenn  diu  Seele  einmal  Einen  Pnll  auf  den  Thns 
ßrahmans  gesetzt  hat.  so  werden,  wie  Sie  sich  wohl  erinoeni, 
dem  Brahman  die  Worte  in  den  Mund  gelegt:  -Wer  ^ 
du?«  Uann  kommt  nach  einigen  mehr  oder  minder  unver- 
ständlichen Aussprachen  die  kUhne  und  überraschende  Anl' 
wort  der  Seele:  >Ich  bin,  was  du  bist.  Du  bist  daa  Selbst 
ich  bin  das  Selbst.  Dn  bist  das  Wahre  (eatjamj,  ieh  hi> 
das  Wahre.« 

Und  wenn  Brahman  noch  einmal  frlgt:    >Was  iit  dWM 
das  Wahre,  das  Seiende?^     so  erwidert    die   Seele:     '\ 
von  den  OAUern  verschieden  ist«  (Sie  sehen,  dus  Brahnu 


Wahre  Unsterblichkeit  275 

hier  nicht  mehr  als  ein  bloßer  Gott  angesehen  wird),  »nnd 
was  von  den  Sinnen  verschieden  ist  (nämlich  die  phänome- 
nale Welt),  das  ist  Sat,  das  Seiende,  aber  die  Götter  nnd 
die  Sinne  sind  tyam,  d.  h.  es.« 

Dies  ist  ein  bloßes  Wortspiel  .^wie  solche  bei  den  alten 
Philosophen  in  Indien  sowohl  als  in  Griechenland  sehr  be- 
liebt sindj.  Sattyam  (fKr  satyam)  ist  ein  regelmäßiges  Deri- 
vativum,  das  ^Wahrheit*  bedeutet,  der  Verfasser  der  Upanisbad 
aber  wollte,  indem  er  das  Wort  in  Sat,  das  Seiende,  nnd 
tya,  es,  abteilte,  darthnn,  dass  Brahman  das  sei,  was  wir 
als  das  sowohl  absolut  als  anch  relativ  Reale,  als  das  zu- 
gleich phänomenale  und  noumenale  Weltall  bezeichnen  wür- 
den. Und  so  schließt  die  Upanishad  mit  den  Worten: 
'Darum  wird  mit  diesem  Namen  Sat  tya  dies  Alles,  was 
immer  es  gibt,  bezeichnet.     Dies  Alles  bist  du.« 

Identität  der  Seele  mit  Brahman. 

Sie  sehen  in  dieser  Tpanishad  einen  entschiedenen  Fort- 
schritt über  die  alten  Upanishaden  hinaus.  Brahman  ist 
nicht  mehr  ein  Gott,  nicht  einmal  der  höchste  Gott;  an 
seine  Stelle  tritt  das  Brahman  (neutrum) ,  die  Essenz  aller 
Dinge;  und  die  Seele,  die  weiß,  dass  sie  nicht  mehr  von 
dieser  Essenz  getrennt  ist,  lernt  die  höchste  Lehre  der 
ganzen  Vedänta  -  Philosophie :  Tat  tvam  asi,  >Du  bist 
das,«  d.  h.,  >Du,  der  du  eine  Zeit  lang  etwas  für  dich 
selbst  zu  sein  schienst,  bist  das,  bist  in  Wirklichkeit  nichts 
von  der  göttlichen  Essenz  Getrenntes.«  Brahman  kennen 
heißt  Brahman  sein,  oder  wie  wir  sagen  würden:  »In 
der  Erkenntnis  Gottes  besteht  unser  ewiges  Leben.«  Da- 
rum muss  selbst  die  bloße  Idee  einer  Annäherung  der 
individuellen  Seele  an  die  Weltseele  aufgegeben  werden. 
Sobald  man  die  wahre  Erkenntnis  gewonnen  hat,  weiß  man, 
wie  durch  einen  Blitz,  dass  sie  Eins  sind;  und  darum  sind 
sie  Eins;  eine  Annäherung  der  Einen  an  die  Andere  ist  dann 
nicht  mehr  denkbar.     Der   VedAntist   behauptet   aber   dieses 

IS* 


276 


AuUto  Vorlesilng. 


Alles  nicht  nnr,  Bondern  er  hat  immer  nene  Argumente  vor- 
rätig, um  mit  scIioUstiachem  and  in&nchmat  Bophistischem 
äcbarfsinn  zu  beweisen,  dass  die  intÜTidneUe  Seele  in  Wirlc- 
lichkeit  nie  etwas  von  dem  höchsten  Wesen  Getrenntes  soin 
kSnno,  dass  die  Unterscheidung  zwischen  einem  höheren  nnd 
einem  niedrigeren  Brahman  nur  zeitweilig  nnd  von  unserem 
Wissen  oder  Nichtwissen  abhängig  sei,  und  dass  das  httchstu 
Wesen  oder  Brahman  nur  li^ines  und  nicht  zwei  sein  kOnnc. 
wie  es  scheinen  möchte,  wenn  eine  llntersoboidung  zwischen 
dem  niedrigeren  and  höheren  Brahman  gemacht  werde. 
Fast  mit  denselben  Worten,  wie  die  eleatischen  Philosophen') 
und  die  deutschen  Mysliker  des  vierzehnten  Jahrhunderts, 
argumentiert  der  Vcdäntist,  dass  es  ein  Widerspruch  in  sich 
selbst  wSrc,  ansunehmen,  dass  es  irgend  etwas  anßer  den 
Unendlichen  oder  Brahman,  welches  Alles  in  Allem  sei, 
gehen  könne ,  und  dasa  daher  auch  die  äoele  nicht  ii^enil 
etwas  von  demselben  Versehiedenes  sein  nnd  nie  auf  ein 
getrenntes  und  nnabhilngiges  Dasein  Anspruch  machen 
könne. 

Zweitens,  da  Brahman  als  vollkommen  und  daher  ■!• 
unveränderlich  aufgefasst  werden  muss,  kann  die  Seele  nioM 
als  eine  wirkliche  Modifikation  oder  Verschlechterung  Bnh- 
mans  aufgefasst  werden. 

Drittens,  da  Brahman  weder  Anfang  noch  Ende,  noeh 
irgend  welche  Teile  haben  kann,')  darum  kann  die  Seel« 
nicht  ein  Teil  des  Brahman  sein,  sondern  das  gante  Bni- 
man  muss  in  Jeder  individuellen  Seele  vollständig  gogenwlrtJK 
sein.  Dies  ist  dasselbe,  wie  die  Lehre  des  Plotinus,  wolohei 
ebenso  folgerichtig  glaubte,  daaa  das  'wahre  Wesen'  In  jed»» 
Teile  des  Weltalls  als  Ganzes  gegenwärtig  sein  mDsse.  Er 
soll  ein  ganzes  Buch  über  diesen  Gegenstand  gcsohrieben 
haben.     Henry  More  nennt  diese  Theorie    die  liohnmerürkt. 


I)  Zoller.  p.  .172. 
■i\  Zeller,  p,  SM,  l'rH 


Wabre  Unsterblichkeit 


277 


von  dem  griechischen  ovaia  oleyueQr^^j  'eine  Essenz,  die  in 
jedem  Teile  Alles  ist'. 

So  viel  von  dem,  was  die  üpanishaden  andeuten  nnd 
was  Vedänta-Philosophen  wie  «Saokara  durch  logische  Argu- 
mentation festzustellen  suchen  in  Bezug  auf  die  wahre  Katar 
der  Seele  und  ihre  Beziehung  zu  dem  göttlichen  und  absolu- 
ten Wesen.  Vom  rein  logischen  Standpunkt  scheint  mir  Ssit- 
kara's  Stellung  unanfechtbar,  und  wenn  ein  so  strenger 
Logiker  wie  Schopenhauer  erklärt,  dass  er  sich  den  Argu- 
menten 6'ankara's  vollständig  unterwerfe,  so  steht  nicht  zu 
fiärchten.  dass  sie  von  anderen  Logikern  umgestürzt  werden 
könnten. 


Neunte  Vorlesung. 
Die  Vedänta-Fhilosophie. 


Der  Yedänta  als  ein  philosophisohes  System. 

Obwohl  es  hauptsächlich  das  Verhältnis  zwischen  der 
menschlichen  Seele  und  Oott  ist^  das  uns  in  der  Lehre  der 
Upanishaden  und  der  Vedänta-Sütras  interessiert,  so  gibt  es 
doch  in  dieser  alten  Philosophie  einige  andere  Punkte,  die 
unsere  Aufmerksamkeit  verdienen  und  dazu  beitragen  können, 
auf  den  Gegenstand,  mit  dem  wir  uns  eigentlich  beschäftigen, 
Licht  zu  werfen.  Ich  weiß,  es  ist  keine  leichte  Aufgabe, 
die  indische  Philosophie  für  europäische  Forscher  verständ- 
lich und  anziehend  zu  machen.  Es  verhält  sich  mit  der 
indischen  Philosophie  wie  mit  der  indischen  Musik. 

Wir  sind  au  unsere  eigene  Musik  so  sehr  gewöhnt,  dass 
uns  die  indische  zuerst  wie  ein  bloßes  Geräusch  klingt,  ohne 
Rhythmus,  ohne  Melodie,  ohne  Harmonie.  Und  doch  ist  die 
indische  Musik  durchaus  wissenschaftlich,  und  wenn  wir  nnr 
geduldige  Zuhörer  sind,  so  beginnt  sie  ihren  besonderen  Ztn- 
ber  auf  uns  auszuüben.  Dasselbe  wird  auch  bei  der  indi- 
schen Philosophie  der  Fall  sein,  wenn  wir  uns  nur  bemflhen, 
ihre  Sprache  zu  reden  und  ihre  Gedanken  zu  denken. 

Identität  der  Seele  und  des  Brahman. 

Erinnern  wir  uns  also  daran,  dass  die  Vedänta-Phiio- 
sophie    auf    der   Grundtiberzeugung    des    Ved&ntisten    ruht 


Die  Vedanta-Philosophie.  279 

dass  die  8eele  nnd  das  absolute  Wesen  oder  Brabman  ibrem 
innersten  Wesen  nacb  Eins  seien.  Wir  saben  in  den  alten 
Upanisbaden,  wie  diese  Überzeugung  langsam  und  allmäblicb, 
wie  die  Morgenröte,  auf  dem  geistigen  Horizont  Indiens  auf- 
stieg, wie  sie  aber  am  Ende  mit  ibrem  strabienden  Liebt 
alles  pbilosopbiscbe  sowobl  als  religiöse  Denken  in  sieb  auf- 
nabm.  Hatte  man  einmal  erkannt,  dass  die  Seele  und  Brab- 
man ibrem  tiefinnersten  Wesen  nacb  Eins  seien,  so  war 
damit  die  alte  mytbologiscbe  Spraebe  der  Upanishaden, 
welcbe  die  Seele  auf  dem  Väterpfade  oder  auf  dem  Götter- 
pfade zu  dem  Tbrone  Brabmans  zieben  ließ,  aufgegeben. 
Wir  lesen  in  den  Vedänta-Sütras  (im  2 Osten  Absebnitt  des 
dritten  Kapitels  des  dritten  Buchs;,  dass  diese  Annäherung 
an  den  Thron  Brabmans  nur  so  lange  ihre  eigentliche  Be- 
deutung bat,  als  Brabman  noch  für  persönlich  und  mit 
mannigfachen  Eigenschaften  begabt  (sagu//a)  angesehen  wird, 
dass  aber  diese  mythologischen  Begriffe  verschwinden  müssen, 
sobald  einmal  die  Erkenntnis  des  wahren,  des  absoluten  und 
unqualifizierten  Brabman,  des  absoluten  Wesens,  in  unserem 
Geiste  aufgegangen  ist.  Wie  wäre  es  möglich,  sagt  «Sankara 
p.  593-,  dass  derjenige,  welcher  von  allen  Banden  frei,  un- 
veränderlich und  unbewegt  ist,  sich  einer  anderen  Person 
nähern,  sich  an  einen  anderen  Ort  hinbewegen  oder  irgend- 
wobin gehen  könnte.  Die  höchste  Einheit,  wenn  sie  einmal 
richtig  verstanden  wird,  schließt  Alles  aus.  was  einer  An- 
näherung an  ein  verschiedenes  Objekt,  oder  an  einen  ent- 
fernten Ort  gleichkäme. ' 

Die  Sanskritsprache  hat  den  großen  Vorteil,  dass  sie 
lüt'  Verschiedenheit  zwischen  dem  qualifizierten  und  dem  un- 
qualifizierten Brabman  durch  einen  bloßen  Wechsel  des 
Geschlechts  ausdrücken  kann:  Brabman  Nom.  BrahmA) 
wird  nämlich  als  Maskulinum  gebraucht,  wenn  es  für  den 
qualifizierten  Brabman.  und  als  Neutrum  (Nom.  Brahma), 
wenn  es  für  das  unqualifizierte  Brabman.  das  absolute  Wesen. 


1    Ved.  Sütras  HI,  3,  29. 


■2  so 


NRuntB  VurlBftüiijf. 


steht.  Dies  Ut  em  groBur  Vorteil,  und  es  gibt  im  Englisoheo 
nichts  dem  EntfiprechendeB. 

Wir  mtlBäen  ans  auch  daran  erinnern,  dsss  das  Omnil- 
prinzip  der  VedAnta-PliiloBophie  nicht  lautete:  'Du  bist  er', 
sondern  'Du  bist  das,  und  dass  eä  nicht  lautete  'Da  icirtl 
Spin,  sondern  'Du  biil',  Dieses  'Du  bist'  drOckt  etwas  ua, 
waa  ist,  was  geweseu  ist  und  immer  sein  wird,  nicht  etwas, 
was  erst  errungen  werden  mnsa,  oder  was  zum  Beispiel  enl 
nach  dem  Tode  folgen  soll  (p.  h'.l'J). 

So  sagt  ^afikara ;  > Wenn  es  heißt,  dass  die  Seele  zu  BraJi- 
man  gehen  wird,  so  bedeutet  dies,  dass  sie  in  der  Zukunft  du 
erreichen,  oder  vielmehr,  dass  sie  in  der  Zukunft  das  sein  wird, 
was  sie,  wenngleich  itnbewusst,  immer  gewesen  ist,  nILmlich  Brah> 
man.  Denn  wenn  wir  von  irgend  Einem  sagen,  dass  er  lu 
irgend  einem  andern  gehe,  so  kann  es  nicht  einer  und  derselbe 
sein,  der  als  Subjekt  und  als  Objekt  unterschieden  wird.  Aucb 
wenn  wir  von  Vorehrung  spreclien,  kann  dies  nur  geschehen, 
wenn  der  Verehrer  von  dem  Verehrten  verschieden  ist.  Dareli 
wahre  Erkenntnis  wird  dio  individuelle  Seele  nicht  Brahman, 
sondern  sie  üt  Brahnian,  sobald  sie  weiß,  was  sie  wirklich  itl 
und  immer  gewosen  ist.  Sein  und  Wissen  sind  hier  gleichtütig.- 

Hierin  liegt  der  charakteristische  Unterschied  2wisditi 
dem,  was  man  gewöhnlich  als  mystische  Philosophie  boiMolh 
net,  und  der  VedAntischen  Theusophic  Indiens.  Andon 
mystische  Philosophen  stellen  dio  monsehlicho  Seele  gm* 
dar  als  in  Liebe  zv  Gott  entbrannt,  als  orftaUt  von  den 
VVunscIie  nach  Einheit  mit  tiott  oder  nach  Aufgeben  iiiUfltL 
Davon  finden  wir  wenig  in  den  Upanishaden,  und  «ean 
.solche  Ideen  vorkommen,  so  werden  sie  von  den  Vedinta- 
Philosophen  weg  argumentiert.  Sie  halten  stets  an  der  Übw 
Zeugung  fest,  dass  das  Höttliche  in  Wirklichkeit  nie  von  der 
monschlichon  Seele  entfernt  war,  dass  es,  wenn  auch  VOtl 
Finsternis  oder  Nichtwissen  verhüllt,  immer  da  ist,  und  dM 
die  Seele,  sobald  diese  Finsternis  oder  dieses  Nlohtwüsn 
entfernt  worden,  noch  einmal  nnd  rechtmäßig  das  ist,  was 
sie  immer  gewesen  ist;  sie  wird  nicht,  sie  üt  Br^maa. 


Die  Vedänu-Philofiophie.  2S1 

DUlo^  aos  der  fAando^a-Upaiiiflhjid. 

In  der  A7«nDdog}'a -Upaniäbad  findet  sich  ein  berQhmter 
Dialog  zwischen  einem  jungen  Studenten  iSvetaketn  und  seinem 
Vater  Uddälaka  Ani/n,  in  welchem  der  Vater  seinen  Sohn  za 
flberzengen  sucht,  das3  er  bei  all  seiner  theologischen  Ge- 
lehrsamkeit nichts  wisse,  und  ihn  dann  zur  höchsten  Er- 
kenntnis, dem  Tat  tvam  asi.  dem  >Das  bist  du<  hinzu- 
fahren trachtet  M.  1  ff.  :  Es  lebte  einmal  «SVetaketn 
Aru/jeya.  Und  sein  Vater  sagte  zu  ihm:  >6Vetaketn.  gehe 
in  die  Schule,  denn  es  gibt  keinen  von  unserem  Geschlechte, 
mein  Lieber,  der.  indem  er  nicht  studiert  hat  gleichsam  nur 
ein  Brahmane  von  Geburt  wäre.« 

Nachdem  6'vetaketu.  zwölf  Jahre  alt.  in  die  Lehre  ge- 
gangen war.  kehrte  er  mit  vierundzwanzig  Jahren,  als  er 
alle  Vedas  studiert  hatte,  zu  seinem  Vater  zurfick,  —  einge- 
bildet, sich  sehr  gelehrt  dünkend  und  starrköpfig. 

Sein  Vater  sagte  zu  ihm:  >*SVetaketn.  da  du  so  ein- 
gebildet, dich  so  gelehrt  dünkend  und  so  starrköpfig  bist, 
mein  Lieber,  hast  du  je  nach  der  Belehrung  gefragt,  ver- 
möge deren  wir  hören,  was  nicht  hörbar,  wahrnehmen,  was 
nicht  wahrnehmbar,  wissen,  was  nicht  wissbar  ist?« 

>Was  ist  das  für  eine  Belehrung,  Herr?^   fragte  er. 

Der  Vater  erwiderte:  »Mein  Lieber,  wie  durch  Einen 
Thonkloß  Alles,  was  aus  Thon  gemacht  ist,  erkannt  wird. 
—  der  Unterschied  ist  ja  nur  ein  von  der  Sprache  herrüh- 
render Name,  in  Wahrheit  ist  aber  Alles  Thon  — : 

>Und  wie.  mein  Lieber,  durch  Einen  Goldklumpen 
Alles,  was  aus  Gold  gemacht  ist.  erkannt  wird.  —  der  Un- 
terschied ist  ja  nur  ein  von  der  Sprache  herrührender  Name, 
in  Wahrheit  ist  aber  Alles  Gold  — : 

>Und  wie.  mein  Lieber,  durch  Eine  Nagelschere  Alles. 
was  aus  Eisen  gemacht  ist  KArsh/#ayasam .  erkannt  wird.  — 
der  Unterschied  ist  ja  nur  ein  von  der  Sprache  herrührender 
Name,  in  Wahrheit  ist  aber  Alles  Eisen  —  so,  mein  Lieber, 
ist  diese  Belehrung.« 


282  Neunte  Vorlesnog. 

Der  Sohn  sagte:  »Gewiss  haben  jene  verebrungswürdigen 
Männer  ^meine  Lehrer)  dies  nicht  gewusst.  Denn  wenn  sie 
es  gewusst  hätten,  waram  sollten  sie  es  mir  nicht  gesagt 
haben?     Sage  du  es  mir  also,  Herr.« 

Sie  sehen,  worauf  der  Vater  hinaus  will.  Was  er  meint, 
ist  dies:  Wenn  man  eine  Anzahl  Töpfe,  Pfannen,  Flaschen 
und  Gefäße  aller  Art  und  mit  verschiedenen  Namen  sieht, 
so  mögen  sie  verschieden  scheinen  und  verschiedene  Namen 
haben,  am  Ende  aber  sind  sie  Alle  nur  Thon,  die  nur  der 
Form  und  dem  Namen  nach  voneinander  abweichen.  In 
derselben  Weise  —  das  ist,  was  er  sagen  will  —  ist  die 
ganze  Welt,  Alles,  was  wir  sehen  und  benennen,  so  ver- 
schieden es  auch  der  Form  und  dem  Namen  nach  scheinen 
mag,  am  Ende  nichts  als  Brahman.  Die  Form  und  der 
Name,  in  der  philosophischen  Sprache  Indiens  nämarüpa 
d.  h.  ^Name  und  Form'  genannt  —  der  Name  kommt  vor 
der  Form,  oder,  wie  wir  sagen  würden,  die  Idee  kommt  vor 
dem  eidos,  der  Art  —  kommen  und  gehen,  sie  sind  dem 
Wechsel,  wenn  nicht  dem  Untergang,  unterworfen,  und  es 
bleibt  nur  das,  was  den  Namen  und  Formen  wirkliche  Ket- 
lität  gibt,  das  ewige  Brahman,  übrig. 

Der  Vater  fährt  dann  fort:  »Am  Anfange,  mein  Lieber, 
war  nur  das  Seiende  (rb  8r),  nur  Eines,  ohne  ein  Zweites. 
Andere  sagen:  Am  Anfange  war  nur  das  Nichtseiende  (r» 
uij  oV),  nur  Eines,  ohne  ein  Zweites;  und  aus  dem  Nicht- 
seienden  ward  das  Seiende  geboren. 

»Aber  wie  hätte*  dies  so  sein  können,  mein  Lieber?« 
fuhr  der  Vater  fort.  »Wie  hätte  das  Seiende  aus  dem  Nicbt- 
seiendcn  geboren  werden  können?  Nein,  mein  Lieber,  nnr 
das  Seiende  war  am  Anfang,  Eines  nur,  ohne  ein  Zweites. 

»Es  dachte:  möge  ich  Viele  sein,  möge  ich  mich  fort- 
püanzen.     Es  ließ  das  Feuer  von  sich  ausgehen. 

»Dieses  Feuer  dachte:  möge  ich  Viele  sein,  möge  ich 
mich  fortpflanzen.     Es  ließ  das  Wasser  von  sich  ausgehen. 

»Das  Wasser    dachte:    möge    ich  Viele    sein,    möge  icb 


Die  VedänU-Philosophie.  283 

mich  fortpflanzen.  Es  ließ  die  Erde  Nahrang]  von  sich 
ausgehen.  V 

»Damm  wird,  wenn  immer  es  irgendwo  regnet,  am  mei- 
sten Nahrung  hervorgebracht.  Ans  dem  Wasser  allein  wird 
genießbare  Nahrung  hervorgebracht.« 

VI,  9.  >Wie  die  Bienen,  mein  Sohn,  Honig  machen, 
indem  sie  die  Säfte  verschiedener  Bäume  sammeln  und  den 
Saft  in  Eine  Form  bringen, 

»Und  wie  diese  Säfte  keine  Unterscheidung  machen  und 
etwa  sagen  können,  'ich  bin  der  Saft  dieses  oder  jenes  Bau- 
mes', ebenso,  mein  Sohn,  wissen  alle  die  Geschöpfe,  wenn  sie 
in  dem  Wahren  entweder  im  tiefen  Schlaf  oder  im  Tode) 
aufgegangen  sind,  nicht,  dass  sie  in  dem  Wahren  aufgegan- 
gen sind. 

»Was  immer  diese  Geschöpfe  hier  sind,  sei  es  ein  Löwe, 
ein  Wolf,  ein  Eber,  ein  Wurm,  eine  Fliege,  eine  Stech- 
mOcke  oder  eine  Mosquite,  das  werden  sie  immer  wieder. 

»Was  nun  jene  feine  Essenz  ist,  darin  hat  Alles,  was 
existiert,  sein  Selbst.  Es  ist  das  Wahre.  Es  ist  das  Selbst, 
und  du,  o  «Svetaketn.  bist  es.« 

»Bitte,  Herr,  belehre  mich  noch  weiter,«  sagte  der 
Sohn. 

»So  sei  es,  mein  Eand,«  erwiderte  der  Vater. 

»VI,  10.  »Diese  Flüsse,  mein  Sohn,  strömen,  die  öst^ 
liehen  (wie  die  Gahgä  nach  Osten,  die  westlichen  (wie  der 
Sindhu)  nach  Westen.  Sie  gehen  vom  Meere  zum  Meere 
;d.  h.  die  Wolken  heben  das  Wasser  von  dem  Meere  in  den 
Himmel  empor  und  senden  es  als  Regen  wieder  zum  Meere 
zurück}.  Ja  sie  werden  sogar  zum  Meere.  Und  wie  jene 
Flfisse,  wenn  sie  im  Meere  sind,  nicht  wissen,  *ich  bin  dieser 
oder  jener  Fluss', 

»Ebenso,  mein  Sohn,  wissen  alle  diese  Geschöpfe,  wenn 
sie   von  dem  Wahren  zurückgekommen    sind,   nicht,  dass  sie 


1    Fast  dieselbe  Reihenfolge,  Feuer.  Luft,  Wasser,  Erde,  fin- 
det sich  bei  Plato.  Timaeus,  56. 


284  Nüiiute  Vorlesung. 

von  dem  Wahren  EiirUckgekoromeD  sind.  Was  immer  die  Ge- 
achftpfe  hier  sind,  sei  es  ein  LOwe,  ein  Wolf,  eiu  Kber,  ein 
Wurm,  eine  Fliege,  eine  Sieclimacke  oder  eine  Mosijnite,  iln» 
«■erden  sie  immer  wieder. 

>Was  nnn  jene  feine  Essenz  ist,  darin  hat  Ailes,  was 
existiert,  sein  Selbst.  Es  ist  das  Wahre.  Es  ist  das  Seibat. 
nnd  dn,  o  lyTetaketn,  bist  es.< 

'Bitte,  Herr,  belehre  mich  noch  weiter,*  sagte  der  Sobn. 

»80  sei  es,  mein  Kind,  •  erwiderte  der  Vati-r. 

VI,  II.  'Wenn  irgend  Jemand  auf  die  Wurzel  dieses 
großen  Baumes  hier  schlQge,  bo  wttrde  derselbe  Saft  auaatrOmen, 
aber  leben.  Wenn  er  auf  dessen  Stamm  achlflge,  so  «rUrdii 
er  Saft  ausströmen,  aber  leben.  Wenn  er  auf  dessen  Knm 
BchlDge,  so  würde  er  Saft  ausströmen,  aber  leben.  Von  den 
lebendigen  Selbst  durchdrungen,  steht  dieser  Baum  feit,  Beü» 
Nahrung  einsangcnd  und  sich  freuend; 

iWenn  aber  das  Leben  (das  lebendige  Selbst)  BiiuB 
seiner  Zweige  vorläast,  so  verdorrt  dieser  Zweig;  wenn  M 
einen  zweiton  verlüsat,  so  verdorrt  dieser;  wenn  ca  eJntD 
dritten  verlasst,  so  verdorrt  dieser  Zweig.  Wenn  es  don 
ganzen  Baum  verlasst,  so  verdorrt  der  ganze  Banm.  Üenan 
in  derselben  Weise,  mein  Sohn,  wisse  dies.«    Also  spraclier: 

>Die3er  (Körper)  fürwahr  welkt  dahin  nnd  stirbt,  wenn 
das  lebendige  Selbst  ihn  vorlassen  hat;  das  lebendige  Selbtt 
stirbt  nie, 

•  Was  jene  feine  Gsscuk  ist,  darin  hat  Allee,  was  loi- 
stiert,  sein  Selbst,  Es  ist  das  Wahre.  Es  ist  das  Selbil, 
und  du,  0  .i>etaketu,  bist  es.« 

•  Bitte,  Uerr,  belehro  mich  noch  weiter,«  sagt*  4« 
Sobn. 

»So  sei  es,  mein  Kind,«  erwiderte  der  Vater. 

VI,  13.  »Logo  dies  Sala  ins  Wasser,  und  erschoiw 
morgen  frflli  vor  mir.« 

Der  Sohn  that,  wie  er  geheißen. 

Der  Vater  sagte  za  ihm:  »Bringe  mir  das  Salz,  weichet 
dn  gestern  abend  ins  Wasser  gelegt  hast,- 


Die  Vedänta-Philosophie.  285 

Der  Sohn  suchte  es,  fand  es  aber  nicht,  denn  es  war 
natürlich  aufgelöst. 

Der  Vater  sagte:  »Koste  von  der  Oberfläche  des  Was- 
sers.    Wie  ist  es?« 

Der  Sohn  erwiderte:     »Es  ist  salzig.« 

»Koste  es  von  der  Mitte.     Wie  ist  es?« 

Der  Sohn  erwiderte:     »Es  ist  salzig.« 

»Koste  es  von  unten.     Wie  ist  es?« 

Der  Sohn  erwiderte:     »Es  ist  salzig.« 

Der  Vater  sagte:  »Wirf  es  weg  und  erscheine  dann 
vor  mir.« 

Er  that  also;  aber  Salz  existiert  immerdar. 

Dann  sagte  der  Vater:  »Auch  hier  in  diesem  Körper 
ffirwahr  bemerkst  du  nicht  das  Wahre  (Sat},  mein  Sohn;  es 
ist  aber  doch  da. 

»Was  die  feine  Essenz  ist,  darin  hat  Alles,  was  exi- 
stiert, sein  Selbst.  Es  ist  das  Wahre.  Es  ist  das  Selbst, 
und  du,  0  ÄSVetaketu,  bist  es.« 

»Bitte,  Herr,  belehre  mich  noch  weiter,«  sagte  der 
Sohn. 

»So  sei  es,  mein  Kind,«  erwiderte  der  Vater. 
VI,  15.  »Wenn  ein  Mensch  krank  ist,  so  versammeln 
sich  seine  Freunde  um  ihn  und  fragen :  »Kennst  du  mich  ? 
Kennst  du  mich?«  Solange  nun  nicht  seine  Sprache  in  sei- 
nem Geiste,  sein  Geist  im  Atem,  sein  Atem  in  der  Glut  (im 
Feuer)  und  die  Glut  in  der  höchsten  Gottheit  (devatä)  auf- 
gegangen ist,    keqnt  er  sie. 

»Wenn  aber  seine  Sprache  in  seinem  Geiste,  sein  Geist 
im  Atem,  sein  Atem  in  der  Glut  (im  Feuer)  und  die  Glut  in 
der  höchsten  Gottheit  aufgegangen  ist,  so  kennt  er  sie  nicht. 

»Was  die  feine  Essenz  ist,  darin  hat  Alles,  was  exi- 
stiert, sein  Selbst.  Es  ist  das  Wahre.  Es  ist  das  Selbst, 
und  da,  o  «Svetaketn,  bist  es.« 


Einheit  mit.  nicht  Aufsehen  in  dem  Itrahmau. 

In  diesem  Dialog,  wie  er  in  der  Upanishad  gege' 
haben  wir  eine  populärere  und  Doch  niclit  in  ain  System 
gebrnohte  ADsehaunng  des  Vedäuta  vor  uns.  Ks  faommen 
allerdings  mehrere  Stellen  vor,  welche  vielmehr  von  der  Ein- 
lieit  and  dem  Aafgelien  der  Seele  zu  sprechen  scheinen,  xU  da- 
von, dass  sie  ihre  wahre  Natur  wiBdorgowinne.  tSolohc  Stellen 
werden  jedoch  von  den  atrengeren  Vedäntfl' Philosophen  immer 
wegcrkUrl,  und  sie  haben  damit  keine  große  Öchvier^keit. 
Denn  es  bleibt  ihnen  immer  die  Erklärung,  dass  der  qnili- 
ßzierte  pers5nliche  Brahman  und  noch  nicht  das  von  allon 
Qnnlit&ten  freie  höchste  Itrabman  gemeint  aei.  Dieser  modi- 
liüerte  persönliche  Brahman  ist  fUr  praktische  Zwecke  immer 
da,  bis  dessen  NichtwirkUchkeit  sich  durch  die  Hntdecknng 
des  höchsten  Brahman  herausgestellt  hat;  und  da  in  ßioem 
Sinne  der  moilißsierte  (männliche)  Brahman  das  höchste  Brah- 
man ist,  wenn  wir  es  nnr  wissen,  und  da  er  mit  dem  hOth- 
sten  Brahman  seine  wahre  Realität  ganz  teilt,  sobald  wir  ca 
wissen,  so  können  viele  üinge  in  einem  minder  genauen  Sinne 
von  t/tin,  dem  modilizierten  Brahman,  ausgesagt  werden,  dio 
in  Wahrheit  nnr  fllr  es,  das  höchste  Brahman,  gelten.  DiesO 
Doppelsinnigkeit  zieht  sich  darch  die  gauzen  Vedänta-sütru 
hinduTcb,  und  ein  nicht  nnb  e  t  rächt  liehe  r  Teil  der  SAku 
beschäftigt  sich  ausscbließlich  mit  der  Aufgabe  za  Beigen, 
dass  es,  wenn  der  quaÜfizierte  Brahman  gemeint  ed  uib 
scheine,  in  Wirklichkeit  das  nni)nali£zierte  Brahman  sei,  dtt 
vorstanden  werden  müsse.  Wiedemni  gibt  es  in  den  Vptr 
ntabaden  \iele  nnd  viele  Stellen,  welche  sich  auf  die  indivi- 
duelle Seele  xu  beziehen  scheinen,  die  al-er,  wenn  sie  gehö- 
rig erklärt  werden,  als  auf  das  der  individuellen  Seele  Halt 
und  WirkUcbkelt  gebende  höchste  Atman  beaflglich  an^fast 
werden  niQasen.  Dies  ist  wenigstens  die  von  ^Sar'ikara  ver- 
tretene Anacbauung,  während  es,  wie  ich  schon  frOfaer  ange- 
deutet habe,  vom  histonBcben  (lesichtsp unkte  scheinen  mSchle, 
als  oh   fs  in  der  Entwicklung  des  Glaubens  an  das  bCchale 


Die  Vedanta-Philosophie.  287 

Brahman  und  an  das  höchste  Atman  verschiedene  Stafen 
gegeben  hätte^  und  dass  manche  Stellen  in  den  Upanishaden 
ilteren  Phasen  indischen  Denkens  angehörten,  als  Brahman 
noch  einfach  als  die  höchste  Gottheit  aufgefasst  wurde,  und 
als  man  noch  glaubte,  dass  wahre  Glückseligkeit  in  der 
allmählichen  Annäherung  der  Seele  an  den  Thron  Gottes 
bestehe. 


Kenntnis  Gottes^  nicht  Liebe  zu  Gott. 

Irgend  etwas  wie  eine  leidenschaftliche  Sehnsucht  der 
Seele  nach  Gott,  wie  sie  den  Grundton  fast  aller  Religionen 
bildet,  fehlt  daher  in  den  Vedänta-sfitras  ganz  und  gar.  Die 
Thatsache  der  Einheit  der  Seele  mit  Gott  gilt  von  Anfang 
an  als  ausgemacht,  oder  doch  als  durch  die  offenbarten 
Äußerungen  der  Cpanishaden  hinlänglich  bewiesen. 

Das  Tat  tvam  asi,  *Das  bist  du',  wird  von  den  Ve- 
däntisten  als  eine  trockene  Thatsache  hingenommen.  Es 
bildet  die  Grundlage  eines  wohldurchdachten  Systems  der 
Philosophie,  von  dem  ich  Ihnen  nun  eine  freilich,  wie  es 
nicht  anders  möglich  ist,  nur  ganz  allgemeine  Vorstellung  zu 
geben  suchen  will. 

Aridyä  oder  das  Nichtwissen. 

Das  Grundprincip  der  Vedänta  -  Philosophie ,  dass  in 
Wirklichkeit  nichts  als  Brahman  existiert  und  existieren  kann, 
dass  Brahman  Alles  ist,  sowohl  die  materielle  als  die  wir- 
kende Ursache  des  Weltalls,  steht  natürlich  mit  unserer 
gewöhnlichen  Erfahrung  in  Widerspruch.  In  Indien,  wie 
anderswo,  denkt  der  Mensch  zunächst,  dass  er  in  seinem 
individuellen,  körperlichen  und  geistigen  Charakter  etwas  ist, 
was  existiert,  und  dass  alle  Objekte  der  Außenwelt  als  Ob- 
jekte ebenfalls  existieren.  Die  idealistische  Philosophie  hat 
mit  diesem  Vorurteil,  welches  so  alt  ist  wie  die  Welt,  in 
Indien    gründlicher    aufgeräumt,    als   irgendwo  anders.     Der 


2S8 


Nntinte  Vorlnaiinp. 


Vcdä  Dt  »-Philosoph  hat  jedoeli  uioht  bloß  mit  dieser  ßcliwie- 
rigkeit  zu  kiLmpfen,  die  jede  PhilOBophio  bernhrt,  sondern  er 
niuas  noch  mit  e'iuer  anderen  Schwierigkeit,  die  Uim  ^ant 
besonders  zukommt,  feitig  Verden.  Der  ganze  Veda  Ist  in 
seinen  Augen  nnfehlbar,  und  doch  schreibt  dieser  Veda  dte 
Verehrnng  vieler  Giitter  vor,  und  selbst  wenn  er  die  Ver- 
ehrung (upisanä)  Brahmans,  der  höchsten  Gottheit,  in  seinem 
thätigen,  männlichen  und  perstlnlichen  Charakter  vorschreibt, 
erkennt  er  eine  objektive  Gottheit  an,  die  von  dem  Subjekt,  das 
ihm  Verehrung  und  Opfer  darbringen  soll,  verschieden  ist. 

Üamm  muaa  der  VedAuta  -  Philosoph  Vieles  hingeben 
lassen.  Kr  duldet  die  Vevelirung  eines  objektiven  Brahman 
als  eine  Vorbereitung  für  die  Kenntnis  des  subjektiven  und 
objektiven,  oder  des  absoluten  Brahman,  welches  der  hfichste 
Endzweck  seiner  Philosophie  iai.  Er  gibt  Einen  mit  Qoalitit 
ausgestatteten,  aber  hoch  über  den  gewöhnlichen  tiOttern  dea 
Vuda  stehenden  Brahman  zu.  Dieser  Brahman  wird  von  den 
Frommen  auf  dem  GOtterpfade  erreicht :  er  kann  verehrt 
werden,  und  er  ist  es,  der  die  Frommen  für  ihre  guten 
Werke  belohnt.  Doch  selbst  er  ist  in  diesem  Charakter  daa 
Ergebnis  des  Nichtwissens  (Avidyä),  desselben  Nichtwissen«, 
welches  verhindert,  dass  die  Seele  des  Menschen,  das  .^tnuu, 
sich  selbst  von  ihren  Behinderungen  i  den  sogenannten 
UpAdhis,  wie  dem  KOrper,  den  Sinnesorganen  und  deren 
Thätigkeit,  nnterscteido. 

Dieses  Nichtwissen  kann  nur  durch  Wissen  oder  Kennt- 
iiis  entfernt  werden,  und  diese  Kenntnis  oder  »id.vft  verleiht 
der  VedAnt»,  welcher  zeigt,  dass  unsere  ganze  gowi^hnlieba 
Erkenntnis  einfach  da»  Resultat  der  Unwissenheit  oder  iu 
Nichtwissens,  dass  sie  ungewiss,  trügerisch  und  vargtn^leb, 
oder,  wie  wir  sagen  wtlrdcn,  phAuomenal.  relativ  und  bedingt  bt 
Die  wahre  Erkenntnis,  samvagdar^ana  oder  'v(dlsUln<ltge  W^t- 
sieht'  genannt,  kann  weder  durch  sinnliche  Wahrnehmung  (pn^ 
tyaksba;,  noch  durch  Schlussfol^rernug  [unumAnn]  gewomMB 
worden,  auch  kann  die  Befolgung  der  Vorschriften  dos  Voda 
nicht  mehr  als  eine  zeitweilige  Erleuchtung  oder  GlOckseUgkril 


Die  Vedanta-Philosophie.  289 

hervorbringen.  Nach  dem  orthodoxen  Vedäntisten  kann  iS'ruti 
allein  oder  das,  was  man  Offenbarung  nennt,  jene  Erkenntnis 
verleihen  und  jenes  der  menschlichen  Natur  angeborene 
Nichtwissen  entfernen. 

Von  dem  höheren  Brahman  kann  nichts  ausgesagt  werden, 
als  dass  es  ist,  und  dass  es  durch  unser  Nichtwissen  dies 
oder  jenes  zu  sein  scheint. 

Als  ein  großer  indischer  Weiser  aufgefordert  wurde, 
Brahman  zu  beschreiben,  schwieg  er  einfach  still  —  das  war 
seine  Antwort.  Wenn  man  aber  sagt,  dass  Brahman  ist,  so 
bedeutet  dies  zu  gleicher  Zeit,  dass  Brahman  nicht  ist;  das 
heißt,  dass  Brahman  nichts  von  dem  ist,  was  angenommener- 
maßen in  unseren  sinnlichen  Wahrnehmungen  existiert. 

Brahman  als  sat,  als  kii  und  als  (inanda* 

Es  gibt  jedoch  zwei  andere  Eigenschaften,  die  man  dem 
Brahman  unbedenklich  zuschreiben  darf,  nämlich  dass  es 
intelligent,  und  dass  es  selig  ist;  oder  vielmehr,  dass  es  In- 
telligenz und  Seligkeit  ist.  ^Intelligent'  scheint  dem  Sk.  Xit 
und  Äaitanya  am  nächsten  zu  kommen.  ^Geistig'  würde  nicht 
genflgen,  denn  es  würde  nicht  mehr  ausdrücken,  als  dass  es 
nicht  materiell  ist.  Aber  Ä;it  bedeutet,  dass  es  ist,  dass  es  wahr- 
nimmt und  weiß,  obzwar  wir,  da  es  nur  sich  selbst  wahr- 
nehmen kann,  sagen  können,  dass  es  durch  sein  eigenes 
Lieht  oder  Erkennen  erleuchtet  ist,  oder  dass  es,  wie  es  zu- 
weilen ausgedrückt  wird,  reine  Erkenntnis  und  reines  Licht 
ist.  Vielleicht  werden  wir  am  besten  verstehen,  was  kii  be- 
deutet, wenn  wir  in  Betracht  ziehen,  was  dadurch  verneint 
wird,  nämlich  Stumpfheit,  Taubheit.  Finsternis  und  alles  Ma- 
terielle. An  mehreren  Stellen  wird  eine  dritte  Eigenschaft 
angedeutet,  nämlich  Glückseligkeit;  aber  auch  dies  scheint 
wieder  nur  ein  anderer  Name  für  Vollkommenheit  zu  sein 
and  hauptsächlich  den  Zweck  zu  haben,  die  Idee  auszu- 
schließen, dass  irgend  ein  Leiden  in  dem  Brahman  mög- 
lich sei. 

Max  MfklUr.  Theosophie.  19 


290 


Neunte  Vorlesung, 


Es  liegt  iu  der  Natur  dieses  Brnliman ,  dass  es  immer 
subjektiv  ist,  und  duinim  heißt  es,  duss  es  niclit  in  dciielben 
Weise  gewusat  weiden  kann,  wie  alle  anderen  Objekte  ge- 
wusät  werden,  sundorn  nur  wie  ein  Wieaeuder  weiß,  dass  er 
weiß  und  duas  er  iat. 

Plilluao)ilile  uud  Eetlgloii. 

Doch  Ällos,  was  iai,  nnd  Alles,  waa  erkannt  iat,  —  zwei 
Dinge,  die  im  VedAnta,  wie  in  allen  anderen  idealiatischen 
Syatemcu  der  Philosophie,  identisch  sind.  —  AUea  iat  am 
lindo  Urahman.  Obgkiich  wir  ts  nicht  wissen,  iat  oa  doch  eben 
Drafanian,  waa  iina  bekannt  ist,  wenn  es  als  Urheber  oder 
Schöpfer  dor  Welt  aufgefasst  wird,  ein  Amt,  daa  nach  indi- 
schen Begriffen  der  Gottheit  in  ihrem  wahren  Charakter  ganx 
unwürdig  ist.  Es  ii^t  dasselbe  Brahman,  daa  uns  in  unserem 
eigenen  Selbstbewasstaein  bekannt  iat.  Was  wir  &acb  tu  sein 
acheinen  oder  uns  eine  Zeit  laug  lu  seiu  einbilden  mögen,  in 
Wahrheit  sind  wir  das  ewige  Brahman,  das  ewige  Seibat 


Ult  bik'liste  llt'rr  iiilor  isvarn. 


HintergrnQd  behält  der  Tv^ 
as  er  Gott  den  nerrn,  Htm 


Mit  dieser  Überzeugung 
iläntiat  seinen  Glauben  an  da 
Schöpfer  nnd  Beherrscher  der  Welt  nennt,  aber  nur  aUpblov* 
menal,  oder  als  dem  menschlichen  Vorstände  angepaast,  bol. 
Uie  Menschen  aollen  au  einen  peisönüchen  Gott  mit  dwMt 
bon  Zuversicht  glauben,  mit  der  sie  an  ihr  eigenes  petsSn- 
liches  Selbst  glauben ;  und  kann  oa  eine  höhere  Znrersifllil 
geben?  Sie  sollen  an  ihn  als  den  ächöpfor  nnd  Behemoh« 
dor  Welt  (samaära)  und  ala  den  Beatinimer  der  Wirkungu 
oder  Belohnungen  guter  und  böser  Tbaten  ikarronn)  glanEMB. 
Man  liaun  ihn  sogar  verehren,  wir  dOrfen  aber  nie  vergMHiv 
dasB  das.  was  verehrt  wird,  nur  eine  Person,  oder,  wie  die 
Brahmanen  es  nennen,  ein  pratika  ist,  eine  Seite  der  wah- 
ren ewigen   Wesenheit,    wie    sie  von    uns  in  unserer  naret- 


Die  VedanU-Philosophie.  291 

meidlich  menschlichen  und  beschränkten  Erkenntnis  aufge- 
fksst  wird.  So  wird  denn  die  strengste  Beobachtung  der 
Religion,  solange  wir  sind,  was  wir  sind,  eingeschärft. 
Es  wird  uns  gesagt,  dass  in  dem  gewöhnlichen  Glauben  an 
Gott  als  den  Schöpfer  oder  die  Ursache  der  Welt  Wahrheit 
liege,  aber  nur  eine  relative  Wahrheit,  relativ  für  den  mensch- 
liehen Verstand,  gerade  so  wie  in  der  Wahrnehmung  unserer 
Sinne  und  in  dem  Glauben  an  unsere  Persönlichkeit  Wahrheit, 
aber  nur  eine  relative  Wahrheit  li^.  Diese  relative  Wahr- 
heit muss  von  Falschheit  sorgfiütig  unterschieden  werden. 
Sein  Glaube  an  den  Veda  würde  genfigen,  den  Vedäntisten 
von  der  licugnung  der  Götter  oder  von  dem,  was  wir  Atheis- 
mus, oder  vielmehr  —  wie  ich  erklärte  —  Adevismus,  nennen 
wfirden.  abzuhalten. 

Aus  Ehrerbietung  gegen  den  Veda  gibt  der  Vedäntist 
sogar,  wenn  nicht  gerade  eine  Schöpfung,  so  doch  eine  pe- 
riodisch von  Kalpa  zu  Kaipa]  wiederholte  Emanation  der 
Welt  aus  Brahman  und  Reabsorption  derselben  in  Brah- 
man  zu. 

Upädhis,  SAkshma^arira  ud  SthAbwarinu 

Wenn  wir  fragen,  was  zu  dem  Glauben  an  individuelle 
Seelen  fahrte,  so  finden  wir  die  Antwort  in  den  üpädhis, 
den  Umgebungen  oder  Behinderungen,  d.  h.  dem  Körper  mit 
dem  ihm  innewohnenden  Atem  oder  Leben,  den  Sinnesorganen 
und  dem  Denkorgan.  Diese  bilden  zusammen  den  feinen 
Körper  (das  sükshma^arfra),  und  dieses  sükshma^arira  lebt, 
wie  angenommen  wird,  weiter,  während  der  Tod  nur  den 
groben  Körper  (das  sthüla^arfra)  zerstören  kann.  Jener  feine 
Körper  ist  der  Träger  der  individuellen  Seele,  und  ihr  Ge- 
schick wird  durch  Handlungen  bestimmt,  welche  in  ihren 
Folgen  fortdauern  und  in  ihren  Wirkungen  auf  immer  be- 
harren, oder  mindestens  so  lange,  bis  wahre  Erkenntnis 
entstanden  ist  und  selbst  dem  feinen  Körper  und  allen  Trug- 
bildern des  Nichtwissens  ein  Ende  gemacht  hat 

19* 


$f!ili[)tau^  Oller  Riiiaiintjon. 

Wie  die  Emanalion  der  Welt  aus  lirabman  io  der  V»' 
ilänta-Philosophie  anfgefaaat  wird,  ist  vou  geriogem  Interesse. 
Sie  ist  fast  rein  mythologiacli  nnd  zeigt  unä  eine  sehr  nie- 
drige Stafe  der  Natu rwisaen schaff.  Braliman  vird  allerdings 
nicht  mehr  als  ein  Verftirtiger,  ein  SchOpfur,  ein  Baumeister 
oder  ein  Töpfer  dargestellt.  Wus  wir  diireh  'Schdpfiing 
sWshä)  übersetzen,  bedeutet  in  Wirklichkeit  nicht  mehr,  »\* 
ein  Entsenden ,  und  entspricht  genau  der  Theorie  der  Ena- 
uation,  wie  sie  von  einigen  der  hervorragendsten  christlickeu 
Philosophen  vertreten  wird.  Wenige  Ansichten  gibt  ua,  die 
nicht  Tou  irgend  einem  Konzil  oder  Papat  hJs  kelzeriaeh  ver- 
dämmt  worden  sind;  aber  ich  weiß  von  keinem  Künzil,  du 
di«  Theurie  der  Emanution  statt  einer  Schöpfung  oder  Fa- 
brikation verdammt  hätte.  Wenn  aber  der  titaube  an  Ema- 
nation statt  Schöpfung  von  der  Kirche  verdammt  worden  ist, 
so  hat  die  Kirche  einige  ihrer  stärksten  Verteidiger  mls 
Ketzer  verdammt.  Es  wäre  leicht,  Männer  wie  Dionysina 
und  ScolDs  Erigena  oder  selbst  8t.  Clemens  ah  nicht  kom- 
petent zn  erklären,  insofern  sie  auf  den  Charakter  orthodoxer 
Theologen  Anspruch  erheben.  Was  sollen  wir  aber  von 
Thomas  vou  Aquino  sagen,  dem  wahren  Bollwerk  katholi- 
scher Rechlgläubigkeit?  Und  doch  erklärt  auch  er  g«rsdexu 
(Suroma  p.  I.  9 — U'a  4J,  dass  crcalio  eniaiiutia  lotitu  tntu 
uli  wo  ist.  Eckhart  und  die  dentüobeu  Mystiker  sind  «Ue 
derselben  Meinung,  einer  Meinung,  die  zwar  der  QenMb 
xawider  laufen  mag .  aber  mit  dem  Oeiat  des  Kenen  Taot»- 
ments  keineswegs  in  Widerspruch  steht. 

Die  Upanishaclen  bringen  immer  wieder  none  GleiobtUue 
in  Vorschlag,  durch  die  sie  den  Bogriff  der  Schöpfung  oder 
Emanation  verständlicher  in  machen  suchen.  Einfi»  der  lU»- 
ilf.a  lileiehnisse,  das  auf  die  Uervorbringuug  der  Weil  an 
Brahman  angewandt  wird,  iat  das  von  der  Spinne,  wnldw 
das  üewebe  der  Well  ans  sich  hcrausKieht  d.  h.  hervorbringt 
Wenn  wir  si^en  worden:     'Nein,   die  Welt  wurde   aus  dev 


Die  Vedänta-Philosophie.  293 

Nichts  erschaffen',  so  würde  der  Vedäntist  sagen:  ^Ganz 
«nit*.  aber  er  würde  uns  daran  erinnern,  dass,  wenn  Gott 
Alles  in  Allem  ist.  selbst  das  Nichts  nicht  irgend  etwas 
Anderes  sein  könnte,  irgend  etwas  außerhalb  des  absoluten 
Wesens,  denn  dieses  Wesen  kann  nicht  als  durch  irgend 
etwas  oder  durch  nichts  eingeschränkt  oder  begrenzt  anfge- 
fasst  werden. 

Ein  anderes  Gleichnis,  welches  beseitigen  soll,  was  in 
dem  Gleichnis  von  der  Spinne,  die  doch  schlipßlieh  das  Ans- 
werfen  and  Zurückziehen  der  Fäden  der  Welt  tcill^  noch 
Ton  wirkender  und  nicht  nur  materieller  Kausalität  enthalten 
ist.  ist  das  Ton  dem  Haar,  das  aus  dem  Schädel  herauswächst. 

Auch  die  Theorie  von  dem.  was  wir  als  die  neueste 
Erfindung  Evolution  oder  Entwicklung  nennen,  fehlt  in  den 
L'panishaden  nicht.  Eines  der  Gleichnisse,  das  hierfür  am 
häufigsten  gebraucht  wird,  ist  das  von  der  Milch,  die  sich 
in  Quark  verwandelt,  sofern  nämlich  der  Quark  nichts  als 
Milch,  nar  in  einer  anderen  Form,  ist.  Man  fand  aber  bald, 
dass  dieses  Gleichnis  gegen  die  Forderung  verstieß,  dass  das 
Eine  Wesen  nicht  nur  Eins,  sondern  auch,  wenn  es  voll- 
kommen in  sich  selbst  sein  solle,  an  veränderlich  sein  müsse. 
Dann  kam  eine  neue  Theorie  auf,  und  dies  ist  die  von  «S'an- 
kara  angenommene.  Sie  wird  durch  den  Namen  Vivarta 
von  dem  Pari/iäma  oder  der  Evolutionstheorie,  die  von  Ramä- 
nu^a  vertreten  wird,  unterschieden.  Vivarta  bedeutet  das 
Sich-von-dem- Wahren- Abwenden.  Nach  dieser  Lehre  bleibt 
das  höchste  Wesen  stets  unverändert,  und  entspringt  unser 
Glaube,  dass  irgend  etwas  neben  demselben  existieren  könne, 
aus  Avidvä  d.  h.  dem  Nichtwissen.  Höchst  wahrscheinlich 
wurde  diese  Avidyä  oder  Unkenntnis  zuerst  als  rein  subjektiv 
aofgeiasst ;  denn  sie  ^ird  durch  die  Unkenntnis  eines  Mannes, 
der  irrtümlicher  Weise  einen  Strick  für  eine  Schlange  an- 
sieht, erläutert.  In  diesem  Falle  bleibt  der  Strick  die  ganze 
Zeit  über,  was  er  ist;  es  ist  nur  unsere  eigene  Unkenntnis, 
welche  uns  erschreckt  und  unsere  Handlungen  bestimmt.  In 
derselben  Weise  bleibt  Brahman  stets  derselbe ;  es  ist  nur  unsere 


■294 


Neunte  Vorle»mig, 


eigene  Unkenntnis,  welche  uns  ein«  pb&nomenale  Welt  und 
einen  phänomenalen  Oott  sehen  laaat.  Ein  anderes  beliebtes 
Gleichnia  ist  anaer  Irrtum,  wenn  wir  Perlmutter  für  BUber 
halten.  Der  Vedäntist  sagt:  Wir  mögen  es  ftlr  Silber  hal- 
ten, BB  bleibt  aber  immer  Perlmutter.  So  künnen  wir  von 
iler  Schlange  nnd  dem  Strick  oder  von  dem  Silber  nnd  der 
I'erlmntter  sagen,  dass  sie  Kines  seien.  Und  doch  meinen 
wir  damit  nicht,  d»SB  der  Strick  sich  thatsaohlich  verfinderl 
oder  sich  in  eipe  Schlange  verwandelt  habe,  oder  dass  Perl- 
mutter zu  Silber  geworden  sei.  Danach  argumentieren  die 
Vedäntisten,  dass  das  hdohste  Wesen  sich  lur  Welt  verhalte, 
wie  der  Strick  sich  zur  Schlaugie  verbfilt  NÜakanMa  Oorc, 
a.  a.  0.  p.  nil).  Sie  fahren  fort  und  erklären:  Wenn  wir  glau- 
ben, dass  die  Welt  Brahman  sei,  so  meinen  wir  nicht,  das« 
Brahman  sich  tbatsllchlich  in  die  Welt  umwandle  —  dies  wire 
ParinAma  oder  Evolution  — .  denn  Brahman  kann  sich  nicht  ver- 
ändern und  kann  sich  nicht  nmwandeln.  Wir  meinen  nur,  dast 
Brahman  sich  als  die  Welt  darstellt  oder  die  Welt  zn  sein  acbeinl. 
Die  Wirklichkeit  der  Welt  ist  nicht  ihre  eigene,  sondern  die 
Brahmans ;  und  doch  ist  Brahman  nicht  die  materielle  Ursache 
der  Welt,  wie  die  Spinne  von  dem  Gewebe,  oder  wie  die  Hilch 
von  dem  Quark,  oder  wie  das  Meer  von  dem  Schaum,  (Hier 
wie  der  Tbon  von  dem  Topf,  den  der  Töpfer  gemacht,  die 
materielle  Ursache  ist,  sondern  Brahman  ist  nur  das  Substrat. 
diu  illusorische  materielle  Ursache.  Es  wäre  keine  Schlange  da 
ohne  den  Strick,  es  gäbe  keine  Welt  ohne  Brahman,  nml 
doch  wird  der  Strick  nicht  zur  Schlange,  and  Brahman  wird 
nicht  Eur  Welt.  Für  den  Vedäntiaten  sind  das  PhAnomeoale 
und  das  Nonmenale  wesentlich  dasselbe.  Das  Silber,  wio 
wir  es  wahrnehmen  nnd  benennen,  ist  dasselbe  wie  Potimatter; 
ohne  die  Perlmutter  würde  es  kein  Silber  für  uns  geben. 
Wir  geben  der  Perlmutter  den  Namen  and  die  Form  des 
Silbers:  nnd  durch  denselben  Prozeas,  durch  welchen  wir  anf 
diese  Weise  Silber  crHchaffen.  wurde  die  ganze  Welt  dnrch 
Namen  nnd  Formen  erschaffen.  Ein  moderner  Vedintist, 
Pramadadftsa   Mitra,   bedient  sich  eines  anderen  Gloiofanias«», 


Die  VedäDta-PhiloBophie.  295 

nm  earopftischen  Gelehrten  die  wahre  Bedeutung  des  Ve- 
dänta  zu  erklären.  »Ein  Mann,«  sagt  er,  »wird  zum  Pair 
geschaffen,  dadurch  dass  er  ein  Pair  genannt  und  mit  dem 
Pairsmantel  bekleidet  wird.  In  Wirklichkeit  aber  ist  er  nicht 
ein  Pair  —  er  ist,  was  er  immer  gewesen  ist,  ein  Mensch  — 
er  ist,  wie  wir  sagen  würden,  ein  Mensch  trotz  alledem.  <  Pra- 
madadäsa  Mitra  schließt:  »In  derselben  Weise,  wie  wir  sehen, 
dass  ein  Pair  geschaffen  werden  kann,  ward  die  ganze  Welt 
geschaffen,  bloß  dadurch  dass  sie  Kamen  und  Form  empfing.« 
Hätte  er  Plato  gekannt,  so  würde  er  nicht  von  Namen  und  Form, 
sondern  von  Ideen  gesprochen  haben,  welche  dem,  was  zuerst 
formlos  und   namenlos  war.  Form  und  Namen  verleihen. 

Fem  sei  es  von  mir,  behaupten  zu  wollen,  dass  diese 
Gleichnisse  oder  die  Theorien,  von  denen  sie  ein  Bild  geben  sol- 
len, als  eine  wirkliche  Ldsung  des  alten  Problems  der  Schöpfung 
oder  der  Beziehung  zwischen  dem  Absoluten  und  dem  Relativen 
angesehen  werden  können;  aber  schließlich  denken  Ynr  doch 
sehr  viel  in  Gleichnissen,  und  diese  Vedäntischen  Gleichnisse 
sind  zum  mindesten  originell  und  verdienen  einen  Platz  neben 
vielen  anderen,  übrigens  begnügt  sich  der  Yedilntist  keines- 
wegs mit  diesen  Gleichnissen.  Er  hat  sich  einen  eigenen 
Plan  der  Schöpfung  ausgearbeitet.  Er  unterscheidet  in  der 
Emanation  der  Welt  eine  Anzahl  von  Stadien,  die  jedoch  für 
uns  von  weit  geringerem  Interesse  sind,  als  die  alten  Gleich- 
nisse. Das  erste  Stadium  heißt  äkü^a,  was  man  durch  'Äther 
übersetzen  kann,  obgleich  es  beinahe  dem  entspricht,  was 
wir  unter  ''Ausdehnung^  verstehen.  Es  ist,  wie  man  uns  sagt, 
alldurchdringend  vibhu  und  erhält  oft  eine  Stelle  als  das 
fünfte  Element  und  daher  als  et^^-as  Materielles.  Von  diesem 
Äther  geht  die  Luft  (vAyu)  aus,  von  der  Luft  das  Feuer 
agni,  te^as),  von  dem  Feuer  das  Wasser  (Apas  ,  von  dem 
Wasser  die  Erde  prithivi  oder  annam.  wörtlich  *  Nah- 
rung). Diesen  fünf  Elementen  als  Objekten  entsprechend, 
gehen  ebenfalls  von  Brahman  die  fünf  Sinne  aus.  und  zwar 
entspricht  der  Gehörsinn  dem  Äther,  der  Tast-  und  Gehör- 
sinn   der  Luff^    der  Gesichts-,    Tast-    und    Gehörsinn    dem 


•im 


ifc  Vorlesung. 


Feuer,  der  Ge  ach  muck-,  GeBichla-,  Tasi-  nnd  QehOrainn  dem 
iVasaer,  und  schließlich  der  Geruch-,  Geschmack-,  üesichts-. 
Tast-  und  Gehörsinn  der  Erde. 

Nachden]  diese  Emanation  der  Elcmonto  und  der  ihnen 
cntaprochendon  Sinne  stattgefundon  hat,  geht  Brahman,  wie 
man  annimmt,  in  dieselben  ein.  Auch  die  individncllen  See- 
len, welche  nach  jeder  RQckkehr  der  Welt  zu  Urshman  noch 
weiter  in  Brahman  existieren,  erwachen,  glaubt  man,  ans 
ihrem  tiefen  Schlaf  (mäyilmayi  mahfisnshnpti^  und  erhalten 
je  nach  ihren  früheren  Werken  einen  göttlichen  oder  monsch- 
lichen,  tierischen  oder  pflanzlichen  Körper.  Ihre  feinen  Kör- 
pi.^r  nehmen  dann  wieder  einige  der  gröberen  Elemente  an, 
und  die  Sinne  werden  entwickelt  und  differenziert,  während 
das  Selbst  oder  Atman  sich  fern  hält  oder  als  ein  bloEIor 
Zeuge  aller  Ursachen  nnd  Wirkongen,  welche  den  neuen  Körper 
und  dessen  Umgebungen  bilden,  da  bleibt.  Jeder  Körper 
wjiohst,  dadurch  dass  er  Bestandteile  der  gröberen  elomcn- 
taron  Sabstanzen  in  sich  anfnimmt,  Alles  wSchst,  vergebt 
und  verSndert  sich,  aber  der  Erwachsene  ist  dennoch  der- 
selbe wie  das  kleine  Kind  oder  der  Embryo,  denn  das  Selbst, 
der  Zeuge  in  seiner  ganzen  Isolirtholt,  bleibt  dnrcbans  d«- 
selbo.  Wie  wir  in  einer  früheren  Vorlesung  gesehen  babon. 
nahm  man  an,  dass  der  Embryo  oder  der  Keim  dos  Embryos 
in  der  Gestalt  himmlischer  Nahrung,  die  dnrcb  den  Herren 
aus  dem  Firmament  oder  dem  Monde  herab  befördert  wird, 
in  den  Vater  eingegangen  sei.  Nachdem  es  vom  Manne  ab- 
sorbiert worden,  nimmt  es  die  Natur  dos  Samens  an,  nnd 
während  es  in  dem  Schöße  einer  Mutter  weilt,  verwandelt 
es  Beinen  feinen  Körper  in  einen  materiellen  Körper.  Wenn 
diesei  materielle  Körper  wieder  vergeht  und  stirbt,  ao  ver- 
Ijlast  ihn  die  Seele  mit  ihrem  feinen  Körper,  behAlt  aber, 
obachon  sie  von  dem  materiellen  Körper  frei  ist,  ihre  mora- 
lische Verantwortlichkeit  nnd  bleibt  den  Folgen  der  Hand- 
langen, die  sie  während  ihres  Änfenthaltes  in  dem  groben 
materiellen  Körper  volhogen,  immer  unterworfen.  DioM 
Folgen   sind    gdt   oder   böse;   wenn   sie   gut   sind,   kann  Ave 


Die  Vedanta-Philosophie.  297 

Seele  in  einem  vollkommeneren  Znstande,  ja  sogar  als  ein 
göttliches  Wesen  geboren  werden  und  göttliche  Unsterblich- 
keit genießen,  sie  kann  thatsächlich  ein  Gott  wie  Indra  und 
alle  die  anderen  werden;  aber  selbst  diese  göttliche  Unsterb- 
lichkeit wird  ein  Ende  haben,  wenn  die  nniversale  Emanation 
zu  Brahman  zurückkehrt. 

Wenn  wir,  wie  es  viele  Philosophen  gethan  haben,  zwi- 
schen Dasein  und  Sein  unterscheiden,  so  ist  alles  Sein  Brah- 
man und  außer  Brahman  kann  nichts  sein^  während  Alles, 
was  da  ist,  bloß  eine  illusorische,  nicht  eine  wirkliche  Mo- 
difikation Brahmans  und  durch  Namen  und  Form  (näma-rüpa 
verursacht  ist.  Von  der  ganzen  Welt  heißt  es  daher,  dass 
sie  vaAärambha/^a,  mit  dem  Worte  beginnend,  sei,  und  zwar 
wird  das  *Wort'  hier  in  dem  Sinne  von  'Idee',  'Begriff'  oder 
•Logos'  gebraucht.  Wir  dürfen  nie  vergessen,  dass  die  Welt 
nur  das  ist,  als  was  sie  aufgefasst  wird,  oder  wozu  sie  durch 
Namen  und  Form  gemacht  worden  ist;  wohingegen  vom 
höchsten  Gesichtspunkte  aus  alle  diese  Namen  und  Formen 
verschwinden,  wenn  das  Samyagdar^ana,  die  wahre  Erkennt- 
nis, entsteht  und  es  bekannt  wird,  dass  Alles  nur  Brahman 
ist.  Wir  würden  wahrscheinlich  einen  Schritt  weiter  gehen 
und  fragen:  woher  die  Namen  und  Formen,  und  woher  all 
das  Blendwerk  der  Un Wirklichkeit?  Der  Ved4ntist  hat  nur 
Eine  Antwort:  Es  ist  eben  die  Folge  der  Avidyä,  des 
Nichtwissens;  und  auch  dieses  Nichtwissen  ist  nicht  wirklich 
oder  ewig,  es  währt  nur  eine  Zeit  lang  und  verschwindet 
durch  Erkenntnis.  Wir  können  die  Thatsache  nicht  leugnen, 
obscbon  wir  die  Ursache  nicht  erklären  können.  Wieder 
gibt  es  eine  Menge  Gleichnisse,  welche  der  Vedäntist  vor- 
bringt; aber  Gleichnisse  erklären  nicht  Thatsachen.  Wir  sehen 
zum  Beispiel  Namen  und  Formen  im  Traume,  und  doch  sind 
sie  nicht  wirklich.  Sobald  wir  erwachen,  verschwinden  sie, 
und  wir  wissen,  dass  sie  nur  Träume  waren.  Wiederum, 
wir  bilden  uns  im  Finstern  ein,  dass  wir  eine  Schlange  sehen, 
und  wollen  davonlaufen,  sobald  aber  ein  Licht  da  ist,  fürch- 
ten   wir    uns  nicht   mehr,  wir  wissen,  das  es  nur  ein  Strick 


2ftS  Neunte  Vorleanng. 

ist.  Wiederum,  es  gibt  gewiaao  Ängenieiden,  wo  das  Ange 
zwei  Monde  sieht.  Wir  wissen,  d&ss  es  nur  Feinen  Mond 
geben  liann,  wie  wir  wissen,  dass  es  nur  Ein  Br&bman  geben 
liann ;  so  lange  aber  unsere  Augen  nicbt  wirklich  geheilt 
sind.  küDnen  wir  nicht  umhin,  zwei  Monde  ta  sehen. 

Wiederum,  indische  Oaukier  scheinen  es  verstanden  tu 
haben,  die  Leute  glauben  zu  machen,  dasa  sie  zwei  odor  drei 
Gaukler  nHhen,  während  nur  Einer  da  war.  Dor  Ganklor 
selbst  blieb  Einer,  er  wusste.  dass  er  nur  Einer  sei,  wie 
Brahman,  aber  den  Zuschauern  erschien  er  als  Viele. 

Ea  gibt  noch  ein  anderes  Gleichnis,  auf  das  ich  schon 
hingewiesen  habe,  Wenn  blaue  oder  rote  Farbe  einem  reinen 
Krystall  nahe  kommt,  so  können  wir,  so  sehr  wir  anch  über- 
zeugt sein  mSgeo,  daas  der  Erystall  rein  und  dnrohsiobtig 
ist,  die  blaue  oder  rote  Farbe  nicht  von  demselben  tren- 
nen, bis  wir  alle  nmgebonden  Objekte  —  wie  die  np&dhis 
oder  Umgebungen  der  Seele  —  entfernt  haben-  Doch  dJo» 
sind  Alles  nur  Gleichnisse,  und  für  uns  wUrde  immer  nuoti 
die  Frage  bleiben:     Woher  dieses  Nichtwissen? 

Brabman  und  AvidjA  die  Ursache  der  pb&unmeualen  Well. 

Der  Vedäntist  begnügt  sich  mit  dor  Überzeugung,  d«u 
wir  eine  Zeit  lang  thatsftchlich  niehtwissend  sinri,  und  woran 
ihm  hauptsächlich  gelegen  ist,  ist  ausfindig  zu  machen,  nicht 
wie  dieses  Nichtwisaeu  entstanden  ist.  sondern  wie  es  ent- 
fernt werden  kann.  Nach  einiger  Zeit  wurde  dann  die*e 
Avidyä  (das  Nichtwissen'  als  eine  Art  unabhängiger  Maclil, 
Mftj.ä  oder  Illusion  genannt,  aufgefasst,  und  sie  wurde  sogar 
zn  einer  Frau.  Am  Anfange  aber  bedeutete  HüyA  nichts  alt 
das  Fehlen  der  wahren  Erkenntnis,  d.  h.  das  Fehlen  der 
Erkenntnis  Brahmaus. 

Vom  Standpunkt  des  Ved.intisten  gibt  ea  aber  ketaH 
wirklichen  Unterschied  zwischen  Ursache  und  Wirknog.  Zwar 
dürfte  er  vielleicht  zngeben.  dass  Brahmau  die  Ursache  nad 
die  phSnomenaie  Welt  die  Wirkung  ist,  aber  er  wßrde  die*» 


Die  Vediiuta-Pbilosophie.  299 

ZogesULndnis  sofort  qualifizieren  nnd  sageD.  daas  Ursache 
and  Wirkung  nie  als  der  Snbstanz  nach  verschieden  ange- 
sehen werden  dürfen,  dass  das  Brahman  immer  dasselbe 
bleibt,  ob  es  nun  als  Ursache  oder  als  Wirknng  angesehen 
wird,  gerade  so  wie  in  Milch  nnd  Qaark  die  Substanz  die- 
selbe ist.  obgleich  wir  infolge  unseres  Nichtwissens  die  Milch 
als  Ursache  nnd  den  Qnark  als  Wirkung  bezeichnen  können. 
Sie  sehen,  wenn  wir  dem  Vedäntisten  einmal  zugeben, 
dass  es  nur  Ein  unendliches  Wesen  gibt,  so  folgt,  dass  neben 
demselben  kein  Ranm  fflr  irgend  etwas  Anderes  sein  kann, 
und  dass  auf  die  eine  oder  andere  Weise  das  Unendliche 
oder  Brahman  fiberall  und  Alles  sein  muss. 

Das  wahre  Wesen  des  Xenschen. 

Nur  Eines  gibt  es,  das  seine  Unabhängigkeit  zu  behaup- 
ten scheint,  und  das  ist  das  subjektive  Selbst,  das  Selbst  in 
uns,  nicht  das  Ich  oder  die  Person,  sondern  das,  was  hinter 
dem  Ich  und  hinter  der  Person  liegt.  Jede  mögliche  An- 
schauung in  Bezug  auf  das,  was  der  Mensch  wirklich  ist,  die 
von  anderen  Philosophen  vorgebracht  worden,  wird  von  dem 
Vedäntisten  sorgfältig  geprfift  und  schließlich  verworfen.  Man 
hatte  geglaubt,  dass  das,  was  das  wahre  Wesen  des  Menschen 
ausmache,  ein  mit  Intelligenz  begabter  Körper,  oder  die  in- 
tellektuellen Sinnesorgane,  oder  das  Denkorgan  (manas),  oder 
bloße  Erkenntnis,  oder  gar  absolute  Leere,  oder  wiederum  die 
in  ihren  verschiedenen  Zuständen  aktive  und  passive,  Aber  den 
Körper  hinaus  reichende  individuelle  Seele,  oder  das  leidende 
und  genießende  Selbst  sei.  Aber  keine  von  diesen  Anschau- 
ungen wird  von  dem  Vedäntisten  gebilligt.  Es  ist  unmöglich, 
sagt  er.  die  Existenz  eines  Selbst  im  Menschen  zu  leugnen, 
denn  wer  es  leugnet,  würde  selbst  jenes  Selbst  sein,  welches 
er  leugnet.  Kein  Selbst  kann  sich  selbst  leugnen.  Da  es 
aber  in  der  Welt  keinen  Platz  ftlr  irgend  etwas  außer  Brah- 
man, dem  unendlichen  Wesen,  geben  kann,  so  folgt,  dass  das 
Selbst    des  Menschen    nichts    Anderes    sein    kann,    als  eben 


30(1  Xeunte  VorlKsnng, 

Jones  Brahman  in  seiner  tianzheit,  and  nicht  nor  dn  BeaUtndleil 
oder  eine  Modifikation  desselben ;  ao  dass  Alles,  wits  fQr  Brah' 
man  ^Ir,  auch  für  das  Selbst  im  Menschen  gilt.  Wie  Bnh- 
maii  ganz  und  gar  Erkenntnis  ist.  so  auch  das  Seihst;  wie 
llraliman  ull gegenwärtig  oder  alldiirchdringend  (vibhu)  ist, 
so  auch  das  Selbst.  Wie  Brahman  allwissend  und  allmflcb- 
tig  ist,  so  auch  das  Seihst.  Wie  Brahman  weder  aktiv  noch 
passiv,  weder  genieliend,  noch  leidend  ist,  so  ist  es  auch  das 
Selbst,  oder  vielmehr,  so  mnss  es  auch  das  Selbst  sein,  wenn 
OS  ist.  was  es  ist,  das  Einzige,  was  es  sein  kann,  n&mlich 
Brahman.  Wenn  das  Selbst  vorUutig  verschieden  ku  sein 
scheint,  wenn  es  leidend  und  genießend,  aktiv  und  passiv,  in 
Wissen  und  Macht  beschränkt  zn  sein  scheint,  so  kann  dies 
nur  das  Resultat  des  Kichtwissens  oder  des  Ulanbens  an  die 
UpAdhis  oder  Behinderungen  wahrer  Erkenntnis  sein.  Diesen 
lip.^dhia  ist  es  zuzuschreiben,  dass  das  allgegenw&rtige  Selbst 
in  dem  Individuum  nicht  allgegenwärtig,  aandem  anf  das  Hen 
beachrltnkt  tat;  dass  es  nicht  allwissend,  nicht  allmftelilig, 
sondern  unwissend  und  achwacb  ist;  dasa  ea  nicht  ein  gleieb- 
gültiger  Zeuge,  sondern  aktiv  nnd  pasaiv,  ein  Thner  nnd  eia 
Ijeniefier,  nnd  dass  es  durch  seine  Mheren  Werke  gefessell 
oder  bestimmt  ist.  Zuweilen  acheint  es,  als  ob  die  Upädhii 
die  Ursache  dea  Nichtwissena  wären,  in  Wirklichkeit  aber 
ist  es  das  Niclitwiasen,  dos  die  UpftdLis  veruraaclit.  <)  Diese 
ITpAdhis  oder  Behinderungen  sind  außer  der  Änßenwelt  tmd 
dem  groben  Körper  das  makhya  prü»a,  der  Lehensgöst, 
das  Manas,  das  Denkorgan,  die  Indriyaa,  die  Sinne. 
Diese  drei  zusammen  bilden  das  BefOrderungamlttel  der  Seele 
nach  dem  Tode  und  schafTen  den  Keim  £n  einem  neiieQ 
Leben.  Das  sUkshma.''Hrtra,  der  Teine  Körper,  in  welchem 
sie  wohnen,  Ist  unsichtbar,  doch  materiell,  anagedehnt  nnd 
durchsichtig  ;p.  50ti].  Es  ist,  glaube  ich,  dieser  feine  Kfir- 
pcr  (das  sükabmaffftrlr«),  den  die  modernen  Theosophislea  la 


i   UI,  2,  l,i:  iipädbin.iin   A'Avidyi'iprHtj upnstlii- 


Die  Vedänta-PhiloBophie.  30 1 

ihren  Astralkörper  verwandelt  haben,  indem  sie  die  Theorien 
der  alten  ^ishis  für  Thatsachen  hielten.  £r  wird  ibraya 
oder  die  Wohnstätte  der  Seele  genannt  und  besteht  ans  den 
feinsten  Teilen  der  Elemente,  welche  den  Keim  des  Körpers 
bilden  (dehavi^äni  bhütasükshmä/<i),  oder  —  nach  einigen  Stel- 
len—  aus  Wasser  (p.  401)  oder  etwas  Ähnlichem  wie  Wasser. 
Dieser  feine  Körper  verlässt  die  Seele  niemals,  und  so  lange 
die  Welt  sawsära  dauert,  nimmt  die  in  diesen  feinen  Kör- 
per gekleidete  Seele  immer  wieder  neue  und  gröbere  Körper 
an.  Selbst  wenn  die  Seele  den  Götterpfad  und  den  Thron 
Brahmans  erreicht  hat,  ist  sie,  so  glaubt  man,  noch  immer 
in  ihren  feinen  Körper  gekleidet.  Dieser  feine  Körper  be- 
steht aber  nicht  nur  aus  den  Kräften  der  sinnlichen  Wahr- 
nehmung (indriyam),  dem  Denkorgan  manas)  und  dem 
Lebensodem  (mukhyapnl^/a),  sondern  sein  Wesen  wird  auch 
durch  frfihere  Handlungen,  durch  karman,  bestimmt. 

Karman  oder  Apfirra. 

In  der  Pürvamimä//23ä  heißt  diese  Kontinuität  zwischen 
Handlungen  und  ihren  Folgen  Apürva,  wörtlich:  Vas  nicht 
vorher  existiert  hat,  sondern  in  diesem  oder  in  einem  früheren 
Leben  zu  stände  gebracht  worden  ist'.  Wenn  ein  Werk  ge- 
than  und  vergangen,  die  Wirkung  desselben  aber  noch  nicht 
eingetreten  ist,  so  bleibt  et^'as  flbrig,  was  unbedingt  nach 
einiger  Zeit  ein  Resultat  —  eine  Bestrafung  für  böse,  eine 
Belohnung  für  gute  Thaten  —  hervorbringen  mnss.  Diese 
Idee  des  G*aimini  wird  jedoch  von  Bädarilya/^a  nicht  ohne 
eine  Modifikation  angenommen.  Ein  anderer  Lehrer  schreibt 
Belohnungen  und  Strafen  für  frühere  Handlungen  dem  Ein- 
flüsse Uvara's,  des  Herrn,  zu,  obwohl  er  zu  gleicher  Zeit 
zugibt,  dass  der  Herr  oder  Schöpfer  der  Welt  nichts  weiter 
thut,  als  dass  er  die  allumfassende  Thätigkeit  von  Ursache 
und  Wirkung  beaufsichtigt.  Dies  wird  durch  folgendes  Bei- 
spiel erläutert.  W^ir  sehen  eine  Pflanze  aus  ihrem  Samen 
hervorgehen,  wachsen,  blühen  und  zuletzt  dahinsterben.     Sie 


:io2 


Neun  tu  ^'o^le8llQg. 


stirbt  aber  nicht  ganz  dahin.  Etwas  bleibt  übrig,  der  Same. 
uDd  damit  dieser  Same  lebe  nnd  gedeihe,  ist  Regen  nötig. 
Was  aaf  diese  Weise  in  der  Pflanzemtelt  dorcli  den  Regen 
bewerkstelligt  wird,  das  wird  nach  dieser  Annahme  durch 
den  Herrn  in  der  moraliscbeD  Welt  und  thatsachlich  in  der 
ganzen  SchOpfang  bewerkstelligt.  Ohne  Gott  oder  ehne  den 
Regen  würde  der  Same  überhaupt  nicht  wachsen,  daM  er 
ahor  30  oder  so  wächst,  ist  nicht  dem  Regen,  sondern  dem 
i^amen  selbst  zuzuschreiben. 

Und  dies  dient  in  der  Vodanta-Philosophie  als  eine  Art 
Lüsnng  für  das  Problem  der  l'^xistenz  des  Übels  in  der  Welt 
üott  ist  nicht  der  Urheber  des  Übels,  er  hat  nicht  das  BOae 
erschaffen,  sondern  er  hat  einfach  den  gulen  oder  bCsen 
Thaten  fVllherer  Welten  goststtet  oder  die  Fähigkeit  gegeben, 
in  dieser  Welt  Frucht  zu  fragen.  Der  Schöpfer  bandelt 
demnach  bei  seiner  Schöpfung  nicht  snfs  Geratewohl,  sondern 
wird  bei  seinen  Handlungen  durch  den  bestimmenden  Hinflass 
des  kannan  oder  der  geschehenen  That  geleitet. 


Terschledene  Zntttiiude  der  Seele. 

Wir  haben  noch  einige  ziemlich  phautastisohe  Theorien  io 
Bezug  anf  die  verschiedenen  Zaslände  der  individuellen  So^e 
in  Betracht  zu  ziehen.  Die  Seele,  hoilit  es,  existiert  in  vier 
ZnstKnden,  in  einem  Zustande  des  Wachens  oder  Oewahrsoins, 
des  Traumes,  des  liefen  Schlafes  und  schlielllich  des  Tode». 
Im  Zustande  des  Wachens  durchdringt  die  im  üerzen  weh- 
nendo  Seele  den  ganzen  Körper,  indem  sie  vermittelst  de* 
Denkorgans  (manas)  und  der  Sinne  (indriyas]  weiß  und  han- 
delt. Im  Zustande  des  Träumeus  bedient  sich  die  Seele  nnr 
des  Denkorgans,  in  welchem  die  Sinne  absorbiert  sind,  nnd 
sieht,  indem  sie  sich  durch  die  Adern  dos  Körpers  bewegt, 
die  Eindrucke  (vHaanAs),  welche  die  Sinne  wahrend  des  Zu- 
Standes  des  Wachens  zurUckgetaeaen  haben.  In  dem  drilleii 
Stadium  ist  die  Seele  auch  von  dem  Denkorgan  ganz  befreit, 
sowohl  das  Denkorgan  als  die  Sinne  sind  in  dem  Lebensoden 


Die  Vedsrnta-Philosophie.  303 

absorbiert,  welcher  allein  noch  weiter  in  dem  Körper  thätig 
bleibt,  während  die  jetzt  alier  npädhis  oder  Fesseln  ledige 
Seele  anf  kurze  Zeit  zu  dem  im  Herzen  wohnenden  Brahman 
zurückkehrt.  Beim  Erwachen  verliert  aber  die  Seele  wieder 
ihre  vorttbergehende  Identität  mit  Brahman,  sie  wird  wie- 
der, was  sie  vorher  gewesen,  die  individuelle  Seele. 

In  dem  vierten  Znstand,  dem  des  Todes,  sind  die  Sinne 
in  dem  Denkorgan,  das  Denkorgan  in  dem  Lebensodem,  der 
Lebensodem  in  dem  moralischen  Beförderungsmittel  der  Seele, 
und  die  Seele  in  dem  feinen  Körper  (sdkshma^arira)  absor- 
biert. Wenn  diese  Absorption  oder  Vereinigung  stattgefunden 
hat;  so  wird,  wie  die  alten  Vedäntisten  glauben,  die  Spitze 
des  Herzens  leuchtend,  wodurch  der  Weg,  auf  welchem  die 
»Seele  mit  ihrer  Umgebung  upadhis)  aus  dem  Körper  aus- 
zieht, erhellt  wird.  Die  Seele  oder  das  Selbst,  welches  die 
wahre  Erkenntnis  des  höchsten  Selbst  erlangt,  gewinnt  ihre 
Identität  mit  dem  höchsten  Selbst  wieder  und  genießt  sodann, 
was  schon  in  den  Upanishaden  und  vor  dem  Auftreten  des 
Buddhismus  als  Nirvä;}a  oder  ewiger  Friede  bezeichnet 
wird. 

Kramamokti. 

Gewöhnlich  glaubt  man,  dass  diese  Idee  des  Nirvä;<a 
dem  Buddhismus  eigentümlich  sei,  aber  wie  von  vielen  bud- 
dhistischen Ideen,  lässt  sich  auch  von  dieser  nachweisen, 
dass  sie  ihre  Wurzeln  in  der  vedischen  Welt  hat.  Wenn 
dieses  Nirvä/ia  Schritt  für  Schritt,  mit  dem  Väterpfade  oder 
dem  Götterpfade  beginnend,  dann  zu  einem  seligen  Leben  in 
der  Welt  Brahmans  und  hierauf  zur  wahren  Erkenntnis  der 
Identität  des  Atman.  der  Seele,  mit  Brahman  weiter  führend, 
erlangt  wird,  so  heißt  es  Kramamukti,  d.  h.  allmähliche 
Erlösung. 


friTaninaktl. 

Dieselbe  Eikenntiiis  kann  Hbüi-  aucti  in  diesem  Lebpn 
in  einem  oiiizigeu  Augenblick  erlangt  werden .  ohne  auf  deu 
Tod  oder  die  Auferstehung  und  daa  Hinanfsteigcn  zor  Welt 
der  Vfttor,  der  OCtter  und  des  Uottea  ItralimHii  eu  warten; 
und  dieser  Jiiisland  der  Erkenutnis  und  ErlSsung,  wenn  ein 
Mensch  ilin  erlangt,  solange  er  noch  im  Körper  weilt,  wird 
von  Hjiilteren  IMiilosophen  Givsnmultti  { Erlüg ung  bei  Leb- 
zeiten) genannt. 

Diese  Erlösung  kann  in  diesem  Leben  stattlindeii,  obiie 
die  Hilfe  des  Todois  und  ohne  das,  was  man  Utkränti,  den 
Auszug  der  Seele,  nennt. 

Die  Erklärung,  welche  von  diesem  Zustand  v(illsUUidi|er 
geistiger  Freiheit,  während  die  Seele  noch  in  dem  KOrpi^r 
weilt,  gegeben  wird,  ist  die  durch  das  Gleichnis  von  der  Töpfer- 
scheibe, die  sich  noch  eine  Weile  fortbewe^,  solbat  ven 
schon  der  sie  in  Bewegung  setzende  Antrieb  aufgehört  bat 
Die  Seele  ist  frei,  aber  die  Werke  eines  frllherea  Daaeini. 
wenn  sie  einmal  angefangen  babou  Frucht  zu  tragen,  müs- 
sen nocb  weiter  Frnehl  tragen,  bis  sie  ganz  erschöpft  sinil, 
während  andere  Werke,  die  nocb  niebt  begonnen  habet 
Fracht  zn  tragen,  von  der  Erkenntnis  ganz  verbrannt  «erdei 
künnen. 

Wenn  wir  fragen,  ob  dieses  NirvA;ia  dos  Brahmantn 
Absorption  oder  gänzliche  Vernichtung  bedeute,  so  vrtuit 
der  Vediintist  —  anders  als  der  Uuddhist  —  keines  vsi 
beiden  zugeben.  Die  Seele  wird  nicht  in  Brafaman  abwt- 
biert,  denn  sie  hat  Brahman  nie  verlassen;  es  kann  nieUi 
von  Brahman  Verschiedenes  geben;  anch  kann  sie  nicbt  rt> 
niobtet  werden,  weil  Brahman  nicht  vernichtet  werden  Icui 
und  die  Seele  nie  et^vas  Anderes  als  das  Brahman  in  seiner 
ganzen  VidUtflndigkeit  gewesen  ist;  die  neue  Erkenntnis  fH^t 
in  dem,  was  die  Seele  immer  war,  nichts  hinzu,  ond  li« 
nimmt  auch  nichts  hinweg,  außer  jenes  Nichtwissen,  wrieb«! 


Die  VedäDüi-Philosophie.  ^05 

eine  Zeit  lang  die  Selbsterkenntnis  der  Seele  verdunkelt 
hatte. 

Diese  lebendig  erlösten  Seelen  genießen  vollständige 
Glückseligkeit  und  Freiheit,  obgleich  sie  noch  in  dem  Körper 
gefangen  sind.  Sie  haben  wahres  Nirvä/^a.  d.  h.  Freiheit  von 
I^idenschaft  und  Befreiung  von  Wiedergeburt,  erlangt.  So 
sagt  die  BnhadÄra;?yaka-Upanishad  IV,  4,  6:  »Wer  ohne 
Wunsch,  wer  von  Wünschen  frei  ist,  dessen  Wünsche  erfttllt 
worden  sind,  dessen  W^unsch  das  Selbst  ist,  ans  dem  ziehen 
die  Lebensgeister  nicht  aus;  er,  der  Brahman  ist.  wird  zu 
Brahman.  < 

JVir  würden  sofort  fragen:  Behält  denn  die  Seele, 
nachdem  sie  die  Erkenntnis  ihres  wahren  Wesens  erlangt 
hat.  ihre  Persönlichkeit  bei? 

Persönlichkeit  der  Seele. 

Allein  solch  eine  Frage  ist  für  den  wahren  Vedantisten 
unmöglich.  Denn  irdische  Persönlichkeit  ist  für  ihn  eine 
Fessel  und  ein  Hindernis,  und  Freiheit  von  dieser  Fessel  ist 
das  höchste  Ziel  seiner  Philosophie,  ist  der  höchste  Segen, 
nach  dem  der  Vedantist  strebt.  Diese  Freiheit  und  dieser 
höchste  Segen  sind  einfach  das  Resultat'  wahrer  Erkenntnis, 
einer  Art  göttlichen  Selbsterinnerns.  Alles  andere  bleibt,  wie 
es  ist.  Allerdings  spricht  der  Vedantist  davon,  dass  die  indivi- 
duelle Seele  sich  in  die  Weltseele  ergieße,  ^ie  reines  Wasser 
in  reines  Wasser  gegossen  wird.  Die  beiden  können  nicht  mehr 
durch  Namen  und  Form  unterschieden  werden ;  doch  legt  der 
Vedantist  großes  Gewicht  auf  die  Thatsache.  dass  das  reine 
Wasser  in  dem  reinen  Wasser  nicht  verloren  geht,  ebenso- 
wenig  wie  das  Atman  in  dem  Brahman  verloren  geht.  Wie 
Brahman^  reine  Erkenntnis  und  reines  Bewusstsein  ist.  so 
ist  auch  der  Atman.   wenn   er  befreit  ist.   reine    Erkenntnis 


1    Nitya-upalabdhi-svarüpa.     Dcusscd.    St/stcm  den    Veddnta, 
p.  ^6. 

Ifax  Müller,  TheobOphie.  20 


306  Neunte  Vorlesung. 

und  reines  Bewusstsein,  während  er  in  dem  Körper  be- 
schränkte  Erkenntnis  und  beschränktes  Bewusstsein,  und  nur 
eine  beschränkte  Persönlichkeit  ist.  Irgend  etwas  wie  Ge- 
trenntsein vom  Brahman  ist  unmöglich,  denn  Brahman  ist 
Alles  in  Allem. 

Was  wir  auch  von  dieser  Philosophie  halten  mögen, 
ihre  metaphysische  Kühnheit  und  ihre  logische  Folgerichtig- 
keit werden  wir  nicht  leugnen  können.  Wenn  Brahman 
Alles  in  Allem,  das  Eine  ohne  ein  Zweites  ist,  so  kann  man 
von  Nichts  sagen,  dass  es  existiere,  was  nicht  Brahman  ist 
Außerhalb  des  Unendlichen  und  des  Universalen  ist  kein 
Raum  für  irgend  etwas,  auch  ist  kein  Raum  für  zwei  Arten 
des  Unendlichen,  für  das  Unendliche  in  der  Natur  und  das 
Unendliche  im  Menschen.  Es  gibt  und  es  kann  nur  Ein  Un- 
endliches, Ein  Brahman  geben;  dies  ist  der  Anfang  und  das 
Ende  des  Vedäntä,  und  ich  zweifle,  ob  die  natürliche  Reli- 
gion einen  höheren  Punkt  erreichen  kann  oder  je  erreicht 
bat,  als  den,  welcher  von  /SVikara  als  einem  Erklärer  der 
Upanishaden  erreicht  worden  ist. 


Zehnte  Vorlesung. 
Die  zwei  Sohnlen  des  Vedänta. 


Doppelsinnige  Stellen  in  den  llpanishaden. 
Als  ich  Ihnen  einen  knrzen  Abriss   der  Yedänta-Philo- 

• 

Sophie  vorlegte,  musste  ich  mehrmals  Ihre  Aufmerksamkeit 
anf  das  lenken,  was  ich  die  Doppelsinnigkeit  nannte,  die  in 
den  üpanishaden  und  anch  in  den  Yedänta-sfitras  zn  Tage 
tritt.  In  Einem  Sinne  kann  Alles,  was  existiert,  als  Brah- 
man  angesehen  werden,  welches  nnr  dnrch  das  Nichtwissen 
verschleiert  ist,  während  in  einem  anderen  Sinne  Nichts,  was 
existiert,  Brahman  in  seinem  wahren  nnd  wirklichen  Charak- 
ter sein  kann.  Diese  Doppelsinnigkeit  tritt  besonders  stark 
hervor,  wo  es  sich  am  die  individuelle  Seele  nnd  den 
Schöpfer  handelt.  Die  individuelle  Seele  wäre  nichts,  wenn 
sie  nicht  Brahman  wäre,  und  doch  kann  nichts  von  dem, 
was  von  der  individuellen  Seele  ausgesagt  wird,  von  Brah- 
man ausgesagt  werden.  Ein  großer  Teil  der  Vedlinta-sütras 
beschäftigt  sich* mit  dem,  was  man  philosophische  Exegese 
nennen  kann,  d.  h.  mit  dem  Versuche  zn  bestimmen,  ob  sich 
gewisse  Stellen  in  den  Üpanishaden  auf  die  individuelle 
Seele  oder  auf  Brahman  beziehen.  Da  ja  die  individuelle 
Seele  Brahman  gewesen  ist  und  sein  wird  und  in  der  That 
stets  Brahman  ist,  wenn  sie  es  nur  wüsste,  so  ist  es  im 
Allgemeinen  möglich,  zu  schließen,  dass  das,  was  von  der 
individuellen    Seele    gesagt    wird,    am    Ende    von    Brahman 

20* 


308 


Zehnte  Vurleeung. 


geaafnt  ist.  D&sselbo  gilt  vod  dem  persOnlicIten  < 
Schöpfer,  oder  —  wie  er  gewöhnlich  genannt  wird  —  bw«, 
dem  Herrn.  Aach  er  ist  in  Wiritlichkeit  Brahman,  so  dus 
nuch  hier  wiederum  Vieles,  was  von  ihm  anagesagt  wird,  am 
Knde  auf  Brahmaa,  das  höchste  Wesen,  in  seinem  nicht- 
phänomenalen  Charakter  bezogen  werden  kann. 

Diese  Uoppekinnlgkeit  des  Denkens  und  der  Ansdrneka- 
weise  hat  in  den  beiden  Sclinlen,  welche  Jahrbauderte  lang 
darauf  Anspruch  erhoben,  die  wahren  Vertreter  des  VedAnta 
zu  sein  —  iu  der  Sohnle  des  Ä'ankara  und  in  der  des  RA- 
mAnn^a  —  ihren  endgflltigen  Ausdruck  gefunden.  Ich  bin 
im  Allgemeinen  iS'ankara  als  meinem  Fahrer  gefolgt,  da 
er  mir  die  Vedintalehre  auf  den  höchsten  I'unkt  zn  fUh- 
Tun  si^heint,  aber  ich  halte  es  fllr  meine  Pflicht  zn  aagen, 
dass  mir Thibant  bewiesen  zn  haben  acheint,  dassJn  vielen  Puik- 
ten  Räm^nn^a  der  treuere  Ausleger  der  Vedäuta-sütraa  ist.  Saä- 
kara  ist  der  philosophischere  Kopf,  wShrend  R&mAnn^  itt 
erfolgreiche  fiegrflnder  Einer  der  populärsten  religiösen  SektM 
geworden  ist,  hanptsltclilich  wohl  deshalb,  weil  er  nicht  St 
letzten  Konsequenzen  ans  dem  Vedilnta  zog,  und  weil  ar  M 
verstand,  seine  mehr  metaphysischen  Speknlationen  mit  i 
religiösen  Kult  gewisser  Volkagottbeileu  in  Einklang  in  brift* 
gen,  Indem  er  bereit  war,  dieselben  als  symboUeohe  Dftrstal* 
lungcn  der  universalen  Gottheit  gelten  zu  tattsen.  Auch  i 
liämüDui/a  nicht  oinfaoli  ein  von  .S'ankara  abweichender  Leb- 
rei'.  Er  berief  sich  fUr  seine  Auslegung  dos  Vedänts  auf 
die  Autorität  von  noch  alteren  Philosophen  als  .VaAkara,  i 
natQrlich  auf  die  Autorität  der  Vedfliita-sntras  selbat,  wi 
sie  nur  richtig  verstanden  wQrden.  Die  Anhänger  RAbüI* 
nof/a's  besitzen,  soviel  ich  weiß,  jetzt  keine  Manuskripte  i 
irgend  einem  dieser  älteren  Kommentare,  doch  haben  irir 
keinen  Grund  zu  bezweileln,  dass  Bodhäyana  und  andei« 
Philosophen,  nuf  die  sieh  Hdmänn^a  beruft,  wirkliche  for- 
»onen  und  zu  ihrer  Zeit  einfluasreiche  Lehrer  i 
gewesen  seien. 


Die  Bwei  Schalen  des  VedAnta.  309 

S^iikira  und  Bamännira. 

Ramänuya  nnd  »^aäkara  stimmen  natflrlich  in  vielen 
Punkten  fiberein,  doch  besitzen  die  Pankte.  in  welchen  sie 
voneinander  abweichen,  ein  besonderes  Interesse.  Es  sind 
dies  nicht  bloße  Fragen  der  Auslegung  in  Bezug  auf  die 
Sütras  oder  die  Upanishadon.  sondern  sie  schließen  wichtige 
Prinzipien  in  sich.  Beide  sind  streng  monistische  Philoso- 
phen, oder  sie  geben  sich  doch  alle  Mühe,  es  zu  sein.  Sie 
glanben  beide,  dass  es  nur  Ein  absolutes  Wesen  gibt  und 
geben  kann,  welches  Alles  erhftlt.  Alles  in  sich  begreift  und 
Alles  erklären  helfen  muss.  Sie  weichen  jedoch  voneinander 
ab  in  Bezug  auf  die  Art  und  Weise .  in  der  das  phänomenale 
Weltall  zu  erklären  sei.  «SaAkara  ist  der  konsequentere  Mo- 
nist. Nach  ihm  ist  Brahman  —  oder  Paramätman.  das  höchste 
•Selbst  —  stets  ein  nnd  dasselbe,  es  kann  sich  nicht  verändern, 
und  darum  ist  alle  Mannigfaltigkeit  der  phänomenalen  Welt 
bloß  phänomenal  oder  —  wie  man  auch  sagen  kann  —  illu- 
sorisch, das  Resultat  der  avidyü.  des  unvermeidlichen  Nicht- 
wissens. Sie  glauben  beide,  dass  alles  Reale  in  dieser 
unrealen  Welt  Brahman  sei.  Ohne  Brahman  wäre  selbst 
diese  unreale  Welt  unmöglich,  oder,  wie  wir  sagen  wfir- 
den.  es  könnte  nichts  Phänomenales  geben,  wenn  es  nicht 
etwas  Noumenales  gäbe.  Da  es  aber  in  dem  höchsten  We- 
sen keine  Veränderung  oder  Verschiedenheit  geben  kann. 
so  dflrfen  die  verschiedenen  Phänomene  der  Außenwelt. 
so  wie  auch  die  in  die  Welt  tretenden  individuellen  Seelen 
nicht  als  Teile  oder  als  Modifikationen  Brahmans  ange- 
sehen werden.  Sie  sind  Dinge,  die  ohne  Brahman  nicht 
sein  könnten:  ihr  tiefstes  Selbst  liegt  in  Brahman;  was  sie 
aber  zu  sein  scheinen,  ist  nach  «S'aiikara  das  Resultat  des 
Nichtwissens,  irriger  Wahrnehmung  und  ebenso  irriger  Auf- 
fassung. Hier  weicht  RAmänu^a  ab.  Er  gibt  zu.  dass  Alles. 
was  wirklich  existiert.  Brahman  ist,  und  dass  es  nichts  außer 
Brahman  gibt  und  geben  kann,  aber  er  sehreibt  die  Elemente 
der    Vielheit    in    der   phänomenalen   Welt,    die    individuellen 


310  Zehnte  Vorlesung. 

Seelen    mit   eingesclilossuD,    nii'lit  dem  Niclitwiaat-n.    soudi?! 
ßralunan  selbst  zu. 


I 


Rrimruiu^a. 

Bei  Rämüniii/a  wird  Bruhman  ia  der  TliKt  nicht  nnr  anr 
Ursache,  sondern  zur  eigentlichen  Quelle  allea  i^eieudcn.  und 
nach  ihm  ist  die  Mannigfaltigkeit  der  pbäiiomenalen  Wolt  einr 
UtTenbaruDg  dessen,  was  in  Brahmau  verborgen  liegt.  Alles, 
was  denkt,  und  Alles,  was  nicht  denkt,  das  ^it  und  du 
a^it,  sind  wirkliche  Arten  (prakära)  Brahmans.  Er  ist  der 
antaryümin,  der  innere  Beherrscher  der  matenellen  und 
der  immateriellen  Welt.  Alle  individuellen  Seelen  sind  wirk- 
liche OITe nbarangen  dea  nngesehenen  Brahmau  nnd  werden 
ihren  individnellen  Charakter  alle  Zeit  und  in  alle  EwigkvU 
Ijeibehalten.  RilmAnu(/a  gibt  die  großen  Emeuernngen  der 
Welt  zu.  Am  Knde  eines  jeden  Kulpa  geht  Alles,  was  da 
iitt,  auf  einige  Zeit  (wahreud  des  pralaya)  in  Brabmxn  auf. 
nm,  Hubald  als  Qrahmao  eine  neue  Welt  [Kalpa<  will,  wieder 
zu  erscheinen,  üie  individuellen  Seelen  werden  dnau  noch 
einmal  verkörpert  werden,  und  zwar  werden  sie  je  uaob 
ihren  guten  uder  bösen  Tliatou  in  einem  früheren  Irfben 
verscbiedene  Körper  erhalten,  Ihr  endgültiger  Luhn  bt  üe- 
Annäherung  an  Brahman,  wie  sie  in  den  alten  UpanlnhadoD 
lieschriebeu  wird .  nnd  das  Loben  iü  einem  bimuilischeu  P»- 
radiese,  frei  von  aller  Üofahr  einer  Rückkehr  zu  einer  genon 
Geburt,  Ktwas  Höberos  als  dies  gibt  es  noch  HamAnn^s 
nicht, 

.Vaükara. 

ä'sßkara's  Brabmau  ist  im  Uegenleil  ginnlicb  frei  Toti 
Verachiodenbeiton  und  cuthillt  in  sieh  keine  Samen  der  pbi- 
nomennlon  Welt.  Es  ist  ohne  Qualitäten.  Kioht  einmal  du 
Denken  kann  von  Brahmau  ausgesagt  werden,  obgleich  die 
Intelligenz    dessen    wahres    Wesen     iiusuaeht.      Allen,    wu 


Die  zwei  Schulen  des  Vedänta.  311 

mannigfach  und  mit  Qualitäten  ausgestattet  scheint,  ist  das 
Resultat  der  Avidyil  oder  des  Nichtwissens,  einer  Macht,  die 
weder  als  real  noch  als  unreal  bezeichnet  werden  kann ;  einer 
Macht,  die  ganz  und  gar  unbegreiflich  ist  deren  Wirksam- 
keit aber  in  der  phänomenalen  Welt  gesehen  wird.  Was 
von  Ram:lnu<7a  l^vara  oder  der  Herr  genannt  wird,  ist  nach 
«S'atikara  Brahman.  wie  er  von  der  Avidyä  oder  Mäyä  dargestellt 
wird,  als  ein  persönlicher  Schöpfer  und  Beherrscher  der  W^elt. 
Dies,  bei  RämAnu^a  das  höchste  Wesen,  ist  aber  in  den 
Augen  «^aAkara's  bloß  das  niedrigere  Brahman,  das  qualifi- 
zierte oder  phänomenale  Brahman.  Diese  Unterscheidung 
zwischen  dem  Param  und  dem  Aparam  Brahman.  dem  höhe- 
ren und  dem  niedrigeren  Brahman,  existiert  für  KAmänu^a 
nicht,  während  sie  den  wesentlichsten  Zug  von  ^S'aiikaras 
Vedäntismus  bildet.  Nach  «S'afikara  sind  die  individuellen 
iSeelen  mit  ihrer  Erfahrung  einer  objektiven  Welt  und  diese 
objektive  Welt  selbst  insgesamt  falsch  und  das  Resultat  der 
AvidyA ;  sie  besitzen,  was  man  eine  v  y  a  v  a  h  a  r  i  k  a  oder  prak- 
tische Realität  nennt,  sobald  aber  die  individuellen  Seelen 
(^va)  erleuchtet  werden,  hören  sie  auf,  sich  mit  ihren  Kör- 
pern, ihren  Sinnen  und  ihrem  Verstand  zu  identifizieren,  sie 
erkennen  und  genießen  ihre  reine  ursprüngliche  Brahmanschaft. 
Nachdem  sie  sodann  ihre  Schuld  für  frühere  Thaten  und 
Missethaten  gezahlt,  nachdem  sie  ihre  Belohnungen  in  der 
Nähe  des  qualifizierten  Brahman  in  einem  himmlischen  Para- 
diese genossen  haben,  gelangen  sie  zur  ewigen  Ruhe  im 
Brahman.  Oder  sie  können  schon  in  diesem  Leben  sogleich 
zur  Ruhe  in  Brahman  eingehen,  sofern  sie  nur  aus  dem 
Vediint^i  gelernt  haben ,  dass  ihr  wahres  Selbst  dasselbe 
ist  und  immer  dasselbe  gewesen  ist,  wie  das  höchste  Selbst 
und  das  höchste  Brahman. 

Was  man  oft  als  die  kürzeste  Zusammenfassung  des 
Vedünta  in  zwei  Zeilen  citiert  hat,  gilt  ftlr  den  Vedanta  des 
^'ankara,  nicht  des  Ramanu/7a: 


312  Zehnte  Vorle^nnß. 

•  In  einem  hniben  Versa  will    ich  crklüren,  was  in  MilliooB» 

Bünden  erklürt  worden  ist, 
Braliman  ist  wahr,  die  Well  ist  falsch,   die  Spde  iat  Btlll' 
m»o  nud  nidits  Anderes. • 

MukAnllienB  pravakshyünii  yad  iiktaui  gianthnkotiiib 
Braliina  BAtyam  i/agan  mithyi'!,  g\vo  hr.ihmaiva  niipnni 

Dies  ist  wirklioh  eine  sehr  vollsläadigc  Zasammcufasanng. 
Dev  Sinn  Ut:  Was  wabihaft  und  wirlclicb  existiert,  istBraii- 
tnan,  das  Eine  absolnte  Wesen;  die  Welt  ist  falscli,  oder 
vielmehr,  sie  ist  nicht,  was  sie  zu  sein  sobeint;  ä.  h..  AIIm, 
was  uns  dnrch  die  Sinne  dargeboten  wird ,  ist  |ihänumenal 
und  relativ  and  kann  nichts  Anderes  sein.  Die  Seele  hin- 
wiederum, oder  vietmehr  jedes  Menschen  Seele,  obzwar  sie 
dies  oder  jenes  zu  sein  scheinen  ma^,  ist  in  Wirklichkeit 
nichts  als  Braliman. 

Dies  ist  die  Qnintessenz  des  VedAnta;  das  Einzig,  -n» 
wir  darin  vermissen,  ist  eine  Kechenschafl  darüber,  wieso  es 
kommt,  dass  das  Phänomenale  und  das  Individnelle  llbcrbanpl 
da  ist,  und  in  welcher  ßeziehnng  es  za  dem  absolat  Kcalcn. 
zu  Ilrahman,  steht. 

Dies  ist  der  Punkt,  in  Beeng  anf  welchen  .Saftkara  und 
KAmAnuva  anseinander  gehen,  indem  RitmAnn^a  die  ßrohh 
tionstheorie,  den  ParinAma-vAda .  nnd  .VaAkara  die  lUndOlU- 
thcorie,  den  Vivarta-väda,  verteidigt. 

Aufs  engste  verknnpft  mit  dieser  Heinnngsverschiedeo- 
hcit  zwischen  den  beiden  großen  Lehrern  des  Vedänta  id 
eine  andere  Verschiodenhoit  in  liozag  auf  das  Wesen  OottM 
als  des  Schöpfers  der  Welt.  KAmi1na//a  kennt  nur  KIn  Br^ 
man,  nnd  dies  ist  nach  ibnj  der  Herr,  der  die  Wdt  ^■ 
schafft  ond  beherrscht,  ^adkara  gibt  zwei  BrahniMii  n, 
ein  niedrigeres  nnd  ein  hahcres,  die  freilich  Ihrem  wabm 
Wesen  naoli  sur  Eins  sind. 


li  .1  ItMioma  lU/utalio, 
b>'  Nehemiah  NllakaoMa  (^lor« 
Calcutta.  Ib61. 


n/  th*  Hindu  nÜMOpXiftil  ilf0ümt, 
iranBlareil  by    Klu-Bdward   flalL 


Die  z^ei  Schulen  des  Vedanta.  313 

So  groß  anoh  diese  MeiDnngsverschiedeuheiten  zwischen 
^Sankara  und  Rämänu^a  in  Bezag  auf  gewisse  Punkte  der 
Yedänta-Philosophie  scheinen  mögen,  so  verschwinden  sie 
doch,  sobald  wir  auf  dieses  alte  Problem  näher  eingehen. 
Oder  vielmehr,  wir  können  sagen,  dass  die  Beiden  im  Grunde 
dasselbe  meinten,  wenn  sie  sich  auch  auf  verschiedene  Weisen 
ausdrückten.  Wohl  betrachtet  «^aftkara  die  individuelle  Seele 
und  den  persönlichen  Gott  oder  t^vara,  wie  alles  Andere, 
als  das  Resultat  der  Avidyä,  des  Nichtwissens,  oder  derMäyü, 
der  Illusion,  doch  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  das,  was  er 
^unwirklich'  nennt,  nichts  weiter  ist,  als  was  wir  ^phänomenal' 
nennen  würden.  Seine  vyävahärika  oder  praktische  Welt 
ist  nicht  mehr  unwirklich,  als  unsere  phänomenale  Welt,  ob- 
gleich wir  dieselbe  von  der  noumenalen  oder  dem  ^Ding  an 
sich'  unterscheiden.  Sie  ist  so  wirklich,  wie  etwas,  was  uns 
von  den  Sinnen  dargeboten  wird,  es  nur  jemals  sein  kann. 
Auch  der  vyävahürika  oder  phänomenale  Gott  ist  nicht  mehr 
unwirklich,  als  der  Gott,  dem  wir  unwissend  Gottesdienst 
thun.  Avidyä,  das  Nichtwissen,  bringt  bei  «S'aAkara  thatsäch- 
lieh  dieselbe  Wirkung  hervor,  wie  pari/^ma,  die  Evolution, 
bei  RUmänu^a.  Bei  ihm  bleibt  immer  die  unbeantwortete 
Frage,  warum  Brahman,  das  vollkommene  Wesen,  das  ein- 
zige Wesen,  das  sich  einer  Realität  rühmen  kann,  jemals 
dem  pari/^lma  oder  Wechsel  unterworfen  gewesen,  warum  — 
wie  Plato  im  Sophisten  und  im  Parmenides  fragt  —  das 
Eine  je  zu  Vielen  geworden  sei;  wohingegen  «SiaAkara  ehr- 
licher ist,  indem  er,  wenngleich  indirekt,  unsere  Unwissen- 
heit bekennt,  wenn  er  Alles,  was  wir  in  der  phänomenalen 
Welt  nicht  verstehen  können,  jenem  Princip  des  Nichtwissens 
zuschreibt,  welches  unserer  Natur  angeboren  ist,  ja  ohne 
welches  wir  nicht  sein  würden,  was  wir  sind.  Die  Erkennt- 
nis dieser  Avidyä  ist  die  höchste  in  diesem  Leben  erreich- 
bare Weisheit,  ob  wir  nun  der  Lehre  des  «^aiikara  oder 
des  Rämänu^a,  des  Sokrates  oder  des  Paulus  folgen.  Das 
alte  Problem  bleibt  dasselbe,  ob  wir  nun  sagen,  dass  das 
unveränderliche   Brahman   verändert  ist,   trotzdem   wir  nicht 


314 


Zehn 


!  Vorleannff. 


wisäSD,  wie,  oder  ob  wir  sagen,  daas  es  die  Folge  der  Unwisaen- 
beit  ist,  wenn  das  nnverSnderliobc  Brabinan  verändert  211  sein 
acheint.  Wir  haben  zwiaclien  zwei  Dingen  zu  wählen:  ent- 
weder wir  müssen  die  Avidyft  als  eine  riuerklArliche  ThalsKcIiD 
binnehmen,  oder  wir  müssen  die  Veränderung;  in  dem  voll- 
kommenen Wesen  als  eine  nnerklftrlicbe  Tbataacho  binnebmen. 
Uios  wflrde  uns  jedocb  in  Gebiete  der  Philosophie  fnbren, 
die  von  indischen  Denkern  nie  bearbeitet  worden  sind,  und 
wehin  sie  es  ablehnen  worden  uns  zn  folgen. 

Was  wir  aber  auch  von  diesen  vedäntiscben  SpekiilEt- 
tJonen  halten  mögen ,  so  müssen  wir  doch  immer  die  kolini.- 
Konsequenz  bewundern,  mit  der  diese  alten  Philosophen,  und 
namentlich  ■S'ankara,  aus  ihren  Prämissen  weiters chließen. 
Wenn  Brahmau  Alles  in  Allem  ist,  sagen  sie,  wenn  Brak- 
man  das  einzig  wirkliche  Wesen  iat  — ,  dann  mnsa  such  die 
Welt  Brahman  sein,  und  die  einzige  Frage  ist  nnr:  wie? 
ä'aAkara  ist  ganz  konsequent,  wenn  er  sagt,  daas  ohne  Brah- 
man die  Welt  unmöglich  sein  würde,  gerad«  so,  wie  wir 
sagen  würden,  dass  ohne  das  absolut  lieale  das  relativ  Keale 
uumüglich  sein  würde.  Und  es  ist  sehr  wichtig  zn  bomerkra. 
d.iss  der  VodAntist  nicht  so  weit  geht,  wie  gcwitise  bnddhisti- 
ache  Philosophen,  welche  die  phänomenale  Welt  ftlr  sohleck- 
tordings  Nichts  ansehen.  Nein,  ihre  Welt  ist  real,  nar  lit 
sie  nicht,  was  sio  £u  sein  scheint.  i.S'uAkara  behauptet  ttr 
die  phänomenale  Welt  eine  fOr  alle  prakliachen  Zwecke  gcnO- 
gendc(v>-ilvabärika)  Realität,  eino  Realität,  die  hinreicht,  unser 
praktiaohes  Leben,  unsere  moralischen  Verpflichtungen,  j» 
sogar  unseren  Glauben  an  einen  olTonbar  gewordenen  oder 
olTonbarten  (Jott  zu  bestimmen. 

Ein  Schleier  int  da,  aber  die  Vedänta-Philosophie  lohn 
uns,  dass  das  ewige  Iiieht  hinter  demselben  steta  mehr  oder 
minder  dunkel,  oder  mehr  oder  minder  deullioh  durch  phi- 
losophische Erkenntnis  wahrgenommen  werden  kann,  Es  kana 
wahrgenommen  werden,  weil  es  in  Wirklichkeit  WeU  da  iit 
Man  hat  gemeint,  dass  der  persönliche  oder  oRenhar  gewei^ 
dene  Gott  der  Vedfkntislen,  ob  sie  ihn  nun  Uvarn,  den  llorm. 


Die  zwei  Schulen  des  Vedänta.  315 

oder  mit  irgend  einem  anderen  Namen  nennen,  keine  abso- 
lute, sondern  nur  eine  relative  Realität  besitze  —  dass  er 
eben  das  Resultat  der  Avidyä  oder  des  Nichtwissens  sei. 
Das  ist  richtig.  Aber  diese  sogenannte  relative  Realität  ist 
wiedemm  für  alle  praktischen  nnd  religiösen  Zwecke  hin- 
reichend. Sie  ist  so  real,  wie  nur  irgend  etwas,  wenn  es 
von  uns  erkannt  wird,  real  sein  kann.  Sie  ist  so  real,  wie 
irgend  etwas,  was  in  der  gewöhnlichen  Sprache  als  real  be- 
zeichnet wird.  Nnr  die  Wenigen,  welche  die  Realität  des 
Einen  absoluten  Wesens  begriffen  haben,  haben  ein  Recht 
zn  sagen,  dass  es  nicht  absolut  real  ist.  Der  Vedantist  ist 
sehr  darauf  bedacht,  zwischen  diesen  zwei  Arten  von  Realität 
zu  unterscheiden.  Es  gibt  eine  absolute  Realität,  welche  nur 
Brahman  eigen  ist;  es  gibt  eine  phänomenale  Realität,  welche 
Gott  oder  bvara  als  dem  Schöpfer  und  Allem,  was  er  so, 
wie  wir  es  kennen,  geschaffen  hat,  eigen  ist;  und  es  gibt 
außerdem  etwas,  was  er  als  gänzliche  Leere  oder  »ünyatva 
bezeichnen  würde,  was  bei  den  Buddhisten  das  wahre  Wesen 
der  Welt  ausmacht,  während  der  Vedantist  es  mit  der  Luft- 
spiegelung der  Wüste,  den  Hörnern  eines  Hasen,  oder  dem 
Sohn  einer  Unfruchtbaren  auf  Eine  Linie  stellt.  Wenn  er 
gefragt  wird,  ob  er  den  Schöpfer  nnd  seine  Werke  als  nicht 
absolut  real  ansieht,  hilft  er  sich  immer  mit  der  Erklärung, 
dass  der  Schöpfer  und  die  Schöpfung  das  Absolute  selbst 
sind  und  nur  bedingt  zu  sein  scheinen.  Das  Phänomenale 
haftet  bloß  ihrer  Erscheinung  an,  was,  in  unsere  Sprache 
Qbersetzt,  heißen  würde,  dass  wir  Oott  nur  erkennen  kön- 
nen, wie  er  sich  in  seinen  Werken  offenbart,  oder  wie  er 
unserem  menschlichen  Verstände  erscheint,  niemals  aber  in 
seiner  absoluten  Realität.  Nur  während  für  uns  das  Fehlen 
der  Erkenntnis  subjektiv  ist,  ist  es  für  den  Inder  zu  einer 
objektiven  Macht  geworden.  Er  würde  zu  dem  modernen 
Agnostiker  sagen:  Wir  stimmen,  was  die  Thatsachen  anbe- 
langt, ganz  mit  dir  überein;  während  du  dich  aber  mit  der 
bloßen  Behauptung  begnügst,  dass  wir  als  menschliche  Wesen 
nichtwissend    sind,     haben   wir    in    Indien    uns    die    weitere 


316 


Zehnte  Vorlesung;. 


Frage  gestellt,  woher  dieses  Nichtwiasen  komme,  «>s  uns 
UDwUsend  gemaclit  habe,  oder  woa  die  Ureache  sei,  denn 
eine  Uraacho  mnss  es  dafür  geben ,  dass  wir  das  Äbsolate, 
»o  wie  OS  ist,  nioht  za  erkennen  vermögen.  Damit,  daa« 
die  Vedäutisten  dieae  Ursache  AvidyA  oder  MäjA  nen- 
nen, —  könnten  die  Agnostiker  sagen  —  gewinnen  sie 
nicht  viel;  doch  gewinnen  sie  immerliin  dies,  dass  dieae 
noiveraale  Agnosia  als  Ursache,  als  von  dem  wissenden 
Subjekt  nnd  von  den  gewussien  Objekten  verschieden  ange- 
aehen  wird.  Wir  worden  wahrscheinlich  sagen,  dass  die 
Ursache  der  Agnosia  oder  unserer  beschränkten  nnd  beding- 
ten Erkenntnis  in  dem  Subjekt  liege,  oder  schon  in  dem 
Wesen  desäen,  was  wir  unter  Erkenntnis  vorstehen,  und  gc- 
r.ide  von  diesem  Qesiclitsp unkte  aus  hat  Kant  die  Ürenzon 
und  Bedingungen  der  Erkenntnis,  wie  sie  dem  menschlichen 
Geiste  eigent&mlich  sind,  bestimmt. 

Ohschon  auf  einem  verschiedeneu  Wege .  gelangte  der 
Vßdäntist  am  Endo  wirklich  zu  demselben  Resultat,  wie  Kant 
und  neuere  Philosophen,  welche  mit  Kant  glauben,  dass 
'Unsere  Erfahrung  nns  nur  mor/i  dos  Unbedingten  liefert,  wie 
sie  sich  unter  den  Bedingungfn  unseres  Bewuaatseiua  darbie- 
ten •.  Uieae  Bedingungen  oder  Beachrilnkungen  des  mensch- 
lichen Bewnastseins  waren  es  eben,  welche  in  Indien  mit  dem 
Namen  'Avid.vfl'  bezeichnet  wurden.  Zuweilen  wird  die»«' 
Avidyä  als  eine  Macht  innerhalb  des  tiöltliclieo  (derfttnm* 
«akti,  VedäutasAra,  p.  \]  dargestellt ;  manolimal  aber  ist  diinli 
eine  Art  mythologischer  Metamorphoso  die  Avidyil  oder  Mlyft 
pcrsoniSEiert  worden,  gleicbaam  eine  Macht,  die,  von  uns  nnali- 
hüngig,  nns  doch  bei  Jedem  Akt  sinnlicher  Anschauung  und 
vornllnftiger  Vorstellung  bestimmt.  Wenn  der  Vedäntist  sagt, 
dns3  die  relative  Healität  der  Welt  vyävahärika,  d.  h.  praktiiek 
oder  fnr  alle  praktischen  Zwecke  genttgend  ist,  so  wllrden  wir 
w ab rao heinlich  sagen:  >Obg]eich  die  Realitilt  unter  den  Formra 
unseres  Bewnsstseins  nor  eine  bedingte  Wirkung  der  absotntoa 
tiealilAI  ist,  so  steht  doch  diese  bedingte  Wirkung  in  m- 
ICalicher  Bedehnng  za   ihrer  nnbedingten    Ursache,   nnd  da 


Die  zwei  Schalen  des  Vedanta.  317 

sie  von  gleichem  Be&tande  ist,  so  lange  die  Bedingungen 
bestehen,  ist  sie  für  das  diese  Bedingungen  liefernde  Bewusst- 
sein  gleich  real.« 

Es  mag  sonderbar  scheinen,  dass  wir  so  die  Resnltatc 
der  Philosophie  Kants  und  seiner  Anhänger,  wenn  anch  anf 
verschiedene  Weisen  ausgedrückt,  in  den  Upanishaden  und  in 
der  Vedänta-Philosophie  des  alten  Indien  anticipiert  finden. 
Die  Behandlung  dieser  uralten  Probleme  ist  ja  ohne  Zweifel 
eine  verschiedene  in  den  Händen  modemer  und  alter  Denker, 
aber  der  Ausgangspunkt  ist  in  Wirklichkeit  immer  derselbe, 
und  die  Endergebnisse  sind  im  Grunde  dieselben.  Bei  die- 
sen Vergleichungen  können  wir  nicht  die  Vorteile  erwarten, 
welche  uns  eine  wirkliche  genealogische  Behandlung  religiöser 
und  philosophischer  Probleme  gewährt.  Wir  können  nicht 
in  gerader  Linie  von  Kant  auf  iSaükara  zurflckgehen,  wie 
wenn  wir  vom  Schiller  auf  den  Lehrer,  oder  selbst  von  Geg- 
nern auf  die  von  ihnen  kritisierten  oder  bekämpften  Autoritäten 
zurflckgingen.  Wenn  aber  diese  Behandlung  unmöglich  ist,  so 
erweist  sich  doch  auch  das,  was  ich  die  analogische  Behandlung 
nenne,  oft  als  sehr  nfltzlich.  Wie  es  nützlich  ist.  die  Volks- 
sagen und  abergläubischen  Gebräuche  von  Völkern  zu  ver- 
gleichen, welche  in  Europa  und  in  Australien  lebten,  und 
zwischen  denen  keine  genealogische  Verwandtschaft  denkhar 
ist.  so  ist  es  auch  lehrreich,  die  philosophischen  Probleme 
zu  beobachten,  wie  sie  zu  verschiedenen  Zeiten  und  in  ver- 
schiedenen Örtlichkeiten,  zwischen  denen  unmöglich  irgend 
eine  geistige  Berührung  vermutet  werden  kann,  unabhängig 
voneinander  behandelt  worden  sind.  Auf  den  ersten  Blick 
scheint  ja  die  Sprache  und  die  Methode  der  Upanishaden 
so  fremdartig,  dass  jede  Vergleichnng  mit  der  philosophischen 
Sprache  und  Methode  unserer  Hemisphäre  ausgeschlossen 
scheint.  Es  klingt  sonderbar  ftlr  uns,  wenn  die  Upanishaden 
von  der  Seele  sagen,  dass  sie  aus  den  Adern  hervorkomme, 
zum  Monde  aufsteige  und  nach  einer  langen  und  gefährlichen 
Wanderung  sich  endlich  dem  Throne  Gottes  nähere;  und 
noch    sonderbarer   klingt   es,    wenn    sie    die  Seele  zu  einem 


318 


Zehnte  Voriemng. 


porsönlicben  Outt  sagen  Ixssen:  >lcli  bin,  was  du  bist,  tla 
bist  das  Selbst,  ich  bin  das  Selbst,  da  bist  das  Wahre,  icU 
bin  das  Wahre.'  Und  doch  ist  os  nur  das  konsequent  durch- 
geführte alle  Argument  der  Eleaten ,  dass,  wenn  es  our  Rio 
Unondlichea  oder  Einen  Oott  gibt,  anch  die  Seele  ihrem 
wahren  Wesen  nach  nichts  als  Gott  sein  kann.  Religionen, 
welche  unf  den  Glauben  an  einen  trän sscen deuten,  aber  doch 
persönlicbea  Oott  gegründet  sind,  schrecken  nattlrlicb  vor 
dieser  Soblnssfolgernng  ab  unehrerbtetig  und  als  geradezu 
gottlos  zarllck.  Doch  dies  ist  ihre  eigene  Schuld.  Sie 
hnben  znorst  eine  unnahbare  Gottheit  geschaffen  nnd  rnrch- 
len  sich  dann,  sich  derselben  zu  nähern;  sie  haben  sieh 
einen  Äbgrnnd  zwischen  dem  Menschlichen  und  dem  Gött- 
lichen gegraben,  und  sie  dürfen  denselben  nicht  Uberschrei' 
ten.  Das  war  in  den  ersten  Jahrhunderten  des  Chriaten- 
tums  anders.  Eingedenk  der  Worte  Christi:  'Eyit  iv  avToi^, 
xai  üii  iv  fftoi,  'iva  ihaiv  leTelEiwjiivnt  eig  i'v,  »loh  in 
ihnen  nnd  dn  in  mir,  damit  sie  in  Eins  vervollkonunoel 
seien«,  erklärte  Athanasius,  De  Incarn.  Verbt  Dei,  jivfits 
\fi  loü  Ittoß  Ärf/OL.)  t.f  p^fJpw.-Tf^oo'  'i'va  ^fitis  iteniroitii^üfitv, 
>Er,  der  Logos  oder  das  Wort  Gottes,  wnrde  Mensch,  damit 
wir  Gott  wurden'.  Anch  in  neueren  Zeiten  haben  JihnUohB 
Ideen,  obgleich  mehr  oder  minder  in  metaphorisober  Sprache 
verseil  leiert,  in  der  heiligen  Poesie  Ausdruck  gefunden.  Vtir 
nicht  mehr  als  200  Jahren  gab  es  jene  edle  Schale  ohriat- 
licher  Platoniker.  welche  Cambridge  in  der  ganzen  Chrittoa- 
heit  bertihmt  machte.  Sie  dachten  dioselbea  Gedanken  oad 
<;cbranchtBn  nahoiia  dieaelbe  Sprache,  wie  die  Ver&aSAt  der 
llpauishaden  vor  2000  Jahren,  und  wie  die  indischen  Vod&nti^ 
Philosophen  vor  ungefähr  lUUO  Jahren,  ja  wie  manobe  re^■ 
oinzolte  Denker,  die  sich  noch  hentigestags  in  BenarM 
Qnden.  Die  folgenden  Zeilen  von  Henry  More  liftUe  ein 
Vedäiita-Philoaopb  in  Indien  schreiben  kAnnen: 

'Hi'nce  thc  sonl's  natiire  wu  mny  pUinlj  sec: 
Ä  bcnm  it  is  of  thc  lotetlectiixl  Sun. 
A  ray  indeed  of  that  AetcrnJtf, 


Die  zwei  Sehuleo  des  Vediiiite.  319 

But  sQch  s  nj  as  when  it  fint  out  shone 
From  a  free  light  its  shining  date  begun'J, 

Und  wiedernm: 

'Bat  yet,  my  Muse,  still  take  an  higher  flight, 

Sing  of  Platonick  Faith  in  the  first  Good, 

That  faith  that  doth  oor  sonls  to  God  unitc 

So  stronglr.  tightly.  that  the  rapid  flood 

Of  this  swift  flox  of  things,  nor  with  fonl  mud 

Can  stain,  nor  strike  us  off  from  th'unitv 

W  herein  we  steadfast  stand,  unshaked,  unmoved. 

Engrafted  by  a  deep  Titality. 

The  prop  and  stay  of  things  in  God's  benignity*.  - 

Die  Vedinta-Philosophie  ist.  wie  wir  sahen,  sehr  reich 
an  Gleichnissen  nnd  Metaphern,  doch  hat  keine  Philosophie 
zu  gleicher  Zeit  so  mntig  alle  metaphorischen  Schleier  ent- 
fernt, wenn  es  galt,  die  ganze  Wahrheit  za  enthfillen.  ^ie 
der  Vedinta.  namentlich  im  Mnnde  des  «Safikara.  Und  das 
Eigentümliche  bei  dem  Vedänta  ist.  dass  er  trotz  aller  Kflhn- 
heit  im  Gebrauche  nnmetaphorischer  Sprache  nie  aufgehört 
hat.  eine  Religion  zn  sein. 

Der  Vedinta  bestätigte  den  Glauben  an  Brahman  als  ein 
Maskulinum,  als  eine  objektive  Gottheit,  oder  als  einen  i^rvara, 
den  Herrn,    den    Schöpfer    und    Beherrscher    der  Welt.     Er 


1  Wörtliche  Prosa -Lberseaung:  >Daraus  können  wir  die 
Natur  der  Seele  deutlich  sehen:  Ein  Strahl  ist  sie  von  der  intel- 
lektuellen Sonne,  ein  Strahl  wahrlich  von  jener  Ewigkeit,  doch 
solch  ein  Strahl,  dass  der  Zeitpunkt  seines  Leuchtens  begann,  so- 
bald er  aus  einem  freien  Lichte  hervorstrahlte.« 

Anm.  des   t'htrn. 

'1  Wörtliche  Prosa-Übersetzung:  >Doch  nimm,  meine  Muse, 
einen  noch  höheren  Flug,  sing  von  Platonischem  Glauben  an  das 
erste  Gute,  jenem  Glauben,  der  unsere  Seelen  mit  Gott  vereint,  so 
stark,  so  fe^t,  dass  der  reißende  Strom  dieses  schnellen  Flusses 
der  Dinge  uns  weder  mit  schmutzigem  Schlamm  beflecken,  noch 
uns  von  der  Einheit  hinwegreißen  kann,  in  der  wir  fest  stehen, 
nnerschüttert.  unbewegt,  durch  eine  tiefe  Lebenskraft  eingewur- 
zelt, dem  Pfosten  imd  dem  Halt  der  Dinge  in  Gottes  Gnade.« 

Anm.Zde$  Üben. 


320  Kebiito  VorliMnng. 

ging  aogu  noch  weiter  und  begllnatigte  eine  VerebriiDg  dea 
hCchäten  BrAhmau  nnter  gewianeti  pralikas,  d.  h.  un- 
ter gewisEen  Nsmen  oder  Formen  oder  PersoiK^D,  Ja  selbst 
unter  den  Namen  volkstOmÜt^her  Gottheiten.  Er  sciirieh 
gewisse  Gnadenmittel  vor  und  fahrte  dadurch  ein  Sjrstem 
moralischer  Disciplin  ein,  deren  Fehlen  in  rein  metaphy- 
sischen Systemen  oft  als  das  gefährlichste  Merkmal  der- 
selben hervorgehoben  wurden  ist.  Der  VedAnlist  würde 
»»gen,  dass  die  wahrhaft  erlenchtete  und  befreite  Seele,  nach- 
dem sie  ihr  wahres  Heim  in  Brahman  gefunden,  umnöglich 
eine  Sfinde  begehen  oder  auch  nur  für  ihre  guten  Tha- 
ten  ein  Verdienst  beanspruchen  kOnne.  Wir  lesen  'Bnli. 
Ar.  IV,  4.  23):  >Wer  die  Spur  oder  die  Fußspur  (Brahmuis) 
gofunden  hat,  wird  durch  keine  Libelthat  befleckt.«  Und 
wiederum:  >Wer  dies  weiO,  sieht  sein  Selbst  Im  Selbst,  siebt 
Alles  als  Selbst,  nachdem  er  ruhig,  befriedigt,  geduldig  und 
gesamineltoQ  Geistes  geworden  ist.  Das  Bfise  v  erb  rennt  Ihn 
nicht,  er  verbrennt  alles  Böse.  Frei  vom  Bösen,  frei  von 
Flecken ,  frei  ven  Zweifel .  wird  er  ein  wahrer  BrAhmwu, 
sein  Seibat  ruht  im  höchsten  Selbst.« 

HorallBcber  Charakter  drs  Vedftntft. 

Zum  Schutze  vor  den  Gefahren  der  SelbstUhiselinig 
aobreibeu  die  Vedäntisten  eine  sehr  strenge  moratiBohe  Diwn- 
plin  als  die  wesentliche  Vorbedingung  für  die  Erlangung  d«r 
höchsten  Erkenntnis  vor.  In  den  Upanishaden  (Brili.  Ar 
IV.  -I,  22)  lesen  wir:  >Brabmanen  suchen  ihn  durch  Veda- 
stndium,  durch  Opfer,  Spenden,  Bußflbnngen  und  Fastea  ta 
erkennen,  und  wer  ihn  erkannt  hat,  wird  ein  Weiser.  BioS 
nach  Jener  Welt  (dos  Brahman)  verlangend,  vorlsMen  rie 
als  Bettler  ihr  Heim.  Dieses  wissend,  wQnschton  aioh  £• 
Allen  keine  Nachkommenschaft.  Was  sollen  wir  nül  Naek- 
kommenschafl  anfangen ,  sagen  sie ,  wir ,  die  wir  divMS 
Selbst  haben  und  nicht  mehr  von  dieser  Welt  aind?  Uid 
sie    wandern    als    Bettler    umher ,    nachdem    de    sieh    Bbar 


Die  zwei  Schalen  des  Vedanta.  321 

das  VerlaDgen  nach  Söhnen,  Reichtfimern  and  nenen  Welten 
erhoben.  < 

Hier  finden  Sie  wiedemm  in  der  Upanishad  alle  Keime 
des  Bnddhismas.  Der  anerkannte  Name  für  'BettelmOnch*. 
Bhikshu,  ist  der  späterhin  von  den  Anhängern  Bnddha's 
angenommene. 

Die  Gefahr,  dass  die  Freiheit  des  Geistes  in  Zflgellosig- 
keit  ausarten  möchte,  war  ohne  Zweifel  in  Indien  ebenso  vor- 
banden,  wie  anderswo.  Nirgends  aber  worden  größere  Vor- 
sichtsmaßregeln dagegen  getroffen,  als  in  Indien.  Da  war 
vor  Allem  die  Probezeit,  welche  jeder  junge  Mknn  jahre- 
lang im  Hanse  seines  geistlichen  Lehrers  znznbringen  hatte. 
Darauf  folgte  das  darch  priesterliche  Aufsicht  streng  gere- 
gelte Leben  des  verheirateten  Mannes  oder  Haasvaters.  Und 
dann  erst,  wenn  das  Alter  herannahte,  begann  die  Zeit  der 
Freiheit  des  Geistes,  des  Lebens  im  Walde,  welches  Befrei- 
ung vom  Ceremoniell  and  von  reli^öser  Beschränkung, 
zugleich  aber  strenge  Disciplin,  ja  mehr  als  Disciplin.  Baß- 
flbungen  aller  Art,  Kasteiang  des  Körpers  nnd  streng  ge- 
regelte Meditation  mit  sich  brachte. 

Sechs  Dinge  galten  als  wesentliche  Erfordernisse,  ehe 
ein  Brahmane  hoffen  konnte,  wahre  Erkenntnis  zn  erlangen, 
nämlich :  Ruhe  .$ama].  Bezähmung  der  Leidenschaften  (dama). 
Resignation  (uparati),  Geduld  titiksbä  ,  Sammlung  (samädhi) 
und  Glaube  («raddhä).  Alle  diese  vorbereitenden  Stadien 
werden  eingehend  beschrieben,  und  ihr  Zweck  ist  durchaus, 
die  Gedanken  von  der  Außenwelt  abzuziehen,  ein  Verlangen 
nach  geistiger  Freiheit  (mumukshatva)  zu  erzeugen  nnd  der 
Seele  die  Augen  ftlr  ihre  wahre  Natur  zu  öffnen.  Es  muss 
aber  wohl  verstanden  werden,  dass  alle  diese  Gnadenmittel, 
sowohl  die  äußerlichen,  wie  Opfer,  Studium  und  BußQbung, 
als  auch  die  innerlichen,  wie  Geduld,  Sammlung  und  Glaube. 
sieht  von  selbst  wahre  Erkenntnis  hervorbringen  können, 
sondern  dass  sie  nur  dazu  dienen,  den  Geist  fUr  die  Auf- 
nahme dieser  Erkenntnis  vorzubereiten. 

Max  MilUr,  TkM»»pkie.  21 


AücctlBchc  L'bnnifen. 

Rs  lat  bekannt,  daas  in  Indien  eine  Anznhl  mebr  odw 
minder  schraerzliafter  Ohungen  mit  dem  rollkoiamcnen  Aufgeben 
des  Denkens  in  dem  bSchsien  Geist  Hand  in  Hand  oder  dem- 
selben voraimgeben,  —  Übungen,  welche  in  den  allen  Kate- 
cbismeD  der  Inder  (den  Yoga-aiitras  n.  8.  w.]  ansfllbrlieli 
beschrieben  werden,  und  welche  bis  znm  heutigen  Tage  in 
Indien  noch  immer  im  Schwange  sind.  loh  glanbe,  dasa  vom 
pathologischen  Standpunkte  in  all  den  sonderbaren,  dnrch 
daa  Anhaften  oder  Kegulieren  des  Atroeiis,  das  Heften  der 
Augen  auf  gewisse  Punkte,  das  Hitzen  in  cigeutiimtichen 
Stellungen  und  das  Sicbeuthalton  von  Speise  borvorgebracli- 
ten  Wirkungen  gar  nichts  Oebeimnisvollea  steckt.  Ji 
diese  Dinge,  welche  in  jüngster  Zeit  soviel  Aufmerksamkeit 
auf  sich  gezogen  bsben,  sind  für  den  Philosophen  von  ge- 
ringem Interesse  und  sind  geeignet,  zu  recht  viel  Selbsitta- 
schnng,  wenn  nicht  zu  absicbtlicliem  Betrüge  zu  fahren.  Die 
Inder  selbst  sind  mit  den  au  ßergewilbn liehen  Leistungen 
tnnncber  ihrer  Vogins  oder  sogenannten  Mubiitmits  wohl 
vertrant,  und  es  ist  ganz  recht,  wenn  Amte  diesen  Gegen- 
stand in  Indien  sorgfältig  studieren,  nni  ausfindig  zu  mucben, 
was  darnn  wahr  und  was  nicht  wahr  ist  Es  i^t  aber  «iD 
großer  Irrtum,  diese  RunststUcke  als  wesentliche  lieatuidteile 
der  altindischen  Philosophie  darzustellen,  wie  es  die  Itewnu- 
derer  tibetanischer  Mahatmas  jüngst  gethaii  hüben. 

Esoterisrlie  Lehren. 

Es  ist  auch  ein  Irrtum,  zu  glauben,  dass  die  alten  Inder 
die  Upanish&den  oder  die  Vedilnta-sAlras  ala  etwas  (JiehaiBM 
oder  Beoterisches  in  unserem  Sinne  angesehen  hlllten.  Hsoten- 
Wi«  H}' steilen  scheinen  mir  viel  mehr  eine  moderne  ICrfindong  ab 
eine  alte rttlmli che  Einrichtung.  Je  besser  wir  mit  der  alten  Litte- 
ratnr  des  Ostens  vertraut  werden,  desto  weniger  finden  wirtn 
derselben  von  orientalischen  Mysterien,  von  esoterischer  Weishnt, 


Die  zwei  Schalen  de«  Vedänta.  323 

von  einer  verschleierten  oder  entschleierten  Isis.  Das  pro- 
fanum  tulgus  oder  die  Uneingeweihten,  wenn  es  solche  gab. 
bestanden  hauptsächlich  ans  jenen,  welche  aneingeweiht  zu 
bleiben  wünschten,  oder  welche  sich  dnrch  Unznlänglichkeiten 
entweder  der  Erkenntnis  oder  des  Charakters  selber  ans- 
schlössen.  Auch  in  Griechenland  wurde  Niemand  zu  den 
Schulen  der  Pythagoräer  zugelassen,  ohne  sich  einer  Art 
Vorbereitung  zu  unterziehen.  Das  Erfordernis  einer  zur  Auf- 
nahme berechtigenden  Prflfung  ist  aber  etwas  ganz  Anderes, 
als  Ausschließlichkeit  oder  Verheimlichung.  Die  Pythagoräer 
Latten  verschiedene  Klassen  von  Jflngem:  selbstverständlich, 
wie  wir  Baccalaurei  und  Magistri  Artium  haben;  und  wenn 
von  diesen  die  Einen  taojjeQiy.oi\  die  Anderen  i^ioT€oty.üi 
genannt  wurden,  so  bedeutete  dies  anfangs  nicht  mehr,  als  dass 
die  Letzteren  sich  noch  außerhalb  des  eigentlichen  Gebietes 
philosophischer  Studien  befanden,  während  die  Ersteren  schon 
zn  den  vorgerflckteren  Klassen  zugelassen  worden  waren.  Die 
Pythagoräer  hatten  sogar  eine  besondere  Tracht,  sie  beobach- 
teten strenge  Diät  und  sollen  sich  —  außer  bei  Opfern  —  der 
Fleischnahrung,  sowie  des  Genusses  von  Fischen  und  Bohnen 
enthalten  haben.  Manche  beobachteten  das  Gelübde  der  Ehe- 
losigkeit und  hatten  alle  Dinge  gemeinsam.  Diese  Regeln  zeigten 
zn  verschiedenen  Zeiten  und  in  verschiedenen  Ländern,  wo  die 
Pythagoräischen  Lehren  sich  ausgebreitet  hatten,  mannig- 
fache Abweichungen.  Nirgends  aber  hören  wir  etwas  davon, 
dass  irgend  welche  Lehren  denen  vorenthalten  worden  wären, 
die  bereit  waren,  die  Bedingungen  zu  erfüllen,  welche  Allen, 
die  Zulass  zu  der  Brfldergemeinschaft  begehrten,  auferlegt 
wurden.  Wenn  dies  ein  Mvsterinm  oder  eine  esoterische  Unter- 
Weisung  ausmacht,  so  könnten  wir  ebenso  gut  von  den  My- 
sterien der  Astronomie  sprechen,  weil  die  der  Mathematik 
Unkundigen  davon  ausgeschlossen  sind,  oder  von  der  esote- 
rischen Weisheit  der  vergleichenden  Mytbologen.  weil  eine 
Kenntnis  des  Sanskrit  eine  conditio  sine  qua  non  für  dieses 
Studium  ist.  Selbst  die  griechischen  Mysterien  —  was  sie 
auch  am  Ende  geworden  sind  —  waren  ursprünglich   nichts 

21  ♦ 


324 


Zehnte  Vorlesung. 


I 


welter  als  Riten  und  Lehren,  wie  sie  bei  den  feierÜL-lien  Zo- 
sfttnmenkllDften  gewisser  Familien,  Sippen  oder  GeselUchaften 
hergebracht  waren,  wo  Niemand  Zutritt  hatte,  als  diejenigen, 
welclie  das  Recht  der  Mitgliedschaft  erworben  hatten.  Kb 
ist  richtig,  dass  solche  Gesellschaften  leicht  in  geheime  Oe- 
sellschaflen  ausarten,  nnd  daas  eine  beschränkte  Zulassung 
h.tld  zur  Ansachließlichkeit  wird.  Wenn  aber  die  Uneinge- 
weihten  dachten,  dasa  diese  sogenannten  Mysterien  irgend 
eine  tiefe  Weisheit  enthielten  nnd  Geheimnisse  verschleiern 
»ollten,  deren  Verbreitung  geßhrlicb  schien^  so  tauschten  sie 
sich  wohl  ebenso  sehr,  wie  in  nu»eren  Tagen  Leute,  wenn 
sie  denken,  dass  Lehren  esoterischer  Weislieit  von  den  Frd- 
maurcm  aus  den  Tagen  des  Salomo  Überliefert  worden  seien, 
die  jetzt  dem  Priu/.en  von  Wales  zur  sicheren  Rewahrnns 
niivertraut  würden. 

Es  ist  ganz  richtig,  dasa  die  Lehre  der  üpiuiishaden 
.als  Ilahusya,  d.  li.  Geheimnis,  liexeichnet  wird;  Hie  tat 
ahcr  nur  in  Hiuom  Sinne  eine  üclieimlehre,  insofern  niLmlich 
in  alten  Zeiten  Keiner  in  den  Upanishaden  nnterwiewa 
wurde,  der  nicht  durch  die  vorhergehende  Disciplin  der  tw« 
Lebensstadicn  des  Schülers  und  des  Haushälters  hindurtb- 
geg.iugeii  war,  oder  der  sich  nicht  von  Anfang  an  diftr 
entschieden  h.ttte,  ein  Leben  des  Studiums  und  der  Kmub- 
Leit  zu  führen.  Diese  Oeheimhattnng  war  leicht,  als  ua  nedi 
keine  Bücher  gab,  als  daher  diejenigen,  welch«  die  UpasW 
shaden  studiereu  wollten,  sich  nach  einem  Lehrer  umsohen 
mussten.  der  sie  nnlerweiseu  sollte.  Ein  solcher  Lehrer 
pflegte  natDrlich  seine  Kenntnis  nur  Männern  niiteuthellea, 
welche  das  richtige  Alter  erreicht  oder  andere  notweadigr 
Vorbedingungen  erfüllt  hatten.  So  lesen  wir  am  Ende  der 
Samhitä-Upanishad  in  dem  Aitareya-ilra'ij'aka:  >Niomand 
soll  diese  SamhitAa  irgend  Kinem  mitteilen,  der  nicht  eia 
ansässiger  Schßler  ist.  der  nir.ht  mindestens  Kin  Jalir  hti 
seinem  Lehrer  gewohnt  h:il,  nnd  der  nicht  seihst  ein  l'utcr- 
weiser  werden  soll.     So  sagen  die  Lehrer.* 

Was  das  Stadium  der  Vedünta-sütras  anbelangt,  su  welü 


pie  zwei  Schuleo  des  Vedanüu  325 

ich  Yon  keiner  Beschränknng.  namentlich  zn  einer  Zeit,  wo 
MSS.  immer  weiteren  Kreisen  zugänglich  geworden  waren, 
nnd  wo  zahlreiche  Kommentare  nnd  Erläntemngen  die  Ler- 
nenden in  den  Stand  setzten,  sich  auch  von  selber  eine 
Kenntnis  dieses  Systems  der  Philosophie  anzueignen.  Ja,  es 
ist  gewiss  sonderbar,  dass  wir.  während  doch  die  gewöhn- 
liehe Erziehung  und  das  Studium  des  Veda  auf  die  drei 
obersten  Klassen  beschränkt  war,  gar  oft  yon  Mitgliedern 
der  Yierten  Klasse,  bloßen  ^dras,  lesen,  dass  sie  an  der 
Kenntnis  des  Vedänta  teilhaben  und  sich  den  Bettelmdnchen 
oder  Bhikshus  anschließen. 

Verschiedenheit  zwischen  Indien  ud  GriechenlABd. 

Was  jedoch  den  wichtigsten  Unterschied  zwischen  der 
alten  Vedanta- Philosophie  in  Indien  und  ähnlichen  Philo- 
sophien in  Griechenland  ausmacht,  das  ist  der  theologische 
Charakter,  den  die  Erstere  beibehielt,  während  die  Letzteren 
die  Tendenz  hatten,  mehr  und  mehr  ethisch  und  politisch, 
und  nicht  so  sehr  theologisch  zu  werden.  In  Bezug  auf 
metaphysische  Spekulationen  stehen  die  Eleatischen  Philo- 
sophen. Xenophanes,  Parmenides,  Zeno  und  Melissns,  den 
Vedanta-Philosophen  am  nächsten.  Xenophanes  kann  noch 
als  fast  ganz  theologisch  bezeichnet  werden.  Er  spricht  yon 
Zeus  als  dem  höchsten  Wesen,  als  Allem  in  Allem.  Er  stellt 
in  derThat  dieselbe  Stufe  des  Denkens  dar,  welche  im  Vediinta 
als  die  niedrigere  Erkenntnis  dargestellt  wird,  den  Glauben  an 
Brahman  als  Maskulinum,  der  —  nach  den  Upanishaden  selbst 
zu  schließen  —  auch  in  Indien  älter  war,  als  der  Glaube  an 
Brahman  als  Neutrum.  Dieser  Glaube  blieb  bei  dem  Punkte 
stehen,  wo  die  individuelle  Seele  der  universalen,  aber  objek- 
tiven Gottheit  von  Angesicht  zu  Angesicht  gegenfiber  stand, 
er  war  noch  nicht  zu  der  Erkenntnis  von  der  Einheit  des 
Atman  und  des  Brahman  gelangt.  Xenophanes  behält  seinen 
Glauben  an  Zeus  bei,  obschon  sein  Zeus  von  dem  Zeus  Ho- 
mers   sehr    verschieden    ist.     Er    ist    vor  Allem   der  einzige 


326 


Zehnte  Vorlesung' 


Ijott,  weder  an  ßestait  Douh  »n  Uenkeu  den  Sterblichen 
gleich.     So  folgert  Xenophanes: 

>WeQii  Gott  das  stärkste  von  »llen  Dingen  Ut,  so  muss 
^r  Kina  sein,  di>nD  wenn  es  zwei  oder  mehrere  gübe,  so 
wQide  er  nicht  das  stArksto  und  beste  aller  Dinge  sein.* 

[Ei  if  taciv  b  &eos  änöwiov  xQtiuarov,  eva  iprjalv 
avtbv  TignafiiAEiv  tlvaf  el  yip  äio  tj  Ttlslovs  thy,  odx 
fiv  iVt  xQÜTiaTOv  v.ai  ßiXtiatov  «iiihv  tlvut  ttöyttav, 
Clem.  Strom.  V.  611I  c.) 

Er  muaa  anch  nubeweglich  und  nnreränderlicli  [n^ivijtö^ 
oder  apamat&j  sein.     Und  ffiedernm: 

•  Er  erwSgt  Allea  in  seinem  Oeiate  ohne  Anstrengung.« 

(AlX  ä:[iivev9e  TiAvnio  vöov  ipqtvl  rtävtu  yt^adaim. 
ßimpl.  Phys.  6  a,  m.) 

■  Er  iat  ganz  und  gar  Geist  und  Gedanke,  und  ewig.* 

{^vHimvra  r'  tlvat  [zriv  l^tirv)  viivv  xa'i  i(<(>6i"i*>iv 
At't  miov.     Diog.  IX.   l'J.) 

>Er  sieht  ganz  und  gar,  lt  donkt  ganz  und  gm-,  er  Ufiri 
ganz  und  gar.< 

[Otl^.oy  h^f;,  oiihi^  äi   vofi,   ril''lii^  dt  i"   nxrivet.) 

Soweit  ist  Xenophanes  noch  theologiaob.  Er  ist  nicU 
über  den  BogriiT  Brahuiana  als  dos  höchsten  und  einsigBB 
Wesens  lii nausge gange n ;  sein  Zeus  ist  noch  ein  MuknUnnn 
und  eine  persönliche  Gottheit. 

In  m.inchon  der  Auaspriluhe  JL'douh,  die  dum  Xenopbaoc* 
zugeschrieben  werden,  geht  er  darüber  hinaus.  Plato  wenig- 
stens schreibt  dem  Xenophanes  sowohl  als  seinen  Nachfolgern 
den  philosophischen  Lehrsatz  zu,  dass  alle  Dingo  dem  Na- 
men nach  viele,  aber  ihrem  Wesen  nach  Bins  seien.']  wu 
stark  an  daa  8at  —  das  Seiende,  li  Sr  —  der  irpanishaden 
erinnert,  das  durch  Namen  und  Form  mannigfaltig  wird 
Cicero  aber  [Acad.  II,  37,  IIb)  erklärt  bestimmt,  dasa  nacb 
Xenophanes'  Meinung  dies  Eine  GoU  war. 


1)  Sophist,  242  <f. 


Die  zwei  Schulen  des  Vedänta.  '{27 

Xenophanes   anam  esse  omnia   neque   id   eäse  mutabile 
et  id  esäe  Deum,  neque  natum  nuqaam  et  aempiternam.) 

äelbst  das  Argument,  welches  wir  in  den  Cpanishaden 
fanden,  daaa  das  Seiende  nicht  aus  dem  Nichtseienden  hervor- 
gegangen sein  könne,  wird  auch  dem  Xenophanes  zugeschrie- 
ben, der  dies  Eine,  welches  Alles  ist  und  welches  wahrhaft 
existiert,  als  ungeboren,  unveränderlich,  unvergänglich,  ewig 
bezeichnet.  —  lauter  Attribute,  für  die  sich  leicht  Ähnliches 
aus  den  Upanishaden  beibringen  ließe.  Wie  die  Upanishaden 
betont  Xenophanes.  dass  das  Eine,  welches  Alles  iat,  intel- 
ligent (X-aitanya,  hr/vAuv)  sei,  wobei  nur  der  Eine  Punkt 
zweifelhaft  bleibt,  ob  Xenophanes  so  weit  ging  als  seine 
Nachfolger  und  dessen  göttlichen  oder  Zeus-ähnlichen  Cha- 
rakter ganz  fallen  ließ.  Nach  Sextus  (Hyp.  Pyrrh.  I,  225 
möchte  es  scheinen,  dacs  dies  nicht  der  Fall  gewesen  sei. 
»Xenophanes,«  schreibt  er,  »glaubte,  das  All  sei  Eines  und 
Gott  sei  mit  allen  Dingen  mitgeboreu  (at'/i'/rr]^  ,«  oder,  wie 
wir  sagen  würden.  Gott  sei  in  der  Welt  immanent.  Dass 
Xenophanes  dieses  Wesen  als  o*faioohi6i^^  oder  kugelförmig 
auffasste,  ist  bekannt,  doch  können  wir  uns  kaum  etwas 
Bestimmtes  dabei  denken;  und  Sie  werden  linden,  dass  sowohl 
alte  als  neuere  Autoritäten  keineswegs  darüber  einig  sind, 
oh  Xenophanes  die  Welt  als  beschränkt  oder  als  unbeschränkt 
augesehen  habe.  * 

Was  uns  von  der  Naturphilosophie  des  Xenophanes  er- 
halten ist,  scheint  von  seinen  metaphysischen  Grundsätzen 
ganz  gesondert  zu  sein.  Während  nämlich  von  seinem  me- 
taphysischen Standpunkt  Alles  Eines,  gleichförmig  und  un- 
veränderlich war.  Soll  er  von  deinem  naturphilosophischeu 
Standpunkt  aus  die  Erde  oder  Erde  und  Wasser  als  den 
Ursprung  aller  Dinge  angesehen  haben  [h.  /«/',v  '/^{^  auviu^ 
/.'U  ih  yi,v  ;ravru  re/.svräy  Fragm.  S  :  >Alle  Dinge  kom- 
men von  der  Erde,  und  alle  Dinge  enden  in  der  Hrde;<  und 
iiuvit^  yuq  /«/V»   r£  /.«/  VdurOi;  l/,yty6utüi}a^  Sext.  Emp. 

I.   Zeller,  Die  Fkiltusophie  der  Griechin,  I.  pp.  457 — >. 


328  Zeliute  VorloBiing. 

adv.  Math.  IX.  361,  und  y^  xal  üÖioq  ftävd-*  Saaa  yivov- 
t<n  >;dc  fpiiovicti,  Simpl.  Phya.  fol.  41  a.,  »Erde  nnil  Was- 
ser sind  alle  Dinge,   was  Immer  geboren  wird  und  wächst.' 

Dem  Xenophanes  wird  aacb  die  Bebauptang  zageschne- 
ben ,  daaa  die  Erde  aus  Luft  nnd  Fener  herrorgegangon  sei 
— -  Theorien,  för  die  sich  wiederum  leicht  Ähnliches  ans  den 
Upanish&den  beibringen  ließe.  Der  wesentliche  Pnnkt  aber, 
in  dem  Xeno|jhanea  nnd  die  Upaniahaden  übereinstimmen,  ist 
die  erste  Äuffassnug  dea  Einen  Weaenä  als  der  änbstans  voB 
Allem,  obscLoa  diese  Auffassung  noch  nicht  rein  metapby- 
siach  geworden,  sondern  wie  der  lirahman  in  den  ältereo 
Upanishaden  noch  von  einer  Art  religiösem  Heiligenacheio 
umgeben  ist. 

In  diesem  Pnnkt  bezeichnet  Parmenides  einen  entschie- 
denen Fortschritt  in  der  Eleatiscben  Sehnte,  denselben  Fort- 
schritt, den  wir  in  den  späteren  Upanishaden  beubactiteten. 
Bei  ihm  ist  der  Begriff  des  Einen  Wesens  ganz  metaphysisch 
geworden.  Es  iat  nicht  mehr  Gott  in  dem  gowöhnlioheti 
Sinne  des  Wortes,  ebensowenig  als  das  höcbate  Brahmas 
Gott  ist,  obgleich  allea  Reale  in  Gott  das  höchste  Brabmao 
ist.  In  der  Definition  und  Beschreibung  dieses  Einen  Wesens 
geht  Parmeuides  sogar  über  den  Vedänta  hinaus,  und  wir 
sehen  hier  abermab,  wie  die  dialektische  Biegsamkeit  dos  grio- 
chiscben  Geistes  der  dogmatischen  Zuversichtüchkeit  dca  in- 
dischen Geistes  den  Bang  abläuft.  Parmeuides  lehrt:  Was 
ist,  ist ;  was  nicht  ist,  kann  weder  begrifTen,  noch  ausgcaa):! 
werden.  Was  ist,  kann  nicht  Anfang  oder  Ende  haben.' 
Es    iat    ganz,    einzig    iu    seiner   Art,  unbewegt  und  ruhend 


1)  Cf.  Simplicius,  Pbyi.  fol.  :n  a,  b:  Mäyof  ^  iu  fi6»M 
nitolo  .hCnczai,  lue  imtv.  lavi^  if  ini  «i,ftai'  iaai  floXi.»  ftiX,  if 
iytrifioy  lov  KKi  «»'lüieffpoc  lattv.  olXoy  ftovroyevii  i«  xai  itfi/ih 
^cf  ^äiaytoi''  06  noi'  li;y  oiit'  fotni,  itiei  rSr  laiir  ö/tev  aar, 
Ev  iDvext's.  i!ra  yip  yirmr  <fiC^0ea(  atnoi;  Bg  nö9iy  uit^r-, 
ovt  t*  fi'ii  töyxof  läsat  fPiidtfui  a  o6i!i  yatlf  od  yiig  ifatör  oiü 
rotjtöv  'Katir  enoii  oi*  fati.  ti  if  äy  ftif  irnti  /e»'oi'  uiganf,  T«i- 
iio»  tj  nQÖaD'  i»  roii  fii;ierö(  hiiiäatvor  tfif.  Oetai  ^  näfinat 
uili/ilv  2t'(t"i'  iaur  tj  ovxi. 


Die  zwei  Schulen  des  Vedäota.  329 

Wir  können  nicht  sagen,  dass  es  war  oder  sein  wird,  sondern 
nnr.  dass  es  ist,  denn  wie  hätte  es  irgend  etwas  werden  können 
außer  es  selbst  ?  Nicht  vom  Nichtsein,  denn  dies  ist  nicht  und 
kann  nicht  hervorbringen ;  auch  nicht  vom  Sein,  denn  dies  wflrde 
nie  irgend  etwas  hervorbringen,  außer  sich  selbst.  Und  dieses 
liv  kann  keine  Teile  haben,  denn  es  gibt  nichts  von  demsel- 
ben Verschiedenes,  wodurch  seine  Teile  getrennt  werden 
könnten.  Aller  Raum  ist  davon  erfüllt,  und  es  ist  dort  un- 
beweglich, immer  an  demselben  Orte,  durch  sich  selbst  und 
sich  selbst  gleich.  Auch  ist  das  Denken  nicht  verschieden 
von  dem  Sein,^)  weil  es  nichts  als  Sein  gibt,  und  Denken 
eben  das  Denken  des  Seins  ist.  Sonderbarer  Weise  will 
Parmenides  nicht  zugeben,  dass  dieses  Wesen  unendlich  sei, 
denn  er  sieht  selbst  die  Unendlichkeit  als  etwas  Unvollkom- 
menes an,  da  sie  ja  keine  Grenzen  habe.  In  der  That  ist 
dieses  reale  Wesen  des  Parmenides  keineswegs  immateriell; 
wir  können  es  am  besten  durch  das  Gleichnis  erklären,  das 
uns  in  den  Upanishaden  begegnete,  dass  alles  aus  Thon 
Gemachte  Thon  sei  und  sich  nur  durch  Namen  und  Form 
unterscheide.  Parmenides  leugnet  nicht,  dass  diese  Formen 
und  Namen  in  der  phänomenalen  Welt  existieren,  er  betont 
nur  die  Unsicherheit  des  Zeugnisses,  welches  die  Sinne  uns 
von  diesen  Formen  und  Namen  bieten.  Und  wie  in  den 
Upanishaden  diese  falsche  Erkenntnis  oder  dieses  Nichtwissen 
zuweilen  im  Gegensatz  zum  Licht  (te^as)  wahrer  Erkenntnis 
als  tamas  oder  Finsternis  bezeichnet  wird,  so  finden  vrir,  dass 
auch  Parmenides  von  der  Finsternis  yv^  ädar^^;)  als  der  Ur- 
sache falscher  und  vom  Licht  'aid'iqtov  /cvq]  als  der  Ursache 
wahrer  Erkenntnis  spricht 

So  sehen  wir  denn,  wie  das  von  den  älteren  Floaten 
erreichte  Gedankenniveau  im  Grunde  dasselbe  ist,  wie  das 
der  älteren  Upanishaden.  Sie  gehen  beide  von  religiösen 
Ideen  aus  und  enden  mit  metaphysischen  Begriffen;  sie  sind 


1)   Ttovjoy  d*   liJTi   yoely  le  x«i  o'vyexiy  Icn  yo/^uu,  etc.  8im- 
plicins,  Phys.  ff.  19  a,  31  a,  b. 


330  Sehnte  Vorlesung. 

beide  zu  der  höchsten  Abstraktion  des  Seienden  —  rb  Hy, 
Sk.  Sat  —  als  der  einzigen  Realität  gelangt;  sie  haben  beide 
gelernt,  das  Mannigfaltige  der  Erfahrung  als  zweifelhaft,  als 
phänomenal,  wenn  nicht  als  falsch,  und  als  das  Resultat  von 
Namen  und  Form  {uoQfpcxg  drofiä^eiv,  nämarüpa)  anzusehen. 
Aber  auch  die  Verschiedenheiten  zwischen  den  Beiden  sind 
beträchtlich.  Die  Eleatischen  Philosophen  sind  Griechen  mit 
einem  starken  Glauben  an  persönliche  Individualität.  Sie 
sagen  uns  wenig  über  die  Seele  und  ihre  Beziehung  zn  dem 
Einen  Wesen,  noch  weniger  schlagen  sie  irgend  welche  Mittel 
vor,  durch  welche  die  Seele  mit  demselben  Eins  werden  und 
sich  ihrer  ursprünglichen  Identität  mit  demselben  wieder 
bewusst  werden  könne.  Es  gibt  einige  Stellen  (Zeller,  p.  488), 
in  denen  es  scheint,  als  hätte  Parmenides  an  Seelenwand&- 
rung  geglaubt,  doch  gewinnt  diese  Idee  bei  ihm  nicht  die 
Bedeutung,  welche  sie  zum  Beispiel  bei  den  Pythagoräem 
hatte.  Die  psychologischen  Fragen  werden  von  den  meta- 
physischen Problemen  in  den  Hintergrund  gedrängt,  welche 
die  Eleatischen  Philosophen  zu  lösen  wünschten,  während 
in  den  Upanishaden  die  psychologische  Frage  immer  mehr 
im  Vordergrunde  steht. 


Elfte  Vorlesung. 
Safiismos. 


Die  Religion  ein  Sjstem  der  BeiiehungeB  nriselieu  MeuHcli 

und  Gott. 

Ich  erwähnte  in  einer  frflheren  Vorlesang  eine  Definition 
der  Keligion,  die  wir  Newman  verdanken.  »Was  ist  die 
Religion  Anderes, <  schreibt  er  (Univ,  Serm.,  p.  19],  »als  das 
System  der  Beziehungen  zwischen  mir  and  einem  höchsten 
Wesen,  c  Ein  anderer  geistvoller  Schriftsteller  hat  derselben 
Idee  noch  kräftigeren  Ausdruck  gegoben,  wenn  er  sagte: 
>Hs  ist  ein  Bedürfnis  für  den  Menschen,  dass  es  zwischen 
dem  Geschaffenen  und  dem  Schöpfer  direkte  Beziehungen 
gebe,  und  dass  er  in  diesen  Beziehungen  eine  Lösung  der 
Rätsel  des  Daseins  finde.«  ^) 

Dieses  Verhältnis  nimmt  jedoch  in  verschiedenen  Reli- 
gionen ganz  verschiedene  Formen  an.  Wir  haben  gesehen, 
wie  es  in  dem  Vedanta  auf  einen  höchst  einfachen,  aber  un- 
umstößlichen Syllogismus  gegründet  war.  Wenn  es  —  sagt 
der  Vedäntist  —  Ein  Wesen  gibt,  das  Alles  in  Allem  ist,  so 
kann  unsere  Seele  in  ihrer  Substanz  von  diesem  Wesen  nicht 
verschieden,  und  unsere  Trennung  von  demselben  kann  nur 
das  Resultat  des  Nichtwissens  sein,  und  dieses  Nichtwissen 
muss  durch  Erkenntnis,  d.  h.  durch  die  Vedanta-Philosophie, 
beseitigt  werden. 

Wir  sahen  in  der  eleatischen  Philosophie  Griechenlands 

Ij  Disraeli,  Lothair,  p.  157. 


332  Elfto  VorleBTing. 

dieselbe  Prämisse,  doch  ohne  die  davon  abgeleilete  Scblnss- 
folgemiig,  dass  die  Seele  keine  AusDahme  machen  Iconne, 
sondern  wie  alles  Andere,  wenn  nicht  mehr  als  alles  Andere, 
teilhaben  milsse  an  dem  Innersten  Wesen  dessen,  was  xUcin 
unendlich  ist,  nnd  von  dem  ollein  man  sagon  kann,  dass  ea 
wahrhaft  es^istiere. 

Snfiisinus,  d«r  UrittimnK  desselben. 

Wir  wenden  uns  nun  zn  der  Betrachtung  einer  Ueligion, 
in  der  die  PrÄraisse  zn  fehlen  scheint,  während  die  Schlnss- 
folgening  noch  kräftigeren  Ansdruck  gefunden  hat  —  ich 
meine  den  iSußismns  bei  den  Muhammedanern. 

Da  die  Litteratnr  des  SnQismus  hauptsächlich  iu  Persisch 
iibgefasst  ist,  nahmen  Sylvestre  de  Sacy  nnd  Andere  an,  dass 
diese  Ideen  von  der  Kinhoil  der  Seele  mit  Gott  ans  Indien 
nach  Persien  gekommen  seien,  und  sich  von  da  ans  Ober 
andere  muhamme danische  Länder  verbreitet  hätten.  Es  l&sst 
sich  zu  Gunsten  dieser  Theorie,  die  auch  von  Goethe  in 
seinem  WeatöstUthen  Dican  angenommen  weiden  Ist,  man* 
cbea  sagen.  Wir  wissen,  wie  zahlreich  die  BerUhrno^ 
pnnkte  zwischen  Indien  und  Porsien  zu  allen  Zeiten  waren, 
und  es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dasa  die  Glut  dieser  religiö- 
sen Poesie  dem  Temperament  nnd  der  geistigen  Bildung  der 
Perser  Weit  natSrlicher  und  augemoasener  war,  als  dem  ern- 
sten Charakter  Mnhammods  und  seiner  unmittelbaren  Nach- 
folger. Dennoch  können  wir  den  Sufiismus  nicht  als  genoi* 
logisch  vom  Vedäntismns  abstammend  behandeln;  denn  der 
Vedäntismus  geht  Über  den  vom  SuBiamus  erreichten  Punkt 
weit  hinaas  nnd  hat  eine  viel  breitere  mctaphysiacfaa  6nmd- 
lage,  als  die  religiöse  Poesie  Persiens.  Der  Sufiisrnns  bv 
guOgt  sich  mit  einer  Annäherung  der  Seele  an  Gott,  oder 
mit  eiuer  liebevollen  Vereinigung  der  Beiden,  aber  er  bat 
nicht  den  Punkt  erreicht,  von  dem  aus  die  Natnr  Gottes  und 
der  Seele  als  eines  und  dasselbe  gesehen  wird.  In  der  Sprache 
des  Vedänta  —  wenigstens  iu  dessen  endgQltlger  Entwicklang 


SuBisrnns.  333 

—  können  wir  kanm  mehr  von  einer  Beziehung  zwischen  der 
Seele  und  dem  höchsten  Wesen,  oder  von  einer  Annäherung 
der  Seele  an  Gott,  oder  von  einer  Vereinigung  der  Seele  mit 
Gott  sprechen.  Die  Beiden  sind  Eins,  sobald  ihre  ursprflng- 
liehe  und  ewige  Einheit  dem  Wesen  nach  anerkannt  worden  ist. 
Bei  den  Sufis  hingegen  bleiben  das  Subjekt,  die  menschliche 
Seele,  und  das  Objekt,  der  göttliche  Geist,  so  enge  auch  ihre  Ver- 
einigung ist,  immer  deutlich  unterschiedene,  wenngleich  ver- 
wandte Wesen.  Es  finden  sich  gelegentliche  Äußerungen,  welche 
den  Gleichnissen  des  Vedänta  sehr  nahe  kommen,  wie  die  von 
dem  Wasser  tropfen,  der  sich  im  Ocean  verliert.  Doch  selbst  diese 
Äußerungen  lassen  eine  Erklärung  zu;  denn  es  heißt,  dass  der 
Wassertropfen  nicht  verloren  oder  vernichtet,  sondern  nur  auf- 
genommen ist,  und  wenn  der  persische  Dichter  von  der  in  Gott 
sich  verlierenden  Seele  spricht,  so  braucht  er  damit  nicht  mehr 
gemeint  zu  haben,  als  unser  eigener  Dichter,  wenn  er  sagt, 
»dass  wir  uns  in  dem  Ocean  der  Liebe  Gottes  verlieren. c 

Tholuck  ist  wohl  einer  der  Ersten  gewesen,  der  gezeigt 
hat,  dass  es  keine  historischen  Zeugnisse  ftlr  die  Annahme 
gibt,  dass  der  Sufiismns  auf  eine  dem  Auftreten  des  Islam 
vorausgehende  alte  persische  Sekte  zurückgehe.  Der  Sufiismns 
ist,  wie  er  bewiesen  hat,  seinem  Ursprünge  nach  entschieden 
muhammedanisch,  und  die  ersten  Spuren  desselben  zeigen  sich 
im  Beginne  des  zweiten  Jahrhunderts  der  Hedschra. 

Wohl  sagte  Muhammed  im  Koran  :i)  >Im  Islam  gibt 
es  kein  Mönchtum;€  doch  schon  G23  n.  Chr.  verbanden  sich 
ffinfundvierzig  Männer  aus  Mekka  mit  ebenso  vielen  anderen 
aus  Medina,  schwuren  einen  Eid  der  Treue  gegen  die  Lehren 
des  Propheten  und  bildeten  eine  Brüderschaft,  um  Gflter- 
gemeinschaft  herzustellen  und  täglich  gewisse  religiöse  Buß- 
flbungen  zu  vollziehen.  Sie  legten  sich  den  Namen  iS'uft  bei. 
ein  W^ort,  das  von  ^iif,  ^Wolle'  (ein  härenes  Gewand,  wie  es 
in  den  frtlhesten  Zeiten  des  Islam  von  Büßern  getragen  wurde), 


1    Siehe   'Atcärifut  -  Maärif    ins    Englische    Übersetzt    von 
H.  Wilberforce  Clarke,  1891,  p.  \. 


«cler   von  «Ifiy,    'weise,  fromm',    odei 
von  «aß,  'Reinheit',  atigeluitot  isl. 


Kitrzor  Ahrkü  der  Lehren  des  SnIUsinnH. 

Die  Hanptlobrea  des  äußismiis  sind  von  Sir  W.  Jones 
folgendermaßen  ziisammoDgcfasst  worden:']  >Die  Sulis  glan- 
ben,  daas  die  Seelen  der  Menschen  von  dem  gOttUchen 
Geist,  von  dem  sie  kleine  Tvilehen  sind,  and  in  dem  sie  zn- 
letzt  aufgehen  werden,  dem  Grade  nach  unendlich,  aber  der 
Art  nach  gar  nicht  verschieden  sind.  Der  Geist  Gottes, 
glnnben  sie,  darchdriiigt  dns  Weltall,  seinem  Werke  stets 
nnmtttelbar  gcgenwUrtig  nnd  demnach  stets  in  der  Sabstnnz; 
er  allein  ist  vollkommen  an  Gftte,  er  ist  vollkommene  Wahr- 
heit, vollkommene  Schönheit;  Liebe  za  Gült  allein  ist  tctW'- 
fir/ie  lind  echte  Liebe,  während  die  zu  anderen  Gegenständen 
absurd  und  trflgeriBCh  ist;  die  Schönheiten  der  Natnr  siud 
nur  ein  schw&cher  Abglanz,  gleichsam  ISpiegelbilder,  der 
göttlichen  Keize;  von  der  Ewigkeit  ohne  Anfang  bis  zur 
Ewigkeit  ohne  Ende  ist  die  hSchste  Gtlte  damit  beschäftigt. 
GIflck  oder  die  zur  Erreiclinng  desselben  erforderlichen  Mit- 
tel zii  verleihen;  die  Menschen  können  es  nur  erreichen, 
wenn  sie  in  dem  persänfic/icn  Bunde  zwischen  ihnen  nod 
dem  Schöpfer  ihru  Pflicht  tban;  nichts  hat  ein  reines.  aU- 
solutea  Dasein  als  das  Denf^organ  oder  der  Geist;  matfrieUt 
Subutatizen,  wie  sie  von  den  Unwissenden  genannt  werden, 
sind  nichts  Anderes,  als  heitere  Bilder,  die  der  ewiglehende 
Künstler  nnserem  Geisfe  fortwährend  vorfOhrt;  wir  mtlssoB 
lins  vor  der  Znneignng:  ftlr  solche  P/iantaiieffebilde  htHra 
nnd  -dQrfen  ausschließlich  nnr  Gott  zngethan  sein,  der  In  Ul 
wahrhaft  existiert,  wie  wir  bloß  in  ihm  existieren;  selbst  in 
diesem  hilflosen  Zustand  der  Trennung  von  nnjerom  Oeliel^ 
ten  behalten  wir  die  Idee  hirrtmlisc/ier  SrhStihett  and  die 
Erinnerung  an  unsere   vurseilliclien  Gelübde   bei;   lieblich« 


Ij  8ir  WUIiim  Jonea,  Workt,  Vol.  IV.  p-  211. 


SufiiBmns.  335 

Masik,  SADfte  Winde,  wohlrieehende  Blumen  ernenern  fort- 
während die  nranßlngliche  Idee^  frischen  unsere  verbleichende 
Erinnerung  wieder  auf  und  rühren  uns  zu  weichen  Gefahlen 
der  Liebe;  wir  mflssen  diese  Gefühle  hegen  nnd  uns,  indem 
wir  unsere  Seelen  Ton  allem  Etilen,  d.  h.  von  Allem,  was 
nicht  Gott  ist,  abziehen,  dieser  Wesenheit  nähern,  denn  in 
der  schließlichen  Vereinigung  mit  dieser  Wesenheit  wird  un- 
sere höchste  Glückseligkeit  bestehen.  € 

BabU,  die  ilteste  8iifi. 

Es  ist  merkwürdig,  dass  die  erste  Person,  von  der  er- 
zählt wird,  dass  sie  sufiistische  Meinungen  geäußert  habe, 
eine  Frau  ist,  Namens  Rabia,  die  135  nach  der  Hedschra 
starb.  Ihn  Rhalikan  berichtet  viele  Geschichten  von  ihr: 
>Oft  pflegte  sie  mitten  in  der  Nacht  auf  das  Dach  des  Hau- 
ses zu  gehen  und  in  ihrer  Einsamkeit  auszurufen:  >0  mein 
Gott,  der  Lärm  des  Tages  ist  verstummt,  der  Liebhaber  kost 
mit  der  Geliebten  in  der  heimlichen  Kammer;  ich  aber  freue 
mich  deiner  in  meiner  Einsamkeit,  denn  ich  weiß,  dass  du 
mein  wahrer  Geliebter  bist««  Ferid  eddin  Attar  berichtet 
uns  von  derselben  Rabia,  dass  sie  einst,  als  sie  fiber  die  Felsen 
dahin  schritt,  ausgerufen  habe:  »Verlangen  nach  Gott  hat 
mich  erfasst;  wohl  bist  du  auch  Stein  und  Erde,  aber  ich 
sehne  mich  danach,  dich  zu  sehen.«  Da  sprach  der  hohe 
Gott  unmittelbar  in  ihrem  Herzen:  >0  Rabia,  hast  du  nicht 
gehört,  dass  einst,  als  Moses  Gott  zu  sehen  verlangte,  nur 
ein  Atom  der  göttlichen  Majestät  auf  einen  Berg  fiel,  und 
doch  ward  der  Berg  zersplittert.  Begütige  dich  daher  mit 
meinem  Namen.« 

Wiederum  heißt  es,  dass  Rabia.  als  sie  einst  auf  einer 
Pilgerschaft  nach  Mekka  kam.  ausrief:  »Ich  brauche  den 
Herrn  der  Kaaba,  was  nützet  mir  die  Kaaba  ?  Ich  bin  Gott 
so  nahe  gekommen,  dass  fßr  mich  das  Wort  gilt,  das  er 
gesprochen:  Wer  immer  sich  mir  auf  eine  Spanne  nähert, 
dem  Dihere  ich  mich  auf  eine  Elle.« 


:i3(i  Elfte  VorleauQg. 

Ea  gibt  ziihlloae  Oesoliictiten  über  diese  Kabia,  die  alle 
ihre  (iottesergebeulieit ,  ja  ihre  geistige  Einheit  mit  Allah 
(larthun  sollen.  Als  sie  aufgefordert  wnrde,  sich  zu  ver- 
heiraten,  sagte  sie:  >Meiii  innerstes  Wesen  ist  verheiratet, 
darum  sage  ich,  dass  mein  Wesen  in  mir  za  Grunde  gegangen 
und  in  (lOtt  wieder  znm  Leben  erweckt  worden  ist.  Seil 
damals  bin  ich  ganz  in  seiner  Gewalt,  ja  ich  bin  gavK  er 
selbst.  Wer  mich  als  seine  BriLut  begehrt,  hat  nicht  mich, 
sondern  ihn  zu  fragen.'  Als  Hassan  llasri  (ein  berßhmter 
Theuloge)  sie  um  die  Mittel  nnd  Wege  fragte,  dnrch  welche 
sie  sich  zn  sulcher  Höhe  erhoben,  autwortete  sie:  »Dadorch 
dasa  ich  Alles,  was  ich  gefunden  hatte,  in  ihm  vertur.  <  Tod 
hIs  er  sie  neob  einmal  frag:te,  dnrch  welche  Mittel  und  Wege 
sie  dazu  gekammen  sei,  ihn  zu  keunon.  rief  sie  ans:  «O 
liussau.  du  erkennst  durch  gewisse  Mittel  und  Wege;  ich 
erkeuue  ohne  Mittel  und  Wege.«  Als  sie  krank  danieder 
lag,  besuchten  sie  drei  große  Theologen.  Der  Kine,  HassaD 
liasri,  äugte:  >Der  ist  nicht  aufriolitig  in  seinen  Gebeten, 
der  die  ZUchtignng  des  Herrn  nicht  geduldig  ortrftgt.  <  Der 
Andere.  Schakik  mit  Namen,  sagte:  »Der  ist  nicht  aufriebtig 
in  seinen  Gebeten,  der  sich  nicht  seiner  Zllchtigong  frevl« 
Uabia  aber,  die  noch  immer  etwas  von  dem  Helbst  in  all 
dem  wahrnahm ,  erwiderte :  » Der  ist  nicht  aufrichtig  b 
seinen  Gebeten,  der,  wenn  er  den  Homi  sieht,  nicht  vergiatt. 
dass  er  gezUcbtigt  wird.« 

I'lin  anderes  Mal ,  als  sie  sehr  krank  war  nud  lun  in 
Ursache  ihrer  Krankheit  gefragt  wurde,  sagte  sie:  >loh 
habe  au  die  Fronden  des  Paradieses  gedacht,  darum  bat  mich 
mein  Herr  bestraft.«  Und  wieder  aagto  sie:  'Bine  Wund« 
Ju  meiuuuj  Heva^en  verzehrt  mich;  sie  kann  nicht  geheilt  wer- 
den ,  außer  durch  meine  Vereinigung  mit  meinem  Freunde. 
Ich  werde  kränkeln,  bis  ich  am  letiten  Tage  mein  Ziel  fif- 
rcichl  habe.« 

Dies  ist  eine  Sprache,  mit  der  Gelehrte,  welche  sich  mit 
den  Lebensbeschreibungen  christlicher  Heiligen  besclülfUgva- 
vertraut    sind.     Sie.    «ird    manchmal    sowohl    im    Orlvut   ab 


SafiiAmns.  337 

auch  im  OccideDt  sogar  noch  feuriger,  aber  uns  klingt  sie 
im  Orient  weniger  anstößig,  als  im  Occident,  da  in  den 
orientalischen  Sprachen  die  symbolische  Darstellung  der 
menschlichen  Liebe  als  ein  Sinnbild  göttlicher  Liebe  seit  den 
frtQiesten  Zeiten  angenommen  und  geduldet  worden  ist. 

Obgleich  es  aber  unmöglich  ist,  die  ersten  Anfänge  des 
Sufiismus  unmittelbar  auf  eine  persische  Quelle  zurflckzuführen, 
so  lässt  sich  doch  nicht  leugnen,  dass  in  späteren  Zeiten 
Persien  und  selbst  Indien  —  namentlich  nachdem  diese  Län- 
der unter  mohammedanische  Herrschaft  gebracht  worden 
waren  —  zu  der  Entwicklung  des  Sufiismus  und  der  sufiisti- 
schen  Poesie  in  hohem  Maße  beitrugen. 

Zusammenhang  des  Sufiismus  mit  dem  Urchristentum. 

Die  hauptsächlichste  Anregung  jedoch,  die  der  Sufiismus 
▼on  außen  erhielt,  scheint  vom  Christentum  gekommen  zu 
sein/  und  zwar  vom  Christentum  in  der  Form,  in  der  es  im 
Orient  am  besten  bekannt  war.  Am  Ende  des  dritten  Jahr- 
hunderts waren,  wie  Whinfield  in  der  Vorrede  zu  seiner 
Übersetzung  der  Mesnevi  bemerkt,  bereits  Abschnitte  von 
Plato,  von  Aristoteles,  ^dem  Vater  der  Ketzereien*,  und  von 
den  alexandrinischen  Kommentatoren  ins  Arabische  tibersetzt. 
Die  Theosophie  der  Nenplatoniker  und  Gnostiker  war  im 
Orient  weit  verbreitet  Der  Sufiismus  könnte  fast  als  ein 
zum  Teil  von  Plato  (*dem  attischen  Moses',  wie  er  genannt 
wurde),  hauptsächlich  aber  vom  Christentum,  wie  es  in  dem 
spiritualistischen  Evangelium  St.  Johannis  erscheint,  und  wie 
es  von  den  christlichen  Platonikem  und  Gnostikern  ausgelegt 
worden  ist,  abgeleiteter  Parallelstrom  mystischer  Theosophie 
bezeichnet  werden.  Spuren  von  dem  Einfluss  des  Platonis- 
mus  hat  man  in  den  Erwähnungen  entdeckt,  welche  die 
Sufis  von  dem  Einen  und  den  Vielen  machen,  von  der  Er- 
dichtung des  Nichtseins,  von  der  Erzeugung  der  Gegensätze 
aus  Gegensätzen,  von  der  alexandrinischen  Gnosis  des  Logos, 
von  der  Verzückung  und  Intuition,  und  von  der  im  Phaedrus 

Mmx  M filier.  The-sopMe.  22 


338 


Elfte  Vorlesung, 


landergesetzten  Lehre ,  daas  menschliche  Schönheit  die 
Brticke  sei,  welche  eine  Vennittelung  zwischen  der  Sinnen- 
wclt  nnd  der  Welt  der  Ideen  herstellt  und  den  Uenachen 
durch  den  Ansporn  der  Liehe  xa  dem  großen  Ocean  dea 
Sch3nen  führt, 

Spuren  des  ChriBlentums  h&t  Whinfield  nicht  nnr  in  der 
deutlichen  Erwtlhnnng  der  Hauptereignisse  der  Evangelien- 
geschichte nachgewiesen,  sondern  anch  in  wirklichen  Über- 
setzungen ganzer  Sätze  und  Redensarten,  die  den  Evangelien 
entnommen  sind.  Die  hauptsächlichsten  Runstansdrücke  der 
Snfiä,  'die  Wahrheit*,  'der  Weg',  'die  universale  Vernunft' 
[Logos),  ■Weltseele'  (Pneuma),  'Gnade'  [Faisj  nnd  'Liebe' 
werden  von  ihm  sftmtlich  als  vom  Christentum  abstammend 
bebandelt, 

Whinfield  hätte  zur  Stütze  seiner  Theorie  ein  Gedicht 
in  dem  Gttlschen  Ras,  dem  'Geheimnis  des  Rosenbettes',  einer 
gegen  Anfang  des  vierzehnten  Jahrhunderts  geschriebenen, 
anonymen,  aber  sehr  populären  Dichtung  Über  die  Principieo 
des  Snüismus  anführen  können,  in  welchem  die  myetiaebe 
Vereinigung  der  Seele  mit  Gott  als  der  wesentlichste  Zng  de« 
Christentums  besehrieben  wird. 

Da  lesen  wir:  — 


•Weißt  dti,  was  das  Christentnta?  Ich  will  « 
Gräbt  die  eigne  Icbbeit  ans,  will  ku  Gott  dich  tragei 
Deine  Seel'  ein  Kloster  ist,  drin  die  Einheit  wohnet, 
Ein  Jerusalem  du  bist,  da  der  Ew'ge  thronet. 
Heil'ger  Geist  dies  Wunder  thut,  denn  im  helfgen  Gi 
Wisse !  Gottes  Wesen  ruht  als  im  eignen  Gei 
Gottes  Geist  gibt  deinem  Geist  seines  Geistes  Fcuor, 
Er  in  deinem  Geiste  kreist  unter  leichtem  Schleier. 
Wirst  da  von  dem  Menschentum  dnrch  den  Geist  enlbandeD, 
Hast  in  Gottes  Heiligtum  ewig  Ruh  gefunden. 
Wer  sich  so  entkleidet  hat,  dais  die  Lüste  scbweigon. 
Wird  fUrwahr  wie  Jesus  that,  «nf  zum  Himmel  steigen.«  '1 


i 


1)  Nach  F.A.  O.  Tholuck,  BlUtensammlnnf  au»  der  Horgen- 
lündiscben  Mystik.    Berlin  1^26.  p.  221.  Anm.  dt*  Übtn. 


SnfiiBiDiu.  339 

Ab«  Said  Abvl  Cheir,  Stifter  ies  Svllismu. 

Rabia  kann  als  eine  Sofi  noch  vor  dem  Anftreten  des 
Snfiismas  bezeichnet  werden.  Ihr  Snfiiämos  scheint  ganz  ihr 
selbst  eigentllmlich  zn  sein,  ohne  jede  Spnr  eines  fremden  Ein- 
flusses. Der  eigentliche  Stifter  aber  des  Snfiismns  ab  einer 
religiösen  Sekte  war  Abn  Said  Abnl  Cheir,  nm  820  n.  Chr. 

Ahm  Tasii  ui  Dschwuii. 

Gegen  Ende  desselben  Jahrhunderts  fand  ein  Schisma 
statt,  indem  Eine  Partei  dem  Abn  Yasid  al-Bnschäni  folgte, 
dessen  pantheistische  Anschauungen  mit  dem  Korin  in  offe- 
nem Widerspruch  standen,  und  eine  andere  dem  Dschunaid, 
der  den  Snfiismus  mit  der  Orthodoxie  zn  Yersdhnen  suchte. 
Es  gab  damals,  wie  heute,  Snfis  und  Sufis.  Die  Einen  schrie- 
ben persisch,  wie  Senü,  Ferid  eddin  Attir,  Dschellil  eddtn 
Rümi  (starb  1162),  DschAmi  (starb  1172  ;  andere  arabisch, 
wie  Omar  ihn  el  Faridh  und  las  eddin  Mutaddesi,  andere  so- 
gar türkisch. 

Manche  ihrer  Dichtungen  sind  prachtvoll  durch  ihren 
Bilderreichtum  und  werden  selbst  von  jenen  hochgeschätzt, 
die  vor  den  Konsequenzen  ihrer  Lehren  zurttekschrecken. 
Der  Snfiismus.  sagte  man,  erzeuge  eine  erschreckende  Ver- 
traulichkeit mit  der  Gottheit  und  eine  Nichtachtung  mensch- 
licher und  göttlicher  Satzungen,  zum  Mindesten  bei  jenen, 
welche  nicht  die  höchste  geistige  Reinheit  erreicht  hätten 
und  versucht  sein  könnten,  ihre  ftußeriiche  Heili^eit  als 
einen  Deckmantel  für  menschliche  Schwächen  zu  gebrauchen. 

Snfl,  Fakir,  Darwisclu 

Die  Etymologie  von  ^Su^j  wonach  es  von  süf  'Wolle' 
abgeleitet  ist,  weil  die  Snfis  in  weißen  Wollkleidern  hemm- 
gingen, ist  jetzt  allgemein  anerkannt  ^)    Frflher  glaubte  man, 

1^  Sprenger,  I,  p.  262. 

22* 


I 

I 


340  Elfte  Vorlesuag. 

dasB  'Sii6'  von  dem  ^Jecbiachen  aoipAg  herkomme,  wa8  nn- 
mCglich  ist.  Gegenwärtig  sind  die  Salia  allgemein  ale  Fakire, 
im  Persischen  als  Dartcim/i  (Derwische)  d.  h.  'arm',  bekanut. 
Frflher  wurden  sie  ancL  Ar!/,  'Theosophisten',  nnd  Ahl 
alyakyii,  'die  Leute  der  Gcwissheit',  genannt.  Darum  sa^ 
Einer  derselben,  Abd  al  Kazzäk:  >Lob  und  Preis  sei  Allah, 
der  durch  seine  Qnnst  und  Gnade  uns  von  den  Untersuchnn- 
gen  der  herkömmlichen  Wissenschaften  erlöst  hat,  der  uns 
durch  den  Geist  unmittelbarer  Intnition  aber  die  Langweilig- 
keit der  Überlieferung  und  Beweisfllhrnng  erhoben,  der  uns 
von  dem  Dreschen  leeren  Stroha  befreit  nnd  uns  von  Rede- 
kampf,  Gegnerschaft  nnd  Widerspruch  rein  erhallen  hat: 
denu  dies  Alles  ist  der  Kampfplatz  der  L'ngewisskeit  nnd 
das  Gebiet  des  Zweifels,  des  Irrtums  und  der  Ketzerei;  Preis 
sei  ihm,  der  den  Schleier  der  ÄiLBerlicfakeiten,  der  Form  nnd 
der  Verwirrung  von  unseren  Augen  hin  weggenommen  bat.< 

Agoetlsrnns. 

Die  Sufis  vertrauen  uuf  das  innere  Auge,  das  in  Vom 
Ettcbnngen  geOffuet  ist,  nnd  dem,  wenn  es  schwach  oder  blinil 
ist,  durch  ascetische  Disciplin  nachgeholfen  werden  kann. 
Diese  ascetische  Disciplin  war  ursprflngltch  nichts  weiter  als 
Enthaltung  von  Speise  uud  Trank  und  anderen  Freuden  de« 
Lebens,  äie  artete  aber  bald  in  wilden  Fanatismus  an*. 
Manche  von  den  Fakiren  gaben  aich  den  gewaltsamsten 
ascetiscben  Übnngeu  bin  in  der  Abaicbl,  Krämpfe,  kataieptw 
sohe  Anfälle  n,  dgl.  berTorznrnfen.  Die  Derwische,  die  man 
heutzutage  sehen  kann,  wie  sie  sich  im  Kreise  Lemm- 
drehen,  bis  sie  in  wahnsinniges  Geschrei  ausbrechen,  sind  die 
entarteten  Abkömmlinge  der  8ulis.  Atlär  und  DachelUl 
eddin  Rumi  —  sie,  die  Gott  wahrhaft  liebten  —  be- 
durften keiner  Reizmittel  fär  ihre  Begeisterung,  und  ihr 
dichterischer  Geist  äußerte  sich  nicht  in  unartikulierten 
Ausbrüchen  der  Raserei,  sondern  in  verzückten  Lobes- 
hymnen.    Die    wahren    SuGa    waren    stets  geehrt,   nicht  sor 


SnfiiBoms.  341 

um  ihrer  geistigen  Begmbnng  wilien,  sondern  mneh  wegen 
ihres  heiligen  Lehenswimdels,  und  sie  kOnnen  sich  mit  ihren 
Zeitgenossen  im  Abendlimd^  selbst  mit  Minnem  wie  St.  Ber- 
nard, ganz  gnt  messen. 

In  Bezng  anf  die  wahren  und  heiligengleiehen  Sofis 
sagt  Dscheiläl  eddin:  — 

»GUabensToll  sind  sie.  aber  sieht  am  des  Paradieses  willen, 
Cvottes  Wille  ist  das  Einiige,  was  ihren  Glauben  krGnt;  und  nicht 
um  der  siedenden  Hülle  willen  fliehen  sie  Tor  der  Sfinde,  sondern 
weil  ihr  Wille  dem  göttlichen  Willen  dienen  nuus.  Es  ist  kein 
Kampf,  es  ist  nicht  Disciplin,  was  ihnen  einen  so  mheToUea  und 
so  seligen  Willen  gewinnt:  es  ist  dies,  dass  Gott  ans  seines  Her- 
zens tiefinnerstem  Born  ihre  jubelnde  Seele  f^lt.« 

Allerdings  ist  in  ihren  Änßemngen  wenig  Ton  dem  ent- 
halten, was  wir  theosophisehe  Philosophie  nennen.  Dies  ist 
fast  anssehließlich  nnr  bei  den  Yediüitisten,  nnd  in  gewissem 
Maße  aneh  bei  den  Yogins  in  Indien  zu  finden.  Der  Snfi 
Terllsst  sich  anf  seine  Gefühle .  ja  beinahe  anf  seine  Sinne, 
licht  wie  der  Vedintist  anf  seine  philosophische  Einsicht. 
Er  hat  Intuitionen  oder  himmlische  Anschauungen  Gottes, 
oder  er  behauptet  wenigstens  sie  zu  haben.  Er  fthlt  die 
Gegenwart  Gottes,  und  seine  höchste  Seligkeit  auf  Erden  ist 
die  mystische  Vereinigung  mit  Gott,  Ton  der  er  in  einer 
stets  wechselnden  und  —  Ar  uns  wenigstens  —  oft  Terblfiffen- 
den  Bildersprache  redet.  Doch  gesteht  auch  er  zu,  dass  für 
seine  höchsten  Yerzflckungen  die  menschliche  Sprache  keinen 
angemessenen  Ausdruck  besitzt.  Wie  Sidj  sagt:  Die  Blumen, 
die  ein  Liebhaber  Gottes  in  seinem  Rosengarten  gepflflckt 
hatte,  und  die  er  seinen  Freunden  zu  geben  wünschte.  Aber- 
wiltigten  seinen  Geist  so  sehr  durch  ihren  Wohlgemch,  dass 
sie  aus  seinem  Schöße  fielen  und  Terwelkten:  das  heißt:  die 
Herrlichkeit  Tcrzflckter  Visionen  verbleicht  nnd  schwindet 
dahin,  wenn  sie  in  menschliche  Sprache  gekleidet  wer- 
den soll. 


342  Elfte  Vorlesung, 

Die  HeBneTl. 

Dachelläl  eddin  sagt  in  der  Vorrede  zd  e 
•  Dieses  Buch  enthält  seltsame  und  seltene  Erzählangen, 
schöne  AussprtlcLe  und  geheimnisvoUe  Ändeutnogea ,  es  ial 
ein  Pfad  fOr  die  Gottergebenen  und  ein  Garten  für  die  From- 
men, kurz  in  AnsdrBcken,  reich  an  Nutzanwendungen.  Es 
enlhlUt  die  Wurzeln  der  Wurzeln  des  Glaubens  und  handelt 
von  den  Mysterien  der  Vereinigung  und  sicheren  Erkenntnis.' 
Dieses  Buch  wird  von  den  Mohammedanern  als  nnr  dem 
Koran  an  Bedentnng  nacbatehend  angesehen,  und  doch  kann 
man  sieh  kaum  zwei  Bücher  denken,  die  mehr  voneinander 
verschieden  wfiren,  als  diese  beiden. 

Mohammeds  AnachBDDn?. 

Hohammeds  Idee  von  Gott  ist  ecbließlich  doch  dieselbe 
wie  die  dos  Alten  Testaments.  Allah  ist  hauptsächlich  der 
Gott  der  Macht,  ein  abersinnliober,  aber  stark  persönlicher 
Gott.  Man  soll  ihn  fürchten,  nicht  aber  sich  ihm  nähern; 
und  wahre  Religion  ist  Unterwerfung  unter  seinen  Willen 
(Isläm).  Seihst  Manche  von  den  Sufis  scheinen  vor  der  Behan{)- 
tung  der  vollkommenen  Einheit  der  menschlichen  und  der 
göttlichen  Natur  zurückzuschrecken.  Sie  nennen  die  Seele  gStt- 
lieh,  gottähnlich,  aber  noch  nicht  Gott;  als  ob  in  diesem  PaUe 
daa  Adjektiv  wirklich  von  dem  Substantiv  nnterflchieden  wer- 
den konnte,  als  oh  irgend  etwas  göttlich  sein  könnte,  inBer 
Gott  allein,  und  als  ob  es  irgend  ein  Ebenbild  Gottes  od«[ 
irgend  etwas  Gotl^hutiches  gebeu  kOnnte,  das  nicht  seiBCai 
innersten  Wesen  nach  Gott  witre.  Philosophische  SpekslationoB 
Aber  Gott  waren  Mohammed  zuwider.  »Denke  an  die  On*- 
1  Gottes,'  sagt  er  au  Einer  Stelle,  >niobt  an  das  Wenn 
Er  wusste,  daas  theologische  Spekolation  nnver- 
Uieh  znm  Schisma  fahren  würde.  'Meine  Leute, t  tagt 
■  werden  in  lireiundsiebenzig  Sekten  geteilt  sein,  ran 
denen  alle  mit  Ausnahme  einer  einzigen  ihr  gebtthrendes 
Los    im  Fener    haben  werden.  <     Diese    Eine  wDrde    in  4e& 


Sofiismiu.  343 

Asgen  Mohammeds  siclieiiich  nicht  die  der  Safis  geve- 
ien  sein. 

£i  gibt  ein  interessantes  Gedieht,  in  welchem  der  Die- 
ner Said  eines  Morgens  eine  Venficknng.  die  er  gehabt,  be- 
richtet, worauf  er  von  Mohammed  vor  flbermißiger  reli^öser 
Sehwirmerei  gewarnt  wird. 

Said  spricht: 

»Vom  Fieber  trocken  klebte  mir  die  Zunge  am  Gaumen, 
mein  Blnt  floss  wie  Feuer  durch  die  Adern,  meine  Nichte  waren 
schlaflos  Tor  Tenehrender  Liebe,  bis  Tag  nnd  Nacht  Torbeijagten. 
wie  ein  Speer,  den  Band  eines  Schildes  streifend,  dahinfliegt:  hm- 
dentanseDd  Jahre  daaern  nicht  langer  als  önen  Augenblick.  In 
dieser  Stunde  war  alle  Tcrgangene  und  alle  kfinfdge  Ewigkeit  in 
Einem  erstaunlichen  Jetzt  susammeugefasst :  —  mag  der  Verstand 
sich  noch  so  sehr  wnndem.  wo  die  Menschen  Wolken  sehen,  da 
scsrre  ich  in  den  neunten  Himmel  nnd  sehe  den  Thron  Gottes. 
Der  ganze  Bimmel  und  die  ganse  Bulle  Hegen  ofien  Tor  mir  da. 
und  die  Geschicke  aller  Menschen.  Die  Bimmel  und  die  Erde, 
sie  Tcischwinden  vor  meinem  Blicke;  die  Toten  erstehen  auf  bei 
BKinem  Anblick.  Ich  reiße  den  Schleier  von  allen  Welten,  und 
in  der  Balle  des  Bimmel«  setze  ich  mich  im  Mittelpunkte  hin. 
strahlend  wie  die  Sonne.  Da  sprach  der  Prophet  Mohammed : 
Freund,  dein  Boas  ist  warm;  sp<»ne  es  nicht  weiter  an.  Der  ^liegel 
in  deinem  Benen  entschlfipfte  seinem  fleischlichen  Futteral,  stecke 
ihn  nur  ein  —  Tcrbirg  ihn  wiederum,  sonst  wirst  du  zu  Schaden 
kommen.« 

Es  gibt  lange  systematisehe  Abhandinngen  Aber  den 
SnfiisBUS.  sie  beziehen  sich  aber  hanptaichlich  anf  Infierliche 
Dinge,  nicht  anf  die  großen  Probleme  ron  der  wahren  Xatnr 
der  Seele  und  Gottes,  nnd  ron  der  innigen  Beziehung  zwi- 
schen den  Beiden.  Wir  lesen  Ton  rier  Stadien,  durch  wekhe 
der  Snfl  hindurchzugehen  hat. 

Die  Tier  Stadien. 

Znerst  kommt  das  Stadium  der  Demut  oder  einC^h  des 
Gehorsams  gegen  das  Gesetz  und  dessen  Beprflsentanten.  den 
SckaiUi    nisnt  oder  schariat  :  dann  folgt  der  Weg    ta- 


344 


Elfte  VorleBung. 


rikat),  d.  b.  geistige  Anbetnng  und  Ergebuog  in  den  gött- 
lichen Willen;  hieranf  'Arüf  oder  Marifat,  Erkenntnis, 
d.  h.  inspirierte  Erkenntnis;  and  schließlich  Kaktkat,  d.t 
Wahrheit  oder  voUst&ndiges  Verscbwinden  in  Gott. 


Die  poßtisclie  Sprache  des  Sn&lginus. 

Bei  der  LektUre  der  verzflckten  Poesie  der  HttRi  dOrfen 
wir  nie  vergessen,  dass  die  snßiatiacheD  Dichter  gewisse 
Ansdrtlcke  gebrauchen,  die  in  ihrer  Sprache  eine  anerkannte 
Bedeutung  besitzen.  80  bedeutet  Schlaf  'Meditation';  Par- 
füm 'Hoffnung  auf  göttliche  Gunst" ;  Stürme  bedeuten  'daa 
plötzliche  Hereinbrechen  der  Gnade';  Küsse  und  Vmanmm- 
gen  'die  Verzllckungen  der  Frömmigkeit'.  Götzertt  er  ehret 
sind  nicht  etwa  Ungläubige,  sondern  in  Wirklichkeit  AnbAn- 
ger  des  reinen  Glaubens,  die  jedoch  Allah  als  ein  Qberani 
erhabenes  Wesen,  als  einen  bloßen  SchOpfer  und  Beherrscher 
der  Welt  ansehen.  Den  Genuas  des  Weines  hat  Mohammed 
verboten,  aber  bei  dem  Suü  bedeutet  Wein  'geistige  Ei- 
kenntuis',  der  W'cincerMufer  ist  ^der  geistliche  FBbrer',  die 
Selietike  'die  Zelle,  in  der  der  Sucher  nach  Wahrheit  üek 
an  dem  Weine  der  göttlichen  Liebe  berauscht'.  J'rühlichJteit, 
Rausch  und  Ausgelassenheil  stehen  für  'reÜgiOse  VersQek- 
UDg  und  völlige  Enthaltung  von  allen  weltlichen  Gedanken'. 
Schönheit  ist  'die  Vollkommenheit  der  Gottheit';  Haar^cMea 
sind  'die  Ansbreitnng  seiner  Herrlichkeit';  die  Lippen  der 
Geliebten  bedenten  'die  unerforschlichen  Geheimnisse  der 
Wesenheit  Gottes' ;  der  Flaum  der  Wangen  stobt  fllr  die 
'Geisterwelt';  ein  schwarzes  Mal  bezeichnet  den  'Pnnkt  m- 
teilbarer  Einheit'. 

Wenn  wir  manche  dieser  verzflckten  Dichtungen  d«r 
Snfis  lesen,  sind  wir  zuerst  einigermaßen  in  Zweifel  darttber, 
ob  sie  nicht  einfach  in  ihrem  natOrlichen  Sinne  als  jovial 
und  erotisch  anfgefasst  werden  sollten:  und  es  gibt  maoeb« 
Litteraturforsoher ,  die  keine  tiefere  Bedentong  derselben  in- 
geben  wollen.     Bekanntlich  sträubte  sich  Emerson  gegen  die 


SofiiBmiiB.  345 

VorstelliiDg,  dass  man  in  den  Liedern  des  Hafiz  mehr  zn 
sehen  habe,  als  was  anf  der  Oberfliehe  liegt:  —  Frende  an 
Franen,  an  Oesang  und  Liebe.  Er  sehreibe  :i)  >Wir  wollen 
ans  den  Liedern  Salomo*s  keine  mystische  GöttUehkeit  her- 
auslesen, viel  weniger  ans  den  erotischen  nnd  bacehanalisehen 
Liedern  des  Hafii.  Hafiz  selbst  ist  fest  entschlossen,  jeder 
scheinheiligen  Interpretation  der  Art  Hohn  zn  sprechen,  er 
reißt  sieh  den  Turban  herab  nnd  wirft  ihn  dem  nnbemfenen 
Derwisch  an  den  Kopf  nnd  schlendert  sein  Glas  dem  Tnrban 
nach.  Nichts  ist  zn  hoch,  nichts  zn  niedrig,  wenn  es  ihm 
gerade  passt.  Die  Liebe  macht  Alles  gleich,  nnd  in  seinen 
kecken  Gesängen  an  seine  Geliebte  oder  seinen  Mundschen- 
ken wird  Allah  znm  Kammerdiener  nnd  der  Himmel  znr 
geheimen  Kammer.  Dieser  nnbeschrtnkte  Freibrief  ist  das 
Vorrecht  des  Genies,  c  So  ist  es  anch,  nnd  es  gibt  ohne 
Zweifel  Tide  Gedichte,  in  denen  Hafiz  nicht  mehr  meint,  als 
was  er  sagt  Niemand  wllrde  irgend  etwas  Anderes  als  die 
naheliegendste  Bedeutung  in  Anakreontischen  Versen  gleich 
den  folgenden  suchen: 

»Zwei  Jahre  alter  Wein  und  ein  Mftdchen  Ton  Vierzehn 
sind  mir  genflgende  Gesellschaft,  lieber  als  alle  Gefthrten, 
groß  und  klein.« 

»Wie  entzflckend  ist  ein  Tanz  zu  lebhafter  Musik  und 
die  heitere  Melodie  der  Flöten,  insbesondere  wenn  wir  die 
Hand  eines  schOnen  Midchens  berfihrenic 

»Laas  Wein  einschenken  nnd  streue  Blumen  herum; 
was  kannst  du  vom  Schicksal  mehr  verlangen?  So  sprach 
die  Nachtigall  heute  morgens.  Was  sagst  du,  sflße  Rose,  zu 
ihren  Vorschriften?« 

»Bringe  ein  Ruhebett  in  den  Rosengarten,  damit  du  die 
Wangen  nnd  Lippen  lieblicher  Jungfrauen  kflssest,  starken 
Wein  schlurfest  nnd  duftende  Bifiten  riechest.« 

Aber  Keiner,  der  mit  dem  Orient  vertraut  ist.  wflrde 
bezweifeln,  dass  eine  Art  halberotischer,  halbmystischer  Poesie 


1)   Work$,  1882,  Vol  IV,  p.  201 


I 

I 


346  Elf'o  Vorlesnng. 

bei  den  Mobammedanern  eine  anerkannte  Dicbtart  war  und 
sowohl  von  Laien  wie  von  GeiatUchen  geduldet  and  bewun- 
dert wurde.  Auch  war  der  mystische  Sinn  mcht  ein  bloßer 
Nachgedänkc ,  dor  auf  gezwungene  Weise  in  die  Poesie  der 
Sufi3  hineingedeutet  wurde,  Bondein  er  war  von  Anfang  an 
beabsiohligt. 

Der  Dnft  dieser  Poesie  hat  zoerat  etwas  Bet&nbendes 
fQr  uns,  selbst  wenn  wir  die  wahre  Bedeutung  derselben 
kennen.  Der  Sufi  aber  glaubt,  dass  es  in  der  mensohlioben 
Sprache  nichts  gebe,  was  die  Liebe  zwischen  der  Beele  und 
Gott  so  gut  ausdrücken  könne,  als  die  Liebe  zwischen  Mann 
und  Weib,  und  dass  er,  wenn  er  tiberhaupt  von  der  Ver- 
einigung zwischen  den  Beiden  sprechen  dflrfe,  dies  nur  in 
der  symbolischen  Sprache  irdischer  Liebe  thun  kOnne. 

Wir  dürfen  nicht  vergessen,  dass  die  irdische  Liebe, 
weun  sie  auch  in  gemeinen  Seelen  oft  zn  einer  bloDen  tieri- 
schen Leidenschaft  herabgesunken  ist,  in  ihrem  reioateo 
Sinne  doch  immer  das  höchste  Mysterium  unseres  Daseins 
bleibt,  die  vollkommenste  Seligkeit  und  Wonne  auf  Erden, 
und  zu  gleicher  Zelt  das  wahrste  Unterpfand  unserer  mehr 
als  menschlichen  Natur.  Im  stände  zu  sein,  die  n&mliolie 
aelbatloae  Hingebung,  deren  das  menschliche  Herz  fähig  ict. 
wenn  es  von  Liebe  für  eine  andere  Menschenseele  erfUllt  ist, 
für  die  Gottheit  zu  fühlen,  ist  Etwas,  was  man  gar  wohl  al» 
die  beste  Religion  bezeichnen  kann.  Es  ii^t  ja  doch  du 
chrislliobe  Gebot;  >Du  sollst  den  Herrn,  deinen  Gott,  lieb 
haben  von  ganzem  Herzen,  von  ganzer  Seele,  von  allm 
Vermögen.'  Haben  wir  dies  einmal  begriffen,  so  kann  sieb 
keiner  rühmen,  dem  hfSchsten  christlichen  Ideal  nfthergekon- 
men  zu  sein ,  als  der  wahre  Sufi,  dessen  Beligion  eins  glfl- 
hende  Liebe  zu  Gott  ist,  der  sein  ganzes  Leben  in  dar  b^ 
stAndigen  Gegenwart  Gottes  zubringt,  und  dessen  HandlnngSD 
durchaus  von  Liebo  zu  Gott  eingegeben  sind. 

Uarrow,  ein  nicht  unbedeutender  Theolog,  der  keineswegs 
von  religiöser  SentimentalilUt  angesteckt  ist,  redet  in  räner 
Sprache,  deren  sich  die  schwärmerischsten  Dichter   der  Ssfis 


Sufiismns.  347 

bitten  bedienen  können.  »Die  Liebe,«  sebreibt  er,  >ist  die 
sflßeste  und  erfrenlichste  aller  Leidenschaften ;  nnd  wenn  sie 
nnter  der  FOhmng  der  Weisbeit  in  vemflnftiger  Weise  anf 
einen  würdigen,  angemessenen  nnd  erreichbaren  Gegenstand 
gericbtet  ist,  so  kann  sie  nicbt  nmbin,  das  Herz  mit  ent- 
zllckender  Wonne  zn  erftlllen:  Ton  der  Art,  in  jeder  Bezieb- 
nng  Aber  alle  Maßen  Ton  der  Art,  ist  Gott;  er,  der  am 
vollkommensten  liebenswürdig  nnd  begehrenswert  ist,  verdient 
unsere  Znneignng  unendlich  mehr  als  alle  anderen  Dinge. 
Er  ist  der  passendste  Gegenstand  unserer  Liebe;  denn  wir 
wurden  hauptsächlich  dazu  gebildet,  und  es  ist  das  hervor- 
ragendste Gesetz  unserer  Natur,  ihn  zu  lieben;  aus  einem 
angeborenen  Instinkt  neigt  sich  uusere  Seele  zu  ihm  als 
ihrem  Mittelpunkte  hin  und  kann  keine  Ruhe  finden,  bis  sie 
an  ihm  befestigt  ist  Er  allein  kann  die  unermessliche 
Fassungskraft  unseres  Geistes  befriedigen  und  unsere  maß- 
losen Wünsche  erfüllen.  Von  allen  lieblichen  Dingen  kann 
er  am  sichersten  und  leichtesten  erreicht  werden;  während 
nämlich  die  Menschen  in  ihrer  Zuneigung  gewöhnlich  auf 
Hindemisse  stoßen,  indem  ihre  Liebe  durch  Dinge,  die  sie 
sich  in  den  Kopf  setzen  nnd  die  sie  nicht  erreichen  können, 
verbittert  wird,  oder  indem  sie  Dinge  an  sich  locken,  von 
denen  sie  verschmäht  und  zurückgewiesen  werden,  —  ver- 
hält es  sich  mit  Gott  ganz  anders:  Er  ist  höchst  willig,  sich 
mitzuteilen ;  er  begehrt  unsere  Liebe  aufs  Emstlichste  und  wirbt 
um  sie ;  er  ist  nieht  nur  höchst  willig,  Neigung  zu  erwidern, 
sondern  er  kommt  uns  sogar  darin  zuvor;  er  begünstigt  und 
ermutigt  unsere  Liebe  durch  die  lieblichsten  Einflüsse  und 
die  tröstlichsten  Umarmungen;  durch  die  freundlichsten  Gunst- 
bezeigungen, durch  die  wohlthuendsten  Gefälligkeiten;  und 
während  alle  anderen  Gegenstände  beim  Genüsse  unserer 
Erwartung  niemals  ganz  entsprechen ,  übertrifft  er  sie  immer 
weitans.  So  kommt  es,  dass  wir  in  allen  Liebesregungen 
unseres  Herzens  gegen  Gott,  in  dem  Verlangen  nach  ihm,  in 
dem  Suchen  seiner  Gunst  und  Freundschaft,  dass  wir,  in- 
dem wir  ihn  umarmen  oder  unsere  Achtung,   unseren  guten 


I 


348  Elfte  Vorlesung. 

Willen  üeA  unaer  Vertrauen  nnf  ihn  Hellten,  indem  wir  ihn 
durch  andächtige  Meditationen  nnd  Anmfungen  genieBen,  dasi 
wir  in  dem  auf  Nachdenken  beruhenden  Bewusstsein  noBeres 
Interessea  an  ihm  und  unserer  Zugehörigkeit  zn  ihm,  in  jener 
^eheimnisTolleD  Vereinigung  des  Geistes,  vermOge  deren  wir 
fest  an  ihm  hängen  und  gleichsam  in  ihm  eingeachleaaen 
sind,  in  dem  innigeu  Wohlgefallen  an  seiner  Güte,  dem  Oft- 
fOh!  der  Dankbarkeit  für  sein  Wohlwollen  und  dem  eifriges 
Wanache,  dasselbe  einigermaßen  wioderEn vergelten  —  daaa 
wir  in  all  dem  nur  hüchat  freudiges  Entzticken  finden  kffn- 
nen ;  ja,  diese  von  dem  Geist  der  Liebe  in  nnseren  Herseo 
entzündete  himmlische  Flamme  kann  nie  der  WSrme  entbehren; 
wir  können  unser  Auge  nicht  auf  unendliche  Schönheit  bef* 
ten,  wir  können  nicht  unendliche  Stllligkeit  kosten,  wir  kön* 
nen  nicht  au  unendlicher  Gl  11  ck Seligkeit  haften,  ohne  um 
aneh  fortwährend  an  der  ersten  Tochter  der  Liebe  zu  Gott,  der 
Nächstenliebe,  zu  erfreuen;  und  diese  hat  in  ihrer  Koßeren 
t^rscheinung  und  ihrer  sorglichen  Gem&tsart  große  Ähnlichkeit 
mit  ihrer  Mutter;  denn  sie  befreit  uns  von  all  den  dllst«reii, 
qualvollen  und  aufregenden  Einbildnngeu  und  Leiden  sc  lutfteii, 
die  unseren  Geist  trttben,  unser  Herz  ((uälen  und  unseren 
Seelenzustand  zerrUtten;  sie  befreit  uns  vom  verzehrendes 
Arger,  vom  stürmenden  Zank  und  Streit,  vom  nagenden  Neidcy 
vom  wühlenden  Hasse,  vom  folternden  Argwohn,  von  (goi- 
lender  Ehrsucht  und  Habsucht;  und  darum  bringt  sie  unaereD 
Geist  in  einen  Znstand  des  Gleichmuts,  in  eine  ruhige  Qe- 
mOtsverfassnng,  in  harmonische  Ordnung,  in  jenen  angenebmea 
Zustand  der  Ruhe,  der  das  natOrliche  Hesnllat  der  Vermei~ 
duDg  zngelloBer  Leidenschaften  isl.< 

Ich  habe  diese  lange  Stelle  vollständig  gegeben,  weil  sie 
sich,  wie  Sir  William  Jones  hervorgehoben  hat,  von  der 
mystischen  Theologie  der  Suds  und  Yogins  nicht  mehr  nnter- 
s''heidet,  als  die  Blumen  und  Frtlchte  Europas  sich  an  Duft 
und  Wohlgeschmack  von  dent:n  Asiens  unterscheiden,  oder  all 
die  europäische  Beredsamkeit  von  der  asiatisehen  nntat- 
schieden    ist.      >Wflrde    derselbe   Ton   in    gebundener  Bede 


SnfiismiiB.  349 

angesehlageD,  so  wflrde  er  sich  xu  den  Oden  Spensets  Aber 
die  göttliche  Liebe  nnd  Schönheit^  nnd  —  in  einem  höheren 
Grondton^  mit  reicheren  Ansschmflckangen  —  zn  den  Gesin- 
gen des  Hafiz  nnd  des  Jayadevm.  zn  den  Verzflcknngen  der 
MesneTi  nnd  den  Mysterien  des  Bhigmvata  erheben.« 

MonUUt  des  Safiismns. 

Der  GUnbe  des  8nfi,  dass  derjenige,  der  sich  Ton  der 
Liebe  leiten  lasse,  dem  laßeren  Gesetz  nicht  mehr  unter- 
worfen sei.  ist  keineswegs  so  abscheulich,  wie  man  ihn  dar- 
gestellt hat.  Denn  dieser  Glaube  bedeutet  nicht,  dass  der 
wahre  Snfi  irgend  eine  unerlaubte  Freihdt  f&r  sieh  in  An- 
spruch nimmt  sondern  nur.  dass  deijenige,  dessen  Herz  Ton 
liebe  zu  Gott  erfüllt  ist.  und  der  Gott  nie  aus  den  Augen 
Terliert.  nicht  mehr  an  das  ftußere  Gesetz  denken  kann, 
sondern  bei  allen  seinen  Handlungen  sich  nur  von  der  Liebe 
za  Gott  leiten  lisst.  indem  er  für  seine  guten  Werke  kein 
Verdienst  beansprucht  und  sich  ganz  außer  stände  fflhlt,  irgend 
eine  Gott  missfillige  That  zu  begehen. 

Auszlge  ans  smfilstlsehen  Dichtem. 

Ich  will  Ihnen  nun  ein  paar  Auszüge  aus  sufiistischen 
Dichtem  Toriesen.  die  Sir  William  Jones  (ins  Englische)  flber- 
letzt  hat: 

>In  der  aofangslosen  Ewigkeit  begann  ein  Strahl  deiner 
ächOnheit  zu  schimmern;  als  die  Liebe  ins  Dasein  gerufen  ward 
■ad  Fbunmen  6ber  die  ganze  Natur  verbreitete. 

»An  jenem  Tage  strahlte  deine  Wange  selbst  unter  deinem 
8chleier.  und  all  das  herrliche  Bilderwerk  erschien  in  dem  Spiegel 
unserer  Phantasien. 

»Erhebe  dich,  meine  Seele,  damit  ich  dich  ausgieße  auf  den 
Pinsel  jenes  höchsten  Kfinstlers.  der  in  einer  Drehang  seines  Zir- 
kels diese  ganze  wunderbare  Scenerie  umfasste. 

»Von  dem  Augenblicke  an.  wo  ich  den  güttlichen  Ausspruch 
borte,  'Ich  habe  dem  Menschen  einen  Teil  meines  Geistes  einge- 


350  Elfte  Vorlesung. 

h&ncht',   war  ich  desBen  gewiss,   duss   wir   ibm    und    er  uns  an- 
gehOte. 

>Wo  ist  die  frühe  Botaebaft  der  Vereinigung  mit  dir,  d 
mit  ich  altes  Verlangen  nach  dem  Leben  anfgebe?  Ich  bin  e 
Vogel   der   Ileiliglteit   und   möchte  gern  dem  Netze  dieser  Welt 


»Gieße,  o  Herr,  aus  der  Wolke  himniüecher  PUfaraog  ^nen 
erqnickeDiIen  Regengues  hernieder  vor  dem  Augenblicke,  wo  icb 
aufstehen  muas,  wie  ein  EUmchen  trockenen  Stuubes. 

>Die  Summe  nnseror  Verrichtungen  aof  diesem  Weltall  i 
Nichts;  bringe  uns  den  Weiu  der  Andacht;  denn  die  Güter  dleeec 
Welt  verschwinden. 

»Der  wahre  Zweck  des  Herzens  und  der  Seele  ist  die  Herr- 
lichkeit der  Vereinigung  mit  unserem  Geliebten;  dieser  Zweck 
existiert  wirklich,  aber  ohne  denselben  würde  weder  diis  Here  Dücb 
die  Seele  ein  Dasein  haben. 

>0  Seligkeit  des  Tagee,  wenn  icb  dies  Ode  Wohnhaus  v 
lassen,  wenn  ich   fUr  meine  äeele  Kühe  suchen  und  den  Spuren 
meines  Geliebten  folgen  werde, 

•Voll  Liebe  fiir  seine  Scblinheit  wie  ein  StSubcheo  im  8onD«S' 
strahl  tanzend,  bis  ich  den  Qnell  und  Born  des  Lichtes  erreicbe, 
von  dem  jene  Sonue  dort  all  ihren  GUna  erhält« 

Den    Dächsten   Auszug   entnebme    ich    den    [tob  E. 
WbinGeld  ins  EngUäcbe   übersetzten)   Meanevi    des    DschelUt 
eddiD  Uflmi.     Dschelläl  eddia  beschreibt   die  vOUige  Vereiiü- 
gDBg  mit  Gott  folgenderm&Qeu :  — 

•Eine  Geliebte  sagte  eines  Morgens  zu  ihrem  Liebhaber,  nta 
ihn  auf  die  Probe  zu  stellen:  >0  der  und  der.  Sohn  von  dem  a 
dem,  ich  milchte  gerne  wissen,  ob  du  mich  lieber  hast,  iider  dich 
selbst;  sag  es  mir  der  Wahrheit  gemäß,  mein  feuriger  Liebhaber'' 
Er  antwortete:  >Ich  gehe  so  ganz  nnd  gar  in  dir  auf.  dais  ich 
vom  Kopf  bis  auf  die  Füße  voll  von  dir  bin-  Von  meinem  eife 
Dasein  bleibt  nichts  als  der  Name  übrig,  in  meinem  8uin  ist  niebu 
als  du,  o  Gegenstand  meines  Verlangens.  Damm  bin  ich  so  in  dit 
verloren,  geradeso  wie  Essig  sich  im  Honig  auflQst;  oder  wie  da 
Stein,  der  in  einen  reinen  Knbin  verwandelt  worden,  von  di 
glänzenden  Liebt  der  Sonne  eTflllU  ist.  Dieser  Stein  behUt  sei 
ihm  sngehGrigen  Eigenschaften  nicht  bei,  soudera  er  ist  gnoi  a 
gar  von  den  Eigenschaften  der  Sonne  erfüllt;  wenn  er  sich  *l 
nachher  selbst  lieb  hat,  so  ist  es  dasselbe,  als  wenn  er  die  Som* 


Snfiismas.  351 

lieb  hat,  o  meine  Greliebte!  Und  wenn  er  die  Sonne  in  seinem 
Herzen  lieb  hat,  so  ist  es  offenbar  dasselbe,  als  wenn  er  sich  selbst 
Ueb  hat  Ob  nun  dieser  reine  Rubin  sich  selbst  lieb  hat  oder  ob 
er  die  Sonne  lieb  hat,  zwischen  den  beiden  BeTorzugongen  gibt 
es  keinen  Unterschied;  in  dem  einen  wie  in  dem  anderen  Falle 
existiert  Nichts  als  das  Licht  der  Morgenröte.  Solange  aber  dieser 
Stein  noch  nicht  zum  Rabin  geworden  ist,  hasst  er  sich  selbst, 
denn  solange  er  nicht  zu  Einem  Ich  geworden,  ist  er  zwei  ge- 
trennte Iche;  er  ist  nämlich  so  lange  verdunkelt  und  halb  blind, 
und  Dankelheit  ist  der  Erzfeind  des  Lichtes.  Wenn  er  sich  zu  der 
Zeit  lieb  hat,  ist  er  ein  Ungläubiger,  da  dieses  Selbst  ein  Gegner 
der  mächtigen  Sonne  ist  Darum  ist  es  zu  der  Zeit  wider  das  Ge- 
setz fdi  den  Stein,  'Ich'  zu  sagen,  da  er  ganz  und  gar  in  der 
Dunkelheit  und  im  Nichtssein  ist  Pharao  sagte:  »Ich  bin  die 
Wahrheit«  und  ward  gedemütigt.  Mansur  Halladsch  sagte:  >Ich 
bin  die  Wahrheit«  und  ging  frei  aus.  Der  Fluch  Gottes  folgte 
dem  'Ich'  Pharao's,  die  Gnade  Gottes,  o  meine  Geliebte,  folgte  dem 
Ich'  Mansurs;  darum  weil  Pharao  ein  Stein  war,  Mansur  aber  ein 
Rubin;  Pharao  ein  Feind  des  Lichtes,  Mansur  ein  Freund.  0  lieb- 
liche Schwätzerin,  Mansurs  Ich  bin  Er'  war  ein  tiefer  mystischer 
Ansspruch,  der  Einssein  mit  dem  Licht  ausdrückt,  nicht  bloße  In- 
karnation.« 

Dieses  poetische  Bild  von  der  Sonne  wird  von  sofiisti- 
sehen  Dichtem  oft  auf  die  Gottheit  angewandt  So  sagt 
Dschelläl  eddin: 

>Nur  die  Sonne  allein  kann  die  Sonne  entfalten,  wenn  du  sie 
entfaltet  sehen  willst,  wende  dich  nicht  von  ihr  hinweg.  Schatten 
können  ja  wohl  die  Gregenwart  der  Sonne  andeuten ,  aber  nur  die 
Sonne  entfaltet  das  Licht  des  Lebens.  Die  Schatten  locken  den 
Schlnrnmer  heran,  wie  Abendgespräche,  doch  wenn  die  Sonne  auf- 
geht, 'bricht  der  Mond  entzwei'.  In  der  Welt  gibt  es  nichts  Wun- 
derbareres als  die  Sonne,  aber  die  Sonne  der  Seele  geht  nicht 
nnter  und  hat  kein  Grestem.  Obgleich  die  materielle  Sonne  einzig 
in  ihrer  Art  und  nur  Eine  ist,  können  wir  uns  doch  ähnliche  ihr 
gleiche  Sonnen  vorstellen.  Aber  von  der  Sonne  der  Seele  jenseits 
dieses  Firmaments  —  von  ihr  gibt  es  kein  Gleichnis,  weder  im 
konkreten  noch  im  abstrakten  Sinne.  Wo  gibt  es  einen  Platz  für 
seme  Wesenheit  im  Begriffe,  so  dass  Gleichnisse  von  ihm  begriffen 
werden  könnten?« 


I 


352  lilfW  VorleBuog. 

Zuweilen  wiid  die  Seele  der  Spiegel  Oottes  genitnnt.  So 
sagt  DBchelUl  eddin : 

•Wenn  eia  i^piegel  kein  Bild  zeigt,  was  nützet  er?  Weißt 
(iD,   nariim  dein  Spiegel  kein    Bild  zeigt?     Welt  der  Rust  nicbt 

von  fleioer  Oberfläche  abgerieben  worden  Ut  Wenn  der  Spiegel 
von  allem  Roat  und  8cbmutz  gereinigt  wäre,  so  würde  er  dasSobei- 
nen  der  Sonne  Gottes  neigen-! 

Oft  warnt  der  sufiistische  Dichter  vor  SelbattäDSchnog: 

>Wer  immer  auf  religiöse  Verzückungen  bescbrankt  igt,  ist 
nur  ein  Menacb;  maucbmal  ist  seine  Verzückung  Übertrieben,  ein 
anderes  Mal  mangelhaft  Der  Sufi  ist  gleichsam  der  'Sohn  der 
Jahreszeit',  aber  der  Beine  [Säßi  ist  über  Jnbreszeii  und  Zattand 
erhaben.  Religüse  Verzückungen  hüngcn  vuq  Gefülilcn  und  von 
Willen  ab,  aber  der  Reine  wird  durch  den  Atem  Jesu  neugeboreii- 
Du  liebst  deine  eigenen  Verzückungen',  nicht  mich;  nur  in  der 
HofTnuDg,  Verzückungen  zu  haben,  wendest  du  dich  zu  mir.  Wer 
immer  bald  mangelhaft,  buldiollkonimea  ist,  wird  nicbt  von  Abra- 
ham verehrt;  er  ist  >lMner,  der  untergeht'.  Weil  die  Stern«  unttl- 
gchen  und  bald  eben,  bald  unten  sind,  liebte  er  sie  nicht;  'ich 
liebe  die  nicbt,  die  untergeben-.  Wer  immer  bald  erfreuend, 
bald  nichtorfreneud  ist,  ist  zu  Einer  Zelt  Waaser,  zur  andenn 
Feuer.  Er  kann  das  Uaua  des  Mondes  sein,  aber  nicht  det 
wahre  Mond;  oder  n-ie  das  Bild  einer  Geliebten,  aber  nicht  dia 
lel)endigo  Geliebte.  Der  bloße  Sufi  ist  das  'Kind  der  J^hrera^'; 
er  hängt  den  Jahreszeiten  sn,  nie  einem  Vater,  aber  der  Reiiw 
geht  in  der  überwältigenden  Liebe  unter.  Wer  ein  Rind  ron  irgtail 
Jemand  ist,  ist  nie  frei  von  Jahreszeit  und  Zustand.  Der  Reise  gekl 
iu  dem  Licht,  'das  nicht  erzeugt  ist',  unter;  "was  selbst  nicht  erxBOft 
und  was  nicbt  erzengt  tat'.  Ist  Goit.  Geh  hin!  Suche  eine  Uebft 
wie  diese,  wenn  du  am  Leben  bist;  thuBt  du  es  nicht,  so  wirst  ibi 
von  den  wechselnden  Jahreszeiten  unterjocht.  Blicke  nicht  uif 
ileine  eigenen  Bilder,  seien  de  schUn  oder  bä»slich,  blicke  auf  deb« 
Liebe  nnd  den  Gegenstand  deines  Verlangens.  Blicke  ul^l  »f 
das  Schauspiel  deiner  eigenen  Schwache  oder  Niedertracht,  hlJcke 
auf  den  Gegenstand  deines  Verlangens,  o  Erbabener!< 

Der  nächstfolgende  Auszug  ist  ans  dem  (von  FÜtgtttiM 
ins  Englische  Oberaetzten)  Gedicht  DscbAmi'a  'SidAulD  md 
Abs&b'.  Dschämi  schreibt  alle  irdische  Schönheit  nnd  tDf 
irdische  Liebe    der    göttlichen  Gegenwart   in    ihr   zn.     Ohno 


Su6i9mQ8.  353 

dieses    göttliche   Licht    würde    der    Mensch    keine    wirkliche 
Schönheit  sehen,  keine  wirkliche  Liebe  kennen. 


Salim&B  nnd  Abslb,  tob  DscUmi. 

0  du.  dessen  Geist,  durch  dieses  Weluül.  in  welches  du  dich 
einhOllst.  susgegosseu,  den  menschlichen  Thon  den  irdischen  Leib 
von  ungefähr  so  erstrahlen  lässt,  dass  die  Menschen,  plötzlich  ge- 
blendet, sich  vor  einem  sterblichen  Schreine,  dessen  Licht  bloß  ein 
Abglmnz  des  Göttlichen  ist.  in  Verzückung  verlieren:  erst  wenn 
deine  geheime  Schönheit  LsiU*s  Wange  durchdringt,  wird  sie 
Madschnun  entflammen:  und  erst  wenn  du  Schirins  Angen  entzün- 
det hast,  schwellen  die  Herzen  dieser  zwei  Nebenbuhlerinnen  vom 
Blnte.  Denn  Liebender  und  Greliebte  sind  nur  dnrch  dich,  nnd 
anch  die  Schönbeic  ist  nur  durch  dich:  — sterbliche  Schönheit  ist 
nnr  der  Schleier,  hinter  dem  sich  deine  himmlische  verbirgt  nnd 
von  sich  selbst  zehrt,  und  nach  der  unsere  Herzen  sich  sehnen,  wie 
nach  einer  Braut,  die  verschleiert  an  nns  vorüberblickt  —  doch 
immer  so.  dass  Keiner  den  Schleier  von  dem,  was  er  verhüllt,  unter- 
scheiden kann.  Wie  lange  noch  willst  du  also  fortfahren,  mit  dem 
Phantom  eines  Schleiers,  hinter  dem  du  nnr  hervorlugst,  die 
Welt  zn  berücken?  Ich  möchte  dein  Geliebter  sein,  nnd  nnr 
der  deine  —  ich.  dessen  Augen  dnrch  dein  Licht  für  Alles  anßer 
f&r  dich  verschlossen  sind.  Ja.  der  ich  in  der  Offenbarung  deiner 
sdbst  mir  selbst  verloren  bin.  verloren  für  Alles,  was  nicht  das 
Selbst  ist  innerhalb  der  doppelten  Welt,  die  doch  nur  Eine  ist. 
unter  allen  Formen  des  Denkens  liegst  du  verborgen,  unter  der 
Form  alles  Geschaffenen:  wohin  ich  auch  blicke,  sehe  ich  doch  nichts 
als  dich  durch  dieses  ganze  Weltall,  in  dem  dn  dich  abspiegelst,  nnd 
dnrch  jene  Angen  dessen,  den  du  zum  Metmchen  gemacht,  erforsche 
ich  nichts  als  dich  .  In  deinen  Harim  findet  Teilbarkeit  keinen  Ein- 
\mm»  —  kein  Wort  von  Ditsem  nnd  Jenem;  mache  dn  mein  getrenntes 
nnd  abgeleitetes  Selbst  Eins  mit  deinem  Wesentlichen!  Mache  mir 
PUtz  anf  dem  Divan.  auf  dem  für  Zwei  kein  Platz  ist :  damit  ich, 
o  Gott,  nicht  wie  der  schlichte  Araber  in  der  Erzählung  zwischen 
•mir*  und  'dir  verwirrt  werde.  Wenn  ich  —  woher  dieser  Geist  der 
mich  durchgeistet?  Wenn  du  — woher  diese  Ohnmacht  der  Sinne? 

Wir  sehen  hier  dieselbe  Stimmnng.  nm  die  der  christ- 
liche Dichter  betet,  wenn  er  sagt:  »Mögen  Alle  Alles  thnn, 
wie  in  deinem  Anblick.«  Der  Snfiismns.  von  dessen  Über- 
tiiebenheiten   abgesehen,   kann    fast   als  christlich  bezeichnet 


354 


Elfte  Vorlesung. 


werden;  ich  zweifle  auch  nicht,  dass  er  seine  tiefsten  Anre- 
gungen dem  Christentum  verdankte,  namentlich  jenem  meta- 
physischen Christentum,  welches  auf  die  Platonische  und 
Neuplatonische  Philosophie  gegründet  war.  Wir  sahen,  dass 
die  Sufis  selbst  dies  nicht  leugnen;  im  Gegenteil,  sie  berufen 
sich  anf  Jesus  oder  Isa  als  ihre  höchste  Autorität,  sie  be- 
dienen sich  fortwährend  der  Sprache  des  Neuen  Testaments 
und  beziehen  sich  oft  auf  die  Legenden  des  Alten.  Wenn  das 
Christentum  und  der  Mohammedanismus  sich  jemals  zur  £r- 
iTdUung  der  hohen  Zwecke,  welche  sie  beide  verfolgen,  ver- 
einigen sollten,  so  würde  der  Sufiismus  der  gemeinsame  Bo- 
den sein,  auf  dem  sie  am  besten  zusammentreffen,  einander 
verstehen  und  einander  helfen  könnten. 


Zwölfte  Vorlesung. 
Der  Logos. 


Die  Reli^on  eine  Brfieke  zmUehen  dem  SielitbareB  luid 

dem  ünsielitbareii. 

Man  kann  mit  Fag  und  Recht  behaupten,  dass  die  Stifter 
der  Weitreligionen  Alle  Brflckenbaner  <  pontifices'  gewesen  seien. 
Sobald  das  Dasein  eines  Jenseits,  eines  Himmels  Aber  der  Erde, 
sobald  das  Dasein  von  Mächten  Aber  nns  nnd  anter  nns  aner- 
kannt worden  war.  schien  eine  große  Klnft  befestiget  zn  sein 
zwischen  zwei  Welten,  die  man  mit  verschiedenen  Namen  — 
als  die  irdische  und  die  himmlische,  die  körperliche  and  die 
geistige,  die  phänomenale  and  die  noamenale,  oder  am  alier- 
besten  als  die  sichtbare  und  die  unsichtbare  (oQarög  nod  äro^ 
Qarog  Welt  —  bezeichnete,  and  es  war  der  Hauptzweck  der 
Religion,  diese  zwei  Welten  wieder  zu  vereinigen,  sei  es  durch 
die  Brückenbogen  der  Hoflfhung  und  Furcht,  oder  durch  die 
eisernen  Ketten  logischer  Schlussfolgerungen.  ^; 


1,  Der  Verfasser  eines  Artikels  im  Christian  Register,  16.  Juli 
1S91,  p.  461.  drückt  dieselben  Gedanken  aus,  wenn  er  sagt:  »Was 
allen  Religionen  zu  Grunde  liegt,  ist  der  natürliche  Instinkt  des 
Menschen  von  seiner  Verwandtschaft  mit  dem  Unendlichen;  und 
dieser  Instinkt  wird  nicht  geschwicht,  sondern  im  Cregenteil  von 
einem  Zeitalter  zum  andern  um  so  stärker  und  fester  gemacht 
werden,  eine  je  weitere  Erfahrnng  der  Überblick  über  die  Lauf- 
bahn des  menschlichen  Greschlechtes  dem  Menschen  gewährt,  und 
je  mehr  Um  denelbe  in  den  Stand  setzt,  seine  Geschichte  immer 
deutlicher  su  erklären,  und  sie  als  ein  unter  der  Herrschaft  anab- 

23* 


356 


ZwQirte  Vorleanng. 


I 


Dieses  Problem,  wie  man  die  nnsichtb&re  und  die  sicht- 
bare Welt  vereinigen  kOnae,  stellte  sich  nnter  drei  Hupt- 
gesiohtspitnkten  dar.  Das  erste  war  das  Problem  der 
Schöpfung,  oder  die  Frag*^,  wie  die  unsichthnre  erste  Ur- 
sache je  mit  der  sichtbaren  Materie  in  Berührung  kommen 
und  ihr  Geälalt  und  Sinn  verleihen  konnte.  Das  zweite 
Problem  war  da*  Verhältnis  zwischen  Gotl  nnd  der  iodivi- 
dnellen  Seele.  Daä  dritte  war  die  Höckkehr  der  Seele  von 
der  sichtbaren  zur  nnsichlbaren  Welt,  von  dem  Kerker  ihres 
sterblichen  Leibes  znr  Freiheit  eines  himmlischen  Paradieses. 
Dieses  dritte  Problem  ist  es,  das  uns  in  diesem  Knrsos  vun 
Vorlesungen  hauptsächlich  beschäftig  hat,  doch  Ist  na  schwer, 
dasselbe  ganz  von  dem  ersten  und  zweiten  zu  trennen.  Die 
individuelle  Seele,  insofern  sie  in  einem  materiellen  KSrppf 
wohnt,  bildet  einen  Teil  der  geschaffenen  Welt,  nnd  die 
Frage  betreffs  der  Rttckkehr  der  Seele  za  Ootl  b&ngt  daher 
mit  dem  Problem  ihrer  Schöpfung  durch  Gott  oder  ihrer 
Emanation  ans  Gott  anfs  engste  zusammen. 

Indem  wir  dieses  letzte  Problem  behandelten  nnd  die 
verschiedenen  LOanngen,  die  es  erfahren  hatte,  untersnchten, 
Bähen  wir,  dass  die  meisten  Religionen  und  Philosophien  der 
alten  Welt  sich  mit  der  Vorstellung  begnügten,  dass  die  in- 
dividuelle Seele  sich  immer  mehr  und  mehr  Oolt  nähere  noit, 
einer  objektiven  Gottheit  von  Angesicht  zu  Angesicht  geg«n- 
überatehend,  ihre  irdische  Individualitilt  beibehalte.  Es  bat  nur 
Eine  Religion  oder  Eine  religiöse  Philosophie  gegeben,  die  des 
Vedänta,  welche  anf  Grnnd  der  festen  CberiengaDg,  dui 
die  menschliche  Seele  niemals  von  der  göttücben  Seele  ge- 
tienut  gewesen  sein  konnte,  die  Kilckkehr  der  Seele  zn  Gott 


Snderlicher  Gesetze  stebendes,  zuBBuimenbiingundes  Uiinses  sn 
sehen.  Die  Religion  ist  daher  etwas,  was  Über  jede  Form,  is  der 
sie  jemals  aufgetreten,  erhaben  ist  und  darüber  hlnauagvht,  nid 
das  Cbristontum  ist  ein  deutlich  nnierscbi edener,  ducfa  nstdiUcher 
Schritt  in  einem  Eutwlcklnngsprozess.  niaht  eine  libertiattlTUoba 
Form,  die  von  außen  in  das  menscbliche  Leben  hineinragt,  und 
noch  keine  shsolnte  Rcligiou.< 


Der  Logos.  357 

oder  ihre  Annähe rung  an  Gott  bloß  als  eine  Metapher  ansah, 
während  sie  das  höchste  Glflck  der  Seele  in  dem  Entdecken 
und  Wiederfinden  ihrer  wahren  Natnr.  als  Ton  Ewigkeit  her 
and  iu  alle  Ewigkeit  mit  Gott  Eins  seiend,  erblickte.  Dieser 
Gegensatz  zeigte  sich  recht  deutlich  bei  einer  Yerglelchnng 
des  Snfiismas  mit  dem  Yedäntismns.  Der  Sofi  mit  all  seiner 
heißen  Liebe  zu  Gott  stellt  sich  die  Seele  vor.  wie  sie  zu 
Gott  emporschwebt,  sich  einem  Liebenden  gleich  nach  einer 
immer  größeren  Annäherung  an  ihn  sehnt  und  sich  schließ- 
lich in  begeisterte  Verzückungen  verliert,  wenn  sie  die  be- 
seligende Vision  genießt.  Der  Vedäntist  dagegen,  nachdem 
er  sich  einmal  durch  strenge  Logik  flberzengt  hat  dass  es 
nur  Eine  göttliche  Substanz  geben  könne,  die  er  das  Selbst 
oder  den  Atman  nennt,  und  dass  sein  menschliches  Selbst 
nicht  etwas  von  dem  wahren  und  universalen  Selbst,  von  dem. 
was  Alles  in  Allem  war.  ist  und  sein  wird,  seinem  innersten 
Wesen  nach  Verschiedenes  sein  könne,  begnfigt  sich  mit  der 
Thatsache.  dass  er  vermittelst  strenger  Vemunftschlllsse  sein 
wahres  Selbst  in  dem  höchsten  Selbst  wiedergefunden  und 
so  Ruhe  in  Brahman  erlangt  hat.  Er  kennt  keine  Ver- 
zfickungen.  keine  leidenschaftliche  Liebe  zur  Gottheit  auch 
wartet  er  nicht  auf  den  Tod.  dasS  er  die  Seele  von  ihrem 
körperlichen  Gefängnisse  befreie,  sondern  er  verlässt  sich  auf 
Erkenntnis,  auf  die  höchste  Erkenntnis,  überzeugt,  dass  sie 
stark  genug  sei,  seine  Seele  schon  in  diesem  Leben  von 
aller  Unwissenheit  und  Täuschung  zu  befreien.  Wohl  kom- 
men auch  Manche  der  Sulis  diesem  Punkt  zuweilen  sehr 
nahe,  so  wenn  Dschelläl  eddin  sagt:  >Das  *Ich  bin  Er*  ist 
ein  tiefer  mystischer  Ausspruch,  der  Einssein  mit  dem  Lichte 
ausdrückt,  nicht  bloße  Inkarnation.«  Doch  ist  im  Allgemeinen 
das  Einssein,  welches  das  höchste  Gut  des  Sufi  ist.  die  Ver- 
einigung von  Zweien,  nicht  die  Leugnung  der  Möglichkeit 
wirklicher  Trennung. 

Es  gibt  Religionen,  in  denen  für  eine  Annäherung  der 
Individuellen  Seele  an  Gott  oder  f&r  den  Glauben,  dass  sich 
die  Seele  in  Gott  wiederfinde,  gar  kein  Platz  zu  sein  seheint. 


35S 


Zwölfte  Vorlesimg. 


Der  Buddhisrnns  in  seiner  map rbn glichen  Form  weiß  von 
keiner  objektiven  Gottheit,  von  Nichta,  dem  die  subjektive 
Seele  sich  nahem  odi^r  womit  sie  vereint  sein  könnte.  Wenn 
wir  im  Buddhismoa  überhaupt  von  einer  Gottheit  reden  kön- 
nen, so  wärde  Bie  im  Buddha  ihren  Sitz  haben,  d.  h.  in  der 
erwachten  Seele,  die  sich  ihrer  wahren,  ewigen  Natnr  be- 
wnsiit  and  davch  Selbsterkenntnis  erleuchtet  ist.  Diese  Selbat- 
erkenntnis  war  aber  nicht  mebr  die  Erkenntnis  des  Atman 
wie  im  VedAnta,  oder  wenn  sie  ea  nrsprUnglicb  war,  a«  war 
sie  ea  nicht  mehr  in  jenem  Buddhismus,  der  nna  in  dsn  hei- 
ligen BQchcrn  dieser  Heligion  vorgeführt  wird. 

Im  Judentum  dagegen  ist  der  Begriff  der  Gottheit  en 
stark  ausgeprägt,  bo  objektiv,  so  majestätiach  und  so  aber- 
ans  erhaben,  dasa  eine  Annäherung  an  oder  eine  Vereinl- 
gang  mit  Jehovah  geradezu  als  eine  Beleidigimg  der  GotäwU 
angesehen  worden  wäre.  Es  soheint  im  Alton  TeBtoment 
noch  Spuren  eines  älteren  Glaubens  an  eine  innigere  Ver- 
wandtschaft swischeu  Oolt  und  dem  Menschen  zn  geben, 
aber  sie  weisen  nie  auf  einen  philosophischen  Glauben  an 
die  ursprilD  gliche  Einheit  der  gjtltlichen  nnd  der  mensch* 
liehen  Seele  hin,  auch  h&tten  sie  unmQglich  zu  dem  Begriff 
von  dem  Worte  als  dem  Sohne  Gottes  führen  können. 
Aach  in  den  mythologischen  Roligionen  des  klassisoheD 
Altertums  war  wenig  Kaum  filr  eine  Vereinigung  zwischen 
der  göttlichen  nnd  der  menschliclien  Natur.  Der  Charakter 
der  griechischen  nnd  rOmischen  Götter  ist  so  anageBprochea 
persönlich  und  dramatisch,  daaa  die  Möglichkeit,  dasa  das 
menBchliche  Seele  je  mit  einem  derselben  vereinig  werd«B 
oder  in  ihm  aufgehen  kOnnte,  ganz  auageschlesaen  ist.  Das 
höchste  Vorrecht,  das  besonders  begtlnatigte  Personen  h&tten 
anstreben  können,  bestand  darin,  dass  sie  in  die  Gesellschaft  der 
Olympier  aufgenommen  wurden.  Doch  auch  hier  können  wir 
noch  mancher  Sporen  eines  Alteren  Glaubens  habhaft  werdn. 
denn  bekanntlich  haben  einige  der  alten  Dichter  und  Philo- 
sophen Griechenlands  erklärt,  dass  sie  glaubten,  üatUr  lai 
Menschen     hatten     denselben    Urapmng,    die    GOtter    Mien 


Der  Logos.  359 

unsterbliche    Sterbliche    und    die    Menschen    sterbliche    Un- 
sterbliche. ^) 

Wenn  aber  aach  der  Glaube  an  die  ewige  Einheit  dessen, 
was  wir  menschlich  und  göttlich  nennen,  hier  und  da  zum  Durcb- 
bruch  kommt.']  so  ist  es  doch  nur  die  Vedänta-Religion,  in 
der  dieselbe  ihre  volle  Anerkennung  und  Entwicklung  erfahren 
hat  Hier  ist  sie  ohne  alle  jene  metaphorischen  Verkleidungen, 
die  wir  in  anderen  Religionen  finden,  nur  durch  Vemunftgrfinde 
festgestellt  worden.  Eine  der  geläufigsten  Metaphern  ist  die. 
welche  die  wesentliche  Einheit  der  göttlichen  und  der  mensch- 
lichen Natur  unter  dem  Schleier  der  Vaterschaft  und  Sohn- 
schaft ausdrückt.  Die  menschliche  Sprache  hätte  kaum  eine 
bessere  Metapher  an  die  Hand  geben  können,  um  wesentliche 
Einheit  und  äußerliche  Verschiedenheit  auszudrücken,  und  doch 
wissen  wir.  zu  wie  viel  Legendenhaftem  und  Mythologischem 
diese  Metapher  Anlass  gegeben  hat  Keine  Metapher  kann 
vollkommen  sein,  aber  der  schwache  Punkt  in  unserer  Me- 
tapher ist  der.  dass  jeder  menschliche  Vater  selbst  geschaffen 
ist.  während  wir  einen  Namen  ffir  eine  Macht  brauchen, 
die  erzeugt,  aber  selbst  ungezengt  ist.  Wir  dürfen  nicht 
glauben,  dass  Jeder,  der  von  Gott  als  einem  Vater  oder  von 
Menschen  als  den  Söhnen  Gottes  spricht,  dadurch  den  Glau- 
ben an  die  Einheit  der  gf}ttUchen  und  menschlichen  Natur 
ansdiückt.  Diese  Vaterschaft  Gottes  kann  man  fast  in  jeder 
Religion  finden,  und  sie  bedeutet  nicht  mehr,  als  den  Glau- 
ben an  die  väterliche  Güte  Gottes.  Moses  meint  nicht  mehr, 
als  dies,  wenn  er  sagt:     »Ihr  seid  Kinder  des  Herrn,  eures 


1  Hrracliti  Keliquiae,  ed.  By water.  No.  LVIII :  l-i&i'trtcioi  ^yr- 
tot,  &vrioi  a^yatoif  ^Ctt'te^  ror  iiuiytay  &(tyaroy,  rov  di  ixfirtjy 
iioy  ti&yitätf^, 

2.  Die  berühmte  chinesische  Inschrift  vom  Jahre  133  n.  Chr.. 
die  anlängst  in  dem  Thale  des  Orkhon  entdeckt  worden  ist. 
beginnt  mit  den  folgenden  Worten:  >0  Himmel  so  blau!  Es 
gibt  nichts,  was  nicht  von  dir  beschützt  wird.  Der  Himmel  und 
die  Menschen  sind  zusammen  vereint,  und  da^  Weltall  ist  Eins 
gleichartig.«  Siehe  G.  Schlegel.  2ai  Sttfr  Funtrairt  du  Teghin 
fiingK  1S92. 


360 


Zwölfte  VwrleBang. 


I 


Gutlea«  |5.  Hose.  14.  1);  oder  wenn  er  von  dem  'Fels,  der 
dich  gezeuget  bat'  nnd  von  Gott,  'der  dich  gem&cht  bat' 
spricht  (5.  Mose,  32.  IS);  oder  wenn  er  fragt:')  > Ist  er 
nicht  dein  Vater  und  dein  Herr?  Uta  nicht  er  allein,  der 
dich  gemacht  nnd  bereitet  bat?'  (5.  Mose,  32,  ü).  Diese 
Ideen  sind  nicht  die  hisioriachen  Äntecedentien  jenes  Ulau- 
bens  an  die  Vaterschaft  Gottes  nnd  die  göttliche  Sohnschad 
Christi  aU  des  Wortes  Gottes,  der  das  vierte  Evangelinn 
durchdringt.  Abraham,  der  im  Alten  Testament  einfach  als 
der  Freund  Gottes  bezeichnet  wird,  wird  von  spateren  jüdischen 
Philosophen  wie  Philo  als  'durch  seine  Güte  ein  einziger  Sohn'  -) 
erwähnt,  während  an  Einer  Stelle  des  Neaeu  Testaments  Adam 
ah  der  Sohn  Gottes  ausgesondert  wird.  Doch  gehört  dies  Alles 
einer  ganz  anderen  Sphäre  des  Denkens  an,  als  die.  in  der  die 
Stoiker  und  nach  ihnen  Philo,  der  Verfasser  des  vierten  Evan- 
geliums und  Christus  selbst  sich  bewegten.  Bei  ihnen  war  der 
Sohn  Gottes  etwas  ganz  Anderes,  nämlich  das  Worl  Gottes, 
und  zwar  das  in  Jesu  Fleisch  gewordene  Wort  Gottes. 

Dte  orfeutallschen  Einflösse  Im  Ur  Christen  tarn. 

Sie  kennen  das,  was  die  alten  VedAntaphllosophen  In- 
diens und  die  viel  jüngeren  Sufis  Peraiens  über  die  Gottheit 
nnd  ihr  wahres  Verhältnis  zur  Menschheit  zu  sagen  hatten, 
nicht  angehört  haben ,  ohne  dass  Ihnen  zahlreiche  Ähnlich- 
keiten aufgefallen  wären  zwischen  diesen  orientalischen  Bfr- 
ligioneu  nnd  den  (ilaubensmeinungen.  die  wir  selbst  bc^en, 
oder  zu  denen  aich  manche  der  filtesten  und  hervorragenitsien 


1)  Ich  muss  ein  für  alle  mal  bemerken,  dass  ich.  wenn  ick 
Hosea  und  andere  als  solche  geltende  Verfasser  alttestitmenUieber 
BUcher  citiere,  einfach  der  allRem^inon  Sitte  folge,  ohne  dtmit 
irgend  eine  Meinung  ilbcr  die  Besiiliaie  wisseusehnftlichcr  Kritik 
auszudrücken.  Wir  dürfen  doch  aucli  von  Homer  eprerhfln.  obflc 
nns  dadurch  zu  der  Ansieht  zu  verpHicliien.  itasa  er  ulle  BUcbvr 
der  IMas  und  Odyssee  geschrieben  habe. 

2)  Aj-opfflf  c'-TTjüi-r",-  Kit.«  fiiyoi  ,;<;.,  Pliilo.  l»c  Sobriet. 
II   il,  4UI}. 


Der  Logos.  361 

Kirehenväter  bekannten.  So  antCtllend  sind  manche  dieser 
Ähnlichkeiten,  namentlich  in  Bezng  ani  das  Verhiltnis  der 
ibemnnlichen  Gottheit  znr  phänomenalen  Welt  nnd  znr  in- 
diridnellen  Seele,  dass  es  eine  Zeitlang  geradezu  als  ansge- 
nacht  galt,  dass  die  iltesten  Kirchenväter  Tom  Orient  beein- 
flnsät  worden  seien.  .Selbst  Daehne  :n  seiner  DaraieUung 
der  jndi^h-alejtandr\ui*chen  IttUgiot^philo^ophie  hat  sich 
Ton  dieser  Meinung  nicht  ganz  losgesagt.  Obgleich  non  aber 
ein  genaueres  Studium  der  Vedanta-  lud  der  Sufi-Philosophie 

mm 

eine  noch  gr<[>ßere  Anzahl  von  Ähnlichkeiten  als  zuvor  er- 
geben hat.  so  ist  doch  gegenwirtig  die  Idee  eines  unmittel- 
baren Eindu^ses  in-iischen  oder  persischen  Denkens  auf  die 
liierte  christliche  Keligion  und  Philosophie  von  den  meisten 
Gelehrten  aufgege>jen  worden. 

Entlehnug  religiöser  Gedanken. 

Die  Schwierigkeit,  irgend  eine  Entlehnung  seitens  Einer 
Beligion  von  einer  andern  zuzugeben,  ist  viel  großer,  als 
man  gew*3hnücb  annimmt,  und  wenn  eine  solche  stattgefunden 
ha:,  so  ^!bt  es  meiner  Ansicht  nach  nur  Einen  Weg.  sie  auf 
Mriedigende  Weise  festzustellen,  nimlich  durch  das  thatsich- 
liehe  Vorkommen  von  Fremdwörtern,  oder  allenfalls  von 
Cbersetznngen  fremdUndischer  Ausdrucke,  die  in  der  Sprache, 
in  welche  sie  übertragen  worden  sind,  ein  gewisses  nnidioma- 
tiiches  Aussehen  behalten.  Es  scheint  unmöglich,  dass  irgend 
eine  religiöse  Gemeinde  die  Grundprinzipien  der  Religion  von 
einer  anderen  entlehnt  habe,  wenn  nicht  ein  inniger  und 
fortwährender  VerkeLr  zwischen  ihnen  bestand,  überhaupt 
wenn  nich:  die  Möglichkeit  eines  bequemen  Gedankenans- 
taosches  in  einer  gemeinsamen  Sprache  vorhanden  war.  Und 
in  dem  Falle  hätten  doch  diejenigen,  welche  Gedanken 
entlehnten,  schwerlich  umhin  können,  auch  Wörter  zu  ent- 
lehnen. Wir  sehen  dies  in  aUen  Fällen,  w«:»  weniger  civili- 
sierte  Völker  zu  einer  höheren  Kulturstufe  erhoben  und  zu 
einer  höheren  Religion  bekehrt  werden :  und  dasselbe  geschieht 


I 


I  Zwölfte  Vorlesung. 

wenngleicli  in  einem  geriageren  Orade  —  anch  da,  wo 
gegenseitiger  Austausch  religiöser  Ideen  zwisehen  cirtli- 
ierten  Völkern  stattgefundeii  hat.  Die  Sprache  der  polyne- 
iachen  Konvertiten  iät  voll  von  engL sehen  Ausdrucken. 
Selbst  die  äprache  eines  civilisierten  Landes  wie  China  ent- 
bait,  nacliilem  eä  znm  Bnddliismns  beliöLrt  worden  ist,  eine 
Menge  korrumpierter  Sanskrit  Wörter.  Sogar  die  reli^Ssc 
Sprache  Roms  zeigt,  nachdem  sie  einmiil  griechischem  Ein- 
fluss  ausgesetzt  gewesen  war,  deutliciie  Spuren  dieses  Ein- 
flusses. Wir  finden  keine  solchen  Spuren  in  der  Sprache 
der  ersten  Christen,  Bie  Elomonto  ihrer  religiösen  und  phi- 
losophischen Terminologie  sind  sämtlich  entweder  griecbteeb 
oderjödisch.  Selbst  die  Juden,  die  doch  mit  anderen  Völkern 
so  häufig  verkehrten  und  w&hrenä  der  alexandrinischen  Pe- 
riode in  so  ausgedehntem  Malie  von  ihren  griechischen  Lehrern 
entlehnten,  verraten  in  ihrem  religiösen  und  philosophischeD 
Wortschatze  kaum  irgendwelche  Spuren  einer  Einfuhr  reli- 
giöser Ausdrücke  aus  anderen  orientalischen  Lündem.  Anob 
zu  einer  früheren  Zeit  gibt  es,  wie  wir  gesehen  haben,  im 
Hebrftisclien  nur  ganz  wenige  und  schwache  Sporen  davon, 
dass  die  Juden  von  den  Babyloniern  oder  den  Persern  ent- 
lehnt hätten.  Benachbarte  Völker  können  ja  Vielem  vonein- 
ander entlehnen,  für  die  Vorstellung  aber,  dass  sie  still- 
schweigend und  nnehrlicher  Weise  voneinander  stahlen  edo 
entlehnen,  gibt  es  in  der  Geschichte  der  Welt  kaum  irgend- 
welche Anhaltspunkte.  Am  allerwenigsten  (iült  es  ihnen  täa, 
die  eigentlichen  Ecksteine  ihrer  Religion  und  Philosophie  nn 
einem  fremden  Steinbruche  wegzuschleppen.  Es  w&re  na 
Beispiel  ftlr  die  ersten  christlichen  Vater  ganz  umnOgUcb 
gewesen,  zu  verhehlen  oder  zu  leugnen,  dass  sie  von  den 
Alten  Testament  oder  der  griechischen  Philosophie  abhXnpg 
waren.  Niemand  hat  dies  je  bezweifelt.  Ganz  anders  aber 
verhalt  es  sich  mit  indischen  und  persischen  Eint^Usson.  Die 
Möglichkeit,  dass  einige  hochgebildete  Perser  oder  sogar  In- 
der zur  Zeit  oder  schon  vor  der  Zeit  des  Anftrotens  dM 
Christentums    in  Alexandria    gelebt  haben  können,  IftsM  sicli 


Der  Logos.  363 

nicht  bestreiten;  dass  aber  Philo  oder  Clemens  die  undank- 
baren und  unehrlichen  Schüler  indischer  Pandits,  buddhisti- 
scher Bhikshus  oder  persischer  Mobeds  gewesen  seien,  ist 
mehr,  als  irgend  ein  ernster  Forscher  der  Geschichte  des 
menschlichen  Denkens  bei  dem  gegenwärtigen  Stande  unserer 
Wissenschaft  möglicherweise  zugeben  könnte. 

Auch  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  die  meisten  Re- 
ligionen ein  Gefühl  der  Feindseligkeit  gegen  andere  Religionen 
hegen ,  und  dass  es  nicht  wahrscheiulich  ist,  dass  sie  von 
anderen,  deren  wichtigste  Grundlehren  sie  für  falsch  halten, 
entlehnen  sollen.  Man  hat  oft  geglaubt,  dass  die  ersten 
Christen  Vieles  von  den  Buddhisten  entlehnt  hätten,  und  es 
gibt  ja  ohne  Zweifel  höchst  auffällige  Übereinstimmungen 
zwischen  den  legendenhaften  Lebensgeschichten  Buddha  s  und 
Christi.  Wenn  wir  aber  bedenken,  dass  dem  Buddhismus 
der  Glaube  an  Gott  fehlt,  während  die  wesentlichste  Lehre 
des  Christentums  die  Vaterschaft  Gottes  und  die  Sohnschaft 
des  Menschen  ist,  so  werden  wir  es  schwer  finden,  zu  glau- 
ben, dass  die  Christen  ihren  Stolz  darein  gesetzt  hätten,  auf 
den  Sohn  Gottes  irgend  welche  Details  aus  der  Biographie 
eines  atheistischen  Lehrers  zu  übertragen,  oder  einige  seiner 
Lehren  anzunehmen,  während  sie  die  übrigen  verabscheuten 
und  verwarfen. 

Noch  eine  andere  Schwierigkeit  steht  der  Annahme,  dass 
gewisse  Religionen  voneinander  entlehnt  hätten,  im  Wege. 
Ein  genaueres  historisches  Studium  der  Religionen  und  Phi- 
losophien des  Altertums  hat  uns  in  den  Stand  gesetzt,  das 
natflriiche  und  ununterbrochene  Wachstum  jeder  derselben 
zn  verfolgen.  Wenn  wir  gelernt  haben  zu  verstehen,  wie 
Religionen  und  Philosophien,  die  uns  zuerst  durch  ihre  Ähn- 
lichkeit in  Erstaunen  setzten,  jede  ihre  eigene  unabhängige 
und  ununterbrochene  Entwicklung  gehabt  haben,  so  werden 
wir  nicht  mehr  nach  fremden  Einflüssen  oder  Einmischungen 
suchen,  da  wir  wissen,  dass  in  Wirklichkeit  kein  Platz  fiQr 
dieselben  da  ist.  Nehmen  wir  zum  Beispiel  die  Vedänta* 
Philosophie,    so    können    wir    deren    Entwicklung    von    den 


3ti4  ZwÜIfti-  VorlesuDg. 

Hymnen  zu  den  Biähm&^as,  deo  Upaui^budeii .  den  Sütna 
und  deren  Kommentaren  Schritt  für  Schritt  verfolgen,  und 
Keiner,  der  »ich  einmal  Über  diese  nnunterbrocliene  Entwick- 
lung kliir  geworden  ist,  wQrde  auch  nur  im  Tranme  darui 
denken,  irgendwelche  äuUeru  EluHUsse  auziinehmen. 
Auffassung  des  Todes  als  eines  bloßen  Wechsels  des  Aufenl- 
lialtaortes,  die  Anerkennung  der  wesentlichen  IdentitSt  des 
menschlieheii  und  des  göttliclion  Oeistea  und  das  Zugesiind- 
nis  der  wahren  L'nsterblichkeit.  die  gänzlich  auf  Erkeantnb 
beruhe  und  selbst  ohne  das  Dazviachentreten  des  iihysischeo 
Todes  mügriich  sei  —  dies  sind  lauter  Glaubensartikel,  die, 
so  versehiedeu  sie  auch  von  der  primitiven  Religion  der  in- 
dischen Aryas  ^eiu  mSgeu,  dennoch  das  natflrlicbe  l^rgebüit 
des  indischen  Geistes  sind,  wie  er.  sich  selbst  übei'Iaaaen,  ron 
einem  Menscbenaller  zum  andern  über  die  Probleme 
Lebens  und  der  Ewigkeit  nachsann.  Wonu  wir  alw  Sporen 
derselben  oder  ganz  übnlleher  Glanbeusarllhei  in  der  »pUe- 
Hten  Phase  des  Judentums,  wie  es  bei  Philo,  nud  wieder  in 
den  frQheÄten  Phasen  des  Christentums,  wie  es  bei  8t.  Cle- 
mens und  anderen  zum  Christentum  bekehrten  HeUeniiten 
erachoint,  flndeu,  so  mltssen  wir  uns  vor  Allem  fragen:  KSo- 
nen  wir  uub  die  p h üo 3 op bischen  Anschauungen  Philo'»,  i« 
ein  Jude  war.  und  die  des  Clemens,  der  ein  Christ  war,  als 
das  natitrlirhe  Ergebnis  bekannter  historischer  Anlecedetilieii 
erklären,  und  wenn  so.  ist  irgend  oine  Notwendigkeit,  je 
irgend  eine  Möglichkeit  varlianden ,  äuUere  von  Indien  oder 
von  Pcrsien,  vom  Buddhismus  oder  vom  ManicbSisinns  kom- 
mende Einflüsse  zuzugeben? 

Philo  und  seine  allegorische  Interpretation. 

Beginnen  wir  mit  Philo,  nud  fragen  wir  uns 
nicht  seine  Philosophie  volht&udig  als  das  natürliche  Erg«b- 
nis  der  L'mstände  seines  Lebens  erklitreu  kdnneu.  Es  heilit 
zu  weit  gegangen,  wenn  man  Philo  einen  Kirchenvater  nennt', 
aber    es    ist  vollkommen    richtig,    dasa    das  Christeoium  d« 


Der  Logos.  365 

Clemens,  des  Origenes  und  anderer  Kirchenväter  einen  großen 
Teil  seiner  metaphysischen  Grundlage  und  seiner  philosophi- 
schen Phraseologie  jener  jüdisch-alexandrinischen  Schale  ver- 
dankt, von  der  Philo  nnr  Ein,  wenngleich  der  bekannteste 
Vertreter  ist.  Manche  von  den  ältesten  Kirchenvätern  stan- 
den ohne  Zweifel  mehr  anmittelbar  unter  dem  Einfluss  der 
griechischen  Philosophie,  andere  hingegen  kamen  erst  unter 
ihre  Herrschaft,  nachdem  dieselbe  durch  den  Geist  jüdischer 
Philosophen,  wie  Philo,  und  jüdischer  Konvertiten  in  Ägypten 
nnd  Palästina  hin  durchgesickert  war. 

Philo  war  ein  echtes  Kind  seiner  Zeit,  und  wir  müssen 
versuchen,  seine  Religionsphilosophie  als  das  natürliche  Re- 
sultat der  Verhältnisse  zu  verstehen ,  in  denen  sich  die  alt- 
jüdische  Religion  befand,  als  sie  sich  der  griechischen  Philo- 
sophie gegenüber  sah.  Philo  s  Geist  war  mit  griechischer 
Philosophie  getränkt,  so  dass  es,  wie  uns  Suidas  berichtet, 
ein  fliegendes  Wort  wurde,  dass  entweder  Plato  philonisiere, 
oder  Philo  platonisiere.  Merkwürdig  ist  es,  ^)  dass  beide 
Parteien,  die  Griechen  sowie  die  Juden,  und  später  auch  die 
Christen,  statt  sich  darüber  zu  freuen,  dass  ihre  eigenen  An- 
riehten  von  Anderen  angenommen  worden  seien,  sich  über 
Ansschreiberei  beklagten  und  es  sich  sehr  angelegen  sein 
ließen,  jede  ihren  eigenen  Anspruch  auf  Priorität  geltend  zu 
machen.  Selbst  ein  so  aufgeklärter  und  gelehrter  Mann  wie 
81  Clemens  von  Alexandria  schreibt:  »Sie  haben  die  Haupt- 
lehren, die  sie  über  Glauben,  Erkenntnis  und  Wissenschaft, 
über  Hoffnung,  Liebe  nnd  Reue,  über  Mäßigkeit  und  Gottes- 
furcht haben,  aus  unseren  Büchern  entlehnt«  (Strom.  II,  1). 
Diese  Klagen  von  Seiten  des  Clemens  können  als  wohl- 
begründet gelten.  Anders  verhält  es  sich  aber  mit  Männern 
wie  Minncins  Felix  auf  der  Einen  und  Celsus  auf  der  anderen 
Seite.  Diese  beiden  «ind  eifrige  Parteigänger.  Wenn  Minu- 
cius  Felix  sagt,  dass  die  griechischen  Philosophen  den  Schatten 


li  Siehe  Hatcb,  Hihht-rt  Lectures,  pp.  25(»  seq.  Tertulliani  Apo- 
logeticus,  ed  Bindley,  cap.  xlvii,  note  9. 


Iltj6  Zwülfte  Vorlesungr- 

lialber  Wahrheiten  von  der  göttlicheu  Lehre  der  jüdischen 
l'ropbeteo  DachahcnleD ,  ao  mOchte  man  gerne  wissen,  ob  er 
ilena  wirklich  dachte,  dass  Aristoteles  den  Jesaia  studiert 
liabe.  L'nd  wenn  CeUu«  sagt,  dass  die  cbristiichen  Philoso- 
|ihen  bloß  tin  Gewebe  von  MissTeistAndnissen  der  alten  Lahre 
webten  und  sie  mit  lauter  Trompete  vor  den  Uenschen  ans- 
poäuunten.  wie  Hierophanten  um  diejenigen  herum,  welche  in 
die  Mysterien  eingeweiht  werden,  wollte  er  uns  wirklieli 
glauben  machen,  dai^s  dieÄjjoatel  und  namentlich  der  Verf&aser 
des  vierten  t>ungeliums  die  hauptsächliche»  Schriften  von  Plato 
und  Aristoteles  studiert  hatten?  Eines  wird  jedoch  durch  diese 
Slreitereieu  ganz  klar,  nätnlicb  dasa  i&i  Judentum,  das  Christen- 
tum und  die  gtiechiscbc^  Philosophie  in  ihrem  Kampfe  gegen 
einander  auf  vollkommea  gleichem  Fuße  standen,  und  dsss  sie 
alle  drei  sich  schließlich  auf  das  Urteil  der  Welt  borurfn 
ranssteu,  und  zwar  einer  Welt,  die  fa^t  ganz  in  den  Schalen 
der  Stoiker  und  Neuplaloniker  aafgewachsen  war.  So  biefi 
es  von  Origenes.  er  sei  in  seiner  Lebeuswoise  eis  Chnat, 
aber  in  seinen  Ansichten  aber  Uoti  ein  Grieche  (Easrik. 
ä,  E.,  V],  l'J;.  Justin  Martyr  geht  so  weit,  in  einem  elwia 
beleidigten  and  ärgerlichen  Tone  zu  sagen:  >  If'tV  lehren 
dasselbe  wie  die  Griechen,  und  doch  werden  wir  allein  um 
deSäentwillen.  was  wir  lehren,  ge'basst'  (Apol.  1.  2Uj.  Der- 
selbe Justin  Martyr  spricht  fast  wie  ein  griechischer  Fhilo»0)ib, 
wenn  er  gegen  anthropomorphische  Ausdrucke  proteatierl. 
'Ihr  sollt  nicht  glauben,'  schreibt  er,  >das3  der  ung«zeagte 
üott  von  irgendwo  her  komme  oder  irgend  wohin  gehe  . . . 
Kr.  deu  der  Raum,  den  die  ganze  Welt  nicht  zu  fassen  ver- 
mag, bewegt  sich  nicht,  da  er  ja  geboren  ward,  ehe  die  Walt 
geboren  wnr.<  An  einer  anderen  Stelle  Apol.  11,  H)  sa^  v: 
>Die  Lebreu  des  Plato  sind  denen  Christi  nicht  fremd.  «MB 
auch  nicht  in  allen  Stücken  ähnlich  . .  .  denn  alle  SohriJl- 
sleller  (des  Altertums,  waren  vermittelst  des  ihnen  inwoh- 
nenden  Samens  des  eingepHansten  Wortes  (des  Logos)  im 
Stande,  eine  schwache  Anschauung  der  Wirklichkeiten  in 
haben.- 


Der  Logo6.  367 

Sjnesios,  379— 4SI. 

Sogar  noch  im  Tierten  Jahrlinndert  und  nach  dem  Kon- 
zil Ton  Nicäa  begegnet  uns  ein  merkwürdiger  Fall  von  dieser 
Mischung  christlichen  Glaubens  mit  griechischer  Philosophie 
in  einem  Bischof,  dessen  Name  Vielen  unter  Ihnen  aus 
Kingsley's  herrlichem  Roman  ^Hypatia  bekannt  sein  dürfte. 
Bischof  Synesius  (um  370  n.  Chr.  geboren  war  thatsächlich 
ein  Zuhörer  von  Hypatia's  Vorlesungen  gewesen.  Obgleich  er 
ein  Bischof  war.  zeigt  er  sich  in  seinen  Schriften  als  ein  großer 
Liebhaber  von  Jagdhunden  und  Pferden,  von  Weidwerk  und 
Kampf  Er  beschäftigte  sich  aber  auch  eifrigst  mit  dem  Studium 
der  griechischen  Philosophie,  und  es  ist  sehr  interessant,  den 
Zwiespalt  zwischen  seiner  Religion  und  seiner  Philosophie  zu 
beobachten,  wie  derselbe  in  Briefen  an  seine  Freunde  zu 
Tage  tritt.  Er  wurde  offenbar  sehr  gegen  seinen  Willen 
zam  Bischof  —  Bischof  von  Ptolemais  —  gemacht,  und  er 
sieht  gar  nicht  ein,  warum  er  in  seinem  Bischofsamte  seine 
Pferde  und  Jagdhunde  aufgeben  sollte.  Aber  nicht  allein 
das  —  sondern  er  erklärt  auch,  dass  er  seine  philosophi- 
schen Überzeugungen,  selbst  wo  sie  mit  dem  Christentum  in 
Widerspruch  gerieten,  ebensowenig  aufgeben  könne.  Er 
bekennt,  dass  er  durch  Erziehung  ein  Heide,  von  Beruf  ein 
Philosoph  sei,  und  dass  er,  falls  seine  Pflichten  als  Bischof 
sainer  Philosophie  irgendwie  hinderlich  sein  sollten,  seine 
OiOcese  aufgeben,  den  geistlichen  Stand  abschwören  und  sich 
nach  Griechenland  zurückziehen  würde.  Er  scheint  jedoch 
seine  Skrupel  beruhigt  zu  haben  und  in  seinem  Amt  ver- 
blieben zu  sein,  indem  er  seine  griechische  Philosophie  fUr 
sieh  behielt,  da  sie,  wie  er  sagt,  der  großen  Masse  nichts 
afttzen  würde,  und  indem  er  die  Leute  in  ihren  Vorurteilen, 
die  sie  eingesogen  hatten  —  was  immer  er  damit  meinte 
—  weiter  leben  ließ. 

Wenn  dieses  schwankende  Christentum  selbst  nach  dem 
Konzil  von  Nicfta,  325,  bei  einem  Bischof  möglich  war,  so 
können    wir    uns   leicht   vorstellen,    was    es   im    ersten  und 


r 
I 


368 


ZwJilfle  Vorlegung. 


zweiten  Jahrbundert  gewesen  Bein  dürfte,  als  Leute,  die  bei 
der  griechischen  PbiloBOphie  anfgewachsen  waren,  sieb  mm 
ersten  Mal  dnza  Überreden  ließen,  sich  der  Kirche  der  Chri- 
sten anzuschließen. 

luilem  ich  ea  versnchte,  Ihnen  den  wichtigen  Proiess 
vorzafHhren,  welcher  im  Orient  and  namentlich  in  Aleiandria 
die  religiösen  Ideen  der  aemitisohen  Welt  mit  den  philoaöpbj- 
flchen  Ideen  Griechenlands  in  Wechselbezieh  nng  brachte, 
habe  ich  mir  erlaubt,  manches  vorwegzunehmen,  was  eigent- 
lich zu  meinen  nächsten  Vorteaungen  gehört.  Es  kann  jedoch 
keinen  Zweifel  darüber  geben,  dass  dieser  l'rozeas  der  geisti- 
gen Amalgamation  zwischen  dem  Orient  nnd  dem  Occident, 
den  wir  noch  im  vierten  Jahrhundert  vor  sich  geben  sehen, 
viel  früher  begonnen  hat,  und  zwar  hauptsächlich  in  jener 
Schule  jüdischer  Denker,  deren  Vertreter  für  uns  Philo  Ist. 
Et  muss  ja  für  uns  stets  der  Haupt  Vertreter  einer  gansen 
Phase  jüdischen  Denkens  bleiben,  denn  obgleich  er  sich  selbst 
auf  frühere  .Lehrer  benift,  sind  uns  doch  deren  Werke  itiefal 
erhalten,  ')  Wir  dürfen  der  Persönlichkeit  Philo'«  —  so 
gewaltig  sie  auch  war  —  nicht  zu  viel  znachreiben.  Wir 
sollten  vielmehr  die  Pbiionisohe  Phase  des  Judenluma  als  du 
natürliche  Resultat  der  Zerstreuung  der  Juden  über  die  guae 
oiviliaierte  Welt  —  Über  »Assyrien,  Ägypten,  Pathros,  Ooth, 
Elam,  Schinar  und  die  Inseln  des  Meeres«  —  nnd  ihrer  Be- 
rührung mit  den  besten  Gedanken  dieser  Länder  zu  ver- 
stehen suchen.  Wie  die  Meisten  seiner  Mitverbannten,  hielt 
auch  Philo  fest  an  dem  Glauben  an  das  Alte  Testament. 
Er  ist  zuerst  Jude  und  dann  Philosoph,  doch  muss  der  Jude, 
indem  er  in  der  Sprache  der  griechischen  Philosophie  n 
denken  nnd  zu  sprechen  lernl,  viele  Zages tändniase  mMlMi. 
Philo's  Stellung,  nachdem  er  mit  der  griechischen  PhiloaopUs 
bekannt  geworden ,  erinnert  uns  oft  an  die  des  Kammofanit 
Roy,  der  fest  an  den  Veda  glaubte,  als  er  »ich  plütalich 
den    Lehren    des  Christentums    gegenüber    sah.      Er    niQaste 


1  Bigg,   C1.n 


1  Pliiloniilf,  p.  e. 


Der  Logos.  369 

sich  vieler  Dinge  schämen,  die  sich  in  den  heiligen  Bflchem 
Indiens  fanden,  gerade  so  wie  nach  Celsus   Juden  nnd  Chri- 
sten   sich    thatsächlich    ihrer  Bibel    schämten.  ^)     Er    mnsste 
daher    viele    der     unfruchtbaren    Traditionen     seines     alten 
Glaubens  aufgeben,   andere  hingegen   suchte  er  in  dem  von 
christlichen   Schriften    empfangenen   Lichte   zu  erklären,  bis 
er    sich    zuletzt    einen    neuen  Begriff   der  Gottheit   und   der 
Beziehung  des  Menschen  zur  Gottheit  formulierte,  der  sowohl 
mit  den  Absichten   der  indischen   Weisen   als  auch  mit  den 
Zielen  christlicher  Lehrer  in  Einklang  zu  stehen  schien.  Der 
Prfifstein  der  Wahrheit,   den   er  annahm,  war  ungefähr  der- 
selbe,  wie  der,   den   Philo  von  Plato   übernommen   hatte, ^) 
dass  nämlich  nichts  der  Gottheit  Unwürdiges  als  wahr  ange- 
nommen werden  dürfe,  so  heilig  auch  die  Autorität,  auf  der 
es  beruht,  sein  mag.     War  dies  einmal  zugegeben,  so  folgte 
alles  Andere  von  selbst.     Bei   all  seiner   Ehrfurcht  vor  dem 
Alten  Testament,  ja  —  wie   er  sagen  würde  —  gerade  um 
dieser.  Ehrfurcht  willen,    trug  Philo  kein  Bedenken,    es  'eine 
große  nnd  unheilbare  Thorheit'  zu  nennen,  wenn  man  glaube, 
dass  Gott  wirklich  Fruchtbänme  im  Paradiese  gepflanzt  habe. 
An  einer  .anderen  Stelle  sagt  Philo,  von  Gott  als  bereuend  zu 
sprechen,  sei  eine  größere  Ruchlosigkeit,  als  irgend  eine,  die 
in  der  Sündflut  ersäuft  wurde.')     Die  Auslegung,  welche  er 
fttr   diese   und  ähnliche  Stellen  gibt,  ist  wesentlich  von  der- 
selben Art,   wie  die,   welche  gebildete  Inder  heutzutage  für 
den  abscheulichen  Kult  der  Göttin  Durgä  geben  [Anthropo- 
hgische  lieligion,  p.  156  fg.  .    Doch  so  unwahrscheinlich  uns 
auch    derlei  Auslegungen    vorkommen    mögen,    so  zeigen  sie 
doch  immerhin    eine  Achtung    vor    der  Wahrheit   und   einen 


]}  Bigg,  Cliri$tian  PlatoniftU,  p.  147. 

.      2    Bigg.  Christian  Platonists,  p.  51.    Philo.  De  Sacrijicio   Ab. 
et  Caini,  XX VIII,  p.  ISl.    Wir  finden  dasselbe  bei  Clemens,  Ilom. 
II.  40:     niey  Ux^f^  ^  yoatflr  xc.iit  tov  &fov  Cetdö^  laiir. 
3    Siehe  Philo,   Quod  Dens  immutahiUs,  I.  275. 
Hftz  Mttll«r,  Theusophie.  24 


37ü 


Zwölfte  Vorlegung. 


Gl&ubeo  an  gOttÜche  Heiligkeit,  Weder  Pliilo,  goch  CleineDS, 
noch  Origenea  konnte  ea  Über  sich  bringen,  physische  oder 
moraliacbe  ünmöglicbkeiten  einfach  ais  wunderbar  uod  Dbei^ 
nstnrlioh  hinzanehmeD.  ')  Du  sie  einmal  an  einen  Logos  oder 
eine  die  Wolt  beherrschende  Vernnoft  glaubten,  wnrde  alles 
Unrernllnftige  ipw  fwlu  unmitgliob  oder  mnsste  als  allego- 
risch gedeutet  werden.  Wenn  wir  bedenken,  welch  ein  ge- 
waltiger philosophischer  Denker  Philo  war,  so  soheinan 
manche  von  seinen  allegorischen  Auslegungen  geradeza  nn- 
glanblich,  si>  wenn  er  erklärt,  dass  Adam  in  Wirklichkeit 
das  angeborene  Wahrnehmungsvermögen  des  Geistes  bedeute, 
and  dass  Eva  dasselbe  in  seinem  thatigen  Charakter  bezeichne, 
wie  es  spSter  als  Helfer  und  Bundesgenosse  des  Geistes  Eam 
Vorschein  komme.  Auf  dieselbe  Weise  steht  nach  Philo 
Abel  fUr  'Vergänglichkeit',  Cain  für  'Eigendünkel  und  An- 
maßung', Seth  für  'ÜewSsaerung',  £«os  filr  'Hoffnung',  H^ 
norh  für  'Verbi'sserung",  Noah  ftlr  'Gerechtigkeit',  Abraham 
für  Belehrung',  huok  für  'Freude  am  CberainnÜchen'.  Uii 
all  dem  ist  es  Philo  vollkommen  ernat,  und  er  ist  von  der 
Richtigkeit  seiner  Auslegungen  fest  überzeugt.  Und  warum? 
Weil,  wie  er  immer  und  immer  wieder  sagt,  >kein  Menseh 
solche  Geschichten  glauben  kOnne,  wie  die,  dasa  ein  Waib 
aus  eines  Mannes  Rippe  gemacht  worden  sei.«  >Offenbw,< 
sagt  er,  »steht  'Rippe'  für  'Macht',  wie  wenn  wir  sagen  'Ria 
Mann  hat  Rippen'  statt  'hat  Starke',  oder  'Bin  Mann  iatdiok- 
rippig'.  Adam  muss  also  den  Geist  darstellen,  Eva  die  be- 
reits doroh  die  Sinne  wirkende  Wahrnehmung,  nnd  die  Kippe 
die  noch  im  Geiste  schlummernde  bestSudigc  Kraft.  •  Aneh 
so  müssen  wir  bei  Philo  den  starken  Willen  bewundern,  wenn 
auch  das  Fleisch  schwach  war. 

Diese  allegorischen  Auslegungen  waren  bei  Philo  Dnvet- 
meidlicfa  geworden,  wie  sie  es  zuvor  bei  Haneben  der  uat- 
geklärteren  griechischen  Philosophen  gewesen  waren,  wo  wir 
sie  schon  bei  Demokritos  und  Anaiogoras  und  als  besoadni 


Bigg.  Christian  FlatnnisU.  p    137. 


Der  Logos.  371 

beliebt  bei  den  Stoikern,  den  anmittelbaren  Lebrem  des 
Pbilo.  finden.  Wenn  beilige  Überlieferungen  oder  beilige 
Bficher  von  den  Mensehen  mit  fibermenscblicher  Autorität 
ansgestattet  worden  sind,  so  dass  Alles,  was  sie  enthalten, 
als  die  Wahrhtit  nnd  nichts  als  die  Wahrheit  hingenommen 
werden  mnss,  —  was  bleibt  fibrig,  als  entweder  das  der 
Gottheit  Unwürdige  flDr  wunderbar  zu  erklären  oder  sich  mit 
der  Allegorie  zu  behelfen  ?  Übrigens  sind  Philo's  Allegorien, 
obgleich  sie  nicht  am  Platze  sind,  nicht  ohne  ihre  eigene 
tiefe  Bedeutung.  Ich  will  nur  Eine  anführen,  welche  wirklich 
einen  sehr  guten  Abriss  seiner  Lehren  enthält  Indem  Philo 
von  den  Cherubim  spricht,  welche  'mit  einem  bloßen  hauen- 
den Schwert'  aufgestellt  waren,  'zu  bewahren  den  Weg  zu 
dem  Baum  des  Lebens',  fthrt  er,  nachdem  er  einige  andere 
Deutungsversuche  angeführt  hat,  folgendermaßen  fort :  »Einst  >) 
hörte  ich  ein  noch  feierlicheres  Wort  von  meiner  Seele,  die 
gewohnt  ist,  oft  von  Gott  besessen  zu  sein  und  aber  Dinge, 
die  ich  nicht  wusste,  zu  prophezeien;  Dinge,  die  ich  mir,  wenn 
ich  kann,  ins  Gedächtnis  zurückrufen  und  hier  erwähnen 
wilL  Sie  sagte  mir  also,  dass  in  dem  Einen  wirklich  exi- 
stierenden Gott  die  höchsten  und  hauptsächlichen  Kräfte  zwei 
sind.  Güte  und  Macht,  und  dass  er  durch  Güte  das  Weltall 
erzeugt  hat  und  durch  Macht  über  das  Erzengte  herrscht: 
und  dass  ein  Drittes  in  der  Mitte,  welches  diese  Beiden  zu- 
sammenbringt, der  Logos  ist;  denn  durch  den  Logos  ist  ja 
Gott  sowohl  im  Besitze  der  Herrschaft  als  auch  gut  (xai 
liQXoyTu  'jLai  äya&bv  dvai  .  Von  der  Herrschaft  also  und 
der  Güte  so  sagte  sie)  sind  diese  beiden  Mächte,  die  Cheru- 
bim. Symbole,  und  das  bloße  Schwert  ist  ein  Symbol  des 
Logos.  Denn  der  Logos  ist  etwas,  was  sich  rasch  vorwärts 
bewegt  und  heiß  ist.  namentlich  der  der  ^'ersten  Ursache  n  rov 
uiTiov\  weil  letztere  allen  Dingen  vorausging  und  alle  Dinge 


1,  Siehe  Philo  de  Cherubim  (ed.  Pfeiffer  Vol.  II.  p.  16  . 

Anm.  den   Übers. 

24* 


372 


Zw-ilfte  VorleauDg. 


I 


nberholte  (.T«p»j/i£/t/'örf*'i,  d&  sie  einerseits  vor Ällfiin  heerif- 
fen  wird,  andererseits  Sber  Allem  ersoheint.«  ') 

So  weit  können  wir  Philo  folgen.  Wenn  er  aber  weiter 
geht  nnd  von  seiner  Deutung  des  bloßen  Schwertes  als  eines 
Symbols  der  Vernunft  In  der  Geschichte  von  Abr.iham  und 
Isiukk.  Gebrnnch  mncht,  indem  er  erklärt,  dasa  Abraham,  als 
er  alle  Dinge  nach  Gott  zu  messen  und  nichts  fdr  das  Ge- 
zeugte Übrig  zn  lassen  bt^g-ann,  'das  Feuer  und  Messer'  als 
eine  Nachahmung  des  bloBen  Schwertes  anffasste,  indem  er 
ernstlich  wünschte,  das  Sterbliche  ans  sich  hernns  zu  zer- 
stören und  za  verbiennen,  damit  er  mit  dem  nackten  Ver- 
stände zum  Himmel  emporschweben  möge  —  so  müssen  wir 
den  Alem  au  uns  balten  vor  grenzenlosem  Erstaunen,  daes  in 
demselben  Geiste  so  viel  Tliorheit  mit  so  viel  Weisheit  gepaart 
sein  konnte! 

Was  jedoch  für  ons  von  Wichtigkeit  ist,  das  ist,  das«  vir 
sehen,  wie  Philo,  der  gewöhnlich  als  geradezu  nnverstundlicb 
dargestellt  wird ,  vollkommen  verständlich  wird ,  wenn  vir 
einmal  seine  Antecedentien  und  seine  Umgebungen  kenneo 
gelernt  haben.  Wenn  Philo  —  wie  manobe  Gelehrte  geglaubt 
haben  —  wirklich  dem  unmittelbaren  EinHnsse  orientaltseW 
—  sei  es  persischer  oder  indischer  —  Lehrer  aasgesetst  ge- 
wesen wäre,  30  wUrdeu  wir  im  stände  sein,  Spuren  persischen 
oder  indischen  Denkens  bei  ihm  zu  entdecken.  Tnd  wenn 
Philo  eben  größereu  Überblick  über  die  BeUgionen  der  Welt 
gehnht  h&lte,  so  ist  es  sogar  nicht  unwahracheinlieb,  das» 
ihm  die  Angeu  geöffnet  worden  waren,  und  dass  er  sich 
dieselbe  Lehre  zu  eigen  gemacht  hätte,  die  wir  aus  dem  rer^ 
gleichenden  Studium  der  alten  Keügionea  geschöpft  haben, 
dass  nämlich  in  dun  frühesten  Stadien  religiösen  Denkuil 
mytbologische  Sprache  unvermeidlich  ist.  und  dass  wir,  weu 
wir  dieselbe  verstehen  wollen,  versuchen  mflssen,  vielmehr  la 
Kindern  als  zu  Philosophen  zu  werden.  In  Einem  Falle  er- 
klärt  Philo   kUbn,    dass  die  Geschichte  von  der  Eracbaffung 


1]  Vgl.  Ja. 


mraond,  i'/ii7o  Jitdaewi.  Vol.  L  p-  H- 


,..^v 


Der  Logos.  373 

der  Eva.  wie  sie  im  Alten  TestameDt  gegeben  werde,  einfach 
mythologisch  sei.  * 

Diese  vorläofigen  Bemerknngen  schienen  mir  nothwendig. 
ehe  ich  an  das  Problem  herantrat,  das  uns  hier  zunächst 
angeht,  wie  nämlich  der  Abgrond.  der  in  dem  jüdischen 
Geiste  zwischen  Himmel  nnd  Erde  bestand.  Oberbrtickt  werden 
konnte.  Wir  sahen,  dass  bei  Philo  der  Begriff  der  Gottheit, 
obgleich  dieselbe  oft  den  Namen  JehoTah  beibehielt,  ebenso 
abstrakt  and  fibersinnlich  geworden  war.  wie  der  des  einzi- 
gen wahren  Wesens  —  ro  ovrojg  ov  —  der  griechischen 
Philosophen.  Es  scheint  daher  nicht  eben  wahrscheinlich, 
dass  die  griechischen  Philosophen.  Ton  denen  Philo  seine 
Gedanken  and  seine  Sprache  gelernt  hatte,  ihn  hätten  mit 
dem  Band  Tcrsehen  können,  das  die  sichtbare  Welt  mit  der 
unsichtbaren  yereinigen  sollte.  Und  doch  war  dies  der 
Fall.'  Denn  schließlich  hatten  doch  anch  die  griechischen 
Philosophen  gefanden,  dass  sie  ihr  höchstes  Wesen  oder  ihre 
erste  Ursache  za  einer  solchen  Höhe  erhoben  und  so  weit 
über  die  Grenzen  dieser  sichtbaren  Welt  nnd  über  den  Ho- 
rizont des  menschlichen  Denkens  hinaas  gerückt  hatten,  dass 
man.  wenn  nicht  irgend  ein  Bindeglied  gefanden  werden 
konnte,  die  Welt  hätte  ebenso  gnt  ohne  irgend  eine  Ursache 
Bad  ohne  irgend  ein  höchstes  Wesen  lassen  können. 

L*ogof* 

Dieses  Bindeglied,  dieses  Band  zwischen  der  Welt  nnd 
ihrer  Ursache,  zwischen  der  Seele  und  ihrem  Gott,  war  Air 
Philo  der  Logos. 

Halten  wir  ans  gleich  an  dieses  Wort.  Logos  ist  ein 
griechisches  Wort,  in  dem  ein  griechischer  Gedanke  verkör- 
pert ist.  ein  Gedanke,  dessen  Antecedentien  wir  bei  Aristo- 
teles   and  Plato    Sachen   mtlssen.   ja    dessen  tiefste  Worzeln 


1  To  ort'oy  ini  xoiio  ut^Q^i;  Init    Legis  allegor.  I.  TO  . 

2  Bigg  a.  a.  0.  p.  259  Note:  Dmmmond  a.  a.  0.  IL  p.  170. 


374  Zwülfte  Vorlesung. 

bis  zu  den  alten  PhilusophieD  des  Anaxagoras  oad  Heraklit 
zurückgefahrt  worden  aind.  Dieses  griechische  Wort  —  wu 
fltr  eine  Bedentung  auch  immer  christliche  Denker  in  das- 
selbe hineingelegt  haben  —  «igt  ans  in  unvfrkeDnbarer 
Sprache,  dass  ea  ein  Wort  and  ein  Gedanke  aus  griechischer 
Werkstatt  ist.  Wer  immer  es  gebrauchte  und  in  welchem 
Sinne  immer  er  es  gebrauchte,  stand  unter  dem  Einäaaa 
griechischen  Denkens,  war  ein  geistiger  Abkömmling  des  Plato, 
des  Aristoteles,  oder  der  Stoiker  und  NenplatonJker.  ja  des 
Anaiagoras  und  Heraklit.  Es  zeigt  eine  sonderbare  falsche 
Auffassung  von  dem  Wesen  der  Sprache,  wenn  man  wShat. 
dass  entweder  Juden  oder  Christen  sich  eine  fremde  Temüno- 
logie  hätten  aneignen  können,  ohne  sich  auch  die  in  derselben 
eingebetteten  Ideen  anzueignen.  Wenn  gewisse  wilde  Volks- 
stämme,  wie  man  uns  sagl,  keine  Zahlwörter  Ober  vier  hinsaa 
kennen  und  nachher  die  Zahlwörter  ihrer  Nachbarn  an- 
nehmen ,  können  sie  einen  Namen  für  fttnf  entlehnen,  ohne 
zu  gleicher  Zeit  den  Begriff  ftlnf  zu  entlehnen?  Waram 
bedienen  wir  uns  eines  Fremdwortes,  außer  weil  wir  fflblcn, 
dasB  das  Wort  und  der  genaue  Gedanke,  den  es  ausdruckt, 
DDserer  eigenen  geistigen  Kttstkammer  fehlen? 

Philo  hatte  nicht  nur  die  griechische  Sprache,  in  der  er 
schrieb,  entlehnt,  sondern  auch  das  griechische  Denken,  das 
in  der  geistigen  Mlknze  Griechenlands  geprägt  worden,  deasen 
Metall  aus  griechischem  Erz  gewonnen  worden  war.  Aller- 
dings benutzte  er  das  Entlehnte  fUr  seine  eigenen  Zwecke, 
doch  konnte  er  immer  nur  die  griechischen  Worte  anf  mehr 
oder  minder  gleichwertige  Begriffe  Übertragen.  Wenn  wir 
sehen,  dass  Namen  wie  'Parlament'  oder  'Oberhaus'  und 
'Unterhaus'  nach  Japan  gewandert  sind  und  dort  —  sei  es 
in  Übersetzung  oder  in  ihrer  nrsprünglichen  Form  —  inr 
Bezeichnung  der  dortigen  politischen  Versammlungen  ge- 
braucht werden,  so  wisseu  wir,  dass,  so  voraobieden  aueb 
die  Verhandlungen  des  Japanesiscben  Parlaments  von  deneo 
des  englischen  sein  mögen,  schon  der  bloße  BegrilT  ^ea 
Parlaments  in  Japan  nie  verwirklicht  worden  wäre,  hUle  u 


Der  Logos.  375 

nicht  sein  Vorbild  in  England  gehabt.  Überdies  sehen  wir 
sofort,  dass  dieses  Wort  'Parlament'  nnd  das,  was  es  bezeich- 
net, in  Japan  keine  historischen  Antecedentien  hat ,  während 
es  in  England  ans  einem  kleinen  Saatkorn  zu  einem  herr- 
liehen Banm  emporgewachsen  ist.  Ebenso  verhält  es  sich  mit 
dem  Logos.  Es  mag  ja  einige  vage  und  andeatliche  Antece- 
dentien des  Logos  im  Alten  Testament  gegeben  habenf^)  der 
Logos  aber,  welchen  Philo  annahm,  hatte  seine  historischen 
Antecedentien  in  Griechenland  nnd  in  der  griechischen  Phi- 
losophie allein.  Es  ist  sehr  wichtig,  dies  im  Ange  za  behal- 
ten, nnd  wir  werden  darauf  noch  einmal  znrfickkommen 
mfissen. 

Man  meint  oft,  dass  dieser  Logos  des  Philo  nnd  das 
Wort  das  im  Anfange  war,  etwas  sehr  Dunkles  sei,  eine  Art 
Mysterium,  das  Wenige  —  wenn  Oberhaupt  irgend  Jemand  — 
ergrtinden  könnten,  und  zu  dessen  vollem  Verständnis  jeden- 
falls ein  hohes  Maß  philosophischer  Vorbildung  erforderlich 
sei.  Mir  scheint  es.  dass  dazu  nichts  weiter  erforderlich  ist, 
als  ein  genaues  Studium  der  Geschichte  dieses  Wortes  in 
Griechenland. 

Im  Griechischen  bedeutete  Logos,  ehe  es  für  höhere 
philosophische  Zwecke  verwendet  wurde,  einfach  'Wort',  aber 
nicht  'Wort'  als  bloßen  Schall,  sondern  als  den  im  Schall 
verkörperten  Gedanken.  Die  Griechen  scheinen  nie  vergessen 
zu  haben,  dass  logos.  'Wort',  von  zwei  verschiedenen  Seiten 
aufgefasst  werden  kann,  als  Schall  und  als  die  Bedeutung, 
and  dass  die  Beiden,  obgleich  wir  sie.  ähnlich  wie  die  Außen- 
seite und  Innenseite  von  vielen  Dingen,  zu  unterscheiden  ver- 
mögen, nie  ein  getrenntes  Dasein  haben  können.  Philo  war 
sich  dessen  vollkommen  bewusst,  wie  die  folgende  Stelle  aus 
seinem  'Leben  Mosn  III,  113  (II.  154)  zeigt:-  »Denn 
doppelt  igt  der  Logos  sowohl  im  Weltall  als  auch  in  der 
Menschennatur.     Im    Weltall   haben   wir   einerseits   das.  was 


1    Bigg  a.  a.  U.  p.  IS  Note. 

*i    Drummond  a.  a.  0.  II.  p.  172. 


376 


Zwölfte  VorlesiiDi;. 


eich  auf  die  unkörperlicben  und  als  Muster  dienenden  Ideen 
bezieht,  aus  denen  die  Verstan  des  weit  festgestellt  ward,  and 
andererseits  das,  was  eich  auf  die  sichtbaren  Gegenstände 
bezieht  [welche  demnach  Abbildungen  und  Nachahmungen 
jener  Ideen  sind),  ans  denen  die  äinnenwelt  vollendet  wurde. 
Lm  Menseben  aber  ist  das  Eine  innen  und  das  Andere  außen, 
und  das  t^ine  ist  gleichsam  eine  Quelle,  das  Andere  hingegen, 
das  sich  in  der  Sprache  äußert  [yiyi-iviJi;),  das  aas  letx1«nc 
Fließende.  < 

Nichts  konnte  ein  beaseres  Gleichnis  für  den  das  1 
all  denkenden  und  aassprechenden  Gott  abgeben,  uls  die 
Thatigkeit  dcä  Menschen,  wenn  er  seinen  Gedanken  denkt 
und  ausspricht.  Nur  durch  unser  völliges  Uissversteben  des 
wahren  Wesens  der  Wörter  ist  man  dazu  gekommen  zu  glau- 
ben, dsss  Philos  Gleiobnis  reiu  phantastisch  sei.  Die  Vor- 
stellung, dass  die  Welt  von  Gott  gedacht  und  ausgesprochen 
oder  gewollt  sei,  ist  durchaus  nicht  ein  bloßes  äpinut-ugewebe 
abstruser  Philosophie,  sondern  vielmehr  eine  der  natarljchslen 
und  genauesten,  ja  richtigsten  Auffassungen  der  WeltaohBpfaug 
und  —  ich  will  gleich  hinzufügen  —  des  wahren  Ursprung« 
der  Arten. 

Ich  war,  glaube  ich,  Einer  der  Ersten,  der  es  wagt«, 
die  überlieferungon  uucivilisierter  Völker  als  Parallelen  in 
klassischen  Mythen  und  als  Hilfsmittel  zum  VergUndnia  ihre« 
Ursprungs  zu  gebrauchen,  und  ich  darf  wohl  ein  neues  Expe- 
riment wagen,  nämlich  die  philosophischen  Ideen  eines  sog«- 
nannten  wilden  Volkes  in  der  Erwartung  zu  benlltzea,  da» 
sie  auf  den  Ursprang  dessen,  was  die  Griechen  unter  Logvi 
verstanden,  Licht  werfen  durften. 


Der  Lo^s  bei  den  Slanaths. 

Die  Klamatbe  (TIamall  ,  ein  kQrzlich  von  Gatchet  und 
Horatio  Haie  geschilderter  Indianerstamm,  glauben,  wie  man 
uns  sagt,  an  einen  höchsten  Gott,  den  sie  den  'Ältesten',  'untsnn 


Der  Logos.  377 

alten  Vater  oder  ^den  Alten  oben  nennen.  Sie  glauben, 
dass  er  die  Welt  erschaffen,  d.  h.  Pflanzen,  Tiere  nnd 
Menschen  gemacht  habe.  Aber  aaf  die  Frage,  wie  der  alte 
Vater  die  Welt  erschaffen,  antwortete  der  Klamathische 
Philosoph :  >  Durch  Denken  und  Wollen,  c  In  diesem  Den- 
ken and  Wollen  haben  Sie  in  jenem  fernen  Erdteil  die  Keime 
desselben  Gedankens,  welcher  auf  griechischem  Boden  zu  dem 
Logos  wurde,  der  im  vierten  Evangelium  als  das  Wort  be- 
zeichnet wird. 

Man  konnte  denken,  dass  eine  solche  Idee  viel  zu  ab- 
strakt und  abstrus  sei,  als  dass  sie  in  dem  Geiste  von  In- 
dianern heute  oder  vor  Tausenden  von  Jahren  h&tte  ent- 
stehen können.  Es  ist  ganz  richtig,  dass  in  einer  mehr 
mythologischen  Atmosphäre  derselbe  Gedanke  hätte  dadurch 
ausgedrückt  werden  können,  dass  man  sagte,  der  alte  Vater 
habe  die  Welt  mit  seinen  Händen  gemacht,  oder  durch  sein 
Wort  und  seinen  Befehl  ins  Dasein  gerufen  und  allen  leben- 
digen Wesen  Leben  eingehaucht.  In  dem  Falle  hätte  man 
auch  die  Welt,  nachdem  sie  erschaffen  war,  als  die  Arbeit, 
oder  selbst  als  Abkömmling  und  als  Sohn  Gottes  bezeichnen 
können. 

Es  gehörte  jedoch  nicht  viel  Beobachtung  dazu,  um  zu 
sehen,  dass  Ordnung  und  Regelmäßigkeit  oder  Gedanke  und 
Wille,  wie  die  Klamaths  es  nannten,  in  der  Natur  herrsche. 
Das  regelmäßige  Aufgehen  der  Sonne  und  des  Mondes  wäre 
hinreichend  gewesen,  diese  Thatsache  zq  enthüllen.  Wenn 
die  ganze  Natur  nichts  als  Gerumpel  und  Plunder  wäre,  so 
hätte  ihr  Urheber  und  Beherrscher  wohl  eine  geistige  Null 
oder  ein  Thor  sein  können.  Es  ist  aber  ein  Gedanke  in  dem 
Baume,  und  es  ist  ein  Gedanke  in  dem  Pferde,  und  dieser 
Gedanke  wiederholt  sich  fort  und  fort  in  jedem  Baume  und 
in  jedem  Pferde.  Ist  dies  Alles  gleich  dem  Sand  der  Wüste, 
der  vom  Sirocco  herumgewirbelt  wird,  oder  ist  es  Gedanke 
UDv  Wille  oder  —  wie  die  Stoiker  es  nannten  —  das  Resul- 
tat eines  köyo^  an:6QuaTix6g?  Die  Vernunft,  welche  der 
Natnr   zu  Grunde  liegt  und  sie  durchdringt,  konnte  in  dem 


37S 


Zwölfte  VoriesuQg. 


fräliesteii  Zeitalter  menschlichen  Beobscbtens  nnd  DeDkens 
ebensowenig  verborgen  bleiben,  als  in  unserem  wiasenscb&ft- 
liclien  Zeitalter.  Sie  stand  in  schönstem  Einklang  mit  der 
Vernnnft  jedes  aufmerksamen  Beobacliters,  so  dasg  Kepler, 
nachdem  er  die  Gesetze  des  Planetensystems  entdeckt  halte, 
mit  Hecht  sagen  konnte,  dass  er  die  Gedanken  Gottes  wieder 
gedacht  habe. 

Ich  kann  Ihnen  hier  nnmOgUch  die  gHnze  Geschichte  Am 
Logos  geben  und  Ihnen  alle  die  Phasen  vorftlhren,  durch 
welche  er  in  der  philosophischen  AtmoaphSre  Griechenlands 
gegangen  ist,  bevor  er  zn  dem  jüdischen  Philosophen  Philo, 
oder  zu  christlichen  Philosophen,  wie  dem  Verfasser  der 
Einleitung  zu  dem  vierten  Evangelium ,  zu  St.  Clemens,  n 
Origenes  und  vielen  Änderen  gelangte.  Um  dies  zu  thun, 
mtlsste  ich  äle  von  den  spätesten  Stoikern,  deren  Schulen 
Philo  in  Aleiaudria  besuchte,  zu  der  Sloa  lurilckftlhren,  wo 
Aristoteles  seinen  HeaÜsmns  lehrte,  und  zu  der  Akademie,  wa 
Plato  seine  ideale  Philosophie  auseinandersetzte,  ja  dirtAs 
hinaus  zu  den  Schulen  des  Anaiagor&s  und  Heraklit.  DfM 
Alles  bat  J.  Dnimmond  in  seinem  'Philo  Judaetui'  In  UV- 
gezeichneter  Weise  gethan.  Hier  muss  ein  knrser  OberUiek 
genügen. 


Die  hUtoFlschen  Antecedentlen  des  Lo^o». 


UcfnSP 


Ehe  wir  darangehen,  auch  nur  einen  bloBen  DborbUt 
diese  historischen  Antecedentien  des  Logos  oder  dos  Worte)  u 
geben,  versuchen  wir  zun&chst  durch  eigene  VornunftschlUsse  n 
denselben  Ideen  zu  gelangen.  Logos  bedeutet  Wort  und  ü^ 
danke.  Wort  und  Gedanke  sind,  wie  ich  in  meinem  Werke  ^Dm 
Denken  im  Lichte  der  9pracbe<  bewiesen  zu  haben  hoff<% 
unlrennbar,  sie  sind  nur  zwei  Beilen  eines  und  desselbei 
geisligeu  Aktes.  Wenn  wir  unter  einem  Gedanken  das  Te^ 
stehen,  was  er  bedeutet,  sobald  er  in  einem  Wort  ausgedruckt 
ist,  nicht  eine  bloße  Wahrnehmung,  auch  nicht  —  womit  er 
oft  verwechselt  wird  —  eine  Vorstellung  (oder  was  mu  «M 


Der  Logos.  379 

siDüliche  Idee^  zu  nenDon  pflegte),  sondern  einen  Begriff,  so 
ist  es  klar,  dass  ein  Wort,  als  ein  bloßer  Schall  ohne  einen 
durch  denselben  ansgedrflckten  Begriff  aufgefasst,  ein  Unding 
wftre,  gerade  so  wie  der  Begriff  ohne  das  Wort,  in  welchem 
er  verkörpert  ist,  ein  Unding  sein  wfirde.  Daher  kommt  es, 
dass  das  grieehische  logos  sowohl  ^Wort*  als  ^Gedanke',  das 
eine  von  dem  andern  untrennbar,  bedeutet. 

Sobald  die  Sprache  Namen  wie  Tferd',  'Hund',  'Mann', 
'Weib*  hervorgebracht  hatte,  war  der  Geist  ipso  facto  im 
Besitze  dessen,  was  wir  Begriffe  oder  Ideen  nennen.  Jedes 
dieser  Wörter  verkörpert  eine  Idee,  nicht  nur  ein  allgemeines, 
mehr  oder  minder  verschwommenes  Bild,  das,  den  kombinier- 
ten Photographien  Herrn  Galtons  ähnlich,  in  nnserem  Ge- 
dichtnis  haften  bleibt,  sondern  einen  Begriff,  d.  h.  einen 
echten  Gedanken,  unter  welchem  jedes  individuelle  Pferd 
oder  jeder  individuelle  Hund  aufgefasst,  begriffen,  klassifiziert 
und  benannt  werden  kann.  Was  man  unter  dem  Namen  Tferd' 
versteht,  kann  sich  nie  unseren  Sinnen,  sondern  nur  unserem 
Verstände  darstellen,  und  man  hat  ganz  richtig  bemerkt,  dass  kein 
menschliches  Auge  je  ein  Pferd  gesehen  habe,  sondern  nur  die- 
ses oder  jenes  graue,  schwarze  oder  braune,  junge  oder  alte, 
starke  oder  schwache  Pferd.  Ein  Name  und  ein  Begriff,  wie 
*Pferd\  konnte  unmöglich  bloß  die  Erinnerung  an  wiederholte 
Sinneseindrficke  darstellen.  Solche  Eindrücke  könnten  wohl  in 
unserer  Erinnerung  ein  verschwommenes  photographisches 
Bild  hinterlassen,  aber  niemals  einen  Begriff,  der  von  allem 
Individuellen  y  Zufälligen  und  Vorflbergehenden  frei  ist  und 
nur  das  beibehält,  was  wesentlich  ist,  oder  was  den  Bildnern 
der  Sprache  in  allen  Teilen  der  Welt  wesentlich  schien.  Es 
ist  ganz  richtig,  dass  jeder  Einzelne  seine  Begriffe  oder  Ideen 
vennittelst  sinnlicher  Wahrnehmung  zu  lernen  hat,  dadurch 
dass  er  ausfindig  macht,  was  fflr  allgemeine  Züge  eine  An- 
zahl von  Individuen  gemein  haben.  Es  ist  ebenso  richtig, 
dmss  wir  die  überlieferten  Namen  hinnehmen  müssen,  wie  sie, 
seit  undenklichen  Zeiten  vom  Vater  auf  den  Sohn  vererbt, 
auf  ans  gekommen  sind.   Aber  dies  Alles  zugegeben,  müssen 


380 


ZwijlfiB  Vorleannc. 


vir  uns  doch  ^a^en:  Woher  kam  die  erste  Idee  eines  Pfer- 
des, die  wir  während  nnseres  Lebens  auf  Erden  in  jedem 
einzelnen  Pferde  verwirklicht  und  mit  jedem  neuen  tiesclileolit 
wiederholt  sehen  ?  Was  ist  jener  typische  Charakter  Am 
Pferdes,  der  benannt  und  nachher  wissen  schaftlich  definiert 
Verden  kann?  Oab  es  keinen  KOnstler.  kein  vemflnfEiges 
Wesen,  das  die  Idee  eines  Pferdes  aasdenken  mnsst«,  ehe 
es  ein  einzelnes  Pferd  gab  ?  Konnte  irgend  ein  Knnstler  die 
Statue  eine»  Pferdes  hervorliringen ,  wenn  er  nie  ein  Pferd 
gesehen  hatte?  Wird  ein  materiolleB  Protoplaama,  wird  spon- 
tane Evolution,  der  EinflDss  der  Umgebungen,  daa  überleben 
des  Tauglichsten  und  alles  dergleichen,  r—  wird  irgend  <dO 
rein  mechanischer  Prozess  je  zu  einem  Pferde  fahren,  oh  w 
nun  ein  wirkliches  Pferd  oder  nur  erst  ein  Uippanon  ist? 
Jeder  Name  bedeutet  eine  Art,  und  man  musä  sich  fast  schämen, 
wenu  man  sieht,  wie  viel  tiefer  die  von  Plato  anagodachl» 
Theorie  von  dem  Ursprung  der  Arten  ist.  als  die  tmaem' 
modernen  Naturforsclior. 


Der  L'rsprun^  der  Arten. 

Ich  mu^s  gesteben,  mich  hat  es  immer  ttbcrraBcht,  da: 
diese    allen    elementaren    Lehren    der   Philosophie    Plalo's  t 
ganE    außer  Acht  gelassen  worden   sind,  als  in  neuerer  Z« 
die  Erörternng  (Iber    den   Ursprang   der   Arten   wieder  auf- 
genommen  wurde,      l'nd   doch  hatten   wir   ohne   Plato  nnd 
seine   Vorgänger    in    der    griechischen    Philosophie    nie 
dem   Ursprung   der   Arten  gesprochen.     Denn     Art'  ist  nur 
eine  Übersetzung  von  tidot:,  und  iiäo>J:  ist  fast  ein  Synonym 
von    ltii(t.     Ist    es    nicht   ganz    undenkbar,    daas    lebendig 
organische    Körper,    sei    es    Pflanzen    oder    Tiere ,    ja    da» 
irgend  etwas  in  diesem  Wellall  durch  bloße  Evolution,  duicb 
uatürliche  Zuchtwahl,  durch  das  überleben  des  Tauglicbttts 
u.  dgl.   mehr  je   hätte  zu   dem  werden   können,  was  es  Id. 
wenn  nicht  dessen  Evolution   die. Verwirklichung   einer   Idee 
bedeutete  ?  Wir  wollen  ja  gerne  zugeben,  dass  das  geeenwJUtife 


Der  Logos.  3g  1 

^ Pferd'  die  letzte  BeDennnng  för  eine  Reihe  dnrch  natür- 
liche Ursachen  bewirkter  Modifikationen  ist,  für  einen  Typtis^ 
der  seit  der  mesozoischen  Epoche  immerdar  existiert  hat; 
doch  können  wir  nicht  umhin  zu  fragen:  Woher  stammt 
dieser  Typus?  Und  was  versteht  man  unter  einem  Typus? 
War  es  ein  bloßes  undifferenziertes  Protoplasma,  das  durch 
Umgebung  und  andere  zufällige  Einflüsse  entweder  ein  Pferd 
oder  ein  Hund  werden  konnte  ?  Oder  müssen  wir  nicht  einen 
Zweck,  einen  Gedanken,  einen  }Myog^  einen  aTteQuaTr/.og 
i^yog,  in  dem  ersten  protoplasmatischen  Keim  zugeben,  der 
nur  mit  Einer  letzten  Benennung,  einem  Pferde  oder  einem 
Hunde,  enden  konnte,  oder  was  immer  sonst  von  einer  ver- 
nünftigen Macht  —  oder  von  dem,  was  die  Alten  den  Logos 
Gottes  nannten  —  gedacht  und  gewollt  wurde?  Professor 
Hnxley  selbst  spricht  von  dem  Typus  des  J'ferdes.  Was 
kann  er  damit  meinen,  wenn  nicht  die  Idee  des  Pferdes? 
Es  kommt  nicht  viel  darauf  an,  wie  ein  solcher  Typus  oder 
eine  solche  Idee  verwirklicht  wurde,  ob  als  eine  Zelle  oder 
als  ein  Keim,  solange  wir  nur  anerkennen,  dass  eine  Idee 
oder  ein  Zweck  darin  war,  oder  —  um  uns  der  Sprache 
der  Indianer  zu  bedienen  —  solange  wir  glauben,  dass  Alles, 
was  existiert,  von  dem  ^Alten  Einen  oben  gedacht  und  gewollt 
wurde.  Gibt  es  Vernunft  in  der  Welt  oder  nicht,  und  wenn 
es  Vernunft  gibt,  wessen  Vernunft  ist  es? 

Dass  gewisse  Arten  selbst  während  der  kurzen  Zeit,  von 
der  wir  irgend  eine  bestimmte  Kenntnis  besitzen,  aus  niedri- 
geren Arten  entwickelt  wurden,  ist  ohne  Zweifel  eine  große 
Entdeckung,  doch  berührt  sie  nicht  die  tiefere  Frage  nach 
dem  Ursprung  aller  Arten.  Wo  immer  solche  Übergänge 
erwiesen  worden  sind,  würden  wir  einfach  unsere  Sprache  zu 
indem  haben  und  dürften  das,  was  erwiesenermaßen  keine 
Art  ist,  nicht  mehr  als  eine  Art  bezeichnen.  Wir  müssen 
unsere  Wörter  so  gebrauchen,  wie  wir  sie  definiert  haben, 
und  *Art'  bedeutet  eine  *Idee'  oder  ein  ^idog,  d.  h.  einen 
ewigen  Gedanken  eines  vernünftigen  Wesens.  Ein  solcher 
Gedanke  mnss  wohl   in  jedem   einzelnen  Dinge,   in  dem  er 


3S2 


Zwülfle  Vorlesung. 


I 


I 


sich  offenbart,  verschjedeo  auftreten,  aber  er  kann  sieb  nie 
veränderD.  Sofern  wir  nicht  daa  ewige  Dasein  dieser  Ideen 
in  einem  vernünftigen  Geiste  oder  in  der  ersten  Ursaclie 
aller  Dinge  zugeben.  k<)nnen  wir  nns  nicht  die  Tbatsache 
erklären ,  dasa  wir  sie  in  der  Natur  Terwirklicbt,  durch 
menschliche  Vemnnft  entdeckt  und  dnrch  menschliche  Sprache 
benannt  aehen.  Dies  wird  noch  klarer,  wenn  wir,  statt  an 
natürliche  Erseugniase ,  an  geometrische  Formen  denken. 
Können  wir  uns  vorstellen,  dass  ein  vollkommener  Kreis,  Ja 
eine  einzige  gerade  Linie,  je  durch  wiederholte  Experimente 
gemacht  worden  sei?  Oder  mOssen  wir  nicht  vielmehr  in- 
gebeu ,  dass  der  Begriff  einer  vollkommenen  Kugel  in  einem 
TemÜttfUgen  d.  h.  göttlichen  Geiste  vorhanden  sein  mQsie, 
ehe  eine  vollkommene  Kugel  wirklich  wird,  fulh  sie  je  wirk- 
lich wird?  Die  Alles  in  sich  schließende  Frage  ist  die,  oh 
die  Welt,  vrie  wir  sie  kennen  und  benannt  haben,  auf  Ver- 
nunft oder  anf  Zufall  beruht.  Wir  habeu  nicht  zwischen  den 
Glauben  an  Evolution  auf  der  einen  und  an  speciellu  Schöpf ang 
(was  immer  man  damit  sagen  will]  auf  der  anderen  Seile  IB 
wählen,  sondern  zwischen  dem  Glauben  an  eine  allen  Dingn 
zu  Grunde  liegende  Vernunft  and  der  Lea^ung  einv  Ma- 
chen Vernunft. 

Wenn  wir  ftlr  eine  vemtlnftige  Welt  und  fOr  die  Beetts- 
digkeit  t}'pischer  Umrisse  in  jeder  Species  eine  Erklärung  haben 
wollen,  so  müssen  wir  mit  unserer  Vernunft  vor  Allem  eioea 
schöpferischen  Gedanken  oder  einen  Typus,  wie  Hnxlej-  e« 
nennt,  zugeben.  Sehen  wir  nicht,  wie  jedes  Pford  gleiduain 
nach  einem  unveränderlichen  Typus  gemodelt  isl.  so  sehr  sich 
such  das  sbetiftndische  Pony  von  dem  feurigen  Araber  note^ 
scheiden  mag?  Es  nUtzt  nichts,  wenn  die  Natnrwiasenaelnft 
aolclien  Spekniationen  ihr  Ohr  verschließt  oder  sie  ala  av 
taphysische  Träumereien  bezeichnet.  Die  Natarwiaseosdiaft 
gibt  sich  noch  zügelloseren  Träumereien  hin,  wenn  siü  tob 
Protoplasma,  von  Samen  and  Keimen,  von  Brblichkdl  nud 
dgl.  m.  spricht  Was  ist  Erblichkeit  andere,  als  die  Fort- 
dauer jenes  unsichtbaren  nnd  doch  hitchst  wirklichen  Typos. 


Der  Logos.  3S3 

welchen  PUto  ala  die  Idee  bezeichnete?  Die  menschliche 
Vernnnft  hat  sich  immer  dagegen  anfgelehnt,  das  Daoernde 
einem  bloßen  Zufall  —  sei  es  auch  dem  Einflnss  der  Umge- 
bung^ der  natflrlichen  Zuchtwahl,  dem  überleben  des  Tang- 
lichsten n.  dgL  m.  —  znznschreiben.  Sie  verlangt  mit  gutem 
Recht  eine  wirkliche  Ursache,  die  fUr  wirkliche  Wirkungen, 
eine  vemfinftige  Ursache,  die  ftlr  vemllnftige  Wirkungen  ge- 
nfigt Diese  Ursache  mag  unsichtbar  sein,  doch  ist  sie  in 
ihren  Wirkungen  sichtbar,  auch  sind  unsichtbare  Dinge  nicht 
minder  wirklieh,  als  sichtbare.  Wir  mfissen  unsichtbare,  aber 
wirkliche  Typen  postulieren,  weil  ohne  sie  ihre  sichtbaren 
Wirkungen  unerklftrlieh  bleiben  wfirden.  Es  ist  leicht  zu 
sagen:  Gleiches  bringt  Gleiches  hervor;  woher  kam  aber  der 
erste  Typus?  Woher  der  Baum,  ehe  es  einen  Baum  gab, 
woher  der  Mensch  selbst,  ehe  es  einen  Menschen  gab,  und 
woher  jene  Form,  in  welche  jedes  Individuum  gegossen  scheint, 
und  welche  kein  Individuum  sprengen  kann?  Das  Vorhan- 
densein dieser  Typen  oder  specifischen  Formen,  das  Vorhan- 
densein von  Gesetz  und  Ordnung  in  der  Weit,  scheint  dem 
menschlichen  Geist  schon  zu  einer  viel  frtlheren  Periode  auf- 
gefallen zu  sein,  als  man  gewöhnlich  annimmt.  Die  Klamaths 
sagten,  wie  wir  sahen,  dass  die  Welt  gedacht  und  gewollt 
sei.  Anaxagoras  erkl&rte,  dass  es  Kons  oder  einen  denkenden 
Geist  in  der  Welt  gebe. 

HerakUt. 

Und  schon  vor  Anaxagoras  postulierte  Heraklit,  nach- 
dem er  behauptet  hatte,  das  Feuer  in  seiner  abstraktesten 
Form  sei  das  Urelement  aller  Dinge,  etwas  außer  dem  mate- 
riellen Element  Befindliches,  irgend  eine  lenkende  Macht,  eine 
Kraft  und  ein  Gesetz;  und  auch  er  nannte  dies  Logos,  d.  h. 
Vernunft  oder  Wort.  Vage  Andeutungen  derselben  Idee 
laäsen  sich  in  der  mythologischen  Überlieferang  von  einer 
Moira  oder  Heimarmen6,  d.  h.  Be^timmung.  entdecken,  und 
Heraklit  gebrauchte  thatsächlich  Heimarmene  —  das  Schicksal, 


384 


ZwSldo  Vorloamig. 


I 


das  AnaxHgoras  fQr  einen  leeren  Namen  {xtyfiv  fn-otta  Al«x. 
Apbroil.  de  Falo,  2j  erklfirte  —  als  ein  Synonym  setnei 
Logos.  Dies  wird  von  Stobsens  bestaügl.  nrelcber  sagt 
(Ed.  I,  5,  p.  178),  Heraklit  habe  gelehrt,  dass  das  Weacn 
des  Schicksals  der  Logos  sei,  welcher  die  Snbsi&ni  An 
WellalU  durchdringe.  Hier  ist  der  Logos  das,  was  wir  Ge- 
setz oder  Vernnnfl  nennen  wflrden,  nnd  wa^i  die  allen  Dick- 
ter des  Veda  RitA,  das  Recht,  nannten.  ')  Wenn  v,-ir  jed(«)i 
fragen  —  was  nns  eine  höchst  natürliche  Frage  sobeinl  — , 
wessen  Vernunfl.  dies  war,  oder  wer  der  Gesetzgeber  war. 
der  in  dem  feurigen  Prozess  des  Weltalls  sich  «tela  m 
bethätigte,  dass  bei  allem  Kampf  und  Streit  der  Kl«m(nCo 
doch  Recht  nnd  Vernunft  herrschen,  so  erbalten  wir  van 
Heraklit  keine  Antwort.  Manche  Gelehrte  glanbeo,  das« 
nach  Heraklit  der  Logos  mit  dem  Fener  identisch  sei.  donb 
scheint,  nach  gewissen  Ausdrucken  sn  schließen,  sein  L«- 
goa  vielmehr  eine  Art  und  Weise,  nach  welcher  das  Fenvr 
bandelt  [-/.ura  töv  löyav'.  Anch  scheint  es  mir  nicht  faii 
klar,  dass  Heraklit  die  individnelle  Seele  einen  Teil  dvsL»- 
gos  genannt  haben  würde,  statt  zn  sagen,  dass  auch  di«  in- 
dividnelle Seele,  als  ein  AastluBS  'äya^vui<iOig)  dea  mlmk 
salen  Feuers,  nnter  der  Herrschaft  des  Logos  stehd.  Satt 
schwieriger  Ist  es,  zn  sagen,  welchen  Sinn  Logos  beaoMBB 
habe,  bevor  Heraklit  das  Wort  annahm  nnd  daxu  benfitUe, 
die  Ordnung  des  Weltalls  auäindrtlcken,  Cs  deutet  nlchti  dai^ 
auf  hin.  dnss  er  es,  wie  spätere  Philosophen,  in  dem  Siue 
von  dem  Wort  als  der  Verkörperung  des  (iedankcns  nnd  itt 
Vernunft  anfgefusst  habe.  Wahrscheinlich  bedentcte  es  für  He- 
raklit, wenn  er  es  für  einen  hCberen  Zweck  anwandte,  nickt 
mehr  als  'Rechnen,  Regel,  Proportion,  Verhältnis',  in  wolcbMi 
Sinne  wir  es  in  Wörtern  wie  (Ji'rf/.oyoi'  —  das,  was  ciWi  '/.•'lYav 
oder,  wie  Heraklit  sagte,  v.uclt  Xiiyoi-,  dem  Gesetze  gemiB. 
ist  —  finden.  Es  ist  ganz  klar,  dass  der  Logos  des  Hera- 
klit noch  nicht  jene   bestimmte  Bedeutung   einer   IdeoakeH«. 


1)H.  : 


.  HiTiberl  lietar 


.  p.  245. 


Der  Logos.  3g5 

welche  die  erste  Ursache  mit  der  phänomenalen  Welt  ver- 
bindet, angenommen  hatte,  wie  wir  dieselbe  bei  den  8toikem 
und  bei  Philo  finden.  Es  war  noch  nicht  mehr,  als  jene 
universale  Vemnnft  oder  Vemtlnftigkeit ,  welche  dem  Men- 
schen selbst  auf  der  niedrigsten  Kulturstufe  in  die  Augen 
fiel  und  zu  denken  gab. 

Anaxagoras* 

Wenn  Anaxagoras  Nov^,  den  denkenden  Geist  an  die 
Stelle  von  Logos  setzte,  so  ging  er  einen  Schritt  weiter  und 
war  der  Erste,  der  eine  Art  persönlichen  Charakter  fSr  das 
Gesetz  behauptete,  welches  die  Welt  regiert  und,  wie  man 
annahm,  ihr  Rohmaterial  in  einen  Kosmos  verwandelt  hatte. 
Wir  könnten  uns  allenfalls  ein  Gesetz  ohne  eine  Person  hin- 
ter demselben  denken,  aber  Nous,  ein  denkender  Geist,  setzt 
einen  Denker  fast  als  selbstverständlich  voraus.  Doch  hat 
Anaxagoraa  selbst  seinen  Nous  nie  vollständig  personifiziert, 
ihn  nie  auf  einen  Gott  oder  irgend  ein  höheres  Wesen  auf- 
gepfropft. Noas  war  bei  ihm  etwas  Ähnliches  wie  alles 
Andere,  ein  ;^^i^ficr.  ein  Ding,  wie  er  es  nannte,  allerdings 
das  feinste  und  reinste  aller  körperlichen  Dinge.  In  manchen 
seiner  Äußerungen  wurde  jedoch  Nous  wirklich  mit  der  leben- 
digen Seele  identifiziert ,  ja  er  scheint  jede  individuelle  Seele 
als  an  dem  universalen  Nous  und  an  diesem  universalen  chrema 
teilnehmend  angesehen  zu  haben. 

Sokrates  und  Plato. 

Über  das  Problem,  das  uns  hier  zunächst  interessiert. 
nämlich  das  Verhältnis  des  Logos  oder  Nous  zum  Menschen 
auf  der  einen  und  Gott  auf  der  anderen  Seite ,  gewinnen  wir 
wenig  Aufschluss.  bis  wir  zu  Aristoteles  und  den  Stoikern 
kommen.  Sokrates  —  wenn  wir  unsere  Vorstellung  von  ihm 
aus  Xenophon  nehmen  —  behielt  die  mythologische  Phraseo- 
logie Griechenlands  bei,  er  sprach  von  vielen  Göttern,  doch 

Max  MftlUr.  neo6ophie.  25 


386  Zwölfte  Vorlesung. 

glaubte  er  an  Einen  Gott,^)  der  die  ganze  Welt  beherrscht, 
und  von  dem  der  Mensch  erschaffen  ward,  ^j  Dieser  Gott 
ist  allgegenwärtig,  obschon  unsichtbar,  und  wenn  Sokrates  von 
dem  in  allen  Dingen  enthaltenen  Denken  {fpQÖyrjOLg  Iv  Tiarxi) 
spricht,  so  scheint  er  denselben  Gedanken  anszudrtlcken,  wie 
Heraklit,  wenn  er  von  dem  Logos  spricht,  der  immer  altl  iCov 
ist,  oder  wie  Anaxi^oras,  wenn  er  von  dem  Nous  spricht,  der 
alle  Dinge  geordnet  hat  [du'A6a^iY]oe  irivTa  xQ^i^i^^<x,  Diog. 
Laert.  II,  6). 

Zwar  können  wir  in  all  dem  mehr  oder  minder  be- 
wusste  Versuche  erkennen,  zu  erklären,  wieso  es  komme, 
dass  es  neben  der  Materie  noch  Etwas  in  der  Welt  gebe. 
Versuche,  ein  unsichtbares,  möglicherweise  ein  göttliches 
Agens  oder  ein  göttliches  Wirken  in  dem  Schaffen,  Lenken 
und  Beherrschen  der  Welt  zu  entdecken  und  so  das  Phäno- 
menale mit  dem  Noumenalen,  das  Endliche  mit  dem  Unend- 
lichen, das  Menschliche  mit  dem  Göttlichen  zu  verbinden, 
—  doch  wurde  dieser  letzte  entschiedene  Schritt  weder  von 
Sokrates,  noch  von  Plato  gemacht.  Die  einfache  Frage,  was 
der  Logos  mit  Beziehung  auf  die  Gottheit  sei,  erhielt  von  diesen 
Philosophen  keine  bestimmte  Antwort. 

Bekanntlich  wurde  das,  was  wir  vorhin  die  unveränder- 
lichen Typen  aller  Dinge  nannten,  von  Plato  als  Ideen  y  von 
den  Klamaths  als  die  von  dem  Schöpfer  gewollten  Gedanken 
bezeichnet.  Diese  Ideen,  welche,  zusammengenommen,  das 
bildeten,  was  üeraklit  unter  dem  ewigen  Logos  verstand, 
erscheinen  in  der  Philosophie  Plato's  als  ein  architektonisch 
aufgebautes  System,  als  der  Plan  der  Architektur  des  sicht- 
baren Weltalls.  Plato's  Ideen,  welche  unseren  natürlichen 
species  und  genera  entsprechen ,  werden  immer  allgemeiner 
und  allgemeiner,  bis  sie  sich  zu  den  Ideen  des  Guten^  des 
Gerechten  und  des  Schönen  erheben.     Aber  anstatt  von  den 


1     Sympos.  VIII,  9:  x«i  yuQ  Ztv;  o  aito^-  ^oxatv  tlrai  noWu^ 
2;  Xen.  Me'm.  I,  4,  5. 


Der  LogOB.  387 

vielen  Ideen  spricht  Plato  anch  von  Einem  allgemeinen  und 
ewigen  Mnster  der  Welt^  welches^  wie  die  Idee  Gottes,  nicht 
der  Schöpfer  selbst,  aber  doch  anch  nicht  von  ihm  trennbar 
ist.  Dieses  Master,  obzwar  ewig,  ist  doch  eine  Schöpfung, 
allerdings  eine  ewige  Schöpfung,  eine  der  Sinnenwelt  vor- 
ausgehende Gedankenwelt.  ^]  Dies  kommt  dem  stoischen  Logos, 
wie  Philo  ihn  kannte,  sehr  nahe. 

An  anderen  Stellen  nimmt  Plato  eine  höchste  Idee  an, 
welche  die  Möglichkeit  irgend  einer  höheren  ausschließt,  die 
letzte,  die  erkannt  werden  kann,  die  Idee  des  Guten,  nicht 
bloß  im  moralischen,  sondern  auch  im  physischen  und  meta- 
physischen Sinne,  das  summum  bonum.  Diese  höchste  Idee 
des  Guten  ist  das,  was  man  in  religiöser  Sprache  als  das 
höchste  Wesen  oder  Gott  bezeichnen  wflrde.  Plato  spricht 
sich  aber,  soviel  ich  sehen  kann,  nie  ganz  deutlich  dartlber 
aus,  als  was  er  sich  dieses  Gute  eigentlich  dachte.  Wohl 
spricht  er  von  demselben  als  dem  Herrn  des  Lichtes  (Re- 
publ.  VI,  50S\  und  er  spricht  von  der  Sonne  als  dem  Sohne 
des  Guten,  den  das  Gute  in  seinem  Ebenbilde  erzeugte,  damit 
er  in  der  sichtbaren  Welt  in  Bezug  auf  das  Gesicht  und  die 
Dinge  des  Gesichtes  das  sei,  was  das  Gute  in  der  Yerstandes- 
welt  in  Bezug  auf  den  Geist  und  die  Dinge  des  Geistes 
ist  ...  .  Und  die  Seele,  fährt  er  fort,  >ist  gleich  dem  Auge: 
wenn  die  Seele  auf  dem  ruht,  worauf  Wahrheit  und  Sein 
scheinen,  nimmt  sie  wahr  und  versteht,  und  strahlt  vor  In- 
telligenz ....  Und  das,  was  dem  Erkannten  Wahrheit,  und 
dem  Erkennenden  die  Macht  zu  erkennen  verleiht,  ist  es, 
was  ich  als   die   Idee  des  Guten  bezeichnet  wissen  möchte.  > 

Hier  Iftsst  uns  Plato  im  Stiche,  und  er  spricht  sich  auch 
nicht  deutlicher  darüber  aus,  in  was  ftir  einem  Verhältnis 
diese  Idee  des  Guten  zu  den  anderen  Ideen  stehe,  und  wie 
s'.e  alles  das  erfüllen  könne,  was  die  alte  Idee  Gottes  oder 
der  Götter  erfüllen  sollte.  Ob  es  die  einzige  wirkende  Ur- 
sache der  Welt  war,  oder  ob  jede  der  vielen  Ideen  ihre  be- 

1)  Jowett.  Einleitung  zum  Tiuiaeus.  p.  50^. 


36$ 


Zwülfte  VorlesuDg. 


sondere  «irkende  Kansalität,  imabhsngiig  von  der  Idee  des 
Ooteo,  besaß,  ist  eine  Frage,  die  sich  mit  Plalo's  dgencD 
Worten  schwer  beantworten  läset.  Plalo  spricht  von  Gott 
und  den  Göttern,  aber  er  sagt  niemals  in  klaren  nnd  äevt- 
licbeü  Worten:  »Diese  meine  Idee  des  Guten  ist  das,  «as 
ihr  nnter  Zens  veTSteht.<  Aof  die  Frage,  ob  diese  Idee  du 
Gnten  persönlich  sei  oder  nicht,  wOrden  wir  von  Plato  keise 
Antwort  erbalten.  Es  ist  jedoch  wichtig,  sich  dessen  eu 
erinnern,  dass  Plalo  von  Einem  allgemeinen  und  ewigen 
Masler  der  Welt  spricht,  welches,  ähnlich  wie  die  Idee  des 
Gnten,  nicht  der  Schöpfer  selbst,  aber  anch  noch  nicht  tod 
ihm  trennbar  ist.  Dieses  Muster,  obzwar  ewig,  ist  doch  ei^ 
schaffen,  eine  der  Sinnenwelt  vorausgehende  Gedankenwelt') 
Was  in  Plato's  System  dunkel  nnd  zweifelhaft  bleiht, 
ist  das  Verhältnis  der  sichtbaren  zur  unsichtbaren  Wdi, 
der  PhSnomene  au  ihren  Ideen.  Die  Redeweisen,  deren  er 
sich  bedient,  dass  die  Ph&nomene  an  dem  Ideal  teilnihmeii, 
oder  dass  das  Sichtbare  ein  Abbild  des  Unsichtbaren  sei. 
sind  Gleichnisse  und  weiter  nichts.  Im  Timaeus  spricht  er  sieh 
etwas  deutlicher  ans  und  bringt  seine  Theorie  vor.  daaa  dal 
Weltall  als  ein  lebendiges  Wesen  erschaffen  worden  sei  ni, 
wie  jedes  lebende  Wesen,  eine  Seele  besitze,  die  ihrenetti 
wieder  im  Besitze  eines  Denkorgans  sei.'^)  Dieses  Weltall, 
der  Kosmos  oder  Uranos,  wird  daselbst  als  AbkömmUng  Got- 
tes bezeichnet,  nnd  —  was  besonders  wichtig  in  hemerica 
ist  —  er  wird  Monogengs  '^)  genannt,  d.  h.  der  KiBgri)oraM, 
der  Vmgenitus ,  oder  richtiger  der  Umcus,  der  Einng« 
oder  der  Eine,  der  Einzige  seiner  Art.  Die  ünvoUkom* 
menheiten ,  deren  Dasein  in  der  Weit  nnd  im  HeosoluD 
nicht  geleugnet  werden  kann,  worden  auf  das  Apeiro»  i.  h. 
die  formlose  Materie,   welche   durch   die  Ideen   Form  erhtU, 


1|  Siehe  Jowett  a.  ii.  0. 

2)  Timaeus,  HU  B:  louli  , 

3)  £h  öJt   uoyoyu-i;,-  nvoi 

Tim.  31  B. 


i  yeyovai!  imt   tt   ■«!   /i'    tntit, 


Der  Logos.  389 

oder  beim  Menschen  aaf  die  Thatsache  zurüekgef&hrt.  dasa 
deren  Schöpfung  den  kleineren  Gottheiten  anvertraut  wnrde 
und  nicht  direkt  Ton  dem  Schöpfer  ausging.  Doch  die  Seele 
wird  fiberall  als  göttlich  dargestellt  und  muss  in  Plato's 
Augen  ein  Bindeglied  zwischen  dem  Göttlichen  und  dem 
Menschlichen,  zwischen  dem  Unsichtbaren  und  dem  Sicht- 
baren gewesen  sein. 

Iristotele«. 

Aristoteles  spricht  sich  iriel  deutlicher  aus.  wenn  er 
definiert,  was  in  seiner  Philosophie  an  die  Stelle  des  Zeus 
treten  soll:  es  ist  nämlich  sonderbar,  wie  alle  diese  Philoso- 
phen bei  all  ihren  erhabenen  Ideen  fiber  das  Göttliche  immer 
Ton  ihrem  alten  Zeus  ausgehen  und  von  ihren  neuen  Ideen 
immer  als  an  die  Stelle  des  Zeus  oder  der  Gottheit  tretend 
sprechen.  Es  war  der  Zeus  seiner  Kindheit  oder  sein  ^^o«:, 
Ton  dem  Aristoteles  erklärte,  dass  er  in  Wirklichkeit  to 
:¥gibToy  y.ifovt\  das  erste  Bewegende,  möglicherweise  to 
n^QUTor  iido^,  die  erste  Form  oder  Idee  —  zum  Unter- 
schiede von  der  ersten  Materie,  r  .T^cjri;  P/.r  —  sei.  Er 
lagt  uns.  was  er  Alles  filr  die  notwendigen  Eigensehaften 
dieses  ersten  Bewegenden  hält  Es  muss  einzig,  unbeweglich, 
BBveränderlich .  lebendig,  intelligent,  ja  es  muss  handelnd, 
d.  b.  denkende  Intelligenz,  sich  selbst  denkende  Intelligenz 
r  rorou  roraiu^  röraig,  Metaphys.  XI,  9,  4)  sein.  Die 
Frage  nach  der  Persönlichkeit  schien  die  griechischen  Denker 
Bieht  in  dem  Maße,  wie  uns.  zu  bekfimmem.  Die  fibersinn- 
liche Gottheit  des  Aristoteles  stellt  die  Einheit  des  Denkers 
und  der  Gedanken,  des  Erkenners  und  des  Erkannten  dar. 
Dir  Verhältnis  zur  Materie  vi.r  ist  das  der  Form  Uido^  . 
welche  sich  die  Materie  unterwirft,  aber  auch  das  des  Be- 
wegers, der  die  Materie  bewegt.  Bei  all  dem  hat  Aristoteles 
am  Ende  nicht  mehr  ausgearbeitet  als  eine  übersinnliche 
Gottheit,  ein  einsames  sich  selbst  denkendes  Wesen,  etwas 
Ähnliches  wie  das.  was  die  späteren  Valentinianer  hätten  als 


390  Zwölfte  Vorlesung. 

'das  uDiversale  Schweigen'  bezeichnen  können,  oder  was 
Basilides  mit  dem  nichtexistierenden  Gott,  der  aus  nicht- 
existierenden  Materialien  die  nicbtexistierende  Welt  gemacht, i) 
meinte.  Dies  konnte  dem  religiösen  Gefühl,  welches  einen 
lebendigen  Gott  nnd  irgend  eine  Erklärung  der  Abhängigkeit 
der  Welt  von  einem  göttlichen  Herrscher  nnd  des  Verhält- 
nisses der  Seele  zu  einem  höchsten  Wesen  verlangt,  keinerlei 
Befriedigung  gewähren. 

Die  Stoiker. 

So  weit  haben  wir  denn  einige  von  den  Materialien 
untersncht,  welche  auf  dem  Strom  der  griechischen  Philo- 
sophie fortgetragen  wurden,  bis  sie  in  die  Hände  Philo ^s  nnd 
anderer  semitischer  Denker  gelangten,  welche  dieselben  mit 
ihrem  alten  Glauben  an  ihren  eigenen  persönlichen  nnd  doch 
übersinnlichen  Gott  in  Einklang  zu  bringen  suchten.  Ehe 
wir  jedoch  weiter  gehen,  den  Prozess  zu  verfolgen,  durch 
welchen  diese  beiden  Ströme,  der  des  arischen  nnd  der  des 
semitischen  Denkens,  vereinigt  wurden,  und  zwar  zuerst  in 
dem  Geiste  jüdischer  Philosophen  nnd  nachher  auch  in  dem 
Geiste  von  christlichen  Gläubigen,  müssen  wir  noch  die  spätere 
Entwicklung  der  Gedanken  des  Piato  und  des  Aristoteles 
in  den  Schulen  ihrer  Nachfolger,  der  Stoiker  und  der  Neu- 
platoniker,  verfolgen.  Wir  brauchen  nicht  bei  irgendwelche! 
anderen,  sei  es  logischen,  oder  ethischen,  oder  metaphysi- 
schen Theorien  derselben  zu  verweilen,  außer  denjenigen, 
welche  sich  auf  das  Verhältnis  des  Endlichen  zum  Unend- 
lichen, des  Menschlichen  zum  Göttlichen,  der  (paiyouera  tn 
den  SvTctj  beziehen. 

Die  Stoiker  brauchten  einen  Gott  im  alten  Sinne  des 
Wortes.  Sie  begnügten  sich  nicht  mit  der  höchsten  Idee 
Plato's,    noch    mit    dem    ersten  Bewegenden   des  Aristoteles. 


1,    Oviiüi  orx  (ur  &io>;  Inoir^OB  xoauoy  ovx  orr«  i^  ovx  orrttfi'. 
(Bigg  a.  a.  0.  p.  2S,  31.) 


Der  Lo^os.  391 

Gleich  ihren  Vorgäogem  hatten  auch  sie  Gesetz.  Ordnung,  oder 
Notwendigkeit  nnd  KansalitAt  in  der  sichtbaren  Welt  gefun- 
den, und  sie  postulierten  eine  Ursache,  die  genfigte,  das  Vorhan- 
densein dieses  Gesetzes  und  dieser  Ordnung  in  dem  phänome- 
nalen Kosmos  zu  erklären.  Diese  Ursache  war  aber  bei  den 
Stoikern  nicht  transcendent,  sondern  immanent.  Sie  entdeckten 
Vernunft  oder  Logos  als  in  jedem  Teile  des  Weltalls  gegenwär- 
tig, als  das  Weltall  zusammenhaltend ;  ja  der  Logos  selbst  wurde 
ffir  körperlich  angesehen,  und  soweit  er  die  Gottheit  darstellte, 
war  für  die  Stoiker  auch  die  Gottheit  etwas  Körperliches, 
wenn  auch  nur  Ätherisches  oder  Feuerartiges.  ^  Doch  stell- 
ten sie  einen  Unterschied  auf  zwischen  Ilyle^  der  Materie, 
und  dem  alle  Materie  durchdringenden  Logos,  der  höchsten 
Vernunft  oder  Gott.  Dieser  Logos  war  nach  ihnen  nicht 
allein  schöpferisch  {rroiovy,  sondern  er  beaufsichtigte  auch 
noch  weiter  alle  Dinge  in  der  Welt.  Manche  Stoiker  unter- 
schieden wohl  zwischen  dem  Logos  und  Zeus,  dem  höchsten 
Gott,  aber  die  orthodoxe  Lehre  der  stoischen  Schule  ist  die, 
dass  Gott  und  die  göttliche  Vernunft  in  der  Welt  dasselbe 
seien,  wenngleich  sie  mit  verschiedenen  Namen  benannt  wer- 
den könnten.  Die  Stoiker  waren  also  echte  Pantheisten. 
Fdr  sie,  wie  fifir  Heraklit,  war  Alles  voll  von  Göttern, 
nnd  sie  ließen  es  sich  angelegen  sein  zu  erklären,  dass  diese 
göttliche  Gegenwart  sogar  f&r  die  niedrigsten  und  gemeinsten 
Dinge,  für  Gossen  und  Gewflrm,  gelte. 

Die  Stoiker  sprachen  jedoch  nicht  nur  von  Einem  den 
ganzen  Kosmos  durchdringenden  universalen  Logos,  sondern 
die  gaben  auch  —  scheinbar  mit  einem  Anklang  an  Plato*s 
Ideen  —  eine  Anzahl  von  logoi  zu.  obgleich  sie  in  Über- 
einstimmung mit  der  Lehre  des  Aristoteles  glaubten,  dass  diese 
logoi  innerhalb  aller  individuellen  Dinge  wohnten  und  sie 
bestimmten  [hr/oi  tyv'/.oi,  unitersalia  in  re.  Diese  Logoi 
wurden  osrsouaTi/.oi,  samenartig,  genannt,  und  sie  sollten, 
ähnlich  wie    die    Samen,    die  Fortdauer    des  Typus    in    der 

i;  Uftvuu  i'OEooy  xr.i  nrgoiOey.  Poseidon,  in  Stob.  Ecl.  I,  5S. 


I 


phnnoroeDslen  Welt  erklären,  was  wir  lientzntsge  mit  einer 
minder  Tollkommenen  Metapher  als  ererbte  specifiache  Quali- 
täten bezeichnen. 

Diese  Logoi,  ob  nun  einzeln  oder  als  der  Eine  nnirei^ 
sale  Logos  ziisammengefasst,  mossten  Alles  erklären,  waa  tu 
der  Mannigfaltigkeit  der  pliäuomenaleD  Welt  beständig  war. 
Sie  bildeten  ein  vom  Niedrigsten  bis  zum  Höchsten  aufstei- 
gendes System,  welches  sich  in  dem,  was  wir  die  Evolaüon 
der  Natur  nennen  würden,  abspiegelte.  Eine  besondere  Stel- 
lung wurde  jodcch  dem  Menschen  angewiesen.  Die  mensch- 
liebe  Seele,  glaubte  man,  habe  anmittelbar  einen  Teil  des  uni- 
versalen Logos  erbalten,  und  dieser  mache  die  Intelligeni 
oder  Vernunft  aus,  die  der  Mensch  mit  den  Göttern  gemein 
habe.  Äußer  mit  dieser  Gabe,  nahm  man  an,  aei  die  menseh- 
liehe  Seele  auch  mit  der  Sprache,  den  fünf  Sinnen  und  der 
Kraft  der  Fortpfl«nznng  ausgestattet.  Und  hier  stoßen  wir 
zum  ersten  Male  auf  die  bestimmte  Behauptung,  daaa  die 
Sprache  in  Wirklichkeit  der  äußere  Logos  (Ä.  ufiotpofiaig) 
aei,  ohne  welchen  der  Innere  Logos  (/.  (vÖiA^atwi)  adn 
würde,  als  ob  er  gar  nicht  wäre.  Es  wird  gezeigt,  daas  das 
Wort  die  änBere  Kundgebung  der  Vernunft  ist;  beide  slod 
Logos,  nur  unter  verschiedenen  Aus chauungs weisen.  Die 
Tierseele  fasste  man  als  etwas  Materielles,  Zusammengeseotn 
und  darum  Vergängliches  auf,  dem  der  Logos  verlieben 
wnrde.  Wie  die  Vedftntisleu,  lehrten  auch  die  Stoiker,  da» 
die  Seele  nach  dem  Tode  leben  werde,  doch  nur  bis  som 
Ende  der  Well  (des  Kalpa],  wo  sie  in  der  Weltseelo  unle^ 
gehen  werde.  Wober  diese  Weltseele  stammte,  oder  was  nc 
war,  wenn  sie  sowohl  vom  Logos  als  aucb  von  der  Materie 
(l'/r;)  verschieden  sein  soll,  wird  uns  nie  deutlich  gesagt 
Soviel  ist  jedoch  klar,  daas  die  Stoiker  den  Logos  far  ewig 
ansahen.  In  Einem  Sinne  war  der  Logos  bd  Uott.  in  einen 
anderen  Sinne  konnte  mau  sagen,  er  sei  Gott,  Der  Logo«, 
der  Gedanke  Gottea,  insofern  er  die  Welt  dnrehdriugl,  war 
e«,  der  die  Welt  zu  dem  machte,  was  sie  ist.  nämlicb  n 
einem    TerunnfEgemäflen    und    verst Südlichen    Kosmos;    und 


Der  Logos.  393 

wiederum  der  Logos  war  es,  der  den  Menschen  za  dem 
machte ,  was  er  ist,  za  einer  vernünftigen  und  verständigen 
Seele. 


Phllo's  Erbsehaft« 

Sie  sehen  nun,  welch  eine  reiche  Erbschaft  philosophi- 
schen Denkens  nnd  .philosophischer  Sprache  Männer  wie 
Philo  antraten,  die  im  ersten  Jahrhundert  vor  unserer  Zeit- 
rechnung, während  nie  selbst  durch  und  durch  von  semiti- 
schem Denken  erfüllt  waren,  plötzlich  von  dem  belebenden 
Hauch  des  griechischen  Geistes  angeweht  wurden.  Alexandria 
war  der  Ort,  wo  diese  beiden  alten  Gedankenströme  zusammen- 
flössen, und  in  den  Bibliotheken  und  dem  Museum  von  Alexandria 
erlebte  die  jüdische  Religion  ihre  letzte  philosophische  Wieder- 
geburt Hier  war  es  auch,  wo  die  christliche  Religion  zum 
ersten  Mal  ihre  jugendliche  Kraft  gegenüber  den  Philosophien 
sowohl  des  Morgenlandes  wie  des  Abendlandes  bethätigte. 
Sie  werden  nun  begreifen,  welche  Wichtigkeit  den  Schriften 
Philo's,  als  eine  ganze  Richtung  vertretend,  zukommt;  sie 
allein  gestatten  uns  ja  einen  Einblick  in  den  historischen 
Obergang  der  jüdischen  Religion  von  ihrem  alten  legenden- 
haften Charakter  zu  einem  neuen  philosophischen  nnd  fast 
christlichen  Stadium.  Ob  Philo  persönlich  einen  mächtigen 
Einfluss  auf  die  Ideen  seiner  Zeitgenossen  ausübte,  wissen 
wir  nicht.  Offenbar  aber  war  er  der  Vertreter  einer  mäch- 
tigen religiösen  und  philosophischen  Bewegung,  einer  Bewe- 
gung, die  sich  späterhin  auf  viele  der  ersten  christlichen 
Konvertiten  zu  Alexandria,  ob  sie  nun  Juden  oder  Griechen  von 
Geburt  und  Erziehung  waren,  erstreckt  haben  muss.  Das  ein- 
zige, was  uns  von  Philo*s  Privatleben  näher  interessiert,  i^t 
der  Umstand,  dass  er  ein  Forscher  war,  der  in  dem  Studium 
seiner  eigenen  Religion  und  der  philosophischen  Systeme  der 
großen  Denker  Griechenlands  —  der  alten  sowohl  wie  der 
neueren  —  seine  höchste  Glückseligkeit  fand.  Er  ist  wahr- 
scheinlich   gegen    20  v.  Chr.    geboren   und   starb   gegen  die 


394  Zn-aifte  Vorlesung'. 

Hitte  des  ersten  Jahrhuaderts  n.  Chr.     Er  w&r  ilso  eiail 
genosae  Christi,  obgleich  er  ilin  nie  erwihnt. 

Phllu'B  Plillusophte. 

Uns  interessieren  vor  Allem  di«  hauptsächlichen  Lehrea 
der  Philosophie  Philo's,  Philo  hat  setneo  OUabeo  an  Jeho- 
vah  nio  aufgegeben,  obgleich  sein  Jehovah  nicht  nur  TOll- 
st&ndig  voD  seinem  an thropomorph Ischen  Charakter  befreit, 
sondern  so  hoch  aber  alle  irdischen  Dinge  erhoben  vordeo 
war,  daas  er  sich  von  der  Platoninchen  Gottheit  nur  wenig 
unterschied.  Philo  glaubte  jedoch  nicht  an  eine  SchSpfoDf 
aus  dem  Nichts,  sondern  nahm  wie  die  Stoiker  eine  Hyle 
an,  eine  Materie  oder  Substanit  neben  Gotl.  ja  gleichalte- 
rig  mit  Oott,  doch  nicht  göttlich  in  ihrem  Ursprung.  Ähn- 
lich wie  das  Äpeiron,  diLs  Unendliche,  des  Änaximander, 
ist  diese  Hyle  leer,  passiv,  formlos,  ja  unAhig,  jemals  all« 
das  zn  empfangen,  was  dns  göttliche  Wesen  ihr  verleilieD 
konnte,  obwohl  zuweilen  gesagt  wird,  dass  alle  Dinge  von 
Oott    erfBllt    oder    durchdrungen,')    und    nichts    Ie«r    gel«s- 


Und  doch  kann  nach  Philo  derselbe  (lOtt  in  «einer  eige- 
nen Wesenheit  niemals  mit  der  Materie  in  tbatsäcbliche  B«- 
rUhrung  kommen,  sondern  er  bediente  sich  vermittelnder  und 
unkOrperlicher  Kräfte  {Övpütific)  oder  —  wie  wir  sie  nenn« 
mögen  —  Ideen,  damit  jedea  ffemts  seine  eigentümliche  F»m 
annehme,  'j 


1)  Wie  Plat»  (Gegetie  6S9)  eagie:    »»«•■  itvai  itJ-ipr  .-ikm. 

3}  näma  yiiQ  neni^^tixiy  ö  tteae,  xni  (Fi«  nörttaf  itrX^lvtt, 
Kai  Hty'oi-  oidif  oiJi  [yijfior  änoUloiTiii:  Leg.  allog.  1.  ml  i, 
p.  52,  iii,  p.  88. 

3)  Ifc'f  Ineii^i  yäg  irnvi    lytryt/mr  ö   9£0f,   oin  lifti:näfi*ro< 

Jffiora  Xttl  ftaxaffiai',  /iXiti  laTc  älaifiirioii  Jvydfuair ,  ür  Urfif 
iroua  ai  litiai,  <u«ygr)fl(tin  npiii'  to  ylroi  tuKinor  tir  li^uöna»tmr 
Initlf  f<oQif':y.     De  Sacrificanl.   13.  p.  2&I. 


Der  Logos.  395 

Der  Logos  als  eine  Brücke  zwischen  i^ott  und  der  Welt. 

Nichts  konnte  darum  Philo  willkommener  sein,  als  diese 
stoische  Theorie  des  Logos  oder  der  Logoi,  nm  die  flbersinn- 
liche  Ursache  der  Welt  mit  der  phänomenalen  Welt  in  Be- 
ziehung zu  bringen.  Sie  half  ihm  die  Schöpfung  der  Welt 
und  das  Vorhandensein  einer  lenkenden  Vernunft  in  dem 
phänomenalen  Kosmos  erklären,  und  er  brauchte  nur  auf 
die  Logoi  den  ihm  geläufigeren  Namen  ^Engel'  anzuwenden, 
nm  seinen  alten  jüdischen  Glauben  mit  seinen  neuen  philo- 
sophischen Überzeugungen  in  Einklang  zu  bringen.  Wie 
Milman  sehr  richtig  bemerkt  hat:  »Wo  immer  irgend  eine 
Annäherung  an  die  Wahrheit  von  dem  Vorhandensein  Einer 
ersten  Ursache  gemacht  worden  war,  hatte  entweder  scheue 
religiöse  Ehrfurcht  (wie  bei  den  Juden),  oder  philosophische 
Abstraktion  (wie  bei  den  Griechen;  die  uranfängliche  Gottheit 
gänzlich  über  den  Kreis  der  menschlichen  Sinne  hinaus- 
gerückt und  angenommen,  dass  der  Verkehr  der  Gottheit  mit 
den  Menschen,  die  moralische  Regierung  und  sogar  die  ur- 
sprüngliche Schöpfung  durch  eine  vermittelnde  Kraft  zu 
Stande  gebracht  worden  sei,  entweder  —  in  der  Sprache 
des  Orients  —  vermittelst  einer  Emanation,  oder  —  in  der 
Sprache  Plato's  —  vermittelst  der  Weisheit,  der  Vernunft 
oder  der  Intelligenz  Eines  Höchsten.« 

Philo,  der  die  scheue  Ehrfurcht  des  semitischen  Geistes 
mit  der  philosophischen  Nüchternheit  des  griechischen  ver- 
bindet, glaubt,  dass  Gott  im  höchsten  Sinne  sich  vor  allem 
andern  eine  ideale  unsichtbare  Welt  {;aüouO(^  yorjTog,  &6qavo^) 
bildet,  welche  die  Ideen  aller  Dinge  enthält  und  zuweilen 
die  Welt  der  Ideen,  AÖo^iog  töetov,  oder  selbst  die  Idee  der 
Ideen,  löia  rwr  idewVj  genannt  wird.  Diese  Ideen  sind  die 
Muster,  ra  n:aQadii'/fiaTaj  aller  Dinge,  und  die  MacLt,  durch 
welche  Gott  sie  ausdachte,  wird  häufig  als  die  Weisheit  Got- 
tes {aofpia  oder  iTtiarrjurj)  bezeichnet.  Ja,  Personifikation 
und  Mythologie  schleichen  sich  sogar  in  das  Allerheiligste 
der  Philosophie  ein,  so  dass  von  dieser  abstraktesten  Weisheit 


39G 


Zwölfte  Vorlesung. 


als  der  Gattin  Gottes,  ^)  der  Matter  oder  der  Amme  aller 
Dinge  [/«iJTijp  xai  ri.f^/jyij  tüv  r,}.i<iy]  gesprochen  wird.  Den- 
noch aber  darf  diese  Mutter  nnd  Ammo  ihre  eigenen  Kinder 
nicht  gebaren  oder  sAngen.  ^)  Die  göttliche  Weisheit  darf  mit 
der  groben  Materie  ebensowenig  in  Itertllirang  kommen,  trie 
Gott  selbst.  Diese  BerUhning  kommt  darcti  den  Logos  %a 
stände;  er  ist  das  Band,  welches  himmlische  nnd  irdische 
Dinge  vereinigen^)  und  die  geistige  Schöpfung  von  dem  gött- 
lichen Geist  auf  die  Materie  Qbertragen  soll.  Dieser  Logos 
besitzt  nach  Philo  gewisse  Prädikate,  aber  diese  PrAdikat«. 
die  man  als  die  ewigen  Prädilcate  der  Gottheit  bezeichnen 
darf  — -  denn  auch  der  Logos  war  urspranglieh  nur  ein  I*rl- 
dikat  der  Gottheit  — ,  werden  bald  mit  einer  gewissen  Un- 
abhängigkeit und  Pcraönliuhkeit  aasgestattet;  die  wichtigsten 
derselben  sind  aber  Gate  (^  äya!fiitri<;}  und  Macht  [rj  /jwc- 
aia).  Diese  Gut«  wird  auch  die  sohflpferisohe  Kraft  [^ 
n<iirjiY.i]  dvvauig)  genannt,  wllirend  die  andere  die  könig- 
liche oder  die  herrschende  Macht  {fj  ,iaaiÄty.i;  ävpaiit^] 
heiüt;  und  während  an  manchen  Stellen  von  diesen  KrftfteD 
Gottes  gesprochen  wird,  als  ob  sie  Gott  wsren,  wird  ihnen 
an  anderen  Stellen,  wenn  nicht  gerade  eiue  auflgesprocheoe 
Persöiilichkeit ,  ao  doch  eine  unabhängige  Thutigkeit  mg«- 
schrieben.  ■*)  Obgleich  nun  diese  Kräfte  {durdiing)  an  vielen 
Stellen  als  ayeouym  mit  dem  Logos  gebrancht  werden,  W 
wurden  sie  doch  nrsprönglich  als  die  Macht  des  göttlichen 
Handelns  anfgefasst,  wAbrend  der  Logos  die  Art  nnd  \Veise 
dieses  Handelns  war. 


1.  Drnmmoud  a.  a.  0.,  tt,  p.  300. 

2)  An  einigen  Stellen  jedoch  vergisat  Pliile  den  Uberweltliokea 
Cbarakter  dieser  SopbiH  oder  Episteue,  nod  ia  Dt  tbrirt.  $,  I, 
•W\  fg.  schreibt  et:  r;  ifi  ua^adtiafiii-v  im  tat  tttov  anlQua.  %tU- 
aipöfioi!  äJiai  iMf  uäraf  Kirt  &ya!t<iXar  alaSrXav  nläy  /iitnii'i:at  tärA 
i'nv  xoafio", 

3)  Pliilo,    Vita  Motu  111,  U;  Bigg,  Chrüttan  PMonüU.  p.l». 

4)  Bigg  a.  u.  0.  p,  la  Note. 


Der  Logos.  397 

LofTOS  als  der  Solu  Gottes. 

Wir  mtUsen  stets  die  Thatsache  im  Auge  behalten,  dass 
Philo  sich  in  dem  Gebranehe  seiner  philosophischen  Termi- 
nologie  große  Freiheit  gestattet  und  sich  fortwährend  zu 
mjtholi^ischer  Redeweise  hinreißen  Usst,  die  sich  späterhin 
Terhärtet  und  fast  nnverständlich  wird.  80  wird  Yon  der 
geistigen  Schöpfung  in  dem  göttlichen  Geiste  nicht  nnr  als 
einem  Kosmos  gesprochen,  sondern  anch  als  dem  Abkömm- 
ling, dem  Sohne  Gottes,  dem  Erstgeborenen,  dem  Einge- 
borenen {viog  rov  &eoVj  ^oroyivr^^^  TrQwröyoyog] ]  an 
anderen  Stellen  hingegen  wird  er  der  ältere  Sohn  rvQiaßv- 
riQog  vVog)  genannt,  im  Vergleich  zu  der  sichtbaren  Welt, 
welche  dann  als  der  j fingere  Sohn  Gottes  {yeibrtQog  vibg 
rov  ^£or)  oder  selbst  als  der  andere  Gott  [dhvrtQog  ^edg] 
bezeichnet  wird. 

Alle  diese  Ansdrficke,  die  zuerst  rein  poetisch  sind^ 
werden  nach  einiger  Zeit  Kunstausdrficke,  die  nicht  nur  einmal 
oder  zufiUig  gebraucht,  sondern  als  die  charakteristischen 
Merkmale  einer  philosophischen  Schule  fiberliefert  werden.  Ffir 
nns  sind  sie  von  der  größten  Wichtigkeit  als  Meilenzeiger,  die 
den  Weg  zeigen,  auf  welchem  gewisse  Ideen  von  Atiien  nach 
Alexandria  gewandert  sind,  bis  sie  schließlich  in  die  geistige 
Atmosphäre  Philo's,  und  nicht  nur  PhUo*s,  sondern  auch  seiner 
Zeitgenossen  und  Nachfolger  —  Juden,  Griechen  oder  Chri- 
sten —  gelangten.  Wo  immer  wir  auf  das  Wort  Logos  stoßen, 
wissen  wir,  dass  wir  es  mit  einem  Wort  griechischer  Herkunft 
zu  thun  haben.  Ais  Philo  das  Wort  annahm,  konnte  es  im 
Wesentlichen  ffir  ihn  nicht  mehr  und  nicht  weniger  bedeutet 
haben,  als  was  es  frfiher  in  den  Schulen  der  griechischen 
Philosophie  bedeutet  hatte.  Und  wenn  die  ideale  Schöpfung 
oder  der  Logos  von  Philo  der  Eingeborene  oder  der  einzige 
Sohn  viog  uoroyet'rg],  der  Sohn  Gottes  [viog  ^eov),  genannt 
worden  war,  und  wenn  dieser  Name  nachher  von  dem  Ver- 
fasser des  vierten  Evangeliums  auf  Christas  fibertragen  wurde, 
kann    auch    das    von  Christus  Ausgesagte    im    Wesentlichen 


398  Zwölfte  Vorleaiing, 

nnr  das  geweaen  sein,  was  in  diesen  KunstausdrOcken.  win 
sie  zuerst  in  Alhen  and  nachher  in  Alexandria  gebraactit 
worden  waren,  schon  vorher  enthalten  war.  FOr  den  Ver- 
fasser des  EvaiigeUnrns  war  Christus  nicht  der  Logos,  weil 
er  .lesua  von  Nazareth,  der  Sohn  Marias,  war,  aoodern  weil 
man  glaubte ,  er  sei  das  Fleisch  gewordene  Wort  Gottes  im 
wahreu  Sinne  dieses  Ausdrnckeä.  Dies  mag  zunHchst  b9ch»t 
sonderhar  acheinen,  aber  es  »eigt.  wie  erhaben  die  AulTafr- 
snng  von  dem  Sohne  Gottes,  dem  Erstgeborenen,  dem  Ein- 
zigen,  in  dem  Geiste  derer  war.  welche  sie  zuerst  gebrauchten 
und  kein  Bedenken  trugen,  sie  auf  ihn  zu  Übertragen,  in 
dem,  wie  sie  glaubten,  der  Logos  Fleisch  geworden  war 
(o(i(i^  iyivtTo),  ja  in  dem  >die  ganze  Falle  der  Gottheil 
leibhaftig'  wohnte. ') 

Es  ist  richtig,  dasa  (^hristlicbe  Schriftsteller,  welche  ab 
hohe  Autoritäten  gelten,  die  erste  Idee  dea  Logos  lieber  von 
Pal&stina  als  vom  heidnischen  Griechenland  herleiten  mScbten. 
indem  sie  den  ersten  Keim  desselben  io  der  dentero-canoD^ 
sehen  'Weisheil'  zu  finden  glauben.  Wer  mOcbte  luugttoii 
oder  auch  nur  erst  behaupten,  dass  Philo  ganz  und  gar  von 
jttdischem  Denken  erfüllt  ist?  Dass  die  hebritischea  Ptd- 
pheten  mit  der  Idee  eines  in  Gott  existierenden  und  ron 
Gott  ausgehenden  'göttlichen  Wortes'  und  'gSttücben  üeial«s 
vertraut  waren,  wird  ebenfalls  allseitig  zugegeben.  So  l«ieB 
wir  im  Psalter  XXXIII,  E>:  »Der  Himmel  ist  durchs  Wort 
des  Herrn  gemacht,  und  alle  sein  Heer  durch  den  Geist  sei- 
nes Mnndosi  (mi  nnd  -i3l].  Wiederum  CVIl.  20:  .Er 
sandte  sein  Wort  und  machte  sie  gesnnd;<  CIV,  3u:  >Dn 
lAssest  aas  deinen  Odem,  so  werden  sie  geschaffen;  oad 
verneuerst  die  Gestalt  der  Erden ;<  CXLVU.  1$:  'Er  spricht, 
Bo  zerschmelzet  es.'  Doch  bedeuten  an  allen  diesen  stellen 
die  AusdrOcke  'das  Wort'  nnd  'der  Geist'  nicht  viel  nwkr 
als  den  Befehl  oder  die  Kundgebung  Johorahs.  Und  dw- 
eelbe    gilt    far  Stellen ,    wo    die    göttliche    Oegonwart    «der 


II  Ep.  Col.  H.  9. 


Der  Logos.  399 

Offenbarung  als  sein  Engel^  der  Engel  Jehovahs,  bezeichnet 
wird.  Es  wäre  in  der  That  schwer  zn  sagen,  was  für  ein 
Unterschied  zwischen  dem  Engel  Jehovahs,  Jehovah  selbst 
und  Gott  zum  Beispiel  im  dritten  Kapitel  des  Exodus  sei; 
und  wiederum  im  XXXII.  Kapitel  der  Genesis  zwischen 
Gott,  dem  Engel  und  dem  Manne.  Und  dieser  Engel ,  mit 
dem  Jakob  rang,  wird  schon  von  einem  so  alten  Propheten 
wie  Hosea  .XII,  4    erwähnt. 

Dies  sind  alles  rein  jüdische  Auffassungen,  noch  unbe- 
einflusst  von  irgendwelchen  griechischen  Ideen.  Was  ich 
bezweifle,  ist,  ob  irgendwelche  von  diesen  Keimen  —  die 
Theophanie  durch  Engel,  die  Erhebung  des  Wortes  Jehovahs 
(rrrr  '^2%  zu  einer  Wesenheit,  oder  schließlich  die  Perso- 
Difikation  der  Weisheit  («TC^n]  —  von  selbst  sich  hätten  zu 
dem  entwickeln  können,  was  die  griechischen  Philosophen 
und  Philo  unter  Logos  verstanden.  Wir  dürfen  nie  ver- 
gessen, dass  Logos,  als  es  von  Philo  angenommen  wurde, 
nicht  mehr  ein  allgemeiner  und  Undefinierter  Ausdruck  war. 
£r  hatte  seine  bestimmte  technische  Bedeutung,  genau  so  wie 
ovaia,  v:iiQovaia^  ii/c/^ujaig,  eyioaig  und  x^iioaig.  Alle  diese 
Ausdrücke  sind  aus  griechischer,  nicht  aus  hebräischer  Werk- 
etätte  hervorgegangen.  Die  Wurzeln  des  Logos  waren  von 
Anfang  an  intellektuell,  die  der  Engel  theologisch,  und  als 
die  Engel,  sei  es  als  Diener  und  Boten  Gottes,  oder  als 
zwischen  Gott  und  den  Menschen  in  der  Mitte  stehende 
Wesen,  durch  die  Gedanken  der  griechischen  Philosophie 
neu  belebt  wurden,  da  sanken  die  Engel  und  Erzengel,  wie 
es  scheint,  zu  bloßen  Namen  und  Rückerinnerungen  herab, 
und  in  Wahrheit  meinte  man  damit  nichts  Anderes,  als  die 
Ideen  der  Platoniker,  die  Logoi  der  Stoiker,  die  urbildlichen 
Gedanken  Gottes,  die  himmlischen  Modelle  aller  Dinge,  die 
der  Materie  aufgeprägten  ewigen  Siegel.  ';  Nicht  Einer  von 
diesen  Gedanken  lässt  sich  als  semitisch  nachweisen. 


1     Jddai,  Xöyoij  li-notf   atfoaytöiy.   i\\u^T  aiicli  dvytiuei^,  äyyf- 
/.oi.  und  sogar  /tunity. 


400  Zwüifto  Vorleeung. 

Philo  spricbt  ganz  deutlich  von  den  «wigen  tjOgoi, 
fwetobe  man,'  nagt  er,   >li:ngel  zu  nennen  pflegt.  <>, 

WcIxliKlt  oder  Sophia. 

Und  ebeneowenig,  wie  der  ülanbe  an  Engel  je  2h  der 
Theorie  von  dem  Logos  oder  Jen  Logoi,  als  einem  Bande  iwi- 
scbon  der  siuhtbaren  nnd  der  unaichtbaren  Welt,  geführt  haben 
wilrde,  kann  mao  annehmen,  dass  solche  als  Keime  vorhandene 
Ideen,  wie  die  von  der  Scbecbinah  oder  der  Herrlichkeit  Gottes 
oder  der  Weisheit  Gottes,  von  selbst  und  ohne  Berllbrnng  mit 
grieohisehem  Denken  zu  rein  philosophischen  BegriO'eii.  wie  vir 
sie  bei  Philo  und  seinen  Nachfolgern  ßnden,  emporgewachsen 
sein  worden.  Die  Beniitische  'Weisheit',  welche  sagte:  »Da 
er  die  Himmel  bereitete,  war  ich  daselbst  •  (dprllche  8al. 
VIU,  27),  hÄlte  allenfalls  zu  Philo  a  Sophia  oder  Epiatan«, 
welche  vor  dem  Logos  bei  Gott  ist,  führen  kOnnen.  Abei 
die  'Weisheit'  der  SprQche  Salomonis  ist  gewiss  nicht  der  Logo», 
sondern,  wenn  irgend  etwas,  weit  eher  die  Mntter  des  Logos,'! 
ein  fast  mythologisches  Wesen.  Wir  wissen,  wie  der  semi- 
tiacbe  Qeist  geneigt  war,  die  thatigen  Kundgebangen  der 
Gottheit  durch  entsprechende  weibliche  Namen  auszudrüeken. 
Dies  ist  etwas  ganz  Anderes,  als  wenn  man  die  mit  tarn 
Verstand  zu  begreifende  Welt  (den  xöaiiog  i-iitjni^)  alt  den 
Logos,  das  Wort  Gottes,  das  ganze  Denken  Gottes  od«r  dl* 
Idee  der  Ideen  darstellt.  Dennoch  worden  die  beiden  Ideen, 
die  semitische  und  die  griechische,  so  gut  es  ging,  zussmnieB- 
gebracht,  freilich  anf  etwna  gezwungene  Art,  so  wenn  wir 
sehen,   wie  Philo   die   Weisheit,    die   jnngfVlnliche  Tochter 


1)  Philo,    De    *om«, 

f»oe  äyyHovi;  ibid,  I,  2: 


»  1.   Ist:     ü9iii'iiio,:    loyow.    oi-t   taXtU 
duit  xttittf.     Ibid.  1,  2a:  &y]>tlmt  Jt»}wi 


3)  Dr  profug.  20,  p.  502:   _/(ön 


.  /ii;i\i'(ic    <H    online ,    M    ^i 


Der  Logos.  401 

Gottes  (Bethael),  selbst  den  Vater  sein  lässt,  der  die  Intelli- 
genz nnd  die  Seele  erzeugt  ^)  Ja,  er  fährt  fort  und  behaup- 
tet, dass  die  Weisheit,  obgleich  ihr  Name  weiblich  sei,  ihrem 
Wesen  nach  männlich  sein  müsse.  Alle  Tugenden  haben  die 
Namen  von  Frauen,  aber  die  Kräfte  und  die  Thätigkeit  von 
llännem  .  .  .  Damm  ist  die  Weisheit ,  die  Tochter  Gottes, 
männlich  und  ein  Vater,  der  in  den  Seelen  Gelehrsamkeit 
und  Unterweisung,  Wissenschaft  und  Klugheit,  schöne  und 
lobenswerte  Thaten  erzeugt.^)  In  diesem  Prozess  der  Mi- 
schung jüdischen  und  griechischen  Denkens  behielten  am 
Ende  die  griechischen  Elemente  stets  die  Oberhand  über  die 
jüdischen;  der  Logos  war  stärker  als  die  Sophia,  und  der 
Logos  blieb  der  Erstgeborene,  der  eingeborene  Sohn  Gottes, 
wenn  auch  noch  nicht  im  christlichen  Sinne  dieses  Aus- 
druckes. Doch  wenn  wir  in  späterer  Zeit  sehen,  wie  Clemens 
von  Aiexandria  von  dem  göttlichen  und  königlichen  Logos 
(Strom.  V,  14)  als  dem  Bilde  Gottes  und  von  der  mensch- 
liehen Vernunft  als  dem  im  Menschen  wohnenden  und  den 
Menschen  mit  Gott  vereinigenden  Bilde  dieses  Bildes  spricht, 
können  wir  zweifeln,  dass  dies  Alles  griechisches  Denken  ist, 
daa  unter  jüdischer  Bildersprache  nur  spärlich  verhüllt  er- 
seheint? Diese  jüdische  Bildersprache  bricht  noch  einmal 
hervor,  wenn  der  Logos  als  der  Hohepriester,  als  ein  Ver- 
mittler zwischen  der  Menschheit  und  der  Gottheit,  dargestellt 
wird.  So  lässt  Philo  den  Hohepriester  sagen:  »Ich  stehe 
zwischen  dem  Herrn  und  euch,  ich,  der  ich  weder  unge- 
sehaffen  bin,  wie  Gott,  noch  geschaffen  wie  ihr,  sondern  ein 
Mittelding  zwischen  zwei  Extremen,  ein  Leibbürge  nach  bei- 
den Seiten  hin.«^) 

Ist  es  vielleicht  möglich,  dass  die  Vorschrift,  der  Hohe- 
priester solle  nicht  seine  Kleider  zerreißen,  die  der  sichtbare 


1,  Bigg  a.  a.  0.  p.  16  Note;  p.  213. 

2,  Philo,  De  Prof.,  9    1,  55:i,. 

3,  Bigg  a,  a.  0.  p.  20. 

Max  M  Aller.  Theosoplüe.  26 


402 


Zwülfte  VorlesiiiiK, 


EosmoH  seien  {De  profugis,  g  2Ü),  tu  der  Uee  Anlaäa  gab, 
dsss  der  Rock  Christi  >aiigenahet  war,  von  obeu  an  gewirok«t 
dorcli  und  durch«,  daes  er  nicht  zerrissen  werden  solle,  ao 
dftss  sowohl  die  MessiantBche  als  aucii  Av>  Philoniscbe  Weis- 
sagung zu  gleicher  Zeit  und  auf  dieselbe  Weise  erfOllt  w»r- 
den  wären? ') 

Den  Oeblldeton  unter  den  ßabbinen,  welche  mit  Cbri- 
stua  oder  seinen  Scholern  zu  .Teruaalem  disputierten,  wu 
der  Lugu9  wahrscheinlich  ebenso  geläaBg  wie  dem  Philo ;  ja 
wenn  Philo  in  Jernsalem  gelebt  hätte,  wäre  es  ihm  welil 
nicht  schwer  gefallen,  in  Chriatns  den  ittioi  Xdyo-i  wieder- 
zuerkennen, wie  er  denaelben  als  in  Abraham  und  In  Uoaea 
cerkCrpert  erltannt  hatte,-)  Wenn  es  den  Juden  gelang,  in 
Jesus  von  Nazareth  ihren  Messias  zu  erlieunen,  warum  BoUte 
nicht  ein  Grieche  in  ihm  die  Ffüle  des  göttlichen  Logos, 
d.  h.  die  Yerwirküchang  der  vollkommenen  Idee  von  dem 
Sohne  Gottes,  entdeckt  haben? 

Es  mag  ja  ganz  richtig  sein,  daaa  (Ues  Allea  nnr  für 
eine  kleine  Anzahl  gilt,  und  dass  derlei  Argumente  Aber  den 
Gesichtskreis  der  großen  Masse  der  Juden  hinansgiDgeo. 
Doch  wnrden  aufgeklärte  Juden,  wie  Philo,  von  ihren  Glan- 
bcRsgenusscn  zu  Alexandria  nicht  nur  geduldet,  sondern  hoch 
geehrt.  Für  ein  Leben  voll  Glauben,  HolTnung,  Sitteustreog« 
und  Arbeit  war  anerkanntermaßen  die  Kenntnis  Gottes  oder 
Jehovahs,  wie  er  im  Alten  Testament  dargestallt  war,  hin- 
reichend; aber  Gott  in  der  Seele  zu  erkennen,  wie  Philo  Qu 
erkannte,  galt  fDr  Weisheit,  Sehergabe  und  Frieden. 

So  vag  nnd  unsicher  auch  manche  von  PhÜo's  Oeda^ 
keo  sind,  so  drückt  er  sich  doch  ganz  klar  und  bestimmt  sat. 
wenn  er  von  dem  Logos  als  dem  göttlichen  Gedanken  spricht. 


1}  Die  im  N-  T.  (Job.  16,  23;  gebranchten  Worte  /itir  w^vr- 
ro,-  Jf"  flioy  erinnern  an  Philo.  Dt  MonarA.  11.  %  5ß:  iX^  tf  i)«« 


Der  Logoft.  403 

dtr.  gleich  einem  Siegel,  der  Materie  nnd  auch  der  sterb- 
liehen  Seele  aofgeprlgt  ist.  In  der  ganzen  Weh  gibt  es  fftr 
ihn  nichts  Gottlhnlicheres  ab  den  Menschen,  der  nach  dem 
Ebenbilde  Gottes  {xar  tixorc  &(oi\  Gen.  L  27)  gebildet 
var:  denn  wie  der  Logos  ein  Bild  Gottes  ist  so  ist  die 
menschliche  Vernunft  ein  Bild  des  Logos.  Wir  mtUsen  aber 
nach  hier  zwischen  dem  Menschen  als  einem  Teile  der  dnrch 
den  Verstand  zu  begreifenden,  nnd  dem  Menschen  als  einem 
Teile  der  sichtbaren  Welt  unterscheiden.  Ersterer  ist  das  roU- 
kommene  Siegel,  die  Tollkommene  Idee  oder  das  roUkommene 
Ideal  der  Menschheit  Letzterer  ist  die  mehr  oder  minder  unvoll- 
kommene Venrielültigung  desselben  in  jedem  einzelnen  Men- 
schen. Eis  llsst  sich  demnach  keine  höhere  Auflassung  der 
Menschheit  denken,  ab  </t>  des  idealen  Sohnes,  oder  der  Idee 
des  in  dem  Fleisch  yermirklichten  Sohnes.  Dies  war  ohne  Zweifel 
ein  kfihner  Schritt,  doch  war  er  nicht  kühner  bei  dem  Ver- 
fasser des  Tierten  Evangeliums,  als  wenn  Philo  in  Abraham 
nnd  Anderen  adoptierte  Sdhne  des  Vaters  erkannte.  >  Dieser 
Schritt  war  es  in  der  That.  welcher  sowohl  den  Juden  wie 
den  Heiden  in  einen  Christen  verwand  eite.  und  eben  derselbe 
S<hrin  war  es  auch,  den  Celsus  von  seinem  Standpunkte  ans 
als  i^  jeden  wahren  Philosophen  unmöglich  erkllrte.  nnd  der 
namentlich  bei  jenen  Anstoß  erregte,  welche  unter  dem  Ein- 
doss  der  Gnostiker  dazu  gekommen  waren,  das  Fleisch  od^z) 
a  f  die  Quelle  alles  Übels  anzusehen. 

Monogenes,  der  Eingeborene« 

Wir  haben  vorhin  versucht,  das  Wort  "Losos*  b:s  auf 
Anaxagoras  und  Heraklit  zurOckzuftlbren :  den  Ausdruck 
uo%'oy<yi^  kunnen  wir  fast  ebenso  weit  zurückverfolsren.  Er 
kommt  in  dem  oben  S.  32S  citierteo  Frazmeat  de*  Pann«- 
Bides  als  Epitheton  des  h-T>chsten  Wesens,   ro  'Vr,  vor.  wo  es 


2ö' 


404 


Zwlilfle  VotleBiing. 


I 


sseigen  sollte,  dass  dieses  höchste  Wesen  nar  Eines  in  seiner 
Art  sein  kann,  und  daas  es  safhören  würde,  das  zn  sein, 
was  es  sein  soll,  wenn  es  ein  anderem  gäbe.  Hier  ist  die 
Idee  von  -ysvi;^  in  der  Bedentang  'erzeugt'  ganz  ansge- 
aehlossen.  Dasselbe  Wort  wird  wieder  von  Plato  im  Ti- 
maens  gebraocht,  wo  er  es  auf  die  sichtbare  Welt  anwendet, 
die  er  als  ~il>"y  cQuiiiv  lit  ö^arli  .iiQii'y^oy  bezeichnet,  »ein 
sichtbwes  und  alles  Sichtbare  umfassendes  lebendiges  Wesen, 
welches  das  Ebenbild  seines  Sciiöpfers,  ein  durch  die  Sinne 
wahrnehmbarer  Gott,  der  größte  und  beste,  der  schönste  and 
vollkommenste,  dieser  einzige  Ouranos  die  Welt),  Monogen^ 
einzig  in  seiner  Art,  ist.< ') 

Und  warum  gebranchte  Plato  dieses  Wort  monogonGs? 
Er  sagt  uns  dies  selbst  (Timaeus  ;)1),  wenn  er  schreibt: 
>Haben  wir  also  mit  Recht  von  Einem  nirameP)  gesprochen, 
oder  war  es  richtiger  von  vielen  und  unendlichen  zu  reden? 
Von  Einem,  soll  er  nach  seinem  Vorbilde  aiiferbanl  sein; 
denn  was  da  alles  als  lebend  Denkbare  umfasst,  dürfte  wolil 
nimmer  als  Zweites  neben  einem  Andern  sein,  Ein  andered 
Lebende  mllsste  ja  dann  wohl  jene  beiden  einschließen,  wo- 
von sie  ein  Teil  w&ren ,  und  man  nilrde  nicht  laagen.  dut 
die  Welt  nach  jener  beiden,  sondern  richtiger,  dass  sie  nach 
dieses,  des  Umschließenden,  Ähnlichkeit  gestaltet  sei.  Damit 
diese  nun  als  ein  Alleiniges  dem  dnrchaus  vollkommeneo 
Leben  ähnlich  sei,  darum  gestaltete  ihr  Ürheher  weder  swei, 


IJ  Tim.  92  C; 
ffilgoi',  tlmötr  10V 
miXlnnö,-    le    tat 


:eXiiaiaio(    yiyor 


•for  OQKitor  %a  ^axu  la- 


3|  H.  HElllor,  dessen  denteche  übersetznni;  (ilaton»  Wrrkt 
VI.  Band,  p,  148  (g.l  ich  liier  gebe,  Ijemerki  in  eiuer  Note  a.  •.  0. 
p.  258]:  >Der  Himmol,  oder  die  Wcitordniing,  oder  ilaa  All  - 
nipav.'ic,  Ö  töHfiot,  Vo  niiv]  —  »IkT  dieser  Ausdrucke  bedient  »leb 
TimueoB,  nm  denselben  Begriff  auBzudrtlektin  —  bildeu  ein  Oanm: 
es  gibt  nur  eine,  uicht  mehrere  voneinander  unabhÜDSig«  Weltna' 
Anm.  Hm   Ührrt. 


Der  Lo^os.  405 

noch  nnendliehe  Welten,  sondern  dieser  Himmel  ward  als  ein 
alleiniger,  eingeborener,  und  wird  es  femer  sein.« 

Anf  die  erzengte  oder  sichtbare  Welt  angewandt,  hätte 
man  monogenes  wie  es  anch  geschah;  durch  'der  einge- 
borene, onigenitns'  fibersetzen  können,  aber  die  wahre  Beden- 
tnng  des  Wortes  war  anch  hier  *der  Elinzige  in  seiner  Art*. 
Hier  also  in  diesen  abstrusen  Piatonischen  Spekulationen 
mflssen  wir  die  ersten  Keime  Ton  Monogenes,  dem  einzig 
Erzengten  des  Vaters,  suchen,  was  die  alten  lateinischen  Über- 
setzungen richtiger  durch  unirus  ab  durch  unigenitus  wieder- 
geben. Hier,  in  dieser  geistigen  Münze,  wurde  das  Metali 
geschmolzen  und  geprigt.  das  sowohl  Philo  als  auch  der 
VerCisser  des  vierten  Evangeliums  fUr  ihre  eigenen  Zwecke 
gebrauchten.  Es  ist  ganz  richtig,  dass  monogenes  anch  in 
der  griechischen  Übersetzung  des  Alten  Testaments  vor- 
kommt: aber  was  bedeutet  es  dort?  Es  wird  auf  Sarah  als 
die  einzige  Tochter  ihres  Vaters,  und  anf  Tobit  und  Sarah 
als  die  einzigen  Einder  ihrer  Eltern  angewandt.  Es  lag  in 
Flllen  dieser  Art  keine  Notwendigkeit  vor.  die  Thatsache. 
dass  die  Kinder  erxengt  waren,  besonders  hervorzuheben. 
Das  Wort  bedeutet  hier  nichts  weiter  als  ein  einziges  Kind, 
oder  die  einzigen  Kinder  ihrer  Eltern.  An  Einer  Stelle  jedoch 
im  Buch  der  Weisheit  VII.  2 '2;  hat  monogenes  etwas  von 
seiner  eigentfimlichen  philosophischen  Bedeutung  an  sich,  wenn 
es  von  der  Weisheit  heißt:  »Denn  es  isU  in  ihr  der  Geist 
der  verstindig  ist.  heilig,  monogenes,  mannigfaltig,  scharf  und 
behend.«  Auch  im  Neuen  Testament,  wenn  wir  fSt.  Lukas 
VIIL  42  lesen,  dass  ein  Mann  eine  einzige  Tochter  hatte, 
ist  die  Bedeutung  klar  und  einfach  und  ganz  verschieden  von 
der  technischen  Bedeutung  des  Wortes  in  vio^  uoyoyeyr^ 
als  dem  anerkannten  Xamen  des  Logos.  So  anerkannt  war 
die^r  Xame.  dass  Valenünus.  wenn  er  von  *0  Moyoyeyr^ 
allein  spricht,  damit  offenbar  nur  den  Logos  meinen  kann. 
f»der  Xons.  den  denkenden  Geist,  und  mit  ihm  den  Abkömm- 
ling der  nnauisprechlichen  Tiefe  oJer  des  Schweigens  Bv&og  . 
die    allein    die  Große    des   ersten  Vaters    umfasse,  da  sie  ja 


Znülfte  Voi'ioemig. 

!  der  Vater  nnd  der  Aufang  aller  Dinge  Bei.  Noch  snr 
der  Synode  von  ADtiochi«  (2ÖD  n.  Chr.)  können  wir 
noht  deutlicli  den  Wiederhali  der  pliUosoplüaclien  äpraclie  der 
jQdisch-alexu  od  r  in  Ischen  Schule  waiirnebmeu.  Die  Mitglieder 
dieser  Synode  bekenui;!)  und  erkläreo  in  ihrem  Glanben»- 
beke  na  misse,  dssa  der  Sohn  rerzeugt  sei,  ein  eiozigur  SoLn 
{yevvijTi'iP,  vihv  ftopaytvi,  ,  das  Ebenbild  des  ungeseheneD 
Gottes,  der  Erstgeborene  der  ganzen  Schöpfung,  die  Weisheit 
und  das  Wort  nnd  die  Macht  Gottes,  der  vor  allen  Zeiten 
da  war,  nicht  durch  Vorherwiasen,  soudem  durch  Sein  nnd 
Wesenheit,  Gott,  der  Sohn  Gottes. < 

Philo  gebraucht  natärlich  den  Ausdruck  'der  einge- 
borene Sohn'  [v'tii^  fti/Vfjytvrj^ I  stets  Im  philosophi«heo 
Sinne  für  den  —  sei  es  durch  einen  Schöpfungsakt  oder 
durch  Emanation  ^  in  der  Welt  verwirklichten  nnd  sichtbar 
gewordenen  Gedanken  Gottes.  Er  unterscheidet  das  bAobile 
Weiten  und  den  Gott,  tu  i/y,  deutlich  von  dem  Gedanken 
oder  Wort  dieses  Wesens,  dem  Xiyoi;  tov  iVros'-  Dieser 
Logos  schließt  eine  Menge  von  logoi  ein,*)  die  Philo  ebenso 
gut  hStte  als  lUeert  im  Platonischen  Sinne  bezeichnen  kdunen. 
In  der  That  Ihut  er  dies  gelegentlich,  so  wenn  er  den  Logos 
Gottes  diu  Idee  aller  Ideen  nennt  [iÖiu  iijc  iötiör,  h  itioit 
/.i'jyoi).  Ob  dieser  Logos  bei  ihm  jemals  peraonifiMert  wurde, 
ist  schwer  zu  sagen;  ich  habe  keine  Stelle  gefunden,  welcbe 
dies  entschieden  Jjeweisen  »ilrde.  Doch  die  unwiderstehliche 
mythologische  Tendenz  der  Sprache  zeigt  sieh  überall.  Wenn 
Philo  von  dem  Logos  als  dem  Erstgeborenen  (/i^iurd/ovoi,*) 
oder  als  dem  einzigen  Sohn  (uiot,-  /tofoytriiia)  spricht,  so 
braucht  dies  noch  nicht  mehr  als  metaphorische  Ansdmck»- 
weise  zu  sein.  Aber  die  Metapher  erstarrt  bald  zur  MyUto- 
Wenn  wir  von  unseren  eigenen  Gedanken  sprechen,  kDnncB 
wir  sie  als  Unsere  Geisteskinder  bezeichnen;  aber  gar  bald 
kann  es  sein,  dass  mau  von  ihnen  sagt,  daes  sie  binwegHie- 
gen,   dasa   sie    bei  unseren  Freunden  weilen,  dass  sie.FlQg») 


1)  Druuuoud  A.  a.  0.  II,  p.  2i'. 


Der  Logos.  407 

gleich  Engeln  haben.  Dasselbe  geschah  mit  den  Logoi  nnd 
dem  Logos  ab  dem  Gedanken  Gottes.  Seine  Thltigkeiten 
wurden  Agentien,  und  diese  Agentien  wurden,  wie  wir  sehen 
werden«  bald  zu  Engeln. 

Schwieriger  ist  es  zu  verstehen,  was  Philo  damit  meint 
wenn  er  den  Logt»s  in  MAnnem  wie  Abraham,  Melchisedech 
oder  Moses  wiederfindet.  Er  kann  unmöglich  damit  meinen, 
daas  sie  den  ganzen  Logos  darstellten^  denn  nach  Philo's 
Philosophie  ist  der  ganze  Logos  nur  zweimal,  einmal  in  der 
Boumenalen  und  dann  wieder  —  minder  vollkommen  —  in  der 
phAnomenalen  Welt  zur  Verwirklichung  gelangt.  Da  Abraham 
n  der  phänomenalen  Welt  lebte,  konnte  er  nur  Eines  von 
den  vielen  Individuen  sein,  welche  den  Logos  oder  die  Idee 
des  Menschen  darstellen,  und  wenn  er  als  die  Verkörperung 
des  Logos  galt,  so  konnte  das  nicht  mehr  bedeuten«  als  daas 
Abraham  eine  vollkommene  Verkörperung  dessen  war,  was 
der  Logos  des  Menschen  sein  sollte,  oder  dass  das  volle  Maß 
des  Logos  als  der  göttlichen  Vernunft  in  ihm  wohnte,  als  das 
Licht  und  als  das  zurechtweisende  Gewissen.^)  Auch  hier 
mflssen  wir  lernen,  was  wir  bei  dem  Studium  der  Geschichte 
der  Religion  und  der  Philosophie  oft  zu  lernen  haben,  dass 
es.  wenn  wir  mit  nicht  völlig  ausgearbeiteten  und  anfgekllr- 
ten  Gedanken  zu  thnn  haben,  ein  Irrtum  isl,  sie  als  klarer 
darstellen  zu  wollen,  als  sie  es  ftir  ihre  ersten  Denker  selbst 
waren. 

Beschränken  wir  uns  jedoch  auf  die  von  Philo  und  An- 
deren gebrauchten  Kunstausdrficke .  so  können  wir.  glaube 
ich.  zuversichtlich  behaupten,  dass  JeJer.  der  den  Ausdruck 
viit^  ,ii'/j'o;'*j'i-c.  'der  eingeborene  Sohn',  anwendet.  —  sei 
es  Philo,  oder  der  Verfasser  des  vierten  Evangeliums,  oder  St. 
Clemens,  oder  Origenes  —  altgriechische  Sprache  und  altgrie- 
chische Gedanken  gebraucht  nnd  mit  denselben  das  meint, 
was  sie  ursprfinglich  im  Griechischen  bedeuteten. 

Philo   begnügte   sich    damit,    in  dem  grit-chischen  Logos 


1    Drammond  a.  a.  0.  II.  pp.  '2\*.*.  225  {^. 


40S  ZwülfCe  Vorlegung. 

das  giefnnden  zu  haben,  was  er  nnd  Viele  mit  ihm  snehten: 
die  BrOcke  zwischen  dem  MenschUchen  nsd  dem  Göttlichen, 
welche  in  der  Religion  durch  die  Unnahbarlieit  Jebovfihs  und 
in  der  Philosophie  durch  die  Unvereinbarkeit  des  absoluten 
Wesens  und  der  phänomenalen  Welt  abgebrochen  worden 
war.  Er  verweill  oiolit  oft  bei  verzückten  Visiooen,  welche 
die  Seele  in  Stand  setzen  äollen,  die  Gegenwart  Gottes  zn 
sehen  nnd  zu  fflhien.  In  einer  schönen  Allegorie  von  Jakobi 
Traum  sagt  er:  >Diea  ist  ein  Bild  der  Seele,  die  aus  dem  Schlafe 
der  Oleichgtlltigkeit  plötzlich  aufwacht  und  bemerkt,  dass  die 
Welt  voll  von  Gott,  ein  Tempel  Gottes  ist.  Die  Seele,*  sagt 
er,  >muas  sich  von  der  Sinnenwelt  zur  Geisterwelt  der  Ideen 
erheben ,  bis  sie  znr  Erkenntnis  Gottes  gelangt,  welche  in 
einer  Vision  oder  der  Vereinigung  der  Seele  mit  Gott  be- 
steht; und  diese  ist  nur  den  Reinsten  und  anoh  diesen  nnr 
selten  —  d.  h,  in  Augenblicken  der  Verztlekang  —  er- 
reichbar.* 

Es  ist  klar^  dass  diese  Strömnng ,  welche  hellenbch« 
Ideen  in  einen  jüdischen  Qedankenatrom  hineinführte,  Üebl 
auf  die  Jnden  von  Aleiandria  beschränkt  blieb,  sondern  aaefa 
Jerusalem  und  andere  von  gebildeten  Juden  hewotinte  StAdts 
erreichte.  Viel  ist  darüber  geschrieben  worden,  ob  der  Vor- 
fasaer  des  vierten  Evangeliums  seine  Lehre  von  dem  Fleiich 
gewordenen  Logos  unmittelbar  von  Philo  entlehnt  habe.  Mir 
scheint  dies  eine  Frage,  die  sich  fast  unmOglicb  auf  die  eine 
oder  andere  Weise  beantworten  lässt.  Westcott,  dessen 
Autorität  verdientermaßen  sehr  hoch  ist,  scheint  nicht  geneigt 
zn  sein,  einen  unmitlelbareu  Einfluss  zuzugeben.  Selbst  Uar- 
uack  [1,  S.  Sb)  glaubt,  dass  der  Logos  des  St  Johauct 
wenig  mehr  als  den  Namen  mit  dem  Logos  des  FhUo  g^ 
mein  hat.  Doch  kann  niemand  bezweifeln,  dass  diMdba 
allgemeine  Strömung,  durch  welche  der  Name  Logos  Bod 
Alles,  was  er  in  sich  schließt,  zu  Philo  und  zu  des  Jnden 
gelangte,  auch  den  Verfasser  des  vierten  Evangeliums  erreicht 
haben  musa.  Ausdrücke  wie  Logos  und  Logos  Monogenes  sind 
historische  Thatsaohen,  sie  eiiistieren  einmal  nnd  nur  einmal. 


Der  Logos.  409 

Wer  immer  den  Anfang  dieses  Evangeliums  geschrieben  hat, 
muss  mit  der  griechischen  und  jüdisch -aiexandrinischen  Philo- 
sophie Fohlung  gehabt  und  sich  seine  Anschauung  von  Gott  und 
der  Welt  unter  diesem  Einflüsse  gebildet  haben.  In  den 
Augen  des  Historikers  und  noch  mehr  des  Sprachforschers 
ist  dies  wohl  Ober  allen  Zweifel  erhaben,  gerade  so,  wie  dass 
Jeder,  der  vom  »kategorischen  Imperativ«  spricht,  mittelbar 
oder  unmittelbar  mit  Kant  in  Berflhrung  gestanden  hat. 

Die  Urchristen  wussten  recht  gut,  dass  ihre  heidnischen 
Gregner  sie  beschuldigten,  sie  hätten  ihre  Philosophie  von 
Plato  und  Aristoteles  entlehnt.^)  Es  war  auch  gar  kein 
Grund  vorhanden,  dies  zu  leugnen.  Die  Wahrheit  kann  man 
getrost  von  allen  Seiten  entlehnen,  und  sie  ist  darum  nicht 
minder  wahr,  weil  sie  entlehnt  worden  ist.  Aber  die  ür- 
ehristen  waren  tlber  diesen  Vorwurf  sehr  aufgebracht  und 
gaben  denselben  ihren  griechischen  Kritikern  zurück.  Sie 
nannten  Plato  einen  attischen  Moses  und  beschuldigten  ihn, 
seine  Weisheit  aus  der  Bibel  gestohlen  zu  haben.  Wer  immer 
mit  diesen  Beschuldigungen  und  Gegenbeschuldigungen  Recht 
hatte y  sie  zeigen  uns  jedenfalls,  welche  enge  Beziehungen 
zwischen  Griechen  und  Christen  in  den  ersten  Zeiten  des 
neuen  Evangeliums  bestanden  —  und  dies  ist  das  Einzige, 
was  für  uns  als  Historiker  von  Wichtigkeit  ist. 

Wir  können  nicht  mit  gleicher  Bestimmtheit  von  anderen 
mehr  oder  minder  technischen  Ausdrücken  sprechen,  welche 
Philo  auf  den  Logos  anwendet,  von  Ausdrücken  wie  TVQioToyo- 
%'og  'der  Erstgeborene',  ei/My  ^eou,  'das  Ebenbild  Gottes', 
ay&QioTTOi;  &eov,  *der  Mensch  Gottes',  TtaQ^öeiyuce ,  *da3 
Muster,  0'/,id,  'der  Schatten',  und  namentlich  aqxuQiv^.  'der 
Hohepriester,  7iaQcr/,hTo>;.  'der  Fürsprecher* 2)  u.  s.  w.  Wich- 
tig aber  ist  es,  dass  alle  diese  mehr  oder  minder  technischen 
Namen  dem  Philo  bekannt  waren,  lange  bevor  sie  von  christ- 
lichen   Schriftstellern  gebraucht  wurden,    dass   die   in  ihnen 


1)  Bigg.  ClirUtian  riatonUU,  pp.  5  fg. 
2,  Hatch.  Essays  on  Biblical  Grttk.  p.  S2. 


410 


Zwülfte  VorleBiing. 


eutbaltenen  Ideen  TOrch ristlichen  Crsprnngs  waren,  und  das« 
BJe,  wenn  eie  von  den  Jüngern  Christi  BDgenomiiien  worden, 
ziinUcfast  nur  in  ihrer  yorbergängigen  Meiunng  MgenDinnieii 
worden  sein  konnten.  Ja,  können  wir  nicht  jetit  vielleicbl 
noch  einen  Schritt  weiter  gelten  und  behaupten,  dass  wir  von 
diesen  AuBdrUcken  in  der  chriatlichen  Lltteratnr  nie  gebort 
haben  würden,  wenn  sie  nicht  von  Philo,  seinen  VorgAngern 
und  seinen  Zeitgenossen  in  ihrer  eigentflmlichen  Bedentmig 
gebraucht  worden  wSren.  Ist  nicht  dies  der  sl&ricste  Beweis 
dafür,  dass  von  den  besten  Gedanken  der  griechischen  und 
der  jüdischen  Welt  nichts  ganz  verloren  ging,  und  daHS  das 
Christentnni  in  der  That  kam,  'da  die  Zeit  erfftUet  ward",  nm  du 
reine  Melall,  das  dnrch  jahrhundertelange  Arbeit  in  Morgen- 
lande und  im  Ahendlande  zu  Tage  gefördert  worden  war,  la 
einem  neuen  und  stärkeren  Metall,  der  Religion  Christi,  tn 
mengen?  Wenn  wir  den  Anbng  des  vierten  Evangelinmi 
lesen,  so  scheint  fast  jedes  dritte  Wort,  jeder  dritte  Oedaske 
griechische  Arbeit  zu  sein.  leb  lasse  die  Worte,  die  hSobit 
wahrscheinlich  griechisclien  und  nicht  jodischen  Urspranp 
sind,  cursiv  drucken:  —  * Jm  Anfang  war  das  W-'or(  (Log«}, 
und  das  Wort  war  bei  Gott,  und  Gott  war  das  Wort. ') 
Alle  Dinge  sind  darck  dasselbige  gemacht.  In  ihm  war  das 
Leben,  und  das  Leben  war  da»  Licht^]  der  Menschen.  Uai 
war  das  wabrbaflige  Licht,  welches  alle  Menschen  erieuchttt 
Und  das  Wort  ward  Fleisch  —  uttd  wir  sahen  aeitte  Herr^ 
lickkeit,^)  eine  Herrüchkril  als  des  eingeboretien  Sahnet 
vom  Vater.  Niemand  hat  Gott  je  gesehen,  der  eingebortm 
Sohn,  der  in  des  Vaters  Schoß  ist,  der  bat  es  naa  rtt- 
knndiget.*  «] 


I!  Derselbe  Doppelsinn  herrsclit  anch  bei  Philo,  siehe  oben 
i.  SB2. 

2)  Daa  r<af  des  Platu  {Sta-tt  V|,  3u6l  und  des  Phil».  IH 
iDinn.  1,  13,  p.  ü'ii:  itgäior  fiiy  o  äi'oc  ipüt  Vau.  Siehp  jcdix'h  PwU- 
tor  LI,  A:  LX.  IS*. 

3}  Die  Mia  des  Pbilo, 

4J  '£y  Äpjfß  Ir  i  Xiyo(,  »a'i  ö  Xöy«e  •'*■  ipit"  tof  tttiii-,   an-l  * 


Der  Logos.  411 

So  haben  wir  denn  gesehen,  wie  es  den  Jnden,  bei  denen 
die  Kluft  zwischen  der  unsichtbaren  und  der  sichtbaren  Welt 
wahrscheinlich  weiter  geworden  war,  als  bei  irgend  einem 
anderen  Volke,  nichtsdestoweniger  —  ja  vielleicht  gerade 
darum  —  gelang,  die  Bande  zwischen  Oott  und  dem  Men- 
schen so  enge  zusammenzuziehen,  als  es  nur  möglich  ist, 
und  zwar  hauptsächlich  mit  Hilfe  der  aus  der  griechischen 
Philosophie  gewonnenen  Eingebung.  Gott  vor  der  Schöpfung 
war  nach  Philo  sich  selbst  genug,  und  selbst  nach  der 
Schöpfung  blieb  er  derselbe  (De  muL  nom.  5,  p.  585). 
Wenn  Philo  ihn  den  Schöpfer  (xr/arij^),  den  Demiurgos  und 
den  Vater  nennt,  so  nennt  er  ihn  so  mit  gewissen  deutlich 
verstandenen  Einschränkungen.  Gott  erschafft  nicht  unmittel- 
bar, sondern  nur  durch  den  Logos  und  die  Kräfte.  Der 
Logos  also,  der  Gedanke  Gottes,  war  das  Band,  welches 
Himmel  und  Erde  vereinigte,  und  durch  dasselbe  konnte 
Gott  noch  einmal  in  einem  wahreren  Sinne  als  je  zuvor  als 
der  Vater  angesprochen  werden.  Die  Welt  und  Alles,  was 
in  ihr  ist,  wurde  als  der  wiihre  Sohn  erkannt,  der  von  dem 
Vater  entsprossen  und  doch  von  dem  Vater  untrennbar  ist. 
Die  Welt  war  noch  einmal  voll  von  Gott,  und  doch  stand 
Gott  in  seinem  höchsten  Wesen  Aber  der  Welt,  unbefleckt 
von  der  Welt,  ewig  und  unveränderlich. 

Der  Eine  Punkt,  in  dem  mir  Philo's  Philosophie  nicht 
klar  ausgedachf  zu  sein  scheint,  ist  das  genaue  Verhältnis 
der  individuellen  Seele  zu  Gott.  ^)  Hier  scheinen  die  Gedan- 
ken  des  Alten  Testaments    in   dem   Geiste    Philo's  mit  den 


heo^  r,y  o  Xoyof.  Iluvia  Ji  uviov  iyit'eio'  Iv  (tvxM  ^ü)\  r;v,  xr.\ 
T  ^Wf,  T;y  to  fpvif  TW*'  at'&Qiü7io)r'  rv  to  (f(jj^  jb  a).rjhy6i\  o  (funi- 
^ft  rtayru  ityd^oianoy.  xfci  o  Xoyog  aao^  iyiyeio,  x«i  ii^eaaduexHc  i\y 
do^ay  uvtov ,  do^ccy  coi*  uoyoyByovg  TtccQu  ntcroo^.  (rJeby  ovdtii' 
iatoisxe  TtianojB'  6  /aoyoyey/^^  vlo^j  o  uiy  th  thi'  xö/.rtoy  lov  nuio'W, 
ixt iyo^  Iqr^ yr^aaxo. 

1)  Siehe  einen  vortrefflichen  Autsatz  von  Ilatch,  'Psyrholo- 
gical  Terms  in  Philo  ,  in  seinen  Essays  in  Bihlical  Greek,  pp.  100 
bis  130. 


412  Zwölfte  Vorlesung. 

Lehren  seiner  griechischen  Ueiater  in  Widerspraoh  zv  gera- 
ten und  seine  Psychologie  (wie  man  es  wohl  nennen  kann! 
za  verwirren.  Dass  Philo  die  menschliclie  Natur  als  Eweifacli, 
als  eine  Mischung  von  Körper  nnd  Seele  {owun  nnd  tpi'Xt 
ansah,  ist  deutlich  genng,  Uer  ans  den  Elemonten  bestehende 
Körper  iat  die  Wohnung,  der  Tempel,  aber  anch  das  Grab 
der  Seele.  Der  Körper  wird  itn  Allgemeinen  als  ein  Übel 
anfgefasst,  er  wird  sogar  ein  Leichnam  genannt,  den  wir 
nnser  Leben  lang  mit  uns  hernmschleppen  mnaaen.  Er  schliefil 
die  Sinne  nnd  die  aua  den  SianengenQssen  entspringen- 
den Leidenschaften  ein  und  gilt  aus  diesem  Grund«  alt 
die  Qnelle  allea  Übels.  Man  hätte  erwartet,  daaa  der  Phi- 
losoph Philo  den  Menschen  als  einen  Teil  das  vielRtltigeo 
göttlichen  Logos  behandelt  and  die  Unvollkommenhelt  seber 
Natur,  wie  alle  ünvollkomraeDhoiten  in  der  Natur,  dnrch  die 
nnvollkommeue  Gewalt  des  Logos  Ober  die  Materie  erkUrt 
haben  würde,  Hier  aber  kommt  die  all  testamentliche  ijAtt 
zum  Vorschein,  dass  Gott  dem  Menschen  den  lebendigen 
Odem  in  seine  Nasen  einblies,  and  der  Mensch  ein«  lebeit- 
dige  Seele  ward.  Auf  Grand  dessen  sieht  Philo  das  twijit 
Element  der  Seele  in  dem  göttlichen  Geiste  im  Menschen  [lä 
i/tl'iv  .tmvua],  wahrend  -Seele'  (t/ny^)  gewöhnlich  hei  ihn 
eine  vid  weitere  Bedentnng  hat  nnd  das  ganee  bewnsrte 
Leben  und  darum  auch  die  Wahrnehmung  (a'ii.Jt'h^at'i)  ein- 
schließt,  obgleich  diese,  wie  man  glauben  möchte,  dem  Fleisck 
{ai'ufia  oder  auQ$)  angehört.  In  Übereinstimmung  mit  Platoi 
Einteilung  nnterscheidet  Philo  oft  drei  Unterahioit nagen  dct 
Seele,  die  wir  annähernd  durch  Vernunft  {yovg  -/.a'i  Äu/»i,l, 
Geist  {0-vii6^)  und  Begehren  {t.ti^vfii(i)  wiedergeben  kOasto. 
Manchmal  heißt  ea,  Wahrnehmung  [ai'oär^tJtg] ,  Sprache  [k6)"K' 
und  Denkorgan  {yii-s)  seien  die  drei  WerkKenge  der  Et- 
kenntnis  {De  Congr.  erud.  gr.  IS,  p.  533).  Dann  wieder 
wird  jeder  Teil  in  zwei  geteilt,  so  das»  wir  im  ganien  «cb 
Teile  haben,  wahrend  der  siebente  Teil,  oder  degcnigo,  wei- 
cher sie  einteilt,  als  der  heilige  und  göttliche  Logos  (''  1(£W 
zcii    ^tiog   Ad/o,-)    bezeichnet   wird.      An    anderen    Stellt» 


Der  Logos.  413 

Dimmt  Philo  die  stoische  Einteilung  der  Seele  in  sieben  Teile, 
nimlich  die  f&nf  Sinne,  die  Rede  und  die  Fortpflanznngskraft, 
an,  doch  räumt  er  dem  oberherrlichen  oder  denkenden*  Teile 
{riß  ryeuoyix6i\  d.  h.  ö  vovgf  eine  besondere  Stelle  ein,  und 
es  wird  gesagt,  dass  Gott  seinen  Odem  nnr  in  diesen  Teil 
eingeblasen  habe,  nicht  aber  in  die  Seele  als  die  Vereinigang 
der  Sinne,  der  Rede  nnd  der  Zengungskraft.  Damm  wird 
der  Eine  Teil  der  Seele,  der  anintelligente  [akoyov],  dem  Blnte 
alua)  zugeschrieben,  der  andere  dem  göttlichen  Geiste  Tivevua 
^iior  j ;  der  Eine  ist  vergänglich,  der  Andere  unsterblich. 
Der  unsterbliche  Teil  war  das  Werk  Gottes  selbst,  der  ver- 
gingliche  —  wie  bei  Plato  —  das  Werk  von  untergeordne- 
ten 3tfiehten.  Was  Philo  sehr  anschaulich  gemacht  hat,  ist, 
dass  die  Sinne,  welche  im  Menschen  stets  vom  Denken  be- 
gleitet werden,  an  und  f&r  sich  passiv  und  unempfindlich 
sind,  dass  sie  nur  Bilder  von  gegenwärtigen  Dingen,  nicht 
aber  von  vergangenen  Gedächtnis)  oder  kfinftigen  {i'oDg,  ge- 
währen können.  Nicht  das  Auge  sieht,  sondern  das  Denk- 
organ (yovg)  sieht  durch  das  Auge,  nnd  ohne  das  Denk- 
organ würde  von  den  auf  die  Sinne  gemachten  Eindrflcken 
aichts  fibrig  bleiben.  Philo  zeigt  auch,  wie  die  Leidenschaf- 
ten nnd  Begierden  in  Wirklichkeit  das  Resultat  der  Wahr- 
oehmiing  [atoO-r^aig)  und  der  sie  begleitenden  Lust-  und 
Sehmerzempfindungen  sind,  welche  gegen  den  denkenden 
Geist  [yovg)  Krieg  fähren,  nnd  er  nennt  es  den  Tod 
der  Seele,  wenn  sie  von  den  Leidenschaften  fiberwältigt  ist. 
Dies  kann  jedoch  nur  metaphorisch  sein,  denn  der  höhere 
Teil  der  Seele  oder  der  von  Gott  dem  Menschen  eingeblasene 
göttliche  Geist  kann  nicht  zu  Grunde  gehen.  Dieser  göttliche 
Geist  —  ein  Begriff,  der  allem  Anscheine  nach  nicht  grie- 
chischen Ursprungs  ist  —  wird  zuweilen  mit  dem  stoischen 
Ausdruck  ä.roarraauu  bezeichnet,  doch  verwahrt  sich  Philo 
sorgftltig  gegen  die  Annahme,  dass  irgend  ein  Teil  jemals  von 
dem  höchsten  göttlichen  Wesen  losgelöst  werden  könne.  Er  er- 
klärt diesen  göttlichen  Geist  als  eine  ans  Gott  liervorgegangene 
Erweiterung,  und  er  nennt  das  Denkorgan   (rofv),  welches 


414 


Zwölfte  Vorleaung. 


dieser  Geist  der  Seele  des  Menschen  verleiht,  d.is  ilinlicbste 
Bild  DDd  Gleicbnis  der  ewigen  nnd  seligen  Idee. 

Wir  dtlrfen  jedoch  he!  Philo  keine  streng  konseqnenle 
TermiDologie  erwarten  und  uns  nicht  irre  machen  lassen, 
wenn  wir  finden,  dass  er  zuweilen  Denkorgan  oder  tiota  in 
dem  allgemeineren  Sinne  von  'Seele'  {iliiy'';]  gebrancfal.  Ihu 
Wichtige  fflr  una  ist,  dass  er,  trenn  ea  nötig  ist,  zwischen  den 
Beiden  unterscheidet.  Doch  schwankt  er  selbst  d.-itm  noeli 
Kwiachen  der  philosophischen  Anschannng  der  Stoiker,  da«* 
der  Geist  am  Ende  doch  matoriell  sei,  wenn  er  aneb  nicht 
ans  den  vier  gewShnlichen  Elementen,  sondern  ans  einem 
fünften,  dem  himmlischen  Äther,  beatehe,  und  der  Lehr«  ilet 
i/ioäe»,  dass  der  Geist  das  Bild  des  Göttlichen  nnd  des  ITs- 
sichtbaren  sei.  '' 

Selbst  wenn  aber  die  8eele  als  materiell,  oder  doch  iIj 
Ätherisch,  aufgefasst  wird,  wird  niohtsdcsloweniger  erklirl, 
daas  sie  himmlischen  Ursprungs  sei,  und  angenommen,  das* 
sie  zu  dem  reinen  Äther  als  zu  einem  Vater  Enrflckkelire. 'i 

Wenn  dagegen  der  Geist  als  der  Atem  {.-lycinia)  Gott« 
aufgefasst  wird,  so  kehrt  derselbe  zn  Uott  znrllck.  oder  viel- 
mehr er  war  nie  von  Gott  getrennt,  sondijrn  wohnte  nur  im 
Menschen.  Und  hier  kommt  wieder  die  blbliache  Idee  i 
Vorschein,  dass  gewisse  anseiwühlte  Henachen  wie  die  Pro- 
pheten von  dem  gatilichen  Geiste  erfOIlt  und  insofern  »ob 
gewChnlichon  Sterblichen  verschieden  seien. 

Doch  hei  all  seiner  Bewundernng  fitr  den  Logos,  in 
fem  er  göttlichen  Ursprungs  ist,  geht  Philo  selten  av  i 
wie  die  Platoniker.     Er  gab  nie  in,  dass  die  Seele  wMu 


1)  Dl  plantat.   Xof,  5    ^1 ,    332):    Oi   fii-    r.XXei    t^  at$H 

yoröiioy  t^c  XoylX'iS  ^vg^t  ta   rlioe  hfioluf  ärafiamf,  iiK  H*** 
2J  Quü  rrr.  diein.  htrei,  ST  (1,  514j:     T»   fi  raifir  nd  »i 


Der  Logos.  415 

ihrer  höchsten  Verzückung  thatsächlich  Gott  sehen  könne, 
>so  wenig,«  sagt  er,  »als  die  Seele  sich  selbst  sehen  kann« 
(De  mut.  nom.  2,  p.  579).  Aber  in  jeder  anderen  Beziehung 
war  die  Vernunft  fflr  ihn  die  höchste  Macht  in  der  Welt 
und  im  menschlichen  Geiste.  Wenn  also  ein  alexandrinischer 
Philosoph,  der  mit  Philo^s  Philosophie  und  Terminologie  ver- 
traut war,  ein  Christ  wurde,  so  erhob  er  in  Wirklichkeit 
Christus  zu  der  höchsten  Stellung,  die  er  sich  —  abgesehen 
Ton  der  uranfänglichen  Gottheit  —  denken  konnte.  Er  erklirte 
ipso  facto  seinen  neuen  Glauben,  dass  der  göttliche  Logos 
oder  das  Wort  in  Christus  Fleisch  geworden^  d.  h.  er  er- 
kannte in  Christus  die  vollständige  Verwirklichung  der  gött- 
lichen Idee  des  Menschen,  und  er  nahm  zu  gleicher  Zeit  flQr 
sich  und  für  alle  wahren  Christen  die  Macht  in  Anspruch, 
Söhne  Gottes  zu  werden.  Dies  wurde  von  Athanasius  in 
nicht  misszuverstehender  Sprache  ausgedrückt,  wenn  er  sagte, 
der  Logos,  das  Wort  Gottes,  werde  zum  Menschen,  damit 
wir  znm  Gott  gemacht  werden  könnten,  und  wieder  von 
Augustinus  in  den  Worten :  Factus  est  Deus  homo^  ut  homo 
fieret  Dens.  ^  Was  wir  auch  von  diesen  Spekulationen 
halten  mögen,  so  können  wir,  glaube  ich,  doch  als  Hi- 
storiker in  ihnen  eine  richtige  Darstellung  der  religiösen 
und  geistigen  Gärung  erkennen,  die  in  dem  Geiste  der  ersten 
griechischen  und  jüdischen  Konvertiten  zum  Christentum 
vor  bich  ging,  als  sie,  ohne  mit  ihren  philosophischen 
Überzeugungen  zu  brechen,  sich  mit  vollkommener  Ehrlich- 
keit der  Religion  Christi  anschlössen.  Drei  wichtige  Punkte 
wurden  durch  diese  Verbindung  ihrer  alten  Philosophie  mit 
ihrer  neuen  Religion  gewonnen:  das  Gefühl  der  engsten  Ver- 
wandtschaft zwischen  der  menschlichen  und  der  göttlichen 
Natur,  die  hervorragende  Stellung  Christi  als  des  Sohnes 
Gottes  im  wahrsten  Sinne,  und  zu  gleicher  Zeit  die  der  Mög- 
lichkeit nach  vorhandene  Brüderschaft  zwischen  Christus  und 
der  ganzen  Menschheit. 

1    Siehe    die  Bemerkungen    von   Cusauus  in    Dürs   Xicolaus 
Cusa/ius,  Bd.  IL  p.  347. 


416  ZwJlirte  VorleBun^. 

Inwiefern  diese  Interpretation  des  Logos,  wie  wir  sie 
nicht  nar  bei  Philo,  sondern  auch  bei  den  frQhesten  Konv«i^ 
titen  zniu  Christentum  finden,  orthodox  genannt  werden  kuin, 
ist  eine  Frage,  die  den  Geschichtsforacher  nicht  kOmmert. 
Das  Wort  'orthodox'  existiert  in  seinem  Wörterbnch  nicht. 
Es  gibt  wahrscheinlich  keinen  Ausdruck,  der  von  Seiten  der 
Theologen  so  viele  Deutungen  erhalten  hat,  wie  'Logos',  und 
keinen  Vera  im  Neuen  Testament .  der  für  den  modemco 
Leser  so  wenig  Sinn  £U  haben  scheint,  wie  der  erste  im 
Evangeiinm  des  8t.  Johannes.  Dem  Theologen  steht  es  frei, 
ihn  nach  eigenem  GutdOnkeu  auszulegen,  der  0  esc  hieb  tsfor- 
Bcber  aber  hat  keine  Wahl.  Er  mnss  jedes  Wort  in  dem 
Sinne  aiitTassen,  in  welchem  es  von  denen,  die  es  gebraueb- 
ten,  EU  ihrer  Zeit  aufgefaast  wurde. 


Jnpiter  alri  der  Sobn  Gottes. 

Dass  der  Oeistesprozesa ,  durch  welchen  die  grieebisebe 
Philoso|)hie  sich  den  Lehren  des  Christentums  anpassle,  dem 
Zeitgeist  entsprach ,  wird  am  besten  dnrch  einen  analog 
ProKess  erwiesen,  der  die  nenplatonischen  Philosophen  dt» 
führte,  ihre  philosophischen  Theorien  auch  in  ihrer  eigeses 
alten  Mythologie  wiederzufinden.  So  spricht  Plotlnni  ron 
dem  höchsten  Gott,  der  einen  schönen  Sohn  erxeugt  und 
ohne  jede  Mühe  oder  Plage  alle  Dinge  in  seiner  WescDbeil 
hervorbringt.  Da  nämlich  diese  Gottheit  von  ihrem  Werke 
entzOckt  ist  und  ihre  Nacbkommenschaft  liebt,  so  pfluist  ä» 
ttUe  Dinge  fort  und  verbindet  sie  mit  »ich  selbst,  erfreut  Über 
sich  selbst,  sowie  auch  über  die  von  ihren  Kindern  eolfsl- 
lete  Pracht.  Da  aber  diese  alle  schön,  und  die  Qbrigblei- 
benden  noch  schöner  sind,  strahlt  Jupiter,  Avt  Sohn  des 
Verstandes,  allein  äußerUch  bervor,  ans  den  herrlichen  ^VohIl- 
Stätten  seines  Vaters  hervortretend.  Und  an  diesem  lettteB 
Sohne  kSnnen  wir  wie  an  einem  Bilde  die  GrOße  ma» 
Vaters  schanen,    sowie  auch  seiner  Brllder,  jener  gflltlich» 


Der  Logos.  417 

Ideen,     welche    in    geheimnisvoller    Vereinigung    mit    ihrem 
Vater  leben.  ^. 

Hier  sehen  wir,  dass  Jnpiter,  ursprünglich  der  Vater  der 
Götter  und  Menschen,  dem  höchsten  Wesen  weichen  und  als 
ein  phänomenaler  Gott,  oder  als  der  Logos,  sich  mit  der 
Stelle  des  Sohnes  Gottes  begnflgen  muss.  Das  ist  die  grie- 
chische Philosophie,  wie  sie  versucht,  die  alte  griechische 
Religion  zu  durchdringen  und  neuzubeleben.  gerade  so  wie  wir 
sahen,  dass  sie  versuchte,  sich  mit  den  Lehren  des  Christen- 
tums zu  befreunden,  indem  sie  anerkannte,  dass  das  göttliche 
Ideal  der  Vollkommenheit  und  Güte  in  Christus  verwirklicht 
sei  und  mit  der  Zeit  in  Allen,  welche  die  Söhne  Gottes  wer- 
den sollen,  verwirklicht  werden  solle.  Der  Grundton  aller 
dieser  Bestrebungen  ist  derselbe:  ein  immer  stärker  hervor- 
tretender Glaube,  dass  die  menschliche  Seele  von  Gott  komme 
und  zu  Gott  zurückkehre,  ja  dass  sie  —  in  streng  philoso- 
phischer Sprache  —  niemals  von  Gott  losgerissen  ic;i6orraaua)j 
dass  die  Brücke  zwischen  Gott  und  dem  Menschen  nie  ab- 
gebrochen, sondern  nur  durch  die  vou  den  Sinnen  und  dem 
Fleische  erzeugte  Dunkelheit  der  Leidenschaften  und  Begier- 
den auf  einige  Zeit  unsichtbar  gemacht  worden  sei. 


1;  Plotinus.  Emieaden,  II;  Taylor.  Platonic  Uvitgtott,  p.  263. 


M»z  Xftll«r,  Tkeotopliie. 


Dreizehnte  Vorlesung. 
Alexandrinisches  Ohristentom. 


Stoiker  und  Neuplatoniker* 

Ich  suchte  in  meiner  letzten  Vorlesung  zu  zeigen,  wie 
Philo  als  der  Vertreter  einer  wichtigen  historischen  Phase  des 
jüdischen  Denkens  sich  bemtthte,  mit  Hilfe  der  griechischen 
und  namentlich  der  stoischen  Philosophie  eine  Brücke  von 
der  Erde  zum  Himmel  zu  schlagen,  und  wie  es  ihm  gelang 
zu  entdecken,  dass  diese  zwei  Welten  gleich  zwei  Ländern,  die 
jetzt  durch  einen  seichten  Isthmus  getrennt  sind,  ursprünglich 
nur  Ein  ungeteiltes  Festland  bildeten.  Wenn  die  ursprüng- 
liche Einheit  der  Erde  und  des  Himmels,  der  menschlichen 
und  der  göttlichen  Natur  einmal  entdeckt  worden  ist,  nimmt 
die  Frage  betreffs  der  Rückkehr  der  Seele  zu  Gott  einen 
neuen  Charakter  an.  Es  handelt  sich  nicht  mehr  um  ein 
Hinaufsteigen  zum  Himmel,  eine  Anfnähernng  an  den  Thron 
Gottes,  eine  verzückte  Vision  Gottes  und  ein  Leben  in  einem 
himmlischen  Paradies.  Die  Vision  Gottes  ist  vielmehr  die 
Erkenntnis  des  göttlichen  Elements  in  der  Seele,  und  der 
Wesenseinheit  der  göttlichen  und  der  menschlichen  Katar. 
Unsterblichkeit  braucht  nicht  mehr  behauptet  zu  werden,  denn 
es  kann  keinen  Tod  geben  für  das,  was  im  Menschen  gött- 
lich und  darum  unsterblich  ist.  Ewiges  Leben  und  ewiger 
Friede  ist  Allen  beschieden,  welche  fühlen,  dass  der  göttliche 
Geist  in  ihnen  wohnt,  und  welche  so  die  wahren  Kinder  Gottes 
geworden  sind.    Philo  hat  sich  von  der  volkstümlichen  escha- 


Alexandrinisches  ChriBtentam.  419 

tologiflchen  Terminologie  nicht  ganz  frei  gemacht.  Er  spricht 
Ton  der  Stadt  Gottes  and  von  einem  mystischen  Jerusalem. 
Doch  brauchen  diese  Ausdrücke  nichts  weiter  als  poetische 
Metaphern  für  jenen  Oottesfrieden  zu  sein,  der  alle  Namen 
nnd  alle  Begriffe  übersteigt. 

Immerhin  ist  die  eschatologische  Sprache  Philo*s  weit 
einfacher  und  nüchterner,  als  das,  was  wir  selbst  in  christ- 
lichen Schriften  jener  Zeit  finden,  in  denen'  der  Geist  der 
nenplatonischen  Philosophie  neben  den  gemäßigteren  Über- 
lieferungen der  jüdischen  und  der  stoischen  Schule  des  Den- 
kens thfttig  gewesen  ist.  Der  Hauptunterschied  zwischen 
den  Neuplatonikem  und  den  Stoikern  ist  der,  dass  die  Neu- 
platoniker,  die  christlichen  sowohl  wie  die  heidnischen,  mehr 
auf  das  Gefühl  als  auf  logische  Schlussfolgerungen  vertrauen. 
—  Damm  verlassen  sie  sich  vielmehr  auf  verzückte  Visionen, 

» 

als  Philo  nnd  seine  stoischen  Freunde.  In  vielen  anderen 
Punkten  jedoch,  namentlich  in  Bezug  auf  das  ursprüngliche 
Verhiltnis  zwischen  der  Seele  und  Gott,  ist  nicht  viel  Unter- 
schied zwischen  den  Beiden. 

Plotinus* 

Plotinus,  der  Hauptvertreter  des  Neuplatonismus  zu 
Alexandria,  kann,  obgleich  er  durch  zwei  Jahrhunderte  von 
Philo  getrennt  ist,  ein  indirekter  Abkömmling  dieses  jüdischen 
Philosophen  genannt  werden.  Er  soll  mit  Numenius  verkehrt 
haben,  der  in  die  Fußtapfen  Philo's  tratJ)  Plotinus  ging 
aber  weit  über  Philo  hinaus.  Er  trieb  den  Idealismus  auf 
die  Spitze.  Während  die  Stoiker  sich  damit  begnügten,  zu 
wissen^  dass  Gott  ist,  und  sein  Bild  in  den  Ideen  der  unsicht- 
baren nnd  den  mannigfachen  Gestalten  der  siehtbareu  Welt 
wiederzufinden,  betrachteten  die  Neuplatoniker  die  unfassbare 


1    Porphyrius  musste  ein  ganzes  Buch  schreibeu.  um  zu  be- 
weisen, dass  Plotinus  nicht  einfach  von  Numeuius  entlehnt  hat. 


27* 


420 


Dreizehnte  Vorlesung. 


und  nnoffenbarte  Gottheit  a!s  das  liCchste  Ziel  ihres  Streben«, 
ja  als  einen  möglichen  Gegenstand  ihrer  verzückten  VTflion. 
Wo  der  Stoiker  sich  in  ehrerbietiger  Entfernung  halt,  ntflrit 
der  Nenplatoniker  mit  leidenschaftlicher  Liehe  herein  nnd 
gelallt  sich  in  Traumen  nnd  Phantasien,  die  am  F.nde  onr 
znr  SelbsttäDschung  und  zam  Betrug  fflbren  konnten,  lodern 
die  Stoikor  Gott  als  die  Ursacho  alles  dessen,  was  io  diu 
Bereich  der  sinnlichen  nnd  geistigen  Erfahrnng  des  Menschm 
fällt,  ansahen,  kamen  sie  za  der  Schlussfolgernng,  daas  er 
nichts  von  dem  sein  k')nne.  was  eine  Wirkung  ist,  und  äu* 
er  keine  Attribute  haben  dllrfe  llnoiog:  ,  dnrch  welch»  er 
erkannt  und  benannt  werden  kOnnte,  Gott  war  bei  ikoen 
einfach,  ohne  Eigensuhaften,  anbegreifbar  und  nnbcnennhar. 
Vom  ethischen  Standpunkte  gab  Philo  zu,  dass  die  menaeli- 
liche  Seele  streben  sollte,  des  Körpers  ledig  Ifi'yi  l»-  f"f 
aü/iitTri^)  und  Gott  gleich  [f/  irfilii;  tfehv  t^o/joimaii]  n 
werden.  Er  spricht  sogar  von  f  t'wo/^.-,  Vereinigung,  aber  « 
spricht  nie  von  jenen  mehr  oder  minder  sinnlichen,  vrnflek- 
ten  und  seligmacheiiden  Visionen  der  Gottheit,  welohe  da 
Hauplthema  der  Neuplatoniker  bilden.  Diese  sogenannten  Al>- 
kSmmlinge  Plato's  hatten  viel  von  den  Stoikern  entlohnt,  doeh 
herrschten  hei  all  dem  die  retigiüsen  Elemente  in  ihrer  Phi- 
losophie so  vollständig  vor,  dass  zuweilen  die  alte  meLapbj- 
&ische  Grnndlage  zu  verschwinden  drohte.  Während  die  Vennß 
nnd  das  Vernünftige  in  der  phänomenalen  Welt  den  Haopt- 
gegenständ  stoischen  Üenkens  bildet,  konzentrierte  sieh  das 
Hauptinteresse  der  Neuplatoniker  auf  das,  was  nber  die  Ver- 
nunft hinausgeht.  Man  kann  sagen,  dass  gewissermaßon  schon 
der  Stoicismus  des  Philo  in  diese  Richtung  wies,  denn  uob 
sein  Gott  war  als  über  dem  Logos  stehend  gedacht,  Dnd  MÜlt 
Wesenheit  blieb  anbekannt;  doch  war  Kenntnis  von  dtn 
Dasein  Gottes  nnd  Ähnlichkeit  mit  Gott  dae  bOohst«  Ziel, 
und  Ziitlncht  zu  ihm  war  das  ewige  Lehen. '}  Man  hat  An- 
halb  richtig  bemerkt,   dass   der  Kenplatoniker  sich  VM» 


1) 


Dl  pro/.  15  [I,  557; 


AlezjuDdiiniMheB  ChristeDtmiL  421 

Stoiker  mehr  dureh  Tempermment   als  durch  ArgamenUtion 
«■tersehcidet 

Der  NeupUtoniker  gUabt,  wie  der  Stoiker,  jui  ein  ur- 
aafibi^ehes  Wesen,  sowie  mn  eine  idejde  Welt  [rovg.  x6auo^ 
vorzd^)  als  das  Urbild  der  phänomenalen  Welt  [xoauo^ 
o^trr^;.  Die  Seele  ist  anch  ftlr  ihn  göttlichen  Ursprungs. 
Sie  ist  das  Bild  des  ewigen  yous^  eine  unkdrperliche  Sub- 
stanz,  die  zwischen  dem  Xous  und  der  sichtbaren  Welt  in 
der  Mitte  steht  Je  mehr  die  Seele  sich  von  ihrem  Urquell 
eatfemt,  desto  mehr  fiült  sie  in  die  Gewalt  dessen,  was  wir 
dBe  Materie  nennen  würden,  des  Unbestimmten  .a.rei^oy]  und 
des  Unwirklichen  (ro  ur  ov).  Hier  setzt  nun  die  Philosophie 
ein,  nm  der  Seele  ihren  Weg  zurQck  nach  ihrem  wiiklichen  Heim 
za  zeigen.  Dies  wird  durch  das  Üben  der  Tugenden,  von  der 
■iedrigiten  bis  zur  höchsten,  zuweilen  durch  eine  sehr  strenge 
aaeetiseheDisciplin,  ganz  wie  in  Indien,  bewerkstelligt.  Am  Ende 
jedoch  kann  weder  Erkenntnis  noch  Tugend  etwas  fruchten. 
Tellstftndiges  Selbstvergessen  allein  kann  die  Seele  zur  Gott- 
heit flhren,  in  deren  Umarmung  unaussprechliche  Seligkeit 
ZB  finden  ist.  So  sagt  Plotinus,  wenn  er  von  dem  vollstin- 
digen  Aufgehen  des  Menschen  in  dem  Absoluten  spricht  i^j 
>Vielldcht  kann  man  es  gar  nicht  einmal  ein  Anschauen 
;  es  ist  eine  andere  Art  des  Sehens,  eine  Entzückung, 
rereinfnchung.  eine  Erhöhiug.  ein  Streben  nach  Berflh- 
eine  Buhe.  Es  ist  das  höchste  Streben  nach  Vereini- 
gung, um  wo  möglich  zu  schauen,  was  im  Heiligthume  ^'j 
Sdvtoy.  das  Innerste  des  Tempels  ist.  Doch  auch  wenn 
warn  sehen  könnte,  w&re  nichts  vorhanden.  Durch  solche 
Gleichnisse  suchen  die  weisen  Propheten  anzudeuten,  wie 
Gott  geschaut  werden  könne,  und  der  weise  Priester,  der  die 
AndeutDBg  versteht,  kann  wirklich,  wenn  er  bis  ins  Ileilig- 
tarn  vordringt,  eine  wahrhaftige  Anschauang  erlaogen.c  Diese 
AMchaaungen,  in  denen  man  nichts  sehen  konnre.  ii^nirden  na- 
tftilieherweise  als  Geheimnisse  behandelt,  und  die  aller  wahren 


1    Thoinek,  Morgeolindische  M\ätik   Berlin  1S25   p.  5. 


I 


422  Dreizehnte  Vorlesung, 

Philosophie  so  fenliegende  Idee  des  MysteriamB  wurde  aeliT 
und  mehr  vorherrschend.  Su  sagt  Plolinus  selbst,  dies  MJeo 
Lehren,  die  als  Mysterien  beträchtet  and  nicht  vor  die  Un- 
eingeweihten gebracht  werden  sollten.  Aach  Prudus  S«gt:'' 
>Sq  wie  die  Mystae  in  den  allerheiligaten  Weihen  (ifkitai) 
znerst  auf  ein  vielgestaltiges  and  mannigraches  Göttergeschleebl 
stoßen,  ins  Heiligtum  aber  gotreten,  tinbewcgUch.  umgeben 
von  den  Weihen,  die  güttlich«  Erleuchtung  sofort  in  Ihrtn 
Busen  aufnehmeo.  und  leicht  gerüBteten  Kriegern  gleich  im- 
verzllglich  des  Göttlichen  sich  bemächtigen,  so  geschieht  tr 
auch  bei  dar  Anschauung  des  Alls.  iSlickt  die  Seele  anf 
das,  was  ihr  nachsteht,  »o  sieht  sie  die  gchatten  tmd  Trug- 
bilder des  Seienden.  Wenn  sie  aber  in  ihr  eigentw  WeWB 
sieh  wendet,  und  znerst  ihre  eigenen  VorhUtnisse  eDthDUL 
erblickt  sie  zuerst  sich  selbst  nur,  tiefer  eindringend  jedeeli 
in  die  Erkenntnis  ihrer  selbst,  findet  sie  den  Geist  in  sink 
und  alle  Ordnungen  der  Dinge.  Und  dringt  sie  in  ihr  In- 
nerstes, gleichsam  in  dus  Adyton  (urli-rci'  der  tleele,  m  kann 
sie  also  das  Gesohlecht  der  GOtter  und  die  Einheiten  lUtf 
Dinge  mit  geschlossenem  Au^e  Bchaneti.< 

Plotiniia  und  seine  Schule  scheinen  fremden.  namanUicb 
oriontati  sehen  Koligionen  nnd  aherglftubiHohen  Ueinnaj^a 
große  Aufmerksamkeit  geschenkt  und  sich  bemOht  zu  haben. 
in  ihnen  allen  Überreste  göttlicher  Weisheit  »n  enldedien 
Sie  wollten  sogar  die  Religion  des  römischen  lieiclicfi  bevab- 
ren  und  wieder  auffrischen.  Indem  die  Nunplatoniker  fb 
sich  selbst  eine  Offenbarung  in  Anspruch  nahnieu,  wwn  *M 
um  so  mehr  geneigt,  auch  göttliche  Offenbarangea  bei  u- 
deren  Religioneu  aniunehmon  und  sie  alle  zu  einer  luüm- 
salen  Reli^on  zu  vereinigen.  Doch  was  trir  unter  ftnas 
historisch-kritisohen  Studium  anderer  ßeügioncn 
war  zu  jener  Zeit  unmöglich.  Wahrend  Philo  bei  w: 
unerschtttterlichen  Festhalten  an  dem  jüdischen  tiUnbea 

!)  Siehe  Thuluck  a.  «.  0.  p.  «. 


AlexandriDi&chea  Christen  tum.  423 

damit  begnügte.  Alles  im  Alten  Testament,  was  mit  seinen 
philosophischen  Überzeugungen  nicht  verträglich  schien,  alle- 
gorisch auszulegen,  nahmen  die  Neuplatoniker  Alles  an,  was 
mit  ihren  mystischen  Träumen  in  Einklang  zu  stehen  schien, 
und  öffneten  dem  Aberglauben,  selbst  der  schlimmsten  Sorte, 
Thfir  und  Thor.  Sonderbar  ist  es  aber,  dass  Plotinns  der 
christlichen  Religion,  die  damals  in  Alexandria  rasch  Einfluss 
gewann,  wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt  zu  haben  scheint. 
Seine  Schüler  aber,  Amelius  und  Porphyrius,  befassen  sich 
beide  mit  derselben.  Amelius  besprach  das  vierte  Evange- 
lium eingehend.  Porphyrius  schrieb  sein  Werk  in  fünfzehn 
Büchern  gegen  die  Christen,  namentlich  gegen  ihre  heiligen 
Bücher,  die  er  als  das  Werk  von  unwissenden  Leuten  und 
Schwindlern  bezeichnete.  Und  doch  zählte  keine  Sekte  und 
keine  Schule  so  viele  decepti  dereptores^  wie  die  der 
Neuplatoniker.  Magik,  Thaumaturgie,  Levitation,  Glaubens- 
kuren. Gedankenlesen.  Spiritismus  und  alle  Arten  frommen 
Betrugs  wurden  von  Schwindlern  ausgeübt,  die  —  manche 
derselben  mit  großem  Gefolge  —  von  Ort  zu  Ort  herumzogen. 
Ihr  Eintluss  war  weit  verbreitet  und  höchst  verderblich.  Doch 
dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  derselbe  Neuplatonismus 
unter  seinen  Lehrern  und  Ghlubigen  auch  Namen  zählte,  wie 
Kaiser  Julian  ;331 — 363\  der  den  Neuplatonismus  eindring- 
lich genug  lehrte,  um  das  Christentum  zu  verdrängen  und 
die  alte  Religion  Roms  wiederzuerwecken ;  auch  —  wenig- 
stens auf  einige  Zeit  —  .y/.  Augui^tinus  '354  —  430  V  Hy- 
paiia.  die  schöne  Märtyrerin  der  Philosophie  (f  415  .  und 
Prochis  (411 — 4S5),  der  gleichsam  das  Bindeglied  zwi- 
schen der  griechischen  und  der  scholastischen  Philosophie 
des  Mittelalters  und  mit  Dionysius  Eine  der  Hauptauto- 
ritäten  der  mittelalterlichen  Mvstiker  wurde.      Durch  Proclus 

• 

wunien  die  besten  Gedanken  der  Stoiker,  des  Aristoteles, 
Plaios.  ja  noch  älterer  Philosophen  Griecheulands .  wie  des 
Anaxagoras  und  des  Heraklit.  den  größten  scholastischen 
und  mystischen  Doktoren  in  der  Kirche  des  Mittelalters  über- 
mittelt;  ja  es  gibt  Strömungen    in   unserer  eigenen  modernen 


424  Dreizehnte  Vorlesatig. 

Theologie,  wulche  sich  durch  einen  untmlerbroobenen  Strom 
Auf  Anregnugeii  zurückführen  lassen,  die  dem  Gehirne  der 
ältesten  Denker  Kleinasiens  und  Griechenlands  eatspraugen. 

Ehe  wir  Plotinua  und  <Iie  Neuplatoniker  verlassen,  mOchte 
ich  Ihnen  einige  Auszüge  ans  einem  Privatbriefe  vorlesen, 
den  dieser  Philosoph  an  FUccns  schrieb.  Wie  die  meisten 
Privatbnefe  gestattet  er  uns  einen  besseren  Einbliok  in  die 
innersten  Gedanken  des  Suhreibera  und  in  das,  was  or  ftr 
die  wiohtigaten  Pankte  seines  philosophischen  Systems  hielt, 
aU  irgend  ein  selbst  weit  svr^ltiger  durchdachtes  Buch. 


Brief  ron  H^tlngs  an  Haecns. 


lezng  anf 


lAußere  Gegenstände, <  schreibt  er,  'bieten  uns  i 
scbeinuugen  dar,<  d.  b.  sind  nur  phänomenal.  In  Bezog  i 
diese  also,  kann  man  sagen,  besitzen  wir  vielmehr  HeinviiK 
als  Erkenntnis.  Die  Unterscheidungen  in  der  thatsfleblichni 
Eracbei nun gs weit  sind  nur  fOr  gewöhnliche  und  praktische 
Menseben  von  Wichtigkeit.  Unsere  Frage  dreht  sich  nm  die 
ideale  Wirklichkeit,  welche  hinter  der  Erscheinnog  esistint. 
Wie  nimmt  der  Geist  diese  Ideen  wahr?  Sind  sie  außer  iinii 
und  beschädigt  sich  die  Vernunft,  ebenso  wie  die  Slnii«*- 
Wahrnehmung,  mit  Gegenständen,  die  außerhalb  ihrer  sclhu 
liegen?  Was  filr  eine  Gewissheit  könnten  wir  dann  haben, 
was  für  eine  Versicherung,  dass  unsere  Wahrnehmung  nn- 
trtlglich  gewesen  y  Der  wahrgenommene  Gegenstand  wOrd« 
etwas  von  dem  ihn  wahrnehmenden  Geist  Verschiedenes  sein. 
Wir  wtivden  dann  ein  Bild  anstatt  «liner  Wirkliohkeit  haben 

Es  w&ru  widersinnig,  auch  nur  fOr  einen  Augenblick  m 
glauben,  dass  der  Geist  unfähig  sei,  die  ideale  Wahrheit  gcnaa, 
so  wie  sie  ist,  wahrzunehmen,  und  das$  wir  keine  Gewissheit, 
keine  wirklich«  Erkenntnis  hinsichtlich  der  Verstau  de«  well 
hätten.  Daraus  folgt,  dass  dieses  Gebiet  der  Wahrheit  niohi 
als  ein  außer  uns  liegendes  und  darum  nur  nnvoUkomnen 
erkanntes  erforscht  werden  darf.  Es  ist  in  uns  selbst.  Iliei 
sind  die  Objekte,  die  wir  betrachten,  und  das,  was  bolrachlet 


v^ 


Aleundrinisches  Christentum.  425 

identisch  —  beide    sind  Gedanke.     Das    Subjekt    kann  doch 
nicht  ein  von  ihm  selbst  verschiedenes  Objekt  erkennen. ^ 

Die  Ideenwelt  liegt  innerhalb  unseres  Verstandes.  Die 
Wahrheit  ist  daher  nicht  die  Übereinstimmung  unserer  Auf- 
fassung eines  äußeren  Gegenstandes  mit  dem  Gegenstande 
selbst  Es  ist  die  Übereinstimmung  des  Geistes  mit  sich 
selbst.  Das  Bewusstsein  also  ist  die  einzige  Basis  der  Gewiss- 
heit. Der  Geist  ist  sein  eigener  Zeuge.  In  sich  selbst  sieht 
die  Vernunft  das.  was  Aber  ihr  ist.  als  ihre  Quelle;  und 
wiederum  das.  was  unter  ihr  ist,  als  noch  einmal  sie  selbst 

Die  Erkenntnis  hat  drei  Grade :  Meinung.  Wissenschaft 
und  Erleuchtung.  Das  Mittel  oder  Werkzeug  des  ersten 
Grades  ist  Sinneswahmehmung :  das  des  zweiten  Vernunft 
oder  Dialektik;  das  des  dritten  geistige  Anschauung.  Der 
Letzteren  ordne  ich  die  Vernunft  unter.  Sie  ist  absolute  Er- 
kenntnis, die  auf  die  Identität  des  erkennenden  Geistes  mit 
dem  erkannten  Objekt  gegründet  ist  Es  gibt  ein  Ausstrahlen 
aller  Klassen  von  Wesen,  eine  nach  außen  gerichtete  Emanation 
TOn  dem  Cnaussp rechlichen  .1060604].  Und  andererseits  gibt 
ea  einen  Drang  inr  Rückkehr,  der  Alles  nach  oben  und  nach 
innen  gegen  den  Mittelpunkt.  Ton  dem  es  ausging,  hinzieht 
i/tiOTQOffr  . 

Die  Liebe  —  wie  Plato  im  Symposion  so  schön  sagt  — 
ist  das  Kind  der  Armut  und  der  Ftüle.  In  der  Liebeswer- 
bong  der  Seele  um  Gott  liegt  das  schmerzliche  Bewusstsein 
des  Falls  und  des  Verlustes.  Aber  diese  Liebe  ist  ein  Segen, 
sie  ist  das  Heil,  sie  ist  unser  Schutzengel;  ohne  sie  würde 
das  Gesetz  der  Centrifngalkraft  uns  überwältigen  und  unsere 
Seelen  weit  von  ihrem  Urquell  weg  gegen  die  kalten  Extreme 
des  Materiellen  ond  des  Mannigfaltigen  hinreißen.    Der  Weiae 


1  Plotinus.  Ennoades.  1.  6.  *j:  10  yno  onün'  to'>,-  10  ooußueyoy 
ctyyiy't'i  xa\  ouoior  noi^cauivoy  Jii  irttßicAAety  i[,  (ti*;.  01  yao  üy 
nvanoit  ildiy  6(f&a'/.uoi  rAtoy  r^/.toitöfy  ur  ysyayr  iiiyo^,  oiök  10 
xckoy  ay  7dot  Ct//  ur  x(:'/.r  yiyouiyr.  '  eyitjitut  dr  mjüßioy  x^ioetd'r^ 
rr«,-,  xai  xc.Xoi  .^c:>  .  il  uii.lf.ei  ^ff!<r«<r.>r:(  i^coy  i:  x«i  x«).öy.  Ed. 
Dübner,  p.  37. 


426 


Dreizehnte  VorlcBUDfr. 


erkennt  die  Idee  (.'Ottes  in  sich  sclbal.  Er  entwickelt  d«. 
dadurch  dass  er  sich  in  das  Ällerh eiligste  seiner  oi^oen 
äeele  zurückzieht.  Wer  nicht  versteht,  wie  die  Seele  du 
SchQne  in  sich  enthält,  sucht  durch  mOhs&mea  Schaffen  die 
SohCaheit  außer  sich  zn  verwirklichen.  Er  sollte  es  sich  vielmehr 
tarn  Ziele  machen,  sein  Wesen  zn  konzentrieren  und  zn  ver- 
einfachen nnd  es  ao  zn  erweitern;  er  sollte  streben,  anslail 
in  das  Mannigfaltige  hinauszugehen,  es  für  das  Eine  za  ver- 
lassen nnd  ao  h iu an fzusch weben  zn  dem  göttlichen  Born  de* 
Seins,  dessen  Strom  in  ihm  selbst  fließt. 

Da  fraget:  Wie  können  wir  das  L'nendliche  erkennen? 
Ich  antworte:  Nicht  durch  die  Vernunft.  Es  ist  das  Amt 
der  Vernnoft,  zu  nutersclieiden  nnd  zn  definieren.  Da«  ün- 
eodliche  kann  daher  nicht  zu  ihren  Objekten  gezählt  werden. 
Du  kannst  das  Unendliche  nur  durch  eiue  Kraft  erreichen. 
die  hSher  ist  als  die  Vernunft,  indem  du  in  einen  Zustand 
eingehst ,  in  dem  da  nicht  mehr  dein  endlichns  Selbst  lüal, 
in  dem  du  an  der  göttlichen  Wesenheit  Auteil  hast.  Ota 
ist  der  Zustand  der  Verzücknng.  Es  ist  die  Befreiung  d(i> 
ncs  tieistee  von  all  seinen  endlichen  Sorgen.  Nur  das  AlllH 
liehe  kann  Ähnliches  hegreifen.  Wenn  du  so  anllidnt,  m 
lieb  zu  sein,  wirst  du  mit  dem  Unendlichen  Eins.  In  dw 
ZarttckfUhrung  deiner  Seele  auf  ihr  einfachstes  Selbst  {Sttit*- 
ut^),  ihre  gSttliohe  Wesenheit,  wirst  du  dir  dieser  Einheit, 
tifliii,  dieser  Identität   i/'i'fiioic)  hewusst. 


Verzückte  geistige  Ansehanauiir, 

Plotinua  fügt  hinzu,  dass  dieser  Znslnnd  der  VenQckmff 
nicht  hftnBg  verkomme,  dass  er  selbitt  ihn  nur  dreimal  i> 
seinem  Leben  (;rfahreu  habe.  Es  gibt  verschiedene  W«p, 
welche  zu  demselben  führen:  Die  Liebe  zur  SchAnlieit. 
welche  die  OrdQe  des  Dlckleru  ausmacht;  Ilingabc  an  ilst 
Eine  und  das  Aufsteigen  der  WissensoliAfl,  wuldies  den  Ehr- 
geiz des  Philosophen  bildet;  und  endlich  liebe  nnd  Gdwie. 
womit    irgend    eine    fromme   nnd    he^eiatette   Beets   ia  liim 


Alexandrinisches  Cbristentnm.  427 

moralischen  Reinheit  nach  Vollkommenheit  strebt.  Wir  wflr- 
den  diese  drei  Wege  das  Schöne,  das  Wahre  und  das  Gott- 
liehe  nennen,  die  drei  großen  Straßen,  welche  die  Seele  zu 
»jener  Höbe  Aber  dem  Thatsftchlichen  nnd  dem  Besonderen 
fähren,  wo  sie  in  der  unmittelbaren  Gegenwart  des  Unendlichen 
steht,  welches  gleichsam  ans  der  Tiefe  der  Seele  hervorstrahlt«. 
Porphyrins,  der  Schüler  nnd  Biograph  des  Plotinns,  be- 
richtet nns,  dass  Plotinns  sich  dessen  schftmte,  dass  seine 
Seele  je  habe  einen  menschlichen  Körper  annehmen  müssen, 
nnd  als  er  starb,  sollen  dies  seine  letzten  Worte  gewesen 
^in:  »Ich  habe  dich  bereits  erwartet,  und  jetzt  willige  ich 
gerne  ein,  dass  mein  göttliches  Teil  zu  jener  göttlichen  Natur 
zurückkehre,  welche  das  ganze  Weltall  mit  ihrer  Pracht  er- 
f&llt.«  Er  sah  seine  Seele  so  an,  wie  Empedokles  lange 
vor  ihm,  wenn  er  sich  >den  Verbannten  des  Himmels,  von  dem 
Lichtkreis  verirrt,  verirrt,  aber  doch  wieder  zurückkehrend« 
nannte. 

Alexandrinisches  Christentum.    8t*  Clemens. 

Es  war  notwendig,  diese  Darlegung  der  Elemente,  welche 
die  geistige  Atmosphäre  von  Alexandria  bildeten,  zu  geben, 
um  den  Einfluss  zu  verstehen,  welchen  diese  Atmosphäre  auf 
das  früheste  Wachstum  des  Christentums  in  dieser  Stadt  aus- 
übte. So  groß  auch  der  Fortschritt  war,  den  das  Christen- 
tum zu  Jerusalem  unter  Leuten  machte,  die  lange  Zeit  mehr 
Juden  als  Christen  blieben,  so  begann  doch  dessen  Einfluss 
auf  die  große  Welt  erst  mit  der  Bekehrung  von  Män- 
nern, welche  damals  die  Welt  repräsentierten,  Männern, 
welche  an  der  Spitze  des  philosophischen  Denkens  standen, 
welche  in  den  Schulen  der  griechischen  Philosophie  erzogen 
worden  waren,  und  welche,  indem  sie  das  Christentum  als 
ihre  Religion  annahmen,  der  Welt  zeigten .  dass  sie  im  stände 
waren,  ehrlicher  Weise  ihre  eigenen  philosophischen  Über- 
zeugungen mit  den  religiösen  und  moralischen  Lehren  von 
Jesus    von   Nazareth    in    Einklang    zu    bringen.      Nicht    die 


428 


DreLZL'liiite  Vürli'Bung. 


scblicbteu  Kischer  von  Galiläa,  aoodem  USnner,  welche  di« 
höchste  Erziehung,  welche  damals  za  haben  war,  d.  h.  grie- 
cliiacbo  Erziehnng,  genossen  hatten,  waren  es,  welche  mit 
Kecht  als  die  Väter  und  Begründer  der  christlichen  Kirche  be- 
Ketchnut  werden.  In  Palästina  hätte  daa  Chnstentam  allenfalU 
eine  lokale  Sekte  neben  vielen  anderen  bleiben  können.  In 
Alexandria,  welches  damals  geradezu  der  Mittelpunkt  der  geisti- 
gen Welt  war,  mussto  es  entweder  die  Welt  erobern  oder  vom 
Brdboden  verschwinden.  Clemens  von  Aleiandria,  Origenes, 
Iren&ens,  Atbsnasius,  BasiUns,  Gregor  von  Nyssa,  Gregor  von 
Nazianz,  Chrysostomos,  oder  unter  den  lateinischen  Kirchen- 
vätern Tertuilian,  Cyprian,  Ambrosius,  Uilarius,  Augustinus, 
Hieronymns  und  Gregor,  sie  Alle  waren  Männer  von  klassi- 
scher Gelehrsamkeit  und  philosophischer  Bildung,  die  sich 
ihren  heidnischen  Gegnern  gegenüber  recht  gut  zu  behaaplen 
wusaten.  Das  ÜLristeutum  kam  ohne  Zweifel  aus  dorn  Stäb- 
chen im  Hause  der  Maria,  >da  viel  bei  einander  waren  und 
beteten<,']  aber  schon  im  zweiten  Jahrhundert  wurde  es  ein 
ganz  anderes  Christentum  in  der  kateo heiischen  Schule  von 
Alexandria. *^j  Paulus  hatte  den  Anfang  gemacht  als  ein 
philosophischer  Apologet  des  Christentuns  und  als  ein  m&cb- 
tiger  Gegner  heidnischer  Glaub ensm ei nuugeu  und  Uebr&uche. 
St.  Clemens  aber  war  ein  ganz  anderer  Vorkämpfer  des  neuen 
Glaubens,  der  ihn  sowohl  an  Gelehrsamkeit  wie  au  philosophi- 
scher Bildung  weit  Sberragte.  Das  Bekenntnis  des  Christentoins 
seitens  eines  aolchen  Mannes  war  daher  eine  viel  bemerkens- 
wertere Thataache  in  dem  Siegeszug  der  neuen  Religion,  als 
selbst  die  Bekehrung  des  Saulus.  Die  Ereignisse  in  Jerusalem, 
die  in  den  ältesten  halbjfldischen  und  halbcliristlioben  Gfr- 
meinden  überlieferten  Sogen  und  Legenden  nnd  sogar  die 
ältesten  schriftlichen  Dokumente  beschäftigten    den   Qeiat  de« 


Ij  Wenn  St  Clemeos  von  aeineu  eitteuen  christlichen  Lohi«ni 
sprioht,  sii|{t  er  von  ihnen,  dass  sie  die  wahre  Überllefomng  der 
heiligen  Lebre,  wie  sie  direkt  von  Petrus  und  Jakobus,  Johatmw 
und  PauluH  Kekomraen,  bewahrt  hätten. 

2)  Strom.  I,  t,  11;  Uarnack,  Doifmengeiekiehl*,  I,  p.  901  Abb. 


Aleumdrinisches  Christen tnin.  429 

St.  ClemeDS  \!  nicht  so  sehr,  als  die  Grnndprobleme  der  Religion 
nnd  deren  Lösung,  wie  sie  Ton  dieser  neuen  Sekte  rersacbt 
worden  war.  Er  nahm  die  apostolischen  Überliefemngen  an. 
aber  er  wünschte  zu  zeigen,  dass  sie  för  ihn  eine  viel  tiefere 
Bedeutung  besäßen,  als  sie  bei  manchen  der  unmittelbaren 
Schüler  Christi  je  gehabt  haben  könnten.  Es  gab  nichts, 
was  einen  Mann  von  der  Stellung  des  St.  Clemens  zur  An- 
nahme dieses  neuen  Glaubens  bitte  verlocken  können.  Nichts 
als  der  Geist  der  Wahrheit  und  aufrichtige  Bewunderung  Hlr 
den  Charakter  Christi,  wie  er  ihn  auffasste.  hätte  einen  heid- 
nischen griechischen  Philosophen  bewegen  können,  dem  Spott 
seiner  philosophischen  Freunde  Trotz  zu  bieten  und  sich  als 
einen  Anhänger  Christi  und  als  ein  Mitglied  einer  zu  jener 
^it  noch  yerachteten  und  mit  Verfolgung  bedrohten  Sekte 
zu  erklären.  Er  war  aber  ttberzeogt,  dass  diese  neue  Reli- 
gion, wenn  sie  nur  gehörig  verstanden  werde,  von  den  auf- 
geklärtesten Geistern  angenommen  zu  werden  verdiene.  Die- 
ses geh^^inge  Verständnis  war  das.  was  Clemens  als  ;-nOa#c 
im  besten  Sinne  des  Wortes  bezeichnet  haben  würde.  Die 
katechetische  Schule,  in  der  Clem»>ns  lehrte,  hatte  unter  der 
Ftihrung  von  griechischen  Philosophen,  die  sich  zum  Christen- 
tnm  bekehrt  hatten,  wie  Athenagoras  ?  und  Pantaenus. 
gestanden.  Pantaenus.  von  dem  berichtet  wird,  dass  er  eine 
hebräische  Version  des  Evangeliums  St.  3Aatthäi  in  Indien  ent- 
deckt habe.-  war  der  Lehrer  des  Clemens  gewesen.  Indem 
dieser  sein  Schfller  sich  offen  als  Christen  und  Apologeten  des 
Christentums  erklärte,  gab  er  jedoch  von  seinen  philosophischen 
Cberaeugungen  nichts  auf.  Auf  der  Einen  Seite  stellten 
christliche  Lehrer  die  griechische  Philosophie  als  das  Werk 
des  Tenfels  dar.  während  Andere,  wie  die  Ebioniten.  das 
Alte  Testament  auf  dieselbe  Quelle  zurflckftihrten.  Inmitten 
dieser  sich  bekämpfenden  Richtungen  stand  St.  Clemens  fest. 
Er  erklärte  oflTen  seinen  Glauben  an   das  Alte  Testament  als 


1  HamaelL  Do^nunge^chiehU.  L  p.  ■^'»" 

2  Big^  a.  a.  0.'  p.  44. 


430  Druizehiite  Vorlesuug. 

offenbart,  und  er  nahm  da§  apostolische  Dogma  an,  soweit 
i)ä  damals  festgestellt  worilon  war.  Er  nahm  Jedoch  die 
voll  komm  enste  Freiheit  der  lolerpretatioD  and  Spekulation 
fttr  aich  in  Ansprach.  Uad  indem  Ciemeng  dieselbe  allego- 
rische Interpretation,  deren  sich  Philo  bei  der  Anslegang 
des  Alten  Tealaments  bedient  hatte,  anf  das  Neue  Testament 
anwandte,  üherzengt«  er  sich  nnd  Ändere,  dass  zwischen 
Philosophie  und  Keligion  kein  Gegensatz  bestehe.  Kicht  der 
Buchstabe  war  es,  sondern  der  Geist,  nicht  die  historischen 
Ereignisse,  sondern  ihre  tiefere  Bedeutung  in  der  Welt- 
geschichte, was  St.  Clemens  am  meisten  am  Herzen  lag. 

Die  nreleirilgkelt  bet  St.  Clenn 

ICs  ist  mir  ^ohr  wahrächeiDÜchJi  daas  St  Clement  ffl» 
uralte  Taufformel  >lm  Namen  des  Vaters  und  des  Sohnn 
und  des  heiligen  Geisles>  ans  dem  EvangeUam  St.  UaltbÜ 
kannte. 

Ob  nun  aber  diese  Formel  mit  kirchlicher  Auloritu  n 
ihm  gelangte  oder  nicht,  keinesfalls  wAre  sie  mit  aeinei 
eigenen  Überzeugungen  in  Widerspruch  geraten.  Er  halle 
die  erste  Person,  den  Vater,  nicht  einfach  als  den  Jehovah 
des  Alten  Testaments  oder  als  den  Zeas  des  Plalo,  sondern 
als  den  hOcbsten  und  abstraktesten  philosopbisohen  fiagrif 
und  doch  die  wirklichste  aller  Wirklichkeiten  angenommcB. 
Er  wflrde  Gott  nicht  irgend  welche  Eigenschaßen  zagesehrie- 
ben  haben.  Anch  für  ihn  war  Gott  i'mtiini^,  wie  die  nru- 
f&ngliche  Gottheit  der  ätoiker  und  Neuplatouiker.  Kr  war 
unbegreifliar  und  nnbenenubar.  Und  doch,  obgleich  weder 
Gedanke  noch  Wort  ihn  erreichen  und  Ober  die  Behauptung 
hinausgehen  konnte,  daas  Gott  ist,  konnte  doch  Clemena  ihn 
verehren  nnd  anbeten. 

Man  hätte  glauben  mOgen,  due  die  zweite  Person,  der 
Sohn,    für   Clemens    eiu    Stein    des   ÄnstoQes   gewesen    sein 

1,1  Siehe  jedi>ch  Harnack,  Vni/mrnyntl-Khtc.  L  p.  3Ö2  Aiim. 


AlexAndrinisches  Christentam.  431 

würde.  Wir  finden  aber  im  Gegenteil,  dass  Clemens,  wie 
alle  griechischen  Philosophen  seiner  Zeit,  eine  Brflcke  zwischen 
der  Welt  und  der  unnahbaren  und  unaussprechlichen  Gott- 
heit suchte.  Diese  Brücke  war  der  Logos,  das  Wort. 
Schon  vor  ihm  hatte  Athenagoras '  [der  sein  Vorgänger  in 
der  katechetischen  Schule  zu  Alexandria  gewesen  sein  soll; 
erklärt,  dass  der  Logos  des  Vaters  der  Sohn  Gottes  sei. 
Clemens  fasste  diesen  Logos  in  seiner  alten  philosophischen 
Bedeutung  auf  als  den  denkenden  Geist  und  das  Bewusstsein 
des  Vaters.  Er  spricht  von  demselben  als  »göttlich,  dem 
Ebenbild  des  Herrn  aller  Dinge,  dem  offenbarsten  wahren 
Gott«.  2 1 

Der  Logos  wird  zwar  als  die  Summe  aller  göttlichen 
Ideen  bezeichnet.^)  aber  doch  von  den  eigentlichen  Logoi 
unterschieden,  obgleich  er  zuweilen  als  an  deren  Spitze  ste- 
hend dargestellt  wird.  Dieser  Logos  ist  ewig,  wie  der  Vater, 
denn  der  Vater  wäre  nie  der  Vater  gewesen  ohne  den  Sohn, 
so  wenig  als  der  Sohn  der  Sohn  gewesen  wäre  ohne  den 
Vater.  Solche  Ideen  hatten  die  Christen  mit  ihren  heidni- 
schen Gegnern  gemeinsam.  Selbst  Celsus.  der  große  Gegner 
des  Christentums,  sagt  durch  den  Mund  des  Juden:  »Wenn 
der  Logos  für  euch  der  Sohn  Gottes  ist.  so  stimmen  auch 
wir  mit  euch  überein.  <^^ 

Der  wirklich  entscheidende  Schritt,  den  Clemens  that. 
und  den  Philosophen  wie  Celsus  nicht  thnn  wollten,  war. 
dass  er  diesen  Logos  in  Jesus  von  Nazareth  wiederfand.  Es 
war  derselbe  Prozess.  wie  der,  welcher  die  jüdischen  Kon- 
vertiten dahin  führte,  in  Jesus  den  Messias  wiederzufinden. 
Es    ist    nicht    ganz    sicher,    ob    der    Logos   von    den   Juden 


urnnd  a.  a.  0.  1.  ]>.  4^. 

.i.  Bigg  a.  a.  0.  p.  02. 

4    i-jT  ityf  it  .löyny  tai'tr  vtitr   i /">   t"t    -f.-'i  .    xct  fiiiii  intu- 
loiufi'.     Haruack  a.  a.  U.  I.  pp.  4J3,  '.i»*<. 


432 


Iireizebnte  Vorlesung. 


Alexandriens  mit  dem  Messias  identiGEiert  worden  «ar. ' 
Als  aber  Eulelzt  dieäer  Schritt  getban  wurde,  bedeutete  er,  daas 
Alles,  was  von  dem  Messias  geglaubt  und  erwartet  warde. 
in  Jesns  erfüllt  worden  sei.  Dies  war  fttr  einen  Juden  ebenav 
acLwer.  wie  fOr  einen  griechischen  Philosophen  die  Anerken- 
nnng  des  Logos  in  Jesus,  Wie  konnte  es  also  Clemens  Ober 
»ch  bringen  zu  sagen,  dass  in  einem  jüdischen  Lehrer,  den 
er  nie  gesehen  halte,  der  Logos  Fleisch  geworden  war?  Alle 
Gpitheta,  wie  Logos',  'Sohn  Gottes',  "der  Erstgeborene', 
'der  Eingeborene,  der  zweite  fJolt',  waren  den  Orieohea 
Alexandriens  ganz  gel&ufig.  Wenn  sie  es  also  Ober  sich 
brachten  tu  sagen,  dasa  er,  Jesus  von  Nazareth.  dies  AUw 
sei,  wenn  sie  alle  diese  wohlbekannten  Prädikate  anf  iAti 
Bbertrugeu ,  was  meinten  sie  damit?  Wenn  wir  nicht  etwa 
annehmen  wollen,  dass  der  Begriff  eines  vollkommenen  Man- 
schen an  ^ioh  unmöglich  sei.  scheint  es  mir,  dass  sie  danil 
nur  gemeint  haben  k()nnen,  duss  ein  vollkommener  Meiueh 
die  Verwirklichnug  des  Logos  gi^nannt  werden  könne,  ob  vir 
ihn  nun  als  den  Logos  in  seiner  tiesamtform ,  wie  er  Im 
Anfang  bei  Gott  w.ir,  anfrassen,  oder  in  dem  mehr  BpooieDen 
äinne  als  den  Logos  oder  die  ursprUngliebu  Idee  oder  di* 
göttliche  Voratelinng  des  Menschen.  Wenn  nun  All«,  il» 
Jesus  von  Nazareth  kannten,  die  seioi 
mat  nnd  Wahrheit  geschaut  hatten,  t( 
kommeuen,  von  allen  Mängeln  dei 
freien  Wesen  Zengnis  ablegten,  warn: 
chischen  Philosophen  ihr  Zeugnis  angenommen  nnd  erkUrt 
haben,  dass  er  fOr  sie  das  gültliche  Wort,  der  Sohn  Gotts». 
der  Erstgeborene,  der  Eingeborene  sei.  der  in  den  Fltitck 
offenbar  geworden'-'  Die  menschliche  Sprache  hatl«  dam^ 
nnd  hat  selbst  jetzt  keine  höheren  Prädikate,  die  Üe  uf 
irgend  ein  Wesen  tibertragen  könnte.  Dies  kommt  den  V;^ 
ter,  der  noch  größer  ist  als  das  Wort,  am  nächsten,  und  idi 
glaube,  dass  die  ersten  Kirchenväter   nnd   diejenigen,  ^ 


•  Herrliclikeil  voll  An* 
ron  ihm  als  einem  Vril- 

materi  eilen  Schopfmc 
1  sollten  nicht  die  grie- 


1)  Bigg  a.  s.  0.  p.  2b,  A'ole. 


•l*^ 


AlexandriniBclies  CbristeDturo.  433 

ihnen  folgf^-D.  diese  Prädikate  ebrlicher  Weise  auf  Christus 
fibertnigeD.  und  zwar  nicht  in  dem  legendenhaften  Sinne 
eines  Etanqelium  irtfautiap,  sondern  in  dem  tiefsten  Sinne 
ihrer  philosophischen  Überzengnngen.  Hier  haben  Sie  die 
wahre  historische  Losnng  des  Problems  der  Inkarnation,  nnd 
wenn  die  Religion  der  Inkarnation  in  hervorragendem  Maße 
'eine  Erfahrangsreligion'  ist.  so  haben  Sie  hier  die  Thatsachen 
nnd  die  Erfahrung,  auf  der  allein  diese  Religion  fußen  kann. 
Wir  sahen,  dass  Philo,  dessen  Sprache  St.  Clemens  in 
allen  diesen  Err^rternngen  gebraucht,  seinen  Logos  als  in 
Propheten  wie  Abraham  nnd  Moses  gegenwärtig  erkannt 
hatte:  nnd  Viele  haben  geglanbt.  dass  i^t.  Clemens  nicht 
mehr  meinte,  wenn  er  das  Wort  als  in  dem  Sohne  der  Maria 
inkamiert  anffasste.  Mir  scheint  es  aber,  dass  der  Geist  des 
St.  Clemens  einen  viel  höheren  Fing  hatte.  Fflr  ihn  war  die 
ganze  Geschichte  der  Welt  ein  göttliches  Drama,  eine  lange 
Vorbereitung  auf  die  Offenbarung  Gottes  im  Menschen.  Von 
allem  Anfang  an  war  der  Mensch  eine  Offenbarung  des  gött- 
lichen Logos  und  darum  seiner  Natur  nach  göttlich  gewesen. 
Warum  sollte  sich  sX^)  der  Mensch  nicht  endlich  zu  seiner 
ganzen  Vollkommenheit  erhoben  haben,  um  das  zu  sein,  was  er 
in  dem  Eatschluss  des  Vaters  von  Anfang  an  zu  sein  bestimmt 
war?  Wir  sprechen  oft  von  einem  idealen  Menschen  oder 
von  dorn  Menschheitsideal,  ohne  zu  denken,  was  wir  mit 
dieser  Platonischen  Sprache  meinen.  Das  Wort  ^Ideal'  hat 
im  Laufe  der  Zeit  seine  ursprtlngliche  Bedeutung  eingebüßt, 
so  dass  es  nicht  viel  mehr  bedeutet  als  'sehr  vollkommen*. 
Ursprünglich  aber  bedeutete  es  die  Idee  in  dem  Geiste  Got- 
tes, und  *der  ideale  Menseh  sein*  bedeutete  soviel  wie  ^der 
Mensch  Gottes  sein .  'der  Mensch  sein,  wie  er  von  der  gött- 
lichen Weisheit  gedacht  nnd  gewollt  war*.  l)ieser  Mensch 
wurde  von  Jenen,  welche  keine  Veranlassung  hatten,  ihren 
philosophischen  Überzeugungen  Gewalt  anzuthnn,  in  Christus 
wiedererkannt.  Und  wenn  sie  dies  ehrlicher  Weise  thun 
konnten,  warum  können  nicht  aoch  wir  es  ehrlicher  Weise 
thun     und    so    unsere    philosophischen     Überzeugungen    mit 

M»x  Hill«!,  Thfrotoi.L^.  26 


AU 


Uievivhnle  Vurteiuu);. 


unserem  historischen  GUtibeu  in  voll  keim  ine  uen  Kinklung 
1)  ringen  ? 

Schwieriger  ist  ea  die  ^eDaiio  Slclle  zu  bestimmen,  welch« 
St.  Clemens  der  dritlen  Person,  dem  heiligen  Geist,  angewie- 
sen haben.  wOrde, 

Der  oigentUche  Ursprung  dieses  Begriffes  ist  nooli  sehr 
in  Dunkel  gehUlit.  Es  scheint  ein  besonderer  Üeis  in  Drei* 
heilen  zu  liegen.  Wir  finden  sie  in  vielen  Teilen  der  Well, 
und  sie  vordanken  ihren  Ursprung  ganz  verschiedenen  Ur- 
sachen. Die  Dreieinigkeit  des  Plato  ist  bekannt,  nnd  in  ihr  find«! 
sich  ein  Platz  für  die  dritte  Person,  nämlich  den  Weltgeiit. 
von  dem  die  menäcbliche  Seele  ein  Teil  war.  Nnnieuias.>i 
vun  dem,  wie  wir  liahen,  Ploiinus  selue  Philosophie  entlelint 
haben  soll,  schlug  eiue  Dreiheit  oder  —  wie  manche  es  nev 
nun  —  eine  Dreieinigkeit  vor,  die  nus  dem  Ußehsten,  den 
Logos  (oder  Demiurgeu}  und  der  Welt  bestehen  sollte.  Ba 
den  christUcbeu  Philosophen  zu  Alexandria  war  der  Be- 
griff der  Uottheil  zuerst  eher  zweieinig,  als  druioinig.  Du 
höchste  Wesen  und  der  Logos  zusammen  mauhten  die  gu» 
Gottheit  aus,  und  wir  sahen,  daas  der  Logos  oder  diu  Ver- 
Standeswelt  nicht  nur  als  Sohn  Gottes,  sondern  auch  als  d« 
;(weite  Gott  {dfi/rttfo^  ^i6^\  bezeichnet  wnrde.  Halt«  asn 
»ich  einmal  diese  Unterscheidung  zwischen  dem  Oöttlichui  ii 
seiner  absoluten  Wesenheit  und  dem  Göttlichen,  nie  .es  ikb 
durch  seine  eigene  Thatigkeit  offenbart,  klar  gemacht,  *» 
schien  für  eiue  dritte  Ptutüe  oder  eine  dritt<;  Person  ktio 
Platz  zu  sein,  Es  sieht  daher  manebmal  aus,  als  ob  <li* 
dritte  Person  nur  eine  Wiederholung  der  zweiten  wäre.  Si 
identifiziert  der  Verfasser  des  Hirten^!  sowohl  wie  der  Ver- 
fasser der  Acta  ArcheUi  den  heiligen  Geist  mit  dem  Huhut 
Gottes.  Wie  schiraukend  die  Auffassungen  der  Chrislen  >> 
Bezug  auf  den  heiligen  Geist  waren,  können  wir  aus  iIm 
Thatsache  ersehen,  dasa  in  dem  apokryplien  ICvangotiDm  d« 

I    Bigga.  <i.  Ü.  iJ.25t. 

:!    HartJHck  u.  ii.  Ü.  I.  p.  b23. 


AlexHndriaiBckeB  Christentum.  435 

Hebräer  Christus  von  demselben  als  seiner  Mutter  spricht,  ^y 
Wenn  man  jedoch  für  den  heiligen  Geist,  als  der  Substanz 
nach  neben  dem  Vater  und  dem  Sohne  existierend,  eine 
dritte  Stelle  verlangte,  scheint  es  ganz  gut  möglich,  dass  dieser 
Gedanke  nicht  aus  einer  griechischen,  sondern  aus  einer 
jüdischen  Quelle  stammte.  Es  scheint  der  Geist  zu  sein,  der 
am  Anfang  »auf  dem  Wasser  schwebte«  oder  »der  lebendige 
Odem«,  den  Gott  dem  Menschen  »in  seine  Nasen  blies«. 
Nach  den  griechischen  Philosophen  würden  aber  diese  Offen- 
barungen Gottes  eher  dem  Logos  zugekommen  sein.  Wie- 
derum, wenn  im  Neuen  Testament  der  Mensch  als  der 
Tempel  Gottes  bezeichnet  wird,  so  könnten  vielleicht  Gott 
und  der  Geii<t  als  Eines  aufgefasst  sein,  obgleich  auch  hier 
vom  griechischen  Gesichtspunkte  der  Name  'Logos^  für  irgend 
eine  Offenbarung  der  Gottheit  im  Menschen  angemessener 
gewesen  wäre.  In  seiner  letzten  Rede  spricht  Christus  von 
dem  heiligen  Geiste,  indem  er  sagt,  dass  er  seine  Stelle  ein- 
nehme und  in  Einem  Sinne  noch  mächtiger  sei  als  der  Sohn. 
Es  heißt,  dass  es  die  besondere  Aufgabe  des  Geistes  oder 
des  heiligen  Geistes  sei,  heiliges  Leben  im  Menschen  hervor- 
zurufen, dass  Gott  Dasein,  der  Sohn  aber  Vernunft  (logos;, 
und  der  heilige  Geist  Heiligung  verleihe.'^)  Für  Clemens  war 
der  heilige  Geist  wahrscheinlich  eine  mehr  unmittelbare  Ema- 
nation oder  Ausstrahlung  von  dem  Vater  und  dem  Sohne  in 
ihrer  Beziehung  zur  menschlichen  Seele.  Während  nämlich 
der  Vater  und  der  Sohn  auf  die  ganze  Welt  wirkten,  war 
der  Einfluss  des  heiligen  Geistes  auf  die  Seele  des  Menschen 
beschränkt.  In  diesem  Sinne  eben  sollen  die  Propheten  des 
Alten  Testaments  von  dem  Geist  Gottes  erfüllt  gewesen  sein; 
ja  nach  einigen  der  frühesten  Theologen  wurde  Jesus  erst 
nach  der  Taufe  zum  Christus,  d.  h.  nachdem  der  heilige 
Geist  in  Gestalt  einer  Taube  auf  ihn  herabgestiegen  war. 
Die  Schwierigkeiten  werden  noch  größer,  wenn  wir  uns 


1    Kenan.  Le.t  EcangileH,  pp.  lo.'i,  l>ö. 
2,  Bigg  a.  a.  0.  p.  174. 

2b* 


436 


Dri^i  Zell  Die  Vorlesunp. 


ennnorn.  dass  St.  ClemenB  von  dem  Vater  HHil  dem  Uifo« 
als  Snbstaneen  Ihypoalaseis},  welche  an  derselben  Wesenheit 
([»iBiai  toilhaboi),  iind  als  persönlich  spricht;  nnd  ewar  »ei 
der  Logos  dem  Vater  unterg:eordnet,  insofern  er  mit  deescn  Hea- 
Bchpnnalar,  andererseifa  aber  dem  Vater  gleich,  insofern  er  mit 
dessen  GotteBnatnr  in  Berührung  komme.  Wir  dllrfen  nicht 
vergessen,  dass  weder  der  Logos  noch  der  heilige  üeiat  von 
ihm  als  eine  bloße  Kraft  din-aiiiL:}  Gottea,  sondern  als  per- 
stoHrh  existierend  aufgefasst  wnrdi>.<)  Nnn  ist  es  ganz  rich- 
lig,  dass  'ForaODlio.hkdt'  bei  St.  Clemens  nicht  dieselbe  Beden- 
tnn^  hatte,  die  dieses  Wort  sjijtter  erhielt.  Bei  ihm  wKre  eine 
mythologische  Individualität,  wie  sie  spAtere  Theologen  dnrcb- 
ane  haben  wollten,  mit  dem  withren  Begriff  der  Oottbeii 
nnvortrflglich  gewesen.  Doeh  wurde  er  gewiss  eine  selbst' 
bowasste  Thätigkeit  für  jede  der  drei  Personen  gefnrdeil 
haben,  nnd  man  möchte  gerne  wissen,  warum  er  sich  nieU 
klarer  darüber  ausgesprochen  hat,  was  für  eine  tieaundtre 
Th&ti^keit  ihm  entweder  mit  dem  Vater  oder  mit  dem  Lop» 
unverträglich  und  darum  eine  besondere  Person,  den  heülgtn 
Geist,  zn  erfordern  schien. 

Späterhin  sah  miui  die  Hauptaufgabe  des  heiligen  Gdslai 
darin,  dasa  er  die  Welt  und  namentlich  die  mensehliehe  Seel' 
7um  Bewusstsein  ihres  göttlichen  Ursprungs  snrtlokmiire,  mi 
ein  ähnliches  Ami,  glanbte  mau  - —  wenigstens  glaubten  dlM 
einige  der  tonangebenden  AntoritAteo  des  vierten  und  fÜDflni 
Jahrhunderts,  Theodonia  von  Mopüuestia,  Neatorins  und  An- 
dere — ,  habe  der  heilig«  Geist  schon  bei  der  Taufe  Cbiitt! 
auBgefIbt.'i 

Das  Problem  jedoch,  das  uns  hier  EnnRchst  angeht,  dk 
Einheit  der  menschlichen  und  der  gtittlieheo  Natur,  mi 
durch  diese  Spekiilalioneu  nicht  bcrOhrt,  Es  bildet  die  Oras^ 
ttberzengnng  bei  St.  Clemens,  ebenso  wie  hei  Philo.  Branebl* 
man,  um  dieser  Walirheit  inr  Anerkennung  su  verhelfen,  das 


I;  llarnnc 
2    lUma. 


.  0.  I,  p.  ä*-!,  Z.  IT. 
1.  0.   I,  PI».  !H,  «.19. 


Alexandrinisches  ChrUtentam.  437 

dritte  Macht,  so  würde  St.  Clemens  sie  in  dem  heiligen  Geist 
wiederfinden.  Wenn  der  heilige  Geist  es  war,  der  dem  Men- 
schen die  völlige  Überzengung  von  seiner  göttlichen  Sohnschaft 
treibrachte,  so  müssen  wir  nns  dessen  erinnern«  dass  diese  Ver- 
söhnong  zwischen  Gott  und  dem  Menschen  in  erster  Linie  das 
Werk  Christi  war.  und  dass  sie  nicht  bloß  einen  moralischen, 
sondern  anch  einen  höheren  metaphysischen  Zweck  hatte.  Wäre 
6t  Clemens  ganz  konsequent  gewesen,  so  könnte  er  nor  gemeint 
haben,  dass  die  menschliche  Seele  den  heiligen  Geist  durch  Chri- 
stus erhalten  habe,  und  dass  sie  erst  durch  den  heiligen  Geist 
sich  ihrer  wahren  göttUchen  Natur  bewusst  und  ihrer  ewigen 
Heimat  eingedenk  geworden  seL  Wir  wUnschten  zuweilen, 
dass  St  Clemens  sich  tlber  diese  Gegenstände,  namentlich 
Hber  seine  Anschauung  von  dem  Verhältnis  des  Mensehen 
OL  Gott,  zu  dem  Logos  und  zu  dem  heiligen  Geist  klarer 
aosges^prochen  hätte. 

Über  seine  Grund  Überzeugung  jedoch  kann  man  nicht 
ia  Zweifel  sein.  Clemens  war  es.  der  schon  vor  St.  Au^rusti- 
nns  kühn  erklärte.  Gott  sei  in  Christus  Mensch  geworden, 
damit  der  Mensch  Gott  werde.  Clemens  ist  nicht  etwa  ein 
unklarer  Denker,  aber  er  hilft  dem  Leser  nicht  so  sehr  nach« 
als  er  es  könnte,  und  in  seiner  Auffassung  der  Inkarnation 
ist  eine  gewisse  Zurückhaltung  bemerkbar,  die  nns  über 
mehrere  Punkte  im  Unklaren  lässt  Dr.  Bigg  ^j  glanbt  frei- 
lieh .  dass  die  Idee  des  St.  Clemens  von  dem  Erlöser  groß- 
artiger und  erhabener  sei,  als  die  irgend  eines  anderen 
Doktors  der  Kirche.  »Der  Christus  von  St  Clemens.«  sagt  er. 
>L»t  das  Licht,  welches  über  der  ganzen  Geschichte  brütet 
und  jeden  Menschen  erleuchtet,  der  auf  die  Welt  kommt. 
Sein  Geschenk  ist  Alles,  was  es  auf  Erden  an  ^fchunheit, 
Wahrheit  und  Güte  gibt.  Alles,  was  den  civilisierten  Men- 
schen von  dem  Wilden  und  den  Wilden  vun  dem  Tiere 
unterscheidet«  Das  ist  Alles  ganz  richtig,  und  es  gibt  dem 
Logos  eine  viel  mehr  historische   und   universale   Bedeutung, 

1,  A.  a.  0.  p.  T2. 


43S 


DrPiii^hrtB  Vciriesnut'- 


als  die,  welche  er  bei  Philo  hatte.  Doch  erklirt  Bt.  Clenei» 
nie  denllich,  wie  er  sich  dschte,  daas  dies  Alles  vor  dch 
gegangen,  nnd  namentlich  wis  dieser  nniveraale  Ln^oa  in 
JesQS  von  Nazareth  Fleisch  geworden  wi.  wahrend  er  in 
gleicher  Zeit  die  f^anze  Welt  nnd  jede  lebendige  Seeto  dareb- 
drang;  auch  erklJlrt  er  nie,  waa  nach  ihm  das  genaue  Ver- 
hältnis des  Logos  zu  dem  Pneuma  war. 

Noch  mehrere  andere  Fragen  gibt  es,  anf  die  ich  bei 
St.  Clemens  keine  Antwort  finden  kann ;  aber  dies  ist  ein 
Gegenstand,  den  ich  rahig  anderen  nnd  sachkundigeren  Btsdeo 
flberlaasen  kann. 

Man  fcird  vielleicht  sagen,  daas  solche  Ideen,  wie  vir 
sie  bei  8t.  Clemens  gefunden,  für  eine  Volkaroligion  an  hoch 
seien,  nnd  dass  jede  Religion,  am  eine  Religion  ko  Min, 
volkstnmiich  sein  mllsae.  Clement  wnsste  dies  recht  g^ 
Aber  die  philosophischen  Gedanken,  in  denen  er  lebt«,  warn 
offenbar  in  seiner  Zeit  weiter  verbreitet,  als  sie  es  selbst  M 
uns  sind;  und  waa  die  nnmOndigen  Kinder  anbelangt,  n 
genagt  es  Clemena  vollkommen,  d&as  ihr  Logos  oder  Chf^ 
stns  einfach  der  Meister,  der  Hirte,  der  Arzt,  der  Sohn  der 
Maria  sei ,  der  für  sie  am  Krenze  gelitten.  Ferner  war  Ji 
die  Kirche  da,  die  sowohl  die  Rolle  eines  Führers  ajiieltat 
als  anch  die  eines  Richters  über  alle  ihre  Mitglieder,  i»- 
besondere  Aber  jene,  die  noch  nicht  die  wahre  Freiheit  der 
Kinder  Gottes  gefnnden  hatten.  Wenn  Clemens  dies  fflr  dii 
'niedrigere  Leben'  ansieht,  so  fuhrt  es  doch  immerhin  zu  dcB 
'heileren  Leben',  dem  Leben  der  Erkenntnis  und  Togow}, 
dem  Leben  der  Liebe,  dem  Leben  in  Christus  und  In  Oolt 
Dass  Reinheit  des  Lebens  wesentlich  ist,  am  dieses  hOheM 
Leben  zn  erreichen ,  darfiber  ist  sich  Clemens  Tfillig  Um- 
Er  wuBBte,  dass  die  Sünde  ein  Ding  der  Unmügücbkelt  wirf, 
wenn  man  einmal  wahre  Erkenntnis  erlangt  hiit.  >Oiitr 
Werke  folgen  der  Erkenntnis,  wie  der  Schatten  der  8iib- 
■t*na.<'}     Erkenntnis  oder  Gnosis  wird  als  die  wahmehmesdr 


1)  E 


,  Vm.  13,  «, 


AlesandrinischeB  Christentum.  439 

Betrachtung  Gottes  in  dem  Logos  definiert.  Wenn  Clemenä 
zeigt,  dass  diese  Erkenntnis  zn  gleicher  Zeit  Liebe  zn  Gott 
and  Leben  in  Gott  ist,  so  vertritt  er  dieselbe  Anschaanng. 
die  wir  im  Gegensatz  zur  Lehre  der  Snfis  in  dem  Vedänta 
trafen.  Diese  Liebe  zn  Gott,  glaubt  er,  mnss  von  aller 
Leidenschaft  und  allem  Begehren  frei  [a.TceO'r^'  sein;  sie  ist 
eine  genügsame  Belbstzueignung,  welche  den  Wissenden  wie- 
der zur  Einheit  mit  Christas  und  darum  mit  Gott  zurück- 
bringt. Der  Vedäntist  drückte  dieselbe  Überzeugung  ans, 
wean  er  sagte :  Wer  Brahman  kennt,  ist  Brahman  (Brahma- 
rid  Brahma  bhavati .  Dies  ist  die  wahre,  heitere,  verstän- 
dige Verzückung,  und  nicht  jene  fieberhaften  verzückten 
Visionen  Plotins  und  seiner  Anhinger.  Man  hat  Clemens  oft 
einen  Gnostiker  und  einen  Mystiker  genannt,  doch  haben 
diese  Namen,  auf  ihn  angewendet,  eine  ganz  andere  Bedeu- 
tung, als  die.  welche  sie  haben,  wenn  sie  auf  Plotinns  oder 
Jamblichns  angewandt  werden.  Bei  all  seiner  Kühnheit  des 
Denkens  verliert  St.  Clemens  nie  seine  Ehrfurcht  vor  den 
wirklichen  Mvsterien  des  Lebens.  Er  lässt  sich  nie  auf  aus- 
fbhrliche  Schilderungen  der  Visionen  einer  verzückten  Seele 
während  dieses  Lebens,  oder  der  Freuden  und  Leiden  der 
Seele  nach  dem  Tode  ein.  Er  behauptet  nichts  weiter,  als 
dass  die  Seele  auf  immer  bei  Christus  wohnen  nnd  den  Vater 
schauen  wird,  Sie  wird  ihre  Subjektivität  nicht  verlieren, 
wenn  sie  auch  von  ihrer  irdischen  Persönlichkeit  befreit  ist. 
Sie  wird  die  Anschauung  des  Ewigen  und  des  Göttlichen  er- 
reichen und  selbst  eine  göttliche  Form  ayjjicc  Oeioy]  an- 
nehmen. Sie  wird  durch  Erkenntnis  und  Liebe  zu  Gott  Ruhe 
in  Gott  finden. 

Orl  genes. 

Ich  kann  diese  alexandrinische  Periode  des  (.'hristentums 
nicht  verlassen,  ohne  ein  paar  Worte  über  Origenes  zu  sagen. 
Ein  paar  Worte  über  einen  Mann  wie  Origenes  zu  sagen, 
mag  freilich  ein  recht  unnützes  Unternehmen  scheinen;  in  einem 


44ü 


Dceixchntu  Vorlcaung. 


ganzen  Kursus  von  Vorleenngen  kODute  inao  einem  «olc^ken 
GegeusUad  kaum  gereL-hl  werden.  Dennocb  kdnaen  wir  ihn 
in  dem  uatOrlJclieu  Verlauf  unserer  Beweiafübrnug  ulolit  Ober- 
geben.  Was  iub  Ibnea  ganz  klar  zu  macben  wDDBcbe,  L«t 
die  Thatsache,  dass  im  (i^Uriatentucn  mehr  Tbeosophle  zo  fin- 
den ist,  als  in  irgend  einer  anderen  Keligion,  wenn  i 
nämlich  das  Wort  'Theoaopbie'  in  seiner  ricbtigou  Bed«iitnng 
auffassen,  wonach  es  alle  Weisheit  umfasst,  die  dem  Menirben 
in  Bezug  auf  göttliche  Dinge  verstattet  ist.  Wir  aiud  so 
wenig  daran  gewöhnt,  im  Nenen  Testament  Philosophie  ni 
suchen,  dass  wir  uns  bei  dem  Gedanken  jener  hSchht  verwerf- 
lichen Scheidung  zwischen  Religiun  und  Philosophie  belnabv 
beruhigt  babeu;  ja  es  gibt  Leate,  welche  es  geradezu  als 
einen  Vorzug  unserer  Religiou  ansehen,  dass  sie  nicht  wie 
andere  Religionen  mit  metaphysischen  Spekulationen  aberladeo 
ist.  Dennoch  liegt  eine  Masse  metaphysischer  äpekolatiooflii 
der  christlichen  Religion  zu  Gründe,  wenn  wir  nur,  wie  dia 
frühesten  Kirchenvater,  dauach  suchen.  Die  wahre  HOho 
uud  Tiefe  des  Christentums  läsbt  sich  nicht  i^rmesscn,  so  lang« 
wir  es  nicht  den  anderen  Weltreligionen  vergleichend  u 
die  Seite  stellen.  Wir  aiud  uns  kaum  dessen  bewusst,  dM 
England  au  herrlichen  Kathedralen  reicher  ist,  als  irgend  MS 
anderes  Land,  bis  wir  aus  dem  Auslande  zurtlckk ehren;  BOil 
so  werden  wir  auch  den  theosophischen  Reichtum  der  chntl- 
licben  Religion,  ganz  abgesehen  von  ihren  sonstigen  VorzOgtS. 
nie  seinem  vollen  Werte  nach  schätzen  lernen,  bis  vir  wü 
gegen  andere  Weltrotigionen  in  die  Wagschalo  gelegt  liabini. 
Zu  diesem  Zwecke  mOssen  wir  sie  aber  einfach  als  Eino  d«r 
historischen  Weltreligionen  behandeln.  Erst  wann  wir  sie 
mit  der  ganzen  Unparteilichkeit  des  GeschichtsforBoher«  be- 
handeln, werden  wir  ihre  ofl  ganz  unerwartete  SUrko  be- 
wundern. 

Ich  hoffe  Ihnen  klar  gemacht  ku  haben,  dass  es  niit 
Anfang  an  der  Hauptzweck  der  christlichen  Religion  goweM« 
ist,  der  Welt  die  Einheit  der  objeklireD  Üotthelt  —  mu 
nenne  sie  Jehovah  oder  Zeus  oder  Theiis,    oder  dss  hftclute 


AlesHudrinisches  CbristciitaiD.  44 1 

Wesen,  W>  oV  —  mit  der  subjektiven  Gottheit  —  man  nenne 
sie  Seibat  oder  Geist  oder  Seele  oder  Vernunft  oder  Logos 
—  verst&ndlich  zu  machen.  Ein  anderer  Punkt,  dessen  Fest- 
stellung ich  mir  angelegen  sein  ließ,  war  die  Thatsache.  da^s 
diese  Keligion,  wenn  wir  ihr  zum  ersten  Mal  als  einem  voll- 
ständigen theologischen  System  zu  Alexandria  begegnen,  eine 
Verbindung  griechischen,  d.  h.  arischen  Denkens  mit  jüdi- 
schem d.  h.  semitischem  Denken  darstellt,  und  dass  diese 
zwei  uralten  Ströme,  nachdem  sie  sich  zu  Alexandria  ver- 
einigt, seither  mit  unwiderstehlicher  Gewalt  durch  die  Welt- 
geschichte dahingedossen  sind. 

Ohne  diese  arischen  und  semitischen  Antecedentien  wäre 
das  Christentum  nie  die  Religion  der  Welt  geworden.  Es  ist 
daher  nötig,  dem  Christentum  wieder  seinen  historischen  Cha- 
rakter zurfickzugeben,  indem  man  dessen  historische  Ante- 
cedentien aufzufinden  und  genauer  zu  verstehen  sucht.  Hegel 
war  es,  glaube  ich,  der  zu  sagen  pflegte,  dass  es  das  unter- 
scheidende Merkmal  der  christlichen  Keligion  sei,  dass  sie 
nichthistorisch,  womit  er  meinte,  dass  sie  ohue  hi^storische 
Antecedentien  oder  —  wie  Andere  sagen  würden  —  durch 
ein  Wnnder  entstanden  sei.  Mir  scheint  es  im  Gegenteil, 
dass  der  wesentliche  Charakter  des  Christentums  gerade  darin 
bestehe,  dass  es  so  ganz  und  gar  historisch  ist,  oder  dass 
es  —  wie  Andere  sagen  würden  —  kam,  >da  die  Zeit  er- 
füllet ward«.  Es  ist  schwer,  die  oberflächliche  Behandlung, 
welche  das  Christentum  so  oft  von  Historikern  und  Philoso- 
phen erfährt,  und  das  Misstrauen,  mit  dem  es  von  der  immer 
zunehmenden  Zahl  -der  gebildeten  und  mehr  oder  minder 
aufgeklärten  Klassen  angesehen  wird,  zu  verstehen.  Schuld 
daran  ist,  glaube  ich.  hauptsächlich  das  Fehlen  einer  walir- 
haft  historischen  Behandlung  des  Christentums  und  nament- 
lich die  Vernachlässigung  jener  höchst  wichtigen  Phase  in 
der  frühesten  Entwicklung  desselben,  mit  der  wir  eben  be- 
schäftigt sind.  Ich  glaube  noch  immer,  dass  ich,  indem  ich 
die  wahre  historische  Stellung  des  Chriateutums  verteidigte 
und  zeigte,  was  für  eine  Stellung  es  von  Hechts  wegen  unter 


442 


Drei»i'.lintfl  Vorli 


•exwg. 


den  historiscbon  und  natürlichen  Religionen  der  Welt  einiümmt. 
o/me  mifh  anf  irgend  eine  angebliche  sperielle,  atißergtfvröhtt' 
liehe  oder  sogenannte  Übernatürliche  Oß'enbarung  zu  bwvfen 
oder  SU  verlassen,  die  eigentliche  Absicht  des  Stifters  dieser 
Lelctoratelle  besser  erfDlit  hüben  dtirfte,  als  ich  es  auf  ir^nd 
eine  andere.  Weise  hätte  thnn  kennen. 

Obgleich  ich  Ihnen  aber  keinen  ausführlichen  Berieht 
(Iber  Origenes  ntiil  aeine  zahlreichen  Schriften  lu  geben  oder 
Ihnen  irgend  etwas  Neues  über  diesen  merkwürdigen  Hub 
zn  sagen  vermag,  ao  hittte  man  mir  doch  vorsätzliche  Blinil- 
heit  Yorwerfeii  kOnn<>D,  wenn  ich  angesichts  des  hSduton 
Zweckes  dieser  Vdrlesnngen  den  Mann  Qhergangen  hltt>, 
dessen  phllosophiache  und  theolngisolie  Speknlationen  mehr 
als  irgend  etwaig  Anderes  das  beweisen,  worauf  es  mir  )i 
diesem  meinem  let/.ten  Knrsns  von  Vorleanugen  vor  Allen 
ankommt,  nämlich  dasa  es  der  letzte  Zweck  der  wahren  Re- 
ligion sei.  das  Band  zwischen  dem  OOttlichen  nnd  dem  Menadi- 
lichen,  das  durch  die  falschen  Reli^onen  der  Welt  getreail 
worden  war,  wieder  zn  vereinigen. 

In  Bezug  anf  mehrere  Pnnkto  spricht  sich  OrigenM  b*- 
atimmler  ans  als  St.  Clemens.  Er  gestattet  aieh  dJteett* 
Freiheit  der  Interpretation ,  er  ist  aber  doch  vielnwhr  TN 
der  Autorität  der  Glaubensregel,  sowie  anch  von  der  Alt*' 
rit&t  der  ihm  bekannten  heiligen  Schriften  dnrchdrangeik,  i* 
St.  Clemens,  'j  Ortgenes  war  als  Christ  geboren  und  ■ 
gewachsen,  und  er  war  mehr  geneigt,  mit  den  Thatud 
zn  rechnen,  obschon  er  eine  höhere  Wahrheil  hinter  od 
nher  den  bloßen  Tbataachen  stets  anerkannte.  Er  G 
offenbar  einen  großen  Trost  darin,  dass  er  die  l'nteracheidsat 
zwischen  der  praktischen  ReUgion,  wie  sie  fdr  die  Hat 
nötig  ist  [yiQiaituviaiuiQ  aiutiHTixög)  und  der  philosophischn 
Wahrheit ,  wie  die  Wenigen  sie  brauchten  {XQiattavuif 
irrn'uatixijG),  offen  anerkannte. 

Nachdem  er  zugegeben  hat,    das»  jede  Religion  in  i» 


\  Hamack  n.  a.  0  I,  p.  5T3. 


AlexandrhiischeB  ChriBtentam.  443 

Köpfen  der  großen  Masse  nnr  eine  mehr  oder  minder  mythologi- 
sche Form  annehmen  kann,  fthrt  er  fort  und  fragt :  »  Doch  welch 
anderer  Weg  ließe  sich  finden,  der  für  die  große  Masse  dien- 
licher, nnd  der  besser  wftre,  als  das,  was  dem  Volke  von  Jesus 
flberiiefert  worden  ist?«  Immerhin,  wenn  er  in  den  heiligen 
Cberliefeningen  anf  irgend  etwas  stoßt,  was  mit  der  Sittlich- 
keit mit  den  Gesetzen  der  Natur  oder  der  Vernunft  in  Wider- 
^mch  steht,  so  protestiert  er  dagegen  und  stimmt  mit  seinem 
griechischen  Gegner  fiberein.  dass  Gott  nichts  gegen  seine 
eigene  Natur  thun  könne,  noch  der  Logos  g^en  sein  eigenes 
Denken  und  Wollen,  und  dass  daher  alle  Wunder  in  einem 
höheren  Sinne  natfirlich  seien.  *)  Ein  bloßes  Wunder  in  dem 
^nne,  in  dem  das  Wort  gewöhnlich  gebraucht  wird,  wäre 
▼on  seinem  Standpunkte  eine  Beleidigung  des  Logos  und 
mittelbar  der  Gottheit  gewesen.  Dass  der  Versucher  Chri- 
stum leibhaftig  auf  einen  hohen  Berg  gef&hrt  habe,  erklärte 
Origenes  schlechterdings  Air  unmöglich.  Sein  Hauptzweck 
war  flberall  derselbe :  die  Versöhnung  der  Philosophie  mit  der 
Religion  und  der  Religion  mit  der  Philosophie.  So  sagt  er. 
dass  ein  griechischer  Philosoph«  wenn  er  sich  mit  der  christ- 
lichen Religion  bekannt  gemacht,  vermittelst  seiner  wissen- 
sebaftlichen  Kenntnisse  dieselbe  gar  wohl  in  ein  vollkom- 
neaeres  System  bringen,  das  mangelhaft  Scheinende  ergänzen 
ud  so  die  Wahrheit  des  Christentums  feststellen  könne. ')  An 
einer  anderen  Stelle  lobt  er  diejenigen,  welche  Christum  nicht 
mehr  einfach  als  Arzt,  als  Hirten,  oder  als  Auslösung  ansehen, 
sondern  als  Weisheit.  Logos  und  Gerechtigkeit.  Wohl  konnte 
Porphjrius  von  Origenes  sagen,  dass  er  wie  ein  Christ  und 
nach  dem  Gesetz  lebte,  dass  er  aber  in  Bezug  auf  seine  An- 
schauungen Aber  die  Dinge  und  fiber  das  Göttliche  einem 
Griechen  gleich  war.'      Doch   war  es  die   christliche  Lehre. 


1;  Contra   Celrum.   V.  23:    Bipgr    a.  a.  0.  p.  2*'3:   Harnack  I. 
p.  -'«o^.  Anm.:  Orig.  •/»  Joan.  II,  2S. 
2    Contra  Cel*um,  I.  2. 
:i   Ensebius,  B.  E.,  VI.  19. 


444 


Dreizebute  Virrleeung. 


die  fnr  Uiu  die  Vollendung  der  griecbiachen  Philosophie') 
darstellte,  d.  h.  die  christliche  Lehre  im  Lichte  der  griechi- 
schen Philosophie. 

Origeues  wur  ohne  Zweifel  in  seiiicm  voUkommenm 
Honiamns  mehr  biblisch  als  Philo.  Kr  gibt  nicht  zu,  das»  U 
eine  Materie  neben  Gott  gebe,  tjondero  er  betrachtet  GdII 
ala  den  Urheber  selbst  der  Materie  und  alles  dessen,  was  die 
materielle  Welt  anam&cht.  Die  eigentliche  Natur  Gottes  b»- 
steht  eben  darin,  da^s  er  sich  vermitlelat  dos  Logos  —  ob 
wir  nun  den  Gedanken ,  den  Willen  oder  das  Wort  GottM 
damit  meinen  -—  foi'twAhiend  in  der  Welt  offenbart.  Naeh 
Origenes  war  dieser  Logos  in  seiner  ganion  Vollständigb«il 
in  Christus  als  dem  vollhommeoen  Ebenbilde  Gottes  otftmharl. 
Er  heißt  der  zweite  Gott  (dfwHpot;  tfefi),"',  der  Sohn,  d« 
von  derselben  Substanz  ist  wie  der  Vater  [oitoovau)*;  t^ 
itut^l).  Er  wird  auch  »Is  die  Weisheit  Gottes  bezutehad, 
aber  nur  insofern  t<ie  dem  Wesen  such  far  sich  selbst  beatela 
[aapientta  dei  tiubsfantialiler  sabsisteits]  und  alle  Form  cd  der 
mannigfaltigen  Schöpfung  enthält,  oder  zwischeu  dem  KilieD 
Unerschaffeoen  einerseits  und  den  mannigfachoD  geschatTem» 
Dingen  andererseits  in  der  Mitte  stoht.^]  Wenn  also  dieser  ui- 
nem  Wesen  nach  göttliche  \ouooi)atn^  np  Soji:  Logos  wa 
Christas  ansgesagt  wird,  so  kOnnen  wir  dentlich  bemoiiW 
dass  auch  bei  Urigenes  dies  in  Wirklichkeit  die  «iniige  All 
und  Weise  war,  in  der  er  die  Göttlichkeit  Christi  behanpUi 
konnte.  Es  gab  nichts  Höheres,  das  er  von  L'hnatu«  hlttt 
aussagen  kOanen.  Origenes  gebranohte  den  Ausdruck  LogM 
in  dem  Sinne,  in  welchem  das  Wort  von  dem  Verfasser  iIm 
vierten  Evangeliums  dnrch  Tati:in,  Atbenagoras,  Pantaeau 
und  Clemens  auf  ihn  gekommeu  war.  Jeder  von  diaieD 
frlaabte  an  die  ursprüngliche  Einheit  aller  geistigen  Wb«i>- 
lieiten  mit  Gott  Der  Logos  war  die  höchste  derselben,  tAff 
auch  jede  menschliche  Seele  war    urspriluglioh  von  Oott  ud 

1)  Haraack,  1,  p.  SU2,  Aoid. 

2)  Hamauk,  I,  p.  582  fg. 


Alexandrinisches  Cbristentnm.  445 

war  ewig.  Nach  Origenes  ist  der  Zwischenraam  zwischen 
Gott  nnd  dem  Menschen  dnrch  eine  ununterbrochene  Reihe 
von  vernünftigen  Wesen  [naturae  raiionahiles).  die  je  nach 
ihrer  Würde  einander  folgen,  ansgefüllt.  Sie  gehören  alle  zu 
der  veränderlichen  Welt  und  sind  selbst  der  Veränderung, 
dem  Fortschritte  oder  der  Verschlechterung,  unterworfen. 
Sie  traten  gewissermaßen  an  die  Stelle  der  alten  stoischen 
Logoi,  nehmen  aber  unter  dem  Namen  Engel  eine  volkstüm- 
lichere Gestalt  an.  Der  Vater,  der  Sohn  und  der  heilige 
Gäist  gehören  zur  ewigen  und  unveränderlichen  Welt,  dann 
folgen  die  Engel  je  nach  ihrem  Rang,  und  schließlich  die 
menschliche  Seele. 

Was  die  dritte  Person  anbelangt,  so  hat  es,  wie  Har- 
naek  bemerkt  (I.  p.  5S3\  Origenes,  ebenso  wie  St.  Clemens, 
nie  zu  einem  zwingenden  Beweis  der  inneren  Notwendigkeit 
dieser  Hypostasis  gebracht:  ja  es  war  zu  seiner  Zeit  noch 
nicht  fe^tgestellt.  ob  der  heilige  Geist  erschaffen  oder  uner- 
tehaffen  sei.  ob  er  für  den  Sohn  Gottes  zu  gelten  habe  oder 
nicht.  Nichtsdestoweniger  nahm  Oricrenes  die  Dreieinigkeit 
an,  doch  mit  dem  Vater  als  der  ausschließlichen  Quelle  ihrer 
Göttlichkeit  (:rrjr  rf^  x^forrro^^:  ja  er  spricht  von  ihr  als 
dem  Mvsterium    aller  Mvsterien  —  was   immer  dies    beden- 

m  m 

ten  mag. 

Alle  menschlichen  Seelen,  nahm  Origenes  an,  seien  von 
Gott  abgefallen  und  seien  zur  Strafe  während  ihres  Aufenthaltes 
in  der  materiellen  Welt  in  Fleisch  gekleidet  worden.  Aber  wenn 
einmal  die  Herrschaft  der  Sünde  in  der  materiellen  Welt  vor- 
ftber  ist,  sollte  der  reine  Logos,  mit  einer  reinen  menschlichen 
Seele  vereint,  erscheinen ,  um  jede  menschliche  Seele  zu  er- 
lösen, so  dass  sie  dem  Fleische  sterbe,  im  Geiste  lebe  und  an 
der  endlichen  Erlösung  aller  Dinge  teilhabe.  Manche  von  die- 
sen Spekulationen  mögen  als  phantastisch  bezeichnet  werden, 
aber  der  ihnen  zu  Gruude  liegende  Gedanke  stellte  zn  jener 
Zeit  das  wahre  Wesen  des  Christentums  dar.  Im  Namen 
des  christlichen  Logos  konnte  Origenes  auf  den  Logos  ale- 
thes^  d.  h.  *die  wahre  Geschichte",    des   Celsus   erwidern;  in 


446  Dreisehuie  Vorlesung. 

diesem   Zeichen    siegte    das   Christeatam    und   veraShnt«  diel 
griechische  Pbiloso]ihiB  im  Osten  und  deu  i-ffmiscben  Dognu-  J 

liamns  im  Westen. 


Ute  kXogoU 

Obgloich  nun  aber  dieae  Philosophie,  die  auf  dem  Logt» 
fußte,  desäeii  Äntooodentien  wir  bis  auf  die  groBoo  Pliilooo- 
pben  Griechenlands  zurückverfolgt  haben,  MSuner  wie  8t. 
Clemens  und  Origenea  in  Stand  setzte,  ihren  guten  Kampf 
für  den  neuen  Glauben  auszufecbteo,  so  darf  man  doch  nicht 
etwa  glauben,  dass  diese  philosophische  Verteidigung  unf  all- 
gemeine Zustimmung  stieß.  Wie  Origenes  selbst  sah,  war  lie 
fQr  lahlluse  Leute,  welche  die  ohriatlicbe  Keligion  um  andetcr 
Vorzüge  willen,  die  mehr  ihr  Herz  als  ihren  Verataud  anspt^ 
chen,  angenommen  hatteu,  zu  hoch  und  zu  tief.  So  hOren  «ir 
in  der  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts',  von  einer  wichtigen  ml 
oft  zu  wenig  beachteten  Sekte  in  Kleinasion,  die  man  'Älogw' 
nannte.  Dies  scheint  ein  Spottname  gewcaeu  ZU  sein,  der  'diM 
den  Glauben  an  dun  LogosV'']  aber  auch  'unvernOnftig'  bedeutgte. 
Diese  Alogoi  wollten  von  dem  Logos  ^}  Gottes,  wie  JofaaaMi 
ihn  predigte,  nichts  wissen.  Dies  zeigt,  dass  ihre  Otfnt" 
Schaft  nicht  gegen  St.  Clemens  und  Origenes  genchiet  wir, 
deren  Schriften  wahrscheinlich  in  eine  spatere  Zell  IkUen  tut 
die  Gründung  der  Sekte  der  Alogoi,  sondern  gegen  die  'nuorit 
das  Logos,  wie  sie  in  dem  dem  Johannes  zugeschriebcatt 
Evangelium  gelehrt  oder  doch  vOUig  klar  angedeutet  wird. 
Die  Alogoi  waren  keine  Ketzer;  im  Gegenteil,  sie  warn 
konservativ  und  hielten  sich  fSr  durch  ans  ortbodex.  Sit 
waren    Gegner    der   Montanisten    und  Chiliasten;    sie  lukaa 


1;  Haroack  a.  a.  0.  p.  61T,  Aum. 

2]  So  hieß  Johannes,  der  Verfusser  der  Apukal]rp»e,  Tl«*^ 
i;o«',  weil  er  diu  Gctiliabkeil  dos  Logos  behauptete.  Siehe  .VnKr- 
lic/u  IMigion,  Seite  \'i. 

3}  Kpiphanius,  B],  i.  38:  Ti,y  Xoyoi'  toi  »lov  AnoJIdlUnta 
riv  rf»o  'Itaoyyi;!'  xr,pijc^i'in, 


Alexandrinischeä  Christentam.  447 

die  drei  synoptischen  Evangelien  an.  vemarfen  aber  gerade 
darum  das  dem  Johannes  zngeschriebene  Evangelium,  sowie 
auch  die  Apokalypse.  Sie  leugneten  sogar,  dass  dieses  Evan- 
gelium von  Johannes  geschrieben  sei,  weil  es  nicht  mit  den 
anderen  Aposteln  übereinstimme,  *)  ja  sie  gingen  so  weit  zu 
sagen,  dass  dieses  dem  Jobannes  zugeschriebene  Evangelium 
Ifigenhaft  und  verworren  sei,'-  da  es  nicht  dieselben  Dinge 
sage,  wie  die  anderen  Apostel.  Manche  schrieben  das  vierte 
Evangelium  dem  judalsirenden  gnostischen  Cerinthus  zu  und 
erkürten,  dass  es  in  der  Kirche  nicht  gebraucht  werden 
aoUte.  '•) 

Dies  ist  ein  wichtiger  Abschnitt  in  der  Geschichte  des 
Urchristentums.  Wir  ersehen  daraus,  dass  in  der  zweiten 
Uftifte  des  zweiten  Jahrhunderts  die  vier  Evangelien,  die  drei 
synoptischen  Evangelien  und  das  des  Johannes,  sämtlich  in 
der  Kirche  anerkannt  waren,  dass  es  aber  zu  gleicher  Zeit 
doch  noch  möglich  war,  ihre  Autorität  in  Zweifel  zu  ziehen, 
ohne  sich  einer  Kirchenstrafe  von  der  Art.  wie  sie  damab 
war,  auszusetzen.  Wir  sehen  femer.  wie  ganz  und  gar  die 
Lehre  von  dem  Logos  mit  Johannes  oder  doch  mit  dem  Ver- 
fasser des  vierten  Evangeliums  identifiziert  wurde,  und  wie 
es  seine  Anschauung  von  Christus,  und  die  von  Bamabas, 
Juatin,  den  beiden  Clemens,  Ignatius,  Polycarpus^)  und  Ori- 
genes  verteidigte  Anschauung  war,  welche  am  Ende  die  Welt 
eroberte.  Immerhin,  wenn  es  möglich  war.  dass  ein  Papst 
den  St.  Clemens  seiner  rechtmäßigen  Stelle  unter  den  Heili- 
gen der  christlichen  Kirche  beraubte,  wer  bürgt  uns  dafür, 
daaa  nicht  ein  anderer  Papst  dem  Johannes  selbst  seine 
Heiligkeit  abspreche?^ 

1  Epipb.    •*!  .  -I:     *I*(:Gxotat    vit   ov    oiuifvii-tl    iv.    üy^ic    loi 
* latiyyov  loi;  '/.otnoti  <:nrt» er '*/.<*<>. 

2  Epiph.   51.    IS:     To  fvr.yyi'jLtor   to   il^    ttrom-.  '  Ivjrtrot    t.ff- 
Jliui    .  ..   kiyoiat   to  Xi'.iti  '  listr.rrty  lir.yyi'/.ff.   tT.'O',    m    i«:    ctit: 
lOiV   unoül'f/.oty'  t(ff,.    t:f)ti'Mclor   ttt'iu. 

^     Oix  tictc   t:in:  (fctjtr  lirct  ir  l/./.'/.f  ni*  . 

4  liarnack.  I,  ji.  \h'l,  Anm.;  p.  vii.  Aml. 

5  Vgl.  Bi^r^  a.  a.  0.  p.  -72. 


448 


DrBijielinte  Vnrlesiing. 


Obgleich  die  weitere  Bntwiclcliing  der  LogoBtheorit  Im 
Orient  und  im  Occidenl  von  dem  grAßlen  Interesse  ist,  AtOfen 
wir  doch  nicht  länger  dabei  verweilen.  Für  uns  hat  ue 
hauptsächlich  ein  philosophiscLeB  Inlerease,  wUlirend  ihre 
spatere  Entwicklung  mehr  nnd  mehr  theologiach  und  scho- 
lastisch wird.  Wa^  ich  beweisen  wollte,  war,  dass  die  cbriri- 
liche  Religion  in  ihren  ersten  Eümpfen  mit  dem  nichlchrist- 
lichun  Denken  der  Welt  ihren  Sieg  httnptjAchlicb,  wnnn  nicht 
gftnzlich,  der  Anerkennnng  deiiaen  verdankte,  was,  wie  wir 
sahen,  das  wesentliche  Element  aller  Heügionen  bildet,  der 
Anerkennung  der  engsten  Verknnpfnng  zwischen  der  phio»- 
menalen  und  der  noiimenalen  Welt,  zwischen  der  niunicli- 
lichen  Seele  nnd  Gott  Das  Band  der  Vereinigung  zwiacben 
den  Beiden,  welches  langsam  und  allmShlich  von  heidniMh«a 
Philosophen  entdockt  nnd  znro  Angelpunkt  der  chrlBtlichtn 
Philosophie  in  Alesandria  gemacht  worden  war,  war  derLiogoi. 
Dnrch  die  Anerkennung  des  Logos  in  Christna.  ein  Dogma, 
welches  bei  Celsns  und  anderen  heidnischen  Philosophan 
ganz  schreckliches  Ärgernis  erregte,  war  die  verhftngnIsTiiU« 
Scheidnng  zwischen  Religion  und  Philosophie  aufgehoben  word^ 
nnd  die  Beiden  hatten  sich  noch  einmal  die  H&ude  gereldit 
Ea  ist  aber  merkwürdig,  wie  manche  der  frnbesteD  Apolo- 
geten den  Logos  so  anlTassten,  als  wäre  der  Zweck  desselha 
vielmehr,  Oott  von  der  Welt  zu  trennen,'!  als  die  Beiden  la 
vereinigen.  Philo  war  allerdings  ganz  nnd  gar  von  der  Idac 
erfflllt,  dnss  die  gjlftliche  Wesenheit  nie  mit  der  getnwita 
find  verderbten  Materie  in  nnmittetbare  Berllbrnng  gtAraekt 
weiden  dtlrfe.  nnd  er  mag  wohl  den  daz wischen tret«v4a 
Logos  als  ein  willkommenes  Mittet  begrflßt  haben,  eine  d«- 
srtige  Berührung  zu  verhindern.  Allein  ohristliche  PhilOiO- 
phen  betrachteten  die  Materie  als  von  Gott  geschaffen,  nd 
obgleich  anch  fOr  sie  der  Logos  die  vermittelnde  Macht  ^nt, 
durch  welche  Gott  die  Welt  bildete  nnd  beherrschte,  so  labea 
sie  doch  immer  ihren  Logos  als  ein  Bindeglied  and  nicht  all 


1)  Hamack,  I.  p.  U3. 


Alexandrinisches  Ch listen tniD.  449 

eine  trennende  Scheidewand  an.  Allerdings  wnrde  der  nr- 
sprflngliche  Zweck  nnd  Charakter  des  Logos  in  späterer  Zeit 
voUständig  vergessen  nnd  verändert.  Er  war  nicht  mehr  ein 
Band,  welches  das  Menschliche  nnd  das  Göttliche  vereinigte, 
er  wnrde  nicht  mehr  in  dem  Sinne  aufgefasst,  in  dem  die 
alten  Kirchenväter  ihn  verstanden  hatten,  nämlich  als  das 
göttliche  Gebnrtsrecht  jedes  Menschen,  der  anf  die  Welt 
kommt,  sondern  er  wnrde  noch  einmal  als  eine  Scheidewand 
zwischen  dem  göttlichen  Logos,  dem  Sohne  Gottes  (uovoye- 
yr^g  vlog  rov  &eov),  nnd  der  fibrigen Menschheit  gebraucht; 
so  dass  nicht  nur  das  Zeugnis  des  Johannes,  sondern  die 
angenscheinliche  Bedentnng  der  Lehre  Christi  zn  nichte  ge- 
macht wurde.  Natürlich  musste  dann  dem  St.  Clemens  die 
Heiligkeit  abgesprochen  werden  —  warum  aber  nicht  auch 
dem  St.  Augustinus ,  der  selbst  ein  großer  Bewunderer 
von  St.  Clemens  und  Origenes  war,  und  der  sogar  die 
eigenen  Worte  des  St.  Clemens,  dass  Gott  zum  Menschen 
geworden  sei,  damit  der  Mensch  Gott  werden  könnte,  ^;  über- 
setzt und  angenommen  hatte.  Spätere  Theolugen,  da  sie  den 
Unterschied  zwischen  ^fog  und  o  ^«oc.  Gott  und  dem  Gott, 
nicht  kannten,  argwöhnten  irgend  eine  versteckte  Ketzerei  in 
dieser  Sprache  des  St.  Clemens  und  des  St.  Augustinus,  nnd 
fährten,  um  sich  gegen  jede  falsche  Auffassung  zu  verwah- 
ren, eine  Terminologie  ein.  welche  den  Unterschied  zwischen 
Christus  und  denjenigen,  welche  er  seine  Brüder  nannte,  zu 
einem  Unterschied  der  Art  nnd  nicht  des  Grades  machte,  und 
so  der  gesamten  Lehre  Christi  den  Krieg  erklärte  nnd  Hohn 
sprach.  Kann  es  etwas  Vorsichtigeres  und  doch  Bestimm- 
teres geben,  als  die  Worte  des  Clemens:^)  >So  wird  derje- 
nige, welcher  an  den  Herrn  glaubt  und  dem  von  ihm  ver- 
kflndeten  Evangelium  folgt,  am  Ende  vervollkommnet  nach 
dem  Bilde  des  Lehrers,    indem   er  sich  als  Gott  im  Fleische 


1  Siehe  oben  S.  31b. 

2  Siehe  Bigg  a.  a.  0.  p.  75. 

Maji  M611er.  Tlieo-ophie.  29 


rso 


Dreiielinle  Vorlesung. 


hommitewegt,  •  ij  Und  nocU  bestimmter  drückt  sich  Origenea 
in  seiner  Kntgegnnng  an  Celsas  IIl,  28  ana:  «Aaf  dass  die 
menschliche  Nator  durclt  ilire  Gemeinschaft  mit  der  mehr 
göttlichen  nicht  nur  in  Jesu,  sondern  in  Allen,  welche  durch 
Glaaben  das  von  Jesu  gelehrte  Leben  aufnehmen,  g^tttlieli 
werde.«')  Es  ist  klar,  daas  Origoues  bpi  dieser  Beinet  An- 
soliaunng  von  der  menBohliohen  Katar  kein  anderes  Argn- 
ment  znm  Beweise  der  wahren  Göttlichkeit  Cliriält  nötig 
hatte.  E,r  hätte  ebenau  gut  versuchen  kennen,  seine  Menub- 
iichkeit  gegenüber  den  Doceten  zu  beweisen.  Beide  WAren 
für  ilm  Eins  und  konnten  nur  Eins  sein.  Die  GsttUchkul 
Christi  war  für  Origenea  nicht  mirakulüa,  sie  bedurfte  keiau 
Beweises  «us  moralischen  oder  physischen  Wandern.  Sie  war 
schon  in  seiner  Natur  selbst  eiugeschlodaen,  insofern  er  der 
Logos  oder  der  Sohn  Gottes  in  seiner  ganzen  VoUständigkdt 
war,  während  der  Logos  im  Menschen  gelitten  hatte  nnd  doroh 
die  Lehre,  durch  das  Leben  und  den  Tod  Cliristi  erlöst  wer- 
den mnsste.^)  Während  sich  Origenes  in  seiner  Weiaa  bemOkle, 
die  griechische  Philosophie,  d.  h.  aeine  eigenen  ehrliolieo 
Cberzengungen,  mit  der  Lehre  der  Kirche  in  Einkluis  n 
bringen,  hielt  er  sich  sowohl  vom  Gnoaticismas  sie  tob 
Docetismus  fern.  Origenes  war  ala  Christ  ebenso  ehriüb, 
wie  ala  Philosoph,  und  diese  Ehrlichkeit  war  ob,  weicht  iu 
Christentuui  im  dritten  Jahrhundert  siegreich  maclitfi,  md 
welche  es  immer  wieder  siegreich  machen  wird,  sobald  U 
Verteidiger  findet,  welche  entschlossen  sind,  weder  Ihre  |diilv- 
sophischen  Überzeugungen  ihrem  religiösen  Glauben,  niKb 
ihren  religiösen  Glauben  ihren  philosophischen  übertengnafU 
zu  opfern. 


ii-  «a^Kf  ^e  [11  Holt  tu*'  ^föf.    Cleu.  Strom.  VIH,  16,  M. 

»MB  o6k tu  /löfip  t(i  'Itjeob  üyth  *tt\  nhai  loi,-  fntä  tot  amtittt 
iivoXafifärovci  ?tor  ir  'Jrjtioi-e  USiaHf' 
»1  HantHck  I,  p.  h'H. 


Alexandrinisches  Christentimi.  451 

Wohl  ist  auch  Origenes,  ebenso  wie  8t.  Clemens,  von 
sp&teren  kirchlichen  Antoritäten,  welche  die  Tiefe  seiner  6e- 
diuiken  nicht  ergründen  konnten,  verdammt  worden;  doch 
war  er  in  der  ganzen  Geschichte  des  Christentums  nie  ohne 
seine  Bewunderer  und  Anhänger.  St  Angnstinns,  8t.  Ber- 
nard, der  Verfasser  von  De  imitatione,  Meister  Eckhart, 
Tanler  und  Andere  ehrten  sein  Andenken,  und  Dr.  Bigg  hat 
gewiss  Recht,  wenn  er  sagt:  ^)  >Es  gab  keinen  wahrhaft 
großen  Mann  in  der  Kirche,  der  ihn  nicht  ein  wenig  geliebt 
bat.«  Und  warum  nnr  »ein  wenig«?  Etwa  weil  er  der 
Wahrheit,  so  wie  er  sie  in  der  Philosophie  sowohl  als  in  der 
Reli^on  gesehen,  nicht  tren  geblieben  ist?  Oder  etwa,  weil 
er  sich  Qaalen  auferlegte,  die  Viele  missbilligen,  aber  Wenige 
nachahmen  dörflen  najuraerai  Tic  iiä'ßj.ov  f  uiuraerai)? 
Wenn  wir  die  Zeit  bedenken,  in  der  er  lebte,  und  das  Zeug- 
nis erwägen ,  das  seine  Zeitgenossen  seinem  Charakter  geben, 
ao  können  wir  wohl,  wie  von  manchen  Anderen,  welche  die 
Nachwelt  verkannt  hat,  auch  von  ihm  sagen: 

>Denn  wer  den  Besten  seiner  Zeit  genag 
Gethao.  der  hat  gelebt  für  alle  Zeiten.« 

1    A.  a.  0.  p.  2Ty. 


29* 


Vierzehnte  Vorlesung. 
DionyaiuB  der  Areopagite. 


Der  Lo^oe  In  il«r  latelniiteben  Klrcbn» 

Nachdem  ich,  wie  ich  hoffe,  gezeigt  habe,  dus  i 
ältest«!!  theologiaoheD  DarBtellung  des  Chriatentums ,  win  wir 
aie  Lei  den  alexaDdrüu sehen  Kirchenväteru  fiadeu,  der  her- 
vorstecbendsl«  Gedanke  derselbe  ist,  wie  der  de»  TedHiiU, 
n&mlich  wie  mun  einen  Weg  vou  der  Erde  znm  Himmel, 
oder  —  besser  gesagt  —  wie  mun  den  Himmel  auf  Erden 
finden,  wie  man  tiott  im  Menschen  und  den  Menschen  in 
Gott  wiederfinden  kOone,  haben  wir  nun  noch  zn  zeigen,  dasi 
diese  alte  Form  des  Chvistentnms,  obgleich  sie  in  späteren 
Zeitaltern  entweder  gar  nicht  verstauden  oder  missverstao- 
den  wurde,  sich  doch  unter  wechselDden  Formen  in  eioem 
nnunlerbru ebenen  Strom  vom  zweiten  bis  zum  neunzehnten 
Jahrhundert  bebanpict  hat. 

Wir  kOnnen  sehen,  wie  die  Gedanken  dea  St.  Clemena  nnd 
des  Origenes  in  die  westliche  Kirche  verpÜatut  wurden,  ob- 
gleich schon  die  Sprache,  in  welcher  sie  auagedrOckt  werden 
muBsten,  die  feineren  Schattierungen  ihrer  Uedeutuug  ver- 
dunkelte. Es  gibt  im  LateinisohcB  kein  Wort,  um  die  gaoce 
Bedeutung  des  Logos  wiederzugeben ;  die  wichtige  Oiitn>- 
scheidnog  ferner  zwischen  Ötög  nnd  i'>  (•ii6t:  ISust  sieb  aobwar 
in  einer  Sprache  wiedergeben,  welche  keinen  Artikel  hat.  Di« 
ünleracheidnng  zwischen  oueis  nnd  hypoataaia  war  schwer 
auszudrttcken,    nnd  doch    konnte    eine  ungenaue  Wiedergab« 


Dionysias  der  Areopagite.  453 

sofort  als  Ketzerei  aasgelegt  werden.  St.  Hieronjrmus,  ^)  der 
sein  Leben  lang  den  Ansdmck  ires  personae  gebraneht  hatte, 
klagte  bitter  darflber,  dass  er  mit  argwöhnischen  Blicken  an- 
gesehen wnrde,  weil  er  nicht  den  Ansdmck  tres  substantiae 
gebranchen  wollte.  >Weil  wir  nicht  die  (nenen)  Worte  lernen, 
werden  wir  fflr  Ketzer  gehalten.« 

Tertnllian. 

Wir  brauchen  nnr  zn  lesen,  was  lateinische  Väter  — 
znm  Beispiel  Tertnllian  —  Aber  Ohristns  als  den  Logos 
sagen,  nm  sofort  zn  bemerken,  wie  der  Geist  der  lateinischen 
Sprache  den  alten  griechischen  Gedanken  modifiziert  und 
▼emnstaltet.  Wenn  Tertnllian  von  Christas  als  Gott  zn 
sprechen  beginnt  ;Apolog.  cap.  xxi).  kann  er  nnr  sagen:  De 
Christo  ut  Deo.  Dies  könnte  so  aasgelegt  werden,  als  ob 
er  Christas  fQr  o  Qaoq  erklären  and  von  ihm  die  Hypostasis 
des  Vaters  aussagen  wollte,  was  anmöglich  ist.  Was  er  aus- 
sagen will,  ist  die  Ousia  der  Gottheit.  Dann  fährt  er  fort: 
>Wir  haben  schon  bemerkt,  dass  Gott  dieses  All  Verbo  et 
Ratione  et  Virtute,  d.  h.  dnrch  das  Wort,  dnrch  Vemonft 
und  dnrch  Macht  geschaffen  hat.«  Er  mnss  zwei  Wörter, 
rerbum  nnd  ratio ,  gebrauchen,  um  *  Logos'  auszudrücken. 
Selbst  dann  scheint  er  das  Gefflhl  zu  haben,  dass  er  sich 
klarer  ausdrficken  sollte,  und  er  fügt  hinzu:  > Es  ist  bekannt. 
dass  bei  euch  Philosophen  auch  der  Logos,  d.  h.  Rede  [sermo] 
nnd  Vernunft  {ratio  ,  als  der  Verfertiger  des  Weltalls  angesehen 
wird.  Denn  Zeno  definiert  den  Logos  als  den  Schöpfer,  der  Alles 
ordnungsgemäß  gemacht  hat.  und  er  sagt,  dass  er  auch 
'Schicksar,  'Gott",  'der  Geist  Gottes'  und  *die  Notwendigkeit 
aller  Dinge*  genannt  wird.  Cleanthes  fasst  diese  alle  zusam- 
men als  den  Geist  auf,  welcher,  wie  er  behauptet,  das  All 
durchdringe.  Wir  schreiben  auch  der  Rede,  der  Vernunft 
und  der  Macht  (sermo,  ratio,  et  rirtus  .  durch  welche,  wie 


1 ,  Biographien  of  Words^  p.  43. 


454 


Vleriehnle  Vorlesung. 


gesagt,  Gott  Alles  gemucht  hat,  eine  eigene  Substant  kd,  den 
Geist,')  welcher  als  Wort  das  >E3  werdet  (der  SchOpfangj 
von  sich  gibt,  ala  Veniuoft  Ordnaog  in  das  Weltall  bringt 
und  al9  Macht  sein  Werk  zu  vollständiger  Vollkommenheil 
weiterführt.-)  Wir  haben  gelernt,  d&ss  er  ana  Gott  heraibr- 
gebmcht  nnd  durch  ProlatioD  erzeugt,  und  dass  er  d^iram 
der  Sohu  Gottes  und  Gott  genannt  wurde,  wegen  der  Einheit 
der  Sabatanz.  Denn  Gott  ist  Geist,  nnd  wenn  ein  Strahl  von 
der  Sonne  ansgesaniit  wird,  ist  er  ein  Teil  von  dem  Ganzen, 
die  Sonne  aber  wird  in  dem  Strahle  sein,  weil  ja  der  Strahl 
der  Strahl  der  Sonne  ist,  der  Substanz  nach  nicht  von  ihr 
getrennt,  sondern  nur  hervorgegangen.  So  kommt  der  Geist 
vom  Geiste  und  Gott  von  Gott,  wio  ein  Licht,  das  an  eAatm 
Lichte  entzündet  wird.< 

Wir  sehen  durchaus,  daas  Tcrtullian  (1I3Ü  —  24lij  dai 
aaszudrOoken  wtlnscbte,  was  St.  Clemens  und  Origenea  vor 
ihm  ansgedrflfkt  hatten.  Da  er  aber  nicht  die  griechiHhen 
Werkzeuge  zur  Verfügung  hatte,  erscheint  sein  Worlbild  oft 
verwischt.  Die  Eiufttbrong  des  Spiritus,  welcher  'gAUtielie 
Natur'  bedeuten  kann,  aber  von  pjieuma,  logos,  dem  gött- 
lichen Worte,  und  von  dem  ipintu»  sanctun,  dem  heiligen 
Geist,  nicht  genOgend  unterschieden  ist,  verwirrt  die  Auf- 
fassung der  Leser,  nainentlicb  wenn  sie  griechische  Philo- 
sophen und  an  die  fein  zugespitzte  griechische  Terminolotiti 
gewöhnt  waren. 


DloDfslDs  der  Areopat'lte. 

Es  wäre    ohne  Zweifel   äußerst    interessant,  die  Obflrii^ 

ferung  dieser  alexandrini sehen   Lebren   zu  verfolgen,  wie  lic 

sowohl  im  Abendland  als  im  Morgenland  fortgvfQbri  wordan, 


It  Kaye  urklUrt,  ikss  'Gdst'  hier  die  Bedontung  'gOnllelu^ 
Natur'  hat;  dann  ist  aber  der  .iusdrui^k  si-hr  iinvnllkotntueu. 

21    Tertulliaiii  .ipohgitieu»  adeertut   Otiitc»,  od.  Bindlej.  p.'* 


Dionysius.  der  Areopagite.  455 

und  die  Veränderungen  hervorzuheben,  die  sie  bei  den  ton- 
angebenden theologischen  Autoritäten  in  beiden  Kirchen  er- 
litten. Doch  dies  ist  eine  Arbeit,  die  meine  Kräfte  weit  Ober- 
steigt. Nur  das  halte  ich  noch  ftlr  meine  Pflicht,  zu  versuchen, 
Ihnen  klar  zu  machen,  wie  diese  Strömung  des  christlichen  Den- 
kens während  der  Jahrhunderte,  welche  uns  von  den  ersten  fünf 
Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung  trennen,  nie  ganz  ver- 
loren ging,  sondern  in  den  kritischesten  Perioden  der  Ge- 
schieht« des  Christentums  immer  wieder  an  die  Oberfläche 
berauf  kam.  unbehindert  durch  das  Konzil  von  Nicaea  (325) 
fließt  dieser  alte  Strom  philosophischen  und  religiösen  Denkens 
weiter,  und  wir  können  in  den  Schriften  von  St.  Basilius 
(320  —  379),  Gregor  von  Nyssa  (332  —  395),  Gregor  von 
Nazianz  (32S  —  389),  so  wie  auch  in  den  Werken  von 
St.  Augustinus  (364 — 430)  den  fernen  Widerhall  der  Schu- 
len von  Alexandria  vernehmen.  In  seiner  ursprtlnglichen 
heidniBchen  Form  machte  sich  der  Neuplatonismus  noch  ein- 
mal durch  die  mächtige  Verteidigung  des  Proclus  (411 — 4S5; 
geltend,  während  er  in  seiner  christlichen  Form  ungefähr  um 
dieselbe  Zeit  (500  n.  Chr.  ?)  von  einem  Pseudonymen  Schrift- 
steller, Dionysius  dem  Areopagiten,  einen  neuen,  mächti- 
gen Anstoß  empfing.  Ich  muss  einen  Teil  meiner  Vorlesung 
diesem  Schriftsteller  widmen  wegen  des  außerordentlichen 
Einflusses,  den  seine  Werke  in  der  Geschichte  der  mittel- 
alterlichen Kirche  gewannen.  Er  ist  oft  der  Vater  des 
mystischen  Christentums  genannt  worden,  was  nur  ein  neuer 
Name  f&r  das  alexandrinische  Christentum  in  einer  seiner 
mannigfachen  Erscheinungsformen  ist,  und  er  hat  Jahrhun- 
derte lang  als  Bindeglied  zwischen  der  alten  und  der  mittel- 
alterlichen Kirche  gedient.  Niemand  könnte  die  Systeme 
von  St.  Bemard  1091  —  1153)  und  Thomas  von  Aquino  (1224 
bis  1274)  verstehen,  ohne  mit  Dionysius  bekannt  zu  sein. 
Niemand  könnte  die  Ideen,  ja  auch  nur  die  Sprache  von 
Meister  Eckhart  (1260 — 1329  erklären,  ohne  sich  vorher  mit 
den  Spekulationen  dieses  Letzten  der  christlichen  Neuplato- 
niker  bekannt  gemacht  zu  haben.     Ja  Gereon     1363 — 1429  , 


456  Vierzehnte  Vorleaung. 

8t.  Theresa  ft515 — 1582),  Molinos  (1640  —  1087).  ükA.  üb 
Onyon  (I64S — IT1T),  sie  Alle  sind  von  seinem  Zzniberalab 
berührt  worden.  Wenige  habeo  eine  so  weite  und  so  din- 
ernde  Berühmlheit  erlangt,  wie  dieser  anonyme  Scbrirtateller, 
und  —  wir  müssen  hinznfdgeu  —  trotzdem  daea  er  es  so  wenig 
verdiente.  Denn  obgleich  Dionjsius  der  Areopagite  oft  all 
der  Begründer  des  christlichen  Mysticismua  dargestellt  wird, 
mnas  ich  doch  gestehen,  dass  loh,  nachdem  ich  Philo,  St, 
Clemens  und  Ori^enes  gelesoD,  in  seinen  Schriften 
gefunden  habe,  das  als  originell  bezeichnet  werden  kari 

Scbriftcu  des  Dloujfilus. 

Bekanntlich  w;ir  dieser  Dionysiua  der  Areopagit«  1 
der  wirkliclie  Dionysina,  der  mit  Damaria  nnd  Andereufl 
Paulns  nach  seiner  Predigt  auf  dem  Areopag  aahing. 
ihm  wissen  wir  nichts  weiter,  als  was  wir  in  der  Api 
gescbicbte  lesen.  Es  gab  aber  einen  cbriatlichen  Nei 
niker,  der,  wie  Tbolnck  zuerst  gezeigt  hat.  gegei 
Chr.  schrieb.  Die  Geschichte  seines  Buches  ist  sehr  t 
bar.  Sie  ist  oft  erzählt  worden;  znletzt  von  Dr.  Wbi 
dem  gegenwärtigen  Bischof  von  Durham,  in  seinen  I  SSfl 
schienenen  gehaltvollen  Essays  oh  the  Ilislorif  of  . 
Thovght  i/t  Ihn  West.  Ich  folge  hauptsächlich 
Thoinck,  indem  ich  Ihnen  die  nachibigenden  That« 
gebe.  Die  Schriften  des  Dionyains  wurden  zum  erst« 
in  der  im  Jahre  53:!  n.  Chr.  zu  Konstantinopel  ab^hi 
Kirchen versammlnng  erwähnt,  nnd  schon  damals  ivnr(l( 
von  den  Orthodoxen  hIs  von  zweifelhafter  Echtheit  v 
Ganz  naturlich,  denn  wer  hatte  je  zuvor  von  Dionysina^l 
Jünger  des  Paulus,  als  einem  Schrift  st  eller  gehört? 
St.  Cyril  und  Athanaaius  wusaten  noch  nichts 
welchen  Schriften  des  Dionysins,  nnd  Keiner  der  Allen  kitte 
sie  Je  citiert.  Allein  trotz  alledem  halten  diese  Sohrif)«« 
von  Dionysiua  dem  Areopagiten  offenbar  etwas  B«unbeftiidH 
an  sich.     Im  siebenten  Jahrhundert  wurden  sie  von  HaxiniiM 


Dionjsias  der  Areopagite.  457 

(f  662  kommentiert;  und  Photius  erwähnt  in  seiner  Bibliotheca 
(c.  845)  eine  Schrift  von  Theodoms,  einem  Kirchenältesten, 
welche  geschrieben  war,  am  die  E^chtheit  des  Werkes  von  St. 
Dionysins  zu  beweisen.  Wir  branchen  auf  diese  Argnmente  ffir 
und  gegen  die  Echtheit  dieser  Bücher  nicht  einzugehen,  wenn 
man  nnter  Echtheit  versteht,  dass  sie  von  Dionysins  dem 
Areopagiten  im  ersten  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  ge- 
sehrieben worden  seien.  Ich  zweifle  sogar,  ob  der  Verfasser 
selbst  je  die  Absicht  hatte,  irgend  etwas  wie  einen  Betrug 
oder  eine  Fälschung  zu  begehen.  ^)  Er  war  offenbar  ein 
neuplatonischer  Ohrist,  und  sein  Buch  war  eine  Fiktion  von 
der  Art,  wie  solche  in  jenen  Tagen  nicht  ungewöhnlich  waren, 
gerade  so  wie  in  gewissem  Sinne  die  Dialoge  des  Plato  und 
die  Reden  des  Thucydides  Fiktionen  sind,  obgleich  es  nie 
beabsichtigt  war,  dass  sie  irgend  jemand  täuschen  sollten. 
Ein  Mann  könnte  heutzutage  unter  dem  Namen  Swift  schrei- 
ben, wenn  er  ausdrücken  wollte,  was  Swift  gesagt  haben 
wflrde,  wenn  er  im  gegenwärtigen  Zeitpunkt  gelebt  hätte. 
Warum  sollte  nicht  ein  neuplatonischer  Philosoph  hinter  der 
Maske  des  Dionysins  des  Areopagiten  gesprochen  haben, 
wenn  er  zu  sagen  wünschte,  was  ein  griechischer  Philosoph 
möglicherweise  über  das  Christentum  gedacht  haben  würde. 
Wohl  gibt  es  in  den  dem  Dionysins  zugeschriebenen  Schrif- 
ten einige  wenige  Züge,  welche  dieser  philosophischen  Fiktion 
eine  gewisse  lokale  Färbung  und  einen  Anstrich  historischer 
Wirklichkeit  geben  sollten;  doch  dürfen  selbst  solche  littera- 
rische Kunstgriffe  nicht  gleich  als  absichtlicher  Betrug  aus- 
gelegt werden.  So  gibt  es  zum  Beispiel  eine  Abhandlung 
De  tita  cotitemplatica,  welche  dem  Philo  zugeschrieben 
wird.  Aber  in  Anbetracht  dessen,  dass  sie  eine  Verherr- 
lichung des  Ascetismus  enthält,  wie  er  von  den  Therapeuten 
in  Ägypten  getrieben  wurde,  ist  es  ganz  klar,  dass  sie  nie 
von  Philo  Jndaeus  geschrieben  worden  sein  konnte.    Sie  war 


1;  Siehe    die    Bemerkungen    von   Renan    in    Lfs    Evangihs, 
p.  159. 


458 


Vierzehnli!  Vorlesung. 


wahrscLeinlicli  gegen  das  Endo  des  dritten  oder  den  Aaftng  Sit 
vierten  Jahrhunderts  von  eioem  Christen  verfsast.  'Weiin  det 
Verfasser  ans  irgiend  einem  unbekannten  Urnnde  nnter  dem  Sa- 
men Philo  schrieb,  so  hätte  dieaer  litterariache  KiiDstgrifTdoeb 
schwerlich  irgend  einen  seiner  Zeitgenossen  tJLnschen  kODOen. 
wenn  eine  solche  TftQscIiung  überhaupt  je  beabBiehtigt  wsr.' 

Was  »ber  auch  der  Zweck  des  Verfassers  gewesen  ina 
mag,  ob  ehrlich  oder  unehrlich,  sicher  ist,  dass  er  ein  groftci 
pQblikum  fand,  welches  bereit  war,  an  die  thntsSo bliche 
Verfasserschaft  des  Dionysins  des  Äreopagiten  zn  glauben 
Die  größten  Schriftsteller  der  griochischen  Kiruhe  nahmcD 
diese  Bücher  als  die  wirklichen  Werke  des  Areopagit«D  «r. 
Noch  größeren  Erfolg  hatten  sie  im  Abendland.  Gregor  dei 
Große  (ca.  öuoj  bezog  sich  auf  dieselben,  und  sie  wnrdn 
von  Papst  Hadriftu  I.  in  einem  Brief  an  Karl  den  GnBa 
eitler  t. 

Das  erste  Csiemplar  der  Schriften  des  Dionysius  kam  ia 
Jahre  S37  nach  dem  Abendland,  als  Michael  der  Stammler 
Ludwig  I.,  dem  ^obne  Karh,  ein  Exemplar  Übersandte.  Uul 
nun  kam  eine  neue  Mystifikation  dann.  Die  Scbriftsn  Wai- 
den in  der  Abtei  8t.  Denis  in  der  Nähe  von  Paris  von  de* 
Abt  llilduin  in  Empfang  genommen.  Sie  kamen  gerade  n 
Vorabend  des  Festes  des  St.  Dionysins  an,  nod  —  so  ibnnl 
es  auch  klingen  mag  —  Dionysins  der  Areopaglte  Win!* 
mit  St.  Denis,  dem  Apostel  von  Frankreich,  dem  Belutt- 
heiligen  der  Abtei  St.  Denis  identifiziert;  und  so  TdbaBd 
sich  Nationalstolz  mit  theologischer  Unwissenheit,  um  diesen 
Schriften  des  Dionysius  in  Frankreich  noch  größeres  Gewicht 
und  noch  größere  Heiligkeit  zu  verleiben. 

Ihersetxnng  durch  ScotuB  Erlfraa. 

IMe  eintige  Schwierigkeit  war,  wie  man  sie  lesen  und 
abersetzen  sollte.     Frankreich   war  zn  jener  Zeit  nicht  rueb 

,  Straßburg,   l^SU.     Kuuncn.  Hi- 


ll   Lucius,  Die   Therayet 
btrt  Leelurt»,  p.  2(i1. 


Dionysius  der  Areopagite.  459 

an  griechischen  Gelehrten,  nnd  die  Sprache  des  Dionysins 
Ist  keineswegs  leicht  za  verstehen.  Hildnin,  der  Abt  von 
St  Denis,  versachte  eine  Übersetzung,  aber  es  wollte  ihm 
nicht  gelingen.  Dem  Sohn  Ludwigs,  Karl  dem  Kahlköpfigen, 
lag  ebenfalls  viel  daran,  eine  lateinische  Übersetzung  der 
Schriften  des  St.  Denis,  des  Schutzheiligen  Frankreichs,  zu 
besitzen,  und  er  fand  endlich  einen  sachkundigen  Übersetzer 
in  dem  berühmten  Scotus  £rigena,  der  an  seinem  Hofe  lebte. 
Seotns  Engena  war  ein  Geistesverwandter  von  Dionysius,  und 
er  filhlte  sich  zu  den  mystischen  Spekulationen  desselben 
m&chtig  hingezogen.  Seine  Übersetzung  muss  vor  dem 
Jahre  861  gemacht  sein,  denn  in  diesem  Jahre  beklagte  sich 
Papst  Nicolaus  I.  in  einem  Brief  an  Karl  den  Kahlköpfigen 
darttber,  dass  die  lateinische  Übersetzung  des  Dionysius  ihm 
nie  zur  Begutachtung  eingesandt  worden  sei.  Wahrscheinlich 
wurde  sofort  ein  Exemplar  nach  Rom  gesandt,  und  im  Jahre 
S65  finden  wir,  dass  Anastasius,  der  Bibliothekar  des  päpst- 
lichen Stuhls,  einen  Brief  an  Karl  richtet,  in  welchem  er 
die  wunderbare  Übersetzung  rflhmt.  die  von  Einem  gemacht 
sei,  den  er  den  am  Ende  der  Welt  lebenden  Barbaren 
nennt,  nämlich  von  Scotus  Erigena.  sei  es  dass  er  ein  Ir- 
länder  oder  ein  Schotte  war.  Scotus  selbst  war  vollständig 
Oberzeugt,  dass  Dionysius  ein  Zeitgenosse  von  Paulus  gewesen 
sei,  und  er  bewunderte  ihn  sowohl  wegen  seines  Alters, 
als  auch  wegen  der  Erhabenheit  der  himmlischen  Gnaden, 
die  ihm  verliehen  worden. 

Sobald  der  griechische  Text  und  die  lateinische  Über- 
setzung zugänglich  geworden  waren,  wurde  Dionysius  der 
Gegenstand  zahlreicher  gelehrter  Abhandlungen.  Albertus 
Magnus  und  Thomas  von  Aqnino  gaben  sich  beide  eifrigst  dem 
Studium  seiner  Werke  hin  und  bezweifelten  nie  ihren  An- 
spruch auf  ein  apostolisches  Alter.  Erst  nach  dem  Wieder- 
aufleben der  klassischen  Gelehrsamkeit  ^vurden  diese  An- 
sprüche von  Neuem  geprüft  und  verworfen ,  und  zwar  mit 
so  zwingenden  Beweisgründen  verworfen,  dass  man  sich 
wundert,  wie  man  diese  Schriften  jemals  hatte  als  apostolisch 


460 


Vienehiito  Vorlesung. 


annehmen  können.  Wir  brauchen  aaf  diese  BeweiagrSodn 
nicht  einzugehen.  Ea  gilt  nicht  mehr  als  Ketzerei,  ihre  ap»- 
stolisrhe  Herkunft  oder  ihr  apostoliachea  Datnni  za  bezweifeln. 
Niemand  zweifelt  jetKt  daran,  rtaäs  der  Verfasser,  wie  Tho- 
luck  vor  langer  Zeit  nngedentet  bat,  ein  nenplatonischer  Chriit 
war,  der  gegen  Ende  des  fOnften  JahThnnderts  wabnchm* 
lieh  20  Edesaa  tn  Syrien  lebte.  Weun  diese  Schriften  iber 
uuch  ihres  erdichteten  Alters  und  ihrer  angeblich  xposto- 
tischen  Herkunft  beraobt  worden  sind,  behalten  sie  doch  Um 
Wichtigkeit  bei,  insofern  sie  mehr  als  irgend  ein  änderet 
Buch,  bloß  das  Nene  Testament  selbst  aasgenommen,  du 
ganze  Christentum  des  Mittelalters  beherrscht  haben.  Sir 
bestehen  aus  Abbanillungon  (1)  über  die  himmlische  Hier- 
archie, (2)  nber  die  kirchliche  Hierarchie,  (3)  über  die  güt- 
lichen Namen,  und  (4J  Über  mystische  Theologie.  Es  irsrdo 
noch  andere  BUcher  erwühnt,  die  er  geschrieben  haben  ndl; 
»ie  sind  aber  fQr  uns  verloren,  'i  Seine  Schriften  sind  jM 
in  der  Aasgabe  des  Abb^  Migne  [Paris  IbST)  leicht  n* 
gängliuh. 

Uei-  Eiiillnss  der  Sf^hrlften  des  DlonjslDs. 

Wenn  wir  fragen,  wie  es  kam,  dass  diese  Bücher  eilWD 
so  anüorordentlichen  Zauber  auf  die  Gemflter  der  beiTVr- 
ragendsten  Theologen  des  Aliltelaltera  ausübten,  so  sebonl 
der  Hauptgrund  dies  gewesen  zu  sein,  daas  sie  einem  Ver- 
langen entsprachen,  das  in  jedem  Mensche aherzeu  vorhaadM 
ist,  dem  Verlangen  zu  wissen,  daas  es  ein  wirkliches  Ver- 
hältnis zwischen  der  menschlichen  Seele  und  tiott  gibt  Die- 
ses Verlangen  war  durch  die  jfldische  Religion  nicht  beMe^ 
worden.  Erst  jtlugst  hat  ein  hervorragender  BcholtiBch«r  The^ 
log  gezeigt,  welch  eine  un Ab ersch reitbare  Kluft  du  Alte  Totft- 
meut  zwischen  der  Seele  und  Gott  bestehen  llsal.  Und  obfl«irl 
es  der    hOcbete  Zweck    der    Lehre  Christi   —  wenn  a«  Mt 


1)  Siehe  Uamsck  a.  s.  0.,  Bd.  U,  ä.  1 


DionysiuB  der  Areopagite.  4g  1 

riehtig  yersUnden  wird  —  war,  diese  Kluft  zu  überbrücken, 
so  wurde  sie  doch  von  den  Judenchristeo,  welche  einige  der 
ersten  and  in  manchen  Beziehungen  wichtigsten  christlichen 
Gemeinden  bildeten,  nicht  so  aufgefasst.  Dionysius  machte 
sich  kühn  daran,  wenn  nicht  eine  Brücke,  so  doch  eine 
Jakobsleiter  zwischen  Himmel  und  Erde  herzustellen;  und 
diese  Leiter  war  es,  welche,  wie  wir  sehen  werden,  die  6e- 
mtlter  seiner  zahlreichen  Anhänger  so  sehr  ansprach. 

Ohne  Zweifel  trug  die  Vorstellung,  dass  er  ein  Zeit- 
genosse Yon  Paulus  gewesen  sei,  zur  Hebung  seines  Ansehens 
Yiel  bei.  Es  finden  sich  in  seinen  Werken  mehrere  Dinge,  die 
▼OD  den  Orthodoxen  schwerlich  geduldet  worden  wären,  anßer 
als  Äußerungen  eines  apostolischen  Lehrers.  So  behauptet  Dio- 
nysius, dass  die  Hebräer  in  keinem  Sinne  ein  vor  allen  anderen 
anserwähltes  Volk  seien,  dass  das  Los  aller  Menschen  gleich  sei, 
and  dass  Gott  für  die  ganze  Menschheit  in  gleicher  Weise  Sorge 
trage.  Es  ist  eine  noch  kühnere  Behauptung  des  Dionysius,  dass 
Christas  vor  seiner  Auferstehung  einfach  ein  sterblicher  Mensch 
gewesen,  ja  sogar  den  Engeln  gleichsam  untergeordnet,  und 
dass  er  erst  nach  der  Auferstehung  auf  einmal  zum  unsterb- 
lichen Menschen  und  zum  Gott  für  Alle  geworden  sei.  Es 
finden  sich  noch  andere  Anschauungen  von  mindestens  zwei- 
felhafter Orthodoxie,  die  man  bei  Dionysius  geduldet  zu  haben 
scheint,  während  sie,  wenn  sie  irgend  ein  Anderer  ausge- 
sprochen hätte,  zu  Kirchenstrafen  Anlass  gegeben  haben 
würden. 

Quellen  des  Dionjsias. 

Man  darf  jedoch  nicht  annehmen,  dass  Dionysius  in  dem, 
was  er  lehrte,  originell  gewesen,  oder  dass  er  der  Erste  ge- 
wesen sei,  der  hinter  dem  Schleier  der  christlichen  Lehren 
griechische  und  namentlich  neuplatonische  Ideen  entdeckt 
habe.  Dionysius  geht,  ähnlich  ^ie  die  ältesten  eleatischen 
Philosophen,  von  dem  Glauben  an  Gott  als  das  absolute 
Wiesen,   ro  Sp,   aus,   an  den  be wursten  Gott  als  schlechter- 


402 


(i-linte  Vorlesung, 


I 


diDgs  übersinnlich,  als  die  ürssche,  welche  anßerbalh  itmr 
Wirkiingeo  ist  und  sich  doch  so  vervlelftliigt,  daas  de  iet 
Kraft  nach  in  jeder  derselben  gegenwärtig  ist.  Dieae  Ver- 
vielfÄltignng  oder  dieses  Ausatrömen  der  Gottheit  wird  iet 
Liehe  (f(>(ri,)  innerh&lh  Gottes  angesclirioben  und  wird,  gluM 
muD,  nach  gewissen  Plänen  oder  Mustern  [.iffooßiiittui,  nirpo- 
dEiynaTu)  ausgefohrt,  d.  h.  nicht  aufs  Ueratowohl.  aonäeni  luefa 
Gesetz  oder  Vernunft.  Hierin  können  wir  die  stoischen  Logoi  nnd 
die  Platonischen  Ideen  wiedererkennen^  und  wir  werden  sehen, 
dusa  sie  in  ihrem  Charakter  als  Vermittler  in  dem  SysteDi 
des  Dionyaius  noch  einmal  nnter  dem  Namen  der  Uicrucbieg 
der  Engel  auftreten.  Die  Seele,  die  sich  dnrch  diese  mu- 
nigfattige  Schöpfung  von  Gott  getrennt  findet,  hat  ddf  Ein 
7äel  vor  Augen,  nämlich  aus  der  Mannigfaltigkeit  der  gesohaü^ 
nen  Dinge  in  einen  Zustand  der  Oleichheit  nnd  Btnludt  t& 
Gott  [dtfofioinmig,  i'vvjuig,  iHtoate,]  zurackinkebreB.  Di« 
EInft  zwischen  der  Gottheit  und  der  sichtbaren  Welt  nird 
durch  eine  Anzahl  von  Wesen  ansgefüllt,  die  dem  Nameg 
nach  wechseln ,  ihrem  Wesen  nach  aber  immer  diescjb« 
sind.  Dionyains  bezeichnet  dieselben  als  eine  Hierarchie.  Bt. 
Clemens  hatte  schon  donseihen  Aosdruck  gebraucht,']  wbbb 
er  >die  stufenweise  angeordnete  Hierarchie'  beschreibt,  idit 
einer  Kette  von  Eisenringen  gleicht,  von  denen  jeder  erhiil 
und  erholten  wird,  von  denen  jeder  reitet  und  grrettet  wirJ. 
nnd  die  alle  von  dem  heiligen  Geist,  welcher  der  Glube 
ist,  zusammengehalten  werden.«  Origenes  ist  mit  d«nelbra 
Idee  vertraut,  und  Philo  sagt  uns  gani  offen,  Oass  da»,  «u 
die  Leute  'Engel'  nennen,  in  ^Vlrklichkeit  die  itotieheB 
Logoi  sind.-) 

Die  Ualmones. 

Wir  können  dieselbe  Idee  noch  weiter  surQck  verftilgw 
Wie  wir  sahen,   war  bei  Uesiod  nnd  in  Plalo'g  'nmMU  ^ 

eiter  Sb,  4liti;  469  f^. 


DiODysiuB  der  Areopagite.  463 

Kluft  zwischen  den  beiden  Welten  von  den  Daimones  ana- 
gefflllt  In  der  späteren  Platonischen  Philosophie  wurden 
diese  Daimones  mehr  und  mehr  in  ein  System  gebracht. 
Man  nahm  an,  dass  sie  alle  Arbeit  verrichteten,  die  unter 
der  Würde  der  unempfindlichen  Gottheit  sei.  Sie  schaffen,  sie 
wollen  und  beherrschen  Alles.  Die  Einen  von  ihnen  sind 
fast  göttlich,  die  Anderen  beinahe  menschlich,  wieder  An- 
dere sind  Dämonen  im  modernen  Sinne  des  Wortes,  Geister 
des  Übels.  Viele  der  alten  mythologischen  Götter  mussten 
sich  schließlich  mit  einem  Ruheplätzchen  unter  diesen  Dai- 
mones zufrieden  geben.  Diese  Theorie  von  den  Daimones 
befriedigte  in  der  That  das  alte  Bedürfnis  einer  Brücke  zwi- 
schen Gott  und  dem  Menschen,  und  je  abstrakter  die  Idee 
Gottes  in  der  Philosophie  der  Platoniker  wurde,  desto  stärker 
wurde  ihr  Glaube  an  diese  Daimones.  Die  Schilderung,  welche 
Maximns  Tyrius,  Plntarch  und  Andere  von  ihnen  geben,  ist 
oft  höchst  rührend  und  zeigt  tiefes  religiöses  Gefühl. 

So  schreibt  Apulejus,  De  Deo  Socratico.  674:  »Kein 
Tadel  trifft  Plato  und  seine  Anhänger,  wenn  sie,  begreifend, 
dass  die  rein  geistige  und  leidenschaftslose  Natur  Gottes  ihn 
von  einer  unmittelbaren  Wirkung  auf  diese  Welt  der  Materie 
ausschließe,  sich  eine  Hierarchie  wohlthätiger  Wesen,  Dai- 
mones genannt,  dachten,  welche  auf  Grund  ihrer  Unsterblich- 
keit an  der  göttlichen  Natur,  und  auf  Grund  dessen,  dass  sie 
Leidenschaften  unterworfen  sind,  an  der  menschlichen  Natur 
teilnehmen  und  darum  geeignet  sind,  die  RoUe  von  Vermitt- 
lem zwischen  der  Erde  und  dem  Himmel,  zwischen  Gott  und 
dem  Menschen  zu  spielen.« 

Maximus  von  Tyre  (Diss.  XIV,  5)  beschreibt  diese  Dai- 
mones als  ein  Bindeglied  zwischen  menschlicher  Schwäche 
und  göttlicher  Schönheit,  indem  sie  eine  Brücke  zwischen 
dem  Sterblichen  und  dem  Unsterblichen  bildeten  und  zwischen 
Göttern  und  Menschen  in  derselben  Weise  tbätig  seien,  wie 
Dolmetscher  zwischen  Griechen  und  Barbaren.  Er  nennt  sie 
Götter  zweiten  Ranges  (d^^ol  dtvTtooi)  und  spricht  von  ibnen 
als    den    abgeschiedenen    Seelen    tugendhafter  Menschen,  die 


■164 


Vierzehnto  Vorlesung. 


von  Golt  dazu  angestelit  seien,  jeden  Teil  des  menachlichco 
Lebens  zu  beaufsichtigen,  indem  i^ie  den  Gntsn  liAlfea,  die 
Beleidigten  rflchten  und  die  Ungerechten  beetnFlaii.  Bio 
sind  Itoteu  der  ungesehenen  Dinge,  iiyyti.ai  tüv  äffttrüiy; 
und  anch  I'liitarch  nennt  sie  die  Boten  oder  Engel  Ewischcii 
GOltem  nnd  Menschen,  indem  er  sie  ala  die  Spione  der 
Ersteren  heschieibt,  die  auf  ihr  ÜeheiB  hcrumwandem,  übd- 
tbäter  bestrafen  und  den  liebenslunf  der  Tugendhaften  be- 
schirmen (Das  Aufhören  der  Orakel,  13;  Das  Gesiebt  in  der 
Scheibe  des  Mondes,  '.tO). 

Origenes  bebt  hervor ,  dass  in  den  Psalmen  von  den 
Engeln  manchmal  als  G5tteru  gesprochen  wird  ic.  Cd"- 
V,  4);  wenn  ihm  aber  Celans  enlgegenhtllt,  warnni  denn  dun 
die  Christen  nicht  die  Duimonea  nnd  namentlich  die  Uimmel»- 
lichter  verehrten,  so  antwortet  er;  Die  .Sonne  selbst  und 
der  Mond  nnd  die  Sterne  beten  darch  seinen  eingelioreseii 
Sohn  zu  dem  hüchatcn  Gott,  und  darum  halten  wir  ea  (Bt 
anpassend,  zu  Jenen  Wesen  za  beten,  welche  selbst  Golt 
durch  Gebete  verehren  \viivovfi(t'  ye  ittiiv  xui  thv  Mi/re- 
yi^ij  aÖToO.  c.  Ceh.  V.   11 ;  VIU,  67), 

Celsns,  der  sonst  Alles  bezweifelt ,  was  sich  nicht  philo- 
sophisch rechtfertigen  Usst,  ist  doch  ron  der  WirkliohlMit 
und  der  göttlichen  Güte  der  Daimones  so  Oberseugt,  da«  et 
nicht  verstehen  kann,  wie  nur  die  Christen  so  undankbar  Mtn 
können,  sie  nicht  zn  verehren. 

Ein  Ton  der  Ehrlichkeit  klingt  ans  ans  der  oA  eiüntas 
Stelle  entgegen,  wo  er  die  Christen  ermahnt,  ihre  alten  Dk' 
monea  nicht  zu  verachten: 

»Jeder  gnle  Bllrgor,<  sagt  er,  'äollte  vor  dem  Kall 
seiner  Väter  Achtung  h^ben.  Und  Gott  gab  dun  Dmdovm 
die  Ehre,  welche  sie  heiacliten.  Warum  weigern  sieb  aUo 
die  Christen,  an  der  Tafel  der  Daimones  lu  apeiaoa?  Sie 
geben  uns  Korn  und  Wein,  ja  sogar  die  Luft,  die  wir  slsxa; 
wir  müssen  uns  entweder  ihren  Wohlthaten  fügen  oder  die 
Welt  gauz  nnd  gar  verlassen.  Alles,  was  im  ChristAntaia 
wirklich  von  Wichtigkeit  ist,  besobrAukt  sich  auf  den  UUnben 


DioDTsius  der  Areopagite.  465 

an  die  Unsterblichkeit  der  Seele,  an  die  künftige  Seligkeit 
der  Guten  nnd  die  ewige  Bestrafung  der  Bösen.  Warum 
aber  sollen  sie  nicht  auf  den  Kuser  schwören,  den  Spender 
aller  zeitlichen  Gflter,  wie  Gott  der  Spender  aller  geistigen 
Guter  ist?  Wamm  sollen  sie  nicht  einen  Päan  anf  die 
glänzende  Sonne  oder  Athene  singen  und  jedenfalls  jenen 
niedrigen  Gottheiten,  die  nns  schaden  können,  wenn  sie  ver- 
naehllssigt  werden,  die  Hand  kflssen?  Es  ist  doch  nicht 
anzunehmen,  dass  das  große  römische  Reich  seinen  alterprob- 
ten Glauben  um  einer  barbarischen  Neuerung*)  (d.  h.  des 
Christentums!  willen  aufgeben  werde.« 

Plntarch  gibt  demselben  starken  Glauben  an  die  Dai- 
mones  Ausdruck,  wenn  er  sagt: 

>Wer  die  Daimones  leugnet,  der  leugnet  die  Vorsehung 
und  zerbricht  die  Kette,  welche  die  Welt  mit  dem  Throne 
Gottes  vereinigt.« 

Wir  können  daher  recht  gut  verstehen,  dass  diejenigen 
nnter  den  Platonikem,  welche  Christen  geworden  waren, 
etwas  brauchten,  um  die  leeren  Winkel  in  ihren  Herzen, 
welche  früher  von  den  griechischen  Daimones  eingenommen 
waren,  auszufüllen.  Um  die  höchste  Gottheit  mit  der  Welt 
in  Berührung  zu  bringen,  erfanden  sie  ihre  eigenen  Daimones, 
oder  vielmehr,  sie  gaben  den  alten  Daimones  neue  Namen. 
St.  Clemens  spricht  ohne  Weiteres  von  den  Göttern,  aber  er 
erkliLrt,  dass  die  ganze  Schar  der  Engel  und  Götter  dem 
Sohne  Gottes  unterworfen  ist.-; 

Selbst  St.  Augustinus  trägt  kein  Bedenken,  von  den 
Göttern  zu  sprechen,  welche  in  der  heiligen  nnd  himmlischen 
Stätte  wohnen,  aber  er  versteht  unter  ihnen^  wie  er  sagt, 
Engel  und  vernünftige  Geschöpfe,  seien  es  Throne  oder  Herr- 
schaften oder  Fürstlichkeiten  oder  Mächte. 


1  Big;?  a.  a.  0.  p.  266. 

2  Strom.  VII.  2.  A:   Heo\  i/r  nooafyooir.r  xtxh  rtvA  ot  avy^oo- 
rot    töiy  ii'O.vjy  »>£ü)J'    vrto    rw    — oirro«    .Tot'iror    itiftyitirc}»'   Vivrco^ 

ttlVOi. 


4Rf) 


Vieri  ebnte  VorlQsnng. 


Wenu  die  Logoi  als  Ein  Logos  aufgefaest  vorden  vrarvs, 
so  wurde  der  LetEtere,  wie  wir  sahen,  der  Sohn  Oott«s,  der 
Eratgcboiene  oder  selbst  der  Eingeborene  genannt  Wür- 
den aie  als  Viele  aafgefasst,  so  hießen  dieselben  Lo^oi  bei 
Philo  'Engel',  und  bei  den  Gnostilieni  'Äonen'.']  Sie  wni^ 
den  nun  von  Dionysiua  als  eine  Hierarchie  dargestellt.  Diese 
Hierarchie  bat  Jedoch  einisn  von  dem  der  Aristotelischen  Lugoi 
ganz  verscliiedenen  Charaltter  angenommen.  Die  Sloilcer 
sahen  in  ihren  Logoi  eine  Erklärimg  der  geschaffenen  Dinge, 
der  B&ume,  Tiere  and  Fische,  oder  der  universalen  Elemente, 
nicht  nur  des  Wassers,  der  Erde,  dea  Feuers  und  der  Lnft. 
sondein  auch  der  Wärme  und  Ksite,  der  Süßigkell  und 
Bitterkeit,  des  Lichts  und  der  Finsternis  u.  s.  w.  Die  Pla- 
tonikor  und  namentlich  die  ueuplatonischen  Christen  kOni- 
uorten  sich  nicht  mehr  um  diese  Dingo.  Es  war  nicht  dar 
Ursprung  und  die  Abstammung  der  Arten,  sondern  das  Ao^ 
steigen  der  menachüchen  Seele,  was  ihre  Gedanken  hupt- 
nächlich  beschäftigte.  Die  Kamen,  welche  diesen  vermltleh>- 
den  Schöpfungen  gegeben  wurden,  welche  aus  (Jott  henror- 
gegangen  waren,  welche  ein  wirkliches  Dasein  neben  Gott 
.■tngeaommen  hatten,  ja  nach  einiger  Zeit  gleich  persAih 
liehen  Wesen  geworden  waren ,  diese  Namen  waren  aut  da 
Bibel  genommen  —  nach  welchem  Princip ,  wenn  nberiiiii{it 
nach  irgend  einem,  lat  freilich  schwer  zu  vorstehen.  Schau 
Origenes  halte  von  Engeln  und  Thronen,  UerrBchaflen,  FOrsI- 
lichkeiten,  Tugenden  und  Machten  gesprochen,  sowie  tob  timt 
unenJlicheu  Treppe  von  Welten,  auf  der  die  Seelen  fcrl- 
wiUirend  auf-  und  abstiegen,  bis  sie  endliche  Vereinlgnng  mit 
Gott  erlangten* 


li  Diese  Äonen  des  ValoDtiaian  nsFen,  wie  big};  la.  ft.  " 
p,  27)  richtig  bemerkt,  die  Ideen  Plaio's,  durch  den  Nebol  vitft 
ä^yptiscben  oder  syrisclieu  Geistes  gi^suhun.  Ann  wardc  wab^ 
scbeinJich  ursprtiuglich  in  dem  Siune  von  'Zeitaller',  '(!u»cUMbl'. 
dann  'Welt'  aufgefasst-  Unser  eigene»  Won  'Welt'  (enyl-  »<^ 
bedeutet.'  unprUnglkh  'Zeitalter  der  Uonschen',  tarculmn. 


Dionysios  der  Areopagite.  467 

Einflnss  des  Dionjsias  wihrend  des  Mittelalters, 

Was  dem  Historiker  rätselhaft  erscheint,  *  ist  die  Frage, 
wieso  Dionysias,  der  doch  nur  diese  alten  Gedanken  neu  an- 
ordnet, ohne  viel,  wenn  irgend  etwas,  Eigenes  hinznzofftgen, 
die  große  Antoritftt  f&r  Theosophie  oder  mystisches  Christen- 
tnm  während  des  ganzen  Mittelalters  geworden  ist.  Er  wird 
von  den  orthodoxesten  Schalgelehrten  nnd  von  den  ganz  der 
Speknlation  ergebenen  Philosophen,  die  fast  aufgehört  haben, 
Christen  zu  sein,  gleichermaßen  citiert  Sein  erster  Über- 
setzer, Scotus  Erigena,  bediente  sich  seiner  als  eines  starken 
Schildes  gegen  seine  eigenen  Widersacher.  Thomas  von  Aquino 
beruft  sich  bei  jeder  Gelegenheit  auf  ihn,  und  selbst  wenn 
er  von  ihm  abweicht,  behandelt  er  ihn  als  eine  Autorität, 
die  nur  den  Aposteln,  und  vielleicht  nicht  einmal  diesen, 
etwas  nachgibt. 

Das  System  des  Dionysius. 

£ine  Erklärung  ist  die,  dass  er  sah,  dass  alle  Religion, 
und  sicherlich  die  christliche,  das  Verlangen  der  Seele  nach 
Gott  erfüllen,  ja  ihr  die  Rflckkehr  zu  Gott  ermöglichen  muss. 
Die  Schöpfung,  selbst  wenn  sie  nur  als  eine  Emanation  auf- 
gefasst  wird,  ist  eine  Trennung  von  Gott;  die  Erlösung,  wie 
sie  das  Christentum  zu  gewähren  verspricht,  muss  demnach 
eine  Bflckkehr  zu  Gott  sein,  der  Alles  in  Allem,  der  die  einzig 
wahre  Existenz  in  allen  Dingen  ist.  Dionysius  sucht  zu  er- 
klären, wie  ein  glänzendes  geistiges  Licht  von  dem  Vater 
des  Lichtes  hervorstrahlt  und  sich  über  die  ganze  Schöpfung 
verbreitet.  Dieses  Licht,  sagt  er,  ist  Eines  und  in  allen  Dingen 
durchaus  ganz  nnd  gar  dasselbe,  und  obgleich  eine  Verschie- 
denheit von  Gegenständen  da  ist,  bleibt  doch  das  Licht  Eins 
und  ungeteilt  in  verschiedenen  Gegenständen,  so  dass  man, 
ohne  irgend  eine  Verwirrung  befürchten  zu  müssen,  den 
Gegenständen  Mannigfaltigkeit  und  dem  Lichte  Identität  zu- 
schreiben kann» 

30* 


46S  Vierzehnte  VorloBang. 

Alle  vemflnftigen  GeacMpfe,  Wblclie  eine  Fähigkeit  fttr 
die  gOttlicbe  Natur  besilien,  werdeD  durch  das  wunderbare 
Scheinen  des  liiminliächen  Lichts  verdOnnt,  erleooht«!,  nahe 
an  dasselbe  emporicehoben,  ja  mit  demselben  Ejhb  ^maehL 
lu  dieser  großen  Glückseligkeit  befinden  sich  alle  jene  geuti* 
^n  Nalnren,  die  wir  Engel  nennen,  llbor  welche  das  Liebt 
in  seiner  ungetrübten  lleinhcit  sich  ergießt 

Was  aber  die  Menschen  anbelangt,  die  dnrch  die  schwere 
Masse  des  Körpers  gehemmt  sind,  so  können  sie  nur  Rino  Art 
gemüBigtes  Licht  durch  Vermittlung  der  Engel  empran^n, 
bis  sie  zuletzt  die  Wahrheit  finden,  das  Fleisch  belegen, 
nach  dem  Geiste  streben  und  in  der  geislig'en  Wahrheit  Anlie 
finden.  So  ruft  der  allgnndige  Gott  die  gefallenen  Meoacbcn 
zn  sieh  zurflck  und  gibt  sie  der  Wahrheit  und  dem  Liebte 
selbst  wieder. 

Dionysins  aber  begnttgt  sich  nicht  mit  diesen  allgeniMMi 
Umrissen,  er  geeilt  sich  darin,  die  unbedent enden  und  fBr 
unsere  BegritTe  oft  sehr  phantaatidchen  Details  der  Emanation 
des  göttlichen  Lichtes  umständlich  darzustellen. 

Er  sagt  nns,  es  gebe  drei  Triaden  oder  nenn  Abteilu- 
gen in  der  himmlischen  Hierarchie.  Möglicherweise  wnrdn 
er  durch  die  drei  Triaden  des  Plato,  die  wir  in  einer  frl- 
heren  Vorlesnng  erörtert  haben,  auf  diese  drei  Triaden  geflJiil 
In  der  ersten  Triade  belinden  sieh  vor  Allem  die  Serapiiü'i, 
die  von  Gott  selbst  erlencbtct  sind  und  die  Eigtmschaft  dtr 
VoUkemmenheil  besitzen.  Dann  fulgen  die  Cherubim,  di> 
von  den  Seraphim  erleuchtet  nnd  belehrt  werden  md  dis 
Eigenschaft  der  Erlonclitung  besitzen.  Die  dritto  Stdte  ^ 
der  ersten  Triade  wird  den  Thronen  angewieien,  d.  h.  fttlei 
Naturen ,  welche  von  der  zweiten  Klasse  erleuchtet  Wtrda 
nnd  sich  durch  Reinheit  auszeichnen. 

Dann  folgen  der  Kelhe  nach  die  [lorrscbaften,  ^eTV* 
den,  die  M&chte,  nnd  hierauf  die  Fürstlichkeiten,  dJa  En- 
engel  nnd  die  Engel.  Diese  neun  Stationen  werden  all«  an- 
fahrlich  hescbriebeu,  aber  ihr  Hanpteweck  ist  am  Ende,  dM 
göttliche  Liebt  zu  UberUefern  und  gleichsam  tu  SUrina,  ^ 


DioDysiuB  der  Areopagite.  469 

es  far  menschliche  Wesen  geeignet  gemacht  werden  kann. 
Die  Menschen  stehen  nnter  den  Engeln,  wenn  sie  aber  ge- 
hörig erleachtet  sind,  so  können  sie  gleich  Engeln,  ja 
gleich  Göttern  werden.  Partielles  Licht  wurde  von  Moses 
mitgeteilt,  reineres  Licht  von  Christus,  obgleich  sein  volles  Licht 
erst  im  Himmel  heryorscheinen  wird.  Dort  ist  der  wahre 
Sohn  bei  dem  Vater.  Der  Vater  ist  der  Anfang,  von  dem 
alle  Dinge  aasgehen.  Der  Sohn  ist  das  Mittel,  durch  welches 
alle  Dinge  schön  geordnet  sind,  der  heilige  Geist  ist  das 
Ende,  durch  welches  alle  Dinge  vervollkommnet  und  vervoll- 
Btftndigt  werden.  Der  Vater  hat  alle  Dinge  erschaffen,  weil  er 
gat  ist  —  dies  ist  die  alte  Platonische  Idee  — ;  und  weil  er 
gut  ist,  raft  er  auch  alle  Dinge  je  nach  ihrer  Fähigkeit  zu 
sich  selbst  zurück. 

So  sehr  wir  auch  mit  der  allgemeinen  Absicht  dieser 
Theologie  des  Dionysius  übereinstimmen  mögen,  so  ist  doch 
nicht  zu  leugnen,  dass  manche  von  diesen  Details  höchst  kindisch 
sind.  Und  doch  sind  es  gerade  diese  Details,  an  denen  durch 
€renerationen  hindurch  christliche  Lehrer  und  Prediger  und 
deren  Zuhörerschaften  Geschmack  gefunden  zu  haben  schei- 
nen. Bis  auf  den  heutigen  Tag  schreibt  sich  der  Glaube  der 
Kirche  an  eine  Hierarchie  von  Engeln  und  an  deren  Verrich- 
tungen hauptsftchlich  von  Dionysius  her. 

Milman  Aber  Dionysius. 

Das  Vorbandensein  dieser  streng  geregelten  himmlischen 
Hierarchie  wurde,  wie  Milman  bemerkt  (VI,  405),  in  der 
höheren  und  mehr  gelehrten  Theologie  eine  anerkannte  That- 
sache.  Die  Schulgelehrteu  gründen  ihre  Schlussfolgerungen 
auf  sie,  wie  auf  die  Gottheit  selbst;  in  ihren  deutlicher  aus- 
geprägten und  mehr  materiellen  Zügen  wurde  sie  zu  dem 
Glauben  des  gemeinen  Volkes  und  zum  Gegenstand  häufiger 
Darstellung  seitens  der  bildenden  Kunst.     Milman  schreibt: 

>Das  für  sich  bestehende  und  gelegentlich  wahrnehmbare 
Sein  und  Wesen  der  Seraphim  und  Cherubim,  der  Erzengel  und 


470 


VierBohma  VcirleBiiog- 


Engel,  in  jenem  unklaren  Gewirre  von  dem,  was  man  fltr  in 
der  heiligen  Schrift  offenbart  hiell,  and  was  von  der  Kirche 
sanktioniert  war,  in  jenem  Gewirre  von  Bild  nnd  Wirklichkeit, 
diese  orientalische,  halb-magische,  hatb-talrnndische,  nun  abet 
chriatlicb  gewordene  Theorie  erhielt  —  vielleicht  mit  einer 
weniger  positiven  Autorität,  scbwerlieh  aber  mit  einer  wemgrr 
anbe  stritte  neu  Glaub  Würdigkeit  —  ihre  Stelle  mitten  unter 
all  den  übrigen  Glaubensartikeln.« 

Mit  eiuer  gewissen  Ironie  deutet  MÜman  an,  dass  üt 
Geistlichkeit  des  Miltelaliers  an  dieser  bimmliscben  llienrchie 
vielleicht  deshalb  gar  so  sehr  Gefallen  fand,  weil  ihr  eine 
lürchiiche  Hierarchie  entsprach.  In  seiner  '  Kirchlieheo 
Eierarchie'  ging  UiODpius  daran  za  zeigen,  dass  es  noch 
eine  andere  Hierarchie  gebe,  in  der  sich  die  himmlische  ab- 
spiegle, eine  menschliche  und  materielle  Hierarchie,  weld» 
den  körperlichen  Wesen  göttliches  Licht,  Reinheit  und  Er- 
kenntnis vermittle.  Die  irdische  ptiesterliche  Kangurdonng 
habe  ihr  Vorbild  im  Himmel,  die  himmlischen  RAugDTd- 
nungen  ihr  Gegenbild  auf  Erden.  Wie  es  Licht,  R«o- 
heit  und  Erkenntnis  gebe,  so  gebe  es  drei  Klassen  in  der 
irdischen  Hierarchie:  Bischöfe,  Priester  und  Diaconi;  drei 
Sakramente:  Die  Taufe,  das  heilige  Abendmahl  und  die 
letzte  Ölung;  drei  Klassen:  die  Getauften,  die  Kommoniku- 
teu  und  die  Mönche.  Die  kirchlichen  Hierarohien  selbst 
waren  nach  dem  Muster  der  großen  Rangordnungen  im  Hirn* 
mel  gebildet  und  organisiert.  Der  ganze  Kult  des  Menschso, 
dem  sie  vorstanden,  war  ein  WiodorhaU  von  dem  im  ffimmel; 
er  stellte  wie  in  einem  Spiegel  den  engelischfla  oder  tbO' 
engelischen  Kult  im  höchsten  Feuerhimmel  dar.  All  die  Pr«hL 
all  die  Lichter,  all  der  Weihranch  bei  dem  menachlichea  Knll 
waren  nur  die  materiellen  Symbole,  eine  Abscbattung  dt* 
Immateriellen,  die  sich  zn  dem  menscfalicheti  Denken  her^ 
lässt  und  in  Dingen,  welche  für  die  Sinne  des  Menschea 
fassbar  sind,  die  Anbetung  von  Wesen  verkörpert,  welche 
dem  Throne  Gottes  nahe  stehen. 

Es  mag  wohl  etwas  Wahres  an  der  VoratellUDg  HilatsM 


DioDysins  der  Areopagite.  471 

sein,  dass  sich  die  menschliche  oder  vielmehr  priesterliche 
Eitelkeit  durch  alle  diese  Dinge  geschmeichelt  fühlte ;  ^)  doch 
können  wir  kaum  anf  diese  Weise  den  ungeheueren  Erfolg 
der  Lehren  des  Dionysius  in  der  Kirche  des  Mittelalters  er- 
klären. 

Der  wahre  Zauber  des  Dionysius. 

Der  wahre  Zauber  lag,  glaube  ich,  tiefer.  Er  bestand 
in  der  Befriedigung,  welche  Dionysius  jener  angeborenen 
Sehnsucht  der  menschlichen  Seele  nach  Vereinigung  mit  Gott 
gewährte,  einer  Sehnsucht,  die  um  so  stärker  war,  je  mehr 
die  bloßen  Äußerlichkeiten  der  Religion  und  des  Kultes  zu 
jener  Zeit  den  Geist  der  Priester  und  Laien  beschäftigten. 
Nicht  etwa  weil  man  diese  Befriedigung  nicht  in  den  Evan- 
gelien hätte  finden  können,  wenn  man  nur  gehörig  in  ihnen 
geforscht  hätte,  und  wenn  es  den  Laien  gestattet  gewesen 
wäre,  sie  auch  nur  zu  lesen;  —  aber  Dogma  und  Ceremo- 
niell  waren  es  damals,  welche  die  Kirche  ausschließlich 
beschäftigten. 

Das  fünfte  Jahrhundert. 

Wie  Dr.  Westcott  bemerkt,  hatten  die  kirchlichen  und 
bfirgerlichen  Wirren  des  fünften  Jahrhunderts  die  höchste 
Herrlichkeit  der  Kirche  und  des  Reiches  verdunkelt.  Darum 
fanden  die  von  Dionysius  angeschlagenen  Saiten  so  leicht 
einen  Wiederhall  in  allen  wahrhaft  religiösen  Gemütern,  d.  h. 
in  Gemütern,  welche  sich  nach  der  wirklichen  Gegenwart 
Gottes    oder    nach    liebender  Vereinigung   mit  Gott    sehnten. 


1:  Selbst  in  diesem  Punkte  ist  Dionysius  nicht  ori^nell.  St. 
Clemens  war  ihm  darin  vorausgegangen,  wenn  er  schreibt  Strom. 
VI.  13':  >Da  meiner  Ansicht  nach  die  Stufenleiter  hier  in  der 
Kirche  von  Bischöfen,  Altesten  und  Diaconi  eine  Nachahmung  der 
engelischen  Herrlichkeit  ist.« 


472 


Vierzehnte  ■^"cr^leaung, 


I 


Denn  dies  war  ea,  was  Dionysins  ihnen  versprach.  Für  ihn  w« 
alles  Endliche  ein  Hilfsmittel  zum  Bogreifen  des  Unendlichen; 
und  wenngleich  die  luenBchliche  Erkenntnia  sich  nie  zor  Erbennt- 
nia  des  Absolnten  erheben  könne,  so  könne  sie  doch  den  Weg  tu 
einer  Gemeinschaft  mit  demselben  zeigen.  Das  höchäte  Ziel  wkt 
beiDionysius  die  Assimilation  oder  die  Vereinigung  mitOott') 
Um  diese  Vereinigang  za  erreichen,  müssen  die  wahrtiolX  Ein- 
geweihten von  den  Gegenständen  und  den  ErAfteu  de»  äehens 
befreit  werden,  ehe  sie  in  die  Dnnlcelheit  der  Unkenntiüt 
(äyvoiuia)  eindringen  können.  Der  Eingeweihte  wird  danD 
in  dem  Unberflhrbaren  und  Unsichtbaren  verschlnngen,  er 
gibt  sich  gänzlich  dem,  was  aber  alle  Dinge  binausroicfat. 
bin,  er  gehurt  nicht  mehr  sich  selbst  an,  noch  irgend  einun 
anderen  endlichen  Wesen,  sondern  er  ist  kraft  einer  edleres 
Fshigkeit  mit  dem  vereinigt,  was  infolge  der  günsliclien 
Wirkiint;äiosigkeit  aller  bo schränkten  Erkenntnis  gans  nad 
gar  unwissbar  ist  und  in  einer  Aber  den  Verstand  hinaos* 
gehenden  Weise  dadurch,  ilass  man  nichts  weiU,  erkannt  mti 
(Westcott  a.  a.  Ü.  p.  isö).  Dies  nennt  mau  die  mysti^ekt 
Vereinig aitc/,  wenn  die  Seele  mit  Gott  nicht  durch  Erkenotnit, 
sondern  durch  die  Eingabe  der  Liebe  vereinigt  ist.  Hiem 
lag  der  wirkliche  Reiz  der  Schriften  des  Dionysins,  wenige 
stens  far  viele  Ckriston,  welche  von  der  Religion  mehr  rer- 
langteu,  als  trockenes  Dogma,  und  von  der  Kirche  m«hi  all 
leere  Symbole  und  Ceremouien. 

Wir  können  uns  schwer  vorsteUeo,  wie  es  um  die  r^ 
giCsen  Verhältnisse  der  Laien  zu  jener  Zeit  ausgosefaeu  babat 
mus».  Allerdings  wurden  sie  getauft  nnd  koufinniert,  ac 
wurden  von  der  Kirche  verheiratet  nnd  begraben.  Sie  lern- 
ten auch  ihre  Glaubensartikel  und  Gebete,  und  aie  wardes 
eingeladen,  dem  prunkvollen  Gotlesdionst  in  den  aKehrwQrdl- 
gen  Monstern  beizuwohnen.  Wenn  sie  aber  fragten,  wozu  tH 
dies  solle,  woher  es  komme,  nnd  was  es  bedeute.  80  hitten  ait 
nicht  leicht  eine  Antwort  gefunden.     Wir  mttsseu  bedatkken. 


1)  Westcott  11.  a.  0.  pp.  IST,  1.^9,  liil 


Dionysius  der  Areopagite.  473 

dass  die  Bibel  damals  ein  fast  unzugängliches  Buch  war,  und 
dass  die  Laien  nicht  dazu  angeeifert  wurden,  sie  zu  studieren. 
Die  Laien  mussten  sich  mit  dem  begnügen,  was  durch  das 
Gehirn  der  Geistlichkeit  durchgesiebt  worden  war,  und  was 
von  der  Kirche  als  die  beste  Nahrung  für  Unmündige  ange- 
sehen wurde.  Jeder  Versuch,  diese  geistliche  Unterweisung 
zu  prüfen  und  zu  verifizieren,  hätte  als  sündhaft  gegolten. 
Die  Geistlichkeit  andererseits  war  oft  ohne  litterarische  Bildung 
und  jedenfalls  ohne  jene  historisch-philosophische  Erziehung, 
die  sie  in  Stand  gesetzt  haben  würde,  die  theologische  Lehre 
des  Johannes  in  ihrem  wahren  Sinne  zu  erklären,  oder  dar- 
zuthun,  in  welchem  Sinne  Christus  der  Sohn  Gottes  genannt 
wurde,  und  in  welchem  Sinne  man  glaubte,  dass  die  Mensch- 
heit der  göttlichen  Sohnschaft  fähig  sei.  Das  Christentum 
wurde  ganz  und  gar  legendenhaft,  und  statt  nach  einer  reinen 
Conception  (Auffassung)  Christi  als  des  Sohnes  Gottes  zu 
streben,  erfanden  Päpste  und  Kardinäle  unbefleckte  Concep- 
tionen  (Empfängnisse;  ganz  anderer  Art.  Und  das,  was  die 
Quelle  aller  Religion  im  Menschenherzen  ist,  die  Wahrneh- 
mung des  Unendlichen  und  die  Sehnsucht  der  Seele  nach 
Gott,  fand  nirgends  einen  Wiederhall,  nirgends  eine  Befriedi- 
gung. Ein  Wunder  ist  es  in  der  That,  dass  das  Christen- 
tum die  schrecklichen  Jahrhunderte  vom  fünften  bis  zum 
neunten  überlebte.  Sowohl  Geistliche  wie  Laien  scheinen  ein 
gottverlassenes  Leben  geführt  zu  haben,  doch  sind  es  gerade 
diese  Jahrhunderte,  auf  die  sich  das  alte  deutsche  Sprich- 
wort anwenden  lässt: 

>WeDn  die  Not  am  hüchstcu, 
Ist  Gottes  Hilf  am  nächsteD.^ 

Nähe  an  Gott,  Vereinigung  mit  Gott  war  es,  wonach 
viele  Seelen  damals  strebten,  und  da  die  Dionysische  Philo- 
Sophie  dieses  Verlangen  stillte,  war  sie  den  Geistlichen  und 
mittelbar  den  Laien  willkommen. 


474  Vieriolinto  Vorlesung. 

FDiif  Stndion  der  niTstbchen  Ver<-liil;^niis. 

Die  mysliscle  Vereinigung,  von  Jer  Dionyaiua 
war  nichts,  was  geheim  gehalten  werden  sollte,  soDdom  es 
war  einfach  das,  was  die  Ncnplatoniker  als  den  letzten  nnil 
höchsten  Pankt  ihrer  Philosophie  und  ihrer  Keligion  golehtt 
hatten.  8ie  glaubten  an  eine  Reihe  von  vorhereiteoden  Sta- 
dien, wio  Reinigung  {xiÜfagiJis),  Erienchtung  {iffaTiafAi. 
und  Einweihung  {fiir^atg),  welche  am  Ende  znr  Vereinigung 
mit  Gott  [evttiais]  and  Vergottung')  oder  Verwandlung  is 
Gott  [&fi:jut^]  fahrten.  Zuweilen  wurde  eine  Unterscheidani 
zwischen  Einheit  [i't'dtai^]  und  Gleichheit  [htioivujt.:}  geauKbt. 
was  aber  die  Gleichheit  mit  Gott  anbelangt,  so  irttrde  ta 
schwer  fallen ,  irgend  einen  Unterschied  zwischen  Oleichheä 
nnd  Einheit,  zwischen  dem,  was  gottgleich,  tind  dem,  «u 
göttlich  ist,  darznthun. 

3lf!«t«rleD. 

Wenn  es  eine  Einweihung  [ftv)]aig]  gab,  darf  man  nicU 
etwa  glanben,  dasa  an  dieser  Vorbereitnng  auf  daa  bodutt 
Ziel  irgend  etwas  Geheimes  oder  Geheimnisvolles  war.  IV 
Henosia  oder  Vereinigung  mit  dem  Einen  nnd  AUon  mc 
ebensowenig  ein  Geheimnis,  als  die  Lehre  des  F«üttt,  d«u 
wir  in  Gott  leben  und  woben  und  sind.  Was  mm  unter 
Einweihung  verstand,  war  nichts  weiter  als  eine  VorbereituD^ 
ein  Beweis  der  Tauglichkeit,  die  höhere  Krkenntnii  n 
empfangen.  Dennoch  sprachen  viele  von  den  Kirchenrftteni. 
welche  in  den  Schulen  der  nenplatonischen  Philosophen  anf- 
gewaohsen  waren,  von  der  Vereinigung  der  Seele  mit  fief 
als  einer  mysCischen  Vereinigung  nnd  ala  einem  Mpterinm. 
So  sagt  Origencs  (c.  Celaum,  1,  I,  c.  1:,  daaa  das  OhiiiUif 
tum,  obgleich  es  weiter  verbreitet  sei,  als  irgend  eine  andc« 
Philosophie,    doch    hinter    der    eioteriscluin    I<ehre   ge*iM* 

1]  Siehe  An:u,  auf  H.  47«, 


Dionysius  der  Areopagite.  475 

Dinge  besitze,  die  nicht  gerne  der  großen  Masse  mitgeteilt 
würden.  St.  Basilias  unterscheidet  im  Christentum  zwischen 
■/.rfivyiiaxa^  ^was  oflfen  verktlndet  wird',  und  öoyuaTa,  die 
geheim  gehalten  werden.  Diejenigen,  welche  getauft  worden 
waren,  wurden  zuweilen  als  uiarai  oder  ff air  1^6 uevoij  *Er- 
leuchtete',  bezeichnet  zum  Unterschiede  von  den  Katechumenen, 
gerade  so  wie  in  den  griechischen  Mysterien  zwischen  den 
Eingeweihten  und  den  Uneingeweihten  (den  Exoterischen)  ein 
unterschied  gemacht  wurde.  Namentlich  wurde  auch  das  heilige 
Abendmahl  oft  als  ein  großes  Mysterium  bezeichnet;  obgleich 
es  aber  ein  Mysterium  genannt  wurde,  war  es  doch  kein 
Geheimnis  in  dem  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes.  Clemens 
leugnet  ausdrticklich,  dass  die  Kirche  irgend  welche  Geheim- 
lehren [didaxcig  ti?^i>ag  ä;coQQrjrovg)  *)  besitze,  obschon  auch 
er  ohne  Zweifel  geglaubt  haben  wtlrde,  dass  man  das  Heilige 
Dicht  den  Hunden  vorwerfen  dürfe.  Was  man  als  das  höchste 
Mysterium  bezeichnen  kann,  ist  —  sei  es  im  Christentum 
oder  im  Neuplatonismus  —  zu  gleicher  Zeit  die  höchste 
Wahrheit,  nämlich  die  i'pcoaig  oder  S.rhoaig,  die  vollkom- 
mene Einheit  mit  Gott.  So  sagt  Macarius  ;ca.  330]  in  sei- 
nen Homilien  (XIV,  3) :  »Wenn  ein  Mensch  sein  verborgenes 
Sein,  d.  i.  seinen  Geist  und  seine  Gedanken,  Gott  ausliefert, 
mit  nichts  Anderem  beschäftigt,  und  durch  nichts  Anderes 
beeinflusst,  sondern  sich  selbst  bezähmend,  so  hält  ihn  der 
Herr  in  großer  Heiligkeit  und  Reinheit  für  der  Mysterien 
würdig,  ja  er  bringt  sich  selbst  als  göttliches  Brot  und  geist- 
lichen Trank  dem  Menschen  dar.« 

Es  ist  dieses  sogenannte  Mysterium,  welches  das  höchste 
Ziel  der  Philosophie  des  Dionysius  des  Areopagiten  bildet. 
Er  nimmt  auch  gewisse  Stadien  an,  welche  als  Vorbereitung 
zu  dem  höchsten  Mysterium  dienen.  Es  sind  dieselben,  wie 
jene  der  Neuplatoniker ,  sie  beginnen  mit  y.i&ciQOig,  der 
Reinigung ,   und  enden  mit  ^icjoig  und  fnoou^  d.  h.  *Ver- 


1)  Bigg  a.  a.  0.  pp.  57,  140. 


470  Vienehnte  VorleSQDg. 

gottuDg',  Einheit  mit  Gott  odei  VerwandtuDg  in  Ootl.  >]  Wir 
werden  nun  besser  verstehen,  warum  er  diese  Vermnigsif 
'mystisch'  und  seine  Theologie  ■mystische  Theolngie'  n«nnL 

Hfstlgche  und  ächolAstl^cbe  Theologie. 

Mir  scheint  es,  dass  die  Refriedignn^,  welche  Diuojsiiu 
dieser  Sehnsucht  des  MenschenberEeos  nach  Vereinigung  m!l 
Gott  gewährte,  doch  weit  mehr  als  die  Befriedigung,  welelie 
er  der  kirchlichen  Eitelkeit  gewährt  haben  mag,  den  nnOer- 
ordentlichen  Eiufluss  erklärt,  welchen  er  sowohl  unter  deo 
Laien  als  bei  der  Geistlichkeit  gewann.  Man  kann  ugao. 
dass  nach  seiner  Zeit  der  ganze  8trDm  theologischen  WifSOS 
in  zwei  Parallel-B eilen  dahin  flosa:  das  eine  war  die  tel»- 
la'<fisc/ie  Theologie,  welche  sich  mit  der  Definition  Alilt- 
licher  Lehren  nnd  ihrer  Verteidigung  beschäftigte,  das  asdoi 
die  mijstisc/w  Theologie,  die  sich  der  Erforsohong  dfls  gW' 
liehen  Elements  im  Menschen,  oder  dessen,  was  nun  dfc 
Oebnrt  Christi  innerhalb  der  Seele  nannte,  widmet«.  Wis 
die  Grundanschaunng  der  christlichen  Mystiker  anbelangt,  m 
argumentierten  sie  nicht  viel  anders  als  die  Vedäniialen  rad 
die  eleatischen  Philosophen.  Wenn  wir,  sagten  sie,  an  iu 
Eine  Wesen  glauben,  welches  alle  Dinge  verur«aelit  ad 
bestimmt,  so  mnss  dieses  Eine  Wesen  anch  die  ürsaeke  ud 
die  Bestimmung  der  menschlichen  Seele  sein,  und  c«  wtre 
reiner  Wahn,  zn  denken,  dass  unser  Sein  dem  Wesen  bmIi 
von  dem  Gottes  verschieden  sein  könne.  Wenn  ilogegoi 
der  Mensch  seinem  Wesen  nach  von  dem  leinen  fundamcB- 
talen  nnd  hCchsten  Wesen  verschieden,  wenn  er  selb«UiMti]ial 
und  gänzlicii  frei  ist,  so  kann  es  keinen  □neudlidiaa  ObV 
gehen,  sondern  wir  mflssten  eine  Anzahl  von  Gatten  ad« 
g^litUohen  Weseu  zugeben,  die  Alle  von  dem  i^en  Wetcn  n- 
ahhüngig,  doch  Einer  durch  den  Anderen  bescbrJtnkt  vir«. 

1)  Dein  Eugliscben  feblt  ein  Wort  wie  das  iHntacha  "ftr- 
gottnng',  wolchci  von  'Vergötterung'  ebenso  venchiadBa  tat,  rt 


DionysiuB  der  Areopagite.  477 

Die  christlichen  Mystiker  erwählten  die  erste  Alternative  und 
unterschieden  sich  in  dieser  Beziehung  nnr  wenig  von  den 
NenpUtonikern,  obgleich  sie  eine  große  Sttitze  ftir  ihre  Leh- 
ren im  Neuen  Testament,  namentlich  in  dem  dem  Johannes 
zageschriebenen  Evangelinm  und  in  einigen  der  Episteln  des 
Paulas  y  sachten  and  fanden.  Die  christlichen  mystischen 
Theologen  ließen  es  sich  sehr  angelegen  sein,  ihren  Ansprach, 
täT  orthodox  za  gelten,  zu  begrtlnden,  and  wir  sehen,  dass 
Dionysins  noch  aaf  lange  Zeit  von  den  orthodoxesten  Theologen 
immerfort  als  eine  Autorität  anerkannt  warde.  Thomas  von 
Aqnino,  der  engelgleiche  Doktor,  schöpfte  —  am  die  Worte 
seines  Heraasgebers  za  eitleren  —  fast  seine  ganze  Theologie 
mos  Dionysins,  so  dass  seine  Summa ^  wie  er  sagt,  nnr  der 
Bienenstock  ist,  in  dessen  mannigfachen  Zellen  er  den  Honig 
aufbewahrte,  den  er  ans  den  Schriften  des  Dionysins  gesam- 
melt (Westcott  a.  a.  0.  p.  144). 

Mystleismas  and  christlicher  Mysticismas. 

Ob  in  unseren  Tagen  der  Mysticismus  des  Dionysins  fUr 
ganz  orthodox  gelten  wflrde,  bezweifle  ich.  Tholnck,  ein 
höchst  orthodoxer  Theolog  und  ein  großer  Bewunderer  der 
mysti^fchen  Poesie  des  Orients  und  des  Occidents,  macht  eine 
durchgehende  Unterscheidung  zwischen  einem  Mystiker  und 
einem  christlichen  Mystiker.  Er  definiert  den  Mystiker  als 
»einen  Menschen,  der  im  Bcwusstsein  seiner  Verwandtschaft 
mit  allem  Wesen  von  der  Plejas  bis  zum  Staubkorn,  ver- 
schlungen in  den  göttlichen  Lebensstrom,  der  sich  durch  das 
Univeri^um  gießt,  und  doch  auch  erkennend,  dass  in  seinem 
eigenen  Herzen  der  lauterste  Lebensbom  Gottes  quillt,  hin- 
wandelt durch  die  dem  Beschränkten  und  Endlichen  zuge- 
kehrte Welt,  das  Auge  in  das  Centrum  seiner  Seele  richtend 
auf  den  geheimnisvollen  Abgrund,  wo  die  Unendlichkeit  in 
die  En<ilichkeit  einströmt,  sich  sättigend  in  namenlosem  An- 
schaun  des  in  seinem  Innersten  ihm  sich  aufthuenden  Heilig- 
tums,   und   entzündet  und  umfangen  von  einer  seligen  Liebe 


478 


Vienebnte  Voilesung. 


zu  dem  geheimnisvollen  Grunde  seines  Daseins.«  'j  *Ia  a«iMr 
äittliclien  Eracheinung, <  fügt  Tholack  hioKU,  »ist  Aaa  Lbben 
eines  aolcfaen  Mystikers  »in  Wasserspiegel,  der  ergriffen  Toa 
einem  inneren  allgewaltigeu  Liebesdrange,  gleichsam  wie  vor 
Sehnsucht  beklommen,  seine  Wellen  an  sich  b&lt,  um  auf 
unbewegter  Fläche  das  Angesicht  der  Sonne  sich  spi^els 
zu  lassen.  Die  unrnbigon  Wellenkrümmungen  der  Kigenheil 
ruhen  von  der  Liebe  festgehalten,  damit  in  der  bewe^Dg»- 
losen  Seele  der  Ewige  sich  frei  bewege,  und  das  Leben  dnr 
Seele  in  dem  GeeetZQ  Gottes  aufgehe.*  Selbst  diese  Sprache 
klingt  fQr  uns  etwas  übertrieben  und  unreal.  Auch  wOrde 
Tholuck  selbst  sie  nicht  ohne  eine  beträchtliche  EinscbrXnkang 
als  auf  den  christlichen  Mystiker  anwendbar  gelten  lassen.  »D« 
evangelische  Christ,«  sagt  er,-)  ibraucht  die  Spekulation  nicht 
zu  fürchten.  Er  weiß  nicht  mehr  und  will  nicht  mehr  wisub, 
als  die  Offeubaruug  Gottes  ihm  mitteilt;  alle  Folgernngon, 
welobe  über  sie  hinausgehen,  achneidet  er  ab.  So  erwimt 
er  sich  au  jenem  Einen  Strahle,  der  aus  der  Ewigkeit  in  ffit 
Endlichkeit  herabgekummen  ist,  unbekümmert  um  alle  Knart- 
feuer  menschlicher  Betriebsamkeit,  auch  unbekfimmert  b(t 
allen  Versicherungen,  dass  der  Strahl,  der  ihn  mehr  «rwftioi 
als  je  eine  irdische  Flamme ,  von  der  Erde  seL  Da  Cbriit 
weiß,  dass  es  keine  Philosophie  bis  zum  Ende  der  Tage  geben 
kann,  deren  tiefe  Folgerichtigkeit  ihm  seinen  Ol.iulxn  wan- 
kend mache.  Er  sucht  nicht  nach  Folgerichtigkeit;  er  tt- 
uartel  vielmehr  die  Folge,  nftmlicb  die  Folge  seines  Glanbeic, 
ilie  das  Schauen  ist.' 

Trotz  all  diesem  entschiedeneu  Streben  nach  Orlboduie 
gibt  aber  Tboluck  doch  zu,  dass  die  mystische  Religion  te 
reichste  und  tiefste  Erzeugnis  des  menachlichea  Geistes,  fit 
lebendigste  und  die  erhabenste  Offenbarung  Gottes  tau  4m 
Bdob  der  Natur,  ja  dass  sie  nach  dem,  vrta  er  evi 
Gnade  nennt,  die  bSohste  und  edelste  Stelle 


I  Horgeulandisühe  Mystik,  p.  2 
1  A.  a.  0.  |j,  2i 


DioDysins  der  Areopsgite.  479 

Es  gibt  jedoch  christliche  Mystiker,  welche  die  innere 
Offenbarung  oder  die  Stimme  Gottes  im  Herzen  nicht  so  tief 
unter  die  äußere  Offenbarung  stellen  würden.  Für  jene, 
welche  die  Gegenwart  Gottes  im  Herzen  kennen,  ist  diese 
Offenbarung  weit  mehr  wirklich  als  irgend  eine  andere  es 
mdglicherweise  sein  kann.  Sie  glauben  mit  Paulus  (L  Kor. 
3,  16},  dass  der  Mensch  im  vollen  Sinne  des  Wortes  »Gottes 
Tempel«  ist,  und  dass  »der  Geist  Gottes  in  ihm  wohnet«,  ja 
sie  gehen  noch  weiter  und  halten  sowohl  als  Christen  wie 
als  Mystiker  fest  an  dem  Glauben,  dass  alle  Menschen  in  dem 
Vater  und  dem  Sohne  Eins  seien,  wie  der  Vater  in  dem  Sohne 
und  der  Sohn  in  dem  Vater  ist.  Es  ist  in  ihrem  Geiste  kein 
Zwiespalt  zwischen  christlicher  Lehre  und  mystischer  Lehre. 
Sie  sind  ihrem  Charakter  nach  eines  und  dasselbe,  indem  die 
Eine  uns  durch  Christus  auf  Erden  verliehen  ward,  die  an- 
dere aber  durch  den  inwohnenden  Geist  Gottes,  der  wieder 
nur  Christus  ist,  wie  er  in  uns  geboren  ward.  Das  Evange- 
lium des  Johannes  ist  voll  von  Stellen,  an  die  der  christliche 
Mystiker  sich  klammert,  und  durch  die  er  seinen  Glauben 
an  den  inwohnenden  Geist  Gottes  oder,  wie  er  es  auch 
nennt,  die  Geburt  Christi  in  der  menschlichen  Seele  recht- 
fertigt. 

Einwendungen  gegen  die  mystische  Religion  erwogen. 

Man  hat  oft  auf  die  Gefahren  aufmerksam  gemacht, 
welche  mit  diesem  mystischen  Glaaben,  der  Gott  Alles  in 
Allem  sein  lässt  und  ihn  daher  aach  fär  das  in  der  Welt  exi- 
stierende Böse  verantwortlich  machen,  oder  die  Unterschei- 
dung zwischen  Gut  und  Böse  ganz  aufheben  würde,  verkntipft 
seien.  Doch  sind  diese  Gefahren  in  jeder  Religion,  in  jeder 
Philosophie  vorhanden,  sie  sind  nicht  der  mystischen  Religion 
allein  eigentümlich.  Das  Hauptziel  des  Mystikers  ist  nicht, 
den  Ursprung  des  Bösen  zu  erklären,  was  kein  menschlicher 
Verstand  vermag,  sondern  zu  lehren,  wie  man  das  Böse 
durch    das   Gute   überwinden  könne.     Die   Gefahren  für  die 


4S0 


Vierzehme  Vorlesung. 


SittlicLkeit  werden  sehr  übertrieben.  Es  iBt  das  rei 
rUftertam ,  eii  sugen .  il&ss  dieselben  nnr  in  der 
Religion  vorbanden  seien.  Er  beißt  die  Oeacbichte  flüaekn. 
wenn  man  die  Mystiker  bescbnldigt,  daas  sie  die  Sittüobkelb- 
gesetze  verletzten.  Werden  denn  diese  Uogetze  von  AOeo, 
die  nicbf  Mystiker  sind,  beobachtet?  Bestand  die  Helirxtkl 
der  Verbrecher  in  der  Welt  je  aus  Mystikern,  aus  HäsDern 
wie  8t,  Bernurd  nnd  Tauler?  Hat  sieb  die  Ortbodosie 
jemals  als  eine  Schntzwelir  gegen  Versncbong  nnd  SQade  er- 
wiesen? Ein  Mensch  kann  Ober  Zöllner  und  Stlndei  milde 
nrteilen,  ohne  dämm  den  Sinn  für  Hecht  nnd  ünr«ebt  n 
veilieren.  Es  mag  Fälle  gegeben  haben,  wo  die  FreihMt  d«* 
Geistes  als  ein  Deckmantel  für  Ztigellosigkeit  gebrattcht  vor- 
den  iät  —  obzwar  uns  nnr  wenige  Falle  der  Art  bekansl 
sind  — ,  doch  ist  es  dann  immer  klar,  dass  die  wahre  mytti- 
sehe  Vereinigung  nicht  zu  stände  gekommen  ist.  Wenn  dl« 
Seele  einmal  diese  wahre  Vereinignng  mit  Ooll  orreiclil 
bat.  ja  wenn  sie  in  der  besiftndigen  Gegenwart  Gottes  lebt, 
wird  das  Biise  geradeza  nnm'.'glicb.  Wir  wissen,  da»  die 
meisten  Cbelthaten.  zn  denen  die  Menaobennatur  binodgl, 
nur  im  Dnnkleu  möglich  sind.  Vor  den  Angen  eines  aaderfa 
menschlichen  Wesens,  namentlich  eines  geliebten  Weseiu  wer- 
den sie  sofort  unmöglich.  Wie  viel  mehr  in  der  wirklicltea 
Gegenwart  eines  wirklichen  nnd  wirklich  geliebten  OoUea, 
wie  sie  von  dem  wahren  Mystiker  nicht  bloß  als  UedeaUrt^ 
sondern  als  Tbatsache  gefühlt  wird!  Man  sagt  nnt,  dau 
der  russische  Bauer  das  Antlitz  seines  Elkon  mit  dem  TascheD- 
tnch  bedeckt,  dnmit  es  seine  Schlechtigkeit  nicht  seho.  üei 
Mystiker  hat  dasselbe  Gefnbl;  solange  iwiscbon  ihm  Bod 
Gott  kein  Schleier  ist.  sind  bfise  Gedanken,  bnso  Worte  mid 
böse  Thateu  schlechterdings  unmöglich  für  Einen,  Aa  die 
thatsAchliche  Gegenwart  Gottes  fühlt.  Er  wird  aaob  nieki 
mehr  durch  Fragen  beunruhigt,  wie  die,  anf  wclehe  WciM 
die  Welt  erschaffen  worden,  anf  welche  Weise  diu  tiött  in  die 
Welt  gekommen  sei.  Er  begnügt  sich  mit  der  gSttUflai 
Liebe,    welche    seine  Seele    umfasst;   er   hat  Alles,    wa*  H 


DionysiuB  der  Areopagite.  48 1 

begehren  kann,  sein  ganzes  Leben  ist  durch  Christas  in  Gott 
geborgen,  der  Tod  ist  verschlangen  in  den  Sieg,  der  Sterb- 
liche ist  ansterblich  geworden,  weder  Tod,  noch  Leben,  noch 
£iigeK  noch  Fflrstlichkeiten,  noch  Mächte,  weder  gegenwärtige, 
Boch  kfinflige  Dinge,  weder  Höbe,  noch  Tiefe,  noch  irgend 
ein  anderes  Geschöpf  ist  im  stände,  seine  Seele  von  der  Liebe 
Gottes  za  trennen.  Dies  ist  die  Sprache,  deren  sich  Paalns 
bedient:  dies  ist  die  Sprache,  deren  Widerhall  uns  ans  der 
Sprache  der  edlen  Schar  christlicher  Mystiker  nnd  mehr 
oder  minder  aller  jener  entgegenklingt,  welche  —  sei  es  in 
Indien,  in  Persien,  oder  in  Arabien,  ja  anch  in  Earopa  — 
Bach  Gott  bangem  nnd  dürsten,  ja  die  sich  im  allervollsten 
«nd  tiefsten  Sinne  des  Wortes  als  Kinder  Gottes  f&hlen. 

Man  hat  gesagt,  dass  die  Zeiten,  in  denen  wir  leben, 
dem  mystischen  Christentom  nicht  angemessen  sind,  dass  wir 
einen  stärkeren  und  ernsteren  Glauben  branchen,  der  ans 
dorch  die  Stflrme  nnd  die  widerstreitenden  Strömungen  des 
Tages  hindarcbtn^en  soll.  Das  mag  ja  sein,  und  wenn  uns 
die  Kirche  stärkere  und  sicherere  Schiffe  für  unsere  Überfahrt 
besorgen  kann,  so  thue  sie  es.  Doch  vergesse  sie  nie,  dass 
die  mittelalterliche  Kirche,  obgleich  sie  sich  ihrer  scholasti- 
schen Verteidiger  rflhmte,  obgleich  sie  vor  den  Gefahren  des 
Platonischen  und  mystischen  Christentums  warnte,  obgleich 
sie  sogar  dem  St.  Clemens  die  Heiligkeit  absprach  und  den 
Bicht  minder  heiligen  Origenes  rflgte,  doch  nie  aufhörte, 
MäBBcr  wie  St.  Bemard  ;i090— 1ir>2\  Hugo  tt  11^1  ««^d 
Richard  von  St.  Victor  ^f  1173)  als  ihre  glänzendsten  Zier- 
den und  ihre  besten  Führer  anzusehen. 

St.  Bemard. 

Während  die  großen  scholastischen  Theologen  Definitio- 
nen von  Dogmas  aufstellten,  von  denen  die  meisten  weit  über 
den  Gesichtskreis  der  großen  Masse  des  Volkes  hinau3;:ingen, 
wurden  die  großen  Massen  der  Männer.  Frauen  und  Kinder 
von    den   Predigten   von  Mönchen    und  Priestern   angezogen, 

Max  MftUer,  Theoiophie.  31 


82 


Vierzehnte  Vorlesuiig. 


welche,  in  den  Lehren  des  mystischen  Christen  tum«  aufgr- 
waohsen  und  mit  Hochachtung  gegen  Dionysiiis,  den  Bng«h- 
liehen  Begründer  desselben,  erfttUl,  die  Liebe  Gott«9.  ein 
Lehen  in  nnd  fflr  Gott,  als  d&s  eiuxige  wahre  chrigtlioh« 
Leben  prediglen.  Christus,  meinten  sie,  habe  nnr  selten  gt>- 
lehrt,  wie  man  glauben,  aber  er  habe  beständig  gelehrt,  «it 
man  leben  solle.  Seine  Griindlehre  sei  sein  ei^nee  Lebsn 
gewesen,  nnd  die  hauptsächliche  Lehre  dieses  Lebens  sti 
dies  gewesen,  dass  Christus  der  Sohn  Gottes  vrar,  nicht  in 
einem  mythologischen  iSinne,  sondern  im  tiefsten  philosc- 
phisohen  Sinne  des  Änsdmeks,  n&mlioh  als  das  in  einen 
vollkommenen  ■  Hensohen  Fleisch  gewordene  Wesen  Gottes, 
als  das  in  seiner  ganzen  VoUsULndigkeit  verwirkliofate  Ideal 
der  Menschheit,  als  der  Logos,  der  wahre  Sohn  Oottcc 
St.  Bernard  von  Clairvanx  predigte  auch,  dass  ein  ohritt- 
liches  Leben  der  beste  Beweis  des  cbrisllichen  QUobeaa  is. 
.Der  Grnnd.«  sagt  er,  >we8halb  wir  Gott  Heben  sollen,  iai 
Gott  selbst;  das  Maß  dieser  Liebe  ist,  dass  wir  ihn  Bber 
alles  Maß  lieben  sollen. <')  >Schon  die  bloße  Vemund,*  tlhit 
er  fort,  »verpflichtet  aus,  dies  zu  thun;  daa  nns  eingepflaan« 
Naturgesetz  mft  laut,  dass  wir  Gott  lieben  aoücD.  Wir  ver- 
danken ihm  Altes,  was  wir  sind;  alle  Unter  des  KOrpers  nnd 
der  Seele,  die  wir  genießen,  sind  sein  Werk;  wl«  Bvllla  wil 
also  nicht  verpflichtet  sein,  ihn  nm  seinetwillen  zu  Beb«? 
Diese  i'flicbt  gilt  anch  fQr  Nichtohriston;  deno  «elM  der 
Heide,  obwohl  er  Christum  nicht  kennt,  kennt  weaigstH* 
sich  selbst  nnd  mnss  daher  wissen,  dasa  er  Alle),  im  '» 
ihm  ist,  Gott  verdankt.  In  noch  höherem  Grade  ist  dtr 
Christ  verpflichtet,  Gott  zu  lieben,  denn  er  {genießt  oleht  an 
die  guten  Dinge  der  Schöpfung,  sondern  anoh  äi«  (]«s  e"^ 
gen  Heils.« 


Ii  De  diliyenilo  Dro.  col.  1    Cmisu  düigendi  D«i^  J 
nodns.  sine  modo  diligere. 


Dionysias  der  Areopagite.  483 


Liebe  zu  Gott. 


Diese  Liebe  zn  Gott,  fährt  St.  Bemard  fort,  muss  von 
der  Art  sein,  dass  man  Gott  nicht  nm  irgend  welcher  Beloh- 
nungen willen,  die  man  für  sich  erlangen  könnte,  liebt.  Dies 
w&re  gewinnsüchtige  Liebe.  Wahre  Liebe  findet  in  sich 
selbst  ihre  Befriedigung.  Es  ist  wahr,  dass  unsere  Liebe 
juicht  ohne  ihren  Lohn  ist,  wahr  ist  es  auch,  dass  der  Lohn 
er  selbst  ist,  der  geliebt  wird,  nämlich  Gott,  der  Gegenstand 
unserer  Liebe.  Aber  einen  anderen  Lohn  außer  ihm  zu  er- 
warten, widerspricht  dem  eigentlichen  Wesen  der  Liebe. 
Grott  gibt  uns  einen  Lohn  fflr  unsere  Liebe,  aber  wir  dtlrfen 
ihn  nicht  suchen.  Auch  ist  diese  Liebe  nicht  gleich  voll- 
kommen.  Sie  muss  durch  mehrere  Stadien  hindurchgehen. 
Im  ersten  Stadium  lieben  wir  nach  St.  Bernard  uns  selbst 
um  unsertwillen.  Das  ist  noch  nicht  die  Liebe  zu  Gott, 
aber  es  ist  eine  Vorbereitung  auf  dieselbe.  Im  zweiten  Sta- 
dium lieben  wir  Gott  um  unsertwillen.  Das  ist  das  erste 
Stadium  zur  wirklichen  Liebe  zu  Gott.  Im  dritten  Stadium 
lieben  wir  Gott  um  seinetwillen.  Dann  dringen  wir  in  das 
wahre  Wesen  der  Liebe  zu  Gott  ein.  Endlich  im  vierten 
Stadium  lieben  wir  nicht  nur  Gott  um  seinetwillen,  sondern 
wir  lieben  auch  uns  selbst  und  alles  Andere  nur  um  Gottes 
willen.     Dies  ist  die  höchste  Vollendung  der  Liebe  zu  Gott. 

Dieser  höchste  Grad  der  Liebe  wird  jedoch  in  seiner 
ganzen  Vollständigkeit  erst  im  nächsten  Leben  erreicht  Nur 
selten,  in  Augenblicken  mystischer  Verzückung,  können  wir 
uns  auch  schon  in  diesem  Leben  za  jener  höchsten  Stufe 
emporschwingen. 

Terztiekung  nach  8t.  Bemard. 

St.  Bernard  geht  dann  in  seiner  eigentümlichen  syste- 
matischen Weise  daran,  zu  erklären,  was  diese  Verzückung 
ist,  und  wie  sie  erreicht  werden  kann.  Die  Grundbedingung 
ist  Demut,    der  einzige  Weg.    auf  dem  wir  die  Wahrheit  zu 

31* 


484 


Vierzehn  tu  Vorloaung. 


crreicheo  boffon  kSoiiBn.  Bs  gibt  zwülf  Grade  der  Demni, 
welche  St.  Bernard  beschreibt.  Aber  außer  der  Demut  Isl 
vollkommene  Liebe  notwendig,  und  dann  erst  können  wir 
liiiffen,  in  die  myatiBcho  Welt  oinautreten.  Damm  ist  die 
erste  Stofe  Eneiigiing  der  Wahrheil,  die  auf  Prüfung  ge- 
gründet ist  und  nuch  immer  durch  den  schließenden  um! 
urteilenden  Oedanken  weiter  gefllhtt  wird.  Dann  f<tlgt  di* 
Biftraihtiing  der  Wahrheit  ohne  schließende  und  nrttUend» 
Prüfung.  Anf  dieae  Betrachtung  folgt  zoletzt  daa,  was  St. 
Bernard  die  admiratio  majeslalt'a,  die  Bewanderung  der  Ma- 
jestät der  Wahrheit,  nennt.  Dies  orfordert  ein  goläntertM 
Herz,  das  von  Laster  frei  nnd  der  Sünden  ledig  ist,  ein  Ben. 
dna  sich  in  die  Höhe  emporacbwingen,  ja  das  anf  AageD' 
blicke  die  bewundernde  Seele  in  einer  Art  Erslarrnng  aai 
Veriöcknng  halten  kann  (De  grad.  humii.,  c.  S,  22  teq.) 

In  einem  ähnlichen  Zustand ,  wie  dieser,  wird  di«  i^ede 
in  das  künftige  Leben  eingehen.  Unser  Wille  wird  sich  er- 
weichen und  wird  in  den  gCttiichen  Willen  zerschmelzen  onil 
sich  in  denselben  ergießen.  Und  hier  tindcn  wir,  wie  8L 
Bernard  in  Bezng  auf  das  Verhiiltnis  der  Seele  zn  OoU  oft 
dieselben  Gleichnisse  gobranchl ,  die  wir  in  den  UpanishadM 
und  bei  den  Ncnplatonikem  fanden.  Wie,  sagt  er,  »is 
Tröpfchen  Wasser,  wenn  es  in  eine  große  Quantität  Wela 
iUUt,  sich  selbst  im  Stiche  zu  lassen  scheinl,  wshrcud  a  <iie 
Farbe  und  den  Geschmack  des  Weines  annimmt;  wie  das 
entzttndete,  gltlhende  Eisen,  seiner  eigenen  nreprOnglirlien 
Natur  beraubt,  dem  Feuer  so  ähnlich  als  möglich  wird;  wie 
die  Luft,  wenn  sie  vom  Lichte  der  Bouue  darchstrOmt  Ut 
sich  in  den  Ulanz  des  Lichtes  verwandelt,  so  dasa  sie  nicht 
so  sehr  erleuchtet  zu  sein,  als  selbst  zu  leuclitou  scheint,  — 
^o  wird  es  notig  sein,  dass  jede  menschliche  Neigung  anf 
irgend  eine  uuausspreohücfae  Weise  zerschmelze  und  gioz- 
lich  in  den  Willen  Qottes  umgewandelt  werde.  Denn  *i« 
wtlrde  sonst  Oott  Alles  in  Allem  sein,  wenn  irgend  etna 
vom  Menschen  im  Menschen  übrig  bliebe?  Ja,  gaiz  dmalb« 
Vorsicht,    welche    im  Vedänta    gebraucht   wurdo,    wird  <■ 


Dionjsius  der  Areopa^te.  4g5 

von  8t.  Bernard  angewandt  In  diesem  Znstand  der  Ver- 
zflckung  veriiert  sieh  zwar  die  Seele  in  Gott  sie  wird  aber 
Bicht  vernichtet.  Die  Substanz,  wie  St.  Bemard  sagt,  wird 
bleiben,  nnr  in  einer  anderen  Form,  in  einer  anderen  Glorie, 
in  einer  anderen  Macht  In  dieser  Glorie  sein  heißt  Gott  wer- 
den, est  deificari. 

St.  Bemards  St«lliuig  in  der  Kirche  und  im  Staate. 

Fflr  moderne  Ohren  klingen  diese  im  Mittelalter  so  ganz 
geUnfigen  Ideen  sonderbar,  ja  Manche  dürften  sie  als  ge- 
radezu gotteslästerlich  ansehen.  St  Bemard  wnrde  aber  nie 
ftlr  einen  Gotteslästerer  angesehen,  selbst  seine  Orthodoxie 
wnrde  nie  in  Zweifel  gezogen.  Er  war  der  große  Vorkämpfer 
der  Orthodoxie,  der  Einzige,  der  in  der  Kirchen  Versammlung 
von  Sens  (1140)  mit  Erfolg  den  Kampf  mit  Abälard  auf- 
nehmen konnte. 

St  Bemards  Theologie  nnd  sein  ganzes  Leben  enthalten 
in  der  That  die  beste  Antwort  anf  die  oberflächlichen  Ein- 
wendungen, die  man  oft  gegen  das  mystische  Christentum 
erhoben  hat.  Man  hat  oft  gesagt,  das  wahre  Christentum 
lehre  den  Menschen  nicht,  sein  Leben  in  verzückter  Betrach- 
tung des  Göttlichen  zuznbringen,  sondern  es  erwarte,  dass  er 
seine  Liebe  zu  Gott  durch  seine  thätige  Nächstenliebe,  dnrch 
ein  thääges  gottesffirchtiges  Leben  beweise.  In  unseren  Tagen 
namentlich  pflegt  man  religiösen  Quietismas  und  mönchische 
Zurückgezogenheit  von  der  Welt  erbarmungslos  zu  verdammen. 
St.  Bemard  aber  hat  gezeigt,  dass  ein  beschauliches  Leben 
mit  Nächstenliebe,  ja  mit  einem  ganz  gehörigen  Hass  gegen 
unsere  Feinde  und  einer  kräftigen  Anteilnahme  an  den  Welt- 
begebenheiten keineswegs  unvereinbar  ist.  Man  erinnere  sich. 
dass  dieser  Mönch,  der  im  Alter  von  dreiundzwanzig  Jahren 
der  Welt  entsagt  und  sich  in  das  Kloster  von  Cisteaux  zurück- 
gezogen hatte  und  drei  Jahre  nachher  Abt  von  Clairvaux  ge- 
worden war.  derselbe  Bemard  war.  der  für  Papst  Innocenz  11. 
gegen   den   Gegenpapst  Anaclet  II.    in   den  Kampf  zog.  der 


4$6  Vierzebnte  Vortosutig. 

mit  seinen  eigenen  W&ffen  Arnold  von  Brnscift  Obonrand, 
nnd  der  schließlich  dnrcb  seine  fenrigen  Änspracben  die 
ganze  Christenheit  zu  dem  zweiten  K.reDzzng  im  Jahre  MIT 
entdummte.  Dies  zeigt,  d&ss  anter  der  stürmischsten  Ober* 
fläche  der  tiefste  tirund  der  Seele  ruhig  und  ungestört  blei- 
ben kann.  Es  zeigt,  wie  achun  die  VedAntisien  woasteii, 
daas  der  Mensch  nicht  in  den  Wald  zu  gehen  braucht,  nn 
ein  Einsiedler  zu  ^ein,  sondern  dass  es  in  jedes  Menschün 
ilrnst  einen  WaJd  gibt ,  wo  er  allein  mit  dem  Alleiniges 
wohnen  kann. 


Rago  von  St.  Vietor,  TTisRcn  zuverlässiger  als  ßl 


My3HP 


Ein  anderer  Vorwurf,  der  den  sügenanuten 
und  Qnietisten  oft  gemacht  wird,  daas  sie  engherzig  und  geges 
Geistes^eibeit  undaldsam  sden,  wird  am  besten  durch  det 
Hinweis  anf  den  intimen  Freund  Bt.  Bernards,  den  berftlimleii 
Uugü  von  gl.  Victor,  den  Stifter  der  Victuriner,  zurDekgeirie- 
seu.  Wenn  Hugo  von  St.  Victor  den  Uhinben  La  Mtiea 
subjektiven  8inne  als  die  ThAtigkeit  deflmert,  durch  welcte 
wir  die  Wahrheit  empfangen  und  festhalten,  so  anlotHliädtl 
er,  wie  viele  von  den  Scbulgetehrten,  zwischen  Mehiuf, 
(ilauben  und  Wissenschaft,  und  er  stellt  den  Olaabta  Ober 
die  Meinung,  aber  unter  die  auf  der  Wissenschaft  benhend« 
(Erkenntnis.  Meinung,  sagt  er,  schließt  dio  Mßglichkrit  mM 
widersprechenden  Gegenteils  nicht  ans;  der  Glaube  uhU«Bt 
wohl  eine  solche  Möglichkeit  aus,  aber  or  weiß  das  Oeglufata 
noch  nicht  als  gegenwärtig,  indem  er  nur  anf  der  ABtotittl 
eines  Anderen  beruht,  durch  dessen  Unterweisung  das  sn  (Haa- 
bende  vermittelst  des  Gehörs  'd'ruti!  abertragen  wird.  OieWI*- 
scnschaft  hingegen  weiß  ihren  Gegenstand  als  tbatft&cbUchgegei- 
wftrtig;  der  Gegenstand  der  Erkenntnis  ist  dem  gvistigen  Ab{I 
gegenwjtrtig  and  wird  auf  Grund  dieser  Gegenwart  erkaiul.  Uc 
Erkenntnis  dnrch  Wissenschaft  stellt  daher  einen  höheren  ü 
der  Gewissbeit  dar,  als  der  Glaube,  weil  es  etwa«  VoUkonunnir' 
res  ist,   einen  Gegenstand  an  und  fflr  sieh  vermittelil  teiic 


Dionysins  der  Areopagite.  4  87 

anmittelbaren  Gegenwart  zu  keDnen,  als  bloß  durch  das 
Hdren  der  Unterweisung  eines  Anderen  zur  Erkenntnis  des- 
selben  zu  gelangen.  Der  niedrigste  Grad  des  Glaubens  ist 
der,  wenn  der  Gläubige  das  zu  Glaubende  aus  bloßer  Fröm- 
migkeit annimmt,  ohne  durch  seine  Vernunft  zu  verstehen, 
dass  er  und  warum  er  das,  was  er  angenommen  hat,  glauben 
mfisse.  Die  n&chst  höhere  Stufe  des  Glaubens  ist  die,  wenn 
der  Glaube  mit  vernfinftiger  Einsicht  gepaart  ist,  und  die 
Vernunft  das  gutheißt,  was  der  Glaube  als  wahr  hinnimmt, 
so  dass  der  Glaube  mit  der  auf  der  Wissenschaft  beruhen- 
den Erkenntnis  verbunden  ist.  Der  höchste  Grad  ist  der, 
wenn  der  in  einem  reinen  Herzen  und  einem  unbefleckten 
Gewissen  begründete  Glaube  innerlich  zu  empfinden  beginnt, 
was  im  Glauben  erfasst  und  festgehalten  worden  ist.  Hier 
ist  der  Glaube  zu  höherer  mystischer  Anschauung  vervoll- 
kommnet. 

Wie  Viele,  die  jetzt  vor  den  Bildern  St.  Bemards  und 
Hngo^s  von  St.  Victor  knieen,  würden  entsetzt  sein  über  die 
Lehre,  dass  der  höhere  Glaube  auf  Vernunft  gegründet  sein 
müsse,  und  dass  der  Glaube  weniger  Sicherheit  gewähre,  als 
die  auf  Wissenschaft  beruhende  Erkenntnis. 

Thomas  von  Aqnino. 

Thomas  von  Aquino  hielt  es  für  notwendig,  sich  gegen 
diese  Lehre  zu  verwahren,  doch  gibt  auch  or  zu,  dass  vom 
subjektiven  Standpunkt  der  Glaube  zwischen  der  Meinung 
und  der  wissenschaftlichen  Erkenntnis  in  der  Mitte  stehe, 
d.  h.  unter  der  wissenschaftlichen  Erkenntnis,  obgleich  über 
der  bloßen  Meinung.  Er  schließt  jedoch,  dass  der  Glaube 
mehr  Sicherheit  gewährt,  als  wissenschaftliche  Erkenntnis, 
weil  der  christliche  Glaube  die  Autorität  der  göttlichen 
Offenbarung  besitzt,  und  wir  glauben,  was  uns  offenbart  ist, 
weil  es  von  Gott  als  die  höchste  Wahrheit  offenbart  worden 
ist.  (Non  enimjides,  de  qtui  loquimur,  assentit  alicui,  nisi 
tjuia  a  Deo   est  recelatum,)     Er    sagt    uns    nicht,    wie    wir 


4S8 


ViorzeliotL'  Vorlesiiiig. 


wiesen  kCiDnen,  üaSB  es  von  Ontt  offenbart  wDrde,  aulter  ver- 
mittelst der  Vernunft,  Obgleich  aber  Tbomaa  von  At)UiBo 
in  diesem  Punkte  von  St.  Ungo  abweicht,  und  ohgleiub  er 
uicht  einmai  in  dem  Sinne  ein  Mystiker  genannt  werd« 
kann,  in  dem  Bt.  Bernard  einer  war,  ist  er  doc.li  gegeo  aetne 
mystischen  Freunde  höchst  tolerant ,  ja  in  gewissen  Panktea 
ist  der  strenge  Scholastiker  fast  selbst  ein  Mystiker.  Er 
spricht  von  einem  durch  eine  Vision- des  OOttlichen  {rmo 
divinae  essentiae}  hervorgebrachten  Zustand  der  Seligkeit, 
nur  zweifelt  er,  ob  'uir  in  diesem  Leben  jemals  eine  Er- 
kenntnis des  Wesens  des  Göttlichen  erlangen  kOonou,  und  n 
beruft  sich  auf  Dionysius  den  Areopagiten.  dor  eben&IU 
sagt,  der  Mensch  könne  mit  Öott  nar  als  mit  otwaa  gaoi 
UnbekannteDi  verbunden  werden,  d.  h.  der  Mensch  kiinne  ii 
diesem  Leben  keine  wesenhafte  quidditative  ]  Erkenutnif 
Oiittes  erlangen.  Dod  darum  kilnue  seine  Seligkeit  auf  Krdoi 
nicjjt  vollkommen  sein.  Zum  Beweise  dessen  clticrt  Dioo;< 
sius  Johannes  :l.  Ep.  Job.  I,  3.  2):  »Wir  wissen  aber,  wbu 
es  erscheinen  wird,  dnss  wir  ihm  gleich  sein  werden:  dm 
wir  werden  ihn  sehen,  wie  er  ist,  i 

Thomas  vou  Aqnino  nnterscheidet  sich  auch  In  aodem 
Punkten  von  den  Myslikern,  welche  an  eine  verztlckte  Ver- 
einigung mit  Gott  schon  in  diesem  Leben  glauben.  Naeb 
ihm  kann  der  höchste  Endzweck  des  Menschen  nur  Gotttbn- 
liohkeit  sein  {Omnia  igitur  uppefunf,  quasi  ultimum  ߻tti>, 
Ih-o  assimilari).  Nur  von  der  Seele  Christi  gibt  Tfa«n* 
von  Aqnino  eu,  dass  sie  das  Wort  Gottes  vermOge  jener  VW 
sion  sali,  vermöge  deren  die  Verklärten  es  sehen,  bo  daaa  aelH 
Seele  verklärt  und  auch  sein  Körper  vollkommon  war.*' 
liottfthnlichkeit  ist  fflr  ihn  das  summum  lionum,  und  sie  Ist  di* 
höchste  Seligkeit,  welche  der  Mensch  erreichen  kann.  DicM 
hiüchste  Seligkeit  ist  zu  gleicher  Zeit,  wie  Thomas  von  AqviflB 


)i  Summa  IIl,  N,  I.  Anima  Christ!  videbat  Verbum  Del  ea 
Tisione  qua  Beali  vident,  et  in  nnimo  Christi  erat  bi-atn,  «vd  ia 
beatitudinc  Dtiimnc  giorificaiur  corpna. 


DionysiuB  der  Areupagite.  4g9 

zu  zeigen  sucht,  die  höchste  Vollendung  der  Menschennatnr ; 
denn  was  den  Menschen  von  allen  anderen  Geschöpfen  unter- 
scheidet,  ist  sein  Verstand,  und  es  folgt  daher,  dass  die 
höchste  Vollendung  seines  Verstandes  in  dessen  spekulativer 
und  kontemplativer  Thätigkeit  auch  seine  höchste  Seligkeit 
ist.  (Beatitudo  igitur  vel  felicitas  in  ar(u  inteUectus  von- 
siatit  suhsfantialiter  et  principaliter  magis  quam  in  acta 
roluntatis^  C.  6.  XIII,  c.  26.)  Das  höchste  Ziel  dieser 
spekulativen  und  kontemplativen  Thätigkeit  des  Verstandes 
kann  nur  Gott  sein.  Und  auch  hier  wieder  zeigt  Thomas 
von  Aquino  eine  außerordentliche  Freiheit  von  theologischen 
Vorurteilen.  Zagegeben,  sagt  er,  das  höchste  Ziel  und  die 
wahre  Seligkeit  des  Menschen  bestehe  in  der  Erkenntnis 
Gottes,  so  müssen  wir  doch  unterscheiden  zwischen  1)  einer 
natürlichen  Erkenntnis  Gottes,  die  alle  menschlichen  Wesen 
gemein  haben;  '2)  einer  durch  Beweise  zu  erlangenden  Er- 
kenntnis Gottes;  (3)  einer  Erkenntnis  Gottes  durch  Glauben; 
und  (4)  einer  Erkenntnis  Gottes  durch  Vision  ciaio  I)ei  per 
essentiam). 

Wenn  die  Frage  aufgeworfen  wird,  welches  von  diesen 
die  vollkommenste  Erkenntnis  Gottes  sei,  so  antwortet  Tho- 
mas von  Aquino  ohne  das  geringste  Bedenken:  die  letzte. 
Es  kann  nicht  die  erste  sein,  weil  er  glaubte,  dass  eine  Er- 
kenntnis Gottes,  wie  sie  von  der  Natur  gewährt  werde, 
durch  das,  was  wir  'Natürliche  Religion'  nennen  würden, 
wegen  ihrer  vielen  Irrtümer  unvollkommen  sei.  Die  zweite 
kann  es  nicht  sein,  denn  die  durch  Beweise  zu  erlangende 
Erkenntnis  ist  unvollkommen,  insofern  sie  nur  den  Wenigen 
zugänglich  ist,  welche  logischen  Beweisführungen  folgen 
können,  auch  insofern  sie  unsicher  in  ihren  Resultaten  ist. 
Es  kann  nicht  die  dritte  oder  die  Erkenntnis  Gottes  durch 
Glauben  sein,  welche  die  meisten  Theologen  für  die  sicherste 
halten  würden,  denn  die:<e  hat  keine  inneren  Beweisgründe 
der  W^ahrbeit  und  ist  mehr  eine  Sache  des  Willens  als  des 
Verstandes.  Der  Wille  aber  steht  nach  Tliomas  niedriger  als 
der    Verstand.     Die   einzige   vollkommene   Erkenntnis   Gottes 


490 


Vierzehnte  Vorlesung. 


ist  daher  oacli  dieser  höchsten  Antoritat  der  acholutischea 
Theologie  die  anmittelbare  AnBchatiang  Gottes  vermittalat  des 
Verstandes,  und  diese  kann  uns  nnr  als  eine  tlbemattlrlich« 
Uabu  gewahrt  sein.  Was  also  die  unmittelbare  Anächannng 
anbelangt,  »timmt  Thomas  mit  den  Mystikern  überein;  er  ^bl 
sogar ,  indem  er  in  dieser  Beziehung  sogar  Aber  Diooysitui 
hinausgeht,  die  Möglichkeit  einer  weaenhaften  .i^niddibitireD' 
ErkenutDie  Gottiia  zu,  nur,  wie  es  scheint^  nicht  in  dieaeni 
Leben. 

Uud  wAhrend  er  die  Möglichkeit  dieser  geistigen  An* 
schauong  zugibt,  ist  er  der  Meinung,  daas  bloße  Uebesde 
Uingebung  zu  Ooit  niemals  die  höchste  Seligkeit  sein  könnte. 
Seine  Grflnde  hierfür  sind  sonderbar.  Wir  lieben  das  Gott, 
sagt  er,  nicht  nur.  wenn  wir  es  haben,  sondern  auch  wen» 
wir  es  noch  nicht  haben,  nnd  aus  dieser  Liehe  entslnhl  Vu' 
langen,  und  Verlungen  ist  offenbar  mit  vollkomuieuer  8eligfceil 
unvereinbar. 

Hugo  von  St.  Victor  hingegen  nahm  diese  Vision  »U 
eine  einfache  Thatsache  hin.  Der  Mensch,  sagte  er,  ist  Bit 
einem  dreifachen  Auge  ausgestattet,  dem  Auge  des  Flciich«, 
dem  Auge  der  Vernunft  und  dem  Äuge  der  geistigen  An- 
schauung. Durch  das  Auge  des  Fleisches  siebt  der  Menicb 
die  äußere  Welt:  darch  das  Ange  der  Vernuuft  siebt  er  die 
geistige  oder  ideale  Welt;  durch  das  Auge  der  AniebaiuiK 
sieht  er  das  Göttliche  in  ihm  in  der  t^eele  nnd  tlber  ihm  in 
(iott.  Indem  die  Seele  durch  die  Stadien  des  Kachd«skeiu 
nnd  der  sinnenden  Betraohtung  hindurchgeht,  gelan;^  <JA 
zuletzt  zur  geistigen  Selbstbeschanung  und  schöpft  ibre 
vollste  OUIckseligkeit  aus  der  unmittelbaren  Anschauung  dei 
Unendlichen. 

Hugo  sah,  dass  das  Innerste  und  das  HOohste,  die  Sttk 
iu  uns  und  Gott  tlber  uns,  identisch  sind,  und  dnas  dihv 
diejenigen,  die  reineu  Herzens  sind,  Gott  schanen  bijunen- 

Iliigo  ist  reich  an  poetischen  Bildern.  Er  vergleicU 
zum  Uciapiel  diesen  geistigen  Vorgang  mit  dam  EntiOmlen 
grünen    Holzes.      Es    fängt    schwer   Feuer,    sagt    er ;    (utnl 


DionysiuB  der  Areopagite.  491 

steigen  Rauchwolken  auf,  ab  und  zu  sieht  man  eine  Flamme 
hier  und  da  aufflackern;  wie  das  Feuer  inuner  st&rker  und 
stärker  wird,  umgibt  es  und  durchdringt  es  das  Brennholz;  auf 
einmal  lodert  und  sprüht  es  im  Triumph  empor  —  die  Natur 
des  Holzes  verwandelt  sich  in  die  Natur  des  Feuers.  Wenn 
dann  der  Kampf  vorfiber  ist,*  hört  das  Knistern  auf  und  der 
Rauch  ist  verschwunden;  es  bleibt  nur  noch  eine  ruhige, 
freundliche  Helligkeit,  denn  das  gewaltige  Element  hat  sich 
Alles  unterthftnig  gemacht.  So,  sagt  Hugo,  streiten  SUnde 
und  Gnade  miteinander;  und  der  Ranch,  Unruhe  und  Angst 
sehweben  über  dem  Kampfe.  Wenn  aber  die  Gnade  st&rker 
und  das  Auge  der  Seele  klarer  wird,  wenn  die  Wahrheit  die 
lodernde  aufstrebende  Natur  durchdringt  und  in  sich  aufnimmt, 
dann  kommt  heilige  Ruhe,  und  die  Liebe  ist  Alles  in  Allem. 
Außer  Gott  im  Herzen  ist  von  dem  Selbst  nichts  übrig.  ^) 


1 1  Diese  von  Vaugban  in  seinen  Hours  tcith  the  Mystics  vol.  I, 
p.  156  (3.  Aufl.)  citierte  Stelle  scheint  Meister  Eckhart  vorgeschwebt 
zu  haben,  in  dem,  was  er  p.  431  Z.  19  ed.  Pfeiffer;  schreibt. 


Fünfzehnte  Vorlesung. 


o« 


Ghristliohe  Theosophie. 


Mystisches  Cliristeiitnin. 

Der  Strom  des  mystisohen  Christentums,  den  wir  tob 
seinen  fernsten  Quellen  her  verfolgt  haben,  fließt  in  einem 
immer  tiefer  nnd  immer  breiter  werdenden  Bett  durch  das 
ganze  Mittelalter  fort.  In  Deutschland  namentlich  kam  eine 
Zeit,  wo  das,  was  man  mystisches  Christentum  nennt,  &8t 
die  einzige  geistige  Nahrung  des  Volkes  bildete.  Der  Seho- 
lasticismus  behauptete  sich  allerdings  unter  den  höheren 
Geistlichen,  die  niedrigere  Geistlichkeit  aber  und  die  große 
Masse  der  Laien  lebten  von  der  Lehre,  welche,  wie  wir  sahen, 
ursprünglich  von  Dionysius  ausging  und  sogar  den  trockenen 
Scholasticismus  des  Thomas  von  Aquino  (1224 — 1274),  des 
Bonaventura  (1221  — 1274)  und  Anderer  ganz  und  gar  durch- 
drang. Sie  kam  dann  noch  einmal  in  den  Arbeiten  der 
deutschen  Mystiker  an  die  Oberfläche,  und  sie  wurde  in  ihren 
Händen  eine  moralische  und  politische  Macht  von  der  größ- 
ten Wichtigkeit. 

Die  deutschen  Mystiker. 

Vor  Allem  nahmen  diese  deutschen  Mystiker  kflhn  die 
Sprache  des  Volkes  an,  sie  redeten  in  der  Volkssprache  zu  dem 
gemeinen  Volke,  ^)   sie  redeten  in  der  Sprache  des  Herzens  zn 


1)  Die  älteste  Spur  von  Predigten  in  deutscher  Sprache  findet 


Cbristliehe  Theoeophie.  493 

dem  Herzen  des  Volkes.  Zweitens  bequemten  sie  sich  auch  in 
anderen  Beziehungen  den  Bedürfnissen  und  dem  Verständnis 
ihrer  Schutzbefohlenen  an.  Ihre  Religion  war  nicht  so  sehr  eine 
Religion  des  Kopfes  und  der  logischen  8chlussfolgerung,  als 
eine  Religion  des  Herzens  und  der  Liebe.  Sie  trat  gerade 
zu  der  Zeit  auf,  als  das  scholastische  Christentum  sich  über- 
lebt hatte,  und  als  infolge  von  Unglücksfällen  aller  Art  das 
.Volk  religiösen  Beistandes  und  Trostes  am  dringendsten 
bedurfte. 


Das  Tierzehnte  Jahr|iiuidert  in  Deotscliland« 

Das  vierzehnte  Jahrhundert,  während  dessen  die  deutschen 
Mystiker  am  thätigsten  und  einflussreichsten  waren,  war  eine 
Zeit  nicht  nur  politischer  und  kirchlicher  Unruhen,  sondern 
auch  eine  Zeit  des  tiefsten  Leidens.  In  vielen  Beziehungen 
erinnert  es  uns  an  das  fünfte  Jahrhundert,  welches  den  mysti- 
schen Neuplatonismus  in  der  christlichen  Earche  ins  Leben  rief. 
IKe  ruhmreiche  Periode  der  Hohenstaufen  war  zu  einem 
schmählichen  Ende  gekommen.  Die  dichterische  Begeisterung 
des  Volkes  war  dahingeschwunden.  Der  Kampf  zwischen  dem 
Kaisertum  und  dem  Papsttum  schien  die  eigentlichen  Wur- 
zeln der  Religion  und  der  Loyalität  auszureißen,  und  das 
Schanspiel  eines  ausschweifenden,  ja  sogar  eines  offenkundig 
verworfenen  Lebens,  wie  es  viele  Mitglieder  der  höheren 
Geistlichkeit  führten,  hatte  fast  alle  Ehrfurcht  fflr  die  Kirche 
zerstört  Wie  die  Kirche,  so  war  auch  das  Reich  zerrissen; 
Niemand  wusste,  wer  Kaiser  sei,  und  wer  Papst  sei.  Das 
Interdikt   fiel   wie  ein   Mehltau  über  die  herrlichsten  Gefilde 


sich  in  einer  Liste  von  Büchern  des  zehnten  Jahrhunderts  aus  St. 
Emmeram  in  Augsburg,  Sermonen  ad  populum  teutonice;  vgl.  Nau- 
manns Serapeum,  1841,  p.  261.  Ein  Edikt  Karls  des  Großen,  in 
welchem  er  die  Bischöfe  beauftragt,  in  der  von  dorn  Volke  ver- 
standenen Sprache  zn  predigen,  geht  anf  das  Jahr  S13  zurück.  Es 
wurde  im  Jahre  S47  in  der  KirchenversammluDg  von  Mainz  unter 
Rhabanns  Manrus  wiederholt 


494 


FUnlzehiite  Vorlesung. 


Deutschlands  her,  Seuchen  alJer  Art  brachen  aus,  die  schIwS-  I 
lieh  mit  der   furchtbaren  HeimsuchDiig  des  aebwanen  '. 

(1348—1349}  endigten. 

Das  luterdikt. 


Dieses  Interdikt  bedentete  viel  mehr,  als  wir 
nur  vorBtelleu  können.  Die  Kirchen  waren  geschloaaen^ 
Glocken  durften  geläutet  werden.  Die  Priester  verließen  ibrr 
Gemeinden;  an  vielen  Orten  gab  ea  keine  Geistlichen,  Eiodtr 
zu  lattfeD,  Ehen  sn  vollziehen,  oder  die  Toten  zn  be^abro. 
Nur  an  wenigen  Orten  hatten  manche  Priester  den  Hot.  dem 
päpstlichen  Interdikt  Trotz  zu  bieten  und  bei  ihren  Schall- 
hefulilenen  zu  bleiben,  und  sie  thaten  dies  anf  die  0«fi>br 
ihres  Lebens  nnd  ihres  Seelenheils.  Ein  Schrecken  ging 
durch  das  ganze  Volk.  Sie  sahen  Gottes  Pinger  b  aUen 
Strafen,  die  tlber  ihr  Land  verhängt  wurden,  aber  sie  wiw- 
len  nicht,  wie  sie  seinen  Zorn  abwenden  könnten.  Vidt 
verbanden  sich  und  zogen  in  Scharen  von  Dorf  xa  Dorf,  in- 
dem sie  Psalmen  sangen  und  sich  CITenllich  auf  die  schreck- 
lichste Weise  geißelten.  Andere  ergaben  sich  dem  Trankt 
und  Auasciiweifungcn  aller  Art.  Viele  aber  zogen  ucb  gut 
von  der  Welt  zurück  nnd  widmeten  ihr  Leben  der  BMcbai- 
Itchkeit,  indem  sie  dem  baldigen  Herannahen  des  WaltudM 
entgegen  sahen. 


Das  Volk  und  die  Priester. 

In  jenen  Zeiten  auilerer  Unmhe  nnd  innerer  Verxwstf- 
lang  war  es,  wo  Manche  von  Jenen,  die  man  gewOhnlldi  ■)• 
die  deatschen  Mystiker  bezeichnet,  hau ptsltc blieb  Dorainikawt 
und  Franciskaner.  sich  dem  Dienste  des  Volkes  vidoetea 
Sie  fohlten,  dasK  nicht  einmal  das  päpstliche  Interdikt  iie  vM 
der  Pflicht  entbinden  kOnne,  die  sie  Gott  nnd  Ihren  Sfkntf 
befohlenen  schuldig  waren.    Sie  predigten,  wo  immer  tie  *!■* 


ChriBtliche  Theosophie.  495 

Gemeinde  finden  konnten,  in  den  Straßen,  anf  den  Wiesen, 
wo  immer  ein  paar  Lente  versammelt  waren,  und  was  sie 
predigten,  war  das  schlichte  Evangelium,  in  seinem  wahren 
oder,  wie  man  es  nannte,  mystischen  Sinne  ausgelegt.  Die 
Mönchsorden  der  Franciskaner  und  Dominikaner  waren  zu 
jener  Zeit  außerordentlich  thätig  und  sandten  Wanderprediger 
im  ganzen  Lande  herum.  Ihre  Predigten  waren  für  den 
Augenblick  berechnet,  und  nur  in  wenigen  Fällen  sind  sie 
in  lateinischer  oder  in  deutscher  Sprache  aufbewahrt  worden. 
Von  der  Art  waren  die  Predigten  Davids  von  Augsburg 
(f  127r  und  Berchtolds  von  Regensburg  (f  1272  .  Der 
Eindruck  ihrer  Predigten  muss  ganz  gewaltig  gewesen  sein. 
Wir  haben  Schilderungen  von  großen  Versammlungen,  die 
stattfanden,  wohin  immer  sie  kamen.  Die  Kirchen  waren 
nicht  groß  genug,  die  Menschenmengen  zu  fassen,  und  die 
Predigten  mussten  oft  außerhalb  der  Stadtmauern  gehalten 
werden.  Wir  hören  von  Versammlungen  von  40,000,  von 
100.000,  ja  von  200,000  Leuten,  obgleich  wir  allerdings  nicht 
vergessen  dfirfen,  wie  leicht  solche  Zahlen  von  freundlichen 
Berichterstattern  übertrieben  werden.  Die  Wirkung  dieser  Pre- 
digten scheint  eine  augenblickliche  gewesen  zu  sein.  So 
hören  wir  von  einem  Edelmann,  der  sich  ein  dem  Kloster  von 
Pfaefers  gehöriges  Schloss  nebst  Landgütern  angeeignet 
hatte  und  dieselben  sofort  wieder  zurückgab ,  nachdem  er 
Berchtolds  Predigt  gehört.  Als  Berchtold  gefangen  genom- 
men wurde,  predigte  er  dem  Manne,  der  ihn  gefangen  ge- 
nommen, und  bekehrte  nicht  nur  sein  ganzes  Hausgesinde, 
sondern  überredete  ihn  selbst,  sich  seinem  Orden  anzuschließen. 
Man  glaubte  sogar,  dass  er  die  Macht  besitze,  Wunder  zu 
wirken  und  zu  weissagen.  Ein  Jahr  vor  seinem  eigenen  Tode, 
als  er  eben  zu  Regensburg  predigte,  hatte  er  plötzlich  eine 
Vision  seines  Freundes  und  Lehrers,  Davids  von  Augsburg, 
und  er  prophezeite  seinen  Tod,  der.  wie  es  heißt,  gerade  in 
jenem  Augenblicke  eingetreten  war.  Eine  Frauensperson 
fiel,  während  sie  seiner  Predigt  zuhörte,  auf  die  Kniee  und 
bekannte  vor  der  ganzen  Gemeinde   ihre  Sünden.     Berchtold 


196 


Fünfzehnte  Vorlesung. 


Dahm  ihre  Beichte  an  und  fraj^te,  wer  die  Frau  beinten 
wolle,  indem  er  versprach,  ihr  eine  Mitgift  zu  geben.  Ela 
Mann  trat  vor,  und  sofort  Dammeite  Berchtold  unter  den 
Leuten  die  geoiine  Summe,  welche  or  ihr  als  Mitgift  zn  gthen 
versprochen  hatte.  Wir  wiaaen  natltrliofa,  wie  leicht  aolelu 
Oerflchte  anfireten  nnd  wie  rasch  sie  Ubertriobon  werdeD. 
Doch  können  uns  alle  diese  Bagen  als  Symptome  der  Beber- 
hsften  Erregung  gelten,  welche  diese  volkstttralichen  PredJytT 
damals  in  ganz  Deutschland  hervorriefen.  Kein  Wnader. 
dasa  diese  deutschen  Mystiker  und  die  'Gottesfreunde',  nie 
sie  genannt  wurden,  bei  der  ordentlichen  Qeiittlicfakeit  BJcU 
beliebt  waren.  Selbst  wenn  sie  so  orthodoxen  Orden,  wn 
den  Dominikanern  und  Franciskanern,  angehörten,  lioBra  1S« 
sich  gelegentlich  hinreißen,  Dinge  zu  sagen,  die  Ton  i» 
höheren  Geistlichkeit  nicht  gebilligt  wurden.  Sie  er^lT« 
nattlrlich  die  Partei  des  Volkes  in  ihren  Protesten  gegen  ili« 
gesellschaftlichen  Sttndeu  der  höheren  Klassen.  Das  Uppip 
Leben  der  Geistlichkeit,  namentlich  wenn  sie  einer  freadw 
Nation  angehörte,  begann  eine  nationale  Feindseligkeit  gegCB 
|{om  KU  erregen.  Und  dieses  feindselige  GefAhl  gegen  Kea 
war  nicht  die  einzige  Ketzerei,  wegen  deren  man  da«  tleot- 
sche  Volk  'und  die  deutschen  mystischen  Prediger  im  Ver- 
dacht hatte.  Sie  hatten  sich  auch  der  Hinneigung  n  dt« 
Waldenserij,  Älbigensern  und  im  Allgemeinen  zu  den  *fU- 
theistischen  Ketzereien'  [wie  man  sie  damals  nannt«)  *ordleb% 
gemacht.  Darüber  kunn  kein  Zweifel  sein,  daas  der  Bialnt 
der  Waldenser  sich  anf  Deutschland  erstreckte,  and  dtfl 
Manche  derselben  sich  damit  beschäftigt  hatten,  remltkU 
ÜbersetzuDgcii  in  der  Volkssprache  die  Kenntnis  der  BUmI 
unter  dem  Volke  in  Deutachland  zu  verbrelt«n.  In  tiam 
Buriuht  Über  die  Kirchenversammlung  von  Trier  (l331  B. 
Chr.)  lesen  wir,  dass  man  Viele  unter  dem  Volk«  getboden 
habe,  die  in  der  heiligeu  Schrift,  welche  sie  in  dcutwheB 
Übersetzungen  besäßen,  unterrichtet  gewesen  seien  (Mnlo 
eorum  instructi  eraut  in  Scriptiiria  sanctia  i]um»  liab«baiil  io 
thentonicura    tranaiatas).      Mau    beklagte    aleb,     dasi    ■(&»> 


ChriftUiche  Theosophie.  497 

kleine  Midchen  mit  den  Evangelien  und  Episteln  bekannt 
gemacht  worden  seien,  and  dasa  die  Lente  Stellen  ans  der 
Bibel  in  der  Volkäsprache  aaswendig  lernten  (Pnellas  panmlas 
doeent  evangelia  et  epistolas  —  dociles  inter  aliqnos  complices 
et  £Mandos  doeent  verba  evaagelii  et  dicta  apostolorom  et 
ianetomm  alionun  in  vulgari  lingna  corde  firmare).')  Die  Albi- 
geBser  scheinen  den  Namen  Katharij  'die  Reinen',  angenommen 
m  haben,  m^licherweise  in  Erinnemng  an  die  Kat/tarsü^ 
welche  der  Heno^U  voransging.  Ans  diesem  Namen  Ka- 
tiari  wurde  im  Deutschen  Kttzer  in  dem  Sinne  von  'Häre- 
tiker*. Die  Inquisition  für  Ketzerei  war  sehr  thitig,  ver- 
mochte aber  nicht,  die  religiöse  Bewegung  in  Deutschland 
an  unterdrücken.  Gerade  die  Orden,  welche  derselben  ent- 
gegenwirken sollten,  die  Dominikaner  und  Franziskaner,  waren 
selbst  vor  häretischer  Ansteckung  nicht  ganz  sicher.  Unter 
den  ersten  Dominikanern,  welche  als  volkstfimliche  Prediger 
berühmt  waren,  d.  h.  weiche  im  stände  waren  auf  Deutsch 
m  predigen,  finden  wir  den  Namen  des  berüchtigten  Inquisi- 
tors Konrad  von  Marburg,  der  im  Jahre  1234  um  seiner 
Grausamkeiten  willen  vom  Volke  erschlagen  wurde.  Die 
mystischen  Predigten  des  Albertus  Magnus  waren  lateinisch 
geschrieben  und  wurden  nachher  ins  Deutsche  abersetzt 
IHe  Leute  ergriffen  natflrlicherweise  Partei  filr  Jene,  die 
für  sie  Partei  ergriffen.  Für  sie  war  das.  was  man  mysti- 
sches Christentum  nennt,  das  einzige  Christentum,  das  sie 
▼erstanden  und  an  dem  ihnen  etwas  lag.  Sie  hatten  zu 
der  Zeit  sehr  wenig,  womit  sie  ihre  Gedanken  beschiftigen 
konnten,  und  ihr  Verlangen  nach  religiösem  Trost  wurde  um 
so  stärker,  je  weniger  es  in  den  politischen  Ereignissen 
jener  Zeit  gab,  das  ihre  Gedanken  bitte  fesseln  oder  ihren 
Ehrgeiz  befriedigen  können. 


l    Wackemagel  uud  Weinhold.  .iU'Uui-rhK  rrz^ii^m.  p.  ;J4T, 


Xax  Xlki:<r.  Tlie<:4^ph:«.  :r2 


Fünf  lehnte  Vorleaiins. 


Domlulbaiier  nnd  Franzi  skalier« 

Man  knon  mit  Recht  behaupten,  dasa  die  grol 
des  deutschen  Volkes  dureh  diese  Dominikaner-  und  Fnn- 
Eiskanar-Mönche  zum  ersten  Hai  mit  ihrer  Religion  in  lebfn- 
dige  BerÜlimDg  kam,  80  sehr  wir  auch  die  Gelehraamkeil 
ntid  den  logischen  Scharfsinn  der  Scholastiker  beirunden 
mögen,  so  ist  es  doch  leicht  einzusehen,  dass  die  Fragen, 
welche  sie  erörterten,  keine  Fragen  waren ,  welche  je  das 
rcligiiise  Denken  oder  die  Lebensweise  der  Massen  beein- 
flnssen  konnten.  Man  hatte  lange  geftlhlt.  dass  man  et«ai 
Anderes  nnd  etwas  mehr  brauchte,  und  dieses  Etwas  Andere* 
und  dieses  Etwas  mehr  schien  am  besten  in  dem  geboten  n 
sein,  was  man  mystisches  Christentum  nannte  und  was  Dii>- 
nysins  die  Stuha  Sapientia  txcedens  latidantes.^)  »die  nbef 
alles  Lob  erhabene  schlichte  Weisheit*,  genannt  hatte. 

Diese  schlichte  Religion,  glanbte  man,  entspringe  aoi 
der  Liebe,  welche  Gott  selbst  in  die  menschliohe  Seele  ff- 
gössen,  während  die  menschliche  Seele,  indem  sie  Oott  UeU. 
bloß  die  Liebe  Gottes  erwidert.  Diese  Religion  bedarf  kei- 
ner großen  Gelehrsamkeit,  sie  ist  fflr  die  Armen  und  B^ei 
im  Geiste  beabsichtigt.  Sie  sollte  den  Menschen  ans  ■!« 
stflrmischen  See  seiner  Begierden  nnd  Leidenschaften  In  dn 
sicheren  Hafen  des  Ewigen  führen,  damit  er  dort  in  ■!» 
Liebe  Gottes  festgeankert  bleibe,  während  man  EugMUnd. 
duss  die  scholastische  nder,  wie  man  sie  nannte,  lilterariscii* 
Religion  keine  Ruhe  gewähren,  sondern  nur  ein  ewi|;  mpr 
stilltes  Verlangen  nach  Wahrheit  nnd  nach  Sieg  enw^ 
kSnne. 

Ea  lag  aber  keine  Notwendigkeit  vor.  die  Oelehrsaakvil 
von  der  mystischen  Religion  zu  trennen ,  wie  wir  bd  fit 
AngnstinnB,  bei  Bonaventura,  bei  St.  Bemanl  nnd  noch  ciB- 
mal  bei  Heister  Eckhnrt  nnd  Vielen   der  denlacheB  Mritäet 


}  Stilckl,    fltsehirhtr    ärr    Fhilonoyhir    ,1,-H     MitUtdttn,    Bd  I, 


Christliche  Theosophie.  499 

sehen  können.  Diese  Männer  hatten  zwei  Gesichter,  das 
Eine  fiElr  die  Doktoren  der  Theologie,  ihre  gelehrten  Neben- 
buhler, and  das  andere  fflr  die  Männer,  Frauen  und  Kinder, 
die  kamen,  nm  Predigten  von  der  Art  zu  hören,  wie  Meister 
Eckhart  sie  —  sei  es  in  lateinischer  Sprache  oder  in  der 
Mnndart  des  Volkes  —  predigen  konnte.  Zuerst  waren  diese 
▼olkstümlichen  Prediger  keine  gelehrten  Theologen,  sondern 
einfach  beredte  Prediger,  welche  von  Dorf  zu  Dorf  zogen 
und  auf  das  Gewissen  der  Bauern,  auf  Männer  und  Frauen, 
in  ihrer  Muttersprache  einzuwirken  suchten.  Sie  bahnten 
aber  den  Weg  fttr  die  deutschen  Mystiker  der  nächstfolgen- 
den Generation;  und  diese  waren  nicht  mehr  bloße  gutmütige 
Bettelmönche,  sondern  gelehrte  Männer,  Doktoren  der  Theo- 
logie, und  manche  von  ihnen  sogar  hohe  Würdenträger  der 
Kirche.  Die  bekanntesten  Namen  unter  diesen  sind  Meister 
Eckhart,  Tauler,  Suso,  Ruysbrook,  Gerson  und  Kardinal 
Cusanus. 

Eckhart  und  Tanler. 

Jeder  von  diesen  Männern  verdient  ein  Studium  fflr  sich 
selbst.  Der  Bekannteste  und  Anziehendste  ist  ohne  Zweifel 
Tauler.  Seine  Predigten  sind  oft  herausgegeben  worden;  sie 
wurden  ins  Lateinische,  ins  Neuhochdeutsche,  und  manche 
derselben  auch  ins  Englische  übersetzt.  Sie  werden  noch 
immer  in  Deutschland  zur  Belehrung  und  Erbauung  gelesen. 
und  sie  sind  dem  Verdacht  der  Ketzerei  entronnen,  der  so 
oft  und  vielleicht  nicht  ganz  ohne  Grund  gegen  Meister 
Eckhart  ausgesprochen  worden  ist.  Dennoch  ist  Meister 
Eckhart  ein  viel  gewaltigerer  und  originellerer  Denker,  und 
was  sich  bei  Tauler  von  wirklicher  Philosophie  findet,  scheint 
von  ihm  entlehnt  zu  sein.  In  den  deutschen  Schriften 
Eckharts,  die  zum  ersten  Mal  von  Pfeiffer  ;iS57)  heraus- 
gegeben wurden,  findet  das  mystische  Christentum  oder,  wie 
man  es  richtiger  nennen  könnte,  das  Christentum  nach  der 
Auffassung  des  Johannes  seinen  höchsten  Ausdruck.     Es  ist 

:{2* 


500 


FlinfzeLnte  VorlflBUng. 


schwer  zu  sageu,  ob  or  mehr  ein  bc  ho  last!  scher  l'hiloMpb 
üder  ein  mysÜBcher  Theolog  ist.  Die  gottlnat:  Scheidung  zwi- 
schen Religion  nnd  Philosophie  wu  fUr  ihn  nicht  rorhanden. 
Sondert  Jahre  ipftter  musate  eiu  so  heiliger  und  i>rthodoi«r 
achriftstoUer  wie  Gerson  die  Geistlichen  warnen,  dttsi  n«. 
wenn  sie  die  Religion  von  der  Philosophie  treanteo.  bude 
zerstören  würden.']  Obgleich  Meisler  Eckharl  fortwIÜireBd 
auf  die  Bibel  Bezng  nimmt  und  sich  anf  sie  stiilzt,  beruft  et 
sich  doch  nie  einfach  »uf  ihre  Autorititl,  um  die  WnhrbEtt 
seiner  Lehre  fostzustellen.  Seine  Lehre  stimmt  mit  den  Lehr» 
des  Johannes  nod  des  Paulus  Uberein ,  doch  suUle  sie  dntth 
sich  selbst  llberfeugend  sein,  i^r  glaubte  zeigen  in  kännea,  dau 
das  Christentum,  weun  es  nur  richtig  verstanden  werde,  all« 
IteilOrfnisse  sowohl  des  menschlichen  Uerzeas  als  der  menacli- 
n  kOnne.  Jede  Lehre  des  Neaet 
angenommen,  aber  sie  wird  vm 
und  erst  nachdem  sie  dai«h  da* 
Feiter  seines  eigenen  Geistes  gegangen,  von  ilini  &ls  ewig« 
Wahrheit  gepredigt.  Er  citiert  sowohl  die  heidnischen  Ldn- 
rer.  als  auch  die  Eirchenv&ter,  nnd  er  bcrufl  sich  lOWÖIa 
auf  die  Ersteren,  indem  er  annimmt,  dass  sin  einen  Iwasens 
Einblick  in  gewisse  Mysterien  bes&ßen,  als  selbst  die  ehiit^ 
liubeu  Lehrer.  < 

Er  ist  immer  höchst  emphatisch  in  der  Rchauptaac  d*r 
Wahrheit.  >lßh  spreche  zu  eucti,>  siLgt  er,  •im  !{>■«■ 
der  ewigen  Wahrheit.-  »So  wahr  üotl  lobt.«  «Bi  gnt«,  bi 
goie,<  >bei  Gott,  bei  Gott,«  kommt  so  oft  vor,  das»  man  tut 
geneigt  sein  kennte,  die  Abloitaug  von  >bigDtt*  annanalnaen. 
wonach  es  ursprOnglich  omen  Mauu  bezeiobuet«,  der  »ich  I« 
jeder  Gelegenheit  auf  Goit  beruft,  dann  einen  Scheinb^ipb 
und  eodlich  einen  l-'anatiker.  Eckharta  Haltung  ist  jedad 
uiehi  die  vieler  minder  aufrichtigen  christlicheii  l'hiluaopheo. 
welche  ihre  Philosophie  gewaltaun  mit  der  Bibel  in  Kirt'"C 


liehen  Vernunft  befriedig 
TesUments  wird  vun  ihi 
ihm    selbst   durchdacht, 


1)  Dom   a  religione  «ec 
perdunt.    äerson,  Serw.  I. 


I!  Iiutnni  philosophiaat. 


Christliche  Theoeophie.  ^1 

zu  bringen  suchen ;  sondern  vielmehr  die  eines  unabhängigen 
Denkers,  der  sich  jedesmal  freut,  wenn  er  die  Resultate 
seiner  eigenen  Spekulationen  in  der  Bibel  vorweggenommen  und 
gleichsam  verborgen  findet.  Auch  beruft  er  sich,  so  viel  ich 
mich  erinnere,  nie  auf  Wunder  zum  Beweise  der  Wahrheit  des 
Christentums  oder  der  wahren  OOttlichkeit  Christi.  Wenn  er  auf 
Wunder  zu  sprechen  konunt,  so  sieht  er  gewöhnlich  eine  Alle- 
gorie in  denselben,  und  er  behandelt  sie  nicht  viel  anders, 
als  die  Stoiker  den  Homer  oder  als  Philo  das  Alte  Testament 
behandelte.  Sonst  hatten  Wunder  kein  Interesse  fiElr  ihn. 
In  einer  Welt,  in  der,  wie  er  fest  glaubte,  kein  Sperling  auf 
die  Erde  fUlet  ohne  den  Vater  (Matth.  X,  29)  —  wo  war 
da  Platz  f&r  ein  Wunder?  Seine  Auslegung  der  Bibel  stand 
ohne  Zweifel  —  und  er  sagt  es  oft  selbst  —  nicht  immer 
in  Einklang  mit  der  der  großen  Doktoren  der  Kirche.  Manehe 
von  seinen  Spekulationen  sind  so  kflhn,  dass  man  sich  nicht 
darüber  wundem  kann,  dass  er  sich  dem  Verdacht  der 
Ketzerei  ausgesetzt.  Selbst  in  unseren  mehr  aufgeklärten 
Zeiten  würden  manche  von  seinen  Theorien  über  die  Gott- 
heit ohne  Zweifel  sehr  verblüffend  klingen.  Er  scheint  es 
manchmal  darauf  abgesehen  zu  haben,  seine  Gemeinde  zu 
verblüfften,  so  wenn  er  sagt:  >Wer  behauptet,  dass  Gott  gut 
ist,  beleidigt  ihn  ebensosehr,  als  wenn  er  sagen  würde,  dass 
Weiß  schwarz  istc  Und  doch  blieb  er  stets  ein  treuer  und 
gehorsamer  Sohn  der  Kirche,  nur  nach  seiner  Weise.  Wie 
andere  unabhängige  Denker  jener  Zeit  erklärte  er  sich  stets 
bereit,  alles  und  jedes  Ketzerische  in  seinen  Schriften  sofort 
zu  widerrufen,  nur  forderte  er  seine  Gegner  auf,  zuerst  zu 
beweisen,  dass  es  ketzerisch  sei.  Die  Folge  war,  dass  man 
ihm,  trotzdem  er  von  dem  Erzbischof  von  Köln  im  Jahre  132() 
der  Ketzerei  angeklagt  wurde,  bei  Lebzeiten  nichts  Ernst- 
liches anhaben  konnte.  Nach  seinem  Tode  aber  wurden  von 
achtundzwanzig  seiner  Behauptungen,  welche  als  ketzerisch 
zur  päpstlichen  Verurteilung  ausgewählt  worden  waren,  die 
ersten  fünfzehn  und  die  beiden  letzten  thatsächlich  verur- 
teilt, während  die  übrigen  elf  als  verdächtig  erklärt  wurdan. 


502 


fünfiebon?  Vorlt^Buiiy- 


Ea  war  dauu  zu  spät  für  Meister  Et^kliHrl,  zu  beweUen,  <Usa 
nie  nichl  ketzerisch  seieo, 

Eckhart  war  offenbar  ein  gelehrter  Theolog  und  aeiue 
Verleumder  fürchteten  sich  vor  ihm.  Er  kaDote  seinen  PUtO 
und  äeioeu  Ariatotelea.  Wie  sehr  er  Plalo  bewunderte,  zeip 
:tm  besten  der  Umstand,  dass  er  ihn  den  großen  Priesio 
Der  t/r</ze  Pfaffe,  p.  2C1,  Z.  21)  nannte.  AristoteUs  iil 
fiir  ihn  einfach  der  Meister.  Er  hatte  den  Proclus  od«r 
Procnliis,  wie  er  ihn  nennt,  studiert,  und  er  bezieht  sich  oft 
auf  Cicero,  auf  Seueca  und  selbst  auf  den  arabischen  Plül»- 
sophen  Avicenna.  Er  beruft  sieb  häufig  auf  St.  Ohrywülo- 
mus,  Dionysius,  St.  Augustinus  und  andere  KirohenvAter  nsd 
hat  offenbar  den  Thomas  von  A<[uiDo  studiert,  der  fut  kU 
sein  Zeitgeuoäse  bezeiuhnet  werden  knnn.  Er  hatte  in  der 
That  eine  gründliche  scholastische  Bildung  genossen,')  nnd 
konnte  es  mit  den  beuten  unter  den  Verteidigern  der  Sirctie 
aufnehmen.  Eckhart  hatte  auf  der  Universität  Paris  stoditR 
und  niiobher  gelehrt  und  hatte  seinen  Doktorgrad  der  ThM- 
logie  von  Papst  Bonifacius  Vlll.  empfangen.  Itn  Jaliro  I3u4 
wurde  er  der  Previnzial  des  Ordens  der  Dominikaner  !■ 
Sachsen,  obgleich  sein  Wohnsitz  in  Köln  blieb.  Er  vurdc 
aui'h  zum  GruUvikar  von  BOhmen  ernannt  und  rciate  vid  il 
Deutschland  herum,  indem  er  die  Klöster  seines  Ordeu  b^ 
suchte  und  sie  zu  reformieren  trachtete.  Er  kehiW  i^ 
immer  wieder  zum  Hhein  zurück  und  starb  zu  KOln  vilu* 
soheinlich  im  Jahre   !H27. 

Kckharl  ist  von  verschiedeneu  Leuten  ttehr  v«r»cUed«D 
beurteilt  worden.  Vuii  Jenen,  welche  ihn  uiohl  vendehM 
konnten,  wurde  er  als  ein  Träumer  und  beiuabe  ein  Vei- 
rücktor  bezeichnet;  Andere,  die  ihm  geistig  ebenbOrti^;  wsrM, 
uannteu   ihn   den   weisesten    Doktor,   den   Ootteafreniid,  dei 


1]  Wie  viel  Eokliart  seiner  scttolasiiaciieu  Bildung  vcnbakte, 
hat  U.  DeniQe  in  seineoi  geehrten  Aufsatz,  MtUUr  Etktt>^i»Vt 
teinuchii  Sehri/tai  und  dir  OruHdanachauunff  »einer  Ldkn,  !■  jInAm 
/flr  Liüeratur  und  KirchntgeaehicMv.  B<t  II,  Heft  3.  4,  achr  fVlVO- 

üeriihrt. 


Christliche  Theosophie.  503 

besten  Ausleger  der  Gedanken  Christi,  des  Johannes  and  des 
Paulos,  den  VorlAufer  der  Reformation.  Er  war  ein  vir 
siMcitut  selbst  nach  dem  Zeugnisse  seiner  bittersten  Feinde. 
Viele  Leute  glauben  ihn  abgethan  zu  haben,  wenn  sie  ihn 
einen  Mystiker  nennen.  Er  war  ein  Mystiker  in  dem  Sinne, 
in  dem  Johannes  es  war,  um  keinen  größeren  Namen  zu 
nennen.  Luther,  der  deutsche  Reformator,  war  nicht  ein 
Mann  der  Träumerei  und  der  Sentimentalität  Niemand 
würde  ihn  einen  Mystiker  in  dem  landläufigen  Sinne  des 
Wortes  nennen.  Doch  war  er  ein  großer  Bewunderer  Eck- 
harts,  wenn  wir  in  der  That  Eckhart  für  den  Verfasser 
der  Theologia  Germanica  halten  dürfen.  Ich  muss  ge- 
stehen, ich  bezweifle,  dass  er  der  Verfasser  ist,  doch  ist  das 
Buch  jedenfalls  von  seinem  Geiste  durchdrungen,  namentlich 
was  das  werkthätige  Leben  des  wahren  Christen  anbelangt.^) 
Folgendes  schreibt  Luther  über  dieses  Buch:  »Aus  keinem 
Buche  mit  Ausnahme  der  Bibel  und  der  Werke  des  St. 
Augustinus  habe  ich  mehr  gelernt,  was  Gott,  was  Christus, 
was  der  Mensch  und  was  andere  Dinge  sind,  als  aus  diesem 
Buche«  (Luthers  IFerAe,  1S&3,  Bd.  I,  S.  37S).  Ein  Denker 
ganz  anderer  Art,  aber  gleichfalls  kein  Träumer  oder  Sen- 
timentalist, Schopenhauer,  sagt  von  Eckhart,  dass  seine  Lehre 
sich  zu  dem  Neuen  Testament  verhalte,  wie  Weinessenz  zu 
Wein. 

Henry  More,  der  Cambridger  Platoniker,  ein  anderer 
ei£riger ' Bewunderer  der  Theologia  Germanica^  spricht  von 
derselben  als  »dem  goldenen  Büchlein«. 

Eckharts  Mjsticismni*« 

Es  ist  ein  großer  Irrtum,  zu  glauben,  dass  Meister  Eck- 
harts sogenannter  Mysticismus  eine  Sache  des  vagen  Gefühls 


1)  Das  Buch  ist  von  Miss  Winkworch  ins  Englische  übersetzt 
worden  und  wurde  von  meinen  verstorbenen  Freunden,  Frederick 
Maurice,  Charles  Kingsley  und  Baron  Bimsen  hoch  geschätzt. 


504 


Fünfiehnie  VitrleBiing 


gewesen  sei.  Im  Gegenteil,  er  w^r  anf  der  fr«ten  Qnindlig« 
der  scbol Itatischen  Philosophie  Aufgebaut  nn^  liit^lt  der  Keih* 
nach  den  Angrißen  der  geschieicteatpn  scbolaatiaeheo  Wid«r> 
SBcher  stand.  Wie  ^&nz  und  gar  sein  G«ist  mit  der  selu»- 
lastischen  Philosophie  getr&nkt  «ar.  ist  UBlüngat  von  Deinb 
in  einigcD  gelehrten  Äaßtätzen  bewiesen  worden.  leb  gebe 
m.  seine  Schriften  sind  nicht  immer  leicht.  Vor  Allem  tisd 
sie  im  MittelliochdentitdieD  geschrieben,  in  einer  Sprache,  die 
nur  durch  nngelShr  biindert  Jahre  von  dem  Deatscben  d« 
Nibelnngenliedea  getrennt  ist.  Und  seine  Sprache  ttt  ta 
ganz  and  gar  ihm  eigentomlicb,  dass  es  zuweilen  sehr  schw« 
ist,  den  genauen  Sinn  »einer  Worte  zu  erfassen,  nnd  noeh 
schwieriger,  denselben  im  Englischen  wiederzngebon.  Ea  T«r- 
halt  sich  damit  ebenso  wie  mit  den  t'panishaden.  DisWorta 
selbst  sind  leicht  genug,  es  ist  aber  oft  sehr  schwer,  Atm 
allgemeinen  Gedankengang  eo  folgen. 

Mir  scheint  es,  dass  das  Stndiam  der  Upanishaden  (41 
die  allerbeste  Vorbereitung  »uf  ein  richtiges  VorstAudoi*  d« 
Traktate  nnd  Predigten  Meister  Eckbarts  ist  Die  geisttp 
Atmosphäre  ist  genan  dieselbe,  nnd  wer  gelernt  hat,  ii  dir 
einen  zn  atmen ,  wird  sich  bald  in  der  anderen  helnuMk 
niiilen. 

Leider  wäre  es  ganz  unmöglich,  Ihnen  auch  nnr  cna 
noch  bo  kurzen  Abriss  des  ganzen  psychologischen  und  mntapli^ 
siechen  Systems  Meister  Eckbaris  zu  geben.  Ks  verdi«»!  nn 
seiner  selbst  willen  studiert  tu  werden,  ganz  ebennossJir  «ie 
die  metaphysischeu  Systeme  des  Aristoteles  odvr  dn  Dt*- 
carles.  und  es  würde  sich  fUr  irgend  einen  kOnfltgcn  (liffiard- 
Lektor  gar  wobl  der  Muhe  verlohnen,  den  ganzen  Ueet- 
reichtum,  der  in  Eckharts  Schriften  allerorten  verstreut  ist, 
zusammenzostelleD.  Ich  kann  hier  nur  einige  wenige  Poakte 
berühren,  die  auf  nnseren  speciellen  Gegon»luid,  die  Naloi 
Gottes  und  der  menschlichen  Seele  und  das  VerhJÜlnU  zwi- 
schen den  Beiden,  Bezug  haben. 


ChriBtliche  Theofiophie.  505 

Eekharts  Definition  der  Gottheit. 

Eckhart  definiert  die  Gottheit  als  bloßes  esse,  als  actu^ 
purtis.  Dies  ist  rein  seholastiaeh,  and  sogar  Thomas  Ton  Aqnino 
selbst  wttrde  wahrscheinlich  gegen  Eckharts  wiederholte  Be- 
hauptung ^Esse  est  Deus'  nichts  eingewendet  haben.  Naeh 
ihm  gibt  es  nichts  Höheres  und  kann  es  nichts  Höheres  ge- 
ben, als  Sein.  ^)  Er  beruft  sich  nattlrlich  auf  das  Alte  Testa- 
ment, um  zu  zeigen,  dass  ^Ich  Un^  der  einzig  mögliche  Name 
der  Gottheit  ist.  Darin  unterscheidet  er  sich  nicht  sehr  von 
Thomas  von  Aquino  und  anderen  scholastischen  Philosophen. 
St.  Thomas  sagt:  Ipswn  esse  est  perfeciissimum  omnium, 
romparatur  enim  ad  omnia  ut  actus  .  .  .  unde  ipsum  esse 
est  actualitas  omnium  rerum  et  etiam  ipsarum  formarum.') 
Da  Gott  ohne  Eigenschaften  ist,  so  ist  er  für  uns  unwissbar 
und  unbegreifbar,  verborgen  und  dunkel,  bis  die  Gottheit 
durch  ihr  eigenes  Licht  erleuchtet  wird,  nftmlich  das  Licht 
der  Selbsterkenntnis,  durch  welches  es  subjektiv  und  objektiv, 
Denker  und  Gedanke  oder  —  wie  die  christlichen  Mystiker 
sich  ausdrücken  —  Vater  und  Sohn  wird.  Das  Band  zwi- 
schen den  Beiden  ist  der  heilige  Geist.  So  wird  die  Gott- 
heit, die  göttliche  Wesenheit  oder  Ousia,  zu  Gott  in  drei  Per- 
sonen. Indem  der  Vater  sich  selbst  denkt,  denkt  er  Alles,  was 
in  ihm  ist.  d.  h.  die  Ideen,  die  Logoi  der  ungesehenen  Welt. 
Hier  steht  Meister  Eckhart  völlig  auf  dem  alten  Standpunkt 
der  Platonischen  und  stoischen  Philosophie.  Er  ist  fiberzeugt, 
dass  Gedanke  und  Vernunft  in  der  Welt  herrscht,  und  er 
schließt  infolgedessen,  dass  die  Welt  des  Gedankens,  der 
■/.öauo^  vor^vd^^  nur  der  Gedanke  Gottes  sein  kann.  Dies 
zugegeben,  folgt  alles  Andere  von  selbst.  >Der  ewige  Ge- 
danke oder  das  Wort  des  Vaters  ist  der  eiugeborne  Sohn. 
und<   fügt  er  hinzu,   >  unser  Herr  Jesus  Christus.  <^ 


1     Vgl.  Denifle,  MeiaUr  Eckeharts  lattini^cht  Schriften,  p.  436. 

2;  Siehe  Denifle  a.  a.  0. 

3   Daz  sei  man  also  verstaD.    Daz  ewige  wort  ist  daz  wort 


506 


Fünfzehnte  \'o riesung. 


Wir  Beben  hier,  wie  Bckliail  die  alte  Klek»ndriiii>>cbe 
Sprache  gebrancht  nnd  die  ewigen  Ideen  nicht  Dur  als  vinlr, 
sondern  nach  ä.h  Eine,  »la  den  Logos,  auffaset,  in  welchem 
alle  Dinge,  wie  sie  von  dem  Vater  ausgedacht  worden,  Fins 
sind,  ehe  sie  in  der  phäuotneiialen  Welt  zu  Vielen  wurdea. 
Allein  Meiatei'  Eckhart  lässt  ea  sich  sehr  angelegen  sein,  u 
zeigen,  dass  zwar  alle  Dinge  der  Kraft  nach  in  Gott  »tUa, 
dasd  aber  Gott  nicht  thatsächlich  in  allen  Dingen  aeL  Wie 
der  Vedäntist,  spricht  er  von  Goti  als  der  univeruüen  Tr- 
saclte ,  behaaptet  aber  doch  ein  anDerwcltlicbes  Daä«(a  19a 
ihm.  .Gott,'  achreibt  er,  »ist  außerbalb  aller  Katur,-[ 
nicht  selbst  die  Natur,  n  iat  über  ihr.«  ') 

Und  doch  wird  Meister  Eckhart  alo  Pantbeist  bei 
und  zwar  vou  Männern,  welche  kaum  die  Bedentni^  ttk 
Pantheismus  oder  von  Christentum  zu  wissen  scheinen.  Cnd 
weun  er  weiterhin  zu  sagen  wagt ,  dass  die  Welten,  soirobl 
die  ideale  als  auch  die  phänomenale,  vvu  Gott  gedacht  and 
geachalTen  worden  aeicn  um  seiner  gdtllichen  Liebe  willen, 
nnd  darum  aus  Notwendigkeit  und  vou  aller  Ewigkeil  her. 
so  wird  auch  dies  wieder  als  Ketzerei  gebrandmarkt .  als  ob 
es  in  dem  göttlichen  Katschluea  irgend  einen  Widerstreit,  «li 
oh  es  bei  Gott  irgend  eine  Verschiedenheit  zwischen  dem, 
was  wir  Notwendigkeit   und   was  wir  Freiheit  nennen,  p**ii 


des  vater   und    ist    sin    eiubürn    sun,    unser   herre  Jeans  Kriww 
tvükliart,  ed.  Pfeiffer,  p.  76,  Z.  25. 

I)  Daz  got  etwaz  ist,  dax  von  not  über  wesen  al»  rauoi,  Vt* 
wuaen  häi,  zit  oder  stat,  das  hüret  ae  gota  niht,  er  ist  über  iu 
selbe;  daz  er  ist  ia  allen  crSatüren,  dai  ist  crdocb  dar  DWr:  im 
ilä  in  vil  dingen  elu  ist,  daz  uuoz  von  not  ü\mr  dia  dlno  *!*■ 
Pfeiffer,  a.  a,  0.,  p.  2U6 ,  Z.  to.  Siebe  auch  Eckhar»  lairiniKhf 
Version:  Dens  aic  totus  est  in  ijuolibet,  quod  tocus  est  mui 
(juodlibot,  et  propter  hoc  ea  quae  sunt  cujiietibet,  ipai  nun  e«DVt- 
niunt,  putM  variari,  senescere  uut  uorrumpi.  .  ,  .  Iliuc  ott  i|Uirf 
anima  nuu  variatur  nuc  seneseit  ueo  desinit  extrecto  oruhi  kti 
pode,  quia  ipsa  se  tota  est  estra  oculum  et  pedem,  in  manu  tuU 
üt  In  qualibet  parte  alia  tota.  Dooiäe,  a.  a-  0.,  p.  4^u.  Pfulfrc 
a.  H.  0.,  p.  612,  Z.  2S. 


Christliche  Theosophie.  507 

könnte.*)  Wenn  die  menschliche  Sprache  überhaupt  diese 
schwindligen  Höhen  der  Spekulation  erreichen  kann,  so 
scheint  nichts  mit  der  christlichen  Lehre  besser  in  Einklang 
zu  stehen,  als  wenn  man  mit  Eckhart  sagt:  >6ott  schafft 
immerfort,  nnd  sein  Schaffen  besteht  darin,  dass  er  seinen 
Sohn  erzeugt.« 

Schöpfung  ist  Emanation* 

Was  man  gewöhnlich  als  Schöpfung  bezeichnet,  wird  von 
Eckhart  als  Emanation  aufgefasst.  In  diesem  Punkt  stimmt 
er  ganz  mit  Thomas  von  Aquino  und  Vielen  der  orthodoxe- 
sten Theologen  überein.  Ich  will  nicht  Dionysius  oder  Scotus 
Erigena  anführen,  da  deren  Orthodoxie  oft  angezweifelt  wor- 
den ist  Aber  Thomas  von  Aquino  erklärt  in  seiner  Summa^ 
p.  2,  qu.  19,  a.  4  ohne  jedes  Bedenken  die  Schöpfung  als 
emanatio  totius  entia  ab  uno^  ^eine  Emanation  alles  Seien- 
den aus  Einem'.  Ja,  er  geht  weiter  und  behauptet,  dass 
Grott  der  Möglichkeit  nach,  seinem  wahren  Wesen  nach,  und 
in  Wirklichkeit  in  allen  Dingen  gegenwärtig  sei:  per  poten- 
tiam,  essentiain  et  praesentiam ;  per  essentiarn^  nam  omne 
ens  est  participatio  dicini  ease ;  per  potentiam ,  in  quan- 
tum  omnia  in  vir  tute  ejus  agunt;  per  praesentiam  ^  in 
{Quantum  ipse  omnia  immediate  ordinat  et  disponit.'^) 
Solche  Ideen  würden  von  vielen  lebenden  Theologen  als 
pantheistisch  gebrandmarkt  werden,  und  folglich  auch  viele 
Stellen  selbst  aus  dem  Neuen  Testament,  wo  Gott  als 
Alles  in  Allem  dargestellt  wird.  Aber  Eckhart  argumen- 
tierte ganz  folgerichtig,  dass  es  keinen  Rückfluss  der  Seele 
zu  Gott  geben  könne,  wenn  man  nicht  zugeben  wolle,  dass  die 
Seele  des  Menschen  ein  Ausfluss  \  on  Gott  sei,  und  dies  ist  nach 


1)  Der  verurteilte  Satz  lautete:  Quam  cito  Deua  fuit,  tarn 
cito  mundum  creavit  Concedi  ergo  potest  quud  mundas  ab  aeterno 
fuerit. 

2)  Stöckl,  Geschichte  der  Philosophie  des  Mittelalters,  Bd.  II, 
p.  519. 


hm 


PUnfzelraCe  VoiIeBnng. 


Eckhart  der  Kornponkt  des  wahren  Christcatuma.     Ein«  Ultr 
kxnn  nicht  zu  dem  Uhrmacher  zurttckkehren,  ab6r  oin 
tropfen    kann    zd    dem    Ocesn    zurQckkehreii ,    an 
emporgehoben  ward,  und  ein  Lichtstrahl  ist  immei 

»Alle  OeschSpfe.i  schreibt  er.  >sind  in  Oott  a) 
schaffen,  aber  nicht  an  und  für  sich.«  Die»  scheint  SeA 
wold  zu  bedeuten.  das3  die  Ideen  aller  Dinge  in  Üott  waren, 
ehe  die  Dinge  selbst  geschaffen  eder  offenbar  gemacht  wor- 
den. »Alle  (ieachöpfe, '  ftlhrl  er  fürt,  -aind  in  Gott  edler- 
als  an  nnd  fUr  sich.  Gott  wird  darnm  keineswegs  mit  der 
Welt  verwechselt,  wie  es  Amalrich  und  alle  Pantheistea  gv- 
than  haben.  Die  Welt  ist  nicht  Gott,  nnd  Gott  ist  nicht  itit 
Welt.  Das  Sein  der  Welt  ist  von  Gott,  aber  es  ist  versohii^ 
den  von  dem  Sein  Gottes.«  Eckhart  nimmt  in  Wirklichk^ 
zwei  Prozesäe  an,  einerseits  die  ewige  Schöpfung  in  Gott  uti 
andererseits  die  Schöpfung  in  Zeit  und  Kanm.  Dies«  lelxlert 
Schöpfung  unterscheidet  sich,  wie  er  sagt,  von  der  enteren, 
wie  ein  Kunstwerk  sich  von  der  Idee  desselben  in  dem  Oeisl* 
des  Ktlnstlers  nnterscheidet. 


Die  n 


schllclK'  Seele. 


Bckhart  betrachtet  die  menachllohe  Seele  wie  all«  Ai* 
dere  als  durch  die  Schöpfung  von  Gott  ausgesproehAoe  Oft- 
danken. Wenn  aber  auch  die  Seele  nnd  alle  Kr&fi«  der 
Seele,  wie  Wahrnehmung,  Gedächtnis,  Verstand  und  Willi. 
geschaffen  sind,  so  ist  doch,  glaubt  er,  etwas  In  der  Swb 
u nge schaffen ,  etwas  Göttliches,  ja  die  Gottheit  selbdi.  Diw 
war  wieder  eine  von  den  Thesen,  welche  nach  sainem  IW 
fOr  ketzerisch  erklart  wurden,') 

In  derselben  Weise  also,  wie  die  Gottheit  oder  A« 
göttliche  Grund  ohne  alle  erkennbaren  Cigenschaft«n  ist  nod 


1|  Aliquid  est  in  ai 
ai  io(a  anima  esset  tallfi,  < 
lollfclns. 


CbrUtliche  Theosophie.  509 

nieht  erkannt  werden  kann,  anßer  als  seiend,  so  ist  anch 
das  göttliche  Element  in  der  Seele  ohne  Eigenschaften  nnd 
kann  nicht  erkannt  werden  anßer  als  seiend.  Dieser  gött- 
liche Fonke,  obgleich  er  eine  Zeit  lang  dnrch  Unwissenheit. 
Leidenschaft  oder  Sflnde  bedeckt  und  verborgen  sein  kann, 
ist  nnvergftnglich.  Er  gibt  uns  Sein,  Einheit,  Persönlich- 
keit nnd  Subjektivität,  nnd  da  er,  ebenso  wie  Gott,  subjektiv 
ist  nnd  also  nur  ein  Erkennender  sein  kann,  kann  er  nie 
objektiv  erkannt  werden,  in  der  Weise  wie  alles  Andere 
objektiv  erkannt  wird. 

Dieses  göttliche  Element  in  der  menschlichen  Seele  ist 
es,  wodurch  wir  mit  Gott  Eins  sind  nnd  Eins  werden.  Der 
Mensch  kann  Gott  nicht  objektiv  erkennen,  aber  er  kann  in 
dem,  was  Eckhart  die  mystische  Selbstbeschauung  nennt, 
seine  Einheit  mit  dem  Göttlichen  fühlen.  So  schreibt  Eck- 
hart:  »Was  man  mit  dem  Auge  sieht,  womit  ich  Gott  sehe, 
dies  ist  dasselbe  Auge,  womit  Gott  mich  sieht.  Mein  Auge  und 
Gottes  Auge  sind  Ein  Auge  und  Ein  Gesicht,  Ein  Wissen  und 
Ein  Lieben.  Es  ist  dasselbe,  Gott  zu  kennen  und  von  Gott 
gekannt  zu  werden,  Gott  zu  sehen  und  von  Gott  gesehen  zu 
werden.  Und  wie  die  erleuchtete  Luft  nichts  ist,  als  dass  sie 
erleuchtet,  denn  sie  erleuchtet,  weil  sie  erleuchtet  wird,  in 
derselben  Weise  erkennen  wir,  weil  wir  erkannt  werden  und 
weil  er  macht,  dass  wir  ihn  kennen.«^;  Dieses  Erkennen 
nnd  Erkanntwerden  ist,  was  Eckhart  die  Geburt  des  Sohnes 
in  der  Seele  nennt.  »Wenn  sein  Erkennen  meines  ist,  und 
wenn  seine  Substanz,  seine  eigentliche  Natur  und  sein  wah- 
res Wesen  Erkennen  ist,  so  folgt,  dass  sein  Wesen,  seine 
Substanz  nnd  seine  Natur  meine  sind.  Und  wenn  seine  Na- 
tur, sein  Wesen,  seine  Substanz  meine  sind,  so  bin  ich  der 
Sohn  Gottes.«  »Siehe I<  ruft  er  aus,  »welche  Liebe  der  Va- 
ter nns  geschenkt  hat,  dass  wir  die  Söhne  Gottes  genannt 
werden«  —  nnd  die  Söhne  Gottes  sind. 

Diese    zweite    Geburt    nnd     dieses    Geborenwerden    als 


1)  Pfeiffer,  a.  a.  0.,  p.  38,  Z.  10. 


^10  Fllafzefante  Vorlesung. 

Sohn  Gottes  Ut  bei  »khnrt  mit  dem  Geborenwerden  ifi 
Sohnes  Gottes  in  der  Seele  identisch.  Er  erkennt  k«iaf^n 
Unterschied  an  zwischen  dem  Menschen,  wenn  er  wiederge- 
boren wird,  nnd  dem  Sohne  Gottes,  zqto  mindesten  keinen 
größeren  Unterschied,  als  zwischen  Gott  dem  Vater  nnd  God 
dem  Sohn.  Der  Mensch  wird  durch  Gnade,  was  l'hristnf 
von  Natur  ist,  nnd  erst  wenn  der  Mensch  als  Sohn  Gotte« 
wied ergehe ren  wird,    kann    er  den  heiligen  Geist  empfxnf^. 

Was  Eckhart  den  göttlichen  Grund  in  der  Seele  nnd  lo 
der  Gottheit  nennt,  kann,  glaube  ich,  foglich  mit  dem  aleb- 
liohon  Brahman  der  Upanishadon .  wie  man  es  in  der  Weit 
Lind  in  der  Seele  entdeckte,  verglichen  werden.  Und  wie  in 
den  Upanishaden  der  männliche  Brahman  von  dem  aSchlichso 
Brahman  zwar  nicht  getrennt,  aber  nnlerschieden  wird,  » 
können  nach  Eckhart  die  drei  Personen  von  dem  gAttjisbei 
Grund  nnterachieden,  wenn  auch  nicht  getrennt  werden. 

Dies  klingt  Alles  sehr  kohn.  wenn  wir  es  aber  in  die 
gewöhnliche  Sprache  llbersetien.  so  soheint  es  nicht  mehr  U 
hedenten.  als  dass  die  drei  göttlichen  Personen  dieae  n 
Grunde  liegende  Gottheit  als  ihre  Essenz  oder  Ousia  gtnma 
haben,  dass  sie  in  der  That  liomoousini  sind,  was  die  ortho- 
doxe Lehre  ist,  fOr  welche  Kckhart.  wie  St.  (Jlemons.  «in» 
ehrliche  philosophische  Erklärung  beizubringen  sucht 

Wenn  wir  Eckhart  verstehen  wollen,  dllrfen  wir  nie  Tef- 
gessen,  dass  er  ebenso  wie  Dionysins  vollsl&ndig  unter  dea 
Banne  der  neu  platonischen ,  in  Einem  Sinne  «o^ar  der  Pla- 
tonischen Philosophie  steht.  Wenn  Ktr  sa^im.  dau  G«tl 
die  Welt  erachatfen  hat,  so  wllrde  Eckhart  sagen,  du*  d«r 
■  Valer  das  Wort,  den  Logo^,  gesprochen,  oder  djus  ar  dti 
Sohn  erzeugt  hat.  Beide  Ausdrfloke  bedeuten  bei  ihm  gtui 
dasselbe. 

Alle  diese  Dinge  sind  in  Wirklichkeit  nur  Wwdorklliif« 
uralten  Donkens.  Wir  dürfen  nflmlich  nicht  Terj^sen.  iMU 
die  Ideen  nach  Plato  die  ewige  oder  un  verlad  erliehe  Vtlt 
ausmachten,  von  der  die  phänomenale  Welt  nur  oin  SdialUB 
ist.     Bei  Plato  kann  man  nur  von  den  Ideen  oder  dsn  ti^r. 


Christliche  Theosophie.  51 1 

allein  sagen,  dass  sie  wirklich  sind,  nnd  sie  allein  können 
den  Gegenstand  wahrer  Erkenntnis  bilden.  So  sehr  auch  die 
Stoiker  gegen  das  unabhängige  Dasein  dieser  Ideen  protes- 
tierten, die  Nenplatoniker  nahmen  sie  doch  wieder  auf,  und 
manche  von  den  Kirchenvätern  stellten  sie  als  die  reinen 
Formen  oder  die  vollkommenen  Typen  dar,  nach  welchen 
die  Welt  und  Alles,  was  in  ihr  ist,  geschaffen  ward.  Hier  ent- 
deckten die  alten  Philosophen  das,  was  wir  den  'Ursprung  der 
Arten'  nennen.  Wir  sahen,  wie  diese  ganze  ideale  Schöpfung 
oder  vielmehr  Offenbarung  auch  als  der  Logos  oder  das 
offenbarte  Wort  Gottes  bezeichnet  wird,  durch  welches  er 
die  Welt  erschuf,  und  dieser  Logos  hinwiederum  wurde,  wie 
wir  sahen,  lange  vor  dem  Auftreten  des  Christentums  als  die 
Nachkommenschaft  oder  als  der  eingeborene  Sohn  Gottes  dar- 
gestellt. Eckhart  ging  wie  viele  der  ersten  ELirchenväter  von 
dem  Begriff  des  Logos  oder  des  Wortes  als  des  Sohnes  Got- 
tes, des  zweiten  Gottes  [devTsgog  x^eog  ,  aus,  und  er  machte 
diesen  Logos  zum  Prädikat  Christi,  der  fOr  ihn  die  mensch- 
licbe  Verwirklichung  des  idealen  Sohnes  Gottes,  der  gött- 
lichen Vernunft  nnd  der  göttlichen  Liebe  war. 

Der  Messlas  und  der  Logos. 

Was  die  Juden  mit  dem  Namen  Messias  thaten,  das  mussten 
die  Griechen  mit  dem  Namen  Logos  thun.  Die  Idee  des 
Messias  war  seit  Menschenaltem  dagewesen,  und  obgleich  es 
eine  ungeheuere  Überwindung  erfordert  haben  mnss,  brachten 
es  die  Juden,  welche  zum  Christentum  übertraten,  doch  Aber 
sieh,  zu  sagen,  dass  dieser  ideale  Messias,  dieser  Sohn  Davids, 
dieser  König  der  Herrlichkeit,  Jesus  der  Gekreuzigte  sei.  Auf 
dieselbe  Weise  und  mit  derselben  Überwindung  und,  wie  ich 
glaube,  mit  derselben  Ehrlichkeit  mussten  die  griechischen  Phi- 
losophen^ welche  das  Christentum  annahmen,  es  Aber  sich  brin- 
gen, zu  sagen,  dass  dieser  Logos,  dieser  Gedanke  Gottes,  dieser 
Sohn  Gottes,  dieser  Monogenes  oder  Eingebome.  wie  ihn  Plato 
sowohl  als  Philo  kannte,  in  Jesus  von  Nazareth  erschienen,  nnd 


512 


Fiiui':celinli!  Vorlesaut^ 


dsaa  iu  ihm  allein  die  gOMliche  Idee  der  Menackbeit  je  vOlBg 
verwirklicht  worden  sei.  Damm  wurde  Cliristos  att  wh  i 
erste  Mensch  beEeichnet,  und  nicht  Adam.  Die  grieeUMlwii 
Konvertiten,  welche  die  wirklichen  Eroberer  der  griechiti 
Welt  wnrden,  erhoben  ihren  Logos  in  einer  viel  hOh«rta 
Bedeutung,  als  die  war,  welche  sie  bei  den  Stoikern  hatie, 
gerade  so  wie  die  jodiscbeo  Eonvertifen  dem  Namen  Heaaia» 
einen  viel  erhabeneren  Sinn  beilegten,  als  er  bei  den  ächriA- 
gelehrten  und  Pharisfiern  hatte.  Doch  sehworca  die  beften 
nnter  den  griechischen  Konvertiten,  indem  sie  sich  der  christ- 
lichen Rirehe  anachtoaaen,  nie  ihre  philosophischen  über- 
Zeugungen  ab,  und  noch  viel  weniger  bek;itinlcn  sie  sieh  fu 
den  legendenhaften  Überlief  eräugen ,  welche  sich  oeit  im 
frilhesten  Zeilen  um  die  Wiege  des  Sohnes  von  Jusoph  Iin4 
Maria  angesammelt  hatten.  Für  den,  der  wirklioh  >n  Chri»- 
luni  als  das  Wort  und  den  Sohn  Gottes  glaubte,  MhicBCD 
diese  Überlieferungen  kanm  vorhanden  tu  sein;  sie  wardoa 
weder  geleagnet,  oüch  behanptet.  In  demselben  Geiste  futt 
Meister  Eckhart  die  wahre  Bedeutung-  von  dem  Sohne  G«n« 
als  dem  Worte,  nnd  von  Uott  dem  Vater  als  dem  ttprMhtc 
nnd  Denker  nnd  Bewirker  des  Wortes  auf,  indem  er  di*M 
galilftisohen  Legenden  ohne  Weiteres  als  Allegorien  gvbrsuelit, 
sich  aber  nie  auf  dieselben  beruft,  um  die  Wahrbeil  der  I^kn 
Christi  za  beweisen.  Eckhart  —  um  seine  tpsÜAinia  ttr&ü  tn 
eitleren  —  lässt  den  Vater  sein  Wort  in  die  Bcele  sprMken. 
nnd  wenn  der  Sohn  geboren  wird,  wird  jede  ä«de  Haria 
Er  drflckt  denselben  Oedanken  ans,  indem  er  sagt,  dati  ia 
göttliche  Ornnd,  d.  h.  die  Oottbeit,  keine  UoleracheidBig 
oder  kein  Prftdikat  KuUsse.  Dieser  gOttUche  Grund  Ui  Ein- 
heit und  Dunkelheit,  aber  das  Licht  des  Vaters  dringt  in  diu« 
Dunkelheit,  nnd  der  Vater,  iudein  er  seine  eigene  Wde&Uii 
erkennt,  erzeugt  in  der  Erkenntnis  seiner  selbst  deo  8«hs 
Und  in  der  Liebe,  welche  der  Vater  zu  dem  Sobn«  btft, 
atmet  der  Vater  mit  dem  Sohne  den  Ueiu.  Dsrch  di«Mdi  Vi^ 
gang  wird  der  ewige  dunkle  Grund  erlenohtat,  die  (.ToUkiil 
wird    Gott,    und    zwar   Gott   iu    di^    Pereoneo.     Wasii   ia 


Christliche  Theosophie.  513 

Vater,  indem  er  auf  solche  Weise  sich  selbst  erkennt,  das 
ewige  Wort  spricht  oder,  was  dasselbe  ist,  seinen  Sohn  er- 
zeugt, spricht  er  in  diesem  Worte  alle  Dinge.  Sein  gött- 
tiebes  Wort  ist  die  Eine  Idee  von  allen  Dingen  (das  heißt 
der  Logos),  nnd  dieses  ewige  Wort  des  Vaters  ist  sein  ein- 
ziger Sohn  nnd  der  Herr  Jesus  Christns,  in  welchem  er  alle 
Geschöpfe  ohne  Anfang  und  ohne  Ende  gesprochen  hat.  Und 
dieses  Sprechen  findet  nicht  bloß  einmal  statt.  Nach  Eck- 
hart  >  schafft  Gott  immerfort,  >)  in  einem  Jetzt,  in  einer  Ewig- 
keit, und  sein  Sehaffen  besteht  darin,  dass  er  seinen  Sohn 
erzeugt.  In  dieser  Geburt  sind  alle  Dinge  ausgeflossen,  nnd 
solche  Freude  hat  Gott  an  dieser  (Geburt,  dass  er  seine  ganze 
Kraft  in  ihr  verzehrt.  Gott  erzeugt  sich  ganz  und  gar  in 
seinem  Sohne,  er  spricht  alle  Dinge  in  ihm.c  Obgleich  uns 
diese  Sprache  sonderbar  klingen  mag,  und  obgleich  sie  von 
denjenigen,  welche  ihren  wahren  Sinn  nicht  kannten,  als 
phantastisch,  wenn  nicht  gar  als  ketzerisch,  verdammt  wurde,  so 
sollten  wir  uns  doch  dessen  erinnern,  dass  auch  St.  Augustinus 
genau  dieselbe  Sprache  gebraucht.  »Das  Sprechen  Gottes,« 
sagt  er,  »ist  sein  Erzeugen,  und  sein  Erzeugen  ist  sein 
Sprechen«  (Pfeiffer  a.  a.  0.  p.  100,  Z.  27),  und  Eckhart 
fllgt  zu  den  Worten  des  St.  Augustinus  hinzu  (ibid.  p.  100 
Z.  29):  »und  ließe  Gott  auch  nur  einen  Augenblick  von 
diesem  Sprechen  des  Wortes  ab,  so  müsste  Himmel  und  Erde 
▼ergehen.« 

Bei  uns  hat  Wort  so  ganz  seine  vollständige  Bedeutung 
▼erioren,  wonach  es  die  Vereinigung  von  Gedanken  und 
Laut,  die  voneinander  unzertrennlich  sind,  bedeutet,  dass 
wir  nicht  zu  oft  daran  erinnert  werden  können,  dass  in  allen 
diesen  philosophischen  Spekulationen  Logos  oder  Wort  nicht 
das  Wort  als  bloßen  Schall  oder  das  Wort,  wie  wir  es  im 
Wörterbuch  finden,  bezeichnet,  sondern  das  Wort  als  die  le- 
bendige Verkörperung,  als  die  eigentliche  Inkarnation  des 
Gedankens. 


1}  Pfeiffer  a.  a.  0.  p.  254. 

Xftz  K Aller,  Theofopliie.  33 


514 


FUnfsehnte  VorlcBimg. 


WaB  roanclien  modernen  PbiloHOphen  so  sonderbar  Hehien,  | 
Dämlich  diese  üntronnbarkeit  von  Gedanken  und  Wort,  iidci, 
wie  ich  oa  zuweilen  ausdrückte,  dio  Identität  von  Vernntin 
und  Sprache,  war  diesen  alten  Denkern  und  Theologen  ^ßat 
geläufig,  n.nd  es  freut  mich  zu  sehen,  dass  meine  Kritiker 
endlich  aufgehört  habeu,  mein  Buch  'Das  Denkv?k  im  Lirhte 
der  Sprurhe  als  ein  linguisüachea  Pai'adoxon  zu  beieichnen, 
und  Aaa»  sie  einzusehen  beginnen,  dasB  das,  wefür  ich  In 
jenem  llnche  eintrat,  längst  bekannt  war,  nnd  dasa  NicmaDd 
03  je  bezweifelt  hat,  Der  Logos,  das  Wort  als  der  Gedankt 
Gottes ,  als  die  ganze  Summe  göttlicher  oder  ewiger  Ideen, 
der  Logos,  den  Plalo  verkündigt,  den  Aristoteles  Tergehess 
kritisiert  hatte,  und  den  die  Neuplatoniker  wieder  in  sela 
Recht  einsetzten,  ist  eine  Wahrheit,  welche  die  Untndbi£e 
aller  Philosophie  bildet  oder  bilden  sollte.  Und  wenn  irit 
diese  Wahrheit  nicht  völlig  begriffen  haben ,  wie  sie  voa 
einigen  der  größten  Kirchenväter  begriffen  wurde,  werden 
wir  nie  im  stände  sein,  das  vierte  Evangelium  zu  verstehen, 
wir  werden  nie  im  stände  sein,  ans  wahre  Christen  zu  nen 
Denn  nnr  weil  es  aaf  den  Logos  anfgcbant  ist,  behinptet 
das  Christentum  seine  ganz  einzige  Stellung  unter  alles 
Religionen  der  Welt.  Natürlich  irit  eine  KoUgion  nicht  eii 
Philosophie.  Sie  hat  einen  verschiedenen  Zweck  und  nm 
eine  verschiedene  Sprache  reden.  Nichts  ist  schwieriger,  ■ 
die  Ergebnisse  des  tiefsten  Denkens  in  einer  SprscllO  MUS 
drücken,  die  Allen  verständlich  nnd  doch  nicht  irrefOhnDd 
sein  soll.  Wenn  eine  Ueligion  dies  nicht  kann,  Ut  d«  keiM 
Religion;  jedenfalls  kann  sie  nicht  leben;  denn  jede  seae 
Generation,  welche  auf  die  Welt  kommt,  braucht  eine  rolkt- 
tümliche,  eine  kindliche  Übersetzung  der  erhabenston  Wilif 
holten .  welche  von  den  Weisen  nnd  Propheten  der  VoneH 
entdeckt  und  anfgebäaft  worden  sind.  Wenn  kein  Kind  ab 
Christ  anfwaebsen  könnte,  ohne  die  wahre  Bedeutung  da 
Logos  zu  verstehen,  wie  dieser  Bogriff  von  Platoniseben. 
stoischen  und  nenplatonischon  Philosopheu  ausgcarheitot  ai 
dann  von  den  Kirchenvätern  angenommen  and  ihren  Zweck« 


Christliche  Theosophie.  5]  5 

angepasst  worden  ist,  wie  viele  Christen  würden  wir  haben? 
Indem  die  Kirchenväter  die  Ausdrticke  'Vater  nnd  'Sohn' 
gebrauchten,  waren  sie  sich  bewnsst,  dass  sie  Ansdrücke 
gebrauchten,  welche  nichts  enthalten,  was  nicht  wahr  ist, 
und  welche  eine  befriedigende  Erklärung  zulassen,  sobald 
eine  solche  nötig  ist.  Und  die  befriedigendste  Erklärung, 
die  beste  Lösung  aller  unserer  religiösen  Schwierigkeiten 
scheint  mir  hier  wie  anderswo  die  historische  Schule  zu 
bieten.  Versuchen  wir  nur  einmal  zu  entdecken,  wie  Wör- 
ter und  Gedanken  entstanden,  wie  Gedanken  im  Laufe  der 
Zeit  das  wurden,  was  sie  sind,  und  wir  werden  im  Allge- 
meinen finden,  dass  irgend  eine  Vernunft,  sei  es  eine  mensch- 
liehe oder  eine  göttliche,  in  ihnen  ist. 

Ich  gestehe,  ich  kenne  keine  größere  Freude,  als  ent- 
decken zu  können,  wie  unsere  Gedanken  und  Wörter  uns 
durch  eine  ununterbrochene  Kette  von  Jahrhundert  zu  Jahr- 
hundert zurückfahren,  wie  die  Wurzeln,  welche  unserem 
Geiste  Nahrung  zuführen,  eine  Schicht  nach  der  andern 
durchdringen,  und  noch  immer  ihr  Leben  und  ihre  Nahrung 
aus  dem  tiefsten  Boden,  aus  den  Herzen  der  ältesten  Denker 
der  Menschheit,  schöpfen.  Das  ist  es,  was  uns  Vertrauen 
in  uns  selbst  gibt  und  uns  oft  hilft,  dem  was  in  unserem 
geistigen  und  namentlich  in  unserem  religiösen  Leben  hart 
und  versteinert,  mythologisch  und  bedeutungslos  zu  werden 
droht,  neues  Leben  einzuflößen.  Ich  bin  überzeugt,  dass  ftlr 
viele  Leute  die  Anfangsworte  des  Evangeliums  des  Johannes 
>Im  Anfang  war  das  Wort«  und  wiederum  »Das  Wort  ward 
Fleisch«  nur  eine  Sage,  eine  bloße  Überlieferung  sein  können. 
Sobald  wir  aber  das  Wort,  das  im  Anfang  bei  Gott  war, 
und  durch  welches  (di  avtov)  alle  Dinge  gemacht  sind,  auf 
den  Monogenes  zurückführen  können,  wie  er  von  Plato 
postuliert,  von  den  Stoikern  ausgearbeitet  und  von  den  Neu- 
platonikem,  ob  sie  nun  Heiden,  Juden  oder  Christen  waren, 
den  ersten  Kirchenvätern  überliefert  wurden,  scheint  ein  Zu- 
sammenhang hergestellt  zu  sein,  und  ein  elektrischer  Strom 
scheint  in  einer  ununterbrochenen  Leitung  von  Plato  bis  zu 

33* 


510  Filii  fzoli  nie  Vorloflunc- 

Joliannea,  timl  von  Johannes  bis  zu  uns  selbst  Kn  gehj 
oinigen    der   schwierigaten    nnd    dunkelston   Aoasprllol 
Neuen  Tostamenta  Lieht  und  I^ebon  zu  verleihen.     Bei  Mit  ' 
Ehrfurcht  vor  dem,  was  man  kindlichen  Glaobuu  nennt,  wol- 
len   wir   doch    nie  vergesaen,    dass    anch  Denken  Gott  vor- 
dren heißt. 

Kehren  wir  nun  zu  Meister  Eckhart  zurück  und  crinoeni 
wir  una,  dasa  nach  ihm  die  Seele  auf  demselben  gUtÜichen 
Grund  aufgebaut  ial,  wie  Gott,  dasa  sie  in  der  Tbat  im  der- 
selbeu  Natur  Teil  hat,  dasB  sie  ohne  denselben  nichts  sclo 
wfirdc.  Und  doch  ist  sie  in  ihrer  geschaffenen  Form  von  Oott 
getrennt.  Sie  fühlt  diese  Trennung  oder  ihre  eigene  ÜB- 
vollständigkeit,  und  indem  sie  dieselbe  fühlt,  wird  sie  nur 
giös.  Wie  kann  diese  Sehnsucht  nach  Vollendnng  befriedigt, 
wie  kann  dieses  göttliche  Heimweh  geheilt  werden?  Die 
meisten  mystischen  Philosophen  würden  sagen:  dadurch  dui 
die  Seele  in  Liebe  ku  Gott  hingezogen  wird,  oder  dnrcb 
eine  Annäherung  an  Gott,  gerade  so  wie  wir  in  den  Cpa- 
nishadeu  sahen,  dass  die  Seele  sieh  dem  Throne  BrahauM^  i 
als  einer  mannlichen  Gottheit,  näherte. 


Die  AnnSherang  an  eott. 

Eckhart  leugnet  jedoch,  ähnlich  wie  die  vorperll 
VedAntisten,    dass  es   eine  solche  Annäherung  geben  1 
oder  er  betrachtet  dieselbe  jedenfalls  nur  als  eine  nlM 
Form    der  Religion.     So    sagt    er    (Pfeiffer   a.  a.  0. 
'Wahrend  wir  uns  Oott  nähern,  kommen  wir  nie  in  i 
fast  wörtlich  wie  der  Vedänta. 

Eckhart  erkennt  zwar  dieses  Verlangen  nach  Oot 
diese  Liebe  zu  Gott  als  einen  vorbereitenden  Schritt  an,  i 
betrachtet  er  das  wahre  Verhältnis  zwischen  der  Seele  und 
Gott  aus  einem  viel  höheren  Gesichtspunkte.  Dieser  Strsbl 
der  Gottheit,  den  er  als  den  Geist  der  Beole  und  mit  viel« 
anderen  Namen,  wie  Filnl-hiu ,  Wurzel,  Quelle,  auch  oit- 
rf^qrjoig,  ja  als  das  wirkliche  Selbst  des  Menschen  bezeicboft 


Christliche  Theoaophie.  5 1 7 

ist  der  gemeinsame  Boden  von  Gott  nnd  der  Seele.  Hier 
sind  Gott  nnd  die  Seele  stets  der  Möglichkeit  nach  Ems, 
und  sie  werden  thatsftchlich  Eins,  wenn  der  Sohn  in  der 
Seele  des  Mensehen  geboren  wird,  d.  h.  wenn  die  Seele  ihre 
ewige  Einheit  mit  Gott  entdeckt  hat  Damit  Gott  in  die 
Seele  eingehen  könne,  mnss  znerst  alles  Andere  aus  dersel- 
ben hinausgeworfen  werden,  alles  Stindige,  aber  auch  jede 
Art  von  Hinneigung  zu  den  Dingen  dieser  Welt.  Schließlich 
mllssen  wir  unser  eigenes  Selbst  vollständig  aufgeben.  Um 
in  Gott  zu  leben,  muss  der  Mensch  sich  selbst  absterben,  bis 
sein  Wille  ganz  in  dem  Willen  Gottes  aufgegangen  ist.  Es 
muss  vollkommene  Stille  in  der  Seele  herrschen,  bevor  Gott 
sein  Wort  in  sie  hinein  hauchen,  bevor  das  Licht  Gottes 
in  die  Seele  hinein  scheinen  und  sie  in  Gott  verwandeln 
kann. 

Geburt  des  Sohnes. 

Wenn  der  Mensch  auf  solche  Weise  der  Sohn  Gottes 
geworden  ist,  sagt  man,  der  Sohn  Gottes  werde  in  ihm  ge- 
boren, und  seine  Seele  habe  Ruhe  gefunden.  Sie  werden  in 
all  dem  die  Grundidee  des  Vedftnta  bemerkt  haben,  dass 
durch  die  Beseitigung  des  Nichtwissens  die  individuelle  Seele 
ihre  wahre  Natur,  als  mit  der  göttlichen  Seele  identisch, 
wiedergewinne.  Andererseits  wird  es  Ihnen  nicht  entgangen 
sein,  wie  viele  Ausdrücke  von  Eckhart  gebraucht  werden, 
die  uns  von  den  Neuplatonikem  und  von  dem  Evangelium 
des  Johannes  ganz  geläufig  sind.  Ausdrücke,  welche  ihre 
wahre  Bedeutung  nur  für  diejenigen  haben  können,  welche 
ihren  Ursprung  und  ihre  Geschichte  kennen. 

Stellen  ans  dem  vierten  Erangelium. 

Die  Stellen,  auf  die  sich  Eckhart  stützt,  und  auf  die  er 
sich  oft  beruft,  sind  die  folgenden:  »Wer  mich  aiehet,  der 
siebet  den  Vater«  (XIV,  9] ;  > glaubest  du  nicht,  dass  ich  im 


518 


Filnfaehnte  VorleBung. 


Vxter,  nnd  der  Vatar  In  mir  ist?«  PCIV,  10];  >N)eiiuad 
kommt  zum  Vator  denD  durch  mich'  <X[V,  6);  >i)aa  ist  aber 
das  Qwige  Leben,  daaa  sie  dich,  dass  du  allein  wahrer  Sott 
bist,  und,  den  du  geanodt  hast,  Jesnm  Chriatum  erkennem 
(XVII,  3).  Und  ferner:  »Und  nun  verkläre  mich  du,  Va- 
ter, bei  dir  selbst,  mit  der  Klarheit,  die  iob  bei  dir  liatte, 
ehe  die  Welt  war  ....  Auf  das«  sie  alle  eines  Boin,  gleich 
wie  du,  Vater,  in  mir,  nnd  ich  in  dir,  dasB  anch  sie  In  am 
eines  sein«    [XVII,   5;  21). 

Dies  Biud  die  tiefsten  Töne,  welche  durch  das  gante 
Christentum  Kckhsrta  hindurch  klingen,  und  obgleich  ihre 
wahre  Bedeutung  achon  lange  vor  Eokharts  Zeit  von  deD 
großen  scholaatischeu  Denkern,  wie  von  Thomas  von  Aqnino 
selbst,  den  beiden  6t.  Victors,  Bonaventura  nnd  Anderen  ci- 
klärt  worden  war,  so  ist  doch  ihr  tiefster  Sinn  selten  » 
kräftig  ans  Licht  gebracht  worden,  wie  von  Meister  Hckkart 
in  seiner  Lehre  des  wahren  Spiritual iatia eben  ChristenllBL 
Donille  hat  ohne  Zweifel  ganz  Rechl,  wenn  er  zeigt,  wie 
man  Vieles  von  diesem  spiritnalistiGchen  ChristentBin  in  in» 
Schriften  derjenigen  finden  kann .  welche  man  ziemlich  »ec 
lichtlich  als  bloße  Scholastiker  zu  bezeichnen  pflegt.  D«k 
wird  er  der  Persönlichkeit  Eckharts  schwerlich  ganz  gentätL 
Nicht  joder  Scholastiker  war  ein  ciV  sanctus,  nicht  jedw 
Dominikaner-Prediger  war  so  frei  von  weltlicher  OMiiranf, 
so  von  Liebe  und  Mitleid  gegen  seine  Hitmensohen  «rAflt 
wie  Eokhart.  Und  wenn  auch  seine  lateinische  T^rminol^f 
als  genauer  und  kräftiger  bezeichnet  werden  kann,  als  kIdi 
deutschen  Äußernngen,  so  herrscht  doch  in  seini^n  dentaekes 
Predigten  eine  Innigkeit  und  Schlichtheit  des  Tones,  welefce, 
wenigstens  meiner  Ansicht  nach,  das  kältere  Latein  zcrsUIrt 
Denifle  hat  Ja  ganz  llecht,  wenn  er  Eckharl  als  einen  Scho- 
lastiker und  als  einen  Katholiken  hinstellt,  aber  tu  dttrAc  dudi 
mindestens  zugeben,  dass  seine  Ketzereien  den  deatscbea 
Mystikern  augehürten,  nicht  den  orthodoxen  Katholiken. 


Christliche  Theosophie.  519 

Einwendungen  gegen  die  mystische  Religion. 

Wir  haben  schon  eine  Reihe  von  anffallenden  Analogien 
zwischen  dem  Geiste  des  mystischen  Christentums  des  vier- 
zehnten Jahrhunderts  und  dem  der  Vedänta-Philosophie  in 
Indien  bemerkt.  Es  ist  merkwürdig,  dass  auch  die  Angriffe, 
denen  beide  Systeme  ausgesetzt  gewesen  sind,  und  die  Ge- 
fidiren,  auf  die  man  als  ihnen  anhaftend  aufmerksam  gemacht 
hat,  in  Indien  und  in  Deutschland  fast  identisch  sind. 

Übermlhiger  Ascetismns« 

Es  ist  wohlbekannt,  dass  von  den  Anhängern  beider 
Systeme  ein  strenger  Ascetismns  warm  empfohlen  und  in 
mnsgedehntem  Maße  geflbt  wurde.  Auch  hier  wieder  kann 
selbstverständlich  von  Entlehnung  oder  auch  nur  von  indirek- 
tem Einfluss  keine  Rede  sein.  Wenn  wir  verstehen  können, 
daas  der  Ascetismns  bei  den  an  die  Upanishaden  glaubenden 
Indem  natflrlich  war,  so  werden  wir  eben  so  leicht  im  stände 
sein,  die  Motive  zu  verstehen,  welche  Meister  Eckhart  und 
seine  Freunde  bewogen,  das  Fleisch  zu  ertöten  und  so  viel 
wie  möglich  ein  Leben  der  Einsamkeit  und  Weltabgeschie- 
denheit zu  fahren. 

Dass  der  Körper  und  die  Seele  miteinander  im  Wider- 
streite sind,  lässt  sich  kaum  bezweifeln.  Plato  und  andere 
griechische  Philosophen  wussten  recht  gut,  dass  der  Körper 
leicht  die  Oberhand  über  die  Seele  bekommen  und  die  ver- 
nünftigen Triebe  verdunkeln,  die  tierischen  dagegen  lebhafter 
machen  kann.  Selbst  wenn  die  Leidenschaften  des  Fleisches 
nicht  in  thatsächliches  Übermaß  ausarten,  wirken  sie  doch 
leicht  zerstreuend  und  schwächend  auf  die  Geisteskräfte. 
Damm  finden  wir  seit  den  frühesten  Zeiten  und  in  fast  allen 
Teilen  der  Welt  die  Neigung  bei  tiefen  Denkern,  das  Fleisch 
zu  unterjochen,  um  den  Geist  frei  zu  machen.  Auch  kön- 
nen wir  das  übereinstimmende  Zeugnis  so  vieler  Autoritäten 
nicht    bezweifeln,  dass  durch  Enthaltung  von   Speise,  Trank 


520 


F  flu  fleh  Dte  Voriegnug. 


und  sndereD  Binnlichen  Genflsaen  dio  Erfifte  des  Geistea  ver- 
stärkt werden.')  Diea  ist  oameDllicli  der  Fall  bei  jener  gei- 
atigen  Eraft,  welche  mit  der  BeligiOD  zd  thnn  hat.  Wiv 
allüa  Andere  kann  natfirlich  aach  dieser  AscüÜBmus,  so  xn»- 
gezeichnet  er  auch  an  und  fltr  sich  ist,  abei'trieben  nnd 
schädlich  werden,  wie  er  ja  in  der  Tbat  2U  schreckliches 
Ausschreitungen  geführt  hat.  Ich  bin  aber  nicht  geneigt. 
die  Aussagen  zuverlässiger  Zeugen  zu  bezweifeln,  dass  durch 
Fasten  nnd  durch  Doch  schmerzlichere  Kasteiungen  des  KOr- 
pcra  der  Geist  zu  einer  inteusiveren  Thätigkeit  angesponit 
werden  kann.  Auch  kann  ich  den  Zeugnissen  nickt  widei- 
Gtehen,  welche  dafür  sprechen,  dasa  durch  gewisse  ascetisehe 
Übungen,  wie  dadurch  dasa  man  das  Atmen  anf  beaoDder« 
Weisen  reguliert,  deu  Körper  in  gewissen  Stellungen  h^ 
und  den  Blick  unverwandt  auf  gewisse  Gegenstände  richtet, 
eine  heftige  Erregung  unseres  Nervensystems  erzeugt  werdeo 
kann,  welche  unsere  ICinbÜdungskraß  achBrft  und  uns  in  sttsJ 
setit,  Dinge  zu  sehen  und  zu  begreifoD,  die  über  den  Qo- 
aichtski'eis  gewöhnlicher  Sterblicher  hinausgehen.  Ich  glube, 
dass  die  besteu  Physiologen  dies  Alles  recht  gut  wissen  nnd 
vüllig  im  Stande  sind,  es  zu  erklären;  und  es  hieße  den 
Skepticisnius  zu  weit  treiben,  wenn  wir  uns  weigern  wolltas, 
die  Berichte  zu  glauben,  welche  die  Personen  selbst  tod 
ihren  himmlischen  Anschauungen  geben,  oder  welche  tob 
glaubwürdigen  Zeugen  gegeben  werden.  Andererseita  ist  es 
allbekannt,  dass  diese  ascetiscben  Neigungen,  wenn  sU  df 
mal  ausbrechen,  durch  bloßen  Wetteifer  bald  so  sehr  BlMf 
trieben  werden,  dass  sie  einen  krankhaften  Ztistand  bovsU 
des  EOrpers  als  des  Geistes  erzeugen,  so  dasa  wir  oa  dan> 
nicht  mehr  mit  begeisterten  oder  verzückten  Heiligen,  ««- 
dem  mit  hysterischen  und  halb-irrsinnige n  Kranken  au  thno 
haben. 

Kine     andere     Gefuhr     ist     die     fast     nnwiderttehfislU 


Christliche  Theosophie.  521 

YerBnchnDg  zu  Täaschnng  und  Betrag  seitens  religiöser  As- 
eetcD,  so  dass  es  oft  des  schftrfsten  Urteils  bedarf,  um  zwi- 
schen wirklichen,  wenngleich  abnormalen  Visionen  nnd  ab- 
sichtlichem oder  halbabsichtlichem  Trag  unterscheiden  zu 
können. 

Die  Bnßübungen,  welche  indische  Asceten  sich  auferle- 
gen, sind  oft  von  Augenzeugen,  deren  Glaubwürdigkeit  nicht 
bezweifelt  werden  kann,  beschrieben  worden,  und  ich  muss 
sagen,  dass  die  unbefangene  und  arglose  Weise,  in  der  die- 
selben in  manchen  der  alten  Textbücher  behandelt  werden, 
nns  geneigt  macht,  £ast  Alles  zu  glauben,  was  diese  alten  Mär- 
tyrer gelitten  und  gethan  haben  sollen,  ihre  Fähigkeit  sich  in 
die  Luft  zu  erheben  (Levitation)  nicht  ausgeschlossen.  Wir  sehen 
aber  auch  sowohl  in  Indien  als  in  Deutschland  einen  starken 
Umschlag  der  Stimmung,  und  es  fehlt  nicht  an  Protesten  sei- 
tens hoher  Autoritäten  gegen  eine  übertriebene  Ertötung  des 
Fleisches.  Ein  Fall  ist  sehr  interessant.  Wir  hören,  dass 
Buddha,  ehe  er  der  Buddha  wurde,  die  schrecklichsten  Buß- 
flbnngen  mitmachte,  indem  er  mit  den  brahmanischen  Ein- 
siedlern im  Walde  lebte.  Nach  einiger  Zeit  aber  überzeugte 
er  sich  von  der  Nutzlosigkeit,  ja  der  Schädlichkeit  die- 
ses Systems,  und  es  ist  einer  der  charakteristischesten  Züge 
seiner  Lehre,  dass  er  diese  übermäßigen  selbstauferlegten 
Qualen  als  zur  Erreichung  der  wahren  Erkenntnis  nutzlos 
erklärte  und  eine  goldene  Mittelstraße  zwischen  übertrie- 
benem Ascetismus  auf  der  einen  und  weltlicher  Gesiunung 
auf  der  anderen  Seite  als  den  wahren  Weg  zur  Erleuchtung 
und  Seligkeit  anriet 

Fast  ganz  derselbe  Protest  wurde  von  E^ckhart  und 
Tauler  erhoben,  indem  sie  ihre  begeisterten  Schüler  im  Zaum 
zn  halten  suchten.  Sie  empfahlen  beide  ein  vollständiges  Auf- 
geben aller  Güter  dieser  Welt;  Armut  und  Leiden  war  in 
ihren  Augen  das  größte  Hilfsmittel  zu  einem  wahrhaft  geist- 
lichen Leben;  nicht  an  dieser  Welt  zu  hängen,  war  die 
Grandbedingung  dafür,  es  möglich  zu  machen,  dass  Gott  wie- 
der in  der  Seele  des  Menschen  erscheine,  oder,  wie  sie  sich 


522 


Fünfzehnte  Vorlesunit. 


auadrflckten,  die  Gebart  des  Sohnes  Gottes  Im  Menschen  er 
erleichtern.  Bei  all  dem  betonten  sie  aber  anfs  stirkste, 
dtis9  sie  die  Liebe  zu  Gott  in  diesem  Leben  dnreh  Umd- 
lungen  der  Liehe  und  Gille  gegen  nnsere  Mitmensehcn  offen- 
bart sehen  wollten.  Sie  glaubten,  dass  es  ganz  gnt  mS^eh 
sei,  an  der  praktiaclien  Lebenaarbelt  teilzunehmen  und  ducii 
eine  vollkommene  Knbe  und  Stille  der  Seele  in  uns  zu  be- 
wabren.  Sowohl  Bckhnrt  als  Tanler  nnhmen  in  hervorragen- 
der Weise  an  den  Angelegenheiten  der  Kirche  and  den 
Staates  thatigen  Anteil,  beide  suchten  dringend  nCtige  Refor- 
men in  dem  Leben  der  Gei^lichkeit  und  der  Laien  einan- 
fübren.  Rnhe  und  Stille  wurden  empfohlen,  weil  erst  wenn 
alle  Leidenschaften  bemhigt  und  alle  weltlichen  Begierden 
zum  Schweigen  gebracht  sind,  das  Wort  Gottes  in  der  Seele 
gehört  werden  kann.  Eine  gewisse  Kasteiung  des  Läbei 
wird  daher  anempfohlen,  doch  nur  als  ein  Mittel  znm  Zweck. 
Von  llbertriebenen  Bnßttbangen,  selbst  wenn  man  glaubte. 
ilasa  sie  zu  himmlischen  Viaionen  der  Gottheit  führten,  wurde 
entschieden  abgeraten.  Die  nrsprUngliche  Einheit  der  mensch- 
lichen Seele  mit  Gott  wird  von  allen  deutschen  Mystikern  «li 
der  Grnndartikel  des  christlichen  Glanhens  angenommen,  vif 
weichen  aber  voneinander  nb  in  Bezng  auf  die  Mittel,  duret 
welche  diese  Einheit  wiederhergestellt  werden  kann.  Die 
spekulative  Schule  verlftsst  sich  nnr  auf  die  Erkenntnis,  tblt 
Anhänger  glanben.  dass  wir  ipso  facto  das  sind,  was  vif 
nach  unserem  eigenen  Wissen  sind,  und  sie  legen  daher  da 
Hauptgewicht  auf  die  Aneignung  von  Erkenntnis.  Die  ue^ 
tische  Schule  verlUsst  sich  auf  BiiBflbungen  und  KaateiiiDg«a, 
durch  welche  die  Seele  vollständige  Freiheit  rom  Körper 
erlangen  soll,  bis  sie  sich  am  Ende  zu  einer  AnaehHing 
Gottes,  einer  Rflckkebr  der  Seele  zu  Gott,  duer  Wlederrn*- 
einigung  mit  Colt  erbebt. 

>Was  ist  Buße  in  Wirklichkeit  und  Wahrheit?'  tTtgl 
Tanler.  >Nicht9,>  antwortet  er,  >nU  ein  wirkliches  mA 
wahres  Sichabwenden  von  Allem,  was  nicht  Gott  ist,  nnd  eia 
wirkliches  und  wahres  Sichzuwenden  zu  dem  Reinou  und  «rmbno 


^  Oiristliche  Theosopbie.  523 

Onten,  das  Gott  heißt  and  Gott  ist.  Wer  dies  hat  and  dies 
thnt,  that  mehr  als  Boße.«  Und  wiedemm:  »Mögen  dieje- 
mgen ,  welche  das  arme  Fleisch  peinigen ,  dies  lernen.  Was 
hat  das  arme  Fleisch  dir  gethan?  Töte  die  Sünde,  nicht 
aber  das  Fleisch!« 

Taaler  rät  sogar  von  der  Beichte  nnd  anderen  rein 
infierlichen  Religionshandlangen  ab.  »Es  nützt  nichts,«  sagt 
er,  >2a  dem  Beichtvater  za  laafen,  nachdem  man  eine  Sünde 
begangen  hat.«  Bekenne  vor  Gott,  sagt  er,  mit  vrirklicher 
Rene.  Wenn  da  dies  nicht  thast  and  da  nicht  vor  der 
Sünde  fliehst,  kann  selbst  der  Papst  mit  allen  seinen  Kar- 
dinälen dich  nicht  lossprechen,  denn  der  Beichtvater  hat  keine 
Macht  über  die  Stinde.  Hier  kOnnen  wir  dentlich  das  ferne 
Rollen  der^  Reformation  hören. 

Wenn  aber  aach  diese  übertriebenen  Baßübangen  nichts 
nützen  konnten,  so  sind  sie  doch  f&r  ans  interessant,  da  sie 
jedenfalls  zeigen,  welch  schrecklicher  Ernst  anter  den  An- 
hängern des  Vedänta  sowohl  als  anter  den  Schülern  Eckharts 
and  Tanlers  waltete.  Wir  lesen  von  Saso,  Einem  der  zart- 
sinnigsten anter  den  deatschen  Mystikern,  dass  er  während 
dreißig  Jahren  nie  ein  Wort  beim  Mittagessen  sprach.  Sech- 
zehn Jahre  lang  ging  er  hemm  and  schlief  in  einem  mit  150 
spitzen  Nägeln  besetzten  Hemd,  and  trag  Handschahe,  in 
welchen  scharfe  Messerklingen  eingesetzt  waren.  Er  schlief  aof 
dnem  hölzernen  Kreaze,  die  Arme  aasgestreckt  and  den  Rücken 
mit  dreißig  Nägeln  darchstochen.  Sein  Bettgestell  war  eine 
alte  Thüre,  seine  Bettdecke  eine  dtinne  Matte  aas  Schilfrohr, 
während  sein  Mantel  die  Füße  dem  Frost  aasgesetzt  ließ. 
Er  aß  nar  einmal  des  Tages  and  vermied  Fische  and  Eier, 
wenn  er  fastete.  Er  gestattete  sich  so  wenig  Getränk,  dass 
seine  Zange  trocken  and  hart  warde,  and  er  sie  in  der 
Kirche  mit  einem  Tropfen  von  dem  heiligen  Wasser  weich 
za  machen  sachte.  Sein  Freand  Taaler  missbilligte  diese 
gewaltsamen  Maßregeln  entschieden,  und  schließlich  gab  Saso 
nach,  aber  erst,  nachdem  er  seine  Gesandheit  ganz  and  gar 
SU  Grande  gerichtet  hatte.     Dann   begann  er  za  schreiben. 


524 


Fünfzehnte  VorlCBuiiK. 


aod  es  kann  niclits  Zarteros,  nichts  DemOtigeres,  Reineres 
nnd  Liebevolleres  geben,  als  seine  Sciiriften.  Daoa  MenaoheD 
in  einem  aolchen  Zustande  Visionen  seilen,  ist  nicht  ta  ni- 
wnndern.  Sie  sprechen  fortwährend  von  denselben  &l3  von  all- 
bekannten Dingen.  Selbst  Tanler,  obgleich  er  vor  ihnen  wunt, 
bezweifelt  nie  deren  Möglichkeit  oder  Wirklichkeit  Er  er- 
zählt selbät  einige  in  seinen  Predigten,  er  ist  eich  aber  voU- 
kommen  der  Gefahr  des  Selbstbetruges  bewnsst:  iDi^enigeD, 
welche  mit  Bildern  und  Visionen  zd  than  haben,«  sagt  er,'J 
•  tauschen  sich  sehr;  denn  dieselben  kommen  ofl  vom  Teufel, 
und  in  unseren  Tagen  mehr  denn  Je.  Die  Wahrheit  ist  tin> 
ja  iu  der  heiligen  Schrift  offenbart  und  enthüllt  worden,  und 
CS  ist  dalier  nicht  notwendig,  dass  sie  ans  auf  irgend  «iofl 
andere  Weise  offenbart  werde;  und  wer  die  Wahrheit  irgenit 
wo  anders  her,  als  ans  der  heiligen  Schrift  entnimmt,  irrt 
von  dem  heiligen  (ilauben  ab,  und  sein  Leben  ist  nicht  lisl 
wert.  ■ 


Snndlosi^kelt. 


1 


Eine  andere  noch  grCßere  Gefahr  wurde  von  den  Q^ 
Dem  sowohl  des  Ved;lnta  als  auch  der  Philosophie  M^itv 
Kcliharta  wahrgenommen.  Man  kann  leicht  veratehea,  dui 
Menschen ,  welche  ihre  Leidenschaften  vollatlndig  bcrägl 
hatten  und  kein  anderes  Verlangen  tingen,  ata  mit  dem  gUt- 
liehen  Geist  voreint  zu  bleiben,  für  der  Saude  nnOlbig  «• 
klärt  wurden.  In  Einem  Sinne  waren  sie  es.  Aber  diN* 
Erhabenheit  Über  alle  Versnchung  wurde  bald  in  einem  newB 
Sinne  ausgelegt,  nämliub  dahin,  dass  solche  Wesen  in  Wirb 
lichkeit  keine  Sünde  berflhren  könne,  und  dass,  selbst  wen 
sie  irgend  ein  menschliches  Gesetz  verletzen  sollten,  Ün 
Seele  dadurch  nicht  beeiuHasst  werde.  Man  sieht  sehr  l^ohl, 
was  damit  gemeint  war,   nämliob   dass  viele  von  den  üatvt- 


1)  Vgl.  Carl  Schmidt, 
borg  1«4tt,  p.  138. 


Christliche  Theosophie.  525 

seheidangen  swischen  Gut  und  Böse  bloß  Unterschoidungeu 
fllr  diese  Welt  seien,  und  dass  in  einem  höheren  Leben  diese 
Unterscheidungen  verschwinden  würden. 

Wir  lesen  in  der  Brth.  üp.  IV,  4,  23 :  »Diese  ewige 
Größe  Brahmans  wird  durch  Werke  nicht  größer,  noch  wird 
sie  kleiner.  Der  Mensch  suche  nur  die  Spur  Brahmans  zu 
finden,  denn  wenn  er  sie  gefunden  hat,  wird  er  von  keiner 
Übelthat  befleckt.«  Auch  die  Bhagavadgitä  ist  voll  von  dieser 
Stimmung,  wie  zum  Beispiel  V,  7 :  »Wer  voll  Ergebung,  und 
dessen  Selbst  rein  ist,  wer  sein  Selbst  gezflgelt,  und  wer 
seine  Sinne  bezähmt  hat.  und  wer  sein  Selbst  mit  jedem 
Wesen  identifiziert  (d.  h.  wer  seinen  Nächsten  wie  sich 
selbst  liebt),  wird  nicht  befleckt,  wenn  er  auch  Handlungen 
vollzieht.«  Und  dann  wieder:  »Der  Mann  voll  Ergebung, 
der  die  Wahrheit  kennt,  denkt,  er  thut  gar  nichts,  wenn  er 
sieht,  hört,  berflhrt ,  riecht,  isst,  sich  bewegt,  schläft,  atmet, 
spricht,  nimmt,  die  Augenlider  öfinet  oder  schließt;  er  glaubt, 
dass  nur  die  Sinne  mit  den  Sinnesobjekten  zu  thun  haben. 
Wer,  alles  Haften  am  Irdischen  von  sich  werfend,  Handlun- 
gen vollzieht,  indem  er  sie  Brahman  widmet,  wird  von  der 
Sflnde  nicht  befleckt,  wie  das  Lotusbiatt  nicht  vom  Wasser 
beschmutzt  wird.« 

Taulers  Äußerungen  gehen  oft  ebenso  weit,  obgleich 
er  an  anderen  Orten  dieselben  zu  modifizieren  und  un- 
schädlich zu  machen  sucht.  »Wenn,«  sagt  er,  »der  Mensch 
Einheit  mit  Gott  erlangt  hat,  ist  er  nicht  nur  vor  der 
Sünde  bewahrt  und  außer  dem  Bereiche  der  Versuchung, 
sondern  alle  Sünden,  die  er  ohne  seinen  Willen  begangen 
hat,  können  ihn  nicht  beflecken;  im  Gegenteil,  sie  sind 
ihm  dazu  behilflich,  sich  zu  reinigen.«  Nun  ist  es  ja 
ganz  richtig,  dass  Tauler  oft  gegen  diejenigen  loszieht, 
welche  sich  'Brüder  des  freien  Geistes'  nannten,  und  welche 
behaupteten,  dass  keine  Sünde,  die  sie  begingen,  ihnen 
etwas  anhaben  könne,  doch  muss  man  zugeben,  dass  seine 
eigene  Lehre  ihren  Überspanntheiten  einigermaßen  Vorschub 
leistete. 


52» 


FlintEuUnte  Vorleaunt,'. 


Sie  orionera  sicli  wobi,  dasa  sncli  dio  Vedilntii 
Möglichkeit  EUgaben,  das3  oin  Mensch  schon  in  d 
vollkommene  Freiheit  and  Einheit  mit  Brahman  [givt 
erlange,  gerade  so  wie  Manche  von  den  Mystikom  sn^ben, 
dass  für  eine  wirklich  arme  Seele,  d.  h.  eine  von  allen  Nei- 
gungen freie  Seele,  die  Nichts  hat,  was  sio  ihr  Eigen  nen- 
nen kannte,  eine  Mögliahkeit  vorhanden  sei,  Kinbelt  mit  Gott 
zu  erlangen,  ao  lange  sie  noch  in  diesem  eterbUcben  Leib« 
wohne.  Doch  wurde  dieser  verzfickte  Zustand  der  Vereini- 
gung mit  Gott  nh  Ausnahme  betrachtet  nnd  dauerte  noi 
wenige  Äugenblicke,  wahrend  wahre  Seligkeit  erst  im  nich- 
äten  Leben  und  nach  der  vollständigen  Uefreiang  vom  Körper 
beginnen  konnte.  So  lange  also  diu  Seele  in  dem  Leib« 
eingekerkert  ist,  könnte  ihre  Sandlosigkeit  immer  nur  ais 
problematisch  angesehen  werden;  nnd  bowoIü  in  Detitschbuid 
ah  in  Indien  musste  die  religiöse  Scheinheiligkeit  in  den 
atÄrksten  Ausdrücken  getadelt  werden  nnd  wurde  in  der  Tlut 
oft  strenge  i;etadelt. 


Mangel  an  Elirforofat  vor  (lOtt. 

Noch  eine  BeachnldiguDg  gibt  es,  die  gegen  nllc  Mjiti- 
ker,  viel  häufiger  aber  gegen  die  mittelalterlichen  nIs  gegen 
die  indischen  Mystiker  vorgebracht  worden  iat.  Sie  ward«! 
bescboldigt,  dass  sie  die  Ooltheit  omiedrigleu,  indem  li* 
dieselbe  zn  dem  Niveau  der  Menschheit  herabzOgen  ud 
sogar  die  menschliche  uud  die  gilltlichu  Natur  identifi- 
ziertou.  Hier  mttssen  wir  Jedoch  beide  Sciteu  liCtren  nod 
müssen  darauf  aeheu,  daas  sie  dieselbe  Sjjraoli«  gebrau- 
chen uud  wirklich  verstehen,  was  sie  sagen.  Kein  WoH 
hat  so  viele  Bedeutungen  wie  'Gott'.  Wenn  man  Uott  all 
eine  Art  Jupiter  oder  selbst  als  einen  Jehovah  aufCuit, 
so  kann  die  Idee  eines  Sohnes  Gottes  nur  für  eine  Itluph»- 
mic  angesehen  werden,  wie  sie  von  den  Juden  anguaclxi 
wurde,  oder  sie  kann  dem  mensolüichen  Vorstand  nr 
in    der  Fbrm    von    Charakteren,    wie    denen    dna    Uenüdti 


ChriBtliche  Theosophie.  527 

oder  des  Dionysos,  mandgerecht  gemacht  werden.  Solange 
nuui  solche  Ideen  von  der  Gottheit  nnd  ihrer  Beziehung 
zur  Menschheit  hatte  —  nnd  wir  wissen,  dass  selbst 
christliche  Theologen  sie  hatten  —  war  es  nnr  natürlich,  dass 
ein  Anspruch  seitens  der  Menschheit,  an  der  Natur  des 
Göttlichen  teilzunehmen,  nur  Schrecken  und  Widerwillen  er- 
regen konnte.  Nachdem  aber  die  Gottheit  von  ihrem  mytiio- 
logischen  Charakter  befreit  worden  war,  nachdem  der  mensch- 
liche Geist,  sei  es  in  Indien  oder  anderswo,  sich  einmal  die 
Thatsache  klar  gemacht  hatte,  düss  Gott  Alles  in  Allem  sei, 
dass  es  nichts  neben  Gott  geben  kdnne,  dass  es  nur  Ein 
Unendliches  geben  könne,  nnd  nicht  zwei,  war  die  Schluss- 
folgerung unvermeidlich,  dass  auch  die  menschliche  Seele 
Gott  angehöre.  Es  war  Sache  der  Religion,  das  wahre  Ver- 
hältnis zwischen  Gott  und  dem  Menschen  zu  bestimmen,  und 
Sie  werden  sich  vielleicht  aus  meinem  ersten  Kursus  von  Vor- 
lesungen erinnern,  dass  einige  hohe  Autoritäten  alle  Religion 
als  die  Erkenntnis  eben  dieses  Verhältnisses  zwischen  Gott 
und  dem  Menschen  definiert  haben.  Es  lässt  sich  gegen 
diese  Definition  nichts  einwenden,  wenn  wir  nur  deutlich 
sehen,  dass  dieser  Ai^erkennung  einer  Beziehung  zwischen 
dem  Göttlichen  und  dem  Menschlichen  das  vorausgehen  muss, 
was  ich  die  Wahrnehmung  des  Unendlichen  in  der  Natur 
und  des  Unendlichen  im  Menschen  und  die  schließliche  An- 
erkennung ihrer  Einheit  nannte.  Ich  wollte  in  der  That, 
unser  etymologisches  Gewissen  erlaubte  uns,  religio  mit  Lac- 
tantius  und  Anderen  von  religare^  'wiederbinden'  oder 
'wiedervereinigen',  abzuleiten,  denn  in  diesem  Falle  würde 
religio  von  Anfang  an  bedeutet  haben,  was  es  zuletzt  bedeu- 
tete, eine  Wiedervereinigung  der  Seele  mit  Gott. 

Diese  Wiedervereinigung  kann  nur  auf  zwei  Arten  statt- 
finden; entweder  als  eine  Wiederherstellung  jener  ursprüng- 
lichen Einheit,  welche  eine  Zeit  lang  durch  Dunkelheit  oder 
Nichtwissen  vergessen  war,  oder  als  eine  liebevolle  Annähe- 
rung und  Übergabe  der  Seele  an  Gott,  ohne  irgend  einen 
Versuch,   die  Trennung   der  Seele   von  Gott,   oder  ihr  zeit- 


52S  Fünfzehnte  Vorlerong. 

weiliges  unabhängiges  Bestehen,  oder  ihre  schließlicbe  An- 
näherung an  Gott  nnd  Vereinigung  mit  €k>tt  zn  erkllres. 
Und  hier  scheint  es  mir,  dass  das  Christentnm,  wenn  es  ntr 
gehörig  verstanden  wird,  den  bestmöglichen  Ausdruck  gefondei 
hat.  Jeder  Ausdruck  in  der  menschlichen  Sprmche  kun 
natflrlich  nur  metaphorisch  sein,  und  metaphorisch  ist  auch 
der  Ausdruck  'göttliche  Sohnschaft',  doch  drUckt  er  deoffidi 
das  aus,  was  man  brauchte,  nämlich  Identität  der  Substau 
und  Unterschied  der  Form.  Die  Identität  der  Substanz  wird 
von  Paulus  klar  ausgedrückt,  wenn  er  sagt  (Apostelg. 
XVII,  28),  dass  wir  in  Gott  leben,  weben  und  sind;  und  es 
ist  sehr  bezeichnend,  dass  sich  Paulus  gerade  für  diese,  ^e 
Grundlehre  des  Christentums,  auf  das  Zeugnis  auch  nichtchifat- 
licher  Propheten  berief,  denn  er  fügt  hinzu,  wie  um  sdae 
eigene  hohe  Meinung  von  der  natürlichen  und  nniversaloi 
Religion  zu  betonen:  »Als  auch  etliche  Poeten  bei  euch  ge- 
saget haben.« 

Der  Unterschied  in  der  Form  wird  durch  den  Nameo 
'Sohn'  selbst  ausgedrückt.  Obgleich  der  Begriff  des  Vaten 
unmöglich  ist  ohne  den  des  Sohnes,  und  der  Begriff  des 
Sohnes  unmöglich  ohne  den  des  Vaters,  fügt  doch  Christus 
selbst,  nachdem  er  zuerst  gesagt  hat:  »Ich  und  der  Vater 
sind  Eins«  (Job.  X,  30),  hinzu  (XIV,  28):  »Der  Vater  ist 
größer  denn  ich.«  So  ist  denn  der  Vorrang  des  Vaters  ge- 
sichert, ob  wir  nun  die  einfache  Sprache  des  Johannes  oder 
die  philosophische  Terminologie  des  Dionysius  und  seiner 
Anhänger  annehmen. 

Eine  viel  größere  Schwierigkeit  haben  manche  christUche 
Theologen  darin  gefunden,  die  Einheit  und  doch  wieder  Ve^ 
schiedenheit  zwischen  dem  Sohne  Gottes  und  der  Menschbot 
im  Allgemeinen  festzustellen.  Man  hielt  es  nicht  für  einen 
Raub,  dass  der  Sohn  dem  Vater  gleich  sei  (Ep.  Phil.  II,  6), 
wohl  aber  hielt  man  es  für  einen  Raub,  die  menschliebe 
Natur  der  des  Sohnes  gleich  zu  machen.  Viele  schreckten 
vor  dem  Gedanken  zurück,  dass  der  Sohn  Gottes  auf  diese 
Weise  zu  einem  hlofieti  Menschen  erniedrigt  werde.    Gibt  es 


Christliche  Theosophie.  529 

aber  nicht  auch  eine  Blasphemie  gegen  die  Menschheit,  und 
ist  es  nicht  Blasphemie,  von  einem  bloßen  Menschen  zn 
sprechen.  Welchen  Sinn  kann  der  Ausdruck  ^ein  blofiei* 
Mensch!  haben,  wenn  wir  einmal  die  göttliche  Wesenheit  in 
ihm  erkannt  haben,  wenn  wir  einmal  glauben,  dass  wir 
nichts  sind,  wir  seien  denn  Gott.  Wenn  wir  uns  einmal 
erlauben,  von  einem  bloßen  Menschen  zn  sprechen,  so  wer- 
den Andere  bald  von  einem  bloßen  Gott  sprechen. 

Wahrlich,  kein  Mensch  war  demütiger  als  Meister  Eck- 
hart und  Tauler,  kein  Mensch  bewies  dem  Sohne  größere 
Ehrfurcht  als  sie,  die  so  tief  4]a  das  wahre  Wesen  der  gött- 
lichen Sohnschaft  geblickt  hatten.  Aber  sie  ließen  nicht 
an,  dass  die  klaren  und  deutlichen  Aussprüche  des  Neuen 
Testaments  von  haarspaltenden  Theologen  wegargumentiert 
würden.  Sie  waren  nicht  geneigt,  die  Worte  Christi  anders 
als  in  ihrem  buchstäblichen  und  natürlichen  Sinne  gelten 
zn  lassen.  Sie  citierten  die  Verse:  »Auf  dass  sie  alle 
eines  sein,  gleich  wie  du,  Vater,  in  mir,  und  ich  in  dir, 
dass  auch  sie  in  uns  eines  sein«  (Job.  XVIl,  21).  Und  wie- 
derum: >Und  ich  hab'  ihnen  gegeben  die  Herrlichkeit,  die 
dn  mir  gegeben  hast,  dass  sie  eines  sein,  gleichwie  wir 
eines  sind«  (Joh.  XVII,  22;  siehe  auch  Job.  XIV,  2  —  3). 
Diese  Worte,  behaupten  sie,  können  nur  Eine  Bedeutung 
haben.  Auch  wollen  sie  nicht  zugeben,  dass  man  sich 
mit  den  klaren  Worten  des  Paulus  (Ep.  Köm.  VIII,  IG; 
17)  irgend  welche  Freiheiten  erlaube:  »Der  selbige  Geist 
gibt  Zeugnis  unserm  Geist,  dass  wir  Gottes  Kinder  sind. 
Sind  wir  denn  Eander,  so  sind  wir  auch  Erben,  nämlich 
Gottes  Erben  und  Miterben  Christi:  so  wir  anders  mit  lei- 
den, auf  dass  wir  auch  mit  zur  Herrlichkeit  erhoben  wer- 
den.« Sie  lehnen  sich  dagegen  auf,  dass  man  die  Worte 
des  Johannes  ihres  natürlichen  und  offenbaren  Sinnes  gewaltsam 
beranbe,  wenn  er  sagt:  »Meine  Lieben,  wir  sind  nun  Got* 
tes  Kinder,  and  ist  noch  nicht  erschienen,  was  wir  sein 
werden.     Wir  wissen  aber,   wenn  es   erscheinen  wird,  dass 

Max  MfiUer,  Theosophie.  34 


r.30 


Fünfzebnte  Vorlesimff. 


wir    ihm  gleich    sein   werden;   denn   wir  werden  ihn  seheB, 
wie  er  ist<   (I.  Ep.  Joh.  3,  2). 

Noch  viele  andere  Stellen  deaselbt:n  Inhalte  lieHeo  sich 
oitioreu  und  sind  citiert  worden.  Über  jede  derselben  haboD 
Eckh&rt  und  seine  Freunde  tief  nachgedacht,  und  wenn  i 
bloß  eine  Pra^e  der  Ehrfurcht  gegen  Christus  war,  so  wnrdc 
ihm  nirgends  größere  Elirfurcbt  bewiesen,  als  in  den  Fredig- 
len  dieser  Gottegfreunde.  Wenn  sie  aber  ihren  Glauben  ao 
die  walire  Brüderschaft  Christi  und  des  Monschen  aufgege- 
ben hallen,  so  würden  sie  das  aufgeopfert  haben,  was  ihnen 
der  eigeDltiche  Kern  des  Cbrislenlnnis  zu  sein  schien. 
mögen  alle  möglichen  Ü^ntscbuldigungsgrUnde  anführen  für 
Jene,  welche  ans  Ehrfurcht  gegen  Ciott  und  gegen  Chiiatai 
und  ans  den  reinsten  Uodven  dagegen  Einspruch  erheben, 
wenn  man  die  volle  Bruderschaft  Christi  ffir  den  Measchea 
behauptet,  Wenn  sie  aber  sagen,  dass  der  Unterschied  iiri> 
sehen  Christus  und  der  Menscbbeit  ein  Unterschied  der  Art 
und  nicht  des  Grades  ist,  so  wissen  sie  nicht,  wxa  ü«  lli 
sie  machen  die  ganxe  Lehre  Christi  zu  Nichte,  und 
leugnen  die  Inkarnation,  die  sie  zu  lehren  rorgcben.  Mtg 
der  Unterschied  des  Grades  so  groß  sein,  als  er  a  nnrnt 
schon  denen,  welche  zur  selben  Art  geboren,  «ein  kau, 
aber  gegenüber  der  Dberwftlligenden  Masse  von  Zengniassi, 
die  aus  den  eigenen  Worten  Christi  zu  uns  sprechen,  iit  u 
doch  wahrlich  nutzlos,  ein  paar  8lollen  im  Nonon  Testasiaiil 
zu  suchen ,  die  möglicherweise  anf  einen  Unterschied  dn 
Art  hinweisen  könnten.  Es  ist  uns  zum  Beispiel  kScdkk 
gesagt  worden,  dass  Christus  nie  von  unserem  Vat«r  iiiriek^ 
wenn  er  sich  selbst  oiDschließt,  und  dass  er,  als  er  MÜnt 
Schuler  lehrte  zn  beten:  >Unser  Vater  in  dem  Illmnel', 
absichtlich  sich  selbst  ausscbloss,  Dies  kannte  vielleicht  ii 
einem  Gerichtshof  plausibel  klingen ,  aber  was  wird  dnuli 
wenn  es  den  Worten  Christi  entgegen  gehalten  wird:  >0«W 
aber  hin  zu  meinen  BrDdern  und  sage  ihnen:  loh  tä 
auf  zu  meinem  Vater   und    zu  eurem  Vater,  in  neiBMll  Qrfl 


Christliche  Theosophie.  531 

und  m  eurem  Gottc  (Job.  XX,  17).  Wollte  er  etwa  auch 
damit  sagen,  dass  sein  Vater  nicht  derselbe  sei  wie  ihr  Va- 
ter, und  ihr  Gott  nicht  derselbe,  wie  sein  Gott? 


Die  Religion  die  BrficlKe  zwischen  dem  Endlichen  und  dem 

Unendlichen. 

Es  war   der  Hauptzweck    dieser  vier  Kurse  von  Vor- 
lesungen, zu  beweisen,  dass  das  Verlangen  nach  Vereinigung 
oder  Einheit  mit  Gott,  das  wir  als  das  höchste  Ziel  in  anderen 
Religionen  sahen,  seine  vollste  Anerkennung  im  Christentum 
findet,  wenn  es   nur  gehörig  verstanden,  d.  h.  wenn  es  nur 
historisch  behandelt  wird,  und  dass  es  von  unserem  Glauben 
an  die  volle  Brflderschaft  des  Menschen  mit  Christus  untrenn- 
bar ist     So  unvollkommen  auch  die  Formen  sein  mögen,  in 
denen  dieses  menschliche  Sehnen  nach  Gott  in  verschiedenen 
Religionen  Ausdruck  gefanden  hat,  so  ist  es  doch  immer  die 
tieftte  Quelle  aller  Religion  und  der  höchste  Gipfel  gewesen, 
den  die  natflrliche  Religion  erreicht  hat.     Die  verschiedenen 
Brücken,  welche  Aber  den  Abgrund,  welcher  die  Erde  vom 
Himmel   und   den  Menschen    von  Gott    zu   trennen    scheint, 
geaeUagen    worden   sind  —  ob    wir   sie   nun   Bifröst   oder 
^ÜTlnvat  oder  Es-8irät  oder  mit  irgend  einem  anderen  Namen 
benennen  —   mögen   mehr   oder  minder   roh  und  fehlerhaft 
adn;  doch  können  wir  versichert  sein,  dass  manche  treue  Seele 
iber  dieselben  in  ein  besseres  Heim   gebracht  worden   ist. 
Sie  erinnern  sich  wa)|d,  wie  in  den  üpanishaden  das  Selbst  als 
die  wahre  Brflcke,  ab  das  beste  Bindeglied  zwischen  der  Seele 
ad   Gott  erkannt  worden  war,  und  dieselbe  Idee  begegnet 
VAS  immer  wieder  in  den  Religionen   und  Philosophien  spä- 
terer Zeiten.    Es  ist  ganz  richtig,  dass  es  nur  eine  Metapher 
Wfy'  wenn  man  von  einer  Brflcke  zwischen  dem  Menschen  und 
I  tftitt  spricht,   selbst  wenn   diese  Brflcke   das  Selbst  genannt 
■  trillL     Wie  können  wir   aber  von  diesen  Dingen  anders  als 
in  Itetaphem   sprechen?     ^Zu    Gott    zurückkehren'    ist   eine 


532  .Fünfzehnte  Vorlesung. 

Metapher^  ^vor  dem  Throne  Gottes  stehen'  ist  eine  Metapher, 
^mit  Christus  im  Paradiese  sein'  ist  eine  Metapher. 

Selbst  diejenigen,  welche  gegen  die  Metapher  einer 
Brücke  zwischen  Erde  und  Himmel,  zwischen  dem  Menschen 
und  Gott  Einspruch  erheben  und  der  Ansicht  sind,  dass  die 
höchste  Lehre  der  Theosophie  die  Erkenntnis  der  ewig^ 
Einheit  der  menschlichen  und  der  göttlichen  Natur  sei,  mfls- 
sen  zur  Metapher  Zuflucht  nehmen,  um  klar  zu  machen,  was 
sie  meinen. 

Die  Metapher,  die  fast  allgemein  verbreitet  ist,  die  wir 
im  Vedänta,  bei  den  Sufis,  bei  den  deutschen  Mystikern,  ji 
sogar  noch  bei  den  Cambridger  Piatonikern  im  siebzehnten 
Jahrhundert  finden,  ist  die  von  der  Sonne  und  ihren 
Strahlen. 

Die  Sonne  —  so  sagen  sie  Alle  —  ist  nicht  die  Sonne^ 
es  sei  denn  dass  sie  Licht  ausstrahlt;  und  Gott  ist  nieht 
Gott,  es  sei  denn  dass  er  Licht  ausstrahlt,  es  sei  denn  dsss 
er  sich  offenbart. 

Alle  Strahlen  der  Sonne  gehören  der  Sonne  an,  w 
können  nie  von  ihr  getrennt  werden,  obgleich  ihre  Einheit 
mit  der  Quelle  des  Lichtes  eine  Zeit  lang  durch  eine  di- 
zwischen  tretende  Finsternis  verdunkelt  werden  kann.  Alle 
Strahlen  Gottes,  jede  Seele,  jeder  Sohn  Gottes,  gehört  Gott 
an;  sie  können  nicht  von  Gott  getrennt  werden,  obgi^ 
ihre    Einheit    mit    dem    göttlichen    Urquell    eine    Zeit   httf 

durch  Selbstheit,   Leidenschaft  und   Sünde   verdunkelt  we^ 

* 

den  kann. 

Jeder  Strahl  ist  von  den  andern  Strahlen  verschiedea; 
doch  kann  es  keine  wesentliche  Verschiedenheit  iwischea 
ihnen  geben.  Jede  Seele  ist  von  den  anderen  Seelen  fe^ 
schieden;  doch  kann  es  keine  wesentliche  Yerschiedeiüieit 
zwischen  ihnen  geben. 

Sobald  die  dazwischen  tretende  Finsternis  beseitigt  iit 
sieht    man,    dass  jeder  Strahl   ein  Teil  der  Sonne  und  doek 


Christliche  Theosophie.  533 

von  ihr  und  von  den  anderen  Strahlen  getrennt  ist.  Sobald 
die  dazwischen  tretende  Unwissenheit  beseitigt  ist,  weiß  jede 
Seele,  dass  sie  ein  Teil  Gottes  und  doch  von  Gott  und  von 
den  anderen  Seelen  getrennt  ist. 

Kein  Strahl  geht  verloren,  und  obwohl  er  ein  Strahl 
f&r  sich  zu  sein  scheint,  bleibt  er  doch  stets  das,  was  er 
immer  gewesen  ist,  nicht  von  dem  Lichte  getrennt,  und  nicht 
in  dem  Lichte  verloren,  sondern  stets  in  der  Sonne  gegen- 
wärtig. Keine  Seele  geht  verloren,  nnd  obwohl  sie  eine 
Seele  für  sich  zn  sein  scheint,  bleibt  sie  doch  stets  das,  was 
sie  immer  gewesen  ist,  nicht  von  Gott  getrennt,  nicht  in  Gott 
verloren,  sondern  stets  gegenwärtig  in  Gott. 

Und  schließlich,  wie  aus  der  Sonne  nicht  nur  Licht, 
sondern  auch  Wärme  hervorquillt,  so  geht  von  Gott  nicht 
bloß  das  Licht  der  Erkenntnis,  sondern  auch  die  Wärme 
der  Liebe  aus,  die  Liebe  des  Vaters  und  die  Liebe  des  Soh- 
nes, ja  die  Liebe  aller  SOhne  des  ewigen  Vaters. 

Gibt  es  aber  gar  keinen  Unterschied  zwischen  der 
Sonne  und  den  Strahlen?  Ja,  es  gibt  einen.  Die  Sonne 
allein  sendet  ihre  Strahlen  aus,  und  Gott  allein  sendet  seine 
Seelen  aus.  Die  Kausalität  —  man  nenne  sie  Schöpfung 
oder  Emanation  —  gehört  Gott  allein  an,  nicht  seinen  Strah- 
len oder  seinen  Seelen. 

Dies  sind  Metaphern,  die  so  alt  sind  wie  die  Welt,  doch 
bleiben  sie  ewig  neu  und  wahr,  und  wir  begegnen  ihnen  noch 
einmal  in  den  Spekulationen  der  Cambridger  Platoniker.  So 
sagt  Henry  More: 

^I  came  from  God,  am  an  immortal  ray 

Of  God;  0  joy!  and  back  to  God  shall  go\V 


1)  Wörtliche  Prosa-Übersetzung:  Ich  kam  von  Gott,  bin  ein 
nnaterblicher  Strahl  Gottes,  und  werde,  o  Wonne !  zu  Gott  zurück- 
kehren. Anm.  des  Übers. 


FUnrEehnio  Votleeiing. 


'ilcnce  the  soal'B  nitturo  wfi  lony  [tlHiuly  bim:: 

A  boam  it  is  of  tii'  latellectnul  Sun, 

A  ray  iudeed  of  tliat  Aoternity; 

Biit  such  a  ray  »8  when  it  fiTBt  ouUhooe 

From  H  free  üght  ite  shining  d»te  bcgnn'.'; 

80  hoffe  ich  denu,  den  einfaelien  PIjlu  meiner  Vor- 
lesoDgen,  wie  ich  ihn  von  Anfang  an  mir  vorgezoichnet,  aas- 
gofnbrf  zu  haben.  Mein  erster  Kursus  sollte  als  EinleUaiis 
dienen,  den  hiatorischeu  Standpunkt  feststellen,  ron  dem  die 
Religionen  studiert  werden  mOssen,  and  gewisse  DeGnitiooeD 
geben,  iu  Bezug  anf  die  zwischen  Lehrern  and  ZofaCren 
kein  MissTerstfindnis  walten  sollte.  Indem  ich  sodann  eisen 
Überblick  über  die  ungehenere  Hasse  rellgiCaen  Denken 
gab,  die  vor  den  Augen  des  Geschichtaforschera  in  obM* 
tischor  Verwirrnng  daliegt,  suchte  ich  zn  zei^n,  diat  M 
in  dieser  Masse  zwei  Strömungen  gebe,  deren  Eine  das 
Suchen  nach  etwas  mehr  als  Endlichem  oder  Phlnomeu- 
lem  in  der  Natur  darstellt  —  was  ich  physische  Religio» 
nannte  — ,  während  die  andere  das  Sueben  nach  s(wu 
mehr  als  Endlichem  oder  Phänomenalem  in  der  Seel«  dtt 
Menschen  darstellt  —  die  anthropologisclte  IteUgii»,  b 
diesem  meinem  letzten  Kursus  war  es  mein  HaoptbenlbiB, 
zu  zeigen,  wie  diese  beiden  8tröme  steU  aich  su  Tecais^ 
gen  suchen  und  sich  am  Ende  thatsftchlich  in  dem  n^ 
einigen,  was  ich  Theosophie  oder  psycholagitch*  Rel^ 
ijion  nenne,  die  nns  zu  der  Erkenntnis  der  «eientUelieft 
Einheit  der  Seele  mit  Ciolt  hilfi.  Sowohl  dieses  Streben  naeb 
Vereinigung  als  auch  die  schUeßlicbe  Vertun ignng  haboL 
glaube  ich,  ihren  vollkommensten  Ausdruck  im  Christentw 
gefunden.  Das  Streben  der  Seele,  sieh  mit  Oott  sn  tu- 
einigen,   findet  seinen  Äusdrnck   in   der  Liebe   an  0«tt,  M 


Christliche  Theosophie.  535 

der  alle  Gesetze  und  alle  Propheten  hangen;  die  schließ- 
liche Vereinignng  ist  darin  ansgedrflckt,  dass  wir  im  wahren 
Sinne  des  Wortes  die  Söhne  Gottes  sind.  Diese  Sohnschaft 
kann  dnrch  verschiedene  Mittel  erlangt  werden,  dnrch  keines 
so  wahrhaft,  als  dnrch  das,  was  Meister  Eckhart  das  Auf- 
gehen unseres  Willens  in  dem  Willen  Gottes  nannte.  Sie 
erinnern  sich  vielleicht,  dass  dies  gerade  die  Definition  ist, 
die  Ihr  verehrter  Kanzler  von  der  wahren  Bedentang  der 
Religion  gegeben  hat;  und  wenn  die  wahre  Bedeutung 
der  Religion  der  h^^chste  Zweck  der  Religion  ist,  so  werden 
Sie  sehen,  wie  der  Forscher  der  Religionsgeschichte  nach 
einer  mflhsamen  Reise  am  Ende  auf  demselben  Gipfel 
anlangt,  den  sich  der  Religionsphilosoph  von  Anfang  an  ge- 
wählt hat 


Zum  Schlüsse  muss  ich  noch  einmal  dem  Kanzler  und 
dem  Senat  dieser  Universität  ftlr  die  Ehre  danken,  die  sie 
mir  erwiesen  haben,  indem  sie  mich  zweimal  zu  diesem  wich- 
tigen Amte  eines  Gifibrd -Lektors  erwählten  und  mir  so 
Gelegenheit  gaben,  die  letzten  Resultate  meiner  lebenslangen 
Stadien  in  den  Religionen  und  Philosophien  der  Welt  zu- 
sammenzustellen. Ich  weiß  recht  gut,  dass  manche  von 
diesen  Resultaten  einigen  gelehrten  Theologen  Kummer  be- 
reitet haben.  Doch  wflrde  es  ihnen,  glaube  ich,  noch  viel 
größeren  Kummer  bereitet  haben,  wenn  sie  mich  wegen  irgend 
eines  Mangels  an  Aufrichtigkeit  im  Verdacht  gehabt  hätten, 
sei  es,  dass  ich  irgend  welche  von  den  Thatsachen  ver- 
schwiegen hätte,  die  das  Studium  der  heiligen  Bflcher  der  Welt 
xn  Tage  gefordert,  oder  dass  ich  die  Überzeugungen  verhehlt 
hätte,  zu  denen  mich  diese  Thatsachen  unwiderstehlich  ge- 
fährt  haben. 

Es  gibt  verschiedene  Weisen,  wie  wir  wahren  Glauben 
und  wirkliche  Ehrfurcht  vor  der  Religion  an  den  Tag  legen 
können.     Was  würden  Sie  sagen,  wenn  Sie  eine  starke  und 


536 


Flinfxelinto  Vorlesung. 


mSclitigc  Eiche  sähen ,  Ton  winzigen  Pfählen  eingesclÜDasQB, 
lim  sie  vor  dom  Fallen  za  bewahren,  durch  Vogelscheuchen 
entatelll:,  am  die  Vögel  wegznjitgen,  oder  mit  dflunen  Wind- 
sohirmen  bedeckt,  am  sie  vor  der  Lnfl  nnd  dem  Licht  du 
llimmcU  zn  beschützen?  Würden  Sic  nicht  das  Gefühl  haben, 
dflS9  dies  Alles  eine  schimpfliche  Beleidigung  für  den  ßiesen 
des  Waldes  sei?  Würden  Sie  sich  nicht  bewogen  fUhloa. 
die  winzigen  Pfähle  ansznreißen,  damit  die  Eiche  weiter  den 
Stürmen  trotze,  nach  jedem  Sturme  noch  fester  an  der  Erde 
hafte  nnd  ihre  Wnrzeln  noch  tiefer  in  den  Felsen  unten  hin- 
eingrabe?  Würden  Sie  nicht  die  Vogelscheuchen  hinw^ 
schlendern  and  die  Vögel  in  ihren  starken  Ästen  ihre  Nester 
bauen  lassen?  Worden  Sie  sich  nicht  veranlasHt  fulileD,  di« 
Windächirme  wegzureißen,  damit  der  Wind  des  Himmels  ihr« 
Zweige  schüttle  und  das  Licht  vom  Tlimmel  ihr  dunklet 
Laub  erwarme  und  erlenchle?  Das  ist  das  Ooftlhl,  das  ich 
in  Bozag  anf  die  Religion,  ja  in  BeEUg  auf  die  chrislliofav 
BeligioD,  wenn  sie  nur  gehörig  verstanden  wird,  hab«.  i 
braucht  diese  winzigen  Pfähle,  diese  büsslichen  Vogela^bd- 
cben,  die  nutzlosen  Apologien  nicht.  Wenn  man  rie  je 
brauchte,  so  braucht  man  sie  _;i?/j^  nicht,  mögen  sie  toa 
physische  Wunder,  oder  wörtliche  Inspiration,  oder  plffl- 
liche  Unfehlbarkeit  heißen;  sie  &mA  jetzt  eine  Beleidigung. 
eine  Scli&ndang  der  Majestät  der  Wahrheit.  Ich  glaub« 
nicht  an  menschliche  Unfehlbarkeit,  am  allerwenigsten  u 
päpstliche  Unfehlbarkeit,  Ich  glaube  nicht  an  die  Unfehl- 
barkeit der  Professoren,  am  allerwenigsten  an  die  Ihre« 
Gifford-Lektors.  Wir  sind  alle  fehlbar,  nnd  »war  cnt««dei 
in  unseren  Thatsachen,  oder  in  den  Schlüssen,  die  wir  am 
ihnen  ziehen.  Wenn  daher  irgend  Einer  von  meinen  gelehr^ 
ten  Kritikern  mir  sagen  will,  welche  von  meinen  ThalsaehsB 
falsch,  oder  welche  von  meinen  Schlussfolgernngen  fehlethiA 
seien,  so  kann  ich  ihn  nur  rersichem,  dass  ich,  wenn  ich 
auch  schon  ein  sehr  alter  Professor  bin,  stets  diejooigcii  n 
meinen  besten  Freunden  Kahlen  werde,  welche  sich  di«  Msbt 


ChriBtliche  Theosophie. 


537 


nicht  verdrießen  lassen,  mir  neue  Thatsachen  zu  liefern,  oder 
mich  darauf  aufmerksam  zu  machen,  wenn  ich  Thatsachen 
falsch  angegeben  habe,  und  welche  meine  Argumente  ver- 
bessern wollen,  so  oft  sie  ihnen  gegen  die  heiligen  Gesetze 
der  Logik  zn  verstoßen  scheinen. 


Anhang  zu 

Stationen  anf  der  Wandemngr  der  Seel 


IJr»h.  Ar.  Up. 

A'Aünd.  Up. 

A'Aand.  Up. 

Kaaah.  Up.  ] 

TaiU.  Uf 

VI.  2,  13. 

V,  10,  1. 

IV,  15,  5. 

1,2. 

1,8. 

MklB 

aritis 

arAis 

AandnmäB 

M*^ 

uhar 

abar 

abar 

aparapakühaA 

TAyaA 

:'ipür]rainä)ia/i 

äpüryamÜHaA 

äpüryamüfuA 

rrishtik 

üdityaA 

pakshaA 

pakshaA 

pakshaA 

brahai 

Bhan  mäsäA 

sba»»  mäsäA 

sban  mAsäA 

(pratyä^iyate) 

(Qdak) 

(adak) 

(ndak) 

dOTalokaA 

samyatsarali 

samTatsaraA 

ädityaA 

»dityaA 

aditjaA 

kandramAs 

TaidTQtam 

l^andramäs 

kandramäs 

devayänaA 

pura8ho*müna' 

vidyut 

▼idynt 

agnilokaA 

YaA 

brahmalokäA 

pumsbo^mäna- 
TaA 

pani8bo*mäna- 
YaA 

väynlokaA 

(na  panar  iivtit- 

hrabina 

brabma  (derapa- 

TÜrunalokaA 

i\h) 

IbaA) 
(11  a  pnuar  ürrtt- 

indralokaA 

dhümaA 

dbflmaA 

tiA) 

rutriA 

rätriA 

pra^patilokaA 

apakshiyaniänu/i 

aparapakBbaA 

brabmalokaA 

pakshaA 

shan  miisiiA   (dak- 

sbaM   imWiA  (dak- 

shittu) 

äbinü) 

pitrtlukaA 

piirtlokaA 

ikandraA 

itkä^aA 

annam 

ftandramüs  (So- 
maA) 

äkü«aA 

annam 

väynA 

äkusaA 

\riii\it\h 

YJiyuA 

annam 

dbümaA 

purnshali,  jubha, 

abbrara 

etc. 

megba/t 
vrtäb^iA 
vribiyavii/i 
annam 

etc. 

I 

\ 


fiinften  Vorlesung. 

maeh  dem  Tode  nach  den  Upanishaden« 


BW]i.Ar. 

üp. 

Prun*  Up. 

Alkand.  Up. 

Matid,  Up. 

V,  10, 

1. 

I,  9. 

VIII,  13. 

I,  2,  n. 

TajoA 

J^ndramäs 

«yämaA  (moon) 

süryadTäram 

äditys* 

(panar  üvariaA) 

sabalaA  (snn) 

purasho'mrtUA 

ftBBdraA 
lokaA 

ädityaA 

(na  panar  ävar- 
taA) 

brahnaloka/i 

A'Aänd.  Up.     Haitr.  Bräh.  Up. 
VIII,  ß,  5.  VI,  30. 


rasniayaA         uttaräyanaA, 
üdiiyaA    (lo-       brahmapathaA 
kadväram)     sashomtiä 

sanram  dTäram 
brahmalokaA 
parä  gatiA 


Corrigenda. 


Seite  22,  Z.  6  von  unten  lies:  Dschelläl  eddins  für:  Jelaleddios. 

-  119,   -    3  lies:  BrahmaA;arya  für:  Brabma^aryä. 

-  2S6,   -    5  von  unten  lies:    gebenden   höchsten   für:    gebende 

höchste. 

-  286,   -    G    -         -         -       den  für:  das. 


INDEX. 


ABALARD.  4^5. 
Abd  al  Rmzzak.  340. 
Abel,  370. 

AbendnuJil,  das  heilige.  475. 
Abgeschiedenen,  die,  werden  zur 
Speise  derGutter.  116,  144. 

—  von     BrmhmAn     empfangen. 

120  ff. 

—  Pfad  der.  137. 

—  ihre  Wohnstätte.  13S. 

—  in  Klassen  eingeteilt,  13S. 

—  und  der  Mond,  145.  146. 

—  Yor  dem  Throne  Brahmans. 

157. 

—  Oberschreiten     einen    Flosa. 

167. 

—  von  einer  schonen  Jnngfran 

empfangen.  195. 

—  die  Frayaahis  die  Geister  der. 

203. 

—  deren  Vergötterung  setzt  den 

Giaaben  an  Götter  Torans. 
204. 

—  Herbert    Spencer    hierfiber, 

2U4. 
Abraham.  352. 

—  als  Sohn  Gottes.  360.  403. 

—  Philo's  allegorische  Dentong 

von.  370. 

—  und  Isaak.  Philo  über,  37*2. 
Abstrakte  Haapr«'5rter   in  der 

arischen  GrandsprachCf  77. 
Aba  Jafir  Atuvari,  3S. 
AbD    Said  Aböl  Cheir,   Stifter 

des  Sufiismos.  339. 
Abu  Yasid  und  Dschnnaid.  339. 
Accadisches  Gebet.  14  fg. 
Aehaemenidische       Inschriften. 

43. 


Adam  als  Sohn  Gottes.  360. 

—  nach  Philo.  370. 
Adevismus.  291. 
Aditi.  16.  13S. 
Aditva,  16. 

Adrästeia.  62  Anm..  212. 
Adyton  der  Seele,  421.  422. 
Aeshm.  19S. 
AeshmadacTa,  1S3. 
Afringan.  drei.  43. 
Agens,  Glaube  an  Ein.  S. 
A.^entien,  Glaube  an.  S. 
Agni,  der  eigentliche  Zweck  der 

Biographie  de?.  5  fg..  ^. 

—  als  höchster  Gott.  6.  49. 

—  das  Feuer,  29. 

—  Welt  des.  120.  126,  129,  130, 
132,  134. 

—  die  Sonne  das  Ange  des,  137. 

—  der  Erste  unter  den  Göttern. 
13S. 

—  der   sichtbare  und   unsicht- 
bare, 152. 

—  Naräj^msa.  179. 

—  1>H  fg.,  231,  232. 
Agniloka.  115  Anm. 

t:yraHJt(:^  Atl. 

Agnosis.  316. 

Agnosticismus,  234.  267. 

Agnostiker.  it>t.  315  fg. 

Agnus  Deif  XII. 

Agyaiti,  •Unwirklichkeit'.  ISl. 

Ägypten.    Namen    griechischer 
Götter  ans.  57. 
!   —  dessen  Einduss  auf  Griechen- 
•  land.  S"  fg..  **3. 

.    ~  Pytbagoras  und  Plato  in.  ^3. 
I   —  Wahren  der  Seele  in,  199. 


542 


Index. 


Ägypter,  Plato  über  die^  83. 

—  VVerke  über  die  Religion  der, 

108. 

Ägyptisches  Gebet,  13. 

Ägyptische  Priester,  Diodorus 
Siculus  beruft  sich  auf  de- 
ren Bücher,  81. 

Ahain,  Ego,  245. 

Ahana,  175. 

Ahl  alyakyn,  *Leute  der  Gßwiss- 
heit\  340. 

Ahtni  ya^  ahmi,  51. 

—  4ch  bin',  53,  54,  54  Anm. 
Ahnengeister,  Glaube  an,  214. 
Ahriman  in  den  Gäthas,  44. 

—  bei    griechischen  und  römi- 

schen Schriftstellern,  44. 

—  und  Ormazd,  180. 

—  mit  dem  Rat  der  Sechs,  183. 
Ahura,  18  fg. 

—  *der  lebendige  Gott',  von  ah, 

^sein',  52. 

—  zwanzig  Namen  des,  53. 
Ahuramazda,  17  fg.,  43,  48,  50, 

51,    53,    54,    181,    185,    190, 
191  fg.,  194,  200. 

—  dem  Plato  bekannt,  44. 

—  der  höchste  Gott,   177,   178, 

180,  184. 

—  eine  Entwicklung   des  vedi- 

schen  Varuwa,  180. 

—  als  Spenta  mainyu,  182. 

—  die  Seele  vor,  115  Anm.,  199. 

—  seinGespräch  mitZarathushtra 

über  die  Schutzengel,  202  fg. 

—  und  die  Fravashis,  203. 
Airyaman,  der  vedische  Arya- 

man,  179. 
Aitutaki,  Himmel  auf,  225. 
Akaanga,  220,  227,  228. 
Akademie  dos  Plato,  378. 
Aktwa,  Äther,  295. 
Akem  manö,    *der  böse  Geist', 

181,  183. 
AÄit,  310. 

AI  Aaräf,  170. 

Albertus  Magnus,  459,  497. 

Albigenser,  496,  497. 

Alexander  der  Große  und  die 
Texte  Zoroasters,  38,  39. 

Alexander  Polyhistor,  45  Anm. 

Alexandria,  Berührung  zwischen 
semitischem  und  arischem 
Denken  in,  IX,  393,  397  fg. 


Alexandria,  griechische  Beligion 
und  die  Juden  von,  81. 

—  jüdische  und  christliche  Theo- 

logie in,  XII,  XIII. 

—  gebildete  Perser  oder  Inder 

in,  362. 

—  philosophische  Schulen  von, 

ihr  Einfluss  anf  das  Christen- 
tum, XIV,  XV,  427,  455. 

Alexandrinisches  Christentum, 
427  ff. 

und  mystisches  Christen- 
tum, 455. 

Allah,  ein  Gott  der  Macht,  342. 

Alogoi,  die,  446  ff. 

'Alte  oben,  der',  377. 

Altes  Testament,  Erwähnung  der 
Schrift  in  demselben,  31  fg. 

verloren  gegangene  Bü- 
cher desselben,  34. 

Avesta  und,  46  ff. 

Gott,    Engel  nnd  Teufel 

in  demselben,  183,  184. 

sagt  nichts  über  Unsterb- 
lichkeit, 230. 

Philo's  Glaube  an  das- 
selbe, 368  fg. 

Philo's  auegorische  Aus- 
legung desselben,  370  ff. 

vage   Antecedentien   des 

Logos  in  demselben,  375. 

dessen   Lehre    über    die 

Seele  411  f^.,  414. 

Kluft  zwischen  der  Seele 

und    Gott     in    demselben, 
460. 

Amalrich,  508. 

Amänava,  nicht  ein  Mensch,  132. 

Amardäd,  183. 

Ambäs,  Ambäyavis  und  Amba- 
yäs,  120  fg. 

Ambrosius,  428. 

Amelius  über  Christentum,  423. 

Ameretäi^,  'Unsterblichkeit',  50. 
183. 

Ameretat,  48. 

Amerikanische  Sitten  mit  eng- 
lischen verglichen,  61. 

Ameshaspentas ,  44,  53,  182  f^-, 
184,  185,  199. 

Amitau^as,  das  Ruhebett  Brah- 
mans,  120,  122,  123. 

Amon.  14. 


Index. 


543 


im     Fniki&iuebeo. 

amotinHi  im  Manducha.  59. 
Amrita,  nnsterbliek,  aiisch,  7^. 
Anadec  IL,  Gegeapapst  4S5. 
Awkhitm.  44,  202. 
ÄB^ogiBche    MeUiode,    VI  fg.. 

317. 
AnaBda,      Seligkeit,      Pridikat 

Brakmaas,  93,  269. 
Aaaatatitti,    BibÜotkekar    tod 

Papst  Nieolaos  I.,  469. 
ABaxagoras,  370,  376,  3S3,  403. 

—  ADteeedentieD  dei  Logoa  beL 

374. 

—  über  das  Sckiekial,  364. 

—  fiber  den  Nom.  3S5,  3S6. 
Anaximaader,  394. 
Aabetiuig,  geistige,  344. 
Andra  =  India,  179. 

Angra  Mainya,  44,  1^0.  161  fg.. 

164,  199  fg: 
Animismna,  150  fg.,  154. 
AsoskaniTaa.  40. 
AntaryaiaiD.  310. 
Antkxxipologie,  60. 
Antbro|>ologiache  Beligioa.  VII, 

Vin,  68.  104,  156,  229,  534. 
A  atbropomorpk  laJima .  151. 
Antiockia.  Synode  toil  406. 
AnnmaDa.  Sckloasfi^genng.  101. 

268. 
Annstarani,  Roh,  167. 
Ao,  Tag,  Leben,  225. 
Äonen,  466.  466  Aam. 
Aparaj^ta.  der  Palast,  120.  121. 
Aparam  Brahman.  311. 

Apeiron.  die   formlose  Materie. 

366.  394,  421. 
Apkrodite,  62. 
a;f<Htf>,  420,  430. 

Apokalypse,  von  den  Alogoi  ver- 
worfen, 447. 
ApoUon,  Aplan,  63  Anm. 
a:io^na^fia^  413,  417. 

Apoatel,   St    Clemens,    Papias 

und  die.  XIV. 
Apiaraa.  120,  121,  161,  195. 

.IptaTaAana.  102. 

Apolejos    fiber   die   Daimone». 

463. 
Apiinra  oder  karman,  301  {^. 
Ära.  der  See.  12o.  121,  14ii. 

—  von  an.  *Feind\  122.  Uo 


Aramad.  179. 
Aldi  bahisht.  163. 
Areimanios,  44. 
Arif^  *Tbeosophisten\  340. 
Arische  Religion  nad  Mytholo- 
^e.  gemeinsame.  71-^7s. 

—  VGlkertrennnng,  71,  75. 

—  ClTilisation.  73. 

—  Atmospkiie,  gemeinsame  die 

griechiscke  and  indische 
Philosophie  darcfadringende, 
76.  76. 

—  Wörter,  gemeinsame,  76. 

—  und     semitische    Gedanken. 

IX. 

BeUgionen.  61. 

Aristides  der  Sophist  fiber  Ju- 
piter, 11. 

Aristokle&  62. 

Aristokrates.  Sohn  des  Hippar- 
chos,  62. 

Aristotele«.  XV,  44,  56.  376. 
365,  369  fg.,  391.  409. 

—  kennt  Zoroasters  Kamen.  62. 

—  fiber  die  fümi  Elemente,  64. 

—  der   Vater    der    Ketaereien. 

337. 

—  Anteeedentien  des  Logos  bei. 

373,  514. 

—  das   erste    Bewegende    des. 

390. 

—  Ton    Eckhart    der   'Meister' 

genannt.  502. 
Aiistoxenos,  62. 
Armaiti.  Aiamati.  50,  179.  1>3. 
Arnold  von  Brescia.  466. 
Art  «=  lUo^  =  iV/c,  3r!4»,  361. 

—  Siehe     auch     Ursprung     dt-r 

ArUn. 

Artakshatar   Ardeshir;.  39. 

Artemis  Upis.  62  Anm. 

Artikel  in  den  arischen  Spra- 
chen. 76  fg. 

'Arüf.  344. 

Arümans,  Griechen.  39. 

Aryaman,  179. 

Asar-mola-dag.  14. 

Aaat,  das  Nichtseiende,  95. 

As-brü.  Bracke  der  Aseu.  100. 

Asceten,  indische,  161,  521. 

—  Sanskrit  Name  für.  520  Anm. 
Ascetische  Übungen.  'X22.  421. 
Ascetismus.  34 u  f^. 

—  übermäßiger,  5H»  ff. 


^B                                                        iaä 

^ri 

^^1           Aai'-etlamas,  UbcriDäßiger,  Pro- 

Atman,  die  wahre  BrBcIte  TOä 

^^H                  teste  gegen  deaselbHn,  521JF. 

Schein  Kum  Sein,   16$Ann>. 

^^H           —  in  Indien  und  lu  Dentsclibad. 

—  AtBjn',   Soolo-,  -SeHwf.  34S. 

^H 

—  Etymologie  von,  246  (g. 

^^1           —  physioloKisch  betrachtet,  520. 
^H           -  hilirt  SU  Betrag,  520  fg. 

—  alitNamo  des  TiibrenWceeDi 

des  Menschen.  34U. 

^H            Ascbylos,  33. 

—  seine  Auferstehung  ans  dem 

^H            Aaen,  BHlckc  der,  IGfi. 

Körper,  2(i8. 

^H            Aahii.  Uer»olitigkelt,  44. 

—  unverändert  mitteu  unter  il«i 

^H          —  vnhishtm  ao,  läU. 

Veränderungen    der    Well. 

^^H          Airiaarnthya.  270. 

■m  fg. 

^H            ÄsmodeuB,  IS3. 

—  hüobster,  2h<i. 

^H            Aflti,  l<ni,  est.  ist,  ^U. 

—  der  Zeuge,  2H6. 

^H            ABtüvidäiJ,  19S. 

^H            Astralk^ruüc  derTheoBophiBteo. 

303,  325. 

^H 

—  nicht  in  dem  lirahiaui  fm- 

^^H           Asn,  Lebensodem,  Hanie  für  die 

loren,  305.                   ^^^ 

^H                  Seele, 

—             auch  Stib*t.       ^^^^^1 

^^M           Aaum  V»ru»a,  4H. 

^^^^1 

^^1           —  und  as,  'sL-in'.  52. 

Atiür,                                 ^^^^^1 

^^1           —  'der  lebeadiee  Gott',  tTg. 

Uli  r  -  f arnbagt     I''arulthii^^^^| 

^H           ÄBura.  ein  Unglüubiger,  24«  fg. 
^^H           Asuraa  und  Dev^,  Kampf  der. 

^^^H 

VtOrpäd,  Verr»8iPr  odvr  ^^^H 

^H                    178,  247,  219. 

des  Diukäril,  4I>,  ^^^^^1 

^^H           —  Spuren     einer     feindseligen 

Auferstehung    des    Lelb^^^^H 

Juden  und  Person,  ^^|^^| 

^^1 

48.                                          ■    ^ 

^H            —  uud  Sums.  184. 

—  Scbiuksal  der  .Seele  bei  der.      1 

^H           Asuryn-Wolten,  104. 

1»(J  fg..  I»0  An».                    J 

^H          KtAt,  Feuer,  ITT. 

-  im  Talmud,  197.          -^^^M 

^H           ~  S'iba  des  Ahuramazdn,  1-J3. 

K\i\MrmüiJ ,  der  erita  (^^^^H 

^H           Atem  oder  Geint  ist  Crahman, 

^^^B 

^H 

Avaiki,  235.  22G.             ^^^^M 

^H            Athanuaius,  318,  415,  428. 

^V           —  Schriften  des  Dionysiua  ihm 

ävesta  =  ä  -i-  visla,  35.        .„.^   ■ 

^M                    unbekannt,  450, 

Aveata.     ge  schriebe  nee    Ej.bb>-    T 
plar  deEBelbcn  lu  BalkOBd.     1 

^H              AtharvuQ,  avestisch  und  Sausicril. 

^H 

32.                             w    m 

^H             Ätharvaveda,  Yaua  im,  13tl, 

—  von  vid,  -wisseu'.  35.^^^^ 

^H             —  Wohnstätle   der   Abftoacbie- 

^^^B 

^B                    denen  nach  dem,  13'J. 

-    richtiger  Name  fiti  d]^^^^^| 

^K             -  Umie  Im,  1Ü4. 

Zarathushtraa.  3«.    ^^^^H 

^H             -  Asnra  im,  17»,  1S4. 

-  dessen  VoihSItnis  luJMP 

^H            —  citiert,  240,  242. 

4üff,                                   W 

^M            —  Skanibba  im,  244. 

-  MonotbeiaiaUB  des,  47. 

-  Ilber  das  höchste  Wwen,  1* 

^H             Atheismue,  291. 

^m            Athenagoras,  XIU,  429,  431, 144. 

—  Namen    Qottes    im.    Hl,   ^V. 

^B            Atber,  Luft,  Feuer,  Wasser,  Erde, 

17Ö, 

^B                   2Ü5  f|^. 

-  und  Voda,  ß4,  lli5.  ITf),  186. 

^B            Atman  hat  dloselben  Kigenschaf- 

200. 

^H                  ton  wie  Urabman,  »3. 

IHlrw    und    Fr«tMbU 

^^K           —  ist  GrubmaD.  1U4. 

in,  2(11. 

^H          —  das  Selbst,  152,  IUI.  245  fT., 

-  Ilber  dieWnuderun«  detS«e- 

^^H 

Icn  nach  demTude,  lltAn» 

Index. 


545 


AvesU,  Unsterblichkeit  der  Seele 
im,  1S6  fg^  IS«  ff. 

—  und  UpaniBhaden,   ISO,  189, 

190,  191,  195,  199  ff. 

—  Belohnungen     nnd     Strafen 

nach  dem  Tode  im,  191  ff. 

—  and  MohammedaniamuB,  190. 

—  Plato  und,  205. 
Avestagläubige  und  Vedagläu- 

bige,  04. 
ATestisch,  37. 

Avestiache  Religion,  deren  älte- 
ste  Form   in   den   Gathas, 

43. 
ein  Gemisch   von   Mono- 

theismos,  Polytheismus  nnd 

Dualismus.  ISO. 
eine    ethische    Religion, 

ISO. 
nnd    vedische    Religion, 

179  fg.,  1S5  fg. 

—  Schriften,  griechische  Über- 

setzung derselben,  3S. 
ihr  Umfang,  41,  42. 

—  Sprache,  40. 
Avestisches  Gebet,  17  fg. 
ATicenna,  502. 

Avidya,  das  Nichtwissen,  93, 
107,  2S7  ff.,  293,  297,  309, 
311,  313  fg.,  315,  310. 

—  Brahman     wird     persönlich 

durch,  107. 

—  nnd   Brahman    die   Ursache 

der     phänomenalen     Welt, 
29Sfg. 

—  siehe  auch  Xiehiwissen. 
va  Zand,  35. 


BABYLON,  14. 

Babjlonier,  Werke  über  die  Re- 
ligion der,  10^. 

Babylonisches  Gebet,  15  fg. 

Badarayana.  97,  9s,  115  Anm., 
116,  301. 

—  seine  Sütras,  97,  100. 

—  citiert  ältere  Autoritäten,  99. 
Baya€tara,  179. 

Bagha.  179. 

Bahman,  1S3. 

Bakan  Yasbt,  42. 

Bak6,  42. 

Baktrien,  Buddhisten  in,  45. 

BalaTarman,  133. 

Mfts  MtUtr,  Tkeoiophie. 


Baresman  (Barsom).  237. 
barh,  'abreißen*,  237, 

—  'schwellen',  237. 

—  'äußern,  sprechen*,  239. 
Bamabas,  447. 

Barrow  über  die  Seele,  340  ff. 

BasiUdes,  390. 

Basilius,  42S. 

Basthüim,  73. 

Bastian,  73. 

Befreiung,  endgültige,  nach  5an- 
kara,  113. 

Behistun,  179. 

Behram,  179. 

Beichte,  Tauler  über,  523. 

Bellerophon,  02  Anm. 

Belohnungen  und  Strafen  im 
Jenseits,  Glaube  an,  47, 
191  ff.,  200,  214,  301. 

Berchtold  von  RegenBburg.495  fg. 

Beseelung,  Animismus.  150. 

Bhadra,  Sämanvers,  122. 

Bbädrapada,  dunkle  Hälfte  des- 
selben der  Halbmonat  der 
Manen,  143. 

Bhaga,  179. 

Bhagavadgfta,  20s,  525. 

Bhägayata,  349. 

Bbedabhedaväda.  271  fg. 

Bhiksbn,   BettelmGnch',  321. 

Bibel,  Juden  und  Christen  schäm- 
ten sich  ihrer,  369. 

—  im  5.  Jahrhundert,  473. 

—  Verbreitung  der  Kenntnis  der, 

496  ig. 

—  Eckharts  Stellung  zur,  500  fg. 

Biblische  Sprache,  von  den  Über- 
setzern der  heiligen  Bücher 
des  Ostens  nachgeahmt,  56. 

BifrÖBt,  166,  16S,  172,  531. 
Bigg.  Dr.  Charles,  XV,  i>9  Anm., 
466  Anm.  u.  ö. 

über  St  Clemens,  437. 

über  Origenes,  451. 

Bigott,  Ableitung  Ton.  500. 

Bilder,  wir  denken  in  Bildern. 

139  fg. 
Bischöfe.  Priester  und  Diaconi. 

470.  471  Anm. 
Blitz,  Stätte  desselben.  114,  116, 

124.  134,  156. 
-  UDd  Mond,  114  Anm. 

—  Tom  Mondie  zum,  US,  132. 

35 


540 

Blitz.  Ubor  domBolk'ii    Viini 
131.  IW. 

—  der  Kiini  B.  goliört.  I'M, 
Bluomfisld.  ll!i  Anin. 
Blut  lind  Sprache.  60. 
Bodhäyana.  99.  lOU.  30S. 
Bog  Isiav.l,  Gott,  17fl, 
BoliIeD,  S;i, 
BUhtlingk.  109.  114  Anm.. 

AiiiD,,  IKtAniu.,  tlTÄniu^ 
119  Anm.,  127  Anm. 

Bonaventura,  492.  498,  51S. 

ßonifachis  VIII.,  Papst,  502. 

Böse  Geister,  Hans  fllr.  164. 

BUseo,  Strafen  der,  199. 

BDser  Geiat  den  ältesten  BeKtand- 
töilon    des    Aveetn    fremd, 

Bilees  in  der  Welt,  diw  Problem 
vom  Crepmiig  desaelhen. 
181  ff.,  302.  4S0. 

—  kein  wirklicheB  Gutes  ohne 

ein  mtiirlicheB,  IBIt. 

Böse-Gedanken-HUIle,  19S. 

BOBB-Thaten-Emie,  195. 

BöBe-Worte-Hßlle,  195, 

Brahmaiarya,  Stodium  und  Ent- 
haltung, 119,  12». 

Brahman,  118,  IZI.  IUI.  132,  133, 
l:i4,  Itil.  166,  244,  525,  52li. 

—  das  [JDendliche  in  der  Natur, 

y3.  104.  244. 

—  und  Atman  aind  Eins.  93,  UM, 

152,  248  ff.,  299  fg.,  303,  305. 

—  der  Anfang.  95. 

—  umfasstalfe  Wirklichkeit,  105, 

106,  107,  290,  297,  306,  314. 

—  kann  nicht  verändert  werden. 

105. 

—  die  Ursnche  der  Welt  nach 

Räniünnpa.  I'IH,  310. 

—  nach    iVahkara    unpersOnliclj 

nud  ohne  Attribute,  107,310 

—  wird  pLTsOnlich  durch   Avi- 

dyti.  107. 

—  Rückkehr  der  Seele  au,  112, 

141,  280. 

—  Welt  und  Welten  dofl.  113, 

119,  120,  124,  125,  127,  129, 
134.  191,  303. 

—  Weltendes,  114  fg,,  llfi,  IZ--, 


134. 
-  das  Wahr«,  114  Am 


,  127. 


Brahman.    dexacn    Hallo  VIbho. 
120,  131,  195, 

—  Bein  Thron,    122.    123,    140, 

lad.  158,  273,  279,  301.  äle. 

Ankunft  der  Seek  vorilcRh- 

selben,  199.  20ii. 

—  Untrennbarkelt  derSeelevon. 

125. 

—  Wnnderune  der  S«ele  in,  ISB, 

140. 

—  Weg  au.  147  ff. 

—  Dialog  zwlBChen  Ata  Abge- 

schiedenen und.  lä7, 

—  die  Seele  ist,   US.  »I,  *SI, 

275  ff.,  27t.  ff_  S03,  307,  Sil 

—  Name  fur  dto  h^ohsto  Gott- 

heit, 236  ff..  2«. 

—  E^^molo^e  von.  t37  ff. 

—  von  barh  odor  bnli.  'abrtii- 

sen',  'das  AbBoIntnm',  2:17. 

—  von  barh  oder  Iirih,  'schwel- 

len'. 237. 
--  Hang  über,  237  &. 

—  und  brilat  23S  Anm. 

—  'schüpferiBCbe  Kraft'.  USfc. 

240, 

—  von  barh, 'hervorbreob(a',SM> 

—  'Kedo.  Wort'.  239.  3i«. 

—  'Bede  Ist  B.',  2.19. 

—  '  der  hOc  h  ete  Hlmmol  der  Bede*. 

239, 

—  Veds.  heiliges  Wort.  237.23!». 

240. 

—  das     schlechthin     

hUchstos  Weaeo.  337. 

—  briihman  (neiitrO  lU  hnkmla 

(mask.)  verwandelt.  33S. 
~  (neut.l  Gebet.  UynniBi,  SW. 

—  (mask.)  Boter.  WdiM.  Pri«* 

ater,  23H,  240, 
~  das  Wort  hat  eine  dopptf» 
Geschichte,  240. 

—  SchUpfer,  240,  293. 

—  Siva  und  Vishnn,  die  Tri- 

mfirti.  33<!i,  240. 

—  mit  Pribik  ideDtiGaiert,  itnil 

—  als  Neutrum  und  HasknUtMUft. 

240,  275.  279.  286,  3M. 

—  das  hOcbste,  2«*. 

—  kennen    beißt  B-  teia.  S7i, 

439. 

—  Annähernng   der   Seele  u 

273,  310. 


Index. 


547 


Bimkaas.  spätere  SpekaUtiomeii 
über.  274  f^. 

—  neiitr.}  die  Essenz  ftllerDisge. 
275. 

—  ist  djs   sowohl   absolut  als 

relstiT  Reale.  275. 

—  das  Mbere  und  das  niedri- 

gere. 276.  311.  312. 
es  üt  2SS». 

—  nur  Eines.  276. 

—  die  ganae  Welt  wf.  2*i  2<*4. 

—  Einheit  mit,  nieht  Aufgehen 

in  dem.  2^  fg. 

—  Sütras  Qber  das  qnalifiziene 

und  anqualifiaiene.  266. 

—  Verehmni^   eines  objektiven 

B.  als  Vorbereitung  for  die 
Kenntnis  des  abdoiaten.2<S. 

—  von   dem  indischen  Weisen 

durch  Schweigen   beschrie- 
ben, 269. 
--  als  sat.  Üt  und  inanda.  2S9. 

—  ist  immer  subjektiv,  29o. 

—  in  unserem    eigenen  Selbst- 

bewnsstsdn,  290. 

—  Emanation    der    Welt    aus. 

292  ff. 

—  Emanation    kehrt     lu     ihm 

lurnck.  297. 

—  und  Avidja  die  Ursache  der 

phänomcnialen  Welt.  29S  ig. 

—  und  Iivara.  50S.  319. 

—  Ruhe  in.  357. 

—  Tcrglichen     mit    dem    sütt- 

liehen  Grund  des  Eckhart 
510. 

Bnhmajia-Kaste,  243. 

Brlhmiiiis,  Stellen  aus  densel- 
ben mit  den  Upanisfaaden 
nicht  in  Einklang  gebracht. 
139. 

—  Hollen  in  den.  164  ig. 

—  Asnras  in  den.  i7S,  1S4. 

—  An^ielung   auf   das  Wägen 

der  Seele  in  den.  M«9. 
Bnhmiita&paä.  239. 
Bimhmane.  der  Opfergnt  venin- 

tzent,  159. 
Bcahmanen  bei  Indem  und  Bak- 

trem.  45  Anm. 

—  und  Griechen.  63. 

—  die     alündisehe     Litteratur 

unter    dem   Einflüsse    der. 


Brahmanen  unter  den  neun  Klas- 
sen von  WeäeD-  U*\. 

Brahma-Suträ£  oder  Vedanta- 
Sütras.  9T. 

Brahmawelt.  119.  126. 

brih.  siebe  barh. 

Birbad-äiaifvaka-Upanishad  ci- 
tiert,  n3.  llti.  117.  124— 
126.  12S.  13i».  164.  16S.  236, 
239,  24U  fg^  273,  305.  o2<». 
525. 

Brihaspati.  BrahmaRaspati.  Vä- 
itaspati,  239. 

—  Hymnus  an,  240. 
Bri'bät  und  Rathantara.  122. 
Brücke    des  Gebinom    bei    den 

Jnden.  171. 

—  im  Folklore  der  Bauern  Frank- 

reichs und  Englands.  172. 

—  bei  den  Theologen  des^iitteJ- 

alters.  172. 

—  von  Erde,  190.  191. 

—  als  Aocan  anfgefasst.  191. 

—  Wanderung   der  Seele   über 

die,  im  Avesta.  197.  li^S,  200. 

—  der  Unsterblichen.  236. 
Brücken  vom  Xensch lieben  zum 

GottlicbeD.  91.  IM. 

—  ins  Jenseits,  140.   16.>— 17:i. 

174.  VM)  fg. 

— in  Indien  und  Persien. 

105.  166  fg. 

bei     den     Indianern. 

lt.5. 

in  der  nordischen  My- 
thologie, 166. 

bei  den  Persem.  109  fg. 

bei  den  Mohammeda- 
nern. 171»  {g. 

Brig  o*  Dread.  172. 

•Brüder  des  freien  Geistes;  525. 

Bna-Baum.  226.  227. 

Buch  Jascher.  34. 

—  von  den  Streiten  des  llem«. 

34. 
Bücher,  verloren  ^egan^ene,  i>3. 

—  siehe  ancli  Uiüigt  B. 
BucLersch reiben.   Alter  dessel- 
ben. 3o  ff- 

Bnddhs  kst  keine  MSS.  hinter- 
lassen. 6'1. 

—  sa^  nichts  über  das  Leben 

nach  dem  Tode.  230. 

—  Gottheit  im,  35S. 

35* 


548 


Index. 


Buddha  gegen  den  Ascetismus, 

521. 
Buddhismus,  kein   Unsterblich- 

keits^laube  im,  230. 

—  und  Nirvä/ia,  303. 

—  Keime  desselben  in  den  üpa- 

nishaden,  321. 

—  keine  objektive  Gottheit  im, 

358. 

—  und  Christentum,  363. 
Buddhisten    kennen   keine   Ge- 
bete, 12. 

•^-  in  Baktrien,  45. 
Bunsen,  503  Anm. 

Süsse,  Tauler  über,  522  fg. 


CAIN,  Philo  über,  370. 

Cambridge,  christliche  Platoni- 

ker  in,  318,  532,  533. 
Carpenter,  J.  £.,  34  Anm.,  52. 
Celsus,  XII,  369,  403. 

—  über  Entlehnungen  christlicher 

Lehren  von  den   Griechen, 
365,  366. 

—  über  den  Logos,  431,  448. 

—  Origenes  ^egen,  445. 

—  über  die  Daimones,  464. 

—  über  das  Christentum,  464  fg. 
Ceremoniell,  Dogma  und  Ethik, 

86. 

—  im  Rigveda,  87. 
Cerinthus,  447. 

Cbaris,    Gattin    des  Hephaistos, 

75,  78. 
Charites  =  Haritas,  59,   74  fg., 

174  fg. 
Charlotte-Inseln,  die  Haidas  auf 

den,  219. 
Cherubim,  Philo  über  die,  371. 

—  Dionysius  über  die,  468. 
Choyne,  47. 

Chiliasten,  446. 

China,  Sanskritwörter  in,  362. 

Chinesische     Inschrift     citiert, 

359  Anm. 
Chinesisches  Gebet  19  fg. 
XQtjfjitty  Nous  ein,  385. 
Christen,  die  ersten,  über  Seele 

und  Gott,  93. 

—  und  Griechen,  365,  409. 

—  Celsus'    Ermahnung    an    die, 

464. 


Christentum ,  eine  Zusammen- 
setzung semitischen  und  ari- 
schen Denkens,  YIII  fg., 
441. 

—  Übergang     des     Judentums 

zum,  IX. 

—  Grundlehre  desselben,  IX,  9, 

528,  530. 

—  Philo  und  das,  XV. 

—  Nächstenliebe  im,  und  in  an- 

deren Religionen,  9  fg. 

—  über   andere  Religionen  er- 

haben, 25. 

—  im  Orient,  40. 

—  Grundton  desselben,  93. 

—  und  Sutiismus,  337  fg.,  354. 

—  Gülschen  Ras  über  das,  33$. 

—  und  Buddhismus,  363. 

—  Judentum     und    griechische 

Philosophie,  366,  410,  417. 

—  in  Palästina   und  in  Alexan- 

dria, 428. 

—  Alexandrinisches,  427  flf, 

—  Theosophie  im,  440. 

—  dessen  historischer  Charakter, 

441. 

—  Celsus  über  das,  464  fg. 

—  Erlösung  im,  467. 

—  im  5.  Jahrhundert,  473. 

—  Geheimlehren  im,  474  fg. 

—  das   höchste  Mysterium  im, 

475. 

—  nach  Johannes,  499. 

—  Eckhart  über  das,  508,  518. 

—  auf    den    Logos    aufgebaut 

514. 

—  hat  den  richtigen  Ausdruck 

gefunden    für    die  Wieder- 
vereinigung  der  Seele  mit 
Gott,  527  fff.,  531,  534  fff. 
Christliche   Geaanken    im   Tal- 
mud, 10. 

—  Lehre    die  Vollendung    der 

griechischen  Philosophie, 
443  fg. 

—  Religion,  wahrer  Zweck  der 

Vergleichung  derselben  mit 
anderen  Religionen,  8  ff. 

soll  zur  Vergleichung  he^ 

ausfordem,  9. 

durch    die    vergleichende 

Religionswissenschaft  be- 
stätigt, 23. 

ihr  Hauptzweck,  4.40  fg. 


Index. 


549 


Christliche  Religion,  Hegel  über 

die,  441. 
braucht  keine  Apologien, 

536. 

—  TheoBophie    und  christliche 

Religion,  XIII. 

—  Mystiker,  siehe  Mystiker, 

r—  Theologen  über  Entlehnung 
seitens  der  Ueiden  ans  der 
Bibel,  57. 

Christlicher  Advokat,  25. 

Christus,  der  Logos,  XI,  XIII, 
398,  415,  453,  482,  512. 

—  Brüderschaft    zwischen    ihm 

und  der  Menschheit,   XIII, 
415,  449,  530,  531. 

—  Sohn  Gottes,  360,  397,  415, 

482,  512. 

—  sein  Rock,  402. 

—  das  göttliche  Ideal  der  Voll- 

kommenheit und  Güte,  417. 

—  der  ideale  Mensch,  433. 

—  Logos  von,  444,  511. 

—  seine  Göttlichkeit,  450,  453, 

501. 

—  reines  Licht  von,  469. 

—  seine  Geburt  innerhalb    der 

Seele,  476,  479. 

—  die  christliche  und  die   my- 

stische    Lehre     von     ihm 
verliehen,  479. 

—  seine  Grundlehre  sein  eigenes 

Leben,  482. 

—  nach  Eckhart,  511. 

—  als  der  erste  Mensch,  512. 
Chronika  des  Königs  David,  34. 

—  von  Salomo,  34. 

Cicero  über  Xenophanes,  326. 

—  von  Eckhart  citiert,  502. 
Cleanthes,  453. 

Clemens,  siehe  St.  Cletnens. 
Clotho,  217. 

Confucius  über  Nächstenliebe,  9. 

—  über  geistige  Wesen,  12. 

—  seine  Anhänger  kennen  keine 

Gebete,  12. 
Comill,  51. 
Couvade,  59  fg. 
Cronins,  142. 

Cusanns,  Kardinal,  267,  499. 
Cyprian,  428. 

Cyms,  Gfithas  In  Medien  vor. 
44. 


DADU,  21,  22. 
Daehne,  361. 

Da6va-Kult,  Abschwörung  des- 
selben, 185  fg. 
Dalvas,  43,  53,  178,  190. 
Daeva- Verehrer,  169. 
Daimones,  201,  462  ff. 

—  Maximus    von    Tyre     über, 

463  fg. 

—  die     abgeschiedenen    Seelen 

tugendhafter  Menschen, 
463  fg. 

—  Plutarch  über  die,  4()4,  465. 

—  Celans  über  die,  464. 
Daityas,  161. 
Daphne,  Dahanä,  175. 
Darai,  38. 

Darius,  Gathas  älter  als,  44. 

—  Ahriman  in  den  Keilinschrif- 

ten des,  180. 
Darmesteter,  39,  40,  43  Anm.,  46, 

54. 
Darwtach,  339  fg. 
Dasein  und  Sein,  297. 
David  von  Augsburg,  495. 
Deduktionen  falsch,  103. 
De  imitatione,  451. 
Demokritos,  81,  8J,  370. 
Demut,  Stadium  der  (Sufi),  343. 

—  der  Weg  zur  Wahrheit,  484. 

—  zwölf  Grade  der,  484. 
Denifle,  H.,  502  Anm.,  504,  518. 
Denken  im  Lichte  der  Sprache, 

das,  378,  514. 
Derwische,  340. 
Dens,  'glänzend',  29. 
Deussen,  98,  98  Anm.,  109,   114 

Anm.,   127  Anm.,  237  Anm., 

305  Anm. 
ÖBvuQog  ^cojT,  434,  444,  511. 
Deva  und  deus,  72. 

—  'Götter'  im  Veda,  'böse  Gei- 

ster' im  Avesta,  178. 
Devas  verleugnet,  4S. 

—  als  Schöpfer,  49. 

—  brinffen    den    Menschen    als 

Opfer  dar,  114. 

—  Welt  der,  114,  116,  156. 

—  von  den  Seeion  geliebt,  145. 

—  und  Asuras,  Kampf  der,  178, 

247,  249. 

—  im  Veda    und  Avesta.    179, 

184  ff. 

—  und  Pitris,  201. 


550 


Index. 


Devas   denken  über   das  Selbst 
nach,  253. 

—  siehe   auch  JDaevas,    Daeva- 

Kult,   Gotter. 

Devaloka,  124,  144. 

Devayäna,  Götterpfad,  116,  124, 
125,  129,  147  ff.,  273. 

—  Regenbogen  und  Milchstraße, 

167  fg. 

—  sijßhe  auch  Götterpfad. 
Dillmann,  51. 

Dinkarc?,  über  die  heiligen  Texte 
Zoroasters,  38,  39,  43,  55. 

—  über  die  Feststellung  der  al- 

ten Zoroastrischen  Keligion, 
^39. 

—  Ätürpäd   der  Verfasser  des- 

selben, 41. 

—  von    West    in    den    Sacred 

JSooks  of  the  Hast  übersetzt, 

41,  46,  55. 
Diodorus  Siculus,  81. 
Diogenes  Laertius,  37,  44. 
Dionysius  der  Areopagite,   162, 

292,  423,  454—491,492,  507, 

510,  528. 
Vater      des     mystischen 

Christentums,  455,  450. 

seine  Schriften,  456  ff. 

eine  Fiktion,  457. 

als    echt    angesehen, 

458. 
Übersetzung  derselben 

durch  Scotus  Erigena,  458 ff. 

deren  Einfluss,  460  fg. 

ein  christlicher  Neuplato- 

niker,  456,  457. 
mit  St.  Denis  identifiziert, 

458. 
als  Zeitgenosse  des  Pau- 
lus angesehen,  461. 
unorthodoxe  Äußerungen 

desselben,  461. 

seine  Quellen,  461  fg. 

seine  llierarchie,  466,  468. 

sein  Einfluss  während  des 

Mittelalters,  467. 

sein  System,  467  ff. 

Milman  über  ihn,  469  ff. 

-  —  dessen     wahrer     Zauber, 

471  ff.,  476. 
sein    höchstes    Ziel    die 

Assimilation  mit  Gott,  472. 


Dionysius  der  Areopagite  über 
die  mystische  Vereinigung, 
474. 

von  den  Orthodoxen   als 

Autorität  anerkannt,  4T7. 

von  Thomas  von  Aquino 

citiert,  488. 

über  die  Stnlta  Sapientia 

excedens  laudantes,  498. 

von  Eckhart  citiert,.5ü2. 

Dionysos,  sein  Kult  aus  Ägyp- 
ten, 80. 

Dtrghatamas,  138. 

Disraeli,  331  Anm. 

div,  neupersisch,  178. 

Doceten,  450. 

Docetismus,  450. 

Docta  ignorantia,  234,  267. 

doyfiaia  und  xrjQvyuata,  475. 

Dominikaner  und  Franciskaner. 
494—499. 

Dramida,  99. 

Dnivida,  99. 

Dreieinigkeit  bei  St  ClemeDS. 
430  ff. 

—  des  Plato,  434. 

—  des  Numenius,  434. 

—  Origenes  über  die,  445. 
Driver,  51. 

Druh  oder  Dmkh,  ISO. 
Drummond,  J.,  Thilo  Judaeus*. 

IX,  XV,  378  u.  ö. 
Dschämi,  339. 

—  'Saläman  und  Absäb',  352  fg. 
Dschelläleddin   Rümi,    22,   339, 

340. 

—  über  die  wahren  Sufis,  341. 

—  Auszüge  aus  seinen  Mesnevi« 

342,  350  ff. 

—  über  völlige  Vereinigung  mit 

Gott,  350  fg. 

—  über  die  Sonne  als  Bild  der 

Gottheit,  351. 

—  über  das  Ich  bin  Er',  351, 

357. 

Dschunaid,  339. 

Dualismus  in  der  persischen  Re- 
ligion, 44. 

—  nicht  von  Zoroaster  gelehrt, 

177. 

—  im  Avesta,  180,  182. 

—  verdrängt      den      ursprüng- 

lichen    Monotheismus    der 
Zoroastrischen  Religion,!!»^ 


j 


Index. 


551 


Dualismus,  im  Veda  keine  Spur 

von,  184. 
Du  bist  das,  264,   275,  280,  281, 

287. 
dvvafiBig  und  Ideen,  394. 

Logos,  396. 

Durgä,  369. 


EBIONITEN,  429. 

Eckhart,  Meister,  89,  292,  451, 
455,  491  Anm.,  498,  499— 
513,  516—524,  529,  530,535. 

—  und  die  Bibel,  500  fg. 

—  über  Wunder,  501. 

—  der  Ketzerei  angeklagt,  501. 

—  ein  gelehrter  Theolog,  502. 

—  seine   scholastische  Bildung, 

502  Anm. 

—  Urteile  über  ihn,  502  fg. 

—  ein  Mystiker,  503. 

—  sein  Mysticismus,  503  fg. 

-  seine  Definition  der  Gottheit, 
505  flf. 

—  Pantheist  genannt,  506. 

—  über  Schöpfung,  507  fg. 

—  über  die  menschliche  Seele, 

508  flf. 

—  unter   dem  Banne  der  neu- 

platonischen *    Philosophie, 
510. 

—  über    Christus     als     Logos, 

512  fg. 

—  über  die  Annäherung  an  Gott, 

516. 

—  sein  Christentum,  518. 

—  Denifle  über,  502  Anm. ,  504, 

518. 

—  gegen  übertriebenen  Ascetis- 

mus,  521. 

Eden,  Herrin  von,  14. 

Ego,  Aham,  245. 

Eidos,  Art,  282,  380. 

Eigenschaftswörter  sind  ab- 
strakte Begriffe,  77. 

Eileitbyia,  C2  Anm. 

Eines  ohne  ein  Zweites,  236, 
282. 

Eingeborene,  der.  Monogenes,  X, 
388,  397,  432,  466,  505. 

—  siehe  auch  Monogenes. 
Einsiedler,  161. 

Ekade«a  undEkade«in,  127  Anm. 
Ekam  sat,  234. 


Eleatische  Ideen  dieselben  wie 
die  der  Upanishaden  und 
Vedanta-Sütras,  106. 

—  Philosophen    über   das  Eine 

Unendliche,  92,  105. 

ihr   Monismus,    92,    266, 

461. 

deutsche    Mystiker     und 

Vedäntisten,  276,  476. 

ihr  Argument,  318. 

ihre  metaphysischen  Pro- 
bleme, 325,  329,  330. 

und  Upanishaden,  329  i^. 

und  Vedanta,  76,  331  fg. 

Elishä,  Elysion  von,  62. 

Elyeh,  hebr.,  52. 

Elysion,  62  fg. 

—  von  riXv&,  Sk.  ruh,  63. 
Emanation,  291,  292  flf.,  395,  425, 

467. 

—  im  Widerspruch  mit  der  Ge- 

nesis, aber  nicht  mit  dem 
N.  T.,  292. 

—  Stadien  in  der,  295. 

—  der    Elemente     und     Sinne, 

295  fg. 

—  kehrt   zu   Brahman   zurück, 

297. 

—  des  göttlichen  Lichts,  468. 

—  und  Schöpfung,  507  fg.,  533. 
Embryo,  dessen  Entstehen,  296. 
Emerson  über  Hafiz,  344  fg. 
Empedokles,  84,  427. 
Endlose  Lichter,  194. 

—  Finsternis,  195. 
Endymion,  63  Anm. 
Energismus,  151. 

Engel,  ursprünglich  Eigenschaf- 
ten des  Ormazd,  182  AT. 

—  bilden  den  großen  Rat  des 

Ormazd,  183. 

—  im  A.  T.,  183. 

—  im  N.  T.,  183. 

—  und  Erzengel,  184,  468. 

—  und  Logoi,  395,  400. 

—  Jehovahs,  399. 

—  Theophaniü  durch,  399. 

—  Origenes  über,  445,  466. 

—  bei  Dioiiysius,  462,  468. 

—  und  Götter  nach  St.  Clemens, 

405. 

—  St.  Augustinus  über,  465. 

—  Philo  über,  466. 


552 


Index. 


Engel,  die  Menschen  stehen  un- 
ter ihnen,  469. 
Enos  nach  Philo,  370. 
Eos,  die  Morgenröte,  29. 
Epicier,  species,  73. 

Epiktet  UberResigoation  in  Gott, 

10. 
Epist^me,  siehe  Weisheit. 
intaxQOffTj^  425. 
Er,  die  Geschichte  von,  in  Plato's 

'Staat',  216  fg. 

—  ein  Pamphylier,  216,  218. 
Erde  aus  Wasser  hervorgegan- 
gen, 283. 

Eridu,  Herr  von,  14. 
Erinys,  die  Dämmerung,  29. 
Erkenntnis,    die   Seele   gewinnt 

ihre    Brahmaschaft     durch, 

158. 

—  bewirkt    die   Befreiung   der 

Seele,  257,  264,  357,  364. 

—  das  Resultat  der  Unwissen- 

heit, 288. 

—  wahre,  nicht  durch  sinnliche 

Wahrnehmung      gewonnen, 
288. 
sechsVorbedingungen  der- 
selben, 321. 

—  inspirierte,  344. 

—  drei  Grade  der,  425. 

—  oder  Gnosis,  438  fg. 

—  deutsche  Mystiker  verlassen 

sich  auf  die,  522. 

—  Licht  der,  von  Gott,  533. 

Erzengel,  184,  468. 

E-Sagil,  16. 

Eschatologische  Legenden,  all- 
gemeine Ähnlichkeiten  in 
denselben,  174  ff. 

Esoterische  Lehren,  322  ff. 

Esse  est  Deus,  505. 

Es-Sirät,  die  Brücke,   170,  196, 

531. 
Ethik  und  Dogma,  86. 

Eadoxus  angeblich  in  Ägypten, 

81. 
Euripides  über  das  Wirken  der 

Götter,  2  fg. 
Europe  von  'Arftbhä,  62  Anm. 
Eusebius,  45  Anm.,  82. 
Eva,  Philo  über,  370,  372  fg. 
Evangelium  infantiae,  433. 


Evangelium,  das  vierte,  337,  360, 
397  fg.,  403,  405,  407,  408 fg., 
416,  444,  514,  515,  517. 

griechische  Id^en  in  dem- 
selben, 410. 

vondenAlogoi  verworfeo. 

447. 

und  die  christlichen  My- 
stiker, 477,  479. 

Stellen     aus    demselben, 

517  fg. 

Evangelien,  verloren  gegangene, 
34. 

—  die  vier,  im  2.  Jahrb.  in  der 

Kirche  anerkannt,  447. 
Evolution,  in  den  Upanishadeo, 
293. 

—  im  Vedanto,  294. 

—  die  Verwirklichung  einer  Idee, 

380. 

—  oder  Schöpfung,  382. 
Evolutionstheorie  desRamano^ 

106,  312,  313, 


FAIS,  Gnade,  338. 

Fakire,  339  fg. 

Fegefeuer,  223. 

Ferid  eddin  Attar,  335,  339. 

Feridün,  32. 

Festung  der  geschriebenen  Do- 
kumente, 38. 

Feuer  im  Avesta  nicht  verehrt 
177. 

—  und  Funken,  Gleichnis,  241, 

271. 

—  aus  dem  Seienden  entstanden, 

282. 
Feueranbetung  nicht  von  Zoro- 

aster  gelehrt,  177. 
Fick,  63  Anm. 
Finnen  haben  von  den  Skandi- 

naven  entlehnt,  61. 
Finsternis,  am  Anfange  war.  95. 

—  eine  der  drei  Qualitäten.  lt>0, 

161. 

—  Ursache  falscher  Erkenntnis. 

329. 
FirduBi,  37. 
Fitzgerald,  352. 
Flaccus,   Brief  von  Plotinos  an. 

424  ff. 
Flcckonland,  225. 
Fleet,  98  Anm. 


Index. 


553 


FluBS  in  der  Unterwelt,  137,  167. 

—  über  den  die  Seele  setzt,  140. 

—  zwischen  Himmel  nnd  Hölle, 

144. 

—  derNichterinnerung,  217,  218. 
Tragen'  =  Tragen     um    offen- 
barte Wahrheit*,  54. 

Frakhshtya  nama  ahmi,  54. 
Franciskaner,  494 — 499. 
Fravardin  Yasht,  45,  202. 

—  =  Fravashi,  201. 
Fravashi,  weitere  Bedeutung  von, 

201  flf. 

—  nicht  auf  die  Abgeschiedenen 

beschränkt,  201. 

—  jedes  Wesen  hat  seine,  201. 

—  mit  den  Ideen  Plato's  identi- 

fiziert, 201  fg, 

—  im  Avesta,  Fitrtis  im  Veda, 

201,  203. 

—  als  Helfer  Gottes,  202  fg. 

—  ursprünglich  die  Geister  der 

Abgeschiedenen,  203. 

—  kommen  ins  Dorf,  203. 
Fraztshtö,  198. 
Frühlingsnachtgleiche,  144. 
Fünftes  Jahrhundert,  471  ff. 
Fürstlichkeiten,  465,  466,  46S. 


GÄH,  fünf,  42. 
Gahänbärs,  42. 
f?aimini,  97,  301. 

Galtons  kombinierte  Photogra- 
phien, 379. 

Gandharvas,  161. 

Gaotama  (Gautama)  im  Fravar- 
din Yasht,  45. 

Garo-nemäna,  199. 

Gaster,  Dr.,  171. 

(?atayedas,  189. 

Gatha-Dialekt  der  Dialekt  von 

Medien,  43. 
Gätha-Litteratnr,    Datum    der, 

44. 
Gathas   Zoroasters,    Verse   aus 

den,  18  fg. 

—  die    ältesten  Fragmente  der 

avea tischen    Religion ,     42, 
43. 

—  dem  Zarathushtra  zuzuschrei- 

ben, 43. 

—  alte  Lehren  der,  47. 


Gathas,  keine  Gegnerschaft  zwi- 
schen Ormazd  und  Ahriman 
in  den,  180. 

—  jE^invat-Brücke  in  den,  190. 

—  singend,  193. 
Gäthische  Nasks,  43. 
Gaya,  'Wirklichkeit',  181. 
^ayasimha,  133. 

Gebet,  griechisches,  13. 

—  ägyptisches,  13  fg. 

—  accadisches,  14  fg. 

—  babylonisches,  15  fg. 

—  vedisches,  16. 

—  ein  anderes  vedisches,  16  fg. 

—  avestisches,  17  fg. 
aus  den  Gathas,  18  fg. 

—  chinesisches,     des    Kaisers, 

19  fg. 

—  mohammedanisches,  20. 

—  neu-indisches,  21  fg. 
Gebete,  alte,  12—22. 

—  den   Buddhisten    unbekannt, 

12. 

—  den  Anhängern  des  Confucius 

bekannt,  12. 

Gedächtnis,  Macht  desselben,  31, 
32. 

Gedanke  und  Wort  untrennbar. 
378  fg.,  514. 

Gehinom,  171. 

Geiger,  144. 

Geist,  nur  der  G.  hat  ein  abso- 
lutes Dasein,  334. 

—  Gott  ist,  454. 

—  siehe  Heiliger  Geist 
Geisterland  der  Polynesier,  225. 
Geldner  und  Kaegi,  137  Anm. 
Gemeinsame  Menschennatur,  205. 
Gemeinsamkeit  des  Blutes  und 

der  Sprache,  60. 
Genealogische  Methode,  VI. 
Genii,  201. 
Genitiv  ein    abstrakter  Begriff, 


1 1. 


Gergesener,  Wunder  der,  25. 
Gerson,  456,  499,  500. 
Geschichte,    die,   ein    göttliches 
Drama,  VI. 

—  der    Religion     die    wahrste 

Rechtfertigung  derselben,  2. 

—  —  die  wahre  Religionsphilo- 

sophie, 3  fg. 

—  der  Philosophie,  Kant  über 

die,  3. 


\ 


554 


Index. 


GeBchichte,  gemeinsame,  60  fe. 
Gesetz,  das,  dritte  Klasse  der 
Nasks,  43. 

—  unter  den  neun  Klassen  von 

Wesen  bei  Manu,  161. 
Getaafte,  Kommunikanten   und 

Mönche,  470. 
Gewissen   als  schöne  Jungfrau, 

193. 
6r7*allas,  161. 
Gill,  W.  Wyatt,  über  die  Poly- 

nesier,  224  ff.,  228. 
Öiva,  lebendige  Seele,  245. 
Öivanmukti,  304  fg.,  526. 
Gladisch,  83. 
Glaube  an  Zweck  in  der  Welt 

und  Güte  in  der  Gottheit, 

2. 
an  Gott,  4,  314. 

—  an  Einen  Gott  der  Natur,  8. 

—  an   eine   kosmische  und  ob- 

jektive Gottheit,  8. 

—  an  Götter  fast  universal,  58. 

—  Wissen  zuverlässiger  als,  486. 

—  Hugo    von   St.   Victor   über 

denselben,  486. 

—  Stufen  desselben,  487. 
Gleichnisse,  Vedäntischo,  292— 

295,  297,  298. 
(r/mnakäw</a,  94,  103. 
Gnosis,  429,  438  fg. 
Gnosticismus,  450. 
Gnostiker,   ihre  Theosophie  im 

Orient,  337. 

—  das  Fleisch  die  Quelle  alles 

Übels  nach  ihnen  403. 

—  die  Logoi  bei  ihnen  *Aonen', 

466. 

Goethe  über  Sufiismus,  332. 

Gore,  Rev.  Charles,  24  Anm. 

Gore,  NtlakanMa,  294,  312  Anm. 

Gotama,  202. 

Gott  und  Seele,  ihr  Verhältnis, 
V,  VIII,  88  fg.,  91,  112,  173, 
332  fg.,  356,  417,  419,  448, 
460  fg.,  484  fg.,  516  fg.,  522, 
527,  531,  532  fg. 

—  Philo  über,  41 1  ff. 

Hugo  von  St.  Victor 

über,  490  fg. 

Kluft  im  A.  T.,  460. 

—  Annäherung   der    Seele    an, 

279,  287,  332  f^,,  356. 

—  Einheit  der  Seele  mit,  287. 


Gott,  Seele  ist  nicht,  342. 
der  Spiegel  desselben.  352. 

—  Vereinigung   der    Seele  mit 

356  fg. 

—  die  Seele  kann  ihn  nicht  se- 

hen, 414  fg. 

—  Rückkehr  der  Seele  zu,  418, 

467,  531. 

—  Vereinigung    der  Seele  mit, 

471—474. 

—  Seele  verliert  sich  in,  4S5. 
ein  Ausfluss  von,  507. 

—  und  Welt  im  Judentum  und 

Christentum,  IX. 

—  Begriff  von  und  Glaube  an. 

unvermeidlich,  4. 

—  Beweise  für  sein  Dasein,  4. 

—  hat  sich    selbst  nicht  unbe- 

zeugt  gelassen,  6. 

—  Ein  G.  der  Natur,  8. 

—  seine  Einzigkeit  im  A.T.  und 

im  Avesta,  47. 

nach  Xenophanes,  49. 

in  den  Upanishaden,  230. 

bei  den  Eleaten,  31b. 

nach  Sokrates,  386. 

—  Namen  desselben  im  Avests, 

51. 

—  Sehnsucht  nach,  91,  467,  531. 

—  das  Unendliche  in  der  Natur. 

92. 

—  die  Eleaten  über,  105,  317. 

—  Annäherung  an,  125,  139  fg., 

149,  356  fg.,  516. 

und  Vereinigung  mit, 

527. 

—  sein  Thron,  140,  231,  532. 

—  Einssein  mit,  158,  531. 

—  und  Teufel  im  A.  T.  und  N. 

T.,  183. 

—  des  Lichtes,    der  Finsternis, 

des  Todes  bei  den  Haidis, 
220  fg. 

—  antbropomorphische    Auf6i8- 

sung  von,  231. 

—  Persönlichkeit  von  232  ff. 

—  männlich  und  sächlich,  243. 

—  ist  Eines  und  Alles,  266. 

—  Liebe  zu,  280,  334,  346,  357, 

425,  439,  482,  483,  498,  516, 
534  fg.  Siehe  auch  unter 
Liebe, 

Kenntnis  Gottes,  nicht, 

287. 


Index. 


nr^ 


Gott,  der  passendste  Gegenstand 
unserer  Liebe,  347. 

—  der  Herr  und  Schöpfer,  290  fg. 

—  mit   dem  Regen    verglichen, 

302. 

—  nicht  der  Urheber  des  Übels, 

302. 

—  der  persönliche,  30S. 

—  iSankara   über   den  Glauben 

an,  314. 

—  Xenophanes  über,  326  fg. 

—  Parmenides  über,  328  fg. 

—  sein  Geist   durchdringt    das 

Weltall,  334. 

—  mystische   Vereinigung   mit, 

341,  350. 

—  Mohammeds  Idee  von,  342. 

—  was  er  ist,  352. 

—  seine  Vaterschaft,  359  fg. 

—  die  Welt   von   ihm   gedacht 

und  ausgesprochen,  376. 

—  Verhältnis  des  Logos  zu,  385, 

392,  395  fg. 

—  und  Logos  dasselbe,  391. 

—  die  höchste  Idee  des  Guten, 

nach  Plato,  387. 

—  und  die  Götter,  Plato  über, 

388. 

—  der  nicht  existierende,  390. 

—  und  Hyle.  394. 

—  seine  Weisheit,  395  fg. 

—  der  zweite,  397,  434,  444,  511. 

—  Philo  über,  411. 

—  sehen,  415. 

—  Stoiker  über,  420. 

—  anoiog^  430. 

—  in  Christus  Mensch  geworden. 

437,  449. 
damit  wir  Gott  wür- 
den, 318,  415,  437,  449. 

—  kann     nichts     gegen     seine 

eigene  Natur  thun,  443. 

—  Origenes  über,  444. 

—  und  der  G.,  449. 

—  Tertnllian  über,  454. 

—  Gleichheit    und  Einheit  mit, 

462,  474.  475,  509,  526. 

—  für  das  Böse  verantwortlich, 

479. 

—  Erkenntnis  desselben,  4S9  fg. 
-  in  drei  Personen,  505,  512. 

—  alle  Dinge   in  ihm,    aber  er 

nicht  in  allen  Dingen,  500. 

—  Eckhart  über,  506. 


Gott,  alle  Geschöpfe  in  ihm  als 
unerschaffen,  508. 

—  Welt  ist  nicht,  508. 

—  kennen  und  von  ihm  gekannt 

werden  ist  dasselbe,  509. 

—  der  Vater  und  G.  der  Sohn, 

510. 

—  schafft  immerfort,  507,  513. 

—  sein  Sprechen  ist  sein  Erzeu- 

gen, 507,  513. 

—  Mangel  an  Ehrfurcht  vor  G. 

den  Mystikern  vorgeworfen, 
526  flf.,  530. 

—  hat  viele  Bedeutungen,  526. 

—  Liebe   und  Erkenntnis   von, 

533. 

—  Kausalität  gehört  ihm  allein, 

533. 

—  siehe  auch  t«vara. 

—  siehe  auch  Sohn  Gottes. 
Gottähnlichkeit  summum  bonum, 

488. 

Götter,  Glaube  an,  fast  universal, 
58. 

vom  Opfer  vorausge- 
setzt, 87. 

Vergötterung  der  Ab- 
geschiedenen setzt  ihn  vor- 
aus, 204. 

—  ihre  Speise  die  Abgeschiede- 

nen, 116,  118,  144,  145. 

—  ihre  Natur  ewig,  133. 

—  Wanderung  zu  ihnen,  136. 

—  von  den  Seelen  geliebt,  145. 

—  von  ihren  Kundgebungen  un- 

terschieden, 152. 

—  die  mit  der  Qualität  der  Güte 

Ausgestatteten  werden,  160. 
161. 

—  Diener  der,  161. 

—  Weg  der,  165,  166. 

—  Plato's  Beschreibung  der  Pro- 

zession der,  209  fg. 

—  und  Menschen,  358  fg. 

—  St.  Clemens  und  Augustinus 

sprechen  von  ihnen,  465. 

—  siehe  auch  Devas. 
Götterpfad,  116,  118,  120,   120. 

129,  130,  147  ff.,  156,  15S, 
167,  273  fg.,  279.  30l,  3o:{. 

Götterwelt,  125,  130,  131. 

Gottesfreunde,  496,  530. 

Gottheit  Güte  und  Gerechtigkeit 
in  der,  2. 


556 


Index. 


Gottheit,  Glaube  an  eine  kos- 
mische und  objektive,  8. 

—  Persönlichkeit  eine  Beschrän- 

kung der,  232. 

—  das  Kingen  nach  einer  höhe- 

ren Auffassung  der,  234  ff. 

—  Name  für  die  höchste,  Brah- 

man,  236  ff. 

—  der  Stoiker,  391. 

—  Einheit  der  objektiven  und 

subjektiven,  440  fg. 

—  Eckharts  Definition  der,  505. 

—  in  der  Seele,  508. 
Göttliche  Sohnschaft  des  Men- 
schen, IX,  52S. 

Göttlicher  Grund  in  der  Seele 
und  in  der  Gottheit,  510, 
512,  510. 

Göttliches  und  Menschliches, 
Einheit  derselben  92  ff. 

—  im  Menschen,  246. 
Grazien,  75. 

Gregor  der  Große,  428,  458. 

—  von  Nazianz,  428,  455. 

—  von  Nyssa,  428,  455. 
Griechen  glaubten,  .class  sie  Göt- 

temamen  aus  Ägypten  ent- 
lehnt, 57. 

—  und  Phönizier,  61. 

—  und  Brahmanen,  03. 

—  Juden  und  Christen,  365. 

—  Unsterblichkeitsglaube     der, 

217  fg. 

—  und  Christen,  409. 

Griechenland,  unsere  philo- 
sophische Terminologie  aus, 
65. 

—  unsere  ganze  Philosophie  aus, 

06. 

—  und  Indien,  Möglichkeit  einer 

historischen    Berührung    in 

Plato's  Zeit,  209. 
ihre    Verschiedenheit, 

325  ff. 
Griechische    Philosophen    über 

Entlehnungen      christlicher 

Lehrer,  57  fg. 

—  mythologische    Namen    vom 

llebräischen  abgeleitet,  62. 

—  Philosophie,  ihr  Einfluss  auf 

die     christliche    Theologie, 
IX  (s. 

war   sie   aus  dem  Orient 

entlehnt?  79  ff. 


Griechische  Philosophie,  autoch- 
thonisch,  83. 

Judentum  und  Christen- 
tum, 360. 

und    Christentum,      417, 

443  fff. 

Griechisches  Denken  unter  jüdi- 
scher Bildersprache,  401. 

Grimm,  172  Anm. 

Große,  der,  161. 

Gruppe  über  Opfer,  87. 

Gubarra,  Herrin  von  Eden,  14. 

Guhyakas,  161. 

Gülschen  Ras,  338. 

Güte,  Qualität  der,  160, 161,  162. 

Gute  Werke  in  der  Gestalt 
einer  schönen  Jungfrau,  195. 

Gute-Gedanken-Paradies,  194. 

Gute-Thaten-Paradies,  194. 

Gute-Worte-Paradies,  194. 

Guyon,  Mad.  de,  456. 

Gymnosophisten,  45  Anm. 


HAAR,  Gleichnis  von  dem  aos 

dem  Schädel  herauswacbseo- 

den,  293. 
Iladha-mäthrische  Nasks,  43. 
HadhOkht  Nask,  43,  191  fg. 
Hä</dkhtö,  42. 
Hadrian    I.     citiert    Dionysius. 

458. 
Hafiz,  345,  349. 
Haidas  über  die  Unsterblichkeit 

der  Seele,  219  ff. 

—  ihre  Religion  der  persischen 

ähnlich,  219  fg. 
Hajiäbäd,  Inschriften  von,  37. 
Uamaspathma^da,  203. 
HamSstakän,  223. 
Haoma   im   Yeda    und   Avesta. 

64. 
anXtoai^j  426,  475. 
Haritas.  Charites,  59,  74,  174  f(r 
Hamack,  IX,  XV,  408,  445. 
Harrison,  Rev.  C,  219. 
Hassan  Basri,  336. 
Hatch,  409  Anm.,  411  Anm. 
Hang,    36  Anm.,    37  Anm.,   41. 

43  Anm. ,  44,  45,  46,  50,  54. 

179  Anm.,  181,  182. 

—  über  die  Fravashis,  201  fg. 

—  'Brahma  und  die  Brahmanen*. 

237  fg. 


Iudex. 


557 


Häuptling    Wolke    oder    Tod, 

220  IK-    222. 
HaurvatiU/,'48,  50,  183. 
Hawaii,  225. 
Hawaiki,  225. 
Hebräisch,   nur  wenige  Spuren 

von  Entlehnung  im,  362. 
Hege1,8eineReligion8philosophie, 

—  über  Christentum,  441. 
Heilige  Bücher,  modernes  Da- 
tum derselben,  30  ff. 

die  Geschichte  der  Litte- 

ratur  beginnt  mit  denselben, 
30. 

Indiens,  deren  fragmenta- 
rischer Charakter  33. 

des  Ostens,  V  fg. 

deren    Wert   für    die 

Heligionsgeschichte,  27,54flf. 

deren  ünvoUkommen- 

heit,  27. 

deren  Übersetzung,  30, 

56. 

ihr   modernes   Datum, 

30  ff. 

Fehlen  systematischer  An- 
ordnung in  denselben,  86. 

haben  eine  Geschichte,  135. 

—  Litteratur    Persiens,  Verlust 

derselben,  35  ff. 
Heiliger  Geist,  55,  505,  510. 

die  dritte  Person,  434. 

schwankende  Auffassun- 
gen desselben,  434. 

Mutter  Christi,  435. 

aus  jüdischer  Quelle,  435. 

Clemens*  Vorstellung  von 

demselben,  435,  436  fg. 
Spätere    über   denselben, 

436. 

Origenes  über dens.,  445. 

nach  Dionysius,  469. 

Heimarmene,  383  fg. 

Heimdall,  160. 

£h  Obos^  104. 

Helios,  29. 

Henoch  nach  Philo,  370. 

Henosis,  158,  270,  420,  426,  474. 

475,  497. 
Henotheismus     des    Veda    und 

Monotheismus    des   Avesta, 

47. 
Herakles,  62. 


Heraklit,  83,  359  Anm.,  374, 
378  ff.,  383  ff.,  386,  391,  403. 

Hermippos  und  der  Avesta,  37, 
38,  82.     . 

—  kennt  Ahriman  nicht,  44. 
Herodot,  44,  80. 
Herrschaften,  465,  466,  468. 
Hesiod,  Daimones  bei,  462  fg. 
Hesperien,  63. 

Hestia,  210. 

Hetywanlana,  22 K  222. 
Hierarchie  der  Engel,  162,  462, 
466. 

—  drei  Triaden   in  der  himm- 

lischen, 468. 

—  Glaube   der  Kirche  an  eine, 

von  Dionysius,  469. 

—  Milman  über  himmlische  und 

kirchliche,  470. 

—  Dionysius  über  die  kirchliche, 

470. 

—  St  Clemens  über  die  kirch- 

liche, 471  Anm. 

Hieronymus,  428. 

Hilarius,  428. 

Hilduin,  Abt,  458,  459. 

Hillebrandt,  114  Anm.,  136  Anm., 
145  Anm. 

Hillcl  über  die  Beligion  der  Ju- 
den, 9. 

Himmel,  im  Veda,  138. 

—  und  Hölle  durch  einen  FIuss 

getrennt,  144. 

der  Todas,  171. 

Zwischenstufe  zwi- 
schen, 223. 

—  Seelen  im,  213,  216. 

—  der  Haidas,  221. 

—  der  samoanische,  225. 

—  die  zehn,  225. 
Himmelslichter,  161,  162. 
Himmelswelt,  125. 
Hiranyagarbha,  129,  149. 

Historische  Methode,  V. 

—  Schule,  1,  2  fg.,  515. 

Historischer  Beweis  für  das  Da- 
sein Gottes,  8. 

Höchstes  Wesen,  Namen  dessel- 
ben, 243. 

Hohenstaufen,  493. 

Hoh^riester    soll    nicht    seine 

Kleider  zerreißen,  401  ig. 
Holenmerische  Theorie,  276  fg. 


558 


Indox. 


Hölle,    Flnss   zwischen  Himmel 
und,  144. 

—  Brücke  über  die,  169. 

—  der  Todas,  171. 

—  derHaidas,  221. 

—  Zwischenstufe  zwischen  Him- 

mel und,  223. 
Hüllen,  keine  in  den  Upanisha- 
den,  156,  164. 

—  bei  Manu,  163. 

—  keine  im  Rigveda,  163  fg. 

—  im  Atharvayeda,  164. 

—  in  den  Brähmanas,  164  fg. 

—  bei  Plato,  213  fg. 

Homa  nicht  in  den  Gätbas,  43. 

Homer,  81,  142. 

Uomoiosis,  158,  474. 

Homoousioi,  510. 

Hopkins,  175  Anm. 

Hosea,  399. 

Hotar  und  zaotar,  64. 

Hottentotten    über    den  Mond, 

146. 
Houris,  196. 
Hugo  von  St.  Victor,  481,  486  fg., 

490  fg. 
Humo  über  Wunder,  24. 
Hunde   in   der  Unterwelt,    137, 

144. 
Huxley,  25,  381,  382. 
Hyios  tou  theou,  X. 
Hylo  und  Logos,  391. 

Gott,  394. 

Hypatia,  367,  423. 

Hypostasis  und  Ousia,  452,  453. 

IBN  Khalikan,  335. 

Ich  werde  sein,    der    ich    sein 

werde,  48  ff.,  51  ff. 
in  der  Elohistischen 

Partie  des  A.  T.,  51. 
kommt  nie  wieder 

im  A.  T.  vor,  52. 
^  —  stammt    aus    einer 

zoroastrischen  Quelle.  52. 

—  bin,  der  ich  bin,  im  Avesta. 

54. 
nicht    ein    Name    Ahura 

Mazda's,  54. 

du,  120. 

Er,  351,  357. 

—  —  Brahman,  264. 

was  du  bist,  274,  318. 


Ich   bin,    Name    der    Gottheit 

505. 
fefiff,  380. 

Ideal,  433. 

Idee,  Wort,  Logos,  297. 

—  die  uranfUngliche,  335. 

—  oder  Typus,  381,  382  fg. 

—  Eine  höchste,  387  fg.,  513. 
Ideen  Plato's,  XI,  295,  379  fg.. 

386  fg.,   391,  399,   406,  417, 
462,  505,  506,  51ii  fg. 

—  Verhältnis     der    Phänomene 

zu  den,  388. 

—  und  dvvafÄBt^,  394. 

—  Welt  der,  395. 

—  Idee  der,  395,  400. 

—  die  Muster  aller  Dinge,  395.  * 
--  und  die  Äonen  der  Gnostiker, 

466. 

—  aller  Dinge  in  Gott,  508. 

—  Logos  die  Summe  göttlicher. 

514. 
Ignatius,  447. 
Ilya,  der  Baum,  120,  121. 
Inder  in  Alexandria,  362. 
Indianer,    ihr    Glaube   an   eine 

Brücke  ins  Jenseits,  165. 
Indien  und  Persien,  Verhältnis 

zwischen     den     Beligionen 

von,  64  fg.,  165,  176  fg.,  331 

—  Philosophie    unabhängig  In. 

66. 

—  allüberwiegender  EinfluBS  von 

Religion  und  Philosophie  u, 
67. 

—  und  Griechenland,  209,  325  ff. 

—  Entwicklung  des  SufilsmuB  in, 

337. 

Indikativ  und  Konjunktiv  in  den 
arischen  Sprachen,  77. 

Indische  Philosophie,  deren  un- 
abhängiger Charakter,  65  ff.. 
78  fg.,  100  fg. 

autochthonisch,  84  fg. 

und  i.  Musik,  278 

—  Lebensanschauung,  67  ff. 
Indischer   Philosoph    in  Athen. 

82. 
Indra,  höchster  Gott,  49,  189. 

—  Welt  des,  120,  129. 

—  und  Prai/äpati,  120,  121,  131. 

—  im  Avesta  ein  DSmoD,  179, 

183. 


Index. 


559 


Indra,  ViroAaDa  und  Prai/apati, 
247  ff.,  252,  a53. 

Indriyas,  die  Sinne,  300,  301, 
302. 

Infinitive  in  den  arischen  Spra- 
chen, 77. 

Inkarnation  and  Logos,  XII. 

—  nicht  bloße,  351. 

—  Problem  der,  433,  530. 

nach  St.  Clemens,  437. 

Innocenz  n..  Papst,  485. 
Inspiration,  iSruti,  101  ff. 

—  Idee  derselben  unvermeidlich. 

102. 

—  wörtliche,  536. 
Interdikt,  494. 
Intuition,  337,  340,  341. 
Irenaeus,  428. 

Isaak,  Philo  über,  370. 
Isis,  verschleierte,  323. 
Islam,  kein  Mönchtum  im,  333. 

—  Allahs  Wille,  342. 
Island  und  Norwegen,  Gl. 
Isokrates,  83. 

Israel  als  Sohn  Grottes,  XI. 
I«vara,  der  höchste  Herr,  290  fg., 
301  fg.,  308,  311—315,  319. 

—  mit  dem  Regen    verglichen. 

302. 
Iva,  225. 
Izads,  Hymnen  an  die  dreißig, 

43. 
Izz  eddtn  Mutaddesl,  339. 


JACOLLIOT,  80. 

Jahr,  vom  J.  zur  Sonne,  118. 

—  der  12-  oder  13  fache  Vater, 

120. 

—  vom  J.  zum  Winde,  129  ff. 
Jahre,  161,  162. 
Jahreszeiten,  120. 

—  die  Brüder  Soma's.  120  Anm. 

—  i^ibhus  Genien  der,  120Anm. 

—  Kind  der,  122,  157,  352. 
Jakob  und  der  Engel,  399. 

—  Philo  über  den  Traum  des, 

408. 
Jamblichus,  439. 
Jayadeva,  349. 
Jehovah,  49—52. 

—  Engel  des,  399. 

Jesus,   der  Reine  durch  seinen 
Atem  neugeboren,  352. 


Jesus,  Logos  in,  XII,  431,  511  fg. 

—  Messias  in,  431,  511. 

—  erst  nach  der  Taufe  Christus. 

435. 

—  Christus,     der    eingeborene 

Sohn,  505. 

das  ewige  Wort  des  Va- 
ters, 513. 

Johannes,  Logos  des.  4(»8,  446, 
447,  515  fg. 

—  Theologos\  446  Anm. 

—  Dionysius  beruft  sicn  auf  ihn. 

488. 

—  Christentum   nach,  499,  528, 

529. 

—  Eckhart  stimmt  mit  ihm  übei*- 

ein,  500,  503. 

—  siehe  auch  Evangelium,  vier- 

tes. 
Jones,  Sir  William,  über  Sufiis- 

mus,  334,  348,  349. 
Juden  und  Perser,  47  fg.,  183  fg. 

—  in  Persien,  170. 

—  Glaube  an  eine  Brücke  bei 

den,  171. 

—  Alexandriens,  80,  81. 

—  als       Vermittler       zwischen 

Avesta  und  Mohammedanis- 
mus, 196. 

—  Griechen  und  Christen,  365. 
Judentum  und  Christentum,  IX. 

—  und  Buddhismus,  230. 

—  Begriff  der  Gottheit  im,  358. 

—  Christentum  und  griechische 

Philosophie,  366. 

—  Philonische  Phase  desselben. 

368. 
Jüdische  Religion,  deren  philo- 
sophische Wiedergeburt,  393. 

—  Bildersprache,  40l. 

Julian,  Kaiser,  423. 

Jupiter,  Aristides  der  Sophist 
über,  11. 

—  Lehre  von  Zeus  oder,  29. 

—  beschränkt,  232. 

—  als  der  Sohn  Gottes,  416  fg. 

—  als  der  Logos,  417. 

—  Plotinus  über,  416. 
Justin  Martyr,  366,  447. 


KAABA,  335. 
Kaegi,  137  Anm. 


560 


Iudex. 


Kaisers    Gebet     (chinesischos), 

19  fg. 
Aaitanya,  intelligent,  289,  327. 
Kakökat,  344. 
^äkshushf,  Auge,  120,  123. 
Kalpa,  31(K 
Kant  über   die  Geschichte  der 

Philosophie,  3. 

—  seine  'Kritik  der  reinen  Ver- 

nunft*, 5. 

—  seine      Erkenntnistheorie, 

316  fg. 

—  und  die  Upanishaden,  316  fg. 
Kilra/ias,  161. 

Karl  der  Große,  458. 

—  beauftragt  die  Bischöfe  in  der 

Volkssprache   zu  predigen. 
493  Anm. 

—  der  Kahlköpfige,  459. 
Karmakänc/a,  94,  103. 
Karman   oder  Apürva,    296  fg., 

301  fg. 

Karta,  Grube,  164. 

Kasten,  älteste  Erwähnung  der 
vier,  243. 

Kasteiung  empfohlen,  522. 

Katechetische  Schule  zu  Alcxan- 
dria,  XIII,  428,  429. 

Katcchumenen,  475. 

Kathari,  497. 

Katharsis,  474,  475,  497. 

Ka^Aa-Upanishad,  Parabel  vom 
Wagenlenker  und  den  Pfer- 
den in  der,  209. 

—  Metempsychose  in  der,  215. 

—  citiert,  235—237,  268. 
Kaupat  =  Milchstraße,  168. 
Kausalität   gehört    Gott   allein, 

533. 

Kaushitaki  -  Upanishad  citiert, 
119  ff.,  126,  128,  129  fg., 
156  fg.,  195,  242,  274. 

Kavad,  40. 

Kaye,  454  Anm. 

Keilinschriften,  Ahriman  nicht 
in  den,  44. 

Kena-Upanishad  citiert,  235. 

Kenntnis  von  der  Einheit  des 
Göttlichen  und  des  Mensch- 
lichen   92  ff. 

—  führt  zur  "Seligkeit,  92,  125. 

—  oder  vidyii,  288. 

—  Kepler,  378. 
xriQvyfxattty  475. 


Ketzer  von  Kathari,  497. 

iCÄiindogy a  -  Upanishad ,  114 
Anm.,  117— 119,  123  fg.,  126, 
128—161,  153,  105  Anm., 
190,  235,  236. 

—  Dialog  zwischen  Vater  und 

Sohn  in  der,  152  fg. 

—  Dialog  zwischen   Indra  und 

Pra^äpati  ans  der,  247—256. 
Deduktionen  von  dem- 
selben, 256  ff. 

iS^ankara*8  Bemerkun- 
gen dazu,  258  ff. 

über  das  wahre  Selbst, 

281—285. 
Khorda  Avesta,  42. 
Khordad,  183. 
Khshathra  vairya,  50,  183. 
Kbüsröi  (Khosroes),  40. 
A'indvar-Brücke,  198. 
Kingsley,  Charles,  367,  503  Anm. 
Jfinvat- Brücke,    165,  169,   190, 

198,  199,  531. 
Kirjath-Sepher,  32. 
J^it,     Wahrnehmen,     Prädikat 

Brahmans,  93,  289. 

—  und  aÄit,  310. 
iOtra,  119. 
Kittel,  52. 
Klamaths,  XI,  386. 

—  Logos  bei  den,  376  fg.,  383. 
Klemm,  73. 

Kohut,  184,  196,  197. 

Komparativ  in  den  arischen 
Sprachen,  77. 

Konjunktiv  in  den  arisobcn 
Sprachen,  77. 

Konrad  von  Marburg,  497. 

Kopula  in  den  arischen  Spra- 
chen, 76. 

Koran,  20,  170  fg.,  342. 

Kosmologischer  Beweis,  5. 

Kosmos,  388,  397. 

—  yoijTo^j  421,  505, 
Kramamukti,  303. 
Krantor,  SO. 
KrtshMagupta,  133. 
Kronos  von  Gäron,  63  Anm. 
Kshathra  vairya,  50,  183. 
Kshatriyas,  161. 

Kuenen,  51. 

Kuh  bei  den  LeichenceremonieD. 

107,  168. 
Kuhn,  167. 


Index. 


561 


LACHESIS,  217. 

LactantiuB  über  religio,  527. 

Lassen,  46  Anm. 

Lateinische  Sprache  nnd  griechi- 
sche Gedanken,  452  fg. 

Lebensanschauung,  die  indische, 
67  ff. 

Legenda  Aurea,  173. 

Legge,  12. 

Lehrer  und  Schüler  im  alten  In- 
dien, 248. 

Leichenbe^ngnis,  Hymnus  beim, 
136. 

Lethestrom,  218  fg. 

Lewy,  Dr.  H.,  62. 

Licht,  das  höchste,  264. 

—  Ursache  wahrer   Etkenntnis, 

329,  533. 

—  Dionysius  üb^r  das  glänzende 

geistige,  467  fg. 

Lichtgott  der  Uaidas,  220. 

Lichtreich,  164. 

Liebe  zu  Gott  allein  ist  wirk- 
liche L.,  334. 

irdische  L.  ein  Vorbild 

der,  346. 

des  Sufi,  346,  349. 

deren    Tochter    die 

Nächstenliebe,  348. 

Erkenntnis      zugleich, 

439. 

der  Seele,  472. 

und  mystisches  Chri- 
stentum, 480  fg.,  484,  498. 

das  einzig  wahre  christ- 
liche Leben,  482. 

St.  Bernard  ttber  die, 

4S3. 

—  Barrow  über  die,  346  ff. 

—  das  Rind  der  Armut  und  der 

Fülle,  425. 

—  des  Vaters  und  des  Sohnes 

geht  von  Gott  aus,  533. 
Liebeswerbung    der   Seele    um 

Gott,  425. 
Liebrecht,  173  Anm.,  216  Anm. 
Litterarische     Dokumente     am 

wichtigsten  für  das  Studium 

der  Religion,  29  fg. 
Litteratur  beginnt  mit   heiligen 

Büchern,  30. 

—  geschriebene,  30. 
Logan  citiert,  2. 

M»z  M  Aller ,  Theosophie. 


Logoi,  X,  XI,  431,  445,  462,  505. 

—  der  Stoiker,  391  fg.,  399,  466. 

—  ansQfiatixoi,  391. 

—  und  Engel,  400,  466. 

—  und  Ix)gos,  466. 

—  und  Äonen,  466. 

Logos,  X,  XI,  55,  297,  318,  337, 
338,  366,  387,  443,  506. 

—  arisch,  X. 

—  der  Sohn  Gottes,  XI  fg.,  XIII, 

358,    397  ff.,   402,   431,   466, 
510,  511,  513. 

—  und  Inkarnation,  XII,  513.| 

—  prophorikös  und  endiathetos, 

239,  392. 

—  die   weltbeherrschende  Ver- 

nunft, 370,  391. 

—  Philo  über  den,  371,  373— 

376,  402  fg.,  406  ff.,  416. 

—  Band    zwischen    Gott    und 

Seele,  373,  448. 

—  griechisch,  374  fg. 

—  Antecedentien  im  A.  T.,  375. 

—  zwei  Seiten  des,  Wort  und 

Gedanke,  375  fg.,  379. 

—  bei  den  Klamaths,  376  fg. 

—  die   historischen  Anteceden- 

tien des,  378  ff. 

—  anequauxo^,  377,  381. 

—  bei  Heraklit,  383  ff.,  386. 

—  Aoi^iT  statt,  3S5. 

—  der  Stoiker,  391. 

—  und  Hyle,  391. 

—  und  Logoi,  391  fg.,  395,  406. 

—  ist  ewig,  392. 

—  und  Gott,  392,  444. 

—  eine  Brücke  zwischen    Gott 

und  der  Welt,  395  fg.,  408, 
411. 

—  ursprünglich  nur  ein  Prädikat 

Gottes,  396. 

—  und  ^vväutii,  396. 

—  in    Christus    Fleisch   gewor- 

den, 398,  415,  431,  444,  482. 

—  und  Weisheit,  399,  401. 

—  der  Erstgeborene,  401. 

—  St.  Clemens  über  den,    401, 

431. 

—  bei  den  Rabbinen,  402. 

—  in  Abraham  und  Moses  ver- 

körpert, 402,  407. 

—  des  Johannes,  408,  447. 

—  Epitheta  des,  409. 

—  Gott  erschafft  durch  den,  411. 

36 


562 


Index. 


Logos,  der  heilige  und  göttliche, 
412. 

—  Athanasius  über  den,  415. 

—  Jupiter  als  der,  417. 

—  Summe  aller  göttlichen  Ideen, 

431. 

—  und  Messias,  431  fg.,  511  ff. 

—  ein  vollkommener  Mensch  die 

Verwirklichung  des,  432. 

—  der  Mensch  eine  Offenbarung 

des  göttlichen,  433. 

—  in  der  Dreieinigkeit,  434. 

—  und  der  Vater,  436. 

—  und  Pneuma,  438. 

—  von  Christus  ausgesagt,  444, 

511. 

—  Origenes  über  den,  444. 

—  der  christliche,  445,  446. 

—  alöth^s,  445. 

—  als    Scheidewand     zwischen 

dem   Sohn  Gottes  und  der 
übrigen  Menschheit,  449. 

—  durch  Christus  erlöst,  450. 

—  in    der   lateinischen   Kirche, 

452  fg. 

—  wie   im   Lateinischen  ausge- 

drückt, 453. 

—  nach  Zeno,  453. 

—  gesprochen    oder    Sohn    er- 

zeugt, 510,  513. 

—  Schöpfung  als  der,  511. 

—  der    Gedanke    Gottes,    513, 

514. 

—  das  Christentum  auf  demsel- 

ben aufgebaut,  514. 
Lorinser,  83. 
Lotze,  XIV. 
Ludwig,  120. 
Lukrez,  X. 

Luther  über  Eckhart,  503. 
Lykurgs  Reisen  im  Orient,  81. 


MACARlüS,  475. 
Mächte,  465,  466,  468. 
Macrol)ius,  143. 
Magi  aus  Medien,  43. 
Magier,  40. 
Magoi,  45  Anm. 

Mahäbbärata     über     Nächsten- 
Hebe,  9  fg. 
—  Setus  oder  Brücken  im,  165. 
Mahatmas,  322. 


Mai  trayantya  -  Brahm.-Üpanishad 

citiert,  125. 
Maxaqtav  y^ffoi,  63. 
Makhir,  Gott  der  Tränme,  16. 
Mallas,  161. 

man,  denken,  arisch,  78. 
«Manas,  Geist,  arisch,  78. 

—  Denkorgan,  245,  300—302. 
Mänast,  Geist,  120,  123. 
Mänavas,  Gesetzbuch  der,  159. 
Manen,  161. 

—  der  erste  Monat  des  Jahres 

ihnen  geweiht,  143  fg. 
Man!,  40,  46. 
ManichäismuB,  40. 
Mantras,  unabhängige  Angaben 

in  ihnen  über  die  Seele  nai^h 

dem  Tode,  135—139. 
Mann,    Seelenwandemng  nach, 

158  ff. 

—  Gesetzbuch  des,  Alter  des- 

selben, 159. 

—  kennt  Höllen,  163. 

—  neun  Klassen  bei  Plato  und. 

212  ff.,  218. 

Marc  Aurel,  XIII,  10. 

Maria,  jede  Seele  wird,  512. 

Marifat,  344. 

Mars  oder  Marut,  29. 

Marut,  Sturmwind,  29. 

Mätari«van,  231. 

Mat6,  14. 

Mavra  oder  Mavriza,  die  Milch- 
straße, 168. 

Maximins  kommentiert  Diony- 
siuB,  456. 

Maximus  Tyrins  über  Daimones. 
463. 

Mäyä,  Illusion,  298,  311,  316. 

Mazda,  17  fg.,  19,  54,  190. 

Mazdaismus,  40. 

Medien,  Gatha-Dialekt  der  Dia- 
lekt  von,  43,  44. 

—  Ursprung    der   Religion  Zo- 

roasters  in  43,  47. 

Melikertes,  61,  62. 

Melissus,  325. 

Mensch,  seine  göttliche  Sohn- 
schaft, 9,  93,  529,  535. 

—  sein  wahres  Wesen,  299  ff. 

—  Sohn  Gottes,  510. 
Menschen  Sohn,  des,  XII. 
Menschentum,  gemeinsames  ,5h  flf.. 

63,  205. 


5«3 


Merodach.  n.  1«. 
Mesteri   Dsc^iläl  edlxK«.    tt 
33T,  »«,  M*.  »>  C 

xn 

—  in  Jesui  wkderselkidca.  4»>^ 

—  Logw  od.  «ys.  4M  %.  »1 1  ff. 
TOD  F^Oo  Bickt  ides- 

cijäziert.  4*^  Abb. 
MeteBptfj-ekoce.  I4.>  W^  2*». 

—  kat  Bickts  mit  AimBiwags  za 

—  bedcBtet  BBck  WaadeiBii^  in 

PÜBBzen.  151. 

—  etkiscken  Ursprangs   in   In- 

dien. IM.  IM.  21 5. 

—  Wandenin^  in  Tiere-  IM. 

—  erklln  dns  Feklen  Ton  Höl- 

len. 1^ 

—  bei  Plnto^nndln  den  UpBBbka- 

den.  211  fg. 

—  bei  den  HjiidB&  222  f^. 

—  sieke  mnck   Seni^wttwuUrmmf. 
Micknel  der  StBrnmler,  4S<. 
Milek  nnd  QoBrk.  Gleicknis  von. 

293.  294,  29^. 
MiIck5tTm0e,  16T  fg..  173. 

—  keißt  Kaopmt,  Itö. 
Milmnn.  395. 

—  aber  DtonjsiBS.  4^  ff. 
Minuunsa-  sötn«  =  Yedantt  -  su- 

tras,  97. 
Minokkired.  aber  das  Wigen  der 

Toten.  197  ff. 
Mino».  62  AnnL 
MinncioB  Felix.  365  fg. 
Mira,  niekt  mtramla,  24. 
Mira.   ElTsiom   der  Takitianer, 

225.' 

—  Herrin   der   Unterwelt    227. 

22S.  22S  Anm. 
Mitkra.  43.  179.  190.  202. 
Mitra.  die  Sonne.  137.  179. 
Mitru.  19S. 
Mokammed.  196.  332. 

—  über  MÖnchtom,  333. 

—  seine  Idee  ron  Gott  342  fg. 
Mokanunedaner.     kalberotiscbe. 

kalbmjstiscke    Poesie   der. 
346. 
Mokammedaniffehes      Glaubens- 
bekenntnis. 2u. 


■ 

I 


Moka]Bmt?iiaiJ5Bi!zs.  Untfussd^» 
ATi?:^;a  asf  den.  196. 

Moira.  :^>:» 

Xoliiioö.  4-5*). 

Mond,  innehmeader  cnd  aba^k- 
Bender.  114.  ll-?— II«?.   129. 

—  cni  BLia-  114  Anm..  132. 

—  Wokn«>rt    der   AbsweMede- 

nen.  116.  ir>.  124.  145.  I4v 
11^7  Abb. 

—  der  Abge^ckledene  srekt  T^»a 

d'^r  STBne  itb.  117.  IIS 
ir.\  124.  I4>.  156. 

—  5vaBa.  119. 

—  die   TkSre    der   STargaweh. 

119. 

—  spritkc    zu  deB  Atg^^^sckie- 

denen.  120.  156. 

—  Abnekmen   des   M.   als  Ver^ 

zeknin^  der  Ab^eäehiedenen 
darek  die  GGner  anf^fa^r. 
ll'i.  144—146. 

—  die  Qaelle  d»   Lebens  nnd 

der  Unsterblickkelt.  145 — 
147.  156. 

—  Sage  der  Hortentotten  über 

den.  146. 

—  Spender     von     Bezen     nnd 

Frachtbarka?.  116.  296. 

—  retodbiiA.  IM. 

Mond  Stationen.  GOtter  der.  161. 
Mondstrakien.    Brakmana    Sitz- 

ki:»en.  122. 
Monbmos  der  Eleaten.  92.  1*>5. 

266. 

—  der  Vedantisten.  266. 

—  des  Origenes.  444. 
Monogenes .     der    Eineeborene. 

X.  3>H,  3i>7.  403 — ilO.  511. 
515. 

—  Epitheton  des  kiicksten  We- 

sens. 403. 

—  von  PUto  gebranckt  404. 

—  *der  Einzige    in    seiner  Art'. 

4u5. 

—  anf  den    Lojtds   ansrewandt. 

405. 

—  bei  PWlo.  406. 
MonotheisBns  des  Avesta.    47. 

iv). 
vom  DiialisBns  verdränirt. 

1H3. 

Montanisten.  44tv 

36» 


564 


Index. 


Moralische  Regierung  der  Welt, 

Glaube  an  die,  155. 
More,    Henry,   272,  276,  318  fg., 

533  fg. 
über    die   Thtologia   Oer- 

fnanicOy  503. 
Moses  und  der  Schäfer,  22  fg. 

—  verlangt  Gott  zu  sehen,  335. 

—  über  Gott  als  Vater,  359  fg. 

—  wie  alsAutomame  gebraucht, 

360  Anm. 

—  über  den  Geist  als  Bild  des 

Göttlichen,  414. 

—  partielles  Licht  von  ihm  mit- 

geteilt, 469. 
Mrityu,  Tod,  arisch,  78. 
Muir  über  Brahman,  238. 
Mukhya  präna,  Lebensgeist,  300 

—303. 
Müller,  Friedrich,  37  Anm. 
Munc&ka-Upanishad,     119,     123, 

126,  235,  236,  241. 
Muru,  227,  228,  228  Anm. 
MusaeuB,  81. 
Musik,  indische,  278. 
uvTjai^,  474. 
M^stae,  422. 
uvaiaiy  475. 
Mysterien,  griechische,  323  fg. 

—  bei  den  Neuplatonikern,  422. 

—  im  Neuplatonismus   und   im 

Christentum,  474  fif. 

—  von  Origenes  geleugnet,  474. 

—  von    St.  Clemens   geleugnet, 

475. 

—  Macarius  über,  475. 

—  des  Dionysius,  475  fg. 
Mysticismus,    christlicher,    456, 

477  ff. 

—  und    christlicher    M.,    nach 

Tholuck,  477  ff. 

—  Eckharts,  503  fg. 
Mystiker,    die    deutschen,    276, 

292,  423,  492  ff.,  494  ff.,  499, 
518,  532. 

spekulative  und  ascetische 

Schule  der,  522. 

—  christliche,  476  fg. 

Tholuck  über,  478,  479. 

—  von  Tholuck  definiert,  477  fg. 

—  das  Böse  unmöglich  für  den 

wahren,  480. 

—  Tljomas  von  Aquino  über  die, 

488. 


Mystiker,  Eckhart  wie  Johannes 
ein,  503. 

—  über  Einheit  mit  Gott  in  die- 

sem Leben,  526. 

—  Mangel  an  Ehrfurcht  vor  Gott 

ihnen  vorgeworfen,  526. 
Mystisch,  90. 
Mystische  Philosophie,  280. 

—  Theologie  der  Sufis  und  Yo- 

gins,  348. 

—  Vereinigung,  472,  474,  476. 
fünf    Stadien    derselben, 

474. 

—  und  scholastische  Theologie, 

476  fg. 

—  Reli^on,  Tholuck  über,  47S. 
Einwendungen   gegen, 

479  ff.,  519  ff. 
Mystisches  Christentum,  455,492. 

497—499. 
Einwendungengegen,  4S5, 

486. 

und  Vedanta-Philosophie. 

519. 
Mythologie,  psychologische,  74. 
Mythologische  Sprache,  misaver- 

standene,  139  ff. 


NACHBARSCHAFT ,     gemein- 

same,  61. 
Nädar  Nask,  41. 
Nairyäsanha,  179. 
NaAiiketas,  221. 
Näman.  Name,  arisch,  78. 
Nämarupa,  Name  und  Form,  2S2. 

294  fg.,  297,  329,  330. 
Namen  für  die  höchste  Gottheit. 

236  ff. 
Nana,  15. 

Naonhaithya  daeva  &=  Nasatyau. 

179  Anm.,  183. 
Naraka,  Hölle,  164. 
Narä«amsa,  179. 
Nasatyau,  179  Anm. 
Nasks,  Sammlung  und  Zählan^ 

der,  40,  41. 

—  einundzwanzig,  41,  45. 

—  Einteilung  in  die,  42. 

—  in  drei  Klassen  geteilt,  43. 
näsut,  343. 

Na^as   161. 

Natürlici-^e  Religion ,  Vil,  9.  26. 
87  fg. 


Index. 


565 


Natürliche  Religion,  die  Grund- 
lage unseres  Glaubens  an 
Gott,  4. 

der  höchste  von  ihr  er- 
reichte Punkt,  229,  531. 

Paulus  über,  528. 

Naudhasa,  Säman-Yers,  122. 

Neander,  XV. 

Nektar,  Mond  besteht  aus,  145. 

Nestorius,  436. 

Neues  Testament  unvollständig, 
34  fg. 

—  christliche  Mystiker  und,  477, 

529,  530. 
Neu-indisches  Gebet,  21  fg. 
Nenn  Klassen   von  Wesen  bei 

Manu,  löOff. 
Plato's     und    Manu's, 

162,  212  ff.,  218. 
bei  Proclus  und  Dio- 

nysius,  162. 
Neuplatoniker  hielten  den  Orient 

fiir    die    Heimstätte    aller 

Weisheit,  81. 

—  ihre  Theosophie    im   Orient 

weit  verbreitet,  337. 

—  und    Stoiker,    366,    418  fg., 

419  ff. 

—  über  die  Seele,  421. 

—  über  Offenbarung,  422. 

—  viele  decepii  decepiores  unter 

ihnen,  423. 

—  ihr     verderblicher    Einfluss, 

423. 

—  über  mystische  Vereinigung, 

474. 

—  und  christliche  Mystiker,  477. 

—  484,  511,  515,  517. 

—  ihr  Lo^os,  514. 
Neuplatonismus,    354,    416,  455, 

493. 

—  das    höchste  Mysterium   im, 

475. 

—  Eckhart    unter   dem   Banne 

desselben,  510. 
Newman  über  Seele  und  Gott, 
88  fg. 

—  seine  Definition  der  Religion, 

331. 
Nicaea,  Konzil  von,  367,  455. 
Niehtseiende,  das,  282. 
Nichtwissen  oder  Avidya,   107, 

268,  287  ff.,  517,  527. 

—  und  Sünde,  93  fg. 


Nichtwissen  die  Ursache  phäno- 
menalen Scheines,  269  ff. 

—  von  der  Sruti  entfernt,  289. 

—  siehe  auch  Avidt/d. 
Nicolaus  I.,  Papst,  459. 
Niedner,  XIV. 

Niobe,  63  Anm. 
Nirukta,  169. 
Nirv£ma,  303,  304. 

—  wahres,  305, 
Nizt«tö,  198. 

Noah,  Philo  über,  370. 
Norwegen  und  Island,  61. 
Noumenale  Welt,  266  fg. 

—  das,  und  das  Phänomenale, 

294,  309,  386,  448. 
Nous  oder  Logos,  385. 

—  Anaxagoras  über  den,   385, 

386. 

—  und  Seele,  385,  414. 

—  ein  Bild  des  Ewigen,  421. 
Numenius,  142,  419. 

—  Dreieinigkeit  des,  434. 
Nyäyish,  fünf,  43. 
Nymphen,  Grotte  der,  142. 


ODYSSEÜS,  217. 

Offenbarung,  speciellc,  im  A.  T. 

und  N.  T.,  5. 
nicht  notwendig  für  den 

Begriff  Gottes,  6,  8. 

—  natürliche,  8. 

überzeugender     nls     die 

übematüriiche,  8,  442. 

—  wahre,  22. 

—  spento  frasna.  54. 

—  oder  Äruti,  101,  135. 

—  bei  den  Neuplatonikem,  422^ 
Ol  der  Vergessenheit,  115  Anm.' 
.      194,  218  fg. 

Ol^n,  62  Anm. 
Om,  117. 

Omar  ihn  el  Faridh,  339. 
ov,  lo,  77,  104. 
Ontologischer  Beweis,  5. 
Opfer  der  Ursprung  aller  Reli- 
gion, 86  fg. 

—  setzen  den  Glauben  an  Göt- 

ter voraus,  S7. 

—  aus    demselben   erhebt    sich 

der  Mensch,  114. 

—  an  die  Väter,  19«  fg. 


566 


Index. 


Opferceremoniell,  64. 
Opferer,  161. 

Origenes,  XIII,  370,  407,  428, 
439—451. 

—  und  Philo,  365,  444. 

—  Christ  und  Grieche,  366. 

—  und  St.  Clemens,  442,  449. 

—  über  menschliche   und  gött- 

liche Natur,  450. 

—  über  die  Göttlichkeit  Christi, 

450. 

—  verdammt,  451,  481. 

—  über  Engel,  462,  464,  466. 

—  über  mystisches  Christentum, 

474  fg. 
Orion,  63  Anm.,  144. 
Ormazd,  178. 

—  sein  Bote  Nairyasa/iha,  179. 

—  und  Ahriman,  180. 

—  die  Engel  ursprünglich  Eigen- 

schaften des,  182. 
bilden  den  Rat  des,  183. 

—  hat  seine  Fravashi,  201, 

—  Yasht,  52,  53. 
Oromasos,  44. 
Orpheus,  81. 

Orphiker  gegen  Fleischnahrung, 
84. 

Osten,  die  Wohnstätte  der  Seli- 
gen, 137. 

Ousia,  77,  452,  453,  505,  510. 


PAHLAVI,  siehe  Pehhvi. 

Pair,  Pramadadasa  Mitra's  Gleich- 
nis vom,  295. 

Pa/lÄarätrikas,  273. 

Pantaenus,  XIII,  429,  444. 

Pantheismus,  266. 

Pantheisten,  508. 

Pantheistisch,  der  Grund  ton  des 
Christentums,  93. 

Pantheistische  Ketzereien  des 
14.  Jahrhunderts,  496. 

Papak,  39. 

Papias,  XIV. 

Paradies,  199,  532. 

panV»  pariivataA,    115,  115  Anm. 

Param  Brahman,  311. 

Paramiitman,  das  höchste  Selbst, 
309. 

Pari/iama,  Evolution,  293,  294. 

Parifiäma-vada,  312,  ol3. 

Parlament  in  Japan,  374  fg. 


Parmenides,  325,  328  fg.,  403. 

—  über  Soelenwanderung,  330. 
Parthav,  Parther,  36. 

Partherherrscher     nicht     Zoro- 

astrier,  39. 
Participien     in    den     arischen 

Sprachen,  77. 
Päthaka,  98  Anm. 
Paulus,    25,    93,    313,    477,   470, 

481,  500,  503,  528,  629. 

—  als  philosophischer  Apologet 

des  Christentnms,  428. 
Pazend,  ^Kommentar*,  37. 

—  Name  einer  Sprache,  37. 

Pehlevi,  persische  Sprache,  35, 
37,  46. 

—  Ableitung  des  Wortes,  36. 

—  nicht   die  Sprache    der  Par- 

ther, 36. 

—  eine  arische  Sprache,  36. 

—  erste   Spuren    desselben  auf 

Münzen.  36. 

—  in  zwei  Alphabeten  geschrie- 

ben, 36  fg. 

Pehlevi -Litteratur  begann  bald 
nach  Alexander,  45. 

Pehlevi-Übersetzung,  Avesta  mit 
und  ohne,  42. 

Pelasger  entlehnten  Götteraamen 
aus  Ägypten,  80. 

Persepolis  von  Alexander  ver- 
brannt, 38. 

Perser  in  Griechenland,  82. 

—  in  Alexandria,  362. 
Persien  und  Indien,  64  if^..  IGö, 

176  fg.,  332. 

—  Entwicklung  des  Sufiismus  in, 

337. 

Persische  Einflüsse    im   Juden- 
tum, 183  fg. 
Person  oder  Parusha,  117. 

—  nicht    ein  Mensch,   114,  HS. 

132,  134. 
Personen,    die    drei   göttlicheD. 

510,  512. 
Personifikation,  151. 
Persönlichkeit    eine    Bescbrän- 

kung  der  Gottheit,  232. 

—  der  Seele,  305  fg. 
Pfeiffer,   Herausgeber  £ckhart9> 

499. 
Phänomenale,  das,  und  das  Reale. 
265  ff. 


•'»^rf 


PhinffHUttift.  dmft.  md  ditf  Si*c- 
mcBiie.  2^4.  :w^,  ;^i.  44*^. 

Philo,  ilL  XT,  36t».  :iw.  :;^;.. 
:j*^7.  :iiHj.  3Hä.  :j«».  4üi — »tu 

41S  42ü,  44i,  all. 

—  seine  pbikMupbiscke  Temii- 

D(»]<>pe,  X.  odT. 

—  0t3Be   aUe^oriBcb«'    Interpre* 

taläoiL  344  ff..  :^  ff..  4^  ffr. 

—  ein     KirckesTixca'     geuMami. 

—  Yercreter   «iner  Fkaae  jüdi- 

Khen  Denkens.  ^•'.  3i<:{. 

—  zaent  Jode  nsd  dum  Phiio- 

Boph.  30h.  3V<^. 

—  Ober  die  Gotthm,   3<iH.  5T:;. 

411. 

—  über   Adam   imd   Eva.   37 (t. 

372  ftr. 

—  ober  die  CLerubisi.  371. 

—  fiber    AbrmhEin    mtd    iMiak, 

372. 

—  sein  Logos.  373 — 376. 

—  hat  grieclÜBebe  Sprache  and 

griechiftchei    Denken  '  eni- 
lehnt  374. 

—  seine  ErbschafL  3d3. 

—  ein  Zeitgenosse  Christi,  394. 

—  seine  Philosophie.  394  ff. 

—  ober  En^l,  400.  402,  4Ü6. 

—  über  das  Verhältnis  der  Seele 

SU  Gott,  411  ff. 

—  über  Körper  und  Seele,  412. 

—  seine  eschitoloj^he  Sprache. 

419. 
— -  und  Plotinus,  419. 

St  Clemens,  433. 

OrigeDes,  444. 

—  de  vUa  eonUmpUUica,  Abi  fg. 
Philoniseher  Begriff  des  Logos,  I 

55.  i 

Philosophie,  das  spatere  Wachs- 
tum der,  75  fg. 

—  Hilfe,    welche    die   Sprache 

derselben  leistet  70  ff. 

—  beginnt  mit  Zweifeln  an  dem 

Zeugnisse  der  Sinne.  10]. 

—  und  Religion,  290,  430,  44«», 

443,  448,  500,  514. 

—  siehe  auch  Indische  Ph. 
Philosophien,  alte,  wie  mau  »ie 

vergleichen  soll,  57  fg. 
Phünizier  und  Griechen,  61. 

—  Plato  über  die,  83. 


q^mnciti*^.  4T4 

Pin'lius.  45T. 

Phraorrcs.  Sol. 

Pivsisrbe  KeHrion.    Vll.   Vlll. 

*  S>.  li»>,  Itih.  244.  .V>4 
Veda  äie  UaupT^jueile  für 

die.  94. 
letztes  Resultat  derselK  n. 

h»4.  229. 
Pindar.  Ton  Plato  citien.,  2«»T 
PiÄZais.  161. 
Pitrts   betreten    den  Monii.   12n 

Aiim. 

—  ihr  ayana.  143. 

—  nacii  der  Auffasauuf:  dt-r  vt»- 

dischen  Hymnt-n.  1>T  ff. 

—  im  Veda.  und  Fravashis  im 

Avesta.  2i»l,  203. 

—  Siehe  auch   r<ÄT. 
Pilrivana,  VateTpfad.   116.  124, 

i2S,  147,  14>.  Siehe  Tat- 
pfad. 
Plato;  XV,  5S,  142,  2S3  Anm., 
313,  369,  37>,  394  Anm., 
395,  4<»9,  412,  413,  Ml,  515, 
519. 

—  die  ewi^e  Idee,  104. 

—  die  höchste  Idee,  39i». 

—  seine  Idee  und  Huxlev's  Ty- 

pus, 3>2  fg. 

—  seine   Ideen.    102,    2o2,    2:»:\ 

386  fg..  391,  399.  462,  466, 
510  fg.  Siebe  auch  u.  läecn, 

—  kennt  Ahuramazda.  aber  nicht 

Angro  Mainyii,  44. 

—  seine  Mythe  von  den  Aüic- 

nem  und  Atlantiden,  So. 

—  der  Philosoph   der   Hebräer, 

M. 

—  in  Ägypten,  Sl. 

—  kennt  Aoroaster,  ^2. 

—  seine  Reis«^n,  b3. 

—  über  die  Ajrypter,  >'i. 

—  überSeelenw'anderuug,  83  fg., 

214  fp. 

—  neun  Klassen  von  Wesen  bei, 

162.  212  ff.,  21  s. 

—  seine  Autorität  205  fg, 

—  über  das  Schicksal  der  Seele 

nach  dein  Tode,  205  ff. 

—  seine  mythologische  Sprache, 

206  ff. 


568 


Index. 


Plato  behauptet  die  Unsterblich- 
keit der  Seele,  207. 

—  die  Parabel  vom  Wagenlen- 

ker   nnd   den   Pferden    im 
PhaedruB,  208. 

—  und  die  Upanishaden,  211  fg., 

215,  217  flF. 

—  Höllen  bei,  213  fg. 

—  über  Xenophanes,  326. 

—  *der  attische  Moses',  337,  409. 

—  und  Christus,  366. 

—  Antecedeutien  des  Logos  bei, 

373,  514. 

—  Ursprung    der  Arten    nach, 

380  ff. 

—  und  Sokrates,  385  ff. 

—  über   Gott  und   die    Götter, 

388. 

—  Monogenes  bei,  404. 

—  ywf  des,  410  Anm. 

—  von  Plotin  citiert,  425. 

—  Dreieinigkeit  bei,  434,  468. 

—  Daimones  bei,  462  fg. 

—  *der  gröze  Pfaffe',  502. 
Platoniker,  christliche,  318,  532, 

533. 
PlatoDismus,  Einfluss  desselben 

auf  den  Sufiismus,  337  fg. 
Plinius,  37,  82. 
Plotinus,    276,    416,    419—427, 

439. 

—  und  Philo,  419. 

—  über  das  Aufgehen  des  Men- 

schen   in    dem   Absoluten, 
421. 

—  über  Mysterien,  422. 

—  über  fremde  Religionen,  422. 

—  und  Christentum,  423. 

—  sein  Brief  an  Flaccus,  424  ff. 

—  über  Verzückung,  426  fg. 

—  Porphyrius  über,  427. 
Plutarch,  37. 

—  über  die  Reisen  Lykurgs,  81. 

—  über  Daimones,  463,  464,  465. 
Pneuma,  Weltseele,  338. 

—  und  Logos,  438. 
Po,  Nacht,  225. 
Poepoß,  225. 

Polster,  *auf  dem  P.  sterben', 
226. 

Polycarpus,  447. 

Polynesier  über  die  Unsterblich- 
keit der  Seele,  223  ff. 

Polytheismus  im  Avesta,  180. 


Porphyrius,  142,  419  Anm. 

—  sein  Werk  gegen  die  Christeo, 

423. 

—  über  Plotinns,  427. 

—  über  Origenes,  443. 
Prädikate,  Brahmans  drei,  93. 
Pra^patt,  95,  131,  244. 

—  und    Indra,    die  Thürhüter, 

120,  121. 
--  Welt  des,  120,  129. 

—  Indra  und  Viroibana,  247  ff. 

—  eine  spätere  Gottheit,  255. 
Pra^na,    Thron  Brahmans,    122, 

123. 
Pralaya,  310. 

Pramadadasa  Mitra,  294  fg. 
Pramänas,  101. 
Präna,  122,  123,  244. 

—  Atem,  Geist,  234,  242  fg. 

—  und  Brahman,  240  fg. 

—  Name  für  die  Seele,  245. 
Prapatha,  Pfad  der  Abgeschie- 
denen, 137. 

Präpositionen  in  den  arischen 
Sprachen,  77. 

Pra^na-Upanishad,  124,  242. 

Pratika,  290,  320. 

Pratyaksha,  sinnliche  Wahrneh- 
mung, 101,  288. 

Pravartin,  Sk.,  201. 

Predigten  in  deutscher  Sprache, 
493  Anm. 

Priester  und  Volk  im  14.  Jabrh. 
in  Deutsehland,  494  ff. 

Proclus,  162,  422,  455. 

—  Bindeglied  zwischen  der  grie- 

chischen und  der  scholasti- 
schen Philosophie,  423. 

—  von  Eckhart  studiert,  502. 
Prolation,  454. 

Jlgoodof,  425. 

Prototokos,  X. 

Psalmist  über  Jefaovah,  49. 

xpvxv^  234. 

Psychisch,  90. 

Psychologische  Mythologie,  74. 

—  Religion,  VII,  XVI,  49,  lü4, 

534. 

setzt  physische  und  an- 
thropologische Religion  vor- 
aus, 90. 

Bedeutung  desNamenB,90fg. 

Vedänta  die  Hauptquelle 

für  deren  Studium,  94. 


Index. 


569 


Palota,  225. 

Purä^ias,  184. 

Purotu,  225. 

Purushft,    die  Person,    117,   119, 

123,    126,  130,  241  f^.,    243, 

244. 

—  Schöpfung  der  Welt  als  ein 

Opfer  des,  243  fg. 

—  im  Auge  ist  das  Selbst,  24S. 

258  fg.,  262. 

—  attama,  253. 

Parusho   amäoavaA  oder  mäoa- 

saA,  114  Anm. 
Pürva  Mimämsa,  97. 
Pürvapakshin,  261  fg. 
Püshan,  137. 

—  Narafamsa,  179. 
Pythagoräer,  32?. 
Pythagoras  in  Ägypten,  81,  83. 

—  und  Seelenwanderung,  83  fg., 

149  fg. 

—  über  das  Reich  Plato's,  143. 


QUALITÄTEN,  die  drei,  Finster- 
nis etc.,  160. 
Quietismas,  485. 


RA,  Sonnengott  der  Polimesier, 

225,  226. 
Rabia,  die  älteste  Snfi ,  335  ff., 

339. 
Ra^nya,  Kriegerkaste,  213. 
Ranasya,  Geheimlehre,  324. 
Rahu.  119. 
Raksnasas,  161. 
Ramänu^,  113,  269. 

—  Kommentar  von,  98  fg.,  lOü. 

—  Schule  des,  106,  107,  112. 

—  seine  Evolutionstheorie,  106, 

293,  312  fg. 

—  sein  Brahman  fast   ein  per- 

sönlicher   Gott,    106,    310, 
313. 

—  stellt  eine  ältere  Periode  der 

Lehren  dcrUpanishaden  dar, 
112,  308. 

—  und  Äankara,  30S,  309  ff. 
Rämatfrtha,  109. 
Kammohun  Roy,  36S  fg. 
Rashnü,  198,  202. 

—  Wä^en  der  Seele  durch.  19S. 

199. 


Reformation,  523. 

Regen,  der  Abgeschiedene  fällt 

als  R.  herab,  116,  118—120, 

152—155. 

—  und  Mond,  147,  296. 
Regenbogen,  Brücke  Bifröst,  166. 

—  der  Devayäna,  167,  168,  173. 

Relativpronomen  in  den  arischen 

Sprachen,  76. 
religio,  Etymologie  von,  527. 

Religion,   natürliche   und  über- 
natürliche, VII. 

—  Definition  der,  VII,  535. 

—  historische    Dokumente    für 

das  Studium  des  Ursprungs 
der,  27  fg. 

—  Sprache  der,  28. 

—  die    wesentlichen    Elemente 

der,  86  fg. 

—  meine  Einteilung  der,  87  ff. 

—  ein  System  der  Beziehungen 

zwischen  Mensch  und  Gott, 
331    527. 

—  Disraeli  über,  331. 

—  eine  Brücke   zwischen    dem 

Sichtbaren  und  dem  Unsicht- 
baren, 355  ff. 

dem    Endlichen    und 

dem  Unendlichen,  531 — 534. 

—  muss  das  Verlangen  der  Seele 

nach  Gott  erfüllen,  467. 

—  ihre    wahre    Bedeutung    ihr 

höchster  Zweck,  535. 

—  und  Philosophie,  siehe   Phi- 

losophie. 

—  anthropologische,  natürliche, 

physische ,    psychologische, 
siehe  besonders. 

Religionen,  der  wahre  Zweck 
der  Vergleichung  der  christ- 
lichen mit  anderen,  8  ff. 

—  wie  man  sie  vergleichen  soll. 

57  fg. 

—  Indiens    und  Persiens,    Ver- 

hältnis zwischen  den,  64  fg. 
Religionsgeschichte    die    wahre 

Religionspbilosophie ,    3  fg., 

535. 
Religiousphilosophie,  V. 

Religionswissenschaft ,  verglei- 
chende, VIII,  23  ff.,  55. 

—  die  Geschichte  der  Religion 

ist  die  wahre.  4. 


570 


Index. 


Reli^öso  Sprache,  28  fg. 

—  Gedanken,  deren  Entlehnung, 

361  flF. 
Renan,  457  Anm. 
Reville  über  die  Religionen  von 

Mexiko  und  Peru,  84. 
Rhadamanthys,  62  Anm. 
jßibhus,  Genien  der  Jahreszeiten, 

120  Anm. 
Richard  von  Sti  Victor,  481. 
Rigveda,    16  fp.,    146,    167,    178, 

231,  234,  235,  239,  240. 

—  potzt  Ceremoniell  voraus,  87. 

—  Übersetzung  unsicher,  107  fg. 

—  über  Leben  nach  dem  Tode, 

136  ff. 

—  nicht   mit   den   Lehren    der 

Upanisbaden     in    Einklang 
gebracht,  139. 

—  keine  Hölle  im,  163. 

—  Strafen  der  Bösen  im,  164. 

—  Asuras  im,  184. 

—  Anrufungen  an  die  Pitris  im, 

187  ff. 

—  Purusha  nach  dem,  243. 
Rik  und  Säman,  122. 
JRishis,  16  L 

iitta,  Recht,  384. 

Rohutu  noanoa,  225  fg. 

Roth,  163,  238. 

Roth,  83. 

Russischer  Bauer  und  soinEikon, 

480. 
Ruysbrook,  499. 


SAAGA,  Medizinmann  der  Hai- 
das,  221  fg. 

iSabala,  119. 

Sädhyas,  161. 

Sädy,  341. 

Said  und  Mohammed,  343. 

iSakhäs  des  Veda,  33,  34. 

Säla^ya,  Stadt,  12ü,  121. 

Salamanund  Absab,  von  Dscbämi, 
352,  353. 

Samanaioi,  45  Anm. 

Samanvaya,  96. 

Säman-Verse,  121  fg. 

Samanyioi,  45  Anm. 

Samsara,  Kreislauf  der  Geburten, 
113,  273. 

Samyagdar/rana.  wahre  Erkennt- 
nis, 2bS,  297. 


St.  Augustinus,  423,  428,  451, 
455,  498,  503,  513. 

—  Factus  est  Ueus  homo,  etc., 
415,  437,  449. 

—  spricht  von  Göttern,  465. 

—  von  Eckhart  citiert,  502. 
St  Basilius,  455,  475. 
St.Bemard,341,  451,  455,  481  fg., 

483,  498. 

—  Verzückung  nach,  463  ff. 

—  seine  Stellung  in  der  Kirche 
und  im  Staate,  485  fg. 

St  Chrysostomus,  428,  502. 

St  Clemens  von  Alexandria,  X, 
XII, I  XIII,  XIV,  XV,  45 
Anm.,  57,  81,  292,  364,  370, 
401,  407,  427—439,  444, 
447,  510. 

—  und  Philo,  365. 

—  klagt  Über  Ausschreiberei, 
365. 

—  über  seine  christlichen  Leh- 
rer, 428  Anm. 

—  seine  allegorische  Auslegung 
des  N.  T.,  430. 

—  Dreieinigkeit  bei,  430  ff. 

—  über  Gott,  430. 

—  über  die  dritte  Person,  434  ff. 

—  seine  Grund  Überzeugung,  436, 
437. 

—  als  Gnostiker  und  Mystiker, 
439. 

—  und  Origenes,  442. 

—  die  Heiligkeit  ihm  abg^pro- 
chen,  447,  449,  481. 

—  über  die  Lehre  ChrisU,  449. 

—  über  Hierarchien,  462,  465, 
471. 

—  über  Geheimlehren  im  Chri- 
stentum, 475. 

St  Cyril,  456. 

St.  Denis  und  Dionysins,  45S. 
St  Hieronymus,  453. 
St  Theresa,  456. 
St  Victors,  die  beiden,  518. 
iSankara,  109,  113,  114  Anm.,  115 
Anm.,  306,  319. 

—  Kommentar  des,  98,  100,  231. 
Übersetzungen  desselbeo. 

98. 

zu  Ved.-Sütr.  IV,  3   übe^ 

setzt,  125—135. 
I   —  sein  Datum,  98,  9S  Anm. 


Index. 


571 


iSknkara  und  Riunänn^ra,  99,  30S, 

309  ff..  313. 

—  Schule  des,  106,  112. 

—  seine    Illusionstheorie,    107, 

312. 

—  nnd  die  Upanishaden,  112. 

—  über  Brahman,  237  fg. 

—  zur  psychologischen  Legende 

von    Indra,   ViroA^ana    und 
Pra^ti,  257  ff. 

—  sein  Yedäntismus,  274,  30$, 

310  ff. 

—  seine  Stellung  unanfechtbar, 

277. 

—  seine   Theorie   des   Vivarta, 

293. 

—  der    konsequentere    Monist. 

309. 

—  und  Kant.  317. 
«S!ankaraA-iirya,  siehe  Sankara. 
Sara/tyu  und  Erinjs,  72. 
^Ariraka-MimaiTisa-sütras.  97. 
<ra^^,  55. 

Sarpedon,  62  Anm. 

/fi^arya,  179  Anm. 

iSarvara  und  Kerberos,  72. 

Sassaniden    und   der  Zoroastri- 

anismuB,  39. 
Sat,  Sein,  das  Seiende,    77,  93, 

95,  2^5,  326,  330. 

—  Ait  ananda,  289. 
5atapatha-Brahn]afia,132,  164  fg., 

169. 
Sattva.  77. 

Sattya,  i.  e.  satya,  275. 
Satyabhedavada  und  Bhedäbhe- 

daväda.  271  ff. 
Satyam,    das  Wahre.    210,    211, 

274.  275. 
^urva  daova.  179  Anm..  183. 
Schakik,  336. 

Schamgefühl  universal,  5S. 
Schechinah.  400. 
Schelling,  XV. 
Schiller,  1,  3. 

Schlaf,  Seele  im  tiefen,  302. 
Schlange  und  Strick,  Gleichnis. 

293  fg.,  297. 
Schmidt  Carl,  524  Anm. 
Scholastiker,  49S. 

—  ihr  spiritualistisches  Christen- 

tum, 5  IS. 
Scholastische  Theologie,  476  fg., 
498,  504. 


-    I 


Schopenhauer  über  «Sankara,  277. 

—  über  Eckhart.  503. 
Schöpfer  des  Weltalls,  161. 
Schöpfung,  geistige    und  mate- 

—  der  Gottheit  unwürdig.  201. 

—  oder  Emanation,  291,  292  ff., 

507  fg..  533. 

—  Problem  der,  295,  356. 

—  oder  Evolution,  3S2. 

—  eine    Trennung     von     Gott, 

467. 

—  als  Logos,  511. 

Schreiben,  kein  Wort  dafür  im 
Veda  und  Avesta,  31. 

—  im  A.  T.  erwähnt.  31  fg. 
Schrift,  Alter  der,  30  ff. 
Schwarze  Tod,  der,  494. 
Schweigen,  das  universale,  390. 
Scotus  Erigena,  292,  45S  ff.,  467, 

507. 
Seele,   ihre  Rückkehr  zu  Gott, 

91,  418. 
zur     unsichtbaren    Welt, 

356. 

—  ihre  Sehnsucht  nach  Gott,  91. 

471. 

—  das  Unendliche  im  Menschen. 

92. 

—  ihre  Seligkeit  in  diesem  Le- 

ben, 92. 

—  das  letzte  Resultat  der  an- 

thropologischen Religion. 
104. 

—  und  Brahman,   107,  112,  113, 

125,  140,  141,  158,  261,  262, 
273  fg.,  275  ff.,  278  ff.,  2S0, 
2*^6,  303,  :t07,  312. 

—  eine  Persönlichkeit  für  sich, 

107,  305  fg. 

—  geht  zum  Mond,  124,  144,  148, 

273. 

zur  Welt  der  Väter.  125. 

zu  Brahman.  140.  141. 

ihr  Schicksal  nach  dem  Tode, 

14S,  192,  205  ff. 

—  Begriff  der,  152,  255  fg.,  261. 

—  fällt  als  Regen  auf  die  Erde, 

152. 

—  bei  ihrem  Herabsteigen  ohne 

Bewusstsein,  155. 

—  ihre  Annäherung  an  den  Thron 

Brahmans,  158,  273. 


572 


Index. 


Seele,  ihre  Annäherung  an  den 
Thron  Gottes,  279,  2S7, 
332  fg.,  356. 

—  Wägen  der,  165. 

—  muss    eine    Kuh    über    die 

Brttcke  treiben,  168. 

—  ihr  Schicksal  bei  der  allge- 

meinen Auferstehung,  1 90  fg. 

—  des    Bösen,     ihr    Schicksal, 

194  fg. 

ihr    Anblick     verursacht 

Krankheit,  222. 

—  dieRabbinen  über  die,  196 fg. 

—  ihre   Wanderung    über    die 

Brücke,  168,  197. 

—  ihre  Ankunft  vor  dem  Throne 

des    Bahman    und    Ahura- 
mazda,  199. 

—  gemeinsame      Vorstellungen 

über  sieim  Avesta  undVeda, 
200. 

—  Geschichte  von  der,  207  fg. 

—  in  der  Prozession  der  Götter, 

210  ff. 

—  ihrer  Schwingen  beraubt,  211, 

212. 

—  Nachfolgerin    der    Gottheit, 

212. 

—  Glaube  an  die,  nicht  auf  Phi- 

losophen beschränkt,  229. 

—  Namen  für  die,  244  ff. 

—  hat  viele  Bedeutungen,  246. 

—  und  Ich,  254. 

—  kann  durch  Erkenntnis  allein 

frei  werden,  257. 

—  und  der  Körper,  257,  519. 

—  als  Schatten  oder  Traum,  261, 

262. 

—  und  das  höchste  Selbst,  263, 

286. 

—  ist  das  Selbst,  264  fg. 

-  ihre  wahre  Natur,  265. 

—  ihre  zeitweiligeRealität,269fg. 

—  nicht  die  Schöpfung  der  höch- 

sten S.,  270  fg. 

—  Upanishaden  über  die,  274  fg. 

—  ihre  Einheit  mit  Gott,   287, 

356  fg.,  522. 

—  ihr  feiner  Körper,  301. 

—  verschiedene    Zustände   der- 

selben, 302  ff. 

—  Henry  More  über  die,  318  fg., 

533  fg. 


Seele,  göttlich,  aber  nicht  Gott, 
342,  389. 

—  ihre  Liebe  zu  Gott,  346. 

—  der  Spiegel  Gottes,  352. 

—  ein  Teil  des  Logos,  384. 

—  und  Nous,  385,  421. 

—  Stoiker  über  die,  392. 

—  Plato  über  die,  387. 

—  Philo  über  die,  411  ff. 

—  drei    Unterabteilungen    der, 

412. 

—  sieben  Teile  der,  413. 

—  Tod  der,  413. 

—  materiell.  414. 

—  kann  nicnt  Gott  sehen,  414  fg. 

—  Nenplatoniker  über  die,  93, 

421. 

—  ihre  Liebeswerbung  am  Gott, 

425. 

—  von  Gott  und  ewig,   444  fg., 

532,  533. 

—  Aufsteigen  der,  466. 

—  Geburt   Christi  in   der,  476, 

479,  509,  510. 

—  verliert  sich  in  Gott,  485. 

—  ein  Ausfluss  von  Gott,  507. 

—  Eckhart  über  die,  508  ff. 

—  Gottheit  in  der,  508. 

—  der  göttliche  Gmnd   in  der, 

510. 

—  der  Vater  spricht  sein  Wort 

in  die,  512. 

—  wird  Maria,  512. 

—  arme,  526. 

—  und  Gott,  siehe  auch  u.  OotL 

—  siehe  auch  Atman^  Selbst,  Un- 

sterblichkeit, 
Seelen,  ihr  Verhältnis  zu  Gott 
112. 

—  ihre  Rückkehr  zu  Brahman, 

112. 

—  Auf-  und  Absteigen  der,  143, 

466. 

—  lieben  die  Götter,  145. 

—  Wanderung  der,  147. 

—  im  Regen,  153. 

—  zwei  Arten  von,  156. 

—  wählen  sich  ihr  neues  Leben 

durch  Losziehen,  213.  217. 
~  in  tierische  Körper,  214  fg. 

—  Richter    urteilen    über    die. 

216. 

—  der  Bösen  nackt,  221. 

—  im  Reich  des  Todes,  222. 


Index. 


573 


Seelen  erwachen  ans  ihrem  tie- 
fen Schlaf,  290. 

—  von  dem  göttlichen  Geist  nnr 

dem  Grade  nach  verschiedcD, 
334. 

—  sind  Strahlen  Gottes,  532  ff. 

—  voneinander  verschieden,  532. 

—  Gott   allein   sendet   sie  aus, 

533. 
Seclenwanderung   in   den  Upa- 
nishaden  und  bei  den  Pytha- 
goräern,  76. 

—  aus  Ägypten,  80,  81. 

—  nach  Manu's  Gesetzbuch,  15S 

—163. 

—  dreifacherVerlauf  der,  160fg. 

—  in  Polynesien,  228. 

—  durch  Handlungen  (Karman) 

bestimmt,  296  fg.,  310. 
•-  bei  Parmenides,  330. 

—  siehe  auch  Metetnpsychose, 
Seiende,  das,  282. 

Sein,  Prädikat  Brahmans,  93. 
--  ist  Brahman,  297. 

—  ist  Gott,  505. 

Selbst,    das,    95,   104,   153,  236, 
253,  296. 

—  kann    nicht    vom    Brahman 

verschieden  sein,  105,  248  ff., 
299  fg. 

—  nicht  eine  Modifikation  von 

Brahman,  105. 

—  du  bist  das,  122,  283—285. 

—  Dialog    über   das,    247—256. 

—  frei  von  Sünde  etc.,  247,  258, 

262. 

—  Äankara  über  das,  258  ff. 

—  ist  unsterblich,  252,  260,  284. 

—  das  vom  Körper  freie,  ist  die 

höchste  Person,  253. 

—  das  eigene,  ist  das  göttliche, 

257. 

—  das  höchste,  und  die  Seele, 

263,  264  fg. 

—  die   wahre  Brücke  zwischen 

der  Seele  und  Gott,  531. 

—  siehe  auch  Ätman. 
Selbstbewusstsein,  113. 
Selbsterkenntnis,  264. 
Sflene,  der  Mond,  29. 

Seligkeit,     endgültige,     durch 
Kenntnis  zu  erringen.  92. 

—  Prädikat  Brahmans.  93. 


Semitische  und  arische  Keligio- 
nen,  61. 

—  Namen   in   der  griechischen 

Mythologie,  61. 

Semitisches  und  arisches  Den- 
ken, IX. 

Senat,  339. 

Seneca,  502. 

Seraphim,  408. 

Setus,  Brücken,  165,  167. 

Seth,  Philo  über,  370. 

Sextus  über  Xenophancs,  327. 

Shähnämeh,  32. 

Shahpuhar,  39,  40. 

—  II.  (Sapores),  40,  46. 
Shahrivar,  183. 

Shaptgän,  Schatzkammer  von. 
38,  40. 

Silber  und  Perlmutter,  294. 

Sinne,  die  fünf,  295. 

Sinnestäuschungen  dem  Vedanta- 
Philosophen  bekannt,  103. 

Sirenen,  62. 

Strozeh,  42. 

Sita  von  asita,  184  Anm. 

Skambha,  ein  Name  des  höch- 
sten Wesens,  243  fg. 

Sohn  Gottes,  X,  XI,  XIH,  360, 
402,  417,  431,  454,  466,  507, 
509  fg.,  513,  526,  532. 

der  Logos,  XI  fg.,  397  ff. 

älterer  und  jüngerer,  397. 

jeder  Christ  ein,  415. 

der  eingeborene,  511. 

dessen  Geburt  im  Men- 
schen, 517,  521. 

und  die  Menschheit,  528. 

—  Vater  und  heiliger  Geist,  469. 
Sokrates  und  der  indische  Philo- 
soph, 82. 

—  und  Plato,  313,  3S5  ff. 

—  über    die  Götter    und  Gott, 

385  fg. 
Solon,  81. 
Soma,  49,  138. 

—  der  Mond,  116,  118,  120  Anm., 

145. 

—  retodhaA,  118  Anm. 
Soma-liebende  Väter,  1S7,  188. 
Sommersolstitium,  142,  143. 
Sonne,  114,  116,  117,118.  129  ff.. 

143. 

—  die   Thüre    der  Welt    117. 

123  fg. 


574 


Index. 


Sonne,  «Sabala,  119. 

—  Thor  der,  119,  123,  126. 

—  das  Selbst  von  Allem,  137. 

—  Dschelhil    eddfns   Bild   von 

der,  351. 

—  der  Sohn  des  Guten,  387. 

—  und  ihre  Strahlen,  Gleichnis 

von  der,  532  ff. 
Sophia,  siehe  Weisheit. 
Species  und  genera,  386. 
Spencer,  Herbert,  204. 
Spenser,  349. 
Spenta  Armaiti,  202. 

—  mainvu,  180—182. 

spento  frasna,  *heilige  Frage'  = 

Offenbarung,  54. 
ansQfAaTixo^j  377,  381,  391. 
a(pai^oei6r,ij  327. 
Spiegel,  46Anm.,  47  Anm.,  197 

Anm.,  198  Anm. 
Spinne,  Gleichnis  von  der,   292 

—294. 
Spiritismus,  151. 
Spiritus  bei  Tertullian,  454. 
Spitama  Zarathushtra,  53,  202. 
Sprache  universal,  58. 

—  gemeinsame,  60. 

—  die  materielle  Form  des  Ver- 

standes, 60. 

—  eine  schiefe  Ebene,  63. 

—  und  Blut,  70. 

—  der  gemeinsame  Hintergrund 

der  Philosophie,  70  fg. 

—  Hilfe,  welche  sie  der  Philo- 

sophie leistet,  76. 
Sprenger,  339  Anm. 
«raddadhau,  credidi,  78. 
Ä'raddha,  187,  201. 
Srtsh^i,  'Emanation',  292. 
Srösh  der  Gerechte,  197,  198. 
/Sruti  oder  Offenbarung,   101  ff., 

135,  139,  264,  268,  486. 

—  entfernt  das  Nichtwissen,  289. 
Sthüla^artra,  291. 

Stoa,  378. 
Stobaeus,  3S4. 
Stöd  Yasht,  42. 
Stoicismus  des  Philo,  420. 
Stoiker,  360,  366,  371,  377,  378, 

385,     390  ff.,     414,     418  i^., 

419  ff.,  511,  515. 

—  waren  Pantheisten,  391. 

—  ihre  Logoi,  399,  462,  466. 


Stoiker,  ihre  Einteilung  der  Seele, 

413. 
Strafen  derBOsen,  163  ff.,  168  fg.. 

214,  222. 
Straforte  unter  der  Erde,  213. 
/Südras,  160,  243. 

—  studieren  den  Vedanta,  325. 
Sufi,  157,  439,  532. 

—  von  «üf,  'Wolle',  333.  339. 

—  von  »üfiy,  'weise',  334. 

—  Fakir,  Darwisch,  339  fg. 

—  nicht  von  aowo^,  340. 

—  vertraut  auf  das  innere  Auge. 

340. 

—  verlässt  sich  auf  seine  Gefühle. 

341. 

—  die  wahren  und  heiligenglei- 

chen, 341. 

—  die  vier  Stadien,  343. 

—  seine  Religion  glühende  Liebe 

zu  Gott,  346. 

—  der  Sohn  der  Jahreszeit,  351 

—  *der  Reine',  352. 
SufiismuB,  der  Ursprnng  dessel- 
ben, 332  ff. 

—  nicht   persischen   Ursprungs. 

332  fg. 

—  entschieden  mohammedanisch. 

333. 

—  kurzer   Abriss    der    Lehren 

des,  334  fg. 

—  in  Indien  und  Persien,  337. 

—  Zusammenhang  desselben  mit 

dem  Urchristentum,   337  fg. 

—  Stifter  des,  339. 

—  Ascetismus  im,  340  fg. 

—  poetische  Sprache  des,  344  ff. 

—  Moralität  des,  349. 

—  als  christlich  bezeichnet,  353. 

—  vom  Christentum  beeinflusst 

354. 

—  mit  Vedantismus  verglichen. 

357. 
Sufiistische    Dichter,     Auszüge 

aus  denselben,  349  ff. 
Suidas  über  Philo,  365. 
Sükshma^artra,  291,  300  fg.,  303. 

—  ä«raya  oder  die  Wohnstätte 

der  Seele  genannt  301. 
Sünde  und  Nichtwissen,  93  fg. 
SUndlosigkeit,  524  ff. 
Suparnas,  161. 
Siiras  und  Asuras.  184. 
Suso,  499,  523  fg. 


Index. 


575 


Sütra,  *Aphorismen\  %. 
Sfitras,  96,  125.  3ft4. 
—  Mann  znerst  als,  159. 
SvaixA,  Himmelswelt,  125. 
Svargaloka.  156,  16S. 
Svarjrawelt,  119. 
Svavambhfi.  244. 
Ävetaketu,  2S1  ff. 
Ävetiwvatara-Üpanishad.  235, 236, 

238  Anm. 
Ävama,    der    Schwarze    'Mond], 

119. 
Sylvestre  de  Sacy,  332. 
Synesius,  367. 
örrxrqr^ai;,  516. 


TAAE,  Dämonen,  227. 
Tag:  oder  ao,  Leben,  225. 
Tairi,  225. 

Taittiriva -Upanishad,  124,  23.=>. 
24o'. 

Talmud,  171,  197. 

—  und  Christentum,  9,  10. 
Tamas,  Finsternis,  falsche  Er- 
kenntnis, 329. 

Tartarus.  214. 

Tatian    444. 

Tat  tvani  asi,  194.  275,  2^1,  287. 

Taufe .  Abendmahl    und    letzte 

Ölung.  470. 
Tauler,  4.S1,  499.  521,  522,  529. 

—  über  Buße.  522  fg. 
Beichte,  523, 

—  —  Visionen.  524. 
Sonde,  525. 

1  äuBchung,  die  Welt  das  Resul- 
tat der,  107. 

Te<7as,  Licht  wahrer  Erkenntnis, 
"  329. 

Telanff,  98  Anm. 

Teleologischer  Beweis.  5. 

Temple,  Bischof,  ober  Persön- 
lichkeit Gottes,  232  fg.,  234. 

Tertullian.  428,  453  fg. 

Teufel.  1^.1.  202. 

Thaies.  79.  «^3. 

Thätigkeit,  eine  der  drei  Quali- 
täten, 160,  161. 

Abflog  Xoyog^  402. 

Theodorus  von  Mopsuestia,  436. 

—  über  Dionysius,  457. 
Theninfjta     (termanica,    503.    503 

Aiini. 


Theologie  und  Ethik.  86. 
Theophanie  durch  Engel,  399. 
Theopomp.  44. 
<^fo>  und  o  ^fo/,  449.  452. 
.>to><ri>,  474,  475. 

—  und  &7io&iM(rts,  476  Anm. 
Theosophie,    der    Titel,    XVL 

90  f^..  104,  534. 

—  im  Christentum,  440. 

—  höchste  Lehre  der,  532. 
1  heosophisch,  90. 
Theosophische  Philosophie   bei 

den  Sufis,  341. 
;  Theosophisten,    XVI.    300   fg., 

340. 
i  Therapeuten,  457. 
,   Thibaut,  98,  99.  308. 
Tholuck,  333. 33"^  Anm.,  421  Anm.. 

477. 

—  über  Dionysius,  456,  4r.O. 
Thomas  von  Äquiuo,  V,  292,  455, 

467,    487  ff.,    492,   505,    507, 

518. 

und  Dionysius,  459,  477. 

und  die  Mystiker,  4'^S. 

und  Eckhart,  502. 

Thoms,  J.,  172  Anm. 
.   Throne,  465,  466.  46^. 
,  Tiere,  Wiedergeburt  in.  ir»o.  163. 

214  ff.,  217,  222  fg. 
Tiki,  225,  227. 
Tilak,  Bai  Gangadhar,  143. 
Timaeus  des  Plato,  388. 
Tin-tir  (Babylon),  14. 
Tlamatl,  siehe  Klamaths. 
Tobit  Asmodeus  im,  183. 
Tod,   Wanderungen    der    Seele 

nach  dem,  113  ff.,  53'>  fg. 

—  älteste  Autfissung  vom  Le- 
ben nach  dem,  124. 

—  Schicksal  der  Seele  nach  dem, 
148. 

—  Belohnungen  und  Strafen  nach 
dem.  191. 

—  Vorstellungen  der  Haidas  über 
den,  220  if^. 

—  Häuptling.  221. 

—  sein  Reich.  221,  222. 

—  das  •In-die-Nacht-gehen\22r». 

—  zerstört  nur  das  sthülajrarini. 
291. 

—  Seele  im,  302  fg. 

—  zur  Erlösung  nicht  notwendig. 
304. 


576 


Index. 


Tod,  indischo  AuffassQDg  des- 
selben, 364. 

Todas,  167,  171. 

Töpferscheibe,  Gleichnis  von  der, 
304. 

Toten,  Wägen  der,  197  ff. 

TotenschUdel-Argument,  33. 

Trauer  um  Verstorbene  bei  Po- 
lynesien), 224. 

Traum,  Namen  und  Formen  im, 
297. 

—  Seele  im,  302. 

Trier,  Kirchenversammlung  von, 

496. 
Trimftrti,  238,  240. 

Tugenden  als  persönliche  Wesen, 

466,  46S. 
Tukaitaua,  225. 
Tundalus,  168. 
Tylor,  73. 
Typen,  XI. 

—  aller  Dinge,  die  unveränder- 

lichen, 386. 

—  vollkommene,  511. 
Typus  und  Idee,  381,  382  fg. 

ÜBEL  in  der  Welt,  Problem  der 

Existenz  dess.,  302. 
Überleben  des  Tauglichsten,  3. 
Uddälaka  Aruwi,  281  ff. 
Unendliche,  das,  VII. 

—  in  der  Natur,  88,   104. 

—  im  Menschen,  88,  104. 

—  Verhältnis  zwischen  den  bei- 

den, 88. 

—  es  kann   nicht  zwei   geben, 

92,  306. 

—  die  Eleatiker  über  das,  105  fg. 

—  Wahrnehmung  desselben,  527. 

—  Religion  eine  Brücke  zwischen 

dem  Endlichen  und  dem  U., 
531 534. 

Unfehlbarkeit,  päpstliche,  536. 

Unsichtbare  Dinge,  deren  Wirk- 
lichkeit, 152. 

Unsterblichkeit  der  Seele,  155, 
207,  229,  364,  392,  465. 

bei    den  Juden    von    den 

Persem  entlehnt,  47,  48. 

im  Avesta,  176,  186  fg. 

bei  den  Griechen,  217  fg. 

—  —  bei  den  Haidas,  219  ff. 


Unsterblichkeit  bei  den  Polyne- 
sien!, 223  ff. 

der  Glaube  an,  nicht  anf 

Philosophen  beschränkt,  229. 

im  Judentum  und  Bud- 
dhismus nichts  über  die, 
230. 

Vedänta-Lebre  über  wahre. 

231. 

braucht   nicht   behauptet 

zu  werden,  418. 

Unterwelt  der  Polynesier,  226. 
Un  wahrnehmbare,  der,  161. 
Upadhis,    264,   267  fg.,   288,  291. 

298,  300,  303. 
Upanishaden,    79,    93,    140,  152. 

159,  231,  235  fg.,  273  ff.,  279, 

280,  286  fg.,   317,   4M,   504. 

510,  516,  531. 

—  und  Vedanta,  94,  97,  9S,  103. 

—  erste   Periode    der  Vedanta- 

Litteratur,  99  fg. 

—  was  sie  sind,  95. 

—  des  Verf.  Übersetzung  der- 

selben, 95,  109,  113  Anm. 

—  offenbart,  96,  106,  125. 

—  6^/}änakaftdji,  103. 

—  Tat   tvam   asi,    der    hOcbste 

Zweck     ihrer    Philosophie. 
104. 

—  und  Eleatiker,  106,  330. 

—  schwer  zu  Übersetzen,  107  ff. 

—  Über  die  Rückkehr  der  Seele 

zu  Brahman,  112  fg. 

—  Riimanu^    und    ihre   Lehre. 

112. 

—  beide    Schulen    der    Vedan- 

tisten  berufen  sich  anf  de, 
112. 

—  iSankara  der  treuere  Vertre- 

ter ihrer  Lehre,  112. 

—  Stellen    aus    den,    über   die 

Wanderung  der  Seele  nach 
dem  Tode,  113—122,  538  fg. 

—  und  Avesta,   115  Anm.,  iMi, 

195,  199  fg. 

—  Schwierigkeiten    der    Ausle- 

gung, 122  ff. 

—  historischer  Fortschritt  in  den. 

124  fg. 

—  Versuche  ihre  verschiedenem 

Angaben    in    Einklang    lo 
bringen,  125  ff. 


Index. 


577 


UpftniBhJuieii,  Mantras  nicht  mit 
ihnen  in  Einklang  gebracht 
135  fg.,  139. 

—  Kommentatoren  der.  141  %. 

—  über  das  Schicksal  der  Seele 

nach  dem  Tode,  148. 

—  keine    H5Uen   in   den,    156. 

1&4. 

—  eine     spätere     Entwicklang. 

1S9. 

—  Brücken  in  den.  190  fg. 

—  und  Plato.  205,  206.  211  fg., 

215,  217  ff. 

—  und  die  Unsterblichkeit  der 

Seele,  207. 

—  ihre  Yersnche,  das  Selbst  zn 

entdecken,  247. 

—  über  Emanation,  292  fg. 

—  Eyolationstheoriein  den,293. 

—  doppelsinnige  Stellen  in  den, 

307  fg. 

—  Keime    des    Buddhismus   in 

den.  321. 

—  als  Rahasya  bezeichnet.  324. 

—  und  Xenophanes,  327,  32S. 
Upis.  62  Anm. 

üranos.  39^. 

üras,  14. 

Urchristen  der  Entlehnung  be- 
schuldigt. 409. 

Urchristentum  und  Snfilsrnns, 
337  fg. 

—  orientalische     Einflfiase    im, 

360  fg. 
ürdhTaretas.  520  Anm. 
Urdsbrunneo.  166. 
Ursprung  der  Arten,  376,  380  ff., 

466.  511. 
UfUyaiti  Gatha.  192. 
Utkranti.  Auszug  der  Seele.  304. 
Uttara  Mimä/nsa.  97. 


VAHRAM  der  SUrke,  197. 
Vai  der  Gute.  197. 
—  der  Böse,  198. 
Vaimänika-Gottheiten,  161. 
Vai^ya-Kaste.  243. 
Vaitara/ii.  167. 
Vaivasvata   Yama!.  13S. 
Va*.  Rede,  arisch.  78. 
vaitarambha/ia,  die  Welt  ist.  297. 
VaA-aspati.  239. 
Valentinian.  466  Anm. 

M»x  MälUr.  Tkeoiopkie. 


Valentinianer,  389  fg. 
Yalentinus,  405. 
Valkhas,  38. 
Varstmänsar  Nask,  55. 
Vanuia,  16  fg.,  48,  134,  136,  180. 

—  und  Ouranos.  72. 

—  Welt  des,  120.  129.  131. 

—  über  dem  Bütte,  131. 

—  der  Herr  des  Wassers,  131. 

—  Sonne  das  Auge  des,  137. 

—  Asnra  genannt  178. 
VasishfAas,  188. 

Vaftag  Nask,  41. 

Vater  und  Logos,  436. 

Sohn,  515.  528. 

und  heiliger  Creist,  469, 

505. 
Yiter.  Welt  der,  116,  118,  125. 

—  im  Monde,  120,  124,  145. 

—  Wanderung  zu  ihnen,  136. 

—  im  Reiche  des  Tama,  136. 

—  Weg  der,  165,  166. 

—  siehe  auch  Piirts. 
Väterpfad.   116,  124,  147,   148, 

158,  167,  273,  279,  303. 
Vaugban,  491  Anm. 
Vayu,  Welt  des,  120, 129. 130, 134. 
veda,  ich  weiß,  olda^  78. 
Veda,  Zeugnisse  im.  29. 

—  nicht  geschrieben,  31. 

—  verloren   gegangene    ^akhaa 

des,  33. 

—  Ton  Tid«  bissen*,  35,  102. 

—  und  AvesU,  64,  165,  178,  186. 
ihr  gemeinsamer  Hin- 
tergrund, 200. 

Pitn«    und   FraTashis 

in.  201. 
Vedanta,  94. 

—  offenbart,  101  ff.,  288.  291. 

—  ein  Buch  mit  sieben  Siegeln, 

110  fg. 

—  weil  der  V.  so  sagt*,  134. 

—  historisches  Wachstnm  in  dem, 

140  fg. 

—  keine    Spur    Ton   Dualismus 

im,  184. 

—  gibt  Vorschriften  für  indivi- 

duelle Seelen,  270. 

—  schreibt  die  Verehrung  vieler 

Gölter  vor.  288. 
Vedaglänbige    und 
bi^e,  64. 


578 


Index. 


Yedänta,  IX,  94,  331,  356  fg., 
439,  517,  524,  532. 

—  Bedeutung  des  Wortes,  94. 

—  als    ein   philosophisches  Sy- 

stem, 278. 

—  verleiht  Vidyä,  288. 

—  kürzeste     Zusammenfassung 

des,  311  fg. 

—  eine  Religion,  319. 

—  moralischer    Charakter    des, 

320  fg. 

—  /Südras    beteiligen    sich   am 

Studium  des,  325. 

—  St  Bemard   verglichen   mit 

dem,  484. 

Vedänta-Lehre  über  wahre  Un- 
sterblichkeit, 23  t. 

VedäDtn-Litteratur,  drei  Perio- 
den, der,  U9  fg. 

Vedanta  -  Philosophie  behandelt 
dieselben  Probleme,  wie  un- 
sere Philosophie,  06. 

—  und  eleatische  Pliil.,  76,  106, 

325. 

—  und  die  üpanlshaden,  95  fg. 

—  über  das  Zeugnis  der  Sinne, 

101. 

—  im  heutigen  Indien,  107. 

—  Zwei-dentigkeit  in  der,  263. 

—  höchste  Lehre  der,  275, 278  ff. 

—  ihre  Entwicklung,  363  ig. 

—  und  mystisches  Christentum, 

519. 
Vedanta  -  Philosophen  und  Dpa- 
nisbadcn,  125. 

—  und  Eleatiker,  325. 
Vedanta  -  Religion ,    Vater   und 

Sohn  in  der,  359. 
Vedänta-Schulen,  zwei,  106  fg. 
Vedanta-sütras,  96,  231. 

—  deren  Umfang  und  Einteilung, 

97. 

—  alle     Vedantisten     erkennen 

ihre  Autorität  an,  106. 

—  IV,  3,1  ff.  übersetzt,  125— 135. 

—  Mantras  nicht  mit  ihnen  in 

Einklang  gebracht,  139. 

—  Doppelsinnigkeit  in  den,  307. 

—  ihr  Studium  nicht  geheimge- 

halten, 324  fg. 
Vedäniismus,  Glaube  anGott  im, 
290  ig. 

—  und  Sufiismns,  332. 
Vedantisten,  392,  476,  516,  525  fg. 


Vedantisten  und  Sufis,  341. 
Vedas,  die,  120,  123,140,161,162. 
Vedische  Gebete,  16  fg. 

—  Litteratur  und  v.  Religion,  34. 

—  and      avestische      Religion, 

179  fg.,  185  fg. 

—  Hymnen,  Auffassung  der  Pi- 

trts  in  denselben,  187  ff. 
Vendidad.    40,    42,  46,  50,  169. 
182,  190. 

—  Sädah,  42. 

—  am  Ende  der  avestischen  Pe- 

riode, 45. 
verbum  von  br»b,  239. 
Verethraghna,  179. 
Vergessenheit,  Gefilde  der.  217, 

218. 
Vergottung,  474, 475  fg.,  476  Amm. 
Vernichtung,  gänzliche.  163  fg. 
Vernunft  in  der  Welt,  X  fg. 

—  die  universale,  385. 

—  die  höchste  Macht.  415. 
Verwandtschaft,  vier  Arten  der- 
selben, 58  ff. 

—  durch  gemeinsames  Menschen- 

tum, 58  ff. 

—  der  Sprache,  60. 

—  historische,  60  fg. 

—  durch    bloße   Nachbarschaft 

61  ff. 

Verzückte  geistige  Anschauung. 

426  fg. 
Verzückung,    337,    340  fg.,    351 

426,  439. 

—  nach  St  Bernard,  483  ff. 
Vesta,  36. 

Vibhu,  Halle  Brahmans,  120,  121. 

Victoriner,  486. 

Vidhriti,  191. 

Vidyä  oder  Kenntnis,  2SS. 

Vier  Stadien  im  Sufiismns,  343  fg. 

Vierzehntes  Jahrhundert  in 

Deutschland,  493  ff. 
Vitara,  der  Flnss  Nicbtaltemd. 

120,  121,  123,  140,167, 218  fg. 
ViÄ;ak8hami,  der  Thron,  120. 12], 

123. 
Vlnd&d  =  Vendtdad,  42. 
Viräi^,  129. 

ViroA;ana,   Indra  und 

247  ff. 
Vishnu,  138. 
Vishnu-puc&na,  167. 


Index. 


579 


Visionen.  408.  419.  420.  439.  »21. 
522.  524. 

—  Thomas   von    Aquino    fiber. 

4SS.  4S9. 

—  Hugo   von    St.  Victor   fiber. 

490. 
Vispered,  42.  45. 

Vifusp.  3S. 

—  sasto.  42. 
Vi^rakarman.  244. 

Vivarta.  Taaschung.  107,  293. 
Vivarta-vada.  312. 
Vizaresha.  K.*».  190. 
Vohüman.  eioe  Parallele  xn  dem 

heiligen  Geist  55. 
VohümaDÜ.    ^tes    Denken,    44. 

4H.  50.  ISl.  1S3.  199. 
Volk  und  Priester.  494  ff. 
Vologeses.  3S. 
vndh  und  vrih.  239. 
Vrishadeva.  9*»  Anm. 
Vritraban.  179. 
Vyäsa-sntTM.  97. 
Vyavabärika.  311.  313.  314.  316. 


WAGEN  der  Seele.  16."».  20«». 

—  der  Toten.  19:  ff. 
Wagenlenker.  Parabel  Tom,  im 

Pbaedms.  20S. 
— in  der  Ka/Zia-Upanisbad. 

Wahre,  das.  210. 274  fg.,  283— 2S5. 
Wahrheit,  der  Mythe  an  Grunde 
lieirende.  219. 

—  (*deT  Verschwinden  in  Gott. 

:J44. 

—  Pldtinus  über  die.  425. 

Wahmebmen.    Prädikat    Brab- 

mans.  93. 
Waitz,  7o. 
Waldenser.  496. 
Was  du  bist,   das  bin  ich.  122. 

157.  158. 
Wasser.  Anfang  aller  Dinge.  63. 

95. 

—  aus   dem  Feuer   entstanden. 

2^2. 
Wt'ber,  A..  9S  Anm.,  163. 161  Anm. 

Weg.  der  mit  Licht  n.  s.  w.  be- 
ginnende. 126—129,  131.  133. 
We^eiser.  131  ff. 


Weisheit  Gottes.  Sophia  oder 
Episteme.  XI.  395  fg..  400  ff. 

nnd  der  Logos.   398.  399. 

401. 

Weiße.  XIV. 

Wellhausen.  51. 

Welt,  Erschaffung  der.  266.  267. 

—  ist  Brahman.  282. 

—  und  Brahman.  294.  29S  fg. 

—  von  Gott  gedacht  und  aus- 

gesprochen, 376. 

—  =  saecnlnm.  466  Anm. 

—  i$t  nicht  Gott  aber  ibr  Sein 

ist  von  Gott.  SOS. 
Weltall.  Kosmos.  Uranos.  388. 

Welten,  nnendliche  Treppe  Ton. 

465. 
Weltsreist.  434. 

Weltgeschichte  ist  das  Weltge- 
richt 1—3. 

Weltschöpfung.  376. 

Weltseele.  30 .,  392. 

Wenigen,  die.  drücken  dem  Volk 
ihren  Charakter  auf.  68. 

West.  41.  46.  54  Anm.,  55. 

Westcütt.  IX.  2o7Anm..  408.456, 
471. 

Westen  als  Wohnstütte  der  Se- 
ligen. 63.  137. 

Westöstlicber  Divan.  332. 

Whinneld.  337.  33S.  350. 

Wilford.  HO. 

Wind.  derPnnisba  kommt  zum. 
117. 

Wintersolstitium.  142. 

Wissen  zuveii&ssiger  als  GUnbe. 
4S6. 

Witwenverbrennung,  33. 

Wolke.  Häuptling.  220  fg. 

Wolken,  Reich  der,  221. 

Wort  von  vn'dh,  vrih,  239. 

—  die  Welt  b^nnt   mit  dem. 

2y7,  515. 

—  und    Gedanke      untrennbar. 

378  fg.,  513. 

—  siehe  Logos. 

Wunder,  Glaube  an.  unTermeid- 
licb,  24  fg. 

—  in  einem  höheren  Sinne  na- 

türlich. 443. 

—  Eckhart  beruft  sich  nie  auf. 

5ul. 

—  nicht  notig.  536. 


580 


Index. 


XENOPHANES,  49,    232,    234, 
325  ff. 

—  Beine  Naturphilosophie,  327. 

—  und  die Upanishadeo,  327,328. 
XenophoD,  385. 

YÄÖ-yAVALKYA,  114  Anm. 
Yahve,  Vater   aller  Menschen- 

sOhne,  XI. 
Yama,  215,  231. 

—  Reich  des,  136,  144,  221. 

—  die  untergehende  Sonne,  136. 

—  der  Mond,  136  Anm. 

—  der    erste    Sterbliche,     der 

erste  Unsterbliche,  136  Aom. 

—  seine  Wohnstätte  in  der  Nähe 

des  Sonnenuntergangs,  138. 

—  trinkt  mit  den  Göttern,  139. 

—  erlegt  Strafen  auf,  163. 

—  Pfad  des,  167. 

—  und  die  Väter,  187,  188,  225. 
Yamaloka,  144. 

Yasht  Bebram,  179.i 
Yashts,  42,  43,  45. 

—  Alter  der,  52  fg. 
Yasna,  42,  181. 

—  der  alte  und  der  spätere,  45. 
Yömä,  *Zwillinge\  181. 
Yesh^iha,  120,  121. 
Yoga-sütras,  322. 

Yogins,  322,  341. 


ZAHL,  Begriff  der,  universal,  58. 
Zahlwürter,  58. 
zaotar,  av.  =  hotar,  ved.,  64. 
Zarathushtra,  43,  50,  53,  191  fg., 
202. 


Zarathushtra,  sein  Monotheismus, 
180. 

—  und  das   Problem   vom   Ur- 

sprung.des  BOsen,  181. 

Zaremaya-01,  115  Anm.,  194, 
218  fg. 

Zeller,  Die  Philosophie  der  Grie- 
chen, 79  ff.,  105  Anm.,  106 
Anm.,  327  Anm.,  3a0. 

Zeud  von  *zeno,  'wissen',  35. 

—  die  Sprache  Zarathushtra^s,  35. 
-—  richtig  Kommentare,  36. 

—  Avesta  ein  falscher  Name,35fg. 
Zeno,  325,  453. 

Zeus,  104,  209  fg. 

—  das  Licht  des  Firmaments,  29. 

—  von  0K,  72. 

—  Xenophanes  über,  325  fg. 

—  Aristoteles  über,  389. 
Zimmer,  1 37  Anm. 
Zoroaster,  seine  Gathas,  IS  fg. 

—  hat  keine  schriftlichen  Doku- 

mente hinterlassen,  31. 

—  seine  Bücher,  Hermippos  über, 

37  fg. 
AbuJafirAttavarifiben38. 

—  sein  Name  demPlato  bekannt, 

44,  82. 

—  lehrt  weder    Feueranbetung, 

noch  Dualismus,  177  ff. 

—  über  den  Kampf  des  Guten 

mit  dem  Bösen,  182. 
ZoroastrianismuB  als  Staatsreli- 

gion,  39. 
Zoroastrische    Idee    von    einer 

geistigen  Schöpfung,  55. 
Zukunftsreligion,  VIII. 
Zweck  in  der  Welt,  nicht  bloß 

mechanische  Entwicklung.  2. 


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Drack  tob  Breitkopf  nnd  HIrtel  in  Leipzig. 


Verlan  von  Wilhelm  Engelmann  in  Leipzig. 

droth«  Hüben.  Das  ProLlem  der  Ma:erie.    Ein  Bcitras  zur  Erkenst- 

isekiidk  111. d  XaTun.'hiioso::Lie.    Erster  Biuid.    srr.  ?.     l>Si».    .«  14. — . 

S9  Gf-^Tiz.  ^:IlT-bi:i liehe*.    Dk  kr.j;tiM];c  Km:?:.  ein  Lcues  Gebiet  der 

J'.cbrl-tllo'jfii  Sc'.ihitur.   ulü  ihre  Sj^übole.     Kihc  S'udie.    Mh  14  Zhiko- 

TT-icL.     L-.s.->.      IS^2.     .V/    4.—  . 

ibans  The- ■':  T.    "NVe^eii   i;L.d    EutsiehiiLg  des    Oe'^vis^eus.     Eiiie 

*tvv!i-..l  irie  der  E:Lik.  crr.  ^.   Jf  '. — . 

rm&nii«    M:-ix .    FüLd&n:eLi:e   der    KrkeLLTriiü-fthe-.jrie   ui:d  Wisseh- 

chfif:? Iviire     >.    1S9.».    .^;'  —  Sm. 

rcriihi-c-:.! c    Philos^ouKie      Er^Tes   B\ich:    Al:»1v?c   der  Mc:a'..ihT5ik. 

€••  r^s-^slü.  Gr-.iLdris-f  der  P* vcholotrie  :i".if  cx:»f r-:riCL.TelitT  Gniod- 
■»et  i.-.rjc-v.ll:.  M:*.  10  E:ir..rt*-  im  Test  sr.  •».  I^i'ö.  Geh.  .#  i«. — . 
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C:'.:j^  i  .r.  li  JJ,  Pick  u.  W.  Wischmaiiii.  In  :'^"l:  BulIvI:.  ^. 
•*•*-—••  .     Geh.  ...  2:..—.  L'eb.  .*  29.5'.'. 


V«ilng  von  WUhalni  Eugelmiinii  in  Loiprij 

Slllfr,  Mss,    N'ilfirlii'li«    ItDÜRioR.     Oitforil-Vorlouiu;en 

ilor  Unir<rritfit  (Hack"«'  Iii  ^Aliro  \'''*^,  A\m  dem  IBa^i-lioa  :l 
lon  Bnfirlbcrt  Sthnpider  Pii.  I).  AnlnricicTU>,  Tiitti  VerfAMU  ili 
Mdme AiMs&be.   H.  IH90.    Oeh.  J^  14.— .  ifnh   ^1«_. 

—  PbysUclii!  IlvlIgiuD.  Giffotd-VurWungcn.  Rohnlton  ui  da  I 
dUt  GIm^ikt  flu  Jahre  Ifi9(i.  Au«  ifoi  V^Utthen  ahomi 
It.  Otto  Frauke.  AutorisifirtA ,  mm  VcWa«i«r  dumli^uelime  Ä> 
f.    I««2.    Ofth.  ^.10.^,  geb.  J/  1!.^, 

—  Anltiriipaln)(i*chc  Ueli)tiaii.  GiSnrd^ottciningcii,  ^«baltali  > 
ViüteiiDW.  UlanffiTr  im  Juhrc  tS9l.     Am  ilni   ICtiRtUi.-)icii   <lbpnN 

Mtirb^'intt^ruitx.    AiilurljiiuTt«,  vum  Vorftuu«T  dunüiK«cli«a« A 

8.     ISM.    Gfh   ^  H,— ;  geli.  Jl  Vi.—. 

Xnller,  W.  Mnx,   Aitii>n  Minrt   Kuropa  weh   idOgypiüAra  Ue^ 

Mit  frltirm  Vomort   Toll   Oorjt   KhctB.      Mit   uhlral<liM  AU^ 

i(i  Zinkut>-irii-  imd  einer  Ttntlc,    rt.  9.    18IM.    Oeh.  jr  H.— .  pli.  2 

'   JInisri,  LndwiK,  Logo«.    UnjiranR  nuU  We»«u  der   Bcfdffc-     fr-  S- 

Gcli.  Jf  8— ,  geb.  ^  10  — 

»Uj  A.,  Der  ttklI«a>iii1iUisli<-  Kril.bUmiii   tmd    «aoe   Bndcaqi 

dia  p(iwä»ß  Wusonseliiift.    2  Bünde,   (f  s.   l«(i— is»7. 

L  HmiI-    ncKCktubls  uid  VotlTMili  il04  (b«l(ii>ii<Iilfel>an  Sil 

1       ■        L  Tbail.  I>i>i  «onllelwii  luul  Inciutliiia  amiidladii  il*i  BiVaiH 

U.  Tb«n  43gl>lu-l,    Su  WlfOiucliirwUiiwri«  nB,l  IbUfhrWt.    1 

Oiucdnn»    llninp.      Rio    poiiiil&nniiwitRiiliHfillehrr   VurtnX' 
i— .80. 

ITV.  IL.    UiolairUche   Prablenie.     Znf;lui:li  nU  Vernicfc  m 
mg  oitier  ratlHudleii  ütliik.     1  sliak  amiustiti  Auf^^ 
I«*4.    -*J,— . 
D^nm,  GiiiirinJC..  Faychulngie  de^-fiikpiMieiKi  vma  emjuBMte 

i'  fuiilde.     Hfftci  tlanil.     Rr.  f(.     ISQ.i     ^  A.  — . 
WBB4t.    Wilh.  Heb«  di«  Aufii^btr    der  PItilaiiaiilu«  in  Aex  (n^ 
jUudcmiwhe  Antrillareilc  (u  Z'lridi     S.     IÜ74.     J'  — .to. 
UebtTiltnEfon»*«  der  Pliilotuplilo  aiif  Oi«  Krfklinui|(;«i>iMMi«d 
AkMlemiwhv  AnirHUriiiln  iii  l.^fiif.    i.    IWW.    Jt  ~-.(,n. 
Der  8piriti«au«,  eine  togctumau  <ri«N'itf<Iuftl.  Tn^u.    Ofinrr 
M  Herrn  Prof.  Ucnn,  lUrid  üi  BnUe.    I.-*.  Al.druefc.  K.  I»:9   .f 
Ebb»)»,     «r.  S.     («HS,    Ocli.  J"  7,-,  pcb.  ^  ii,-_. 

:>.btl>t  PklboHiihK  md  VrUtMitthift.  —  Di«  Thnnm  An  UkUH.  —  lk>G»«li 
l*f  VTalt.  —  Diklra  ua  fiMtr^  -  D)t  \nI«K&i>e  An  opHlvtnunia  f  iriMi 
tM>  Mawif  p>taUi»bn^  VunLnt*.  ~  D|a  Tblaivi}aba)ii|ltu  —  fiiflU  <■ 
•Ulianr.  —  Mr  Aarfnik  lir  QtiaUlibi'nfnntini.  —  R^  «pnak*  wl  *•! 
-  IM  Calndlnuc  dt*  WUliiai.  —  tlir  Aborftuh*  ta  An  TTImWM^ 
Üpinil-iri».  —  LaMlut  004  At>  kll»*eb<  Vllh'-Al. 

OnmilHlliie    itt    pb]r«Ir>logl*eliea    l'rijchDlogle.        Vlattti) 

«tbciUM  Aiin*ei!.     itwei  nitiidt.    Uli  MT  UoluoltBiUeo.  j 

Oeli.  >  11-,  piU   .if  3».-. 

]t«r   Mol«!    der    IltDntriiebon    Kritik.      ] 

BudtAjirift    9.     IB87.    Jl  IM. 

Sfit^m  duT  Plillu>opbie.    gi. «.    16»«:  'GrU  ^  |l. 

H^pDotitmui  uul  Suigigftttlou.     'flevUirier  Abdni 


THB  NEW  YtfRK  PUBLIC  UBRARY 
HBPBRBNCB  DEPARTMENT 


Thit  book  M  nnder  no  eircumttancct  to  b« 
taken  from  tlie  Bnildin£ 


JÜN  2  7    l<)IC 

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JUH  Z  9  I9ff 

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