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Full text of "Therapie der Gegenwart 58.1917"

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DIE THERAPIE DER GEGENWART 

MEDIZINISCH-CHIRURGISCHE RUNDSCHAU 

FÜR PRAKTISCHE ÄRZTE. 

(58. Jahrgang.) 


Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 


herausgegeben von 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 

BERLIN. 


Neueste Folge. XIX. Jahrgang. 


URBAN & SCHWARZENBERG 


BERLIN 
Friedrichstraße 105 B.' 


1917. 


WIEN 

I., Maximilianstraße 4. 





Alle Rechne Vorbehalten. 


Julius Sittenfeld, Hofbubhdrucker., feerlln \V8i 



huiAusfuhr zugelassen! 
Sanitäisamt d. mil. Institute . 


Nr. 154. Z. 



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Die Therapie der Ge, 


herausgegeben von f 

58. Jahrgang Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 

Neueste Folge. XIX. Jahrg. BERLIN 



1. Heft 

Januar 1917 


W 62 , Kleiststraße 2 

Verlag von tJ KB AK & SCHWAKZEKBEKG in Berlin K 24 und WienI 


Die Therapie der Gegenwart erscheint zu Anfang jedes Monat§. Abonnementspreis für den 
Jahrgang 10 Mark, in Österreich-Ungarn 12 Kronen, Ausland 14 Mark. Einzelne Hefte je 1,50 Mark 
resp. 1,80 Kronen. Man abonniert bei allen größeren Buchhandlungen, sowie direkt bei den 
Expeditionen in Berlin oder Wien.* Wegen Inserate und Beilagen wende man sich an den 
Verlag in Berlin N, Friedriöhstraße 105B. 


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- Dieses Heft;enthalt Prospekte folgender Filmen’ - 

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INHALTS .VERZEICHNIS. 


Originalmitteilungen, zusammenlassende Übersichten und 
therapeutischer Meinungsaustausch. 


Anämie, Über schwere — mit hämorrhag. Dia- 
these b. Jugendlichen. Elisabeth Benecke 14. 

Boluphen, neues Wundstreupulver bei'Haut- u. 
venerisch. Krankheiten., J. Schaffer 291. 

Colitis chronica gravis u. Bacillendysenterie in 
ihren Beziehungen. H. Strauß 212. 

— suppurativa, Ätiologie d. —, d. Ulcus chroni¬ 
cum recti u. d. Dysenterie. L. Dünner 165. 

Darmerkrankungen, Diagnose u. Therapie d. 
infektiösen —. G. Klemperer u. L. Dünner 313. 

Denmotherma, Erfahrungen mit —. L. Culp 376. 

Diarrhöen, Behandlung der tuberkulösen —. 
M. Gutstein 326. 

Diathermie im Kriege. H. Braun 136. >. 

Diathese, Hämorrhagische, durch Milzexstirpa¬ 
tion geheilt. E. Benecke 418. 

Dyspepsien, Neurogene u. psychogene — als 
Kriegswirkungen. A. Albu 85. 

Elarson und Solarson. Fjanz Bogner 39. 

Epithelisierung v. Wundflächen d. Pellidöl 
u. Azodolen. A. Blumenthal 423. 

Ergotin-Merck. F. Baum 200. 

Ernährung gesunder u. kranker Kinder bis zum 
zweiten Lebensjahr in der Kriegszeit, Richt¬ 
linien für die — 278. 

Ersatzarzneien. Herrn. Schelenz 352. 

Erythrocytose und chronischer Alkoholismus. 
F. W. Tallquist 246. 

Fieber, Wolhynisches, Behandlung mit Kollargol. 
Erich Richter 89. 

Fleckfieber, Frühdiagnose. W. Perls 395. 

— Heutiger Stand unserer Kenntnisse vom —. 
H. Hetsch 329. 358. 

Gallensteinbehandlung mit Agobilin. J. v. 
Roznowski 341. 

Gastrointestinale Störungen während der 
Kriegszeit im Heimatgebiet. W. Weiland 282. 

Gelenkrheumatismus, Behandlung des akuten 
mit elektrokolloidalen Silberpräparaten. C. 
Moewes 286. 

Genickstarre, Z.Therap. d.—. J.Kudruacz 209. 

Gichtphlebitis, Behandlung mit Dermotherma. 
M. Vogel 115. 

Hernien, Enteroptosen und Prolapse in ihrer 
Beziehung zum Kriege und Reichsversiche¬ 
rungsordnung. D. Pulvermacher 375. 

Herzfunktion, Über die Beeinflussung der —, 
nachgewiesen durch die plethysmographische 
Arbeitskurve. Ernst Weber 4. 

Hygiene, Ärztliche Anteilnahme an der 
sozialen. J, Waldschmidt 424. 

Jod, Schilddrüse, Arteriosklerose. Carl Kraus 45, 

Kardiastenosen, Eine neue Behandlung der — 
mit meinen neuen Kardiasonden und meinen 
neuen Kardiabougies. Wilhelm Sternberg 54. 


Klimakterium, Über den Arthritismus des — 
und seine Behandlung. H. Rosin 81. 

Koagulen, Blutstillung durch—. 26. 

Kreislaufstörungen, Campherbehandlung 
funktioneller und nervöser —. Franz M. 
Groedel 129. 

KnegsärztlicheAbendeBerlin. 60. 99.182. 333. 

Kriegsmehl, Mehlnährpräparate und Kranken¬ 
diät. G. Klemperer 215. 

Laneps in der Therapie des Ulcus und Ekzema 
cruris. Kahr 80. 

Larynxstenose, Schwerste — in zwei Fällen 
durch Süprarenin beseitigt. Riebes 78. 

Leukogen. A. Gehring 440. 

Lichtbehandlung in der ärztlichen Praxis, 
Moderne. Disqu6 356. 

Lues, Kombinierte Neosalvarsan-Quecksilber¬ 
behandlung. S. Samelson 345. 

Lungenentzündung, Behandlung mit Opto- 
chin. H. Rosin 207. 

Magenchemismus, Über —, Pylorusstenose u. 
nervöse Dyspepsie. Hugo Lüthje f 41. 

Magengeschwür, Über die Heilbarkeit. 

D. Gerhardt 1. 

Magenpathologische Fragen. Schüle 133. 

Malariabehandlung und Malariavorbeugung, 
Richtlinien zur — 309. 

Malzextrakte,Wertschätzung. G.Klemperer407. 

Meningitis, Zur Behandlung d. — im allge¬ 
meinen und der Meningitis contagiosa im be¬ 
sonderen. H. Schottmüller 377. 

Milchbildung, Physiologie u. Chemismus d.— 
sowie deren Beeinflussung. F. Grumme 239. 

Narkotische und Schlafmittel bei Kriegsteil¬ 
nehmern. S. Lissau 349. 

Nasendiphtherie. G. A. Waetzoldt 250. 

Neohormonal, Über —. G. Zuelzer 384. 

Neurosen, Suggestionstherapie d. funktionellen 
— im Feldlazarett. Manfred Goldstein 317. 

Nierenentzündungen im Felde, Merkblatt für 
Ärzte zur Verhütung u. Behandlung der — 116. 

Nierenerkrankungen bei Feldzugsteilnehmern 
und ihre Prognose. W. Weiland 241. 

Novatophan K. G. Klemperer 240. 

Oberarmresektionen, Behandlung ausgedehn¬ 
ter —. Georg Müller 218. 

Obstipation, Mechanische Behandlung der chro¬ 
nischen —. K. Gerson 408. 

Ödem, Quinckesches — mit epileptischen An¬ 
fällen. Susanne Rosenfeld 390. 

Optochindarreichung, Bemerkungen zur —. 
H. Rosin 374. 

Organtherapie urosexueller und dermosexueller 
Störungen. Max Marcuse 170. 

Otosklerosenbehandlung, Versuche auf ätio¬ 
logischer Grundlage. Franz Kobrak 421. 



IV " ' ' * jfnhälts-Verzeichnis. * *'' 


Parametritis, Die rectale Behandlung der chro¬ 
nischen —. D. Pulvermacher 57. 

Paratyphus. B. Wolf 175. 

Pellidol u. Azodolen u. ihre Anwendung als 
Keratoplastika z. schnellen’ Epithelisierung 
v. Wundflächen. A.' Blumenthal 423. 

Peptolysin, ein Erepsinpräparat. F. W..Hop¬ 
mann 392; 

Perkaglycerin und Tigo-Glycol, zwei Glycerin- 
Ersatzmittel. Felix Mendel 49. 

Phimose, Therapie d. —. K. Gerson 344. 

Phthisiotherapie, Einige praktische Fragen aus 
dem Gebiete der —. Adolf Bacmeister 162. 

Pneumonie, Behandlung mit Optochinum basi- 
' cum und Milchdiät. F. Mendel (Essen) 289. 

Pocken, Diagnose und Therapie. Schnell 144. 

Rachitis, Die Behandlung der —. E. Schloß 

* 220. 262. 297. 

Ruhr, Behandlung v. Folgezuständen. H. Strauß 
409. 

Sachverständigentätigkeit, Militärärztliche 
— auf dem Gebiete des Ersatzwesens und der 
militär-ärztlichen Versorgung 28. 100. 

Salvarsan u. Tabes. L. Jacobsohn 438. 


Secalvsatum Bürger in der gynäkologischen und 
geburtshilflichen Praxis. T. Schergoff 342. 

Sexualneurasthenie, Aphorismen über —. 
Erich Lewy 141. 

Shock bei Bauchschuß Verletzungen, Gibt es 
einen-? E. Gräfenberg 259.- 

Sklerose, Bemerkungen über multiple — nach 
eigenen Erfahrungen. Herrn. Schlesinger 201. 

Strahlentherapie, Entwickelung der gynäko¬ 
logischen —. H. Eymer 121. $ 

Tripperspritze (Dosierungs-) mit Tagesfüllung. 
Dreuw 168. 

Tropfenherz, Plethysmographische Unter¬ 

suchungen bei. L. Dünner£414. 

Typhusbehandlung mit Hydrargyrum cyana- 
tum. Gellhaus 113. 

Uterusmyom, Die Entscheidung zwischen sym¬ 
ptomatischer, Strahlen- und operativer Thera¬ 
pie beim —. L. Blumenreich 21. 

Vesicaesan, Unsere Erfahrungen mit —. 

J. Trebing 75. 

Vblkskrankheiten, Ethisches im Kampfe gegen 
die —. B. Laguer 159. 


-rajrv 


Sachregister. 


Agobilin 341. 

Alkoholismus 102. 

—, Chronischer 246. 
Alkoholinjektionen s. Erblin¬ 
dung. 

Alkoholsitte 102. 
Alveolarpyorrhöe 147. 

Amaurose 307. 

Amenorrhoe 227. 

— (Kriegs-) 271. 

Amputations- und Prothesen¬ 
frage 63. 

Amyelie 14. 

Anämie 14. 103. 228. 
Aneurysma d. Carotis interna 399. 
Aneurysmen 35. 

Appendicites 427. 

Arbeitskurve 4. 

Armprothesen 103. 

Arsengehalt der Geschosse 148. 
Arsenwasserstoff 366. - 
Arteria vertebralis 228. 
Arteriosklerose 45. 

Arthritismus 81. 

Arzt u. vaterl. Hilfsdienst 333. 

— am Hofe Nikolaus I. 270. 
Ärztestand, Zukunft 399. 
Asthma bronchiale 186. 

--frage 228. 

Atemtherapie 334. 
Autovaccinebehandlung 149. 
Azodolen 423. 

Bacillendysenterie 212. 
Bacillenträger 98. 

— (Typhus) 148. 

Badekuren beim Kinde 335. 
Bauchschüsse 64. 

-schmerzen 397. 

-Schußverletzungen 259. 

Beckenbruch 149. 


Blase, Anästhesierung 302. 
Blasenruptur 64. 

Blasse Zustände im Kindes¬ 
alter 339. 

Blennorrhöea vaginae 302. 

Blut 36. 

-Stillung 26. 366. 

Blutungen 65. 

—, Abdominale 65. 

—, Okkulte 237. 366. 400. 
Boluphen 229. 291. 
Botulismusvergiftung 31. 
Brucheinklemmung 271. 303. 
Brustschüsse 334. 

Campherbehandlung 129. 
Carnes-Arm 65. 
Chiningewöhnung 400. 

Cholera asiatica 186. 
Cholinchlorid 72. 

Cignolin 103. 

Colicystitis 186. 

Coliinfektion 104. 

Colipyelitis 186. 

Colitis chronica 212. 

— suppurativa 165. 
Contracturen 70. 

Cystostomie 427. 

Dakin-Lösung 428. 
Darmerkrankungen 33. 313. 

-resektion 229. 

Dermotherma 115. 376. 

Diabetes 183. 

— insipidus 150. 

— mellitus 32. 

Diarrhöen, Tuberkulöse 326. 
Diathermie 136. 

Diathese 14. 100. 

—, Hämorrhagische 231. 418. 
Diät und Küche 184. 


Dickdarmfisteln 187. 
Dienstbeschädigung 101. 
Digitalisanwendung 95. 

-behandlung 31. 

— -präparate 272. 
Duodenalverschluß 187. 
Dysenterie 165. 

Dyspepsien 41. 85. 

Eklampsie 303. 

— der Schwangeren 273. 
Ekzema cruris 80. 

Elarson 39. 

Empfängnis 183. . 

Enteroptosen 375. 

Epilepsie 151. 

Epileptische Anfälle 367. 
Epithelisierung v. Wundflächen 

423. 

Erblindung nach Alköholinjek- 
tionen 368. 

Ernährung 69. 

Ersatzarzneien 352. 

Erysipel 158. 229. 

-behandlung 66. 

Erythrocytose 246. 

Eucupin 302. 

Eugenik 188. 

Eukodal 230. 

Extremitätenfrakturen 368. 

Fettsäureäthylester 104. 
Fibrolysintherapie 34. 

Fieber und Fiebermittel 225. 

—, Wolhynisches 89. 
Fingerverluste 34. 

Fleckfieber 66. 151. 189. 329. 
358. 395. 

-epidemie 189. 

-Studien 40 L 





Inhalts ‘-Verzeichnis. 



Fortpflanzungshygiene 188. 
Fraktur, Subkutane 104. 
Fünftagefieber 230. 

Fürsorge, Soziale 269. 

Gallensteinbehandlung 341. 
Gallensteine 66. 

Ganglion Gaseri 368. 
Gasbacilleninfektion 402. 
Gasgangrän 34. 
Gastrohydrorrhöe 152. 
Gastrointestinale Störungen 282. 
Geburtenrückgang 338. 
Geburtshilfliche Fragen 337. 

— Operationen, Indikationen u. 
Prognose 364. 

Gefäßverletzungen 35. 
Gehirnvorfall 104. 

Gelenke, Schuß Verletzungen 190. 
Gelenkeiterungen 368. 

-enden 104. 

-mobilisation 67. 

-rheumatismus 190. 

-, Akuter 286. 

Genickstarre 209. 377. 
Geschlechtskrapkh. 35. 105. 182. 

-leben des Weibes 184. 

Geschosse 191. 

—, Arsengehalt 148. 
Getreidekeimlinge 105. 
Gichtphlebitis 115. 

Glottisödem 231. 
Gonokokkensepsis 191. 
Gonorrhöe 106. 

Gynäkologie 1916/17 337. 

Habitus 100. 

Halsdrüsentuberkulose 68. 

- Schlagadern 36. 

Hand- und Fingerverletzungen 
Kriegs verwundeter 182. 
Harnröhre, Infektionen 110. 
Hautkrankheiten 273. 

— u. vener. Krankheiten 291. 
Hautverpflanzung 274. 

Hernien 68. 375. 

Herzfunktion 4. 

-gewicht 68. 

-hypertrophie, Idiopath. 369. 

-jagen 304. 

-schwäche, Konstitution. 335. 

Hirnhämorrhagie 152. 
Homosexualität 365. 
Hydrargyrum cyanatum 113. 
Hydrocele 428. 

Hydrocephalus 71. 

Hydrocithin 275. 

Hygiene, Soziale 424. 
Hyperextension 106. 

— s.-Behinderung 428. 
Hypophysenextrakte 428. 
Hypotonie 304. 

Ikterus 153. 232. 

Impetigo contagiosa 107. 
Infektion, Ruhende 69. 

Jod 45. 

Kalksteingicht 274. 
Kardiabougies 54. 

— -sonden 54. 

- Stenosen 54. 

Katheterisieren 234. 
Kieferschußtherapie 268. 

-Verletzungen im Kriege 268. 


Kinderernährung im Kriege 334., 
Kindesalter, Blasse Zustände 339. 
—, Krankheitszustände 235. 
Klebrobinde 107. 

Kleinkinder 69. 

Klimakterium 81. 

Kniegelenk 339. 

-steife 403. 

Knochenbruch d. Extremität. 192. 
Knochenfisteln 70. > 

-marksatrophie 14. 

-plastik 107. 

— und Sehnenplastik 275. 
Koagulen 26. 

Kollargol 89. 

Komplementgehalt 36. 
Krankendiät 215. 

-ernährung im Kriege 334. 

-pflege, Chirurgische 63. 

Krankheitszustände im Kindes¬ 
alter 235. 

Krätze 192. 

Krebsheilung 403. 
Kreislaufstörungen 129. 

Krieg und Diabetes 183. 
Kriegsärztliche Abende 60. 99. 
182. 333. 

-amenorrhöe s. Amenorrhoe. 

-beschädigtenfürsorge, Orga¬ 
nisation 182. 

-Chirurgie 268. 

-chirurgische Erfahrungen 

428. 

-epidemiologische Erfahrun¬ 
gen 364. 

-herz 193. 

-mechanotherapie 63. 

— -mehl 215. 

-nephritis 236. 275. 

-neugeborenen 153. 

-paralyse 429. 

-rentenempfänger 153. 

-seuchen 403. 

-Verletzungen nach im Felde 

gewonnener Bilder 335. 

Lähmungen 70. 

Laneps 80. 

Larynxstenose 78. 

Lazarettzüge 182. 
Lecithinpräparat 275. 

Leukämie 430. 

Leukocytose 430. 

Leukogen 440. 
Leuko-Myelotoxikosen 431. 
Lichtbehandlung 356. 

Lidplastik 193. 

Lues 345. 

— congenita 431. 

Luftembolie 193. 
Luftröhrenschnitt 235. 

Lunge, Tuberkulöse 112. 

—, Fettplastik 370. 
Lungenblutung 154. 

-entzündung 207. 

-krankheiten 101. 

Lupusbehandlung 275. 

Lupus erythematodes 404. 
Lymphgefäße und Lymphdrtisen, 

Chirurgie 399. 

Magenblutung 107. 
Magenchemismus 4L 
—, Beeinflussung der Röntgen¬ 
strahlen 372. 


Magen-Darmkrankheiten 364.1 

-geschwür 1. 

-pathologie 133. 

-resektion 154. 

Magnesiumperhydrol Merck 236. 
Malariabehandlung 309. / 

— -parasitenträger 236. 

-Vorbeugung 309. 

Malzextrakte 407. 

Materna 1,05. 

!. Mehlnährpräparate 215. 
'Meningitis 71. 377. 

— cerebrospinalis epidemica 155. 

— contagiosa 377. 

—, eitrige 404. 

— epidemica 70. 

Milchbildung 239. 

— -diät 289. 

Milzbestrahlung 431. 
Milzexstirpation 418. 431. 

Mund Verletzung 72. 
Muskelrheumatismus 305. 

Myom 338. 

Nachtblindheit 404. 

Narben 72. 

-bildung 195. 

Narkotica 349. 

Nasendiphtherie 250. 
Neohormonal 384. 

Neosalvarsan- Quecksilber¬ 
behandlung 345. 

Nephritiden 30. 

Nerven 194. 

-defekte 370. 

-heilstätten 432. 

-Kicken 37. 

-leitungsanästhesie 194. 

-schußschmerz 365. 

-System, Pharmakotherapie 

370. 

-Verletzungen 155. 

Neurastheniker 37K 
Neurofibromen 108. 

Neurosen, Funktionelle 317. 

-heilungen 307. 

Nierenentzündungen 116. 

-erkrankungen 241. 

-krankheiten 184. 

-leiden 184. 

Novatophan : 'K 240. 

Oberarmresektionen 218. 
Oberschenkelamputation 276. 
Obstipation, Chronische 408. 
Ödem, Quinckesches 390. . 
Okkulte Blutungen 237. 366. 400. 
Onanie 365. 

Opiumsitte 102, 

Optochin 207. 

-darreichung 374. 

Optochinum basicum 289. 307. 
Organtherapie 170. 

Osteomyelitis 194. 
Otosklerosenbehandlung 421. 
Ozaena 372. 

Paralyse 405. 

Parametritis 57. 

Paratyphus B 175. 

— B-Infektion 156. 
Parotisfisteln 237. 

Patella 194. 237. 

Pellidol 423. 




VI 


Inhalts-Verzejchnis. 


Peptolysin 392. 

Peritonitis 194. 372. 

Perkaglycerin 49. 

Phimose 344. 

Phthisiotherapie 162. 
Plethysmographische Unter¬ 
suchungen 414. 
Plexusschußverletzung 372'. 
Pneumonie 289. 

Pocken 144. 

-erkrankungen 183. / 

-impfung 238. 

Prolapse 375. 
Prostatahypertrophie 72. 
Prothesen, Innere 335. 
Providoform 108. 

'Pseudarthrosen 108. 
Pseudogenickstarre 109. 

-skabies 110. 

Psoriasis vulgaris 107. 

Psychiatrie 62. 

—, klinische 398. 

Pylorospasmus 72. 

Pylorustenöse 41. 238. 432. 

Rachitis 220. 262. 297. 

Radium 273. 

Rassenhygiene 188. 

Regeneration 195. 

Rettungswesen im Seekrieg 99. 
Rindenepilepsie 196. 
Röntgendiagnostik d. Magen- u. 

Darmkrankheiten 364. 
Röntgenstrahlen 372. 

-verfahren 185. 

Rückfallfieber 433. 

Ruhr 38. 73. 196. 308. 409. 434. 

Sachverständigentätigkeit, Mili¬ 
tärärztliche 60. 

Salvarsan 438. 

\ 


Sälvarsantherapie 73. 
Samenbläschen 110. 
Säuglingspflege 102. 
Schädelplastik 111. 

Schilddrüse 45. 276. 

Schlafmittel 349. 

Schmerz 38. 

-behandlung 38. 

Schulterluxationen 434. 
Schußverletzungen peripherischer 
Nerven 405. 

Schwangerschaftsunterbrechung 
183. 406. 

Seborrhoea capitis oleosa 309. 
Secalysatum Bürger 342. 
Sepsistherapie 372. 
Sexualneurasthenie 141. 

Sexuelle Störungen s. Störungen 
435. 

Shock 259. 

Silberpräparate, Elektro-kolloi- 
dale 286. 

Sklerose, Multiple 34. 201. 
Skorbut 435. 

Skorbutfälle 111. 

Solarson 39. 238. 
Speicheldrüsenschwellung 435. 
Spondylitis deformans 34. 
Störungen, Dermosexuelle 170. 
—, Urosexuelle 170. 
Strahlentiefenbehandlung 269. 
Strahlen- und operative Thera¬ 
pie 21. 

-therapie 121. 

Stuhlverstopfung 39. 
Suggestionstherapie 317. 
Suprarenin 78. 

Symptomatologie innerer Krank¬ 
heiten 397. 

Syphilis 74. 

-- 


Tabes 438. 

Taubheit 75. 

Tego-Glycol 49. 

Tetanus 197. 

-rezidiv 39. 

Thorakoplastik 199. 
-Thrombopenie 418. 
Thymushyperplasie 436. 
Tibiadefekte 156. 

Todesfälle, Plötzliche 101. 
Tollwutschutzimpfurig 436. 
Transplantation 438. 
Tripperspritze (Dosierungs-) 168. 
Tropfenherz 414. 

Tuben, Operation 406. 
Tuberkulin-Herdreaktion 156. 
Tuberkulose 436. 

Tuberkulose der Schilddrüse 276. 
Typbus abdominalis 157. 

-bacillenträger 148. 

-behandlung 113. 

— u. Nervensystem 437. 

-Schutzimpfung 437. 

Ulcus 80. 

— -chronicum repti 165. 
Unterbindungen 438. 
Unterschenkelamputation 277. 

-geschwür 112. 

Uterusmyom 21. 

Vaccineurinther^pie 373. 

Varicen 112. 

Venenautoplastik 374. 

Vesicaesan 75. 
Volksnahrungsmittel 105. 

Wassermannsche Reaktion 157. 
399. 

Wolhynisches Fieber s. Fieber, W. 
Wunden 158. 


Autorenregister. 

(Die Seitenzahlen der Original-Mitteilungen sind fett gedruckt.) 


Albu, A. 85. 183. 232. 
Aschoff (Berlin) 182. 
— 100. 184. 

Bacmeister 101. 162. 
Baracz 276. 

Barany 100. 
Barrenscheen 196. 
Baum, F. 200. 
Baumstark 435. 
Behrend, El. 102. 
Benecke, Elisabeth 14. 
418. 

Bethe 37. 

Bier 195. 

Birk 436. 

Blau 60. 

Bleuler, E. 62.‘' 
Blumenreich, L. 21. 
Blumenthal, A. 423. 
Boas 366. 432. 

Bogner, Franz 39. 
Bonhöffer 60. 

Boral 111. 

Borchard, A. und 
Schmieden, V. 268. 
Borchardt 39. 73, 


Boruttau 49. 

Braun, H. 136. 
Bräutigam 107. 

Breuer, R. 49. 

Brix 187. 

Bruck, C. (Altona) 74. 
Bruegel 372. 

Brunzel 271. 

Bumke, E. 149. 

Bumm 338. 

Busch 428. 

Cohn, Max (Berlin) 65. 
Culp, L. 376. 
Curschmann, H. 109. 

Deissner 106. 

Dessauer, Fr. 185. 
Dibbelt 68. 

Dietrich 271. 275. 
Disque 356. 

Döderlein 338. 

Dreuw 168. 

Dub 75. 

Dünner, L. 165. 414. 

Eckstein 271. 
Edelmann, A. 190. 


Eden 194. 

Edens 31. 95. 

Eymer, H. 121. 

Fejes 157. 

Fekete 428. 

Findel 427. 

Finsterer 434. 

Fischer, H. 155. 

—, Ilse. 105. 

Frank (Breslau) 431. 
Frank, H. H. 104. 
Franke 70. 277. 

Franz 273. 
Freudenberg 157. 
Freund u. Speyer 230. 
Frey 189. 

Friedemann 183. 
Frostell, Gunnar 63. 
Fiihner 366. 

Galambos, A. 364. 
Gassul 372. 
Gehring^440. 

Gaupp 28. 

Geib 182. 

Gellhaus 113. 


Geppert 95. 
Geraghty 111. ■' 

Gerhardt, D. 1. 
Gerson, K. 344. 408, 
Ginsberg 307. 

Gluck 335. 

Goebel 158. 
Goldscheider, A. 38. 
Goldstein 29. 

—, Manfr. 317. 
Graefe 227. 271. 
Gräfenberg 259. 
Grober (Jena) 65. 
Groedel, Fr. M. 129. 
Groß 370. 

— (Harburg) 275. 
Grumme 239. 303. 
Giirber 275. 

Gütig, Carl 64. 
Gutstein, M. 326. 

Haas, Gg. 186. 
v. Haberer 187. 
Hagedorn 190. 

Hans 104. 

Hansen 235. 
Hansser, P. 63. 





Inhalts-Verzeichnis. 


VII 


Hayward 229. 333. 372. 
Heddaeus 234. 
Heichelheim 39. 
Hetsch, H. 329. 358. 
Heubner 335. 
Hildebrandt 230. 
Hirschberg 158. 
Hirschfeld, H. 232. 430. 
His 61. 

Hofbauer 228. 334. 
Hof mann 111. 
v. Hof mann, G. 188. 
Hoffmann 61. 238. 
Hofstätter 63. 
Holitscher 102. 
Holländer 274. 
Hopmann, F. W. 392. 
Horn, P. 153, 

Hübner 431. 

Ickert, F. 153. 

Ihle 103. 

Jacobsohn, L.'438. 
Jacobsthal (Hamb.) 66. 
v. Jaworski 271. 

Jessen 103. 

Kahr (Nürnberg) 80. 
Kalb, Otto 151. 193. 
427. 

Kaminer u. Zondek236. 
Katzenstein 69. 
Kaufmann, P. 269. 
Kaznelson 231. 

Kenez 108. 

Keppler, W. (Berlin) 66. 
Kirchner 182. 196. 370. 
Kisch, H. 152. 184. 
Kleinschmidt 32. 
Klemperer, G. 215. 240. 
334. 407. 

—, G.u. Dünner, L. 313. 
Knotte 112. 

Kobrak, F. 421. 
KochJ433 
Kocher 49. 112. 

Koenig 68. 154. 

Köhler 103. 

Kolle 147. 

Koennecke 368. 

Kraus, C. 45. 49. 

—, Fr. 100. 335. 369. 
Krause, P. 148. 

Krehl, L. 49. 

Kreuter 65. 197. 
Krohne 183. 
Kronberger, H. 199. 
Krückmann 30. 
Kudruäe i 209. 

Küttner 228. 366. 

Langstein 334. 

Lanz 438. 


Laquer, B. 159. 
Lehndorff, A. 49. 186. 
Lenk 238. 

Leusser 304. 

Levy, F. 189. 
Lewandowsky, M. 370. 
Lewy, Erich 141. 
Lewin 148. 

Lexer 35. 104. 375. 
Lichtenstein (Leipzig) 
273. 

Lissau, S. 349. 

Löffler 428. 

Lüth, W. (Thorn) 73. 
Lüthje, Hugo f 41. 

Mackenrodt 338. 

Maier 107. 

Mandelbaum 36. 
Mandt, M. 270. 
Marcuse, M. 170. 
Martin, A. 337. 

—, Ed. 338. 

Massini, R. 191. 
Mendel, Felix (Essen) 
49. 289. 

Meyer 107. 

—, C. 149. 

—, H. u. R. Gottlieb 49. 
Misch u. Rumpel 268. 
Mörchen 236. 

Moro 155. 

Most, A. 399. 
Moszkowicz 72. 156. 
Moewes, C. 286. 

Much 436. 

Mühsam, R. 71. 

Müller 229. 

—, Er. 339. 

—, Friedr. 184. 

—, Georg 218. 

Naunyn 236. 

Neisser, Albert 270. 
Neugebauer 193. 
Neuheuser 34. 

Nieden 107. 
v. Noorden 62. 105. 
Novak 150. 

Oppenheim 29. 

Ortner 397. 

Oswald, A. 49. 

PayrJ339. 368. 

Perls, W. 395. 

Perthes 237. 237. 274. 
438. 

Pfaundler 69. 

Pfeiffer 436. 

Pick 105. 

—, G. 399. 

Pok 271. 


Port 231. 

Pulvermacher, D. (Ber¬ 
lin) 57. 375. 

Ranft 34. 

Rassiga 72. 

Raether 307. 

Reich 229. 

Reichel 108. 

Reinhard 194. 

Richter,< Erich 89. 
Riebes (Hachenburg)78. 
Riedel 70. 

Ringel 192. 368. 
Roosen 373. 

Röpke 67. 

Rosenfeld, Sus. 390. 
Rosenhaupt 434. 

Rosin, H. 81. 207. 374. 
Rost 64. 

Roznowski 341. 

Rüge, Paul 338. 
Rumpel, Th. und A. V. 
Knack 33. 

Samelson, S. 345. 
Sauerbruch 103. 

Saxl u. Melka 435. 
Schaffer 271. 

—, J. (Bresl.) 270. 291. 
Schede 31. 

Schelenz, H. 352. 
Schergoff 342. 

Schlecht 66. 
Schlesinger, E. 364. 

—, H. 201. 

—, Wilh. 184. . 
Schlomer, G. 398. 
Schloss, E.220.262.297. 
Schloessmann 365. 
Schmidt 237. 

— u. Kauffmann 308. 
Schmincke 192. 
Schneider 302. 

Schnell 144. 
Schönheimer 333. 
Schöppler 107. 
Schottmüller 377. 
Schröder 367. 

Schüle 133. 

Schütz 371. 

- J- 304. 

Schwalbe 49. 238. 
Schweitzer 271. 

Seiffert, G. 437. 

v. Seuffert, E. 269. 
Siebelt 193. 

Siebert 34. 

Siegel 271. 
Sonnenberger 432. 
Sonntag 305. 399. 
Spaeth, Fr. 98, 
Staelmann 60. 
Starkenstein 225. 


Steinschneider 268: 
Stekel, W. 365. 
Stephan, R. 156. 
Sternberg, Wilhelm 
(Berlin) 54. 

Stertz 437. 

Stier 29. 

Stöckel 337. 

Stolz 104. 
Strasser-Eppelbaun 
102 . 

Straub 272. 

Strauss 152. 

—, H. 30. 212. 409. 
Strohmeyer 156. 
Stulz (Berlin) 70. 
Suter 106. 

Sweitzer 273. 


Tallquist, F. W. .246. 
Tschirsch 153. 

Trebing, Joh. (Berl.) 75. 
Tsiminakis 36. 


Uemura 276. 

Unna, P. G. 110. 
Unverricht 103. 
zur Verth 99. 

Vogel, M. 115. 

Waldschmidt, J. 424. 
Walther 194. 364. 
Warstat 112. 

Wätzoldt 30. 250. 
Weber 429. 

—, Ernst 4. 
Wederhake 428. 
Weicksel 186. 

Weihe 235. 

Weiland, W. 241. 282. 
Weill, G. 275. 

Weinert 335. 
Westenhüfer, M. 71. 
Wichura 373. 

Wiemann 303. 

Wiese, 0. 38. 

Wiesner, B. 185. 
Wilms 68. 72. 72. 194. 
372. 

Windrath 154. 

Winkler, Ferd. 108. 
Wolf 174. 

Wolff 302. 

—, Br. 151. 

— 191. 

Wollenberg 182. 

Zander 154. 
Zimmermann 228. 
Zuelzer, G. 384. 
v. Zumbusch 309. 
Zweig 35. 






Die Therapie der Gegenwart 


1917 


herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 
in Berlin. 


Januar 


Nachdruck verboten. * 

Über die Heilbarkeit des Magengeschwürs. 

Von Prof. Dr. D. Gerhardt-Würzburg. 


Durch die Ausbildung der Röntgen¬ 
technik ist die Erkennung des Magen¬ 
geschwürs in ganz ungeahntem Maße er¬ 
leichtert worden. Bei vielen, nach den 
früheren Untersuchungsweisen zweifelhaft 
bleibenden Fällen kann die Diagnose 
jetzt mit sehr viel größerer Wahrschein¬ 
lichkeit, bei einer großen Reihe mit 
Sicherheit gestellt werden, und oft er¬ 
laubt die neue Methode nicht nur das 
früher vielfach vergeblich erstrebte Ziel, 
die Erkennung des Sitzes des Geschwürs, 
sondern sie gibt auch über Größe und 
Alter des Geschwürs Auskunft. 

Die mit den neuen Methoden gewon¬ 
nenen Erfahrungen gestatten bereits, die 
bisherigen Anschauungen über Pathologie 
und Therapie des Magengeschwürs in 
einigen wesentlichen Punkten teils zu be¬ 
stätigen, teils etwas zu verändern. 

1 . 

Hier ist zunächst hervorzuheben eine 
kleine Gruppe von Fällen, bei denen trotz 
des sichersten klinischen Zeichens, reich¬ 
lichen Blutbrechens, am Röntgenschirm 
auch bei wiederholter Durchleuchtung 
kein abnormer Befund nachzuweisen ist. 

In einem solchen Falle konnte ich mich kürz¬ 
lich vor und nach dem Blutbrechen hiervon über¬ 
zeugen. Patientin kam mit rezenten unsicheren 
Beschwerden, wurde deshalb am Röntgenschirm 
untersucht, wo nichts Abnormes gefunden wurde; 
kurz danach kam sie mit schwerer Magenblutung 
in die Klinik, aus der sie nach einigen Wochen 
beschwerdefrei entlassen wurde; drei Wochen 
später neue Durchleuchtung wieder ohne patho¬ 
logischen Befund. 

Es handelt sich in solchen Fällen 
offenbar um oberflächliche Geschwüre, 
die keine tieferen Substanzverluste be¬ 
dingen und keine reflektorische Wirkung 
auf die Magenmuskulatur ausüben. Es 
ist ja bekannt, daß die superfiziellen 
Geschwüre dem Nachweise durch Röntgen¬ 
strahlen entgehen, oder nur aus indirekten 
Symptomen (dem lokalen Contractions- 
ring, dem 6-Stundenrest) wahrscheinlich 
gemacht werden können. Andererseits 
lehrt die Erfahrung, daß auch oberfläch¬ 
liche Ulcera zu sehr abundanten Blutun¬ 
gen führen können. 

So verloren wir ein 16jähriges Mädchen an 
unstillbarer, zehn Tage dauernder Magenblutung, 
die Sektion ergab ein erbsengroßes, nur die 

C '' 


Schleimhaut und die Submucosa durchsetzen¬ 
des, flaches Geschwür an der kleinen Kurvatur, 
in dessen Grund das arrodierte Lumen einer 
kleinen Arterie freilag. 

Solche Geschwüre, welche auch bei 
wiederholter Untersuchung keine sichere 
Anomalie am Röntgenbild erkennen las¬ 
sen, bieten naturgemäß für die Aushei¬ 
lung gute Aussichten. Wir können bei 
ihnen mit einer wirklichen Überhäutung 
und Narbenbildung rechnen. Und wenn 
wir dieses Verhalten bei einigen Fällen 
mit starken Blutungen, also bei klinisch 
als schwer imponierenden Fällen beob¬ 
achten können, dann dürfen wir anneh¬ 
men, daß auch eine ganze Anzahl der 
Fälle ohne Blutung zu dieser Gruppe der 
oberflächlichen Geschwüre mit guter Hei¬ 
lungsaussicht gehören. 

Dies gilt, wie wir annehmen dürfen, 
nicht nur von Fällen mit typischer Ana¬ 
mnese, sondern auch von einer Reihe von 
Fällen mit unbestimmten Magensym¬ 
ptomen. Wie groß die Zahl dieser relativ 
leicht heilbaren superfiziellen Ulcera, wel¬ 
che wegen der Magenbeschwerden ärzt¬ 
liche Hilfe in Anspruch nehmen, in Wirk¬ 
lichkeit ist, läßt sich schwer beurteilen, 
weil sie eben so schwer sicher zu diagnosti¬ 
zieren sind. Wichtig ist jedenfalls, daß 
gerade die Röntgenbefunde uns berech¬ 
tigen, auch bei manchen klinisch schein¬ 
bar progressen Fällen auf völlige Heilung 
durch die erprobte Ruhe- und Schonungs¬ 
kur zu hoffen. 

2 . 

Dieser Gruppe von Fällen steht jene 
andere gegenüber, in der das Röntgenbild 
eine deutliche ,,Nische“ (Haudecksches 
Divertikel) aufweist. Mit der zunehmen¬ 
den Erfahrung hat sich die Anzahl der 
Fälle mit positivem Nischenbefund ent¬ 
schieden vergrößert. So wurden in der 
Würzburger medizinischen Poliklinik 
unter 2500 Zugängen im Laufe der letzten 
zwölf Monate 70 Fälle mit sicherer Nische 
beobachtet, neben 7 Pylorusgeschwüren 
und etwa 25 Fällen mit Geschwürsver¬ 
dacht, aber negativem Röntgenbefund. 

Es ergab sich, daß geradezu die Mehr¬ 
zahl der Fälle, in denen die Vorgeschichte 
und die Art der Beschwerden ein Ge- 


l 




2 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Jänuäf 


schwlir wahrscheinlich machte, auch das , 
Nischensymptom autwies. Und dies gilt 
nicht nur für diejenigen, deren Anamnese 
auf Jahre zurückreicht, sondern auch für 
jene Fälle, deren Beschwerden erst seit 
ein paar Wochen bestehen. 

Das Nischensymptom weist nun regel¬ 
mäßig auf ein die Magenwand perforieren¬ 
des, also auf ein altes, callöses Geschwür 
hin. 

Soweit die eigene Erfahrung reicht, kann ich 
diese in den Lehrbüchern aufgestellte Regel 
durchaus bestätigen. In ein paar Fällen mit ganz 
kleinen, knospenförmigen Nischen wurde bei der 
Operation ein zwar kleines, aber doch die Magen¬ 
wand bis dicht an die Serosa perforierendes Ge¬ 
schwür gefunden. 

Die Röntgenbefunde sprechen also 
dafür, daß bei der Mehrzahl der Patienten 
mit typischen Ulcusbeschwerden, das heißt 
bei der Mehrzahl derjenigen, bei welchen 
früher auch ohne Röntgenbeobachtung 
die Ulcusdiagnose gestellt werden konnte, 
bereits tiefgreifende, offenbar seit lange 
bestehende Geschwüre vorliegen. Eine 
große Zahl von Magengeschwüren hatten 
danach augenscheinlich ein ziemlich lang¬ 
dauerndes latentes Vorstadium. 

Auf jeden Fall zeigen die Röntgen¬ 
untersuchungen, daß nur bei einem Bruch¬ 
teile der Fälle mit der typischen Anamnese 
solche Zeichen vermißt werden, die mit 
Sicherheit oder doch mit großer Wahr¬ 
scheinlichkeit (Hyperacidität, Contrac- 
tionsring und 6-Stundenrest) auf ein 
Ulcus hinweisen. 

Man darf daraus schließen, daß bei 
der Mehrzahl der Fälle mit Ulcus¬ 
beschwerden, die sich ja großenteils mit 
Hyperaciditätsbeschwerden decken, tat¬ 
sächlich ein Geschwür vorliegt, und daß die 
alte klinische Lehre zurecht besteht, man 
solle in zweifelhaften Fällen lieber zu 
rasch als zu zögernd mit der Diagnose 
Geschwür bei der Hand sein. 

Damit soll durchaus nicht geleugnet werden, 
daß auch Ulcus- oder Hyperaciditätsbeschwerden 
bestehen können, ohne daß ein Ulcus vorhanden 
ist. G. v. Bergmanns Darlegungen, daß Magen¬ 
geschwür und Magenneurose gar nicht zwei sich 
ausschließende Krankheitsbegriffe seien, daß viel¬ 
mehr das Geschwür oft geradezu die Folge abnor¬ 
mer Innervationseinflüsse sei, und daß die 
Beschwerden bei beiden Zuständen in gleicher 
Weise durch abnorme Sekretion und Moti¬ 
lität bedingt werden, ist außerordentlich an¬ 
sprechend, und mit den von v. Bergmanns 
Schülern beigebrachten experimentellen Belegen 
dafür, daß starke Vaguserregung zur Entstehung 
von Magengeschwüren führe, stimmen die Ver¬ 
suche durchaus überein, welche im Laboratorium 
der hiesigen Klinik von Gundelfinger ausgeführt 
wurden. 

Es ist auf Grund solcher Studien und 
Beobachtungen zweifellos, daß auch ohne 


Magengeschwür typische Magenge¬ 
schwürsbeschwerden bestehen können, wie 
ja auch andererseits nicht so ganz selten 
auch bei unbestimmten Beschwerden eine 
deutliche Nische gefunden wird. 

Trotz solcher Erfahrungen haben mich 
die häufigen positiven Röntgenbefunde 
doch gelehrt, daß bei den typischen Be¬ 
schwerden in der Mehrzahl der Fälle 
tatsächlich ein Ulcus ventriculi besteht. 

Als solche typische anamnestische Angaben 
sind zu rechnen: Lange Dauer der Beschwerden, 
Wechsel von schmerzhaften und schmerzfreien 
Perioden, Abhängigkeit der Intensität der Schmer¬ 
zen von der Verdaulichkeit der Kost, Auftreten 
der Schmerzen 1 / 2 bis 1 1 / 2 Stunden nach der Nah¬ 
rungsaufnahme, Ausstrahlen der Schmerzen in 
den Rücken, namentlich links, Lokalisation der 
Schmerzen im Epigastrium (meist ziemlich dicht 
unterhalb des Proc. xiph.), Linderung der Schmer¬ 
zen nach Erbrechen, oft auch nach Genuß von 
Milch oder anderer Nahrung oder von Natron 
bicarbonicum, häufiges saures Auf stoßen, gut er¬ 
haltener Appetit, Neigung zu Obstipation. 

Hier sei ein auch von anderen Autoren schon 
hervorgehobenes Ergebnis der Röntgenstudien 
erwähnt, welches für die Diagnostik verwertbar 
sein kann, nämlich die Lokalisation des 
Druckschmerzes. 

Der Druckpunkt in der Mitte des Epigastriums 
ist ja ein häufiges, aber durchaus nicht eindeutiges 
Symptom des Geschwürs. Der Vergleich mit dem 
Röntgenbild zeigt, daß diese Stelle gewöhnlich 
außerhalb des Magens liegt, also jedenfalls nicht 
dem Sitz des Geschwürs entspricht. Aber bei den 
Fällen mit deutlicher Nische kann man relativ 
häufig feststellen, daß gerade die Stelle der 
Nische druckempfindlich ist, und daß diese 
Druckempfindlichkeit sich entsprechend ver¬ 
schiebt, wenn die Nische durch Druck von außen 
auf die tieferen Teile oder durch Einziehen des 
Bauches nach oben gedrängt wird. Dem um¬ 
schriebenen Druckpunkt links (beziehungs¬ 
weise bei Pylorus- und Duodenalgeschwüren 
rechts) von der Mittellinie scheint danach 
größere Bedeutung für die Geschwürsdiagnose zu¬ 
zukommen als dem epigastrischen. 

3. 

Vielleicht noch bemerkenswerter als 
die Häufigkeit des Nischensymptoms bei 
scheinbar recenten Fällen ist der häufige, 
beinahe regelmäßige Nischenbe¬ 
fund bei Geschwürsrezidiven, zu¬ 
mal bei solchen Patienten, welche vor 
langer Zeit Geschwürsbeschwerden hatten, 
dann Jahrelang beschwerdefrei waren und 
nun aufs neue mit typischen Symptomen 
erkrankten. Bei einem kürzlich in der 
Poliklinik behandelten Falle dauerte das 
schmerzfreie Intervall 15 Jahre. 

Für solche Fälle waren bisher zweierlei 
Deutungen möglich. Entweder war das 
alte Geschwür seinerzeit geheilt und es 
hatte sich neuerdings ein zweites Ge¬ 
schwür gebildet; oder es war das alte 
Geschwür nur klinisch latent, geworden, 
hatte jahrelang latent weiterbestanden 



Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


3 


und hatte dann doch wieder neue Be¬ 
schwerden verursacht. 

Die Röntgenbeobachtungen sprechen 
entschieden für die zweite Deutungs¬ 
weise. 

In derselben Richtung weisen jene 
Fälle, bei denen nach dem Abklingen der 
Beschwerden, also nach der scheinbaren 
Heilung des Geschwüres das Nischen¬ 
symptom nach wie vor in derselben Weise 
weiter besteht. 

Die Ergebnisse der modernen Unter¬ 
suchungsweise lehren somit dreierlei. 

Sie zeigen erstens, daß ein kleiner 
Teil der Geschwüre trotz starker 
Blutung gute Aussicht auf völlige 
Heilung bietet; sie lassen aber 
zweitens die Zweifel berechtigt er¬ 
scheinen, welche seit lange über 
die wirkliche Ausheilung der Mehr¬ 
zahl der Magengeschwüre durch 
innere Behandlung geäußert wur¬ 
den; drittens bestätigen sie, daß 
große, tiefgreifende Geschwüre 
klinisch völlig latent werden 
können. 

4. 

Bei den nach dem Röntgenbefunde 
sicheren Geschwüren wird man also kaum 
hoffen dürfen, mittels der üblichen Scho- 
nungs- und Ruhekur eine wirkliche Hei¬ 
lung herbeizuführen. Aber man wird sich 
deshalb doch kaum bei jedem Falle von 
Ulcusnische zur Operation zu entschließen 
brauchen. Die Verhältnisse liegen hier 
offenbar ähnlich wie bei der Cholelithiasis, 
wo die innere Behandlung ja auch nur ein 
Latentwerden des Zustandes, keine völlige 
Heilung erzielen kann und wo man des¬ 
halb doch nicht in jedem Falle zur Ope¬ 
ration zu drängen braucht. 

Gerade auf Grund der Röntgenbilder 
dürfen wir damit rechnen, daß trotz des 
Weiterbestehens des Geschwüres die kli¬ 
nischen Erscheinungen ganz verschwinden 
können. Ein Geschwür mit derbem, 
kallösemRand und Grund braucht augen¬ 
scheinlich nur geringen Anlaß zu Be¬ 
schwerden und Gefahren zu bieten, auch 
wenn es nicht vernarbt und nicht über¬ 
häutet ist; diese hängen vielmehr davon 
ab, ob das Geschwür in seiner torpiden, 
reaktionslosen Weise fortbesteht, oder ob 
es sich vergrößert, weiter und tiefergreift. 

Es ist, wie die Erfahrung ergibt, relativ 
leicht, ein Geschwür in diesen torpiden, 
blanden Zustand überzuführen. Die üb¬ 
liche Ruhe- und Schonungsbehandlung, 
(sei es in der ursprünglichen Leubeschen 
Form oder in einer der neueren Modifi¬ 


kationen) durch Wärmeeinwirkung unter¬ 
stützt, pflegt dies in einigen Wochen zu 
erreichen. 

Es ist klar, daß das um so leichter 
geschehen wird, je länger man die Scho¬ 
nungskur durchführt, je später man die 
Patienten zur gewöhnlichen Lebens- und 
Verköstigungsweise zurückkehren läßt. 

In manchen Spitälern gilt für die Be¬ 
handlung der Ulcuskranken die Regel, daß 
nach Absolvierung der meist auf vier 
Wochen ausgedehnten Diätkur zur ge¬ 
wöhnlichen Ernährungsweise übergegan¬ 
gen werden soll, gleichsam als Prüfstein 
für den Erfolg der Kur. In der Mehrzahl 
der Fälle wird bei dem ruhigen Rekon¬ 
valeszentenleben diese volle Kost auch 
gut vertragen, und die Patienten können 
beschwerdefrei und mit der Überzeugung, 
daß der Magen wieder in Ordnung ge¬ 
bracht sei, das Spital verlassen. 

Man wird aber Zweifel hegen müssen, 
ob dieser Abschluß der Behandlung wirk¬ 
lich der richtige sei. Denn wenn wir über¬ 
zeugt sind, daß das Geschwür nicht ver¬ 
narbt ist und deshalb jederzeit leicht 
wieder weiterschreiten und aufs neue Be¬ 
schwerden machen kann, dann werden 
wir so viel wie möglich dahin zu wirken 
suchen, daß alles vermieden wird, was ein 
solches Wiederaufflackern des Ulcera- 
tionsprozesses begünstigen kann. Wir 
werden deshalb gut tun, den Ulcus- 
rekonvaleszenten nicht in der 
Überzeugung heimgehen zu lassen, 
daß sein Magen jetzt soweit in Ord¬ 
nung sei, daß er die Hausmannskost 
vertrage, sondern wir werden ihm 
raten müssen, daß er auch in Zu¬ 
kunft bei vorsichtiger Kost bleibe. 

Vorsichtige Kost in diesem Sinne heißt im 
wesentlichen: solche Kost, welche im Magen 
leicht in dünnbreiigen, emulsionsähnlichen Zu¬ 
stand übergeführt werden kann, und welche“ den 
Magen weder mechanisch noch chemisch reizt; 
also: Vermeiden von allem hartem (harte, un¬ 
genügend gar gekochte Kartoffeln und Wurzel¬ 
gemüse, gebratene, geröstete Kartoffeln, ungenü¬ 
gend zerkleinerte Kohlgemüse, rohes Obst) und 
von allem, was schlecht vom Magensaft durch¬ 
tränkt wird (frisches, namentlich schwarzes Brot, 
schwere Kloße und ähnliches); alle Speisen 
sollen so zubereitet sein, daß sie leicht 
mit der Gabel zerdrückt werden können; 
sie sollen mitMesser und Gabel gut zerkleinert, 
gut gekaut, langsam gegessen werden. 
Scharfe Gewürze, fette, alkoholreiche und gä¬ 
rende Speisen und Getränke sind zu vermeiden, 
ebenso sollen brennend heiße, aber auch eiskalte 
Speisen vermieden^ werden; vermieden werden 
soll schließlich die Überlastung und Überdehnung 
des Magens, also sollen die Einzelmahlzeiten und 
die dazu auf genommene Flüssigkeitsmenge nicht 
allzu groß sein, die tägliche Nahrung soll nicht 
] auf ein oder zwei Hauptmahlzeiten, sondern auf 

1* 



4 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


vier bis fünf kleinere, unter sich annähernd gleich 
voluminöse Einzelmahlzeiten verteilt werden. 

Das sind Vorschriften, die sich bei 
sehr vielen Menschen ohne allzu große 
Schwierigkeit im Alltagsleben durchfüh¬ 
ren lassen. 

Wenn es gelingt, die Befolgung dieser 
Regeln auch für die spätere Zeit durch¬ 
zusetzen, in der die Patienten keine Ulcus- 
beschwerden haben, dann werden wir den 
häufigen Ulcusrezidiven am ehesten Vor¬ 
beugen können. Ob wir sie durch diese 
Methode ganz vermeiden können, ist eine 
andere Frage. Und für die Fälle, bei 
denen die Rezidive sich wiederholen, wird 
eben doch die relative Indikation zur 
Operation mehr und mehr zur absoluten 
Indikation werden, zumal wenn auch die 
Blutungen rezidivieren, oder wenn ande¬ 
rerseits die äußeren Lebensverhältnisse 
eine zweckmäßige Lebens- und Ernäh¬ 
rungsweise erschweren. 

Ob neben den diätetischen Maßnahmen auch 
Medikamente die Heilung, Vernarbung und vor 
allem die Prophylaxe gegen neue Progredienz alter 
torpider Ulcera wesentlich unterstützen, wird 
immer noch verschieden beurteilt. Es ist kein 
Zweifel, daß Wismut, Belladonnapräparate, Al¬ 
kalien, Abführmittel, wohl auch Argentum nitri- 
cum bei der Bekämpfung der Ulcusbeschwerden 
oft gutes leisten. 

Aber solange wir über die näheren Entstehungs¬ 
ursachen der Geschwüre noch keine bestimmteren 
Kenntnisse haben, wird es schwer sein, rationelle 
medikamentöse Prophylaxe zu treiben. Die ur¬ 
sächlichen Beziehungen zu Hyperacidität und 
Hypersekretion sind zwar nicht sicher, aber immer¬ 
hin wahrscheinlich. Aber die Bestrebungen, die 
Hypersekretion zu bekämpfen, sind bisher noch 
wenig aussichtsvoll. Länger fortgesetzte Verab¬ 
reichung von Alkalien, Atropin, Perhydrol, Magne- 
siumperhydrol, Neutraion, Ölbehandlung, auch die 
neuerdings vorgeschlagene Röntengbestrahlung 
nutzen bei einigen Fällen, versagen aber bei der 
Mehrzahl. Über die von Gläßner empfohlene 


Behandlung mit gallensauren Salzen fehlen mir 
noch eigene Erfahrungen. 

Auch die besonders von Katzenstein ver¬ 
tretene Lehre, daß die Entstehung und Persistenz 
des Ulcus auf Antipepsinmangel beruhe, hat noch 
keine verwertbaren prophylaktischen Folgerungen 
gezeitigt. 

So sind wir in diesen Fragen im wesentlichen 
auf die allgemeinen ärztlichen Erfahrungen an¬ 
gewiesen, und diese sprechen immer noch am 
meisten für die alkalisch-salinischen und alkalisch- 
muriatischen Quellen (Kissingen, Homburg, Karls¬ 
bad, Mergentheim und andere). 

In den vorstehenden Ausführungen 
wurde versucht, aus den bisher vorliegen¬ 
den Ergebnissen der Röntgendiagnostik 
Schlüsse zu ziehen über Häufigkeit, Ver¬ 
laufsweise, Heilungsaussichten und La¬ 
tenzstadien des Magengeschwüres, und 
hieraus praktische Nutzanwendungen ab¬ 
zuleiten. 

Es ist zuzugeben, daß diese Schlüsse 
und diese praktischen Regeln im Prinzip 
nichts Neues darstellen, daß sie vielmehr 
durchaus übereinstimmen mit dem, was 
seit lange die pathologische Anatomie 
gelehrt hat und was auf Grund dieser 
anatomischen Erfahrungen von den Kli¬ 
nikern seit lange über die Häufigkeit, 
über die Neigung zum Latentbleiben, über 
die Chronizität des Magengeschwüres als 
Regel aufgestellt worden ist. Manche von 
diesen Regeln sind aber doch in die 
Praxis nicht vollständig eingedrungen 
oder sind durch verschiedenerlei Ein¬ 
flüsse im Laufe der Zeit etwas zurück¬ 
gedrängt worden; und deshalb ist es 
vielleicht von einigem Wert, aus den 
neuen Röntgenuntersuchungsmethoden, 
die hier nahezu eine Autopsia in vivo 
ermöglichen, die alten Regeln aufs neue 
zu bestätigen. 


Über die Beeinflussung der Herzfunktion, nachgewiesen durch 
die plethysmographische Arbeitskurve. 

Von Prof. Dr. Ernst Weber-Berlin. 


Auf Wunsch der Redaktion dieser 
Zeitschrift gebe ich hier einen kurzen Be¬ 
richt über den bezüglich der Therapie 
der Herzkrankheiten interessierenden Teil 
der Ergebnisse meiner während des Krie¬ 
ges im Reservelazarett Kunstgewerbe- 
Museum ausgeführten Untersuchungen 
an Herzkranken, über welche vor einigen 
Wochen in der Zeitschrift für experi¬ 
mentelle Pathologie und Therapie eine 
erschöpfende Abhandlung von mir er¬ 
schienen ist 1 ). 

x ) Separata der betr. Abhandlung können vom 
Verlag A. Hirschwald käuflich bezogen werden. 


Die auf die Diagnostik der Herz¬ 
krankheiten bezüglichen Ergebnisse kann 
ich hier nur mit sehr wenigen Worten be¬ 
rühren, ebenso auch die ziemlich schwie¬ 
rige Technik 4er Untersuchung und ver¬ 
weise in diesen Punkten auf die erwähnte 
Abhandlung. 

In einem kurzen Aufastz, den ich in 
der entsprechenden Nummer des Vor¬ 
jahres in dieser Zeitschrift publizierte, 
über die Anwendung der gleichen Me¬ 
thodik zum Nachweis von solchen Stö¬ 
rungen der Gefäßnerven, die nicht mit 
Herzkrankheiten Zusammenhängen, findet 





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(Wiener Klin. Wochenschrift Nr. 43/44, 1894.) 
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12 







Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


5 


«ich Einiges, das auch hier von Bedeutung 
ist. 

Die seit 10 Jahren von mir ausgebildete 
Methode (siehe die Abbildung 1) besteht 



Schema der Versuchsanordnung bei sitzenden Patienten. 
<Alle Kurven sind, im Gegensatz zu den Verhältnissen 
obiger Abbildung, von links nach rechts zu lesen). 

in Registrierung des Armvolums mit 
gleichzeitiger Aufnahme der dazu unent¬ 
behrlichen Atmungskurve während der 
Ausführung einer kräftigen, aber völlig 
lokalisierten Muskelarbeit, die in schnell 
abwechselnder Plantar- und Dorsalflexion 
-des frei Jungenden Fußes besteht.. 

Nach meinen Feststellungen zeigt sich 
heim Normalen während dieser Arbeit 
■immer eine Zunahme der arteriellen Blut- 
•fülle sämtlicher äußerer, muskulärer 
Teile des Körpers (ausgenommen die des 
Kopfes), die einen überaus zweckmäßigen 
Vorgang für die Ausdauer in der Arbeit 
darstellt und sogleich nach Beendigung 
der Arbeit wieder zur Norm zurückkehrt. 
Das Eintreten dieses normalen Vorganges 
•erkennt man an dem Steigen und folgen¬ 
den prompten Absinken der Volumkurve 
des Armes; die Registrierung des von mir 
gleichzeitig gemessenen Verhaltens der 
Bauchgefäße und Gesichtsgefäße ist nicht 
unbedingt nötig. 

Der Vorgang wird bewirkt . einmal 
durch aktive Erweiterung sämtlicher 
äußerer Blutgefäße (unter gleichzeitiger 
Verengerung der Bauchgefäße) infolge 
von Erregung der Gefäßzentren im Gehirn 
von der motorischen Rindenzone aus und 
zweitens durch gleichzeitige Verstärkung 
der Herztätigkeit, die während der Arbeit 
mehr Blut, als vorher, in die Peripherie 
wirft und nach der Arbeit schnell wieder 
zurückfließen läßt. 


Störungen aller beteiligten Organe 
verändern das Bild der entstehenden 
plethysmographischen Arbeitskurve in 
jedesmal charakteristischer Weise. 

Bei Veränderungen der Zusammen¬ 
setzung des Blutes werden bei genügendem 
Grade der Veränderung die von ihm 
durchspülten motorischen Hirnrindenteile 
in der Weise geschädigt, daß sie die bei der 
Arbeit des Fußes die in ihnen entstehen¬ 
den Erregungen in umgekehrter Weise 
zum Gefäßzentrum weiterleiten, so daß 
eine Verengerung der äußeren Blutgefäße, 
also umgekehrte Gefäßreaktion, während 
der Muskelarbeit entsteht mit allen hier 
nicht zu erörternden Nachteilen. Wir 
erkennen das an der Senkung der Volum¬ 
kurve, die also negativ ausfällt. Das kann 
bei allen möglichen Vergiftungen des 
Blutes eintreten, daher auch bei dem 
Überhandnehmen der Kohlensäure (und 
anderen abnormen Beimischungen) in den 
Fällen, wenn ein insuffizientes Herz nicht 
mehr eine genügende Arterialisierung des 
Blutes bewirken kann. Natürlich muß 
man in einem solchen Falle erst die 
anderen Möglichkeiten von Vergiftungen 
des Blutes (auch Stoffwechselkrankheiten 
stärkeren Grades) ausschließen. 

Die Schädigung des Gefäßcentrums 
kann auch nach Wiederherstellung der 
normalen Blutzusammensetzung nach 
längerer Zeit mit allen unangenehmen 
Begleiterscheinungen (Schwäche, Kopf¬ 
schmerzen) bestehen, verschwindet aber 
sofort nach Anwendung von Wechsel¬ 
duschen (siehe darüber meine Abhandlung 
in der Januarnummer dieser Zeitschrift 
des Vorjahres), was diagnostisch hier 
wichtig ist. 

Bei Stauungen im venösen Teil 
des großen Kreislaufes ist natur¬ 
gemäß der Rückfluß des während der 
Arbeit in vermehrter Menge in die Peri¬ 
pherie geworfenen Blutes zum Herzen 
erschwert, und es drückt sich dies durch 
einen sehr verzögerten Abfall der vorher 
angestiegenen Arbeitskurve aus. 

Bei Hypertrophie des linken Ven¬ 
trikels dauert im Gegensatz dazu der 
Anstieg der Kurve bis* weit über das 
Ende der Muskelarbeit hinaus, wozu die 
Erklärung hier zu geben zu weit führen 
würde. Dabei kann man deutlich er¬ 
kennen, wie weit die vor der Entwicklung 
der (infolge der Krankheit entstandenen) 
Hypertrophie vorhandene Insuffizienz des 
Herzens beseitigt ist. 

Da durch geistige Ermüdung, Nerven- 
shock, oder durch die verschiedenen 



6 


Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917* 


funktionellen Nervenleiden ~ttie plethys¬ 
mographische Arbeitskurve in keiner 
Weise verändert wird, ist sie ein sicheres 
Mittel, auf objektive Weise nervöse 
Herzkrankheiten von organischen 
zu trennen. 

Ferner kann man dadurch genau das 
Maß von Anstrengung jeglicher Art 
bestimmen, das einHerzkranker ohne 
Schädigung seines Herzens noch 
leisten kann, denn bei Schädigung 
seines Herzens durch eine beliebige Tätig¬ 
keit drückt sich dies genau an der nach der 
Tätigkeit aufgenommenen Kurve aus im 
Vergleich zu der vor der betreffenden 
Tätigkeit aufgenommenen entsprechenden 
Kurve. Über alles dieses ist Genaueres 
in der erwähnten ausführlichen Abhand¬ 
lung einzusehen. 

Sicherlich nicht der unwichtigste 
Nutzen, den die Anwendung der neuen 
Untersuchungsmethode gewährt, ist die 
Möglichkeit, dadurch eine neue objektive' 
Kontrolle der Wirkung der verschiedenen 
therapeutischen Maßnahmen bei Herz¬ 
kranken zu gewinnen. 

Zugleich ist die Tatsache, daß bei 
den Kranken die Kurven, die vorher in 
einer der oben erörterten pathologischen 
Formen auftraten, nach Anwendung sol¬ 
cher Mittel, deren günstige Wirkung auf 
das Herz bekannt ist, nach der normalen 
Richtung hin verändert, ja auf gewisse 
Zeit völlig normal gemacht werden können, 
geeignet, die letzten Zweifel darüber zu 
zerstreuen, ob die von mir als pathologisch 
bezeichneten Kurvenformen wirklich mit 
der Herzkrankheit Zusammenhängen. 
Wenn solche Zweifel noch bestanden, 
obwohl die betreffenden pathologischen 
Kurven zum großen Teil überhaupt nur 
bei Herzkranken sich finden, zum anderen 
Teil nur noch bei bestimmten anderen 
Veränderungen der Blutzusammensetzung 
Vorkommen, die nicht mit Herzkrank¬ 
heiten verwechselt werden können, und 
obwohl das pathologische Moment in den 
einzelnen Kurven bei Verschlechterung 
des Zustandes, z. B. nach Überanstren¬ 
gung des Herzens, regelmäßig stärker als 
vorher hervortritt, so dürften diese Zweifel 
kaum im Hinblick auf das hier zu er¬ 
örternde Material aufrecht erhalten wer¬ 
den können. 

Außer der Wirkung von Sauerstoff¬ 
atmung und von Kältereizen unter¬ 
suchte ich vorläufig die der Medika¬ 
mente (per injectionem und per os), die 
der Phlebostase, nur einige Male die 
der Herzdiathermie, ferner die der 


manuellen Herz- und Bauchmassage, 
die der Kirchbergschen Saug-Druck- 
Bauchmassage und die der Kohlen¬ 
säurebäder. 

In gewissem Sinne kann die Wirkung 
der Sauerstoffatmung auch zu den 
therapeutischen Maßnahmen gerechnet 
werden, denn negative Kurven bei Herz¬ 
kranken können bei Ausführung der¬ 
selben Muskelarbeit während der Ein¬ 
atmung von Sauerstoff wieder positiv 
werden, wenn es sich dabei auch nur um 
eine ganz vorübergehende Wirkung han¬ 
delt. Auch diese Wirkung erweist die 
Richtigkeit der Annahme, daß die ne¬ 
gative Kurve bei Muskelarbeit schwer 
Herzkranker durch eine Schädigung der 
motorischen Hirnrinden-Regionen durch 
das nicht mehr hinreichend arterialisierte 
Blut verursacht wird. 

Von der Anwendung von Kältereizen, 
die eine ganz besonders starke bahnende 
Wirkung auf die Gefäßzentren und ihre 
Verbindungen haben, kommt bei Herz¬ 
kranken nicht die kräftigere Wechsel- 
dusche, sondern wohl nur die stunden¬ 
lange Benutzung einer Eisblase in Be¬ 
tracht, die alle zwei Minuten an einer 
anderen Stelle des Körpers angelegt wird, 
damit immer frische Kältereize zum Ge¬ 
hirn gelangen. Die Wirklng dieser Ma߬ 
nahme besteht in der Beseitigung der 
Funktionshemmung der Gefäßzentren im 
Gehirn bei solchen Herzkranken, bei 
denen als Nachwirkung eines früheren 
Herzleidens noch eine Störung des vaso¬ 
motorischen Innervationsmechanismus 
vorhanden ist, die sich in negativer Kurve 
bei Muskelarbeit und den davon ab¬ 
hängigen Nachteilen ausdrückt, und völlig 
durch eine mehrstündige Anwendung der 
Kältereize beseitigt werden kann. 

Tritt nach wiederholter Anwendung 
keine dauernde Wirkung ein, so ist dies 
ein Beweis, daß der pathologische Zu¬ 
stand des Herzens noch in voller Stärke 
fortbesteht. 

Abgesehen von der Beseitigung der¬ 
artiger Funktionshemmungen scheint aber 
diese Maßnahme einen gewissen, wenn 
auch nur zeitweiligen Wert bei be¬ 
stehender schwerer Erkrankung zu haben. 
Ich habe in mehreren Fällen, bei denen 
negative Kurve bei starker Herzver¬ 
größerung bestand, nach der Anwendung 
der Prozedur die Kurve einige Stunden 
lang und nach mehrtägiger Anwendung 
mehrere Tage lang schwach positiv wer¬ 
den sehen. Die Wirkung ist sicherlich 
so zu verstehen, daß die Gefäßcentren 



Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


7 


im Gehirn durch die Kältereize günstig 
beeinflußt werden, so daß sie einige Zeit 
lang der in gleicher Weise wie vorher 
auf sie einwirkenden Schädlichkeit des 
ungenügend arterialisierten Blutes wider¬ 
standsfähiger gegenüberstehen als vorher. 
Nur wenn diese ursächliche Schädigung 
schon verschwunden oder stark gemindert 
ist, kann eine Dauerwirkung infolge dieser 
Behandlung eintreten. 

Die bekannteste und am meisten 
sicherstehende Behandlungsmethode bei 
Herzkrankheiten ist die durch Medika¬ 
mente, deren Wirkung auf die pathologi¬ 
schen Kurven also gewissermaßen der 
Prüfstein für die neue Untersuchungs¬ 
methode sein mußte. Die Wirkung war 
in der Tat sowohl an negativen Kurven, 
als auch an den pathologisch geformten 
positiven Kurven sehr deutlich zu er¬ 
kennen. 

Kranke mit Vergrößerung des Herzens 
beiderseits, starken Insuffizienzerschei¬ 
nungen und bei jeder Untersuchung auf¬ 
tretender stark negativer (sinkender) ple¬ 
thysmographischer Arbeitskurven zeigten 
nach Injektion von 0,0005 Strophantin in 
die- Vene bei der nach wenigen Minuten 
aufgenommenen Arbeitskurve fast völlig 
normale, ansteigende Kurven, was genau 
mit der Besserung des Befindens über¬ 
einstimmte. Der Erfolg verminderte sich 
allerdings schon nach %—1 Stunde und 
war am nächsten Tage nicht mehr durch 
die Kurven nachweisbar. 

Daß so unmittelbar eine stark nega¬ 
tive Kurve in eine positive verwandelt 
werden kann, zeigt, daß selbst in solchen 
schweren Fällen die Gefäßzentren nicht 
in ihrer Funktionsfähigkeit dauernd ge¬ 
schädigt sind, sondern daß sie sofort 
normal funtionieren, wenn die Blut¬ 
beschaffenheit eine bessere wird, wie es 
infolge der Anregung der Herztätigkeit 
durch Strophantin geschieht. Ich er¬ 
wähne noch, daß in diesen Fällen die 
Anwendung von Kältereizen durch Eis¬ 
beutel durchaus keine Wirkung gehabt 
hatte, was auf die Schwere des bestehen¬ 
den Herzleidens hindeutet. 

Ebenso sah ich durch mehrtägige 
Gaben von Digitalis in Fällen von Herzver¬ 
größerung mit Insuffizienzerscheinungen 
und schweren venösen Stauungen nega¬ 
tiven oder träge abfallende Kurven in 
der Weise gebessert werden, daß sie dann 
positiv oder steil abfallend geworden 
waren, immer genau der subjektiven 
Besserung entsprechend. In mehreren 


Fällen Mieb aber auch jede Wirkung 
nach beiden Richtungen aus. 

In zehn Fällen von Herzvergrößerung 
mit oder ohne Klappenfehler, von Myo- 
karditisj oder Adipositas cordis habe ich 
ferner die Liliensteinsche „Phlebostase“ 
angewendet. (M. Kl. 1912, Nr. 8.) 

Der sehr bestechende Gedanke dieser 
Methode ist der, die vom Herzen zu be¬ 
wegende Blutmenge im Körper für einige 
Minuten dadurch zu verkleinern, daß 
man. beide Arme am Oberarm so fest 
umschnürt, daß der venöse Rückfluß 
unterbunden ist, und-das geschwächte 
Herz dann imstande ist, die so ver¬ 
minderte Blutmenge in bessere Circulation 
zu bringen, Stauungen zu beseitigen usw. 

Ich untersuchte die Kranken sowohl 
bei Muskelarbeit vor und nach der An¬ 
wendung der Phlebostase, als auch 
während der Arbeit selbst. Ich konnte 
aber in neun von den zehn Fällen keine 
Wirkung auf die Kurve feststellen, .weder 
auf träge Kurven, also bei venöser Stau¬ 
ung, noch bei negativen Kurven, die 
ja auch durch bessere Arterialisierung 
des Blutes beeinflußt werden. Dieser 
negative Erfolg trat auch bei solchen 
Kranken ein, die nachweislich durch 
andere therapeutische Maßnahmen sehr 
gut beeinflußt wurden. Auch das sub¬ 
jektive Befinden war keineswegs ge¬ 
bessert. Nur in einem Falle eines 50jähri¬ 
gen Mannes mit schwerer Arteriosklerose, 
Herzerweiterung (Blutdruck 170) und 
chronischer Herzinsuffizienz war eine 
deutliche Besserung in subjektiver wie 
objektiver Hinsicht festzustellen. Die 
vorher keinen Anstieg zeigende Arbeits¬ 
kurve zeigte dann einen deutlichen, kräf¬ 
tigen Anstieg. 

Es scheinen also nur sehr wenige 
Kranke durch die Methode so günstig 
beeinflußt zu werden, wie durch andere 
Behandlungsarten, immerhin scheint das 
Prinzip als solches nicht unrichtig zu 
sein. 

Die Wirkung der Herzdiathermie habe 
ich erst an sehr wenig Personen unter¬ 
sucht, die außerdem erst % Stunde später 
zur Untersuchung kamen und einen Weg 
zurückzulegen hatten. Trotzdem habe 
ich in einem Falle eine geringe günstige 
Wirkung beobachtet. Weitere Unter¬ 
suchungen darüber sind nötig. Eine be¬ 
sonders günstige Wirkung konnte ich von 
der Herz- und Bauchmassage feststellen, 
und zwar sowohl von der manuellen 
Bauchmassage, als auch in noch höherem 



8 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


Grade von der F. Kirchbergschen 
Saug-Druckmassage. 

Die günstige Wirkung der Herz- und 
Bauchmassage bei Herzkrankheiten ist 
schon sehr lange bekannt und in den 
letzten Jahrzehnten wieder viel auf¬ 
genommen und beschrieben worden, be¬ 
sonders auch Von französischer Seite 
(Huchard u. a.). Auch eine Ver¬ 
kleinerung des pathologisch erweiterten 
Herzens durch Massage, die durch das 
Röntgenbild nachgewiesen werden kann, 
ist bereits vor einem Jahrzehnt be¬ 
schrieben worden. 

Daß durch kräftiges Klopfen der 
Brustwand über dem Herzen die Herz¬ 
tätigkeit zeitweilig zu stärkerer Tätigkeit 
angeregt wird, so daß venöse Stauungen 
zeitweilig vermindert oder beseitigt wer¬ 
den, und eine bessere Arterialisierung des 
Blutes bewirkt werden kann, ist leicht zu 
verstehen. Schwerer zu erklären ist die 
Wirkung der tiefen (nur eine solche 
kommt in Betracht) Bauchmassage, bei 
der neben der geringen Beeinflussung des 
Herzens durch das Zwerchfell hindurch 
wohl besonders eine Beeinflussung der 
Blutgefäße eine Rolle spielt, auf die ich 
hier nicht näher eingehen will. 

Am günstigsten wirkt die Klopf¬ 
massage des Herzens bei den Fällen mit 
starker venöser Stauung, die sich, wie 
oben erwähnt, durch eine zu träge ab¬ 
fallende plethysmographische Arbeits¬ 
kurve kennzeichnen. 

In diesen Fällen ist sehr häufig nach 
der Herzmassage der Abfall der Kurve, 
also der Rückfluß des Blutes von der Peri¬ 
pherie zum Herzen, ein prompter, aber 
diese Wirkung ist meist nur sehr wenig 
nachhaltig, bringt aber zeitweilig bedeu¬ 
tende Erleichterung. Auch die schwereren 
Fälle von insuffizienten Herzen, unter 
denen ich hier die verstehe, bei denen 
sich infolge ungenügender Arterialisierung 
des Blutes eine negative Arbeitskurve 
findet, können bisweilen, aber keines¬ 
wegs immer., durch Herzmassage so be¬ 
einflußt werden, daß sich eine schwach 
positive Kurve zeigt, aber hier ist der 
Erfolg noch weniger dauernd. 

Bei Hypertrophie des linken 
Ventrikels dagegen scheint mir die 
Herzmassage nur mit großer Vor¬ 
sicht anwendbar. 

Verschiedene .Male sah ich, daß das 
pathologische Zeichen der Arbeitskurve 
für solche Fälle, die nicht insuffizient sind, 
das in einem das Ende der Fußarbeit 
überdauerndem Ansteigen der Kurve be¬ 


steht, hach Herzmassage in noch ver¬ 
stärktem Maße auftritt, wie das auch 
theoretisch zu verstehen ist, wenn ich 
hier andeute, daß dieses nachträgliche 
Ansteigen der Kurve von der verstärkten 
und über das normale Maß hinaus ver¬ 
längerten Arbeit des hypertrophierten 
linken Ventrikels abhängt. (Siehe da¬ 
rüber die erwähnte ausführliche Abhand¬ 
lung.) Da durch die Herzmassage zweifel¬ 
los der Herzmuskel zeitweilig zu ver¬ 
stärkter Tätigkeit angeregt wird, ist es 
verständlich, daß besonders der linke 
Ventrikel daran Teil hat, und die durch 
seine verstärkte 'Tätigkeit schon vorher 
verursachte pathologische Form der Ar¬ 
beitskurve dann in verstärktem Maße 
auftritt. 

Ich illustriere diese neue Feststellung 
durch die Abbildungen 2a, 2b, 2c. Es 
handelt sich um einen Fall von Ver¬ 
größerung des Herzens nach links und 
rechts. 

Abb. 2a zeigt die Arbeitskurve des 
Kranken in frischem Zustande, eine nach 
dem Ende der Fußarbeit noch weiter 
ansteigende Kurve mit trägem Abfall. 
Wäre an der Kurve nur ein träger Abfall 
vorhanden gewesen ohne nachträgliches 
Ansteigen, so wäre die Kurve durch Herz¬ 
massage wahrscheinlich normal oder 
kürzer geworden. So aber sehen wir, 
daß nach der Herzmassage die nachträg¬ 
liche Ansteigung, wie Abb. 2b zeigt, 
noch weit stärker geworden ist, was 
zweifellos als eine Schädigung aufzufassen 
ist, denn die in übertriebener Weise über 
das Ende der Fußarbeit hinaus verlängerte 
verstärkte Herzarbeit bedeutet eine un¬ 
nötige Inanspruchnahme des Herzmuskels, 
während die mäßig verstärkte Herz¬ 
arbeit, wie sie das geringere nachträgliche 
Ansteigen der Kurve im frischen Zustande 
zeigte, ebenso wie die sie verursachende 
Hypertrophie des linken Herzens als ein 
eminent nützlicher Vorgang aufzufassen 
ist, da durch das während der Fußarbeit 
mit größerer Energie in die Peripherie 
hinausgeworfene Blut die früher sich in¬ 
folge der ungenügenden Arterialisierung 
des Blutes während der Muskelarbeit ver¬ 
engenden peripheren Gefäße gewaltsam 
ausgedehnt werden und die arbeitenden 
Muskeln die ihnen zur Arbeit nötige 
größere Biutdurchströmung erhalten. 
(Siehe die erwähnte ausführliche Ab¬ 
handlung.) 

. Wie Abb. 2c zeigt, konnte aber der 
durch die Herzmassage in diesem Falle 
gesetzte Schaden sofort wieder gut ge- 



Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


9 


macht werden durch Anwendung der 
Bauchmassage, in diesem Falle der Saug- 
Druck-Bauchmassage, nach deren An¬ 
wendung die Kurve fast völlig|>normal 
wurde. 


sagen anderer Heilmethoden), da es 
darauf hinweist, daß das Herz nicht 
mehr imstande ist, durch die betreffende 
Beeinflussung in seiner Funktion so weit 
verbessert zu werden, daß für einige Zeit 





Arm- I 
volumea I 




Atmung 




WwMMMiWMM/J 


Abb.2a. Arbeitskurve im frischen Zustand des Patienten. 


Die tief¬ 
gehende 
(nur diese) 
manuelle 
Bauch- 
massage 
leistet nicht 
nur in allen 
Fällen das¬ 
selbe, wie die 
direkteHerz- 
massage, 
sondern sie 
übertrifft sie 
bezüglich 
der Dauer 
und Stärke 
ihrer Wir¬ 
kung bedeu¬ 
tend, so daß 
sie in jeder 
Beziehung 
vorzuziehen 
ist. 

Die gün¬ 
stige Wir¬ 
kung ist na¬ 
türlich bei 
weitem nicht 
in allen Fäl¬ 
len vorhan¬ 
den, und das 
dürftefürdie 
betreffenden 
Fälle von 
nicht zu 
unterschät¬ 
zender dia¬ 
gnostischer 
Bedeutung 
sein (ebenso 
wie das Ver¬ 



Abb. 2 c. Arbeitskurve ‘ nach Aufführung der 
Kirchbergschen Saug-Druck-Bauchmassage. 

Abb. 2. Fall von zweijähr. Herzkrankheit mit Vergrößerung 
desjHerzens nach links u. rechts, ln der Zeit vom Zeichen + 
bis —findet jedesmal die lokaleMuskelarbeit desFußes stktt. 

eine venöse Stauung beseitigt oder eine 
bessere Arterialisierung des Blutes be¬ 
wirkt werden kann. " 

Als stärkste Wirkung ist dabei immer 
die anzusehen, bei der eine vorher nega¬ 
tive Kurve durch die Behandlung wieder 
positiv wird. (Siehe Abb. 3.) 

Die günstigen Wirkungen dauern na¬ 
türlich zunächst immer nur kurze Zeit 
an. Die Wirkungen der Herzklopf¬ 
massage sind an der Kurve fast immer 
nach zwei Stunden schon verschwunden 
oder fast verschwunden. Die der ersten 
manuellen Bauchmassagen sind nach¬ 
haltiger, aber doch nur in Ausnahme¬ 
fällen bei trägen Kurven noch am nächsten 
Tage an den Kurven zu erkennen, nie¬ 
mals aber bei negativen Kurven. In¬ 
dessen ist es schon von vornherein wahr¬ 
scheinlich, daß solche Einwirkungen, die 
in der einzelnen Anwendung eine so 
außerordentlich günstige Wirkung in sub¬ 
jektiver und objektiver Weise zunächst 
auf Stunden oder halbe Tage haben, bei 
längerer systematischer Anwendung eine 
längere, in gewissen Fällen womöglich 
Dauerwirkung haben können, wenn auch 

2 






10 


t * I 

Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


bei den schwereren organischen Erkran¬ 
kungen natürlich nur von starker .Besse¬ 
rung der Funktion gesprochen werden 
kann. 

Ich habe zum Beispiel mehreren 
Fällen von im Kriege erworbener venöser 
Stauung mit leichter Vergrößerung des 
Herzens mehrere Wochen täglich Bauch¬ 
massage geben lassen und festgestellt, 
daß nach zwei bis drei Wochen die Kurve 
völlig normal blieb, auch nachdem die 
Bauchmassage ausgesetzt wurde. Die 
Kranken wurden regelmäßig wieder unter¬ 
sucht und die Arbeitskurven waren noch 
mehrere Wochen nach Beendigung der 
Behandlung normal. 

Da in diesen Fällen das Leiden vorher 
monatelang bestanden hatte, ohne sich 
zu bessern, ist zweifellos die Massage als 
Ursache der Besserung anzusehen, wie 
sie auch bei Rückfällen in anderen Fällen 
nach vorzeitigem Aussetzen der Behand¬ 
lung jedesmal von neuem wieder ihre 
Wirkung bewies. 

Eine in gewisser Beziehung noch 
stärkere und sicher gleichmäßigere Wir¬ 
kung als die manuelle Bauchmassage 
scheint die Saugdruckmassage des Herrn 
Dr. F. Kirchberg (Ther. Mh., Februar 
1915, und frühere Publikationen) zu be¬ 
sitzen. 

Die Methode besteht darin, daß eine 
das Abdomen umspannende Glasglocke 
durch eine mit besonderem Ventil ver¬ 
sehene Preßluftbombe abwechselnd unter 
so kräftige Saug- und Druckwirkung ge¬ 
setzt wird, daß die Bauchwand mit den 
darunter liegenden Organen mit beträcht¬ 
licher Kraft abwechselnd hoch in die 
Saugglocke hinaufgezogen und wieder 
unter das anfängliche Niveau hinab¬ 
gedrängt wird. Nachdem dies 15 Minuten 
lang ausgeführt ist, wird die Glocke so 
stark evakuiert, als es der Patient ver¬ 
trägt, und 15 Minuten lang in diesem 
Zustand belassen. 

Ich habe zahlreiche Patienten bei 
dieser Behandlung untersucht, wobei er¬ 
schwerend hinzu kam, daß sie nach der 
Behandlung den Weg zu meinem Labo¬ 
ratorium zurückzulegen hatten, und fest¬ 
gestellt, daß die günstige Wirkung der 
manuellen Bauchmassage durch diese Be¬ 
handlung bisweilen noch übertroffen 
wurde. Es zeigte sich dies am deutlichsten 
dadurch, daß in mehreren Fällen, bei 
denen ein günstiger Erfolg an der Kurve 
nach der manuellen Bauchmassage aus¬ 
geblieben war, er nach der Saugdruck¬ 


massage nachweisbar war. Dabei war 
keineswegs die Ursache des vorherigen 
negativen Erfolges eine etwa zu schwache 
Ausführung der manuellen Massage, im 
Gegenteil habe ich verschiedene Male 
dann einen besseren Erfolg der manuellen 
Bauchmassage gesehen, wenn sie bei 
einzelnen Patienten in abgeschwächter 
Weise ausgeübt wurde. Daß andererseits 
eine oberflächliche, nicht eindringende 
Bauchmassage keine Wirkung hat, habe 
ich schon erwähnt. Wenn die bessere 
Wirkung der Saugdruckmassage nicht 
in anderen unbekanriten Ursachen liegt, 
ist sie vielleicht in der gleichmäßigeren 
Wirkung begründet, die in jedem Falle 
den großen Vorzug hat, daß man dabei 
in keiner Weise mefir von der guten oder 
schlechten Art der Ausführung der tiefen 
Bauchmassage abhängig ist. 

Ich habe eine Reihe von Versuchen 
in der Weise angestellt, daß ich dieselben 
Patienten einige Male nur mit dauerndem 
Ansaugen des Bauches behandeln ließ 
und dann nur mit abwechselndem Saug- 
und Druckverfahren, um festzustellen, 
welche von beiden Behandlungsteilen die 
wirksamere ist. Es zeigte sich, daß das 
dauernde Ansaugen allein keine beträcht¬ 
liche Wirkung hat, wohl aber das ab¬ 
wechselnde Saugdruckverfahren. Ob 
die Verbindung beider noch besser ist, 
kann ich nicht entscheiden. Es geht 
daraus hervor, daß die Änderung der 
Blutverteilung allein, durch die das Blut 
zu den Bauchorganen gesaugt wird, nicht 
das wirksame Prinzip ist, sondern daß 
die rhythmische Bewegung des Saugens 
und Drückens hinzukommen muß. 

Die Überlegenheit der Saugdruck¬ 
methode über die manuelle Massage des 
Bauches zeigte sich deutlich auch in 
einem Falle, bei dem ich durch die letztere 
eine träge Kurve immer nur auf einen 
halben Tag normal werden sah, nach der 
ersteren dagegen auf zwei Tage, in ab¬ 
geschwächter Weise sogar auf drei Tage. 
(In diesem Falle war schon eine längere 
manuelle Massagebehandlung bereits vor¬ 
ausgegangen.) 

Bei verschiedenen Fällen von Herz¬ 
vergrößerung mit Insuffizienz und nega¬ 
tiver Arbeitskurve kam es nach den 
ersten Anwendungen der Saugdruck¬ 
massage zu großer Unruhe in der Volum¬ 
kurve mit sehr starken Schwankungen der 
peripheren Blutfülle, die aber schon gegen¬ 
über dem vorherigen Sinken während der 
Arbeit einen Fortschritt darstellte, ln 
diesen Fällen zeigte sich dann nach 



Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


11 


mehreren Tagen eine ruhige, gegen vor¬ 
her sehr gebesserte Kurve. - 

Sowohl träge, als negative als auch 
bisweilen nachträglich ansteigende Kur¬ 
ven werden durch diese Behandlung in 
vielen Fällen sehr günstig beeinflußt. 
Die nachträglich ansteigenden Kurven 
in der Weise, daß das Ausbleiben der 
Verengerung der Muskelgefäße unter der 
Wirkung der Behandlung die über die 
Norm gesteigerte Tätigkeit des linken 
Ventrikels unnötig macht, was sich in 
der Kurve deutlich ausdrückt. Näheres 
darüber ist in meiner ausführlichen Ab¬ 
handlung einzusehen. 

Wie es nicht anders zu erwarten'ist, 
habe ich aber* auch bei Anwendung der 
Saugdruckmassage zahlreiche Fälle be¬ 
obachtet, die unbeeinflußt dadurch blie¬ 
ben. So wurden unter anderem zwei Fälle 
von Mitralinsuffizienz mit Herzvergröße¬ 
rung, Insuffizienz und negativer Ärbeits- 
kurve, der eine in zwei, der andere in¬ 
dreiwöchiger Saugdruckbehandlung in 
keiner Weise beeinflußt, die an den 
Kurven nachweisbar gewesen wäre. 

ln mehreren Fällen ging die günstige 
Beeinflussung nur bis zu einem be¬ 
stimmten Punkte und wurde dann durch 
Hinzukommen einer anderen Behand¬ 
lungsart verstärkt, in der Mehrzahl der 
Fälle war aber der Erfolg durch die 
Saugdruckbehandlung ein sehr guter. 
Nur bei Hypertrophie des linken 


In einem Falle von Mitralinsuffizienz, 
bei dem Massage wirkungslos blieb, und 
in einem anderen Falle, bei dem der Er¬ 
folg der Massage nur gering war, sah ich 
guten Erfolg eintreten nach der An¬ 
wendung von Kohlensäurebädern, 
deren günstige Wirkung bei Herzkranken 
ja ebenso unangefochten ist, wie die der 
Arzneimittel. Ich untersuchte die Wir¬ 
kung auch an einer Reihe anderer Kranker 
und bei Benutzung der verschiedenen 
Arten der hier anwendbaren Bäder. 

Ein Beispiel zeigt Abb. 3, die von 
einem Falle von beiderseitiger Herzver¬ 
größerung mit Insuffizienz und negativer 


Vol. 


f* 


Atm. 




Abb. 3a. 

Unmittelbar vor dem]Kolilensäurebad (Sandow-Salz). 

Arbeitskurve herrührt. Abb. 3 a zeigt die 
Kurve unmittelbar vor dem Bade, Abb.3b 
die Kurve bei der gleichen Muskelarbeit 


Volumen 




■i i . 4. V 4- ■ v 


Atmung 



Abb. 3b. V« Stunde nach Kohlensäurebad (Sandow-Salz). 

Abb. 2. Fall von Vergrößerung des Herzens beiderseits mit deutlichen Zeichen für Insuffizienz 
und mit regelmäßig negativer Arbeitskurve. (Von + bis — dauert jedesmal die Fußarbeit.) 


Ventrikels ist häufig kein günstiger Ein¬ 
fluß festzustellen. 

Ich habe die Wirkung der beiden 
Arten der Bauchmassage deshalb etwas 
ausführlicher besprochen, weil ihre Wir¬ 
kung bei Herzkrankheiten nicht so be¬ 
kannt und anerkannt ist, wie die anderer 
therapeutischer Maßnahmen, und ich 
daher über die sehr häufigen guten Er¬ 
folge überrascht war. 


% Stunde nach einem zehn Minuten 
dauernden Kohlensäurebade von 32° C, 
das mit Sandow-Salz zubereitet war. 
Die vorher dauernd negative Kurve war 
nach dem Bade, wie die Abbildung 3b bei 
dreimaliger Wiederholung der Arbeit zeigt, 
sehr schön normal geworden. 

Eine Stunde nach diesem ersten Bade 
war bei dem Kranken immer noch eine, 
wenn auch schwächer, aufsteigende Kurve 

2* 





12 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


bei der Arbeit vorhanden, aber am anderen 
Tage war kaum noch eine Wirkung fest¬ 
zustellen. 

In mehreren anderen Fällen habe ich 
dagegen beobachtet, daß unmittelbar 
nach dem Bade noch keine Besserung der 
Kurve vorhanden war, sondern daß sie 
erst nach einer halben oder einer ganzen 
Stunde von Ruhe nach dem Bade deut¬ 
lich an der Kurve nachweisbar war. 

Ein Fall, der durch keine der anderen 
therapeutischen Maßnahmen bedeutend 
gebessert war, zeigte nach zwölf Kohlen¬ 
säurebädern eine nachhaltige Besserung 
der Kurve auch bei Aussetzen der Bäder. 
Ähnliche, wenn auch geringere Besserung 
der Kurve zeigte unter anderem ein 
älterer Fall von Myokarderkrankung. Ein 
Fall von Mitralinsuffizienz, der durch 
Massage nicht beeinflußt wurde, zeigte 
eine Stunde nach einem Bad anstatt der 
negativen Kurve eine schwach ansteigende 
und auch am nächsten Tage wenigstens 
keine ausgesprochene Senkung der Kurve, 
wie vorher immer. Im Gegensätze dazu 
untersuchte ich allerdings auch einen 
Fall von Hypertrophie des linken Ven¬ 
trikels mit nachträglich ansteigender 
Kurve, der von der Saugdruckmassage 
günstig beeinflußt wurde, der nach einem 
Sandow-Kohlensäurebad zunächst eine 
negative Kurve nach einer Stunde Ruhe 
eine stärker als vor dem Bad, nachträg¬ 
lich ansteigende Kurve und am nächsten 
Tag noch immer .eine schwach negative 
Kurve zeigte, die erst am folgenden Tage 
wieder so wurde, wie vor dem Bade. In 
diesem Falle war also sicher ein un¬ 
günstiger Einfluß des Bades, das in völlig 
normaler Weise im Hause meines Labo¬ 
ratoriums verabreicht worden war, fest¬ 
zustellen. 

Ich bemerke endlich noch, daß ich 
bei Benutzung der verschiedenen Arten 
von Kohlensäurebädern durch dieselben 
Patienten einige Male deutlich einen 
weniger günstigen Einfluß der Zeo-Bäder 
sah, die einige Male im Vergleich zu der 
Wirkung der Sandow-Bäder ganz ver¬ 
sagten. 

Diese Beispiele dürften genügen, um 
zu zeigen, daß man mit Hilfe der neuen 
Untersuchungsmethode in objektiver 
Weise die Wirkung der verschiedenen 
therapeutischen Maßnahmen bei Herz¬ 
kranken sehr genau kontrollieren kann, 
und andererseits ist der deutliche Ein¬ 
fluß der bekannten Heilmethoden für 
Herzleiden auf die von mir als patholo¬ 
gisch bezeichneten Kurvenformen bei den 


Kranken ein weiterer Beweis für die Ab¬ 
hängigkeit 'der pathologischen Kurven¬ 
formen von dem Herzleiden. 

Da die Wirkung der therapeutischen 
Maßnahmen auf die pathologischen Kur¬ 
ven der Kranken nach meinem sehr 
reichen Untersuchungsmaterial absolut 
feststeht, ist es um so bemerkenswerter 
und für die weitere praktische Aus¬ 
nutzung der Methode wichtig, daß auch, 
nach den objektiven Feststellungen durch, 
die Arbeitskurven durchaus nicht alle 
verschiedenen Heilmethoden für alle 
Herzkranke geeignet sind und günstige 
Wirkung haben, wie das ja schon längst 
anerkannt ist. 

Abgsehen von einigen scheinbar über¬ 
haupt wenig wirksamen Behandlungs¬ 
methoden und von der äußerst energisch 
wirkenden Injektion eines Arzneimittels¬ 
in die Vene, ist nach meinen Ergebnissen 
kaum von vornherein eine Behandlungs¬ 
methode als in allen Fällen völlig sicher 
günstig wirkend und als den anderen 
überlegen zu bezeichnen. Am sicherstem 
dürfte man vielleicht bei einer einzelnen 
Einwirkung von Kohlensäurebädern Er¬ 
folg sehen, aber, wie erwähnt, gab es- 
auch dabei Ausnahmen, die eher dadurch’ 
geschädigt wurden, dagegen von Bauch¬ 
massage günstig beeinflußt wurde/ 

In einem Falle von Myokartitis nach. 
Nephritis und negativer Kurve konnte 
von keiner einzelnen therapeutischen- 
Maßnahme eine günstige Wirkung durch 
die Arbeitskurven nachgewiesen werden* 
dagegen zeigte sich die Kurve nach 
mehrwöchentlicher Bettruhe sehr wesent¬ 
lich gebessert. 

Andererseits gab es Fälle die von 
Massage nicht, wohl aber von Medi¬ 
kamenten und Kohlensäurebädern günstig- 
beeinflußt wurden, und wieder andere, ber 
denen Medikamente per os nicht nützten* 
wohl aber Bauchmassage und Kohlen¬ 
säurebäder. 

Es dürfte also für den einzelnen 
Patienten nicht unwichtig sein, wenn 
durch diese objektiveUntersuchung' 
festgestellt wird, welches Heilver¬ 
fahren bei ihm am wirksamsten, 
ist, denn es muß angenommen werden,, 
daß das Verfahren, das schon bei ein¬ 
maliger Anwendung die beste objektiv 
nachweisbare Wirkung hat, auch bei. 
Daueranwendung am besten ist. 

Ferner kann man mit der Unter¬ 
suchungsmethode objektiv den Zeit¬ 
punkt feststellen, an dem eine Be¬ 
handlung als beendet anzpsehen 



Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


13 


ist. Man muß dann nur die Unter¬ 
suchung an dem Patienten wieder vor¬ 
nehmen, nachdem man die Behandlung 
mehrere Tage oder Wochen ausgesetzt 
hat, und feststellen, ob die an der Kurve 
vorher während der Behandlung fest¬ 
stellbare Besserung auch nach Aussetzen 
der Behandlung weiter besteht, oder 
nicht: 

Die Zeiträume, die zwischen den kon¬ 
trollierenden Untersuchungen durch die 
plethysmographische Arbeitskurve liegen, 
müssen dann immer verlängert werden 
und mit der Eingangs erwähnten Be¬ 
nutzungsart der Methode verknüpft wer¬ 
den, bei der durch allmähliche probeweise 
Vermehrung der von dem Patienten vor 
der Untersuchung vorzunehmenden ge¬ 
wohnten Berufsbeschäftigung, oder kör- 
perilichen Arbeit das Maß dieser Beschäfti¬ 
gung objektiv iestgestellt werden kann, 
das das Herz des Patienten ohne Schädi¬ 
gung verträgt, die durch die unmittelbar 
darauf aufgenommene Arbeitskurve in 
objektiver Weise nachgewiesen werden 
kann. 

Eine Schwäche der neuen Unter¬ 
suchungsmethode liegt darin, daß die 
Technik der Methode schwierig ist und 
unbedingt eine mehrmonatliche Übung 
unter sachverständiger Kontrolle er¬ 
fordert, ehe sie einigermaßen sicher äus- 
geübt werden kann. In dieser Beziehung 
ist es geradezu gefährlich, daß man bei 
der Beobachtung mancher derartiger 
Untersuchungen bisweilen den Eindruck 
gewinnen kann, daß die Technik sehr 
einfach ist. Die elementaren Vorsichts¬ 
maßregeln, die jemand, der mit der bis¬ 
herigen Art der plethysmographischen 
Untersuchungen vertraut ist, beherrscht, 
spielen keine Rolle neben den während 
der Ausführung der Fußarbeit in Frage 
kommenden zahlreichen Versuchsfehlern, 
die in unrichtigem Sitz oder Lage des 
Patienten in den Apparaten, in geringen 
Verschiebungen seines Körpers bei zu 
kräftiger Arbeit, oder der ungleichmäßigen 
Atmung dabei, in zu schwacher Fuß- 
Arbeit und anderem begründet sind. Nur 
eine längere Übung und genaue Kenntnis 
zahlreicher Kurven und aller Fehler¬ 
quellen ermöglichen sichere Resultate bei 
den vielen schwierigeren Fällen, während 
manche ruhige, intelligente Patienten 
sich bei richtiger Lage der Apparate und 
richtiger Anleitung sofort leicht unter¬ 
suchen lassen. So kommt es, daß bei 
manchen Personen eine Untersuchung 
von % Stunde genügt, während bei 


anderen erst ein Anlernen und eine an 
mehreren Tagen wiederholte Unter¬ 
suchung von je einer Stunde nötig ist. 

Immerhin lassen sich bei nötiger 
Übung fast in allen Fällen (nur bei Kran¬ 
ken mit heftigem Zittern ist die Unter¬ 
suchung ganz unmöglich) die Schwierig¬ 
keiten überwinden, wobei eine besondere 
Sicherheit die doppelte Aufnahme der 
Arbeitskurve bei demselben Patienten so¬ 
wohl in sitzender, als in liegender Stellung 
bietet. Wenn das ruhige Verhalten des 
Kranken während der ersten Unter¬ 
suchung durch Schmerzen oder vor¬ 
handene Aufregung gestört ist, so bringt 
fast immer die Wiederholung der Unter¬ 
suchung an einem anderen, besseren Tage 
völlige Klarheit in die Arbeitskurve. In 
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle 
kommt ein geübter Untersucher schon 
in der ersten Sitzung zu sicherem Re¬ 
sultat, während ein ungeübter ebenso oft 
Resultate erzielen wird, die dem richtigen 
gerade entgegengesetzt sind. Erschwerend 
kommt dabei in Betracht, daß man keines¬ 
wegs immer an der Kurve allein später 
erkennen kann, ob die Aufnahme richtig 
war, oder, nicht. Dagegen ist es möglich 
durch gewisse Kontrollapparate eine 
größere Sicherheit bei der Untersuchung zu 
schaffen, die aber die Aufnahme bedeutend 
kompliziert. 

Es geht aus dem Gesagten, das aus¬ 
führlicher in der oben erwähnten Ab¬ 
handlung erörtert ist, wohl hervor, daß 
die neue Untersuchungsmethode durch¬ 
aus nicht für den praktischen Arzt ge¬ 
eignet ist. Trotz der Einfachheit der be¬ 
nutzten Apparate ist gerade bei dieser 
Untersuchungsmethode eine ganz be¬ 
sonders sorgfältige Vorbildung nötig und 
die Untersuchungen erfordern viel zu viel 
Zeit für den praktischen Arzt. 

Die Kranken müssen, ebenso wie in 
Röntgenkabinette, zur Aufnahme der 
plethysmographischen Arbeitskurve zu 
dafür besonders eingerichteten Un¬ 
tersuchungsstellen geschickt werden, 
die ja bei dem noch bedeutend weiter 
auszubauendem praktischen Nutzen der 
Untersuchungsergebnisse sich neben der 
meinigen und neben den kürzlich in 
mehreren Berliner Krankenhäusern ein¬ 
gerichteten Untersuchungsstellen hoffent¬ 
lich entwickeln werden. 

Anfängern ist dringend zu raten, 
lieber im ersten Jahre der Untersuchung 
häufiger ein non liquet abzugeben, als 
unsichere Resultate einseitig zu deuten. 

Im allgemeinen dürfte für Anfänger 



14 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar. 


die Feststellung der positiven Wirkung 
einer therapeutischen Maßnahme wohl 
verhältnismäßig am sichersten sein, da 
durch diese therapeutische Wirkung eine 
beträchtliche Veränderung der vorher 
aufgenommenen Kurvenform eintreten 


muß, die sich bei Wiederholung derselben 
Einwirkung an einem anderen Tage 
immer wieder in gleicher Weise an der 
Kurve zeigen muß, wenn die erste Auf¬ 
nahme richtig war, wodurch eine gute Kon¬ 
trolle der ersten Aufnahme gegeben ist. 


Aus dem Städtischen Krankenhaus Moabit in Berlin 
(I. mediz. Abteilung des Herrn G-eheimrat Klemperer). 

Über schwere Anämie mit hämorrhagischer Diathese 
bei Jugendlichen (Knochenmarksatrophie, Amyelie). 

Von Elisabeth Benecke, Assistenzärztin. 


Aus der großen Gruppe schwerster 
Anämien, welche insbesondere jugend¬ 
liche Personen zum Tode führen, ist in 
letzter Zeit eine anscheinend wohl um¬ 
schriebene Form herausgehoben worden, 
die Anämie mit hämorrhagischer Diathese. 
Bei dieser Form treten Haut- und Schleim¬ 
hautblutungen in so erschöpfender Weise 
auf, daß es zweifelhaft ist, ob primäre 
Blutungen zur tödlichen Anämie oder 
eine primäre Bluterkrankung zu den töd¬ 
lichen Blutungen geführt hat. Da man 
gewöhnt war, die hämorrhagischen Er¬ 
krankungen als Krankheitsgruppe sui 
generis von dunklem Ursprung etwa 
unter dem Namen der Purpura oder der 
Werlhofschen Krankheit zusammenzu¬ 
fassen, so hat man in früheren Zeiten die 
akut einsetzenden Anämien mit Blu¬ 
tungen wohl als akute Form der Werl¬ 
hofschen Krankheit bezeichnet. Seit 
Ehrlich war bekannt, daß in diesen 
Fällen der Blutbefund dem der perni¬ 
ziösen Anämie ähnelte, daß er aber in 
einem wesentlichen Punkt davon ver¬ 
schieden war. Es fehlten die Formen der 
roten Blutkörperchen, welche für die 
regeneratorischen Vorgänge im Knochen¬ 
mark charakteristisch waren, die abnorm 
großen farbstoffreichen Blutscheiben, die 
Megalocyten und die kernhaltigen roten 
Blutkörperchen, es fehlt die hochgradige 
Poikilocytose und Polychromatophilie. 
Deswegen hat Ehrlich für diese Formen 
den Namen der apiastischen Anämie vor¬ 
geschlagen. Engel und Hirschfeld 
haben gezeigt, daß das Fehlen der Re¬ 
generationsformen der roten Blutkörper¬ 
chen auf einer Atrophie des Knochenmarks 
beruhte. Eine wesentliche Feststellung 
in bezug auf das Entstehen der Blutungen 
wurde einerseits von Wright, anderer¬ 
seits von Hayem gemacht, welche beide 
auf die wesentliche Verminderung der 
Blutplättchen hinwiesen, welche für die 
Gerinnungsfähigkeit des Blutes von be¬ 


sonderer Wichtigkeit seien. In neuster 
Zeit nun hat E. Frank (Breslau) diese 
Feststellung dadurch auf eine breitere 
Basis gerückt, als er zeigte, daß bei den 
hämorrhagischen Anämien neben den 
Blutplättchen ganz besonders die weißen 
Blutkörperchen vermindert seien. Da 
nun die Blutplättchen und die weißen 
Blutzellen entwicklungsgeschichtlich den¬ 
selben Ursprung im Knochenmark haben, 
indem aus Myeloblasten die Megaka- 
ryocyt:n als Stammzellen der Plättchen 
und die Granulocyten hervorgehen, 
stellt Frank die Gruppe der hämorrhagi¬ 
schen Anämien als eine besondere Schä¬ 
digung des farblosen Blutzellensystems 
hin und faßt sie unter dem Namen der 
hämorrhagischen Aleukie zusammen, 
ohne dabei zu übersehen, daß schlie߬ 
lich auch die erythroblastische Tätig¬ 
keit des Knochenmarks versagt. Durch 
diese programmatische Bezeichnung 
hat Frank sicherlich die besondere 
Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf die 
bis dahin in der Klinik weniger beachteten 
hämorrhagischen Formen der schweren 
Anämie gelenkt. Ich möchte aber als 
fraglich bezeichnen, ob die Zusammen¬ 
fassung unter den Namen der Aleukie 
glücklich gewählt ist. 

Durch eine besondere Gunst der Um¬ 
stände war es mir vergönnt, im letzten 
Jahre nicht weniger als drei wohl charak¬ 
terisierte Fälle schwerer Anämie mit 
hämorrhagischer Diathese bei Jugend¬ 
lichen zu beobachten, während vorher 
im Krankenhaus Moabit seit vielen Jahren 
kein solcher Fall zur ‘Beobachtung ge¬ 
kommen ist. 

Ich gebe im folgenden die Kranken¬ 
geschichte meiner Fälle wieder, an welche 
ich einige epikritische Bemerkungen an¬ 
schließen werde. Schon vorher möchte 
ich bemerken, daß in meinen Fällen so¬ 
wohl die weißen Blutkörperchen wie die 
Blutplättchen außerordentlich vermin- 



Januar Die Therapie der 


dert waren, so daß die Bezeichnung 
Aleukie sicherlich gerechtfertigt war. Zu¬ 
gleich aber waren auch die roten Blut¬ 
körperchen aufs äußerste vermindert, 
während regenerative Formen vollkom¬ 
men fehlten. Es war also ebenso sehr 
das System der roten wie der weißen 
Blutzellen geschädigt, man konnte mit 
demselben Recht von Anerythrie wie 
von Aleukie sprechen. Außerdem ergab 
die makroskopische wie mikroskopische 
Untersuchung des Knochenmarks der 
langen Röhrenknochen, bei der 
mich Herr Dr. Hirschfeld in dankens¬ 
werter Weise unterstützte, daß sich das¬ 
selbe im Zustand vollkommener Atrophie 
befand. Es kann also kein Zweifel sein, 
daß die krankhafte Schädigung ebenso¬ 
wohl die Entstehungsstätten der roten 
wie der farblosen Blutelemente betraf. 
Es ist dieser Umstand in jüngster Zeit 
bereits von einem anderen Beobachter, 
Herrn Dr. Kaznelson, betont worden, 
welcher daraus den Namen „Amyel- 
hämie“ abgeleitet hat. Herr Ge¬ 
heimrat Klemperer hat im Anschluß 
an die früheren Arbeiten von Hirschfeld 
und im Hinblick auf die histologischen 
Befunde unserer zwei obduzierten Fälle 
die universelle Zerstörung' des gesamten 
Knochenmarks als die wesentliche Grund¬ 
lage der hämorrhagisch-perniziösen An¬ 
ämie betrachtet und hat in den klini¬ 
schen Besprechungen an Stelle der Aleukie 
die Bezeichnung der Amyelie gebraucht. 
Ich möchte diesen Namen akzeptieren 
und in seiner präzisen Kürze zu weiterem 
Gebrauch vorschlagen, indem ich glauben 
möchte, daß der histologisch-neurologi¬ 
sche Namensinn der Nervenmarklosigkeit 
der klinischen Bedeutung des Knochen¬ 
markschwundes keinen Abbruch tun 
kann. 

Ich lasse nun meine Krankengeschich¬ 
ten folgen: 

1. Fall. Friedrich G., 17 Jahre, aufgenommen 
31. Mai 1916. 

Anamnese: Patient war bisher nie krank ge¬ 
wesen. Seit vier Wochen fällt der Mutter bei ihm 
zunehmende Blässe auf. Seit zehn Tagen fühlt er 
sich außerordentlich matt und am 24. Mai wurde 
er ohnmächtig und hat seitdem die Arbeit aus¬ 
gesetzt. Seit einigen Tagen bemerkt er, daß er 
aus der Lücke eines fehlenden Backenzahns im 
Unterkiefer blutet. Am Tage vor der Aufnahme 
ins Krankenhaus starkes Nasenbluten. Der Arzt 
schickt ihn wegen Herzleidens ins Krankenhaus. 
Die Ernährung war bisher nicht einseitig und er 
hat keinen Mangel gelitten. Mit Benzol hat er 
nicht gearbeitet. 

Status praesens: Blasser,' großer, junger 
Mann, Haut leicht gelblich. 

Schleimhäute (Lippen, Zahnfleisch, Augen¬ 


Gegenwart 1917. 15 


bindehaut) äußerst blaß und farblos. Sehr übler 
Foetor ex ore. 

Zahnfleischblutung aus einem schmutzig aus¬ 
sehenden Ulcus im rechten Unterkiefer an der 
Stelle des.-fehlenden letzten Backzahns. 

Ulcus auf der linken etwas vergrößerten 
Gaumentonsille mit zerklüfteter schmierig be¬ 
legter Oberfläche. 

Kleine petechiale Schleimhautblutungen am 
Gaumen und in der linken Wangentasche. 

Am ganzen Körper Stecknadelkopf- bis linsen-- 
große Hämorrhagien. 

Am linken Oberarm und auf beiden F.ußriicken 
Suffusionen von blaßblauer Farbe in etwa Drei¬ 
markstückgröße. 

Linksseitige geringe Halslymphdrüsenschwel- 
lung (Ulcus auf der Tonsille!), ebenso kleine eben 
palpable harte Inguinaldrüsen. 

Knochen (Sternum, Femur, Rippen) nicht 
druckschmerzhaft. 

Herz: Grenzen nicht verbreitert, ■ Aktion 
regelmäßig, beschleunigt (92),, systolisches Ge¬ 
räusch über'Mitralis und Pulmohalis, 

Puls: klein, weich. 

Lunge: beiderseits hinten unten geringes 
feuchtes Rasseln. Atmung beschleunigt, Nasen¬ 
flügelatmung. 

Abdomen weich, nirgends druckempfindlich. 

. Leber und Milz nicht vergrößert. 

Blutbefund: Hämoglobin 21, Erythrocyten 
872 000, Leukocyten 2000. Blutplättchen werden 
kaum gesehen. 

Die Auszählung der weißen Blutkörperchen 
ergibt neutrophile Leukocyten 24 %, Myeloblasten 
8% (große Mononucleären?), Lymphocyten (große 
40%, kleine 24%) 64%, Plasmazellen 4%, Hämo¬ 
globin index 1,2 Anisocytose der Erythrocyten, 
geringe Poikylocytose. 

Im Urin zahlreiche Erythrocyten, der braun- 
gefärbte Stuhl ergibt positive Blutprobe. 

Urin chemisch: Urobilin negativ, Albumen 
negativ, Sacharum negativ, Diazo negativ. 

Die Temperatur ist abends 6 Uhr 38 20 C. 

Verlauf: 1. Juni: Blutaussaat negativ. Tem¬ 
peratur von 37 bis 38°. Puls wie gestern. 

2. Juni: Patient ist somnolent, reagiert kaum 
auf Anruf, atmet schnell. Im medialen Winkel 
des linken Auges starke den ganzen Winkel ein¬ 
nehmende Sugillation, die bis zum Cornearand 
reicht. Am rechten Beine neue Blutungen. 

Blutbild: Hämoglobin 16, Erythrocyten 

480 000, Leukocyten 900,. orthochrome Färbung 
der Erythrocyten, Anisocytose, kaum Poikylo¬ 
cytose, neutrophile Leukocyten 17,6%, Myelo¬ 
blasten 7,8%, Lymphocyten (große 23%., kleine 
41%, Riederformen 2,56% = 86,56%), Pläs- 
mazellen 7,8%, keine Blutplättchen. 

Um 3 Uhr nachmittags intravenöse Infusion 
von 90 ccm defibrinierten Blutes einer an Poly¬ 
globulie leidenden Frau. 

V«5 Uhr Schüttelfrost, die Temperatur steigt 
auf 40,3°. 

3. Juni: Patient macht etwas besseren Ein¬ 
druck, reagiert auf Anruf und nimmt auch Milch 
und Brei zu sich. 

4. Juni: Wieder stärkere Somnolenz. Haut¬ 
blutungen blassen ab. 

Mittags 400 ccm Blut intravenös von einem an 
Polycythämie leidenden Patenten. Die Infusion 
wird reaktionslos vertragen, Temperatur bleibt 
um 37°. Im Urin nocii immer Erythrocyten. 

5. Juni: Anhaltende Somnolenz. Patient läßt 
Stühle und Urin unter sich. Neue Hautblutungen 
an den Beinen, ebenso in der rechten Inguinal- 




16 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


gegend und am linken Bein mehrere talergroße 
hellblauviolette Suffusionen. 

6. Juni: Keine Nahrungsaufnahme mehr. 

Blutbild: Hämoglobin 22%, Erythrocyten 

1 368 000, Leukocyten 1000. ' Blutplättchen wer¬ 
den kaum gesehen. Index 0,8, neutrophile Leuko¬ 
cyten 7,6%, große Mononucleären und Über¬ 
gangsformen 11,5%, Lymphocyten 73%. 

Blutaussaat: anaerob und aerob negativ. Was¬ 
sermann negativ. 

Auch in den nächsten Tagen keine Besserung. 
Temperaturen um 39°. ’ 

7. Juni: starkes Nasenbluten. 

8. Juni: Nochmaliger Versuch einer intra¬ 
venösen Blutinfusion. Doch es tritt Nasenbluten 
auf, der Patient wird unruhig, würgt, atmet 
schlecht, deshalb wird abgebrochen, nachdem 
50 ccm'eingelaufen sind. Mittag 1 Uhr, andert¬ 
halb Stunden nach der Infusion Exitus letalis. 

Sektionsbefund (Prof. Dr. Benda): 

Haut: Anämie und Hautblutungen. 

Gefäßsystem: Herzanämie, subepicardiale und 
subendocardiale Blutungen. Myodeg.. cordis, ge¬ 
ringe Verfettung der Aortenintima. 

- Harnapparat: Blutungen der Blasenschleim¬ 
haut. 

Verdauungsorgane: Großes Geschwür der lin¬ 
ken Tonsille. 

Blut und blutbildende. Organe: Hyperplasie 
und kleine Verkalkungsherde der bronchialen 
Lymphdrüsen. Anämie und Poikilocytose. 

Knochenmark (Dr. H. Hirschfeld): 

Im Fettmark des Femur sieht man vorwiegend 
dem Stroma angehörende Zellen, ganz vereinzelt 
nur hier und da in Gruppen von wenigen Exem¬ 
plaren zusammenliegend lymphocytenartige Zellen 
und Zellen, die ein gelbes körniges Pigment ent¬ 
halten. 

Leber: Keine Hämosiderosis, keine myeloiden 
Herde. 

Milz: Hochgradig atrophisch, Follikel ver¬ 
kleinert, Pulpa vergrößert. Kein vermehrtes Blut¬ 
pigment in der Milz. 

2. Fall: Aufnahme am 3. Juli 1916 früh. Alma 
F., ledige Arbeiterin, 18% Jahre alt. ‘ 

Anamnese: Als Kind angeblich nie krank. 
Litt von Jugend auf öfter an Nasenbluten. Später 
auch sehr starke Menstruationsblutungen. Am 
24. Juli vorübergehend Nasenbluten. Gleichzeitig 
bemerkte sie am ganzen Körper kleine und größere 
blutunterlaufene Stellen der Haut. Der Arzt 
meinte, das verginge bald wieder. Am 28. Juli 
begann die sehr starke Menstruationsblutung. In 
der Nacht vom 2. zum 3. Juli blutet Patientin un¬ 
unterbrochen'aus Nase, Mund und Scheide und 
da der Arzt die Blutung nicht stillen kann, schickt 
er das Mädchen am 3. Juli früh ins Krankenhaus. 

Das Mädchen hat angeblich noch immer trotz 
. des Krieges gute Kost gehabt (reichlich Fleisch) 
und sie hat auch nicht mit Benzol gearbeitet. 

Status praesens: 3. Juli 1916: Mädchen in 
mittlerer Größe, in gutem Ernährungszustand 
und von gut entwickeltem Körperbau. Die Haut 
des Gesichts ist auffallend blaß, leicht gelblich, 
etwas pastös. Lippen und sichtbare Schleimhäute 
sind fast farblos. An Armen und Beinen, weniger 
am Thorax stecknädelkopf- bis linsengroße Haut- 
hämorrhagien. Am linken Oberschenkel eine 
lilablau verfärbte kleinhandflächengroße und eine 
kleinere Suffusion. Keine Drüsenschwellungen. 
. Herz: Grenzen nicht verbreitert, Aktion be¬ 
schleunigt (116), regelmäßig. Töne rein. Puls 
frequent weich. 

Lungen: ohne pathologischen Befund. 


Abdomen: weich, nirgends druckschmerz¬ 
empfindlich. 

Leber und Milz sind nicht vergrößert. 

Profuse Blutungen aus der Nase, dem Mund¬ 
zahnfleisch und der Vagina. Kleines linsengroßes 
Ulcus am linken weichen Gaumen, während Ton¬ 
sillen und Rachenorgane ohne krankhaften Be¬ 
fund sind. 

N.S. Nichts Pathologisches. 

Urin: frei von Albumen, Albumosen, Sacha- 
rum, Urobilin, Sanguis. 

Temperaturen zwischen 36 und 37°. 

Epirenan und 500 I. E. Diphtherieserum 
bringen die Blutung nicht zum Stillstände. Pa¬ 
tientin ist sehr elend und kollabiert verschiedene 
Male.. Nachmittags um 4 Uhr erhält sie 20 ccm 
5%iges Coagulen Kocher-Fonio subcutan und 
mit 40 ccm wird eine Nasenspülung gemacht. 
Außerdem erhält sie 20 ccm defibriniertes Men¬ 
schenblut intramuskulär. Schon fünf Minuten 
nach der Coaguleninjektion steht die Blutung aus 
Nase und Mund. 

B1 ut b i 1 d am Morgen: Hämoglobin 42%, Ery¬ 
throcyten 3 176 000, Leukocyten 2100, Index 0,59. 
Geringe Anisocytose, keine Polychromatophilie. 
Neutrophile Leukocyten 67,2%, kleine Lympho¬ 
cyten 26,2%, große Mononucleären 6,7%. 

4.Juli: Blutbild: Erythrocyten 1876000,Leu¬ 
kocyten 2600, Blutplättchen 33 279. Neutrophile 
Leukocyten 53,6%, große Mononucleären 29,%, 
Übergangsform 4,4%, Lymphocyten (große 8,9%, 
kleine 25,3%) 35,2%, Myeloblasten 2,9%, Myelo- 
cyten 1,4%, Plasmazellen —. 

6. Juli: Heute geringes Nasenbluten. Patientin 
ist matt, schläft viel, Puls frequent; systolisches 
Geräusch an allen Herzostien. Temperaturen 
zwischen 38 und 39°. Blässe hat zugenommen. 

Blutgerinnungszeit: Methode Sahli-Fonio: 
Beginn nach 8, Ende 12 Min. bei 18° Luft¬ 
temperatur. 

Blutbild: Erythrocyten 1 820 000, Leuko¬ 
cyten 1950, Blutplättchen 17 756 (Methode 
Fonio). 

7. Juli: Neue Hämorrhagien an der rechten 
Brust, große Suffusionen an der rechten Schultet. 
Die älteren Hämorrhagien im Abblassen. Wasser¬ 
mann negativ. 

8. Juli: Starkes Nasenbluten. Patientin ist 
sehr elend, geringe Nahrungsaufnahme. Tempe¬ 
ratur zwischen 37 und 38°. Injektion von 20ccm 
Blut und 20 ccm Coagulen (Kocher-Fonio) 
5%ig. Wiederum Nasenspülung mit Koagulen. 
Die Blutung steht sehr bald. 

Blutbild: Hämoglobin 15, Erythrocyten 
1 256 000, Leukocyten 1960, Blutplättchen 19098, 
Index 0,53. Ein großer chromatophiler Megalo- 
cyt ist basophil gekörnt und enthält ein JollikÖrper- 
chen. Neutrophile Leukocyten 32,9%, große 
Mononucleäre 21 %,Myeloblasten 1,09%,Lympho¬ 
cyten (große 8,72%, kleine 44,38%, Rieder 6,5%) 
59,60%, Plasmazelle mit Radspeichenkern 1,09%. 

9. Juli: Wieder starkes Nasenbluten und 
Zahnfleischblutung, die auf Koagulen und Blut¬ 
injektion bald stehen. 

10. Juli: Zahnfleischblutungen, kleine Hämor¬ 
rhagien am weichen Gaumen. Das anfangs beob¬ 
achtete Ulcus ist fast verheilt. 1 

11. Juli: Letzte Nacht wieder heftiges Nasen¬ 
bluten. Der wachhabende Arzt gibt ohne Erfolg 
Diphtherieserum. Erst gegen Morgen steht die 
Blutung. 

Blutbild: Hämoglobin 12, Erythrocyten 
532 000, Leukocyten 1725, Blutplättchen 10 400, 
Index 1,0 ? unsicher. 

In den nächsten Tagen ist Patientin sehr elend. 



Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


17 


Kleinere Zahnfleischblutungen. Auch tritt Er¬ 
brechen auf. Einläufe werden vollständig resor¬ 
biert. Die Temperaturen sind um 37° herum, am 
15. und 16. Juli sogar bis unter 36°. 

17. Juli: Blutbild: Erythrocyten 732 000, 
Leukocyten 1900, Blutplättchen 4318, dabei sehr 
große. Neutrale Leukocyten 31,6%, große Mono- 
nucleäre 5%, Myeloblasten 3,3%, Lymphocyten 
(große 18,3%, kleine 33,3%), Rieder 6,6%) 58,2% 
Plasmazellen 0,83%, eosinophile Leukocyten 
0,83%. Starke Anisocytose, auch gequollene 
Erythrocyten, ein Megaloblast. 

18. Juli: Patientin ist sehr elend, somnolent, 
hört schwer. Nachts Unruhe. — Geringes Ödem 
an Händen und Füßen. Urin leicht trübe, enthält 
Leukocyten, Bakterien und Epithelien und die 
chemische Blutprobe ist positiv. Seit 12. Juli 
bekommtPatientin täglich 1 ccm Soiarson subcutan. 

22. Juli: Starkes Nasenbluten, nachdem Pa¬ 
tientin seit zwei Tagen wieder etwas besseren Ein¬ 
druck machte. Große Mattigkeit, andauerndes 
Erbrechen. Auf Blutinjektion steht die Blutung 
nicht, deshalb nachmittags 10 ccm 10%ige Koch¬ 
salzlösung intravenös. Nach 20 Minuten steht die 
Blutung, aber Patientin macht sehr verfallenen 
Eindruck. Muß schon seit einigen Tagen kathe- 
terisiert werden. 

24. Juli: Starke Ödeme der Beine. Bewußt¬ 
losigkeit. 

25. Juli: Große Unruhe, Zuckungen in der Ge¬ 
sichtsmuskulatur und am Körper. Patientin 
schluckt nicht mehr. Rectale Ernährung. 

Blutbefund: Hämoglobin kaum 10?,Erythro¬ 
cyten 716 000, Leukocyten 1925. Blutplättchen 
etwa 430. Neutrophile Leukocyten 38,8%, große. 
Mononucleären —, Myeloblasten 2,98%, Lympho¬ 
cyten (große 16,4%, kleine 34,3%, Rieder 4,47%) 
55,17 %, Plasma 2,98%. Anisocytose, keine Ery¬ 
throblastose, keine Polychromatophilie. 

26. Juli: Patientin verfällt immer mehr. Urin 
trübe, übelriechend, blutig. 

27. Juli: Abends Exitus letalis unter Unter¬ 
temperaturen. 

Sektion (Prof. Dr. Benda): 

Haut: hochgradige Anämie, geringer Ikterus. 
Flecken und punktförmige Blutungen der Extre¬ 
mitäten. 

Gefäßsystem: Hochgradige Myodeg. cordis. 
Geringe Hypertrophie und braune Pigmentierung 
der Ventrikel. 

Harnapparat: Schwere diphtherische Cystitis, 
diphtherische Pyelitis, multiple metastatische 
Rindenabscesse der linken Niere. 
Verdauungsorgäne: Geringe Hypertrophie der 
Tonsillen. Katarrhalische Gastritis. 

Leber: Geringe Hämosiderosis. 

Nervensystem: Hirnanämie, Persistenz der 
Thymus. 

Blut und blutbildende Organe: Fettmark der 
Röhrenknochen, geringe Poikylocytose des Blutes, 
Hypoplasie und Anämie der Milz. Geringe Hyper¬ 
plasie der retroperitonealen Lymphdrüsen. 

Knochenmark (Dr. Hirschfeld): 

Im Oberschenkelmark noch deutliche Herde 
myeloiden Gewebes mit Granulocyten und kern¬ 
haltigen Roten, also "noch keine komplette Atro¬ 
phie, sondern nur sehr weitgehende. 

Leber: Keine Hämosiderose, keine myeloiden 
Herde. 

Milz: Follikelverkleinerung, in der Pulpa keine 
myeloiden Herde, kein Blutpigment. 

Drüsen: Keine Veränderung. 

3. Fall: Kind Erich B., 6 Jahre alt. 

Anamnese: Kind soll immer gesund gewesen 


sein. Vor 14 Tagen Schwellung rechts am Hals. 
Seitdem wurde Patient auffallend blaß, appetitlos, 
schwach und schläfrig. Patient hustet leicht und 
klagt über Leibschmerz in der Lebergegend. 

Ich sehe das Kind zuerst am 18. Juli. Es ist 
auffallend blaß und hat Hautblutungen am Ober¬ 
körper. Dabei besteht ein schmieriges Ulcus an 
der Nase und ein solches am Zahnfleisch des 
rechten .Unterkiefers. 

Am 19. Oktober wird das Kind auf meine 
Station verlegt. 

Status praesens: Gut ernährtes Kind, auf¬ 
fallend blaß und von schwerkrankem' Allgemein-. 
zustand.- 

Die Haut zeigt zahlreiche stecknadelkopf- bis 
erbsengroße dunkelrote Härhorrhagien, die be¬ 
sonders auf der Brust sehr reichlich vorhanden 
sind. Gesicht und Füße leicht ödematös, pastös. 
Am linken Nasenflügel am Naseneingang ein 
blutendes, schmierig belegtes Ulcus, ebensolches 
Geschwür am rechten Unterkiefer in der Um¬ 
gebung des ersten Backzahns. Unter dem rechten 
Unterkiefer eine derbinfiltrierte, etwa kleinwal¬ 
nußgroße, auf Druck schmerzende Drüse. Pete¬ 
chiale Blutungen am weichen Gaumen. 

Herz: Nicht verbreitert, Aktion beschleunigt, 
systolische Schwirren über allen Ostien. 

Lungen: Geringe Bronchitis über den unteren 
Partien. 

Abdomen: Weich; Lebergegend anscheinend 
etwas druckschmerzempfindlich. 

Leber: Überragt den Rippenbogen um zwei 
Querfingerbreite. 

Milz: Ist nicht zu fühlen. 

’ Nervensystem: Ohne krankhaften Befund. 
Diphtherieabimpfung vom Munde negativ. 

Urin: Kein Albumen, kein Sacharum, kein 
Urobilin, kein Sanguis. 

Blutbild: Hämoglobin kaum 12%, Erythro¬ 
cyten 446 000, Leukocyten 1600. ' Plättchen sind 
kaum zu sehen, beim Au$zählen (Methode Fonio) 
4088. Gerinnung: Beginn 8 Minuten, Ende 12 Mi¬ 
nuten ber 19° Temperatur (Methode Sahli-Fonio). 
Neutrophile Leukocyten 42 %, Lymphocyten 58%, 
keine eosinophilen. Geringe Anisocytose, keine 
Erythroblastose, keine Polychromatophilie. Neu¬ 
trophile Leukocyten 42%, Lymphocyten 58%, 
keine Eosinophilie. 

Therapie: Zehn Tage lang täglich.eine Solar- 
soninjektion. 

21.Oktober: Hämorrhagien imAbblassen; Kind 
ist sehr elend, ohne Appetit. 

Blutbild: Hämoglobin kaum 12%, Erythro¬ 
cyten 606 000, Leukocyten 1300, Plättchen 4851, 
Index 0,86. Neutrophile Leukocyten 46,8%, 
Lymphocyten 50%, große Mononucleären 3,2%. 
Zwei kernhaltige Normoblasten werden gesehen 
in drei Objektträgerabstrichen. 

24. Oktober: Starkes Ödem der unteren Extre¬ 
mitäten und des Scrotums. 

Leber nicht mehr palpabel. 

Lymphdrüsenschwellung am rechten Unter¬ 
kiefer besteht noch, ebenso das Ulcus am Zahn¬ 
fleisch, dessen Umgebung etwas geschwollen ist 
und die. Backe verdickt erscheinen läßt. 

Blutbild: Hämoglobin 10 eben überschrei¬ 
tend, Erythrocyten 608 000, Leukocyten 1400. 
Neutrophile Leukocyten 60,4%, Lymphocyten 
37,2%, Mononucleäre 2%. 

27. Oktober: Ulcus an der Nase im Abheileni, 

• Ulcus am Unterkiefer besteht noch; es entleert 
sich neben dem Zahn im Unterkiefer, der etwas auf¬ 
getrieben und schmerzhaft ist, an der Stelle des 
Ulcus etwas Eiter. Auch die Lymphdrüsen- 

3 




Die-Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


18 


Schwellung besteht noch. Hämorrhagien sind 
verschwunden, Ödeme bestehen noch. 

27. Oktober:. Blutbild: Hämoglobin 15, Ery- 
throcyten 692 000, Leukocyten 2200, Plättchen 
151581 Anisocytose, Poikilocytose. Neutrophile 
Leukocyten 63,2%, Lymphocyten 33,3%, eosino¬ 
phile Leukocyten 1,1%, Myelocyten 1,1%, Myelo¬ 
blasten 1,1%. 

8. November: Bis zum 3. November hatte das 
Kind täglich Temperaturen zwischen 38 und 39°. 
Seit dieser Zeit gehen die Temperaturen merklich 
herunter zwischen 38 und 36,2°. Das Kind macht 
seit Tagen viel frischeren Eindruck. Ißt mit 
Appetit. Ödeme sind geschwunden. Ulcus an der 
Nase ist seit einigen Tagen abgeheilt. Das Ulcus 
am ersten Backzahn des rechten Unterkiefers 
besteht noch und es entleert sich seit Tagen Eiter 
daraus. Der Kiefer selbst ist an dieser Stelle ge¬ 
schwollen. Um dem Eiter Abfluß zu schaffen, 
wird der Zahn gezogen. Der Zahn ist völlig gut 
erhalten. Es folgt Entleerung großer Eitermengen. 
Die Höhle wird fortan täglich dreimal gespült. 

14. November: Das Kind hat lebhaftere Ge¬ 
sichtsfarbe. Die Unterkiefereiterung besteht noch, 
es ist auch der zweite Backzahn ausgefallen. 

Die Herztöne sind rein; Bronchitis besteht 
nicht mehr. 

Blutbild: Hämoglobin 35%, Erythrocyten 
2 340 000, Leukocyten 7600, Blutplättchen336891, 
Index 0,6. Neutrophile Leukocyten 52,8%, große 
Mononucleären 9,4%, Myeloblasten 7,5%, Lym¬ 
phocyten 30,2%. Auf 106 Leukocyten sind 4 Nor- 
moblasten gezählt. 

13. Dezember: Das Kind hat sich mehr ifnd 
mehr erholt, läuft herum und macht einen frischen 
gesunden Eindruck. Noch geringe Kiefereiterung. 
Die. Sonde fühlt rauhen Knochen, ein Sequester 
wird röntgenologisch nicht nachgewiesen. 

Hämoglobin- und Erythrocytenreste haben 
sich dauernd gebessert. 

Blutbild: Hämoglobin 60%, Erythrocyten 
4 200 000, Leukocyten 4500, Plättchen 300 715, 
Index 0,64. Neutrophile Leukocyten 60,6%, große 
Mononucleären 7,8% und Übergangsformen, 
eosinophile Leukocyten 46%, Mastzellen 1,6%, 
Lymphocyten 27,8%. 

Unsere Krankengeschichten lassen 
uns das klinische Bild der hämorrhagi¬ 
schen Anämie deutlich erkennen. Die 
Patienten zeigen .auf den ersten Blick als 
auffälliges Symptom extreme Blässe mit 
großer Körperschwäche, das Herz ist 
geschwächt, der Blutdruck erniedrigt, 
Leber und Milz sind oft mäßig vergrößert. 
Man könnte bei der oberflächlichen Be¬ 
trachtung an perniziöse Anämie denken, 
wenn nicht die profusen Blutungen aus 
vielen Schleimhäuten, sei es der Nase, 
des Mundes, des Darmes, oder die Nieren¬ 
blutungen, oder die ausgedehnten Unter¬ 
hautblutungen zeigten, daß hier eine be¬ 
sondere Krankheitsform vorläge. Ebenso 
wäre man versucht, an Hämophilie zu 
denken, ohne, die Eigentümlichkeit des 
Gerinnungsvorgangs und des morpho¬ 
logischen Blutbildes. Bei der Hämo¬ 
philie sind die Blutplättchenwerte min¬ 
destens normal. Auch läßt unser Krank¬ 
heitsbild gerade die den Hämophilen 


so charakteristischen Gelenkaffektionen 
vermissen und die exquisite Erblichkeit. 

Auffallend ist das jugendliche Alter 
der befallenen Patienten, in unseren Fällen 
6, 17, 18 Jahre. Auch die von anderen 
Autoren beschriebenen Fälle waren jung 
an Jahren, Ascola zählt unter 19 Er¬ 
krankungen 11 unter 30 Jahren, Türk 
hat ein Mädchen von 18 und einen Knaben 
von 12 Jahren beobachtet, Kleinschmid 
beschreibt ein Mädchen von 4 1 / 2 Jahren. 

Die charakteristische Kennzeichnung 
des Krankheitsbildes, welches zugleich 
die Diagnose und die Abgrenzung gegen 
verwandte Krankheitsbilde r gestattet, 
liegt in der Blutbeschaffenheit. Wir ge¬ 
wahren die quantitative Verminderung¬ 
sämtlicher Arten von Blutzellen. 

Die. roten Blutkörperchen sind be¬ 
trächtlich an Zahl vermindert, nicht 
anders wie bei der perniziösen Anämie. 
In unserem ersten Falle sinkt die Zahl der 
Erythrocyten bis 872 000, im zweiten 
auf 716 000, im dritten auf 446 000. Aber 
im Gegensatz zur perniziösen Anämie ist 
der morphologische und tinktorielle Be¬ 
fund normal, eher der sekundären Anämie 
entsprechend, kernhaltige rote Blutkör¬ 
perchen und Megaloblasten sind nicht zu 
finden, oder doch nur sehr selten, wie* im 
zweiten Fall. 

Ganz besonders auffallend ist die 
außerordentliche Verminderung der wei¬ 
ßen Blutkörperchen, deren Zahl bis unter 
1000 sinkt; die Abnahme betrifft be¬ 
sonders die Granulocyten, während die 
Lymphocyten relativ vermehrt sind. 

Ebenso charakteristisch ist die Ab¬ 
nahme der Blutplättchen unter 100 000, 
in unseren Fällen unter 30 000 bis herab 
zu 600 im Kubikmillimeter, ja bis zum 
vollständige^ Verschwinden. 

DerVerlauf der Krankheit führt in den 
meisten Fällen sowie in unseren beiden 
ersten durch zunehmende Schwäche zum 
Tode. Oft schließt sich an die Blutung eine 
circumscripte oder ausgebreitete Ulcera- 
tion an, die ihrerseits wieder zur schweren 
tödlichen Infektion führen kann. Aber 
in einzelnen Fällen kann es zur Heilung 
kommen, wie in unserem dritten Faile. 
Dann bessert sich der Blutbefund, die 
Zahl der Plättchen steigt von 4088 auf 
15 158 und erreicht bald den normalen 
Wert von 336 891, und auch die Zahl der 
weißen und röten Blutkörperchen sowie 
des Blutfarbstoffes nähert sich der Norm, 
während Aussehen und Kräftezustand 
sich allmählich bessern. Die Regenera¬ 
tionskraft des jugendlichen Organismus 





Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


19 


vermag die knochenmarkschädigende 
Noxe zu überwinden. ln den . zum 
Exitus gekommenen Fällen zeigt der 
Obduktionsbefund das anatomische 
Bild der schwersten Anämie. Blutungen 
an allen inneren Organen, oder an einigen, 
z. B. Meningen, Hirnrinde, Endokard und 
Epikard, Darm, Blase usw. Verfettungen 
mäßigen Grades des Endokards und der 
Aorta, eventuell auch der Leber, und 
schließlich ein völlig aregeneratorisches 
Fettmark der langen Röhrenknochen, 
ganz zum Unterschied von dem himbeer- 
geleeartigen bis dunkelroten Knochen¬ 
mark der perniziösen Anämie. 

Sogar die Zellmarkbezirke der Epi¬ 
physen und der platten Knochen, der 
Rippen und Wirbel sind in eine dünn¬ 
flüssige zellarme Masse verwandelt. Auch 
in unseren Fällen ließ sich bei der Sektion 
aus dem Rippenmark nur noch eine 
wäßrige graurötliche Flüssigkeit aus¬ 
pressen, die wesentlich ärmer an Zell¬ 
elementen war und besonders bei Fall 2 
gar keine Zelljugendformen zeigte. Na¬ 
türlich darf man sich nicht beirren lassen, 
daß in dem ungeheuren Markareale sich 
noch Strecken finden, in denen Regenera¬ 
tionsbestrebungen noch zutage treten, 
oder in denen die Vernichtung des funk¬ 
tionierenden Blutbildungsgewebes nicht 
durchgeführt ist, es können sich sogar 
hier und da noch rote Zellinseln in den 
langen Röhrenknochen finden, und es 
wird nicht in jedem platten Knochen der 
Markschwund ausgeprägt sein. 

Die Pathogenese der hier gekenn¬ 
zeichneten hämorrhagischen Anämie 
scheint insofern geklärt, als die schwere 
Schädigung des gesamten Knochenmarks 
sicherlich im Mittelpunkt des pathologi¬ 
schen Geschehens steht. Somit scheint 
die kausale Bezeichnung der Knochen¬ 
markatrophie oder Amyelie gerecht¬ 
fertigt. Es scheint uns nicht gerecht¬ 
fertigt, wie Frank es will, die Schädigung 
der farblosen Elemente einschließlich der 
Blutplättchen in den Vordergrund zu 
rücken und die Abnahme der Erythro- 
cyten hauptsächlich als Folge der Blutun¬ 
gen darzustellen. Die Blutungen darf man 
wohl als die Folge des Blutplättchen¬ 
mangels hinstellen, obgleich man auch 
hierbei die Annahme einer auf Nerven¬ 
einfluß beruhenden Erweiterung der 
Capillaren nicht entbehren kann. 

Schon der kleine Einstich zur Blutentnahme 
zeigt, daß die Blutung längere Zeit anhält als 
beim Normalen. Das dünne wäßrige Blut fließt un¬ 
gehemmt über die Fingerkuppe und es ist schwer, 
es im Tropfen zusammenzuhalten. Auch hält 


die Blutung viel länger an als beim Gesunden. 
Noch Hayem hielt es für schwierig, die spontan 
entstehenden Blutungen zu erklären. Frank 
setzt nun in sehr einfacher weise die Hämorrhagien 
zu, der Plättchenarmut in Beziehung. • Bei ver¬ 
langsamtem Blutstrom im Experimente schon 
zeigt sich, daß die Plättchen sich an der Außen¬ 
seite des Stroms sammeln und dicht gedrängt an 
den Gefäßwänden haften, so den Austritt der 
roten Blutkörper durch Gewebsspalten hemmend. 
Wahrscheinlich spielen nun wie bei der Purpura 
auch in diesen Fällen abnorme Erregbarkeitsver¬ 
hältnisse der Gefäßnerven mit, und dadurch 
kommt es zur Erschlaffung der Capillaren und der 
Wände der kleinen Venen, in denen das Blut dann 
nicht nur langsam fließt, sondern bei dem er¬ 
wiesenen Plättchenmangel dem Austritte der roten 
Blutkörper kein Hindernis mehr entgegengestellt 
ist, und der Austritt in so erheblichem Maße er¬ 
folgt, daß wir ihn makroskopisch als Blutflecken 
wahrnehmen. Ebenso begründet Frank im An¬ 
schluß an Wolfs moderne Gerinnungstheorie die 
Intensität der Schleimhautblutungen. Kleine Ver¬ 
letzungen der Schleimhaut, besonders im Munde, 
dürften sich so leicht erklären. Beim normalen 
setzen sich die Blutplättchen an den Rändern des 
blutenden Gefäßes der Wunde fest und verengern 
allmählich durch Apposition die Öffnung. Hinzu 
kommt noch die Wirksamkeit der Plättchen als 
Thrombocym-(Cytocym-)quelle. Das Thrombo- 
cym tritt bekanntlich unter dem Einfluß eines 
Elektrolyten (Calciumsalz) mit dem im Serum 
gelösten Thrombogen zusammen und ihr Adduk¬ 
tionsprodukt (Fibrinferment) lagert sich nun 
seinerseits an Fibrinogen an, wobei Fibrin aus¬ 
gefällt wird und die Gerinnung zustande kommt. 
Das fällt fort bei der Atrophie des Knochenmarks 
wegen des Fehlens der Plättchen, und die Blutung 
wird ungewöhnlich lange unterhalten. 

Zum Schluß will ich einige Bemer¬ 
kungen über die Behandlung der 
Amyelie machen. Da uns die Natur der 
Schädlichkeit, welche auf das Knochen¬ 
mark zerstörend einwirkt, verborgen ist, 
so müssen wir auf den Versuch einer 
kausalen Therapie verzichten. Wir können 
nur wie in anderen ätiologisch dunkeln 
Krankheiten uns bemühen, die Gesamt¬ 
widerstandskraft des Organismus zu 
heben, indem wir in der Pflege, Er¬ 
nährung und Kräftigung der Patienten 
das Möglichste zu leisten suchen. Da 
die krankmachende Ursache in speci- 
fischer Weise sich an das Knochenmark 
wendet, suchen wir dessen Widerstands¬ 
fähigkeit zu kräftigen, indem wir das 
specifische Reizmittel ' des Knochen¬ 
marks, das Arsen, zur Anwendung 
bringen. Daß durch Arsen die gesamte 
hämatopoetische Funktion des Knochen¬ 
marks vermehrt wird, steht wohl außer 
Zweifel; durch Arsendarreichung werden 
sicherlich die regenerativen Prozesse an¬ 
geregt, die Bildung der gemeinschaft¬ 
lichen Mutterzellen von Leukocyten und 
Blutplättchen, der Myeloblasten und 
der sogenannten Megakaryocyten, ebenso 

3* 



20 


Die Therapie der . Gegenwart 1917. 


Januar 


wie die Abschnürung der Blutplätt¬ 
chen gefördert. Unter ■ Arsenmedikation 
ist einer unserer Fälle, der anfangs 
verloren schien, zur Heilung gelangt; 
wir haben die subcutanen Injek¬ 
tionen von' Solarson angewandt. 
Dies bekanntlich von Geheimrat Klem- 
perer in den Arzneischatz eingeführte 
wasserlösliche Arsenpräparat kommt auf 
unserer Abteilung zur subcutanen In¬ 
jektion ausschließlich zur Anwendung. 
Wenngleich natürlich ein sicheres Urteil 
nicht möglich ist, habe ich doch den 
Eindruck, als ob die Solarsonanwendung 
neben der Naturheilkraft zu dem gün¬ 
stigen Ausgang mit beigetragen hätte. 

Es kommt übrigens neben der Arsen¬ 
medikation bei der Amyelie noch eine 
andere Heilmöglichkeit durch Knochen¬ 
marksreizung in Frage, das ist die Milz¬ 
exstirpation 1 ), welche bekanntlich bei den 
perniziösen Anämien mit zweifellosem, 
wenn auch vorübergehendem Erfolg an¬ 
gewandt worden ist. Klemperer und 
Hirschfeld haben gezeigt,, daß nach 
Milzexstirpation eine Überschwemmung 
des Blutes mit kernhaltigen roten Blut¬ 
körperchen eintritt und daß sich außer¬ 
dem im strömenden Blut zahlreiche 
rote kleinste granulaartige Kernreste, so¬ 
genannte Jollykörper, gefunden haben. 
Hierdurch ist die direkte Anregung der 
Regeneration des Knochenmarks durch 
die Entfernung der Milz bewiesen. Wir 
haben deswegen die Milzexstirpation in 
unserem letzten Falle bereits in Erwägung 
gezogen, haben jedoch davon Abstand 
genommen, da unter Solarsoninjektionen 
der Umschwung zum Bessern, eintrat. 
Jedoch möchten wir in künftigen Fällen 
beim Versagen der Arsenmedikation zur 
Milzexstirpation raten. 

Als symptomatisches Mittel kommt der 
Ersatz des durch die Hämorrhagien ver¬ 
loren gegangenen Blutes in Frage. Die 
Blützufuhr durch Infusion oder Injektion 
ist in diesen Fällen nicht nur ein Mittel, 
die Kräfte zu erhalten und das Leben zu 
fristen, um der Naturheilkraft neue Mög- 

*) Klemperer und Hirschfeld, Milzexstir¬ 
pation zur Behandlung der perniziösen Anämie. 
(Ther. d. Gegenw. 1913, S. 303). — Klemperer, 
In welchen Fällen kommt die Milzexstirpation in 
Frage (Ther. d. Gegenw. 1914, Nr. 1). 


lichkeit zu bieten; sondern im gesunden 
Blut sind ja auch alle Substanzen vor¬ 
handen, die bei der Amyelie nicht mehr im 
Knochenmark gebildet werden können, 
die Blutplättchen und die Fermente, 
welche die Gerinhung des Blutes herbei¬ 
führen und dadurch die Blutungen ver¬ 
hindern können. Es wird sich also in 
jedem Falle von Amyelie empfehlen, ent¬ 
weder intramuskuläre Injektionen von 
je 20 ccm frisch entnommenen Blutes zu 
machen • oder aber direkte Bluttrans¬ 
fusionen vorzunehmen. Ein durch¬ 
greifender Erfolg dieser Maßregeln dürfte 
nicht zu erwarten sein, da die Wirkung 
nicht lange genug anhält und die all¬ 
zuhäufige Wiederholung sich kaum durch¬ 
führen läßt. 

In jüngster Zeit haben Kocher und 
Fonio in Erkennung der großen Be¬ 
deutung der Blutplättchen für die Blut¬ 
stillung ein Extrakt aus Blutplättchen 
zur Darstellung und in den Handel ge¬ 
bracht, welches sie als Koagulen be¬ 
zeichnen und als ein ausgezeichnetes 
Blutstillungsmittel empfehlen. Es kommt 
in Pulver-, Tabletten- und Ampullenform 
zur innerlichen und äußerlichen Anwen¬ 
dung, sowie zur sukutanen oder intra¬ 
venösen Injektion. In neuester Zeit sind 
bereits mehrere Fälle von prompter Blut¬ 
stillung durch Koagulen teils durch inner¬ 
lichen Gebrauch (bei Magen- und Lungen- 
bluten), teils durch Aufpulvern auf 
blutende Wunden berichtet worden. In 
unserm zweiten Fall haben wir durch 
subkutane Injektion von 20 ccm einer 
5°/ 0 -Koagulenlösung jedesmal Stehen der 
Blutungen, aber immer nur für kurze 
Zeit erzielt; zu intravenösen Injektionen 
konnten wir uns nicht entschließen, da 
die damals zur Verfügung stehenden 
Lösungen nicht klar waren. Neuerdings 
hat aber Fonio verbesserte klarlösliche 
Präparate in Umlauf gebracht und es 
wäre für künftige Fälle zu empfehlen, 
täglich, bis zu 100 ccm der 5°/ 0 -Koagulen- 
lösung intravenös zu injizieren. Der hohe 
Preis des Präparats (100 ccm dieser Lösung 
würden 20 Mark kosten) dürfte kein ent¬ 
scheidender Gegengrund sein. Ob freilich 
auch durch diese Anwendung mehr als 
symptomatische Wirkung zu erzielen wäre, 
muß vorläufig dahingestellt bleiben. 


Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


21 


Die Entscheidung zwischen symptomatischer, Strahlen- 
und operativer Therapie beim Uterusmyom. 

Von Prof. Dr. L. Blumreich-Berlin. 


Seit dem allgemeineren Bekanntwer¬ 
den der so guten Erfolge der Röntgen¬ 
therapie bei Uterusmyomen hat sich bei 
vielen praktischen Ärzten nach meinen 
Erfahrungen insofern ein Umschwung in 
der Auffassung vollzogen, als einesteils 
eine ganze Reihe von Fällen, die durch : 
aus noch der symptomatischen, hausärzt¬ 
lichen Behandlung zugänglich sind, an¬ 
dererseits aber ziemlich wahllos auch 
manche Fälle von Uterusmyomen, die 
.noch heute durchaus dem Messer verfallen 
sind, von vornherein den Gynäkologen 
zwecks Bestrahlung überwiesen werden. 
Dieser Umschwung in der Beurteilung 
wird vielleicht verständlich, wenn man 
an das von verschiedenen Kliniken er¬ 
reichte, und publizierte Resultat der Be¬ 
strahlung von „1Q0 % Heilung der 
Myome“ denkt; aber es wird dabei mit¬ 
unter nicht genügend beachtet, daß diese 
Prozentziffer der Heilung sich eben nur 
erzielen läßt bei einer sehr sorgfältigen 
Auswahl der Fälle, und auch nicht, was 
hierbei unter ,,Heilung“ verstanden wird. 
Auch begeisterte Röntgentherapeuten 
unter den Gynäkologen — und ich gehöre 
auch zu ihnen — müssen nach wie vor 
sowohl der symptomatischen, wie der 
operativen Behandlung einen breiten 
Spielraum gewähren, und ebenso auch 
der Nichtbehandlung. In den letzten 
sechs Wochen sind mir zweimal Patien¬ 
tinnen mit Myomen mäßigen Umfangs, 
die symptomlos bestanden, zur Bestrah¬ 
lung zugewiesen worden; ich habe Be¬ 
strahlung und jedwede andere Therapie 
außer einer regelmäßigen vierteljährlichen 
Beobachtung abgelehnt, weil die Myome, 
die keinerlei Beschwerden machen, wie 
Schmerzen oder Blutungen, Druckerschei¬ 
nungen auf die Nachbarorgane, Folgezu¬ 
stände am Herzen, und bei denen ein Ver¬ 
dacht auf maligne Entartung nicht be¬ 
steht, keinerlei Behandlung bedürfen. 

Die symptomatische Therapie hat in 
neuester Zeit eine wünschenswerte Be¬ 
reicherung der bisher- üblichen Mittel zur 
Beherrschung der Blutungen — Hydra- 
stis- undSekalepräparate, besonders Seka- 
kornin, heiße Spülungen, feste, täglich zu 
wechselnde Scheidentamponade eventuell 
mit flüssiger Gelatine oder Tanninpulver 
— durch die Aufnahme zweier Medika¬ 
mente, der Tampospumantabletten und 
des Koagulen Ciba verfahren. 


Das .Luitpoldwerk in München schil¬ 
dert die pharmakotechnische Wirkung des 
ersteren Präparats folgendermaßen: „Die 
Tampospumantabletten verwandeln sich 
nach Einführung in die Scheide unter 
Freiwerden von Kohlensäure in einen 
expansiven, steifen Körper von C0 2 - 
Schaum. Dieser C0 2 -Schaum ist Träger 
der gelösten, in feiner Verteilung vor¬ 
handenen hämostatischen Specifica (Su- 
prarenin, Styptizin, Ferropyrin). Unter 
dem Druck der Kohlensäure dehnt 
sich der Schaumkörper aus, vermag 
in die Spalten der Schleimhaut einzu¬ 
dringen, um auch von dort aus die tam¬ 
ponierende beziehungsweise gerinnende 
und gefäßverengernde Wirkung zu ent¬ 
falten. Der aus der Tampospumantablette 
sich entwickelnde Schaum ist anzu¬ 
sprechen als ein elastischer, automatisch 
wirkender Schaumtampon. Tampo- 
spuman wirkt also dreifach, durch Vaso¬ 
konstriktion, Blutgerinnung und Schaum¬ 
tamponade.“ 

Ich wende die Tabletten bei Myom 
stets da an, wo es sich um mehr oder weni¬ 
ger erhebliche Verstärkung der menstruel¬ 
len Blutungen handelt, die aber weder an 
sich, noch durch ihre Folgeerscheinungen 
auf Herz und Allgemeinzustand gefahr¬ 
drohenden Charakter angenommen haben. 
Je eine Tablette wird morgens, mittags, 
und abends hoch hinauf in die Scheide 
geschoben; am besten ist es, wenn 
dauernd Bettruhe innegehalten wird, doch 
ließ sich mehrfach auch ausreichend gute 
Wirkung beobachten, wenn die Patien¬ 
tinnen nach Einführung der Tabletten 
nur eine Stunde ruhig lagen, in der Zwi¬ 
schenzeit aber ihre Berufsarbeit fort¬ 
setzten. Die Tabletten werden so lange 
weiter eingelegt, bis die Blutung zum Still¬ 
stand gekommen ist, was gewöhnlich 
schon nach vier bis sechs Tabletten ein- 
tritt. Die Kranken können sich, was für 
beide Teile sehr bequem, und zeitsparend 
ist, die Tabletten selbst einführen. Ich 
habe das Mittel in 31 Fällen von Myom¬ 
blutungen der oben beschriebenen Art in 
Anwendung gebracht, wo die Sekale- und 
Hydrastispräparate nicht den erwünsch-. 
ten Erfolg gezeigt hatten; in 24 Fällen 
ließen die Blutungen sehr erheblich nach, 
siebenmal versagte das Präparat. Die 
Zahlen sind selbstverständlich zu klein 
zu einem endgültigen Urteil; Ebeler 



22 


Die .Therapie der Gegenwart 1917. Januar 


(Der Frauenarzt, 1915) hat bei einem 
größeren Material von 86 Fällen der ver¬ 
schiedensten gynäkologischen Blutungen, 
in der Frauenklinik der Kölner Akademie 
80% prompter Wirkung erzielt. Ein 
Versuch ist jedenfalls durchaus empfeh¬ 
lenswert. 

Das zweite, eventuell in Anwendung 
zu bringende der neueren Mittel ist das 
Koagulen Kocher-Fonio, das auf Ver¬ 
anlassung von Kocher (Bern) hergestellt 
wurde. Es enthält gerinnungsbefördernde, 
aus Tierblutplättchen gewonnene Sub¬ 
stanzen. Wirkt es auch in erster Linie 
durch direkte Aufspritzung bei parenchy¬ 
matösen Blutungen, zum Beispiel bei La¬ 
parotomien, bei plastischen Operationen 
der Dammgegend, so läßt es sich doch auch 
intrauterin und subkutan verwenden. Die 
Dresdener Frauenklinik (Vogt, D. m. W. 
1914, S. 1315) hat das Mittel zuerst bei 
starken menstruellen Blutungen und Me¬ 
norrhagien intrauterin angewandt, die 
Breslauer Klinik (Greinert, Mschr. f. 
Geburtsh., Bd. 43, S. 276) hatte in 
35% derartiger Fälle einen guten Er¬ 
folg, in weiteren 50% einen vorüber¬ 
gehenden Erfolg beziehungsweise Besse¬ 
rung. In der Küstnersehen Klinik wur¬ 
den mittels Braun scher Spritze in Becken¬ 
hochlagerung 2—4 ccm einer 10%igen 
Lösung des Präparates in physiologischer 
Kochsalzlösung oder destilliertem Wasser 
nach Sterilisation durch zwei bis drei Mi¬ 
nuten langes Kochen injiziert. Danach 
.verblieben die Patientinnen 15 Minuten 
in Beckenhochlagerung und eine Stunde 
in Rückenlage. 

Ich habe in mehreren Fällen von er¬ 
heblich verstärkten Menstrualblutungen 
bei Myomen nach Versagen der üblichen 
Mittel das Präparat mit recht gutem Er¬ 
folge in dieser Form angewandt. Wo es 
versagte, habe ich eine Subkutaninjektion 
von 20 ccm einer 3%igen Lösung,, durch 
fünf Minuten langes Kochen sterilisiert, 
gemacht; das Resultat war einigemale 
verblüffend, in anderen Fällen dagegen 
war die Beeinflussung verhältnismäßig 
gering. Vor intravenöser Anwendung habe 
ich mich trotz Empfehlung von anderer 
Seite aus Furcht vor Thrombosen be¬ 
ziehungsweise Embolien gescheut. Ab¬ 
schließend kann ich mich persönlich über 
das Verfahren noch nicht äußern, weil die 
Beobachtungszeit und -Ziffer noch zu 
gering ist, es aber doch als wertvolles 
Unterstützungsmittel zur Bekämpfung 
nicht zu profuser Myomblutungen emp¬ 
fehlen. 


Auch in bezug auf die Schmerz- 
linderung hat uns die neueste Zeit ein 
nicht unwesentliches Verfahren in die 
Hand gegeben in Form der besonders 
während des Krieges zu raschem Ansehen 
gelangten Diathermie. Während und 
kurz vor der Periode kann die Diathermie 
aHerdings nicht angewandt werden, weil 
sie blutungssteigernd wirkt, daher auch 
nicht bei den oft mit schweren Dysmenor¬ 
rhöen verbundenen, profus blutenden sub¬ 
mukösen Myomen. Überhaupt möchte 
ich die Diathermiebehandlung bei Patien¬ 
tinnen, die Neigung zu Blutungen haben, 
widerraten und sie für die zahlreichen 
Fälle reservieren, bei denen der auch im 
Intermenstruum vorhandene Schmerz 
im Vordergründe der Klagen steht, sei es, 
daß es sich um Spannungsschmerzen des 
allmählich wachsenden Myoms handelt 
oder um entzündliche Schmerzen durch 
Verwachsung mit der Nachbarschaft oder 
gleichzeitige Adnexerkrankung. • Hier 
haben wir zweifellos eine sehr bedeutsame 
Vermehrung unserer Einwirkungsmög¬ 
lichkeiten in der Diathermie zu erblicken, 
die viel wirksamer ist als die üblichen 
heißen Umschläge und Badekuren; die 
schmerzstillende Wirkung ist eine ganz 
eklatante, sie tritt meist nach wenigen 
Sitzungen auf, allerdings zunächst vor¬ 
übergehend. Dann werden die schmerz¬ 
freien Intervalle immer größer, bis schlie߬ 
lich der Schmerz völlig nachläßt. Daß 
auch refraktäre Fälle Vorkommen, ist 
selbstverständlich. Aber jedenfalls ist die 
Diathermie meines Erachtens das bisher 
wirksamsteMittel zur Schmerzverringerung 
und ermöglicht es, auf manche Operation 
zu verzichten, die man früher wegen der 
sonst nur durch ständigen Gebrauch von 
Narkotizis herabzusetzenden heftigen 
Schmerzen vornahm. Ich verwende nach 
Kowarschick(Lehrbuch der Diathermie, 
Springer, 1914) zwei große Bleiplatten als 
Elektroden, von denen die eine unter das 
Kreuzbein, die andere auf das Abdomen 
kommt. Die Sitzungen werden anfangs 
täglich, bei deutlicher Besserung jeden 
zweiten Tag genommen, sie dauern etwa 
15 Minuten; die Stromstärke ist anfangs 
0,5 Ampere, steigt aber, wenn die Kran¬ 
ken die geringere Stromstärke gut ver¬ 
tragen, rasch bis zu 1,5—2,0 Ampere. In 
manchen Fällen wirken die verhältnis¬ 
mäßig niedrigeren Stromstärken bis 
0,75 Ampere günstiger ein als die höheren. 

Eine absolute Kontraindikation gegen 
die diathermische Behandlung sind frische 
Infektionen; auch wo subakute Entzün- 



Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


23 


düngen die Myomerkrankung kompli¬ 
zieren, möchte ich die Diathermie strikt 
widerraten. In ausgezeichneter Weise läßt 
sich mitunter die nicht ganz seltene Konr- 
plikation der Neuralgie des Nervus ischia- 
dicus durch Diathermie bekämpfen. Hier 
bin ich vielfach schon mit der Vakuum-' 
elektrode ausgekommen, ein Erfolg war 
manchmal bereits nach drei Sitzungen 
wahrnehmbar. In anderen Fällen freilich 
bedurfte es viel längerer Behandlung und 
der Anwendung der Bleiplatten. 

Schaltet man die Fälle mit Temperatur¬ 
steigerung, akuten und subakuten Ent¬ 
zündungen aus, so wird man viel Befriedi¬ 
gung bei der Diathermiebehandlung emp¬ 
finden ; zeitraubend ist das Verfahren aller¬ 
dings, aber das darf natürlich keine Rolle 
spielen, wenn es gilt, der Kranken even¬ 
tuell die Operation zu ersparen. 

Wo es trotz alledem nicht erreicht 
wird, die Schmerzen in einer Weise herab¬ 
zusetzen, daß sie Lebensgenuß und Ar¬ 
beitsfähigkeit nicht mehr stören, wo die 
verstärkten Menstrualblutungen auf die 
geschilderten Maßnahmen hin nicht nach- 
lassen oder von vornherein äußerst profus 
sind, zu körperlicher Erschöpfung, schwe¬ 
rerer Anämie oder Herzerscheinungen 
führen, wo das Myom durch seine Größe 
oder seinen Sitz bei jeder Menstruation 
zur Urinretention führt oder wo schlie߬ 
lich der Verdacht auf maligne Degenera¬ 
tion besteht, da genügt die symptomatische 
Therapie nicht mehr, da sind Strahlen¬ 
behandlung beziehungsweise Operation 
angebracht. 

Die Mehrzahl der Gynäkologen, da¬ 
runter ich ebenfalls, betrachten die Strah¬ 
lenbehandlung der Myome als das Ver¬ 
fahren der -Wahl. Es unterliegt gar 
keinem Zweifel, daß man in der über¬ 
wiegenden Mehrzahl aller Fälle bei rich¬ 
tiger Indikationsstellung ausgezeichnete 
Resultate erzeilt. Darauf aber kommt es 
eben an; die Röntgenbehandlung verlangt 
eine sehr exakte Diagnose. Diagnostische 
Fehler rächen sich hier ganz besonders. 
Namentlich muß man sich davor hüten, 
maligne Ovarialtumoren für gutartige 
Myome zu halten, ein Irrtum, der mit¬ 
unter selbst dem geübten Fachmann 
passieren kann. In einer früheren Arbeit 
(Zur Röntgen- und operativen Behand¬ 
lung der Myome, B. kl. W. 1912, Nr. 37) 
habe ich einen solchen Fall angeführt, bei 
dem seitens eines erfahrenen Gynäkologen 
die Diagnose auf Uterus myomatosus ge¬ 
stellt und Strahlentherapie empfohlen 
worden war. Die Patientin kam ein halbes 


Jahr später zu mir, die Tumoren waren 
trotz Bestrahlung gewachsen, die Blu¬ 
tungen nicht geringer geworden, so daß 
ich zur Operation riet und vermutete, 
daß eine maligne Neubildung dahinter 
stecken könnte. Bei derLaparotomie wurde 
meine Annahme bestätigt, es lag ein Carci- 
nom beiderOvarien vor. ÄhnlicheFälle von 
Bestrahlung maligner Ovarialtumoren in¬ 
folge einer Fehldiagnose, sind auch von 
anderer Seite berichtet worden. . Leider 
werden solche Fälle, bei denen Kranken¬ 
geschichte und objektiver Befund völlig 
zum Bilde des Myoms passen und doch 
maligne Ovarialtumoren vorliegen, sich 
stets gelegentlich wiederholen, denn hier 
liegen eben auch für den geschulten Unter¬ 
sucher die Grenzen des diagnostischen 
Erkennens. Daß man unter allen Um¬ 
ständen die Operation vorziehen wird, wo 
man seiner Sache nicht absolut sicher zu 
sein glaubt, sondern mit einer noch so 
entfernten Möglichkeit des Vorhanden¬ 
seins bösartiger Eierstockgeschwülste 
rechnet, ist selbstverständlich. 

Nicht minder schwierig zu entscheiden 
ist mitunter die Frage, ob in dem myo- 
matösen Uterus eine karzinomatöse Ent¬ 
artung vorliegt. Bei noch so profusen 
Blutungen wird man an Carcinom nicht 
zu denken brauchen, sobald nur die Blut¬ 
ausscheidung sich an den menstruellen 
Typ hält. Stellen ,sich aber Unregel¬ 
mäßigkeiten im Auftreten ein, so muß 
unter allen Umständen, bevor man sich 
für die Strahlentherapie entscheidet, eine 
Probeabrasio vorgenommen werden. Fällt 
diese negativ aus, zeigt sich also nichts 
von maligner Entartung bei der mikro¬ 
skopischen Untersuchung der ausge¬ 
schabten Massen, so würde ich dringend 
empfehlen, an die Abrasio eine Probe¬ 
austastung anzuschließen und dabei ver¬ 
dächtig erscheinende Stellen oder solche 
Partien, zu denen der Schablöffel ohne 
Leitung des Fingers nicht gelangen 
konnte, abermals zu kurettieren. Einen 
sehr bezeichnenden Fall dieser Art möchte 
ich als Beispiel anführen: 

Frau A. K-, Patientin von 48 Jahren, Menses 
sehr verstärkt und verlängert, aber regelmäßig 
bis vor fünf Monaten. Seit dieser Zeit gelegentlich 
auftretende ganz unregelmäßige Blutungen, mal 
stärker, mal schwächer. Man fühlt einen viel¬ 
knolligen, anderthalbfaustgroßen Uterus myo¬ 
matosus. Die Probeausschabung ergab ein Endo¬ 
metrium, wie es dem prämenstruellen Typ ent¬ 
spricht, aber nichts von. Malignität. Mit Rücksicht 
auf die Irregularität in den letzten Monaten ent¬ 
schloß ich mich zur Probeaustastung; die Cervix 
wurde durch zweimaliges Einlegen von Laminaria- 
stiften ln Abständen von 24 Stunden und gleich- 



24 


Die Therapie der 


zeitige Dilatation mit Hegarschen Stiften für 
den Finger durchgängig gemacht, und es ergab 
sich dabei eine Ausbuchtung nach links hinten 
oben, in die die Kürette nicht eingedrungen war. 
Unter Führung des Fingers wurde die betreffende 
Partie nachträglich abradiert und es wurde ein 
Adenocarcinom festgestellt. 

Wo die Sondierung vor der Probe¬ 
abrasio eine nicht ganz gleichmäßig ge¬ 
staltete Höhle ergibt, verbinde ich seitdem 
stets die Austastung mit der Ausschabung 
und kann nur dringend zu diesem viel 
sichereren Verfahren raten. 

Daß die Vergesellschaftung mit Kor- 
puscarcinom nicht selten ist, zeigt die 
Statistik Schottländers; er fand unter 
330 Myomen der Schautaschen Klinik 
in 6% der Fälle = 20mal gleichzeitig 
Carcinombildung. 

Erst wenn bei irregulären Blutungen 
Ausschabung und Austastung, zusammen 
uns die Existenz einer malignen Neubil¬ 
dung haben ausschließen lassen, dürfen 
wir die Strahlentherapie einleiten. 

Viel übler noch sind wir bei den sarko- 
matösen Entartungen der Myome ge¬ 
stellt, denn hier fehlt uns die Möglichkeit, 
durch Probeaustastung und -ausschabung 
zu einer klaren Beurteilung des Falles zu 
kommen, und klinische Erscheinungen, 
die den Verdacht auf sarkomatöse Dege¬ 
neration lenken könnten, fehlen oft völlig. 
Die Häufigkeit dieser Entartungsform war 
von Warnekros aus der Bummschen 
Klinik bei der nachträglichen Unter¬ 
suchung von 78 Myomfällen auf fast 10% 
beziffert worden, doch haben spätere 
Forschungen ergeben, daß diese hohe Zahl 
sich kaum aufrecht erhalten läßt, so daß 
man jetzt mit ungefähr 2% sarkomatöser 
Degeneration rechnet. Für eine solche 
Entartung spricht sehr rasches Wachstum, 
namentlich nach Zessieren der Menses, 
Wiederauftreten von Blutungen in der 
Menopause, aber, wie gesagt, mitunter 
fehlt jeder klinische Anhaltspunkt. 

Daß also die Röntgentherapie völlig 
ungefährlich sei, kann ich nicht an¬ 
erkennen; die Gefahr der Strahlenbehand¬ 
lung liegt, wie ich schon seinerzeit aus¬ 
führte, in der Unmöglichkeit, in jedem 
Falle vor Beginn der Therapie exakt die 
maligne Degeneration des myomatösen 
Uterus ausschließen zu können, gelegent¬ 
lich auch in der selbst dem Geübtesten 
nicht immer möglichen sicheren Unter¬ 
scheidung zwischen malignen Ovarial¬ 
tumoren und multiplen subserösen Myo¬ 
men und in einem Hinausschieben der 
Operation in diesen unvermeidbaren Fäl¬ 
len von Fehldiagnosen. 


Gegenwart 1917. Januar 


Weitere Gegengründe gegen Strahlen¬ 
behandlung bei Myomen sind Vereiterung 
oder Verjauchung des Tumors, ferner 
submuköse, in die Scheide hineingeborene 
Myome und schließlich solche Tumoren, 
die durch Größe und Sitz so starke Ver- 
drängungs- beziehungsweise Druckerschei¬ 
nungen machen, daß sofortige Abhilfe 
geschaffen werden muß und nicht erst 
die eventuelle,' ja nicht immer mit 
absoluter Regelmäßigkeit eintretende 
Schrumpfung der Myome durch Strahlen¬ 
behandlung abgewartet werden 1 darf. 

Endlich ziehe ich bei Frauen unter 
40 Jahren prinzipiell die operative Be¬ 
handlung vor. Sie ist tatsächlich viel 
weniger radikal als die Röntgentheräpie; 
diese wirkt ja auf die Myomblutungeh auf 
dem Umweg über die Zerstörung der 
Eierstöcke ein. Erhält man aber bei der 
Operation eines der Ovarien — eine rein 
technische Frage —, so wird die Frau 
einerseits von ihren Blutungen -befreit, 
andererseits aber dauert die für das Ge¬ 
schlechtsleben und die Psyche der Frau 
so notwendige innere Ovärialsekretion 
fort. 

Der Einwand dagegen, der dem Gynä¬ 
kologen häufig vom Praktiker gemacht 
wird, daß die Frau zu ausgeblutet sei für 
die Strahlentherapie, ist unzutreffend. 
Mit Recht hebt Krönig hervor, daß 
gerade die völlig ausgebluteten Frauen 
mit einem Hämoglobingehalt von 25% 
und noch weniger die dankbarsten Ob¬ 
jekte der Bestrahlung seien. Daß man 
während der Bestrahlung bei diesen 
Frauen mit allen oben angeführten Mit¬ 
teln, besonders der festen Tamponade, 
jedwede weitere Blutung verhüten und 
gleichzeitig auf Herz und Ernährungs¬ 
zustand einwirken soll, ist selbstverständ¬ 
lich. ln zwei Fällen, in denen die sehr feste 
Vaginaltamponade trotz gleichzeitiger 
Durchtränkung mit Gelatinelösung sofort 
wieder durchblutet war, kam ich zum Ziel 
durch mehrtägiges Herabziehen der Por¬ 
tio mit einer Kugelzange, an welche mit¬ 
tels eines über den unteren Bettpfosten 
geleisteten Bandes ein Gewicht angehängt 
wurde, wie das Arendt für die Behand¬ 
lung der schweren Nachgeburtsblutungen 
empfohlen hat. Die benachbarten Weich¬ 
teile der Scheide müssen durch Zwischen¬ 
lagen von Gaze vor dem Kugelzangen¬ 
druck geschützt werden. 

Die von mir angewandte Bestrahlungs¬ 
technik ist folgende vielfach übliche: 

Einteilung der Bauchwand unterhalb 
des Nabels in acht Felder, täglich wird ein 



Januar 


Die Therapie der 


Feld bestrahlt, häufig auch zwei. Auf 
jedes Feld werden 25 X unter 3 mm 
Aluminiumfilter appliziert, also in der 
Serie 200X> wozu bei dem Apexapparat 
der Firma Reiniger, Gebbert & Schall 
und der Duraröhre mit Motorwasser¬ 
kühlung, nach Opitz unter Verwendung 
von Eiswasser, je nach der Röhre sieben 
bis zehn Minuten nötig sind. Nach drei¬ 
wöchentlicher Pause beginnt eine neue 
Serie, durchschnittlich werden drei bis 
fünf Serien gebraucht. Eine größere Zahl 
von Feldern auf einmal zu bestrahlen, 
habe ich mich bisher nicht entschließen 
können, da ich finde, daß manche Pa¬ 
tientinnen schon nach wenigen Minuten 
der Bestrahlungszeit recht angegriffen 
sind.* 

Nun die Dauerheilungen, die zur Be¬ 
urteilung des Erfolges so wichtig sind! 
Heimann (B. kl. W. 1916, Nr. 37) be¬ 
richtet aus der Breslauer Klinik über 
100% Dauerheilungen bei mehreren hun¬ 
dert Fällen; der Erfolg gilt als erreicht, 
wenn die Periode mindestens achtWochen 
fortgeblieben ist. Rezidive wurden nicht 
beobachtet. Auch Krönig (Lehrbuch der 
Gynäkologie von Krönig und Pankow 
1915) konnte so gut wie 'ausnahmslos 
Amenorrhoe erzielen, berichtet aber, daß* 
es trotzdem gelegentlich zu Rezidiven der 
Blutungen komme, die dann sehr hart¬ 
näckig den erneuten Bestrahlungen stand¬ 
hielten. Derartige Erfolge haben sicher 
nur wenige erreicht. Auch Franz (Zschr. 
f. Gyn. Bd. 78, S. 505) betont beispiels¬ 
weise, daß er viel ungünstige Erfahrungen 
mit der Bestrahlung bei Myomen gemacht 
habe, die Rezidive seien sehr unangenehm, 

. die Frauen würden ein halbes Jahr lang 
bestrahlt und seien sechs Monate blu¬ 
tungsfrei, dann aber kämen sie wieder mit 
Blutungen, die freilich meist durch er¬ 
neute Bestrahlung beseitigt würden; auch 
seien die Ausfallserscheinungen sehr, viel 
stärker als bei Myomoperationen und 
Zurücklassung der Ovarien. 

Das Röntgenmaterial einer Privat¬ 
klinik, in dem bei den hohen Selbstkosten 
der Strahlenbehandlung poliklinische 
Kranke leider nicht behandelt werden 
können, ist selbstverständlich kleiner und 
nicht so beweisend, wie das mehrere hun¬ 
derte von Fällen umfassende Material 
einer großen staatlichen Anstalt. Aber 
ich habe doch den entschiedenen Eindruck 
gewonnen, daß die Beobachtungszeit von 
mindestens acht Wochen nicht genügt, 
um von einer wirklichen Heilung sprechen 
zu können. Es sind auch mir gelegentlich 


Gegenwart 1917. ' 25 


Rezidive noch nach sechs bis acht Mo¬ 
naten vorgekommen, die von neuem be¬ 
strahlt werden mußten, dann meist — 
aber auch nicht immer — mit definitivem 
Erfolge. 

. Unter allen Umständen ist ständige 
Weiterbeobachtung der bestrahlten Pa¬ 
tientin längere Zeit hindurch notwendig, 
wie’auch ein jüngst publizierter Fall von. 
Sippel beweist. Er erzielte in einem Fall 
Amenorrhoe; nach einigen Monaten aber 
kam es zu erneutem Wachstum des durch 
die Strahlenbehandlung verkleinerten 
Myoms und zur sark.omatösen Entartung. 
Mit Recht betont Sippel, daß die durch 
Strahlen erreichte Amenorrhoe und Myom¬ 
heilung zwei sehr verschiedene Dinge 
seien. 

Zusammenfassend möchte ich sagen, 
daß die Strahlenbehandlung der Myome 
eine ausgezeichnete klinische Diagnosen¬ 
stellung unter Anwendung aller diagnosti¬ 
scher Hilfsmittel, wie Narkosenunter¬ 
suchung, Ausschabung, Austastung, ver¬ 
langt, und daß sie bei richtiger Auswahl 
der Fälle sehr gute Resultate gibt, daß 
aber doch auch mit Rezidiven und ge¬ 
legentlich mit recht unangenehmen Aus¬ 
fallserscheinungen gerechnet werden muß. 

Es bleibt also immer noch ein ziemlich 
beträchtlicher Prozentsatz von .Myom¬ 
kranken übrig, der ohne Operation nicht 
zu heilen ist. Und die in neuerer Zeit viel¬ 
fach berichteten sehr günstigen Opera¬ 
tionsresultate werden den Entschluß dazu 
gewiß erleichtern. Ich konnte vor vier¬ 
einhalb Jahren über eine Serie von 
153 Myomoperationen hintereinander ohne 
Todesfall berichten (B.kl. W. 1912, Nr. 37). 
Die Statistiken von Zweifel, Franz, 
Bumm, von Franqüe, Walthard, 
Opitz, Flatau weisen ebenfalls bei 
großen Serien, zum Teil weit über hundert 
Fällen, keine oder eine minimale Morta¬ 
lität auf. 

Daß bei einer Serie von 153 Fällen ohne 
Exitus ein glücklicher Zufall nicht be¬ 
deutungslos ist, liegt auf der Hand. Das 
habe ich schon damals betont. Unter den 
seither operierten 84 Patientinnen habe 
ich denn auch drei Fälle von Exitus zu 
beklagen gehabt, zwei Frauen starben an 
Embolie, eine an Herzschwäche, also unter 
insgesamt 237 Fällen drei Todesfälle 
== 1 %.%• Die durchschnittliche Opera¬ 
tionsmortalität bei Myomen ist nach 
Krönig (Lehrbuch) noch immer 3—4%. 

Die Operationen setzen sich folgender¬ 
maßen zusammen: 


4 





. 26 Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


vaginale Totalexstirpationen ... 68 

vaginale Enukleationen . •. . . . 7 

abdominale Enukleationen .... 21 

supravaginale Amputationen . . ., 108 
abdominale Exstirpationen .... 33. 


Sie wurden ausgeführt in insgesamt 
14 Jahren. Die Zahl ist im Verhältnisse 
dazu relativ klein, was sich aus der eng¬ 
gefaßten Indikationsstellung erklärt. In 
den letzten vier Jahren namentlich habe 
ich nur dort operiert, wo einer der ge¬ 
schilderten Gegengründe gegen Strahlen¬ 
behandlung vorlag. 

Die modernen Bestrebungen, die In¬ 
halationsnarkose mehr und mehr auszu¬ 
schalten und durch Lumbal-, Sakral- und 
paravertebrale Leitungsanästhesie zu er¬ 
setzen, werden zweifellos die Mortalität 
noch weiter herabdrücken. Ich habe bei 
über 400 Lumbalanästhesien keinen auf 
die Spinaleinspritzung zu beziehenden 
Exitus erlebt, dagegen mehrere Augen¬ 
muskellähmungen und namentlich häu¬ 
figen Kopfschmerz. Den Kopfschmerz 
habe ich in etwa ein Zehntel aller Fälle 
auftreten sehen, die Stärke desselben war 
meist nur gering und kurz dauernd, ge-' 
legentlich jedoch von sehr beträchtlicher 
Intensität und mehrwöchentlicher Dauer. 
Diese Folgezustände haben mich dazu ge¬ 
führt, an Stelle der Lumbalanästhesie 
neuerdings zur Sakralanästhesie überzu¬ 
gehen, die von Stöckel inauguriert, be¬ 
sonders von Schlimpert und Kehrer 
weiter ausgebaut wurde. Die Injektions¬ 
flüssigkeit bleibt hier extradural, die un¬ 
angenehmen Nebenwirkungen der Augen¬ 
störungen und Kopfschmerzen fehlen 
völlig. Die Technik der Sakralanästhesie 
ist einfach, die Anästhesie wird von den 
Kranken ausgezeichnet vertragen. Um 
die seelischen Erregungen vor der Opera¬ 
tion zu bekämpfen, bekommen die Pa¬ 
tientinnen am Abend vor der Operation 
0,5 Veronal, am Morgen, ein und zwei 
Stunden vor Beginn des Eingriffs, je eine 
Spritze ä 0,03 Narkophin und 0,0003 Sko¬ 
polamin, dazu einen Ölwattepfropf oder 
Antiphone in -die Ohren; die Patienten 
werden danach meist teilnahmslos in den 
Operationssaal hineingefahren und durch 
den Anblick der Operationsvorbereitungen 


absolut nicht mehr erschreckt und erregt.. 
Ich wende die Sakralanästhesie überall 
dort an, wo Herz-, Lungen- oder Nieren¬ 
leiden vorliegen, ferner dort, wo die Kran¬ 
ken eine Abneigung gegen die Allgemein¬ 
narkose haben. Zur Einleitung der letz¬ 
teren bevorzuge ich 6—8 g Aethylchlorid; 
die Patienten sind nach wenigenAtem- 
zügen betäubt und werden dann mit 
Äther (Tropfmethode) weiter eingeschlä¬ 
fert gehalten. Patienten, die nicht oder 
nur in geringem Maße nervös sind, können, 
wenn man am Morgen die Narkophin- 
Skopolamin-Injektionen zu einer Zeit 
macht, wo die Veronalwirkung noch nicht 
vorüber ist, und dann früh genug operiert, 
den Narkosenanfang völlig verschlafen, 
was aus psychischen Gründen natürlich 
sehr zweckmäßig ist. Unmittelbar nach 
der Operation erhält die Patientin ein 
elektrisches Heißluftbad, um die Abküh¬ 
lung bei dem Eingriffe wieder auszu¬ 
gleichen. Am Operationstage selbst wird 
bereits mit Atemgymnastik zur Vermei¬ 
dung von Bronchitiden und mit passiven 
Beinbewegungen begonnen. Nach weni¬ 
gen Tagen dürfen die Kranken sich im 
Bette leicht bewegen und auch auf die 
Seite legen. Ich lasse sie im allgemeinen 
nicht vor dem 12. Tage aufstehen; wenn 
schon für jedes geschädigte Herz in erster 
Linie der Grundsatz der Schonung und 
erst später der der Übung gilt, so trifft das 
gewiß post operationem zu, bei dem durch 
Myom,.Trauma der Operation, Erregungen 
und eventuell auch Narkose angegriffenen 
Herzen. 

So haben symptomatische Therapie, 
Strahlenbehandlung und Operation ihre 
fest umrissenen Indikationen. Reicht die 
symptomatische Therapie nicht aus, so 
wird man in erster Linie an die Strahlen¬ 
behandlung zu denken haben, und nur, 
wo die Diagnose nicht ganz klar ist oder 
eine der geschilderten Kontraindikationen 
gegen die Röntgenbehandlung vorliegt, 
wird zur Operation gegriffen werden, die 
aber auch dank den neueren Bestrebungen 
mehr und mehr an Schrecken verloren 
hat und in den Händen vieler Operateure 
nur noch eine tatsächlich minimale Mor¬ 
talität aufweist. 


Zusammenfassende Übersichten. 


Blutstillung durch Koagulen. 


Unter Hinweis auf die in diesem Heft 
erschienene Arbeit über die hämorrhagi¬ 
schen Anämien, in welchen die blut¬ 
stillende Wirkung des Koagulen hervor¬ 


gehoben wird, möchten wir im folgenden 
ein ausführliches Referat über eine neue 
Mitteilung von Fon io bringen, in welcher 
die Wirksamkeit dieses Präparats klar 





Januar 


27 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


beleuchtet wird. Es sind in der letzten 
Zeit einige Arbeiten erschienen, die den 
heilenden Wert des Koagulen bei schweren 
Blutungen zeigen konnten. Fonio be¬ 
richtet einleitend von einem Herrn mit 
Morbus maculosus Werlhofii, dem er 
20 ccm der 5%igen Koagulenlösung intra¬ 
venös und 80 ccm subcutan injizierte. Da 
sich ein Erfolg nicht gleich einstellte, in¬ 
jizierte er ihm später 100 ccm der 5%igen 
Lösung intravenös. Abgesehen von Neben¬ 
erscheinungen, die aber bald vorüber¬ 
gingen, war die günstige Einwirkung auf 
das Krankheitsbild ganz eklatant. Fonio 
ließ dann den Patienten per os noch einige 
Tage Koagulen nehmen und es trat dann 
weiter keine Blutung mehr auf. Seine 
sonstigen Beobachtungen lehren, daß man 
Koagulen häufiger einverl'eiben muß, um 
einen Erfolg zu erzielen, weil man nicht 
die Ätiologie des Leidens, sondern nur den 
Symptomenkomplex behandelt. Durch 
das Koagulen sucht man einen aus un¬ 
bekannter Ursache fehlenden oder in nur 
vermindertem Maße vorhandenen Ge¬ 
rinnungsfaktor zu ersetzen, um die durch 
seinen Mangel bedingten • Krankheits¬ 
erscheinungen hintan zu halten. Die Blu¬ 
tungen können zweierlei Ursache haben, 
einerseits kann es sich um eine toxische 
Schädigung der Capillaren handeln, oder 
um ein abnormes Verhalten des Gerin- 
nungsapparates des Blutes selbst, bei ein¬ 
zelnen Fällen spielt die erste Möglichkeit 
eine Rolle, bei anderen die zweite. 
Nun zeigen die Untersuchungen Franks 
über den Blutplättchengehalt des Blutes, 
die im letzten Jahre auch verschie¬ 
dentlich bestätigt worden sind, daß die 
Beschaffenheit des Blutes die Ursache 
für die Blutungen abgeben kann. Man 
kann deshalb aus dem großen Komplex 
der hämorrhagischen Diathesen eine ein¬ 
zelne große Gruppe ausscheiden, nämlich 
die Gruppe der Purpuraerkrankung mit 
herabgesetzter Blutplättchenzahl, die ein 
ganz einheiliches typisches Verhalten des 
Blutes besitzt. Hierzu gehört in erster 
Linie das Bild des Morbus maculosusWerl- 
hofii in seinen drei Unterarten: der idio¬ 
pathische Marbus maculosus Werlhofii, 
der symptomatische und der toxische 
Morbus maculosis Werlhofii. Hierher ge¬ 
hören aber auch Fälle von chronischer 
Purpura unbekannter Ätiologie, bei der 
die Erscheinungen der Blutungen milder 
verlaufen, entsprechend dem geringeren 
Grade des Plättchenmangels. Diese Fälle 
lassen sich günstig beeinflussen, wenn 
man den Mangel der Blutplättchen er¬ 


setzt. Dies läßt sich sehr gut erreichen 
durch Zufuhr von Koagulen. Aber selbst 
wenn tatsächlich die Blutplättchen nicht 
vermindert sind, so wird durch die Zufuhr 
von Koagulen ab und zu eine Besserung 
erreicht; 

So hat Fonio bei einem Falle von 
Melaena neonatorum ausgezeichnete Er¬ 
folge gesehen. Er berichtet über einen 
Patienten, dem er innerhalb von 24 Stun¬ 
den 5 g Koagulen in Tee gelöst innerlich 
verabreicht hat und außerdem morgens 
und abends je eine Kochsalzinfusion von 
je 100 ccm mit 1 g Koagulen. 

Auch die Hämophilie wird durch Koa¬ 
gulen sehr gut beeinflußt. Merkwürdig ist, 
daß, wie Sahli und Fonio nachgewiesen 
haben, die Blutplättchenzahl bei der 
Hämophilie nicht vermindert, sondern 
sogar vermehrt wird. Aber das hämophile 
Plättchen erweist sich gegenüber dem 
normalen als insuffizient, indem das hämo¬ 
phile Plättchen durch den Zusatz von 
Koagulen weniger stark beeinflußt wird 
als das normale. Ebenso verhält es sich 
mit dem Zusatz der entsprechenden 
Extrakte aus diesen, der Thrombozyme. 
Man muß daher annehmen, daß die Er¬ 
scheinung der Hämophilie auf einer In¬ 
suffizienz desThrombozyms beruht.Daraus 
ergibt sich die Indikation, bei hämophilen 
Blutungen Koagulen anzuwenden. Tat¬ 
sächlich ist es Fonio gelungen, durch lo¬ 
kale Anwendung von Koagulen eine hämo¬ 
phile Zahnblutung zu stillen. Im Gegen¬ 
satz zu den Purpurazuständen, die eine 
fortgesetzte Koagulenzufuhr erheischen, 
genügt bei hämophilen Blutungen oft eine 
einzige Applikation dieses Mittels, um eine 
Hämorrhagie dauernd zu stillen. Fonio 
faßt zum Schlüsse seine Ratschläge für 
die Anwendung des Koagulen folgender¬ 
maßen zusammen. Für die intravenöse 
Injektion eignen sich am besten die Am¬ 
pullen zu 20 ccm, die von der Gesellschaft 
für chemische Industrie in Basel geliefert 
werden. Sind diese nicht gerade bei der 
Hand, so kann man mit dem gleichen Er¬ 
folge und unbedenklich die-Tabletten oder 
das zuckerhaltige Pulver in 1 %iger Lö¬ 
sung anwenden. Für intramuskuläre oder 
subcutane Einspritzungen, wobei viel grö¬ 
ßere Mengen injiziert werden können 
(100—200 ccm der 1 %igen Lösung) sowie 
für den lokalen Gebrauch, eignen sich 
besser die Tabletten, für den innerlichen 
Gebrauch dagegen die bisher erhältliche 
Zuckermischung, die namentlich von Kin¬ 
dern gern eingenommen wird (als 1 bis 
5%ige Lösung). Bei der intravenösen In- 

4 * 






28 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


jektion ist insofern Vorsicht geboten, als 
man in jedem einzelnen Falle individuali¬ 
sieren muß. Ein Kind wird weniger ver¬ 
tragen als ein erwachsener Mensch und 
ein kräftiger Patient mehr als ein schwa¬ 
ches, heruntergekommenes, beinahe schon 
ausgeblutetes Individuum. Außerdem 
muß in Betracht gezogen werden, daß, je 
größer der Blutverlust, desto größer die 
Tendenz zur spontanen Blutstillung ist, 
einerseits durch die Herabsetzung des 
Blutdruckes, andererseits durch Aufnahme 
von Gewebeflüssigkeit ins Blut, der natür¬ 
lichen Autotransfusion ins Blut und der 
damit verbundenen Thrombokinasean- 
reicherung. Die intravenöse Injektion 
muß, um unangenehme Vorkommnisse zu 
vermeiden, recht langsam ausgeführt wer¬ 
den (in den ersten Minuten nicht mehr als 
1 ccm pro Minute injizieren!) und der 
Patient dabei dauernd beobachtet werden. 
Bemerkt man eine abnorme Gesichts¬ 
rötung, klagt der Patient über Schwindel, 
Schwarzwerden vor den Augen, Husten¬ 
reiz oder Angstgefühl, so soll man mit der 
intravenösen Injektion abbrechen und den 
Rest subcutan oder intramuskulär inji¬ 
zieren. Wird die intravenöse Injektion 
einer Ampulle zu 20 ccm gut vertragen, 
so versuche man es vorsichtig mit einer 
zweiten, unter verschärfter Beobachtung 
des Kranken. Geht es nicht, so gebe man 
den Rest subcutan oder intramuskulär. 
Sodann gebe man fortgesetzt 5 g Koagulen 
innerlich in 24, Stunden ( 5 / 200 aq., zwei¬ 
stündlich einen Eßlöffel). Man höre mit 
dieser Medikation erst zwei bis drei Tage 
nach erfolgter definitiver Besserung auf. 
Wiederholen sich die Blutungen, so müs¬ 
sen die intravenösen Injektionen wieder 
verabreicht werden. Hämorrhagien aus 
Nase und Mund sind außerdem durch ent¬ 
sprechende lokale Applikationen zu be¬ 
handeln. Anstatt der Ampullen kann man 
die 1 %ige Lösung, aus Tabletten oder 
Pulver hergestellt und durch Kochen 
steril gemacht, in leicht erhöhterDosierung 
anwenden (20—40 ccm). Es empfiehlt 
sich, den Verlauf der Krankheit durch 


häufig wiederholte Zählung der Blutplätt¬ 
chen zu kontrollieren und aus dem An¬ 
steigen oder Fallen der Zahl die Indikation 
für die weitere Behandlung zu stellen. 

Die günstige Beeinflussung von Blu¬ 
tungen ' geht auch aus einer Mitteilung 
von Bräutigam (Berlin) hervor, der 
eine schwere Magenblutung mittels Koa- 
gulen gestillt hat. Er berichtet über einen 
Fall von Ulcus ventriculi, bei dem er die 
Laparatomie ausführte. Nach der-Opera¬ 
tion stellte sich starkes Blutbrecheri ein. 
Bei der nochmals ausgeführten Lapara¬ 
tomie erwies sich die Nahtstelle der 
Gastroenterostomie als intakt. Die vor¬ 
dere Naht wurde aufgetrennt, und man 
sah aus dem Inneren des Magens vom 
Pylorus her arterielles Blut hervorsickern. 
Offenbar handelte es sich um eine profuse 
Blutung aus einem alten Ulcus. Die 
Wunde wurde wieder vernäht und kurz 
vor Schluß der Naht 20 ccm einer 10%igen 
Koagulenlösung in den Magen gespritzt 
und die Flüssigkeit im Mageninnern durch 
vorsichtiges Abtasten des Magens ver¬ 
teilt. Die Patientin erbrach noch einmal 
dreiviertel Stunden nach Schluß der Ope¬ 
ration zirka 150 ccm einer dunkelbraunen 
Flüssigkeit. Dann aber hörte das Er¬ 
brechen auf und es trat vollständige Hei¬ 
lung ein. Bräutigam glaubt mit Sicher¬ 
heit annehmen zu dürfen, daß die schwere 
Magenblutung durch direkteüberschwem- 
mung der blutenden Stelle mit Koagulen¬ 
lösung zum Stehen kam. Er empfiehlt 
bei Operationen am Magen, bei denen 
eine Blutung zu befürchten ist, vor Schluß 
der Magenwunde ein Quantum Koagulen 
prophylaktisch in den Magen einzu¬ 
spritzen. Daraus ergibt sich die weitere 
Indikation, bei Magenblutungen von vorn¬ 
herein Koagulen zu gebrauchen, indem 
man es per os einverleibt. Mit dem Vor¬ 
schläge von Bräutigam, mittels einer 
Rekordspritze durch die Bauchwand hin¬ 
durch Koagulen in den Magen einzu¬ 
spritzen, kann man sich nur schwer ein¬ 
verstanden erklären. Dünner. 

(D. m. W. 1916 Nr. 44.) 


Die militärärztliche Sachverständigentätigkeit auf dem Gebiete 
des Ersatzwesens und der militärischen Versorgung. 


Vortragszyklus, veranstaltet unter Förderung der Medizinalabteilung des Kriegs¬ 
ministeriums vom Centralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preußen. 

Bericht von Dr. Hay ward-Berlin. (Fortsetzung.) 


Gaupp (Tübingen): Dienstbrauch¬ 
barkeit der Epileptischen und Psy¬ 
chopathen. Es gibt eine Reihe von 


| Krankheiten, deren Beurteilung im be¬ 
stimmten Augenblick außerordentlich 
schwierig ist; hierzu gehören alle anfalls- 



Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


29; 


weise auftretenden Krankheitsformen. 
Auch ein Urteil über überstandene Geistes¬ 
krankheiten ist nur schwer möglich. Die 
echte Epilepsie schließt an sich die Ver¬ 
wendung im militärischen Sinne aus; 
doch sind viele Epileptiker ins Feld ge¬ 
kommen und haben sich zum Teil sehr 
gut bewährt. Bei der Beurteilung der 
Epilepsie- wird häufig auf den Anfall 
selbst und das Aussehen im Anfair zu 
großer Wert gelegt. Genau so wichtig 
sind die Vorläufer des Anfalles, zumal der 
Anfall selbst atypische Formen annehmen 
kann. Wenn auch durch Cocain Anfälle 
künstlich ausgelöst werden können, so 
ist dieses Mittel keinesfalls zur Be¬ 
urteilung der Dienstfähigkeit heranzu¬ 
ziehen. Was die Psychopathie anlangt, 
so ist sie noch schwieriger zu beurteilen 
als die Epilepsie. Die echte Neurasthenie 
in ihrer erworbenen Form eignet sich 
durchaus zum Kriegsdienst. Dahingegen 
muß bei dem Psychopathen seine innere 
Stellungnahme zum Krieg herangezogen 
werden. Alle mit Angstzuständen einher¬ 
gehenden Formen eignen sich nicht zum 
Kriegsdienst. Im allgemeinen soll man, 
wie dies auch schon von anderer Seite 
wiederholt betont worden ist, in der 
Zurücksendung solcher Soldaten große 
Vorsicht walten lassen. Wenn sich auch 
viele Psychopathen nicht zum Front¬ 
dienst eignen, so sind sie trotzdem nicht 
als vollkommen dienstunbrauchbar an¬ 
zusehen. Es muß hier weitgehend in¬ 
dividuell verfahren werden und die Vor¬ 
bildung des einzelnen Mannes ist bei der 
Auswahl für die Arbeitsfähigkeit im Be¬ 
ruf zu berücksichtigen. 

Stier (Berlin): Dienstbeschädi¬ 
gung und Rentenversorgung bei 
Psychopathien und Neurosen. [Af¬ 
fektive Überempfindlichkeit ist nebenher 
sensiblen und sensorischen das; Grund¬ 
symptom der psychopathischen Konsti¬ 
tution. Demgemäß pflegt der Psycho¬ 
path auf gewöhnliche Lebensreize, mehr 
aber noch auf übermäßige Affekte so¬ 
fort zu reagieren. Die Beurteilung der 
Frage der Dienstbeschädigung kann nur 
dann in positivem Sinne angenommen 
werden, wenn diese krankhaften Reak¬ 
tionen durch militärische Schädigungen 
akuter Art zur Auslösung gekommen sind 
oder sehr heftig waren, oder sich der 
Nachweis erbringen läßt, daß vorher die 
abnorme Konstitution nur eine sehr ge¬ 
ringgradige war. Um dem Rentenkampf 
vorzubeugen, soll man die in Betracht 
kommenden Personen so lange behandeln, 


bis sie symptomenfrei geworden sind» 
dann aber sollen sie entweder d. u.- ge¬ 
schrieben werden oder nach 1. U. 15. als. 
a. v. bezeichnet werden. Muß eine Rente 
.anerkannt werden, so soll man sie im 
allgemeinen, nicht über 20% bemessen,. 
Verstümmelungszulage äst in keinem 
Falle zu bewilligen. 

Oppenheim (Berlin): Organische 
Nervenerkrankungen und Nerven¬ 
verletzungen. Die beginnende Tabes, 
und ihre stationäre Form schließen an 
und für sich die Kriegsbrauchbarkeit 
nicht aus; da den Kranken aber durch 
Kriegsschädlichkeiten eine Verschlim¬ 
merung ihres Leidens droht, so kommen 
sie nur für die Garnison- oder Arbeits¬ 
verwendungsfähigkeit in Frage. Kranke 
mit multipler Sklerose sind durchschnitt¬ 
lich nicht als dienstbrauchbar anzusehen. 
Besonders schwierig gestaltet sich die 
Frage der Kriegsbeschädigung bei Er¬ 
krankungen, die sich nur auf syphiliti¬ 
scher Grundlage entwickeln. In vielen 
Fällen wird man um die Annahme einer 
Kriegs-D. B. nicht herum können, so¬ 
bald eine deutliche Verschlimmerung* 
durch die Einwirkungen des Krieges er- 
.wiesen ist. Bei Verschlimmerungen der 
multiplen Sklerose muß besondere. Vor¬ 
sicht in dieser Beziehung gelten. Für die 
Polyneuritis muß oft K. D. B. ange¬ 
nommen werden, auch für deren alkoholi¬ 
sche Form, falls der Alkoholmißbrauch 
durch den Krieg entstanden ist. 

Goldstein (Frankfurt): Hirnver¬ 
letzungen. Zwei Gesichtspunkte sind 
maßgebend bei der Beurteilung der Ge¬ 
hirnverletzten: 1. Die Gefahr, in der die 
Kranken noch lange Zeit nach der Ab¬ 
heilung der äußeren Wunde schweben,, 
und 2. die Beeinträchtigung der Leistungs¬ 
fähigkeit. Der erste Punkt kann nur 
durch Lazarettbeobachtung geklärt wer¬ 
den, während für die Beurteilung der 
Leistungsfähigkeit vor allem die Arbeits¬ 
fähigkeit im Zivilberuf zu berücksichtigen 
ist, da bei jeder Form von schwerer Ge- 
hirnverletzung die militärische Wieder¬ 
verwendbarkeit sehr fraglich bleibt, meist 
wird auf Dienstunfähigkeit zu erkennen 
sein. Auch die Beurteilung der Arbeits¬ 
fähigkeit wird erst dann zu einem ab¬ 
schließenden Bilde führen, nachdem der 
Verletzte durch die Übungsschule und 
die Lazarettwerkstatt hindurchgegangen 
ist. Wenn auch die Arbeitsfähigkeit in 
gleicher Weise, wie sie vor der Verletzung 
bestand, oft nicht erreicht wird, so wird 
doch nur selten ein Berufswechsel nötig. 



30 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


Bei der Festsetzung der Rente sind neben 
den » umschriebenen die allgemeinen Stö¬ 
rungen zu berücksichtigen. Sicher muß 
die Rente für eine gewisse Zeit verhält¬ 
nismäßig hoch angenommen werden, auch 
kommt für viele Fälle die Verstümme¬ 
lungszulage in Betracht. 

Krückmann (Berlin): Sehstörun¬ 
gen und Augenleiden (einschlie߬ 
lich Verletzungen) vom Stand¬ 
punkte der Dienst- beziehungs¬ 
weise Kriegsbrauchbarkeit. Der 
Bewegungskrieg hat verhältnismäßig we¬ 
nig Augenverletzungen gebracht. Glück¬ 
licherweise istdiesympathischeOphthalmie 
sehr selten geworden, nachdem die Ärzte 
allgemein die Bedeutung der Präventiv¬ 
enukleation erkannt haben. Sehr häufig 
leidet das Auge durch seine geringe 
Kompressionsfähigkeit unter Fernwir¬ 
kungen. Die Doppelbilder schließen die 
Kriegstauglichkeit aus, auch Einäugige 
eignen sich nicht für die kämpfende 
Truppe. Vortragender bringt dann eine 


Reihe von Erkrankungen des Sehapparates, 
wie Stauungspapille bei Hirnschüssen, 
Farbensinnstörungen, Hemeralopie, Trä¬ 
nensackerkrankungen und das Trachom 
und bespricht die Kriegsverwendungs¬ 
fähigkeit der mit diesem Leiden Behafte¬ 
ten. Eingehende Berücksichtigung finden 
dann noch die Refraktionsanomalien. 

Stabsarzt Wätzold (Berlin): Be¬ 
urteilung der Dienstbeschädi¬ 
gungsfrage, Erwerbsfähigkeit und 
Verstümmelung bei Erkrankungen 
und Verletzungen des Auges. Im 
allgemeinen ist die Frage nach Dienst¬ 
beschädigung bei Augenerkrankungen und 
Augenverletzungen leicht zu beurteilen. 
Fehlen Folgeerscheinungen, so dürfen 
Versorgungsansprüche nicht anerkannt 
werden. Auffallend ist, daß Trachom¬ 
übertragungen auch während des Krieges 
sehr selten vorgekommen sind. Die Be¬ 
urteilung der einschlägigen Fragen wird 
vom Vortragenden an praktischen Bei¬ 
spielen eingehend erörtert. 


Bücherbesprechungen. 


Prof. H. Strauß, Die Nephritiden. Ab¬ 
riß ihrer Diagnostik und Therapie auf 
Grund der neueren Forschungsergeb¬ 
nisse. Berlin-Wien 1916, Urban u. 
Schwarzenberg. 208 S. 9 M., geb. 11 M. 

Gerade die Nierenkrankheiten sind im 
letzten Jahrzehnt Gegenstand vielfältiger 
Bearbeitung * seitens der Kliniker wie 
der pathologischen Anatomen gewesen; 
über eine Reihe praktisch wichtiger Fra¬ 
gen haben sich Diskussionen erhoben 
und sind zum Teil widersprechende Mei¬ 
nungen geäußert worden. Das Interesse 
ist besonders dadurch erhöht worden, daß 
der Krieg eine unerwartet große Zahl von 
Nierenkranken in die Lazarette ge¬ 
liefert hat. Das Bedürfnis nach klärenden 
Zusammenfassungen des reichhaltigen 
Forschungs- und Beobachtungsmaterials 
ist zweifellos lebhaft und wurde auch 
schon in verschiedenen Vorträgen und 
Aufsätzen befriedigt. Nun liegt eine 
monographische Darstellung vor, der wir 
mit großen Erwartungen entgegensehen 
durften, weil ihr Verfasser sich in fast 
20jähriger Betätigung diesem Spezial¬ 
gebiete gewidmet hat. Wir verdanken 
ihm bekanntlich neben Widal die Kennt¬ 
nis von der Bedeutung der Salzbeschrän¬ 
kung für die Therapie der Ödeme. Die 
vorliegende Monographie beschränkt sich 
unter dem Zwange der arbeitsreichen Zeit 


auf die Darstellung der Diagnose und 
Therapie der Nephritiden, wobei die 
pathologisch - anatomischen Kenntnisse 
nur gestreift werden und der Hauptwert 
auf die allgemeinen Gesichtspunkte der 
klinischen Betrachtung gelegt wird. Da¬ 
bei werden die Befunde der neueren Unter¬ 
suchungsmethodik sehr eingehend be¬ 
schrieben und in ihrer Bedeutung kritisch 
gewürdigt, ebenso die Differentialdiagno¬ 
stik der wichtigsten Symptomenkomplexe 
mit Berücksichtigung ihres Verlaufes aus¬ 
führlich erörtert. Besonders eingehende 
Erörterung erfahren die therapeutischen 
Fragen, und zwar werden die allgemeine 
wie die speziel e Therapie in gleicher Weise 
zur Darstellung gebracht. Über Ruhe und 
Bewegung, Bäder und klimatische Thera¬ 
pie wird ebenso wie über die wichtigen 
Fragen der Diätetik eingehend gehandelt; 
in letzterer Beziehung werden die Flüssig¬ 
keitszufuhr, die Salzdarreichung sowie 
die verschiedenen Nahrungsmittel kri¬ 
tisch gewürdigt; auch die medikamentöse 
Therapie sowie die Indikation chirurgi¬ 
scher Eingriffe kommen zu ihrem Rechte. 
Die Behandlung der besonders wichtigen 
Krankheitsäußerungen der Nephritiden: 
Schmerzen, Anomalien der Harnabschei¬ 
dung, des Hydrops, der Urämie sowie 
der pseudourämischen Zustände wird 
ebenso ausführlich besprochen wie die 



Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Behandlung der einzelnen Formen der 
Nephritis, in deren klinischer Einteilung 
sich der Verfasser im großen an die äl¬ 
teren Lehren anschließt. Die kurze In¬ 
haltsangabe mag zeigen, wie groß das 
Material ist welches der Verfasser auf 
kurzem Raume darbietet. Ich füge hinzu, 
daß die Lektüre eine wahrhaft fesselnde 
und praktisch sehr lohnende ist, denn der 
Verfasser bietet nicht nur eine sehr 
brauchbare Unterweisung in den neueren 
Methoden, welche zur Klärung der Dia¬ 
gnostik beitragen, sondern er gibt auch 
klare Antworten auf die vielfachen und 
zum Teil dringlichen Fragen, welche sich 
bei der Behandlung der Nierenkranken er¬ 
heben. Es ist wohl sicher, daß das kleine 
Werk eine weite Verbreitung finden wird. 
Ich möchte dem verehrten Verfasser 
wünschen, daß er in hoffentlich nicht all¬ 
zuferner Friedenszeit die Muße finden 
möchte, sein Büchlein zu einer Klinik der 
gesamten Nierenkrankheiten zu erweitern, 
wozu er als ein würdiger Schüler des 
Meisters Senator vor vielen berufen ist. 

G. Klemperer. 


Refe 

Über echte Botulismus-Vergiftung 

schreibt Schede aus dem Charlotten¬ 
burger Krankenhaus. Das krankmachende 
Prinzip des Botulismus ist bekanntlich 
ein Toxin des Bacillus des Botulismus, 
das 'schon fertig gebildet mit der Nah¬ 
rungsaufnahme aufgenommen wird. Es 
ist in den Nahrungsmitteln nicht gleich¬ 
mäßig verteilt, wie die Tatsache beweist, 
daß oft nur einzelne Personen, die von 
der infizierten Nahrung genossen haben, 
erkranken. Schede berichtet über drei 
Mitglieder einer Familie. 

Bei allen bestand ein gleichmäßiger Be¬ 
ginn, ungefähr 18 Stunden nach Genuß des 
Schinkens, mit Übelkeit und Erbrechen,, 
das der am frühesten verstorbene Patient 
unterdrückte. Sonst wurden keine akuten 
gastrointestinalen Erscheinungen beob¬ 
achtet. Die Patienten waren vielmehr 
während ihres Aufenthaltes im Kran¬ 
kenhaus hochgradig obstipiert (Vagus¬ 
lähmung?). 

Ferner treten auf: Trockenheit im 
Munde, Heiserkeit, Doppeltsehen, Schluck- 
und Sprachstörungen, Sekretionsstörun¬ 
gen bei allgemeiner schwerster Pro¬ 
station. Luftmangel nur in einem Falle. 
Das Sensorium war immer frei, die Sen¬ 
sibilität nicht gestört. 


3f 


Prof. Dr. Ernst Edens, Die Digitalis¬ 
behandlung. Mit 84 Kurven und Ab¬ 
bildungen. Berlin-Wien 1916, Urban 

u. Schwarzenberg. 153 S. 6 M., geb. 
7,50 M. 

Die folgenden kurzen Zeilen mögen 
der vorläufigen Anzeige dieses bedeut¬ 
samen Buches dienen, dessen ausführ¬ 
liche Besprechung in einem der nächsten 
Hefte erfolgen wird. Der Verfasser analy¬ 
siert die Wirkung der Digitalis mit Hilfe 
der neuen Methoden der Pulsschreibung 
und der Elektrodiagraphie und zeigt die 
Verschiedenheit des therapeutischen Ef¬ 
fektes bei den in der neueren Zeit erforsch¬ 
ten Formen der unregelmäßigen Herztätig¬ 
keit. Dabei erörtert er neben den experi¬ 
mentellen auch die rein klinischen Gesichts¬ 
punkte der Digitalistherapie in erschöp¬ 
fender Weise. Wenn die Lektüre des 
Buches ? auch an die Aufmerksamkeit 
des Lesers große Ansprüche stellt, so be¬ 
lohnt sie doch reichlich durch den Ge¬ 
winn an Wissen und die Vertiefung des 
praktischen Könnens, die sie uns ermög¬ 
lich. G. Klemperer. 


rate. 

Objektiv waren nachweisbar: Pu¬ 
pillenerweiterung, Pupillenstarre, Akkom¬ 
modationslähmung, Augenmuskel-, Gau¬ 
mensegelparesen, Schluck- und Kehlkopf¬ 
paresen oder -lähmungen. Zweimal wurde 
außerdem Beteiligung des Facialis in 
stärkerem Maße, als in der Schlaffheit 
der mimischen Muskulatur zum Ausdruck 
kam, beobachtet. Die Zungenmuskulatur 
war einmal ganz, ein anderes Mal nur 
einseitig von der Lähmung betroffen. In 
einem Falle bestand eine Parese des 
Sphincter und Detrusor urinae. Die 
Patellarreflexe fehlten stets. Ausge¬ 
sprochene Lähmungen oder Paresen in 
den Muskeln des Rumpfes und der Ex¬ 
tremitäten waren nicht vorhanden. 

In zwei Fällen ergriff die Erkrankung 
das Atmungscentrum. Die Zwerchfell¬ 
atmung sistierte allmählich; die auxiliären 
Atmungsmuskeln wurden bei der be¬ 
stehenden Insuffizienz des Centrums nicht 
in Anspruch genommen, es traten wohl 
Luftmangel und Unruhe, Cyanose auf, 
aber keine Dyspnoe. So erfolgte in diesen 
zwei Fällen der Tod durch Atmungsstill¬ 
stand, während das Herz noch weiter¬ 
schlug. 

Störungen in der Schlagfolge des 
Herzens wurden nur zuletzt in Form einer 



32 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


Tachykardie (Vaguslähmung) in den 
beiden tödlichen Fällen beobachtet. 

Wir haben so das Bild einer vor¬ 
wiegend bulbären Erkrankung, und zwar 
der motorischen und sekretorischen Re¬ 
gionen, • vor uns. Es waren ih den 
Fällen affiziert die Kerne des dritten, 
vierten, sechsten, siebenten, neunten, 
zehnten, zwölften Hirnnervenpaares, da¬ 
zu kommt noch eine weitere Beteiligung 
motorischer Centren im Rückenmark und 
des lebenswichtigen Atmungscentrums. 

Was die Therapie anbelangt, so ist 
außer Botulismusserumtherapie auch die 
Diphterieserum-Behandlung empfohlen 
worden (Kob), da im Tierversuch das 
Botulismustoxin durch Diphtherieanti¬ 
toxin teilweise unschädlich gemacht 
werden konnte. Schede hat es in 
zwei Fällen erfolglos verwandt. Da man 
Diphtherieserum aber immer zür Hand 
hat, ist ein Versuch damit auf jeden Fall 
zu empfehlen. 

Weiterhin wird, wie bei postdiphtheri- 
tischen Lähmungen, Strychnin empfohlen. 
Pilocarpin zur Behebung der Trockenheit 
der Schleimhäute wandte auch Schede in 
zwei Fällen an. Doch erlebte er beide 
Male sehr unangenehme, bedrohliche 
Wirkungen von der dadurch hervorge¬ 
rufenen übergroßen Schleimsekretion 
in die Luftwege. Zum mindesten sind 
die Dosen sehr klein zu wählen. 

Dünner. 

(M. Kl. 1916, Nr. 50.) 

Der Diabetes mellitus im Kindesalter 

gilt allgemein als schwere Erkrankung.- 
Nach Kleinschmidt (Universitäts-Kin¬ 
derklinik, Berlin) tritt der kindliche Dia¬ 
betes zwar relativ selten auf, dabei Kinder 
wohlhabender Kreise bevorzugend, spielt 
aber auch in der ärmeren Bevölkerung 
eine nicht zu unterschätzende Rolle. 

Die Annahme, es gäbe keine leichte 
Form der Erkrankung im Kindesalter, 
ist nicht richtig; wohl aber ist zuzugeben, 
daß der Übergang von der leichten Form 
zur schwersten bei Kindern rapide ein- 
treten kann. Oft wird auch bei der nie 
eindeutigen Symptomatologie die Dia¬ 
gnose erst gestellt, wenn die Krankheit 
längst Zeit gehabt hat, sich zu der schweren 
Form auszubilden. Durst, Hunger und 
objektiv festgestellte Abmagerung sollten 
immer an Diabetes denken lassen. Bei 
jeder wirklich gründlichen. Ganzunter¬ 
suchung eines Kindes darf die Urinunter¬ 
suchung auf Zucker nicht fehlen. 

Besser als alle diese gezwungen klin¬ 


genden Erklärungen für die auffallend] 
häufigen schweren Diabetesformen beim 
Kinde gegenüber denen des Erwachsenen* 
trifft den Kern der Sache die Annahme* 
einer akuten und einer chronischen Form 
des Diabetes, wobei die akute besonders - , 
das Kindesalter betrifft. Vielleicht steht 
damit der verhältnismäßig geringe Alkali¬ 
bestand des kindlichen Organismus im 
Zusammenhang, der leichter eine Acidose- 
aufkommen läßt. 

Der wichtigste Grund für die größere- 
Zahl der schweren Kinderdiabetesfälle 
sind wohl therapeutische Fehler. Die- 
quantitative Regelung der Nahrung, 
das wichtigste Grundprinzip.der Diabetes¬ 
ernährung, wird, wenn es sich um Kinder 
handelt, aber oft vernachlässigt. Der 
schlimme Fehler der Überlastung des 
ganzen kindlichen Stoffwechsels macht 
alle therapeutischen Erfolge zunichte.. 
Der Erwachsene braucht rund 35 Ca- 
lorien, das einjährige Kind etwa 70 Ca- 
lorien pro Kilogramm Körpergewicht. 
Danach kann berechnet werden, wieviel 
Nahrung das so und so alte Kind braucht; 
der Calorienverlust durch die Zuckeraus¬ 
scheidung muß in die Rechnung ein¬ 
bezogen werden. Nicht weniger, aber auch 
nicht mehr als dem Rechnungsresultat 
entspricht, soll das Kind an Nahrung 
erhalten. 

Die Durchführung der Diätkur wird 
bei dem zur Unterordnung vernünftig 
erzogenen Kinde leichter sein als bei 
einem eigensinnig verwöhnten. Immer 
empfiehlt sich zu Anfang Krankenhaus¬ 
aufenthalt zur genaueren Feststellung 
der Toleranzgrenze und zur Einleitung 
der qualitativen Diätregelung usw. Aber 
trotz anscheinend völliger Heilung, höch¬ 
ster Toleranz, durchaus genügender Ca- 
lorienzufuhr bleibt in manchen Fällea 
jede Gewichtsvermehrung aus, Neigung 
zu Untertemperaturen, Wachstumstill¬ 
stand machten sich bemerkbar. Wichtiger 
noch ist die beobachtete Neigung 2u 
Rezidiven der ? Glykosurie, die sich nicht 
beseitigen läßt. 

Physische Erregungen, leichte Er¬ 
krankungen : Nasenrachenkatarrh und 
dergleichen lösen prompt eine Glykosurie 
aus. ,,Der Einfluß solcher kleiner Er¬ 
krankungen auf den Verlauf des kind¬ 
lichen Diabetes ist nicht hoch genug ein¬ 
zuschätzen“, das heißt, eine Disposition 
zu Erkältungen, Anginen usw. ist als 
wichtige Komplikation des Diabetes im 
Kindesalter aufzufassen; intercurrente in 
fektionskrankheiten sind j a auch für de- 

n 



Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


3a 


Verlauf des Erwachsenen-Diabetes als 
nicht gleichgültig anerkannt. 

Die bequemste Form der Diätbehand- 
Jung. in mittelschweren und schweren 
Fällen ist die Durchführung der Gemüse- 
tage: es wird reichlich Kohlehydrat nur 
im Gemüse, Eiweiß nur im Eigelb zu- 
;geführt. Zwischen strenger Kost mit 
einem Zusatz von 40 bis 50 g Diabetiker¬ 
brot eingeschaltet sind sie einer völlig 
brot- und mehlfreien Diät vorzuziehen. 
Die Haferkur versagt oft bei Kindern. 
Bekämpfung der Acidose soll durch große 
Alkaligaben geschehen; Opium, Nähr¬ 
hefe usw. sind als erfolglos aufgegeben 
worden. J. v. Roznowski. 

(M. Kl. 1916, Nr. 49.) 

Einen Beitrag zur Erkenntnis dysen¬ 
terieartiger Darmerkrankungen liefern Th. 
Rumpel und A. V. Knack aus Ham¬ 
burg. Rumpel und Jürgens erörterten 
zu Beginn dieses Jahres die Ätiologie der 
'Ödemkrankheiten. Es wurden in dieser 
"Zeitschrift ihre auseinandergehenden Mei¬ 
nungen referiert, die dahin zielten, daß 
Rumpel die Ödeme als eine Folge einer 
Recurrensinfektion ansah, während Jür¬ 
gens der Ansicht war, daß es sich um 
eine Ernährungsstörung handele. Daß 
.aber nicht Recurrens allein zu Ödemzu¬ 
ständen führen braucht, geht aus der 
Arbeit von Rumpel und Knack her¬ 
vor. In verschiedenen Gefangenenlagern 
traten unter den Internierten Ödeme 
auf, zunächst in gehäufter Zahl, allmäh¬ 
lich kamen dann nur noch einzelne Fälle 
sporadisch vor und es stellten sich bei 
mehreren der Erkrankten ruhrartige 
Durchfälle ein, die bei den zuerst Be¬ 
fallenen nicht konstatiert worden waren. 
Die sonstigen Symptome der Krank¬ 
heit waren mannigfaltig. Im Vordergrund 
standen die Erscheinungen der Ödeme, 
allgemeine Mattigkeit usw. Die Schwel¬ 
lungen erstreckten sich hauptsächlich auf 
die Füße und Unterschenkel, vielfach be¬ 
stand eine leichte Ascites.* In einer Reihe 
der Fälle fiel auch Schwellung der Augen¬ 
lider auf und in zwei Fällen bestanden 
Ödeme der Haut und der Vorderarme. 
Erstaunlich war, wie nach kaum einem 
Tage Bettruhe die Ödeme zurückgingen, 
sodaß dann nur noch lefchte Schwellun¬ 
gen an den Knöcheln und der Tibia nach¬ 
weisbar waren. Was nun die Beschaffen¬ 
heit der Stühle anbelangt, so wurde nur 
in zwei Fällen ein Stuhl beobachtet, der 
dem Dysenteriestuhl völlig ähnlich sah. 
.Meist aber handelte es sich um dünn¬ 


breiige, gelbbräunliche Stuhlentleerungen, 
bei denen makroskopisch Blut nicht nach¬ 
gewiesen werden konnte. Chemisch aller¬ 
dings war die Blutprobe stets positiv. Die 
abdominellen Erscheinungen, die sonst 
bei Dysenterie bestehen, wurden bei den 
Kranken nicht beobachtet. Ihr körper¬ 
licher Zustand war sogar im allgemeinen 
zufriedenstellend. Da die Autoren an 
Beri-Beri dachten, schenkten sie ihre Auf¬ 
merksamkeit besonders dem Nerven¬ 
system. Alle Reflexe waren normal. Die 
bakteriologische und serologische Unter¬ 
suchung ließ vollkommen im Stich. Eine 
besondere Therapie wurde nicht ange¬ 
wandt. Die Leute wurden nur sehr gut 
ernährt. Im ganzen starben sechs Fälle, 
das ist 7,4%. Im Verlaufe der Beobach¬ 
tungen stellten sich gelegentlich kurz 
dauernde Durchfälle ein. Bei vier Fällen, 
die zur Sektion kamen, fand sich autop- 
tisch der überraschende Befund einer 
alten chronischen Dysenterie. Diese 
Beobachtung gab Anlaß, alle Fälle zu 
rektoskopieren und es zeigte sich, daß in 
der übergroßen Mehrzahl der Fälle zum 
Teil sehr erhebliche Änderungen der 
Darmschleimhaut ganz im Sinne einer 
Dysenterie bestanden. Dabei ist beson¬ 
ders interessant, daß gerade bei deut¬ 
lichem rektoskopischen Befunde in 31 
Fällen keine Durchfälle Vorlagen, im Gegen¬ 
teil der Stuhl in den Tagen vor und nach 
der rektoskopischen Untersuchung geformt 
war und von den Patienten selbst keiner¬ 
lei Darmbeschwerden angegeben wurden. 
Es handelt sich also nach den Beob¬ 
achtungen von Rumpel und Knack 
um ein Nebeneinandergehen von Ödem¬ 
erkrankungen mit akuten und chro¬ 
nischen Darmprozessen, die auf Grund 
der rektoskopischen und anatomischen 
Befunde als Dysenterie aufgefaßt werden 
mußten. Rumpel und Knack erwägen 
ausführlich die Gründe, die für und gegen 
Beri-Beri oderRuhr sprechen und kommen 
zu dem Resultat, daß eigentlich nur die 
Dysenterie in Frage kommen kann. Dabei 
lassen sie offen, ob es sich um echte Dys¬ 
enterie handelt oder um Krankheits¬ 
bilder, die man infolge bisher noch nicht 
gefundener Ätiologie dem Sammelbegriff 
der Colitis ulcerosa zurechnen muß. Wenn 
sie von Dysenterie sprechen, so meinen sie 
damit nur einen anatomischen Begriff. Im 
ganzen stimmen die Erfahrungen, die sie 
bei Ödemkrankheit dieser Krankheitsfälle 
gemacht haben, gut überein mit denen 
einer früheren Beobachtung, bei der sie als 
Ursache Recurrens mehrfach feststellen 


5 



34 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


konnten. Die Verhältnisse liegen so, daß 
die Ödeme lediglich als Folgeerscheinun¬ 
gen oder als Symptome irgendeiner Krank¬ 
heit aufzufassen sind. Man kennt ja solche 
Ödeme auch bei Flecktyphus oder bei 
Malaria. Dünner. 

(D. m. W. 1916, Nr. 47.) 

Die Fibrolysintherapie bei multipler 
Sklerose und bei Spondylitis deformans 

behandelt Siebert. Fibrolysin ist in 
der neurologischen Praxis von ver¬ 
schiedenen Seiten empfohlen worden. Bei 
mehreren Fällen prüfte der Verfasser das 
Fibrolysin nach, ohne jedoch einen greif¬ 
baren Erfolg erzielen zu können. In 
einem Fall stellten sich ziemlich schwere 
Zustände ein, bestehend in Erbrechen, 
Atem- und Pulsstörungen und gleich¬ 
zeitig trat auch eine Ptosis am linken 
Auge auf mit leichtem Abweichen des 
Bulbus nach außen und oben. Es han¬ 
delte sich ohne Zweifel um einen anaphy¬ 
laktischen Zustand, der einen Schub der 
multiplen Sklerose ausgelöst hatte. Aller¬ 
dings erholte sich nach Abklingen der 
akuten Erscheinungen der Kranke in be¬ 
merkenswerter Weise, aber die alten Be¬ 
schwerden traten nach einiger Zeit wieder 
auf. Dahingegen trat bei einem Fall mit 
Spondylitis deformans naehFibrolysin eine 
wesentliche Besserung ein. Siebert schil¬ 
dert einen 32jährigen Mann, der schwere 
Erscheinungen von seiten der Halswirbel¬ 
säule hatte. Alle Wirbelgelenke waren 
gänzlich ankylosiert und auch das Sehulter- 
und Hüftgelenk war befallen. Die vorher 
angewandte Therapie hatte so gut wie 
völlig versagt. Er gab dann zwanzigmal 
jeden vierten Tag 2,3 Fibrolysin intraglu- 
täal und in der Zwischenzeit 1,0 Atophan 
per os täglich. — Der Erfolg war über¬ 
raschend. Die Beweglichkeit der ver¬ 
steiften Glieder wurde bereits nach der 
fünften Injektion frei und auch die Ver¬ 
krümmung des Rückgrats ging spuren¬ 
weise zurück. Patient wurde sogar 
arbeitsfähig. 

Ein anderer Fall eben von Spondylitis 
erhielt 50 Injektionen von Fibrolysin und 
in Zwischenräumen Atophan. Hier war 
der Erfolg nicht so eklatant. Als nach 
Abschluß der Kur Heißluftkasten an¬ 
gewandt wurde, ließen die Schmerzen 
nach und die Ankylose der Wirbelsäule 
machte so weit einer bedingten Beweg¬ 
lichkeit Platz, daß die Patientin wieder 
ihre alte Beschäftigung aufnehmen konnte. 
— Den Erfolg in beiden Fällen schrieb 


Siebert weniger dem Atophan als dem 
Fibrolysin zu. Dünnen 

(Ther. Mh. 1916, Nr. 11.) 

Ein neues Operationsverfahren zum Er^ 
satz von Fingerverlusten beschreibt Neu- 
heuser. Ein Verwundeter hatte den 
Daumen und Zeigefinger der linken Hand 
verloren. Die Brauchbarkeit der Hand’ 
war hierdurch wesentlich herabgesetzt 
und hätte durch die Bildung eines Dau¬ 
mens wieder erheblich zugenommen. Ver^ 
fasser ging folgendermaßen vor: Er enU 
nahm der siebenten Rippe rechts ein 
Stück des Knochens einschließlich des 
vorderen Periosts. Die Knochenhaut 
wurde doppelt so lang genommen, als 
der Knochen selbst, um auch für die 
Rückseite des Knochens zur Bedeckung 
zu dienen. Das Knochenstück selbst 
wurde etwas länger gebildet, als der 
Daumen der gesunden Seite lang ist. 
Das Transplantat wird nach Umklappen 
des Periosts sofort in das trichterförmig 
vorbereitete Metacarpale I durch Kno¬ 
chennaht befestigt, dann wird das freie 
Rippenstück in eine Falte der Bauchhaut 
eingebettet, am besten der rechten Unter¬ 
bauchgegend, durch Bildung eines 
Brückenlappens. Durch verschiedene 
Nachoperationen wird dann der Brücken¬ 
lappen von der Bauchhaut getrennt und 
an deni neugebildeten Daumen eine 
Kuppe gebildet. Wie die beigegebenen 
Abbildungen einschließlich des Röntgen¬ 
bildes zeigen, ist der Erfolg als recht be¬ 
friedigend anzusehen. Hayward. 

(B. kl. W. 1916, Nr. 48.) 

Zur Frage der Metastasenbildung bei 
Gasgangrän ist ein kasuistischer Beitrag 
von Ranft von allgemeinem Interesse. 
Es handelte sich um eine Verletzung der 
rechten Gesäßhälfte und der Beugeseite 
des linken Oberschenkels, ferner der 
Vorderseite des rechten Unterschenkels 
in der Nähe des Sprunggelenkes. Der 
Verwundete war, als er die Verletzung 
erhielt, verschüttet worden und hatte 
sich gleichzeitig einen Bluterguß am 
rechten Ellbogengelenk zugezogen; eine 
äußere Verletzung bestand hier jedoch 
nicht. Zwei Tage nach der Verwundung 
trat eine schwere Gasphlegmone des 
Unterschenkels auf, welche die sofortige 
Amputation im Oberschenkel notwendig 
machte. Der Verlauf war zunächst ein 
befriedigender, bis zwei Tage nach der 
Operation unter erneutem Fieberanstieg 
sich eine Gasphlegmone in dem Hämatom' 




Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


35 


des Ellbogengelenks entwickelte, der 
der Verwundete bald erlag. Hayward. 

(M.m. W. 1916, Nr. 47.) 

Lexer schreibt über die Operation 
der Gefäßverletzungen und der traumati¬ 
schen Aneurysmen, und bringt zugleich 
einen Beitrag zur Freilegung der Sub- 
claviaaneurysmen. In dieser sehr lesens¬ 
werten Arbeit, welche auf einer großen 
Zahl persönlicher Erfahrungen beruht, 
bekennt sich Verfasser zum Anhänger 
der Gefäßnaht als der Idealmethode 
der Operation - des Aneurysmas. Es 
werden eine Reihe von technischen Ein¬ 
zelheiten gegeben, welche für alle die¬ 
jenigen, die sich mit Aneurysmenopera- 
tionen befassen, von großer Bedeutung 
sind. Entsprechend seiner Tätigkeit im 
Felde und in der Heimat, hat Lexer 
Gelegenheit gehabt, sowohl die frische 
Gefäßverletzung, als auch das pulsierende 
Hämatom und das ausgebildete Aneurysma 
zu beobachten upd chirurgisch zu ver¬ 
sorgen. Am einfachsten gestalten sich die 
Verhältnisse bei der frischen Gefäßver¬ 
letzung. Im allgemeinen ist die Anwen¬ 
dung der Blutleere, wenn irgend möglich, 
angezeigt. -Besondere Schwierigkeiten 
entstehen nur in den Fällen, in welchen 
die Blutleere nicht angelegt werden kann, 
also insbesondere bei dem Aneurysma der 
Carotis und Subclavia. Für letztere hat 
Lexer eine besondere sehr zweckmäßige 
Schnittführung angegeben: Der Schnitt 
beginnt zwei Querfinger breit oberhalb 
des Schlüsselbeines an der Grenze vom 
mittleren und äußeren Drittel des Kno¬ 
chens, läuft dann über das Sternoclavicu- 
largelenk hinweg nach unten zu über die 
Brust in der Richtung nach der Achsel¬ 
höhle, dann wird das Schlüsselbein an 
der Grenze vom mittleren und äußeren 
Drittel durchsägt und in dem erwähnten 
Gelenke exartikuliert. Jetzt wird der 
Pectoralis maior und der Subclavius in 
der Richtung des Hautschnittes durch¬ 
trennt. Nun läßt sich der Lappen be¬ 
quem nach außen umlegen und man ge¬ 
winnt eine vorzügliche Übersicht über 
die gesamten Gebilde der Ober- und Un- 
terschlüsselbeingrube. Ohne diese aus¬ 
giebige Freilegung sollten die Aneurysmen 
der Subclavia nicht operiert werden. 

Hayward. 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 135 H. 4/5.) 

Zweig schildert die Lazarettbe¬ 
handlung der Geschlechtskrankheiten.^ 
Er meint, daß im großen und ganzen keine 
Meinungsverschiedenheit darüber besteht, 


daß für die Syphilis die kombinierte 
Quecksilber - Salvarsanbehandlung in 
Frage kommt. Bei frischen Fällen wird 
in dem von ihm.geleiteten Lazarette die 
Behandlung solange fortgesetzt, wie noch 
Erscheinungen bestehen, daraufhin wer¬ 
den die Soldaten zur ambulanten Be¬ 
handlung entlassen, das heißt wenn der 
Kräftezustand es gestattet und wenn der 
Standort des Truppenteils es ermöglicht, 
daß der Soldat ein- bis zweimal wöchent¬ 
lich ins Lazarett zur Behandlung kommen 
kann. . Es muß mit allen Mitteln 
danach gestrebt werden, den Soldaten so 
bald wie möglich wieder dienstfähig zu 
machen. Ist die Kur beendet, so gibt er 
die Anweisung, daß nach sechs Wochen 
eine Blutuntersuchung stattzufinden hat. 
Eine positive Wassermannreaktion bei 
sonstigem Wohlbefinden und beim Fehlen 
jeglicher Erscheinungen bei einer erst 
kurz vorher durchgeführten energischen 
Kur kann heutzutage kein Grund sein zur 
weiteren Behandlung. — Bei der Gonor¬ 
rhöe muß man streng zwischen den akuten 
und chronischen Fällen unterscheiden. 
Während man im bürgerlichen Leben 
Gonorrhöekranke ambulant behandeln 
kann, muß man bei den Soldaten darauf 
halten, daß frische Gonorrhöefälle kli¬ 
nisch behandelt werden, weil auf diese 
Weise die Behandlung wesentlich abge¬ 
kürzt werden kann. Zweig weist darauf 
hin, daß die Injektionen, wenn sie von 
den Patienten selbst vorgenommen wer¬ 
den, von einem Arzt oder Wärter über¬ 
wacht werden müssen. Er hat in der letz¬ 
ten Zeit auch therapeutische Versuche 
mit Optochin gemacht, und zwar benutzt 
er das Optochin hydrochloricum in %%iger 
Lösung; er ließ täglich vier bis fünf In¬ 
jektionen machen von zehn Minuten 
Dauer. Durch mikroskopische Kontrolle 
stellt er fest, daß die Gonokken schwan¬ 
den, die Eiterkörperchen zerfielen und 
die epithelialen Gebilde Zunahmen. In 
der Regel waren die Gonokken in drei 
bis zehn Tagen abgetötet. Fanden sich 
nach dieser Zeit noch Gonokokken, so 
setzte er mit Optochin a'us und ließ mit 
Albargin weiter spritzen. In einer ganzen 
Anzahl der Fälle ließ sich kein Erfolg er¬ 
zielen, so daß die wenigen guten Erfolge 
gegenüber den Mißerfolgen es nicht an¬ 
gebracht erscheinen ließen, das Mittel in 
die allgemeine Praxis einzuführen. Wenn 
die Gonokokken geschwunden sind, dür¬ 
fen die Patienten aufstehen. Der ent¬ 
zündliche Fluor wird durch die bekannten 
Mittel Kalium permanganicum, Zincum 

5* 



36 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


sulfüricum usw. bekämpft. Bei Kompli¬ 
kationen, wie Epididymitis, hat die An¬ 
wendung von Gonokokkenvaccine sehr 
großen Nutzen gebracht. Beider chroni¬ 
schen Gonorrhöe, wegen der sehr viele 
Soldaten mit angeblichen Beschwerden 
ins Lazarett kommen, muß genau fest¬ 
gestellt werden, ob die Harnröhre, Blase 
und Vorsteherdrüse ohne gröbere Ver¬ 
änderungen sind und der morgentliche 
Ausfluß bei mehrfacher Untersuchung 
gonokkenfrei ist und nur Eiterkörperchen, 
mehr oder weniger Epithelien und schlei¬ 
mige Elemente, enthält. Findet man dann 
noch, daß therapeutische Maßnahmen,, 
wie Spülungen, Installationen usw. den 
Ausfluß nicht wegbringen, so kann man 
die Leute ruhig als vollkommen dienst¬ 
fähig entlassen. Zweig empfiehlt zur 
Orientierung des Truppenarztes im Kran¬ 
kenblatte zu bemerken, daß trotz des be¬ 
stehenden Ausflusses keine Bedenken 
gegen die Kriegsverwendungsfähigkeit be¬ 
stehen. — Kranke mit^Ulcus molle 
müssen wegen der leichtenÜbertragbarkeit 
Lazarettbehandlung haben. Sie sind in 
kurzer Zeit wieder dienstfähig. Die ein¬ 
zige Schwierigkeit bei ihnen ist nur die 
richtige Diagnose. Dünner. 

(D. m. W. 1916, Nr. 47.) 

Die Kompression beider Hals¬ 
schlagadern ist von Tsiminakis bei 
einer Anzahl von Epileptikern und Hy¬ 
sterikern ausgeführt worden. Dieser bei 
Arteriosklerose kontraindizierte Eingriff 
ruft nach etwa % Minute Bewußtlosigkeit 
mit absoluter Muskelerschlaffung hervor. 
Ist dieses erreicht, so müssen die kom-. 
primierenden Daumen sofort entfernt wer¬ 
den, worauf das Bewußtsein unter vor¬ 
übergehendem Schwindelgefühl zurück¬ 
kehrt. Die experimentelle Anämisierung 
•des' Gehirns ist bei, sehr fettreichen 
Menschen oder solchen mit stark hyper- 
trophischenTonsillen schwer durchführbar. 
Tsiminakis versucht die beschriebene 
Methode für die Diagnose der Epilepsie 
nutzbar zu machen in einem größeren 
Beobachtungsmaterial — im ganzen 116 
Fälle — mit nachgewiesener Epilepsie be¬ 
ziehungsweise Rindenepilepsie. Sieben 
Fälle von traumatischer Jacksonscher 
Epilepsie zeigten unterCarotiskompression 
einen gesetzmäßigen Ablauf der Krampf¬ 
zuckungen. Bei der Mehrzahl der übrigen 
Epileptiker konnten spätestens nach einer 
halben Minute allgemeine oder lokali¬ 
sierte Krämpfe ausgelöst werden, denen 
«eine Bewußtseinstrübung bis zu fünf 


Minuten mit Schwindel und Ermattung 
wie nach spontanen Anfällen folgte. In 
neun' Fällen versagte die Methode.. . Auf¬ 
fallend ist es, daß Tsiminakis in.einer 
Gruppe von 42 hysterischen Individuen, 
die zu hysterischen, hysteroepileptischen 
beziehungsweise lethargischen Anfällen 
neigten, durch die Carotiskompression 
Anfälle hervorrufen konnte, wie sie bis¬ 
her spontan auftraten. — Diese, durch die 
Nachprüfung siehe folgendes Referat 
nicht bestätigten Befunde sind mit dem 
Wesen der Hysterie unvereinbar. — An¬ 
merkung des. Referenten: Eine Er¬ 
gänzung der Tsimi'nakisschen Arbeit 
bringt die Untersuchung von M. Vecono- 
makis über den diagnostischen Wert der 
durch Carotidenkompression hervorge¬ 
rufenen epileptoiden Zustände (Mittelunge 
der Athener Ärztegesellschaft, 24. Januar 
1915). Die bei einer Anzahl von Ge¬ 
sunden, Gemischtkranken sowie Epilep¬ 
tikern angestellten Versuche ergaben fol¬ 
gendes. Nach Kompression beider Caro- 
tiden trat nach 15 bis 30 Minuten bei 
den meisten Versuchspersonen, gleichviel 
ob sie krank, gesund oder epileptisch 
waren, Bewußtlosigkeit mit klonischen 
Rumpf- und Extremitätenzuckungen ein. 
Nach einiger Zeit kehrt die Erinnerung 
an die bis an den Anfall grenzende Zeit 
wieder zurück. Hervorgerufen wird der 
Zustand durch eine plötzlich .hervor¬ 
gerufene Hirnanämisierung in Überein¬ 
stimmung mit den Tierexperimenten von 
Kußmaul, Tenner und Landois. 
Eine diagnostische Bedeutung hat dem¬ 
nach das beschriebene Phänomen nicht. 

Leo Jacobsohn (Charlottenburg). 

(W. kl. W. 1915, Nr. 44.) 

Mandelbaum gibt sehr vielverspre¬ 
chende Beobachtungen über Schwankun¬ 
gen des Komplementgehaltes des Blutes. 
Bei Anwendung frisch entnommenen, so¬ 
fort nach der Gerinnung abzentrifugierten 
Serums zeigt sich, daß noch 0,06 ccm 
Serum genügen, um 0,5 ccm sensibili¬ 
sierten Hammelblutkörperchen (Mischung 
von gleichen Teilen Amboceptor und 
5prozentiger Hammelblutkörperchenauf¬ 
schwemmung) innerhalb von 30 Minuten 
bei 37° vollständig zu hämolysieren. 
0,0078 ccm Serum geben noch Spuren 
einer Hämolyse, 0,0039 gar keine. Diese 
Zahlen sind für alle Menschen (gesunde 
wie kranke) konstant. Wurde das Blut 
vor dem Versuche auf 24 Stunden im Eis¬ 
schranke gehalten, so war in einzelneu 
Fällen auch mit 0,25 ccm Serum eine 



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und Bedeutung der einzelnen Untersuchungsbefunde. C. Diagnostische Verwertung der Ergebnisse der Funktions¬ 
prüfungen. D. Folgezustände an Organen sowie häufige Komplikationen. E. Differentialdiagnostische Übersicht über 
die wichtigsten Symptomenkomplexe mit Berücksichtigung ihres Verlaufes. II. Therapeutischer Teil: A. Allgemeine 
Therapie. B. Behandlung einiger besonders wichtiger Krankheitsäußerungen der Nephritiden. C. Behandlung der 
einzelnen Formen der Nephritis. Anhang: Verhütung von Nephritiden. 


17 














Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 


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18 









Jariuar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


37 


Hämolyse nicht zu erzielen. Wurde 
nur das Serum so behandelt, so ergaben 
sich bei gleichen Patienten dieselben Re¬ 
sultate. Bei längerem Eisschrankaufent- 
halt wurde das Komplement noch in 
einer Anzahl weiterer Fälle zerstört. 

Wurde das Serum 24 Stunden bei 37° 
gehalten, so verschwand das Komplement 
stets. Das kreisende Blut muß demnach 
Stoffe besitzen, die den Komplement¬ 
bestand schützen und die Verfasser daher 
Socine nennt. Das Serum aus gleichbe¬ 
handeltem Blute zeigte dagegen unverän¬ 
derten Komplementbestand. Die Träger 
der Socine konnte Verfasser noch nicht mit 
Sicherheit bestimmen, doch sind es jeden¬ 
falls nicht die roten Blutkörperchen (Kom¬ 
plement reichlich nach 24 Stunden Brut¬ 
schrankaufenthalt in völlig blut- und 
sauerstoffreiem Pleuraexsudat). Auch 
der Salzgehalt des Serums kann 
nicht in Frage kommen, da das Serum 
aus Blut, das nach 24stündigem Eis¬ 
schrankaufenthalt komplementfrei ist, 
wenn nach 24stündigem Brutschrankauf¬ 
enthalte des Blutes gewonnen, normale 
Komplementmengen enthält. Wird eis¬ 
behandeltes — jetzt komplementfreies — 
Blut bei 37° gehalten, so erscheint kein 
Komplement, die Socine sind also zer¬ 
stört. 

Die Abnahme oder das Verschwinden 
des Komplements bei Eisschrankbe¬ 
handlung fand sich nun ausschließlich bei 
einigen schweren Erkrankungen: Schwere 
Tuberkulosen und Eiterungen, Scharlach¬ 
rekonvaleszenz und bei der Lues. Die 
vom Verfasser angegebene Reaktion be¬ 
steht darin, daß 0,25 ccm Serum aus 
24 Stunden lang eisgekühltem Blute 
mit 1,5 ccm physiologischer Kochsalz¬ 
lösung und 0,5 ccm sensibilisierten Ham¬ 
melblutkörperchen versetzt, ein halbe 
Stunde im Brutschrank bei 37° gehalten 
werden. Komplette Hämolyse ist nega¬ 
tiver Ausfall, d. h. unveränderter Kom¬ 
plementgehalt. 

Der positive Ausfall der Reaktion bei 
der Lues findet sich in allen möglichen 
Stadien, jedoch zeigen das Primärstadium 
und das floride Sekundärstadium oft nega¬ 
tiven Ausfall. Zu beachten ist, daß bei 
positiver Wassermannreaktion die Reak¬ 
tion nur in etwas mehr als der Hälfte der 
Fälle positiv ist, während sie auch bei 
negativem Wassermann positiv sein kann, 
selbst, wenn anamnestisch nichts für Lues 
Sprechendes zu finden ist. In diesen Fällen 
fanden sich so gut wie ausschließlich ver¬ 
schiedenartigste Erkrankungen, die mehr 


oder weniger stark luesverdächtig waren, 
auffallenderweise besonders bei jungen 
Patienten, deren Eltern nicht selten posi¬ 
tiven Wassermann zeigten. Unter Be¬ 
handlung verschwand die Reaktion bei 
Fällen im Frühstadium eher, bei solchen 
im Spätstadium später als die Wasser¬ 
mannreaktion. Verfasser empfiehlt An¬ 
stellung der Reaktion in jedem Falle, in 
dem luetische Ätiologie des vorliegenden 
Krankheitsbildes möglich ist und hält 
positiven Ausfall für lange zurückliegehde 
oder kongenitale Lues für beweisend a ?ch 
bei negativem Wassermann und in diesem 
Falle specifische Behandlung für indi¬ 
ziert. Waetzoldt. 

(M. m. W. 1916, Nr. 39.) 

Zwei neue Methoden der Überbrückung 
größerer Nervenlücken werden vonBethe 
beschrieben. Die Vereinigung von Nerven, 
bei welchen man zu einer ausgedehnten 
Nervenresektion hat schreiten müssen, 
steht im Vordergründe des Interesses. Be¬ 
kannt sind die Methoden der Implanta¬ 
tion, der doppelten Nervenpfropfung, des 
Edingerschen Agars, der Nervenlage- 
rung. Verfasser hat zwei neue Methoden 
zunächst experimentell geprüft und gibt 
das wesentliche seiner Versuche in der 
vorliegenden Arbeit wieder. Es muß als 
sicher angenommen werden, daß die 
Methode, welche die sicherste Aussicht 
auf Erfolg gibt, stets die ist, durch 
welche entweder beide Enden direkt an¬ 
einander gebracht oder durch ein lebendes- 
Nervenstück miteinander vereinigt wer¬ 
den. Das erste Verfahren kann man da¬ 
durch praktisch herbeiführen, daß man 
eine Nachdehnung des Nerven vornimmt. 
Hierbei macht sich Bethe die großen 
elastischen Eigenschaften des Nerven, 
bei denen durch einen geringen, aber kon¬ 
stanten Zug die Nerven sich erheblich 
dehnen lassen, zunutze. Die Versuchs¬ 
anordnung war die, daß zwei Gummi¬ 
fäden an das centrale und das pejriphere 
Nervenende festgenäht werden, zu welchen 
noch weitere drei bis vier Gummifäden, 
die aber 3 bis 4 cm jenseits des Stumpf¬ 
endes ansetzen, hinzugefügt werden. 
Diese letzten Gummifäden werden mit 
einem starken Seidenfaden versehen und 
durch eine Glaskanüle nach außen ge¬ 
leitet. Mit einer besonderen Vorrichtung, 
welche einer Winde ähnlich sieht, kann 
man in den nächsten Tagen nach der 
Operation diese Gummifäden nachdrehen. 
Am dritten oder viertem Tage kann dann 
die Naht ausgeführt werden. Es konnten 




38. 


Die Therapie der degenwart 1917. 


Januar 


mit dieser Methode bei Hunden Ver¬ 
längerungen der Nerven von 3,6 bis zu 
5,8 cm erzielt werden, was für den Men¬ 
schen beim Ischiadicus einer Verlängerung 
von 11 bis 16 cm entsprechen würde. 
Bei oberflächlichen Nerven ging Verfasser 
so vor, daß er die Nervenendigungen mit 
den betreffenden Gummifäden direkt aus 
der Wunde herausleitete. Es unterliegt 
keinem Zweifel, daß die Methode für den 
Menschen mit gewissen Schwierigkeiten 
verknüpft sein wird, jedoch muß fest¬ 
gestellt werden, daß bei den Tieren 
Schmerzensäußerungen nicht beobachtet 
worden sind. Ob das centrale Ende unter 
der Dehnung leidet, ist für den Menschen 
noch nicht festgestellt, für das Tier trifft 
es nicht zu. Auch ist die Regenerations¬ 
tendenz beim Tier nicht beeinträchtigt. 
Sauerbruch hat nach der Betheschen 
Methode inzwischen fünf Fälle operiert, 
von denen vier reaktionslos heilten, wäh¬ 
rend beim fünften Fall eine aufsteigende 
Neuritis eintrat. Über das funktionelle 
Resultat ist wegen der Kürze der Zeit 
noch keine Mitteilung zu machen. 

Hay ward. 

(D. m. W. 1916, Nr. 42.) 

ln seiner Arbeit zur Behandlung der 
Bacillen-Ruhr kann 0.Wiese die rectale 
Anwendung von Bolus alba nicht emp¬ 
fehlen. Er hat nämlich bei der täglichen 
Kontrolle der Stuhlentleerungen der Kran¬ 
ken zwischen dem Schleim und Blut 
walnuß- bis manchmal sogar hühnerei¬ 
große „Bolussteine“ von rauhkörniger 
Oberfläche und steinharter Konsistenz 
gefunden. Die Kranken gaben an, daß 
die Entleerung dieser Konkremente mit 
besonders großen Schmerzen verbunden 
sei. Viel bessere Erfolge sah Wiese von 
der Darreichung der Merckschen Tier¬ 
kohle. Er geht im allgemeinen so vor, 
daß er nach gründlichem Abführen, (nach 
Schiften heim) öftere Gaben von Opium¬ 
tinktur gibt, Darmwaschungen mit Supra- 
renineinläufen vornimmt und die Merck- 
sche Tierkohle per os unter Umständen 
kombiniert mit Bismutum subgallicum 

gibt. Dünner. 

(D. in. W. 1916, Nr. 47.) 

Einen wertvollen Beitrag zum Kapitel 
Schmerz und Schmerzbehandlung gibt 
A. Goldscheider. Den Ausgangspunkt 
der Goldscheiderschen Untersuchungen 
bildet folgender Versuch. Setzt man 
einen kräftigen Hautreiz, indem man eine 
Hautfalte auf einer Klemme mehrere 
Minuten zusammenpreßt, so verschwindet 


der Klemmschmerz nach und nach, um 
bei Aufhören des Druckreizes, das heißt 
bei Abnahme der Klemme sich wieder¬ 
einzustellen. Diese Erscheinung beruht 
nach Ansicht des Verfassers auf einer 
Anpassung der Nerven an den gesteigerten 
Druck, ein Vorgang, der für die Schmerz¬ 
erregung unter pathologischen Bedingun¬ 
gen von Bedeutung ist. — Es ist von Inter¬ 
esse,daß neben derBeruhigung des Schmer¬ 
zes während der Pressung eine Steigerung 
der cutanen Sensibilität eintritt, die sich 
nicht auf die unmittelbare Umgebung 
der Reizeinwirkung beschränkt und den 
Klemmreiz zeitlich überdauert. — Durch 
bestimmte, als Gegenreize bezeichnete 
Einwirkungen auf die geklemmte Stelle 
oder ein hyperalgetisches Feld kann der 
Klemmschmerz verdunkelt werden. Ein 
derartiger wirksamer Gegenreiz ist bei¬ 
spielsweise die Massage. Das praktische 
Ergebnis der Untersuchungen Gold¬ 
scheiders ist die Bekämpfung der 
Schmerzempfindung. Die dankbarste 
Therapie ist die gegen die Krankheits¬ 
ursache gerichtete. Wo sie versagt, 
kommen Narkotica, Antineuralgic, phy¬ 
sikalische Methoden (Bäder, Packungen, 
Elektrizität) in Anwendung. Gegenreize 
sind Senfpflaster, Vesikantien, bestimmte 
Anwendungsformen der Elektrizität sowie 
die Massage. Die Wirkung des Gegen¬ 
reizes erklärt sich dadurch,- daß der 
primäre Schmerz auf zahlreiche Neben¬ 
bahnen abstrahlen kann. In diesem Sinne 
wirkt auch die Cornejiussche Nerven- 
punktmassage, die Verfasser eine syste¬ 
matisierte, zweckmäßig abgestufte Reiz¬ 
behandlung der hyperalgetischen Aus¬ 
strahlungsfelder nennt. — Den Schluß 
der Goldscheider sehen Ausführungen 
bildet die Analysierung der bei Nerven- 
patienten vorkommenden dauernden Hy- 
peralgesie, wie sie als Dauerzustand oder 
nach Abklingen eines akuten schmerz¬ 
haften Zustandes, z. B. der Ischias, nicht 
selten beobachtet wird. Eine ähnliche 
gesteigerte Empfindlichkeit kommt in 
der Disposition zu nervösen Herzanfällen, 
Bronchialasthma, Migräne, Neuralgien 
und Myalgien zum Ausdruck. Diesen 
Krankheitszuständen liegt eine latente 
Übererregbarkeit zugrunde, die Über¬ 
gänge zur Dauerhyperalgesie zeigt. In 
bezug auf die Therapie ergibt sich aus 
den Untersuchungen Goldscheiders,, 
daß bei bestehender Disposition alle 
stärkeren Reize und funktionellen Be¬ 
anspruchungen zu vermeiden sind. Syste¬ 
matisch angewandte stärkere Reize sind 



Januar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


39 


hingegen geeignet, durch Hervorruftmg 
entsprechender Regulierungsvorgangeieme 
bestehende Überempfindlichkeit zu ’be¬ 
seitigen. - Leo Jacobsohn (Charlottenburg). 

(Zschr. f. physik. diät. Ther., Oktober 1916.) 

Über die spastische Stuhlver¬ 
stopfung der Ruhrkranken berichtet 
Borchardt (Königsberg). Es ist eine 
bekannte Erscheinung, die sich jetzt bei 
den vielfachen Beobachtungen von Ruhr¬ 
kranken immer wiederholt: daß in den 
ersten Tagen der Erkrankung noch Stuhl 
entleert wird, der freilich zum Teil schon 
dünnflüssig ist. Dann aber kommen nur 
noch Entleerungen von Blut und Eiter 
zustande, in denen Kotbeimengen so gut 
wie vollständig vermieden werden. Außen 
fühlt man bei den Kranken einen regu¬ 
lären Contractionszustand des Dick¬ 
darms, der entsprechend mit Schmerzen 
einhergeht. Wir müssen also annehmen, 
daß durch diese Contraction des Dick¬ 
darms die Weiterbeförderung des Darm¬ 
inhalts gehemmt wird. Borchardt 
konnte durch Verabreichung von Tier¬ 
kohle vom Munde her zeigen, daß die 
ersten schwarzen Entleerungen erst nach 
zehn Tagen sich einstellten. Die Zurück¬ 
haltung des Kotes, die man daraus er¬ 
sehen kann, ist für die Dünndarmver¬ 
dauung nicht ohne Einfluß. Besonders 
die Herabsetzung der Kohlehydratver¬ 
dauung führt zu unangenehmen Gärungen, 
die er dadurch zu bekämpfen suchte, 
daß er den Kranken eine Eiweißdiät 
gab. Borchardt steht auf dem Stand¬ 
punkt, daß auch die Eiweißverdauung im 
Dünndarm gestört ist und schlägt deshalb 
eine gemischte Kohlehydrateiweißkost 
vor. — Es kommt therapeutisch vornehm¬ 
lich darauf an, die Dünndarmopstipation 
zu bekämpfen. Mit Ricinusöl erreicht 


mä-ii,.-daß mehf : --Kot--entleert wird,- und 
daß andererseits -die zahlreichen' Blut- 
schlei-mstühle seltener werden. Auch die 
Schmerzen lassen nach und der Krampf¬ 
zustand des Dickdarms weicht. Wenn 
man, wie verschiedene Autoren Vor¬ 
schlägen, kleine Dosen Ricinusöl gibt, er¬ 
reicht man nicht so gute Resultate. Das 
gleiche gilt von Kalomel. Man muß'bei 
der Kalomelmedikätion darauf achten, daß 
keine Quecksilberintoxikation auftritt. — 
Die Erfolge, die man ab und zu von 
Opium sieht, sind wohl so zu erklären, 
daß sie krampflösend wirken. Sie wirken 
hier also ebenso wie bei der .Bleikolik, 
Das gleiche gilt von Atropin beziehungs¬ 
weise Belladonna. Dünner. 

(D. m. W. 1916, Nr. 46.) 

Heichelheim berichtet über einen 
Fall von Tetanusrezidiv nach fünf Monaten. 
Bei einem 28jährigen Verwundeten, wel¬ 
cher durch einen Granatsplitter über dem 
linken Kreuzbein verletzt worden war, 
eine Tetanusinjektion jedoch nicht er¬ 
halten hatte, trat zwölf Tage nach der 
Verletzung ein mittelschwerer Tetanus 
auf, der aber durch entsprechende Be¬ 
handlung bald zum Abklingen gebracht 
werden konnte. Von der Verwundung 
blieb eine kleine Fistel zurück, welche nach 
dem Röntgenbild auf den Granatsplitter, 
der in der Kreuzbeinaushöhlung saß, 
führte. Der Splitter wurde fünf Monate 
nach der Verwundung entfernt und der 
Kranke fühlte sich zunächst wohl. Zwölf 
Tage nach der Operation trat wieder ein 
Tetanus auf, welcher im wesentlichen auf 
die linke untere Extremität beschränkt 
war. Auch dieser Tetanus heilte unter 
entsprechender Behandlung bald voll¬ 
kommen ab. Hayward. 

(M. m. W. 1916, Nr. 47.) 


Therapeutischer Meinungsaustausch. 

Elarson und Solarson. 

Von Dr. Franz Bogner, Krankenhaus- und Bahnarzt in Selb in Bayern. 


Da wir die verschiedenen Arsen¬ 
präparate fremdländischen Ursprungs ganz 
aufgegeben haben, macht sich das Bedürf¬ 
nis nach guten deutschen Arsenmedika¬ 
menten -lebhaft geltend. Ich selbst habe 
die vielfältig empfohlenen neuen Mittel, 
Elarson, Eisenelarson und Solarson bei 
zahlreichen Patienten zur Anwendung 
gebracht. 

Was chemisch über dieseMittel zu sagen 
ist, ist in dieser Zeitschrift ausführlich 


auseinandergelegt (Therapie der Gegen¬ 
wart 1913, S. 1, 1916, S. 18). Das Elarson 
bzw. Eisenelarson wird in substantiierter 
Form als Tabletten verordnet, das wasser¬ 
lösliche Solarson wird zu subcutanen 
Einspritzungen benutzt. Für die eine 
oder andere Form der Darreichung ent¬ 
scheiden meiner Ansicht nach rein äußer¬ 
liche Gründe: Patienten, die nicht regel¬ 
mäßig in die Sprechstunde kommen 
können oder die man nicht regelmäßig 



40 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Januar 


besuchen kann,, wird man die Tabletten¬ 
form verordnen; bei anderen, die keine 
Gewähr bieten, daß sie sich an das vor¬ 
geschriebene Schema halten, wird man 
vorziehen, subcutane Einspritzungen zu 
machen. Mir hat sich das Mittel in 
beiden Formen außerordentlich bewährt, 
so daß ich es nicht in meinem Arznei¬ 
schatz vermissen möchte. Bei der Medi¬ 
kation per os hält man sich am besten 
an die .Schementafeln, die von der Fabrik 
auf Verlangen geliefert werden; ich habe 
hierbei nicht ein einziges Mal nötig ge¬ 
habt, abweichende Vorschriften zu 
machen; subcutan habe ich eben¬ 
falls nach den vorhandenen Angaben 
jeden zweiten Tag gespritzt, nach 
zehn Tagen acht Tage pausiert und 
dann nochmals zehn Injektionen ge¬ 
macht. Störungen von seiten des Magen- 
und Darmtraktus habe ich bei der inner¬ 
lichen Darreichung niemals beobachtet, 
ebensowenig lokale Reizungen bei der 
subkutanen Injektion. In der über¬ 
wiegenden Mehrzahl habe ich bei meinen 
Patienten die Solarsoneinspritzungen an¬ 
gewandt. Es handelte sich meist um 
weibliche Patienten jeden Alters, zum 
größten Teil um Fabrikarbeiter (Por¬ 
zellanindustrie). 

Bei rund 60 Fällen handelte es sich 
um Anämien jeden Grades; der Erfolg 
war gerade bei schweren Fällen ein ver¬ 
blüffender; schon nach fünf bis sechs 
Einspritzungen wurde das Allgemein¬ 
befinden von den Patienten als gehoben 
bezeichnet; der untrüglichste Beweis hier¬ 
für ist wohl auch der, daß fast alle 
Patienten nach drei Wochen wieder die 
Arbeit auf nahmen; nur bei wenigen er¬ 
streckte sich die Arbeitsunfähigkeit auf 
vier bis sechs Wochen. Der Erfolg war 
auch, wie ich mich bei Erkundigung 
überzeugen konnte, ein bis jetzt an¬ 
dauernder; einzelne besonders hartnäckige 
Fälle habe ich einer zweiten Kur unter¬ 
zogen. 

Bei zehn Fällen von Neurasthenie habe 
ich durchwegs wesentliche Besserung er¬ 
zielt; hier möchte ich zwei Fälle besonders 
anführen: 

.Fall 1. Dr: S., 38 Jahre, Gymnasialprofessor. 
Patient klagt seit zirka zwei Jahren über allge¬ 
meine Müdigkeit und Abspannung, Mangel an 
Konzentrationsfähigkeit, äußere Unruhe, Angst¬ 


gefühl, Schwindel. Im Frühjahr 1916 zum Heeres¬ 
dienste eingezogen, nehmen die Beschwerden an 
Intensität zu. Der Patient macht eine Eisen- 
elarsonkur (240 Tabletten in 42 Tagen) durch und 
die Beschwerden sind verschwunden; bis heute — 
drei Monate nach beendigter Kur — keinerlei 
neue Beschwerden mehr. 

Fall 2. Oberschwester M.. Die 40jährige, nicht 
besonders kräftige Patientin, ist durch die auf 
ihr ruhende Arbeitslast von Jahr zu Jahr „ner¬ 
vöser“ geworden, so daß ihr aufgeregter Zustand 
es sehr schwer machte, mit ihr zu arbeiten; neben 
großer Vergeßlichkeit eine abnorme Vielgeschäftig¬ 
keit. Zur Erholung ging sie im Frühjahre 1916 
auf sieben Wochen „aufs Land“. Besserung ganz 
unbedeutend. Ich verordne ihr eine Eisenelarson- 
kur. Der Zustand hat sich — wie ich im täglichen 
Verkehr am meisten merke — bedeutend gebessert, 
alle Erscheinungen sind auf einen leichten Grad 
herabgedrückt. 

In einem Falle von Gesichtsneuralgie 
hatte ich keinen Erfolg. 

Bei einem Falle von Lichen ruber und 
zwei Fällen von schwerer Psoriasis hat 
das Solarson gute Dienste geleistet und 
die Therapie wesentlich unterstützt. 

Bei Tuberkulösen leichteren Stadiums 
verwende ich es (meist in Verbindung mit 
Tuberkulininjektionen) zur Hebung des 
Allgemeinbefindens mit gutem Erfolg. 

Als Kronzeugen möchte ich mich 
noch selbst anführen: Ich wurde sofort 
nach Beginn des Krieges zum Heeres¬ 
dienst eingezogen und war bis Dezember 
1915 als Truppenarzt tätig. Vor einem 
Jahr kam ich aus der Champagne zurück; 
ich war „total herunter“ und konnte 
mich absolut nicht erholen; mein all¬ 
gemeiner Schwächezustand wollte nicht 
weichen, ich war morgens nach dem Auf¬ 
stehen genau so abgespannt wie abends 
beim Zubettgehen. Vor vier Wochen 
begann ich eine Eisenelarsonkur und der 
Erfolg war auch hier ein überraschender. 
Schon jetzt, da die Kur noch nicht ganz 
beendigt ist, fühle ich mich frisch und 
wohl und von Müdigkeit spüre ich trotz 
vieler Arbeit fast gar nichts mehr und 
sehe, wie meine frühere Elastizität wieder 
täglich mehr zurückkehrt. 

Gleiche Erfolge in dieser Hinsicht 
kann ich bei einigen Fällen berichten, die 
ich im hiesigen Vereinslazarett einwand¬ 
frei beobachtet habe. Ich möchte daher 
diese Präparate bei den nicht seltenen 
Fällen empfehlen, bei welchen es sich um 
physische und psychische Abspannung 
durch den Dienst an der Front handelt. 


Für die Redaktion verantwortlich Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G.Klempe rer in Berlin. Verlag von Urb an & Schwarzenberg 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., in Berlin W8. 





fZur Ausfuhr zugelassen! 

Sanitätsamt d. mü. Institute . 

Nr. 663 u. 777 Z. 


ÜAu -v 


Die Therapie der Gegenwart 


herausgegeben von 

58. Jahrgang Geh, Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 

Neueste Folge. XIX. Jahrg. BERLIN 

W 62, Kleiststraße 2 


2. Heft 

Februar 1917 


' Verlag von URBAN & SCHWARZENBERG in Berlin N 24 und WienI 


Die Therapie der Gegenwart erscheint zu Anfang jedes Monats. Abonnementspreis für den 
J ahrgang 10 Mark, in Österreich-Ungarn 12 Kronen, Ausland 14 Mark. Einzelne Hefte je 1,50 Mark 
resp. 1,80 Kronen. Man abonniert bei allen größeren Buchhandlungen, sowie direkt bei den 
Expeditionen in Berlin oder Wien. Wegen Inserate und Beilagen wende man sich an den 
Verlag in Berlin N, Friedrichstraße 105 B. 


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Gewebsschädigungen oder Nach¬ 
schmerz u. wird mit giänzendem.Er- 
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1917 


Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 


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Die Therapie der Gegenwart 


1917 


herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 
in Berlin. 


Februar 


Nachdruck verboten. 


Über Magenchemismus, Pylorusstenose und nervöse Dyspepsie. 1 ) 

Vortrag auf dem Ärztetag zu Itzehoe 1914. 


Von Hugo Lüthje f. 


Meine Herren! Die Kürze der Zeit ge¬ 
stattet nicht, an dieser Stelle in ausführ¬ 
licherer Weise ein Gebiet der speziellen 
Pathologie und Therapie zu beleuchten, 
das unseres Erachtens — und eine Reihe 
von Klinikern ist ähnlichen Sinnes — 
dringend an vielen Stellen einer Revision 
bedarf. Ich begnüge mich daher damit, 
in mehr kursorischer Weise auf einige 
Punkte der Pathologie der Magenkrank¬ 
heiten hinzuweisen, hoffe aber doch, 
Ihnen dadurch die Anregung zu geben, 
diesem Gegenstände, Ihr näheres Interesse 
zuzuwenden. Und zwar möchte ich ganz 
kurz streifen die Verhältnisse des Magen¬ 
chemismus — inklusive der Hyperacidi¬ 
tät — der Gastroptose und der so¬ 
genannten nervösen Dyspepsie. 

Wir sind gewohnt, unser Urteil über 
die Sekretionsverhältnisse im Magen ab¬ 
zuleiten aus den durch die entsprechenden 
Methoden festgestellten Werten der Ge¬ 
samtacidität, der freien Salzsäure, even¬ 
tuell des Salzsäuredefizits, respektive aus 
dem Nachweis der Anacidität und Achylie 
oder der Milchsäure, und zwar bestimmen 
wir diese Werte ja, wie bekannt, in dem 
nach Verabreichung des Probefrühstücks 
oder der Probemahlzeit eine gewisse Zeit 
später ausgeheberten Mageninhalt. 

Eine positive Milchsäurereaktion darf 
- ganz entsprechend den alten Anschau¬ 
ungen — auch heute unter allen Um¬ 
ständen, wenn nicht besondere Verhält¬ 
nisse vorliegen, mit großer Wahrschein¬ 
lichkeit in dem Sinne gedeutet werden, 
daß jene Form des Magenschleimhaut¬ 
katarrhs vorliegt, wie sie erfahrungsgemäß 
am häufigsten und regelmäßigsten das 
Magencarcinom begleitet. Man ist aber 
überrascht, bei Durchsicht eines großen 
Materials andererseits zu erfahren, wie 
außerordentlich häufig bei zweifellosem 

x ) Aus dem Nachlaß des unvergeßlichen 
Kieler Klinikers sind mir von Frau Prof. Lüthje 
einige wertvolle Manuskripte übersandt worden, 
die ich mit ihrem Einverständnis gern zum Ab¬ 
druck bringe, wenngleich es unsicher ist, ob der 
Verfasser selbst sie in dieser Form zur Publikation 
bestimmt hat. Sie werfen scharfe Schlaglichter 
auf wichtige Fragen der ärztlichen Kunst und 
erneuern das tiefschmerzliche Gefühl der Trauer 
um den allzufrüh geschiedenen Meister. . Red. 


autoptisch ' oder operativ , bestätigtem 
Magencarcinom die Milchsäuresekretion 
im ausgeheberten Mageninhalt fehlt — in 
den letzten 63 Fällen meiner Klinik in 
zirka 54% —•, viel häufiger als das all¬ 
gemein angenommen zu werden scheint. 
Ich glaube daher, und das ist der erste 
Punkt, auf den ich Sie aufmerksam 
machen wollte, man darf für die Diagnose 
des Magencarcinoms auf das Fehlen der 
Milchsäurereaktion nicht irgendwie ent¬ 
scheidendes Gewicht legen. 

Andererseits darf aber, wie das gerade 
neuere Untersuchungen dargetan haben, 
der Anacidität oder Achylie nicht zu 
große Bedeutung beigelegt werden, nicht 
einmal im Sinne eines einfachen Katarrhs, 
wenigstens nicht dann, wenn bei den ent¬ 
sprechenden Untersuchungen diejenigen 
Vorbereitungen getroffen wurden, wie sie 
bisher in allgemein und in ganz schemati¬ 
scher Weise Gültigkeit hatten: nämlich 
die Untersuchung nach • Probefrühstück 
oder Probemahlzeit. Denn wir sehen 
hierbei recht häufig Anacidität oder 
Achylie auch in Fällen, in denen eine 
Sekretionsanomalie in Wirklichkeit gar 
nicht vorliegt. Daß nach Probefrühstück 
vollkommener Säuremangel vorhanden 
sein kann, die Untersuchung nach Probe- 
mahlz.eit bei derselben Person einige 
Stunden später aber ganz normale Ver¬ 
hältnisse ergeben kann, war ja schon 
längere Zeit bekannt und hatte zu der 
praktischen Konsequenz geführt, daß 
man sich bei negativem Befunde nie mit 
der ausschließlichen Untersuchung nach 
Probefrühstück begnügen darf. Wir haben 
im letzten Jahre diese Verhältnisse etwas 
eingehender geprüft und dabei gefunden, 
wie außerordentlich die Säurewerte bei 
derselben Person in kurzer Zeit schwanken, 
je nachdem man eine fast reine Eiweiß-, 
fast reine Kohlehydrat- oder fast reine 
Fettkost verabreicht. Wir bekamen 
außerordentlich voneinander abweichende 
Werte bei der gleichen Person je nach der 
Nahrungsmittelgruppe, die wir verab¬ 
reichten. Damit nähern wir uns Unter¬ 
suchungsergebnissen, über die auf dem 
letzten Kongreß für innere Medizin 


6 







42 


Die Therapie der Gegenwart 1917. Februar 


Curschmann jr. berichtete. Cursch- 
mann macht darauf aufmerksam, daß 
in vielen Fällen, in denen nach Ver¬ 
abreichung des gewöhnlichen Probefrüh¬ 
stückes oder-der Probemahlzeit freie Salz¬ 
säure, fehlte, oder gar vollkommene An¬ 
acidität bestand, nach Verabreichung i 
einer frei gewählten, dem Patienten be- \ 
sonders zusagenden Mahlzeit, die er ,,Ap- j 
petitmahlzeit“ nennt, sich vollkommen ! 
normale Säurewerte fanden. Er zieht ; 
daraus die außerordentlich wichtige Kon- j 
sequenz, mit dem bisherigen Schematis¬ 
mus zu brechen und unter allen Um¬ 
ständen in Fällen, in denen man zunächst 
eine Anacidität konstatiert, eine erneute 
Untersuchung nach einer Appetitmahl¬ 
zeit vorzunehmen, ein Vorschlag, dem 
ich mich nach eigenen Erfahrungen durch¬ 
aus anschließen möchte. Es ist dabei 
ganz gleichgültig, was Sie als Mahlzeit 
wählen; es kommt nur darauf an, daß 
der Patient sie mit einem gewissen Ap¬ 
petit verzehrt. Es ist klar, daß eine solche 
Mahlzeit je nach dem Landesstrich, je 
nach der bisherigen Lebensweise usw. 
ganz verschieden sich gestalten wird, so 
daß zwischen dem Austernfrühstück und 
dem einfachen Pfannkuchen oder etwas 
Ähnlichem alle Übergangsstufen je nach 
Lage der Verhältnisse gewählt werden 
können. Physiologisch' sind uns die hier I 
eben mitgeteilten Differenzen in den 
Sekretionsvorgängen des Magens heute . 
durchaus verständlich; wissen wir doch i 
auf Grund der berühmten Pawlowschen j 
Untersuchungen, welche Bedeutung das ; 
Vorstellungsleben und die ganze Psyche ! 
für die Saftsekretion haben. 

Es wird also gerade für die Praxis ; 
— und das möchte ich an zweiter Stelle j 
besonders hervorheben — zweckmäßig j 
sein, bei der funktionellen Prüfung des I 
Magens häufiger Gebrauch von dieser : 
sogenannten Appetitmahlzeit zu machen. ! 
Nebenbei möchte ich hervorheben, daß, 
wie mir scheint, von einer sehr einfachen 
Nachweismethode freier Salzsäure im 
Mageninhalt in der Praxis noch immer 
nicht derjenige Gebrauch gemacht wird, 
der davon gemacht zu werden verdient, 
nämlich von der Verwendung der Sahli- 
schen Desmoidreaktion. Die Anstellung 
derselben erspart die Ausheberung des 
Mageninhaltes. Die Pille wird einfach 
gegen Ende der Mahlzeit herunterge¬ 
schluckt, und die im Harn auftretende 
durch Methylenblau hervorgerufene Grün¬ 
färbung beweist die Anwesenheit freier 
Salzsäure im Magen. Die Methode liefert, 


wie wir uns in einer systematischen Unter¬ 
suchungsreihe von 148 protokollierten 
Einzeluntersuchungen überzeugen konn¬ 
ten, in 94 % einwandfrei und mit den 
gewöhnlichen Untersuchungsmethoden 
übereinstimmende Resultate. Den Herren, 
die die Methode nicht kennen, bin ich 
gern bereit, nachher nähere Auskunft zu 
geben. 

Ich komme jetzt mit einigen Worten 
aüf die Prüfung und Bedeutung der 
motorischen Insuffizienz. Die Prüfung 
gestaltet sich ja wohl in der Praxis meist 
so, daß morgens nüchtern, nachdem am 
Abend zuvor die letzte Mahlzeit ge¬ 
nommen worden war, ausgehebert wird, 
und je nach dem Vorhandensein oder 
Fehlen von Speiseresten auf motorische 
Suffizienz oder Insuffizienz geschlossen 
wird. Ich möchte nun darauf aufmerksam 
machen, übrigens wird das vielleicht 
| vielen Herren, bekannt sein, daß die er-- 
i gebnislose Ausheberung des nüchternen. 

; Magens am Morgen keineswegs immer ein 
| Beweis für die motorische Suffizienz des 
Magens ist, daß man vielmehr gar nicht 
selten in solchen Fällen erhebliche Reste 
im Magen findet, wenn man bei weiteren 
Ausheberungen sieben Stunden nach einer 
Probemahlzeit aushebert. Ich halte 
demnach die Ausheberung des Magens 
sieben Stunden nach einer Probemahlzeit 
für die sicherere Methode zur Bestimmung 
der motorischen Tätigkeit des Magens. 
Was nun die Bedeutung, eines positiven 
Ausheberungsbefundes zu Zeiten, in denen 
man unter normalen Verhältnissen den 
Magen sicher leer findet, anbelangt, so 
muß, glaube ich, mit allem Nachdruck 
darauf hingewiesen werden, daß in solchen 
Fällen stets eine Pylorusstenose irgend¬ 
einer Art vorliegt, daß dagegen das Vor- 
komen einer rein atonischen Insuffizienz 
unter allen Umständen etwas außer¬ 
ordentlich Seltenes ist, vielleicht über¬ 
haupt nicht beobachtet wird. Freilich 
wird man immer gelegentlich zunächst 
zu dieser Annahme gedrängt durch Fälle 
wie den folgenden: Es handelt sich um 
| einen in kurzer Zeit in seinem Ernährungs- 
; zustand hochgradig reduzierten Gastwirt, 
i der bei den ersten Prüfungen der motori- 
| sehen Tätigkeit des Magens große Rest- 
| mengen (bis zu 1 Liter und mehr) lieferte 
| mit ziemlich niedrigen Schichtungs- 
| quotienten. Schon nach einige Tage hin- 
| durch durchgeführten systematischen 
| Spülungen war der Magen motorisch und 
chemisch wieder vollkommen leistungs¬ 
fähig, und der Patient wurde nach 




Februar Die Therapie der Gegenwart 1917. 4S 


14 Tagen mit einer Gewichtszunahme temberg,. Franken, Frankfurt am Main 
von 10 Pfund entlassen. Nach 2 y 2 Mo- und hier gesammelten Erfahrungen den 
naten kam er mit ähnlichen Beschwerden Eindruck. Dubois in Bern schätzt sogar 
und der gleichen motorischen Insuffizienz die Zahl der nervösen Dyspepsien, auf 
wieder. Auch jetzt besserten sich die 90% aller Dyspepsien. 
Insuffizienzerscheinungen in kurzer Zeit. Mit der einfachen Bezeichnung „ner- 
Trotzdem empfahlen wir die Operation vöse Dyspepsie“ ist nun allerdings außer- 
und es fand sich eine derbe Ulcusstenose ordentlich wenig gesagt, und es ist durch- 
am Pylorus. Die auffallend schnelle aus berechtigt, wenn man gegen diesen 
Besserung der Insuffizienzerscheinungen etwas summarisch-diagnostischen . Begriff 
kann in solchen Fällen wohl nur skeptisch war. Es sollte damit an sich 
durch die Annahme erklärt werden, daß auch wohl nichts anderes gesagt sein, 
die vorhandene Stenose an sich die als daß es sich um dyspeptische Be- 
Passage der Speisen noch gestattet, daß schwerden handele, die unabhängig von 
sie aber infolge irgendwelcher digestiven irgendwelchen primären Schädigungen des 
Reize erhöht wird durch pylorospastische Verdauungskattals lediglich abhängig seien 
Erscheinungen mit consecutiver Reten- ! von „primären Veränderungen , des Vor- 
tion. Entfernt man die digestiven Reize ! Stellungslebens des Patienten“, und die 
durch systematische Magenausspülung, man dementsprechend nach dem Vor- 
so schwinden die spastischen Erschei- schlage Strümpells auch besser unter 
nungen, die Passage wird wieder frei und dem diagnostischen Begriff der psycho- 
der Patient wird als scheinbar gesund genen Dyspepsie zusammenfaßt. Vor¬ 
entlassen, um nach einiger Zeit in dem- Stellungen können bei abnormer psycho- 
selben krankhaften Zustand wiederzu- pathischer Veranlagung eine ihrem ob¬ 
kehren, der ihn das erstemal zum Arzt jektiven Wert und Inhalt nicht mehr 
führte, und dann bietet er vielleicht, be- entsprechende übergroße Lebhaftigkeit 
züglich der operativen Heilung, sehr viel gewinnen, so daß ihre Korrektur durch 
ungünstigere Verhältnisse dar. Es wird andere Vorstellungen nicht mehr möglich 
sich demgemäß für die Praxis empfehlen, ist, und sich deutlich die Folgeerschei- 
in den • Fällen, in denen im Nüchtern- nungen 'auf körperlichem Gebiete geltend 
zustande, große Restmengen im Magen machen. Daß die Verhältnisse in der Tat 
gefunden werden, von vornherein mit j fast immer bei den Fällen von sogenannter 
dem Vorhandensein einer Pylorusstenose j nervöser Dyspepsie so liegen, weiß jeder, 
zu rechnen. Natürlich müssen die Fälle i der sich entsprechend, psycho-analytisch 
mit digestivem oder spontanem Magen- j mit seinen Patienten befaßt und es ver- 
saftfluß, wie wir sie namentlich aus I steht, dem Ursprung der ängstlichen Vor¬ 
der Beschreibung von Anschütz kennen \ Stellungen nachzugehen, respektive über¬ 
gelernt haben, ausschließbar sein. Dasj haupt das Vorhandesein eines primär ab¬ 
ist ja aber durch Bestimmung des ! norm veränderten Bewußtseininhaltes 
Schichttmgsquotienten sehr leicht mög- : .nachzuweisen. Es ist nun das besondere 
lieh. , Verdienst von Dreyfuß und ein wesent- 

Ich möchte jetzt noch mit wenigen licher Fortschritt, daß in der oben- 
Worten auf ein anderes Gebiet eingehen, erwähnten Schrift zum ersten Male der 
nämlich auf das der sogenannten ner- Versuch gemacht ist, und zwar mit 
vösen Dyspepsie, ein Gebiet, das gerade großem Erfolge, einzelne Formen der ner- 
in neuerer Zeit durch eine ganz vortreff- vösen Dyspepsie nach klinisch-psychiatri- 
liche Arbeit neu beleuchtet ist. Ich möchte sehen Gesichtspunkten scharf gegenein- 
den Herren Kollegen die Arbeit von ander abzutrennen, und wir werden unß 
G. Dreyfuß über die nervöse Dyspepsie dementsprechend in der Zukunft nicht 
warm empfehlen. Die Notwendigkeit mehr einfach mit der Diagnose „nervöse 
einer eingehenderen Beschäftigung mit j Dyspepsie“ begnügen dürfen, sondern es 
diesem Gegenstände erleuchtet schon aus j muß verlangt werden, daß die jeweils 
der Tatsache, daß die überwiegende An- | vorliegende besondere Art der primären 
zahl von Dyspepsien, die . wir heute in j psychischen Störung richtig erkannt wird, 
der Sprechstunde zu sehen bekommen, j weil davon in erster Linie die Prognose 
zweifellos psychoneurotischen Ursprungs | und die Therapie des Einzelfalles ab¬ 
ist, und zwar scheint das für die ver- I hängt. 

schiedenen Landstriche ziemlich gleich- Es ist natürlich ganz unmöglich, Ihnen 
mäßig zu gelten. Jedenfalls habe ich 1 hier die einzelnen speziellen Formen der 
persönlich nach meinen in Hessen, Würt- nervösen Dyspepsie klinisch zu schildern; 

Ci* 




44 


Die Therapie der Gegenwart 1917. . Februar 


ich muß mich mit einem ganz kuirzen j 
Hinweise begnügen. 

Das Wesen aller Formen der nervösen 
Dyspepsie ist, daß es sich dabei „um 
einen Symptomenkomplex handelt, der 
sich aus den sehr vielgestaltigen Magen¬ 
symptomen und noch wechselvolleren j 
psychischen Symptomen zusammensetzt“, i 
Diese letzten sind das primäre Moment. 
Selbstverständlich ist durch , alle uns zu 
Gebote stehenden Untersuchungsmetho¬ 
den eine organische Erkrankung in allen 
Fällen auszuschließen, auch in solchen 
Fällen, in denen von vornherein psychi¬ 
sche Erscheinungen ganz im Vorder¬ 
gründe stehen. Denn es kann natürlich 
neben einer Psychoneurose auch ein or¬ 
ganisches Magenleiden bestehen. Drey- j 
fuß gibt nun folgende Einteilung der j 
nervösen Dyspepsien, der ich mich auf i 
Grund eigener Erfahrungen im großen < 
und ganzen anschließen möchte. Einige ! 
weniger wichtige und weniger geklärte ; 
Formen lasse ich dabei außer acht, j 

1. Nervöse Dyspepsie auf der Basis j 

konstitutioneller Neurasthenie. ! 

2. Die eigentliche psychogene Dys¬ 
pepsie. 

3. Die hysterische Dyspepsie. 

4. Die cyclothyme Dyspepsie. 

5. Dyspepsie auf der Basis erworbener 
Neurasthenie. 

Zu der ersten - Gruppe/ der nervösen 
Dyspepsie auf der Basis konstitutioneller 
Neurasthenie, rechnen vor allem die 
Psychopathen im eigentlichen Sinne des 
Wortes, respektive die Psychastheniker 
der Franzosen und die von Stiller unter 
dem Namen der Asthenia universalis 
congenita beschriebenen Kranken. Die 
Prognose dieser Fälle ist im allgemeinen 
nicht günstig, da eine konstitutionelle 
Anomalie die Grundlage bildet. Wohl aber 
sind durch zweckentsprechende Behand¬ 
lung wesentliche Besserungen und lang¬ 
dauernde vollkommen freie Intervalle j 
zu erzielen. Zur zweiten Gruppe gehören , 
diejenigen Kranken, bei denen sich Krank¬ 
heitserscheinungen von seiten des Magens 
an psychische Traumen im weitesten 
Sinne des Wortes anschließen, sei es, 
daß schwere seelische Erregungen direkt 
und unmittelbar zu krankhaften Er¬ 
scheinungen führen, oder daß sich all¬ 
mähliche Angstvorstellungen ausbilden, 
die sich wesentlich auf das Gebiet des 
Verdauungstraktus konzentrieren. Hier¬ 
her gehören auch die eigentlichen Pho¬ 
bien, vor allem die Carcinomfurcht. Die 


Prognose ist bei richtiger Erkennung und 
Behandlung gut. 

Die vierte Gruppe, die der cyclo- 
thymen Dyspepsie, ist außerordentlich 
häufig unter den nervösen Dyspepsien 
vertreten. Sie ist Teilerscheinung jener 
Psychose, für die K ah Iba um den Namen 
„Cyclothymie“ eingeführt hat, und bei 
der es sich um abgeschwächte, melancho¬ 
lische und manische Phasen des manisch- 
depressiven Irrseins handelt. Es ist außer¬ 
ordentlich überraschend, wie häufig man 
bei nervös-dyspeptischen Leuten durch 
eine eingehende Psychoanalyse einen Ein¬ 
blick in den außerordentlich charakteristi¬ 
schen krankheitsverlauf erhält, der im 
wesentlichen sich charakterisiert als bunte 
Abwechselung von depressiven und mani¬ 
schen Zuständen, die jedesmal von ent¬ 
sprechendem Auftreten oder Verschwin¬ 
den der Verdauungsbeschwerden be¬ 
gleitet sind. 

Die fünfte Gruppe, die der nervösem 
Dyspepsie auf der Basis erworbener Neu¬ 
rasthenie, bedarf keiner besonderen Er¬ 
läuterung. Ihre Prognose ist durchaus 
gut in all den Fällen, in denen sich die 
Ursachen der erworbenen Neurasthenie 
beseitigen lassen. 

Meine Herren! Die Behandlung der 
eben kurz gekennzeichneten Zustände ist 
für den Arzt ein ungemein fruchtbares 
und dankbares Gebiet. Allerdings setzt 
ein Erfolg die richtige Erkennung des 
Zustandes voraus. Die Behandlung muß 
sich fast ausschließlich oder wenigstens 
in erster Linie auf das Grundleiden er¬ 
strecken, eine unmittelbare Behandlung 
des Magens selbst ist in der Regel nicht 
nur nicht von Erfolg begleitet,'sondern 
meist sogar schädlich. Und doch, wir 
müssen das eingestehen, wird hier un- 
| glaublich viel gesündigt, mit Arznei, 
Magensonde, und vor allem mit den 
ominösen auf das subtilste ausgearbeite¬ 
ten Diätzetteln. Gerade der von den 
Patienten heute vor allem geforderte 
Diätzettel zeitigt große Schädigungen, oft 
sogar eine Art neuer Neurose, die man 
geradezu als Diätneurose bezeichnen 
könnte. Hier muß unbedingt Wandel 
geschaffen werden, und das läßt sich 
leicht erreichen. Nur ist es nötig, daß 
wir uns etwas eingehender mit den 
Grundlagen der Psychiatrie befassen, als 
das bisher im allgemeinen der Fall war. 

Ich habe Ihnen ja nur ein kurzes Bild 
geben wollen. Es kann mit Rücksicht 
auf die gedrängte Zeit und die Masse 
des vorliegenden Stoffes kaum die Auf- 






Februar Die Therapie der Gegenwart 1917. .^5 


gäbe sein, bestimmte Themata zu er- Sinne bitte ich auch meinen etwas skizzeii- 
schöpfen. Unsere Zusammenkunft dient ; haftenVortrag auffassen zu wollen. — Über 
ja in erster Linie der gegenseitigen i einige weitere Punkte wird sich Gelegen- 
Förderung und Anregung, und in diesem ’ heit geben in der Diskussion zu sprechen 1 . 


Jod, Schilddrüse, Arteriosklerose. 

Von Dr. Carl Kraus, Kurhaus Semmering. 


Der alte Spottvers: ,,Wenn man nicht 
weiß, wo und warum, verschreibt man 
Kali jodatum“ hat nicht ganz seine 
satirische Schlagkraft eingebüßt. Das 
Indikationsgebiet für die Jodtherapie 
hat zwar eine beträchtliche Einengung 
erfahren, aber nichtsdestoweniger wird 
Jod und seine Verbindungen in der all¬ 
gemeinen Praxis viel zu leicht verordnet. 
Der Vorwurf bezieht sich nicht so sehr 
auf die vage Begründung dieser Therapie 
als auf die Unterschätzung der auf Jod¬ 
empfindlichkeit beruhenden häufigen Jod¬ 
schäden. Es besteht zwar eine beträcht¬ 
liche Literatur über diese Frage, und 
seitdem Xoindet im Jahre 1820 f .und 
Rillier im Jahre 1858 gelehrt haben, 
daß oft die kleinsten Dosen Jod schwere 
und langdauernde Krankheitserscheinun¬ 
gen hervorrufen können, werden immer 
wieder krasse Fälle von Jodschäden mit¬ 
geteilt. In neuester Zeit waren es be¬ 
sonders R. Breuer, Kocher, Ortner, 
Krehl, Fr. v. Müller, Pineies u. a., 
die an Veröffentlichungen von Fällen von 
Jodthyreoidismus ernste Warnungen be¬ 
züglich der wahllosen Verabreichung von 
Jod geknüpft haben. Wir möchten auf 
Grund zahlreicher Erfahrungen, ins¬ 
besondere auf die Gefahr von Jod¬ 
pinselungen bei zu Thyreoidismus Dis¬ 
ponierten hinweisen und dann zu der 
Frage der Berechtigung der Jodtherapie 
der Arteriosclerose und ihren Gefahren 
Stellung nehmen. Dabei kommen nur die 
eigentlichen ,,thyreogenen“ Schäden in 
Betracht, insofern sie eben durch Ver¬ 
mittlung der Schilddrüse ausgelöst werden, 
während die als ,, Jodismus“ im all¬ 
gemeinen zusammengefaßten Störungen 1 ) 
— etwa im Sinne .von Fournier — 
keine Berücksichtigung finden. 

Wer es sich zur Gewohnheit macht, 
bei der Untersuchung jedes Falles von 


Morbus Basedow oder Hyperthyreoidismus 
nachzuforschen, ob kurz vor Ausbruch 
der Erkrankung Jod in irgendeiner Form 
innerlich oder äußerlich genommen wurde, 
wird überrascht sein, wie häufig kleinste 
Joddosen zum Ausbruch oder zur Akuti- 
sierung dieser krankhaften Zustände 
führen. 

Man begnüge sich ja nicht mit der 
Konstatierung von psychischemShock oder 
andauernden seelischen Affekten als aus¬ 
lösende Ursache. So groß auch ihre Be¬ 
deutung sein mag, man wird andererseits 
oft die überraschendeEntdeckung machen, 
daß vor Ausbruch der Krankheit ,aus 
irgendeinem Grunde Jod auf die Schleim¬ 
häute des Mundes (Zahnfleisch) oder des 
Rachens appliziert wurde. Einige Bei¬ 
spiele: 

Durch den plötzlichen feindlichen Einbruch 
wird ein Beamter in verantwortlicher Stellung ge¬ 
zwungen, die Flucht zu ergreifen und sich unter 
großen Gefahren durchzuschlagen. Er bot die 
Erscheinungen eines ausgesprochenen Hyper¬ 
thyreoidismus, war hochgradig abgemagert und 
erregt, hatte Herzklopfen und Tremor, Schweiße 
usw. Bei der Aufnahme der Anamnese fiel es auf, 
daß beträchtliche Schwankungen des Körper 
gewichtes schon früher aufgetreten waren und 
stets mit großer Erregung einhergingen, offenbar 
stets der Ausdruck derselben krankhaften Dis¬ 
position. Bei der in die Augen springenden psychi¬ 
schen Genese des jetzigen Anfalles war es um so 
überraschender, daß es sich doch um einen Jod- 
hyperthyreoidismus handelte. Der Patient hatte 
das verhängnisvolle Jodtinkturfläschchen in seiner 
Hausapotheke und benützte es „von Zeit zu Zeit“ 
zur Behandlung seines Raucher-Rachenkatarrhes. 
Dies geschah auch kurz vor Ausbruch der letzten 
Erkrankung. Mit Einstellung dieser kaum beach¬ 
teten Selbstbehandlung milderte sich langsam der 
Hyperthyreoidismus und der vielleicht seit Jahren 
durch Mißbrauch von Jodpinselungen geschädigte 
Patient sieht jetzt seiner endgültigen Genesung 
entgegen. 

Ein ähnlicher Fall nach Jodpinselung des 
Rachens durch einen Fachmann verlief ungleich 
ernster, da das betroffene sehr herabgekomme 
Mädchen erst nach dreiviertel Jahren sich zu 
erholen begann. Hier waren die nervösen Begleit¬ 
erscheinungen ganz besonders stürmisch 'und 


x ) Die Erscheinungen des Jodismus sind sehr 
vielfältig. Von seiten der Respirationsorgane 
kommen in Betracht: Coryza, bis zum Glottis¬ 
ödem sich steigernde Larynxstörungen, Tracheal¬ 
und BronchialkatarrhG, Kongestivzustände der 
Lunge bis zum Lungenödem. Die Störungen im 
Verdauungstrakte äußern sich in Trockenheit und 
Schwellung der Zunge, Mund und Pharynxschleim¬ 
haut, Salivation, Magenbeschwerden, Anorexie, 


Erbrechen und Durchfall. Magenblutungen sind 
beschrieben worden. Von seiten des Nerven¬ 
systems kommen Kopfweh, Schwindel, Schlaf¬ 
losigkeit usw. zur Beobachtung. Vielfältig sind die 
Hautausschläge. Schwellungen der Parotis sind 
bekannt usw. Alle diese Erscheinungen sind als 
Ausdruck einer lokalen Jodschädigung durch Jod¬ 
ausscheidung aufzufassen. 






46, Die Therapie der Gegenwart 1917. Februar 


äußerten sich in einer - förmlichen Astasie und 
Abasie mit heftigem Schwindel, Schlaflosigkeit 
und großer seelischen Unruhe. 

Ein dritter Fall hätte leicht verhütet werden 
können. Es betrifft einen an schweren Basedow 
erkrankten Patienten, der sich nach fast ein- j 
jährigem Anstaltsaufenthalte soweit erholt hatte, | 
daß er einen Versuch machte, seinen Beruf wieder ! 
äufzunehmen. Zahnschmerzen führten ihn zum j 
Zahnarzte, der ihm unter anderen das Zahnfleisch 
zweimal mit Jodtinktur einpinselte. Unmittelbar 
darauf, erfolgte ein rapider Rückfall des Basedow, 
wobei die Abmagerung, allgemeine Schwäche und 
bedrohliche Herzschwäche den Fall zu einem 
äußerst ernsten stempelten. Der Patient war 
hochgradig erregt, glaubte die Höhenluft nicht 
mehr vertragen zu können und war zu strenger 
Bettruhe und Digitalisgebrauch verurteilt. Nach 
vier Monaten setzte endlich eine dauernde Besse¬ 
rung ein. 

. Da derartige Erfahrungen in der 
Praxis, speziell von seiten der Zahnärzte, 
kaum Glauben finden, obgleich R. Breuer 
in seiner weit umfassenden Publikation 


Sklerose verursacht/ obgleich Krehl im 
Jahre 1910 eindringlich darauf hinwies; 
Dabei läßt sich nichtleugnen, daß diese 
Therapie auf recht schwachen Füßen 
steht und eigentlich das Produkt einer 
ehrwürdigen Tradition ist. Die dies¬ 
bezügliche Rundfrage Schwalbes an 
die hervorragendsten Kliniker führte 
auch zu keinem sicheren Ergebnis. Es 
ist selbstverständlich, daß der leiseste 
Verdacht einer luetischen Erkrankung 
die jodanwendung selbst auf die Gefahr 
eines Miserfolges hin berechtigt. Sie ist 
und bleibt die Domäne der Jodtherapie 
und hat offenbar den guten Ruf des Jod 
als ,,Gefäßmittel“ begründet. Aber auch 
in solchen Fällen kann die Jodüber- 
empfindlichkeit von seiten der Schild¬ 
drüse den therapeutischen Effekt durch¬ 
kreuzen. 


schon im Jahre 1900 in ähnlichem Sinne 
gewarnt hatte, so möchten wir auf den 
wenig bekannten Fall von Gautier hin- 
weisen, wo in gleicher Weise nach zwei¬ 
maliger Jodeinpinselung des Zahnfleisches i 
ein schwerer Hyperthyreoidismus auftrat j 
und zu einem raschen Gewichtsverluste | 
von 15 kg führte. Es ist selbstverständ- ! 
lieh, daß percutane Jodanwendung eben¬ 
solche Schäden hervorbringen kann. Ja 
wir glauben sogar mit anderen Autoren 
zu der Vermutung berechtigt zu sein, daß 
der Jodgehalt der Seeluft die Ursache 
sein mag, daß gewissen Nervösen (Ere- 
thiker) der Aufenthalt an der See nicht 
bekommt, während sie sich im Hoch¬ 
gebirge wohl fühlen. Allerdings muß zu¬ 
gegeben werden, daß die thyreogene Jod¬ 
empfindlichkeit eine territoriale Eigen¬ 
schaft sein mag, daß sie z. B. in Österreich, 
speziell in Wien, und in-Süddeutschland 
häufiger vorkommt als in Norddeutsch¬ 
land. ; Wie sehr mit ihr in den Alpen¬ 
ländern gerechnet wird, z. B. in Genf, 
ergibt sich aus den Berichten Gautiers, 
dessen Vater Jodkali als Kropfmittel in 
einer Lösung von 0,10 auf 120 Wasser 
verwendete. Davon ließ er täglich einen 
Eßlöffel nehmen, eine zweite Flasche erst 
nach 14tägiger Pause, was einem Jod¬ 
kaliverbrauche von 0,20 in vier Wochen 
.entsprach. Danach fällt es kaum auf, 
daß Oswald in Zürich nach 15 Dosen 
0,1 Jodkali innerhalb von 15 Tagen, 
also insgesamt nach 1,5 Jodkali, eine 
hochgradige, sieben Monate dauernde Er¬ 
krankung eintreten sah. 

Nicht gering ist der Schaden, den die 
schablonenhafte Anwendung der Jod¬ 
salze bei der Behandlung der Arterio- 


So kam vor kurzem ein 71 jähriger Herr mit 
einem großen Aortenaneurysma in unsere Be¬ 
handlung, der vor 50 Jahren eine luetische Infekt 
tion durchgemacht hatte, an einer charakteristi¬ 
schen linken Stirnmbandlähmung litt und von 
Spezialisten eine Jodkur verordnet erhielt. Da 
er jodempfindlich war — die Schilddrüse war 
übrigens etwas vergrößert — magerte er rapid 
bis zu einem Gewichtsverlust von weit über 10 kg 
ab und bot die Zeichen eines ausgeprägten Hyper¬ 
thyreoidismus, der die vom Aneurysma veran- 
laßten Beschwerden in unangenehmer Weise er- 
i höhte. Namentlich die hochgradige Erregung und 
die Tachykardie gaben dem Patienten viel zu 
i schaffen. Mit dem Aussetzen der Jodtherapie 
besserte sich langsam der Zustand, während eine 
i Fortsetzung derselben das Leben des Kranken 
1 wahrscheinlich mehr bedroht hätte als das An¬ 
eurysma. Von besonderem Interesse war es, daß 
sein 18jähriger Sohn an einer Schilddrüsenaplasie 
litt und lange Zeit Schilddrüsentabletten mit 
großem Erfolge nahm! 

Wie soll man sich aber die Jodwirkung 
bei der vulgären Form der Arteriosklerose 
vorstellen? Die Blutdruck herabsetzende 
respektive gefäßerweiternde Wirkung ist 
längst widerlegt und die seit G. See 
eingebürgerte These, ,,das Jod sei die 
Digitalis der Gefäße“, unhaltbar ge : 
worden. Die moderne süddeutsche Schule 
(Romberg, Ottfr. Müller) hält an der 
Herabsetzung der Viscosität des Blutes 
durch Jod fest und macht sie zum Angel¬ 
punkte der Jodwirkung bei Arterio¬ 
sklerose. Abgesehen davon, daß diese 
Behauptung vielfach bestritten wird, wäre 
selbst von der gegebenen Tatsache zum 
therapeutischen Effekt noch ein weiter 
Weg. Dann hat Lehndorff auf Grund 
von Tierversuchen als haemodynamische 
Jodwirkung eine Blutdrucksteigerung 
durch Erhöhung des Schlagvolumens des 
Herzens nachgewiesen und daraus das 
Wesen einer rationellen Jodtherapie ab- 





Februar 


Die Therapie der 


geleitet. „Durch Beschleunigung der 
Blutcircuiation und consecutive bessere 
Durchblutung der erkrankten Organe 
wird allein schon sicher jede Resorption 
befördert und bei Infektionskrankheiten 
die Autoimmunisierung erleichtert, daher 
der günstige Erfolg. Die ohnehin schlecht 
begründete Hypothese von einer speci- 
fischen Wirkung des* Jods auf Krank¬ 
heitserreger und Krankheitsprodukte 
können wir dann fallen lassen.“ 

Boruttau hat neuestens die Richtig¬ 
keit der Lehndorff sehen Versuche an¬ 
erkannt, dagegen die daraus gezogenen 
Schlüsse abgelehnt und die spezifische 
Beeinflussung in den Vordergrund ge¬ 
stellt, wie sie. durch erhöhte Jodspeiche¬ 
rung in erkrankten Geweben und schon 
im normalen lymphoiden System nahe¬ 
gelegt wird. Auf Grund seiner Tier¬ 
versuche mit lang fortgesetzter Einver¬ 
leibung kleiner Jodmengen bestätigte er 
nämlich, daß die überwiegende Menge 
des Jod prompt ausgeschieden wird, daß 
organische Träger von Jod in beschränk¬ 
tem Maß nur der Lymphapparat be¬ 
ziehungsweise die weißen Blutkörperchen 
seien und die Schilddrüse ihre elek- 
tive Jodaufnahme auch gegenüber 
kleinsten Jodmengen bewähre. 

Soweit die wichtigsten theoretischen 
Stützen, für die Berechtigung der Jod¬ 
therapie der Arteriosklerose. Die Meinung 
vieler Kliniker und Praktiker geht nun 
dahin, daß das Jod bei manchen Fällen 
von Angina pectoris und cerebraler Ar¬ 
teriosklerose sich bewähre. Diese Meinung 
ist allerdings mehr der Ausdruck einer 
Art Gefühlsstatistik, da es ja offenkundig 
ist, daß die Arteriosklerose in ihrem Ver¬ 
lauf selbst bei Angina pectoris oft Jahre 
hindurch Remissionen zeigt und kausal¬ 
therapeutische Schlüsse unter solchen 
Umständen trügerisch sind. Bei jedem 
therapeutischenHeilplan gegen dieArterio- 
sklerose und ihre Folgeerscheinungen wird 
der Kranke von seinem Arzte in erster 
Linie aus der vita major des täglichen 
Lebens in das Schonungsgebiet einer 
vita minor gewiesen und diese Tatsache 
wird ihm durch Befolgung von thera¬ 
peutischen Maßregeln jeder Art — in- 
tramittierende Jod- und Theobrominkur, 
lactovegetabilische Diät e.e. — immer 
wieder zum Bewußtsein gebracht. Wir 
möchten diese pharmonologische Psycho¬ 
therapie (ohne natürlich gewisse pharma- 
kodynamische .Wirkungen zu leugnen) 
nicht unterschätzen und glauben, daß 
sie selbst der erfahrenste Arzt nicht ent¬ 


Gegenwart 1917. 47 


behren kann 1 ). Gerade die Jodtherapie 
gehört zum ältesten Rüstzeug der Arteri.o- 
skleriosenbehandlung und ist im Volks¬ 
bewußtsein förmlich festgewurzelt, der 
Arzt kann nicht anders als mit der 
Strömung gehen. Aber darin eben liegen 
die Gefahren dieser Behandlung, denn 
sie rechnet zu wenig mit der Häufigkeit 
der thyreogenen Jodidiosynkrasie. Da¬ 
rum ist es von Nutzen auf Anhaltspunkte 
der Vorsicht hinzuweisen, die nach unserer 
Erfahrung die Unterlassung der Jod¬ 
therapie zur Pflicht machen. 

In erster Linie müssen alle Kranken 
mit vergrößerter Schilddrüse ausgenom¬ 
men werden, denn sie neigen mit einer 
gewissen Regelmäßigkeit zum Jodhyper- 
thyreoidismus. 

Die Verkleinerung nicht zu großer Kröpfe aut 
Jod ohne schädliche Allgemeinerscheinungen wird 
so gedeutet, daß es sich um jodarme Schilddrüsen 
handelt, bei denen die Vergrößerung eben auf 
eine infolge der Jodarmut eingetretene kom¬ 
pensatorische Hyperplasie des drüsigen Gewebes 
zurückzuführen ist. Da es aber keine Merkmale 
dafür gibt, so hält ein Mann wie Kocher in der 
Regel den operativen Eingriff für schonender als 
die medikamentöse Behandlung. 

Als der Jodempfindlichkeit verdächtig 
erscheinen alle „Erethiker“, nervös erreg¬ 
bare, vasomotorisch leicht ansprechende 
Menschen, Individuen mit cardio-vasku- 
lärer Prädisposition im Sinne von Fr. 
Kraus. Ebenso Menschen, bei denen 
sich öfters im Laufe des Lebens große 
Körpergewichtsschwankungen bemerkbar 
machen und mit einer gewissen Wahr¬ 
scheinlichkeit auf eine thyreogene Stoff¬ 
wechselbeeinflussung hinweisen. Das 
weibliche Klimakterum möchten wir für 
die Jodtherapie ganz ausgeschlossen 
wissen, da Frauen in diesem Lebensalter 
an und für sich zum Hyperthyreoidismus 
und zum Aufflackern alter Basedow¬ 
zustände neigen. Hier sei aus der neu¬ 
esten Literatur die treffende Beobachtung 
Oswalds angeführt, ,,daß jodempfind¬ 
liche wie auch schilddrüsenempfindliche 
Menschen immer Läsionen des Nerven¬ 
systems zeigen, „neuropathische Kon¬ 
stitutionen“ oder auch vorübergehend 
durch geistige Überanstrengung oder son¬ 
stige Überreizung in ihrem Nervensystem 
geschwächt sind, während gerade das 
Fehlen einer Disposition bei den Re¬ 
fraktären auffällt. Bei nierenkranken Ar- 
teriosklerotikern verbietet sich die Jod¬ 
medikation von selbst. 

*) Den psychischen Faktor bei der Entwick¬ 
lung und Behandlung der Arteriosklerose hat ins¬ 
besondere Max Herz immer wieder in den Vor¬ 
dergrund gestellt. 





48 


Die Therapie der Gegenwart, 1917. 


Februar 


An der Hand dieser Leitsätze werden 
in der Praxis Jodschaden leicht ver¬ 
mieden und andererseits jene Fälle richtig 
eingeschätzt werden, wo Arteriosklerose 
und Jodthyreoidismus in ein schweres 
Krankheitsbild zusammenfließen, wie wir 
es bei der Besprechung des „Alters- 
thyreoidismus“ (Kongreß für innere Med. 
1914) auseinandergesetzt haben. Der 
Arteriosklerose wird der künst¬ 
liche Hyperthyreoidismus förmlich 
aufgepfropft, und statt durch die 
Jodtherapie eine Milderung zu er¬ 
fahren, werden die arterioskleroti¬ 
schen Krankheitserscheinungen ge¬ 
radezu akutisiert und durch die 
thyreogene Tachykardie imVerein 
mit der oft hochgradigen Abmage¬ 
rung in erster Linie das Herz be¬ 
droht. 

Und nun wollen wir für jene Gruppe 
von Arteriosklerosen, bei der sich nach 
klinischer Erfahrung Jod bewähren soll, 
einen Wirkungsmechanismus in Anspruch 
nehmen, der sich mit der geläufigen Theorie 
der Jodwirkung nicht deckt. Wir glauben 
nämlich, daß hier die „thyreotrope“ 
Eigenschaft des Jod in Betracht kommt, 
daß der ezcessiven krarikmachenden 
Wirkung bei jodempfindlichen Individuen 
eine günstige therapeutische ausbeutbare 
Jodwirkung gegenübergestellt werden 
kann bei Menschen, deren Schilddrüsen¬ 
funktion im Alter des Abbaues in Ab¬ 
nahme begriffen sein mag, eine Lebens¬ 
epoche, die ja mit der Zeit der arterioskle¬ 
rotischen Veränderungen im Organismus 
beiläufig zusammenfällt. Die Bedeutung 
der Schilddrüse als inneres Sektretions- 
organ für den Gesamtorganismus ist ja 
im Prinzip geklärt: Wir wissen, daß sie 
durch ihr Hauptprodukt, das Jodthyreo¬ 
globulin, den Gesamtstoffwechsel erhöht, 
das Körperwachstum fördert und die 
Psyche beeinflußt. Wir folgen des 
weiteren gerne den klaren Ausführungen 
A. Oswalds mit der Feststellung, daß 
sie die Anspruchsfähigkeit weiter Bezirke 
das autonomen und sympathischen Ner¬ 
vensystems erhöht, daß dies für die Herz- 
und Blutgefäße versorgenden Nerven 
(Vagus, Depressor) nachgewiesen ist und 
daß ihre sensibilisierende Wirkung auf 
das Adrenalin feststeht. ,,Die Förderung 
des Stoffwechsels scheint dabei auf eine 
allgemeine Zellbeeinflussung hinzudeuten. 
Es läßt sich denken, daß sowohl der 
Nervenapparat wie die Erfolgsorgane 
mehr ansprechen und daß beide es tun, 
weil die allgemeine Zelltätigkeit verstärkt 


ist.“ Oswald greift unabhängig von 
Mik-ulicz den treffenden Vergleich auf/ 
als sei die Schilddrüse als eine Art Ver¬ 
stärkungsorgan, eine Art,,Multiplikator“, 
zu betrachten, der in das Nervensystem 
eingeschaltet ist, von ihm Reize empfängt, 
und in Gestalt einer Reizverstärkung ins¬ 
besondere an das vegetative Nerven¬ 
system wieder abgibt. 

Gerade diese hohe Valenz der Schild- 
; drüse im harmonisch geschlossenen Kreise 
der inneren Sekretionsorgane läßt uns 
| daran denken, daß von ihr aus auf dem 
Wege der specifischen thyreotropen Jod¬ 
wirkung gewisse Formen* der Arterio¬ 
sklerosegünstigbeeinflußtwerden können. 

I Wir weisen hauptsächlich auf die tor- 
1 piden Fälle hin mit langsamer, träger 
Herztätigkeit ohne auffallende vasomoto¬ 
rische Reizbarkeit, ohne besondere psy- 
; chische Erregbarkeit, ohne Neigung zur 
! Abmagerung wie sie im fettleibig-anämi- 
| sehen Typus der Arteriosklerose zum 
| Ausdruck kommt (Arteriosklerosis prae- 
: cox?). Hier scheint uns die Förderung 
des Zellstoffwechsels und Hebung des 
Tonus im vegetativen Nervensystem auf 
thyreogenem. Wege eine Möglichkeit zu 
; bieten, retrograde Vorgänge des Abbaues 
; im Organismus günstig zu beeinflussen. ■ 
Dabei steht unsere Auffassung nicht 
ohne Analogie da. So will Schmide- 
berg die „resorbierende“ Jodwirkung 
möglicherweise auf eine Steigerung des 
Stoffwechsels zurückführen und die gün¬ 
stige, scheinbar spezifische Jodtherapie 
der Skrophulose dürfte — eine Andeutung 
findet sich z. B. bei Horst-Meyer (Exp. 

, Pharmakologie) — für viele Fälle mit 
der Anregung einer herabgesetzten Schild¬ 
drüsenfunktion in Zusammenhang zu 
bringen sein. Auch Boruttau stellt sich 
in der oben erwähnten Kritik der Lehn¬ 
dorff sehen Versuche auf den Standpunkt, 
daß die hämodynamische Wirkung des 
Jodions wohl in einer „Reizung“, sei 
es des Myokards, sei es der nervösen 
Apparate des Herzens zu suchen ist, 
j'vielleicht „in einer Erhöhung der Er- 
l regbarkeit für physiologische Reize“. Eine 
| specifische Einwirkung des Jod auf 
| die Schilddrüse, diesen Multiplikator des 
vegetativen Nierensystems, ist eben etwas 
j analoges, nur daß noch das wichtige 
: Moment der allgemeinen Zellbeeinflussung 
durch Steigerung der Oxydationsenergie 
j hinzukommt. In diesem Sinne ist die 
I Antwort Chvosteks auf die Schwalbe- 
j sehe Rundfrage bezüglich der Jodtherapie 
1 der Arteriosklerose von besonderem In- 




Februar Die Therapie der Gegenwart 19i7. 49 


teresse: „Möglicherweise kommt der Ein¬ 
fluß auf dem Umwege über die endokrinen 
Drüsen zustande, wofür die nahe Be¬ 
ziehung des Jod zur Schilddrüse, den 
Beziehungen der Blutdrüsen zueinander 
und ihre Beziehungen zur Beschaffen¬ 
heit und Inervation der Gefäße sprechen 
würde.“ Eine Anschauung, die sicherlich 
dem Wesen der Sache näher kommt als 
die Andeutung von Mathes bei dem¬ 
selben Anlasse, daß eine Wirkung des 
Jod auf das sympathische System nicht 
ausgeschlossen sei. 

Im Vergleich zu den wichtigsten 
symptomatischen Heilmitteln, dem 
Theobromin und den Nitriten, wäre die 
Jodwirkung bei gewissen Fällen von 
Arteriosklerose als eine mehr ätio¬ 
trope aufzufassen, indem durch 
sie 1 ) Kräfte der inneren Sekretion 
aufgeboten und in eingreifende 
strophische Reize“ — im Sinne der 
älteren Vorstellung — umgesetzt wer¬ 
den. Und auf diese kommt es in letzter 
Linie vielleicht an, wie man sich auch 
immer zu dem komplexen Problem der Pa¬ 
thogenese der Arteriosklerose stellen mag. 

Aber immer wieder sei zur größten 
Vorsicht bei der Jodmedikation geraten 
nicht nur bezüglich der Indikation, son¬ 
dern auch bezüglich der Dosierung 2 ). 

Am besten empfiehlt sich der Stand¬ 
punkt’Fr. v. Müllers, drei- bis viermal 
im Jahre vier bis sechs Wochen täglich 
kleinste Gaben von 0,1—0,2 Jodkali oder 


| ähnliche organische Präparate zu ver- 
! ordnen, vorausgesetzt, ,,daß die erste 
j Jodkur gut ausfällt.“ ,,Denn die Zahl 
| der Fälle, in welchen Jod schädlich wirkt, 

| scheint mir erheblich größer zu sein als 
j die Zahl derjenigen Fälle Arteriosklerose 
nicht syphilitischer Art, in welchen das 
Jod günstig ist.“ Auch Chwostek be¬ 
fürwortet recht kleine Dosen, etwa 0,1 bis 
0,2 Natrii jodati pro die jeden zweiten 
Tag durch Monate eventuell Jahre. 

Wer also sicher gehen will, möge zu¬ 
nächst Jodsalze in Centigrammdosen ver¬ 
ordnen — etwa nach der oben mitgeteilten 
Vorschrift von Gautier — und sich im 
Sinne Fr. v. Müllers in jedem einzelnen 
Falle förmlich einfühlen. Dann wird mit 
einer gewissen Sicherheit das Gespenst 
des Jodthyreoidismus gebannt werden 
können, das, der Arteriosklerose einmal 
aufgepfropft, statt ihr zu steuern, sie 
förmlich ins Rollen bringt. 

Die wichtigsten Literaturangaben: 

R. Breuer, Beitrag zur Ätiologie der Basedow- 
I Krankheit und des Thyreoidismus (W. kl. W. 

I 1900). — L. Krehl, „Rat zur Vorsicht beiGe- 
I brauch des Jod“ (M. m. W. 1910). — Th. Kocher, 
„Jodbasedow“ (Arch. f. klin. Chir. 1910). — 
J. Schwalbes Rundfrage: Welchen Einfluß hat 
die Jodtherapie auf die Arteriosklerose? (D. m. W. 
j 1914). — C. Kraus, „Altersthyreoidjsmus“ (B. 

! d. Kongreß f. inn. Medizin 1914). — Arno Lehn- 
dorff (Arch. f. exper. Path. u. Ther. 1914, Bd.76). 

• —A. Oswald, Die Schilddrüse in Physiologie und 
! Pathologie (Veit & Co., Leipzig 1916). — Borut- 
i tau, „Jod bei Arteriosklerose“ (Zschr. f. exper. 

| Path. u. Ther 1916, H. 2). — H. Meyer u. R. Gott¬ 
lieb, Die experimentelle Pharmakologie. 


Perkaglycerin und Tego-Glycol, zwei Glycerin-Ersatzmittel. 


Von Dr. Felix 

Als durch die erhöhten Anforderungen 
des Krieges und die beschränkte Zufuhr 
von Rohstoffen ein Mangel an Glycerin 
nicht nur in der Industrie, sondern auch 
in der pharmazeutischen Praxis sich fühl¬ 
bar machte, mußte es auch vom ärztlichen 
Standpunkt mit Freuden begrüßt werden, 
daß es nach dem Urteile namhafter 
Autoren der chemischen Fabrik Win¬ 
kel am Rhein gelungen sei, für dieses in 
der inneren und äußeren Medizin oft un- 

x ) Durch Vermittelung der Schilddrüse. 

*) Die tägliche Erfahrung lehrt, daß von Re¬ 
fraktären große Joddosen vertragen werden, wie 
sie bei der Behandlung der Lues, der Aktino- 
mycose, des Asthmas und besonders in der Chir¬ 
urgie verordnet werden. Immerhin wäre eine 
Revision bezüglich des Auftretens eines mehr oder 
minder deutlichen Jodthyreoidismus erwünscht. 
Er kann sich nur in Abmagerung, nur in Herz¬ 
störungen oder in ausschließlich nervösen Stö¬ 
rungen äußern. 


Mendel-Essen. 

entbehrliche Heilmittel in dem Perka¬ 
glycerin einen vollwertigen Ersatz zu 
schaffen. Nach den zahlreichen Publi¬ 
kationen zu urteilen 1 ), schien sogar das 
Ersatzpräparat neben der gleichen Ver¬ 
wendbarkeit und der vollen Wirkung des 
Glycerins noch besondere Fähigkeiten zu 
besitzen, die ihm nach mancher Richtung 
hin für alle Zeiten den Vorzug vor dem 
ursprünglichen Stoff gesichert hätten. 

Auffällig war es nur, daß keine der 
zahlreichen Veröffentlichungen über 
Perkaglycerin auch nur ein Wort über 
seine chemische Zusammensetzung 
verlauten ließ, deren genaue Kenntnis 
doch „conditio sine qua non“ jeder medi¬ 
zinischen Anwendung bilden muß und 
einzig und allein eine Erklärung für die 
pharmakologischen Fähigkeiten geben 

*) Siehe Literatur Th. d. G. Mai, Juli 1916. 

7 




30 


Die Therapie der Gegenwart 1917. ■ i Februar 


kann, die dem neuen Arzneistoff zuge¬ 
schrieben werden. 

Selbstverständlich war es für den 
Chemiker von Fach ein leichtes, festzu¬ 
stellen, und es ist auch durch Bachem 1 ) 
bereits bekanntgegeben worden, daß 
dieser dem Glycerin äußerlich so täu¬ 
schend ähnliche Stoff in seiner chemischen 
Zusammensetzung völlig von der des 
Glycerins abweicht, daß es sich nicht 
um einen dreiwertigen Alkohol, als 
welchen wir das ,Glycerin kennen, sondern 
um eine konzentrierte Salzlösung 
handelt und zwar um ein sogenanntes 
Lactat, ein Salz der einbasischen 
Milchsäure, deren Alkalisalze sehr leicht 
löslich, zum Teil zerfließlich und daher 
schwer krystallisierbar sind. Gießt man 
zum Perkaglycerin einen Tropfen Sal¬ 
petersäure, so fallen Krystalle aus, die 
unter dem Mikroskop schöne prisma¬ 
tische Gebilde darstellen und deswegen 
als das Kalisalz der Salpetersäure anzu¬ 
sprechen sind. Perkaglycerin ist also 
milchsaures Kalium und aus dieser 
chemischenZusammensetzung sind sowohl 
seine Vorzüge als auch seine Nachteile 
gegenüber dem Glycerin herzuleiten, aber 
auch mancherlei Wirkungen leicht zu 
deuten, die einigen Autoren bei der äußer¬ 
lichen und innerlichen Verabreichung des 
Mittels als besonders bemerkenswert auf¬ 
gefallen sind. 

Das milchsaure Kalium, das an der 
Luft zu einer syrupähnlichen Flüssigkeit 
zerfließt, hat vor^ allem eine frappante 
physikalische Ähnlichkeit mit dem 
Glycerin; es ist wie dieses wasserklar, dick¬ 
flüssig, von noch stärkerer Viscosität 
als das Glycerin, sehr hygroskopisch 
und in jedem Verhältnis mit Wasser und 
Alkohol mischbar. 

In all den Fällen, in denen wir von den 
physikalischen Fähigkeiten des Gly¬ 
cerins, seiner Viscosität, seiner wasser¬ 
anziehenden Wirkung Gebrauch machen 
wollen, kann das Perkaglycerin uns 
einen vollwertigen Ersatz bieten. So¬ 
bald aber chemische Wirkungen des Gly¬ 
cerins in Frage kommen, werden wir bei 
jeder einzelnen Art der Anwendung die 
chemisch völlig abweichende Zusammen¬ 
setzung der beiden Stoffe berücksichtigen 
müssen, die ihre pharmakologischen Wir¬ 
kungen bedingen muß. Dieses gilt nicht 
nur für die innerliche Darreichung der 
beiden Stoffe, sondern auch für die 
äußerliche und rectale Anwendung. 

*) M. in. W. 1916, Nr. 41, S. 1471. 


Rein physikalisch soll das Perkagly¬ 
cerin wirken, wenn es als Gleitmittel 
zum Schlüpfrigmachen von Gummi- oder 
Metallkathetern, Bougies und anderen In¬ 
strumenten benutzt wird, und es ist für 
diesen Zweck nicht nur imstande, das 
Glycerin zu ersetzen, sondern wir können 
sogar behaupten, es übertrifft das 
Glycerin noch an Schlüpfrigkeit. 
Soweit unsere Erfahrungen reichen, greift 
es als neutrales Salz weder das Metall der 
Instrumente, noch das Gummi an, ^s 
scheint sogar das letztere genau so gut zu 
konservieren wie das Glycerin. 

Anders wird es sich natürlich infolge 
seiner chemischen Zusammensetzung als 
konzentrierte Salzlösung gegenüber den 
Schleimhäuten verhalten, mit denen 
die durch Perkaglycerin schlüpfrig ge¬ 
machten Instrumente in Berührung kom¬ 
men. Auf die Schleimhaut der Harn¬ 
röhre wirkt es, besonders wenn es unver¬ 
dünnt angewendet wird, reizend und da¬ 
durch schmerzerregend, ein Ubelstand, 
der dadurch beseitigt werden kann, daß 
wir das Perkaglycerin zur Hälfte mit 
Wasser verdünnen. Dadurch wird die 
Viscosität zwar vermindert, aber sie bleibt 
doch für den praktischen Gebrauch aus¬ 
reichend. 

Vermischt man das Perkaglycerin, 
wie es bei äußerer Anwendung meist ge¬ 
schieht, mit anderen Medikamenten, so 
wird es sich diesen gegenüber, seiner che¬ 
mischen Konstitution entsprechend, in 
vielen Fällen anders verhalten wie 
Glycerin, und es wird bei jeder Mischung 
und Lösung, die wir statt mit Glycerin mit 
Perkaglycerin herstellen, hierauf Rück¬ 
sicht genommen werden müssen. Einzelne 
Stoffe, so z. B. Gerbsäure, Ichthyol, 
Pantopon und andere Alkaloide, die 
sich im Glvcerin lösen, geben mit Perka¬ 
glycerin Fällungen, ebenso läßt sich Perka¬ 
glycerin mit Gelatine, wohl infolge des 
ausfallenden, schwer löslichen milchsauren 
Kalks, oder mit Seife nur schwer zu¬ 
sammen verarbeiten.. In der Kosmetik, 
in der das Glycerin eine große Rolle spielt, 
vermag das Perkaglycerin, besonders in 
verdünntem Zustande, einen vollwertigen 
Glycerinprsatz für viele Präparate so 
lange zu bilden, als diese an der un¬ 
versehrten Haut oder Schleimhaut 
Verwendungfinden, und das Perkaglvcerin, 
wie bei den Instrumenten, nur als Gleit¬ 
mittel dient, umdasPräparatgeschmeidig 
zu machen. SchonbeikleinstenEpi thel- 
defekten wirkt das Perkaglycerin, wie 
wir es von einem konzentrierten Kalisalz 







nicht anders erwarten können, reizend 
und entzündungserregend, je mehr es ver¬ 
dünnt ist, um so weniger natürlich. 

In der Wundbehandlung und der 
Dermatologie muß das' Perkaglycerin 
eine von dem Glycerin völlig abwei¬ 
chende Wirkung ausüben. Bei längerer 
Anwendung wirkt es, wie auch aus der 
Veröffentlichung von Nagelschmidt 1 ) 
hervorgeht, sogar reizend auf die noch 
unversehrte Haut und ruft starkes 
Brennen hervor. 

Bei trockenen, inveterierten Ek¬ 
zemen, bei Psoriasis mit starker Schup¬ 
penbildung, wirkt es in hohem Grade auf¬ 
weichend und lösend auf Schuppen und 
Borken, in manchen Fällen sogar besser 
wie Glycerin, gerade wegen seiner Reiz¬ 
wirkung, während bei akuten, ent¬ 
zündlichen Erkrankungen der Haut | 
(Ekzem, Erythem, Erysipel) seine An- ! 
Wendung aus demselben Grunde auch in | 
verdünntem Zustande kontraindiziert I 
erscheint. In verschiedenen Fällen von 
akutem Ekzem, in denen das Perka¬ 
glycerin auf der einen Seite, Glycerin auf 
der anderen Seite verordnet wurde, zeigte 
eine Verschlimmerung der ersteren klar 
die Reizwirkung des Arzneistoffes. 

Zusammenfassend müssen, wir sagen, 
daß das Perkaglycerin in der Dermato¬ 
logie und Kosmetik nur als Gleit¬ 
mittel und zum Geschmeidigmachen 
einer Salbenmischung und als Lösungs¬ 
mittel für bestimmte Stoffe das Glycerin 
ersetzen, daß es aber schon wegen seiner 
chemischen Zusammensetzung weder j 
bei Wunden noch bei Haut- ! 
krankheiten als Heil- öder Wundmittel i 
in Frage kommen kann, daß es vielmehr j 
überall da, wo Epitheldefekte vorhanden j 
sind,'die Heilung derselben eher ver- j 
zögert als beschleunigt. j 

Aus diesem Grunde bestehen auch 
Bedenken, das Perkaglycerin zur Kon- ; 
servierung von Lymphe an die Stelle j 
von Glycerin zu setzen, wenn es auch, wie j 
es die Erfahrung noch erst bestätigen j 
muß,. dieselbe konservierende Wirkung ! 
zu besitzen scheint. Ebensowenig kann ! 
es an Stelle des Glycerins als Zusatz zu | 
Injektionsflüssigkeiten für sub- I 
cutane Einspritzungen benutzt werden. ; 

Als konzentrierte Kalisalzlösung wirkt ; 
es natürlich auch reizend auf .die ; 
Schleimhäute. Beim Jodjodkalium- i 
Perkaglycerin, das zum Bepinseln der ! 
Rachenschleimhaut Verwendung finden | 

J ) Th. d. G. Mai 1916. 


kann, bleibt diese Reizwirkung, abge¬ 
sehen von dem salzig bitteren Ge- 
I schmack, ohne Nachteil. Auch die 
| Vaginalschleimhaut verträgt das 
Perkaglycerin ohne Schaden, wenn 
auch nicht selten leicht blutende Epi¬ 
theldefekte die Stelle bezeichnen, wo 
der mit unverdünntem Perkaglycerin ge¬ 
tränkte Tampon’ gelegen hat. Aber das 
ist beim Glycerin fast ebenso häufig der 
Fall. 

In der inneren Medizin bleibt das 
Glycerin ein wichtiges, oft schwer ersetz-., 
bares Mittel, um besonders bei hilflosen 
Kranken in kurzer Zeit mittels kleiner 
Injektionen in das Rectum ergiebige, 
breiige Stuhlentleerungen zu erzielen. Auf 
welcheWeise das Glycerin diese Wirkung 
erzielt, ist noch nicht mit Sicherheit fest¬ 
gestellt. Daß es nicht allein durch 
Wasserentziehung wirkt, hat Rei- 
singer 1 ) gezeigt, der mit konzentrierter 
Natriumsulfatlösung nicht den gleichen 
Erfolg erzielte. Am wahrscheinlichsten 
trifft die von Obenaus aufgestellte Ver¬ 
mutung das Richtige, welche annimmt, 
daß durch die Resorption des Glycerins 
das Darmnervensystem lokal erregt wird. 
Dadurch kommt eine der normalen Peri¬ 
staltik analoge Contractionsreihe zu¬ 
stande, welche auf dem durch Glycerin 
geglätteten Wege den Kot leicht aus¬ 
pressen kann. Schon hiernach könnte das 
Perkaglycerin als konzentrierte Salz¬ 
lösung auch als Abführmittel das 
Glycerin nicht vollkommen ersetzen, 
was auch durch die Erfahrung bestätigt 
wird. Da die Kalisalze besonders in kon¬ 
zentrierter Lösung wegen ihres starken 
Diffusionsvermögens eine heftige Reiz¬ 
wirkung auf Schleimhäute ausüben, so ruft 
reines Perkaglycerin, wie nicht an¬ 
ders zu erwarten ist, zwar Stuhl, aber 
auch einen starken schmerzerzeugen¬ 
den Reiz (Schleim- und Blutabgang) und 
nicht selten sogar nur diesen hervor. Bei 
mit Wasser verdünntem Perkagly¬ 
cerin ist zwar der entzündungserregende 
Effekt bedeutend gemildert, äber auch die 
Wirkung auf denStuhl viel unsicherer, 
und sobald kleine Mastdarmfissuren vor¬ 
handen sind, was bei Obstipation nicht 
selten der Fall ist, auch dann noch 
schmerz- und krampferregend. 

Innerlich findet das Glycerin heute 
wohl kaum noch Anwendung, zumal seine 
Wirkung, bei Nierensteinkoliken den Ab- 

x ) Eulenburgs Realencyklopädie, II. Aufl., 
Bd. XXI, S. 119. 


7 * 




52 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Februar 


gang der Steine zu erleichtern; mehr als 
zweifelhaft erscheint. Daß das Perka- 
glycerin, welches nicht, wie das in großen 
Dosen verabreichte Glycerin im Harn aus¬ 
geschieden, sondern als Lactat im Orga¬ 
nismus völlig abgebaut wird, hier nicht 
die Stelle des Glycerins vertreten kann, 
ist selbstverständlich. Mayer^), der das 
Perkaglycerin biszulöÖgprodie inner¬ 
lich verabreicht hat, sah deswegen, wie zu 
erwarten war, bei Nierenkoliken kei¬ 
nen Erfolg, konstatierte aber bei dieser 
Medikation eine verstärkte Diurese 
und stark alkalische Reaktion des 
vorher sauren Harnes. Auf Grund 
dieser Beobachtungen empfiehlt Mayer 
das Perkaglycerin zur Bekämpfung 
der Acidosis bei Diabetikern. Diese 
für eine dem Glycerin ähnliche Substanz 
auffällige pharmakodynamische Wirkung 
erklärt sich leicht aus ihrer chemischen 
Zusammensetzung. Die Milchsäure und 
ihre Salze werden völlig im Organismus 
zerstört und innerlich gegeben oder in 
die Blutbahn eingeführt, außerordent¬ 
lich rasch in Kohlensäure beziehungs¬ 
weise kohlensaure Salze umgewandelt, 
welche, in den Harn übertretend, den¬ 
selben alkalisch machen. Auch die von 
Mayer beobachtete diuretische Wir¬ 
kung so großer Salzmengen ist bei ge¬ 
sunden Circulationsorganen selbstver¬ 
ständlich, besonders wenn es sich, wie 
beim Perkaglycerin, um eines der orga¬ 
nischen Kalisalze handelt,deren harn¬ 
treibende Wirkung pharmakologisch 
feststeht und deren gebräuchlichster Re¬ 
präsentant das Kalium aceticum dar¬ 
stellt. Mayer hat seinen Patienten bis zu 
150 g Perkaglycerin pro die verabreicht! 
In Anbetracht der bekannten schädigenden 
Wirkung der Kalisalze auf das Herz und 
des starken Reizes, den die leicht diffu- 
siblen Kalisalze im Vergleiche mit den 
korrespondierenden Natronsalzen auf 
Schleimhäute, und zwar besonders auf 
die Schleimhaut des Magendarmkanals 
ausüben, muß es bedenklich erscheinen, 
so kolossale Quantitäten intern zu ver¬ 
abreichen; denn wenn auch die rasche 
Abfuhr der Kalisalze durch die Nieren 
eine Akkumulation tödlich auf das Herz 
wirkender Mengen zu verhindern ver¬ 
mag, so ist doch von der wiederholten 
Anwendung so massiver Dosen von Kali¬ 
salzen trotz der relativen Ungiftigkeit des 
Perkaglycerins eine Schädigung lebens¬ 
wichtiger Organe zu befürchten. 


Wir sehen, wie notwendig es für den 
Arzt ist, einen genauen Einblick in die 
chemische Zusammensetzung des Arznei¬ 
mittels sich zu verschaffen, ehe er zu 
seiner therapeutischen Anwendung schrei¬ 
tet. Da also hiernach auch die interne 
Anwendung nicht als eine empfeh¬ 
lenswerte Medikation bezeichnet wer¬ 
den kann, so bleibt für das Perkaglycerin 
als Arzneimittel und als Ersatzmittel für 
das Glycerin nur als wichtigste Eigen¬ 
schaft seine Viscosität und seine hygro¬ 
skopische Wirkung übrig, die es be¬ 
fähigt, als Gleitmittel, Konservie¬ 
rungsmittel für Gummi und im Notfälle 
im verdünnten Zustande auch als r e c t a 1 e s 
Abführmittel das Glycerin zu ersetzen. 

Auf einen weiteren brauchbaren Gly¬ 
cerinersatz für medizinische Zwecke, das 
Glycol, hat bereits Bachem 1 ) in einer 
vorläufigen Mitteilung aufmerksam ge¬ 
macht, der auch als erster das Perka- 
| glycerin als konzentrierte Lösung von 
i milchsaurem Kalium kennzeichnete. Das 
! Glycol ist im Gegensätze zum Gly¬ 
cerin, das einen dreiwertigen Alkohol 
darstellt, ein zweiwertiger, nämlich 

Äthylen-Glycol C 2 H 4 <qJ^. Es bildet 

also chemisch eine Zwischenstufe 
zwischen Alkohol und Glycerin. 
Es ist kein neuer Stoff, sondern wurde 
bereits im Jahre 1856 von Würtz 
entdeckt. Seine Herstellung war aber 
bisher so schwierig, daß nur kleine Men¬ 
gen davon in den Handel gebracht wur- 
! den, die seine praktische Verwendung 
I wegen des hohen Preises ausschlossen. Der 
chemischen Fabrik Th. Goldschmidt 
A. G. in Essen ist es nun durch ein pa¬ 
tentiertes Verfahren möglich geworden, 
das Glycol fabrikmäßig in großen 
Mengen herzustellen und zu dem billigen 
Preise von 5 M. pro Kilogramm in den 
Handel zu bringen. Dieses Glycol, als 
Tego-Glycol bezeichnet, ist eine leicht 
gelblich gefärbte, fast geruchlose, sü߬ 
lich schmeckende Flüssigkeit, die in allen 
ihren Eigenschaften dem chemisch eng 
verwandten Glycerin sehr nahe steht. 
Es ist mit Wasser und Alkohol in allen 
Verhältnissen mischbar, in Äther schwer 
löslich, aber selbst ein gutes Lösungs¬ 
mittel für viele unserer gebräuchlich¬ 
sten Medikamente, auch für solche, die 
durch Perkaglycerin ausgesalzen wer¬ 
den und sich deswegen mit ihm nicht 
; mischen lassen, insbesondere auch für 


J ; M. Kl 1916, Nr. 34. 


x ) M. m. W. 1916, Nr. 41. 




Februar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


53 


organische Stoffe, wie z. B. Gelatine, 
was für die Herstellung von Supposi- 
torien und Kapseln von Bedeutung ist. 
Seine Verwendungsfähigkeit auf den 
verschiedensten Gebieten der Technik 
ist bereits erprobt, während auf seine 
Anwendung in der inneren und äuße¬ 
ren Medizin wie der pharmazeuti¬ 
schen Praxis überhaupt bisher nur von 
Bachem in einer vorläufigen Mitteilung 
aufmerksam gemacht wurde. Nach zahl¬ 
reichen Versuchen, die ich mit Tego- 
Glycol, sowohl in äußerlicher wie in 
rectaler Anwendung, anstellte, hat es 
sich als ein vollwertiger Ersatz des 
Glycerins erwiesen. Es ist zwar nicht 
so dickflüssig und besitzt auch nicht 
einen so hohen Grad,von Viscosität 
wie das Glycerin und das Perkaglycerin, 
aber dieser ist völlig ausreichend für 
diejenigen Zwecke, die für die ärzt¬ 
liche Verwendung in Frage kommen. 
Metall- wie Gummiinstrumente wer¬ 
den, mit Tego-Glycol befeuchtet, so 
schlüpfrig, daß sie ohne Schwierigkeit enge 
Kanäle passieren. Auch greift es weder 
Metall noch Gummi an, sondern kon- ! 
serviert das letztere vermöge seiner j 
schweren Verdunstbarkeit und seiner | 
hohen Fähigkeit, Wasser anzuzie- j 
hen, worin es sogar das Glycerin und das j 
Perkaglycerin übertrifft. Auch als Kon- < 
servierungsmittel kommt es sicher ! 
dem Glycerin gleich. Zusätze von Tego- 1 
Glycol zum Harne halten diesen sogar I 
länger schimmelfrei als gleich starke i 
Zusätze von Glycerin. Deswegen unter- j 
liegt es auch keinem Zweifel, daß es ebenso ! 
wie Glycerin zur Konservierung der ; 
Kuhpockenlymphe verwendet werden | 
kann, wenn auch praktische Versuche j 
darüber noch nicht vorliegen. j 

In der Kosmetik ist es zur Herstel- j 
lung von Pasten, Salben, Zahncreme und 
anderem ebenso geeignet wie Glycerin, da 
es ein vorzügliches Mittel darstellt, Sal¬ 
bengrundlagen geschmeidig zu machen. 
Bei aufgesprungenen Händen wirkt 
es genau so günstig wie Glycerin. Das ( 
gleich nach dem Einreiben auftretende 
Brennen ist sogar geringer und schneller 
vorübergehend, ein Beweis, daß Glycol 
weniger reizend auf Wunden wirkt wie 
Glycerin und deswegen im Gegensätze zu ! 
Perkaglycerin auch bei Epitheldefek- ' 
ten der Haut und der Schleimhäute Ver- | 
wendung finden kann. 

Wegen dieser geringen Reizwir¬ 
kung auf die gesunde wie auf die 
kranke Haut habe ich es wiederholt bei ' 


akuten Entzündungen derselben mit 
dem Erfolge angewandt, daß Rötung, 
Schwellung, Schmerzhaftigkeit und Juck¬ 
reiz schnell zurückgingen, besonders wenn 
mit der Glycoleinreibung eine indifferente 
Puderbehandlung kombiniert 4 wurde. 
Gleichartige Anwendung von "Glycerin 
oder Perkaglycerin erzielten statt eines 
Erfolges meist sogar eine Verschlimme¬ 
rung der Entzündung, auch bei demselben 
Patienten. 

Bei der nahen Beziehung des Gly- 
cols zum Alkohol lag es nahe, dasselbe 
wie diesen auch zu feuchten Dauer¬ 
verbänden gegen in oder direkt unter 
der Haut sich abspielende infektiöse 
Entzündungen zu erproben, so gegen 
Furunkeln, Phlegmonen, Abscesse, Phle¬ 
bitis, Lymphangitis, Lymphadenitis. In 
einer Reihe derartiger Erkrankungen wur¬ 
den auf die erkrankte Stelle mit Glycol ge¬ 
tränkte Mullstücke gelegt und mit undurch¬ 
lässigem Stoffe bedeckt und, mit Watte 
und Binde fixiert, 24 Stunden liegen ge¬ 
lassen; in keinem Falle trat, eine Rei¬ 
zung der umgebenden oder bedeckenden 
Hautstelle auf, auch wenn der feuchte 
Glycolverband mehrere Tage hinterein¬ 
ander wiederholt wurde. Meist aber war 
ein günstiger therapeutischer Ef¬ 
fekt zu konstatieren, Erweichung des 
Furunkels, Stillstand der Phlegmone, 
Rückgang der Phlebitis usw. Nach Er¬ 
öffnung des Eiterherdes wurde dieser mit 
glycolgetränkter Gaze leicht tam¬ 
poniert und hierdurch in kurzer Zeit eine 
Abstoßung des nekrotischen Gewebes und 
Reinigung der Wundflächen erzielt. 

Wird das Glycol adstringierenden oder 
antiseptischen Flüssigkeiten, die zu feuch¬ 
ten Verbänden verwendet werden, zuge¬ 
setzt, so verhütet es bei starker anti¬ 
phlogistischer Wirkung in gleicher 
Weise wie das Glycerin die Maceration 
und Schrumpfung der Haut. Beson¬ 
ders bewährte sich zu feuchten Verbänden 
Rp. Liq. alum. acet 

Tego-Glycol . . ca. 50,0 
Aqua dest. . . \ . 200,0 
Trotz der starken hygroskopischen Wir¬ 
kung des Glycols verträgt sowohl die 
Rachen- und Nasenschleimhaut als 
auch die Vagina seine Anwendung ohne 
jede Reizwirkung. Mit Glycol getränkte 
Vaginaltampons wurden schmerzlos er¬ 
tragen und riefen keine Schleimhaut¬ 
erosionen hervor. 

Einen vollwertigen Ersatz des Gly¬ 
cerins bildet das Glycol als per Klysma 
verabreichtes Abführmittel. Schon 





54 Die Therapie der 

geringe Mengen (5—10g), mit einer Spritze | 
in das Rectum appliziert, genügen, um j 
nach 10—30 Minuten eine reichliche, : 
breiige Stuhlentleerung hervorzurufen und j 
zwar ohne Schmerzen und ohne Reiz- ! 
erscheinungen, wie wir sie zuweilen j 
nach Glycerin und noch häufiger nach j 
Perkaglycerin erleben. Die Wirkung des 1 
Glycols auf die Darmschleimhaut ist eine., 
so milde, daß in einem Falle von tief- ; 
gehender Fissura ani die Glycolein- i 
Spritzungen nicht nur eineabsolut schmerz¬ 
lose Stuhlentleerung ermöglichten, son- j 
dern auch direkt in die Fissur eingelegte 
glycolgetränkle Gazestreifen eine auf¬ 
fallend prompte Heilung derselben be¬ 
wirkten. Der Erfolg war ein so frappan- j 
ter, daß diese Behandlungsmethode als 1 
eine wirksame Therapie dieses oft so hart- j 
nackigen Übels empfohlen werden kann, i 
Die interne Verwendung des Gly- j 
cerins spielt in der heutigen Medizin eine i 


Gegenwart 191?. Februaf 

so nebensächliche Rolle, daß sich bis jetzt 
keine Gelegenheit bot, das Glycol nach 
dieser Richtung hin einer pharmakologi¬ 
schen Untersuchung zu unterziehen. Als 
feststehend kann aber auch jetzt schon 
nach dahingehenden Versuchen behauptet 
werden, daß das Glycol, auch intern ver¬ 
abreicht, ungiftig ist. 

Zusammenfassend können wir also das 
Tego-Glycol auf Grund seiner physi¬ 
kalischen und chemischen Eigen¬ 
schaften als Gleit- und Konservie¬ 
rungsmittel, für die Behandlung der 
Haut, Schleimhaut und Wunden, 
ebenso zur rectalen Anwendung als 
einen vollwertigen Ersatz des Glyce¬ 
rins bezeichnen, mit dem es auch in nor¬ 
malen Friedenszeiten erfolgreich konkur¬ 
rieren kann, weil es trotz geringerer 
Viscosität mancherlei Vorzüge vor dem 
Glycerin, besonders aber den der gerin¬ 
geren Reizwirkung aufweist. 


Eine neue Behandlung der Kardiastenosen mit meinen 
neuen Kardiasonden und meinen neuen Kardiabougies. 

Von Wilhelm Sternberg-Berlin. 


Sehr häufig kommt es in der Praxis 
vor, daß der an einer Ösophagusstriktur 
Leidende allenfalls Leichtflüssiges noch 
durch die Striktur ganz bequem subjektiv 
passiv hindurchbringen kann, daß aber j 
der objektive Untersucher die Verenge¬ 
rung nicht aktiv intendiert zu passieren 
vermag. Daher erscheint die Stenose ob¬ 
jektiv impermeabel. Impermeabel heißt 
dabei nicht etwa, in anatomischem Sinne 
der völlige Verschluß der Stenose; viel¬ 
mehr ist impermeabel bloß ein patho- ! 
logisch-physiologischer Begriff. Imper¬ 
meabel im subjektiven Sinne ist die Ste¬ 
nose, wenn der Kranke nicht einmal mehr 
Wasser hindurchbringen kann, imper¬ 
meabel im objektiven Sinne ist die Ste¬ 
nose, wenn es dem Untersucher nicht ge- ! 
lingen will, die Stenose zu überwinden, j 
Meist liegt das daran, daß das Lumen der | 
Stenose exzentrisch gelegen ist und einen 
gewissermaßen stufen- und treppenförmi¬ 
gen Längsverlauf nimmt. Daher sind 
diese beiden Gründe der Impermeabilität ! 
bei der Therapie in jedem einzelnen Falle 1 
zu berücksichtigen. Ich 1 ) habe mehrere 
Kunstgriffe angegeben, unter Beachtung 
dieser_beiden pathologischen Bedingungen 

*) ,,Praktischer Kunstgriff zur Bougierung 
impermeabler Ösophagusstrikturen“ (Ther. d. 
Gegenw. 1916, S. 5). — „Ein weiterer therapeu¬ 
tischer Kunstgriff für die Überwindung imper¬ 
meabler Ösophagusstenosen“ (Ther. Mh. 1917). 


i die impermeablen Strikturen erfolgreich 
zu überwinden. Ein Kunstgriff ist der, 
das Ösophagoskop als Leitrohr zu be¬ 
nutzen, um die Sonde hindurchzuführen 
und nach erfolgter Passage das Leitrohr 
herauszuziehen. Freilich haben dabei 
viele Schlundbougies den einen Übel tand, 
daß sie oben, das heißt entgegengesetzt 
dem Einführungsende, mit einem Pfropfen 
geschlossen sind, der stärker ist als das 
Lumen des Leitrohres. Dieser Wulst hat 
den Zweck, die Bougies bequem hängend 
zu trocknen und aufzubewähren. Da dieser 
Knopf stärker ist als die Öffnung des 
ösophagoskopischen . Leitrohrs, können 
diese Bougies nicht im Ösophagus unter 
Extraktion des Leitrohrs belassen wer¬ 
den. Doch hat sich die SpezLlfabrik in 
Deutschland, A. Rüsch & Co. in Rom¬ 
melshausen bei Stuttgart, Fabrik elasti¬ 
scher Chirurgie-Instrumente und Weich¬ 
gummiwaren, entschlossen, auf meine An¬ 
regung die Schlundbougies auf besonderes 
Verlangen offen beziehungsweise ohne 
Pfropfen und ohne Wulst zu liefern. 

Bieten schon Untersuchung und Be¬ 
handlung von Ösophagusstrikturen tech¬ 
nische Schwierigkeiten, selbst wenn die 
Stenose hoch oben gelegen ist, so ver¬ 
mehren sich die Schwierigkeiten noch er¬ 
heblich, wenn die Striktur tief unten oder 
gar an der Kardia gelegen ist. Das ist 



Februar Die Therapie der Gegenwart 191?. 



natürlich. Dafür sind mehrere Gründe 
anzuschuldigen: 

1. Die Kardia, der Ort des therapeu¬ 
tischen Effekts, tief unten gelegen, 40 
bis 46 cm von der Zahnreihe, ist weit ent¬ 
fernt vom Munde. 

2. Der Ort der therapeutischen Ein¬ 
wirkung aber ist vom Orte der beabsich¬ 
tigten Wirkung weit entfernt. 

3. Dazu kommt, daß diese ärztliche 
Einwirkung in einer Richtung und in 
einem Sinne erfolgen muß, die dem phy¬ 
siologischen Ösophagus- und Kardiaver- 
lauf gerade entgegengesetzt sind. Denn 

1. die Einwirkung erfolgt einerseits 

a) oben außen; 

b) da der Arzt vorn ventral vor dem 
Kranken steht, erfolgt diese Einwirkung 
von vorn ventral nach’ hinten dorsal. 

2. Andererseits aber ist die Kardia 

a) innen unten (40—46) gelegen, und 

b) die Richtung des Verlaufes ist 
entgegengesetzt, nämlich nach vorn ven¬ 
tral von hinten dorsal. (Abbildung 1.) 


Hinten 1 
dorsal / 



i 


Abb. 1. 

Daran wird auch nichts geändert, selbst 
wenn man, wie ich es oft versucht habe, 
dem Kranken zur* Seite tritt oder gar 
hinter seinen Rücken und, anstatt von 
vorn die Sonde hineinzupressen, sie von 
hinten hineindrängt. 

Deshalb habe ich eigene Kardia- 
sonden und Kardiabougies konstruiert, 
mit denen die durch die Anatomie und 
Physiologie des Ösophagus gegebenen 
natürlichen Verhältnisse bestens berück¬ 
sichtigt werden können. Diese, die man 
bei der Untersuchung und Behandlung' 
nie übersehen darf, sind folgende: Der 
Ösophagus hat, wenn er sich zur Kardia 
wendet, zwei Deviationen: 

1. die eine erfolgt in der Richtung 
nach vorn, 

2. die andere in der nach links. 

Ähnliche Deviationen haben in der 


Therapie' eines anderen Organes und in 
seiner therapeutischen Technik der In¬ 
strumente bereits erfolgreiche Berück¬ 
sichtigung gefunden, nämlich in der The¬ 
rapie der männlichen Urethra. Das In¬ 
strument, das diese Deviation cter ver¬ 
schiedenen Richtungen berücks&ieBIgt,. ist 
der Katheter mit der Mercierseheti 
Krümmung. Deshalb habe ich älese Art 
des Instrumentariums mit der Mercier- 
schen Krümmung als Vorbild 'gewählt. 
Solche Kardiasonden (Abbildung 2) und 
Kardiabougies werden von. 
A. Rüsch & Go. angefertigt, 
r- Erhältlich sind sie in 7, 7%, 

8 usf. bis 12 mm. Stärke, und 
zwar offene Kardiasonden und 
geschlossene Vollbougies. Wenn 
der Hohlraum, dieser Bougies 
ausgefüllt ist, und sie am 
Trichterende geschlossen sind, 
dann bieten diese Instrumente 
eine größere Widerstandskraft, 
weniger leicht, können Knick¬ 
ungen Vorkommen. Ich ziehe, 
wenigstens beim Anfang der 
Behandlung, die offenen vor 
und verordne geflissentlich den 
Genuß von farbigen Flüssig¬ 
keiten, wie Kaffee, Schoko¬ 
lade und so fort unmittelbar 
vor der Untersuchung und Be¬ 
handlung. Denn auf diese Weise 
erfüllen diese offenen Kardia¬ 
bougies einen-mehrfachen diffe¬ 
rentiell-diagnostischen Zweck. 
Sie lassen leichter erkennen, 
ob Divertikel, partielle Ektasie, 
ob diffuse Erweiterung vorliegt, fernerhin, 
ob man bereits im Magen ist, oder ob die 
Sonde etwas abgebogen und abgeknickt 
ist — zu dieser Nachprüfung kann freilich 
auch noch der Innendraht, aber bei grö߬ 
ter Vorsicht, verwandt werden, wie man 
ja auch Urethralkatheter mit Draht¬ 
mandrins und mit Fischbeinmandrins 
verwendet — und fernerhin, ob nach Be¬ 
endigung der Extraktion sich etwa im 
Auge der Sonde Speisereste verbergen. 
Freilich ist dafür die Stelle der Sonde, 
die das offene Auge trägt, auch sehr emp¬ 
findlich und unterliegt leicht den Insulten, 
sodaß sie schnell rauh wird und damit 
möglicherweise Verletzungen verursachen 
kann, jedenfalls schnell unbrauchbar wird. 
Denn reparieren lassen sich solche Be¬ 
schädigungen am Instrument nicht mehr. 

. Ähnliche Sonden, aber zu ganz an¬ 
deren Zwecken, bloß zu diagnostischen 
Zwecken und außerdem nur zur Diagno- 






Februar 


56 


Die Therapie der Gegenwärt 1917. 


stik von Divertikeln, „Divertikelsonden“, 
überdies bloß solche von Metall, hat 
Starck 1 ) vorgeschlagen. Er meint: 
,,Neben dieser Metall-Olivensonde stehen 
zu diagnostischen Zwecken am meisten die 
Gewebesonden im Gebrauch, und zwar 
die schwarzen (Fabrik Porgfes) und brau¬ 
nen . (Delamotte) französischen Sonden 
und roten und rotbraunen, runden oder 
'oval geformten englischen (Krone & 
Sfesemann) Bougies, endlich auch die 
deutschen (Nachbildungen der ersten, 
Rüsch) Instrumente. Dieselben bestehen 
aus einem mit Lack oder einer Wachs¬ 
masse imprägnierten Gewebe und sind 
wesentlich durch die Güte des Materials 
verschieden. Alle diese Sonden verlaufen 
geradlinig, sind rund oder oval im Quer¬ 
schnitt, am Ende konisch, zylindrisch 
oder geknöpft nach Art der Delamotte- 



bougies. Die Sonden haben durchweg 
einen hohen Preis, kosten 2—4 Mark das 
Stück; der Arzt benötigt aber, um für 
alle Fälle gerüstet zu sein, einen ganzen 
Satz von Sonden verschiedenen Kalibers, 
der ihm, besonders wenn er auf gutes Ma¬ 
terial reflektiert, recht teuer zu stehen 
kommt.“ 

Die fremdländischen Fabrikate unter¬ 
scheiden sich aber in keiner Weise von 
den deutschen* Sie sind durchaus nicht 
etwa solider, wie Starck behauptet. 
Jedes Instrument wird, wenn es einmal 
scharf umgeknickt worden ist, irreparabel 
zugrunde gerichtet, ob es nun deutsches, 
französisches oder englisches Fabrikat sei. 
Die Instrumente von Rüsch nehmen an¬ 
erkanntermaßen den ersten Rang ein. 
Krone & Sesemann ist eine englische 
Händlerfirma, nicht etwa eine Fabrik, 
welche vor Jahren nach Deutschland 
exportiert hat. 

Ich verwende meine neuen Kardia- 
sonden mit gutem Erfolg nicht bloß für 
Divertikel und nicht bloß für Kardia- 
stenosen, sondern auch für die Stenosen, 
die hoch oben gelegen sind. Denn wenn 
das Lumen exzentrisch ist, und der Öso¬ 
phagus abgeknickt ist, ermöglicht die in- 


x ) ,,Beiträge zur Sondierung der Speiseröhre“ 
(M. m. W., 27. Januar 1903, Nr. 4, S. J61). Nach 
einem Vortrage auf dem Pfälzer Ärztetage zu 
Landau am 21. Oktober 1902 (M. m. W. 1903, 
Nr. 4). 


strumentelle Krümmung leichter die Ein¬ 
führung. Meine neuen Kardiasonden 
haben den Vorzug, daß sie eben nicht aus 
Metall sind, sodaß der Druck nicht ein 
so energischer zu sein braucht, sondern 
mehr ein zarter Druck hinreicht. Meine 
Kardiabougies und -Röhren werden vor-, 
läufig nur in einer Krümmung von etwa 
35—40° angefertigt. Die Fabrikation 
bringt es aber mit sich, daß diese Krüm¬ 
mungen oft auch etwas verschieden aus- 
fallen. Später werden meine neuen Kar¬ 
diasonden so angefertigt, daß die vier 
verschiedenen M er ci ersehen Krüm¬ 
mungen, 25° - schwache Krümmung, 
30° und 35° = mittelstarke, 40° = starke, 
in verschieden großem Winkel berück¬ 
sichtigt werden, nach Art der verschie¬ 
denen Krümmungen der M er ci ersehen 
Katheter (Abbildung 3). 



. 3 . 

Ähnliche Sonden, aber zu ganz an¬ 
derem Zwecke, finde ich nachträglich schon 
einmal in der älteren Literatur verzeich¬ 
net. Moritz Schmidt 1 ) sagt vor 13 
beziehungsweise 40 Jahren folgendes: ,, Ich 
habe mir schon vor mehr als 26 Jahren 
für die Sondierung bei Divertikelfällen 
nach Art des M er ci ersehen Katheters 
an der Spitze abgebogene Sonden in ver¬ 
schiedenen Dicken machen lassen, mit 
denen es mir wiederholt gelungen ist, die 
Öffnung bei vorsichtigem (!) Tasten nach 
den verschiedenen Seiten zu finden. 
Berkhan und vor ihm Leube waren 
schon früher auf die gleiche Idee gekom¬ 
men und hat. mit vorn katheterförmig 
gebogenen Guttaperchabougies einen Fall 
von Divertikel erfolgreich behandelt und 
denselben 1889 veröffentlicht. Man muß 
freilich vor der Anwendung dieser Son¬ 
den davon überzeugt sein, daß es sich 
nicht um ein Carcinom handelt, denn bei 
einem solchen würde man sehr leicht mit 
seiner so geformten Sonde durch die Wand 
geraten können.“ 

Gleicht diese eine Krümmung meiner 
neuen Kardiainstrumente die eine natür¬ 
liche Deviation des Ösophagus aus, näm¬ 
lich die ventrale, so gleicht die zweite ana¬ 
tomische Deviation des Ösophagus nach 
links die Einführung durch Drehung des 

x ) „Die Krankheiten der oberen Luftwege“, 
Berlin 1903, S.915. 










Februar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


57- 


Bougies aus. Den Grad der Drehung 
kann man unten am oralen Ende des In¬ 
strumentes ungefähr bestimmen je nach 
dem dort angebrachten Stempel der 
Firma. Für die Einführung benutze ich 1 ) 
die von mir angegebene Position. Vorher 
tauche ich die Kardiainstrumente in hei¬ 
ßes Wasser. Das halten diese Kardia- 
bougies und Kardiakatheter ganz gut 
aus. Auch kann man sie getrost ein paar 
Minuten in warmem Wasser liegen lassen; 
freilich die fortwährende Feuchtigkeit übt 
einen nachteiligen Einfluß auf die Glätte 
der Instrumente aus, weshalb eine mög¬ 
lichst trockene Behandlung empfehlens¬ 
wert ist. 

Merkwürdigerweise gelang es mir häu¬ 
fig, da,, wo ich mit solchen Kardiaröhren 
nicht durchkam, mit weit stärkeren Num¬ 
mern der offenen Kardiabougies die Ste¬ 
nose zu überwinden. Dabei wende ich 
auch zu therapeutischen Zwecken gern 
den Innendraht mit an. Erst nehme ich 
das mit dem Innendraht armierte offene 
Bougie, dann nehme ich, wenn es nicht 
^glücken will, dasselbe Bougie ohne Innen¬ 
draht, um zum Schlüsse nachträglich den 
Mandrin hindurchzuführen. Mit dem 
Innendraht spannt und erweitert das 
Bougie naturgemäß noch mehr. Daher 
gelingt es oftmals nicht zuerst, das Bougie 
mitsamt dem Mandrin hindurchzuführen. 

In dieser Weise glückte es mir häufig, 
in Fällen, in denen keine Form der an¬ 
deren Sonden, nicht einmal solche von. 
bloß öy 2 mm Weite (Abbildung 4) durch 
die Stenose hindurchging, sofort, ohne 
alle Vorbereitungen, ohne Cocain oder 


andere An- 
aesthetica, mit 
Nr. 9 meiner 
neuen Kardia- 
sonde die 
Striktur glatt 
zu passieren. 
Es kommt eben 
für die Thera¬ 
pie der Kardia 
auf drei ver¬ 
schiedene Fak¬ 
toren der In¬ 
strumente an: 
Das ist die 
Weite, die Wei¬ 
che des Mate¬ 
rials und die 
Form. 

Freilich sind 
diese meine 
neuen Kardia¬ 
bougies nicht 
sehr haltbar. 
Schon ein Spas¬ 
mus kann nach 
bloß einmaliger 
Anwendungdas 
Instrument un¬ 
brauchbar 
machen, da eine 
Reparatur- 
nicht möglich 
ist. Die Halt¬ 
barkeit ist nicht 
groß, der Preis 
nicht unbedeu¬ 
tend. 


Die rectale Behandlung der chronischen 
Parametritis. 

Von Dr. D. Pulvermacher, 

leitendem Arzt des Wöchnerinnenheims „Norden“ in Berlin. 


Daß man in den letzten Jahren darauf 
bedacht ist, in der Therapie der Frauen¬ 
krankheiten soviel als möglich unblutig 
vorzugehen, ist hinreichend bekannt; man 
weiß ja, welche Triumphe die Strahlen¬ 
therapie auf dem Gebiete der Myome 
feiert und wie sehr die Operationsziffer 
der eitrigen Adnextumoren abnimmt. 
Ganz besonders beachtenswert sind die 
Bemühungen, bei chronischen Becken¬ 
zellgewebsentzündungen auf konserva¬ 
tivem Wege zu helfen, wenn auch man¬ 
cher Mißerfolg zu verzeichnen ist, wobei 
ganz besondere Schwierigkeiten die Para- 

x ) „Eine neue Position zur ösophagoskopischen 
Untersuchung“ (M. m. W. 1915, Nr. 9). 


metritis poste¬ 
rior bietet. Da 
man auf chirur¬ 
gischem Wege 
nicht viel er¬ 
reicht, beson¬ 
ders wenn man 
die Verwachsungen lösen will, so liegt 
eine Berechtigung vor, jeden neuen Weg 
zu beschreiben, der zu einem einiger¬ 
maßen günstigen Resultat durch konser¬ 
vatives Vorgehen geführt hat. 

Das Krankheitsbild der chronischen 
Parametritis ist von W. A. F r e u n d in aus¬ 
gezeichneter Weise gezeichnet worden, die 
von ihm gegebene Einteilung wurde 

, 8 . -,jg 


Abb. 4. Deutsch-französischer Maßstab. 






58 




Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Fe.bruar 


meistens angenommen. Es gibt nämlich 
eine chronische Form, die nicht aus einer 
akuten entsteht, sondern von vornherein 
sich ganz langsam entwickelt, indem sie 
entweder von circumscripten Erkrankun¬ 
gen des Mastdarmes, der Harnblase und 
des Cervix uteri oder diffus ohne nach¬ 
weisbare örtliche Affektion der genannten 
Organe ausgeht. Das Beckenbindegewebe 
wird zuerst durch die venöse Hyperämie 
aufgelockert, um dann allmählich einem 
Einschrumpfungsprozesse zu verfallen, wo¬ 
durch die Beckenorgane gegeneinander 
verschoben und fixiert werden; die Folgen 
davon sind neben Darmstörungen ziehende 
Schmerzen, besonders im Kreuz, welche 
die Trägerin dieser Leiden bald zum 
Frauenarzt, bald zum Nervenarzt führen. 
Die Diagnose macht keine Schwierigkei¬ 
ten, zumal wenn man darauf achtet, den 
Zeigefinger in den Mastdarm einzuführen, 
■während der Daumen in der Scheide liegt. 

Daß mit diesen Leiden Störungen der 
Darmtätigkeit verbunden waren, hat dazu 
geführt, ihren Ausgangspunkt im Darm 
zu sehen. So hat Virchow 1 ) bejaht, 
daß von ganz geringfügigen Veränderun¬ 
gen der Mucosa Peritonitiden ihren Aus¬ 
gang nehmen können. Es würde nun zu 
weitläufig sein, di° Literatur, welche sich 
mit dieser Frage, das heißt mit dem gegen¬ 
seitigen Abhängigkeitsverhältnis zwischen 
Darm und Genitalorganen beschäftigt, 
anzuführen; es möge deshalb hier genü¬ 
gen, die Worte Müllers 2 ) zu setzen, auf 
die sich ja die meisten Autoren berufen: 
Parametritis posterior eine Darmerkran¬ 
kung, die Krankheit, welche von anderen 
Autoren als Parametritis posterior Periprok 
titis... beschrieben wird, welche sich durch 
die, von dem Franzosen beschriebene als 
Syndrome uterine beschriebenen Sympto- 
menkomplex auszeichnete, gehen meist 
von einer Erkrankung des Rectum an der 
Stelle aus, wo es von den uterosakralen 
Bändern umschlossen wird. Selten ist 
der Uterus der Ausgangspunkt der Er¬ 
krankung. Ob auch die Behauptung 
Müllers, daß 90% aller entzündlichen 
Frauenleiden nicht von einer Gonorrhöe, 
sondern vom Darm ausgehen, eine Ein¬ 
schränkung erfahren muß, soll hier nicht 
weiter erörtert werden, das soll vielmehr 
an anderer Stelle geschehen. Man muß 
sich mit dem Zuggeständnis begnügen, 
daß vom Darme aus Beckenzellgewebs-' 
entzündungen entstehen, daß aber auch 

0 Historisches, Kritisches und Positives zur 
Lehre der Leibesaffektion (Arch. Bd. 5, H. 3). 

r) Zbl. f. Gyn. 1902, S. 233. ' 


durch entzündliche Prozesse im Becken 
diese auf den Darm übergehen können! 
Es kann sich natürlich in diesen Fällen 
nur um die Form der chronischen Obsti¬ 
pation handeln, wo sonst der Kot, der das 
Colon pelionum in normaler oder kurzer 
Zeit erreicht, die Defäkation unvollstän¬ 
dig oder verzögert ist 1 ). In diesen Fällen 
vermehren ja die Abführmittel die Be¬ 
schwerden, während die Klysmen die 
einzig wirksame Therapie abgeben. Wie 
stellt man sich die Wirkung vor? Die 
durch das Klystier hervorgerufene Ent¬ 
leerung soll auf das Becken stark ent¬ 
lastend wirken; sicherlich, haben so die 
von Fl ein er angeführten Ölklystiere den 
kranken Frauen große Erleichterungen 
gebracht. Auf den pathologischen Prozeß 
im Beckenbandgewebe haben sie keinen 
Einfluß ausüben können, jedoch wohl 
den Stuhl erweicht, und so, falls Schleim¬ 
hautdefekte vorhanden waren, eine Deck¬ 
schicht abgegeben, so daß der lästige 
Mastdarmkrampf stärker herabgesetzt 
wurde. Ob die Wirkung auf einen Ver¬ 
seifungsprozeß zurückzuführen ist, ist 
nicht geklärt. Etwas unangenehm ist es, 
daß nach der Entleerung noch lange Öl 
nachträufelt, worunter die Wäsche sehr 
leidet. Diesem Übelstand suchen die von 
Lipowski vorgeschlagenen Paraffin¬ 
installationen abzuhelfen, da bei ihnen 
meist das ganze Paraffin mit dem Stuhl¬ 
gänge entleert wird, so daß eine weitere 
•Verunreinigung fortfällt; auch hoffte er, 
mit dem Paraffin den Stuhlgang so regeln 
zu können, daß eine weitere Schädigung 
des Beckenbindegewebes vom Mastdarm 
aus ausgeschlossen wäre. Mir lag daran, 
ganz besonders auf die Fixation zu Uterus 
und Mastdarm einzuwirken. Ich erinnerte 
mich nun, daß von Köbner gegen chro¬ 
nische Prost titis Jodkalilösungen in den 
Mastdarm eingespritzt wurden und daß 
auch von Joseph diese Verordnungen 
empfohlen wurden. Jod wird ja vom Mast¬ 
darm aufgesogen, besonders wenn es in 
einer erwärmten Lösung eingeführt wird. 
Wie ist die Wirkung auf das Narben¬ 
gewebe? Trotzdem es so häufig angewandt 
wird, ist seine Wirkungsweise nicht ge¬ 
klärt (Meyer). Man muß vorläufig mit 
der Hypothese vorlieb nehmen, daß es zu 
einer starken Leukocytenanreicherung im 
Gewebe kommt, einer serösen Durchirän- 
kung, wodurch die früher fixierten Teile 
gegeneinander bewegt werden; daß diese 

x ) Sterlin, Über chronische Funktionsstörun¬ 
gen des Dickdarmes (Erg. d. inn. Med. Bd. 10, 
; S. 462ff.) 





Februar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


' 59. 


Wirkung erzielt wird, ist empirisch voll¬ 
kommen sichergestellt. Ich habe nun in 
den letzten Jahren über 50 Fälle von 
chronischer Parametritis mit Jod in der 
Weise behandelt, daß ich zu den Paraffin¬ 
eingüssen Jod hinzusetzte. Wie waren 
die Erfolge? Ohne mich irgendeiner Be¬ 
geisterung hinzugeben, kann ich doch 
ruhig zugeben, daß ich mit den Erfolgen 
recht zufrieden sein kann, ich weiß ja 
auch, daß bei chronischer Parametritis 
auch schmerzfreie Tage kommen, doch 
sind diese Zeiten nicht von langer Dauer, 
wichtiger ist es jedoch, daß objektiv durch 
die Untersuchung festzustellen war, daß 
Verdickungen zu beiden Seiten des Uterus 
verschwunden sind, die Verschiebungen 
des Uterus gegen das Rectum immer weni¬ 
ger schmerzhaft wurden. Die Applikation 
der Jod-Paraffin-Mischung macht am 
Anfänge etwas Schwierigkeiten, doch bald 
ist es gelernt, Rohr und Schlauch gut 
gewärmt zu halten, daß das Paraffin nicht 
zu früh salbenförmig wird. Man hält sich 
flüssiges und festes Paraffin vom Schmelz¬ 
punkt 78°, von dem man etwa 15 g im 
Tiegel flüssig macht, wozu dann 90 g Par. 
liquidum zugesetzt werden (ein Verhält¬ 
nis von 1:6 im Gegensätze von Li- 
powski, der 1:8 angibt. Hat sich diese 
Mischung so abgekühJt, daß man einen 
Finger bequem eintauchen kann (Li- 
powski), so ist mit einer Temperatur 
von 40° bis 45° zu rechnen, jetzt wer¬ 
den 10 bis 15 Tropfen Jodtinktur hin¬ 
zugesetzt. Die gewöhnliche Klystier¬ 
spritze aus Zinn, sowie der Mastdarm¬ 
schlauch werden im warmen Wasser gut 
temperiert. Man schiebt den Schlauch 
etwa 6 cm — über die Kohlrauschsche 
Falte — vor, wobei schon immer der 
Kolben herabgedrückt wird, damit das 
Passieren erleichtert wird; etwas schwie¬ 
riger wird es nur an der Ansatzstelle der 
Retractores. Gewöhnlich wird diese Mi¬ 
schung, welche bald eine salbenförmige 
Konsistenz im Darm annimmt, vier bis 
sechs Stunden behalten, worauf dann der 
Stuhl erfolgt; nur selten geht zuerst das 
Paraffin fort. Wie ich im Röntgenbilde 
sehen konnte, steigt die Paraffinlösung 
bis hoch in das Colon pelvinum hin¬ 
auf. Die von mir erzielte Wirkung setzt 
sich aus folgenden drei Komponenten 
zusammen: 

1. Die Jodwirkung. Wie schnell das 
Jod resorbiert wird, ist daran zu erkennen, 
daß schon nach einer halben Stunde ein 
Jodgeschmack festgestellt wird, der Nach¬ 
weis im Urin konnte nicht geführt werden. 


Wenn Freund Lebertranklystier mit gu¬ 
tem Erfolg angewandt hat, wird auch 
hier das Jod, wenn es auch nicht sehr 
stark vertreten ist, mitgewirkt haben. 
Man muß, wie bereits erwähnt, eine resor¬ 
bierende Wirkung dieses Medikamentes 
annehmen. In etwas konzentrierter Form 
wandte dieses Medikament Rheinstät- 
ter 1 ) an, der täglich 0,1 g Jodkali, und 
zwar wochenlang einspritzte, bis ein Jod¬ 
schnupfen oder Jodexanthem sich zeigte. 

2. Auf dieses aufgelockerte Gewebe 
wirkt dann die salbenförmige Paraffin¬ 
masse einen stundenlangen besseren Zug 
aus, als ein in die Scheide gelegter Kol- 
peurynther. Um die Wirkung etwas zu 
verstehen, muß man sich folgendes vor¬ 
stellen: die Uterusachse steht fast senk¬ 
recht zu der der Pars pelvina recti 
(Waldeyer). Wenn nun Küstner die 
angefüllte Ampulle den Uterus in toto 
nach vorn und später auch noch nach 
oben schieben läßt, so kann natürlich in 
diesen Fällen, besonders bei verdickten 
Lg. sacroutrina, die Anhäufung von Stuhl¬ 
gang einen solchen Reiz und damit Rectal¬ 
bewegungen hervorrufen, daß die Bauch¬ 
presse die vordere Wand des Rectum 
gegen die hintere und nach unten pressen 
wird. Durch die Paraffinmischung wird 
der Status geändert. Die Scybala in 
Paraffin eingehüllt und wohl auch zum 
Teil durchdrungen, was Petzold, der ja 
mit erkaltetem Faeces und Öl seine Ver¬ 
suche anstellte, im Gegensätze zu Ewald 
verneint, kommt es sicherlich zu einer 
Pause in den Rectalbewegungen, die 
dann langweiliger und so weniger emp¬ 
findlich werden. Wenn auch der Winkel, 
in dem die beiden Achsen Zusammen¬ 
stößen, nur um eine Kleinigkeit zunimmt, 
so gibt dieser die Summierung dieser Zug¬ 
wirkungen den gewünschten Erfolg, wo¬ 
von man sich leicht überzeugen kann, 
wenn man systematisch zwei bis drei Stun¬ 
den nach der Installation untersucht. 

Zum Schlüsse kommt nun noch die 
Regelung des Stuhlganges Jiinzu, der auf 
einem reflektorischen Wege ohne Über¬ 
reizung centripetaler Rectalnerven zu¬ 
stande kommt. Hierdurch wird es auch 
ermöglicht, daß die Rectalschleimhaut 
zum Normalen zurückkehrt, die keine 
Epithelverluste mehr erleidet und auch 
für das Beckenbindegewebe schädigenden 
Bakterien schwerer durchgängig ist. Wer¬ 
den die geeigneten Fälle ausgesucht und 
die Ei nsprit zungen mit der nötigen Sorg- 

x ) Praktische Grundzüge der Gyn., 2. Aufl., 
S. 189. 



60 Die Therapie der Gegenwart 1917. Februar 


falt durchgeführt, so wird man, wie ich, ; zum Erfolg führt, als die Durchschneidung 
auf Grund der von mir beobachteten Fälle . der Lg. sacroutrina oder die Lösung der 
behaupten können, mit dem Erfolg zu- i Adhäsionen, die zu einer Verletzung des 
frieden zu sein. Neben der Beseitigung Darmes führen kann. Man möge auch bei 
der lästigen Obstipation werden auch der ; diesen Fällen der Worte unseres Altmei- 
quälende Kreuzschmerz und dann auch .j sters Freund eingedenk sein: Es gehört 
die Nervosität allmählich nachlassen. kein Mut dazu, auch die größte Operation 
Etwas Geduld gehört zur Durchführung auszuführen, wohl aber dazu, sich gegen 
dieser Behandlung, die jedoch oft sicherer j nicht voll indizierte zu stemmen. 


Verhandlungen der Kriegsärztlichen Abende, Berlin. 

Bericht von Dr. Hay ward-Berlin. 


Sitzung vom 21. November 1916. I 

Blau: Über Röntgenaufnahmen ; 
bei Schußverletzungen. j 

Durch das große Material, welches j 
der Weltkrieg an Röntgenuntersuchungen ; 
geliefert hat, hat es sich als notwendig j 
herausgestellt, eine Zentralisierung der j 
Forschung einzurichten. Dies ist ge- j 
schehen in der Röntgenplattensammel¬ 
stelle an der Kaiser-Wilhelms-Akademie, 
wohin seit August 1915 sämtliche 
Platten und Films mit Ausnahme j 
der Platten der Marinelazarette gehen, j 
während die Heimatlazarette an ihre | 
Stammlazarette abzuliefern haben. Über j 
50 000 Platten sind bisher gesammelt, ; 
welche sorgfältig eingeordnet werden und | 
stets im Zusammenhänge mit den Kran¬ 
kengeschichten durch die Ersatztruppen¬ 
teile bleiben. In welcher Weise im ein¬ 
zelnen die Aufbewahrung und Katalogi- ; 
sierung der Platten stattfindet, wird.vom i 
Vortragenden ausführlich erörtert. Dann j 
geht er über zu Demonstrationen von Ge- I 
Schoßdurchleuchtungen, wobei im ein- | 
zelnen das französische Geschoß, welches I 
wenig deformiert, und das englische Ge- i 
schoß mit leicht abbrechbarer Spitze ge- ' 
zeigt werden. Das Wesen des Dum-Dum- 
Geschosses wird ebenfalls durch Bilder 
veranschaulicht. Dann bespricht Vor¬ 
tragender die sogenannten Mantelreißer, 
um endlich die Wirkung der Granat¬ 
splitter, Schrapnellkugeln, Handgranaten 


und Minengeschosse ebenfalls wieder durch 
Röntgenogramme zu zeigen. 

Stadelmann: Die Malaria in Ber¬ 
lin und der Krieg. 

In Friedenszeiten wurde die Malaria 
in Berlin nur sporadisch gesehen, 
sie ist dagegen im vergangenen Jahre 
häufiger geworden. Hierbei ist es wichtig, 
festzustellen, daß mitunter weder im 
Felde, noch nach monatelangem Aufent¬ 
halte in der Heimat irgendwelche Zeichen 
der Erkrankung vorher aufgetreten waren, 
bis sich hier in Berlin die typische Malaria 
tertiana entwickelte. Der Verdacht ist 
nicht von der Hand zu weisen, daß die 
Übertragung erst hier in Berlin durch 
Mücken erfolgt ist. Auch ist mit der 
Möglichkeit zu rechnen, daß von den 
Soldaten aus eine Übertragung auf die 
Zivilbevölkerung zustande kommen kann. 
Unter diesen Umständen muß darauf 
gedrungen werden, daß die Mückenplage, 
die zweifellos in Berlin herrscht, energisch 
bekämpft wird. In der Aussprache hob 
Verf. Plehn die oft wunderbaren Wege 
der Infektion hervor. Auch Generalarzt 
Schultzen weist darauf hin, daß die 
Beobachtungen sämtlich der Medizinal¬ 
abteilung des Kriegsministeriums mitge- 
teilt werden müssen, um einer weiteren 
Verbreitung vorzubeugen. Es dürfte sich 
empfehlen, alle Kranken in das Kolonial¬ 
medizin-Institut nach Hamburg zu ver¬ 
legen und die Leute nach ihrer Genesung 
in Städten unterzubringen, wo eine In¬ 
fektionsmöglichkeit nicht besteht. 


Die militärärztliche Sachverständigentätigkeit auf dem Gebiete 
des Ersatzwesens und der militärischen Versorgung. 

Vortragszyklus, veranstaltet unter Förderung der Medizinalabteilung des Kriegs¬ 
ministeriums vom Centralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preußen. 

Bericht von Dr. Hayward-Berlin. (Fortsetzung.) 

Bonhöffer: Die Bedeutung der 1 Die Bedeutung der exogenen Ursachen 
Kriegsbeschädigungen in der Psy- ! für die Entstehung der psychischen Er- 
chopathologie unter besonderer Be- krankungen ist, wie auch der Krieg ge- 
rücksichtigung der D.-B.-Frage. zeigt hat, verhältnismäßig gering. So 




Februar .Die Therapie der 

zeigt die Statistik, daß im vergangenen 
Jahre in Deutschland die Zahl der Geistes¬ 
krankheiten bei Männern 41 000, bei 
Frauen 40 000 betrug, wobei das Mehr 
bei den Männern sich schon durch den 
Alkohol und die Lues erklärt. Es ist auf 
Grund zahlreicher Untersuchungen an¬ 
zunehmen, daß Gesunde nicht durch 
äußere Einflüsse von Geisteskrankheiten 
befallen werden, sondern daß stets endo¬ 
gene Ursachen für die Psychose vorhanden 
sein müssen.. Welche exogene Ursachen 
verantwortlich gemacht worden sind, wird 
im einzelnen besprochen; hierhin gehören 
die Explosionen, das Trommelfeuer, die 
Mobilmachung usw. Auch bei Erschöp¬ 
fungszuständen soll man den Krieg nur 
als auslösendes Moment und als Ver¬ 
schlimmerung ansehen. Zu allen weiteren 
Erhebungen und für die Frage der Dienst¬ 
beschädigung ist es wichtig, eine genaue 
psychiatrische Diagnose zu stellen.. Bei 
der Dementia praecox waren in 70% der 
Fälle Symptome vor dem Kriege nach¬ 
weisbar. Hier kommt der Krieg oft noch 
nicht einmal als auslösende Ursache in 
Betracht, sondern häufig handelt es sich 
nur um eine Verschlimmerung, z. B. in¬ 
folge von Infektionskrankheiten. Bei dem 
manisch-depressiven Irresein kann nur 
auf zeitlich beschränkte Kriegsdienst¬ 
beschädigung erkannt werden, da die 
Anfälle vorüber gehen. Für die progres¬ 
sive Paralyse wurde im Jahre 191.5 in 
92% ein Zusammenhang mit dem Kriege 
anerkannt, weder ist jedoch eine Ver¬ 
mehrung durch den Krieg, noch eine 
Verkürzung der Inkubationszeit gegen¬ 
über dem Frieden vorhanden. Die Hyste¬ 
rie muß streng von den organischen Er¬ 
krankungen nach Trauma getrennt wer¬ 
den, und es ist nicht angängig, diese Fälle 
durch dauernde Entschädigung zu sozial 
unbrauchbaren Individuen zu stempeln, 
andernfalls werden zahlreiche Fälle dem 
Staate unnötig zur Last fallen. Der Be¬ 
griff der Hysterie muß ebenso wie der 
der psychopathischen Konstitution scharf 
Umrissen werden. 

His: Erkrankungen der Nieren. 

Dem Vortrage liegen zahlreiche eigene 
Beobachtungen, die ganze Kriegsliteratur 
und die in den Gutachten im Kriegs- 
ministerium niedergelegten wissenschaft¬ 
lichen Erörterungen zugrunde. Nach 
einem kurzen Überblick über die patho¬ 
logische Anatomie wird vom Vortragen¬ 
den die Frage erörtert, ob für die Erkran¬ 
kungen der Nieren endogene Ursachen 
verantwortlich zu machen sind oder 


Gegenwart 1917. 61 

äußere Einflüsse, wie Erkältungen und 
Ernährungsschädigungen eine Rolle spie¬ 
len. Persönliche Veranlagung zur Eiwei߬ 
ausscheidung kommt sicher, vor, ebenso 
muß die Reihe der erworbenen Erkran¬ 
kungen, wie die Lues und Vergiftungen, 
in den Bereich der Betrachtung gezogen 
werden. Nach dem heute herrschenden 
Standpunkte muß die Kriegsnephritis als 
eine selbständige Erkrankung angesehen 
werden, welche charakterisiert ist durch 
den schnellen günstigen Verlauf bei plötz¬ 
lichen unter Fieber auftretendem Beginne 
mit Milz- und Leberschwellung. Der Sitz 
der Erkrankung sind zunächst die Glome- 
ruli, später erkranken die Nierenkanäl¬ 
chen und schließlich kann es auch zur 
Mitbeteiligung des Interstitiums kommen. 
Klinisch steht der Hydrops im Vorder- 
j gründe. Die Dienstbeschädigung ist an- 
I zuerkennen; für die Heimat muß aller¬ 
dings festgestellt werden, ob etwa eine 
epidemische Kasernenerkrankung . vor¬ 
liegt. Nach der Heilung muß eine Probe¬ 
zeit von zwei bis drei Monaten einge¬ 
schaltet werden. Die Veränderungen und 
der klinische Verlauf der Erkrankungeh 
wird an einer Reihe von Kurven und 
Lichtbildern demonstriert. 

Hoffmann (Düsseldorf): Erkran¬ 
kungen und Verletzungen der Kreis¬ 
laufsorgane. 

Im allgemeinen kommt man mit den 
gebräuchlichen Untersuchungsmethoden 
aus und hat nur in seltenen Fällen zu spe- 
zialistischen Verfahren seine Zuflucht zu 
. nehmen. Wichtig bei der Untersuchung 
der Herzkranken ist die Aufnahme einer 
genauen Anamnese, insbesondere auf vor- 
angegangene konstitutionelle Schädi¬ 
gungen. Bei der Untersuchung selbst 
müssen Atmung, Gesichtsfarbe, abnorme 
I Pulsationen genau beachtet werden. Bei 
I der Auskultation verabsäume man nicht 
den fünften Punkt im dritten linken Inter- 
costalraum zu auskultieren. Funktionelle 
Geräusche an der Pulmonalis verschwin¬ 
den bei der Inspiration. Im Anschluß an 
diese Erörterungen werden die Röntgen¬ 
bilder von .Tropfenherzen gezeigt, denen 
eine geringe Bedeutung zukommt. Ebenso 
soll man sehr vorsichtig sein in der Be¬ 
wertung der Herzvergrößerung, da diese., 
wenn die Aufnahme in der Diastole ge¬ 
macht ist, nur eine scheinbare ist. Funk¬ 
tionelle Erkrankungen des Herzens findet 
man bei 80% aller Personen, welche über 
Herzbeschwerden klagen. Man kann je 
nach der mehr oder minder großen Be¬ 
schleunigung des Pulses drei Gruppen 




62 


Februar 


Die Th'erapie der Gegenwart 1917. - 


von hierher gehörigen Erkrankungen | 
trennen. Selten ist hier Dienstbeschädi- j 
gung anzunehmen, da viele dieser Kran¬ 
ken überhaupt nicht im Felde waren. In 
anderen Fällen, wenn das Leiden sich an 
eine Granatexplosion oder dergleichen an- j 
schließt, muß man Verschlimmerung an¬ 
nehmen. Da die Ursache der Störungen 
aber eine psychogene ist, muß auch die 
Behandlung eine psychische sein. Ar¬ 
beitsverwendungsfähigkeit im Berufe ist 
hier das beste, um die Kranken vor einem 
ewigen Hin- und Herpendeln zwischen 
Lazarett und Kasernenhof zu schützen. 
Von Verletzungen des Herzens wurden 
solche durch stumpfe Gewalt und durch 
Geschosse beobachtet. Auffallend war 
die verhältnismäßig große Leistungs¬ 
fähigkeit dieser Kranken bis kurz vor dem 
Tode. 

v. Noorden: Stoffwechselerkran¬ 
kungen. 

Nachdem die Stoffwechselerkrankun¬ 
gen endgültig als organische Leiden er¬ 
kannt worden sind,.handelt es sich bei der 
Gutachtertätigkeit nur darum, ob eine 
allgemeine oder örtliche Einwirkung auf 
diejenigen Organe stattgefunden hat, wel¬ 
che mit der Entstehung der betreffenden 
Stoffwechselerkrankung in Zusammen¬ 
hang zu bringen ist. . Beim Diabetes 
mellitus sind zwei Formen, die schwere 
und die leichte, zu unterscheiden, von 
denen die schwere Form für den Front¬ 
dienst ungeeignet ist, da durch Vernach¬ 
lässigung der Diät meist sehr bald eine 
erhebliche Verschlimmerung einzutreten 
pflegt. Auch große körperliche Anstren¬ 
gungen wirken in dem gleichen Sinne, und 
es kann nur bei höher gestellten Offi¬ 
zieren, welche unter Umständen die Ein¬ 
wirkung dieser Schädigungen verringern 
können, ausnahmsweise von Dienstfähig¬ 


keit die Rede sein. Bei der leichteren 
Form dürfte die Garnison- und Arbeits¬ 
verwendungsfähigkeit in Betracht zu zie¬ 
hen sein, da auch diese Kranken bei der 
Verwendung als k. v. sich schnell ver¬ 
schlimmern. Endlich gibt es noch eine 
dritte Form, die sich im Anschlüsse an 
Infektionskrankheiten entwickelt und 
nach Abklingen einer frisch verheilten 
Wunde zu vergleichen ist. Unter der 
Voraussetzung, daß jeder Diabetes seine 
Ursache in einer Erkrankung des Pan¬ 
kreas hat, muß für die Annahme einer 
Dienstbeschädigung ein Trauma gefor¬ 
dert werden, welches das Pankreas be¬ 
troffen hat. Bei der Frage der Ver- 
j schlimmerung ist anzuerkennen, daß der 
j Verlauf häufig infolge des Krieges stürmi- 
| scher ist als in Friedenszeiten. Zur Be¬ 
urteilung der Fettleibigkeit muß in 
, erster Linie die Funktion des Herzens in 
i Betracht gezogen werden. Ältere Leute 
i sollten häufiger Erholungsurlaub erhalten 
| und nicht im Gebirge verwendet werden. 
Die Gicht ist nur in schweren Fällen als 
ein Moment anzusehen, welches dienst¬ 
untauglich macht. Dienstbeschädigung 
ist hier wohl niemals anzunehmen. Für 
den Diabetes insipidus muß eine 
direkte Beschädigung der Hypophyse ge- 
j fordert werden. Der Morbus Addisonii 
! kann durch die Kriegsereignisse wohl ver- 
j schlimmert, aber niemals ausgelöst wer- 
I den. Die Thyreosen sind in neuester 
j Zeit wiederholt Gegenstand der Bespre- 
j chung und militärärztlicher Begutach- 
| tung geworden. Hier kommt für schwere 
1 Formen nur eine Garnison- oder Arbeits¬ 
verwendungsfähigkeit in Frage, während 
in leichteren Fällen die Felddiensttätig¬ 
keit gut vertragen wird. Bei .operierten 
Kranken ist eine größere Vorsicht am 
Platze. 


Bücherbesprechungen. 


E. Bleuler, Lehrbuch der Psychiatrie 
mit 49 Textabbildungen. Berlin 1916, 
Verlag Julius Springer. 518 Seiten. 
Preis 12 M. 

Während vor noch gar nicht langer 
Zeit die führenden Geister in der Psychia¬ 
trie eine gewisse Scheu empfanden, ein 
Lehrbuch zu verfassen, weil ihnen die 
Grundlehren des psychiatrischen Wissens j 
noch zu wandelbar, die Krankheitsbilder 
zu wenig scharf Umrissen und die Nomen¬ 
klatur zu verwirrend erschienen, haben 


die letzten Jahre ein Lehrbuch nach dem 
anderen gebracht. Ihnen gesellt sich 
jetzt als Herausgeber Bleuler und bringt, 
wie bei seinem gedankenreichen und 
schöpferischen Geist nicht anders zu 
erwarten war, der Ärzteschaft ein bewun¬ 
dernswertes Buch. 

Beherrschend durchzieht das Gänze 
das Leitmotiv, zum Denken anzuregen 
und das psychologische Verständnis der 
Psychosen zu fördern. Eine ungewöhn¬ 
liche praktische Erfahrung sichert die 




Februar Die Therapie der Gegenwart 1917. 63 


Grundlage, und so mußte die glänzende 
Lehrbegabung Bleulers ein Musterwerk 
an Klarheit und Überzeugungskraft schaf¬ 
fen. Dieses Resultat ist erreicht, trotzdem 
Bleuler freimütig bekennt, daß die 
Psychiatrie einer Kartenskizze über ein 
reiches Land vergleichbar wäre, das erst 
von wenigen gangbaren Wegen durch¬ 
schnitten wird und dessen größte Ge¬ 
biete noch weiß erscheinen. 

Den Fachmann, der Bleulers wissen¬ 
schaftliche Arbeit kennt, mußte beson¬ 
ders seine Stellungnahme zur F r e u d sehen 
Lehre, zur Schizophrenie und zur Hysterie 
interessieren. Überall zeigt sich der vor¬ 
sichtig wägende, kritische Forscher, auch 
den noch nicht spruchreifen Stoffen gegen¬ 
über. 

Der Allgemeinpraktiker, der nur Be¬ 
lehrung sucht, wird durch die Fülle des 
Gebotenen, durch die glänzende Diktion 
und die allenthalben erkennbare persön¬ 
liche Note des scharfsinnigen Verfassers 
dauernd gefesselt. Wenn Bücher auch 
ihr Schicksal haben, dem Bleuler sehen 
Lehrbuch kann nur ein großer Erfolg 
beschieden sein. Placzek (Berlin). 

Gunnar Frosteil, Stockholm. Kriegs- 
• mechanotherapie für Ärzte, ärzt¬ 
liches Hilfspersonal und Selbst¬ 
behandlung. Urban & Schwarzenberg, 
Berlin-Wien 1917. 176 Seiten mit 

96 Abb. Preis geb. 6,00 M. 

Verfasser, der zurzeit als Arzt am 
orthopädischen Spital und der Invaliden¬ 
schule (Leiter Prof. Dr. Hans Spitzy) 
in Wien tätig ist, hat in außerordentlich 
instruktiver Weise alles besonders für 
das ärztliche Hilfspersonal auf diesem 
Gebiete Wissenswerte zusammengestellt 
und durch sehr gute Abbildungen er¬ 
läutert. Den leitenden Ärzten ortho¬ 
pädischer Abteilungen wird die Aus¬ 
bildung von Schwestern durch das Buch 
wesentlich erleichtert werden, denen es 
als Lehrbuch die besten Dienste leisten 
wird. Nach kurzer Würdigung der anato- 


| mischen und physiologischen Verhältnisse 
! werden die einzelnen Massagemethoden, 
j sowie die manuelle und maschinelle 
j Bewegungstherapie besprochen. Des Ver¬ 
fassers Standpunkt, daß einerseits durch 
die feinsten Maschinen die'Massage und' 
manuelle Heilgymnastik nicht ersetzt 
j werden kann, andererseits wiederum die 
I maschinelle Bewegungstherapie, sofern sie 
; ärztlich überwacht wird, in der Kriegs- 
j mechanotherapie ihren Ehrenplatz hat, 
muß als durchaus zutreffend bezeichnet 
werden.. Die weiteste Verbreitung des 
schön ausgestatteten Büchleins be¬ 
sonders unter den Schwestern und 
sonstigem Hilfspersonal ist im In¬ 
teresse unserer Verwundeten dringend 
zu wünschen. Aber auch mancher' 
Arzt wird aus seinem Studium 
I Nutzen ziehen. 

| Georg Müller (Berlin). 

| P. Hanssen. Lehrbuch der chirurgi¬ 
schen Krankenpflege für Pflege- 
rinnenundOperationsschwestern. 
Mit 300 Abbildungen. Leipzig 1916. 
F. C. W. Vogel. 10 M., geb. 11,25 M' 
Die eigentliche Spezialausbildung der 
Schwester, insonderheit als Operations- 
| Schwester beginnt erst nach der ab- 
| gelegten Staatsprüfung. Und wenn diese 
| in der Hauptsache auch eine praktische 
I sein wird, so wird die Schwester doch 
| eines theoretischen Leitfadens dringend 
| bedürfen, durch den sie ihr Wissen ver- 
! tiefen und erweitern kann. Das vor- 
| liegende Lehrbuch entspricht diesen An- 
j forderungen in hervorragendem Maße. 

Die Kapitel über Sterilisation, Desinfek- 
; tion und Narkose sind mustergültig und 
I wirken auch erzieherisch auf das Pflicht- 
| bewußtsein und Verantwortungsgefühl, 
i die bei der Operationsschwester beson- 
| ders stark ausgebildet sein müssen. Ich 
| wünsche dem formvollendet geschriebenen 
; und prachtvoll ausgesatteten Buche die 
| weiteste Verbreitung unter den Kranken- 
i Schwestern und Ärzten. Georg Müller. 


Referate. 


Zur Amputations- und Prothesenfrage 

für die untere Extremität bringt Hof- 
stätter neue Beiträge. Die ausführ¬ 
liche, durch zahlreiche Abbildungen ver¬ 
anschaulichte Arbeit stammt aus der 
Universitätsklinik in Wien (v. Eiseis¬ 
berg). Sie stützt sich auf ein großes 
Material, entsprechend einer Belegzahl 


von fast 1000 Betten. Zusammenfassend 
gibt Verfasser eine Reihe von Leitsätzen, 
deren wesentlicher Inhalt hier folgt: Für 
die Funktion eines Amputationsstumpfes 
i istdieErzielungeinestragfähigenStumpfes 
Aon der allergrößten Bedeutung, in erster 
Linie für den Unterschenkel, dann aber 
auch, wenn irgend möglich, für den Ober- 



64 Die Therapie der Gegenwart 1917. Februar 


schenke!. Es muß daran festgehalten 
werden, daß die Prothesen, die für direkte 
Belastung gebaut sind, anderen vorzu¬ 
ziehen sind. Eine Ausnahme'von der 
direkten Belastung wird nur dann ge¬ 
macht, wenn- das Allgemeinbefinden des 
Kranken bei der Durchführung einer 
Hautweichteil-Extensionsbehandlung den 
Aufenthalt außerhalb des Bettes erfordert. 
Die. notwendige Tragfähigkeit des Stump¬ 
fes wird erzielt durch die aperiostale 
Amputationsmethode nach Bunge und 
durch die Nachbehandlung des Stumpfes 
nach Hirsch. Ja, es ist sogar möglich, 
bei Anwendung des Bungesehen Stump¬ 
fes auf die Nachbehandlung zu ver¬ 
zichten. Auch bei dem Bungesehen 
Stumpf kommt es durch die Eiterung, die 
bei Kriegsverletzungen ja sehr häufig 
ist, zu mehr oder weniger ausgedehnter 
Callusbildung oder sogar zur Entstehung 
von.kleinen Kronensequestern. DieTrag- 
fähigkeit des Stumpfes wurde indessen 
durch die Callusbildung bei früh ein¬ 
setzender Nachbehandlung nie ungünstig 
beeinflußt. Man konnte im Röntgenbild 
beobachten, wie der Callus im späteren 
Verlauf spontan sich resorbierte. Ebenso 
geht es mit den kleinen Sequestern, wenn 
sie sich nicht überhaupt abstoßen. Die 
Nachbehandlung setzt schon zu einer 
Zeit ein, in der die Wundheilung noch 
nicht ganz abgeschlossen ist. Die Mei¬ 
nung von Bier, daß die Weichteilwunde 
nur untergeordnete Beziehung zur Trag¬ 
fähigkeit hat, kann nur bestätigt werden, 
denn auch beim zweizeitigen Zirkel¬ 
schnitt und bei vollkommenem Offen¬ 
lassen der Wunde, bekommt man Narben, 
die die direkte Stumpfbelastung nicht 
stören. Sind die Weichteile bei den aus 
dem Felde zugehenden Fällen weit zurück¬ 
gezogen, so wird mit Erfolg von der 
Extensionsbehandlung Gebrauch ge¬ 
macht. Die lineare Amputation ist im 
Hinterlande überflüssig. Die alsbaldige 
Verwendung von Immediatprothesen 
dient als ausgezeichnete Schulung für den 
Stumpf. Sie bewirkt weiter eine Hebung 
des psychischen und körperlichen Be¬ 
findens des Kranken. Bei Oberschenkel¬ 
amputierten soll, wenn möglich, die erste 
Immediatprothese mit beweglichem Knie 
gegeben werden; außer seinem Kunstbein 
bekommt der Amputierte bei der Ent¬ 
lassung aus dem Lazarett die Immediat¬ 
prothese mit. Der Gebrauch von Krücken 
sollte möglichst eingeschränkt werden, 
sie sind durch Gehbänkchen zu ersetzen. 

(Arch. f. klin. Chir. Bd. 108, Heft2.) Hayward. 


! Carl Gütig macht darauf aufmerk- 
! sam, daß es Bauchschüsse mit Darmver- 
| letzung gibt, die Bauchwandschüsse vor- 
| täuschen können. In den meisten Fällen 
, von Weichteilschüssen gibt die Verbin- 
| düng zwischen Ein- und Ausschuß unge- 
| fähr die Richtung an, die das Projektil 
I genommen hat. Ausnahmen von dieser 
: Regel sind aber ziemlich häufig. Ver- 
l schiedene Contractionszustände überein- 
i ander gelegener Muskelpartien können das 
! Geschoß ablenken. Abprallen des Pro- 
; jektils von Steinen, Baumstämmen usw. 
vor Einschlagen in den Körper scheinen 
ihm Eigenbewegungen, wie Rotation um 
1 die Achse, geben zu können, die dann zu 
! ganz merkwürdig verlaufenden Kanälen 
führen. Verfasser läßt es dahingestellt, 
ob eine plötzliche Bewegung des Getrof¬ 
fenen selbst zur Zeit der Verletzung die 
Richtung des Wundkanals merklich ver¬ 
ändern kann. Er zeigt an verschiedenen 
Beispielen, daß man sich davor hüten 
muß, aus dem mutmaßlichen Schu߬ 
kanal irgendwelche Schlüsse für die Art 
der Behandlung zu ziehen. So sprachen 
! die Peritonealerscheinungen bei einem 
j Falle mit Sicherheit für eine Darmver- 
j letzung, obgleich bei der nahe aneinander¬ 
liegenden Ein- und Ausschußöffnung ein 
Bauchwandschuß vorzuliegen schien. 
Man muß deshalb bei Streifschüssen des 
Unterbauches in der Beurteilung des 
angerichteten Schadens recht vorsichtig 
sein, bei den geringsten Anzeichen einer 
intraperitonealen Verwundung den 
Schußkanal spalten und die Verlaufs¬ 
richtung kontrollieren. In den oberen 
Partien des Bauches ist nicht nur der 
reine Bauchdeckenschuß viel häufiger, es 
kommt dort auch viel häufiger vor, daß 
das Projektil, selbst wenn es den freien 
Bauchraum gestreift hat, keine Darm¬ 
verletzung verursacht. Gründe dafür 
j sind, daß die meisten Bauchschüsse den 
I stehenden beziehungsweise knienden oder 
j laufenden Mann treffen, und daß in 
j diesen Stellungen die große Masse der 
[ Därme dicht dem Peritoneum des Unter¬ 
bauches anliegt, fast keine Stelle frei- 
I läßt, während der Oberbauch verhältnis- 
| mäßig leer ist. Auch mag die oft schwä- 
I chere Muskulatur des Unterbauches mit 
| eine Rolle spielen. Dünner. 

(M.m. W. 1917, Nr. 1.) 

I Rost machte im Anschlüsse an zwei 
| Fälle von intraperitonealer Blasen- 
! ruptur die nicht operiert wurden, da die 
Diagnose nicht gestellt war und unter 




Februar Die Therapie der Gegenwart 1917. 65 


komatösen Erscheinungen starben, Ver- I 
suche über die Todesursache bei intra- ! 
peritonealer Blasenruptur bei Hunden. . 

Es zeigte sich, daß die Tiere nicht 
starben, wenn der Urin aus der Bauch- : 
höhle Abfluß hatte/ War das nicht der ; 
Fall, so zeigte sich bei der Sektion nur I 
sehr wenig Urin in. der Bauchhöhle. Der \ 
Urin war also resorbiert worden. Der j 
Reststickstoffgehalt des Blutes war schon j 
nach 24 Stunden drei bis viermal, nach- j 
72 Stunden aber neun- bis zehnmal so | 
hoch wie normal. Die Tiere starben also j 
an Azotämie, das heißt an Urämie. Bei j 
der Sektion fanden sich nur in wenigen ! 
Fällen Spuren peritonealer Reizung, die , 
übrigens auch beim Menschen, der an ; 
dieser Verletzung gestorben ist, nur selten i 
gefunden wird. r j 

Rost schließt daraus, daß bei Ver- ; 
dacht auf intraperitoneale Blasenruptur j 
die Probelaparatomie indiziert und die ! 
Wundnaht zur Verhütung der Urämie i 
in jedem Falle zu machen sei.. Endlich j 
macht er noch darauf aufmerksam, wie ; 
sehr die finalen Bilder bei der intraperi- : 
tonealen Blasenruptur der Urämie und ; 
wie wenig sie der Peritonitis ähneln. j 
(M. m. W. 1917, Nr. 1.) Waetzoldt. I 

I 

Bei abdominellen Blutungen wird j 
von Chirurgen die Wiederinfusion des 
in der Bauchhöhle befindlichen Blutes 
empfohlen. Sie wurde bisher hauptsäch¬ 
lich von gynäkologischer Seite bei der 
geplatzten Eileiterschwangerschaft an¬ 
gewandt. Kreuter hatte Gelegenheit, 
im Feldlazarett einen Verwundeten zu 
operieren, der infolge eines Leberschusses 
enorme Mengen Blut in die Bauchhöhle 
verloren hatte. Es wurde das Blut auf¬ 
gefangen und ein Liter davon nach Fil¬ 
trierung durch mehrfache Lagen steriler 
Gaze in die Vena cubiti injiziert. Der 
Erfolg war verblüffend und mit den j 
üblichen Wiederbelebungsmitteln nicht 
zu vergleichen. Wenn au h der Patient 
später an einer Massenblutung in das 
Nierenlager zugrunde ging, so glaubt 
Verfasser doch, daß die Methode in ; 
vielen Fällen lebensrettend wirken kann. 

(M. m. W. 1916, Nr. 42.) Hayward. 

Aus der Arbeit von Grober (Jena) 
über die Behandlung bedrohlicher 
Blutungen aus dem Verdauungs¬ 
kanal e sei ein Abschnitt hier referiert 
über die blutstillenden Mittel, die dem 
Gewebe des Körpers oder der Blutbahn 
einverleibt werden. Da ist in erster Linie 
die Gelatine zu nennen. Man verwendet 


am besten die im Handel befindlichen 
Glastuben mit 40—50 ccm 2 %iger Gela¬ 
tinelösung, die fraktioniert sterilisiert und 
daher frei von Keimen ist. Man soll die 
Gelatine bis auf 45 Grad erwärmen, damit 
sie leicht flüssig wird, und injiziert sie dann 
mit einer dicken Kanüle. Der Eingriff 
ist nicht ganz ohne Schmerzen auszu¬ 
führen; besonders ist das Verstreichen 
der unter die Haut eingeführten Gelatine, 
das sehr vorsichtig vorgenommen werden 
muß, sehr schmerzhaft. Von anderen 
blutstillenden Mitteln verwendet Grober 
das Extract. Secal. cörnut., und zwar 
in einer Lösung von 5,0 g in je 10 ccm 
Alkohol, Glycerin und Wasser. Er gibt 
alle Stunde 1 ccm subcu'tan. Man kann 
am Tage bis zu sechs und sieben Spritzen 
steigen. Ferner empfiehlt er die intra¬ 
venöse Einspritzung von 5 ccm einer 
10%igen Kochsalzlösung oder 200 ccm 
einer 5%igen Traubenzuckerlösung. Was 
das Adrenalin betrifft: so bewirkt es 
zwar eine Contraction der kleinen Ar¬ 
terien, aber auch eine sofortige Mehr¬ 
arbeit des Herzens und eine wesentliche 
Steigerung des Blutdruckes in den mitt¬ 
leren und großen Schlagadern. Man läuft 
deshalb Gefahr, daß etwa sich schon 
bildende oder vorhandene Gefäßver¬ 
schlüsse wieder gelockert und gelöst wer¬ 
den. Auch die Verabreichung per os er¬ 
scheint nicht unbedenklich. Um die Fol¬ 
gen des akuten Blutverlustes zu bekämp¬ 
fen, muß man häufig zur Einfuhrisotoni¬ 
scher Kochsalzlösungen greifen. Vorher 
kann man die sogenannte Autotrans¬ 
fusion, die centripetal fortschreitende Um- 
schürung der Arme und Beine anwenden, 
die aber nur zwei bis drei Stunden liegen 
bleiben darf. Anderenfalls kann es zu 
Gangrän, dauernden Störungen des Blut¬ 
umlaufs und Lähmungen der miteinge- 
wickelten Nerven kommen. Bei Kollaps 
empfiehlt Grober die Herz- und Gefä߬ 
mittel. Hier kann die oben abgelehnte 
Adrenalinwirkung von Nutzen sein. 

(D. m. W. 1916, Nr. 52.) , Dünner. 

Max Cohn (Berlin) demonstriert an 
sich den in letzter Zeit vielgenannten 
Carnes-Arm. Er trägt die komplizierte 
Prothese seit 4 y 2 Monat ohne die ge¬ 
ringste Reparatur. Sie ist im Nacken 
aufgehängt und ermöglicht Bewegungen 
der Finger, Drehung im Handgelenk, 
Beugung und Streckung im Handgelenk 
ohne Hilfe der gesunden Hand. Er kann 
vermöge eines besonderen automatischen 
Mechanismus Gegenstände festhalten, 






66 Die Therapie der 

einen Brief aus einem Umschlag heraus- ; 
ziehen und hineinstecken, Geldscheine I 
zählen und festhalten, eine. Handtasche ! 
tragen und einen aufgespannten Schkm j 
halten. Auch Federhalter, Bleistift, j 
Messer und Gabel werden in natürlicher | 
Art gehandhabt. Cohn empfiehlt den j 
Arm angelegentlich für unsere Kriegs- j 
beschädigten. Georg Müller. 

(Zschr. f. orthop. Chir. Bd. 36.) 

W. Keppler (Berlin) erörtert seine ; 
Erfahrungen über die Erysipelbehandlung ; 
mit Jodtinktur. Das Verfahren be- i 
steht in einem energischen Anstrich des i 
gesamten erysipelatösen Gebietes und | 
seiner weiteren Umgebung mit 10 %iger i 
Jodtinktur. Um die Wirksamkeit des 
Verfahrens sicherzustellen, ist in erster 
Linie darauf zu achten, daß die Lösung 
dem gesamten erkrankten Gebiete in glei¬ 
cher Weise zugeführt wird und daß auch 
etwaige Falten, Taschen und Buchten 
keinesfalls davon frei, bleiben. Dieses 
Ziel ist sicher dadurch zu erreichen, daß 
die Tinktur an den verschiedensten, spe¬ 
ziell den schwerer zugänglichen Stellen 
der erkrankten Partie direkt aufgeträufelt 
und hierauf mit einem Watte- oder Gaze¬ 
tupfer für eine allseitige gleichmäßige Ver¬ 
teilung Sorge getragen wird. Handelt ( 
es sich um eine glatte, leicht zugängliche ! 
Fläche, so genügt es, diese mit einem jod- | 
getränkten Gazetupfer zu bestreichen, j 
Es empfiehlt sich, nach Eintrocknen der j 
ersten Schicht sofort eine zweite Auf- ! 
pinselung vorzunehmen. Um einen Erfolg ! 
zu erzielen, hat die Jodierung das er- j 
krankte Gebiet allseitig um mindestens | 
Handbreite zu überschreiten, denn nur | 
so hat man die Gewähr, die über die ; 
äußerlich sichtbare Grenze des Erysipels 
bereits vorgedrungenen Erreger zu er¬ 
reichen. Bei genauer Befolgung dieser i 
Regel sind die Resultate erstaunlich. In ! 
der Mehrzahl der Fälle ist schon nach der : 
einmaligen Anwendung ein rasches Zurück- j 
gehen der Krankheitserscheinungen zu 
bemerken. Die Temperatur sinkt kritisch 
zur Norm, hier, und da noch weiter herab 
und die subjektiven Störungen sind häufig 
mit einem Schlage geschwunden. Ein 
Fortkriechen der Rötung über den braunen 
Jodanstrich ist nicht zu sehen. Bleibt 
dieser für gewöhnlich eintretende Erfolg 
einmal aus, so schließt er sich so gut wie 
immer an die tags darauf zu wieder¬ 
holende Pinselung an. Ist das Erysipel 
durch einen anderweitigen Krankheits¬ 
prozeß kompliziert oder sekundär durch 


Gegenwart 1917. ' Februar 

diesen hervorgerufen, so ist eine derartig 
augenfällige ■ Beeinflussung speziell der 
Temperaturkurve natürlich nicht immer 
zu erwarten. Der eigentliche cutane 
Prozeß wird aber auch in diesen Fällen 
in derselben günstigen Weise beeinflußt. 
Die erysipelatös erkrankte, selbst mit 
Blasen bedeckte Haut verträgt die Jod¬ 
behandlung glänzend. Sie unterscheidet 
sich in dieser Beziehung eigentlich in 
nichts von der gesunden Bedeckung; ein 
geringes brennendes Gefühl macht sich 
gelegentlich einmal als einzige Störung 
bemerkbar. Dünner. 

(M. KI. 1916, Nr. 53.) 

Eine Anregung zur Anstellung von 
Hautreaktionen bei Fleckfieber gibt E. 
Jacobsthal in Hamburg, und zwar emp¬ 
fiehlt er eine Cutisreaktion mit dem 
Extrakte von Fleckfieberläusen, in deren 
Darm die Erreger des Fleckfiebers, wie 
die bakteriologischen Untersuchungen 
wahrscheinlich gemacht haben, leben. 
Stellt man also einen Extrakt aus Läusen, 
die an Fleckfieberkranken gesaugt haben, 
her, so hat man gleichzeitig auch ein Anti¬ 
gen aus dem Erreger selbst. Zur Her¬ 
stellung der Extrakte, in denen das Virus 
selbstverständlich nur abgetötet zur Ver¬ 
wendung kommen darf, empfiehlt er neben 
der Inactivierung durch Wärme-, Karbol¬ 
oder Äthereinwirkung, die Behandlung 
mit 5%igem Antiformin, von dem man 
weiß, daß es Läuse mit der Zeit auflöst 
Über praktische Erfahrungen mit dieser 
Cutisreaktion verfügt Jacobsthal nicht. 
Er will vielmehr die Kollegen, denen 
Fleckfiebermaterial zur Verfügung steht, 
anregen, vergleichende Intracutanreak- 
tionen an Fleckfieberkranken, Rekon¬ 
valeszenten und Gesunden zu machen. 
Derartige Versuche würden uns vermut¬ 
lich in der Bewertung der Bakterien weiter¬ 
bringen, die bei Fleckfieber als Erreger 
angesprochen worden sind, wie z. B. der 
Bacillus vonPlocz, Weil undFelix(über 
die Untersuchungen dieser Autoren ist in 
Nr. 6 dieser Zeitschrift berichtet worden). 
Über Cutisreaktionen mit ihnen ist bisher 
nichts bekannt geworden. Natürlich ist ein 
Vergleich dieserCutisreaktionen mitdenen 
! durch Läuseextrakte bei demselben Indi¬ 
viduum von größtem Wert. Dünner. 

(D. m. W. 1916, Nr. 36.) 

Für die Pathogenese der Gallensteine 
j ist eine Mitteilung von Schlecht von 
! Bedeutung, welche auf die Folgezustände 
i abnormer ligamentärer Verbindungen 
1 der Gallenblase hinweist. Von Kon- 




Die Therapie der Gegenwart* 1017. 


Pebruaf 


jetzny und Flint ist auf eine nicht 
seltene Ligamenturverbindung zwischen 
Gallenblase und Querkolon, das 
sogenannte Ligamentum hepatocolicum, 
hingewiesen worden, das wohl sicherlich 
eine kongenitale Bildung ist. Dieses Band 
kann heftige Schmerzen äuslösen, die ganz 
denen des Gallensteinanfalles gleichen 
und gelegentlich zu operativen Eingriffen 
Veranlassung geben. Als einziger Befund 
der Operation findet sich dann das breite 
Band, nach dessen Discision der Patient 
beschwerdefrei bleibt. Das Band kann 
unter Umständen zu einer Stauung in der 
Gallenblase führen, die nach Untersuchun¬ 
gen von Aschoff und Bacmeister wie¬ 
derum ein ausschlaggebendes Moment zur 
Bildung von Gallensteinen ist. Eine solche 
Stauungsgallenblase infolge des Liga¬ 
mentum hepaticolicum ist seinerzeit von 
Konjetzny beschrieben worden.. Unter 
Umständen kann dies Band aber auch 
durch Kompression des Duodenums die 
Erscheinungen einer Duodenal- oder Py¬ 
lorusstenose oder wenigstens der gestörten 
Magenmotilität hervorrufen. Über einen 
solchen Fall mit röntgenologischen Be¬ 
funden berichtet Schlecht in seiner Ar¬ 
beit über Duodenalstenosensym¬ 
ptome bei anormaler ligamen- 
tärer Verbindung der Gallen¬ 
blase. Die Diagnose schwankte an 
fänglich zwischen einer Erkrankung der 
Gallenblase und des Magendarmtraktus. 
Bei der Röntgenuntersuchung sah man 
nun eine dauernde Füllung des Duode¬ 
nums bis zur Pars descendenc und hori¬ 
zontale inferior., sehr lebhafte Peristaltik 
und deutliche antiperistaltische Wellen 
am Duodenum. Diese persistierende 
Dauerfüllung mit lebhaften peristalischen 
Phänomenen bleibt eine geraume Zeit be¬ 
stehen, dann tritt der Inhalt in den wei¬ 
teren Dünndarm über. Gleichzeitig be¬ 
stand Druckempfindlichkeit im Verlaufe 
des Duodenums, außerdem aber auch ein 
Druckpunkt in der Gegend der Gallen¬ 
blase außerhalb des Darmes. Die Rönt¬ 
genuntersuchung des Dickdarmes ergab 
normale Verhältnisse. 

Auf Grund des Befundes am Duode¬ 
num nahm Schlecht eine intermittie¬ 
rende Duodenalstenose an, die bedingt ist 
durch einen Prozeß außerhalb des Duo¬ 
denums, wahrscheinlich durch Verwach¬ 
sungen. Bei der Operation sah man nun 
zwischen Gallenblase und Kolon eine 
bandartige Verbindung, die schmalbasig 
der Gallenblase in ihrer ganzen Länge 
anhaftete, das Duodenum überquerte und 


: am Kolon endigte. Dieses Band ist eine 
i direkte Fortsetzung des Ligamentum he- 
1 patoduodenale. Magen und Gallenblase 
I waren frei. Das Ligamentum hepato- 
| colicum wurde eingeschnitten. Nach etwa 
: dreiviertel Jahren traten erneute Anfälle 
j auf, die, wie eine zweite Operation zeigte, 
bedingt waren durch Verwachsungen des 
Colon transversum und der Flexur mit 
dem Leberrande. Die Gallenblase war 
frei. Seitdem ist die Kranke beschwerde- 
j frei geblieben. Eine einunddreiviertel Jahr 
j nach der zweiten Operation vorgenommene 
Röntgenuntersuchung zeigte einen mäßig 
ptotisch atonischen Magen mit völlig nor¬ 
maler Peristaltik und normaler Entlee¬ 
rungszeit. Das Duodenum war ebenfalls 
völlig normal. Dünner. 

(M. m. W. 1916, Nr. 38.) 

Über operative Gelenkmobilisation teilt 
Röpke seine Erfahrungen mit. Die 
Mobilisierung versteifter Gelenke auf 
operativem Wege hat gerade bei Kriegs¬ 
verletzungen einen wesentlich größeren 
Interessenkreis gefunden als . früher. 
Röpke gibt eine umfassende Übersicht 
über die Operationsmethoden, die sich 
bewährt haben und zu empfehlen sind. Es 
ist festzustellen, daß eine genügende Zeit 
biseinigeWochen nach demSchwinden der 
letzten Entzündungserscheinungen ver¬ 
strichen sein muß, bevor man zur Opera¬ 
tion schreitet. Hierbei ist nicht zu be¬ 
fürchten, daß man mit der Operation zu 
spät kommt, denn schon früher konnte 
Verfasser zeigen, daß sogar 20 Jahre nach 
der Verletzung eine Mobilisierung mit 
vollem Erfolg ausgeführt werden kann. 
Selbstverständlich muß man sich vor der 
Operation darüber klar sein, daß auch 
, genügend Haut zur Deckung des De- 
i fektes vorhanden ist, daß die Knochen- 
j Zerstörung nicht derartig hochgradig ist, 
i daß man mit der Entstehung eines 
j Schlottergelenkes rechnen muß. Es 
wird ohne künstliche Blutleere operiert. 
Nach entsprechender Modellierung der 
I Knochenenden, wobei man Gefäße und 
i Nerven, welche großen Zerstörungen oft 
! verlagert sind, besonders schont, wird ein 
Stück Fett, welches der Außenseite des 
Oberschenkels entnommen ist, frei trans¬ 
plantiert. Welche Art von Schnittführung 
im einzelnen anzuwenden ist, ist in jedem 
Fall verschieden, doch ist es zweckmäßig, 
sich außerhalb der Hautnarbe zu halten. 
Stößt man unvermutet auf einen ab¬ 
geschlossenen Eiterherd, so ist mit der 
- Ausstoßung des Fettlappens zu rechnen. 

(D. m. W. 1916, Nr. 42.) - Hayward. 

9* 




68 Die Therapie der 


Seine Beobachtungen und Erfahrungen j 
über Halsdriisentuberkulose und Lazarett¬ 
behandlung teilt Prof. Wilms in einem j 
kurzen Aufsatze mit. Da er häufig die j 
Beobachtung gemacht hat, daß tuber¬ 
kulöse Halsdrüsen extirpiert werden, so 
sieht er sich veranlaßt, vor dieser Behand¬ 
lung zu warnen, weil sich vielfach Rezi- ! 
dive an anderen Drüsen in der Nachbar- ! 
schaff einstellen. Er empfiehlt warm die [ 
Röntgentherapie der Drüsentuberkulose, i 
wenn auch die Behandlung länger dauert. 
Man hat aber den großen Vorteil, daß das 
Auftreten von Rezidiven kaum zur Beob¬ 
achtung kommt. Außerdem spricht für die 
Röntgenbehandlung noch die Tatsache, , 
daß durch die Röntgenbestrahlungen der j 
Körper gewissermaßen gegen erneute In- j 
fektion immunisiert wird und daß ferner j 
die Röntgentherapie ambulant durch- j 
geführt werden kann: Wilms erwähnt 
noch, daß neben der Röntgentherapie bei 
Vereiterung oder Verkäsung kleine stich- : 
förmige Incisionen zur Unterstützung der 
Heilung notwendig sind. Alle die Fälle 
von Drüsentuberkulose, welche nach ; 
mehrmaliger Bestrahlung nicht verschwin- j 
den, zeigen so gut wie regelmäßig größere 
Käseablagerungen, deren Resorption na¬ 
türlich unmöglich ist. Er glaubt, auf die 
Röntgenbehandlung besonders deshalb 
nochmals aufmerksam machen zu müssen, 
da bei einem Patienten, bei dem wegen 
einer relativ geringfügigen Drüsentuber¬ 
kulose operiert worden war, eine totale 
Lähmung aller Muskeln zurückblieb, die 
vom Nervus accessorius versorgt werden. 

(M. m. W. 1917, Nr. 1.) Dünner. 

Koenig macht auf die größere Häu¬ 
figkeit der Hernien im Kriege aufmerk¬ 
sam. Die größere Häufigkeit der direkten 
Leistenhernie beim Manne mag auf 
schnelle Abmagerung zurückgeführt wei¬ 
den. Von eingeklemmten Brüchen beob¬ 
achtete Verfasser im Kriege fast 60% 
mehr als im Frieden, wobei, es auffällt, 
daß die ganze Vermehrung auf die Schen¬ 
kelhernien entfällt, von denen auffallend 
viele bei Männern auftreten (zirka 40% 
der weiblichen gegen 12% im Frieden). 
Als Ursache kommt wohl in erster Linie 
die schnelle Abmagerung und starke Peri¬ 
staltik im Verein mit starker, besonders 
gasiger Darmfüllung, die den leeren Darm 
in die erweiterte Bruchpforte einpreßt, 
die ihn, ohne Fettpolster wie sie ist, 
wenn er sich füllt, festhält und zur 
Einklemmung bringt, die sehr scharf 
ist und demgemäß häufig zur Gangräne 


Gegenwart 1917. Februar 


führt. Auch die Littreschen Darmwand- 
hernien wurden sehr viel häufiger ge¬ 
sehen und machten einen guten Teil der 
ausgeführten Resektionen nötig, die über¬ 
haupt häufiger nötig waren als im 
Frieden (Verschleppung?). Sehr bemer¬ 
kenswert ist, daß die Soldaten von dieser 
Häufung von Hernieneinklemmungen 
nicht betroffen waren (bessere Ernäh¬ 
rung, verhältnismäßig geringere Arbeits¬ 
leistung?). " Waetzoldt. 

D.m. W. 1917, Nr. 1. 

Dibbelt hatte Gelegenheit, an Ge¬ 
fallenen der Altersklasse zwischen 20 und 
30 Jahren Untersuchungen über die Be¬ 
einflussung des Herzgewichtes durch kör¬ 
perliche Arbeit anzustellen. An 22 Fällen 
fand sich — nach der Methode W. Mül¬ 
lers — ein Herzgewicht von im Durch¬ 
schnitte 290 g ohne subperikardiales Fett, 
wobei die höheren Werte von Infante¬ 
risten, und zwar besonders solchen, die 
den Feldzug von Anfang an mitmachten 
oder von Schwerarbeitern stammen, wäh¬ 
rend die wesentlich unter dem Durch¬ 
schnitte liegenden Werte von anderen 
Waffen und Berufen ohne schwere Kör- 
perarbiet stammten. Eine Ausnahme bil¬ 
dete ein Pionier und Schwerarbeiter, der 
ein Herzgewicht von 236 g aufwies. Das 
Verhältnis zwischen Herzgewicht und 
Körpergewicht war im Durchschnitt 
0,00442, doch zeigten die Zahlen nach 
oben wie nach unten beträchtliche Ab- 
i weichungen, wenn man auch annehmen 
| kann, daß das Herzgewicht direkt pro- 
! portional dem Körpergewichte wächst, 
j Das Verhältnis von Gewicht des linken 
i Ventrikels zum Körpergewichte verhielt 
i sich ebenso. Das Verhältnis der Gewichte 
: des rechten zu dem des linken Ventrikels 
. war wie 4:7, das heißt größer als bisher 
, angenommen (1:2); von einer verhältnis- 
! mäßigen Aktivitätshypertrophie des lin- 
| ken Ventrikels ist also keine Rede. Das 
; Verhältnis der Vorhöfe zu den Ventrikeln 
war das normale (0,160). Eine verhält- 
. nismäßige Abnahme des* Herzgewichtes 
bei steigendem Körpergewichte ließ sich 
; nicht feststellen. Die Abweichungen von 
! den bisher geltenden Zahlen erklären sich 
! aus der Verschiedenheit des Materials 
(Krankenhaussektionen — völlig gesunde 
Gefallene). Waetzoldt. 

(D. m. W. 1917, Nr. 1.) 

Bekanntlich können in völlig aus¬ 
geheilten geschlossenen Verletzungen viru¬ 
lente Mikroorganismen sich jahrelang hal- 





Februar Die Therapie der Gegenwart 1917. 69 


ten und bei einem neuen Trauma wieder 
aktiv werden (ruhende Infektion). Auf 
das besonders häufige Vorkommen dieses 
Vorganges bei Operationen an Kriegs¬ 
verletzungen macht Katzenstein 'auf¬ 
merksam und gibt Erfahrungen über die 
mögliche Ausschaltung dieses „unsicheren 
Faktors“ unserer Kriegschirurgie. Die 
offene Wundbehandlung hat ihr 
Hauptgebiet bei der Behandlung schlecht 
stehender eiternderKnochenbrüche (supra- 
kondyläre Oberarmbrüche!). Operation 
zwecks Einrichtung möglichst frühzeitig, 
dann offene Behandlung im gefensterten 
Gipsverbande ohne Drainage. Das meist 
nach der Operation .auftretende Fieber 
geht ebenso wie vorher bestehende hohe 
Temperaturen in wenigen Tagen zurück. 
Die Behandlungsdauer ist kürzer, die 
Resultate naturgemäß besser (geringer 
Callus). Außerdem ist die offene Wund¬ 
behandlung indiziert bei allen Nach¬ 
operationen, bei denen das Bestehen von 
Granulationen auf eine Infektion hin¬ 
weist; sogar bei Nervenoperationen, wo 
die Eiterung, wenn sie nur Abfluß hat, 
keineswegs die Wiederherstellung der Ner¬ 
venleitung gefährdet. Bei Transplanta¬ 
tionen hält es Verfasser, ausgehend von 
der Überlegung, daß auch die Gewebe An¬ 
titoxine bilden für vorteilhafter, zur Trans¬ 
plantation nicht irgendwelche geeignete 
Gewebe zu nehmen, sondern solche, die 
schon eine Entzündung durchgemacht 
haben, am besten aus der Umgebung der 
Stelle, in die transplantiert wird: also 
zum Beispiel bei Mobilisationen von durch 
Eiterung versteiften Gelenken, Verlage¬ 
rung von Teilen der Gelenkkapsel oder 
dergleichen in dem neugebildeten Ge¬ 
lenkspalt. Ebenso Knochenbolzung durch 
Teile der zu bolzenden Knochen. Die 
Erfolge sind nach Angabe des Verfassers 
sehr gut, eine Eiterung trat nur einmal 
bei einem großen Hämatom auf. 

Endlich bewährte sich die zweizeitige 
Operation sehr zur Vermeidung der Zer¬ 
störung des Operationsresultats durch 
Eiterung. Bei der ersten Operation wurde 
alles bis auf die Transplantation (Fascie, 
Haut, Knochen als Transplantate) fertig¬ 
gestellt, dieWunde geschlossen. Trat inner¬ 
halb drei Tagen Eiterung schwerer Art oder 
Fieber ein, so wurde von der Transplan¬ 
tation vorläufig abgesehen. Blieb das 
Fieber aus, so mißlang die Transplanta¬ 
tion kaum jemals. Im ganzen kann Ver¬ 
fasser die Erfolge mit seinen Methoden 
als recht günstig bezeichnen. 

D. m. W. 1916, Nr. 50. Waetzoldt. 


Pfaundler stellt gegenüber auch von 
ärztlicher Seite vielfach geäußerten Be¬ 
denken, ob die Ernährung der Klein¬ 
kinder zurzeit ausreichend sei/folgendes 
fest (Zahlen von Oktober 1916 für Mün¬ 
chen gültig). Nach denZahlenCamerers, 
die besonders bezüglich des Eiweißgehal¬ 
tes vielleicht noch etwas reichlich be¬ 
messen sind, beträgt der Bedarf zwischen 
dem zweiten und siebenten Lebensjahre 
für das Kilo Körpergewicht rund 3,5 g 
Eiweiß, 2—3 g Fett, 9—11 g Kohle¬ 
hydrate mit im ganzen rund 8,0 Calorien^ 
brutto. Die für Kleinkinder jetzt zulässige' 
Nahrungshöchstmenge enthielt 66 g Ei¬ 
weiß, 39 g Fett, 323 g Kohlehydrate mit 
1970' Calorien. Vergleicht man die aus 
diesen Zahlen berechneten Werte pro 
Körperkilo mit den Camererschen Zah¬ 
len des Bedarfes für die verschiedenen 
Lebensalter, so ergibt sich ein calorischer 
Überschuß von 40 bis 60%, wobei das 
etwas knappe Fett durch den Überschuß 
an Kohlehydraten und Eiweiß reichlich 
gedeckt sind. Die angeführten Höchst¬ 
mengen standen — abgesehen von Kar¬ 
toffeln und neuerdings von Fett — auch 
tatsächlich zur Verfügung. Rechnet man 
jedoch diese fehlenden Nahrungfebestand- 
teile ab, so verbleibt gleichwohl noch ein 
beträchtlicher Überschuß, wobei Fett 
allerdings in noch größerem Maße von 
Kohlehydraten ersetzt werden muß. Nicht 
eingerechnet in diesen Zahlen sind über¬ 
dies Fische, Marmelade, Zwieback, Keks, 
Kindermehle, Milchkonserven, Pilze, Öle 
und Bier. Zu . berücksichtigen ist aller¬ 
dings, daß Kinder im sechsten Jahre 
schon bis zu 20 kg wiegen, während die 
Zahlen für 15 und 18 kg schwere Kinder 
errechnet sind. Daß im großen ganzen 
die zuständigen Mengen auch gekauft 
werden, scheint dem Verfasser daraus 
hervorzugehen, daß der Vorrat tatsäch¬ 
lich verbraucht, alle Karten abgegeben 
werden, da mit Kartenverkauf doch 
kaum zu rechnen sei. Zieht man weiter 
noch die Steigerung der Lebensmittel¬ 
preise in Betracht, so sind wohl nur Eier 
und Fleisch im Preise so gestiegen, daß 
die Beschaffung nicht durch Steigerung 
des Einkommens ermöglicht wird. Rech¬ 
net man auf diese noch von den Zahlen 
für den höchstzulässigen Verbrauch ab, 
so ergibt sich für Fünfjährige ein Kon¬ 
sum pro Kilogramm Körpergewicht an Ei¬ 
weiß von 3,0, an Fett von 2,0 an Kohle¬ 
hydraten, von 15,0 bei einem Bedarfe 
(fehlendes Fett auf Kohlehydrate um¬ 
gerechnet) von 3,3 Eiweiß, 2,0 Fett* 




70 


Die Therapie der Gegenwart 1917; 


Februar 


11,4 Kohlehydrate. Die entsprechenden 
Calorienzahien waren 98 beziehungsweise 
78,5, also immer noch ein beträchtlicher 
Überschuß, zumal wenn man in Betracht 
zieht, daß der Eiweißkonsum sicher das 
Minimum, vielleicht sogar das Optimum 
überschreitet. 

Pfaundler schließt, daß nach Be¬ 
kömmlichkeit und Dauererfolgen die 
jetzige Kost der meist viel zu abundanten 
und animalischen Kost — namentlich in 
den ,,besseren“ Kreisen — wohl als über¬ 
legen zu bezeichnen ist, und die Forderun¬ 
gen erfüllt, die in letzter Zeit als die Kost 
der Wahl von den Kinderärzten aufge¬ 
stellt wurde, als eine Diät, die vorbeugend 
und abwehrend wirkt gegenüber zahl¬ 
losen Kleinkinderschäden. 

(M. m. W. 1916, Nr. 50.)' Waetzoldt. 

Die Behandlung alter Knochenfisteln 
nach Schußfrakturen erörtert. Franke. 
Die Knochenfistel nach . Schußfrak¬ 
turen stellt ein Leiden dar, welches spe¬ 
ziell in Heimatlazaretten in größerer Aus¬ 
dehnung angetroffen wird, als man ge¬ 
meinhin annimmt. Wenn auch der Ver¬ 
lauf des infizierten* Knochenschusses in 
mancher Beziehung der Osteomyelitis 
ähnelt, so ist gerade bei der zurückbleiben¬ 
den Fistel ein wesentlicher Unterschied 
darin zu suchen, daß bei der Osteomyelitis 
die Infektion stets auf hämatogenem Wege 
erfolgt, während hier die Infektion direkt 
am Orte der Verletzung einsetzt. Dem¬ 
gemäß unterscheidet sich auch die Fistel 
bei der Kriegsverletzung dadurch, daß oft 
nur sehr kleine Sequester, welche bei der 
starken Callusbildung auch röntgenolo¬ 
gisch gelegentlich nicht nachweisbar sind, 
bestehen. Die Therapie, die nur eine 
chirurgische sein kann, muß diesen Ver¬ 
hältnissen Rechnung tragen, indem jeder 
Fistelgang — und oft gehen von einer 
Fistel in der Tiefe mehrere Gänge aus — 
genau verfolgt wird. Man wird dann auf 
kleine Knochenstücke gelangen, die wahr¬ 
scheinlich, wenn sie in der Muskulatur 
sitzen, bei der Verletzung schon abge¬ 
sprengt worden sind. Erst durch die Ver¬ 
folgung jeder einzelnen Fistel wird man 
den gewünschten Erfolg haben. 

(B.kl. W. Nr. 39.) Hayward. 

Über kontralaterale Behandlung 
funktioneller Lähmungen und Con- 
tracturen berichtet Stulz (Berlin). Die. 
Beseitigung der fehlerhaften Innervation 
ist ein wesentlicher Faktor bei der Thera- 


! pie der funktionellen Lähmungen. Sie 
; gelingt meist außerordentlich schnell, 
wenn man den Patienten dazu bringt, auf 
' der gesunden Seite die fehlerhafte Bewe- 
; gung und Stellung des betreffenden Glie¬ 
des nachzuahmen. Sobald das erreicht 
ist, hat dieser Faktor im Bewußtsein des 
Patienten seine Bedeutung verloren. Was 
i man auf der gesunden Seite ohne weiteres 
! nachahmen kann, kann keine erhebliche 
i Störung sein, ln Wirklichkeit stößt diese 
! Methode meist auf einen gewissen Wider-. 

; stand. Das Maß dieses Widerstandes ist 
| wichtig zur Beurteilung der bei dem be- 
1 treffenden Kranken vorhandenen Aggra- 
| vation. In diesem. Sinne kann das Ver- 
| fahren als direkte Simulationsprobe emp- 
! fohlen werden. Unter anderem berichtet 
i Stulz über einen Fall von funktioneller 
Lähmung des rechten Armes. Die Hebung 
des Armes nach außen war nur angedeu- 
! tet, man fühlte dabei eine geringe, bald 
nachlassende Contraction des Deltoideus. 
Am wesentlichsten war die Störung beim 
Versuche der Beugung des Ellbogen¬ 
gelenkes. Eine leichte Contraction des 
Biceps war deutlich, sie hatte aber keinen 
motorischen Effekt. Statt der Ellbogen¬ 
beugung machte der Patient eine Beugung 
im Handgelenk, unter gleichzeitiger 
Streckung und Spreizung der Finger. Die 
Bewegungen im Handgelenk und der 
Finger waren vollständig intakt. Es ge¬ 
lang nun in einigen Sitzungen, den Pa¬ 
tienten dazu zu bringen, daß er auf der 
gesunden Seite die groteske Handbewe¬ 
gung kopierte. Seitdem haben diese Mit¬ 
bewegungen aufgehört. Die Lähmung 
selbst befindet sich auf dem Wege der 
Besserung. Patient kann den Arm im 
Schultergelenk bis zur Horizontalen er- 
| heben und ihn bis zum rechten Winkel 
! beugen. Dünner. 

! (D. m. W. 1917, Nr. 1.) 

Bei der Behandlung der Meningitis 
epidemica nur mit Lumbalpunktion er- 
: zielte Riedel sehr schöne Erfolge. Bei 
fünf Fällen fünf Heilungen. Den Patienten, 
die zwischen dem zweiten und fünften 
Krankheitstage mit dem typischen Krank¬ 
heitsbilde eingeliefert wurden, wurde so¬ 
fort reichlich Liquor abgelassen — bis 
der Druck zur Norm absank—. und dies 
in der ersten Zeit täglich, dann nur noch 
beim Bestehen meningealer Erscheinun- 
; gen wiederholt. Innerlich wurde, wie 
| üblich, Urotropin gegeben. Jede Fieber- 
| Steigerung, Liquortrübung, Wiederauf- 
! treten meningealer Symptome usw. galt 



Februar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


71 


als Indikation zur Lumbalpunktion, so 
daß bis in die' vierte und fünfte Woche 
hinein unter Umständen punktiert werden 
mußte und im Einzelfalle einmal 18 Punk¬ 
tionen gemacht wurden. Die Erschei¬ 
nungen gjngen nach der Punktion stets 
prompt zurück, um allerdings durchaus 
nicht immer ganz auszubleiben. Schlie߬ 
lich wurde jedoch in allen Fällen völlige 
Heilung erzielt. Verfasser möchte auch 
das Fieber — besonders in der Rekon¬ 
valeszenz—, als cerebral, durch Hirndruck 
bedingt, auffassen und überhaupt die i 
Drucksteigerung als Ursache der Krank- j 
heitserscheinungen und des Todes sehr | 
in den Vordergrund stellen. I 

Die Technik bot nichts Besonderes, es I 
sei denn, daß der Eingriff mitunter in 
dem (doch nicht ganz ungefährlichen; 
Referent) Chloräthylrausch ausgeführt 
wurde. Waetzoldt. 

M. m. W. 1916, Nr. 50.) 

Das Auftreten von Meningitis und 
Pyo- und Hydrocephalus nach Schu߬ 
verletzungen des Kopfes veranlaßten 
M. Westenhöfer und R. Mühsam zu 
einer Mitteilung über die Behandlung 
der Meningitis und des chroni¬ 
schen Pyo- und Hydrocephalus j 
durch Okzipitalincision und Unter- j 
hornpunktion und -drainage, die j 
sie schon vor mehreren Jahren in Frie- | 
denszeiten aus theoretischen Erwägungen I 
heraus versucht hatten. Der Zweck einer. 1 
Therapie bei eitriger Meningitis und Eiter- j 
ansammlungen im Gehirne muß dahin 
gehen, dem Eiter Abfluß zu verschaffen. 
Da es sich um vorgebildete Höhlen han¬ 
delt, aus deren Wand (Adergeflecht) die , 
Eiterung durch Fortbestehen der ent¬ 
zündlichen Ursache auch nach Entleerung i 
des Eiters weiter vor sich gehen kann, so | 
muß die Methode so gestaltet werden, 
daß auch eine Berieselung und ergiebige 
Durchspülung der Höhlen erfolgen kann. 
Mit Lumbalpunktion oder Balkenstich 
ist dies nicht zu erreichen. ’ Wird das 
Hinterhorn punktiert, so bleibt der Haupt¬ 
herd der Eiterabsonderung, nämlich das . 
Adergeflecht des Hinterhorns, unbeein¬ 
flußt. Bei dem zickzackartigen Verlaufe 
der Kammer- und Hörnerhohlräume des 
Gehirns ist es notwendig, daß man sich 
zur Entleerung des Eiters den tiefsten 
Punkt aussucht, das ist die Spitze des 
Unterhorns und das Loch Magendis. 
Eine Operation, die die Zisterne öffnet, / 
öffnet auch die vierte und dritte Gehirn¬ 


kammer. Es genügt aber nicht nur eine 
einfache Punktion, sondern man muß 
eine. längere Zeit fortgesetzte Drainage 
des Unterhorns mit gleichzeitiger Durch¬ 
spülung der Kammer vornehmen. Die 
Operationsstelle ist nahezu die gleiche 
wie die zur Herausnahme des Gasser- 
schen Ganglions, nur daß an Stelle des 
großen Lappens nur eine lochförmige 
^nbohrung des Schläfenbeines notwendig 
ist. Die Stelle der Trepanation liegt 1 cm 
oberhalb des Ansatzes des Jochbeinfort¬ 
satzes an das Schläfenbein. Wird hier 
der Trokar eingestochen, so liegt die 
Punktionsöffnung der harten Hirnhaut 
in dem Winkel, der von dem hinteren 
und vorderen Ast der A. meningea media 
gebildet wird, letzterem näher als ersterem. 
Die Richtung des Stichkanals ist genau 
horizontal. Seine Länge vom Knochen 
an beträgt 3—4 cm, das heißt man darf 
den Trokar zunächst nicht tiefer als 3 cm 
bei Kindern, 4 cm bei Erwachsenen ein¬ 
stoßen. Es muß ein eingeteilter Trokar 
| benutzt werden, um die Länge zu be¬ 
stimmen. Handelt es sich darum, einen 
schon bestehenden chronischen Hydro¬ 
cephalus zu behandeln, wobei es darauf 
ankommt, eine neue Infektion der Höhlen 
zu vermeiden, so kann das Metall-Dauer¬ 
drainröhrchen an seinem äußeren Ende 
mit eingeschnittenem und umgebogenem 
Rande versehen sein, der sich dem Kno¬ 
chen außen gut anlegt, wodurch sowohl 
ein Hinein- wie Hinausgleiten verhindert 
wird. Die äußere Wunde wird durch 
Nähte geschlossen, so daß die Flüssig¬ 
keit keinen Abfluß nach außen er¬ 
hält, sondern subcutan aufgesogen wird. 
Gegebenenfalls wird sie nach .dem 
Vorgänge von Payr in die V. 
jugularis abgeleitet. 

Nach diesem Vorschläge von Westen¬ 
höfer hat R. Mühsam im Krankenhause 
Moabit mehrere entsprechende Fälle ope¬ 
riert. Er erreichte einmal tatsächlich eine 
wesentliche Besserung, und es ist anzu¬ 
nehmen, daß diese Besserung auf die 
Punktion zurückzuführen ist. Die beiden 
anderen ebenfalls operierten Fälle be¬ 
trafen chronischen Hydrocephalus nach 
Meningitis. Beide kamen ad exitum, der 
eine wohl durch eine Blutung infolge Ver¬ 
letzung eines Gehirngefäßes. Wenn also 
auch das Verfahren nicht als ungefährlich 
angesehen werden kann, so ist es. tech¬ 
nisch einfach auszuführen und sollte in 
geeigneten Fällen angewandt werden. 

D ii n ne r. 

(D. in. W. 1916, Nr. 51.) 



72 


Die Therapie der Gegenwart 1917. Februar 


Um die Heilung ausgedehnter Mund¬ 
verletzung nach schweren Kieferschüssen 
zu erleichtern, verpflanzt Moszkowicz 
Thiersch’scher Epidermisläppchen 
in die Mundhöhle. Bei Kieferschüssen tritt 
infolge der narbigen Schrumpfung na¬ 
mentlich dann, wenn der Mundboden aus¬ 
gedehnter mitverletzt ist, eine Schrump¬ 
fung der Weichteile ein, die es unmöglich 
macht, Prothesen einzusetzen. Die direkte 
Verpflanzung Thiersch’scher Läppchen 
verbietet sich, da die mangelhaft asepti¬ 
schen Verhältnisse des Mundes diese nicht 
zur Anheilüng kommen lassen. Ver¬ 
fasser ist,* um diesen Übelstand zu be¬ 
heben, so vorgegangen, daß er am Kinn 
eine Tasche gebildet hat, die mit Epider¬ 
mis ausgekleidet wurde. Später wurde 
diese Tasche nach der Mundhöhle zu 
eröffnet und mit den Resten der Mund¬ 
schleimhaut in Verbindung gebracht. Es 
entstand so ein gut mit Epidermis aus¬ 
gekleideter Abschnitt, in den die Pro¬ 
these ohne weiteres eingesetzt werden 
konnte. Hayward. 

(Arch. f. klin. Chir. Bd. 108, Heft 2.) 

Rassiga berichtet über Erfahrungen 
mit der Behandlung von Narben und 
ihren Folgezuständen mit Cholinchlorid 
(Fränkel).. Es wurden von frisch her¬ 
gestellten meist 5% doch auch 10%igen 
Lösungen des Mittels in steriler physio¬ 
logischer Kochsalzlösung 10 ccm um und 
unter die Narbe (beziehungsweise die Ge¬ 
lenke, Muskeln usw.) eingespritzt. Über 
Schmerzen danach wurde nur ausnahms¬ 
weise geklagt. Im Anschluß daran wurde 
energische Behandlung mit Heißluft¬ 
massage, Elektrisieren, medicomechani- 
schen Übungen fortgesetzt, da in den 
nächsten Tagen nach der Injektion bei 
starker Hyperämie und Wärmegefühl, 
ein Lockerwerden der Narbe auftrat, das 
für redressierende Maßnahmen außer¬ 
ordentlich geeignet ist. 

Dringend nötig ist äußerst energische 
Durchführung der physikalischen und re- 
dressierenden Behandlung und möglichste 
Vermeidung von Kälte während der ersten 
sechs bis sieben Tage nach der Injektion. 

Unangenehme Nebenwirkungen wur¬ 
den nie beobachtet, nur einmal ver¬ 
ursachte eine (durch Sodazusatz?) milchig 
getrübte Lösung Infiltrate, Fieber und 
ein scharlachähnlichesExanthem, in einem 
Falle sogar Ulceration. Es darf also nur 
ganz klare Lösung verwendet werden. 

Im einzelnen war die Anwendung bei 
narbigen Verwachsungen der Haut mit 


I der Unterlage von besonders gutem Er- 
I folge begleitet, während bei Nerven- 
j Schädigung durch Narbeneinschneidung 
I ein endgültiges Urteil noch nicht möglich 
| war.'.Narbenneuralgien wurden durchweg 
i sehr günstig beeinflußt. 

Besonders schnelle und gute Erfolge 
! waren bei torpiden Geschwüren auf Nar- 
| ben, dieser Crux medicorum, zu verzeich- 
; nen, selbst bei sehr veralteten, vielfach 
I vergeblich behandelten Fällen. 

Vasomotorische Störungen (Blausein, 

• Kühle der Extremitäten) wurden günstig 
beeinflußt, auch für Erfrierungen scheinen 
die Aussichten gut. Schließlich wurden 

. die Versuche auch auf Fälle von verzöger¬ 
ter Knochenbildung, Pseudarthrosen und 
chronischen Fisteln angewandt, bei denen 
ebenfalls einzelne überraschende Erfolge 
zu sehen waren. Allgemein rät Rassiga, 

■ das Mittel in keinem Falle, der zu den an- 
; geführten Kategorien gehört, unversucht 
zu lassen. Waetzoldt. 

(M. m. W. 1916, Nr. 32.) 

Die Prostatahypertrophie wird in neue¬ 
rer Zeit oft erfolgreich mit Röntgen¬ 
strahlen behandelt, ohne daß die eigent- 
! liehe Ursache des Erfolges klar wäre. 
Denn aus der Schnelligkeit des Erfolges, 
andererseits aber aus der Tatsache, daß 
: eine Verkleinerung der Drüse nicht statt- 

• findet, ein Erfolg auch nicht in allen 
; Fällen erreicht werden kann, schließt 

Wilms, daß die günstige Beeinflussung 
der Prostatahypertrophie durch Röntgen 
strahlen in der gewöhnlichen Dosis von 
50 bis 60 X von drei Seiten auf andere 
Ursachen als auf eine Beeinflussung der 
Adenome selbst zurückzuführen sei. Als 
solche kommen in erster Linie die durch 
i Lymphstauungen entzündliche Vorgänge 
und Zersetzung bedingten Reizungszu- 
| stände der Drüse, die auf dem Wege einer 
I Neuritis zu Krampfzuständen führen, in 
1 Frage. Die Umstimmung des Gewebes 
durch die Röntgenbestrahlung schaltet 
! diese Vorgänge aus ’ und ihre Folgezu¬ 
stände schwinden demgemäß gleichfalls. 
Es sind also vorwiegend Fälle mit stär¬ 
keren Reizerscheinungen zur Röntgen¬ 
therapie geeignet, und auch bei diesen ist, 
wenn der Erfolg nicht bald eintritt, ein 
solcher nicht zu erwarten. Waetzoldt. 

(M. ra. W. 1916, Nr. 30.) 

Im Anschluß an seine Erfahrungen' 
mit der Röntgentherapie der Reizzustände 
bei Prostatahypertrophie versuchteWi lm s 
die Röntgenbestrahlung beim Pyloro- 
spasmus. ln zwei Fällen, die der internen 



Februar Die Therapie der Gegenwart 1917. 73 


Therapie getrotzt hatten , und deshalb 
— mit Verdacht auf ulceröse Verände¬ 
rungen am Magen — zur Operation be¬ 
stimmt waren, wurden nach wenigen 
Bestrahlungen so gebessert, daß Spasmen 
kaum noch auftraten. Wilms nimmt an, 
daß es sich dabei um Beseitigung ner¬ 
vöser Reize handelt, die durch Verände¬ 
rungen und Schädigungen der Magen¬ 
wand ausgelöst seien. Wie sich Pyloro- 
spasmen, die auf dem Boden eines Ulcus 
entstanden sind, bei der Bestrahlung ver¬ 
halten, bleibt abzuwarten. Äußerste 
Vorsicht ist jedenfalls dabei am Platze. 

(M. m. W. 1916, Nr. 30.) Waetzoldt. 

Im vorigen Heft der Ther. d. Gegenw. 
wurde eine Arbeit von Borchardt 
über Ruhr referiert. Dieser vertritt die 
Meinung, daß das wichtigste Symptom der 
Ruhr eine spastische Obstipation sei. 
Derselben Meinung schließt sich Zuel- 
zer (Berlin) in einer Arbeit, betitelt 
,,Die Hormonaltherapie der Ruhr“, 
an. Als Stütze für diese Ansicht weist er 
darauf hin, daß in den ersten drei bis vier 
Tagen in der Regel nur Schleim und Blut 
und keine fäkulenten Stühle entleert 
werden. Die günstige Beeinflussung der 
spastischen Zustände durch Atropin, wel¬ 
ches in leichteren Fällen durch Aufhebung 
der Spasmen einer normalen Contraction 
des Dickdarmes die Wege ebnet, legt 
nun den Gedanken nahe, das Hormonal j 
bei Ruhr anzuwenden. Zuelzer hatte 
Gelegenheit, das Hormonal bei 40 
der schwersten Fälle zu geben und 
konnte beobachten, daß es die 
spastischen Contractionen beseitigt und 
gleichzeitig die Aufhebung der Stuhl¬ 
verstopfung bewirkt. Er sah nach 
der Hormonalmedikation massenhafte 
Entleerungen wirklich fäkulenter Stühle, 
die einen günstigen Einfluß auf 
das Allgemeinbefinden und auf den Puls 
ausübten. Er injizierte stets 20 ccm Neo¬ 
hormonal intravenös und sah mehrere 
Male, daß ganze Bettschüsseln voll Stuhl 
entleert wurden. Abgesehen davon aber 
erreicht man durch Hormonal nach 
Zuelzer eine bessere Durchblutung der 
Darmwand, die dazu beiträgt, daß die 
sonst sich anhäufenden Ruhrtoxine schnel¬ 
ler beseitigt werden, und man so von 
vornherein der Nekrotisierung der Dick¬ 
darmschleimhaut entgegenwirken kann. 
Diese Auffassung Zuelzers stützt sich 
auf die Beobachtung, daß von den 40 be¬ 
handelten . schweren Ruhrfällen nur in 
zweien schwerere, durch die Beschaffen¬ 


heit des Stuhls erkennbare Darmnekrosen 
auftraten, die aber von den Kranken über¬ 
wunden wurden. Von diesen beiden 
Fällen war der eine erst am vierten Krank¬ 
heitstage in Behandlung getreten, also zü 
einer Zeit, bei der die Darmschleimhaut¬ 
nekrose bereits eingesetzt hatte. Man 
muß deshalb fordern, das Hormonal so 
früh wie möglich anzuwenden. Zum 
Schlüsse weist Zuelzer darauf hin, daß 
das Hormonal in seiner jetzigen Form — 
es wird als Neohormonal von Schering 
geliefert — unschädlich ist. Dünner. 

(D. m. W. 1917, Nr. 1.) 

W. Lüth (Thorn) äußert in einem 
Aufsatze seine Ansichten zur Salvarsan- 
therapie. Er hält als empfehlenswerteste 
Methode die intravenöse Infusion oder 
Injektion. Es ist nötig, danach zu trach¬ 
ten, daß möglichst wenig Flüssigkeit zur 
Lösung der Salvarsanmenge, die injiziert 
werden soll, benutzt wird. Bisher be¬ 
nutzte Lüth zur Lösung von 0,3 g Neö,- 
salvarsan 6 ccm Wasser und zur Lösung 
von 0,45 g Neosalvarsan 10 ccm Wasser. 

: Er stellte Versuche an. mit noch gerin¬ 
geren Flüssigkeitsmengen auszukommen. 

I Denn je geringer die Flüssigkeitsmenge 
ist, desto länger zirkuliert das Neosalvar¬ 
san im Körper. Es gelang ihm, nachzu¬ 
weisen, daß bei Verwendung von Lösun¬ 
gen 0,3:4 ccm Wasser und 0,45:5 ccm 
Wasser das Salvarsan viel später durch 
den Urin ausgeschieden wurde. 

Was nun die Frage der einfachen Sal- 
varsantherapie oder der kombinierten 
Quecksilberbehandlung betrifft, so steht 
Lüth auf dem Standpunkte der kombi¬ 
nierten Behandlung. Bei der reinen Sal- 
varsantherapie gehört zu einem wirk¬ 
lichen Erfolge eine so große Anzahl von 
Infusionen, daß oft äußere Umstände 
oder die Ungeduld der Patienten die Be¬ 
handlung vorzeitig abbrechen lassen. Man 
muß annehmen, daß eine Salvarsandosis, 
die zu gering ist, um die Spirochäten voll¬ 
ständig abzutöt£n oder wenigstens zu 
lähmen, zur Folge hat, daß allmählich 
der Spirochätenstamm salvarsanfest wird. 
Es werden somit im Laufe der Behand¬ 
lung erheblich höhere Salvarsandosen 
notwendig, um die Abtötung der Spiro¬ 
chäten zu erreichen. Im anderen Falle 
breiten sich die Spirochäten über den 
ganzen Körper aus, sind viel virulenter 

j geworden und haben sich an besonders 
geeigneten Stellen, an Hirnnerven, bei 
Durchtritt durch enge Knochenkanälchen 
festgesetzt, wie sie sich viel günstiger als 

10 







74 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Februar 


sonst entwickeln können. Die Gefahr der 
Heranzüchtung eines besonders gefähr¬ 
lichen Spirochätenstammes wird geringer, 
wenn neben Salvarsan von Anfang an 
Quecksilber verabreicht wird. Wie Lüth 
ausführt, soll man abwechselnd Salvarsan- 
und Quecksilberdosen geben und nicht 
etwa an eine Salvarsankur eine Queck¬ 
silberkur anschließen oder umgekehrt. 
Lüth nimmt die Behandlung der Syphilis 
folgendermaßen vor: 

1. Die primäre Syphilis behandelt er 
am ersten Tage mit 0,3 Neosalvarsan, am 
zweiten Tage Hg. salicyl. 0,05, wenn der 
Sitz es zuläßt, Excision der Sklerose, 
darauf jeden dritten Tag Hg. salicyl. 0,1, 
im ganzen zehn Quecksilberinjektionen, 
dazu nach der achten und neunten noch 
einmal Neosalvarsan 0,45. Hierbei wird 
Wert darauf gelegt, daß die Quecksilber¬ 
injektionen unter Kontrolle des Urins 
auch wirklich jeden dritten Tag erfolgen. 
Etwaige Klagen der Kranken über große 
Schmerzen wird ein Arzt, der seine Pa¬ 
tienten in der Hand hat, stets damit zum 
Schweigen bringen, daß er sie darauf auf¬ 
merksam macht, um was es sich handelt, 
daß sie bei gut durchgeführter Behand¬ 
lung wahrscheinlich in vier bis fünf Mo¬ 
naten gesund sind, während sie im anderen 
Falle jahrelang die Behandlung fortzu¬ 
setzen haben und dann doch nicht an¬ 
nähernd die Gewißheit haben, gesund zu 
sein. Unter dieser Einwirkung unter¬ 
ziehen sie sich stets der weiteren Behand¬ 
lung. Es wird zunächst drei Wochen 
nach Schluß der ersten Kur eine Blut¬ 
untersuchung gemacht. Wenn, wie es bei 
einer gut durchgeführten Kur stets der 
Fall ist, die Wassermannsche Reaktion 
negativ geblieben ist, so ist das ein her¬ 
vorragendes Mittel, das Vertrauen und 
die Zuversicht der Patienten zu heben. 
Daß zu dieser wünschenswerten nega¬ 
tiven Wassermannschen Reaktion die 
vollen Quecksilberdosen notwendig sind, 
konnteLüth wiederholt beobachten. Acht 
Tage nach der Blutentnahme, also vier 
Wochen nach Schluß der ersten Kur, be¬ 
ginnt die zweite Kur. Sie besteht in 
achtmal Hg. salicyl. 0,1. Nun ist man 
genötigt, eine längere Pause zu machen, 
und zwar läßt man am besten drei Mo¬ 
nate nach der zweiten Kur verstreichen, 
bevor die dritte Pflichtkur angefangen 
wird, der auch wiederum eine Blutunter¬ 
suchung vorangeht, die bei ordnungs¬ 
gemäß durchgeführter erster und zweiter 
Kur regelmäßig negativ ausfällt. Die 
dritte Kur besteht wiederum in acht Hg- 


lnjektionen zu 0,1. Darauf werden-nur 
in größeren Zwischenräumen Blutunter¬ 
suchungen gemacht, eine weitere Be¬ 
handlung hat sich bei den Patienten, die 
nach diesen Grundsätzen bisher behandelt 
wurden, noch nicht als- erforderlich er¬ 
wiesen. 

2. Bei sekundärer Lues ändert sich 
die Behandlung nur in der Weise, daß 
Lüth bei der ersten Kur auch in der Mitte 
noch einmal Neosalvarsan 0,45 gibt. 

(D. m. W. 1916, Nr. 51.) Dünner. 

C. Bruck (Altona) bespricht eine sero¬ 
chemische Reaktion bei Syphilis. Es ist 
seit Jahren sein Bestreben gewesen, eine 
chemische Methode zu finden, die im¬ 
stande wäre, die stets variablen biologi¬ 
schen Reagentien (Komplement, Ambo- 
ceptor, Organextrakt, Hammelblut) er- 
setzlich zu machen. Er ging dabei von 
dem Gedanken aus, daß es gelingen müsse, 
den Körper x, der die positive Komple¬ 
mentbindungsreaktion im Luesserum be¬ 
dingt, durch chemische Methoden zum 
Nachweis zu bringen, da anzunehmen ist, 
daß dieser Körper, das sogenannte ,,Rea¬ 
gin“, entweder eine quantitative oder eine 
qualitative Veränderung der Eiweiß- bzw. 
Eiweißlipoidverbindungen des Luetiker¬ 
serums im Gegensatz zum Normalserum 
bedingen muß. C. Bruck untersuchte 
nun die Säure- und Alkaliwirkung bei 
Anwesenheit von Lues- und Normal¬ 
serum und machte dabei die Beobachtung, 
daß beim Zusatze von Alkali der Salpeter¬ 
säureniederschlag der Luetiker sich im 
allgemeinen etwas schwerer und lang¬ 
samer löst als der der Normaleren. Dieser 
Beobachtung ging Verfasser weiter nach, 
indem er methodisch das durch Salpeter¬ 
säure gefällte Albuminat in destilliertem 
Wasser wieder zur Lösung brachte. Er 
stellte dabei fest, daß sich bei einer ge¬ 
wissen Verdünnung das gesamte Säure- 
albuminat des Normalserums in Wasser 
löst, während bei derselben Verdünnung 
noch ein Teil des Säurealbuminats des 
Luesserums ungelöst bleibt. Die Technik 
der Methode ist folgende: Man gibt 
0,5 ccm aktives, klar abgesetztes Blut¬ 
serum in ein reines Reagenzglas, fügt 
2 ccm destilliertes Wasser zu und schüttelt 
um. Dann fügt man mit einer Präzisions¬ 
pipette genau 0,3 ccm Ac. nitr. purum 
der deutschen Pharmakopoe (also zirka 
25%), schüttelt den gebildeten weißen 
Niederschlag um und läßt zehn Minuten 
bei Zimmertemperatur stehen. Hierauf 
gibt man 16 ccm destilliertes Wasser von 






Februar Die Therapie der 

Zimmertemperatur (zirka 15°) zu, schüt¬ 
telt unter Verschluß des Glases mit der 
Fingerkuppe durch dreimaliges Auf- und 
Abwärtsneigen unter Vermeidung von 
Schaumbildung um, wiederholt dies nach 
zehn Minuten und läßt eine halbe Stunde 
bei Zimmertemperatur stehen. Handelte 
es sich um ein Normalserum, so ist der 
gebildete Niederschlag in Lösung ge¬ 
gangen und es resultiert eine wasserklare 
oder durchsichtige opaleszierende Flüssig¬ 
keit. Handelte es sich um ein Luesserum 
(floride Lues) oder Lues mit positiver 
Wassermannschen Reaktion, so bleibt 
eine deutliche feinflockige weiße Trübung 
bestehen. Läßt man nun zwei bis drei 
Stunden, besser zwölf Stunden, weiter 
stehen, so bleiben die Normalsera völlig 
klar und durchsichtig und setzen keinen 
oder nur eine Spur Bodensatz ab, während, 
sich bei den Luesseren die flockige Trü¬ 
bung zu einer je nach der Stärke des be¬ 
treffenden Serums größeren oder kleineren 
gelatinösen und ungemein charakteristi¬ 
schen Kuppe niederschlägt. 

Vergleichsuntersuchungen mit der ur¬ 
sprünglichen Wassermannschen Reaktion 
zeigten Bruck die Brauchbarkeit seiner 
Methode, die er zur weiteren Nachprüfung 
empfiehlt. Dünner. 

(M. m. W. 1917, Nr. 1.) 

Dub bespricht d e Heilung psycho¬ 
gener Taubheit (Taubstummheit). 
Handelt es sich' um eine Taubheit und 
Stummheit zugleich, so beseitigt er zu¬ 
nächst die Taubheit. Zu diesem Befunde 
wird dem Patienten auf eine Tafel ge¬ 
schrieben, daß er zunächst sein Gehör 
wieder erhalte und danach erst die 
Sprache. Hierauf wird er ih ein dunkles 
Zimmer geführt, dort werden ihm noch 
die Augen verbunden, die Brille wird 
ganz fest angezogen, daß das Gefühl eines 
Eisenreifens um den Kopf entsteht. Hier¬ 
auf mache man sich wieder Licht. Da¬ 
nach geht D-ub mit zwei Ohrenkathetern 
(Nr. 2 oder 3) durch die beiden unteren 


Gegenwart 1917. 75 


Nasengänge nach der Mündung der Tuba 
Eustachii. Die Katheter werden mittels 
einer Schnur auf dem Kopfe befestigt, sie 
können auch mit der Hand gehalten wer¬ 
den. Nun wird der eine Pol an die Endeh 
der beiden Katheter und der andere ab¬ 
wechselnd an den Processus mastoideus 
geführt und der faradische Strom durch¬ 
gelassen; dieser kann ganz mild sein. Das 
Gehör kehrt oft bei der ersten Anwendung 
zurück. Wenn nicht, lasse man den Strom 
mehrfach durchgehen, stets aber nur mit 
Unterbrechung, Er braucht jedesmal 
nur den Bruchteil einer Minute zu wirken. 
Nachdem der Patient hört, was sich 
schon vor dem Fragen durch alle mög¬ 
lichen Gebärden äußert, geht Dub zum 
zweiten Teile über. Er nimmt die Ka¬ 
theter heraus, die Augen bleiben weiter 
verbunden. Nun führt er eine Ventrikel- 
sonde, die an ihrem unteren Ende ein 
Schwämmchen trägt, das angefeuchtet 
und mit 5 Tropfen Tinct. amar. acid. ver¬ 
sehen ist, durch den Ösophagus in den 
Ventrikel ein, dann setzt er die beiden 
Pole links und rechts vom Larynx außen 
an und läßt, genau wie bei den Kathetern, 
den faradischen Strom durch. Hierbei 
muß der Patient zunächst den Vokal „a“ 
intonieren und dann einen ganzen Satz 
hersagen. Nunmehr kommt er noch 
24 Stunden in ein Dunkelzimmer zu Bett. 
Zur weiteren Hebung des Gemütslebens 
behält Verfasser die Patienten noch wei¬ 
tere vier Wochen in seiner Beobachtung 
und beschäftigt sie mit Leseübungen. Sie 
sind auch gute Vorbereiter für neu ein¬ 
treffende Kranke. Die vorbeschriebene 
Methode kann man nun in der verschie¬ 
densten Weise modifizieren, dies lehrt 
die Übung, wie überhaupt die Erfahrung 
die größte Sicherheit und den schnellen 
Blick gibt, wie man gerade den vorliegen¬ 
den Fall am besten anfaßt. Gleichzeitig 
heilt Verfasser mit dieser Methode jahre¬ 
lang zurückliegendes Stottern. Dünner. 

(D. m. W. 1916, Nr. 52.) 


Therapeutischer Meinungsaustausch. 

Aus der Professor v. Bardelebenschen Klinik und Poliklinik für Frauenleiden zu Berlin. 

Unsere Erfahrungen mit Vesicaesan. 

Von Dr. Johannes Trebing. 

Dr. Jordan 3 :) weist.in seinem inter- i der und bemerkenswerter Weise auf ein 
essanten Referate über Versuche mit ver- altbekanntes Harndesinfiziens, die Folia 
schiedenen Harnantisepticis in gebühren- • uvae, ursi, hin, welches eine Zeitlang zu- 

~) The Science Com. of the Brit. med. Ass. i g unsten der neu aufgekommenen chemi- 
Raport on urinary antiseptics. 1 sehen Harnantiseptica weniger verordnet 

10 « 



76 


Februar 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


wurde, jetzt aber dank seiner Vorzüge j 
anderen Harnmitteln gegenüber wieder 
in weitestem. Maße mit bestem Erfolge 
angewandt wird. Auch wir erzielten in 
zirka zwei Jahren mit der Darreichung 
von Präparaten der Folia uvae ursi in 
Form der „Vesicaesanpillen“ bei Erkran¬ 
kungen der Nieren, Harnblase und Harn¬ 
röhre die besten Resultate. Daß die Folia 
uvae ursi zu unseren ältesten Heilmitteln 
gehört, erhellt schon daraus, daß sie bei 
allen Erkrankungen der Harnwege, Nie¬ 
reneiterungen, Harngrieß, akuten und 
chronischen Blasenerkrankungen, bei 
Harnröhrenfluß, Weißfluß usw. seit lan¬ 
gem in Anwendung war, aber den neueren 
chemischen Harnantisepticis und Des- 
infizientien Platz machen mußte, weil 
diese neueren Mittel sich leicht einnehmen 
ließen, wogegen bei der Darreichung der 
Folia uvae ursi in Form eines Dekoktes 
erstens die große Menge, welche zur Be¬ 
handlung notwendig war, zweitens der 
recht unangenehme Geschmack eine län¬ 
gere Behandlung sehr erschwerten. 

Beim Hexamethylentetramin (Urotro¬ 
pin) und seinen Derivaten wissen wir, daß 
es an sich nicht antiseptisch wirkt, son¬ 
dern nur durch Bildung von Formaldehyd 
im Harne; diese findet aber nur in s a u r e m 
Harne statt, je saurer der Harn, um so 
stärker die Wirkung, im alkalischen Harne 
ist eine Wirkung nicht festzustellen. Auch 
die Derivate des Hexamethylentetramin: 
Helmitol, Hetralin, Cystopurin usw. ver¬ 
halten sich nach Jordan nicht anders; 
er hält es für noch unerwiesen, daß Hel¬ 
mitol in alkalischem Harne Formaldehyd 
abspaltet und glaubt auch nicht, daß 
Formaldehyd im alkalischen Harne sich 
lange halten würde. Nach seinen Ver¬ 
suchen ist Helmitol im alkalischen Harn 
ebenso unwirksam wie Urotropin. Hexal, 
ein Kombinationspräparat aus Hexa¬ 
methylentetramin und Sulfosalicylsäure, 
hat vor dem Hexamethylentetramin nur 
den Vorzug einer rascheren Wirkungs¬ 
weise, wirkt analgetisch und ist angeneh¬ 
mer zu nehmen als Urotropin (Otto A. 
Kowanitz, W. kl. W. 1913, Bd. 1). Vom 
Oleum Santali ist es bekannt, daß es als 
Harnantisepticum nicht in Betracht 
kommt, aber trotzdem ist es in der Be¬ 
handlung der Gonorrhöe weit verbreitet; 
eine gewisse Wachstumshemmung zeigt 
es auf Staphylokokken, wie es auch sonst 
im alkalischen Harne dem Urotropin über- , 
legen ist. Vom Santyl ist nur zu sagen, j 
daß es schwächer wirkt als Oleum San- ; 
tali, daß man aber dafür eine größere i 


Menge geben kann und der Geschmack 
angenehmer ist. 

Über Salicylsäure und Benzoesäure 
ist zu sägen, daß sie zwar antiseptische 
Wirkung besitzen, welche aber im al¬ 
kalischen Harne versagt. Die Borsäure, 
mehrmal täglich 1 g per os gegeben, gilt 
als ein gutes Harnantisepticum; jedoch 
wird eine längere Anwendung häufig durch 
J üble Nebenerscheinungen von seiten des 
j Magens und Darmes gestört. Trotz aller 
, Vorzüge und Vereinfachungen der neuen 
.Harnantiseptica glaubten wir in vielen 
unserer Versuchsfälle der Verordnung der 
Folia uvae ursi in der neuen Form der 
, Vesicaesanpillen wieder mehr Beachtung 
! schenken zu müssen, und zwar in den 
I Fällen, wo es in erster Linie darauf an- 
| kam, mit neueren Mitteln jegliche Neben- 
j Wirkungen sowohl auf den Digestions¬ 
apparat, als auch auf das uropoetische 
■ System fernzuhalten. Schon oben ist er- 
, wähnt, daß die Vesicaesanpillen keine 
Nebenwirkungen und Übelstände her- 
vorrufen, wie wir sie bei Verordnung der 
Folia uvae ursi in alter Form so häufig 
auftreten sehen. ’ Bekannt ist von den 
Bärentraubenblättern ihre diuretische und 
antiseptische Wirkung. Im Jahre 1853 
stellte Kavallier in den Foliae urae ursi 
ein krystallinisches Glykosid, das Arbu¬ 
tin, fest, welches in den Blättern zu 3 bis 
4% enthalten ist. Da sich das Arbutin 
als ein kräftiges Diureticum erwies, schrieb 
man ihm natürlich die Wirkung der Droge 
zu. Im Körper spaltet es sich in Hydro¬ 
chinon und Glykose; Hydrochinon wirkt 
bekanntlich als Desinfiziens und ist die 
Wirksamkeit zwei- bis dreimal so stark 
als bei Karbolsäure. Natürlich nahm 
i man gleich an, daß in der desinfizieren- 
| den Wirkung der Droge und vornehmlich 
' des Arbutins das wirksame Prinzip zu 
; suchen sei und wurde deshalb das Arbutin 
; selbst als gutes Harnantisepticum emp- 
5 fohlen (Levin 0,2—0,5 mehrmals täg¬ 
lich). Da die Ansichten über die Wirk- 
, samkeit des Arbutins in der Behandlung 
l von Blasenerkrankungen usw. auseinander 
! gehen, hat Jordan Versuche angestellt 
; zur Feststellung der Wirkung des Arbu- 
! tins im Vergleiche zu den Foliae uvae 
| ursi und nahm hierzu die Bärentrauben- 
I blätter in Form der Vesicaesanpillen. 
Diese interessanten Vergleichsversuche 
verdienen näher beschrieben zu werden. 
Von den Vesicaesanpillen gab Jordan 
täglich bis zu sieben Stück. Es zeigte 
sich, daß Vesicaesan eine deutliche diure¬ 
tische Wirkung erzielte, wie auch wir sie 




Februar Diö Therapie der Gegenwart 1917. 77 


in unseren klinischen Versuchen fast jedes¬ 
mal feststellen konnten. Die .Zersetzung 
der einzelnen Harnproben dauerte vier 
bis sieben Tage, bis sie ammoniakalisch 
wurden, ging also sehr langsam vor sich. 
Alkalische Harnproben wurden in 48 Stun¬ 
den ammoniakalisch, also doppelt so lang 
als normal. Versuchsorganismen (Bac- 
terium coli) in den Vesicaesanharn ge¬ 
bracht, wuchsen in saurem nur mäßig, 
im alkalischen schlecht. Jordan hält 
demnach die Vesicaesanpillen (Folia uvae 
ursi) als ein den Salicylaten gleichwertiges 
Harnantisepticum, das in seiner Wirkung 
auf Bacterium coli im alkalischen Harne 
auch der Borsäure gleichkommt; ganz be¬ 
sonders wertvoll hält er die Pilulae Vesi- 
caesani, wenn der Harn in der Blase am- 
moniakalischer Formentwirkung ausge¬ 
setzt ist. Seine Vergleichsversuche mit 
Arbutin ergaben, daß .die diuretische Wir¬ 
kung eine weit stärkere war, als bei den 
Dekokten aus der Folia uvae ursi; auch 
war die Zeit bis zur Zersetzung des Ver¬ 
suchsharnes etwas länger; dagegen aber 
wuchsen Bacterium coli mit .großer Ge¬ 
schwindigkeit. Ob nun das Arbutin das 
wirksame Prinzip der Foliae uvae ursi ist, 
wenigstens was die antiseptische Wirkung 
betrifft, kann aus diesen Versuchen nicht 
mit Sicherheit geschlossen werden; wenig¬ 
stens spielen hierbei die in den Bären¬ 
traubenblättern enthaltenen ätherischen 
Öle unter anderen auch wesentliche Men¬ 
gen Gerbstoffe eine gewisse Rolle. Also 
ist in erster Linie das Arbutin als Diureti- 
cum zu betrachten, kommt aber als Er¬ 
satz für die Droge nicht in Frage. C. E. 
Vorster (Derm. Zbl. Bd. 14, Nr. 5) be- 
.tont daher mit Recht, das jetzige Be¬ 
streben, von Einzelbestandteilen, denen 
man die Wirkung zuschrieb, wieder auf 
die Gesamtdroge beziehungsweise deren 
Gesamtbestandteile zurückzugreifen“, und 
so sind auch in den Vesicaesanpillen sämt¬ 
liche Extraktstoffe der Folia uvae ursi 
durch eine fraktionierte Extraktion un- 
zersetzt enthalten. Die Pilulae Vesicae- 
sani bilden also auf Grund des Verfahrens 
einen vollwertigen Ersatz für die Folia 
uvae ursi in Form der alten Dekokte; in 
diesem Präparate sind sämtliche Extrak¬ 
tiv- und flüchtigen Stoffe in stark kon¬ 
zentrierter und einer für die Darreichung 
äußerst angenehmen und einfachen Form 
enthalten. Daß nur frische oder frisch¬ 
getrocknete Blätter der Uvae ursi zur Ge¬ 
winnung des Extraktes gebraucht werden, 
um die größte Wirksamkeit zu erzielen, 
soll nur nebenbei erwähnt werden. Der 


i hauptsächlichste Übelstand bei der Her- 
| Stellung des alten Dekoktes aus Folia 
: uvae ursi lag in der schwierigen Beschaf- 
; fung stets frisch getrockneter Blätter, 

: weil diese bei längerem Lagern den bal- 
! satirischen Geruch und hiermit die äthe- 
j rischen Öle verlieren und ferner letztere 
! beim Kochen der Blätter wegen ihres bei 
! 50 0 liegenden Siedepunktes sich ver- 
| flüchteten. Die beste Darreichungsform 
| für Vesicaesan ist die Pillenform; täglich 
! werden drei- bis viermal drei bis vier 
| Pillen verabreicht. 

| Unsere klinischen Resultate decken 
! sich ganz mit denen von C. E. Vorster 
(siehe oben) und J. Sfakianakis aus 
' der Prof. Nage Ischen Klinik. (Med. 

Kl in. 1917, Nr. 17). Ersterer hatte mit 
' Vesicaesanpillen in allen Fällen die 
überraschendsten Erfolge, insbesondere 
bei ganz chronischen Fällen und in allen 
Fällen akuter und chronischer Gonorrhöe; 
zumal in den Fällen, in denen es sich um 
; eine Anterior handelte, blieb die Gonor- 
| rhöe fast ohne Ausnahme auf die An- 
! terior beschränkt und bei einer Posterior 
| kam' es nie zu stärkeren Reizerscheinungen. 

| Wie andere stellten auch wir fest, daß 
i durch die Pilulae Vesicaesani nie irgend- 
I welche schädigende Nebenwirkungen des 
! uropoetischen Systems auftraten, ob- 
' wohl jedesmal die Wirksamkeit des Mit- 
, tels einwandfrei festgestellt wurde. Nach 
; J. Sfakianakis zeigte sich der thera- 
| peutische Effekt vielfach schon nach 
■ einem kurzen Gebrauche von weniger 
i als 50 Pillen. Was unsere eigenen Fälle 
j anbetrifft, so gaben wir Vesicaesan in 
! allen Fällen und bei allen Formen von 
; Cystitis; als Nachbehandlung nach gynä- 
| kologischen Operationen zur Verhütung 
j von Blasen- und besonders aufsteigenden 
I Infektionen der Harnorgane halten wir 
| die Darreichung dieser Pilten als wichtig 
j und empfehlenswert. Irgendwelche Stö- 
! rungen, die auf das Präparat zurückzu- 
| führen sind, haben wir nicht beobachtet; 

I auch fanden wir die obengenannte Dosis 
; als vollkommen ausreichend. In fast allen 
: Fällen konnten wir eine Vermehrung der 
Diurese und Klarwerden des Harnes fest- 
: stellen, desgleichen allmähliche Umwand- 
, lung des alkalischen Harnes im sauren. 

; Oftmals bemerkten wir einen beruhigen- 
, den Einfluß auf die entzündeten Schleim¬ 
häute. Die Pillen wurden stets gern ge- 
! nommen und riefen keinerlei Unbehagen 
, weder im Magen noch im Darme hervor. 

Die Behandelten waren: 

1. Frau, 43 Jahre, vor drei Jahren rechte 





Die Therapie der "Gegenwart 1917. „ Februar 


Niere wegen Eiterung exstirpiert, im Anschluß J 
daran in den letzten Jahren oft trüber Urin, Bla¬ 
senschmerzen, alkalisch reagierend. Cystosko- | 
pisch Blasenschleimhaut gerötet und geschwollen, 
dichte Wölkchen eitrigen Schleimes. 

Behandlung: Neben den üblichen Blasen- 
spülungen viermal täglich vier Vesicaesanpillen. , 
Nach drei Tagen merkliches Nachlassen der Bla¬ 
senbeschwerden, besonders des lästigen Blasen¬ 
druckes ; nach sechs Tagen völliges Aufhören der- 
.selben. Die anfängliche alkalische Reaktion des 
Urins jetzt deutlich sauer und ziemlich geklärt. 
Nach 14 Tagen cystoskopisch nur noch schwache 
Rötung der Blasenschleimhaut. 

2. Frau, 56 Jahre alt, seit Jahren Schmerzen 
in der Blase und Harnträufeln; cystoskopisch: 
Schleimhaut gerötet und geschwollen, besonders 
in der Gegend des Trigonums. 

Behandlung: Täglich Spülungen der Blase 
und dreimal täglich drei bis vier Pillen Vesicaesan. - 
Nach sechs Tagen keine Schmerzen und Stiche 
mehr in der Blasengegend, Urin fast klar; nach 
sechswöchiger Behandlung geheilt entlassen. 

3. Fräulein, 22 Jahre, akute Gonorrhöe, star¬ 
kes Brennen und Stiche beim Wasserlassen, hef¬ 
tiges Schmerz- und Druckgefühl in der Blase; 
starker gelber Ausfluß, Gonokokken positiv. 

Behandlung: Viermal täglich Vesicaesan¬ 
pillen und Behandlung des Ausflusses mit Levuri- 
nose. Die Blasenbeschwerden, besonders das 
lästige Brennen, ließen nach vier Tagen bereits 
nach und verschwanden gänzlich nach acht Tagen. 
Der Fluor wurde durch Levurinose beseitigt., 

4. Fräulein, 24 Jahre alt, leidet an chronischer 
gonorrhoischer Cystitis. Vor mehreren Monaten 
an Gonorrhöe erkrankt, ohne besondere Kompli¬ 
kationen von anderer Seite mit Scheidenspülungen 
behandelt, jetzt noch geringer Fluor und geringe 
Rötung des Muttermundes; klagt jetzt über an¬ 
haltenden Harndrang und Schmerzen in der 
Urethra und Blase. Der Urin ist alkalisch, leicht 
getrübt, zeigt viele Fäden, aber nur wenig Eiter¬ 
körperchen, viel Sediment. 


Behandlung: Dreimal täglich drei bis vier 
Pillen Vesicaesan. Nach vier Tagen deutliche 
•Besserung, nach acht Tagen keine subjektiven 
Symptome mehr, der. Urin klar und von saurer 
Reaktion, deutliche Vermehrung der Harnmenge. 

5. Frau, 28 Jahre - . Nach Corpusexcision des 
graviden Uterus per vaginarh wegen Lungentuber¬ 
kulose Cystitis mit trübem, stinkendem, alkalischem 
Urin; wahrscheinlich Aufflackern einer schon frü¬ 
her bestandenen chronischen Cystitis. - Die frü¬ 
heren Behandlungen mit Urotropin und Hexal 

j brachten keinen positiven Erfolg, jetzt nach Dar- 
! reichung von Vesicaesan schon in fünf Tagen Ver- 
! schwinden der Beschwerden und Klärung des 
Urins mit normaler Reaktion. 

6. Alte Frau, 74 Jahre, heftiger Urindrang 
! und Schmerzen und Brennen beim Wasser- 
! lassen. Patientin muß nachts oft des Urin-. 
| dranges wegen aufstehen; Kapazität der Blase 
! zirka 100 ccm. 

i . Behandlung: Tägliche Dehnungen der Blase 
durch Spülungen und viermal täglich drei Pillen 
Vesicaesan. Nach acht Tagen wesentliche Besse¬ 
rung und Kapazität 150 ccm; nach 14 Tagen keine 
Beschwerden mehr und Kapazität 350 ccm; nach 
j fünf Wochen als geheilt entlassen. 

Natürlich würde es zu weit führen, 

! alle Fälle im einzelnen anführen zu wollen, 
i Wie Vorster, Sfakianakis und andere 
! haben auch wir bei allen Fällen akuter 
: und chronischer Gonorrhöe Vesicaesan 
! mit bestem Erfolge angewandt. Nicht 
1 zu unterschätzen ist es, daß bei der Ver¬ 
wendung von Vesicaesanpillen Reiz¬ 
erscheinungen irgendwelcher Art so gut 
: wie ausgeschlossen sind; sie sind, also da 
; empfehlenswert, wo wir dauernd ein un- 
! schädliches, aber tadellos wirksames Harn- 
antisepticum anzuwenden gezwungen sind. 


Schwerste Larynxstenose 
in zwei Fällen durch, Suprarenin beseitigt. 

Von Di\ Riebes-Hachenburg. 


Rp. Zinc. sulf. . 0,01 

Coc. mur. . . . . . 0,1 

Suprarenin (Sol. 1:1000) 3,0 
Aqu . dest. ..... 10,0 

Diese der Axenfeldschen ähnliche 
Mischung verwende ich bei Schwellung 
und Rötung der Bindehaut selbst in den 
schwersten Fällen mit dem Erfolge fast 
augenblicklichen Abblassens und Ab- 
schwelleiis der Conjunctiva. Obwohl die 
gefäßverengernde Wirkung des Suprare- 
nins und seiner Verwandten längst allge¬ 
mein bekannt ist und nur bei einem der 
Isomere des synthetischen Präparates aus¬ 
bleibt, hat man nicht daran gedacht, es 
bei der Zuschwellung der kaum lidspalten¬ 
großen Stimmritze zu versuchen. 

Ich selbst habe bei lebensgefährlicher 
Stimmritzenverengerung fast immer den 
Luftröhrenschnitt ausgeführt, noch im 


Jahre 1915 viermal, dreimal wegen di- 
phtheritischer Larynxstenose, einmal we¬ 
gen Laryngitis acuta stridula mit begin¬ 
nender Erstickung. 

Aus dem letzten seltenen Grunde hatte 
ich schon im Jahre 1908 einmal eine Tra¬ 
cheotomie gemacht. 

Im Jahre 1916 waren die Diphtherie¬ 
fälle meiner Praxis alle noch vor der Er¬ 
stickungsgefahr in Behandlung gekom¬ 
men bis auf einen zweijährigen Knaben 
mit fortgeschrittener Larynxdiphtherie, 
bei dem ich einen Kollegen zuzog. 

Ich spritzte sofort 1500 E des Heil¬ 
serums unter die Haut und ließ das Kind 
ins Krankenhaus schaffen. 

Tiefe inspiratorische Einziehungen in 
den Schlüsselbeingruben, dem Jugulum, 
den Intercostalräumen und dem Hypo¬ 
gastrium, lauter,, hoher Stridor, starke 




Februar Die Therapie det* Gegenwart 1917. 79 


Cyanpse und ein mit Somnolenz abwech- ! 
selndes, stürmisch aufbegehrendes Toben i 
ließen den Luftröhrenschnitt unvermeid- j 
lieh erscheinen. Mein Consiliarius hielt j 
aber auch diesen für zu spät, weil die*! 
diphtheritischen Prozesse anscheinend tief j 
in den Bronchialbaum hinabgestiegen 
waren. Seine einzige Hoffnung basierte 
auf der Nachwirkung des Serums. ; 

Ehe .diese eintreten konnte — zwei bis. | 
drei Stunden nach der Injektion — kam ; 
mir der Gedanke, den qualvollen Zustand ! 
durch laryngeale Anwendung der anfangs i 
erwähnten Augentropfen, die ich zufällig | 
bei mit trug, zum mindesten zu lindern, j 

Ich dachte dabei nicht nur an eine : 
Abschwellung des Aditus ad laryngem, 
sondern auch an die Euphorie, die das 
verschluckte Cocain hervorruft. 

Das Mittel mit dem Kehlkopfpinsel 
lokal zu applizieren, hielt ich für unprak¬ 
tisch, denn dabei ist Blutandrang nach 
dem Kopfe, Steigerung des Erstickungs¬ 
gefühls und Verstaubung des infektiösen 
Materials durch Hustenstöße nicht zu 
vermeiden. So blieb nur der andere Weg 
der Einbringung übrig, die Einträufelung 
durch die Nase. 

Der kleine Patient lag schon, wie ich 
ihn haben wollte, auf dem Rücken, den j 
Hinterkopf weit hinter den oberen Rand j 
der Kopfkissen zurückgelehnt und ließ es j 
sich willig gefallen, daß ich seine Stirn mit | 
meinem linken Kleinfingerballen fixierte, j 
seine Nasenspitze mit meinem linken I 
Daumen anhob und ihm mit der Tropf- ' 
pipette fünf Tropfen ins rechte Nasenloch 
träufelte. Der Stridor wiederholte sich 
unmittelbar darauf dreimal in etwas kür- : 
zeren Pausen — reflektorische Respira- 
tionsbeschleunigung — und dann trat eine 
Schluckbewegung ein. Da nach Ablauf 
von zwei Minuten keine wesentliche Besse- ! 
rung Platz griff, träufelte ich ins linke 
Nasenloch ebenfalls fünf Tropfen der Lö¬ 
sung. Die Schluckbewegung erfolgte jetzt 
erheblich später als das erstemal. 

Das Suprarenin mußte also länger mit 
den Schleimhautfalten der Regio inter- 
arytaenoidea in Berührung geblieben sein 
und Zeit gehabt haben, sich an diesen ent¬ 
lang zwischen die geschwollenen Stimm¬ 
bänder hineinzuziehen. Trotzdem war zu¬ 
nächst noch kein Erfolg bemerkbar. Erst 
nach weiteren drei bis vier Minuten nahm 
man eine Änderung wahr: Der Stridor 
wechselte seine Tonhöhe und wurde merk¬ 
lich tiefer, mehr stertorähnlich, um nach 
wenigen Stunden ganz zu verschwinden. 
Die Atemzüge vertieften sich deutlich, 


die Dyspnöe wich. Die Cocainkomponente 
entfaltete auch sehr bald ihre interne Wir¬ 
kung. Wenigstens führe ich es auf sie 
zurück, daß nach der zweiten Instillatiori 
keine schwere motorische Unruhe mehr 
auftrat. Von da ab besserte sich das Bild 
von Stunde zu Stunde. Nach 24 Stunden 
war jede Lebensgefahr vorüber. 

Es ist schwer zu entscheiden, ob die der 
Serumwirkung vorauseilende Besserung 
hier hauptsächlich in einer Linderung der 
subjektiven Atemnot besteht oder ob, wie 
ich annehme, das Suprarenin sich unter 
die Membranen hinunter auf der Schleim¬ 
haut entlang verbreitet und so ein Zurück¬ 
sinken der Membranen nach beiden Seiten 
und ein Breiterwerden der Stimmritze ver¬ 
anlaßt. Jedenfalls ist das Verfahren es 
| wert, immer wieder in so verzweifelten 
i Fällen versucht zu werden, in denen der 
Luftröhrenschnitt als zu spät erachtet 
werden muß. Denn das Suprarenin hat 
zum mindesten die schwerste Stenose zu 
einer Zeit beseitigt, wo an eine Serum¬ 
wirkung noch nicht zu denken war. 

Während hier die Seruminjektion die 
Vorbedingung für die Instillation bildete, 
erwies sich in einem anderen Falle meiner 
Praxis .die Suprareninbehandlung allein 
als ausreichend zur Beseitigung einer 
akuten Larynxstenose. Es handelt sich 
um einen fünfjährigen,, sehr kräftigen, 
nicht rachitischen Knaben, der ganz plötz¬ 
lich an einem Winternachmittag erkrankt 
war. Ich fand ihn im Bette. Er warf sich 
unruhig hin und her und bot das Bild der 
Laryngitis stridula acutissima mit be¬ 
ginnender Erstickung, das heißt fast den¬ 
selben Zustand, wie der zweijährige erst¬ 
erwähnte Patient, nur ohne Fieber und 
ohne Membranen. Da mir bei der dring¬ 
lichen Bestellung gesagt worden war, der 
Patient könne ,,keine Luft kriegen“, hatte 
ich außer dem Serum und meinem Intuba- 
torium die Suprarenintropfen mitgenom¬ 
men. Der Kehlkopfspiegelbefund ergab 
starke Rötung und Schwellung der Stimm¬ 
bänder, der Regio interarytaenoidea und 
der Epiglottis, Indikation genug für eine 
sofort ausgeführte Instillation von sechs 
Tropfen in jedes Nasenloch im Zeit¬ 
abstande von zwei bis drei Minuten. Dies¬ 
mal brauchte ich kaum fünf Minuten zu- 
warten, bis sich die Wirkung zeigte: 

Der Stridor verschwand fast augen¬ 
blicklich, um nicht mehr wiederzukehren. 
An den nächsten beiden Tagen besuchte 
ich den kleinen Genesenen wieder. Es 
blieb auch jede Spur eines Rückfalles aus. 

Die larynxstenosenbeseitigende Wir- 





8U Die Therapie der Gegenwart. 1017. Februar 



kung des Suprarenin steht somit'. außer > Mischungen bei Bronchialasthma bekannt" 
Zweifel, und es empfiehlt sich seine An- lieh pernasal gute Dienste tun. 

Wendung in ähnlichen Fällen. Ob die Wenn ich noch hinzufüge, wie eine 
Spur von Zinksulfat, die ich beibehalten . unverdünnte käufliche Suprareninlösung 
habe, ebensogut wegbleiben kann, ist eine — 20 Tropfen —- mittels weichen Kathe¬ 
nebensächliche Frage. Ich möchte die ters einmal in die entleerte Blase einge¬ 
leicht adstringierende und desinfizierende bracht, bei einem alten Prostatiker mit 
Wirkung dieses Bestandteiles nicht ent- fieberhafter Prostatitis die vier Wochen 
behren. Statt des Cocains ist Novocain, : lang aufgehobene Fähigkeit spontanen 
statt des Wassers physiologische Kochsalz- ! Urinierens dauernd wiederherstellte, so 
lösung bei Säuglingen zu bevorzugen. Bei- bedarf es kaum einer weiteren Empfehlung 
läufig erinnere ich daran, daß ähnliche des Suprarenins als Antistenoticum. 

Laneps in der Therapie des Ulcus und Ekzema cruris. 

Von Dr. Kahr-Nürnberg, Facharzt für Beinleiden. 

Der seit längerer Zeit sich fühlbar ; Monaten Laneps verwendet, das sich 
machende Mangel an Ölen und Fetten wegen seiner absoluten Reizlosigkeit und 
bringt es mit sich, daß an Stelle der ! Geschmeidigkeit für die Ekzemtherapie 
sonst üblichen Salbengrundlagen, wie besonders gut eignet. Laneps ist eine aus 
Vaseline, Lanolin, Eucerin usw., nur noch hochmolekularen, kondensierten Kohlen- 
^Ersatzprodukte zu haben sind, die aus Wasserstoffen hergesteilte Salbengrund- 
Gemischen von Paraffin mit Vaselinöl läge, vollkommen geruchlos, geschmeidig 
und Lanolin bestehen. Die Qualität dieser und von guter Deckkraft. Es nimmt bis 
Salben, die unter verschiedener Be- zu 50% Wasser auf, unter Zusatz von 
Zeichnung gehandelt werden, läßt zum 10 bis 20% Lanolin anhydr. selbst bis zu 
Teil sehr zu wünschen übrig, da sie infolge 100% und eignet sich dadurch besonders 
der Verwendung von ungereinigtem Va- gut zur Herstellung von Kühlsalben aller 
selinöl stark nach Petroleum riechen und, Art. Auch zu Decksglben und dicken 
wie Prof. Oppenheim (W. kl. W. 1916, Pasten läßt sich Laneps gut verarbeiten. 
Nr. 41) kürzlich schon erwähnte, vielfach Laneps stellt den besten Wundheil¬ 
reizen. . mittein an Heilkraft und entzündungs- 

Eine einwandfreie neue Salbengrund- widrigen Eigenschaften nicht nach und, 
läge lernte ich in dem kürzlich von den da ihm klebende Substanzen fehlen, wo- 
- Farbenfabriken vorm. Friedr.-Bayer & Co., durch ein leichter, schmerzloser Verband- 
Leverkusen, eingeführten Laneps ken- . Wechsel erzielt wird, trägt es wesentlich 
neu, das ich seit Monaten mit bestem zur Heilung des Ulcus, beziehungsweise 
Erfolge bei Ulcera und Ekzema cruris an- des Ekzema cruris bei. Schöne Erfolge 
wende. habe ich damit auch bei Erfrierungen, 

Bekanntlich sind alle Ulcera cruris Verbrennungen, Furunkeln und Phieg- 
meist luetischer oder varicöser Natur, monen im abh'eilenden Stadium gesehen 
Uber die zweckmäßigste Behandlung der und geradezu hervorragende bei Urti- 
Ulcera habe ich mich schon in einer frü- caria. Bei diesen juckenden Zuständen, 
heren Arbeit (Ärztl. Rdsch. 1912, Nr. 16) wie Urticaria, Pruritus, genügt Laneps 
geäußert und will ergänzend nur noch be- zum Teil schon für sich ohne Zusatz von 
merken, daß ich mich seit langem zur Zinkoxyd und Teerpräparaten. Bei aus- 
Reinigung eitrig belegter, schmerzhafter gedehnten Entzündungszuständen ver¬ 
wunden eines Streupulvers von Cyclo- wende ich Lanepssalben mit 50% Liqu. 
form mit Kohle (Rec. Cycloform 10,0, alum. acet. oder 4% Borlösung. 

Carbo animal 90,0) mit gutem Resultat Bei Rhagadenbildung der Hand leistet 
bediene. Laneps etwa das gleiche wie Glycerin, 

Schwieriger noch wie die Behandlung doch empfehle ich, Laneps ziemlich dick 
des eigentlichen Ulcus ist vielfach die auftragen zu lassen. Die Heranziehung 
Therapie des Ekzema cruris, wie es in sub- : von Glycerin zu kosmetischen Zwecken 
akuter und chronischer Form häufig am sollte bei den knappen Vorräten des Pro- 
varicösen Unterschenkel vorkommt. duktes ebenso untersagt werden wie der 

Bei sämtlichen fünf Stadien des akuten Gebrauch von Lanolin, zumal Laneps für 
Ekzems sowie bei chronischem Ekzem Herstellung von Handsalben, Toiletten- 
speziel! der pustulösen Form habe ich seit creme, Ungt. leniens durchaus geeignet ist. 

Fiir die Redaktion verantwortlich Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer in Berlin. Verlag von Urb an & Schwarzenberg 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., in Berlin W8. 





Zur Ausfuhr zugelassen ! 

Sanitätsamt «f. mih Institute . 

Nr. 1274 . Z. 


Die Therapie der Gegenwart 


herausgegeben von 

68. Jahrgang Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 

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März 1917 


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Die Therapie der Gegenwart erscheint zu Anfang jedes Monats. Abonnementspreis für den 
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Die Therapie der Gegenwart 


1917 


herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 
in Berlin. 


März 


Nachdruck verboten. ' 

Über den Arthritismus des Klimakteriums und seine Behandlung. 

Von Prof. Dr. H. Rosin-Berlin. 


Aus der Mannigfaltigkeit der krank¬ 
haften Erscheinungen im Bereiche des Be¬ 
wegungsapparates heben sich'die chroni¬ 
schen Gelenkstörungen ätiologisch 
scharf ab, von. denen die Frauen zur 
Zeit des Klimakteriums oder kurz 
vor oder nach ihm heimgesucht wer¬ 
den. 

Das klinische Bild der chronischen 
Arthritismen ist trotz der Häufigkeit der 
Erkrankung bekanntlich ein recht un¬ 
vollkommenes. . Nicht einmal die Eintei¬ 
lung konnte bisher scharf und nach ein¬ 
heitlichen Gesichtspunkten durchgeführt 
werden. Da das anatomische und histo¬ 
logische Bild oft das gleiche ist, auch 
wenn ätiologisch und klinisch ganz ver¬ 
schiedenartige Erkrankungen vorliegen, 
so ist man nur bei gewissen Formen der 
anatomischen Einteilung treu geblieben, 
andere, ja die Mehrzahl hat man ätio¬ 
logisch zu fassen gesucht. So unterscheidet 
man zwar eine Arthritis deformans von 
anderen Gelenkerkrankungen, legt aber 
vielfach auch Gewicht auf die „rheu¬ 
matische”, infektiöse und vor allem auf 
die gichtische Grundlage. 

Besonders die Gicht hat sich nicht 
nur einen ersten Platz in der Ätiologie 
der Arthritismen erobert, sondern auch 
in der Neuzeit behauptet. Autoren von 
Bedeutung sind durch reifliche Erwä¬ 
gungen dazu geführt worden, die harn¬ 
saure Diathese über die Gelenkerkran¬ 
kungen hinaus auch für jene zweifelhaften 
Neuralgien und Myalgien verantwortlich 
zu machen, denen wir so häufig im mitt¬ 
leren und vorgerückten Lebensalter be¬ 
gegnen. 

Wie dem auch sein mag, schärfer um¬ 
grenzt und sui generis im. Vergleich zu 
manch anderen unklaren Gelenkerkran¬ 
kungen tritt die klimakterische 
Arthritis der Frauen hervor. 

Gehen wir etwas näher auf das Bild 
dieser Erkrankung ein. Jeder erfahrene 
Praktiker kennt die Klagen des weib¬ 
lichen Geschlechtes über Schmerzen, 
Vertaubungsempfindungen, Krib¬ 
beln, Spannung und Schwerbeweg¬ 
lichkeit, besonders in den Händen und 
hier speziell in den Fi n ge r n, in geringerem 


Grade auch in den Füßen und Zehen, 
die bei den Frauen zumeist in den 
fünfziger Jahren beginnen und dann 
Jahre lang fortdauern. Hin und wieder 
treten die Beschwerden früher ein. Auf¬ 
fallend ist es, daß die Kastration die Be¬ 
schwerden verfrüht, ebenso ein frühzei¬ 
tiges Klimakterium. Bemerkenswert ist 
ferner, daß gerade mit der Menopause 
bei den meisten die Beschwerden ein- 
setzen. Doch nicht ganz selten entwickeln 
sich die Parästhesien erst ein Jahr oder 
ein paar Jahre nach der Cession der 
Menses. Oft genug kommen sie auch schon 
in den vierziger Jahren vor, nicht ganz 
selten auch noch bei voll bestehender 
Menstruation. 

Den Gefühlsstörungen liegt ein ana¬ 
tomisches Substrat zugrunde. Einiger¬ 
maßen ausgebildete Fälle zeigen deutlich 
Schwellungen und Deformitäten 
in den Gelenken der Finger, der Zehen, 
zuweilen auch in Mittelhand, Mitteifuß 
und in Handwurzel und Fußwurzel. Ab 
und zu verirrt sich Schmerz und Verän¬ 
derung auch auf die Kniegelenke -oder 
gar auf die Schultern. Man studiert diese 
anatomischen Veränderungen am besten 
an den Fingergelenken. Es zeigt sich 
dort mit bloßem Auge sichtbar oft jene 
eigen t ü mli che knötch enförmige De¬ 
formation, die zuerst Heberden be¬ 
schrieben hat, eine meist symmetrisc.he 
Anschwellung oder Verdickung zu 
beiden Seiten des Fingergelenkes zwischen 
zweiter und erster Phalanx, oder auch 
zwischen dritter und zweiter, die bei 
Bewegungen und auch auf Druck schmerzt, 
am distalen Ende der entsprechenden 
Phalanx sitzt ,und, wie Röntgenbilder 
zeigen, vom Knochen resp. Periost ihren 
Ausgang nimmt, aber auch die Gelenk¬ 
kapsel, die sich darüber spannt, durch 
Verdickung beteiligt. 

Die Parästhesien und der Erkran¬ 
kungsprozeß beschränken sich aber nicht 
nur auf die bezeichneten Gelenke. Bei 
der Mehrzahl der Fälle sind auch die 
Sehnenscheiden der Finger und Zehen, 
besonders diejenigen der Fingerstrecker 
beteiligt. Die Patienten klagen über 
Empfindlichkeit in diesen Gebieten 

ll 





82 


Die Therapie der 


beim Bewegen der Finger. Sie empfinden 
auch eine Schwerbeweglichkeit beim 
Spiele der Finger, namentlich bei feineren 
Bewegungen. Ganz besonders wenn die 
Hand geruht hat, z. B. morgens nach dem 
Schlafen, ist die Klammheit der Finger 
ganz hervorstechend. An den Füßen treten 
die Beschwerden weniger stark hervor, 
vielleicht schon deshalb, weil ihre Inan¬ 
spruchnahme im allgemeinen eine gröbere 
ist. 

Endlich finden sich auch Erscheinun¬ 
gen gestörter Circulation in den 
Fingerspitzen als fast nie fehlende Be¬ 
gleiterscheinung und damit verbunden 
Gefühlsherabsetzungen und Vertaubun¬ 
gen, die also mit den Dysästhesien in den 
Gelenken und Sehnenscheiden nicht 
identisch, ihnen vielmehr nur gleichartig 
sind. Man sieht in solchen Fällen ge¬ 
wöhnlich die Nagelkuppe des Fingers 
leicht angeschwollen, die Oberfläche glatt 
und glänzend, meist blaß, hin und wieder 
auch umgekehrt gerötet. Die Prüfung des 
Gefühls ergibt freilich keine gröberen 
Störungen. Höchstens, daß das Tastge¬ 
fühl, z. B. bei Berührung mit dem Pinsel, 
herabgesetzt ist. Aber die Patienten 
selbst empfinden deutlich, daß sie z. B. 
beim Nähen weniger fein fühlen. Sie 
geben ferner an, daß alles nach längerer 
Ruhe der Hand viel stärker her¬ 
vortritt. In sehr ausgebildeten Fällen 
sieht man zuweilen an der Fingerspitze 
kleine Risse, die recht empfindlich sind. 
Auffallend ist auch, daß die Nägel in 
einer großen Zahl der Fälle trophische 
Störungen zeigen, sie werden rissig, 
fleckig und der Nagelfalz schrumpft. 

Durch die Erkrankung werden viele 
Frauen, die beruflich tätig sind, 
sehr behindert und gestört und zwar alle 
diejenigen, die auf feines Arbeiten der 
Hände angewiesen sind. Klavier- und 
Handarbeitslehrerinnen, Arbeiterinnen im 
feinmechanischen Betriebe, Näherinnen 
und Stickerinnen stehen hier an erster 
Stelle. Schließlich aber wird auch jede 
arbeitende Hausfrau durch das Leiden 
in ihrer Tätigkeit beeinträchtigt. Alle 
geben an, daß es des morgens um sie am 
schlimmsten steht, daß das Kribbeln, die 
Klammheit, die Vertaubung und die 
Schmerzen hier am stärksten sich zeigen 
und daß sie im Laufe des Tages ganz all¬ 
mählich etwas Besserung bekommen, je 
mehr Gelenke und Sehnenscheiden in 
Bewegung gesetzt sind, die Circulation 
also verbessert ist. 

Größer als die Zahl der ausgesproche¬ 


* Gegenwart 1917. - , ' Mä rz 


nen Fälle sind leichte Formen, bei denen 
nur über etwas Vertaubung und Klamm¬ 
heit des morgens geklagt wird, wohl auch 
über einzelne schmerzende Heberdem- 
sche Knötchen in den Gelenken, ohne daß 
aber der Prozeß weitere Fortschritte 
macht. 

Im Winter sind die Beschwerden regel¬ 
mäßig stärker als im Sommer, weil kalte 
Hände sie stärker empfinden lassen. 

Die Erkrankung kann nach oft jahre¬ 
langen Beschwerden sich bessern, bei 
der leichteren Form auch völlig ver¬ 
schwinden. Sehr oft bestehen aber die 
Beschwerden, nachdem sie einmal zur 
Entfaltung gekommen sind, dauernd, 
jahrzehntelang bis ins hohe Alter mit 
Remissionen und Exacerbationen, je 
nachdem therapeutische Maßnahmen ge¬ 
troffen wurden oder nicht. 

Schwere Formen der Gelenkde¬ 
formitäten schließen sich nicht 
an die Krankheit an. Sie bleibt im 
allgemeinen dauernd so, wie geschildrte. 
Es soll damit nicht gesagt sein daß die 
Arthritis deformans auch einmal zu solchen 
Fällen hinzutritt. Aber sie baut sich nicht 
auf ihr auf, gleichsam auf einem initialen 
Stadium, das die genannte Krankheit 
repräsentiert. 

Es kann nicht stark genug betont 
werden, daß Männer in der Norm 
niemals in der genannten Weise er¬ 
kranken. Ausnahmen bestätigen hier 
nur die Regel. In den seltenen Fällen, 
in denen ähnliches bei den Männern vor¬ 
kommt, mag eine ^feminine Grundlage 
vorhanden sein. Übrigens finden sich 
bei der chronischen Gicht der Männer 
ähnliche Zustände, die aber doch auch 
wiederum von jenen zu unterscheiden sind. 

Fragen wir uns, wie sollen wir diese 
klimaterischen Arthritismen der Frauen 
pathogenetisch deuten, so müssen wir 
sie mit dem im Klimakterium .auf¬ 
tretenden allgemeinen Abbau, mit 
der Neigung zur Atrophie, die sehr 
leicht in Dystrophie übergehen kann, 
in Einklang setzen. Es besteht für mich 
kein Zweifel, daß hier als Teilerscheinung 
der klimakterischen Involution ein atro¬ 
phisch-dystrophischer Prozeß an den 
distalen Körperenden vorliegt, aus dem 
heraus das ganze Bild klar sich ent¬ 
wickeln läßt. Damit ist eine Ähn¬ 
lichkeit mit der deformierenden 
Gelenkentzündung gegeben. Nur 
ist der Prozeß nicht so intensiv. 
Auch hier liegt offenbar eine sekre¬ 
torische Untüchtigkeit, eine Trocken- 



März 


Die Therapie der 


heit der Synovia, ein Rauhwerden des 
Knorpels, ein Eintrocknen der Sehnen¬ 
scheiden vor, diese atrophischen Zu¬ 
stände erzeugen durch sekundären Reiz 
Wucherungen an den Epiphysen, an den 
Bändern und Gelenkkapseln, führen zu 
Verklebungen in den Sehnenscheiden und 
zu Schwerbeweglichkeiten in den ent¬ 
sprechenden Apparaten. Die trophisehe 
Störung erstreckt sich aber nicht nur 
gerade auf die Gelenke und Sehnen¬ 
scheiden, sie macht sich auch in der 
Blutversorgung an den'äußersten 
Enden geltend, an Nägeln und Finger¬ 
kuppen, und bewirkt die geschilderten 
Zustände. Die Raynaudsche Krankheit 
ist nur ein ausgesprochener Grad jener 
angedeuteten Dystrophien. 

Es erscheint In hoh£m Grade notwen¬ 
dig, die Erkrankung auf s schärfste von 
der chronischen Gicht zu unter¬ 
scheiden. Denn solange ihre Symptome 
den Ärzten bekannt sind, so lange ist sie 
auch von vielen Seiten auf gichtische 
Grundlage zurückgeführt worden 1 ). Es 
seien daher die Gründe angegeben, welche 
die Selbständigkeit der Krankheit und 
ihre Unterscheidung von der Gicht be¬ 
weisen. Zunächst sei festgestellt, daß eine 
große Anzahl von Untersuchungen auf 
Harnsäurevermehrung im Blute 
bei purinfreier Kost, die ich vor mehreren 
Jahren habe vornehmen lassen, stets 
negativ ausgefallen sind. Dazu kommt, 
daß solche Patienten niemals einen 
akuten Gichtanfall haben. Aber auch 
die chronische Gicht, soweit sie ohne 
akute Anfälle rein chronisch verläuft, hat 
ihren Sitz weniger in den letzten Phalan- 
gealgelenken, als vielmehr in den ersten 
und zweiten, geht mit viel stärkerer peri- 
artikulärer Schwellung einher- bis zur 
spindelförmigen Auftreibung und führt 
schließlich auch zu einer viel erheb¬ 
licheren Deformation. Bei der chro¬ 
nischen Gicht bleibt ferner eine 
akute Exacerbation, ein kleiner 
Anfall nie ganz aus mit seiner akuten, 
heftigen Schwellung, Temperatursteige¬ 
rung usw. Vor allem aber ist der Umstand, 
daß das männliche Geschlecht in 
der Regel an dem beschriebenen 
S y m p t o m e n k o m p 1 e x nicht er¬ 
krankt, von ausschlaggebender Be¬ 
deutung. Weshalb sollte die Frau des 
mittleren Lebensalters um die Zeit des 

2 ) Vgl. besonders Bäumlers klassisches 
Referat über den chronischen Gelenkrheumatis¬ 
mus auf dem Kongress f. innere Medizin zu Wies¬ 
baden 1897. 


Gegenwart 1917. 83 


Klimakteriums gerade zur Gicht besonders 
disponiert sein und zwar zu einer lediglich 
chronisch verlaufenden, während der 
Mann, der an Gicht so ungemein viel 
häufiger leidet als die Frau, von einer 
Erkrankungsform, wie die vorliegende, 
befreit bleibt. 

Das Leiden ist viel eher verwandt 
mit der deformierenden Gelenk¬ 
entzündung. Auch von ihr ist stati¬ 
stisch nachgewiesen, daß das weibliche 
Geschlecht im mittleren Lebensalter weit 
häufiger daran laboriert als die Männer. 
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, 
daß die Pathogenese die gleiche ist. 
Denn auch hier beginnt der Prozeß der 
Deformation am liebsten in den distalen 
Gelenkenden, ist nur sehr viel intensiver in 
den einzelnen Gelenken und ergreift auch 
vielmehr Gelenke, um schließlich auf 
fast den gesamten Bewegungsapparat 
überzugehen. Auch hier denkt niemand 
an die harnsaure Diathese als Ursache. 
Man nimmt bekanntlich eine frophische 
Störung an und ist höchstens im Zweifel 
über ihren peripheren bzw. centralen Sitz. 
Deshalb ist unsere Erkrankung auch von 
manchen nicht zur Gicht, sondern zur 
Arthritis deformans gezählt worden. Ich 
möchte für ihre ätiologische und 
klinische Selbständigkeit hiermit 
eintreten. Wir haben eben alle Veran¬ 
lassung, hier eine specifische Erkrankung 
des weiblichen Geschlechtes, eine klimak¬ 
terische Arthritis auf atrophischer resp. 
dystrophischer Basis anzunehmen. 

Ich wende mich nunmehr der Be¬ 
handlung zu. 

Eine vielfach übliche Methode ist die 
Entziehung der Purinkörper, d. h. 
die Darreichung einer Diät, wie sie gegen 
Gicht angewendet wird. Daß sie theo¬ 
retisch, wie aus dem vorstehenden erhellt, 
völlig unangebracht ist, erscheint mir 
sicher. Aber auch praktisch bewährt sie 
sich nicht. Es ist nicht nützlich, die oft 
blassen, unterernährten, nervösen, oft 
auch deprimierten Frauen einem Regime 
zu unterwerfen, das keineswegs eine kon¬ 
stitutionelle Kräftigung bringt. Es ist 
vielmehr jede specifische Diätform zu ver¬ 
werfen und im Gegenteil nur auf Kräfti¬ 
gung zu halten. 

Nutzlos sind auch alle Medikamente, 
die als Lösungsmittel der Harn¬ 
säure oder als rasche Entferner der¬ 
selben aus dem Stoffwechsel mit mehr 
oder weniger guten Gründen empfohlen 
worden sind. Hierher gehören die Lithium 

ll* 


84 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


März 


enthaltenden Mittel, die Kolchicumprä- 
parate, Atophan und Acitrin, Uricedin 
und die Gichtwässer wie Salzschlirf er, 
Aßmannshäuser, Salzbrunner Kronen¬ 
quelle usw. Sie sind alle zwecklos und 
haben praktisch nicht den geringsten 
Nutzen. Rationeller ist ein Versuch mit 
Arsen- und Jodkuren, doch sind wesent¬ 
liche Erfolge nicht zu verzeichnen. Die. 
Antirheumatica mit ihrer schmerz¬ 
stillenden Wirkung stiften manchmal vor¬ 
übergehend einen geringen Nutzen; 
solange sie gegeben werden, sind die Ge- 
fühlsstörpngen in den Gelenken, Sehnen¬ 
scheiden und Fingerkuppen oft milder. 
Vielfach nehmen deshalb die Patientinnen 
Aspirin und andere Salicylpräparate, Pyra- 
midon und sonstige Antipyrinderivate, 
aber ohne irgendwelchen Dauererfolg. 

Die Neigung zur Involution, zur Dy¬ 
strophie läßt sich an sich nicht beein¬ 
flussen. Versuche mit Darreichung 
von Ovarintabletten verschiedener 
Herstellung mögen immerhin gemacht 
werden. Doch habe ich keinen beson¬ 
deren Nutzen in einigen damit be¬ 
handelten Fällen wahrgenommen. 

Wohl aber kann man mit physi¬ 
kalischer Therapie versuchen, die 
Beschwerden zu mildern, manche Ver¬ 
änderungen wieder rückgängig zu machen 
und Fortschritte aufzuhalten. Es gelingt 
dies hier leichter als bei der eigentlichen 
Arthritis deformans. 

An der Spitze der Behandlung steht 
die aktive und passive Bewegungs¬ 
therapie. Der Umstand, daß die Be¬ 
schwerden nach längerer Ruhe der Ge¬ 
lenke am Morgen am schlimmsten sind, 
weist schon darauf hin, daß die mecha¬ 
nische Einwirkung der Bewegung 
günstigere Bedingungen schafft; 
offenbar ist die Ernährung der Gelenk¬ 
knorpel, Gelenkkapseln, Sehnenscheiden, 
Nagelglieder durch besseren Lymph- und 
Blutzufluß eine günstigere. Man empfiehlt 
deshalb tägliche Massage der Hände 
u n d Fi n ger,ferner a kt i ve B e wegu n gen 
in Form jener Greifgymnastik, wie sie 
auch bei gelähmten Gliedern eingeführt 
ist. Um feinere Störungen auszugleichen, 
die sich beim Nähen, Klavierspielen so 
ungünstig geltend machen, läßt man ge¬ 
rade auch in der Bewegung eine Fein¬ 
mechanik betreiben. Beides, die Massage 
in Verbindung mit der Bewegung, pflegt 
nach einer sechs bis acht Wochen sorg¬ 
fältig durchgeführten Kur deutliche Er¬ 
folge zu zeitigen. Es ist nur bedauerlich, 
daß solche Kuren immer aufs neue und 


oft jahrelang durchgeführt werden müssen, 
weil durch lange Zeit, gerade in den fünf¬ 
ziger Jahren, die Neigung zum Rückfälle 
besteht. Die Behandlung erfordert daher 
viel Ausdauer und Geduld. Von Nutzen 
ist ferner die Wärmebehandlung. Die 
Prinzipien und Gründe dafür sind die 
gleichen, wie sie einst August Bier für 
die Heißluftbehandlung überhaupt fest¬ 
gestellt hat; die vermehrte Blutzufuhr, 
die verbesserte Durchtränkung der Ge¬ 
webe, der erhöhte .Stoffwechsel bringen 
Stillstand und Besserung. Am geeignesten 
sind Zufuhren trockener Hitze, wie 
sie jene einfach konstruierten Heißluft¬ 
kästen ermöglichen; Temperaturen bis 
zu 100° C werden hier gut ertragen, wenn 
genügend Ventilation zur Abfuhr der 
Feuchtigkeit vorhanden ist. Auch im 
Glüh lichtbade erweist sich die Zufuhr 
der Hitze von Nutzen in ähnlicher Wei'se. 
Wenig Wert hat die Anwendung des 
Phönapparates, weil die Einwirkung zu 
kurz und vorübergehend ist. 

Man kann die Heißluftkur abwechseln 
oder unterbrechen durch heiße Bäder 
der Hände (und Füße). Sie müssen 
recht warm genommen werden, so warm 
als sie vertragen werden (ca. 36—40° R), 
der Zusatz einer großen Hand voll Salz 
oder Kamille oder von Fichtennadel¬ 
extrakt ist üblich. 

Von Vorteil sind ferner feuchte Ver¬ 
bände, regelrecht angelegt, die die Pa¬ 
tienten nachts über um Finger und Hände 
tragen sollen. Von manchen wird der 
milde Reiz des Ichthyols gerühmt, 
das konzentriert oder in zehnprozentiger 
Salbe ebenfalls nachts zu applizieren ist, 
während eine Behandlung mit Jodtinktur 
nicht durchführbar ist, weil sie wegen der 
Chronizität des Verlaufes und durch zu 
lange Dauer die Haut, auch in vorsichtig¬ 
ster Weise angewendet, allzusehr reizen 
würde. Dagegen ist eine Kombination von 
Ichthyol mit hydropathischen Umschlägen 
durchaus nützlich. 

Vorteilhaft wirken ferner allgemeine 
Bäder. Die praktische Erfahrung, daß 
auf einzelnen Gelenken lokalisierte Pro¬ 
zesse durch allgemeine baineologische 
Maßnahmen therapeutisch beeinflußt 
werden können, bewährt sich auch hier. 
Soolbäder und Schwefelbäder, letztere 
ganz besonders, sowie Moor, Schlamm- 
und Fangobäder sind von Nutzen. Ich 
nenne hier nur die Soolbäder Berchtes¬ 
gaden, Dürrheim, Hall, Harzburg, Kosen, 
Suderode, Aussee, Reichenhall, Kreuz¬ 
nach, Münster a. Stein, Salzuflen, Kissin- 





jMärz Die Therapie der Gegenwart 1917. 85 


gen, die warmen Soolqueilen von 
Baden Baden, Wiesbaden, Nauheim und 
Oeynhausen. Hier gibt es überall auch 
.Moorbäder. Es kommen dazu einige 
Stahlmoorbäder, wie Altheide, Ku- 
dowa, Elster, Franzensbad, Marienbad, 
.Schwalbach. Unter den Schwefel¬ 
quellen seien Eilsen, Nenndorf, Weil- 
.baeh, Aachen, Landeck, Trenszin-Teplitz 
und vor allem Pistyan genannt. Als 
lieißes San db a d wird Köstritz empfohlen. 

Auch die Wildbäder sind zu raten, 
wie Wildbad, Badenweiler, Gastein, Jo¬ 
hannisbad, Schlangenbad und ganz beson¬ 
ders. Warmbrunn und Teplitz in Böhmen. 

Neben den genannten Kuren in Bade¬ 
orten sind auch Bäder zu Hause oder in 
Heilanstalten anzuwenden. Es handelt 
sich um dieselben Arten von Bädern, wie 
sie in den Kurorten in natürlicher Weise 
genommen werden, also um Sool-, 
Schwefel-, Fangobäder oder um sonstige 
Bäder, die mit einem schlechten Wärme¬ 
leiter beschwert sind, # wie z. B. Lohe. 

Die Temperaturen der einzelnen Bade- 
prpzeduren sollen möglichst hoch sein. 
Doch muß aufs sorgfältigste der Zustand 
des Herzens geprüft werden, der bei 
klimakterischen Frauen bekanntlich oft 
genug kein günstiger ist. Liegen Zeichen 
von Herzmuskelerkrankung oder Arterio¬ 


sklerose vor, so wird man entweder die 
Vollbäder ganz beiseite lassen oder nur 
solche geben, die gleichzeitig dem Herzen 
nützlich oder wenigstens nicht schädlich 
sind, nämlich die Bäder von Nauheim, 
Oeynhausen, Orb, Kissingen und Marien¬ 
bad. 

Fassen wir den Inhalt des vorstehenden 
zusammen, so ist darin die Behauptung 
aufgestellt, daß es Gelenkaffektionen 
gibt, die ihre Pathogenese 'im klimakte¬ 
rischen Abbau haben, die auf Ernährungs¬ 
störungen, Atrophie und Dystrophie in 
den schlechter ernährten Teilen des Be¬ 
wegungsapparates, namentlich in seinen 
distalen Enden, beruhen, eine typische 
Erkrankung des weiblichen Geschlechtes 
sind und niemals zu hochgradigen Gelenk¬ 
deformitäten wie die Arthritis deformans 
führen. Sie sind scharf von der Gicht 
zu unterscheiden, sollten nicht mit Gicht¬ 
diät geplagt werden, bedürfen vielmehr 
einer roborierenden Diät und einer sehr, 
lange durchgeführten, immer wieder er¬ 
neuten Behandlung mit physikalisch¬ 
diätetischen Maßnahmen. Der Prozeß 
ist hin und wieder der Heilung zugäng¬ 
lich, jedoch nicht immer. Man kann 
zuweilen nur anstreben, ihn zu bessern 
und die Gelenke einigermaßen funk¬ 
tionsfähig zu erhalten. 


Neurogene und psychogene Dyspepsien als Kriegswirkungen. 

Von Professor Dr. A. Albu, Berlin. 


Erst nach dem Kriege, vielleicht erst 
viele Jahre danach werden wir in vollem 
Umfange erkennen, in wie hohem Maße 
dieser Krieg Menschenkräfte verbraucht 
hat. Die Anzeichen dafür sind ja reich¬ 
lich vorhanden. Bei vielen Kriegsteil¬ 
nehmern, die von kräftigster, unverwüst¬ 
licher Konstitution erschienen, haben wir 
Erkrankungen gesehen, die in den 
einzelnen Fällen nach Art, Ausgangs- und 
Angriffspunkt einen sehr verschieden¬ 
artigen Eindruck macht, ln vielen Fällen 
haben Herz und Gefäßsystem den 
großen Anstrengungen nicht stand¬ 
gehalten. Aber noch viel häufiger ist die 
Erkrankung durch eine Erschütterung 
des Nervensystems und des-Seelenlebens. 
Das Bild der Kriegsneurose ist so bekannt, 
daß neue Züge ihm kaum noch hinzuge¬ 
fügt werden können. Aus den Erfahrun¬ 
gen der Friedens-Pathologie kennen wir 
zur Genüge den charakteristischen Ablauf 
derartiger Erschütterungen, daß auf den 
Erregungs- und Reizzustand eine läh¬ 
mungsartige Erschöpfung folgt. Vielfach 


hat sich eine derartige Wirkung nur auf 
ein Organ des Körpers hauptsächlich oder 
sogar ausschließlich entladen, z. B. das 
Herz. Über die dadurch hervorgerufene 
Kriegsneurose des Herzens gibt es bereits 
eine sehr umfangreiche Literatur. Da¬ 
gegen ist meines Wissens bisher weniger 
und noch nicht Genügendes bekannt ge¬ 
worden über ähnliche Einwirkungen auf 
die Organe des Verdauungsapparates. 
Im Laufe der verflossenen 2% Kriegsjahre 
habe ich in den meiner Leitung unter¬ 
stellten Lazarettabteilungen, sowie in 
der Privatpraxis eine große Zahl von 
Magen- und Darmneurosen zu beobachten 
Gelegenheit gehabt, die bei nachweis¬ 
lichem Fehlen aller organischen Grund¬ 
lagen. lediglich als Folgen der psychi¬ 
schen Einwirkung der Kriegserlebnisse 
zu deuten sind. 

Das Krankheitsbild der ,,intestinalen 
Kriegsneurose“ — sit venia verbo — 
weicht von dem in Friedenszeiten beob¬ 
achteten Symptomenkomplex in keiner 
Weise ab. Es ist dasselbe bunte. Chaos 




86 Die Therapie der 


so daß es überhaupt nicht möglich ist, 
einen einheitlichen oder überhaupt be¬ 
stimmten Typus der Syndrome als -pa- 
' thognomonisch zu bezeichnen. Vielleicht 
ist das einzige Charakteristische gerade 
die ungemein wechselvolle Scenerie dieses 
Symptomenkomplexes. In der Mehrzahl 
der Fälle steht der Magen im Vorder¬ 
gründe, aber nicht selten beherrscht auch 
der Darm, z: B. durch unstillbare Diar¬ 
rhöen, die Lage. Meist sind die örtlichen 
liehen Krankheitserscheinungen verge¬ 
sellschaftet mit allerlei Beschwerden all¬ 
gemeiner Natur, die von Tag zu Tag, sogar 
von Stunde zu Stunde wechseln, gelegent¬ 
lich von einem Organ auf das andere über¬ 
springen und das Allgemeinbefinden mehr 
oder weniger stark in Mitleidenschaft 
ziehen. Die Mehrzahl der Kranken 
macht den ausgesprochenen Eindruck 
von Neurasthenikern, viele sogar den 
von Hysterikern. Gegenüber der großen 
Menge der nervösen Verdauungsstörungen 
trat die Zahl der organischen Erkran¬ 
kungen des Digestionsapparates in meiner 
Beobachtung durchaus in den Hinter¬ 
grund. Auffallend groß ist darunter 
die Zahl derjenigen, die überhaupt nicht 
an der Front waren, sondern im Etappen¬ 
oder sogar nur im Heimatsgebiete und 
zuweilen nur mehrere Monate oder gar 
nur Wochen im Militärdienste tätig ge¬ 
wesen waren. 

Viel häufiger als in Friedenszeiten 
machten die Kranken einen derartigen 
Eindruck, daß man weniger von einer 
Magenneurose als von einer Magenpsy¬ 
chose zu sprechen geneigt sein kann. 

Das, was man gewöhnlich als „nervöse 
Dyspepsie“ bezeichnet, ist ja ein mixtum 
compositum aus Motilitäts-, Sekretions¬ 
und Sensibilitätsneurosen, in dem bald 
der eine bald der andere dieser Bestand¬ 
teile überwiegt. Selbstverständlich wur¬ 
den alle zur Behandlung kommenden 
Fälle zunächst auf das etwaige Vorliegen 
einer organischen Erkrankung des Ver¬ 
dauungskanals sorgfältig geprüft durch 
genaueste klinische Beobachtung, che¬ 
mische und mikroskopische Magen¬ 
inhalts- und Faeces-Analyse und Röntgen¬ 
untersuchung, so daß die Diagnose einer 
nervösen Verdauungsstörung immer nur 
per exclusionem gemacht wurde. 

Der subjektive Symptomenkomplex 
ist ja ein von Fall zu Fall außerordentlich 
wechselnder: unbestimmtes Gefühl des 
Unbehagens in der Magengegend oder im 
ganzen Leibe, Stiche bald hier bald dort, 
Druck-, Völle- oder Spannungsgefühl in 


Gegenwart 1917. März: 


der Magengrube, häufig in unmittelbarem 
Anschluß an die Mahlzeiten, zuweilen 
erst eine halbe bis eine Stunde danach, 
ebenso oft aber auch unabhängig von jeder 
Nahrungsaufnahme, selbst nüchtern oder 
fast ununterbrochen den ganzen Tag an¬ 
haltend, Appetitlosigkeit, Luftaufstoßen,. 
saures Aufstoßen, Sodbrennen, Übelkeit,, 
schlechter oder pappiger Geschmack im 
Munde, Brennen auf der Zunge, Fremd¬ 
körpergefühl im Rachen, Zusammenlaufen 
von Flüssigkeit im Munde, Speichelfluß, 
Erbrechen von Schleim und Speichel,, 
nicht selten auch von Nahrung kürzere 
oder längere Zeit nach den Mahlzeiten 
oft unregelmässig auftretend, zuw;eilen 
unstillbar. Bemerkenswert ist, daß die 
Kranken trotzdem häufig nicht abmagern 
und sich schnell wieder erholen. 

Dazu gesellen sich oft allgemeine 
Symptome, wie Unruhe, leichte Erregbar¬ 
keit, Kopfschmerzen, Zittern, Schlaflosig¬ 
keit, Mattigkeit, leichte Erschöpfung und 
dergleichen mehr.- 

Wenngleich viele der erwähnten -lo¬ 
kalen Symptome auch häufig bei organi¬ 
schen Magenerkrankungen Vorkommen,, 
so erkennt doch der auf diesem Gebiet 
Erfahrene zumeist schon aus der Art der 
Kombination der Symptome und ins¬ 
besondere der Art, wie sie immer wieder 
vorgetragen werden, den nervösen be¬ 
ziehungsweise psychischen Charakter des 
Leidens. 

In der überwiegenden Zahl der Fälle 
ergibt die objektive Untersuchung nach 
keiner Richtung irgendeine Abweichung 
von pathologischer Bedeutung. In einer 
Minderheit von Fällen finden sich ge¬ 
wisse funktionelle Störungen, welche die 
Beschwerden der Kranken wenigstens, 
teilweise zu erklären vermögen: eine 
Atonie mit Hypersecretio, Hyperchlor- 
hydrie und Hyperacidität, häufiger findet 
sich vorwiegend Hypersecretio mit ge¬ 
ringer oder ganz fehlender Beeinträchti¬ 
gung der Motilität; seltener ist die Atonie 
mit Hyp- oder Anacidität, in anderen 
Fällen findet sich das vollkommene Gegen¬ 
stück: die Achylia gastrica mit Hyper- 
motilität, gelegentlich auch Hyp- oder 
Anaciditas ohne wesentliche Motilitäts¬ 
störung. 

Gerade die letztgenannten Funktions¬ 
anomalien des Magens sind es, welche 
häufig mit andauernden Diarrhöen ein¬ 
hergehen, die jeder medikamentösen und 
therapeutischen Beeinflussung überhaupt 
trotzen. Sie bilden einen Teil der soge¬ 
nannten nervösen Diarrhöen, die ohne 




März Die Therapie der 


alle Anzeichen .von Dünn- oder Dick¬ 
darmkatarrh bestehen, zuweilen sich erst 
sekundär auf solche aufpfropfen Und die 
Krankheitsszene lange Zeit beherrschen, 
während die objektiven Erscheinungen 
des Katarrhs ganz in den Hintergrund 
treten oder gar schon geschwunden sind. 
So sah ich auch wiederholt solche nur 
noch rein nervöse Diarrhöen als Nach¬ 
krankheit von im Felde erworbener oder 
überstandener Dysenterie und Pseudo¬ 
dysenterie (während die überwiegende 
Mehrzahl der nach diesen Erkrankungen 
zurückbleibenden Durchfälle auf einer 
Colitis catarrhalis beziehungsweise ulce¬ 
rosa beruht). Gerade die Anacidität des 
Magens als Folgeerscheinung voran- 
gegängener Ruhrerkrankung kommt recht 
häufig vor und bietet dadurch offenbar 
die Veranlassung zur Auslösung funktio¬ 
neller Darmstörungen. 

In diesem bunten Chaos der Symptome 
ist das am meisten charakteristische und 
.wichtigste die Unmöglichkeit, sie thera¬ 
peutisch zu beeinflussen: Bettruhe,zweck¬ 
entsprechende Regelung der Diät, hydro- 
pathische Einpackungen, Massage, fara- 
discher oder galvanischer Strom, Dia¬ 
thermie und Medikamente verschiedenster 
Art erweisen sich beim Gros dieser Fälle 
als wirkungslos. Auch die Suggestion und 
sonstige Psychotherapie pflegt wohl häufig 
für einige Zeit Besserung zu bringen, aber 
keinen dauernden Erfolg. Auch Wechsel 
des Lazaretts, ambulante Behandlung, so¬ 
gar Aufenthalt in Genesungsheimen und 
Kurorten haben oft nicht mehr als vorüber¬ 
gehende Linderung der Beschwerden er¬ 
zielt, der ohne jede erkennbare Ursache 
der Rückfall auf dem Fuße folgte, so 
daß die Leute nach vielmonatiger 
Dienstunfähigkeit schließlich als dauernd 
unbrauchbar entlassen werden müssen. 
In einer Reihe von Fällen trat der 
Rückfall ein, sobald die Kranken wieder 
ins Feld kämen und all den Ein¬ 
drücken, die sie früher krank gemacht 
haben, von neuem ausgesetzt waren. 
Zahlreichen Kranken dieser Art gegen¬ 
über gewinnt man den Eindruck, daß-ihre 
Krankheit zunächst überhaupt schwer 
heilen wird. 

Wo ist die Ursache dieser hartnäckigen . 
Renitenz dieser nervösen Verdauungs¬ 
störungen zu suchen? Wir kennen dieses 
Krankheitsbild und .seinen Verlauf zur 
Genüge aus Friedenserfahrungen.. Nur 
sehen wir es sonst nicht in solcher Häufig¬ 
keit, und während sich sonst die ursäch¬ 
lichen Momente der Entwickelung solcher 


Gegenwart 1917. 87 

Krankheitszustände oft der ärztlichen 
Erkenntnis entziehen, weil sie in schwierig 
zu übersehenden mißlichen persönlichen 
Verhältnissen irgendwelcher Art wurze.Jn, 
liegt hier ein einheitliches, ursächliches 
Moment klar zutage: der Krieg wirkt 
als psychisches Trauriia. Dabei ist es 
nicht einmal von ausschlaggebender Be¬ 
deutung, ob die Betroffenen den schweren, 
aufreibenden und aufregenden Kriegs¬ 
dienst an der Front gemacht oder weiter 
hinten weniger gefährliche Arbeit aus¬ 
geführt haben. Selbst bei Leuten, die 
nur in der Etappe tätig waren, bei 
Soldaten im Heimatgebiete und sogar 
schon während der Ausbildungszeit in der 
Garnison entstehen solche Krankheits¬ 
zustände unter dem Einflüsse einer ganz 
ungewohnten Lebensarbeit, der entweder 
die körperlichen oder die geistigen Kräfte 
oder beide nicht entsprechen oder nicht 
gewachsen sind. Aber es sind gar nicht 
die an den Mann gestellten Ansprüche 
an sich, welche ihn krank machen, son¬ 
dern die Zwangsvorstellung einer seine 
Kräfte übersteigenden Anspannung! In 
manchen Fällen mögen die Schrecknisse 
und Gefahren, welche der Krieg mit sich 
bringt, eine Rolle spielen, doch ist das 
keineswegs das einzige oder hauptsäch¬ 
lichste Motiv der psychischen Depression, 
der Störung des seelischen Gleichgewichtes. 
Weit häufiger wirkt in so deletärer Weise 
ein ganz allgemeines Unlust gef ühl: Das 
Herausgerissenwerden aus allen gewohnten 
Verhältnissen, aus Familie, Beruf, Lebens¬ 
weise und das Eintreten in eine ganz 
neue, unbekannte Lebenslage! Weniger 
die Angst und Sorge um die eigene Zu¬ 
kunft oder das Schicksal der Familie 
als der ständige Gedanke an Krieg und 
Kriegstätigkeit erzeugt eine seelische Er¬ 
regung, die erst erschütternd, dann läh¬ 
mend wirkt. Schon bei der einheimischen 
Zivilbevölkerung hat man eine solche er¬ 
regende Einwirkung des Kriegsgedankens 
beobachtet; in stärkerem Maße aber ist 
es bei den Kriegsteilnehmern jedweder 
Gruppe zutage getreten. 

Die Zwangsvorstellung lokalisiert und 
konzentriert sich bei diesen Kranken 
auf den Verdauungskanal als den ver¬ 
meintlichen oder wirklichen Locus minoris 
resistentiae, der im Laufe ihres Lebens 
schon manchen Anprall hat über sich 
ergehen lassen müssen. Hier ist die 
Stelle, wo sie sich stets für sterblich oder 
unheilbar halten. 

In der Reihe dieser Kranken lassen 
sich zwei wesensverschiedene Arten 




88 


März 


Die Therapie der 


unterscheiden, zwischen denen es allerdings 
auch Übergänge gibt: einmal die Kriegs¬ 
neurastheniker, bei denen die Krank¬ 
heitserscheinungen als Ausdruck einer 
durch die Kriegstätigkeit erworbenen 
reizbaren Nervenschwäche auftreten. Das 
sind Leute, welche entweder früher ganz 
gesund waren oder im bürgerlichen Leben 
bisher eine ausreichende Widerstands¬ 
fähigkeit gegen die Reizwirkungen des 
Kampfes ums Dasein gezeigt haben und 
bei denen die Kriegsarbeit nur die Ge¬ 
legenheitsursache zum Ausbruch einer 
schlummernden, mehr oder weniger star¬ 
ken- neurasthenischen -Disposition, ab¬ 
gegeben hat, wie es späterhin vielleicht 
irgendein anderes, in das Leben der Be¬ 
treffenden schroff einfallendes Ereignis 
getan hätte. Das ist die Gruppe der Er- 
s c h ö p f u n g s n e u r o s e n, die. übrigens 
auch nicht selten als langdauernde Folge¬ 
erscheinung überstandener Infektions¬ 
krankheiten des Verdauungstractus (Ty¬ 
phus, Ruhr und dergleichen) auf tritt. 

Diese wirklich oder scheinbar er¬ 
worbene Kriegsneurose nimmt häufig, 
wie schon in der Einleitung bemerkt, den 
Charakter der Hysterie an, so daß im 
einzelnen Falle eine scharfe Grenze 
zwischen beiden Zuständen sich nicht 
mehr ziehen läßt. Mancher derartige 
Kranke zeigt das kombinierte Bild der 
Hystero-Neurasthenie, indem sich lokale 
nervöse Symptome von seiten des Magens 
oder Darmes mit .ausgesprochener' all¬ 
gemeiner Hysterie (Zittern, Lähmungen 
und dergleichen) verbinden. Das sieht 
man z. B. öfter nach Verschüttungen. 

Diese Neurastheniker und Hysteriker 
bilden aber die kleinere Zahl gegenüber 
der Gruppe der Psychopathen, bei 
denen sich die dyspeptischen Erschei¬ 
nungen auf dem Boden psychischer De¬ 
generation entwickelt haben 1 ). Wenn es 
auch zuweilen verschwiegen wird, so er¬ 
gibt die Nachforschung in der Regel,, daß 
diese Kranken schon vor dem Kriege, 
bald vorübergehend bald dauernd, solche 
und ähnliche Krankheitserscheinungen 
hatten, wenn auch oft nicht in gleich 
starkem Maße. Mit der ererbten und 
familiären neuropathischen Anlage haben 
en sie sich im labilen Gleichgewichts¬ 
zustände ihres Nerven- und Seelenlebens 
bisher recht und schlecht durchgeschlagen, 
bald hier, bald dort Anstoß nehmend, 

1 ) Eine vorzügliche Schilderung des Krankheits¬ 
bildes, namentlich die Analyse seiner Pathogenese, 
findet sich in der Monographie von H. L. Dreyfus: 
Über nervöse Dyspepsie. Jena 1908. 


Gegenwart 1917. 


zeitweise ihrem Krankheitsgefühle unter¬ 
liegend, dann wieder unter dem Zwange 
des Alltagslebens sich aufraffend, ihrem 
Berufe und ihrer Gewohnheit ohne Stö¬ 
rung nachgehend. Schon die Anforde¬ 
rungen der militärischen Ausbildungszeit 
oder die ersten Wochen des Aufenthaltes 
im Felde pflegen diese Minderwertigen 
umzuwerfen. Während bei den Kriegs¬ 
neurasthenikern oft dauernde oder wenig¬ 
stens längere Zeit anhaltende Erfolge 
durch Lazarettbehandlung erzielt werden 
können, bis neue, erregende Erlebnisse 
im Felde sie häufig wieder rückfällig 
machen, versagt dem Pschopathen gegen¬ 
über regelmäßig jede, auch die beste ärzt¬ 
liche Kunst. Solange der Krieg dauert, 
ist bei ihnen eine Wiederherstellung des 
seelischen Gleichgewichtes nicht mehr zu 
erwarten, weil sie unter der unbewußten 
Zwangsvorstellung der für sie unerträg¬ 
lichen Einwirkung des Krieges oder, 
Militärdienstes stehen. Sie haben zu 
wenig Willensstärke, um einer solchen, 
sie selbst quälenden. Idee zu widerstehen, 
und überlassen sich schlaff und energielos 
ihrer Autosuggestion. Während man 
unter den Magenneurasthenikern auch 
Männer von kräftiger körperlicher Kon¬ 
stitution trifft und darum immer noch 
Aussicht auf eine Restitutio in integrum 
hat, ist die Prognose der psychopathisch 
bedingten Dyspepsie um so ungünstiger 
zu betrachten, wenn sie, wie so häufig in 
solchen Fällen, auch körperlich minder¬ 
wertige Individuen befallt, schlaffe, 
schwach entwickelte und schlecht er¬ 
nährte Personen, bei denen gleichsam 
die fehlende Energie auch die Körper¬ 
kraft schwächt und lähmt und um¬ 
gekehrt. 

In wie hohem Maße eine individuelle 
Psychopathie einenKrankheit auslösenden 
und Krankheit unterhaltenden Einfluß 
ausübt, sei nur an einem einzigen, be¬ 
sonders drastischen Beispiele erwiesen: In 
meine Behandlung trat ein Mann von 
34 Jahren mit dem ausgesprochenen 
Krankheitsbilde der nervösen Dyspepsie, 
kombiniert mit allgemeinen nervösen und 
hysterischen Symptomen, die ihn seit acht 
Monaten schon dienstunfähig gemacht und 
von einem Lazarett ins andere geführt 
hatten. Als Ursache seiner Erkrankung 
gab er folgendes Erlebnis an: Hinter der 
Front habe er eines Tages mit vier Kame¬ 
raden beim Frühstück gesessen, als plötz¬ 
lich etwa 200Meter entfernt Fliegerbomben 
abgeworfen wurden. Während die vier 
anderen mit dem bloßen Schrecken davon- 





89' 


März Die Therapie der Gegenwart 1917. 


gekommen sind, ist er von der Stunde an 
krank gewesen, hat sich mit seinen Be¬ 
schwerden noch drei Wochen lang bei 
seinem Kommando herumgeschleppt, bis 
er schließlich ganz erschöpft zusammen¬ 
gebrochen ist. In einem, so desolaten 
allgemeinen Befinden sah ich ihn noch. 
Diese heftige Nachwirkung eines an sich 
geringfügigen Erlebnisses erweckte, ins¬ 
besondere in Verbindung mit dem all¬ 
gemeinen Eindrücke des Kranken (typische 
Facies neurasthenica! u. a.) den Ver¬ 
dacht tieferliegender Ursachen und ver- 
anlaßte genauere Nachforschungen nach 
dem Vorleben des Kranken. Sie ergaben, 
daß derselbe aus einer psychopathisch 
belasteten Familie stammt und selbst 
schon seit mehr als zehn Jahren wieder¬ 
holt längere Zeit an ähnlichen Magen- und 
allgemeinen Beschwerden gelitten hatte! 

Zum Schlüsse noch einige Bemerkungen 
über die praktische Behandlung solcher 
Kriegsneurosen des Verdauungskanals. 
Sie gestaltet sich zu den schwierigsten und 
undankbarsten Aufgaben des Arztes, be¬ 
sonders im Lazarettdienste. Die auf dem 
Verdauungskanale konzentrierten Be¬ 
schwerden und auch die objektiven Er¬ 
scheinungen seitens desselben erheischen 
unbedingt als den wichtigsten therapeuti¬ 
schen Faktor in erster Reihe stets eine 
diätetische Behandlung. Das läßt sich, 
wenn sie wirksam sein soll, in Lazaretten 
nur durchführen bei Errichtung be¬ 
sonderer Krankenabteilungen mit eigener 
diätetischer Küche. Dem stehen die Ge¬ 
fahr und der Schaden gegenüber, welche 
die Errichtung solcher Sonderabteilungen 
mit sich bringt: die Anhäufung nervöser 
Kranker beieinander wirkt gleichsam an¬ 
steckend durch die gegenseitige Suggestion, 
welche das ewige Anhören der Klagen jedes 
einzelnen Kranken auf den anderen ausübt. 
Das verstärkt dann unbewußt bei ihnen 
die Zwangsvorstellung eines kranken Ver¬ 
dauungsapparates immer mehr. Man tut 
deshalb gut, auf einer solchen Magen¬ 


abteilung die nervösen Kranken in bunter 
Reihe zwischen die organisch Kranken 
zu legen, um jede scheinbare Einförmig¬ 
keit der Auffassung und Behandlung ihrer 
Krankheit zu vermeiden. Gerade der 
nervöse und psychisch Kranke bedarf 
stets, dringend der individuellen Be¬ 
handlung. 

So sehr man sich einerseits davor 
hüten muß, solche Kranke wegen ihrer 
unaufhörlichen Klagen und ihrer un¬ 
bestimmten,’ oft wechselnden Beschwerden 
etwa für simulationsverdächtig zu halten, 
so entschieden muß man andererseits 
einer Übertreibung und Überschätzung 
ihres Leidens seitens der Kranken ent¬ 
gegentreten, insbesondere der' häufigen 
Neigung, die Schuld an ihrer Krankheit 
einzig und allein auf den Kriegs- be¬ 
ziehungsweise Militärdienst zu schieben. 
Wo das Vorleben und die Vorgeschichte 
der Kranken oder das objektive Unter¬ 
suchungsergebnis einen sicheren Anhalts¬ 
punkt für das Vorhandensein einer neur- 
asthenischen oder psychopathischen An¬ 
lage liefern, auf deren Grundlage die 
Kriegserlebnisse nur eine latente Dis¬ 
position zum Ausbruch gebracht haben, 
da soll man meines Erachtens mit der 
Lazarettbehandlung nicht allzu viel Zeit 
verlieren, sondern diese für jeden Kriegs¬ 
und Militärdienst unbrauchbaren Men¬ 
schen möglichst schnell ihrem • bürger¬ 
lichen Berufe zurückgeben, in dem auch 
ihre Psyche wieder in ihren labilen 
Gleichgewichtszustand sich zurückfinden 
wird. Dagegen können Leute mit kräfti¬ 
ger Körperkonstitution, deren Magenneur¬ 
asthenie erst im Felde entstanden oder 
zum erkennbaren Ausbruche gekommen 
ist, nach deren Abheilung unbesorgt 
wieder ins Feld hinausgeschickt werden. 
Ja, ich habe sogar nicht wenige Neur¬ 
astheniker (abgehetzte Großstadtmeh- 
schen und dergleichen mehr) gesehen, die 
ihre nervösen Magenbeschwerden im 
Felde verloren haben. 


Die Behandlung des wolhynischen Fiebers mit Kollargol. 

Von Dr. Erich Richter, zurzeit im Felde. 


Die Mehrzahl der Autoren, die sich 
bisher zur Behandlung des wolhynischen 
Fiebers geäußert haben, stimmt darin 
überein, daß es ein sicher wirkendes Heil¬ 
mittel gegen diese Krankheit nicht gibt. 

Vom Neosalvarsan bzw. Salvarsan wol¬ 
len Brasch und Korbsch gute Erfolge 
gesehen haben; His berichtet über einen 


Fall, bei dem eine Einspritzung von 0,6 g 
Neosalvarsan völlig wirkungslos gewesen 
sei. Werner und Haenssler haben 
vier Fälle mit Neosalvarsan behandelt, 
zwei davon erfolglos. Sachs beobachtete 
bei einem mit Neosalvarsan behandelten 
Falle gute Wirkung, bei zwei weiteren 
Fällen versagte das Mittel. 


12 




*90 


März 


Die Therapie der 


Eine Heilwirkung soll nach Korbsch j 
der Solutio Fowleri zukommen. 

Von weiteren Arzneimitteln sind ver- 
. sucht worden: Chinin, Optochin, Aspirin, 
Antipyrin und Pyramidon, ohne daß 
damit eine wesentliche Beeinflussung des 
Krankheitsverlaufes erzielt worden wäre. 

Die Erfolge, die ich an einem ziemlich 
großen Material mit den letztgenannten 
Mitteln erzielt habe, waren ebenfalls fast 
völlig negativ. Ich habe saalweise syste¬ 
matisch Chinin, Antipyrin • und Pyra¬ 
midon verabreicht und dabei beobachtet, 

. daß das Chinin völlig wirkungslos war. 
Pyramidon und Antipyrin besserten 
manchmal vorübergehend die Kopf- und 
Gliederschmerzen, versagten aber auch 
sehr oft in ihrer schmerzlindernden Wir¬ 
kung vollständig; in vielen Fällen drück¬ 
ten diese Präparate das Fieber herunter 
und hatten dadurch zur Folge, daß die 
Fieberkurve uncharakteristisch wurde. 
Die vielen derartigen Fieberkurven, die 
ich an anderer Stelle 1 ) erwähnt habe, 
führe ich auf die Einwirkung der Antipy- 
retica zurück. 

Im Interesse einer genauen Diagnose¬ 
stellung habe ich auf die Anwendung 
dieser Mittel gänzlich verzichtet und seit 
der Zeit wieder mehr typische Fünftage¬ 
fieber-Kurven beobachtet. 

Auch die Fowlersche Lösung habe 
ich bei einer größeren Anzahl von Kranken 
angewandt, indem ich das Mittel nach der 
üblichen Methode in steigender Tropfen¬ 
zahl längere Zeit verabreichen ließ. Eine 
günstige Einwirkung auf den Krankheits¬ 
zustand habe ich in keiner Beziehung¬ 
feststellen können. 

Das völlige Versagen jeder Therapie 
und .die Hilflosigkeit, zu der man dem 
wolhynischen Fieber gegenüber verdammt 
war, wirkten auf die Dauer unbefriedigend 
und deprimierend. 

Wenn die Krankheit auch niemals 
zum Tode führt und mit der Zeit spontan 
auszuheilen pflegt, so dauert sie doch 
meistens sehr lange und kann durch eine 
Unzahl von Komplikationen, wie Ne¬ 
phritis, Conjunctivitis mit conjunctivalen 
Blutungen, Pneumonie, trockene Pleuritis, 
Tonsillarabscesse, ruhrartige Darmka¬ 
tarrhe schwerster Art, nervösbedingte 
Störungen der Herztätigkeit (hauptsäch¬ 
lich Vagusreizung und -Lähmung), Blasen¬ 
lähmungen, Urintenesmen, Harnträufeln 
usw., das Allgemeinbefinden in schwerster 
Weise beeinträchtigen. Vor allem sind 

*) Erscheint demnächst in der B. kl. W. 


Gegenwart 1917. 


es die nie fehlenden,- von mir zu- 
. erst beschriebenen Rückenmarkssym¬ 
ptome (Neuralgien, Parästhesien und seg-' 
mentär angeordneten hyperästhetischen 
Zonen), die das Leiden für den davon Be¬ 
fallenen so qualvoll machen und die Re¬ 
konvaleszenz so sehr in die Länge ziehen. 

Es dürfte wohl kein Zweifel bestehen, 
daß es .sich beim wolhynischen Fieber um 
eine- parasitäre Blutkrankheit ‘ handelt. 
Dafür spricht die große Ähnlichkeit, die 
das wolhynische Fieber in seinen klinischen 
Erscheinungen mit der tropischen Form 
der Malaria zeigt, dafür sprechen die ge¬ 
glückten Infektionsversuche von Werner 
und Benzler. 

Es lag daher der Gedanke nahe; 
mittels eines BLutdesinfiziens die Erreger 
im Blute selbst zu treffen und in ihrem 
fünftägigen Entwicklungszyklus zu 
stören. 

Da die Wirkung des Neosalvarsans 
unsicher zu sein schien, beschloß ich einen 
Versuch mit Kollargol-Hey den zu 
machen. Über die Erfolge will ich in nach¬ 
stehendem .berichten. 

Bevor ich auf die Versuche selbst ein¬ 
gehe, Einiges über die Methodik: 10 ccm 
einer 1 % igen Kollargollösung (eine 
%%ige erwies sich als zu wenig wirksam) 
wurden in die Vena mediana cubiti ein¬ 
gespritzt. Etwa drei Stunden danach tritt 
regelmäßig ein mehr oder weniger hoher 
Fieberanstieg auf, der gewöhnlich bei der 
ersten Einspritzung am höchsten ist. 
Es ist unbedingt darauf zu achten, daß 
keine Spur der Lösung ins subcutane 
Gewebe gelangt, was starke Schmerzen 
verursacht. Außerdem darf nur eine ganz 
frische, mit frischdestilliertem Wasser 
hergestellte Lösung, die sorgfältig filtriert 
werden muß, benutzt werden. Für streng¬ 
ste Asepsis ist Sorge zu tragen. Ist die 
Lösung nur einen Tag alt, so können sich 
kleine Koagula bilden und die Folge 
davon sind capilläre Thrombosen, die 
schwere Störungen des Allgemeinbefindens 
sofort nach der Einspritzung nach sich 
ziehen:' Blässe, Übelkeit, Erbrechen,. 
Durchfälle und Herzbeschwerden. Der¬ 
artige Zustände habe ich einmal bei drei 
Kranken beobachtet, die nacheinander 
mit einer nicht vollkommen frischen 
Lösung gespritzt worden waren. Alle 
späteren Einspritzungen mit frischbe¬ 
reiteten Lösungen sind ausnahmslos gut 
vertragen worden. 

Zunächst wurden zur Behandlung 
solche Fälle ausgewählt, die seit längerer 
Zeit krank waren, mehr kontinuierlich 





Die Therapie der Gegenwart 1917. 91’ 


fieberten und ständig über Neuralgien 
im Kopfe, im Rücken und in den Gliedern 
klagten. Fälle mit typischer Fünftage- 
fieber-Kurve wären für diese Vorversuche 
nicht geeignet gewesen, denn aus dem 
Ausbleiben, des nächsten Fieberanstieges 
hätte man keine sicheren Schlüsse 
ziehen können, da die Anzahl der Monatst 
Fieberanfälle verschieden ist. Krkhtsta 


zunächst gewisssermaßen ,,gelockert” 
würden, um dann erst unschädlich ge¬ 
macht zu werden. 

Die zweifellos günstige Einwirkung 
des Kollargolsf auf den Krankheitsverlauf 
des wolhynischen Fiebers stand somit 

• Fall 1, 

26.X. 27. 28. 29. 30. 31. l.XI. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 

• 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. .10. 11. 12. 13. 14,15. 16. 17. 


Bei all diesen Fällen war die 
Wirkung ganz eklatant. Während 
■des mehrstündigen Kollargolfiebers 
steigerten sich zunächst ohne Aus-, 
nähme alle vorhandenen, subjek¬ 
tiven, dem wolhynischen Fieber 
eigenen Beschwerden, bzw. traten 
die früher vorhanden gewesenen 
erneut auf: Die Kranken klagten 
über stärkere Kopfschmerzen, über 
stärkeres Reißen in allen peripheren 



Fall 2. 

Monatst.'21 .IX.22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. l.X.2. 3. 4. 5. 6. 7. 


Nervengebieten, der Periostdruck- Krkhtsta £ L 2 - a - 4 - 5 - 6 - "■ a lü - 1L 12 - u. 15 . ig. 17 . 


schmerz an den Schienbeinen war 
in verstärktem Maße vorhanden. 
Über andere -Beschwerden wurde 
nicht geklagt. Am nächsten Morgen 
fühlten sich sämtliche Kranke er¬ 
heblich wohler als vor der Ein¬ 
spritzung; das Fieber war ver¬ 
schwunden. Alle Beschwerden 



hatten nachgelassen. Die Kranken 


aben sämtlich 


spontan an, daß 
infolge der Ein¬ 
spritzung eine 
Besserung ihres 
Zustandes einge¬ 
treten sei. 

Das war bis¬ 
her bei keinem 
der mit anderen 



Mitteln behandel¬ 


ten Kranken der Fall gewesen. 

Nachdem ich diese Tatsache in der 
Folgezeit bei einer größeren Anzahl be¬ 
handelter Fälle immer wieder bestätigt 
gefunden hatte, kam ich zu der Über¬ 
zeugung, daß das Kollargol in specifischer 
Weise' auf den Krankheitserreger ein¬ 
wirkte. Sehr wichtig erschien mir die 
Tatsache, daß die neuralgischen Schmer¬ 
zen zunächst nach der Einspritzung stärker 
auftraten. Der bisher noch unbekannte 
Erreger des wolhynischen Fiebers schä¬ 
digt in besonders hohem Maße den 
sensiblen Teil des Rückenmarks. . Es 
hat nun den Anschein, als ob in diesem 
Gebiet eine, specifische Reaktion auf die 
Kollargolinjektion . einträte, ähnlich wie 
wir sie. von der Salvarsanwirkung bei 
der Lues kennen, als ob die Toxine 


meines Erachtens fest. Es händelte sich 
nunmehr darum empirisch festzustellen, 
wie groß die Heildosis und welches die 
beste Applikationsart wäre. 

Geht man von der Anschauung aus, 
daß der Erreger des wolhynischen Fiebers 
ein Blutparasit mit fünftägigem Entwick¬ 
lungszyklus ist, so muß man annehmen, 
daß sich während des fieberfreien Inter¬ 
valls die Jugendformen des Erregers im 
Blute befinden, die gegen Ende des Inter¬ 
valls ausreifen, und daß bei jedem neuen 
Fieberanstieg eine neue,$Junge Parasiten¬ 
generation in Erscheinung tritt. Es galt 
also, die heranwachsenden Parasiten in 
ihrer Entwicklung zu stören, so, wie wir 
es mit dem Chinin bei der Malaria tun. 
Die Behandlung hat also im Beginne des 
Intervalls einzusetzen. 


12 * 









92- 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


März: 


An der Hand von Fieberkurven möge 
das weitere erläutert werden (alleTempera- 
turen sind rectal gemessen): 



Bei Fall 1 und 2 sieht man die, Wirkung: 
einer einmaligen Einspritzung von 0,1 bzw.- 
0,05 Collargol. Bei beiden Fällen wurde die Ein¬ 
spritzung nach dem Abklingen des zweiten. 
Fieberanfalls vorgenommen. 

Die Folge ist, wie an den Kurven 
ersichtlich, eine Verlängerung des- 
fieberfreien Zeitraums auf etwa das. 
Doppelte. Die Erreger sind offen¬ 
bar in ihrer Entwicklung gehemmt 
und erst in der doppelten Zeit zur 
Reife gelangt. 

An der nächsten Gruppe von. 
drei Fällen (Fall 3, 4, 5) wurde die- 
Wirkung von zwei Einspritzungen, 
festgestellt. 

Fall 3 hatte drei Fieberanfälle hinter 
sich. Die erste Einspritzung hatte eine 
erhebliche Besserung, die zweite völliges- 
Verschwinden aller Krankheitserschei¬ 
nungen zur Folge. Ein neuer Fieber¬ 
anfall trat nicht auf, der Kranke wurde 
dienstfähig zur Truppe entlassen. 

Fall 4 wurde nach Ablauf des vierten 
Fieberanfalls zweimal gespritzt. Alle 
Krankheitserscheinungen besserten sich,, 
der Kranke blieb 18 Tage lang fieberfrei 
und fühlte sich wohl. Dann traten er¬ 
neut leichte abendliche Temperaturanstiege 
und Schmerzen im Plexus lumbalis auf. 
Durch zwei weitere Kollargoleinspritzungen 
wurden alle Krankheitserscheinungen be¬ 
seitigt, der Kranke wurde dienstfähig ent¬ 
lassen. 

Bei Fall 5 waren fünf Fieberanfälle 
voraufgegangen. Es wurden zwei Kollargol¬ 
einspritzungen gemacht, die erhebliche 
Besserung aller subjektiven Beschwerden 
zur Folge hatten. Nach 14 Tagen traten 
wieder abendliche Temperatur anstiege 
auf, verbunden mit Kopf- und Glieder¬ 
schmerzen. Danach neue Kur, bestehend 
aus .drei Einspritzungen mit zweitägiger 
Zwischenpause, wonach völliges Wohl¬ 
befinden eintrat. Der Kranke blieb fie¬ 
berfrei und wurde dienstfähig entlassen. 

Diese drei Fälle lassen fol¬ 
gendes erkennen: Zwei Kollar¬ 
goleinspritzungen können dieKrank- 
heit, wenn sie nicht zu lange 
besteht, heilen. Bei längerer Dauer 
der Krankheit dagegen werden die 
Parasiten nur in hohem Maße ge¬ 
schädigt, ohne gänzlich abgetötet, 
zu werden. Erst eine zweite Kur,, 
bestehend aus zwei bzw. drei 
Einspritzungen, je nach der Dauer 
und Schwere des Falles, hatte Hei¬ 
lung zur Folge. 

Die Wirkung des Kollargols am 
den genannten fünf Fällen schiert 
mir einen Fingerzeig zu geben,, 
wie man sich dem wolhynischem 
Fieber gegenüber therapeutisch zu 
verhalten hat: drei Einspritzun- 













93 


März 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


gen bei' möglichst frischen Fällen, in 
möglichst kurzen Zwischenpausen wie¬ 
derholt, mußten dieselbe Parasitengene¬ 
ration treffen und abtöten. 

Ich verfuhr also nach folgendem Mo¬ 
dus: Der zweite Fieberanfall wurde abge¬ 
wartet, um in der Diagnosestellung ganz 
sicher zu gehen. Nach dem Fieberabfalle 
wurde 'die erste, nach - zweitägiger Pause 
die zweite und nach wiederum zweitägiger 
Pause die dritte Einspritzung vorge¬ 
nommen. 

Wo so verfahren wurde, trat regel¬ 
mäßig Heilung ein, ein neuer Fieberan¬ 


fall gespritzt wurde.- Der Kranke bot die aller¬ 
schwersten Krankheitserscheinungen dar. Während- 
der Fieberanfälle, namentlich des zweiten, der 
fast fünf Tage dauerte, lag der Kranke stöhnend 
und -leicht benommen da, die Kopfvenen stark 
gefüllt, die Conjunctiven gerötet, in der rechten 
eine Blutung. Alle großen Nervenstämme und 
dasSchienbeinpsriost waren äußerst druckempfind¬ 
lich. Der Kranke klagte über das Gefühl des Ab¬ 
gestorbenseins der Glieder, heftige^Kopfschmerzen, 
Schlaflosigkeit, und delirierte nachts leicht. 

Bei einem so. schweren Falle hätte 
man wohl erfahrungsgemäß mit noch wei¬ 
teren Fieberanfällen rechnen können, zum 
mindesten mit leichteren Rezidiven und 
langandauernden Nervenschmerzen. Nach 



Fall 7. 

Monatst. 19.X.20. 21. 22. 23. 24. 25. 20. 27. *28. 29. HO. Bl.l.Xr.2. 3. 4. 5. G. 7. 8. 9. 10.11 
Krkhtstag 1. 2. 3. 4. 5. (>. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 10. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24 



Fall 8. 

Monatst. 14:X. 15. IG. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 20. 27. 28. 29. 30. 31.1.XI.2. 3. 4. 5. 6. 
Krkhtstag 1. 2. 3. 4. 5. 0. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 18. 14. 15. IG. 17. 18. 19. 20. 21. 22, 23. 24. 



achtet, vor 
allem ver¬ 
schwanden 
prompt die 
subjektiven 
Beschwer¬ 
den, worauf 
ich beson¬ 
ders hin- 



weise. der dritten Einspritzung hatte er aber 

Die nachfol- keine Bschwerden mehr, ebenso wie alle 

genden acht übrigen Kranken. 

Kurven (Fall 6, In letzter Zeit habe ich damit be- 
7,8, 9, 10, 11, gönnen, auch Kranke mit Kollargol zu 

12, 13) mögen behandeln, die nur einen Fieberanfall 

die Applika- hinter sich hatten, wenn nach den klini- 

tionsart sehen Erscheinungen an der Diagnose 

illustrieren. „wolhynisches Fieber“ nicht zu zweifeln 

Besonders be- war. 

weiskräftigschemt; Über diese un d noc h we itere in Be¬ 

el™ erst nach efem handlung befindliche Fälle kann ich mir 
dritten Fieberan- 1 noch kein abschließendes Urteil erlauben. 








94 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


März 


Leider war ich gezwungen, da. das 
Lazarett abrückte, die . Versuche einzu¬ 
stellen. Außerdem war es mir nicht mehr 


Fall 10. 

Monatst. 24.X.25.26. 27. 2S. 29. 30. 31. J.XI.2. 3. 4. 5. 6. 7. 
Krkhtstag 1. 2. 3. _4. 5. 6. 7. S. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 



möglich, das Kollargol-Heyden zu er¬ 
halten; statt dessen stand mir ein Ar¬ 
gentum colloidale zur Verfügung, das in 

seiner Wirkung 
dem erstgenann¬ 
ten Mittel ganz 
erheblich nach¬ 
stand. Es löste 
sich unvollkom¬ 
men, und wenn 
der schlammige 
Rückstand abfil¬ 
triert war, blieb 
eine zu dünne Lö¬ 



Monatst. 30.X. Hl. .1 .XI. 2. 3. 
Krkhtstag i. 2. 3. 4. 5. 


erzielten Erfolge für wichtig genug, um 
sie i zu veröffentlichen und zur Nach¬ 
prüfung zu empfehlen. 

Dabei wäre meines Er- 
s. o m ii io achtens vor allem zu über¬ 
legen, erstens, ob man nicht 
noch größere Dosen, etwa 
0,2 bei der zweiten Ein¬ 
spritzung, anwenden sollte, 
und zweitens, wie wir chro¬ 
nische Fälle zu behandeln 
haben. Hier würde ich 

vorschlagen, zunächst drei 
Einspritzungen mit zweitägiger Zwischen¬ 
pause vorzunehmen und nach einer 
Woche dieselbe Kur noch einmal zu 
wiederholen. Kleine, verzettelte Dosen 
sind auf jeden Fall zu vermeiden 
und eher schädlich als nützlich, da 
dann r eirie Gewöhnung an das Mittel 

eintritt. 

Meine bisher erzielten Erfolge 
fasse ich in folgenden Leitsätzen 
zusammen: 

1. Das intravenös applizierte Kollargol- 
Heyden ist ein beim wolhynischen Fieber 
specifisch wirkendes Heilmittel, das in 

Fall 12. 

4. 5. m 7. . 8. 0. 10. 11. 12. 13. 14. io. 16. 17. 18. 19. 20. 

tl, 7. 8. 11 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 



50 35 


sung übrig, deren 
Einspritzung 
zwar erheblich 
besser vertragen 
wurde, auch mei¬ 
stens gar keine 

Temperatur¬ 
steigerung zur 
Folge hatte, da¬ 
für aber auch 
weniger wirksam 
war. 

Ich halte trotz¬ 
dem die bisher 

Monatst. 4.XL 5. 6. 7. 

Krkhtstag 1. 2. 3. 4. 

P. W. 


der Promptheit seiner Wirkung der des 
Chinins bei der Malaria zu vergleichen ist. 

2. Eine einmalige intravenöse Kol- 
largoleinspritzung hemmt den Entwick¬ 
lungszyklus des noch unbekannten Er¬ 
regers in der Weise, daß sie das fieberfreie 
Intervall auf das Doppelte verlängert. 

3. Eine zweimalige Einspritzung tötet 
in frischen Fällen den Erreger ab, in äl¬ 
teren Fällen schädigt sie ihn sehr stark. 

4. Eine dreimalige Einspritzung mit 
zwei- bis dreitägiger Zwischenpause ge¬ 
nügt bei akuten Fällen, um die Krankheit 
zur Ausheilung zu bringen. 

Fall 13. 

s. 9. 10. 11. 12. 13. M. 15. 1(5. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 

5. (5. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 


150 40 

130 39 

110 38 
90 37 


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März 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


95 


5. Die Kollargollösung muß jedesmal 
mit frischdestilliertem Wasser, gut fil¬ 
triert, ' steril und frisch hergestellt 
werden. 

(Abgeschlossen am 20. November 1916.). 


Literatur: His (B. kl. W. 1916, Nr. 27). — 
Brasch (M. m. W. 1916, Nr. 23). — Werner 
u. Haenssler (M. m.W. 1916, Nr. 28). — Werner, 
Benzler, Wiese (M. m. W. 1916, Nr: 38). — 
Korbsch (D. m. W. 1916, Nr. 40). — Sachs 
(M. m. W. 1916, Nr. 46). 


Zusammenfassende Übersichten. 

Die Digitalisanwendung nach neueren Forschungsergebnissen 1 ). 

Von Dr. Geppert-Hamburg-Eppendorf. 


Wissenschaftlich am interessantesten, 
sowie praktisch am wichtigsten bei der 
Behandlung von Herzaffektionen ist die 
auf einer, alle Einzelheiten in. Betracht 
ziehenden Diagnose beruhende Indi¬ 
kationsstellung. Der Reflex: „Cardio- 
pathie-Digitalis“, der in der Praxis leider 
nur allzu oft das Handeln am Kranken¬ 
bette leitet, muß mehr und mehr gehemmt 
bzw. abgelöst werden durch ein zielbe- 
wusteres Vorgehen auf Grund genauerer 
Kenntnisse von der Wirkungsart des 
Mittels auf das menschliche Herz. In 
diesem Sinne verdanken wir dem un¬ 
längst erschienenen, von Herrn Geheimrat 
Klemperer in dieser Zeitschrift durch 
ein kurzes Referat bereits gewürdigten 
Buche von E. Edens einen so großen 
Gewinn für das praktische Handeln, 
daß eine genauere Besprechung desWerkes 
angebracht erscheint. 

Die grundlegenden, über lange Zeit 
sich erstreckenden Studien über die Wir¬ 
kungsweise der Digitalis wurden bekannt¬ 
lich am Tier vorgenommen. Es ergaben 
sich bereits früh erkannte Unterschiede 
in der Wirkungsart zwischen dem Kalt¬ 
blüter- und dem Warmblüterherzen, und 
da selbstverständlich die Erfahrungen am 
letzteren nicht ohne weiteres auf den Men¬ 
schen übertragen werden konnten, so 
war es nur möglich, einen endgültigen 
Abschluß über die Wirkungsart der 
Digitalis am menschlichen Herzen durch 
Beobachtungen am Menschen selbst zu 
gewinnen. Unsere bisher unzulänglichen 
Kenntnisse vom Wesen der Digitalis¬ 
wirkung am Menschen führten dazu, der 
Unzuverlässigkeit der Digitalisdroge die 
wechselnde Wirkung zuzuschreiben; bis 
man nach Anwendung titrierter Präparate 
erkannte, daß die Bedingungen am kran¬ 
ken Herzen des Menschen weit kom¬ 
pliziertere sind als die beim Tierexperi- 

’) Besprechung von Prof. E. Edens ,,Die 
Digitalisbehandlung“. IV. und 153 S. mit 84 Ab¬ 
bildungen, Berlin und Wien 1916, Urban 
& Schwarzenberg. Preis 6 M., geb. 7,5Q M. 


ment. Das genaue Studium an einem 
großen klinischen Material konnte nur 
zum Ziel führen. Von diesem Gesichts¬ 
punkte aus ist das Edenssche Buch ent¬ 
standen. Es bringt uns die Ergebnisse 
zehnjähriger Studien am Krankenbett, die 
gewonnen wurden mit Zuhilfenahme mo¬ 
derner Untersuchungsmethoden (Sphyg- 
mographie und Elektrokardiographie). 
Was die Lektüre dieses Buches besonders 
interessant macht, sind die Analysen der 
einzelnen Wirkungsformen und ihrer Ent¬ 
stehungskomplexe. Für die Praxis sind 
am wichtigsten die Schlußfolgerungen, 
die wir bei unserer Besprechung am 
meisten berücksichtigen wollen. Edens 
gibt uns mehr als eine Aufzählung der 
Indikationen der Digitalisanwendung. Wir 
finden vor allen Dingen in seinen Aus¬ 
führungen an der Hand zahlreicher Sphyg- 
mo- und Elektrokardiogramme die phy¬ 
siologischen Zusammenhänge und Bedin¬ 
gungen eingehend berücksichtigt. 

Bekanntlich wird die durch Digitalis 
verursachte Pulsverlangsamung auf eine 
Reizung des Vaguszentrums zurückge¬ 
führt; beim Warmblüter kommt noch 
als Ursache der Bradykardie eine durch 
Digitalis bewirkte , Blutdrucksteigerung 
hinzu; dagegen steht die Tatsache fest, 
daß beim Menschen Digitalis keine 
Blutdrucksteigerung hervorruft. 
Während beim Tier eine Pulsverlang¬ 
samung nach Digitalis ausnahmslos statt¬ 
findet, machte Edens die sehr beachtens¬ 
werte Beobachtung, die für die praktische 
Indikationsstellung von weittragender 
Bedeutung ist, daß bei Menschen mit 
regelmäßiger Herztätigkeit Digitalis nur 
dann eine Pulsverlangsamung verur¬ 
sacht und damit seine ganze Wirksamkeit 
entfaltet, ' wenn Herzhypertrophie 
und Herzinsuffizienz gleichzeitig 
vorhanden sind. Und zwar tritt in 
diesem Zustande die ohne Blutdruck¬ 
steigerung einhergehende Pulsverlang¬ 
samung bereits nach auffallend kleinen 
Dosen ein. Diese Erfahrungstatsache be- 





März 


96 . Dlt Therapie der Gegenwart i917. 


nutzt Edens zur Erklärung des Mechanis¬ 
mus der Digitaliswirkung beim Menschen. 
Er nimmt an, daß in einem insuffizienten 
und zugleich in seiner Masse vergrößerten 
Herzen infolge unzureichender Durch¬ 
blutung eine Asphyxie besteht, die den 
Tonus des Vagus erhöht. Der im gleichen 
Sinne auf den Vagus wirkende Reiz der 
Digitalis genügt nun, um den Accelerans- 
tonus zu überwinden. Die Indikation für 
Digitalis bei rhythmischer Herztätigkeit 
ist scharf umgrenzt. Es ist vollkommen 
zwecklos, bei anatomisch normalem Her¬ 
zen oder bei insuffizientem Herzen 
ohne gleichzeitiger Hyperthrophie Digi¬ 
talis therapeutisch anzuwenden. Die 
Domäne der Digitalisbehandlung bilden 
demnach die dekompensierten Klappen¬ 
fehler, sowie die dekompensierten idio¬ 
pathischen Herzhypertrophien (Bierherz). 
Als Ausnahmen gelten die insuffizienten 
hypertrophischen Herzen beim Basedow 
und bei gleichzeitigem Bestehen, von 
Perikardobiiteration. In letzterem iFalle 
wird die diastolische Ausdehnung des 
Herzens, also gerade das Aktionsgebiet 
der Digitalis rein mechanisch verhindert, 
so daß begreiflicherweise die Wirkung aus¬ 
bleibt. Man wird bisweilen in derartigen 
Fällen durch das Versagen der Digitalis¬ 
behandlung zur Diagnose Pericarditis 
adhaesiva geführt. 

Bezüglich ' der Wirkungsweise der 
Digitalis ist ein prinzipieller Unterschied 
zu machen zwischen der Verabreichung 
des Mittels per- os und der intravenösen 
Anwendung (Strophantin). Das Tierex¬ 
periment gibt hierüber Aufschluß. Digi¬ 
talis in schwacher Lösung dem Herzen 
zugeführt, verstärkt nämlich die Diastole 
und führt unter Umständen zum diastoli¬ 
schen Herzstillstand. In konzentrierter 
Lösung dagegen wirkt das Mittel vor 
allem steigernd auf die Systole. Demnach 
hat die intravenöse Digitalistherapie einen 
engbegrenzten Indikationsbereich. Sie 
ist nämlich nur angezeigt bei der In¬ 
suffizienz h y p e r t h r o p h i s c h e r Her¬ 
zen zur Hebung der systolischen 
Tätigkeit vorwiegend bei nicht 
erhöhter Pulszahl. Edens läßt es 
noch dahingestellt, ob die intravenöse 
Digitalisanwendung bei Herzschwäche im 
Gefolge von akuten Infektionskrankheiten 
von Nutzen ist, was bekanntlich nach 
Albert Fraenkels Erfahrungen nicht 
zutrifft. Im allgemeinen hält Edens für 
die intravenöse Verabreichung unseres 
Mittels größte Vorsicht geboten. Die 
subcutan anzuwendenden Digitalispräpa¬ 


rate (z. B. Digifolin) geben vielleicht einen 
ausreichenden Ersatz, wenn eine schnelle 
Wirkung bei akuter Herzschwäche von¬ 
nöten ist. Eine Umgehung der Magenbe¬ 
schwerden durch Vermeidung der Zufuhr 
des Mittels per os trifft insofern nicht zu, 
als bei bestehender Idiosynkrasie der 
Brechreiz vom Zentrum ausgelöst wird. 
„Das zentrale Erbrechen ist eine Wirkung 
der Digitalis als solcher und kommt daher 
jedem wirksamen Präparat zu.“ 

Die Ausführungen über die Wirkungen 
der Digitalis auf die Schlagfolge des 
Herzens sind naturgemäß vorwiegend in 
wissenschaftlicher Form gehalten. Die 
hier an typischen. Beispielen demon¬ 
strierten Wirkungen und Indikationen 
lassen sich nicht in jedem Falle auf die 
Praxis übertragen. Ein therapeutisches 
Tasten, eine Probeanwendung des Mittels 
wird sich in einigen Fällen in der Praxis 
nicht umgehen lassen, zumal die genaue 
Differentialdiagnostik der Rhythmus¬ 
störungen des Herzens, auf der eine 
spezielle Indikation fundiert werden 
müßte, nur mittels komplizierter. Apparate 
möglich ist. Immerhin bieten einzelne 
Punkte auch für die Praxis Interesse. 
Edens legt seiner Einteilung der Rhyth¬ 
musstörungen die von Engelmann auf¬ 
gestellten physiologischen Funktionen des 
Herzmuskels zurunde, nämlich die 
Reizbildung, die Kontraktilität und die 
Reizleitung, wobei besonders für die erstere 
Funktion eine getrennte Prüfung für 
den Sinus, die Vorhöfe, den Atrio-ventri- 
kularknoten und die Kammern in Frage 
kommt. Daß bei der durch Steigerung 
der Reizbildung im Sinusknoten bedingten 
Tachycardie Digitalis geboten und bei 
Herabsetzung der Reizbildung des Sinus 
kontraindiziert ist, leuchtet ein. Das 
Hauptanwendungsgebiet der Digitalis bei 
Arrhythmie ist das Vorhofflimmern 
mit rascher Kammertätigkeit; hier wird 
die Frequenz der Ventrikel beschränkt 
durch Herabsetzung des Reizleitungs¬ 
vermögens im Hißschen Bündel. Prak¬ 
tisch sehr wichtig ist, daß gerade bei 
diesen Fällen die chronische Digita- 
liskur in ihre Rechte tritt. Die Kunst des 
Arztes wird es im einzelnen Falle sein, 
auszuprobieren, welche Digitalisdosis 
nötig ist, die Ventrikelkontraktionen in 
normaler Frequenz zu halten. Nach 
Edens Erfahrungen bewegt sich die 
Tagesdosis zwischen 0,05 und 0,3 des 
Mittels. Kumulationserscheinungen kün¬ 
den sich immer durch zentral ausge¬ 
löste Mageiistörungen an. Schwierig 



März 


97 


Die Therapie der 


wird die Entscheidung in Fällen, in denen 
nach geringen Digitalisdosen bereits die 
für den Gesamtmechanismus des Herzens 
ungünstige Bigeminie auftritt. Man 
wird aber auch hierbei, wenn der Gesamt¬ 
zustand und die Insuffizienzerscheinungen 
es gebieten, das Mittel nicht unnötig 
schnell wieder aussetzen. Für die Praxis 
ist hervorzuheben, daß bei dauerndem 
Vorhofflimmern mit schneller. Kammer¬ 
frequenz nach Ansjcht Edens allein die 
chronische, dauernde* Digitaliskur 
an gezeigt ist, da Unterbrechungen 
der Kur stets eine ungünstige Wirkung 
haben. Bigeminie nach Digitalis tritt 
nur bei insuffizientem hypertrophischen 
Herzen auf, und zwar spielt außer dem 
Herzbefund, wie Edens fand, die Höhe 
des Kalkgehalts des Blutes für die Ent¬ 
stehung dieser Arhythmieform nach Digi¬ 
talis eine Rolle. Es kann nun der Zustand 
eintreten, daß die durch Digitalis gesetzte 
Hemmung des Reizleitungsvermögens im 
Bereich des Hißschen Bündels so stark 
wird, daß die Leitung vom Vorhof zur 
Kammer ganz ausfällt; dann tritt ein 
wenig günstiger Zustand Sin, nämlich eine 
Beschleunigung der automatischen 
Kammertätigkeit (Kammerautomatie). 
Deshalb ist bei ventrikulärer Automatie 
und ventrikulärer paroxysmaler Tachy¬ 
kardie eine Digitalisbehandlung kontra¬ 
indiziert. 

Bei Herabsetzung der Kontraktilität 
des Muskels und den sich daraus ergeben¬ 
den Anomalien der Herzschlagfolge 
(Pulsus alternans, frustrane Systolen) 
wirkt Digitalis günstig und ist deshalb 
indiziert. 

Bei der Frage nach der Wirkung unse¬ 
res Mittels bei Störungen der Reizleitung 
stoßen wir auf nicht leicht zu überwin¬ 
dende Schwierigkeiten. Zwar hatten 
wir gesehen, daß bei vom Sinus ausgehen¬ 
den Tachykardien Digitalis durch Hem¬ 
mung der Reizleitung im Hißschen Bün¬ 
del die Ventrikeltätigkeit zur normalen 
Frequenz zurückführen kann; es gibt nun 
aber auch Fälle, bei denen Digitalis im 
entgegengesetzten Sinne wirkt. Hieraus 
ergeben sich für die Praxis schwierige 
Verhältnisse. Man hat früher Kriterien 
aufgestellt, die uns Richtlinien für das 
Handeln am Krankenbett geben; und 
zwar sollten Fälle, bei denen das A-C- Inter¬ 
vall des Venenpulses verlängert ist und 
bei denen ein Druck auf den Halsvagus 
die Leitungsstörung verstärkt, die Digi¬ 
talisanwendung kontraindiziert sein. 
Edens fand nun, und belegt seine An¬ 


Gegenwart 1917. 


schauung durch Kurven, daß die Wirkung 
der Digitalis im einzelnen Falle in bezug 
I auf Herabsetzung oder Verstärkung der 
| Reizleitungsstörung nichtvorauszube- 
stimmen ist. Andererseits steht nun aber 
die Tatsache fest, daß Digitalis in ge¬ 
wissen Fällen zur Besserung der Leitung 
führen kann. Nach Edens Ansicht han¬ 
delt es .sich hierbei um Fälle von Reiz¬ 
leitungsstörungen funktioneller Ursache 
infolge von Störungen im Coronarkreis- 
lauf, die durch Digitalis beseitigt werden. 
Praktisch von großer Wichtigkeit ist die 
Frage, wie verhalten wir uns dem Herz¬ 
block gegenüber. Durch komplizierte, 
uns im einzelnen noch nicht bekannte 
Wirkungsmechanismen kann es Vor¬ 
kommen, daß die verlangsamte Kammer¬ 
tätigkeit beim Herzblock durch Digitalis 
zur normalen Frequenz zurükgeführt 
wird. Wie wir sehen, bleibt dem Praktiker 
bei der Therapie der Reizleitungsstörun¬ 
gen nichts übrig, als ein tastender Versuch 
der Digitalisanwendung unter gleich¬ 
zeitiger scharfer Kontrolle der Kammer¬ 
tätigkeit (Digitalis 3 mal 0,05). Nach 
, Edens Erfahrung ist jedoch beim Herz¬ 
block das Suprarenin der Digitalis über¬ 
legen. 

Was die Dosierung anbelangt, so ist 
selbstverständlich eine Schematisierung 
unmöglich. Bei bedrohlicher plötzlicher 
Herzinsuffizenz kann man nach vorauf¬ 
gegangener intravenöser oder subuctaner 
Injektion des Mittels noch sechsmal 0,1 
verabfolgen. Im Mittel wird die Dosis 
um 1 bis 2 mal täglich 0,1 liegen. Edens 
spricht bemerkenswerterweise der pro¬ 
phylaktischen Digitalisanwendung 
bei Insuffizienzerscheinungen leich¬ 
teren Grades das Wort. Und zwar 
besonders bei Fällen, bei denen eine Ver¬ 
meidung Insuffizienzerscheinung aus¬ 
lösender Momente (Kampf ums Dasein) 
nicht möglich ist. Die prophylaktische 
Anwendung ist insofern unschädlich, als 
eine Gewöhnung des Herzens an 
Digitalis nie, stattfindet. 

Die im allgemeinen als Kumulie¬ 
rungserscheinungen gedeuteten Sym¬ 
ptome decken sich mit der Wirkung der 
Digitalis als solcher (zentraler Brechreiz, 
Erhöhung des Vagus.tonus, Herabsetzung 
der Reizleitung). Bei Idiosynkrasie 
werden diese eigentlichen Wirkungen der 
Digitalis schneller, bzw. intensiver in die 
Erscheinung treten. Digitalispräparate, 
von denen behauptet .wird, daß sie keine 
Magenstörungen verursachen, sind des¬ 
halb wirkungslos, sofern wirklich die 

13 



98 


Die Therapie der Gegenwart 1917. März 


Behauptung der Wahrheit entspricht. 
Der Vorzug der neueren Präparate ist 
allein die genaue Dosierung. Die Gift¬ 
wirkung der Digitalis läuft parallel mit 
der therapeutischen Herzwirkung. Ein 
Fortschritt wäre es, wenn man die zentral 
angreifende Brechwirkung der Digitalis 
von der therapeutischen Giftwirkung 
trennen könnte. Von wirksamen .neueren 
Mitteln werden angeführt: Digitalon, 
Digipurat, Digitalysat, Digalen Cymarin, 
Digipan, Digifolin, Digitaferm. Edens 
empfiehlt für die Praxis, von den vielen 
Digitalispräparaten vornehmlich eins an- 
anzuwenden zur Erlangung einer ge¬ 
naueren Kenntnis seiner Wirkung. 


Den interessanten Studien Edens 
verdanken wir ein tiefgehendes Verständ¬ 
nis für die Wirkungsart unseres am häufig¬ 
sten angewandten Herzmittels. Wir 
sahen aber zugleich, daß die Indikations¬ 
stellung der Digitalisbehandlung trotz 
weit fortgeschrittener wissenschaftlicher. 
Erkenntnisse nicht für den Einzelfall 
gesetzmäßig zu bestimmen ist. Wie über¬ 
haupt bei der Behandlung Herzkranker 
das ärztliche Empfinden mehr als sonst 
in den Vordergrund treten muß, so wird 
auch für den Erfolg einer Digitalis¬ 
therapie, wie Edens am Schlüsse seiner 
Ausführungen meint, die Kunst des 
Arztes das letzte Wort sprechen. 


Über die Behandlung der Bacillenträger. 


Med.-Rat Dr. Franz Spaet in Fürth 
bespricht in einem großem Aufsatz die 
von ,,Keimträgern“ (Bacillenträgern) aus¬ 
gehenden gesundheitlichen Gefahren und 
die Maßnahmen zu deren Bekämpfung. 
Um seines großen praktischen Interesses 
willen möchten wir ein ausführliches 
Referat über diesen Aufsatz geben. Im 
wesentlichen handelt es sich um zwei Arten 
von Keimträgern: solche, welche nach 
überstandener Krankheit hierzu geworden, 
und diejenigen, welche Krankheitserreger 
mit sich tragen und ausscheiden, ohne 
selbst krank gewesen zu sein. Nun gibt 
es aber Individuen, welche nur kurz vor¬ 
übergehend Krankheitskeime beherbergen, 
während andere lange Zeit hindurch solche 
mit sich führen und durch Ausscheidung 
der Umgebung gefährlich werden können. 
Bacillenzwischenträger, wie sie bei Cholera, 
Diphtherie und Genickstarre festgestellt 
sind, haben Krankheitserreger in sich auf¬ 
genommen, die sie gelegentlich ausschei¬ 
den, ohne selbst zu leiden. Es sei sodann 
der Frühkontakte: Krankheitsübertragung 
im Inkubationsstadium gedacht und 
schließlich (bei Typhusbacillenträgern) der 
Geimpften Erwähnung getan, bei oder in 
welchen die Bacillen saprophytisch weiter¬ 
leben sollen. 

Es fragt sich nun, unter welchen Be¬ 
dingungen entsteht das Keimträgertum? 
Wo im Organismus sind die Vegetations¬ 
herde zu finden? Wie werden sie von da 
an die Außenwelt befördert? Hinsichtlich 
der Krankheitsformen kommen Cholera, 
Typhus, Paratyphus, Diphtherie, über¬ 
tragbare Genickstarre, eventuell auch 
Tuberkulose und Syphilis in Betracht; ob 
auch Masern und Scharlach, bleibt zu¬ 
nächst eine offene Frage. 


Bei Cholera haben Untersuchungen 
ergeben, daß die Zahl der (gesunden) 
Bacillenträger relativ groß, mithin die 
Gefahr der Kontaktinfektion erheblich ist. 
Bekanntlich wird hinsichtlich der Ver¬ 
breitung dem Wasser eine bedeutsame 
Rolle zugeschrieben; es sei aber erwähnt, 
daß die Keime* hierin nicht etwa eine 
chemische Lösung eingehen, sondern daß 
sie suspendierend im Wasser verbleiben 
und sich an seichten Stellen ablagern, von 
wo aus sie zur Gefahr werden können. 
Was die Zeitdauer anlangt, so darf an¬ 
genommen werden, daß im allgemeinen 
die Krankheitskeime nicht über einige 
Wochen beherbergt und ausgeschieden 
werden; es wird zwar in einem Falle 
1 ]/ 2 Jahre hierfür angegeben, doch dürfte 
dies zur größten Seltenheit zählen. Wesent¬ 
lich anders liegen die Verhältnisse beim 
Typhus. Ausgiebige Untersuchungen 
haben zwar eine große Verschiedenheit 
ergeben, aber dargetan, daß zwanzig und 
mehr Jahre hindurch Personen Bacillen¬ 
träger bleiben können; ja es wird ein 
Fall erwähnt, bei dem die Bacillenträger¬ 
schaft 32 Jahre, vielleicht 67 Jahre (!) 
bestanden haben soll. Als Vegetations¬ 
sitz kommt die (kranke, niemals eine ge¬ 
sunde) Gallenblase in Betracht, in welcher 
die frisch secernierte Galle sich fort¬ 
während den Resten der infizierten Galle, 
auch nach der Genesung beimischt und 
einen geeigneten Nährboden für- die 
Bacillen abgibt. Nach überstandener 
Krankheit bleibt somit das Wachstum 
der Typhusbacillen bestehen, die ge¬ 
heilten Kranken werden auf diese Weise 
zu Typhusbacillenträgern. Die Durch¬ 
wanderung durch den Darm geschieht 
schubweise', erst dann, wenn größere 




März 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


99 


Mengen mit der Galle entleert werden 
oder wenn besondere Bedingungen für 
einen raschen Durchtritt des Darminhaltes 
gegeben sind. Die weitere Verbreitung ge¬ 
schieht alsdann durch Kontaktinfektion, 
welche gerade für die Entstehung von 
Typhusepidemien eine große Rolle spielt. 
Die Dauerausscheider bilden die wesent¬ 
lichste Ursache für neuauftretende Epi¬ 
demien. Die Zahl der männlichen Keim¬ 
träger ist niedriger als diejenige bei den 
Frauen, was auf eine geringere Wider¬ 
standsfähigkeit der letzteren sowie darauf 
zurückgeführt wird, daß Frauen häufiger 
an Gallensteinerkrankungen leiden als 
Männer. Schließlich sei noch erwähnt, 
daß in den ersten vier Wochen der Er¬ 
krankung das Vorkommen von Typhus¬ 
bacillen im Urin häufiger ist als im Stuhle. 
Hinsichtlich des Paratyphus liegen die 
Verhältnisse ähnlich. Auch bei der Ruhr 
ist die gleiche Verbreitung anzunehmen, 
wenn auch mit dem Unterschiede, daß 
die Ruhrverbreiter nur in größeren Pausen 
Bacillen ausscheiden. Ihre Dauer ist auf 
einige Monate beschränkt, der Vegetations¬ 
sitz lediglich der Darm. Eingehende 
Untersuchungen liegen auch bezüglich der 
Diphtherie vor, die allerdings sehr ver¬ 
schiedene Resultate aufweisen. Bei der 
Diphtherie herrscht bezüglich der An¬ 
steckung ein familiärer Charakter vor: 
Übertragung von Person zu Person durch 
Husten, Räuspern, Niesen, Sprechen, 
Tröpfcheninfektion. Die Dauer der Keim¬ 
träger differiert von (in der Regel) einigen 
Wochen bis zu U /2 Jahren. Der Sitz der 
Infektionsherde bilden die oberen Luft¬ 
wege, die Nasen- und Rachenorgane, 
hauptsächlich die Ausbuchtungen der 
Mandeln. Wenn auch gewisse Ähnlich¬ 
keiten bei der übertragbaren Genick¬ 
starre obwalten, so scheint hier doch 
die Zahl der gesunden Keimträger im 
Verhältnis zu den wirklichen Erkran¬ 
kungen erheblich größer zu sein. Der 
Grund hierfür dürfte in der verschiedenen, 
zum Teil stark herabgesetzten Virulenz 
der beherbergten Meningokokken, sowie 


in der allgemein geringen Empfänglich¬ 
keit für die Meningokokkeninfektion, die 
nur unter besonderen Bedingungen. Ge¬ 
nickstarre auslösen kann, zu suchen sein. 
Es soll sich um einen ubiquitären Mikro- 
organimsus handeln, ein größerer Bruch¬ 
teil der Menschheit soll den Genickstarre¬ 
erreger gleichsam als Saprophyten im 
Rachenschleime tragen. Die Zahl der er¬ 
wachsenen Kokkenträger ist größer als 
die der Kinder; die Keimträgerfrage ist 
noch nicht geklärt; Frühkontakte kommen 
zweifellos vor. Bei Masern und Schar¬ 
lach fehlt es an dem Nachweis der Keim¬ 
träger, da die Erreger selbst bisher noch 
nicht festgestellt sind. Sicher ist nur, 
daß Frühkontakte sehr häufig sind. Bei 
Tuberkulose wird man kaum von Ba¬ 
cillenträgern in obigem Sinne sprechen 
dürfen; es handelt sich vielmehr bei der 
offenen Lungen- und Kehlkopftuberkulose 
um Bacillenstreuer, auf alle Fälle also 
um kranke Personen. Sind die Bacillen¬ 
träger überhaupt im Sinne des Gesetzes 
als Kranke zu beurteilen? Das ist eine 
außerordentlich wichtige Frage, welche 
verschiedentlich * beantwortet wird, die 
aber bei den so überaus wichtigen Be¬ 
kämpf u n g s m a ß n a h m e n eine erheb¬ 
liche Rolle spielen muß. Diese Ma߬ 
nahmen haben sich einmal auf die Un¬ 
schädlichmachung durch die Befreiung 
der Keimträger von den Krankheits¬ 
erregern, wozu eine Anzahl Mittel behufs 
Abtötung oder Immunisierung angeführt 
werden, sowie insbesondere auf die An¬ 
wendung polizeilicher Anordnungen zu be¬ 
ziehen. Verschiedene derartige Ver¬ 
fügungen werden mitgeteilt; es wird 
mit Recht der Errichtung bakteriolo¬ 
gischer Untersuchungsanstalten das Wort 
geredet, die erforderliche Mithilfe der 
Ärzte verlangt und die hygienische 
Erziehung der Bevölkerung befür¬ 
wortet, sowie den Gemeinden weitge¬ 
hendster Ausbau der Gesundheitspflege 
empfohlen. 

(Öffcntl. Gesundheitspflege 1916, H. 11—12.) . 

J. Waldschmidt (Nikolassee). . 


Verhandlungen der Kriegsärztlichen Abende, Berlin. 


Bericht von Dr. 

Sitzung vom 30. Januar 1917. 
Marineoberstabsarzt zur Verth: Ent¬ 
wicklung und Stand des Rettungs¬ 
wesens im Seekrieg. 

Im Jahre 1869 wurde die Genfer 
Konvention auch auf den Seekrieg aus- 


Hay ward-Berlin. 

| gedehnt und hierbei nahm man Gelegen¬ 
heit, die Rettung der Schiffbrüchigen in 
erster. Linie zu berücksichtigen. Es ist 
eine bekannte Tatsache, welche durch 
eine große Zahl von Seeschlachten be¬ 
wiesen wird, daß viel mehr Menschen an 

13* 



100 


Die Therapie der Gegenwart 1917. März 


den Folgen des Schiffbruches als durch 
Waffenwirkun'g zu Tode kommen. Von 
diesen Verlusten läßt sich ein Teil nicht 
vermeiden, soweit er an der Shockwirkung 
zugrunde geht, welche eintritt in dem 
Augenblicke, in dem die Individuen in 
das kalte Wasser kommen. Namentlich 
Nervöse und Mittelohrkranke sind hier¬ 
bei besonders gefährdet. Es werden 
dann einzelne Daten gegeben über den 
Ertrinkungstod, sowie über die Wärme¬ 
menge, welche durch das kalte Wasser 
dem Körper entzogen wird. Sind die 
Menschen, welche ins Wasser kommen, 
mit Rettungsgeräten ausgestattet, so 
gehen viele von diesen durch Verhun¬ 
gern und Verdursten zugrunde, wobei 
man im Durchschnitte eine Dauer von 
drei bis vier Tagen annehmen kann. 
Die Rettungsgeräte werden im einzelnen 
vom Vortragenden erläutert und von den 
Gesichtspunkten aus besprochen, welche 
Arten für den einzelnen und für Massen¬ 
rettungen in Frage kommen. Für das 
Einzelrettungsgerät bleibt der alte Ring 
aus Kork übrig, während für Massen¬ 
rettungsgeräte Halbflöße in Anwendung 
kommen. In diesen befinden sich die 
zu Rettenden im Wasser, so daß für sie 
die Abkühlung durch die Luft nicht in 
Frage kommt. Endlich ist den Halb¬ 
flößen deshalb der Vorzug zu geben, weil 
von ihnen die Menschen nicht herunter¬ 
gespült werden können. 

Sitzung vom 5. Dezember 1916. 

Herr Bäräny (Wien): Die offene 
und geschlossene Behandlung der 
SchußVerletzungen des Gehirns. 


Die Ansichten über die Behandlung 
des Schädelschusses sind’ immer noch 
keine einheitlichen. Während eine große 
Zahl von Chirurgen jeden Schädelschuß 
grundsätzlich operiert, warten andere ab, 
bis die ersten Zeichen einer intrakraniellen 
Schädigung auftreten. Auch Bäräny, 
der in dem belagerten Przemvsl eine 
große Zahl von Schädelschüssen zu be¬ 
handeln hatte, war zunächst Anhänger 
des konservativen Verfahrens. Mußte 
man später dann zur Operation schreiten, 
so waren die Kranken unter allen Um¬ 
ständen schlechter daran, als wenn man 
sie sofort operiert hätte. Aber auch die 
Resultate der sofortigen Operation mit 
Entfernung der Knochensplitter waren 
nicht befriedigend. Es bildete sich Gehirn- 
oedem, die Wundränder legten sich zu¬ 
sammen, in der Tiefe entwickelte sich 
Eiter und brach in den Ventrikel durch. 
Unter diesen Umständen suchte Vor¬ 
tragender nach einem guten Drainage¬ 
mittel, welches er schließlich in kleinge¬ 
schnittenen Guttaperchastreifen fand. Die 
Beobachtung an weiteren Fällen ließ 
Bäräny auf die geschlossene operative 
Behandlung der Hirnverletzung kommen. 
Sein Vorgehen ist folgendes: Alsbald 
nach der Einlieferung des Verwundeten 
wird die Wunde genau revidiert, der 
Knochen freigelegt und wenn er verletzt 
ist weggenommen, die Dura, falls sie 
nicht pulsiert, eröffnet, unter der Dura 
im Gehirne liegende Knochensplitter ent¬ 
fernt und alles wieder primär vollkommen 
geschlossen. Die Resultate waren jetzt 
erheblich besser. Allerdings muß die 
Operation in den ersten 24 Stunden nach 
der Verwundung ausgeführt werden. 


Die militärärztliche Sachverständigentatigkeit auf dem Gebiete 
des Ersatzwesens und der militärischen Versorgung. 

Vortragszyklus, veranstaltet unter Förderung der Medizinalabteilung des Kriegs¬ 
ministeriums vom Centralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preußen. 
. ' Bericht von Dr. Hayward-Berlin. (Schluß.) 


Kraus: Habitus und Diathese in 
ihrer Bedeutung für die militär¬ 
ärztliche Gutachtertätigkeit. 

Habitus und Diathese spielen bei der 
militärärztlichen Gutachtertätigkeit wie 
auch bei der Bestimmung der Dienst¬ 
brauchbarkeit eine große Rolle. Bei der 
Beurteilung der Frage, ob eine Er¬ 
krankung oder Dienstbeschädigung.durch 
den Krieg hervorgerufen oder verschlim¬ 
mert worden ist, muß bei mangelhafter 
Körperbeschaffen heit stets an das Vor¬ 


liegen endogener Ursachen gedacht wer¬ 
den. Es unterliegt keinem Zweifel, daß 
Menschen mit schwächlichem Körperbau 
gegenüber den krankmachenden Ein¬ 
flüssen eine geringere Widerstandsfähig¬ 
keit zeigen. Welche Fragen der an¬ 
geborenen Minderwertigkeit mit Berück¬ 
sichtigung der Rasseneigentümlichkeit 
hier zu beachten sind, wird von dem Vor¬ 
tragenden an einer großen Zahl prak¬ 
tischer Beispiele erörtert. Es werden Bilder 
gezeigt vom Riesenwuchs, dem Zwerg- 



März 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 101 


wuchs mit seinen Unterarten und Kombi¬ 
nationsformen, der Chondrodystrophie 
und der Rachitis. Der Lymphatismus und 
Kretinismus werden genau dargestellt. Das 
Tropfen- und das Kugelherz, wie sie sich, 
durch das Röntgenbild nachweisen-lassen, 
sind eng mit der Frage des Habitus ver¬ 
bunden. An diesen und an zahlreichen 
anderen Beispielen, an denen der Vortrag 
des Interessanten eine Fülle bot, wird, 
wenn auch nur andeutungsweise, die 
große Bedeutung der Habitusfrage dar¬ 
getan und zu entsprechenden Unter¬ 
suchungen' angeregt.. 

Asc'hoff: Die plötzlichen Todes¬ 
fälle vom Standpunkt der Dienst¬ 
beschädigung. 

Es werden die Erfahrungen, welche 
an 200 Sektionen sogenannter plötzlicher 
Todesfälle haben gesammelt werden 
können, wiedergegeben. Zunächst geht 
Vortragender auf den Begriff „plötzlicher 
Tod“ ein, welcher eiig mit der Frage „Tod“ 
zusammenhängt. Abgesehen von den Er¬ 
krankungen, welche das Herz oder die 
Lunge betreffen, stellt das Aufhören der 
Herztätigkeit oder der Atmung immer nur 
etwas Sekundäres dar, es ist die Folge 
eines anderen Leidens. Die Fälle, welche 
unter den Begriff „plötzlicher Tod“ zu 
rechnen sind, können in folgende Unter¬ 
abschnitte zerlegt werden': 1. Fälle mit 
unbemerkt gebliebener oder unsicherer 
direkter äußerer Todesursache. 2. Fälle 
mit unbemerkt gebliebener direkter in¬ 
nerer Todesursache. 3. Fälle mit un¬ 
erkannt gebliebener oder latenter in¬ 
direkter innerer Todesursache, mit oder 


ohne erkennbare direkte Todesursache; 
a) mit dem Sektionsnachweise fortschrei¬ 
tender krankhafter Veränderungen, b) mit 
dem Sektionsnachweise konstitutioneller 
Anomalien oder besonderer physiologischer 
Disposition, c) mit fehlender oder für die 
Entscheidung unzureichender anatomi¬ 
scher Veränderung. 

An einer Reihe von Einzelfällen wer¬ 
den die Schwierigkeiten erläutert, welche 
der einzelne Fall oft bieten kann: ein in 
einer Lache tot aufgefundener Soldat 
war nicht ertrunken, da seine Lungen 
-nicht das Bild des Emphysema aquosum 
bot, sondern er war einer durch eine alte 
Schußverletzung bedingten Epilepsie er¬ 
legen. Alkoholvergiftung kann die un¬ 
freiwillige Ursache eines Selbstmordes 
sein, sie ist dann keine • Dienstbeschädi¬ 
gung. Sehr schwierig sind oft die Fälle 
von plötzlichem Herztod zu entscheiden. 
Hier muß der Obduzent aufs Genaueste 
den Zustand der kleinen, das Reiz¬ 
leitungssystem versorgenden Arterien 
prüfen. Das jugendliche Alter des 
# Menschen spricht nicht gegen Gefä߬ 
verkalkung, denn diese wurde in aus¬ 
gesprochener Form schon bei 19jährigen 
Soldaten gefunden. Oft ist natürlich die 
Syphilis der Aorta der Grund eines plötz¬ 
lichen Todes, wie das vom Vortragenden 
21 mal beobachtet wurde. Auch über den 
Status lymphaticus sind genaue Unter¬ 
suchungen angestellt worden und es hat 
sich ergeben, daß ein Fortbestehen oder 
gar eine Vergrößerung .des Organs nach 
dem 15. Lebensjahre eine Gefahr be¬ 
deutet. 


Bücherbesprechurigen. 


Prof. Adolf Bacmeister (Freiburg), Lehr¬ 
buch der Lungenkrankheiten. 
Leipzig 1916, Verlag von G. Thieme. 

Das letzte Jahrzehnt hat auf dem Ge¬ 
biete der Lungenkrankheiten, speziell 
auf dem der Lungentuberkulose so wesent¬ 
liche Fortschritte gebracht, daß für ihre 
lehrbuchmäßige Neubearbeitung ein Be¬ 
dürfnis vorlag. Bacmeister hat dies in 
dankenswerter Weise zu erfüllen versucht, 
und der durch seine originellen Experi¬ 
mente zur Erzeugung einer typischen 
Lungenspitzentuberkulose beim Tiere in 
weitesten Kreisen als Forscher bekannte 
Verfasser erweist sich dabei als Arzt, dem 
es vornehmlich um das Erkennen und 
Behandeln der Krankheit zu tun ist. 
Die Ätiologie und pathologische'Anatomie 


sind in dem vorliegenden Werke nur kurz 
abgehandelt, strittige wissenschaftliche 
Probleme zum Teil nur gestreift, ausführ¬ 
lich verweilt Bacmeister nur bei den 
diagnostischen Methoden und ganz be¬ 
sonders bei der Therapie. Entsprechend 
den Traditionen der Freiburger Klinik 
ist unter den diagnostischen Methoden der 
Röntgendiagnostik eine wichtige Stellung 
eingeräumt; zahlreiche gelungene Ab¬ 
bildungen erhöhen den didaktischen Wert 
dieser Kapitol. In den therapeutischen 
Abschnitten kommt ersichtlich eigene 
Erfahrung zu Worte, die Verfasser als 
Sanatoriumsleiter gewonnen hat; das täg¬ 
liche Rüstzeug der Therapie — die Sorge 
für gute Luft im Krankenzimmer, Ab- 
härtungs-, Inhalationsmethoden, Husten- 



Die Therapie der Gegenwart 1917. 


März 


102 


behandlung, Senfeinwicklung bei Gron- 
chopneumonie der Kinder und anderes 
mehr — sind ebenso eingehend besprochen 
und gewertet, wie die Tuberkulinbehand¬ 
lung. (der Verfasser mit bemerkenswerter 
Zurückhaltung gegenübersteht), der 
künstliche Pneumothorax, die Lungen¬ 
chirurgie und ähnliches.— Bacmeisters 
Lehrbuch darf Studierenden undÄrzten als 
nützlicher Leitfaden empfohlen werden. 

Felix K1 e m p e r e r (z. Zt. im Felde). 

Behrend, Elisabeth. Säuglingspflege 
in Reim und Bild. Leipzig, Verlag 
von B. G. Teubner. Preis 1 M. 

Ein ganz vorzügliches Schriftchen, 
welches in gefälliger Form das Wissens¬ 
werteste in der Säuglingspflege ver¬ 
anschaulicht. Belehrend und unter¬ 
haltend und dabei von hohem ethischen 
Werte, zumal gegen die unwürdigen, ge¬ 
radezu traurigen Auslassungen über den 
heiligen Schutz der Familie,, wie Gebähr¬ 
streik, Gebährmaschine und ähnliche Epi¬ 
theta. Weiteste Verbreitung des Büch¬ 
leins, dessen Preis bei Massenbezug (z. B. 
bei Entnahme von 500 Exemplaren um' 
die Hälfte) reduziert wird, kann nicht 
dringend genug zu Nutz und Frommen 
aller Mütter empfohlen werden. Es dürfte 
den Ärzten bei Abhalten von Kursen 
über dies Thema eine willkommene Bei¬ 
hilfe bieten. 

J. Waldschmidt (Nikolassee). 

Strasser-Eppelbaun, Dr. Vera, Zur Psy¬ 
chologie des Alkoholismus. Mün¬ 
chen, Verlag von Ernst Reinhardt. 
Preis 1,50 M. 

Verfasserin stellt sich dieAufgabe,durch 
experimentelle, individualpsychologische 
Untersuchungen zu eruieren, ob bei Al¬ 
koholikern specifische, differentialdiagno¬ 
stische Merkmale in assoziativer Hinsicht 
bindend* vorliegen; sie kommt, um dies 
gleich vorweg zu nehmen, zu einem 
negativen Resultat. Bei ihren Forschun¬ 
gen stellt Verfasserin dem chronischen 
Alkoholismus Krankheitsformen mit pri¬ 
märem und sekundärem Schwachsinn der 
Idioten und Imbecillen sowie der Epilep¬ 
tiker gegenüber. Während bei diesen Er¬ 
krankungen eine abnorme assoziative 
Oberflächlichkeit beobachtet wurde, kann 
man dies nach den vorliegenden Unter¬ 
suchungen bei den Alkoholisten nicht be¬ 
haupten. Die experimentellen Erhebungen 
lassen übrigens eine nicht unwesentliche 
Verschiedenheit zwischen den Epilep¬ 
tikern und den Idioten wie Imbecillen 
erkennen in bezug auf die persönliche 


Färbung der Assoziationen, durch das so¬ 
genannte ,,egozentrische Moment“, wel¬ 
ches bei dem primären Schwachsinne dem¬ 
gegenüber in den Hintergrund tritt. 
Interessant sind auch die diesbezüglichen 
Ausführungen über die Untersuchungen 
bei Dementia praecox. Der flache Typus 
der Assoziationen schien beim Alkoholi¬ 
sten nicht wesentlich anders geartet wie 
beim gesunden Individuum, wiewohl die 
Reaktionsdauer, übrigens auf die je¬ 
weilige Lage eingestellt, etwas verlängert 
angenommen werden kann. —Verfasserin 
erhärtet durch die Assoziationsunter¬ 
suchungen die oftmals beobachtete Tat¬ 
sache, wie der Alkoholkranke seine Lage, 
so hier in der Anstalt durch möglichst 
prompte Reaktion, für sich auszünutzen 
bestrebt ist. Nicht minder wichtig er¬ 
scheint der Hinweis der Verfasserin auf 
den Umstand, daß man sich bisher im 
wesentlichen darauf beschränkt habe, 
klinisch festzustellen: wie der Alkohol 
auf das Individuum gewirkt; wogegen 
die viel wichtigere Frage meist unberück¬ 
sichtigt blieb: auf wen der Alkohol 
seinen Einfluß geltend gemacht hat; auf 
welcher Unterlage der chronische Alkoho¬ 
lismus aufgebaut ist und sich entwickelt 
hat; ob und welche Organminderwertig¬ 
keiten in psychischer wie somatischer Hin¬ 
sicht obwalten, die das vorliegende Krank¬ 
heitsbild veranlaßt haben. Die Grund¬ 
bedingungen des chronischen Alkoholis¬ 
mus zu erkennen, muß weiteren Unter¬ 
suchungsmethoden und Forschungen Vor¬ 
behalten bleiben; der chronische Alkoholist 
wird noch für lange Zeit ein dankbares 
Untersuchungsobjekt abgeben, bis die 
Frage nach Ursache und Wirkung in 
allen Teilen vollständig geklärt ist. 

J. Waldschmidt {Nikolassee). 

A. Holitscher, Dr. med. Alkoholsitte — 
Opiumsitte. München, Verlag von 
Ernst Reinhardt. Preis 1 M. 

Bei seinem Vergleich ist Verfasser be¬ 
strebt, darzutun, daß der Opiumgebrauch 
in Indien in ganz demselben Maße und 
in derselben Weise zu bewerten ist, wie 
der heimische Alkoholgenuß. Hier wie 
dort fröhnt die Bevölkerung von der 
Jugend bis zum Alter dem Närkoticum 
zum eigenen Verderben; auf beiden Seiten 
erheben sich warnende Stimmen ohne in¬ 
des mit dem wünschenswerten Erfolge den 
Leidenschaften begegnen zu können, da 
hüben wie drüben das gleichlautende Für 
und Wider betont, die Macht des Kapitals 
auf der einen Seite, die gewohnheits- 



März 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


103 


mäßige Hinneigung sowie die Indolenz 
des Volkes andererseits zu groß ist. Wenn 
man auch den radikalen Standpunkt des 
Verfassers nicht einzunehmen gewillt ist, 
^so .wird auch der Vertreter Mäßigkeit 
den Ausführungen beipflichten, daß die 
Hauptgefahr des Opiums wie des Alkohols 
in Herabminderung der Widerstandsfähig¬ 


keit im allgemeinen, gegenüber (anstecken¬ 
den) Krankheiten im besonderen gelegen 
ist. Niemals aber wird absolute Enthalt¬ 
samkeit als Argument um deswillen ge¬ 
nerell gefordert werden, weil ein gewisser 
(relativ geringer) Prozentsatz der Be¬ 
völkerung dem Abusus zum Opfer fällt. 

J. Waldschmidt (Nikolassee). 


Referate. 


Über einen eigentümlichen Fall von 
perniciöser Anämie berichten Jessen 
und Unverricht. Ein 58jähriger Mann 
hatte in letzter Zeit Filzläuse und war mit 
russischen Gefangenen in Berührung ge¬ 
kommen, hatte danach zwei bis drei 
Monate recurrensartiges Fieber mit starken 
rheumatischen Erscheinungen, bekam 
dann Ödeme der Beine, starker Anä¬ 
mie, . Ascites, laute, blasende Herzge¬ 
räusche. Keine Milzvergrößerung, keine 
Lues. Auf 0,3 Neosalvarsan Entfiebe¬ 
rung in vier Tagen, die 21 Tage anhielt. 
Schwindei) von Ödemen und Ascites; 
Erythrocyten steigen von 1,8 Millionen 
auf 3,3, Leukocyten von 3200 auf 5400, 
Rückgang' der Neutrophilen von 76% 
auf 44% mit entsprechender Zunahme 
der Lymphocyten. Anschließend auf der 
Stirn große periostale Schwellung, Parese 
des rechten Beines, allgemeine Glieder¬ 
schmerzen, Erbrechen, hohes Fieber. Auf 
0,3 Neosalvarsan, Rückgang aller Er¬ 
scheinungen und Wohlbefinden für 45 
Tage. Weiterhin vereinzelte passagere 
Ödeme, Paresen, Albuminurie. Schlie߬ 
lich allmählicher Temperaturanstieg. Im 
Blut sehr kleine, in der Mitte gespaltene 
Gebilde, teils in zum Teil ganz ausge¬ 
laugten Erythrocyten, teils, außerhalb 
derselben; alle Mittel jetzt ^wirkungslos, 
bald unter zunehmenden Ödemen Tpd 
an Herzschwäche. Sektion ergab geringe 
„Cirrhose“ von Milz und Leber, Knochen¬ 
mark anämisch, in ihm gleiche Gebilde 
wie im Blute. Ob diese — Plasmodien ? : — 
die Erreger sind, läßt sich noch nicht 
sagen, doch zeigte ein geimpftes Kanin¬ 
chen, das, abgesehen von etwas ruppigem 
Aussehen gesund blieb, ‘ im Blute die 
gleichen Gebilde. Jedenfalls handelt es 
sich um eine Erkrankung mit Erregern, 
die nach längerer Entwickelungszeit die 
Erythrocyten zerstören. 

M. m. W. 1916, Nr. 51. Waetzoldt. 

Über zwei Fälle von Behandlung 
sekundärer Anämien durch in- 
traglutäale Injektionen von nicht- 


defibriniertem Blut berichtet Köhler. 
Ausgehend von der Überlegung, daß 
es sich bei der Blutbehandlung der 
Anämien- nicht um einen Ersatz des 
fehlenden Blutes, sondern um einen 
Reiz auf das Knochenmark handelt, 
andererseits in der Absicht der Verein¬ 
fachung der Technik benutzte er zur Be¬ 
handlung der Anämien 20 ccm Blut, das 
aus der Vene des Spenders mit der In¬ 
jektionsspritze aspiriert, sofort dem Pa¬ 
tienten — unter Vermeidung der Gefäße! 
— intraglutäl injiziert wurde. Im ersten 
Falle handelte es sich um schwerste 
Anämie, Streptokokkenendometritis und 
Bakterieämie, die in zwei Monaten, aller¬ 
dings mit Anwendung von Salvarsan, 
Eisen und Arsen, von 1 100 000 Erythro¬ 
cyten und 15% Hgb. auf 3 280 000 Ery- 
thrqcyten und 50% Hgb. kam, mit an¬ 
schließender weiterer Besserung. Auf¬ 
fallenderweise ereigneten sich dreimal 
nach der Injektion Schüttelfröste (un¬ 
beabsichtigte teilweise Injektion in 
Gefäße? Ref.). Im zweiten Falle 
handelte es sich um eine Anämie 
von gleicher Schwere auf menor- 
rhagischer Grundlage, bei der vor der 
Blutbehandlung die Menorrhagien durch 
Injektion von Extr. thyreoideae beseitigt 
worden waren. Schon nach 23 Tagen war 
der Hämoglobingehalt des Blutes 45% 
gegen 28% im Anfang, um später ebenso 
wie die Erythrocytenzahl noch weiter zu 
steigen. Waetzoldt. 

(M. m. W. 1916, Nr. 48.) 

Sauerbruch (Zürich) berichtet über 
seine kinetischen Armprothesen, deren 
Wesen darauf beruht, daß die Muskulatur 
des Stumpfes, die normalerweise für die 
Bewegung des Unterarmes beziehungs¬ 
weise der Hand und Finger dient, zu der¬ 
selben Arbeit an der künstlichen Hand 
herangezogen wird. Georg Müller. 

(Zschr. f. orthop. Chir. Bd. 36.) 

Das Cignolin, ein deutsches Anti- 
psoriaticum wendet Ihle seit über 
sechs Monaten bei allen seinen mit 
Psoriasis beziehungsweise Eczema seborr- 




104 Die Therapie der Gegenwart 1917. März 


hoicum psoriatiforme behafteten Pa¬ 
tienten anstatt des Chrysarobins und 
Pyrogallols an, und erzielte überraschend 
günstige Resultate. Hauptvorteile des 
Cignolins: geringe Reizung der Haut bei 
vorsichtiger Anwendung, Dauererfolg 
(Ausbleiben der Rezidive), geringere Ge¬ 
fahr der Conjunctivitis, geringe Be¬ 
schmutzung der Wäsche. Auch der Kopf, 
mit Ausnahme der Augen, kann mit 
Cignolin behandelt werden. Sehr wichtig 
ist eine teils stärkere, teils mildere An¬ 
wendung und Prozentuierungdes Cignolins 
in Salben respektive Pastenform. Bei 
alter, schwartenhafter Psoriasis muß man 
bis 5 %ige Salben, nicht Pasten aii- 
weriden, wenigstens so lange, bis eine 
Reaktion eingetreten ist. Verfasser läßt 
alle Cignolinsalben und -Pasten mit einem 
kleinen harten Borstenpinsel (sogenannten 
Strichpinsel der Stubenmaler) dünn ein- 
bis zweimal täglich aufpinseln. Sobald 
die Reaktion (leichte Entzündung der 
Haut oder Brennen) auftritt, geht er auf 
l%ige Cignoljnpastenform 'herab oder 
wendet seine Ösypuspaste (Past. Oesypi, 
01. Olivar., Zinc. oxyd. aa.) oder auch 
gewöhnlich Zinkpaste bis zum Schwinden 
der Hautreizung an. Bis zur vollkommenen 
Heilung muß alles unnötige Baden des ein¬ 
gesalbten Körpers unterlassen werden, nur 
Gesicht, Hände und Füße werden, falls 
sie nicht eingesalbt werden mußten, ge¬ 
waschen. Beim Eczema psoriatiforme be¬ 
nutzt man im Anfang nur eine 1 % ige 
Cignolinpaste, höchstens am Ellbogen 
und Unterschenkel eine 1 % ige Salbe oder 
bis 5% ige Paste. Weichen und Bauch 
sind bei empfindlichen Patienten an 
allen gesunden Hautpartien mit Zink¬ 
paste zu schützen. Cignolin macht in der 
halben Zeit die Leute wieder felddienst¬ 
fähig wie Chysarobin und Pyrogallol. 
Wünschenswert wäre ein niedrigerer Preis 
des vorzüglichen Mittels. 

Iwan Bloch (Berlin.) 

'Denn. W. 1917, Bd. 64,' Nr. 7, S. 170/171.) 

H. H. Frank macht eine vorläufige 
Mitteilung über Ausnutzung synthetischer 
Fettsäureäthylester beim Menschen und 
Hund. Ohne anderen Fettzusatz beim 
Hunde Ausnutzung 96%, eine ähnliche 
beim Menschen und Hunde in 30 bis 
40%iger Mischung mit Rindertalg. Stö¬ 
rungen wurden nicht beobachtet. 

(M. m. W. 1917, Nr. 1.) Waetzoldt. 

S t o 1 z gibt eine casuistische Mitteilung 
über subkutane Fraktur und Coliinfektion. 

Ein Infanterist wurde mit einer subcu¬ 


tanea Fraktur im unteren Drittel < der 
Unterschenkelknochen aufgenommen, die 
dadurch entstanden war, daß er als Mit¬ 
glied . einer Skiabteilung bei einer Ski¬ 
übung stürzte. Neun Tage nach der Ver¬ 
letzung trat erhebliche Temperatursteige¬ 
rung auf und zugleich entwickelte sich eine 
Schwellung im Kniegelenk der anderen 
Seite, welcher sich in den nächsten Tagen 
Schmerzen im Handgelenk, Ellenbogen 
und den Schultergelenken hinzugesellten. 
Diese Affektion wurde für einen all¬ 
gemeinen akuten Gelenkrheumatismus ge¬ 
halten. Am neunten Tage nach dem 
Temperaturanstiege trat der Tod ein und 
bei der vorgenommenen Sektion zeigte 
sich die überraschende Tatsache, daß in 
dein Eiter, welcher in den erkrankten 
Gelenken sich, befand und der auch die 
Bruchenden der linken Unterschenkel¬ 
knochen umspülte, das Bakterium coli 
nachzuweisen war. In welcher Weise die 
Infektion zustande gekommen ist, ist 
schwer zu sagen. Immerhin dürfte sich 
in entsprechenden Fällen empfehlen, wie 
das vom Verfasser vorgeschlagen wird, 
eine Punktion der erkrankten Gelenke 
vorzunehmen. Hayward. 

(Zbl.f. Chir. 1916, Nr. 51.) 

Hans bespricht die Schädeleröff¬ 
nung der Gegenseite bei Gehirnvorfall. 
Der Gehirnprolaps ist einer der un¬ 
günstigsten Komplikationen der Schädel¬ 
verletzungen. Zahlreiche Methoden sind 
angegeben worden zu ihrer Beseitigung, 
vielfach ohne den gewünschten Erfolg. 
Verfasser ist derart vorgegangen, daß er 
auf der entgegengesetzten Seite des Pro¬ 
lapses eine Öffnung am Schädel anlegte, 
welche druckentlastend wirkte, und hat 
dabei gute Resultate erzielt. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 2.) Hayward. 

Anknüpfend an die im Zbl. f. Chir. 
1916, Nr. 47 von Schmerz angegebene 
Poliermethode der Gelenkenden bei der 
Beweglichmachung nach Ankylose gibt 
Lexer einen j historisch interessanten 
Überblick über die an seiner Klinik statt¬ 
gehabte Entwickelung der Operationen 
des Beweglichmachens versteifter Gelenke 
mit und ohne Gewebszwischenlagerung. 
Hierbei erwähnt er das Koch ersehe 
Verfahren, bei dem nach Resektion der 
Gelenkenden zunächst eine Luxations¬ 
stellung eingehalten wird, damit sich die 
Enden mit Granulationen überziehen; erst 
später wird die Reposition vorgenommen. 
Die Methode hat sich nicht bewährt.. Als 
Ursache der sich immer wieder bildenden 






März Die Therapie der 


Verwachsungen ist die Blutung anzusehen. 
Um sie zu vermeiden, hat Lexer die 
Knochenenden mit sterilem Wachs oder 
Öl bestrichen, aber aüch hier waren die 
Resultate nicht gut. Da kam die 
Fettgewebseinlagerung, welche ein in 
allen Teilen befriedigendes Verfahren 
darstellte. In einem Falle, der 13 Monate 
nach der Einlagerung wieder eröffnet 
werden mußte, da eine Verwachsung der 
Patella eingetreten war, konnte das Re¬ 
sultat der Fettgewebseinlagerung an den 
Gelenkenden genau studiert werden und 
es zeigte sich, daß sich ein vollständiger 
knorpelartiger Überzug gebildet hatte. 
Lexer sieht somit in der dem Fett eigen- 
•tümlichen Umbildungsfähigkeit das sou¬ 
veräne Mittel, versteifte. Gelenke wieder 
beweglich zu machen. Hayward. 

(Zbl.f. Chir. 1916, Nr. 51.) 

Getreidekeimlinge als Volksnahrungs¬ 
mittel und Nährpräparat zu ver¬ 
wenden, ist Laien sowie Ärzten wenig ge¬ 
läufig. Professor v. Noorden und Ilse 
Fischer haben in Analysen und prak¬ 
tischen Nährversuchen den hohen Gehalt 
der Getreidekeimlinge an nährkräftigen 
Stickstoffsubstanzen, leicht löslichen 
Fetten, Nährsalzen und Kohlehydraten 
erwiesen. Das gewöhnliche Mahlver¬ 
fahren läßt die Keimlinge mit in die 
Kleie, das heißt in das Viehfutter wan¬ 
dern.' Zwar sind die Getreidekeimlinge 
pulverisiert und zu Nährversuchen ver¬ 
wendet worden, aber eine Anwendung im 
größeren Stile scheiterte immer an dem 
unangenehmen bitteren und manchmal 
auch leicht ranzigen Geschmack. Erst 
jetzt kommt eine diätetische Verwendung 
in Frage, nachdem es gelungen ist, durch 
ein Patentverfahren (vorsichtiges Er¬ 
wärmen im hohen Vakuum bei Ver¬ 
meidung höherer Wärmegrade) den un¬ 
angenehmen Geschmack zu beseitigen. 
Das so aus den Getreidekeimlingen her¬ 
gestellte Präparat trägt den Namen Ma¬ 
terna. Es stellt ein feines, geruchloses 
Pulver dar, welches leicht süßlichen und 
gleichzeitig wieder etwas bitteren Ge¬ 
schmack hat. Seine Farbe ist dunkelgelb 
bis weißgelb, je nachdem mehr Roggen¬ 
oder Weizenkeimlinge beigemengt sind. 

Ein zweites Präparat aus Getreide¬ 
keimlingen ist in jetziger Zeit der Mater.na 
zur Seite getreten, nämlich das aus entölten 
Getreidekeimlingen in gleicher Weise her¬ 
gestellte. Der ,,Kriegsausschuß für Fette 
und Öle“ hat die Getreidekeime beschlag¬ 
nahmt, um durch Auspressen große 


Gegenwart 1917. 105 


Mengen Pflanzenöle daraus zu gewinnen. 
Für ärztliche Zwecke ist das kalorien¬ 
reichere und, wie v. No Ordens Versuche 
beweisen, besser resorbierbare, nicht ent¬ 
fettete Präparat (Materna) dem anderen 
weit überlegen. Die entölten Keime 
können als Eiweißzulage wohl Verwen¬ 
dungfinden, kommen aber für diätetisch¬ 
therapeutische Zwecke nicht in Frage. 
Es ist anzunehmen, 'daß das entölte 
Keimlingspulver bald .vom ,,Kriegsaus-- 
schuß für Fette und Öle“ zu möglichst 
billigen Preisen in den Handel gebracht 
werden wird und der Arzt sollte dann 
bemüht sein, auch diesen Präparaten zur 
Einführung zu verhelfen. Als leichtest 
verdauliche und dabei nährkräftige Kran¬ 
kenkostbereicherung kann die (nicht ent¬ 
ölte) Materna verwendet werden: ein¬ 
gerührt in heißes Wasser in Kakao- oder 
Bouillonwürfelabkochung, ferner als Sup¬ 
penmehl in dicke Suppen und zugesetzt 
zu Kartoffel-, Gemüse- und Apfelbrei. 
Überall, wo der Ernährungszustand der 
Nachhilfe’ bedarf, ist der Zusatz von 
Materna angebracht; natürlich ist die 
Materna nicht imstande, die übrige Kost 
zu ersetzen, nur als Zulage kann es wert¬ 
volle Dienste leisten und zwar vor allem 
bei schwächlichen Kindern, Anämischen 
und im Beginne der Tuberkulose, endlich 
bei graviden und stillenden Frauen. 

(Ther. Mh.1917, Nr. 1.) J. v. Roznowski. 

Simulation von Geschlechtskrank¬ 
heiten hat Pick, zurzeit Regimentsarzt, 
in zahlreichen Fällen beobachtet. Er 
nimmt die hohe Zahl von 5 bis 7% aller 
in seinem Wirkungskreise beobachteten 
Geschlechtskrankheiten als simuliert an. 
Der Begriff der Simulation war dem 
Militärarzt schon in Friedenszeiten ge¬ 
läufig; simulierte Geschlechtskrankheiten 
sind eine unerfreuliche Neuerscheinung 
des Krieges. Bietet doch die Geschlechts¬ 
krankheit die Möglichkeit, längere Zeit 
bequem hinter der Front bleiben zu 
können. Die' Erfahrung der Ärzte auf 
dem Gebiete der ,,künstlichen Geschlechts¬ 
krankheiten“ ist noch gering, ein Ent¬ 
larvtwerden kaum zu befürchten. 

Am häufigsten simuliert wird Tripper. 
Durch Ätzmittel wird das Orificium ure- 
thrae mehr oder weniger stark gereizt. 
Im allgemeinen steht aber der starke 
Ausfluß zur geringen Schleimhautent¬ 
zündung im Widerspruch. Vor allem 
wichtig ist im Gegensatz zur echten Go¬ 
norrhöe: die erste Harnportion bei der 
Zweigläserprobe ist klar, sie enthält even- 

14 




106 


Die Therapie der Gegenwart 1917. März 


tuell einige.'wenige kleine Brockel. Es 
ist vorgekommen, daß aus der Harnröhre 
ein Seifenstückchen exprimiert werden 
konnte und damit der Urheber des 
künstlichen Trippers zutage gefördert 
wurde. Das etwas kühne Verfahren, die 
Seife aufzulösen und dann durch Er¬ 
zeugung von Seifenblasen nachzuweisen, 
hat großen Eindruck auf den Simulanten 
gemacht. 

Mit Kantharidenpflaster ist künst¬ 
liche Balanitis erzeugt worden. Am 
leichtesten als arteficiell zu erkennen, 
wenn die gereizte, fibrinös belegte Stelle 
eckige Kontur zeigt oder, wie meist, nur 
einseitig vorhanden ist. Ältere Fälle sind 
schwer oder gar nicht von natürlicher 
Balanitis zu unterscheiden. 

Ulcus molle arteficiale unterscheidet 
sich vom echten wesentlich dadurch, daß 
der Rand des' Geschwürs niemals auf¬ 
geworfen und zerfressen ist, das heißt 
also nur geringe Entzündungserschei¬ 
nungen darbietet, die allmählich in die 
der Umgebung übergehen. Hervorgerufen 
wurde es durch eine Quecksilber ent¬ 
haltende Reizsalbe. Inguinaldrüsen 
können dabei geschwollen sein. 

Künstliche Initialsklerose ist häu¬ 
fig und dabei sehr schwer als Simulation 
zu erweisen. Das Geschwür sieht, be¬ 
sonders nach Abstoßung des anfänglich 
stets vorhandenen schwarzen Schorfes, 
dem gereinigten Chancre mixte täuschend 
ähnlich. Am wichtigsten ist im zweifel¬ 
haften Falle sehr genaue Anamnese, in 
der sich dieser oder jener Fehler in den 
angegebenen Zeitabmessungen findet, z. B. 
eine specifische Kur wegen ähnlicher 
Sklerose sei eben erst beendet worden. . 

Die Simulation auf dem Gebiete der 
Geschlechtskrankheiten ist hochent¬ 
wickelt; es handelt sich ja doch um sehr 
geschickt und mit Sachkenntnis zu Werke 
gehende Delinquenten. Es kommt schwere 
SelbstbescHädigung vor, die zu gericht¬ 
licher Anzeige gebracht werden muß. 
Verfasser schlägt vor, in allen Fällen von 
versuchter arteficielier Geschlechtskrank¬ 
heit den Mann sofort zum Truppenkörper 
zurückzuschicken. Mit etwaiger Unter¬ 
suchungshaft usw. ist ja sein Zweck, aus 
der Truppe entfernt, hinter der Front zu 
sein, schon erreicht; dagegen wirkt die 
rasche Rückkehr zur Truppe abschreckend 
vor der Wiederholung derartiger Versuche 
auf ihn und Gesinnungsgenossen. 

Wie groß das Material ist, aus dem 
die geschilderten, scharf umrissenen arte- 
ficiellen Krankheitsbilder herausgeprägt 


werden konnten, ist aus der Arbeit nicht 
ersichtlich. Jedenfalls erscheint nach dem * 
Mitgeteilten wichtig, diesen oder jenen 
frisch Geschlechtskranken kritisch zu be¬ 
trachten, und des Verfassers Erfahrungen 
zu verwerten. j. v. Roznowski. 

(Ni. Kl. 1917, Nr. 6.) 

Ulrich Deißner kommt in sdiner 
Arbeit über den ,,Wert des Ammon¬ 
persulfats und Cholevals für die 
Behandlung'der akuten Gonorrhoe“ 
zu folgendem Urteil: Wir besitzen in dem 
Choleval ein Mittel, das sich durch, seine 
leichte Löslichkeit, seine Haltbarkeit und 
seine bequeme Verweridungsweise aus¬ 
zeichnet. Bei frischer Gonorrhöe sieht 
man in vielen Fällen glatte, unkompli¬ 
zierte Heilung. Bei manchen Erkran¬ 
kungen dagegen scheint Choleval voll¬ 
ständig erfolglos zu sein. Trotz, wochen¬ 
langer Behandlung damit läßt sich kein 
Verschwinden der Gonokokken erzielen, 
und es kann wohl dem Mittel in dieser 
Beziehung vor anderen Silberpräparaten 
kein Vorzug eingeräumt werden; man 
hat Mißerfolge, wie sie auch bei An¬ 
wendung anderer Silberpräparate kon¬ 
statiert werden. Vor dem Protargol hat 
das Choleval den Vorteil voraus, daß es 
in der üblichen Konzentration keine ent¬ 
zündlichen Reizerscheinungen der Harn¬ 
röhrenschleimhaut verursacht und da¬ 
durch die oft gleichzeitig notwendig 
werdenden mechanischen Behandlungs¬ 
methoden schmerzloser und erfolgreicher 
gestaltet. Das Choleval ist also sicher 
nicht das Mittel, durch das jede Go¬ 
norrhöe geheilt wird, es zeitigt aber in 
vielen Fällen, besonders" bei frischen Er¬ 
krankungen, allein oder in Abwechslung 
mit anderen Präparaten gute Erfolge. 
So gute Resultate, wie sie Dufaux und 
Klausner bei ihren Untersuchungen 
beobachteten, hatten wir nicht aufzu¬ 
weisen. Wir müssen uns demnach auf 
denselben Standpunkt stellen wie Frie- 
boes, der dem Choleval denselben Hei¬ 
lungserfolg — keinen besseren, keinen 
schlechteren — zuschreibt wie den 
anderen Silberpräparaten auch. 

Iwan Bloch i'Berlin\ 
(Derm.W. 1916 Jahrg 63 Nr. 48, S 1131—1183.) 

Einen Beitrag zur Pathologie und 
Therapie der Hyperextension im Ell¬ 
bogengelenk veröffentlicht Suter. Die 
Hyperextension im Ellbogengelenk kann 
angeboren sein oder durch operative 
Eingriffe, Frakturen, Zerreißung der Ge¬ 
lenkkapsel oder deren Erschlaffung her- 





März 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 



107 


vorgerufen werden, ln einem Falle, in 
welchem die Fraktur mit gleichzeitiger 
Erschlaffung der Bänder die Ursache 
war, wurde mit Erfolg die Gelenkkapsel 
durch Raffnähte verkleinert und durch 
einen Fascienlappen aus dem Ober¬ 
schenkel gesichert. Hayward. 

(Arch. f. klin. Chir. Bd. 108, Heft 2.) 

Bei Impetigo contagiosa hat Maier 
(praktischer Arzt in Friesdorf) wiederholt 
schwere Nephritiden sogar mit Urämie 
gesehen, die therapeutisch nur wenig be¬ 
einflußbar waren; er empfiehlt, bei Im¬ 
petigo nie die Urinuntersuchung zu ver¬ 
säumen. Die Impetigo ist zwar als leicht 
übertragbare lästige Hautkrankheit be¬ 
kannt; daß sie schwere organische Schä¬ 
digungen macht, scheint zu allgemeiner 
Kenntnis nicht gekommen zu sein. 

(M. m; W. 1916, Nr. 47.) J. v.Roznowski. 

Zur Therapie der Psoriasis vulgaris 
machte Schöppler eine Mitteilung: Die 
sehr häufig auftretende Psoriasis bereitet 
der Therapie immer wieder Schwierig¬ 
keiten. In einem Falle von fast über den 
ganzen Körper ausgebreiteter Psoriasis 
war Chrysarobin,Traumatizin, Arsen, Jod¬ 
kali, Naphthol, Aristol, Röntgenbestrah¬ 
lung — alles erfolglos — versucht worden. 
Es wurde endlich ein Versuch mit der 
Neussschen Klebrobinde gemacht, die 
mit einem leimartigen Stoff imprägniert 
ist und ähnlich wie ein Zinkleimverband 
wirkt. Sie wird von W. Teufel in 
Stuttgart hergestellt. Die Binde blieb 
locker angewickelt fünf Tage um den Ober¬ 
arm liegen. Nach Abnahme war der Arm 
frei von jeder Hautschuppung; die Haut 
entsprach in ihrem Aussehen etwa einer 
sich frisch überhäutenden Brandwunde. 
Allmählich gelang es, der Reihe nach 
alle anderen Körperbezirke bewickelnd 
die Psoriasis völlig zum Abheilen zu 
bringen. Bis jetzt, drei Jahre lang, ist 
der Patient rezidivfrei geblieben. Eine 
wissenschaftliche Vermutung, welches in 
dem Falle das wirksame Prinzip der 
Klebrobinde gewesen ist, wird nicht aus¬ 
gesprochen. Die Mitteilung sollte „zur 
Nachprüfung des auffallenden Heilerfolges 
anregen“. j. v. Roznowski. 

(M. KI. 1917, Nr. 6.) 

Nieden schreibt über freie Knochen- 
platik zumErsatz von knöchernenDefekten 
des Schädels mit und ohne gleichzeitigen 
Duraersatz. Drei Gruppen von Verfahren 
stehen uns zur Verfügung zur Deckung 
von knöchernen Schädeldefekten: 1. die 


gestielte Hautperiostknochenplastik nach 
Müller-König, 2. die gestielte Periost¬ 
knochenlappenplastik, 3. die freie Plastik 
aus der Tibia. Verfasser beschreibt ein¬ 
gehend die seit zehn Jahren in der Lexer- 
schen Klinik üblichen Verfahren der 
Schädeldeckung. Die in jüngster Zeit 
von Küttner-angegebene Methode, bei 
der das Transplantat aus der Tabula 
externa genommen wird, ist von Lex er 
schon vor vielen Jahren als erfolgreich 
bezeichnet worden. Man geht hierbei so 
vor, daß man einen großen Hautlappen 
bildet, welcher an der Grenze der Narbe 
verläuft und dann in der Gegend der 
Basis dieses Lappens entsprechend der 
Größe des Defektes den Knochen mit 
einem besonderen Trepanationsmeißel 
wegnimmt. Sind die Defekte sehr groß, 
so muß das Deckungsmaterial der Vorder¬ 
fläche des Schienbeines entnommen wer¬ 
den. Auch hier wird das Transplantat 
ausgemeißelt. Die Regeneration der 
Tibia geht schnell vor sich, und bei der 
großen Zahl der Erfahrungen der Lexer- 
schen Klinik wurde niemals eine spätere 
Fraktur des Schienbeines gesehen. Über¬ 
all da, wo gleichzeitig Dura- und Hirn¬ 
verletzungen vorliegen, soll man sich mit 
der Schädelplastik nicht begnügen, son¬ 
dern vorbeugend der Entwickelung der 
traumatischen Epilepsie entgegenarbeiten. 
Darum wird gleichzeitig die Dura pla¬ 
stisch ersetzt. Handelt es sich um ver¬ 
hältnismäßig kleine Hirndefekte, so ge¬ 
nügt eine dünne Schicht von dem der 
Tibiafläche anhaftendem Fett. In anderen 
Fällen muß das Fett frei verpflanzt wer¬ 
den. Die Krahkenblätter und Abbil¬ 
dungen von zwei einschlägigen Fällen, 
welche sich durch einen außergewöhn¬ 
lich großen Defekt auszeichnen, vervoll¬ 
ständigen die Arbeit. Hayward. 

(Arch. f. klin. Chir. 1916, Bd. 108, Heft 2.) 

Von Meyer teilt einen Fall mit, in 
dem eine postoperative Magenblutung 
schwerster Art'durch sofortiges Trinken 
einerTube Koagulen Kocher-Fonio glatt 
und f dauernd geheilt wurde. Für wesent¬ 
lich hält der Verfasser das Trinken sofort 
nach dem Erbrechen, das heißt mit ganz 
leerem Magen, und macht den Vorschlag, 
prophylaktisch bei der Operation Koa¬ 
gulen in den Magen zu geben. 

In einem Falle Bräutigams begann 
nach einer Magenoperation ein altes Ulcus, 
arteriell zu bluten. Nach Eröffnung der 
eben geschlossenen vorderen Gastro¬ 
enterostomienaht wurden 20-ccm 10%iger 




108 


Die Therapie der 


Koagulenlösung in den Magen gebracht, 
derselbe wieder geschlossen und das 
Mittel durch mildes Palpieren des Magens 
verteilt. Darnach nur einmal Erbrechen 
schwärzlich - wäßriger Massen, weiter 
gar keine Blutung und Beschwerden 
mehr. Auch Bräutigam empfiehlt pro¬ 
phylaktische Anwendung besonders bei 
Operationen wegen Magenerkrankungen 
auf Grundlage alter Ulcera und schlägt 
die direkte Einspritzung in den Magen 
— durch die Bauchwand hindurch -— 
bei schweren Magenblutungen vor. 

(M. m. W. 1915, Nr.52 u.47.) Waetzoldt. 

Über einen mit Fibrolysin geheilten 
Fall von multiplen Neurofibromen berich¬ 
tet Kencz. Bei einem Manne von 42 
Jahren entwickeln sich seit dreiviertel 
Jahren allmählich am Halse, Rumpf und 
Extremitäten multiple Neurofibrome, die 
bald (etwa vier Wochen)' nach ihrem 
Auftreten heftig zu schmerzen begannen 
und dadurch auch jede Bewegung schmerz¬ 
haft machten. Patient mußte unter 
Morphium gehalten werden. Es wurden 
nunmehr im Anfang in längeren Inter¬ 
vallen, später (von der fünften Woche ab) 
jeden zweiten Tag eine Ampulle Thiosin- 
amin (2,3 ccm) subcutan gegeben, nach¬ 
dem. es zur Vermeidung von Schmerzen 
auf 40 bis 45° erwärmt war. Nebenwir¬ 
kungen. zeigten sich kaum. Im Beginn 
der vierten Woche der Behandlung konnte 
ein Rückgang der Tumoren und Abneh¬ 
men der Schmerzen beobachtet werden. 
Am Ende der achten Woche waren die 
Fibrome fast alle verschwunden und die 
bestehenden schmerzlos. Am Ende des 
dritten Monats war der Kranke von 
seinem Leiden völlig befreit und arbeits¬ 
fähig. Waetzoldt 

(D. m. W. 1917, Nr 3.) 

Über die Verwendung desTribrom- 
naphthols (Providoform) in der Der¬ 
matologie berichtet Ferdinand Wink¬ 
ler auf Grund seiner Erfahrungen bei 
Skabies, Psoriasis, Frostbeulen und Ver¬ 
brennungen. Die schmerz- und juck- 
stillende Wirkung ist ziemlich kräftig; 
erstere tritt besonders bei Verbrennungen 
hervor, bei denen Verfasser ein 5%iges 
Providoformöl als Verbandmittel be¬ 
nutzte, letztere bei der Skabiesbehand- 
lung, in der er die Formel der Wilkinson- 
sehen Salbe benutzte, unter Ersatz des 
Teers durch die Hälfte Providoform. Bei 
Behandlung der Frostbeulen kamen das 
Providoformöl sowie eine 10%ige Pro- 
vidoformsalbc mit gutem Erfolge zur 


Gegenwart 1917. März 


Anwendung. Bei den urtikariellen For¬ 
men der Psoriasis scheint die 10% ige 
alkoholische Providoformlösung den Vor¬ 
zug zu verdienen, bei Psoriasis vulgaris 
eine 10 % ige Providoformsalbe. Naphthol- 
erytheme wurden nie beobachtet. Zwei¬ 
mal täglich ließ Verfasser mit dieser Salbe 
einreiben und unterbrach jeden vierten 
Tag. die Salbenbehandlung durch ein 
Seifenbad. Da die entzündungerregende 
Wirkung des Naphthols fehlt, so ist das 
Providoform für Schälkuren nicht ge¬ 
eignet, dagegen, sehr brauchbar zum Er¬ 
satz des Naphtholalkohols in der Lassar- 
schen Haarkur, da die von Koposi 
bei der Verwendung von halbprozentiger 
alkoholischer Naphthollösung beob¬ 
achtete trockene Modifikation der Epi¬ 
dermis bei der Benutzung des Tribrom- 
naphthols nicht zustandekommt. Als 
Haarspiritus genügt eine 1% ige Lösung 
von Providoform in‘Alkohol mit Zusatz 
einiger Tropfen Ricinisöl. 

Iwan Bloch (Berlin.) 

(Derm. W. 1917, Bd. 64, Nr. 6, S, 134). 

Pseudarthrosen infolge Knochen- 
defektes, insbesondere bei Brüchen des 
Unterkiefers, sucht Prof. Reichel durch 
Verpflanzung von Hautperiostknochen¬ 
lappen zur Heilung zu bringen. Reichel 
weist zunächst auf die mehrfachen Mi߬ 
erfolge der freien Autoplastik hin und 
erklärt dieselben einmal daraus, daß 
nicht immer ein streng aseptisches Vor¬ 
gehen möglich ist, da es sich ja meist 
um Narbengewebe handelt, in dessen 
Bereich vor kürzerer oder längerer Zeit 
eine Fistel bestanden hat, oder weil in 
der Nähe der Mundhöhle operiert werden 
muß, deren Schleimhaut nicht immer un¬ 
verletzt bleiben kann. Eine weitere Ur¬ 
sache sieht er darin, daß das Transplantat 
häufig in narbig verändertes, für eine 
ausreichende Ernährung des Transplantats 
ungeeignetes Gewebe eingepflanzt wird. 
In vielen Fällen kommt es daher wieder 
zur Fistelbildung und späteren Abstoßung 
des Transplantats. Einen weiteren Nach¬ 
teil der freien Autoplastik bildet die 
Schädigung des Knochens, welchem das 
Transplantat entnommen wurde. 

Um mit größerer Sicherheit einen Er¬ 
folg zu erzielen, wandte er die von 
Müller-König zur Deckung von Kno¬ 
chendefekten am Schädel angegebene 
Methode auf die Pseudarthrosen an. 
Durch einen aus der Nachbarschaft ge¬ 
wonnenen, breitgestielten Hautperiost¬ 
knochenlappen tiberbrückt er den Kno¬ 
chendefekt. Der Vorgang bei einer 







März Die Therapie der 


Pseudarthrose des Radius ist z. B. der: 
zunächst Anfrischung des Defekts unter 
weiter lappenförmiger Umschneidung der 
Narbe, dann Bildung eines Hautperiost¬ 
knochenlappens aus der Ulna, welcher 
in den Defekt hintibergeschlagen wird. 
Deckung der Endnahmestelle durch ander¬ 
weitige Plastik oder Tljierschsche Läpp¬ 
chen, eventuell auch durch Auswechs¬ 
lung des bei der Freilegung der Pseud¬ 
arthrose gewonnenen Lappens mit de'm 
Hautperiostknochenlappen. Ein unbe¬ 
dingtes Erfordernis für das Gelingen der 
Operation ist die Wahrung des Gewebs- 
zusammenhanges aller Teile des Lappens. 
Nach der Operation wird das betreffende 
Glied mehrere Wochen absolut ruhig ge¬ 
stellt. Zu frühzeitige Bewegungen ge¬ 
fährden den Heilungsvörgang. Um einer 
zu weitgehenden Versteifung der Gelenke 
vorzubeugen, mobilisiert er dieselben vor 
der Operation. Bei Pseudarthrose des 
Unterkiefers entnimmt er den Knochen 
dem unteren Rande desselben. Ist das 
infolge zu ausgedehnter Verletzung des 
Kiefers nicht möglich, so schlägt er das 
Schlüsselbein als Entnahmestelle vor. 
Die Ruhigstellung des Kiefers wird durch 
zahnärztliche Prothesen besorgt. 

Die große Sicherheit des Erfolges bei 
der Verwendung eines gestielten Haut¬ 
periostknochenlappens liegt darin, daß 
die Ernährung des Knochenersatzstückes 
vom Mutterboden aus weiter besorgt 
wird. Es wird dasselbe auch durch eine 
eventuelle geringe Infektion nicht ge¬ 
fährdet. 

Sechs Fälle sind nach dieser Methode 
mit Erfolg operiert. Hagemann. 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 138, H. 5 u. 6.) 

Über eine Epidemie von myositi- 
scher Pseudogenickstarre berichtete H. 
Curschmann (Rostock). Er beobachtete 
ein zweifellos epidemisches Auftreten einer 
Form des akuten, fieberhaften polyarthri- 
tischen, häufiger aber noch mono- oder 
polymyositisch Rheumatismus, der be¬ 
sonders im Beginne, in den meisten Fällen 
aber dauernd, auf die Halsregionen be¬ 
schränkt war und infolgedessen der epi¬ 
demischen Genickstarre bisweilen täu¬ 
schend ähnlich sah. Sein Material stammt 
aus der Zeit von Januar bis April 1908, 
später kamen nur ganz vereinzelte Fälle 
vor. Er sieht sich zu dieser Mitteilung 
aus früherer Zeit deshalb veranlaßt, weil 
jetzt während des Krieges oft bei Soldaten 
der Verdacht einer epidemischen Genick¬ 
starre besteht, wenn es sich in Wirklich¬ 


Gegenwart 1917. 109 


keit nur um influenzaartige oder rheuma¬ 
tische Erkrankungen handelt. Die 
interessanten Krankengeschichten, die 
Curschmann mitteilt, erwecken beim 
Lesen absolut den Eindruck, als handelte 
es sich um echte Meningitis. Er glaubt, 
seine Fälle schon deshalb von dem ge¬ 
wöhnlichen fieberhaften Muskel- und Ge¬ 
lenkrheumatismus abtrennen zu können, 
weil es sich um ein epidemisches Auf¬ 
treten handelt. Differential-diagnostisch 
muß hervorgehoben werden, daß bei dem 
,,gewöhnlichen“ Muskelrheumatismus nur 
geringfügige Störungen, des Allgemein¬ 
befindens bestehen; es fehlt Erbrechen, 
Somnolenz und subjektiv schweres Krank¬ 
heitsgefühl. Außerdem wird das Wandern 
des Muskelrheumatismus von einem zum 
anderen Muskel als etwas für ihn beson¬ 
ders Charakteristisches bezeichnet. Diese 
beiden differential-diagnostischen Krite¬ 
rien fanden sich bei den mitgeteilten 
Fällen nicht. Hier standen hohe Tem¬ 
peraturen, meist über 39°, schwerer 
subjektiver und objektiver Krankheits¬ 
zustand im Vordergründe. Was die 
Symptomatologie anbelangt, so waren 
die Schmerzen in den erkrankten Mus¬ 
keln so stark, daß aktive und passive 
Nackenstarre nachzuweisen war. Sie 
fand sich bei allen Fällen und war stets 
bedingt durch eine meist äußerst heftige 
Spontan- und Druckschmerzhaftigkeit des 
Musculus sternocleidomasteideus und tra- 
pezius. Bei letzterem war besonders der 
obere Rand schmerzhaft. In einigen 
Fällen war die Haut darüber gedunsen. 
Daß die Muskelaffektion trotz ihrer sub¬ 
jektiven Schwere keine tiefgreifende war, 
bewies der kurz dauernde Verlauf der 
Myalgie selbst und der ihr folgenden Con- 
tractur. Bei den schnell verlaufenden 
Fällen dauerte sie nur vier bis fünf Tage, 
im Durchschnitte sechs bis acht Tage. 
Verfasser sah niemals Schwielenbildung 
nach Heilung der akuten Erkrankung. In 
allen Fällen ging der Krankheitsbeginn 
mit einer katarrhalischen Angina, Rötung 
und Schwellung der Tonsillen und des 
Rachens einher. Das Auftreten der Myo¬ 
sitis cervicalis war stets mit hohem Fie¬ 
ber begleitet. Schüttelfröste wurden nicht 
beobachtet. Der Fieberverlauf war mei¬ 
stens kurz, nach wenigen Tagen kritisch 
abfallend. Zu Rezidiven neigte weder das 
Fieber noch der Muskelprozeß. Ein wich¬ 
tiges weiteres Symptom war das anfäng¬ 
liche Erbrechen, das in keinem Falle 
fehlte. Es erinnerte, wie Curschmann 
ausführt, an das initiale Erbrechen bei 



110 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


' März 


Scharlach, stimmte aber wiederum gar 
nicht mit dem Beginne des typischen 
Muskel- und Gelenkrheumatismus über¬ 
ein, Besondere Komplikationen traten 
nicht auf. Die Diazoreaktion war negativ. 
Wegen der besonders heftigen Kopf¬ 
schmerzen und des Erbrechens sowie der 
Pseudonackenstarre im Beginne der Er¬ 
krankung mußte man noch an die Mit¬ 
beteiligung der Gehirnhaut denken. 
Cur sch mann führte aber mit Absicht 
keine Lumbalpunktion aus, weil er von 
vornherein wegen des Befundes der Hals¬ 
muskulatur davon überzeugt war, daß 
es sich nicht um Meningitis handele. 
Neben dem lokalen Befunde veranlaßte 
ihn zu seiner Diagnose hauptsächlich das 
Fehlen der bekannten meningitischen 
Symptome, wie Kernig, Bradykardie, 
Contfacturen, Hyperästhesie, Reflexver¬ 
änderungen und vor allem psychische 
Gehirnerscheinungen, und schließlich be¬ 
stätigte die angewandte Therapie, näm¬ 
lich Salicylpräparate und warme, trockene 
und feuchte Wickel, die Richtigkeit der 
Diagnose. 

Die Differentialdiagnose, die Cur sch- 
mann erörtert, veranlaßt mich, kurz 
einen Fall anzuführen, der vor mehreren 
Jahren im Krankenhaus Moabit bei einem 
etwa zweijährigen Kinde beobachtet 
wurde, das unter der Diagnose Meningitis 
eingeliefert worden war, und das tatsäch¬ 
lich, wenigstens im ersten Moment, wegen 
der hohen Temperatur, des weit nach 
hinten gebogenen in die Kissen sich ein¬ 
bohrenden Kopfes und der Bewußtlosig¬ 
keit als Meningitis imponierte. Da aber 
alle sonstigen meningitischen Symptome 
fehlten, fahndete man nach einer 
anderen Ursache und fand einen sehr 
stark entwickelten retropharyngealen 
Absceß. Die Nackensteifigkeit ist wohl 
so zu erklären, daß sich infolge des 
Abscesses ein starkes circumscriptes 
Ödem, das auf die Halsmuskulatur 
Übergriff, gebildet hatte. In diesem 
Falle führte die Eröffnung des Abscesses 
sehr schnell vollständige Heilung herbei. 

(M. m. w. 1917, Nr. 1.) Dünner. 

Als „Pseudoskabies“ beschreibt P. G. 
Unna eine krätzeartige, juckende, kon- 
tagiöse Hautaffektion: allerkleinste Pa¬ 
peln, welche gruppenweise, meistens zu¬ 
erst an der Streckseite der Vorderarme 
auftreten und von hier aus sich über den 
Handrücken verbreiten, daselbst häufig- 
ähnlich wie die echte Krätze die Zwischen¬ 
fingerfalten umsäumen und an der hier 


dickeren Hornschicht auch oft aller¬ 
kleinste helle Bläschen und Reihen von 
solchen bilden. Die Pulsgegend und über¬ 
haupt die Beugeseite von Vorderarmen 
und Handgelenk ist weniger befallen, und 
richtige, schwarz punktierte Milbengänge 
fehlen gänzlich, was gerade in der 
Gegend des Handgelenkes und an den 
Zwischenfingerfalten besonders charak¬ 
teristisch ist. 

Von hier aus geht die weitere Ver¬ 
breitung meistens auf die Oberarme, 
Schultern, Brust und Rückengegend über, 
.oft mit Freilassung der bei SkabiesTast 
regelmäßig befallenen Achselfalten. Bei 
Frauen werden mit Vorliebe die Brüste 
und die Gürteigegend, am Rücken die 
Kreuzbeingegend befallen. Weiter er¬ 
streckt sich das Auftreten der winzigen 
Papeln hinab auf die Innenseite der Ober¬ 
und Unterschenkel, wieder mit Frei¬ 
lassung der Genitalien. Auch beim 
Manne, wo die Affektion übrigens seltener 
aufzutreten und sich weniger am Körper 
auszubreiten scheint, bleiben Glans und 
Präputium, die Lieblingeplätze der Krätze, 
frei. 

Die primären blassen Papeln werden 
regelmäßig durch Kratzen gerötet und 
zerstört, dadurch aber auch über den 
ganzen Körper weiter verbreitet. Setzt 
nun die Verimpfung von Ekzem- oder 
Impetigokokken durch das Kratzen ein, 
so ist das ursprüngliche Bild bald ver¬ 
wischt und man kann nur aus dem Fehlen 
der Milbengänge die Diagnose stellen. 

Auch therapeutisch verhält sich 
das Pseudoskabies ganz verschieden von 
der Krätze. Während Perubalsam oder 
Styrax versagen, hilft mit ziemlicher 
Sicherheit und ungemein rasch eine Ein¬ 
pinselung aller befallenen Stellen mit 
Sagrotan (Fabrik: Schülke u. Mayr, 
Hamburg) in 2 bis 20 % wässeriger 
Lösung je nach der Empfindlichkeit der 
Haut. Der heftige Juckreiz läßt sofort 
nach, in wenigen Tagen sind die Primär- 
efflorescenzen und die Kratzstellen ab¬ 
geheilt. Die Einpinselung geschieht mit 
einem kräftigen Borstenpinsel, wobei die 
Flüssigkeit ein wenig schäumt. Man läßt 
sie eintrocknen. Ein Verband ist un¬ 
nötig. Sagrotan ist nach Schottelius 
Völlig ungiftig. Iwan Bloch (Berlin.) 

(Derm. W. 1917, Bd. 64, Nr. 6, S. 129—131). 

Die Rolle der Samenbläschen bei 
chronischen, nicht blennorrhoi- 
schen Infektionen der hinteren 
Harnröhre und Blase beleuchtet J. T. 



März Die Therapie der 


Geraghty besonders im Hinblick auf die 
Therapie. Zahlreiche rezidivierende und 
hartnäckige Erkrankungen der hinteren 
Harnröhre werden von Affektionen der 
Samenbläschen unterhalten. - In Fällen, 
in denen die Samenbläschen nur ganz ge¬ 
ringe Veränderungen bei Palpation zeigen, 
mag eine Beseitigung möglich sein durch 
Injektion von Argyrol oder Protargöl in 
die Samenbläschen. Wenn sich aber aus¬ 
gesprochen entzündliche Veränderungen 
in den Wänden der Samenbläschen finden, 
erscheint es nicht ratsam, irgend etwas 
anderes vorzunehmen als die Inzision oder 
sogar partielle Excision der Samenbläs¬ 
chen, um den gewünschten Erfolg zu er¬ 
halten. Bei ausgesprochenen entzünd¬ 
lichen Veränderungen der Samenbläs¬ 
chen ist es außerdem unmöglich, durch 
eine einfache Inzision vollkommene Drai¬ 
nage zu erreichen. In diesem Falle hat es 
sich als notwendig erwiesen, die hintere 
Wand der Samenbläschen mit zu ent-, 
fernen, um die verschiedenen Taschen 
gründlich zu eröffnen. Außerdem sollte 
auch in jedem Falle die Ampulle des Vas 
deferens eröffnet werden, da sonst leicht 
ein Erkrankungsherd übersehen werden 
kann. Zur gründlichen Drainage ist eine 
genügende Freilegung der Sameribläs- 
chen von Wichtigkeit. Die Harnröhre 
sollte aber nicht eröffnet werden, und 
nach Zurückstreifung der Levatormuskeln 
und der Fascien von der Prostata pflegen 
die Samenbläschen in den meisten Fällen 
leicht sichtbar zu werden. Leichter zu¬ 
gänglich werden sie außerdem durch An¬ 
wendung des Youngschen Traktors, 
eines dem Prostatatraktor ähnlichen In¬ 
struments, . das aber durch den Meatus 
eingeführt wird. Das hat den Zweck, die 
Samenbläschen in das Operationsgebiet 
herauszupressen, so daß sie leicht zu¬ 
gänglich sind. In keinem der vom Ver¬ 
fasser beobachteten Fälle einfacher In¬ 
fektion sind Fisteln und ihre Kon¬ 
sequenzen die Folge gewesen. 

Iwan Bloch (Bsrlin ) 

(Denn. W-1916, Bd. 63, Nr. 50, S 1195—1199.) 

Hofmann liefert einen Beitrag zur 
Technik der Schädelplastik. Die verloren¬ 
gegangene Dura muß bei der Deckung 
operativ gesetzter Schädeldefekte ergänzt 
werden. Einige haben hierzu Netz ver¬ 
wendet, andere nahmen frei transplan¬ 
tiertes Fett, während in der letzten Zeit 
mehrfach empfohlen wurde, den dem 
Schienbein mitsamt dem Perios.t ent¬ 
nommenen Knochenspahn umzudrehen, 
so daß das Periost gehirnwärts zu liegen 


Gegenwart 1917. 111 


kommt. Hof mann entnimmt, der dem 
Schädeldefekte benachbarten Stelle ein 
Stück der Lamina externa zugleich mit 
einem Stück Periost, welches doppelt sq 
groß ist als der Defekt. Die Knochen¬ 
haut schlägt er dann um das Knochen¬ 
stück herum, so daß sowohl nach innen 
wie nach außen Perjost zu liegen kommt. 

(Zbl.f. Chir. 1917, Nr. 2.) Hayward; 

Boral hatte — wie auch andere — 
trotz reichlichstem Krankenmaterials erst 
Anfang Sommer 1916'Gelegenheit, einige 
Skorbutfälle im Felde zu sehen. Im klini¬ 
schen Bilde traten neben Extravasaten in 
der Muskulatur Hautblutungen, Gingivi¬ 
tis, langsamer Herztätigkeit mit weichem 
Puls und leisen Tönen, vor allem und meist 
zu allererst die Tibialgie hervor, das 
heißt eine Schmerzhaftigkeit der Tibia 
im ganzen Verlauf auf Beklopfen und* 
Betasten (ähnlich wie bei der Barlow- 
schen Krankheit und beim experimen¬ 
tellen Meerschweinchenskorbut). Dieselbe 
kann daher wohl als Frühsymptom 
die Diagnose ermöglichen, bevor Haut¬ 
blutungen,. Gingivitis usw. nachweis¬ 
bar sind, so daß eine schnelle fast vor¬ 
beugende Behandlung möglich ist. Den 
auffallenden Umstand, daß sämtliche be¬ 
richteten Fälle im Frühjahr beziehungs¬ 
weise Sommersanfang auftreten, möchte 
Verfasser mit Ernährungsmängeln während 
des Winters erklären. Um eine calorische 
Unterernährung kann es sich nicht han-. 
dein, da Unterernährung weder bei den 
befallenen Individuen noch in der Truppe 
zu beobachten war. Dagegen weist Ver¬ 
fasser darauf hin, daß monatelange Unter¬ 
ernährung an Kaliumverbindungen Skor¬ 
but hervorrufen kann. Eine solche kann 
eintreten bei einseitiger Ernährung mit 
stark gekochten Gemüsen und Kartoffeln, 
scharf poliertem Reis, gering ausgemahle¬ 
nem Mehl, scharf sterilisierter Milch usw., 
die alle durch diese Prozeduren viel von 
ihrem Kaligehalt — dem Boral mit 
Urbeanu die Rolle der Vitamine Funks 
zuweist — verlieren. Um nun die not¬ 
wendige Kalizufuhr von zirka 0,5 g täglich 
zu garantieren, sind 250 bis 300 g Kar¬ 
toffeln nötig, vorausgesetzt, daß sie mit 
der Schale gekocht und auch das Koch¬ 
wasser irgendwie zu Suppe oder der¬ 
gleichen verwandt wird. Auch kleiereiches 
Brot (besonders natürlich solches mit 
Kartoffelzusatz) ist als Prophylacticum 
wie als Heilmittel geeignet. Der Wert 
roher Gemüse in diesem Zusammenhänge 
ist ja allgemein bekannt. 



112 


Die Therapie der 


Boral fordert für den Winter jeden¬ 
falls in den Reservestellungen eine solche 
prophylactische Ernährung — die natür¬ 
lich auch unter heutigen Umständen 
durchaus durchführbar ist — und emp¬ 
fiehlt zur Durchführung solcher Ma߬ 
nahmen Meldepflicht für alle Skorbut¬ 
fälle an der Front. Waetzol'dt. 

(M. Kl. 1917, Nr. 4.) 

Die Ruhigstellung der tuberkulös 
erkrankten Lunge, wie sie durch den 
künstlichen Pneumothorax erreicht wird, 
sucht Wars,tat in origineller und wenig 
eingreifender Weise durch einseitige Ex¬ 
traktion der Intercostalnerven zu 
erzielen. Die von ihm angestellten Versuche 
an Kaninchen und Hunden haben er¬ 
geben, daß die Operation ohne besondere 
Schwierigkeiten ausführbar ist, daß der¬ 
selben eine relative Ruhigstellung und 
ein Einsinken der betreffenden Thorax¬ 
hälfte folgt, woran sich eine Volumver¬ 
minderung und Schrumpfung der be¬ 
treffenden Lunge anschließt. Bei einer 
größeren Reihe mit Tuberkulose infizierter 
Tiere wurde weiterhin festgestellt, daß 
in der Lunge der operierten Seite sowohl 
der Zahl wie auch der Größe nach ge¬ 
ringere Tuberkelknötchen vorhanden 
waren. Im mikroskopischen Präparat 
waren die Knötchen der operierten Seite 
von Bindegewebe umgeben und fast 
immer ohne Verkäsung, während die der 
.nicht operierten Lunge mit allen Zeichen 
einer käsigen centralen Nekrose unter 
Neigung zur Kavernenbildung darboten. 

Auf Grund der günstigen Tierversuche 
wurde an zwei Menschen die Operation 
ausgeführt. Die Operation gelang unter 
Lokalanästhesie ohne Schwierigkeiten und 
verlief ohne Zwischenfall. Alsbald nach 
der Operation stellte sich die gewünschte 
Veränderung in den Atembewegungen der 
operierten Thoraxhälfte ein. In dem zu 
zweit operierten Falle war eine deutliche 
Umfangsverminderung der operierten 
Seite nach vier Wochen nachweisbar. In 
diesem Falle verschwanden alle Beschwer¬ 
den der erkrankten Lunge, während im 
ersten Falle nur ein geringer Rückgang der 
Krankheitserscheinungen festgestellt wer¬ 
den konnte.. Dieser Fall war auch der 
schwerere, denn es handelte sich bereits 
um Kavernenbildung, während im zweiten 
Falle nur eine infiltrative Tuberkulose vor¬ 
handen war. 

Ein abschließendes Urteil ist infolge 
zu kurzer Beobachtung nicht möglich. 
Den Mißerfolg im ersten Falle erklärt 


Gegenwart 1917. März 


Verfasser damit, daß bereits Kavernen 
vorhanden waren, welche sich nach 
Ruhigstellung der Lunge nicht mehr ge¬ 
nügend entleerten. Er hält daher diese 
Fälle für diese Operation nicht geeignet. 

Hage mann (Marburg.) 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 138, H. 5 u. 6.) 

Einen Beitrag zur Behandlung von 
Unterschenkelgeschwüren liefert E. 
Knotte (Essen). Er läßt heiße Opium- 
umschläge auflegen, indem er einen Tee¬ 
löffel der Tinktur zu 100 g Wasser zusetzt. 
Die Umschläge sollen drei- bis viermal 
täglich je zwei Stunden lang gemacht 
werden. In der Zwischenzeit ließ. Ver¬ 
fasser heiße Umschläge applizieren und 
mit undurchlässigem Stoffe (Billroth- 
batist, kein Guttapercha) bedecken und 
verbinden, ebenso des Nachts. Zunächst 
hörten die unerträglichen Schmerzen fast 
sofort auf, und die schmutzig bedeckten 
Wunden reinigten sich in einigen Tagen. 
Es setzte eine starke Granulation ein und 
Überhäutung vom Rande her, so daß in 
leichteren Fällen in zwei bis drei Wochen, 
in den schlimmeren und schlimmsten 
selbst in vier bis fünf Wochen die Ge¬ 
schwüre völlig verheilt waren. Knotte 
wurde zu dieser Therapie durch Berichte 
veranlaßt, daß in Südwestafrika Unter¬ 
schenkelgeschwüre schon seit längerer 
Zeit mit Opiumumschlägen behandelt 
werden. Dünner. 

(M. m. W. 1917, Nr. 1). 

Eine Vereinfachung der operativen Be¬ 
handlung der Varicen schlägt Kocher vor. 
Eine, eingehende Beschreibung der bisher 
bei Varicen meist in Gebrauch befindlichen 
Operationen unter genauer Berücksichti¬ 
gung des Mechanismus der Entstehung des 
Leidens. Kocher ist in Anlehnung an die 
guten Resultate der Ligatur der Saphena 
magna bei positivem Trendelenburg- 
schen Zeichen so vorgegangen, daß er zu¬ 
nächst auch die Saphena unterbindet und 
dann eine große Zahl von percutanen 
Ligaturen anlegt, welche die zu- und ab¬ 
führenden Äste der sichtbaren Varix¬ 
knoten abschnüren. Die ganze Operation 
wird unter Lumbalanästhesie vorgenom¬ 
men. Die Unterbindungen geschehen mit 
Seide, und es kommt vor, daß bis zu 
200 Umschnürungen angelegt werden. 
Die Kranken stehen am zweiten Tage 
nach der Operation auf und verlassen die 
Klinik nach acht Tagen. Die Resultate 
sind sehr befriedigend, Komplikationen 
wurden niemals beobachtet. Hayward. 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 138, Heft 1 u. 2.) 




März Die Therapie der Gegenwart 1917. 113 

Therapeutischer Meinungsaustausch. 

Typhusbehandlung mit Hydrargyrum cyanatum. * 

Von Dr. med. Gellhaus in Rüstringen in Old. 


Seitdem die .Typhusschutzimpfungen 
besonders in wiederholten Dosen ein¬ 
geführt sind, scheint die Gefährlichkeit 
dieser Krankheit als epidemische Seuche 
beseitigt zu sein. Zum wenigsten hört 
man von einer großen Verbreitung des 
Typhus in unserem Kriegsheere so gut 
wie gar nichts. Auf die Verhältnisse der 
Allgemeinpraxis wird sich diese vor¬ 
beugende Therapie nicht so vollständig 
übertragen lassen. Hier wird der Arzt 
immer noch darauf angewiesen sein, mit¬ 
internen Mitteln den einzelnen Krank¬ 
heitsfall zu bekämpfen. Von diesem Ge¬ 
sichtspunkte aus möchte ich einige Beob¬ 
achtungen veröffentlichen, die ich bei 
Typhuserkrankungen gemacht habe. 

In meiner jetzigen Praxis kommt 
Typhus als einheimische Krankheit nicht 
vor. Indes wurde vor einigen Jahren 
durch ein auswärtiges Ferienkind diese 
Seuche hier eingeschleppt. Dieses Kind, 
hier auf Besuch, hatte den Keim aus der 
Heimat mitgebracht; es erkrankte zuerst 
und steckte in der Inkubationszeit auch 
ihre beiden hiesigen Spielgefährtinnen an. 
Typhusbacillen wurden bei dem zuge¬ 
reisten Kinde festgestellt, so daß die Art 
der Erkrankung in jeder Weise geklärt 
war. 

Eine der hiesigen Kranken war in meiner 
Praxis, Gretchen S., 12 Jahre alt. Im Anfänge 
schien die Infektion keine allzuschwere zu sein, 
jedoch von der zweiten Woche entwickelte sich 
das Krankheitsbild trotz sorgfältigster Pflege von 
Tag zu Tag schlechter. Die Zunge vertrocknete 
immer mehr, wurde schließlich schwarz-borkig, 
Lippen spröde und rissig, die Bauchdecken spann¬ 
ten sich zu brettartiger Härte und waren aufs 
äußerste druckempfindlich. Die Temperatur war 
andauernd zwischen 39 und 40°, Puls stark 
beschleunigt. Stuhlentlehrungen waren nicht 
sehr vermehrt. Das ganze Krankheitsbild machte 
einen betrübenden Einduck und die Prognose 
schien schlecht. Therapeutisch hatte ich ver¬ 
schiedenes angewendet, aber das üble Fortschreiten 
war dadurch nicht aufgehalten Worden. 

Nun kam ich in der Betrachtung dieses 
Falles zu folgender Überlegung. Vor 
längeren Jahren wurde im Anfangs¬ 
stadium des Typhus Calomel empfohlen, 
ebenso wurde es früher bei Rachen¬ 
affektionen manchmal herangezogen. Für 
letztere Erkrankung verwende ich seit 
langer Zeit Hydrarg. cyanatum und bin, 
soweit keine Diphtherie in Frage kommt, 
mit der Wirkung sehr zufrieden. Im 
weiteren kam mir nun der Gedanke, ob 
Hydrarg. cyanatum nicht auch bei Typhus 


verwendbar sein könnte. Wenn überhaupt 
dem Hydrargyrum beiTyphus eineWirkung 
zukommen sollte, war diese viel eher vom 
Hydrarg. cyanatum, als vom Calomel zu 
erwarten, weil die Wirkung des ersteren 
viel < milder ist, als die des Calomel. 
Einen Erfolg erwartete ich nicht als 
Darmdesinfizienz, sondern im bacteri- 
ciden Sinne vom Blute aus. Ich ver- 
ordnete bei dem achtjährigen Mädchen 
Hadrarg. cyanat. 0,01/30 Wasser mit 1 g 
Spritzusatz einhalbstündlich zehn Tropfen 
in einem Eßlöffel voll Wasser. . Diese 
Medikation wurde zwei Tage fortgesetzt, 
und ich hatte am dritten Tage die Freude, 
daß das Allgemeinbefinden etwas besser 
wurde, auch Temperatur und Puls sich 
verminderten. Die Tropfen wurden jetzt 
alle Stunde gegeben, da anscheinend 
eine günstige Reaktion zustande ge¬ 
kommen war, und ich in etwa noch eine 
Darmreizung fürchtete. Die Besserung 
war in fünf bis sechs Tagen völlig deutlich, 
der Leib wurde weicher, die Zunge 
feuchtete sich und nach reichlich einer 
Woche vom Beginn der Medikation an 
war die Lebensgefahr überwunden. Der 
gute Verlauf hielt auch weiter an, und 
die Patientin ist ohne Zwischenfälle ge¬ 
nesen. 

Als diese Kranke in voller Besserung 
war, machte der Typhus in der Familie 
weitere Fortschritte: es erkrankte ein 
kleiner Bruder unter denselben Erschei¬ 
nungen, wie die ältere Schwester, ln den 
ersten Tagen tat ich nichts, um zu sehen, 
ob dies wirklich eine Typhusinfektion sei 
oder nur eine allgemeine Unpäßlichkeit. 
Jedoch der Krankheitsverlauf zeigte deut¬ 
lich die schwere Infektion. 

Das Befinden verschlechterte sich von Tag 
zu Tag, die Temperatur stieg bis 39°. Nun glaubte 
ich, mit der Hydrargyrummedikation nicht länger 
warten zu dürfen., Entsprechend den jüngeren 
Jahren wurden 1 / 2 stündlich 8 Tropfen gegeben. 
Am zweiten Tage nach Beginn der Hydrargyrum- 
behandlüng ließ sich eine Wirkung feststellen im 
Absinken der Temperatur und Besserung des 
Allgemeinbefindens. Auch hier war der Erfolg 
ein dauernder und in zwei Wochen war der kleine 
Patient völlig genesen. 

Zwei Jahre später, im Juli 1913, hatte 
ich Gelegenheit, noch einen verdächtigen 
Fall zu behandeln. 

In der kinderreichen, robustgesunden Arbeiter¬ 
familie G. erkrankte der Sohn Franz mit Klagen 
über Leibschmerzen und allgemeiner Unpäßlich¬ 
keit. Nachdem sich dieses mehrere Tage hinge- 






114 Die Therapie der 


schleppt hatte, wurde ich am 10. Juli gerufen. 
Bei der Untersuchung war außer Fieber bis 
38,5° nichts Objektives festzustellen, dabei klagte 
der Junge über starke Leibschmerzen. In den 
nächsten Tagen wurde das Befinden noch schlech¬ 
ter, Temperatur höher, Befund: nitril. Am 14. 
und 15.‘ Juli waren deutliche Roseolen sichtbar. 
Dadurch war die Typhusdiagnose gesichert. Über 
das woher der Infektion war nichts zu eruieren. 
Weit und breit war kein Typhus oder ähnlicher 
Darmkartarrh bekannt. ^ 

Außer den schon anfangs verordneten „Diät¬ 
vorschriften wurde am 16.- Juli Hydrargyrum 
cyanatum gegeben, 1 j stündlich 10 Tropfen. Am 
nächsten Tage war das Befinden nicht schlechter 
und am 18. Juli zeigten Temperatur und All¬ 
gemeinbefinden eine deutliche Besserung, des¬ 
gleichen am 19. Juli. 

Am 21. Juli fand ich den Knaben, im Sofa 
sitzend, emsig beschäftigt, ein dickes Butterbrot 
zu vertilgen. Die Folgen dieser Unvernunft ließen 
nicht auf sich warten: am folgenden Tage hatte 
der Patient wieder hohes Fiebef und starke Leib¬ 
schmerzen. Jedoch auch dieser Rückfall ging mit 
Hydrargyrum cyanatum und Diät vorüber. Nach 
einigen 'l agen war die Temperatur wieder normal 
und damit fand der Fall seine Erledigung. In 
der Familie sind keine weiteren Erkrankungen 
dieser Art vorgekommen. 

Mit diesen Fällen war meine Typhus¬ 
behandlung vorerst zu Ende. Kurz 
nach Beginn des Krieges wurde es mir 
wieder möglich, einige weitere Beob¬ 
achtungen zu machen. In das Militär¬ 
lazarett zu Wilhelmshaven wurden zu 
dieser Zeit . eine Anzahl Typhuskranke 
eingeliefert, und auf Anregung von Herrn 
Professor Mühlens, dem damaligen Leiter 
der bakteriologischen Untersuchungs- 
Station des Lazaretts, wurden mehrere 
Kranke mit Hydrarg. cyanat. behandelt. 
Bei drei Fällen, von denen einer ein 
Schwerkranker gewesen sein soll — ge¬ 
sehen habe ich den Kranken nicht—, trat 
bald nach der Hydrargyrummedikation 
Besserung und weiterhin völlige Heilung 
ein. Einige klomplizierte Fälle' wurden 
nicht beeinflußt. Da jedoch bei diesen 
dreien die Krankheit schon längere Zeit 
bestanden hatte, wäre es gewagt, hier 
ein post hoc ergo propter hoc konstruieren 
zu wollen. 

Dann las ich, ebenfalls in der ersten 
Zeit des Krieges, von der Einrichtung 
eines großen Seuchenlazaretts in Trier. 
Ich wandte mich dahin unter Darlegung 
meiner Erfahrungen. Bei mehreren 
Kranken ist Hydrarg. cyanat. angewendet. 
Nach Verlauf einiger Wochen erhielt ich 
auf Anfrage von dem leitenden Arzte die 
Mitteilung, daß das Hydrarg. cyanat. in 
unkomplizierten Fällen wahrscheinlich 
eine günstige Wirkung geäußert habe, 
bei den anderen Kranken ohne Einfluß 
gewesen sei. Inzwischen hatten sich in 


Gegenwart 1917. März 


meiner Praxis auch wieder ' einige Be¬ 
obachtungsfälle eingestellt. Hier traten 
um dieselbe Zeit urplötzlich in weit ver¬ 
streuten Fällen heftige leicht fieberhafte 
Darmkatarrhe auf, die zu meiner Über¬ 
raschung auf die gewöhnliche Behandlung 
in keiner Weise reagierten. Der erstere ' 
Fall war eine ältere Frau, die sich reichlich 
eine Woche mit diesem Katarrh unter 
beträchtlichen Beschwerden herumquälte, 
um dann allmählich sich zu bessern, ohne 
daß die verordneten Medikamente einen 
irgendwie sichtbaren Nutzen geleistet 
hatten. 

Kurz danach, am 28. November 1914, er¬ 
krankte in einer weit davon abwohnenden Familie 
ein kleines Kind von l 1 /., Jahren, Alma K-, und 
wieder einige Tage später, fern ab von diesem 
erkrankten Mädchen, ein dritter Fall, ein Knabe, 
von 12 Jahren. Bei der kleinen Alma versagte die 
erste Behandlung, ohne Hydrargyrum cyanatum 
vollständig. .Das Kind nahm von Tag zu Tag mehr 
ab und war bald soweit, daß die Prognose quoad 
vitam sich sehr bedenklich gestaltete. Da griff ich, 
in der Überzeugung, daß hier ein besonderer Darm¬ 
katarrh vorliegen müsse, zum Hydrargyrum cya¬ 
natum. Am 3. Dezember wurden die ersten Tropfen 
verabreicht, den kindlichen Verhältnissen ent¬ 
sprechend in geringerer Dosis 0,004-30, V„stündlich 
10 Tropfen. Schon nach 24 Stunden war eine 
leichte Besserung des Krankheitszustandes sicht¬ 
bar, dem bald völlige Genesung folgte. 

Bei dem Knaben, zu dem ich erst nach mehre¬ 
ren Krankheitstagen am 4. Dezember gerufen 
wurde, war das Krankheitsbild schon so verworren, 
daß die wahre Ursache von mir nicht sofort erkannt 
wurde. Zu den Erscheinungen des Darmkatarrhs 
waren bereits peritonitische Beschwerden, harte 
Bauchdecken, trockene Zunge hinzugetreten, dabei 
fühlte sich der Kranke recht matt und angegriffen. 

Inzwischen waren in der Praxis von Kollegen, 
die noch mehr Fälle dieser Art gehabt hatten, 
diese Erkrankungen durch die bakteriologische 
Untersuchungsstation in Wilhelmshaven als 
Paratyphus B erkannt worden. 

Bei meinem Patienten wurde dieselbe Fest¬ 
stellung gemacht. und nun am 6. Dezember. 
Hydrargyrum cyanatum gegeben. 

Die Wirkung trat bald ein, aber nur teilweise. 
Die Diarrhöen und das Allgemeinbefinden besserten 
sich beträchtlich, aber die Härte der Bauchdecken 
mit den zugehörigen Druckschmerzen wollten 
nicht recht weichen. Um diesen Zustand zu heilen, 
nahm ich am 12. Dezember Kollargol zu Hilfe, 
damals noch als venöse Einspritzung, wie ich es 
in der M. m. W., 13. 6. 1916, beschrieben habe. 
Wie bei anderen Entzündungskrankheiten war 
ich auch in diesem Falle mit der Wirkung des 
Kollargols sehr zufrieden. Die Härte der Bauch¬ 
decken war bald weniger stark. In einigen Tagen 
war hierauf die Krankheit überwunden. Als letzter 
Fall wurde im Sommer 1915 eine heftige Diarrhöe 
bei einem dreijährigen Kinde mit Hydrargyrum 
cyanatum behandelt. Das Kind erkrankte unter 
den Erscheinungen eines gewöhnlichen Darm- 
katarrhs. Außer Diät wurden einige Medi¬ 
kamente verordnet, die indes auf den Verlauf der 
Krankheit nicht den mindesten Einfluß ausübten. 
Die Durchfälle wurden immer reichlicher, bis 
schließlich nach 3 Tagen sogar blutiger Stuhl 






März 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 115 


ausgeschieden wurde. Brechen stellte sich nicht 
ein. Die kleine Patientin fühlte sich sehr krank. 
Nun griff ich auch hier zum Hydrargyrm cyana- 
tum, das seinen wohltätigen Einfluß auch nicht 
vermissen ließ. Mit dem Nachlassen der Diarrhöen 
wurde auch der Allgemeinzustand besser und nach 
einigen Tagen war die Krankheit behoben. 

Leider ist es mir bis jetzt nicht möglich 
geworden, noch mehr Beobachtungen 
über Typhus oder typhoide Erkrankungen 
zu gewinnen. Ich habe noch einige Ver¬ 
suche gemacht, die Hydrargyrumbehand- 
lung in Vorschlag zu bringen, aber die Ty¬ 
phuserkrankungen sind, soweit ich Nach¬ 
richt erhielt, überall nur sporadisch auf¬ 
getreten, und waren aus den betreffenden 


Krankenanstalten recht bald wieder ver¬ 
schwunden, so daß das Hydrargyrum 
cyanat. nicht angewendet werden konnte. 

Darum bin ich mit diesen nicht sehr 
zahlreichen Fällen zur Veröffentlichung 
geschritten. Ich habe den Eindruck ge¬ 
wonnen, daß Hydrarg. cyanatum, in der 
angegebenen Weise verabreicht, entweder 
schon allein, oder in Verbindung mit 
kleinen Injektionen von Kollargol auf die 
Typhuserkrankung günstig einwirkt. Und 
wenn auf diese Weise auch nur einem 
Kranken Leben und Gesundheit wieder¬ 
gegeben würde, dann wäre diese kleine 
Arbeit ja nicht umsonst geschrieben. 


Uber Behandlung der Qichtphlebitis mit Dermotherma. 

Von Geh. Sanitätsrat Dr. M. Vogel-Jena. 


Über Gichtadern war im vorigen Jahr¬ 
hundert wenig bekannt geworden, ich 
.fand sie in Lehrbüchern nicht erwähnt 
und ich hatte auch in der Praxis keine 
Gelegenheit, sie bei anderen zu beob¬ 
achten. Als erste ausführliche Beschrei¬ 
bung der Gichtphlebitis las ich G. Du- 
. c a s t e 1 s Abhandlung 1904. 

Die ersten Gichtadern in meiner 
langen Praxis sah ich also bei mir selbst. 
Anfangs hatten mir die Varicen an meinen 
Unterschenkeln nichts Außergewöhnliches 
dargeboten. Mit Eintritt in das 60. Lebens¬ 
jahr — gegenwärtig bin ich 74 Jahre 
alt — traten an der linken Saphena über 
dem Kniegelenk mehrere Male ausge¬ 
dehnte Thrombosen auf. Solche Throm¬ 
bosen bilden ja eine Naturheilung für 
die entarteten Venen unterhalb der 
Thrombose, welche veröden. Aber bald 
entstanden neue erweiterte Venen und 
diese entwickelten sich auf der Außen¬ 
seite des Unterschenkels, später aller¬ 
dings auch wieder auf der Innenseite. 
Nunmehr nahm ich die ersten Gichtknoten, 
(tophi) wahr, zuerst an der Kniescheibe, 
dann am ganzen Unterschenkel und zu¬ 
meist am Fuß. Die Gichtknoten gaben 
Anlaß zur Bildung weiterer Thrombosen, 
da sie in der Venenwand sitzend das 
Lumen der Vene verengten und hier eine 
Ablagerung und Gerinnselbildung des 
Blutes verursachten. Tophi und Gerinnsel 
sind dann schwer, voneinander zu unter¬ 
scheiden, und so wird man die ursprüng¬ 
lichen Tophi vielfach für Blutgerinnsel 
halten. 

Ich hatte mittlerweile in einer „Brief¬ 
kastennotiz“ in einer medizinischen Zei¬ 
tung, deren Autor mir unbekannt blieb, 
gelesen, wie gefährlich und unheilbar 


,,Gichtadern“ seien und wie häufig sie 
Thrombosen und hämorrhagische Infarkte 
zur Folge haben. Dies traf bei mir zu. 
Im Jahre 1910 hatte ich bei Thrombose 
elf Infarkte in beiden Lungen und im 
Herbst 1914 entstand bei mir aus der 
gleichen Ursache eine Thrombose in 
einem Arterienaste der linken Retina,- 
deren Folgen mich jetzt noch sehr be¬ 
lästigen. ' Irgendwelchen Druck vertragen 
nun weder die Tophi noch die thrombo- 
sierten Venen, letztere auch nicht nach 
der Heilung der. Thrombose. Ich habe 
Pflaster- und andere Verbände, sowie 
sämtliche Binden und Bandagen, die für 
varicöse Venen empfohlen werden, nur 
zu meinem Schaden versucht. 

Da ich durch die abnorme Blutver¬ 
teilung sehr an kalten Füßen litt, so 
suchte ich mir hiergegen Linderung zu 
verschaffen durch Dermotherma, das 
mir zu Versuchen durch das Luitpold- 
Werk in München 25 dargeboten war. Ich 
bemerkte zu meinem freudigen Erstaunen, 
daß meine Gichtknoten sich ungewöhn¬ 
lich schnell verkleinerten und verschie¬ 
dentlich ganz verschwanden. Besserungen 
hatte ich ja auch bisher durch inner¬ 
lichen Gebrauch von Hexamethylentetra¬ 
min (Urotropin) erzielt, aber niemals ein 
vollständiges — wenn auch nur zeit¬ 
weises — Verschwinden der Tophi, und 
zudem gehörten Monate dazu, um die 
Tophi erheblich zu verkleinern. Bei An¬ 
wendung von Dermotherma war schon 
nach halben Wochen ein erhebliches 
Schwinden derselben wahrzunehmen, be¬ 
sonders als ich nach Erkenntnis dieser 
Wirkung mich nur auf die Einreibung der 
Tophi beschränkte. Es zeigte sich, 
namentlich bei den großen Gichtknoten, 

15* 





116 ' Die Therapie der Gegenwart 1917. 'März 

wie deren Heilung durch Erweichung und eine frische Thrombose mit Dermotherma 
Einschmelzung von der Peripherie her zu behandeln wegen der Gefahr der 
zustande kam. Hier wurden die Ge- Embolie. 

schwülste auch etwas schmerzhaft. An- Ich will nicht verschweigen, daß es 
fangs glaubte ich, daß das Dermotherma mir nicht gelang, bis jetzt alle Tophi zu 
eine schmerzhafte Hautreizung verursache, beseitigen, zumal ich nicht täglich, sondern 
und setzte, die Einreibungen aus. Als ich nur nach Bedarf einreibe. Bei verschie- 
aber sah, daß ich irrtümlich eine Haut- denen Tophi blieb ein Kern zurück, und 
reizung angenommen hatte, und daß die wenn ein Witterungsumschlag eintritt, so 
Tophi sich nicht weiter zurückbildeten, bringt er nicht nur neue Tophi, sondern 
so nahm ich die Einreibungen wieder auf. die bisherigen nehmen wieder zu. Aber 
Ich habe Rückbildung verschiedener doch nicht in dem Maße wie früher, das 
Gichtknoten schon in eineinhalb bis zwei ist eine große Wohltat! Seit Jahren 
Wochen erzielt, die ich seit Jahren 5 un- mußte ich einen Venenkomplex über der. 
verändert besaß. Das war für mich eine Patella, der mit Konkrementen durch¬ 
große Erleichterung namentlich an den setzt war, während des Winters durch 
Stellen, wo die Schuhschnürung drückte, einen Watteverband gegen die Reibung 
Auch die die Tophi begleitenden Ödeme der Kleider schützen; dies habe ich nicht 
wurden geringer und verschwanden für mehr nötig. Die eingelagerten Kon- 
die Zeit der Nachtruhe vollständig. Warme kremente bringe ich zum Verschwinden 
Fußbäder bis zu 40 0 C unterstützten die und der Venenkomplex ist auf ein Viertel 
Kur. verkleinert. 

Den Gebrauch des Urotropins nahm Da die Gicht bei mir auch in mehreren 
ich trotzdem wieder auf, als ich bemerkte, Gelenken (Finger-, Hand-, Fußgelenk 
daß dessen Anwendung gemeinsam mit usw.) bei Witterungswechsel unter Auf- 
Dermotherma die Aufsaugung der Tophi treibungen und Schwellung auftritt, so 
beschleunigte. Offenbar spült das Uro- habe ich in letzter Zeit auch hier Dermo- 
tropin die gelösten Harnsalze schneller therma eingerieben mit bestem und 
aus dem Körper heraus, was sich auch schnellem Erfolg. 

im Urin durch vermehrte Harnsäure be- Ich gebrauche Dermotherma erst seit 
merklich macht. zirka zwei Monaten, ich hoffe, daß 

Die Schmerzen an den Gichtknoten, seine Anwendung im Sommer mir noch 
welche bei Einreibungen auftraten, deuten nachhaltiger nützen kann, trotz meiner 
darauf hin, daß durch erhöhte Blutzufuhr 74 Jahre. 

und Temperaturerhöhung eine Einschmel- Ich bemerke, daß ich wegen der Gicht 
zung der harnsauren Salze zustande schon seit vielen Jahren salzfreie Diät 
kommt, wie man dies ja auch in anderen innehalte (für Vermeidung von Schäden 
Fällen bei einer gelegentlichen Entzün- durch schwere Fleischspeisen sorgt 'der 
düng bemerkt. Krieg!), und daß ich betreffs Alkohol 

Außer den Tophi kamen auch alte abstinent lebe. Daran darf ich, wie ich 

Thrombosenreste zur Aufsaugung. Na- überzeugt bin ■— trotz des guten Er- 
türlich möchte ich es nicht empfehlen, folges mit Dermotherma—, nichts ändern. 

Merkblatt für Ärzte zur Verhütung und Behandlung der 
Nierenentzündungen im Felde 1 ). 

lieb eine Verschlimmerung erfahren 
und zu Herzschwäche, Ödemen, 
Urämie, Apoplexie führen können, 
und 

b) der akuten sogenannten Feld¬ 
nephritis in engerem Sinne. 

2. Auf einen älteren Prozeß (Schrumpf¬ 
niere) weisen außer dem Harnbefund 
(häufig Polyurie mit oft sehr geringem 
Eiweißgehalt und spärlichen Formelemen¬ 
ten) vor allem die Blutdrucksteigerung 
(Drahtpuls) und ein akzentuierter, nicht 
selten klingender zweiter Aortenton sowie 


1. Bei den im Felde beobachteten 
Nierenleiden ist zu unterscheiden zwischen 
a) älteren Prozessen verschiedener 
Ätiologie (Infektionen; auch Syphilis, 
Intoxikationen, genuine Arterio¬ 
sklerose, Gicht), die im Kriege ledig- 

1 ) Dieses Merkblatt ist vom Chef des Feld¬ 
sanitätswesens, Exz. von Schjerning, den 
Militärärzten und Lazaretten zur Nachachtung 
übergeben worden. Die Kenntnis dieser ausge¬ 
zeichneten und erschöpfenden Anweisung wird 
auch den nicht im Militärdienste stehenden Kollegen 
von größtem Nutzen sein. Red. 



März Die Therapie der 


der hebende Spitzenstoß (Herzhyper¬ 
trophie) hin. 

3. Die sogenannte Feldnephritis bietet 
.anatomisch kein neues Krankheitsbild. 
Sie ist eine akute Glomerulonephritis und 
kann im weiteren Verlaufe auch zu einer 
glomerulären Schrumpfniere führen mit 
den in 2 genannten Symptomen. 

Klinisch zeichnet sich die Feldne¬ 
phritis durchs die Neigung zu besonders 
hochgradiger Ödementwicklung aus. Diese 
Ödeme treten häufig im Beginn der Er¬ 
krankung sehr rasch auf; die höchsten 
Grade werden meist nur in den Feld- und 
Kriegslazaretten beobachtet. In den 
Reservelazaretten sieht man sie weit 
seltener. 

Diese hochgradigen Ödeme sind nicht 
restlos als renale zu erklären. Es spielen 
extrarenale Ursachen mit: gesteigerte 
Ödembereitschaft, vermehrte Wasseran¬ 
ziehung der Gewebe. (Schädigungen der 
Hauptcapillaren durch Abkühlungen, An¬ 
häufung von Stoffwechselprodukten, Ein¬ 
flüsse einseitiger „denaturierter“ Er¬ 
nährung.) 

4. Die Ursachen dei: akuten Glome¬ 
rulonephritis überhaupt sind infektiös¬ 
toxische oder chemisch-toxische. Das 
gilt auch für die sogenannte Feldne¬ 
phritis. 

Im Felde spielen aber die infektiös¬ 
toxischen Ursachen die Hauptrolle: In¬ 
fektionen jeder Art (akute Infektions¬ 
krankheiten, Streptokokkeninfektionen 
vom lymphatischen Rachenring aus, Fu¬ 
runkel, Erysipel, Dermatosen). 

Um den Beginn einer Nierenerkran¬ 
kung möglichst frühzeitig festzustellen, 
ist bei allen infektiös erkrankten Soldaten 
sorgfältig auf pathologische * (chemische 
und morphologische) Beimengungen des 
Harns zu achten: Eiweiß, Blut, Cylinder, 
Epithelien, Leukocyten. 

5. Als ein wichtiger begünstigender 
Umstand (erhöhte Organdisposition) in 
der Ätiologie der sogenannten Feldne¬ 
phritis ist die Erkältung anzusehen. 

Es ist eine alte, immer wieder erhärtete 
Erfahrung, daß Nephritiker warm ge¬ 
halten werden müssen. Jede Erkältung 
kann akute Verschlimmerung des Leidens 
bedingen. Für die Existenz eines Er¬ 
kältungseinflusses spricht auch besonders 
eindringlich der Nutzen der Abhärtung! 

Es wird immer und immer wieder die 
Erfahrung gemacht, daß gerade ältere 
Soldaten (Landsturm) verhältnismäßig 
häufig an Nephritis erkranken. Infolge 


Gegenwart 1917. . 117 


arteriosklerotischer Gefäßveränderungen, 
verschlechteter Vasomotorentätigkeit und 
dadurch bedingter Minderwertigkeit der 
physikalischen Wärmeregulation erliegen 
sie besonders leicht erkältenden Ein¬ 
flüssen. . 

6. Am meisten wärmeentziehend 
wirkt die nasse Kälte: Durchnässungen, 
Aufenthalt in nassen Schützengräben, 
Schlafen in feuchten Unterständen oder 
auf naßkaltem Erdboden. 

7. Auch starke körperliche Anstren¬ 
gungen (Märsche) können insbesondere 
nicht intakte Nieren schädigen. 

Die Erfahrungen bei sportlichen Über¬ 
anstrengungen einerseits und die Fälle 
mit orthostatischer Albuminurie und Hä¬ 
maturie andererseits lehren,, daß auch 
durch chemisch-toxische Einflüsse (An¬ 
häufung von Stoffwechselprodukten) und 
durch Circulationsstörungen die Nieren 
krank werden können. 

8. Auch alle Bact.-coli-Infektionen der 
.Harnwege (Cystitis) bedürfen wegen der 
Gefahr einer aufsteigenden Infektion (Pye¬ 
litis, Nephritis) sorgfältiger Beobachtung 
und Behandlung (Urotropin, Borovertin). 
Man vermeide aber z. B. Spülungen mit 
Kali chloricum! 

9. Bei der Läusebekämpfung bei 
Leuten mit ausgedehnten Dermatosen 
vermeide man die Anwendung chemisch¬ 
toxischer Mittel. Die kranke Haut resor¬ 
biert mehr als die gesunde! Ebenso ver¬ 
hält sich die erkrankte Blasenschleim¬ 
haut. Man vermeide die Anwendung von 
Carbol und Jodoform! Auch kein Kresol! 

10. Im Kriege lassen sich naturgemäß 
alle die Nieren schädigenden Einflüsse 
nicht ausschalten. Es ist aber unsere Auf¬ 
gabe, sie nachMöglichkeit zu beschrän¬ 
ken. 

Also: Mäßigkeit im Genüsse alkoho¬ 
lischer Getränke, Vermeidung einseitiger, 
zu stark gesalzener Nahrung (Konserven). 
Neben Konserven und Feldküchenkost 
nach Möglichkeit „nicht denaturierte* 
Kost und Obst reichen: 

Gemüse, Dörrgemüse,Obst, Fruchtsäfte 
Marmeladen, Käse. 

Sorgfältige Beachtung von Man¬ 
delentzündungen und Dermatosen. 
Hinweis auf die Wichtigkeit der Mund¬ 
pflege. Morgens und abends Mund- und 
Rachenspülungen mit Wasser, dem Was¬ 
serstoffsuperoxyd oder einige Kristalle 
von übermangansaurem Kali zugesetzt 
sind. Auch verdünnte Lösungen von 
essigsaurer Tonerde sind zweckmäßig. 



118 


Die Therapie der. Gegenwart 1917. 


März 


Die Sanierung feuchter Schützengrä¬ 
ben und Unterstände ist nach Möglichkeit 
zu erstreben (Drainage). 

Sorge für Kleider- und Stiefelwechsel 
bei Durchnässungen. Warme Unterklei¬ 
dung! Leibbinde! 

Häufige Untersuchung der Mannschaf¬ 
ten auf Mandelentzündungen! Viele 
haben eine infektiöse Mandelentzündung, 
ohne daß sie über Halsschmerzen klagen! 

SorgfältigeÜberwachung des Harns 
bei allen akuten Erkrankungen. Häufige 
Eiweißprobe: am besten die sogenannte 
kalten Proben mit Essigsäure und Ferro- 
cyankalium oder die Hellersche Schicht¬ 
probe (Salpetersäure) im Schnapsglas. 
Auch in der Zeit der Rekonva.leszenz 
mache man öfters Eiweißproben! 

Je früher eine Nierenentzündung er¬ 
kannt wird, desto besser sind die Aus¬ 
sichten für die Ausheilung! 

Auffallende Gewichtszunahmen 

(Dickerwerden) sind oft gleichbedeutend 
mit latentem Ödem. Harn untersuchen! 
Bei häufig rezidivierenden Mandelent¬ 
zündungen kann die Exstirpation der 
Tonsillen in Betracht kommen. 

Bei der Behandlung haben sich 
folgende Grundsätze bewährt: 

Die Behandlung ist in der Hauptsache 
.eine physikalisch-diätetische und für ge¬ 
wisse Komplikationen (Urämie, Herz¬ 
schwäche, hartnäckiger Hydrops) eine 
medikamentöse. 

1. Bei durch Infektionen — inbesondere 
unter dem Einfluß gewisser prädispo¬ 
nierender Momente (Durchnässung, Er¬ 
kältung, große Anstrengungen) — her¬ 
vorgerufener akuter Nephritis Kausalthe¬ 
rapie. 

Luetische Nierenentzündung: in der 
Dosierung besonders vorsichtige Salvar- 
sankur. 

Malarianephritis: Chinin. 

Bei Eiterungen, Brandwunden, Er¬ 
frierungen ist die Grundkrankheit chirur¬ 
gisch zu behandeln. Ebenso bedürfen 
Strepto- und Staphylokokkeninfektionen 
der Haut (Furunkel) sorgsamer Behand¬ 
lung. 

Sogenannte tonsillogene Nephri¬ 
tis (Abscedierungen im Bereiche des 
lymphatischen Rachenringes brauchen 
durchaus nicht immer mit einer Vergröße¬ 
rung der Tonsillen einhergehen. Auch von 
der Gaumenmandel aus wird Infektion 
möglich). 

Man ziehe bei der Untersuchung die 
Gaumenbögen vorsichtig mittels eines 
stumpfen Hakens zurück. Durch Aus¬ 


quetschen der Tonsillen mit dem Hart- 
mannschen Tönsillenquetscher gelingt öf¬ 
ters der Nachweis eines eitrigen Sekretes 
bei anscheinend gesunden Mandeln. 

Man achte bei der Untersuchung uaf' 
schmerzhafte Schwellungen der Kiefer¬ 
winkel- und Halsdrüsen! Zahnwurzel¬ 
eiterungen ! 

Eine teilweise bzw. vollständige Ent¬ 
fernung der Mandeln kommt aber ledig¬ 
lich in solchen Fällen in Betracht, bei de¬ 
nen eine eitrige Erkrankung der Mandeln 
einwandfrei nachzuweisen ist. 

Auch eine Cystitis bedarf wegen der 
Gefahr einer aufsteigenden Nierenent¬ 
zündung (Nierenbeckeneiterung!) einer 
gründlichen Behandlung: Urotropin 0,5 
viermal täglich; noch besser oft Boro- 
vertin in gleichen Dosen oder Natr. ben- 
zoic. 1,5 dreimal täglich. 

2. In der Mehrzahl der Fälle von 
Feldnephritis kann die Behandlung nur 
symptomatisch sein, die allgemeine Be¬ 
handlung gliedert sich in eine physi¬ 
kalische und diätetische. 

a) Physikalische Behandlung: 
Bettruhe (horizontale Körperlage) und 
Bettwärme. Der Kranke soll auch im 
Bett eine warme Unterjacke tragen! 

Behandlung streng individualisierend. 

Im allgemeinen soll ein akuter Ne- 
phritiker erst dann seine ersten Äufsteh- 
versuche machen, wenn der Urin min¬ 
destens 10 Tage lang frei von Eiweiß und 
Formelementen (Cylinder, rote Blutkör¬ 
perchen) war. Bei Fällen, die nach dem 
Verschwinden aller Krankheitserscheinun¬ 
gen noch monatelang geringe Eiweißmen¬ 
gen ausscheiden, ist der Gesamteindruck 
des Falles maßgebend. Bei Fehlen von 
Blut und Cylindern im Sediment kann 
man solche Kranke vorsichtig aufstehen 
lassen. 

Das Wiederauftreten von Blut 
und Cylindern macht aber Bettruhe 
wieder notwendig, nicht aber geringe 
Schwankungen in derEiweißäusscheidung, 
da die meisten akuten Nierenentzündun¬ 
gen in der Rekonvaleszenz sogenannte 
orthotische Albuminurie zeigen. Letztere 
wird günstig beeinflußt durch regelmäßi¬ 
ges Einschieben von Bettruhe nach den 
Hauptmahlzeiten (eineinhalb bis zwei 
Stunden). 

Kein schematisches Verordnen war¬ 
mer Bäder und von Schwitzprozeduren 
wegen Schädigung von Herz und Nieren! 
Täglich verabreichte warme Bäder wirken 
ermüdend! 



März 


Die Therapie der 


ln vielen Fällen zweckmäßig zwei bis 
drei warme Bäder in der Woche (34 bis 
35° C und 15 bis 20 Minuten Dauer). Sehr 
wichtig ist dabei Frottieren der Haut mit 
warmen Tüchern und Vorwärmen des 
Bettes! Man hüte sich vor der kritiklosen 
Anwendung brüsker Schwitzkuren! Sie* 
greifen das Herz an! 

Bei drohenden urämischen Erschei¬ 
nungen werden Schwitzprozeduren noch 
vielfach empfohlen, obwohl ihre Wirkung- 
sicher überschätzt wird. Man wendet zu 
diesem Zwecke'entweder Bäder von 37° C 
an, die durch vorsichtige Zugabe von war¬ 
mem Wasser allmählich auf 41° C erwärmt 
werden. Dauer 20—25 Minuten, danach 
Einpacken in warme Decken. 

Einfacher und weniger anstrengend 
-erscheint die Anwendung von Heißluft¬ 
bädern öder des elektrischen Lichtbügels. 
Zur Vermeidung von Kopfkongestionen 
Auflegen von kühlen Kompressen auf den 
Kopf! 

Bei Schwitzprozeduren ist wichtig 
das gleichzeitige Trinken von warmer Li¬ 
monade oder von Flieder- oder Linden¬ 
blütentee. Schwitzende darf man nicht 
dursten lassen! Sonst Gefahr einer Kon¬ 
zentrationssteigerung urämischer Sub¬ 
stanzen in Blut und Geweben! Vor An¬ 
wendung von Schwitzprozeduren Herz 
prüfen! Höhere Grade von Herzschwäche 
für Schwitzkuren ungeeignet! 

Sehr zweckmäßig und leicht durch¬ 
führbar im Sinne einer guten Hautpflege 
sind tägliche Abreibungen der Haut mit 
lauwarmem Wasser unter Zusatz von 
Franzbranntwein, Spiritus. 

b) Diäte tische Behandlung: Erfah¬ 
rungsgemäß stellen die Eiweißkörper die 
größten, die Kohlehydrate und Fette die 
geringsten Anforderungen an die Sekre¬ 
tionsarbeit der Niere. Am meisten.belastet 
Fleisch (Eiweiß und Extraktivstoffe) die 
Niere. Der vielfach betonte Unterschied 
zwischen rotem und weißem Fleisch ist 
nicht haltbar. In der Rekonvaleszenz 
kann Unter stetiger Kontrolle des Urins 
gekochtes Fleisch (aber nicht die Fleisch¬ 
brühe!) gereicht werden in zunächst ge¬ 
ringen Mengen (100 g). Gekochtes (de¬ 
naturiertes) Hühnereiweiß wird besser ver¬ 
tragen! Am besten Pflanzeneiweiß! 

Die Ernährung im akuten Stadium 
besteht also vorwiegend aus Vegetabilien, 
Milch, Milchderivaten, gekochten Eiern. 

Die Schonungsdiät darf nicht in eine 
fortgesetzte Hungerkost ausarten. Ca- 
lorienbedürfnis eines im Bette ruhenden 


Gegenwart 1917. , 119 


Menschen: 25 bis 30 Calorien pro Kilo, 
Eiweißbedarf: zirka 50 g. Ebensowenig 
ist von einer sogenannten Durstkur ein 
Nutzen zu erwarten desgleichen von einer, 
,,Durchspülungskur“ mit großen Flüssig¬ 
keitsmengen. 

Die Flüssigkeitszufuhr ist von Fall zu 
Fall zu regeln. 

Beziehungen der Hydropsbildung zur 
• Kochsalzretention! Daher Einschränkung 
der Kochsalzzufuhr: im akuten Stadium 
der hydropischen Nephritis bis auf 5 g 
und in manchen Fällen auch bis auf 3 g 
auf den Tag! 

Bei Urämie an Stelle der Kochsalzin¬ 
fusionen (physiolog. Kochsalzlösung) In¬ 
fusionen von 4,5 % Traubenzuckerlösung. 

Gewürze jeder Art: Pfeffer, Senf, 
Zwiebel, Knoblauch, Sellerie, Meerrettich, 
Radieschen, Fleischextrakt, Dill, Pilze, 
Petersilie sind zu vermeiden. Alkohol im 
akuten Stadium ganz weglassen! 

Die einseitigen Milch- und Schleim¬ 
suppendiäten sind mit Recht verlassen: 
zu große Flüssigkeitszufuhr und Unter¬ 
ernährung!' Man vergesse nicht, daß die 
Milch einen Kochsalzgehalt von 0,15 bis 
0,18% hat. Wenn möglich, gebe man 
einen, höchstens eineinhalben Liter Milch 
auf den Tag. Auch Yoghurt, Kefir und 
Kumys sind wegen des Alkoholgehalts zu 
vermeiden! Weißer Käse ist zu gestatten. 
Neben Milch sind die besten Getränke: 
gutes Leitungswasser/ Tee, Limonaden. 

Es gibt keine sogenannten Nierenheil¬ 
wässer! Die Wildimger Helenen- und 
Viktorquelle enthalten z. B. 0,1% Koch¬ 
salz. 

Im Felde kommt man mit folgender 
Diät aus: Milch, Schleimsuppe, Erbsen¬ 
suppe, Bohnensuppe, Gemüse, Kartoffel¬ 
mus, Brot, Butter, zwei bis drei gekochte 
Eier, Puddings (Gelatine sehr geeignet!), 
Mehlspeisen, Reis. Daneben Kompotte 
oder, wenn möglich, frisches Obst, Apfel¬ 
mus..-. Von Gemüsen seien besonders ge¬ 
nannt: Schoten, Mohrrüben, grüne Boh¬ 
nen, Rosenkohl, Blumenkohl, Kürbis (diu- 
retisch wirkend) Spinat. Mäßiger Essig- 
zusatz ist unschädlich. 

3. Medikamentöse Behandlung. 

Es gibt keine Heilmittel der Nephritis. 

Die Natr.-bicarbon.-Therapie zur Ver¬ 
ringerung der Eiweißausscheidung hat 
keine allgemeine Anerkennung gefunden. 
Sie kann sogar die Ödembereitschaft 
steigern.' Auch die Hämaturie kann — 
außer vielleicht durch Gelatine — durch 
kein Mittel beeinflußt werden. Plumb. 




120 Die Therapie der 


acet., Secale cornut. und Kalksalze ver¬ 
dienen daher keine Anwendung. Ebenso¬ 
wenig Strontium oder. Tannin! 

Wichtig dagegen ist die gegebenen¬ 
falls nötige medikamentöse Beeinflus¬ 
sung des Stuhlgangs (Rheum, Cas- 
cara, Natr. sulfuric.). 

Das Verhalten des Herzens er¬ 
fordert andauernd die größte Aufmerk¬ 
samkeit. Bei beginnender Herzschwäche 
sofort Digitalis (Fol. Digitalis pulv. titrat 
0,1 zweimal täglich, Digipuratutn zwei¬ 
mal eine Tablette oder Digipurat. solubil. 
zweimal 25 Tropfen), bis 1,0 oder 1,5 g 
Digitalis verbraucht sind. Bei bedroh¬ 
licher Herzschwäche: Digipurat. solubil. 
zwei bis dreimal täglich 1 ccm intramus¬ 
kulär, daneben Coffein ^ natrio-benzoic. 
oder natrio-salicylic. zwei bis dreimal 
täglich 0,2 subcutan. 

Bei verzögerter Resorption der 
Ödeme: Diuretica (neben oder nach 
Darreichung von Digitalispräparaten). 

Diuretin vier- bis sechsmal täglich 
0,5 g. 

Theocinnatr. acetic. zwei- bis dreimal 
täglich 0,25g. 

Euphyllin 1,0:200. Zweistündlich 
einen Eßlöffel voll zu nehmen. 

Die beiden letzteren auch als Suppo- 
sitorien zu 0,3 g, zwei- bis dreimal täglich. 
Es empfiehlt sich Theocin und Euphyllin 
höchstens drei Tage hintereinander zu ge¬ 
ben. Unbedingt zu verwerfen ist die 
Anwendung von Kalomel! (Gefahr der 
Quecksilbervergiftung!) 

Dagegen ist der Liq. Kali acetic. emp¬ 
fehlenswert (15,0:180,0 zweistündlich ein 
Eßlöffel). 

Bei hochgradigem Hydrops mit 
Höhlenwassersucht und unzureichendem 
Erfolg der Behandlung mit Digitalis + 
Diureticis ist das am schnellsten wirkende 
Mittel die Punktion des Ergusses bzw. 
Punktionsdrainage der Haut¬ 
wassersucht. Auch die Scarification ist 
brauchbar: man mache aber nur einen 
einige Centimeter langen Einschnitt in 
einen Unterschenkel! Strengste Asepsis! 
Erysipelgefahr bei Nephritikern! 

Die Urämie wird eingeleitet durch 
dyspeptische Erscheinungen und nervöse 
Reizsymptome (Unruhe, Kopfschmerz, 


Gegenwart 1917. März 

Übelkeit, Steigerung der Reflexe). Be¬ 
handlung: Aderlaß 200 bis 250 ccm. Sub- 
cutane physiologische Kochsalz- oder 
Traubenzuckerlösung — Infusion (4,5%). 
Zweckmäßig auch die sogenannten Tropf¬ 
klistiere. Sogenannte Pseudourämie 
(Eklampsie) zeigt vorwiegend central-?' 
nervöse Erscheinungen. Aber auch Misch¬ 
formen. Oft wirkt auch eine Lumbal¬ 
punktion (gerade bei der sogenannten 
Pseudourämie) günstig. Hirnödem im 
Sinne Traubes! 

Ableitung auf den Darm und angrei¬ 
fende Schwitzprozeduren (Nephritiker 
schwitzen überhaupt schwerer!) vielfach 
in Wirkung überschätzt. 

Gefahr für das Herz! Kein Pilo¬ 
carpin! 

Beim hydropi sehen Urämiker 
werden durch sachgemäße Hautdrainage 
— falls Digitalis und Diuretica nicht bald 
zum Ziele führen — neben dem Wasser 
auch die urämisch-toxischen Substanzen 
rasch entfernt! In diesem Sinne kann auch 
die von K ü m m e 11 empfohlene Dekapsu- 
lation der Niere lebensrettend wirken, 
falls alle Mittel der inneren Medizin ver¬ 
sagt haben. 

Bei drohender Urämie scheue 
man nicht eine vorübergehende, mehr¬ 
tägige Unterernährung! Vor allem kein' 
Eiweiß geben! Für das Wasserbedürfnis 
wird durch Kochsalzinfusionen bzw. 
Tropfklistiere, gesorgt. 

Als Nahrung bei den ersten Erschei¬ 
nungen von Urämie nur etwas Milch, 
Limonade, Tee mit Zucker, Apfelmus. 
Bei .Herzschwäche: Digitalispräparate, 
Coffein (intramuskulär). Zur Anregung 
der Diurese: Diuretica, eventuell 
Diuretin intravenös (20 ccm einer fünf- 
prozentigen Lösung). Theocin als Suppo- 
sitor; Euphyllin auch intramuskulär. Bei 
großer Unruhe und Eklampsie: Morphin; 
warme Bäder von 39 bis 40° C. 

Es ist in der Rekonvaleszenz auf die 
Möglichkeit eines Übergangs der akuten 
Glomerulonephritis in eine sogenannte 
sekundäre Schrumpfniere zu achten. 
(Große Harnmengen, niedriges specifisches 
Gewicht, Herzhypertrophie, hebender 
Spitzenstoß, akzentuierter zweiter Aorten¬ 
ton (oft klingend), Hypertonie. 


Für die Redaktion verantwortlich Geh, Med.-Rat Prof. Dr. G. Kl emp er er in Berlin. Verlag von Urb an & Schwarzen berg 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., in Berlin W8. 






Zur Ausfuhr zugelassen! , On imrs 

SanUatsamt d. mil. Institute. NUv &U 

Nr. 1702 u. 1786 Z. _ _J 

Die Therapie der Gegenwart 

herausgegeben von 

58 t Jahrgang ß e h. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 4 - Heft 

Neueste Folge. XIX. Jahrg. BERLIN April 1917 

W 62, Kleiststraße 2 

Verlag von URBAN & SCHWARZENBERG- in Berlin N 24 und Wien I 














1917 . 


Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 


4. Heft 



-- Dieses Heft enthält Prospekte folgender Finnen: - 

Kalle & Co., Biebrich, betr.: „Neuronal“. — Calcium-Quellen von Bad Sodenthal u. Bad Sude^ode, betr.: „Siegeslauf der Kalk¬ 
therapie“. — Urban & Schwarzenberg, Berlin u. Wien, betr.: Neuerschienene medizinische Bücher, Frühjahr 1917. 















Die Therapie der Gegenwart 


1917 


herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 
in Berlin. 


April 


Nachdruck verboten. 

Aus der Frauenklinik der Universität Heidelberg 
(Direktor Geb. Hofrat Prof. Dr. Menge). 

Die Entwickelung der gynäkologischen Strahlentherapie. 

Eymer, Assistenzarzt, der Klinik; 


Von Privatdozent Dr. Heinrich 

Die gynäkologische Strahlentherapie 
ist nur ein kleiner Zweig der in den letzten 
Jahren mehr und mehr in den Vorder¬ 
grund des allgemeinen Interesses vor¬ 
gerückten Strahlenbehandlung überhaupt. 
Dennoch verdient sie aus mancherlei 
Gründen, auf die ich später noch ein- 
gehen werde, aus dem großen Gesamt¬ 
gebiet der Strahlentherapie herausgehoben 
und gesondert betrachtet zu werden. 
Wer sich aber über ihr Wesen und ihre 
Entwickelung aussprechen will, muß auch 
das Wesen und die Entwickelung der 
gesamten Strahlentherapie streifen. 

Noch vor wenigen Jahren war eine 
Antwort auf die Frage, ob der Wirksam¬ 
keit der einzelnen Formen der Strahlen¬ 
behandlung etwas Gemeinsames zugrunde 
liege, schwer zu geben. Der damalige 
Stand der physikalischen Erkenntnis er¬ 
laubte es nicht, die einzelnen therapeuti¬ 
schen Strahlenverfahren unter einem ge¬ 
meinsamen Gesichtspunkte zu betrachten. 
Man subsumierte die Elektro-, Helio-, 
Röntgen- und Radiumbehandlung unter 
den Begriff Strahlenterapie, weil bei 
allen diesen Behandlungsmethoden eine 
gewisse Fernwirkung angenommen werden 
mußte, die man sich nur durch Strahlung 
erklären konnte, ohne daß jedoch die 
eigentliche Strahlen- oder Lichtnatur für 
alle diese Agentien festgestellt gewesen 
wäre. Für das Licht und die Elek¬ 
trizität war seit Maxwells und Hertz 5 
Forschungen als gemeinsame Grundlage 
die elektromagnetische Ätherschwingung 
vom Wellencharakter erkannt worden. 
Die Röntgenstrahlen waren zwar in 
ihrem physikalischen Charakter zunächst 
noch unaufgeklärt, wenn auch sofort für 
sie wegen der von ihnen ausgehenden 
Fernwirkungen echte Strahlennatur ver¬ 
mutet wurde. Sie schienen vorerst nach 
ihrer Entdeckung durch ihre wunder¬ 
baren Eigenschaften nur für die Dia¬ 
gnostik in Betracht zu kommen. Nach 
und nach jedoch beobachtete man die 
durcji das neue Agens hervorgerufenen 
Schädigungen des Organismus, besonders 
der Haut und der Keimdrüsen, bei 


Ärzten, Technikern und Röntgenarbeitern. 
Auf diesem Wege kam man zu ihrer 
therapeutischen Verwendung und reihte 
die Röntgenbehandlung in die Strahlen¬ 
therapie ein. Von Strahlen hatte schon 
Röntgen gesprochen, wenn es ihm auch 
zunächst nicht möglich war, die Licht- 
na.tur zu beweisen. Denn die X-Strahlen 
zeigten weder Interferenz noch Reflexion. 
Schon in seiner ersten, im Dezember 1895 
erschienenen Schrift sagt Röntgen, ,,daß 
er nach Interferenzerscheinungen der 
X-Strahlen viel gesucht habe, aber leider, 
vielleicht nur infolge der geringen Inten¬ 
sität derselben, ohne Erfolg“. 

Lange Zeit standen sich in der Er¬ 
klärung des Wesens der Röntgenemission 
zwei Theorien gegenüber; die eine 
nahm eine Ausschleuderung von Cor- 
puskeln an, die durch den Raum ge¬ 
wissermaßen hindurchspritzen sollten, wie 
sich ein Teilchen eines Wasserstrahles von 
der Ausfluß- bis zur Aufschlagstelle fort¬ 
bewegt; die andere vermutete, daß es 
sich um echte Ätherschwingungen handle. 
Man war jedoch nicht imstande, Inter¬ 
ferenz oder Beugung nachzuweisen, die 
die Ätherwellennatur der Röntgenstrahlen 
bewiesen hätten. Die Beweismöglichkeit 
der Interferenz scheiterte an der Kürze 
der Wellen. Es ließ sich kein passendes 
Beugungsgitter künstlich herstelien. 

Da kam v. Laue auf die geistreiche 
Idee, zum Nachweis der Interferenz die 
Raumgitterstruktur der Atome zu ver¬ 
wenden, die in der Kristallographie schon 
lange angenommen wurde. Friedrich 
und. Knipping führten die Versuche aus. 
Die Interferenz des Röntgenlichtes ließ 
sich auf diesem Wege durch wunderbare 
Bilder beweisen. Dann wurde auch von 
Bragg und Barkla Reflexion der Rönt¬ 
genstrahlen festgestellt. Hiermit 
mußten auch die X-Strahlen dem 
Spektrum der elektromagnetischen 
Ätherschwingun.gen einverleibt 
werden. Alles- sprach dafür, daß auch 
die penetranteste Strahlung, nämlich die 
Gammastrahlung der radioaktiven Sub¬ 
stanzen in dieses Spektrum gehöre. In 

16 





i 


122 , Die Therapie der Gegenwart .1917. , 1 ÄpSl 


jüngster Zeit gelang es auch tatsächlich 
Rutherford und Andrade, bei der 
Strahlung des Radiums B Interferenz nach- 
zuweisen. Diese Emission ist allerdings 
längerwellig als diejenige des in der Thera¬ 
pie Verwendung findenden Radiums C. 

Wir sind also jetzt imstande, den 
Namen Strahlentherapie allen jenen 
physikalischen Behandlungsmethoden zu 
geben, bei denen elektromagnetische 
Ätherschwingungen die Haupt- oder ein¬ 
zige Rolle, spielen. 

ln dies Gebiet gehört nun aber eine 
große Anzahl von außerordentlich ver¬ 
schiedenen Behandlungsverfahren, die, 
soweit sie den längerwelligen Abschnitt 
des Spektrums betreffen, für die Gynä¬ 
kologie als Spezialgebiet kaum in Be¬ 
tracht kommen, von denen sie in einzelnen 
Fällen allerdings auch Nutzen zieht. 

Aus dem Gesamtgebiete will ich nur 
kurz einige Anwendungsformen aufzählen. 
Zunächst erwähne ich die allgemeinen 
elektrischen Behandlungsmetho¬ 
den, z. B. die Faradisation, ferner die 
Anwendung hochgespannter und 
h ochf requenter Wechselströme, die uns 
besonders durch die Arbeiten von Tesla 
vermittelt wurden, und die, außer in der 
Arsonvalisation, auch in der Ful- 
guration, der Hochfrequenzfunkenbe¬ 
handlung, Verwendung findet. Hierher 
gehört auch die Diathermie oder Ther- 
mopenetration, die ein Verfahren dar¬ 
stellt, bei dem durch zirka drei Millionen 
Schwingungsperioden in der Sekunde im 
Gewebe Joulesche Widerstandswärme 
erzeugt wird. Allgemein bekannt ist die 
Wärmestrahlungstherapie. Weiter 
kommen im Spektrum nach der kürzer- 
welligen Seite hin das sichtbare Licht 
und daran anschließend das Ultra¬ 
violettlicht. Beides zusammen findet 
in der Heliotherapie seine Anwendung, 
wenn auch bei letzterer noch eine ganze 
Menge anderer Faktoren (Luftdruck, 
Temperatur, Ozongehalt und besondere 
Ionisierungsverhältnisse der Luft durch 
die Radioaktivität usw.) neben dem 
eigentlichen Licht in Rechnung zu ziehen 
sind. Das Ultraviolettlicht ist das 
Hauptagens in der Bogenlichtbehand¬ 
lung, die Finsen einführte, der frühzeitig 
die bactericide, entzündungerre¬ 
gende und pigmentbildende Wirkung 
dieses Lichtes erkannt hatte. Eine - ex¬ 
quisite Ultraviolettstrahlung haben 
wir auch in den verschiedenen Formen 
der Quarzlampen, die heute weit¬ 
gehende Verwendung finden, vör uns. 


Alle diese, nach absteigender Wellen¬ 
länge aufgezähiten Strahlungen kommen; 
wie gesagt, für spezielle gynäkologische 
Fragen kaum in Anwendung. 

Aus praktischen Gründen empfiehlt es 
sich, aus dem gesamten Gebiete der 
Strahlenbehandlung einen besonderen Be¬ 
zirk, die Strahlentherapie i.n e.ngerem 
Sinne, abzugliedern. Diese bedient sich 
nur des Abschnittes des Spektrums, der 
mit seinem sichtbaren Teile beginnt und 
nach der Seite der kürzeren Wellen ver¬ 
läuft. 

Ein Teil dieser Strahlentherapie im 
engeren Sinne ist die gynäkologische 
Strahlentherapie, die sich speziell mit 
solchen Strahlungen beschäftigt, die fähig 
sind, eine dauernde Wirkung in der 
Tiefe hervorzurufen, entsprechend der 
Tiefenlage der in der Gynäkologie zu be¬ 
einflussenden Organe. Es handelt sich 
dabei besonders um Uterus und Ovarien. 
Eine ausreichende Tiefenwirkung haben 
nun aber lediglich die kürzestwelligen 
Lichtarten, wie wir sie im'Röntgenlicht 
und in der Gammastrahlung der 
radioaktiven Substanzen vor uns 
haben. 

Die Röntgenstrahlen wurden vor den 
Gammastrahlen entdeckt und die Rönt¬ 
gentherapie ist, besonders in Deutschland, 
älter als die Behandlung mit radioaktiven 
Substanzen, während in Frankreich und 
Amerika beide Behandlungsarten schon 
lange Zeit nebeneinander gepflegt wurden. 

Ich will im folgenden versuchen, über 
die Röntgenstrahlentherapie und die Be¬ 
handlung mit radioaktiven Substanzen in 
der Gynäkologie einen getrennten Über¬ 
blick zu geben, obwohl beide Anwen¬ 
dungsformen in der späteren Zeit ihrer 
Entwickelung öfter Parallelen aufweisen 
und sich gegenseitig befruchtet haben. 

Die ersten gynäkologisch-therapeuti¬ 
schen Maßnahmen mit Röntgenstrahlen 
waren rein tastender Natur. Sie fanden bei 
Patientinnen statt, die an starken Myom¬ 
blutungen litten, und aus irgend welchen 
Gründen nicht operiert werden konnten. 
Es wurde durch eine Einfallspforte ohne 
besondere Filterung des Röntgenlichtes 
bestrahlt. Nach sehr vielen Sitzungen 
gelang es, die Blutungen herabzumindern 
und den Kräftezustand der ausgebluteten 
Frauen zu heben. Man war sich zu¬ 
nächst nicht klar darüber, wie diese 
günstige Wirkung zustande kam. 

Die Versuche einer wissenschaftlichen 
Begründung der Myomtherapie durch 
Röntgenstrahlen begannen erst 1905 durch 




Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Aprjl 


Untersuchungen der Ovarien röntgeni- 
sierter Tiere. Diese Experimente waren 
-im ; Hinblick auf Albers-Schönbergs 
.Feststellung der tierexperimentellen Te- 
stikelschädigungen durch Röntgenlicht 
angestellt worden, Versuche, die aus dem 
Jahre 1903 stammten und aus denen auch 
sofort schon, vielleicht etwas übereilig, 
praktische Konsequenzen gezogen worden 
waren durch Sterilisierung tuberkulöser 
Männer mit Röntgenlicht. * 

Weibliche Kaninchen wurden mit 
Röntgenlicht bestrahlt. Nachher wurden 
die Eierstöcke der Tiere untersucht. Es 
-konnte Degeneration der Graafschen 
Follikel festgestellt werden. 

Derartige Experimente wurden dann 
von den verschiedensten Forschern vor¬ 
genommen und nach und nach konnte 
dargetan werden, daß sich alle Abschnitte 
des tierischen Eierstockes durch die 
X-Strahlen beeinflussen lassen, wenn auch 
in verschiedenem Grade, das Parenchym 
und besonders die Eizelle sehr stark, das 
Stroma nur wenig. 

Es lag in der Schwäche, das heißt der I 
wenig penetranten Strahlung der Rönt¬ 
genröhren der Anfangszeit der gynäkologi- | 
sehen Bestrahlung, begründet, daß bei 
größeren Versuchstieren zunächst keine ! 
Veränderung an den Eierstöcken erzielt 
werden konnte, weshalb auch zuerst eine 
Beeinflussungsmöglichkeit des mensch¬ 
lichen Ovariums in Zweifel gezogen 
wurde; doch auch diese Frage wurde nach 
und nach in positivem Sinne entschieden, 
als es möglich war, Röhren mit stärkerer 
Belastung und härterer Strahlung zu be¬ 
treiben, besonders nachdem die Wasser¬ 
kühlung der Antikathode eingeführt wor¬ 
den war. 

Zahlreich sind auch die Versuche, die 
sich mit der durch Röntgenstrahlen ver¬ 
ursachten Schädigung der Embryonen 
innerhalb des Uterus des Muttertieres 
befassen, ebenso mit der Beeinflussung 
tierischer Eier durch dasselbe Licht. 
Man kam zu der jetzt allgemein an¬ 
genommenen Auffassung, daß eine 
schwere Schädigung, ja sogar eine Ab¬ 
tötung der Embryonen im Uterus bei ge- I 
nügend langer Bestrahlung gelingt, daß 
bei Belichtung von Eiern die spätere Ent¬ 
wickelung des Tieres stark pathologisch 
verändert, wenn nicht unmöglich ge¬ 
macht wird. 

Diese Experimente sind von großer 
praktischer Bedeutung. Es kann der 
Fall eintreten, daß durch therapeutische 
Bestrahlung die Eizelle eines Follikels, 


123 


vielleicht eines jüngeren, erst heran¬ 
reifenden, nur geschädigt, nicht aber voll¬ 
kommen vernichtet wird. Ein solches Ei 
ist, wie auch experimentell dargetan 
wurde, befruchtungs- und entwickelungs¬ 
fähig. Es resultiert dann ein schwer ge¬ 
schädigter Embryo. Ins Praktische über¬ 
setzt würde das heißen, daß man bei 
Bestrahlungen von myomatösen und an 
gutartigen Blutungen leidenden Frauen 
immer vollkommene Vernichtung der 
Ovarialfunktion anstreben soll, also 
Amenorrhoeiund nicht nur Ölig omenorrha. 

Auf Grund von Ovarialbelichtung 
wurde auch die röntgenologisch allgemein 
wichtige Tatsache festgestellt, daß eine 
große Röntgendosis, auf einmal ver¬ 
abreichen, einen größeren Effekt hat, als 
verzettelte kleinere Dosen, wenn letztere 
auch zusammen genommen dieselbe In¬ 
tensität ergeben. 

Die Frage nach der Regeneration 
röntgengeschädigter Follikel war noch zu 
beantworten. Eine Regeneration der 
einmaldestruiertenFollikelexistiert nicht. 
Wohl aber besteht eine Regeneration der 
ovariellen Funktion, weil bei Bestrahlen 
mit geringeren Dosen bis dahin nicht ge¬ 
schädigte Primärfollikel heranreifen 
können. 

Die Erforschung der Beeinflussung der 
Ovarien durch X-Strahlen wurde durch 
die Untersuchungen menschlicher be-- 
röntgter Eierstöcke vorläufig abge¬ 
schlossen. 

Reifferscheid konnte 1910 über 
sechs menschliche Ovarien berichten, die 
vor der Exstirpation dem Röntgenlicht 
ausgesetzt waren. Übereinstimmend fand 
sich bei der mikroskopischen Unter¬ 
suchung aller dieser Ovarien eine voll¬ 
kommene Degeneration aller Primär¬ 
follikel. In der Eizelle, die selbst ge¬ 
schrumpft war, war das Keimbläschen 
nicht mehr erkennbar. An Stelle der Ei¬ 
zelle finden sich oft nur hyaline Schollen. 
Auch größere Follikel zeigten alle Stadien 
der Degeneration, Pyknose, Kernquellung, 
Kernschrumpfung, schlechte Färbbarkeit. 
In den Graafschen Follikeln waren ähn¬ 
liche Veränderungen wahrnehmbar. 

Ich selbst konnte bei der Unter¬ 
suchung der Ovarien von sieben röntgeni- 
sierten Frauen die gleichen Zerstörungen 
feststellen und auch Gefäß-Endothel¬ 
schädigungen im Stroma nachweisen. 

Eine ausgesprochene Veränderung des 
Gewebes des Uterus oder der Tube ebenso 
wie des Myomgewebes wurde niemals ge¬ 
funden, wenn auch einige Autoren über 

16* 



124 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


’Gefäßendotheldegeneration in diesem Ge¬ 
webe berichten. Es scheint mir jedoch 
kein Zweifel zu bestehen, daß besonders 
rasch wachsende und zellreiche' 
Myome auch von den Röntgenstrahlen 
direkt beeinflußt werden, wenn aüch 
eine derartige Schädigung nur schwer 
nachzuweisen ist. • Die im, Gefolge von 
Ovarialbestrahlung auftretende Atrophie 
des gesamten Genitalien ist sekundärer 
Natur und hat mit der. Bestrahlung als 
solcher direkt nichts zu tun. * ' 

Bei der Beobachtung der zahlreich 
vorgenommenen gynäkologischen Rönt¬ 
genbestrahlungen zeigte sich immer mehr 
die außerordentliche Beeinflußbar¬ 
keit des Ovariums, die der gynäkolo¬ 
gischen Röntgentherapie hauptsächlich 
zu ihrer Sonderstellung verholten hat. 
Dieser Umstand ist von grundlegender 
Bedeutung: denn auch heute noch 
besteht die hauptsächlichste Domäne 
gynäkologischer Röntgentherapie in der 
Beeinflussung solcher Erkrankungen, die 
mit dem Eierstockstoffwechsel Zusammen¬ 
hängen, also der Myomatosis uteri und 
der sogenannten Metropathia haernor- 
rhagica, einer zu starken endokrin be¬ 
dingten Uterusblutung. 

Auf diesem Gebiete hat die Röntgen¬ 
therapie. allerdings Erfolge aufzuweisen, 
wie wir sip in anderen röntgentherapeuti¬ 
schen Spezialgebieten vergeblich suchen. 
Damit hing es nun auch zusammen, daß 
in der nächsten Zeit die Myom- und 
Metropathietherapie im Vordergründe des 
Interesses stand und daß gerade von 
gynäkologischer Seite die - Röntgentiefen-, 
therapie eine ganz besondere Ausbildung 
erfuhr, die zunächst anderen gynäkolo¬ 
gischen Gebieten, dann aber auch der 
gesamten Strahlentherapie zu großem 
Vorteil gereichte. 

Mittlerweile waren wichtige röntgen¬ 
biologische Tatsachen festgestellt worden. 
Die Zellen des lebenden Organismus re¬ 
agierten sehr verschieden auf das Röntgen¬ 
licht. Manche Zellen verhielten sich 
refraktär gegen die Strahlen, andere 
wieder waren äußerst sensibel. Es zeigte 
sich, daß eine ungewöhnlich große Sen¬ 
sibilität bei Zellen besteht, die besonders 
lebhaften Stoffwechsel aufweisen, bei 
denen sich also die Zellteilung rasch voll- | 
zieht. Diese Vorgänge finden wir be- j 
kanntlich bei solchen Zellen, die morpho- > 
logisch wenig differenziert sind und deren j 
Funktion noch nicht fixiert ist, also bei 
embryonalen, jungen oder auch Tumor¬ 
zellen. Aus diesen wichtigen Tatsachen 


April 


erklärt sich der Umstand, daß in der 
Tiefe gewisse Gewebe oder Organe 
(Ovarien, Tumoren) durch die Strahlen 
geschädigt werden können, während die 
sie überdeckenden Schichten gar nicht 
oder kaum durch das gleiche Agens 
alteriert werden. 

Während die ersten Bestrahlungen 
lediglich als einfaches Probieren zu be¬ 
trachten waren, wurde allmählich die 
Myom- und Metropathietherapie systema¬ 
tisch und nach einer bestimmten Technik 
vorgenommen. Diesen Umschwung her¬ 
beigeführt zu haben, ist das unbestreitbare 
Verdienst von Albers-Schönberg in 
Hamburg, der 1909 eine bestimmt aus¬ 
gearbeitete Technik angab und schon über 
die ersten Erfolge berichten konnte. Ich 
will auf die rein technischen Fragen nicht 
näher eingehen. Wenn Albers-Schön¬ 
berg auch schon die Angabe machte, 
daß man mit den härtesten Röhren 
arbeiten müsse, so bestrahlte er doch 
noch fast ganz ohne Filterung. Er ver¬ 
wandte nämlich nur Sohlem oder Wild¬ 
leder als Filter. Es handelte sich also 
immerhin noch um eine Therapieform, 
die nicht ganz die Bezeichnung TieTen- 
therapie verdiente. . 

Aber es ist unbestritten, daß mif 
dieser Technik zunächst gute Erfolge, 
wenn auch erst nach langer Behandlungs¬ 
dauer, erreicht wurden. 

Die weiteren Bestrebungen gingen 
dahin, die Tiefendosis unter Schonung 
der Haut zu vermehren. 

Die Strahlen, die aus einer Röntgen¬ 
röhre herauskamen, waren „komplex“, 
das heißt sie enthielten ein Strahlen¬ 
gemisch, also neben den in die Tiefe 
dringenden, therapeutisch wertvollen 
„harten“, kürzerwelligen Strahlen auch 
noch „mittelharte“, „mittelweiche“ und 
„weiche“. Letztere hatten sogar das 
Übergewicht. Die Intensität konnte 
nicht durch Verlängerung der Bestrah¬ 
lungszeit gesteigert werden, da dieweichen 
Strahlen ui der Haut absorbiert wurden 
und bei Überschreitung der sogenannten 
„Erythemdosis“ Schädigungen verschie¬ 
denen Grades hervorriefen, während die 
Lichtintensität in der in Frage kommen¬ 
den Tiefe von ungefähr 6 bis 10 cm ver¬ 
schwindend gering war, der „Dosen¬ 
quotient war ungünstig“. 

Ein wesentlicher Fortschritt, eigent¬ 
lich der Beginn der Tiefentherapie, war 
es, als man die von Perthes angegebene 
Filterung mit 1 mm dickem Aluminium 
einführte. Nach und nach stellte sich 





125 


.April 'Pie Therapie 


hieraus, .besonders durch die Unter¬ 
suchungen von Gauss und Lembcke, 
'daß die günstigsten Bedingungen durch 
ein 3 mm dickes Aluminiumfilter gegeben 
•waren. Dadurch wurden die , weichen 
Strahlen abgefangen und die harten 
Strahlen durchschlügen die Haut, um in 
•der Tiefe zur Absorption zu gelangen. 
Die sogenannte „specifische Homogenität“ 
•der Strahlung war erreicht. 

Natürlich war die Gesamtintensität 
•der Strahlung durch die Filterung ge¬ 
ringer geworden. Um die Behandlungs¬ 
zeit nicht unnötig verlängern zu müssen, 
ging man an die Verbesserung der Ap¬ 
paratur durch den Bau von Instrumenten, 
•die größere Energiemengen abzugeben 
imstande waren. Die Induktoren wurden 
-so- gebaut, daß sie zusammen mit den 
•ebenfalls verbesserten Unterbrechern eine 
„härtere“ Stromkurve ergaben, sie wurden 
durch Trennung der sekundären von der 
primären Wickelung einer Luftkühlung 
zugänglich gemacht, die manchmal noch 
dadurch intensiver gestaltet wurde, daß 
ein Pulsionsventilator, mit dem Unter¬ 
brechermotorgekuppelt, die Luft zwischen 
•seinen beiden Wickelungen durchtrieb. 
Die Röhrenantikathode wurde verstärkt, 
besondere Kühlvorrichtungen wurden an 
ihr angebracht, damit die beim Aufprall 
der Kathodenstrahlen entstehende Hitze 
leichter abgeführt werden konnte. Zur 
Schonung der Antikathode der Röntgen¬ 
röhre wurden Zusatzunterbrecher in den 
Primärstrom eingeschaltet, die den Strom 
in der Minute 60 bis 1-00 mal ausschalteten 
und so einer Überhitzung des Anti¬ 
kathodenplatins vorbeugten. Schließlich 
war eine starke Belastung der Röhren 
und ganzen Apparaturen möglich und 
damit eine Steigerung der Intensität der 
harten Strahlung erreicht. 

Man konnte sogar bei derart hartem 
Röntgenlichte ohne Schädigung der Haut 
die drei- bis vierfache Erythemdosis ver- S 
abreichen. 

Um noch weiter die Tiefendosis zu 
vergrößern, wurde die Zahl der Einfalls¬ 
pforten des Lichtes von einer auf 6, 10, 
ja 20 vermehrt, wobei der Centralstrahl 
möglichst auf das zu beeinflussende Ge¬ 
webe eingestellt wurde-. 

.Man brauchte sich auch bei derartigen 
Apparaturen nicht vor dem nahen Ab¬ 
stand der Antikathode von der Haut -zu 
scheuen. Das war wieder ein Gewinn, 
wenn man bedenkt, daß das Licht bei 
Centralprojektion mit dem Quadrate der 
Entfernung abnimnrt. ! 


Gegenwart 1917. 


Alle diese nach und nach hervor¬ 
tretenden Neuerungen wurden so gut wie 
ausschließlich an gynäkologischen Kli¬ 
niken ausprobiert und ' kamen zunächst 
myom- und metropathiekranken Frauen 
zugute. 

' Neben diesen grundlegenden Fort¬ 
schritten spielen die Verfahren der Sen¬ 
sibilisierung der Tumoren und der De¬ 
sensibilisierung der Haut eine durchaus 
untergeordnete Rolle. 

Es gelang schließlich, durch einige 
wenige Bestrahlungen die Ovarialfunktion 
auszulöschen und damit Amenorrhö und' 
bei myomkranken Frauen Schwinden oder 
Kleinerwerden der Tumoren herbeizu¬ 
führen. 

Bei richtiger Diagnostik und An¬ 
wendung der eben beschriebenen Technik 
. erlebte man tatsächlich keine refraktären 
Fälle von Myomatosis oder Metropathia 
hämorrhagica mehr. 

Während in der ersten Zeit der Myom¬ 
therapie ziemlich kritiklos alle Fälle einer 
Bestrahlung unterzogen wurden, bildete 
sich nach und nach eine regelrechte In¬ 
dikationsstellung für die Bestrahlung 
heraus. Sie entsprang nicht aus der Tat¬ 
sache, daß es technisch etwa unmöglich, 
wäre, gewisse Formen von Myomen, 
sagen wir sehr junger Frauen, deren 
Ejerstockgewebe resistenter erscheint, 
durch Herbeiführung der Amenorrhoe zu 
heilen. Denn wir sind tatsächlich im¬ 
stande, auch die jüngsten Frauen durch 
Röntgenlicht von jeglicher Blutung zu 
befreien. Ich möchte von einer genauen 
Angabe der Indikationsstellung absehen 
und nur auf den Umstand aufmerksam 
machen, wie segensreich das Röntgen¬ 
verfahren bei solchen Patientinnen ist, 
bei denen eine Kontraindikation gegen 
die Operation besteht, z. B. bei hoch¬ 
gradiger Anämie, bei schweren organi¬ 
schen Herzfehlern, bei Diabetes mellitus, 
bei chronischer Nephritis, chronischen 
Lungenerkrankungen und bei Schild¬ 
drüsenaffektion mit Herzerscheinungen. 

Durch die großen Bestrahlungserfolge 
I bei Myomen und Metropathien wurden 
biologisch. außerordentlich interessante 
Aufschlüsse gegeben in bezug auf das 
Wesen dieser beiden Erkrankungen. Es 
wurde nämlich die Theorie, daß beide in 
hohem Maße von dem Eierstockstoff¬ 
wechsel abhängig sind, weiter gestützt. 

Auch Patientinnen' mit Dysmenorrhö 
wurden der Röntgenbestrahlung unter¬ 
zogen. An der Heidelberger Frauenklinik 
i verfügen wir nur über geringe Erfahrung 



126 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


auf diesem Gebiete, da wir uns theore¬ 
tisch nicht damit befreunden konnten, 
ein nicht voll geklärtes Krankheitsbild 
nach strengem Schema zu behandeln. 

1912 machte ich den Versuch, Frauen 
mit entzündlichen (gonorrhoischen, tuber¬ 
kulösen) Adnextumoren, die mit stärkeren 
adnexeilen ‘Blutungen einhergingen, 
mit Röntgenlicht zu behandeln. Die Re¬ 
sultate waren relativ gut. Sie sind so zu 
erklären, daß nach Aufhören der in 
Intervallen auftretenden Hyperämie der 
Unterleibsorgane endlich die entzünd¬ 
lichen Prozesse zur Abheilung kamen, 
was vorher nicht möglich gewesen war. 
Eine direkte Beeinflussung im Sinne der 
Abtötung der Bakterien durch das Rönt¬ 
genlicht ist nicht anzunehmen. Ich konnte 
mich durch eigene Versuche davon über¬ 
zeugen, daß die Abtötung von Bakterien 
durch Röntgenbelichtung wohl möglich 
ist, daß man aber dazu viel größere 
Lichtintensität braucht als man jemals 
therapeutisch anwenden kann. 

An zwei Ovarialtumoren, einem soliden 
Sarkom und einem benignen Kystadenom, 
konnte ich zeigen, daß auch große Ovarial- 
neubildungen einer Beeinflussung durch 
das Röntgenlicht' zugänglich sind. Die 
Therapie der Wahl dürfte bei Ovarial- 
neubildungen jedoch vor der Hand eine 
operative bleiben. 

Kurz erwähnt sei noch, daß auch 
Affektionen der Vulva, wie Pruritus und 
Kraurosis mit Röntgenstrahlen behandelt 
wurden,, und zwar wie es bei der sehr 
verschiedenen Ätiologie nicht anders zu 
erwarten war, mit sehr verschiedenem 
Erfolge. 

Es wurden auch mehrfach osteoma- 
lacische Frauen, bei denen die Kastration 
bekanntlich zur Heilung führt, mit Rönt¬ 
genstrahlen erfolgreich therapeutisch an¬ 
gegriffen. 

Dieselbe Lichtart wurde auch ver¬ 
wandt, wenn aus irgend welchen Gründen 
die Sterilisierung einer Frau an¬ 
gezeigt war. Doch darf dies Verfahren 
nicht als zweckmäßig bezeichnet werden, 
da man tatsächlich keine Sterilisierung, 
sondern eine Kastration vornimmt, die 
immer mit einer Reihe von Ausfalls¬ 
erscheinungen einhergeht, die man der 
Patientin ersparen kann, wenn man die 
tubare Sterilisierung vornimmt. 

Auch die Aborteinleitung durch 
Röntgenstrahlung, fußend auf den oben 
erwähnten Tierexperimenten, ist ein 
schlechtes Verfahren, das wohl kaum 
mehr angewandt wird. 


Aprtt 


Auf die Carcinombeha'ndlung 
möchte ich bei Besprechung der Radium¬ 
therapie in der Gynäkologie eingehem 
Denn in der Zeit der Entwickelung der 
isolierten Röntgenstrahlenbehand¬ 
lung kann man kaum von einer systema¬ 
tischen Carcinombestrahlung mit Rönt¬ 
genlicht sprechen, wenn auch schon durch 
enorm hohe Röntgenlichtdosen über einige¬ 
günstige Beeinflussungen berichtet wurde. 

Durch alle Beobachtungen war es 
offenbar geworden, daß die günstigste 
Strahlung zur Beeinflussung an und für 
sich radiosensibler Zellen die aller¬ 
härteste sei. Man ging daher zur Be¬ 
handlung mit radioaktiven Substanzen 
über, da deren Strahlung noch bedeutend 
penetrationsfähiger als das härteste Rönt¬ 
genlicht ist. Auch auf diesem Gebiete,, 
dem der Bestrahlung mit radioaktiven 
Substanzen, wurde in Deutschland zu¬ 
erst von gynäkologischer Seite syste¬ 
matisch vorgegangen. 

Kurz nur einige Vorbemerkungen. 

Becquerel hatte 1896 bei seinen 
Studien über die Fluoreszenzerschei¬ 
nungen die Strahlung des Urans, die 
Gammastrahlung, entdeckt. 1898 ent¬ 
deckte das Ehepaar Curie das Radium. 
Schon im Jahre 1900 wurde man auf die 
Beeinflussung der Haut mit Radium auf¬ 
merksam. Die erste therapeutische An¬ 
wendung des Radiums geschah 1901 
durch'Danlos, der Hauttuberkulose mit 
Radiumlicht erfolgreich behandelte. 

In den nächsten Jahren hörte man 
noch nichts von systematischer Radium¬ 
strahlentherapie, wenn auch zahlreiche 
Einzelbeobachtungen mitgeteilt wurden. 
Gynäkologische Affektionen wurden seit 
1905 mit Radium behandelt. 1905 näm¬ 
lich wurden aus Amerika Erfolge bekannt, 
die bei Collumcarcinomen des Uterus mit 
Radiumlicht erzielt waren. Im übrigen 
trieb man mit dem Radium in den näch¬ 
sten Jahren eigentlich nur Oberflächen¬ 
therapie, besonders da auch noch die 
Autorität Beel eres die Meinung befestigt 
hatte, daß sich die Radiumstrahlung 
lediglich zur Hautbehandlung eigne. 

Vom Jahre 1906 ab datiert der Aus¬ 
bau der allgemeinen Radiumbestrahlungs¬ 
technik durch französische Forscher. 

Mit die ersten Erfolge auf gynäko¬ 
logischem Gebiete wurden bezeichnender¬ 
weise bei myomatösen Uteri erzielt, in 
deren Cavum Aluminiumröhrchen, die 
Radium enthielten, eingebracht waren. 
Die Blutungen wurden geringer und die 
Geschwülste kleiner-. 



April 


127 


Die Therapie der 

= \ - 

1907 machte die Radiumtherapie einen 
gewaltigen Fortschritt. Dominici wies 
nach, daß die von ihm als „ultrapene¬ 
trierend“ bezeichnete Strahlung die bio¬ 
logisch wirksamste sei. Er suchte diese 
„Ultrapenetranz“ der Strahlen dadurch 
zu erzielen, daß er die übrige Emission 
durch y 2 mm dickes Blei abfilterte. In 
seiner Bahn schritten Wickham und 
Degrais weiter, die eine noch stärkere 
Filterung von 2 bis 3 mm Blei in An- 
wendnug brachten, wodurch sich sofort 
» die Erfolge a,uf allen möglichen Ge¬ 
bieten und auch bei der Behandlung von 
Uterushals-Carcinomen besserten. 

Die Bestrahlung geschah zunächst nur 
mit geringen Substanzmengen. 

Als ein neuer Fortschritt ist' die Me¬ 
thode der Behandlung mit sogenannten 
massiven Dosen zu betrachten, die 
im wesentlichen von Cheron und Ru- 
bens-Duval eingeführt wurde. Zu einer 
Bestrahlung, die mit starkem Filter aus¬ 
geführt wurde, wurden mindestens 200 mg 
Substanz genommen, während man vor¬ 
her mit Mengen von 5, 10, 20 mg aus¬ 
zukommen suchte. Dementsprechend 
wurden, besonders wieder, von französi¬ 
scher Seite, aus den Jahren 1911 und 1912 
zahlreiche gute Resultate bei Collum- 
carcinom bekannt. 

Ausdrücklich wurde vor sogenannter 
Scheinbehandlung gewarnt, worunter 
eine Bestrahlung mit zu geringen Mengen 
zu verstehen ist, die durch die Reiz¬ 
wirkung auf die Tumorzellen mehr schadet 
als nützt. 

Zur selben Zeit fehlte es in Frankreich 
wie auch in anderen Ländern nicht an 
Stimmen, die vor der Radiumtherapie 
auf das entschiedenste warnten. ' 

Ein weiterer Fortschritt war die An¬ 
wendung des Kreuzfeuerverfahrens, 
die gleichzeitige Bestrahlung eines Ge¬ 
bildes von mehreren Stellen aus. 

Für die deutsche Strahlentherapie be¬ 
deutete die Entdeckung des Mesothoriums 
durch Hahn 1907 einen großen Gewinn; 
es wurde, als man in Deutschland in aus¬ 
gedehnterem Maße sich der radioaktiven 
Substanzen zu Heilzwecken bediente, das 
Mesothorium entschieden bevorzugt. Bis 
1912 ist jedoch zunächst keinerlei aus¬ 
gedehntere Verwendung von den Strahlen¬ 
substanzen in der Gynäkologie bei uns 
gemacht worden, wenn auch aus mancher¬ 
lei anderen Gebieten Publikationen er¬ 
schienen, die über Erfolge berichteten. 
Ein klares Urteil über die Leistungsfähig¬ 
keit der Radium- und Mesothoriumstrah¬ 


Gegenwart 1917. 


lung konnte man sich kaum bilden, da 
die meisten früheren Radiotherapeuten 
Mischtherapie trieben, erst operierten, 
dann bestrahlten unter Mitverwendung 
irgendwelcher Chemotherapie. Die Be¬ 
handlung mit Strahlensubstanzen in 
Deutschland kam erst richtig in Fluß 
nach dem Hallenser Gynäkologenkongreß 
1913, auf dem von Bumm, Doederlein 
und ganz besonders von Krönig und 
Gauss wichtige Mitteilungen gemacht 
wurden. Man hatte die Errungenschaften 
der französischen Forschungen alle über¬ 
nommen. Besonders sei hier nochmals 
erwähnt die Methode der ultrapenetrie¬ 
renden Strahlen, die Anwendung massiver 
Dosen, die starke Filterung und das 
Kreuzfeuerverfahren. 

Zu dieser Zeit waren die experimentell¬ 
biologischen Forschungen auf dem Ge¬ 
biete der gynäkologischen Röntgen¬ 
bestrahlung so gut wie abgeschlossen, 
weshalb man auf die gynäkologischen Be¬ 
strahlungen mit radioaktiven Substanzen 
kurzweg alles dort Gefundene übertrug,, 
obwohl experimentelle Untersuchungen 
der Wirkung radioaktiver Substanzen 
noch ausstanden. 

Man übertrug damit auch alle ' Er¬ 
fahrungen aus der Röntgentherapie auf 
die Mesothoranwendung, die ganz ähn- ' 
liehe Bahnen gegangen war wie die 
französische Radiumtherapie. Man be¬ 
nutzte gleich von vornherein größere 
Dosen als in Frankreich und machte 
außerdem von der’ Vielfelderbestrahlung 
weitestgehende Verwendung. Durch An¬ 
gabe eines wirklich brauchbaren Instru¬ 
mentariums durch G.auss wurde eine 
systematische Anwendung der radioak¬ 
tiven Substanzen in der gynäkologischen 
Therapie ermöglicht. 

Zunächst bestrahlte man noch nach 
dem Vorgänge von Gäuss aus nächster 
Nähe, und erst allmählich wurde man 
auf den Wert der Abstandbestrahlung 
aufmerksam, durch die eine größere ört¬ 
liche Homogenität der Strahlung herbei-' 
zuführen war. ' In den letzten Jahren 
spielte auf allen Kongressen die Therapie 
mit radioaktiven Substanzen eine große 
Rolle. Im allgemeinen finden sich immer 
mehr Stimmen aus allen Lagern, die für 
diese Therapie sind. 

Eine Frage ist besonders interessant, 
nämlich die der Berechtigung der Be¬ 
handlung operabler gynäkologischerCar- 
cinome durch Strahlen. Die Münchner, 
Freiburger und Heidelberger Frauen¬ 
klinik stehen seit fast vier Jahren auf 



128 Die Therapie der 


dem Standpunkte, daß auch die operablen 
gynäkologischen Carcinome mit Strahlen 
behandelt werden sollen. Es gilt da. der 
Satz, daß eine Affektion, die der einen 
Behandlungsart günstige Chancen bietet, 
meistens auch für die andere Behand¬ 
lung am geeignetsten ist. Das ergibt sich 
auch aus folgender Betrachtung:' Von 
' 100 Frauen, die wegen Collumcarcinom 
ärztliche Hilfe suchen, können im gün¬ 
stigsten Falle 60 bis 70 operiert werden. 
Es werden also sofort bei operativer In¬ 
angriffnahme dieser Krebse 30 bis 
40 Frauen ihrem Schicksal überlassen. 
Die primäre Operationsmortalität beträgt 
15 bis 25%, die Dauerheilung jedoch 
auch nur etwa 25 %. Wir kommen also 
auf eine absolute Heilungsziffer von 6 bis 
9%. Das ist erschreckend wenig, und 
wir wissen jetzt schon sicher, daß die 
Resultate mit der Bestrahlung min¬ 
destens nicht schlechter sind, da zu¬ 
nächst alle Frauen behandelt werden 
können, außerdem jede primäre Mor¬ 
talität wegfällt, endlich aber die 
Dauerresultate der Bestrahlung bei gün¬ 
stigen Fällen'nicht schlechter sind als bei 
der Operation. 

Eine einheitliche Technik hat sich 
noch nicht herausgebildet. Besonders 
harrt die Filterfrage ihrer endgültigen 
Lösung. Mir scheint es, als ob eine ein¬ 
heitliche Filterung überhaupt nicht in 
Frage käme, als ob vielmehr bei ver¬ 
schiedenen Carcinomen und in verschie¬ 
denen Stadien der Krankheit und der 
Behandlung mit den Filtern gewechselt 
werden müsse. Besonders spielt bei der 
Filterung die Frage der sekundären 
Strahlung eine große Rolle, sicher eine 
bedeutendere, als man im allgemeinen 
annimmt, und als man aus der Röntgen¬ 
technik gewohnt ist. Das scheint mir 
darauf hinzuweisen, daß die Sekundär¬ 
strahlung sehr harter primärer Strahlung 
und damit die prinzipielle Anwendung 
allerhärtester Strahlung von größter Wich¬ 
tigkeit ist. 

Eine Eichung der Präparate, die von 
verschiedenen Seiten vorgeschlagen wurde, 
ist ein Verfahren von zweifelhaftem Wert, 
da sie sich eigentlich nur auf die Haut be¬ 
ziehen läßt. Außerdem wären Eichungen 
für Vagina, Darm und Blase ebenso nötig 
als solche für die Haut. Auch die Eichung 
für die Geschwulstzellen, also die Fest¬ 
stellung einer sogenannten ,,Krebsdosis“, 
ist nicht gut möglich, da sie an der biolo¬ 
gischen Differenz der Tumoren scheitert. 
Denn bei genau gleicher Behandlung und 


Gegenwart 1917. ' April 


bei scheinbar genau gleichartigen Tumoren 
erlebt man äußerst verschiedene Resultate, 
ein Umstand, der nur auf die biologische 
Verschiedenheit der Tumoren zurück¬ 
geführt werden kann, die sich allerdings 
weder mikroskopisch noch durch andere 
Untersuchungsmethoden * fassen läßt. 
Jedenfalls läuft in der Technik alles 
darauf hinaus, möglichst große Mengen 
(mehrere 100 mg Substanz) zu verwenden, 
da die Intensität der radioaktiven Körper 
verhältnismäßig gering ist. Außerdem 
wird immer mehr eine Abstandsbe¬ 
strahlung in Betracht kommen, da die 
örtliche Homogenität dadurch größer und 
die Gefahr geringer wird, wofür allerdings 
große Substanzmengen nötig sind. Neuer¬ 
dings verwendet man wieder mehr die 
hochatoniigen Metalle sowohl zur Fil¬ 
terung wie auch zur Einfüllung in Hohl¬ 
organe, um durch sie die Sekundär¬ 
strahlung zu steigern. Aus allem geht 
hervor, daß diese Therapie sehr kost¬ 
spielig wird. Man strebt deshalb schon 
länger an, leistungsfähigere Rönt¬ 
ge napparate zu konstruieren, aus wel¬ 
chen eine so harte Strahlung heraus¬ 
zuholen ist, daß sie bei geringeren Un¬ 
kosten in ihrer Wirkung mit den radio¬ 
aktiven Substanzen in Konkurrenz treten 
können. Solche Apparaturen wurden 
schon in der gynäkologischen Strahlen¬ 
therapie versucht. Von mancher Seite 
wurden Gleichrichtermaschinen zu diesem 
Zwecke herangezogen. Man kommt je¬ 
doch von Gleichrichterapparaten, die in 
der Diagnostik so vorzügliches leisten, in 
der Therapie mehr und mehr ab, da die 
Induktorapparate penetrantere Strah¬ 
lungen liefern. Auch die Röhren wurden 
wesentlich verbessert. ln letzter Zeit 
scheint durch die Konstruktion der pri- 
zipiell von den seither gebräuchlichen ab¬ 
weichenden Glühkathoden- oder Elek¬ 
trodenröhren wieder ,ein bedeutender 
Fortschritt auf diesem Gebiete gemacht 
worden zu sein. Auch durch die An¬ 
wendung von schweren Filtern (Kupfer, 
Zink, Blei usw.) wurde die Strahlung der 
Röntgenröhren den Strahlen der radio¬ 
aktiven Substanzen ähnlicher gemacht. 

Bis jetzt ist es aber durch kein Mittel 
gelungen, Strahlen, die so kurzwellig und 
ebenso penetrant wären wie Gamma¬ 
strahlen, aus einer Röntgenröhre heraus¬ 
zuholen. Tatsächlich aber scheinen die 
kürzestwelligen Strahlen in der Therapie 
der Carcinome eine ganz besondere 
Rolle zu spielen. Auf dieser Annahme 
basiert bekanntlich die allerdings un- 




April. > Die Therapie der Gegenwart 1917. • 4 129 


bewiesene Theorie von Lazarus-Barlow, 
der das Carcinom als eine Erkrankung 
auffaßt, die als Reiz auf die im Erdball 
angehäufte Radioaktivität entsteht, 
während die Heilung durch dieselbe 
Strahlung, in großer Dosis herbeizu- 
führen ist. Trotzdem kann man jetzt mit 
Sicherheit schon sagen, daß die Radium- 


f forschung, besonders durch Ruther¬ 
fords und Soddys Theorie der atomaren 
Desintegration, nicht nur unserer ge¬ 
samten Naturbetrachtung ungeahnte Per¬ 
spektiven aufgetan hat, sondern daß die 
Radioaktivität auch die Medizin in der 
Bekämpfung des Krebses um einen Schritt 
vorwärts gebracht hat. • 


Ans dem Sanatorium Groedel, Bad Nauheim. 

Die Campherbehandlung funktioneller und nervöser 
Kreislaufstörungen. 

Von Dr. Franz M. Groedel-Frankfurt a. M. und Bad Nauheim. 


In seiner kürzlich veröffentlichten, 
umfassenden Besprechung der Campher- 
therapie der Kreislaufstörungen kommt 
van den Velden 1 ) zu dem Schlüsse, 
„daß wir trotz der großen Fortschritte 
am Krankenbette mit dem Campher noch 
eine' ebenso tastende Therapie treiben, 
wie in den vorpharmakologischen Zei¬ 
ten“. 'Es erscheint mir daher nicht nur 
vom rein praktischen Standpunkte aus 
berechtigt, sondern auch für die weitere 
Klärung der Wirkungsweise des Camphers 
auf den Kreislauf des Menschen wichtig, 
unsere Resultate der Campheranwendung 
bei funktionellen und nervösen Kreislauf¬ 
störungen einmal kritisch zu sichten. 

„Die Indikation zur Campheranwen¬ 
dung bleibt zunächst, wie van den Vel¬ 
den sagt, das Versagen des Kreislaufes, 
vornehmlich bei bakteriotoxischen Zu¬ 
ständen, also dort, wo Gefäßlähmungen 
und primäre wie sekundäre Schädigung 
des Herzens zu dem komplexen Bild der 
Kreislaufinsuffizienz führt.“ 

Die Wertung des Camphers als Hilfs¬ 
mittel für die Bekämpfung der Erschei¬ 
nungen ' von Kreislaufinsuffizienz mag 
immer noch eine schwankende sein. Bei 
bedrohlichen Zuständen, Versagen der 
Herzkraft, ist dagegen selbst dem Laien 
Campher allgemein als eines der wichtig¬ 
sten Hilfsmittel bekannt. Leider haftet 
ihm aber zugleich auch das Odium eines 
nur in höchster Lebensgefahr angewand¬ 
ten Mittels an und ganz abgesehen von 
dem psychisch stets besonders empfind¬ 
lichen Herzkranken selbst, ist die Um¬ 
gebung meist bestürzt, wenn erst einmal 
Campher in Anwendung kommt. Da wir 
in unserer Praxis nach Groedel I schon 
seit Jahren 'Campherinjektionen frühzeL 
tig, auch bei noch relativ geringen In- 

x ) Van den Velden, Die Camphertherapie 
der Kreislaufstörungen. Zbl. f. Herz- u. Gefäß- 
krkh. Bd. VIII, 1916. 


suff izienzerscheinungen anwenden, sind wir 
recht häufig genötigt, unsere Verordnung 
verschleiert zu geben. Wir haben es uns 
auch zur Regel gemacht, bei forcierter 
Entwässerung resp. dort, wo wir eine 
Harnflut medikamentös anregen wollen 
oder müssen, sozusagen prophylaktisch 
Campherinjektionen mehrmals täglich an¬ 
zuordnen. Besonders gilt dies von jenen 
Fällen, wo wir durch drastisch wirkende 
Darmmittel einem Aszites zu Leibe rük- 
ken. Wir haben den Eindruck gewonnen, 
daß wir auf diese Weise den von uns bei 
Entwässerungskuren sehr gefürchteten, 
weil den psychisch, überaus sensitiven 
Herzpatienten im höchsten Grade er¬ 
schreckenden Kollaps nur noch ganz 
selten erleben. Wir glauben in solchen 
Fällen die Campherwirkung über die¬ 
jenige des ebenfalls für solche Fälle in 
kleinen Dosen empfehlenswerten Alko¬ 
hols stellen zu dürfen. 

„Wie es mit der Wirkung des Cam¬ 
phers auf den Herzmuskel selber steht, 
ist noch fraglich,“ sagt van den Velden, 
„und die von uns erstrebte Wirkung ist 
eine Nervenwirkung an erster Stelle.“ 
So berichtet van d en Velden, daß er in 
gemeinsamen Untersuchungen mit Son¬ 
nenkalb nachweisen konnte, daß die In¬ 
jektion von 1—2 ccm einer 20 %igen 
Campheröllösung vorübergehend die Vaso- 
parese sichtlich; bessert. Diesen gün¬ 
stigen Einfluß auf den peripheren Kreis¬ 
lauf muß man wohl „auf eine Besserung 
der Reizbarkeit vasomotorischer Zentren 
beziehen, ein Einfluß, den Winterberg 
nach seinen am gesunden Warmblüter 
angestellten Versuchen allerdings nicht 
sehr hoch bewertet. Es wird damit auch 
verständlich, daß indirekt durch bessere 
Füllung und entsprechend günstigere Er¬ 
nährungsverhältnisse eine Herzwirkung 
erzielt werden kann.“ Tierexperimentell 
ist bekanntlich die Wirkung des Camphers 

17 ’ 




130 


April 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


auf die Vasomotorenfunktion zuerst durch 
Päßler erforscht worden. Andererseits 
hat der Campher nach den Untersuchun¬ 
gen Winterbergs und Liebmanns 1 ) 
auch eine peripher gefäß-dilatierende Wir¬ 
kung. „Die Experimente jener Autoren 
lassen“, so sagt van den Velden, 
„darüber keinen Zweifel aufkommen, daß 
die vasodilatierende Wirkung in großen 
Gebieten des kleinen wie des großen 
Kreislaufes auf tritt, und daß. der Druck 
im rechten Herzen sinkt.“ 

Wenn aber auch am gesunden Herzen 
eine unmittelbare Campherwirkung seit¬ 
her nicht nachweisbar war, so ist doch 
für das kranke resp. geschädigte Herz die 
Wirkung des Camphers speziell auf die 
motorischen Apparate tierexperimentell 
sicher festgelegt. Man hat am überleben¬ 
den Herzen nachgewiesen, daß das ar- 
rhythmisch schlagende und das flim¬ 
mernde Herz durch Campheranwendung 
zum normalen Rhythmus zurückkehrt 2 ). 
Hierzu sei jedoch bemerkt, daß wir die 
Flimmerarhythmie, welche wir haupt¬ 
sächlich bei überdehntem rechten Vorhof. 
finden, durch Campher nie zum Ver¬ 
schwinden bringen konnten. 

. Erwähnen will ich noch, daß in einer 
der neuesten Besprechungen über „die 
experimentelle Analyse der Herz- und 
Gefäßmittel“ Winterberg 3 ) sagt: „Die. 
einzige, sicher nachweisbare direkte 
Campherwirkung auf die Gefäße besteht 
in einer Erweiterung derselben mit conse- 
cutiver Drucksenkung“, während er an 
anderer Stelle resümiert, daß die unmittel¬ 
bare Herzwirkung des Camphers unter 
allen Umständen eine sehr beschränkte 
ist. 

Und Jagic 4 ) sagt in dem gleichen 
Handbuch: ,,Die Herzwirkung des Cam¬ 
phers ist ein bisher leider noch ungelöstes 
Problem. Die Steigerung des Blut¬ 
druckes nach Campherdarreichung macht 
am ehesten den Eindruck einer gekräftig- 
ten Herztätigkeit.“ „Von besonderer 
klinischer Bedeutung scheint' mir,“ so 
sagt dieser Autor an anderer Stelle, „die 
specifische Wirkung des Camphers auf 

L ) Liebmann, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 
1912, 68, 59. 

2 ) Literatur bei Meyer-Gott lieb, Die ex¬ 
perimentelle Pharmakologie, 3. Aufl. 1914, Urban 
Sc Schwarzenberg. 

3 ) In Handbuch der Herz- und Gefäßerkran¬ 
kungen. Herausgegeben von Jagic. Leipzig und 
Wien 1914, Franz Deuticke. 

4 ) Von Jagic, Medikamentöse Therapie . der 
Herz- und Gefäßkrankheiten, ln Handbuch der 
Herz- und Gefäßerkrankungen. Herausgegeben 
von Jagic. 


die Lungengefäße im Sinne einer Erwei¬ 
terung.“ Hier, wie auch in den meisten 
sonstigen Lehrbüchern (z. B. Romberg ^ 
ist eigentlich bei der Erwähnung der» 
Campherdarreichung bei schwerer, or¬ 
ganisch bedingter oder im Verlaufe von 
Infektionskrankheiten auftretender Herz¬ 
insuffizienz vom Campher nur als Herz¬ 
mittel die Rede. Aus dem Mitgeteilten 
ersehen wir jedoch, daß der Campher 
mindestens ebensogut als Gefäßmittel 
anzusprechen ist. Und obgleich die ein¬ 
zigen, einigermaßen, sicher nachgewiese¬ 
nen Angriffspunkte des Camphers der 
motorische Herzapparat, die vasomoto¬ 
rischen Centren und die nervösen End¬ 
apparate der Gefäße sind, wird die 
Camphertherapie für die Behandlung der 
Störungen in diesen nervösen Systemen, 
also für die Behandlung der funktionellen 
und nervösen Kreislaufstörungen, fast 
nirgends empfohlen. 

Wir verwenden Campher (per os und 
subcutan) schon seit längerer Zeit mit 
manchmal geradezu erstaunlichem Erfolg 
bei der Behandlung der verschiedensten 
reinen und kombinierten nervösen Kreis¬ 
laufstörungen. Eine statistische Verar¬ 
beitung meines Materials ist mir zurzeit 
nicht möglich. Nur an einigen markanten 
Beispielen möchte ich heute die Leistun¬ 
gen dieser Therapie kurz beleuchten. Ich 
will vorausschicken, daß ich sie seither 
vorwiegend bei Kranken angewandt habe, 
die in erster Linie ; die Symptome gestör¬ 
ter vasomotorischer Funktion zeigen, 
Symptome eines labilen Gefäßsystems 
mit Neigung zu Spasmen peripherer. Ge¬ 
fäße, der Abdominal- und Herzgefäße 
oder auch zu Hypotension- resp. zu Er¬ 
schlaffungszuständen .der Gefäße, die 
nebenher Störungen des motorischen Herz¬ 
apparates aufweisen oder auch an all¬ 
gemeinen funktionellen Neurosen leiden, 
wie Hysterie, Neurasthenie, Cyklothymie 
und reflektorischen Neurosen. 

Fall I. Vasomotorische Störungen, 
nervöse Ödeme, Adipositas. 38jährige, 
große und kräftige Frau (93 kg) von blühendem 
Aussehen. Sie hat drei schwere Entbindungen 
durchgemacht. Seit sechs Jahren ist sie leidend 
und hat ohne Nutzen in den verschiedensten Bade¬ 
orten Kuren gebraucht. Toxische Schädigungen 
liegen nicht vor. Unterleibsorgane gesund, 

Klagen: Kopfschmerz, herumziehende 

Schmerzen im Körper, Herzklopfen und Ermat¬ 
tung nach geringen Anstrengungen, starkes Trans¬ 
pirieren, nachts manchmal Herzschmerzen, oft 
geschwollene Hände, eiskalte Extremitäten. 


x ) Romberg, Krankheiten des Herzens und 
der Blutgefäße. 2. Aufl. 1909. Ferd. Enke. 



April. 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


131 


Befund: Herztöne etwas leise, erster Herzton 
dumpf; Herzgröße normal, Herzform infolge 
Zwerchfellhochstandes liegend; Blutdruck systo¬ 
lisch 120mm Hg; Puls klein 72 p.m.; Urin normal; 
Nervenstatus normal, Reflexe etwas schwer aus¬ 
lösbar. 

Behandlung: Nauheimer Badekur, leicht 
•entfettende Diät, dreimal täglich 0,1 Camph. trit. 
+ 0,1 Chinin mur. 

Bei der Entlassung nach vierwöchentlicher Be¬ 
handlung hat Patientin 10 Pfund abgenommen, 
ihre Beschwerden sind vollkommen verschwunden, 
.sie kann mühelos auch ansteigende Wege gehen, 
hat keine Schwellungen mehr. 

Nach drei Monaten kommt Patientin wieder 
.zur Behandlung. Sie hat viele häusliche Auf¬ 
regungen gehabt. Der Zustand hat sich ver¬ 
schlimmert, sie hat krampfartige Brust- und Leib- 
schmerzen. Es wird eine Injektionskur von zwei¬ 
mal täglich 1 / 2 ccm 01. camph. fort, eingeleitet, 
die sofort Besserung bewirkt. Nach drei Wochen 
:sind alle Beschwerden .verschwunden, und es kann 
wieder zur stomachalen Camphermedikation über¬ 
gegangen werden. 

• Fall II. Vasomotorische Störungen, 
.allgemeine Asthenie, Myasthenia cordis. 
.35jährige Frau von gracilem Körperbau und 
blasser Gesichtsfarbe. Sie hat drei, zum Teil 
.schwere Entbindungen durchgemacht. Infolge 
des Krieges lastet eine große Verantwortung auf 
.ihr, sie hat ihren Mann im Geschäft zu vertreten. 
Nach l 1 /., jähriger Überanstrengung versagen die 
Nerven vollkommen. 

Klagen: Kopfschmerz, häufig Ohnmachts 1 
anwandlungen, Gefühl von Herzschwäche, Zittern, 
.Herzschmerzen. 

Befund: Herztöne besonders an der Herz- 
basis leise und dumpf; Herzgröße an der unteren 
Grenze des .Normalen; Blutdruck 105 mm Hg. 
systolisch; Urin normal; Nervenstatus normal. 

Behandlung: Zweimal täglich 1 ccm 01. 
-camph. fort, subcutan. Nach zwei Wochen voll¬ 
kommenes Wohlbefinden. Patientin kann ihrem 
Haushalte wieder vorstehen. Nach 14 Tagen 
einmal täglich 1 ccm Campher, dann vier Wochen 
lang innerlich dreimal 0,1 Campher. Zurzeit ist 
Patientin durchaus beschwerdefrei. 

Fall III. Vasomotorische Störungen, 
Asthenia universalis, Ptose der Bauch¬ 
organe, Hypoplasia cordis, Neurosis cor¬ 
dis, Neuralgien, Hysterie. 33jährige, große, 
schlanke Frau von auffallend blasser Gesichts¬ 
farbe. Ein gesundes Kind. Seit 10 Jahren wieder¬ 
holt Magengeschwüre gehabt, zweimal infolge¬ 
dessen Abortus. 

Klagen: Ständig Schwächegefühl, ohnmacht¬ 
artige Zustände, kalte Extremitäten, Herzschmer¬ 
zen, Herzklopfen abwechselnd mit Gefühl von 
Herzschwäche, Schmerzen in den Armen, zeit¬ 
weise kolikartige Leibschmerzen, die offenbar 
fälschlicherweise für Gallenkoliken angesprochen 
werden. 

Befund: Herztöne normal; Herzgröße 10 cm 
im Transversaldurchmesser bei 23 cm basaler 
Lungenbreite, also stark, unternormal; Blutdruck 
diastolisch 75, systolisch 110 mm Hg; Blutbild 
normal, Hämoglobingehalt 90% nach Sahli; 
Ekg. normal; Bauchorgane ohne Befund, jedoch 
stark ptotisch. 

Behandlung: Da Patientin seit Jahren 
dauernd wegen Blutarmut in den verschiedensten 
Sanatorien bereits mit Eisen und Arsen erfolglos 
behandelt worden ist, wird sogleich Campher 
zweimal täglich +2 ccm injiziert. Nach zehn Tagen 


auffallende Besserung; drei Wochen lang/noch 
innerlich zweimal täglich 0,2 Campher, nebenher 
milde CO+Bäder. Bei der Entlassung vollkom¬ 
menes Wohlbefinden. 

Fall IV. Neurasthenia cordis, Inter- 
costalneuralgien, vasomotorische Stö¬ 
rungen, Neurasthenie. 42jähriger Herr, in 
leitender Stellung eines sehr großen Industrie¬ 
unternehmens. Er hat immer solide gelebt, aber 
viel gearbeitet, war nie krank, hat keine Lues 
gehabt. Vor 16 Jahren Gehirnerschütterung durch 
Unfall, seitdem Gedächtnisschwäche und Schwin¬ 
del. Seit kurzem auch Anfälle von Herzschmerzen, 
Kurzatmigkeit, Beklemmung, Angst, besonders 
nachts, manchmal Ohnmachtsgefühl. Vor einem 
Monat plötzlich auftretende Urticaria, am gleichen 
Tage schwere Ohnmacht. 

Befund: Herztöne dumpf und leise; Herz¬ 
größe und Herzform des Orthodiagramms voll¬ 
kommen normal; Blutdruck 125 mm Hg systo¬ 
lisch; Urin normal; Druckpunkt im linken 3. J. 
C. R. 

Behandlung: Theobrom. natr. salic. 0,5 mit 
Chin. mur. 0,1 dreimal täglich. Nach zehn Tagen 
keine Besserung, nur der' Druckpunkt ist ver¬ 
schwunden. Neue Verordnung: Fichtennadel¬ 
bäder und Brom. Nach 14 Tagen keine Besserung. 
Weitere Verordnung: dreimal täglich 0,2 Campher 
und 0,1 Chin. mur. Patient behauptet am nächsten 
Tage, er habe wegen Herzklopfen nicht schlafen 
können. Deshalb neuerliche Anordnung, die 
Pillen nur nach dem Frühstück und Mittagessen 
zu nehmen. 

Nach 14 Tagen berichtet jedoch Patient, daß 
er die Pillen, die ihm sehr gute Dienste geleistet 
hätten, auch abends genommen habe, daß die 
Nächte gut gewesen sdien und daß er außer ge¬ 
ringem Druck auf der Brust nichts mehr zu 
klagen habe. Wiederholung der Behandlung in 
der Folge etwa jeden Monat zwei Wochen lang 
mit gleich gutem Resultat. 

Fall V. Aortensklerose, allgemeine 
Asthenie, Darmspasmen, Gefäßspasmen, 
Angina pect, vasomotor. (Angina pect, 
sklerot.?) 64jährige Dame mit auffallend grau¬ 
blasser Gesichtsfarbe, von gutem Körperbau, die 
nie schwerer krank gewesen ist, aber seit 25 Jahren 
wegen Darmbeschwerden in dauernder ärztlicher 
Behandlung steht. Seit einiger Zeit hegt die 
Familie den Verdacht, daß Patientin eine maligne 
Abdominalgeschwulst haben müsse. Von mir ein¬ 
geleitete psychische Behandlung mit Unter¬ 
stützung durch harmlose Einläufe beseitigt schnell 
den quälenden häufigen Stuhldrang, die Stuhl¬ 
angst und die Schlaflosigkeit. Patientin klagt 
außerdem seit längerer Zeit über Aufstoßen, 
Blähungen, Brustdruck, Brustschmerzen. 

Herzbefund: Töne stets sehr leise, zweiter 
Aortenton manchmal klingend; Herzgröße laut 
Röntgenuntersuchung etwas übernormal, auch die 
Aorta etwas verbreitert; Blutdruck diastolisch 80, 
systolisch 140 mm Hg; Puls 72, bei schlechtem 
Befinden 50 p. m.; Urin stets normal; Electro- 
kardiogramm zeigt eine leicht negative' Final¬ 
schwankung; Blutbefund normal, ebenso Ergebnis 
der Stuhluntersuchung; Körpertemperatur etwas 
unternormal; Gewicht 65 kg.- 

Behandlung: Für die Gasbeschwerden wer¬ 
den mit wechselndem Effekt die verschiedensten 
Mittel in Anwendung genommen. Der besonders 
quälende Brustdruck kann zwei Jahre lang nicht 
mit Theobrominpräparaten angegangen werden, 
da Patientin auf dieselben, auch bei rectaler Zu¬ 
führung, mit starken Kopfschmerzen reagiert. 

17* 




132 Die Therapie der 


Auch Jod, Nitroglycerin und Atropin .hat geringen 
Effekt. Dagegen hilft dreimal täglich 0,1 Campher 
in Pillen sichtlich. Nach längeren Versuchen ge¬ 
lingt es dann auch, Diuretin in kleiner Dosis (von 
0,1—0,4 steigend) in den Körper einzuschleichen, 
offenbar infolge der gleichzeitigen Verabfolgung 
von Campher. Der Zustand ist zwei Jahre lang , 
recht gut. —.Unvermittelt verschlechtert er sich 
wieder. Es tritt schockartig Ohrensausen, Augen- 
flimrnern, hochgradiges Schwächegefühl und star¬ 
ker Brustdruck auf. Der Puls sinkt auf 48. Sämt¬ 
liche Mittel versagen. Der Zustand scheint kritisch 
zu sein. Die schon früher quälende schmerzhafte 
Schwäche in den Waden nimmt zu. Es stellen 
sich Leibschmerzen ein. Dann treten in der 
zweiten Woche wiederholt schwere hysterische 
Anfälle mit Zittern und Zähneklappern auf. Der 
Zustand wird von mir als schwere Altershysterie 
und Gefäßneurose mit spastischer Angina pectoris 
et abdominalis gedeutet. Patientin erhält zwei- 
bis viermal täglich Injektion von 1 ccm 20 %igem 
Campheröl, abends Adalin. Darauf sichtliche 
Besserung. - Nach acht Tagen kann Patientin auf¬ 
stehen, nach weiteren acht Tagen ausgehen. Der 
Puls geht langsam in die Höhe, Patientin blüht 
sichtlich auf. Die Campherinjektionen werden 
diirch Campherpillen ersetzt (dreimal täglich 0,2 
mit Chinin, radix und zinc. valer.). Zustand in 
der Folge dauernd sehr gut. Puls bleibt ständig 
auf 72 p. m. 

Fall VI. Herz neu rose, Spasmen der 
Abdominalgefäße, Hysterie. 32jährigeFrau, 
die früher viel an Neuritiden gelitten hat. Ein 
gesundes Kind. 14 Tage vor der Konsultation 
Abortus, drei Tage danach starke Blutung mit 
Kollaps. Die nachfolgende Schwäche bessert 
sich bald. Dagegen stellen sich starke Magen¬ 
schmerzen ein, zeitweises Erbrechen, Angst¬ 
gefühle, Herzklopfen, Herzunruhe, Herzschmerzen, 
kalte Flände, hysterischer Typus. 

Herzbefund : Keine Herzvergrößerung;Herz¬ 
töne normal; hochgradigste Irregularität der Herz¬ 
aktion, lange Perioden von Bigeminie; Puls 60 bis 
70 p. m. 

Behandlung: Warme Bauchkompressen, 
zwei- bis viermal täglich lccm Campheröl subcutan. 
Sofort Besserung. Nachuntersuchung nach zwei 
Tagen ergibt vollkommen normalen Herzbefund. 
Patientin erholt sich sehr schnell unter Verab¬ 
reichung von Campher per os. Nach vier 
Wochen Schluß der Behandlung. 

Es wäre gewiß verlockend, im An¬ 
schluß an die vorstehend besprochenen 
Fälle auf die Wirkungsweise der Campher- 
therapie, speziell der.chronischen Campher¬ 
behandlung funktioneller und nervöser 
Circulationsstörungen näher einzugehen. 
Bei der zurzeit noch sehr geringen Kennt¬ 
nis der Campherwirkung auf den gesun¬ 
den Organismus ist jedoch zu befürchten, 
daß wir uns dabei nur in hypothetischen 
Kreisen bewegen würden. Andererseits 
ist aber zu hoffen, daß die weitere genaue 
Beobachtung des Effekts von Campher- 
darreichung bei anormal funktionierendem 
Herz-Gefäß-Nerven-Apparate zur Klä¬ 
rung des oder der Angriffspunkte des 
Camphers und seiner Wirkungsweise we¬ 
sentlich beitragen wird. 

Es genügt mir, für diesmal in Erinne¬ 


Gegenwart 1917. April 


rung gebracht zu haben, daß Campher,. 
wie dem Tierexperirtient nach zu erwarten 
war, auch bei funktionellen und nervösen 
Kreislaufstörungen ein sehr wirkungs¬ 
volles Medikament ist, das nicht nur 
symptomatisch sehr gut wirkt, sondern 
bei intermittierend kontinuierlicher An¬ 
wendung das Krankheitsbild selbst zum 
Verschwinden bringen kann. 

Die Ansicht, „nur für vorübergehende- 
Anwendung geeignet ist der Campher“,. 
die z. Bi noch Hoffmann 1 ) vertritt,, 
kann also nicht länger aufrecht erhalten 
werden. 

Die Camphertherapie war, wie schon 
gesagt, seither für die' Bekämpfung der 
Kreislaufinsuffizienz und zwar vorwiegend 
für die schwersten Formen reserviert.. 
Auch bei krisenartigen vasomotorischen 
Störungen, wie sie der nervöse- Kollaps 
(Erschlaffungszustand der Gefäße) und 
der nervöse Schock (Krampfzustand der 
Gefäße) darstellen, fand sie Anwendung, 
mehr aber vielleicht von seiten des 
Chirurgen, der den Campher auch im 
Kriege 2 ) wieder bei dem „Schock der 
Verwundeten“ sch.ätzen lernte, als von 
seiten des Internisten. Auch bei Nerven- 
affektionen wird Campher angewandt, 
was aber in den Lehrbüchern [z. B.. 
Penzold 3 )] nur ganz nebenbei erwähnt 
wird. 

Wahrscheinlich wurde Campher seit¬ 
her auch schon von anderer Seite ge¬ 
legentlich bei rein nervösen, funktionellen 
Circulationsstörungen angewandt. Syste¬ 
matisch geschah dies aber bisher sicher 
nicht. In den neueren Lehrbüchern finden 
wir auch, wie bereits erwähnt, keine oder 
nur ganz kurze diesbezügliche Bemer¬ 
kungen, wie z. B. bei A. Hoffmann, 
der ferner auf Grund der Tierexperimente 
kleine Campherdosen auch bei Fällen 
mit Pulsus irregularis „empfiehlt. 

Ich habe sogar nicht selten bei Kol¬ 
legen den größten Widerstand .gegen die 
Verordnung von Campherpillen oder gar 
Campherinjektionen bei nervösen Circu¬ 
lationsstörungen gefunden. „Es handelt 
sich doch nicht um eine organische Stö¬ 
rung“ oder: „es liegt doch kein Symptom 
von Herzinsuffizienz vor“, wurde mir oft 
vorgehalten. — Auch die psychische Wir¬ 
kung der Campherverordnung auf den 

x ) Aug. Hoffmann, Funktionelle Diagnostik 
und Therapie der Erkrankungen des Herzens und 
der Gefäße. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1911. 

2 ) Erlenmeyer, M.m.W. 1916,S.986;Thann¬ 
hauser, M. m. W. 1916, S. 581. 

3 ) Penzold, Lehrbuch der klinischen Arznei¬ 
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April Die Therapie der Gegenwart 1917. 133 


nervösen und hypochondrischen Patienten Störungen eventuell durch 'Campher ge- 

gilt als kontraindizierend. Und doch ist steigert werden. — Dagegen glaube ich, 

es gerade bei diesen Patienten leicht, daß fast sämtliche Gefäßnervenstörungen 

eventuelle Einwände zu entkräften. In günstig auf Campher reagieren, einerlei, 

vielen Fällen wird sogar sicherlich die ob es sich um Erschlaffungs- oder Krampf- 

Verordnung des „belebend“ wirkenden zustande der Gefäße handelt. Nur bei 

Mittels psychisch günstig wirken. klimakterischen Erscheinungen fehlt mir 

Auch besteht immer noch bei einigen, diesbezüglich noch genügende Erfahrung.- 

wenn auch wenigen Ärzten eine durchaus Ganz allgemein läßt sich also sagen, 
unbegründete Furcht vor der toxischen daß in Bestätigung des Tierexperimentes 
Wirkung größerer Campherdosen. Wir und andererseits als Stütze der durch 
wissen zwar, daß forciert hohe Gaben von letzteres gewonnenen Anschauungen 
Campher epileptiforme Krämpfe auslösen Campher bei Störungen der Herzinner¬ 
können, Aber abgesehen davon,- daß vation und der Vasomotorenfunktion als 
diese Krämpfe harmlos sind, sehen- wir symptomatisches Mittel und als Heil- 
sie selbst bei stündlicher Campherinjek- mittel empfehlenswert ist. 
tion, wie wir sie bei bedrohlichen Zu- Die mir zweckdienlichste Anwendung 

ständen recht häufig verordnen, nie auf- des Camphers dürfte bei allen Fällen, be¬ 
treten. Aber im allgemeinen wird Campher sonders wenn an einer schnellen und 
beim Menschen in Gaben verordnet, die sicheren Wirkung gelegen ist, die sub¬ 
weit unter den krampfmachenden liegen, cutane sein. Meist wird es genügen, zwei- 
In diesem Sinne lesen wir auch.im Hand- mal täglich y 2 ccm der 20 %igen Lösung 
buche von Mayer und Gottlieb :,,Große unter die Haut des Oberschenkels zu in- 
Gaben rufen am Tier klonische Krämpfe jizieren. Bei schweren Fällen mit krisen- 
hervor, die jedoch beim Menschen nur artigem Beginne sind mindestens 2 bis 
sehr selten beobachtet werden, da der 4 ccm pro Tag notwendig. Nach kurzer 
Abstand der therapeutischen und der Zeit kann man dann zur stomachalen Ver- 
toxischen Gaben sehr groß ist.“ Ordnung übergehen, die für die leichteren 

Bei der Häufigkeit und Vielseitigkeit Fälle überhaupt oft ausreicht. Ich gebe 
funktioneller resp. nervöser Circulations- zwei- bis dreimal täglich 0,1 oder 0,2 
Störungen, die seit den letzten Jahr- camph. trit., je nach Lage des Falles mit 
zehnten zusehends gestiegen sind, und je 0,05—0,1 chin. mur. oder auch. mit 
durch die Einwirkungen des Krieges rad. valer. ,oder zinc. valer. In vielen 
sicherlich noch weiter zunehmen dürften, Fällen empfiehlt sich gleichzeitig die An¬ 
wird das Lndikationsgebiet der Campher- wendung eines leicht resorbierbaren Eisen¬ 
behandlung jedenfalls außerordentlich ver- präparates, auch kann sich eine Arsen- 
breitert werden können. injektionskur oder eine Eisenarsenverord- 

Ich konnte mich mit der Aufführung nung anschließen, 
von sechs Beispielen begnügen, denn. Eventuell gleichzeitig verordnete hy- 

weitere Fälle würden nur eine Wieder- drotherapeutische Prozeduren dürfen 
holung dessen bedeuten, was. die Scliil- nicht zu anstrengend sein. Stark salz- 
derung meiner Schulbeispiele sagte. — haltige und stark C0 2 -haltige Bäder sind 
Fälle von reiner isolierter Herzneurose zu vermeiden. Dagegen werden milde 
ohne vasomotorische Störungen konnte C0 2 -Bäder, O-Bäder, Fichtennadelbäder 
ich dagegen noch zu selten einer reinen von indifferenter Temperatur und kurzer 
Camphertherapie unterziehen, um bereits Dauer angenehm empfunden, 
ein Urteil fällen zu können. Sie sind daher Daß bei gleichzeitigen organischen Ver- 
auch hier nicht aufgeführt. — Ebenso- änderungen die, entsprechenden Mittel, 
wenig bin ich in der Lage, mich über wie Theobrominpräparate, Digitalisprä¬ 
eventuelle Kontraindikationen zu äußern parate usw. abwechselnd oder gleich- 
und muß die Frage offen lassen, ob und zeitig gegeben werden müssen, versteht 
welche Erscheinungen von Herznerven- sich von selbst. 

Aus der inneren Abteilung des Diakonissenhauses Freiburg i. Br. 

Magenpathologische Fragen. 

Von Prof. Dr. Schüle. 

Wenn G. Kl emp er er'dem posthumen er ,,scharfe Schlaglichter auf wichtige 
Aufsatz von Lüthje 1 ) nachrühmt, daß Fragen der ärztlichen Kunst werfe“, so 

x ) Über Magenchemismus, Pylorusstenose und können wir diesem Urteil nur beipflichten, 
nervöse Dyspepsie. Ther. d. Gegenw. 1917, Nr. 2. Es hat einen eigenen Reiz, zu sehen, wie 





134 Die Therapie der Gegenwart 1917. April 


sich althergebrachte Methoden in der 
Hand jüngerer, minder konservativ ge¬ 
sinnter Forscher bewähren, und man ist 
selbst versucht, die eigenen Auffassungen 
mehr oder minder einer Revision zu unter¬ 
ziehen.* 

Vor 25 und mehr Jahren konzentrierte 
sich das Hauptinteresse der Magenpatho¬ 
logie auf die Sekretionsvorgänge. Das 
Bestimmen der Acidität nach chemischen 
Regeln war eigentlich die einzige „exakte“ 
Methode der vorradioskopischen Zeit, und 
so konnte sich der Scharfsinn der For¬ 
scher nicht genug tun in der Erfindung 
neuer Verfahren. Die Acidität wurde auf 
y 10 und Yiqo Dezimalen bestimmt, wirk¬ 
liche Fortschritte aber erzielte man damit 
nicht. Das klassische Buch von Martius 
und Lüttke, „Die Magensäure des Men¬ 
schen 1892“ war ein Markstein der ganzen 
Bewegung, über den man nur in un¬ 
wesentlichen Punkten hinauskam. Sehr 
wichtig war dann das Aufrollen der 
Milchsäurefrage durch Boas 1893. Ich 
gebe Lüthje vollkommen recht, wenn er 
das Vorhandensein von Milchsäure als 
positiv verwertbares Krebssymptom an¬ 
sieht. Nur haben wir allmählich gelernt, 
daß noch viel wichtiger als die nicht'so 
einfach nachweisbare Milchsäure die 
Milchsäure-Bacillen sind (Boas, Opp- 
ler,. Schlesinger), zumal, wenn sie in 
reichlicher Menge auftreten. Sie ent¬ 
stehen wohl nicht infolge eines Katarrhs, 
sondern finden ihre optimalen Wachs¬ 
tumsmöglichkeiten in den Buchten und 
Tiefen der carcinomatösen Geschwüre im 
salzsäurefreien Mageninhalt. Hierin ist 
der Milchsäurebacillus ein Antipode der 
Sarzine, welche meist (aber nicht immer) 
im salzsäurehaltigen, stark stagnierenden 
Chymus ihre Existenzmöglichkeiten fin¬ 
det. Wo Sarzine, da ist so gut wie immer 
Insuffizienz zweiten Grades vorhanden. 

Nun die vielbesprochene Aciditäts¬ 
frage! 

Lüthje weist darauf hin, wie sehr 
unter Umständen..die Wahl des Probe¬ 
essens auf die Sekretion der fr. HCl Ein¬ 
fluß hat. Das ist sicher richtig, wurde 
vor vielen Jahren von Riegel schon her¬ 
vorgehoben und seither oft bestätigt. 
Ich bin aber der Ansicht, daß dieses 
immerhin seltene Vorkommnis durchaus 
keinen Grund abgibt, daß P. F. zu ver¬ 
lassen und zu den „appetitreizenden“ 
Probeessen seine Zuflucht zu nehmen. 
Die Beobachtungen von Curschmann j. 
sind ja gewiß recht interessant, aber sie 
erscheinen mir ^icht hinreichend zwin¬ 


gend, um die -althergebrachte und be¬ 
währte Methode umzuwerfen. Und dies 
aus folgender Überlegung: 

Das P. F. hat den eminenten Vorteil 
für jeden Menschen, ein sympathisches und 
leicht genießbares Gericht darzustellen. 
Der Vegetarier wie der Schlemmer, der 
nervöse Dyspeptiker, wie das schwere 
Carcinom — allen kann diese leichte Kost, 
zugemutet werden. Überall wird sie 
gleich zubereitet, Inhalt, Menge sind ge¬ 
geben: Das P. F. ist also ein ideales Essen, 
zur allgemeinen Einführung und Verstän¬ 
digung 1 ). 

Nun aber die Frage: Leistet das P. F. 
diagnostisch das, was wir brauchen? 
Zweifellos in den allermeisten Fällen. Uns 
beschäftigt ja, das möchte ich im Gegen¬ 
satz zu Lüthje hervorheben, die Frage, 

, ob Anacid oder Acid, gar nicht so sehr. Wir 
haben heute im Nachweis der Milchsäure¬ 
bacillen, im Röntgenbild, vor allem aber 
im okkulten Blutbefunde so viel wert¬ 
vollere diagnostische Merkzeichen, daß 
uns die Salzsäurefrage, was ein Minus 
betrifft, gar nicht in erster Linie inter¬ 
essiert. Für die Therapie und Diagnose 
ist von größter Wichtigkeit das Zuviel 
von Salzsäure. Wir müssen wissen, ob 
ein Dyspeptiker mit Sodbrennen und 
Magenkrämpfen nur rein „nervöse“ Be¬ 
schwerden hat, oder sogar Anacidität, oder 
ob sein Chemismus gesteigert ist zur 
Hyperchlorhydrie (Ulcusverdacht usw.). 

Und ich behaupte, wenn ein Magen¬ 
kranker nur bei besonderen kulinarischen 
Kniffen und Reizen, nicht aber bei der 
Hausmannskost des P. F. normale Salz¬ 
säureproduktion aufweist, dann steht er 
an der Grenze der Sekretionsinsuffizienz. 
Eine Potejiz, die besondere Reize nötig 
hat, ist nicht weit von der Impotenz ent¬ 
fernt. Es ist also gerade von diagnosti¬ 
schem Interesse, zu sehen, daß der Magen 
auf die Normalkost des P. F. nicht mehr 
genügend HCl produziert, weit mehr als 
umgekehrt ihn durch Reizstoffe zu vor¬ 
übergehenden stärkeren Leistungen anzu¬ 
regen. 

Die Sahlische ingeniöse Methode 
mittels der Desmoidbeutelchen führt oft 
zu befriedigenden Resultaten, sicherer 
jedenfalls als das kürzlich von anderer 
Seite empfohlene Auscultieren der C0 2 - 
Entwickelung nach Einführen von Natron 
bicarbonicum, indes habe ich in der 
Praxis so selten Fälle gefunden, welche 

*) In der jetzigen Zeit können übrigens weder 
Fleischmahlzeiten noch „appetiterregende“ Probe¬ 
essen an größerem Material verabfolgt werden. 





135 


April Die Therapie der Gegenwart 1917. 


das Einführen der Sonde kontraindizier¬ 
ten, daß ich in den letzten Jahren vom 
Sahli sehen Verfahren Abstand genom¬ 
men habe. 

Die Prüfung der Motilität geschieht 
am besten durch den Nachweis der ver¬ 
langsamten Fortschaffung bestimmter 
Speisemengen in bestimmter Zeit. 

Die Riegelsche Mahlzeit soll nach 
sechs Stunden den Magen verlassen haben-' 
(Kontrolle durch Spülung). Verspätet 
sie sich, so haben wir den einfachen Grad 
der Insuffizienz. 

Ich habe für ernste Stauungszustände 
(Insuffizienz zweiten Grades) als die beste 
Methode das Probeabendessen mit mor¬ 
gendlicher Spülung gefunden, und zwar 
geben wir Nudeln mit gekochten Pflaumen, 
deren Rückstände sich bei motorischer 
Hemmung in der morgendlichen Spülung 
stets noch nachweisen lassen. 

Lüthje zieht die Prüfung an der 
Tagesverdauung vor, ich die nach dem 
Schlafe. Ich halte die Lebensbedingungen 
im Schlafe für gleichmäßiger, wenn auch 
der Schlaf, wie ich vor Jahren nach¬ 
gewiesen habe, die Motilität etwas hemmt. 

Diese Hemmung betrifft aber alle 
Menschen im gleichen Maße, ist also ohne 
Belang. Dazu kommt aber noch ein 
wichtiger Umstand: Geben wir abends 
das Probeessen und spülen um 8—9 Uhr 
früh aus, so hatte der Magen zwölf Stun¬ 
den zur Entleerung Zeit. Kann er in 
dieser langen Zeit seiner Aufgabe nicht 
gerecht werden, dann ist er ausgesprochen 
motorisch insuffizient. Man muß dann 
eine Pylorusstenose, und zwar eine orga¬ 
nische annehmen. Ich habe mich in dieser 
durch Operationen sehr oft verifizierten 
Diagnose so gut wie niemals getäuscht. 
Eine atonische Insuffizienz zweiten Grades 
lehnen wir mit Lüthje (und wohl der 
Mehrzahl der Magenpathologen) ab. 

Es kann nicht genug betont werden, 
wie notwendig die nüchterne Spülung 
nach typischem Probeabendessen für die 
Untersuchung der Motilität ist. Nicht 
selten zeigte das P. F. keine Beimengun¬ 
gen einer Mahlzeit vom Vortage und 
trotzdem trat auf die größere Belastung 
mit Nudeln und Pflaumen hin der charak¬ 
teristische Rückstand auf (bei gutartiger 
Stauung meist mit Sarzine). 

Daß Magenspülungen die Insuffizienz, 
auch die zweiten Grades, sehr erheblich 
bessern können, wissen wir seit Ku߬ 
mauls klassischem Falle aus der Frei¬ 
burger Klinik (1868 Fall Weiner). Die 
Erklärung, die Kußmaul gibt, lautet 


etwas anders als die von Lüthje. Ku߬ 
maul denkt an Verengerung des Pylorus 
durch den zerrenden Magerisack, Lüthje 
mehr an spastische Vorgänge am Pylorus; 
beides mag Vorkommen. 

Noch ein Wort, über die Frage der 
okkulten Blutungen, die Lüthje 
in seinem Vortrage nicht berührt. 

Ich halte die okkulten Blutungen für 
eines der diagnostisch wertvollsten Sym¬ 
ptome. Allerdings mit Einschränkungen. 
Dauerndes Fehlen beweist eigentlich 
mehr (es schließt Magen- und Darmkrebs 
fast sicher aus), als der positive Be¬ 
fund, denn diesen trifft man wohl auch 
bei nicht direkt erkranktem Magen-Darm¬ 
kanal, wenn auch selten (bei Lebercar- 
cinom, Pankreaskrebs, Cholelithiasis, spa¬ 
stischem Sanduhrmagen). 

Vor kurzem haben Wolff und Dau 
daran erinnert, daß auch bei Tricho- 
cephalus Blut in den Faeces nachweisbar 
ist. Dasselbe wurde auch schon früher bei 
Askariden und Tänien nachgewiesen. 

Da von militärischer Seite dieser Frage 
nunmehr eine besondere Aufmerksamkeit 
zugewandt wird und Nachprüfungen an¬ 
befohlen sind, werden wir voraussichtlich 
in nicht zu ferner Zeit ein größeres Mate¬ 
rial von Beobachtungen überblicken kön¬ 
nen. 

Über die Therapie der Magen- und 
Darmkrankheiten ist in dieser nahrungs¬ 
beschränkten Zeit wenig Erfreuliches zu 
sagen. Wer nach den Prinzipien der 
Kußmaulschen Schule behandelt, wird 
von der Fleischknappheit wenig betroffen 
sein. Schlimmer steht es mit der Knapp¬ 
heit an Mehlstoffen und Fetten. 

Die Kurve der Gewichtszunahmen ist 
auf unserer Abteilung zwar nicht gefallen, 
aber doch in ein wesentlich langsames 
Crescendo gekommen, seitdem wir mit. der 
Butter sparen müssen, die von den Darm¬ 
kranken meist so vorzüglich ertragen wird. 

Warm empfehlen möchte ich die aus¬ 
gedehnte Verwendung von Gerste. 

Die grobe (im Frieden sehr billige und 
wenig geschätzte) Gerste wird unverän¬ 
dert, also nicht etwa gemahlen, mit 
Wasser zwölf Stunden angesetzt. Andern 
Mittags kocht man den Brei vier Stunden 
lang auf. dem Herd. Will man das Ge¬ 
richt nicht süß essen, so rührt man einen 
(Wasser-) Mehlbrei daran, der eine halbe 
Stunde mitkocht, salzt es entsprechend 
und ißt es mit oder ohne Würze als dicke 
Suppe. Soll es als süßes Gericht genossen 
werden, läßt man das Salz und den 






April 


136 D;e Therapie der Gegenwart 1917. 


Mehlbrei weg; Man kocht (wie oben) 
vier Stunden, gibt dann Zucker und rohe 
geschälte Äpfel oder Pflaumen hinzu, die 
man eine halbe Stunde mitkochen läßt. 

Ähnlich der berühmten Kußmaul- 
schen Grütze verläßt dieser Gerstenbrei 
den Magen sehr schnell (in zwei Stunden 
etwa), die Darmverdauung wird sehr 
günstig dabei beeinflußt im Sinne der 
Retardation (bei Diarrhöe); doch kommt 
es durch den Reiz der Gerstenhäutchen 
und des Obstes niemals zur Obstipation. 
Die günstige Wirkung der unveränderten 
Körnerwand (Vitamine) soll auch nicht 
unerwähnt bleiben. 

Bei starken Diarrhöen raten wir Salz¬ 
kartoffeln zu versuchen, die vorher durch 
ein festwandiges Sieb mit groben Löchern 
getrieben worden sind. Durch Wasser¬ 


entziehung wirken diese trockener! Kar¬ 
toffeln stark obstipierend. Unangenehm 
wird allgemein die große Neigung zu 
Flatulenz empfunden infolge der einseiti¬ 
gen ungewohnten und allzu ballastreichen 
Gemüsenahrung. Die Gerste wirkt (im 
Gegensatz zu Kartoffeln und Kohl) so 
gut wie gar nicht blähend. 

Im allgemeinen kann man wohl zu¬ 
geben, daß die Schwierigkeiten der Er¬ 
nährung auf unseren Magen- und Darm- 
kranken schwer lasten; wirklich ernst¬ 
liche Schädigungen haben wir aber bis¬ 
her nicht beobachtet, und wir dürfen zu¬ 
versichtlich hoffen, daß auch dieser Teil 
unserer Patienten gleich den übrigen sich 
mit Genügsamkeit, Geduld und einigem 
Humor durch die Fährlichkeiten dieser 
Zeiten glücklich durchlavieren wird. 


Die Diathermie im Kriege. 

Von Dr. H. Braun-Solingen, z. Z. Stabsarzt i. e. Feldartillerie-Regiment. 


Durch meine Tätigkeit als Truppen¬ 
arzt seit Beginn des Feldzuges und auch 
vorübergehend alsStationsarzt undChirurg 
eines Feldlazarettes war ich in der Lage, 
eine Fülle von Erkrankungen im Heere 
zu beobachten, die sich für die Behandlung 
mittels Diathermie in hervorragendem 
Maße eignen, um eine baldige Felddienst¬ 
fähigkeit zu erreichen. 

Da ich einmal weiß, daß die Diather¬ 
miebehandlung noch relativ wenig be¬ 
kannt ist und in der Literatur noch 
keine systematische genaue Zusammen¬ 
stellung der Anwendungsmöglichkeiten, 
-arten und ihrer Dosierungen existiert, 
will ich dem aus Fachkreisen mehrfach 
an mich gestellten Ersuchen um Äuße¬ 
rungen über meine Erfahrungen auf 
diesem Gebiete mit Rücksicht auf dem 
Krieg nachkommen und in folgendem in 
gedrängter Kürze einige Vorschläge und 
Richtlinien angeben zur Behandlung 
mehrerer auch im Kriege häufig vor¬ 
kommender Erkrankungen und zur 
schnelleren Beseitigung einiger nach Ver¬ 
letzungen häufig zurückbleibender Folge¬ 
erscheinungen. 

Allgemeiner Teil. 

Ich muß zunächst kurz die Physik 
und die Physiologie der Diathermie 
streifen. 

Die Diathermieströme sind Hochfre¬ 
quenzströme ; diese Hochfrequenzströme 
sind Wechselströme mit sehr vielen, eine 
Million und mehr, Wechseln in der Se¬ 
kunde; der niederfrequente oder in der 
Industrie einfach Wechselstrom genannte 


Strom hat dagegen meist nur 100 Wechsel 
in der Sekunde. Die bei dem — für die 
Diathermie nur brauchbaren, — hoch¬ 
frequenten Wechselstrom so häufigen 
Wechsel verhindern es, daß der Strom 
eine der den Organismus schädigenden 
Eigenschaften bei der Applikation ent¬ 
falten kann, seine Schwingungen ver¬ 
laufen zu schnell, als daß eine elektro¬ 
lytische Wirkung hervorgerufen, werden 
könnte; diese Hochfrequenzströme sind 
also in diesem Sinne reizlos. 

Dafür daß die hochfrequenten Ströme 
nun aber nicht einfach auf der Haut ver¬ 
laufen, sondern in die Tiefe in die Ge¬ 
webe eindringen, dafür gilt als Beweis, 
daß bei der Anwendung dieser Hochfre¬ 
quenzströme durch Kontaktapplikation 
zwischen den Elektroden im Körperteil 
eine Wärme, eine Durchwärmung der 
Gewebe auftritt. Diese teils durch Ionen¬ 
bewegungen, teils durch Schwingungen 
der Moleküle produzierte Wärme ist die 
von Joule berechnete Widerstands¬ 
wärme. 

Daß ferner die bei Anwendung der 
Hochfrequenzströme mittels Kontakt¬ 
applikation, das heißt mittels biegsamer, 
dem Körperteil gut anliegender Metall¬ 
elektroden, also kurz bei Anwendung der 
Diathermie, wie ich das Verfahren im 
folgenden nunmehr nennen will, die ent¬ 
stehende Erwärmung nicht allein auf der 
Oberfläche, sondern auch in dem be¬ 
treffenden Körperteil vorhanden ist, läßt 
sich nicht nur subjektiv durch das Ge¬ 
fühl der Diathermierten, sondern auch 





April 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 137 


objektiv mittels geeigneter Temperatur¬ 
meßapparate einwandfrei nachweisen. 
Man ist also in der Lage, einen Körper¬ 
teil, sagen wir mal ein Kniegelenk, in 
seinem ganzen Querschnitt zu durch¬ 
wärmen. 

Darin, in der Durchwärmung der 
Gewebe, liegt das Neue, das .Erfolgreiche 
der Behandlungsmethode. Es gelingt 
leicht, das Innere einzelner Körperteile 
bis auf 45 bis 48 Grad zu erwärmen, ja 
die Temperatur des ganzen Körpers so¬ 
gar um mehrere Grade zu erhöhen. 

Diese Wärmeerhöhung entsteht nun 
aber nicht, wie beim Fieber, unter er¬ 
höhten cellularen Verbrennungen, unter 
erhöhtem Stoffwechsel, sondern sie ist 
eine neue Wärmeenergie, welche als elek¬ 
trische Energie dem Körper zugeführt 
und in diesem in Wärme umgesetzt ist. 

Soviel kurz über die Physik und phy¬ 
siologische Wjrkung der Diathermie. — 

Apparate. Von Diathermieapparaten 
sind mir durch jahrelangen Gebrauch be¬ 
kannt der von Siemens u. Halske und 
der von Reiniger, Gebbert und Schall. 
Namentlich der erstere, die neuen Modelle 
sind mit einer Wasserkühlung der Funken¬ 
strecke versehen; eignet sich dank seiner 
einfachen Wartung und leichten Hand¬ 
habung ganz besonders für Kriegszwecke;. 
der Apparat von Reiniger, Gebbert und 
Schall gibt sehr viel her und ist besonders 
für starke Beanspruchung sehr zu emp- ! 
fehlen. 

Als Leitungskabel empfehle ich 
derbe, gut isolierte Kabel, die nicht mit 
den Elektroden fest verbunden sind, 
sondern an beiden Enden Stifte haben. 
Zur Parallelschaltung können die Kabel 
gabelartig an einem Ende geteilt sein. 

Elektroden. Während ich früher 
Elektroden benutzte, die mit einer, Flüssig¬ 
keiten aufsaugfähigen, Stofflage bedeckt j 
waren, wende ich jetzt nur noch Metall¬ 
elektroden ohne jeden Stoffbelag an. 
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß 
die Stoffauflage sich im Verlaufe der 
Sitzung dermaßen erhitzt, daß ein 
brennendes Gefühl auf der Haut ent¬ 
steht und eine Steigerung der Durch¬ 
wärmung unmöglich wird. Als Material 
hat sich mir am besten Neusilber 
0,5 bis 0,7 bis 1,0 mm stark bewährt, | 
das sich den Körperkonturen sehr gut | 
anschmiegt und eine bessere Haltbarkeit, | 
ein besseres Aussehen behält als z. B. Blei 
oder Zinn. Eine größere Anzahl dieser,- 
mit je einem Anschlußstift für die, Kabel 


und Elektrode verbindende Klemm¬ 
schraube, versehenen Elektroden, muß 
stets vorhanden sein, um bei richtiger 
Größenwahl den günstigsten Effekt zu 
erzielen. 

Wenn ich in folgendem einige Größen 
vorschlage, die nach meiner Erfahrung 
die praktischsten sind und für alle Be¬ 
handlungen ausreichen, so will ich damit 
nicht feststehende Maße schaffen, sondern 
nur Anhaltepunkte geben; im Gegenteil, 
es ist gut, sich für bestimmte Appli¬ 
kationen die Elektroden ■zurechtzuschnei¬ 
den, wie sie dem Körperteil am besten 
anliegen. 

Ich schlage also vor, folgende Größen 
vorrätig zu halten: 

Je zwei Elektroden winklig 3,5x6, 
4,5x8, 5x10, 6x12, 8x8, 7,5x15, 
10x10, 10x12, 10x20, 12x18, 12x27, 
eine von 25x30 cm; je zwei Elektroden, 
rund mit 2, 3, 4, 5, 6, 7 und je eine mit 
8 und 12 cm Durchmesser; 1 Paar Hand¬ 
elektroden, das von mir angegebene 
Fußelektroden-Bänkchen, das, mit kleinen 
Rädchen versehen, eine Lageveränderung 
der Beine gestattet, eine Erleichterung, 
die sehr angenehm empfunden wird 
(Verfertiger: Fritz Hennicke- Solingen). 

Bucky (Berlin) wendet Staniolstreifen 
an; mir fehlt die Erfahrung hierüber; 
ich kann riiir aber denken, daß sie zweck¬ 
mäßig und sauber in dem Gebrauch sind. 
— Am einfachsten bewirkt man ein ge¬ 
naues Anliegen der Elektroden durch das 
Andrücken mittels Sandsäcke oder Bin¬ 
dentouren. 

Einige Grundsätze zur Technik sind 
unbedingt zu beachten: 

1. Um eine gleichmäßige Durch¬ 
wärmung eines Körperteiles zu erzielen, 
wendet man gleichgroße Elektroden an 
und legt sie bei der Querdurchwärmung 
möglichst einander gegenüber an; um 
dagegen an einer bestimmten Stelle einen 
größeren Wärmeeffekt zu erreichen, nimmt 
man Elektroden von ungleichem Flächen¬ 
inhalt und zwar die kleinere an der Stelle 
des beabsichtigten größeren Wärme¬ 
effektes. (Diese Forderung ist bedingt 
durch die Tatsache, daß nach der 
kleineren Elektrode hin die größere 
Stromdichte und damit die stärkere Er¬ 
wärmung eintritt. 

2. Die Querdurchwärmung ist, wo 
nur angängig, der Längsdurchwärmung 
vorzuziehen. 

3. Bei der Querdurchwärmung muß 
der kleinste — auf der Haut gemessene —- 

18 




138 Die Therapie der 


Abstand der beiden einander zugekehrten 
Elektrodenauflagestellen größer sein als 
der kleinste Querdurchmesser des be¬ 
handelten Körperabschnittes (um zu ver¬ 
hindern, daß der Strom um den Körper¬ 
abschnitt herum, statt durch ihn hin¬ 
durchgeleitet wird). 

4. Der Strom darf erst geschlossen 
werden, wenn die Elektroden fest liegen; 
es ist stets mit geringster Stromstärke 
zu beginnen und langsam mit dieser zu 
steigern. 

5. Solange der Strom geschlossen ist, 
darf, der Kranke nicht ohne Aufsicht ge¬ 
lassen werden. 

6. Jedes unangenehme Gefühl von 
seiten des Kranken (Stechen, Ziehen) ist 
fast gleichbedeutend mit einer Schädi-. 
gung;es darf die Strommenge (siehe unten) 
also nur soweit gesteigert werden, als sie 
ein angenehmes Gefühl der gleich¬ 
mäßigen Wärme bei dem Kranken 
erzeugt. 

7. Da die Wärme sich noch nach 
Stunden fühlbar erhält, umhülle man für 
die nächsten Stunden den diathermierten 
Körperteil mit Watte oder Wolle. 

Spezieller Teil. 

Nunmehr komme ich zur Anwendung 
der Diathermie bei den einzelnen Krank¬ 
heitsformen. 

Aus meinen eigenen Erfahrungen will 
ich jedesmal kurz mein Urteil über den 
zu erwartenden Erfolg abgeben; ich er¬ 
wähne allerdings gleich, daß ich in der 
Aufstellung nur Krankheitsformen heraus¬ 
griff und zur Behandlung empfahl, die 
im Kriege häufig Vorkommen und deren 
Behandlung nach meiner Erfahrung eine 
gute Prognose zuläßt. 

Im großen und ganzen kann man das 
Indikationsgebiet für die Diathermie kurz 
derart umgrenzen, daß man sie da zur 
Anwendung bringt, wo erfahrungsgemäß 
die Wärme, eines der ältesten Hilfsmittel 
in der Medizin, an sich von gutem Ein- 
. fluß ist. Der Vorteil einer Diathermie¬ 
behandlung liegt, wie ich bereits eingangs 
erwähnte, darin, daß man in der Lage ist, 
den Körper beziehungsweise einen Teil 
desselben in gewählter Richtung und ge¬ 
wollter Intensität in seinem Innern zu 
durchwärmen mittels elektrischer, im 
Körper in Wärme umgewandelter Schwin¬ 
gungsenergie; während man mit den bis¬ 
her üblichen Methoden der Wärmeappli¬ 
kation auf die Haut (Kompressen, Bädern, 
Douchen) nur für Bruchteile eines 
Millimeters in den Körper, in die Haut 


Gegenwart 1917. April 


eindringen konnte, ohne diese zu schä¬ 
digen. 

Behandlung der Gelenke, Bänder, Muskeln. 

Indikationen: Arthritis rheumatica, 
urica, gonorrh., deformaris, traumatica, 
hydrops genus, traumatische Gelenkver¬ 
steifungen, Verstauchungen; Muskelrheu¬ 
matismus, Lumbago, sekundäre Muskel¬ 
atrophie, Distorsionen. 

Anmerkung: Fieber erst abklingen 
lassen! Nie Polyarthritiden mit Diather¬ 
mie behandeln, innere Therapie besser! 
Nie frische Entzündungen und Eiterungen, 
keine Tuberkulose mit Diathermie be¬ 
handeln! 

Prognose undErfahrungen. Akute 
Gichtanfälle und alle subakuten Arthri¬ 
tiden sind die dankbarsten Indikationen; 
erstere werden meist in zwei bis drei (oft 
bereits nach einer) Sitzungen koupiert; 
letztere geben auch da noch sehr gute 
Erfolge, wo schon wochen- und monate¬ 
lang auf andere Weise erfolglos behandelt 
wurde. Bei Arthr. gonnorrh. konnte 
ich stets ein schnelles Aufhören der 
Schmerzen feststellen. Hartnäckige Ex¬ 
sudate werden schneller kleiner und ver¬ 
schwinden ganz. Traumatische Gelenk¬ 
versteifungen, Verstauchungen können 
ebenso wie sekundäre Muskelatrophien, 
viel früher mit Massage und Medico- 
mechanik behandelt werden, da die 
Schmerzen bei ihrer Anwendung ungleich 
geringer sind und der Muskelwiderstand 
erheblich kleiner ist. — Muskelrheumatis¬ 
mus und Lumbago sah ich bereits nach 
einigen Sitzungen schwinden. — Nicht 
unerwähnt möchte ich einen Fall von 
Versteifung im Kniegelenk lassen, die 
nach einigen Wochen der Behandlung 
allein mit Diathermie sich so veränderte, 
daß der Patient infolge des nunmehr ent¬ 
standenen Schlottergelenkes anfangs nur 
noch mit einer festen Kniekappe gehen 
konnte (!). 

Technik: 

'Schultergelenk: Elektroden: a) Durch beide 
Schultern hindurch: Auf musc. delt. der kran¬ 
ken Seite winkelige Elektrode 8 x 8 cm, der 
gesunden Seite winkelige Elektrode 10 x 10 cm 
mit breiter Binde beiderseits circular fixieren, 
b) Durch eine Schulter hindurch: Hinten winke¬ 
lige Elektrode 4,5 x 8 cm an Schultergelenk durch 
Rückenlage andrticken, vorn auf Gelenkspalt 
runde Elektrode mit 5 — 6 cm Durchmesser durch 
Sandsack fixieren. 

Stromstärke: Zu a: 0,7—1,0 Ampere; 
zu b: 0,3—0,5 Ampere. 

Dauer: 20 Minuten. 

Ellenbogengelenk: Arm liegt proniert und 
fast gestreckt auf Unterlage. 




139 


April Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Elektroden: Oben und unten runde Elek¬ 
trode 5 und 6 cm Durchmesser' mit Binde oder 
Sändsack fixieren. 

Stromstärke: 0,3—0,4 Ampere. 

Dauer: 15-^20 Minuten. 

Handgelenk: Elektroden: a) Beide Hand¬ 
gelenke: Han.delektroden.mit beiden Händen um¬ 
fassen. (Da Volarseite eher heiß wird, eventuell 
die Hände dorsal flektiert halten!) 

b) Ein Handgelenk: Handgelenk mit Volar¬ 
fläche auf Elektrode 4,5 x 8 cm legen, die zur 
besseren Anpassung auf einem s Sandsack ruht; 
dorsal 3,5 x 6 cm Elektrode mit Sandsack be¬ 
schweren. . 

Stromstärke: Zu a: 0,4—0,5 Ampere, zu b: 
-0,2—0,3 Amp&re. 

Dauer: 15—20. Minuten, 

Fingargelenke: Elekroden: a) Die Finger 
in eine etwa 20 x 30 cm große mit Salzwasser 
8 cm hoch gefüllte Schale halten, auf deren Grund 
eine 10 x 20 cm-Elektrode liegt; die andere — 
indifferente — Elektrode entweder als Fuß-(siehe 
unten) oder Gesäßelektrode (siehe unten) ange¬ 
wendet (nach Kowarschik). b) Finger- bezie¬ 
hungsweise Mittelhandgelenke: Handfläche' auf 
12 x 18 cm-Elektrode; dorsal: 4,5 x 8 cm-Elek¬ 
trode; c) einzelne Gelenke: volar: 12 x 18 cm., 
dorsal: rund 2 oder 3 cm. 

' Stromstärke: Zu a, b, c: 0,2—0,3 Ampere. 

Dauer: 15 Minuten. 

Hüftgelenk (Rückenlage): • Elektroden: 

a) Beide-Hüften: Je 12 x 18 cm-Elekrode beider¬ 
seits auf Trochantergegend entweder mit breiter 
Binde fest anwickeln oder durch schwere Sand¬ 
säcke fest andrücken. b) Eine Hüfte: Patient 
drückt in Rückenlage runde Elektrode 12 cm 
Durchmesser an Glutäalgegend an; vorne über 
dem Gelenkspalt runde 7—8 cm-Elektrode mit 
Sandsack festgelegt. 

Stromstärke : a: 1,5 Ampere, b: 1,0 Ampere. 

Dauer: 20—25 Minuten. 

Kniegelenk: Elektroden: Innen und außen 
je 5 x 10 cm-Elektrode oder 5x10 und rund 
0 cm mit Binde fixieren; bei Contracturen die 
Elektrode entsprechend zuschneiden. 

Stromstärke : 0,9—1,2 Ampere. 

• Dauer: 20—25 Minuten. 

Fußgelenk: Elektroden: a) Beide Fu߬ 
gelenke: Jeden Fuß auf eine Elektrode 12 x 27 cm 
stellen, beziehungsweise gesunde Seite auf 12 mal 
27 cm, kranke auf 10 x 10 cm (Sandsäcke unter 
jede Elektrode, um ein gutes Anschmiegen der¬ 
selben zu erreichen), b) Ein Gelenk: Runde 
Elektroden 4 und 5 cm zugeschnitten und zurecht¬ 
gebogen, unterhalb der Malleolen mit Sandsäcken 
festlegen und diese mit Bindentouren fixieren. 

Stromstärke: Zu a: 0,5—0,75 Ampere; zu 
b: 0,25—0,3 Ampere. 

Dauer: 20 Minuten. 

Mittelfußgelenke: Elektroden: Fuß auf 
12 x 27 cm-Elektrode stellen; dorsal: runde Elek-. 
trode 6 beziehungsweise 7 cm oder winklig 
4,5 x 8 cm. 

Stromstärke: 0,3—0,4 Ampere. 

Dauer: 15—20 Minuten. 

Zehengelenke: Elektroden: a) Fuß auf 
10 x 10 cm-Elektrode stellen; dorsal: 4,5 x 8 cm. 

b) Große Zehe: wie a, dorsal rund 4 cm. 

Stromstärke: Zu a: 0,3 Ampere; zu b: 

0,2—0,3 Ampere. 

Dauer: 15—20 Minuten. 

Kiefergelenke: Elektroden: Runde 5 be¬ 
ziehungsweise 6 cm-Elektrode auf Kiefergelenke 
mittels kleiner Wattepolster andriicken und durch 
Bindentouren fixieren. 


Stromstärke: 0,3—0,4 Ampere. 

Dauer: 25 Minuten. 

In einer der Behandlung der Gelenke ganz 
analogen Weise werden die Muskelgruppen der 
einzelnen Körperabschnitte behandelt. , * 

Oberarm: Elektroden: Je 5 x 10 cm- 
Elektrode an Außen- und Innenseite mit Binde 
fixieren. 

Stromstärke: 0,5—0,7 Ampere. 

Dauer: 15—20 Minuten. 

Unterarm: Arm in Pronationsstellung auf 
eine Unterlage legen. Elektroden: Je 4,5 x 8 
cm-Elektrode auf Vorder- und Rückseite mittels 
Sandsäcken andrücken. 

Stromstärke: 0,4—0,6 Ampere. 

' Dauer: 15—20 Minuten. 

Rücken: Rückenlage auf halbharter Matratze. 
Elektroden: a) Hinten 12 x 18 cm-Elektrode 
quer über beide Rückenmuskeln, vorn 12x 27 cm- 
Elektrode quer über beiden Rectis mit Sandsack 
fixiert, b) Hinten 7,5 x 15 cm-Elektrode hoch¬ 
gelegt über einen Rückenmuskel, vorn gegenüber 
12 x 18 cm-Elektrode. 

Stromstärke: Zu a: 1,5—2 Ampere; zu b: 
1,2—1,5 Ampere. 

Dauer : 25 Minuten. 

Oberschenkel: Rückenlage oder Sitz. Elek- 
troden: Je 7,5 x 15 cm-Elektrode langgelegt an 
Außen- und Innenseite mit Sandsäcken fixieren 
beziehungsweise Oberschenkel auf untere Elek¬ 
trode in Rückenlage andrücken. 

Stromstärke: 1,0—1,5 Ampere. 

Dauer: 20—25 Minuten. 

Unterschenkel: Elektroden: Je 6 x 12 cm- 
Elektrode langgelegt an Außen- und Innen¬ 
seite, wie beim Oberschenkel. (Tibiakante ver¬ 
meiden!) 

Stromstärke: 0,7—1,0 Ampere. 

Dauer: 20—25 Minuten. 

Behandlung des Nervensystems. 

Indikationen: A, Erkrankungen der 
peripheren Nerven: Neuralgie, Neuritis 
(Ischias, Brachial-, Trigeminusneuralgie). 

Prognose und Erfahrungen. Recht 
wechselnd waren meine Erfahrungen bei 
der Behandlung der Neuralgien. Während 
ich bei einer sehr großen Anzahl Ischias¬ 
kranker ganz eklatante Erfolge selbst bei 
alten Fällen hatte,, dergestalt, daß die 
Kranken bereits nach sechs bis sieben 
Sitzungen ohne jedes Narkoticum bleiben 
und sogar schlafen konnten, versagte die 
Behandlung bei manchen Ischiasfällen 
und manchen Brachialneuralgien, so daß 
ich mir zum Grundsatz gemacht habe, die 
Diathermiebehandlung in den Fällen ab¬ 
zubrechen, in denen nach etwa sieben bis 
acht Sitzungen eine — wenn auch nur 
geringe— Besserung nicht zu bemerken 
war. Auch die Neuralgie der Trige¬ 
minusäste war nicht das dankbarste In¬ 
dikationsgebiet. Ich hatte Kranke mit 
typischen Trigeminusneuralgien, die be¬ 
reits nach den ersten Sitzungen ihre — in 
einem Falle, fast zehn Jahre alten — 
täglich sie quälenden Schmerzen für 
viele Monate verloren und auch solche, 

18* 



140 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


April 


bei denen die Behandlung eine nur ganz 
verschwindende Besserung ihres Leidens 
bewirkte. 

Immerhin sollte eine Behandlung der 
Ischias mit Diathermie eine Pflicht, eine 
Behandlung der Trigeminusneuralgie mit 
ihr eines Versuches wert sein! 

Technik: 

Ischias: Ich behandle die Ischias meist der¬ 
art, daß ich den Nerv möglichst in seiner ganzen 
Länge von der Austrittsstelle bis zur Umschlag¬ 
stelle an dem äußeren Malleolus in Abschnitten zu 
durchwärmen versuche. Eine Ischiasbehandlung 
zerfällt demzufolge in vier Abschnitte und ge¬ 
staltet- sich folgendermaßen: 

Elektroden: 

I. Über der Austrittsstelle des Nervus ischiad. 
runde 8 cm-Elektrode, die der Kranke in Rücken¬ 
lage mit dem Körper festhält; vorn in Höhe des 
unteren Drittels an der Innenseite des Ober¬ 
schenkels 10 X 10 cm-Elektrode. 

II. Vordere Elektrode bleibt liegen, unterhalb 
des Wadenbeinköpfchens runde 5 cm-Elektrode. 

III. Über der Mitte der Wade an Außen- und 
Innenseite je 6 x 12 cm-Elektrode. 

IV. Elektrode an' der Innenseite der Wade 
bleibt liegen, unterhalb des äußeren Malleolus eine 
aus einer 3,5 x 6 cm oder runden 4 cm-Elektrode 
der Konfiguration des Körperteils durch Biegen 
angepaßte zurechtgeschnittene Elektrode. (Kno¬ 
chenkanten vermeiden!) 

Stromstärke : Abschnitt 1:0,9—1,1 Ampere, 
Abschnitt II: 0,7—0,8 Ampere, Abschnitt III: 
0,7—1,0 Ampere, Abschnitt IV: 0,3—0,5 Ampere. 

Dauer : Jeder der vier Abschnitte 15 Minuten.. 

Ist dagegen nur ein Ast des Nervus ischiad. 
erkrankt, so wird man sinngemäß nur den ent¬ 
sprechenden Abschnitt diathermiereri. 

Brachialneuralgie: Auch hierbei einzelne Ab¬ 
schnitte nacheinander durchwärmen. 

Elektroden: 

I. 10 x 10 cm und 8x8 cm-Elektrode auf 
Außenseiten beider Oberarnie, über Musculus delt. 
(8 x 8 cm auf kranke Seite!) oder 4,5 x 8 cm- 
Elektrode über der Fossa supraspinata, 8 x 8 cm 
über Fossa infraclavicularis. II. Wie Oberarm¬ 
durchwärmung (siehe oben). III. Wie Unterarm¬ 
durchwärmung (siehe oben). 

Dauer: Je 15 Minuten. 

Trigeminusneuralgie. Elektroden: Runde 
7 cm-Elektroden auf beiden Wangen entweder 
mit einer Gummiauflage bedeckt und mit den 
Händen festgehalten oder mit einer Binde fixiert. 

Stromstärke: 0,3—0,5 Ampere. 

Dauer: 20 Minuten. 

B. Erkrankungen des centralen 
Nervensystems. Lancinierende Sch mer¬ 
zen der Tabiker (Sensibilität vorher 
prüfen!!), angina pect., allgemeine Nerven¬ 
erschöpfung. 

Prognose und Erfahrung. Fast 
immer lassen sich die Schmerzen der 
Tabiker durch entsprechende Diather¬ 
mierung der einzelnen Körperabschnitte 
wenigstens für längere Zeit beseitigen; 
die Angina pect, wird gut beeinflußt, das 
Allgemeinbefinden der an Schlaf- und 


Appetitlosigkeit leidenden Erschöpften 
ganz wesentlich gebessert. ‘ Es ist eine 
auffallende, bekannte Begleiterscheinung 
der Diathermie, daß die mit ihr Be¬ 
handelten fast ausnahmslos und un¬ 
gefragt ihr erhöhtes Schlafbedürfnis und 
ihren gesteigerten Appetit zur Sprache 
bringen. ' 

Technik. Je nach dem Sitz der 
lancinierenden Schmerzen diathermiert 
man nun: 

Beine: Elektroden: Beide Füße stehen auf 
einer großen Fußelektrode 25 x 30 cm; die andere 
Elektrode 12 x 18 cm quer unterhalb des Kreuz¬ 
beins oder lang in Höhe der Lendenwirbelsäule 
wird im Sitz gegen die Rückenlehne und gegen, 
einen Sandsack festgehalten. • 

Stromstärke: 1,0—1,2 Ampere. 

Dauer: 20—25 Minuten. 

Arme: Wie Brachialneuralgie. . 

Brust: (Gürtelschmerz): Elektroden: Je 
12 x 48 cm-Elektrode in den Achselhöhlenlinien 
mit breiter Binde zu beiden Seiten des Thorax 
fixiert. 

Stromstärke: 1,0—1,5 Ampere. 

Dauer: 20—25 Minuten. 

Magen - Darm - Blasenschmerzen. Tee hn i k : 
Siehe oben Rücken a. — Elektroden entsprechend 
über Magen, Darm oder Blase legen. 

Angina pectoris. (Sitz- oder Rückenlage. 
Elektroden: 12 x 18 cm-Elektroden an Rücken 
durch Unterlage, über der Herzgegend 10 x 10cm- 
Elektrode mit der Hand und Sandsaek andrücken. 

Stromstärke : 0,9—1,3 Ampere. 

Dauer: 15 Minuten. 

Allgemeine Nervenerschöpfung 
mit Schlaf- und Appetitlosigkeit. 

Technik: Ganzdiäthermie des Körpers. 

Elektroden: Beide Füße stehen auf der 
großen Fußelektrode, 25 x .30 cm, beide Hände 
umfassen die Handelektroden, der Oberkörper 
befindet sich in halbliegender Stellung. 

Stromstärke: 0,8—1,0 Ampere. 

Dauer: 20 Minuten. 

Behandlung bei Erkrankungen der 
Atmungsorgane. 

Indikationen. Bronchitis (auch 
chronische, mit Astmaerscheinungen), 
Pneumonie, Pleuritis. 

Prognose und Erfahrungen. Sehr 
gut; bereits nach ein bis zwei Sitzungen 
(je nach Schwere der Erkrankung) sehr 
leichte, reichliche Expektoration, ge¬ 
ringerer Hustenreiz, schnelle Lösung ünd 
Resorption der Exsudate. Schmerzen 
lassen, bei Pleuritis sicca besonders deut¬ 
lich, meist schon während der ersten 
Sitzung nach, Ja hören in vielen Fällen 
nach einer Sitzung sogar auf. 

, Technik: 

Elektroden: Auf beiden Seiten des Thorax 
je eine 12 x 18 cm-Elektrode in der Achselhöhlen¬ 
linie oder über der schmerzhaften Stelle 10 mal 
12 cm und gegenüber 12 x 18 cm. 

Stromstärke: 0,8—1,2 Ampere. 

Dauer: 20—25 Minuten. 




April Die . Therapie der Gegenwart 1917. - .141 


Behandlung bei Erkrankungen des Herzens. 

Indikationen. Hauptsächlich ch ro- 
nische Entzündungen des Herzmuskels 
(Myokarditis mit stenocardischen • Be¬ 
schwerden). 

Prognose und Erfahrungen. Ganz 
besonders eignen sich die Erkrankungen 
der Koronargefäße, der muskulären De¬ 
generation des Herzens für die Behand¬ 
lung. Die stenokardischen Anfälle werden 
bereits nach einigen Sitzungen leichter, 
seltener und bleiben nach einer mehr¬ 
wöchigen Behandlung meist ganz fort. 
In der Mehrzahl der Fälle werden die 
Schmerzen schon während der ersten oder 
zweiten Sitzung derart geringer, daß die 
Kranken unaufgefordert ihre Erleichte¬ 
rung mitteilen. 

Technik: Wie Angina pectoris (siehe oben). 
Bei dieser kurzen Streife der Herzkrankheiten 
möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß ich in 
allen Fällen von Hypertonie der Gefäße durch die 
Diathermie (Ganzdiathermie: Hand- und Fu߬ 
elektroden) eine Herabsetzung des Blutdruckes 
erzielte, die ih einzelnen Fällen recht beträchtlich 
von 250 beziehungsweise 240 auf schließlich 180, 
170, 160 R. R. innerhalb ungefähr vier Wochen 
für Monate herunterging. 

Über die Behandlung anderer innerer 
Erkrankungen, wie die der Gonorrhöe, 
der Nierenerkrankungen, Cystitis, Appen- 
dicitis und anderer möchte ich in dieser 
Abhandlung keine Richtlinien geben, da 
ich bei der gewollten Kürze der Kritik 
nicht Raum genug gewähren könnte. 
Die Erfahrungen über die Wirkungen bei 
diesen Erkrankungen sind noch nicht 
übereinstimmend, das Urteil noch nicht 
annähernd abgeschlossen, so daß es ver¬ 
früht ist, schon jetzt Normen für eine 
Technik aufzustellen. 

Bueky (Berlin) hat die Erfrierungen 
in das Indikationsgebiet der Diathermie 
gezogen; sicher ist der Gedanke gut und | 
sollte zur Fortsetzung der Arbeit an- i 
regen. 

Kontraindikationen. Als solche 
kommen vorwiegend alle Erkrankungen i 
in Frage, bei denen die durch Diathermie | 
geschaffene Hyperämie eine eventuell j 
drohende Blutung akut werden lassen | 


könnte. Es sind also von der Diathermie 
auszuschließen: 

Alle Lungenerkrankungen, bei denen 
eine Hämoptoe entweder eben statt- 
gefunden hat oder vorausgesehen werden 
kann; ebenso alle Erkrankungen des 
Magens, die auf das Vorhandensein eines 
Ulcus verdächtig sind, alle Blasenerkran¬ 
kungen, die mit Blutungen einhergehen 
und ähnliche. 

Daß frische Eiterungen und Entzün¬ 
dungen, die zu^ Eiterungen erfahrungs¬ 
gemäß führen, nicht mit Diathermie be¬ 
handelt werden sollen, habe ich bei der 
Besprechung der Gelenkerkrankungen be¬ 
reits erwähnt. 

Ich habe in der vorliegenden Arbeit 
mit den Andeutungen meiner Erfahrungen 
nur Richtlinien und Anhaltpunkte und 
damit eine leichtere Möglichkeit und mehr 
Anregung geben wollen, der Diathermie 
einen breiteren Raum bei der Behandlung- 
mehrerer im Kriege häufig vorkommender 
Erkrankungen und Folgezustände ein¬ 
zuräumen. Diese Behandlung wird sich 
in erster Linie am leichtesten im Heimat¬ 
gebiet, aber auch ganz leicht im Kriegs¬ 
lazarett ermöglichen lassen, zumal die 
Apparatur einfach ist und häufig leicht 
mit ,der eines Röntgeninstrumentariums 
verbunden werden kann. 

Der Erfolg wird jeden, der sich mit 
der Diathermie beschäftigt, recht bald 
für die anfänglichen Kinderkrankheiten 
jeder neuen Methode reichlich entschä¬ 
digen; diese Kinderkrankheiten möglichst 
abzukürzen, sollte mit der Zweck dieser 
Arbeit sein. 

Mit den Verhältnissen, in denen die 
Arbeit entstanden ist — im Felde, in 
der Stellung —, möge die dürftige 
Literaturangabe entschuldigt werden. 

Literatur: Bucky, G., Zur Applikations¬ 
technik der Diathermieströme. (B. kl. W. 1914, 
Nr. 2.) — Kowarschik, J., Die Diathermie. — 
Nagelschmidt, F., Die Diathermie. — Nagel¬ 
schmidt, F., Über die klinische Bedeutung der 
Diathermie. (D. m. W. 1911, Nr. 1.) — Siemens 
u. Halske, Diathermie im Kriegslazarett. — 
Stein, Alb. E., Die Diathermie bei der Behand¬ 
lung von Knochen- und Gelenkkrankheiten. (B. 
kl. W. 1911, Nr. 23.) 


Aphorismen über Sexualneurasthenie. 

Von Dr. Erich Lewy-Berlin. 

Daß nervöse Störungen im physiolo- beim Weibe ist dies stets beobachtet 
gischen Verhalten des Menschen vielfach worden. Chronische Scheiden- und Ge- 
der reflektorische Ausdruck pathologi- bärmutterkatarrhe, Prolapse, Menorrha- 
scher Veränderungen der Genitalien sind, gien, Eierstocksgeschwülste und andere 
ist eine bekannte Tatsache. Besonders i Erkrankungen der Genitalien verbergen 






Die Therapie der Gegenwart 1917.. April 


sich häufig hinter dem Symptomenkom- 
plexe der Neurasthenie und Hysterie. 
Auch die sexuelle Neurasthenie beim 
Manne hängt ganz sicher von organischen 
Veränderungen im Genitaltraktus ab, die 
zwar nicht immer — auch nicht instru- 
inentell — erkennbar sind, aber dem 
therapeutischen Erfolg entsprechend vor¬ 
handen gewesen sein müssen. 

Desormeauxin Paris, der ein Endo¬ 
skop erfunden hatte, das zwar primitiv 
war, mit dem man aber die ganze Harn¬ 
röhre und sogar einen Teil der Blase 
sehen konnte, war einer der ersten, der 
diesen Dingen näher trat. Sein Instru¬ 
ment erwies sich besonders bei der Be¬ 
handlung hartnäckiger Gonorrhöen als 
nützlich. Bei den Beleuchtungen mit 
seinem Endoskop fand er nun die Ursache 
der Reizbarkeit der Urethra posterior. 
Die Schleimhaut der Pars prostatica, und 
membranacea war in verschiedener Stärke 
granuliert. Seine Behandlung dieser Zu¬ 
stände bestand in lokaler Applikation des 
Höllensteines. 

Die darauffolgende Ära vergaß sehr 
bald diese, wenn auch mit bescheidenen 
Mitteln gefundenen, dennoch aber nicht 
weniger bedeutungsvollen Beobachtungen. 
Man wandte sich mehr den Innervations¬ 
störungen der sexuellen Neurasthenie zu. 
Mögen nun diese Störungen im Gehirn, 
den Nervenbahnen oder an den Nerven- 
endpunkten liegen, sie beruhen ganz ge¬ 
wiß auf organischen Veränderungen, die 
von uns mit den uns bis jetzt zur Ver- ! 
fi'igung stehenden Hilfsmitteln nur noch 1 
nicht wahrnehmbar sind. Bei einer nicht 
kleinen Anzahl von Fällen von sexueller 
Neurasthenie ist natürlich die Ursache 
zum Teil sofort erkennbar und eine 
therapeutische Handlungsweise dement¬ 
sprechend angezeigt. Anatomische Män¬ 
gel und Veränderungen der Genitalien, 
die angeboren oder erworben sein können, 
sind solche Ursachen. 

Auch in den peripheren Nerven des 
Genitalgebietes liegt zuweilen der Grund 
für die. in funktioneller Weise zur Gel¬ 
tung kommenden Störungen. Daß orga¬ 
nische Erkrankungen, wie Tabes dorsalis, 
progressive Paralyse, psychisch auf das 
Erektions- und Ejaculationscentrum ein¬ 
wirkende Hemmungen, allgemeine Schä¬ 
digungen, wie Diabetes, Syphilis und 
* Tuberkulose, Intoxikationen mit Alkohol, 
Tabak, Opium, Morphium, Arsen, Cam- 
pher, Lupulin und Brom, schwere Impo¬ 
tenzerscheinungen hervorrufen können, sei 
nur der Vollständigkeit halber erwähnt. 


Vom urolögischen Standpunkte aus 
interessieren am meisten, die lokalen Ver¬ 
änderungen, die durch Onanie, Excesse 
in venere, Coitus interruptus und Gonor¬ 
rhöe in der hinteren Harnröhre und ihrer 
Umgebung hervorgerufen werden und die 
Ursache für eine sexuelle Neurasthenie 
bilden. Besonders der Colliculus seminalis 
weist bei endoskopischer Untersuchung oft 
erhebliche pathologische Veränderungen 
auf. 

Bei meinen dreijährigen poliklinischen 
Beobachtungen stieß ich häufig auf krank¬ 
hafte Prozesse dieses Harnröhrenabschnit¬ 
tes. Je nach den verschiedenen Stadien, 
in denen sich einem die. Veränderungen 
darbieten, ist das endoskopische Bild be¬ 
schaffen. Im Anfänge zeigt sich eine Auf¬ 
lockerung und papilläre Beschaffenheit 
der Schleimhaut, später sieht man Ver¬ 
dickungen, schwielige Degeneration und 
Infiltrationen. Ich sage hiermit nichts 
Neues. Es ist von manchem sachkundigen 
Beobachter schon dasselbe gesehen und 
beschrieben worden. Mit letztgenannter 
Infiltration z. B. meint Finger, hängt 
zweifellos jenes Symptom zusammen, 
über das die Patienten meist klagen, daß 
sie im Augenblick der Ejaculation, näm¬ 
lich, wenn eben das Sperma durch den 
infolge der Infiltration verengten Ductus 
ejaculatorius sich durchpreßt, einen Stich, 
einen Schmerz empfinden. Auch die Sper- 
matorrhöe findet in diesen Veränderungen 
ihre Erklärung. 

ln vielen Fällen von reizbarer Schwä¬ 
che findet sich mit den Erkrankungen des 
Colliculus vergesellschaftet eine chronische 
Prostatitis, worauf besonders Posner 
hingewiesen hat. Ihre Ursachen sind 
natürlich auch die chronische- Gonorrhöe, 
Coitus interruptus und Onanie. In welcher 
Weise diese lokalen Veränderungen ein¬ 
wirken, ob sie die spinalen Centren funk¬ 
tionell beeinflussen, ob eine Neuritis, die 
rein peripherer oder gleichzeitig ascendie- 
render Natur sein kann, die funktionelle 
Störung hervorruft, das ist noch nicht 
erforscht. 

Die lokalen Prozesse bedürfen natür¬ 
lich einer lokalen Behandlung. Was 
Lallemand und Desormeaux einst 
taten, wird in verschiedenen Modifika¬ 
tionen noch heute geübt. Das Argentum 
nitricum spielt dabei eine hervorragende 
Rolle. Galvanokaustische Stichelungen 
des Colliculus, Spülungen, Dehnungen mit 
Bougies, besonders mit Hohlsonden, wer¬ 
den vielfach. angewendet. Hydrothera¬ 
peutische, baineologische, allgemein-diäte- 






April 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 143 


tische und medikamentöse Behandlungs¬ 
wege werden auch häufig, meistens von 
neurologischer Seite, eingeschlagen. Die 
Erfolge der Organotherapie sind nach 
meinen Beobachtungen wohl noch etwas 
zweifelhaft. 

Was die Elektrotherapie betrifft, ste¬ 
hen sich die Ansichten über deren An¬ 
wendung teilweise schroff gegenüber. Fin¬ 
ger z. B. ist gegen die direkte Faradisa- 
tion des Golliculus seminalis mit der 
Kathodenelektrode. Er meint, daß diese 
Behandlung schmerzhaft, aufregend und 
geeignet wäre, die Neurasthenie des Pa¬ 
tienten zu steigern. Er läßt höchstens 
eine Faradisation der Bulbusmuskulatur 
gelten. Ebenso wird auch die intrarectale 
Elektrotherapie von ihm verurteilt. 

Andere Autoren wiederum melden 
elektrotherapeutische Erfolge. P o ro ß, 

. der in einer Atonie der Prostata die' 
Hauptursache der sexuellen Neurasthenie 
sieht, meint, daß auch dort die Krankheit 
angegriffen werden muß und zwar durch 
eine Tonisierung des Organes mit dem 
faradischen Strome. Die theoretische Er¬ 
klärung mit der Ermüdung und Reizung 
der Centren hält er für nicht stichhaltig, 
da Pollutionen und Spermatorrhöe gleich¬ 
zeitig zugegen wären. Bei seinen anato¬ 
mischen Untersuchungen fand er ein acht¬ 
förmiges circuläres Muskelbündel der Pro¬ 
stata, das er Sphincter spermaticus nennt. 

• Die pathologischen Funktionen des Mus¬ 
kels beschuldigt er für die Ursache von 
Pollutionen, Spermatorrhöe und Impo¬ 
tenz;. Man muß zugeben, daß seine Mei¬ 
nung etwas für sich hat, wenn man be¬ 
denkt, daß in der nervenreichen Prostata 
auch Ganglienknoten eingestreut sind, die 
als periphere Centra für Harnentleerung 
und sekuelle Funktionen dienen. Wenn 
man ferner bedenkt, daß nach Prostat¬ 
ektomien, auch nach solchen, die per 
laparotomiam ausgeführt werden, fast 
immer Impotenz eintritt, kann man die 
Ansicht Po roß’ nicht von der Hand 
weisen. Auch Lydstone hält die Pro¬ 
stataveränderungen für die bedeutendste 
Ursache der sexuellen Neurasthenie. Er 
will beobachtet haben, daß auch diese 
Veränderungen allein zu Verdauungs¬ 
störungen,' Koprostase, Kopfschmerzen, 
Melancholie, Hypochondrie und manchen 
anderen Erkrankungen führen, ja zu 
einem Symptomenkomplex, der der Hy¬ 
sterie der Frau vollständig entspricht. 
Man müßte, meint er, ihn logischerweise 


Prostaterie nennen. Nebenbei bemerkt 
sei hier noch, daß er durch die Resektion 
der Vena dorsalis penis bei Impotenz 
völligen therapeutischen Erfolg gehabt, 
haben will. 

Ich bin nun in der Lage gewesen, in 
der Universitäts-Poliklinik für Hautkrank¬ 
heiten in Berlin eine Anzahl von Fällen 
von sexueller Neurasthenie zu beobachten. 
Bei den meisten gelang es mir, patholo¬ 
gische Veränderungen lokaler Natur fest¬ 
zustellen und gegen diese vorzugehen. 
Die neurasthenischen Beschwerden er¬ 
gaben dann von selbst ein therapeutisches 
Handeln. Anderen Fällen aber fehlte 
jeder Befund. Systematische und indi¬ 
viduelle Behandlung war dann mehr denn 
anderswo am Platze. 

Einen besonders instruktiven Fall will 
ich nicht unerwähnt lassen. Ein 28jähriger 
Techniker suchte mich wegen seit einigen 
Jahren bestehender Impotenz und neu- 
rasthenischer Beschwerden im Gebiet der 
Genitalien auf. Vor einigen Jahren Gonor¬ 
rhöe, keine Lues. Patient war mehrfach 
wegen seines Leidens mit Bougies usw. 
erfolglos behandelt worden. Ich endo- 
skopierte ihn und fand den Colliculus 
seminalis von mehreren Polypen über¬ 
wuchert, also einen sogenannten Colli¬ 
culus polyposus. Kaustik und mehrfache. 
Ätzung beseitigten diesen Zustand. Die 
anschließende urologische Behandlung 
führte eine erhebliche Besserung seiner 
sexuellen Neurasthenie herbei. Potenz trat 
wieder in zufriedenstellender Weise ein. 

Gewisse Ähnlichkeit bietet ein anderer 
Fall dar: 

Ein 40jähriger Fabrikarbeiter kam wegen 
Impotenz in die Poliklinik. Die Endoskopie ergab 
eine Urethritis granularis der Urethra posterior, 
die durch jahrelang betriebene Masturbation her¬ 
vorgerufen war. Nach Beseitigung der Urethritis 
wurde durch tonisierende Behandlung die Potenz 
gehoben. , 

In neuerer Zeit bemerken oft Militär¬ 
personen, wenn sie längere Zeit im Kriegs¬ 
dienst tätig gewesen sind, danach eine 
Schwächung ihrer P,otenz. Auch in diesen 
Fällen deckt oft die genaue urologische 
Untersuchung die oder wenigstens eine 
Ursache des pathologischen Zustandes 
auf. 

Das A und 0 meiner Ausführungen 
besagt also, daß die sexuelle Neurasthenie 
streng individualisiert werden, daß jman 
in jedem Falle den Kernpunkt des Übels 
erforschen muß, um von dort aus den Weg 
zur Heilung zu beschreiten. 




144 Die Therapie der Gegenwart 1917. 


April 


Zusammenfassende Übersicht. 

Zur Diagnose und Therapie der Pocken, 


Da in der letzten Zeit, an verschie¬ 
denen Stellen Deutschlands die Pocken 
in gehäufter Zahl aufgetreten sind, dürfte 
den Lesern dieser Zeitschrift eine kurze 
Darstellung der wesentlichsten Erschei¬ 
nungen und Probleme der Krankheit 
erwünscht sein. 

Wir geben dieselbe im folgenden auf 
Grund der literarischen Darstellungen von 
Jochmann und Mairinger.. 

Das ausgesprochene Krankheitsbild 
macht wohl kaum diagnostische Schwie¬ 
rigkeiten. Dahingegen sind die Initial¬ 
symptome bei Variola derart, daß man 
nicht sofort die richtige Diagnose stellen 
kann. Sie ähneln denen der akuten In¬ 
fektionskrankheiten. 

I. Initialstadium. Die unkompli¬ 
zierte Variola setzt mitten in vollster Ge¬ 
sundheit mitFrösteln, das seltener ein regu¬ 
lärer Schüttelfrost ist, und Fieber, das in 
wenigen Stunden 39° und mehr erreichen 
kann, ein. Es treten gleichzeitig mehr 
oder weniger schwere subjektive Be¬ 
schwerden, wie Kopfschmerz, Schwindel, 
starke Abgeschlagenheit auf. Entspre¬ 
chend der Temperatur ist die Pulszahl er¬ 
höht, ohne daß die Qualität eine wesent¬ 
liche Schädigung erfährt. Man findet 
häufig eine einfache Angina catarrhalis. 
Sonstige wirklich greifbare Abweichungen 
der Organe sind nicht zu finden, höchstens, 
wie Joch mann schreibt, gelegentlich 
eine nur wenig vergrößerte Milz. Als wich¬ 
tigstes Symptom werden hochgradigste 
Kreuzschmerzen von bohrendem, ziehen¬ 
dem Charakter und wechselnder Inten¬ 
sität in der Lumbosacralgegend ange¬ 
geben. Wenn auch Kreuzschmerzen an¬ 
deren Infektionskrankheiten eigen sind, 
so sind sie als Initialsymptom bei der 
Variola von außerordentlicher Heftigkeit. 
Wir werden aber zugestehen müssen, daß 
wir, die wir in Friedenszeiten nur höchst 
selten Pocken sehen, bei einem Sympto- 
menkomplex, wie ich ihn. kurz entworfen 
habe, sicher eher an Influenza, Pneu¬ 
monie usw. denken als an Pocken. Jetzt 
freilich, wo wir angesichts der zahlreichen 
Pockenmeldungen aus dem ganzen Reiche 
manchmal in übertriebener Angst hinter 
jeder Influenza eine Variola wittern, kann 
das Symptom der über Gebühr starken 
Kreuzschmerzen bei genauer Beobach¬ 
tung des Weiterverlaufes ein wertvoller 
Fingerzeig s’ein und man wird dann das 
Auftreten des sogenannten Initialexan¬ 


thems, das dem eigentlichen Blattern¬ 
exanthem vorausgeht, wohl sicherlich 
richtig auffassen. Dieses Initialexanthem 
kann, losgelöst von dem sonstigen Krank¬ 
heitsbilde, falsch gedeutet werden. So be¬ 
richtet Jochmann von einem Kinde, bei 
dem der Initialausschlag zuerst als Ma¬ 
sern gedeutet war: Meist erscheinen am 
zweiten Tage zunächst im Gesicht, dann 
am übrigen Körper, besonders an den 
Streckseiten der Extremitäten blaßrote, 
etwa linsengroße, nicht über der Haut 
erhabene Flecken, die man mit dem Fin¬ 
ger fortdrücken kann. Bei Frauen sind 
die Flecken häufig in der Umgebung der 
Brustwarzen. In 12-—24 Stunden ist der 
Ausschlag verschwunden. Er erinnert 
lebhaft an Masern. 

Außer diesem (morbillösen) Initial¬ 
exanthem gibt es noch ein sca'r 1 a t i n ö s e s. 
Abgesehen von dem Aussehen • unter¬ 
scheidet sich diese Art von dem vorher be¬ 
schriebenen dadurch, daß es lokalisiert 
auftritt und zwar hauptsächlich am 
Schenkeldreieck und am Oberarm¬ 
dreieck. Das Exanthem wird oft hämor¬ 
rhagisch und läßt sich dann natürlich — 
ein weiteres Differentialdiagnosticum ge¬ 
gen das morbillöse — nicht fortdrücken. 
Es soll .auch gelegentlich bereits am ersten 
Tage auftreten (das morbillöse meist am 
zweiten Tage). 

Von der Schwere der Initialerschei¬ 
nungen ka'nn man keine Schlüsse auf den 
weiteren Verlauf der Krankheit ziehen. 
Auf ein stürmisches Initialstadium folgt 
nicht so selten nur eine Variolois. In 
anderen Fällen kommt es überhaupt 
nicht zur Entwickelung der eigentlichen 
Blattern. 

II. Sta d i u m Eru pti o n is. Am Ende 
des dritten Tages lassen die Hauptsym¬ 
ptome nach, das Fieber fällt, die Kranken 
fühlen sich schon alsRekonvaleszenten. Mit 
dem Sinken der Temperatur zeigen sich 
unter leichtem Juckreiz zuerst im Gesichte 
und den benachbarten Teilen des Kopfes 
hirsekorngroße, etwas erhabene Knötchen 
von blaßroter Farbe. Sie greifen vom Ge¬ 
sicht auf Rumpf und Extremitäten über. 
Am dichtesten ist der Ausschlag im Ge¬ 
sicht, während er an dem sonstigen Kör¬ 
per zerstreuter steht. Das einzelne Fleck¬ 
chen wird in den nächsten Tagen größer, 
es bekommt am fünften Tage eine über 
das Hautniveau ragende konische Spitze, 
auf der sich dann am sechsten Tage ein 





Die Therapie der Gegenwart 1917. 


145 


April 


ganz kleines Bläschen ansetzt. Das Bläs¬ 
chen vergrößert sich, es erhält einen 
serösen Inhalt, zeigt meist in der Mitte 
eine Delle, den sogenannten „Pocken¬ 
nabel“. Sie sieht schließlich wie eine Perle 
aus, die von einem schmalen roten Hof 
umgeben ist. Dieser Zustand ist am 
achten Tage erreicht. 

Fast gleichzeitig mit dem Pocken¬ 
exanthem erfolgt auch das Exanthem, das 
sämtliche Schleimhäute befallen kann: 
Mund, Ösophagus, Nase, Conjunctiven, 
Vagina, Urethra werden in Mitleiden¬ 
schaft gezogen. Daraus resultieren für die 
Kranken die schlimmsten Beschwerden, 
wie Speichelfluß, Heiserkeit, Unfähigkeit 
zu schlucken usw. 

Mit der eigentlichen Pockenentwicke¬ 
lung (dritten Tag) bis zur vollen Entwicke¬ 
lung (etwa sechsten) fällt die Temperatur. 
Dann setzt das 

III. Stadium suppurationis der 
Pocken, ein, und mit ihm steigt 
, das Fieber wieder an. Ungefähr am neun¬ 
ten Krankheitstage ist der Inhalt der ein¬ 
zelnen Blasen vollkommen vereitert. Es 
vereitern zuerst die Pocken am Kopfe, 
und erst daran anschließend die des Kör¬ 
pers; es wird also dabei die gleiche Reihen¬ 
folge innegehalten, wie beim Aufschießen 
der Pocken/ Durch das Confluieren der 
Höfe (Halo) um die einzelnen Pocken, 
die im zweiten Stadium nur schmal, jetzt 
aber größer und entzündet sind, kommt es 
im Gesicht, wo ja' die Pocken dicht neben¬ 
einanderstehen, zu diffusem Ödem, sodaß 
die Kranken ein unförmiges Aussehen bis 
zur Unkenntlichkeit haben. Die Augen¬ 
lider sind ödematös, die Lippen verwan¬ 
deln sich in dicke Wülste, die Nasenflügel 
sind ebenfalls verschwollen und verhin¬ 
dern die Nasenatmung. Der Zustand des 
Patienten wird noch qualvoller durch die 
Pusteln an der Schleimhaut. So zerfallen, 
um nur ein Beispiel herauszugreifen, die 
Pocken im Munde, am Rachen; es kommt 
zu Ulcerationen, zu Nekrosen, deren un¬ 
heilvolle Folgen im einzelnen nicht ge¬ 
schildert werden brauchen. Die gleichen 
Prozesse, wie am Mund, gehen in der Tra¬ 
chea, an der Harnröhre und After vor sich. 
Bei vollentwickelter Krankheit wird häu¬ 
fig das Sensorium gestört, der Herzmuskel 
versagt, in der Lunge etablieren sich Bron¬ 
chitis und Bronchopneumonien. Viele 
Pusteln platzen und es entleert sich 
dauernd Eiter, der in die Umgebung ab¬ 
fließt. Die Patienten geraten in Auf¬ 
regezustände, zumal sie schlaflos infolge 
der Schmerzen sind. 


' Eine Änderung tritt erst Ende der 
zweiten Woche ein mit der Eintrocknung 
der Pocken; es beginnt 

IV. das Stadium exsiccationi s ; , 
das sich wieder zuerst im Gesichte bemerk¬ 
bar macht. Die Eintrocknung geht einher 
mit Abnahme der Ödeme und der sonsti¬ 
gen Entzündungserscheinungen. Es bil¬ 
den sich Krusten von bräunlicher Farbe, 
die dem Kranken durch starken Juckreiz 
lästig fallen. Das Fieber fällt lytisch. 
Inzwischen schwinden auch die Schleim¬ 
hautaffektionen. Der Allgemeinzustand 
hebt sich allmählich. 

Die Abstoßung der Borken dauert 
verschieden lange. Nach dem Abfall der 
Borken bleiben zunächst fast immer pig¬ 
mentierte Flecken zurück, die später einen 
mehr bräunlichen Farbton annehmen. 
Nach einiger Zeit verschwindet die Pig¬ 
mentierung. Als sichtbares Zeichen der 
abgelaufenen Krankheit bleiben die be¬ 
kannten Pockennarben, die in leichteren 
Fällen, bei denen der Suppuratiöns- 
prozeß sich mehr auf die Haut beschränkt 
und den Papillarkörper freiließ, fehlen. 

.Damit dürfte die Symptomatologie der 
Pocken in ihren für den Praktiker wissens¬ 
werten Grundzügen geschildert sein. Es 
gibt noch einige besondere Formen: 

I. Die Variola confluens ist durch 
dichte Aussaat der Pocken, besonders im 
Gesichte, charakterisiert. Alle oben ge¬ 
schilderten Symptome treten mit allen 
möglichen Komplikationen in besonderer 
Heftigkeit auf. 

II. Die Variola haemorrhagica erhält 
ihr Gepräge durch Hinzutreten einer 
akuten hämorrhagischen Diathese. Zeigen 
sich die Blutungen schon im Initialsta¬ 
dium, so spricht man von Purpura vario- 
losa, treten sie erst im Eruptionsstadium 
auf, von Variola haemorrhagica pustulosa. 

III. Variolois ist eine abgeschwächte 
und abgekürzte Form der Pocken. Jeden¬ 
falls. ist sie als eine richtige Blattern¬ 
erkrankung anzusehen. Das geht schon 
allein daraus hervor, daß durch Variolois- 
kranke Weiterinfektionen mit typischem 
schweren Verlaufe erfolgen können. Man 
findet sie heutzutage bei solchen Men¬ 
schen, die durch eine mehr oder weniger 
lange Zeit zurückliegende Schutzpocken¬ 
impfung noch Reste von Immunität be¬ 
sitzen, die nur nicht ausreichten, um eine 
Infektion zu verhindern. 

IV. Bei der Variola sine exanthemate 
bricht die Krankheit mit dem Abschlüsse 
des Initialstadiums ab. Die Diagnose.wird 
in erster Linie aus den Begleitumständen 

19 




46 Die Therapie der 


gestellt, in dem entweder zweifelsfreie 
Pockenkranke mit dem Betreffenden vor¬ 
her. in Berührung gekommen waren hat 
(solche interessante Beobachtungen hat 
vor kurzem Vorpahl in der B. kl. W. 
Nr. 13 publiziert) oder aber es erfolgt 
durch den Kranken Ansteckung von voll¬ 
entwickelter Variola. 

Diff erentialdiagnose. 

Im Initialstadium kommen Masern 
und Scharlach differentialdiagnostisch 
in Betracht: 

1. Bei Masern steigt in der Prodromal¬ 
zeit die Temperatur bis zu 38° oder 39°, 
fällt am zweiten Tage, um erst mit dem 
Ausbruch des Exanthems wieder in die 
Höhe zu gehen. Bei Pocken fehlt der 
Temperaturabfall, das Fieber steigt am 
zweiten und dritten Tage und fällt dann 
mit der Eruption. 

2. Bei Masern beherrschen in der Pro¬ 
dromalzeit katarrhalische Erscheinungen 
der Bronchien, Nase und Augen stets das 
Krankheitsbild. Diese Katarrhe fehlen 
bei Pocken. 

3. Bei Masern findet man häufig die 
Koplikschen Flecken auf der Wangen¬ 
schleimhaut. 

1. Bei Scharlach erreicht die Tem¬ 
peratur mit Auftreten des Exanthems 1 
ihr Maximum und hält sich zunächst auf 
der Höhe; bei Pocken fällt die Tempera¬ 
tur mit dem Auftreten des Exanthems. 

2. Bei Scharlach hat der Rachen das 
bekannte Aussehen, bei Pocken finden 
sich schon kurz vor oder zugleich mit dem 
Beginn der Hauteruptionen die charak¬ 
teristischen Efflorescenzen. 

3. Bei Scharlach ist die Partie um 
Mund und Nase frei vom Exanthem. 

Die Differentialdiagnose hat im Ini¬ 
tialstadium der Pocken auch Pneumonie, 
Meningitis und Influenza zu erwägen. 

Im .Eruptionsstadium kommen fol¬ 
gende Krankheiten differentialdiagno¬ 
stisch in Frage: 

1. Masern. Masern und Pocken ha¬ 
ben eine gleich lange Prodromalzeit. Das 
anfänglich papulöse Blatternexanthem ist 
von einem beginnenden Masernexanthem 
kaum zu unterscheiden. 

Bei Masern hält sich die Temperatur 
nach Ausbruch des Exanthems auf der 
Höhe. 

Bei Pocken sinkt die Temperatur nach 
Ausbruch des Exanthems rapid. 

Bei Masern besteht im Blut Leukopenie, 
geringe Zahl der Lymphocyten und 
Mangel an Eosinophilen. 

Bei Pocken ist mäßige Gesamtleuko- 


Gegeriwart 1917. April 


cytose, Lymphocytose, kein Fehlen der 
Eosinophilen. 

2. Flecktyphus hat in den ersten 
Tagen große Ähnlichkeit mit Variola. Die 
für Variola charakteristischen Kreuz¬ 
schmerzen kommen auch bei Flecktyphus 
vor. 

Die Exantheme beider Krankheiten 
können leicht verwechselt werden. Hier 
kann der typische Verlauf des Variola¬ 
fiebers den Ausschlag geben. 

Ebenso ist der Fiebertyp das Differen- 
tialdiagnosticum gegenüber dem Typhus 
abdominalis. 

4. Die Unterscheidung von Variola 
und Varicellen ist im allgemeinen leicht. 
Bei Varicellen entwickeln sich die mit ro¬ 
tem Hof umgebenen Blasen ohne das 
Zwischenstadium eines Knötchens in weni¬ 
gen Stunden. Die Eruption geschieht in 
verschiedenen Nachschüben, so daß stets 
gleichzeitig alle Entwickelungsstadien vor¬ 
handen sind („Sternhimmel“). Bei Vari¬ 
cellen ist im Gegensätze zur Variola der 
Körper mehr befallen als das Gesicht. 
Schließlich geben Hauterkrankungen, wie 
Syphilide, Impetigo contagiosa, ferner 
pustulöse Exantheme bei septischen Er¬ 
krankungen zur Verwechselung mit Variola 
| Anlaß. 

Therapie. 

Die Therapie der Pocken ist eine 
symptomatische, die viel zur Linderung 
des schweren Krankheitszustandes tun 
kann. Es gilt, den Patienten durch Läu¬ 
figes Wechseln der Wäsche von dem 
Pustelsekret zu befreien, ihn vor Decu¬ 
bitus zu bewahren, den Mund zu säubern, 
für gute Luft zu sorgen usw. Während 
des Fiebers verabreicht man am zweck¬ 
mäßigsten flüssige Diät und Breie; ge¬ 
würzte oder gesalzene Speisen müssen 
ausscheiden, weil sie die ohnedies ent¬ 
zündliche Mundschleimhaut reizen. Gegen 
Erbrechen gibt man kleine Eisstücke, 
gegen die starken Schmerzen Aspirin- 
Phenacetin usw. und im Bedarfsfälle 
Morphium.- Die zuweilen auftretenden 
Aufregungszustände erfordern Chloral- 
hydrat oder andere Narkotica, mit denen 
man nicht sparen soll; es kommt vor allem 
darauf an, den Kranken einigermaßen zu 
beruhigen und ihm das Dasein zu er¬ 
leichtern. 

Was die Behandlung der Pocken¬ 
pusteln anlangt, so sind zwar eine große 
Zahl von Mitteln zu ihrer Bekämpfung an¬ 
gegeben worden; man kann von ihnen 
aber nicht behaupten, daß sie einen un¬ 
zweideutigen Nutzen stets gebracht hät- 



April . Die Therapie der Gegenwart 1917. 147 


en; es sei deshalb auf ihre Wiedergabe 
verzichtet. Wohl kann man das Span¬ 
nungsgefühl in der Haut, unter dem die 
Erkrankten beträchtlich zu leiden haben, 
durch kühle, häufig zu wechselnde Um¬ 
schläge beziehungsweise Packungen, oder 
durch Aufpinseln von Glycerin und Oli¬ 
venöl bekämpfen. Platzen die Pusteln, 
so streut man Salicylstreupulver auf, um 
die Bildung dicker, zusammenhängender 
Krusten zu verhindern. 

Sicherlich wird bei der jetzigen Pocken- i 
epidemie das Verfahren von Niels Fin- 
sen ausprobiert, das schon früher bei ge¬ 
legentlichen Variolaerkrankungen nach¬ 
geprüft wurde. Die Methode bezweckt, 
die Eiterung einzuschränken und die hä߬ 
liche Narbenbildung zu verhüten. Die 
Kranken sollen in Räumen von rotem 
Licht liegen, auf diese Weise hält man — 
nach Finsen — die chemisch wirksamen, 
reizenden Lichtstrahlen fern und setzt 
den Entzündungsprozeß herab. Die Nach¬ 
prüfungen haben widersprechende Resul¬ 
tate ergeben. 

Das gleiche Ziel, wie Finsen^ strebt 
Dreyer durch Bestreichen der Pocken 
oder sogar des ganzen Körpers mit ge¬ 
sättigter Lösung von Kaliumperman¬ 
ganat an, das außerdem noch desinfizie¬ 
rende und desodorierende Eigenschaft be¬ 
sitzt. ln den ersten Tagen pinselt man 
zwei- bis dreimal pro die, später nur ein¬ 
mal. Die Kranken sehen dadurch ganz 
schwarz aus. Jochmann berichtet über 
zwei Fälle, bei denen die Kaliumper¬ 
manganatbehandlung Ausgezeichnetes ge¬ 
leistet hätte, besonders lobt er das nar¬ 
benfreie Gesicht, das vorher mit Pocken 
übersät gewesen sei. 

Die Affektionen der Mundhöhle be¬ 


kämpft man durch Spülungen oder Pinse¬ 
lungen mit den bekannten adstringieren¬ 
den oder desinfizierenden Lösungen, wie 
Wasserstoffsuperoxyd und ähnliche: BeJ 
hochgradigen Schmerzen streicht man, 
namentlich vor der Nahrungsaufnahme, 
2 % ige Cocainlösung oder verstäubt An- 
ästhesiepulver. 

Um die Nasenschleimhaut einiger¬ 
maßen vor Verkrustungen, die die Nasen¬ 
atmung unmöglich machen, freizumachen, 
j empfiehlt sich Einpinseln von Borvase¬ 
line. Aufmerksame Pflege erfordern 
selbstverständlich die Augen: das Sekret 
muß mehrmals am Tage vorsichtig aus¬ 
gewischt werden. Dauernde Borwasser¬ 
kompressen werden sehr angenehm emp¬ 
funden. 

Störungen des Kreislaufes werden in 
der bekannten Art angegangen. - 

Im Stadium der Eintrocknung, die 
mit starkem Juckreiz verbunden ist, achte 
man streng darauf, daß die Patienten die 
Borken nicht abkratzen; die Heilung er¬ 
fährt sonst eine Verzögerung. Häufige 
Bäder mit Zusatz von Kleie lindern den 
Juckreiz und beschleunigen den Abfall 
der Borken, ebenso Seifenbäder. Auch 
Borsalbenverbände oder Einreibungen mit 
1 % ig er Mentholsalbe wirken in dieser 
Hinsicht sehr günstig. Kindern bindet 
man die Hände fest. 

Die entstellenden Pockennarben will 
Unna jr. durch Abreiben mit feinem 
Sand beseitigen. Burri empfiehlt, durch 
wiederholte Applikation von Resorcin- 
salbe die Oberhaut zum Abschälen zu 
bringen, die Reste des Papillarkörpers 
zu heben und später unter Zinkleim¬ 
verband die Abheilung sich vollziehen 
zu lassen. Dr. Schnell (Berlin). 


Referate. 


Kolle hatte Gelegenheit, im Felde 
eine größere Anzahl von Fällen der 
Alveolarpyorrhoe bakteriologisch zu 
untersuchen und konnte feststellen, daß 
besonders wenn das Material aus der 
Tiefe des Krankheitsbildes entnommen 
wurde (tiefes Eingehen mit der Platinöse 
zwischen Alveolarfortsatz und Zahn¬ 
fleisch) entweder neben anderen Spiro¬ 
chäten, Fusiformen, Bacillen, Kokken 
usw. oder in Reinkultur, stets aber über¬ 
wiegend sich eine Spirochätenart fand, 
die im allgemeinen der Obermeierschen 
ähnlich, 10 bis 12 Mikromillimeter lang ist 
und vier bis sieben meist fünf flache Win¬ 
dungen zeigt mit Zuspitzung an den Enden. 


Sie steht sonach der großen Form der 
Mundspirochäten (Sp. buccalis) am näch¬ 
sten. Der Nachweis geschieht im Tusche¬ 
präparat (Burri)x)der im Gentianaviolett- 
präparat, wo die Spirochäte gut gefärbt 
erscheint. Die Behandlung mit dem Speci- 
ficum gegen Spirochäteninfektionen, dem 
Salvarsan, lag nahe und hatte vollen 
Erfolg. Nach zwei, in älteren sehr schweren 
Fällen drei bis fünf Injektionen von 
0,3 g' Neosalvarsan, unterstützt von 
lokaler Salvarsanbehandlung, doch ohne 
die üblichen sonstigen Anwendungen, 
schwand die Krankheit in einzelnen Fällen 
schon nach zehn Tagen, in schweren Fällen 
t natürlich später. Wichtig ist die Behand- 

19 * 





148 Die Therapie der 


lung schon im gingivitischen Stadium, 
wo der Nachweis der Spirochäten schon 
möglich ist. 

Die ätiologische Bedeutung der Spiro¬ 
chäten, für die er den Namen Spiro- 
chaeta pyorrhoica vorschlägt, schließt 
Kolle einmal aus dem Vorkommen in 
allen darauf bisher beobachteten Fällen, 
und zwar, soweit nicht -— oberflächlich — 
eine Verunreinigung mit anderen Gliedern 
der Mundflora und -fauna vorliegt, in 
Reinkultur, sodann aber auch aus dem 
wichtigen Umstande, daß die Spiro¬ 
chäte bei der Heilung entsprechend de'm 
Rückgang der Krankheitserscheinungen 
schwindet. Die Frage, ob sie der einzige 
Erreger ist, oder ob, wie bei der Plaut- 
Vincen tschen Angina, noch eine Misch¬ 
infektion mit einem Bacillus oder anderen 
Spirochäten in Frage kommt, bleibt offen. 
Aus Ko 11 es Feststellungen ergibt sich 
ferner, daß die Versuche mit Vaccine¬ 
behandlung der Alveolarpyorrhoe ergeb¬ 
nislos bleiben mußten. Es ist sicher, daß 
die bisherigen Anschauungen über die Ent¬ 
stehung der Krankheit der Korrektur be¬ 
dürfen. Waetzoldt. 

(M. Kl. 1917, Nr. 3.) 

Lewin untersuchte die Frage, ob 
der Arsengehalt der Geschosse, besonders 
der Schrapnellkugeln, eine toxische Rolle 
spielt. Die 10 g wiegenden Kugeln ent¬ 
halten neben 0,8 bis 1,4 g Antimon 
0,008 bis 0,042 g Arsen. im Magen 
werden erfahrungsgemäß derartige Kugeln 
verhältnismäßig schnell und stark an¬ 
gegriffen. Noch mehr aber von Fetten. 
Es zeigte sich, daß nach 14tägigem Auf¬ 
enthalt bei 38° einer gut zerkleinerten 
Schrapnellkugel in 0,25 % Salzsäure be¬ 
ziehungsweise Olivenöl vom Blei 1,1 % 
beziehungsweise 2,0%, vom Antimon 
0,02 beziehungsweise 0,57 %, vom Arsen 
aber nur Spuren in Lösung gegangen 
waren. 

Da im Körper eingeschlossene Ge¬ 
schosse sich in alkalischem Medium be¬ 
finden, so wurden Versuche in dieser 
Richtung gemacht, die ergaben, daß nach 
14tägigem Aufenthalt in 0,2 % Soda¬ 
lösung 0,013% Antimon und 0,0002% 
Arsen in Lösung gegangen waren. Es ist 
also, selbst wenn besondere Verhältnisse 
die Lösung stark beschleunigen sollten, 
ausgeschlossen, daß eine Giftwirkung des 
Arsens oder selbst des Antimons der Ge¬ 
schosse sich zeigt. Die Gefahr im Körper 
verbleibender Geschosse beruht vielmehr 
toxikologisch ausschließlich auf ihrem 


Gegenwart 1917. April 


Bleigehalt, dessen Wirkung natürlich von 
der den Lösungsmitteln ausgesetzten Ober¬ 
fläche der Bleikörper abhängt. 

(M. m. W. 1916, Nr. 47.) Waetzoldt. 

Paul Krause gibt Beiträge zur Pa¬ 
thologie und Therapie der Typhus- 
Bacillenträger, Im ersten Teil der Arbeit 
bespricht der Autor zusammenfassend 
die Pathologie der Typhusbacillenträger. 
Er fand unter dem großen Material des 
Genesungsheimes in Spa, das sieh aus 
den Truppen der Westfront rekrutierte, 
4% Typhuswirte in der von Fornet 
aufgestellten Definition. ,,Typhusträger“ 
im engeren Sinne, d. h. Leute, die 
Bacillen von sich geben, ohne jemals 
an Typhus erkrankt zu sein, wurden 
nur in ganz geringer Zahl festgestellt. 
Bei den Dauerausscheidern handelte es 
sich in 78 % der Fälle um Stuhlausschei¬ 
der, in 59 % um Urinausscheider und in " 
37 % um Stuhl- und Urinausscheider. 
Als Herde für die Typhusbacillen im 
Magen- und Darmtraktus kommt am 
häufigsten die Gallenblase in Betracht, 
die sehr oft krankhafte Veränderungen 
aufwies. Bei Gallenblaseherkrankungen 
genügt eine dreimalige negative bakterio¬ 
logische Untersuchung keinesfalls, um 
den Kranken als bakteriologisch genesen 
anzusehen. Selbst nach zehnmaligen nega¬ 
tiven Befunden kann es noch Vorkommen, 
daß durch Aufflackern des Krankheits¬ 
prozesses erneut Bacillenausscheidungen 
eintreten. Weiterhin spielen oft chroni¬ 
sche Darmgeschwüre im Coecum und dem 
unteren Teile des Ileum, ferner eine chro¬ 
nische, nach dem Typhus sich ent¬ 
wickelnde Appendicitis als Bildungsstätte 
der Typhusbacillen eine Rolle. Typhus¬ 
genesene mit chronischer Appendicitis 
sollten stets operiert werden, um von 
ihrem kranken Appendix und dessen Ge¬ 
fahren befreit und von ihrer, Typhus¬ 
bacillenausscheidung geheilt zu werden. 
Ob eine alimentäre Entstehungsursache 
für das Dauerausscheidertum (wie oft bei 
Paratyphus) in Betracht kommt, ist noch 
nicht genügend geklärt. Bei 600 Fällen, 
wo sorgfältig nach dem Vorkommen von 
Typhusbacillen in der Mundhöhle bei 
Zahnkrankheiten gefahndet wurde, ließen 
sich einmal Paratyphus-B-Bacilleri, nie¬ 
mals aber Typhusbacillen nachweisen. — 
Für die Urinausscheider kommt als Quelle 
der Bacillenvermehrung zunächst eine 
Cystitis typhosa in Betracht. Sie war in 
Spa äußerst selten, ebenso die Nephritis 
typhosa. Die häufigste Ursache ist hier 




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18 


























April Die Therapie der 


eine Erkrankung des Nierenbeckens, die 
sehr chronisch und .symptomarm zu ver¬ 
laufen pflegt Ausscheidungen von Ty¬ 
phusbacillen durch Eiter aus Abscessen, 
aus, Ohrentzündurigen und chronischer 
Rhinitis und Pharyngitis gehören zu den 
größten Seltenheiten. Ob es Typhuswirte 
gibt, die klinisch wirklich völlig gesund 
sind, hält Krause nach seinen Erfah¬ 
rungen für sehr zweifelhaft. 

Im zweiten Teile der Arbeit werden 
die allgemeinen Gesichtspunkte für die 
therapeutische Beeinflussung der Typhus- 
bacillenträger auf Grund pathologischer 
Anschauungen und praktischer' Erfahrun¬ 
gen besprochen. Zunächst ist der all¬ 
gemeinen Behandlung während der Ty¬ 
phusgenesung die größte Sorgfalt zuzu¬ 
wenden. Besonders erfordert die Harn¬ 
untersuchung größte Aufmerksamkeit 
und häufigste Wiederholung. Stauungen 
in der Gallenblase muß man durch An¬ 
regung der Gallenproduktion zu verhin¬ 
dern suchen. Reichliche Fettbeigabe zur 
Nahrung ist empfehlenswert. Durch 
Überernährung, die durch, körperliche 
Anstrengung genügend verarbeitet wurde, 
wurde ungefähr ein Drittel der Badllen- 
ausscheider geheilt. Wenn die Über¬ 
ernährung in vier Wochen nicht zum Ziele 
führt, greife man zu Mitteln, die die 
Gallensekretion anregen. Auch.salinische 
Wässer sind hier empfehlenswert. Bei 
Urinausscheidern sind zunächst die Harn- 
desinfizientien zu versuchen (Hexa¬ 
methylentetramin und seine Ersatzprä¬ 
parate, Methylenblau, Fol. uv. urs. usw.), 
erst bei ihrem Versagen die lokale Therapie 
durch Ausspülungen. Innere' Desinfi- 
zientin neben der Behandlung der be¬ 
treffenden organischen Erkrankungen (Sal- 
varsan, Kollargol, Jod usw.) sind in 
ihrer Wirkung höchst problematisch. Das 
gleiche gilt von Kalomel und anderen 
sogenannten Darmdesinfizientien. Bei der 
vielgenannten Kohletherapie kann die 
Kohle nur als Transportmittel für Des- 
infizientien wie Thymol und Menthol an¬ 
gesehen werden. Für die Anwendung 
specifischer Vaccinen und Sera fehlen die 
theoretischen Grundlagen noch. 

E. Bumke berichtet ausführlich über 
die angestellten Heilversuche. Bei der 
Autovaccinebehandlung wurde nur 
bei einem der elf behandelten Stuhlaus¬ 
scheider und bei.keinem der sieben Urin¬ 
ausscheider ein Aufhören der Ausschei¬ 
dung festgestellt. Wahrscheinlich nur 
eine Zufallswirkung. Neosalvarsan 
versagte (ein Fall), ebenso Collargol 


Gegenwart 1917. 149 


(zyvei Fälle). Bei Natrum-salicylicum- 
Behandlung standen einem Erfolg (Zu¬ 
fall ?) fünf Mißerfolge gegenüber. Von den 
Harnantisepticis wurde zunächst Uro¬ 
tropin versucht: Einem scheinbaren Er¬ 
folge, der eine sehr prompte Wirkung des 
Mittels Vortäuschen kann, stehen neun 
absolute Mißerfolge bei Urinausscheidern 
gegenüber/ Selbst eine. Behandlungsdauer 
bis zu drei Monaten und eine Urotropin¬ 
menge biß zu 6 g täglich waren wirkungs¬ 
los. Bei Helmitolanwendung trat in 
einem Falle Heilung ein, in drei anderen 
trotz langer Anwendung und hoher Gaben 
aber nicht. Saliformin wurde bei drei 
Patienten vergebens gegeben; bei zwei 
anderen, die geheilt wurden, ist es frag¬ 
lich, ob die Heilung auf Rechnung des 
Mittels zu setzen war. Bei Anwendung 
von Methylenblau konnte bei Stuhl¬ 
ausscheidern eine Heilwirkung nicht beob¬ 
achtet werden. Ebenso versagte das 
Mittel bei fünf Urinausscheidern. Bei drei 
weiteren Urinausscheidern, die 6—8 Wo¬ 
chen lang mit bis zu 0,8 Methylenblau 
behandelt wurden, wurde einmal eine 
Verringerung der Ausscheidung während,- 
einmal nach Beendigung der Behandlung,, 
einmal sogar Heilung festgestellt. Heil¬ 
versuche mit Kohle und Jodtinktur 
waren ohne jeden Erfolg. Thymolkohl.e 
versagte bei vier Dauerausscheidern in 
der 22.—32. Woche nach Beginn des 
Typhus vollkommen. Dagegen trat bei 
zwei weiteren Fällen, bei denen der An¬ 
fang des Typhus erst 8—13 Wochen zu¬ 
rücklag, in dem einen Falle eine deutliche 
Verminderung, in dem anderen eine völlige 
Beseitigung der Typhusbacillen ein.. 
Wahrscheinlich lag hier aber ein spon¬ 
tanes Aufhören der Ausscheidung vor. 
Nährhefe war bei neun Stuhl- und einem 
Urinausscheider wirkungslos. Ebenso ver¬ 
sagten Levurinose, Furunkulin, Yoghurt 
und, abgesehen von einem Fall (Spontan¬ 
heilung?), auch Zymin. 

Die Behandlung der Bacillenträger 
hatte demnach in den meisten Fällen 
keinen Erfolg. Bei den vereinzelten ge¬ 
heilten Fällen lag vielfach die Annahme 
nahe, daß die Bacillenausscheidung in der 
Behandlungszeit spontan aufhörte. 

Hetsch (Berlin). 

(Beitr. z. KHn. d. Infekt.-Krkh. u. z. Immu¬ 
nitätsforsch., Bd. V, H. 1.) 

Einen Fall von Beckenbruch mit iso¬ 
lierter Zerreissung der Vena iliaca be¬ 
schreibt C. Meyer. Eigentlich handelt 
es sich um einen Fall von „Beckenring- 
•Biegungsbruch“: Der horizontale Scham- 




150 


Die Therapie der Gegenwart 1917. April 


beinast war infolge seitlicher Quetschung 
-des Beckenringes gebrochen, die Vena 
iliaea zerrissen. Die Symptome vor der 
Operation waren irreleitend für die Dia¬ 
gnose, vor allem stark peritoneal (Span¬ 
nung, Schmerzen, Erbrechen), daneben 
Harnverhaltung. Man mußte an direkte 
Blasen- oder Darmverletzung denken. 
Bei der zunächst vorgenommenen Laparo¬ 
tomie war am Befund auffallend, daß die 
Organe (auch die Blase) stark nach, dem 
Magen zu hinaufgedrängt, das' Becken¬ 
peritoneum weit hervorgewölbt, Blase 
und Darm aber unverletzt waren. Ein 
zweiter Schnitt über dem Poupartschen 
Bande führte erst zur richtigen Diagnose 
und zum Heilverfahren. 

Verfasser zeigt an der Hand dieses 
Falles, daß ein richtiges Hämatom bei 
derartigen Gefäßzerreißungen nicht vor¬ 
handen zu sein braucht — das Blut kann 
ins Beckenbindegewebe versickern, den 
subperitonealen Raum ausfüllen und, wie 
hier, durch Druck starke Verschiebungen 
und die beschriebenen peritonealen Sym¬ 
ptome hervorrufen. Man dürfe sich bei 
derartigen Verletzungen niemals damit 
begnügen, den scheinbaren Sitz der zu¬ 
erst auffallenden Symptome aufzusuchen. 
Bei dem Nichtauffinden ausreichender 
Begründung für die Schwere des Zu¬ 
standes müsse mit dem Messer weiter ge¬ 
forscht werden. 

Hagemann (Marburg). 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 138, S. 233.) 

Über einen Fall von Diabetes in- 
sipidus, der, bei der ersten Schwanger¬ 
schaft entstanden, mit jeder neuen 
Schwangerschaft stärker remittierte, be¬ 
richtet Novak. 

Die 40jährige Patientin wurde mit 
starken Oedemen der Beine (Urin ohne 
pathologischen Befund) wegen Wehen¬ 
schwäche und Absterbens der reifen 
Frucht aufgenommen und die Geburt 
künstlich beendet. Sofort danach fand 
sich ein Tumor der rechten Niere, der 
sich als Hydronephrose durch Stauung 
erwies. Im Wochenbett dann Harn¬ 
mengen von vier bis elf Litern. Die 
Anamnese ergab bezüglich der Ver¬ 
wandten nichts Sicheres. Die Patientin 
ist etwas eigentümlich, soll Alkoholikerin 
sein und hat bisher neun Schwanger¬ 
schaften durchgemacht (ein Abort). Neun 
von 13 Kindern sind tot. Seit der ersten 
Schwangerschaft erhöhtes Flüssigkeits¬ 
bedürfnis während der Schwangerschaft, 
so zwar, daß die Polydipsie und Polyurie 
die Schwangerschaft anzeigt und mit der 


Entbindung, besonders aber nach Wieder¬ 
eintritt der Periode zwei Monate nach der 
.Entbindungschwindet, wie Sehstörungen, 
Kopfschmerz oder andere cerebrale 
Zeichen. Die Untersuchung ergibt außer 
Strabismus convergens nichts Besonderes, 
keine Akromegalie, keine Veränderungen 
an der Sella turcica,Wassermann-Reaktion 
negativ. Nach einem Jahre Feststellung 
der Urinmenge außerhalb der Schwanger¬ 
schaft 1 y 2 bis 2 Liter täglich; Men¬ 
struation stets völlig regelmäßig, keine 
Spur von Nephritis. 

Der Fall zählt also zu den sehr seltenen 
von Diabetes insipidus, der als Begleit¬ 
erscheinung . von Genitalveränderungen 
auftritt, während im allgemeinen die 
Genitalveränderungen bei den sporadi¬ 
schen Fällen von Diabetes insipidus als 
sekundär aufzufassen sind und der here¬ 
ditäre gar jeder Beziehung zum Genitale 
entbehrt. 

Das nächstliegende zur Erklärung 
wäre eine pathologische Steigerung der 
fast normalen Schwangerschaftspolyurie. 

Die Theorie von der Entstehung des 
Diabetes insipidus durch Hyperfunktion 
der Pars intermedia der Hypophyse 
möchte Verfasser ablehnen, trotzdem die 
physiologische Vergrößerung der Hypo¬ 
physe in der Schwangerschaft einen 
Analogieschluß auf den Diabetes insi¬ 
pidus bei Akromegalie, Hypophysen¬ 
tumoren usw. zuließe, aber einesteils ist 
hier eine solche Vergrößerung nicht fest¬ 
gestellt, anderenteils aber wird die diu- 
retische Wirkung des Sekrets der Pars 
intermedia nicht nur bestritten, sondern 
ihm eine Diurese hemmende Wirkung zu¬ 
geschrieben. 

Novak möchte daher annehmen, 
daß alle Fälle von Polyurie nichtnephriti- 
scher Natur auf eine Erregung eines sym¬ 
pathischen Reizleitungssystems zurück¬ 
zuführen seien, daß nicht nur an dem von 
Claude Bernard gefundenen Punkte 
des Polyuriestichs — vor dem Zuckerstich 
im vierten Ventrikel liegt, sondern sich 
auch in das Zwischenhirn erstreckt und 
dadurch bei groben Veränderungen der 
Hypophyse in Mitleidenschaft gezogen 
wird. Er schließt sich so im wesentlichen 
der Ansicht Aschners (2) an, der, von 
der Tatsache ausgehend, daß das Pituitrin 
zwar normal diuretisch, beim Diabetes 
insipidus aber diuresehemmend wirkt, 
ein Stoffwechselcentrum am' Boden des 
dritten Vertrikels annimmt, wie ja eine 
dort unter Schonung der Hypophyse ge¬ 
setzte Verletzung (Hypothalamuszucker- 




April ' Die Therapie der Gegenwart 1917. 151 


stich) zunächst eine Glykosurie, dann 
eine Polyurie zur Folge hat; ganz ab¬ 
gesehen von den mannigfachen anderen 
Wirkungen auf Kreislauf, Atmung, Sen¬ 
sibilität usw., die durch eine derartige 
Verletzung hervorgerufen werden können, 
wobei auch an die Wärmezentren im 
Thalamus zu denken ist. Eine Erregung 
dieser Bahn oder dieses Centrums des 
Sympathicus ist bei der großen Beein¬ 
flußbarkeit desselben durch die Gravidität 
natürlich leicht erklärlich. Waetzoldt. 

(B. kl. W. 1917, Nr. 51 — M. m. W. 1917, Nr. 3.) 

Zur operativen Behandlung der 
Epilepsie äußert sich Dr. Otto Kalb 
(Stettin). Im Gegensatz, zur genuinen 
Epilepsie ist man heutzutage überein¬ 
stimmend der Meinung, daß die trau¬ 
matische und die Reflexepilepsie 
eine Indikation zur chirurgischen Be¬ 
handlung bieten. Narben, Cysten und 
vor allem Veränderungen in der motori¬ 
schen Rindenzone können Reflexepilepsie 
auslösen. Von dort geht der Reiz für 
eine bestimmte Muskelgruppe aus und 
führt erst allmählich zu allgemeinen 
tonischen ünd klonischen Krämpfen. 
Schon Pritsch und Hitzig brachten 
durch Exstirpation bestimmter Rinden¬ 
bezirke die Krämpfe zum Schweigen; 
ebenso hörten die Krämpfe auf bei 
Unterbrechung der motorischen Bahn, 
z. B. im Anschluß an einen Schlaganfall. 
Diese Tatsachen haben namentlich 
Krause zur Annahme des primär¬ 
krampfenden Centrums und zur Exstir- 
stirpation desselben geführt. Es ist klar, 
daß sich nach der Operation starke, halb¬ 
seitige Bewegungsstörungen zeigen, doch 
bilden sich diese meist zurück, wenn auch 
Fälle- mit dauernden Lähmungen be¬ 
schrieben sind. Kalb hat nun in einem 
Falle operiert, ohne daß ein primär 
krampfendes Centrum festzustellen war 
und ohne daß die anatomischen Ver¬ 
änderungen die Excision eines zusammen¬ 
hängenden Stückes gestattete. Ein 
14jähriges Mädchen, dessen Großvater 
an Epilepsie litt und das im ersten Lebens¬ 
jahr cerebrale Kindeslähmung überstand, 
behielt spastische Parese der rechten 
Körperhälfte mit Wachstumsstörung zu¬ 
rück. Seit dem 10. Lebensjahr epilepti¬ 
sche Anfälle, zweimal und öfter die 
Woche. Allmählich spastisch paretisch 
ataktischer Gang, ebenso die ganze rechte 
Körperhälfte spastisch paretisch ataktisch. 
Das Gedächtnis leidet, mäßige Intelligenz. 
Die Anfälle beginnen nach einem Schrei 


fast gleichzeitig-in der oberen und unteren 
rechten Körperhälfte, erst nach wenigen 
Sekunden den ganzen Körper ergreifend. 
Da interne Maßnahmen ohne Erfolg 
blieben, wird in Lokalanästhesie operiert. 
Nach Freilegung der linken motorischen 
Zone mittels eines handtellergroßen Haut- 
Periost-Knochenlappens . und Eröffnung 
der stark gespannten Dura zeigt sich die 
Großhirnrinde der vorderen und hinteren 
Centralwindung von zahlreichen linsen- 
bis erbsengroßen braunrötlichen Stellen 
durchsetzt, die zum Teil Cysten enthalten 
(alte Blutungen). Da Totalexstirpation 
sicherlich dauernde Lähmung bewirkt 
hätte und das primär krampfende Cen¬ 
trum kaum herauszufinden war,- werden 
inselförmige Exstirpationen dieser ver¬ 
änderten Partien vorgenannten, da¬ 
zwischen bleiben Rindeninseln stehen. 

Anfangs danach stark herabgesetzte 
Kraft-und Bewegungsfähigkeit rechts und 
motorische Aphasie. Allmähliche Rück¬ 
bildung. Keine Krämpfe mehr, auch 
selbst nicht nach l^jähriger Beob¬ 
achtung. Benecke (Berlin). 

(D. m. W. 1917, Nr. 3.) 

Klinische und pathologisch- 
anatomische Beobachtungen beim 
Fleckfieber teilt Bruno Wolff mit. Die 
klinischen Mitteilungen des Autors be¬ 
treffen zunächst das Verhalten der Tem¬ 
peratur- und der Pulskurven in den von 
ihm beobachteten Fällen. Die Fälle mit 
der als . „typisch“ geschilderten Fieber¬ 
kurve, das heißt mit einer regelmäßigen 
Continua von 10 bis 13 Tagen und mit 
Tagesschwankungen während dieser von 
etwa 0,8° scheinen • die leichter ver¬ 
laufenden Fälle zu sein. Die Fälle, die 
mit schwerer Benommenheit und De¬ 
lirien einhergehen, sowie die tödlich ver¬ 
laufenden Fälle scheinen im allgemeinen 
mehr das Bild unregelmäßiger Kurven 
mit Remissionen und Pseudokrisen auf¬ 
zuweisen. Auch die Kurven, deren 
Continua nur geringe Tagesschwankungen 
(hohe Morgentemperaturen) zeigt, ent¬ 
sprechen meist einem schwereren Verlauf. 
Die Pulsfrequenz geht zwar in besonders 
schweren Fällen zuweilen stark hinauf; 
gewöhnlich halten sich aber die Puls¬ 
zahlen in so mäßigen Grenzen, daß man 
im Vergleich zu der Höhe des Fiebers 
oft geradezu von einer relativen Brady¬ 
kardie beim Fleckfieber reden kann. In 
der Rekonvaleszenz werden erstaunlich 
geringe Pulszahlen beobachtet. In allen 
Fällen zeigte sich eine geringe, in einigen 




152 Die Therapie der Gegenwart 1917. 


April 


eine ganz außerordentlich geringe Zahl 
von roten Blutkörperchen zur Zeit des 
Fiebers, teilweise auch noch im Beginne 
der Rekonvaleszenz. Während der Re¬ 
konvaleszenz trat immer eine Vermehrung 
der Erythrocyten auf, und zwar mit¬ 
unter um sehr erhebliche Werte. Man 
muß annehmen, daß während der Fieber¬ 
periode beim Fleckfieber eine bedeutende 
Zerstörung von roten Blutkörperchen vor 
sich geht. . Als Ursache für die in un¬ 
mittelbarem Anschluß an- Fleckfieber 
häufig auf tretenden Gangränerkrankungen 
muß auch nach Wolffs Ansicht eine 
durch die Infektionserreger hervorgerufene 
Gefäßschädigung angesehen werden. Auch 
für die Ödeme und Transsudate, kann 
man wohl nicht, wie dies Rumpel und 
Levy tun, eine Mischinfektion mit Re¬ 
currens verantwortlich machen, sondern 
— ebenso wie bei Recurrens — auch beim 
Fleckfieber einen im Blute kreisenden 
Giftstoff anschuldigen, der eine abnorme 
Durchlässigkeit der Gefäße erzeugt. Eine 
Nierenerkrankung ist keineswegs immer 
die Vorbedingung für das Zustande¬ 
kommen der Transsudate. 

Therapeutisch bewährten sich Ana- 
leptika, Digitalispräparate, bei unruhigen 
Kranken feuchte kühle Packungen, reich¬ 
liche Flüssigkeitszufuhr. Kaffeeklistiere 
scheinen besonders günstig zu wirken.' 
Ferner werden mit gutem, oft momen¬ 
tanem Erfolge subcutane Injektionen von 
physiologischer Kochsalzlösung gegeben. 
Das Bewußtsein wurde durch sie freier, 
was wohl im Sinne einer Entgiftung des 
Körpers zu deuten ist. In Fällen von 
Gangrän und Ödemen schien Jodkalium 
günstig zu wirken'. Den Schluß der 
Arbeit bilden kurze Mitteilungen über die 
Sektionsergebnisse. Hetsch .(Berlin). 

(Beitr. z. Klin. d. Infekt.-Kjkh. u. z. Immu¬ 
nitätsforsch. Bd. V, H. 1.) 

Unter Gastrohydrorrhö versteht Strauß 
den Vorgang abnorm starker Abscheidung 
einer von Salzsäure und Fermenten freien 
Magenflüssigkeit. Strauß hat auch ge¬ 
zeigt, daß bei der ,,Hvperaciditas larvata“ 
ein gesteigerter Säurewert durch gleich¬ 
zeitigvorhandene reichliche Verdünnungs¬ 
sekretion verdeckt wird. Im Anschluß 
an einen kürzlich von Einhorn be¬ 
schriebenen Fall kommt Strauß auf 
seine früheren Beobachtungen zurück. 
Bei dem Einhornschen Patienten be¬ 
stand bei Pyloruscarcinom mit Pylorus- 
stenosierung, Gastritis gravis und Cirrhosis- 
hepatis ein besonders markierter Magen¬ 


wasserfluß mit fehlender Salzsäure und 
fehlenden Fermenten. Einhorn schloß 
daraus, daß es sich um das Produkt eines 
Stauungsvorganges handle. 

Demgegenüber glaubt Strauß, daß 
wie bei den von ihm beobachteten so 
mannigfachen Kombinationen der .Hy- 
drorrhö Stauung ayszuschließen sei, auch 
in diesem Falle man ohne die Annahme 
einer Stauung auskommt. Vor 6 Jahren 
konnte Schlesinger durch das Röntgen¬ 
bild einerseits zeigen, daß bei Achlorhydrie 
die Flüssigkeitsschicht im Magen meist 
geringer und langsamer eintritt als beim 
normal oder abnorm stark secernierenden 
Magen, und andererseits daß trotz mo¬ 
torisch normal arbeitenden Magens sehr 
ausgeprägte Flüssigkeitsmengen auftreten. 
Strauß selbst sah bei schwerster sekreto¬ 
rischer Insuffizienz und normaler motori¬ 
scher Motilität solche abnorm stark und 
rasch in die Erscheinung tretenden 
Flüssigkeitsmengen bei Leuten, bei denen 
auch das Probefrühstück’ trotz Fehlens 
von Salzsäure große Flüssigkeitsmengen 
mit einem niedrigenSchichtungsquotienten 
ergab. Gerade bei Soldaten älteren Jahr¬ 
gangs zwischen 30 bis 40 Jahren konnte 
er dies in letzter Zeit in den Lazaretten 
häufig feststellen. Die Leute klagten über 
Magendruck, Empfindlichkeit gegen grö¬ 
bere Speisen und Erbrechen. — Mit Rück¬ 
sicht auf obige Bemerkungen unterscheidet 
er seit langem „Anaciditas hydrorrhoica“ 
und ,,Anaciditas anhydrorrhoica“. Die 
erstere ist erheblich seltener. Eine Be¬ 
stätigung seiner Feststellungen sieht er 
auch in Einhorns Fall, bei dem die 
Pylorusstenose wohl die exzessiven Ver-, 
hältnisse bedingt hat. Man findet also 
die mannigfachsten Verhältnisse in der 
Hydrorrhoea gastrica, teils mit, teils ohne 
Störung der specifischen Sekretion, als 
„Gastrorrhoea secretoria“ und als ,,Ga r 
strorrhoea hyperacida“. Der erstere Fall 
entspricht dem Einhornschen. Strauß 
fand völlig neutral, selbst alkalisch re¬ 
agierende Flüssigkeit ohne Zeichen von 
Stauung oder Gastromucorrhoe. Diese 
Fälle weisen darauf hin, daß es sich bei 
der Hydrorrhoea gastrica um einen selb¬ 
ständigen Vorgang handelt, der bisher 
für Physiologie und Pathologie des Magens 
nicht genügend gewürdigt ist. 

(B. kl. W. 1917, Nr. 5.) Benecke Berlin). 

Über Prodromalsymptome. der 
Hirnhämorrhagie schreibt H. Kisch. Nach 
den Untersuchungen des Verfassers an 
700 Fettleibigen sind in etwa 16% deut- 




April ■ ' Die Therapie der 


liehe sklerotische Veränderungen nach¬ 
weisbar. Bei 110 Sklerotikern kam es 
29malzur Hirnhämorrhagie. Von 18 Pa¬ 
tienten mit hochgradiger allgemeiner Fett¬ 
bildung und Fettumhüllung und Durch¬ 
wachsung des Herzens zeigten autoptisch 
sechs als Todesursache eine Hirnblutung. 
Bei 20 fettleibigen Individuen, die schein¬ 
bar aus voller Gesundheit heraus starben, 
ergab die Sektion siebenmal eine Hirn¬ 
hämorrhagie. Demnach kann es keinem 
Zweifel unterliegen, daß die Adipositas 
eine solche Disposition zur Hirnblutung 
abgibt. Wichtig ist es, deren Pro¬ 
dromalsymptome zu kennen, es sind 
dies-: Zunahme der fühlbaren Gefäßspan¬ 
nung, dauernde Erhöhung des Blut¬ 
druckes, vergrößerte Herzdämpfung, vor¬ 
übergehende Cerebralerscheinungen, Albu¬ 
minurie, dauernde Verstopfung und Me- 
.teorismus. Bei der gegebenen Disposition 
wirken als auslösende Momente: Über¬ 
anstrengungen, Überfüllung des Magens, 
Trinkexzesse, geschlechtlicher Verkehr, 
Drängen bei hartem Stuhlgang, schneller 
Wechsel warmer und kalter Witterung, 
ferner auch plötzliche seelische Einwir¬ 
kungen. Im Material Ki s ch s überwiegen, 
wie auch sonst bei Hirnblutungen, die 
Männer. Interessant ist das Vorkommen, 
•von Hirnblutungen bei Familienangehö¬ 
rigen in der Weise, daß der Schlaganfall 
ungefähr in demselben Lebensjahre wie 
bei den Eltern auftritt. Merkwürdig ist 
die Beobachtung des Verfassers, daß vier 
Brüder in dem gleichen Alter wie ihr 
Vater an Apoplexie starben. 

Leo Jacobsohn (Charlottenburg). 

(M. XI. 1916, Nr. 10.) 

Die Beziehungen des Icterus*epide- 
micus zum Icterus catarrhalis und 
zur WeiIschen Krankheit erörtert F. 

1 ckert. Er beobachtete bei Soldaten eine 
Reihe von Krankheitsfällen; deren klini¬ 
sches Bild im Einzelfalle dem einfachen 
Icterus catarrhalis glich, bei denen aber 
doch verschiedene Symptome auf eine 
Allgemeininfektion hindeuteten, so daß 
die Diagnose „Icterus epidemicus“ ge¬ 
rechtfertigt war. Die Fälle hatten mit 
dem sogenannten Icterus epidemicus und 
dem Icterus infectiosus (=Weilsche 
Krankheit) gemeinsam: 1. die Neigung 
zu Temperatursteigerungen, die in Perio¬ 
den von etwa 6 Tagen oder einem Viel¬ 
fachen davon auf treten können (6x Tage, 

6 x + 1 Tage oder 6 x — 1 Tage) und 
2. eine Inkubationszeit von 6 Tagen oder 
einem Vielfachen davon (6 x oder 6x + 


Gegenwart 1917.. 153 


1 Tage). Der Icterus epidemicus und der 
Icterus infectiosus unterscheiden sich 
durch die Erreger. Für die letztgenannte 
Krankheit ist der Erreger gefunden (Spiro-; 
chaete icterohaemorrhagiae), für den Ic¬ 
terus epidemicus noch nicht. Es gelingt 
aber, durch intraperitoneale Injektion von 
Blut frischkranker Menschen bei Meer¬ 
schweinchen sechstageweise auftretende 
Gewichtsverluste auszulösen, die typisch 
sind. Beide Krankheiten werden wahr¬ 
scheinlich durch einen Zwischenwirt, viel¬ 
leicht durch ein Insekt übertragen. 

Hetsch (Berlin). 

(Beitr. z. Klin. d. Infekt.-Krkh. u. z. Immu¬ 
nitätsforsch., Bd. V, H. 1.) 

Zur Frage der Kriegsneiigeborenen 

stellte Tschirch an Material der Uni¬ 
versitätsfrauenklinik Jena fest, daß im 
Kriege (1. September 1915 bis 31. August 
1916) eine Verminderung des Durch¬ 
schnittsgewichts der Neugeborenen nicht 
festzustellen war, daß dagegen der Durch¬ 
schnitt der Hausschwangeren — primi- 
sowie pluriparae — um etwa *200 g mehr 
wog als der der kreißend Eingelieferten. 
Diesen Umstand führt Verfasser weniger 
auf die bessere Ernährung in der Klinik 
— ein solcher Unterschied bestand kaum— 
als auf die sehr viel schwerere Arbeit der 
Eingelieferten im Verhältnis zu den 
Hausschwangeren zurück. 

Einen Einfluß der Ernährung auf die 
Eklampsiehäufigkeit konnte Tschirch 
nicht finden. Eine Beeinflussung der 
Lactation war gleichfalls nicht fest¬ 
zustellen. Es wurde regelmäßig und mit 
sehr gutem Erfolge von allen Frauen ge¬ 
stillt. Waetzoldt. 

(M. m. W. 1916, Nr. 47.) 

Zur Frage der Kapitalabfindung der 
Kriegsrentenempfänger nimmt P. Horn 
Stellung. Eine Reihe von Zuständen 
schließt nach Ansicht des Verfassers die 
Kapitalabfindung aus. Es sind dies 
Geisteskrankheiten, Epilepsie, Basedow, 
hysterische Verwirjrtheit, völlig erwerbs¬ 
unfähige Neurotiker und mehr als 60% 
erwerbsbesch-ränkte Individuen mit peri¬ 
pheren Verletzungen, organische Herz¬ 
erkrankungen, Lungenleiden, Stoffwech¬ 
selstörungen sowie die meisten Erkran¬ 
kungen innerer Organe, da die Prognose 
aller dieser Zustände meist unsicher ist. 
Vorsicht empfiehlt sich auch bei Ver¬ 
letzungen des Hirnes im Hinblicke auf 
die möglichen Spätkomplikationen, die 
Epilepsie, den Hirnabsceß und die post¬ 
traumatische Demenz. Wo durch Kriegs- 

20 




154 Die Therapie der Gegenwart 1917. April 


Strapazen ein organisches Nervenleiden 
ausgelöst oder ein bestehendes wesent¬ 
lich verschlimmert ist, ist ebenfalls die 
Kapitalabfindung nicht am Platze, es sei 
denn, daß. ein wichtiges therapeutisches 
Interesse vorliegt. Der große Vorzug der 
einmaligen Kapitalabfindung gegenüber 
der Dauerrente liegt in der Ausschaltung 
des Rentenkampfes, der namentlich bei 
nervösen’Störungen den Ablauf des- Lei¬ 
dens ungünstig beeinflußt. Für Neuro¬ 
tiker mit Erwerbsbeschränkung bis zu 
80% soll der vier- bis sechsfache Betrag 
der Jahresrente der Kapitalabfindung 
zugrunde gelegt werden, doch ist die An¬ 
legung in Grundbesitz der Barabfindung 
vorzuziehen. Für die Mehrzahl der Neuro¬ 
sen ist die Kolonisierung nicht nur aus 
ökonomischen, sondern auch therapeuti¬ 
schen Gründen'wünschenswert. Bei den 
Neurosen ist auf eine möglichst baldige 
Erledigung des Rentenverfahrens hinzu¬ 
wirken, bei allen anderen Erkrankungen 
sollte mindestens ein Jahr gewartet wer¬ 
den. Für die Entgeltung des erlittenen 
Schadens sollen besondere Ärztekommis¬ 
sionen gebildet werden. 

Leo Jacobsohn (Charlottenburg). 

(D. m. W. 1916, Nr. 13.) ! 

Wie Jessens (Referat Januarheft 
dieser Zeitschrift) verwandte auch Koe- 
nig (1) die Digitalis in einem Falle 
von Lungenblutung bei offener Lungen¬ 
tuberkulose, die im Gebirgsklima (Harz) 
aufgetreten war und drei Wochen lang 
mit den üblichen Methoden behandelt 
worden war, ohne daß eine dauernde, 
wesentliche Besserung zu bemerken war. | 
Vor der beabsichtigten Verlegung in die 
Ebene (Goslar) machte Koenig einen 
Versuch mit der Jessenschen Digitalis¬ 
behandlung, die zur Folge hatte, daß 
schon nach zwei Tagen die Blutung end¬ 
gültig stand, der Patient, der nach fünf 
weiteren Tagen aufstand, blieb auch fer¬ 
nerhin von Blutungen verschont.— Eine 
absolute Ruhigstellung der Lunge wird 
durch Pneumothorax erreicht. Der¬ 
selbe scheint daher, die Möglichkeit der 
Anlegung vorausgesetzt, das Ideal für die 
Behandlung gefahrdrohender Lungenblu¬ 
tungen. Über einen hierher gehörigen 
Fall berichtet Windrath (2). Bei einem 
älteren Manne mit fibrokavernöser Phthise, 
besonders des rechten Unterlappens, die 
schon vor einigen Jahren initiale Blutun¬ 
gen aufgewiesen hat, treten ziemlich 
plötzlich bedrohliche Lungenblutungen 
auf. Am dritten Tage derselben Anlegung 


des Pneumothorax, die infolge des Be¬ 
stehens ausgedehnter Verwachsungen nur 
höchst unvollkommen gelang (75 ccm), 
nach sechs Stunden wieder 150 ccm. Da 
wieder Blutungen auftraten, am nächsten 
Tage morgens 150. ccm, nachmittags 
200 ccm, eine Röntgenaufnahme ergab 
durch pleuritische Stränge begrenzten 
Pneumothorax im phrenfcocostalen Win¬ 
kel. Die Blutung sistiert, Patient fühlt sich 
wohl. Am nächsten Tag morgens 300 ccm 
eijngefüllt, dabei nicht mehr, wie früher, 
Beschwerden, ebensowenig bei den abend¬ 
lichen Füllungen (300 ccm). Die Gasblase 
hat sich, wie erneute Röntgenaufnahme 
zeigt, vergrößert. Verwachsungen zum 
Teil gelöst! Der Pneumothorax wird 
jetzt, wie üblich, nachgefüllt (alle, fünf * 
Wochen.500 ccm). Patient arbeitet bei 
dauerndem Wohlbefinden. Es handelt 
sich hier also nicht nur um die Be-’ 
kämpfung der Lungenblutung durch den 
Pneumothorax, sondern durch Lösung 
der Verwachsungen wird auch — zunächst 
ganz unbeabsichtigt — die Grundlage 
zu einer regulären Pneumothoraxbehand¬ 
lung gegeben. _ Waetzoldt 

(M. Kl. 1917, Nr. 3. — M. m. W. 1917, Nr. 2.) 

Zander beschreibt einige technische 
Einzelheiten, die ihm die Ausführung 
der Magenresektion (unmittelbare An- 
astomöse der Dünndarmschlinge mit dem 
noch offenen Magenlumen) vereinfacht 
haben. Großes Gewicht legt der Ver¬ 
fasser auf die Lagerung des Patienten: 
durch Beckensenkung starke Abknickung 
des Thorax gegen das Abdomen;- die 
Därme sinken nach unten, der Operateur 
hat gute Bewegungsfreiheit und ver¬ 
größerten Raum. 

Die in vier Akte eingeteilte Operation 
beginnt, gleich nach Durchtrennung des 
Lig. gastrocol., mit Anlegung des Meso¬ 
colonschlitzes — die oberste Dünndarm¬ 
schlinge wird mit Seidennaht fixiert. 
Der zweite Akt ist die Durchtrennüng 
und Versorgung des Duodenums aboral 
vom Magentumor; Verschluß durch ein¬ 
stülpende Tabaksbeutel- oder Diagonal- 
. naht nach einfacher Abbindung, Durch- 
| stich- oder Steppnaht. Die Jejunum-. 

| schlinge muß so an den Magenstumpf an¬ 
gelegt und ihm in der Länge angepaßt 
werden, daß keine Stauung im Duodenum 
auftreten kann — der Magen darf die 
Schlinge nicht hochziehen, das Jejunum 
(oder die Anastomose befestigende Meso¬ 
colonschlitznaht) den Magen nicht zu sehr 
herunterziehen. Jetzt folgt als dritter Akt 



April* Die Therapie der 


die Änastomosenbildung—der Magen wird 
zunächst ganz erhalten. Dies vereinfacht 
die Anlegung der ersten Nahtreihe^zwi- 
schen Magen und Jejünumschlinge, die 
vorgezogen und parallel der beabsichtigten 
Durchtrennungslinie an die Hinterfiäche 
des Magens gelegt wird. Magen und 
Darm werden nach Ausführung der Se- 
rosanaht eröffnet und die hintere Naht, 
die alle Schichten umfaßt, wird angelegt,' 
dann erst wird der Magen abgeschnitten. 
Für die vordere innere Naht empfiehlt 
Verfasser eine fortlaufende U-Naht: die 
Stiche gehen von der Serosafläche des 
Magens durch alle Schichten und werden 
abwechselnd am Darm und Magen'-aus¬ 
geführt.. Im vierten Akt wird der Meso- 
colonschlitz am Magen vernäht, diesen 
etwas nach unten ziehend. Die Methode 
läßt sich auch für die quere Magen¬ 
resektion modifizieren. 

Hagemann (Marburg). 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 138, S. 195.) 

Einen Beitrag zur Bakteriologie 
der Meningitis cerebrospinalis epide¬ 
mica gibt H. Fischer. Er beschreibt 
einen Fall von Genickstarre, in welchem 
neben den nur in den Meningen 
lokalisierten klassischen gramnegativen 
Meningokokkus Weichselbaum speziell 
ein hauptsächlich grampositiver, als 
Diplococcus flavus bezeichneter Mikro¬ 
organismus aufgefunden und kulturell 
festgelegt wurde, der im Gegensatz 
zum Meningokokkus eine allgemein 
septischpyämische Infektion hervorgeru¬ 
fen hatte. Auffallend wechselnd war das 
Verhalten beider Mikroorganismen gegen 
die Gramfärbung, im wesentlichen in Ab¬ 
hängigkeit vom Alter der Kultur. Ob es 
sich hier um eine Mutation des Meningo¬ 
kokkus im Sinne von Baerthlein und 
Köhlisch handelt, ist zweifelhaft, doch 
unwahrscheinlich. H e tsch (Berlin). 

(Beitr. z. KHn. d. Infekt.-Krkh. u. z. Immu- 
nitätsforsch. Bd. V, H. 1.) 

Moro gibt eine Übersicht über 39 
operierte Fälle von Nervenverletzungen. 
Operiert wurde, wenn die elektrische Er¬ 
regbarkeit erloschen war oder wenn Läh¬ 
mungen und Schmerzen sich nach langem 
Abwarten nicht besserten. Meist wurde 
zweieinhalb bis * vier Monate nach der 
Verletzung operiert. Verfasser sah alle 
Grade von motorischen Lähmungen und 
bestätigt die Erfahrung anderer Autoren, 
daß schwere Lähmungen mit geringen 
makroskopischen) Veränderungen des 
Nerven einhergehen können. Manchmal 


Gegenwart 1917. 155 


entspricht die Muskelinnervation nicht 
ganz der Regel: zweimal war der Öpponeus■’ 
pollicis anscheinend hauptsächlich vorn - 
Ulnaris innerviert, Shocklähmungem 
konnten meist von wirklichen Nerven¬ 
lähmungen dadurch unterschieden wer-, 
den, daß sie unter konservativer Behand¬ 
lung zurückgingen. Gelenkversteifungen 
fielen sehr verschieden aus: nach Ansicht 
des Verfassers versteifen die Gelenke 
nach Lähmungen erheblich schneller,, 
wenn der Patient über 30 Jahre alt ist. 
Auf sensible Symptome legt der Verfasser 
diagnostisch geringen Wert; Störungen 
der Schweißsekretion hat er häufig ge¬ 
funden, aber auch hierauf gibt er nicht 
viel, da sie auch bei Weichteilverletzungen 
(ohne Beteiligung des Nervenstammes) 
und psychogenen Lähmungen Vorkommen. 

Für sehr wichtig hält der Verfasser 
die Beeinflussung der Vasomotoren. Er 
beschreibt drei Fälle von Verbrennung, 
die bei Handbädern, Heißluft, Alkohol¬ 
umschlägen im Gebiet der verletzten 
Nerven aüftrat. Diese erhöhte Vulne¬ 
rabilität schreibt er zum Teil dem 
Fehlen des normalen Vasomotoren¬ 
reflexes zu.. Sie ist größer im Gebiete 
eines entzündeten oder komprimierten 
als in dem eines ganz durchtrennten 
Nerven. Meist war die Continuität 
des Nerven ganz , oder teilweise durch¬ 
trennt, aber . manchmal war die 
Leistungsfähigkeit durch Druck von Nar¬ 
ben, Callus und — besonders schwer — 
von Aneurysmen gestört. War der Nerv 
teilweise durchtrennt, so gab es oft 
spindelförmige Auftreibungen peripher 
und central von der Verletzung, oft an 
den Enden vollständig durchtrennter 
Nerven knollige Neurome. Mit Narben¬ 
massen verwachsene Nervenbündel wiesen 
öfter gequollenes, glasiges Aussehen auf. 

,, Knopflochschüsse“ kamen nicht vor. 
Bei zwei Reoperationen hatte Verfasser 
Gelegenheit, zu beobachten, daß (bei der 
ersten Operation) gut erhaltene Nerven¬ 
fasern nachträglich narbig degeneriert 
waren — er zieht daraus den Schluß, 
daß man nicht zu früh operieren dürfe. 

Bei deutlich erhaltenen Nervenfasern 
wurde die Neurolyse gemacht; Resektion 
und Naht auch dann, wenn es unsicher 
war, ob in der Narbe noch gesunde 
Nervenfasern erhalten waren. Gute Re¬ 
sultate erzielte der Verfasser mit der 
Adaptation durch Mobilisierung der 
Stümpfe und Zug. War die direkte Adap¬ 
tation nicht möglich, so wurde auch die 
v. Hof meist ersehe Doppelpfropfung (in 

20* 



156 Die Therapie der Gegenwart 1917. April 


einem Fall mit sehr gutem Erfolge) an¬ 
gewandt. Meist operierte Verfasser in 
Esmarchscher Blutleere, aber am Unter¬ 
arm wurde sie am Ende der Operation 
gelöst, um eine exakte Blutstillung zu 
ermöglichen. Zum Einscheiden oder Ein¬ 
betten der Nerven wurde je- nach den 
Verhältnissen Fett- oder Muskellappen, 
Kalbsarterie, Fascie (frei transplantiert 
oder aus der Umgebung) verwandt. 
Fixierungsverbände nach der Operation 
blieben zwei bis drei Wochen liegen, dann 
wurde der Nerv allmählich in Spannungs¬ 
lage übergeführt und es wurde mit 
Kathodengalvanisation begonnen; bei 
beginnender Bewegung in der gelähmten 
Muskelgruppe wurde auch faradisiert und 
mit warmen Bädern und Massage be¬ 
handelt. 

Bei den Neurolysen hat Verfasser in 
allen Fällen Besserung erzielt, deren Er¬ 
gebnis ihm bekannt ist; vollständige 
Funktionstüchtigkeit des betreffenden 
Gliedes wurde in 4 von 13 Fällen erreicht. 

Bei den Nähten blieben von 29 Fällen 
3 ergebnislos, in 3 wurde Funktions¬ 
tüchtigkeit, in den übrigen bekannten 
verschiedene Grade von Besserung er¬ 
zielt. Hagemann (Marburg.) 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 138, S. 264.) 

Erfahrungen über Klinik und Pa¬ 
thogenese der Paratyphus B-Infek¬ 
tion teilt R. Stephan mit. Es ist nicht 
richtig, von bestimmten Formen des. 
Paratyphus zu sprechen. Die gastro- 
enteritische und die typhöse „Form“ 
sind Stadien einer klinisch und patho¬ 
genetisch einheitlichen Erkrankung, bei 
der sie prozentual nur in geringem Um¬ 
fange beobachtet werden. Und zwar 
entspricht die Gastroenteritis dem Sta¬ 
dium der Inkubation, die „typhöse Form“ 
der eigentlichen Organismusinfektion. Bei¬ 
de „Formen“ sind durch ein starkes Her¬ 
vortreten von Einzelsymptomen charak¬ 
terisiert, die auch bei der weitaus häufig¬ 
sten Paratyphusinfektion stets, wenn auch 
in viel geringerem Maße, vorhanden sind: 
erstere durch eine höchst intensive Be¬ 
teiligung der Magendarmschleimhaut zu 
Beginn des Infektes, letztere durch eine 
längerdauernde Baciliaemie und eine durch 
diese bedingte relative Schwere der Er¬ 
krankung. Die bisherigen „Haüptformen“ 
stellen demgemäß gewissermaßen die Ex- j 
treme des eigentlichen klassischen- Para- | 
typhus dar. Es ist aber keineswegs an- j 
gängig, sie weiterhin als differente Krank- i 
heiten zu betrachten. Wenn die Eintei- j 


lung in Formen lediglich zum Verständnis 
der klinischen Variationsmöglichkeiten 
beibehalten wird, so wäre der Paratyphüs 
B zu sondern in: I. Inkubationstypus: 
a) gastroenteritische Form; b) dysenteri¬ 
sche Form. II. Typus der Allgemein- 
infektiön: a) Typhoidform; b) typhöse 
Form. Rein zahlenmäßig überwiegt die 
Typhoidform weitaus. Etwa 80 % aller 
Paratyphusinfektionen sind ihr zuzurech¬ 
nen. 10 % beträgt der Anteil der gastro- 
enteritischen und typhösen, etwa 10% 
der der dysenterischen Verlaufsart an der 
Gesamterkrankung. Eine isolierte Organ¬ 
erkrankung im Sinne Schottmüllers 
kann nicht anerkannt werden. Ausführ¬ 
liche klinische Angaben über die ver¬ 
schiedenen Verlaufsarten und deren Er¬ 
scheinungen, wie sie .vom Autor bei dem 
Krankenmaterial eines großen Kriegs¬ 
lazarettes im Verlaufe eines ganzen Jahres 
festgestellt wurden, werden zur Begrün¬ 
dung der vorstehenden Auffassung mit¬ 
geteilt. Hetsch (Berlin). 

(Beitr. z. Kün. d. Infekt-Krkh. u. z. Immu¬ 
nitätsforsch. Bd. V., H. 1.) 

Einen Vorschlag zum Ersatz großer 
Tibiadefekte durch die Fibula macht 
Moszkowicz. Bei vollkommenem Er¬ 
satz der Tibia durch die Fibula leidet 
die Stabilität des Beines, trotzdem 
die Fibula an Umfang erheblich zu¬ 
nimmt, dadurch, daß das untere Ende 
des Wadenbeines für das # Fußgelenk zu 
schwach ist. Um diesem Übelstande ab¬ 
zuhelfen, ist Verfasser so vorgegangen, 
daß er den unteren Teil des Schienbeines 
stehen läßt, von der dem Schienbein zu¬ 
gekehrten Fläche des Wadenbeines einen 
Periostlappen abspaltet, der über den 
Stumpf des Schienbeines gelegt wird und 
so die Herstellung eines Brückencallus 
ermöglicht. Hayward. 

(Arch. f. klin. Chir. Bd. 108, Haft 2.) 

Über die Leistungsfähigkeit der Tuber¬ 
kulin-Herdreaktion in der Diagnostik der 
chirurgischen T uberkulose schreibt 
Strohmeyer. Die Arbeit entstammt 
der Lexerschen Klinik und faßt die 
Beobachtungen zusammen, welche an 
43 Patienten mit 55 Lokalisationen 
chirurgischer Tuberkulose gewonnen wur¬ 
den. Es ergibt sich aus den Unter¬ 
suchungen, daß die Tuberkulin-Herdreak- 
[ tion bei geschlossenen Fällen von' chirur- 
| gischer Tuberkulose immer positiv ist. 

| gleichgültig, ob die Fälle frisch oder alt 
i sind. Die frischen Fälle reagieren im 
! allgemeinen stärker als die alten. Bei 



157 


April Die Therapie der Gegenwart 1917. 


den fistulösen Fällen von chirurgischer 
Tuberkulose ist- die Herdreaktioh in 
einem ganz geringen Prozentsatz negativ. 
Ansgeheilte Fälle geben keine Reak¬ 
tionen mehr, sodaiß wahrscheinlich in der 
Herdreaktion ein' wichtiges Kriterium 
für die Ausheilung gegeben ist. Die Re¬ 
aktion ist specifisch für Tuberkulose, 
denn nur tuberkulöse Fälle reagieren 
positiv. Hayward. 

(D. Zschr. f. Ctoir. Bd. 138, Heft 1 u. 2.) 

Der Verlauf des Typhus abdominalis 
hin er.sten Kriegsjahr. 1914 macht 
Fejes zum Gegenstand der Erörterung. 
Das 'klassische klinische Krankheitsbild 
des Bauchtyphus, wie es von Wunder¬ 
lich, Curschmann und anderen ge¬ 
zeichnet ist, wurde im Frieden bei uns 
kaum noch beobachtet, aber im Kriegs¬ 
jahre 1914 kam die Krankheit wieder in 
ihrer ursprünglichen, von den Altmeistern 
beschriebenen Form zur Erscheinung. 
Fejes schildert seine diesbezüglichen Er¬ 
fahrungen. Auffällig war, daß die 
schweren typhösen Darmprozesse, Blutung 
und Perforation, außerordentlich selten 
waren. Stellten sieh Darmblutungen ein, 
so nahmen sie meist einen günstigen Ver¬ 
lauf und hörten nach ein- bis zweimaligem 
blutigem Stuhl auf. Mit Eiterungs¬ 
prozessen verbundene Komplikationen 
kamen dagegen recht häufig vor. Als 
Erreger wurden meist ausschließlich 
Typhusbacillen festgestellt. Bei der meist 
plötzlichen Heilung der typhösen Eite¬ 
rungsprozesse spielte parallel mit der 
Verbesserung des Allgemeinzustandes 
allem Anschein nach auch das plötzliche 
Überwiegen der Antikörper im Blut die 
ausschlaggebende Rolle. Auch in tiefer¬ 
liegenden Organen, z. B. mehrfach in der- 
Leber, wurden Eiterungsprozesse durch 
den Typhusbacillus bedingt. Fast stets 
wurde — im Gegensatz zu den Friedens¬ 
erfahrungen — tiefe Apathie und völlige 
Teil-nah m-iosigkeit bei den Kranken beob¬ 
achtet. Peripherische Nervenentzün¬ 
dungen waren sehr häufig. Die Ursache, 
daß dieser Kriegstyphus in so hohem 
Maße von den gewohnten, im Frieden 
ständig beobachteten Formen der Krank¬ 
heit abwich, ist in der Erschöpfung des 
Organismus zu suchen, die einerseits 
durch die großen Kriegsstrapazen der 
Erkrankten, dann aber auch durch die 
langen Transporte auf schlechten Wagen 
und Wegen vor der endgültigen Lazarett¬ 
aufnahme zu überstellen waren. Die Er¬ 
schöpfung ist wohl auch der Grund, daß 


häufiger Erscheinungen auftraten, die 
sonst äußerst selten sind, schwere tief¬ 
greifende Gewebsnekrosen, symmetrische 
Gangrän an den Extremitäten, Erschei¬ 
nungen, die den von Morvan. und 
Raynau beschriebenen Krankheits¬ 
formen sehr nahe -standen. Auch die 
Roseoleneruptionen waren unvergleich¬ 
lich reichlicher als beim Friedenstyphus. 

Bei Leuten, die der Typhusschutz¬ 
impf ung^ unterzogen waren, war die 
Krankheitsdauer bedeutend abgekürzt 
und der Verlauf ein unvergleichlich, mil¬ 
derer. Die Allgemeinerscheinungen (Fieber, 
Apathie usw.) waren, besonders im An¬ 
fang, meist ebenso schwer wie bei Un- 
geimpften, aber die eigentliche Krankheit 
dauerte nur wenige Tage, und nach 
lytischem Temperaturabfall erfolgte meist 
in der zweiten Woche schon die Ge¬ 
nesung. Eine längere Rekonvaleszenz 
fehlte. Diarrhöen gehörten bei den Ge¬ 
impften zu den Seltenheiten. 

Bei der Behandlung wurden aus¬ 
gezeichnete Erfolge von der gemischten 
Diät gesehen. Je 100 Kranke aus 
gleichen Stadien wurden einerseits aus¬ 
schließlich an flüssige Milchdiät, anderer¬ 
seits an gemischte reichliche Diät ge¬ 
halten. Sowohl der Ausgang der Krank¬ 
heit wie die Schwere des Verlaufes war 
bei den letzteren bedeutend günstiger. 
Die Mortalität betrug bei den mit Milch 
Ernährten 11 %, bei den gemischt Er¬ 
nährten 3 %. Die reichlichere Ernährung 
zog keine Darmkomplikationen nach sich, 
weder Blutungen noch Perforationen 
wurden beobachtet. Sie verhinderte sogar 
weitgehend das Auftreten von Broncho¬ 
pneumonien, Decubitus, Parotitis usw., 
Folgeerscheinungen, die vorwiegend durch 
die Erschöpfung des Patienten und die 
Benommenheit des Sensoriums entstehen. 
Daneben hatte die Pyramidonbehandlung 
günstige Erfolge, anscheinend auch Luft- 
und Sonnenbäder. Hetsch (Berlin). 

(Beitr. z. Klin. d. Infekt.-Krkh. u. z. Immu¬ 
nitätsforsch. Bd. V, H.'l.) 

Freudenberg mahnt aufs dringend¬ 
ste zur Vorsicht bei der Bewertung der 
Wassermannschen Reaktion. Er übergab 
in vier Fällen das gleiche Blut an vier 
Untersucher und erhielt in drei Fällen 
divergente Resultate, das heißt während 
bei dem einen Untersucher das Blut stark 
positiv reagierte, war die Reaktion des¬ 
selben bei einem anderen zweifelhaft oder 
negativ. Von 44 Fällen ergab gleichzeitige 
Untersuchung bei drei Untersuchern in 




158 


Die; Xherapie der ; Gegeriwaijt; 1917. April 


26 Fällen Divergenz der Angaben. Von 
96 Fällen' gleichzeitiger Untersuchung 
bei nur zwei Untersuchungen divergierten 
17 Fälle. Die gewählten Untersuchungs¬ 
stellen waren alle als zuverlässig bekannt, 
eine Besserung der Resultate konnte Ver¬ 
fasser in sechs Jahren nicht konstatieren, 
vielmehr ergaben sich im Durchschnitte 
aller Untersuchungen stets zirka 33% 
Divergenzen. Verfasser mahnt daher 
dringend davon ab, sich mit einer Unter¬ 
suchung in zweifelhaften Fällen zu be¬ 
gnügen. (Auch Referent konnte seinerzeit 
derartige Divergenzen zwischen zwei erst¬ 
klassigen Untersuchungsstellen beob¬ 
achten, bei Verwendung der gleichen 
Blutportion und ,,durchaus zuverlässiger“ 
Extrakte.) 

Anläßlich dieses Angriffs, der sich an 
die Arbeiten von Heller und Saalfeld 
anschließt, (Referat Februarheft dieser 
Zeitschrift) ergreift nun Wassermann 
selbst das Wort zur energischen Ant¬ 
wort. . Gegenüber der Behauptung der 
genannten Autoren, daß bei' einwand¬ 
freier Technik die Wassermannsche 
Reaktion in den Händen verschiedener 
Untersucher verschiedene Resultate 
ergebe , machte er einen Gegen- 
versuch derart, daß 50 Sera von einem 
Unbeteiligten geteilt und ohne nähere 
Angaben, gleichzeitig zur Anstellung der 
Reaktion, an die Kaiser-Wilhelms-Aka- 
demie für das militärärztliche Bildungs¬ 
wesen und an das Kaiser-Wilhelms-In¬ 
stitut für experimentelle Therapie gesandt 
wurden. Es stimmten nun in 48 Fällen 
die Resultate genau überein, während 
in zwei Fällen der eine Untersucher das 
Resultat als zweifelhaft, der andere als 
negativ bzw. positiv bezeichnete. Als 
positiv wurden alle Reaktionen mit voll¬ 
ständiger oder fast vollständiger Hem¬ 
mung, als negativ solche ohne jede Spur 
von Hemmung der Hämolyse bezeichnet, 
alles andere als zweifelhaft (außer den er¬ 
wähnten noch sechs Fälle). Aus dem 
Resultat dieser Untersuchung zieht Was¬ 
sermann den Schluß, daß bei gleicher 
Methode die Reaktion in den Händen 
verschiedener Untersucher gleiche Resul¬ 
tate ergibt, daß daher Differenzen auf un¬ 
gleiche Methodik oder ungleichmäßig ein¬ 
gestellte Reagenzien zurückgeführt wer¬ 
den müssen. 

Er stellt weiter fest, daß sich aus die 
Unterschiede, die die oben erwähnten 
Autoren bei verschiedenen Untersuchun¬ 
gen in den Resultaten fanden, sie nicht zu 
dem Schlüsse berechtigen, die Reaktion 


als solche in Zweifel'zü. ziehen,:die ihre 
Zuverlässigkeit in de;n letzten. :10 Jaliren 
.so mannigfaltig erwiesen hat. 

Daß. in einzelnen Fällen die Beurtei¬ 
lung der Reaktion schwierig ist, ist ein 
Fehler, den die Wassermannsche Reak-. 
tion mit noch vielen anderen chemischen 
,und serologischen Reaktionen von un- 
bezweifeltem Werte teilt. 

. (Referent möchte darauf hinweisen, 
daß er. wie auch andere die Aufsätze der 
drei Autoren nicht als einen Angriff auf 
die Wassermannsche Reaktion als sol¬ 
che empfand, sondern vielmehr .als eine 
Warnung an die nicht spezialistisch ge¬ 
schulten Ärzte, zuviel auf den Ausfall 
einer .einmaligen Reaktion zu vertrauen 
und dem Resultat derselben unbedenklich 
die klinische Überzeugung und darauf 
gebaute Diagnose zu opfern.) 

Waetzoldt. 

(B. kl. W. 1917, Nr. 5). 

Die von Carrel auf den französischen 
Kriegsschauplätzen mit großer Emphase 
eingeführte Behandlung der Wunden mit 
Dakinscher (Hypochlorit-) Lösung wird 
auch jetzt in Deutschland geübt. Eine 
definitive Entscheidung für oder gegen 
die Methode ist noch nicht erbracht worden. 
Hirschberg hat das Verfahren im 
Feldlazarett in zwölf Fällen angewendet 
und stellt fest, daß die Resultate als 
durchaus befriedigend anzusehen sind, 
allerdings muß hierbei betont werden, 
daß gleichzeitig auf operativem Wege 
möglichst übersichtliche Wundverhält¬ 
nisse geschaffen wurden. Wieviel nun 
auf Kosten der Lösung oder der Operation 
oder der Kombination beider Methoden 
geht, ist schwer zu sagen. Soviel steht 
fest, daß die Dakinsche Lösung ein gutes 
antiseptisches Mittel zur Wundbehand¬ 
lung ist. Hayward. 

(D. m. W. 1916, Nr. 51.) 

Über beschleunigte Wundheilungsvor¬ 
gänge nach Erysipel berichtet GoebeL 

Die sogenannte heilende Wirkung des 
Erysipels bei Geschwülsten ist bekannt. 
Dahingegen ist der Einfluß, den eine ent¬ 
standene Wundrose auf die Heilung der 
Wunde selbst ausübt, bisher im Frieden 
noch nicht beobachtet worden. Erst jetzt 
im Kriege hat sich gezeigt, daß in .zahl¬ 
reichen Fällen, in welchen Erysipele auf- 
treten, und sie scheinen in den Lazaretten 
sehr häufig zu sein, nach Abklingen der 
Wundinfektion die Heilungstendenz der 
Wunde ganz außerordentlich beschleunigt 





Die Therapie -der* Gegenwart 1917. 


159 


ist..Goebel-erklärt die eigenartige Er- 
sc'heinüög; -des- Multiplen 7 Äüftreteris des 
Erysipels. - damit,- daß die Leute,- welche 
vorherJdurCli den Aufenthalt in- frischer 
Luft erheblich abgehärtet waren, viel¬ 
leicht auch-durch das mangelnde Bad eine 


Widerstandsfähigere Haut gehabt haben. 
Was die Heilende-Wirkung des Erysipels 
betrifft, So möchte Goebel glauben, daß 
sie durch die- erzeugte Hyperämie eine 
hinreichende Erklärung findet. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 2.) Hay ward. 


Ethisches im Kampf gegen die Volkskrankheiten. 

Von San.-Rat Dr. B. Laquer -Wiesbaden, 
z. Z. leitender Arzt eines Lazarettznges. 


„Es muß der K'nubben nur den Knorren 
hübsch vertragen.” 

G. E. Lessing. 


Der ,,Kursus für innere Mission“ 
(6.—8. März 1917 in Brüssel), an welchem 
ich als Gast ,,vom anderen Ufer“ her teil¬ 
nahm, erbrachte für die Beurteilung und 
Einschätzung sittlich-religiöser Wege in 
der Bekämpfung der Geschlechtskrank¬ 
heiten mancherlei Anregendes; .vor allem 
das anderthalbstündige. Referat des.Tü¬ 
binger Theologen Prof. v. Wurster: „Die 
geschlechtliche Sittlichkeit als seelsorge¬ 
risches und wissenschaftliches Problem“; 
200 Feldgeistliche von der Westfront 
waren versammelt; den Kursus leiteten 
Prof. Seeberg (Berlin) und Feldober¬ 
pfarrer Goens (Charleville); eine andere, 
innerlichheiße’ lebendige Welt, erfüllt.von 
Fragen, Zweifeln, Bekennen, .Kämpfen, 
Sehnsucht, Wollen, Verkünden ! Wie .bei 
unseren eigenen „Kriegstagungen“, such¬ 
ten die Vortragenden Akademiker ihre 
früheren Zuhörer und Schüler zu belehren, 
zu erfrischen und zu stählen im Kampfe 
um die Seele des Feldgrauen, wie bei uns 
um Wunden und Krankheit. 

Niemals ist mir der von dem Philo¬ 
sophen Rickert (Heidelberg) aufgestellte 
fast dramatische Gegensatz-zwischen der 
ideographischen und nomothetischen Welt¬ 
anschauung so plastisch und zum Greifen 
verlebendigt worden, wie auf diesem 
Kursus! Und doch führen Brücken her- 
und hinüber, und sie zu beschreiben, ist die 
Absicht dieser Zeilen. 

Zuvörderst eine Feststellung: es gibt 
in unserer ärztlichen Literatur kein Werk, 
welches die Anschauungen, Wege und 
Ziele der Kirche über den Geschlechts¬ 
verkehr und seine Folgen so gründlich 
und so sachlich .auseinandersetzte,, wie 
dies Prof. Mahling, Ordinarius der prak¬ 
tischen Theologie an der Universität 
Berlin, über unsere ärztlichen Mei¬ 
nungen und Kampfmöglichkeiten in seiner 
Schrift': „Der gegenwärtige Stand der 
Sittlichkeitsfrage“ (Sonderausgabe aus 


Heft 1 der „Vierteljahrsschr. f. inn. Miss.“, 
Gütersloh 1916, Bertelsmann, 125 Seiten, 
2 M.) zuwege gebracht. Ethiker, wie 
Mahling, gehen in ihren Bestrebungen 
in erster Linie von dem gesunden Und 
normalen Menschen aus und von der 
Einzelbehandlung der kranken Seele; wir 
Ärzte sehen vor allem den kranken Körper, 
die Epidemie, die Massenerscheinung vor 
uns und handeln dementsprechend; dem 
Theologen sind Prostitution und Infek¬ 
tion Sünde und Folge des unbeherrschten 
Triebes; für uns ein Erzeugnis von Anlage 
und Umwelt! Darum paktiert jener nicht 
mit der Wirklichkeit, deren grauenhafte 
Tiefen die allerwenigsten aus eigener Er¬ 
fahrung kennen! Goethes erschüttern¬ 
des Bekenntnis: „Der Gott und die Baja¬ 
dere“ z. B. hat für jene nur in dem er¬ 
lösenden Schlüsse: 

„Unsterbliche heben verlorene Kinder ^ 

Mit glühenden Armen zum Himmel empor!“ 

Geltung, aber keinesfalls in Anfang und 
Mitte, welche für jene heidnisch sind und 
bleiben. 

Wir heben von den Einzelgegensätzen 
folgendes hervor: 

Das Wurstersche Referat lehnte 
grundsätzlich die Empfehlung der Schutz¬ 
mittel ab; hierin stimmt mit dem rechts¬ 
stehenden Gelehrten auch die links¬ 
stehende Geistlichkeit überein; Mahling 
(siehe oben S. 112) schiebt folgerichtig 
dem Arzt die volkshygienisch aufzu¬ 
fassende Verantwortung für die Empfeh¬ 
lung der Schutzmittel zu, wie dies auch 
v. Drigalski (Halle) von seinen Be¬ 
sprechungen mit den Feldgeistlichen des 
Westens berichtet 1 ). Albert Neißer 2 ) 
ist in seiner Erwiderung gegen Mahling 
und in der Aufstellung einer neuen Sitten¬ 
lehre viel zu weit und über die dem For¬ 
scher und Arzt gesetzten Schranken 

x ) Sitzungsbericht der Brüsseler Besprechung 
(8. Oktober 1915) als Manuskript gedruckt, 
S. 17/18. 

2 ) Maßnahmen zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten. Berlin 1916, Springer. 



Die Therapie der Gegenwart 1917. 


April 


ICO 


hinausgegangen; wenn wir kraft unserer 
Wissenschaft, die ja gerade im letzten 
Jahrzehnt so Großes geleistet (Schap- 
dinn, Wassermann, Ehrlich) und 
kraft unserer sozial-hygienischen Technik 
die Geschlechtskrankheiten nicht gerade 
so einzudämmen imstande sind wie die 
Tuberkulose — neue ethische Wege zu 
eröffnen, wollen wir doch lieber denen 
überlassen, welche nach Beruf und Übung 
es besser vermögen als wir! 

Es sind ja glücklicherweise Hundert¬ 
tausende unserer jungen Feldgrauen als 
„Asbestseelen“ und „Animae candidae“ 
durch den furchtbaren Krieg hindurch¬ 
gegangen, wie dies unter anderen die 
prachtvollen Feldpostbriefe 1 ) zweier vor 
dem Feinde als Offiziere gefallenen jun¬ 
gen Theologen Heinz und Gotthold 
von Rohden erhärten. 

Felix Pincus hat im Schlußkapitel 
seines Buches 2 ): „Enthaltsamkeit“ 
doch andere Wege als Neißer vorge¬ 
schlagen und entsprechend begründet; wir 
sind in der Sexualpädagogik noch im An¬ 
fang unserer Mittel und Erfahrungen 3 ). 
Wir haben gewiß keine Veranlassung, die 
anglo-amerikanische Weltanschauung zu 
rühmen; aber, die Bemerkung H. Taines 
in seinem Reisebuch• „Sur TAngleterre“, 
daß die britische Jugend (in den oberen 
Schichten) später als bei uns dem wahl¬ 
losen Geschlechtsleben sich ergibt, ist 
sicher berechtigt; das Tacituswort von 
der „sera juvenum venus“ gehört leider 
der Geschichte an; jedenfalls ist es auch 
im Felde rätlich, bei der Empfehlung der 
Schutzmittel Zweifler und von sittlichen 
Bedenken Bedrückte an ihre Seelsorger 
zu verweisen.. 

So ähnlich sprechen sich auch Uhlen- 
huth und Drigalski (siehe oben) aus. 
Wir Ärzte beurteilen unsere Umwelt zu 
leicht und zu oft nach den trüben Er¬ 
fahrungen unserer Sprechstunden und 
nach dem „Kulturschwaden“, der -— 
wenigstens vor dem Kriege -— über un¬ 
seren Großstädten lagerte; glücklicher¬ 
weise wohnt aber in letzteren doch nur ein 
Fünftel des deutschen Volkes. 

J ) Bei J. C. Mohr (Tübingen) 1917. 

2 ) Die Verhütung der Geschlechtskrankheiten. 
Freiburg 1912, Speyer & Kärner. 

3 ) Vgl. Timmerding, Sexualpädagogik. Leip¬ 
zig 1917, Teubner. 


In einer an den Wursterschen Vqd- 
trag sich anschließenden Aussprache, in 
der ich auf die hier schon im September¬ 
heft 1915 erörterten Zusammenhänge zwi¬ 
schen „Krieg, Ernährung un( j[ i Alkoholiis- 
mus“ hinwies, die alkoholfreie Derno-bili- 
sation (Einsperrung aller Prostituierten 
in Spitäler oder Barackenlager, Beseiti¬ 
gung aller Animierkneipen, Polizeistunde 
um neun Uhr) anregte 1 ), die von einem 
Stockholmer Arzt Dr. JvoBrattin Schwe¬ 
den eingeführten Branntweinkarten (ver¬ 
gleiche meinen Reisebericht in Preuß. 
Jahrbüchern 1916, Septemberheft) Schil¬ 
derte, und einige Blaschkö 2 ) entnommene 
Zahlen über die Verbreitung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten im Frieden und im 
Felde gab, forderte ich unter anderen die 
anwesenden Feldpfarrer auf, schon jetzt 
die Soldaten auf die von den Landesver¬ 
sicherungsämtern geplanten beziehungs¬ 
weise schon eröffneten „Beratungsstellen 
für Geschlechtskranke“ 3 ) aufmerksam zu 
machen und sich darauf vorzubereiten, 
daß auch im Frieden in der Heimat im 
engeren Kreise der Gemeinde, die o. e. 
Beratung in erster Instanz dem Seelsorger 
zur 'Kenntnis, zur Entscheidung zwecks 
Abwehr von Familienkonflikten vorgelegt 
werden dürfte. 

Versuche des Austauschs von Theo¬ 
logen und Ärzten auf ihren Tagungen sind 
dringend geboten, es gibt bei uns gerade 
•soviel Geistliche als Ärzte; die Welt¬ 
kriegslage stellt auch nach dem erhofften 
günstigen Frieden gewaltigste Anforde¬ 
rungen an uns alle; wir in den führenden 
Schichten, welche ja nur ein Fünfzehntel 
der Männer und Frauen umfassen, seilten 
zum Aufbau des neuen Deutschland, das 
wir ersehnen, und für die so unendlich wich¬ 
tige Bevölkerungs- und Regenerations¬ 
politik alles Trennende bei Seite stellen; 
der für November 1914 geplante „Inter¬ 
nationale Kongreß für Sexualforschung“, 
welchen der Krieg verschlungen, möge als 
„deutscher Kongreß“ bald nach dem 
Frieden wieder auf erstehen! 

x ) Vgl. auch Hecht, Venerische Infektion und 
Alkohol' (Zschr. z. Bek. d. Geschlechtskrank¬ 
heiten 1916, Märzheft), 

3 ) Welche Aufgaben erwachsen dem Kampfe 
; gegen die Geschlechtskrankheiten aus dem Kriege? 
! Leipzig 1915, Bahrt. 

3 )PaulKaufmann, Krieg,’ Geschlechtskrank- 
!; heiten und Arbeiterversicherung. Berlin 1916, 
1 Vahlen. 


Für die Redaktion verantwortlich Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer in Berlin. Verlag von Urb an & Schwarzenberg 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., in Berlin W8. 





Zur Ausfuhr zugelassen! 

Sanitätsamt d. mit. Institute. 


Nr. 2239 u . 2376 Z. 


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Die Therapie der Gegenwart 


58. Jahrgang 

Neueste Folge. XlX.Jahrg. 


herausgegeben von 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 

BERLIN 


5. Heft 

Mai 1917 


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Verlag von URBAN & SCHWAEZENBEEG in Berlin N 24 und Wien I 


Die Therapie der Gegenwart erscheint zu Anfang jedes Monats. Abonnementspreis für -den 
Jahrgang 10 Mark, in Österreich-Ungarn 12 Kronen, Ausland 14 Mark. Einzelne Hefte je 1,50 Mark 
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Die Therapie der Gegenwart 


1917 


herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 
in Berlin. 


Mai 


. Nachdruck verboten. 

Aus dem Sanatorium für Lungenkranke in St. Blasien. 

Über einige praktische Fragen aus dem Gebiete der 

Phthisiotherapie. 

Von Prof. Dr. Adolf Bacmeister. 


Wenn ich im folgenden über einige 
praktisch wichtige Fragen bei der Er¬ 
kennung und Behandlung der Lungen¬ 
tuberkulose sprechen will, so muß ich 
gleich hervorheben, daß damit nichts 
.prinzipiell 1 Neues gebracht werden soll. 
Veranlaßt wurden diese Ausführungen 
durch die sich immer wiederholende Er¬ 
fahrung, daß — vielleicht gerade wegen 
der ungewöhnlich großen Literatur und 
der darin niedergelegten recht differenten 
Anschauungen berufener und nicht 1 be¬ 
rufener Autoren — in der Praxis eine 
auffallende Unsicherheit und Ungewi߬ 
heit in praktisch wichtigen Punkten be¬ 
steht, die für die Erkennung einer tuber¬ 
kulösen Lungenerkrankung und für die 
richtige Behandlung dieser Kranken ver¬ 
hängnisvoll werden kann. 

Je früher die Diagnose der beginnen¬ 
den Lungenphthise gestellt wird, um so 
besser sind die Heilungsaussichten des 
Kranken. Gegen diesen selbstverständ¬ 
lich erscheinenden Satz wird noch immer 
durch Verschleppung von seiten des 
Patienten, durch mangelhafte und un¬ 
vollständige Beobachtung und Unter¬ 
suchung von seiten des Arztes sehr ge¬ 
sündigt. Es kann dem Arzt, an den der 
Patient sich zunächst wendet, nicht aus¬ 
drücklich genug an das Herz gelegt wer¬ 
den, daß er bei Verdacht auf eine inci- 
piente Lungentuberkulose sich bei der 
Untersuchung niemals auf die Behor¬ 
chung und Beklopfung des Kranken allein 
beschränkt. Es muß mit aller Entschie¬ 
denheit ausgesprochen werden, daß es 
oft völlig unmöglich ist, eine beginnende 
tuberkulöse Veränderung in der Lunge 
durch eine einmalige Untersuchung 
festzustellen. Dem nicht besonders ge¬ 
übten Arzt können leichte Schallfdiferen- 
zen oder Atmungsveränderungen ent¬ 
gehen; abgesehen davon, sind aber mini¬ 
male Veränderungen in dieser Richtung 
noch durchaus kein Beweis für eine vor¬ 
handene Lungentuberkulose. Bestehende 
und abgelaufene Erkrankungen der ver¬ 
schiedensten nicht tuberkulösen Art, 


Veränderungen des Herzens, der Schild¬ 
drüse, des Thymus, Abnormitäten im 
anatomischen Bau und manche andere 
Ursachen können derartige Veränderungen 
hervorrufen. Eine bestehende Tuber¬ 
kulose heilt dagegen nur durch Narben¬ 
bildung. Eine völlig latent gewordene 
oder anatomisch geheilte Tuberkulose 
hinterläßt also stets Änderungen des Aus- 
kultations- und Perkussionsbefundes, die 
eine sofortige richtige Beurteilung bei 
der ersten Untersuchung oft unmöglich 
machen. Es ist aber die verantwortliche 
Aufgabe des Arztes festzustellen, ob die 
gefundenen Veränderungen überhaupt tu¬ 
berkulöser Natur sind, ob eine aktive der 
Behandlung bedürftige Phthise besteht, 
oder ob eine Latenz oder Heilung erreicht 
ist. 

Auf diese Frage kann meist nur eine 
mehrtägige Beobachtung die Ant¬ 
wort geben. Eine gründliche Untersu¬ 
chung, die großes ärztliches Können und 
ärztliche Erfahrung, ein genaues Studium 
der Anamnese, eine sorgfältige Beob¬ 
achtung des Kranken, eine völlige Beherr¬ 
schung der Untersuchungsmethoden und 
eine genaue Kenntnis der Krankheits¬ 
symptome umfaßt. 

• Ein wichtiges Frühsymptom, das 
noch relativ wenig beachtet wird, aber 
sehr häufig vorkommt, ist die Ungleich¬ 
heit der Pupillen, welche auf Reizung des 
Sympathicus infolge der Spitzenerkran¬ 
kung auf der befallenen Seite beruht. Sie 
führt zu einer Erweiterung der ent¬ 
sprechenden Pupille. Bei der Auskul¬ 
tation und Perkussion soll hier nur auf 
einige wichtige, aber in der Praxis wenig 
beachtete Punkte hingewiesen werden. 
Daß Veränderung des Klopfschalles für 
die Art der Erkrankung, für die Ein¬ 
schätzung, ob latent oder progreß, nicht 
beweisend sind, ist bekannt. Zu erinnern 
ist dagegen daran, daß schon unter nor¬ 
malen Verhältnissen die rechte Lun¬ 
genspitze einen etwas schärferen und 
lauteren Atemtyp sowohl bei der Inspi¬ 
ration wie bei der Exspiration zeigen kann. 

21 





162 Die Therapie der 


Dies Verhalten, das nicht selten zu fal¬ 
schen Diagnosen führt, wird durch anato¬ 
mische Verhältnisse bedingt, durch den 
verschiedenen Bau des Bronchiairaumes 
rechts und links, durch ein differentes 
Verhalten der Lungenkuppen zur oberen 
Brustaperter. Sehr viel häufiger sind 
Fehldiagnosen, welche die linke Spitze, 
und zwar bei gleichzeitig bestehenden 
Herzfehlern betreffen. Häufig werden 
uns Patienten mit Mitralfehlern ein¬ 
gewiesen, bei denen fälschlich eine links¬ 
seitige Spitzenerkrankung angenommen 
war. Bei diesem Vitium findet sich be¬ 
sonders bei jugendlichen Personen fast 
regelmäßig eine Abschwächung des Klopf¬ 
schalles über der linken Lungenspitze 
infolge Kompression der Lunge durch den 
gestauten und erweiterten linken Vorhof. 
Derselbe Grund führt zu Atemverände¬ 
rungen, feine Rasselgeräusche können 
ebenfalls auftreten, als Folge der leichten 
Ätelectase (Entfaltungsknistern). So ist 
es verständlich, daß beim Auffinden 
dieser Kardinalsymptome für eine Spitzen¬ 
erkrankung die falsche Diagnose gestellt 
wird. Gerade bei Herzfehlern ist daher 
eine genaue Untersuchung und mehr¬ 
tägige Beobachtung nötig. 

Das Auffinden der Tuberkel¬ 
bacillen im Auswurf entscheidet sofort 
die Diagnose. Es werden aber nur in 20 % 
der klinisch manifesten Fälle der initialen 
Phthise Tuberkelbacillen im Auswurfe ge¬ 
funden. Der positive Erfolg hängt aber 
sehr oft von der Art und der Gründlich¬ 
keit der Untersuchung ab. Wir befolgen 
die Regel, daß, wenn wiederholte Unter- 
suchungen mit der Ziehlschen Färbung 
ein negatives Resultat hatten, die Pikrin- 
säurefärbemethode anzuwenden ist. 

1. Färben mit Karbolfuchsin (wie bei 
der Ziehl-Neelsenschen Methode). 

2. Abgießen der heißen Farbflüssigkeit. 
Auf das Präparat wird ohne Abspülen 
Pikrinsäure-Alkohol gebracht (Es¬ 
bach sches Reagens — Alcohol ab'so- 
lutus zu gleichen Teilen). Dauer der 
Einwirkung wenige Sekunden. 

3. Entfärben mit Salzsäure-Alkohol wie 
bei Ziehl-Neelsen. 

4. Kontrastfärbung mit Pikrinsäure-Al¬ 
kohol (Zusammensetzung wie bei 2, 
zirka eine halbe Minute), abspülen, 
Trocknen. 

In einem gelblichen Grunde, in dem 
die zeitigen Elemente nur schlecht zu er¬ 
kennen sind, liegen die rot gefärbten 
Tüberkelbacillen. 

Mit dieser Methode gelingt es noch 


Gegenwart! 917. * Mai 


häufig, Bacillen färberisch aufzufinden, 
wenn .die Ziehlsche Methode versagte. 
Es liegt das daran, daß so auch- nach 
schwer hüllengeschädigte Bacillen zur 
Darstellung kommen. Sehr häufig kann 
man sich durch diese Methode die etwas 
umständlichere und zeitraubendere Anti- 
formin-Anreicherungsmethode sparen, die 
aber auch eine sehr wertvolle Bereicherung 
unseres diagnostischen Könnens bedeutet 
und für alle Fälle, bei denen die Bacillen 
beim gewöhnlichen Ausstrich nicht ge¬ 
funden werden, nicht warm genug emp¬ 
fohlen werden kann.. . 

Ein kleiner Kunstgriff, der mir häufig 
sehr wertvoll geworden ist und auch in 
der Praxis leicht auszuführen ist, besteht 
darin, daß man in Fällen, wo man eine 
•Phthise vermutet und kein oder nur sehr 
spärliches Sputum produziert wird, dieses 
durch ein Expektorans künstlich ver¬ 
mehrt und verflüssigt. Besonders gut 
eignet sich dazu das Jod (Kalii jodati 8,0, 
Aqua dest. ad 200,0 zweistündlich .einen 
•Eßlöffel 1 bis 3 Tagedang). In dem sorg¬ 
fältig gesammelten Sputum werden nun 
oft die Bacillen gefunden. 

Die Erkenntnis, daß die Temp.era- 
turmessung von der größten Bedeutung 
für die Erkennung und die Behandlung 
der Lungentuberkulose ist, bricht sich 
glücklicherweise immer mehr Bahn. Die 
für die initiale Phthise maßgeblichen ge¬ 
ringfügigen, subfebrilen Temperaturstei- 
gerungea können mit Sicherheit nur 
durch die rectale Messung nachgewie¬ 
sen und gewürdigt werden. Infolge der 
anhaftenden Fehlerquellen ist auch' die 
Mundmessung nicht als genügend scharf 
und sicher zu bezeichnen. Immer wieder 
erleben wir'es, daß Patienten, denen aus 
äußeren Gründen die Mundmessung äuf- 
erlegt wird, auch bei sorgfältigster Unter¬ 
weisung und Kontrolle normale Tempe¬ 
raturen aufweisen, besonders wenn die 
Messungen Im Freien auf der'Liegehalle 
vorgenommen werden, daß aber rectale 
Messungen Temperatursteigerungen auf¬ 
decken, die ein ganz anderes Regime in 
der Behandlung verlangen. Bei den 
diagnostisch zu verwertenden Messun¬ 
gen, die wieder m.ehrere Tage durch¬ 
zuführen sind, sollen prinzipiell nur 
rectale Temperaturen berücksichtigt 
werden. Unter Würdigung der bekannten 
Tatsache, daß gerade bei initialen oder 
latenten Tuberkulosen eine größere Labi¬ 
lität der Temperaturen, höheres'Ansteigen 
der Körperwärme bei' Bewegungen 'und 
Anstrengungen und langsameres Abfallen 



Mai Die Therapie der 


nach körperlicher Bewegung eiritritt, soll 
die diagnostische Messung mindestens 
zwei Tage umfassen und zwar einen Tag 
bei absoluter Ruhe mit zweistündlichen 
rectalen Messungen, einen Tag mit körper¬ 
licher Belastung (zweimal einstündiger 
Spaziergang und zwar morgens und nach¬ 
mittags) mit rectalen' Messungen direkt 
vor und nach der Bewegung und eine 
halbe Stunde nach der Rückkehr nach 
einer halbstündigen Ruhe auf dem Liege¬ 
stuhl. Bei der Behandlung kommen da¬ 
gegen nur die Temperaturen in Frage, die 
in der'Rühe gemessen'werden. Hier ist 
also bei der Festlegung der Kurregeln 
darauf zu achten, daß stets mindestens 
eine halbe Stunde der völligen Ruhe der 
Messung vorausgegangen ist, daß nicht 
durch direkt vorhergehendes Treppen¬ 
steigen, durch lebhafte Unterhaltung, 
Briefeschreiben usw. verursachte Tempe¬ 
raturerhöhungen falsch eingeschätzt .wer¬ 
den. 

So ungemein wichtig die genaue Tem- 
peraturmessung sich für die Frühdiagnose 
der'Tuberkulose erwiesen hat, so wichtig 
und ausschlaggebend' die Temperatur¬ 
beobachtung für die Behandlung der 
Phthise ist, so muß aber doch darauf hin¬ 
gewiesen werden, daß nicht jede Tem-- 
peratursteigerung auf eine incipiente 
Phthise bezogen werden darf, daß nicht 
jede Temperaturerhöhung bei einer sicher 
bestehenden Tuberkulose auf den Lungen¬ 
prozeß' zurückgeführt werden muß. Der 
•Mensch' besteht nicht aus Lungen allein. 
Störungen im Verdauungstraktus, chro¬ 
nische Rachen- und Nasenkatarrhe, Er¬ 
krankungen der Ohren, Erkältungen, Ton- 
sillarpfröpfe mit reaktiven Erscheinungen, 
Störungen im Gebiß und viele andere Ur¬ 
sachen können vereinzelte aber, auch an¬ 
haltende subfebrile Temperaturen bei rec¬ 
taler Messung bewirken. Häufig wird die 
Hyperthyreose, die mit ihren Symptomen: 
Lymphocytose, nervöse. Beschwerden, 
Temperatursteigerungen usw., sehr schwer 
von der beginnenden Tuberkulose .zu 
trepnen ist, für eine solche angesprochen. 
Der Status lymphaticus der Kinder, die 
exsudative Diathese mit ihren Folgen 
sind hier zu erwähnen. 

Gerade in'solchen - Fällen ist die Stel¬ 
lung des verantwortlichen Arztes eine 
außerordentlich schwere, da klinisch der¬ 
artige Erkrankungen von der beginnenden 
Tuberkulose oft nicht zu trennen sind: 
Außerdem wissen wir, daß .gerade auf 
dem Boden des Status lymphaticus, der 
•exsudativen ' Diathese. leicht eine wirk¬ 


Gegenwart 1917. 163 


liehe Tuberkulose erwächst. Das Ver¬ 
schwinden der Hausarztinstitution ist 
gerade hier außerordentlich zu bedauern. 
Ein Arzt, der eine Reihe von Kindern in 
derselben Familie hat aufwachsen sehen, 
ist viel sicherer in der Lage, die Konsti¬ 
tution der einzelnen Familienglieder 
zu beurteilen. Wir waren oft in der Lage, 
besorgte Eltern beruhigen zu können, 
wenn Störungen dieser Art bei jüngeren 
Kindern auftraten, die wir bei älteren Ge¬ 
schwistern ebenfalls gesehen und im Ver¬ 
laufe der Jahre ohne Folgen verschwinden 
sahen. Auch hier wieder ist die strenge 
Forderung zu erheben, in solchen Fällen 
niemals nach einer Untersuchung in der 
Sprechstunde ein Urteil abzugeben, wie 
es gerade in der konsultativen Praxis so 
häufig gefordert wird. Praktisch tut man 
aber immer gut, bei Temperatursteigerun¬ 
gen ohne ersichtlichen Grund denVerdacht 
auf Tuberkulose festzuhalten und den Pa¬ 
tienten dementsprechend zu beobachten. 

An dieser Stelle möchte ich ein Wort 
über den Wert und die Anwendung 
der diagnostischen subcutanen Tu- 
berkulirireaktion sagen. Meiner Mei¬ 
nung nach wird sie viel zu häufig vor¬ 
genommen. Ich bin der . Ansicht, daß in 
den bei weitem meisten Fällen die Be¬ 
urteilung der Anamnese, eine genaue 
physikalische Untersuchung, eine genaue 
Temperaturbeobachtung in der Ruhe und 
in der Bewegung, de Sputumunter¬ 
suchung in der oben geschilderten Art, die 
Blutuntersuchung und vor allen Dingen 
das Röntgenverfahren die subcutane Tu¬ 
berkulinprobe unnötig machen und daß 
sie möglichst dem Patienten erspart 
bleiben soll. Aber gerade in den oben ge¬ 
schilderten Fällen, bei denen kleine Tem¬ 
peratursteigerungen den Verdacht auf 
Tuberkulose erwecken können, beim Sta¬ 
tus lymphaticus, bei der exsudativen 
Diathese, bei den Veränderungen in der 
linken Lungenspitze bei Mitralfehlern 
(siehe oben), bei der Hyperthyreose usw. 
kann sie die Entscheidung bringen und 
die Diagnose sichern. Dasselbe gilt für 
die Beurteilung indurierender Pro¬ 
zesse, die recht oft unter dem Namen 
der Tuberkulose segeln und weder durch 
die physikalische Untersuchung noch 
durch die Röntgendiagnostik von ihr zu 
trennen sind. Ich erinnere an die chroni¬ 
sche Pneumonie, die, Pneumokoniosen, 
die Actinomykose, die fast regelmäßig als 
Tuberkulose aufgefaßt wird, weil man bei 
ihrer relativen Seltenheit an sie gewöhn¬ 
lich nicht denkt, die Syphilis usw., 

21* 





16*4 Die Therapie der 


Einen Punkt bei der Temperatur¬ 
messung, der mir bei der Behandlung der 
Lungenkranken wichtig geworden ist, 
möchte ich hier noch hervorheben. Daß 
die subfebrilen und febrilen Abend¬ 
temperaturen für die Phthise charak¬ 
teristisch sind, brauche ich nicht mehr zu 
betonen. Von großem Werte ist aber 
gerade bei der Behandlung auch die 
Beurteilung der Morgentemperaturen. 
Bei ihnen zeigt sich gewöhnlich zuerst 
die Besserung des Zustandes dadurch, daß 
sie anfangen, herunterzugehen (zu ver¬ 
werten natürlich nur bei Patienten, die 
nicht an Nachtschweißen leiden). Bei der 
Tagestemperatur spielen so viel äußere 
und innere Einflüsse und Reize mit, die 
man nicht ausschalten kann, die unter 
Umständen die Temperaturen beein¬ 
flussen. Das Heruntergehen der 
Morgentemperaturen ist gewöhnlich 
das erste Zeichen, daß eine Besserung 
eintritt, dem gewöhnlich auch das Herab¬ 
sinken der Abendtemperaturen folgt. 
Ebenso warne ich stets vor irgendwelcher 
körperlichen Belastung oder zu frühzeiti¬ 
gem Aufstehen, wenn die Temperaturen 
bei rectaler Messung im Verlaufe des Tages 
zwar unter 37,5 bleiben, aber die Morgen¬ 
temperaturen sich noch über 37 halten. 
In solchen Fällen sicherer Tuberkulose 
nehme ich noch keine völlige Ent¬ 
fieberung an und fast regelmäßig zeigt 
sich bei stärkerer Belastung' das Auf¬ 
treten neuen Fiebers. 

Hier möchte ich ein Wort über die 
Behandlung des tuberkulösen Fie¬ 
bers anschließen. Das Fieber ist, diese 
Erkenntnis fehlt gerade in den Kreisen 
der praktischen Ärzte noch sehr, nur ein 
Symptom der Krankheit, es zeigt den 
Kampf des Körpers mit den eingedrun¬ 
genen Bakterien an. Für den Patienten, 
der gerade bei dieser Krankheit oft keiner¬ 
lei Beschwerden hat, ist die erhöhte 
Temperatur das, was ihn ängstigt; mit der 
künstlichen Beseitigung des Fiebers glaubt 
er die Krankheit gehoben. Diesem Ver¬ 
langen kommt der Arzt sehr häufig ent¬ 
gegen, indem er auch kleinere Steige¬ 
rungen der Temperatur mit Fieber¬ 
mitteln zu unterdrücken sucht. Dies 
Vorgehen ist aber falsch und unlo¬ 
gisch. Eine normale Temperatur mit 
medikamentösen Mitteln auf jeden Fall 
erzwingen wollen, heißt in die Schutzvor¬ 
richtungen des Körpers eingreifen und ihn 
in seinem Abwehr- und Heilungsbestreben 
schädigen. Es kommt vielmehr alles 
darauf an, die Reaktion des Körpers 


Gegenwart 1917.* Mai 


durch entsprechende Maßnahmen, abso¬ 
lute Ruhe, Ausschaltung aller Reize, 
beste klimatische Versorgung, kräftigende 
Ernährung zu einer erfolgreichen zu 
machen — dann geht das Fieber von 
selbst herunter —, nicht aber den Körper 
durch falsche Anwendung der Antipyre- 
tica in seiner Reaktionskraft zu h e m m e n. 
Es ist nicht zu verkennen, daß das 
Handeln des Arztes oft durch das Ver¬ 
langen des Kranken bestimmt wird, der 
sehen will, daß etwas geschieht, daß der 
Arzt der Krankheit direkt zu Leibe geht. 
Dieser Forderung kann man durch hydro¬ 
therapeutische Maßnahmen, besonders 
durch den Gebrauch der Brustkreuz¬ 
wickel, die man in allen febrilen Fällen 
ausgiebig benutzemsoll, entgegenkommen; 
der reiche Schatz unserer Kräftigungs¬ 
mittel steht uns hier zu Gebote, Eisen¬ 
arsenkuren, Campherkuren, Kreosot in 
irgendeiner Form, bei reichlichem Aus¬ 
wurf die Zufuhr von Kalk, sollen hier 
unter anderem nur angedeutet werden. 
Ein Eisenarsenpräparat, das ich mit Vor¬ 
liebe anwende, das auch von den schwäch¬ 
lichsten Leuten immer gut vertragen 
wird, möchte ich hier nennen: 

Rp. Liq. Ferri pornati 
Liq. Fowleri ää 7,5 

S. 3 X täglich 10 bis 15 Tropfen nach 
dem Essen. 

Nur wenn durch lange andauerndes 
oder hohes Fieber Störungen des All¬ 
gemeinbefindens, Schädigungen des Ner¬ 
vensystems, Schlaflosigkeit, Mangel an 
Appetit, Verdauungsstörungen und 
Kräfteverfall auftreten, soll man durch 
möglichst kleine Dosen von Fieber¬ 
mitteln die Temperaturen herabzusetzen 
versuchen. Auch hier möchte ich einige 
praktische Winke geben, welche uns die 
Erfahrung lehrte. Es kommt darauf an, 
gerade bei dieser chronischen Krankheit 
durch möglichst kleine Mengen der 
Mittel einen möglichst großen Effekt 
zu erreichen. ' Wir wissen, daß viele 
pharmakologisch wirksame Mittel mit 
anderen kombiniert bereits in kleineren 
Dosen wirksam werden als sie, einzeln 
gegeben, erwarten lassen. Diese Tatsache 
hat sich uns auch bei der Behandlung 
des tuberkulösen Fiebers bewährt. Wir 
bevorzugen jetzt eine Kombinations¬ 
therapie, die uns gestattet, mit sehr 
kleinen Mengen der Fiebermittel aus¬ 
zukommen. Am liebsten kombinieren 
wir das Pyramidon mit Aspirin und zwar 
in Mengen von 0,05 Pyramidon + 0,25 As- 



165 


Mai Die Therapie der Gegenwart 1917. 


. pirin zwei bis dreimal täglich. Wir haben 
in .dieser Kombinationstherapie sehr viel¬ 
seitige Möglichkeiten, individuell vor¬ 
zugehen, viele Patienten haben größere 
subjektive und objektive Erleichterung 
vom Diplosal, bei welchen die Neigung' 
zum Schwitzen mehr zurücktritt, das 
daher in kleinen Mengen mit dem Pyra- 
midon kombiniert (0,05 Pyramidon -f 0,25 
Diplosal) oft sehr gute Resultate gibt. 
Für alle Menstruationsbeschwerden mit 
und ohne Fieber kann ich das Salipyrin 
nicht genug empfehlen. Auch hier sind 
durch Kombination schon kleine Mengen 
wirksam. Kleine Salicylmengen, mit 
0,1 Chinin zusammen gegeben, haben 
durch die Vereinigung der Einwirkung 
auf die Wärmebildung u.nd Wärmeabgabe 
oft sehr guten Erfolg. Ich möchte hier 
nur ganz kurz auf die großen Vorteile 
dieser Kombinationstherapie beim tuber¬ 
kulösen Fieber hinweisen. Wir werden 
an anderer Stelle ausführlich über unsere 
Erfahrung berichten. Die Vorteile sind 
einleuchtend, je weniger Medikamente 
wir einzuführen brauchen, um so geringer 
sind die Störungen, welche die Medikation, 


. die gerade bei der Tuberkulose oft längere 
Zeit durchgeführt werden muß, hervor¬ 
ruft. Die Möglichkeit, durch verschiedene 
Kombination die Mittel häufig zu 
wechseln, ist für die Wirksamkeit und 
etwaige nachteilige Folgen von Bedeutung. 
Seitdem wir diese Regel befolgen, sehen 
wir viel weniger Störungen von seiten 
des Magendarmkatarrhs, des Appetits, 
weniger unerfreuliche Einwirkung auf 
Gemüt und Stimmung, viel weniger 
Neigung zu Kopfschmerzen, Ohrensausen, 
nervöser Überreizung usw., Symptome, 
die uns früher häi^ig veranlaßten, gerade 
Fiebermittel auszusetzen oder zu wechseln, 
bei überraschend gutem Erfolg für die 
beabsichtigte Herabsetzung der Tem¬ 
peratur und Hebung des Allgemein¬ 
befindens. Die Tuberkulose bringt schon 
so viel Toxine in den Körper, daß man 
jedes Medikament, das nicht wirklich 
nötig ist, sparen soll. Für die Erreichung 
dieses Zieles hat sich nun unsere Kom¬ 
binationstherapie gegen das- tuber¬ 
kulöse Fieber außerordentlich bewährt 
und ich möchte sie auf das wärmste 
empfehlen. 


Aus der I. medizinischen Abteilung des städtischen Krankenhauses Moabit in Berlin 

(Geheimrat G. Klemperer.) 

Die Ätiologie der Colitis suppurativa, des Ulcus chronicum recti 

und der Dysenterie. 

Von Lasar Dünner. 


Die, Diagnose der Ruhr kann in einer 
sehr großen Zahl von Fällen nur mit 
Hilfe der Agglutination gestellt werden; 
die bakteriologische Untersuchung des 
Stuhles läßt fast immer im Stiche. 
Zwischen der Ruhr und der Colitis sup¬ 
purativa, die uns aus der Friedenspraxis 
geläufig ist, besteht eine gewisse Ähnlich¬ 
keit,so daß einige Autoren sie der echten 
Dysenterie zurechnen zu müssen glauben. 
Für diese Anschauung schien eine Mit¬ 
teilung von H. Strauß 1 ) zu sprechen, 
der bei dieser Colitis, bei der bisher ein 
Erreger noch nicht gefunden war, Agglu- 
tinine gegen Dysenteriebacillen im Serum 
■fand. Dabei hat freilich Strauß keinen 
Unterschied gemacht zwischen grobkör¬ 
niger Agglutination (Fri edemann) 2 ), di£ 
allein specifisch für Dysenterie ist, und 
feinkörniger Agglutination, die sich bei 

*) H Strauß, Boas Arch., Bd. 21 u. D. m. W. 
.1915, Nr 36. 

2 ) Dünner, B kl. W. 1915, Nr. 46, Friede¬ 
mann & Steinbock, D. m W. 1916, Nr. 8, 
Jacobitz, B. kl W. 1916, Nr. 26. Schiemann, 
Zschr. f. Hyg. 1916. 


verschiedenen anderenKrankheiten findet. 
In neuester Zeit neigt R. Ehrmann x ), 
der bei seinem Colitismaterial grob¬ 
klumpige Agglutination fand, der Meinung 
von Strauß zu. 

Meine eigenen Erfahrungen, die bei 
unsern früheren Veröffentlichungen 2 ) 
über dieses Thema nicht zahlreich genug 
waren, gestatten mir heute eine Stellung¬ 
nahme, die nicht in allen Punkten mit der 
von Strauß und besonders Ehrmann 
übereinstimmt. 

Es mag das zum Teil dadurch begrün¬ 
det sein, daß Ehrmann den Begriff der 
Colitis suppurativa wesentlich weiter faßt 
als ich es tue: G. Klemperer uhd ich 
haben (1. c.) darauf hingewiesen, daß man 
von der Colitis suppurativa ein Krank¬ 
heitsbild abtrennen kann, das die Patho¬ 
logen als Ulcus chronicum recti bezeichnet 
haben. (Ich will zugestehen, daß dieser 

!) R. Ehrmann, B. kl. W. 1916, Nr. 48. 

2 ) G. Klemperer & Dünner, Ther. d. 
Gegenw. 1915, Nr. 11 u. 12. Dünner, Ther. d. 
Gegenw. 1916, Nr. 8. 



166 


Die Therapie der 


Name nicht gut ist und irreführen kann.) 
Gemeint ist damit ein Prozeß des Dick¬ 
darms, der sich auf dem Boden einer mehr 
oder weniger lange Zeit zurückliegenden 
Erkrankung des Dickdarms wie z. B. 
Lues, Gonorrhöe, Tuberkulose, Dysen¬ 
terie entwickelt, der chronisch ist und 
sich durch große Ulcera auszeichnet. 
Die Geschwüre heilen auf der einen Seite 
üpter Narbenbildung, kriechen aber auf 
der anderen Seite weiter und können das 
gesamte Colon befallen bis zur Ileocoecal- 
klappe. Gleichzeitig werden die ganze 
Darmwand bis zum Bteritoneum und so¬ 
gar dieses selbst in den Prozeß hinein¬ 
bezogen; es resultieren dann unter Um¬ 
ständen Stenosen. Von diesem Ulcus 
chronicum recti unterscheidet sich, wie 
wir ausführten, die Colitis suppurativa 
vornehmlich dadurch, daß bei ihr nicht 
Geschwüre, sondern eine hochgradige Ent¬ 
zündung der Schleimhaut mit starker 
Eitersekretion — daher die Bezeichnung 
suppurativ — im Vordergründe steht. 
Bei ihr kommen zwar auch Geschwüre 
vor, die aber in der Regel sehr klein 
sind und oft infolge des außerordent¬ 
lich starken Entzündungszustandes der 
Schleimhaut von dieser überlagert sind 
und dem Auge bei der Rectoskopie leicht 
entgehen. Ob eine Colitis suppurativa 
.nach sehr «langem Bestehen in Ulcus 
chronicum übergehen kann, kann ich 
nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht 
kann es auch zum Ulcus chronicum recti 
im Anschluß an andere Infektionen des 
Dickdarms kommen, wie etwa Amoeben- 
dysenterie, Paratyphus 1 ). 

Je größer meine Erfahrungen gewor¬ 
den sind, um so mehr habe ich mich von 
der Zweckmäßigkeit der Zweiteilung in 
Colitis suppurativa und Ulcus chronicum 
recti überzeugt. Man kann sogar ab und 
zu ohne Anamnese und Kenntnis der 
bakteriologischen Untersuchung ledig¬ 
lich durch die Rectoskopie in ausgespro¬ 
chenen Fällen die Diagnose stellen. 

Da nun beim Ulcus chronicum recti sich 
der ulceröse Prozeß auf dem Boden einer 
vorangegangenen Gonorrhöe, Lues, Tuber¬ 
kulose und Dysenterie usw. entwickelt, 
so ist es durchaus verständlich, daß uns 
Fälle begegnen, bei denen wir eine grob¬ 
klumpige, specifische Agglutination von 
Dysenteriebacillen finden. Das sind dann 
eben Kranke, die früher einmal eine 
Dysenterie erworben haben, die nicht 
vollkommen ausgeheilt ist, bei der sich 
vielmehr, wahrscheinlich wohl durch eine 


Gegenwart 1917. Mal 


weitere (unbekannte) Infektion der ge¬ 
schilderte ulceröse, infiltrative Prozeß 
entwickelt hat. Wenn man die Kranken¬ 
geschichten Ehrmanns auf ihre Zuge¬ 
hörigkeit zur Colitis suppurativa bezw. 
Ulcus chronicum recti prüft, so stellt 
sich heraus, daß es sich tatsächlich bei 
einzelnen um Ulcus chronicum recti 
handelt. Und wenn man dann noch 
erfährt, daß der Kranke früher ein¬ 
mal eine Dysenterie durchgemacht hat, 
so ist es weiter nicht verwunderlich, daß 
bei ihm grobklumpige Agglutination be¬ 
steht. So heißt es z. B. bei Fall Ma.: 
„Hatte 1867 Typhus und 1871 als Soldat 
während des französischen Feldzuges die 
Ruhr. 1908 erkrankte er an blutigeitrigem 
Dickdarmkatarrh mit hohem Fieber. Di¬ 
gital und rectoskopisch zeigte sich Ge¬ 
schwürbildung im Mastdarm mit starken 
Exkrescenzen, so daß von anderer Seite 
inoperables Mastdarmcarcinom angenom¬ 
men wurde.“ Oder FalKHo.: „Er hatte 
während seiner 13jährigen Militärdienst¬ 
zeit häufig Abgänge von etwas Blut.... 
Es trat Durchfall hinzu, schließlich Drän¬ 
gen, Abgang von Eiter und zunehmend 
hohes Fieber. Rectoskopisch sah man 
zwei tumorartige Exkrescenzen, die so sehr 
an Carcinom. erinnerten, daß von anderer. 
Seite mikroskopische Carcinomunter- 
suchungen vorgenommen wurden“ usw. 

Besonders die Bemerkung, daß das 
rectoskopische Bild den Verdacht von 
Carcinom erweckte, veranlaßt mich, diese 
beiden Fälle als Ulcus chronicum recti 
zu betrachten, denn Exkrescenzen, von 
denen die Rede ist, gehören nicht zum 
Symptomenbild der Colitis suppurativa, 
die durch eine primäre hochgradige Ent¬ 
zündung charakterisiert ist. Ich selbst 
verfüge über ähnliche Kranke aus der 
Kriegszeit, die vor etwa 1 y 2 Jahren 
Dysenterie erworben hatten, die 'keine 
Tendenz zur Heilung zeigten. Recto¬ 
skopisch fand ich große Geschwürsflächen 
neben Narben, also den Symptomenkom- 
plex des Ulcus chronicum recti. Da grob¬ 
klumpige Agglutination nachgewiesen wer¬ 
den konnte, schloß ich auf Ulcus im An¬ 
schluß an Dysenterie. -Ich halte es für 
wahrscheinlich, daß die Jahre nach dem 
Kriege noch viele derartige. Kranke brin¬ 
gen werden. Dabei ist es von unter¬ 
geordneter Bedeutung, ob sich der ulce¬ 
röse Prozeß direkt an die Dysenterie an¬ 
schließt oder ob zwischen Dysenterie und 
dem Beginne des einwandfreien Ulcus 
chronicum ein längerer Zwischenraum 
liegt. Oft ist mit dem Verschwinden der 


x ) Dünner, Ther d. Gegenw. 1916, Nr. 8. 



Mai 


. Die Therapie der Gegenwart 1917. 167 


Beschwerden der Dysenterie nicht gleich¬ 
zeitig anatomische Heilung verknüpft; ich 
habe bei vielen Dysenteriekranken, die 
wieder normalen Stuhl hatten, noch ver¬ 
einzelte Geschwüre angetroffen. Solche 
kleinen Ulcera können den Ausgangspunkt 
für das Ulcus chronicum recti abgeben. 

Außer dem Ulcus chronicum recti mit 
dysenterischer Ätiologie gibt es noch 
solche auf luetischer Basis. Auch von 
dieser Gruppe sah Ehrmann einen Fall. 
Ob auch bei diesem grobklumpige Agglu¬ 
tination bestand, ist nicht mit absoluter 
Sicherheit aus der Arbeit zu ersehen. Da 
Ehrmann von multiplen luetischen Ge¬ 
schwüren spricht, so dürfte wohl die 
Agglutinationsprobe negativ sein. Sonst 
würde dieser Fall mit sicherer Syphilis 
die Unspecifität der grobkörnigen Agglu¬ 
tination zeigen; diesen Standpunkt ver¬ 
tritt Ehrmann nicht, für ihn ist ja gerade 
die Specifität der grobklumpigen Agglu-" 
tination der Ausgangspunkt seiner Be¬ 
trachtungen. Oder man müßte annehmen, 
daß Lues und Dysenterie gleichzeitig 
bestanden. 

Die anderen ätiologischen Faktoren 
(s. o.) des Ulcus chronicum recti zu er¬ 
örtern, erübrigt sich hier; sie spielen bei 
dem Material von Ehr mann keine Rolle. 
Über eigene diesbezügliche Beobachtun¬ 
gen verfüge ich nicht. 

. Nun bleiben noch die Fälle, die reine 
Colitis suppurativa sind; ich habe sie oben 
bei der Differentialdiagnose gegen das 
Ulcus chronicum recti geschildert. Es ist 
die Frage, ob sie, wie Ehrmann meint, 
eine grobklumpige Agglutination haben 
und deshalb zur Dysenterie gehörig sind 
oder nicht. Zuvor möchte ich darauf hin- 
weisen, daß nach meiner Meinung recto- 
skopisch zwischen Colitis suppurativa und 
Dysenterie ein Unterschied besteht, in¬ 
sofern bei der Dysenterie deutliche Ge- 
schWüre von wechselnder Größe das 
Bild beherrschen,, die aber häufig, im 
Beginne wenigstens, nicht etwa so tief 
und so groß sind wie beim Ulcus chroni¬ 
cum. Andererseits imponiert bei der sup- 
purativen Colitis die Entzündung d.er 
Schleimhaut; die Geschwüre, die oft nur 
stecknadelkopfgroß sind, treten ganz zu¬ 
rück, man sieht sie in der hochroten, 
geschwollenen, ödematösen Schleimhaut 
oft gar nicht. Mir ist bisher noch kein 
Fall von Colitis suppurativa begegnet mit 
grobkörniger Agglutination. Ich erspare 
mir eine ausführliche Schilderung der 
einzelnen Fälle. Ich habe mich dabei 
freilich bei der Differentialdiagnose Colitis 


suppurative — Ulcus chronicum recti — 
Dysenterie an die oben skizzierten Sym¬ 
ptome gehalten. Außer dem rectoskopi- 
schen Bilde und der negativen Aggluti¬ 
nationsprobe spricht gegen die dysen¬ 
terische Natur der Colitis noch ein Um¬ 
stand, nämlich die geringe Infektiosität. 
Wir sehen die Colitis (im Frieden) 
manchmal ganz plötzlich auftreten. Es 
erfolgt nicht Erkrankung anderer Fami¬ 
lienmitglieder oder von Personen, die 
mit dem Patienten in Berührung kom¬ 
men, wie es der echten Dysenterie 
eigen ist. Dabei befinden sich unter 
meinen Kranken mehrere aus der Ar- 
beiterbeyölkerung Berlins, also Leute, 
die in kleinen Wohnungen leben, wo¬ 
möglich mit Angehörigen im selben Bett 
schlafen. Nach alledem möchte ich ebenso 
wie A. Schmidt und andere nicht an¬ 
nehmen, daß zwischen Colitis suppurativa 
und Dysenterie eine Beziehung besteht. 
Findet man positive Agglutination, so 
handelt es sich nicht um Colitis suppu¬ 
rativa, sondern um Dysenterie, wenn man 
Ulcus chronicum recti ausschließen kann. 

Man gewinnt am besten Klarheit in 
der Frage nach der Ätiologie der Colitiden, 
wenn man die Trennung in Colitis suppu¬ 
rativa, Ulcus chronicum recti und Dysen¬ 
terie vornimmt. Man darf däbei nicht so 
Vorgehen, daß man Fälle, die nach der 
Anamnese schon als Dysenterie anzusehen 
sind, einfach zur Colitis suppurativa 
rechnet. Bei ihnen ist selbstverständlich 
grobklumpige Agglutination. Das gilt 
— zum Teil wenigstens — für den Fall 
Mo. Ehrmanns, der im Felde Dysen¬ 
terie hatte. Dieser Kranke hatte aller¬ 
dings vorher auch schon Abgang von 
Schleim und Blut. Die Agglutinations¬ 
probe wurde aber erst angestellt, nachdem, 
er seine reguläre Dysenterie .erworben 
hatte. Wie sie vorher gewesen war, kann 
man natürlich nicht sagen. Der recto- 
skopische Befund ist nicht angegeben. 
Möglicherweise handelt es sich um ein 
Ulcus chronicum recti im Anschluß an die 
Dysenterie; es entwickelte sich nämlich 
später eine Striktur. Eine Colitis suppu¬ 
rativa dürfte abzulehnen sein. Ähnliche 
Bedenken wie bei Mo. sind bei dem 
Kranken Dr. Kl. Ehr man ns zu erheben. 

Ich glaube auch nicht, daß die unter¬ 
schiedlichen Resultate bei Ehrmann und 
mir durch die benutzten Dysenterie¬ 
stämme bedingt waren; man kanh, wie 
ich früher zeigen konnte 1 ), nicht jeden 
Dysenteriestamm zur Agglutinationsprobe 

x ) Dünner u. Lauber, B.kl. W. 1916, Nr. 47, 




168 - Die Therapie der Gegenwart 1917. Mai 


nehmen. Ehr mann hat aber seine 
•Reaktionen — zum Teil wenigstens — 
durch Professor Friede mann im Kran¬ 
kenhaus Moabit machen lassen, der die¬ 
selben Stämme gebrauchte wie ich. : 

Zusammenfassung. 

Man scheidet zweckmäßig von der 
Dysenterie die Colitis suppurativa und 


das Ulcus chronicum recti; dieses .letz¬ 
tere stellt sich im Gefolge von Gonor¬ 
rhöe, Lues, Dysenterie usw. ein. Außer 
! der Dysenterie zeigt das Ulcus chronicum 
| recti grobklumpige, specifische Dysenterie¬ 
bacillenagglutination wenn es si-ch im 
Anschluß an Dysenterie entwickelt. Die 
grobkörnige Agglutination fehlt bei Colitis 
suppurativa; sie ist nicht dysenterisch. 


Dosierungs=Tripperspritze mit Tagesfüllung. 

Von Dr. med. Dreuw-Berlin. 


Die Behandlung der meisten Fälle von 
Gonorrhöe geschieht ambulant, nicht kli¬ 
nisch, da die wenigsten Patienten in der 
Lage sind, ihren Beruf einer Gonorrhöe 
wegen auszusetzen. Ich verordne wie 
üblich eine Tripperspritze und eine. Flasche 
•irgendeines Antigonorrhoicums ä 200 g 
und eine kleine in der Tasche mitzu¬ 
führende leere Flasche ä 50 g mit weitem 
•Hals. Diese soll der Patient sich morgens, 
wenn er in seinen Beruf geht, füllen. 
Auf der Toilette soll, er dann jedesmal, 
wenn er uriniert hat, sofort hinterher 
eine Injektion von etwa 5 ccm machen. 
Man verordnet zweckmäßig nicht: ,,drei¬ 
ßig vier- oder fünfmal am Tage 
injizieren“, sondern immer: „nach 
jedesmaligem Urinieren“. Denn es 
scheint, daß die Gonokokken auf der mit 
Urin durchtränkten Schleimhaut einen 
besseren Nährboden finden, als auf der 
jedesmal mit einem Desinficiens benäßten. 
Nun haben viele Patienten, namentlich 
Arbeiter, nicht den Platz in ihrer Klei¬ 
dung, um eine Tripperspritze und Flasche 
bei sich zu tragen. Es empfiehlt sich 
daher, 'beides möglichst in einer klein¬ 
voluminösen Packung zu vereinigen. 
Diese Packung ist gewährleistet durch 
die von mir angegebene Luftdruck¬ 
salbentube. (Abb. 1.) 


Füllt man eine wasserlösliche Salbe 
in die Luftdrucksalbentube, so hat man 
eine gefüllte Tripperspritze. Leider fehlt 
während des Krieges Gummi, so daß in 


der Praxis diese .Idee vorläufig undurch¬ 
führbar ist. Es lag daher nahe, den 
Kolben mit dem Fingerdruck vorwärts 
zu bewegen. Aber da ergab sich die 

Schwierigkeit, daß der Korken bei den 
meist ungleich geblasenen Glasröhren ent¬ 
weder zu fest oder zu locker saß, so daß 
^entweder die Salbe an der Seite des 
, Korkes hervorquoll, oder aber der Korken 
so fest saß, daß er mit dem Finger 
schlecht vorwärts getrieben werden konnte. 
Eine einfache Vorrichtung schafft hier 
Abhilfe (Abb. 2). Durchbohrt man näm¬ 
lich den konisch nach vorne ver¬ 
laufenden Korken bis zur Mitte b, 
so gibt dieser Teil des Korkens 
wegen der Elastizität seitlich 
nach, das heißt er schmiegt sich 
angenehm und leicht dem Glase 
an und er läßt weder an der Seite 
Salbe austreten noch ist er schwer 
verschiebbar. Es genügt viel- 
Abb. 2 . mehr der Fingerdruck, um den 
Kolben leicht vorwärts zu treiben. 
Da diese mit nichtfettender Salbe gefüllte 
Tripperspritze nur die Länge des Zeige¬ 
fingers hat, so kann man bequem mit dem 
Zeigefinger einer Hand das Antisepticum 
in die Harnröhre befördern, sei es zu pro¬ 
phylaktischen, abortiven oder zu 
therapeutischen Zwecken. 

A. Was zunächst die 
Prophylaxe betrifft, so ver 7 
wendet man zwei kleine 
Tuben, die entweder ge¬ 
trennt jede für sich oder 
beide in einem kleinen 
Etui zusammen in den 
Handel kommen unter dem 
Namen „Aldestar-Prophy- 
lacticum“. Die eine nicht¬ 
fettende braune Salbe ent¬ 
hält 20% Argentum pro- 
teinicum, das in dieser Dosierung zwar die 
Gonokokken abtötet, aber durch die 
salbenartige Umhüllung weniger reizt 
als eine 20 % ige Argentum-proteinicum- 



Abb. 1. 

Drückt man mit dem Daumen 
auf das Loch des abschraub¬ 
baren und für jede Tube 
wieder verwendbarenOummi- 
ballons, so wird mittels der 
komprimierten Luft der Kol¬ 
ben und mit demselben die 
Salbe herausgepreßt. 




Mal Die Therapie der 


Lösung. Die andere weißliche enthält 
eihe Sublimat-Calomel-Salbe (20 % Calo- 
mel und 0,2 % Sublimat). 

Zur systematischen Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten muß die Parole 
lauten: Aufklärung über die Gefahren 
und ihre Verhütung. Die Aufklärung 
muß sich erstrecken: 1. auf die Gefahren 
des Geschlechtsaktes, 2. auf die Ver¬ 
wendung der Mittel, die mit 'einer an 
Sicherheit, grenzenden Wahrscheinlich¬ 
keit die venerischen Krankheiten ver¬ 
hüten. 

,,Der Hunger und die Liebe beherr¬ 
schen das Weltgetriebe“, diese Worte 
sagen mehr, als hundert Predigten über 
Abstinenz, die. gegebenenfalls doch nicht 
befolgt werden, da eben die Sexualver¬ 
hältnisse meist stärker sind als der Wille 
des einzelnen. Mit Vogelstraußpolitik 
aber kann man keine Gonorrhöe ver¬ 
hindern. Für uns Ärzte kommt es darauf 
an, der Gefahr zu. begegnen jnit prak¬ 
tischen Vorschlägen, nicht mit Anschau¬ 
ungen, deren Ursprung in nichtärztlichen 
Kreisen z,u suchen ist. 

Wir verwenden zur Prophylaxe: 1. Mit¬ 
tel, die vor dem Beischlaf verwandt wer¬ 
den (Condom, prophylaktische Salben¬ 
anwendung),' 2. Mittel, die bald nach 
dem Beischlaf Verwendung finden (In¬ 
jektionen in die • Harnröhre, antisepti¬ 
sche Waschungen und Salbenbehand¬ 
lung). Der Condom ist, wie Ri cord sich 
ausdrückt, ,,ein Panzer gegen das Ver¬ 
gnügen und ein Spinngewebe gegen 
die Ansteckung“. Bleibt er unzerrissen, 
so ist er- ein ziemlich sicherer Schutz. 
Ich halte daher die Empfehlung des 
Condoms für angezeigt, wenn nebenher 
noch die Mittel zu 2 vorhanden sind. 
Häufig wird der Condom im letzten Mo¬ 
ment perhorresziert, eben wegen der 
Panzerung gegen das Vergnügen. 

Was die Mittel zu 1 und 2 anbetrifft, 
so kommen für ein Prophylacticum fol¬ 
gende Vorschriften und Eigenschaften in 
Frage: 

1. Es darf nicht reizen, daher ist die 
Salbenform die gegebene, da die Reiz¬ 
wirkung durch ein salbenförmiges Vehikel 
herabgesetzt oder aufgehoben wird, wie 
z. B. der Salbenzusatz zu reizenden Seifen, 
der die Reizwirkung mildert, beweist 
(überfettete Seifen). Auch Ne iss er ver¬ 
wendet alsAbortivum eine sechsprozentige 
Protargolsalbe. 

2. Es muß in einer kleinvoluminösen 
Packung bequem und einfach zu hand¬ 
haben sein. 


Gegenwart 1917. : 169 


3. Es muß nach dem Gebrauch leicht: 
gereinigt werden können. Die Packung 
soll daher am besten aus dickem schwer 
zerbrechlichem Glas, bestehen. 

4. Auf der Packung soll auf die Ge¬ 
fahren des außerehelichen Beischlafs hin¬ 
gewiesen ' werden, damit nicht der An¬ 
schein erweckt werden kann (was der 
Prophylaxe vielfach vorgeworfen wird),, 
als würde durch die Prophylaxe die An-, 
steckungsgefahr infolge des allzu großen 
Vertrauens auf die sichere Wirkung des 
Prophylacticums vermehrt. 

, . Ich schlage hierfür folgende Fassung 

vor: 

,,Fast jeder außereheliche Beischlaf, 
ist ansteckend. Tripper, Syphilis und 
Schanker sind die traurigen Folgen. 
Meide deshalb den Beischlaf. Denke an 1 
deine Frau, Kinder, Eltern, Geschwister, 1 
die auch gefährdet werden können, wenn, 
du dich angesteckt hast. Hast du dich 
aber verleiten lassen, allen Warnungen 
zum Trotz, dann verwende entweder, vor 
dem Beischlaf einen Gummiüberzug, oder,, 
falls dieser zerreißen oder nicht zur Hand 
sein sollte, das Vorbeugungsmittel nach 
dem Beischlaf.- Völlig schützt aber auch 
dieses nicht. Selbst ärztlich kontrollierte 
Dirnen sind gefährlich. Hüte dich vor 
der Trunkenheit, denn im Rausche unter¬ 
liegst du zu leicht der Verführung und 
weißt im gegebenen Moment nicht, was. 
du tust. Daher nochmals: ,,Der beste 
Schutz ist die Selbstbeherrschung und. 
Enthaltung.“ 

Folgendes ist die Vorschrift für.dfe 
Verwendung der beiden Glastuben, der 
braunen und der weißen: 

1. Vor dem Beischlaf einen Gummi¬ 
überzieher anlegen. 

2. Wenn dieser nicht vorhanden ist 
oder entzwei reißt: 

a) vor dem Beischlaf die Eichel 
und Vorhaut mit einer erbsengroßen 
Menge der weißen Salbe eine halbe Mi¬ 
nute lang einreiben; 

b) nach dem- Beischlaf durch den 
Fingerdruck einen Tropfen der braunen 
Salbe in die Harnröhre drücken. Vorher 
die Spitze der Tube auf die Harnröhren¬ 
öffnung setzen. Bevor die Glasröhre weg¬ 
genommen wird, die Harnröhre eine Mi¬ 
nute lang mit Daumen und Zeigefinger 
zuhalten. Erst dann die braune flüssige 
Salbe herauslassen. Die Harnröhre mit 
Papier oder Stückchen Stoff abwischen 
und mit der weißen Salbe nochmals 
Eichel und Vorhaut 1 Minute lang ein¬ 
reiben. Waschung der Eichel und Vor- 

22 



170 Die Therapie der Gegenwart 1917. Mal 


haut wird, wenn möglich, vor der Salben¬ 
einreibung gemacht. Durch diese Methode 
sind wir in der Lage, mit großer Wahr¬ 
scheinlichkeit Gonorrhöe, Syphilis und 
weichen Schanker zu verhindern. 

B. Zur eigentlichen Behandlung des 
Trippers verwendet man eine Dösierungs- 
Tripperspritze, die etwa 30 g Inhalt hat 
und mit einer nichtfettenden Salben¬ 
grundlage gefüllt ist, und zwar bringt 
der Patient jedesmal nach dem Urinieren 
zirka 5 ccm der Salbe in die Harnröhre, 
indem er mit dem rechten Daumenfinger 
den perforierten Korken abwärts drückt. 
Hierbei befindet sich die konisch zu¬ 
laufende Spitze zwischen Zeige-und Mittel¬ 
finger der rechten Hand. Die Salben¬ 
tripperspritze ist graduiert. Jeder der 
7 Striche zeigt an,, daß 5 ccm heraus¬ 
gedrückt sind, wenn der perforierte Korken 
bis zum nächsten Strich gedrückt ist. 
Nach dem Injizieren. in die Harnröhre 
verreibt man mit der rechten Hand leicht 
% Minute lang die Masse, indem man 
mit Zeige- und Mittelfinger der linken 
Hand die Harnröhrenöffnung zuhält, 
3 Minuten lang. 

Die Behandlung geschieht in der Weise, 
daß beim akuten Tripper etwa acht Tage 


lang jedesmal nach dem Urinieren 5 ccm 
einer nichtfettenden gonokokkentötenden 
2°/ 0 igen Argentum-proteinicum-Salbe in- 
jiziert werden. Dann etwa acht Tage lang 
eine Übergangssalbe bestehend aus Zinc. 
sulf. 1,0, Plumb. acet. basic. 2,0, Argent. 
proteinic. 1,0, Salbe.nmasse ad 200,0. 
Sobald die Reizerscheinungen völlig ge¬ 
schwunden sind, wird eine reine adstrin¬ 
gierende Salbe Zinc. sulf. 1,0, Plumb. 
acet. basic. 2,0, Salbenmasse ad 200,0 an¬ 
gewandt. 

Zur Abortivbehandlung dient eine 
6°/ 0 ige Argentum-proteinicum-Salbe. 

• Mittels dieser prophylaktischen, abor¬ 
tiven und therapeutischen Methode erzielt 
man eine saubere, bequeme und unauf¬ 
fällige Injektion unter Vermeidung all der 
Unbequemlichkeiten, die der Gebrauch 
der Tripperspritze mit sich brachte. Die 
Dosierungs-Tripperspritze mit Tagesfül¬ 
lung wird von der Chemischen Fabrik 
Max Ludewig & Cie., Charlottenburg, 
Grolmannstr. 3, unter dem Namen Do¬ 
trimita Nr. I (gonokokkentötende Salbe), 
Dotrimita Nr. II (Übergangssalbe), Do- 
trimita Nr. III (Adstringierende Salbe), 
Dotrimita Nr. IV (Abortiv-Salbe) her¬ 
gestellt. 


Zur Organtherapie urosexueller und dermosexueller Störungen. 

Von Max Marcuse-Berlin. 


Im Aberglauben aller Völker und 
Zeiten spielt der Liebeszauber eine un¬ 
geheure Rolle. Er hat im wesentlichen 
die Bekämpfung erloschener oder uner¬ 
wünscht gerichteter Liebesgefühle zum 
Ziel und entnimmt seine am meisten ge¬ 
schätzten Heilmittel dem Menstrual- 
blut des Weibes und dem Samen des 
Mannes. Schon die chinesische Arznei¬ 
mittellehre des dritten vorchristlichen 
Jahrtausends kennt den Blut-Liebestrank, 
und über die von den ältesten Zeiten bis 
heutigentags beim Volke in hohem An¬ 
sehen stehende Verwendung des Samens 
im Mittelalter sagt J. J. Becher 1 ): 
,,Wenn Zwey durch Zauberey einander 
nit mehr lieben — So wird durch Men- 
schen-Sam solch böses Werk vertrieben.“ 
Dem menschlichen Samen galt schon von 
jeher derjenige von solchen Tieren als 
gleichwertig, die entweder sexuell als sehr 
kräftig, wie z. B. Hirsch, Pferd, Hahn — 
oder als sehr fruchtbar erschienen, wie 
z. B. Kaninchen, Hase .und andere. 

,,Aberglauben“ nennt man solche 

l ) Parnassus medicinalis. Ulm 1663. 


Volksmedizin, und dennoch steckt in ihr 
oft ein Instinkt, den spätere wissenschaft¬ 
liche Forschung rechtfertigt, eine Beob¬ 
achtung, die oft nach langen Zeiträumen 
erst in wissenschaftlichen Laboratorien 
Bestätigung und Aufklärung findet. Auch 
der sogenannte Liebeszauber hat sich von 
beträchtlich höherem Werte erwiesen, als 
ihn die Einschätzung als bloßen Aber¬ 
glauben annahm, und seine Wirkungen 
sind oft genug nicht ,,Zauberei“, sondern 
physiologisch bedingt und nunmehr von 
der modernen Therapie in erheblichem 
Umfange anerkannt und benutzt. ,,Die 
Vorstellung,“' erklärt H. Magnus 1 ) — 
,,auf welcher die ganze Blut-Liebestrank- 
Geschichte beruht, ist nun etwa keines¬ 
wegs eine folkloristische, sondern wurzelt 
nur in der Organtherapie“, und die pri¬ 
mitiven hier zugrunde liegenden An¬ 
schauungen kennzeichnet Schindler 2 ) fol¬ 
gendermaßen: ,,Das Gehirn wirkt auf das 
Gehirn; die Lunge auf die Lunge; .... 
So sucht mail, um Liebe zu erzeugen, 

x ) Die Organ-und Bluttherapie. Breslau 1906. 

2 ) Der Aberglaube des Mittelalters. Breslau 
1858. 



Die Therapie der Gegenwart 1917. 


171 


IVIäi 


Tiere, welche viel lieben, und zwar von 
ihnen die Teile, in denen die Triebe sitzen, 
das Herz, die Testikel, den Samen, und 
zwar zu einer Zeit, wo sie florieren.“ Es 
ist also unbezweifelbar, daß in der an¬ 
scheinend rein abergläubischen Verwen¬ 
dung des ,,Liebeszaubers“ die volkstüm¬ 
liche Quelle der wissenschaftlichen Or¬ 
gantherapie zu sehen ist, wie sie sich 
auf die Erkenntnisse -von der ,, inneren 
Sekretion“ gründet; Sie hat auch, 
ganz wie in der Volksmedizin, den reich¬ 
sten Ertrag gerade für die Behandlung 
von Krankheiten, Störungen und Abar¬ 
tungen in der Sexualsphäre gezeitigt. 
Das beruht vornehmlich darauf, daß die 
gesamte wissenschaftliche Lehre von den 
endokrinen Drüsen von den Berthold- 
schen 1 ) Experimenten an den Genitalien 
von Hähnen ihren Ausgang und immer 
wieder an Hoden- und Eierstockexperi¬ 
menten der verschiedensten Art ihre wei¬ 
tere- Entwicklung genommen hat. Erst 
nachdem schon einigermaßen Einsicht in 
die innere Sekretion der Keimdrüsen 
gewonnen war, wurde die Existenz noch 
anderer ,,Blutdrüsen“ erkannt und er¬ 
forscht — mit dem Ergebnis, daß aber auch 
diese in enger Beziehung zur Sexual¬ 
funktion und -konstitution und daß die 
„Phänomene der Liebe“ unter dem ent¬ 
scheidenden Einfluß auch ihrer „Hor¬ 
mone“ stehen. Namentlich die Thyreoi¬ 
dea erwies sich, insbesondere für das 
weibliche Geschlecht, als erheblich be¬ 
teiligt an der Regulierung der (jeschlechts- 
vorgänge, und so brachte in Übereinstim¬ 
mung damit auch vor allem die Schild¬ 
drüsentherapie in Fällen von Störun¬ 
gen der weiblichen Sexualfunktionen nicht 
selten Besserung und Heilung 2 ). Die be¬ 
friedigenderen Erfolge freilich blieben, 
sowohl .bei männlichen wie bei weiblichen 
Sexualinvaliden, der direkten Organ¬ 
therapie zu'danken, das heißt der Ein¬ 
führung unmittelbarer Keimdrüsen¬ 
hormone. Das kann namentlich nach 
den Experimenten von Steinach 3 ) nicht 
wundernehmen, die die ,,Erotisierung 
des Centralnervensystems“ durch 
die „‘Pube rtätsdrüse“ dargetan haben. 

x ) Transplantationen usw. Arch. f. Anat. Phys., 
1849. 

2 ) Siehe u. v. a. z. B. Schmauch, Die Schild¬ 
drüse der Frau usw. Mschr. f. Geburtsh. 1913, 
Nr. 6. 

3 ) Umstimmung des Geschlechtscharakters usw. 
Zbl. f. Physiol. 1911, 17; Willkürliche Umwand¬ 
lung usw., Arch. f. d. ges. Physiol. 1912, 144; 
Feminierung von Männchen usw,, Zbl. f. Physiol. 
1913, 14; Pubertätsdrüseij und Zwitterbildung, 
Arch. f. Entwicklungsmech. 1916, 3. 


Natürlich konnten als die „Zaubermittel“ 
nicht mehr Hoden und Eierstock vor den 
neuerworbenen Erkenntnissen bestehen, 
sondern die Wirksamkeit war nur von den 
in diesen Organen enthaltenen und von 
ihnen produzierten spezifischen Reiz¬ 
stoffen, eben den „Hormonen“ zu er¬ 
warten. Die pharmazeutische Wissen¬ 
schaft und Technik nahmen sich der hier 
ihrer harrenden Aufgabe mit Eifer an, 
und groß ist die Zahl der aus den Ge¬ 
schlechtsdrüsen gewonnenen und gegen 
sexuelle Gebrechen und Beschwerden 
empfohlenen Organpräparate.' Um 
ihnen einen größeren Nutzen zu sichern, 
ist der Mehrzahl von ihnen eines der nicht- 
organischen Aphrodisiaca zugesetzt, wo¬ 
durch allein schon die Fragwürdigkeit des 
tatsächlichen Wertes jener Mittel und 
die Problematik nicht der organothera- 
peutischen Theorie, aber der Praxis ge¬ 
kennzeichnet ist. In der Tat lassen alle 
bisher bekannten derartigen. Medikamente 
gelegentlich völlig im Stich oder, was mit 
ihnen erreicht wird, bleibt oft unzuläng¬ 
lich ; andererseits erweisen sie sich dennoch 
in vielen Fällen als so erfolgreich und 
jeder anderen Behandlungsart als so über¬ 
legen, daß nicht nur im Hinblick auf die 
•wissenschaftlichen Erkenntnisse, durch 
die ihr Prinzip gerechtfertigt wird, son¬ 
dern auch auf Grund der praktischen 
Erfahrungen an ihrer Vervollkommnung 
weitergearbeitet werden muß und auf 
diese mit Zuversicht gerechnet werden 
darf. 

Eine erhebliche Annäherung an das 
Ziel bringt nun allem Anschein nach das 
sog. Hormin, dessen Zusammensetzung 
G. Berg 1 ) theoretisch begründet und 
das sich ihm sowohl an Tierexperimenten 
wie in praktisch-therapeutischer Anwen¬ 
dung durchaus bewährt hat, das ferner 
C. Posner 2 ) zu weiterer eingehender 
Prüfung empfiehlt. Es nutzt im Gegen¬ 
sätze zu den anderen Organpräparaten 
die wissenschaftliche Erkenntnis von 
dem „Consensus partium“ aus, 
indem es sich auf die bereits erwähnten 
Feststellungen einer weitgehenden Ab¬ 
hängigkeit der Sexualphysiologie und 
-pathologie von noch anderen Blutdrüsen 
als nur den Keimdrüsen stützt und 
auf Grund dieser die Extrakte von Ho¬ 
den, Samenblasen undProstataeiner- 
seits, von Corpus luteum und Mamma 

x ) Über die Beziehungen der inneren Sekretion 
usw. Würzburger Abhandlgn. XV, 3. 

2 ) Geschlechtliche Impotenz und innere Sekre¬ 
tion, Ther. d. Gegenw. 1916, 8. 


22* 



172 Die Therapie der 


andererseits, ferner von Leber, Hypo¬ 
physis, Pankreas und Schilddrüse 
in sich vereinigt. Seine chemische und 
pharmakologische Beschaffenheit ist den 
ausführlichen Darlegungen von Berg zu 
entnehmen; an dieser Stelle sei nur be¬ 
tont, daß es den Indikationen guter Li¬ 
poidlöslichkeit und, da seine Anwen¬ 
dung auch als Injektion vorgesehen ist, 
gänzlicher Eiweißvakanz gerecht zu wer¬ 
den scheint. Von anderen, den gleichen 
Zielen dienenden Orgänpräparaten unter¬ 
scheidet es sich auch dadurch, daß es zu 
dem organtherapeutischen Prinzip und 
der Art, wie es aus diesem seine Nutz¬ 
anwendung zieht, genügend Vertrauen 
besitzt, um auf die sonst üblichen „Adju¬ 
vantien“, insbesondere das Yohimbin, zu 
verzichten. Der Vorteil davon ist offen¬ 
bar, wenn man bedenkt, wie außerordent¬ 
lich fragwürdig noch der Wert gerade 
dieses sogenannten Aphrodisiacums ist 
und welche Vorsicht im Hinblick auf die 
oft nicht unbedenklichen Nebenwirkungen 
seine Anwendung erheischt. Was die Aus¬ 
wahl dei* Organe betrifft, deren „Hor¬ 
mone“ das Präparat für sich ausnutzt, so 
sei hier nur darauf hingewiesen, daß sein 
Gehalt an Prostataextrakt für mich 
von ganz besonderem Interesse sein 
mußte, weil ich schon vor längerer Zeit 
und seitdem wiederholt die inner¬ 
sekretorische Bedeutung der Pro¬ 
stata für viele Fälle von ursosexuellen 
Störungen auf Grund klinischer Befunde 
und Beobachtungen vermutet habe 1 ). 

Ich habe nun das Hormin in den mir 
von der Fabrik Wilhelm Ratterer in 
München zur Verfügung gestellten For¬ 
men, das heißt anfangs nur in Tabletten 
und Suppositorien, und zwar nur das 
Hormin. mascul., später auch und be¬ 
sonders als Injektionen, und dann auch 
das Hormin. fern in. angewandt — im 
ganzen in 25 Fällen von urosexuellen 
und in 5 Fällen von dermosexuellen 
Störungen; ich habe einige dieser Kran¬ 
ken noch wochen-, vereinzelte über ein 
Jahr lang nach Beendigung der (ersten) 
Kur weiterbeobachtet und will gleich 
vorweg erklären, daß meine Versuche 
mich im allgemeinen durchaus be-frie- 
digten, die ausgezeichnete Wirkung des 
Mittels in manchen Fällen aber sowohl 
den Patienten wie mich geradezu über¬ 
raschten. Einen vollständigen Miß.- 

*) a) Über Atonie der Prostata, M. Kl. 1912; 
b) Zur Kenntnis des Climacterium virile usw., 
Neurol. Zbl. 1916; c) Zur Kenntnis des Männer¬ 
und Kriegs-Basedow, D. m. W. 1917. 


Gegenwart 1917. . Mai - 


erfolg hatte es nur in zwei Fällen, da¬ 
gegen wurde die Bekömmlichkeit der 
Tabletten für den Magen, der Supposi¬ 
torien für die Darmfunktion von einigen 
Patienten bemängelt; im mittelbaren oder 
unmittelbaren Anschluß an die Injek¬ 
tionen sah ich ausnahmsweise Störungen 
des Allgemeinbefindens, in einem Falle 
im Vereine damit regelmäßige Anschwel¬ 
lung der Schilddrüse. In der weitaus 
großen Mehrzahl der Fälle wurde das 
Präparat ohne jede Nebenwirkung gut. 
vertragen. 

Der Krankheit nach verteilt sich 
das Material, bei dem ich das Hormin — 
und zwar zunächst immer ohne jede an¬ 
derweitige Behandlung — versuchsweise 
angewendet habe, folgendermaßen: 

Männliche Patienten. 

6 Climacterium virile 
4 sexuelle Neurasthenie 
4 Enuresis noct. (Erwachsener) mit. 
Atonie oder Atrophie der Prostata 

2 Pubertätsakne 

2. Phosphaturie ohne andere Krank¬ 
heitserscheinungen 
1 Pubertätshyperhidrosis 
1 Morbus Basedowii 
1 Eunuchoidismus 
1 Juvenilismus 
1 Satyriasis. 

Weibliche Patienten. 

3 Dysmenorrhöe 

1 Defluv. capillitii, Amenorrhoe, Chlo¬ 
rose 

1 Frigiditas 

1 Tabes incip. im Klimakterium 
1 recid. menstruelles Gesichtsödem. 

Ich will in der vorliegenden Veröffent¬ 
lichung nun nicht über die einzelnen Fälle 
berichten, sondern nur allgemein bemer¬ 
ken, daß die erwähnten beiden gänzlichen 
Mißerfolge den Eunuchoiden und den' 
Satyriatiker betreffen, daß ich wegen zu 
kurzer Beobachtungsdauer mit meinem 
Urteil über den Erfolg der Hormin¬ 
therapie in dem Falle von Basedow beim 
Manne und von Tabes bei einer zugleich 
mit klimakterischen Beschwerden be¬ 
hafteten Patientin noch zurückhalten 
muß, obwohl mir die gute Wirkung hier 
nicht zweifelhaft ist, und daß zwei Fälle, 
von sexueller Neurasthenie wegen vor¬ 
zeitiger Beendigung der Behandlung 
nicht verwertet werden können. Aber 
einige Fälle möchte ich, wenn auch in 
diesem Zusammenhänge nur skizzenhaft, 
besonders herausheben. 



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• 







Mai Die Therapie der 


1. Climacterium virile. 45jähriger Kauf¬ 
mann, immer gesund, niemals geschlechtskrank 
gewesen, familiär nicht belastet, seit 12 Jahren 
verheiratet, ein Kind von 11 Jahren, seitdem 
meist Coit. interr., keine Schwängerung mehr. 
Ehe und Geschlechtsleben ohne Besonderheiten, 
bis vor einem Jahre. Allmähliche Abnahme der 
Potenz bei anfänglich sehr gesteigerter Libido; 
seit drei Monaten erstere völlig, letztere fast völlig 
erloschen. Depressionen. Obstipation. Fettan¬ 
satz. Herzklopfen. Eheliche Zwistigkeiten. 
Nervenärztliche Behandlung mit Duschen, Elek¬ 
trizität, Yohimbin, ohne jeden Erfolg. — Psychi¬ 
scher Befund: der Vorgeschichte entsprechend; 
somatischer Befund: latente Phosphaturie und 
Prostata-Atonie; sonst gar nichts Abnormes. — 
Vom zweiten Horminzäpfchen ab auch beim 
Kochen keine Urintrübung mehr, nach sechstem 
Zäpfchen trotz Abstinenzgebots wegen starker 
Libido: Coitus: ,,sehr gut, nur etwas rasch“. 
Besserung aller Beschwerden. Patient erklärt sich 
nach dem zehnten Zäpfchen für geheilt. Prostata 
erheblich fester geworden. [Ich habe diesen Fall 
schon an anderer Stelle andeutungsweise er¬ 
wähnt 1 ).] 

2. Climacterium virile. 45 Jahre, Kauf¬ 
mann, zurzeit Hauptmann, 1896 J 1 , 1900 Rheu¬ 
matismus, vom. Arzt für syphilisverdächtig erklärt:, 
mehrmaliger Wassermann negativ. Von Anfang 
an im Felde; zweimal Heimaturlaub nach je zehn- 
monatiger Abwesenheit und strengster Abstinenz: 
sehr schwache Potenz beim Verkehr mit der Ehe¬ 
frau, etwas besser beim extramatrim. Coitus. 
Kein Orgasmus. Seit vier bis fünf Monaten häu¬ 
figer Harndrang, öfter Incontinentia, neuerdings 
Enuresis nocturna mit ,,Wasserträumen“. Seit 
ebenso lange Anschwellung der linken Brust und 
gelbliche Absonderung aus dieser: ,,Hemde an 
dieser Stelle immer klebrig-feucht“. Sexualpsy¬ 
chisch nichts Abnormes, Stimmung und derglei¬ 
chen: fühlt sich ,,nicht mehr wie ein preußischer 
Offizier — zu weich“! — Befund: Linke Brust 
wie die einer Jungfrau von 18 bis 20 Jahren, 
kugelig vorgewölbt, fest, nach dem palpatorischen 
Eindruck mit kräftigem Drüsengewebe, kein Fett¬ 
ansatz; Warzenausführungsgang durch dünne 
gelbweiße Borke verklebt, läßt auf Druck zwei bis 
drei Tropfen gelbliche, durchsichtige, klebrige 
Flüssigkeit austreten, die unter dem Mikroskop 
ganz und gar das Bild des Colostrums bietet. 
Phosphaturie. Prostata rechts stark vergrößert, 
hart. — Nach 20 Tabletten in fünf Tagen Harn¬ 
drang viel geringer, Enuresis in der letzten Nacht 
seit langem zum ersten Male ausgeblieben. Nach 
weiteren acht Tagen mit je vier Tabletten Harn¬ 
beschwerden und Phosphaturie beseitigt. Stim¬ 
mung „sehr gehoben“, so daß er — im Gegensatz 
zu der letzten Zeit vor der Behandlung — wieder 
ins Feld möchte. Zustand der Brust und Prostata 
unverändert. Fortsetzung der Kur mit Supposit. 
statt Tabletten. Nach zehn Zäpfchen „wieder 
ganz der Alte“. Brust und Prostata weiter un¬ 
verändert. — Ende des Urlaubs. „Abschieds¬ 
coitus famos“. 

3. Climacterium virile. 50 Jahre, Kauf¬ 
mann, verheiratet. Vor 30 Jahren F, sonst immer 
gesund. Seit einem Jahre Schwerhörigkeit; vom 
Ohrenarzt 2 vermutet: Blut- und Liquor-Wasser¬ 
mann negativ. Gleichzeitig Nachlassen der Libido 
und Potenz, Fettansatz an Leib und Brüsten. 
Seit drei Wochen Harndrang, trüber Urin, heller, 
glasiger Ausfluß. Fetischistische Neigungen 


1 ) Max Marcuse, Zur Kenntnis des Climac¬ 
terium virile usw., a. a. O. 


Gegenwart 1917. 173 


(Damen-Halbschuhe und -Handschuhe). — Be¬ 
fund: Phosphaturie, Fäden (Ep + Ek ++ Ba—), 
Prostata kaum zu fühlen. Vor dem Urinieren 
Drucksekret (Mikr: s. o.). Auf der Glans^ mehrere 
rundliche oberflächliche weiche Narben (?). Radi- : 
aliswand weich. — Nach vier Zäpfchen Harn klar. 
Nach acht Zäpfchen starke Erektion auf feti¬ 
schistische Reize; Patient hat Bedenken, das 
Mittel weiterzunehmen, weil der Geschlechtstrieb 
„vielleicht bei der falschen Gelegenheit auf tritt“. 
Trotzdem Fortsetzung der Behandlung. Nach 
acht Tagen wird die Kur abgebrochen, weil Pa¬ 
tient darunter „ganz wild“ wird; Libido und 
Potenz bei normalen Reizen ,,ganz minimal“. 
Übriger Befund unverändert. 

4. Juvenilismus. 29 Jahre, Handlungs¬ 
gehilfe, ledig. Mit neun Jahren Onanie, ein Jahr 
lang nur gegenseitig mit Schulfreund, später 
allein, aber nur vereinzelt. Auf Grund väterlicher 
Ermahnungen vom zwölften Jahre ab nicht mehr; 
nur selten Rückfälle; seit zwölf Jahren überhaupt 
nicht mehr. Bis 12., 13. Lebensjahr beim Onanie¬ 
ren sehr heftiger Orgasmus, aber keine Ejaculation; 
im 15., .16. Jahre erste Pollution, dann alle 8 bis 
14 Tage. Bis zum 26. Jahre kein Geschlechtsver¬ 
kehr infolge der Abstinenzermahnungen im Natur¬ 
heilverein, dem ..die ganze Familie angehört. In 
den letzten drei Jahren im ganzen etwa zwanzig¬ 
mal Coitusversuche; immer hochgradige Erregung 
und Ejaculatio praecox aus fast schlaffem Penis. 
„Richtiger“ Coitus noch nie gelungen. Sehr 
deprimiert, weil „in so jungen Jahren schon im¬ 
potent“; leichtes Erröten, Gefühl der Befangen¬ 
heit, folgt oft jungen Mädchen heimlich mit einer 
gewissen „Sehnsucht“. — Oberrealschule bis zum 
Einjährigen; guter Schüler. Sehr musikalisch, 
will zur Bühne als Sänger. — Mit 15 Jahren an 
Phimose operiert, sonst immer gesund. Einziges 
Kind. Vater gesund, 63 Jahre, Mutter „immer 
melancholisch“, 66 Jahre. — Groß, schlank, völlig 
bartlos, blonde „Künstlertolle“, sieht wie höch¬ 
stens 19 Jahre alt aus, hat auch ganz jüngling- 
haftes Wesen. Penis und Scrotum mit nur einem 
Testis klein; ebenso Prostata. Lordosis sacralis 
mit leichter Hypertrichosis. Scham- und Achsel¬ 
behaarung gering. Intelligenz sehr gut, aber in 
seinen Ansichten und Äußerungen über Politik, 
Religion, Familie usw. usw. richtig „unreif“. 
Etwas Exophthalmus (Schilddrüse, Puls usw. 
ohne Besonderheiten). — Jeden zweiten Tag eine 
Ampulle. Nach der dritten Injektion sogleich starkes 
Herzklopfen: Puls 100, Blässe; nach zwei Minuten 
vorüber. Die nächsten Male nur x / a Ampulle; gut 
vertragen; 1 von dann ab wieder eine ganze, zu¬ 
sammen 10/1 ohne Zwischenfälle. Während der 
Kur (Geschlechtsverkehrverbot) fortschreitende 
Besserung: fühlt sich „ganz anders“, ruhiger, kräf¬ 
tiger, „männlicher“; möchte nach der sechsten 
Einspritzung „es mal riskieren“, glaubt sicher 
an „Erfolg“. Weitere Zunahme der Libido, aber 
trotzdem nicht so erregt dabei. Auffallend guter 
Nachtschlaf und entschiedene Steigerung der 
Arbeitsfähigkeit, sowohl im derzeitigen Beruf wie 
in den Musikstudien. Beim Besuch zwecks zehnter 
Injektion ausgelassen fröhliches Geständnis eines 
gelungenen Coitus. Will „die Regenerationskur 
unbedingt alle drei Monate wiederholen“. Kör¬ 
perlicher Befund: stat. id.; psychischer Befund: 
zielbewußter, verständiger — wenn auch nach 
.wie vor „jünglinghaft“. — Nach Beendigung 
der Kur noch vier Wochen lang in regel¬ 
mäßiger Beobachtung: Patient hat sich „ein 
kleines Mädchen angeschafft“ und ist mit seinen 
sexuellen Leistungen sehr zufrieden; hat auch noch 
nie so stramm gearbeitet. Der Vater, der nichts von 




174 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Mat 


seiner „Krankheit“ und der ärztlichen Behandlung 
wußte, wundert sich, was mit ihm „eigentlich 
vorgegangen“ ist. 

5. Frigiditas femin. 32 Jahre, Werkzeug¬ 
macherfrau. Neun Jahre verheiratet in steriler 
Ehe. Vor der Ehe mit „Zimmerherrn“ der Eltern 
ein Kind — „ganz ahnungslos dazu gekommen“; 
angeblich nur dreimal cohibitiert, „wußte nichts 
von Gott und der Welt“. Beim Geschlechtsver¬ 
kehr vor der Ehe niemals Orgasmus oder auch nur 
Voluptas. Ebenso während der ganzen Ehe beides 
nie kennen gelernt, außer vereinzelten Malen nach 
voraufgegangener Masturbation durch den Mann. 
Gibt sich „alle Mühe, um etwas zu empfinden, 
'schon um dem Manne eine Freude zu machen und 
ihn fester an sich zu binden“. Liebt ihn sehr, 
hat ihn aber jetzt extramatrim. Verkehrs in Ver¬ 
dacht, weil sie selbst ihn „nicht befriedigen“ 
könne und ist darüber sehr unglücklich. Libido 
in den ersten Ehejahren sehr stark, seit drei Jahren 
sehr gering — aber immer nur mit dem Ziel von 
allgemeinen Liebkosungen, nicht des Coitus. Be¬ 
schwerden beim Akte, nicht. — Untersuchungs¬ 
befund ohne jede Regeiwidrigkeit: körperlich sehr 
wohlgebildet, intellektuell ziemlich hochstehend. 
— Nach vier Zäpfchen deutliche Steigerung der 
Libido, auch mit Coituswünschen; beim Coitus 
selbst aber nach wie vor keine Voluptas. Fort¬ 
setzung als Injektion, da Patientin Verstopfung 
auf die Zäpfchen zurückführt. Nach der vierten 
Injektion erklärt Patientin, daß sie nicht 
geglaubt hätte, „daß man die Natur so ver¬ 
ändern“ könne. — 14 Tage nach Aufhören mit 
der Kur: Nachlassen der „Erfolge“. Auf 
Wunsch der Patientin Wiederholung, „damit 
mein Mann gar nichts erst gewahr wird“. Erfolg 
nach Angabe der Patientin: „ganz wie beim ersten¬ 
mal“! — Bleibt nach der fünften Einspritzung 
fort und gibt den telephonischen Bescheid, daß 
ihr Mann „die Hände über den Kopf zusammen¬ 
schlägt“. 

6. Chlorose, Amenorrhoe, Defluv. ca- 
pill. 21 Jahre, ledig, Korrespondentin. Immer 
blutarm und nervös gewesen. Entwicklungszeit 
spät und mit vielen Beschwerden. Seit zehn 
Wochen keine Menses mehr, stechende Schmerzen 
in den Brüsten. Büschelweises Ausfallen des bisher 
ungewöhnlich dichten Haares. Ständig Kopf # weh. 
Noch kein Geschlechtsverkehr, aber sehr erregt. 
Onanie geleugnet, jedoch verdächtig. Keinerlei 
familiäre Belastung. — Augen- und Mundschleim¬ 
haut sehr blaß, im Gesicht Teleangiektasien. Im 
Kopfhaar viele unregelmäßige Lichtungen, Haare 
leicht ausziehbar, vereinzelt am Ende gespalten, 
keine sonstige Anomalie am Haar oder auf der 
Kopfhaut. Schilddrüse links und rechts ver¬ 
größert, teigig. Brustorgane ohne Besonderheiten. 
Hymen, halbmondförmig, anscheinend intakt, 
stark gerötet. Ebenso Urethra und Labia minora, 
aber nirgends Fluor oder Drucksekret; Touchie- 
rung des Uterus und der Adnexe mit einem 
Finger ergibt normalen Befund. — Täglich vier 
Tabletten Am folgenden Tag: Patientin muß 
sich nach jeder Tablette erbrechen. Suppositorien, 
täglich ein Stück. Nach drei Tagen klagt Patientin 
über Verstopfung und stärkere Kopfschmerzen. 
Trotzdem Fortsetzung der Kur. Nach zehn 
Zäpfchen fühlt Patientin sich „unvergleichlich 
wohler“. Haarausfall hat' ganz nachgelassen, 
stechende Schmerzen in der Brust verschwunden, 
viel mehr Appetit. Kopfweh noch stark, aber 
geringer und weniger beständig. Nach sechs¬ 
wöchiger Behandlung Menses zu einer Zeit, zu der 
sie schätzungsweise fällig gewesen wären. Reich¬ 
lich und örtlich ohne Beschwerden, aber unter 


Anschwellung der Thyreoidea und der finken 
Brust. Aussetzen der Behandlung, Beobachtung. 
Befinden bleibt unverändert. Nach 20 Tagen 
schwache Periode mit Wiederholung der Begleit¬ 
erscheinungen. Wiederbeginn des Haarausfalles,/ 
aber nur gering. Übriges Befinden „fast tadellos“. 
Injektion jeden zweiten Tag. An den Abenden 
der Injektionstage Anschwellung der Schilddrüse 
und fiebriges Gefühl, aber ohne Temperatur¬ 
erhöhung. Fortschreitende Besserung an den 
dazwischenliegenden Tagen. Haarausfall wieder 
ganz beseitigt, Kopfweh kaum noch, Appetit und 
Schlaf vorzüglich, nächste Menses nach 24 Tagen,, 
sonst normal, auch ohne Brust- und Schilddrüsen¬ 
anschwellung. Objektive Symptome der Chlorose 
unverändert, aber Teleangiektasien schwächer. 
Geschlechtliche Erregung nur selten und weniger 
erheblich. Nach Aussetzen der Injektionen ver¬ 
schwinden die letzten Reste der Beschwerden, und 
Patientin ist „für alle Zeit dankbar“. 

Es versteht sich von selbst, daß aus 
den vorstehenden „Paradefällen“ schon 
weitgehende Schlüsse auf den Wert des 
Hormins zu ziehen nicht statthaft 
ist. ich hatte ja auch vermerkt und wie¬ 
derhole es hier, daß völlige Mißerfolge 
nicht ausgeblieben sind, und die für alle 
Umstände gewährleistete Unschädlich¬ 
keit des Mittels scheint mir nach den er¬ 
wähnten gelegentlichen Erfahrungen doch 
noch nicht durchaus verläßlich. Ebenso 
erscheint mir die Dauer der Erfolge 
mitunter zweifelhaft. Daß das neue 
Präparat aber gerade in Fällen, die 
der üblichen Therapie sehr hartnäckig 
zu widerstehen pflegen, vielfach Gutes, 
nicht ganz selten Ausgezeichnetes lei¬ 
stet, kann nicht mehr bezweifelt werden. 
Fragt sich nur, ob es sich dabei um eine 
specifische Wirkung des Organprä¬ 
parates als solches und insbesondere 
seiner von Berg ersonnenen Zusammen¬ 
setzung oder aber um andere therapeu¬ 
tische Beziehungen handelt. Da gäbe es 
vor allem zwei Möglichkeiten. Es mag 
zunächst an suggestive Einflüsse ge¬ 
dacht werden; die psychischen Voraus¬ 
setzungen dazu würden insofern vielfach 
sehr wohl gegeben sein, als ich den mei¬ 
sten Patienten, namentlich den männ¬ 
lichen, die Beschaffenheit und den „Sinn“ 
des Präparates erläutert habe, ehe ich 
die Behandlung begann. Es kommt 
hinzu, daß die Störungen, an denen die 
Kranken litten, zum Teil sogenannte 
„psychogene“ sind, wobei freilich zu be¬ 
achten bleibt, daß die Erkenntnisse, die 
das wissenschaftliche Fundament des 
Hormins und verwandter Präparate dar¬ 
stellen, die Ansicht von der psychogenen 
Natur der betreffenden Leiden geradezu 
widerlegen und ihre „chemogene“ zu 
erweisen scheinen. Ich glaube nun aber -— 
ohne dieses wissenschaftliche Problem’ 



Mai 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 175 


hier weiter erörtern und auch ohne die 
Frage nach der theoretischen Möglich¬ 
keit einer Suggestionswirkung behandeln 
zu wollen — auf Grund der Sonderart, der 
Vorgeschichte und des Verlaufes der kon¬ 
kreten Fälle einen derartigen „psychi¬ 
schen“ Zusammenhang zwischen Behand¬ 
lung und Erfolg ausschließen zu dürfen. 
Sehr viel schwieriger — und für mich 
überhaupt nicht möglich — ist eine Ent¬ 
scheidung bezüglich der Frage, ob nicht 
ein anderer Bestandteil des Präparates 
als der eigentliche Organextrakt die wirk¬ 
same Substanz darstellt — eine Frage, 
die z.B.Köhler 1 ) auf Grund seiner Erfah¬ 
rungen bei der Behandlung der Amenor¬ 
rhoe mittels der allerverschiedensten 
Organpräparate, die sämtlich gleich 
guten Erfolg brachten, aufgeworfen hat; 
er vermutet, daß die Wirkung der Organ¬ 
präparate einer Aminosäure zu danken 
ist, die sie anscheinend durchweg ent¬ 
halten. Ich betonte bereits, daß ich mich 
für völlig inkompetent erachten muß, um 
zu diesem Zweifel Stellung zu nehmen. 
Ich kann und will hier nur auf den tat¬ 
sächlichen— sicherlich aber nicht sug¬ 
gestiv bedingten! — praktischen Effekt 
hinweisen, den das Hormin in einer 
Reihe von Krankheiten, die erfahrungs- 

x ) Beitrag zur Organotherapie der Amenorrhoe. 
Zbl.f. Gyn. Bd. 39, Nr. 30. 


gemäß für Arzt und Patient zu den 
b e s c h w e f 1 i ch;s te n gehören, gezeitigt 
hat und der durchaus dazu nötigt, der von 
Posner gegebenen Anregung eingehender 
Prüfung des Präparats Folge zu leisten. 
Man wird dabei die ihm von Berg selbst 
gezogenen , Indikationsgrenzen insofern 
überschreiten dürfen, als es auch in sol¬ 
chen Fällen versuchsweise angewendet zu 
werden verdient, in denen die Krankheit 
nicht in der Urosexualsphäre lokalisiert, 
aber durch Störungen in dieser bedingt 
oder auch nur mitverursacht ist. Ich 
denke hier namentlich-auch an gewisse 
Dermatosen — unter Hinweis auf ihre 
von mir in anderem Zusammenhänge dar¬ 
gestellten Beziehungen zur Sexualität 1 ). 
Meine Versuche nach dieser Richtung hin 
ermutigen zur Fortsetzung, wie der vor¬ 
liegende Bericht erweist. Und ferner 
dürfte eine Verschiebung der Mischungs¬ 
verhältnisse der verschiedenen in dem 
Medikament enthaltenen Hormone die 
therapeutischen Möglichkeiten noch weiter 
ausdehnen. Schließlich will ich noch 
auf den „erfolgreichen Mißerfolg“- im 
Falle 3 ausdrücklich aufmerksam machen 
und damit die wissenschaftlich-sexual- 
patologischen Probleme andeuten, die 
sich hier erheben. 

x ) Hautkrankheiten und Sexualität. Wiener 
Klin. 1906. 


Zusammenfassende Übersicht 

Paratyphus B. 

Von Stabsarzt Dr. Wolf, z. Zt. im Felde. 


Der Bac. paratyphus B (Schottmüller) 
ist morphologisch demTyphusbacillus sehr 
ähnlich, nur etwas beweglicher - als dieser, 
aber kulturell von ihm und dem Para¬ 
typhus A verschieden, da er Trauben¬ 
zuckerneutralagar sprengt und entfärbt, 
Milch allmählich aufhellt und Lackmus¬ 
wolke anfangs rötet und später bläut; aber 
auch serologisch läßt er sich unterscheiden. 
Wenn das Eindringen von Paratyphus¬ 
bacillen in den Magendarmkanal zu einer 
Erkrankung führt — das ist keineswegs 
stets der Fall, wie die gesunden Dauer¬ 
träger und -ausscheider beweisen —, dann 
kann, sich das Krankheitsbild in ganz ver¬ 
schiedener Weise darstellen. Die Ursache 
ist zu suchen 1. in dem Zustand der be¬ 
fallenen Verdauungsorgane, 2. in dem 
schwankenden Giftigkeitsgräde der ein¬ 
gedrungenen Bacillen, 3. in einer plötz¬ 
lichen Endotoxinüberschwemmung des 
Körpers, 4. in der Menge der eingeführten 


Bacillen. Die Epidemien treten oft ex¬ 
plosionsartig auf nach Genuß von 
Schlachtprodukten, Milch, Käse, Back¬ 
werk, Gemüsen, Mehl-, Vanille- und 
Sahnenspeisen, Krusten- und Schalen¬ 
tieren u. dgl., enden aber bald, ohne viel 
Nachläufer zu hinterlassen. Die Infektion 
der Nahrungsmittel geht öfter von Ba¬ 
cillenträgern aus, die mit der Zubereitung 
beschäftigt sind; in sporadischen Fällen 
ist die Infektionsquelle meist nicht zu 
ermitteln. Die größte Häufigkeit fällt in 
die heißen Monate. Die Verbreitung der 
Paratyphusbacillen in der Außenwelt ist 
außerordentlich groß. Nur solche Stämme 
sind für Menschen pathogen, die auch 
tierpathogen sind. Die Infektion der 
Nahrungsmittel kann entweder primär 
(bei einer Reihe von Tierkrankheiten) 
oder sekundär sein. Für das Zustande¬ 
kommen der Vergiftung spielen.Virulenz 
und Pathogenität der Bacillen eine große 





176 


Dfe Therapie der Gegenwart 1917. 


Mai 


Rolle, ferner die Menge der aufgenomme¬ 
nen Bacillen, sowie die Art der Aufbe¬ 
wahrung und der Zubereitung der Speisen. 
Sehr oft haben sich an den Genuß von¬ 
rohem Hackfleisch Erkrankungen ange¬ 
schlossen. 

Die klinischen Erscheinungen der Ver¬ 
giftung mit dem. Enteritisbacillus ent¬ 
sprechen der der Gastroenteritis para- 
typhosa. Eine derartige Epidemie be¬ 
schreiben Liefmann und Ickert. (1) 
Neuerdings hat man nachgewiesen, daß die 
Mäusetyphusbacillen, die sich biologisch 
in keinem Punkto von den Paratyphus¬ 
bakterien unterscheiden, nichts weiter 
sind als durch Mäusepassagen für diese 
Tierart virulent gewordene Paratyphus¬ 
bacillen. Daher sind die Mäusetyphus¬ 
bacillen für den Menschen absolut nicht 
harmlos. 

Was die Häufigkeit der Krankheit 
betrifft, so wurden z. B. seitens der or¬ 
ganisierten Typhusbekämpfung im Süd¬ 
westen Deutschlands 1906/07 auf 3560 
Fälle an Typhus 307 an Paratyphus ge¬ 
zählt. Die Verteilung* des Paratyphus 
ist jedoch sehr ungleich. Woher es kommt, 
daß oft ein als harmloser Darmparasit 
vorkommender Bacillus virulent wird, 
ist unbekannt. 

Päratyphus B kann auch kombiniert 
mit Typhus Vorkommen und auch spe¬ 
zielle Organerkrankungen hervorrufen, 
z. B. desUrogenitalapparates. Die Inkuba¬ 
tionszeit beträgt bei der gastroenteri- 
tischen Form einige Stunden, bei der 
typhösen Form 4 bis 6 Tage. Lentz (3) 
berichtet ausführlich über 120 Fälle, die 
im wesentlichen drei Epidemien an¬ 
gehörten. 

Derselbe Verfasser (4) erwähnt die 
Spreewaldepidemien (1905) und im Kreise 
Wetzlar, die zunächst als Chöleraepide- 
mien imponierten. Hilgermann (5) 
veröffentlicht 194 Fälle aus vier Jahren, 
in denen 64 Einzelerkrankungen waren. 
Stolkinol (6) unterscheidet eine typhöse, 
gastrointestinierte, choleraähnliche und 
influenzaähnliche Form. v. Bolten¬ 
stern (7) nennt nur die drei ersten For¬ 
men. His(8) zählt folgende Formen auf: 

1. Gastroenteritis paratyphosa. (Nach 
einer Inkubation von 12 bis 48 Stunden 
plötzlich Leibschmerzen, Durchfälle,meist 
fieberlos, mit mehr oder minder ausge¬ 
prägten Allgemeinsymptomen.) 

2. Cholera nostra paratyphosa (hef¬ 
tiges Erbrechen, Schlucken, häufige Ko¬ 
liken und sehr häufige Durchfälle; ist 
oft sehr stürmisch und tödlich). 


3. Paratyphus abdominalis (kürzere 
Inkubation, oft Schüttelfrost und Er¬ 
brechen); auch kann sich diese Form an 
die unter 1 genannte anschließen. 

Nach Ortner fängt der Paratyphus 
fast immer mit Schüttelfrost an, die 
Temperatur ist von Anfang an hoch,, 
schon in den ersten Tagen bestehen 
Diarrhöen, Leibschmerzen. Erbrechen, 
Herpes facialis, Neigung zu Schweißen. 
Die Roseolen sind reichlich, die Leuko- 
cytenwerte normal, die Krankheitsdauer 
ist kurz. Häufig überwiegen die Sym¬ 
ptome einer akuten Gastroenteritis 
(Fleischvergiftung). 

Die bakteriologisch festgestellten Fälle 
von Paratyphus B (9) zeichneten sich aus 
durch ihre Harmlosigkeit: völliges Fehlen 
von Benommenheit und Circulations- 
schwäche selbst bei den höchsten Tempe¬ 
ratursteigerungen. Schon in den ersten 
Wochen finden sich tiefe Morgenremissi¬ 
onen, so daß Tagesausschläge von mehre¬ 
ren Graden wie bei Recurrens Zustande¬ 
kommen. Die Paratyphusmilz ist beson¬ 
ders groß, derb und schmerzhaft, die 
Paratyphusroseoie eine große, stark er¬ 
habene, sich derb anfühlende Papel. 
Oft finden sich initial diffuse fleckige 
Erytheme, die masernartigen Charakter 
annehmen können (Verwechselung mit 
Fleckfieber!). Der Puls ist meist be¬ 
schleunigt, sehr oft bestehen Herpes, 
Nasenbluten und flüchtige Gallenblasen¬ 
entzündungen (letztere auch bei Ty.) und 
im Gegensätze zum Typhus von vornherein 
profuse Schweiße. 

Stephan (10) hat in 80% der beob¬ 
achteten Fälle eine sogenannte Typhoid¬ 
form gesehen mit subfebriler Temperatur, 
Milzschwellung und universeller Drüsen¬ 
schwellung, in 10% eine Gastroenteritis 
paratyphosa (richtiger Gastroenterocoli- 
tis) und in 10% eine dysenterische Form. 

Roessle (11) weist auf die Schwierig¬ 
keit der Diagnose bei den einzelnen For¬ 
men des Paratyphus hin, möchte aber 
eine sogenannte Dysenterie paratyphosa 
nicht anerkennen. Bei den lang sich hin¬ 
ziehenden Fällen kommt es zu ausgedehn¬ 
ten ulcerösen Zerstörungen des Dick¬ 
darmes. Der Paratyphus ist keine System¬ 
erkrankung des abdominalen Lyjmph- 
apparats. Es fehlen die Milzschwellungen, 
die markigen Schwellungen der Mesente¬ 
rialdrüsen und der selitären und gehäuften 
Darmfollikel; dementsprechend haben die 
Geschwüre einen flachen und keinen 
markigen Rand, sind meist quergestellt, 
scharfrandig, wie ausgestanzt, und selten 



Mai 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


177 


tiefer als .die Submocosa. Gleichzeitiges 
Vorkommen von Typhus und Parathyphus 
ist sichergestellt. Ein anatomischer Unter¬ 
schied zwischen Para-A und -B ist 
nicht vorhanden. Die mikroskopischen 
Befunde sind in keiner Weise eigenartig, 
teilweise gleichen sie denjenigen beim 
Typhus. 

- Über verschiedene Formen berichten 
Sluka und Pollak(12): Unter 105 von 
den Autoren beobachteten Paratyphus¬ 
fällen endeten fünf, denen Dysenterie 
vorausgegangen war, mit dem Tode. 
Sluka unterscheidet eine typhoide, eine 
enteritische, eifte ruhrartige, eine septische 
und eine asthenische Form. Bei der ente- 
ritischen Form des Paratyphus wird 1 oft 
gewöhnlicher Magendarmkatarrh ange¬ 
nommen. Erst die allgemeine Abge- 
schlagenheit des Mannes, wenn er das 
Bett verläßt, läßt die Wahrscheinlich¬ 
keitsdiagnose Paratyphus stellen. Blutige 
Stühle mit fieberhaftemKrankheitsverlauf, 
die bei der ruhrartigen Form Vorkommen, 
sind ebenfalls geeignet, Verdacht auf 
Paratyphus zu gründen. Die septische 
Form wird durch folgende Symptome 
charakterisiert: Verlauf eintönig, lang¬ 
wierig. Der Kranke liegt apathisch da, die 
Entfieberung nach vier bis fünf Wochen 
bleibt aus; es besteht hochgradige Ab¬ 
magerung. Bei der asthenischen Form 
erfahren Kliniker und Bakteriologen die¬ 
selbe Enttäuschung wie bei der Ruhr. 
Der Kliniker stellt die Diagnose Typhus 
oder Paratyphus. Die Agglutination ver¬ 
läuft aber negativ. Der weitere Krank¬ 
heitsverlauf bestätigt dem Kliniker 
seine Diagnose, die Agglutination kann 
jedoch dauernd negativ bleiben oder erst 
später positiv werden. Pollak erklärt 
das Fehlen der Reaktion in einer Reihe 
klinisch sicherer Fälle dadurch, daß vor¬ 
ausgegangene Kriegsstrapazen, Entbeh¬ 
rungen unregelmäßige Lebensweise zur 
Folge haben, daß der kranke Körper nicht 
die Kraft aufbringt, die Stoffe zu bilden, 
die in einem ungeschwächten Körper 
sonst entstehen. Wenn dann durch Bett¬ 
ruhe, Ernährung, Pflege im Kranken¬ 
hause bessere Verhältnisse einsetzen, kann 
es zur Bildung von Agglutininen kommen. 
Aber auch die wiederholten Schutzimp¬ 
fungen sind vielleicht imstande, die die 
Agglutinine bildenden Substanzen zu er¬ 
schöpfen oder aufzubrauchen, so daß es 
erst nach reichlicher Vermehrung der 
Bakterien im Körper zur Bildung von 
Antikörpern kommen würde. Zweifellos 
muß der Kliniker wissen, daß in einer 


Reihe von Fällen die Wi da Ische Reaktion 
versagt, daß sie, einmal ausgeführt, öfter 
wertlos sein kann, daß aber Schwankun¬ 
gen im positiven, aber auch, im negativen 
Sinne Bedeutung zukommt. 

Jastrowitz (13) weist auf die oft 
schwierige Differentialdiagnose zwischen 
Cholera und der Cholera nostra paraty- 
phosa hin; oft entscheidet nur die bäue¬ 
rische Untersuchung. Selter (14) faßt 
seine Ansicht über die Beziehungen des 
Paratyphus zur Hogcholeragruppe dahin 
zusammen, daß die Erreger der Tier¬ 
krankheiten (Schweinepest, Kälberruhr, 
Psittakosis) mit den Paratyphusbakterien 
des Menschen im allgemeinen nicht iden¬ 
tisch sind und sich von ihnen durch Agglu¬ 
tination mit hochwertigen monovalenten 
Seren trennen lassen. Die letzteren zer¬ 
fallen, auch wenn wir von den Bac. p.ara- 
typhosus A und enteritidis absehen, in 
mindestens zwei selbständige Gruppen. 
Dementsprechend können wir von ihnen, 
wenigstens in der Mehrzahl der Fälle, 
annehmen, daß sie nicht von kranken 
Tieren auf den Menschen übertragen 
werden, sondern vom Menschen stammen 
und entweder unmittelbar oder mittelbar, 
durch Fleisch, das mit ihm verunreinigt 
ist, auf den Menschen zurückgelangen. 

Nach Stephan (15) kommt epide¬ 
miologisch zweifellos der Kontaktinfek¬ 
tion die weitaus größte Bedeutung zu. 
Es genügt, in dieser Hinsicht zu betonen, 
daß nach unseren Erfahrungen für den 
Paratyphus B der gleiche Verbreitungs¬ 
modus in' Frage kommt wie für den 
Typhus abdominalis. Die Bedeutung der 
Bacillenträger ist hier wie dort die gleiche, 
ihr prozentuales Vorkommen ohne er¬ 
kennbaren Unterschied. .Die Paratyphus- 
B- Infektion als Nahrungsmittelver¬ 
giftung schlechthin aufzufassen, ist nicht 
angängig. Die Infektion durch Nahrungs¬ 
mittel, insbesondere durch Fleisch, ist 
nur eine der vielen Möglichkeiten; ihre 
Bedeutung in epidemiologischer Hinsicht 
tritt gegenüber der Verbreitung durch 
Kontaktinfektion sehr zurück. Die in¬ 
direkte Rolle der Nahrungsmittel als 
Zwischenglied der Kontaktinfektion ist 
beim Typhus die gleiche wie beim Para¬ 
typhus B. Für den letzteren müssen wir 
wohl nur eine ins Vielfache gesteigerte 
Wachstumenergie auf denn natürlichen 
Nährboden (Fleisch, Konserven, Milch 
usw.) und eine wesentlich höhere Wider¬ 
standsfähigkeit gegen chemische, ther¬ 
mische und mechanische Schädigungen 
annehmen wie beim Typhusbacillus. 

23 



178 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Mai 


Ein Fall von intrauteriner Übertragung 
von Paratyphus berichtet Schmidt (16). 
Übertragung von Typhusbacillen mit dem 
Blute der Mutter auf das ungeborene 
Kind ist mehrmals beobachtet; von Para- 
typhus-B-Bacillen war sie bisher nicht 
bekannt. Die Paratyphusstäbchen wurden 
im Blut und Kot der Mutter vor der Ge¬ 
burt durch Gallefleischbrühe (vergl. d. 
Zschr. 1916, S. 469) nachgewiesen* 
aus dem Blute des Kindes wurden sie 
zugleich mit Kettenkokken am Tage nach 
der Geburt massenhaft gezüchtet, aus dem 
Kote erst am vierten Tage. Dann starb das 
Kind, das fieberlos geblieben war, an Rose. 
Die Leichenöffnung ergab doppelseitige 
Lungenentzündung und Milzschwellung; 
das Herzblut, Galle, Harn, Milzsaft ent¬ 
hielten zahlreiche Paratyphusstäbchen. 
Der Verfasser nimmt hieraus Veranlassung, 
auf die Ansteckungsgefahr durch die 
Abgänge bei der Geburt und durch das 
Kind in derartigen Fällen hinzuweisen.. 

Stintzing (17) nimmt zwei Arten des 
Infektionsmodus an. Bei der gastroente- 
ritischen Form handelt es sich um eine 
örtliche Einwirkung der Bacillen und 
ihrem Gift auf den Magendarmtraktus, 
während bei der typhösen Form die 
Bacillen vom Darme aus in den Lymph- 
apparat und durch diesen ins Blut ge¬ 
langen, also ein Bakterium erzeugen. 
Der akute Beginn, ebenso das öfter be¬ 
obachtete Auftreten der Roseola (am 
sechsten Tage) spricht dafür, daß die 
Bacillen rascher ins Blut gelangen als 
bei Typhus. Die choleraartige Form war 
im Harneselten; die Gastroenteritis para- 
typhosa und der eigentliche Paratyphus 
B halten sich nach der Häufigkeit an¬ 
nähernd die Wage. Bis die Erkrankten 
bacillenfrei wurden, dauerte im Durch¬ 
schnitte einviertel Jahr, im maximum 
47 Wochen. — Freun d (18) fand in zwei 
Fällen Paratyphusbacillen in einem schon 
längere Zeit bestehenden Blutergusse im 
Brustfellraume. Paratyphusbacillenbefun¬ 
de und paratyphöse Erkrankungen im 
frühen Kindesalter bespricht Dr. Speise¬ 
becher-München (19). Bei einigen 
Magendarmerkrankungen von Kindern 
fand er in den Entleerungen Paratyphus¬ 
bacillen, die sich in den meisten Fällen 
durch die serologische Prüfung des Blutes 
als die specifischen Krankheitserreger 
nachweisen ließen. Diese Erkrankungen 
verliefen unter dem Bilde einer Gastro¬ 
enteritis und zeigten, abgesehen von dem 
meist ziemlich stürmischen Verlaufe, kli¬ 
nisch keine besonderen Merkmale. Be¬ 


sonders auffällig erschien es , daß die 
Mehrzahl der Erkrankungen Kinder der 
ersten Lebensjahre betraf, und man kam 
zu der Vermutung, daß unter den häufigen 
Darmstörungen dieses Alters öfter para¬ 
typhöse Erkrankungen sich. finden wür¬ 
den, als man bisher angenommen hat. 
Man müßte infolgedessen in der Umgebung 
von Kindern, die an akuter Gastroente¬ 
ritis erkrankt sind, Maßnahmen zur Ver¬ 
meidung von Kontaktinfektionen treffen 
und andererseits dafür Sorge tragen, daß 
Kinder in der Umgebung solcher Per¬ 
sonen, die an unklaren Magen-Darm- 
erkrankungen leiden, vor Kontaktinfek¬ 
tionen geschützt werden, denen sie an¬ 
scheinend leicht zugänglich sind. Die 
pathologisch-anatomische Untersuchung 
eines an Gastroenteritis paratyphosa ge¬ 
storbenen Kindes ergab das Bild einer 
schweren Gastroenteritis, das mit den 
bisher veröffentlichten Sektionsberichten 
von Erwachsenen, die an paratyphöser 
Gastroenteritis gestorben waren, überein¬ 
stimmte. 

Wagner und Emmerich (20) weisen 
darauf hin, daß Bact. Paratyphus B in 
allen seinen Eigenschaften außerordentlich 
labil ist. Nach Müller (21) werden Per¬ 
sonen, die viel mit Fleisch oder Schlacht- 
vielTzu hantieren haben, besonders häufig 
zu Paratyphuskeimträgern, bzw. unter¬ 
liegen Paratyphusinfektionen. . Tra- 
winski(22) konnte im Darminhalt von 
500 gesunden Schweinen 26 Stämme 
züchten, von denen zwei zur engen Para- 
typhus-B-Gruppe gehören (Bact. suipesti- 
fer), acht paratyphusähnliche und 16 
als Pseudoparatyphusbacillen zu bezeich¬ 
nen sind. Eine scharfe Trennung zwischen 
den einzelnen Vertretern der engen Para- 
typhus-B-Gruppe ist nicht möglich. 

Fischer (23) fand in einer Irrenan¬ 
stalt 17 Paratyphus-Bacillenträgerinnen, 
davon sechs dauernd. Gaethgens konn¬ 
te von 27 Paratyphuskranken in drei 
Jahren einen Bacillenträger feststellen. 
Trippe und Sachs-Mücke berichten von 
108 Paratyphusausscheidern, davon 70 
Dauerausscheidern. Konrich sah eine 
Paratyphusepidemie, die auf zwei Ba¬ 
cillenträger zurückzuführen war. Liebe- 
treu beschreibt eine Epidemie, die sicher¬ 
lich durch Bacillenträger hervorgerufen 
war. Aber auch Kontaktinfektionen 
spielen eine Rolle. — Müller (24) sah eine 
Epidemie in einer württembergischenKran- 
kenanstalt, die von einem Dienstmädchen 
ausging, die Bacillenträgerin war, ohne 
selbst krank gewesen zu sein. 



Die Therapie der Gegenwart 1917. 


179 


JVlai 


Über Speisevergiftungen durch Para¬ 
typhusbacillen berichtet v. Boltenstern 
'(7), auch Hilgermann (5) führt zwei 
Gruppenerkrankungen auf verdorbene 
Nahrungsmittel .zurück, eine dritte auf 
verseuchtes Bachwasser. Bei Sichtung 
des vorliegenden Materiales nimmt er (25) 
an, daß in epidemiologischer Beziehung 
für über die Hälfte der Erkrankungsfälle 
an Paratyphus B der kranke Mensch als 
Infektionsquelle in Betracht kommt, sei 
es durch direkte Übertragung von Körper 
zu Körper, sei es durch von Erkrankten 
infizierte Nahrungsmittel oder Abwässer. 
Ein weiterer Teil der Erkrankungsfälle 
ist auf Nahrungsvergiftungen zurückzu¬ 
führen. 

B r i n k m a n n (26) veröffentlicht eine 
größere Paratyphusepidemie aus Dolgen 
(Kreis Dramburg), die wahrscheinlich 
durch Genuß von Seewasser entstanden 
war; das bakteriologische Ergebnis er¬ 
örtert Geißler. 

Die Gesamtsumme der zur Kenntnis 
gelangten Erkrankungsfälle in epide¬ 
mischer Ausbreitung betrug ungefähr 7 
bis 800, doch ist die Zahl der nicht zur 
ärztlichen Behandlung gekommenen un¬ 
gleich größer. Das klinische Bild sämt¬ 
licher Epidemien war im wesentlichen 
das gleiche, charakterisiert durch eine 
schnelle Verlaufstendenz, mäßig hohes, 
höchstens zweitägiges Fieber, akutes Ein¬ 
setzen mit choleraähnlichen Symptomen 
(daher in 2 Fällen vom Arzt Choleraver¬ 
dacht gemeldet) usw. Der Zusammenhang 
mit Schweinepest und Paratyphusepide¬ 
mie wird vor allem durch das Auffinden 
des Bacillus suipestifer bei einer Anzahl 
von Erkrankungen sowie durch deren 
serologische Befunde gestützt. Klinisch 
waren die Personen, bei denen man die 
Erreger fand, zur Zeit der Materialabgabe 
alle krank. Von Rekonvaleszenten oder 
von der gesunden Umgebung waren posi¬ 
tive Befunde nicht zu erhalten. Es ist be¬ 
kannt, daß Pommern sehr vid endemische 
Zentren für Schlachttier - Fleischvergif¬ 
tungen und Fleischwarenvergiftungen auf¬ 
weist, die fast sämtlich im Reg.-Bezirk 
Köslin und merkwürdigerweise gerade 
in den Bezirken liegen, wo die Epidemien 
beobachtet sind. Die Möglichkeit ist dabei 
nicht ausgeschlossen, daß die eine oder die 
andere' Epidemie durch einen tierischen 
Bacillenträger oder Dauerausscheider her¬ 
vorgerufen sein kann. Verfasser wirft 
zum Schluß die Frage auf, ob nicht die 
Säuglingssterblichkeit, bei der gerade die 
Magen-Darmstörungen in erheblichem 


Prozentsatz beteiligt sind, angesichts der 
traurigen hohen Mortalitätszahlen für 
Pommern in Einklang zu bringen sind 
mit der auffallenden Verbreitung des 
Suipestifer durch die endemischen Herde 
in der genannten Provinz. 

Eine Paratyphusepidemie, veranlaßt 
durch Verseuchung einer Centralwasser¬ 
leitung, beschreibt Prigge(27). Es er¬ 
krankten in zwei Ortschaften von 6227 
Einwohnern 744 unter den Erscheinungen 
des Paratyphus. Die Erscheinungen setzten 
plötzlich ein und * bestanden in Durch¬ 
fällen, Leibschmerzen, Erbrechen und 
starkem Krankheitsgefühl. Bakteriolo¬ 
gisch wurden Paratyphusbacillen nach¬ 
gewiesen. Der Verdacht der Infektion 
lenkte sich auf die Wasserleitung, zumal 
von zahlreichen Erkrankten der Tag einer 
vorübergehenden Wasserverschlechterung 
als Beginn der Erkrankung angegeben 
wurde. Die Keime waren durch einen 
Riß in der Brunnenstube in das Innere 
der ^Leitung gelangt. 

Über eine geschlossene Paratyphus¬ 
epidemie bei einer Kompagnie berichtet 
v. Reuß und Schiller (28), bei der 44 
Fälle von Paratyphus B genau beobachtet 
wurden, die durch die Verunreinigung 
eines zur Trinkwasserversorgung benütz¬ 
ten Baches von den benachbarten Latri¬ 
nen entstanden sind. Im Wasser und in 
der Erde wurden Paratyphusbacillen nach¬ 
gewiesen. 

Ko epp e (29) veröffentlicht die im 
vorigen Jahre in Zell ausgebrochene 
Paratyphusepidemie, die 185 Personen 
betraf und mit influenzaähnlichen Er¬ 
scheinungen begann; Widal war stets 
positiv für Paratyphus; nur 75 Personen 
zeigten die typische Form. Durch einen 
alten schadhaften Kanal war Jauche aus 
Dungställen und Abortgruben, welche die 
Bleirohre der Hausanschlüsse angefressen 
und durchlässig gemacht hatte, in das 
Leitungswasser gelangt. In den Häusern 
der Umgebung dieser Stelle lagen die 
meisten Kranken. Ohne die bakterio¬ 
logische Untersuchung waren die meisten 
Fälle als Typhus angesprochen worden. 
DerVerfasser kommt zu folgendem Schluß: 
1. Bei allen plötzlich und gehäuft auftre¬ 
tenden Erkrankungen mit influenzaähn¬ 
lichen Erscheinungen ist, namentlich im 
Sommer, sofort die bakteriologische Un¬ 
tersuchung anzuwenden. 2. Zu Hausan¬ 
schlüssen sind nach diesen Erfahrungen 
nur nahtlose Mannesmannrohre zu be¬ 
nutzen. 

Rommeier sah mehrere Paratyphus- 

23* 



180 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Mai 


epidemien, die auf die Verwendung von 
Roh-Natureis zur Frischhaltung von See¬ 
fischen zurückzuführen waren. Nach 
v. Korczunski (30) wurden in Sarajewo 
in der Zeit vom Januar 1914 bis Ende 
Juni 1915 50 paratyphöse Erkrankungen 
beobachtet und sichergestellt. Für die 
Verbreitung erschienen ganz besonders 
Würste und Selchfleisch verdächtig. In¬ 
wieweit das Trinkwasser mitbeteiligt ist, 
läßt sich nicht genau feststellen; nach den 
Mitteilungen des bakteriologischen Labo¬ 
ratoriums des k. und k. Festungsspitals 
sind jedoch im Leitungswasser vielmals 
Paratyphusbacillen gefunden worden. Im 
Verhältnis sehr stark beteiligt waren die 
in einer Straße wohnenden Prostitüierten, 
die ihre Eßwaren wahrscheinlich aus 
einem nicht einwandfreien Geschäft be¬ 
zogen. 18 Fälle boten das Bild des Bauch- 
typhus mit z. T. sehr kurzem Inkubations¬ 
stadium und ohne deutliche Prodrome. 

Neumann(31) bespricht die Epidemie 
beim Militär, die zwei Schwadronen betraf, 
die von den übrigen getrennt untergebracht 
waren. Sie war veranlaßt durch Fleisch¬ 
waren aus der Kantine, die aus einer be¬ 
stimmten Metzgerei bezogen waren. Der 
klinische Verlauf war typhusähnlich in 
der Hälfte der 40 Krankheitsfälle, aber 
kürzer als beim echten Typhus. Die 
bakteriologische Diagnose gründete sich 
auf den Nachweis der Erreger im kreisen¬ 
den Blut bzw. positive Serumreaktion; 
in den Ausscheidungen fanden sich Para¬ 
typhusbacillen noch vier bis fünf Wochen 
nach der Entfieberung. Außer den 40 
Kranken wurden 20 Mannschaften er : 
mittelt, die positive Agglutination für 
Paratyphus in ihrem Serum (V 100 ) zeigten; 
bei einem dieser Leute, die in Beobachtung 
genommen waren, wurden die Erreger in 
den Faeces nachgewiesen. 

Stumm (32) berichtet über 93 Er¬ 
krankungen (davon zwei tödlich) infolge 
Genusses von Pferdefleisch, und vor¬ 
wiegend von rohem Hackfleisch, die ein¬ 
mal unter dem Bilde einer Magendarm¬ 
entzündung einsetzend sich bis zu einem 
der Cholera asiatica ähnlichen Bilde sich 
steigerten, manchmal auch das Bild einer 
schweren Influenza boten. . 

Auch nach Genuß von Seefischen, 
Krebsen, Krabben, Austern, Muscheln 
hat man Paratyphuserkrankungen be¬ 
obachtet. Hübner und Uhlenhut 
wiesen in der Milch von kranken Kälbern 
Paratyphusbacillen nach. Nach Genuß 
von Käse erkrankten, wie Symanski 
und Günther (41) mitteilen, 38 Personen 


unter den Symptomen schwerster Magen- 
Darminfektion, ohne daß es gelang, fest¬ 
zustellen, wie die Bacillen in den Käse 
gelangt sind. Der Bacillennachweis war 
in 72% der Fälle im Stuhle positiv, und 
zwar meist in der ersten Woche. In einem 
Schwarzwalddorf erkrankten nach einer 
Beobachtung von Langer und Tho- 
m a n n (42) 11 Personen benachbarter 

Familien nach dem Genüsse von am glei¬ 
chen Morgen frisch bereitetem, sogenann¬ 
tem FleischküchLe, einem aus paniertem 
Hackfleische durch Braten bereiteten Ge¬ 
richt (Frikandellen), unter den Erschei¬ 
nungen eines fieberhaften Brechdurchfalles- 
und starken Kräfteverfalles (Paratyphus). 
Die in Frage stehenden Fleischküchle 
hatte der betreffende Metzger aus frischem 
Rind- und Schweinefleische unter Ver¬ 
wendung von fabrikmäßig hergestelltem 
Paniermehle zubereitet. Es wurde nach¬ 
träglich bekannt, daß innerhalb der letzten 
vier Monate vor dem Auftreten der Epide¬ 
mie in der betreffenden Metzgerei Mäuse¬ 
typhuskulturen gelegt worden waren. Die 
Vorkommnisse weisen darauf hin, daß 
für das Auslegen von Mäusetyphusba¬ 
cillen größte Vorsicht geboten ist. Außer¬ 
dem ist aber zu fordern, daß die Abgabe 
von Mäusetyphuskulturen nur solchen 
Instituten erlaubt wird, bei denen unbe¬ 
dingte Garantie für sachgemäße Prüfung 
der Mäusetyphuskulturen gegeben ist;, 
jeglicher Zwischenhandel wäre auszu¬ 
schalten. 

Jacobitz undKayser sahen einePara- 
typhusepidemie von 112 Erkrankungen 
nach Genuß von fertig gekauften Nudeln. 

Mosebach konnte in einer Abort¬ 
grube / Paratyphusbacillen nachweisen. 

Die Diagnose kann in den meisten 
Fällen nur bakteriologisch gestellt werden. 
Kulke(45) empfiehlt einen einfachen 
Differentialnährboden für die Paratyphus¬ 
gruppe mit Traubenzucker und Lackmus¬ 
tinktur. Gildemeister (46) berichtet 
ausführlich über Stuhluntersuchungen von 
Darmausscheidern. Die Prognose ist, 
abgesehen von den sehr selten choleri- 
formen Fällen, günstig. Therapeutisch 
hatte Wilucici (48) mit Bolus alba gute 
Erfolge. Verfasser gab dreimal täglich 
100 g in je 300 ccm Milch durch fünf 
Tage. Zunächst Probegabe von 50 g, 
welche zumeist anstandslos vertragen 
wurde. Schon in den ersten Tagen be¬ 
fanden sich die Patienten wohler, die 
Temperatur fiel kritisch ab. Zurückblei¬ 
bende Verstopfung wurde durch Abführ¬ 
mittel behoben. Die bakteriologische 



Mai 


Die Therapie der Gegenwart 1*917. 


181 


Untersuchung hielt Schritt mit dem ob¬ 
jektiven Befunde, da die Bacillen alsbald 
aus dem Darme schwanden. 

S t i n t z i n g (20) empfiehlt Ausdeh¬ 
nung der Schutzimpfung auf die beiden 
Formen des Paratyphus. In Frage käme 
bei Wiederimpfung einmalige Impfung 
mit kombiniertem Impfstoffe, Nachimp¬ 
fungen mit solchem mit Para- und B, 
bei Neuimpfung drei- bis viermalige^Imp¬ 
fung mit ersterem. 

Zur Verhütung des Paratyphus wird 
man nach Hilgermann (5) den Schwer¬ 
punkt der Schutzmaßnahmen dorthin 
verlegen, wo Fleisch und Nahrungsmittel 
erzeugt, aufbewahrt und verkauft werden. 
Demgemäß muß man auf eine peinlich 
genaue Vieh- und Fleischbeschau, auf 
die größte Reinlichkeit in den Schlacht¬ 
häusern, den Verkaufs- und Lagerräumen 
der Fleischer und in den Nahrungsmittel¬ 
geschäften sowie bei der Zubereitung 
gesehen werden* daß jede Berührung des 
Fleisches usw. mit Fäkalien mit Sicher¬ 
heit vermieden wird. Die Fleischbeschau 
wird auf die bakteriologische Untersu¬ 
chung des Fleisches krankheitsverdäch¬ 
tiger und notgeschlachteter Tiere aus¬ 
zudehnen sein. Allerdings wird auf Grund 
der Feststellungen über die weite Ver¬ 
breitung von Paratyphusbacillen in den 
Organen dieser Tiere und auf Grund von 
Versuchen nur solches Fleisch zu bean¬ 
standen sein, aus welchem bei der bakte¬ 
riologischen Untersuchung bereits nach 
24 Stunden eine reichliche Anzahl'von 
Bacillen gezüchtet werden kann. Streng 
quantitative Untersuchungen werden her¬ 
anzuziehen sein. Von seiten der Gerichts-, 
Polizei- usw. Behörden wäre darauf zu 
achten, daß bei Fleisch-, Wurst- und 
dergleichen Vergiftungen die als Ursache 
der Erkrankung angeschuldigten Nah¬ 
rungsmittel bakteriologischen Instituten 
zur Untersuchung überwiesen werden. 
Auf den Schlachthöfen müßten hygie¬ 
nische Maßnahmen sorgfältig durchge¬ 
führt und im besonderen darauf geachtet 
werden, daß nicht übermüdetes und abge¬ 
triebenes Vieh zur Schlachtung gelangt. 
Das Personal ist zur größten Reinlichkeit 
anzuhalten; dasselbe ist auch in der 
Küche der Gasthäuser usw. und im Haus¬ 
halte zu beachten. Die Beseitigung des 
Ungeziefers (Fliegen!) ist durchzuführen, 
das Lagern der Nahrungsmittel auf Natur¬ 
eis zu verbieten. Molkereien, Bäckereien, 
Fischläden und andere sind streng zu 
überwachen. In der heißen Zeit soll man 
Speisen, z. B. Kartoffelsalat, frische 


Wurstwaren, Eier-, Vanillespeisen usw. 
nicht lange aufheben und Milch nur ge¬ 
kocht aus sauberen Gefäßen trinken. 
Konserven, die einen verdächtigen^ ran¬ 
zigen Geruch haben oder Bombage zeigen, 
sind von der Nahrung auszuschließen 
und alle anderen nur nach gründlicher 
Abkochung zu genießen. Das Verbot 
des Genusses von Hackfleisch ist wohl 
nicht durchzuführen, obwohl es von vielen 
Seiten verlangt wird. 

Sonst sind die beim Typhus üblichen 
Maßnahmen durchzuführen (Anzeige der 
Erkrankungs- und Todesfälle, Absonde¬ 
rung der Kranken, fortlaufende und 
Schlußdesinfektion, Belehrung der Ba¬ 
cillenträger). 

In zweiter Linie werden durch all¬ 
gemein-hygienische Maßnahmen am ehe¬ 
sten Paratyphusherde und Spätkontakte 
ausgerottet. Des ferneren muß die Be¬ 
völkerung allmählich zur Befolgung der 
einfachsten Regeln der Sauberkeit und 
Hygiene erzogen werden. Viel Gutes in 
dieser Hinsicht werden sicherlich die in 
den Krankenpfleger-., Schwestern- und 
Pflegerinnenkursen an den Desinfektoren¬ 
schulen ausgebildeten Personen leisten. Be¬ 
kannt und vertraut mit den Grundsätzen 
der Desinfektion und der Hygiene sollen 
sie als Pioniere der Volkshygiene wirken. 

Literatur: 1. M. m. W. 1908, Nr. 4.— 
2. Zbl. f. Bakt. 1915, Bd. 77. — 3. Zbl. f. Bakt., 
Bd. 38. — 4. M. Kl. 1907, Nr. 10. — 5. Klin. Jb. 
1910, Bd. 24. — 6. Würzburger Abhandlungen 
Bd. XII, H. 7.-7. Zschr. f. ärztl. Fortbild. 1911, 
Nr. 15. — 8. M. Kl. 1914, Nr. 31. — 9. Selubr.- 
Komm. des 2. k. u. k. A.-K- — 10. M. m. W. 1916, 
Nr. 33. — 11. Jkurs f. ärztl. Fortbild. 1917, Nr. 1. 

— 12. W. kl. W. 1916, Nr. 44. — 13. D. m. W. 

1916, Nr. 32. — 14. Zschr. f. Hyg., Bd. 81, H. 3. — 
15. Beitr. z. Klin. d. Infekt., Bd. V, H. 1. — 16. D. 
m. W. 1915, S. 911. — 17. W. kl. W. 1916, Nr. 44. 

— 18. Ing.-Diss. Harburg 1907. — 19. Vrtljschr. 
f. gerichtl. M. X, L. I, 2. Suppl.-H. — 20. Ver¬ 
handlungen der Tagung des D. Kongresses für 
innere Medizin in Warschau 1916. — 21. D. m. W. 

1917, Nr. 1. — 22. Ing.-Diss. München 1914. — 
23. Zbl. f. Bakt., Bd. 79, H. 1. — 24. M. m. W. 
1917, Nr. 1. —25. Zschr. f. Hyg., Bd. 83, H. 1. — 
26. Zbl. f. Bakt.^Bd. 71. —27. Ing.-Diss. Tübingen 
1913. — 28. D. Med.-Ztg. 1912, Nr. 25. — 29. 
Öffentl. Gesundheitspflege 1916, Nr. 11. — 30.M. 
Kl. 1916, Nr. 2—3. — 31. B. kl. W. 1912, Nr. 47. 

— 32. Prakt. Desinfektor 1912, Nr. 3. — 33. Zschr. 
f. Med.-Beamt. 1913, Nr. 20. — 34. D. m. W. 1916, 
Nr. 32. — 35. Der Militärarzt 1915, Nr. 27. — 
36. Zschr. f. Med.-Beamte 1913, Beil. 1. —37. M. 
Kl. 1916, Nr. 2—3. — 38. Beilage zur Zschr. f. 
Med.-Beamte 1911, Nr. 1. — 39. Zschr. f. Med.- 
Beamte 1917, Nr. 2. — 40. Zschr. f. Med.-Beamte 
1913, Nr. 18. — 41. D. m. W. 1914, Nr. 10. — 
42. Zschr. f. Med.-Beamte 1911, Nr. 13. — 43. 
M. Kl. 1917, Nr. 3.-44. M. m. W. 1917, Nr. 1.— 
45. Zbl. f. Bakt. Orig.-Bd. 78. — 46. Österr. 
Sanitätswesen 1916, Nr. 36—43. — 47. Arch. f. 
Schiffs u. Trop. Hyg. 1916. 



182 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Mai 


Verhandlungen der Kriegsärztlichen Abende, Berlin. 

Bericht von Dr. Hayward-Berlin. 


Sitzung vom 16. Januar 1917. 

Wollenberg: Hand- und Finger¬ 
verletzungen Kriegsverwundeter. 

Es läßt sich gar nicht übersehen, wie 
groß die Zahl, der Versteifungen von 
Hand- und Fingergelenken ist, die ihre 
Ursache Verbänden verdankt, welche zu 
lange liegen geblieben sind. Gerade diese 
Gelenke muß man möglichst von ruhig 
stellenden Verbänden ausschließen. Es 
ist falsch, Immobilisierung anzuwenden, 
wenn der Schußkanal nicht infiziert ist. 
Selbst bei frischen Verletzungen soll so¬ 
fort durch die Hand des Arztes mit Be¬ 
wegungen begonnen werden. Anderer¬ 
seits soll man in Fällen, in welchen die 
Sehnen sicher verletzt sind, sich nicht auf¬ 
halten mit unnützer Medikomechanik, 
sondern die Sehnen freilegen und über¬ 
brücken. Hierbei hat sich die Ersetzung 
des Defektes durch Seide außerordentlich 
bewährt. Die Schwierigkeit, erneute Ver¬ 
wachsungen hintanzuhalten, kann man 
dadurch beseitigen, daß man die Sehne 
verlagert, durch Fettgewebe führt oder 
eine Sehnenscheidenauswechselung vor¬ 
nimmt. • Mit Erfolg hat Vortragender 
hierzu die Sehnenscheiden der Zehen¬ 
muskeln benutzt. Die erreichten Resul¬ 
tate werden durch Demonstration der 
betreffenden Patienten vorgeführt. 

Sitzung vom 6. Februar 1917. 

Kirchner: Neue Wege für die 
Bekämpfung übertragbarer Ge¬ 
schlechtskrankheiten. 

Um die großen Verluste dieses Krieges 
zu ersetzen, muß eine Steigerung des 
Geburtenüberschusses angestrebt wer¬ 
den. Dieses Ziel ist jedoch nur zu 
erreichen durch einen systematischen 
Kampf gegen die Geschlechtskrank¬ 
heiten. Von 40 bis 50 000 Todesfällen 
der Kinder sterben 20000an Lebens¬ 
schwäche, von der eine häufige Ursache 
die angeborene Syphilis darstellt. Die 
Behandlung der Lues ist unter allen Um¬ 
ständen eine diskrete. Die Anzeigepflicht 
vom Jahre 1835 hat sich nicht bewährt. 
Auf große Schwierigkeiten stößt die 
Überwachung der Prostitution nament¬ 
lich deshalb, weil die einschlägigen ge¬ 
setzlichen Bestimmungen sich teilweise 
widersprechen (Kuppeleiparagraph). Die 
Beratungsstellen, die sich bei Tuberkulose, 
Krebs und Säuglingserkrankungen so gut 
bewährt haben, werden auch bei der Be¬ 


kämpfung der Geschlechtskrankheiten 
Gutes leisten, wie die in 100 derartigen 
Stellen gemachten Erfahrungen beweisen. 
Redner verbreitet sich dann eingehend 
über die verwaltungstechnische Seite die¬ 
ser Einrichtungen. Die gegenseitige Über¬ 
tragung der Lues durch Säuglinge und 
Ammen bedarf der gesetzlichen Regelung. 
Daneben ist eine zweckmäßige Aufklärung 
der heranwachsenden Jugend am Platze, 
durch die der Ansteckungsgefahr vorge¬ 
beugt werden muß. 

Sitzung vom 13. Februar 1917. 

Oberbürgermeister Geib, Leiter der 
Geschäftsstelle des Reichsausschusses der 
Kriegsbeschädigtenfürsorge: Die Orga¬ 
nisation der Kriegsbeschädigten- 
f ürsorge. Die Zahl der Kriegsbeschädig¬ 
ten ist heute schon größer als im Jahre 
1870. In Preußen ist die Kriegsbeschädig¬ 
tenfürsorge gestützt auf provinzielle Ver¬ 
waltungen; sie geht entweder von diesen 
direkt aus oder von Verbänden, welche 
ihnen angegliedert sind, während in an¬ 
deren Bundesstaaten die Fürsorge sich 
an Landesbehörden anschließt. In den 
Centralstellen sind Beiräte vorhanden, 
welche aus Ärzten, Industriellen usw. be¬ 
stehen, welchen Vertreter des Handwerks 
und der Landwirtschaft ang'egliedert sind. 
Im September 1915 wurde die oberste 
Centrale des Reichsausschusses gegründet, 
dessen Arbeitsgebiet folgende Teile um¬ 
faßt : Heilbehandlung, Berufsberatung, 
Berufsausbildung und Arbeitsvermitte¬ 
lung. In welcher Weise dieses Programm 
zur Durchführung gelangt, wird vom Vor¬ 
tragenden eingehend erörtert. Zum 
Schlüsse kommt er auf die Frage der An¬ 
siedelung der Kriegsbeschädigten und 
deren Erleichterung durch das Kapital¬ 
abfindungsgesetz zu sprechen. 

Sanitätsrat Dr. Aschoff (Berlin): Die 
Bedeutung der Lazarettzüg’e für 
den Transport Schwerverwundeter. 
Redner ist bisher als leitender Arzt eines 
Lazarettzuges tätig gewesen und gibt 
seine hierbei gemachten Erfahrungen wie¬ 
der. Die Verwendung des Lazarettzuges 
als fahrendes Feldlazarett, wie sie während 
des Bewegungskrieges 1914 nach der 
Schlacht bei Tannenberg notwendig war, 
hat sich sehr bewährt und es ist die Frage 
durchaus berechtigt, ob der nähere Aus¬ 
bau dieses Notbehelfes nicht zu befür¬ 
worten wäre. Als schlecht transportfähig 



-Mai Die Therapie der Gegenwart 1917. 183 


haben sich Schädelschüsse und fiebernde 
Bauchschüsse erwiesen, während Brust¬ 
schüsse den Transport gut überstanden 
haben, auch Pneumonien wurden nicht 
geschädigt, im Gegensätze zu den Nieren¬ 
entzündungen. Die Gesamtmortalität 
beträgt 0,28%. Unterwegs wurden 
6% ausgeladen, darunter 10% der Nieren¬ 
kranken. 

Sitzung vom 27. Februar 1917. 

Geh. Obermedizinalrat Krohne vom 
Ministerium des Innern: Empfängnis 
Verhütung und Schwangerschafts¬ 
unterbrechung vom bevölkerungs¬ 
politischen und ärztlichen Stand¬ 
punkt. 

Im Jahre 1876 betrug die Geburten¬ 
zahl in Deutschland 40°/ 00 , 1900-= noch 
-36 und vor dem Kriege 27. Es geht hier¬ 
aus hervor, daß der Geburtenrückgang in 
rapider Weise schon vor dem Kriege ein¬ 
gesetzt hat und naturgemäß durch den. 
Krieg selbst noch erheblich beeinflußt 
wird. Demgegenüber ist der Sterblich¬ 
keitsrückgang nicht in gleicher Weise 
.zurückgegangen. Auch die viel verbrei¬ 
tete Meinung, daß nach dem Kriege eine 
erhebliche Zunahme der Geburten wieder 
•stattfinden werde, analog den Verhält¬ 
nissen von 1870, besteht nicht zu Recht, 
denn damals hatten wir nur einen Verlust 
von 40 000 Männern, der schon heute weit 
überschritten ist. Der Vertrieb empfäng¬ 
nisverhütender Mittel, wie er heute in 
Deutschland herrscht, ist als ein öffent¬ 
licher Skandal zu bezeichnen. Aber auch 
die Unterbrechung der Schwangerschaft 
wird vielfach von Ärzten geübt unter 
Außerachtlassung strengster Indikations¬ 
stellung. Ferner hat die künstliche Steri¬ 
lisierung der Frauen in erschreckender 
Weise zugenommen, wofür eine Reihe 
'von Beweisen aus der Literatur beige¬ 
bracht werden. Dfe juristische Seite der 
Frage wird eingehend erörtert und dar¬ 
gelegt, unter welchen Bedingungen der 
künstliche Abort überhaupt zulässig ist. 
Die soziale Indikation zur Einleitung des 
künstlichen Abortes ist als durchaus ab¬ 
wegig zu bezeichnen, obwohl sie in der 
letzten Zeit mehr Anhänger gefunden hat. 

Sitzung vom 13. März 1917. 

Albu: Krieg und Diabetes. Der 
gesamte Prozentsatz von Zuckerkranken 
beim Heere ist gering und beträgt nicht 
mehr wie 1 % an innerlich Kranken. 
Hierbei ist bemerkenswert., daß über die 
Hälfte der Fälle schon vorher nachweis¬ 


lich krank waren. Trotzdem haben eine 
große Zahl von Offizieren die Kost und 
die Strapazen des Feldzuges oft ein bis 
zwei Jahre ertragen. Von Begleit¬ 
erkrankungen des Diabetes sind zu nennen 
namentlich die Furunkulose, dann ner¬ 
vöse Reizbarkeit und endlich' frühzeitig 
beginnende Atherosklerose. Unter ent¬ 
sprechender Therapie war in verhältnis¬ 
mäßig kurzer Zeit die alte Toleranzhöhe 
wieder erreicht. Albu glaubt nicht, daß 
der- Diabetes eine Kontraindikation für 
den Militärdienst darstellt, solange eine 
Kohlehydrattoleranz von 100 g vorhanden 
ist. Dasselbe gilt für diejenigen Fälle, 
bei denen der Krieg als auslösende Ur¬ 
sache für die Erkrankung anzusehen ist. 

Friede mann: -Über Pocken¬ 

erkrankungen mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Diagnose. Vor¬ 
tragender, Vorstand der Infektionsabtei¬ 
lung am Rudolf-Virchow-Krankenhaus, in 
welches sämtliche Fälle von Pockenerkran¬ 
kungen aus Berlin eingeliefert werden, gibt 
die Erfahrungen wieder, die er an dem 
Material des Krankenhauses, gestützt auf 
108 Fälle, gesammelt hat. Der Ausgangs¬ 
punkt der Epidemie und die Ausbreitungs¬ 
weise sind genau zu verfolgen: Sie wurden 
von wolhynischen Ansiedlern, die zur Zeit 
der russischen Offensive noch im Inku- 
bationsstadium nach Ostpreußen transpor¬ 
tiert wurden, eingeschleppt. Auf diese 
Weise bildeten sich in den Städten, in 
welchen diese Arbeiter tätig waren, Pocken¬ 
herde, so in Hamburg, Lüneburg, Münster, 
Rathenow. Von der letzten Stadt und 
von Fürstenwalde aus nahm die Pocken¬ 
epidemie in Berlin ihren Ausgang. Vor¬ 
nehmlich wurde das Asyl für Obdachlose 
befallen und von hier aus kamen erst 
die Fälle in der Berliner Bevölkerung 
zum Ausbruche. An Hand zahlreicher 
Beispiele werden vom Vortragenden die 
Beweise für die enorme Infektiosität der 
Erkrankung beleuchtet. Bei der befallenen 
Bevölkerung^ die ja durchgeimpft ist, 
kam es nie zum Ausbruch der Variola 
vera, sondern nur der Variolois. Es ist 
eine irrige Ansicht, daß man Impfschutz 
noch erlangt, wennmansich in der Pocken¬ 
inkubationszeit, die 13 bis 14 Tage dauert, 
impfen läßt. Die Pockenerkrankung be¬ 
ginnt mit hohem Fieber und meist sehr 
starken Kreuzschmerzen. Sobald das 
Exanthem einsetzt, hört das Fieber auf, 
um allmählich mit der Suppuration der 
Pusteln wieder anzusteigen. Der Aus¬ 
schlag ähnelt zunächst sehr den Masern, 
doch fehlen die hier nie vermißten katar- 




184 


Die Therapie T der Gegenwart ,1917. 


Mai 


rhalischen Erscheinungen. Große Schwie¬ 
rigkeiten kann die Differentialdiagnose 
gegenüber den Varicellen machen. End¬ 
lich ist noch zu bedenken, daß bei der 


Eigenart des Materials (Asylisten) die 
Differentialdiagnose gegenüber der Fu¬ 
runkulose und dem pustulösen Syphilid 
oft nicht leicht ist. 


Bücherbesprechungen. 


L. Aschoff. Über die Benennung der 
chronischen Nierenleiden. 
Friedrich Müller. Bezeichnung und 
Begriffsbestimmung auf dem Ge¬ 
biete der Nierenkrankheiten. (Ver- 
' öffentlichungen aus dem Gebiete des 
Militär-Sanitätswesens, Heft 65.) 77 S. 
Preis 2,80 M. Berlin 1917. Verlag'von 
Aug. Hirschwald. 

Im Anschluß an die Besprechung der 
Straußschen Monographie über die Ne¬ 
phritiden (im Januarheft) möchte ich auf 
die eben erschienenen Aufsätze von 
Aschoff und Fr. Müller hinweisen, 
welche als Referate auf einer Sitzung in 
Heidelberg im Oktober 1916 vorgetragen 
worden sind. Sie beabsichtigen, eine Eini¬ 
gung in der viel umstrittenen Frage der 
Namengebung und Begriffsabgrenzung 
der Nierenleiden zu erzielen. Da thera¬ 
peutische Probleme nicht gestreift werden, 
soll an dieser Stelle auf den Inhalt nicht 
eingegangen werden. Doch wird jeder, 
der sich mit Fragen der Nierenpathologie 
beschäftigt, von demselben Kenntnis neh¬ 
men müssen. Die erschöpfenden - und 
durchsichtig klaren Ausführungen^ Fr. 
Müllers, die einen vollkommenen Über¬ 
blick über die Klinik der Nierenkrank¬ 
heiten geben, werden für jeden ärztlichen 
Leser von Interesse sein. G. K- 

Dr. Wilhelm Schlesinger. Vorlesungen 
über Diät und Küche. 168 S. Berlin 
und Wien, Urban & Schwarzenberg 
1917. Preis 6,50 M. brosch. 

Wenngleich wir eine Reihe von Schrif¬ 
ten über ■ die ärztliche Bedeutung der 
Kochkunst besitzen, unter denen nament¬ 
lich die Arbeit von Strauß hervorragt, ‘ 
darf doch dies neuerschienene Buch als 
eigenartig empfohlen werden. Es ist da¬ 
durch charakterisiert, daß der Verfasser 
einesteils die physikalischen und chemi¬ 
schen Verhältnisse der einzelnen Koch¬ 
prozesse nach Möglichkeit analysiert, an¬ 
dererseits dem eigentlichen Küchen¬ 
kapitel stets die diätetische Nutzanwen¬ 
dung hinzufügt, indem er die Eignung 
des Kochproduktes für die Diätetik der 
einzelnen Krankheitsformen auseinander¬ 
setzt. So spricht er die einzelnen Nah¬ 
rungsmittel in den verschiedenen Ka¬ 
piteln durch, danach die diätetischen 


Kostformen und Ernährungskuren, wo¬ 
bei er häufig Gelegenheit zu ärztlichen 
Hinweisen findet, die von besonderer 
klinischer Erfahrung zeugen. Den Be¬ 
schluß machen 88 Kochrezepte. Das sehr 
fließend geschriebene Buch ist vorzüglich 
geeignet, Studierenden und Ärzten als 
Leitfaden, in dem praktisch so wichtigen 
Gebiet zu dienen und verdient beste 
Empfehlung. Schnell. 

Heinrich Kisch. Das Geschlechtsleben 
des Weibes in physiologischer, 
pathologischer und hygienischer 
Beziehung. Dritte vermehrte Auflage 
mit 127 zum Teil farbigen Abbildungen, 
776 Seiten. Berlin-Wien 1917, Urban 
& Schwarzenberg. Preis: Ungebunden 
25 M., gebunden 27,50 M. 

Wie Bölsche in seinem Buche 
,,Liebesieben in der Natur“ in einer 
formvollendeten Weise einen Einblick in 
die Dinge gewährt hat, die auch jeder 
Arzt, welcher nicht einseitig werden will, 
kennen muß, ist uns Kisch in diesem 
Werke, das jetzt in erweiterter Form,. 
3. Auflage, erschien, ein stets zuver¬ 
lässiger Führer auf den so oft unsicheren 
Wegen im Geschlechtsleben der Frau, 
dem sich jeder anvertrauen muß. Nicht 
nur der Arzt findet hier auf jede Frage 
eine Antwort; ’ jedem Erzieher sei an¬ 
geraten, das Buch in die Hand zu nehmen. 
Man darf nicht übersehen, wie er¬ 
schreckend groß und ebenso unbrauchbar 
die sogenannte Aufklärungsliteratur ist; 
man denke nur an Broschüren wie ,,Kalte 
Frauen“ usw. In einem glänzenden 
Deutsch sind hier Erfahrungen nieder¬ 
gelegt worden, die in einer langjährigen 
Praxis gesammelt wurden, wobei natür¬ 
lich die einschlägige Literatur, auch die 
schöngeistige, in jeder Weise berück¬ 
sichtigt wurde. In jedem der natürlich 
gegebenen drei Teile — Geschlechts¬ 
epochen der Menarche, der Menakme und 
der Menopause — ist in äußerst klarer 
Weise die-diesbezügliche Physiologie und 
Hygiene abgehandelt, während für die 
Pathologie nur das Notwendigste ge¬ 
bracht wird, da hierfür ja die gynäkolo¬ 
gischen Lehrbücher vorhanden sind. Der 
erste Teil wird dem Kinder- wie auch 
dem Schulärzte besonders in den Ab- 



Mai 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


. schnitten ,,Menstruation und Geschlechts- 
tfitebe“ S. 184ff. Material zur Aufklärung 
für sich selbst, wie für die zur Entlassung 
kommende Schuljugend geben. Wichtig 
für den Arzt, der ein taktvoller Berater 
seiner Klientinnen seih will, ist der 
zweite Teil; ich kenne kein Buch, in dem 
in so feinsinniger Weise die Geschlechts¬ 
empfindung des Weibes (S. 604ff.) be¬ 
sprochen wurde, weiß aber auch aus 
Erfahrung, wieviel Eheglück zerstört 
werden kann, wenn der einzig allein hier¬ 
für bestimmte Berater so manche Sorge 
der jungen Frau mit der Diagnose „Ner¬ 
vosität“ abtut. Hier kann er mehr helfen, 
als wenn er die Beschwerden auf eine Re- 
troflexio bezieht, und alles Heil in einer 
lageverbessernden Operation gesucht wird 
(S. 597). So manche Frauenrechtlerin 
sollte nur die fundamentalen Sätze über 
den Wert des Weibes lesen, welche Kisch 
aus der Literatur anführt (S: 229). Die 
moderne Mädchenerziehung mit ihrer 
Vielsprachigkeit und Vielwisserei be¬ 
günstigt eine oberflächliche Verstandes¬ 
entwickelung, macht das Weib anspruchs¬ 
voller, ohne daß es dabei anziehender 
würde (Marnholm). Aus der Reihe der 
vielen Kapitel, die jedes für sich als eine 
Einzelstudie angesehen werden muß 
-— Conception, Vaginismus... — sei nur 
eins herausgenommen, die Dyspareunie, 
welche auch den Nervenarzt oft genug be¬ 
schäftigt und bei oberflächlicher Be¬ 
wertung zu dem streng zu verurteilenden 
Verschreiben von Narkoticis führt (S.407). 
Eine nicht geringere Bewunderung über 
Stil und Reichhaltigkeit des Inhalts 
verlangt der dritte Teil dieses Werkes 
,,Die Geschlechtsepoche der Menopause“. 
Etwas ausführlicher hätte die Therapie 
des Pruritus sein können, der ganz 
richtig als eine Neurose des Genitale an¬ 
gesehen wird. Meisterhaft geschildert 
sind die Krankheiten der Circulations- 
organe, die auch auf S. 725 gut eingeteilt 
sind; hier zeigt sich der erfahrene, wahre 
Badearzt als guter Internist. Zum Schlüsse 
sei auf das vorletzte Kapitel „Klimakte¬ 
rische Psychosen“ hingewiesen, in dem 
z. B. das Leben zweier Frauen geschildert 
wird, der ruhig dahinlebenden und der 
durch mannigfache Schicksalsschläge 
mürbe gewordenen, bei der das Klimak¬ 
terium das Eintreten der Psychose hervor¬ 
ruft. Alles in allem ein Werk, das in 
dritter Auflage erscheinen konnte und ein 
herrliches Zeichen deutscher Gründlich¬ 
keit ist, wobei auch auf die Schönheit 
der Form Wert gelegt wird, so daß ich 


185 


mich für berechtigt halte, es jedem Arzte, 
wie auch Volkserzieher auf das wärmste 
zum eifrigen Lesen zu empfehlen. Daß 
der Druck, wie die Ausstattung : des 
Werkes dem bewährten Rufe des Ver¬ 
lages entspricht, möchte ich zum Schlüsse 
nicht unerwähnt lassen.. 

D. Pulvermacher (Cfiarlottenburg). 

Ing. Fr. Dessauer und Dr. B. Wiesner, 

Leitfaden des Röntgenverfah¬ 
rens. V. Auflage. Leipzig 1916, Otto 

Nemnich. 

Die Einteilung auch der neuen Auf¬ 
lage ist eine sehr praktische, indem der 
erste Teil die physikalischen Grundlagen 
des Röntgenverfahrens, der zweite den 
technischen Teil erläutert. . Beide Teile 
sind imwesentlichen von Ingenieur 
Dessauer bearbeitet und geben sowohl 
dem Laien, als auch dem Fachmann vor¬ 
zügliche Aufklärungen, über alle ein¬ 
schlägigen Fragen. Vom einfachen physi¬ 
kalischen Vorgang ausgehend führt uns 
der Verfasser in die verwickeltsten tech¬ 
nischen Fragen, welche restlos gelöst 
werden. Die genaue Beschreibung des 
Instrumentariums, die Unterschiede in 
der Brauchbarkeit und Anwendungsmög¬ 
lichkeit der einzelnen Röhrensysteme er¬ 
leichtern dem Röntgenologen die Auswahl 
der Röntgenröhren. Auch der Technik 
des Aufnahmeverfahrens, welche Wies¬ 
ner behandelt, ist große Sorgfalt zu¬ 
gewandt, so daß auch hier für den Rönt- 
gentechnikergsehr wertvolle Fingerzeige 
gegeben werden. Nichts nur die all¬ 
gemeine Technik des Aufnahmeverfahrens 
wird hier klargelegt, sondern auch jedes 
einzelne Glied wird besonders in bezug 
auf die Aufnahmetechnik behandelt. 
Neben den Extremitäten sind einzelne 
Kapitel den Zahnaufnahmen^und den 
innerem Organen gewidmet. 

Vorzüglich ist das Kapitel über die 
Stereoskopie im Röntgenverfahren von 
Professor Hildebrandt. Im medizini¬ 
schen Teil, welcher von Holzkr^echt 
und Bense bearbeitet ist, wird zuerst 
das Röntgenverfahren zwecks Diagnostik 
in der inneren Medizin, dann das Röntgen¬ 
verfahren in der Chirurgie und zuletzt 
die Röntgentherapie ausführlich be¬ 
handelt. Gute Abbildungen erleichtern 
durchweg das Verständnis. Zum Schlüsse 
gibt Dessauer, noch gute Anweisungen 
über das photographische Verfahren. Das 
Buch ist wohl geeignet, über alle ein¬ 
schlägigen Fragen Aufklärung zu geben. 

Taendler (Berlin). . 

24 




Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Mai 


1$6 


Referate. 


In einer Arbeit zur Frage der Behand¬ 
lung des Asthma bronchiale weist Weick- 
sel darauf hin, daß man durch subcutane 
Adrenalininjektionen den Asthmaanfall 
in wenigen Minuten kupieren kann. Das 
Adrenalin erhöht den Tonus des Sym- 
pathicus und setzt wahrscheinlich den er¬ 
höhten Tonus des autonomen Systems 
herab. Der Erfolg ist noch i besser, 
wenn man die Wirkung des Adrenalin 
durch gleichzeitige Injektionen von Hy- 
pophysin verstärkt. Sehr bekannt ist 
die Verwendung von Asthmolysin (Neben¬ 
nieren- und Hypophysinextrakt). Die 
Wirkung hält etwa 12 bis 24 Stunden vor. 
Während der Zeit der Wirkung soll nun 
der Arzt psychisch auf den Kranken ein¬ 
zuwirken suchen, der jetzt, nachdem er 
die Beschwerden verloren hat, blindlings 
jede weitere ärztliche Maßnahme, wie 
Weicksei glaubt, befolgt. Man soll dem 
Kranken eine strenge Diät verordnen 
und ihn ermahnen, sich möglichst von 
psychischen Aufregungen fern zu halten. 
Die Diät besteht in milder Kost; es muß 
für regelmäßigen Stuhlgang gesorgt wer¬ 
den. Nachts sollen die Patienten bei 
offenem Fenster schlafen. Weicksel 
verordnet auch Kalk und zwar in sehr 
großen Dosen. Man kann täglich 10—15 g 
Calcium lacticum geben ohne jegliche Ne¬ 
benwirkung. Mit dieser Behandlung will er 
selbst schwere Asthmatiker auf lange Zeit 
pinfallsfrei gehalten haben. Erweist freilich 
daraufhin, daß man das Asthma als sol¬ 
ches nicht heilen kann, da es auf einer 
neurotischen Disposition beruhe, die man 
nicht beseitigen kann. Man kann die 
Neurose aber bessern. Dünner. 

(M. m. W. 1917, Nr. 9.) 

A. Lehndorff hat diePathogenese'der 
typischen Krankheitserscheinungen bei 
Cholera asiatica zum Gegenstände 
näherer Untersuchungen gemacht. Er 
skizziert den Ablauf der Krankheit fol¬ 
gendermaßen : Im Prodromalstadium 
(prämonitorische Diarrhöen) äußert sich 
bloß die lokale Reizwirkung der im Darme 
angesiedelten Bakterien. In der ersten 
Krankheitsperiode (Stadium algidum, 
Stadium asphycticum) tritt die für . das 
Choleragift specifische schwere Vaso¬ 
motorenlähmung vorwiegend im Gebiete 
des Splanchnicus auf. Durch die re¬ 
sultierende charakteristische Circulations- 
• Störung entsteht der Symptomenkomplex 
dieses Stadiums, wird andererseits aber 


die Weiterverbreitung der Endotoxine in. 
die allgemeine Circulation verzögert; da¬ 
her treten die allgemeinen Vergiftungs¬ 
erscheinungen zurück. In der zweiten 
Kränk heitsperiode (Choleratyphoid, 
Stadium comatosum) ist die Circulations- 
störung behoben, aber eben dadurch 
kommt es zur plötzlichen Einschwem¬ 
mung‘großer Mengen von Endotoxinen 
aus dem Splanchnicusgebiete in die all¬ 
gemeine Circulation. Daher treten jetzt 
die allgemeinen Vergiftungserscheinungen 
stark hervor. Ein atypischer Verlauf der 
Erkrankung ließe sich folgendermaßen 
erklären: Hat der Organismus schon in 
einem früheren Stadium Gelegenheit ge¬ 
habt, sich hinreichend zu immunisieren, 
dann kann naturgemäß die zweite Krank¬ 
heitsperiode fehlen. Bei den unter dem 
Bilde einfacher Choleradiarrhöen ver¬ 
laufenden leichteren Erkrankungsformen 
. ist es eben zu keiner stärkeren Vaso¬ 
motorenlähmung gekommen. 

Hetsch (Beriin). 

(Beilr. z. KHn. d Infekt -Krkh. u. zur Immun.- 
• Forschung. Bd. V, H. 3.) 

Zur Behandlung der primären Coii- 
pyelitis und Colfcystitis äußert sich Gg. 
Haas. 

Lenhartz hat hauptsächlich die 
Durchspülung und Auswaschung des 
Nierenbeckens von oben durch tägliche 
Verabreichung großer Flüssigkeitsmengen 
in Form von Mineralwassern usw. emp¬ 
fohlen. In Verbindung mit dieser Behand¬ 
lung werden Harnantiseptica besonders 
empfohlen; Ein drittes Mittel ist die Be¬ 
kämpfung der Coliinfektion mit.Vaccina- 
tionstherapie und viertens sind Spülungen 
des Nierenbeckens und der Blase mit des¬ 
infizierenden Lösungen empfohlen worden. 

Eine weitere Methode von Meyer- 
Betz beruht auf der Beobachtung, daß 
stark saure konzentrierte Harne das 
Bakterienwachstum hemmen, deshalb 
schränkte er die. Flüssigkeitszufuhr so¬ 
weit als möglich ein,, gab nur Fleisch und 
Milch als Nahrung und um die Acidität 
des Harnes zu erhöhen, eine Limonade, 
die durch Phosphorsäure stark angesäuert 
war. Das Ziel der Behandlung muß natür¬ 
lich sein, den Urin bakterienfrei zu be¬ 
kommen. 

Haas hat nun eine neue Methode ver¬ 
folgt, die sich auf die Beobachtungen von 
Hoppe-Seyler und Höst stützt. Hop¬ 
pe- Seyler sah nämlich, daß in konzen- 



Mai Die Therapie der Gegenwart .1917. 187 


trierte' Harne eingeimpfte Colikulturen 
zugrunde gehen, deshalb wollte Hoppe- 
.Seyler die Colicystitis durch starke Kon¬ 
zentrierung des Harnes bekämpfen. Ferner 
fand Höst, daß die desinfizierende Kraft 
des Urotropin sich nur in saurer Lösung 
entfalten kann. Deshalb kann bei alkali¬ 
schen, neutralen und selbst bei schwach¬ 
sauren Harnen der desinfizierende Effekt 
des Urotropins für das. Nierenbecken nur 
ein minimaler sein. Die Wirkung kann 
wohl noch besser werden, wenn wir dafür 
sorgen, daß der Harn stark sauer und 
die Konzentration des Urins eine er¬ 
höhte ist. Dies will nun Haas durch 
Schwitzkuren, durch Einschränkung der 
Flüssigkeitszufuhr und durch saure Diät 
. erreichen. Er versuchte außerdem die 
Desinfektionskraft des Harnes zu erhöhen 
durch Darreichung von Salicylpräparaten. 
Er geht folgendermaßen vor: 

Am Tage vor Beginn der Schwitzpro¬ 
zedur Einschränkung der Flüssigkeitszu- 
fuhr auf 600 ccm Flüssigkeit einschließlich 
der 300 ccm Phosphorsäurelösung (Acid. 
phosphor. 15% 50,0, Sirup Rub. Idaei 
50,0, Aqua destillatad 1000,0), die er den 
Patienten zu trinken gibt. Dazu 3 g Uro¬ 
tropin und 4 g Melubrin oder Aspirin oder 
Natrium salicylicum. In den darauffolgen¬ 
den Tagen der Schwitzprozedur sind die 
Medikamente und die Flüssigkeitsbe¬ 
schränkung beizubehalten. Die Schwitz¬ 
prozedur wurde derartig vorgenommen, 
daß die Patienten einen auf 40—50° vor¬ 
gewärmten elektrischen Lichtkasten auf¬ 
suchten, in demselben 20—25 Minuten 
verblieben, während die Temperatur auf 
55° gesteigert wurde. Bei kräftigen In¬ 
dividuen wurde sogleich mit dem ersten 
Tag früh und nachmittags ein solches 
Schwitzbad appliziert, bei empfindlicheren 
Personen am ersten Tage nur eins, an den 
folgenden Tagen zwei derartiger Bäder. 
Je nachdem das specifische Gewicht des 
Harnes mehr oder minder rasch in die 
Höhe ging, erstreckte sich die Schwitz¬ 
prozedur auf drei oder vier Tage. 

Gelingt es nicht, die Konzentration 
des Harnes innerhalb drei Tagen minde¬ 
stens auf der Höhe des specifischen Ge¬ 
wichtes von 1020 zu halten, so ist der 
Erfolg der Kur ein zweifelhafter. Bei sol¬ 
chen Fällen ist ohnedies schon an eine 
Erkrankung der Nieren zu denken, in 
Anbetracht der mangelnden Konzentra¬ 
tionsfähigkeit derselben. Zur Linderung 
des auftretenden Durstes können Eis¬ 
stückchen gegeben werden. Soll die Kur 
wirksam sein, so ist ein ausgesprochenes 


Durstgefühl nicht zu umgehen. Man klärt 
diesbezüglich die Patienten am besten im 
voraus auf, damit sie nicht hinter dem' ' 
Rücken des Arztes Wasser trinken. : Mit¬ 
unter treten während der Schwitzprozedur 
brennende Schmerzen beim Wasserlassen 
und in der Blase auf.; dieselben hatHaas 
durch Morphium und^Belladonna^sym- 
ptomatisch bekämpft. 

Die Erfahrungen, die er damit ge¬ 
macht hat, sind günstige. Er erreicht in 
allen Fällen die Keimfreiheit des Urins. 

Dünner. 

(D. Areh. 1 kl. Med. Bd. 121, 4.-6. H.) 

Brix beschreibt ein Verfahren zum 
Verschluß von Dickdarmfisteln, welches 
in Anwendung kommt bei Dickdarm¬ 
fisteln, die im Anschlüsse an Appendi- 
citiden oder Schußverletzungen des Dick- 
darms sich entwickeln: Zunächst wird 
eine Darmquetsche zur Beseitigung des 
Sporns angelegt. Dann nach etwa acht 
bis vierzehn Tagen die Fistel ringsherum 
angefrischt und die Schleimhaut vernäht, 
darüber wird die Fascie geschlossen, wel¬ 
che zuvor durch zwei seitliche Einschnitte, 
die in einer Entfernung von ungefähr 
5 cm von der Wunde angelegt werden, 
mobilisiert worden ist. Von dieser Stelle 
aus wird ein kleiner Docht bis in die Nähe 
der geschlossenen Fistel eingeführt. Der 
beabsichtigte Zweck wird öfter nicht so¬ 
fort erreicht, sondern es bilden sich kleine, 
schräge Fisteln, welche aber in der Regel 
von allein ausheilen. Hayward. 

(Zbl.f. Chir. 1917, Nr. 8.) 

v. Haberer liefert einen Beitrag zum 
arteriomesenterialen Duodenalverschluß. 

Er knüpft dabei an eine eigene Arbeit über 
dasselbe Thema aus dem Jahre 1913 an. 
Vor allem verficht er den Standpunkt, 
daß der arteriomesenteriale Duodenalver¬ 
schluß ein klares, von der alleinigen 
Magendilatation ' verschiedenes Krank¬ 
heitsbild gebe. Es braucht nicht einmal 
Magendilatation daneben zu bestehen. 
Das Bild ist das eines hochsitzenden 
Ileus; oberhalb des Verschlusses besteht 
zunächst rege Magenperistaltik, unterhalb 
sinkt der Leib immer mehr ein, das Er¬ 
brechen ist gallig. Die hohe Pulsfrequenz, 
anders als bei der alleinigen Magen¬ 
dilatation, bleibt durch eine künstliche 
Magenentleerung unbeeinflußt. Der Zu¬ 
stand ist anatomisch als eine Kom¬ 
pression des Duodenums durch die Radix 
mesenterii zu beschreiben, die durch das 
Zusammenwirken folgender Komponenten 
entsteht: Zug nach unten, Druck von 

24 * 




Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Mai, 


. 188 


oben nach unten und Druck von vorne 
nach hinten. In dem vom Verfasser 
operierten und sehr eingehend be¬ 
schriebenen Falle wurde der Zug des 
Mesenteriums nach unten durch die Ver¬ 
lagerung des Dünndarms in das kleine 
Becken veranlaßt, der Druck von oben 
nach unten war, da kein diktierter Magen 
bestand, nicht erheblich, er war wohl nur 
durch die Verlagerung des großen Netzes 
nach oben über den.Magen bedingt, der 
von vorne nach hinten dagegen besonders 
groß, da durch die vorangegangene 
Operation zur Behebung einer großen 
Rectusdiastase die sehr verschmälerte 
vordere Bauchwand stark gespannt und 
die Entfernung zwischen vorderer und 
hinterer Bauchwand sehr verringert war. 
Da der sehr bedrohliche Zustand durch 
die angezeigte konservative Therapie: 
— Magenwaschungen und die verschieden¬ 
sten Lageveränderungen — unbeeinflußt 
blieb, wurde am siebenten Tage nach dem 
ersten Eingriff von neuem operiert: der 
Dünndarm wurde aus dem kleinen Becken 
herausgehoben, worauf die Spannung der 
Mesenterialwurzel aufhörte und die durch 
Venenstauung hervorgerufene blaurote 
Färbung der Dünndärme sofort der nor- 
malenwich. Aber wegen unvollkommener 
und träger Füllung des obersten Jejunums 
wurde eine hintere Gastroenterostomie 
angelegt. 22 Tage nach der ersten 
Operation wurde die Patientin geheilt 
entlassen. Die Gastroenterostomie,/ die 
hier vorzügliche Dienste leistete, ist bei 
einer ausgebildeten irreparablen Magen¬ 
dilatation, sei es allein, sei es in Ver¬ 
bindung mit dem arteriomesenterialen 
Duodenalverschlusse, nutzlos. Schon da¬ 
rum ist die diagnostische Unterscheidung 
zwischen Magendilatation einerseits und 
arteriomesenterialem Duodenalverschlusse 
andererseits von höchstem Werte. 

Es kann eine Magendilatation primär 
bestehen und durch Druck von oben nach 
unten zu einem arteriomesenterialen Du¬ 
odenalverschlusse verhelfen, oder aber es 
kann auch infolge eines solchen Ver¬ 
schlusses sekundär zu einer Magendila¬ 
tation kommen, wenn nicht rechtzeitig 
eingegriffen wird. 

Neben einer Operation in Narkose 
wirken hochgradige Abmagerung und 
Enteroptose prädisponierend für die Er¬ 
krankung. Hagemann (Marburg). 

(Arch. f. klin. Chir. Bd. 108, H. 3.) 

Ein Vortrag, welchen G. v. Hofmann 
über Rassenhygiene und Fortpflan- 


liner Gesellschaft für Rassenhygiene hielt, 
galt der Klarstellung der verschiedenen 
zungshygiene (Eugenik) in der Ber- 
dies Thema betreffen den Bezeichnungen, 
wie Eugenik,Rassenhygiene, Rassendienst, 
Entartungslehre, Regenerationslehre, Auf¬ 
artung, Phylo- und Idiohygiene, Wohl¬ 
geborensein, Nationalhygiene, Sozial-, Ge¬ 
sellschafts-, Kultur- oder Volkshygiene, 
die jüngsthin viel erörterte Bevölkerungs¬ 
politik nicht zu vergessen, nach deren . 
Aufzählung er mit Recht äußert, daß da, 
wo ein solches Durcheinander von Be¬ 
zeichnungen herrsche, eine Einigkeit hin¬ 
sichtlich des Gemeinten fehlen müsse. 
Im Grunde genommen soll doch all das 
in den Dienst zur Veredelung des Men¬ 
schen gestellt sein, die wissenschaftliche 
Grundlage hierzu bildet die Lehre Dar¬ 
wins, die Vererbungslehre überhaupt, ln 
den Ausführungen leuchtet das weit um¬ 
spannende Forschungsgebiet der deut¬ 
schen Rassenhygiene gegenüber der eng¬ 
begrenzten Eugenik der Engländer und 
Amerikaner hervor, welche den Menschen 
mit dem Auge des Tierzüchters betrachten, 
seine angeborene Anlage für alles, seine 
Umwelt als ein Nichts bewerten, ihr 
Augenmerk lediglich auf Ausmerzung und 
Auslese richten, der herabgesetzten 
Fruchtbarkeit der Minderwertigen, der 
erhöhten Fruchtbarkeit der Tüchtigen 
ihre Aufmerksamkeit widmen. Wie weit 
das geht und welche Konsequenzen dies 
haben muß, belegt Vortragender an einigen 
Beispielen, indem er auf das Unsinnige 
solcher extremen Anschauungen mit vollem 
Recht hinweist; so wird unter anderem 
die Bekämpfung der Trunksucht für 
schädlich erachtet, weil dadurch das Aus¬ 
sterben der trunksüchtig Veranlagten ver¬ 
hindert werde (!). Positive Eugenik 
treiben mit dem Endziel: tüchtige Men¬ 
schen regelrecht zu züchten, ist ein 
Unding. Es kommt darauf an, die Wohl¬ 
fahrt der Rasse, die Tüchtigkeit und 
Leistungsfähigkeit der Nachfahren an¬ 
zustreben, also auf eine möglichst große 
Anzahl tüchtiger Nachkommen hinzu¬ 
arbeiten, die Einzelwesen in ihrer Ge¬ 
samtheit zu erfassen. Der Untersuchungs¬ 
gegenstand übertrifft somit die Familie, 
die Sippschaft, die Horde oder den 
Stamm, das Volk,, die Nation oder die 
Gesellschaft; dies sind keine Träger 
dauernden Lebens. Dafür haben wir nur 
den Begriff: Rasse. Die Lehre, welche 
eine bestmögliche Entwicklung des Einzel¬ 
individuums anstrebt, heißt: Hygiene, 
eine Unterabteilung der Biologie. Die 




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15 





































































































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16 
























Mai* Die Therapie der Gegenwart 1917- 189 


Lehre mit dem Ziel bestmöglicher Ent¬ 
faltung der Rasse ist als Rassenhygiene, 
als Unterabteilung der Rassenbiologie an¬ 
zusprechen* Wohl gibt es eine Volks-, 
eine Sozial- oder Gesellschaftshygiene, sie 
befaßt sich mit der Individual- und 
Rassenhygiene als einer Summe von ge¬ 
sellschaftlichen Maßnahmen. Die Ge¬ 
sellschaft aber ist kein Lebensträger, kein 
Organismus, kein, biologischer Begriff, 
deshalb kann es auch keine Hygiene der 
Gesellschaft, noch viel weniger gar eine 
Gesellschafts- oder Sozialbiologie geben. 
Die Gesamtheit der Rassenhygiene läßt 
sich in eine quantitative, die Geburten¬ 
häufigkeit und die Sterbeziffer betreffend, 
und in eine qualitative, welche in der Aus¬ 
lese, in der Fortpflanzungshygiene (Zeu¬ 
gung, Vererbung, Variabilität, Schwanger¬ 
schaft), in der Hygiene der Fortpflanzungs¬ 
kräfte und in der Pflege der körperlichen 
und geistigen Leistungsfähigkeit in dem 
Kampf um das Dasein ihren Ausdruck 
findet, einteilen. Die Bevölkerungspolitik 
hingegen ist ein Zweig der Volkswirtschaft, 
ihr Arbeitsfeld fällt mit dem der Rassen¬ 
hygiene zusammen. Es gilt aber, nicht 
einseitig Bevölkerungspolitik zu treiben, 
sondern das alles umspannende Gebiet 
der Rassenhygiehe zu pflegen und zwar 
in deutschem Geiste, in deutschem Sinne. 

J. Waldschmidt (Nikolassee.) 

(Öffentl. Gesundheitspflege 1917, H. 1.) 

Über die Behandlung des Fleckfiebers 
mit Nukleohexyl berichtet F. Levy. 
Das Mittel, neutrales nukleinsaures Hexa¬ 
methylentetramin, entfaltet bei mehr¬ 
fachen intravenösen Injektionen' zehn¬ 
prozentiger Lösung beim Fleckfieber im 
allgemeinen günstige Wirkungen, indem 
es den Kranken Schlaf und Erleichterung 
schafft und Temperaturremissionen her¬ 
vorruft. Der Krankheitsverlauf wird nach 
seiner Anwendung milder und erträglicher. 
Ein Specifikum ist das Nucleohexyl für 
das Fleckfieber nicht.* Es wirkt chemi- 
therapeutisch etwa wie die Halbspecifica, 
z. B. Typhus- oder Colivaccine beim 
Unterleibtyphus. Steigt das Fieber nach 
dem der ersten Injektion folgenden kriti¬ 
schen Abfall erneut an, so soll eine er¬ 
neute Injektion von 10 ccm der zehn¬ 
prozentigen Lösung gegeben werden, so¬ 
bald die frühere Fieberhöhe wieder er¬ 
reicht ist. Hetsch (Berlin). 

(Beitr. z. Klin. d. Infekt -Krkh. u. zur 
Immun.-Forschung Bd. V, H. 3.) 

Über die Fleckfieberepidemie in der 
Zivilbevölkerung des General- 


| gouvernements Warschau in den 
Jahren 1915/16 berichtet Medizinalrat 
Dr. Frey (Warschau), womit er ein¬ 
anschauliches Bild von der ’ enornten 
Arbeitslast zur Bekämpfung und Ver-' 
hütung der'uns im Heimatlande so gut 
wie unbekannten Erkrankung bietet und 
uns zeigt, in welch hervorragendem Maße 
auch hinter der Front gegen ,,innere 
Feinde“ vorgegangen wird, welche russische 
Unkultur uns nebenbei auferlegt hat. In 
der Tat, man kann dem bezeichneten Vor¬ 
gehen und den dadurch erzielten Erfolgen 
die höchste Anerkennung nicht versagen, 
besonders w^nn man die erschwerenden 
Umstände in Betracht zieht, unter welchen 
die Arbeit vor sich’ ging und geht. Hat 
man es doch mit einer Bevölkerung zu 
tun, die seit Jahrhunderten gleichsam im 
Schmutz erstarrt, unwissend und un- 
belehrt, wenn auch nicht unbelehrbar ist. 
Es handelt sich vorwiegend um die. 
jüdischen Bewohner jener Gegend, welche 
95 % der Erkrankung betraf, die sich 
im übrigen auf solche Personen erstreckte,.* 
welche in engstem Verkehr zu den Juden 
standen. Von den 14 354 beobachteten 
Fleckfieberfällen im Verwaltungsbezirk 
gingen 1357 tödlich aus. In Lodz kamen: 
3057 Erkrankungen mit 357 Todesfällen 
vor; in Warschau nebst Vororten waren 
die betreffenden Zahlen 4059 beziehungs¬ 
weise-260; sonach waren die beiden 
größten Städte mit rund 50 % beteiligt. 
Die Epidemie begann am 20. November 
1915, sie erlosch am 1. Oktober 1916. 
Bezüglich der Bekämpfurigsmaßnahmen 
wird berichtet, daß die strickte Durch¬ 
führung des deutschen Seuchengesetzes 
eine glänzende Feuerprobe angesichts der 
unglaublichen hygienischen Mißstände be¬ 
standen habe. Die Quarantäne wurde 
bei Ansteckungsverdächtigen auf drei 
.Wochen erweitert; Anzeigepflicht,, aus¬ 
giebiger Nachrichtendienst eingeführt, 
Merkblätter verfaßt und vertrieben, Ab¬ 
sonderungshäuser (300) ins Leben gerufen, 
bakteriologische' Untersuchungsstationen 
errichtet, Dampfdesinfektionsapparate be¬ 
schafft, besondere Leichenhallen mit 
Leichenschau und vor allem Entlausungs¬ 
anstalten (141) traten in Wirksamkeit. 
Ein besonderes Augenmerk hatte man 
auf die Flößer'auf dem Bug, dem Narew 
und der Weichsel; es wurden im August 
allein 884 solcher Personen untersucht. 
Fahrenden Gesellen und Vagabunden 
wurde eine ganz besondere Aufmerksam¬ 
keit gewidmet, sie wurden teilweise in 
Gefängnissen gehalten, beobachtet und 



190 


Mai 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


behandelt. Schließen, Entlausung und 
Reinigung der jüdischen Chederschulen 
und Bet- und Badehäuser, ebenso auch 
der öffentlichen Lokale, selbst auch der 
Privatwohnungen mit nachfolgender Rei¬ 
nigung, Verbrennung von Unrat mußte 
vielfach angeordnet werden; das Abhalten 
von Märkten wurde zeitweilig verboten 
und der Verkehr überhaupt nach Möglich¬ 
keit beschränkt. Um die verlausten 
Städte ward ein doppelter Sperrgürtel 
gezogen, wodurch ein kontrolloses Ab¬ 
wandern zur Unmöglichkeit wurde. 
Streng durchgeführte Maßnahmen haben 
es vermocht, eine Übertragung auf die 
zirka 100 000 Besatzungstruppen auf ein 
Minimum (es kamen nur 55 Erkrankungen 
darunter vor) zu reduzieren; ebenso gelang 
es, die rund 180000 Ab wandernden nach 
Deutschland so gut wie gesund über die 
v Grenze ziehen zu lassen; es stehen hier 
•sogar nur zwölf Erkrankungen verzeichnet, 
wovon acht Juden betrafen. In der 
deutschen Zivilbevölkerung kamen fünf 
Fälle vor. Bei dem kulturellen Tiefstand 
'der Juden, welche im Verwaltungsbezirk' 
mit rund 1 700 000 Köpfen vertreten 
sind, angesichts des unruhigen Umher¬ 
ziehens im Lande, bei dem unsäglichen 
Schmutz ihrer Behausungen und Handels¬ 
objekte ist die Beherrschung der- Fieber¬ 
erkrankung außerordentlich. Es ist er¬ 
wiesen, daß die Laus und zwar die 
Kleiderlaus (nicht die häufig vorkommende 
Kopflaus) durch ihren Stich Fleckfieber 
hervorzurufen imstande ist, sofern sie 
Fleckfieberkeime in sich birgt; die Laus 
ist also lediglich der Keimträger. Ehe 
die letzte Laus in Polen vertilgt ist und 
die Bevölkerung gegenüber diesem Feinde 
selbständig Maßnahmen ergreift, wird 
wohl noch einige Zeit ins Land gehen. 
Zur Belehrung sind große Flugblätter in 
jiddischer Sprache zur-Verteilung ge-, 
kommen, an allen öffentlichen Gebäuden 
und Plätzen bekannt gegeben, in Schulen 
und Synagogen dafür gewirkt. Die be¬ 
sprochene Epidemie umfaßte gleichmäßig 
beide Geschlechter. Kinder sind im all¬ 
gemeinen leichter über die Erkrankung 
hinweggekommen, das Exanthem ist bei 
diesen gering, oftmals gar nicht vor¬ 
handen; Todesfälle sind bei Kindern 
selten; in Warschau starben daran 1,5%, 
in Lodz nur 0,7%, gegen 7,8% be¬ 
ziehungsweise 17,2 % bei Erwachsenen. 
Die höhere Sterbeziffer in Lodz wird 
darauf zurückgeführt, daß vielfach Lungen¬ 
tuberkulose gleichzeitig vorkam. 

Es ist oft schwer, Fleckfieber von Ab¬ 


dominaltyphus zu unterscheiden; be¬ 
sonders wenn Typhusepidemien vorhanden 
sind, bleiben Irrtümer nicht aus. Hier 
kann nur die bakteriologische und sero¬ 
logische Untersuchung helfend den Aus¬ 
schlag geben. Immerhin ist die Sache 
nicht so einfach, denn positiyer Widal 
kann sowohl bei bestehendem wie bei über¬ 
standenem Typhus Vorkommen, auch die 
Folge von Schutzimpfung sein; negativer 
Widal kann für Fleckfieber sprechen, 
widerspricht aber auch zuweilen dem 
Vorliegen eines Typhus nicht. Widal-- 
Untersuchungen ergeben also erhebliche 
Schwierigkeiten bei der Beurteilung; die 
klinische Beobachtung bleibt die Haupt¬ 
sache. — In neuester Zeit scheint es, als 
ob die serologische Untersuchung nach 
Weil-Felix die Diagnose entscheiden 
könne. J. Waldschmidt (Nikolassee). 

(Öffentl. Gesundheitspflege 1917, H. l.j 

In einer ungewöhnlich interessanten 
Form legt Hagedorn die Erfahrungen 
über Behandlungsziele und -ergebnisse bei 
Schußverletzungen der Gelenke und 
ihrer Umgebung nieder, die sich ihm 
im Laufe dieses Krieges bei Gelenkschuß- 
verletzungen im Heimatlazarett ergeben 
haben. Es wird von der Anführung 
einzelner Krankengeschichten Abstand 
genommen und bei jedem größeren Ge¬ 
lenke kritisch besprochen, welches die 
besten Ergebnisse sind, die wir in den 
verschiedenen Fällen zu erwarten haben 
und welche Arten von Maßnahmen uns 
zur Verfügung stehen, um jeweils das 
beste Resultat zu erzielen. Es ergibt sich 
hierbei, daß es ganz unmöglich ist, prin¬ 
zipielle Regeln aufzustellen, sondern es 
muß von Fall zu Fall entschieden werden, 
ob und welche Operation notwendig ist, 
wann und wie mit der medico-mechani- 
schen Behandlung anzufangen ist. Es 
kann nicht im Rahmen eines Referates 
liegen, die Ausführungen des Verfassers 
hier wiederzugeben, sondern es muß . 
darauf hingewiesen werden, daß jeder, 
der .sich mit hierher gehörigen Fällen zu 
befassen hat, die Hagedornsche Arbeit 
genau studiert. Er wird sicher ihr vieles 
Neue und manche Anregung verdanken. 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 138.) Hay ward. 

Über abortive Behandlung von aku¬ 
tem Gelenkrheumatismus macht A. Edel- 
mann in einer vorläufigen Mitteilung Vor¬ 
schläge. Er knüpft an die Arbeit von 
Saxl über die pyrogenen Eigenschaften 
der parenteral dargereichten Milch an 





Mai ; Die Therapie der 


und weist darauf hjn, daß man bei Bu¬ 
bonen die Milchinjektionen mit Erfolg 
angewandt hat (R. Müller). Ferner hat 
in der letzten Zeit L. Müller sehr gute 
Resultate mit Milchinjektionen bei akuten 
entzündlichen Erkrankungen des Auges 
erreicht. Edelmann stellte nun ähnliche 
Versuche mit Milch bei Gelenkrheumatis¬ 
mus an. Allerdings sind seine Resultate, 
soweit sich dies aus seiner vorläufigen 
Mitteilung entnehmen läßt, nicht ganz 
eindeutig/ weil er gleichzeitig Salicyl- 
präparate gibt. Die Technik ist sehr, ein¬ 
fach. Man injiziert 10 cm sterilisierte 
Milch in die Oberschenkel. Vier bis fünf 
Stunden nach der Injektion tritt Schüttel¬ 
frost auf, der aber schnell wieder abklingt, 
und Temperatursteigerung. Schon am 
nächsten Tage fällt die Temperatur wieder 
zur Norm ab. Nach dem Schüttelfröste 
wird Salicyl verabreicht; Bereits zwölf 
Stunden nach der Injektion sollen die 
• Schmerzen nachlassen und die Erschei¬ 
nungen des Rheumatismus zurückgehen. 
Edelmann sah in keinem Falle eine 
Endokarditis, obwohl es sich zum Teil um 
schwere Fälle handelte. Salicyl wurde 
noch eine Woche hindurch in Dosen von 
5 g pro Tag, darauf drei Tage lang 3 g 
und am nächsten Tage 1. g gegeben. 

(W. kl. W. 1917, Nr. 10.) Dünner. 

Über die operative Entfernung tief im 
Knochen liegender Geschosse berichtet 
Wolff. In vielen Fällen machen selbst 
bei reaktionslosem Wundverlaufe im Kno¬ 
chen sitzende Geschosse dem Träger er¬ 
hebliche Beschwerden, so daß man zu 
deren Entfernung schreiten muß. Die 
übliche Methode besteht darin, daß nach 
Aufmeißelung des Knochens und Entfer¬ 
nung des Projektils in den Knochen eine 
flache Mulde gemeißelt wird, in die sich 
dann die Weichteile wieder hineinlegen. 
Ist der Sitz des Geschosses in der Epi¬ 
physe, dann nimmt man durch einen 
lappenförmigen Hautschnitt schon auf 
diese Verhältnisse Rücksicht. Die Kon¬ 
solidierung des Knochens nimmt natur¬ 
gemäß eine gewisse Zeit in Anspruch. In 
einem hierher gehörigen Falle ist Ver¬ 
fasser so vorgegangen, daß er ein keilför¬ 
miges Stück aus dem Knochen heraus¬ 
meißelte, das Projektil entfernte und dann 
das Knochenstück wieder an seinen alten 
Platz brachte, wo es reaktionslos ein¬ 
heilte. Dieses Verfahren ist natürlich nur 
da anwendbar, wo keinerlei Abscedierung 
im Knochen vorhanden ist. Findet man 
dagegen eine Eiterung, so ist nichts ge- 


Gegenwart 1917. 191 


schadet, sondern die Operation kann in 
der althergebrachten Weise zu Ende ge¬ 
führt werden. Hayward. 

(D. m. W. 1917, Nr. 8.) 1 • 

Über Gonokokkerisepsis, ausgezeichnet 
durch gonorrhoisches Exanthem und go¬ 
norrhoische Phlebitis berichtet Rudolf 
Massini aus der Medizinischen Klinik in 
Basel. Der Fall bietet besonderes Inter¬ 
esse durch das Fehlen von Urethra¬ 
erscheinungen und Gelenkschmerzen, wo¬ 
durch die Diagnose erschwert- wurde, und . 
durch Lokalisation der Sepsis in der Vena 
temoralis bei Freibleiben der Herzklappen, 
und eine ungewöhnliche Form des Exan¬ 
thems. Fälle von Meningitis mit fast ‘ 
gleichen Symptomen sind nicht ganz 
selten beobachtet worden. Auch an die 
Diagnose Flecktyphus wurde anfangs ge¬ 
dacht, der Patient wurde mit dieser 
Diagnose ins Lazarett geschickt. 

Es handelte sich um ein-en 25jährigen 
Kaufmann, der außer Masern keine andere 
Erkrankung durchmachte. Zwei Tage vor 
Eintritt ins Lazarett klagte er über Kopf¬ 
weh und Schwäche in den Beinen. Am 
nächsten Tage kam- dazu Ausschlag an 
den Händen und Temperatur von .39°. 
Bei der. Aufnahme hat sich das Exanthem 
ausgebreitet, ist stellenweis hämorrha¬ 
gisch geworden. Geringe Druckempfind¬ 
lichkeit der Gelenke und Muskeln. In 
den nächsten Tagen Auftreten von neuen 
Flecken, der Stuhl häufig etwas dünn, 
Zahnfleischblutungen, geringe Leuko- 
cytose. Das Exanthem-fängt an in den 
nächsten Tagen abzublassen. Blut¬ 
kulturen ergeben Gonokokken. Remit¬ 
tierendes Fieber zwischen 39 und 40°. 
Aus der Urethra läßt sich kein Sekret 
gewinnen, Zweigläserprobe negativ. Am 
rechten Nebenhoden kleine wenig schmerz¬ 
hafte Verdickungen, Prostata o. B. 14Tage. 
Später zahlreiche, den ganzen Körper, 
auch das Gesicht bedeckende Papeln, 
in der Mitte vesikulös, stellenweis blau¬ 
rote Hämorrhagien. Auch auf der Mund¬ 
schleimhaut, besonders an der Innenseite 
der Unterlippe und am harten und 
weichen Gaumen Exanthem. An den 
Streckseiten der Extremitäten ist das 
Exanthem sehr viel reichlicher als an den 
Beugeseiten vorhanden. 

Aus der Tiefe des leicht geröteten 
Orif. urethrea läßt sich- mit der Öse 
etwas schleimiges Sekret herausholen. 
Rechter Funiculus spermaticus ist derber 
und dicker als linker. Cauda epididymis 
ist rechts überbohnengroß, derbe Ver- 




< härturig, die sich in den Funiculus sper- 
maticus fortsetzt. (Typische Epididymitis 
gonorrhoica.) 

Die Kräfte des Patienten nehmen ab, 
Puls wird unregelmäßig. Sekret aus der 
Fossa navicularis ergibt unter anderen 
auch gramnegative Kokken. 

In den folgenden Tagen. Leber¬ 
schwellung, systolisches Geräusch am 
Herzen. Auch neue Efflorescenzen. Trotz 
intravenöser Electrargolgaben, auch eines 
Versuchs mit. Optochin am. .30.' Tage 
Exitus letalis. Die anatomische Diagnose 
ergab Gonokokkensepsis; Epididymitis • 
dextra. Thrombose des Plexus prostaticus, 
der Vena hypogastrica und der Vena 
femoralis mit eitriger Einschmelzung der¬ 
selben. In den Thromben der Vena 
femoralis konnten nach längerem Suchen 
gonokokkenartige intracelluläre Bakterien 
nachgewiesen werden. 

Besonders auffallend in dem Verlauf 
dieses Falles war das Fehlen der Zeichen 
der Urethraerkrankung bei ausgesproche¬ 
ner gonorrhoischer Sepsis. Es ist aber 
nicht selten, daß zu Beginn einer fieber¬ 
haften Erkrankung . der Ausfluß ver¬ 
schwindet und nach Ablauf derselben 
wiederkehrt. Auch das Gegenteil, Ver¬ 
mehrung des Ausflusses mit Ausbreitung 
des Prozesses, kommt vor. Eine sichere 
Erklärung für das Verschwinden des Aus¬ 
flusses bei Allgemeinerkrankung ist nicht 
zu geben. Vielleicht werden die Gono¬ 
kokken durch das Fieber abgeschwächt, 
aber sie wachsen doch auch in anderen 
Fällen trotz lange dauernden ' hohen* 
Fiebers. E. Benecke (Berlin). 

(Zschr. f. klin. Med. Bd. 83 H. 1/2.) 

Ringel stellt den Satz auf, daß jeder 
Knochenbruch der Extremitäten, welcher 
sich auf unblutigem Wege nicht so weit 
reponieren läßt, daß ein gutes funktionelles 
Resultat mit Sicherheit zu erwarten ist, 
der operativen Osteosynthese zugeführt 
werden muß. Außer dieser relativen In¬ 
dikation kennt er noch eine absolute für 
die Pseudarthrosen und die in schlechter 
Stellung geheilten Brüche. Er erwähnt 
zunächst die Gründe, welche eine voll¬ 
kommene Reposition verhindern. Als 
solche Repositionshindernisse hat er Ver¬ 
haken der Bruchenden, Verdrehung der 
Fragmente gegeneinander und Durch- 
spießung eines Bruchendes durch einen 
kleinen Periostriß und Weichteilinter¬ 
positionen gefunden. Als die geignesten 
Methoden für die blutige Vereinigung von 
Knochenbrüchen hält er die einfache 


blutige Reposition und Verzahnung' der 
Fragmente, die Knochennaht, die Bolzung 
mit lebendem autoplastischen Knochen¬ 
material nach Lexer. Bei der Operation 
ist ganz besonderer Wert auf eine sorg¬ 
fältige Desinfektion zu legen. Die Wunden 
müssen möglichst glatt sein, das Periost 
darf aus seiner Verbindung mit den Weich¬ 
teilen nicht gelöst werden. Genügt die 
einfache Verzahnung nicht, so kann man 
mit einer dicken Seidennäht oder einer 
Drahtnaht, besonders bei Schrägbrüchen, 
zum. Ziele kommen. Wird auch hierdurch 
eine feste Fixierung nicht erreicht, so ist 
die Bolzung mit einem Periostknochen¬ 
stücke der Tibia oder mit einem sub¬ 
periostal ausgelösten Fibulastücke, das die 
ganze Dicke dieses Knochens umfaßt, 
das gegebene Verfahren. Es muß dabei 
besonders darauf geachtet werden, daß 
die Bolzen fest eingekeilt werden. Eine 
Schädigung des Unterschenkels durch 
Entnahme des 'Fibulabolzens entsteht 
nicht, da von dem erhaltenen Periost 
die Fibula schnell wieder gebildet wird. 
Bei der Naht komplizierter Frakturen 
muß mit der Operation lange Zeit ge¬ 
wartet werden, da sonst sehr leicht eine 
Eiterung den Erfolg zunichte machen 
kann. Die guten Erfolge dieser Methoden 
werden durch 44 Krankengeschichten mit 
den dazugehörigen Röntgenbildern illu¬ 
striert. Hagemann (Marburg). 

(D. Zschr. f. orth. Chir. Bd. 139, H. 5 u. 6. 

Schmincke berichtet über die Be¬ 
handlung der Krätze durch das Schwe¬ 
felbad, das er im Genfer Bürgerhospital 
kennengelernt hat. Das Verfahren stammt 
von Vlemingk. 

Es befinden sich in einem Neben¬ 
gebäude des Hospitals drei Badezellen 
und ein durch Gasflammen zu erwärmen¬ 
der Heißluftschrank zur Kleiderdesinfek¬ 
tion. Mit der Behandlung der Kranken ist 
ein Wärter und eine Wärterin beauftragt. 

Nachdem der Kranke sich entkleidet 
hat, werden seine Kleider in den auf 150° 
erhitzten Schrank gehängt, in welchem 
dieselben während, der ganzen Prozedur 
bleiben. t Der Patient tritt nun auf ein 
weißes Tuch und wird mittels einer 
Wurzelbürste mit grüner Seife bis an den 
Hals sorgfältig bestrichen. Darauf kommt 
er mit der Seifenlösung in ein Wasserbad 
von 39° C 20 Minuten lang. 

Während des Badens achtet der Wär¬ 
ter darauf, daß der Kranke bis zum Hals 
vollständig untergetaucht ist. Nach dem 
Bade wird er mit einem Frottiertuche ab- 



Mai 


193 ' 


Die Therapie clet 


gerieben und gut abgetrocknet. Hierauf 
wird der ganze Körper wiederum mit einer 
anderen Bürste und Calciumsulfatlösung 
eingebürstet und. darauf vor dem offenen 
Gasfeuer, das den Heißluftschrank er¬ 
wärmt, zehn bis fünfzehn Minuten ge¬ 
trocknet. Darauf kommt er in ein frisch¬ 
bereitetes Schwefelbad von 39° C wiederum 
für 20 Minuten. Dieses wird dadurch her¬ 
gestellt, daß man in einem Wasserbade 
den Rest der Calciumsulfatlösung, welche 
zum Einbürsten des Körpers verwandt 
wurde, verrührt. Es wird pro Patient 1 1 
Calciumsulfatlösung verwandt. Nach dem 
Bade wird der Patient abgetrocknet und 
erhält seine desinfizierten Kleider. Es 
wird ihm dann noch aufgetragen, seine 
Bettwäsche zu wechseln. Im ganzen 
dauert die Prozedur, etwa anderthalb 
Stunden. Dünner. 

(M. m. W. 1917, Nr. 9.) 

Sieb eit macht auf einen ätiologischen 
Faktor für die gewöhnlich unter der 
Bezeichnung Kriegsherz zusammenge¬ 
faßten Zustände des Herzens aufmerksam, 
der wohl .nicht allgemein genügend be¬ 
achtet werden mag. Das ist der Tabak, 
dessen Gebrauch und Mißbrauch der 
Krieg ungeahnt entwickelt hat. Ob man 
nun das Nicotin als den hauptsächlichen 
Faktor der Giftwirkung des Tabaks an¬ 
sieht oder die Pyridinbasen, feststehend 
ist die Wirkung auf das Circulations- 
system, sei es auf dem Umweg über das 
Nervensystem oder direkt. Unter den 
Herzneurotikern fanden sich denn auch 
besonders unter den jüngeren Jahrgängen 
.auffallend zahlreiche Fälle, die bei starker 
Unruhe und ,,Tabakshunger ,, ana¬ 
mnestisch einen schweren Tabakmi߬ 
brauch zugaben (bekanntlich wird auch 
der Tabakverbrauch wie der Alkohol¬ 
verbrauch anamnestisch meist zu gering 
angegeben). Die Schädigung traf hier 
also jugendliche, oft an Tabakgenuß 
vorher nicht gewohnte Leute in Kon¬ 
kurrenz mit den übrigen Schäden. 

Therapeutisch wird bei Herzneurosen 
einmal auf den Tabakverbrauch zu achten 
sein und absolutes Rauchverbot einzu¬ 
treten haben — die Ausfallserscheinungen 
sind ja sehr gering —, sodann aber neben 
Entzug des Alkohols eine milde Bäder¬ 
behandlung (bis 35° 20 bis '30 Minuten 
lang, auch mit aromatischen Zusätzen) 
änzuwenden mit folgender Bettruhe. 

Mit C0 2 -Bädern, besonders künst¬ 
lichen und Moorbädern, ist einige Vor¬ 
sicht am Platze, da sie meist mehr er¬ 


regen wart 1917. 


regend wirken, dagegen bewährten sich 
hier und da kühle Berieselungen der 
Herzgegend im lauen Bade. 

(M. Kl. 1917, Nr. 3) Waetzoldt. 

Lidplastik bei gleichzeitigem 
Bindehautdef ekt hat Kalb ausgeführt. 
Plastische Operationen im Gesicht müssen 
jetzt verhältnismäßig oft vorgenommen 
werden. Bei Defekt eines Unterlids bei 
gleichzeitigem Verluste des Auges hat sich 
dem Verfasser folgendes Verfahren gut 
bewährt: In Lokalanästhesie wird ein 
Hautlappen gebildet, dessen Basis an 
der gleichseitigen Schläfe liegt, während 
die Spitze des zungenförmigen Lappen¬ 
etwas seitlich vom Mundwinkel sich bes 
findet. Während der obere Teil des 
Lappens lediglich aus Haut und Unter¬ 
hautfettgewebe besteht, wird bei dem 
unteren Drittel die Mundschleimhaut mit¬ 
genommen. Der ganze Lappen wird jetzt 
nach.oben geschlagen und so in den Defekt 
in die Orbita hineingelagert, daß die 
Mundschleimhaut zur Conjunctiva wird. 
Später kann dann noch je nach Bedarf 
zur Stütze für das Lid ein Stückchen 
Knorpel frei transplantiert werden. 

(Zbl.f. Chir. 1916, Nr. 30.) Hayward. 

Über tödliche Luftembolie nach 
Lufteinblasung in die Oberkiefer¬ 
höhle berichtet Neugebauer. Der Fall, 
der ein großes praktisches Interesse 
hat, betrifft einen 26 Jahre alten 
Menschen, welcher an einer sechs 
Wochen lang bestehenden Eiterung der 
Oberkieferhöhle litt. Es wurde eine 
Probepunktion der rechten Oberkiefer¬ 
höhle vom unteren Nasengang her nach 
Cocainisierung vorgenommen. Die Punk¬ 
tion verlief ohne Komplikationen und es 
wurde in der üblichen Weise mit einer 
Spritze Luft eingeblasen, wobei man ein 
Brodeln hörte, als wenn Luft und Flüssig¬ 
keit sich mengt; dieses Geräusch wurde 
nach der zweiten Lufteinblasung nicht 
mehr vernommen. Sofort im Anschlüsse 
an diese wurde der Kranke ohnmächtig 
und zeigte vorübergehende Zuckungen. 
Hierbei war der Puls sehr verlangsamt 
und unregelmäßig. Nach einer halben 
Stunde kehrte das Bewußtsein langsam 
wieder und' etwa eine Stunde nach der 
Punktion machte der Patient einen voll¬ 
kommen normalen Eindruck. Er setzte 
sich dann im Bette aufj brach plötzlich 
zusammen und starb nach wenigen Minu¬ 
ten. Bei der Sektion wurden die typischen 
Zeichen der Luftembolie gefunden. Es 

25 



194 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Mai 


war Luft außer im Herzen, in dem jegliche 
Spur von Blut fehlte, vorhanden in den 
Venen der Pia, Jugularvenen, in der 
Leber und in den Mesenterialgefäßen. Die 
Durchsicht der Literatur beweist, daß 
sogenannte üble Zufälle nach der Luft¬ 
einblasung nicht selten sind, und Verfasser 
betont mit Recht, daß man die Ursache 
dieser üblen Zufälle in ähnlichen Verhält¬ 
nissen zu suchen hat, wie in seinem Falle. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 7.) Hayward. 

E d e n bringtVersuche über die spontane 
Wiede rvereinigung durchtrennter Ner¬ 
ven im strömenden Blut und im leeren Ge¬ 
fäßrohre. Die interessanten experimen¬ 
tellen Untersuchungen entstammen der 
Lexerschen Klinik.. Nachdem es sich 
gezeigt hat, daß die Zwischenlagerung 
verschiedener Substanzen bei durchtrenn¬ 
ten Nerven, deren Diastase so erheblich 
ist, daß die Idealmethode, die Vereinigung 
durch die Naht, nicht ausführbar ist, 
oft in Stich läßt sind inader letzten 
Zeit verschiedene Methoden angegeben 
worden, welche dem erhofften Ziele 
näherbringen sollten. Das bekannte 
Verfahren von Edinger hat heute als 
abgelehnt zu gelten. Wichtig und inter¬ 
essant sind dieUntersuchungen von Be the, 
welcher Leichennerven erfolgreich zu¬ 
nächst beim Tier eingepflanzt hat. Die 
Resultate von Eden, welche bisher eben¬ 
falls nur am Tiere haben gewonnen werden 
können, stützen sich auf folgende Ex¬ 
perimente: Er durchtrennte .Nerven, 
welche in der Nähe großer Gefäße ver¬ 
laufen und pflanzte bei einer Öiastase 
von einigen Zentimetern die Nerven- 
stümpfe in das benachbarte Gefäßrohr 
ein, teils in die Vene, teils in die Arterie. 
Blieb der Kreislauf erhalten, was nicht 
immer der Fall war, so wurde ein Aus¬ 
wachsen der Nerven im strömenden Blute 
beobachtet, welches schließlich zur Ver¬ 
einigung der Nervenstümpfe führte. War 
dagegen das Gefäßrohr leer, dann trat 
niemals eine Vereinigung ein. Die Dauer 
bis zur' Wiederherstellung eines normalen 
Nervenstücks betrug 62 Tage. 

Hayward. 

(Arch. f. klin. Chir. Bd. 108.) 

Reinhard geht in einer ausführ¬ 
lichen Arbeit auf die Novcciinleitungs- 
anästhesie ein. Er schildert zunächst die 
im wesentlichen bekannten Vorteile dieser 
Methode gegenüber der Inhalationsnarkose 
und die für die Anwendung der Lokal¬ 
anästhesie bekannten Kontraindikationen. 
Das eigentliche Thema seiner Arbeit be¬ 


handelt die centrale Leitungsanästhesie 
des N. trigeminus, die paravertebrale, die 
sakrale und parasakrale Anästhesie, die 
thorakale Anästhesie der nn. intercostales, 
die Plexusanästhesie nach Kulenkampff, 
die paravertebrale und sakrale Anästhesie 
der Beinnerven. Er geht genau auf die 
bekannte Technik dieser Methoden ein. 
Er ist mit den geschilderten Methoden 
so außerordentlich zufrieden, daß, seiner 
Ansicht nach, jede Operation in Leitungs¬ 
anästhesie möglich ist. Die angeschfossene 
Statistik über 584 Operhtionen in zen¬ 
traler Leitungsanästhesie führt fast sämt¬ 
liche größere Operationen im Bereich des 
Gesichtes, des Halses, der Brust, des 
Bauches, des Beckens, der Arme und der 
Beine auf. Hagemann (Marburg). 

(D. Zschr. f. Chir. Bl 139 H. 5 u. 6.) 

Die eitrige Osteomyelitis der Patella 

stellt eine seltene Erkrankung dar. In 
der Literatur sind bisher nur 13 Fälle 
beschrieben, denen Walther zwei weitere 
Beobachtungen zur Seite stellt, welche in 
der Lexerschen Klinik haben gemacht 
werden können. In dem einen Falle ent¬ 
stand das Leiden bei einem ’öjährigen 
Jungen im Anschluß an ein Trauma, 
während der zweite Fall bei einem 
11jährigen Knaben sich ohne erkennbare 
Ursache entwickelte. Der erste Kranke 
kam in akutem Stadium in die Klinik, 
bei dem anderen war bereits das chroni¬ 
sche Stadium erreicht und Fistelbildung 
vorhanden. Die Diagnose der akuten 
Patellarosteomyelitis ist kaum zu stellen, 
denn das Krankheitsbild unterscheidet 
sich durch nichts von der Bursitis prae- 
patellaris, während im chronischen Sta¬ 
dium die Diagnose, namentlich durch die 
Kontrolle desRöntgenbildes, keineSchwie- 
rigkeiten macht. Die Therapie ist eine 
operative, die Prognose ist günstig. 

Hayward. 

(Arch. f. klin. Chir. Bd. 108.) 

Wilms wendet die Drainage des 
Douglas nach dem Mastdarm in 
schweren Fällen von Peritonitis beim 
Manne an. Während der Operation geht 
er mit einer Kornzange bis an den tiefsten 
Punkt des Douglas, durchsticht das Rec¬ 
tum unter Kontrolle zweier in den Mast¬ 
darm eingeführter Finger. Mit dieser 
Kornzange 'wird dann ein Gummirohr 
durch den Anus in den Bauchraum hinauf 
gezogen. Das Gummirohr muß so lang 
sein, daß es durch den Anus hindurch 
nach außen endet. Dann beginnt die 
Spülung der Bauchhöhle, welche infolge 




Mai 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


195 


des Abflusses des Inhalts der Bauchhöhle 
durch das Drainrohr besonders gründlich 
erfolgen kann. Das Drain bleibt dann 
während der Nachbehandlung liegen. Ist 
das Loch in der Darmwand so klein, daß 
es das Drainrohr fest umschließt, so 
können auch Dauerklistiere neben dem 
Drainrohr ohne Störung gegeben werden. 

Hag"mann fMarburg). 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 136. H5u6.) 

Regeneration und Narbenbildung in 

offenen Wunden, die Gewebslücken auf¬ 
weisen, war der Gegenstand eines Vor¬ 
trages, welchen Bier am 7. Februar 1917 
in der Berliner Medizinischen Gesellschaft 
gehalten hat. Der Vortrag stellt' einen 
Teil von Ergebnissen dar über Unter¬ 
suchungen auf dem Gebiete der Re¬ 
generation, deren Veröffentlichung für 
später in Aussicht gestellt wird. Ver¬ 
fasserbetont, daß die moderne Chirurgie, 
welche vollkommen auf die aseptische 
Wundbehandlung eingestellt ist, das wich¬ 
tige Kapitel der Regeneration stark ver¬ 
nachlässigt hat. Die Hauptbedingungen 
für die Regeneration fortgefallenen Ge¬ 
webes beim Menschen sind: 1. die Er¬ 
haltung'der Lücke, das heißt wenn man 
z. B. zu Transplantationszwecken ein 
Stück aus dem Schienbein wegnimmt, 
muß man die Haut darüber vollkommen 
exakt schließen, ohne daß sie sich in den 
Defekt einstülpt. Dann läuft die Höhle 
voll von Blut, es kommt in. kürzester 
Zeit zur vollkommenen Wiederherstellung 
des Knochens und die Narbe der Haut 
bleibt auf der Unterlage verschieblich; 
2. der Nährboden: nicht jedes Gewebe 
gibt für die Regeneration den gleichen 
Nährboden ab; es gibt anspruchsvolle und 
anspruchslose Gewebe; 3. das Blut bietet 
bei genügender Blutzufuhr allen Geweben 
die nötige Nahrung, welche sie bedürfen; 
4. Fremdkörper sind für die Regeneration 
störend; 5. die größte Gefahr bietet die 
Infektion; 6. um eine richtige Ausfüllung 
der Lücke zu erzielen, bedarf das be¬ 
treffende Glied der Ruhe; 7. die Wärme 
stellt ein ausgezeichnetes Unterstützungs¬ 
mittel dar, ebenso wie die Feuchtigkeit 
und endlich ist von besonderem Einfluß 
das Alter des betreffenden Individuums. 

Wenn man diesen Gesichtspunkten, 
welche den regenerativen Vorgängen der 
geschlossenen Wunde entnommen sind, 
bei der offenen Wunde nachgeht, so er¬ 
gibt sich, daß nur ein ganz geringer Teil 
bei diesen zutrifft. Wir sind daher ge¬ 
wohnt, bei offenen Wunden mit einer 


Narbenbildung zu rechnen, welche mit 
den Narben der erst beschriebenen Art 
keinen Vergleich aushält. Die Ursachen 
für diese Erscheinung werden an dem 
Beispiele der schlechten Heilung einer 
Knochenhöhle dargelegt. Genaue Beob¬ 
achtungen bei der Thierschschen Trans¬ 
plantation zeigen, daß in dem Augen¬ 
blick, in dem die Epidermisläppchen zur 
Anheilung kommen, eine derbe Narben¬ 
bildung der Unterlage einsetzt, wofern 
man auf Granulationen und nicht auf 
frische Wundflächen transplantiert. 

Auch hier fehlt die regenerative Eigen¬ 
schaft des Blutergusses. Ein weiteres 
Beispiel: In Fällen, in denen es zu einer 
tiefen Einziehung der Hautnarbe nach 
Knocheneiterungen gekommen ist, nützt 
die subcutane Abtrennung der Narbe mit 
gleichzeitiger Saugbehandlung ganz außer¬ 
ordentlich, während die Saugbehandlung 
allein nicht zum Ziele führt. Alles in 
allem kann man sagen, daß die Aus¬ 
füllung einer Knochenhöhle durch Gra¬ 
nulationsgewebe nicht in hinreichendem 
Maße stattfindet, um für das von der 
Haut her herankriechende Epithel einen 
günstigen Mutterboden abzugeben. Ge¬ 
lingt es, die Ursachen der schlechten 
Narbe zu vermeiden, so muß es möglich 
sein, bessere Heilungen zu erzielen. ’ Hier 
leitet uns das Beispiel der subcutanen 
Regeneration. Wurde eine offene Knochen¬ 
wundhöhle mit wasserundurchlässigem 
Stoff so bedeckt, daß dieser die Höhle 
überbrückte, so füllt sie sich bald mit 
Wundsekret, welches sich bald in Eiter 
verwandelt. Läßt man einen derartigen 
Verband vier Wochen liegen, so ergibt 
sich, daß die Höhle nach Abspülen des 
Eiters mit ausgezeichneten Granulationen 
bedeckt ist, daneben haben sich Rand¬ 
schorfe gebildet, unter denen die neuge¬ 
bildete Epidermis sich vorgeschoben hat. 
Hieraus ergibt sich, daß der Eiter einen 
guten Nährboden für die Granulations- 
bildung abgibt, wobei eine vorzeitige 
Epithelisierung verhindert wird. Legt 
man jetzt einen Salbenlappen auf, so 
geht die Epithelisierung über diese gute 
Granulation schnell vor sich, wobei die 
Epidermis einen wesentlich besseren Ein¬ 
druck macht, als wir sie sonst zu sehen 
gewohnt sind. 

Im zweiten Teil der Arbeit kommt 
Bier zunächst auf den Vorgang der 
Heilung bei den nicht aseptischen Höhlen 
zu sprechen. Es war auffallend, daß die 
Methode, welche doch nach landläufigen 
Ansichten zu einer Verhaltung führen 

25* 



196 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Mai 


müßte, niemals zu Erysipelen, Furunkeln 
itsw. Veranlassung gegeben hat. ln den 
14 Fällen blieb nur ein einziges Mal eine 
befriedigende Ausfüllung der Knochen¬ 
höhle aus. Viermal blieb eine kleine 
Fistel zurück, welche nach Entfernung 
-eines Nachsequesters ausheilte. Weiter¬ 
hin wurde das Verfahren' ausgedehnt auf 
die Behandlung von Unterschenkelge¬ 
schwüren und Amputationsgeschwüren 
bei Verwundeten. Hier heilten von neun 
sehr hartnäckigen Geschwüren vier voll¬ 
kommen aus, aber auch bei den Mi߬ 
erfolgen war die gute Granulationsbildung 
unverkennbar. Als unterstützend kommen 
in Betracht der feuchte Verband, die 
offene Wundbehandlung, die Lichtbehand¬ 
lung und die von Bier in seinem Buche 
,, Hyperämie als Heilmittel“ angeführte 
Verbandmethode mit dem Handtuchver¬ 
band. Die interessanten* Ausführungen 
werden in einer Reihe von Leitsätzen 
zusammengefaßt, aus denen hier re¬ 
ferierend folgendes angeführt werden soll: 
Alle Verletzungen sollen, wenn irgend 
möglich, durch die Naht geschlossen 
werden. Schlechte Narben sollen auf das 
gründlichste herausgeschnitten und die 
Lücken durch Haut gedeckt werden. 
Eine der häufigsten Ursachen schlechter 
Narbenbildung ist die weite Spaltung der 
Abscesse mit nachfolgender Drainage und 
Tamponade, wie von Bier schon seit 
vielen Jahren bei der Behandlung der 
Brustdrüsenentzündung der stillenden 
Frauen gezeigt wurde. Hayward. 

(B. kl. W. 1917, Nr. u. 10.) 

Über die flächenhafte Unterschnei¬ 
dung motorischer Gehirnrindencentren 
zur Bekämpfung der traumatischen 
Rindenepilepsie macht Kirschner neue 
Mitteilungen. Seine Ausführungen be¬ 
ziehen sich auf diejenigen Fälle von Epi¬ 
lepsie, welche im Anschluß an ein Trauma 
•sich entwickeln und stets im gleichen 
Muskelgebiete beginnen. Es ist nicht ohne 
weiteres gesagt, daß in diesen Fällen regel¬ 
mäßig Veränderungen in der motorischen 
Rindenregion gefunden werden. Immerhin 
indiziert das Auftreten der Krämpfe einen 
operativen Eingriff. Abgesehen von den 
Fällen, in welchen man Knochensplitter, 
Fremdkörper, Cysten und dergleichen 
findet, lassen sich oft Verhältnisse nach- 
weisen, deren Beseitigung schwer er¬ 
scheint: flächenhafte Verwachsungen der 
Gehirnoberfläche mit den bedeckenden 
Gewebsschichten oder Narbenbildungen 
in der Gehirnrinde. Die einfache Lösung 


dieser Verwachsungen genügt nicht zur 
Herbeiführung einer Dauerheilung,ebenso¬ 
wenig sind die Resultate der Überpflan¬ 
zung von Eett und dergleichen zufrieden¬ 
stellend. 

Krause hat auf Grund dieser Mi߬ 
erfolge die vollkommene Excision der er¬ 
krankten Centren erfolgreich ausgeführt. 
Kirsch ner stützt sich bei seiner Methode 
der Unterscheidung auf die Untersuchun¬ 
gen des Physiologen Trendelenburg. 
Er geht folgendermaßen vor: In Lokal¬ 
anästhesie wird der erkrankte Hirnäb- 
schnitt freigelegt; dann wird mit schwa¬ 
chen faradischen Strömen die in Betracht 
kommende Stelle der motorischen Region 
aufgesucht, wobei häufig ein typischer 
epileptischer Anfall ausgelöst werden kann. 
Diejenigen Abschnitte, welche den durch 
die klinische Beobachtung festgestellten 
Centren entsprechen, werden durch kleine 
Punkte mit einer Methylenblaulösung 
markiert und durch die Anhäufung dieser 
blauen Punkte das erkrankte Rinden¬ 
gebiet erkannt. Interessant ist hierbei, 
daß gelegentlich Abschnitte angetroffen 
werden, welche makroskopisch vollkommen 
normal erscheinen. Dann wird am besten 
mit einem doppelschneidigen Messer mit 
parallelen Schneiden das betreffende Ge¬ 
biet in ungefähr 2—3 mm Dicke unter¬ 
schnitten. Durch eine sofortige Kontrolle 
mit dem elektrischen Strom wird die Voll¬ 
ständigkeit des Eingriffes geprüft und die 
Schädelwunde vollkommen geschlossen. 
Das Verfahren wurde in sechs Fällen in 
Anwendung gebracht; zweimal konnten 
Lähmungen, die erst im Laufe der Zeit 
nach der Verletzung entstanden waren, 
wieder behoben werden. Bewegungs¬ 
behinderungen und Lähmungen, welche 
sich im Anschlüsse an die Operation ein¬ 
stellten, gingen sämtlich in zwei bis drei 
Wochen zurück. In den ersten Tagen 
nach der Operation traten bisweilen noch 
mehrmals Zuckungen und gelegentlich 
leichte Krampfanfälle auf, aber im Laufe 
von zwei bis drei Wochen sistierten diese 
Anfälle vollständig. Die Erfolge sind 
eklatant, über die Dauerresultate kann 
erst die Zukunft entscheiden. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 8.) Hayward. 

Bakteriologische und klinische Er¬ 
fahrungen über die Ruhr auf dem öst¬ 
lichen Kriegsschauplätze teilt H. K. Bar- 
renscheen mit. Bei der bakteriologi¬ 
schen Diagnose kann man sich bei Zeit¬ 
mangel unbedenklich damit begnügen, 
festzustellen, ob Shiga-Krusesche oder 



Die Therapie der Gegenwart 1917. 


197 


Mai. 


Bacillen der giftarmen Typen vorliegen; 
eine nähere Differenzierung der letzteren 
ist praktisch unnötig. Die bakteriologi¬ 
sche Stuhluntersuchüng bei Ruhr gibt 
aber ganz allgemein, speziell unter Feld¬ 
verhältnissen, schlechte Resultate und 
bietet einige Aussicht auf Erfolg nur, 
wenn Material von frischen Fällen vor¬ 
liegt, wenn dieses Material alsbald nach 
der Entleerung zur Untersuchung kommt, 
also ein Überwuchern der sehr hinfälligen 
Ruhrbacillen durch Saprophyten ver¬ 
mieden werden kann, und wenn Material 
von dem gleichen Kranken mehrfach 
untersucht werden kann. Der Mangel 
eines elektiven Nährbodens und eines 
Änreicherungsverfahrens macht sich sehr 
fühlbar. Bessere Ergebnisse als mit der 
Stuhluntersuchung lassen sich durch die 
Agglutinationsreaktion erhalten, bei der 
allerdings alle Fehlerquellen sorgfältig 
ausgeschaltet und die zu verwendenden 
Teststämme richtig ausgewählt werden 
müssen. Barrenscheen erhielt in der 
zweiten Krankheitswoche mit der Agglu¬ 
tinationsprobe in 72 % der Fälle ein 
positives Resultat, dagegen mit der 
Stuhluntersuchung nur bei 12,15% der 
Fälle. 

Auch die Flexnerruhr kann klinisch 
unter Umständen so schwer verlaufen 
wie die Shiga-Kruse-Ruhr. Für den 
Verlauf ist die Jahreszeit bedeutungsvoll, 
ferner aber auch der Umstand, ob eine 
Truppe frisch in ein verseuchtes Gebiet 
kommt oder ob sie schonGelegenheit hatte, 
sich allmählich durch Überstehen leichter 
Erkrankungen zu immunisieren. Sehr 
schwer ist der Verlauf bei Mischinfektionen 
von Cholera und Ruhr, bei denen letztere 
die Symptome von seiten des Darmes zu 
beherrschen pflegt. Pathologisch-anato¬ 
misch war neben schwersten und aus¬ 
gedehnten Dickdarmveränderungen meist 
auch eine Beteiligung des Dünndarmes bis 
weit hinauf ins Ileum festzustellen. Für 
die Nachkrankheiten und Komplikationen 
ist der Genius epidemicus bedeutungsvoll. 
Besonders werden Konjunktivitiden und 
rheumatische Gelenkaffektionen beob¬ 
achtet. Therapeutisch wurden von der 
Tierkohle in Verbindung mit Kalomel 
oder Ricinus die denkbar besten Erfolge 
gesehen. Daneben ist Atropin zur Herab¬ 
setzung des Vagustonus besonders emp¬ 
fehlenswert. Adrenalinanwendung ist 
weniger rationell. Sehr günstige Ergeb¬ 
nisse hatte auch die Injektion von anti¬ 
toxischem Shiga-Kruse-Seriim oder von 
polyvalentem Ruhrserum. Man muß aber 


genügende Mengen, selbst bis zu 100 ccm, 
einspritzen. Hetsch (Berlin). 

(Beitr. z.Klin d Infekt.-Krankh. u. z Immun.* 
Forschung Bd. V, H. 3 ) 

Über die moderne Behandlung des 
Tetanus schreibt Kreuter. Er schildert 
unter besonderer Berücksichtigung der 
jetzigen Kriegserfahrungen zusammen¬ 
fassend die neuzeitlichen Verfahren der 
Wundstarrkrampfbehandlung und die ex¬ 
perimentellen Forschungsergebnisse, die 
ihnen zugrunde liegen. Wenn auch in der 
vorbeugenden Antitoxinbehandlung bei 
jeder als Eintrittspforte der Tetanus¬ 
bacillen dienenden Kriegsverletzung ein¬ 
zig und allein der Schwerpunkt liegt, so 
darf die Wunde doch s.elbst nicht ver¬ 
nachlässigt werden. Komplizierte Wun¬ 
den sind durch Incisionen, Entfernung 
der Nekrosen, die reduzierend wirken und 
anaerobe Bedingungen herstellen, tun¬ 
lichste Eliminierung eingedrungener 
Fremdkörper, Schaffung günstiger Ab¬ 
flußverhältnisse für die Wundsekrete und 
genügende Offenhaltung in einfache zu 
verwandeln: Abzulehnen ist nach all¬ 
gemeiner Anschauung jede Verätzung und 
Verbrennung der. Wunde, da jeglicher 
Schorf die anaeroben Erreger begünstigt. 
Allenfalls könnte von der Behandlung der 
Wunden mit Wasserstoffsuperoxyd und 
mit Jod Nutzen erwartet werden, wenn 
vielleicht auch nur in dem Sinne, daß 
diese Antiseptikadie Saprophyten schädi¬ 
gen, die als Sauerstoffzehrer die Ent¬ 
wickelung der Tetanuserreger fördern 
könnten, aber auch ohne antiseptische 
Wundbehandlung ist seit Einführung der 
obligatorischen Serumprophylaxe der 
Tetanus sicher vermeidbar. Die mehrfach 
empfohlene Behandlung der Wunden mit 
Perubalsam, Chlor, Carrel-Dakinscher Lö¬ 
sung, Rovsingscher Lapisgaze, Stau- und 
Saugbehandlung nach Bier, Heißluft¬ 
duschen, künstlicher Höhensonne usw. 
hat eine nur untergeordnete Bedeutung. 
Die lokale Wundbehandlung mit Tetanus¬ 
antitoxin in trockener oder flüssiger Form 
leistet weniger als die anderen Methoden 
der Serumanwendung. 

Die Kriegserfahrungen haben gezeigt, 
daß eine einmalige subcutane Gabe von 
20 Antitoxineinheiten Tetanusserum die 
Infektion mit genügender Sicherheit ver¬ 
hindert. Der Ort der Einspritzung ist 
gleichgültig. Sofort nach der Verletzung 
zu spritzen, ist die Hauptsache. Dann 
ist auch die Dauer des Impfschutzes aus¬ 
reichend. Ist aus irgendwelchen Gründen 




198 Die'Therapie,der 


längere Zeit, vielleicht sogar ein Tag ver¬ 
gangen, bis. die Impfung vorgenommen 
werden kann, dann .wird sich der Vor¬ 
schlag Kochers empfehlen, die Injek¬ 
tion nach 5, 8 und 12 Tagen zu wieder¬ 
holen. Die Kriegslehren müssen in die 
Friedenspraxis übergehen. Jeder Arzt 
müßte zur Verantwortung gezogen wer- 
• den, der bei einer verdächtigen Verletzung 
versäumte, Serum prophylaktisch anzu¬ 
wenden. Ein eiserner Bestand von Teta¬ 
nusserum sollte behördlich von jedem 
Praktiker verlangt werden. Eine ernstere 
Anaphylaxiegefahr ist nur dann zu be¬ 
fürchten, wenn nach subcutaner Schutz¬ 
impfung (Sensibilisierung durch das art¬ 
fremde Eiweiß) nach 10—14 Tagen intra¬ 
venös — wegen etwa auftretender teta- 
hischer Symptome — nachgespritzt wird. 
Das ist streng zu vermeiden. In solchen 
Fällen wird man sich höchstens zu intra¬ 
spinaler Serumzufuhr entschließen, wenn 
man nicht besser ganz .darauf verzichtet 
und rein symptomatisch vorgeht. 

Die Serumbehandlung des. aus- 
gebrochenen Tetanus ist trotz ihrer schon 
theoretisch beschränkten Leistungsfähig¬ 
keit in jedem Falle eine wissenschaftlich 
wohl begründete Forderung, da man dem 
beginnenden Falle nicht ansehen kann, 
ob die central schon verankerte und damit 
als solche unbeeinflußbare Giftmenge die 
tödliche Dosis erreicht oder überschritten 
hat, und von einer rationellen Serum¬ 
therapie erwartet werde'n kann, daß nach 
ihrer Einleitung eine weitere centrale 
Giftverankerung verhindert wird. Die 
subcutane Anwendung ist als Behand¬ 
lungsmethode nicht zu empfehlen. Bei 
jedem ausbrechenden Falle von Tetanus 
beginne man sofort mit intravenösen 
Seruminjektionen und scheue große Dosen 
nicht. Man gebe täglich, weil eine ge¬ 
wisse Überschwemmung des Blutes nötig 
ist und das Antitoxin rasch ausgeschieden 
wird, 200—500 A. E. und gehe mit dem 
Abklingen der Erscheinungen zurück. Im 
, allgemeinen setze man (wegen Anaphy¬ 
laxiegefahr) die intravenösen Gaben nicht 
über zehn Tage fort. Die endöneurale 1 
und intraspinale Seruminjektion haben 
die Aufgabe der Giftsperre in der Nerven¬ 
leitung. Namentlich die letztere, durch 
die das Antitoxin nicht nur sehr rasch in ! 
Blut und Lymphe aufgenommen, sondern 
noch in Nerven wanderndes Toxin ver¬ 
hindert wird, das Rückenmark zu errei¬ 
chen, ist in letzter Zeit Gemeingut .der 
Serumtherapie geworden. Man infun¬ 
diere- — nötigenfalls in Narkose— lang-. 


Gegenwart 1917. Mai 


sam nach Ablässung einer entsprechenden 
Liquormenge 100—150 A. E. und bringe 
nachher Oberkörper und-Kopf in schräge 
Tieflagerung, um eine möglichst gleich¬ 
mäßige und hoch hinaufgehende Vertei¬ 
lung des Antitoxins im Rückenmarks¬ 
raum zu erreichen. Die intraspinalen . In¬ 
jektionen können mehrere Tage nachein¬ 
ander wiederholt werden. Ihnen folgen 
oft Temperatursteigerungen und Exan¬ 
theme. Die intracerebrale, intraarterielle 
und epidurale Injektion ist nicht empfeh¬ 
lenswert. Durch intravenöse und sub¬ 
durale Injektion großer Antitoxinmengen 
ließ sich die Tetanusmortalität, die in 
der Vorserumzeit 80—90 % betrug, auf 
35,5 % (Kreuter), 31,5 % (Dreyfus und 
Unger), sogar auf 17 % (Lexer) herab¬ 
drücken. 

Bei der Besprechung der sympto¬ 
matischen Behandlung des Tetanus 
wird zunächst die Anwendung des Magne- 
siumsulfats nach Indikation, Dosierung 
und bisherigen * Erfahrungen geschildert: 
Subcutän wird nach Stadler eine 30 bis 
40 %ige Lösung gegeben, und zwar pro 
injectione 5 g und pro die 15—25 g Ma¬ 
gnesiumsulfat. Bei Kindern, wo die sub¬ 
cutane Anwendung besonders empfeh¬ 
lenswert ist, wird , eine Tagesdosis von 
0,5—0,7 g pro kg Körpergewicht berech¬ 
net. Bei der bisher am wenigsten er¬ 
probten intravenösen und intramusku¬ 
lären Injektion ist die Wirkung flüchtig 
und schädliche Nebenwirkungen auf das 
Kreislaufsystem sind zu befürchten. Das 
intraspinale Verfahren, bei dem im all-, 
gemeinen 0,03 g Magnesiumsulfat pro kg 
Körpergewicht gegeben wird, bleibt für 
schwerste Fälle reserviert. Der Kranke 
ist dauernd zu überwachen. Zur Be¬ 
kämpfung des drohenden Atemstillstan¬ 
des müssen alle Maßnahmen getroffen 
sein. Bei ganz schweren Störungen ver¬ 
mag nur die künstliche Atmung unter 
Überdruck zu helfen. Ein endgültiges 
Urtei} über die Leistungsfähigkeit der 
intraspinalen Magnesiumbehandlung ist 
noch nicht möglich. 

Über die Karbolbehandlung nach 
Bacel'li gehen die Urteile der Autoren 
noch sehr auseinander. Das Verfahren 
besteht in subcutanen Einspritzungen 
einer 2—3 % igen Karbollösung., ’ Eine 
Wirkung wird nur von hohen,- bis über 
die Maximaldosis (1,5 g) hinausgehenden 
Gaben erwartet, die im allgemeinen gut 
vertragen werden. 

Von anderen symptomatischen' Mit¬ 
teln hat sich u. a. die Narko-se'bewährt, 



Mai jDre- Ther^pie^der 

~ 7^~ ’ " J ~ “ r “ 

besonders die Cftloroformanwendung. 
Chi oral gibt man am besten in. Fpcm 
von Klysmen (Chloral 10,0, Mucil. sajep 
ad 250,0 ; innerhalb 24 Stunden 5—6 Klys¬ 
men zu 50 g). .Auch die Kombination von 
Chloral, mit anderen Narkoticis ist emp¬ 
fehlenswert. Morphium ist besonders 
gegen den so gefährlichen Zwerchf ell- 
glö'ttiskrampfkomplex wichtig und be¬ 
währt. Man- braucht vor .hohen Dosen 
nicht zurückzuschrecken, wenn man nur 
zur künstlichen Respiration gerüstet: ist. 
Weiterhin kommen Pantopon, Brom¬ 
kali (bis zu 10g), Cocain'(0,01—0,03 g 
pro die), Urethan (bis zu 15 g), Sulfo- 
nal, Opium'.usw. in Betracht. Kurare 
und Kurarii werden verschieden beur¬ 
teilt und haben keine größere Verbreitung 
•gefunden. Neuerdings wird Luminal 
besonders empfohlen (.1—2 g Luminal- ! 
nätrium am Tage), auch' in Kombination 
mit Morphium oder Chloralhydrat. Bei 
der von Rothfu.chs empfohlenen Sal- 
varsananwendung ist wohl die gleich¬ 
zeitig vorgenommene Serumbehandlung 
das ausschlaggebende gewesen. 

Von den chirurgischen symptomati¬ 
schen Maßnahmen ist die Tracheoto¬ 
mie bei'schweren Fällen und plötzlicher 
Asphyxie unersetzlich. Kocher empfahl 
sie auch als prophylaktischen Eingriff, bei 
•der Magnesiumtherapie. Die doppel¬ 
seitige Phrenikotomie (evtl, mit Trache¬ 
otomie kombiniert) erstrebt eine Läh¬ 
mung des Zwerchfells zur Beseitigung der 
Krämpfe und ermöglicht infolge der Er¬ 
schlaffung der Muskeln eine ausgiebige 
künstlicheLungenatmung (S au e r b r u c h). 
Gastrostomie und Ösophagostomie 
sind nur bei Gefahr des Verhungerns und 
Verdurstens indiziert. Die sachgemäße 
A11 g e m e i n b e h a n d 1 u n g — Isolierung, 
Fernhaltung aller Reize, beste Pflege, 
protrahierte heiße Bäder, Quarzlampen¬ 
bestrahlung, sorgsamste Ernährung — 
darf nicht vernachlässigt werden. 

Hetsch (Berlin). 

(Beitr. z. Klin. d. Infekt.-Krkh. u. z. Immu- 
nitätsforsch. Bd. V, H. L) 

Theorie und Technik der extra- 
.pleuralen ’ Thorakoplastik behandelt 
Hans Kronberger (Davos). 

Der Wert der bei der Lungenphthise 
angewendeten Eingriffe wird verschieden 
beurteilt. Bei Resektion ist das Resultat 
nicht immer zufriedenstellend. Eine In¬ 
dikation für eine Thorakoplastikoperation 
besteht: 1. wenn der Patient ohne chir¬ 


GegenwartjigiT. 


urgischen Eingriff voraussichtlich zu¬ 
grunde gehen würde; 2. wenn die Lungen¬ 
erkrankung einseitig und ausgedehnt ist; 
3. wenn infolge ausgedehnter Pleura¬ 
adhäsionen die Anlegung eines künstlichen 
Pneumothorax nicht- mehr ..möglich ist. 
Die Vorbedingungen für eine Plastik sind 
dann erfüllt, 1. wenn der allgemeine 
Kräftezustand des zu Operierenden noch 
ausreichend gut ist; 2. wenn die eine der 
beiden Lungen wenigstens praktisch in 
dem Sinne,gesund ist, daß sie wahrschein¬ 
lich den postoperativen erhöhten Anforde¬ 
rungen an Respiration und Circulation 
ungefährdet gerecht werden kann. Kon¬ 
traindiziert ist die Thorakoplastik' trotz 
gegebener Indikation und bei sonst er¬ 
füllten Vorbedingungen, wenn ein großer 
Teil der zu operierenden Lunge (ein Lap¬ 
pen und mehr) derb käsig-pneumonisch 
infiltriert ist, — Die heute am meisten 
geübten Methoden sind die:nach Brauer- 
Friedrich, Wilms und Sauerbruch. 
Sie bezwecken die Mobilisierung des 
starren Thorax, um der erkrankten Lunge 
die Möglichkeit zum Kollabieren, zur Ein¬ 
leitung ausgiebiger Schrumpfungsprozesse 
und damit zur Heilung, zu geben. Wenn 
die Plastik Erfolg hat, so schließen sich 
der Kompression bald die Schrumpfungs¬ 
prozesse an. Der Thorax paßt sich durch 
Zusamriienrücken der Rippenenden sei¬ 
nem verkleinerten Inhalt an, es kommt 
zur hochgradigen Retraktion der Thorax¬ 
wand. 

Diese Methoden haben mancherlei Ge¬ 
fahren und Komplikationen: Todesfälle 
-infolge von Operationsshock, Aspirations¬ 
pneumonie, zu deren Vermeidung man 
zunächst die Unterlappenplastik macht. 
Ferner hat die kollabierte Lunge durch 
die Resektion ihre Expirationskraft so 
sehr eingebüßt, daß der Patient, der außer¬ 
dem jede schmerzhafte Atembewegung 
allzu ängstlich meidet, das Sputum nicht 
aushusten kann; entweder erreicht es die 
Bifurkation der Trachea überhaupt nicht 
oder es wird von hier aus in die gesündere 
Lunge angesaugt und gibt Veranlassung 
zu frischer Infektion. Durch die Schrump¬ 
fungsprozesse gibt es auch Störungen in 
der Blutcirculation und schließlich bilden 
sich bei ausgedehnten Operationen im 
Laufe der Zeit starke Thoraxdeformie- 
rungen aus. 

. Verfasser schildert nun eine Methode, 
bei der er, statt wie bei den bisherigen 
Verfahren, eine Folge unmittelbar neben¬ 
einander liegender Rippenstücke.:-zu ent- 
vfernen, die alternierende Resektion vor- 





200 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Mai 


nimmt, die darin besteht, daß der Thorax 
in Breiten von je ein bis zwei Intercostal- 
räumen mobilisiert wird und daß dem¬ 
entsprechend dazwischen je eine oder zwei 
Rippen vollständig erhalten bleiben. Vor¬ 
teilhaft ist die Resektion möglichst langer 
Rippenanteile. Die Größe des Eingriffes 


richtet sich nach der Ausdehnung der Er¬ 
krankung. . Diese Plastik kann an der 
Vorder- wie Hinterfläche des Thorax 
ebensogut wie an den lateralen Partien 
vorgenommen werden, unter Umständen 
auch zweizeitig. Dünner. 

(D. m. W. 1917, Nr. 10.) 


Therapeutischer Meinungsaustausch. 

Über Ergotin-Merck 

(Kurze Mitteilung aus der Praxis). 

Von Dr. F. Baum-Berlin. 


Obwohl die meisten Kliniken als beste 
Secale-Verordnung nur das frische In- 
fusum Secalis cornuti oder Pulvis Secalis 
cornuti empfehlen, was man für die Ge¬ 
burtshilfe auch befolgen kann, so gibt es 
in den gynäkologischen Fällen der all¬ 
gemeinen Praxis doch sehr viele Gelegen¬ 
heiten, bei denen man lieber zu einem der 
handlichen modernen Präparate greift, 
teils wegen ihrer angenehmeren Dar¬ 
reichung, teils wegen der Ausschaltung 
gewisser Nebenwirkungen. An der Ver¬ 
besserung und Verfeinerung der Secale- 
wirkung ist ja in den letzten Jahren viel 
gearbeitet worden. Man erkannte im 
Ergotoxin die Ursache des Secalegangräns 
und stellte fest, daß eine Hauptwirkung 
des Mutterkorns als Hämostatikum und 
wehentreibendes Mittel in den basischen 
Verbindungen Imidazolyläthylamin und 
Paraoxyphenyläthylamin enthalten ist. 
Die Körper wurden auch auf syntheti¬ 
schem Wege dargestellt und als Ersatz 
für Secale cornutum in den Arzneischatz 
eingeführt. Bis jetzt haben sie aber die 
Droge und die daraus hergestellten phar¬ 
mazeutischen Präparate nicht verdrängen 
können, so daß im Gegenteil immer wieder 
neue der letzten Art dazu gekommen sind. 
Hierzu gehört auch das „Ergotin-Merck“, 
das ich seit seiner Einführung bei den 
Berliner Krankenkassen, also schon über 
ein Jahr, ziemlich ausgiebig verwende. 

Ergotin-Merck ist ein Extrakt, dessen 
Darstellung auf die unveränderte Er¬ 
haltung der wirksamen Gesamtbestand¬ 
teile des Mutterkorns, dagegen auf eine 
Ausschaltung von nebensächlichen Ballast¬ 
stoffen hinausgeht. Das Wirkungsverhält¬ 
nis zum Secale cornutum ist so, daß ein 
Teil des Extraktes vier Teilen Droge 


gleichwertig ist. Die tiefbraune, klare 
Flüssigkeit ist sterilisiert und kann aus 
den bei den Kassen zugelassenen Original¬ 
gläschen zu 5 g, wenn sie frisch an¬ 
gebrochen sind, .auch injiziert werden. 

Ich verwende Ergotin-Merck in fol¬ 
genden Fällen: 

1. Regelmäßig nach Ausräumung von 
Fehlgeburten, bei stärkeren Blutungen 
1 bis 4 ccm intramuskulär, sonst innerlich 
3 mal täglich 15 Tropfen. 

2. Bei konservativer Behandlung der¬ 
jenigen Aborte, bei welchen eine sofortige 
Ausräumung kontraindiziert war, in Ver¬ 
bindung mit Chinin, mur. pulv. (vier¬ 
stündlich Chinin 0,5 bis zum Eintritt von 
Wehen, darauf dreimal 30 Tropfen Er- 
gotin) oder in Verbindung mit intra¬ 
muskulären Injektionen von Hypophysen¬ 
präparaten. 

3. Nach manueller Placentalösung. 

4. Bei subinvolutio uteri. 

5. In gynäkologischen Fällen: 

a) bei Menorrhagie vom zweiten 
Tage ab (dreimal täglich 

15 Tropfen); 

b) bei ausgebluteten Myomfällen in 
Verbindung mit Digipuratum 

Rp . Digipurat solut. — c n 
Ergotin-Merck aa ö ’ u 
3 X tgl. 10 Tropfen. 

Die Wirkung war stets prompt. Ver¬ 
sager habe ich nie gesehen. Knoten nach 
intramuskulären Injektionen, wie sie bei 
anderen Mutterkornpräparaten Vorkom¬ 
men, öder Magenstörungen nach inner¬ 
licher Darreichung habe ich nie beob¬ 
achtet. 

Ich kann somit Ergotin-Merck dem 
Praktiker aufs wärmste empfehlen. 


Für die Redaktion verantwortlich Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer.in Berlin. Verlag von Urb an & Schwarzenberg 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., in Berlin W8. 
















1917 


Therapie der Gegenwart. Anzeigen.' 


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Die Therapie der Gegenwart 


1917 


herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 
in Berlin. 


Juni 


Nachdruck verboten. 

Aus der III. medizinischen Abteilung des k. k. allgemeinen Krankenhauses in Wien. 

Einige Bemerkungen über die multiple Sklerose 
nach eigenen Erfahrungen. 

Von Professor Dr. Hermann Schlesinger. 

(Ärzte «Vorlesung.) 


Meine Herren! Ihnen wird aufgefallen 
sein, daß im Verlaufe des Krieges uns 
verhältnismäßig viele Fälle von multipler 
Sklerose zugewachsen sind und zwar so¬ 
wohl auf den Militär- als auch auf den 
Zivilzimmern der Abteilung. Dies gibt 
mir den Anlaß, über einige Punkte der 
Pathologie dieser. Krankheit zu sprechen, 
welche vielen Ärzten weniger bekannt 
sein dürften. In den nachfolgenden Aus¬ 
führungen stütze ich mich hauptsächlich 
auf meine eigenen Erfahrungen und be¬ 
absichtige nicht, das ganze Bild der 
multiplen Sklerose Ihnen zu zeigen. Viel¬ 
leicht werden sie aber dazu beitragen, 
Ihnen die relative Häufigkeit dieser Af¬ 
fektion in der jetzigen Zeit zu erklären 
und Ihnen einige Richtlinien für die Be¬ 
handlung zu geben. 

Obgleich einige Symptomenkomplexe 
der multiplen Sklerose schon früher be¬ 
kannt waren, haben erst die letzten zwei 
Dezennien eine mächtige Erweiterung und 
Vertiefung der Kenntnisse dieses Leidens 
herbeigeführt. Angeregt wurde das in¬ 
tensive Studium der Krankheit nament¬ 
lich durch die Diskrepanz der Häufigkeit 
klinisch erkannter und anatomisch nach¬ 
gewiesener Fälle. 

Die alte Charcotsche Symptomen- 
trias: Intentionstremor, skandierende 

Sprache und Nystagmus ist stets nur in 
einer relativ kleinen Zahl von Fällen vor¬ 
handen. Solange man nur dann sicher 
zu gehen glaubte, wenn das gleichzeitige 
Vorhandensein der obengenannten Er¬ 
scheinungen die Diagnose einer multiplen 
Sklerose gewährleistete, ward diese Ner¬ 
venerkrankung klinisch nicht allzuoft er¬ 
kannt. Der Kliniker betrachtete längere 
Zeit hindurch die inselförmige Sklerose 
als selteneres Nervenleiden. Erst zu¬ 
nehmende anatomische -Erfahrungen lehr¬ 
ten, daß diese Anschauung falsch war. 
Die Zahl der anatomischen Beobachtungen 
wuchs rapide, als man erkannte, daß viele 
Fälle, welche als Myelitis chronica ge¬ 
gangen waren, der Sclerosis multiplex 


zuzurechnen sind. An dem nun folgenden 
Um- und Ausbau der klinischen Lehre 
von der multiplen Sklerose haben viele 
namhafte Neurologen Anteil, namentlich 
Oppenheim, Nonne, Strümpell, sein 
Schüler E. Müller, Redlich, Marburg, 
H. Curschmann, Mendel, Cassirer, 
H. Schlesinger, Finkeiburg u. a., 
welche durch einschlägige Arbeiten von 
Fachärzten, wie des Ophthalmologen 
Uhthoff, des Otiaten Beck, sehr 
unterstützt wurden. 

Die multiple Sklerose ist sehr häufig; 
daran kann jetzt nicht mehr gezweifelt 
werden. Wir haben seit vielen Jahren 
an unserer Spitalsabteilung stets mehrere 
Fälle von multipler Sklerose trotz ziem¬ 
lich raschen Wechsels der Kranken liegen, 
ohne daß wir uns die Patienten auswählen 
würden. Ich habe durch Rücksprache mit 
vielen Kollegen ersehen, daß die multiple 
Sklerose überall dort häufig ist, wo es 
Ärzte gibt, welche das klinische Bild 
derselben kennen. Mir haben viele, auch 
ausländische Schüler mitgeteilt,, daß sie 
in ihrer Gegend häufig Sclerosis multiplex 
gesehen hätten, auch wenn dieselbe bis 
dahin nur selten beobachtet worden war. 

Die Diagnose der atypischen 
Formen — und das ist die Mehrzahl der 
Fälle — ist zumeist leicht zu stellen, 
wenn man auf einige Symptome und 
Verlaufseigentümlichkeiten achtet, deren 
große Wichtigkeit die klinische Erfahrung 
erwiesen hat. Sind daneben einige der 
früher bekanntem Erscheinungen oder gar 
die ganze Charcotsche Symptomentrias 
vorhanden, so unterstützt das die Er¬ 
kennung des Leidens, unbedingt erforder¬ 
lich sind aber diese Zeichen für die 
Diagnose nicht.. 

Ich möchte nach meinen, nicht un¬ 
erheblichen Erfahrungen das Schwer¬ 
gewicht für die Diagnose vieler Fälle 
auf folgende drei Punkte verlegen: 

1. Auf das Vorhandensein des Sym- 
ptomenkomplexes der spastischen Spinal- 

26 



202 


Die Therapie der 


paralyse.^n den Beinen bei Verlust'der 
Bauchdeckenreflexe. 

2. Auf das Verhalten der Augen, re¬ 
spektive des Fundus. 

3. Auf den (ständig wechselnden) Ver¬ 
lauf der Erscheinungen. 

Die Mehrzahl der Beobachtungen läßt 
diese neue Trias von Kardinalsymptomen 
erkennen, auf welche wir nun etwas näher 
zu sprechen kommen. 

Die spastische Parese der Beine 
ist bei der multiplen Sklerose ungemein 
häufig; namentlich Oppenheim hat mit 
Recht auf die Wichtigkeit dieses Sym- 
ptomes hingewiesen. Lähmung und Ri¬ 
gidität sind bald nur angedeutet, bald 
wiederum sehr ausgesprochen. Die Sehnen¬ 
reflexe an den unteren Extremitäten 
pflegen gesteigert zu sein; Fußklonus ist 
gewöhnlich nachweisbar. Entsprechend 
diesen Erscheinungen, welche auf einer 
Läsion der Pyramidenbahnen beruhen, ist 
in der Regel das Babinskische Zehen¬ 
phänomen und das Oppenheimsche 
Unterschenkelphänomen auslösbar, und 
zwar geht die große Zehe dorsal. 

Die Sensibilität ist in der Regel 
gar nicht oder nur vorübergehend gestört. 

. Die Bauchdeckenreflexe fehlen zu¬ 
meist. Dieses wichtige Symptom haben 
Strümpell und seine Schüler, namentlich 
E. Müller mit Nachdruck hervorgehoben. 
Ich kann bestätigen, daß die Bauch¬ 
deckenreflexe fast regelmäßig schon in 
den Frühstadien der multiplen Sklerose 
verloren gehen und im späteren Krank¬ 
heitsverlaufe nicht wiederkehren. Das 
gegensätzliche Verhalten zwischen dem 
Erlöschen der Bauchdeckenreflexe, dem 
gut nachweisbaren Babinskischen Phä¬ 
nomen und der Steigerung der Sehnen¬ 
reflexe an den unteren. Extremitäten ist 
auch nach meiner Überzeugung von 
größtem diagnostischen Werte. 

Da Blasen- und Mastdarmstörungen 
bei dieser Symptomengruppierung wenig¬ 
stens in den Frühstadien zumeist fehlen, 
so ist oft der Symptomenkomplex der 
spastischen Spinalparalyse plus Verlust 
der Bauchdeckenreflexe der einzige, wel¬ 
cher krankhafte Störungen im Nerven¬ 
system anzeigt. 

Das junge Mädchen, welches ich Ihnen heute 
zeige, läßt nur die eben genannten Erscheinungen 
erkennen. Das übrige Nervensystem ist mit Aus¬ 
nahme eines geringfügigen Einstellungsnystagmus 
normal. 

Jedoch hören wir in der Anamnese des Mäd¬ 
chens, daß vor Jahren Diplopie vorhanden war; 
es ist von Störungen des Sehvermögens be¬ 
richtet, von vorübergehenden Schwächezuständen 


Gegenwart 1917. Juni 


eines Armes, kurz von Zuständen, welche sich 
kaiim anders als durch multiple Schädigung des 
Nervensystems erklären lassen. 

Die Erfahrung lehrte, daß die spasti¬ 
sche Spinalparalyse in einem guten Teil 
der Fälle der multiplen Sklerose, in 
einem kleineren der Lues spinalis, der 
Syringomyelie, den Tumoren, der Spon¬ 
dylitis und anderen Erkrankungen ihre 
Entstehung verdankt. In jedem Falle 
sollte zuerst an multiple Sklerose gedacht 
und dieser Veracht erst fallen gelassen 
werden, wenn zwingende Gründe da¬ 
gegen sprechen. Handelt man so, dann 
wird man viele Fälle von multipler 
Sklerose entdecken. 

Von fundamentaler Wichtigkeit ist 
das Verhalten der Bulbi, respektive des 
Fundus bei „der multiplen Sklerose, wel¬ 
ches besonders von Uhthoff und Oppen¬ 
heim studiert worden ist. 

Charcot hatte auf die Häufigkeit des 
Nystagmus aufmerksam gemacht, wel¬ 
cher, wenigstens als Einstellungs¬ 
nystagmus bei seitlicher Blickrichtung 
auch bei den atypischen Formen sehr oft 
beobachtet wird. Ein anderes häufig auf¬ 
tretendes Symptom sind Augenmuskel¬ 
paresen. Es dürfte kaum ein Augen¬ 
muskel, respektive Augennerv von Läh¬ 
mungen bei der multiplen Sklerose ver¬ 
schont bleiben. Diese Paresen setzen oft 
schon frühzeitig ein, sind häufig das erste 
Krankheitssymptom, aber sie pflegen 
nicht zu persistieren. Mit oder ohne Be¬ 
handlung pflegen sie sich nach einigen 
Wochen oder Monaten zurückzubilden, 
können allerdings in einer späteren Krank¬ 
heitsperiode wieder auftauchen. 

YVie oft mag hinter einer ,,geheilten 
rheumatischen“ Augenmuskelläh¬ 
mung sich eine multiple Sklerose ver¬ 
stecken! Mir haben wenigstens wieder¬ 
holt Kranke davon erzählt, daß diese 
Diagnose bei ihnen in früherer Zeit ge¬ 
stellt worden war. 

Nebenbei erwähnt, die Zeit der 
,,rheumatischen Augenmuskellähmungen“ 
scheint vorüber zu sein. Dieses Krank¬ 
heitsbild dürfte, wie so manche andere, 
mit der besseren Kenntnis vom Verlaufe 
und von den Früherscheinungen mancher 
Nervenkrankheiten allmählich zu den 
obsoleten gehören. Ein Teil der Fälle 
ist der Tabes, ein anderer der cerebro¬ 
spinalen Lues, wieder ein anderer der 
multiplen Sklerose oder anderen Hirn¬ 
prozessen zuzurechnen; manchmal mag 
auch ein peripherer Prozeß die Augen- 
nuiskellähmung verursachen. 





Juni Die Therapie der 


Die inneren Augenmuskeln nehmen im 
Gegensätze zu den äußeren nur selten bei 
der multiplen Sklerose Schaden. % 

Die Fundusveränderung ist so 
charakteristisch, daß häufig aus ihr die 
Diagnose erschlossen werden kann. Die 
Papille ist abgeblaßt, jedoch ist der 
Farbenton oft ein anderer als bei der 
gewöhnlichen Atrophie; er ist oft eigen¬ 
tümlich graubraun. Mir haben wiederholt 
gute Ophthalmologen beim ersten Blick 
erklärt, der Farbenton erinnere sie an 
das Fundusbild bei multipler Sklerose, 
auch wenn sie die Diagnose noch nicht 
kannten. Die Abblassung kann auch 
partiell sein. 

Gar nicht selten ist die Fundusver¬ 
änderung ein zufälliger Befund; der 
Kranke klagt über keine Sehstörungen. 
Oft aber sind Skotome oder Störungen 
der Sehschärfe oder auch Achromatopsie 
vorhanden. Bisweilen nimmt das Seh¬ 
vermögen rapid.ab; häufiger nach meinen 
Erfahrungen an einem als an beiden 
Augen. Die Sehstörung kann so weit 
fortschreiten, daß nur mehr licht und 
dunkel unterschieden wird. So gut wie 
nie aber tritt völlige Erblindung 
ein. Das ist prognostisch außerordentlich 
wichtig. Man kann dem Kranken mit 
großer Bestimmtheit eine baldige Besse¬ 
rung prophezeien, ohne daß man durch 
den weiteren Verlauf Lügen gestraft 
würde. Ich habe wiederholt auf der Ab¬ 
teilung Kranke beobachtet, welche nur 
mehr licht und dunkel unterscheiden 
konnten; dieses Stadium dauerte nur 
ausnahmsweise länger als einige Wochen. 
Dann begann wieder das Sehen, zuerst 
größerer Gegenstände in verschwommener 
Weise, dann auch der kleineren. Ein 
Lehrer, welcher vor acht Jahren auf 
meiner Abteilung lag und auf einem 
Auge zu erblinden fürchtete, kann jetzt 
kleine Schrift sehr gut lesen; allerdings 
handelt es sich um eine benigne Form der 
multiplen Sklerose. Aber ich habe mehr¬ 
mals eine überraschend gute Rückkehr 
des Sehvermögens konstatiert. 

Zurzeit liegt auf einem Männersaale 
der Abteilung ein Kranker mit normaler 
Sehschärfe, welcher angeblich vor drei 
Jahren an einem Auge vorübergehend 
erblindet war. 

Ich halte die Kenntnis dieser Seh¬ 
störung und ihres eigentümlichen Ver¬ 
laufes deshalb für den Praktiker besonders 
wichtig, weil dadurch einige andere 
Krankheitsbilder ihre Erklärung finden. 


Gegenwart 1917. 203 


Jeder Arzt, welcher viele Fälle von 
multipler Sklerose gesehen hat, weiß, wie 
oft hysterische und neurasthenische Er¬ 
scheinungen zu dieser Krankheit hinzu¬ 
treten. Wir werden sogleich darauf zu¬ 
rückkommen; nur möchte ich schon hier 
hervorheben, wie groß dadurch die Gefahr 
wird, daß nur Hysterie angenommen und 
die multiple Sklerose übersehen wird. 
Seit etwa 20 Jahren, seitdem mir das 
klinische Bild der multiplen Sklerose ge¬ 
läufiger ist, habe ich keinen Fall von 
,,hysterisch er Amaurose“ gesehen; 
alle uns unter dieser Diagnose (auch von- 
Okulisten) zugewiesenen Kranken hatten 
multiple Sklerose. Es ist sehr wahr¬ 
scheinlich, daß die ,,hysterische Am¬ 
blyopie“ eine ziemlich seltene Affektion 
ist, wenn sie überhaupt existiert. Daher 
soll man es sich zur Regel machen, 
bei Hysterischen mit schweren 
Sehstörungen, normalem Spiegel¬ 
befunde und erhaltener Pupillar- 
reaktion an multiple Sklerose und 
nicht an funktionelle Amaurose zu 
denken. 

Ein anderes Leiden, welches in letzter 
Zeit wieder viel mehr genannt wird und 
sicher nahe Beziehungen zur multiplen 
Sklerose hat, ist die sogenannte retro¬ 
bulbäre Neuritis. Man versteht 
darunter eine Neuritis des Nervus opticus 
von verschiedener Genese, welche zu 
schweren Sehstörungen führt und Neigung 
zur Heilung hat. Auch die Fälle von 
retrobulbärer Neuritis, welche uns zur 
Untersuchung überwiesen wurden, ebenso 
wie diejenigen, welche ich pro consilio 
gesehen habe, erwiesen sich durchweg 
als multiple Sklerose. Sowohl das Bild 
der hysterischen Amaurose als auch das 
der retrobulbären Neuritis kann in den 
Frühstadien des uns beschäftigenden Hirn- 
und Rückenmarksleidens Vorkommen und 
bei der Geringfügigkeit der anderen Er¬ 
scheinungen ein selbständiges Leiden Vor¬ 
täuschen. Eine genaue Untersuchung 
wird aber fast immer schon zu dieser 
Zeit Klarheit bringen; wenn die erste 
Untersuchung nicht zum Ziele führt, so 
kann man mit Sicherheit auf die Ermög¬ 
lichung der Diagnose durch die weitere 
Beobachtung rechnen. Die Existenz der 
retrobulbären Neuritis sei nicht ganz in 
Abrede gestellt, obgleich ich nicht recht 
an sie glaube, denn in all den vielen 
Dutzenden von Fällen, welche im Laufe 
der Jahre genau untersucht werden 
konnten, war stets das Fazit eine un¬ 
zweifelhafte Sklerosis multiplex. So habe 

26* 





204 


Die Therapie der 


ich Fälle gesehen, bei welchen eine „re¬ 
trobulbäre Neuritis“ als Folgezustand einer 
Nikotinintoxikation angesehen wurde; die 
anscheinende „Heilung“, will sagen Besse¬ 
rung der Sehstörungen schien für die 
Auffassung der Vergiftung des Organismus 
zu sprechen, während die neurologische 
Untersuchung schon in diesem Zeitpunkte 
oder, bald nachher das Vorhandensein 
mehrfacher Störungen des Nervensystems, 
erwies. In einem von mir beobachteten 
Falle hatte ein sehr bewährter Okulist 
die Annahme einer Lactations-Neuritis 
des Opticus gemacht, weil alle Erschei¬ 
nungen von seiten des Auges mit den in 
der Literatur niedergelegten bei stillenden 
Frauen übereinstimmten. Schon,wenige 
Monate später waren die von mir ge¬ 
äußerten Zweifel an der Diagnose durch 
die rasche Entwickelung einer typischen 
multiplen Sklerose gerechtfertigt. Das 
gleiche konnte ich bei retrobulbärer Neu¬ 
ritis nach Infektionskrankheiten, bei Al¬ 
koholikern und nach anderen Intoxi¬ 
kationen beobachten. Daher soll stets 
bei retrobulbärer Neuritis solange 
an dem Verdachte einer multiplen 
Sklerose festgehalten werden, bis 
eine jahrelange Beobachtung und 
wiederholte genaue Untersuchung 
ihn hinfällig erscheinen läßt. Ich 
wiederhole, daß es mir in den letzten 
Dezennien nicht beschieden • war, einen 
Fall von retrobulbärer Neuritis zu sehen, 
welcher schließlich eine andere Deutung 
zuließ. 

Auch der wechselvolle, eigenartige 
Verlauf der multiplen Sklerose war 
früher nicht so gut gekannt, wie der 
jetzt, an Tausenden von Fällen studierte. 
Das Charakteristische, wenigstens in 
den früheren Stadien der Affektion, ist 
der ständige Wechsel vieler Er¬ 
scheinungen, welcher mit eine der Ur¬ 
sachen für den erstaunlichen Formen¬ 
reichtum der multiplen Sklerose darstellt. 

So kann eine Monoplegie eines Armes 
oder Beines das Krankheitsbild einleiten 
und nach wochen- oder monatelangem 
Bestände verschwinden; eine Hemiplegie 
kann kommen und allmählich vergehen, 
in gleicher Weise kann sich auch eine 
Paraplegie verhalten. Aber auch die 
motorischen Hirnnerven sind mitunter 
schon frühzeitig gelähmt, einmal der 
Facialis, ein andermal die Augennerven, 
wieder ein anderes Mal die bulbären; 
alle diese Lähmungen, ob sie nun plötzlich 
oder allmählich sich entwickelt haben, 
haben keinen Bestand. 


Gegenwart 1017* Juni „ 


Von besonderem Interesse sind die 
sensiblen Störungen, welche als passageres 
Syihptom viel häufiger sind, als man 
früher geahnt hatte. Ich habe als aller¬ 
erstes Symptom einer multiplen Sklerose 
eine Analgesia dolorosa im Trigeminus¬ 
gebiete gesehen. Die Begrenzung des Sen¬ 
sibilitätsdefekts war segmentaler Natur. 
Sensible Reizungs- oder Ausfallerschei¬ 
nungen am Rumpfe oder an den Extremi¬ 
täten sind nicht extrem selten; aber nur. 
ganz ausnahmsweise persistieren sie. 

Blasenstörungen sind mitunter in den 
Frühstadien vorhanden; sie ändern dann 
manchmal derart ihren Charakter, daß 
der Arzt, selbst der Urologe an „reiz¬ 
bare Blase“ denkt. Bald prävaliert 
dann die Harnverhaltung, bald die In¬ 
kontinenz im bunten Wechsel mit motori¬ 
schen Reizungszuständen der Blase (Bla- 
sentenesmus mit Sphinkterkrampf jäh 
alternierend). Die Blasenstörungen können 
dann stark zurücktreten, um nach Jahren 
neuerlich zu kommen. 

Anfängliche Gangstörungen von cere- 
bellarem Typus mit starkem Taumeln 
und Neigung, nach rückwärts zu stürzen, 
können fast ganz verschwinden. 

Des Wechsels im Sehvermögen haben 
wir bereits gedacht; auch Gehstörungen 
sind, wenn einmal ausgebildet, nicht 
immer von der gleichen Intensität und 
Qualität. . 

Dies ließe sich noch viel weiter aus¬ 
führen. Das wesentliche ist das 
ständige Kommen und Vergehen 
von Erscheinungen, wenn auch das 
Vergehen oft nur ein vorüber¬ 
gehendes Zurücktreten des Sym¬ 
ptom es bedeutet. 

Man muß diese Eigentümlichkeit der 
multiplen Sklerose gut kennen und sie 
sich immer wieder vor Augen halten, um 
ja nicht bei der Diagnose zu straucheln. 
Denn das proteusartige Bild, die ständigen 
Wandlungen der Erscheinungen lassen 
gar zu gerne an ein funktionelles Leiden 
denken. Wenn eine motorische oder 
sensible Lähmung nur einige Tage währt 
und der Rückgang der Erscheinungen 
zeitlich mit einer suggestiven Behandlung 
koinzidiert, so liegt für den behandelnden 
Arzt der Trugschluß sehr nahe: Post hoc 
propter hoc. Wir haben schon bei den 
Sehstörungen gehört, wie oft dieselben 
als hysterische angesprochen werden; das 
gkiche gilt aber auch für die motorischen, 
den sensiblen, die Blasenstörungen usw. 
Sie werden in der Praxis unendlich 
häufig als hysterisch diagnostiziert. 



Jurti ' Die Therapie der Gegenwart 1917. ' 205 


Die Täuschung wird noch leichter, da 
der Kranke mit multipler Sklerose in der 
Tat außerordentlich oft an Hysterie 
leidet. Ist keine Hysterie vorhanden, so 
werden kaum je neurasthenische Züge im 
Krankheitsbilde fehlen. 

Es ist das typische Schicksal 
der armen Kranken mit multipler 
Sklerose, daß ihr Leiden lange 
Zeit für Hysterie gehalten wird, 
bis ein erfahrener Arzt die eigentliche 
Krankheit richtig erkennt. Rücksprache 
mit vielen bedeutenden Neurologen ver¬ 
schiedener Länder haben mir gezeigt, daß 
der gleiche Irrtum im Beobachten und im 
diagnostischen Schlußfolgern von den 
Praktikern verschiedener Länder und 
Sprachen begangen wird. Ist einmal die 
Diagnose auf Hysterie bei den beklagens¬ 
werten Patienten gestellt, so werden alle 
Erscheinungen auf diese Krankheit be¬ 
zogen und die Behandlung dement¬ 
sprechend eingeleitet. Häufig gereicht 
den Kranken diese Annahme zu schwerem 
Nachteile. 

Wie oft habe ich nicht in der Kon- 
siliarpraxis junge Frauen mit multipler 
Sklerose gesehen, zu welchen ich wegen 
vermeintlicher hartnäckiger hysterischer 
Beschwerden gerufen wurde. Eine sorg¬ 
fältige Anamnese ergab dann regelmäßig, 
daß die Anfänge des Leidens sich schon 
in der Mädchenzeit zeigten. Wenn ich 
an meine Erfahrungen zurückdenke, so 
erinnere ich mich an Kranke, bei welchen 
flüchtige Paresen von Extremitäten, 
Blasen- und Augenstörungen vom Haus¬ 
arzte als hysterische angesprochen worden 
waren. Unter den Kollegen waren viele 
tüchtige Praktiker, welche sich aber durch 
die zweifellos vorhandene Hysterie in der 
Gesamtauffassung des Falles hatten be¬ 
stimmen lassen. • 

Es ist nun auffallend, wie oft die mul¬ 
tiple Sklerose in solchen Fällen in der 
Mädchenzeit relativ benigen verläuft und 
wie häufig sie in den ersten Jahren der 
Ehe rapide fortschreitet. Ich deute 
diesen, oft von mir erhobenen Verlauf 
auf folgende Weise: Die Gruppe der 
Kranken, welche ich im Auge habe, be¬ 
trifft durchwegs Frauen der wohlhabenden 
Kreise. Die Mädchen aus sogenanntem 
guten Hause werden nicht durch schwere 
Arbeiten, Sorgen oder gar durch Nahrungs¬ 
mangel niedergedrückt. Daher wird das 
Nervenleiden relativ gut ertragen, be¬ 
sonders weil Gelegenheit zur ausgiebigen 
Schonung bei größeren Beschwerden ge¬ 
geben ist. Die Heirat ändert diese Ver¬ 


hältnisse mit einem Schlage. Die Gründung 
des neuen Haushaltes bringt viele neue 
ungewohnte Sorgen, auch wächst oft mit 
der Änderung der Lebensweise die rein 
körperliche Anstrengung. Dazu kommen 
bei den neuropathisch veranlagten In¬ 
dividuen die Erregungen des sexuellen 
Verkehres und schließlich eine Schwanger¬ 
schaft mit den gewaltigen Umwälzungen 
des Organismus. Alle diese Faktoren ver¬ 
mindern die Widerstandskraft des Nerven¬ 
systems, die Kranke, deren Leiden lange 
stationär oder nur wenig progressiv .war, 
bemerkt zu ihrem Schrecken in rascher 
Folge neue Erscheinungen, welche ihrer¬ 
seits wieder neue hysterische Symptome 
auslösen können. 

Mädchen, weiche sich nicht so schonen 
können, sondern schon früh in den 
Existenzkampf eintreten mußten, brechen 
auch früher zusammen und so erklärt 
sich auch der Umstand, daß wir im 
Krankenhause häufig, in der Privatpraxis 
relativ selten schwere Formen von mul¬ 
tipler Sklerose bei Mädchen sehen. 

Unter Berücksichtigung der früheren 
Darlegungen ist dringend zu raten, in 
jedem Falle*von Hysterie, in wel¬ 
chem durch längere Zeit hindurch 
über Versagen von Gliedmaßen, Seh¬ 
störungen, Sensibilitätsstörungen, kurz 
über körperliche Symptome ge¬ 
klagt wird, an die Möglichkeit 
einer konkomitierenden multiplen 
Sklerose zu denken. Verlust der 
Bauchdeckenreflexe, Steigerung 
der Sehnenreflexe an den unteren 
Extremitäten, dorsal gerichtetes 
Babinskisches Zehenphänomen 
gibt diesem Verdachte eine festere 
Grundlage. 

Der Verlauf der multiplen Sklerose 
geht oft mit schubweisen Verschlim¬ 
merungen und mit spontanen Re¬ 
missionen einher. Sehr oft kann man 
Gelegenheitsursachen ausfindig machen, 
welche einer Progression der Erschei¬ 
nungen vorausgegangen sind. Seelische 
Erregungen, körperliche Anstrengungen, 
Unterernährung, Infektionen und Intoxi¬ 
kationen, Witterungse.inflüsse, namentlich 
Durchnässungen, bei Frauen eine Schwan¬ 
gerschaft sind solche Gelegenheitsursachen, 
nach deren Einwirkung auf den Organis¬ 
mus die Krankheitserscheinungen eine 
Verschlimmerung zu zeigen pflegen. 

Die Kenntnis dieser Exacerbationen 
und ihrer Ursachen ist therapeutisch 
wichtig. Gelingt es,.die schädlichen. Ein¬ 
flüsse auszuschalten, kann man die Kran- 





206 Die Therapie der Gegenwart 1917. Juni 


ken an einem ruhigen Orte, geschützt 
vor psychischen Emotionen, pflegen und 
gut ernähren, so kann man oft eine 
Remission herbeiführen. Ein Rück¬ 
gang der Erscheinungen ist um so leichter 
zu erzielen, je größer der Unterschied in 
der Lebensführung und Pflege vor und 
nach Einleitung der Behandlung gewesen 
war. Anämische, unterernährte Kranke, 
welche unter unhygienischen Verhält¬ 
nissen gelebt hatten, vielen Erregungen 
ausgesetzt waren, geben eine relativ 
günstige Prognose, wenn sie in das Kran¬ 
kenhaus überführt werden. Wir sehen 
beinahe regelmäßig im Spital eine Re¬ 
mission schon bald nach der Einlieferung 
einsetzen. Dieses Verhalten ist ein so 
regelmäßiges, daß ein Zufall wohl aus¬ 
zuschließen ist. Dabei ist die Behand¬ 
lung vorwiegend eine exspekative und 
symptomatische. ' Die Kranken halten 
strenge Bettruhe, werden überernährt, 
dürfen nicht viel und keine langen Be¬ 
suche erhalten. Alkoholgenuß jeder Art 
ist ausgeschlossen; Rauchen ist verboten. 
Es werden tägliche lauwarme Bäder von 
zehn bis zwölf Minuten Dauer oder auch 
lauwarme Einwickelungen des Rumpfes 
und der unteren Extremitäten von halb- 
bis einstündiger Dauer verordnet. Mit¬ 
unter wird zu den Bädern ein kräftiger 
Absud von Kamillen (etwa ein Liter des 
Absuds auf ein volles, mittelgroßes Bad) 
hinzugesetzt oder etwas Fichtennadel¬ 
extrakt hinzugegossen. Nach dem Bade 
kommen die Kranken in das vorgewärmte 
Bett. Bei Wickelungen geben wir eine 
Wärmflasche zu den Füßen, einen kalten 
Umschlag auf den Kopf der Kranken. 

Jede erregende hydriatische Prozedur 
(Douchen, Abreibungen, kalte oder heiße 
Bäder) wird von uns vermieden. 

Regelmäßig pflegen wir eine Arsen¬ 
behandlung einzuleiten, am liebsten in 
Form von Kakodylinjektionen (täglich 
0,03 g Natrium Kakodylicum oder Me- 
tharsinate-Natrium methylarsenicicum- 
Merck subcutan). Die Zahl der In¬ 
jektionen einer Serie beträgt an unserer 
Abteilung in der Regel 30, und zwar geben 
wir die Einspritzungen täglich, bei emp¬ 
findlichen Kranken jeden zweiten Tag. 
Daneben geben wir in der Regel innerlich 
ein Eisenpräparat, ohne daß wir ein 
bestimmtes besonderes bevorzugen wür¬ 
den. 

Recht bewährt hat sich mir Eisen 
innerlich in Verbindung mit Nux vomica 
und Natrium kakodylicum. Ich verordne 
dann in der Regel: 


Rp. Ferratin (oder Triferrin) 10,0 
Natr. Kakodyl. 

Extr . nuc. vomic. ad 0,25 

Massa pilul. qu. s. u. f. pilul 100 
D'S. 4 Pillen täglich. 

Die Pillen werden durch drei bis vier 
Monate hindurch täglich genommen. Da 
sie appetitanregend sind und da sich der 
Kranke bei ihrem «Gebrauche wohl fühlt, 
so hält der Patient in der Regel große 
Stücke auf das Medikament. 

Wenn es sich irgendwie ermöglichen 
läßt, lagern wir den Kranken im Freien; 
im Sommer auch den ganzen Tag. Wenn 
der Kranke die Sonne verträgt, so lasse 
ich Sonnenbäder brauchen, zuerst von 
ganz kurzer Dauer (zehn Minuten), später¬ 
hin bis % Stunden, auch bis zu . einer 
Stunde. Die Kranken müssen sich aber 
wiederholt umdrehen, um eine möglichst 
gleichmäßige Einwirkung der Sonne auf 
die Haut zu erzielen. Bei Schwindel¬ 
anfällen, Kongestionen, Kopfschmerzen 
sind die Sonnenbäder kontraindiziert. 

In unserem Krankenhause steht uns 
Radium in großer Menge zur Verfügung. 
Wir lassen in unserem Emanatorium, 
dessen Luft mit 50 bis 60 Mache-Einheiten 
pro Liter geschwängert ist, die gehfähigen 
Kranken mit multipler Sklerose täglich 
anfangs 20 Minuten, später bis zu einer 
Stunde verweilen. Uns scheint es, wie 
wenn durch das Radium die Rückbildung 
mancher Erscheinungen, namentlich sen¬ 
sibler Reizerscheinungen, begünstigt 
würde. 

Den gleichen Eindruck haben wir von 
Kuren in Bädern mit stark radium¬ 
haltigen Wässern, so in Bad Gastein, 
Joachimsthal, Ragaz-Pfäffers und in 
vielen ,,Wildbädern“. Jedoch warne ich 
dringend vor Anwendung zu heißer Bäder. 
Es können unmittelbar nach dem Bade 
Körperlähmungen auftreten. 

Die Prognose des Umfanges und der 
Dauer einer Remission ist schwer zu 
stellen. Bei nicht anämischen, wohl¬ 
genährten Individuen ist es überhaupt 
zweifelhaft, ob man durch äußere Ma߬ 
nahmen eine Remission herbeiführen 
kann. Die Prognose einer auch nur mäßig 
progredienten multiplen Sklerose ist im 
allgemeinen schlechter, wenn das Fort¬ 
schreiten der Symptome in einem Zeit¬ 
punkte eingesetzt hatte, in welchem der 
Ernährungszustand ein guter und eine 
Gelegenheitsursache für die Verschlim¬ 
merung nicht erkennbar war. 




Juni 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 207 


Die Remissionen können nicht selten 
so erheblich werden, daß der_optimistisch 
veranlagte, neurologisch wenig geschulte 
Arzt an Heilung denkt. Auch wenn alle 
Erscheinungen zurückgegangen sind, 
bleibt das gegensätzliche Verhalten der 
Bauchdecken- und Sehnenreflexe be¬ 
stehen als Warnungszeichen, daß die 
Ruhe nur eine trügerische ist. 

Wenn der Kranke ein ruhiges, gleich¬ 
mäßiges Leben führen kann, Jeeine Nah¬ 
rungssorgen hat und keinen Überanstren¬ 
gungen ausgesetzt ist, so kann der Rück¬ 
gang der Erscheinungen jahrelang an- 
halten. 

Vor Jahren habe ich bei einem Ju¬ 
risten Sehstörungen, Intentionstremor und 
eine Hemiparese sich so weit rückbilden 
sehen, daß sich der Kranke für voll¬ 
kommen genesen hielt. Nach einer zwei¬ 
jährigen Ruhepause vollendete der Kranke 
gegen meinen Rat ein wissenschaftliches 
Werk, welches viele mühsame Arbeit, 


auch Nachtarbeit erforderte. Unmittelbar 
nach Vollendung des Buches entwickelte 
sich ein schwerster Rückfall der Krank¬ 
heit; die rasch fortschreitenden Sym¬ 
ptome (bulbäre Störungen, Blasenätörun- 
gen, motorische Paresen) führten in 
weniger als einem Jahre den Tod des 
hochbegabten Mannes herbei. 

Im Gegensätze hierzu beobachtete ich 
eine Frau, bei welcher vor zwölf Jahren 
nach schwersten Erscheinungen eine Re¬ 
mission eingetreten war, welche allerdings 
nur die Lähmung der Arme und nicht die 
der Beine behob. Die Kranke ist bei sorg¬ 
fältigster Pflege ihren Kindern erhalten 
geblieben. 

Meine Bemerkungen betreffen nur 
einige Punkte in dem unendlich mannig¬ 
faltigen klinischen Bilde der .multiplen 
Sklerose. Sie werden die Erkennung 
mancher Fälle erleichtern und sie über¬ 
zeugen, daß die Prognose oft nicht so 
tsaotlos ist, wie viele Ärzte vermuten. 


Zur Behandlung der Lungenentzündung mit Optochin. 

Von Prof. Dr. H. Rosin-Berlin. 


Wir besitzen bekanntlich nicht viele 
chemische Mittel, die auf Mikroorganis¬ 
men specifisch wirken. Von den älteren 
ist nur das Chinin bei der Plasmodien¬ 
krankheit der Malaria, also einer nicht 
bakteriellen, bekannt. Ob die Salicyl- 
präparate bei der Polyarthritis specifisch 
wirken und zwar parasiticid, erscheint 
mehr als fraglich. Später hat dann Ehr¬ 
lich zuerst experimentell und zielbewußt 
die Arsenpräparate gegen die Spiro¬ 
chätenkrankheiten angewendet, zu denen 
auch die Lues zu rechnen ist. Seinem 
Schüler Morgenrot h ist es schlie߬ 
lich gelungen, erstmalig ein echtes spe- 
cifisches bakterientötendes Mittel 
zu finden, nämlich das Optochin, eine 
dem Chinin chemisch verwandte Sub¬ 
stanz, eigentlich Äthylhydrocuprein, das 
in millionenfacher Verdünnung die Pneu¬ 
mokokken (und nur diese in so starker 
Verdünnung) in Kulturen und im Tier¬ 
körper tötet. 

Nachdem das Mittel in die klinische 
Behandlung der Pneumokokkenkrank¬ 
heiten seit mehreren Jahren eingeführt 
worden ist, hat sich eine umfangreiche 
Literatur über dieses Specificum ent¬ 
wickelt. Freunde und Gegner des Mittels 
traten auf den Plan, und es ist für den¬ 
jenigen Praktiker, der es selbst noch nicht 
oder nicht genügend angewendet hat, 
nicht leicht, sich ein Urteil zu bil¬ 


den, wie er sich zu der Anwendung 
des Mittels stellen solle. Ich möchte 
auf Grund der Erfahrung, die ich gleich 
nach Einführung des Optochins bis heute 
gesammelt habe, in diesem der Therapie 
gewidmeten Blatte ein eigenes, möglichst 
objektives Urteil abgeben. 

Das Mittel wird in verschiedenen Ver¬ 
bindungen von der Firma Zimmer & Co. 
in Frankfurt angefertigt und den Apothe¬ 
kern zugestellt. Am häufigsten findet 
sich das älteste Präparat in den Apo¬ 
theken, nämlich das leichtlösliche Op- 
tochinum hydrochloricum. Nicht 
überall bis jetzt zu haben ist die schwer¬ 
lösliche Base des Salzes, Optochi- 
num basicum, neuerdings wird auch 
das schwerlösliche Optochinum tan- 
nicum dargestellt; es findet sich noch 
wenig im Handel. Endlich gibt es noch, 
fast schon von Beginn der Einführung 
des Mittels 'an, den Optochinsalicyl- 
ester, ebenfalls schwerlöslich. 

Ich will hier nur auf das Optochi¬ 
num hydrochloricum und basicum 
eingehen. Die Eigenschaften dieser beiden 
Präparate sind zwar in bezug auf die Ab¬ 
tötung der Pneumokokken bei gleicher 
Dosierung identisch, sie sind aber von 
außerordentlich großer toxikolo¬ 
gischer Verschiedenheit beim Auf¬ 
enthalt im menschlichen Körper. 
Das Optochinum hydrochloricum wird 



208 


Die Therapie der Gegenwart 1917. Juni 


außerordentlich rasch resorbiert, 
überschwemmt daher den Organismus, 
wird dementsprechend ebenso leicht aus¬ 
geschieden und seine Wirkung ist rasch 
zu Ende. Die Optochinbase, im Organis¬ 
mus äußerst schwer löslich, wenn man 
nur dafür gesorgt hat, daß nicht 
etwa im Magen die salzsaure Ver¬ 
bindung sich entwickelt, geht gleich¬ 
sam tröpfchenweise durch Resorption in 
den Blut- und Säftestrom, kommt in¬ 
folgedessen zwar in kleineren Mengen, 
aber viel länger mit den Pneumo¬ 
kokken in Berührung, ohne sonst bei 
geeigneter Dosierung toxisch zu wirken, 
und gelängt naturgemäß auch langsamer 
zur Ausscheidung. Mendel in Essen hat 
auf diese Verhältnisse in klarster Weise 
hihgewiesen. 

Gegner sind dem Mittel hauptsäch¬ 
lich aus einem einzigen, allerdings schwer¬ 
wiegenden Grunde entstanden: es sind 
wiederholt Amblyopien, ja in ganz 
wenigen Fällen sogar dauernde Amau¬ 
rosen beobachtet worden. Würde in der 
Tat diesem schweren Schaden nicht ab¬ 
zuhelfen sein, sö würde leider die Aus¬ 
sicht gering sein, daß dieses in seiner 
Art einzige wahrhaft specifisch 
bactericide Mittel seine ihm sonst ge¬ 
bührende Position sich erringen wird. 

Diesen Sehstörungen kann man aber 
mit Leichtigkeit entgehen, wenn man 
1. die Dosen nicht zu hoch nimmt und 
vor allem 2., wenn man innerlich nie¬ 
mals das leichtlösliche salzsaure 
Salz, sondern die schwerlösliche Op¬ 
tochinbase anwendet, wobei man jedes¬ 
mal bei der Darreichung die Salzsäure 
des Mageninhalts durch reichliches 
Alkali vorübergehend überneutra¬ 
lisiert. 

Ich habe im Laufe der letzten drei 
Jahre das Mittel in etwa 200 Fällen in 
dieserWeise angewendet und niemals auch 
nur die geringste Sehstörung erfahren. 
Ich verfahre in der Dosierung folgender¬ 
maßen: Pro dosi wird 0,25 g Op- 
tochinum basicum in Kapseln (das 
Mittel ist äußerst bitter) dargereicht. 
Da leider in den Apotheken das salz¬ 
saure Salz öfter als die Base anzutreffen 
ist, so muß der Apotheker ganz besonders 
scharf durch Unterstreichung des 
Wortes basicum darauf aufmerksam 
gemacht werden, um nicht etwa, wie es 
leider geschieht, an Stelle der Base das 
lösliche Salz zu verabfolgen. Eventuell 
untersuche man den Inhalt der ersten 
Kapsel, ob er sich in Wasser leicht löst. 


Am besten wäre es freilich, wenn die 
Fabrik Zimmer & Co. sich entschließen 
könnte, was sie noch nicht getan hat, das 
lösliche Salz lediglich zur äußeren An¬ 
wendung in der Augenheilkunde anzu¬ 
fertigen und in diesem Sinne den Apo¬ 
thekern zu überweisen. Man gibt dann 
das Mittel nach Mendels Vorschrift nur 
alle fünf Stunden, freilich ohne 
Pause, auch nach.ts. Man gibt im 
allgemeinen nur zehn Dosen innerhalb 
50 Stunden; in zwei Tagen ist man damit 
fertig. Und in dieser Zeit ist auch die 
stets lytische Entfieberung oft schon 
vollzogen. Ist der Patient schon früher 
fieberfrei, so hört man natürlich früher 
auf. Handelt es sich nur um eine Pseudo¬ 
krise, so kann man den Rest der Kapseln 
weitergeben. Ich war nur bei Wander¬ 
pneumonien genötigt, statt der 2,5 g (im 
ganzen) etwas mehr, etwa 15 Dosen 
(3,75 g) zu verabfolgen. 

Von größter Wichtigkeit ist, daß man 
vor der Darreichung einer jeden Kapsel 
den Mageninhalt mit einem gehäuften 
Teelöffel doppelkohlensaurem Na¬ 
tron am besten in etwas Fachinger 
Wasser neutralisiert. Wem Milch 
zu Gebote steht, der mag zugleich Milch 
geben, welche die Salzsäure auch noch 
durch das Casein bindet. Man vermeide 
auch bei der Ernährung alle den Magen 
reizenden und Salzsäure produ¬ 
zierenden Nährstoffe, vor allem, die 
Eiweißkörper von Fleisch, Fisch und 
Eiern, ferner Bouillon und endlich Pflan¬ 
zensäuren. Am besten eignen sich un¬ 
gesalzene Mehle, Milch, Butterfett und 
Gemüsebrei. Ich empfehle übrigens 
dringend, die Anfertigung von Gelodunt- 
kapseln mit 0,25 g Optochinum basicum; 
durch diese Form werden alle Schwierig¬ 
keiten ausgeschaltet, die sich aus der 
Magensalzsäure ergeben. 

So angewendet, wird sicherlich das 
Optochinum basicum vor allem keinen 
Schaden stiften. Die Wirkung aber ist, 
wie ich versichern kann, besonders wenn 
das Mittel rechtzeitig angewendet 
wird, überraschend und oft lebensrettend. 
Je früher Optochin angewendet, um so 
größer sein Erfolg. Ist die Pneumokokken¬ 
sepsis sehr hochgradig, mit den ominösen 
meningealen Symptomen kompliziert, so 
hängt sogar alles davon ab, daß nicht 
lange gezögert wird und die gefahr¬ 
drohende Herzschwäche sich nicht allzu 
intensiv entwickelt. Aber auch nach ein¬ 
wöchiger Dauer habe ich bei schwerster 
Erkrankung alter Leute rasche Heilung 



Juni Die Therapie der Gegenwart 1917. 209 


da erfolgen sehen, wo sonst die Prognose 
letal zu stellen gewesen wäre. Nur wenige 
Beispiele mögen hier angeführt werden: 

68jährige Patientin. Leidet seit Jahren an 
Angina pectoris und Hypertension. Erkrankt an 
Pneumonie des rechten Unterlappens mit sofort 
einsetzender hochgradiger Atemnot und Puls¬ 
beschleunigung über 120. Am vierten.Tage der 
Erkrankung wurde die Patientin mit Optochinum, 
basicum fünfstündlich V 4 g, im ganzen zehn 
Dosen behandelt. Das Fieber fiel innerhalb von 
drei Tagen lytisch zur Norm ab. Patientin wurde 
ohne Komplikationen gesund. Sie leidet noch 
immer an Hypertension,'doch ist das Herz seit 
der Erkrankung vor zwei Jahren dauernd funk¬ 
tionstüchtig geblieben. 

72jähriger Herr. Pneumonie rechts unten 
und links oben. Patient ist bereits vor sechs 
Tagen mit Schüttelfrost erkrankt'. Seit gestern 
ist er .benommen. Puls nicht sehr beschleunigt 
(90), genügend voll. Systolisches Geräusch an 
der Aorta. Hohes Fieber, meist um 40. Mit zehn 
Dosen Optochin geht die Temperatur nach zwei 
Tagen bis auf 38. Optochin wird ausgesetzt. Am 
dritten Tage wieder Anstieg. Es zeigt'sich jetzt 
ein Herd links unten, während die Herde rechts 
unten und links oben sich in Resolution befinden. 
Wanderpneumonie. Patient ist wieder sehr be¬ 
nommen, der Puls beschleunigt, ,120. Es werden 
nochmals zehn Dosen Optochin gegeben, wonach 
der Patient fieberfrei wird. Es tritt Heilung ohne 
Komplikation ein. Patient ist seit einem halben 
Jahre gesund und tätig. 

72jährige Frau. Pneumonie rechts unten. 
Sechster Täg nach dem Schüttelfröste. Starke 
Atemnot, Puls 110. Nach zehn Dosen Optochin 
wird die Patientin innerhalb dreier Tage lytisch 
fieberfrei. . 

Schwere Fälle von Pneumonie bei 
Arteriosklerotikern und alten Leuten ha¬ 
ben in der Regel bekanntlich eine für das 
Leben ungünstige Prognose. Fälle, wie 
die vorstehenden, sollen ein Beispiel dafür 
sein, daß auch prognostisch ungünstige 
Fälle durch Optochin erhalten werden 
können. Sie wären mit großer Wahr¬ 
scheinlichkeit sonst der Infektion erlegen, 
obwohl sie selbstverständlich, wie alle 
Fälle von Pneumonie, mit Digitalis gleich¬ 
zeitig behandelt worden sind. Jeder Er¬ 
fahrene weiß, daß die Schwere der Pneu¬ 
monie durchaus sich nicht nach dem 
Alter richtet. Es gibt jugendliche Fälle 
von Pneumokokkensepsis, die vor der 
Optochinbehandlung unfehlbar verloren 


waren; die frühzeitigen Delirien solcher 
Fälle, die keineswegs immer auf Alkoholis¬ 
mus zurückgeführt werden können, kün¬ 
digten gleich von den ersten Tagen der 
Erkrankung den üblen Ausgang an. Und 
umgekehrt kennt man Greisenpneumonien 
bei hochgradiger Arteriosklerose, die einen 
sehr gutartigen Verlauf nahmen. Allein 
ich verfüge über eine sehr große An¬ 
zahl von solchen Greisenpneumonien, bei 
denen die Prognose außerordentlich übel 
erschien und die sicher zugrunde gegangen 
wären, wenn mir das Optochin nicht zu 
Gebote stand, das mir seither das Gefühl 
weitaus vermehrter Sicherheit den Pneu¬ 
monien gegenüber gewährt und sich 
immer aufs neue bewährt hat. 

Es wird sich verlohnen, das vorhandene 
Material an anderer Stelle statistisch zu 
verwerten. Hier sei das Mittel dem 
P'raktiker aufs wärmste empfohlen. 
Nochmals sei vor der Anwendung des 
Optochinum hydrochloricum gewarnt und 
darauf hingewiesen, daß der Apotheker 
sich davor hüten sollte, aus seinen Be¬ 
ständen an salzsaurem Optochin das ver- 
ordnete basische Optochin zu ersetzen 
(z. B. wenn nur ,,Optochin“ verschrieben¬ 
ist). Daß dieser Fall Vorkommen kann, 
lehrt die Publikation von, Ginsberg 
(Danzig), welcher angab, bei basischem 
Optochin Sehstörungen beobachtet zu¬ 
haben, während nachträglich sich heraus-- 
stellte, daß die von ihm verschriebene 
Base durch das salzsaure Salz vom Apo¬ 
theker ersetzt worden war. Es ist, wie 
schon erwähnt, zu bedauern, daß die 
Fabrik, welche das Mittel anfertigt, das 
salzsaure Salz noch immer zur internen 
Behandlung gleichmäßig mit dem basi¬ 
schen zur Verteilung bringt. 

Es sei zum Schlüsse nur darauf hinge¬ 
wiesen, daß Fritz Meyer eine Methode 
der subcutanen Darreichung des Optochin-- 
esters ersonnen hat, die bei schweren 
Fällen großen Nutzen verspricht, und 
ferner, daß die Digitalistherapie der Pneu¬ 
monie neben dem Optochin nicht ver¬ 
nachlässigt werden soll. 


Aus dem Krankenhaus in Horitz (Böhmen). 

Zur Therapie der Genickstarre. 

Von Josef Kudruäc. 


Wenn wir die in der letzten Zeit er¬ 
schienenen Arbeiten über die Behandlung 
der Meningitis cerebrospinalis epidemica 
betrachten, so sehen wir, daß die Lumbal¬ 
punktion die besten Erfolge liefert, wenn 
sie systematisch, das heißt bei jedem ge¬ 


ringen Zeichen des erhöhten Interlumbal¬ 
druckes durchgeführt wird, mit nach¬ 
folgender Applikation des specifischen 
Serums. Dabei scheint die einfache Lum¬ 
balpunktion— das heißt die rein sympto¬ 
matische Therapie — gegenüber der spe- 

27 



210 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juni 


cifischen Therapie stark im Vordergründe 
zu stehen. Alle, die auf diesem Gebiete 
gearbeitet haben, stimmen in dieser Hin¬ 
sicht überein. 

Die specifische Therapie hat bisher bei 
den Meningokokkeninfektionen keines¬ 
wegs so schöne Resultate gezeigt, wie es 
bei einigen anderen Infektionen, insbe¬ 
sondere der Diphtherie, der Fall ist. Bei 
der Meningokokkensepsis z. B. hat sie 
uns vollkommen im Stiche gelassen. Un¬ 
längst hat J. Zeisler und F. Riedel (1) 
zwei solche Fälle von Meningokokken¬ 
sepsis ohne Meningitis beschrieben. Nach 
diesen Autoren sind manche Fälle von 
sogenannter kryptogener Sepsis durch 
Meningokokken verursacht; die Diagnose 
solcher Meningokokkämie gründet sich 
auf den positiven Blutbefund. In einem 
Falle hat die angewendete Serumbehand¬ 
lung gänzlich versagt, im anderen führte 
intravenöse Injektion von Aqua destil- 
lata zum Erfolge. 

Ebenso unsichere Resultate hat die 
Serotherapie bei der Behandlung der 
Meningokokkenmeningitis, wenn sie allein 
angewendet ist. Friedemann hat z. B. 
bei den nur mit Serum behandelten Pa¬ 
tienten 50% Mortalität gehabt. 

Bessere Erfolge sind, wie oben gesagt, 
durch systematische Lumbalpunktionen 
mit nachfolgender Serotherapie erzielt 
worden. Nach Goebel und Heß (2) 
wurde durch diese kombinierte Therapie 
die Gesamtsterblichkeit auf 28,5 % herab¬ 
gedrückt. Brach und Fröhlich (3) re¬ 
ferieren über zehn auf diese Weise be¬ 
handelte Fälle, von denen nur ein Fall 
ad exitum kam. Auch Foster (4) hat 
durch wiederholt angewendete Lumbal¬ 
punktionen und Ablassen von 15 bis 
35 ccm Liquor mit nachfolgender Injek¬ 
tion des Meningokokkenserums in den 
Duralsack ausgezeichnete Resultate er¬ 
zielt. 

Götz und Haufland (5) berichten 
über 61 Fälle mit einer Gesamtsterblich¬ 
keit von 24,5'%. Auch hier wurden mehr¬ 
mals wiederholte Lumbalpunktionen mit 
nachfolgender Einspritzung des auf Kör¬ 
perwärme gebrachten Meningokokken¬ 
serums gemacht. Bei Mischinfektionen 
haben die Autoren den Lumbalkanal mit 
30—70 ccm Ringerscher Lösung durch¬ 
gespült. 

0 D. m. W. 1917, Nr. 9. 

2 ) M. m. W. 1915, Nr. 48. 

: ) W. kl. W. 1915, Nr. 20. 

4 ) Br. med. J., 27. März 1915. 

s ) D. m. W. 1916, Nr. 42. 


Soweit sich aus diesen Angaben schlie¬ 
ßen läßt, kommt bei der Behandlung dieser 
Krankheit vielmehr die systematische 
Punktion des Lumbalkanals in Betracht 
als die Serotherapie selbst. Schon Foster 
beweist das, indem er betont, daß die 
Serotherapie hier keine besseren Resul¬ 
tate gibt als die einfache Punktion. Neuer¬ 
dings hat Riedl über fünf Fälle und fünf 
Heilungen berichtet. Die Kranken wurden 
zwischen dem zweiten und fünften Tage 
nach dem Beginne der Krankheit einge¬ 
liefert. Alle boten das typische Krank¬ 
heitsbild dar. Es wurde sofort Liquor ab¬ 
gelassen und dann in der ersten Zeit täg¬ 
lich, später nur bei bedrohlichen menin- 
gealen Erscheinungen. Innerlich wurde 
Urotropin gegeben. Als Indikation zur 
neuen Punktion gibt er jede Fiebersteige¬ 
rung, Liquortrübung, Auftreten der me- 
ningealen Symptome an. Die Punktionen 
wiederholte er je nach dem Bedarf bis 
in die vierte, ja sogar fünfte Woche hin¬ 
ein, so daß in einem Falle im ganzen 
18 Punktionen gemacht wurden. Besse¬ 
rung trat nach jeder Punktion ein, gänz¬ 
lich aber verschwanden die Erscheinungen 
nicht. In allen Fällen kam es zu voll¬ 
kommener Heilung. 

So darf man sagen, daß die Lumbal¬ 
punktion, deren günstiger Einfluß auf die 
Krankheit durch das Ablassen des Liquors 
und also durch die Herabsetzung des 
Intralumbaldruckes verständlich ist, die 
Therapie der Meningitis vollständig be¬ 
herrscht. 

Etwas Neues hat Fried mann (1) in die 
Therapie der Genickstarre eingeführt. 
Er hat acht Fälle mit intralumbalen Opto- 
chininjektionen behandelt und geheilt, 
obwohl, wie er betont, die Krankheit 
meist einen bösartigen Eindruck machte. 
Soweit ich weiß, ist die Optochintherapie 
anderwärts noch nicht angewandt worden. 
Unlängst hat Bamberger über einen 
Fall von Meningitis cerebrospinalis refe¬ 
riert, in welchem er durch eine einfache 
Methode — intravenöse Einspritzung von 
1% Milchsäure und zwar an zwei Tagen 
hintereinander je eine Spritze — schnell 
vollständige Heilung erzielt hat. 

Die intravenöse Injektion der 1 %igen 
Milchsäurelösung hat Prof. Jessen in 
die Therapie eingeführt. Wie er ängibt, 
wirkt auf diese Weise angewendete Milch- 
säqre zuerst bactericid — wo sie mit Bak¬ 
terien in Berührung kommt — und dann 
hämolytisch; durch Auflösung roter Blut- 


2 ) B. kl. W. 1914, Nr. 16. 



Juni Die Therapie der 


körperchen werden die darin enthaltenen 
Eigenschutzkörper frei. Auch das Proto¬ 
plasma der Leukocyten löst sich auf, die 
Kerne bleiben aber intakt. 

Günstige Resultate von intravenösen 
' Milchsäureinjektionen hat Prof. J es s e n bei. 
beginnender Tuberkulose gesehen, über 
die er in der Ztschr. f. Tbc. Bd. 24, Nr. 3, 
referiert hat. Man muß. hier sehr vor¬ 
sichtig vorgehen, um große Reaktionen 
zu vermeiden. Weitere Versuche bei Sep¬ 
sis, Gelenkrheumatismus und Endokar¬ 
ditis haben ebenfalls gute Erfolge gezeigt. 
Was man bei dem Gelenkrheumatismus 
durch hohe Dosen reiner Salicylsäure — 
dabei kommt noch die eventuelle Nieren¬ 
reizung in Betracht — erzielt hat, das 
kann man anscheinend auch durch ein¬ 
fache intravenöse Injektion erreichen. 
Freilich wird man sich stets vor Augen 
halten müssen, wie kritisch man kleine 
Beobachtungsreihen gerade bei der Thera¬ 
pie solcher Infektionskrankheiten be¬ 
trachten muß, die nicht durch einen ge¬ 
setzmäßigen Verlauf gekennzeichnet sind. 
Immerhin ist es bedauerlich, daß die Ver¬ 
suche von Prof. Jessen bisher unbeachtet 
geblieben sind. Bei uns kommen nur 
sporadische Meningokokkenmeningitiden 
vor und ziemlich selten. In der letzten 
Zeit standen nur zwei Fälle in Behand¬ 
lung. Einer von diesen —? durch Lumbal¬ 
punktionen und Serotherapie behandelt — 
ist gestorben. 

Im anderen Falle bin ich mit der 
intravenösen Milchsäuretherapie zu ebenso 
gutem und raschem Erfolge gekommen 
wie Bamberger. 

Die Krankengeschichte dieses Falles 
ist folgende: 

J. M., 4 Jahre alt. Am 4. Januar 1917 auf¬ 
genommen. 

Eltern und Geschwister gesund, bisher nie. 
krank gewesen. Seit zirka fünf Tagen fühlte sich 
etwas unwohl. Appetit verloren, über Müdigkeit, 
ziehende Rücken- und Gliederschmerzen geklagt. 

Vor drei Tagen auf einmal Verschlimmerung 
des Zustandes. Erbrechen, große Kopf- und 
Rückenschmerzen, Unruhe, Schlaflosigkeit, ist 
stark hyperästhetisch gegen Licht und Geräusche. 
Langsam entwickelt sich die Nackensteifheit, die 
sich weiter auf die ganze Wirbelsäule ausdehnte. 
Jetzt ist die Genickstarre so ausgebildet, daß das 
Kind den Kopf in die Kissen bohrt. 

Status praesens: Kind anämisch, apathisch, 
das Hinterhaupt an die Wirbelsäule angezogen, 
der Rumpf im Bogen fixiert. 


Gegenwart 1917. 211 


Läßt Urin und Stuhl unter sich. Pupillen weit, 
träg auf Licht reagierend. Lungen und Herz ohne 
Befund. Bauch eingezogen, die unteren Extremi¬ 
täten in Knien gebeugt und an den Bauch an¬ 
gezogen. An der Brust und oberen Extremi¬ 
täten purpurrote Flecken, Kernig stark positiv, 
Patellarreflexe nicht gesteigert. Stark ausgebil¬ 
deter Dermographismus. Urin enthält Eiweiß. 

Lumbalpunktion: Liquor quillt unter er¬ 
höhtem Drucke aus, trüb, stark sedimentierend. 
Im Sedimente pölynucleäre Leukocyten mit Di¬ 
plokokken. Im Ausstrichpräparate von Nasen¬ 
schleim gramnegative Diplokokken. 

Am zweiten Tage nach der Aufnahme meta- 
stastischer Absceß, faustgroß, an der äußeren un 
teren Seite des linken Oberschenkels. Nach 
Incision große Menge von schmutzig gefärb¬ 
tem Eiter. 

Am 6. Januar (siehe Tabelle) wurde mittags 
zuerst V 2 ccm l%ige Milchsäurelösung in die Vena 
mediana - cubiti eingespritzt. Abends, leichtes 



Frösteln, Erhöhung der Temperatur bis zu 39,9°. 
Am nächsten Tage leichter Abfall der Temperatur, 
sonst bleibt der Zustand unverändert.' 

Am 9. Januar zweite Injektion von 1 ccm 
Reaktion bestand wieder im leichten Frösteln, 
Temperaturerhöhung. Schon am zweiten Tage 
fällt die Temperatur kritisch ab und Hand in 
Hand mit dem Temperaturabfalle lassen auch 
die anderen Erscheinungen nach. 

Bald darauf hellte sich das Bewußtsein auf, 
die Schmerzen lassen nach, Schlaf von jetzt ab 
ungestört, Appetit bessert sich, Pupillen reagieren 
prompt auf Licht, Nacken- und Wirbelsteifigkeit 
lassen nach. Am längsten dauerte das Kernig- 
sche Zeichen. 

Geheilt entlassen. 

Ich habe also dasselbe Heilresultat er¬ 
halten wie Bamberger. Doch bin ich 
weit entfernt, daraus entscheidende 
Schlüsse ziehen zu wollen. Es sind ja 
bisher nur diese zwei Fälle bekannt. Das 
ist aber auch nicht der Zweck meiner 
Mitteilung. Ich möchte nur die Kollegen 
anregen, diese einfache und wie es scheint 
gute Methode an einem größeren Material 
nachzuprüfen. 


27* 



212 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juni 


Colitis chronica gravis und Bacillendysenterie in ihren 

Beziehungen. 

H. Strauß-Berlin. 


Von Professor Dr. 

In den beiden letzten Jahrgängen 
dieser Zeitschrift ist die Frage der sero¬ 
logischen Unterscheidung der Dysenterie 
und der Colitis gravis (Rosenheim) be¬ 
ziehungsweise ulcerosa (Boas) oder sup¬ 
purativa (A. Schmidt) mehrfach Gegen¬ 
stand einer Erörterung gewesen. Nach¬ 
dem ich gezeigt hatte 1 ), daß die Sero¬ 
diagnostik ein neues Mittel darstellt, das 
sich zur Unterscheidung dysenterischer 
und nichtdysenterischer Formen von Cp- 
litis chronica gravis sehr gut eignet, haben 
sich mit dieser Frage außer mir vor allem 
Dünner 2 ) und Ehr mann 3 ) beschäftigt. 
Meine eigenen vor zwei Jahren mitge¬ 
teilten Untersuchungen hatten mich zu 
der Auffassung geführt, ,,daß unter den 
Fällen von chronischer unspecifischer Co¬ 
litis gravis eine größere Anzahl als die 
Mehrzahl der Autoren bisher annahm, der 
Dysenterie zuzurechnen ist“ und daß 
,,die Agglutinationsprobe zur Unterschei¬ 
dung von dysenterischen und nichtdysen¬ 
terischen Formen von chronisch hämor¬ 
rhagischer Proctitis beziehungsweise Co¬ 
litis in Zukunft in praxi einer weit größeren 
Beachtung bedarf, als ihr bisher auf 
diesem Gebiete an den meisten Stellen 
geschenkt worden ist“. Diesen Satz hatte 
ich auf Grund von Untersuchungen an 
14 Fällen von chronischer Procto-Sigmoi- 
ditis haemorrhagico-purulenta — ich habe 
diesen Ausdruck gewählt, weil neben der 
Eiterabscheidung auch die Blutabschei- 
dung der Krankheit ihr besonderes Ge¬ 
präge- verleiht, — ausgesprochen, von 
welchen sechs beziehungsweise sieben, also 
nahezu die Hälfte, eine Agglutination auf 
Dysenteriebacillen im Verhältnis von min¬ 
destens 1:100 dargeboten hatten. Noch 
weiter als ich ist Ehr mann in seinem 
Urteile in einer jüngst erschienenen 
Arbeit gegangen, indem er auf Grund 
von sieben gleichfalls auf serologischem 
Wege untersuchten Fällen nicht nur 
meine Auffassungen bestätigte, sondern 
direkt die Ansicht aussprach, daß 
das Krankheitsbild der Colitis ulce¬ 
rosa suppurativa nicht weiter aufrecht zu 
erhalten sei, und ,,daß es sich bei den 

1 ) H. Strauß, Arch.f. Verdauungsk., Bd.21 
und D.m.W. 1915 Nr. 36. 

2 ) Dünner, Med. Kl Wochenschr 1915 Nr.46 
und 1916 Nr. 47, Ther. d. Gegenw. 1916 Nr. 8 und 
1917 Nr 4 

:} ) Ehrmann, Berl. Med. Kl. Wochenschr. 
1916 Nr. 48. 


unter dem Bilde der Colitis ulcerosa sup¬ 
purativa verlaufenden Fällen meistens um 
eine chronische atöxische Ruhr, zum 
mindesten um Ruhr gehandelt hat“. Er 
hält es „jetzt schon als sehr wahrschein¬ 
lich, daß bei der sogenannten Colitis ulce¬ 
rosa nichts anderes als eine chronische 
Bacillen- oder Amöbenruhr oder andere 
infektiöse Erkrankungen vorliegen“. 
Dünner hat auf Grund serologischer 
Untersuchungen gegen die von mir und 
Ehr mann geäußerten Auffassungen Ein¬ 
wände erhoben. Gegenüber meinen Auf¬ 
fassungen macht er geltend, daß bei mei¬ 
nen Untersuchungen die Frage nicht be¬ 
rücksichtigt wurde, ob die Agglutination 
eine fein- oder grobkörnige war. Gegen¬ 
über den Ausführungen von Ehr mann,, 
welcher grobkörnige Agglutination fest¬ 
stellte, betont er, daß die Beziehungen 
zwischen dem anamnestisch und serolo¬ 
gisch sichergestellten Dysenterieinfekt und 
den klinisch festgestellten Krankheitsbil¬ 
dern seiner Fälle nicht immer über jeden 
Zweifel erhaben sei. Ich gebe gern zu, daß 
die von Dünner in bezug auf meine eigenen 
Untersuchungen gemachten Bemerkungen 
zutreffen und zwar aus dem einfachen 
Grunde, weil zur Zeit, als ich meine Unter¬ 
suchungen ausführte, über die differential¬ 
diagnostische Bedeutung der genannten 
Unterschiede im Ausfälle der Agglutina¬ 
tionsprobe nichts bekannt war. Denn 
die Arbeit von Dünner, durch welche 
die Aufmerksamkeit weiterer Kreise erst 
auf die praktische diagnostische Bedeu¬ 
tung des fein- oder grobkörnigen Ausfalls 
der Agglutination hingewiesen wurde, ist 
erst einige Monate nach Veröffentlichung 
meiner eigenen Untersuchungen erschie¬ 
nen. Dagegen ist in der erst Ende vorigen 
Jahres erschienenen Arbeit von Ehr¬ 
mann, wie schon erwähnt worden ist, 
nur ein grobkörniger Ausfall der Agglu¬ 
tination zum Ausgangspunkte der Be¬ 
trachtung gemacht worden. Leider hatte 
ich selbst keine Gelegenheit, neue Bei¬ 
träge zu der subtilen Frage des Unter¬ 
schiedes zwischen feinkörniger und grob¬ 
körniger Agglutination zu liefern, da die 
bakteriologische Abteilung der Prosektur 
unseres Krankenhauses während der 
Kriegszeit nicht in Betrieb .ist. Trotzdem 
halte ich es aber für angezeigt, unter 
spezieller Berücksichtigung der in der 
letzten Nummer dieses Jahrgangs er- 



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Literatur: 

Seifert (M. M.W. 1915, Nr. 27 und Derm. Klare (Deutsche Med. Wochenschr. 1916. 

Woch. 1915, Nr. 42) Nr. 21) 

Peperhowe (Münch. Med.W. 1916, Nr. 2) Amsler (Münch. Mediz. W. 1916, Nr. 18) 


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14 















































































Juni 1 Die Therapie der 


schienenen Arbeit von Dünner hier 
einige Bemerkungen zu der vorliegenden 
Frage zu machen. Dabei möchte ich mich 
allerdings nur auf die Erörterung der zwei in 
der letzten Veröffentlichung von Dünner 
in den Vordergrund gerückten Fragen be¬ 
schränken, nämlich erstens der Frage, 
ob überhaupt und inwieweit eine fein¬ 
klumpige Agglutination imstande ist, den 
Verdacht eines Dysenterieinfekts zu er¬ 
wecken, und zweitens der Frage, bis 
zu welchem Grade es gelingt, auf‘klini¬ 
schem, speziell endoskopischem, Wege eine 
scharfe Trennung zwischen dysenteri¬ 
scher und nichtdysenterischer Colitis, 
chronica gravis auszuführen. 

. In bezug auf den ersten Punkt muß 
ich es als auffällig bezeichnen, daß in der 
in der ersten Arbeit von Dünner ent¬ 
haltenen Tabelle mehrfach eine fein¬ 
klumpige Agglutination auf Shiga-Kruse- 
Bacillen bei der Verdünnung von 1:80 
und mehr in Fällen angegeben ist, welche 
bei geringerer Verdünnung einen grob¬ 
klumpigen Reaktionsausfall dargeboten 
hatten, und daß auch einige Fälle von 
klinisch sicher gestellter Colitis haemorr- 
hagica nur eine, feinklumpige Agglu¬ 
tination zeigten, während feinklumpige 
Agglutination, wie Agglutination über¬ 
haupt, auf Shiga-Kruse-Bacillen bei 
Patienten, welche keine Colitis haemorr- 
hagica überstanden hatten, erheblich 
seltener zu beobachten war. Diese 
letztere Erscheinung trat bei den Unter¬ 
suchungen von Friedemann 1 ) und 
Steinbock noch deutlicher zutage. Mit 
Rücksicht auf die Beobachtungen von 
Dünner, Friede mann und Steinbock, 
Jacobitz 2 ) und Anderen gebe ich gern 
zu, daß hinsichtlich der semiotischen Be¬ 
deutung eines grob- oder feinkörnigen 
Ausfalls der Agglutinationsprobe ein Un¬ 
terschied besteht, doch scheint mir die 
Frage, welcher Art diese semiotische 
Bedeutung ist, zurzeit noch keineswegs 
völlig geklärt. Wenn man einerseits er¬ 
wägt, wie zahlreich und biologisch un¬ 
gleich die verschiedenen Dysenterie¬ 
stämme sind, und weiterhin berücksichtigt, 
daß im Laufe des Krieges bei einer ganzen 
Anzahl von Menschen — und zwar auch 
bei Angehörigen der Zivilbevölkerung — 
klinisch latente Dysenterieinfekte vorge¬ 
kommen sein dürften, so ist meines Er¬ 
achtens mindestens mit der Möglichkeit 
zu rechnen, daß auch solche Personen, 

1 ) Friedemann und Steinbock, D. m. W. 
1916 Nr. 8. 

2 ) Jacobitz,'B. kl. W. 1916, Nr. 26. 


Gegenwart 1917. 213 . 


deren Serum eine feinkörnige Agglutina¬ 
tion darbietet, einmal Träger eines Dys- 
enteriefnfekts gewesen sein dürften. Ein 
Festhalten an meiner s. Zt. geäußerten 
Auffassung erscheint mir auch so lange 
gerechtfertigt, als sich nicht alle Autoren 
darüber geeinigt haben, nur solche Dys¬ 
enteriestämme als für die Agglutinations¬ 
probe geeignet anzuerkennen, welche 
mit agglutinierendem Serum eine grob¬ 
körnige Reaktion ergeben. Im übrigen 
hatte ich mich seinerzeit gar nicht 
bestimmt darüber geäußert, ob in den 
betreffenden Fällen die Dysenterieerreger 
allein für die Erzeugung aller ana¬ 
tomischen Veränderungen verantwort¬ 
lich zu machen sind oder ob es sich in den 
betreffenden Fällen eventuell um eine 
Mischinfektion auf dem Boden einer ur¬ 
sprünglich durch Dysenterieerreger. ein¬ 
geleiteten Erkrankung gehandelt hat. 
Außerdem habe ich Beziehungen zu einem 
Dysenterieinfekt nur für einen Teil der 
Fälle für wahrscheinlich erklärt und nicht 
nur Fälle meiner Beobachtung erwähnt, 
in welchen die Ursache in einer syphiliti¬ 
schen Infektion beziehungsweise Hg : Kur 
zu suchen war 1 ) sondern auch — was 
zwar, wie ich glaube, zum ersten Mal — : 
auf Grund eines Falles meiner Beob¬ 
achtung an den Paratyphus B als Er¬ 
reger einer chronischen Colitis haemor- 
rhagica purulenta namhaft gemacht. In 
meiner Mitteilung kam es mir überhaupt 
in erster Linie darauf an, zu betonen, 
daß wir in der serologischen Unter¬ 
suchung ein Mittel in der Hand haben, 
um aus der Gruppe der ,kryptogene¬ 
tischen“ chronischen Colitis haemorrha- 
gico-purulenta diejenigen Fälle her¬ 
auszuschälen, bei welchen ein 
Dysenterieinfekt eine ätiologisch 
bedeutsame Rolle spielt, und wei¬ 
terhin zu zeigen, daß die Zahl dieser 
Fälle eine recht beträchtliche ist. 

Was den zweiten Punkt betrifft, so 
habe ich bei der procto-sigmoskopischen 
Untersuchung einer sehr großen Zahl von 
chronisch gewordenen „Felddysenterien“ 
mehr als ein halbes Dutzend von Fällen 
gesehen, bei welchen die Endoskopie ab¬ 
solut nicht in der Lage war, einen 
Unterschied zwischen dem Bilde 
der chronischen Colitis haemor- 
rhagico-purulenta der Friedenszeit 


T Zurzeit habe ich eine Patientin aus der 
hierher gehörigen Krankheitsgruppe in Behand¬ 
lung, die sowohl eine positive Wassermannreaktion 
als auch eine positive Agglutinationsprobe auf 
Dysenteriebacillen darbietet. 




214 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juni 


und der in ihrem dysenterischen 
Charakter durch die Anamnese, das 
klinischeBild und den serologischen 
Befund sichergestellten chroni- 
schen „ Felddysenterien“ aufzu¬ 
decken. Wenn Dünner auf Unter¬ 
schiede im endoskopischen Befunde hin¬ 
weist, so gebe ich gern zu, daß solche 
Unterschiede gelegentlich Vorkommen 
mögen, bin aber auf Grund ausgedehnter 
eigener Vergleichsuntersuchungen nicht in 
der Lage, ein prinzipiell gegensätzliches 
Verhalten anzuerkennen. Höchstens kann 
ich für Fälle von Amöbendysenterie 
zugeben, daß diese zuweilen-bis zu einem 
gewissen Grade einen charakteristischen 
Anblick darbieten. Wenigstens habe ich 
mehrfach in derartigen Fällen eine große 
Ahzahl zerstreut liegender miliarer bis 
linsengroßer leicht blutender Geschwür- 
chen auf einer nur mäßig geschwollenen 
Schleimhaut beobachtet. Dagegen habe 
ich bei chronisch gewordenen schweren 
Bacillendysenterien meistens endoskopi¬ 
sche Bilder feststellen können, die sich 
in nichts von denjenigen unterschieden, 
welche ich von der Untersuchung überaus 
zahlreicher Fälle von aus der Friedens¬ 
zeit stammender ,,kryptogenetischer“ Co¬ 
litis haemorrhagico-purulenta kenne. 
Außerdem verfüge ich über vier Obduk¬ 
tionspräparate der „Friedensform“ bezw. 
der „kryptogenetischen“ Form, bei wel¬ 
chen ich zahlreiche bis in die Submucosa 
und zuweilen bis zur Muscularis reichende 
Ulcerationen feststellen konnte. Es ist 
außerdem noch zu berücksichtigen, daß 
das endoskopische Bild der Colitis haemor¬ 
rhagico-purulenta in hohem Grade von 
der Intensität und dem Stadium der 
Krankheit beeinflußt wird, sodaß es bei 
ein und demselben Patienten zu verschie¬ 
denen Zeiten außerordentlich variieren 
kann. 

In zwei anderen Punkten befinde ich 
mich allerdings in erfreulicher Überein¬ 
stimmung mit Dünner. Der erste Punkt 
besteht darin, daß die Colitis haemorrha¬ 
gico-purulenta kaum je zu Übertragungen 
führt. Auch mir sind Übertragungen 
nicht vorgekommen, trotzdem ich zahl¬ 
reiche schwere Fälle dieser überaus lang¬ 
wierigen und sehr lästigen Erkrankung 
in Beobachtung hatte. Ich muß aber 
gleichzeitig betonen, daß auch bei den 
hier in Rede stehenden chronischen Fällen 
der im Kriege entstandenen Bacillen¬ 
dysenterie Übertragungen überaus selten 
sind. Auch in einem großen Reserve- 
azarett, das lediglich mit chronische n 


Verdauungskranken belegt ist und welches 
stets eine größere Anzahl der hier in Rede 
stehenden Fälle enthielt, habe ich in 
anderthalb Jahren nur einmal eine Über¬ 
tragung auf wenige Personen beobachten 
können. Da wir aber aus klinischen Beob¬ 
achtungen erfahren haben, daß unter 
den zahlreichen Dysenterieerregern neben 
hochinfektiösen Stämmen auch eine ganze 
Reihe im Sinne der Übertragung wenig 
infektiös wirkender Stämme vörkommt, 
so sind meines Erachtens auch auf diesem 
Gebiete keine zwingenden Gründe vor¬ 
handen, um ausgesprochene Gegensätze 
zwischen den Erregern der „unspezifi¬ 
schen“ Colitis haemorrhagico-purulenta 
und der Bacillendysenterie aufzustellen. 
In uneingeschränkter Übereinstimmung 
befinde ich mich jedoch mit G. Klemperer 
und Dünner 1 ), wenn diese das „chroni¬ 
sche Rectalgeschwür“ in einen scharfen 
Gegensatz zur . Colitis gravis bringen. 
Soweit ich orientiert bin, ist eine solche 
Auffassung auch bei der Mehrzahl der 
Autoren vorhanden. Denn das, was 
G. Klemperer und Dünner unter dem 
Namen „chronisches Rectalgeschwür“ be¬ 
schreiben, gleicht im großen und ganzen 
derjenigen Erkrankung, deren Schluß-' 
Stadium unter dem Namen des „chronisch 
stenosierenden Mastdarmgeschwüres“ oder 
der „entzündlichen Mastdarmstenose“ be¬ 
kannt ist. Diese Fälle von Ulcus stenoti- 
cans callosum, das man wegen seiner 
Tendenz, auf die Umgebung überzugreifen 
— ich habe mehrere solcher Fälle mit 
massenhaften Fistelbildungen gesehen — r 
sogar auch Ulcus callosum penetrans 
nennen könnte, können auch nach eigenen 
Beobachtungen in ihren Frühstadien als 
isolierte große flächenhafte Geschwüre in 
die Erscheinung treten, und auch ich bin 
nicht nur mit Rücksicht auf die diver¬ 
gente Ätiologie der einzelnen Fälle (Lues, 
Gonorrhöe, Actinomycose usw.), sondern 
auch mit Rücksicht auf ihre Entwickelung 
und ihren Verlauf und nicht zuletzt auch 
mit Rücksicht auf die erhobenen histo- v 
logischen Befunde (siehe besonders die¬ 
jenigen von Benda und Nakamura 2 ) 
geneigt, diese Erkrankung als „eine 
zweite Krankheit“ im Sinne von Rössle 
aufzufassen. Ich erkenne dabei gern an, daß 
die erste’ Erkrankung zuweilen durch eine 
Dysenterie bedingt sein kann, muß aber 
gleichzeitig betonen, daß die Dysenterie 
nach meinen Erfahrungen eine weit ge~ 

1 ) G. Klemperer und Dünner: Ther. d.. 
Gegenw. 1915, Nr. 11 u. 12. 

2 ) Nakamura, Virch. Arch. 1914, Bd 215. 




Juni 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 215 


ringere Neigung zur Bildung organi¬ 
scher Stenosen zeigt, als dies anscheinend 
auch jetzt noch von manchen Seiten an¬ 
genommen wird. Wenigstens habe ich 
bei der großen Anzahl von chronisch 
gewordenen '„Felddysenterien“, die ich 
in den letzten 2% Jahren zu sehen 
bekommen habe, bis jetzt noch keinen 
einzigen Fall von organischer, in einwand¬ 
freier Weise durch die Dysenterie er¬ 
zeugter Stenose beobachten können, im 
Gegensätze zu den bei chronisch gewor¬ 
denen Dysenterien recht häufig zur Beob¬ 
achtung gelangenden spastischen Darm- 
contractionen, und es war, soweit ich die 
Kriegsliteratur überschaue, von solchen 
durch die Dysenterie erzeugten orga¬ 
nischen Stenosen bis jetzt nur sehr 
wenig die Rede. Auch in dem Sammel¬ 
berichte, den Woodward über 1 28 000 
Fälle von chronischer Ruhr aus dem 
amerikanischen Sezessionskriege erstattet 
hat, findet sich kein einwandfreier. Fall 
von Narbenstenose erwähnt. Im übrigen 
sind echte organische Stenosen nach 
meinen Erfahrungen auch bei der Colitis 
gravis überaus selten, es sei denn, daß 
man die eine Sonderstellung einnehmen¬ 
den Formen von Sigmoiditis indurativa 
beziehungsweise profunda oder callosa 
oder auch infiltrativa (v. Leube und 
A. Schmidt), deren Entstehung man 
mit Recht mit Divertikulitiden beziehungs¬ 


weise Peridivertikulitiden in Zusammen¬ 
hang bringt -— ich habe selbst vier solcher 
Fälle in Erinnerung —, ohne weiteres mit 
dem Krankheitsbilde der Colitis gravis 
konfundiert. 

Nach alledern sehe ich zurzeit keinen 
Grund zur Aufgabe der Anschauungen, 
die ich über die Beziehungen zwischen 
dem Krankheitsbild und der Entstehung 
der chronischen Colitis gravis und Dysen¬ 
terieinfekten in, prinzipieller Richtung ge¬ 
äußert habe, halte es aber doch für eine 
dankbare Aufgabe weiterer Untersuchun¬ 
gen, eine Reihe von Einzelfragen des vorlie¬ 
gen den Gebietes noch weiter zu klären, so 
speziell auch noch die von Dünner auf¬ 
geworfene Frage der semiotischen Be¬ 
deutung der Art des Ausfalles der Agglu¬ 
tinationsprobe für die hier interessieren¬ 
den Krankheitszustände. Ist es doch 
möglich, daß die uns heute vorwiegend 
vom theoretischen Standpunkte inter¬ 
essierende Frage der ätiologischen Be¬ 
deutung eines Dysenterieinfekts auch 
einmal eine praktisch therapeutische 
Bedeutung im Rahmen eines specifischen 
antidysenterischen Heilverfahrens ger 
winnt. Vorerst hat sich mir allerdings die 
Behandlung mit Shiga-Kruse-Serum in 
den zwei Fällen von Colitis haemorrha- 
gico-purulenta, in welchen ich sie ver¬ 
sucht habe, noch nicht als ausreichend 
erwiesen. 


Kriegsmehl, Mehlnährpräparate und Krankendiät. 

Auf Grund einer im Kaiserlichen Gesundheitsamt 
abgehaltenen Sachverständigen Beratung verfaßt. 

Von G. Klemperer. 


Die zwingende Notwendigkeit, mit 
den Getreidevorräten sparsam umzu¬ 
gehen, hat bekanntlich in neuester Zeit 
zu der Anordnung geführt, das Korn zur 
Mehlbereitung bis auf 94% auszumahlen. 
Dadurch werden dem Mehle auch wesent¬ 
liche Bestandteile der Körnerschale bei¬ 
gemischt, das Mehl wird reicher an Kleie, 
es enthält mehr Eiweiß und mehr Cellu¬ 
lose als das sogenannte Auszugsmehl, 
welches früher zu feinem Gebäcke ver¬ 
wendet wurde. Die Erfahrung von zwei 
Kriegsjahren hat gezeigt, daß das Brot, 
welches aus dem weit stärker als in Frie¬ 
denszeiten ausgemahlenen Korne her¬ 
gestellt wird, von gesunden Menschen, 
wenn es nur einigermaßen gut ausge¬ 
backen war und wenn es sorgfältig ge¬ 
kaut wurde, sehr gut vertragen wird. 
Das Kriegsbrot wurde nicht nur von den 
meisten gut vertragen, sondern es übte 


teilweise sogar vortreffliche Wirkungen 
aus, durch seinen größeren Cellulosegehalt 
wirkte es anregend auf die Sekretion der 
Verdauungssäfte und auf die Darmperi¬ 
staltik. Viele Klagen, die im Anfänge der 
kriegsmäßigen Ernährung über das neue 
Brot laut wurden, bezogen sich auf den 
allzugroßen Roggengehalt und den eine 
Zeitlang notwendigen Zusatz von Kar¬ 
toffeln. Aber auch diese Klagen sind im 
allgemeinen verstummt. Es scheint, daß 
der Magen-Darm-Kanal mit seinen Be- 
wegungs-, Absonderungs- und Auf¬ 
saugungsverhältnissen sich dem gröberen 
Brote angepaßt hat. Es darf also er¬ 
wartet werden, daß sich auch das Ein¬ 
heitsbrot, welches aus dem zu 94% aus¬ 
gemahlenen Mehle bereitet ist, als ein be¬ 
kömmliches Volksnahrungsmittel bewäh¬ 
ren wird. Den verschiedenen Geschmacks¬ 
richtungen und teilweise auch der indivi- 





216 


Die Therapie der Gegenwart 1917. Juni 


duellen Verdauungskraft wird übrigens 
bei der Brotbereitung insofern ein Zu¬ 
geständnis gemacht, als für Wählerische 
ein reines Weizenbrot zur Verfügung steht, 
welches freilich auch aus 94%ig' aüsge- 
mahlenem Mehle gebacken ist. Es ist nun 
die Frage, ob dieses grobe Mehl bezie¬ 
hungsweise das aus demselben gebackene 
Brot auch für Kranke zuträglich ist. Brot 
kommt natürlich überhaupt nur fürsolche 
Kranke in Betracht, die, Zähne haben und 
gut kauen können; diejenigen Kategorien 
von Kranken, die mit flüssiger Kost er¬ 
nährt werden müssen, die hochfieber¬ 
haften, sehr geschwächten und unbesinn¬ 
lichen Kranken können kein Brot be¬ 
kommen; sie erhalten das Mehr in Form 
von Suppen. Alle anderen Kranken, die 
gute Mundverdauung haben, verlangen 
nach Brot. Ein großer Teil von ihnen 
verträgt auch das grobe neue Einheitsbrot 
ohne Schaden. Nur bei den Patienten mit 
krankem Magen und Darme kann der 
starke Kleiegehalt zu stark reizend wir¬ 
ken; bei Entzündungen und Geschwürs¬ 
bildung im Verdauungsapparat, sowie bei 
hochgradigem Darniederliegen der moto¬ 
rischen Tätigkeit wird das Bedürfnis nach 
einem feineren Brot, ohne Schalenbestand¬ 
teile des Kornes, sich geltend machen. In 
vielen hierher gehörigen Fällen wird man 
sich durch Darreichung von Mehlsuppen 
an Stelle von Brot, öfter auch durch das 
Rösten feiner Brotschnitten und den Rat 
besonders guten Kauens helfen können. 
Aber es wird doch auch Fälle besonderer 
Reizbarkeit geben, in welchen Brot, aus 
feinem Auszugsmehle gebacken, zu Heil¬ 
zwecken erwünscht sein wird. Geringer 
ausgemahlenes Mehl (75% Ausmahlung) 
wird aber zur Versorgung der Kränken 
in allen Kommunalverbänden vorhanden 
sein, sei es, daß die selbstwirtschaftenden 
Kommunalverbände für diesen Zweck bei 
dem Mahlprozesse Auszugsmehl vorweg 
ziehen, sei es, daß die Reichsgetreide¬ 
stelle den nicht selbstwirtschaftenden 
Kommunalverbänden auf entsprechenden 
Antrag die notwendige Menge- dieses 
Mehles zur Verfügung stellt. Aus diesem • 
Feinmehle können Zwieback und Cakes , 
bereitet werden, welche zur Ernährung 
von Rekonvaleszenten und Verdauungs- 
kranken gute Dienste leisten werden.. 
Freilich soll dieses Feinmehl • nur für, 
wirklich Kranke, nicht für Nervöse und : 
Verwöhnte verwendet werden.. Es soll 
nur in geringer . Menge zur Verfügung: 
stehen. Die neuen Verordriungeh be- • 
stimmen, daß die Kleiemenge, welche bei : 


der ungenügenden Ausmahlung übrig¬ 
bleibt, dem zur Herstellung des Einheits¬ 
brotes verwendeten Mehie noch hinzu¬ 
gefügt wird. Je mehr also das Kranken¬ 
gebäck verfeinert wird, desto mehr ver¬ 
gröbert sich das Brot der Gesunden. Es 
darf also das Feingebäck nur^auf beson¬ 
deres ärztliches, Attest abgegeben werden 
und es wird von de;n Ärzten erwartet, daß 
sie diese Atteste nur in wirklich dring¬ 
lichen Fällen ausstellen. Insbesondere 
dürfen Neigungen und Liebhabereien von 
Patienten in keiner Weise für die Will¬ 
fährigkeit der Ärzte maßgebend sein. 
Das Attest sollte — abgesehen von 
schweren Erkrankungen — erst ausge¬ 
stellt werden, wenn durch wiederholten 
Versuch bewiesen ist, daß dem Genüsse 
des gröberen Brotes wirkliche Krank¬ 
heitszeichen folgen; geringes Unbehagen, 
gewisse Mißempfindungen und leichte 
Störungen dürfen nicht als genügende 
Gründe für Gewährung von Kranken- 
gebäckättesten angesehen werden. 

Diejenigen Kranken, welche wegen 
der Unfähigkeit zu kauen oder wegen ganz 
besonderer Schwäche-, Entzündungs- oder 
Geschwürszustände des Magen-Darm-Ka¬ 
nals gar keine Art von Gebäck vertragen, 
werden das Mehl in Suppenform darge¬ 
reicht erhalten. Hierbei wird freilich in 
jedem Einzelfalle besonders zu erwägen 
sein, ob zur Bereitung von Kranken¬ 
suppen das grobe Einheitsmehl oder das 
feine 75%ig ausgemahlene Mehl not¬ 
wendig ist; In leichteren Fieberzuständen, 
auch bei hohem Fieber mit einigermaßen 
intaktem Magen, z. B. bei Pneumonie, 
Erysipel usw., bei vielen Zuständen von 
Kachexie werden Suppen von Einheits¬ 
mehl durchaus genügen. 

Die Kommunalverbände verfügen auch 
in gewissem Umfange über Haferprä¬ 
parate und sind d^hin verständigt, diese 
Präparate in erster Linie, zur Versorgung 
von Kranken zu verwenden, so daß der 
Arzt zumeist auch auf Hafermehl wird 
zurückgreifen können. Man wird die 
Suppen durch Zusatz von Magermilch 
oder Vollmilch oder Ei oder Butter in 
verschiedenen Graden reicher an Eiweiß 
oder Fett machen können und wird also 
den verschiedenen Indikationen der Kran¬ 
kendiätetik gerecht werden können. Der 
Verschreibung von Feinmehl (75% Aus¬ 
mahlung -— sei es aus Roggen, Weizen 
oder Hafer —) zur Suppenbereitung soll¬ 
ten aber stets besondere Indikationen zu¬ 
grunde gelegt werden in erster Linie in 




Juni 


Die Therapie der Gegenwart 191,7. 


217 


Beziehung auf schwere Magen- und Darm- 
erkrankungen. 

Es wird wohl allseitig zugege¬ 
ben werden, daß mit der Bereit¬ 
stellung von Krankengebäck aus 
Feinmehl sowie von Feinmehl(75% 
Ausmahlung) selbst zur Suppen- 
und Breibereitung das Bedürfnis 
der Krankenernährung in bezug 
auf mehlhaltige Nahrung mit der 
unter den derzeitigen Kriegsver¬ 
hältnissen unvermeidlichen Ein¬ 
schränkung in erträglicher Weise 
sich befriedigen läßt. 

Es soll aber noch die Frage erörtert 
werden, ob mit Gebäck und Mehlsuppen 
das Kohlehydratbedürfnis des Kranken 
genügend befriedigt wird. Dies ist nicht 
der Fall. Es stehen aber dem Kranken 
zum Glücke weitere Kohlehydratquellen 
ausreichend zur Verfügung. Wir können 
ihm Vollmich, Magermilch, Sauermilch 
oder Buttermilch gewähren, wir können 
Kartoffelbrei, vielleicht auch Reisbrei 
reichen, wir haben in Gemüsen und 
Früchten immerhin, einige Kohlehydrat¬ 
mengen, wir können durch Zusatz von 
Rohrzucker oder Milchzucker oder Honig 
die Kohlehydratzufuhr erhöhen. 

Wenn wir aus all diesen Nahrungs¬ 
mitteln das Bekömmliche auswählen, 
können wir sicher sein, daß wir auch dem 
schwersten Kranken die für seinen Zu¬ 
stand nötigen Kohlehydratmengen in ent¬ 
sprechender Form zuführen können. 

Es erhebt sich zum Schlüsse die Frage, 
ob es für die Krankenernährung not¬ 
wendig oder wünschenswert ist, zur Stil¬ 
lung des Kohlehydratbedürfnisses noch 
besonders präparierte Mehle, sogenannte 
Mehlnährpräparate, zu verordnen. Solche 
künstlich präparierte Mehle sind in der 
ärztlichen Praxis vielfach gebraucht wor¬ 
den und erfreuen sich zum Teil nicht un¬ 
berechtigter Beliebtheit. Meist sind sie 
verhältnismäßig teuer. Wenn man sich 
aber fragt, ob diese Präparate im Inter¬ 
esse der Kranken wirklich notwendig 
sind, so muß die Antwort verneinend 
lauten. Es gibt in , Wirklichkeit 
keinen Fall in der Krankenernäh¬ 
rung, in welchem ein künstlich prä¬ 
pariertes Mehl beziehungsweise 
Mehlnährpräparat nicht durch 
Krankengebäck oder Feinmehl zu 
ersetzen wäre. 

Viele der künstlichen Präparate können 
als ihre Besonderheit nur rühmen, daß 
sie sehr fein verteilte und ganz kleiefreie 
Mehle darstellen. Dieser Vorzug ist an¬ 


zuerkennen, aber er wird in gleicher Weise 
vom gewöhnlichen Feinmehle dargeboten. 
Andere Präparate erhöhen ihren Nähr¬ 
wert, indem sie dem eigentlichen C'erea- 
lienmehle das von Leguminosen, auch 
wohl Milchtrockenpulver, hinzusetzen. Da¬ 
durch wird insbesondere der Eiwei߬ 
gehalt der Präparate erhöht, wodurch sie 
sich zur Verwendung in Krankheiten zu 
empfehlen' scheinen. Indessen ist hierin 
doch kein ausreichender Existenzgrund 
gelegen, denn wir sind am Krankenbette 
stets in der Lage, den Eiweißgehalt von 
Mehlbereitungen durch freien Zusatz von 
Ei, Milch, rm Haushalte hergestellten 
Fleischsaft zu erhöhen. Schließlich treten 
einige künstliche Präparate mit dem An¬ 
sprüche auf, das Mehl in besonders ver¬ 
daulicher Form darzubieten, indem*, sie 
es zum Teil verzuckert liefern. Das Mehl 
kommt im Magen-Darm-Kanal in ver¬ 
zuckerter Form, insbesondere als Maltose 
und Traubenzucker zur Aufsaugung, und 
es heißt also dem Kranken die Verdau¬ 
ungsarbeit ersparen, wenn man ihm über¬ 
haupt kein Mehl, sondern nur Maltose 
zuführt. Wenn wir aber die Verdauungs¬ 
verhältnisse der kranken Menschen wür¬ 
digen, wie sie wirklich sind, so werden 
wir auch die Überflüssigkeit der teilweise 
verzuckerten Mehle für die meisten Fälle 
erkennen. Die Verzuckerung ist eine 
Funktion des Mundspeichels, sowie des 
Saftes der Bauchspeicheldrüse. In Wirk¬ 
lichkeit gibt es kaum eine Erkrankung, 
des erwachsenen Menschen, in welchem 
dje Saftabsonderung der Speicheldrüsen 
so herabgesetzt wäre, daß die Verzucke¬ 
rung fein verteilter Mehlsuppen wesent¬ 
lich Not litte. Es wird übrigens durch die 
Hitze beim Kochen der Suppe, noch 
mehr beim Backprozesse ein Teil der Stärke 
im Mehle bereits verzuckert, der einge¬ 
leitete Ve.rzuckerungsvorgang wird dann 
im Munde und Darm auch schwerkranker 
Menschen soweit fortgesetzt, daß eine 
mangelhafte Kohlehydratresorption aus 
Mehlsuppen zü den größten Seltenheiten 
gehört. Sollte aber wirklich einmal der 
Fall eintreten, daß bei völligem Ver¬ 
sagen sämtlicher Speicheldrüsen das Fein¬ 
mehl nicht genügend aufgesaugt wird — 
es kommt freilich in solchen Fällen noch 
die verzuckernde Kraft der Darmbakte¬ 
rien hinzu —, so könnte der Arzt sich wohl 
mit reinen Zuckerlösungen, mit Honig 
oder Milch helfen. Es stehen ihm aber in 
diesem bei Erwachsenen extrem seltenen 
Falle auch noch die Malzsuppen aus der 
Kinderheilkunde zur Verfügung. 

28 



218 Die Therapie der Gegenwart 1917. Juni 


Besonders aber sei hervorgehoben, 
daß die viel verordneten und be¬ 
liebten Malzextrakte in Wirklich¬ 
keit überflüssig sind. Sie gelten als 
besondere Stärkungsmittel und das Publi¬ 
kum pflegt ihnen eine Art von Zauber¬ 
kraft zur Hebung gesunkener Kräfte zu¬ 
zuschreiben. In Wirklichkeit ist Malz¬ 
extrakt der eingedickte Wasserauszug 
gekeimter Gerste, es unterscheidet sich 
vom Gerstenmehle durch eine größere 
Menge in Wasser löslicher Bestandteile 
und das Vorhandensein von verzuckern¬ 
dem Ferment. Das sind nützliche Eigen¬ 
schaften, die durch den würzigen Ge¬ 
schmack des Malzes noch wertvoller wer¬ 
den; aber es braucht nicht wiederholt zu 
werden, daß es kaum eine Krankheit gibt, 
in welcher der Körper nicht selbst ver¬ 
zuckerndes Ferment genug besäße, um 
sich die Wasserlöslichkeit der zugeführten 
Stärke selbst zu bereiten. * Die Malz¬ 
extrakte können keinesfalls als not¬ 
wendig für die Krankenernährung 
bezeichnet werden. Es muß aber als 
eine Ausnützung der Unwissenheit des 
Publikums bezeichnet werden, wenn 
einige Fabrikanten ihre Malzextrakte 
durch einen geringen Zusatz indifferenter 
Salze zu besonderen Stärkungsmitteln 
stempeln und diese falsche Prätention so¬ 
wohl durch den Namen (wie Biomalz) als 
durch den besonders hohen Preis zum 
Ausdruck bringen. 

Wir möchten unsere Betrach¬ 
tungen dahin zusammenfassen, 


daß bei dem jetzigen Zustande der 
Verfügbarkeit von Krankengebäck 
aus feinstem Auszugmehl und der 
Verfügbarkeit dieses Feinmehles 
selbst für die Krankenernährung 
alle berechtigten Wünsche in be¬ 
zug auf Darreichung mehlhaltiger 
Speisen in erträglicher Weise er¬ 
füllt werden können und daß die 
Ärzte mit gutem Gewissen auf die 
Verordnung von künstlichen Mehl¬ 
präparaten zu verzichten vermögen. 
Wenn diese künstlichen Mehlpräparate 
im Interesse der gesamten Volksernährung 
für die Kriegszeit verschwinden, so brau¬ 
chen wir ihnen nicht nachzutrauern; sie 
haben mehr der Bequemlichkeit und dem 
Luxus als der Notwendigkeit gedient. Die 
Krankenernährung wird durch das Fehlen 
der künstlichen Mehlpräparate nicht be¬ 
einträchtigt werden. 

Wenn somit auch bei der Zufuhr von 
Kohlehydraten selbst in den gegenwär¬ 
tigen schweren Zeiten die Möglichkeit 
noch verblieben ist, die Kranken sach¬ 
gemäß diätetisch zu behandeln, so werden 
die Ärzte auch zu ihrem Teil daran mit- 
arbeiten können, dies ihren Kranken 
durch Aufklärung und aufmunterndes 
Zureden zum Bewußtsein zu bringen, sie 
werden auch auf diese Weise sich ums 
Vaterland verdient machen können, in¬ 
dem sie dazu beitragen, unberechtigten 
Befürchtungen und Klagen und damit 
auch der Verbreitung von Unzufrieden¬ 
heit und Unwillen vorzubeugen. 


Zur Behandlung ausgedehnter Oberarmresektionen. 

(Mit 3 Abbildungen.) 

Von Georg Müller-Berlin, 

orthopädischer Fachbeirat beim 'Sanitätsamt des Gardekorps. 


Der Reservist K. wurde am 25. August 
1916 durch Granatsplitter an der linken 
Schulter verletzt. Die starke Zersplitte¬ 
rung des Oberarmkopfes machte die Ent¬ 
fernung des Oberarmknochens in einer 
Ausdehnung von etwa 11 cm nötig. Als 
Patient am 17. Dezember 1916 in meine 
Abteilung aufgenommen wurde, wurde 
folgender Befund festgestellt: Großer, 
gesund aussehender, muskulöser Mann. 
Innere Organe ohne Befund. Linke 
Schulter steht tiefer. Von der linken 
Schulterhöhe zieht an der Außenseite 
des Oberarmes nach abwärts eine 18 cm 
lange, zum Teil mit der Unterlage ver¬ 
wachsene Narbe, herrührend von einem 
operativen Eingriffe. Das Akromion ragt 
unter der Haut schnabelartig hervor, der 


Oberarmkopf und ein beträchtlicher Teil 
des Oberarmes fehlen (Abb. 1). In dem 
leeren Hautmuskelschlauche fühlt man 
einzelne, unregelmäßig gestaltete Ver¬ 
dickungen (Callus), Pfanne und Akromion 
intakt. Ligamentum acromioclaviculare 
gelockert. Schulterwölbung völlig ver¬ 
schwunden, an ihrer Stelle ist eine deut¬ 
liche Einbuchtung sicht- und fühlbar. 
Deltamuskel fehlt völlig, übrige Ober¬ 
armmuskulatur stark, Vorderarm- und 
Handmuskulatur mäßig geschwunden. 
Schultermuskeln atrophisch, Mm. Pec- 
toralis, Teres major, Latissimus dorsi, 
Serratus, Pectoralis major gut ausgebildet 
(Abb. 2). Die elektrische Erregbarkeit 
ist in den noch vorhandenen Fasern der 
hinteren Portion des Deltamuskels für 



Juni 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


219 


beide Stroinarten mäßig gut, während 
die vordere und mittlere Portion keine 
Reaktion zeigt. Die vom M. triceps er- 

Abb. 1 



haltenen Portionen reagieren schwächer 
als rechts, die übrigen Muskeln reagieren 
rechts und links gleich. 

Abb. 2 


I er kann wegen jeder fehlenden Gelenk¬ 
verbindung in der Schulter völlig um 
seine Längsachse gedreht werden. Aktiv 
ist jede Bewegungsmöglichkeit im Schul¬ 
tergelenk aufgehoben, dahingegen besteht 
im Ellbogen-, Hand- und sämtlichen 
Fingergelenken aktiv und passiv normale 
Beweglichkeit, jedoch können letztere 
wegen der aufgehobenen Schulterbewe¬ 
gungen praktisch nur in stark einge¬ 
schränktem Maße ausgenutzt werden. 

Ich habe nun dem Patienten in dreierlei 
Absicht einen orthopädischen Apparat 
angefertigt, erstens, um zu verhindern, 
daß der die Knochenlücke umschließende 
Hautmuskelschlauch durch die Schwere 
des schlaff herabhängenden Armes immer 
weiter ausgezogen wird, zweitens, um das 
proximale Ende des Oberarmfragmentes 
fest in die Pfanne zu pressen und so die 
Möglichkeit einer Nearthrosenbildung zu 
schaffen, und drittens, um dem Patienten 
eine teilweise Bewegungsmöglichkeit für 
den Oberarm zu geben und damit die 
Ausnutzung von Vorderarm und Hand 
zu vergrößern (Abb. 3). Der Apparat 
besteht aus folgenden Teilen: Je eine aus 
Walkleder nach Gipsmodell hergestellte, 
durch eine Metallschiene verstärkte Hülse 
umfaßt Schulter und Oberarm. Erstere 
wird durch einen um die Brust herum¬ 
geführten Gurt festgehalten. Beide Hülsen 

Abb. 3 



Passiv ist der Arm im Schultergelenk 
nach allen Richtungen frei beweglich, ja 


sind durch ein Doppelscharnier verbun¬ 
den, welches Bewegungen in der Hori- 

28* 





220 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juni 


zontal- und Sagitalebene, das heißt Ab- 
und Anziehung, sowie Vorwärts- und 
Rückwärtshebung gestattet. Die Ober¬ 
armhülse umfaßt den Oberarm so kürz, 
daß das obere Knochenende fest in die 
Pfanne gepreßt wird. Um jedoch den 
Arm noch weiter vor der Möglichkeit 
des Durchschlüpfens durch die Hülse zu 
schützen, ist am Unterarm noch eine 
kurze Walkhülse angebracht, die jedoch, 
um. die Pro- und Supination nicht zu be¬ 
einträchtigen, mit der Oberarmhülse nicht 
durch Schienen und Scharniere, sondern 
durch straff angezogene Lederriemen ver¬ 
bunden ist. Durch diese bisher beschrie¬ 
bene Einrichtung wird den beiden ersten 
Postulaten entsprochen, nämlich den 
Oberarmknochen in die Pfanne zu pressen 
und die Ausziehung des Hautmuskel¬ 
schlauches zu verhindern. Um nun auch 


dem dritten Postulat gerecht zu werden, 
die Abduction des Armes zu ermöglichen, 
ist an der oberen Verbindungsschiene der 
Schulter- und Oberarmhülse je eine Düse 
angebracht, in welche eine kräftige Spiral¬ 
schiene eingefügt und festgeschraubt 
werden kann, die das Bestreben hat, die 
ihr aufgezwungene Biegung auszugleichen 
und dadurch den Arm zu abduzieren. Der 
kräftige, gut funktionierende M. pec- 
toralis adduziert den Arm und die Spirale 
abduziert ihn, sobald der Brustmuskel 
erschlafft. Es wird somit der Arm in der 
Ruhestellung für gewöhnlich in einer Ab- 
ductionsstellung von etwa 45° stehen, 
wobei der Patient imstande ist, Hand 
und Vorderarm ziemlich ausgiebig zu 
gebrauchen und durch Anspannung und 
Erschlaffen seines Brustmuskels An- und 
Abziehung seines Armes zu bewirken. 


Zusammenfassende Übersichten. 

Die Behandlung der Rachitis. 

Von Ernst Schloß-Zehlendorf-Berlin (zurzeit im Felde). 


Die Rachitisforschung, die vor unge¬ 
fähr zehn Jahren scheinbar zu einem ge¬ 
wissen Abschlüsse gekommen war — die 
große Mehrzahl der Kliniker und patho¬ 
logischen Anatomen hatte sich auf be¬ 
stimmte Prinzipien geeinigt, die nun auch 
in die meisten klinischen Lehrbücher 
als sichere Tatsachen übergingen — ist in 
den letzten Jahren wieder erneut in Fluß 
gekommen. Vor allem war es das posthume 
Werk des großen Straßburger Pathologen 
v. Recklinghausen 1 ), das den dogma¬ 
tischen Schlummer, in den besonders die 
Anatomie und die ihr zumeist ergebene 
Kinderheilkunde zu versinken drohte, 
aufrüttelte. Von der anderen Seite her 
kam die pathologische Chemie und die 
Stoffwechselforschung und nahm mit 
großem Arbeitsaufwand und kühnen 
Theorien die schwierige Frage der Patho¬ 
genese in Angriff (Aron, Sch ab ad, 
Dibbelt). Dazu gesellten sich neuere 
experimentelle Forschungen, die zum Teil 
von der physikalischen Chemie (Pfaund¬ 
ler, u. andere zum Teil von der Bakterio¬ 
logie her (Mopurgo, Jos. Koch) das 
Wesen der Rachitis zu ergründen 

*) Von einer genaueren Angabe der einschlä¬ 
gigen Literatur, die doch nur unvollständig sein 
müßte, soll Abstand genommen werden. Einen 
Überblick über die neueren Anschauungen zur 
Rachitisfrage mit ausführlichem Literaturverzeich¬ 
nis findet sich von der Hand des Verfassers im 
15. Band der Erg. d. Inn. Mediz. u. Kinderh., 
Berlin 1917. 


wollten. Auch die klinische Forschung 
blieb nicht müßig; vor allem sind hier die 
Untersuchungen Wielands zu erwähnen, 
der seine Befunde auch pathologisch-ana¬ 
tomisch in reichstem Maße zu stützen ver¬ 
suchte. Daneben sind für diese Frage 
von Wichtigkeit die neueren Erkenntnisse 
der kindlichen Konstitutionsanomalien, 
die ' sich besonders an den Namen 
Czernys knüpfen und der allgemeinen 
Entwicklungsstörungen des Säuglings, 
wie sie die Arbeiten des Verf. zu ver¬ 
mitteln suchten. 

Relativ wenig beeinflußt von all diesen 
zum Teil außerordentlich wertvollen neuen 
Erkenntnissen blieb die Rachitistherapie. 
Zwar waren besonders die chemischen 
Arbeiten zum Teil auf das therapeutische 
Problem zugeschnitten, aber bei alldem 
handelte es sich zunächst mehr um die 
theoretischen Grundlagen der Therapie 
als um die praktische Behandlung selbst. 
Es lag dies z. T. an der Scheu des ge¬ 
wissenhaften therapeutischen Forschers, 
der es verschmähte, bei einer so wich¬ 
tigen und verantwortungsvollen Frage, 
wie es die Behandlung der Rachitis dar¬ 
stellt, mit noch nicht genügend gesicherten 
neuen therapeutischen Vorschlägen her¬ 
auszutreten. 

Auf die Dauer geht es aber nicht an, 
daß die Praxis zu sehr hinter den Ergeb¬ 
nissen der Forschung, die angewandte 
Therapie zu sehr hinter den Forderungen 



Juni Die Therapie der 


der reinen Therapie zurückbleibt, zumal 
wenn sich die Berechtigung dieser Forde¬ 
rungen immer wieder aufs neue herausstellt 
und so mag hier der Versuch gemacht 
werden, die praktische Durchführung der 
Rachitisbehandlung, wie sie auf Grund 
des heutigen Standes der Forschung an¬ 
gezeigt erscheint, zur Darstellung zu brin¬ 
gen. Es wird sich dabei zeigen, daß trotz 
mancher prinzipiellen Wandlungen, be¬ 
sonders hinsichtlich der medikamentösen 
Therapie und einer, auf der besseren klini¬ 
schen Kenntnis der Erkrankung basieren¬ 
den schärferen Indikationsstellung die 
allgemeinen Grundlagen der Rachitis¬ 
behandlung durch die neueren Forschun¬ 
gen keine große Änderung erfahren haben. 

Auf die theoretische Begründung der 
hier gemachten therapeutischen Vor¬ 
schläge braucht nicht weiter eingegapgen 
zu werden 1 ); es sei nur ein kurzer Über¬ 
blick über die tatsächlichen Unterlagen 
der einzelnen in Betracht kommenden 
Behandlungsmethoden gegeben, um die 
Berechtigung mancher sonst unverständ¬ 
lichen Maßnahme zu erweisen. 

I. Die Grundlagen der Rachitistherapie. 

Für die Rachitis kommen in der 
Hauptsache folgende verschiedenen Arten 
der Therapie in Betracht: 

1. Die specifische Therapie, wie sie durch 
die Produkte endokriner Drüsen, den 
Phosphor und den Lebertran ermög¬ 
licht wird oder werden soll; 

2. die Komplementär-(Kompensations-) 
therapie, wie sie die Verabfolgung 
von Kalk und Phosphorsäure dar¬ 
stellt; 

3. die diätetische Therapie, die einen 
direkten Einfluß auf den äußeren 
und intermediären Stoffwechsel be¬ 
zweckt; 

4. die Konstitutionstherapie, die die all¬ 
gemeine Vitalität des Körpers, be¬ 
sonders des wachsenden Knochen¬ 
gewebes zu erhöhen sucht; 

5. die spezielle physikalische Therapie, 
die eine Verhütung oder Beeinflus¬ 
sung einzelner Krankheitserscheinun¬ 
gen zum Ziele hat. 

• 1. Die specifische Therapie. 

a) Die Organtherapie der Rachitis 
ist noch in ihrer ersten Entwicklung; 
ihre theoretische Berechtigung ist noch 
keineswegs erwiesen, und die bisherigen 
experimentellen und klinischen Versuche 

x ) Vergl dazu Berl. klin. Wochschr. 1916, 
Nr. 27, 50, 51, 52. 


Gegenwart 1917. 221: 


geben noch keine Veranlassung, für die 
Verwendung irgendeines Präparates in der 
Praxis einzutreten. ' 

b) Die Phosphortherapie, die Jahr¬ 
zehnte hindurch weitaus die erste Stelle 
in der Rachitisbehandlung einnahm, hat 
in den allerletzten Jahren immer stärkere 
Anfechtungen erfahren. Die wissenschaft¬ 
lichen Grundlagen dieser Medikation, die 
eigentlich niemals fest waren, sind mit. 
der Zeit derartig erschüttert worden, daß 
zurzeit eigentlich gar keine Stütze dafür 
mehr vorhanden ist. Sichere Tatsache 
ist jedenfalls, daß der Phosphor 
als solcher keinerlei Einfluß auf 
den Stoffwechsel der knochenbil¬ 
denden Mineralien ausübt und daß 
die ganze Wirkung der Hebung der 
Kalk- und Phosphorsäurebilanz 
wie sie durch den Phosphor-Leber¬ 
tran erreicht wird, nur dem 
Lebertran zukommt. 

Dafür spricht aber auch eine jahrelange 
klinische Erfahrung .an vielen Hunderten 
von Fällen.. 

Daraus muß man die praktischen Kon-' 
Sequenzen ziehen und die Verordnung 
dieser so viel gebrauchten Mixtur als über¬ 
flüssig erklären. Für die Praxis hat 
diese Entscheidung den Vorteil, daß die 
Rachitisbehandlung späterhin wesentlich 
verbilligt wird und dadurch in viel wei¬ 
terem Umfange zur Anwendung kommen 
kann. Selbstverständlich wird hierdurch 
nicht die völlige Preisgabe der Phosphor¬ 
therapie gefordert. Sie ist unseres Er¬ 
achtens ja nur entbehrlich, aber nicht etwa 
schädlich und wer an sie gewöhnt ist, mag 
sie auch ruhig weiter anwenden, aber 
nur in Kombination mit Lebertran. 

c) Für die Lebertrantherapie selbst 
haben die Untersuchurigen des letzten 
Jahrzehnts die bisher fehlenden experi¬ 
mentellen Unterlagen in reichlichstem 
Maße erbracht (Birk, Schabad, Frank 
und Schloß). Nachstehende kleine Ta¬ 
belle veranschaulicht am sinnfälligsten 
Art und Größe der Lebertranwirkung auf 
den Kalkumsatz des Rachitikers. Wir 
sehen vor allem die starke Progression in 
der Höhe der Retentionswerte, als Aus¬ 
druck der cumulativen Wirkung des Leber¬ 
trans, unabhängig von dem Phosphor¬ 
zusatz. 

2. Die Komplementärtherapie. 

Wir verstehen darunter die Zugabe 
von Kalk zur Nahrung und zwar nicht 
etwa als Stimulans, wie es zum Beispiel 
der Phosphor sein sollte, sondern im 






Die Therapie der Gegenwart 1917. 



Vierte Versuchsreihe. Kalkumsatz pro die binierter Kalklebertrantherapie bei 
_ in g CaO. _•_ künstlicher Ernährung: 

- - . CaO P 2 0 5 

Vorperiode. . —0,056 + 0,060 

mit Lebertran 

allein. + 0,242 + 0,174 

mit Lebertran 

und CaP . + 0,538 + 0,536 

Nachperiode. +0,212 +0,306 
. Also ein ganz durchschlagender 
Erfolg, der noch in der Nachperiode 
Sinne einer erhöhten Zufuhr bestimmter anhält! Auch bei natürlicher Ernährung 
Nahrungskomponenten als Kompensa- ist die Wirkung der kombinierten Therapie 
tion eines übermäßigen Verbrauches oder deutlich der mit der einfachen Mineral- 
als Mittel zum erhöhten Ansatz. Zulage überlegen; besonders dürfte dies 

Wir brauchen' auf die höchst Wechsel-, im progressiven Stadium des Krankheits¬ 
volle Geschichte der Kalktherapie bei der prozesses der Fall sein. 

Rachitis nicht näher einzugehen. Es sei Eine sehr wichtige Frage war die, wel- 
nur darauf hingewiesen, daß diese Behänd- ches Kalkpräparat am geeignetsten für.die 



lung für die wissenschaftliche Pädiatrie 
auf Grund der maßgebenden Rachitis¬ 
theorien erledigt war, und daß es das Ver¬ 
dienst Schabads ist, sie durch den Stoff¬ 
wechselversuch am Säugling wieder reha¬ 
bilitiert zu haben. Es ist von vornherein 
verständlich, daß die Kalktherapie nur da 
wirklich Aussicht auf Erfolg verspricht, 
wo eine relativ knappe Zufuhr in der Nah¬ 
rung stattfindet, also in erster Linie bei 
der natürlichen Ernährung. Und es ist 
diese Nahrung auch allein, bei der wir, 
wie es scheint, mit der reinen Kalk¬ 
therapie, also ohne Lebertran, auskom- 
men. Wie groß dieser Einfluß ist, geht 
aus folgenden Zahlen, die den Durch¬ 
schnitt aus einer größeren Anzahl von 
Versuchen bilden, hervor. 

CaO-Bilanz P 2 0 5 -Bilanz 

Ammenmilch 

allein . . . + 0,105 + 0,090 

Ammenmilch 
mit Kalkprä¬ 
parat ... + 0,297 + 0,262 

Bei künstlicher Ernährung wird 
wohl nur bei sehr knapper Kalkzufuhr ein 
ähnlicher Erfolg eintreten. Bei allen 
unseren Kindern war die Kalkzufuhr in 
der Nahrung selbst eine ausreichende, so 
daß sich ein Versuch mit bloßer Kalk¬ 
zugabe erübrigte. Dagegen lag es nahe, 
bei der vermuteten starken Begünstigung 
der Kalkretention durch den Lebertran, 
diese Kalkmedikation mit der Lebertran¬ 
medikation zu verbinden, wie es zuerst 
von Sch ab ad im Stoff wechselversuch 
ausprobiert war. Wir wollen auch hier 
nur die Durchschnittswerte aus einer 
größeren Anzahl von Versuchen anführen. 
Kalk- und Phosphorbilanz ugter kom- 


Einbringung ist. In zahlreichen Stoff¬ 
wechselversuchen wurde versucht, über 
diese Frage Klarheit zu schaffen. 

Es hat sich dabei herausgestellt, daß 
beim natürlich ernährten Kinde neben 
dem Kalk noch die nötige Menge Phos¬ 
phorsäure mit eingeführt werden muß, 
um auch die Phosphorsäurebilanz zur 
Norm zu bringen. Bei künstlicher Ernäh¬ 
rung ist diese Zufuhr von Phosphorsäure 
nicht so unbedingt notwendig, da aus der 
meist im Übermaße zugeführten Nah¬ 
rungsphosphorsäure genügend dem Kalk 
nachfolgt. Immerhin ist aber auch hier 
die Zugabe von Phosphorsäure zweck¬ 
mäßig. 

3. Die diätetische Therapie. 

Die Diätetik spielt ihre wichtigste 
Rolle in der Prophylaxe der Rachitis. Wir 
können damit, darüber besteht ^ kein 
Zweifel, keine so imponierenden Ände¬ 
rungen der Ca- und P-Bilanz zuwege brin¬ 
gen, wie wir sie oben zeigen konnten; aber 
bei ständiger Aufmerksamkeit auf diesen 
Punkt können wir verhindern, daß der¬ 
artige absolut und relativ schwere Mineral¬ 
verluste eintreten, die nachträglich solche 
brüske Umgestaltung des Stoffwechsels 
erheischen. Wir sind auch hier in der 
Lage, uns auf zahlreiche Stoffwechselver¬ 
suche stützen zu können, die zum Teil 
einen guten Einblick in die zugrunde lie¬ 
genden Vorgänge gewähren. 

a) Von jeher ist die Abhängigkeit der 
Rachitis von der Ernährungsweise disku¬ 
tiert worden, wenn auch die Einschätzung 
dieses Faktors bei den verschiedenen 
Autoren sehr schwankte. Am sinnfällig¬ 
sten war stets der Unterschied in der 



Die Therapie der . Gegenwart 1917. 


223 


Juni 


Rachitisfreqüenz und - Intensität zwischen 
natürlich und künstlich genährten Kin¬ 
dern. 

Es ist nach den vorliegenden Stoff¬ 
wechselversuchen zunächst kein Zweifel, 
daß wir durch den Ersatz der Kuhmilch 
durch die Frauenmilch schon an sich einen 
günstigen Einfluß auf die Rachitis aus¬ 
üben können. Die Frauenmilch ist 
also für die künstlich genährten 
Rachitiker ein direktes Heilmittel. 

Den großen Vorteilen der Frauen¬ 
milchernährung stehen auch Nachteile 
gegenüber. Einmal ist die Frauenmilch 
durch ihren niedrigen Mineraliengehalt 
einer schnellen Heilung der Rachitis nicht 
günstig. Dazu kommt die zumindest trä¬ 
gere Reaktion auf die reine Lebertran¬ 
therapie. So ist also die Frauenmilch, so 
wertvoll sie auch für die Prophylaxe 
schwererer Formen von Rachitis ist, für 
die Therapie dieser Krankheit nur dann 
die geeignete Nahrung, wenn die dem 
Körper notwendigen Mineralien noch be¬ 
sonders zugegeben werden. In diesem 
Falle haben wir allerdings das Maximum 
der therapeutischen Wirkung zu erwarten. 

Diese Anreicherung kann in der Art 
geschehen, daß wir Kalkphosphorprä¬ 
parate in der oben angegebenen Weise zu¬ 
setzen oder, bei älteren Kindern, durch 
Gemüsebeigabe (vergl. später). 

b) Von den diätetischen Fragen steht 
an praktischer Wichtigkeit nach der Frage: 
natürliche oder künstliche Ernährung an 
zweiter Stelle die nach der Nahrungs¬ 
menge. 

Die ideale Forderung wäre, dem Kinde 
nur so viel an Nahrung zu reichen, daß 
sein Knochenwachstum mit dem Wachs¬ 
tum der Weichteile Schritt halten kann. 
In recht scharfsinnigen Überlegungen hat 
Aron für das Tier diese Zusammenhänge 
klargelegt und gezeigt, wie ein zu großes 
Quantum an Nahrung durch das hier¬ 
durch hervorgerufene schnellere Wachs¬ 
tum eine Disproportionalität zwischen 
organischem und Knochenwachstum zu¬ 
ungunsten des letzteren hervorrufen kann. 
Aber das gilt nur für das Tier mit seiner 
viel größeren Wachstumsgeschwindigkeit 
und wohl auch nur bei künstlich zusam¬ 
mengesetztem Futter. 

Für den menschlichen Säugling, bei 
dem der zu geringe Kalkansatz wohl nie¬ 
mals rein auf äußeren Umständen (zu ge¬ 
ringe Kalkzufuhr) beruht, treffen diese 
Überlegungen weniger zu. Die Folgerung, 


die Aron aus seinen Versuchen zieht,, 
durch Einschränkung der Nahrung das 
Massenwachstum dem Knochenwachstum 
anzupassen, hat aber auch für das zu 
Rachitis neigende Kind ihre Richtigkeit. 
Das gilt besonders für die künstliche Er¬ 
nährung mit ihrer absolut und relativ 
schlechten Ausnutzung der Mineralstoffe. 

c) DieWirkungdereinzelnenNah- 
rungskomponenten muß nach drei 
Richtungen hin verfolgt werden, erstens in 
ihrer Beeinflussung der Verdauungsvor¬ 
gänge, zweitens in der Wirkung auf die Er¬ 
nährungsvorgänge im engeren Sinne, und 
schließlich in der Beeinflussung des Mässen- 
wachstums. Am einfachsten liegen die 
Verhältnisse im letzteren Falle. Bei dem 
festgestellten innigen Zusammenhänge 
zwischen Rachitismanifestation und Mas¬ 
senwachstum muß bei vorhandener Nei¬ 
gung zur Rachitis jede Nahrungsänderung, 
* die den Ansatz hemmt, die Rachitis gün¬ 
stig beeinflussen. Insofern können die 
mehlhaltigen oder mehlähnlichen Kohle¬ 
hydrate (Nährzucker), die Eiweißstoffe, 
die Chloralkalien die Entwicklung der 
Rachitis begünstigen, während Fett, Milch¬ 
zucker und die zweiwertigen Mineralien 
ihr in dieser Beziehung eher entgegen¬ 
wirken. 

Die intermediäre Wirkung der 
verschiedenen Nährstoffe ist eine der um¬ 
strittensten Fragen auf dem Gebiete der 
ganzen Stoffwechselforschung. Es steht 
jedenfalls fest, daß unter gewissen, noch 
nicht näher bekannten Bedingungen die 
Zulage von Eiweiß, Fett und Kohle¬ 
hydraten zu Kalkverlusten führen kann. 
Eine wichtige Rolle spielen hier anschei¬ 
nend die Darmvorgänge, und in deren 
Beeinflussung haben wir auch eine Haupt¬ 
leistung der Nahrungsänderungen zu 
sehen. Zu den gesichertsten Tatsachen aus 
dem ganzen Gebiete des Mineralstoff¬ 
wechsels beim Kinde gehört die Abhängig¬ 
keit der Kalk- und Phosphorbilanz von 
der Konsistenz des Stuhles und von der 
Schnelligkeit seiner Passage durch den 
Darm. Dünne Stühle, dyspeptische Stühle 
sind bei Milchnahrung reich an Alkalien 
und Chlor und meist arm an Kalk und 
Phosphor; feste Stühle enthalten umge¬ 
kehrt viel Kalk und Phosphorsäure und 
wenig Alkalien. 

Wir haben es infolgedessen in ge 
wissem Sinne in der Hand, durch Beein¬ 
flussung der Darmtätigkeit, im Sinne einer 
langsamen oder schnellen Peristaltik, 
durch Erzeugung von Durchfall oder Ver- 



224 


Juni 


Di« Therapie der. Gegenwart 1917. 


Stopfung die Kalkbilanz bis zu einem ge¬ 
wissen Grade zu beeinflussen. 

Bei der Beurteilung der voraussicht¬ 
lichen Wirkung einer bestimmten Nah¬ 
rungsänderung, zum Beispiel durch Zu¬ 
lage eines Nährstoffes, haben wir also stets 
zu fragen, wie sie die Darmfunktionen und 
die Vorgänge im Darm, Sekretion und 
Motilität, Resorption, Bakterienwachs¬ 
tum, chemische Vorgänge usw. beeinflußt. 
Es erübrigt sich, im einzelnen darauf ein¬ 
zugehen; wir wollen nur als praktisch 
wichtige durch den Stoffwechselversuch 
erwiesene Tatsachen anführen, daß die 
Verabfolgung von Milchzucker oder noch 
besser von Malzextrakt, wahrscheinlich 
durch die verstärkte Säurebildung, den 
Kalkstoffwechsel günstig beeinflußt, wäh¬ 
rend Mehl und dextrinisierter Zucker un¬ 
günstig wirken; ferner daß auch das Ei¬ 
weiß in . der Form des Caseins und der 
daraus hergestellten Präparate, der künst¬ 
lichen Nahrung zugelegt oder in zu großen 
Mengen darin enthalten, die Kalkbilanz 
herabdrückt. 

Ein einziger Stoff kann also in mehr¬ 
facher Weise den Stoffwechsel beein¬ 
flussen. Ein Eiweißpräparat kann einmal 
dadurch ungünstig wirken, daß es zur 
Obstipation führt, es kann weiterhin als 
ein organischer säurebildender Stoff im 
intermediären Stoffwechsel alkalient¬ 
ziehend wirken und schließlich noch durch 
das vermehrte Massenwachstum zur Ver¬ 
größerung der Spannung zwischen Kalk¬ 
bedarf und Kalkbilanz führen. Und 
ebenso kann ein Kohlehydrat, z. B. Milch¬ 
zucker, zumindest durch Verbesserung 
der Darmtätigkeit und durch Verringe¬ 
rung des Massenansatzes den Kalkstoff¬ 
wechsel der Rachitis günstig beeinflussen. 

Neben den eigentlichen Nährstoffen 
spielen noch die Salze hier eine wichtige 
Rolle. Die günstige Wirkung direkter 
Kalk- und Phosphorsäurezugaben in ge¬ 
eigneter Form der Einbringung ist oben 
genügend geschildert. Die Bedeutung der 
anderen Salze ist weniger intensiv er¬ 
forscht. Immerhin wissen wir, daß ein¬ 
zelne Salze, so gewisse saure Salze, den 
Kalkstoffwechsel ungünstig beeinflussen 
können. Dagegen scheint den Alkalien 
und basischen Salzen eine günstige Wir¬ 
kung zuzukommen. 

Von den der Ernährung dienenden 
Stoffen haben wir noch kurz des Wassers 
zu gedenken. Es sprechen mancherlei 
Tatsachen dafür, daß auch eine zu reich¬ 
liche Wasserzufuhr die Entstehung der 


Rachitis begünstigt; worauf diese Wir¬ 
kung zurückzuführen ist, auf die Förde¬ 
rung des Massenwachstums, die Quellung, 
vermehrte Ausschwemmung, ist noch nicht 
geklärt. Jedenfalls liegt genügend Anlaß 
vor, eine Einschränkung der Wasserzufuhr 
in der Behandlung der Rachitis zu fordern, 
sei es auch nur, um manche Begleiterschei¬ 
nungen der Krankheitj starkes Schwitzen,, 
zu starke Gewichtszunahme, Magenatonie 
und dergleichen zu verhindern. 

4. Die Konstitutionstherapie. 

Die Rachitis wird heute allgemein als 
eine feine Konstitutionskrankheit be¬ 
ziehungsweise als Systemerkrankung mit 
konstitutionellem Einschlag aufgefaßt. In¬ 
folgedessen ist es nur natürlich, wenn so 
in erster Linie an eine, auf die Umstim¬ 
mung und Beeinflussung der Gesamt¬ 
konstitution gerichtete Therapie gedacht 
wird. Nun können ja von den bisher be¬ 
sprochenen therapeutischen Maßnahmen 
alle mehr oder weniger auch in diesem 
Sinne aufgefaßt werden. Die endokrine 
Therapie wäre, wenn sie Realität bekäme, 
in ausgesprochenem Maße konstitutionell* 
dasselbe gilt auch für die reine Phosphor¬ 
therapie. Der Lebertranth'erapie muß 
gleichfalls, wie an anderer Stelle 1 ) ausge¬ 
führt, eine derartige Nebenwirkung zu¬ 
erkannt werden. Am wenigsten wird man 
die Kalk- und Phosphorsäuredarreichung 
in diesen Zusammenhang bringen können. 
Dagegen ist wieder die Ernährungsthera¬ 
pie, besonders die Anwendung der Frauen¬ 
milchernährung, durchaus konstitutio¬ 
neller Natur. 

Aber fast bei all diesen genannten 
Arten der therapeutischen Einwirkung 
hatten wir es doch mit bestimmt greifbaren 
Veränderungen in gewissen Stoffwechsel¬ 
bezirken zu tun. Nun gibt es bei der 
Rachitis aber noch andere, in ihrer gün¬ 
stigen Wirkung auf den Krankheitsprozeß 
unzweifelhaft sichergestellte Momente, bei 
denen die Zurückführung auf lokale Vor¬ 
gänge nicht möglich ist, bei denen wir 
nur eine allgemeine Verbesserung der 
Konstitution, eine Erhöhung der Vitalität 
anzunehmen haben. Zu diesen Einflüssen 
gehören in erster Linie die rein physika¬ 
lischen Faktoren: Licht, Luft, Klima, 
Jahreszeit usw. 

Sicherlich kommt die Wirkung dieser 
Faktoren auch auf dem Wege über die 
Veränderung der Gewebe und ihres Stoff¬ 
wechsels zustande — man hat ja schon 


x ) l. c. 




Juni Die Therapie der Gegenwart 1917. 225 


derartige Befunde erhoben 1 ) — nur läßt, 
sich dieser Einfluß nicht nach Quantität, 
Ort und Zeit irgendwie fassen. 

Ob neben den genannten noch andere 
Möglichkeiten einer Konstitutionstherapie 
der Rachitis bestehen, ob vor allem hier 
bestimmte Medikamente wirksam sein 
können; läßt sich zurzeit nicht feststellen. 
Jedenfalls ist dieses Gebiet dasjenige, auf 
welchem noch die meisten Fortschritte 
der Therapie zu erhoffen sind, aber auch 
die meiste Gelegenheit zu fahrlässigem 
und bewußtem Arzneimißbrauch besteht. 

5. Die spezielle physikalische 
Therapie. 

Es bliebe noch die spezielle physika¬ 
lische Therapie der Rachitis zu bespre¬ 
chen. Hierzu gehört in erster Linie das 
ganze Rüstzeug des orthopädischen Chir¬ 
urgen. Daneben bleibt aber auch für den 
internen Kliniker eine Reihe von Mög¬ 
lichkeiten zur Verhütung und Behand¬ 
lung der Verbildungen des Skelettsystems, 
aber auch der sonstigen Begleit- und 
Folgeerscheinungen der Rachitis übrig. 
Da die Grundlagen dieser Behandlungs¬ 
methoden durchweg grob empirisch sind, 


so brauchen wir erst im folgenden Teil 
der Arbeit näher darauf einzugehen. ' 

Von den besprochenen fünf Arten der 
Therapie ist nur die letzte rein sympto¬ 
matisch. Bei den anderen vier läßt sieh 
die beliebte Unterscheidung von sympto¬ 
matischer und kausaler Therapie nicht 
ohne weiteres durchführen. Wenn man 
die Skeletterscheinungen nur als Sym¬ 
ptome der Rachitis betrachtet, so wäre 
die Kalkbehandlung noch am ersten zur 
symptomatischen Behandlung zu rechnen. 
Inwieweit wir schon das Recht haben, von 
kausaler Therapie bei der Rachitis zu 
reden, ist unsicher. Jedenfalls ist nach 
dem Ergebnis des Stoffwechselversuches 
die Lebertrantherapie nicht als eine solche 
anzusprechen. Meines Erachtens ist die 
hygienisch-diätetische Behandlung vor¬ 
läufig noch die einzige, die auf diese Be¬ 
zeichnung Anspruch erheben könnte. Die 
Möglichkeit einer anderen kausalen 
Therapie scheint nach dem heu¬ 
tigen Stande der Rachitisforschung 
nur sehr gering, das Suchen danach 
vergeblich zu sein. 

(Der Bericht über die praktische Durchführung 
der Behandlung folgt im nächsten Heft.) 


Über Fieber und Fiebermittel. 


Eine Arbeit von Starkenstein (Prag) 
ausführlich zu referieren, erscheint ge¬ 
rechtfertigt, da dieselbe gewissermaßen 
die (ganz unabhängige) erweiterte theore¬ 
tische Grundlage bildet zu den praktisch 
wertvollen Mitteilungen der im März und 
April 1916 erschienenen, seinerzeit aus¬ 
führlich referierten Arbeit von Gräfe 
über physikalische und chemische Anti- 
pyrese 2 ). 

Die zweite Hälfte des neunzehnten 
Jahrhunderts bedeutet einen Wende¬ 
punkt in der Anschauung über den Wert 
des Fiebers. In der Auffassung von seiner 
Zweckmäßigkeit trat eine gewaltige Ände¬ 
rung ein; war es bisher Galens und 
Hippokrates’ Ansicht entsprechend als 
heilkräftig angesehen worden, so suchte 
man jetzt seine Bekämpfung aüf alle nur 
möglichen * Weisen, durchzuführen. Es 
übte ja massenhaft deletäre Wirkungen 
auf den Organismus aus, ohne kaum 
irgendeinen Vorteil zu bieten. Lieber¬ 
meister führt in seinem ,,Handbuch der 
Pathologie und Therapie des Fiebers“ die 

1 ) Vergleiche z. B. die Untersuchungen von 
Raczynski über den Einfluß des Lichtes auf 
die Kalkbilanz. 

2 ) Vgl. Ther. d. Gegenw. Juli 1916, S. 257. 


Temperatursteigerung an sich als Todes¬ 
ursache an! „Ohne Rücksicht auf die 
Qualität verdient das Verfahren der Anti- 
pyrese den Vorzug, durch welches Herab¬ 
setzung der Temperatur am sichersten 
gelingt“. Die natürliche Folge dieses 
krassen Standpunktes war eine rege Pro¬ 
duktion neuer Fiebermittel, die wenigen 
vorhandenen Medikamente konnten ja 
den Grundsätzen der Fieberbekämpfung 
jener Zeit nicht entsprechen. Neben 
Chinin, das nicht nur bei Malaria als 
Specificum, sondern auch bei Typhus, 
Pneumonie, und zwar in Dosen von 2 bis 
3 g innerhalb ein bis zwei Stunden, als 
reines Antifebrile verabreicht wurde, wur¬ 
den Digitalis und Veratrin zur Herab¬ 
setzung der. Temperatur herangezogen. 
1875 kam die Einführung der Salicylsäure 
in die Therapie; bald folgten das Aceta- 
nilid, die Pyrazolon- und Paraamido- 
phenolderivate. 

Wie zu erwarten, trat allmählich mit 
der milderen Beurteilung der Fieber¬ 
schädigungen ein Nachlassen der Pro¬ 
duktion neuer Fiebermittel ein: immer 
mehr, je mehr die medikamentöse Anti- 
pyrese auf ein Minimum reduziert wurde. 
Nicht das plötzliche Entfiebern selbst ist 

29 





226 


Die Therapie der Gegenwart 1917: 


ja der Zweck der heutigen Fieberbekämp¬ 
fung, sondern das Herabsetzen seiner Be¬ 
gleiterscheinungen. Und diesen Zweck 
erfüllen die Antipyretica in verschieden¬ 
ster Wirkungsweise. Der zwangsmäßig 
fieberlose Verlauf mancher Krankheiten 
bedeutet nach jetziger Anschauung gar 
keinen Vorteil, der Wert der Antipyre¬ 
tica liegt darin, daß fast alle außer der 
temperaturherabsetzenden, noch 
eine Reihe anderer noch mehr erwünsch¬ 
ter Wirkungen haben. Es sind sogar 
Heilwirkungen erhöhter Temperatur ein¬ 
wandfrei festgestellt worden. Infektions¬ 
krankheiten, die an sich fieberlos ver¬ 
laufen, können durch intercurrentes Fie¬ 
ber geheilt werden (Gonorrhöe im Typhus, 
Ausbleiben des epileptischen Anfalles 
während der Dauer fieberhafter Erkran¬ 
kungen). Bildung von Antikörpern wird 
durch erhöhte Temperatur befördert, Hy- 
perleukocytose begünstigt. Alles ein Be¬ 
weis dafür, daß es nicht gilt, das Fieber 
als solches zu bekämpfen, sondern nur 
die mit ihm verknüpften unerwünschten 
Begleiterscheinungen in ihm zu treffen. 

Fieber stellt sich der als Ausdruck der 
Erregung des centralen Wärmeregulie¬ 
rungsapparats; Regio subthalamica und 
Tuber cinereum spielen die Hauptrolle. 
Also werden alle Mittel brauchbar sein, die 
zur Beruhigung der central erregten Ap¬ 
parate beitragen. Da aber neben der cen¬ 
tralen Wärmeregulierung auch periphere 
Apparate beteiligt sind an der Verände¬ 
rung der Körpertemperatur (Gefäßvolü- 
menveränderungen, Strahlung und Lei¬ 
tung von seiten der Haut), so werden 
Fiebermittel auch unabhängig vom Cen¬ 
trum peripher ansetzend eine Wirkung 
entfalten können. 

Chinin z. B. wirkt auf doppelte Weise 
temperaturherabsetzend: Durch Ein¬ 

schränkung des Stoffwechsels ruft es Ein¬ 
schränkung der Wärmebildung hervor 
und setzt damit die Temperatur herab. 
Außerdem kommt ihm eine, wenn auch 
geringe, beruhigende Wirkung auf den 
centralen Regulierungsapparat zu. 

DieAntipyringruppe ist nach Schmie¬ 
deberg eine fiebernarkotische, welche 
übererregte Centren beruhigt, und wie¬ 
derum entfalten die hierher gehörigen 
Medikamente eine zweite Wirkung: sie 
erweitern unabhängig vom Centrum die 
peripheren Gefäße und bewirken dadurch 
auch eine Wärmeabgabe. 

Atophan (ein Medikament, das auch 
die Temperatur des nicht fiebernden 
Organismus herabsetzt) beruhigt den cen¬ 


Juni 


tralen Wärmeregulierungsvorgang oder 
lähmt, vielmehr den Centralapparat, auch 
wenn er nicht gereizt ist. 

Eine ähnliche Wirkung entfaltet Cal¬ 
cium. 

Fast allen Antipyreticis. kommt neben 
der Temperatur herabsetzenden auch eine 
außerhalb der Beruhigung der Wärme- 
centra 1 liegende narkotische „analge- 
tische“ Wirkung zu. Ihre Rolle als 
schwache Narkotica der sensiblen Gro߬ 
hirnfunktionen ist sogar fast die wich¬ 
tigere. 

Kopfschmerz kann als Ursache Cir- 
culationsstörungen im Gehirn haben. Also 
wird die vasomotorische Wirkung der 
Antipyretica analgetisch zu Geltung kom¬ 
men, bald hirngefäßerweiternd: Para- 
amidophenol, Pyrazolonderivate; bald 
hirngefäßverengernd: Salicylica. Der 
analgetische Effekt liegt in der Besei¬ 
tigung pathologischer Reizzustände des 
intracraniellen Gefäßsystems. 

Auf gleicher Basis beruht die gute 
Wirkung des Coffeins auf Kopfschmerz. 
Es ist kein Fiebermittel und wirkt durch 
Erweiterung der peripheren Gefäße beim 
intracraniellen Angiospasmus gut anal¬ 
getisch. Die Erklärung der Tatsache, daß 
beim Kopfschmerz dem einen dies, dem 
anderen nur jenes Mittel hilft, liegt also 
auf der Hand: der eine muß seine Gefä߬ 
verengerung, der andere seine Gefä߬ 
erweiterung zu beseitigen suchen. Es 
gibt angiospastische und angioparaly- 
tische Kopfschmerzen. 

Außer der antipyretischen und der 
analgetischen kommt den Fiebermitteln 
allgemein noch eine antiphlogistische 
Wirkung zu. An der Spitze mit seiner 
entzündunghemmenden Wirkung beim 
akuten Gelenkrheumatismus steht das 
Atophan. Ob eine centrale Komponente 
oder Wirkung auf die Gewebe selbst in 
Frage kommt, ist nicht bekannt. Bio¬ 
logische Versuche haben Unterschiede 
in der entzündunghemmenden Wirkung 
verschiedener Antipyretica erwiesen; 
Unterschiede, die in der allgemeinen the¬ 
rapeutischen Bewertung eines Antipyre- 
ticums wohl einen wichtigen Einfluß aus¬ 
üben werden. Die temperaturherabsetzen¬ 
de Wirkung allein würde zum Beispiel 
das Atophan beim akuten Gelenkrheuma¬ 
tismus in den Hintergrund hinter andere 
rein’ antipyretisch wirksamere Antipyre¬ 
tica drängen. Seine antiphlogistische 
Wirkung reiht es unter die ersten Speci- 
fica gegen die Polyarthritis. Niemals sollte 
eine der drei Wirkungskomponenten al- 




Juni Die Therapie der Gegenwart 1917. 227: 


lein als den Wert des Antipyreticums be¬ 
stimmend angeführt werden, wenn auch 
je nach der erwünschten Wirkung bald 
die eine, bald die andere im Vordergründe 
stehen mag. 

Die. lange Zeit ausschließlich auf die 
Malaria konzentrierte Chinintherapie 
ist in neuerer Zeit erweitert worden. Ari- 
stochin, Aurochin, Euchinin sind 
nur Geschmack oder Vermeidung von 
Nebenwirkungen betreffende Verbesse¬ 
rungen, die qualitativ dem Chinin ent¬ 
sprechen. 

Optochin (Aethylhydrocuprein), 
ein dem Chinin verwandtes Medikament, 
bedeutet, von Morgenroth und seinen 
Mitarbeitern zur Geltung gebracht, einen 
Fortschritt auf dem Gebiete der che¬ 
mischen Antipyrese, der nicht zu unter¬ 
schätzen ist. Es kommt dem Ideal 
organotroper oder einfacher gesagt: 
ätiologischer Fieberbekämpfung 
recht nahe mit seiner antipyretischen und 
zugleich gegen Pneumokokken specifi- 
schen Wirkung. 

Zwei Medikamente sind völlig aus 
dem Arzneischatz verschwunden: Kairin 
und Thallin. Vom Chinin ausgehend wurde 
Chinolin dargestellt, als seine Derivate 
waren ein6 Zeitlang Kairin und Thallin 
in Gebrauch. Mit dem von Ehrlich vor¬ 
geschlagenen Thallinisieren, Minimaldosen 
von Thallin, beim Typhus hat man 
schlechte Erfahrungen gemacht. 

Atophan ist eine Chinolin-Karbon¬ 
säure; es ist in harte Konkurrenz getreten 
mit den für Polyarthritis als specifisch 
angesehenen Salicylaten, denen es über¬ 
legen zu sein scheint, wenn man ihm auch 
auf Grund der bisher bekannten Tatsachen 
eine ätiologische Wirkung nicht zuer¬ 


kennen kann; Bactericide Wifkung in 
vitro hat es nicht entfaltet (die ent¬ 
sprechenden Versuche wurden gelegent¬ 
lich einiger Fälle von Puerperalsepsis 
gemacht, in denen es antipyretisch gute f 
Resultate ergeben hatte). Seine Derivate 
Novatophan und Acitrin bedeuten 
keine Verbesserung des Originalpräparats. 

Abgeleitet von der Gruppe des Anti- 
pyrins ist erstens Melubrin, über 
welches die pharmakotherapeutischen 
Versuche noch nicht abgeschlossen sind; 
es wird eine demPyramidon sehr ähnliche 
Wirkung erwartet. Sein imposanter che¬ 
mischer Name ist: phenyldimethylpyra- 
zolonamidomethansulfosaures Natrium. 
Zweitens Pyramidon, dessen analge¬ 
tisch-antipyretische Wirkung die der 
meisten anderen Antipyretica überflügelt 
und unser wertvollstes Kopfschmerzmittel 
darstellt. Eine antiphlogistische, dem 
Melubrin eigene Wirkung scheint ihm 
za fehlen. 

Die Salicylate haben wiederum vor 
allem die bei Rheumatismen bewährte 
Kombination von guter analgetisch¬ 
antiphlogistischer und daneben geringer 
antipyretischer Wirkung, ähnlich wie 
das Atophan. Entzündung und Schmerz 
sind ja auch die — gut bekämpften — 
Hauptsymptome der Polyarthritis. Die 
neuen und neuesten Mittel der Salicyl- 
gruppe haben durch Einführung von 
Lithium- und Calciumsalzen den' Vorteil 
leichter Löslichkeit. 

Gräfes Mitteilungen vom März und 
April 1916 und die hier referierte Arbeit 
von Starkenstein vom Februar 1917 
bilden eine wohl vollständige Übersicht 
über Fieber und Fiebermittel. 

(Ther. Mh. 1917, 2 ) j v. Roznowski. 


Referate. 


Gräfe berichtet über Beobachtungen 
am Krankenmaterial einer Hallenser 
Frauenpraxis, die das letzterzeit viel beob¬ 
achtete auffällige Häufigerwerden der 
Amenorrhoe hauptsächlich in den Alters¬ 
klassen zwischen 20 und 40 Jahren zeigen, 
also in Altersklassen, in denen die 
Amenorrhoe, die eine Erkrankung der auf 
die Pubertät folgenden Jahre zu sein 
pflegt, gemeinhin selten ist (von 131 Pa¬ 
tienten des Verfassers waren nur 33 unter 
20 Jahren, die hauptsächlich aus den 
ersten beiden Kriegsjahren stammten). 
Es handelt sich in den meisten Fällen um 
ledige, meist alleinstehende Mädchen, die 
aus Furcht vor Schwangerschaft den Arzt 


aufsuchten. V on Begleiterscheinungen 
fand sich in manchen Fällen nichts, in 
anderen waren die Zeichen der Blutarmut 
mehr oder weniger deutlich. Ausfallser¬ 
scheinungen von seiten der Sexualorgane 
waren selten, oft dagegen wurde über 
Kreuzschmerzen und Fluor albus ge¬ 
klagt, besonders in der Zeit, in der die 
Menses fällig waren. Der Uterus war in 
nahezu der Hälfte der Fälle klein, oft fast 
atrophisch, ein Befund, aus dem ein 
Schluß auf Funktionslosigkeit der Ovarien 
zulässig ist (Lactationsatrophie des Ute¬ 
rus). Die Amenorrhoe schwindet, wenn 
die Kranke wieder in die gewohnten Ver¬ 
hältnisse zurückkommt (wie das auch im 

29* 





228 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juni 


Frieden der Fall ist), das heißt, wenn die 
Ernährung wieder besser, die Arbeit den 
Kräften wieder angemessen, vielleicht 
auch, wenn ein seelischer Druck wegge- 
‘nommen ist. Eisen- und Eierstockprä¬ 
parate behoben wohl öfter die subjektiven 
Beschwerden, nie aber die Amenorrhoe 
selbst. Ob, wie es bei der Lactations-' 
amenorrhöe Vorkommen kann, die Uterüs- 
atrophie dauernd werden kann und daher 
im Interesse der Fortpflanzungsfähigkeit 
unbedingt eine Therapie durch Nahrungs¬ 
zulagen nötig ist, läßt Gräfe unent¬ 
schieden. Wenn er auch der Unter¬ 
ernährung bzw. ungeeigneten Ernährung 
die Hauptschuld an dem Zustande bei¬ 
mißt. Waetzoldt. 

• (M. m. W, 1917, Nr. 18.) 

Zimmermann richtet die Aufmerk¬ 
samkeit auf Zungenveränderungen 
und Zungensensationen als Früh- 
und Begleitsymptom bei perniziö¬ 
ser Anämie. Die Kranken leiden an einem 
periodisch auftretenden, bald mehr, bald 
weniger lästigen Gefühl von Wundsein 
auf der Zunge, zuweilen im Rachen und 
Gaumen. In anderen. Fällen sind es ent¬ 
weder einfache Rötungen, und zwar auf 
die Papillenspitzen beschränkt, so daß 
man sie für feinste Blutungen halten kann, 
oder man sieht glatte, sulzige, aphten- 
ähnliche Efflorescenzen, in deren Bereich 
man keine Papillen erkennen kann. Sel¬ 
tener werden Bläschen oder aus diesen 
entstandene flache Defekte beobachtet. 
Zimmermann hat nun unter neun 
Fällen regelmäßig diese Befunde teils als 
Zungensensationen, teils als objektiv nach¬ 
weisbare Zungenveränderungen gefunden. 
Die Klagen der Patienten sind immer die¬ 
selben, wie sie bei perniziöser Anämie 
typisch sind. In vier Fällen bestanden 
die Zungenbeschwerden schon, ehe die 
Patienten über allgemeine Beschwerden 
klagten. Bei schweren anderen Anämien, 
Chlorose, Tuberkulose, Gravidität usw. 
konnte er diese Veränderungen niemals 
feststellen. Die Patienten können ge¬ 
würzte oder heiße Speisen nur unter 
Schmerzen genießen. Auf der Zunge oder 
im Rachen verspüren sie Brennen. Bei 
einigen Fällen verschwanden mit der 
Besserung des Allgemeinbefindens und 
des Blutbefundes auch die Zungenbe¬ 
schwerden oder ließen wenigstens nach. 
Offenbar besteht, wie Zimmer mann 
glaubt, zwischen Allgemeinzustand, Blut¬ 
befund und Zungenveränderungen ein 
gewisser Parallelismus. Bei einzelnen 
Kranken bestanden die Zungenverände¬ 


rungen teils vorübergehender, teils an¬ 
haltender Natur, bereits ein halbes bis 
ein Jahr, ehe die anderen Erscheinungen 
deutlich auftraten. Dünner. 

(M. m. W. 1917, Nr. 18.) 

Küttner beschreibt «ein typisches 
Verfahren zur Unterbindung der Arteria 
vertebralis in der Suboccipitalregion. 

Die Verletzung und das traumatische 
Aneurysma der Arteria vertebralis sind 
zwar eine seltene Erkrankung, immerhin 
stößt die operative Beseitigung des Lei¬ 
dens oft auf große Schwierigkeiten. Um 
an die Arterie heranzukommen, muß man 
sich ihre anatomische Lage genau ver¬ 
gegenwärtigen, und es hat sich als zweck¬ 
mäßig' herausgestellt, den Verlauf des 
Gefäßes in drei Abschnitte zu zerlegen, 
zunächst von ihrem Ursprung aus der 
* Arteria subclavia bis zum Eintritte in das 
Foramen transversum des sechsten Hals¬ 
wirbels, dann von hier bis zum Foramen 
transversum des Atlas, und schließlich der 
Abschnitt bis zum Eintritt in die Schädel¬ 
höhle. Eine typische Freilegung gibt es 
bisher nur für die erste Strecke. Besonders 
schwierig gestaltet sich die Freilegung des 
dritten Abschnittes, doch ist es möglich, 
auch hier nach dem von Küttner ange¬ 
gebenen Verfahren einen typischen Weg 
einzuhalten, wenn man -sich anatomisch 
orientiert nach dem oberen Rande des 
Atlasbogens. Um diesen zu erreichen, 
muß der Musculus splenius von einem 
am hinteren Rande des Kopfnickers ver¬ 
laufenden Schnitt durchtrennt werden, 
ebenso der Semispinalis. Von hier gelangt 
Inan leicht an den Bogen des Atlas, in 
dessen Höhe die Arterie verläuft. 

Hay ward. 

(Zbl.f. Chir. 1917, Nr. 15.) 

Zur Asthmafrage äußert sich Hof- 
bauer (Wien). Er weist darauf hin, daß 
Asthmatiker darüber klagen, daß sie ihr 
Asthma nur bei körperlichen größeren 
Anstrengungen bekommen. Militärper¬ 
sonen gelangten nun vielfach zur Be¬ 
handlung, die bei jeder anstrengenderen 
Marschübung asthmatische Beschwerden 
bekommen. Man findet bei ihnen außer 
trockenem Giemen über der Lunge keinen 
pathologischen Befund. Da solche Pa¬ 
tienten häufig bei völliger Körperruhe 
die Lippen nicht hermetisch verschließen, 
sucht Hofbauer in der Mundatmung 
das auslösende Moment für die Klagen. 
Es ergab sich, daß viele Patienten an- 
gaben, morgens Trockenheit im Munde 
in Verbindung mit Hustenreiz und Kitzeln 
im Halse bemerkt zu haben. Es bestanden 































































1917 Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 6. Heft 



16 







229» 


Juni Die Therapie der 


also Zeichen nächtlicher Atmung bei of¬ 
fenem Munde. Die asthmatischen Be¬ 
schwerden werden auf diese Weise wohl 
erklärt; denn die Mundatmung bewirkt 
eine Reizung der Schleimhaut der tieferen 
Atemwege, weil hierbei in den Kehlkopf 
Atemluft eintritt, welche im Gegensätze 
zu der bei physiologischer, nasaler At¬ 
mung dorthin strömenden nicht genügend 
präpariert ist. Die Nasenatmung hat den 
Vorteil, daß Wärme und Wasserdampf 
bis zu der im Körperinneren entsprechen¬ 
den Sättigung an die Luft abgegeben wer¬ 
den, der suspendierte Staub abgefangen 
wird, so daß beim Eintritte in die Stimm¬ 
ritze eine weitere Adaptierung unnötig 
wird. Dahingegen kommt bei der Mund¬ 
atmung Luft in einem kompakten Strome 
von der Mundöffnung bis zum Kehlkopf¬ 
eingange in fast gerader Linie und braucht 
nicht, wie bei der Nase, Engpässe zu durch¬ 
dringen, so daß lediglich bei der Mund¬ 
atmung die äußerste Peripherie der Luft 
mit der Schleimhaut in Berührung kommt. 
Es gelangt also bei der Mundatmung Luft 
in die tieferen Atemwege, welche zu wenig 
befeuchtet und erwärmt ist, und es ist er¬ 
klärlich, wenn Kitzel, trockener Husten¬ 
reiz und Druck auf der Brust sich ein¬ 
stellen. Hofbauer glaubt, daß von diesen 
Beschwerden bis zum Asthma nur ein 
Schritt sei. Die Mundatmung stellt einen 
allgemeinen pathogenetischen Faktor beim 
Zuständekommen des asthmatischen An¬ 
falles dar. Es kommt darauf an, die Leute 
zur Nasenatmung anzuhalten. Es gelingt 
allerdings die Umschaltung des Atem¬ 
modus nicht immer ohne Zwischenfälle, 
Im Anfänge verursacht das Atemholen 
durch die Nase wegen der Enge und 
größeren Länge dieses Atemweges nahezu 
immer das Gefühl unbefriedigender Luft¬ 
zufuhr. Es kann sogar zu Schwindel und 
Ohnmacht führen, wenn man die Patien¬ 
ten veranlaßt, die Lippen längere Zeit 
festgeschlossen zu halten. Alle diese un¬ 
angenehmen Nebenerscheinungen ver¬ 
schwinden jedoch schon nach wenigen 
Übungen. Hof bau er weist zum Schlüsse 
darauf hin, daß vielleicht die Erfolge der 
Summtherapie zum Teil durch die Aus¬ 
schaltung der die Bronchialschleimhaut 
reizenden Mundatmung erklärt wird. 

D ii nne r. 

(M. m. W. 1917, Nr. 14.) 

Über günstige Resultate, die mit einem 
neuen Wundpulver, dem Boluphen, erzielt 
worden sind, berichtet Hayward. Das 
Boluphen besteht aus einem Formaldehyd- 
Phenol-Kondensationsprodukt mit Bolus. 


Gegenwart 1917. 


Es ist geruch- und geschmacklos, ungiftig; 
seine Keimfreiheit wird von der Fabrik 
Vial & Uhlmann in Frankfurt a. M. garan¬ 
tiert.' Die Kombination des Phenols mit 
Bolus muß als besonders glücklich be¬ 
zeichnet werden, nachdem durch eine 
Reihe von Veröffentlichungen die gün¬ 
stige Wirkung des Phenols, des Phenol- 
camphers usw. dargetan ist, sobald es sich 
darum handelt, die Resorption aus Wund¬ 
flächen zu beschränken. Temperatur¬ 
steigerungen, die auf die Resorption aus 
diesen Flächen zurückzuführen sind, ver¬ 
schwanden sofort. Dazu kommt die aus¬ 
trocknende Bolus-Wirkung. Das Bolu¬ 
phen vereinigt diese Wirkung der 
Bolus mit der resorptionsverhindernden 
des Phenols. Es kommt zur Anwendung 
bei großen eitrigen und jauchigen Wun¬ 
den, deren Granulationen in kurzer Zeit 
sich dann reinigen und damit den Boden 
abgeben für eine rasche Epithelisierung. 

Selbstbericht. 

(M. Kl. 1917, Nr. 21.) 

Die Darmresektion ohne Darmeröff¬ 
nung durch Invagination hat Reich 
studiert und ausgeführt. Die Operation 
am Darme unter vollkommenster Wahrung 
der Asepsis ist in der letzten Zeit öfter 
der Gegenstand des Studiums .gewesen. 
Verfasser gibt hierzu einen interessanten 
Beitrag. In einem Falle von Dickdarm- 
carcinom war es möglich eine antiperistal¬ 
tische Invagination des gut abgegrenzten 
und beweglichen Tumors herbeizuführen, 
nachdem zuvor eine entsprechende keil¬ 
förmige Resektion des Mesokolons vorge¬ 
nommen worden war. Der periphere Teil 
des Invaginationsschlauches wurde an dern 
centralen Darmabschnitte durch eine ring¬ 
förmige Naht fixiert. Nach neun Tagen 
ging nach einem Einlaufe der invaginierte 
Darmabschnitt, ohne Beschwerden ab. 
Die Röntgenkontrolle, ein Vierteljahr 
später, ließ die Resektionsstelle überhaupt 
nicht mehr erkennen. Hayward. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 16.) 

Müller berichtet über ausgezeichnete 
Erfolge mit der Behandlung des Ery¬ 
sipels durch Rotlichtbestrahlung. Das 
Material bestand in sechzig Fällen, die 
zum großen Teile die Erkrankung im An¬ 
schlüsse an eine Operation an alten fisteln¬ 
den Wunden und Abscessen bekommen 
hatten. Sofort nach Erkennung der 
Krankheit wurde der Patient ins Dunkel¬ 
zimmer verbracht und dort das Erysipel 
ohne jede andere Therapie Tag und Nacht 
mit dem Lichte einer gewöhnlichen roten 
Glühlampe bestrahlt, wobei zur Vermei- 



“230 Die Therapie der 


düng unnützer Erwärmung je nach der 
Art der Glühlampe ein Abstand von ein¬ 
halb bis zwei Metern einzuhalten ist. Der 
Verlauf ist dann in unkomplizierten Fällen 
der, daß nach etwa 24 Stunden die Tem¬ 
peratur auf etwa 38° absinkt und in wei¬ 
teren drei bis fünf Tagen zur Norm zurück¬ 
kehrt. Entsprechend bleibt der Lokal¬ 
befund nach 24 Stunden stationär, um 
in den nächsten Tagen von der Mitte nach 
den Rändern zu allmählich abzublassen. 
Wie diese Wirkung des roten Lichtes zu 
erklären ist, diese Frage läßt Müller 
einstweilen noch offen. Daß auch diese 
Therapie nicht unfehlbar ist, versteht sich 
von selbst, doch ist es-'auffallend, daß 
Müller in allen Fällen von Versagern 
eine beginnende Einschmelzung des Unter¬ 
hautzellgewebes oder der Haut selber 
fand. Der Vorteil der Behandlungs¬ 
methode vor den üblichen Anwendungen 
ist der der größeren Sicherheit und die 
Ersparnis an Material. Die Überlegenheit 
gegenüber der Beckschen Quarzlampen¬ 
behandlung liegt in der großen Billigkeit 
und daher allgemeinen Anwendbarkeit, so¬ 
wie in der Möglichkeit, die Erysipele voll¬ 
ständig zu isolieren, was bei der Quarz'- 
larapenbehandlung kaum möglich sein 
dürfte. Waetzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 11.) 

Freund und Speyer ist es gelungen, 
das Krampfgift Thebain in eine stark 
narkotisch wirksame Substanz zu über¬ 
führen, die entsteht, wenn das Thebain 
zunächst oxydiert, dann an anderer Stelle 
wieder reduziert wird. Da dieselbe was¬ 
serunlöslich ist, so wird die salzsaure Ver¬ 
bindung benutzt, die als Eukodal be¬ 
zeichnet wird (weil chemisch dem Kodein 
näherstehend als dem Thebain). Die Sub- 
stanz'ist in Wasser leicht löslich und ganz 
beständig. Über seine Erfahrungen damit 
berichtet Falk unter Beigabe von Kran¬ 
kengeschichtsauszügen. Im Tierversuche 
zeigt sich keine lähmende Wirkung auf 
das Herz, wohl aber eine sehr kurze, dem 
narkotischen Stadium vorangehende Er¬ 
regung. Eigenversuche ergaben nach 0,01 
bis 0,02 leichte Müdigkeit und Pupillen¬ 
verengerung, keine unangenehme Neben¬ 
wirkung. Bei der Verwendung im Großen 
zeigte sich, daß der schmerzstillende Er¬ 
folg schneller eintrat als bei Morphin. In 
Dosen von 0,02, in Fällen sehr großer 
Schmerzen (Tumoren) wohl auch 0,03, be¬ 
seitigt das Mittel bei subcutaner Anwen¬ 
dung die Schmerzen fast augenblicklich 
und schafft einen zwar nur leichten, aber 
von keiner Mißempfindung gefolgten Schlaf 


Gegenwart 1917. Juni 


(bei Aufsein nur mäßige Müdigkeit). Da es 
nicht wesentlich auf das Herz wirkt (nur 
ganz geringe Pulsverlangsamung und Blut¬ 
drucksenkung danach), so eignet es sich 
auch gut zur Einleitung der Narkose wie 
zur Anwendung bei Herzkranken. Die 
Wirkung ist natürlich wie bei allen Mit¬ 
teln der Morphingruppe eine solche auf 
die Schmerzcentren; bei motorischer Er¬ 
regung bietet das Mittel also wenig Vor¬ 
teile vor seinen Verwandten, da wie bei 
diesen in den bei stärkerer Erregung nö¬ 
tigen hohen Dosen (0,04!) eine starke Ver¬ 
langsamung der Atmung Eintritt (Atem¬ 
centrum !). Bei Narkosen gelang es zwar, 
das Excitationsstadium zu vermeiden, 
auch konnte in Einzelfällen ein Teil der 
Operation nur unter Eukodal ausgeführt 
werden (zweimal 0,02), aber in weiteren 
Erfahrungen zeigte sich, daß bei dieser 
Dosierung die Atemwirkung schon be¬ 
drohlich werden kann, ebenso wie Ge¬ 
burten im Eukodal dämmerschlafe wegen 
der • wehenschwächenden Wirkung des 
Mittels nicht ausführbar sind. Kleine 
Operationen konnten allerdings in Euko- 
dalnarkose ausgeführt werden (bei Trin¬ 
kern oft nicht). Im Skopolamin-Eukodal- 
Dämmerschlafe können selbst größere 
Operationen durchgeführt werden, doch 
ist dann die Blutdrucksenkung beträcht¬ 
lich (40 mg Eukodal und Vs mg Skopol 
amin). Die Ruhigstellung des Darmes 
durch Eukodal überdauert seine All¬ 
gemeinwirkung nicht. Die Frage der Ge¬ 
wöhnung läßt sich wohl endgültig noch 
nicht entscheiden, doch wurden z. B. 
beim Aufhören nach siebenmonatlichem 
Eukodalgebrauche Abstinenzerscheinun¬ 
gen nicht beobachtet, auch war eine Ver¬ 
größerung der anfangs wirksamen Dosen 
nie nötig geworden. Bei innerlicher Ver¬ 
abreichung sollte ebenso wie bei sub¬ 
cutaner die Einzeldose von 20 mg nicht 
überschritten werden. Die Wirkung ist 
wesentlich die des Morphins auf Husten¬ 
reiz, Asthmabeschwerden usw. Die Dosen 
brauchen zur Wirkung jedoch nur halb 
so hoch zu sein wie bei diesem. Bei 50 mg 
treten bereits Vergiftungserscheinungen 
auf. An Nebenwirkungen traten auf, 
besonders bei jungen Mädchen, Er¬ 
brechen, Schwindel, Mattigkeit; als 
Nachwirkung Benommenheit und Kopf¬ 
schmerz. In solchen Fällen wird man mit 
der Dosis noch weiter, bis auf 5 mg, zu¬ 
rückzugehen haben. Waetzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 12.) 

Das Wesen des Fünftagefiebers be¬ 
handelt Hildebrandt. Die Fieberan- 



Juni 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


231 


fälle sind nach seinen Ermittelungen von 
einer oft beträchtlichen Leukocytose be¬ 
gleitet, selbst dann, wenn nach längerem 
Bestehen der Erkrankung die Fieber¬ 
anfälle nicht mehr in gleicher Deutlichkeit 
auftreten, sondern einer unbestimmten 
Subfebrilität Platz gemacht haben. Die 
Leukocytenvermehrung erfolgt im wesent¬ 
lichen auf Kosten der neutrophilen poly¬ 
morphkernigen Zellen. Von mindestens 
gleicher, wenn nicht höherer Wichtigkeit 
erscheint ihm das von ihm nachgewiesene 
Auftreten von Knochenmarkselementen 
im Blute, die man auch dann findet, wenn 
die Krankheit bereits im Abklingen be¬ 
griffen ist und nur geringe Temperatur¬ 
steigerungen bestehen. Er hält dies für 
eine Noxe, welche ihren Hauptangriffs¬ 
punkt im Knochenmark hat. Die Kno¬ 
chenmarksreizung kann solange bestehen, 
daß es zweifelhaft erscheint, ob es über¬ 
haupt in diesen Fällen von selbst zu einem 
Aufhören der Reizerscheinungen und da¬ 
mit zu einer Heilung kommt. Er weist 
darauf hin, daß die fortwirkende Reizung 
des Knochenmarks dazu führt, daß mye¬ 
logene Blutbildungsherde an Orten auf¬ 
treten, die ursprünglich nicht dafür in 
Frage kommen und so allmählich ein 
Blutbild entsteht, das sich von einer 
myeloischen Leukämie nicht unterschei¬ 
den läßt. Hildebrandt geht sogar so 
weit, daß er im Fünftagefieber eine Er¬ 
krankung sieht, deren Endstadium nach 
Jahren, vielleicht Jahrzehnten unter dem 
Bilde der myeloischen Leukämie verläuft. 
Damit wäre die unbefriedigende Vorge¬ 
schichte fast aller Leukämiker mit einem 
Schlage geklärt, wenn man eine unter 
dem Bilde eines hartnäckigen ,, Rheu¬ 
matismus“ verlaufende scheinbar harm¬ 
lose Erkrankung, wie das Fünftagefieber, 
als Anfangsstadium sicherstellen könnte. 
Dazu würde auch die Subfebrilität pas¬ 
sen, die für das Fünftagefieber und auch 
für Leukämie beschrieben wurde. 

D ü nner. 

(M. m. W. 1917, Nr. 18.) 

Port beschreibt eiilen Fall von Tod 
durch Glottisödem bei Quinckeschem 
Ödem, ein Ereignis, das bekanntlich außer¬ 
ordentlich selten und dann meist familiär 
auftritt. Der Kranke, um den es sich hier 
handelt, war familiär nicht mit ähnlichen 
Erkrankungen belastet. Zwei Wochen vor 
der Aufnahme in das Krankenhaus be¬ 
kam er aus unbekannter Ursache eine 
sehr schnell vorübergehende Urticaria 
und seitdem jeden Tag meist nur eklige 
Stunden anhaltend einen ähnlichen, wenig 


juckenden Ausschlag oder eine umschrie¬ 
bene ödematöse Stelle an irgendeinem 
Körperteile, einmal auch im Munde. Bei 
der Aufnahme fanden sich mehrere solche 
Stellen; sonst wurde kein Befund erhoben. 

Am nächsten Tage wieder andere 
quaddelähnliche Stellen, darunter auch 
eine an der rechten Seite der Oberlippe. 
In der Nacht stand er auf, klagte über 
Luftmangel, ging herum, dann ziemlich 
plötzlich ziehende Atmung und Exitus an 
Erstickung, bevor ein Arzt auch nur ge¬ 
rufen werden konnte. Bei der Sektion 
fand sich starkes Ödem sowohl des Kehl¬ 
kopfeinganges wie des Kehlkopfes selbst. 
Aus den prallelastischen, sehr saftreichen 
Lungen entleerte sich ebenso wie aus den 
Bronchien beim Durchschneiden reichlich 
schaumige Flüssigkeit. Die anderen Or¬ 
gane zeigten keinen pathologischen Be¬ 
fund. Das Glottisödem mußte also als 
Todesursache angesehen werden. Be¬ 
merkenswert ist, daß ein anderer Kranker 
mit Quinckeschem Ödem, der den Tod 
dieses Patienten mit angesehen hatte, in 
der folgenden Nacht gleichfalls Atemnot 
bekam, die aber schnell vorüberging. 
Infolge — oder nur nach? — Calcium¬ 
therapie genas dieser Kranke nach einiger 
Zeit von seinem Leiden. Waetzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 12.) 

Im Anschlüsse an die von mir be¬ 
richteten Fälle von hämorrhagischer Dia- 
these (veröffentlicht im Januarhefte der 
Ther. d. Gegenw.) möchte ich hier über 
einen ebensolchen Fall referieren, der 
durch Milzexstirpation zur Heilung 
kam. Kaznelson schreibt von einer 
36jährigen Frau, die mit schwerster Epi- 
stoxis und zahlreichen Hämorrhagien und 
Suffusiönen in die Klinik kam. Von 
Kindheit an litt sie an Nasenbluten und 
häufig auftretenden blauen Flecken, spä¬ 
ter auch an starken Menstruationsblutun¬ 
gen. Häufige Attacken stärkerer Blu¬ 
tungen unterbrechen den sonst chroni¬ 
schen Zustand., Im Kubikmillimeter nur 
200 Blutplättchen (gegenüber 250 000 bis 
300 000 in der Norm). Keine Retraktion 
des Blutkuchens nach 48 Stunden. Ery- 
throcyten und Leukocyten sinken rasch 
an Zahl. Nach Kaznelson kann es sich 
entweder um zu geringe Bildung von 
Plättchen oder um Zerstörung der Plätt¬ 
chen in zu großer Zahl handeln. Das Vor¬ 
herrschen der Riesenformen soll gegen die 
erste Möglichkeit sprechen, da sie gerade 
bei starker Regeneration gefunden wer¬ 
den, besonders nach Blutungen. Auch 
eine fehlerhafte Bildung scheint unwahr- 




232 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juni 


scheinlich, da Fonio bei Purpura idio- 
pathica normale Funktion der wenigen 
Plättchen fand. — Bei dieser Frau so¬ 
wohl wie bei einem anderen Falle von 
essentieller Thrombopenie hatte Kaz¬ 
nelson Milzvergrößerung gefunden. Nun 
kann man gan.z sicher annehmen, daß die 
Milz eine hämolytische Funktion besitzt; 
nicht nur Erythrölyse, Leukolyse, son¬ 
dern auch Thrombolyse findet in der Milz 
statt. Kaznelson setzt den Milztumor 
der essentiellen Thrombopenie in , Ana¬ 
logie mit dem Milztumor der hämolyti¬ 
schen Anämie und spricht von „spleno- 
genfcr thrombolytischer Purpura“. Damit 
ergab sich die Möglichkeit eines neuen 
therapeutischen Weges zur Besserung der 
Thrombopenie, die Milzexstirpation, über 
die ich auch in einem meiner Fälle Er¬ 
wägungen angestellt hatte. In dem Falle 
von Kaznelson wurde die Milzexstir¬ 
pation wirklich ausgeführt; ihr Erfolg 
übertraf die kühnsten Erwartungen. Schon 
am zweiten Tage nach der Operation keine 
Blutung mehr aus dem Einstiche in die 
Fingerbeere, gute . Contractibilität des 
Blutkuchens, die schon nach 20 Minuten 
beginnt; und über eine halbe Million Blut¬ 
plättchen im Kubikmillimeter Blut. Vier¬ 
zehn Tage nach der Operation erlebte die 
Patientin zum ersten Male, daß sie ganz 
ohne blaue Flecke war. Vier Wochen nach 
der Operation bietet sie immer noch das 
Bild vollkommener Genesung. — In der 
zerzupften Milz und im Milzausstrich 
fanden sich große Mengen von Blutplätt¬ 
chen, auch Riesenformen. Benecke. 

(W. kl. W. 1916, Nr. 46.) 

Beiträge zur Lehre vom hämolyti¬ 
schen Ikterus liefern A. Albu und H. 
Hirschfeld (Berlin). Neuere Untersuch¬ 
ungen haben gezeigt, daß bei gewissen , 
Formen des Ikterus die Untersuchungen 
des Blutes für die Diagnose eine wesentliche 
Rolle spielen. Man kann durch sie eine 
Krankheit, der man in den letzten Jahren 
besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat, 
von den übrigen Leber- und Bluterkran¬ 
kungen abtrennen, nämlich den hämoly¬ 
tischen Ikterus. Gewöhnlich Ist Ikterus 
die Folge einer Verlegung der abführenden 
Gallenwege und kommt dadurch zustande, 
daß die Galle, statt ihren natürlichen 
Abfluß in den Darm zu finden, in der Leber 
retiniert wird, ins Blut Übertritt und mit 
dem Urin zur Ausscheidung gelangt. Bei 
dem hämolytischen Ikterus ist vermehrter 
Blutzerfall die Ursache. Es wird in der 
Leber mehr Gallenfarbstoff produziert als 
in der Norm. Im Darm erfolgt dann die 


Oxydation des Bilirubins zu Urobilin in 
stark gesteigertem Maße. Auch normaler¬ 
weise entsteht immer Urobilin im Darm¬ 
kanal; es wird dann vom Blut resorbiert, 
der. Leber wieder zugeführt und hier wei¬ 
ter verarbeitet. Übersteigt aber die im 
Darm gebildete Urobilinmenge eine ge¬ 
wisse Grenze, so kann die Leber das Uro¬ 
bilin nicht mehr weiter verarbeiten. Es 
wird unzersetzt ins Blut übergeführt und 
mit dem Urin ausgeschieden. Infolge¬ 
dessen beobachtet man Urobilinurie bei 
allen Erkrankungen, die mit einem ver¬ 
mehrten Blutzerfall einhergehen. Beim 
hämolytischen Ikterus kreist nun zuviel 
Urobilin im Körper. Der so bedingte Uro- 
bilinikterus unterscheidet sich von dem 
gelben Bilirubinikterus durch seine mehr 
ins Grüne spielende Färbung und ist in 
schweren Fällen so stark, daß die Fär¬ 
bung fast dem Blattgrün gleicht. Nicht 
nur der Harn, sondern auch das Blut¬ 
serum enthält reichliche Urobilinmengen. 

Man unterscheidet einen angeborenen 
und einen erworbenen hämolytischen Ik¬ 
terus. Im Verlaufe des Leidens wechselt 
die Stärke des Ikterus erheblich; die 
Krankheit verläuft in Schüben. In den 
meisten Fällen werden die Attacken von 
Ikterus von Schmerzen begleitet, deren 
Sitz die Lebergegend ist. Man findet nie¬ 
mals eine Entfärbung der Faeces, was 
nach der oben gegebenen Erklärung plau¬ 
sibel ist. Der Urin ist gewöhnlich frei von 
Bilirubin und es besteht niemals Haut¬ 
jucken. 

Es handelt sich um ein exquisit chro¬ 
nisch verlaufendes Leiden, das sich über 
Jahre und Jahrzehnte hinzieht und nach 
einer fast völligen Latenz der Symptome 
im Zwischenraum von einigen Monaten 
immer wieder neue Anfälle macht, die 
sich überWochen erstrecken und allmäh¬ 
lich abflauen. Die Anfälle bestehen im 
wesentlichen in einer Verstärkung des 
chronischen, diffusen Ikterus sowie der 
Anämie und in dem Auftreten kolik¬ 
artiger Schmerzen im Leibe, die haupt¬ 
sächlich in den beiden Hypochondrien 
lokalisiert sind. In diesen Anfällen führt 
die Erkrankung zu erheblicher Körper¬ 
gewichtsabnahme und Kräfteverfall, von 
dem sich'die Kranken meist wieder er¬ 
holen. Die diagnostisch wichtigsten und 
auch für die Erkennung der Krankheit 
vollkommen ausreichenden objektiven 
Symptome sind: 

1. Die Herabsetzung der osmotischen 
Resistenz der roten Blutkörperchen,, wel¬ 
che vor allem die sonst zuweilen schwierige 



Juni. 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


233 


Differentialdiagnose gegenüber der perni¬ 
ziösen Anämie ermöglicht. 

2. Der meist recht erhebliche Milz¬ 
tumor, der dem leukämischen nach Größe 
und Konsistenz nahekommen kann. Recht 
bemerkenswert ist auch die fast niemals 
fehlende Lebervergrößerung. 

3. Die Kombination von Ikterus mit 
meist erheblicher Anämie. 

4. Veränderungen der roten Blut¬ 
körperchen wie bei starker sekundärer 
Anämie. 

5. Die starke Urobilinurie, der sich ein, 
starker Urobilingehalt der Faeces zu¬ 
gesellt. 

Einer eingehenden Besprechung be¬ 
darf die Differentialdiagnose des hy- 
molytischen Ikterus gegenüber anderen 
Splenomegalien. 

Beim Stauungsikterus ist die Farbe 
der Haut und der Skleren eine mehr gelb¬ 
liche gegenüber der mehr, grünlichen des 
hämolytischen Ikterus. Hautjucken ist 
regelmäßig vorhanden, meist auch Brady- 
cardie, und die Faeces sind mehr oder 
weniger entfärbt, der Milztumor fehlt 
entweder ganz oder ist unerheblich, 
es besteht keine Anämie, und wenn eine 
solche in geringfügigem Maße vor¬ 
handen ist, fehlen die charakteristischen 
morphologischen Eigentümlichkeiten, wie 
die vital färbbare Substanz in den Ery- 
throcyten, die Jollykörper, sowie die kern¬ 
haltigen roten Elemente. Auch eine neu¬ 
trophile Leukocytose, sowie eine Neutro- 
philie oder das Vorkommen von Myelo- 
cyten gehört nicht zum Bilde des Stau¬ 
ungsikterus. Vor allen Dingen aber findet 
man statt einer Verminderung der Resi¬ 
stenz als charakteristische Eigentümlich¬ 
keit des Stauungsikterus eine ausgespro¬ 
chene Erhöhung derselben. Endlich fehlt 
die Urobilinurie, an deren Stelle Bili- 
rubinurie zu konstatieren ist. 

. Auch die viscerale Lues kann gelegent¬ 
lich zur Milz- und Leberschwellung sowie 
zu Ikterus und Anämie führen. In solchen 
Fällen sind aber Milz und Leber gewöhn¬ 
lich härter und pflegen eine höckrige Ober¬ 
fläche zu haben. Die Wassermannsche 
Reaktion ist regelmäßig positiv, und die 
beschriebenen charakteristischen Verän¬ 
derungen des Blutbildes des hämolytischen 
Ikterus fehlen, besonders ist die Resistenz 
der roten Blutkörperchen erhöht, da ja 
eine Cholämie besteht. Schließlich spricht 
der Erfolg einer antisyphilitischen Thera¬ 
pie für die Differentialdiagnose in aus¬ 
schlaggebender Weise mit, und endlich 
pflegt man bei genauerem Zusehen auch 


syphilitische Erkrankungen anderer Or¬ 
gane festzustellen. 

Die hypertrophische biliäre Leber- 
cirrhose (Charcot-Hanot) kann sehr 
leicht mit dem hämolytischen Ikterus ver¬ 
wechselt werden, weil sie gleichfalls mit 
einer beträchtlichen Schwellung der Leber 
und besonders der Milz, sowie mit stän¬ 
digem Ikterus einhergeht und relativ gut¬ 
artig zu verlaufen pflegt. Aber der 
Ikterus bei dieser Erkrankung führt zu 
allen Symptomen des Stauungsikterus, 
zum Hautjucken, zur Bradycardie, zur 
Bilirubinämie und Bilirubinurie, es be¬ 
steht keine Anämie und keine Herab¬ 
setzung der Resistenz der Erythrocyten, 
dagegen meist eine neutrophile Leuko¬ 
cytose. Die Milz pflegt härter zu sein als 
beim hämolytischen Ikterus, und eine 
Urobilinurie fehlt. 

Bei der Ban tischen Krankheit haben 
wir wohl den Milztumor, aber die Leber 
ist im ersten Stadium von normaler Größe 
und im letzten Stadium verkleinert. Ik¬ 
terus fehlt und tritt nur gelegentlich im 
letzten Stadium ein, wenn der vorhandene 
Ascites bereits vor Verwechselungen 
schützt. Beim Banti besteht eine einfache 
hypochrome Anämie mit normaler oder 
herabgesetzter Leukocytenzahl und ohne 
die morphologischen Veränderungen an 
den roten Blutkörperchen, welche den 
hämolytischen Ikterus auszeichnen. Die 
Resistenz der Erythrocyten ist normal 
und Urobilinurie kann höchstens im 
letzten Stadium auftreten. 

Fälle von perniziöser Anämie, die, wie 
es gelegentlich Vorkommen kann, mit 
einem auffällig großen Milztumor einher¬ 
gehen, können differentialdiagnostisch in 
Frage kommen. Da gelegentlich auch der 
hämolytische Ikterus, zum Blutbild der 
perniziösen Anämie führen kann und 
auch die perniziöse Anämie in Schüben 
verläuft, mit Urobilinikterus einher¬ 
gehen kann und regelmäßig Urobilin¬ 
urie aufweist, kann die Differential¬ 
diagnose recht schwierig sein. Eine 
vorhandene Leukopenie wird immer für 
perniziöse Anämie und gegen hämolyti¬ 
schen Ikterus sprechen, der eher die Nei¬ 
gung hat, mit einer neutrophilen Leuko¬ 
cytose einherzugehen. Urobilinurie und 
Urobilinämie, sowie Urobilinikterus 
können auch bei perniziöser Anämie Vor¬ 
kommen, sind aber im allgemeinen von 
geringer Intensität. Der schnellere und 
schließlich letale Verlauf, andererseits Re¬ 
missionen unter Arseneinwirkung sind für 
die perniziöse Anämie charakteristisch, 

30 



234 Die Therapie der Gegenwart 1917, Juni 


ebenso der Nachweis einer Achyliagastrica 
und der bekannten, zuerst von Hunter 
gewürdigten atrophischen Prozesse der 
Zungen- und Mundschleimhaut. Eine 
deutlich und konstant festzustellende 
Herabsetzung der Erythrocytenresistenz 
spricht nach dem gegenwärtigen Stande 
unserer Kenntnisse unbedingt für hämoly¬ 
tischen Ikterus und gegen perniziöse 
Anämie. Endlich darf vielleicht noch an¬ 
geführt werden, daß die Exstirpation der 
Milz bei der perniziösen Anämie auch nur 
zu Remissionen,.bei dem hämolytischen 
Ikterus dagegen, soweit wir jetzt wissen, 
zwar nicht mit Sicherheit zur Heilung des 
Leidens, wohl aber zu dauerndem Wohl¬ 
befinden führt. Endlich wäre noch hervor¬ 
zuheben, daß der Nachweis der Heridität 
und Familiärität des Leidens mit Sicher¬ 
heit für hämolytischen Ikterus spricht. 

Gegenüber allen sonstigen selteneren 
Formen von Splenomegalie, wie echten 
Tumoren der Milz, Milztuberkulose, Echi¬ 
nokokkuscysten, Anaemie pseudoleucae- 
mica infantum, Leukämie, Gauchersche 
Splenomegalie, den verschiedenen Formen 
der tropischen Spenomegalie und der 
malarischen Spenomegalie, die übrigens ge¬ 
wöhnlich alle ohne Ikterus einhergehen, 
wird in erster Linie immer das Ergebnis 
der Blutuntersuchung maßgebend sein. 
Besonders kommt auch die Gauchersche 
Splenomegalie in Frage, die auch ein 
familiäres Leiden ist. Sie geht aber ohne 
nennenswerte Anämie einher, verläuft 
nicht in Schüben, zeigt weder Urobilin- 
ämie noch Urobilinurie und keinen Ik¬ 
terus, sondern höchstens fleckweise auf¬ 
tretende, mehr bräunliche Verfärbungen. 
Die Resistenz der Erythrocyten weist 
keine Anomalien auf. Das Leiden ver¬ 
läuft im allgemeinen sehr gutartig. Der 
Milztumor ist meist ein ganz gewaltiger, 
viel größer als beim hämolytischen Ik¬ 
terus. 

Die Verfasser haben im ganzen sieben 
Fälle von hämolytischem Ikterus beob¬ 
achtet. In zwei Fällen handelt es sich um 
die familiäre und heriditäre Form, die 
anderen waren sporadische. Alle Fälle 
hatten eine leicht vergrößerte Leber und 
einen Milztumor, der sich in mittleren 
Grenzen bewegte. Zweimal lag Wander¬ 
milz vor, zweimal konnte Lues nachge¬ 
wiesen werden, doch beweist das negative 
Resultat der specifischen Behandlung, daß 
man nur ein zufälliges Zusammentreffen 
annehmen kann. 

Man hat bei hämolytischem Ikterus 
vielfach die Milz exstirpiert. Der Erfolg 


ist sehr günstig. Die Symptome wie auch 
die Gelbfärbung schwinden, trotzdem 
wird man aber nicht in allen Fällen die 
Splenektomie vorschlagen. Sie ist bei 
den Kranken überflüssig, deren Allgemein¬ 
befinden nur unwesentlich gestört ist. Nur 
wenn die Anämie dauernd stärkeren Gra¬ 
des ist und eine das Wohlbefinden beein¬ 
trächtigende Anämie besteht, wird man 
zur Splenektomie raten. Sie ist erforder¬ 
lich bei den Patienten, bei denen sich das> 
Blutbild der perniziösen Anämie ent¬ 
wickelt hat oder zu entwickeln droht. 
Man soll da nicht allzulange warten, weit 
sonst die Kranken infolge ihrer Anämie 
den Operationseingriff vielleicht nicht 
überstehen. Im übrigen erweisen sich 
Arsenkuren nützlich, insofern sie das Be¬ 
finden vorübergehend bessern und die 
Regeneration des Blutes befördern. Sie 
sind aber natürlich nicht imstande, das 
Wiederauftreten von Krisen vermehrten 
Blutzerfalls hintenanzuhalten. Röntgen¬ 
strahlen sind ohne Wirkung und führen 
nicht einmal eine Verkleinerung der Milz 
herbei. . Dünner. 

(Arch. f. Verdauungskr., Bd. 23, H. 1.) 

Heddaeus möchte die bei Detrusor- 
lähmungen nach Rückenmarksverletzun¬ 
gen fast allgemein angewandte Me¬ 
thode des Katheterisierens (eventuell 
Dauerkatheter) im Interesse der Ver¬ 
meidung von Blaseninfektionen ver¬ 
mieden wissen und empfiehlt ihren Er¬ 
satz durch eine von ihm angegebene 
Methode der manuellen Expression» 
Der Arzt steht links von dem Kranken 
mit dem Gesichte dessen Füßen zuge¬ 
wandt und drückt mit der zur Faust ge¬ 
ballten rechten Hand auf den Blasen¬ 
fundus erst wenig, dann allmählieh immer 
stärker. Der Urin entleert sich schnell 
in starkem Strahle ohne jede Beschwerde.. 
Natürlich ist das nur durchführbar, wenn 
noch gar keine Infektion der Blase statt¬ 
gefunden hat. Bestehen erst einmal Ge¬ 
schwüre oder die so häufige eitrig-hämor¬ 
rhagische Cystitis, so ist die Expression 
natürlich streng contraindiziert wegen der 
Gefahr der Blasenruptur. Doch läßt sich 
auch bei schon bestehender Cystitis die 
Methode dann verwenden, wenn man die¬ 
selbe vorher durch Anwendung von Spü¬ 
lungen mit l°/ 00 igem Argentum nitricum 
und nachfolgender Instillation von zirka 
20 ccm 2°/ 0 igem Kollargol vollständig be¬ 
seitigt hat. Die Expression ist drei- bis 
viermal täglich vorzunehmen und kann, 
was eine große Erleichterung bedeuten 
dürfte, ohne Gefahr auch von einem 





Die Therapie der Gegenwart 1917. 


235 


Juni 


Wärter oder einer Schwester gemacht 
werden. Waetzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 13.) 

Über die Häufung bestimmter Krank¬ 
heitszustände im Kindesalter unter dem 
Einflüsse der Kriegskost macht Weihe 
einige Mitteilungen. Die sehr viel größere 
Häufigkeit der Aborte stammt sicherlich 
von der Schwerarbeit der Frauen und der 
stärkeren Verbreitung der Lues, ebenso 
wie die Häufung des sonst so seltenen 
Erysipels und der Furunkulose wohl 
ebensosehr dem Seifenmangel wie der 
Unterernährung und dem auf zu ein¬ 
seitiger Kohlehydraternährung zurück¬ 
geführten vergrößerten Wasserreichtume 
der Gewebe ihre Entstehung verdankt. 
Die exsudative Diathese ist (wie auch 
Referent beobachtete) wohl infolge der 
Unmöglichkeit der Überernährung viel 
seltener, sehr viel häufiger dagegen der 
Soor (auch in Kliniken), infolge der 
schlechteren Asepsis mit den knappen 
Gummisachen. Die größere Häufigkeit 
der Enuresis dürfte jedenfalls zu einem 
Teile (den Referent übrigens wesentlich 
geringer bewerten möchte als Weihe) 
auf den größeren Wassergehalt der Kriegs¬ 
kost, zum anderen aber auf der Einwir¬ 
kung der allgemeinen Erregung und Ner¬ 
vosität auf die Kinder, ihre mangelhafte 
oder fehlende Beaufsichtigung, leichtere 
Erweckung von ängstlichen Vorstellungen, 
schließlich auch öftere Erkältungen mit¬ 
schuldig sein. Besonders vermehrt schien 
dem Verfasser jedoch das Vorkommen 
der Oxyuriasis zu sein, die (schon im 
Frieden — mit ihren zahlreichen Be¬ 
schwerden von seiten des Magen-Darm- 
Kanals, des Nervensystems und des Uro¬ 
genitalsystems wohlbekannt) zu ihrer Ent¬ 
stehung einmal einer vorhandenen Neuro¬ 
pathie, sodann aber besonders günstiger 
lokaler Bedingungen bedarf, da, wie be¬ 
kannt, die Würmer als Parasiten vor¬ 
handen sein können, ohne irgendwelche 
Beschwerden zu machen. Den günstigen 
Nährboden gewährt den Würmern nun 
nach Ansicht des Verfassers die Kriegs¬ 
kost mit ihrem Reichtum an Kohlehydra¬ 
ten, zumal wenn, wie wahrscheinlich, die 
Vermehrung derselben auch im Darme 
selbst stattfindet, nicht nur extraintesti¬ 
nal, wie gewöhnlich angenommen wird. 
Abgesehen von diesem Umstande spielen 
noch mit die viel reichlicheren Stuhl¬ 
massen, die eine Folge der schlacken¬ 
reicheren Ernährung sind, und die öftere 
Stuhlentleerung dadurch und durch die 
zum Teil abnormen Gärungen. Dadurch 


kommt es zu öfterem Abgänge der Würmer 
und zu größerer Infektionsmöglichkeit. 
Eine direkte Infektion durch die Kost, sei 
sie wie sie wolle, kommt weniger in Frage. 
Die Therapie wird also 1. eine Säuberung 
des Dünn- und Dickdarmes, 2. eine Ver¬ 
hinderung der Neuinfektion durch den 
Mund anstreben. Verfasser schlägt vor: 
Ersten Tag, nachmittags: Abführmittel; 
abends: Seifenwassereinlauf, nachts Ver¬ 
hinderung von Berührungen des Afters,, 
Einreiben desselben mit Vermiculinsalbe; 
zweiten Tag: dreimal täglich Santonin 
0,025 und Kalomel 0,1—2 vor jeder der 
drei Mahlzeiten, abends: kühler Kamillen¬ 
einlauf und Seifenwasserbad. Ebenso am 
dritten und vierten Tage! Salbe ad anum 
und frische Wäsche täglich! Danach noch 
drei Wochen nach jedem Stuhle Seifen¬ 
waschung und Salbe ad anum. In der 
Diät sind verboten kohlehydrathaltige 
Speisen (auch Brot und Kartoffeln sind 
möglichst einzuschränken), dagegen er¬ 
laubt Fleisch, Fisch, Käse, Fette, cellu¬ 
losereiche Gemüse und zuckerfreie Ge¬ 
latinespeisen und Beerenobst. 

Waetzoldt. 

(D. m. W. 1917, Nr. 17.) 

Die Frage, ob der obere oder untere 
Luftröhrenschnitt vorzuziehen sei, glaubt 
Hansen dahin beantworten zu sollen, daß 
bei Kindern unter vier Jahren dieTracheo- 
tomia superior zu wählen sei, und zwar des¬ 
halb, weil bei ihnen die tief liegende, enge 
und weiche Luftröhre schwierig zu fassen 
und noch schwieriger richtig zu spalten 
sei. (Referent möchte hierzu bemerken, 
daß doch selbst bei kaum ein Jahr alten 
Kindern die Trachea nicht so sehr selten 
weit und hart genug sein kann, um die 
Tracheotomia inferior leicht zu gestatten 
— ihre tiefe Lage kann bei Verwendung 
geeigneter Kanülen keine Schwierigkeiten 
machen, wenn der Operateur einigermaßen 
geübt ist — und daß jedenfalls sie die 
Methode der Wahl sein sollte. Man 
braucht hier nur an die mannigfachen 
Zufälle namentlich im Verlaufe der Nach¬ 
behandlung der Tracheotomia superior^ 
wie Granulationen, langdauernde Heiser¬ 
keit, erschwertes Decanülement und der¬ 
gleichen zu erinnern, ganz zu schweigen 
von den Zufällen während der Operation 
selbst, die durch einen Lobus pyramidalis,, 
durch Verletzung des Ringknorpels und’ 
anderes mehr verschuldet werden können.. 
Sollte wirklich einmal (was man übri¬ 
gens leicht vor der Operation feststellen 
kann) die Trachea zu eng und weich 
sein, als daß man sich die Tracheotomia 

30* 




236 Die Therapie der 


inferior zutraute — es kommt das auch 
bei Kindern nach dem vierten Lebens¬ 
jahre gelegentlich noch vor —, so kann 
man es immerhin mit dem oberen Luft- 
röhrenschnitte versuchen. Doch pflegt — 
wie Referent an einem recht großen Ma¬ 
teriale erfahren mußte — die Prognose 
der Tracheotomie bei solchen, meist sehr- 
schwächlichen, thymico-lymphatischen 
Kindern überhaupt recht ungünstig zu 
sein. Dringende Empfehlung verdient 
die von Hansen ziemlich genau beschrie¬ 
bene stumpfe Methode der Operation. 
Nicht erwähnt, aber von Hansen wohl 
auch geübt und wegen ihrer kosmetischen 
Überlegenheit gleichfalls sehr zu empfehlen 
ist die Anwendung des Hautquerschnit¬ 
tes (am besten in einer der bei Kindern 
so zahlreichen Hautfalten des Halses.) 

Waetzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 11.) 

Mörchen konnte an französischen 
Gefangenen, die er wegen nervös-dyspep- 
tischer Erscheinungen mit dem schon 
seit einiger Zeit als mildes, nicht 
darmreizendes Abführmittel bekannten 
Magnesiumperhydrol Merck behandelte, 
interessante Beobachtungen über die Wir¬ 
kung auf das Allgemeinbefinden, anstellen 
Es wurden zur Behandlung vorwiegend 
solche Leute ausgewählt, die über Kopf¬ 
druck, Mattigkeit, Unlust und Mißempfin- 
dungen im Bereiche des Verdauungs¬ 
traktes klagten. Genügende Vorsichts¬ 
maßregeln, um nicht durch Autosugges¬ 
tion der Behandelten das Ergebnis zu 
trüben, waren getroffen. Die Dosis war 
morgens nüchtern ein Eßlöffel des Pul¬ 
vers in Wasser suspendiert. Neben der 
stuhlregulierenden Wirkung zeigte sich 
nun bei den meisten mehr im Vorder¬ 
gründe stehend eine tonische Wirkung, 
die sich im Gefühle vermehrter Leistungs¬ 
fähigkeit und Spannkraft äußerte. Natür¬ 
lich handelt es sich nur um eine Besserung 
■der Beschwerden der Gefangenschafts¬ 
neurasthenie, nicht um deren Heilung. 
Eine Erklärung der Wirkung ist nicht so 
ganz leicht. Die Darmwirkung ist jeden¬ 
falls Magnesiawirkung. Für die Erklärung 
der neurotonischen Komponente aber 
kommt nach Ansicht des Verfassers wohl 
eher eine Bekämpfung einer Autointoxi¬ 
kation durch giftige Stoffwechselprodukte 
von seiten der Sauerstoffkomponente in 
Frage. Waetzoldt. 

(M. Kl. 1917, Nr. 18.) 

Über Malariaparasitenträger berichten 
Kaminer und Zondek. Die Kranken 
hatten ihre Infektion in Wolhynien oder 


Gegenwart 1917. Juni 


in der Gegend von Dünaburg akquiriert. 
Es handelt sich um die Tertianaform der 
Malaria; sie hatte die typischen Tertiana- 
parasiten in den verschiedenen Entwicke^ 
lungsstadien in ihrem Blute. Drei der 
Patienten boten klinisch ein ungenügen¬ 
des Krankheitsbild. Die Diagnose war bei 
ihnen wesentlich erschwert, insofern, als 
bei ihnen überhaupt keine Temperatur¬ 
steigerung bestand, ein Patient wies eine 
ziemliche Milzschwellung auf und wurde 
wegen dieses Milztumors der Klinik über¬ 
wiesen. Der Zustand, der mehrere Mo¬ 
nate angehalten hat, wurde nur ab und 
zu durch kurz dauernde Zustände subjek¬ 
tiven Unbehagens unterbrochen; dabei 
waren im Blute fast in jedem Präparate 
ziemlich viel Parasiten zu sehen. Die 
Patienten machten mit Ausnahme von 
einem körperlich sonst einen gesunden 
Eindruck. Die Behandlung mit Chinin 
bringt Heilung. Dünner. 

(D. m. W. 1917, Nr. 14.) 

Naunyn macht interessante Bemer¬ 
kungen zur urinogenen Entstehung der 
Kriegs-Nephritis. ErmeintsolcheNephri¬ 
tiden, die keinen schweren Eindruck 
machen. Man findet Albuminurie, Yjzuz- 
schmerzen, selten Kopfschmerzen, hier 
und da leichte Herzbeschwerden. Eine 
anfangs bestehende Hypertonie .verliert 
sich allmählich. Neigung zu Ödemen 
macht sich kaum bemerkbar, auch nicht, 
wenn die Albuminurie bis zu 10°/ 00 an¬ 
steigt. Der Urin ist klar, das Wasser¬ 
ausscheidungsvermögen und Konzentra¬ 
tionsvermögen ohne nennenswerte Ab¬ 
weichungen. Nur die Albuminurie bleibt 
trotz aller Maßnahmen oft bestehen. 
Auffällig ist das vollständige Fehlen von 
Harncylindern, die sich auch nicht ein¬ 
stellen, wenn der Eiweißgehalt des Urins 
zunimmt. Mikroskopisch finden sich 
lediglich hier und da vereinzelte Blut¬ 
körperchen oder Rundzellen (keine richtig¬ 
gehenden Eiterkörperchen, sondernRund- 
zellen mit schmalem Protoplasmasaum). 
Die cylinderlose Albuminurie und ihre 
gelengentlichen spontanen Steigerungen 
ohne sonstige Zeichen von Verschlim¬ 
merung der Nierenerkrankung erinnern, 
wie Naunyn glaubt, an Vorkommnisse 
bei aufsteigenden entzündlichen Erkran¬ 
kungen der Harnwege. Denn bei Cysto- 
pyelitis sieht man öfter, daß der bis dahin 
wenig eiweißhaltige oder sogar eiwei߬ 
freie Urin von einem zum anderen Tage 
stark eiweißhaltig wird, ohne Cylinder 
oder sonstige Zeichen von Nierenentzün¬ 
dung. In seinen Fällen konnte er Gonor- 




237 


Juni Die Therapie der 


rhöe mit Sicherheit ausschließen. Wichtig 
ist, daß er im Urin Colibacillen fand. An¬ 
dere Fälle kamen mit der Diagnose Ne¬ 
phritis. Hier war dann der Urin stark 
getrübt, auch eiterähnliche oder blutig¬ 
eitrige Flocken, eiterähnliches, auch röt¬ 
liches, doch nicht richtig eitriges Sedi¬ 
ment, lockerer als solches, flockig. Urin 
neutral oder alkalisch, aber ohne 
stinkende, ammöniakalische Zersetzung. 
Mikroskopisch: Hauptsächlich die schon 
mehrfach erwähnten einkernigen 
Zellen, manchesmal ziemlich viel Blasen- 
epithelien mit stark lichtbrechenden gro¬ 
ßen Körnern, auch in kleinen Verbänden, 
einige geschwänzte Zellen, rote Blut¬ 
körperchen fast nur da, wo der Blutge¬ 
halt auch ohne das erkenntlich war. Nur 
selten richtige (multinucleäre) Eiterzellen 
in größerer Menge, keine Tripelphosphate, 
keine Harncylinder. Albuminurie bis 5 °/ 00 . 
Da in der Literatur bisher auf den Zu¬ 
sammenhang zwischen Cystopyelitis und 
Nephritis nicht hingewiesen worden ist, 
erscheint es Naunyn wünschenswert, auf 
die urinogene Entstehung von Nephritis¬ 
fällen zu achten. Er meint nicht die 
eitrigen Pyelonephritiden. Ebensogut wie 
die pyogenen können auch die nicht¬ 
pyogenen Infekte der Harnwege sich auf 
die Nieren fortpflanzen, und wenn jene 
zu Nierenabcessen, führen diese zur Ne- 
ph r o ci rrh ose. Dünner. 

(D. m. W. 1917, Nr. 13.) 

Übereinen Fall von bedrohlicher Herz¬ 
schwäche infolge einer occulten Blu¬ 
tung ohne jede Magenbeschwerden bei 
einem juxtapylorischen Ulcus berichtet 
Schmidt. Alter Mann, seit einiger Zeit 
nervös, schlaflos, anämisch und schwin¬ 
delig. Keine Magendarmbeschwerden. 
Kein objektiver Befund. Nach zehn 
Tagen Erbrechen rötlicher Massen, schwere 
Ohnmacht, später mäßige, dann starke 
Bradycardie. Atmungsfrequenz etwas 
wechselnd Am nächsten Tage auf Ein¬ 
lauf Massen teerartigen Stuhles. Am 
Magen nichts außer vollständiger An¬ 
acidität. Trotz guter Ernährung nur 
schlechte Erholung, daher Verdacht auf 
Carcinom. Operation ergibt Ulcus duo- 
deni, das durch Gastroenterostomia retro- 
colica posterior geheilt wurde. 

Waetzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 19.) 

Zur operativen Behandlung der Pa- 
r otisfisteln nach S c h u ß v e r 1 e t z u n g e n 
liefert Perthes einen Beitrag. Drei 
Methoden stehen zur Verfügung zur ope¬ 
rativen Behandlung der Parotisfisteln: 


Gegenwart 1917. 


1. Die Fistelverlagerung. Hier ist es 
nicht nötig, den erhaltenen Gangabschnitt 
herauszupräparieren, sondern man kann 
unter Umständen die ganze äußere Fistel 
mit der anstoßenden Haut umschneiden, 
einen etwa bleistiftdicken Gewebsstiel 
bilden, welcher den Ductus einschließt 
und das Ganze nach dem Prinzip des 
v. Lange nb eck sehen Verfahrens ver¬ 
lagern. Die zweite Methode besteht 
in der Neubildung des Ductus bei 
der Parotisdrüsenfistel, wobei der Rest 
des Ganges nach dem Munde zu durch¬ 
gezogen wird und hier mit einem 
Thierschschen Lappen umhüllt wird, so 
daß eine Epithelröhre entsteht. 3. Bei 
einer Kommunikation der Wange und 
des Kiefers durch-Gesichtsschuß, welcher 
zu einem dauernden Ausfluß von Speichel 
aus der Nase führte, wurde die Mündung 
des Ganges von dem Fenster der Ober¬ 
kieferhöhlenwand abpräpariert und das 
Fenster durch einen Schleimhautlappen 
mit Erfolg verschlossen. Hayward. 

(Zbl.f. Chir. 1917, Nr. 13.) 

Neben einer Erschlaffung des Kapsel- 
und Bandapparates kommt nach Per¬ 
thes’ Untersuchungen für die habituelle 
Luxation der Patella ursächlich der 
ungleichmäßige, vorwiegend einseitige Zug 
des Quadriceps an der Patella in Be¬ 
tracht. So ist die Luxation der Patella 
bei Genu valgum bekannt. Aber auch 
ohne diese Knochenveränderung kommt 
sie vor. Unter Berücksichtigung dieser 
Tatsache trennte Perthes bei einem elf¬ 
jährigen Mädchen das Ligamentum pa- 
tellae an seiner Ansatzstelle am Schien¬ 
bein vollkommen ab und verlegte diese 
nach innen von der Tuberositis tibiae. 
Doch genügte dieses Vorgehen allein, wie 
die Untersuchung während'der Operation 
zeigte, nicht, sondern es mußten erst die 
äußeren Fasern der Quadricepssehne am 
Oberschenkel durchtrennt werden. Auf 
diese Beobachtung ist die neue Operations¬ 
methode aufgebaut: Von einem bogen¬ 
förmigen Schnitte, der mit der Kon¬ 
vexität nach innen in weitem Kreise die 
Kniescheibe umzieht, wird der das Knie 
bedeckende Hautlappen nach außen zu¬ 
rückgeklappt. Nun wird durch die Kapsel 
außen und außen oben von der Knie¬ 
scheibe ein Schnitt angelegt quer zu den 
sich anspannenden Sehnenzügen des Va- 
stus lateralis. Dann wird durch einen 
weiteren bogenförmigen Schnitt die Ge¬ 
lenkkapsel an der Innenseite der Knie¬ 
scheibe bis zum Ligamentum patellae 
durchtrennt und die beiden Wundränder 




238 Die Therapie der 


der Gelenkkapsel übereinander verscho¬ 
ben und in dieser Lage durch Matratzen- 
nähte fixiert. An zwei Fällen hat sich 
die Brauchbarkeit des Verfahrens er¬ 
wiesen. Hayward. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 12.) 

In Anbetracht der Beobachtung, daß 
nach erfolgloser Pockenimpfung durch 
sofortige Wiederholung der Impfung ein 
Erfolg erzielt werden kann, wünscht 
Schwalbe eine diesbezügliche Bundes¬ 
ratsverordnung, die sich ja leicht in die 
Vorschriften des bestehenden Impfgesetzes 
einpassen ließe. Es ist sehr naheliegend, 
anzunehmen, daß teils durch ungenügende 
Virulenz der Lymphe, durch zu geringe 
Menge derselben, ferner auch durch un¬ 
richtige Tiefe der Impfschnitte und durch 
Abwischen der Lymphe eine Fehlimpfung 
vorgetäuscht werden kann, die durch 
eine sofortige Wiederholung ausge¬ 
glichen werden könnte. Echte natür¬ 
liche Immunität ist sicher sehr selten. 
Bei Wiederimpfungen spielen diese 
Überlegungen naturgemäß eine gerin¬ 
gere Rolle, abgesehen von der Be¬ 
schaffenheit der Lymphe, deren enorme 
Virulenzschwankungen leider viel zuwenig 
bekannt sind, wie unter anderem aus den 
viel höheren Prozentsätzen an Fehl¬ 
impfungen unter den Privatimpfungen 
hervorzugehen scheint. Da nun also die 
erfolglose Impfung nur in den seltensten 
Fällen eine Immunität gegen Pocken oder 
Vaccine beweist, so dürfte Schwalbes 
Vorschlag, der sich übrigens auf eine Ber¬ 
liner Polizeiverordnung stützt, in dieser 
Zeit kaum überwundener Pockengefahr 
erhöhte Bedeutung beanspruchen dürfen. 

Waetzoldt. 

(D. m. W. 1917, Nr. 16.) 

Lenk macht eine vorläufige Mitteilung 
über eine einfache Funktionsprüfung des 
Magens bei Pylorusstenose. An einem 
Tage werden 40 g Brötchen oder Zwie¬ 
back mit einer Tasse Tee gegeben, am 
nächsten 40 g Brot. Beide Male wird nach 
dreiviertel bis einer Stunde der Magen 
ausgehebert und in der gewöhnlichen 
Weise der Magensaft titriert. Es zeigte 
sich nun, daß normalerweise die Werte 
bei dem Probefrühstücke aus Brötchen 
oder Zwieback wesentlich und ganz un¬ 
übersehbar höher waren als bei Verwen¬ 
dung von Brot, während bei Fällen von 
Pylorusstenose die Verhältnisse gerade 
umgekehrt lagen. Möglicherweise lassen 


Gegenwart 1917. Juni 


sich umgekehrt diagnostische Schlüsse 
ziehen. Waetzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 18.) 

Hoff mann berichtet über ausge¬ 
zeichnete Erfahrungen mit dem Solarson 
sowohl bei inneren Erkrankungen, wie 
auch besonders bei den verschiedensten 
Dermatosen. Die intramuskuläre Injek¬ 
tion der gebrauchsfertig in Ampullen 
käuflichen 1 %igen Lösung ist schmerzlos 
und macht weder Infiltrate noch sonstige 
Nebenerscheinungen. Die Dosierung er¬ 
folgt am besten derart, daß zwölf Tage 
hintereinander je ein Kubikzentimeter 
gegeben wird und nach Ablauf von wei¬ 
teren acht bis zwölf Tagen die ganze Kur 
wiederholt wird, was eventuell noch ein 
drittes und selbst viertes Mal wiederholt 
werden kann (gute Erfolge bei Chlorose, 
Anämie, Neurasthenie, Acne, Skrofu¬ 
löse). Soll die Arsenwirkung noch stärker 
sein, so kann man die Pausen zwischen 
den Kuren weglassen und bei der zweiten 
Kur 2, bei der dritten 3 ccm geben, so 
namentlich bei den Dermatosen. Gute 
Erfolge hatte Hoffmann auch bei der 
Behandlung der Pyodermien mit Sta- 
phylokokkenvaccin, insonderheit mit dem 
Leukogen Höchst, das 100 Millionen 
Keime im Kubikzentimeter enthält und 
in Ampullen zu 1 ccm und in Flaschen zu 
5 ccm abgegeben wird. Es werden an¬ 
fangs bei Erwachsenen 50, bei Kindern 
10 Millionen Keime intraglutäal gegeben. 
Wenn keine Fieberreaktion erfolgt, steigt 
man alle drei Tage auf 100, 250, 500, 750, 
1000 und 1200 Millionen beim Erwach¬ 
senen, auf 25, 50, 75, 100 Millionen und 
höher beim Kinde. Erfolg oft schon nach 
sechs bis acht, mitunter auch erst nach 
acht bis zwölf Einspritzungen bei Furunku- 
losise, Schweißdrüsenabscessen, Periporitis 
der Säuglinge, ferner bei Acne, Sykosis vul¬ 
garis, Cystitis und Pyelitis staphylogenes. 
Bei Acne vulgaris waren gute Erfolge 
aucli mit durch % mm Aluminium ge¬ 
filterten Röntgenstrahlen in einer Dosis 
von viermal in zehntägigem Intervalle, 
je nach Ausdehnung, in drei bis vier 
Stellungen zu erzielen. Nach einem 
Turnus von drei Bestrahlungen, der oft 
schon genügte, folgt dann eine drei¬ 
wöchige Pause. Besonders gut sind 
die Ergebnisse bei der tiefen abscedieren- 
den Form. Auch zur Epilation ist die 
Anwendung wohl geeignet. Waetzoldt. 

(D. m. W. 1917, Nr. 13.) 




Juni 


Die Therapie der Gegenwart 1917'. 


239 


Therapeutischer Meinungsaustausch. 

Physiologie und Chemismus der Milchbildung, sowie deren 

Beeinflussung. 

Von Stabsarzt a. D. Dr. Grumine-Fohrde (Westhavelland). 


Über die Bildung der Milch sagt 
Schroeder in seinem Lehrbuch der Ge¬ 
burtshilfe: „Das Sekret stammt aus zwei 
Quellen, der flüssige Teil ist ein einfaches 
Transsudat aus dem Blute, die morpholo¬ 
gischen Bestandteile stammen von den 
Drüsenzellen her“. Rubner lehrt: „Die 
Milch entsteht in der Milchdrüse,'indem 
das Drüsengewebe zerfällt und sich wieder 
regeneriert.“ Nach Munk ist „die Milch 
das chemische Produkt der Drüsenzellen, 
die das Rohmaterial aus dem Blute be¬ 
ziehen und es in eigentümlicher Weise 
zu dem Sekret verarbeiten“. Auch die 
neuesten Untersuchungen .bestätigen im 
allgemeinen diese Anschauungen. Ein¬ 
geleitet wird die Milchbildung durch eine 
starke Vermehrung der Drüsenzellen, 
welche bei normaler Blutzufuhr rasch 
aufgelöst werden. Die hierbei entstehen¬ 
den Fermente erzeugen aus transsudier- 
tem Blute Casein, Fett usw. und bringen 
Mineralsalze in die geeignete Form 
(Guillebeau, Virch. Arch. 1916, Bd.221, 
H. 1). Sehen wir von den Einzelheiten 
des komplizierten Vorganges, über welche 
vollkommene Einigkeit noch nicht 
herrscht, ab, so ist doch so viel sicher, 
daß sämtliche Stoffe der Milch aus ver¬ 
dauten und assimilierten Bestandteilen 
der Nahrung beziehungsweise des mütter¬ 
lichen Körpers entstehen. Wahrschein¬ 
lich wird die Milch für gewöhnlich direkt 
aus den genossenen Nahrungsmitteln ge¬ 
bildet, ohne daß diese zuvor im Körper 
angesetzt werden. Die Milch stammt also 
normalerweise aus den im Blute der 
Mutter circulierenden, frisch aufgenom¬ 
menen Nährstoffen. Bei ungenügender 
Nahrungsaufnahme aber springt der müt¬ 
terliche Körper selbst mit seinem Bestände 
helfend ein, indem er die zur Milchbildung 
nötigen Stoffe auf dem Blutwege zu den 
Milchdrüsen sendet. Diesen Vorgang, 
dessen zeitlich mehr oder minder begrenzte 
Durchführungsmöglichkeit vom Ernäh¬ 
rungszustände der Mutter abhängt, er¬ 
kennen wir an der consecutiven Abmage¬ 
rung und dem Substanz-(Fleisch-)Verlust 
der Mutter. 

Gewiß ist der Satz berechtigt: die 
aus Nährstoffen (Eiweiß, Fett, Kohle¬ 
hydraten und Mineralien, neben Wasser) 
besteh e n d e Mi 1 ch kan n n u r - direkt 
oder indirekt — aus den von der Mutter 


in der täglichen' Nahrung auf ge nom¬ 
menen Nährstoffengebildetwerden. 

Die Frage, auf welche Weise die Milch¬ 
bildung am natürlichsten in günstigem 
Sinne zu • beeinflussen ist, beantwortet 
sich damit eigentlich von selbst: durch 
allerbeste, nährstoffreiche Ernährung der 
Mutter. 

Man hat nun aber auch auf anderen 
Wegen versucht, die Milchabsonderung 
zu heben. So fand man nach dem Ein¬ 
nehmen von Pilocarpin und Digitalin eine 
deutliche Vermehrung, nach Antipyrin 
dagegen eine wesentliche Minderung und 
nach Atropin sogar eine fast völlige Hem¬ 
mung der Milchabsonderung (Ott und 
Scott, The therap. gazette, 15. Mai 1912). 
Einige Organextrakte, z. B. Extrakt der 
Zirbeldrüse (Schäfer, Liverpool Medical 
Association, 6. März 1913), der Placenta 
(Christea und Aschner, Revista de 
chirurgia, Dezember 1912, und Frank, 
Arch. f. Gynäk., Bd. 97, H. 1), der Schild¬ 
drüse (Mc. Ilroy, 17. Intern, med. Kon¬ 
greß in London, August 1913) bedingen, 
wie Tierexperimente ergeben haben, eine 
beschleunigte Absonderung beziehungs- 1 
weise vermehrte Entleerung der Milch. 

Chemische Stoffe, deren innerliche 
Darreichung oder Einspritzung in der 
Zeiteinheit eine höhere Milchlieferung 
ergibt, benennt man Lactagoga. Ihre 
Wirkung besteht aber nur in der Aus¬ 
übung eines Reizes auf die Milchdrüsen, 
welche infolgedessen ihr fertiges bezie¬ 
hungsweise fast fertiges Produkt schneller 
entleeren. Es wird daher vorüber¬ 
gehend mehr Milch abgesondert; eine 
Dauerwirkung tritt keinesfalls ein. Das 
geben die Autoren meist auch selbst zu. 
Ein tatsächlicher Nutzen wird durch kein 
einziges Lactagogum erzielt; es handelt 
sich nur um 'eine zeitweilig beschleu¬ 
nigte Absonderung der Milch, aber 
nicht um eine Vermehrung der Milch¬ 
menge. 

In neuester Zeit behauptet nun Dun- 
kan (New York medical Journal, 6. Ja¬ 
nuar 1917), daß er durch subcutane In¬ 
jektion von 1 ccm Eigenmilch bald nach 
der Entbindung, desgleichen am dritten 
und eventuell auch am sechsten Tage 
glänzende Erfolge erzielt habe und be¬ 
zeichnet die Milchinjektionen als mächtig 
wirkendes Lactagogum. Seine angebliche 



' 240 Die Therapie der 


,,Entdeckung“, ist. nicht neu. Zuerst | 
wandte Nolf in Lüttich das Verfahren 
an und empfahl es. Die sorgfältige Nach¬ 
prüfung durch Chatin und Rar du (Lyon' 
med. 1912, Nr. 4) ergab absolut ungün¬ 
stige Resultate. In keinem Falle konnte 
eine durch die Injektion allein bewirkte 
Milch vermehrun g nachgewiesen werden. 

Die Milcheinspritzungen sind auf die¬ 
selbe Stufe wie die rein chemischen Lac- 
tagoga zu stellen; sie reizen die Milch¬ 
drüsen und bewirken dadurch eine be¬ 
schleunigte Entleerung derselben. Gewiß 
wird dabei eine vermehrte Milchabson¬ 
derung (auf die Zeiteinheit berechnet) 
festgestellt. Der Erfolg ist aber nur ein 
scheinbarer, weil vorübergehender. Auf 
die vermehrte Entleerung folgt ein Rück- 


Gegenwart 1917. : ’ Juni 


schlag. Die völlig ausgepumpten Drüsen 
brauchen Ruhe und Erholung. Die wäh¬ 
rend eines längeren Zeitraumes im ganzen 
gebildete Milchmenge ist nicht vermehrt. 
Ein wirklicher Nutzen resultiert keines¬ 
falls. Das ist auch völlig erklärlich. Der 
chemisch-physiologische Vorgang lehrt 
uns ja, daß die Milch aus den von der 
Mutter aufgenommenen, verdauten und 
assimilierten Nährstoffen gebildet wird. 
Eine tatsächliche Beeinflussung der 
Milchbildüng ist daher nur durch die 
Ernährung möglich. Die Milchbildung 
ist von der Nahrungsaufnahme ab¬ 
solut abhängig. Zur Erzielung einer 
dauernd guten Lactationsperiode 
gibt es nur ein Mittel, das ist dauernd 
gute Ernährung. 


Novatophan K. 

Von G. Klemperer. 


Bekanntlich ist seit längerer Zeit neben 
dem altbewährten Atophan das Nova¬ 
tophan als leicht bekömmlicheres Prä¬ 
parat für empfindliche Verdauungsorgane 
in Gebrauch. Das neuere Präparat unter¬ 
scheidet sich von dem alten dadurch, daß 
aus der freien Carbonsäure ein Äthylester 
geworden ist und außerdem im Phenol¬ 
kerne ein H durch CH 3 ersetzt ist. Die 
Nebeneinanderstellung der beiden Struk¬ 
turformeln zeigt die Unterschiede deutlich: 

H COOH H COOC 2 H 5 



H\/\yC 6 H 5 ' 

H N H N 

Atophan Novatophan 

Die besonderen Verhältnisse des Krieges 
haben es nun dahin gebracht, daß das No¬ 
vatophan nicht mehr dargestellt werden 
konnte, da das erforderliche Rohmaterial 
(dasParatoluidin) nicht zu beschaffen war. 
Ich muß gestehen, daß ich darin keinen 
großen Verlust sehen konnte, denn nach 
meinen Erfahrungen ist es doch nursehr sel¬ 
ten, daß das Atophan nicht vertragen wird, 
und überdies schien es mir oft, als ob das 
Novatophan an Wirksamkeit doch nicht 
an das alte Atophan heranreichte. 

Trotzdem erschien es im Interesse in¬ 
dividualisierender Darreichung des Medi¬ 
kaments lobenswert, daß die Schering- 
sche Fabrik sich um einen anderweiten 
Ersatz des Atophans bemühte. Als Er¬ 
gebnis dieser Bemühungen hat sie den 
Methylester des Atophans dargeboten, 

Für die Redaktion verantwortlich Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Kl 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius 5 


H COOCH3 

h/N/\h 



H N 


welcher wie die Muttersubstanz aus Isatin 
und Acetophenon dargestellt wird. Die¬ 
ser Phenylchinolincarbonsäuremethylester 
wird als Novatophan K bezeichnet. Ich 
habe mich gern bereit erklärt, dies Prä¬ 
parat auf meiner Abteilung klinisch zu 
prüfen und habe im letzten Halbjahre 
im ganzen 3500 g davon an etwa 300 Pa¬ 
tienten verbraucht. Danach kann ich be¬ 
zeugen, daß Novatophan K auch von 
empfindlichen Magen, in der Regel gut 
vertragen wird. Die Wirkungen des neuen 
Präparats bei Gicht und Gelenkrheuma¬ 
tismus entsprachen den Erwartungen, die 
man von einem Methylester des Atophans 
hegen durfte. In der überwiegenden Mehr¬ 
zahl war die Wirkung erfreulich, es trat 
Schmerzstillung, oft schnelle Beendigung 
eines Gichtanfalles, mehrfach wesentliche 
Abkürzung der Polyarthritis ein. Auch 
bei verschiedenartigen Nervenschmerzen, 
z. B. Trigeminusneuralgie und Ischias 
wurde Schmerzstillung erzielt. Ich möchte 
nach meinen Erfahrungen das Novatophan 
K durchaus als gleichwertigen Ersatz des 
früheren Novatophans bezeichnen, möchte 
•aber nochmals betonen, daß das unverän¬ 
derte alte Atophan doch für mich das 
besteMedikament aus seiner Gruppe bleibt 
und daß im ganzen selten Grund vorliegt, 
es durch Novatophan K zu ersetzen. 

emperer in Berlin. Verlag von Urban & Schwarzenberg 

litten fei d, Hofbuchdrucker., in Berlin W 8. 









i IM « v *73g ■ -IM Y,fS* l &ips»& ra>. Wffi f * ^ 

Die Therapie der Gegenwart 


58. Jahrgang 

Neueste Folge. XlX.Jahrg. 


herausgegeben von 

Geh. Med.-Rat Prof, Dr. G. Klemperer 

BERLIN 
W 62 , Kleiststraße 2 

Verlag von URBAN & SCHWARZENBERG in Berlin N24 und WienI 


7. Heft 

Juli 1917 


Die Therapie der Gegenwart erscheint zu Anfang jedes Monats. Abonnements preis für den 
Jahrgang 10 Mark, in Österreich-Ungarn 12 Kronen, Ausland 14 Mark. Einzelne Hefte je 1,50 Mark 
resp. 1,80 Kronen. Man abonniert bei allen größeren Buchhandlungen,' sowie direkt bei den 
Expeditionen in Berlin oder Wien. Wegen Inserate und Beilagen wende man sich an den 
Verlag in Berlin N, Friedrichstraße 105 B. 


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Enthält in haltbarer Form 

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im natürlichen Mischungsverhältnis 
ohne die für den Magen schädlichen Substanzen. 

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Flaschen zu 15 ccm mit Pipette, 

in physiol. NaCl-Lösung zu Injektionen: Schachteln mit 6 Ampulleti zu 1,1 ccm, 

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Nachbehandlung von Narben, metaluetische Nervenerkrankungen, Lymphdrüsen- 
anschwellungen, Arteriosklerose, Asthma, spezielle Jodindikationen. 

Schachteln mit 12 Ampullen der 20°/oigen Lösung. 

Proben und Literatur kostenfrei. 

Chemische Fabrik von Heyden, Radebeul-Dresden. 


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Therapie der Gegenwart, Anzeigen. 


7. Heft 



Optochin basic. 

spezifisches chemotherapeutisches Mittel bei 

Pneumonie. 

Neuere Veröffentlichungen über Indikation und Dosiologie: 

MENDEL, Münch.med.Wschr. 1915 Nr. 22 u. Deutsche med. Wsehr. 1916 Nr. 18: LESCHKE, D. med. Wsehr. 1915 
Nr. 4(3: MORGENROT!!, 1). med.Wschr. 1916 Nr. 13 und Berl. klln. Wsehr. 1916 Nr. 24 u. 27 (Vereinsber.); 
LUBLINSKI, Berl. klin. Wsehr. 1916 Nr. 27; BECHER, Med. Klin. 1916 Nr. 44: FR. MEYER, D. med. Wsehr. 
1916 Nr. -15; ROSENGART, D. med. Wsehr. 1916 Nr. 46; v. DZIEMBOWSK1, I). med. Wsehr. 1916 Nr. 52; ROSIN, 

Therap. d. Gegemv. 1917. Juniheft. 

Optochin hydrochloricum 

in der Augenheilkunde, vor allem bei Ulcus corneae serpens. 

Neuere Veröffentlichungen: 

AXENFELD und PLOCIiER, D. med.Wschr. 1915 Nr. 29; CAVARA, Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1915 Bd. 54; 
GRAMER, Zschr. L ärztl. Fortbildg. 1915 Nr. 14; LEHMANN, Ugeskrift for Laeger 1915 Nr. 46; ROSENHAUCM, 
Przeglad Lekarski 1916 Nr. 1; AUGSTEIN, M. med. Wsehr. 1916 Nr. 15: KRAUPA, Jahreskurse j'iir ärztl. 
Fortbild. 1916 Nr. 11; GRÜTER, M. med. WseJir. 1917 Nr. 2. 

Literatur steht zu Diensten. 

Bei Bestellung von Proben bitten wir die Herren Ärzte, sich auf Anzeige Nr. 15 zu beziehen. 




















Die Therapie der Gegenwart 


1917 


herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 
in Berlin. 


Juli 


Nachdruck verboten. 

Über Nierenerkrankungen bei Feldzugsteilnehmern 
und ihre Prognose 1 ). 

Von Privatdozent Dr. W. Weiland, 

z. Zt. fachärztlicher Beirat für innere Krankheiten im Bereich des VII. Armeekorps. 


Als im zweiten Kriegswinter die Zahl 
der unter hydropischen Anschwellungen 
des ganzen Körpers an Nierenentzündung 
erkrankenden Offiziere und Mannschaften 
in fast explosionsartiger Weise sich auf 
viele Tausende ausdehnte, war man aller¬ 
seits überrascht, daß ein Krankheitsbild, 
das dem Verlaufe der Nierenentzündung 
akuter hämorrhagischer Art, wie wir sie 
aus der Friedenspraxis kannten, ent- * 
sprach, an beiden Fronten im Osten und 
Westen auftrat, ohne daß eigentlich die 
äußeren Lebensbedingungen der kämp¬ 
fenden Truppe gegenüber dem Vorjahre 
wesentlich verändert waren und ohne 
daß erkennbare Ursachen infektiöser oder 
toxischer Art den einzelnen geschädigt 
hätten. Auch heute ist die Frage nach 
der eigentlichen Ursache des gehäuften 
Auftretens noch nicht geklärt, besonders 
wenn man berücksichtigt, daß im ver¬ 
flossenen Winter die Zahl der zur Be¬ 
handlung gekommenen Fälle wesentlich 
viel geringer zu sein scheint als im 
Vorjahre, ohne daß auch in diesem Winter 
wesentliche Veränderungen der äußeren 
Lebensbedingungen statthatten. Die 
Erkrankung nahm damals solchen Um¬ 
fang an, ,daß schon auf der außerordent¬ 
lichen Tagung des Deutschen Kongresses 
für Innere Medizin in Warschau 1916 ein 
umfassendes Referat über ihr Wesen, 
Verlauf und Behandlung erstattet werden 
konnte und. in einer ausgedehnten Aus¬ 
sprache die Pathologie der Kriegsnephri- 
tis in ihren wesentlichen Punkten fest¬ 
gelegt wurde. Im Verlaufe des folgenden 
Kriegsjahres sind die Beobachtungen und 
grundsätzlich für die Beurteilung ma߬ 
gebenden Gesichtspunkte soweit gefestigt, 
daß Se. Exzellenz der Herr Chef des Feld¬ 
sanitätswesens ein Merkblatt für Ärzte 
zur Verhütung und Behandlung der 
Nierenentzündung im Felde fertigstellen 
konnte, das in kurzen, programmatischen 
Sätzen nach allen Richtungen hin in der 
Hand des Arztes ein Wegweiser sein kann. 
Ist demnach für den Truppenarzt ein 
sicherer Anhaltspunkt gegeben für sein 
x ) Nach einem Fortbildungsvortrag. 


Verhalten nierenkranken Offizieren und 
Mannschaften gegenüber, so ist die weitere 
Frage der Prognose, der Begutachtung 
und militärischen Verwendung solcher 
Nierenkranker, noch nicht als vollkommen 
spruchreif zu bezeichnen und hier setzt 
die Arbeit der Ärzte des Heimatgebietes 
ein, um einerseits möglichst viele er¬ 
krankt Gewesene der Truppe wieder zu¬ 
führen zu können, andererseits die Dauer¬ 
schädigungen überstandenerNephritis und 
ihre erwerbsbeschränkenden Folgen fest¬ 
zustellen. Hand in Hand damit muß 
natürlich das Bestreben gehen, prophy¬ 
laktisch dem wiedergesundeten Soldaten 
Schädigungen zu ersparen, dem erkrankt 
gebliebenen so viel wie möglich an Ar¬ 
beitsfähigkeit zu erhalten, ohne durch die 
Wiederaufnahme der Berufstätigkeit den 
Gesamtzustand zu schädigen. 

Wie ich schon eingangs bemerkte, 
ist die Symptomatologie und bis zu einem 
gewissen Grade die Pathogenese der Feld¬ 
nephritis festgestellt. Trotzdem erscheint 
es mir erforderlich, wenn ich auch dies 
als bekannt voraussetzen möchte, in 
kurzen Worten beides zu skizzieren, denn 
naturgemäß baut sich die Beantwortung 
der aufgestellten Fragen bezüglich der 
Prognose und Verwendbarkeit nieren¬ 
krank gewesener Soldaten auf der Kennt¬ 
nis des Krankheitsprozesses selbst auf. 
Was die Ätiologie anbelangt, so stehen 
da in gewissem Gegensätze die Ausfüh¬ 
rungen des oben erwähnten Merkblattes 
und das Schlußwort des Referenten auf 
der Warschauer Tagung, des Herrn Ge- 
heimrat Hirsch. Während dieser am 
Schlüsse der Aussprache seiner Freude 
darüber Ausdruck- gab, daß alle Redner 
von einer einseitigen, einheitlichen Patho¬ 
genese der Kriegsnephritis nichts wissen 
wollten und einig seien in der Auffassung, 
daß die ursächlichen Verhältnisse viel 
komplexere sind (Infektionen verschie¬ 
dener Art, Erkältungen, Ernährungsein¬ 
flüsse), gibt das Merkblatt als Ursache 
der Kriegsnephritis nur infektiös toxische 
Momente an und räumt der Erkältung 
nur die Rolle eines wichtigen begünstigen- 

31 




242 Die Therapie der Gegenwart 1917. Juli 


den Umstandes ein. Ich persönlich 
glaube, daß man der Auffassung von 
Hirsch beitreten soll, daß die verschie¬ 
denartigsten Verhältnisse zum Auftau¬ 
chen der Nierenerkrankung führen und 
stehe nicht an> für meine Person der 
Erkältung eine ausschlaggebende 
Rolle für das Zustandekommen der Er¬ 
krankung zuzusprechen. Vielleicht hat 
das seinen Grund darin, daß ich über¬ 
haupt der Erkältung einen viel größeren 
Raum als Ursache zur Entstehung von 
Krankheiten zuspreche, vielleicht aber 
auch bin ich dazu gekommen auf Grund 
der Beobachtung von Rezidiven, die an¬ 
scheinend nur auf Erkältungsursachen 
zurückgeführt werden konnten. Gleich 
vorwegnehmen will ich bei dieser Ge¬ 
legenheit, daß für diese Stellungnahme 
noch ein weiterer Grund spricht, nämlich 
die Verschiedenheit des Krank¬ 
heitsbildes, wie sie sich dem Arzt bei 
der Truppe und dem Arzt im Heimat¬ 
lazarett zu erkennen gibt. Fieber, Milz¬ 
tumor und ähnliche Zeichen allgemeiner 
Infektion habe ich naturgemäß nie ge¬ 
sehen, da ich frische Fälle nicht zur Beob¬ 
achtung bekam. Die Bedeutung chro¬ 
nischer Infektionen des lymphatischen 
Rachenringes, auf die Päßler besonders 
immer wieder hinweist, will ich durchaus 
nicht in Abrede stellen, wenn ich auch be¬ 
tonen möchte, daß wir an der Kieler 
Klinik und ich später persönlich in meiner 
Privatklientel nur ganz vereinzelt in die 
Lage gekommen bin, die von Päßler 
geforderte Mandeloperation vornehmen 
zu lassen, mit verhältnismäßig geringem 
Erfolge. Nehmen wir also auf Grund einer 
komplexen Ätiologie entstehende Ne¬ 
phritiden an, so ist das klinische und 
anatomische Bild ein fast in allen Fällen 
absolut gleiches. Es handelt sich stets um 
eine akute Glomerulo-Nephritis mit Nei¬ 
gung zu besonders hochgradiger Ödem¬ 
entwickelung. Ich will auf die patholo¬ 
gisch-anatomischen Verhältnisse nicht 
näher eingehen, zumal das vorhandene 
Untersuchungsmaterial, besonders die 
Fälle von Jungmann und Beitzke, 
durchaus übereinstimmen und zu diffe¬ 
renten Anschauungen über die mikro¬ 
skopischen und makroskopischen Verän¬ 
derungen der Nieren nicht geführt hat. 
Anders verhält es sich mit den funktio¬ 
neilen Schädigungen, die durch den patho¬ 
logisch-anatomischen Prozeß hervorgeru¬ 
fen werden. Sie sind besonders wichtig 
für die Behandlung der Nephritis, die eine 
durchaus funktionelle sein muß, d. h. die 


eine Schonung der geschädigten Nieren¬ 
funktion zur Hauptaufgabe hat. Aus den 
zahlreichen Untersuchungen des letzten 
Jahrzehntes, die sich besonders an Namen 
wie Koranyi, Strauß und Schlayer. 
und vor allem Volhard und Fahr 
knüpfen, kennt man die Wichtigkeit der 
Beschränkung von Flüssigkeit, Salz und 
Eiweiß für die Funktion der geschädigten 
Nieren. Es würde zu weit führen, die 
Grundlagen klinisch experimenteller For¬ 
schungen hier zu rekapitulieren, die zu 
diesem Ergebnis geführt haben; es er¬ 
scheint mir praktisch von Bedeutung, 
darauf hinzuweisen, daß man neuerdings 
vor allen Dingen auf die Beschränkung 
der Flüssigkeit und der eiweißhaltigen 
Nahrungsmittel mit ihren Stoffwechsel¬ 
schlacken aufmerksam geworden ist. Da¬ 
gegen ist die Salzfreiheit der Nahrung, 
die nach den glänzenden Experimenten 
von Widal und Strauß einige Zeit ein 
unumgängliches Postulat der praktischen 
Nierenbehandlung bildete, einigermaßen 
in ihrer Bedeutung zurückgedrängt, wo¬ 
bei man berücksichtigen muß, daß es 
unmöglich ist, ganz ohne Kochsalz auszu¬ 
kommen, und daß nur eine Beschränkung 
des Salzgehaltes der Nahrung auf wenige 
Gramm täglich notwendig sein dürfte. 
Da es sich auch bei ausgesprochen ana¬ 
tomisch auf die Glomeruli beschränkten 
diffusen oder herdförmigen Erkrankungen 
der Nieren fast nie um funktionelle 
Schädigungen nur dieser Nierenbestand¬ 
teile handelt, sondern gleichzeitig auch 
die epithelialen Elemente in ihrer Tätig¬ 
keit gehemmt sind, so wird man prak¬ 
tisch zu der Konsequenz kommen, be¬ 
sonders für die Fälle der Kriegsnephritis 
eine Funktionsschonung nach allen Rich¬ 
tungen, sowohl in bezug auf Wasser und 
Eiweiß als auf Kochsalz, anzustreben. 
Hinzukommt, daß für die Feldnephritis 
sichergestellt ist, daß für den Wasserhaus¬ 
halt, dessen Störung sich durch die hoch¬ 
gradigen Ödeme manifestiert, erwiesener¬ 
maßen extrarenale Ursachen mitspielen, 
(gesteigerte Ödembereitschaft, vermehrte 
Wasseranziehung der Gewebe, hervor¬ 
gerufen vielleicht durch Schädigung der 
Hautcapillaren, durch Abkühlungen, An¬ 
häufungen von Stoffwechselprodukten, 
Einflüsse einseitiger, denaturierter Er¬ 
nährung). 

Gegenüber diesen funktionellen Mo¬ 
menten der Nierenerkrankung treten die 
alten klinischen Merkmale der geschädig¬ 
ten- Nieren, die sich im Auftreten von 
Blut, Eiweiß undCylinder im Harne kund- 



Juli ' Die Therapie 


gaben, an Wichtigkeit erheblich zurück. 
Im Anfänge der Erkrankung ist ent¬ 
sprechend der Wasserretention die Oli¬ 
gurie und der Eiweißgehalt des Urins 
meist äußerst hoch, und im mikroskopi¬ 
schen Bilde wimmelt es von roten Blut¬ 
körperchen, hyalinen und granulierten Cy- 
lindern, ferner sind doppelt lichtbrechende 
Lipoidensubstanzen häufig vorhanden und 
gemäß alter klinischer Betrachtungsweise 
imponiert dadurch das Krankheitsbild 
als außerordentlich schwer. . Gelingt es 
jedoch, über diese akuten Zustände hin¬ 
wegzukommen — und hier sei bemerkt, 
daß nach dem Referat von Hirsch ein 
Zehntel allerFälle urämisch werden, nur 1 % 
jedoch letal endigen—, so bedarf im weite¬ 
ren Verlaufe der Erkrankung das Vorhan¬ 
densein von Formelementen und Eiweiß 
viel geringerer Berücksichtigung. Ich will 
damit natürlich nicht die Untersuchungen 
als solche als überflüssig bezeichnen, 
sondern nur vor der Überschätzung ein¬ 
mal mehr oder weniger vorhandener pa¬ 
thologischer Urinbeimengungen dieser Art 
warnen. Drei Punkte sind es vor allem, 
die mich zu dieser Auffassung bringen; 
das ist einmal die allen Klinikern geläu¬ 
fige Tatsache, daß im Verlaufe jeder 
heilenden Nephritis die täglichen Eiwei߬ 
mengen innerhalb verhältnismäßig weiter 
Grenzen schwanken können und daß 
außerdem viele Fälle entzündlicher oder 
degenerativer Nierenschädigungen nach 
dem Modus der orthostatischen Albu¬ 
minurie ausheilen, ferner die Tatsache, daß 
auch bei eiweißfreiem Urin Formelemente 
noch lange vorhanden sein können. Dieses 
letztere ist besonders wichtig für die 
Frage der Verwendbarkeit nierenkrank 
gewesener Soldaten und für die Ent¬ 
scheidung des Zeitpunktes des Aufstehens 
und der Wiederaufnahme der Arbeit. Ich 
darf bei dieser Gelegenheit vielleicht eine 
große Reihe von unveröffentlichten Un¬ 
tersuchungen meines verstorbenen Lehrers 
Lüthje zitieren, der in seiner Klinik in 
Untersuchungen, die auf lange Jahre sich 
erstreckten, feststellen konnte, daß im 
Urin nierengesunder Menschen recht häu¬ 
fig sowohl Cylinder als auch rote Blut¬ 
körperchen zu finden waren, wenn nur der 
Urin entsprechend untersucht, d. h. vor 
allen Dingen scharf zentrifugiert wurde. 
Fußend auf dieser Tatsache bin ich im 
Gegensätze zu der vorsichtigen Auffassung, 
die sich in dem mehrfach herangezogenen 
Merkblatte ausgesprochen findet, nicht so 
zurückhaltend gewesen, sowohl Leute 
mit Eiweißausscheidung und Form¬ 

\ 


Gegenwart 1917. 243 


elementen aufstehen zu lassen, als auch 
sie zur Beschäftigung heranzuziehen. 
Schaden habe ich davon nie gesehen. Ich 
komme auf dieses letztere noch zurück. 
Hervorheben möchte ich schließlich, daß 
selbstverständlich Untersuchungen auf 
Eiweiß und Formbestandteile nicht unter¬ 
bleiben dürfen, da sie besonders für die 
Praxis das Einzig erkennbare Krankheits¬ 
symptom darstellen; nur möchte ich vor 
der Überschätzung von einem oder ande¬ 
rem Cylinder oder einem oder anderem 
roten Blutkörperchen warnen. 

Sind die akuten Erscheinungen der 
Nierenerkrankung bei Kriegsteilnehmern 
im Felde behandelt, so beginnt der Ab¬ 
schub in die Heimatlazarette, wo wir 
dann ein ziemlich monotones Krank¬ 
heitsbild zu sehen bekommen. Urämien 
sind hier ganz selten, wenn, dann eklamp- 
tische Form. Augenhintergrundsverände¬ 
rungen habe ich nie gesehen. Die 
Körperorgane sind ohne Veränderungen, 
der Urin wird in mittleren Tagesmengen 
mit mittlerem specifischen Gewicht 
entleert, die Eiweißmengen^und Form¬ 
bestandteile schwanken, Ödeme sind 
nicht mehr vorhanden und nur die Anam¬ 
nese und einzelne specifische Verände¬ 
rungen weisen auf die Krankheit hin. Das 
sind vor allen Dingen die subjektiven 
Klagen der Kranken, die hauptsächlich 
sich erstrecken auf dumpfen Druck in der 
Nierengegend, unter Umständen ziehende 
Schmerzen nach den Oberschenkeln zu mit 
dem Gefühl fehlenden Haltes im Rücken 
und einer gewissen Mattigkeit und raschen 
Ermüdbarkeit. Auffällig ist bei vielen dieser 
Kranken eine markante, gelblich-blasse 
Gesichtsfarbe, die im Farbentone zwischen 
der Veränderung der Hautfarbe bei Chlo¬ 
rose und perniziöser Anämie hegt und der 
jeglicher Zug der gelblich-ikterischen Ver¬ 
färbung fehlt. Diese läßt dann leicht den 
Verdacht auftauchen, daß sekundäre Blut¬ 
veränderungen vorhanden seien. Auf 
Grund vielfacher eigener Untersuchungen 
kann ich aber feststellen, daß solche in 
keinem Falle, der von mir untersucht 
wurde, nachzuweisen waren. Weder die 
Zahl der Erytrocyten noch der Hämo- 
globingehalt, noch das gefärbte Blutbild 
wiesen pathologische Verhältnisse auf. In 
diesem Stadium der Erkrankung ver¬ 
harren die meisten lange Monate, so daß 
durchschnittlich 5 bis 6 Monate bis zur 
Genesung vergehen. Diese Zeit sehen wir 
die meisten Kranken in dauernder Be¬ 
handlung. Wichtig ist hierbei die Beob¬ 
achtung der Diurese, des Herzens 

31* 




244 Die Therapie der 


und der Gefäßverhältnisse. Diese 
letzteren Organe, Herz und Gefäße, sind 
am ehesten der Schädigung ausgesetzt 
und nach zwei Richtungen hin bedürfen 
sie der Besprechung. Es ist erwiesen, daß 
besonders die älteren Menschen, die Land¬ 
sturmleute Ende der Dreißiger und Anfang 
der Vierziger, häufig an Nierenentzündung 
erkranken, weil sie infolge arteriosklero¬ 
tischer Gefäßveränderungen, verschlech¬ 
terter Vasomotorentätigkeit und dadurch 
bedingter Minderwertigkeit der physikali¬ 
schen Wärmeregulierung besonders leicht 
erkältenden Einflüssen unterliegen, und 
sie sind es auch, bei denen nach dem Ein¬ 
tritt einer Nierenentzündung am ehesten 
der Übergang in Schrumpfniere erfolgt 
mit Hypertrophie des linken Herzens, 
klinisch erkennbar am akzentuierten, 
nicht selten klingenden zweiten. Aorten¬ 
tone sowie am hebenden Spitzenstöße, 
ferner aber an der Blutdrucksteigerung. 
Diese letztere ist im Verlaufe solcher Er¬ 
krankungen stets eingehend zu prüfen, 
entweder rein durch Palpation, wobei 
man sich immer erinnern sollte, daß sie 
immerhin unsichere Resultate gibt, oder 
besser noch, weil die meisten Ärzte nicht 
imstande sind, die Qualität des Pulses 
hinreichend sicher in bezug auf seine 
Spannung zu prüfen, durch Messung des 
Blutdruckes mit den bekannten Methoden. 
Ich habe bei einer Zahl von etwa 300 Ne¬ 
phritiden ganz unverhältnismäßig wenig 
diese Blutdruckveränderungen gefunden 
und besonders bei den jüngeren Mannschaf¬ 
ten, die ich zur Nachuntersuchung und 
kommissarischen Begutachtung zuge¬ 
wiesen bekam, fast regelmäßig vermißt. 
Ich möchte mich deshalb zu dem Stand¬ 
punkte bekennen, daß das Vorhandensein 
solcher sekundären Herz- und Gefäßver¬ 
änderungen in der weitaus größten Mehr¬ 
zahl der Fälle dafür spricht, daß es sich 
um einen älteren Prozeß handelt, bei dem 
die akute Feldnephritis eine Verschlimme¬ 
rung hervorrief. 

Sonstige Komplikationen der Feld¬ 
nephritis sind unbekannt und meist heilt 
sie, wie gesagt, aus. Der Rest geht ganz 
, vereinzelt in das Krankheitsbild über, das 
man nach altem klinischen Sprach¬ 
gebrauchs als chronische parenchymatöse 
Nephritis bezeichnete, d. h. in eine Nieren¬ 
schädigung mit Oligurie und hohem Ei¬ 
weißgehalte, oder häufiger in die inter¬ 
stitielle Nephritis mit Polyurie, niedrigem, 
oft fehlendem Eiweißgehalte und mit vor¬ 
handener Blutdrucksteigerung. 

Fragen wir uns nun auf Grund dieser 


Gegenwart 1917. Juli 


skizzierten Angaben über Art und Ver¬ 
lauf der Feldnephritis, wie sollen wir uns 
prognostisch und gutachtlich zu ihnen 
stellen, so ergeben sich drei Gesichtsr 
punkte, das ist erstens die Notwendigkeit, 
nach Kräften einen Übergang in chroni¬ 
sche Nierenentzündung zu verhüten, zwei¬ 
tens die Heranziehung geheilter oder in 
Heilung begriffener Fälle zur Arbeit und 
zum militärischen Dienst, und drittens die 
Entschädigung dauernd Erkrankter. 

Was den ersten, Punkt anbetrifft, so 
trotzt ja manche Erkrankung überhaupt 
jeder Therapie, wie ja besonders der 
Prozentsatz der Urämie und der letalen 
Ausgänge beweist, aber ein genauer Ken¬ 
ner der einschlägigen Verhältnisse, Vol- 
hard, steht auf dem Standpunkte, daß 
sich sowohl die Lebensgefahr im akuten 
Stadium als die Siechtumsgefahr, wenn 
die Krankheit nicht ausheilt, vermeiden 
läßt. Ich kann auf eine nähere Be¬ 
gründung dieser Worte nicht eingehen, 
sondern muß mich darauf beschränken, 
auf das zu verweisen, was ich bereits über 
die Funktion gesagt habe, d. h. daß ich 
sehr wohl glaube, es könne die Nephritis 
durchweg geheilt werden, wenn man unter 
entschiedener Anwendung physikalisch 
diätetischer Therapie eine möglichste funk¬ 
tionelle Schonung der Niere bewirkte in 
bezug auf Wasser, Salz und Eiweiß. 
Hinzufügen möchte ich hier noch, daß 
den Gewürzen jeder Art eine sicher 
schädigende Wirkung auf die Nieren zu¬ 
zusprechen ist und daß auch sie in der 
Ernährung ausgeschaltet werden müssen. 
Diese Behandlung der Nierenkranken muß 
ihre Fortsetzung finden in einer Pro¬ 
phylaxe, in der der Genesene vom be¬ 
handelnden Arzt auf das aufmerksam 
gemacht wird, was ihn schädigen kann. 
Zu diesem gehört neben der diätetischen 
Behandlung die Warnung vor klimati¬ 
schen schädigenden Einflüssen,vor 
allen Dingen vor nasser Kälte. 

Im Stadium der Ausheilung ist es bei 
der oft langen Dauer der notwendigen 
ärztlichen Beobachtung außerordentlich 
schwierig, die Kranken in der Untätigkeit 
und Langeweile der Lazarette zu erhalten 
ohne Schädigungen für die Disziplin und 
ohne in den Kranken das Bewußtsein 
großzuziehen, daß sie dauernd gesundheit¬ 
lich geschädigt sind. Infolgedessen bin 
ich für meine Person schon seit Mai 
vorigen Jahres dazu übergegangen, nieren¬ 
kranke Soldaten, auch wenn sie noch Ei¬ 
weiß und unter Umständen sogar Form¬ 
elemente aufwiesen, zu beschäftigen, zu- 



Juli 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


245 


erst mit leichter Arbeit auf der Station, 
dann mit Übergang zu beruflicher Arbeit. 
Entsprechend dem, was ich eben sagte 
über funktionelle Schonung und Prophy¬ 
laxe, wurden die Kranken belehrt und 
natürlich nicht in Berufen beschäftigt, wo 
sie nasser Kälte häufig ausgesetzt waren. 
Wärme ist ein Behandlungsfaktor und ein 
wesentlicher Schutz vor Rezidiven. Ent¬ 
sprechend diesem Standpunkte über Ar¬ 
beitsverwendungsfähigkeit war ich auch 
nicht mit der Anerkennung wiederher¬ 
gestellter Garnisonverwendungsfähigkeit 
ängstlich zurückhaltend. Zwar wurden 
die meisten erkrankt gewesenen nur als 
garnisonverwendungsfähig und der ärzt¬ 
lichen Überwachung bedürftig entlassen, 
aber ich zweifle nicht, daß sich aus ihnen 
wieder kriegsverwendungsfähige Menschen 
rekrutieren lassen. Jedenfalls habe ich 
bei diesem Vorgehen keine ungünstigen 
Einflüsse bis jetzt bemerkt. Ich glaube 
durch vorsichtige individuelle Behandlung 
die Erkrankten mit frühzeitiger Beschäf¬ 
tigung vor manchen Schädigungen durch 
langen Lazarettaufenthalt bewahrt zu 
haben. Ich komme also zu dem Satze, 
daß Nierenkranke im Stadium der 
Ausheilung sehr wohl beruflich 
verwandt werden können und daß 
genesene Nierenkranke ihre Gar¬ 
nison- und später Kriegs Verwen¬ 
dungsfähigkeit wieder erlangen. 
Wie lange man die Zeit bemessen soll, 
ehe man nach der Beschäftigung in der 
Garnison die Leute als kriegsverwendungs¬ 
fähig bezeichnen kann, lasse ich dahin¬ 
gestellt, eine Zeit von 3 bis 4 Monaten er¬ 
scheint mir durchaus ausreichend. 

Ich komme schließlich zu den Offi¬ 
zieren und Mannschaften, die keine Ten¬ 
denz zur völligen Heilung zeigen. ^ Der 
Zeitpunkt, wann man von einem Über¬ 
gange in ein chronisches Stadium sprechen 
kann, ist natürlich je nach dem Falle ver¬ 
schieden. Im allgemeinen nehme ich an, 
daß nach spätestens 7 bis 8 Monaten eine 
Feldnephritis ausgeheilt sein muß. Sind 
dann noch größere Eiweißmengen vor¬ 
handen oder treten Symptome beginnen¬ 
der Schrumpfniere auf, so würde ich es 
für zweckmäßig halten, das Entlassungs¬ 
verfahren einzuleiten. 

Wie bei wenigen inneren Krankheiten 
liegt die Frage der Dienstbeschädigung 
bei der Feldnephritis klar. Sie ist für alle 
Fälle akuter Glomerulo-Nephritis anzu¬ 
erkennen und auch bei älteren Kranken 
mit frühzeitig bestehenden sekundären 
Herz- und Gefäßveränderungen wenig¬ 


stens als Verschlimmerung eines bestehen¬ 
den Leidens zu bejahen. Anders verhält 
es sich mit der Frage nach der Höhe der 
bestehenden Erwerbsbeschränkung: Die 
chronische interstitielle Nephritis im alten 
klinischen Sinne, die gutartige Nephro¬ 
sklerose, ist bei Angehörigen besserer 
Stände ein Leiden, das unter Umständen 
jahrzehntelang ohne wesentliche Erwerbs¬ 
beeinträchtigung verlaufen kann, und dem¬ 
gemäß ist für Kopfarbeiter und Angehö¬ 
rige nicht körperlich schwer arbeitender 
Berufe die Erwerbseinbuße als gering zu 
bewerten. Man wird da unter Umständen 
sogar eine Garnisonverwendungsfähigkeit 
in der Heimat oder im Bureaudienste ohne 
Schaden für die Erwerbsfähigkeit an¬ 
nehmen können. Für Offiziere glaube ich 
ist die interstitielle Nephritis, wenn sie 
keine anderen Symptome aufweist als 
Herzhypertrophie und Blutdrucksteige¬ 
rung, kein Grund, ihre Garnisonverwen¬ 
dungsfähigkeit als aufgehoben anzusehen. 
Erfolgt dann später eine weitere Ver¬ 
schlimmerung, so muß die Pensionierung 
auf Grund einer Kriegsdienstbeschädigung 
Platz greifen. Anders verhält es sich 
naturgemäß bei den Fällen, wo Herz¬ 
insuffizienz oder subakute urämische Zu¬ 
stände hinzutreten. Diese bedingen an 
und für sich völlige Leistungsunfähigkeit. 
Anders verhält es sich auch bei der 
chronischen parenchymatösen Nephritis 
nach altem Sprachgebrauche. Hier sind 
die subjektiven Krankheitssymptome 
meist so hochgradig und die zur Ver¬ 
hütung weiterer Verschlimmerung not¬ 
wendigen Maßregeln so dringlich, daß bei 
ihr absolute Dienstunfähigkeit besteht 
und auch die Erwerbsfähigkeit wesentlich 
beschränkt ist. An Hand der von mir 
begutachteten Fälle nehme ich an, daß 
durchschnittlich 30 bis 60 % Erwerbs¬ 
beschränkung für diese Leute als Folge 
der Erkrankung resultiert. Bei Fort¬ 
schreiten des Prozesses ist natürlich eine 
Steigerung der Rente angebracht, unter 
Umständen ' bis zum höchstmöglichen 
Satze der völligen Invalidität. 

Meine Ausführungen machen selbst¬ 
verständlich keinen Anspruch darauf, ein 
vollständiges Bild von der Feldnephritis 
gegeben zu haben. Ich habe mich, ent¬ 
sprechend dem Zwecke dieser Mitteilung, 
darauf beschränkt, an Hand einer kurzen 
Schilderung des klinischen Bildes der 
Kriegsnephritis Anhaltspunkte zu geben, 
einmal die Erkrankung zu heilen, anderer¬ 
seits die dauernd Geschädigten entspre¬ 
chend ihrer Fähigkeit und ihrer Gesund- 



246 


Juli 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


heitsbeeinträchtigung zu beurteilen. Ich 
weiß sehr wohl, daß besonders der thera¬ 
peutische Teil meiner Ausführungen recht 
lückenhaft ist, aber um ihn ganz zu würdi¬ 
gen, bedürfte es einer anderen Fassung 
des Themas. Deshalb sei zum Schlüsse 
nur ein kurzer Hinweis angefügt über die 
Behandlung der Nephritis. Im akuten 
Stadium ist Bettruhe und Wärme das 
Haupterfordernis unter diätetischer Scho¬ 
nung der Nierenfunktion. Flüssigkeiten 
in ihrer Gesamtheit sollten iy 2 —2 Liter 
pro Tag nicht überschreiten, die Eiwei߬ 
ration sei knapp und der Calorienbedarf 
werde hauptsächlich durch Kohlehydrate 
gedeckt. Vor wiederholten oder inten¬ 
siven Schwitzprozeduren, forcierter Bäder¬ 
behandlung sei gewarnt. Läßt sich trotz¬ 
dem die drohende Urämie erkennen, so 
würde ich vorschlagen, eine völlige Nah¬ 
rungskarenz Platz greifen zu lassen und 
nur Wasser- oder Tee- oder Zuckerlösung 
in täglichen Mengen von etwa %—1 Liter 
zu verabfolgen; Gutes habe ich auch ge¬ 
sehen bei hochgradigen Ödemen, wenn 
nicht ihre mechanische Entleerung durch 
Punktion, Hautdrainage, Scarification 
notwendig wurde, von der Karelischen 
Kur. Bricht die Urämie aus, so wird man 
zu ausgiebigem Aderlaß und Kochsalz- 
resp. Zuckerinfusionen greifen, unter Um¬ 
ständen besonders bei der Krampfurämie 
zur Lumbalpunktion; ob und wann die 
sehr selten notwendigen chirurgischen 
Eingriffe erfolgen sollen, muß der Lage 
des einzelnen Falles überlassen bleiben. 
Im Verlaufe der monatelang notwendigen 
Überwachung und Behandlung greifen 
die Gesichtspunkte Platz, die ich oben 
gestreift habe. Während dieser Zeit soll 
man Wärmeanwendungen besonders für 
Besserung der subjektiven Schmerzen 
nicht unterlassen, und hier sind der Licht¬ 
bügel, die künstliche Höhensonne und die 
Diathermie empfehlenswert. Damit wird 
man allgemein auskommen und man wird 
sich hüten, medikamentös oder durch 
kritiklose Anwendung von Nierenteil¬ 
wässern den Kranken zu schaden: es gibt 


keine medikamentösen Heilmittel der 
Nephritis, es gibt keine specifischen 
Nierenheilwässer. Die Natriumbicarboni- 
cum-Therapie ist sogar, wie ich auf Grund 
eigener Untersuchungen behaupten kann, 
vielfach gefährlich, weil sie Ödeme her- 
vorrufen und urämische Symptome be¬ 
wirken kann, selbst wenn unter ihrem 
Einflüsse das Symptom der Albuminurie 
vorübergehend schwinden sollte. Auch 
die Hämaturie kann durch kein inner¬ 
liches Mittel beeinflußt werden und auch 
die Diuretica sind nur vorübergehend in 
besonderen Fällen wirksam. Einzig und 
allein kommt medikamentös die Digitalis 
in Betracht, aber nur dann, wenn das 
Verhalten des Herzens dazu auffordert,, 
denn nur das muskulär kranke, dekom- 
pensierte Herz spricht auf Digitalis an. 

Die Verabreichung von Quellen ist 
schon aus dem Grunde sehr vorsichtig zu 
gestalten, weil durch sie der Wasserhaus¬ 
halt unnötig belastet und geschädigt wird; 
wesentliche Vorteile habe ich von ihr nie 
gesehen. 

Für eine klimatische Behandlung käme 
nur trockenes, warmes Klima in Frage als 
unterstützendes Agens, niemals jedoch 
als notwendiges therapeutisches Er¬ 
fordernis. 

Zum Schlüsse noch eine Bemerkung 
über die Berücksichtigung der Konstitu¬ 
tion und die Beseitigung chronischer, 
eventuell latenter Infektionsprozesse im 
Rachen, an den Zähnen, den Kieferhöhlen 
usw. und die unter Umständen vorhandene 
Bakterienausscheidung im Urin. Es ist 
selbstverständlich, daß solche Krankheits¬ 
zustände neben der Nephritis vorhanden 
sein können; sie müssen bei der notwendi¬ 
gen Allgemeinuntersuchung aufgefunden 
und, wenn sie der Behandlung zugänglich 
sind, therapeutisch in Angriff genommen 
• werden; ob jedoch damit einer kausalen 
Indikation genügt wird, will ich zum 
wenigsten dahingestellt sein lassen; von 
erheblicher Bedeutung der angedeuteten 
körperlichen Veränderungen habe ich mich 
bisher nicht überzeugen können. 


Über Erythrocytose und chronischen Alkoholismus 1 ). 

Von Prof. Dr. F. W. Tallquist-Helsingfors. 


Die kleine Mitteilung, welche ich zu 
machen habe, fällt in das Gebiet der 
Blutkrankheiten, sie enthält einen, so¬ 
weit ich aus früheren Publikationen 

x ) Vortrag gehalten in der dänischen Gesell¬ 
schaft für interne Medizin, übersetzt von Dr. Leo 
Klemperer, Karlsbad. 


orientiert bin, neuen Gesichtspunkt be¬ 
treffend die Ätiologie der Polyglobulien. 

Die Zustände, bei denen wir eine 
Vermehrung der Anzahl der roten Blut¬ 
körperchen, zumeist auch verbunden mit 
einer Erhöhung des Hämoglobingehaltes 
und der totalen Blutmenge feststellen, 




Juli 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


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sind nicht so selten, als man früher am 
zunehmen geneigt war. Unsere Kenntnisse 
über die pathologischen Zustände des 
Blutes sind nach dieser Richtung hin ver¬ 
hältnismäßig neueren Datums. Bekannt¬ 
lich pflegt man die Hyperglobulien ein¬ 
zuteilen in primäre und sekundäre resp. 
symptomatische. Die erstere Form wurde 
als selbständiges Krankheitsbild zuerst 
von Vaquez im Jahre 1892 beschrieben 
und wurde ursprünglich als große Selten¬ 
heit angesehen, doch wurden seither recht 
zahlreiche Fälle dieser Krankheit be¬ 
schrieben und veröffentlicht. Die Va- 
quezsche Krankheit hat bei näherem 
Studium ein etwas wechselndes Krank¬ 
heitsbild geboten. Neben der Erythrämie 
und einer zumeist vergrößerten Milz 
finden wir einmal die Nieren und das Ge¬ 
fäßsystem intakt, das andere Mal nephri- 
tische Symptome. Diese letzteren pflegen 
dann von einer Hypertonie und den Fol¬ 
gen derselben begleitet zu sein. Dem 
letzteren Symptomenkomplex hat man 
den Namen der Erythaemie hypertonica 
beigelegt. Charakteristisch ist in allen 
Fällen die hochrote, bläulich schimmernde 
oder kirschenrote Gesichtsfarbe. Die 
klinischen Symptome sind sonst recht 
verschieden und es ist nicht der Ort, die¬ 
selben des weiteren auszuführen. 

Von der genuinen oder primären 
Erythrämie wissen wir, daß sie zweifellos 
auf einer erhöhten Funktion des erythro- 
blastischen Gewebes im Knochenmarke 
beruht, wenn auch uns die Kenntnis 
darüber fehlten, welche letzte Ursache diese 
Hyperfunktion herbeiführt. Von Inter¬ 
esse wäre die Rolle, welche die Milz viel¬ 
leicht in der Pathogenese dieser Krankheit 
spielen dürfte. 

Wenden wir uns nun zu den sympto¬ 
matischen oder sekundären Formen der 
Polyglobulie, welche zum Unterschiede 
von den ersteren Formen Erythrocytosen 
genannt werden, so können wir fest¬ 
stellen, daß bei vielen von ihnen ein 
Wesensunterschied gegenüber der Va- 
quezschen Krankheit eigentlich nicht 
besteht, wenn wir davon absehen, daß 
bei den Erythrocytosen ein ursächliches 
Moment bekannt ist. Bei manchen Ery¬ 
throcytosen, z. B. bei solchen, welche bei 
angeborenen ' Herzfehlern Vorkommen 
(Morbus coeruleus), ist eineHyperfunktion 
des Knochenmarkes ebenfalls festgestellt. 
Darauf deutet das Vorkommen einer ver¬ 
mehrten Anzahl von Normoblasten im 
Blute und eine Hyperplasie des roten 
Markes, welche bei Sektionen befunden 


wurde. Es kann deshalb mit Recht die 
Frage aufgeworfen werden, ob es nicht 
auch bei den Polyglobulien ebenso, wie di£ : s 
bei den Anämien der Fall war, ratsamer 
wäre, den scharfen Unterschied zwischen 
primären und sekundären Formen auf¬ 
zugeben. Ein Ursachsmoment exogener 
oder endogener Natur -liegt bei allen 
Formen der Polyglobulien sicher vor. 

Unter den Ursachen der Polyglobulien 
zählen wie seit langem die Stauungs¬ 
zustände bei angeborenem und einem Teil 
erworbener Herzfehler und bei den Ste¬ 
nosen der oberen Luftwege mit dyspnoir 
sehen und asthmatischen Symptomen. Der 
Übergang von ebenen Gegenden in ein 
Höhenklima ruft meistenteils eine Poly- 
cytose hervor, welche jedoch oft nur 
vorübergehender Natur ist. Ebenso wirkt 
der Aufenthalt in verdünnter Luft. Auch 
nach Milzentfernungen soll eine Poly- 
cytose beobachtet worden sein. Eine 
physiologische Erythrocytose kommt bei 
Neugeborenen in den ersten Lebenstagen 
vor. Weiterhin verursachen eine Reihe 
von Giften eine Erythrocytose. So ist 
sie festgestellt bei Vergiftungen mit Ko.h- 
lenmonoxyd, mit Phosphor und vielen der 
sogenannten Blutgifte (Pyrodin, Pyro- 
gallol u. a. m.), wenn sie in kleineren 
Dosen verabreicht werden. 

Zu diesen toxischen Stoffen glaube 
ich nun nach den von mir gemachten Beob¬ 
achtungen einen Körper von mehr all¬ 
gemeiner Bedeutung rechnen zu können, 
nämlich den Alkohol bei chronischem Ger¬ 
brauche. Systematische Untersuchungen 
des Blutes bei einem Teil des klinischen 
Materials der letzten Jahre und Erfah¬ 
rungen in der privaten Klientel haben mir 
die ebengenannte Auffassung beigebracht. 

Zur Beleuchtung des Gesagten will ich 
einige Krankengeschichten beifügen, deren 
Knappheit allerdings mit den herrschen¬ 
den Zeitverhältnissen entschuldigt werden 
muß, da es nicht möglich war, Manu¬ 
skripte über die Grenze zu bringen, so 
daß die betreffenden Daten aus dem Ge¬ 
dächtnisse verzeichnet und in Einzel¬ 
heiten vielleicht unsicher sind. 

46jähriger Arbeiter, von Jugend auf Alkohol 
genossen, zumeist Branntwein und oft in großen 
Quantitäten, seit mehreren Jahren täglich. 
Seitdem Branntwein nicht zu erreichen war, trinkt 
er zumeist nur schwaches Bier. Früher gesund, 
hat er in den letzten Monaten Atemnot; sucht 
wegen letzterer und wegen geschwollener Beine 
die Klinik auf. Gesichtsfarbe rotblau, erweiterte 
Venen auf der Haut, der Nase und Wangen. 
Ernährungszustand gut, Oedem der unteren 
Extremitäten, Dyspnoe. Herz nach beiden 
Seiten etwas vergrößert, Töne dumpf. Puls 





248 


Juli 


Die Therapie der 


von gewöhnlicher Spannung, etwas klein und 
beschleunigt, Blutdruck normal. Urin sparsam 
ohne Eiweiß. Rote Blutkörperchen 7.2 Millionen 
Hg. 115 V.=0,8. Leichte Anisocytose und ver¬ 
einzelte Normblasten. Diagnose Vitium cordis 
-(myodegeneratio), Erythrocytosis, Alkoholismus 
chronicus. — In Ruhe und nach gewöhnlicher 
Behandlung schwand die Kompensationsstörung 
rasch. Die Blutuntersuchung einige Monate 
später ergab denselben Befund, die Hyperglobulie 
stationär. Auch die blaucyanotische Verfärbung 
des Angesichts sowie eine leichte Dyspnoe bei 
Bewegung besteht noch. 

Nr. 2. C., 50 Jahre alter Gutsherr. Seit der 
Studienzeit Alkohol in ziemlich großen Dosen in 
verschiedener Form genossen. Durch mehrere 
Jahre regelmäßig Schnaps und Bier zu den Mahl¬ 
zeiten, dazwischen Abusu alcohol. 2—3 Tage 
hintereinander. Seit Kriegsbeginn auf Grund 
der geringen Zufuhr von Alkohol nicht mehr 
täglich getrunken, dagegen zeitweise in größeren 
Dosen. Im Jahre 1916 in einem Privatsanatorium 
wegen Delirium tremens. In den letzten 2 Wochen 
ziemlich reichlich Kognak. Seitdem die Nerven- 
symptome sich gebessert haben, guter Ernährungs¬ 
zustand, kirschrote Gesichtsfarbe. Klagt oft 
über Kopfschmerz und Reißen in den Beinen. 
Keine Circulationsstörungen, normaler Blutdruck, 
Urin eiweißfrei, Milz dicht unter dem Rippen¬ 
bogen tastbar. Erythrocyten 6,5 Millionen 
Hg. 100 W.= 0,79, weiße Blutzellen normal. Al¬ 
koholismus chronicus. Polycythämie, Delirium 
tremens. 8 Monate später kam Patient wegen 
Schlaflosigkeit und deliranter Symptome wieder 
auf die Klinik, der Blutbefund der gleiche wie 
früher. 

Nr. 3. Gutsherr, 50 Jahre alt, gibt zu, daß er 
seit längerer Zeit regelmäßig Alkohol oft in un¬ 
mäßiger Menge genießt. Hat bei Nacht viel ge¬ 
wacht und hatte eine anstrengende Beschäftigung. 
War stets gesund bis vor 2 Jahren, dann Unruhe, 
Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, rheumatische 
Beschwerden; hat das Gefühl der Blutfülle und 
Spannung im Kopfe, Ernährungszustand einiger¬ 
maßen über den Durchschnitt, Röte des Gesichtes 
und der Ohren, echauffiertes Aussehen. Radial¬ 
arterien gespannt, Blutdruck RR 180, linksseitige 
Herzhypertrophie, klappenderzweiter Aortenton. 
Urin hellgelb, Sediment gering, Spur von Al¬ 
buinen. Milz nicht vergrößert. Blutuntersuchung: 
rote Blutkörperchen 6,1 Millionen Hg. 95, weiße 
Blutkörperchen nicht vermehrt, W.=0,78. Dia¬ 
gnose Nephrosklerose, Erythrocytose, Alkoholis¬ 
mus chronicus. Wesentliche Erleichterung nach 
einem Aderlaß. Bei einer Untersuchung 1 / 2 Jahr 
später, während welcher Zeit sich der Patient 
des Alkohols vollständig enthielt, war der Befund 
ungefähr der gleiche, doch war die Erythrocyten- 
anzahl etwas geringer und die Gesichtsfarbe etwas 
heller. 

Nr. 4. Wirt, ca. 40 Jahre alt/ gibt an, daß er, 
vom Berufe gezwungen, täglich ziemlich große 
Mengen Alkohol verzehrt. Klagt über Atemnot, 
Schwere im Kopfe und bemerkte selbst, daß die 
Gesichtsfarbe erschreckend blau wurde. Starke 
Adiposität, die Farbe des Gesichts fast so, wie 
wir sie beim Morbus coeruleus vorfinden, blaue 
Hände und Füße. Herz von normaler Größe, 
Herztöne etwas dumpf, Puls gewöhnlich, nicht 
gespannt, Blutdruck normal. Milzdämpfung ver¬ 
größert, Milz nicht tastbar. Urin hellgelb in 
normaler Menge, enthält reichlich Eiweiß, ver¬ 
einzelte Rundzellen, hyaline und feinkörnige 
Cylinder. Blutuntersuchung: rote Blutkörperchen 


Gegenwart 1917. 


= 8,5 Millionen Hg. 20 W. = 0,70. Weiße Blut¬ 
körperchen nicht vermehrt. Adipositas, Nephro- 
sklerosis, Polycythämie, Alkoholismus chronicus 
— Diätetische Behandlung, Weglassung des Al¬ 
kohols und Ruhe hat eine gewisse Besserung des 
Zustandes herbeigeführt. 

Diese Beispiele dürften genügen. Ich habelm 
ganzen über 10 Fälle gleicher Art aus der kli¬ 
nischen und poliklinischen Praxis gesammelt, 
in denen schwerer Alkoholmißbrauch Vorge¬ 
legen und eine Polyglobulie mittelschweren und 
leichten Grades festgestellt wurde. Zwei von den 
hier nicht mitgeteilten Fällen waren hypertonischer 
Natur, beide mit Nephrosklerosen. Einer der¬ 
selben starb an Gehirnblutung. Eine wesentlicher 
Milztumor war nicht feststellbar. Die Symptome 
bestanden in Atemnot, Kopf- und neuralgiformen 
Schmerzen, Ermüdungsgefühl und anderen ziemlich 
diffusen Empfindungen. Arteriosklerose und Myo¬ 
degeneratio cordis war bei mehreren zu finden. 
Die Anzahl der Blutkörperchen zwischen 6 und 
7 Millionen, der Hg.-S-Gehalt in allen Fällen ver¬ 
hältnismäßig nicht so hochgradig, so daß W. immer 
unter 1 war. Ich hatte den Eindruck, daß die 
Blutmenge im Körper zu groß war, sodaß man 
mit Recht von einer gleichzeitigen Polyplasmie 
sprechen konnte, doch wurden Bestimmungen 
nicht vorgenommen. In zwei Fällen habe ich 
solche versucht, doch der Erfolg war nicht zu¬ 
friedenstellend. Nicht ein einziger der Fälle 
hat wirklich übermäßigeSteigerungen derErythro- 
cytenanzahl und des Hämoglobingehaltes auf¬ 
gewiesen. Nur ein Fall betraf eine Frau. Das 
Alter war bei allen über 40, meistenteils von 
50Jahren. Alle hatten in minderem oder höherem 
Grade die charakteristische Gesichtsfarbe. In 
etwa der Hälfte hat ein einziger oder wiederholter 
Aderlaß eine wesentliche Erleichterung des Zu¬ 
standes herbeigeführt. 

Ich will hier beifügen, daß ich in den 
letzten Jahren Gelegenheit hatte, auch 
einige Fälle von Polyglobulie zu beob¬ 
achten, welche in die Gruppe der V a q u e z- 
schen Krankheit eingerechnet werden 
konnten, bei denen alle alkoholischen 
Antecedentien mit Sicherheit ausgeschlos¬ 
sen werden können. 

Da die oben angeführten Beobach¬ 
tungen dafür zu sprechen scheinen, daß 
einem länger währenden Alkoholmi߬ 
brauche in gewissen Fällen eine Bedeutung 
für die Entstehung der Polyglobulie zu¬ 
geschrieben werden kann, wobei es nicht 
ausgeschlossen ist, daß in meinen an¬ 
geführten Fällen zum Teile auch andere 
Momente in Frage kommen können, habe 
ich im Vereine mit meinem Schüler, dem 
Kandidaten Stenbäck, welcher die de¬ 
taillierten Untersuchungen vornahm, ver¬ 
sucht, zu entscheiden, wie sich die Ver¬ 
hältnisse bei notorischen Alkoholisten ge¬ 
stalten, die sich sonst nicht als krank an- 
sehen oder keine Beschwerden haben, 
über welche sie klagen würden. Auf 
Grund der herrschenden Verhältnisse ist 
in Finnland derzeit der Zeitpunkt nicht 
günstig, da das Land in dieser Beziehung 



Juli 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


249 


fast „auf dem Trockenen“ ist, wie der 
technische Ausdruck jetzt lautet. Aber 
auch sonst bieten sich für diese Unter¬ 
suchungen viele Schwierigkeiten, da man 
nicht so leicht solche „gesunde“ kranke 
Menschen zur Untersuchung geneigt fin¬ 
det. Diese Untersuchungen befinden sich 
daher erst im Anfangsstadium, aber so¬ 
viel geht aus ihnen bereits hervor, daß 
unsere Anschauungen sich zu bestätigen 
scheinen und daß der chronische Alkohol¬ 
mißbrauch sehr oft mit Blutveränderun¬ 
gen verknüpft ist, die wir als Polycythose 
bezeichnen. So viel sei jedoch zugegeben, 
daß wir bisher solche Personen untersucht 
haben, welche die verräterische schöne 
Gesichtsfarbe und die strahlende Alkohol¬ 
nase aufgewiesen haben. Nähere Details 
anzugeben bin ich derzeit nicht in der 
Lage. Die Anzahl der untersuchten Fälle 
ist bis jetzt nicht groß. Die höchste Zahl 
der roten Blutkörperchen betrug fast 
7 Millionen. W. immer unter 1. Nur 
einer unserer Alkoholisten, der aber im 
Gesichte bleich war, wies, keine Poly¬ 
globulie auf. 

Wenn meine Schlußfolgerungen rich¬ 
tig sind, und ich habe keine Ursache, dies 
zu bezweifeln, so entsteht die Frage, auf 
welchem Wege der Alkoholismus die Poly¬ 
globulie hervorrufen kann. In der Mehr¬ 
zahl der Fälle — sowohl mit als auch ohne 
sonstige Krankheitserscheinungen — kann 
eine allgemeine Circulationsstörung aus¬ 
geschlossen werden. Wo eine Inkompen¬ 
sation Vorgelegen war, bestand die Poly¬ 
globulie auch wenn erstere zurückging. 
Zumindest einer dieser Fälle hatte An¬ 
zeichen von vermehrter hämatopoetischer 
Tätigkeit, sodaß eine einfache ungleiche 
Blutverteilung auch hier außer Rechnung 
gekommen war. Daß eine allgemeine 
Gefäßsklerose, als Folge derselben toxi¬ 
schen Faktoren, um die es sich hier han¬ 
delt, in einer Anzahl hierher gehöriger 
Fälle vorliegen dürfte, soll nicht bezwei¬ 
felt werden, aber wenn diese nicht mit 
Stauungserscheinungen auf Grund von 
Herz- und Nierenleiden vereint ist, so 
kann sie als Ursache der Polyglobulie 
nicht in Frage kommen. Eine Erweite¬ 
rung der kleinen, oberflächlichen Haut¬ 
venen auf den Wangen und der Nase sind 
bei solchen Patienten sehr häufig und es 
gehört dies auch in der Regel zum Krank¬ 
heitsbilde der sogenannten Vaquez- 
schen Krankheit. Diese Gefäßerweite¬ 
rungen sind wahrscheinlich eher eine Folge 
der Polyglobulie und Polyplasmie als deren 
Ursache. 


Verwickelter werden die Verhältnisse, 
wenn zu gleicher Zeit eine Nephropathie, 
vorliegt. Nur in einem meiner Fälle hatte 
eine solche den Charakter einer Nephrose. 
Die übrigen drei Fälle dieser Kategorie 
gehörten zu derjenigen Form, welche man- 
als Polycythaemie hypertonica bezeich¬ 
net und die ich immer von Symptomen 
der Nephrosklerose gefolgt gesehen habe. 
Eine indurative Nephritis kann auf dem 
Wege über das Herz und Gefäßsystem 
sicherlich Stauungserscheinungen mit 
nachfolgender Polyglobulie hervorrufen. 
Solche Erscheinungen haben jedoch mei¬ 
stenteils nicht Vorgelegen oder waren nur 
vorübergehender Natur, während die Poly¬ 
globulie weiter bestand. Man kann auch 
eine sekundäre Einwirkung auf das Blut 
und die blutbildenden Organe durch die 
Nephrotoxine in den Fällen von Nephro¬ 
pathie in Frage stellen. So weit es uns 
jedoch bekannt ist, pflegen aber Nieren¬ 
affektionen gewöhnlich von Blutverände¬ 
rungen gegensätzlicher Richtung beglei¬ 
tet zu sein, von Anämie. Der ganze nicht 
so seltene Symptomenkomplex,welcher ge¬ 
kennzeichnet ist durch Polycytose, Hyper¬ 
tonie und Nephropathie, besteht bis auf 
weiteres ziemlich unklar in Hinsicht auf 
seine Pathogenese, und es ist schwierig, 
hier sich zu entscheiden, inwiefern die 
beobachteten Störungen voneinander ab¬ 
hängig sind, ob sie koordiniert sind und 
eine gemeinsame Ursache haben. 

Die Frage des Milztumors bei den Poly¬ 
globulien dürfte noch ihrer Entscheidung 
harren. Die Milz hat man als die größte 
regionäre Blutdrüse angesehen. Sie ist 
wahrscheinlich sowohl an der Blutbildung 
— besonders in gewissen pathologischen 
Zuständen — beteiligt, noch mehr jedoch 
bei der Blutdestruktion sowohl intra- wie 
extraglandulär und die Rolle der Milz ist 
in vielen Blut- und Blutdrüsenerkran¬ 
kungen in den Vordergrund getreten. 
Man sah die Polyglobulie vorübergehend 
auftreten bei Milzexstirpationen, man hat 
andererseits versucht, in kurativer Hin¬ 
sicht die Milz zu entfernen, auch bei Poly- 
cythämien, und dies angeblich mit Erfolg. 
Bemerkenswert ist, daß in meinen Alko¬ 
holpolyglobulien im allgemeinen der Milz¬ 
tumor in den Hintergrund trat. 

Ich glaube, daß die nächste Erklärung 
für die Einwirkung des Alkohols auf das 
Blut vorerst zu suchen ist in einer Reizung 
des erythroblastischen Gewebes im Kno¬ 
chenmarke. Nach dieser Richtung zielt 
auch die Wirkung der übrigen früher be¬ 
nannten eine Polycythämie hervorrufen- 

32 



250 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juli 


den Gifte. Es ist nicht schwer, sich die 
Wirkung des Alkohols auf viele andere 
Organe des Körpers als einen irritativen 
Effekt vorzustellen. 

In Kürze zusammengefaßt würden es 
die hier dargestellten Beobachtungen 
wahrscheinlich machen, daß chronischer 
Alkoholmißbrauch unter gewissen Ver¬ 
hältnissen eine Polyglobulie hervorzu¬ 
rufen imstande ist. Diese scheint in einem 
Teile der Fälle ihremTräger nur auffallend 
geringe Ungelegenheiten zu bereiten, viel¬ 
leicht die Verfärbung des'Antlitzes und der 
Nase ausgenommen — ein Symptom, das 
so alt vielleicht als der Alkohol selbst 
— sicher auf die Erythrocythose zurück¬ 
zuführen ist. In anderen Fällen scheint 
jedoch die vom Alkohol hervorgerufene 
Hyperglobulie vielleicht im Vereine mit 
anderen schädlichen Wirkungen des Alko¬ 
hols Veranlassung zu recht beschwerlichen 
Symptomen zu geben. Wie weit sich die 
Alkoholpolycythose entwickeln kann, dar¬ 
über fehlen mir weitere Anhaltspunkte. 
Mit aller Sicherheit kann man jedoch von 
dem Standpunkte ausgehen, daß der 
Alkoholismus nicht immer in der Ent¬ 
stehung der hier genannten Blutverände¬ 
rung seinen Ausdruck finden muß. Die 
Verhältnisse sind hier dieselben wie bei 
den anderen schädlichen Wirkungen des 


Alkohols; es entstehen bei Alkoholisten 
nicht immer Gastritiden, Neuritiden, Le- 
bercirrhose oder Nierenleiden, Arte¬ 
riosklerose, vernöse Störungen usw. Ob 
für die Entstehung der Blutveränderungen 
irgendwelche mitwirkenden Momente oder 
eine bestimmte Art des Alkohols, oder 
andere exogene oder endogene Faktoren 
Bedeutung haben, darüber kann ich mich 
nicht aussprechen; ebensowenig kann ich 
es beurteilen, ob eine vom Alkohol her¬ 
vorgerufene Erythrocythose bei Enthalt¬ 
samkeit wieder zurückgehen kann. 

Das Schuldkonto des Alkohols ist 
immer groß genug gewesen, wenn ich es 
hier noch vermehre, kann aus meinen 
Beobachtungen andererseits vielleicht 
etwas Gutes hervorgehen. Es ist nicht 
ausgeschlossen, daß der Alkohol eine Be¬ 
deutung gewinnen könnte in der Behand¬ 
lung solcher Anämiefälle, welche gegen 
andere Mittel renitent sind. Gewisse Tier¬ 
versuche meiner Mitarbeiter sprechen 
nicht dagegen. Soweit erstrecken sich 
jedoch meine Erfahrungen nicht. 

Vielleicht -können die Kollegen in 
Dänemark, die jetzt eher Zugang von 
Alkoholisten besitzen, diese Untersuchun¬ 
gen, die von uns noch nicht beendet 
sind, weiterhin kontrollieren und aus¬ 
dehnen. 


Aus der ersten inneren Abteilung* des Städtischen Krankenhauses Moabit Berlin. 

(G-eheimrat GL Kleinperer.) 

Über Nasendiphtherie. 

Von G. A. Waetzoldt. 


In der jetzt im Abklingen begriffenen 
großen Berliner Diphtherieepidemie 1914 
bis 1917 konnten wir auf der zeitweise 
sehr großen Diphtheriestation unserer 
Abteilung ziemlich umfangreiche Beob¬ 
achtungen über Nasendiphtherie an¬ 
stellen, deren Resultate hier berichtet 
werden sollen. Von etwa 1000 in der Zeit 
vom Oktober 1915 bis März 1917 behan-' 
delten Diphtheriefällen wies etwa ein 
Drittel eine Beteiligung der Nase am 
Krankheitsprozeß oder wenigstens Ba¬ 
cillen in der Nase auf. 

Was zunächst die isolierte Nasen¬ 
diphtherie der Säuglinge angeht, so 
beobachteten wir im ganzen 24 Fälle. 
Von den Kindern sollten angeblich zwei 
bereits seit der Geburt ,,Nasenlaufen“ 
haben, die übrigen waren erst seit einigen 
Tagen oder Wochen krank. 

Bezüglich der Infektionsquelle konnte 
in einigen Fällen festgestellt werden, daß 
gleichzeitig Erwachsene oder Kinder aus 


der Umgebung an Diphtherie erkrankt 
waren; in anderen Fällen handelte es sich 
um Infektion im Krankenhause. Ein acht 
Monate altes Kind war schon vor zwei 
Monaten einmal in einem anderen 
Krankenhause wegen Nasendiphtherie 
behandelt und damals geheilt entlassen 
worden. Das Aussehen der Erkrankung 
bei der Aufnahme war ziemlich ein¬ 
heitlich: In einem oder — besonders 
wohl bei länger bestehenden Erkrankun¬ 
gen — beiden Nasenlöchern zeigte sich 
eitrig-schleimiges, in einer geringeren An¬ 
zahl von Fällen auch blutig-tingiertes, 
seröses bis eitriges Sekret, das in man¬ 
chen Fällen die Oberlippe und Um¬ 
gebung der Nase angeätzt hatte und Nei¬ 
gung zu borkiger Eintrocknung besaß. 
Der Verstopfung der Nasenlöcher ent¬ 
sprechend bestand eine oft nicht unbe¬ 
trächtliche Behinderung der Atmung, die 
sich in ,,Schniefen“, unruhigem Schlafe, 
Behinderung beim Trinken und schlechter 



Juli Die Therapie der 


Laune kundgab, wie bei jedem Säuglings¬ 
schnupfen. Hier und da zeigten sich 
sogar leichteste Einziehungen. Eine echte 
Rhinitis pseudomembranacea konnten 
wir nicht beobachten, doch ist sie natür¬ 
lich, wenn die Membranen nicht bis ins 
Nasenloch reichen oder ausgeniest wer¬ 
den, bei Säuglingen sehr schwer fest¬ 
stellbar. Die Drüsenschwellungen be¬ 
schränkten sich auf verschieden starke 
Vergrößerung der Kieferwinkeldrüsen 
und derjenigen am hinteren Rande 
des Sternocleidomastoideus. Tempera¬ 
turen waren in vielen Fällen, besonders in 
schon länger bestehenden gar nicht zu 
beobachten. Sie überschritten kaum je 
39° (rectal gemessen), um unter Serum¬ 
therapie innerhalb einiger Tage — in 
Einzelfällen bis zu zwei Wochen — zur 
Norm abzusinken. Weitere auf die 
Erkrankung zurückzuführende Erschei¬ 
nungen fanden sich bei der Aufnahme 
nicht, so wurden namentlich nie Darm¬ 
störungen beobachtet (die Fälle mit 
gleichzeitiger Rachen- oder Kehlkopf¬ 
diphtherie werden weiter unten be¬ 
handelt). 

Der Verlauf war wie die Symptome 
ziemlich gleichmäßig. Zwar gingen weder 
die eitrige Nasensekretion, noch die Drü¬ 
senschwellungen immer oder auch nur 
oft mit dem Fieber zusammen zurück, 
aber die — 300—400 g auch bei den elen¬ 
desten Kindern nicht überschreitenden — 
Gewichtsstürze infolge der Krankheit 
wurden in zwei bis drei Wochen in der 
großen Mehrzahl der Fälle eingeholt und 
die Kinder entwickelten sich dann äußerst 
erfreulich. Die Nasensekretion ver¬ 
schwand oft erst nach Wochen, ja Mo¬ 
naten, bisweilen aber auch (ohne beson¬ 
dere Lokalbehandlung) auffallend früh, 
um in der Mehrzahl der Fälle ganz regel¬ 
los, jedoch ohne bemerkenswerte Allge¬ 
meinerscheinungen plötzlich für Tage 
oder Wochen wieder aufzutreten. Die 
Dauer der Bacillenhaltigkeit der Nase 
schwankte stark: nur der kleinere Teil der 
Fälle wurde unter zwei Monaten bacillen¬ 
frei, viele brauchten mehr. In drei Fällen 
wurden die Bacillen fast acht Monate 
lang in der Nase gefunden und zwar öfter 
ohne daß irgendwelche Sekretion bestand. 
Im Gegenteil, in Rezidiven, wo die Nase 
secernierte, war in vielen Fällen der Ba¬ 
cillenbefund negativ, um beim Aufhören 
der Sekretion wieder positiv zu werden. 
Eine Erklärung für dies seltsame Ver¬ 
halten fehlt uns. In drei Fällen, darunter 
einem, der in einer Säuglingsklinik und 


Gegenwart 1917. 251 


einem der von seinen — bei uns an Di¬ 
phtherie behandelten — Geschwistern 
infiziert war, bestand gar kein klinischer 
Befund in der Nase und trat auch im 
Verlaufe der Beobachtung nicht auf. Bei 
einem sehr elenden Kinde mit starker 
blutig-eitriger Rhinitis war der Nasen¬ 
abstrich anfänglich stets negativ ge¬ 
wesen und wurde erst kurz bevor die 
Nasendiphtherie auf den Kehlkopf Über¬ 
griff — Rachenbeteiligung wurde in diesem 
Falle nicht beobachtet — positiv. 

Weiter beobachteten wir zwölf Fälle 
von Nasendiphtherie der Säuglinge bei 
gleichzeitiger Beteiligung des Ra¬ 
chens, die sich allerdings meist auf Ba¬ 
cillenhaltigkeit desselben beschränkte, sel¬ 
tener in Belägen zum Ausdrucke kam. 
Soweit die meist sehr unsicheren Angaben 
der Angehörigen ein Urteil gestatten, 
scheint es nicht ausgeschlossen, daß die 
Rachenerscheinungen schon vor der Auf¬ 
nahme längst abgelaufen waren. Im 
übrigen unterschied sich das klinische Bild 
nicht erheblich von dem der isolierten 
Nasendiphtherie, namentlich war es in 
keiner Weise schwerer. Der Umstand, 
daß der Bacillengehalt der Nase den des 
Rachens meist um drei bis sechs Wochen 
überdauerte (nur einmal war die Nase 
eher frei), stimmt gut zu den Beobach¬ 
tungen an älteren Kindern und Er¬ 
wachsenen. 

Vier Fälle seien schließlich noch erwähnt von 
Rhinitiden, die bei negativem Bacillenbefunde 
im Rachen stets negativen Bacillenbefund 
auch in der Nase aufwiesen, aber klinisch und 
anamnestisch außerordentlich diphtherieverdäch¬ 
tig waren. Von diesen bestand eine seit 14 Tagen 
und war draußen positiv gewesen. Eine andere 
kam mit drei Geschwistern, die Diphtherie hatten, 
herein, eine dritte hatte typischen einseitigen 
blutigen Schnupfen, eine vierte endlich zeigte 
nebenher sehr verdächtige Beläge im Rachen. Alle 
diese Rhinitiden waren recht chronisch. 

Der Allgemein zustand der im ganzen 
39 Säuglinge dürfte wohl in gut der Hälfte 
der Fälle ohne weiteres als schlecht be¬ 
zeichnet werden. Als kräftig konnte 
kaum ein Viertel gelten. Eine Beeinflus¬ 
sung des Zustandes durch die Krankheit 
wurde nie beobachtet, wie auch die vier 
Todesfälle auf Masern, Tetanie, Atrophie 
und Tracheotomie zurückzuführen waren, 
nicht auf den Nasenprozeß als solchen. 

Verhältnismäßig nicht selten wurde 
eine Komplikation mit Otitis media, die 
in vier von neun Fällen doppelseitig war, 
beobachtet. Die dabei (nicht in allen 
Fällen) vom Ohreiter gemachten Ab¬ 
striche enthielten hier und da Diphtherie¬ 
bacillen. 


32* 




252 


Die Therapie der 


Differential diagnostisch kommen 
bei der Nasendiphtherie der Säuglinge in 
Frage Cöryza luetica, skrofulös-exsuda¬ 
tive Rhinitiden, die viel besprochene 
Rhinitis pseudomembranacea non di- 
phtherica und als das wichtigste und 
häufigste der gemeine Schnupfen. Da 
sich der diphtherische Schnupfen in keiner 
Weise von dem gewöhnlichen zu unter¬ 
scheiden braucht, so dürfte in jedem Falle 
von Säuglingsschnupfen — auch wenn er 
nur ganz vorübergehend oder gar nicht 
blutig ist ein Abstrich oder besser mehrere, 
denn der erste ist auch bei Diphtherie 
mitunter negativ, angebracht sein. 

Bei Kindern im Alter von 1 bis 
14 Jahren steht durchaus im Vorder¬ 
gründe die Beteiligung der Nase bei der 
allgemeinen Infektion, während die iso¬ 
lierte Nasendiphtherie ohne klini¬ 
schen und Bacillenbefund im Rachen 
doch stark zurücktritt. 

Von der letzteren beobachteten wir 
20 Fälle vorwiegend bei kleineren Kin¬ 
dern, die alle einen Befund aufwiesen, 
der dem bei der Nasendiphtherie der 
Säuglinge glich. Auch hier war die Ein¬ 
seitigkeit entschieden seltener als die 
Doppelseitigkeit, was wohl zum Teil 
darauf zurückzuführen ist, daß der Kran¬ 
kenhausarzt die Fälle erst in späteren 
Stadien zu sehen bekommt. Denn der 
Prozeß bestand oft schon mehrere Wochen, 
ohne doch in seiner Art erkannt zu sein, 
wenn auch die anamnestisch meist be¬ 
richtete auffallende Mattigkeit, Unlust 
und Müdigkeit der Kinder bei einem ,,ge¬ 
wöhnlichen Schnupfen“ auf seine be¬ 
sondere Natur hätte hinweisen können. 
Doch muß daran festgehalten werden, 
daß in nicht wenigen Fällen der Prozeß 
dauernd einseitig bleibt, auch ohne daß 
eine Behandlung eingegriffen hätte. Für 
die Art der Infektion ist es wichtig, daß 
in zahlreichen Fällen die Ansteckung mit 
Sicherheit durch Familienmitglieder ge¬ 
schah (gleichzeitig waren solche mit 
Rachendiphtherie, einmal auch mit Nasen¬ 
diphtherie (also Ansteckung von Nase 
zu Nase!) im Krankenhause). In zwei 
Fällen waren die Kinder als geheilt nach 
überstandener Rachendiphtherie aus einem 
anderen Krankenhause entlassen worden 
und 14 Tage später mit typischem blutig¬ 
eitrigen Schnupfen erkrankt. 

Das Allgemeinbefinden war meist von 
Anfang an gut. Fieber bestand nicht und 
trat auch im Verlaufe, abgesehen von 
Komplikationen, nicht auf, trotzdem in 
den meisten Fällen nicht unbeträchtliche 


Gegenwart 1917. Juli 


Drüsenschwellungen vorhanden waren. 
Die Beeinträchtigung des Befindens durch 
den Schnupfen an sich war kaum merklich, 
doch sahen wir die Kinder eben meist 
erst in späteren Stadien der Erkrankung, 
so daß es möglich ist, daß uns manches 
von der akuten Erkrankung entging. Auf 
Serum in recht niedrigen Dosen gingen 
die Erscheinungen aber in allen Fällen 
schnell zurück, wenn auch gelegentlich 
eine leichte, oft nur einseitige Rhinitis 
fortbestand. Die Bacillenfreiheit wurde 
allgemein eher als bei den Säuglingen er¬ 
reicht, indem nur drei Fälle länger als 
zwei Monate Bacillen in der Nase be¬ 
hielten (darunter einer allerdings fünf 
Monate). Außerordentlich interessant 
sind zwei Fälle, die in der allerletzten Zeit 
beobachtet wurden. Die beiden etwa 
vierjährigen Kinder hatten seit zwei bis 
drei Wochen Schnupfen und fühlten sich 
etwas schlecht, plötzlich trat Rachen¬ 
diphtherie auf, wegen der die Kinder ins 
Krankenhaus kamen. In der Nase posi¬ 
tiver Bacillenbefund! Infektion - des 
Rachens durch eine subakute Nasen¬ 
diphtherie! 

Von Rachendiphtherie mit Be¬ 
teiligung der Nase konnten wir .bei 
Kindern im ganzen 77 Fälle beobachten. 
Von ihnen waren 15 sehr schwer und 
führten zum Tode. Davon wiesen 13 das 
geläufige Bild der unverkennbaren 
Nasendiphtherie auf, das ihr ihren 
schlechten Ruf als Begründer einer fast 
absolut schlechten Prognose verschafft 
hat: Bei sehr ausgedehnter Rachen¬ 

diphtherie ödematöse Schwellung des Ge¬ 
sichtes und Halses, Mundatmung, starke 
Reizung der Umgebung des Nasenein¬ 
ganges durch die seröse (selten eitrige), 
meist blutig fingierte, typisch ,,nach Di¬ 
phtherie“ riechende Flüssigkeit hervor¬ 
gerufen wird, die unaufhörlich aus beiden 
Nasenlöchern herunterläuft (selten kommt 
dazu eine sekundäre Eiterinfektion der 
Gesichtshaut.) Der Prozeß ist hier stets 
doppelseitig, wenn auch, wie im Rachen 
ja auch, gelegentlich eine Seite stärker 
befallen sein kann. Der Verschluß der 
Nase geschieht durch eingetrocknetes Se¬ 
kret oder seltener durch typische Mem¬ 
branen, bei denen das foetide Sekret 
übrigens meist wasserhell zu sein pflegt 
(natürlich . gibt es zwischen allen Formen 
sämtliche Übergänge). Daneben besteht 
in allen Fällen starke Neigung zu häufig 
kaum stillbarem Nasenbluten und das 
ganze Bild der übrigen Erscheinungen 
schwerster Diphtherie. Fast stets korre- 



7. Heft 


Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 














flllllllllllllllllllll 


Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 


7. Heft 



lllllllillllllllllfllllld 















































































Jtili Die Therapie der 


^spondiert übrigens die Beschaffenheit des 
Nasenprozesses mit dem im Rachen, eine 
Übereinstimmung, die sich bis auf die 
Farbe der Membranen, des Sekrets usw. 
‘erstreckt. Die- anderen zwei Fälle wiesen 
Iceine Nasenbeteiligung auf, wohl aber 
Bacillen in der Nase. Beide starben im 
Gegensätze zu den anderen 13, die die 
•erste Kränkheitswoche kaum überlebten, 
^erst viel später an Herzlähmung. Ob in 
diesen schweren Fällen die Nasen- oder 
Rachenbeteiligung das primäre ist, ließ 
•sich nie sicher feststellen, da die Angaben 
der Eltern hier besonders verworren 
waren. Die Kinder kamen meist ziemlich 
verwahrlost und nie vor dem dritten 
bis vierten Krankheitstage herein. 
Es handelt sich also schon um ältere Fälle. 

Unter den 20 mittelschweren Fäl¬ 
len hatten 15 einen Nasenbefund, der 
auch hier recht oft doppelseitig war, und 
der Schwere nach von leichter Rötung 
des Naseneinganges über eitrigen Schnup¬ 
fen bis zu Membranen mit serösem Sekret 
und blutigem Sekret oder Borken wech¬ 
selte. Allen gemeinsam war auch hier 
der typische Geruch ,,nach Diphtherie“. 
Auch hier steht natürlich der Nasen¬ 
befund durchaus im Hintergründe gegen¬ 
über der Schwere der Allgemeininfektion. 
In den übrigen fünf Fällen, die zu den 
leichteren dieser Gruppe gehörten, fand 
sich kein Nasenbefund, wohl aber Ba¬ 
cillen in der Nase. Allen Fällen war die 
sehr starke und lang andauernde Schwel¬ 
lung der Drüsen an den Kieferwinkeln 
und am Hinterrande des Kopfnickers 
(auf Beteiligung des Nasenrachenraumes 
zurückzuführen?) gemeinsam. Da Todes¬ 
fälle nicht erfolgten, so ließ sich die Ba¬ 
cillenfreiheit der Nase und des Rachens 
in allen Fällen beobachten. Auffallender¬ 
weise war. mit Ausnahme von sechs Fällen 
•die Nase gleichzeitig oder — in zwei 
Fällen — sogar eher negativ als der 
Rachen. 

ln den Fällen, in denen der Bacillen¬ 
gehalt der Nase den des Rachens über¬ 
dauerte, konnte einigemale auch noch 
leichte Rhinitis serosa — hier und da 
einseitig — und typischer Geruch, die erst 
mit den Bacillen verschwanden, fest¬ 
gestellt werden. 

Von 42 leichten Fällen wiesen 26 
einen Nasenbefund auf, die übrigen nur 
Bacillen in der Nase. Klinisch bestand 
•die — hier und da auch einseitige — Be¬ 
teiligung der Nase in Rötung mit mäßiger 
iEiterung oder auch nur deutlicher Ver¬ 
mehrung des normalen Sekrets. In ein¬ 


Gegenwart 1917. 253 


zelnen Fällen fanden sich auch Mem¬ 
branen, die, wie alle beobachteten Mem¬ 
branen, sehr fest hafteten, und spärliche, 
blutige Borken, niemals aber das typi¬ 
sche Sekret der zur Blutung neigenden 
Nasendiphtherie der schweren Fälle. Ein 
Unterschied der Schwere zwischen Fällen 
mit und ohne Nasenbefund war nicht mit 
Sicherheit zu konstatieren, auffällig ist 
allerdings, daß bei den Fällen ohne Nasen¬ 
beteiligung in der weitaus größten Zahl 
der Fälle die Nase eher oder gleichzeitig 
mit dem Rachen negativ war, während 
sie es bei den Fällen mit Nasenbefund 
gewöhnlich erst einige Zeit nach einge¬ 
tretener Bacillenfreiheit des Rachens 
wurde, wobei denn auch hier eine geringe, 
oft kaum feststellbare dann meist Rhinitis 
nicht selten noch andauerte. 

Weiter beobachteten wir sieben Fälle von Di¬ 
phtherie (darunter einen sehr schweren), bei denen 
die Nase zwar recht erhebliche eitrige Rhinitis 
aufwies, sich aber nie Bacillen in ihr fanden. Auch 
hier Rückgang fast gleichzeitig mit dem Rachen¬ 
befund auf Serumtherapie. Ob bei diesen 
Kindern nach Entlassung Diphtheriebacillen in 
der Nase auftreten, haben wir leider nicht fest¬ 
stellen können. Zu vermuten wäre es nach 
unseren Erfahrungen. 

In 19 Fällen fanden wir bei meist leichteren 
Diphtherien keinen Nasenbefund und auch keine 
Bacillen in der Nase als ein Resultat unserer 
neuerdings alle Nasen von auch nur als ,,di¬ 
phtherieverdächtig“ eingelieferten Personen 
umfassenden Untersuchungen. . 

Aus dem Anfänge der Berichtsperiode, 
als wir dem in Rede stehenden Gegen¬ 
stände noch keine so intensive Aufmerk¬ 
samkeit schenkten, haben wir noch 61 Fälle 
mit Nasenbefund zu erwähnen, bei denen 
in der Sicherheit, es handele sich um 
Nasendiphtherie, bei der Aufnahme keine 
Abstriche gemacht wurden. Es waren 
darunter 17 sehr schwere, 31 mittel¬ 
schwere und 13 leichtere Fälle. Dazu 
kommen noch zahlreiche Fälle ohne Na¬ 
senbefund aus der gleichen Zeit, die wohl 
auch noch manchen Nasenbacillenträger 
unter sich bargen. In der nun folgenden 
Tabelle konnte das natürlich nicht zum 
Ausdruck kommen, auch so aber beweist 
sie, daß bei den Fällen mit Bacillen in der 
Nase, mögen sie nun einen klinischen 
Nasenbefund haben oder nicht, eine starke 
Verschiebung der prozentualen Zusammen¬ 
setzung der Gesamtsumme der Krank¬ 
heitsfälle zugunsten der schweren und 
mittelschweren Fälle stattfindet. Eine 
Beobachtung, die der alten Erfahrung 
von der Verschlechterung der Prognose 
bei Nasenbeteiligung durchaus entspricht. 
Die isolierten Nasendiphtherien 
sind, als nach Prognose und Verlauf 




254 Die Therapie der 


wesentlich verschieden und nicht ver¬ 
gleichbar, in die Tabelle nicht aufge- 
riommen worden. 


Tabelle I. 



mit 

ohne 

Fälle 

Nasenbeteiligung 


Zahl 

% 

Zahl 

% 

leichte. 

77 

47 

208 

61 

mittelschwere . 

54 

33 

102 

30 

sehr schwere . . 

33 

20 

32 

9 

Summa 

164 

100 

342 

100 


Die Literatur ist über die Frage der 
Nasendiphtherie des Kindesalters und 
der Säuglinge recht verschiedener An¬ 
sicht. Schon die Abgrenzung der Na¬ 
sendiphtherie von anderen Erkran¬ 
kungen ist kontrovers. Wenn man auch 
jetzt wohl allgemein der Ansicht ist, daß 
alle Fälle von Rhinitis pseudomembra- 
nacea, bei denen sich Diphtheriebacillen 
finden — und das sind die weitaus meisten, 
wenn nicht alle — dazu gehören, so wird 
doch andererseits die Zugehörigkeit des 
einfachen Schnupfens und selbst eines 
Teiles der Fälle von blutig-eitrigem 
Schnupfen mit Befund von Diphtherie¬ 
bacillen in der Nase bestritten mit dem 
Hinweise darauf, daß die Bacillen auch 
zufällige Parasiten bei dem gewöhnlichen 
Schnupfen und bei luetischer' Coryza, 
sowie auch' Erreger ,,gewöhnlichen“ 
Schnupfens sein können. Warum dann 
letzterer allerdings keine Diphtherie sein 
soll, bleibt einigermaßen geheimnisvoll, 
da man doch alle Rachenerkrankungen — 
auch nicht typisch pseudomembranöser 
Natur —, bei denen sich die Bacillen fin¬ 
den, der Diphtherie zurechnet. Wir 
möchten jedenfalls alle Erkrankungen der 
Nase, bei denen sich echte Diphtherie¬ 
bacillen finden, der Diphtherie zurechnen, 
bis nicht bewiesen ist, daß dieselben bei 
dieser oder jener Form immer avirulent 
für Menschen sind. 

Noch größer ist die Uneinigkeit in der 
Frage der Klinik und des Verlaufes der 
primären isolierten Nasendiphtherie 
der Kinder und Säuglinge. Ein großer 
Teil der Autoren, dem auch wir uns, wenn 
auch mit Vorbehalt, anschließen möchten, 
nimmt an, daß diese Erkrankung eine 
recht häufige sei, die oft typisch ein¬ 
seitig beginnt, es hier und da auch bleibt 
und im Anfänge den Eindruck eines ge¬ 
wöhnlichen Schnupfens macht. Nament¬ 
lich in den ziemlich häufigen chronischen 
Fällen bleibt dies Bild im weiteren Ver¬ 


Gegenwart 1917. ’ Jult 


laufe bestehen, während es in änderet* 
Fällen in das einer blutig-eitrigen oder -— 
sehr selten — pseudomembranösen Rhi¬ 
nitis übergeht. Auffällig ist die Neigung- 
zu Blutungen aus der Nase. Der Verlauf 
ist. fast immer fieberfrei, wenn auch das 
Wohlbefinden mehr oder weniger erheb¬ 
lich gestört sein kann (einzelne wollen aus. 
dem etwas schwereren Verlaufe gegenüber 
dem gewöhnlichen Schnupfen die Diagnose 
Diphtherie stellen, während andere die 
Einseitigkeit für typisch halten). Der 
Ausgang ist unter jeden Umständen 
gut, doch besteht eine Neigung zu Rezi¬ 
diven (bei einseitigen Fällen nicht selten 
im anderen Nasenloche!) Nicht selten soll 
auch die Kombination mit Diphtherie der 
Vulva, des Ohres und der Conjunctiven 
sein. Wir konnten dies für das 
Ohr mitunter bestätigen. Einzelne 
nehmen an, daß nur sehr elende Kinder 
von der Erkrankung befallen werden,, 
während gesunde trotz größter Infektions¬ 
möglichkeit freibleiben. Wir konnten das 
nicht bestätigen. Mehrfach wird auch die 
Ansicht vertreten, daß die Häufigkeit der 
Rezidive bei Nasendiphtherie darauf 
zurückzuführen sei, daß infolge des ge¬ 
ringen Umfanges des Prozesses und der 
geringen Circulation an der befallenen 
Stelle eine aktive Immunisierung nicht 
in dem Umfange wie bei der Rachen¬ 
diphtherie. stattfinde. Wir haben das 
nie ganz verstehen können. Sollte die 
Circulation in den Schwellkörpern des 
Naseninneren wirklich geringer sein als 
in den Tonsillen? Wir möchten die Frage 
anders beantworten: Die Rezidive in der 
Nase erklären sich einfach durch über¬ 
sehene Fortdauer des Prozesses, wie wir 
oben ausführten. Die Rezidive im Rachen, 
nach Nasendiphtherie sind zunächst nicht 
häufiger als die gar nicht so seltenen Di¬ 
phtherierezidive überhaupt, ein Teil wird’ 
sicher der fehlenden Gewebsimmpnität 
zur Last fallen, ein anderer aber auch. 
Fortleitung von dem sein, was die Fran¬ 
zosen Adenoidite primaire nennen (primäre 
Diphtherie der Rachentonsille) und was hei 
und nach Nasendiphtherie nicht ganz 
selten, wenn auch nicht gerade im stren¬ 
gen Wortsinne ,,primär“ sein dürfte. 

Andere Autoren von Ansehen halten 
die primäre.isolierte Nasendiphtherie 
für eine ziemlich seltene, zwar atypisch 
wie ein gewöhnlicher Schnupfen begin¬ 
nende, aber schnell in ein Krankheitsbild 
von großer Schwere einlenkende, beson¬ 
ders im Säuglingsalter, wo sie am .häufig¬ 
sten ist, fast sicher letal verlaufende- 





Juli 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


255 


Krankheit mit großer Neigung zum 
Übergang auf Rachen und Kehlkopf. 

In der Mitte stehen solche, die zwar 
die Nasendiphtherie als solche für wenig 
bedeutungsvoll halten, dagegen die auf 
chronische Fälle folgende Kachexie fürch¬ 
ten. Wir konnten dieselbe nie beobach¬ 
ten, vielleicht, weil es uns an sicheren un¬ 
behandelten Fällen von chronischer Di¬ 
phtherie gebrach. 

In der Angabe der langen Dauer der 
Bacillenhaltigkeit der Nase und der wech¬ 
selnden klinischen Befunde geht die Lite¬ 
ratur ziemlich einig, wenn auch von 
einigen Autoren angegeben wird, daß die 
Nase auffallend schnell bacillenfrei werde. 

Eine Ozaena, wie sie nach Diphtherie der Nase 
Vorkommen soll, konnten wir nie beobachten, 
vielleicht wegen zu kurzer Beobachtungsdauer 
(auch bei Säuglingen nicht über acht bis zehn 
Monate). Daß hier und da die chronische Rhinitis 
mit diphtherischem Gerüche, die bei Nasen- 
bacillenträgern sich mitunter findet, als Ozaena 
angesprochen wird, möchten wir für wahrschein¬ 
lich halten, da sich über diesen — völlig typischen 
— Geruch in der Literatur so gut wie nichts findet. 
Derselbe schwindet aber prompt mit den Ba¬ 
cillen und der Rhinitis. 

Vielfach findet sich, die Ansicht ver¬ 
treten, daß die Nase doch wohl häufiger 
der primäre Herd der Erkrankung sei, als 
man bisher annahm. Eine Anschauung, 
die jedenfalls, selbst wenn sie unrichtig 
sein sollte, das Gute hat, auf die Bedeu¬ 
tung des Nasenbefundes bei Diphtherie 
mehr aufmerksam zu machen als das bis¬ 
her geschieht. 

Über die Rachen- und Nasen¬ 
diphtherie ist die Literatur in der 
Angabe einig, daß die Beteiligung der 
Nase die Prognose verschlechtert, Zeichen 
einer schwereren ausgedehnteren Infek¬ 
tion ist, wie sich auch bei Sektionen be¬ 
sonders schwerer Fälle fast stets in der 
Nase Bacillen fanden. Besonders häufig 
soll in diesen Fällen die echte pseudo¬ 
membranöse Form der Rhinitis sein, was 
wir bestätigt fanden. Die Angabe, daß 
in den Nebenhöhlen der Nase sich in 
schwereren Fällen mit Nasenbeteiligung 
fast konstant Bacillen finden, konnten wir 
nicht kontrollieren, glauben aber, daß 
diesem Umstande für die auch von uns 
so häufig beobachtete lange Dauer der 
Bacillenhaltigkeit der Nase und .die sie 
begleitende Rhinitis einige Bedeutung 
zükommt. 

Ob die von uns beobachteten Fälle 
von Mittelohrentzündung der in der Lite¬ 
ratur viel erwähnten diphtherischen Mit¬ 
telohrentzündung zugehören, konnten wir 
nicht feststellen, wenn auch die bak¬ 


teriologische Untersuchung des Öhr¬ 
eiters in unseren Fällen positiv ausfiel. 
Pseudomembranöse Otitis media sahen 
wir nie. . 

Endlich möchten wir noch auf eine 
Erscheinung aufmerksam machen, die 
wir nur in ausländischen Zeitschriften 
bisher erwähnt fanden. Es ist das die 
außerordentliche Häufigkeit der Di¬ 
phtherielokalisation in der Nase 
bei und nach Masern. Nebenher geht 
noch eine Vorliebe für' Lokalisation im 
Kehlkopf und eine sehr starke Ver¬ 
schlechterung der Prognose durch die 
Kombination. Mehrfach erwähnt wird 
auch das Wiederaufflackern einer abge¬ 
laufenen Diphtherie unter der Masern¬ 
infektion. 

Wir konnten diese Angaben an den 
etwa 50 Fällen unserer Maserndiphtherie¬ 
station durchaus bestätigen. Von sechs 
durch gleichzeitige Masern kompli¬ 
zierten Diphtherien waren zwei reineitrige 
Nasendiphtherien, zwei weitere hatten 
Rachen- und Nasendiphtherie, während je 
einer Nasen- und Kehlkopf- und Rachen- 
undKehlkopfdiphtherie zeigten. Drei von 
den Kindern starben, von den übrigen 
blieb eins sehr lange Nasendiphtherie¬ 
bacillenträger (im Rachen schwanden 
die Bacillen bald!). 15 Fälle, in denen 
die Diphtherie längere oder kürzere Zeit 
auf die Masern folgte, hatten gleichfalls 
ungefähr zu gleichen Teilen Nasen- und 
Rachen- und Nasendiphtherie. Das Bild 
des Nasenbefundes war stets das der 
eitrigen Rhinitis, es unterschied sich von 
einem etwas chronisch gewordenen Ma¬ 
sernschnupfen kaum. Auch in diesen 
Fällen blieb die Nase fast immer Wochen, 
selbst Monate länger positiv als der 
Rachen, falls dieser überhaupt mit be¬ 
teiligt war. Erwähnenswert ist ein Fall, 
der auf einer inneren Station Masern be¬ 
kam und bei dem auf der Masernstation 
in der Nase reichlich Diphtheriebacillen 
nachgewiesen wurden, die allerdings 
schnell wieder ^schwanden. Eine Erklä¬ 
rung dafür fehlt. Ein zweiter Fall bekam 
auf der Diphtheriestation' Masern. Wäh¬ 
rend die Nase vorher bacillenfrei gewesen 
war, bestand, jetzt langdauernde Bacillen¬ 
haltigkeit. Ein dritter Masernfall bekam 
auf der Maserndiphtheriestation, wohin er 
unvorsichtigerweise gelegt worden war, 
Diphtheriebacillen (Rachen und Nase), 
ohne Symptome von Diphtherie und 
wurde sie aus der Nase erst nach Wochen 
lös. Ein weiterer Fall, der bacillenfrei 
in Rachen und Nase von der Masern- 


256 


D^e Therapie der Gegenwart 1917. 


diphtheriestation entlassen war, kam nach I 
14 Tagen mit typischer Nasendiphtherie I 
ohne Rachenbeteiligung wieder herein. 
Die Entscheidung, ob Rezidiv oder Re¬ 
mission oder Neuerkrankung, bleibt offen. 

Über die Diphtherie der Erwach¬ 
senen findet sich in der Literatur trotz 
ihrer Häufigkeit recht wenig. Die Nasen- 
diphtherie fanden wir nie erwähnt. Bei 
denjenigen Nasendiphtherien, die ledig¬ 
lich eine • Komplikation der Rachen¬ 
diphtherien darstellten, war der Befund 
und Verlauf völlig derselbe wie bei den 
Nasen-Rachen-Diphtherien der Kinder. 
Erwähnenswert ist, daß unter fünf sehr 
schweren Fällen der einzige, der 
durchkam, keine Nasenbeteiligung auf¬ 
wies. Daß auch bei den Erwachsenen die 
Nasenbeteiligung ein Zeichen für die grö¬ 
ßere Schwere der Erkrankung ist, scheint 
daraus hervorzugehen, daß von neun 
mittelschweren Fällen mit Nasen¬ 
befund drei Paresen und mehrere andere 
Komplikationen von seiten des Herzens 
aufwiesen, während acht gleichschwere 
Fälle, die nur Bacillen in der Nase, aber 
keinen Befund hatten, bis zur Entlassung 
keine Paresen usw. und Herzerscheinungen 
zeigten. Auch die Bacillenfreiheit trat bei 
den Fällen mit Nasenbefund in der Nase 
meist viel später ein als im Rachen, wäh¬ 
rend die Nase in den anderen Fällen 
gleichzeitig oder eher negativ wurde. 
Leichte Fälle wiesen zwar oft Bacillen 
in der Nase, jedoch nur in einem Viertel 
der Fälle einen meist geringen Nasen¬ 
befund auf. Die Bacillen verschwanden 
in allen untersuchten 16 Fällen ziemlich 
gleichzeitig mit den Bacillen im Rachen. 

In fünf meist schweren und mittelschweren 
Fällen von Nasen-Rachen-Diphtherie war zwar 
eine eitrige Rhinitis vorhanden, aber Diphtherie¬ 
bacillen wurden nicht gefunden, auch nicht bei 
wiederholter Untersuchung. 

Im allgemeinen schwanden auch bei 
den Erwachsenen die Nasenbefunde 
gleichzeitig mit den Rachenbefunden. 
Das bei Kindern vorkommende Über¬ 
dauern der diphtherischen Rhinitis bei 
Nasenbacillenträgern, wurde nie mit 
Sicherheit beobachtet. In 25 Fällen von 
Rachendiphtherie ohne Nasenbefund (dar¬ 
unter zwei sehr schweren und sieben 
mittelschweren) wurden Bacillen in der 
Nase nicht gefunden. Andererseits wurden 
in sechs Fällen aus dem Anfänge der Be¬ 
richtszeit, die Nasenbefund hatten, die 
Nasen nicht bakteriologisch untersucht. 

Die Aufstellung einer Statistik, die 
der für die Rachen-Nasen-Diphtherien der 


JUli 


Kinder mitgeteilten entspricht, ergab fol¬ 
gende Tabelle II: 


Tabelle II. 


mit 1 

ohne 

Fälle 

Nasenbeteiligung 


Zahl 

% 

Zahl 

% 

leichte . 

33 

48 

221 

73 

mittelschwere . 

26 

39 

75 

25 

sehr schwere . . 

9 

13 

7 

2 

Summa 

68 

100 

303 

100 


Auch aus dieser Tabelle ergibt sich 
derselbe Schluß wie aus Tabelle I. 


Echte isolierte Nasend.iphtherie 
beim Erwachsenen haben wir nicht 
beobachtet, doch fiel es auf, daß in ein¬ 
zelnen Fällen (wir beobachteten deren 
sieben) bei mehr öder weniger diphtherie¬ 
verdächtigen Anginen beim ersten Ab¬ 
striche gleich nach der Aufnahme die Nase 
positiv, der Rachen negativ war. Während 
der letztere negativ blieb, also nicht etwa 
ein Fehler oder eine Verwechselung beim 
Abstreichen vorlag, war der Nasenab¬ 
strich mit einer Ausnahme nie wieder 
positiv. Alle diese Fälle zeigten keine 
Spur von Rhinitis. Eine Erklärung dieses 
Verhaltens steht noch aus, denn daß es sich 
um das Endstadium einer echten Di¬ 
phtherie handeln konnte, in dem nur noch 
die Nase positiv war, scheint nach der 
Anamnese recht unwahrscheinlich. 

Zum Schlüsse sei noch erwähnt, daß bei Kin¬ 
dern und Erwachsenen bei klinisch diphtheriever¬ 
dächtigen Anginen bakteriologisch nicht diphthe¬ 
rischer Art sich in einzelnen Fällen eitrige Rhini¬ 
tiden fanden, bei denen nie Diphtheriebacillen vor¬ 
handen waren. Ob diese Fälle zur Gattung der 
Angina und Rhinitis pseudomembranacea non 
diphtherica gehören, bleibe dahingestellt. 

Die Therapie aller Nasendiphthe¬ 
rien und darauf verdächtigen Erkran¬ 
kungen ist natürlich sobald wie irgend 
möglich eine Seruminjektion, die immer 
intramuskulär, in ganz schweren Fällen 
wenn möglich intravenös zu geben ist 
(dann am besten hochwertiges, das heißt 
lOOOfaches Serum). Die Dosen schwank¬ 
ten bei uns zwischen 500—1000 I.-E. bei 
reinen Nasendiphtherien der Säuglinge 
und 30—40 000 I.-E. bei schweren (so¬ 
genannten septischen) Allgemeininfekti¬ 
onen älterer Kinder und Erwachsener. 
Höher (bis auf mehrere 100 000 I.-E.), 
wie es in Amerika viel getan wird und 
neuerdings auch von deutscher und 
französischer Seite empfohlen wird, sind 
wir nie gegangen. Von lokalen Mitteln 
haben wir die vielfach empfohlene Zin¬ 
nober salbe noch nicht versucht. Die 





Juli Die Therapie der Gegenwart 1917. 257 


weiße Praecipitatsalbe, der neuer¬ 
dings nachgerühmt wird, daß sie sich bei 
Nasenbacillenträgern gut bewähre, ver¬ 
wenden wir erst seit kurzer Zeit in grö- / 
ßerem Umfange. Über unsere Erfah¬ 
rungen damit werden wir bei günstigem 
Ausfälle seinerzeit berichten. Unsere Er¬ 
fahrungen mit Pro vidof ormsalbe, 
über die wir vorläufig an dieser Stelle 
(1916, H. 11) bereits berichteten, können 
jetzt dahin ergänzt werden, daß eine ir¬ 
gendwie merkliche Beeinflussung des Ver¬ 
laufes des lokalen Prozesses oder der Ba- 
cillenhaltigkeit der Nase nicht stattfindet. 
Von dem namentlich von französischer 
Seite viel empfohlenen Trockenserum, 
dem auch Verhütung von Rezidiven und 
Chronischwerden f der Diphtherie zuge¬ 
schrieben wird, sahen wir in den wenigen 
Fällen, in denen wir es anwandten (es ist 
ziemlich teuer), nichts Besonderes. Ge¬ 
warnt sei-vor allen schlecht löslichen Pul¬ 
vern (Sozojodol usw.), die die Nase nur 
noch mehr verstopfen. Adrenalin auf 
Watte oder eingeträufelt (gewöhnliche 
Lösung 1:1000) bewährte sich uns in ein¬ 
zelnen Fällen gegen Schwellungszustände 
wie auch gegen leichtere Blutungen; bei 
schweren Blutungen in „septischen“ 
Fällen ist es natürlich ohne Wirkung. 
Die von einigen Seiten immer wieder 
empfohlenen Spülungen mit verschie¬ 
denen Substanzen sollten angesichts der 
auch bei leichteren Fällen bestehenden 
Neigung zu Blutungen doch lieber ver¬ 
mieden werden, jedenfalls aber dem 
Arzte persönlich überlassen bleiben. 

Die Frage der Infektiosität der 
Nasendiphtherie ist recht schwer zu be¬ 
antworten, wie auch aus den vielfach von¬ 
einander abweichenden Meinungen der 
Literatur hervorgeht. Im allgemeinen 
wird angenommen, daß die Nase des Ge¬ 
sunden — abgesehen vom Bacillenträger, 
der selbst Diphtherie hatte oder von Di- 
phtheriekranken infiziert wurde — Di¬ 
phtheriebacillen nicht enthält; doch wird 
auch dies hier und da bestritten und 
darauf hingewiesen, daß Diphtheriebacil¬ 
len in der Nase Gesunder häufig vor¬ 
kämen, daß sie aber in der überwiegenden 
Mehrheit der Fälle avirulent seien, was 
auch für die Mehrheit der Bacillenträger 
von einigen Seiten behauptet wird. Noch 
andere bezweifeln die Existenz avirulenter 
Diphtheriebacillen überhaupt. 

In jedem Falle wird man also sagen 
dürfen, daß eine Virulenzprüf ung (Tier¬ 
versuch) bei Bacillenträgern notwendig ist, 
wenn man auf die Tatsache der Bacillen¬ 


trägerschaft irgendwie eingreifende Ent¬ 
schlüsse — z. B. die für die Diphtherie¬ 
bekämpfung mit Recht viel geforderte 
und doch nie durchgeführte Isolierung 
bis zur Bacillenfreiheit aufbauen will. 
Vor allem aber dürfte dies bei Säuglingen 
zu wünschen sein, die bei Zurückhaltung, 
auf den Diphtheriestationen zwecks Iso¬ 
lierung außerordentlich durch die dort 
nie ganz zu vermeidenden Mischinfek¬ 
tionen mit Masern, Keuchhusten usw. 
gefährdet werden, wie unsere Erfahrungen 
zur Genüge beweisen. 

Was die Gefährdung der Umwelt 
durch Träger virulenter Bacillen in der 
Nase angeht, so wird man bei Säug¬ 
lingen im Krankenhausbetriebe bei pein¬ 
lichster Sauberkeit nicht übertrieben 
ängstlich zu sein brauchen. Wesentlich 
anders ist es natürlich draußen, wo der 
Säugling von älteren Kindern gewartet 
und möglicherweise geküßt wird, und wo 
eine Übertragung des Nasensekrets auf 
empfängliche Stellen nicht mit Sicherheit 
auszuschließen ist. Jedenfalls dürfte sich 
bis zum Beweis, daß die Nasendiphtherie 
der Säuglinge immer ungefährlich und 
nicht infektiös ist — ein Beweis, der wohl 
kaum zu erbringen ist — die Unterbrin* 
gung in .einer Infektionsabteilung stets 
empfehlen. Daß eine eitrige Rhinitis als 
infektiöser angesehen ist als eine trockene, 
möchten wir bei-dem häufigen Wechsel 
zwischen beiden Formen nicht annehmen. 
Für die Nasen- und Raehendiphtherie 
der Säuglinge gilt das Gesagte natürlich 
gleichfalls. 

Für die Diphtherien älterer Kin¬ 
der mit Nasenbeteiligung ist daran 
festzuhalten, daß alle bei Rachendiphthe¬ 
rien auftretenden Nasendiphtherien, da sie 
sicher virulente Bacillen enthalten und 
zwar auch in dem Stadium des Bacillen¬ 
trägers als infektiös anzusehen sind, 
namentlich jene Fälle, bei denen es zu 
einer .chronischen Rhinitis mit Bacillen 
kommt. Die' Gefahr wird durch die Un¬ 
sauberkeit der Kinder und ihr Zusammen¬ 
kommen mit anderen in Schule und 
Straße noch wesentlich erhöht, so daß 
hier besonders -— ohne jede Rücksicht 
auf die Schule— Isolierung im Kranken¬ 
hause für die Dauer der Bacillenhaltigkeit 
der Nase (beziehungsweise des Rachens) 
zu verlangen ist. Während des Bestehens 
der eigentlichen akuten Erscheinungen 
wird das ja in fast allen Fällen durch¬ 
geführt, wichtig ist aber für die Diphtherie¬ 
bekämpfung die Erkennung und Isolie¬ 
rung aller Bacillenträger und chronischen 

33 



258 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juli 


Diphtherien im Kindesalter, von denen 
eben ein großer Teil nur in der Nase 
Bacillen hat. Für die isolierte Nasen¬ 
diphtherie älterer Kinder gelten gleiche 
Grundsätze, schon deshalb, weil die Nasen¬ 
diphtherien hier, wie oben erwähnt, in 
nicht ganz seltenen Fällen nur die Vor¬ 
läufer einer Rachen- und Kehlkopf¬ 
diphtherie sind. 

Erwachsene Nasenbacillen träger 
dürfen wohl bei einiger Sauberkeit und 
wenn sie in Haushalt und Beruf nicht in 
nähere Berührung mit Kindern kommen, 
milder behandelt werden (Tröpfcheninfek¬ 
tion durch Niesen kommt fast gar 
nicht in Frage). Es wird ohnedies kaum 
möglich sein, die Erwachsenen für die 
oft lange Dauer der Bacillenhaltigkeit der 
Nase im Krankenhause zu halten, zumal 
ja eine gesetzliche Handhabe fehlt und 
auf Verständnis nicht immer zu rechnen 
ist; die Grundsätze für die Behandlung 
der Rachenbacillenträger sind zu be¬ 
kannt, um hier wiederholt werden zu 
müssen. Die neuerdings in Berlin in Auf¬ 
nahme gekommene Übung, die Bacillen¬ 
träger nach acht Wochen zu entlassen, 
auch wenn sie nicht bacillenfrei sind, ist 
wohl eine Konzession an die Bevölkerung, 
die nur der billigen wird, der $er Über¬ 
zeugung ist, daß nach längerer Dauer des 
Aufenthalts auf der Schleimhaut die 
Bacillenstämme sicher avirulent werden. 

Schließlich sei noch darauf aufmerksam ge¬ 
macht, daß selbst ein zweimaliger in vier bis acht 
Tagen Abstand gemachter negativer Nasen¬ 
abstrich nicht völlig für endgültige Bacillenfreiheit 
beweisend ist. In einem von uns beobachteten 
Falle hat ein Junge von drei Jahren, der nach 
zwei negativen Nasenabstrichen (der Rachen war 
immer negativ) auf eine innere Station verlegt 
worden war, eine ältere Frau, die dort neben ihm 
lag, mit einer ziemlich schweren Diphtherie be¬ 
glückt. Ähnliche nicht ganz so krasse Fälle beob¬ 
achteten wir mehrfach. 

Die schon mehrfach berührte, für die 
Beurteilung der Nasendiphtherie sehr 
wichtige Frage, ob die Nase oder der 
Rachen in Fällen gleichzeitiger Beteili¬ 
gung beider Organe das primär erkrankte 
ist, ist wohl, wie erwähnt, nur selten sicher 
zu beantworten. Wir möchten im allge¬ 
meinen glauben, daß die Nase jedenfalls 
viel häufiger primärer Herd ist, als all¬ 
gemein geglaubt wird, besonders auch 
bei den schweren ,,septischen“ Fällen, 
die vielleicht gerade deshalb so schwer 
sind, weil sie eben als Diphtherie der Nase 
(und des Nasen-Rachen-Raumes: die Ade- 
noidite primaire der Franzosen) schon viel 
länger bestehen als die Anamnese angibt, 
die meist nur die Rachefterkrankung be¬ 


rücksichtigt, oft auch direkt falsch ist. 
Man kann hier auch an eine Rolle der 
chronischen Nasendiphtherie (so muß 
% man die ganz potrahiert verlaufenden 
'Rhinitiden mit Diphtheriebacillen doch 
wohl nennen) für die Entstehung scheinbar 
primärer Rachen- und besonders Kehl¬ 
kopfdiphtherien denken. 

Die etwas akademische Frage, ob bei nur ein¬ 
seitigem Nasenbefunde nur das Nasenloch mit Be¬ 
fund Diphtheriebacillen enthält, haben wir nur 
selten geprüft. In allen Fällen wies auch das kli¬ 
nisch freie Nasenloch Bacillen auf. In der Lite¬ 
ratur findet sich darüber nichts. 

Zu der außerordentlich wichtigen Frage der 
Pseudodiphtheriebacillen (Bac. Hoffmanni) 
sei nur bemerkt, daß wir in der Zeit, wo die Ba¬ 
cillenfreiheit sich vorbereitet, so zwischen dem 
letzten positiven und dem ersten negativen Ab¬ 
strich, gelegentlich im Rachen und Nase Pseudo¬ 
diphtheriebacillen beobachteten. Bekanntlich 
finden sich diese Mikroorganismen sehr häufig in 
gesunden und noch häufiger in — nicht diphthe¬ 
risch — kranken Nasen und Rachen und gelten 
als völlig unschädlich und den Diphtheriebacillen 
nur entfernt verwandt, doch macht sich neuerdings 
die Neigung wieder geltend, diese Bacillen den 
echten Diphtheriebacillen wieder näher zu stellen 
als früher und nach unseren — nicht umfang¬ 
reichen — Erfahrungen, möchten auch wir den 
Pseudodiphtheriebacillen doch nicht volles Ver¬ 
trauen bezüglich ihrer Unschädlichkeit schenken. 
Diphtherieähnliche Erkrankungen, bei denen die 
Pseudodiphtheriebacillen ausschließlich und im 
ganzen Krankheitsverlaufe zu finden waren, sahen 
wir jedoch nicht (von manchen werden sie be¬ 
kanntlich für die Erreger der Ozaena und mancher 
anderen Nasenerkrankung gehalten). 

Die so notwendigen Virulenzprüfungen 
im Tierversuche anzustellen, machte uns 
leider die .Kriegszeit unmöglich. Solange 
nicht diese, in allergrößtem Umfange aus¬ 
geführt und bezüglich ihrer Beweiskraft 
völlig gesichert, eine letzte Klärung zur 
Frage der Nasendiphtherie gebracht haben, 
möchten wir zusammenfassend fol¬ 
gende Forderungen für Bekämpfung 
der Nasendiphtherie und damit der 
Diphtherie als Epidemie überhaupt auf¬ 
stellen. 

1. Bei der Häufigkeit der isolierten 
Nasendiphtherie im Säuglings- und Kin¬ 
desalter ist bei jedem länger als etwa acht 
Tage dauernden Falle von Schnupfen ein 
Rachen- und Nasenabstrich zu machen, 
der bei negativem Befunde zu wiederholen 
ist. Besonders verdächtig ist einseitiger 
Schnupfen. 

2. Bei jeder Diphtherie — auch bei 
ganz leichter ohne Nasenbefund und in 
jedem Lebensalter — ist die Nase gleich 
anfangs bakteriologisch zu untersuchen. 
Für die Entlassung gelten dieselben Be¬ 
stimmungen wie für die Rachendiphtherie: 
Auch die Nase muß in zwei — besser drei 
— aufeinanderfolgenden Untersuchungen 



Juli 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


259 


bakteriologisch (kulturell!) negativen Ba¬ 
cillenbefund aufweisen, bevor die Ent¬ 
lassung erfolgen kann. 

3. Bacillenträger, auch solche, die nur 
in der Nase Bacillen haben, sind bis zur 
Bäcillenfreiheit oder bis zum Beweis der 
Avirülenz der Bacillen zu isolieren. Milde¬ 
rungen bei Einzelfällen, besonders bei Er¬ 
wachsenen, stehen im ärztlichen Ermessen. 


4. Ist eine Nasendiphtherie entdeckt, 
so sind auch von der Umgebung Rachen- 
und Nasenabstriche zu machen. < 

5. Die Behandlung der Nasendiphtherie 
hat schon mit Rücksicht auf die Möglich¬ 
keit des Übergreifens auf andere Organe 
durch Seruminjektion zu erfolgen. Über 
die lokale Behandlung besteht zurzeit 
noch keine Einigkeit. 


Gibt es einen Shock bei Bauchschußverletzungen? 

Von Dr. Ernst Gräfenberg-Berlin, z. Z. bei einer Sanitätskompagnie. 


Die Frage nach der Todesursache 
der Bauchschußverletzten hat nicht 
nur theoretisch-wissenschaftliches Inter¬ 
esse. So wertvoll auch für die ärztliche 
Wissenschaft die Kenntnis ist, ob für den 
Verwundeten Verblutung, Bauchfell¬ 
entzündung oder Shock das lebens- 
bedrohende Moment ist, so ist diese Un¬ 
terscheidung doch allein deshalb beson¬ 
ders wichtig, weil von ihr gleichzeitig 
die Richtlinien unserer ärztlichen Betäti¬ 
gung ausgehen. 

Wenn der Blutverlust die Ursache 
des schweren Krankheitsbildes ist, unter 
dem die größte Zahl der Bauchschußver¬ 
wundeten schnell zugrunde gehen, so wird 
man eiligst die Blutstillung zu betreiben 
tiaben und in der schleunigsten Laparo¬ 
tomie die einzige Hilfe gegen die lebens¬ 
bedrohende Verblutung erblicken. 

Glaubt man dagegen in dem Shock 
die Erklärung für den ernsten Zustand 
der Bauchverwundeten suchen zu dürfen, 
so wird gerade die eilige Laparotomie dem 
Verwundeten den größten Schaden zu¬ 
fügen, weil sie den Shock noch verstärken 
ihilft. Der Shock würde uns eher zwin¬ 
gen, vorerst von jedem operativen Ein¬ 
griffe abzusehen und statt zu operieren, 
Morphium zu injizieren. Deshalb emp¬ 
fiehlt Hirschberg 1 ) in folgerichtiger 
Überlegung die Operation erst „nach 
Überwindung des Schuß- und Transport-, 
shocks“. 

Und schließlich würden wir bei einer 
Bekämpfung der Peritonitis als mut¬ 
maßlicher Ursache des schnellen Verfalles 
andere therapeutische Bahnen wandeln 
müssen als bei Bauchverwundungen, die 
schwerste Blutverluste oder bedrohliche 
Shockzustände hervorgerufen haben. 

Deshalb wird jeder Arzt, der unter den 
schwierigen Verhältnissen der Front den 

*) Hirschberg, Shock — Blutung — Peri¬ 
tonitis. Zur Indikationsstellung der Bauchschuß- 
Operation. D. m. W. 1916, Nr. 47. 


armen Bauchschußverwundeten wirksame 
Hilfe bringen will, sich über die Ursache 
des bedrohlichen Krankheitsbildes Klar¬ 
heit verschaffen müssen, um alsdann den 
Schluß für sein Handeln ziehen zu können. 

Zu Beginn des Krieges war man ge¬ 
neigt, den schnellen Verfall der Bauch¬ 
verletzten auf die innere Verblutung zu¬ 
rückzuführen. Haenel 1 ) wollte noch 
69% seiner Todesfälle nach Bauchschuß 
mit dem schweren Blutverluste erklären. 
Diese Angabe hat keine Bestätigung ge¬ 
funden. Wir haben an unserem Material, 
das sich auf 110 genau beobachtete 
Bauchschüsse erstreckt, nur in 5% töd¬ 
liche Verblutung gesehen. 

Für den schnellen tödlichen Aus¬ 
gang kommt die klassische Peritonitis mit 
ihrem doch meist über zwei oder dre- 
Tage sich hinziehenden Verlaufe nach uni 
seren Erfahrungen nicht in Frage. Nur 
in wenigen Ausnahmefällen bildet sich 
schon innerhalb weniger Stunden nach der 
Verletzung eine klinisch prägnante exsu¬ 
dative Peritonitis aus. 

Gleiche Beobachtungen haben sicher¬ 
lich auch Oberst 2 ) veranlaßt, für die 
Hälfte seiner frühzeitig eingelieferten 
Bauchschußverletzungen den Shock als 
Todesursache anzusprechen. Dieser 
Shock ist nach Oberst so stark, daß er 
jeden operativen Eingriff verbietet. Das 
Kriterium für'die Schwere des Shocks 
wird für Oberst sicherlich auch das Ver¬ 
halten des Pulses gewesen sein. Die 
Blässe und Kühle der Haut/ auf welche 
E r 1 e n m e y e r 3 ) vor allem Wert legt, stehen 
keineswegs im Vordergründe. Der Ver¬ 
wundete sieht häufig recht gut aus, und 

1 ) Haenel, Über Bauchschußverletzungen. 
Beitrag zur klinischen Chirurgie 1916 Bd. 100. 

2 ) Oberst, Beobachtungen und Resultate 
bei frühzeitig eingelieferten Bauchschüssen. M. 
m. W. 1916, Nr 48. 

3 ) Erlenmeyer, Der Shock, seine Bedeu¬ 
tung und Behandlung im Felde. M. m. W. 1916, 
Nr. 27. 


33 * 



260 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


dabei ist der Puls schon kurze Zeit nach 
der Bauchverletzung nicht mehr zu fühlen. 
Auch fehlen fast regelmäßig Bewußtsein¬ 
störungen, die armen Kameraden gehen 
mit einer wundervollen Euphorie bei 
klarer Besinnung unter zunehmender 
Herzinsuffizienz zugrunde. Auf Verände¬ 
rungen des Atemrhythmus (Erlenm eyer) 
darf man für die Shockdiagnose bei 
Bauchverletzungen keinen Wert legen, 
die Atmung nimmt bei allen intraperito¬ 
nealen Verletzungen des Magen-Darm- 
Kanales einen oberflächlichen, beschleu¬ 
nigten und costalen Typus an. 

Natürlich wird ein pulsloser, mori¬ 
bunder Bauchverwundeter ein operatives 
Noli me tangere sein, auch wenn wir nicht 
im „Shock“ die Kontraindikation der 
Operation erblicken. Erwartet man aber 
von einem Zuwarten eine Besserung des 
schockartigen Zustandes, so werden viele 
Stunden bis zur Ausführung der dringend 
notwendigen Operation verstreichen. Die 
Mehrzahl der Verwundeten kommt selbst 
unter den geordneten Verhältnissen des 
Stellungskrieges nicht vor Ablauf von drei 
bis sechs Stunden in die Hände des Chi¬ 
rurgen. Bis der Shock der Verwundung 
und des Transportes geschwunden ist, 
werden leicht die ersten 24 Stunden vor¬ 
übergehen. Während dieser ersten 24 Stun¬ 
den hat aber der Tod schon eine gewaltige 
Lücke in die Reihen der Bauchschußver¬ 
wundeten gerissen. Nach unseren eigenen 
Erfahrungen haben von 110 Bauchschu߬ 
verletzten 58 nicht die ersten 24 Stunden 
überlebt. Es sind 53% der Bauchver¬ 
letzten innerhalb des ersten Tages nach 
der Verwundung gestorben. Diese Zahl 
umfaßt Operierte wie Nichtoperierte des 
gesamten Materials, über welche genaue 
Aufzeichnungen zur Verfügung stehen. 

Wollten wir durch Abwarten vorerst 
den Shock vorübergehen lassen, so wür¬ 
den die kostbarsten Stunden für die Be¬ 
handlung der Bauchschußverletzungen 
verloren gehen. Nur ein bescheidener 
Rest würde noch den Termin einer Ope¬ 
ration erleben, deren Aussichten nach der 
Zusammenstellung von Petry 1 ) und 
Kraske 2 ) sich mit jeder Stunde Ab¬ 
wartens verschlechtern. Für die übrig¬ 
gebliebenen Bauchverletzten würde dann 
vielleicht sogar die konservative Therapie 
genügen, deren Erfolge ja stets besonders 


0 Petry, zitiert nach Wullstein-Wilms, Lehr¬ 
buch der Chirurgie, 1913. 

2 ) Kraske, Über Bauchschüsse. M. m. W. 
1915, Nr. 19. 


Juli 


gute sind, wenn sie mehrere Tage nach 
der Verwundung einsetzt. Deshalb ist es 
auch verständlich, daß Duschkow-Kes- 
siakoff 1 ) mit den Erfolgen der nicht¬ 
operativen Behandlung bei seinem' Ma¬ 
teriale recht zufrieden ist, das sich nur 
aus Leuten, die schon mehrere Tage vor¬ 
der Aufnahme in das Lazarett verwundet 
waren, zusammensetzte. 

Das bedrohliche Krankheitsbild der 
Bauchschußverletzten, für welches auch 
Oberst den Namen Shock gebraucht*, 
hat mit der inneren Verblutung nur ur¬ 
sächliche Beziehungen gemein. Stets¬ 
finden sich bei beiden schwerste Ver¬ 
letzungen der Bauchhöhle; jedoch ist die 
Entwickelung des shockähnlichen .Zu¬ 
standes von einer perforierenden Ver¬ 
letzung des Magen-Darm-Kanales 
abhängig. Nur wenn perforierende Wun¬ 
den am Vertauungstraktus gefunden wer¬ 
den, ist das Allgemeinbefinden so schwer 
alteriert, daß es dem Shock gleicht. 

Naturgemäß bleibt in diesen Fällen 
die Bauchhöhle nicht frei von Mikro¬ 
organismen. Selbst wenn aus den Darm¬ 
löchern kein Kot in nachweisbarer Menge¬ 
in die Bauchhöhle gelangen konnte, ist 
doch für den massenhaften Durchtritt 
von Darmbakterien Gelegenheit gegeben.. 
Deshalb haben auch Läwen und Hesse 2 )* 
bei ihren Untersuchungen der Bauch¬ 
höhlenflüssigkeit schon wenige Stunden 
nach der Verletzung virulente Keime in 
der Bauchhöhle nachweisen können, wenn 
der Schuß die Darmhöhle eröffnet hatte.. 
Auch wir 3 ) haben in Untersuchungs¬ 
reihen, die bereits ein Jahr zurückliegen* 
in ähnlichen Versuchsbedingungen das. 
gleiche Ergebnis erhalten. Stets fanden 
sich in der Bauchhöhlenflüssigkeit bei 
Bauchschüssen mit Darmverletzung viru¬ 
lente Keime vom Typus der Darmflora. 
Exogene Keime, die das Geschoß von. 
außen in die Bauchhöhle mitgerissen 
hätte, kommen bei diesen Frühinfektionen 
des Bauchfelles nicht in Betracht. 

Ebenso schnell, wie sich diese Darm¬ 
bakterien in der Bauchhöhle ausbreiten* 
gelangen sie auch dank der überaus gün¬ 
stigen Resorptionsfähigkeit des Bauch¬ 
felles in die Lymphblutbahn des Kör¬ 
pers. Es lassen sich bei Bauchschußver- 

1 ) Duschkow-Kessiakoff (Sofia), Kriegs* 
chirurgische Beobachtungen Militärarzt Nr 23. 

2 Läwen und Hesse, Bakterienbefuhde 
bei frischen KriegsschufSverletzungen und ihre 
klinische Bedeutung. M m. W. 1916, Nr 19. 

3 , Gräfenberg, Über die Ursachen der 
hohen Sterblichkeit der Bauchschüsse. M. K. 1917*. 



Juli 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


261 


letzungen mit Eröffnung des Darmlumens 
nicht nur in der Bauchhöhle, sondern 
stets auch gleichzeitig in dem Blute der 
Körpervenen die gleichen Bakterien nach- 
weisen. Es verursacht die Darmver¬ 
letzung sofort im Anschlüsse an die lokale 
Aussaat der Darmbakterien über das 
Bauchfell eine akute Bakterienüber¬ 
schwemmung des Blutes der Bauchschuß.- 
verwundeten. Es wird nicht wunder¬ 
nehmen, daß eine solche akute Bakte¬ 
riämie schon bald nach der Verwundung 
schwerste allgemeine Erscheinungen 
macht, und daß der Verwundete sich be¬ 
reits in überraschend kurzer Zeit in einem 
nicht mehr operationsfähigen Zustande 
befindet. 'Dieser schnelle Verfall ist nur 
verständlich, wenn es sich um Bauch¬ 
schußverletzungen handelt, bei denen der 
Darm verletzt ist und aus seinen Wunden 
die Bakterien auf das schnell aufsaugende 
Bauchfell hinaustreten läßt. 

Die gleichen Bedingungen liegen auch 
fast allen Fällen der Oberstschen Zu¬ 
sammenstellung zugrunde. Von zehn 
Operierten hatten sieben Verletzungen des 
Magen-Darm-Kanales, und bei zwölf nicht- 
operierten Bauchverletzten konnten bei 
der Autopsie zehnmal mehr oder weniger 
ausgedehnte Eröffnungen des Magen- 
Darm-Kanales nachgewiesen werden. Es 
war also auch hier der Ausgangspunkt 
für eine Bakterienaussaat in die Bauch¬ 
höhle und für eine consecutive Bakterien¬ 
invasion der Blutbahn gegeben. 

Es ist deshalb nicht richtig, daß 
Oberst in seinen Krankengeschichten als 
Todesursache Shock angibt, nachdem 
zuvor fast in jedem Falle die Verletzung 
des Magen-Darm-Kanales von ihm beob¬ 
achtet und beschrieben ist. Denn Shock 
ist und bleibt immer noch eine Verlegen¬ 
heitsdiagnose. Man besinnt sich auf ihn 
nur, wenn unsere Untersuchungsmethoden 
keine faßbare Ursache für das leben¬ 
bedrohliche Krankheitsbild nachweisen 
können. Angesichts solcher negativer 
Beweisführung werden Gedankengänge 
verständlich, welche im Shock einen 
psycho-vasomotorischen Symptomen- 
komplex (Erlenmeyer) sehen wollen. 
Es dürfte andererseits wohl^niemand, der 
jemals einen Blick in die verwüstete 
Bauchhöhle eines Bauchschußverwun¬ 
deten mit Darmverletzung getan hat, den 


Spekulationen Erlenmeyers folgen wol¬ 
len und glauben, daß allein das psychische 
Trauma der Verwundung, selbst wenn es 
„mit äußerster Rasanz zur Wirkung 
kommt“ (Erlenmeyer) den elenden Ein¬ 
druck eines echten Bauchschußverletzten 
hervorrufen kann. Solche theoretischen 
Schlüsse sollten nur möglich sein, wenn 
alle naturwissenschaftlichen Arbeits¬ 
methoden ergebnislos geblieben sind. Viele 
dieser Methoden müssen allerdings unter 
den primitiven Arbeitsmöglichkeiten der 
Front und besonders im Osten zurück¬ 
treten. Aber daß unsere Methodik nicht 
völlig geschwunden ist, lehrt ein Blick 
über die wissenschaftliche Ausbeute der 
Kriegsmedizin, die ganz besonders wertvoll 
dann ist, wenn sie Vergleiche mit den Er¬ 
fahrungen der Friedensmedizin gestattet. 

Ein solcher erklärender Vergleich ist 
auch für die Shockdiagnose der Bauch¬ 
schüsse des Krieges von größter Bedeu¬ 
tung. Es ist verkehrt, den bedrohlichen 
Zustand eines Verwundeten nach Bauch¬ 
schuß mit dem Shock in Parallele setzen 
zu wollen, nur weil beide mit vasomotori¬ 
schen Störungen einhergehen können. Das 
Krankheitsbild nach einer Bauchschu߬ 
wunde wird richtiger mit dem klinischen 
Bilde anderer akuter Bakteriämien 
verglichen, für deren unheilvollen und 
rapiden Verlauf auch sonst allein bakte¬ 
riologische und pathologisch-anatomische 
Erklärungen maßgebend sind. 

Es gibt bei Bauchschüssen mit Er¬ 
öffnung des Verdauungskanals kei¬ 
nen akuten Shock mit psychovaso- 
motorischem Symptomenkomplex. Alle 
bedrohlichen Allgemeinerscheinungen sind 
in diesen Fällen die Folge einer akuten 
Bakteriämie durch Darmbakterien, 
welche aus den Darmwunden in die Peri¬ 
tonealhöhle geschwemmt sind und von 
hier aus in die Blutbahn gelangen. Wir 
sind deshalb nicht berechtigt, in der 
fälschlichen Annahme eines Shockzu- 
standes die' lebensdringliche Operation 
eines Bauchschußverletzten hinauszu¬ 
schieben. Gerade die Erkenntnis, daß es 
fürMagen-Darm-Schüsse keinen „Shock“ 
gibt, wird uns veranlassen, schnellstens 
jeden Verwundeten mit echtem Bauch¬ 
schüsse zu operieren, um durch die Ope¬ 
ration vielleicht noch ein Leben zu retten, 
das sonst ganz sicherlich verloren ist. 



262 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juli 


Zusammenfassende Übersicht. 

Die Behandlung der Rachitis. 

Von Ernst Schloß-Zehlendorf-Berlin (zurzeit im Felde). 


II. Die praktische Durchführung der 
Behandlung. 

Nachdem wir im vorstehenden sowohl 
die Grundlagen der Rachitistherapie als 
auch das uns zur Verfügung stehende 
therapeutische Rüstzeug kennengelernt 
haben, läßt sich die eigentliche Praxis 
der Rachitisbehandlung relativ leicht dar¬ 
stellen. 

A. Allgemeine Gesichtspunkte. 

1. Der Beginn der Behandlung. 

Darüber kann gar kein Zweifel sein, 
daß die Behandlung der Rachitis späte¬ 
stens dann einzusetzen hat, wenn die 
ersten klinischen Zeichen der Erkrankung 
manifest werden. Leider besteht aber dar¬ 
über fast völlige Unkenntnis; die Be¬ 
handlung wird fast stets erst mehrere 
Monate nach Beginn eingeleitet, wenn also 
der Prozeß schon ziemlich weit vorge¬ 
schritten ist, und die Aussichten des thera¬ 
peutischen Erfolges entsprechend schlech¬ 
ter geworden sind. Die Schuld daran 
-liegt — das muß offen zugestanden wer¬ 
den — vorwiegend an der üblichen klini¬ 
schen Lehre, die den Beginn der Erkran¬ 
kung meist erst ins zweite Lebenshalb¬ 
jahr setzt, während in der überwie¬ 
genden Mehrzahl der Fälle eine 
deutliche klinische Manifestation 
schon im' ersten Lebenshalbjahre, 
ja schon im ersten Quartal erfolgt. 
Dies ist eine Tatsache, die von allen For¬ 
schern, die sich mit der Klinik der Säug¬ 
lingsrachitis speziell beschäftigt haben, 
immer wieder bestätigt wurde und von 
der sich jeder Arzt leicht überzeugen 
kann; sie ist auch durch anatomische und 
chemische Untersuchungen absolut sicher¬ 
gestellt. 

Wegen der Wichtigkeit dieser Tat¬ 
sache für die Prophylaxe und Therapie 
müssen wir ganz kurz auf die Sympto¬ 
matologie der beginnenden Rachi¬ 
tis eingehen. Es sind nicht, wie es fast 
in allen Lehrbüchern dargestellt wird, 
Symptome allgemeiner Natur (Blässe, 
Turgorverlust, Unruhe, Verstimmung, 
Kopfschweiße, Verdauungsstörungen und 
dergleichen), die die Erkrankung einleiten, 
sondern wir haben unzweifelhaft das Bild 
einer primären Skeletterkrankung vor 
uns, wobei außer der gleich zu beschrei¬ 
benden lokal nachweisbaren Knochen¬ 
erweichung mit unseren derzeitigen klini¬ 


schen Beobachtungsmitteln keinerlei Ab¬ 
weichungen von den Verhältnissen des 
gesunden Kindes nachzuweisen sind. Es 
vergehen Tage und Wochen, ehe zu diesen 
lokalen Skelettsymptomen die ersten all¬ 
gemeinen Erscheinungen hinzutreten. 

Lokalisation und Erscheinungs¬ 
weise dieser beginnenden Knochenaf¬ 
fektion sind so typisch, daß sie ohne 
Schwierigkeit von jedem Arzte diagnosti¬ 
ziert werden kann. Es ist die von Elsäs¬ 
ser entdeckte, bei horizontaler Lage des 
Kindes tiefstgelegene Stelle des Schädels, 
das heißt die Umgebung der kleinen Fon¬ 
tanelle und der Lambdanaht, an der sich 
der rachitische Prozeß in Form einer 
circumscripten Knochenerweichung zu¬ 
erst ausprägt. Diese supraoccipitale 
Erweichungszone ist das zuverlässigste, 
einzig konstant wiederkehrende Früh¬ 
symptom beginnender Rachitis (Wie¬ 
land). Anfangend meist mit einer ein¬ 
seitigen Nachgiebigkeit einer umschrie¬ 
benen Stelle d,er Lambdanaht, entwickelt 
sich die Erweichung in steter Progression 
oft bis zu den höchsten Graden. 

So typisch im allgemeinen dieses Symptom 
ist, so kann es doch besonders vom Anfänger mit 
einer anderen, in der Säuglingszeit noch 
häufig vorhandenen Erscheinung verwechselt 
werden, der nichtrachitischen angeborenen 
Schädelweichheit. Wieland hat den anato¬ 
mischen Unterschied der beiden in Betracht kom¬ 
menden Knochenprozesse aufgezeigt und auf die 
klinische Differentialdiagnose, die eine Verwechse¬ 
lung beider Prozesse sehr erschwert, hingewiesen. 
Es erscheint mir nicht zweckmäßig, den Praktiker 
mit diesen doch immerhin recht subtilen Unter¬ 
scheidungsmerkmalen zu behelligen. Es genügt 
das eine sichere Merkmal für Rachitis, das ist die 
steteProgression, während die nichtrachitische 
Erweichung die Tendenz zur schnellen Rück¬ 
bildung zeigt. Im Zweifelsfalle wird man also mit 
der festen Diagnose und Therapie noch einige Zeit 
abwarten bis über diese Frage der Progression 
Klarheit geschaffen ist; da aber die antirachitische 
Behandlung auf alle Fälle wertvoll ist, kann man 
auch gleich damit beginnen. Meist wird aber 
irgendein Zweifel an der Natur der Erkrankung 
schon auf Grund der Lokalisation des Prozesses 
nicht möglich sein. 

Auf drei praktisch wichtige Besonder¬ 
heiten aus dem klinischen Bilde der Cra- 
niotäbes sei noch hingewiesen. Das ist 
einmal die Abhängigkeit der Lokali¬ 
sation der Erweichung von der ge¬ 
wöhnlichen Lage des Schädels; bei 
rechter Seitenlage entsteht die Craniotabes 
vorwiegend rechts, bei linker links, bei 
Rückenlage in der Mitte des Hinterkopfes. 




Juli 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


263 


Auf die praktischen Konsequenzen dieser 
Tatsache wird noch zurückzukommen sein. 
Das zweite ist die Feststellung, daß die 
Craniotabes in weitaus der Mehrzahl der 
Fälle früher oder später von selbst ver¬ 
schwindet, der Schädel wieder hart wird. 
Aus dieser Tatsache darf ja nicht der 
Schluß gezogen werden, daß nun eine Be¬ 
handlung überflüssig ist. Die Behand¬ 
lung richtet sich, wie hier aufs schärfste 
betont werden soll, nicht gegen die Cranio¬ 
tabes als solche, sondern gegen die stets 
schon beim ersten Nachweis der Kno¬ 
chenerweichung vorhandene allgemeine 
rachitische Skeletterkrankung bezie¬ 
hungsweise allgemeine rachitische Dys- 
krasie. Es ist kaum jemals darauf zu 
rechnen, daß nach Rückgang der Schädel¬ 
erweichung die Rachitis schon erledigt 
ist, sondern stets treten meist schon lange 
vor völliger Konsolidierung des Schädels 
anderweitige lokale und allgemeine 1 Sym¬ 
ptome der Erkrankung auf. Darauf hat 
besonders Wieland wieder nachdrück¬ 
lich^ hingewiesen. 

Die dritte Tatsache, auf die wir hier 
noch aufmerksam machen wollen, ist die, 
daß durchaus nicht in allen- Fällen die 
Craniotabes wirklich auch das erste Ra¬ 
chitissymptom sein muß. Wenn die Er¬ 
krankung erst in späteren Monaten ein¬ 
setzt, tritt keine Craniotabes mehr ein. 
Das ist neuerdings, wieder durch um¬ 
fassende, noch nicht veröffentlichte Unter¬ 
suchungen von Amalie Peiser festge¬ 
stellt. Man wird deshalb nicht — es ist 
wohl überflüssig, das noch besonders zu 
betonen — auf das Erscheinen der Cranio¬ 
tabes warten, um die Diagnose Rachitis 
zu stellen und dementsprechend zu be¬ 
handeln. 

Die anderen sicheren Symptome der 
Rachitis (prominenter, Rosenkranz, Epi¬ 
physenauftreibungen, Verkrümmungen 
der Extremitäten usw.) bedürfen keiner 
weiteren Besprechnung; es sei nur darauf 
hingewiesen, daß auch hier nur wirklich 
ausgeprägte Erscheinungen zu verwerten 
sind und man nicht auf die noch innerhalb 
der physiologischen Grenzen gelegenen 
leichten Verdickungen und Verkrüm¬ 
mungen zu viel Gewicht, legen darf. 
Allerdings ist viel eher das Übersehen von 
rachitischen Erscheinungen zu befürch¬ 
ten, als eine fälschliche Rachitisdiagnose. 

Wir hatten also oben gesagt, daß die 
Behandlung der Rachitis spätestens 
dann zu beginnen hat, wenn die ersten 
klinischen Zeichen der Erkrankung nach¬ 


zuweisen sind. Das deutete darauf hin. 
daß wir in gewissen Fällen noch früher 
mit der Behandlung einzusetzen haben, 
also eine richtige prophylaktische Therapie 
treiben müssen. Es betrifft dies die Kin¬ 
der, bei denen mit größter Wahrschein- 
keit mit dem Ausbruch der Rachitis zu ' 
rechnen ist, also in erster Linie Früh-, 
gebürten,dannZwillingskinder,und schlie߬ 
lich noch Säuglinge, bei denen eine familiäre 
Disposition zu Rachitis anzunehmen ist. 
In all diesen Fällen wird man gut tun, 
nicht erst den Ausbruch der Erkrankung 
abzuwarten, sondern schon .vorher die 
notwendigen Schritte einzuleiten, um die 
Manifestation' zu verhüten oder in ge¬ 
wissen Grenzen zu halten. 

2. Die Dauer der Behandlung. 

■ Im allgemeinen hat man sich bisher 
damit begnügt, bei den Kindern mit mani¬ 
fester Rachitis für eine bestimmte Zeit 
zwei bis drei Monate eine Kur (meist die 
Phosphor-Lebertrankur nach Kassowitz) 
Zeit anzuordnen und diese bei ungenü¬ 
gendem Erfolge noch einmal zu wieder¬ 
holen. Es kann aber bei der ganzen Natur 
der englischen Krankheit, wie sie sich uns 
heute darbietet, darüber gar kein Zweifel 
bestehen, daß hier nur eine Dauerbe¬ 
handlung am Platze ist und zwar nicht 
nur solange, bis die klinischen Erschei¬ 
nungen zurückgegangen sind, die den An¬ 
laß zur Behandlung gegeben haben, son¬ 
dern bis zu dem Zeitpunkte, an dem im 
allgemeinen mit dem tatsächlichen Ende 
der Krankheit zu rechnen ist, das heißt 
bis zum Ende des dritten Lebensjahres. 
Nun soll damit nicht etwa gesagt werden, 
daß etwa diese ganze Zeit hindurch z. B. 
Lebertran oder sonstige Medikamente ge¬ 
geben werden sollen, sondern der Arzt 
soll ein Kind, das einmal rachitische Er¬ 
scheinungen gehabt hat, bis zum voll¬ 
endeten dritten Lebensjahre unter den 
Augen behalten und, abgesehen von allen 
im Einzelfalle angezeigten speziellen Ma߬ 
nahmen, die ganze Ernährung und Pflege 
des Kindes mit Rücksicht äuf diese Tat¬ 
sache einrichten. 

3. Die soziale Prophylaxe. 

Die erste Aufgabe der . Rachitispro¬ 
phylaxe ist die dauernde Überwachung 
der Entwicklung. Es kann und muß 
als eine selbstverständliche Forderung für 
die Zukunft aufgestellt werden, daß alle 
gefährdeten Säuglinge, besonders in den 
Städten, in der ersten Entwicklungszeit, 
ab und zu, mindestens jedes Quartal ein- 



264 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juli 


mal, einem Arzt vorgestellt werden, der 
in der Beurteilung der kindlichen Ent¬ 
wicklung erfahren ist. Man wird in einer 
späteren Zeit vermutlich das Übersehen 
und Unbehandeltlassen einer floriden 
Rachitis beim Arzt ebenso als Kunst¬ 
fehler auffassen, wie das Übersehen einer 
sonstigen Erkrankung (Carcinom oder . 
Syphilis oder dergleichen). Und die Un¬ 
fähigkeit, den rachitischen Prozeß in 
Schranken zu halten, das Nichtver- 
hütenkönnen schwerer Verkrümmungen 
und sonstiger Deformitäten wird man auf 
gleiche Stufe stellen mit der Unfähigkeit, 
eine einfache Fraktur gerade einzurichten 
oder eine einfache Luxation einzu¬ 
renken. 

Vorläufig sind wir allerdings noch 
nicht so weit und es entstehen noch all¬ 
jährlich viele Tausende von Verkrüppe¬ 
lungen, die mit den einfachsten Mitteln 
leicht zu verhüten gewesen wären, wenn 
die Kinder dem Arzte vorgestellt worden 
wären. Auf den ungeheueren Schaden, 
den die Rachitis unserem Volkstume in 
noch ganz unvermindertem, ich möchte 
fast behaupten, in zunehmendem Maße 
zufügt, ist schon oft, aber meines Erach¬ 
tens noch nicht energisch genug hinge¬ 
wiesen worden. Es besteht keine Frage, 
daß dieser Schaden bei der ungeheueren 
Verbreitung weit größer ist, als der von 
allen anderen Erkrankungen zusammen¬ 
genommen. Vielleicht wird die Erkennt¬ 
nis, daß die Rachitis mit der schlimmste 
Feind unserer Wehrfähigkeit ist, Veran¬ 
lassung sein, die dieser Erkrankung gegen¬ 
über noch eingenommene Gleichgültig¬ 
keit der maßgebenden Kreise etwas auf¬ 
zurütteln. 

Die dauernde Überwachung der Kin¬ 
der hat natürlich vor allem den Zweck, 
dafür zu sorgen, daß bei den Erkrankten 
rechtzeitig die notwendigen Gegenma߬ 
regeln getroffen werden können; sie hat 
aber auch noch den Vorteil, ganz allge¬ 
mein für zweckmäßige Ernährung und 
Pflege, besonders aber für die hier so 
wichtige Freiluftbehandlung der gesam¬ 
ten unter Überwachung stehenden Kinder 
zu sorgen, wie es ja zum Teil, wenigstens 
was die Ernährung angeht, schon jetzt 
durch die Säuglingsfürsorgestellen an ein¬ 
zelnen Orten geleistet wird. Es liegt nicht 
in der Absicht dieser Arbeit, die weiteren 
Möglichkeiten der sozialen Rachitispro¬ 
phylaxe aufzuzeigen. Es sollte hier nur 
einmal auf diese Aufgabe, deren Dringlich¬ 
keit durchaus nicht in ihrem vollen Um¬ 
fange erkannt ist, hingewiesen werden. 


4. Die individuelle Prophylaxe und 
Therapie. 

Wir haben oben schon auf bestimmte 
Klassen von Kindern hingewiesen, bei 
denen die wahrscheinlich erhöhte Dis¬ 
position zur Rachitis schon eine prophy¬ 
laktische Behandlung verlangt, wenn noch 
kein Symptom der Erkrankung vorhanden 
ist. Ein vorsichtiger Arzt tut aber gut, 
bei jedem Neugeborenen die große Wahr¬ 
scheinlichkeit (90—95 %) der späteren 
rachitischen Erkrankung zu bedenken 
und dementsprechend, wenn er die Mög¬ 
lichkeit dazu hat, die Ernährung und die 
Pflege des Kindes entsprechend einzu¬ 
richten. 

a) Die hygienisch-diätetische Pro¬ 
phylaxe und Therapie. 

Die Ernährung und ebenso die Pflege 
eines rachitisverdächtigen Kindes haben 
nun kein irgendwie besonderes Gepräge, 
sondern sie sind in der Hauptsache die¬ 
selben, wie die moderneren Lehren sie 
auch für ein gesundes Kind fordern, viel¬ 
leicht nur um ein gewisses Maß noch vor¬ 
sichtiger. Das sicherste Prophylaktikum 
gegen schwere Formen der Rachitis ist 
die natürliche Ernährung, doch for¬ 
dert sie gerade bei Verdacht auf erhöhte 
rachitische Disposition eine stärkere Kon¬ 
trolle, besonders nach der quantitativen 
Seite hin, als es sonst notwendig ist. Man 
wird besonders die starken Gewichtszu¬ 
nahmen zu vermeiden suchen, und daher 
die Zahl der Mahlzeiten und die Trink¬ 
zeit nötigenfalls einschränken. 

Weit größere Schwierigkeiten bietet 
auch hier die richtige Durchführung der 
künstlichen Ernährung. Es gibt 
bisher keine Nahrung, die man als 
Heilnahrung gegen Rachitis be- 
zeichen kann — höchstens könnte man 
eine Kuhmilch, in der das Milchfett durch 
Lebertran ersetzt ist (ein etwas abenteuer¬ 
licher . Gedanke, der aber von ameri¬ 
kanischen Pädiatern in praxi umgesetzt 
wurde) als solche ansehen. Aber es be¬ 
stehen zweifellos, wie schon im ersten 
Teil auseinandergeset 2 ;t, große Unter¬ 
schiede in der rachitogenen Natur ver¬ 
schiedener Nahrungen, an deren eines 
Ende man die Malzsuppe, an deren an¬ 
deres die Vollmilch setzen wird. 

Aber gerade bei der Rachitis wird man 
womöglich von einer festen Nahrungs¬ 
mischung ganz absehen und die Zu¬ 
sammensetzung jeweils dem gesamten 
Entwicklungsgänge und besonders auch 
der Art der Verdauungsvorgänge anzu- 



Die Therapie der Gegenwart 1917- 


265 


Juli 


passen suchen. Besonderswichtigistnatür¬ 
lich auch hier die Bemessung der Nah¬ 
rungsmenge. Die Ernährung darf bei 
ausreichender Deckung dts notwendigen 
Stoff- und Kraftbedarfes für Erhaltung 
und Wachstum vor allem keine zu 
großen Überschüsse enthalten. Wenn 
irgendwie, so ist hier das Prinzip der 
Minimalernährung nach Biedert am 
Platze. In zweite Linie setzen wir die 
Herbeiführung normaler Verdauungsvor¬ 
gänge. Durch welche Art der Ernährung 
man dies erreicht, ob mit einer mit Fett 
oder Kohlehydrat angereicherten Milch¬ 
verdünnung, ist bisher Sache des Gefühls; 
sichere Tatsachen für den Vorteil des 
einen oder anderen Regimes liegen bisher 
noch nicht vor. Dagegen wird man mit 
der Eiweißanreicherung auf Grund der 
früheren Ausführungen vorsichtig sein, 
einmal wegen der Gefahr der Kalkent¬ 
ziehung, dann wegen des dadurch ermög¬ 
lichten zu schnellen Massenansatzes. Aus 
diesem letzteren Grunde wird man aber 
auch alle molkenreichen Gemische, z. B. 
die Buttermilch, ausschalten, die ja auch 
wegen ihres hohen Eiweißgehaltes und 
ihrer obstipierenden Wirkung für die Er¬ 
nährung des Rachitikers nicht recht in 
Betracht kommt. 

Weiterhin wird man aus den oben an¬ 
geführten Gründen eine zu starke Ver¬ 
dünnung, also eine zu reichliche Wasser¬ 
beigabe, vermeiden. Auf alle Fälle hat 
man die Obstipation zu verhindern, deren 
schädlichen Einflusses auch schon oben 
gedacht ist. Man erreicht eine normale 
Entleerung am besten durch Zugabe von 
Malzsuppenextrakt oder Gemüse und Obst. 
Ebenso wie die Obstipation wird man aber 
auch eine zu starke Darmgärung zu ver¬ 
hindern suchen, vor allem schon wegen 
des Meteorismus, der ja bei den muskulo- 
dystrophischen Rachitikern leicht große 
Dimensionen annimmt und so zu dem 
typischen Bilde des rachitischen Frosch¬ 
bauches führt. 

Wenn auch, wie gesagt, die Ernährung 
eines rachitischen oder rachitisverdäch¬ 
tigen Kindes möglichst individuell in An¬ 
lehnung an die eben dargelegten allge¬ 
meinen Gesichtspunkte geschehen soll, so 
ist es doch möglich, einige speziellere An¬ 
weisungen dafür zu geben. Die erste 
und wichtigste Forderung ist die, die 
Konzentration der Kuhmilchverdünnung 
im ganzen ersten Lebensjahre nie über 
Halbmilch zu steigern. Damit erreicht 
man schon sofort die von den meisten 


Sachverständigen geforderte Einschrän¬ 
kung der Milchzufuhr. Die zweite Regel, 
die ja für alle Säuglinge gilt, ist die, das 
Gesamtnahrungsvolum im ersten . Jahre 
nicht über 1 kg zu erhöhen. Durch diese 
beiden Regeln wird das Maximum der 
Milchzufuhr im ganzen ersten Lebens¬ 
jahre auf einen halben Liter festgesetzt, 
doch wird dieses Maximum eigentlich 
kaum je erreicht, da in den ersten vier 
bis sechs Lebensmonaten die genossene 
Flüssigkeitsmenge unter einem Liter blei¬ 
ben soll und in den späteren Monaten 
durch die Beigabe von Suppe, Gemüse 
und Obst die Milchzufuhr an sich schon 
abnimmt. Mit dieser gemischten Kost 
wird man besonders bei manifester Ra¬ 
chitis möglichst früh beginnen; auch bei 
Brustkindern. Ich lasse bei diesen ge¬ 
wöhnlich schon anfangs des fünften Mo¬ 
nats den Versuch machen, etwas Gemüse¬ 
suppe zu geben (es braucht durchaus 
keine Fleischbrühe oder gar Brühe von 
Kalbsknochen zu sein; es genügt das ein¬ 
fache Gemüsekochwasser mit etwas Salz, 
vielleicht auch mit einem Zusatze von 
Saccharin), und die Menge und Konzen¬ 
tration langsam steigern, bis schließlich 
diese ursprüngliche Beigabe zu einer Brust¬ 
mahlzeit eine selbständige Mahlzeit wird. 
Durch den Zusatz von Grieß oder später 
von Kartoffeln wird diese Mahlzeit bei 
schlecht zunehmenden Kindern gehalt¬ 
reicher und nahrhafter; bei den zum 
stärkeren Ansatz neigenden Kindern 
wird man bei der reinen Gemüsekost 
bleiben. Erst wenn die Kinder, was ge¬ 
wöhnlich Mitte bis Ende des sechsten 
Lebensmonats zu geschehen pflegt, die 
Gemüsemahlzeit gern nehmen, wird eine 
Breimahlzeit eingeführt. Man kann zu 
diesem Brei jedes Mehl nehmen; am 
angenehmsten ist natürlich Maismehl, 
dann feinster Grieß. Wichtig ist es aber, 
die Menge nicht zu sehr zu steigern (nicht 
über 200 g alles in allem); auch hier wird 
halb Milch, halb Wasser genommen. Bei 
, den drei Brust- und den zwei festen Mahl¬ 
zeiten kann man nun beliebig lange blei¬ 
ben; es liegt keine Veranlassung vor, vor 
dem Ende des ersten Jahres abzustillen. 

Beim künstlich genährten Kinde 
braucht man nicht so früh mit Gemüse 
zu beginnen, weil wir bei ihm noch andere 
Möglichkeiten der qualitativen Nahrungs¬ 
änderung haben. Immerhin ist es gut, 
auch hier schon im sechsten Monate den 
Versuch der Gemüsebeigabe zu machen. 
Die Breimahlzeit folgt dann im siebenten 

34 




266 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


JhH 1 


bis achten Monate. Hier wird man aber 
schon vorher versuchen, etwas rohes 
Obst, zunächst in Form von Saft, dann 
in Form eines geriebenen Apfels oder 
zerdrückten Birne zu geben. Man be¬ 
ginnt auch hier mit kleinen Quantitäten 
(Teelöffel) und steigt zu ein bis zwei E߬ 
löffel an. 

Ab zehnten Monat wird man auf alle 
Fälle versuchen, mit zwei Flaschen aus¬ 
zukommen und wird nun entweder nur 
noch Brei und Gemüse, also im ganzen 
vier Mahlzeiten, oder noch eine dritte feste 
Mahlzeit in Form eines Zwieback-Obst- 
Breies als Frühstück geben. 

Die Kost eines zehnmonatigen rachi¬ 
tischen Kindes wäre also die folgende: 

1. Eine Flasche y 2 Milch, y 2 Mehl¬ 
abkochung mit Zucker (3—5% Mehl, 
5—10% Zucker) 200 g. 

(2. Obstbrei oder Keks mit geschabtem 
Obst 50—100 g). 

3. Gemüse mit Kartoffelbrei (nach der 
Zunahmegeschwindigkeit in wechselndem 
Verhältnis), dazu eventuell noch etwas 
Kompott 200 g. 

4. 'Flasche wie bei 1: 200 g. 

5. Brei aus y 2 Milch mit Kompott 
200 g. 

Diese Ernährung bleibt bis nach voll¬ 
endetem ersten Lebensjahre. Dann wird 
die Flasche durch die Tasse ersetzt. Statt 
der Mehlabkochung wird man, was auch 
schon in den früheren Monaten geschehen 
kann, eingeweichten Zwieback oder Sem¬ 
mel geben, eventuell auch eine Butter¬ 
oder Marmeladenschnitte, desgleichen wird 
man auch zum Frühstück etwas zum 
Kauen in die Hand geben; nachmittags 
erhält das Kind einen kleinen Becher 
Milch (100 g) mit Keks. Im übrigen bleibt 
die Ernährung noch die gleiche und wird 
dann ganz allmählich immer abwechse¬ 
lungsreicher. Die Milchmenge, die ja in 
diesen Monaten bis auf 300 g herunter¬ 
gegangen war, kann wieder etwas zu¬ 
nehmen, sofern der Zustand des Kindes 
es erlaubt, wird aber die Menge eines 
halben Liters nie übersteigen. Fleisch in 
Püreeform kann schon am Ende des 
ersten Lebensjahres gegeben werden desgl. 
Eier in mäßigen Quantitäten (zwei- bis 
dreimal in der Woche). 1 ) 

L ) Czerny-Keller geben als die Kost eines 
Kindes mit schwerer florider Rachitis im Alter 
von fünf Vierteljahren und darüber hinaus fol¬ 
gendes: 

1. Mahlzeit: Milch mit Zwieback. 

2. Mahlzeit: Suppe mit Einlage, wie Grieß, 
Reis, Sago, Erbsenmehl, Haferflocken usw. Da¬ 
nach Fleisch mit Gemüse oder Kartoffeln. 


Man sieht, diese Ernährungsvorschrif- 
tensind eigentlich ähnlich denen, wiesie die 
moderne Paediatrie auch für ein gesundes 
Kind aufstellt, und es hätte sich erübrigt, 
so ausführlich darauf einzugehen, wenn 
diese Ernährungsvorschriften auch nur 
Allgemeingut des Kinderarztes, geschweige 
des praktischen Arztes geworden wären. 

Neben der Ernährung ist es besonders 
die Pflege, die die wichtigste Rolle in 
der allgemeinen Prophylaxe und Therapie 
der Rachitis spielt. Ja, dieser Faktor 
wird von einzelnen Autoren (Pfaundler, 
Feer z. B.) über die Ernährung gestellt. 
Aber auch hier sind es nur die allgemein 
hygienischen Maßnahmen, Sorge für 
zweckmäßige Bekleidung, Licht, Luft, 
Bewegung usw., die nur in besonders 
sorgfältiger Weise bei den zu Rachitis 
disponierten oder daran erkrankten Kin¬ 
dern durchgeführt werden sollen 1 ). Spe¬ 
ziell für die Rachitis zu empfehlende 
Pflegemaßnahmen gibt es bisher noch 
nicht — über einzelne für die spezielle Be¬ 
handlung angezeigten Maßnahmen wird 
noch später zu sprechen sein — und so 
können wir uns mit dem Hinweise auf die 
zahlreichen guten Kinderpflegebücher be¬ 
gnügen. 

b) Die medikamentöse Prophylaxe 
und Therapie. 

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, 
daß es in einer großen Anzahl von Fällen 
durch sachgemäße Durchführung der ge¬ 
schilderten diätetisch-hygienischen Ma߬ 
nahmen gelingt, das Auftreten rachitischer 
Erscheinungen zu verhüten oder die 
Manifestationen in engen Grenzen zu 
halten. Ebenso richtig ist es aber, daß 
auch in diesen Fällen die medikamentöse 
Therapie unsere Aufgabe sehr erleichtert, 
indem sie auch, durch besondere Um¬ 
stände (großer Appetit des Kindes, schwie¬ 
rige Eltern und dergleichen) bedingte Ab¬ 
weichungen von den oben aufgestellten 
Grundsätzen gestattet, daß ferner der Er¬ 
folg auch in diesen Fällen ein viel sicherer 
ist. Vor allem aber gibt es eine außer¬ 
ordentlich große Zahl von Kindern, be^ 
sonders die zu Frührachitis neigenden 

3 Mahlzeit: Rohes geschabtes Obst mit Bis- 
cuit (ohne Zuckerzusatz). 4 Mahlzeit: Fleisch 
mit Kartoffelpüree oder, falls die Kinder bereits 
genügend Zähne haben, mit Butterbrot: 

x ) Vor allem ist es der möglichst lang ausge¬ 
dehnte Aufenthalt in frischer Luft — es braucht 
durchaus kein Kurort zu sein, sondern es genügen 
schon im Notfälle einfache Spielplätze, Höfe 
und Balkons mitten in der Stadt — der anzu¬ 
streben ist. 




Juli 


267 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


(s. o.), bei denen trotz dieser allgemeinen 
Maßnahmen, die ja auch zum Teil wegen 
der Jugend des Kindes nicht durchführbar 
sind, die Rachitis schnelle Fortschritte 
macht und erst durch Einführung der 
medikamentösen Therapie 'aufgehalten 
wird. Schließlich sind alle schweren Fälle 
von Rachitis ohne energische medikamen¬ 
töse Behandlung überhaupt kaum zu be¬ 
einflussen. 

Im ersten Teile dieser Studie ist die 
Art dieser medikamentösen Behandlung 
und ihre experimentelle Grundlage be¬ 
sprochen worden. Es handelt sich jetzt 
darum, die praktische Durchführung dieser 
Therapie im einzelnen zu zeigen. 

Wir haben drei verschiedene Arten 
Behandlung: die reine Lebertran-, die 
reine Kalk- und die kombinierte Leber- 
tran-Kalk-Therapie. Jede Art dieser Be¬ 
handlungsmethoden hat ihr spezielles 
Indikationgebiet, wenn auch die reine und 
besonders die kombinierte Lebertranbe¬ 
handlung für fast alle Fälle paßt. 

Weitaus das größte Anwendungsgebiet 
hat die einfache Lehertrantherapie. 
Für die meisten Fälle von Rachitis bei 
künstlicher Ernährung genügt die Verab¬ 
folgung dieses einfachen Medikamentes, 
das man womöglich als solches gibt, nicht 
in Form der üblichen Emulsionen, die 
zumeist einen niedrigen Lebertrangehalt 
haben (die viel gebrauchte amerikanische 
Scotts Emulsion hat bei einer Zusammen¬ 
setzung aus z. T. überflüssigen, z. T. 
in der verabfolgten Menge nicht ganz 
harmlosen Substanzen einen Lebertran¬ 
gehalt von nur 30 bis 40%). 

Die reine Kalktherapie ist ange¬ 
zeigt vor allem beim Brustkinde, dann 
aber auch in den späteren Stadien bei 
abheilender Erkrankung. 

Die kombinierte Kalk-Leber- 
tran-Therapie kann in allen Fällen An¬ 
wendung finden; sie ist besonders emp¬ 
fehlenswert bei Brustkindern, wo sie doch 
der reinen Kalktherapie überlegen ist, 
aber auch bei künstlich genährten Kin¬ 
dern, besonders bei denen, die nach un¬ 
serer obigen Vorschrift milcharme, das 
heißt also auch kalk- und phosphorsäure¬ 
arme Kost erhalten. ■ 

Als Kalkpräparate kommen nach 
unseren früheren Auseinandersetzungen 
nur die zugleich auch phosphorsäurehal¬ 
tigen in Betracht, also entweder die Cal¬ 
ciumphosphate, besonders das tertiäre, 
oder die Kalkeiweißpräparate des Caseins 
(Plasmon, Nutrose, Larcosan, Tricalcol). 


Von diesen ist das Tricalcol das kalkreich¬ 
ste und steht dem Tricalciumphosphat am 
nächsten, hat sich auch im Stoffwechsel¬ 
versuche gut bewährt. Die neuerdings 
empfohlenen komplizierten Kalkpräparate 
können in bezug auf Resorption und Re¬ 
tention auch nicht mehr leisten als das 
einfache neutrale anorganische Salz. 

Man wird die organischen Präparate 
dann wählen, wenn man dem Körper 
noch etwas Eiweiß zuführen will, oder 
auch bei Neigung zu Durchfällen. Sie 
sind außerdem gut löslich oder wenigstens 
gut in Flüssigkeiten suspendierbar. Das 
anorganische Sa z hat den Nachteil, in 
Wasser und Ölen unlöslich zu sein, ist 
aber geschmack- und geruchlos. Am 
besten läßt es sich im Lebertran selbst 
fein verteilt, zur Aufnahme bringen; von' 
älteren Kindern wird es, in einer Menge 
von 1 bis 2 g pro Tag im Brei oder im 
Gemüse verteilt, leicht genommen. Für 
die allgemeine Anwendung kommt dieses 
Salz schon wegen seines billigen Preises 
allein in Betracht. 

In der Kombination von Lebertran 
mit dem tertiären phosphorsauren Kalk 
haben wir meines Erachtens heute das 
wirksamste Medikament in der Behand¬ 
lung der Rachitis zu erblicken. Mit dieser 
Mischung sind von uns viele Hunderte von 
Kindern im Laufe mehrerer Jahre in 
Klinik und Privathaus erfolgreich be¬ 
handelt worden. 

Die Rezeptur ist die einer Schüttelmix¬ 
tur. Man verschreibt also folgendermaßen: 

Calcii phosphoric. tribasic . 
puriss . 20,0 

OL jecor. Aselli .... 200,0 

M. exactissim. terend. 

D. S. Zweimal täglich 5 g zu geben. 

Vor dem Gebrauch gut umschütteln. 

Das Calciumphosphat verteilt sich im 
Lebertran zu einer feinen, leicht auf- 
schüttelbaren Suspension, falls das Prä¬ 
parat gut trocken und auch der Lebertran 
und die Medizinflasche wasserfrei sind. 
Es empfiehlt sich, wenn man diese Leber¬ 
tranmixtur neu einführen will, mit dem 
Apotheker vorher Rücksprache zu nehmen 
und ihm die Besorgung eines einwand¬ 
freien Präparates und die sorgfältige Her¬ 
stellung sehr ans Herz zu legen. Man 
macht sonst sehr unangenehme Erfah¬ 
rungen, daß z. B. die Mutter die Medizin¬ 
flasche vorzeigt, in der sich der Kalk in 
Form eines harten, absolut nicht auf rüttel¬ 
baren Mörtels am Boden abgesetzt hat. 

(Der Schlußartikel über die spezielle Therapie 
und ihre Erfolge folgt im nächsten Heft) 

34* 




268 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juli 


Bücherbesprechungen. 


A. Borchard u. V. Schmieden, Lehrbuch 
der Kriegschirurgie. Leipzig 1917. 
Joh. Ambr. Barth. Mit 429 Abbildun¬ 
gen im Text und auf 5 Tafeln. XVI und 
988 S. Preis 32 M. 

Borchard und Schmieden haben 
im Verein mit einer größeren Zahl der 
hervorragendsten Chirurgen es unter¬ 
nommen, dem Fachchirurgen und dem 
zurzeit in der Kriegschirurgie tätigen 
Arzt ein umfassendes Lehrbuch an die 
Hand zu geben, welches ihm jederzeit 
Aufschluß gibt über den modernsten- 
Standpunkt, den die Chirurgie in den ein¬ 
schlägigen Fragen einnimmt. Wie in der 
Vorrede betont wird, hält sich das Buch 
frei von jeder Polemik und gibt nur solche 
Tatsachen wieder, die heute durch zahl¬ 
reiche Erfahrungen bestätigt sind. Die 
Einteilung des Werkes erfolgt in einen 
allgemeinen und einen speziellen Teil. In 
dem ersten erfahren wir verschiedenes 
über die allgemeine chirurgische Technik 
des Krieges (Härtel). Ferner wird über 
die Geschoßwirkungen, die Wundinfek¬ 
tionskrankheiten, die Amputationslehre 
und die Unterbindungen, sowie über 
Nervenchirurgie, Nachbehandlung u. 
a. das wichtigste gesagt. Der spezielle 
Teil bringt zuerst das Kapitel „Hirn¬ 
schädel“ (Axhausen und Kramer). 
Gerade dieser Abschnitt, in dem es zu 
einer glücklichen Zusammenarbeit zwi¬ 
schen den Neurologen und Chirurgen 
gekommen ist, muß als besonders gut 
gelungen bezeichnet werden. Es folgen 
weitere Kapitel über die einzelnen Regio¬ 
nen, von denen vor allem die Bauchver¬ 
letzungen, über die Schmieden berich¬ 
tet, in erster Linie Beachtung verdienen. 
War doch Schmieden der erste, der 
konsequent im Gegensätze zu den alten 
Anschauungen die Frühoperation des 
Bauchschusses empfohlen und durch¬ 
geführt hat. Seine Erfahrungen sind da¬ 
her besonders zahlreich und ausschlag¬ 
gebend für den jetzt ziemlich allgemein 
anerkannten Standpunkt. Die beigege¬ 
benen Abbildungen dienen in guter Weise 
zur Veranschaulichung des Textes. Sie 
würden, wie Referent glaubt, noch besser 
zum Ausdruck kommen* wenn das Pa¬ 
pier, dessen Beschaffenheit wohl den 
Kriegsverhältnissen zuzuschreiben ist, der 
sonst so ausgezeichneten Ausstattung 
auch noch Rechnung trüge. 

Hay ward. 


Misch und Rumpel in Verbindung mit 
A. Gutmann, J. Joseph und G. 
Lennhoff. Die Kriegsverletzungen 
der Kiefer und der angrenzenden Teile. 
Herausgegeben von Dr. Julius Misch, 
Berlin 1916, Verlag von Hermann 
Meußer. Mit 668 Abbildungen und 
drei Tafeln. 

Die große Zahl der Kiefer- und 
Gesichtsverletzungen dieses Krieges, wel¬ 
che durch die Zahnärzte eine allen An¬ 
forderungen gerecht werdende Behand¬ 
lung erfahren haben, macht es nötig, daß 
auch die anderen Spezialitäten sich mit 
diesem Kapitel befassen. Hierzu ist das 
vorliegende Werk ganz besonders ge¬ 
eignet. Es gibt in übersichtlicher Weise, 
unterstützt durch ausgezeichnete Ab¬ 
bildungen, einen überaus lehrreichen Ein¬ 
blick in die diagnostisch und therapeutisch 
wichtigen Einzelfragen. Die am ausführ¬ 
lichsten gehaltene Besprechung der 
Kriegsverletzungen der Kieferknochen und 
der bedeckenden Weichteile ist vonMisch 
und Rumpel geschrieben, während die 
Kriegsverletzungen der Nase' und der 
Nebenhöhlen sowie des Gehörorgans 
Lennhoff zum Verfasser haben. Der 
Abschnitt Nasenplastik und die Verwen¬ 
dung rhinoplastischer Methoden für die 
Lippen-, Kinn-, Wangen- und Ohren¬ 
plastik entstammt der Feder J. Josephs, 
und die Beteiligung der Augen und Augen¬ 
höhlen hat G u t m a n n behandelt. Hierbei 
jedoch muß als besonders bemerkenswert 
verzeichnet werden, daß die oft störend 
empfundene Zusammensetzung ähnlicher 
Werke durch die Mitarbeit verschiedener 
Autoren hier nirgends zum Ausdruck 
kommt, sondern daß das ganze Buch von 
einheitlichen Prinzipien geleitet wird. 
Jeder, der Gelegenheit hat, sich mit 
plastischen Operationen und dergleichen 
nach Gesichtsverletzungen zu befassen, 
wird ihm vieles Interessante entnehmen 
und ihm manche Anregung verdanken. 

Hayward. 

Beiträge zur Kieferschußtherapie, Heraus¬ 
gegeben von der österreichischen Zeit¬ 
schrift f. Stomatologie. Redigiert von 
Dr. Emil Steinschneider. Berlin u. 
Wien 1917. Urban u. Schwarzenberg. 
Preis 15 M. 

’ In einem stattlichen, schön ausgestat¬ 
teten Sammelbande werden aus Anlaß des 
einjährigen Bestehens des k. u. k. Reserve¬ 
spitals Nr. 17 (Spezialheilstätte für 
Kieferverletzte) die Erfahrungen und Beob- 



Juli 


269 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


achtungen der genannten Klinik wieder¬ 
gegeben. Eine gute Übersicht über den 
Umfang und die Art der geleisteten Arbeit 
bietet der Aufsatz von Weiser, in dem 
die chirurgisch-zahnärztliche Tätigkeit zur 
Besprechung kommt, unterstützt durch 
eine große Zahl trefflicher Abbildungen, 
aus denen die Resultate ersichtlich sind. 
Die Pseudarthrosenbildung des Unter¬ 
kiefers nach Schußverletzungen beschreibt 
Wunschheim und es ist hier interessant 
festzustellen, daß er der gestielten Kno¬ 
chenplastik aus der Umgebung der Frak¬ 
tur den Vorzug gibt vor der freien Ver¬ 
pflanzung, z. B. aus der Tibia, d. h. vor 
derjenigen Methode, die bei uns in 
Deutschland die meisten Anhänger ge¬ 
funden hat. Neben weiteren kleineren 
Arbeiten, die mehr zahnärztliches Inter¬ 
esse haben, beansprucht dann der Artikel 
von Fuchs: Die Behandlung der Kiefer¬ 
verletzten nach dem Kriege, besondere 
Beachtung. Fuchs zeigt, wie groß die 
Zahl derer sein wird, die dann noch der 
Hilfe bedürfen und welche Aussichten 
diese Nachoperationen bieten. Jeder, der 
sich mit Kieferverletzungen befaßt, wird 
den gesammelten Arbeiten manche An¬ 
regung entnehmen. Hayward. 

Dr. E. von Seuffert, Privatdozent a. d. 
Universität. Strahlen - Tiefenbehand¬ 
lung* Experimentelle und kritische 
Untersuchungen zu praktischen Fragen, 
ihrer Anwendung in der Gynäkologie. 
Aus der Münchener Königl. Universi¬ 
täts-Frauenklinik. Direktor: Geheimrat 
Dr. A. Döderlein. Mit 19 Textab¬ 
bildungen und 7 Tafeln. Berlin-Wien 
1917. Urban & Schwarzenberg. Preis 
M. 25,—, geb. M. 27,50. 

Der erste Teil dieses Werkes enthält 
gute Anleitungen für das Verständnis über 
das Wesen und die physikalischen Eigen¬ 
schaften aller primären und sekundären, 
radioaktiven Strahlen, sowie über die 
Röntgenstrahlenerzeugung und Radium- 
(Mesotorium-)gewinnung. In prägnanter 
Form werden die Vorgänge der Dispersion 
und Absorption geschildert, wobej^ die 
verschiedene Form der Lettern den Über¬ 
blick sowie das Behalten dem Gedächtnis 
erleichtert. Ebenso klar ist die Darstel¬ 
lung der Quali- und Quantimetrie, die das 
eifrige Studium der Christenschen Werke 
erkennen läßt, ohne daß die für manchen 
Leser schwierigen mathematisch-physika¬ 
lischen Formeln angeführt werden. 

Im zweiten experimentellen Teil fallen 
besonders die vorzüglich ausgeführten 


Tafeln mit 34 Mikrophotogrammen auf, 
an deren Hand bewiesen wird, daß man 
durch Feststellung charakteristischer kli¬ 
nischer Vorgänge, wie histologischer Ver¬ 
änderungen auf die Art und Menge der 
Strahlen schließen kann, daß man es aber 
auch in der Hand hat, eine bestimmte 
Wirkung zu erzielen, wobei ein genaues 
Eingehen auf die Jontometrie erforderlich 
war. Dem Leser, welcher eine gute Vor¬ 
kenntnis auf diesem Gebiete haben muß, 
wird durch gut verständliche mathema¬ 
tische Deduktionen ein zuverlässiger Weg¬ 
weiser für das Verständnis der Kreuz- 
feuerfelder-Bestrahlung gegeben, die sich 
besonders durch die Abkürzung der Ge¬ 
samtdauer der Behandlung auszeichnet. 

Das wichtigste des dritten Abschnittes 
sind die Tabellen, deren erste Haupt¬ 
rubrik genaue Angaben über die ange¬ 
wandte Technik enthält, während in der 
zweiten die klinisch beobachteten Er¬ 
scheinungen mit den eventuellen Schädi¬ 
gungen und Endresultaten verzeichnet 
sind. Die dritte Hauptrubrik will die 
Resultate erklären, entweder aus den be¬ 
strahlungstechnischen Faktoren oder auf 
andere Ursachen zurückführen. Die 
jetzt folgenden Erläuterungen befähigen 
jeden Therapeuten, entweder in derselben 
Weise zu behandeln oder auf Grund des 
Studiums besonders der zweiten Rubrik 
einen eigenen Weg zu gehen. In einem 
kurzen Schlußworte werden die wichtig¬ 
sten Resultate nochmals zusammengefaßt, 
woran sich ein Ausblick über die kommen¬ 
den Aufgaben der ärztlichen Radiologie 
anschließt. 

Das Werk, dessen Ausstattung dem 
bewährten Rufe des Verlages wieder alle 
Ehre macht, zumal der verschiedene 
Druck, wie bereits erwähnt, gute mnemo¬ 
technische Hilfe bietet, wird dem Arzte, 
der es mit Fleiß durchgearbeitet hat, ein 
zuverlässiger Führer auf den schwierigen 
Wegen der Röntgen- und Radiumtechnik 
sein. Nichts Besseres könnte ich für 
dieses Buch 'zum Schlüsse anführen, als 
die Worte im Lesezeichen von Winkel: 
,,Willst Freund mir — hinzusetzen möchte 
ich noch „auch der Klientel“ — sein, lies 
Dich hinein.“ 

D. Pulvermacher (Charlottenburg). 
Paul Kaufmann, Präsident des Reichs¬ 
versicherungsamts. Was dankt das 
kämpfende Deutschland seiner 
sozialen Fürsorge? Berlin 1917, 
F. Vahlen. 80 S. 1 M. 

Der Verfasser hat das so verantwor¬ 
tungsvolle Amt vor einem Jahrzehnt mit 



270 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juli 


der Absicht angetreten, die quantitative 
Einschätzung und Zielsetzung des Arbei¬ 
terversicherungswesens, welche fast zur 
Jagd nach dem Rekord auszuarten drohte, 
ins Qualitative zurückzubiegen; gerade 
von dieser volks- und wehrhygienischen 
Seite handelt die im April 1917 in War¬ 
schau gehaltene Rede; sie ergänzt die in 
gleichem Verlage erschienenen früheren 
Abhandlungen und Vorträge; von ganz 
besonderem Werte ist die Darstellung der 
Beratungsstellen für Geschlechtskranke 
(zurzeit 80 an Zahl). 

B. La quer (Wiesbaden). 

Ein deutscher Arzt am Hofe Kai¬ 
ser Nikolaus I. von Rußland. 
Lebenserinnerungen von Professor Mar¬ 
tin Mandt, herausgegeben von V. Lühe, 
mit einer Einführung von Theodor 
Schiemann. Leiozig 1917. Duncker 
& Humblot. XVf, 544 S. M. 6,50. 

Diese sechzig Jahre alte Lebens¬ 
beschreibung enthält eine völlig zeit¬ 
gemäße und zugleich zeitlose Lehre, näm¬ 
lich die der ärztlichen und seelischen Be¬ 
handlung von kranken Königen und 
Kaisern, also eine Art von ,, Fürsten¬ 
doktorspiegel“, eine Hofmedizinalkunde; 
der ,,Principe“ von Machiavelli in rein 
ärztlicher Umstellung! Darin liegt der 
Wert dieses Buches für uns, abgesehen 
von der geschichtlichen Bedeutung, wie 
sie z. B. aus der wahrheitsgetreuen, darum 
auch menschlich so erschütternden Dar¬ 
stellung des Todes Nikolaus I. sich ergibt; 
das so charakteristisch gezeichnete Leben 
von Hof und Gesellschaft des damaligen 
Rußlands erinnert wohl jeden Leser an 
Zustande, welche wir eben durchleben. 

Über den Anfang der Lebenserinne¬ 
rungen muß man rasch hinweglesen; der 
„alte Rust“, welchen die Berliner 
Ärzte, weil er (um 1830 herum) sehr 
strenge Sperrmaßregeln gegen die dro¬ 
hende Cholera angeordnet, passer rus- 
ticus communis, als gemeinen ,,Land¬ 
sperrling“ bezeichneten, spielt da eine 
wenig würdige Rolle; aber gerade Rust 
hatte mit sicherem Blick seinen Schüler 
Mandt, einen Thüringer von Herkunft 
— Mandt hatte 1813/14 als einfacher 
Feldschergehilfe in Lazaretten gewirkt 
und war mit 31 Jahren Kliniker an der 
Universität Greifswald geworden —, der 
Großfürstin Helene, einer wiirttembergi- 
schen Prinzessin, als Sommerleibarzt für 
eine Karlsbader Kur empfohlen; wie Mandt 
diese hohe Patientin „zähmt“, ja bändigt, 
wie aus diesem Vertrauensverhältnis ein 
gleiches mit dem noch viel schwierigeren 


Zaren Nikolaus sich entwickelt — es um¬ 
faßt 20 Jahre —, der Kampf mit den 
Kollegen, mit Neidern, mit Klatsch und 
Dummheit, und wie dann Mandt 1857 als 
erschöpfter und gebrochener Mann sich 
nach Frankfurt a. 0. zurückzieht — das 
alles und vieles andere bildet den Reiz 
dieser wahrhaft menschlichen Zeugnisse; 
viele Erlebnisse sind nicht nur „echt 
russisch“; sie kommen doch auch bei uns 
vor, vergleiche die Krankheit Kaiser 
Friedrichs und das Verhältnis vonSchwe- 
ninger zu Bismarck (v. Ti e dem an n in 
seinen wenig bekannten „Bismarckerinne¬ 
rungen“ schildert höchst ergötzlich die 
erste Konsultation); auch wer und wie 
Car eil (ursprünglich esthnisch „Kart¬ 
ellen“ und eines Leibeigenen Sohn) war, 
erfährt man aus dem obigen Buche; an 
wertvollen Lebensbeschreibungen, Erin¬ 
nerungen, ^ Briefsammlungen berühmter 
deutscher Ärzte sind wir ja nicht allzu 
reich; Stromeyer, Henle, Kölliker, 
Billroth, Kußmaul, Virchow, Ley¬ 
den — am geschlossensten wirken doch 
nur die Biographien von E. v. Bergmann 
und die von Helmholtz; um so will¬ 
kommener ist ein Werk wie das Mandt- 
sche, in welchem ein großer Arzt und ein 
großer Charakter — im letzten eine 
„Anima candida“ — sich ebenso schlicht 
als würdig ergänzen. 

B. La quer (Wiesbaden). 

J. Schäffer. Albert Neißer, Lebens¬ 
werk, Persönlichkeit, Erinne¬ 
rungen aus seinem Leben. Vor¬ 
lesung gehalten in der Breslauer Der¬ 
matologischen Universitätsklinik Win¬ 
tersemester 1916/17. Berlin-Wien 1917, 
Urban & Schwarzenberg. 39 S. mit 
Bild. 2 M. 

Mit einigem Abstande zu dem oben¬ 
erwähnten Mandt sehen Werke —■ Nei- 
ßers Wirken kann ja auch geschichtlich 
noch nicht gewürdigt werden —- ist diese 
Gedächtnisrede eines in Dankbarkeit und 
Verehrung und Liebe zu dem Meister äuf- 
sehenden Schülers zu würdigen. — Nei- 
ßers Wesen, seine Erfolge und das Gegen¬ 
teil davon ruhen auf Aktivität und Drauf¬ 
gängertum; das Ziel war ihm die Haupt¬ 
sache; seine Forscherleistungen sind durch 
Fleiß und die Kochschen Methoden — 
sinngemäß angewandt — erklärbar; sin¬ 
gulär und über Jahrzehnte dauernd bleibt 
die Stellung, welche Neißers Persönlich¬ 
keit und Vorbild der deutschen Derma¬ 
tologie in den Universitätseinrichtungen 
geschaffen, ferner die Organisation des 
Kampfes gegen die Geschlechtskrank- 



Juli 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


271 


heilen, welche er — unermüdlich treibend 
— in öffentlicher und sozialer Hinsicht 
geschaffen. Die vielen Freunde und Ver¬ 


ehrer Neißers werden obige Schrift mit 
Genuß und mit Wehmut lesen. 

B. Laquer (Wiesbaden). 


Referate. 


Das jetzt im Kriege so häufig beob¬ 
achtete Ausbleiben der Periode über 
längere Zeit hinaus, dem Dietrich den 
Namen Kriegs - Amenorrhoe gegeben 
hat, erfordert die Aufmerksamkeit jedes 
Arztes, da die eventuell eintretenden Schä- 
digungenfür die Volksvermehrung von gro¬ 
ßer Bedeutung sind, andererseits die Thera¬ 
pie die Gefahren vermindern kann. Diet¬ 
rich verlangt, daß nur solche Fälle alshier- 
her gehörend gerechnet werden dürfen, die 
einen normalen Genitalbefund haben, so 
daß die primäre Aplasie, wie die durch 
konstitutionelle Krankheiten hervorgeru¬ 
fene sekundäre, nicht in Betracht kommt. 
Als ätiologisches Moment hebt er neben 
psychischen Einwirkungen und Aufnahme 
eines anderen Wirkungskreises besonders 
die schlechte Ernährung hervor. Dem 
widerspricht Siegel, der die Unterernäh¬ 
rung in die dritte Reihe stellt und für 
die Beseitigung besonders der seelischen 
Insulte eintritt; nach ihm bleibt auch die 
Ovarialfunktion bestehen, da ja auch das 
Eintreten der Schwangerschaft beobachtet 
wurde. Einen ganz anderen Standpunkt 
betreffs der Diagnose nimmt Ekstein 
ein, der auch die Fälle bei pathologischem 
Befunde (chronische Metritis, Adnex¬ 
erkrankungen) einschließt. Gleich Diet¬ 
rich behauptet Gräfe, daß die Ernäh¬ 
rung der wichtigste Faktor sei, wie ja 
auch v. Jaworski diesen Zustand als ex 
inanitione bezeichnet hat. Schweitzer 
stellt gleich den anderen Autoren die Pro¬ 
gnose als günstig, ausgenommen Gräfe, 
der eine dauernde Atrophie fürchtet 
(vgl. das Referat im vorigen Heft S. 227). 
Seine Mahnungen müssen unbedingt be¬ 
achtet werden, wenn man auch zuerst 
eine funktionelle Amenorrhoe annimmt; 
schon aus der Arbeit Schäffers weiß 
man, daß in solchen langdauernden Fällen 
irreparable Schädigungen festgestellt 
wurden. Hoffnungsvoll schaut Pok in die 
Zukunft, der auf Grund der Untersuchung 
der ausgeschabten Schleimhaut einen 
postmenstruellen Zustand, einen nicht 
pathologischen Ruhezustand, annimmt, 
dem sich Sch weitzer insofern anschließt, 
als er annimmt, daß sich der weibliche 
Körper auf die veränderten Verhältnisse 
einstellen wird. Betreffs der Therapie ist 
man allerseits der Ansicht, daß gute 


Ernährung wie Zurückbringen in die 
früheren Verhältnisse erforderlich ist. Da 
ja leider dies nicht immer durchzuführen 
ist, so müssen neben Bädern Eisen und 
Arsen reichlich gegeben werden. Referent, 
der in den letzten Monaten gegen 20 Fälle 
in Behandlung bekam, deren kleinster 
Teil eine Schwangerschaft fürchtete und 
deren Beschwerden, wie auch sonst aller¬ 
seits berichtet wird, nur sehr gering waren, 
macht von Arsenikinjektionen den aus¬ 
giebigsten Gebrauch; außerdem wendet 
er Diathermie an, während Gräfe von 
der intrauterinen Faradisation gute Er¬ 
folge gesehen hat. Unter keiner Bedin¬ 
gung darf dieser Zustand leicht hin¬ 
genommen werden; mit dem Eintreten 
einer dauernden Atrophie muß gerechnet 
werden. Durch lokale Applikationen (Hin¬ 
zuführen von Wärme) kann der Uterus 
wieder blutreicher werden, so daß der 
Afflux seitens der Ovulation eine Men¬ 
struation wieder auslösen kann, wie Refe¬ 
rent beobachten konnte. 

Literatur: Zschr. f. Gyn. 1917, Nr. 6, S. 157; 
Ebenda H. 14, S. 329. Ebenda S. 329. M. m. W. 
1917, Nr. 18. S.579. W. kl. W. Nr. 34. M. m. W. 
S. 579. Veits Hdb. Bd. 3, S. 94, (Inaktivitäts¬ 
atrophie nach Gebhard.) M. m. W. Nr.20, S.483. 

D. Pulvermacher (Charlottenburg). 

Über das Fortbestehen von Okklu¬ 
sionssymptomen trotz erfolgreicher Be¬ 
seitigung kurzdauernder Brucheinklem¬ 
mung schreibt Brunzel. Wenn nach 
Beseitigung einer Brucheinklemmung, sei 
es durch Operation, sei es durch Taxis, 
Okklusionssymptome (Koterbrechen und 
dergleichen) noch fortbestehen, so braucht, 
in allerdings seltenen Fällen, dieses nicht 
auf einem mechanischen Hindernis der 
Darmpassage zu beruhen. Das Hindernis 
kann rein funktionell sein. So starb eine 
Patientin vier Tage nach Operation eines 
Nabelbruches unter dem Bilde eines Ileus; 
eine zweite Operation konnte nicht mehr 
ausgeführt werden. Die Sektion ergab, 
daß der Dünndarm unterhalb des peri¬ 
pheren Endes der eingeklemmt gewesenen 
Schlinge kontrahiert und leer, oberhalb 
dieser Stelle maximal dilatiert und mit 
flüssigem Inhalte gefüllt war. Der Inhalt 
dieses Teiles ließ sich in den kontrahierten 
Teil leicht ausdrücken, der sich dann 
sofort ausdehnte. Ein ebensolches Bild 
fand sich in einem von Sprengel mit- 



272 


Die Therapie der 


geteilten Falle nach manueller Reposition 
eines Schenkelbruches. Hier konnte 
rechtzeitig operiert werden; es wurde der 
Dünndarm in den Dickdarm ausgestri¬ 
chen, dann der Dünndarm zwischen den 
Schnürringen reseziert. In einem dritten 
Falle sah Verfasser fortbestehende Okklu¬ 
sionssymptome nach Operation eines Na¬ 
belbruches, die sich aber am dritten Tage 
nach der* Operation spontan oder unter 
dem Einflüsse der Abführmittel, Magen¬ 
spülungen, Einläufe und ausschließlich 
rectalen Ernährung soweit gebessert hat¬ 
ten,.-daß eine zweite Operation sich er¬ 
übrigte. Obige Beobachtungen wurden 
noch durch einen vierten Fall nach Taxis 
eines Schenkelbruches erhärtet. 

Stammt am dritten Tage nach Ope¬ 
ration oder Taxis der zurückgestaute 
Mageninhalt dem Aussehen nach von 
einem höher gelegenen Darmabschnitte 
(gelb-grün statt kotig), bessert sich das 
subjektive Befinden (Abnahme des Ge¬ 
fühles der Völle und der Brechneigung), 
so kann von einer Operation abgesehen 
werden. Bestehen die Okklusionssym¬ 
ptome aber fort, so muß operiert werden; 
es soll aber keine Resektion vorgenommen, 
sondern lediglich der aufgestaute Darm¬ 
inhalt ausgestrichen werden. 

Hagemann (Marburg). 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 140, H. 3 u. 4, S. 206.) 

Erwünschte Anhaltspunkte für die Be¬ 
urteilung des therapeutischen Wertes der 
gebräuchlichen Digitalispräparate gibt 
Straub im Anschlüsse an seine bekann¬ 
ten Untersuchungen. 

Als specifisch wirksam kommen in Be¬ 
tracht : 1. Die Gitalinfraktion, die in Chloro¬ 
form leicht, in kaltem Wasser schwer 
löslich durch Erhitzen und in Alkohol 
sich zersetzt; 2) das Digitalein ist in 
Wasser sehr gut löslich und hitzebeständig, 
in Alkohol löslich, in Chloroform nicht. 
Es zersetzt sich bei längerem Stehen unter 
Säuerung; 3. das Digitoxin ist gut in 
Alkohol und Chloroform, nicht in kaltem 
und heißem Wasser • löslich. Nicht zu 
den wirksamen Bestandteilen gehört 
das Digitalin (soweit nicht dieser Name 
wie in der älteren Literatur oft für Digi¬ 
talein und Digitoxin gebraucht wird). 
Über die Mengenverhältnisse der wirk¬ 
samen Körper in den Blättern ist nichts 
bekannt. Die Titrierung dieser drei so¬ 
genannten Aktivglykoside am Frosch¬ 
herzen (Feststellung der absoluten Menge 
derselben, durch die bei Injektion in den 
Bauchlymphsack ein männlicher Gras¬ 
frosch durch tonischen Ventrikelstillstand 


Gegenwart 1917. Juli 


getötet wird) ergab für alle drei einen. 
Wert, der nahe einem halben Centimilli- 
gramm für das Gramm Froschgewicht 
liegt [für Digitoxin etwas niedriger] 
(Froschdosis). Der Versuch, den ab¬ 
soluten Gehalt der Blätter an Aktivgly¬ 
kosiden festzustellen, ergab in 100 g so¬ 
genannter titrierter Blätter je 0,37 g 
Gitalin und Digitalein (Kaltwasserextrakt 
nach obigen Angaben getrennt) und 0,24 g ; 
Digitoxin, zusammen 0,985 g Aktivglyko¬ 
side, entsprechend etwa 205 000 Frosch¬ 
dosen. Im Infus dagegen finden sich 
0,84 g Gitalin, 0,21 g Digitalein auf 100 g 
Blätter, entsprechend 125 500 Frosch¬ 
dosen. In der Digitoxinfraktion sind dann 
noch 0,2 g Digitoxin erhältlich (55 000 
Froschdosen). Das Infus ist also eine 
Mischung von Digitalein und — zum Teil 
zersetztem — Gitalin. Digitoxin enthält 
es nur in Spuren als Verunreinigung. 

Von den üblichen Handelspräparaten 
besteht das Digalen zu etwa gleichen 
Teilen aus unzersetztem Gitalin und Digi¬ 
talein, dagegen kein Digitoxin. Der Titer 
ist 48,7 Froschdosen im Kubikzentimenter. 
Eine genaue Kopie davon ist das Digipan, 
dessen Name insofern irreführt, als es eben 
nicht alle Bestandteile der Blätter ent¬ 
hält. Das Digipurat enthält etwa zu drei 
Vierteln teilweise zersetztes Gitalin, der 
Rest ist Digitalein und Spuren von Digi¬ 
toxin. Sein Titer ist ziemlich doppelt so 
hoch wie der der vorigen Präparate. In 
seiner Zusammensetzung entspricht es 
am meisten dem Infus. Das aus den fri¬ 
schen Blättern gewonnene Digitalysat 
entspricht in seiner Zusammensetzung 
dem Digipurat, doch ist sein Titer nur 
71 Froschdosen im Kubikzentimenter. 
Das Digifolin enthält bei gleichem Titer 
wie das Digalen nur einen Teil des Gita- 
lins, denn es ist eine alkoholische Lösung. 
Ferner enthält es Digitoxin in ziemlich 
großer, aber dem Verhältnis in den Blät¬ 
tern nicht entsprechender Menge. Zum 
Vergleiche sei angeführt, daß der Titer 
des 1 %igen Infuses etwa 11,5 Froschdosen 
im Kubikzentimeter beträgt. 

Da das Digitoxin das größte Kumu¬ 
lationsvermögen und die stärksten Reiz¬ 
wirkungen von allen Aktivglykosiden ent¬ 
faltet, so dürfte ein stärkerer Gehalt daran 
gerade keine Empfehlung für ein Prä¬ 
parat sein. Die Norm sollte der Kalt¬ 
extrakt sein, der nur unzersetzt.es Gitalin 
und Digitalein enthält. Ob er von den 
harzigen und gefärbten Bestandteilen be¬ 
freit ist oder nicht, scheint weniger 
wichtig. 




273 


Juli Die Therapie der 


Auf eine Beanstandung seitens der 
Gesellschaft für Chemische Industrie in 
Basel gibt Straub zu, daß Digifolin 
keinen Alkohol enthält, demnach also 
durch diesen die Gitalinfraktion nicht 
zerstört sein kann. Daß dieselbe aber zum 
Teil zerstört sei, erhält er aufrecht. Ebenso 
bleibt er auf Grund der Kilianischen 
Untersuchungen dabei, daß vom Digi¬ 
toxin nur ein Teil im Digifolin enthalten 
ist. Endlich beanstandet er die Angabe 
der Gesellschaft, daß 1 ccm Digifolin 
1 /io g Fol. Dig. entspreche, während es 
tatsächlich nur ein Viertel der in dieser 
Blättermenge enthaltenen Froscheinheiten 
biete. Waetzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 16 und 23.) 

Von den zahlreichen Ursachen, die für 
die starke Abnahme der Eklampsie der 
Schwangeren im Laufe des Krieges und 
jedenfalls durch ihn veranlaßt, angeführt 
von den einen, von den andern verworfen 
worden sind (verminderter Eiweiß- und 
Fettgehalt der Kost, Wegfall gehäufter 
Spermaimprägnation des weiblichen Kör¬ 
pers, Unterernährung und anderes mehr), 
glaubt Franz (Wien) der veränderten 
Ernährung jedenfalls den Hauptteil zu¬ 
schreiben zu sollen, zumal er gleichzeitig 
eine ebenfalls sehr starke Abnahme 
der Schwangerschaftsnephritis nachweisen 
konnte. Franz kommt jedoch in etwas 
anderer Weise zu diesem Schlüsse als die 
reichsdeutschen Autoren. In Österreich 
ist bekanntlich der Genuß von Fett erst 
seit Herbst 1916, der von Fleisch, Eiern 
usw. noch gar nicht gesetzlich, sondern 
eben nur durch die Teuerung beschränkt. 
Es zeigte sich nun, daß in 1916 der 
Fleischgenuß schon recht stark, der Fett¬ 
genuß dagegen noch kaum eingeschränkt 
wurde, während sich beide 1917 weiter 
verminderten, so daß nur etwa 20 % der 
Wöchnerinnen ihre Friedensration daran 
verzehrten. Alle Eklampsien der Jahre 
1916 und 1917 betrafen Frauen mit reich¬ 
lichem (Friedens-) Fleisch- und Fett¬ 
genuß. So deutlich wie bei den reichs¬ 
deutschen Autoren ist der Rückgang schon 
deshalb nicht, weil in Österreich die Mög¬ 
lichkeit reichlichen Fleischgenusses eben 
noch besteht, andererseits aber der Frie¬ 
densfleischkonsum dort im Durchschnitt 
geringer ist als bei uns. Von der Schwan¬ 
gerschaftsnephritis gilt wesentlich das 
gleiche wie von der Eklampsie, nur ist das 
Bild etwas verwischt durch 1916 auf¬ 
tretende gehäufte Anginanephritiden. Der 
Annahme der Theorie von der verminder¬ 
ten Spermaimprägnation stehen nach 


Gegenwart 1917. 


Franz vorläufig an zu kleinen Zahlen ge¬ 
wonnene, einander sehr widersprechende 
Zahlen entgegen. 

Die therapeutische Anwendung des 
Ergebnisses ist nicht von der Hand zu 
weisen. Es hätte dann von der zweiten 
Hälfte der Schwangerschaft an eine vor¬ 
wiegend vegetabile, in erster Linie eiwei߬ 
arme Diät einzusetzen. Zu anderen Ergeb¬ 
nissen kommt Lichtenstein (Leipzig). 
Er weist darauf hin, daß die Eklampsie¬ 
häufigkeit überhaupt sehr stark 
schwankt und daß 1915/16 ebensoviel 
(zum Teil sogar mehr) Eklampsien vor¬ 
kamen, wie in vielen vorhergehenden 
Jahren. Beides kann einesteils auf die 
schwankenden Auffassungen • der Prak¬ 
tiker über abwartende oder aktive Thera¬ 
pie, anderenteils auch auf Transport¬ 
schwierigkeiten infolge des Krieges zu¬ 
rückgehen denn die Kliniken zählen doch 
eben nur die eingelieferten, nicht die vor¬ 
gekommenen Fälle. Gleiche Einwände 
hat Lichten stein gegen die Abnahme 
der Nephrosen. Zu allem kommt, daß 
die Gesamtaufnahmeziffer, auf die die 
Prozentzahl berechnet wird, aus äußeren 
Gründen erheblich schwanken kann. End¬ 
lich zeigt Verfasser noch die parallele Ab¬ 
nahme der Placenta praevia im Kriege, die 
sicher nicht auf der Kriegskost beruht. 
Zum Schluß weist Verfasser auf die Mög¬ 
lichkeit hin, die Eklampsie auf unvoll¬ 
kommene Oxydation mancher Schlacken 
infolge „ungesunder“ Lebensweise zu¬ 
rückzuführen, was zugleich eine Er¬ 
klärungschance für die geringere Häufig¬ 
keit derselben in der Landbevölkerung, 
die doch auch nicht vegetabiler lebt als 
die Städter, und in manchen Ländern 
geben würde. Waetzoldt. 

(Zbl.f. Gynäk. 1917, Nr. 20.) 

Die Anwendung des Radiums 
bei Hautkrankheiten hat nach S. E. 
Sweitzer besonders bei Pigment- und 
Gefäßnävi, Lupus erythematosus und 
Epitheliom einen ausgesprochenen Wert, 
da es sich in seiner Wirkung leicht abgren¬ 
zen und genau dosieren läßt, da es ferner 
schmerzlos und darum besonders für 
Kinder und sehr alte Leute angenehm ist, 
und da endlich die kosmetischen Resul¬ 
tate ausgezeichnete sind. 

Bei erhabenem Pigmentnävus: 10 mg 
Radiumapplikator 30 Minuten lang mit 
0,1 mm starkem Silberfilter. Das wird 
zwei- oder dreimal mit je zwei Tagen 
Zwischenraum wiederholt. 

Beim Gefäßnävus: Aluminiumfilter 
von 0,01 mm Stärke und Sitzungen von 

35 



274 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juli 


15 bis 20 Minuten. Nach Ablauf der 
Reaktion Wiederholung der Sitzung, bis 
der Effekt erreicht ist. 

Bei kavernösem Angiom bei Kindern: 
0,1 mm Silberfilter und dieselbe Dosierung 
wie bei den erhabenen Pigmentnävi. 

Lupus erythematosus: 0,1 mm Silber¬ 
filter, Applikation des Radiums fünf oder 
sechs Tage täglich eine Stunde lang. Oft 
muß diese Dosis wiederholt werden, und 
es ist manchmal besser, das Radium in 
sehr hartnäckigen Fällen ganz ohne Filter 
anzuwenden. 

Epitheliome: 0,1 mm Silberfilter, 
Radium ein bis zwei Stunden täglich bis 
zu einer Gesamtdosis von acht bis zehn 
Stunden. Iwan Bloch (Berlin). 

(Derm. W. 1917, Bd. 64, Nr. 18, S. 419—422.) 

Die interessante Frage: Ist homöo¬ 
plastische Hautverpflanzung unter Ge¬ 
schwistern der Autotransplantation gleich¬ 
wertig? konnte von Perthes an einem 
Falle studiert werden, in dem es bei einer 
Fabrikarbeiterin, deren Haupthaar von 
der Transmission erfaßt worden war, zu 
einer totalen Skalierung gekommen war. 
Der Versuch einer Transplantation am 
Tage der Verletzung mit Thierschschen 
Lappen hatte nur geringen Erfolg. Zehn 
Wochen später wurde die Transplanta¬ 
tion nach Reverdin ausgeführt, wobei 
neun Läppchen von der Patientin selbst 
auf die linke Hälfte der Granulations¬ 
fläche und ebensoviele Läppchen von der 
leiblichen zwei Jahre älteren Schwester 
auf die rechte Hälfte verpflanzt wurden. 
Nach zehn Tagen waren sämtliche Läpp¬ 
chen fest angeheilt. Jetzt wurden elf wei¬ 
tere Läppchen von der Schwester auf die 
rechte Kopfhälfte aufgelegt. 16 Tage nach 
der ersten Verpflanzung wurden die ersten 
Unterschiede bemerkbar, indem von dem 
autoplastischen Material eine deutliche 
Epithelneubildung ausging, welche bei 
dem homöoplastischen Material fehlte, 
und vier Wochen nach der ersten Opera¬ 
tion waren die von der Schwester stam¬ 
menden Läppchen vollkommen ver¬ 
schwunden. Ha y ward. 

(Zbl. f. Chir. 1917 Nr. 20.) 

Verschiedene Neuerungen bieten die 
Beschlüsse des Bundesrats zur Ausfüh¬ 
rung des Impfgesetzes vom 22. März 1917, 
Es wird hingewiesen auf die Vermeid¬ 
barkeit der Schädigung durch Über¬ 
tragung auf ungeimpfte Körperstellen 
und Verunreinigung der Impfstelle. Die 
Bestimmungen über die Verwendung von 
Menschenlymphe fallen weg, die Tier¬ 


lymphe soll auch für Privatimpfungen 
künftig möglichst kostenlos von den 
staatlichen Impfanstalten abgegeben wer- 
den. Bezug aus Privatanstalten bedarf 
behördlicher Genehmigung. Der Impf¬ 
arzt hat des weiteren vor jeder einzelnen 
Impfung die Angehörigen nach dem Vor¬ 
handensein von Rose oder nässenden 
Hautausschlägen im Hause des Impflings 
zu fragen und bei Glaubhaftigkeit der 
Angaben und Unmöglichkeit der Isolie¬ 
rung der Betreffenden die Impfung zu 
unterlassen. Die Reinigung der Impf¬ 
stelle hat für jeden Impfling mit einem 
neuen Alkoholbausch zu erfolgen. Die 
Angehörigen werden angewiesen, die 
Impfstelle kühl und trocken zu halten und 
mit einem reinen, nicht wollenen Hemde 
zu bedecken, weiter wird gewarnt, Sekret 
der Impfstelle auf Wunden oder in die 
Augen zu bringen, und angewiesen, nach 
einer Berührung der Pusteln sich gründ¬ 
lich zu waschen. Den Impfärzten soll Ge¬ 
legenheit gegeben werden, sich von Zeit 
zu Zeit über die Fortschritte der Impf¬ 
technik, der Pathologie der Impfung und 
der Lymphgewinnung zu unterrichten. 

Wae tzoldt. 

(D. m. W. 1917, Nr. 18.) 

Einen interessanten Fall von Kalk¬ 
steingicht teilt Holländer mit, der eine 
21jährige Dame betrifft. Die Erkrankung 
begann ungefähr im neunten Lebensjahre. 
An der Sohle des rechten Fußes entstand 
in der Nähe des fünften Tarsometatarsal- 
gelenkes eine schmerzhafte Geschwulst,, 
welche operiert wurde und zum Inhalte 
einen Kalkstein hatte. Im Laufe der Zeit 
bildeten sich an anderen Stellen eben¬ 
solche Geschwülste. Zum Teile erweich¬ 
ten sie, dann entzündeten sie sich und 
entleerten durch Hautperforation breiige 
Massen. Die Untersuchung der heraus¬ 
genommenen Konkremente ergab Stein¬ 
bildungen, die sich mit Zusatz von Salz¬ 
säure unter Gasbildung auflösten. Wenn 
man den Arm der Patientin abtastete, so- 
fühlte man unter der Haut überall Über¬ 
gänge von breiigen Infiltrationen bis kno¬ 
chenharten Tumoren, die in der Subcutis 
lagen und an manchen Stellen mit der 
Haut verwachsen waren. Beim Ein¬ 
schneiden kommt man auf ein kreide¬ 
weißes, hartes Infiltrat. Die Diagnose 
wurde durch die Röntgenplatte bestätigt.. 
Man sieht nämlich, wie z. B. in der Um¬ 
gebung des Ellbogengelenkes massenhaft 
Kalksteine angehäuft sind und durch die 
Länge des Armes meistens in der nächsten 
Nachbarschaft der Elle bis zum Hand- 





Juli 


275 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


gelenke sich verfolgen lassen. Im übrigen 
fühlte sich die Patientin wohl. Es handelt 
sich nicht um eine Hauterkrankung, son¬ 
dern muß sich um eine Konstitutions¬ 
anomalie handeln, ähnlich der Gicht. 

Dünner. 

(D. m. W. 1917, Nr. 14.) 

Eine interessante Knochen- und Seh¬ 
nenplastik hat Groß (Harburg) ausge¬ 
führt. Bei einem Soldaten, welchem sämt¬ 
liche Mittelhandknochen und ein Teil der 
Handwurzelknochen fehlten bis auf den 
ersten Mittelhandknochen, wurde die 
Mittelhand folgendermaßen ersetzt: der 
Knochen des Grundgliedes des fünften 
Fingers, welcher amputiert wurde, wurde 
aus dem abgenommenen Finger entfernt 
und mitsamt seinem Knoche-nhautüber- 
zuge in die Weichteile der Mittelhand 
quer eingefügt. Die Sehnen, welche eben¬ 
falls durchtrennt waren, wurden teil¬ 
weise genäht, teilweise durch die Sehnen 
des fünften Fingers plastisch ersetzt. Der 
Erfolg der primär geheilten Wunde war 
der, daß der Mann, dem vorher die Ampu¬ 
tation der Hand vorgeschlagen war, Eß- 
geräte halten konnte und auch festere 
Gegenstände zu halten imstande war. 

Hayward. 

(D. m. W. 1917, Nr. 22.) 

Über ein neues Lecithinpräparat, das 
Hydrocithin (Riedel) berichtet Gürber. 
Es handelt sich um ein durch Hydrie¬ 
rung von Ovolecithin entstandenes Pro¬ 
dukt, das kaum wasserlöslich und, vor 
Licht und Luft geschützt, gut haltbar ist. 
Ebenso wie Lecithin, doch wie die mit¬ 
geteilten Versuchsergebnisse zeigen, in 
etwas geringerem Ausmaße, fördert es 
im Tierversuch Wachstum und Ge¬ 
wichtszunahme und steigert den P- und 
N-Umsatz. Es wird im Darme nicht 
völlig zerstört, sondern zum Teil im 
Kot ausgeschieden. Ob es, wie dies 
vom Lecithin — vielleicht zu Un¬ 
recht — vermutet wird, zum Ansatz 
kommt, scheint zweifelhaft, jedenfalls 
müßte es erst in eine ungesättigte Ver¬ 
bindung überführt werden. Die Wirkun¬ 
gen im Versuche am Menschen ent¬ 
sprachen denen des Lecithins, vor dem 
das Mittel lediglich den Vorteil größerer 
Beständigkeit und daher leichterer Do¬ 
sierbarkeit haben soll. Wae'tzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 22.) 

G. Weill berichtet über die‘Bedeu¬ 
tung des Kaliumpermanganats für 
die Lupusbehandhing bei Kriegsteil¬ 
nehmern. Das Kalium-Permanganat in 


Substanz stellt ein einfach anzuwenden¬ 
des, die übrigen Ätzmittel an Sicherheit 
und rascher Wirkung weit übertreffendes, 
elektiv wirkendes Lupusmittel dar. Vor¬ 
aussetzung für seine Anwendung ist das 
Vorhandensein einer nässenden Ober¬ 
fläche. Nach Abdeckung der gesunden 
Haut mit ringsum den Herd mit Mastisol 
aufgeklebtem Wattebausche wird Per¬ 
manganat in Substanz dick aufgestreut. 
Darauf trockener, fest komprimierender 
Verband (bei starken Schmerzen vorher¬ 
gehende Anästhesierung mit Umschlägen 
von 10%iger Cocainlösung und Mor¬ 
phiuminjektion). Am nächsten Tage Ver¬ 
bandwechsel, bei dem eine zusammen¬ 
hängende Braunsteinplatte sichtbar wird. 
Darauf feuchte Verbände mit Bleiwasser- 
Sublimat-Lösung (1% 0 ), unter denen der 
Braunstein langsam abbröckelt und dabei 
in schonender Weise die nekrotisierten 
Gewebsfetzen mit entfernt. Nach er¬ 
folgter Abstoßung (in zirka drei bis fünf 
Tagen) liegt eine hellrote, schön granu¬ 
lierende Fläche vor, aus der unter Scho¬ 
nung des gesunden das morsche kranke 
Gewebe ausgefallen ist. Für die jetzt 
unter fortgesetzten Dunstverbänden rasch 
einsetzende Überhäutung sind zwei bis 
vier Monate erforderlich. Eventuell noch 
restierende Knötchen können dann ein¬ 
zeln geätzt werden (rohe HCl oder Acidum 
lacticum). Bei größeren und tiefergehen¬ 
den Herden ist es sicherer, an die erste 
Ätzung mit Permanganat gleich eine 
zweite anzuschließen. Die erzielte Narbe 
ist meist weich und widerstandsfähig. Ob 
Dauerheilung erzielt wird, muß eine län¬ 
gere Beobachtung lehren. 

Iwan Bloch (Berlin). 

(Darm. W. 1917, Bd. 64, Nr. 16, S. 378—320.) 

Während im allgemeinen der Tod bei 
der Kriegsnephritis, wie bei allen an¬ 
deren akuten Nephritiden im subakuten 
Stadium mit schweren klinischen Erschei¬ 
nungen eintritt, konnte Dietrich vier 
Fälle beobachten, die ohne vorherige Fest¬ 
stellung einer Erkrankung unerwartet 
starben und bei denen erst die Sektion 
Aufschluß über die Todesursache gab. 

In dem Falle eines 19jährigen Mannes 
gingen dem Exitus Krämpfe voraus, auch 
hatte er in den letzten Tagen über Atem¬ 
not und geringe Ödeme geklagt. Von den 
drei anderen, die alle im Anfänge der 
Dreißiger standen, starb einer unter den 
Zeichen schnell zunehmender Atemnot, 
die beiden anderen wurden, nachdem sie 
am Abend sich übel gefühlt, am nächsten 
Morgen tot aufgefunden. Die Sektion 

35* 




276 


Juli 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


ergab noch in einem weiteren Falle 
Ödeme. Im ersten Falle bestanden auch 
Ergüsse in die großen Körperhöhlen. Die 
Gehirne waren blutreich und ziemlich 
feucht, die Herzen waren mit Ausnahme 
einer leichten Verdickung der Wand des 
linken Ventrikels bei dem einen der äl¬ 
teren Leute normal. Arteriosklerose be¬ 
stand in keinem Falle. Der Urin (an der 
Leiche untersucht) enthielt schwankende 
Mengen Eiweiß. An den Nieren fand sich 
in allen Fällen trübe Schwellung der 
Rinde bei sehr blutreichen Pyramiden, 
die Kapsel war leicht zu entfernen, keine 
Narben. 

Mikroskopisch zeigte sich bei den äl¬ 
teren Leuten Verödung einzelner Glome- 
ruli und vereinzelte Lymphocyteninfiltra- 
tionen. Die Hauptveränderung aber be¬ 
stand in dem typischen Bilde einer akuten 
Glomerulonephritis: verminderter Blut¬ 
gehalt der Schlingen, Vermehrung derEpi- 
thelien und besonders der Leukocyten in 
ihnen bei gleichzeitiger degenerativer Ver¬ 
änderung (Blähung, Kernlosigkeit, hya¬ 
line Entartung usw.). Im Kapselraume 
geronnenes Exsudat mit roten Blut¬ 
körperchen, Leukocyten ohne wesentliche 
Degeneration.^’ In den Hauptstücken 
geringe trübe Schwellung und Cylinder- 
bildung. 

Die alten Veränderungen sind viel¬ 
leicht als Reste einer überstandenen äl¬ 
teren Glomerulonephritis aufzufassen, die 
möglicherweise zu einer erhöhten Krank¬ 
heitsbereitschaft bei diesen Nieren die 
Ursache war. 

Was die eigentliche Todesursache an¬ 
langt, so ist der erste Fall als eklamptische 
Urämie sicher. Bei den drei anderen 
bleibt nur die Annahme einer Rückwir¬ 
kung der Nierenschädigung auf das Cen¬ 
tralnervensystem übrig, ob toxisch, ob 
reflektorisch, ob endlich durch die bereits 
bestehenden Veränderungen begünstigt, 
bleibt ebenso wie die Ursache der Kriegs¬ 
nephritis selber unklar. 

Waetzoldt. 

(B. m. W. 1917, Nr. 22.) 

Zur Technik der Oberschenkelamputa- 

tion in der Kriegschirurgie schreibt Ba- 
racz (Lemberg). 

Die Erfahrungen, die ziemlich allge¬ 
mein mit der lineren Amputation ge¬ 
macht worden sind, haben dazu beige¬ 
tragen, von dieser Form der Operation 
Abstand zu nehmen, denn trotz Exten¬ 
sion erreicht man nur in den seltensten 
Fällen einen tragfähigen Stumpf. Baracz 


gibt .eine. Methode an, die an Stelle der 
lineren Amputation angewendet, eine 
Lappenamputation darstellt. Sie lehnt 
sich an die bekannte Durchstichmethode 
bei der Exartikulation des Oberschenkels 
im Hüftgelenk an und wird folgender¬ 
maßen ausgeführt: Unter Retraction der 
Haut markiert man sich einen medialen 
und einen lateralen Punkt, welcher der 
Basis des Lappens entsprechen soll. 
Dann wird vorne und hinten der Haut¬ 
lappen bis auf die Fascie bogenförmig 
durchtrennt. Nun sticht man mit dem 
zweischneidigen Amputationsmesser außen 
flach bis auf denJFemurknochen, umgeht 
diesen und sticht das Messer an dem me¬ 
dialen Wundwinkel heraus. Unter leicht 
sägenden Zügen durchtrennt man die 
Muskulatur bis zum Hautlappen, tn der 
gleichen Weise wird an der Rückseite des 
Oberschenkels verfahren und dann der 
Knochen abgesetzt. Hayward. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 22.) 

Über Tuberkulose der Schilddrüse mit 

besonderer Berücksichtigung der Tuber¬ 
kulose in Basedowschilddrüsen schreibt 
Uemura. Verfasser hat im Baseler 
Pathologischen Institut etwa 1400 Stru¬ 
menfälle auf die Häufigkeit der tuber¬ 
kulösen Infektion untersucht mit posi¬ 
tivem Ergebnis in etwa 1,7% der Fälle. 
Er teilt die Fälle ein: 

1. In nodöse und diffuse Strumen mit 
Tuberkulose; die Ergebnisse der Unter¬ 
suchungen werden in 24 Fällen genau 
wiedergegeben. Nur in einem Falle be¬ 
stand ein stärkerer Grad von Schild¬ 
drüsentuberkulose, aber auch in diesem 
Falle, wie in den anderen, war die Tuber¬ 
kulose lokal — sonstige Tuberkulose und 
Familienanlage waren nirgends vorhanden. 
Interfollikuläre Tuberkelbildung war häu¬ 
figer als intrafollikuläre. Ein Zusammen¬ 
hang zwischen Lymphfollikeln und Tuber¬ 
kelbildung war nicht nachweisbar. 

2. Fälle von Strumitis tuberculosa. 
Drei Fälle. Klinisch ist die Diagnose 
nicht mit Sicherheit zu stellen, da die 
Fälle teils das Bild einer gewöhnlichen 
Strumitis, teils das einer Struma maligna 
bieten. In zwei Fällen konnte der tuber¬ 
kulöse Charakter histologisch, im dritten 
erst bakteriologisch nachgewiesen werden, 
aber bei allen war der Befund typisch für 
eine schwere tuberkulöse Strumitis, z. T. 
mit Konglomerattuberkeln und ausge¬ 
dehnter Nekrose. 

3. Fälle von Tuberkulose der Schild¬ 
drüse bei Morbus Basedowii. 



Juli 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


277 


Hier ist bei der Einteilung Vorsicht 
geboten, da weder klinisch noch patholo¬ 
gisch-anatomisch die Anzeichen einer wirk¬ 
lichen Basedowschen Krankheit objek¬ 
tiv einwandfrei feststehen. Eine typische 
Basedow- Schilddrüse wird namentlich 
dann gefunden, wenn der Patient aus 
kropffreier Gegend stammt. 

In drei Fällen von klinisch angegebe¬ 
ner Basedowscher Krankheit hat Ver¬ 
fasser Tuberkel gefunden. In dem einen 
war eine Struma nodosa und diffusa 
parenchymatosa: im Schilddrüsengewebe 
und in den Knoten miliare, zum Teil ver¬ 
käste und gruppierte Tuberkel. In dem 
zweiten war eine Struma colloides diffusa: 
in den Läppchen (meist isolierte) miliare 
Tuberkel mit Langhansschen Riesen¬ 
zellen. Im dritten eine teils diffuse, teils 
nodöse Struma parenchymatosa Base- 
dowiana: im Schilddrüsengewebe miliare 
verkäste Tuberkel. 

Verfasser hält es für möglich, 1. daß 
eine Umwandlung der Schilddrüse im 
Sinne des Morbus Basedowii durch eine 
tuberkulöse Infektion hervorgerufen wer¬ 
den kann, 2. daß eine zu einer Struma 
Basedowiana hinzutretende tuberkulöse 
Infektion die krankhaften Veränderungen 
verschlimmern kann. Was in den be¬ 
schriebenen Fällen das Primäre war, 
kann er nicht entscheiden. 

Hagemann (Marburg). 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 140, H. 3 u.4, S. 242.) 

Franke bespricht die gebräuchlichen 
Methoden der Unterschenkelamputation 

hoch oben und empfiehlt ihnen gegen¬ 
über die Methode der osteoplastischen 
epiphysären Amputation sub genu für 
Fälle, in denen sowohl das Kniegelenk 
wie der oberste Teil der Tibia und der zu¬ 
gehörigen Weichteile gesund sind. Ver¬ 
fasser beschreibt genau die Technik der 
von ihm schon 1913 im Zbl. f. Chir. ver¬ 
öffentlichten Operation, die die Exarti¬ 
kulation und die tiefe osteoplastische 
Oberschenkelamputation ersetzen soll. 
Verfasser macht besonders darauf auf¬ 
merksam, daß sämtliche an der Tibia 
ansetzende Sehnen der Beugemuskel 
durchtrennt werden müssen, damit die 
Epiphysenplatte dauernd in Streckstel¬ 
lung stehe und der Oberschenkel somit 
auf seiner (beim Knien natürlichen) Stütz¬ 
unterlage stehen und gehen könne. Durch 
Nachuntersuchung zweier seiner Patien¬ 


ten hat sich Verfasser überzeugt, daß 
diese Durchschneidung keine erhebliche 
Atrophie des Oberschenkels verursache. 

Indikationen zu der Operation'seien 
im großen und ganzen dieselben wie beim 
Gritti, beim Sabanejew und der Ex¬ 
artikulation. Die Operation des Ver¬ 
fassers gibt einen in der Form ebenso 
guten Stumpf wie die Exartikulation, zu¬ 
gleich eine wohl noch bessere Tragfähig¬ 
keit. Außer den Condylen des Ober¬ 
schenkels ist noch das ganze Kniegelenk 
mit dem Knorpelüberzug der Tibia-Epi¬ 
physe erhalten. Darin besteht ein Vorzug 
gegenüber dem Gritti und dem Sabane¬ 
jew. Bei diesen Operationen ist der 
vordere Hautlappen sehr groß, bei der 
Methode des Verfassers beginnt derSchnitt 
dafür etwas tiefer als bei den anderen, 
er fällt also etwas kleiner au$; auch die 
Arteria poplitea wird etwas tiefer durch¬ 
trennt, so daß für die Ernährung des 
Lappens wichtige Arterien erhalten blei¬ 
ben, die beim Sabanejew durchschnitten 
werden — also auch in der Ernährung des 
großen vorderen Hautlappens übertrifft 
die Operation vom Verfasser die anderen 
in Betracht kommenden Methoden. Selbst 
bei schwächlichen alten Leuten, selbst bei 
schwerer Arteriosklerose ist keine größere 
Gangrän eingetreten. Die Tuberositas 
tibiae wird vom Verfasser einmal wegen 
der besseren Ernährung des Hautlappens 
erhalten und dann auch, um die Ver¬ 
wertung der sonst beim Knien, hier beim 
Gehen und Stehen, verwandten Stütz¬ 
fläche zu ermöglichen. 


Verfasser gibt (mit einigen Abbildun¬ 
gen) sieben Krankengeschichten wieder, 
an denen er den Erfolg seiner Operation 
demonstriert. In fünf Fällen erfolgte die 
Heilung ganz glatt mit außerhalb der 
Stützfläche liegender Narbe, zweimal trat 
durch eine kleine Randgangrän am Haut¬ 
lappen eine unwesentliche Verzögerung 
der Heilung ein. Stets konnte gleich mit 
der Prothese gegangen werden, der Stumpf 
war sofort unempfindlich. 

Der Operation des Verfassers ist nur 
die von Abrashanow in den seltenen 
Fällen vorzuziehen, in denen nur ein 
hinterer oder kein hinreichend großer 
vorderer Hautlappen oder auch kein 
vorderer Tibiaknochenlappen gebildet 
werden kann. u (nY v 

Hagemann (Marburg). 

(D. Zschr. f: Chir. Bd. 138, H. 1 und 2, S. 35.) 






278 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juli 


Richtlinien für die Ernährung gesunder und kranker Kinder bis 
zum zweiten Lebensjahre in der Kriegszeit. 

Vom Kaiserlichen Gesundheitsamt unter Mitwirkung von praktischen Sachverständigen herausgegeben. 


Die auf dem Lebensmittelmarkt ein¬ 
getretenen Verhältnisse haben es erfor¬ 
derlich gemacht, eine Reihe von Roh¬ 
stoffen, die bisher zur Herstellung von 
Kindernährmitteln und diätetischen Zu¬ 
bereitungen verwendet worden sind, 
fortan der Volksernährung im allgemeinen 
zuzuführen; nur in sehr beschränktem 
Umfange können sie noch für die Säug¬ 
lingsernährung im besonderen verfügbar 
gemacht werden. 

Es wird unter diesen Umständen, 
angesichts der Notwendigkeit, sich der 
veränderten Sachlage anzupassen, für 
manche Ärzte erwünscht sein, kurz dar- 
gelegt zu sehen, wie sie sich mit den 
verfügbaren Mengen der Lebensmittel 
behelfen können. Trotz der unabänder¬ 
lichen Tatsache, . daß sie auf das eine 
oder andere ihnen lieb gewordene Prä¬ 
parat vorübergehend werden verzichten 
müssen, werden sie, wie aus den folgenden 
Ausführungen hervorgeht, imstande sein, 
eine sachgemäße Ernährung der ihnen 
anvertrauten gesunden oder kranken 
Kinder durchzuführen. 

Nach den getroffenen Bestimmungen 
des Kriegsernährungsamts sind für ge¬ 
sunde und kranke Kinder bis zum vollen¬ 
deten 2. Lebensjahr die unter I und II 
aufgeführten Nahrungsmittel und Nähr¬ 
präparate in den nachbezeichneten 
Mengen vorgesehen. 

I. Ernährung des gesunden Säug¬ 
lings. 

Für gesunde Säuglinge sind vorge¬ 
sehen: 

1. Vollmilch täglich % bis 1 Liter; 

2. Rübenzucker (Rohrzucker) nicht 
unter 30 g, möglichst bis zu 50 g für 
den Tag; 

3. Weizenmehl, zu 94% ausgemahlen, 
mindestens 200 g für die Woche; 

4. Haferflocken oder Weizengrieß in 
der Mindestmenge von 500 g für den 
Monat. 

Diese Nahrungsmittel reichen in der 
angegebenen Beschaffenheit und Menge 
zur sachgemäßen Ernährung eines ge¬ 
sunden Säuglings aus. 

Zu 1. Es braucht der gesunde Säugling 
kaum jemals mehr als % Liter Milch, 
in den ersten Lebensmonaten bekannt¬ 
lich nur y 2 Liter 


Zu 2. Bisher wurde dem Nährwert der 
verdünnten Milch, mit der das Kind 
in den ersten Lebensmonaten ernährt 
wird ( 14 -Milch, %-Milch, I. 2 3 4 / 3 -Milch) da¬ 
durch gehoben, daß eine Anreicherung 
mit Fett oder mit Kohlehydraten er¬ 
folgte,, Eine Anreicherung der Milch 
mit Fett oder Fettkonserven ist infolge 
des eingetretenen Fettmangels gegen¬ 
wärtig nicht möglich. Aus diesem 
Grunde ist auch die weitere Herstel¬ 
lung von fettreichen trinkfertigen Milch¬ 
mischungen eingestellt. Für die zu¬ 
künftige Kriegszeit bleibt, keine andere 
Wahl, als die Anreicherung der Milch¬ 
mischungen mit Zucker und Mehl. 
Die Säuglinge erleiden dabei keinen 
Schaden an ihrer Gesundheit. Von 
dem zur Hebung des Nährwertes der 
Säuglingsnahrung geeigneten Rüben¬ 
zucker (Rohrzucker) sin,d bis 50 g 
täglich für den Kopf der Säuglinge 
vorgesehen. Diese Menge ist aus¬ 
reichend, um den Nährwert der 
Mischung so hoch zu halten, wie ihn 
das Kind zu seinem Gedeihen benötigt. 
Mit Rücksicht darauf, daß die Her¬ 
stellung von malzzuckerhaltigen Prä¬ 
paraten stark eingeschränkt werden 
mußte, ist deren Verwendung für die 
Anreicherung der Milchmischungen für 
gesunde Kinder nicht mehr angängig, 
sie bleiben ausschließlich den kranken 
Kindern Vorbehalten. 

Zu 3. Neben dem Rübenzucker (Rohr¬ 
zucker) ist zur Anreicherung der Milch¬ 
mischung Mehl erforderlich, welches in 
Form von Schleim- oder Mehlab¬ 
kochungen der Milch zugefügt wird. 
Von den Mehlen kommen in Frage: 
Roggenmehl, Weizenmehl, Hafermehl, 
Maismehl, Reismehl. Das gesunde 
Kind scheint sämtliche Mehlarten in 
gleicher Weise verarbeiten zu können, 
jedenfalls bestehen kaum Unterschiede 
zwischen dem am häufigsten gebrauch¬ 
ten Weizenmehl und Hafermehl. Nach 
den vom Kriegsernährungsamt getrof¬ 
fenen Bestimmungen sind für die Woche 
mindestens 200 g Weizenmehl, das 
bis zu 94% ausgemahlen ist, für den 
Kopf der Säuglinge vorgesehen, d. h. 
für den Tag eine Menge von ungefähr 
30 g. Diese Menge ist in Anbetracht 
der gewährten Zuckermenge aus¬ 
reichend. Daß das 94%ig ausgemah- 



Juli Die Therapie der 


• lene Mehl vom Säugling vertragen wird, 
haben Untersuchungen im Kaiserin- 
Auguste-Viktoria-Haus zur Bekämp¬ 
fung der Säuglingssterblichkeit im 
Deutschen Reiche und in der Universi¬ 
täts-Kinderklinik zu München erwiesen. 
Das Urteil des Kaiserin-Auguste-Vik- 
toria-Hauses lautet dahin, daß das zu 
94% ausgemahlene Weizenmehl von 
gesunden, über drei Monate alten Säug¬ 
lingen schadlos vertragen wird, und 
daß nur bei Kindern unter drei Mo¬ 
naten und bei kranken Säuglingen mög¬ 
licherweise gewisse Schwierigkeiten be¬ 
stehen können. In der Universitäts- 
Kinderklinik München ergab sich, daß 
die Zuführung von solchem Mehle an 
gesunde und leicht erkrankte Säuglinge 
deutliche Ausschläge in ungünstigem 
Sinne nicht bewirkte. Sollten — was 
immerhin nicht ausgeschlossen ist — bei 
der Zuführung von so hoch ausgemah¬ 
lenem Mehl bei Kindern unter drei 
Monaten sich Störungen einstellen, so 
wird der Arzt zu Haferflocken greifen 
müssen. Säuglinge unter drei Monaten 
wird man mit dem 94%igen Mehl des¬ 
halb nicht ernähren müssen, weil für 
jeden Säugling monatlich 500 g Hafer¬ 
flocken, d. i. ungefähr 15 g für den 
Tag, vorgesehen sind. Diese Menge ge¬ 
nügt, um unter Ausschaltung desMehles 
die für die Verdünnung der Milch in den 
ersten Lebensmonaten notwendige 
Schleimabkochung herzustellen. Prä¬ 
parierte Kindermehle werden künftig 
im Handel nicht mehr erhältlich 
sein. 

Daß aus diesem gewiß bedauerns¬ 
werten Mangel eine ernste Gefährdung 
für die Gesundheit gesunder Säuglinge, 
nicht zu befürchten ist, wird von den 
Sachverständigen nahezu übereinstim¬ 
mend anerkannt. 

Zu 4. Die Haferflocken werden für die 
Bereitung der Schleimabkochung be¬ 
hufs Anreicherung der verdünnten Milch 
in den ersten drei Monaten vorzube¬ 
halten sein. Der Weizengrieß wird z. B. 
zur Herstellung einer Breimahlzeit ver¬ 
wendet werden können. 

In den Bestimmungen des Kriegs¬ 
ernährungsamtes sind Mutter und Säug¬ 
ling als eine zusammengehörende Ein¬ 
heit betrachtet, d. h., stillt die 
Mutter ihr Kind und bedarf infolge¬ 
dessen der Säugling weder der Kuh¬ 
milch noch des Zuckers, Weizenmehls 
und der Haferflocken, dann kann die 
Mutter die genannten Mengen zur Ver¬ 


Gegenwart 1917. 279 


besserung ihrer eigenen Ernährung ver¬ 
wenden. 


II. Ernährung des kranken Sä-ug-. 
lings. 

Zur ferneren Herstellung von Nähr¬ 
mitteln für kranke Säuglinge können Roh¬ 
stoffe nur noch für einige wenige Prä¬ 
parate abgegeben werden; für diese un¬ 
abweisbar gewordene Beschränkung sind 
einzig und allein wirtschaftliche Gründe 
maßgebend gewesen; es soll damit kein 
Urteil über die Güte und Brauchbarkeit 
der nicht. mehr herstellbaren Präparate 
abgegeben sein. 

Es dürfen Rohstoffe bereitgestellt wer¬ 
den für nachbezeichnete Zubereitungen: 

1. Milchpräparate: 

a) Eiweißmilch (nach Finkeistein 
und Meyer); 

b) Buttermilch (in Form der Hol¬ 
ländischen Säuglingsnahrung 
und als Buko); 

c) Ramogen. 

2. Eiweißpräparate: 

a) Plasmon; 

b) Larosan. 

3. Malzpräparate: 

a) Nährzucker (Soxhlet); 

b) Liebigsuppe (verbessert nach 
Soxhlet); 

c) Nährmaltose (Löflund); 

d) Malzsuppenextrakt (Löflund). 

(Die Mengen von Nährzucker 
und Nährmaltose dürfen für den 
Kopf und die Woche 200—350 g, 
die Mengen von Malzsuppenex¬ 
trakt 500—700 g, d. h. eine 
bzw. U /2 Originalflasche pro 
Kopf und Woche nicht über- 
steigen.) 

4. Feinmehl: 

zu 75% ausgemahlenes Weizen¬ 
mehl. 

Nach Anordnung des Kriegsernäh¬ 
rungsamts soll die Verschreibung dieser 
Präparate durch einen Arzt nur auf den 
Bedarf innerhalb höchstens eines Monats 
sich erstrecken. 

Die Verabfolgung von Eiweißmilch, 
Buttermilch und Ramogen ist den ge¬ 
troffenen Anordnungen zufolge nur unter 
Einziehung der Vollmilchkarte oder Ent¬ 
wertung der Kartenäbschnitte für die 
Dauer der Verschreibung zulässig. Ebenso 
werden für die abzugebenden Mengen 
von Malzpräparaten die Zuckerkarten ein¬ 
bezogen; allerdings nicht etwa in dem 
Sinne, daß z.B. bei der Ausgabe von Malz- 



280 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Juli 


suppenextrakt die gleiche Menge an Zucker 
zurückbehalten wird, sondern daß die 
Menge von 500 bis 700 g • Malzsuppen¬ 
extrakt der Wochenmenge des Rüben¬ 
zuckers gleichgerechnet wird. 

Die Ärzte werden aus dieser Zusam¬ 
menstellung ersehen können, daß sie auch 
weiterhin die Behandlung kranker Säug¬ 
linge auf Grund der von ihnen erprobten 
Grundsätze mit Erfolg werden durch¬ 
führen können; denn sie haben zur Ver¬ 
fügung z. B. für die Behandlung akuter 
und chronischer Verdauungsstörungen Ei¬ 
weißmilch und holländische Säuglings¬ 
nahrung, für die Herstellung von eiwei߬ 
milchartigen Gemischen im Hause Plas¬ 
mon und Larosan. Sie werden sich auch 
künftighin zur Anreicherung der Eiwei߬ 
milch wie auch der Milchmischungen des 
Nährzuckers und der Nährmaltose be¬ 
dienen können, wenn die Neigung des 
Kindes zu erhöhter Darmgärung das er¬ 
fordert. Sie werden bei der Notwendig¬ 
keit der Verabreichung von Malzsuppe 
genügende Mengen Malzsuppenextrakt aus 
der Apotheke beziehen können; und da 
nach den mitgeteilten Untersuchungen 
kranke Säuglinge das zu 94% ausgemah¬ 
lene Mehl schlecht vertragen, können die 
Ärzte künftig für kranke Säuglinge 75 %ig 
ausgemahlenes Feinmehl verschreiben. 
Anhängern der Kindermehle wird es mög¬ 
lich sein, aus Feinmehl und den angeführ¬ 
ten Malzpräparaten Mischungen zum Er¬ 
satz der Kindermehle herzustellen. 

Durch die für kranke Säuglinge zur 
Verfügung stehenden Milch-, Eiweiß- und 
Kohlehydratpräparate ist den Ärzten auch 
weiterhin die Anwendung der in der 
Friedenszeit erprobten Behandlungs¬ 
methoden kranker Säuglinge ermöglicht 
worden. Da jedoch die Mengen, in denen 
diese Zubereitungen in den Handel kom¬ 
men, begreiflicherweise nicht so groß sein 
können wie in Friedenszeiten, werden die 
Indikationen für die Verabfolgung be¬ 
ziehungsweise Verschreibung sehr scharf 
gestellt werden müssen. Bisher sind diese 
Präparate, wie die Erfahrung hat lehren 
müssen, auch ohne zwingende Indikation 
sogar gesunden Säuglingen verschrieben 
worden, oder das Publikum hat sie ohne 
ärztliche Vorschrift verlangt und erhalten. 

Dieser Zustand ist jetzt unhaltbar 
geworden. Deswegen werden die Prä¬ 
parate fortan nur auf ärztliches Attest 
hin, niemals für länger als einen Monat 


und nur gegen Ablieferung der entspre¬ 
chenden Milch- und Zuckerkarten er¬ 
hältlich sein. Mißbräuchlicher Beschaf¬ 
fung der Zubereitungen durch das Publi¬ 
kum ist so ein Riegel vorgeschoben, und 
die Ärzte werden in jedem einzelnen 
Falle sorgsam zu überlegen haben, ob sie 
nicht auf die genannten Präparate ver¬ 
zichten können; dies wird bei leichteren 
Störungen sicherlich ohne weiteres mög¬ 
lich sein, wenn sie gewisse Modifikationen 
in den für die gesunden Säuglinge gelten¬ 
den Ernährungsvorschriften eintreten 
lassen. Läßt sich ein solches sparsames 
Verschreiben nicht erzielen, so entsteht 
die Gefahr, daß die jetzt noch vorgese¬ 
henen Präparate selbst den kranken 
Kindern bis zu 2 Jahren nicht.-mehr 
verfügbar gemacht werden können. 


Schlußbemerkung. 

Die Ernährung des gesunden und 
kranken Kindes bis zum vollendeten 
2. Lebensjahre wird somit für die Kriegs¬ 
zeit nur insofern entscheidend beeinflußt, 
als die Indikationen für bestimmte Milch¬ 
präparate bzw. für bestimmte Zucker¬ 
und Mehlarten viel schärfer zu ziehen 
sind als bisher. Es ist nicht zu befürchten, 
daß Säuglinge durch die neue Sachlage 
nennenswerten Schaden erleiden werden, 
wenn auch zugegeben werden muß, daß 
Ärzte, Eltern und Pflegerinnen gewisse 
Unbequemlichkeiten werden in^den Kauf 
nehmen müssen. Andrerseits wird viel¬ 
leicht gerade die Kriegszeit eine gewisse 
Erziehung des Publikums für eine richtige, 
nicht übertrieben hohe Einschätzung der 
künstlichen Ernährung herbeiführen 
unter der Voraussetzung, daß die Ärzte 
bei jedem einzelnen Falle sorgfältig und 
individuell bei ihren Verschreibungen 
künstlicher Nährpräparate Vorgehen. Im 
allgemeinen werden die Schwierigkeiten 
bei der künstlichen Ernährung gesunder 
und kranker Säuglinge während der 
noch bevorstehenden Kriegsmonate um 
so geringer werden, je mehr die natür¬ 
liche Ernährung an Umfang zunimmt. 
Hier haben die Ärzte als Berater des 
Volkes eine große dankbare, im besten 
Sinne vaterländische Aufgabe zu erfüllen. 
Jetzt ist der Zeitpunkt für eine wirk¬ 
same Stillpropaganda ganz besonders 
günstig, er sollte von keinem Arzt ver¬ 
säumt werden. 


F ür die Redaktion verantwortlich Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. K1 e m p e r e r in Berlin. Verlag von Urban&Schwarzenberg 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., in Berlin W8. 

















. ' Therapie der .Gegenwart. Anzeigen. 


8. Heft 






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Literatur: Prof. Dr. Seifert und Dr. Como (Würzburg), Klin.-therap 
Wochenschrift 1915 Nr. 51. 

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Die Therapie der Gegenwart 


1917 


herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 
in Berlin. 


August 


Nachdruck verboten. 

* 

Betrachtungen über gastro-intestinale Störungen während der 
Kriegszeit im Heimatgebiet 1 ). 

Von Privatdozent Dr. W. Weiland, 

fachärztlicher Beirat für innere Krankheiten im Bereich des VII Armeekorps 


Durch eine fortlaufende Reihe von 
fast gleichen Erscheinungen, die ich bei 
der Beobachtung magen-darmerkrankter 
Soldaten machte, werde ich veranlaßt, 
meine Erfahrungen auf diesem Gebiete 
in kurzer Form zur Darstellung zu brin¬ 
gen; wie auf vielen Teilgebieten innerer 
Erkrankungen bei Feldzugsteilnehmern 
und Soldaten im Heimatgebiete, so er¬ 
geben sich auch für Magen-Darmkrank- 
heiten keine wesentlich neuen Gesichts¬ 
punkte für die Diagnostik und Beurtei¬ 
lung, aber die specifischen Wirkungen des 
Krieges lassen sie unter einem besonderen 
Gesichtswinkel erscheinen. Das mir zur 
Verfügung stehende Material rekrutierte 
sich zu einem großen Teile aus Menschen, 
die in der Heimatgarnison mit Symptomen 
der Störung der Tätigkeit des Magen- 
Darmkanals erkrankten beziehungsweise 
nach Eintritt ihrer militärischen Verwen¬ 
dung über Symptome überstandener und 
rezidivierender Magen-Darmerkrankungen 
klagten, zum anderen Teile aber aus 
Kriegern, die nach mehr oder weniger 
langem Aufenthalte im Felde und in der 
Front als tnagen-darmkrank zu ihren 
Truppenteilen oder ins Lazarett zurück¬ 
verwiesen waren. Es ist natürlich von 
Interesse, dieses Beobachtungsmaterial 
auch nach anderen Richtungen zu be¬ 
werten, als nur von diagnostisch-thera¬ 
peutischen Gesichtspunkten, und zwar 
spielen hier hinein die Fragen besonders 
nach der Dienstbeschädigung, dann nach 
der Aggravation, ferner nach der militäri¬ 
schen Verwendbarkeit. Es liegt vielleicht 
•mehr an der Auswahl des mir zur Ver¬ 
fügung stehenden Materials, das sich zum 
größten Teile aus Beobachtungsfällen 
zusammensetzte, als am Gesamtbilde der 
beobachteten Krankheiten überhaupt, daß 
sich periodenweise bei den eingewiesenen 
Soldaten gleiche oder ähnliche Sym- 
ptomenkomplexe zeigten, und außerdem 
kann ich natürlich trotz einer verhältnis¬ 
mäßig großen Gesamtzahl irgendwelche 
Anhaltspunkte über die Häufigkeit der 
Magenkranken überhaupt nicht geben. 
x ) Nach einem Vortrag. 


Wenn ich zuerst die Untersuchungs¬ 
methodik erwähne, so ist es selbstver¬ 
ständlich, daß jeder Magenuntersuchung 
eine genaue Anamnese und Feststellung 
von körperlichen Veränderungen organi¬ 
scher oder nervöser Art voranzugehen 
hat. Die physikalischen Zeichen der Er¬ 
krankung des Magen-Darmkanals durch 
Perkussion, Palpation und Inspektion 
sind so geringgradig, daß aus ihnen eine 
Diagnose herzuleiten oder auch nur zu 
vermuten, außerordentlich schwer ist. 
Der vielfach palpatorisch oder perkuto¬ 
risch nachweisbare Stand der Magengrenze, 
das so häufig zur Diagnose einer Magen¬ 
senkung oder Magenerweiterung ver¬ 
wandte Magenplätschern sind Symptome, 
die vielleicht als Ausdruck asthenischer 
Konstitution eine Bedeutung beanspru¬ 
chen, aber keineswegs genügen zur Dia¬ 
gnose nach den oben angegebenen Be¬ 
griffen. Auch der Druckschmerz, sowohl 
circumscript im epigastrischen Winkel als 
nach der bekannten Lokalisation nach 
Boas, ist durchaus nur mit größter Vor¬ 
sicht zu verwerten. Segmentäre Über¬ 
empfindlichkeit nach Headschen Zonen 
ist ein so vieldeutiges Symptom, daß 
darauf nur geringer Wert gelegt werden 
kann. Es handelt sich bei aller Magen¬ 
diagnostik einmal um eine Feststellung 
per exclusionem, andererseits um eine 
notwendige exakte Diagnose nach der 
Seite der Sekretion, Lage, Form und Mo¬ 
tilität des Magens und der Funktion des 
Darmes. 

Infolgedessen wird neben der körper¬ 
lichen Untersuchung die funktionelle 
Magen-Darmuntersuchung den breitesten 
Raum bei der Beurteilung von Magen¬ 
kranken einnehmen. Die große Reihe der 
diagnostischen Hilfsmittel wird sich in der 
Hand des einzelnen auf eine bestimmte 
Summe von stets angewandten Unter¬ 
suchungsmethoden beschränken, während 
die zahlreichen anderen Untersuchungs¬ 
methoden nur in Fällen zweifelhafter Er¬ 
krankung herangezogen werden; denn so 
kompliziert die Verhältnisse liegen mögen, 
in der Mehrzahl der Fälle gelingt es, mit- 

36 



2&2 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


August 


tels weniger, erprobter Methoden durch¬ 
aus sicher zu gehen, soweit eine klinische 
Sicherheit überhaupt möglich ist, und da 
eine Reihe Untersuchungsmethoden gleich¬ 
wertig sind, wird *es auf den einzelnen 
Untersucher ankommen, welche er nach 
Übung und Erfahrung anwenden will. Ich 
selbst habe bei der Beobachtung des vor¬ 
liegenden Materials Wert gelegt auf die 
diagnostische Feststellung der Größe, 
Lage und Form des Magens durch Luft¬ 
aufblähung, der Motilität durch Unter¬ 
suchung sieben Stunden nach Einnahme 
einer Probemahlzeit, oder durch nüchterne 
morgendliche Ausheberung, Feststellung 
der Sekretionsverhältnisse durch Dar¬ 
reichung des gewöhnlichen Boas-Ewald- 
schen Probefrühstücks. Die Appetitmahl¬ 
zeit von Curschmann habe ich entspre¬ 
chend den Zeitverhältnissen nicht anwen¬ 
den können. Für die Prüfung der Darm¬ 
funktion verwandte ich die Schmidt- 
Straßburgersche Probekost mit Modi¬ 
fikationen, die durch die zu ermöglichen¬ 
den Ernährungsverhältnisse gegeben 
waren und die bakteriologische und mikro¬ 
skopische Untersuchung des Stuhles. 
Ganz besonderer Wert wurde von mir 
auf den Nachweis okkulter Blutungen ge¬ 
legt und ich kann wohl sagen, daß die 
überwiegende Mehrheit der Unter¬ 
suchung der okkulten Blutungen — 
selbstverständlich unter Einhal¬ 
tung der klinischen Kautelen — 
mir in allen zweifelhaften Fällen 
ein fast sicheres diagnostisches 
Merkmal war. In den allermeisten Fäl¬ 
len, die von mir untersucht wurden, habe 
ich das Röntgenverfahren unterstützend 
herangezogen, muß aber gestehen, daß 
zwar für die feinere Diagnostik das Rönt¬ 
genverfahren großen Wert hat und nicht 
durch andere Methoden ersetzt werden 
kann, daß aber im allgemeinen die klini¬ 
schen Untersuchungsmethoden in der 
oben skizzierten Art ausreichend sichere 
Anhaltspunkte für die Beurteilung des 
Einzelfalles geben. Bemerken möchte ich, 
daß ich nur ganz ausnahmsweise bei äl¬ 
teren Leuten in die Lage gekommen bin, 
differential-diagnostisch oder für eine 
Frühdiagnose krebsartige Erkrankungen 
in den Bereich der Erwägungen ziehen zu 
müssen, daß in diesen Fällen aber das 
Röntgenverfahren wesentlich weiter 
brachte. Eine andere Reihe von Erkran¬ 
kungen, die durch Röntgenuntersuchung 
in ihrem anatomisch-funktionellen Bilde 
geklärt werden konnte, sind die Obsti¬ 
pationen und adhäsions-peritonitische Er¬ 


krankungen, sei es traumatischer, sei es 
tuberkulöser Natur. 

Wie jedem Gutachter sind auch mir 
eine Reihe von Fehldiagnosen früherer 
beobachtender Ärzte begegnet. Wie ich 
schon Eingangs andeutete, ist das eine 
Tatsache, die immer wieder betont wer¬ 
den ' muß: verschiedenartigste Krank¬ 
heiten konstitutioneller und funktioneller 
Art verbergen sich bei schleichender Ent¬ 
wickelung und langsamem Fortschreiten 
unter dem Bilde der Magenerkrankung. 
Um die wichtigsten herauszugreifen, seien 
Phthise und Basedow genannt. Es er¬ 
übrigt sich, auf die Symptomatologie der 
Spitzentuberkulose und der verschiedenen 
Formen verkappter Art der Thyreotoxi- 
kose hinzuweisen oder sie ausführlich zu 
schildern, weil diagnostische Mefkmale 
der einen und anderen Erkrankung in 
jedem Falle vorliegen. Die diagnostische 
Verkennung ist nicht nur ein ärztlicher 
Fehler, sondern bei dem Beobachtungs¬ 
materiale der Armee eine Schädigung der 
arbeitenden oder Heeresdienst tuenden 
Bevölkerung. Auf eine sehr naheliegende, 
aber, wie mich die Erfahrung lehrte, trotz¬ 
dem häufig übersehene Möglichkeit möchte 
ich besonders hinweisen: das ist die Dia¬ 
gnose eines Magenleidens bei objektiv 
vorhandenen Symptomen der Tabes dor- 
salis, von denen klinisch die gastrischen 
Krisen im Vordergründe stehen. Auch 
damit sage ich gewiß nichts Neues, aber 
ich bin durch eine Reihe von Vorkomm¬ 
nissen, deren Zahl sich nach Prozenten 
der Gesamtbeobachtung ausdrücken läßt, 
veranlaßt, diese ■ häufige diagnostische 
Fehlerquelle besonders namhaft zu 
machen. Ferner war es mir auffällig, daß 
die Anwesenheit von Darmschmarotzern, 
sowohl von Taenia saginata als von ge¬ 
wöhnlichen Ascariden mit ihren teils ner¬ 
vösen, teils gastrischen Symptomen, über¬ 
sehen wurde und häufig zu langer, erfolg¬ 
loser Behandlung führte. Unter einer 
Reihe von Beobachtungskranken mit 
motorischen Störungen und schmerzhafter 
Erkrankung, angeblich des Bauchraumes, 
sind mir einige Fälle ganz besonders be¬ 
merkenswert, bei denen es sich, wie die 
Untersuchung ergab, viel weniger um 
peritonitisch-adhäsive Prozesse handelte, 
als um pleuritische Verwachsungen. Es 
handelte sich in diesen Fällen um Schu߬ 
verletzungen der oberen Bauchgegend, 
die teils transversale Durchschüsse ge¬ 
wesen waren, teils saggitale Steckschüsse 
durch Infanteriegeschosse. Auch hier 
hätte schon genaue körperliche Unter- 




August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


283 


suchung zur Feststellung führen müssen, 
daß pleuritische Schwarten wenigstens 
vorhanden waren. Genaue röntgenolo¬ 
gische und funktionelle Magen-Darm¬ 
untersuchung ergab das Intaktsein der 
Verdauungsfunktion und die Erklärung 
der Beschwerden durch das Vorhanden¬ 
sein der pleuritischen Narben. Auffallend 
waren bei diesen Kranken die subjek¬ 
tiven Angaben über das Gefühl des Zu¬ 
sammengezogenseins, die habituelle ky- 
photische Haltung bei vollkommen fehlen¬ 
der Atembehinderung, da der Atemtyp 
durchaus abdominal geworden war. Ich 
stelle natürlich nicht in Abrede, daß bei 
diesen Kranken Bauchfelladhäsionen vor¬ 
handen sein konnten, zumal es sich in 
einigen Fällen um Laparotomierte han¬ 
delte, aber der Symptomenkomplex ad¬ 
häsiver Peritonitis war bei genauer Ana¬ 
lyse nicht vorhanden und die Beschwerden 
fanden ihre Erklärung in den großen Ad¬ 
häsionen der Pleura, zum Teil ihre Be¬ 
stätigung in dem Verschwinden der Sym¬ 
ptome nach der Behandlung. In diesen 
Fällen war das Röntgenverfahren von 
einer sonstigen anderen Methoden ver¬ 
schlossenen Feinheit. 

Die weitere Quelle diagnostischer Irr- 
tümer: Verwechselung neurasthenischer 
Beschwerden mit solchen der Störungen 
dyspeptischer Art leitet hinüber zu den 
Dyspepsien im allgemeinen. Meine Er¬ 
fahrungen auf dem Gebiete der psychi¬ 
schen Dyspepsie schließen sich dem an 
und decken sich nlit den Ausführungen, 
die vor kurzem aus dem Nachlasse meines 
verstorbenen Lehrers Lüthje veröffent¬ 
licht worden sind. Es ist in den letzten 
Jahren die Frage des gleichzeitigen Zu¬ 
sammentreffens der vielgestaltigsten 
Magensymptome mit einem noch wechsel¬ 
volleren psychischen Symptomenkomplex 
genugsam ventiliert, um ihr Vorhanden¬ 
sein und ihre Symptomatologie als be¬ 
kannt vorauszusetzen. Von den fünf 
Gruppen der nach der Einteilung von 
Dreyfus vorhandenen nervösen Dyspep¬ 
sien sind mir die Störungen auf der Basis 
konstitutioneller Neurasthenie und hyste¬ 
rischer Erkrankung am häufigsten be¬ 
gegnet, während psychogene oder cyclo- 
thyme dyspeptische Formen oder solche 
auf der Basis erworbener Neurasthenie 
fast verschwindend wenig vorhanden 
waren. So ist auch die Prognose in den 
von mir beobachteten Fällen verhältnis¬ 
mäßig ungünstig gewesen. Nicht einmal 
lange freie Intervalle konnte ich in der 
Mehrzahl der Fälle beobachten. Die 


psychogene Dyspepsie und die hysterische 
Form traten vor allem bei Leuten auf, die 
entweder lange im Felde gewesen waren, 
oder bei denen sich plötzlich Angstvor¬ 
stellungen shockartiger Natur bei plötz¬ 
lich auftretenden Unglücksfällen auf den 
Magen-Darmtraktus konzentrierten. Es 
waren hierbei nie Phebien, wie z. B. Car- 
cinomfurcht, zu beobachten, wohl aber 
Zustände monatelang dauernder voll¬ 
kommener Anorexie mit habituellem Er¬ 
brechen. 

Von den Formen der Sekretionsstörun¬ 
gen achylischer, superacider oder ana- 
cider Art überwog in den ersten Monaten, 
wo ich derartige Kranke zu beobachten 
Gelegenheit hatte, der letztere Typ, wäh¬ 
rend seit ungefähr einem halben Jahre die 
salzsäurefreien Mägen zahlreicher wurden. 
Ich weiß sehr wohl, daß diese Angaben 
über Übersäuerung und Säuremangel, die 
sich natürlich auf das Ergebnis der Aus¬ 
heberung nach Probefrühstüek. stützen, 
nur mit Vorsicht diagnostisch zu ver¬ 
werten sind, da ja bekanntermaßen die 
Säurezahlen des ausgeheberten Magen¬ 
inhalts in verhältnismäßig weiten Grenzen 
schwanken können und von den ver¬ 
schiedensten äußeren Faktoren abhängig 
sind; auch müssen hier die psychischen 
Dyspepsien außer Betracht bleiben, bei 
denen von einem Tage zum anderen die 
HCl-Menge so sehr schwanken kann. 
Aber wenn sich die Beobachtungen in dem 
einen oder anderen Sinne in einer be¬ 
stimmten Zeitspanne häufen, dann dürfte 
man bis zu einem gewissen Grade zum Aus¬ 
spruche des obigen Satzes berechtigt sein. 

Frische Ulcera des Magens oder des 
Zwölffingerdarmes bekam ich nie zu Ge¬ 
sicht; wo die Diagnose auf ulceröse Pro¬ 
zesse lautete, handelte es sich um Fälle, 
bei denen die Erkrankung stets als Rezidiv 
oder als Komplikation im Verlaufe frü¬ 
herer Darmstörungen aufzufassen war. 

Profuse Blutungen ulceröser Magen¬ 
oder Dickdarmgeschwüre habe ich nicht 
gesehen, wohl' aber begegnete mir häufig 
die Mitteilung, daß im Stellungskriege und 
bei Vormärschen mit ausgesprochen un¬ 
regelmäßiger Ernährung unter Bevor¬ 
zugung von Früchten und ungekochten 
Cerealien Blutungen vorhanden gewesen 
seien. Schwere sekundäre Anämien traten 
bei den Blutungen nicht auf. Die Pa¬ 
tienten erholten sich körperlich rasch, 
aber es blieb eine auffallende Empfind¬ 
lichkeit des Magen-Darmkanals zurück. 

Eine große Reihe der beobachteten 
Störungen des Intestinaltraktus erstreckte 

36* 



284 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


August 


sich auf Erscheinungen von seiten der Ver¬ 
dauungstätigkeit, meist im Sinne der Ver¬ 
stopfung, viel weniger im Sinne des Durch¬ 
falles, wenigstens was die länger dauernden 
Störungen anbetraf. Es ist mir überhaupt 
aufgefallen, daß neben der Flatulenz, den 
Beschwerden und Unbequemlichkeiten me- 
tioristisch geblähter Därme die Obstipa¬ 
tionen im Vordergründe der klinischen 
Erscheinungen der Darmerkrankungen 
standen ; Dünndarmerkrankungen, vor al¬ 
len Dingen Gärungsdyspepsien, habe ich 
nie beobachten können. Dickdarmerkran¬ 
kungen dagegen in großer Anzahl. Ich 
komme darauf weiter unten noch zurück. 
Was ich oben von den anaciden Magen¬ 
säften sagte, wiederholt sich bei den 
Durchfällen, und zwar gehen sowohl kli¬ 
nisch die meisten Erkrankungen an Durch¬ 
fall mit Achylie einher, als auch häufen 
sie sich gegenüber der Obstipation der 
früheren Monate im letzten Winter, wenig¬ 
stens im Bereiche meiner Beobachtung. 
Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich 
bei diesem Befunde, fußend auf der Unter¬ 
suchung über Aussehen, Farbe und Be¬ 
schaffenheit des Stuhles, die Ansicht aus¬ 
spreche, daß es sich in allen diesen Fällen 
mit größter Wahrscheinlichkeit um gastro- 
gene Diarrhöen bei Achylia gastrica han¬ 
delt. Sie beeinträchtigen natürlich bei 
längerem Bestehen oder häufigen Wieder¬ 
holungen sehr intensiv die militärische 
Leistungsfähigkeit und auch die Arbeits¬ 
fähigkeit des einzelnen. Neben diesen 
Durchfällen spielt die diarrhoische Nach¬ 
erkrankung nach Ruhr oder Typhus mit 
dauernd reizbarer .Peristaltik eine Haupt¬ 
rolle und ferner die akuten Erkrankungen 
im Sinne der Colitis gravis oder suppura¬ 
tiva. Es ist mir unverhältnismäßig häufig 
dieses letztere Krankheitsbild begegnet 
und zwar waren es fast ausschließlich 
Leute, die im Felde krank geworden waren. 
Allerdings waren auch unter der Zivil¬ 
bevölkerung eine recht beträchtliche An¬ 
zahl Fälle schwerer und schwerster Er¬ 
krankung dieser Art gleichzeitig in Beob¬ 
achtung. Seitdem A. Schmidt zuerst 
wieder in erhöhtem Maße die Aufmerk¬ 
samkeit auf das Vorkommen einer ruhr¬ 
ähnlichen, unter Umständen rezidivieren¬ 
den Erkrankung mit Symptomen, die der 
bacillären Ruhr vollkommen gleich sein 
können, gelenkt hatte, sind mir zwar in 
der Friedenspraxis nur wenig solcher 
Fälle begegnet, aber jetzt während des 
Krieges war nicht nur in der Militär-, 
sondern auch in der Zivilbevölkerung ein 
recht erheblicher Prozentsatz der Magen- 


Darmkranken unter Erscheinungen er¬ 
krankt, bei denen es unter Ausschluß einer 
Ruhrätiologie auf bakteriologischem Wege 
gelang, sie als eine Erkrankung eigener 
Art des Dickdarmes festzustellen. Die 
häufig im Felde nicht durchführbare 
Stuhluntersuchung nach allen Kautelen 
läßt natürlich den Einspruch nicht ganz 
verstummen, daß es doch primär Ruhr¬ 
erkrankungen gewesen seien. Sehr wahr¬ 
scheinlich ist es mir für den größten Teil 
der Fälle jedoch trotzdem, daß es sich 
nicht um eine Ruhr, sondern um den 
Symptomenkomplex der ruhrähnlichen 
schweren Colitis gehandelt hat. Ihre Pro¬ 
gnose war in den meisten Fällen günstig 
und nur einmal ist mir ein Todesfall unter¬ 
laufen. Operativ einzugreifen (Appendi- 
cotomie) habe ich nie nötig gehabt. Die 
im Frieden so häufig beobachteten Rezi¬ 
dive waren bei dieser Art Kriegserkran¬ 
kung so gut wie nie vorhanden, wenigstens 
soweit ich es bis jetzt übersehen kann. 

Das Symptom, welches in den aller¬ 
meisten Fällen im Vordergründe der An¬ 
gaben der Darmkranken stand, war die 
hartnäckige Verstopfung und die er¬ 
schwerte Stuhlentleerung. Um vor Täu¬ 
schungen bewahrt zu sein, habe ich die 
einzelnen Stuhlgänge kontrollieren lassen 
und tatsächlich gefunden, daß bei einer 
Reihe von Erkrankungen starke Obstipa¬ 
tionen, bei denen drei bis sechs Tage ver¬ 
gingen, ehe spontan Stuhl erfolgte, vor¬ 
handen sein können, ohne daß organische 
Erkrankungen des Magens und Darmes 
vorliegen. In einer Reihe von Fällen war 
ja allerdings die Säurestärke gesteigert 
im Sinne der Übersäuerung des ausge¬ 
heberten Magensaftes, und dieses Bild, 
Superacidität + Obstipation, ist mir im 
Laufe der Kriegsmonate ebenso geläufig 
geworden, wie.das Gegenteil, Achylie und 
gastrogene Durchfälle. Aber in vielen 
Fällen fehlten auch alle Anhaltspunkte 
für eine Störung des Saftflusses im Magen- 
Darmkanal, und trotzdem bestand eine 
Obstipation in obenbeschriebener Hart¬ 
näckigkeit, bei der bei den einzelnen Stuhl¬ 
entleerungen eine Reihe von steinharten 
Kotballen bis zu Kleinapfelgröße entleert 
wurden, die besonders bei länger bestehen¬ 
der Erkrankung mit makroskopisch sicht¬ 
baren Schleimfetzen, zum Teil Blutspuren 
von Rissen der Rectalschleimhaut oder 
des Sphincter ani herrührend, bedeckt 
waren. Alle diese Fälle zeichneten sich 
durch eine röntgenologisch auf den distalen 
Dickdarmabschnitt beschränkte peristalti- 
scheStörung des Dickdarmes aus und waren 




August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


285 


therapeutisch außerordentlich schwer I 
zu beeinflussen. In einem einzigen Falle, 
der operativ gebessert wurde, handelte 
es sich um eine Verwachsung zwischen 
den Schenkeln der Flexura sigmoidea mit 
enorm erweitertem S-romanum nach einer 
Pelveoperitonitis, ein Krankheitsbild also, 
das aui Grund einer akquirierten Erkran¬ 
kung die anatomischen Verhältnisse imi¬ 
tiert, wie sie den congenitalen Hirsch- 
sprungschen Erkrankungen zugrunde 
liegen. In diesem Falle war die Verstop¬ 
fung so hochgradig und das Unvermögen 
der mechanischen Stuhlentleerung so groß 
gewesen, daß häufige manuelle Ausräu¬ 
mung des Rectums sich als notwendig er¬ 
wiesen hatte. Für das Krankheitsbild der 
geschilderten Obstipationen glaube ich als 
Ätiologie anführen zu können eine äußerst 
starke Ausnutzung der resorptiven Kräfte 
des Dickdarmes bei einer gleichzeitig be¬ 
stehenden Fettarmut des Darminhaltes. 
Ich habe keine quantitativen Fettana¬ 
lysen vornehmen können, mikroskopisch 
fanden sich bei diesen Stühlen nie Fett¬ 
kügelchen oder Fettsäurekrystalle. Es ist 
mir gar nicht unwahrscheinlich, daß der 
Körper als Anpassung an eine quantitativ 
verringerte und qualitativ veränderte 
Nahrung seinerseits durch Maßnahmen 
reagiert, die zur intensivsten Resorption . 
der assimilierbaren Nahrungsstoffe führt. 
In diesem Sinne wäre das Auftreten der 
Obstipation ein Anpassungsvorgang des 
Organismus. 

Nach diesen kurzen Schilderungen der 
vorkommenden Magen-Darmerkrankun¬ 
gen sei es mir gestattet, einiges über die 
subjektiven Symptome, über die Ätio¬ 
logie und die Therapie anzuführen. Neben 
dem Appetitmangel, den Beschwerden 
der Übersäuerung mit Aufstoßen und 
Sodbrennen und intensivemHungergefühle 
spielten eigentlich lokale Sensationen in 
der Gegend des ganzen Leibes eine Haupt¬ 
rolle, aber sie waren keineswegs so charak¬ 
teristisch, daß aus ihnen sich einheitliche 
Schmerzbilder hätten ableiten lassen. Im 
Vordergründe* stand ein fast immer an¬ 
gegebener Druckschmerz im epigastri¬ 
schen Winkel und das Gefühl unbestimm¬ 
ter Schmerzen um den Nabel herum, ganz 
gleichgültig, ob es sich um Darm- oder 
Magenerkrankungen handelte. Die Pal¬ 
pation des Unterbauches wurde nur bei 
tieferem Drucke als schmerzhaft ange¬ 
geben, besonders dann, wenn stärkere 
Kotmassen den Dickdarm und Enddarm 
füllten. Reflektorische Muskelspannungen 
über -wirklich schmerzhaften Gegenden 


des Leibes fehlten fast nie. im wesent¬ 
lichen waren die Angaben die über dif¬ 
fuse, ihrem Charakter nach unbestimmte, 
ziehende, drückende Schmerzen; ; nur 
selten ließ sich ein bestimmter Darm¬ 
abschnitt oder dessen Projektion auf der 
Bauchoberfläche objektiv schmerzhaft ab¬ 
grenzen, selbst bei Aufforderung, die 
schmerzhaften Stellen zu zeigen, war eine 
genaue Ang*abe kaum zu erhalten. So 
habe ich trotz meiner darauf gerichteten 
Bemühungen über bestimmte Formen 
und Lokalisation von Schmerz bei Ab¬ 
dominalerkrankungen an meinem Ma¬ 
teriale keine Aufschlüsse finden können, 
wenigstens nicht mehr, als sie den lehr¬ 
buchmäßig bekannten Schmerzen ent¬ 
sprachen; nicht einmal die Kolikschmer¬ 
zen waren so typisch, wie man sie vielfach 
zu sehen gewohnt ist; vielmehr waren in 
den wenigen Fällen mit derartfg schmerz¬ 
haften Erkrankungen Reizerscheinungen 
von seiten des Peritoneums so hochgradig 
oder die Empfindlichkeit der Patienten 
so groß, daß auch hier nur mit Hilfe der 
funktionell-klinischen Diagnostik Klar¬ 
heit geschaffen werden konnte. 

Ebenso schwierig war eine ätiologische 
Erkennung der Krankheit im Einzelfalle. 
Ich sehe selbstverständlich ab von den 
auf der Hand liegenden Ursachen, die 
jedem Arzte geläufig sind, sondern denke 
zuerst an die Sekretionsstörungen und das 
Ulcus, dann an die verschiedenen Formen 
der Obstipation. Soll man wirklich in 
diesen Fällen einen ursächlichen Zu¬ 
sammenhang zwischen Magen-Darm¬ 
störungen und Einflüssen des Kriegslebens 
annehmen, oder besteht nur ein mittel¬ 
barer Zusammenhang? Ich glaube, man 
wird von Fall zu Fall entscheiden müssen, 
ob nicht der geklagteSymptomenkomplex, 
soweit er nicht offensichtlich frischer Art 
ist, unter dem Einflüsse irgendwelcher 
Hemmungs- oder Begehrungsvorstellun¬ 
gen, vielleicht auch unter dem Einflüsse 
von Angst von seinem Träger erkannt 
oder überwertet wird, das heißt, daß in 
einer großen Anzahl von Fällen meiner Auf¬ 
fassung nach die Entstehung des Leidens 
auf den Kriegsdienst zurückgeführt wird, 
um beweisen zu können, daß man durch 
ihn geschädigt ist. Ich gebe selbstver¬ 
ständlich hierbei allen traumatischen Ein¬ 
flüssen von Quetschungen, Erkältungen, 
Prellungen, aller lang fortgesetzten un¬ 
regelmäßigen oder ganz unzweckmäßigen 
Ernährung eine weitgehende Billigung, 
aber zu ihrer Anerkennung muß be¬ 
wiesen sein das Fehlen aller nervösen Mo- 



286 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


August 


mente und das Fehlen überhaupt irgend¬ 
welcher Magen-Darmstörungen in den Jah¬ 
ren friedlicher Beschäftigung. Und selbst 
diesen Zusammenhang zugegebjen, muß 
ich mit Rücksicht auf die Erfahrungen 
bei der Zivilklientel die Frage der Schädi¬ 
gung durch die Einflüsse dieser Sekretions¬ 
anomalien und Darmentleerungsstörungen 
als zum mindesten mit Vorsicht aufzu¬ 
fassen erklären, und ebenso zurückhaltend 
bin ich mit der Bewertung von Angaben 
über Schmerzen. Deshalb glaube ich 
auch, daß man das Gesetz von der Kapital¬ 
abfindung vorläufig auf magendarm¬ 
kranke, entlassene Soldaten nicht an¬ 
wenden sollte, selbst wenn man Kriegs¬ 
dienstbeschädigung angenommen hat. 

Was schließliqh die Therapie der 
Magen-Darmstörungen der obenbeschrie¬ 
benen Art anbelangt, so habe ich bei den 
akuten Fällen Günstiges und Gutes ge¬ 
sehen, bei der Behandlung der Heimat¬ 
truppen dagegen viel Enttäuschungen er¬ 
lebt. Verordnungen, -die unter gleichen 
Verhältnissen im Frieden zu erträglicher 
Funktion führten, blieben angeblich hier, 
besonders bei Schmerzempfindungen, ohne 
wesentlich bessernden Einfluß. Es war 
-bei der vorhandenen- mangelnden Aus¬ 
wahl an Nahrungsmitteln geeigneter Art 
nicht immer leicht, die Ansprüche nach 
Diät zu befriedigen, aber auch hier fiel 
es mir auf, was ich schon zu Anfang des 
Krieges in der Ambulanz der medizini¬ 
schen Klinik in Kiel beobachten konnte, 
daß der wirklich Magenkranke unter einer 
vielleicht nicht ganz passenden Kost viel 
weniger Beschwerden hatte als der ner¬ 
vös disponierte Mensch, und daß die sub¬ 
jektiven Klagen der letzteren in umge¬ 
kehrtem Verhältnisse zu ihren objektiven 
Symptomen standen. Die eigentliche Be¬ 
handlung diätetischer Art erstreckte sich 
auf Vorsichtsmaßregeln sowohl bei der 
Herstellung der Speisen unter Verzicht 
auf Gewürz und Beobachtung leichter 
Verdaulichkeit als auf das Essen der so 
zubereiteten Speisen, indem Wert auf gute 
Kauwerkzeuge beziehungsweise deren Er¬ 
satz, vorsichtiges Kauen und häufige 
Mahlzeiten in kleinen Mengen gelegt 


wurde. Ganz besonders gut haben sich 
mir im Laufe der Kriegsjahre die Beiter 
donnapräparate bewährt und vor ^ allen 
Dingen die physikalische Behandlung des 
Leibes, sowohl durch Wärme in der Form 
von Kataplasmen, der Packungen und der 
trockenen Umschläge, vielleicht auch der 
Höhensonne, als auch der Massage, entwe¬ 
der mit der Hand oder mit der elektrisch 
betriebenen Vibrations-Massagekugel. Gu¬ 
tes sah ich auch von warmer Unterkleidung 
und Leibbinden. Die große Reihe der Ab¬ 
führmittel hat mir durchweg keine befrie¬ 
digenden Resultate gezeitigt, da ist die 
mechanischeEntleerung durch Einläufe und 
vielleicht die Anwendung der Mittelsälze am 
ehesten von Erfolg gewesen. Bei den Dick¬ 
darmkatarrhen blutiger, nicht specifischer 
, Art habe ich am meisten Erfolg von der Clys- 
menbehandlung und zwar entweder mit 
Tannin oder Salzlösung oder mit Dermatol- 
Gummiarabikum-Einläufen geseheu, auch. 
Bolus alba war .von bester -Wirkung. 

Am Schlüsse meiner Ausführungen 
möchte ich mein Urteil über die von 
mir beobachteten Magen-Darmstörungen 
dahin zusammenfassen, daß es sich in der 
Mehrzahl der Fälle entweder um akute, 
gutartige Prozesse handelte, oder um die 
Störungen veränderter Magen-Darmtätig¬ 
keit mehr veralteter Art: der Rest ist ge¬ 
bildet durch nervöse Dyspepsien. Dia¬ 
gnostisch neue Krankheitsbilder aufzu¬ 
decken, ist mir nicht gelungen. Wenn 
auch die Therapie besonders unter den 
jetzigen Verhältnissen auf gewisse Schwie¬ 
rigkeiten stößt, so ist doch die Behauptung 
gerechtfertigt, daß gleichgültig, ob eine 
Schädigung des Verdauungskanals durch 
die Diensteinflüsse oder davon herrührende 
Verschlimmerung angenommen wird oder 
nicht, die therapeutische Behandlung in den 
allermeisten Fällen wenigstens insofern von 
Erfolg begleitet sein wird, daß bei akuten 
Fällen eine Heilung, bei veralteten ein Sta¬ 
tionärbleiben des Prozesses erreicht wer¬ 
den kann, so daß der Begriff einer Kriegs¬ 
erkrankung des Magen-Darmkanals, jeden¬ 
falls im Verhältnisse zu der großen Zahl 
der Magen-Darmerkrankungen, zu den 
Seltenheiten gerechnet werden muß. 


Aus der Inn. Abt. des Stubenrauch-Kreis-Krankenbauses zu Berlin-Licbterfelde 
(Dirig. Arzt: Prof. Dr. Rautenberg). 

Die Behandlung des akuten Gelenkrheumatismus mit elektro= 

kolloidalen Silberpräparaten. 

Von Dr. C. Moewes. 


Es gibt Fälle von akutem Gelenk¬ 
rheumatismus, bei denen die Wirkung 
der Salicylpräparate versagt oder Salicyl 


überhaupt nicht angewendet werden kann. 
Wir möchten nach unseren Erfahrungen 
folgende drei Gruppen unterscheiden: 



August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


287 


Fälle von schwerstem Gelenk¬ 
rheumatismus mit hochgradig toxisch¬ 
infektiösem Charakter unter dem Bilde 
einer Sepsis verlaufend mit lebensbedroh¬ 
lichen, Erscheinungen; 

Fälle, bei denen die Erkrankung 
eines einzelnen Gelenkes gewöhn¬ 
lich in sehr ausgesprochener Weise vor¬ 
herrscht, ohne daß sich eine specifische 
Ursache (Gonorrhöe, Tuberkulose) nach- 
weisen läßt; 

endlich noch Fälle, bei denen zwar an 
sich die Salicyltherapie wirksam wäre, 
aber die Darreichung des Salicyl in thera¬ 
peutisch wirksamen Dosen auf unüber¬ 
windliche Schwierigkeiten von seiten des 
Patienten wegen subjektiver Beschwerden 
stößt. 

Für alle solche Krankheitsformen hat 
sich uns nun die Behandlung mit 
Silberpräparaten als zweckmäßig, mit¬ 
unter sogar als dringend notwendig er¬ 
wiesen. Es liegt ja schon in der theoretisch 
anzunehmenden Wirkung des Kollargol 
und seiner neueren Modifikationen des 
Elektrokollargol (Heyden) und Ful- 
margin (Rosenberg) begründet, daß man 
sie mit entsprechenden guten Erfolgen 
wie bei Sepsis und sepsisähnlichen Er¬ 
krankungen auch bei dem Gelenkrheu¬ 
matismus anwenden kann. Die Wirkun¬ 
gen des Kollargols richten sich ja weniger 
gegen die infizierenden Erreger als viel¬ 
mehr gegen die toxischen Einflüsse des 
Infekts; es erregt Reaktionen im Körper, 
die an sich schon heilsam wirken können: 
chemischer Natur, katalytische und ad¬ 
sorbierende, biologische, Leukocytose er¬ 
regend, und antibakterielle.. Diese Ein¬ 
wirkungen sind augenfällig, bei Anwen¬ 
dung des Kollargols oft unmittelbar ein¬ 
setzend, von scheinbar bedrohlichem Cha¬ 
rakter, bei den anderen Präparaten milder, 
aber'doch deutlich. Die sogenannten un¬ 
angenehmen Nebenwirkungen: Tempera¬ 
turerhöhungen, Schüttelfröste, Cyanose, 
schwerste Kollapszustände mit Herz¬ 
schwäche bleiben bei der Anwendung der 
durch elektrische Zerstäubung hergestell¬ 
ten kolloidalen Silberlösungen mit Sicher¬ 
heit aus. Dieser Hauptvorzug gegenüber 
den Lösungen des chemisch hergestellten 
Silberkolloids ist darauf zurückzuführen, 
daß den letzteren Eiweißkörper als Schutz¬ 
kolloide beigefügt sind. Dazu kommt 
noch, daß sie ohne größere Schmerz¬ 
haftigkeit intramuskulär gegeben werden 
können. 

Wir haben nun bei den verschieden¬ 
sten Krankheiten Kollargol und die elektro- 


kolloidalen Präparate angewandt, Wir¬ 
kungen immer gesehen, wenn auch nicht 
endgültig zweckmäßige und heilende. 
Dazu ist bei den infektiösen Erkrankun¬ 
gen die Art des Infekts zu verschieden, 
sind die Reaktionen des Körpers zu 
mannigfaltig. 

Unter diesem Gesichtspunkte haben 
wir nun auch die Wirksamkeit dieser 
Präparate bei dem akuten Gelenk¬ 
rheumatismus mit seine.n Kompli¬ 
kationen der endo- und perikar¬ 
dialen Herzerkränkungen beurteilt 
und unsere Erwartungen bestätigt ge¬ 
funden. Neu ist ja dte Anwendung des 
Kollargol bei dem Gelenkrheumatismus 
nicht (Riebold, Plehn,. Fritz Meyer, 
Junghans, Engelen, Reich mann). 
Es wurde intravenös und als Klysma ge¬ 
geben. Alle Autoren sind sich darin einig, 
daß eine günstige Wirkung erzielt wurde, 
oft überraschend bei salicylrefraktären 
Fällen, aber auch nur relative Besserun¬ 
gen, vor allem Einwirkungen auf die sub¬ 
jektiven Beschwerden und die infektiös¬ 
toxischen Erscheinungen. Endokardiale 
Prozesse sollen sich durch Kollargolthera-. 
pie vermeiden oder eingetretene heilen 
lassen. Über sehr schöne Erfolge wird 
auch bei specifisch gonorrhoischen Ge¬ 
lenkerkrankungen berichtet (Riebold, 
Gennerich usw.). 

Wir haben nun im Laufe der letzten 
zwei Jahre bei ausgesuchten Fällen von 
akutem Gelenkrheumatismus nach oben 
angegebenen Indikationen elektrokol- 
loidale Präparate angewandt und eine 
im allgemeinen gleich günstige Wirkung 
feststellen können wie andere Unter¬ 
sucher. Heftige Reaktionen, unerwünschte 
Nebenwirkungen, wie bei intravenöser 
Kollargoltherapie, haben wir in keinem 
Falle beobachten können. Allerdings 
fehlte auch meist die intensive Einwirkung, 
die man bei dem Kollargol mitunter nach 
einmaliger Injektion sehen kann: nach 
heftigem Schweißausbruche dauerndes Ab¬ 
sinken der Temperatur und Schwinden 
aller Krankheitserscheinungen. 

Es sind meist mehrere Einspritzungen 
nötig, intravenös entschieden wirksamer 
als intraglutäal. Wir injizierten täglich 
oder jeden zweiten Tag. Nach zwei bis 
sechs Injektionen sinkt die Temperatur 
gewöhnlich remittierend zur Norm. 

Wir geben zwei charakteristische Kur¬ 
ven als Beispiel wieder. 

Auffallend ist meist schon am Tage 
der ersten Injektion der ausgezeichnete 
Einfluß auf das Allgemeinbefinden' und 



288 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


August 


die lokalen Beschwerden. Der schwere 
Infektzustand löst sich, die Schmerzen 
hören auf, die lokalen Veränderungen der 
Gelenke bilden sich zurück, die Beweg¬ 
lichkeit bessert sich, die Hautverände¬ 




rungen des Erythema nodosum schwinden 
schneller und vollkommener wie bei der 
besten Salicylwir- 
kung, alles ohne die 
oft so quälenden Be¬ 
gleiterscheinungen 
der Salicyltherapie. 

Leider findet sich 
diese ideale Wir¬ 
kung der elektro- 
kolloidalen Präpa¬ 
rate nicht immer, 
sondern, wie folgende Zusammenstellung 
unserer Beobachtungen zeigt, nur in 
etwa 53% der Fälle. 




Davon 

zweifel¬ 

Behandelt wurden: 

Fälle 

prompte 

hafte 



Wirkg. 

Wirkg. 

von Gelenk¬ 




rheumatismus. . 

26 

14 

7 

von rheumati¬ 




scher Endo- und 




Perikarditis . . . 

12 

6 

2 


In einer Reihe von Fällen — diejenigen 
mit zweifelhafter Wirkung unserer Zu¬ 
sammenstellung — 
trotzt das Fieber der 
Behandlung. Man 
muß sich zunächst 
mit einer guten 
Allgemeinwir- 
kung bescheiden, 
die fast niemals zu 
vermissen ist. Gerade 
Fälle von subakutem 
und beginnendem 
chronischen Rheuma¬ 
tismus neigen zu einer gewissen Resistenz 
gegenüber den Silberpräparaten, wie ja 
überhaupt gegen jede therapeutische Ma߬ 
nahme. Häufig gelingt es, durch konse¬ 
quent fortgesetzte Einspritzungen in grö¬ 


ßeren Abständen während mehrerer 
Wochen die gewünschte Heilung zu er¬ 
zielen. Man wird sich mit den einzelnen 
Einspritzungen zweckmäßig nach dem 
Temperaturverlaufe richten. 

Wir geben auch hier zwei Kurven als 
Beispiel wieder: 

Es ist selbstverständlich, daß wir 
auch absolut kollargolrefraktäre Fälle ge¬ 
sehen haben, die entweder durch ihre 
Komplikationen zu -einem ungünstigen 
Ausgange führten oder bei denen sich 
durch andere Behandlungsmethoden (Ar- 
thigon-Milch- Injektionen) Besserungen er¬ 
zielen ließen. 

Endo- oder perikardiale Prozesse, die 
erst während der Behandlung mit Kollar- 
golpräparaten aufgetreten wären^ haben 
wir nicht beobachtet, ohne allerdings 
daraus weitgehende Schlüsse, was die 
Vermeidung derartiger Komplikationen 
durch die Behandlung angeht, ziehen zu 


wollen. Wohl aber haben wir bei akuter 
Endo- und Perikarditis, bei denen die 
rheumatischen Beschwerden in den Hinter¬ 
grund traten, einige sehr schöne Erfolge 
gesehen in etwa der Hälfte der Fälle (ver¬ 
gleiche die Zusammenstellung), aber auch 
andererseits völlige Versager mit letalem 
Ausgange, wie es ja in der Natur der vor¬ 
liegenden Infekte begründet liegt. 

Auffallend war auch in einigen Fällen 
(vier) die sehr günstige Beeinflussung des 


Erythema nodosum. Nach einmaliger 
Injektion von Elektrokollargol Nachlassen 
der erheblichen subjektiven Beschwerden, 
nach weiterer Behandlung völlige Zurück¬ 
bildung starker entzündlicher Infiltrate 






August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


289 


im Verlaufe weniger Tage; Vorgänge, wie 
wir sie jedenfalls in diesem Maße bei der 
üblichen Salicyltherapie nicht gesehen 
haben. 

Alles in allem empfehlen wir 
die Behandlung mit elektrokolloi- 
dalen Silberpräparaten, bei dem 
akuten Gelenkrheumatismus und 
den verwandten Erkrankungen, so¬ 
fern irgendwelche Gegengründe 


für eine konsequent durchzufüh¬ 
rende Salicyltherapie gegeben sind. 
Erfolgreich erweist sie sich häufig 
auch in solchen Fällen, wo Salicyl 
versagt. Die elektrokolloidal.en 
Präparate verdienen dem Kollar- 
gol vorgezogen zu werden, da bei 
ihrer Anwendung jede uner¬ 
wünschte Nebenwirkung sich mit 
Sicherheit vermeiden läßt. 


Nochmals die Behandlung 

der Pneumonie mit Optocfyinum basicum und Milchdiät. 

Von Dr. Felix Mendel-Essen. 


Im juniheft dieser. Monatsschrift be¬ 
kennt sich Professor Rosin auf Grund 
seiner Erfahrung an 200 Krankheitsfällen 
als Anhänger der auch heute noch um¬ 
strittenen spezifischen Optochin- 
therapie der Lungenentzündung 
und empfiehlt genau nach der von mir 
wiederholt gegebenen Vorschrift, das Op- 
tochinum basicum im Gegensatz zum 
Optochinum hydrochloricum in einer Form 
zu geben, die eine Umwandlung der 
schwer löslichen Base in das lös¬ 
liche Salz durch die Magensalz¬ 
säure verhütet. Zu diesem Zwecke rät 
Ros in vor der Darreichung einer jeden 
Optochinkapsel den Mageninhalt mit 
einem gehäuften Teelöffel doppel¬ 
kohlensaurem Natron, am besten in 
Fachinger Wasser, zu neutralisieren. 

Diesem Vorschläge gegenüber möchte 
ich dringend empfehlen, bei meiner Vor¬ 
schrift der Milchdiät zu verbleiben, die 
völlig ausreicht, um jene unerwünschte 
Umwandlung des Medikaments zu ver¬ 
hüten, die ferner die unangenehmen 
Nebenwirkungen des Natron bicar- 
bonicum vermeidet und schließlich 
noch eine Reihe anderer den Kranklieits- 
verlauf günstig gestaltender Wir¬ 
kungen besitzt, die oft neben dem 
specifischen Effekt des Morgen- 
rothschen Heilmittels den glück¬ 
lichen Ausgang der Pneumonie be¬ 
dingen. 

Ein gehäufter Teelöffel (ca. 5 gj Natron 
bicarbonicum einem Patienten verab¬ 
reicht, sättigt infolge seiner leichten 
Zersetzbarkeit sofort die Magensäure, 
wie es für die Optochintherapie gewünscht 
wird, aber die durch das Salz bewirkte, 
anfänglich alkalische Reaktion des Magen¬ 
saftes hält sich nur für kurze Zeit. 
Sehr bald kommt es durch die Einwir¬ 
kung der Kohlensäure, welche bei der 
Neutralisation der Salzsäure entsteht und 


durch den auf die Drüsen des Magens 
von seiten des Alkalicarbonats verur¬ 
sachten Reiz zu einer vermehrten Se¬ 
kretion des Magensaftes mit Zunahme 
der Säurereaktion, welche sogar über 
das ursprüngliche Maß hinausgehen kann. 

Da es auf den jeweiligen Füllungs¬ 
zustand des Magens ankommt, ob bis zu 
diesem Zeitpunkt die ganze Optochin- 
dosis den Pylorus bereits passiert hat, 
muß die Darreichung des Natron bicar¬ 
bonicum schon aus diesem Grunde für 
ein unzuverlässiges Mittel erklärt 
werden, wenn man die Einwirkung der 
Magensaizsäure auf das Optochin'mit 
Sicherheit verhüten will. 

Gleichzeitig mit der Zersetzung des 
doppelkohlensauren Natrons beginnt die 
Entwickelung der Kohlensäure, von der 
lg des. Salzes 270 cbcm abgeben kann, 
also sicherlich bei einer Gabe von 5 g alle 
5 Stunden eine ausreichende Menge von 
nascierendem Gas, um das Zwerchfell 
durch Aufblähung des Magens nach oben 
zu drängen und dadurch dem durch die 
Infektion schon ' ohnehin ge¬ 
schwächten Herzen des Pneumonikers 
eine weitere Schädigung zuzufügen. 

Es braucht nur an die oft momentan 
ungünstige Wirkung der kohlensäure¬ 
haltigen Getränke auf Herzkranke er¬ 
innert zu werden, die besonders dann sich 
bemerkbar macht, wenn , die liegende 
Stellung des Patienten, wie es bei der 
Pneumonie der Fall ist, das Entweichen 
der Kohlensäure erschwert. 

5 g doppelkohlensaures Natron soll 
aber fünfmal pro Tag verabreicht werden, 
d. i. eine' Salzmenge, die den ohnehin 
bedrohten Kreislauf der Pneumoniker 
noch weiter belasten nruß und infolge 
von Wasserretention zu schweren Schä¬ 
digungen führen kann, wenn diese großen 
Mengen mehrere Tage hindurch verab¬ 
reicht werden müssen. 


37 



29Ö 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


August 


Wir wissen 1 ), daß große Dosen von 
Alkalien, besonders von Natronsalzen, 
sogar Hydropsie erzeugen können; so 
hat Blum Natronödeme bei Diabeti¬ 
kern beschrieben, und Breitmann Hy¬ 
dropsie bei Nephritis unter dem Einfluß 
großer Alkalidosen eintreten sehen. Da 
wir aber bei der Pneumonie fast stets mit 
einer tubulären Schädigung der Nie¬ 
renfunktion und nicht selten sogar mit 
einer echten Nephrose rechnen müssen, 
so ist schon aus diesem Grunde aus der 
Darreichung großer Natrondosen, wenn 
nicht gerade eine Ödembildung, so doch 
eine Belastung und Schädigung der 
Circulationsorgane zu befürchten. 

Den Vorzug der reinen Mich- 
diät habe ich wiederholt dargelegt 2 ); sie 
garantiert durch ihren reichen Kalorien¬ 
gehalt eine ausreichende Ernährung 
des Patienten. Sie erfüllt, alle 3 Stunden 
und besonders vor der Darreichung des 
Optochins, in Mengen von 150 bis 200 g 
gegeben, voll und ganz ihre Aufgaben 
bezüglich der Umwandlung des Opto- 
chinum basicum in das giftigere Opto- 
chinum hydrochloricum; sie verdünnet 
die Magensalzsäure, neutralisiert 
sie vermöge ihrer alkalischen Reaktion 
und bindet sie, worauf auch Rosin 
hinweist, noch durch Kasein, so daß bei 
dieser Art der Behandlung eine Umwand¬ 
lung der Optochinbase in eine lösliche 
Optochinverbindung mit Sicherheit ver¬ 
hütet wird, und dies um so mehr, als .der 
Fettgehalt der Milch die Magensekretion 
herabsetzt. 

Gleichzeitig aber bildet die absolute 
Milchdiät neben der Optochintherapie 
einen wichtigen Heilfaktor in der Be¬ 
handlung der Pneumonie. Sie ist nicht 
nur Schonungsdiät für die bei der 
Lungenentzündung fast stets geschädigten 
Nieren, der geringe Kochsalzgehalt der 
Milch und ihre diuretische Wirkung ver¬ 
hüten auch, daß die bekannte Chlor¬ 
natriumretention bei der Pneumonie 
eine den Kreislauf bedrohende Höhe er¬ 
reicht und, indem sie durch verstärkte 
Diurese die Ausscheidung des Optochins 
beschleunigt, verhütet sie seine toxi¬ 
sche Wirkung. 

Daß diese von mir vorgeschlagene Art 
der Behandlung die gefährlichen Neben¬ 
wirkungen des Optochins völlig ausschal¬ 
tet, beweist wohl die Tatsache, daß seit¬ 
dem trotz zahlreicher Optochin- 
anwendungen noch kein Fall von 


Sehstörung weder mir privatim berich¬ 
tet, noch in der Literatur bekanntgegeben 
ist, was sicher geschehen wäre, wenn sich 
etwas Derartiges ereignet hätte. Die 
Optochinum - basicum - Milchbe¬ 
handlung erfüllt deswegen, wie Mor- 
genroth schon hervorgehoben, alle For¬ 
derungen, welche wir an eine rationelle, 
auf der theoretischen Forschung begrün¬ 
dete, den Bedürfnissen der Praxis Rech¬ 
nung tragende Therapie stellen können. 
Die Modifikation derselben, wie sie 
Ros in vorschlägt, bringt aber dieser 
Therapie, die gerade eben die Klippen der 
gefürchteten Amaurose überwunden hat, 
neue Gefahren, die ihre anerkannte 
Wirksamkeit wieder in Frage stellen 
können. 

Dabei gestaltet sich die von mir vor¬ 
geschlagene Optochintherapie, was prak¬ 
tisch von größter Bedeutung ist, in der 
Ausführung sehr einfach, wenn auch 
die Milchbeschaffung während des Krie¬ 
ges manchmal auf Schwierigkeiten stößt, 
die auch wohl Rosin veranlaßt haben, 
meine Vorschriften zu modifizieren. 

Der Patient wird möglichst gut ge¬ 
lagert, um häufiges Umbetten zu ver¬ 
meiden, und absolut ruhig 1 ) gehalten, 
eine Vorschrift, die deswegen wichtig er¬ 
scheint, weil bei jeder Infektion die 
Ruhigstellung des erkrankten Organes die 
Gefahren einer örtlichen oder allgemeinen 
Propagation der Entzündung vermindert. 
Deswegen auch Spree hver bot undkeine 
der so beliebten Packungen und 
Wickel, deren an sich schon zweifelhafter 
Nutzen durch die damit verbundene An¬ 
strengung und Belästigung des Patienten 
reichlich aufgehoben wird. Bei pleuri- 
tischen Schmerzen auf die erkrankte 
Stelle einen Heißwasserbeutel, der 
neben der schmerzstillenden Wirkung 
auch eine wohltätige und dem Patienten 
angenehme Diaphorese begünstigt. Kein 
elektrisches Heizkissen, das eine 
trockene Atmosphäre um sich her er¬ 
zeugt, dadurch den Hustenreiz steigert 
und die Expektoration erschwert. Alle 
2 bis 3 Stunden 150 bis 200g Milch, 
nicht weniger, um eine continuier- 
liche Einwirkung auf die Magensekretion 
zu erzielen, warm oder kalt, pur oder mit 
Zusatz von Kakao, Kaffee, Zucker, Eiern, 
Mehlpräparaten, je nach Bekömmlichkeit, 
Geschmack und Bedarf. Alle 5 Stunden, 
Tag und Nacht hindurch, nach vor¬ 
heriger Milchdarreichung eine Kapsel Op¬ 
tochinum basicum 0,2—0,3, bis die alle 
0 S. auch Volland, Ther. Mh. 1910, Mai. 


0 S. Strauch, Die Nephritiden, Berlin 1916. 
2 ) M. m. W. 1915, Nr. 22. D. m. W. Nr. 18. 





August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


291 


5 Stunden rectal gemessene Tempe¬ 
ratur auf 37,5 gesunken ist oder als 
Zeichen einer Idiosynkrasie gegen 
das Mittel Ohrensausen auftritt. 

Selbstverständlich dürfen bei genauer 
Beobachtung des bedrohten Kreislaufes, 


auch in Verbindung mit der Opto- 
chintherapie, je nach vorliegenden In¬ 
dikationen, alle Herz- und Vaso¬ 
motorenmittel (Digitalis, Strophan- 
thus, Campher, Adrenalin, Aderlaß) An¬ 
wendung finden. 


Aus der Hautstation des Festungslazaretts Breslau (Abteilung Yorckschule). 

Boluphen, ein neues Wundstreupulver bei der Behandlung 
von Haut= und venerischen Krankheiten. 

Von Prof. Dr. J. Schaffer, leitendem Arzte. 


Die zahlreichen Versuche, für das 
Jodoform ein Ersatzpräparat zu finden, 
das frei von seinen störenden Neben¬ 
erscheinungen ist, haben bisher noch zu 
keinem befriedigenden Ergebnis geführt. 
Unter der großen Zahl der antiseptischen 
oder richtiger der als antiseptisch bezeich- 
neten Wundstreupulver ist keirjs, das an 
das Jodoform heranreicht. Freilich be¬ 
sitzen manche pulverförmige Medika¬ 
mente einige vorteilhafte Sondereigen¬ 
schaften und sind darum auch für be- 
stimmte Zwecke sehr brauchbar: Das 
Dermatol als austrocknendes Mittel, das 
Tannoform wegen seiner dishydrotisehen 
Wirkung, das Änästhesin zur Schmerz¬ 
linderung und so fort. Sonst aber kommen 
keinem so wesentliche Vorzüge zu, daß 
es zu einer unbestrittenen Sonderstellung 
gelangen konnte.- Viele Ärzte haben zwar 
eine ausgesprochene Vorliebe für irgend¬ 
ein Wundstreupulver und pflegen es vor¬ 
zugsweise zu benutzen. Man gewinnt aber, 
fast den Eindruck, als ob hier mehr Zu¬ 
fälligkeiten und Gewohnheiten mit im 
Spiele sind, als daß besondere Eigenschaf¬ 
ten des Medikaments diese Bevorzugung 
rechtfertigten. Darum ist es gewiß be¬ 
rechtigt — trotz der übergroßen Zahl von 
Wundstreupulvern — noch neue Mittel 
auszuprobieren und, wenn möglich, bessere 
Präparate ausfindig zu machen. 

Seit etwa einem Jahre habe ich an dem 
großen Materiale unserer Abteilung ein von 
der Fabrik chemisch - pharmazeutischer 
Präparate Vial & Uhlmann in Frank¬ 
furt a. M. hergestelltes Wundstreupulver 
verwandt und an diesem so günstige 
Eigenschaften festgestellt, daß ich darüber 
kurz berichten möchte. 

Nach den Mitteilungen von Vial & Uhlmann 
stellt das Boluphen ein Kondensationsprodukt 
zweier wirksamer Desinfektionsmittel, des Form¬ 
aldehyds und des Phenols dar und ist ein ungiftiges, 
gelblichweißes, staubfeines, geruchloses Pulver. 

Chemisch ist es als ein trockenes Polymerisa¬ 
tionsprodukt des Oxybenzylalkohols aufzufassen, 
welches als nichttoxisches Phenolderivat Form¬ 
aldehyd in labiler Bindung enthält. Bei vorsich¬ 
tigem Erhitzen spaltet es langsam Formaldehyd 


ab; die Phenolnatur des Körpers ist durch Eisen¬ 
chlorid nachweisbar. Es ist unlöslich in Wasser, 
Äther, Benzin, dagegen teilweise löslich in Alko¬ 
hol, Alkalien und Ammoniak. 

Die bactericide Eigenschaft des Boluphens be¬ 
ruht darauf, daß es sich durch die enzymatische 
Einwirkung des Wundsekretes und der Sekret¬ 
säfte allmählich in freies Formaldehyd und ein 
Phenolderivat zerlegt, wobei die in nascierendem 
Zustande zur Wirkung gelangenden Komponenten, 
eine andauernde bactericide Tätigkeit entfalten.. 

Die Ungiftigkeit des neuen Präparates 
wurde im Tierexperiment festgestellt. Kaninchen 
vertrugen bis zu 3 g per os, Katzen bis 10 g und 
Hunde bis 15 g ohne Vergiftungserscheinungen. 
Subcutan wurden bis zu 3 g bei Kaninchen ohne 
Nebenwirkung gegeben. 

Das Pulver ist steril. Wird es mit Nährgelatine 
gemischt und in Platten gegossen, so zeigt es bei 
37° keinerlei Entwickelung von Bakterien. 

* Mit Glycerin-Agar gefüllte Petrische Schalen 
wurden mit Bakterien infiziert und mit Boluphen 
überpudert und bei 37° gehalten. Am vierten 
Tage wurden die sowohl mit Streptokokken als 
auch mit Anthrax infizierten Proben auf frische 
Glycerinagarplatten überimpft; es zeigte sich kein 
Wachstum. 

Desodorisierende Wirkung. Zehn Tropfen 
faulendes Blut wurden in der Reibschale mit 5 g 
Boluphen innig gemischt und die sehr übelrie¬ 
chende Mischung bei 37° gehalten. Nach 24 Stun¬ 
den war nur noch ein schwacher Geruch bemerk¬ 
bar, nach 48 Stunden vollkommene Desodorisie¬ 
rung eingetreten. 

Im Preise stellt es sich erheblich billiger als 
Jodoform und andere Antiseptica. 

Die von mir selbst angestellten experi¬ 
mentellen Untersuchungen zeigten gleich¬ 
falls,daß das Boluphen antiseptische Eigen¬ 
schaften aufweist, daß es freilich das Jodo¬ 
form in dieser Hinsicht nicht erreicht. Legt 
man frische Strichkultur von Staphylo¬ 
kokken und Streptokokken auf Agar¬ 
platten an und bestreut sie mit dem Bolu¬ 
phen, so zeigte sich Entwickelungshem¬ 
mung. An den Stellen, an denen nur 
wenig Puder aufgetragen war, war aller¬ 
dings Wachstum noch festzustellen. Sol¬ 
che Experimente sind indessen nicht ganz 
maßgebend für die Desinfektionswirkung 
in der Praxis, weil nach den oben gemach¬ 
ten Mitteilungen gerade die chemische 
Umsetzung des Boluphens durch Wund¬ 
sekrete erst die desinfizierende Wirkung 
zur Entfaltung bringt. Freilich zeigen 

37* 



292 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


August 


auch die Resultate beim Ulcus molle, das 
wohl eins der besten Kriterien für die Des¬ 
infektionskraft eines antiseptischen Streu¬ 
pulvers ist, daß es dem Jodoform nicht 
gleichgestellt werden kann. In dieser Hin¬ 
sicht teilt es das Schicksal aller anderen 
antiseptischen Wundstreupulver, die 
bisher als Jodoformersatz für die The¬ 
rapie der weichen Schanker empfohlen 
wurden. 

Eine Anzahl von Ulcera mollia re¬ 
agierten bei unseren Versuchen ganz gut 
auf das Boluphen, aber doch nicht alle. 
Man muß hier einen Unterschied machen. 
Es gibt nämlich manche weiche Schanker, 
die relativ leicht zu beseitigen sind, so daß 
man manchmal auf den Verdacht kommen 
könnte, daß wir eine Fehldiagnose ge¬ 
macht haben, daß vielleicht eine Ver¬ 
wechselung mit Herpes genitalis necro- 
ticus vorliegt, wenn nicht der positive 
Ausfall der Autoinokulation (abgesehen 
vom Bacillenbefunde) die Diagnose ge¬ 
sichert hätte. Andere Fälle aber wieder 
mit stark zerklüftetem Geschwürsgrunde 
und unterminierten fortschreitenden Rän¬ 
dern sind viel schwerer zu heilen. Hier 
ließ das Boluphen oft im Stiche. Darin 
ähnelt es etwa dem Europhen, das dem* 
Jodoform wohl noch am nächsten stehend, 
in solchen Fällen gleichfalls oft versagt. 
Man kommt bisweilen doch noch zum 
Ziele, wenn man neben dem Streupulver 
die von Neisser zuerst angegebenen 
Ätzungen mit konzentrierter Carbolsäure 
vornimmt: Jeden zweiten Tag sorgfältige 
Auswischung des Wundgrundes mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung zerklüfteter 
Partien und tieferer Buchten. In einigen 
Fällen bekam ich auch günstige Resultate 
mit Boluphen, wenn ich jeden zweiten 
Tag die Wundfläche statt mit Carbol mit 
Tinctura jodi austupfte. Diese Pinse¬ 
lungen bieten den Vorteil, daß man sie 
durch den Patienten selbst vornehmen 
lassen kann, weil sie keine so subtile 
Handhabung erfordern wie die Ätzung 
mit der Carbolsäure. Wenn von der Jod¬ 
tinktur etwas zu viel genommen wird, so 
ist das nicht schlimm, während die viel 
intensiver wirkende Carbolsäure in der 
Hand des Patienten leicht einmal Schaden 
anrichten kann. Bei der Auftragung des 
Boluphens ist übrigens darauf zu achten, 
daß es in direkte Berührung mit dem 
Wundgrunde kommt; daher empfiehlt es 
sich, vorher eine Reinigung mit einer 
4%igen wäßrigen Resorcinlösung vorzu¬ 
nehmen (zwei- bis dreimalige Applikation 
täglich). 


Für die Behandlung der chankrösen 
Bubonen kann man das Boluphen gleich¬ 
falls verwenden, auch hier zweckmäßiger¬ 
weise in Kombination mit Jodtinktur. 
Für größere Wundhöhlen ist es vorteil¬ 
hafter, einen Boluphenbrei (analog dem 
Jodoformbrei) zu verwenden, wie wir ihn 
später bei der Behandlung von Schleim¬ 
hautgeschwüren kennen lernen werden. 
Aber auch hier blieb der Erfolg, nicht 
selten aus, und wir waren genötigt, zum 
Jodoform zu greifen. 

Wenn ich demnach das Boluphen für 
die Behandlung der Ulcera mollia nur be¬ 
dingt empfehle, keineswegs aber als 
sicheres Mittel für diese Erkrankung be¬ 
zeichnen kann, so ist es für die Therapie 
anderer Ulcerationen wieder ^ mehr zu 
rühmen. 

So ha t es sich bei der Behandlung der 
Lues in den verschiedenen Stadien, be¬ 
sonders bei nässenden Eruptionen mit 
Zerfallserscheinungen bewährt, bei stark 
‘secernierendem Primäraffekt, bei sekundär 
infizierten breiten Condylomen der Geni¬ 
tal- und Analgegend, wobei die austrock¬ 
nenden und desodorisierenden Eigen¬ 
schaften besonders wertvoll sind. Auf 
nekrotisch zerfallende Gummata wirkt es 
gleichfalls günstig. 

In vielen Fällen von Herpes geni¬ 
talis leistet es gute Dienste. Für die ge¬ 
wöhnlichen oberflächlichen Formen will 
das freilich nicht viel sagen, da sie ja 
meist unter irgendeinem indifferenten 
Streupulver zur Heilung kommen. Aber 
auch bei tiefen,. zur Nekrose führenden 
Fällen geht die Überhäutung unter reinem 
oder verdünntem Boluphen (Boluphen 
1,0‘ Zincum oxydatum Bolus aa 4,5) sehr 
schnell vonstatten. Die Anregung zu 
rascher Epithelbildung ist überhaupt 
einer der auffallenden Vorzüge des Prä¬ 
parates. 

Für die Therapie der Condylomata 
acuminata ist das neue Pulver vorteil¬ 
haft, natürlich in Verbindung mit Ätz¬ 
mitteln, die die Neubildung zerstören. 
Ist diese sehr ausgebildet und massig in 
Gestalt erhabener Beete, so ist ja ein 
operativer Eingriff oder der Paquelin am 
Platze. Sonst reicht die altbewährte 
Methode der Verätzung mit Salicyl-Eis- 
essig aus (Acidum salicylicum 1,0, Acetum 
glacial. 9,0; mit Wattestäbchen jeden 
zweiten Tag aufzutragen). Nach dieser 
Ätzung ist sofort ein gut austrocknendes 
antiseptisches Pulver reichlich aufzu¬ 
streuen und damit längere Zeit nachzu¬ 
behandeln. Dazu eignet sich das Boluphen 



August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


293 


sehr gut. Der Patient erhält die Weisung, 
zweimal täglich das unverdünnte Pulver 
aufzustreuen, wodurch eine dauernde Aus¬ 
trocknung erzielt wird, die eben am besten 
vor Rezidiven schützt. 

Sehr zu empfehlen ist das neue Mittel 
bei den verschiedenen Formen der Ba¬ 
lanitis. Auch hier verhalten sich die 
einzelnen Fälle nicht gleich. Die Mehr¬ 
zahl ist therapeutisch leicht zugänglich 
und durch alle möglichen austrocknenden 
Pulver verhältnismäßig schnell zu be¬ 
seitigen. Dann kommen aber wieder nicht 
so selten recht unangenehme Balanitiden 
vor, vor allem scharf begrenzte, nässende 
mit serpiginösen Linien fortschreitende 
Formen, die trotz sorgfältiger Behand¬ 
lungsversuche nicht heilen wollen. Sie 
sind so hartnäckig, daß man an diabeti¬ 
sche Ätiologie denken könnte. Besonders 
unangenehm sind die Fälle mit dauernd 
wiederkehrenden Entzündungserschei¬ 
nungen, Schmerzhaftigkeit und einer 
recht starken Reizbarkeit gegenüber allen 
möglichen therapeutischen Versuchen. 
Hier bekommt man nun auffallend schnell 
Besserung und Heilung durch das Bolu- 
phen, das man zweimal täglich unver¬ 
dünnt aufstreuen läßt (eine dünne Lage 
von Gaze einlegen). Bei sehr starker Se¬ 
kretion ist täglich oder jeden zweiten 
Tag eine Betupfung mit einer etwa5%igen 
wäßrigen Argentumlösung noch hinzu¬ 
zufügen. Nebenbei kann man Lokalbäder 
mit übermangansaurem Kali (bis zur 
leichten Rotweinfarbe) verordnen. 

Der Hauptwert des neuen Medika¬ 
ments liegt auf dem Gebiete der eigent¬ 
lichen Hautkrankheiten, vor allem 
wegen seiner Reizlosigkeit und der ent¬ 
zündungswidrigen Eigenschaften. Aus 
diesem, Grunde ist es besonders indiziert 
bei frischen Ekzemen mit der Neigung 
zum weiteren Fortschreiten, bei Derma- 
titiden infolge irritierender Medikamente, 
z. B. nach Scabieskuren, bei gereizten 
Unterschenkelekzemen und entzünd¬ 
lichen Dermatosen aus allen möglichen 
Ursachen. 

Zuerst einige Worte über die Appli¬ 
kation. Für oberflächliche Fälle ist 
natürlich am bequemsten die Verwendung 
als Streupulver meist in unverdünnter 
Form, da das Boluphen selbst kon¬ 
zentriert so gut wie reizlos ist. Eine 
eventuelle Verdünnung kann mit Zink 
oder Bolus vor genommen werden. 
Dr. Stephan in Wiesbaden empfiehlt 
folgende Mischung: 


Boluphen . 10,0 

Zinc. oxydat. . . . 25,0 

Bolus . 25,0: 

Calc. carb. praec. leviss. 25,0 
Magnes. carb. leviss. . 15,0 

Wesentlich wirksamer ist es als Salbe. 
Es ist ein großer Vorteil, daß das Prä¬ 
parat sich mit allen möglichen Salben¬ 
grundlagen gut verarbeiten läßt, nicht 
nur mit Vaselin, sondern auch mit dessen 
Ersatzpräparaten, die wir ja jetzt oft ver¬ 
wenden müssen, so mit Unguentum neu¬ 
trale, Eucerin, Lanolin und anderen. Sehr 
brauchbar ist auch eine 10%ige Boluphen- 
salbe mit Unguentum solubile, das nach 
Dr. Stephans Vorschrift Tragacanth 3,0, 
Spiritus 5,0, Glycerin (beziehungsweise 
Perkaglycerin) 50,0 und Wasser 42,0 ent¬ 
hält. Das Boluphen eignet sich auch sehr 
gut zur Herstellung von Pasten, so mit 
der gewöhnlichen Zinkpaste, von der wir 
jetzt aber gleichfalls wegen des Gehaltes 
an Vaselin und Amylum möglichst ab- 
sehen wollen. Darum ist es ein Vorteil, 
daß wir das Pulver direkt mit Unguentum 
neutrale mischen können und damit eine 
gute Pastenkonsistenz erzielen, z. B.: 

Boluphen . 25,0 

Unguent. neutrale . . 50,0 

(33 Vs % Boluphenpaste). 

Vor allem aber eignet sich das neue 
Präparat ganz vorzüglich zur Verwen¬ 
dung in Schüttelmixturen oder Trocken¬ 
pinselungen, die ja in der Dermatotherapie 
mit Recht eine immer größere Rolle spie¬ 
len. Nicht nur, daß die Anwendungs¬ 
weise außerordentlich bequem und billig 
ist — sie macht ja meist einen Verband 
entbehrlich —, der prinzipielle Vorzug ist 
doch der, daß diese Mischung vollständig 
fettfrei ist und darum auch in Fällen ver¬ 
tragen wird, in denen die Haut auf jede 
fetthaltige Substanz mit Reizerschei¬ 
nungen reagiert. Es gibt ja viele Haut¬ 
krankheiten, in denen geradezu eine Idio¬ 
synkrasie gegen Salben besteht. Darum 
soll man es sich zum Grundsätze machen 
in allen Fällen, in denen wir mit den üb¬ 
lichen Verordnungen nicht vorwärts¬ 
kommen, an die Schüttelmixturen zu 
denken, die dann oft überraschend gut 
vertragen werden. Sehr bewährt ist bei¬ 
spielsweise folgende Zusammensetzung: 

Boluphen . 10,0 

Zinc. oxydat. 

Tale, venet. . . . aa 20,0 

Glycerin. 

Spirit, rectificat. (30°/ 0 ) 

aa ad 100,0 

(10 % Boluphen-Schüttelmixtu r) 



294 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


August 


Will man 20%ige Mischung, dann wird 
entsprechend weniger Zincum undTalcum, 
nämlich 15,0, genommen. Das Gly¬ 
cerin kann durch Perkaglycerin oder 
Glycol ersetzt werden. 

Diese Schüttelmixtur gibt oft vorzüg¬ 
liche, ja überraschende Resultate. Bei den 
unangenehmsten Fällen von schnell sich 
verbreitenden akuten Ekzemen mit 
Schwellung und Spannung, wo nicht 
selten auch sehr milde Medikamente 
schlecht vertragen werden, trat manchmal 
in kurzer Zeit ein Rückgang sämtlicher 
Entzündungserscheinungen und Zugleich 
der subjektiven Beschwerden, der Schmer¬ 
zen, des Juckreizes ein. Die'Auftragung 
geschieht in der üblichen Weise: Bei 
großer Ausdehnung mit einem weichen 
Haarpinsel, bei umschriebenen Herden 
mit Wattestäbchen. Besonders ist darauf 
zu achten, daß man über die sichtbarer¬ 
krankte Haut hinaus die Trockenpinse¬ 
lung aufträgt und beim Auftreten neuer 
Herde auch diese mitbehandelt. Mit 
dieser Mischung gelang es manchmal, 
frische Ekzeme geradezu zu kupieren. 

Bei intertriginösen Ekzemen war 
besonders die austrocknende Wirkung 
des Boluphens von Vorteil. Genital- und 
Analekzeme, die namentlich in der heißen 
Zeit nicht selten trotz aller möglichen Be¬ 
handlungsversuche nicht weichen wollen, 
reagierten oft in kurzer Zeit auf unser 
Präparat. In leichten Fällen kommt man 
a.us mit Boluphen-Streupulver, bei aus¬ 
gesprocheneren Erscheinungen, nament¬ 
lich erodierten und zerkratzten Partien 
und schärfer begrenzten Herden, ist die 
Schüttelmixtur besser. Sind deutliche 
Infiltrate oder gar nässende Stellen vor¬ 
handen, dann ist wieder eine Paste vor¬ 
zuziehen (10%). Einlegen von Gaze an 
den intertriginösen Stellen, nötigenfalls 
Verband. Sehr ratsam ist es auch, von 
Zeit zu Zeit eine Höllensteinpinselung 
(3—5%ige wäßrige Lösung) an den am 
meisten secernierenden Partien vorzu¬ 
nehmen oder wenigstens öfter mit einer 
3 : %igen wäßrigen Resorcinlösung die 
Haut zu reinigen, um die Zersetzung von 
Sekret zu verhindern. 

In manchen Fällen von Folliculitis 
barbae (weniger zweckmäßig als Sycosis 
non parasitaria bezeichnet) hat sich eine 
10%ige Boluphenpaste als vorteilhaft er¬ 
wiesen. Ja, wir kamen bisweilen auch 
mit der Schüttelmixtur zum Ziele, selbst 
wenn deutliches Infiltrat und Nässen vor¬ 
handen war, so daß es von vornherein 
zweifelhaft erschien, ob eine Trockenbe¬ 


handlung schonangebrachtseinwürde. Die 
reizmildernde und austrocknende Wir¬ 
kung der Boluphenschüttelmixtur war 
aber so gut, daß sie vertragen wurde und 
zur schnellen Heilung führte. Natürlich 
kamen auch — wie bei dieser Erkrankung 
eigentlich von vornherein zu erwarten war 
— gelegentlich einmal leichte Reizungen 
vor. Hier wirkten feuchte Verbände mit 
einer 2—3%igen wäßrigen Resorcinlösung 
als Zwischenbehandlung sehr gut. 

Auffallend günstig waren die Resultate 
bei varicösen Unterschenkelekze¬ 
men; bei oberflächlichen Formen mit 
10 %iger Schüttelmixtur, bei subakuten 
mit tiefergehender Entzündung mit 
10 %iger Paste (eventuell mit ^Verband). 
Hier war die juckstillende und austrock¬ 
nende Wirkung, sowie die Begünstigung 
der Epithelialisierung durchaus über¬ 
zeugend. Gerade an dieser Lokalisations¬ 
stelle ist die Reizlosigkeit des Präparates 
ein besonderer Vorteil, da ja selbst indiffe¬ 
rente Mittel bei varicösen Ekzemen manch¬ 
malrecht unerwünschte entzündliche Reak¬ 
tionen verursachen. 

Bei seborrhoischen Ekzemen wa¬ 
ren die Erfolge gut; auch bei akut ein¬ 
setzenden Formen, deren klinisches Bild 
manchmal an die Pityriasis rosea erinnert, 
erwies sich die 10-oder 20%iges Schüttel¬ 
mixtur wirksam auch gegen die subjek¬ 
tiven Beschwerden. 

Vor allem aber ist das Boluphen zu 
empfehlen bei akuter Dermatitis infolge 
medikamentöser Wirkung, so nach Hg- 
Präparaten, bei Idiosynkrasie gegen Jodo¬ 
form, nach zu intensiven antiscabiösen 
Kuren, kurz bei Reizungen durch irgend¬ 
welche irritierende Substanzen. Auch 
wenn der ganze Körper ergriffen war und 
die Kranken unter Juckreiz, Brennen und 
Spannung sehr litten, waren die Resultate 
stets günstig. Man braucht sich nicht 
zu scheuen, in Fällen von universeller Aus¬ 
breitung das Medikament zu verwenden, 
da ja eine Intoxikation nicht zu fürchten 
ist. Aus diesem Grunde dürfte — mit 
Berücksichtigung der bereits hervor¬ 
gehobenen Eigenschaften — das Mittel 
auch bei ausgedehnten Verbrennungen 
angebracht sein. Ich hatte freilich bisher 
noch keine Gelegenheit, hierbei das Medi¬ 
kament auszuprobieren. 

Bei der Pyodermie, die sicher unsere 
häufigste Kriegsdermatose ist, von der 
jetzt wohl jeder Lazarettarzt so zahl¬ 
reiche Fälle zu sehen bekommt, ist das 
Boluphen in der mannigfachsten Weise 
zu verwenden. Das vielgestaltige, aber 





August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


295 


doch an sich charakteristische Krank¬ 
heitsbild erfordert ja ein verschiedenes 
therapeutisches Vorgehen, vor allem nach 
dem Sitze der Infektion an der Ober¬ 
fläche oder in den tieferen Hautschichten, 
also je nachdem es sich um eine mehr 
impetiginöse, follikuläre oder anderer¬ 
seits furunkulöse phlegmonenartige Ent¬ 
zündung handelt. In den ersten Fällen 
hat sich mir am allermeisten eine Zin¬ 
nober- Schwefelpinselung von folgender 
Zusammensetzung bewährt: 

Zinnaberis . . . . 1,0 ( 2,0) 

Sulfur, praecipitat . 10,0 (20,0) 
Zinc. oxydat. 

Tale . aa 20,0 (15,0) 

Glycerin oder Perkaglycerin 
Spirit, rectificat. (40°lo) 

aa ad 100,0 

(Zinnober-Schwefel-Schüttelmixtur). 

Diese Trockenpinselung ist eine ebenso 
einfache als zuverlässige Behandlung aller 
möglichen Staphylokokkeninfektionen der 
Haut. Sie wird fast immer gut vertragen 
und wirkt auch oft prophylaktisch, wenn 
man die frisch ergriffenen Partien und 
neuauftretenden Stellen bald ' mitüber¬ 
pinselt. Tritt aber .einmal ausnahmsweise 
eine Reizung auf (die wohl auf eine Über¬ 
empfindlichkeit gegen den Schwefelgehalt 
der Mischung zurückzuführen ist), dann 
ist als Ersatz unsere 10%ige Boluphen- 
pinselung (in der oben angegebenen Zu¬ 
sammensetzung) durchaus zu empfehlen. 
Sie wurde stets ohne Reizung vertragen 
und war gleichfalls von guter Wirkung. 
Freilich kommen bisweilen Fälle vor, in 
denen die Schüttelmixturbehandlung nicht 
ausreicht. Trotz der Pinselung treten 
neue Eruptionen auf, frische Follikuli- 
tiden, die sich infiltrieren oder gar zu Fu¬ 
runkeln umbilden. Aber auch dann ist es 
noch nicht notwendig, zu den recht stö¬ 
renden, kostspieligen und zeitrauben¬ 
den Salbenverbänden überzugehen. Wir 
können vielmehr folgendermaßen ver¬ 
fahren: Die Schüttelmixtur (Zinnober- 
Schwefelmischung oder die Boluphen- 
pinselung) wird beibehalten, aber vor der 
Auftragung soll an den schlimmeren Stel¬ 
len eine 10%ige alkoholische Argentum¬ 
lösung aufgepinselt werden, um auf diese 
Weise die Behandlungsintensität zu er¬ 
höhen. Auch diese kombinierte Behand¬ 
lung ist ja noch außerordentlich einfach 
und bequem in der Applikation und be¬ 
wirkt oft den Rückgang schon tiefgehen¬ 
der entzündlicher Infiltrate 1 ). 

1 ) Ich möchte ganz allgemein betonen, daß die 
Verwendung alkoholischer Pinselungen 


In schweren Fällen von Staphylo¬ 
kokkeninfektion mit erheblicher Krusten¬ 
bildung und starkem Nässen wird man 
freilich genötigt sein, zu antiseptischen 
Salbenverbänden, z. B. mit 10%igem 
Ichthyol, Schwefel oder Boluphen über¬ 
zugehen, oder auch zum feuchten Ver¬ 
bände. Für diesen ist ganz besonders eine 
schwache spirituöse Argentum-nitricum- 
Lösung sehr zu empfehlen, die bei der 
Behandlung der Ulcera cruris bald Er¬ 
wähnung finden wird. 

Sehr geeignet ist das Boluphen für die 
Behandlung des Herpes zoster. Bei 
leichten Eruptionen mit noch geschlos¬ 
senen Vesiceln ist die 10%ige Trocken¬ 
pinselung ganz besonders zu rühmen. Die 
Applikation ist denkbar einfach, ein Ver¬ 
band nicht nötig. Es entsteht eine vor¬ 
zügliche Schutzdecke, die eine sekundäre 
Infektion fernhält infolge des mechani¬ 
schen Abschlusses und der antiseptischen 
Wirkung des Medikamentes. Aber auch 
wenn einzelne Epitheldefekte aufgetreten 
sind, ist diese einfache Therapie durchaus 
noch am Platze. Die Erosionen trocknen 
schnell ein und bekommen in kurzer Zeit 
eine neue Epitheldecke (auch hier ist die 
schnelle Anregung der Epithelialisierung 
oft auffallend). Die Behandlung wird 
subjektiv angenehm empfunden, da die 
Empfindlichkeit und der Juckreiz ge¬ 
wöhnlich schnell nachlassen. Bei etwaigen 
neuralgischen Beschwerden muß natür¬ 
lich die übliche interne Therapie (Aspirin, 
Pyramidon oder Salipyrin) gegeben wer- 

zur Verbesserung und Verstärkung der 
sonstigen Hautbehandlung mir für viele 
Fälle sehr zweckmäßig erscheint und häufiger 
verwandt werden sollte, als es wohl üblich ist. 
Kommt man mit irgendeiner Behandlungsmethode, 
sei es mit einer Salbe, Paste, Schüttelmixtur, 
Pflaster nicht zum Ziele, so kann man außerdem 
noch von Zeit zu Zeit eine alkoholische Überpinse¬ 
lung hinzufügen — außer mit Argentum — mit 
Pyrogallus (10%), Salicyl, Resorcin aa 5 bis 10%, 
mit alkoholischer Jodtinktur, ja selbst mit spiri- 
tuöser Carbolsäure. Wir können auf diese 
Weise ganz bequem dort, wo es notwendig 
ist, die lokale Beeinflussung wesentlich 
intensiver gestalten und dadurch schneller 
zur Heilung gelangen. Dieser kleine Kunst¬ 
griff gestattet die Therapie auch feiner zu 
nuancieren und zu vereinfachen, insofern, als wir 
bei Verwendung dieser alkoholischen Pinselungen 
sonst mit wenigen und einfacheren Mitteln, wie 
Borsalbe, Tumenolpaste, einer Zinktrockenpinse¬ 
lung, Salicylpflaster auskommen. In einer dem¬ 
nächst zu publizierenden Arbeit: ,,Die Behand¬ 
lung von Hautkrankheiten mit einfachen Mitteln“ 
(M. Kl.) will ich auf diese Behandlungstechnik 
etwas genauer eingehen. Nicht bloß bei der Pyo¬ 
dermie, sondern auch bei allen möglichen anderen 
Dermatosen hat sich dieses Vorgehen mir oft be¬ 
währt. 



296 


August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


den. Selbst in schlimmen Fällen, z. B. 
beim nekrotischen Zoster sah ich vom 
Boluphen gute Resultate, nur wird dabei 
manchmal Salbe (10 % ige Unguentum 
neutrale oder Paste) vorteilhafter sein. 
Tiefere Hautdefekte schließen sich sehr 
schnell und überziehen sich mit frischem 
Epithel. 

Daß das Boluphen bei der Behand¬ 
lung von Erosionen, Wunden und 
Ulcerationen verschiedener Art brauch¬ 
bar sein würde, war nach seinen eingangs 
aufgeführten Eigenschaften anzunehmen. 
Es hat sich in der Tat gut bei den verschie¬ 
densten Hautdefekten aus mannigfacher 
Ursache bewährt, so bei frischen Opera¬ 
tionswunden (z. B. nach der Operation 
der Phimose), nach schweren Erfrierungen, 
bei tiefem Zerfalle von Bubonen, nach der 
Incision phlegmonöser Abscesse, Furun¬ 
keln und dergleichen. Vor allem aber ist 
es sehr zu rühmen bei der Behandlung 
von Unterschenkelgeschwüren. Wie 
es bereits oben gelobt wurde wegen seiner 
günstigen Einwirkung auf irritable Ek¬ 
zeme auf varicöser Grundlage, so leistet 
•es auch Vorzügliches bei den Ulcera cruris, 
die uns ja meist vor die Aufgabe stellen, 
neben der Behandlung der eigentlichen 
Wundflächen auch die Dermatitis mit zu 
beeinflussen, die entzündliche Haut in der 
Umgebung der Geschwüre vor Reizung 
zu bewahren. Hier bewährt sich die 
10%ige Boluphenpaste außerordentlich. 
Sie wirkt auf das Ulcus, indem sie die 
Bildung von Granulationen und Epithel 
anregt, die Sekretion mildert und, wie 
bereits aufgeführt, antiekzematös wirkt. 
Wenn bei tieferen nekrotischen Ulcera¬ 
tionen die Reinigung der Wundfläche 
nicht schnell genug vor sich geht, dann 
kann man in dem oben erwähnten Sinne 
nebenbei noch alkoholische Pinselungen 
von 5 bis 10%igem Argentum oder 
5 %igem Salicyl-Resorcinspiritus vor¬ 
nehmen; etwa jeden zweiten bis dritten 
Tag vor dem Salbenverbande mit Watte¬ 
stäbchen aufzupinseln. Bei sehr torpiden 
Unterschenkelgeschwüren, die ja manch¬ 
mal monatelang eine Neigung zur Besse¬ 
rung nicht zeigen, wird es oft zweckmäßig 
sein, zwischendurch feuchte Verbände zu 
verwenden, namentlich bei sekundärer 
Infektion, bei nekrotischen Belägen und 
schlechter Heilungstendenz infolge callö- 
ser Geschwürsränder. Für solche Fälle 
möchte ich nach meinen Erfahrungen im 
Lazarette ganz besonders Höllenstein¬ 
lösung mit schwachem Spirituszusatze 
empfehlen: 


Argent nitric . 0,1 — 0,2 

Spirit rectificat. (25°l 0 ) ad 200,0 
Schwache Spirituose Argentumlösung zum feuchten 

Verbände bei hartnäckigen Ulcerationen. 

Es ist oft erstaunlich, wie schlecht¬ 
heilende Geschwüre, die bisher allen mög¬ 
lichen Behandlungsversuchen trotzten, 
gerade durch diese feuchten Verbände 
sich bessern und zur Heilung kommen. 
Bei starker Sekretion kann vor dem An¬ 
legen des feuchten Verbandes die Wund¬ 
fläche leicht mit Boluphen bestreut 
werden. 

Nach der Mitteilung von Chirurgen 
hat das Boluphen auch bei Kriegsver¬ 
letzungen aller Art, selbst mit schwerer 
Sekundärinfektion Gutes geleistet. Es 
zeichnete sich auch hier durch seine des¬ 
infizierende, Sekret beschränkende, granu¬ 
lationsfördernde Wirkung aus 1 ). 

Schließlich möchte ich noch die Ver¬ 
wertbarkeit des Boluphens bei der Be¬ 
handlung von Schleimhauterkran¬ 
kungen, insbesondere von entzündlichen 
Affektionen mit Erosionen und tiefer¬ 
gehenden Geschwüren der Mundhöhle 
hervorheben. Hier wirkt bekanntlich das 
Jodoform oft ganz ausgezeichnet. Aber 
gerade an dieser Lokalisationsstelle sind 
naturgemäß die Nebenerscheinungen die¬ 
ses Präparates besonders störend. Das 
Boluphen hat sich in anologen Fällen sehr 
gut bewährt, ohne diese unangenehmen 
Wirkungen zu zeigen, vor allem als Bolu- 
phenbrei, der dem von Mikulicz ange¬ 
gebenen Jodoformbrei nachgebildet ist. 
Diese Mischung wird in folgender Weise 
hergestellt: Boluphen wird mit etwa 
zehn Teilen 0,l%igem Sublimat oder 
2%iger Carbollösung gemischt, 24 Stun¬ 
den stehen gelassen und nach Abgießen 
der Flüssigkeit der Bodensatz mit 3%iger 
Borsäurelösung zu einem dicken Brei an¬ 
gerührt. Dieser Boluphenbrei mit Watte¬ 
stäbchen dreimal täglich aufgetragen, 
wirkt auf entzündliche Schleimhautpro¬ 
zesse sehr gut, vor allem auf schwere Sto¬ 
matitis mercurialis mit Nekrose und Ge¬ 
schwürsbildung. In besonders schlimmen 
Fällen kann man auch Gaze mit diesem 
Boluphenbrei imprägnieren und zur Tam¬ 
ponade verwenden. Die Behandlung 
wirkt entzündungswidrig, schmerzlindernd' 
und wird von den Patienten sehr ange- 


x ) Inzwischen ist in der M. Kl. (Nr. 21 dieses 
Jahrganges) eine kurze Publikation aus dem Ver¬ 
einslazarette Frohnau (Mark) von Dr. Hayward 
erschienen, der das Boluphen als vorzügliches 
Mittel zur schnellen Reinigung und Desodorisie¬ 
rung schmierig belegter Granulationen rühmt. 



August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


297 


nehm empfunden, zumal, das Präparat 
geschmack- und geruchlos ist. Auch eine 
Intoxikationsgefahr fällt ja beim Bolu- 
phen fort. 

Nach den bisherigen Erfahrungen halte 
ich das neue Wundstreupulver für brauch¬ 
bar bei manchen venerischen, vor allem 
aber bei zahlreichen Hautkrankheiten. 
Bei einigen Dermatosen, die im Material 
unserer Abteilung nicht vertreten waren, 
so be.i Prurigo, Pityriasis rosea, Tricho¬ 


phytie konnte ich es noch nicht auspro¬ 
bieren. Ich bin aber überzeugt, daß e§ 
auch dort verwertbar ist, und daß auf 
Grund der zahlreichen guten Eigenschaf¬ 
ten des Boluphens, der Reizlosigkeit, 
der antiphlogistischen, antipruri¬ 
ginösen und sekretionsbeschrän¬ 
kenden Wirkung, der Anregung von 
Granulations- und Epithelbildung 
das Indikationsgebiet des neuen Mittels 
noch wesentlich erweitert werden kann. 


Zusammenfassende Übersicht. 

Die Behandlung der Rachitis. 

Von Ernst Schloß-Zehlendorf-Berlin (zurzeit im Felde). 


B. Spezielle Therapie. 

1. Die Prophylaxe und Behandlung 

der rachitischen Disposition. 

Wenn man Grund zu der Annahme 
einer besonders schweren rachitischen 
Disposition eines Kindes hat — eine ge¬ 
wisse Disposition zur Rachitis ist jafast ubi¬ 
quitär —, so empfiehlt es sich, wie wir 
oben schon ausgeführt haben, mit der 
Bekämpfung dieser Anlage schon sofort 
nach der Geburt zu beginnen, um die 
Manifestation der Erkrankung womög¬ 
lich zu verhüten. Eigentlich sollte die 
Prophylaxe schon viel früher einsetzen, 
bei der graviden Mutter, aber wir wissen 
bisher nicht, wie wir dies anfangen sollen. 

Den einzigen Ausblick auf eine praktische An¬ 
wendung eröffnet noch die auch von uns geteilte 
Annahme Czernys, daß die rachitische Dis¬ 
position des Kindes zum Teil in einer mangel¬ 
haften Kalkmitgift seitens der Mutter besteht. 
Das ergäbe die Berechtigung einer Kalkverab¬ 
reichung an die gravide Mutter. Ich habe auch 
schon diesen Versuch in einigen Fällen gemacht, 
indem ich bei Müttern, deren erste Kinder schwe¬ 
rere Anlage zur Rachitis hatten, in den letzten 
Monaten der neuen Gravidität Calciumphosphat 
nehmen ließ. — Die tägliche Zufuhr von Leber¬ 
tran war allerdings nicht recht durchzusetzen. 
Ein Urteil über die Wirkung dieser Medikation 
kann ich auf Gru nd dieser wenigen Beobachtungen 
nicht abgeben, glaube auch nicht, daß man ohne 
langdauernde Stoffwechselversuche an der Mutter 
dazu imstande ist. Immerhin kann von diesem 
harmlosen Versuch schon zur Beruhigung der 
Mütter Gebrauch gemacht werden. 

Ob sich durch eine derartige Kalkmedikation 
bei der Mutter vor und nach der Geburt der 
Kalkgehalt der Milch steigern läßt — übrigens 
ein für die Entstehung der Rachitis sicher ganz 
untergeordnetes Moment — ist bei der Unstim¬ 
migkeit der bisher vorliegenden Versuche noch 
ganz unsicher. 

Man wird besonders also Frühgeburten 
und untergewichtige Zwillingskinder, 
die erfahrungsgemäß fast stets an Ra¬ 
chitis erkranken, wenn sie überhaupt ge¬ 
deihen, von Anfang an antirachitisch be¬ 


handeln, also zunächst möglichst Sorge 
für natürliche Ernährung, besonders im 
ersten Vierteljahre tragen und auch sonst 
die Ernährung und Pflege der Kinder so 
einrichten, wie wir es oben geschildert. 
Bei diesen Kindern ist es auch ratsam, 
von Anfang an medikamentös zu be¬ 
handeln, also Lebertran oder Kalkleber¬ 
tran zu geben. Allerdings läßt sich bei 
derartigen Kindern, die an sich schon oft 
schlecht Nahrung nehmen, nur schwer 
Lebertran beibringen; doch ist hier ge¬ 
rade die Wirkung,wie sich aus Vergleichs¬ 
versuchen bei Zwillingen ergab, sehr 
günstig. Man beginnt mit kleinen Dosen 
(2—3 g pro die) und steigt erst allmählich 
zu 5 und schließlich zu 10 g an. Ein 
völliges Verschontbleiben von Rachitis 
wird man trotzdem selten erreichen, wohl 
aber eine spätere Manifestation und einen 
abgeschwächten Verlauf. 

2. Die Behandlung der beginnenden 
Rachitis. 

Bei der beginnenden Rachitis, die, wie 
ausgeführt, fast stets den Schädel betrifft, 
ist außer den genannten allgemeinen Be¬ 
handlungsmethoden noch eine wichtige 
Aufgabe zu erfüllen; das ist Schutz des 
Kopfes vor Deformierung. Da, wie 
erwähnt, die Lokalisation der Erweichung 
von der Lage des Schädels abhängig ist, 
so führt eine fortgesetzt einseitige Lage 
zu einer einseitigen Erweichung und Ab¬ 
flachung, während die Rückenlage zur 
allgemeinen Abflachung des ganzen Hin¬ 
terkopfes führt. Aber die Asymmetrie 
bleibt nicht nur auf den Hinterkopf be¬ 
schränkt, was an sich auch schon oft 
häßlich genug ist, sondern gemäß dem 
Gesetze von der Fortwirkung einer 
derartigen Formänderung auf den ganzen 
Körper, greift auch dieser deformierende 
Einfluß weiter um sich. Das Gesicht vor 


38 





298 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


August 


allem wird asymmetrisch, oft in stark 
ausgesprochenem Maße, sodaß der ganze 
Schädel wie schräg von vorn nach hinten 
zu komprimiert erscheint. Diese Asym¬ 
metrien gehen später - zum Teil zurück, 
aber durchaus nicht in allen Fällen; es 
ist wohl sicher, daß die meisten 
späteren Gesichtsasymmetrien und 
erst recht die anderen Schädel¬ 
deformitäten auf eine übersehene 
Craniotabes der ersten Säuglings¬ 
zeit zurückzuführen sind. 

Zu welchen geradezu verhängnisvollen 
Konsequenzen die Unkenntnis von diesen 
Folgen der Craniotabes führen könnte, 
sei an einem Beispiel erläutert. 

Ich wurde zugezogen zu einem ungefähr 
viermonatigen Kinde wegen eines angeblichen 
Schiefhalses. Die Mutter wollte vor der in Aus¬ 
sicht genommenen Operation, noch das Urteil 
eines Kinderarztes hören. Die Untersuchung zeigt 
ein hochgradig rachitisches Kind, mit ausgedehn¬ 
ter einseitiger Craniotabes und entsprechender 
Gesichtsasymmetrie. Es bestand dazu eine 
scheinbar fixierte Haltung des Kopfes nach der 
Seite der Schädelerweichung hin. Da die lokale 
Untersuchung keinerlei Ursache für die Schief¬ 
haltung ergab, die Haltung des Kopfes auch 
nicht die dem richtigen Torticollis zukommende 
war und sich der Kopf mit einiger Gewalt ruhig 
in die richtige Lage bringen ließ, so glaubte ich 
das ganze Bild mit der einseitigen Craniotabes 
(und deren Ursachen) in Beziehung setzen und 
eine Verschiebung der Operation anraten zu dürfen. 
Die Operation unterblieb. Das Kind wurde anti¬ 
rachitisch behandelt; nach einigen Tagen war die 
Zwangshaltung und nach einigen Wochen die 
Carniotabes geheilt. 

Es ist nun viel leichter, solche ein¬ 
seitige Erweichung und Abflachung zu 
verhüten, als sie zu heilen. Wenn die 
Kinder einige Zeit sich an eine bestimmte 
einseitige Lage gewöhnt haben, was man 
ja unter allen Umständen verhüten soll, 
so ist es schwer, ihnen diese Einseitigkeit 
abzugewöhnen. Die erste Veranlassung 
zu dieser Einseitigkeit ist meist eine zu¬ 
fällige, äußere. Das Bett der Mutter oder 
das Licht oder die Flasche oder die war¬ 
tende Mutter oder Pflegerin befinden 
sich immer auf derselben Seite, und so wird 
diese zur Lieblingsseite. Ist aber erst ein¬ 
mal der'Kopf an eine gewisse Lage ge¬ 
wöhnt, so wird oft auch nach Abstellung 
der Ursachen die einseitige Lage beibehal¬ 
ten. In solchen Fällen hilft nur Zwang, 
entweder einfache Bandagen oder Lagerung 
des Kopfes zwischen festen Polsterrollen, 
die eine Lageänderung erschweren. 

3. Die Behandlung des voll¬ 
entwickelten Krankheitsbildes. 

Bei ständiger Überwachung eines Säug¬ 
lings soll es in der Regel gar nicht zur 
Ausbildung des vollentwickelten Krank¬ 


heitsbildes, das nicht nur die Skelett¬ 
erscheinungen, sondern auch schon aller¬ 
hand Begleitsymptome der Rachitis zeigt, 
kommen. Vorläufig aber wird die Rachitis 
sowohl von Laien als auch von vielen 
Ärzten überhaupt erst im Stadium flori- 
dum erkannt und auch die meisten Fälle, 
die der Kinderpoliklinik und dem Kinder¬ 
arzt zugeführt werden, sind in der Ent¬ 
wicklung der Krankheit recht vorge¬ 
schritten. . Die Kinder stehen gewöhnlich 
am Ende des zweiten Lebenshalbjahres, 
vielfach auch schon im zweiten Lebens¬ 
jahre selbst. Nun gibt es eigentlich nichts 
Dankbareres für die Behandlung als ein 
solches Kind mit vollentwickelter Rachi¬ 
tis, bei dem noch keine stärkeren Ver¬ 
bildungen und Verkrümmungen aufge¬ 
treten sind und Komplikationen beson¬ 
ders von seiten des Darmes und der Lunge 
fehlen. Da fast stets mehr oder 
weniger grobe Ernährungsfehler 
vorliegen, zumeist Überfütterung mit 
Milch bei ganz fehlender oder geringer 
Beigabe von gemischter Kost, so genügt 
schon die Rektifizierung der Er¬ 
nährung, um in wenigen Tagen die 
auffallendsten Begleiterscheinun¬ 
gen, Unruhe, aufgetriebenen Leib, Ver¬ 
stopfung, Schwitzen, zu bessern oder 
ganz zu beseitigen. Man wird in der¬ 
artigen Fällen die strengere Form der oben 
angegebenen Ernährungsvorschriften, also 
möglichst nur vier Mahlzeiten und knappe 
Flüssigkeitszufuhr zur Anwendung brin¬ 
gen, dabei je nach dem Alter eine bis drei 
feste Mahlzeiten von der angegebenen Zu¬ 
sammensetzung. ' Wird dann auch noch 
die Pflege des Kindes der Norm ent¬ 
sprechend gestaltet, so kann man sich, 
besonders in der guten Jahreszeit, mit 
diesen Verordnungen zunächst begnügen 
und den weiteren Erfolg abwarten. Das 
ist also besonders in dieser Kriegszeit, wo 
uns Lebertran nur in geringem Maße zur 
Verfügung steht, durchaus gerechtfertigt. 

Sicherer ist es, neben diesen hygienisch - 
diätetischen Maßnahmen noch eine medi¬ 
kamentöse Behandlung einzuleiten und 
da kommt nur der Lebertran als solcher 
oder in Verbindung mit phosphorsaurem 
Kalk in Betracht, in der Art, wie wir es 
oben ausführlich besprochen. 

Mit diesen Maßnahmen wird man in 
weitaus der größten Mehrzahl aller Fälle 
zum Ziele kommen. 

4. Die Behandlung dejr Begleit¬ 
erscheinungen. 

Im allgemeinen werden besonders durch 
die Änderung der Diät gerade die Begleit- 




August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


erscheinungen am ersten und nachhaltig¬ 
sten beeinflußt. Diese Begleiterscheinun¬ 
gen gehören ja zumeist dem Bilde der 
Rachitis gar nicht direkt an, sondern sind 
Folgeerscheinungen derselben Fehler in 
der Ernährung und Pflege. Dazu gehört 
vor allem die sogenannte rachitische 
Anämie, die meist zum Bilde der ali¬ 
mentären Anämie (Czerny, Klein¬ 
schmidt) gehört. Das gleiche trifft zu 
für die rachitische Milzschwellung, die 
ebenfalls wohl nur die Folge alimentärer 
Fehler ist und zumeist auch nur bei gleich¬ 
zeitig vorhandener exsuedativer Diathese 
auftritt. Auch diese Milzschwellung geht 
auf die Ernährungsänderung, vor allem 
auf die Milchreduktion meist zurück. 

Die besonders in früheren Schilde¬ 
rungen der Krankheit zu den Begleit¬ 
erscheinungen der Rachitis gerechneten 
Verdauungsstörungen haben am we¬ 
nigsten dazu Beziehung. Der rachitische 
Durchfall, wie er in den Poli¬ 
kliniken so häufig zur Beobachtung kommt, 
ist nur die letzte Folge der Gesamtheit 
der schädlichen Einflüsse, die auf das 
betreffende Kind im Laufe vieler Monate 
eingestürmt sind. Diese Durchfälle er¬ 
fordern ebenso wie andere concomitierende 
Erkrankungen, Bronchialkätarrhe, Ek¬ 
zeme usw., ihre besondere Behandlung, 
die aber möglichst mit der antirachitischen 
kombiniert werden soll. Es zeigt sich, 
daß diese antirachitische Behandlung, be¬ 
sonders auch die Lebertrantherapie, die 
Heilung derartiger Erscheinungen sehr 
unterstützt, woraus aber natürlich nicht 
auf die Zusammengehörigkeit dieser ver¬ 
schiedenen Symptome' geschlossen wer¬ 
den darf. 

Von den mit mehr Berechtigung zu 
dem Begleiterscheinungen der Rachitis ge¬ 
rechneten Symptomen erfordern einige 
noch eine besondere Besprechung. Die 
Kopfschweiße, die besonders bei schwe¬ 
ren Craniotabesfällen, aber auch ohne sie 
auftreten, verschwinden fast stets bei 
der allgemeinen Behandlung. Man kann 
diese Heilung aber begünstigen durch 
flache, harte Lagerung des Schädels auf 
die Matratze (ein Kopfkissen ist über¬ 
haupt im zweiten, dritten und vierten 
Halbjahre beim Kinde besser ganz zu 
vermeiden) und leichtes Zudecken des 
Kindes. Daneben wirkt eine Flüssigkeits¬ 
einschränkung oft gut; desgleichen schei¬ 
nen auch Nebennierenpräparate eine gün¬ 
stige Wirkung zu haben. 

Der Frosch bauch, eine Folge der all¬ 
gemeinen Muskeldystrophie bei Über¬ 


299 


fütterung. wird meist durch die Ände¬ 
rung der Ernährungsweise zum Verschwin¬ 
den gebracht. Man wird den Einfluß der 
Allgemeinbehandlung noch unterstützen 
durch Massage und Gymnastik (letztere 
in Form des bekannten Epsteinschen 
Schaukelstuhles, der das angenehmste 
Mittel zur Kräftigung der Rumpfmus¬ 
kulatur darstellt). 

Die Spasmophilie, die in einem ge¬ 
wissen, noch nicht geklärten Abhängig¬ 
keitsverhältnis zur Rachitis steht, bedarf, 
wenn die Erkrankung rechtzeitig erkannt 
wird, ebenfalls nicht in einem einzigen 
Punkte einer anderen Behandlung wie 
die einfache unkomplizierte Rachitis; also 
dieselbe diätetisch-hygienischen Methoden 
und dieselben medikamentöse Therapie. 
Auch bei ihr ist der Phosphorlebertran 
vollständig durch den Kalklebertran er¬ 
setzbar). In schwereren, bedrohlichen 
Fällen müssen allerdings energischere Ma߬ 
nahmen eintreten, auf die hier nicht weiter 
eingegangen werden soll. 

5. Die Behandlung der Folge¬ 
erscheinungen. 

Das Wichtigste bei der Behandlung 
der Folgeerscheinungen ist wieder die 
Prophylaxe. Während wir noch das voll¬ 
entwickelte Krankheitsbild, solange noch 
keine schweren Deformitäten aufgetreten 
sind, mit recht gutem Heilerfolge be¬ 
handeln können, stehen wir den einmal 
eingetretenen Verbildungen zum Teil fast 
machtlos gegenüber; in einem anderen 
Teile der Fälle ist nur durch größere chi- 
rurgisch-orthopädischeEingriffe Besserung 
oder Heilung zu erzielen. 

Die sicherste Prophylaxe der Deformi¬ 
täten ist natürlich eine frühzeitige sach¬ 
gemäße Behandlung der Anfangsstadien 
der Rachitis. Bekommt man aber schon 
ein vollentwickeltes Krankheitsbild in 
Behandlung, so tritt neben der Sorge für 
die Heilung der bestehenden Erscheinun¬ 
gen die Vorsorge für' die kommenden. 
Wir haben schon besprochen, wie man die 
Schädelasymmetrien und -Deformitäten 
verhüten kann. Verbiegungen der 
Wirbelsäule, besonders den so häufigen 
Kyphosen (krummerRücken) beugt man 
vor durch die erwähnte horizontale Lage¬ 
rung auf harter Unterlage. Die Roßhaar¬ 
matratze, die meist als beste Unterlage 
für Säuglinge und jüngere Kinder emp¬ 
fohlen wird, ist meiner Erfahrung nach 
nicht hierfür geeignet. Am besten ist eine 
festgestopfte Fasermatratze mit Woll- 
oder Roßhaarauflage. Daß man rachi- 

38* 




1300 Die Therapie der Gegenwart 1917. August 


tische Kinder mit weichen Knochen mög¬ 
lichst nicht sitzen lassen darf, vor allem 
aber nicht in einseitiger Haltung, ist 
immer noch nicht genügend bekannt. 
Das Stehen und Gehen ist hier nicht ganz 
so schädlich, denn es stärkt die Rücken¬ 
muskulatur und wirkt der Kyphose ent¬ 
gegen. 

Daß die Verkrümmungen der unteren 
Extremitäten nur durch das Stehen oder 
Gehen Zustandekommen, ist durchaus 
nicht richtig. Die stärksten Verbiegungen 
der Extremitäten sieht man ja bei Kin¬ 
dern, die nie einen Fuß aufgesetzt haben. 
Man wird also das Sitzen der Kinder ganz 
hindern, das Stehen und Gehen aber auch 
etwas einschränken. Die gesün¬ 
deste Bewegung für diese Kinder 
-ist das Kriechen auf allen Vieren, 
wie überhaupt die Bauchlage aus mehr¬ 
fachen Gründen für den Säugling vor¬ 
teilhaft ist. Man soll sie auch bei jüngeren 
Säuglingen, sobald sie den Kopf zu heben 
anfangen, mehrmals täglich für 5—15 
Minuten anordnen lassen, wie wir dies z.B. in 
meiner früheren Anstalt (Waisenhaus der 
Stadt Berlin in Rummelsburg) als Regel 
eingeführt haben. Allerdings wird man 
selbstverständlich diese Lage nur bei An¬ 
wesenheit von Mutter oder Pflegerin ein¬ 
nehmen lassen und Kissen und dergleichen 
Gegenstände aus Kopfnähe entfernen. 
Von der Anwendung des Epsteinschen 
Schaukelstuhles haben wir schon ge¬ 
sprochen. Mit diesen Maßnahmen wird 
es in der Regel gelingen, Deformitäten der 
Wirbelsäule zu verhüten, ebenso auch 
die des Beckens. 

Stärkere Deformitäten des Thorax 
sind im allgemeinen seltener, aber wegen 
der schweren Folgen für Atmung und 
Kreislauforgane sehr wichtig. Daß die 
Mehrzahl aller Todesfälle an Lungen¬ 
erkrankungen im ersten und zweiten 
Lebensjahre, ebenso die Mehrzahl aller 
Todesfälle an Keuchhusten und Masern in¬ 
direkt den rachitischen Thoraxdeformi¬ 
täten zuzuschreiben ist, dürfte bekannt 
sein. Aber auch in den späteren Lebens¬ 
jahren wirken diese Verbildungen noch 
in dem gleichen Sinne. 

Umgekehrt wirken, worauf besonders 
Czerny aufmerksam macht, die Er¬ 
krankungen der Atmungsorgane be¬ 
günstigend auf die Entstehung derartiger 
Thoraxdeformitäten ein. Die Verhütung 
solcher Erkrankungen, wie sie besonders 
durch sachgemäße Pflege und Ernährung 
möglich ist, gehört also auch noch zur 
Prophylaxe der Rachitis. 


Leichtere., nur ästhetisch störende 
Asymmetrien, Einziehungen und Aus¬ 
buchtungen des Thorax bleiben nach jeder 
Rachitis zurück; aber auch schwerere 
Verbildungen, besonders allgemeine Ver¬ 
engerung, die bisher wenig gekannte all¬ 
gemeine Abflachung von vorn nach hinten 
oder seitlich und die beiden wichtigen 
Formen der Trichter- und Hühnerbrust 
lassen sich leider trotz intensivster Be¬ 
handlung nicht immer verhüten. Für 
die normale Ausbildung des Thorax ist 
besonders wichtig die Bekämpfung des 
Meteorismus und des hierdurch bedingten 
Zwerchfellhochstandes, der stets eine Er¬ 
weiterung der unteren Apertur nach sich, 
zieht. Die dorsoventrale Abflachung, 
ebenso die seltenere seitliche allgemeine 
Kompression lassen sich durch Lage¬ 
wechsel oft verhüten oder ausgleichen, 
aber Trichter und Hühnerbrust ent¬ 
wickeln sich manchmal vor unseren Augen, 
ohne daß wir viel dagegen tun können 1 ). 
Aber glücklicherweise bilden sich selbst 
schwere Formen unter sorgsamer All¬ 
gemeinbehandlung, besonders auch unter 
Freiluftbehandlung hoch in weitestem 
Maße zurück. Auch noch nach Jahren 
kann hier eine forcierte Gymnastik viel 
erreichen, wie Wieland festgestellt hat. 

Dankbarer ist die Behandlung der 
Extremitätenverkrümmungen. Wir 
haben schon oben darauf hingewiesen, 
daß diese Verbiegungen, die ja zumeist 
Folgen des Muskelzuges sind, auch bei 
völliger Ruhelage entstehen, daß also 
nicht erst die Belastung sie herbeiführt. 
Trotzdem wird man natürlich bestrebt 
sein, bei Nachgiebigkeit des Skelett¬ 
systems die erkrankten Glieder zu schonen. 
Bei vollentwickelter Rachitis ist aber 
keine Gewähr gegeben, die Deformitäten, 
besonders der Beine, völlig zu verhüten, 
wenn auch schwerere Formen nicht unter 
den Augen des Arztes entstehen dürfen. 

Auf die Behandlung der ausgebilde¬ 
ten Deformitäten, besonders der unteren 
Extremitäten, brauchen wir nicht weiter 
einzugehen, da sie in der Hauptsache 
Sache der Orthopäden ist. Nur über den 
Zeitpunkt des orthopädischen Eingriffes 
seien noch ein paar Worte angefügt. Im 
allgemeinen sind die Internisten auch hier 
mehr für Abwarten, während die Chi¬ 
rurgen ein aktiveres Vorgehen bevorzugen. 

x ) Die Einatmungen von verdichteter Luft, 
wie es Türk und Unger empfohlen haben, haben 
noch wenig Nachprüfung gefunden. Auch mir 
fehlt leider bisher eigene persönliche Erfahrung 
darüber, doch erscheint mir das Verfahren durch¬ 
aus beachtenswert. 




August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


301 


Auf alle Fälle ist es bei einfachen Ver¬ 
krümmungen, besonders dem Genu va- 
rem, durchaus berechtigt, bis zum fünf¬ 
ten, sechsten Lebensjahre mit jedem 
chirurgischen Eingriffe zu warten, wäh¬ 
rend man beim X-Knie schon im zweiten 
oder dritten Lebensjahre eine unblutige 
orthopädische Behandlung (Einlagen, Ver¬ 
bände, Schiene) einleiten wird. Den chi¬ 
rurgischen Eingriff wird man aber auch 
hier womöglich vertagen, bis man sicher 
ist, daß die Konfiguration des Skelettes 
sich nicht mehr sonderlich verbessern wird. 

III. Die Erfolge der Behandlung. 

Es hat sich gezeigt, daß uns gegenüber 
der Rachitis ein therapeutisches Rüstzeug 
zur Verfügung steht, wie wir es in diesem 
Maße kaum bei einer anderen konstitu¬ 
tionellen Krankheit des Organismus be¬ 
sitzen. Demzufolge sind auch bei früh¬ 
zeitiger Diagnose und Beherrschung aller 
Hilfsmittel die Aussichten der Rachitis¬ 
behandlungrechtgute. Bei keinem anderen 
Leiden sehen wir solch schnelle und auf¬ 
fällige Besserungen der gesamten Kon¬ 
stitution wie auch der einzelnen Sym¬ 
ptome. Leider ist die Beurteilung des 
therapeutischen Erfolges bei der Rachitis 
nicht so ganz leicht, und darum finden 
wir diese fortwährende Empfehlung neuer 
Heilmittel gegen diese Krankheit, die 
einer ernsteren Kritik nicht standhalten 
kann. Man begnügt sich im allgemeinen 
mit der Feststellung der Besserung des 
Allgemeinbefindens und der statischen 
Funktionen. Von einer wirklichen Heilung 
der Rachitis verlangen wir aber in erster 
Linie die Besserung und Konsolidierung 
des Knochensystems selbst. Aber auch 
dies soll angeblich durch die verschieden¬ 
sten Mittel erreicht werden. Ohne hierauf 
näher einzugehen, wollen wir nur eine 
Frage streifen, für die exaktere Unter¬ 
lagen da sind, die nach dem Zeit¬ 
punkte des Heilungseintrittes. 

Immer wieder finden wir bei der Emp¬ 
fehlung neuerer Heilmittel die Angabe 
ganz kurzer Zeiträume, weniger Tage oder 
weniger Wochen, innerhalb denen sich die 
Heilung der Erkrankung vollzogen habe. 
Wenn dies auch für manche Begleit- und 
Folgeerscheinungen der Erkrankung zu¬ 
treffen mag, so erfordert die Heilung der 
direkten Knochenerkrankung unverhält¬ 
nismäßig mehr Zeit. Hier dauert es stets 
schon Wochen, bis überhaupt sichere 
Zeichen einer Besserung vorhanden sind, 
und für die' Heilung fortgeschrittener 
Fälle sind stets Monate nötig. 


Das ist aber auch für den, der einmal 
Berechnungen über die für das Ent¬ 
stehen und das Vergehen der Erkrankung 
in Betracht kommenden Bilanzzahlen an¬ 
gestellt hat, eigentlich nur selbstver¬ 
ständlich. Es wäre im Gegenteil höchst 
sonderbar, wenn die klinische Erfahrung 
nicht entsprechend wäre. 

Hier, wie auch bei der sonstigen Be¬ 
urteilung des therapeutischen Erfolge 
spielt das subjektive Moment eine große 
Rolle; es wäre sonst nicht zu verstehen, 
wie über den Wert manches Behandlungs¬ 
verfahrens so verschiedene Urteile selbst 
maßgebender Kliniker möglich wären. 

Der Praktiker muß sich in erster Linie 
daran halten, daß die Symptome, deret- 
wegen er die Behandlung eingeleitet, zum 
Verschwinden kommen und daß weiterhin 
die Entwickelung des Kindes ungestört 
verläuft. Damit ist seine Aufgabe hin¬ 
länglich erfüllt. 

Allerdings muß gesagt werden, daß 
durchaus nicht in allen Fällen dieser Er¬ 
folg erreicht wird, und daß in nur wenigen 
Fällen die Heilung eine ideale ist. Wer 
wirklich kritisch den Heilungsverlauf der 
Rachitis mit und ohne Therapie verfolgt, 
der wird überhaupt nicht so leicht zu 
solchen Graden der Zufriedenheit kom¬ 
men, wie wir dies immer wieder lesen. 
Erstens ist eine Restitutio ad integrum 
nur selten möglich. Irgendwelche Resi¬ 
duen der Erkrankung bleiben fast stets, 
und sei es nur eine leichte Abflachung oder 
Asymmetrie des Schädels oder des Thorax. 
Zweitens ist die Exacerbationsneigung 1 ) 
bei der Rachitis eine viel größere, als ge¬ 
meinhin bekannt. Wer seine kleinen Pa¬ 
tienten nicht nur einige Monate, sondern 
jahrelang beobachtet und ihre Entwicke¬ 
lung zu leiten versucht, der ist erstaunt, 
wie hartnäckig eine einmal bestehende 
Rachitisdisposition ist, wie leicht wieder, 
besonders wenn die Therapie ausgesetzt 
wird, irgendwelche neue Erscheinungen 
auftreten, die zeigen, daß die Erkrankung 
immer nöch nicht dauernd geheilt ist. 

Das war ja die Veranlassung zu un¬ 
serem Rate, mit der Behandlung nicht zu 
früh aufzuhören und nur kurze Pausen 
eintreten zü lassen. Vor allem muß in den 
ersten zwei oder besser drei Wintern eine 
continuierliche Behandlung durchgeführt 
werden. Erst nach vollendetem dritten. 
Lebensjahre darf man im allgemeinen be- 

x ) In Einklang mit Wieland glaube ich nicht 
an die selbständige Natur der späteren Rachitis¬ 
manifestationen, sondern sehe diese stets als Rezi¬ 
dive beziehungsweise Exacerbationen einer über¬ 
sehenen Säuglingsrachitis an. 





302 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


August 


ruhigt sein, daß nun nichts mehr nach- 
kommen wird. 

Auf eine Spontanheilung der Ra¬ 
chitis darf man niemals mit Bestimmtheit 
rechnen; meines Erachtens kommt eine 
solche in den früheren Stadien der Er¬ 
krankung zumindest ohne Änderung der 
äußeren Ernährungs- und Pflegeverhält¬ 
nisse nicht vor. Wenn man an die schlim¬ 
men Folgen einer therapeutischen Ver¬ 
nachlässigung gerade dieser Erkrankung 
denkt, wird man jedenfalls es nicht darauf 
ankommen lassen. Und dies um so weni¬ 
ger, als wir aus den ersten klinischen 
Manifestationen gar nicht imstande sind, 
die spätere Entwickelung der Krankheit 
irgendwie sicher vorauszusehen. An¬ 
fänglich scheinbar leichte Fälle können 
nachher sehr schwer werden und umge¬ 
kehrt. Ist so die Prognose des spontanen 
Rachitisverlaufes eine unsichere, so ist 
auch die des Behandlungserfolges nicht 
einfach. Die äußeren Verhältnisse, Alter, 
Dauer und Schwere der Erkrankung geben 
dafür keinen rechten Anhalt. Wir können 


nach unseren Erfahrungen jedenfalls nicht 
zugeben, daß die Frührachitis schwerer 
zu beeinflussen sei als das vollentwickelte 
Krankheitsbild, sofern •man nur alle er¬ 
wähnten Maßnahmen streng durchführt. 
Andererseits sehen wir oft, daß scheinbar 
leichte Fälle unseren therapeutischen und 
prophylaktischen Bestrebungen oft hart¬ 
näckiger Widerstand leisten als schwerere. 
Die Unsicherheit dieser Prognostizierung 
liegt zum großen Teile darin, daß die Ra¬ 
chitis kein pathogenetisch und ätiologisch 
einheitlicher Prozeß ist, daß also die 
Grundlage des einzelnen Falles mannig¬ 
fach sein kann. Demgegenüber bleibt 
unsere therapeutische Technik bei allem 
Versuch zur Individualisation doch noch 
an der Oberfläche der Erscheinungen haf¬ 
ten. Aber dies trifft bei genauerem Zu¬ 
sehen für die meisten anderen Krank¬ 
heiten auch zu. Für den Praktiker besteht 
jedenfalls heute schon die Möglichkeit, 
mit den geschilderten Maßnahmen weit¬ 
aus die große Mehrzahl aller Rachitisfälle 
zur Heilung zu bringen. 


Referate. 


Zur Anästhesierung der Blase bei 
schmerzhaften Erkrankungen derselben 
(bei der Cystoskopie und schwierigen 
Blasenuntersuchungen stehen ja andere 
Methoden' in Gebrauch) empfiehlt 
Schneider das Eucupin (Isoamylhydro- 
cuprein), das bekanntlich (Referat in 
dieser Zeitschrift) neben seiner starken 
antiseptischen auch eine den Chininderi¬ 
vaten allgemein zukommende analgeti¬ 
sche Wirkung hat, die ziemlich lange an¬ 
hält. Da sich die Base in Wasser schlecht 
löst, wurden zunächst 1 %ige, dann auch 
2- und.3%ige ölige Lösungen verwendet, 
wobei die schwächeren Lösungen für 
ulcerierte Blasen in Anwendung kamen. 
Man bringt mit einem dünnen Nelaton- 
katheter so viel von der Lösung in die 
Blase, bis sie nicht mehr mit Contractionen 
reagiert, doch nie mehr als 5—10 ccm, 
und läßt dieselbe solange als möglich in 
der Blase halten. Injektion zunächst 
täglich, dann seltener. Im Anfänge zeigen 
sich oft leichte Reizerscheinungen (Bren¬ 
nen), die aber bald verschwinden und, 
einer mehr oder weniger lange anhalten¬ 
den Erleichterung Platz machen. Beson¬ 
ders gut waren, auch in Verbindung mit 
Jodoform usw., Schneiders Erfahrungen 
bei Blasentuberkulose, doch kann das Mit¬ 
tel natürlich bei jeder schmerzhaften Er¬ 
krankung der Harnwege angewandt wer¬ 


den, so auch mit gutem Erfolge bei schwer 
zu sondierenden Strikturen. Neben¬ 
wirkungen wurden bei der Geringfügig¬ 
keit der resorbierten Mengen nicht beob¬ 
achtet, sind auch kaum zu erwarten. 

Waetzoldt. 

(B. kl. W. 1917, Nr. 21.) 

Wolff berichtet über günstige Erfolge 
der Tierkohle bei Blennorrhöea va- 
ginae. Er fand bei Fluor genuinus und 
auch gonorrhoicus im akuten und chro¬ 
nischen Stadium in Form von Einschüt¬ 
tung beziehungsweise Einstäubung eine 
Kombination von Carbo animalis Merck 
mit Bolus sterilisatus in der Vagina sehr 
wirksam, insofern als Fluor und Foetor 
sehr bald abnahmen. Jede Spülung oder 
Ätzung wurde dabei fortgelassen. Bei der 
Trockenlegung der Vagina und des Cer- 
vicalkanals verfuhr Verfasser so, daß er 
die Patientin auf dem Operationstische 
so lagerte, daß der Carbo mit oder ohne 
Bolus von oben nach unten hineingestäubt 
beziehungsweise geschüttet wurde. Dar¬ 
auf wurde sterile trockene Gaze locker 
bis zur völligen Ausfüllung hineingefügt. 
Dieser Verband muß bis zur Heilung jeden 
Tag gewechselt werden. Darunter sind 
auch die Erosionen-geheilt und die Gono¬ 
kokken rascher verschwunden als bei der 
Behandlung mit Spülungen, Ätzungen 
USW. Iwan Bloch (Berlin). 




August 


Die Therapie der Gegenwart 191,7; 


303 ; 


Über den Zusammenhang zwischen 
Brucheinklemmung und Kriegsernährung 
schreibt Wie mann. An der Hand von 
100 Fällen, die in der Marburger chirur¬ 
gischen Klinik im Laufe der Jahre 1913 
bis 1916 zur Behandlung kamen, zeigt 
Verfasser, daß die incarcerierten Hernien 
bei der Zivilbevölkerung sich in den 
beiden letzten Kriegsjahren um 60 % 
vermehrt haben. Eingeklemmte Schen¬ 
kelhernien sind um das Dreifache ver¬ 
mehrt, und diese Vermehrung ist durch 
die größere Beteiligung des männlichen 
Geschlechtes bedingt. Teils handelt es 
sich bei der Zunahme um neue Brüche, 
teils klemmen sich alte, langbestehende 
Hernien unter den veränderte# Verhält¬ 
nissen häufiger ein. Diese veränderten 
Verhältnisse sind in der Kriegsernährung 
zu suchen: durch den erhöhten Genuß 
grünen Gemüses und kleiehaltigen Brotes 
gibt es vermehrte Peristaltik, häufigere 
Anwendung der Bauchpresse, Volum¬ 
schwankungen in den einzelnen Darm¬ 
abschnitten. Ist aber Stenose eines in 
einem Bruche liegenden Darmteiles vor¬ 
handen, so genügt schon eine Dehnung 
der Darmschlinge, um Darmverschluß 
und Incarceration hervorzurufen. 

Der Grund der Zunahme gerade der 
eingeklemmten Schenkelhernien ist da¬ 
gegen eher in dem erhöhten Maße 
körperlicher Arbeit zu suchen, die wäh¬ 
rend der Kriegszeit von älteren Männern 
geleistet wird, möglicherweise trägt all¬ 
gemeiner oder lokaler Fettschwund auch 
dazu bei. 

Über eine auffallende Zunahme der 
Darmwandbrüche im Jahre 1916 (30% 
gegen 3,3 % der Vorjahre) berichtet der 
Verfasser an der Hand von zehn Kranken¬ 
geschichten. Bei vielen war sehr rasch 
Darmgangrän eingetreten, die in 90 % 
dieser Fälle eine Darmresektion nötig 
machten. Damit ein Darmwandbruch zu¬ 
stande kommt, müssen ein stark gebläh¬ 
ter und ein kaum geblähter Darmabschnitt 
vorhanden und diese durch eine intra¬ 
abdominale Druckerhöhung so beein¬ 
flußt sein, daß die vor der Bruchpforte 
liegende wenig geblähte Schlinge einen 
Teil ihrer Wand ausstülpt. Die Bedin¬ 
gungen sind wiederum in der Kriegs¬ 
ernährung gegeben, die durch (gegen¬ 
über Friedenszeiten stark gesteigerte) 
Gärungs- und Fäulnisprozesse die 
ungleich geblähten Darmschlingen er¬ 
zeugt. 

Der verhängnisvolle Einfluß der Kriegs¬ 
ernährung auf Entstehung und Verlauf 


von eingeklemmten Hernien verschiede¬ 
ner Art sei somit erwiesen. 

Hagemann (Marburg). 

(D,Zschr.f. Chir. 140, Bd. 3 u. 4 H., S. 161.) 

Über die Ätiologie der Eklampsie 
äußert sich Grumme. Er referiert kurz 
einige Theorien, die für die Ursache der 
Eklampsie aufgestellt worden sind. So 
spricht Frerichs von der Eklampsie als 
akuter Urämie. Landois vermutete eine 
Retention von Kreatin und Kreatinin, 
wodurch die Reflexerregbarkeit der 
Krampfcentren gesteigert würde. Ge fi¬ 
ne r baut seine Auffassung • von der 
Eklampsie als Folge völligen Versagens der 
Nierenfunktion auf. Eisenreich meint, 
daß fötale Eiweißstoffe in den mütter¬ 
lichen Blutkreislauf gelangen und, weil 
dies unter Umgehung des Darmkanals 
geschehe, durch spezifische Antikörper 
mit fermentartiger Wirkung abgebaut 
werden, wobei es zu Spaltungsprodukten 
kommt, welche die Erscheinungen der 
Graviditätstoxikose auslösen. Franz 
faßt Eklampsie auf als. eine Autointoxi¬ 
kation durch Eiweißabbauprodukte, die 
von Fermentspaltung des Plazentaei¬ 
weißes herstammen. Zinßer vermutet 
als letzte Ursache eine komplexe, von der 
Plazenta ausgehende Giftwirkung. Nach 
Abderhalden liegt das Anormale bei 
der Eklampsie in der Beschaffenheit der 
Plazenta. Versuche Liepmanns zeigen, 
daß die Plazenta Eklamptischer sehr 
giftig sind, während normale Plazenten 
ungiftig sind. Nach Versuchen von Ri߬ 
mann und Cohn ist im Blutgehalt 
Eklamptischer eine Minderung des 
Kalium- und Erhöhung des Natrium¬ 
gehaltes. Sie stellen deshalb die Eklamp¬ 
sie parallel mit dem Koma beim Diabetes. 
Während des Krieges ist nun verschie¬ 
dentlich beobachtet worden, daß die 
Eklampsie abgenommen habe. Es macht 
den Eindruck,"daß hier ein causaler Zusam¬ 
menhang bestünde. Man vermutet den Zu¬ 
sammenhang mit der veränderten fett- 
und eiweißarmen Nahrung. Von einzelnen 
Seiten ist sogar eine Einschränkung der 
fett- und eiweißreichen Nahrung während 
der Gravidität zur Verhütung der Eklamp¬ 
sie empfohlen und statt dessen eine haupt¬ 
sächlich vegetabilische Ernährung gefor¬ 
dert worden. Wie Grumme nun meint, 
ist es zunächst nicht unbedingt erwiesen, 
daß beide Faktoren — Eiweiß und Fett 
— die Schuld an Eklampsiefällen tragen, 
Es könnte ebensogut das Eiweiß oder das 
Fett allein in Frage kommen. Der Vor¬ 
schlag, nunmehr alle Schwangerenfett-und 





3Ö4 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


August 


eiweißarm zu ernähren, ginge zu weit’ Er 
steht in direktem Gegensatz zu der all¬ 
gemein herrschenden Überzeugung, daß 
schwangere Frauen eine gehaltvolle Nah¬ 
rung zu sich nehmen müssen und es ist 
seiner Meinung nach nicht angängig, 
wegen einer Eklampsie, die womöglich 
auf mehrere 100 normale Geburten kommt, 
alle Schwangeren kasteien zu lassen. 

Dünner. 

(D. m. W. Nr. 21.) 

Aus einer Arbeit von Leusser-Bad 
Kissingen über Anfälle von Herzjagen 
sei der therapeutische Teil hier referiert. 
Von den zahlreichen Mitteln, die Anfälle 
abzukürzen und dadurch den Kranken 
zu erleichtern, hat sich nach L. am 
meisten der Druck auf den Nervus vagus 
am Halse als zweckmäßig erwiesen. Er 
konnte so manchmal plötzlich den Anfall 
beenden, allerdings nicht immer. Dabei 
war es gleichgültig, ob der rechte oder 
linke Vagus komprimiert wurde. Die 
Kompression nahm er so vor, daß er mit 
dem Daumen oder Zeige- und Mittelfinger 
die Karotis aufsuchte und den Druck am 
äußeren Rande des Gefäßes ausübte, und 
zwar in der Höhe des Schildknorpels. 
Er kann ohne Schaden mehrere Minuten 
angehalten werden. Auch tiefes Ein¬ 
atmen wurde mit Erfolg angewandt, 
auch tiefe Inspiration mit Glottisver¬ 
schluß und Pressen; ferner Tieflagern des 
Kopfes und Herabhängenlassen des Ober¬ 
körpers. Auch Druck auf den Magen oder 
starkes Pressen des Leibes mit emporge¬ 
zogenen Oberschenkeln wirken cou- 
pierend. Kalte Umschläge auf den 
Nacken oder das Auspressen eines mit 
kaltem Wasser getränkten Schwammes 
führt manchmal zum Ziele. Von medi¬ 
zinischen Mitteln (Morphium, Baldrian 
Brom) sah er keinen besonderen Erfolg. 
Digalen soll man nur bei gleichzeitiger 
Herzschwäche anwenden; sonst ist nichts 
davon zu erwarten. Ebenso verhält es 
sich mit anderen Mitteln (Amylnitrit, 
Nitroglyzerin, Alkohol, Äther, Kampfer, 
Atropin), auch von Vibrationsmassage 
des Herzens, Massage des Rückens und 
Hackungen der Wirbelsäule, Faradisation 
und Galvanisation darf man sich nicht 
viel versprechen, umso weniger, als ge¬ 
rade Erschütterungen des Körpers oft 
einen Anfall auslösen. Nach Hoffmann 
soll man den Patienten absolute Ruhe 
und Rückenlage anordnen, kalte Um¬ 
schläge oder Eisblase auf Herz oder 
Nacken legen, beengende Kleidungs¬ 
stücke entfernen, die Ernährung auf 


flüssige Kost beschränken. Es kommt 
vornehmlich darauf an, die Kranken 
zu beruhigen, die in Angstzustände- 
wegen der beschleunigten Herztätig¬ 
keit geraten. Wenn sich die Anfälle 
..öfters wiederholt haben, lernen die Pa¬ 
tienten von selbst, daß für sie keine 
wesentliche Gefahr besteht. Anders 
liegen natürlich die Verhältnisse, wenn 
es sich um schwere und langandauernde 
Anfälle, um Herzschwäche und ihre 
Folgen handelt. Hier ist es geboten, 
Digalen, Koffein, Kampfer zu injizieren. 
Den Wiedereintritt eines Anfalles ganz 
zu verhindern, wird nur in den seltensten 
Fällen gelingen und ist von der Therapie 
nur wenig abhängig. Wohl aber wird 
eine allgemein roborierende, das Nerven¬ 
system kräftigende Behandlurigsweise, 
wie Massage, Elektrizität, Hydrotherapie, 
kohlensaure Sol- oder Ozetbäder, ferner 
zweckmäßige Ernährung und Beschäfti¬ 
gung, Festigung des seelischen Gleich¬ 
gewichtes, Bekämpfung hypochondrischer 
Stimmungen, Eisen Und Arsen einen 
günstigen Einfluß haben. Das ist um so 
verständlicher, da es sich ja bei der Art 
der Kranken um Personen handelt, deren 
Nervensystem von Hause aus' nicht ganz 
intakt ist. ’ Dünner. 

(M. m. W. 1917, Nr. 23.) 

Der Begriff der orthotischen Hypo¬ 
tonie ist von J. Schütz geprägt worden. 
Er konnte zeigen, daß Fälle von schwerer 
Erschöpfung nach Strapazen sowie man¬ 
che Fälle von fieberhafter Erkrankung 
ein mäßiges Absinken der Blutdruck¬ 
werte im Sitzen und ein starkes Absinken 
im Stehen zeigen. Bei Wiederaufnahme 
der horizontalen Lage erreicht der Blut¬ 
druck wieder seinen normalen Wert, mit 
gelegentlicher Überschreitung desselben. 
Dieses Syptom nennt er nun „orthotische 
Hypotonie“. Es ist lediglich vorüber¬ 
gehend und ist nur zu beobachten, so¬ 
lange die Kreislaufstörung besteht. Es 
verschwindet allmählich, wenn der Er- 
schöpfungs- bzw. Fieberzustand abklingt. 
Dieses leichte Verschwinden brachte ihn 
auf den Gedanken, dieses Symptom als 
Indikator bei der Beurteilung gewisser 
therapeutischer Einwirkungen auf den 
Kreislauf zu. benutzen. Er wählte dazu 
zunächst die bekannte tonisierende Wir¬ 
kung der lauwarmen Bäder mit kühlen 
Übergießungen bei Fieber, und es zeigte 
sich tatsächlich, daß eine einfache hydria- 
tische Prozedur die orthotische Hypo¬ 
tonie in hohem Maße verminderte. Damit 
war zum ersten Male ein objektives Kri- 





August Die Therapie der 


terium für diese Prozedur der Über¬ 
gießungen gegeben, während wir uns bis¬ 
her lediglich nach subjektiven Angaben 
der Kranken richten mußten. 

Dünner. 

(D. m. W. 1917, Nr. 21.) 

,,Über chronischen Muskelrheu- 
matismus“ schreibt Sonntag, der zur 
Bearbeitung dieses Themas um so mehr 
berechtigt ist, als er selbst daran leidet. 
Er gibt einleitend seine ausführliche 
Krankengeschichte. In der Frage der 
noch recht ungeklärten Pathogenese steht 
im Vordergründe das toxisch-infektiöse 
Moment. Zu seinen Gunsten spricht u. a. 
der öfter beobachtete Anschluß des Mus¬ 
kelrheumatismus an Katarrhe der Nase 
und der oberen Luftwege, Nebenhöhlen, 
Angina, Zahnaffektion usw., die öftere 
Kombination mit Neuralgie oder Gelenk¬ 
rheumatismus. Es liegt nahe, an Staphy¬ 
lo-, Strepto- oder Pneumokokken als Er¬ 
reger zu denken, die bisweilen eine chro¬ 
nisch latente Infektion setzen' können; 
auch Erreger ähnlich denen, welche bei 
sonstigen, chronisch intermittierenden 
Krankheiten, z. B. Syphilis, Vorkommen, 
könnten in Betracht 'gezogen werden, 
vielleicht handelt es sich auch um patho¬ 
gen werdende, sonst saprophytisch vor¬ 
handene Mikroorganismen der oberen 
Atmungs- und Verdauungswege. . Er 
weist in diesem Zusammenhang auf Kol¬ 
les Spirochätenbefunde bei Alveolar- 
pyorrhöe hin, sowie auf das Vorkommen 
von Spirochäten in der Mundhöhle. Die 
Frage der Krankheitserreger hat deshalb 
große Bedeutung, weil die Vaccinebehand- 
iung eventuell den Muskelrheumatismus 
heilen oder zum mindesten bessern könnte. 
Für die Pathogenese kommen Stoff¬ 
wechselstörungen und Intoxikationen, z.B. 
Gicht, Fettleibigkeit, Zuckerleiden, Blut¬ 
armut, übermäßiger Genuß von Fleisch 
oder Alkohol nicht in Frage; dahin¬ 
gegen wohl Erkältungen, die aber nicht 
für die Erklärung vollständig ausreichen, 
denn es müßten gerade jetzt während des 
Krieges die Feldsoldaten viel häufiger und 
viel schwerer erkranken. Tatsächlich ist 
der chronische Muskelrheumatismus bei 
ihnen nicht allzu häufig und meist bei 
Leuten, welche schon vorher daran litten. 
Die Annahme des latenten Mikrobismus 
erscheint auch in diesem Zusammenhänge 
gut erklärbar. Man darf annehmen, daß 
unter dem begünstigenden Einfluß der 
Erkältung die bisher latenten Mikroorga¬ 
nismen (siehe oben) pathogen werden. 
Bemerkenswert ist die Tatsache, daß 


Gegenwart .1917. 305- 


Leute an chronischem Muskelrheumatis¬ 
mus leiden, welche viel schwitzen, ferner 
solche, die dicke und undurchlässige 
Kleidung tragen, solche, welche starke 
körperliche Anstrengungen zu bewältigen 
haben, besonders gern scheinen Bäcker, 
Schmiede, Heizer u. dgl. zu erkranken, 
auch wissen wir, daß von jeher Chirurgen 
mit Muskelrheumatismus angetroffen wer¬ 
den. Es erkranken Muskeln, welche 
statisch in Anspruch genommen sind und 
beim Stehen, Sitzen und Liegen wenig 
oder gar nicht bewegt werden, nämlich 
die Muskeln des Rückens, der Lende und 
Brust, weiter auch die von Schulter und 
Becken, dagegen nicht die mehr oder 
weniger ständig bewegten Muskeln an den 
Extremitäten. Die von Schmidt ver¬ 
tretene Ansicht, daß der Sitz der Er¬ 
krankung in den sensiblen Nerven der 
Muskulatur zu suchen sei und sich bis 
in die Rückenmarkswurzeln erstrecken 
kann, wird erhärtet durch Sitz und Aus¬ 
dehnung der Schmerzen, sowie durch die 
öftere Kombination mit Neuralgie, z. B. 
Lumbago mit Ischias oder Intercostal- 
neuralgie. Die Symptome und Diagnose 
des Muskelrheumatismus gelten als un¬ 
sicher. Das hervorstechendste Symptom 
ist der Muskelschmerz, der für die Dia¬ 
gnose eine Reihe charakteristischer Merk¬ 
male hat. Er muß allerdings dazu einer 
genauen Analyse, namentlich in seiner 
Beziehung zu äußeren Momenten, unter¬ 
zogen werden. Charakteristisch sind 
folgende Merkmale: 

"l. Die der Anatomie entsprechende 
Lokalisation und Ausdehnung des Schmer¬ 
zes. Gegenüber der Neuralgie ist eine 
Unterscheidung in dieser Hinsicht aller¬ 
dings nicht immer möglich, zumal eine 
Neuralgie oft gleichzeitig vorhanden ist. 
Gegenüber tiefliegenden Erkrankungen, 
z.B. solchen der Knochen, Pleura, Niere, 
hilft Abheben der Muskulatur von der 
Unterlage und Zwischenfassen zwischen 
den Fingern. 

2. Die Auslösbarkeit des Schmerzes 
auf Druck und bei Bewegungen, auch die 
Art der Körperhaltung und der Ausfüh¬ 
rung einzelner Bewegungen. Die Druck¬ 
stellen sind nicht immer leicht, oft erst 
bei genauer Durchpalpierung der Musku¬ 
latur aufzufinden. Die schmerzauslösen- 
den Bewegungen und die Beweglichkeits¬ 
beschränkung sind für die einzelnen Lo¬ 
kalisationsformen des Muskelrheumatis¬ 
mus charakteristisch: Bei Affektion der 
Brustmuskulatur, z. B. welche mit Inter- 
costalneuralgie verbunden ist, erweist 

39 



306 Die Therapie der 


sich Tiefatmen, Husten, Niesen, Schluk- 
ken, Heben des Armes, z. B. zum mili¬ 
tärischen Gruß, Heben der Kaffeekanne 
usw., schmerzhaft. - Die Schmerzen sind 
meist sehr heftig und entsprechend ihrer 
Lokalisation sehr lästig; Niesen wird zur 
Zeit der Exacerbation ganz unterdrückt. 
Ist die Bauchmuskulatur erkrankt, so 
bestehen Schmerzen in den seitlichen 
Bauchpartien, eventuell auch in der 
Leiste und bis in den Hodensack und 
After ausstrahlend; namentlich gegen 
Morgen nach der Bettruhe scheinen 1 
diese Schmerzen derart aufzutreten, 
daß das weitere Liegen unerträglich 
wird und zur Linderung der Schmer¬ 
zen die Beine an den Leib herangezogen 
werden.' In seinem Verhalten bei Be¬ 
wegungen zeigt der Schmerz bei dem 
chronischen Muskelrheumatismus einige 
Charakteristcia, welche übereinstimmen 
mit denen des Muskelschmerzes nach 
längerer Ruhigstellung von Körperteilen, 
z. B. der Schulter nach Verletzungen und 
Tragen in Mitelia: a) Der Schmerz ist 
besonders heftig bei unvermuteten Be¬ 
wegungen, z. B. Stoß, Stolpern über 
Stein, Fahren im holpernden Wagen. 
Dabei treten im floriden Stadium der 
Erkrankung krampfartige Contractionen 
der Muskulatur auf unter heftigstem 
Schmerz; b) der Schmerz ist besonders 
heftig nach längerer Ruhe, z. B. Bettruhe. 
Wenn die Kranken aber erst „in Gang“ 
gekommen sind, lassen die Schmerzen 
etwas nach; c) der Schmerz zeigt sich als 
Ermüdungsschmerz. 3. Die Witterung 
hat Einfluß auf den Schmerz. Der Ein¬ 
fluß des Witterungsumschlages ist so 
deutlich und regelmäßig, daß die Patien¬ 
ten oft das Wetter Voraussagen können. 
4. Beeinflußbarkeit durch die therapeu¬ 
tischen Maßnahmen,’ vor allem durch die 
Antirheumatica (Aspirin, Atophan u.dgl.); 
auch steht dem Arzt eine Kontrolle über 
die subjektiven Angaben des Patienten 
zu Gebote, indem bei heftigen rheumati¬ 
schen Schmerzen der Kranke das Ver¬ 
langen nach den genannten Pulvern und 
seine Befriedigung über deren Wirkung 
äußert, während anderenfalls auf die 
nichtrheumatische Natur oder Gering¬ 
fügigkeit der Schmerzen geschlossen wer¬ 
den darf. Bei der Differentialdiagnose 
gilt es, zunächst Simulation, Hysterie und 
Neurasthenie auszuschließen. Von Af¬ 
fektionen anderer Organe seien genannt: 
gegenüber Rheumatismus der Brustmus¬ 
kulatur Erkrankungen von Lungen und 
Rippenfell, der Rippen (Periostitis, Frak¬ 


Gegenwart 1917. August 


turen, Tuberkulose), Angina pectoris u.a., 
gegenüber Rheumatismus der Bauch¬ 
muskulatur Erkrankungen der Bauch¬ 
organe (Magen, Darm,Wurmfortsatz u.a.), 
gegenüber Rheumatismus der Rücken-, 
Lenden- und Hüftmuskulatur Erkran¬ 
kungen der Bauchorgane, Nieren, Rücken¬ 
mark, Fraktur, Arthritis deformans usw. 
Die Behandlung des chronischen Muskel¬ 
rheumatismus besteht in der Allgemein¬ 
behandlung, der systematischen Behand¬ 
lung der Schmerzen und der kausalen 
Behandlung der Muskelversteifung Bei 
der Allgemeinbehandlung kann eine ge¬ 
eignete Kost, eine Beschränkung von 
Alkohol und Fleischgenuß versucht wer¬ 
den. Der Einfluß ist allerdings nicht 
immer erkennbar. Ratsam ist Stuhl¬ 
regelung und vor allem reichliche Körper¬ 
bewegung, auch ein Klimawechsel; Schutz 
vor Erkältung, Verhütung des Schwit- 
zens. Gegen die Schmerzen sind die vom 
akuten Muskelrheumatismus bekannten 
Mittel anzuwenden, von äußeren hyper- 
ämisierende und resorbierende Tinkturen, 
Salben, Pflaster usw. (Jod, Ichthyol, 
Campher, Ameisen-, Senf- und einfacher 
Spiritus, Senfpflaster u. dgl.); vor allem 
Wärme in Form von Umschlägen, Brei, 
Sandsack, Thermophor, usw.; von 
inneren die bekannten Antirheumatica 
und Antineuralgica, vor allem Aspirin, 
Pyramidon und Atophan, dagegen 
tunlichst nicht Morphium und andere 
Narkotica. Als Maßnahmen gegen Mus- 
kelversteifung empfiehlt Sonntag Mas¬ 
sage, Elektrizität, Bewegungsbehandlung 
und Bäder. Massagen sollen wo möglich im 
Anschluß an ein Bad mindestens 10-20 Min. 
lang ausgeführt werden. Die Bewegungs¬ 
behandlung erstreckt sich auf aktive, 
passive und Apparatübungen, vor allem 
auf methodische Durchführung derjeni¬ 
gen Bewegungen, die der Patient am 
meisten fürchtet; hierher gehört auch 
eine reichliche Körperbewegung durch 
Spaziergänge, Sport usw. 

Die Bäderbehandlung ist in allen 
hartnäckigen Fällen, in denen eine mehr¬ 
wöchige Haus- oder Lazarettbehandlung 
versagt, in Angriff zu nehmen, und zwar 
baldigst, ehe eine Verschleppung. der 
Krankheit eintreten kann, zur Erzielung 
einer nachhaltigen Wirkung und Durch¬ 
führung der kinetischen Therapie ge¬ 
nügend lange anzuwenden (nicht unter 
4—6 Wochen mit 20—30 Bädern zu je 
V 2 bis V 4 Stunde, eventuell verlängert; 
bis zur Heilung wiederholt, eventuell alle 
V 2 Jahre). Die Wildbäder (z. B. Wild- 





August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


307 


bad, Warmbrunn, Wolkenstein, Teplitz 
u. a.) wirken besonders günstig durch 
ihren Gehalt an Radium. Die warmen 
Schwefelbäder (z. B. Aachen, Nenndorf 
u. a.) durch umstimmenden und schwei߬ 
treibenden Effekt, die Solbäder (z. B. 
Wiesbaden, Baden-Baden, Münster am 
Stein u. a.) durch den stärkeren Druck 
des specifisch schweren Badewassers, 
durch den Reiz der Sole und durch den 
eine schnelle Verflüchtigung der Wärme 
verhindernden Salzüberzug der Haut, die 
kohlensauren Thermalsölbäder (z. B. Oeyn¬ 
hausen, Salzuflen, Nauheim, Kissingen 
u. a.) außerdem durch die periphere Ge¬ 
fäßerweiterung und Hautbeeinflussung, 
die Moorbäder (schwefelhaltige, z. B. 
Nenndorf, Eilsen, Meinberg,-Pistyan u. a.; 
eisenhaltige, z. B. Elster, Pyrmont, Fran¬ 
zensbad, Marienbad, Schwalbach, Schmie¬ 
deberg u. a.) thermisch durch die recht 
hoch zu nehmende Temperatur, mecha¬ 
nisch durch die Schwere der Bade¬ 
flüssigkeit und chemisch durch den Reiz 
der Salze und Säuren. Nötigenfalls kann 
ein Ersatz der Bäder außerhalb des 
Badeortes, also zu Hause oder im Laza¬ 
rett durch protrahierte warme Bäder, 
Fichtennadelbäder und vor allem durch 
Salzbäder (z. B. mit Staßfurter Salz), 
ferner Schlammpackungen, Sand-, Dampf-, 
Heißluft- und Lichtbäder versucht wer¬ 
den. Zu versuchen ist Diathermie, in 
schweren Fällen Bestrahlung mit Röntgen¬ 
röhre oder mit der künstlichen Höhen¬ 
sonne, Vaccination, Injektion nach Lange 
infiltrierend, auch epi- oder intradural, 
Nervendehnung. Dünner. 

(M. m. W. 1917, Nr. 20.) 

Raether berichtet über 35 Neurosen¬ 
heilungen nach der Kaufmannmethode 
(Krankengeschichtsauszüge von allen Fäl¬ 
len). Außerdem kam ein Mißerfolg vor. 
Die von Raether etwas modifizierte 
'Methode zerfällt in drei Stadien: Zu¬ 
nächst die psychotherapeutische Vor¬ 
bereitung, die ohne jede Täuschung 
(wie die, daß die Heilung nur für den 
Beruf, nicht für das Feld erfolge) mit der 
Placierung mitten unter Geheilte beginnt 
und unter Ausschließung jedes organi¬ 
schen Leidens durch mehrfache neurolo¬ 
gische Prüfungen bei persönlicher Be¬ 
schäftigung mit dem Patienten die ersten 
Heilsuggestionen gibt. Dem Patienten 
unvermutet folgt eines Abends die Heil¬ 
sitzung. Der Kranke wird völlig ent¬ 
kleidet unter energischer Verbalsuggestion 
mit anfangs stärkeren, dann schwächer 
werdenden faradischen Strömen an den 


betreffenden Gliedern (nicht Kopf und 
Hals) fünf Minuten hindurch behandelt, 
dann plötzlich abgebrochen und der Pa¬ 
tient aufgefordert, zu gehen, zu sprechen 
usw., je nach der Art der Lähmung, was 
in den meisten Fällen schon jetzt mühelos 
geht, dann folgen Turn-, Gang-, Stimm-, 
Sprechübungen, der Einfachheit wegen un¬ 
ter militärischemKommando,in denPausen 
suggestive Beeinflussung durch Zureden, 
falls die Lähmung noch nicht vollständig 
beseitigt, noch weitere fünf Minuten Be¬ 
handlung mit an- und • abschwellenden 
faradischen Strömen, danach Übungen 
mit größeren Anforderungen. Als Schlu߬ 
elektrisierung schließlich eine Minute lang 
leichte Faradisierung des ganzen Körpers 
als „Nachbehandlung“; danach noch 
einige Übungen und Erklärung: „Sie sind 
geheilt!“ Die Nachbehandlung be¬ 
ginnt mit sofortiger 24stündiger Bettruhe 
eventuell mit Schlafmitteln, darauf Tur¬ 
nen unter Leitung des Arztes, anfangs 
besonders Spezialübungen ' für die ge¬ 
schwunden gewesenen Fähigkeiten (Dauer 
meist vier Wochen). Die Entlassung 
erfolgt als ,,a. v. Beruf“. In den meisten 
Fällen handelte es sich, wie schon aus dem 
vorigen hervorgeht, um Soldaten mit 
hysterischen .Störungen meist motorischer 
Art, doch auch um Taubheit, Stummheit 
usw. nach Verschüttung, Schußverletzun¬ 
gen, Trommelfeuer, Überanstrengung und 
andere mehr oder weniger direkten Kriegs¬ 
traumen. Der Erfolg, den Raether mit 
der Kaufmannschen Methode hatte, ist 
gut, doch erfordert ihre Anwendung viel 
persönliche Energie und große Selbst¬ 
beherrschung, sodaß vielleicht nicht 
jeder dazu befähigt ist. Waetzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 11.) 

Über einen Fall von Amaurose, der 
scheinbar durch Optochimim basicum ver¬ 
ursacht war, berichtet Ginsberg: Nach 
.2 g Optochinum basicum innerhalb 
40 Stunden bei strenger Milchdiät tritt 
bei einer jungen, kräftigen Patientin eine 
24stündige Amaurose ein (typischer oph¬ 
thalmoskopischer Befund, Farben und Ge¬ 
sichtsfeld ohne Befund). Amblyopische Er¬ 
scheinungen bleiben noch über eine Woche 
lang deutlich. Schleier und Schatten noch 
über vier Wochen. Die auf Veranlassung 
von Herrn Prof. Morgenroth vorge¬ 
nommene chemische Untersuchung der 
verwendeten Pillen hatte nun das über¬ 
raschende Ergebnis, daß die Pillen nicht, 
wie verordnet und wie es auch im Kopier¬ 
buche des Apothekers vermerkt war, die 
Optochinbase, sondern das salzsaure Salz 

39* 



308 . Die Therapie der 


enthielten. Es handelt sich also auch m 
diesem Falle um eine Amaurose durch 
Optochinumhydrochloricum. Waetzoldt. 

(D. m. W. 1917, Nr. 19.) 

Über chronische Ruhr berichten 
Schmidt und Kauffmann. Bei einer 
großen Zahl .der Ruhrkranken entwickelt 
sich ein chronisches Leiden. Bei etwa 
2 bis 5 % Ruhrleichen wurden in Halle 
chronische Veränderungen gefunden. Die 
klinische Diagnose dieser Art Ruhr ist 
schwierig. Die bakteriologische und auch 
die Agglutinations - Untersuchungsme¬ 
thode läßt nach den Verfassern im 
Stich. (Diese Beobachtungen stehen 
mit den im Krankenhause Moabit ge¬ 
machten im Gegensatz, wie ich in einer 
Arbeit im Maiheft dieser Zeitschrift 
zeigen konnte). Nach Schmidt und 
Kauffmann ist man im großen ganzen 
auf die Anamnese und auf die Rekto¬ 
skopie hauptsächlich angewiesen. Um 
die klinischen Symptome richtig zu ver¬ 
stehen, muß man auf die pathologisch¬ 
anatomischen Erfahrungen zurückgreifen. 
Bei 2 bis 5°/ 0 ihrer Fälle fanden sich Ver¬ 
änderungen, welche auf eine längere 
Dauer des Krankheitsprozesses schließen 
ließen. Der Dünndarm war in 43% 
befallen, und zwar teils in Form von Ge¬ 
schwüren, teils als entzündliche Schwel¬ 
lung der Schleimhaut mit kleienförmigem 
Belag in den untersten Abschnitten des 
Ileums. 8 mal fanden sich Perforationen 
der Darmwand, die aber nur einmal zu 
einer allgemeinen Peritonitis geführt 
hatten, ln den übrigen Fällen handelte 
es sich um kleinste, offenbar langsam 
entstandene Durchbrüche, bei denen ge¬ 
nügend Zeit zur Verklebung der Serosa 
mit der Umgebung gegeben war, so daß 
perikolitische Adhäsionen von umschrie¬ 
bener Ausdehnung resultierten. Ein 
Chronischwerden des akuten Ruhrpro¬ 
zesses in dem Sinne, daß die charakte¬ 
ristischen Anfangssymptome: Fieber, 
Tenesmen, zahlreiche blutig-flockige Ent¬ 
leerungen, zwar an Intensität abnehmen, 
aber niemals wirklich aufhören oder ihren 
Charakter verändern, ist offenbar selten. 
Vielmehr schalten sich bei den prota- 
hierten Fällen unter Abnahme des Fiebers 
allmählich immer häufiger einige, wenn 
auch dünne, so doch von Entzündungs¬ 
produkten bei flüchtiger Besichtigung 
freie Entleerungen zwischen die eigent¬ 
lichen Durchfallsstühle ein, wodurch der 
Anschein einer Rekonvaleszenz erweckt 
wird, zumal wenn der Patient sich im 
ganzen erholt, ln Wirklichkeit ist die 


Gegenwart 1917. August 


Besserung keine fortschreitende. Es kommt 
unter Fortbestehen leichter Temperatur¬ 
erhöhungen zum periodischen Wieder¬ 
auftreten dysenterischer Abgänge, die, 
weil sie jetzt mit der breiigen, aber im 
übrigen ziemlich normalen Stuhlmasse 
gemischt sind und weil an Stelle des 
fetzig-flockigen Detritus jetzt nur noch 
schwach blutig gefärbter Schleim auftritt, 
nicht erkannt oder falsch gedeutet werden. 
Die Patienten fühlen sich dabei nicht 
sehr elend, haben guten Appetit. Rek- 
toskopiert man sie, so findet man^bei ihnen 
immer noch kleinere Geschwüre in der 
sonst nicht nennenswerte entzündeten 
Schleimhaut. Da die spastischen Er¬ 
scheinungen bei ihnen fehlen, kann man 
annehmen, daß der Dünndarpi nicht 
beteiligt ist, während in den tieferen 
Abschnitten des Kolons der Prozeß fort¬ 
besteht. Diesen ziemlich häufigen Typus 
bezeichnen die Verfasser als chronisch¬ 
ulzeröse Form der Ruhr. In dieser Be¬ 
ziehung decken sich die Anschauungen 
von Schmidt und Kauffmann mit den 
unsrigen im Krankenhaus, Moabit. , Es 
besteht lediglich der im großen und 
ganzen irrelevante Unterschied einer ver¬ 
schiedenen Bezeichnung, insofern wir bis¬ 
her von einem durch die Pathologen ein¬ 
geführten Ulcus chronicum recti gesprochen 
haben, eine Bezeichnung, die in der Tat, 
wie schon früher ausgeführt wurde, zu 
Mißverständnissen führen kann. Auch 
die Ansicht der Verfasser, daß die nicht 
spezifische Colitis mit Dysenterie nichts 
zu tun habe — Strauß und Ehr mann 
hatten dies behauptet — wird auch von 
uns vertreten. Der zweite Typus der 
chronischen Ruhr ist der dyspeptische. 
Man findet hier im Gegensatz zu der chro¬ 
nisch-ulzerösen kein Fieber und in den 
Entleerungen keine Entzündungsprodukte 
wie Schleim, Eiter und Blut. Es bestehen 
lediglich gehäufte breiige bis flüssige 
Entleerungen. Unvorsichtige Diät 
steigert die Beschwerden. Die Stühle 
bieten das typische Bild der Darm¬ 
dyspepsie: unverdaute Nahrungsreste, mit 
bloßem Auge erkennbares Bindegewebe, 
Gemüsereste, Fleischstückchen usw. Der 
Magen ist häufig achylisch. Die dritte 
seltene Form ist die perikolitisch-spa- 
stische. Ihr anatomisches Substrat sind 
die oben erwähnten punktförmigen Per¬ 
forationen der Dickdarmwand mit den 
entsprechenden reaktiven entzündlichen 
Vorgängen in der Umgebung. Man trifft 
besonders anfallsweise auftretende heftige 
Leibschmerzen mit Druckempfindlichkeit 





August 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


309 


einer umschriebenen Stelle des Bauches 
und nur leichten Störungen der Defäkation 
bei fehlendem Fieber und verhältnismäßig 
gutem Allgemeinzustand an. Mit diesen 
drei geschilderten Typen ist nicht die 
ganze Symptomatologie der chronischen 
Ruhr erschöpft. Es gibt Übergänge 
zwischen ihnen und Kombinationen. Die 
Prognose ist als ernst zu bezeichnen. 
Man darf alle akut erkrankten Fälle nicht 
eher aus der Behandlung entlassen, als 
bis eine genaue Kontrolle des Stuhles 
über längere Zeiträume und die rekto- 
skopische Untersuchung die völlige Aus¬ 
heilung des Prozesess zeigt. Dünner. 

(M. m. W. 1917, Nr. 23.) 

Zur Behandlung sowohl der Sebor- 
rhoea capitis oleosa, wie auch der trocke¬ 
nen Form dieser Erkrankung empfiehlt 
v. Zumbusch eine Methode, der wegen 
ihrer leichten Anwendbarkeit eine viel 
größere Verbreitung zukommt als sie 
tatsächlich hat. Alle vier Tage wird der 
Kopf mit einem Pulver, bestehend aus 
Sulf. praec. 40,0, Amyl. öryz. 50,0, Pulv. 
radic. Ireos. Florent. 10,0 abends gut ein¬ 
gestäubt und am nächstenMorgen derüber- 


schuß mit einer weichen Bürste ent¬ 
fernt. Der besonders bei dunklen Haaren 
noch verbleibende Rest wird mit Salicyl- 
spiritus leicht entfernt, mit dem auch in 
der Zwischenzeit das Haar einmal zu be¬ 
handeln ist. Waschungen mit Wasser 
unterbleiben durchaus. Statt Amylum 
wird, da es oft schwer aus den Haaren 
zu entfernen ist, mit Vorteil auch Semen 
Lykopodii verwendet. Der wesentliche 
Nutzen dieser Schwefelanwendung be¬ 
steht einmal in der Reinigung der Kopf¬ 
haut durch Aufsaugen des Fettes, zum 
anderen in der direkten Applikation des 
Schwefels auf die erkrankte Haut, dann 
aber auch in der Möglichkeit, reizende 
Waschungen mit Wasser, Benzin, zu 
scharfes Kämmen und ähnliches zu ver¬ 
meiden, die bei Salbenanwendung un¬ 
umgänglich und neben anderem die 
Hauptursache ihrer Unbeliebtheit, viel¬ 
leicht auoh zum Teil des Haarverlustes 
sind. Selbstverständlich ist es, daß die 
Behandlung dauernd fortgesetztwird, denn 
die Seborrhöe ist ein Zustand, der auf 
einer ,,Konstitutionsanomalie“ beruht. 

(M. m. W. 1917, Nr. 13.) Waetzoldt. 


Richtlinien zur Malariabehandlung und Malariavorbeugung 1 ). 

Zusammengestellt vom Chef des Feldsanitätswesens und dem Sanitäts-Departement 
des Kriegsministeriums unter Mitwirkung des Institutes für Schiffs- und Tropen¬ 


krankheiten 

I. Malariabehandlung. 

Jeder Fall mit remittierendem Fieber, 
sogenannten Tertianatypus, ist malaria¬ 
verdächtig. Bei Truppen im Westen, 
Osten und Süden kommt Malaria vor. 
Im Osten und Westen ist bisher nur Ma¬ 
laria tertiana, im Süden (Mazedonien) und 
Asien diese und Malaria tropica beobachtet 
worden; Quartana bisher nur vereinzelt. 
Insbesondere sind plötzlich auftretende, 
mit Schüttelfrost und Schweißausbruch 
einhergehende Fieberanfälle, auch bei 
typhusartigen Erscheinungen (haupt¬ 
sächlich bei Mannschaften, die vorher in 
Mazedonien waren), als malariaverdächtig 
zu betrachten. 

In jedem verdächtigen Falle ist sofort 
die Diagnose durch Untersuchung von 

a ) Wir haben bereits im Novemberhefte des 
vorigen Jahres ,,Richtlinien zur Malariabehand¬ 
lung“ veröffentlicht, welche vom Hamburger 
Tropen-Institut auf gestellt waren. Die neue Aus¬ 
gabe der Richtlinien, welche von den obersten 
Militär-Sanitätsbehörden zusammengestellt sind, 
bringt einige Modifikationen und mehrere wesent¬ 
liche neue Zusätze, sodaß Kenntnisnahme und 
Befolgung allen Lesern zu empfehlen ist. Die 
Zusätze und Abänderungen gegen früher sind von 
uns durch Kursivdruck hervorgehoben. 


in Hamburg. 

Blutausstrichen durch darin erfahrene 
Ärzte zu stellen; es müssen stets zwei so¬ 
genannte ,,dicke Tropfenpräparate“ 1 ) und 
zwei dünne Ausstriche lufttrocken, nicht 
fixiert, eingesandt werden. 

Auch ohne das Ergebnis der stets vor¬ 
zunehmenden Blutuntersuchung abzu¬ 
warten, ist es angebracht, alle auch nur 
im geringsten malariaverdächtigen Fie¬ 
berfälle nach unten angegebenem Ver¬ 
fahren sofort mit Chinin zu behandeln. 
Setzt das Fieber nach fünftägiger rich¬ 
tiger Chininbehandlung nicht aus, so 
handelt es sich fast ausnahmslos nicht 
um Malaria. Zeigt sich seine Wirksam¬ 
keit durch völlige Entfieberung, so ist 
die Chininkur fortzusetzen. 

Je früher eine Malaria behandelt wird, 
desto günstiger ist die Aussicht auf Aus¬ 
bleiben von Rückfällen; da ferner bei 
frischen Fällen noch keine übertragbaren 
Geschlechtsformen im Blute kreisen, 
schränken wir durch rasche Behandlung 
auch die Weiterverbreitung ein. 


x ) Zwei bis drei mäßiggroße Blutstropfen auf 
dem Objektträger etwa in Pfenniggröße mit einer 
Nadel wenig verteilen und gut antrocknen lassen. 



310 Die Therapie der Gegenwart 1917. August 


Das wichtigste und erfolgreichste Heil¬ 
mittel der Malaria ist das Chinin. Seine 
geeignetsten Salze sind das Chininum 
hydrochloricum und das Chininum sulfu- 
ricum. Dihydrochininum hydrochloricum 
ist noch etwas wirksamer, dagegen sind 
Chininum tannicum und Euchinin weniger 
zuverlässig. 

Innerliche Anwendung des Chi¬ 
nin. In der Regel soll das Chinin inner¬ 
lich genommen werden, und zwar in einer 
Tagesmenge von' 1,2 g. Darüber hinaus¬ 
zugehen ist überflüssig und hat stärkere 
Nebenwirkungen zur Folge. Die Tages¬ 
menge wird zweckmäßig in Einzelgaben 
von viermal 0,3 g mit zweistündigen Ab¬ 
ständen gegeben (sogenanntes Nocht- 
sches Verfahren). Hierbei sind die Neben¬ 
erscheinungen geringer und die Resorp¬ 
tionsverhältnisse günstiger. Es kann 
jederzeit, ob Fieber besteht oder nicht, 
mit dieser Behandlung begonnen werden; 
es ist falsch, die fieberfreie Zeit erst abzu¬ 
warten. Die Tagesmenge von 1,2 g — 
verteilt , in Einzelgaben — wird täglich 
ohne Pause gegeben, solange noch Fieber 
auftritt, und nach dem letzten Fiebertage 
noch acht Tage lang. Es ist nach folgen¬ 
dem Muster (das nur ausnahmsweise ge¬ 
ändert zu werden braucht), stets die 
Nachbehandlung fortzusetzen, die in jedem 
Falle also wochenlang zu erfolgen hat; 
denn mit dem Verschwinden des Fiebers 
ist die Malaria — deren Erreger in den 
inneren Organen noch weiterleben — 
durchaus noch nicht geheilt. 

Muster der Malariabehandlung 
(nach Nocht). 

Täglich 1,2 g Chininum hydrochlori¬ 
cum bis zur Entfieberung und dann noch 
acht Tage lang, sodann: 
zwei Tage Pause, 
drei Chinintage (jedesmal 1,2 g), 
drei Tage Pause, 

zwei bis drei Chinintage (jedesmal 

1.2 g), 

vier Tage Pause, 

zwei bis drei Chinintage (jedesmal 

1.2 g), 

fünf Tage Pause, 
zwei Chinintage (jedesmal 1,2 g). 
fünf Tage Pause, 
zwei Chinintage /jedesmal 1,2 g) 
und so fort mit fünftägigen Zwischen¬ 
räumen noch -mindestens sechs Wochen 
lang jeden sechsten und siebenten Tag 
(das sind stets die zwei gleichen Wochen¬ 
tage, daher leicht zu merken) je 1,2 g 
Chinin. 


(Die Kalendertage werden für jeden 
Kranken gleich angesetzt und aufgezeich¬ 
net. Auch bei der Nachbehandlung ist 
die Verteilung auf vier Einzelgaben zweck¬ 
mäßig.) 

Beim Auftreten ungewöhnlich hart¬ 
näckiger Malariafälle haben sich (nach 
T e i ch m a n n) auch folgende Behandlungs¬ 
verfahren gut bewährt: 

a) für Leute , die an Chinin nicht ge¬ 
wöhnt sind: 

Hauptkur: 

erster bis dritter Tag je zweimal 0,6 =1,2 g 
vierter bis sechster Tag einmal 0,6 und 
einmal 0,9 g — j,5 g 

siebenter bis zehnter Tag je zweimal 0,9 g 
= i>8 g- 

Nachkur: L 

ein Tag Pause 
zwei Chinintage mit 1,8 g 
zwei Tage Pa%ise 
zwei Chinintage mit 2,5 g 
drei Tage Pause 
zwei Chinintage mit 1,2 g 
vier Tage Pause 
zwei Chinintage mit' 1,2 g 
fünf Tage Pause 
zwei Chinintage mit 1,2 g 
usw. sechs Wochen hindurch: 

b) für chiningewöhnte Leute (söge - 
nannte intermittierende Kur): 

zwei bis vier Wochen Pause je nach)dem 
geringeren oder größeren Grade der Chi¬ 
ningewöhnung, 

drei Chinintage mit 1,2 g 
drei Chinintage mit 2,5 g 
vier Chinintage mit 1,8 g 
sieben Tage Pause 
drei Chinintage mit 1,2 g 
drei Chinintage mit 2,5 g 
vier Chinintage mit 1,8 g. 

Dann unmittelbar anschließend Nach¬ 
kur wie unter a oder alsbald Übergang 
zur Verabreichung von 1,2 g an zwei auf¬ 
einanderfolgenden Tagen jeder Woche sechs 
bis acht Wochen hindurch. 

Die einzelnen Chiningaben von 0,6 oder 
0,9 g sollen bei diesem Behandlungsver¬ 
fahren in Zweistündigem A bsttmde möglichst 
auf nüchternen Magen , z. B. 7 und 9 Uhr 
früh , gegeben werden. 

, Bei der intermittierenden Kur ist eine 
Schädigung des Kranken durch die zwei- 
bis vierwöchige Chininpause nicht zu be¬ 
fürchten. Bei diesen Fällen mit ausge¬ 
sprochen chronischem Verlaufe treten Fie¬ 
beranfälle mir in größeren Zwischenräumen 
auf und sind meist auffallend leicht . Er¬ 
reichen sie wirklich einmal einen bedroh- 



311 


August Die Therapie der Gegenwart 1917. 


lieh erscheinenden Grad, so sind sie durch 
eine Einspritzung von 0,5 g Urethan- 
Chinin in die 'Bluthahn (siehe unten) zu 
unterdrücken. 

Die Einspritzung von Chinin in die 
Muskeln leistet hei schweren Fällen oft 
ausgezeichnete Dienste, namentlich hei Be¬ 
nommenheit des Kranken, oder wenn Chinin 
infolge häufigen Erbrechens nicht behalten 
wird, oder wenn seine Resorption durch 
den Magendarmkanal sonst in Frage ge¬ 
stellt ist. Man spritzt in solchen FäUen 
am besten Urethan-Chinin unverdünnt in 
nicht zu kleiner Einzelgabe (gewöhnlich 
1,0 g Chinin auf einmal) in die Gefäß- 
muskeln ein. Urethan-Chinin ist in zuge¬ 
schmolzenen Glasröhren zu 0,5 g Chininum 
hydrochloricum + 0,25 g Urethanum in 
keimfreier Lösung von 2.5 ccm in die plan¬ 
mäßige Sanitätsausrüstung des Feld- und 
Heimatsheeres aufgenommen. 

Wo es auf eine besonders schnelle Chi¬ 
ninwirkung ankommt, ist die Einspritzung 
in die Blutbahn vorzunehmen. Sie ist . 
namentlich angezeigt bei Tropenfieber mit 
stärkerer Beteiligung des Gehirns urid bei 
sehr hohem Fieber (41—42 °). Man 
spritze in diesen Fällen in die Vene 0,5 g 
Urethan-Chinin, verdünnt mit 10—20 ccm 
blutwarmer o,g%iger Kochsalzlösung, ein 
oder, wenn man gleichzeitig die Herzkraft 
heben will, 0,5 — 1,0 g Urethan-Chinin, 
verdünnt mit 100—200 ccm Kochsalzlösung. 
Die Gabe von 0 , 5 -— 1,0 g Urethan-Chinin 
genügt oft zur augenblicklichen günstigen 
Beeinflussung der Krankheit, ist aber bei 
ausbleibender Besserung zu wiederholen. 
Nach dem Auf hören der Lebensgefahr greift 
die gewöhnliche Chininbehandlung Platz. 

Salvarsan und Neosalvarsan sind bei 
zweimaliger intravenöser Einspritzung von 
0,3 g in die Vene bei Tertianfieber von 
guter Wirkung. Da sie jedoch keine Dauer¬ 
wirkung auf die Malariaerreger ausüben, 
ist zwecks Vermeidung von Rückfällen in 
jedem Falle eine Nachbehandlung mit 
Chinin anzuschließen. Mehrmalige Ein¬ 
spritzungen . von Salvarsan oder Neosal¬ 
varsan sind im allgemeinen ohne besonderen 
Vorteil. Arsalyt wirkt ebenso wie Sal¬ 
varsan. Es wird in Gaben von 0,3 g in die 
Vene eingespritzt. Die Einspritzung kann 
nach mindestens zehntägiger Pause wieder¬ 
holt werden. (Für Arsalyt Beschaffungs¬ 
antrag wie für außerplanmäßige Mittel 
vor geschrieben.) 

Arsenmittel (. Liq. Kalii arsenicosi, Ar¬ 
senpillen, arsenhaltige Wasser) sind bei 
der Nachbehandlung der Malaria zur An¬ 
regung der Blutbildung bei Malariaanämie 


sehr wertvoll und werden in der gleichen 
Form und Menge verabfolgt , wie bei an¬ 
deren Formen von Blutarmut. A.uf die 
Malariaerreger haben diese Arsenmittel 
keine Wirkung. 

Optochin soll bei Malaria nicht ange¬ 
wendet werden, weil es unter Umständen 
schwere Augenschädigungen hervor ruft. 

Malariakranke müssen in den Lazaret¬ 
ten so lange behandelt werden, bis sie bei 
mindestens zwei- bis dreimaliger Unter¬ 
suchung frei von den Erregern sind. Dies 
ist gewöhnlich zwei bis vier Wochen nach 
dem V er schwinden des Fiebers der Fall. 
Die bei jedem Malariakrankeh unbedingt 
notwendige acht- bis zwölfwöchige Nach¬ 
behandlung kann, wenn die äußeren Um - 
stände es ermöglichen, bei der Truppe 
durchgeführt werden unter Schonung der 
Leute an den Chinintagen. 

Der Truppenteil ist jedesmal von der 
Notwendigkeit der Nachkur unter Abgabe 
des Chininkalenders für den Betreffenden 
zu unterrichten. - Die Truppenärzte haben 
darauf zu achten, daß die Kur unbedingt 
ausgeführt wird, sonst sind Rückfälle (oft 
auch bei nur einmaliger Unterbrechung) 
unvermeidlich. 

Die Chinintabletten sind von Zeit zu 
Zeit auf ihre Zerfallbarkeit durch Ein¬ 
werfen in lauwarmes Wasser, in dem sie 
in längstens fünf Minuten zerfallen müs¬ 
sen, zu prüfen. 

Jeder Malariarückfall ist genau wie 
ein frischer Fall in obiger Weise zu be¬ 
handeln. 

Überstandene Malaria schützt nicht 
vor Neuansteckung, sodaß beim Ver¬ 
bleiben in der Malariagegend gegebenen¬ 
falls nach Abschluß- der Behandlung die 
vorbeugende Kur in angeordneter Weise 
angeschlossen werden muß. 

Ein Verlegen von Malariakranken in 
Seuchenlazarette ist nicht immer nötig. 
Die Übertragung der Krankheitserreger 
erfolgt nur durch besondere Stechmücken 
(Anopheliden); der frisch Erkrankte ist 
nicht infektiös für Mücken, weil in seinem 
Blute noch die Geschlechtsformen der 
Malariaerreger fehlen. 

II. Malariavorbeugung. 

Die Entwickelung der im Blute des 
Menschen kreisenden Malariaparasiten 
wird durch Chinin verhindert beziehungs¬ 
weise beeinträchtigt. Es hat sich daher 
seit vielen Jahren in Malariagegenden be¬ 
währt, neben dem Schutze gegen die 
malariaübertragenden Stechmücken (An¬ 
opheliden), durch dauernde Chininein- 


312 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


August 


nähme den Ausbruch der Malaria zu ver¬ 
hindern. 

Die Verfahren der Chinineinnahme, 
die hierfür empfohlen werden, sind ver¬ 
schieden; alle haben aber folgende wich¬ 
tige Gesichtspunkte zu berücksichtigen: 

1. Die eingenommenen Chininmengen 
dürfen nicht zu gering sein. 

2. Die Pausen zwischen der Einnahme 
dürfen nicht zu lang sein. 

3. Die Art der Einnahme darf die 
Dienstfähigkeit nicht beeinträchtigen. 

4. Unterbrechungen der regelmäßigen 
Vorbeugungskur (durch Vergessen oder 
Chininmangel) dürfen nicht Vorkommen. 

5. Das Chinin zu vorbeugenden 
Zwecken muß auch noch mindestens 
acht Wochen lang nach Verlassen der 
Malariagegend genommen werden. 

Die Erfahrung hat gezeigt, daß län¬ 
gere Zwischenpausen als sechs Tage zwi¬ 
schen den Chinintagen nicht ratsam sind; 
z. B. ein Chinintag mit neuntägigen 
Pausen ist ungenügend. 

Von den verschiedenen Methoden seien 
folgende genannt: 

1. Jeden sechsten und siebenten Tag.— 
also genau wie bei der Malarianachbehand¬ 
lung an zwei aufeinanderfolgenden gleich¬ 
namigen Wochentagen — wird je 1 bis 
1,2 g Chininum hydrochloricum, zweck¬ 
mäßigerweise in vier Einzelgaben von 
0,25 oder 0,3 g mit zweistündigen Zwi¬ 
schenpausen eingenommen. 

2. Jeden vierten und fünften Tag wird 
je 0,5 bis 0,6 g Chinin genommen. 

3. Jeden vierten Tag wird 1—1,2 g 
Chinin (viermal 0,25—0,3 g) genommen. 

4. Jeden Tag werden 0,3 g Chinin ge¬ 
nommen. 

Welche dieser Methoden anzuwenden 
ist, kann in der Regel nur ein in der Ma¬ 
lariapathologie erfahrener Arzt für die 
betreffende Gegend bestimmen. Es wird 
dringend gewarnt, weniger Chinin nach 
eigenem Ermessen, besonders in größeren 
Pausen zu geben, etwa weil auch dabei 
kein Fieber beobachtet wird. Die Malaria¬ 
infektion braucht sich klinisch zunächst 
nicht als Fieber zu zeigen, aber ungenü¬ 
gendes oder unregelmäßiges Chininnehmen 
schafft latente Infektionen, die bei Er¬ 
kältungen (Übertritt in kühlere Gegen¬ 
den), Magendarmstörungen, Anstren¬ 
gungen oft erst nach längerer Zeit klinisch 
deutlich in Erscheinung treten und viel 
hartnäckiger der Behandlung .gegenüber 
sind als frische Fälle. 


Als ausreichend und für das Feldheer 
besonders empfehlenswert ist im allge¬ 
meinen das Cellische Verfahren des Chinin¬ 
schutzes zu bezeichnen , bei dem täglich 0,3 g 
Chinin gegeben wird. Nur in besonders 
gefährdeten Gegenden empfiehlt es sich , 
nach je drei Tagen , an denen 0,3 g Chinin 
verabreicht wird , jedesmal ' einen Tag mit 
0,9 g Chinin einzuschieben („Verstärkter 
Chininschutz 11 ). Am zweckmäßigsten wird 
das Chinin abends gereicht. Diese Art des 
Chininschutzes kann ohne Schädigung der 
Gesundheit sechs Monate lang ununter¬ 
brochen durchgeführt werden. Die Ent¬ 
stehung von Chininfestigkeit der Malaria¬ 
parasiten ist dabei nicht zu befürchten . 

Sehr wichtig und für den Erfolg des 
Chininschutzes ausschlaggebend ist die gute 
Beschaffenheit des Chinins. )Die leichte 
Zerfallbarkeit der ‘verabfolgten Chinin¬ 
tabletten muß regelmäßig geprüft werden. 
Um die Lösung der Tabletten im Magen 
zu beschleunigen , ist die gleichzeitige Gabe 
von Salzsäurelösung empfehlenswert. 

Malariaschutz wird nur durch ord¬ 
nungsgemäß und lückenlos durchge¬ 
führtes Chininnehmen gewährleistet. Die 
Mannschaften müssen das Mittel unter 
strenger Aufsicht einnehmen. Nötigen¬ 
falls ist die Mitwirkung der militärischen 
Vorgesetzten zu veranlassen. 

Mit allem Nachdrucke ist darauf hin¬ 
zuwirken, daß der Chininschutz nicht 
früher ausgesetzt wird, als bis acht Wochen 
nach dem Verlassen der Malariagegend 
verflossen sind. Vorzeitiges Aussetzen 
hat z. B. bei Urlaubern aus Mazedonien 
schon mehrfach zu schweren Erkrankun¬ 
gen und Todesfällen in der Heimat geführt. 

Ausnahmsweise können trotz regel¬ 
mäßig und vorschriftsmäßig durchge¬ 
führten Chininschutzes Fieber auftreten, 
sie verlaufen dann jedoch erfahrungs¬ 
gemäß milder als bei Personen, die nicht 
unter Chininschutz standen. 

Neben der vorbeugenden Chininanwen¬ 
dung kann bei der Verhütung der Malaria 
der persönliche Mückenschutz durch Tragen 
vbn Handschuhen und Mückenschleiern , 
Anbringung von Mückennetzen über den 
Lager stellen und mückensicheren Abschluß 
der Fenster- und Türöffnungen in ’ den 
Unterkunftsräumen sowie die Bekämpfung 
der Mücken und ihrer Brut (Gelände¬ 
assanierung) wertvolle Dienste leisten. 
Whm es die äußeren Verhältnisse gestatten , 
sind auch diese Maßnahmen nach Weisung 
der Hygieniker durchzuführen. 


Für die Redaktion verantwortlich Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemp erer in Berlin. Verlag von Urban & Schwarzenberg 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., in Berlin W8. 



JAN 21 


192 



Die Therapie der Gegenwart 


58. Jahrgang 

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herausgegeben von 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 

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Verlag von URBAN & SCHWARZENBERG in Berlin N 24 und WienI 


9. Heft 

September 1917 


Die Therapie der Gegenwart erscheint zu Anfang jedes Monats. Abonnementspreis für den 
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Inhaltsverzeichnis umstehend! 


































Die Therapie der Gegenwart 

1917 herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 


Nachdruck verboten. 
Aus dem städtischen Krankenhause Moabit in Berlin. 

Bemerkungen zur Diagnose und Therapie der infektiösen 

Darmerkrankungen. 

Von G. Klemperer und L. Dünner. 


Anläßlich des gehäuften Auftretens in¬ 
fektiöser Darmerkrankungen sind dem Her¬ 
ausgeber dieser Zeitschrift aus dem Leser¬ 
kreise zahlreiche Anfragen zugegangen, die 
wir auf Grund der eigenen Beobachtungen 
in folgendem kurz beantworten wollen. 
Dabei möge die aphoristische Form der 
Darstellung durch die Arbeitsüberhäufung 
der Hospitalärzte entschuldigt werden. 

1.Ab grenz ungderRuhrvonnicht- 
:specifischer Enteritis. Viele Anfragen 
beziehen sich auf die Schwierigkeit, Ruhr 
(Dysenterie) vom einfachen akuten Darm¬ 
katarrh (Enteritis) zu unterscheiden. Es ist 
bekannt, daß die Ruhr, das heißt die nekro¬ 
tisch-diphtherische Dickdarmentzündung, 
nicht immer mit schleimig-blutigen Diar¬ 
rhöen undTenesmen verläuft, sondern daß 
:sie in ihrer milden Form auch ohne blutige 
Entleerungen und ohne Tenesmen ver¬ 
laufen kann. Ebenso bekannt ist, daß 
es auch ohne Nekrosen und Geschwürs¬ 
bildung im Dickdarm zu schleimig-blutigen 
Diarrhöen und Tenesmen, das heißt zum 
klinischen Bilde der Ruhr kommen kann. 
Dies Verhältnis ist für die praktischen 
Ärzte sehr schwierig; nicht sowohl in Be¬ 
ziehung auf die Behandlung, die sich ja 
stets von den klinischen Zeichen leiten 
läßt, als vielmehr in öffentlich-rechtlicher 
Beziehung. Es ist eben die Frage, welche 
Fälle man als Ruhr melden und absondern 
soll? Ist diese Frage, die durch die kli¬ 
nischen Beobachtungen nicht in allen 
Fällen zu entscheiden ist, durch bakterio¬ 
logische beziehungsweise serologische Hilfe 
sicher zu beantworten? 

Hierüber wollen wir unser Beob- 
achtungsmaterial sprechen lassen. 

Im Krankenhaus Moabit wurden vom 
1. Juni bis 15. August 1917 448 Fälle von 
diarrhoischen Darmerkrankungen aufge¬ 
nommen. Nach den klinischen Beobach¬ 
tungen wurden 122 Fälle als Ruhr dia¬ 
gnostiziert, 326 Fälle als nicht-specifische 
akute Enterocolitis. 

Zuerst wollen wir über die anatomische 
Kontrolle der klinischen Diagnose berichten. 
Von der Gesamtzahl der 448 Darmerkran¬ 
kungen sind 59 Fälle gestorben = 13,2°/o. 


Die relativ hohe Ziffer erklärt sich aus 
der relativ großen Zahl alter Patienten. 

Das Verhältnis der Mortalität zum 
Alter geht aus der folgenden tabellarischen 
Zusammenstellung hervor: 


Altersklasse 

Krankenzahl 

davon f 

% f 

70—80 

38 

18 

47,4 

60—70 

38 

16 

42,1 

50—60 

40 

5 

12,5 

40—50 

41 

6 

14,6 

30—40 

59 

1 

1,7 

20—30 

85 

0 

0 

10—20 

66 

3 

4,5 

0—10 

81 

10 

12,2 


Die Zusammenstellung zeigt in klarer 
Weise, wie sehr die Prognose der infek¬ 
tiösen Darmerkrankungen vom Lebens¬ 
alter abhängig sind. 

Zur Obduktion gelangt sind 35 Fälle; 
aus äußeren Gründen konnten nicht alle 
Todesfälle zur Obduktion gebracht werden; 
dieselbe wurde bei den ältesten Patienten 
unterlassen. 

Von den 35 obduzierten Fällen (Ge¬ 
heimrat Benda) erwiesen sich 11 als Fehl¬ 
diagnosen. 5 Fälle, in denen auf Grund 
der klinischen Erscheinungen Ruhr dia¬ 
gnostiziert war, erwiesen sich als Enteritis; 
6 Fälle, in denen die klinischen Erschei¬ 
nungen nur die Diagnose der infektiösen 
Darmentzündung erlaubten, erwiesen sich 
anatomisch als Ruhr. Hierzu treten noch 
6 Fälle andersartiger, richtig diagnosti¬ 
zierter, tödlicher Erkrankung (perniziöse 
Anämie, Darmtuberkulose, Darmcarcinom), 
bei welchen die Obduktion gewissermaßen 
als Nebenfund Dysenterie aufwies. 

Es ergibt sich also aus unseren Befunden 
eine neue Bestätigung des alten Befundes, 
daß die klinische Diagnose der Ruhr durch¬ 
aus nicht auf Sicherheit Anspruch machen 
darf, und daß einfache Darmentzündung 
ebensowohl unter ruhrartigen Erscheinun¬ 
gen verlaufen kann, wie echte Ruhr sich 
unter dem Bild akuten Darmkatarrhs 
verbirgt. 

In welchem Maße kann nun die bak¬ 
teriologische Untersuchung den Sach- 

40 




314 


Die Therapie, der Gegenwart 1917. 


September 


verhalt auf klären? Bekanntlich wissen wir 
jetzt, daß die epidemische Ruhr in unseren 
Breiten selten durch Amöben, meist von 
Bacillen,verursacht wird, von denen meh¬ 
rere untereinander verwandteTypen (Shiga- 
Kruse, Flexner, Y) bisher isoliert werden 
können. Aus den bisherigen Erfahrungen 
ist auch bekannt, daß die künstliche Rein¬ 
züchtung der Ruhrbacillen aus der Unzahl 
der Darmbakterien nicht leicht ist und 
daß sie nur bei frischem Material mit 
einiger Sicherheit gelingt. 

Leider hat die bakteriologische Hilfe bei 
unseren Fällen fast ganzversagt. Eswurden 
in 152Fällen (darunter 78 klinischen Ruhr¬ 
fällen) Stuhlkulturen angelegt. Ruhr¬ 
bacillen wurden nur fünfmal gefunden. 
Freilich konnten die Untersuchungen fast 
in keinem Falle gleich zu Anfang der Er¬ 
krankung angestellt werden, da die 
meisten Fälle erst am Ende der ersten 
Woche ins Hospital kamen. Übrigens 
wurden die Untersuchungen nach aner¬ 
kannten Methoden von sehr geschulten 
Kräften angestellt (Leitung Prof. Friede¬ 
mann). Es kamen nur uncharakteri¬ 
stische Coliarten zur Entwicklung. Man 
muß annehmen, daß die specifischen Ruhr¬ 
erreger von diesen im Dickdarm über¬ 
wuchert worden waren. Es muß dahin¬ 
gestellt bleiben, ob die bakteriologische 
Untersuchung bei frisch zur Untersuchung 
kommendem Material die Diagnose besser 
zu stützen vermag. Immerhin ist es sehr 
fraglich, ob die praktischen Ärzte sich in 
bezug auf die Meldung der Ruhrfälle irgend¬ 
wie auf die bakteriologische Stuhlunter¬ 
suchung stützen können. Als sicher darf 
man wohl aussprechen, daß es bei Ruhr¬ 
kranken keinen Zweck hat, in analoger 
Weise wie beim Typhus vor der Entlassung 
in besonderer Weise durch wiederholte 
Untersuchungen das Verschwinden der 
Ruhrbacillen aus den Stuhlgängen zu kon¬ 
statieren. 

Bessere Resultate haben die serologi¬ 
schen Untersuchungen, das heißt die Prü¬ 
fung des Blutserums der Kranken auf 
Agglutination von Ruhrbacillen nach Art 
der Widalreaktion des Typhus ergeben. 

Es wurden Agglutinationsversuche an 
44 Patienten vorgenommen, 15 davon 
betrafen Patienten mit einfach diarrhoi- 
schen Erscheinungen ohne Ruhrverdacht. 
Unter diesen war die Agglutination zwölf¬ 
mal negativ, dreimal positiv. Wir dürfen 
daraus schließen, daß. in diesen drei Fällen 
die specifische Infektion mit Ruhrbacillen 
nur zu relativ leichten anatomischen Ver¬ 
änderungen geführt hat, und sehen daraus 


eine weitere Bekräftigung der Tatsache, 
daß jeder einfache Darmkatarrh eine 
leichte Form von Ruhr darstellen kann. 

27 Agglutinationsversuche betrafen kli¬ 
nisch diagnostizierte Ruhr. Das Resultat 
war 16 mal positiv, 11 mal negativ. Wir 
dürfen die 16 positiven Resultate als Be¬ 
stätigung der klinischen Diagnose be¬ 
trachten. Die 11 . negativen Resultate 
bleiben in der Deutung zweifelhaft. Es 
mögen unter ihnen immerhin einige ge¬ 
wesen sein, in denen die klinische Dia¬ 
gnose nicht zutreffend war; es ist aber 
auch möglich, daß spätere Wiederholung 
des Agglutinationsversuchs zu positivem 
Resultat geführt hätte. Verwertbar ist das 
negative Resultat jedenfalls ebensowenig 
wie etwa der negative Ausfall der Widal- 
probe beim Typhus. c 

Wir dürfen aus unseren Beobachtungen 
zusammenfassend schließen, daß die Dia¬ 
gnose der Ruhr klinisch nur in den schweren 
Fällen mit annähernder Sicherheit zu stellen 
ist. Die bakteriologische Diagnose ist ganz 
unsicher, die serologische Untersuchung 
sichert die Diagnose in etwa 60 % der 
Fälle; der negativeAusfall der serologischen 
Untersuchung ist unverbindlich. Da das 
gehäufte Auftreten der Ruhr von einer 
starken Zunahme der einfachen infektiösen 
Darmerkrankungen begleitet ist 1 ), unter 
denen eine große Zahl leichter Ruhrfälle 
verborgen ist, so ist jede statistische Ab¬ 
grenzung der einzelnen Formen durchaus 
unsicher. 

2. Ursachen der Häufung der 
Darmerkrankungen. Hierüber hat 
unser Material keine entscheidenden Fest¬ 
stellungen ermöglicht. Die Meinung, daß 
es sich um Infektionen durch zurück¬ 
kehrende Feldsoldaten handelt, hat sich 
in den befragten Fällen nicht begründen 
lassen. Natürlich beweist die Aussage 
eines Patienten, daß er keine Berührung 
mit Soldaten gehabt habe, nichts gegen 
den Ursprung der Infektion vom Felde 
her; der Zusammenhang könnte ja ein 
indirekter sein. Sicher ist wohl, daß 
viele von der Front kommenden Soldaten 
Ruhrbacillenträger sind und die Infektion 
verbreiten können. Andererseits sind 
diese Verhältnisse im dritten Kriegsjahre 
kaum andere als im zweiten. Entschei¬ 
dend ist doch wohl die herabgesetzte 
Widerstandsfähigkeit des Magendarm- 
0 Es sei übrigens bei dieser Gelegenheit be¬ 
merkt, daß auch die typhösen Infektionen in 
zeitweiser Zunahme begriffen sind. Nachdem 
Typhuserkrankungen monatelang nur vereinzelt 
vorgekommen sind, haben wir zurzeit 21 Fälle 
im Krankenhaus. 


September Die Therapie der Gegenwart 1917. 315 


kanals bei einem großen Teil der Bevöl¬ 
kerung. 

Die besondere Häufung der nicht- 
specifischen Darmerkrankungen wird wohl 
zum großen Teil durch die abnorm hohe 
Temperatur des Juli erklärt; von unseren 
Fällen sind nur 47 vor dem 1 .Juli erkrankt. 
Diese zeitliche Häufung läßt wohl die 
ätiologische Bedeutung der Nahrungs¬ 
mittel zurücktreten. Wir möchten uns 
jedenfalls nicht den Autoren anschließen, 
welche die Beschaffenheit des Brotes be¬ 
sonders anschuldigen. In der überwiegen¬ 
den Mehrzahl wird das 95 e / 0 ig ausge¬ 
mahlene Brot vom Darm gut vertragen, 
wenngleich nicht geleugnet werden soll, 
daß es bei einer sehr kleinen Minderzahl 
zu erheblichen Reizerscheinungen führt. 
Wir haben uns aber in keinem Falle da¬ 
von überzeugen können, daß diese lokalen 
Magen- und Darmstörungen durch das 
Kriegsbrot direkt oder indirekt zur Ur¬ 
sache fieberhafter Diarrhöen geworden 
wären. Gelegentlich war der Genuß ver¬ 
dorbenen Brotes, welches aus muffigem 
Mehl oder mit schlechter Hefe hergestellt 
war, die direkte Ursache des akuten 
Magendarmkatarrhs. Daß die Häufung 
der infektiösen Darmkatarrhe nicht von 
der Ernährung und besonders nicht vom 
Brot abhängig war, scheint uns nament¬ 
lich aus dem gleichzeitig gehäuften Vor¬ 
kommen von Darmerkrankungen unter 
militärischen Verhältnissen hervorzu 
gehen. Es sind specifische wie nichtspecifi- 
sche Diarrhöen vielfach in Kasernen und 
Lazaretten beobachtet worden, in denen die 
Ernährung und insbesondere das Kommis¬ 
brot tadellos war. Für diese Infektionen 
können nur die Sommerhitze und direkte 
Kontagion vom Felde her verantwortlich 
gemacht werden. Die in diesem Sommer 
außerordentlich _ vermehrte Fliegen zahl 
mag an der Übertragung der Infektion 
einen nicht geringen Anteil haben. Zum 
Schluß sei noch besonders hervorgehoben, 
daß das Trinkwasser in keiner Weise an¬ 
geschuldigt werden kann. Explosives Auf¬ 
treten, wie es bei Trinkwasserepidemien 
die Regel ist, wurde nirgends beobachtet, 
Unsere Patienten kamen aus Familien, in 
denen zahlreiche Mitglieder von der Er¬ 
krankung verschont blieben. Abkochen 
des Trinkwassers brauchte also zur Ver¬ 
hütung der Ansteckung nicht empfohlen 
zu werden; es genügte persönliche Rein¬ 
lichkeit, insbesondere an den Händen. 

3. Erfahrungen mit der Rekto¬ 
skopie. Wir haben das rektoskopische 
Verfahren, bei einer großen Zahl geeignet 


erscheinender Fälle (im ganzen 50 mal) 
angewandt, hauptsächlich in der Hoffnung 
auf diese Weise in zweifelhaften Fällen 
zur sicheren Diagnose zu gelangen. Diese 
Hoffnung hat sich nicht bewährt; wir 
sahen sichere Dysenterien, bei denen wir 
keine nekrotischen beziehungsweise ge- 
schwürigen Veränderungen feststellen 
konnten. 

Wir nahmen davon Abstand, die Ruhr¬ 
kranken in den ersten Stadien zu rceto- 
skopieren, weil es, ganz abgesehen von der 
großen Belästigung für den ohnedies er¬ 
schöpften Patienten, nicht möglich ist, die 
Schleimhaut vollkommen abzuleuchten. 

Bei den Enterokolitiden findet sich 
nur leichte Entzündung der Mucosa. 
Bei den klinisch als Ruhr imponierenden 
Fällen sieht man, sobald die häufigen Ent¬ 
leerungen aufgehört haben, eine mehr oder 
weniger stark geschwollene Mucosa, die 
stellenweise mit Schleim bedeckt ist. Ge¬ 
schwüre finden sich in wechselnder 
Größe, sie sind nicht tiefgehend. Gelegent¬ 
lich kann man diphtherisch-nekrotische 
Partien einstellen, die man leicht mit 
Schleim verwechselt. Wenn man diese 
nekrotischen Beläge beseitigt, so entsteht 
eine Blutung, die bei Schleim, der auf 
der Mucosa liegt, natürlich nicht zustande 
kommt. Im allgemeinen heilen die Ulcera, 
wie uns fortlaufende Kontrolluntersuchun- 
gen zeigten,ziemlich schnell aus,wenigstens 
bei den Fällen, bei denen innerhalb kurzer 
Zeit die Entleerungen sich bessern. Man 
sieht zum Schluß kaum noch die. ver¬ 
narbten Stellen. Die Schleimhaut ist dann 
ziemlich trocken. Wir fanden aber auch 
bei Kranken, die sich vollkommen wohl 
fühlten, noch nach mehreren Wochen 
sichere Geschwüre. 

3. Zur Behandlung der infektiösen 
Darmerkrankungen. Es ist allgemein 
anerkannt, daß infektiöse Diarrhöen im; 
Anfang mit Abführmitteln zu behandeln 
sind. Am besten geschieht dies mit Rizi¬ 
nusöl. Da dies Medikament jetzt nicht 
in genügender Menge zur Verfügung ist 
haben wir in allen Fällen Calomel an-,; 
gewandt. Die theoretisch hiergegen ge¬ 
äußerten Bedenken haben sich als gegen-, 
standslos erwiesen; es ist niemals ein 
Schaden dadurch verursacht worden, ins¬ 
besondere wurden niemals Zeichen von 
Hg-Vergiftung, weder an der Mund- noch 
der Dickdarmschleimhaut, auch nicht an. 
den Nieren beobachtet. Wir haben frei¬ 
lich immer relativ große Dosen angewandt, 
bei Erwachsenen gewöhnlich zweimal 0,3 g 
in halbstündlichen Zwischenräumen. Trat 


40* 



316 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


September 


nach sechs bis acht Stunden keine Ent¬ 
leerung ein, was nur sehr selten der 
Fall war, so wurde ein • gehäufter 
Teelöffel Karlsbader Salz in Wasser 
gelöst gegeben. Auf die Darmreini¬ 
gung durch Calomel haben wir in 
keinem Falle verzichtet; war der Brechreiz 
im Anfang zu groß, so wurde bis zu 
dessen Nachlassen, gewöhnlich 24 Stunden, 
gewartet, und dann noch Calomel gereicht 
Auch in den schwersten Ruhrfällen erwies 
sich das Mittel als nützlich. 

Es ist in letzter Zeit mehrfach betont 
worden, daß bei der Ruhr trotz der starken 
Dickdarmreizungder Dünndarm mit großen 
Inhaltsmengen gefüllt ist; von Zülzer ist 
deswegen die Injektion von Hormonal emp¬ 
fohlen worden; hiervon haben wir keinen 
Gebrauch gemacht. Dagegen wurde im Ver¬ 
lauf der Ruhr mehrfach Solutio Atropini 
0,01 : 10,0 ein- bis zweimal täglich zu 10 
bis 20 Tropfen angewandt, zur Lösung 
des spastischen Dünndarmverschlusses und 
zur Linderung der Bauchschmerzen. 

Bei den klinisch nicht als Ruhr impo¬ 
nierenden Fällen von akuter Enterocolitis 
war mit der Calomeldarreichung die medi¬ 
kamentöse Therapie meist beendet; es ge¬ 
nügte dann der warme Leibumschlag und 
die Verordnung der üblichen Diät, um 
den Darm zu beruhigen. Nur bei ganz 
erschöpfenden Diarrhöen wurden 10 bis 
15 Tropfen Tinctura Opii, besonders zur 
Nacht gegeben. Dagegen wurde von der 
Opiummedikation bei ruhrartigen Sym¬ 
ptomen,insbesondere beiTenesmus und Leib¬ 
schmerzen, ziemlich ausgiebiger Gebrauch 
gemacht; es ist eine große Härte, aus irgend¬ 
welcher theoretischen Begründung den 
schwer geprüften Patienten diese Wohltat 
entziehen zu wollen. Wir gaben zur Nacht 
gewöhnlich 20Tropfen,tagsüber nach Bedarf 
je lOTropfen. Bei heftigen Tenesmen waren 
Suppositorien von Extractum Opii mit Ex- 
tractum Belladonnae (ää 0,03) sehr nützlich. 
Ersatzmittel für Opium, insbesondere Pan- 
topon, sind überflüssig. Bei sehr großer 
Unruhe wurden in einzelnen Fällen Mor¬ 
phiuminjektionen gegeben. 

Zur Beeinflussung des Krankheits¬ 
prozesses haben wir reichlich Gebrauch 
gemacht von Bolus alba und von Tier¬ 
kohle; es wurde gewöhnlich vormittags und 
nachmittags je ein Eßlöffel des Pulvers in 
Tee gut umgerührt gegeben. Der Zweck 
der Darreichung ist bekanntlich die Ent¬ 
giftung durch Adsorption der Toxine, da¬ 
neben auch die örtliche Beeinflussung 
der Geschwürsfläche, welche durch die 
eventuelle Pulverdecke zur Verschorfung 


beziehungsweise schnelleren Abheilung ge¬ 
bracht werden soll. Das Urteil über den 
Wert der Bolustherapie bei Ruhr ist außer¬ 
ordentlich schwierig. Sicherlich ist diese 
Behandlung bei ordentlicher Anwendung 
unschädlich. Die meisten Patienten nehmen 
sie ohne Widerrede; gelegentlich freilich 
wird sie wegen des schweren Schluckens zu¬ 
rückgewiesen; dabei ist zu bedenken, daß 
Ruhrkranke nicht selten Ulcerationen und 
Beläge am Gaumen bekommen, die ihnen 
jedes Schlucken erschweren. Man sollte 
auch nicht mehr als einen Eßlöffel des 
Boluspulvers auf einmal geben; zu dicke 
Aufschwemmungen lassen sich nicht leicht 
herunterbringen. Unangenehme Neben¬ 
wirkungen sind bei der Anwendung selten. 
Es kommt freilich vor, daß der Bolus sich 
mit dem Darminhalt zu harten Knollen 
zusammenbackt und bei der Entleerung 
große Schwierigkeiten und Schmerzen 
macht, zu deren Beseitigung man am 
besten laue Kamillenklistiere verabreicht. 
Übrigens haben wir in einzelnen Fällen 
bei solchen üblen Nebenwirkungen des 
Bolus mit großem Vorteil feinst gepul¬ 
vertes Aluminium (Escalin) verordnet; 
leider ist der Preis für ausgiebige Hospital¬ 
verwendung zu teuer. — Man sollte nun 
meinen, daß eine so vielfältige Anwendung 
der Bolustherapie, wie sie in diesem 
Sommer möglich war, ein sicheres Urteil 
über ihre kurative Wirksamkeit abzu¬ 
geben gestattete. Leider ist uns das nicht 
möglich. Wir haben zu viel Fälle 
schweren, durch Bolus ungemilderten 
Verlaufs gesehen, als daß wir eine hei¬ 
lende Wirkung anerkennen können; da¬ 
gegen darf man wohl sagen, daß in den 
mittleren und leichten Fällen die Entlee¬ 
rungen unter Bolusgebrauch sich allmäh¬ 
lich verminderten und reizloser wurden, 
sodaß die Meinung einer günstigen Beein¬ 
flussung nicht abzuweisen war. Wir haben 
aber oft neben Bolus von der alten Tannin¬ 
medikation Gebrauch gemacht, unter An¬ 
wendung von Tannigen, Tannalbin, Op- 
tannin (gerbsaurer Kalk), in einzelnen 
Fällen haben wir auch einfache JKalk- 
präparate (Calc. phosphor., Calc. carb. ü 20,0, 
Calc. lact. 10:200 eßlöffelweise) gegeben. 

Spülungen des Darms haben wir in 
den schwereren Fällen häufig angewandt, 
'gewöhnlich mit 500 ccm % % iger Tannin¬ 
lösung; wenn die Spülungen schmerzhaft 
waren, haben wir darauf verzichtet, öfters 
auch fünf bis zehn Tropfen Opium der 
Spülung zugesetzt. Bei reichlichen Blut¬ 
ausscheidungen wurde mit Zusatz von 
einigen Kubikzentimetern l%o Adrenalin 



9. Heft 


Therapie der. Gegenwart. Anzeigen. 


191? 



Uerjodin bei Syphilis. 


Internes Mittel, gut verträglich (keine 
Stomatitis). In Kombination mit In- 
jektionsbeliandlung (Neosalvarsan, Hg 
usw.) 

überraschende Erfolge. 

auch in sehr schweren Fallen. 
Dosis: Täglich 3mal 1—4 Tabletten. 


Auch 


bei Graviden 

in den letzten Monate?*, 


Phthisikern und Kindern 

anwendbar. 

P 

„Hg wird im richtigenVerhältnis zur 
eingeführten Menge ausgeschieden-.” 
(Münch, med. Woch. 1913, Nr. 11.> 
Fabrikpackung (50 Tabletten) zu den 
bisherigen Preisen in Apotheken auf 
ärztliche Verordnung e Th ältlich. 

Sonderschrift M und Versuchs¬ 
mengen den Herren Ärzten kosten¬ 
frei durch H. Trommsdorff, ehern. 
Fabrik, Aachen 53 ZJ. 


Bei 

Diphtherie 

„Sozojodol“=Natrium 

(mit Flor. sulf. ääj 

mittels Pulverbläsers 3—4 stündlich 
einblasen. 

„Soviel steht fest, daß alle Kol¬ 
legen, die diese Behandlungsmethode 
übten, mit mir übereinstimmen, daß 
.die durch diese erreichte Her¬ 
absetzung der Mortalität bei weitem 
alle anderen Behandlungsmethoden 
übertrifft.“ 

„Ebenso erklärlich wird die Tat¬ 
sache, daß Kinder, welche das Kran¬ 
kenzimmer teilen und prophylaktisch 
mit Einblasungen von „Sozojodol"- 
Natrium behandelt werden, an Diplir 
therie nicht erkranken. 

(Wiener Klin. Wochenschrift Nr. 43.) 

Sonderschrift D und Versuchsmengen den Herren Ärzten kostenfrei durch 
H. Trommsdorff, ehern. Fabrik, Aachen 53 J. 



11 









Therapie der Oegetlwaft. Anzeigen. 





Jodvasogen 


Camph.-Chlorof.- Ichthyol-, Thigenol-, Menthol-, 
Salicyl-, Teer-, Jodoform-, Zink-, Hg.- usw. Vasogen 

Hervorragende Tiefenwirkung. Nicht reizend 

Wegen Nachahmungen verordne man stets 
ausdrücklich in Originalpackung 
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Kuren, Alveolarpyorrhoe und bei foetor ex 
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Proben und Literatur von 

PEARSON & Co., A.-G., Schiffbek b. Hamburg 


12 




September 


317 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


gespült, in einzelnen Fällen 5%ige warme 
Gelatinelösung angewandt, wovon aber 
wesentlicher Nutzen nicht erreicht wurde. 

In bezug auf die Diät sind wir von 
den üblichen Grundsätzen nicht abge¬ 
wichen, indem wir uns in den ersten 
stürmischen Tagen auf Tee mit wenig 
Kognak, verdünnten Rotwein, Schleim¬ 
suppen beschränkten, bei erwachendem 
Appetit Zwieback, Cakes, Kartoffelpüree, 
weichgekochten Reis erlaubten. Milch 
wurde vorsichtig ausprobiert, meist gut 
vertragen, eventuell mit Kalkwasser ge¬ 
mischt, bei geschwächten Patienten bald 
reichlich gegeben. In den Fällen, die zu 
chronischem Verlauf neigten, wurde die 
Ernährung möglichst reichlich gestaltet 
und also weiche Eier, Weißbrot mit Butter, 
zarte Fleischspeisen nach Möglichkeit- ge¬ 
geben. Erst nach abgeschlossener Rekon¬ 
valeszenz, gewissermaßen als Probe auf 
die endgültig erreichte Heilung wurde 
grobes Brot versuchsweise gestattet. 

Die größte Bedeutung bei der Behand¬ 
lung der Darmentzündungen wie der Ruhr- 
kommt der Wartung und Pflege der Kran¬ 


ken zu. Es gilt ihre Kräfte möglichst zu 
schonen bei der häufigen Benutzung des 
Beckens, sie sorgsam zu heben beziehungs¬ 
weise zu lagern, unnützes Aufrichten zu 
vermeiden, sie möglichst sauber zu halten 
und sie dabei vorsichtig zu nähren., 

Man darf wohl sagen, daß das Schick¬ 
sal mancher Ruhrkranken nicht zum min¬ 
desten von der Art der Pflege abhängig 
ist. Die wirkliche Hingabe, die viele unserer 
Schwestern in schwersten Tagen bewiesen 
haben, verdient ausdrückliche Anerken¬ 
nung. Zum Schluß wollen wir der Beauf¬ 
sichtigung der Rekon valescenz ge¬ 
denken, die bei der Ruhr die gleiche Be¬ 
achtung verdient wie bei den schwersten 
Infektionskrankheiten. Auch nach an¬ 
scheinend leichteren Ruhranfällen bleibt 
oft erhebliche allgemeine Schwäche, beson¬ 
ders aber solche des Herzens zurück; die 
alte Leistungsfähigkeit kommt erst nach 
relativ sehr langer Ruhezeit wieder. Große 
Schonung verlangt auch der Verdauungs¬ 
apparat, da die Neigung zu örtlichen 
Rezidiven noch lange nach der Heilung 
bestehen bleibt. 


Die Suggestionstherapie der funktionellen Neurosen 

im Feldlazarett. 

Von Dr. Manfred Goldstein, Assistent der Universitäts-Nervenklinik Halle (Saale), 
z. Z. als Oberarzt d. Res. im Felde. 


Während auf der Kriegsneurologen¬ 
tagung zu München im Herbste 1916 die 
Auseinandersetzungen über die Frage, wie 
weit die unter der Bezeichnung Kriegs¬ 
neurosen zusammengefaßten Krankheits¬ 
bilder organisch oder funktionell bedingt 
seien, keine volle Klärung bringen konn¬ 
ten, war man sich doch einig darüber, daß 
die Möglichkeit ihrer therapeutischen Be¬ 
einflussung im allgemeinen dicht hinter 
der Front wesentlich besser sei als in der 
Heimat. Hier pflegen diese Neurosen 
auch häufig in Erscheinungen auszuarten, 
wie man sie im Operationsgebiete nur 
selten zu sehen bekommt. 

Nicht alle Fälle, die zurzeit als funk¬ 
tionell angesehen zu werden pflegen, 
brauchen frei von organischen Verände¬ 
rungen zu sein, weil wir diese mit unseren 
Hilfsmitteln nicht nachzuweisen ver¬ 
mögen. Können doch bekanntlich manche 
organischen Schäden des Gehirns und 
des Rückenmarks mit der Zeit wieder 
ausgeglichen werden. Weil nun derartige 
Kranke nur selten zur Obduktion kom¬ 
men, kann die dadurch mögliche Förde¬ 
rung der Diagnostik nur gering sein. Ganz 
besonderes Interesse verdient deshalb ein 


kürzlich von Anton erwähnter Fall, der 
zeigt, daß emotionelle Einwirkungen or¬ 
ganische Folgen mit sich bringen können. 

Ein von lautem- Feuerlärm überraschter Mann 
bekam eine Schreckneurosc mit allgemeinem 
Zittern, die als hysterisch angesehen wurde; die 
spätere Obduktion deckte ein Hämatom an der 
Oberfläche der Centralwindungen auf. 

Ähnliche Prozesse werden bei den 
Kriegsteilnehmern öfter den unter dem 
Bilde von funktionellen Leiden verlaufen¬ 
den Krankheiten zugrunde liegen können 
und deshalb muß man sich natürlich hüten, 
neben den vorherrschenden funktionellen 
Erscheinungen die organischen Symptome 
zu übersehen. 

Darüber dürfte wohl kein Zweifel be¬ 
stehen, daß die schweren Insulte des 
jetzigen Stellungskampfs mit den ge¬ 
waltigen Sprengwirkungen der gro߬ 
kalibrigen Geschosse sowie der Minen, mit 
den häufigen Verschüttungen und mit 
den Einwirkungen giftiger Gase mehr als 
einen ,flüchtigen Eindruck“, me Oppen¬ 
heim sagt, hervorrufen und tiefgreifende 
Störungen am Nervensystem bedingen 
können. So sind von den funktionellen 
Erkrankungen die postcommotionellen 
psychischen und nervösen Krankheits- 



318 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


September 


" bilder abzutrennen. Übrigens pflegen die 
Commotionneurosen nach meinen Be¬ 
obachtungen in den ersten Wochen trotz 
Bettruhe fast immer mit Temperatur¬ 
steigerungen einherzugehen (vielleicht 
Schädigungen der centralen Wärme- 
centren?). 

Sehen wir von diesen Fällen ab, suchen 
wir sie . nach allen Möglichkeiten auszu¬ 
schalten, so bleibt immer noch ein großes 
Gebiet von Neurosen, bei denen nach 
Wollenberg die mechanische Schädi¬ 
gung nur die untergeordnete Rolle eines 
örtlichen Reizes spielt, aus dem erst die 
Psyche etwas macht. Dabei muß man 
wohl annehmen, daß auch die funktio¬ 
nellen Bewegungsstörungen von physio¬ 
logischen Zustandsänderungen in der ner¬ 
vösen Substanz begleitet werden: wie jede 
Funktion des Nervensystems, sei sie nor¬ 
mal oder pathologisch, neurokyme Ver¬ 
änderungen im Gehirn auslöst. Diese 
sind dann aber sekundär, also durch 
psychische Einflüsse bedingt, und wer¬ 
den sich nach Beseitigung der Krankheits¬ 
zeichen allmählich wieder ausgleichen. 
Vielleicht bleibt dadurch aber der Boden 
für die Entstehung von Rezidiven, für 
das Auftreten neuer Innervationsentglei¬ 
sungen während einer gewissen Zeit auch 
ohne größere emotionelle Wirkung ge¬ 
ebnet. 

Wenn diese Motilitätsneurosen als 
klinisches Bild auch im Vergleiche zu den 
Beobachtungen im Frieden an und für 
sich nichts Neues bieten, so ist doch auf¬ 
fallend, daß viele der Erkrankten die 
hysterische oder eine psychopathische 
Veranlagung vermissen lassen. Für den 
oben erwähnten Gedanken, daß die Psyche 
erst etwas aus Reizen macht, sind noch 
folgende Punkte anzuführen: Da, wo 
frisches Vorwärtsdringen die Gedanken 
von der persönlichen Gefahr ablenkt und 
die Massensuggestion die individuelle psy¬ 
chische Verarbeitung ausschließt, sehen 
wir diese Krankheiten nur selten auf- 
treten; erst wenn im Stellungskriege 
das Verlangen nach Schutz und Deckung 
größer wird, steigert sich die Bereitschaft 
zur Neurose. Weiterhin ist hervorzu¬ 
heben, daß die Neurose sich nur selten 
an Verwundungen anschließt, daß die 
Neurotiker bei früheren Verletzungen oft 
frei von entsprechenden Störungen ge¬ 
blieben sind, dagegen in der Mehrzahl 
der Fälle sich anamnestisch eine Bewußt¬ 
sei n s t r ü b u n g findet. Aber selbst wenn 
diese nicht nachzuweisen ist, so ist zu be¬ 
rücksichtigen, daß lebhafte Artillerie- und 


Minenwerfertätigkeit, insbesondere Trom¬ 
melfeuer die Großhirntätigkeit stark be¬ 
einträchtigen kann, bei vielen Leuten 
einschläfernd zu wirken, ja direkt stupo- 
röse Zustände zu erzeugen vermag, ohne 
daß es zu Verschüttungen oder irgend¬ 
welchen Schädelverletzungen zu kommen 
braucht. 

Nun wissen wir, daß im ruhenden Ge¬ 
hirn infolge der Dissoziation der Gegen¬ 
vorstellungen ein ungewöhnlicher Ge¬ 
danke sich leichter Bahn brechen und Be¬ 
wegungen in seinem Sinne verursachen 
kann. So kann während der Erwartung 
eines Angriffs oder in diesem selbst beim 
Kämpfer eine solche Inanspruchnahme 
seines ganzen Fühlens und Denkens be¬ 
stehen, daß die assoziativen Reflexe fast 
als ausgeschaltet angesehen werden müs¬ 
sen und der im Unterbewußtsein mehr 
oder weniger stark vorhandene Wunsch, 
endlich einmal wieder Ruhe und Sicher¬ 
heit zu finden, durch ein affektbetontes 
Ereignis freie Bahn gewinnt und in die 
Körperlichkeit ausstrahlt. Diese ein¬ 
seitige Herabsetzung der psychischen 
Leistungsfähigkeit macht es auch erklär¬ 
lich, daß oft Leichtverwundete unter 
Außerachtlassung jeder Deckung dem 
Verbandplätze zustreben und dann in¬ 
folge der Nichtachtung der Gefahr auf 
dem Wege dorthin eine ernstere oder töd¬ 
liche Verwundung erhalten. 

Derartig starke Beeinflussungen der 
Hirndynamik können es uns deshalb ver¬ 
ständlich erscheinen lassen, daß nicht unbe¬ 
dingt eine minderwertige psychische Kon¬ 
stitution vorhanden sein muß, um psycho¬ 
gene Krankheitsbilder vom hysterischen 
Typus zu erzeugen. Bekanntlich haben 
früher schon Moebius und später Nissl 
die Meinung vertreten, daß bei jedem 
Menschen in Momenten höchster Erregung 
eine gewisse Bereitschaft zur Beeinflus¬ 
sung der bei hysterischen Vorgängen 
tätigen Mechanismen durch die Psyche 
vorhanden sei. Ich meine auch, daß die 
gewaltige Anspannung des Centralnerven¬ 
systems im Verein mit der psychischen 
Erschöpfung bei vollwertigen Indivi¬ 
duen eine dissoziative Schwäche erzeugen 
kann; diese bedingt dann eine krankhafte 
Autosuggestibilität und eine Neigung zu 
den verschiedensten Funktionsstörungen, 
vom einfachen Muskelkrampfe bis zur 
Geistesstörung. 

Auffallend häufig habe ich bei den 
direkt von .der Front in das Feldlazarett 
gebrachten Motilitätsneurosen eine all¬ 
gemeine psychische Veränderung mit dem 



September 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


319 


Charakter der traumhaften Benommen¬ 
heit, manchmal auch direkte hysterische 
Dämmerzustände beobachten können. Mit 
der Beseitigung der somatischen Störun¬ 
gen durch eine der suggestiv wirkenden 
Methoden, besonders aber bei Anwendung 
der Hypnose, wurde meistens gleichzeitig 
eine Umstimmung der Persönlichkeit, 
eine Befreiung von den psychischen Krank¬ 
heitserscheinungen, erzielt. 

Bedenkt man nun weiterhin, daß un¬ 
vergleichlich mehr Kämpfer von . den¬ 
selben affektbetonten Vorstellungen be¬ 
troffen werden als erkranken, und daß 
hysterische oder psychopathische Veran¬ 
lagung nicht immer den Boden für die 
Entstehung von Neurosen ebnen, so 
möchte ich darauf hinweisen, daß als 
Korrektor über dem Seelenleben das den 
ganzen Charakter bestimmende Wollen 
bei Anerkennung der monistischen Auf¬ 
fassung des freien Willens des Individu¬ 
ums steht. Und gerade der Besitz, be¬ 
ziehungsweise der Mangel der erforder¬ 
lichen Willensstärke scheint mir genetisch 
den ausschlaggebenden Faktor zu bilden. 

Da von militärischen Vorgesetzten 
eine besonders starke Willenskratf ver¬ 
langt und die Auslese danach gestaltet 
wird, so würde hierdurch auch eine Er¬ 
klärung gegeben sein für die Tatsache, 
auf die Curschmann schon früher auf¬ 
merksam gemacht hat, daß nicht be¬ 
lastete Offiziere und Offiziersaspiranten 
nur selten von derartigen plumpen funk¬ 
tioneilen Motilitätsstörungen befallen wer¬ 
den. Selbst bei gebildeten Soldaten oder 
Unteroffizieren habe ich die schweren 
Schüttei- und Reflexlähmungen nur in 
Ausnahmefällen zu sehen bekomme#; und 
dann war in der Regel die mangelhafte 
Anlage des Kranken offensichtlich. Die 
verschiedensten Formen der Neurasthe¬ 
nie, sei es mit Vorherrschen des kardio¬ 
vaskulären oder des intestinalen Sym- 
ptomenkomplexes, mit thyreotoxischen 
oder anderen Syndromen, sind dagegen 
auch nach meinen Beobachtungen viel 
gleichmäßiger verteilt. 

Welche Rolle das Willensmoment in 
der Genese spielt, sieht man ferner in dem 
Verhalten der im Operationsgebiete 
zurückgebliebenen französischen Zivil¬ 
bevölkerung. Früher habe ich als Trup¬ 
penarzt oft Gelegenheit zu der Beobach¬ 
tung gehabt, daß bei Beschießung der 
Ortschaften viele dieser Leute die Zeichen 
des „primären Innervationsshocks“ bie¬ 
ten, es aber bei ihnen, ebenso wie bei den 
Gefangenen, nicht zu einer Fixierung der 


Symptome kommt. Trotz aller Gefahren 
und Entbehrungen klebt der größte Teil 
dieser Bevölkerung stark an der Scholle 
und sucht auch bei Erkrankungen dem 
Abtransport in die Zivilhospitäler der 
Etappe zu entgehen. So bewahrt sie also 
der Wille zum Gesundbleiben, „das Ge¬ 
sundheitsgewissen“, vor der Neurose. 

Wenn derartige Erkrankungen bei den 
Truppenteilen auch nur vereinzelt auf- 
treten, sammelt sich in den Spezialabtei¬ 
lungen hinter der Front doch ein so be¬ 
trächtliches Material, daß man auch aus 
den Behandlungserfolgen bei diesen Pa¬ 
tienten zu Schlußfolgerungen auf die 
Pathogenese berechtigt sein dürfte. 

Ich habe die verschiedensten auf Sug¬ 
gestion beruhenden Methoden versucht 
und bin mit einer von ihnen oder mit 
Kombinationen derselben fast ausnahms¬ 
los zu dem gewünschten Ziele gekommen. 
Bei ihrer häufigen Anwendung dürfte 
wohl jeder, der die Fähigkeit und den 
Willen hat, sich in die Psyche dieser Kran¬ 
ken hineinzuleben, lernen, die geeignete 
herauszufinden. Wenn auch nicht die 
Methode, sondern der Arzt den Patienten 
von seinen krankhaften Symptomen be¬ 
freit, darf man bei ihrerWahl die Persönlich¬ 
keit des Kranken doch nicht vollkommen 
außer acht lassen, da die Reaktionsfähig¬ 
keit auf die einzelnen suggestiven Ver¬ 
fahren nach meinen Beobachtungen in¬ 
dividuell ganz verschieden sein kann. 

Es sei hier noch kurz erwähnt, daß 
die betreffenden Patienten von meh¬ 
reren Divisionen relativ schnell nach dem 
Ausbruch ihrer Erkrankung auf dem Wege 
über die Sanitätskompagnien in meine 
Behandlung gekommen sind. 

Bald nach den Veröffentlichungen von 
Nonne über seine glänzenden Erfolge mit 
der Hypnose habe auch ich sie recht 
häufig angewandt, und ich kann nur 
sagen, daß es ganz erstaunlich ist, was die 
hypnotische Suggestion in der Beseiti¬ 
gung von Tähmungs- und Zittererschei¬ 
nungen bei frisch erkrankten Kriegsteil¬ 
nehmern leistet. Ferner muß man sich 
immer wieder wundern, wie leicht es oft 
gelingt, diese Kranken in tiefen Schlaf zu 
versetzen, sei es mit einfacher Verbab 
Suggestion oder mit Hilfe einiger Kunst¬ 
griffe, wie des Schließungsreflexes vom 
Orbitalmuskel, der Braidschen Fixierung 
eines kleinen glänzenden Gegenstandes 
oder schließlich auch einfach auf Befehl. 
Zur Erläuterung seien einige der behan¬ 
delten Fälle kurz skizziert: 



320 


Die Therapie* der Gegenwart 1917. 


September 


1. Fall. Gefreiter B., kriegsfrei williger In¬ 
fanterist, 21 Jahre alter Handlungsgehilfe. 

Erblich nicht belastet, normale Entwicklung. 
Leichte Verwundung durch Schrapnellkugel, spä¬ 
ter Verletzung durch Bajonettstich im Nahkampfe. 
Nach Explosion einer Mine in seiner Nähe während 
eines Trommelfeuers verlor er das Bewußtsein, 
erwachte erst im Sanitätsunterstande wieder. — 
Bei der Aufnahme fand sich eine pseudo- 
spastische Schüttellähmung beider Arme; 
der Kopf wurde nach rechts gebeugt gehalten 
und führte einzelne klonische Zuckungen aus; 
ferner bestand eine Aphonie. Hypalgesie an 
Kopf und Armen. Zunge zittert beim Vor¬ 
strecken. Haut sehr feucht. Puls beschleunigt 
und gespannt. 

Zwei Tage nach der Aufnahme Einleitung der 
Behandlung mit Hypnose; es gelingt nur leichten 
Schlaf zu erzielen; die hyperkinetischen Er¬ 
scheinungen können aber wesentlich gebessert 
werden. Auch nach dem Erwachen-bleibt B. er¬ 
heblich ruhiger als zuvor. Am übernächsten 
Tage verfällt Patient auf Verbalsuggestion in 
tiefen Schlaf, verliert innerhalb von 20 Minuten 
seine Spasmen und Zuckungen und gewinnt seine 
Sprache zurück, die nach dem Erwachen noch 
etwas absetzend und zögernd bleibt. Deutliches 
Freudegefühl über die Heilung. Einleitung von 
Übungs- und Beschäftigungstherapie. Nach drei 
Wochen erfolgt Entlassung als Kompagnieschrei¬ 
ber. B. ist bisher frei von Rezidiven geblieben. 

2. Fall. Landwehrmann N., Minenwerfer, 
34 Jahre alter Konditor. 

Familienanamnese ohne Befund. Mit 28 Jahren 
Gelenkrheumatismus. Seit September 1914 im 
Felde. Im Februar 1915 Unterschenkelbruch 
durch Sturz in einen Granattrichter. Im August 
1916 Schrapnellverletzung am rechten Ellenbogen. 
Kam bald wieder an die Front. Während er in der 
Nacht Schnellfeuer abgeben mußte, sei eine Gra¬ 
nate in seiner nächsten Nähe geplatzt. Er habe 
sich vor Schreck nicht mehr auf den Beinen halten 
können, war nicht bewußtlos, wurde in den 
Unterstand getragen, wo er bald einschlief. Nach 
dem Erwachen habe er Zuckungen in den Armen 
gehabt und sei unfähig zum Gehen gewesen. 

Bei der Aufnahme zeigte N. grobe Muskel¬ 
zuckungen in beiden Schultergebieten, starke 
Schüttellähmung der Arme und Beine, 
Zuckungen in der Rumpfmuskulatur der¬ 
art, daß er im Bette manchmal emporschnellte, 
ferner Astasie und Abasie. — Ohrmuscheln 
mangelhaft konfiguriert. Conjunctival-, Gaumen- 
und Rachenreflexe negativ. — Auch nachts be¬ 
stand die Unruhe fort, konnte nur durch Scopol- 
amin-Morphiuminjektionen gemildert werden. 

Drei Tage nach Beginn des Leidens wurde in 
einer hypnotischen Sitzung von 15 Minuten Dauer 
eine wesentliche Besserung erzielt, in einer wei¬ 
teren Hypnose mit tiefem Schlafe (zehn Minuten 
lang) drei Tage später die motorische Unruhe ganz 
beseitigt. Nach fünftägiger Pause nochmalige 
tiefe Hypnose, in der die Astasie und Abasie ver¬ 
drängt wurden. Dann sechs Wochen lang Übungs¬ 
und Arbeitstherapie. Darauf wurde N. mit der 
Empfehlung, ihn in einer Bäckereikolonne zu 
beschäftigen, entlassen. 

3. Fall. Reservist D., Infanterist. 27 Jahre 
alter Kuhmelker. 

Keine erbliche Belastung. Er ist niemals 
ernstlich krank gewesen. Im Oktober 1914 Bein¬ 
schuß. Bei nächtlichem Postenstehen heftiges 
Erschrecken, seitdem Zucken am Kopf und 
Körper. 


Bei der Aufnahme finden sich Halsmuskel- 
krämpfe stärksten Grads mit dauerndem Nicken 
des Kopfes, Zuckungen in der Geskfhtsmuskulatur, 
ruckweises Heben der Schultern unter Mitbe¬ 
teiligung des Brustkorbs. Die motorische Un¬ 
ruhe ist zeitweise so stark, daß das Bett wackelt. 

Nach einwöchiger Behandlung mit Bettruhe, 
Brom und Wachsuggestion keine wesentliche 
Änderung. In tiefer Hypnose von 45 Minuten 
Dauer werden alle Zuckungen beseitigt; die 
Freude darüber ist sehr groß. Anschließend drei¬ 
wöchige Arbeitstherapie. Dann Entlassung zur 
Truppe. 

Zehn Wochen später kommt D. wieder in das- 
Feldlazarett mit der Angabe, er sei beim Ein¬ 
schlagen einer Granate umgefallen, bewußtlos 
geworden und habe seitdem wieder Zucken des 
Kopfes und der Schultern. Diesmal bestand 
zweifellos Simulation. Nach energischer Auf¬ 
forderung wurde er auch wieder ruhig und mit 
entsprechendem Bericht an den Truppenarzt 
zurückgeschickt. Seitdem tut er wieder monatelang 
unter schwierigen Verhältnissen Dienst. 

4. Fall. Infanterist K-, 24 Jahre alter 
Schlosser. 

Vorgeschichte ohne Besonderheiten bis auf 
eine Verschüttung mit längerer Bewußtlosigkeit 
im September 1915, war sechs Monate in der 
Heimat, kam dann wieder an die Front, war dann 
zehn Monate bei einer Feldeisenbahn tätig. Als 
diese, wie vorher schon oft, wieder einmal stark 
beschossen wurde, mußte er in einen Unterstand 
flüchten, dessen Eingang durch eine Granate 
verschüttet wurde. Er sei stark erschrocken, 
umgefallen, habe aber bald wieder aufstehen 
können, dann starkes Zucken und Kopfschmerzen 
gehabt; Erinnerungsvermögen für die anschlie¬ 
ßenden Stunden herabgesetzt. 

Infantiler Jüngling, der einen ängstlichen, 
schreckhaften, traumhaft verworrenen Eindruck 
macht. Klonische Zuckungen der Lippen- 
und Atemmuskulatur; die Lippen werden 
rüsselförmig vorgestülpt; die Luft wird dabei 
kräftig durch die Nase ausgestoßen. Er bietet 
in seinem ganzen Gebahren das Bild einer Tier¬ 
imitation. — Kopf asymetrisch, Ohren ab¬ 
stehend, Ohrläppchen angewachsen. Herztätig¬ 
keit stark beschleunigt. Mechanische Muskel- 
erregb#keit deutlich gesteigert. Dermographie +. 
An den Beinen Ichthyosis. Im Gesicht Analgesie, 
sonst allgemeine Hyperästhesie. 

Nach dreimaliger tiefer Hypnose am dritten, 
sechsten und zehnten Krankheitstage sind alle 
Symptome beseitigt; auch das psychische Ver¬ 
halten ist wieder normal geworden. Deutliches, 
Freudegefühl über die Heilung. Anschließend 
vierwöchige Beschäftigung entsprechend dem 
Berufe, dann als g. v. entlassen. 

Ich habe hier aus meinem Material 
vier Krankengeschichten mitgeteilt von 
Soldaten, clie schon lange im Felde ge¬ 
wesen, früher schon verwundet oder ver¬ 
schüttet worden sind, ohne daß sich bei 
ihnen ein neurotischer Symptomenkom- 
plex entwickelt hat. Dieser kommt erst 
zur Ausbildung im Anschluß an ein 
Schreck auslösendes Ereignis, dem fast 
immer aufregende Situationen voran¬ 
gehen und dem im allgemeinen kurze Be¬ 
wußtseinstrübungen zu folgen pflegen. 
Fall 2 zeigt ein etwas abweichendes Ver- 


September ' Die Therapie, der 


halten, da bei ihm zunächst nur die Bein- 
lährming und erst später beim Erwachen 
aus dem sich anschließenden Schlafe die 
motorische Unruhe aufgetreten zu sein 
scheint. Diese emotionellen Bewußtseins¬ 
verluste oder Schlafzustände verlaufen 
doch anders als die rein mechanisch durch 
eine eigentliche Commotio cerebri beding¬ 
ten, ebenso wie auch die nervösen Folge¬ 
zustände sich verschieden charakteri¬ 
sieren. Natürlich können dabei die schon 
erwähnten Überlagerungen Vorkommen; 
aber die eigentlichen organischen Commo- 
tions-und Kontusionserkrankungen 
habe ich doch fast nie von solchen groben 
funktionellen Motilitätsstörungen begleitet 
gesehen, wie sie z. B. die eben angeführten 
Fälle zeigen. 

Eine eigentliche hysterische Veran¬ 
lagung konnte bei ihnen nicht eruiert 
werden, -wenn auch teilweise Stigmata 
und degenerative Zeichen vorhanden 
waren. So fanden sich bei Fall 2 abnorme 
Konfiguration der Ohrmuscheln, bei Fall4 
ein Infantilismus und eine Ichthyosis an 
den Beinen. Alle vier Patienten zeigten 
hauptsächlich Bilder motorischer Reiz¬ 
erscheinungen in den verschiedensten 
Muskelgruppen, so pseudospastische 
Schüttellähmungen und Halsmuskel¬ 
krämpfe, teilweise kombiniert mit schlaf¬ 
fen Lähmungen. Gerade die hyperkine¬ 
tischen Neuroseformen, die verschieden¬ 
sten Formen des Zitterns, der Crampf und 
Tics eigneten sich besonders für die 
hypnotische Beeinflussung. 

Da die Fälle frisch von der Truppe 
kamen, ließ ich sie gewöhnlich erst einige 
Tage ruhig im Bette liegen und gab ihnen 
Brom zur Herabsetzung der Reflexerreg¬ 
barkeit. Nur wenn die Reizerscheinun¬ 
gen so groß waren, daß die Patienten keine 
Ruhe finden konnten, erhielten sie sub- 
cutan-Morphium; manchmal war auch 
dessen Kombination mit Scopolamin er¬ 
forderlich. Dann wurden sie nach kurzer 
Aufklärung und mit ihrer Einwilligung in 
einem Einzelzimmer in Gegenwart eines 
Sanitätsunteroffiziers hypnotisiert. Mei¬ 
stens genügten zwei bis drei Sitzungen in 
.Abständen von wenigen Tagen; einzelne 
restierende Symptome konnten gewöhn¬ 
lich mit anschließenden systematischen 
Übungen und Wachsuggestion bald ganz 
zum Verschwinden gebracht werden. Es 
war aber durchaus nicht immer die Er¬ 
reichung des somnambulen Grads der 
Hypnose erforderlich; oft reichte eine 
Somnolenz aus, in der die Kranken unter 
Aufbietung ihrer Energie noch Befehlen 


Gegenwart 1917. '321 


widerstehen konnten. — An die Psycho¬ 
therapie wurde dann nach kurzer Ruhe¬ 
zeit Beschäftigung in der Gärtnerei oder 
in den Handwerkstätten des Feldlazaretts, 
je nach dem Berufe des Kranken, an¬ 
geschlossen. 

Natürlich blieben Fehlschläge nicht 
aus; so war z. B. bei einem Soldaten mit 
-andauerndem Kopfnicken nicht die ge¬ 
ringste Beeinflussung möglich, obwohl 
er leicht in tiefste Hypnose mit voll¬ 
kommener Katalepsie und Analgesie zu 
bringen war. Ob die suggestive Behand¬ 
lung versagte öder doch eine organische 
Ätiologie diesen Halsmuskelkrämpfen zu¬ 
grunde lag, konnte ich nicht entscheiden. 

Auch der faradische Strom in Form 
einer eindrucksvollen Suggestion hat mir 
vielfach vortreffliche Dienste geleistet. 
Mit der Kaufmannschen Methode, 
die bekanntlich in der Benutzung von 
kräftigen Induktionsströmen zusammen 
mit autoritativer Wachsuggestion be¬ 
steht, habe ich besonders Erfolge bei 
funktionellen Sprach- und Gehörsstörun¬ 
gen, bei Lähmungen und Dysbasien ge¬ 
habt. Dagegen habe ich damit die ver¬ 
schiedenen Formen des Zitterns und 
Schütteins weniger günstig , als mit der 
Hypnose, oft gar nicht beeinflussen kön¬ 
nen. Sie verdient bei diesen Erkrankun¬ 
gen aber auch dann versucht zu werden, 
wenn es nicht gelingt, die Patienten in 
hypnotischen Schlaf zu bringen. Zur Er¬ 
läuterung möge folgender Krankenge¬ 
schichtenauszug dienen: 

5. Fall. Schlitze H., 20 Jahre alter Arbeiter. 

Seit einem Jahre Soldat, neun Monat an der 
Front; nie krank gewesen, einmal durch Gewehr¬ 
geschoß im Rücken leicht verwundet. Nach Ex¬ 
plosion einer schweren Mine in seiner Nähe, die 
ihn ein Stück fortschleuderte, trat ein Verwirrt¬ 
heitszustand mit Sprachverlust auf; er' wollte 
die feindlichen Maschinengewehrkugeln mit der 
Hand auffangen (Angaben des Truppenarztes). 

Bei der Einlieferung bietet er das Bild eines 
leichten Stupors, spricht gar nicht, kann auch 
die Lippen nicht bewegen. Wie aus schriftlichen 
Äußerungen einige Stunden später hervorgeht, 
ist er geordnet und orientiert, doch besteht 
Bewußseinsverlust für das Trauma und die 
direkt anschließenden Stunden. Conjunctival-, 
Corneal-, Gaumen- und Rachenreflex negativ. 
Zunge zittert beim Vorstrecken, ist analgetisch, 
während Berührungs- und Wärmeempfindungen 
richtig angegeben werden. Beim Phonations¬ 
versuche versagen die Adductoren vollkommen. 
Hypnotischer Schlaf nicht zu erzielen. Nach 
vierzig Minuten langer Faradisation mit kräftigen 
Strömen gelingt es, H., der vor Schmerzen immer 
aus dem Bett fortdrängt, zum Sprechen zu bringen: 
zunächst Flüsterlaute mit gewissermaßen aprak- 
tischen Bewegungen der Lippen, dann aphonisches 
Stammeln von Worten; schließlich wird eine 
kräftige Stimme erzielt mit geringem Stottern, das 

41 



322! Die Therapie der 


im Laufe einiger Tage mit Sprachübungen unter 
gleichzeitiger Anwendung von schwachen fara- 
dischen Strömen beseitigt wird. Auch die Anal¬ 
gesie der Zunge ist verschwunden. Große Freude 
über die Schnellheilung. Psyche wieder ganz frei. 
Noch zwei Wochen Beschäftigung im Feld¬ 
lazarett und drei Wochen bei einer Wachkompagnie. 
Dann kehrt er wieder zur Truppe zurück, macht 
als Maschinengewehrschütze einige Patrouillen¬ 
unternehmungen mit, erträgt wiederholtes Trom¬ 
melfeuer, erkrankt nach einigen Monaten an aku¬ 
tem Gelenk rheumatismus. 

Auch-hier sehen wir, daß ein früher 
verwundeter, damals aber frei von ner¬ 
vösen Störungen gebliebener Soldat später 
im Anschluß an eine starke Erschütte¬ 
rung eine vorübergehende Bewußtseins¬ 
trübung erleidet und mutistisch wird. Die 
Beseitigung der Sprachstörung bedingt 
gleichzeitig eine Umstimmung der Psyche. 
Hervorzuheben ist noch, daß neben der 
Analgesie der Zunge das Unvermögen 
besteht, die Lippen in die für die Laut¬ 
bildung nötigen Hilfsstellungen zu brin¬ 
gen. Nachdem Lippen- und Zungen¬ 
muskulatur ihre Gebrauchsfähigkeit wie¬ 
dergewonnen haben, gelingt es auch, die 
Glottis zum Schließen zu bringen. Die 
noch vorhandenen spastischen Sym¬ 
ptome lassen sich ebenfalls bald be¬ 
seitigen. 

Ich habe funktionelle Aphonien, vom 
.einfachen Stottern bis zum vollkomme¬ 
nen Stimmverlust, in Behandlung gehabt, 
in mehreren Fällen ein Stimmbänder¬ 
flattern, einige Male auch nystagmusartige 
Zuckungen ähnlich denen bei der multi¬ 
plen Sklerose und der Bulbärparalyse ge¬ 
sehen, die alle mit äußerer Anwendung 
des elektrischen Stroms geheilt und 
prognostisch günstig verlaufen sind. Bei 
den schweren . psychogenen Stimmband¬ 
spasmen habe ich am schnellsten das Ziel 
erreicht, wenn ich mit Übungen von Vo¬ 
kalen in möglichst tiefer Stimmlage be¬ 
gonnen habe, da derartige Aphoniker 
dazu neigen, mit hoher, überschnappender 
Stimme zu sprechen. Ist erst einmal ein 
Vokal richtig heraus, dann ist gewöhnlich 
der Bann gebrochen. Bei Taubstummen 
muß natürlich eine schriftliche Verständi¬ 
gung vorhergehen; doch hat sich mir bei 
derartigen Kranken der noch zu bespre¬ 
chende Chloräthylrausch besser bewährt 
als der elektrische Strom. 

Infolge der gewaltigen Explosions¬ 
wirkungen der modernen Geschosse kann 
es natürlich nicht wundernehmen, daß 
häufig organische Veränderungen des 
Ohres oder Gehirns den Hörstörungen 
zugrunde liegen können. Gar nicht selten 
sind diese aber auch funktionelle Über¬ 


Gegenwärt 1917. ‘ : September 


lagerungerL von Commotionsneurosen. 
Enges Zusammenarbeiten zwischen Neuro¬ 
logen und Otologen halte'ich für die Er¬ 
kennung und Behandlung dieser Fälle 
von großem Werte. 

Unangenehm bei der Kaufmanla¬ 
schen Methode ist ihre Schmerzhaftigkeit; 
wenn man nicht dem der Elektrode ent¬ 
weichenden Patienten dauernd nachwan¬ 
dern will, bleibt weiter nichts übrig, als 
ihn durch Wärter festhalten zu lassen. 
Aber es ist durchaus nicht immer not¬ 
wendig, seine Zuflucht zum schmerzberei¬ 
tenden Strome zu nehmen. Eine Reihe von 
funktionellen Bewegungsstörungen habe 
ich auch durch eine Kombination von 
schwachen faradischen Strömen 
mit verbaler Wachsuggestion und 
Übungsbehandlung, am besten mit 
Zwangsexerzieren, von ihren Symptomen 
befreien können. Ich möchte hier dafür 
nur einen Fall zitieren mit einem Krank¬ 
heitsbilde, das kürzlich den Orthopäden 
Schanz zu der Behauptung geführt hat, 
das Schütteln und Zittern fast aller 
Kriegsneurotiker beruhe auf einer die 
Reflexstörung bedingenden Wirbelsäulen¬ 
insuffizienz, habe also eine organische 
somatische Ursache und sei mit Stütz¬ 
korsetts oder ähnlichen großen Rumpf¬ 
gipsverbänden Monate, selbst Jahre hin¬ 
durch zu behandeln. 

6 . Fall. Landwehrmann Th., 33 Jahre alter 
Steinmetz. 

Bei anstrengender und aufregender Schanz¬ 
arbeit im Feuerbereiche traten Schmerzen und 
Steifigkeit im Kreuz und allen Gliedern, außerdem 
Zittern auf. Vierwöchige Behandlung auf einer 
internen Abteilung brachte keinen Erfolg. 

Mittelgroßer, kräftig gebauter Mann mit lei¬ 
dendem, neurasthenischen Gesichtsausdruck. Hirn¬ 
nerven und Organe der Brust- und Bauchhöhle 
ohne Befund. Aufsitzen geht auch mit Zuhilfe¬ 
nahme der Hände sehr schwierig, dabei theatrali- 
lisches Gebahren; er will nicht aufrecht sitzen 
können. Beim Stehen wird der Rumpf stark nach 
vorn übergebeugt gehalten. Gang langsam und 
steif; Th. sucht sich am Bette festzuhalten. Beim 
Versuch, ihn gerade aufzurichten, schreit er. 
n Grobschlägiges dauerndes Schütteln der Glied- 
N maßen, Zittern der Rumpfmuskulatur, besonders 
starke klonische Zuckungen der Glutäalmuskula- 
tur bei Bewegungen. Lendenmuskulatur hart ge¬ 
spannt. Klopfempfindlichkeit der Wirbelsäule 
vom fünften Brustwirbel an, nach unten zuneh¬ 
mend. Mechanische Erregbarkeit der Muskeln 
und kleinen Hautgefäße gesteigert. Kein Anhalts¬ 
punkt für eine organische Erkrankung, auch 
Röntgenbilder der Wirbelsäule ohne Besonder¬ 
heiten. 

Es werden täglich Übungen mit Zuhilfenahme 
des elektrischen Stromes, Massage und verbaler 
Beeinflussung durchgeführt. Am längsten hielten 
sich die Giutäalcrampi. Häufig zweifellos Aggra¬ 
vation. Nach sechswöchiger Behandlung sym¬ 
ptomfrei. 14 Tage lang Arbeitstherapie. Dann 



September 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


323 


als a. v. im Heimat^ oder Etappengebiete dem 
Ersatztruppenteil überwiesen. 

Es handelte sich auch in diesem Fall 
um pseudospast'ische Schüttelläh¬ 
mungen mit Hypertonie der langen 
Rückenmuskeln undZittererschei- 
nungen, aber besonders starken Kloni 
in der Gesäßmuskulatur. Das ganze 
Krankheitsbild bot von vornherein viele 
hysterische Züge, obwohl der Patient ein 
kräftiger Mann ohne eigentliche hyste¬ 
rische Stigmata oder Degeneratioris- 
zeichen war. Er setzte der suggestiven 
Behandlung starke innere Widerstände 
entgegen, erklärte sich mit der Anwen¬ 
dung von Hypnose und des Chloräthyl¬ 
rausches nicht einverstanden, würde aber 
doch innerhalb von sechs Wochen von 
seinen Symptomen befreit und konnte im 
Lazarett ohne wesentliche Beschwerden 
die verschiedensten Arbeiten verrichten. 
Mit Hypnose wäre dieses Ziel wohl noch 
wesentlich schneller zu erreichen gewesen. 
Die von Schanz bei diesen Krankheits¬ 
bildern — auf , die Besprechung der 
eigentlichen, Insufficientia vertebrae soll 
hier nicht eingegangen werden — mit 
umständlichen teuren Bandagen erzielten 
Erfolge müssen sicher zum größten Teil 
auf Suggestion zurückgeführt werden. 
Das Leiden ist ein psychogenes und nicht 
entsprechende Behandlung wird nur zu 
langer Dienstentziehung und zu hohen 
Rentenansprüchen führen. 

Wie ich schon erwähnt habe, ist es 
bei der Kauf man n sehen Methode un¬ 
angenehm, daß der Patient nicht an Ort 
und Stelle zu bleiben pflegt. Um aber 
Schnellheilungen zu erzielen, ist die 
Schmerzbereitung nicht zu vermeiden. 
Zur Beseitigung dieses Übelstandes bin 
ich dazu übergegangen, den Kranken zu¬ 
nächst anzuhypnotisieren und dann erst 
den elektrischen Strom zu Hilfe zu neh¬ 
men. Diese Kombination von Hyp¬ 
nose und starker Faradisation hat 
sich mir als recht geeignet zur Beseitigung 
funktioneller Bewegungsstörungen bei 
sehr empfindlichen Personen erwiesen, 
z. B. bei folgendem Patienten: 

7. Fall. Musketier K-, 22 Jahre alter 
Fleischer. 

Im Alter von acht Jahren bekam er nach 
schwerer Feldarbeit einen Anfall mit länger 
dauernder Bewußtseinstrübung; es traten in Ab¬ 
ständen von ungefähr einem Monate noch mehrere 
Anfälle auf. Schulbildung trotzdem gut. Dann 
hatte er bei der militärischen Ausbildung erst 
wieder einen kurz dauernden Anfall von Bewußt¬ 
losigkeit. Später das Frontleben ohne Störungen 
ertragen. Nach sehr anstrengendem Exerzier¬ 
dienste bekam er wieder einen Anfall; nach dem 


j Erwachen konnte er den rechten Arm nicht mehr 
bewegen. 

Mittelgroßer, kräftig und gedrungen gebauter 
Mann in gutem Ernährungszustände. Gaumen- 
und Rachenreflex negativ. Der rechte M. pecto- 
ralis major fehlt bis auf das obere Drittel; auch die 
Haarbildung auf der rechten Brust ist ausgeblie¬ 
ben. Der rechte Arm wird ganz steif gehalten; die 
Hand ist leicht ödematös geschwollen und blau 
gefärbt. Der Arm kann nur langsam erhoben wer¬ 
den; sonst in den Arm- und Handgelenken aktive 
Beweglichkeit aufgehoben, passive stark einge¬ 
schränkt. Knochenhautreflex am rechten Vorder¬ 
arme negativ. Hautempfindung am rechten Arme 
mit Ausnahme der Hand aufgehoben. 

In Hypnose lassen sich die Spasmen beseitigen, 
aber zunächst nur geringe ajktive Bewegungen er¬ 
möglichen. Mit Zuhilfenahme der Faradisation — 
auch bei sehr starken Strömen bleibt K- auf Be¬ 
fehl ruhig liegen — wird die aktive Beweglichkeit 
vollkommen wieder hergestellt. Dauer der Sitzung 
30 Minuten. Nach dem Erwachen bleibt die Be¬ 
weglichkeit frei; nur die grobe Kraft ist herab¬ 
gesetzt. Während der nächsten Woche täglich 
Vornahme von Übungen,. Massage und leichter 
Faradisation. Die grobe Kraft bessert sich all¬ 
mählich; die trophischen Störungen an der Hand 
verschwinderi. Dann einen Monat Arbeitstherapie. 
Als g. v. (möglichst Berufsbeschäftigung) ent¬ 
lassen. 

Bei diesem Patienten war also im An¬ 
schluß an anstrengenden Dienst ein 
Bewußtseinsverlust mit nachfolgender 
pseudospastischer Armlähmung und öde- 
matöser Schwellung der Hand aufgetreten, 
nachdem schon in früher Jugend nach 
schwerer Feldarbeit sich vorübergehend 
Anfälle gezeigt hatten. Neben einigen 
- hysterischen Stigmata fanden sich als 
Zeichen einer mangelhaften Anlage Mus¬ 
keldefekt und Ausbleiben der Haarbildung 
an der rechten Brustseite. 

Der Kranke wurde durch Suggestion 
gewissermaßen ans Bett gefesselt, und 
dann wurden durch kräftige faradische 
Ströme die Bewegungsstörungen schnell 
beseitigt. Das Verfahren gestaltet sich so 
wesentlich angenehmer, als wenn der 
Kranke infolge des Schmerzes dauernd 
fortdrängt. Ich habe auf diese Weise eine 
ganze Reihe von funktionellen Lähmun¬ 
gen in ein oder zwei Sitzungen beheben 
können. Die noch bestehende Schwäche 
in den betroffenen Gliedmaßen ließ sich 
gewöhnlich durch Übungen, Massage und 
Beschäftigung auch bald bessern. 

Schließlich möchte ich noch eine Me¬ 
thode anführen, die sich mir in Friedens¬ 
zeiten bei hysterischen Lähmungen schon 
gut bewährt hat. Auf ihre Vorzüge bei 
der Behandlung von Kriegsneurosen ist 
zuerst von Roth mann besonders auf¬ 
merksam gemacht worden. Das Verfahren 
besteht in einer kurzen Narkose in Form 
einer Betäubung mit Äther oder 
Chloräthyl, einer Methode, die an und 

41 * 



324 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


September 


für sich schon durch die psychische Er¬ 
schütterung eine starke* suggestive Kraft 
haben kann. Um diese noch zu steigern, 
empfiehlt es sich, zu der Notlüge zu greifen, 
es müsse ein kurzdauernder, aber schmerz¬ 
hafter Eingriff zur Erzielung der Heilung 
vorgenommen werden.. Ich habe gewöhn¬ 
lich Chloräthyl benutzt, das sich bequem 
aus den im Handel befindlichen Patent¬ 
flaschen auf ein Stückchen vor die Nasen¬ 
öffnungen gelegten Mulls tropfen läßt. 
Innerhalb einiger weniger Minuten ist 
tiefe Betäubung zu erzielen. Das Stadium 
des langsamen Erwachens eignet sich 
dann vorzüglich zur suggestiven Beein¬ 
flussung und Beseitigung der Lähmungen 
durch Übungen. In ätiologisch zweifel¬ 
haften Fällen hat diese Methode auch dif¬ 
ferentialdiagnostische Bedeutung. Zur 
Erläuterung diene folgender Krankenge¬ 
schichtenauszug: 

8. Fall. Obergefreiter T., Fußartillerist, 20jäh- 
riger Landwirt. 

Während der Ausbildung im Januar 1915 
Lungenentzündung. Danach war er über ein Jahr 
an der Front. Durch Explosion einer Granate in 
seiner Nähe sei er zur Seite geschleudert worden, 
habe einen Moment das Bewußtsein verloren, dann 
beim Erwachen den Sanitätsgefreiten tot neben 
sich liegen sehen. Der Schreck sei ihm so stark in 
die Glieder gefahren, daß er sich nicht habe er¬ 
heben können. Seitdem Lähmung der Beine. 

Großer, hagerer Mann. Conjunctivalreflexe 
negativ, Cornealreflexe herabgesetzt. Gaumen- 
und Rachenreflexe fehlen vollkommen. Starkes 
Zittern der Zunge beim Vorstrecken. Dermo- 
graphie +. Die Beine sind ganz steif; das rechte 
kann im Knie-, Sprung- und Fußgelenk gar nicht 
bewegt werden, das linke nur wenig im Kniegelenk. 
Passiven Bewegungen werden starke Widerstände 
entgegengesetzt. Die Sehnen der angespannten 
Muskeln springen deutlich vor. Reflexe normal. 
Schmerzempfindung von der Mitte der Ober¬ 
schenkel bis zu den Zehen stark vermindert. Beim 
Gehen mit Unterstützung schiebt er die weit von¬ 
einander stehenden Beine nur mit flacher Fu߬ 
sohle vor*. 

Im Chloräthylrausche mit anschließender ver¬ 
baler Suggestion werden die Spannungen voll¬ 
kommen "beseitigt und normale Bewegungsfähig¬ 
keit erzielt. Nach dem Erwachen sind die aktiven 
Bewegungen noch verlangsamt, angeblich schmerz¬ 
haft; der Gang ist etwas unbeholfen.. Nach zwei¬ 
wöchiger weiterer Behandlung mit Übungen und 
Massage ist T. beschwerdefrei, wird zunächst als 
a. v. in die väterliche Landwirtschaft entlassen 
(nach drei Monaten wieder k. v.). 

Dieser Kranke teilt also von selbst 
dem Schreck beim Erwachen in ätiologi¬ 
scher Beziehung die Hauptrolle zu, nach¬ 
dem er von einer Granatexplosion zur, 
Seite geschleudert worden ist und für 
kurze Zeit das Bewußtsein verloren hat. 
Auch hier sieht man, wie meistens bei den 
pseudospastischen Lähmungen, die Seh¬ 
nen der angespannten Muskeln deutlich 
vorspringen. Die Astasie und Abasie sind 


typisch funktionell und das Fehlen der 
Schleimhautreflexe, sowie die manschet¬ 
tenförmigen Sensibilitätsstörungen lassen 
die Auffassung des Krankheitsbildes als 
ein. „hysterisches“ gerechtfertigt erschei¬ 
nen. Dafür spricht auch der therapeu¬ 
tische Erfolg, der im wesentlichen in einer 
Sitzung hat erzielt werden können. 

Mit der Anwendung des Chloräthyl¬ 
oder Ätherrausches hatte ich besonders 
Erfolg bei derartigen mit Spasmen oder 
Contracturen einhergehenden Lähmun¬ 
gen, sei es, daß sie im Feuerbereiche durch 
affektbetonte Ereignisse und psychische 
Erschütterungen oder im . Lazarett nach 
Ruhigstellung der Gliedmaßen bei Ver¬ 
wundungen und Erkrankungen reflek¬ 
torisch aufgetreten waren. Auch diese 
letzteren Fälle scheinen c sich jetzt im 
Kriege häufiger zu entwickeln als in Frie¬ 
denszeiten bei Männern, die keine eigent¬ 
liche hysterische Veranlagung aufweisen, 
oft schon lange im Felde gestanden haben 
und verwundet gewesen sind, ohne daß 
früher funktionelle Erscheinungen sich 
gezeigt haben. So war z. B. bei einem 
30jährigen Landwirte, der wegen einer 
Zellgewebsentzündung der Hand fünf 
Tage lang einen Schienenverband ge¬ 
tragen hatte, eine Contractur im Ellbogen¬ 
gelenk in Supinationsstellung mit Läh¬ 
mung der Hand und Sensibilitätsstörun¬ 
gen aufgetreten. Bei einem anderen 
Manne hatte sich nach Ruhigstellung des 
rechten Beines wegen einer Periostitis 
tibiae eine Contractur der Sprung- und 
Fußgelenke mit deutlichem Hervorsprin¬ 
gen der Sehnen auf dem Fußrücken und 
anschließend daran eine Atrophie der 
Unterschenkelmuskulatur entwickelt. 

Auch in diesen Fällen bewährte sich 
der Chloräthylrausch gut; doch war ein- 
oder zweimalige Wiederholung erforder¬ 
lich. Der Wunsch, der Gefahr entrückt 
zu bleiben, schien infolge der Annehmlich¬ 
keiten und der Ruhe im Lazarett sich bei 
diesen Patienten, wenn auch nur im Un¬ 
terbewußtsein, fester verankert zu haben 
als bei den akut im Feuer entstandenen 
Formen. 

Weiterhin scheint mir die Anwendung 
des Rausches bei der häufig vorkommen¬ 
den psychogenen Taubheit recht geeignet, 
bei welcher Hypnose und Elektrizität 
wegen der erschwerten Verständigung 
schlecht zu gebrauchen sind. Beseitigung 
der Symptome ist gewöhnlich mit einer 
Sitzung zu erzielen. Die Methode hat vor 
den' anderen zweifellos den Vorteil, daß 
sie, wie auch Roth mann sagt, die ge- 



September 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


325 


ringsten Anforderungen an den Arzt stellt, 
während gerade die Hypnose sehr an¬ 
strengend und ermüdend ist. 

Derartige Schnellheilungen 
schwerer Motilitätsstörungen in¬ 
nerhalb weniger Tage nach ihrer 
Entstehung müssen doch wohl den 
Schluß rechtfertigen können, daß 
es sich um psychogene Krankheits¬ 
bilder dabei handelt. Gelegentlich 
habe ich selbst kaum gewagt, die organi¬ 
sche Grundlage auszuschließen, z. B. bei 
einigen akut entstandenen halbseitigen 
Lähmungen ohne Zittererscjjieinungen, bis 
dann der Erfolg der Therapie das Wesen 
der Erkrankung geklärt hat. Anderer¬ 
seits ist man oft überrascht, bei Röntgen¬ 
aufnahmen große Schädelknochenbrüche 
ohne wesentliche Symptome einer orga¬ 
nischen Erkrankung zu finden. Bei den 
eigentlichen Com motionsneu rosen, die, 
wie ich schon eingangs erwähnt habe, zu 
den organischen Nervenleiden zu rechnen 
sind, haben die suggestiven Methoden 
natürlich keinen Erfolg, sondern können 
höchstens verschlechternd wirken; für sie 
ist wochenlange Bettruhe dringendes Be¬ 
dürfnis. 

Aber ich habe nun durchaus nicht bei 
allen funktionellen Bewegungsstörungen 
diese eingreifenderen Methoden zur An¬ 
wendung bringen müssen, sondern in einem 
großen Teil der Fälle haben Liegekur 
und Wachsuggestion, im Verein mit 
lauen Bädern und_ Nervina sowie mit 
systematischen Übungen zur Beseiti¬ 
gung der Symptome genügt. Insbesondere 
konnten so einfache Tics, Zuckungen in 
einzelnen Muskelgruppen, leichtere For¬ 
men des Zitterns und Schütteins, auch 
akut entstandenes Stottern im Verlaufe 
von einigen Wochen beseitigt werden. 

Für diese relativ schnelle und sichere 
Ansprechbarkeit der Kranken auf die 
Therapie kommt in erster Linie wohl in 
Betracht, daß sie bald nach dem Auf¬ 
treten der Störungen in entsprechende 
Behandlung gelangt sind. Dann spielt 
aber auch sicher das Milieu, der Aufenthalt 
neben geheilten oder in Genesung befind¬ 
lichen Kameraden, eine nicht unbedeu¬ 
tende Rolle. Von großem Wert ist auch 
das Zusammenleben mit Leuten, die von 
der Froiyt kommen, bei welchen der 
,, Kriegstonus“ noch besteht im Gegen¬ 
satz zu dem friedlichen Leben in der 
Heimat. Wenn man glaubt, mit den ein¬ 
fachen Methoden, wie mit Ruhe und Wach¬ 
suggestion, nicht bald zum Ziele zu kom¬ 
men, dann wird es sich meistens emp- 


r 

fehlen, schnell und energisch in das psy¬ 
chophysische Getriebe des Kranken ein¬ 
zugreifen. Nur so kann vermieden wer¬ 
den, daß er sich im Verharren seiner Sym¬ 
ptome gewissermaßen übt, sowie sie im 
Verhältnis zur Zeit und der Entfernung' 
von der Front immer fester verankert. 
Welche Behandlungsart zu wählen ist, 
hängt von der kranken Persönlichkeit und 
den Neigungen des Arztes ab. Nicht jede 
Methode eignet sich für jeden Neurotiker; 
der eine reagiert mehr auf Hypnose, der 
andere auf den elektrischen Strom, der 
dritte auf den Rausch. Die besten Er¬ 
folge wird natürlich der Arzt erzielen, der 
sie alle beherrscht, individualisierend die 
richtige auszuwählen versucht und ziel¬ 
bewußt auf Gefühle und Vorstellungen 
des Kranken einwirkt. 

Sobald mit der suggestiven The¬ 
rapie die groben funktionellen Stö¬ 
rungen behoben sind,, werden am 
besten Übungen und Beschäftigung 
mit Werte schaffender Arbeit im 
Rahmen der militärischen Disziplin 
angeschlossen, sei es in landwirt¬ 
schaftlichen Betrieben oder Werk¬ 
stätten, die den Lazaretten des 
Kriegsgebiets angegliedert sind, 
oder in Wacht- und Wirtschafts¬ 
kompagnien. Diese Betätigung lenkt 
die Gedanken vom Leiden ab und 
hebt das Selbstvertrauen. Das Endziel 
alles ärztlichen Handelns wird darin be¬ 
stehen, in dem Kranken den Willen zur 
Genesung und zum Gesundbleiben zu er¬ 
wecken und zu kräftigen. Nur so dürfte 
es sich erreichen lassen, die Wieder¬ 
ertüchtigung der Neurotiker in psychi¬ 
scher, physischer und damit in sozialer 
Hinsicht zu ermöglichen. 

Streife ich zum Schlüsse noch kurz die 
Frage der Dienstfähigkeit, so möchte 
ich aus meinen Erfahrungen folgern, daß 
durchaus nicht alle Neurotiker fernerhin 
vom Dienst an der Front auszuschließen 
sind. Während sich konstitutionelle Neur- 
astheniker,und Psychopathen, selbstwenn 
diese zeitweise einen besonderen Schneid 
entwickeln können, im allgemeinen nicht 
für die Verwendung bei der kämpfenden 
Truppe eignen, habe ich über ein Drittel 
der von ihren Bewegungsstörungen be¬ 
freiten Neurotiker wieder als kriegs¬ 
verwendungsfähig entlassen. Soweit 
ich von ihnen selbst oder ihren Truppen¬ 
ärzten habe in Erfahrung bringen können, 
hat sich der größte Teil gut bewährt und 
sich vielfach auch den stärksten Anforde¬ 
rungen gewachsen gezeigt. Ist nach kür- 


326 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


September 


zerer oder längerer Zeit gelegentlich ein 
Rezidiv aufgetreten, so hat dies in der 
Regel ebenso prompt wie die erste Er¬ 
krankung beseitigt werden können. Ist 
aber Neigung zu Rezidiven festgestellt 
worden, dann sollte man solche Leute nicht 
wieder in die Kampflinie schicken, um ein 
unnützes Hin- und Herpendeln zwischen 
Lazarett und Front zu vermeiden. 

Nach meinen Beobachtungen können 
besonders die .monosymptomatischen Er¬ 
krankungen mit einfachen Lähmungen, 


mit Mutismus und Taubheit wieder als 
kriegsverwendungsfähig bezeichnet wer¬ 
den, während bei den übrigen Formen, 
hauptsächlich bei deh Schüttlern und 
Zitterern, die Entscheidung der Dienst¬ 
fähigkeitsfrage in engerem Zusammen¬ 
hänge mit der hysterischen oder psycho¬ 
pathischen Veranlagung steht. Ist diese 
nachweisbar, dann sollten allerdings diese 
Kranken immer zu ihrem Berufe zurück¬ 
geschickt oder zum Dienst in der Heimat 
und in der Etappe herangezogen werden. 


Aus der Friedriclistadt-Kliiiik für Lungenkranke in Berlin. 

Zur Behandlung der tuberkulösen Diarrhöen. 

Von Oberarzt Dr. M. Gutstein, stellvertr. leit. Arzt. 


Bekanntlich stellt das Auftreten von 
Darmerscheinungen in Form von längere 
oder kürzere Zeit anhaltenden diarfhoi- 
schen Stühlen eine der häufigsten Kom¬ 
plikationen der Lungentuberkulose dar. 
Diese Darmerscheinungen brauchen, selbst 
in manchen Fällen von vorgeschrittener 
Lungentuberkulose, nicht immer einer 
ausgedehnten tuberkulösen Affektion des 
Intestinums ihre Entstehung zu ver¬ 
danken. Vielmehr können sie auch in den 
ersten Stadien der Lungenerkrankung 
durch eine frühzeitige, wenig ausgedehnte 
ulceröse Erkrankung einzelner Darm¬ 
abschnitte. bedingt sein, oder sogar, wie 
die initialen Magensymptome der be¬ 
ginnenden und latenten Lungentuber¬ 
kulose, rein funktioneller Natur sein. 

Es leuchtet ohne weiteres ein, daß eine 
geordnete Magendarmtätigkeit die Vor¬ 
bedingung jeder physikalisch-diätetischen 
Therapie bildet, die ja allgemein als der 
wichtigste Heilfaktor der Lungentuber¬ 
kulose gilt. Deshalb muß die rasche und 
restlose Beseitigung etwaiger Dormkom- 
plikationen, welche die vollständige Aus¬ 
nutzung der zugeführten Nahrung be¬ 
deutend beeinträchtigen, die größte Auf¬ 
merksamkeit des Arztes beanspruchen. 

Die Bekämpfung der durch stark be¬ 
schleunigte Peristaltik bedingten Darm¬ 
erscheinungen ist in den Fällen, wo nur 
funktionelle Störungen ohne gröbere or¬ 
ganische Veränderung vorliegen, eine ver¬ 
hältnismäßig unschwere Aufgabe. Hier 
gelingt es meist, durch Verabreichung 
einer geeigneten reizlosen und schlacken¬ 
armen Diät einen dauernden Erfolg zu er¬ 
zielen. Oft kann man in solchen Fällen von 
einem der gebräuchlichsten Tanninpräpa¬ 
rate einen vorteilhaften Gebrauch machen. 

Viel schwieriger aber ist es, die auf. 
gröberen anatomischen Läsionen — ul¬ 


cerösen Prozessen des unteren Dünn- und 
oberen Dickdarms — beruhenden hef¬ 
tigen Diarrhöen bei Lungentuberkulosen 
zu bekämpfen. Besonders sind die chro¬ 
nischen Diarrhöen bei vorgeschrittenen 
Phthisen wegen ihrer großen Hartnäckig¬ 
keit sehr bekannt und gefürchtet. Die 
gewöhnlichen Antidiarrhoica der Wismut- 
und Tanningruppe sind hier meist ohne 
nennenswerten Erfolg. Auch die viel stär¬ 
ker wirkenden Opiate versagen in einem 
beträchtlichen Teil der Fälle; sie be¬ 
sitzen außerdem den Nachteil, daß ihre 
Wirkung, auch wenn sie zuerst eingetreten 
ist, allmählich infolge Gewöhnung des 
Organismus ausbleibt; und ferner, daß sie, 
besonders wegen der großen Dosen, die 
hartnäckige phthisische Diarrhöen not¬ 
wendig machen, die Herzkraft schwächen. 
Es kommt noch hinzu, daß man unter den 
jetzigen ungünstigen Kriegsverhältnissen 
bei der Verordnung einer sachgemäßen 
antidiarrhoischen Diät auf große Schwie¬ 
rigkeiten stößt: Die beschränkten Mengen 
und die geringe Auswahl der zur Ver¬ 
fügung stehenden Nahrungsmittel zwin¬ 
gen den Arzt, eine wenig abwechslungs¬ 
reiche Diät zu verabreichen, sodaß die 
Kranken bei dem chronischen Verlauf 
des Leidens nach kurzer Zeit die eintönige 
Kost zurückweisen. 

Da ich in der Friedrichstadtklinik stets 
eine ziemlich große Zahl von schweren 
Phthisen mit Komplikationen seitens des 
Darmes zu behandeln habe, so bin ich 
schon seit langer Zeit auf der Suche nach 
einem neuen, zuverlässigen, auch für 
schwere Fälle geeigneten Antidiarrhoicum. 
Die bisherigen im Gebrauche befindlichen 
Präparate der Gerbsäure- und der Wis¬ 
mutgruppe und die Opiate haben mich nur 
wenig befriedigt. Auch ein in letzter Zeit 
gerade für diese Art von Diarrhöen be- 




\ '■ 

September Die Therapie der Gegenwart 1917. 327 

sonders empfohlenes Präparat, das Tan- ganz besonders erfolgversprechend, erstens 
nargentan (eine Silber-Tannin-Eiweiß- weil bereits das Etelen für sich allein nach 


Verbindung) hat sich als wenig wirksam 
erwiesen. Ich habe daher seit über einem 
halben Jahre mit einem von den Friedr. 
Bayerschen Farbenfabriken hergestellten 
Präparate, dem Combelen, Versuche in 
größerem Maßstabe angestellt. 

Das Combelen stellt eine Mischung 
zweier in bezug auf ihren Wirkungs¬ 
mechanismus völlig verschiedener Sub¬ 
stanzen dar. Es besteht zu gleichen Teilen 
aus Etelen und Resaldol, also zwei be¬ 
reits als Antidiarrhoica angewandten Mit¬ 
teln. Das Etelen gehört zu der den Magen 
unverändert passierenden und erst im 
Darme durch hydrolytische Spaltung 
wirksam werdenden Gerbsäureester¬ 
gruppe, es ist ein Triacetylgallussäure- 
äthylester: 

CO0 C 2 H 5 

/\ 

CHOCOI |OCOCH 3 

\/ 

COCH 3 

und ist von Loewenthal im Nürnberger 
Krankenhaus (1) mit gutem Erfolg 
als Antidiarrhoicum besonders gegen 
Dysenterie angewandt worden. Nach 
Tierexperimenten von D res er (2) ist das 
Etelen in seiner Wirkungsweise dem che¬ 
misch nahe, verwandten Tannigen (Gal- 
lussäureacetylester) überlegen. 

Die zweite wirksame Komponente des 
Combelen, das Resaldol, ist eine dem 
Cotoin, dem wirksamen Prinzip der be¬ 
sonders in Italien seit langer Zeit als Anti¬ 
diarrhoicum benutzten Cotorinde nahe¬ 
stehende synthetische Verbindung. Das 
Resaldol ist Resorcinbenzoylcarbonsäure- 
äthylester: 

OH 




Nach den experimentellen Untersuchungen 
von Impens (3) beruht die Wirksamkeit 
des Cotoins und des Resaldol auf einer 
Herabsetzung des Tonus und Verminde¬ 
rung der peristaltischen Bewegungen der 
Darmmuskulatur. Klinisch ist die anti- 
diarrhoische Wirkung des Resaldol von 
Weil (4) genauer geprüft worden. 

Die Kombination dieser beiden Prä¬ 
parate schien für den vorliegenden Zweck 


Seiffert (5) auch bei tuberkulösen Diar¬ 
rhöen eine bessere Wirkung als die an¬ 
deren Adstringentien der Gerbsäurederi¬ 
vate entfaltet, und zweitens, weil die 
Kombination eines adstringierend wir¬ 
kenden Gallussäurepräparats mit dem 
dem Opium ähnlich wirkenden Resaldol 
eine Potenzierung des antidiarrhoischen 
Effekts erwarten ließ. Außerdem er¬ 
scheint gerade für die Bekämpfung der 
Diarrhöen der Phthisiker ein die peristalti¬ 
schen Bewegungen des Darmes herab¬ 
setzendes Mittel von sehr großer Wichtig¬ 
keit, weil bei der tuberkulösen Diarrhöe 
die gesteigerte Peristaltik — infolge Rei¬ 
zung der auf der ulcerierten Schleimhaut 
freiliegenden Nervenendigungen durch die 
Ingesta — der wichtigste ursächliche 
Faktor für das Zustandekommen der 
pathologischen Darmsymptome darstellt. 

Ich habe das Combelen, das von den 
Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer &Co. 
in’ Leverkusen in Tablettenform zu 0,5 g 
in den Handel gebracht wird, in einer 
größeren Zahl von tuberkulösen Diarrhöen 
angewandt. Zugleich habe ich dieses Prä¬ 
parat auch bei gewöhnlichen Enteritiden 
ausprobiert. In letzteren Fällen gelingt 
es unschwer, durch Combelen einen völli¬ 
gen Erfolg zu erzielen: Nach voraus¬ 
geschickter Reinigung des Darmes durch 
ein kräftiges Laxans ließ ich täglich 
dreimal zwei Tabletten nehmen. Gewöhn¬ 
lich wurden schon nach ein bis zwei Tagen 
völlig normale Stühle erzielt. 

Doch sind gerade die akuten Enteri¬ 
tiden wenig geeignet, die größere Wirk¬ 
samkeit eines neuen Antidiarrhoicums 
gegenüber anderen gleichwirkenden Prä¬ 
paraten zu demonstrieren. Bekanntlich 
gelingt es oft, auch ohne Anwendung eines 
besonderen Stopfmittels, durch die Ver¬ 
abreichung einer entsprechenden Diät, 
wie sie bei solchen Enteritiden in der 
Regel verordnet wird, die pathologischen 
Erscheinungen rasch zum Verschwinden 
zu bringen. Außerdem«kann man ja hier 
durch andere Präparate, z. B. Tannalbin, 
Tannismut, Tannigen usw., einen gleich 
schnellen Effekt erzielen. 

Viel beweisender für die größere Wirk¬ 
samkeit des kombinierten neuen Anti¬ 
diarrhoicums sind Erfolge bei subakuten 
und chronischen Enteritiden, die durch 
andere Präparate nur schwer beeinflußt 
werden. Nach meinen Erfahrungen, die 
sich mit den von Lange ( 6 ) vor kurzem 
veröffentlichten decken, kann man bei 



328 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


.September 


gleicher Dosierung (6 Tabletten pro die) 
in kurzer Zeit annährend normale Stühle 
herbeiführen. 

Die ausgedehntesten Versuche haBe 
ich mit diesem Präparat bei tuberku¬ 
lösen Diarrhöen angestellt. Meine Beob¬ 
achtungen erstrecken sich auf über 
30 Fälle. Bei dem größeren Teil dieser Fälle 
handelte es sich um schwere, ausgedehnte, 
meist cavernöse Lungenprozesse, oft 
mit Larynxtuberkulose vergesellschaftet, 
sodaß man das Vorliegen tuberkulöser 
Ulcera des Darmes als ziemlich wahr¬ 
scheinlich annehmen konnte. Der kleinere 
Teil meiner Beobachtungen umfaßt eine 
Anzahl, leichter Lungenerkrankungen, 
deren chronische Diarrhöen sicherlich 
nicht durch eine gleichzeitige tuberkulöse, 
sondern mehr durch eine nicht specifische 
Darmerkrankung bedingt waren. Dabei 
will ich es dahingestellt sei*- lassen, ob die 
Diarrhöen toxischen Ursprungs im Sinne 
Jessens (7) waren, oder auf nicht speci- 
fischen Dünn- oder Dickdarmkatarrhen 
beruhten [vgl. Porges und Blümel (8 )]. 

Was den Erfolg der Combelenbehand- 
lung betrifft, so gelang es, in den letzteren 
Fällen durch Verabreichung von 3 g Com- 
belen p. die Darmerscheinungen rasch zu 
beseitigen. Der Erfolg dieser Therapie 
ist um so höher anzuschlagen, als ich hier 
keine strenge Schonungsdiät (Sup- 
pen-Breikost) verordnet habe; viel¬ 
mehr haben die Patienten eine gemischte 
Kost erhalten, allerdings unter Vermei¬ 
dung aller den Darm besonders reizenden 
Nahrungsmittel (rohes Obst, schfecht zer¬ 
kleinertes Gemüse usw.). 

Dagegen waren die schweren mit ul- 
cerösen Darmprozessen komplizierten 
Fälle durch diese Combelendosen nicht 
merklich zu beeinflussen. Ein' Erfolg 
konnte erst erhalten werden, nachdem 
ich zu viel größeren Dosen übergegangen 
war: ich gab zunächst dreimal drei und 
später dreimal vier Combelentabletten 
= 4,5 beziehungsweise 6 g Combelen pro 
die. Unter dieser Medikation konnte, 
trotzdem wegen des chronischen Verlaufes 
der Krankheit von einer strengen Scho¬ 
nungsdiät abgesehen wurde, in den 
meisten Fällen eine recht günstige Beein¬ 
flussung der Darmerscheinungen erreicht 
werden. Die Zahl der Stühle ging nach 
wenigen Tagen bedeutend herunter; oft 
nahmen sie sowohl in bezug auf die Zahl 
als auch in bezug auf die Beschaffenheit 
(breiige Konsistenz) völlig normale For¬ 
men an. Es ließ sich auch oft ein dauern¬ 
der Erfolg erzielen, indem auch nach 


Weglassen des Combelen eine Verschlech¬ 
terung der Darmentleerungen nicht mehr 
auftrat. Wenn in den schwersten Fällen 
mit sehr häufigen Entleerungen (acht bis 
sechzehn Stühle in 24 Stunden) völlig 
normale Verhältnisse nicht herbeigeführt 
werden konnten, so war doch mindestens 
der günstige Einfluß des Antidiarrhoicum 
durch Verminderung der Stühle auf die 
Hälfte der ursprünglichen Zahl und noch 
weniger nicht zu verkennen. 

Nur in etwa 10—15 % der beobach¬ 
teten Darmtuberkulosen war eine deut¬ 
liche Wirkung des Combelen, auch in 
großen Dosen, nicht zu bemerken. Es 
handelte sich aber in diesen Fällen um 
äußerst schwere Phthisen im letzten End¬ 
stadium der Erkrankung, die mit sehr 
zahlreichen, äußerst stinkigen Entlee¬ 
rungen verbunden waren. Es ist nicht un¬ 
wahrscheinlich, daß diese Fälle mit Darm¬ 
amyloid kompliziert waren. Bei solchen 
Terminalphthisen, die bekanntlich jeder 
bisher angewandten Therapie trotzen, lie¬ 
gen meiner Ansicht nach der ganz abnorm 
stark gesteigerten Peristaltik nicht nur 
die gewöhnlichen Ursachen zugrunde, 
vielmehr spielt hier noch ein anderes 
Moment eine sehr wichtige Rolle. Die 
sehr ausgedehnten Ulcerationen am Dünn- 
und Dickdarme, die man in solchen Fällen 
gewöhnlich vorfindet, bedingen eine sehr 
starke Sekretion einer eiweißreichen Flüs¬ 
sigkeit (Wundsekret) in das Darmlumen 
hinein. Diese fäulnisfähigen und leicht 
zersetzlichen Flüssigkeitsmengen (daher 
stinkige Diarrhöen!), deren Wirkung in¬ 
folge der verminderten Resorptionskraft 
des stark affizierten Darmtraktus noch 
verstärkt wird, bewirken schon rein 
mechanisch, abgesehen von den aus 
den Eiweißzerfall entstehenden die Darm¬ 
bewegungen beschleunigenden Toxinen, 
eine stark gesteigerte Peristaltik. 

Auf Grund dieser Überlegungen er¬ 
schien mir in solchen Fällen eine aus¬ 
trocknende Behandlung besonders am 
Platze. Ich hielt es daher für zweckmäßig, 
hier neben dem Combelen drei- bis viermal 
täglich einen Eßlöffel Bolus alba puris- 
sima (oder Carbo animalis Merck), in 
Wasser aufgeschwemmt, zu verabreichen. 
Mit Rücksicht auf die fast völlige Erfolg¬ 
losigkeit der bisherigen Therapie gegen¬ 
über diesen Diarrhöen waren die Ergeb¬ 
nisse der Combelen-Bolus-Behandlung als 
zufriedenstellend zu bezeichnen. Bis¬ 
weilen hat sich in solchen Fällen auch eine 
Kombination von Combelen in großen 
Dosen mit Opium bewährt. 


September 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


329 


Hinsichtlich der Nebenwirkungen des 
Combelen wäre noch anzuführen, daß 
das neue Antidiarrhoicum auffallend gut 
vertragen wurde. Trotzdem ich das Prä¬ 
parat in ziemlich großen Dosen (bis 6 g 
pro die) und längere Zeit hindurch den 
Kranken verabreichte, habe ich danach 
nur ein einziges Mal Erbrechen auftreten 
sehen. Dieser Fall betraf eine sehr 
schwere, doppelseitige, floride Lungen¬ 
tuberkulose. Die gute Verträglichkeit des 
Präparats dürfte wohl mit der Wasser¬ 


unlöslichkeit und geringen Resorptions¬ 
fähigkeit seiner Komponenten Etelen und 
Resaldol Zusammenhängen. 

Literatur. 

1. Löwenthal (M. m. W. 1915 Nr. 51). — 
2. D res er, Zitiert nach Löwenthal. — 3. Impens 
(D. m. W. 1913 Nr. 38). — 4. Weil (D. m. W. 1915 
Nr. 46). — 5 Seifert (M. m. W. 1915 Nr. 51). — 
6. Lange (D. m. W. 1917 Nr. 18). — 7. Jessen, 
Zitiert nach Seifert. — 8. Porges und Blümel, 
Über gastrogene Diarrhöen bei Lungertuberkulose. 
(W. m. W. 1916 Nr. 50). 


Zusammenfassende Übersicht. 

Der heutige Stand unserer Kenntnisse vom Fleckfieber, 

Von Oberstabsarzt Prof. Dr. H. Hetsch-Berlin. 


Die während des Weltkrieges in den 
von den Zentralmächten besetzten öst¬ 
lichen Gebieten und in den Kriegsgefan¬ 
genenlagern aufgetretenen Fleckfieber¬ 
epidemien und die mit emsigem Fleiße 
überall vorgenommenen wissenschaft¬ 
lichen Forschungen haben eine solche 
Fülle neuen und sicher begründeten Beob¬ 
achtungsmaterials ergeben, daß eine kurze 
Schilderung der Eigenarten dieser in Frie¬ 
denszeiten in den westlichen Kulturlän¬ 
dern fast unbekannten schweren Infek¬ 
tionskrankheit und ihrer Ätiologie, Epi¬ 
demiologie und Therapie nach dem Stande 
unserer heutigen Kenntnisse dem Prak¬ 
tiker nicht unwillkommen sein dürfte. 

Das klinische Krankheitsbild 
kann im allgemeinen als bekannt voraus¬ 
gesetzt werden, nur auf einige wichtigere 
Punkte, die besonders diagnostisch be¬ 
deutungsvoll sind, sei hingewiesen. Die 
Inkubation dauert in der Regel acht bis 
vierzehn Tage, kann aber nach den jetzi¬ 
gen Erfahrungen in immerhin seltenen 
Fällen einerseits bis auf vier'bis fünf 
Tage herunter und andererseits bis auf 
23 Tage hinaufgehen. Das Anfangssta¬ 
dium der Krankheit weist im allgemeinen 
charakteristische Zeichen nicht auf und 
verläuft unter rheumatischen und in- 
fluenzaähnlichenErscheinungen. Die Kopf- 
und Gliederschmerzen steigern sich all¬ 
mählich, der Kranke erscheint leicht be¬ 
nommen und klagt auch über Schwindel 
und großes Schwächegefühl. Die Augen 
haben einen eigenartigen Glanz, es be¬ 
steht Conjunctivitis und Lichtscheu. 
Die Zunge ist leicht belegt, zeigt aber 
im Gegensätze zur Typhuszunge an 
den Rändern und an der Spitze die 
regelrechte rote Farbe. Am Rachen 
und Gaumen werden dunkle, zunächst 
bandartig am Rande der vorderen 
Gaumenbögen hinziehende Rötungen und 


zuweilen kleine, blutig erscheinende Fleck¬ 
chen beobachtet. Über den Lungen sind 
meist die Erscheinungen einer trockenen 
Bronchitis festzustellen. Herpes labialis 
kommt bei etwa 6% der Fälle vor. 

Besonders hervorstechend und für das 
Fleckfieber charakteristisch sind im weL 
teren Krankheitsverlaufe das Exanthem, 
der Fieberverlauf und die Erscheinungen 
von seiten des Gefäßsystems und des 
Centralnervensystems. 

Die ersten Zeichen des Ausschlages 
werden nach Jürgens am dritten oder 
vierten, spätestens am fünften oder sech¬ 
sten Tage bemerkbar, sind aber so früh 
nur bei sehr sorgfältiger Betrachtung der 
Haut und oft erst nach gründlicher Reini¬ 
gung festzustellen. Es treten kleinste 
hellrote, den Typhusroseolen sehr ähn¬ 
liche Fleckchen zuerst gewöhnlich auf der 
Brust oder der Schulter oder an den 
Armen und den seitlichen Bauchteilen 
auf, dann aber schließt das Exanthem in 
immer größerer Zahl und Ausdehnung 
hervor, so daß nach wenigen Tagen fast 
der ganze Körper von dem Ausschlage be¬ 
deckt ist.. Nachschübe wie bei den Reseo- 
len des Unterleibstyphus kommen nicht 
vor. Am reichlichsten sind meist Rumpf 
und Arme befallen, das Gesicht mit Aus¬ 
nahme der 'Stirn bleibt in der Regel frei. 
Im Gegensätze zum Typhus befällt der 
Ausschlag beim Fleckfieber auch Hand¬ 
teller und Fußsohlen. Das Fleckfieber¬ 
exanthem behält aber seinen Roseola¬ 
charakter nicht lange. Auf der Höhe 
sieht man nicht mehr einzelne rund 
abgegrenzte Fleckchen von hellroter 
Farbe, sondern einen dichten, unscharf 
begrenzten Ausschlag, der eine schmutzige, 
später livide Färbung zeigt. Die Flecken 
lassen sich auch jetzt nicht mehr, wie an¬ 
fangs, wegdrücken. Die petechiale Um¬ 
wandlung des Exanthems ist charakte- 

42 



330 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


September 


ristisch, wenn sie auch nicht in allen 
Fällen deutlich erkennbar ist. Manchhial 
kommt es zu kleinen Hautblutungen ent¬ 
weder in Form punktförmiger Hämor- 
rhagien oder aber in größerer Ausdehnung 
wie bei Purpura. Bei leichteren Fällen 
verschwindet das Exanthem frühzeitig, 
ohne Spuren zu hinterlassen, in schwereren 
Fällen sind aber Überbleibsel des hämor¬ 
rhagischen Ausschlages in Form schmutzi¬ 
ger, gelblich pigmentierter Flecke noch 
weit in die Rekonvaleszenz hinein nach¬ 
weisbar. Gewöhnlich zeigt die Haut des 
Fleckfiebergenesenden eine feine kleien¬ 
förmige Abschuppung, die sich durch 
mechanisches Reiben leicht nachweisen 
läßt und für abgelaufene Fälle diagnostisch 
wichtig ist (Brauers Radiergummiphäno¬ 
men). 

Das Fieber zeigt bei allen schwereren 
Fällen einen durchaus typischen Verlauf. 
Die Temperatur steigt in drei bis vier 
Tagen staffelförmig auf etwa 40° C. Ein¬ 
zelne Remissionen können während des 
Anstieges auftreten, bilden aber nicht die 
Regel. Das Fieber verharrt dann, mit¬ 
unter nach einer geringen Wiederabsen¬ 
kung, in der Continua zehn bis zwölf (nach 
Munk zwölf bis vierzehn)Tage lang, ohne 
daß regelmäßige Remissionen auftreten. 
Der Unterschied zwischen Morgen- und 
Abendtemperatur beträgt meist nicht 
mehr als y 2 °. Wenn auf der Höhe der 
Continua Intermissionen mit Schüttel¬ 
frösten auftreten, liegen fast stets Kom¬ 
plikationen vor, z. B. Bronchopneumonie, 
Otitis oder dergleichen. Gegen Ende der 
Continua kommt es allerdings auch bei 
regelrechtem Krankheitsverlaufe oft zu 
stärkeren Re- oder Intermissionen, auch 
kann die Temperatur in der zweiten Krank¬ 
heitswoche schon vor dem Nachlassen der 
schweren Kränkheitserscheinungen im all¬ 
gemeinen niedriger werden. Der Abstieg 
der Fieberkurve ist wenn auch nicht 
krisisartig, so doch steil treppenförmig 
und nimmt im Gegensätze zur Lyse des 
Typhusfiebers wiederum nur wenige Tage 
in Anspruch. Das Fieber dauert also bei 
allen schwereren unkomplizierten Fällen 
mit großer Regelmäßigkeit im ganzen 
13—16 Tage. Bei den leichten Fällen, die 
man bei allen Epidemien und namentlich 
bei Kindern antrifft, verwischt sich das 
Fieberbild oft sehr erheblich sowohl in der 
Höhe der Temperaturen, als auch in der 
Dauer. Aber auch bei den von vornherein, 
besonders schweren und tödlich verlau¬ 
fenden Fällen weicht der Temperatur¬ 
verlauf vielfach von der geschilderten 
Regel ab. Die Kurve wird hier meist 


kürzer, aber der Tod tritt fast stets erst 
während oder gar nach der Entfieberung 
ein oder, richtiger gesagt, die Temperatur 
sinkt allmählich, wenn der Tod eintritt 
(Jürgens). 

Besonders bemerkenswert sind beim 
Fleckfieber die Krankheitserscheinungen 
von seiten des Gefäßsystems, die zum 
großen Teile .auf specifischen anatomi¬ 
schen Gefäßveränderungen beruhen. Es 
treten regelmäßig und frühzeitig schwere 
Kreislaufstörungen auf, die in gleicher 
Weise bei anderen Infektionskrankheiten 
nicht beobachtet werden und daher in 
ihrem Gesamtbilde diagnostisch äußerst 
wichtig sind. Sie beruhen nicht auf einer 
Intoxikation des Herzmuskels, auch nicht 
auf einer Schädigung der nervösen Regu¬ 
lation des Blutumlaufes, sondern auf den 
anatomischen Läsionen der kleinsten Herz¬ 
muskelarterien, die später kurz zu be¬ 
sprechen sind. Die Verschlechterung des 
anfangs mäßig frequenten und normal 
gespannten, später aber unregelmäßigen, 
weichen und leicht unterdrückbaren Pulses 
setzt meist ziemlich plötzlich und gleich¬ 
zeitig mit der Verschlechterung des All¬ 
gemeinzustandes und mit dem Auftreten 
der bedrohlichen nervösen Erscheinungen 
ein. Nach der Entfieberung werden auf¬ 
fallend niedrige Pulswerte gefunden von 
60 und weniger Schlägen, und diese blei¬ 
ben oft bis weit in die Rekonvaleszenz 
hinein bestehen. . Munk beobachtete 
sogar Pulswerte von 32 bis 38 Schlägen 
tagelang. Der arterielle Blutdruck weist 
ebenfalls Werte auf, die weit unter dem 
Normalen liegen. Schon vom fünften bis 
siebenten Krankheitstage an werden Blut¬ 
druckwerte von 100 mg (nach Riva- 
Rocci gemessen) festgestellt, in der zwei¬ 
ten Krankheitswoche geht der Druck 
weiter zurück und um den Zeitpunkt der 
Entfieberung herum erfolgt abermals ein 
Absinken der Blutdruckkurve. Werte 
von 80 bis 90 mm Hg bilden auch bei 
günstig verlaufenden Fällen die durch¬ 
schnittlichen Befunde. Die niedrigen 
Blutdruckwerte bleiben lange Zeit auch 
in der Rekonvaleszenz noch bestehen. Bei 
älteren Kranken und bei solchen, die ein 
sonst schon geschädigtes Gefäßsystem 
haben, ist die erhebliche Blutdrucksen¬ 
kung natürlich besonders folgenschwer 
und wird meist die Ursache des letalen 
Ausganges. Äußerlich kenntlich wird 
dieser Zustand an der zunehmenden, eigen¬ 
artig graucyanotischen Gesichtsfarbe, 
dem Kaltwerden der peripheren Körper¬ 
teile und dem allgemeinen Verfalle der 
Gesichtszüge. Munk faßt auch die bläu- 




September Die Therapie der 


lich-livide Verfärbung des Exanthems in 
den späteren Krankheitst^gen und dessen 
petechiale Umwandlung als Folge der 
Blutdrucksenkung auf und ebenso die im 
Gefolge des Fleckfiebers so häufig auf¬ 
tretende symmetrische Gangrän und die 
ausgedehnten flächenhaften Hautdefekte, 
die an den aufliegenden Körperstellen bei 
den Kranken oft beobachtet werden. 

Die Störungen von seiten des Nerven¬ 
systems geben dem Krankheitsbilde des 
Fleckfiebers ebenfalls ein besonderes Ge¬ 
präge. Die meisten Kranken lassen eine 
starke geistige Abspannung erkennen, 
ebenso weisen die leichten Delirien und 
die Schlaflosigkeit schon frühzeitig auf 
eine erhebliche Beteiligung des Central¬ 
nervensystems erkennen. Die psychischen 
Störungen und die Delirien nehmen mit 
dem Fortschritte der Erkrankung meist 
ernstere Formen an und pflegen bei 
schweren Fällen auch in der fieberfreien 
Zeit, allmählich abklingend, noch lange 
fortzubestehen. Auch katatonieähnliche 
Zustände werden öfter beobachtet. Bei 
schweren, tödlich verlaufenden Fällen 
stellen sich bald die Zeichen der schwer¬ 
sten Erschöpfung ein, die mit Koma und 
Konvulsionen einhergehen können und 
in schwersten Hirnschädigungen ihre Ur¬ 
sache haben. Auch Störungen motorischer 
und funktioneller Art kommen in den 
verschiedensten Formen vor, ebenso eigen¬ 
artige Veränderungen der Sprache, Laby¬ 
rinthstörungen usw. 

Die Milz ist.im Beginne der manifesten 
Erkrankung regelmäßig durch die Per¬ 
kussion, oft auch durch die Palpation als 
vergrößert zu erkennen. Mit dem Fort¬ 
schreiten des Infektionsprozesses wird 
die Milz aber schnell kleiner, was diffe¬ 
rentialdiagnostisch wichtig ist. Bei der 
Obduktion Fleckfieberkranker, die nach 
der Entfieberung gestorben sind, findet 
man eine auffallend kleine Milz.' Milz¬ 
schwellungen, die am achten oder neunten 
Krankheitstage noch bis zum Rippen¬ 
bogen reichen, kommen bei unkomplizier¬ 
tem Fleckfieber nicht vor. Auch die 
Leber ist in den Anfangsstadien der 
Krankheit oft vergrößert und druck¬ 
empfindlich. Die Nieren sind vielfach in 
leichter, seltener in schwerer, unter Um¬ 
ständen auch hämorrhagischer Form ent¬ 
zündlich verändert. Der Harn, der nicht 
wie bei anderen fieberhaften Infektions¬ 
krankheiten hochgestellt ist, gibt oft 
schon in der ersten Zeit, regelmäßig aber 
auf der Höhe der Erkrankung Diazo- 
reaktion. Das Verhalten des Darm- 
traktus bietet keine charakteristischen 


Gegenwart 1917. ( 331 


Befunde. Der Stuhl ist entweder regel¬ 
mäßig oder im Beginne der Krankheit, 
angehalten. Es kommen aber auch mehr¬ 
tägige Diarrhöen vor. 

Das Blutbild läßt während des.Fie- 
berstadiums in der Regel eine mäßige, in 
schweren Fällen oft eine stärkere Vermeh¬ 
rung der Leukocyten, vorwiegend der 
vielkernigen, erkennen. Es gibt aber auch 
unzweifelhafte Fleckfieberfälle, bei denen 
eine Leukocytose fehlt. Immerhin spricht 
in Verdachtsfällen . eine frühzeitig, auf¬ 
tretende deutliche Leukopenie für Ab¬ 
dominaltyphus. Die Untersuchung des 
Liquor cerebrospinalis ergibt keine gleich¬ 
mäßigen und.diagnostisch sicher verwert¬ 
baren Resultate. 

Der Verlauf des Fleckfiebers ist im 
allgemeinen nach demUrteileder Autoren, 
die größere Epidemien zu beobachten Ge¬ 
legenheit hatten, auffallend eintönig. So 
mannigfachen Abweichungen im Krank¬ 
heitsbilde, wie sie andere Infektionskrank¬ 
heiten und speziell der Unterleibstyphus 
bieten, kommen bei ihm nicht vor. Alle 
Erwachsenen, die die Krankheit noch 
nicht durchgemacht haben, erkranken 
nach der Infektion ziemlich gleichmäßig. 
Natürlich gibt es aber leichter und 
schwerer verlaufende Fälle. In den leich¬ 
ten Fällen und namentlich bei Kindern, 
die die Krankheit oft sogar ambulatorisch 
durchmachen, sind alle Erscheinungen 
insgesamt milder. Die Dauer der Fieber¬ 
periode, auf deren große Einheitlichkeit 
schon hingewiesen wurde, wird aber durch 
die Schwere der Krankheitssymptome 
nicht wesentlich beeinflußt. Hinsichtlich 
der sogenannten atypischen oder 
abortiven Formen gehen die Urteile 
der Autoren noch auseinander. Besonders 
wird die Frage sehr verschieden beant¬ 
wortet, ob und in welcher Häufigkeit Fälle 
ohne Exanthem Vorkommen. Nach den 
früheren Angaben M u r c h i s o n s, die neuer¬ 
dings von verschiedener Seite annähernd 
bestätigt werden, soll bei etwa 10—15% 
der Kranken der Ausschlag vermißt 
werden. Es muß aber nach den neueren 
Untersuchungen das völlige Fehlen des 
Exanthems als selten angesehen werden. 
Wenn man Gelegenheit hat, die Kranken 
von vornherein wiederholt sorgfältig und 
bei guter Beleuchtung zu untersuchen, 
und wenn man die oft stark verschmutzte 
Haut gründlich reinigt und frottiert, 
lassen sich fast stets in den anscheinend 
exanthemlos verlaufenden Fällen ein¬ 
zelne, wenn auch flüchtige Efflorescenzen 
von charakteristischer Beschaffenheit ein- 
| wandfrei feststellen. Der allgemeine In- 

42* 



332 , Die Therapie der 


fektionsverlauf in den verschiedenen Epi¬ 
demien wird nach den neueren Fest¬ 
stellungen nicht unwesentlich beeinflußt 
durch den Grad der früheren Durch¬ 
seuchung der betreffenden Bevölkerung. 
Die auffallenden Mortalitätsunterschiede, 
die während des jetzigen Krieges zwischen 
der Zivilbevölkerung der besetzten rus¬ 
sisch-polnischen Gebiete und den aus 
Rußland und Serbien stammenden Kriegs¬ 
gefangenen einerseits und den erkrankten 
Deutschen und Österreichern anderer¬ 
seits zu beobachten waren, lassen sich 
kaum anders erklären. Ob daneben noch 
der „Genius epidemicus“ eine wichtigere 
Rolle spielt, muß einstweilen unentschie¬ 
den bleiben. 

Die Rekonvaleszenz tritt in der 
überwiegenden Mehrzahl der Fälle zwi¬ 
schen dem 15. und 17. Tage, auch bei 
schweren Fällen aber immer vor dem 
Ende der dritten Woche ein unter Abfall 
des Fiebers und gleichzeitigem Nach¬ 
lassen der schweren charakteristischen 
Krankheitserscheinungen. . Rezidive und 
Nachschübe kommen nicht vor. Er¬ 
neuter Fieberanstieg hat mit dem Fleck¬ 
fieber an sich nichts zu tun, sondern ist 
stets auf Komplikationen oder Nach¬ 
krankheiten zurückzuführen. , Heftige 
Kopfschmerzen und die Zeichen einer 
großen Labilität des Gefäßsystems machen 
sich noch längere Zeit bemerkbar. Na¬ 
mentlich bei älteren Personen, die eine 
schwere Fleckfiebererkrankung über¬ 
standen haben, dauert es oft vier bis sechs 
Wochen, bis sie wieder soweit gekräftigt 
sind, daß sie einer nutzbringenden Be¬ 
schäftigung nachgehen können. In Fällen, 
die .mit stärkeren Delirien einhergingen, 
wird oft eine ausgesprochene Amnesie für 
die Erlebnisse-der Fieberzeit beobachtet. 
Leichter Erkrankte erholen sich bei guter 
Pflege verhältnismäßig schnell. 

Unter den Komplikationen des 
Fleckfiebers werden besonders häufig 
krankhafte Erscheinungen von seiten der 
Respirationsorgane beobachtet, Bronchi¬ 
tiden, Laryngitiden, Pleuritiden, Lungen¬ 
hypostasen, auch Lungengangrän; eigent¬ 
liche Pneumonien dagegen selten (Jür¬ 
gens). Eigenartige und in ihren Ursachen 
vorläufig noch ungeklärte Komplika¬ 
tionen sind die Transsudate, die sich in 
Form von Ascites, Pleuraergüssen oder 
noch häufiger in Form ausgedehnter 
Ödeme bemerkbar machen. Erkrankun¬ 
gen der Nieren fehlen dabei vielfach. Die 
Ödeme gehen mit Hydrämie, starker 
Anämie und Marasmus einher und können 
unter Hinzutritt skorbutähnlicher Er¬ 


Gegenwart 1917. September 


scheinungen schwere Krankheitszustände 
bedingen, die mitunter nach anhaltenden 
Durchfällen zum Tode führen (Jürgens). 

Als Mischinfektionen wurde im 
jetzigen Kriege vielfach Rückfallfieber 
festgestellt, das ja auch durch Läuse über¬ 
tragen wird, ferner Fünftagefieber, Ma¬ 
laria und Unterleibstyphus. Daß durch 
derartige Mischinfektionen das Krank¬ 
heitsbild des Fleckfiebers sehr erheblich 
verändert und die Diagnose oft außer¬ 
ordentlich erschwert wird, leuchtet ohne 
weiteres ein. Auch andere Infektions¬ 
erreger pflegen in dem durch eine schwere 
Fleckfieberinfektion geschwächten und 
oft durch eine äußerst mangelhafte Kör¬ 
perpflege heruntergekommenen Organis¬ 
mus leicht sekundär Fuß zu fassen. So 
kommt es oft zu hartnäckiger Furunku¬ 
lose, zu Soorerkrankungen, Coliinfektio- 
nen, Erysipel, Vereiterungen des Mittel¬ 
ohres, der Ohrspeicheldrüsen, Submaxil- 
lardrüsen uSw. 

Als besonders wichtige und folgen¬ 
schwere Nachkrankheit des Fleckfiebers 
sind die spontanen, meist symmetrischen 
gangränösen Erkrankungen der Ex¬ 
tremitäten und anderer Körperteile 
(Ohren, Nase, Genitalien) zu erwähnen, 
die früher der Krankheit den Namen 
„Faulfieber“ eingetragen haben. Auch 
Hautpartien am Rumpfe sieht man, be¬ 
sonders an Stellen, die einem längeren 
Drucke ausgesetzt sind, in oberflächlicher, 
aber oft ausgedehnter Form brandig wer¬ 
den. In der Regel tritt die Gangrän bald 
nach der Entfieberung, mitunter aber 
auch schon während der Fieberperiode 
ein, nachdem Schmerzen, Cyanose und 
Parästhesien der betreffenden Körper¬ 
teile vorausgegangen sind. Die sie be¬ 
dingenden trophischen Störungen führen 
Brauer, Chiari und andere auf eine 
specifische Entzündung der Intima der 
Arterien und e-ine consecutive Thrombose 
zurück, Munk hält sie lediglich für eine 
Folge mangelhafter Blutcirculation auf 
Grund der erheblichen Herabsetzung des 
Blutdruckes. Offenbar spielen aber auch 
Kälteeinwirkungen und mechanische Ein¬ 
flüsse eine bedeutungsvolle Rolle, denn 
bei Winterepidemien treten die Gangrän¬ 
erkrankungen seltener auf als im Sommer 
ünd bei guter und frühzeitig einsetzender 
Krankenhauspflege lassen sie sich meist 
vermeiden. 

Bei den Obduktionsbefunden ergibt die 
makroskopische Untersuchung im allgemeinen 
keine charakteristischen Veränderungen. Da¬ 
gegen sind wir durch die Untersuchungen 
E. Fraenkels auf typische mikroskopische Be¬ 
funde am Gefäßapparat hingewiesen worden, die 



September Die Therapie der Gegenwart 1917. 333 


nicht nur diagnostisch sehr wertvoll sind, sondern 
auch neues Licht in die gesamten pathologischen 
Vorgänge beim Fleckfieber gebracht haben. Im 
Gebiete der Roseolen lassen sich eigenartige Wand¬ 
nekrosen an einzelnen. Stellen der kleinsten Ar¬ 
terien erkennen, die bald auf die Intima beschränkt 
sind, bald auch auf die Muskelschicht übergreifen 
und meist nur kleine sektorenförmige Abschnitte 
der Gefäßwand einnehmen. Mitunter ist damit 
eine stärkere Quellung des befallenen Wand¬ 
bezirkes und eine Verengerung der Gefäßlichtung 
verbunden. Wesentlich beteiligt ist an dem Pro¬ 
zeß das Endothel. An Stellen, die oft vollständig 
vom Endothel entblößt sind, sieht man hyaline 
oder feinkörnige, das Lumen des Gefäßästchens 
ausfüllende Massen. In der Umgebung der er¬ 
krankten Gefäßpartien trifft man herdförmige 
Zellanhäufungen, die entweder die ganze Circum- 
ferenz des Stammes einnehmen und kugelige oder 
spindelförmige Auftreibungen erzeugen oder nur 
auf einen Teil des Umfanges beschränkt sind. 
Die von Fraenkel festgestellten und von anderen 
Autoren durchaus bestätigten Befunde an den 
kleinsten Arterien der Roseolen sind für Fleck¬ 
fieber specifisch und werden hier regelmäßig ge¬ 
funden. Die Venen bieten stets ein normales Ver¬ 
halten. Auch das eigentliche Hautgewebe in 
seinem bindegewebigen und epithelialen Anteil ist 
vollkommen unversehrt. 

Die gleichen Veränderungen werden, wie wei¬ 
tere Untersuchungen von Albrecht, Ben da und 
Ceelen ergaben, auch an den Gefäßen der inneren 
Organe und des Gehirnes gefunden, ebenso auch 
an den Arterien des Auges (A. Gut mann). Im 
Gehirn kommt es im Anschlüsse an die endo- und 
perivasculären Prozesse zu mehr oder weniger 
ausgedehnten Zellinfiltraten und zu histologisch 
nachweisbaren Zerstörungen des funktionierenden 
Parenchyms, der Ganglienzellen und Nerven¬ 
fasern mit den entsprechenden Reiz- und Aus¬ 
fallserscheinungen. Für das klinische Krankheits¬ 
bild sind Sitz und Zahl der einzelnen Herdchen 
sowie die Vergrößerung der Krankheitsherde in¬ 
folge hämorrhagischer Infiltration entscheidend. 

Die Ätiologie des Fleckfiebers ist 
noch nicht geklärt. Soviel steht aber auf 
Grund der neueren Untersuchungen fest, 
daß alle die Bakterien, Diplokokken und 
Spirochäten gewöhnlicher Art, die früher 
von ihren Entdeckern als Fleckfieber¬ 
erreger angesprochen wurden, als solche 
nicht gelten können. Die neuere Zeit hat 
uns aber auch in dieser Richtung ent¬ 
schieden weiter gebracht, sodaß die völ¬ 
lige Lösung des ätiologischen Problems 
wohl nur noch eine Frage der Zeit ist. 
Seitdem die Rolle der Laus als Über¬ 


trägerin der Krankheit sichergestellt war, 
hat man, weil sich das Blut der Kranken 
und die Organe der Fleckfieberleichen der 
Mehrzahl der kritischen und mit einwand¬ 
freier Technik arbeitenden Forscher stets 
als steril erwiesen, den von den Kranken 
stammenden Läusen besondere Aufmerk¬ 
samkeit geschenkt. Ricketts und Wil¬ 
der haben als erste im Darminhalte dieser 
Läuse und solcher, die künstlich durch 
Saugenlassen an Kranken infiziert waren, 
eigenartige polgefärbte Gebilde in großen 
Mengen nachgewiesen, die bei Kontroll- 
läusen von Gesunden nur in seltenen 
Fällen und vereinzelt, jedoch auch dann 
nicht in so typischer Form anzutreffen 
waren. Durch weitere Untersuchungen 
sind dann von Sergent, Foley, Via¬ 
latte, v. Prowazek, da Rocha-Lima 
und anderen Autoren in neuerer Zeit diese 
Gebilde näher studiert worden. Es han¬ 
delt sich um kurze, elliptische, bei der 
Weiterentwickelung die Gestalt etwas 
verändernde, offenbar durch Abschnü¬ 
rung sich teilende kleinste Körperchen, 
die gram-negativ und am besten durch 
Giemsafärbung oder mit der Löffler- 
schen Geißelfärbungsmethode darstellbar 
sind und heute mit dem Namen Rickettsia 
Prowazeki belegt werden. Ihre Mikro¬ 
organismennatur kann durch die morpho¬ 
logischen Eigentümlichkeiten und den 
Nachweis ihrer Vermehrung als erwiesen 
gelten, ihre Kultur in vitro ist noch nicht 
einwandfrei gelungen, da Rocha-Lima 
konnte in Schnittpräparaten nachweisen, 
daß sie in typischer Weise in die Epithel¬ 
zellen des Verdauungstraktus der Läuse 
eindringen und durch ihre starke Ver¬ 
mehrung dortselbst tiefgreifende, charak¬ 
teristische Veränderungen der befallenen 
Zellen hervorrufen. Es entstehen Zell¬ 
kerneinschlüsse, wie wir sie von den 
Chlamydozoen her kennen. Solche Be¬ 
funde ließen sich bei zahlreichen normalen, 
aus fleckfieberfreien Gegenden stammen¬ 
den Läusen niemals erheben. 

(Fortsetzung folgt im nächsten Heft.) 


Verhandlungen der Kriegsärztlichen Abende, Berlin, 
Kaiserin=Friedrich=Haus. 

Bericht von Dr. Hayward-Berlin. 


Sitzung vom 8. Mai 1917. 

Schönheimer: Arzt und vater¬ 
ländischer Hilfsdienst. Im Vergleiche 
zu früheren Zeiten, wo doch ein Herrscher, 
wie Friedrich der Große, als erstrebens¬ 
wertes Ziel das hinstellte, daß die Bevöl¬ 
kerung nichts davon empfinden solle, 
wenn Könige Krieg führen, wird heutzu¬ 


tage die Lebensführung fast jedes ein¬ 
zelnen vom Kriege in Mitleidenschaft ge¬ 
zogen. Als höchste organisatorische Ver¬ 
körperung dieser Idee ist die Hilfsdienst¬ 
pflicht anzusprechen. Ihr sind auch die 
! Ärzte unterworfen. Inwieweit der Arzt von 
dem Gesetze betroffen wird, wird im ein¬ 
zelnen an Hand der bundesratlichen Ver- 





Ordnung und der Gesetzesbestimmung 
erläutert. Nach § 2 des Gesetzes gehört 
der Arzt zu denjenigen, welche im Hilfs¬ 
dienste schon beschäftigt sind, denn dieser 
Paragraph besagt, daß zu ihnen diejenigen 
zurechnen' sind, welche zu Behörden oder 
behördlichen Einrichtungen, unter die 
auch die Krankenkassen fallen, gehören. 
Noch unentschieden ist die Frage, ob die 
ärztliche Privatpraxis im Sinne des Ge¬ 
setzes als ,,Krankenpflege“ anzusehen ist. 
Dagegen steht es außer Zweifel, daß sie 
zur „Volksversorgung“ gehört. Da nun 
eine hilfsdienstpflichtige Beschäftigung 
zugunsten einer anderen nur dann, auf¬ 
gegeben werden darf, wenn erstere das 
Bedürfnis übersteigt, so wird- es für die 
Ärzte, für die es ja meistens nicht zutrifft, 
in der Hauptsache auf die freiwillige 
Hilfsdienstpflicht ankommen, das heißt 
es sollen felddienstpflichtige Ärzte,'die in 
der Heimat und der Etappe noch vor¬ 
handen sind, durch andere ersetzt werden, 
um den Mangel an der Front auszu¬ 
gleichen. Daneben soll die Einrichtung 
der öffentlichen Gesundheitspflege dienen, 
wie Krankenhäusern, Krankenkassen, 
Rettungsinstituten usw., soweit sie an 
Ärztemangel leiden, um ausreichende 
ärztliche Hilfe zu erhalten. Die dies¬ 
bezüglichen Feststellungen sollen von 
den Kreisärzten vorgenommen werden. 
Ein ausreichendes Einkommen muß dem 
in dem Hilfsdienste tätigen Arzte 
gesichert werden. Spätestens ein Monat 
nach Friedensschluß erlöschen die auf 
der Grundlage des vaterländischen 
Hilfsdienstes abgeschlossenen Anstel¬ 
lungen. 

Sitzung vom 22. Mai 1917. 

Langstein: Die künftige Ge¬ 
staltung der Kinderernährung im 
Kriege. Es hat sich durch die Verhält¬ 
nisse auf dem Lebensmittelmarkt die 
Notwendigkeit ergeben, eine Reihe von 
speziellen Rohstoffen, die früher für Kin¬ 
der verwendet wurden, der allgemeinen 
Ernährung zugänglich zu machen. Da 
eine Anreicherung der dem Säugling ver¬ 
dünnt dargereichten Nahrungsmittel mit 
Fett zurzeit unmöglich ist, bleibt nur eine 
Anreicherung mit Kohlehydraten übrig. 
Es ist nötig, in etwa sechs Wochen fol¬ 
gende Nahrungsmengen für den Säugling 
bzw. für die stillende Mutter bereitzu¬ 
stellen: 30---50 g Zucker pro Woche, 200 g 
Weizenmehl pro Woche, 500 g Hafer¬ 
flocken pro Monat und '% bis 1 1 Milch 
täglich. Dem kranken Säugling müssen 
verschiedene malzhaltige Zuckerpräparate 


75 %iges Vorzugsweizenmehl vorgesehen. 
Es muß unter allen Umständen die schon 
eingeleitete S.tillpropaganda weiter aus- 
gebaut werden. 

Hofbauer (Wien), Behandlung von 
Brustschüssen mittels Atemthera¬ 
pie. Durch Demonstration einer größeren 
Anzahl von Bewegungsskizzen der Zwerch¬ 
fellatmung beweist Vortragender, daß mit 
der Entleerung von Pleuraergüssen keines¬ 
wegs sofort normal-anatomische Verhält¬ 
nisse hergestellt werden. Diese Erschei¬ 
nung, ebenso wie die häufigen Skoliosen 
nach Brustschüssen sind durch systema¬ 
tische Atemübungen zu beseitigen. Die 
Theorie dieser Methode wird im einzelnen 
dargelegt und ihre Wirksämkeit durch 
verschiedene Röptgenbilder vorgeführt. 

Sitzung vom 5. Juni 1917. 

Klemperer, Die Krankenernäh¬ 
rung in jetziger Zeit. 

Die Tatsache, daß der Mensch jetzt 
abmagert, bedeutet keineswegs, daß er 
deshalb auch krank sei. Ein Verlust von 
10—20 % des Friedensgewichtes muß 
unter' den heutigen Verhältnissen als 
normal angesehen werden; auch ist ein 
Zurückgang der Muskulatur, abgesehen 
vom Schwerarbeiter, noch nicht als schäd¬ 
lich anzusehen. Die zur Verfügung 
stehende Zahl von Calorien beträgt pro 
Person etwa 1200. In Krankheitsfällen, 
für die Milch und Butter zur Verfügung 
stehen, lassen sich mehr oder weniger 
große Mengen Calorien hinzufügen. Eine 
Verzögerung der Krankheitsheilung durch 
die Herabsetzung der Eiweißzufuhr konn¬ 
te vom Vortragenden fast nie beobachtet 
werden. Überraschend war es, wie gut 
das Kriegsbrot, das bis zu 94 % aus¬ 
gemahlen ist, vertragen wurde, offenbar 
infolge von Bildung neuer Darmfermente. 
Vielfach sah man Obstipationen und 
Neurasthenie durch das Kriegsbrot schwin¬ 
den. Handelte es sich um wirklich 
Magenkranke, so stehen uns bis zu 75 % 
ausgemahlenes Feinmehl und Mehlsuppen 
zur Verfügung. Sogar Mastkuren sind 
im Krankenhause noch möglich. Bemer¬ 
kenswert ist, daß die Rekonvaleszenz 
verhältnismäßig lange dauert. Vortra¬ 
gender führt dann aus, wie bei den ein¬ 
zelnen Krankheitsgruppen die Ernährung 
zu handhaben ist. Zweifellos seltener ist 
die Gicht und der Diabetes geworden. Die 
Kohlehydrate werden von vielen Zucker¬ 
kranken besser vertragen, als anzunehmen 
war. Immerhin sind gerade die Diabeti¬ 
ker, daneben Lungenkranke und Patien- 


334 ' ' Die Therapie der Gegenwart 1917. , 'September 


zugeführt werden. Außerdem ist für ihn 



September Die Therapie der Gegenwart. 1917. 


335 


ten mit Erkrankungen des Gefäßsystems 
oft wesentlich geschädigt. 

Sitzung vom 19. Juni 1917. 

:' Gluck,DieBedeutunginnerer.Pro¬ 
thesen für die plastische Chirurgie. 

Vortragender berichtet über Versuche, 
die sich auf einen Zeitraum von vier Jahr¬ 
zehnten erstrecken. Er gibt zunächst 
eine Übersicht über die biologischen Ge¬ 
setze, denen die Regeneration unter¬ 
worfen ist. Je näher der Organismus onto- 
und phylogenetisch den Einzelligen steht, 
um so vollständiger erfolgt die Regene¬ 
ration. Gluck geht dann ausführlich auf 
die Untersuchungen von Edinger und 
Bethe ein, durch die eine Bestätigung 
seiner eigenen Ergebnisse gegeben worden 
ist. Bei Sehnen und Muskeln tritt nur 
eine Substitution ein bei der Zwischen¬ 
schaltung von Ersatzmaterial. Anders 
dagegen bei den Nerven, bei welchen es 
schließlich zu einer wirklichen Vereinigung 
der Nervenstümpfe kommt. Eine eigen¬ 
artige Erscheinung ist die, daß Elfen¬ 
beintransplantate frakturieren und wieder 
zusammenheilen können. Im allgemeinen 
gebührt jedoch der Autoplastik der Vor¬ 
zug. Unter Vorzeigung zahlreicher alter 
Operationsfälle werden die großen Fort¬ 
schritte demonstriert, die die Chirurgie, 
unterstützt durch eine zweckmäßige Nach¬ 
behandlung, durch die Transplantations¬ 
methoden erfahren hat. 

Weinert, Über schwere Kriegs¬ 
verletzungen an der Hand von im 
Felde gewonnenen Bildern. 


An Aquarellen, welche in der ersten 
Linie angefertigt worden sind, zeigt 
der Vortragende eine große Zahl teils 
seltener, teils typischer pathologisch- 
anatomischer Präparate, welche im 
Hinterlande nur wenig beobachtet 
werden. Hierunter finden sich Schädel- 
Schüsse, Sprengwirkung von Nahschüssen 
und Nachkrankheiten der Kopfschüsse. 
Ferner Gasphlegmone, Fliegerverletzun¬ 
gen usw. 

Sitzung vom 3. Juli 1917. 

Kraus: Über konstitutionelle 
Herzschwäche. 

Virciiows Ansicht, der Vortragen¬ 
der sich nur durchaus anschließen kann, 
ging dahin, daß die Hypoplasie der 
Gefäße schon vor der Pubertät besteht. 
Das, was wir unter funktioneller Herz¬ 
schwäche verstehen, hat seinen Grund 
in einem anatomischen Mangel. Das 
ganze Krankheitsbild wird dann eingehend 
besprochen nach seiner klinischen und 
pathologisch-anatomischen Seite und an 
einem praktischen Beispiel die in Betracht 
kommenden Untersuchungsmethoden und 
Resultate erläutert. Zahlreiche praktische 
Erfahrungen auch des Krieges weisen 
immer mehr darauf hin, daß es eine 
eigentliche konstitutionelle Herzschwäche 
nicht gibt, sondern, daß wir in diesem 
Krankheitsbilde stets nur ein Teilsymptom 
einer bestimmten Konstitution zu be¬ 
trachten haben. 


Referate. 


Aus berufenster Quelle stammende 
Erfahrungen über Badekuren beim Kinde 
bringen die Therapeutischen Monatshefte. 
Heubners Mitteilungen seien ausführ¬ 
licher referiert: 

Eine viel größere Zahl von kindlichen 
Erkrankungen eignet sich-für Badekuren, 
als den meisten Praktikern geläufig ist. 
Krankhafte Veranlagung, krankhafte Zu¬ 
stände, chronische Erkrankungen, even¬ 
tuell auch die Nachwehen akuter Er¬ 
krankungen des Kindes sind meist ebenso 
gut durch Kuraufenthalt zu beeinflussen 
wie die. des Erwachsenen. 

Allgemeine Minderwertigkeit, 
die sich besonders durch das Symptom 
der reizbaren Schwäche kennzeichnet, 
läßt sich durch klimatische Kuren gut 
aufbessern. Abnorme Empfindlichkeit 
gegenüber äußeren Reizen und dabei doch 
träges Einsetzen und Unzulänglichkeit 
der durch den Reiz ausgelösten Gegen¬ 


wirkung, mangelhafte Entwicklung,Blässe, 
Appetitlosigkeit, alles Kennzeichen all¬ 
gemeiner Minderwertigkeit; dabei kann 
es sich um intelligente, lustige Kinder 
handeln, die erst nach Eintreten der 
Schulzeit aüch geistig rasche Ermüdbar¬ 
keit aufweisen. Öftere Wiederholung, 
nicht zu langen Aufenthalts in freier Luft 
bei Vermeidung stärkerer Reize ist hier¬ 
für angezeig't. An der See soll darauf ge¬ 
achtet werden, daß die Kinder nicht 
länger als 2—3 Stunden täglich am 
Strande sind: Seewind und Wellengang 
sind schon als stärkere Reize anzusehen, 
die nicht zu lange einwirken dürfen. 
Der kleine Patient muß lange, auch 
nach dem Mittagessen noch eins bis 
zwei Stunden schlafen. Ostseebadeorte 
sind in der Witterung mehr an das 
Binnenklima sich anlehnend; sie sind 
Nordseebädern vorzuziehen. Von Binnen¬ 
kurorten sind die mit viel Sonne und 



September 


336 , • Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Wald, gegen Wind geschützten vor¬ 
zuziehen: Hahnenklee, Tambach, Fried- 
richsroda. Vermieden werden sollen 
die Orte in höherem Mittelgebirge und 
Solbäder; eine Unterstützung der Kur 
durch Trinkenlassen eisenhaltiger Quellen 
ist zulässig. Für diese Art Kinder, die 
allgemein Schwächlichen aus den un¬ 
bemittelten Kreisen der Bevölkerung, ist 
auch durch Ferienkolonien gut gesorgt. 

Beim Lymphatismus (der exuda- 
tiven Diathese) versagt bisweilen der 
Hauptfaktor der Therapie, die geeignete 
Abänderung der Ernährung: Aufenthalt 
im Solbad ist die indizierte Kur. Der 
Verschicken von Kindern mit immer wie¬ 
der' rizidivierenden Katarrhen der 
Atmungsorgane in Kurorte wie Rei¬ 
chenhall, Ems u. a. ist allgemein üblich. 
Viel wichtiger noch als die günstige Be¬ 
einflussung der katarrhalischen Erschei¬ 
nungen selbst durch den Kurgebrauch 
ist die Kräftigung der ganzen Konstitu¬ 
tion. Von einem kurzen Badeaufenthalt 
ist da wenig zu erwarten. Eine ganze 
Reihe von Monaten zu wiederholten 
Malen soll das Kind an die See, und so 
frühzeitig wie möglich. Hat sich erst ein 
chronisches Rezidivieren festgesetzt, dann 
ist völlige Ausheilung sehr schwer zu er¬ 
reichen. 

Bei ,,nervösen“ Kindern, die „das 
Hauskreuz.jeder Familie bilden“, wie der 
Verfasser anschaulich sagt — damit ist 
der Zustand besser charakterisiert als 
mit dem Aufzählen einer Reihe von 
Symptomen des Krankheitsbildes — er¬ 
füllt der Kuraufenthalt, die Hauptfor¬ 
derung der Therapie in schönster Weise: 
es zieht den reizbaren, jähzornigen, un- 
lustigen Patienten heraus aus der ge¬ 
wohnten Umgebung. Diese Kinder sollen 
längere Zeit in Erziehungssanatorien kli¬ 
matisch günstiger Gegenden unterge¬ 
bracht werden, von denen es freilich nicht 
allzuviel gibt. Fünf werden als gut erprobt 
vom Verfasser namentlich aufgeführt. 

Von der Gruppe der tuberkulösen 
bzw. Tuberkulose verdächtigen Kin¬ 
der spaltet Heubner noch die Gruppe 
der Prophylaktiker ab; will sagen, 
Kinder tuberkulöser Abstammung, die 
allgemein schwächlich, blaß sind, ohne 
den Verdacht einer latenten oder Zeichen 
vorhandener Tuberkulose zu bieten. Auch 
hier gilt es, die Gesamtkonstitution um¬ 
zuwerten, sie auf das Höchstmaß der 
relativen Leistungsfähigkeit zu bringen 
durch immer wiederholte mehrmonatige 
Kuren, eine Forderung, die von unbe¬ 
mittelten leider kaum erfüllt werden kann. 


Das Klima des Hochgebirges über 1500 m 
fördert Atmung, Herztätigkeit, Blutbil¬ 
dung, Eiweißansatz. Die Einwirkung 
der Gebirgssonne kann im Tiefland kaum 
ersetzt werden. St. Moritz, Davos, Arosa 
haben gutgeleitete Kindersanatorien. Im 
deutschen und österreichischen Hoch¬ 
alpengebiet fehlt es noch daran. „Ver¬ 
dächtige“ Kinder, also solche, die irgend¬ 
welche Zeichen bereits überstandener 
suspecter Erkrankungen — Pleuritis, Drü¬ 
seneiterung — bieten oder die leicht 
fiebern, Katarrhe haben, werden am 
besten in Kurorte gesandt, wo sie zu¬ 
gleich einer ärztlich durchgeführten Tuber¬ 
kulinkur unterzogen werden können. 

Congenital syphilitische Kinder 
zeigen recht oft auch neben den sped.fi-' 
sehen Erscheinungen schwäche Allgemein¬ 
konstitution, Gemütsverstimmung, Ap¬ 
petitlosigkeit. Neben der antisyphiliti¬ 
schen Therapie ist dann Verschickung in 
einen Kurort geeignet, und zwar ist ein 
Ort mit jodhaltigen Quellen zu bevor¬ 
zugen, wenn auch nicht unbedingt 
notwendige Krankenheil-Tölz und Hall 
hegen beide in schöner Voralpengegend. 
Über Luesbehandlung haben dort an¬ 
sässige Ärzte besonders . gute Erfahrung. 

Ist spastische Gliederstarre zu 
langsamer Besserung gekommen, beson¬ 
ders, wenn das Gehen wieder einigermaßen 
erreicht ist, dann ist es an der Zeit, die 
Heilung durch warme Schlammbäder oder 
den Besuch der Akratothermen, Wildbad, 
Gastein, Teplitz, zu beschleunigen. 

Radiumhaltige heiße Quellen, allen¬ 
falls auch moussierende Stahlbäder (Ku- 
dowa, Pyrmont, Elster) können zur Be¬ 
seitigung von Lähmungsresten, etwa 
poliomyelitischer, herangezogen werden. 

Der vielfach verbreiteten Illusion, 
man könne geistig zurückgebliebenen, 
schwachsinnigen Kindern durch kli¬ 
matische Kuren Nutzen bringen, soll der 
Arzt entgegentreten und baldige Unter¬ 
bringung in einer heilpädagogischen An¬ 
stalt durchsetzen, bei der der Leiter viel 
wichtiger ist als gutes Klima und schöne 
Lage. 

Die Nachwehen akuter Störungen der 
Atmungsorgane: Schrumpfung, Ver¬ 
wachsung, chronischer Kartarrh, werden 
besonders gut beseitigt bzw. verhütet in 
den Südalpenkurorten Meran, Varese, 
Lugano. Auch Abbazia besitzt ein schönes 
Kindersanatorium. Im Sommer sind 
auch Schwarzwälder und Riesengebirgs- 
kurorte gut brauchbar. 

Nach akut rheumatischen oder In-, 
fektionskrankheiten zurückbleibende 



September Die Therapie der 


Herzerscheinungen sollen erst in bal- 
neologisch - klimatische Behandlung ge¬ 
geben werden, wenn sorgfältige Kontrolle 
der Herzleistung ergeben hat, daß die 
Anstrengung der Reise keine Schädigung 
bedeuten wird, vor allem erst, nachdem 
die Temperaturen längere Zeit in. der Norm 
geblieben sind. Seebäder sind auszu¬ 
schließen, ebenso alle Kurorte, die Rheu¬ 
matischen versagt sind. Gut ist die 
Riviera oder ein Specialherzbad wie 
Nauheim. Kompensierte Herzfehler sind 
besser in Kudowa oder Pyrmont aufge¬ 
hoben. 

Chronische katarrhalische Erkrankun¬ 
gen des Rachens trotzen gar oft jeder 
spezialistischen und örtlichen Behandlung. 
Mandelentzündungen, Reizhustefi kehren 
immer wieder. Nach Heubners Erfah¬ 
rung sind viel wirksamer noch als die üb¬ 
lichen alkalisch muriatischen Wässer von 
Ems, Salzbrunn, Salzungen Schwefel¬ 
quellen. Fünf- bis sechswöchige Trink¬ 
kuren, eventuell mehrmals im Jahre 
(auch zu Hause) wiederholt, je 20 bis 
120 ccm auf nüchternen Magen, haben 
zweifellos gute Wirkung gehabt. Eine 
pharmakologische Erklärung fehlt vor¬ 
läufig, die gute Erfahrung bleibt bestehen. 

Verdauungsstörungen bei Kindern 
sind ebenso wie die der Erwachsenen durch 
Karlsbader Trinkkur gut zu beeinflussen; 
sei es durch Verordnung einer regel- 
. rechten Mühlbrunnenkur zu Hause, sei 
es durch Karlsbader Kur an Ort und Stelle. 

Chronische Nephrosen des Kin¬ 
desalters bieten oft eine trostlose Aus¬ 
sicht • gegenüber medikamentöser Beein¬ 
flussung. Orthotische Albuminurie ist 
noch die harmloseste Nierenerscheinung. 
Kräftigung des Allgemeinzustandes in 
den oben genannten entsprechenden Kur¬ 
orten bringt meist auch die orthotische 
Albuminurie zum Verschwinden. Leichte 
chronische Nephritis — Heubners Pae- 
donephrose — d. h. dauernde Eiwei߬ 
ausscheidung mäßigen Grades auch im 
Liegen, regelmäßiges Vorfinden von Cy- 
lindern, Erythrocyten usw. ohne irgend¬ 
welche ernsteren Allgemeinerscheinungen 
heilt meist nach Jahre langer Dauer doch 
endlich von allein aus. Trotzdem kann 
man den Wildunger oder Karlsbader 
Kuren auch hierbei einen Nutzen nicht 
absprechen, besonders wenn sie an Ort 
und Stelle gebraucht werden. Die feuch¬ 
ten, ungesunden Straßen der Großstadt 
mit den trockenen reinlichen Spazier¬ 
wegen dort zu vertauschen, ist gewiß für 
diese Nephritiker nicht ohne Einfluß. 


Gegenwart 1917. 337 


Schwere Formen kindlicher Nierenkrank¬ 
heiten brauchen langen Aufenthalt in 
Ägypten — im „friedlichen“ Ägypten 
sollte man zur Zeit sagen — oder sogar 
in den Tropen zum Ausheilen, ebenso 
die chronische Pyelitis. Eine Sicherheit 
der Ausheilung aber gewährt auch diese 
kostspielige Klimatotherapie nicht. Ge¬ 
hören also die Eltern nicht zur Praxis 
aurea sive brillantina, dann spare man 
lieber das Geld. j. v. Roznowski. 

Über geburtshilfliche Fragen gibt 
Stöckel eine für den Praktiker sehr lesens¬ 
werte Übersicht an Hand der einschlä¬ 
gigen Literatur des vergangenen Jahres, 
wobei die persönliche Note das Interesse 
steigert. Der in einigen Fragen geänderte 
Standpunkt wird exakt begründet. In 
der Kaiserschnittfrage werden die Vor¬ 
züge des transperitonealen Kaiserschnitts 
anerkannt. Die Stellung des Arztes kann 
gefährdet werden durch ein zu laxes Ver¬ 
halten dem Abortus arteficialis gegen¬ 
über; aus den Sitzungsberichten der 
gynäkologischen Gesellschaft kann klar 
ersehen werden, daß die Indikationsbreite 
bei Tuberkulose abgenommen, ausgenom¬ 
men offene Gelenktuberkulose, bei Herz¬ 
klappenfehlern zugenommen hat. Da 
nun überhaupt mit dem Geburtenrück¬ 
gänge gerechnet werden muß, soll Perfora¬ 
tion möglichst aufgegeben werden (Win¬ 
ter, Künstliche Frühgeburt). Für die 
Eklampsie ist die sofortige Entbindung 
dem abwartenden Verfahren an Erfolgen 
überlegen. Die Schwere der jetzt im 
Kriege weniger auftretenden Fälle hat 
abgenommen, was für die Eklampsiefor¬ 
schung (Einfluß der Ernährung) von Be¬ 
deutung ist. Dem Praktiker wird geraten; 
bei der Inhalationsnarkose zu bleiben, da 
die Nebenwirkungen der isolierten Uterus¬ 
anästhesierung nicht zu unterschätzen 
sind. Den Schluß bildet die Aufforderung 
zu einer besseren Ausbildung; es muß 
unter anderem die allgemeine Geburts¬ 
hilfe in der Form einer propädeutischen 
Klinik ein Pflichtkolleg für das siebente 
und achte Semester werden. 

Über die Gynäkologie 1916/17 be¬ 
richtet A. Martin. Aus der Fülle des 
Gebotenen möge folgendes angeführt wer¬ 
den: Die operativen Erfolge bei der Be¬ 
handlung des Uteruskrebses sind sicherlich 
gute (Klinik Schauta), dem gegenüber 
muß jedoch die volle Berechtigung zur 
Bestrahlung auch der operablen Collum- 
carcinome angesichts der vorliegenden 
Beobachtungen unbedingt anerkannt 

43 




338 Die Therapie der 


werden (Krönig). Daß die Röntgenbe- < 
handlung der Myome wie hämorrhagi¬ 
sche Metropathien glänzende Erfolge er¬ 
zielt, wird als bekannt vorausgesetzt; in 
der Bestrahlungstechnik ist noch keine 
Einigung erzielt. Auf der einen Seite 
wird für die Beseitigung der Blutungen in ' 
einer einmaligen Sitzung Beweismaterial 
herangezogen, während jedoch auch von 
anderer Seite betont wird, daß bei meh¬ 
reren Sitzungen die Ausfallserscheinungen 
an Heftigkeit verlieren; unter jeder Be¬ 
dingung ist im Auge zu behalten, daß die 
durch Bestrahlung erzielte Amenorrhoe 
und Myomheilung zwei verschiedene 
Dinge sind (Sippel). Die Gynäkologie 
wendet sich immer mehr unblutigen Heil¬ 
methoden zu, so gewinnt die Diathermie¬ 
behandlung bei chronischen Beckenzell¬ 
gewebsentzündungen ein segensreiches Ar¬ 
beitsfeld (Lindemann). Für die Gonor¬ 
rhöebehandlung ist eine sehr lange Beob¬ 
achtungszeit erforderlich; hier wie bei 
den einfachen Katarrhen kann der Prak¬ 
tiker mit Tampons und Siccator viel 
nutzen. Pulvermacher (Charlottenburg). 

(Jahreskurse für ärztliche Fortbildung, Juli¬ 
heft 1917.) 

In einer Festschrift für August Mar¬ 
tin, die anläßlich seines 70. Geburts¬ 
tages von seinen Schülern und Freunden 
herausgegeben wurde und ehrenvolle 
Worte für sein zielbewußtes und segens¬ 
reiches Wirken enthält, versucht Bumm 
Mittel und Wege zu finden, dem Geburten¬ 
rückgang Einhalt zu tun; viel könne er¬ 
reicht werden durch bessere Fürsorge für 
die schwangeren Frauen, Verminderung 
der Geschlechtskrankheiten, wie bessere 
Säuglingsfürsorge; der Wille gegen das 
Kind müsse auf das schärfste bekämpft 
werden; solange breite Schichten der 
Bevölkerung die Einschränkung der Nach¬ 
kommenschaft für bequem und nutzbar 
ansehen, wird die Geburtenkurve noch 
weiter sinken. Wenn nun Bumm einen 
wesentlichen Faktor in der Beschränkt¬ 
heit des geburtshilflichen Wirkungskreises 
nicht sieht, glaubt Hengge demgegen¬ 
über doch die Zahl der lebend geborenen 
Kinder dadurch wesentlich heben zu 
können, daß jede Geburt in einer Anstalt 
vor sich gehen müsse, in der jeder Arzt 
tätig sein könne — also mit freier Arzt¬ 
wahl —, wo aber auch gleichzeitig ein 
vollwertiger Geburtshelfer für schwierige 
Fälle sofort zu Rate gezogen werden könne. 
Nach Ansicht des Referenten ein schwer 
durchzuführender Vorschlag, da bei der 
eigenartigen Psyche einer gebärenden 


Gegenwart 1917. September 


Frau der praktische Arzt bald das fünfte 
Rad am Wagen sein wird. — Mit der 
Frage, welche Myome bestrahlt und welche 
operiert werden müssen, beschäftigen 
sich zwei Arbeiten. Mackenrodt nimmt 
folgenden Standpunkt ein: operiert wer¬ 
den die mittleren : und kleineren Myome 
junger Frauen, besonders wenn eine Kom¬ 
plikation mit Ovarialtumoren , vorliegt, 
ebenso die submukösen blutenden, über 
die Grenze von 40 Jahren hinaus auch 
große Myome nur dann, wenn sie bluten 
und wenn sie Beschwerden machen. Es 
bleibt so nur noch ein kleines Feld für 
die Bestrahlung übrig. Dieselbe Indika¬ 
tionsbreite für die Bestrahlung gibt Czem- 
pin an, der im zweiten Teile seiner Arbeit 
sein Operationsverfahren schildert; wenn 
er zum Schluß die vaginale Korpus¬ 
amputation empfiehlt, so ist es im Gegen¬ 
satz zu ihm für den Erfolg günstiger, die 
Naht der Schnittfläche in die Scheide 
gehen zu lassen, indem das Bauchfell auf 
die Rückfläche des Stumpfes genäht wird, 
wie Referent es nach Riecks Angabe 
immer macht. Nur der Bestrahlung allein 
überweist Döderlein seine Fälle mit 
Cervixcarcinom; : er weist den Einwurf 
sehr scharf zurück, daß es sich etwa nur 
um eine oberflächliche Wirkung, also eine 
Scheinheilung handelt; die Abkehr von 
der Radialoperation ist vollauf berech¬ 
tigt. — Eine ganz andere Materie, näm¬ 
lich eine juristische, enthalten die Arbei¬ 
ten von Paul Rüge und Ed. Martin; 
Rüge geht auf die Gutachtertätigkeit 
ärztlicher Sachverständiger ein, wobei er 
verlangt, daß man sich von jedem Vor¬ 
urteil und jeder Rücksicht auf Berufs¬ 
genossen frei machen müsse, und das 
Gutachten wohl überlegt abgegeben werde, 
sodaß Widersprüche in den eigenen 
Äußerungen nicht Vorkommen können. 
Martin verlangt eine genaue Kenntnis 
der Reichsversicherungsordnung; die Frau 
ist in ihrem erweiterten Wirkungskreise 
Betriebsunfällen ebenfalls ausgesetzt;wird 
der Zustand richtig erkannt, das Leiden 
gehoben, so kann die gesundete Frau 
Kinder gebären, wodurch auch wiederum 
dem Geburtenrückgänge entgegenge¬ 
arbeitet wird. Mit diesem letzteren 
Thema beschäftigen sich in dieser Zeit 
recht viele Arbeiten, die alle unmöglich 
aufgeführt werden können. Hoffen wir 
im Interesse des Staates, daß sich viele 
der gutgemeinten Vorschläge verwirk¬ 
lichen lassen. 

Pulvermacher (Charlottenburg). 

(Mschr. f. Geburtsh. Bd. 46, Heft 1 u. 2.) 



September 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


339 


Die Eröffnung derhinteren Kap¬ 
seltasche und Drainage des Kniege¬ 
lenks ist in der letzten Zeit wiederholt 
Gegenstand der Besprechungen gewesen. 
Die ausführlichste Mitteilung verdanken 
wir einer Monographie von Payr, welche in 
der D. Zschr. f. Chir. Bd. 139 veröffent¬ 
licht ist. Demgegenüber hat Baum und 
auf einer Sitzung der Berliner medizini¬ 
schen Gesellschaft A. Wolff andere Me¬ 
thoden der Eröffnung des Gelenks von 
hinten angegeben. Der . Wolff sehe Fall 
endete tödlich und wurde als ein Aneu¬ 
rysma der Poplitea angesprochen, eine 
Ansicht, die allgemein auf Widerspruch 
stieß. Vielmehr ist es durchaus wahr¬ 
scheinlich, daß das Drain, welches in aller¬ 
nächster Nähe der Gefäße lag, die töd¬ 
liche Arrosionsblutung verursacht hat. 
Den genannten beiden Verfahren tritt 
Payr neuerdings entgegen und zeigt 
nochmals, in welcher Weise die Eröffnung 
des Kniegelenks von hinten vorgenommen 
werden kann, ohne daß irgendeine Ge¬ 
fährdung der Gefäße- eintritt. Sein Ver¬ 
fahren ist folgendes: Der mediale Gastro- 
cnemiuskopf wird auf Fingerbreite nach 
lateralwärts von der Gelenkkapsel abge¬ 
löst, wobei wegen häufig bestehender Ver¬ 
wachsungen zwischen Muskel und fibröser 
Kapsel das Gelenk oft schon eröffnet 
wird. Im anderen Falle wird die quere 
Incision der Kapsel in der Höhe des Ge^ 
lenkspaltes vorgenommen, möglichst weit 
medial reichend, sodaß sie bis in ihren seit¬ 
lichen Anteil incidiert wird. Hayward. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 28.) 

Ausgehend von der heute so häufigen 
Bitte der Mütter um ein Milchattest für ihre 
blassen Kinder bespricht Erich Müller 
die ,,blassen Zustände im Kindes¬ 
alter“ und knüpft daran diagnostische 
und therapeutische Erwägungen. Der 
Arzt soll es sich sehr überlegen, ob dem 
blassen Kinde mit der Gewährung einer 
Milchzulage wirklich gedient ist. Die 
Kinderärzte haben in den letzten Jahren 
bereits die großen Milchmengen für Kin¬ 
der jenseits des ersten Lebensjahres auf¬ 
gegeben und sind auf % Liter bis x j 2 Liter 
täglich herabgegangen mit gutem Erfolg. 
Milch ist eisen- und kalkarm (Czerny). 
Daher trat Heubner für frühzeitige Bei¬ 
gabe eisen- und kalkreichen grünen Ge¬ 
müses und Obstes ein. Die Ursachen für 
das blasse Aussehen eines Kindes sind 
vielgestaltig und bedürfen noch weiterer 
Klärung. Jedenfalls ist ein großer Teil 
der blassen Kinder in keiner Weise 
anämisch, es handelt sich vielmehr um 


Scheinanämien. Das Blut dieser Kinder 
ist normal, es ergibt keine prozentuale 
Herabsetzung des Hämoglobingehalts 
(nach Sahli am besten zu bestimmen, 
65 bis 75 % auf den Hämometer von 
Sahli, anormal sind auch Werte bis zu 
60 % noch nicht). 

Die Scheinanämien teilt Müller in 
drei Gruppen ein; erstens neuropathische 
Kinder mit Gleichgewichtsstörung im 
vegetativen Nervensystem; in diesen pa¬ 
thologischen Fällen gewinnt der Sympa- 
thicus das Übergewicht über den Vagus, 
es kommt zu abnormen Contractionen der 
kleinen Hautgefäße, damit naturgemäß 
zur Hautblässe. Die Kinder stammen oft 
von neuropathischen blassen Eltern ab, 
sind hypersensitiv, haben große glän¬ 
zende Augen mit weiten Pupillen. Die 
zweite Gruppe sind solche mit abnormer 
Blutverteilung im Körper, durch Er¬ 
krankung innerer Organe, z. B. Leber 
oder des Darmes, kommt es zu vermehrter 
Blutfülle dieser und zu Verarmung, der 
Oberfläche, der Haut an Blut. Die dritte 
Gruppe sind die lokal bedingten Schein¬ 
anämien, teils finden sie sich bei Brünet¬ 
ten mit stark pigmentierter Haut, teils 
bei schlecht entwickeltem Hautcapillar- 
netz. Auch lymphatische und hydro- 
pische Kinder sind scheinanämisch in¬ 
folge starker Durchtränkung der Haut. 

Auch die Schul- und Proletarieran¬ 
ämien sind nicht immer echte Anämien. 
Es ist eine, alte Erfahrung, daß Kinder 
beim Schulbesuch schnell blaß werden 
und sich in den Ferien schnell erholen. 
Ein Teil von ihnen sind neuropathische 
Kinder, ein Teil sind solche, bei denen 
die sitzende Lebensweise zu Stauungen 
und abnormer Blutfülle in den Unter¬ 
leibsorganen führt. Auch Verdauungs¬ 
störungen kommen dazu. Aber es gibt 
auch richtige Anämien in der Schule. 
Müller erinnert daran, daß in die Schul¬ 
zeit vom sechsten bis zwölften Jahre oft 
die erste Tuberkuloseinfektion fällt, daß 
andere Kinder an infektiösen Kinder- 
Krankheiten, an Grippe, Diphtherie er¬ 
kranken, daß viele. Bacillenträger sind, 
also die Schulanämien auf infektiös toxi¬ 
scher Basis ihre Erklärung finden. Ähn¬ 
lich liegt es mit der Proletarieranämie. 
Hier spielt vielfach Unterernährung eine 
Rolle, die Kinder erholen sich schnell bei 
guter Pflege und Kost. 

Also: die Verwertung der Blässe des 
Gesichts als klinisches Symptom ist 
ebenso alt wie unbrauchbar. Die Be¬ 
stimmung der circulierenden Blutmasse, 

43* 



340 


' Die Therapie'der Gegenwart 1917. 


September 


des Gesamthämoglobins, des Blutminuten- 
und Herzschlagvolumens sind keine Me¬ 
thoden für den Praktiker, sie gehören 
wegen ihrer diffizilen Technik in die 
Klinik. — Wichtig sind gewisse Sym¬ 
ptome am Herzen und an den Gefäßen, 
nämlich Nonnensausen als Zeichen einer 
Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit, 
als Zeichen einer Störung im Sauerstoff¬ 
verbrauch. Ebenso wichtig sind die 
funktionellen Herzgeräusche, die auf das 
Bestreben des Herzens hinweisen, durch 
extreme Ausdehnung des Ventrikels das 
Herzschlagvolumen zu vergrößern. Hier¬ 
zu käme die Hämoglobinbestimmung. — 
Die alimentäre Anämie ist längst bekannt, 
sie wird mit dem Mangel an eisenreicher 
Nahrung in Beziehung gebracht.. Kinder, 
bei denen die eisenfreie Kuhmilch den 
Hauptanteil der Nahrung bildet, haben 
offenbar nicht die Möglichkeit, aus anderer 
Nahrung genügend Eisen aufzunehmen. 
Czerny rechnet seit einigen Jahren auch 
die Anämien , mit Milztumoren, Anaemia 
splenica (Anaemia pseudoleucaemica und 
rachitische Splenomegalie) hierzu. Damit 
würde die bisherige Sonderstellung der 
Anaemia splenica fortfallen. Czerny 
sah die Bestätigung seiner Lehre in seinen 
therapeutischen Erfolgen (starke Milch¬ 
entziehung). Das Blutbild dieser Anämien 
ist charakterisiert durch starke Ver¬ 
minderung des Hämoglobingehalts auf 
50 bis 20 %. Die Zahl der roten Blut¬ 
körperchen ist meist vermindert, wenn 
auch nur gering. Färbeindex unter 1,0. 
Form und Färbbarkeit sind verändert, 
oft sind dabei kernhaltige Rote, es besteht 
Lymphöcytose. Czerny lehnt den Eisen¬ 
mangel der Milch als Ursache ab, sieht 
den schädigenden Einfluß der Milch im 
Milchfett und den im Stoffwechsel ent¬ 
stehenden Fettsäuren. Sicher ist jeden¬ 
falls, daß energische Einschränkung des 
Milchverbrauchs neben Darreichung von 
grünen Gemüsen bei diesen blassen Kin¬ 
dern einen günstigen Einfluß ausübt. — 
Die zweite bedeutsame Gruppe von An¬ 
ämien ist die auf infektiöser Basis, Tuber¬ 
kulose, Syphilis und den grippeartigen 
Infektionen. Die Anämie der luetischen 
Kinder findet sich besonders bei Kindern, 
die an visceraler Lues mit Knochen¬ 
beteiligung erkrankt sind. Das Blutbild 
zeigt relative Lymphocytose. Die tuber¬ 
kulöse Anämie findet sich bei Erkran¬ 
kungen der lymphatischen Gewebe, also 
Drüsentuberkulose, besonders der Bron¬ 
chialdrüsen, meist ohne klinisch erkenn¬ 
bare Erscheinungen. Die Röntgenunter¬ 


suchung deckt dieseAff,ektionenöft erst auf. 
Das Blutbild zeigt relative Polynucleose. 
Die an Grippe sich anschließenden An¬ 
ämien folgen meist den Krankheitsfällen 
mit anhaltendem Fieber, und langwierigen 
Komplikationen. Hier findet sich Poly¬ 
nucleose, die Zahl der neutrophilen steigt 
bis 75%. Die letzte der hier besprochenen 
Anämien ist die Chlorose als Anämie der 
weiblichen Entwicklungsjahre. Der Blut¬ 
befund zeigt starke Herabsetzung des Hä¬ 
moglobingehalts, die roten Blutkörperchen 
sind wenig vermindert, der Färbeindex 
besonders- niedrig. Die Blutmenge ist 
hier besonders erhöht, bis tauf das Zwei- 
und Dreifache des normalen Kindes. Da¬ 
bei Atembeschwerden, Herzklopfen, Dila¬ 
tation des linken Ventrikels, funktionelle 
Herzgeräusche. 

Die Behandlung richtet sich nach der 
Grundkrankheit. Bei scheinanämischen 
Kindern ist gemischte Kost am Platze, 
Eiweiß, Fett, Kohlehydrate und Mine¬ 
ralien in verständiger Relation ohne ein¬ 
seitige Bevorzugung der Eiweißzufuhr. 

Anämien auf tuberkulöser Grundlage 
erfordern die Maßnahmen, die für Tuber¬ 
kulose in Frage kommen. Freiluftkuren 
im Hochgebirge, eventuell auch in der 
Ebene. Müller läßt die Kinder im Früh¬ 
jahr, Sommer und Herbst auch Nachts 
im Freien schlafen. In der Ernährung ist 
man von der früheren einseitigen Mast 
abgekommen, eine reichliche Überfütte - 
rung mit Kohlehydraten begünstigt nur 
die Entwickelung der Tuberkelbacillen, 
ebenso die Verwässerung, des Körpers mit 
Milch. Müller verwendet seit langem 
Sahnengemische und Lebertran. Milch¬ 
zulage hat nur Zweck bei Mangel an fett- 
und eiweißhaltiger anderer Nahrung. Die 
luetische Anämie erfordert die energisch 
durchgeführte Quecksilber-Neosalvarsan- 
kur. Eisendarreichung hat dabei keinen 
Erfolg. Es liegt auch keine Veranlassung 
vor, auf luetischer Basis blassen Kindern 
größere Mengen Milch zuzuführen. Bei 
den Anämien im Gefolge einer Grippe¬ 
infektion empfiehlt sich Luftveränderung 
im Gebirge oder Landaufenthalt als bestes 
Heilmittel, daneben ist auf genügende 
Eiweiß- und Fettzufuhr und auf eisen¬ 
haltige Nahrungsmittel Wert zu legen, in 
erster Linie grüne Gemüse und Obst, 
dann Fleisch, Blut und Leber. Milch 
kommt nur während des Krieges in Er¬ 
mangelung von Fleisch, Butter und Käse 
in Betracht. — Die Ernährung der ali¬ 
mentären Anämien forderte bisher eisen¬ 
haltige Nahrungsmittel, ohne den Milch- 




9. Hefe 


Therapie der"Gegenwart. Anzeigen. 


1917 






X\S'"'"" WVN ' V,X 





THEOPirailN 




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Dimethylxanthln 


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Wirksamstes und billigstes 
DIURETIKUM 

besonders empfehlenswert in Form des leichtlöslichen Theophyllin, natr. acei„ 

Das Theophyllin ist an Wirkungsstärke allen neueren Diureticis, wieCoffein, Theobromin usw., über¬ 
legen. Trotz seiner schon lange zurückliegenden Einführung in den Arzneischatz hat das Präparat,das 
1910 i.Deutschen Arzneibuch Aufnahme fand, erst in letzter Zeit die ihm zustehende Anerkennung u. da¬ 
mit ausgedeh ntere Verwendung erhalten; die früher hier u nd da infolge zu hoher Dosierung gegen seine 
Verwendungentstandenen Vorurteilesinddurch erprobte Vorschriften f.d. Dosierungu. Darreichungs¬ 
weise, bei denen jedeNeben Wirkung vermieden wird, endgültig beseitigt (vgl.z.B.Romberg l ,.M.M.W/“Nr.39,1908). 

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Für Krankenanstalten und Lazarette 

sind verbilligte grössere Packungen von Theophyllin und Theophyllin-Tabletten im Handel. 


i 


C. F. BOEHRINGER & SOEHNE 

MANNHEIM-WALDHOF 










NARCOPHIN 

Narco tin -Mo rphin. -Mehort af 


ersetzt nach den Forschungen 
Wßr von Straub die Gesamtalkaloide des Opiums. 

y Das Narcophin hat sich besonders bewährt in der 

Gynäkologie und Geburtshilfe 4 

zur Linderung schmerzhafter Zustände (Wehenschmerz), als Schlafmittel sowie als vor¬ 
bereitendes Narkotikum in Kombination mit Scopolamin zur Erzielung eines Dämmerschlafs. 


Dosierung 

Die Dosierung des Narcophins gehl im allgemeinen 
dem Morphingehalt parallel, doch kommt man bei 
der internen Anwendung meist mit viel geringeren 
Mengen aus. -20 Tropfen einer 3 Ü /Ü igen Narcophin- 
lösung oder 2 Tabletten entsprechen ca. 1 cg (ge¬ 
nauer 0,0085 g) Morph, hydrochloricum. Zur 
subkutanen Injektion' werden 0,03 g Narcophin 
(== 1 Ampulle) angewandt; über die .Dosierung 
beim Scopolamin-Dämmerschlaf vgl. die Literatur. 


---.—Vorzüge----- 

gegenüber anderen Opiaten: einheitliche 
chemische Zusammensetzung, Vermeidung un¬ 
nötiger Ballaststoffe 

gegenüber dem Morphium: länger 
dauernde narkotische Wirkung, Schonung des 
Atemzentrums, Wegfall bzw. selteneres Auf¬ 
treten von Nebenerscheinungen, wie Erbrechen, 
Cheyne - Stokes’sches Atmen, Cyanose ’ usw. 


Narcophin-Lösung (0,03) 


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^ C. F. BOEHRINGER & SOEHNE^ 

Hl^ MANNHEIM-WALDHOF 

























Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 


9. Heft 




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Verfasser beabsichtigt, in seinem Buch die Ergiebigkeit der röntgenologischen Unter¬ 
suchungsmethoden im Dienste der klinischen Diagnose der Magen- und Darmkrank¬ 
heiten wiederzugeben, zugleich die Grenzen, die ihrer Kunst gesetzt sind, scharf und 
unzweideutig zu ziehen. Die Ausführungen beruhen auf vielen Tausenden Unter¬ 
suchungen, die zumal während der Kriegszeit einen besonders großen Umfang ange¬ 
nommen haben. Das Buch soll dem Anfänger ein zuverlässiger Führer, dem Vor¬ 
geschrittenen, sei er Röntgenologe, Praktiker, Interner oder Chirurg, in einzelnen 
Fragen ein Förderer sein und dem wissenschaftlich Arbeitenden die Lücken zeigen, 
die für weitere Forschungen offenstehen. 



18 























September 


Die Therapie der Gegenwart 1917» 


341 


verbrauch herabzusetzen. Es ist not¬ 
wendig, die Milch bis auf 100 g pro Tag 
herabzusetzen und den Bedarf an Eisen 
durch gemischte Kost zu decken. Schon 
mit Beginn des zweiten Lebensjahres 
sollen die Kinder Fleisch und Wurst 
haben, die Eisentherapie hat keinen Er¬ 
folg, der gute Erfolg der starken Milch¬ 
reduktion liegt teils in der Entziehung 
schädlicher Bestandteile (Fett), teils im 
Ersatz der fast eisenfreien Milch durch 
eisenhaltige Nahrung. — Die Form der 


Anämie, bei der die Eisentherapie in 
Kombination mit Ruhe und Schwitzkur 
Erfolg hat, ist die Chlorose. Das Eisen 
wirkt günstig auf die gestörte Blutbildung, 
Ruhe schont das stark überlastete Herz, 
schweißtreibende Einpackungen jeden 
zweiten Tag setzen den Wassergehalt des 
Körpers herab. Die Ernährung ist nicht 
anders, wie bei anderen Anämien, Milch¬ 
zufuhr und andere Getränke sind mög¬ 
lichst zu beschränken. E. Benecke. 

(M. Kl. 1917, Nr; 13.) 


Therapeutischer Meinungsaustausch. 

Aus dem Stadt. Krankenhaus Moabit in Berlin, II. med. Abteilung- (Prof. W. Zinn). 

Gallensteinbehandlung mit Agobilin. 

Von Dr. J. v. Roznowski. 


Noch immer kennt die Medizin kein 
als wirksam, erprobtes Gallensteinmittel. 
Im Anfalle haben bisher noch alle speci- 
fischen Mittel mehr oder weniger versagt; 
die symptomatische Behandlung mit Mor¬ 
phium, heißen Umschlägen, Abführ¬ 
mitteln, Diät ist nach wie vor die zu¬ 
verlässigste und infolgedessen am meisten 
anerkannte geblieben. In der anfalls¬ 
freien Zeit stehen ebenfalls Diät, hygie¬ 
nische Lebensweise und Badekuren im 
Vordergründe der ärztlichen Verhaltungs¬ 
maßregeln. 

Um so mehr ist es Aufgabe der Klinik, 
angepriesene Gallensteinmittel immer 
wieder zu erproben und auf therapeutische 
Gedanken einzugehen, die eine Verbesse¬ 
rung vorhandener Mittel zu versprechen 
scheinen. 

Agobilin, als Medikament gegen Er¬ 
krankungen des Gallensystems, besonders 
in den Anfangsstadien, und als Prophy- 
laktikum gegen Cholelithiasis-Rezidive 
empfohlen und in Mitteilungen von 
Runckl), Seiler2) Horn3) als brauch¬ 
bar bezeichnet, wurde uns von der Che¬ 
mischen Fabrik Gehe & Co., Aktien- 
Gesellschaft Dresden, in verbesserter Form 
zu Versuchen angeboten. Nach Dr. Th. 
Runcks Angaben war ein neuer Bestand¬ 
teil den Agobilintabletten hinzugefügt, 
nämlich cholsaures Kupfer. Es bestand 
dabei die Erwartung, durch das anti¬ 
septisch wirkende Cuprum cholicum werde 
eine Steigerung der Wirkung des bis¬ 
herigen Agobilins und damit eine Ver¬ 
besserung des alten Präparats erzielt 
werden können; besonders in manchen 
Fällen von fieberhafter Cholecystitis, die 
sich durch das gewöhnliche Agobilin bis¬ 
weilen weniger leicht beeinflussen lassen. 

Wirhabenim Städtischen Krankenhaus 


Moabit in Berlin (II. innere Abteilung) 
eine Anzahl von Choielithiasis-Patienten 
mit Agobilin cum cuprogeno behandelt. 

Der Grundgedanke der Agobilin-The- 
rapie ist die Heranziehung der Gallen¬ 
säuren als kräftig wirkende Cholagoga — 
ein Gedanke, den 1896 schon Stadel¬ 
mann 4) ausgesprochen hat —, wobei die 
Steigerung der Gallensekretion an sich 
weniger wichtig ist, als vielmehr die Tat¬ 
sache, daß die Leberzellen außer den 
selbst produzierten noch die per os ein¬ 
geführten Gallensäuren, wenn sie ihren 
,,Gallekreislauf im Organismus“: vom 
Darm resorbiert — Blut — zur Leber 
(nach Stadelmann) zurückgelegt haben, 
in die , Galle absondern. Gallensäuren 
werden als Lösungsmittel für Cholesterin 
angesehen; also wird eine Lösung geeig¬ 
neter Gallekonkremente bei Erhöhung 
des Gehalts der Galle an Gallensäuren 
zu erwarten sein. 

Das ursprüngliche Agobilin enthält 
cholsaures Strontium, salicylsaures Stron¬ 
tium und Phenolphthaleindiacetat, Stron¬ 
tium, weil es angeblich mild entzündungs¬ 
widrig wirkt und gute Lösungsverhält¬ 
nisse schafft. Die Salicylsäure soll anal- 
gesierend wirken. Das Phenolphthalein¬ 
diacetat hat den Zweck, dem Gallensalze 
raschere Bahnen zu den Darmzotten zu 
schaffen, also den Kreislauf der Galle zu 
erleichtern Werner u. Runne5). 

Das Agobilin cum cuprogeno ist zu¬ 
sammengesetzt aus Strontium cholicum, 
Phenolphthaleindiacetat und 0,02 cuprum 
cholicum pro Tablette. Es wurde er¬ 
wartet, die kontinuierliche Kupferaus¬ 
scheidung der Galle werde so erhöht und 
eine innere Antisepsis herbeigeführt wer¬ 
den können. Das heißt, die bisher schlecht 
beeinflußten fiebernden, septischen Fälle 




342 


September 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


von Cholelithiasis würden auf Agobilin 
cum cuprogeno besser reagieren als auf 
das alte Agobilin. 

Diese Erwartung wurde durch unsere 
Versuche nicht bestätigt Fünfzehn ein¬ 
fache, nicht fiebernde Fälle von Chole¬ 
lithiasis. wurden durch Agobilin cum 
cuprogeno ebenso beeinflußt wie andere 
früher durch Agobilin ohne Kupfer¬ 
zusatz. Die Anfälle ließen bei manchen 
Patienten wohl etwas rascher nach als bei 
sonst gleicher Behandlung ohne Agobilin, 
andere blieben unbeeinflußt. In der nach 
Entlassung aus dem Krankenhause noch 
wochen- oder monatelang fortgesetzten, 
poliklinisch überwachten Nachbehand¬ 
lung war die Wirkung eine bessere. Mit 
einigen Ausnahmen gaben die Patienten 
an, solange Zeit wären sie sonst nicht 
ganz frei von Schmerzen gewesen. In 
einzelnen Fällen bewirkte die erste und 
zweite, auch wohl noch die dritte Dar¬ 
reichung der (je zwei) Tabletten leichte 
Übelkeit, die stets bald vorüberging. 

Von acht schweren, fieberhaften Fällen 
von Cholelithiasis, die wir beobachten 
konnten, reagierten sechs mit starkem 
Erbrechen. Die Patienten waren meist 
nicht zu bewegen, die Tabletten ein 
drittes Mal einzunehmen. Das Eintreten 
des Erbrechens war prompt^bis ^Stunde 
nach dem Einnehmen zu beobachten; 
auch dann, wenn das Medikament nicht 
als zerkleinerte Tablette, sondern in 
Oblate oder in Schleim zerrührt gegeben 
wurde. Nur zwei fieberhafte Cholelithiasis- 


patientinnen vertrugen das Agobilin cum 
cuprogeno gut. 

Die emetische Wirkung des Kupfers 
tritt also bei fiebernden Kranken so stark 
in den Vordergrund, daß Entfaltung einer 
desinfizierenden Wirkung durch Aus¬ 
scheidung in die Galle gar nicht erst Zu¬ 
standekommen kann. Fiebernde Kranke 
vertragen den Kupferzusatz nicht. Un- 
' komplizierte Cholelithiasisfälle ohne 
Temperaturerhöhung reagieren ebenso auf 
einfaches Agobilin wie auf Agobilin cum 
cuprogeno. 

Mitteilenswert erscheint noch eine bei 
zwei Patientinnen gemachte Beobachtung 
(alle unsere Kranken waren Frauen zwi¬ 
schen 22 und 60 Jahren). Beide kamen 
im Gallensteinanfalle mit Fieber ins Kran¬ 
kenhaus. Sie wurden ""zunächst mit 
Calomel behandelt und Agobilin cum 
cuprogeno erst nach Abklingen der Tem¬ 
peraturen gegeben: beide vertrugen es 
ohne Erbrechen, klagten nur über leichte 
Übelkeit wie viele der Patienten, die, von 
Anfang an fieberfrei, sogleich mit Ago¬ 
bilin cum cuprogeno behandelt wurden. 

Der Kupferzusatz bedeutet also nach 
unseren Erfahrungen keine Verbesse¬ 
rung des Mittels. Bei unkomplizierten 
Gallensteinerkrankungen und besonders 
fltrNachbehandlungnach Anfällen hat sich 
das Agobilin in manchen Fällen bewährt. 

Lit eratur. 

1: Al lg. m. Centr.-Ztg 1913 Nr. 20. — 2. M. 
Kl. 1913 Nr. 25. — 3. Zbl. f. d. ges. Th. 1914 
Nr. 4. — 4. D. m. W. 1896 Nr. 49. — 5. Pharm. 
Zbl. 1913 Nr. 25. 


Aus der Klinik und Poliklinik von Prof. Dr. Nagel Berlin. 


Über die Anwendung des Secalysatum Bürger in der 
gynäkologischen und geburtshilflichen Praxis. 


Von T. Schergoff-Berlin. 


Das Secalysatum Bürger .ist ein flüs¬ 
siges, aus Secale cornutum hergestelltes, 
dauernd haltbares Präparat mit einem 
Zusatze von Oxymethyl-Hydrastinin. Die 
Konstitutionsformel dieses Zusatzes lautet: 


CH CW 


CH : 



CH : 


N. 


CH 8 

OH 


O.CH ( 


und ist also mit jener von Kotarnin fast 
identisch; das dem Secalysat beigefügte 


Oxymethyl-Hydrastinin muß als mitwirk¬ 
samer Bestandteil angesehen werden, 
welcher die Secalewirkung verstärkt. Das 
Präparat ist auf die vierfache Stärke der 
Droge konzentriert, es ist von konstanter 
Wirksamkeit, bekömmlich und hat keinen 
unangenehmen Geschmack. 

Das Hauptanwendungsgebiet des Se- 
calysats sind die atonischen Blutungen 
des Uterus sowie alle übrigen Uterus¬ 
blutungen, die aus den verschiedensten Ur¬ 
sachen entstehen. Seine Wirkung beruht 
hauptsächlich auf der specifischen Be¬ 
einflussung der Uterusmuskulatur durch 
Secale im Sinne einer Contractionserre- 
gung der Muskelfasern. Diese Wirkung 
ist durch den Zusatz von Oxymethyl- 



September 


Die Therapie der Gegenwart 1917, 


343 


Hydrastinin gesteigert, das ebenfalls einen 
contractionserregenden Einfluß ausübt. 
Der Angriffspunkt liegt sowohl beim Se- 
cale cornutum wie beim Oxymethyl- 
Hydrastinin peripher. Über eine speci- 
fische Wirkung des Präparats auf die 
Gefäße läßt sich noch nichts Bestimmtes 
sagen. Prof. Loewy, der Versuche über 
die Wirkung des Secalysats bei Tieren 
angestellt hat, gibt an, daß sicher nach¬ 
weisbare Wirkungen auf die Gefäßmusku¬ 
latur nicht festzustellen waren. 

Die Anwendung des Secalysats ge¬ 
schieht sowohl per os wie subcutan. 
Man wendet therapeutisch die Original¬ 
packung (ä 10 g = 2 M.) oder die Kassen¬ 
packung (ä 5 g = 1,15 M.) an und ver¬ 
ordnet mehrmals täglich 10—15 Tropfen. 
Für subcutane Injektionen benutzt man 
Ampullen zu 1 ccm (drei. Stück = 1,25 M., 
sechs Stück = 2,25 M.) und injiziert 1 ccm 
pro Dose. 

Ich habe im Laufe eines Jahres 
200 gynäkologische und geburtshilfliche 
Fälle mit Secalysat behandelt und zwar 
bei Hypermenorrhoe (im Klimakterium 
oder infolge Anämie), mangelhaften Con- 
tractionen post abortum oder nach Entbin¬ 
dungen, menstruellen Störungen verschie¬ 
denster Art. Ich habe bei subcutanen In¬ 
jektionen nie Infiltrate beobachtet. Bei 
sehr empfindlichen Patientinnen habe ich 
das Secalysat + N'+ S (Secalysat 4 No¬ 
vokain -f- Suprarenin) angewandt. Durch 
den Novokainzusatz wird der übliche 
Secalenachschmerz verhindert, 1 durch das 
Suprarenin, welchem bekanntlich auch 
eine contractionserregende Wirkung zu¬ 
kommt, wird Gefäßverengung und da¬ 
durch verstärkte Anästhesierung herbei¬ 
geführt. 

Die guten therapeutischen Wirkungen 
des Secalysats lassen sich am besten an 
einigen Krankengeschichten demon¬ 
strieren. 

1. Fall. Frau E. M., 33 Jahre alt, Anteversio 
uteri, Uterus nicht vergrößert, rechts eigroßer 
Adnextumor. Patientin blutet stark seit fünf 
Monaten. Ist bei uns wegen der Blutung cürettiert 
worden, doch hat die Blutung nicht nachgelassen. 
Patientin erhielt in Abständen von zwei Tagen je 
1 ccm Secalysat subcutan und außerdem drei Mal 
tägl. 15. Tropfen Secalysat. Nach der dritten 
Spritze hat die Blutung aufgehört. Patientin wurde 
hierauf vier Monate von mir beobachtet, die 
Blutung ist in dieser Zeit nicht wieder aufgetreten, 
der Adnextumor ist abgeschwollen, Menses verlauf en 
normal. 

2. Fall. Frau E. A., 32 Jahre alt, Anteversio 
uteri, Uterus etwas vergrößert, hart. Blutet seit 
sechs Monaten. Ist bevor sie zu uns in Behandlung 
kam, zwei Mal cürrettiert worden, die Blutung hat 
aber nicht aufgehört. Patientin erhielt in Abständen 


von zwei Tagen je 1 ccm Secalysat subcutan. Nach 
der dritten Spritze hat die Blutung aufgehört und 
ist im Laufe von fünf Monaten nicht wieder auf¬ 
getreten, die Menses verlaufen jetzt normal. 

3. Fall. Frl. A. Sch., 22 Jahre alt, klagt über 
sehr starke Menses, die sieben bis acht Tage dauern. 
Hymen intakt. Injektion von 1 ccm Secalysat 
während der Menstruation, nach zwei Tagen 
Wiederholung von 1 ccm. Die erste Menstruation 
verlief weniger profus, Dauer nur vier bis fünf Tage. 
Die nachfolgenden Menses Verläufe normal. 

4. Fall. Frau A. G., 27 Jahre alt, Abortus im- 
perfectus, wird von uns cürettiert, starke atonische 
Nachblutung. Nach Injection von 1 ccm Secalysat 
contrahiert sich der Uterus gut. 

5. Fall. Frau M. D., 25 Jahre alt, hat vor 
neun Monaten abortiert. > Anteversio uteri, links 
apfelgroßer Adnextumor. Menses dauern acht bis 
zehn Tage, sind sehr stark und schmerzhaft. In¬ 
jektion von je 1 ccm Secalysat in Abständen von 
zwei Tagen. Wiederholung der Injektion während 
der nächsten Menses. Die dritte Menstruation ver¬ 
läuft nicht mehr so stark, die nächsten normal, der 
Adnextumor ist kleiner geworden. 

Einige geburtshilfliche Fälle, von Prof. 
Nagel selbst beobachtet: 

1. Fall. Frau C., 26 Jahre alt, I-para, letzte 
Menses Ende Dezember. Beckenmaß 26%, 24%, 
30, 19. Wehenbeginn 5. September 1916. Am 
5., 6. und 7. September Wehen schwach, der Kopf 
tritt langsam tiefer, Muttermund erweitert sich 
ganz allmählich. Blasensprung am 8. September 
morgens 4 Uhr, Muttermund vollkommen erweitert, 
Kopf im Beckenausgange, II. Schädellage, Abgang 
von Meconium. Achsenzugzange. Lebendes 9> 
Gew. 3250 g, Länge 50 cm. Kein Dammriß. Pla- 
centaauf Cred6. Einspritzung von Secalysat. Uterus 
gut kontrahiert. Blutiger Wochenfluß hielt trotz 
Stillens in der zweiten Woche an. Auf Secalysat 
(drei Mal täglich 15 Tropfen) steht die Blutung. 
Wochenbett normal. 

2. Fall. Frau M., 20 Jahre alt, I-para. Letzte 
Menses 11. Dezember 1915. Beckenmaße: 25, 28, 
33, 22. Wehenbeginn 28. September nachmittags, 
gleichzeitig Blasensprung. Muttermund für Finger¬ 
huppe durchgängig. 29. September 4 Uhr morgens 
Muttermund vollkommen erweitert, Kopf im 
Beckenausgange, I. Schädellage. Wehen lassen nach 
und bessern sich nicht auf Pituglandol. Kindliche 
Herztöne frequent (160 bis 1.80) Schabend. Achsen¬ 
zugzange. Lebendes 9» Gewicht 4080 g, Länge 
55 cm. Nabelschnur sehr, kurz und dünn. Placenta 
auf Credö, großer retroplacentarer Bluterguß. Naht 
der rechtsseitigen seitlichen Incision und eines ober¬ 
flächlichen Dammrisses mit Silkwormgut. Nach 
Secalysat und Reiben des Fundus kontrahiert sich 
der Uterus gut. Wochenbett normal. 

3. Fall. Frau G., 25 Jahre alt. II-para. Letzte 
Menses 13. Janüar 1916. Beekenmaße: 26, 30, 
32, 20. Nach zweijähriger steriler Ehe nach Djs- 
cision crific extern und Dilat. cerv. (Prof. Nagel). 
Hierauf Conception (Ein Kind am 9. September 1914 
geboren). Wehenbeginn 30. Oktober früh, Wehen 
steigen sich allmählich. Nachmittags 5 Uhr Mutter¬ 
mund vollkommen erweitert, Kopf tief im Becken. 
I. Schädellage. Blase springt erst beim Einschneiden 
des Kopfes. Unter leichter Chloroformnarkose 
wird das Kind um 6 Uhr spontan geboren. Pla¬ 
centa auf Cred6. Oberflächlicher Dammriß mit 
einer Silkwormgutnaht vereinigt. Secalysat. sub¬ 
cutan Uterus gut kontrahiert. Wochenbett normal. 

4. Fall. Frau L., 25 Jahre alt. I-para. 
Letzte Menses 23. Januar 1916. Beckenmaße: 25, 



344 


Die. Therapie der Gegenwart 1917. 


September 


26*4, 30, 18. Wehenbeginn 6. November 1916 mor¬ 
gens. Blasensprung abends 7 Uhr bei handteller¬ 
großem Muttermunde. Kopf tief im Becken. I. Schä¬ 
dellage. Wehen lassen nach, werden aber sehr 
schmerzhaft. Kreisende wird sehr unruhig, legt 
sich bei jeder Wehe auf dem Bauch oder in Knie¬ 
ellenbogenlage. Hierbei dreht sich Hinterhaupt 
nach links hinten, während es zu Anfang der Ge¬ 
burt links vorn stand. 12 Uhr nachts: Achsen- 
zugzange, wobei Kopf in Vorderhauptlage ent¬ 
wickelt wird. Lebendes 2- Placenta auf Cred6. 
Dammriß II. Grades wird Silkwormgut vernäht. 
Secalysat subcutan. Wochenbett normal. 


Wie aus den demonstrierten Fällen 
zu ersehen ist, ist das Secalysat .stets mit 
bestem therapeutischen Erfolg ange¬ 
wandt worden; ähnliche Erfolge wurden 
auch von anderen Kollegen bestätigt, die 
es in ihrer Praxis angewandt haben, so 
daß die Secalysatanwendung bei indi¬ 
zierten Fällen empfohlen werden kann. 

Literatur: Therapie der Gegenwart Februar 
1913 Heft 2. — Med. Kl. 1916,44. — D. m. W. 1913, 
33. — Zbl. f. Gyn. 1917, 19. 


Zur Therapie *der Phimose. 

Von San.-Rat Dr. Karl Gerson-Schlachtensee b. Berlin. 


Es gibt Fälle von Phimose, deren Ur¬ 
sache nur in einem einschnürenden Ringe 
-der Vorhaut besteht. Diese Fälle erkennt 
man daran, daß man den einschnürenden 
Ring wie einen Strang vom Membrum mit 
Daumen und Zeigefinger abheben kann. 
Er findet sich im centralen Präputial- 
abschnitte, öfter bei Erwachsenen als bei 
Kindern und meist als Folge eines ent¬ 
zündlichen Prozesses der Vorhaut nach 
Gonorrhöe, Balanopostitis infolge man¬ 
gelnder Reinlichkeit und nach sklero- 
sierenden Narben. Der einschnürende 
Ring fühlt sich derb elastisch an und 
macht weniger das Zurückziehen des Prä¬ 
putium als das Vorziehen über die Glans 
schwierig und schmerzhaft. In manchen 
Fällen kommt man hier ohne Operation 
zum Ziele. Kommt der Patient mit zurück¬ 
gestreiftem Präputium zum Arzte, und 
klagt über die Unmöglichkeit, es über die 
geschwollene Glans vorzuziehen, so ver¬ 
ordnet man ihm zunächst für zwei Tage 
lauwarme Kamillenbäder, tagsüber mehr¬ 
mals eine Viertelstunde zu nehmen, und 
läßt das Membrum in einem Teufelschen 
Suspensorium eleviert tragen. Nach zwei 
Tagen versucht der Arzt die Vorhaut 
über die Glans zu streifen: Während 
beide Daumen die Glans nach dem Leibe 
«des Patienten zu drücken, ziehen die 
übrigen Finger beider Hände die Vorhaut 
langsam nach vorn, wobei schließlich auch 
meist der einschnürende Ring über die 
Glans gleitet. Der Patient muß nun das 
Vor- und Zurückziehen des Präputiums 
selbst erlernen und vor allem angehalten 
werden, jeden Morgen eine gründliche 
Seifenwaschung der Glans und des zu¬ 
rückgestreiften Präputiums mit nach¬ 
folgender Puderung vorzunehmen. Denn 
die meisten Phimosen und Paraphimosen 
■entstehen außer den bereits angeführten 
ätiologischen Momenten bei congenital 


enger Vorhaut durch mangelnde Rein¬ 
lichkeit, indem bei großer Sommer¬ 
hitze das reichlicher gebildete Sebum 
zwischen Glans und Präputium sich staut 
und beide entzündet. SMan ist oft er¬ 
staunt, selbst junge Leute aus den besten 
Kreisen in der Reinhaltung ihres Membrum 
ganz unerfahren zu finden. 

Erweist sich in der Folgezeit trotz der 
befolgten Maßnahmen die Verengerung 
der Vorhaut so hochgradig, daß sie Erek¬ 
tion und Coitus behindert und schmerz¬ 
haft macht, so ist eine Operation nicht zu 
umgehen. In allen Fällen von Phimose, 
wo die Verengerung der Vorhaut sich 
nicht flächenhaft ausdehnt, sondern auf 
einen schmalen circulären Streifen oder 
einschnürenden Ring sich beschränkt, er¬ 
scheint folgendes Verfahren sehr einfach: 
Ohne das Präputium vorher zu¬ 
rückzuziehen, umgreift man mit lin¬ 
kem Dauifien und Zeigefinger den ein¬ 
schnürenden Ring des Präputiums, hebt 
ihn vom Dorsum des Membrum ab 
und schneidet ihn mit einem Sche¬ 
renschlage durch. Ob der einschnü¬ 
rende Ring ganz durchtrennt ist, merkt 
man daran, daß sich das Präputium nun¬ 
mehr über der Glans leicht vor- und zu¬ 
rückziehen läßt. Anderenfalls wird der 
Schnitt nach oben und unten mit der 
Schere noch etwas erweitert. Je breiter 
der einschnürende Ring ist, um so länger 
muß natürlich der Schnitt ausfallen. Die 
Schnittwunde stellt sich infolge der Ent¬ 
spannung naturgemäß in qtiere Richtung 
und wird in dieser vernäht. Das kosme¬ 
tische Resultat ist ausgezeichnet, weil der 
äußere Rand des Präputiums unversehrt 
bleibt. Zu dieser Operation braucht man 
nur eine nicht zu schmale Schere mit abge¬ 
flachter, stumpfer Spitze, Nadel und Faden. 
Anästhesierung mittels Äthylchlorid ist 
nur bei empfindlichen Leuten erforderlich. 


'Für die Redaktion verantwortlich Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer in Berlin. Verlag von Urban&Schwarzenberg 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., in Berlin W8. 






Die Therapie der Gegenwart 


herausgegeben von 

58 . Jahrgang Geh. Med.-Rat Prof. Dr.G. Klemperer 

Neueste Folge. XlX.Jahrg. BERLIN 

W 62 , Kleiststraße 2 


10. Heft 

Oktober 1917 


Verlag von URBAN & SCHWARZENBERG in Berlin N 24 und WienI 


Die Therapie der Gegenwart erscheint zu Anfang jedes Monats. Abonnementspreis für den 
Jahrgang 10 Mark, in Österreich-Ungarn 12 Kronen, Ausland 14 Mark. Einzelne Hefte je 1,50 Mark 
resp. 1,80 Kronen. Man abonniert bei allen größeren Buchhandlungen, sowie direkt bei den 
Expeditionen in Berlin oder Wien. Wegen Inserate und Beilagen wende man sich an den 
Verlag in Berlin N, Friedrichstraße 105B. 


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Kleinheit der Mammae usvh Sexuelle Frigidität 
der Frau. Sexuelle Störungen bei Fettsucht und 
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Die Therapie der Gegenwart 


1917 


herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr, G. Klemperer 
in Berlin. 


Oktober 


Nachdruck verboten. 

Aus der Kinderklinik der Universität Straßburg i. E. 

Über kombinierte Neosalvarsan-Quecksilberbehandlung 
der congenitalen Lues. 

Von Privatdozent Dr. S. Samelson, zurzeit im Felde. 


Die Methode der Behandlung der con¬ 
genitalen Lues vor der Entdeckung des 
Salvarsans war durchaus bewährt. Sei 
es, daß man intern mit Kalomel oderJod- 
quecksilber behandelte, sei es, daß man 
Spritzkuren mit Sublimat oder Kalomel 
machte, es gelang, die Erscheinungen zur 
Rückbildung zu bringen und dauernd fern¬ 
zuhalten mit Ausnahme der allerdings 
häufigen ganz schweren Fälle, in denen 
die anatomischen Veränderungen nament¬ 
lich der visceralen Organe so schwer¬ 
wiegender Natur waren, daß eine Wieder¬ 
herstellung der zur Erhaltung des Lebens 
notwendigen Funktionen nicht mehr mög¬ 
lich war. Diese Umstände erklären es, 
daß man nur zögernd daran ging, das von 
Ehrlich mit so großem Erfolg in die 
Therapie der Syphilis eingeführte Sal- 
varsan auch bei congenitaler Lues aus¬ 
zuprobieren, um so mehr als Ehrlich 
■selbst die Wirkung der plötzlich in so 
großer Menge freiwerdenden Endotoxine 
der abgetöteten Spirochäten auf den 
jugendlichen Organismus fürchtete. 

Begnügte man sich daher zunächst 
damit, bei von der Mutter gestillten lueti¬ 
schen Säuglingen die Mutter mit Salvarsan 
zu behandeln und auf dem Wege der die 
Salvarsanwirkung tragenden mütterlichen 
Milch eine Einwirkung auf die luetischen 
Erscheinungen des Kindes zu versuchen, 
so sah man sich doch schließlich ange¬ 
sichts der unsicheren Erfolge dieser Me¬ 
thode veranlaßt, das Mittel auch bei Kin¬ 
dern direkt anzuwenden. 

Die zahlreichen Beobachtungen, die 
nun publiziert wurden, hat Weide in 
einem Sammelreferat kritisch beleuchtet, 
wobei er zu folgendem Schlüsse kam: 
„Auch im Kindes- speziell Säuglingsalter 
sind in jüngster Zeit schon recht beach¬ 
tenswerte Erfolge mit Salvarsan bei con¬ 
genitaler Lues erzielt worden. Die an¬ 
fänglichen Mißerfolge sind in ihren Ur¬ 
sachen zu wenig studiert und wohl weni¬ 
ger dem Medikament selber als der feh¬ 
lenden Erfahrung in Dosierung usw. zuzu¬ 


schreiben. Eine kritische Würdigung des 
einzelnen Falles und somit auch des Ge¬ 
samtmateriales erscheint nun zurzeit noch 
nicht möglich und mag an der Hand dieser 
Notizen dem Leser selbst überlassen blei¬ 
ben. Hoffentlich trägt dieser Überblick 
dazu bei, das Interesse mehr als bisher 
auf dieses nicht undankbare Feld zu 
lenken.“ 

Waren bis dahin im allgemeinen nur 
Einzelbeobachtungen publiziert worden, 
so sind seitdem mehrere Arbeiten erschie¬ 
nen, die sich mit der Salvarsanbehand- 
lung der congenitalen Lues in systemati¬ 
scher Weise befassen (Weide, Noegge¬ 
rath, Dünzelmann, Erich Müller) 
und die uns eine genauere Beurteilung der 
neuen Therapie und einen Vergleich ihrer 
Leistungen mit denen der alten Queck¬ 
silberbehandlung gestatten, die ja, wie 
gesagt, nach langjähriger Erfahrung in 
den überhaupt beeinflußbaren Fällen gün¬ 
stige Erfolge aufzuweisen hat. 

Weide hat 28 Säuglinge und 6 ältere 
Kinder, bei denen allen die Diagnose Lues 
congenita klinisch zu stellen und durch die 
Wassermannsche Reaktion zu sichern 
war, der Salvarsanbehandlung unter¬ 
zogen. Die Methodik bestand zunächst in 
subcutaner Einverleibung in Altscher 
Lösung, einige Male in Ölsuspension, wobei 
fast regelmäßig Infiltrate und Nekrosen¬ 
bildung an der Injektionsstelle auftraten, 
die erst nach Wochen und Monaten wie¬ 
der abheilten. Nicht so hochgradige In¬ 
filtrate und Hautnekrosen rief die intra¬ 
muskuläre Injektion in die Glutäen her¬ 
vor, sodaß Weide schließlich zu dem 
Versuch überging, nach Noeggerath 
intravenös in die durch Fingerdruck etwas 
gestauten Schädelvenen zu injizieren. 
Dies gelang aber nur in der Hälfte der 
Fälle, während es sich bei Kindern mit 
kleinen nicht deutlich hervortretenden 
Kopfvenen nicht ermöglichen ließ. Die 
injizierte Menge betrug zunächst unge¬ 
fähr 0,01 g Altsalvarsan pro Kilo Körper¬ 
gewicht, später wurden 0,1 g pro Säugling 

44 




346 


Die Therapie der Gegenwart- 1917. 


Oktober 


gegeben. Im allgemeinen wurde nur 
einmal injiziert, Jn einzelnen Fällen aber 
zwei- bis dreimal. Im Anschluß an die 
Einspritzung wurde meist eine Tempera¬ 
tursteigerung beobachtet, es trat in eini¬ 
gen Fällen Erbrechen, in anderen Appetit¬ 
losigkeit und Durchfall ein. Die Erfolge 
waren in bezug auf Besserung des All¬ 
gemeinbefindens und besonders der Haut¬ 
erscheinungen befriedigend, andere lueti¬ 
schen Symptome, wie Milz- und" Leber¬ 
schwellung, Parrotsche Lähmung wur¬ 
den nicht immer beeinflußt, der Wasser¬ 
mann blieb positiv. Von den behandelten 
Kindern sind mehrere ein bis sieben 
Wochen nach der Injektion gestorben. 

Weit intensiver hat Noeggerath 
28 Säuglinge mit Salvarsan behandelt. 
Sein Material zeigt die ganze Mannig¬ 
faltigkeit congenital luetischer Erschei¬ 
nungen, aber die schwere viscerale Form 
ist darunter nicht vertreten. Auch hier 
wurden nach der zunächst angewandten 
intramuskulären Einverleibung des Me¬ 
dikaments stets große und schmerzhafte 
Infiltrate und Nekrosen beobachtet. Da¬ 
her ging Noeggerath zu der schon er¬ 
wähnten intravenösen Injektion in die 
Schädelvene über, die ihm nur ausnahms¬ 
weise mißglückt ist. Die Dosierung be¬ 
trug 8 mg pro Kilogramm Körpergewicht, 
später weniger. Es wurden meist mehrere 
Injektionen in kürzeren und längeren 
Intervallen gemacht Als unmittelbare 
Folgen der Einspritzung zeigten sich auch 
hier Erbrechen und Durchfall, Fieber da¬ 
gegen nur bei intramuskulärer Injektion, 
bei intravenöser subfebrile oder normale 
Temperaturen. Der Heilerfolg war ein 
guter bis auf zwei Kinder, die starben. 
Überraschend schnell verschwanden die 
Hauterscheinungen, wurde das Kolorit 
besser, weniger schnell war die Wirkung 
auf Parrotsche Lähmung, Hydrocepha- 
lus usw. Der Wassermann wurde einige 
Male für längere Zeit negativ. Rezidive 
traten in der Beobachtungszeit achtmal 
auf. In einer nicht geringen Zahl der Fälle 
schloß sich an die erste kräftige Heilungs¬ 
tendenz zeigende Zeit eine zweite am 
8. bis 19. Tage beginnende ,,kritische“ 
Phase an, die eine bis sieben Wochen 
dauert und die durch das Auftreten 
von nicht ungefährlichen Ernährungs-' 
Störungen sowie von infektiösen Prozessen, 
wie Furunkulose, Sepsis, Otitis usw., 
charakterisiert ist. 

Dünzelmann hat 29 Fälle mit Sal¬ 
varsan und 11 Fälle mit Neosalvarsan be¬ 
handelt, alle mit wenigen Ausnahmen in¬ 


travenös in die Schädelvenen, wobei aller¬ 
dings einigemal, wenn etwas von der 
Salvarsanlösung neben die Vene floß, üble, 
monatelang bestehenbleibende Infiltrate 
entstanden. Beim Neosalvarsan waren die 
Infiltrate nicht so hochgradig. Die Dosis 
betrug nicht weniger als 0,1 g pro Kind 
und bis 0,635 in fünf Injektionen, bei 
Neosalvarsan bis 0,2 pro dosis. Die be¬ 
handelten Kinder waren meist in kümmer¬ 
lichem Ernährungszustände. Nach der 
Injektion wurde fast immer auffallende 
Appetitlosigkeit, Unlust, Schläfrigkeit und 
Mattigkeit beobachtet. Es traten oft Er¬ 
brechen und schleimige Stühle auf. Fieber 
wurde oft gesehen, doch waren bei den 
späteren Fällen bei peinlichster Vermei¬ 
dung von verunreinigtem Wasser als Sal- 
varsanlösungsmittel Temperatursteige¬ 
rungen und Nebenerscheinungen geringer. 
Was die Wirkung des Salvarsans auf die 
luetischen Symptome anlangt, so zeigte 
sich auch hier ein auffallend schnelles, 
oft stürmisches Zurücktreten der Haut¬ 
erscheinungen; der Turgor hob sich, die 
Gesichtsfarbe wurde besser. Der Einfluß 
auf den Ernährungszustand war nicht 
hervorragend; die Gewichtskurven.blieben 
lange Zeit horizontal, wobei Infektionen 
und Komplikationen von seiten des Re- 
spirationstraktus, Furunkulose usw. eine 
Rolle spielten. Von den 40 Kindern star¬ 
ben 14. Der Wassermann wurde nur in 
einigen Fällen negativ. Rezidive wurden 
viermal beobachtet. 

Wenn wir uns nun die Resultate der 
vorstehend skizzierten Arbeiten betrach¬ 
ten, so wird man wohl Weide recht geben 
müssen, wenn er in Zusammenfassung der 
von ihm gezeitigten Ergebnisse sagt: 
,,daß wir mit der Salvarsantherapie zwar 
recht gute Erfolge gehabt haben, daß 
diese Erfolge aber denen der früheren Hg- 
oder Jodbehandlung nicht überlegen 
waren“. 

Tatsächlich vermochte die beschrie¬ 
bene Art der Salvarsantherapie kein 
dauerndes Umschlagen des Wassermann 
zu bewirken; auch bei ihr traten Rezidive 
auf und man muß mancherlei Nachteil 
mit in Kauf nehmen. Die Störungen des 
Allgemeinbefindens, die in vielen Fällen 
nach der Injektion eintreten, sind bei den 
schwächlichen Kindern keineswegs als 
gleichgültig aufzufassen, ebenso wie die 
Injektionen, die Noeggerath und 
Dünzelmann im Verlaufe der Behand¬ 
lung gesehen haben und die auf ein 
dauerndes Darniederliegen der Immunität 
schließen lassen und die Ernährungs- 



Oktober 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


347 


erfolge, die einen wertvollen Maßstab für 
die Wirksamkeit einer antilueti'schen Kur 
darstellen, waren bei Dünzelmann nur 
in einem sehr kleinen Teil der Fälle gut; 
bei Noeggerath sind sie allerdings bes¬ 
ser, während sich die Verhältnisse bei 
Weide nach den kurzen Angaben nicht 
genügend überblicken lassen. 

Allem diesem gegenüber steht nun 
allerdings als großer Vorteil der Sal- 
varsanwirkung das überraschend schnelle 
Verschwinden der Symptome, wie man 
es mit Quecksilber nicht erreichen kann. 
Es lag daher nahe, die günstigen Eigen¬ 
schaften beider Behandlungsarten aus¬ 
zunützen und sie zu kombinieren, wie 
dies bei der Lues aequisita ja von vielen 
Seiten geschieht. 

Schon Weide hat in einigen Fällen 
gute Erfolge gesehen, in denen er neben 
Salvarsan Protojoduret gab. Ein äußerst 
interessanter Fall von kombinierter Be¬ 
handlung, bei dem bei einem mit Queck¬ 
silber vorbehandelten Kinde eine ein¬ 
malige Injektion von Salvarsan dauernde 
Heilung mit Negativwerden des Wasser¬ 
mann brachte, findet sich bei Noeg- 
gerath. Ebenso hat Dünzelmann in 
seinen letztbehandelten Fällen die Sal- 
varsanwirkung mit Quecksilber zu unter¬ 
stützen gesucht und glaubt, daß die kom¬ 
binierte Behandlung mehr leistet als die 
alleinige Salvarsantherapie. Erich 
Müller hat Kuren, die aus zwölf Kalomel- 
und acht Neosalvarsaninjektionen be¬ 
stehen, die im Verlaufe von drei Monaten 
appliziert werden, eingeführt und damit 
Dauerheilungen erreicht. 

Wir haben an unserer Klinik die rasche 
Wirkung des Salvarsans dazu verwandt, 
um die Symptome am Anfang der Kur 
durch ein- oder zweimalige Injektion 
schnell zum Verschwinden zu bringen 
und dann die eigentliche Heilung dem 
Quecksilber überlassen. 

Von vornherein haben wir nur Neo- 
salvarsan verwendet, dessen Vorteil der 
leichten Löslichkeit die von manchen 
Seiten behaupteten Nachteile der weniger 
starken Wirksamkeit aufhebt. 

Da es sich für uns darum handelte, eine 
auch außerhalb der Klinik für die Allge- 
meinpraxis brauchbare Behandlungs¬ 
methode auszuprobieren, haben wir von 
der oft, wie wir sahen, unüberwindlichen 
Schwierigkeiten ausgesetzten intravenösen 
Injektion, die zudem geschulte Assistenz 
voraussetzt, und gegen die sich neuer 7 
dings Baginsky aus prinzipiellen Grün¬ 


den scharf gewandt hat, abgesehen und 
sind zu der intraglutäalen Injektion 
(Kern) zurückgekehrt, nachdem es sich 
herausgestellt hatte, daß die manchmal 
auch hierbei entstehenden Infiltrate wenig 
schmerzhaft sind und in kurzer Zeit 
zurückgebildet werden. Das hatte ja auch 
schon Dünzelmann bei den Infiltraten 
gesehen, die sich bei intravenöser Injek¬ 
tion bildeten, wenn etwas von der Neo- 
salvarsanlösung neben die Vene floß. Nur 
bei den älteren Kindern mit gut ent¬ 
wickelten Armvenen haben wir öfter 
intravenös injiziert. 

Die injizierte Menge betrug bei Säug¬ 
lingen meist 0,15 g = Dosis I, bei sehr 
schwachen Kindern gelegentlich nur die 
Hälfte. Bei den älteren Kindern wurde 
0,3 und 0,45 g = Dosis II und III ange¬ 
wandt. 

Die spezielle Technik ist sehr einfach. 
Als Lösungsmittel diente physiologische 
Kochsalzlösung, die jedesmal frisch be¬ 
reitet und sterilisiert aus der Kranken¬ 
hausapotheke bezogen wurde und die uns 
als zuverlässig von unseren therapeuti¬ 
schen subcutanen Kochsalzinfusionen bei 
Säuglingen her bekannt war, von denen 
es ja nach den Untersuchungen über das 
sogenannte Kochsalzfieber der Säuglinge 
von Samelson, Bendix und Berg¬ 
mann, Aron und Anderen feststeht, daß 
sie ein freies Reagenz auf Keimfreiheit 
des Wassers darstellen. Indem wir auf 
die Beschaffenheit des Lösungsmittels 
den größten Wert legten, haben wir bis 
auf die hier und da auftretenden kleinen 
Infiltrate nur einmal im Anfänge der Ver¬ 
suche eine Nekrose und später einen 
Absceß bei einem septischen Kinde ge¬ 
sehen. Das Neosalvarsan wurde in 
1—3 ccm Kochsalzlösung gelöst und so¬ 
fort nach der Lösung in den äußeren 
oberen Quadranten der Glutäalmusku- 
latur injiziert. 

Einige Tage später begann dann die 
Quecksilberbehandlung, sei es als intra¬ 
muskuläre Sublimatinjektion, sei es als 
Schmierkur im üblichen Turnus, oder auch 
intern als Protojoduret. Im allgemeinen 
bevorzugen wir bei den Säuglingen der 
kräftigeren Wirkung wegen die Sublimat¬ 
injektion, die in Mengen von 0,001—0,002 
täglich bis zweitägig sechs Wochen lang 
gemacht werden. Bei den Fällen von Lues 
tarda wurde außerdem zur Unterstützung 
der Heilung Jodkalium gegeben. Natür¬ 
lich müssen diese Kuren oft wiederholt 
werden, um eine Dauerheilung zu er¬ 
zielen, deren Möglichkeit ja neuerdings 

44* 



348 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Oktober 


von Erich Müller auch für die congeni¬ 
tale Lues nachgewiesen worden ist. 

Was das so behandelte Kindermaterial 
betrifft, so waren die uns eingelieferten’ 
Säuglinge meist in erschreckend schlech¬ 
tem Allgemeinzustande. Mit wenigen Aus¬ 
nahmen, die einen normalen Ernährungs¬ 
zustand zeigten, waren die Kinder in 
schlechtem Kräfte- und Ernährungszu¬ 
stände. Dem Alter nach waren sie zu¬ 
meist in den ersten Lebensmonaten von 
zehn Tagen an. Der schlechte Ernäh¬ 
rungszustand einerseits und die Tatsache 
andererseits, daß die von der Infektion 
gesetzten anatomischen Veränderungen 
zu schwer waren, als daß sie noch re¬ 
parabel gewesen wären, machen es er¬ 
klärlich, daß wir eine Reihe von Todes¬ 
fällen hatten, wie dies auch Dünzel- 
mann und Erich Müller angeben, ln 
einzelnen Statistiken finden sich ja bis 
80 % Todesfälle unter den congenitalen 
Luetikern. In einigen unserer Fälle kann 
man sich allerdings des Eindruckes einer 
direkten Salvarsanschädigung nicht er¬ 
wehren, wie sie von Dünzelmann ange¬ 
nommen wird. Aber andererseits sah man 
auch in einigen Fällen sich die luetischen 
Erscheinungen nach der Salvarsaninjek- 
tion bessern, während es nicht gelang, den 
Allgemeinzustand zu heben, so daß die 
Kinder noch nach Wochen unter der 
Quecksilberbehandlung zugrunde gingen. 

Die Kinder mit Lues tarda standen im 
Alter von zwei bis dreizehn Jahren. Bei 
diesen und den mit Erfolg behandelten 
Säuglingen waren die Resultate äußerst 
befriedigend. Die Kinder zeigten alle die 
mannigfachen Erscheinungen der con¬ 
genitalen Lues; auch viscerale Formen 
waren darunter vertreten. In allen Fällen 
war die Diagnose schon klinisch zu stellen; 
trotzdem wurde sie durch die Wasser- 
mannsche oder Dungernsche Reaktion 
gesichert. Es hat sich dabei wieder be¬ 
stätigt, daß die letztere, welche eine mit 
käuflichen Reagenzien von jedem Prak¬ 
tiker selbst anwendbare Vereinfachung 
des Wassermann darstellt, auch bei Lues 
congenita sehr zuverlässige Resultate gibt, 
wie ich diesfrüher schon nachweisen konnte. 

Gehen wir nun zur Schilderung'des 
Verlaufes der Fälle über, so wäre zunächst 
über die unmittelbaren Wirkungen der 
Injektion des Neosalvarsans zu sprechen. 
Wie wir oben gesehen haben, wurden von 
den anderen Autoren Alteration der Tem¬ 
peratur, der Magendarmtätigkeit und des 
Allgemeinbefindens einerseits, lokale Re¬ 
aktionen andererseits beschrieben. 


Was zunächst letztere betrifft, so 
haben wir, wie schon oben erwähnt, in 
einer kleinen Anzahl von Fällen an der 
Injektionsstelle kleine Infiltrate gesehen, 
die sich aber als wenig schmerzhaft er¬ 
wiesen und regelmäßig in kurzer Zeit 
völlig resorbiert wurden. Nur einmal kam 
es zu einer Nekrose, in einem weiteren 
Falle, bei dem eine von eitriger Menin¬ 
gitis herrührende Sepsis bestand, bildete 
sich ein Absceß, 

Fieber entstand nur ganz ausnahms¬ 
weise, abgesehen natürlich von den Fällen, 
die bereits vorher Temperaturen zeigten.* 
Nekrosen und Temperatursteigerungen 
werden sich in Zukunft sicher vermeiden 
lassen, wenn einwandfreies und sicher 
steriles Wasser als Lösungsmittel des 
Neosalvarsans benutzt wird. 

Dagegen scheint es auch nach unseren 
Erfahrungen, daß eine kurzdauernde 
Periode veränderter Magen- und Darm¬ 
tätigkeit, die sich bei einer Anzahl von 
Kindern hach der Neosalvarsaninjektion 
durch Erbrechen und vermehrte dünne 
Stuhlentleerungen äußerte, nicht immer 
zu vermeiden ist. Auch die Trinklust 
fand sich öfters in den ersten Stunden 
herabgesetzt. Die Mehrzahl der Kinder 
überstand aber die Injektion, ohne daß 
sich derartige Folgen bemerkbar machten. 

Was nun die Beeinflussung der lueti¬ 
schen Erkrankung durch die Neosalvar¬ 
saninjektion anlangt, so setzte auch in 
unseren Fällen die Rückbildung der Er¬ 
scheinungen überraschend schnell ein. Oft 
schon am Tage nach der Injektion, meist 
in den ersten drei Tagen, immer aber nach 
sechs bis zehn Tagen waren die luetischen 
Papeln verschwunden, an ihrer Stelle 
leichte Schuppung der Haut zurück¬ 
lassend. Schnell besserte sich auch die 
vorher so charakteristische Hautfarbe. 
Etwas längere Zeit brauchten die Con¬ 
dylome und die Knochenperiostprozesse, 
jedoch wurde z. B. in einem Falle von 
Parrotscher Pseudoparalyse schon am 
achten Tage der Arm gut bewegt und die 
ausgedehnte Perforation des Gaumens bei 
einem älteren Kinde heilte in 14 Tagen. 
In einem Falle von besonders schweren 
Ödemen, die auf starker Leberveränderung 
beruhten, verschwanden die Ödeme inner¬ 
halb von zehn Tagen als ein Zeichen für 
die intensive Wirkung auf den Leber¬ 
prozeß, sodaß das Kind, das mit einem 
Gewichte von 7660 g aufgenommen wurde, 
am zehnten Tage durch Abgabe der Ödem¬ 
flüssigkeit nur noch 6720 g wog. 




Oktober 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


349 


Die oben charakterisierte sogenannte 
,,kritische Phase“, die Noeggerath in 
einer Anzahl seiner Fälle als unliebsame 
Zugabe zur Salvarsantherapie beschrieben 
hat, haben wir nie gesehen. Vielmehr ging 
die erste reaktive Phase, von deren gün¬ 
stigem Verlaufe soeben die Rede war, 
direkt in die Rekonvaleszenz oder Latenz 
über. 

In diesem Augenblick nun, also ein 
bis zwei Wochen nach der Neosalvarsan- 
injektion, setzte die Quecksilberbehand¬ 
lung ein, die stets die Symptome, soweit 
sie durch die Salvarsanwirkung noch nicht 
völlig verschwunden waren, zum völligen 
Rückgänge brachte und das Allgemein¬ 
befinden des Kindes wesentlich besserte. 
Das zeigte sich bei den Säuglingen vor 
allem in der Mehrzahl der Fälle in der 
guten Gewichtszunahme, wie sie z. B. bei 
Dünzelmann nur in einer bei weitem 
geringeren Zahl von Fällen erreicht wurde, 
und die Gewichtskurve ist uns ja ein wert¬ 
voller Fingerzeig — wenn auch nicht der 
einzige — für das Wohlbefinden des Säug¬ 
lings. Auch das völlige Ausbleiben von 
Sekundärinfektionen im Gegensatz zu 
den Dünzelmann sehen Fällen beweist 
den guten Allgemeinzustand, in den die 
vorher oft recht elenden Kinder gebracht 
wurden. 

Rezidive haben wir bisher nicht ge¬ 
sehen, jedoch ist zuzugeben, daß ein Teil 


der Fälle nicht lange genug beobachtet 
werden konnte, da die durch den Krieg 
hier geschaffenen Verhältnisse Nachunter¬ 
suchungen auswärtiger Patienten unmög¬ 
lich machten. 

Waren also nach dem Vorstehenden 
unsere Resultate durchaus zufrieden¬ 
stellend und denen mit alleiniger Salvar- 
sanbehandlung zum mindesten gleich¬ 
stehend, so hat uns doch die kombinierte 
Behandlung in zwei Fällen im Stiche ge¬ 
lassen, die sich gegen Quecksilber re¬ 
fraktär verhielten, sodaß wir zur alleini¬ 
gen Salvarsanbehandlung gezwungen 
waren. Es handelt sich um zwei Fälle von 
Gonitis luetica, von denen der eine noch 
durch eine Keratitis parenchymatosa kom¬ 
pliziert war. Bei beiden versagte das 
Quecksilber vollständig, während es ge¬ 
lang, die Erscheinungen durch wieder¬ 
holte Salvarsanapplikation zum Schwin¬ 
den zu bringen. Dabei wird interessanter¬ 
weise gerade von ophthalmologischer Seite 
die Einwirkung des Salvarsans auf die 
tiefe Keratitis geleugnet, während in un¬ 
serem Falle der Erfolg ganz eklatant war. 

Abgesehen von derartigen seltenen 
Fällen scheint uns aber die von uns in der 
beschriebenen Weise angewandte Kom¬ 
bination von Neosalvarsan und Queck¬ 
silber ein zuverlässiges Mittel zur Be¬ 
kämpfung und Heilung der congenitalen 
Lues darzustellen. 


Narkotische und Schlafmittel bei Kriegsteilnehmern, 

Von k. k. Oberarzt Dr. Siegfried Lissau, Abteilungs-Chefarzt in einem Reservespital 
(Kommandant Stabsarzt Dr. Tomaschek). 


Abgesehen von den Schwerverletzten 
und Operierten, deren große Qualen zu 
lindern oder zu stillen heute, genau so wie 
vor 50 Jahren, fast ausschließlich das 
Morphium, besonders in der Form der 
Injektion, berufen ist, kommt dem Arzte 
im Kriege noch eine ungeheure Anzahl 
von leichteren Fällen vor Augen, bei denen 
die erste und wichtigste therapeutische 
Forderung die ist, Beseitigung von Schmer¬ 
zen, Beruhigung und Schlaf zu erzielen. 

Außer der großen Reihe der Narkotica, 
Hypnotica und Sedativa im engeren 
Sinne, könnten wir eigentlich jedes 
Mittel, welches auf indirektem Wege 
Schlaf erzielt, als Schlafmittel ansehen. 
Ein Beispiel hierfür bietet die Acetyl¬ 
salicylsäure als Hauptrepräsentant der 
Gruppe „Antirheumatica“, welche fast 
durchgehend, ob sie nun Phenacetin, 
Salipyrin, Aspirin, Kalmopyrin, oder wie 
immer heißen mögen, imstande sind, 


durch specifische Wirkung und prompte 
Schmerzbeseitigung Schlaf zu bringen und 
so als Schlafmittel im weiteren 
Sinne gewertet zu werden, wie folgender 
Fall zeigt: 

Fall 1: Györgö F., 37jähriger Gefreiter in 
einem Honved-Regiment, aufgenommen am 12. Ja¬ 
nuar 1917. Diagnose: Muskelrheumatismus, und 
zwar die als Osteopathia infectiosa beschriebene 
Tibialgie, die mit ihren oft unerträglichen Schien¬ 
beinschmerzen, dem davon Betroffenen tatsäch¬ 
lich jeden Schlaf raubt. Nach 2 g Aspirin pro Tag, 
davon 1 g am Abend verabreicht, sofort wesent¬ 
liches Nachlassen der Schmerzen und ruhiger 
•Schlaf, den der Kranke vorher eine Woche ent¬ 
behren mußte. 

Von den Schlafmitteln im engeren 
Sinne, so groß auch ihre Zahl im all¬ 
gemeinen sein mag, können wir jetzt nur 
in beschränktem Umfange Gebrauch ma¬ 
chen. Durch die Kriegsverhältnisse zur 
Sparsamkeit, Vereinfachung und Ver¬ 
billigung gedrängt, müssen wir auf so 
manche Spezialität verzichten und uns 






350 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


* 


Oktober 


mit der einfachen Verschreibweise be¬ 
scheiden. In einem Merkblatt für Feld¬ 
unterärzte, betitelt „Die Rezeptur im 
Felde“, haben Oberapotheker Dr. W. 
Peyer und Oberstabsarzt Dr. Kroner 
(Feldärztliche Beilage der M. m. Wschr. 
19/16) dasjenige zusammengestellt, was 
heute an Heilmitteln die Pharmakopoe 
bietet, unter besonderer Berücksichtigung 
der militärärztlichen Belange. In diesem 
Merkblatte sind als Schlafmittel nurmehr 
Chloralhydrat und Veronalersatz (Acid. 
diaethyl-barbituric.) angeführt. Es liegt 
auf der Hand, daß man gegenüber den 
oft so hartnäckigen Formen von Schlaf¬ 
losigkeit, die ein häufiges Wechseln des 
Medikaments und Berücksichtigung von 
Nebenumständen (Herz, Verdauungs¬ 
organe usw.) verlangen, mit diesem Arse¬ 
nal kein leichtes Auskommen hat. 

Um so willkommener war mir die Ge¬ 
legenheit, zwei neue Medikamente, das 
Hypnoticum und Analgeticum 
„Phenoval“ (J. D. Riedel A.-G., Berlin- 
Britz) und das Herzmittel mit sedativen 
Eigenschaften „Digimorval“ (Münche¬ 
ner Pharmaceutische Fabrik J. Verfürth) 
an einer großen Reihe von Fällen er¬ 
proben und die Serie der mir zur Verfü¬ 
gung stehenden narkotischen und Schlaf¬ 
mittel durch sie bereichern zu können. 

Ich will gleich vorweg bemerken, daß 
jedes dieser beiden Mittel seine besonde¬ 
ren Indikationen hat und jedes auf seine 
besondere Art wirkt, ihre Nebeneinander¬ 
stellung daher auch nur eine zufällige und 
nur durch den ähnlichen Endeffekt — 
Schmerzbeseitigung und Schlaf — be¬ 
dingte ist. 

Die Schlaflosigkeit, an welcher der 
aus der Front bzw. Krankensammel¬ 
stelle in das Etappenspital kommende 
kranke Krieger leidet, ist nie eine Krank¬ 
heit für sich, sondern immer nur ein 
Symptom und in ätiologischer Hinsicht 
ungemein mannigfaltig. Den breitesten 
Raum nimmt jene Form ein, der wir als 
Agrypnia nervosa auch in Friedenszeiten 
oft begegnen. Im Felde spielt sie als Teil¬ 
erscheinung der psychogenen, funktio¬ 
nellen und Erschöpfungsneurose eine große 
Rolle. Speziell bei diesen letztgenannten 
Zuständen hat sich mir das Phenoval 
glänzend bewährt. 

Phenoval («-Brom-isovaleryl-paraphe- 
netidin), also ein dem Brom, der Valeriana 
und dem Phenacetin verwandter Stoff, 
ist eine chemisch einheitliche Ver¬ 
bindung und nicht, wie das später zu 
besprechende Präparat, eine Komposition 


von mehreren Komponenten. Die ge¬ 
schmacklosen weißen, angenehm zu neh¬ 
menden Tabletten zu 0,5 g bieten eine 
bequeme Verordnungsweise dar. 

Über die Genese und die pharmako- 
dynamischen Eigenschaften dieses neuen 
und interessanten Arzneimittels gibt Pro¬ 
fessor Bergeil in Berlin in seiner Arbeit 
„Über das Phenoval“ (Med. Klin. 1914, 
Nr. 4) erschöpfenden Aufschluß. Er sagt 
dort: „Ist der neue Stoff ein in ein 
Molekül gezwängtes Phenacetin und Brom¬ 
ural? Nichts weniger als das. Es zeigt 
potenzierte hypnotische Wirkung, 
entbehrt aber jeder antipyretischen Wir¬ 
kung, ohne die anderen Eigenschaf¬ 
ten des Phenacetins vermissen zu 
lassen. Der ganze Charakter ist der eines 
Phenacetinabkömmlings, nur bezüglich 
der auffälligsten Wirkung ist unter den 
Händen des Synthetikers eine Bastar¬ 
dierung eingetreten. Die Indikationen 
ergeben sich klar. Wir müssen hier den 
ersten Stoff haben, der Schlafmittel und 
Antineuralgicum ist, ohne Antipyreticum 
zu sein.“ 

Nach Bergeil gehört Phenoval nicht 
in die Reihe der „brutalen“, sondern in 
die der milden Schlafmittel, welche nicht 
so sehr auf die Betäubung der Großhirn¬ 
rinde und ihrer Ganglienzellen, als auf 
die Erleichterung des Einschlafens 
und damit auf die Überwindung des 
wesentlichsten Hindernisses eines gesun¬ 
den Schlafes hinzielen. 

Nach dem Gesagten ist wohl der 
Schluß gestattet, daß Phenoval- eine 
Mittelstellung zwischen den direkten, ge¬ 
waltsamen oder, wie Bergell sagt, „bru¬ 
talen“ Schlafmitteln und den oben er¬ 
wähnten indirekt wirkenden (Antirheu- 
matica, Analgetica) einnimmt. Meine 
Erfahrungen mit Phenoval haben diese 
theoretischen Voraussetzungen in praxi 
vollauf bestätigt. 

Von 40 Fällen, in denen das Mittel 
angewendet wurde, konnte ich nur ein¬ 
mal ein Versagen feststellen. In diesem 
Falle, einer schweren commotionellen Neu¬ 
rose (Verschüttung nach Minenexplosion) 
mit hysterischer Stummheit, allgemeinem 
Tremor usw., war der Mißerfolg von vorn¬ 
herein klar und bot keine Überraschung. 
Hingegen war der Erfolg in 30 Fällen ein 
vollständiger, in den restlichen 9 Fällen 
recht befriedigend. Die gewöhnliche 
Gabe beträgt zwei Tabletten des Abends 
vor dem Einschlafen, doch konnte ich bei 
leichteren Formen der Agrypnie auch mit 
einer Tablette (0,5 g) volle Wirkung er- 


Oktober 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


351 


zielen. In der Praxis wird es sich wohl ! 
empfehlen, unter die Dosis von 1 g nicht 
herabzugehen, um so mehr als irgend¬ 
welche üble Neben- oder Nachwirkung 
bei diesem Mittel nie zu beobachten ist. 
Hier einige markante Fälle aus meiner 
Beobachtungsreihe: 

Fall 2. Serbischer Kriegsgefangener-Stanko 
R., 26 Jahre alt. Diagnose: Lymphadenitis cer- 
vicalis, Muskelrheumatismus. Klagt unter ande¬ 
rem über Schlaflosigkeit und dumpfe, mitunter 
Teißende Schmerzen in den Unterschenkeln. Nach 
einer Tablette Phenoval erklärt Patient, er hätte 
„süß“ geschlafen. 

Fall 3. Siegmund S., 18jähriger Infanterist, 
in den Karstkämpfen bei Costanjevica verwundet. 
Durchschuß des Vorderarmes, allgemeine Anämie 
und Erschöpfung. Subjektive Beschwerden: 
Mattigkeit, träge Verdauung, Schlaflosigkeit. 
Nach einer Tablette Phenoval nur unbedeutende 
Besserung, nach zwei Tabletten ausgiebiger, tiefer 
Schlaf, nach dem sich Patient frischer fühlt. 

Fall 4. Josef W., 22jähriger Infanterist, im 
Stellungskriege bei Görz Ende November 1916 
unter fieberhaften Erscheinungen erkrankt. Dia¬ 
gnose: Status febrilis mit Gliederschmerzen, wahr¬ 
scheinlich echter akuter Muskelrheumatismus. 
Hartnäckige Schlaflosigkeit. Eine Tablette 
Phenoval am. Abend ohne Wirkung auf das 
Fieber, Schlaf in unbedeutendem Maße gebessert. 
Nach zwei Tabletten siebenstündiger, ruhiger 
•Schlaf. 

Fall 5. Franz R., 42jähriger Blessierten- 
träger. Diagnose: Chronischer Darmkatarrh und 
Muskelrheumatismus. Nach Besserung dieser 
Zustände verzögerte Rekonvaleszenz infolge all¬ 
gemeiner Erschöpfung mit Schlaflosigkeit. Letz¬ 
tere ist charakterisiert durch normales Ein¬ 
schlafen, Erwachen nach 1V 2 bis 2 Stunden 
Schlafes und Unmöglichkeit, neuerlich einzu¬ 
schlafen. Nach zwei Tabletten Phenoval un¬ 
gestörter Schlaf. Patient gibt spontan an, schon 
viele Monate keine so gute Nacht verbracht zu 
haben. 

Fall 6.^ Iwan S., 37 Jahre alter Landwehr¬ 
infanterist, mfolge eines schon längere Zeit be¬ 
stehenden Magendarmkatarrhs und Bronchitis 
stark herabgekommen. Klagt außerdem über 
schlechten Schlaf, indem er angeblich sehr schwer 
einschläft, um so leichter aber wieder erwacht, 
ohne dann wieder einschlafen zu können. Nach 
einer Tablette Phenoval leichtes Einschlafen, 
Schlaf mit Unterbrechungen. Nach zwei Tabletten 
.acht Stunden ohne Unterbrechung geschlafen. Die 
Wirkung hält bei Verabreichung dieser Dosis 
durch weitere drei Tage, nach Ablauf dieser Zeit 
auch bei 0,5 Phenoval an. 

Fall 7. Infanterist Johann Z., 49jähriger 
Landsturmmann. Diagnose: Myodegeneratio cor- 
dis, Emphysema plm. Nach Herstellung günstiger 
Kreislaufverhältnisse und Behebung der Arhyth¬ 
mie, Dyspnoe, sowie herzasthmatischer Zustände 
durch täglich dreimal zwei Digimorvaltabletten 
(siehe weiter unten) durch etwa eine Woche ver¬ 
abreicht, wird mit dieser Medikation pausiert. 
Da nach drei Tagen Patient neuerlich über mangel¬ 
haften Schlaf klagt, für Digimorval jedoch keine 
Indikation mehr vorlag, gebe ich Phenoval mit 
bestem Erfolge. Nach einer Tablette sechs¬ 
stündiger, nach zwei Tabletten neunstündiger 
Schlaf ohne jedwede Nachwirkung. 


Die oben erwähnte Verabreichung von 
Digimorval gibt mir Veranlassung, auch 
diesem neuen Medikament einige Worte 
zu widmen. Digimorval ist eine im Jahre 
1912 auf meine Anregung hin erfolgte 
Kombinierung der Digitalis, des Mor¬ 
phiums und der Valeriana in Tabletten- 
form. Jede Tablette, also die Einzeldosis, 
enthält: Pulv. fol. Digital, titr. 0,05, 
Morphin, mur. 0,005, Mentholi valerian. 
g. H. III. 

Wie auf den ersten Blick ersichtlich, 
enthält also jede Tablette Digimorval 
genau die Hälfte der üblichen Einzel¬ 
dosis jedes der drei zusammensetzenden 
Medikamente. Hierdurch erreicht man 
eine feinere Abstufung der arzneilichen 
Wirkung, indem zwei Tabletten die Nor¬ 
maldosis, drei eine mittelstarke und vier 
eine starke Dosis vorstelien. Im Digi¬ 
morval ist nicht, wie im oben besproche¬ 
nen Phenoval ein neuer chemischer Kör¬ 
per, der durch Kreuzung zweier anderer 
entstanden ist, zu sehen, sondern nur die 
Kombination, die Zusammenlegung meh¬ 
rerer Arzneikörper, deren gleichzeitige 
Verabreichung in bequemer Form gleich¬ 
zeitig mehreren Indikationen genügt. Hier¬ 
zu kommt noch die bekannte, wenn auch 
noch nicht erklärte Erscheinung, daß 
Gruppierungen von arzneilichen Faktoren 
einen günstigeren, gewissermaßen poten- 
zierteren Effekt haben, als die einzelnen 
Komponenten für sich allein genommen 
(Novocain-Suprarenin!). 

So konnte ich denn vom Digimorval 
in einer großen Anzahl von Fällen als 
Schlafmittel Gebrauch machen, wo 
Morphin indiziert war (starker Husten¬ 
reiz, Brustbeklemmung und Herzschmerz, 
bei starken Neurosen usw.), daneben aber 
das Herz seine Berücksichtigung ver¬ 
langte, und auch die Valeriana dem 
Nervensystem zugute kam. Der Erfolg 
war überraschend günstig. Immerhin 
bleibt dieses Mittel in erster Linie Herz- 
tonicum nrit sedativen und erst in zweiter 
Hypnoticum mit tonisierenden Eigen¬ 
schaften. 

Ich glaube, zusammenfassend sagen 
zu dürfen, daß in der kommenden Frie¬ 
denszeit, wenn erst einmal wieder das 
Interesse für pharmaceutische Speziali¬ 
täten unter den Ärzten im größeren 
Umfang erwachen wird, sowohl dem 
„Phenoval“ als .auch dem „Digimor- 
val“ jedem in seinem Wirkungskreise 
ein Platz gesichert ist. 



352 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Oktober 


Über Ersatzarzneien. 

Von Hermann Schelenz-Kassel. 


Krieg in der Wissenschaft Äskulaps 
selbst, Streit zwischen den Anhängern 
verschiedener Schulen (ich erinnere nur 
an den der Iatrochemie gegen den Gale¬ 
nismus, der sich auf die SSS, das heißt 
Serie, Seringue, die Klistierspritze, und 
das Saignee, die Blutentziehungen, ver¬ 
steifte) ließen gelegentlich ganze Reihen 
von Heilmitteln verschwinden und andere 
auftauchen. Geradezu Mode (Modeärzte) 
machte manches Mittel, meteorgleich auf- 
flammend, um von der verblüfften Welt 
wahrer und eingebildeter Kranken wahr¬ 
haft als Wunder- und Allheilmittel, als 
Panazee angestaunt zu werden. Die Ent¬ 
deckung fremder Erdteile führte neue 
Arzneistoffe ein, die als ausländische allein 
schon berechtigt und bevorrechtigt er¬ 
schienen, altbewährte, einheimische in die 
Rumpelkammer zu treiben. Erwägungen 
des Handels, in erster Reihe für uns Eng¬ 
lands, dessen Herz nach dem Zeugnis ihres 
großen Dichters Shakespeare ,,in ihren 
Beuteln ruht“, und denen im Sinne ihres 
Sondergottes der Kaufleute und Gauner, 
Merkur, jedes Mittel recht war, das, um 
größeren Absatz zu erzielen, seit jeher 
durch seine vielen Handelsabgesandten 
auch lügen ließ „wie gedruckt“, kehrten 
sich nicht an das auf uralter Annahme 
fußende Wort unseres kerndeutschen Para¬ 
celsus-Hohenheim von dem ausreichenden 
Besitztum jeden Landes an Arzneimitteln. 
Es überschüttete geradezu unser Vater¬ 
land, das ganze Europa mit den Neuig¬ 
keiten des westlichen Indiens, Amerikas 
(vermutlich auch, um den unbequemen 
ostindischen Handel Hollands zu stören). 
Einflüsse aber, wie sie der noch wütende 
Krieg ganz naturgemäß auf das ganze 
wirtschaftliche Leben, was uns am näch¬ 
sten liegt, Deutschlands und der .Mittel¬ 
mächte ausübt, und hier wieder sonder¬ 
lich auf den Verkehr mit Arznei- und, 
was restlos davon abzutrennen kaum 
möglich ist, auch für die Krankenversor¬ 
gung höchst notwendiger Nahrungs- und 
Genußmittel, sind in der Tat so gewaltig, 
so wirklich noch nicht dagewesen, wie 
der Krieg selbst. 

Die wenig zuverlässigen Verkehrsver¬ 
hältnisse alter Zeit, viel empfindlicher 
wirkender Mißwachs, Zeiten verheerender 
Seuchen machten Gebrauch von Ersatz¬ 
heilmitteln, von Antiballomena oder 
Quodproquos zur unabwendbaren Not¬ 
wendigkeit. Jedes Arzneibuch brachte 


offizielle Tabellen darüber. Die neuere 
Zeit räumte mit ihnen auf, die moderne 
konnte solchen Ersatz geradezu verbieten. 
Die letzten Jahre mußten nach „Streck-“,, 
ja nach „Behelfs“mitteln sehnsuchts¬ 
voll Umschau halten, sie wurden zum 
Teil anbefohlen. Ich selbst empfahl zu 
meiner Freude viel, aber immer noch 
lange nicht genügend verwandten reinen 
weißen Ton als Ersatz von Seife, auf 
diätetischem oder .Nahrungsmittelgebiete 
die vergessenen und doch so vorzüglichen 
Flieder- und Berberitzen- und Ro¬ 
senfrüchte-Hagebutten (die Fruc- 
tus Sambuci, Berberidis und Cynos- 
bata), von tierischen Nahrungsmitteln 
Schnecken, # Muscheln, Frösche,. 
Blut usw. Über den Stand der Arzriei- 
versorgung bin ich nicht mehr genau unter¬ 
richtet. Nur spärlich dringt eine Nachricht 
über ganz unerhörtes Hinaufschnellen der 
Preise einzelner Arzneien zu mir. Wir 
hoffen alle, daß in Bälde der Frieden aller 
Not ein Ende machen wird, daß Behelfe 
nicht mehr auszuklügeln nötig ist. 

Aber so oder so, selbst den älteren 
oder gar ältesten meiner Leser wird es- 
bedeutungsvoll sein, durch die oder jene 
Stelle daran erinnert zu werden, wie rück¬ 
ständig sie in der hoffnungsvollen Jugend’ 
als Helfer mit einer „angelica facies“ an 
das Leidensbett des Kranken getreten 
sind, und den jüngeren wird es vielleicht 
nützlich sein, zu erfahren, welche Meister 
vor ihnen dem Äskulap dienten, wenn 
anders jenes Wort von der Beschränkung 
als Kriterium der Meisterschaft wahr ist.. 
Den Pharmakologen aber und den Arznei 
bereitenden Apothekern, noch mehr den 
an ihre Stelle getretenen, mit allen Mit¬ 
teln einer verfeinerten Technik unter Lei¬ 
tung ausgezeichneter Chemotherapeuten 
arbeitenden Fabriken kann mein Hinweis 
auf aus der Mode gekommene Heilstoffe 
immerhin von Nutzen sein dadurch, daß 
sie vielleicht zu Versuchen anregen, aus 
ihnen Arzneiformen darzustellen, wie sie 
die moderne Therapie verlangt, wert, den 
augenblicklich kaum erhältlichen an die 
•Seite oder statt ihrer in den Dienst des 
Arztes gestellt zu werden. Auf eine Auf¬ 
zählung muß ich mich zumeist und auf 
nur eine kleine Gruppe von Heilkraft¬ 
trägern muß ich mich beschränken und 
nur auf des ersten wirklichen Pharma¬ 
kologen und Physiologen Hermann 
Boerhave „Tractatus de viribus medica- 



Oktober 


Die Therapie der Gegenwart 1917: 


353 


mentorum“, Parisii 1740, und des Bota¬ 
nikers in altem Sinne Johannes Rajus< 
(Ray) „Historia plantärum“, Londini 
1688, in der er die Pflanzen in altherge¬ 
brachter Art, wie Dioskorides, samt und 
sonders auch als Arzt würdigte, über ihre 
Vires eingehend berichtet und in einem 
„Index affectuum et remediorum“ eine 
pharmakologische Übersicht gibt. Des 
knappen, jede Deutelung ausschließenden 
Ausdruckes wegen gebe ich zumeist den 
lateinischen Grundtext wieder. 

Unter Ab'ortiva verstehen beide Ge¬ 
währsmänner nur Uterina, auf den Uterus 
wirkende „Emmenagoga, Aristölo- 
chica et Ecbolica, quae menses, Lochia 
et Uteri contenta expellunt“. Daß unter 
ihnen, nach der Lehre von den Signa¬ 
turen, auch Aristolochia empfohlen 
wird, als sehr gut für die Lochia, weil sie 
„rotunda föeminei uteri f ormam imitatur“, 
kann ebensowenig wuriderriehmeri, wie daß 
blutrote, übrigens adstringierende und 
konstringierende Bistortä und Sangui- 
sorba auch gebraucht wurden. Die Mittel 
werden unterschieden in solche „quae 
faeces (Abgänge allgemein) inertes sol- 
vunt, et quae solutas per stimulum ex¬ 
purgant“. Den stärksten Stimulus ließ man 
wohl durch Stern tu atoria oderErr hina 
besorgen, die „in partu difficili, ubi ma- 
tris vires deficiunt“, die Kreißende durch 
die Nieseexplosion die Frucht zweifellos, 
gelegentlich wenigstens, so schnell aus¬ 
stoßen lassen machten, als wenn „she 
quickly pooped“, wie Shakespeare das als 
eine Art von Bordellgewohnheit be¬ 
schreibt 1 ). 

Als adstringierend sind hier von be¬ 
sonders wichtigen Pflanzen zu nennen: 
Sabina; Pulegium, Chamomilla (Ma- 
tricaria), die auf eine alte ruhmvolle Ge¬ 
schichte zurückblicken. Alle drei ent¬ 
halten ätherische Öle, deren Wirkung auf 
die Gebärmutter inzwischen „wissen¬ 
schaftlich“ festgelegt und begründet ist. 
Damit die „Resistentia vasorum . uteri- 
norum minuetur“, sollten sie laxantur, 
gelockert werden durch Balnea tepida, 
„Calor externus partibus inferioribus 
applioatus“ durch Unguenta et Empla- 
stra, die den Füßen, dem Kreuz, den 
Weichen appliziert wurden. ' Ihre wirk¬ 
samen Bestandteile sind wieder jene 
Plantae uterinae und Thuja, Majo- 
rana, Juniperus, dann auch Fric- 
tiones ab viriis pedibus usque ad inguina 

x ) Vgl. meine Shakespeare-Studien Bd. I, 
S. 105. Auch jetzt soll die Methode für Einleitung 
frühzeitigen Aborts nicht unbekannt sein. 


und Motus ambulatorius, ja „Salta;-, 
tionis motus, qui vero tanti momenti, 
est, ut Hippokrates dicat, eum abortum 
procurare“ 1 ). 

Anodyna {d öötivrj, Schmerz) sind 
„Medicamenta, quae dolorem in genere 
tollunt“, und zwar'besorgen das *,Pare- 
gorica (jiaQrjyoQea), rede zu) demulcendo, 
Hypnotica somnio conciliando, Narco- 
tica stüporem inducendo. Schließlich etv 
wähnt Boerhave Nepenthes als „medi- 
camentum dolorem auferens“ im Grunde 
nur aus geschichtlichen Erwägungen. Am 
meisten dürften die Hypnotica hier als 
Schmerzstiller in Frage kommen: da¬ 
durch, daß sie „somni impedimenta tol¬ 
lunt“, auf die schmerzende Stelle gelegt, 
nach der völlig unbewußt gefundenen 
Regel „Contraria contrariis“. Kühlend 
wirken, sollen Rosa, Salix, Lactuca 5 *), 
Taraxacum, Pepones, Cucumeres 
(jedenfalls ihr kalt anmutendes Frucht¬ 
fleisch, wie man es in der Volksmedizin 
immer noch verwendet) „ex- und intrin- 
secus adhibita“ den Zweck erfüllen. 

„Supprimendo causas naturales vigi- 
liarum et imprimis impediendo fluxum 
Liquidi per nervös“ (auf Boerhaves An¬ 
sichten über das Wesen der Schmerz¬ 
empfindung einzugehen, ist hier nicht der 
Ort) wirken Somnif era mitia, die einen 
Schlaf hervorrufen, wie den natürlichen; 
schnellen und leicht erweckbaren be¬ 
wirken Crocus (in Sydemhams Lauda- 
num liquidum ist er erhalten!), alle Teile 
von Papaver Rhoeas, Cynoglossum 
und.Paris. Sollten sie nicht eine ein¬ 
gehende phytochemische Untersuchung 
verdienen?! Ganz aus der Luft gegriffen 
kann der ihnen von unseren Vorfahren 
zugeteilte Heil-Heiligenschein kaum sein! 
Zu den Fortia, die „Somnum coactum, 
profundum, vix excutiendüm cum summo 

x ) Was auch noch Volksweisheit ist. 

2 ) Meinen Shakespeare-Studien verdanke ich 
die Kenntnis der damaligen Verwendung eines in¬ 
sonderheit gegen Kopfweh gebrauchten „Let- 
tice cap‘V eines wie eine Kappe gebrauchten 
Lattich- (oder Kohl-) Blattes, wie ich es als Kopf¬ 
wehheil- oder Abwehrmittel im Norden noch viel 
gebraucht sah. Auch Johannes Schröder 
rühmt von Lactuca, „somnum conciliät“, und 
Muwaffak empfiehlt nicht nur den Milchsaft 
von Papaver (also Opium), sondern auch den von 
Lactuca, also Lactucarium. An der Wende des 
18. Jahrhunderts wurde der eingedickte Saft aus 
Lactuca virosa zumeist von Zell an der Mosel, 
anderer aus Lactuca sativa (Thridax) aus Frank¬ 
reich, noch anderer aus Schottland als Narcoticum 
empfohlen und verwandt. Vielleicht könnte es 
jetzt als Ersatzmittel aus der Versenkung heraus¬ 
geholt werden, in die es nach dem Spruch: „Das 
Bessere ist des Guten Feind“ gefallen ist. " 

45 


354 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Oktober 


stupore“ geben, gehören Sem. Hyos- 
cyami, dessen Eigenschaften ja im all¬ 
gemeinen wenigstens bekannt sind, usw. 
(natürlich neben Opium), zu den mala, 
mit ,,Somnum profundissimum, riforte 
plerumque terminandum“ als Folge, alle 
Teile des schon genannten Hyoscyamus, 
Sem. Stramonii, Farina Lolli (das, 
lange zum mindesten verrufen, meines 
Wissens nie genau studiert worden ist), 
Sem. Oxyschoeni (Juncus acutus ca- 
pitulis Sorghi, bei dem auf Dioskorides 
und Matthiolus Bezug genommen wird). 
Melanocerasus-Belladonna, Aurea 
mala s. Melongenae s. Mandragora 
(deren Ruf jedenfalls ein berechtigt schlech¬ 
ter, für diese Betrachtung vielverspre¬ 
chender ist), in einer Fußnote genannt 
Cicuta major, das ist AethusaCinapium, 
das vermutlich den Giftbecher des So¬ 
krates lieferte, ,,Nicotianae fumus 
nimia copia sumptus in non assuetis“ 
(wir könnten schon Nicotin dafür er¬ 
setzen), und schließlich mit Fug und Recht 
,,Vinum und Spiritus ex eo pro- 
ductus“ (der zum Zwecke der Rausch¬ 
narkose lange, jedenfalls zu Shake¬ 
speares Zeit, bei schweren Geburten an¬ 
gewandt wurde, dessen in dem Falle ge¬ 
radezu komisch anmutende zufällige, nicht 
beabsichtigte Wirkung ich einmal in einem 
sehr bösen Falle beobachten konnte). 

Einen, verdient jedenfalls recht um¬ 
fangreichen Abschnitt nehmen bei Boer- 
have die ,,Medicamenta excretiones pro- 
moventia“ ein, 14 Kapitel, unter ihnen 
die Purgantia per alvum, die Eccopro- 
tica [ix und xönqog , Kot] quae corpus 
inter operandum non multum turbant“, 
darin lubricantia, schlüpfrigmachende: 
Olea und ölhaltende Samen, z. B. Sem 
Lini und Psyllii, die ich gerade eben 
in empfehlende Erinnerung gebracht 
habe, weil sie, mit Wasser ums Vierfache 
wenigstens gallertartig aufschwellend, 
wirklich vorzüglich wirken sollen, jetzt 
mit Gold aufzuwiegende Sapones, 
Schaf- und Eselsmilch (letztere be¬ 
sonders für Phthisiker), 0va putrescen- 
tia (etwas angefaulte Eier!) und Anima- 
lium stercora und daraus ausgepreßter 
Saft. Ein Syrup. B. Lutheri wurde 
daraus dargestellt und durch Kochen mit 
Bier das Pferdebier. Diese Mittel der 
,,Dreckapotheke“ sind vergessen, nicht 
aber, immer noch gern auch von der Schul¬ 
medizin verordnete Pflaumen, Birnen 
usw., Fliederbeeren und Zubereitungen 
aus ihnen. Auch Ray zählt immer noch 
nicht genügend gewürdigte Frangula 


auf, und nur noch homöopathisch ver¬ 
ordnete Bryonia, Fructus Rhamni, 
Sorbi (Ebereschen),, die volkstümliche 
Dulcamara, übrigens auch Rad. Asari. 

Als Amarum und Stomachicum 
brachte ich vor kurzem, an Stelle des auch 
durch England eingeführten und massen¬ 
haft schließlich als Nachtisch genaschten 
Ingwers, unseren völlig vergessenen 
Calamus wieder ans Tageslicht, der noch 
vor einem halben Jahrhundert, ganz so 
wie jener in China eingezuckerte unnötige 
Eindringling, gegen Verdauungsstörungen, 
gekaut und als Likör getrunken wurde. 
Gleiche Erweckung verdienten zu glei¬ 
chen Zwecken die eingezuckerten un¬ 
reifen Nüsse, die zu gleicher Zeit wie 
der vorige und ebenso unverdient dem 
mit englischer Reklame > angepriesenen 
Ausländer folgen mußten. In Absin- 
thium, den Menthae, der vortrefflichen 
Caryophyllata, der Tormentilla, der 
Gentiana usw. haben wir weitere ganz 
vortreffliche heimische hierhergehörige 
Mittel. 

Sonder-Anthelmintica oder Mittel 
gegen die „Lumbrici intestinorum“ kennt 
Selbst Boerhave noch nicht. Die Sym¬ 
ptome, durch die sieh die Bandwurmein¬ 
quartierung kenntlich macht, beschreibt 
er genau, er empfiehlt aber gegen die 
Schmarotzer nur ziemlich abenteuerlich 
Ossicula piscium, Cornu cervi, Li- 
rnatura martis (Eisenfeile), die, ver¬ 
schluckt, sie rein mechanisch ärgern und 
zum Abgehen veranlassen sollten, und 
Purgantia und Vomitoria. Ray da¬ 
gegen zählt auf unter anderen Absinth, 
Marrubium, Sabina in hoc genere 
excellens, Senecionis succum, Tana* 
cetum, das mancherlei Ähnlichkeit mit 
dem, natürlich selten gewordenen Semen 
Cina hat, und Allium, von dem eine 
„Klaue“ in den After gesteckt, Wunder 
wirken soll, und über das er im Texte 
selbst wunderbare Heilerfolge mitteilt. 

Was von Fiebermitteln genannt 
wird, mutet uns, die wir durch die Fieber- 
panacee, der „Febrifugorum König 
und Meister“ Cort Peruvianus, wie 
Ray sie noch nennt, und durch ihr „We¬ 
sentliches“, die Chinaalkaloide, verwöhnt 
sind, insonderheit die heimischen Anti- 
febrilia 1 ) recht* kindlich an. Ernsting 
empfiehlt Salia plantarum, Pflanzen- 
aschen, alle ohne Ausnahme tatsächlich 
nur Kaliumcarbonat, dann Amara, 
unter ihnen Absinth, Carduus bene- 

*) Ernsting zählt über hundert verschiedene 
Febres auf! 



Oktober 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


355 


dictxis (die zeitweise geradenwegs als 
Wunderheilmittel galt), Ce n t a u r i u m m i - 
nus, Trifolium fibrinum, Gentiana, 
Calamus. Ray hält Endivia, Ber¬ 
beris, Cynoglossa, Myrtilli, Ribes, 
Sorbus, Sempervivum für Mitteigegen 
Febres continuae, Chamomilla, 
Chamaedrys, Sinapis, Bardana, Im- 
pera.toria, Foeniculum, Prunella für 
Mittel gegen Intermittens, und ähnliche 
kühlende, gelind abführende für solche 
gegen Quartana und Tertiana, und 
Lupulus „in Epithemate“, also als Um¬ 
schlag, für gut gegen Quotidiana. In 
der Hand der sorglichen Hausfrau werden 
die Mittel gewiß noch am Platze sein, 
keinenfalls schaden, der Arzt wird sich 
anders helfen. 

An Vomitiven hat es keinen Mangel. 
Vieles, was der Weltkrieg von mensch- 
lischer Niedertracht und Gemeinheit zu¬ 
tage förderte, müßte allein schon, wenn 
nicht einen gelinden Furor, so sicher 
Brechreiz hervorrufen. Im 18. Jahrhun¬ 
dert half man sich außer mit Antimon- 
präparaten (Tartarus emeticus) und 
Hypecocuanha mit fettigen Sachen, 
welche man mit lauem Wasser trank, mit 
dem, ganz bezeichnend, englischen 
Vomitiv, Cardobenedicten - Auf gu ß 
mit Milch oder Bier gekocht, ,,davon kann 
man, so oft und viel oder so wenig man 
will, brechen“, dann wieder mitAsarum, 
dem auch Schröder brechenerregende 
Eigenschaften nachrühmt, Sedum mi- 
nimum (acre) usw. 

Zum Schlüsse nur noch ein Wort über 
die am meisten aktuellen, im alten Sinne 
allerdings unnötig gewordenen, kaum mehr 
nötigen Vulneraria und Consolidan- 
tia. Wundtränke, Balsame, Essenzen, 
Pflaster und Salben gehörten dazu, Emol- 
lientia, Caustica, Cauteria, Escharotica 
usw. desgleichen. Lang ist die Reihe der 
Vegetabilien, die Ray auf zählt. Nur die 
hervorragendsten gebe ich hier wieder: 
Agrimonia, Alchemilla, Anagallis, 
Melilotus, Consolida, Herniaria, 
Parietaria, Perfoliata, Pimpinella, 
Salvia, Sanicula, Plantago, von hei¬ 
mischen Balsamen: Resinae et La- 
crimae variae, deren Namen allein 
schon erkennen lassen, welchen Erwä¬ 
gungen ihre Wahl zugrunde lag. 

Eine Art Anaestheticum sollte ver¬ 
mutlich der Gallen trank 1 ) sein, den 
man dem Heiland zu trinken gab, und 
immerhin eine Art Inhalationsnarkose 

b Vgl. meine Geschichte .der Pharmacie S. 9. 


bezweckten jedenfalls Schwämme, die 
mit einem Auszuge von Opium und „Pil¬ 
sensamen“ (Hyosyamus) getränkt*, nach 
der Anweisung vöh Pfolspeundt in 
seiner „Bündteartzney“ den zu Operieren¬ 
den in die Nase gesteckt werden sollten 1 ). 
Und auch einen „Tolltrank“ aus den¬ 
selben Heilstoffen gab Brunschwig dem 
Patienten ein ,,db von er entschlaffet vnd 
der schnydung nit empfinde“. Im allge¬ 
meinen aber verlangte, wenn der Inner¬ 
arzt Ernsting nicht etwa das Schneiden 
ganz für unter seiner Würde hielt und er 
darüber nichts sagen wollte und konnte, 
der Chirurg, die „linke Hand des Arztes“, 
der „Hebammenmeister“ und Feldscher, 
der „weiter sich so oft nicht mit dem 
Schaden und dessen Umständen genau 
bekannt macht, manchen Menschen in so 
miserablen Stand setzt“, von dem Men¬ 
schen, denen er „durch schickliche Hand¬ 
griffe, Instrumente und besondere Hilfs¬ 
mittel die verlorene Gesundheit der äußer¬ 
lichen Teile der Menschen wieder heilen 
und zurechte bringen“ sollte, geradezu 
übermenschliches Schmerzertragen. Von 
Bemühungen, wie sie eben erwähnt wur¬ 
den, weiß Ernsting nichts, wohl aber 
von wahren Inhalationsnarkosen durch 
Schwefel- und Kohlendampf, die 
„den Menschen so sehr betäuben, daß er 
nichts von sich selber weiß, den Gebrauch 
der Sinn^ und der freiwilligen Bewegung 
verliert“. Er weiß von den oben schon 
genannten Narcoticis, z. B. Sem. Hyos- 
cyami, dessen sich „die indianischen und 
italienischen Weiber recht schön bedienen, 
wenn sie ihre Männer dumm machen wol« 
len“, auch „daß kluge Ärzte in einigen 
Krankheiten bei der gewaltigen und an¬ 
ders unüberwindlichen Unruhe der Nerven 
sehr gutes damit ausrichten“. Von An¬ 
ästhesien und gar von einer örtlichen Be¬ 
täubung war offenbar zu seiner Zeit keine 
Rede. Dazu möchte ich bemerken, daß, 
wie ich schon 1912 2 ) gelegentlich der 
Empfehlung des Chinins zu örtlicher 
Betäubung' durch Schepelmann mit¬ 
teilte, der alte Vorschriftensammler 
Alexius Pedemontanus in seinem „De 
secretis naturae“, zuerst 1557 erschienen, 
einen Koloquinten-Auszug (er läßt sie 
nach vorherigem Stoßen mit Essig aus- 
ziehen und den Auszug zur Honigdicke 
einkochen) „ad extrahendos dentes sine 
dolore“ empfahl. Der Auszug sollte in 
das skarifizierte Zahnfleisch um die kran- 

*) Von solchen Spongia somnifera sprach 
ich in meiner Geschichte der Pharmacie auf S. 307. 

2 ) in der Therapie der Gegenwart. 

45* 



Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Oktober 


356 


ken Zähne gerieben, der Mund dann eine 
Zeitlang geschlossen werden. Der Zahn 
könne darauf schmerzlos mit den Fingern 
herausgeh'olt werden. Ob, wie ich es 
empfahl, die doch gewiß nicht ganz er¬ 
logene Tatsache inzwischen geprüft ist, 
weiß ich nicht. Sie verdiente es immerhin. 

Eine ganze Reihe von Heilstoffen 
kamen im Laufe des Krieges zu Ehren, 
die, als völlig unnütz obsolet geworden, 
in der Rumpelkammer des Apothekers zu 


langem Schlaf verurteilt worden waren. 
Ich erinnere nur an Bolus alba und 
(Tier-)Kohle, die sich jetzt zweifellos 
beide wohlverdienter Ehre erfreuen.- Viel¬ 
leicht werden manche von den hier ans 
Licht des Tages gezogenen Mitteln gleicher 
Ehre gewidmet. Der Horazische Spruch 
bleibt jedenfalls geltend: 

Multa renascentur, quae jam cecidere, 
cadentque. 

Quae nunc sunt in honore. 


Moderne Lichtbehandlung in der ärztlichen Praxis. 

(Quecksilberquarzlampe, Aureollampe.) 

Von Dr. Disque, Kreisarzt a. D., Potsdam. 


Vor 25 Jahren, im Anfänge der neun¬ 
ziger Jahre, habe ich in Deutschland das 
erste elektrische Lichtbad bauen lassen. 
Ich sah damals in einem Prospekt eines 
amerikanischen Sanatoriums, Beatle Kreeg 
bei Philadelphia, von Dr.Kellogg, eine 
ähnliche Einrichtungangegeben. Durch das 
Elektrizitätswerk Poege & Co. in Chem¬ 
nitz ließ ich einen elektrischen Lichtbade- 
kasten mit Spiegelscheiben nach meinen 
Angaben konstruieren, wie die elektri¬ 
schen Lichtbäder, nachdem man die 
Spiegel weggelassen, neuerdings in ähn¬ 
licher Weise wieder gebaut werden. 

In den letzten 20 Jahren hat die Licht-, 
behandlung immer größere Verbreitung 
gefunden. In den meisten Badeanstalten 
sind elektrische Lichtbäder vorhanden, 
auch die Wirkung der lokalen Licht¬ 
behandlung wurde immer mehr wissen¬ 
schaftlich anerkannt und ausgebildet. Es 
gibt keine moderne Hautklinik mehr, in 
‘tief nicht mit Lieht behandelt wird. 

Mit der lokalen Lichtbehandlung trat 
vor allen Finsen auf den Plan. Er kon¬ 
struierte starke Bogenlampen mit durch 
Linsen konzentriertem Lichte, Wasser¬ 
kühlung und Kompression der Haut. 
Finsen zeigte, daß man auf diese Weise 
am besten Lupus zu heilen,imstande ist. 
Die ersten Veröffentlichungen stammen 
aus dem Jahre 1895. Wie alles Neue, so 
brauchte auch diese wissenschaftliche Er¬ 
rungenschaft mehrere Jahre Zeit, bis sie 
überall in der ärztlichen Praxis Anerken¬ 
nung und Anwendung fand. 

Später wurde die Quecksilberquarz¬ 
lampe konstruiert [Kromayer 1 )], dann 
die künstliche Höhensonne [Quarzlampen¬ 
gesellschaft, Hanau 2 )]. Durch dieses 

x ) Kromayer, Quecksilberwasserlampe zur Be¬ 
handlung von Schleimhaut und Haut (D. m. W. 
1906 H. 10). 

2 ) Bach, Anleitung und Indikationen für Be¬ 
strahlung mit kiinstlischer Höhensonne (Kabitzsch, 
Würzburg-Hanau). 


Quecksilberdampflicht werden viel mehr 
und stärkere ultraviolette Strahlen er¬ 
zeugt als durch die Finsenlampe, ja sogar 
mehr und stärkere-wie im Sonnenlichte. 
Die Behandlungszeit ist eine viel kürzere, 
der Stromverbrauch und die Anschaf¬ 
fungskosten sind geringer als bei der 
Finsenlampe. Bei der künstlichen Höhen¬ 
sonne (Quecksilberquarzlampen- Gesell¬ 
schaft Hanau) findet auch keine Kom¬ 
pression der Haut mehr statt. 

Sehr schöne Erfolge habe ich durch 
das Quecksilberquarzlicht gesehen, be¬ 
sonders bei Hautkrankheiten (Ekzem, 
Psoriaris, Alopecia, Sycosis, Acne, Herpes, 
Naevi, Lichen, Lupus usw.). 

Bei der Wundbehandlung muß das 
Quecksilberquarzlicht filtriert werden, da 
es sonst durch die starken äußeren ultra¬ 
violetten Strahlen auf die Dauer zu rei¬ 
zend wirkt.' 

Obgleich die Quecksilberquarzlampe 
(künstliche Höhensonne) die inneren lang¬ 
welligen Strahlen der Hochgebirgssonne 
nicht besitzt, kann sie auch bei der nötigen 
Vorsicht (kürzere Behandlung, Schutz 
der Augen durch eine dunkle Brille 
usw.) zur allgemeinen Behandlung des 
ganzen Körpers Verwendung finden. 

Auch das Kohlenbogenlicht der Schein¬ 
werfer wird von Breiger 1 ) besonders zur 
Behandlung von Wunden benutzt und 
demselben vor dem Quecksilberquarz¬ 
lichte, welchem die gelblichroten Strahlen 
fehlen, der Vorzug gegeben. Das Kohlen¬ 
bogenlicht hat nicht soviel und so starke 
ultraviolette, sondern auch, wie die Hoch¬ 
gebirgssonne, rote, orange, gelbe, grün¬ 
liche langwellige Strahlen, welche thera¬ 
peutisch bei der Wundbehandlung von 
Bedeutung sind. Die Blutcirculation der 
Wunde , wird angeregt, Granulationen 
werden vermehrt. Die Wunden reinigen 
sich und übernarben gut, die Eiterung 

x ) Breiger (M: Kl. 1914 Nr. 26). 



Oktober 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


357 


wird durch die Lichtwirkung einge¬ 
schränkt, die Schmerzen verschwinden 1 ). 

Im ganzen betrachtet gibt es zweierlei 
Lichtstrahlen, welche in den verschie¬ 
denen Lichtquellen nicht isoliert, aber 
mehr oder weniger stark vorhanden sind: 
1. langwellige gelblichrote, 2. kurz¬ 
wellige bläulichviolette. Die ersteren 
gehen mehr in die Tiefe, regen die Blut- 
circulation an und erzeugen mehr Wärme. 
Die ultravioletten wirken mehr oberfläch¬ 
lich bactericid, aber reizen die Haut und 
führen leicht zu Erythemen, 

In weißem. Sonnenlichte sind beide 
Strahlen vorhanden. Sie regen beide die 
Blutcirculätion, den Stoffwechsel, das 
Wachstum, das Nervensystem an und 
setzen den Blutdruck herab 2 ) 3 ). Die 
roten Blutkörperchen und das Hämo¬ 
globin werden vermehrt 4 ), die Leuko- 
cyten vermindert 5 ). 

Die allgemeine Lichtbehandlung des 
ganzen Körpers mit Sonnenbädern, elek¬ 
trischen Lichtbädern, mit der künstlichen 
Höhensonne und anderen Lichtbestrah¬ 
lungen sind darum von guter Wirkung bei 
Blutarmut, allgemeiner Körperschwäche, 
Skrofulöse, Tuberkulose, Rachitis, bei 
Pleuritis (Anregung der Blut- und Lymph- 
circulation), bei Ischias, Neuralgie, Gicht 
und Rheumatismus,, aber auch durch 
Besserung des Allgemeinbefindens kom¬ 
biniert außer mit lokaler auch mit all¬ 
gemeiner Lichtbehandlung bei Lupus, 
Ekzem, Psorisais und anderen Haut¬ 
krankheiten 6 ). 

Wagner 7 ) erklärt die günstige Wir¬ 
kung des ultravioletten Lichts bei Tu¬ 
berkulose und Epilepsie durch Ver¬ 
besserung des Stoffwechsels, durch Hy¬ 
perämie der Haut, wodurch Toxine aus 
dem Inneren des Körpers nach der Haut 
geführt und dort unschädlich gemacht 
werden. Ebenso könnte man sich die 
günstige Wirkung des ultravioletten 
Lichtes bei Hautkrankheiten erklären. 
Es ist hier nicht die Zerstörung, sondern 


*) Breiger (M. Kl. 1915 Nr. 15, Nr. 7). 

2 ) Bach (D. m. W: 1911 Nr. 9). 

3 ) Breiger (M. Kl. 1914 Nr. 29). 

4 ) Behring, Über die Wirkung der ultra¬ 
violetten Lichtstrahlen (Med. natura Arch., Juli 
1907). 

6 ) Breiger, Wirkung der Quecksilberquarz¬ 
lampe auf das Blut (Strahlentherapie Bd. V I, 
S. 542J. 

6 ) Laqueur (M. Kl..Nr. 259, 689). 

7 ) Wagner, Über Ätiologie, Pathologie und 
Therapie der Epilepsie (Allg. Med. Centr. Zeit. 
1914 Nr. 17/19). Ders., Die kiinstl. Höhensonne 
(Quarzlampe) in der Medizin (560 Seit.) Deutsche 
Vereinsdruckerei, Graz-Leipzig 1917. 


die Umstimmung des Gewebes, das z, B. 
bei Lupus durch Bindegewebe ersetzt 
wird, die Hauptsache. 

Die ideale Lichtquelle bleibt ja wegen 
seines gleichzeitigen Gehalts an ultra* 
violetten und Wärmestrahlen das natür¬ 
liche Sonnenlicht 1 ). 

Neuerdings haben Siemens & Halsk? 
eine Bogenlampe mit Kohlenstiften, die 
von einer Glasglocke umgeben sind, und 
einem flammenden Lichtbogen von meh¬ 
reren Zentimetern Länge konstruiert, die 
Aureollampe (Strahlenkranzlampe), deren 
Licht dem Spektrum der Hochgebirgs- 
sonne von den mir bekannten Licht¬ 
quellen am ähnlichsten ist. Man hat wohl 
früher eine ähnliche Lampe bei fehlender 
Sonne zur Kopierung photographischer 
Platten benutzt. 

Da die Aureollampe die im Sonnen¬ 
licht enthaltenen gelblichroten, lang¬ 
welligen therapeutisch wichtigen Strahlen 
enthält, welche im Quecksilberquarzlichte 
fehlen, wirkt sie sehr wohltuend und be¬ 
sonders günstig bei der Wundbehandlung, 
bei der gerade diese Strahlen von Bedeu¬ 
tung sind, bei granulierenden Wunden, 
Knochenfisteln, Drüseneiterungen, Kno¬ 
chentuberkulose, bei der Allgemeinbehand¬ 
lung des ganzen Körpers, bei Anämie, 
allgemeiner Körperschwäche, Rachitis, 
Lungentuberkulose, Skrofulöse, bei 
schmerzhaften Erkrankungen, Neuralgie, 
Ischias, Gicht, Rheumatismus usw. Auch 
bei Hautkrankheiten kann sie mit Er¬ 
folg angewendet werden. 

Ich habe zwei Aureollampen, eine 
Quecksilberquarzlampe (künstliche Hö¬ 
hensonne) und einen Bogenlichtschein¬ 
werfer in Betrieb. 

Die Aureollampe und die künstliche 
Höhensonne hängen an der Decke. Es 
können zu gleicher Zeit sechs bis acht 
Patienten bestrahlt werden. Sie nehmen 
keinen Platz in dem ärztlichen Spreche 
zimmer in Anspruch wie der Bogen¬ 
scheinwerfer, welcher sehr viel Platz 
braucht. 

Der Anschaffungspreis der Aureol¬ 
lampe ist geringer als der der künstlichen 
Höhensonne und des Bogenlichtschein¬ 
werfers, der Stromverbrauch der beiden 
ersteren geringer als der des letzteren. 

Die Kohlenstifte der Aureollampe und 
des Scheinwerfers werden einfach er¬ 
neuert. Der Quecksilberqüarzbrenner der 
Höhensonne ist teurer, viel empfindlicher 
und muß alle ein bis drei Jahre erneuert 
werden. 

l ) Laqueur (M. Kl. 1917 Nr. 24, S. 665). 



358 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Oktober 


Mit der Aureollampe bestrahle ich fünf 
bis dreißig Minuten, am Anfänge kürzer, 
jedesmal fünf Minuten länger, bei schlecht 
granulierenden Wunden länger und in 
kürzerer Entfernung der Lampe als bei 
besser granulierenden. Bei größerer Ent¬ 
fernung der Lampe wird ein geringerer 
Reiz ausgeübt als bei kleinerer Ent¬ 
fernung. 

Ich bestrahle in 30 cm bis Lm Ab¬ 
stand der Wunde von der Lampe. Bei zu 
starken granulierenden Wunden und bei 
Erythemen der Haut setze ich die Licht¬ 
behandlung eine Zeitlang aus, bis das 
Erythem verschwunden und die Granu¬ 
lationen geringer geworden sind. 

Die Bestrahlung mit der Quecksilber¬ 
quarzlampe muß eine kürzere und die Ent¬ 
fernung vom Körper eine größere sein als 
bei der Bogenlampe und der Aureollampe. 
Ich beginne bei der künstlichen Höhen¬ 
sonne mit drei Minuten bei einer Ent¬ 
fernung von 1 m und verlängere nach 
und nach die Zeit bei kürzerer Entfernung. 
Neue Quecksilberquarzbrenner wirken 
nach Breiger 1 ) viel intensiver als solche, 
welche schon lange Zeit in Gebrauch 
waren. 

Wenn ich alles zusammenfasse, so 
möchte ich sagen, daß für die Wundbe- 
• handlung, die Behandlung des ganzen 
Körpers, von Neuralgien, Gicht und 
Rheumatismus das Bogenlampenlicht des 


Scheinwerfers und vor allem die Aureol¬ 
lampe sich am besten eignen, weil in dem¬ 
selben auch die rötlichgelben Strahlen 
vorhanden sind, welche dem Quecksilber¬ 
quarzlichte fehlen, daß aber die Queck¬ 
silberquarzlampe (Kromayersche Lampe, 
künstliche Höhensonne der Quarzlampen- 
Gesellschaft Hanau) das Spektrum der 
Hochgebirgssonne durch den Gehalt von 
äußeren ultravioletten Strahlen über¬ 
trifft, welche zwar nicht so sehr in die 
Tiefe gehen, aber besonders auf die äußere 
Haut chemisch intensiver wirken, daß 
also die Quecksilberquarzlampe besonders 
bei Behandlung der Hautkrankheiten den 
Kohlenbogenlampen auch der Aureol¬ 
lampe vorzuziehen sind. 

Der praktische Arzt kann sich auch 
der muldenförmigen Lichtbehandlung mit 
sechs bis zwölf Glühlampen bedienen, 
welche, auf beiden Seiten offen bleiben 
sollen, damit Patient nicht in Schweiß 
gerät. Er kann auch auf einem Bügel 
über die Wunde eine möglichst hoch- 
kerzige Metallfadenglühbirne oder eine 
mit Gas gefüllte Osram-, Azo- oder Azola- 
lampe oder eine A. E. G.-Nitralampe an¬ 
bringen lassen. 

Die Lichtbehandlung auch in der ein¬ 
fachsten Form, auch mit natürlichen 
Sonnenstrahlen wird, in der ärztlichen 
Praxis, eventuell kombiniert mit anderen 
Heilmethoden, von großem Nutzen sein. 


Zusammenfassende Übersicht. 

Der heutige Stand unserer Kenntnisse vom Fleckfieber. 

Von Oberstabsarzt Prof. Dr, H. Hetsch-Berlin. (Schluß.) 


Daß das Fleckfieber experimentell auf 
Tiere übertragbar ist, wurde zuerst von 
Nicolle bewiesen, der durch Verimpfung 
des Blutes von Fleckfieberkranken Affen 
zu infizieren vermochte. Heute wissen 
wir, daß das Krankheitsvirus sich nicht 
nur bei Affen, sondern auch bei Meer¬ 
schweinchen passagenweise fortpflan¬ 
zen läßt. Die Tiere zeigen regelmäßig 
Krankheitserscheinungen (Temperatur¬ 
steigerungen, Gewichtsabnahme, unter 
Umständen auch Lähmungen), die auf 
die Infektion zurückzuführen sind, und 
erliegen der letzteren auch vielfach. Im 
Gehirn der eingegangenen Tiere wurden 
von R. Otto und Dietrich encephali- 
tische Herde mit Knötchen festgestellt, 
die den im Gehirn menschlicher Fleckfieber¬ 
leichen gefundenen weitgehend gleichen. 

Die experimentellen Untersuchungen 
an Affen haben die schon früher aus epi- 

!) Breiger (M. Kl. 1915 Nr. 45). 


demiologischen Erfahrungen begründete 
Annahme zur Gewißheit gemacht, daß die 
Krankheit durch Läuse, die vorher an 
Fleckfieberkranken Blut gesogen hatten, 
auf Gesunde übertragen werden kann. 
Bei systematischen Prüfungen zeigte sich, 
daß die Infektion durch Läuse nur dann 
gelingt, wenn zwischen der Aufnahme des 
Erregers und dem Ansetzen an neue 
Affen fünf bis sechs Tage verflossen sind. 
Das deutet also auf die Notwendigkeit 
einerEntwickelung des Fleckfiebererregers 
in der Laus hin. 

Das Virus ist hauptsächlich in den 
Leukocyten des Blutes enthalten, denn 
mit zellfreiem Serum und ebenso durch 
Aufschwemmungen von Erythrocyten des 
Krankenblutes läßt sich die Krankheit 
experimentell nicht übertragen, v. Pro¬ 
wazek, und H'egler sahen in den neutro¬ 
philen Leukocyten fleckfieberkranker Men¬ 
schen und Affen Gebilde, die sie als für 



Oktober 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


359 


die Infektioii specifisch ansahen und die 
allem Anscheine nach mit den Rickettsien 
Zusammenhängen, 

Auch wenn man Meerschweinchen den 
Darminhalt von mit Rickettsien behafte¬ 
ten Läusen injiziert, kann man eine gleiche 
fieberhafte Erkrankung, wie durch Ein¬ 
spritzung des Blutes von fleckfieber¬ 
kranken Menschen, bei den Tieren hervor- 
' rufen und in ihnen serienweise übertragen. 
Das Überstehen einer solchen Krankheit 
macht die Meerschweinchen gegen die 
Wirkung einer späteren Injektion von 
Fleckfieberblut ifnmun. 

Wir kennen den Fleckfiebererreger 
also zurzeit noch nicht in gleicher Weise, 
wie wir die Erreger der meisten anderen 
Infektionserreger kennen, aber wir sind 
in seiner Erforschung doch .immerhin 
schon weit vorgeschritten. Über seine 
Systemstellung unter den Mikroorganis¬ 
men lassen sich noch keine bestimmten 
Angaben aufstellen, offenbar läßt er sieh 
nicht so ohne weiteres in eine der bisher 
abgegrenzten Klassen der Kleinlebewesen 
einreihen. 

Über das Wesen der Fleckfieber¬ 
erkrankung läßt sich aus den bisherigen 
Ausführungen folgern, daß wir es mit 
einem Morbus sui generis zu tun haben, 
der nicht nur durch die mikrobiologischen 
Befunde, sondern auch durch die eigen¬ 
artigen organisch.-histologischen Verände¬ 
rungen, durch die klinischen Erscheinun¬ 
gen und durch die epidemiologischen Er¬ 
fahrungen von anderen Infektionskrank¬ 
heiten scharf abzugrenzen ist. Die auch 
neuerdings hier und dort noch vertretene 
Anschauung, daß das Fleckfieber keine 
ätiologische Einheit darstelle, ist durch 
nichts bewiesen und hat für jeden, der sich 
eingehender mit der Krankheit befaßt 
hat, von vornherein wenig Wahrschein¬ 
lichkeitsgründe für sich. Sowohl die All¬ 
gemein-, wie die Organstörungen und die 
Veränderungen der Haut sind im wesent¬ 
lichen nicht toxischen Ursprunges, son¬ 
dern durch die oben geschilderten rein 
anatomischen Gefäßerkrankungen be¬ 
dingt. Das Fleckfieber ist eine durch 
Infektion verursachte Gefäßerkran¬ 
kung mit ubiquitärer Lokalisation 
der Krankheitsherde (Munk). Die 
specifischen Erreger werden im Beginne 
der Krankheit durch die Blutbahn über 
alle Bezirke des Organismus verbreitet. 

Die Diagnose kann große Schwierig¬ 
keiten bereiten, namentlich beim ersteh 
Auftreten des Fleckfiebers in einem bisher 
von ihm verschonten Lande. Die unbe¬ 


stimmten Krankheitszeichen des Anfangs¬ 
stadiums und die anamnestischen» An¬ 
gaben der meisten Kranken, daß ; sie sich 
erkältet hätten, führen meist zur Diagnose 
„Influenza“, „fieberhafter Bronchial¬ 
katarrh“ usw. Wenn es sich aber um ein 
Gebiet handelt, in dem die Krankheit 
häufiger vorkommt, und namentlich, wenn 
der Patient verlädst ist, muß der erfah¬ 
rene Arzt die Möglichkeit einer Fleck¬ 
fieberinfektion von vornherein ins Auge 
fassen. Schon in den ersten Krankheits¬ 
tagen bietet der eigenartig rasche und un¬ 
gehemmte Fieberanstieg mit gleichzeitiger 
Milzschwellung und den ersten Anzeichen 
des charakteristischen Exanthems wich¬ 
tige Verdachtsmomente. Wenn die Beob¬ 
achtung der ersten Krankheitstage.fehlt, 
ist eine sichere Diagnose oft recht schwer. 
Die charakteristischen schweren Störun¬ 
gen von seiten des Gefäß- und des Nerven¬ 
systems werden hier neben dem. Exan¬ 
them, der Milzschwellung und der Fieber¬ 
kurve für die Entscheidung am meisten 
maßgebend sein. Eine wiederholte und 
sorgfältige Untersuchung des Kranken 
wird die Differentialdiagnose gegen andere 
akute Exantheme, namentlich Masern, 
und vor allem gegen den Unterleibstyphus 
ermöglichen. Beim Typhus ist der Krank¬ 
heitsbeginn. nicht so plötzlich, die Tem¬ 
peratur steigt allmählich und erreicht erst 
gegen den achten bis zehnten Tag ihren 
Höhepunkt. Die Temperaturkurve zeigt 
bei der Continua des Abdominaltyphus 
meist Remissionen von 1° und mehr, was 
beim Fleckfieber nur ausnahmsweise vor¬ 
kommt. Der Ausschlag tritt beim Typhus 
schubweise auf, läßt sich mit dem Glas¬ 
spatel wegdrücken und wird nicht pe¬ 
techial. Auch sonst gibt es eine ganze 
Reihe von Krankheitszeichen, die für die 
Abgrenzung der beiden Krankheiten in 
ihrer Gesamtheit gut verwendbar sind. 
Der Nachweis von Typhusbacillen im 
Blute oder in den Darmabgängen wird 
zwar in Zweifelsfällen die Diagnose „Unter¬ 
leibstyphus“ wesentlich stützen, kann 
aber nicht in jedem Falle unbedingt gegen 
die Annahme einer Fleckfiebererkrankung 
verwertet werden, denn es kommen* 
namentlich in Kriegszeiten und unter un¬ 
hygienischen Allgemeinverhältnissen, wie 
wir sahen, auch Mischinfektionen beider 
Krankheiten vor. 

Unter den Serumreaktionen hat die 
Gruber-Widalsche Reaktion im all¬ 
gemeinen wenig Beweiskraft, wenn 
nicht sichergestellt ist, daß der Pa¬ 
tient früher niemals einen Typhusinfekt 




360 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Oktober 


überstanden hat und daß er nicht einer 
Schutzimpfung gegen Typhus unterzogen 
wurde. Sehr zuverlässige Ergebnisse liefert 
dagegen die sogenannte Weil-Felixsche 
Reaktion. Es hat sich gezeigt, daß das 
Blutserum Fleckfieberkranker noch in 
hohen Verdünnungen die Fähigkeit hat, 
Kulturen von gewissen Proteusbakterien¬ 
stämmen, die aus dem Harne Fleckfieber- 
kranker gezüchtet wurden, zu aggluti- 
nieren. Diese Bakterien sind nicht die 
Erreger der Krankheit. Die Reaktion kann 
also nicht in dem Sinne als specifisch an¬ 
gesehen werden, wie die Agglutinations¬ 
reaktion bei Typhus, Pest, Cholera usw., 
aber sie ist, wie umfangreiche Nach¬ 
prüfungen ergaben, durchaus charakte¬ 
ristisch und hat daher einen außerordent¬ 
lich hohen diagnostischen Wert. Aller¬ 
dings kommt es sehr auf die Eigenart des 
zu verwendenden Stammes an. Allge¬ 
mein wird jetzt der von Weil und Felix 
isolierte Stamm X 19 für diese Unter¬ 
suchungen verwendet, und zwar in fri¬ 
schen 18stündigen Kulturen. Schon der 
positive Ausfall der Reaktion bei einer 
Serumverdünnung von 1:100 spricht mit 
größter Wahrscheinlichkeit für Fleck¬ 
fieber, in der Regel werden aber bei quan¬ 
titativer Austitrierung viel höhere Werte 
(bis zu 1:10 000—1:20 000) erzielt. Das 
Agglutinationsphänomen ist oft schon, 
wenn auch zunächst erst bei 1:50, am 
zweiten Fiebertage nachweisbar, sehr oft 
jedenfalls vor dem Ausbruche des Exan¬ 
thems. Die höchsten Titer werden meist 
zwischen dem achten und vierzehnten 
Krankheitstage gefunden. Bei fieber¬ 
haften und nichtfieberhaften Erkrankun¬ 
gen anderer Art fällt die Reaktion bei über 
1:100 stets negativ aus, bei Fleckfieber 
vom sechsten Krankheitstage an ist sie 
aber bei nahezu 100'% der Fälle deutlich 
positiv. Ihr negativer Ausfall um diese 
Zeit schließt Fleckfieber so gut wie sicher 
aus. Die Weil-Felixsche Reaktion, die 
theoretisch von den meisten Autoren als 
eine sogenannte Paragglutination im Sinne 
von Kuhn und Woithe angesehen wird, 
ist nicht nur für die Frühdiagnose und 
namentlich für die Erkennung leichter 
oder exanthemlos verlaufender Fälle sehr 
bedeutungsvoll, sondern auch für die epi¬ 
demiologisch oft äußerst wichtige Ermitte¬ 
lung abgelaufener Fleckfieberfälle, die mit 
ihr noch nach Wochen und unter Um¬ 
ständen noch nach Monaten gelingt. 

Kurz zu erwähnen ist noch, daß auch 
die histologisch e Untersuchung ex ci- 
dierter Hautstückchen mit Roseo¬ 


len diagnostisch sicher verwertbare Resul¬ 
tate gibt. Wenn das Material richtig ent¬ 
nommen und sachgemäß verarbeitet wird, 
lassen sich die von Fraenkel beschrie¬ 
benen Veränderungen einwandfrei nach- 
weisen. Der Nachweis von Rickettsien 
in den Läusen, die den Kranken abge¬ 
nommen sind, oder von Prowazekschen 
Körperchen in den Leukocyten des Kran¬ 
kenblutes wird nur von Untersuchern, die 
auf diesem Gebiete große Erfahrungen 
haben, zuverlässig erbracht werden kön¬ 
nen. Ebenso hat die Verrmpfung des den 
Kranken auf der FieBerhöhe entnom¬ 
menen Blutes auf Meerschweinchen für 
die praktische Diagnose nur geringen Wert, 
zumal der Ausfall des Versuches erst nach 
Ablauf von zwei bis drei Wochen beurteilt 
werden kann. 

Die Prognose des Fleckfiebers ist bei 
Erwachsenen stets ernst. Kinder er¬ 
kranken, wie schon erwähnt, meist leicht; 
auch bei Frauen verläuft die Krankheit 
auffälligerweise viel seltener tödlich als 
bei Männern. Daß das Lebensalter für 
die Prognose ein sehr bedeutungsvoller 
Faktor ist, wird von allen Autoren gleich¬ 
mäßig betont. Im jugendlichen Alter, 
bis zu 20 Jahren hinauf, sterben etwa 5% 
der Kranken, mitunter noch weniger., 
dann aber nimmt die Lebensgefährlich¬ 
keit des Fleckfiebers mit dem steigenden 
Alter sehr schnell zu, sodaß Personen, die 
über 50 Jahre alt sind, meist zu- 60—-70 % 
der Krankheit erliegen. Sehr wesentlich 
kommt es auf den Zustand des Kreislauf- 
systemes an. Munk sieht einen entschei¬ 
denden Faktor darin, daß mit dem vorge¬ 
schrittenen Alter der Organismus, beson¬ 
ders bei Männern, auf einen höheren 
arteriellen Blutdruck eingestellt ist, so 
daß die blutdrucksenkende Wirkung der 
Krankheit einen relativ viel größeren Aus¬ 
schlag zur Folge hat, der um so gefähr¬ 
licher wird, je mehr das Herz selbst schon 
pathologische Veränderungen aufweist. 
Auch Fettleibige und Alkoholiker sind 
besonders gefährdet. Bei kreislaufgesun¬ 
den Personen wird die Schwere und Art 
der Erscheinungen von seiten des Nerven¬ 
systems in der zweiten Woche und noch 
im späteren Krankheitsverlaufe für die 
prognostischen Aussichten die besten Am 
haltspunkte bieten. 

Über die Epidemiologie sollen hier nur die 
wichtigsten Erfahrungen kurz angeführt werden. 
Es steht fest, daß die Krankheit unter natürlichen 
Verhältnissen nur durch die Kleiderlaus über¬ 
tragen wird. Irgendwelche Beweise für anders¬ 
artige Übertragungsmöglichkeiten, z. B. durch 
verstäubte Sekrete oder dergleichen, haben sich 



Oktober 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


361. . 


obwohl darauf von den verschiedensten Autoren 
in zahlreichen , großen Epidemien besonders ge¬ 
achtet wurde, nicht erbringen lassen. Ist ein 
Fleckfieberkranker sicher entlaust, so ist er für 
andere Personen auch nicht mehr ansteckungs¬ 
fähig. Flöhe und Wanzen spielen als Überträger 
keine Rolle, ebensowenig Kopf- oder Filzläuse. 
In verlauster Umgebung ist dagegen die unmittel¬ 
bare Berührung eines Kranken gar nicht nötig. 
Der Gang durch ein verlaustes Lager oder Kran¬ 
kenzimmer genügt oft, um infizierte Läuse und 
damit den Erreger der Krankheit aufzunehmen. 
Möglichkeiten dazu bieten sich trotz aller Vorsicht 
in so mannigfacher Form, daß eine Angabe der 
Erkrankten, daß sie niemals Läuse an sich be¬ 
merkt hätten, nicht als beweiskräftig angesehen 
werden kann. Die Infektion wird durch den Biß 
der Läuse übermittelt. Die von manchen Autoren 
vertretene Ansicht, daß vielleicht auch der 
Läusekot, der ja eine große Menge Rickettsien 
enthält, die Infektionsquelle bilden könnte, hat 
wenig Wahrscheinlichkeit für sich, ist jedenfalls 
aber unbewiesen. Bei Ärzten ist mehrfach die 
Infektion auf Verletzungen mit Injektionsnadeln 
usw. zurückgeführt worden, die kurz vorher bei 
Fleckfieberkranken benutzt waren. Theoretisch 
ist eine solche Übertragungsmöglichkeit zuzu¬ 
geben, denn wir wissen, daß das Krankheitsvirus 
durch direkte Blutüberimpfung auf gesunde Men¬ 
schen und Tiere übertragen werden kann. Solche 
Infektionen sind aber jedenfalls äußerst selten 
und spielen epidemiologisch natürlich gar keine 
Rolle. 

Manche Fragen der Fleckfieberepidemiol'ogie 
sind noch in Dunkel gehüllt. So ist es noch unklar, 
auf welche Weise nach dem Ablaufe der Epidemien 
im Sommer sich das Krankheitsvirus in endemisch 
verseuchten Gegenden infektionstüchtig erhält. 
Die Annahme mancher Autoren, daß es wie bei 
anderen Infektionen unter den von der Krank¬ 
heit genesenen oder für sie nicht besonders emp¬ 
fänglichen Menschen gesund erscheinende „Virus¬ 
träger“ geben müsse, ist durch nichts bewiesen. 
Die ausgedehnten Erfahrungen der Gefangenen¬ 
lager sprechen entschieden dagegen, denn obwohl 
in ihnen große Mengen von Fleckfieberrekonvales¬ 
zenten waren und Läuse durch neu eintreffende 
Kriegsgefangene wieder eingeschleppt wurden, 
kam es dort nicht zum Auftreten neuer Erkran¬ 
kungen. Daß das Virus durch Vererbung in den 
Läusen fortlebt, ist nach da Rocha-Lima nicht 
ausgeschlossen, eine solche erbliche Übertragung 
ist wohl aber nicht so häufig und erstreckt sich 
nicht auf so viele Läusegenerationen nacheinander, 
daß man dadurch allein die Persistenz des Fleck¬ 
fiebers zwischen zwei zeitlich weit voneinander 
getrennten Epidemien erklären könnte. Am wahr¬ 
scheinlichsten ist es, daß nach dem Aufhören der 
Krankheitshäufung der Fleckfiebererreger von 
Mensch zu Mensch weiter übertragen wird, daß 
aber die Erkrankungsfälle außerhalb der Epi¬ 
demien atypisch oder leicht verlaufen und als 
Fleckfiebererkrankungen nicht erkannt werden. 

Auch die für das Fleckfieber so charakteristi¬ 
sche schnelle Ausbreitung, die so oft bei großen, 
unter ungünstigen äußeren Verhältnissen leben¬ 
den, verlausten Menschenmassen beobachtet wird, 
ist durch das späte Erkennen der Krankheit zu 
erklären. Wenn bei der plötzlichen Häufung der 
Krankheitsfälle, z. B. in einem Kriegsgefangenen¬ 
lager, ap der Hand der bisherigen Krankenge¬ 
schichten, Fieberkurven und der nachträglichen 
Epikrise verdächtiger Fälle sorgfältig nachge- 
fprscht wird, so läßt sich fast immer feststellen, 
daß schon seit längerer Zeit Erkrankungen vor¬ 


gekommen sind, die als Influenza, Unterleibs¬ 
typhus, Pneumonie usw. gedeutet wurden, oft', 
sogar mit symmetrischer Gangrän der Füße usw. 
einhergingen und die im Zusammenhänge mit den 
späteren typischen Fleckfieberfällen mit Sicher¬ 
heit dieser Infektion zuzurechnen sind. Die Vor¬ 
nahme der Weil-Fel ix sehen Reaktion wird hier 
sicheren Aufschluß bringen. Daß in so langer Zeit 
die Läuse hinreichend Gelegenheit hatten, das 
Krankheitsvirus weithin zu übertragen, kann 
dann nicht wundernehmen. Es bedarf also nicht 
der Annahme unerkannt gebliebener Virusträger 
oder, der Neueinschleppung großer Mengen des 
Ansteckungsstoffeis kurze Zeit vor dem Ausbruche 
der Epidemie, sondern die Verkennung der ersten, 
vielleicht nicht tödlich verlaufenen Fleckfieber¬ 
fälle genügt vollkommen zur Erklärung des plötz¬ 
lichen Seuchenausbruches. Bei guter gesundheit¬ 
licher Überwachung eines Lagers wird man im 
Anschlüsse an die ersten Erkrankungen zunächst 
Gruppeninfektionen bei den Schlafnachbarn .fest¬ 
stellen können.. Erst allmählich breitet sich 
die Seuche, wenn nicht sofort wirksame Vorbeu¬ 
gungsmaßnahmen einsetzen, in der ganzen Beleg* 
schaft der Baracke und eventuell auch in den Nach¬ 
barbaracken aus. Diese Erfahrungstatsache ’ gibt 
wichtige Fingerzeige für die sachgemäße und 
schnelle Bekämpfung, des Fleckfiebers. 

Die Fleckfieberbekämpfvtng muß ihren 
Ausgang nehmen von der obligatorischen Melde¬ 
pflicht eines jeden Fleckfieberfalles und jeder 
fleckfieberverdächtigen Erkrankung. Die früh¬ 
zeitige Erkennung der ersten Fälle ist bei dieser 
Seuche vielleicht noch wichtiger als bei anderen 
Infektionskrankheiten, weil, wie oben dargetan 
wurde, in eng und unhygienisch untergebrachten 
Menschenmassen, die verlaust sind, das Krank¬ 
heitsvirus außerordentlich schnell verbreitet wird, 
wenn eingeschleppte Einzelfälle durch Wochen 
und Monate unerkannt bleiben. Der Fleckfieber¬ 
verdacht sollte also überall, wo mit dem Auf¬ 
treten der Seuche gerechnet werden kann, mög¬ 
lichst weitgehend in Betracht gezogen werden. 
Wenn dies geschieht und der nächsten Umgebung 
der verdächtigen Kranken die nötige Aufmerk¬ 
samkeit geschenkt wird, läßt sich durch ent¬ 
sprechende energische Maßnahmen die Seuche 
oft noch auf gut abgrenzbare Gruppeninfektionen 
beschränken. 

Jeder Fleckfieberkranke und Fleckfieberver¬ 
dächtige ist unbedingt schnellstens zu isolieren, 
und zwar, wenn irgend möglich, in einem Kranken¬ 
hause. Bei der Aufnahme muß er gründlich ge¬ 
badet, geschoren und entlaust werden. Zweck 
der Absonderung ist aber nur, zu verhüten, daß 
verlauste Menschen mit den Kranken in Berührung 
kommen und somit neuen Läusen die Möglichkeit 
gegeben wird, das Krankheitsvirus aufzunehmen 
und weiter zu übertragen. Auch alle Personen, 
die mit dem Kranken oder Krankheitsverdäch¬ 
tigen in näherer Berührung waren, also in Ge¬ 
fangenenlagern z. B. alle, die mit ihm dieselbe 
Baracke bewohnten, sind als ansteckungsfähig zu 
entlausen, in läusefreie Gebäude zu verlegen und 
so lange ärztlich zu beobachten, bis 21 Tage lang 
unter ihnen keine Fleckfieberfälie mehr aufge¬ 
treten sind. Die Wohnung, in der alle diese Leute 
vorher wohnten, ist inzwischen ebenfalls griind- 
lichst zu entlausen und zu säubern. 

Die sichere und schnelle Bekämpfung der 
Läuse ist für die Niederwerfung der Seuche von 
allergrößter Wichtigkeit, bietet aber bei den in 
Schmutz und Elend eng zusammenlebenden 
Volksmassen, in denen das Fleckfieber vorzugs¬ 
weise aufzutreten pflegt, außerordentliche Schwie- 

46 





I 


362 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Oktober 


rigkeiten. Auf die einzelnen Verfahren, die für 
die Entlausung des Körpers, der Kleidung und der 
Wohnungen als sicher wirksam anzusehen sind, 
kann hier nfcht näher eingegangen werden. Be¬ 
tont sei aber besonders, daß man mit den in großer 
Zahl undmit schwunghafter Reklame angepriesenen 
chemischen Mitteln einer wirklichen Läuse- 
plage niemals Herr werden wird. Einige dieser 
Mittel, besonders Trikresolpuder, Naphthalin¬ 
puder, Paradichlorbenzol, sind zwar bis zu einem 
gewissen Grade wohl geeignet, Läuse von einem 
Körper fernzuhalten, wenn die betreffende Person 
sorgfältig auf sich achtet, oft die Kleider absucht 
und gute Körperpflege treibt; wenn dies aber 
nicht möglich ist und die ganze Umgebung stark 
verlaust ist, werden auch die besten dieser vor¬ 
beugenden Mittel versagen. Für die Entlausung 
ist von ganz besonderer Bedeutung die Tatsache, 
daß die Kleiderlaus ihre Eier („Nisse“) nicht nur, 
wie früher allgemein angenommen, in der Unter¬ 
kleidung, namentlich in den Falten und Nähten 
der letzteren, ablegt, sondern mit Vorliebe auch 
an den Körperhaaren, besonders an den Achsel-, 
Scham- und Afterhaaren. Dort werden sie so fest 
angekittet, daß das Haar eher abreißt, als daß 
die an ihm haftenden Läuseeier abgestreift werden 
können. Zu einer wirksamen Körperentlausung 
gehört demnach nicht nur ein gründliches warmes 
Seifenbad, sondern auch die Entfernung der 
Haare. Kopf- und Barthaar müssen kurz ge¬ 
schoren, die Haare der anderen genannten Körper¬ 
haare durch Rasieren oder durch Behandlung mit 
einer Strontiumsulfidpaste entfernt werden. Ge¬ 
schieht dies nicht, so wird bald durch die Weiter¬ 
entwickelung der übriggebliebenen Nisse eine 
.Wiederverlausung eintreten. 

Für die Entlausung der Kleidung und Aus¬ 
rüstung sind als zuverlässig in erster Linie die 
physikalisch wirksamen Verfahren heranzuziehen. 
Strömender Wasserdampf tötet in wenigen 
Minuten alle Läuse und Nisse mit Sicherheit ab. 
Sachen, die strömendem Wasserdampf nicht aus¬ 
gesetzt werden dürfen, also z. B. Ledersachen, 
Pelze.usw., werden zweckmäßig mit ruhender oder 
besser noch bewegter Heißluft behandelt, ent¬ 
weder in besonders hierfür konstruierten Hei߬ 
luftkammern oder auch in gewöhnlichen Back¬ 
öfen. Man soll in ihnen aber nicht allzu hohe 
Temperaturen verwenden, weil diese die Objekte, 
besonders Lederzeug, aber auch längere Zeit 
getragene Tuchstoffe, doch erheblich schädigen. 
Man gehe nicht über 80—85° C hinaus und lasse 
diese der Sicherheit halber zwei bis drei Stunden 
einwirken. 

Von den chemisch wirksamen Verfahren seien 
hier die Schwefelung und die Blausäurebehand¬ 
lung kurz erwähnt. Mit beiden kann man außer 
der Kleidung, Decken, Lederzeug und Gebrauchs¬ 
gegenständen aller Art auch Wohnräume zuver¬ 
lässigentlausen, wenn diese gut abdichtbar sind. Die 
Schwefelung wird am besten durch Verbrennen 
eines Schwefelkohlenstoffgemisches (90 Gewichts¬ 
prozente Schwefelkohlenstoff, 5 Gewichtsprozente 
Wasser, 5 Gewichtsprozente denaturierter Spiri¬ 
tus; im Handel fertig unter dem Namen Salfor- 
kose erhältlich) vorgenommen. Für 10 cbm Raum 
gebraucht man 340 ccm, für 50 cbm 1250 ccm, 
für 100 cbm 2500 ccm dieses Gemisches. Die 
Schwefeldämpfe müssen in der erforderlichen Kon¬ 
zentration sechs Stunden einwirken. Die Blau¬ 
säure Vergasung, die den besonderen Vorzug hat, 
daß sie keinerlei Sachen in irgendeiner Weise be¬ 
schädigt, wegen der enormen Giftigkeit des Gases 
aber natürlich nur unter besonderen Vorsichts¬ 
maßnahmen angewendet werden darf, vernichtet 


Läuse und deren Eier mit Sicherheit, wenn in dem 
gut abgedichteten Raume Blausäure von 2 Vo¬ 
lumenprozent ein bis zwei Stunden lang auf die 
Objekte einwirkt. Die Blausäure wird durch Ver¬ 
mischen verdünnter Schwefelsäure mit Cyan¬ 
natrium entwickelt. 

Als weiteres chemisches Eritlausungsmittel ist 
die 5%ige Kresolseifen- oder Carbollösung 
zu empfehlen. Sie dient vor allem zur Bekämpfung 
der Läuse in den Wohnräumein, aber auch zum 
Entlausen von Kleidern, Wäsche und Lederzeug, 
die in ihr, völlig untergetaucht, mindestens eine 
Stunde verbleiben sollen. Sublimatlösung ist viel 
weniger wirksam, Formaldehydlösung ganz un¬ 
brauchbar. 

Alle Entlausungsmaßnahmen sollen tunlichst 
nach acht bis zehn Tagen wiederholt werden, damit 
Nisse, die das erste Mal der Vernichtung entgingen, 
beim zweiten Male im Sinne der fraktionierten 
Sterilisierung als Imagines abgetötet werden. 

Die Prophylaxe der Krankheit besteht in 
der Verhütung infektiöser Läusestiche. In stark 
verlauster Umgebung ist sie allerdings schwer 
erreichbar. Man hat sich deshalb bemüht, für 
besonders infektionsbedrohte Personen, also 
namentlich Ärzte und Pfleger, die mit Fleck¬ 
fieberkranken zu tun oder die verlausten Woh¬ 
nungen in endemisch verseuchten Orten bei den 
epidemiologischen Ermittelungen abzusuchen 
haben, für Desinfektoren, die die Kleidung der 
Kranken zu entlausen haben, Schutzimpfungs¬ 
methoden zu finden. Nach den Untersuchungen 
von Nicolle, Neukirch, Ham di usw. läßt sich 
eine aktive Immunisierung des Menschen dadurch 
erreichen, daß man ihm in steigenden Dosen mehr¬ 
mals Blut einspritzt, das Fleckfieberkranken 
während des Fieberstadiums entnommen, defibri- 
niert und zuverlässig inaktiviert wurde. Die In¬ 
aktivierung erfolgt am sichersten durch ein- 
stündige Erhitzung bei 58—60° C, weniger sicher 
durch 48stündige Kälteeinwirkung oder durch 
Chloroformzusatz. Am ersten Tage sollen 1 ccm, 
am vierten Tage 2 ccm und am siebenten Tage 
3 ccm des Impfstoffes eingespritzt werden. Nach 
den zuerst von dem türkischen Arzt Ham dis 
vorgenommenen Untersuchungen sind die Erfolge 
dieser Schutzimpfung sehr günstig. Sehr wün¬ 
schenswert und anscheinend aussichtsreich sind 
Versuche, einen entsprechenden Impfstoff aus 
fleckfieberinfizierten Meerschweinchen zu ge¬ 
winnen. 

Kurz zu berühren wäre noch die Frage einer 
besonderen Schutzkleidung für Ärzte, Pfleger 
usw., die das Ankriechen von Läusen verhindern 
soll. Nach den Vorschlägen von Flügge und 
Hey mann, Neufeld, Graßberger, Knaak 
u. A. soll sie, möglichst aus einem einzigen Stücke 
glatten Stoffes (z. B. Ölleinwand, Schlangenhaut 
oder dergleichen) bestehend, den ganzen Körper 
bedecken und auf der Rückseite schließbar sein. 
An den offenen Stellen soll möglichst weitgehende 
Gewähr geboten sein, daß nicht Läuse auf die 
Innenseite überkriechen. Hohe, glatte Stiefel und 
Gummihandschuhe, für' Wärter auch Fausthand¬ 
schuhe aus Billrothbatist, sind empfehlenswert. 
Die Ansichten über den Wert solcher Schutzanzüge 
sind sehr geteilt: Viele Ärzte, die sie erprobt haben, 
haben sie als unzuverlässig und falsche Sicherheit 
erweckend wieder verworfen. Bei der nötigen 
Vorsicht kann man bei der Kränkenbehandlung 
und -wartüng wohl auch beim Tragen anderer 
zweckmäßiger Berufskleidung (nach Art der hinten 
schließenden Operationsmäntel) d'as gleiche er¬ 
reichen. Bei der Untersuchung und dem Auf¬ 
decken unentlauster Kranker muß natürlich be- 





Oktober 


Die Therapi'e der Gegenwart 1917. 


363 


sondere Vorsicht geübt werden.. Weil helles. Lieht 
und Luftzug den Läusen unangenehm sind, 
untersuche man möglichst nur bei guter Beleuch¬ 
tung und bei geöffneten Fenstern. Auch beim 
Ablegen, des im, Krankenzimmer getragenen und 
sofort in Kresolseifenlösung zu legenden Mantels 
muß man sehr behutsam vorgehen, um eine Ver- 
streuung etwa aufgenommener Läuse zu ver¬ 
hüten. 

Wenn es möglich ist, soll zur Behandlung und 
Pflege Fleckfieberkranker nur Personal heran¬ 
gezogen werden, das die Krankheit schon über¬ 
standen hat und dadurch immun geworden ist. 
Jedenfalls sollten aber Ärzte und Pfleger, die in 
schon vorgerücktem Lebensalter stehen oder sonst 
an ihrem Kreislaufsystem irgendwelche, krank¬ 
haften Veränderungen aufzuweisen haben, bei der 
Bekämpfung von Fleckfieberepidemien nicht ver¬ 
wendet werden. 

Therapie. Ein auf den Fleckfieber¬ 
erreger specifisch wirkendes Heilmittel 
kennen wir bisher nicht. Die von ver¬ 
schiedenen Seiten gerühmten Erfolge der 
Anwendung von Rekonvaleszentenserum 
oder von normalem Pferdeserum konnten 
bei eingehenden Nachprüfungen nicht 
einheitlich bestätigt werden. Das gleiche 
gilt von der Behandlung mit Nucleo- 
hexyl (nucleinsaurem Hexamethylentetr¬ 
amin), Urotropin undi ntravenösen Injek¬ 
tionen von Silbersalzlösungen (Kollargol, 
Elektrargol, Dispargen, Fulmargin). Sal- 
varsan, Chinin, Optochin, Jodkalium und 
Quecksilberpräparate sind ebenfalls un¬ 
wirksam. Das therapeutische Eingreifen 
muß sich ganz nach den vorliegenden 
Symptomen richten, kann aber bei sach¬ 
gemäßem Vorgehen nicht nur die Be¬ 
schwerden der Kranken wesentlich lin¬ 
dern, sondern auch auf den Ausgang des 
Leidens von entscheidendem Einflüsse 
sein. Im Anfänge sind, besonders wegen 
der quälenden Kopfschmerzen, Anti- 
pyretica (Aspirin, Pyramidon usw.) an¬ 
gezeigt. Später lasse man sie aber fort, 
weil ihre Wirkung (starke,. anstrengende 
Schweißbildung usw.) den Kranken eher 
schwächen als ihm nützen, und weil sie in 
Fällen mit erheblicher Blutdrucksenkung 
für den Gesamtzustand sogar gefährlich 
werden können (Munk). Wo Herz¬ 
schwäche droht, ist von vornherein eine 
energische Digitalisbehandlung am 
Platze, am zweckmäßigsten in Form der 
Darreichung von Infusen, unter Um¬ 
ständen auch von intravenösen Ein¬ 
spritzungen von Digipuratum. Gegen die 
in der zweiten Krankheitswoche oder 
später einsetzende Kreislaufschwäche gebe 


man. Campher und Coffein und richte sich 
bezüglich der Anwendungsform und der 
Dosen nach dem Ergebnisse der Blutdruck¬ 
untersuchung. Bei plötzlich eintretenden 
gefahrdrohenden Erniedrigungen des Blut¬ 
druckes sind auch intravenöse Infusionen 
von 300 bis 1000 ccm Kochsalzlösung mit 
Zusatz von 0,3 g Coffein undjünf Tropfen 
Adrenalin (Munk) von guter Wirkung 
oder Infusionen wäßriger Campherlösun- 
gen (Leo). Sehr wichtig ist die reichliche 
Flüssigkeitszufuhr, vor allem auch die 
wiederholte Einflößung von Wein, 
Kognak usw. 

Von unzweifelhaft günstigem Einflüsse 
auf den Krankheitsverlauf sind hydro¬ 
therapeutische Maßnahmen, laue. Bäder, 
kühle Packungen usw. Sie mildern die 
Benommenheit, kräftigen den Puls und 
beeinflussen oft auch die nervösen Er¬ 
scheinungen in wünschenswerter Weise. 
Bei stärkeren Aufregungszuständen ist 
natürlich die Verabfolgung von Brom¬ 
natrium oder dergleichen, bei Krämpfen 
von Chloralhydrat angezeigt. 

Die Allgemeinbehandlung hat zunächst 
auf eine gute kräftigende Ernährung des 
Kranken hinzuwirken. Reichliche ge¬ 
mischte Kost wird in den späteren Krank¬ 
heitsstadien meist gut "vertragen und ist 
besonders auch in der Rekonvaleszenz 
dem in der Regel starken Appetit anzu¬ 
passen. Das Pflegepersonal ist zu einer 
sehr sorgsamen Wartung des Patienten 
anzuhalten, die durch gute Lagerung 
(Luft- oder Wasserkissen!), peinliche 
Mundpflege, regelmäßige Lüftung des 
Krankenzimmers, Warmhalten und' nöti¬ 
genfalls Einwickeln der Extremitäten 
usw. sehr viel zur Verhütung der früher 
erwähnten, für den Ausgang des Leidens 
so außerordentlich wichtigen Kompli¬ 
kationen und Nachkrankheiten beitragen 
kann. 

Auch während der Rekonvaleszenz 
bedarf der Fleckfieberkranke noch län¬ 
gere Zeit der ärztlichen Aufsicht und Be¬ 
handlung, bis sich allmählich die Labilität 
des Gefäßsystems ausgeglichen hat und 
die noch lange anhaltenden Kopfschmer¬ 
zen und Schwindelanfälle geschwunden 
sind. Munk empfiehlt für diese Zeit eine 
allmählich sich steigernde Übungstherapie 
und die Verabreichung von Strychnin- 
Eisen-Arsenpillen. 


46* 



364 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Oktober 


Bücherbesprechungen. 


A. Galambos, Kriegsepidemiologi- 
sche Erfahrungen. Wienu. Leipzig, 
1917. Verlag von Alfr. Holder. Preis 10M. 
Galambos hat während des Krieges 
bereits eine Reihe Arbeiten kriegsepide¬ 
miologischen Inhalts publiziert, die seine 
großen Erfahrungen auf diesem Gebiete 
zeigten. Auch in der Ther. d. Gegenw. 
hat er das Wort ergriffen. Dabei trat sein 
Interesse sowohl in diagnostischer wie 
auch in therapeutischer Beziehung her¬ 
vor. Nun liegt ein großer, 303 Seiten fas¬ 
sender Band vor. Es soll unentschieden 
bleiben, ob es zweckmäßig ist, schon jetzt 
vor Ende des Krieges ein in sich geschlos¬ 
senes Werk herauszugeben, obwohl un¬ 
sere Erfahrungen der Kriegsseuchen sich 
ständig erweitern und zum Teil sogar zu 
neuen Anschauungen führen. Maßgebend 
mag wohl der Wunsch gewesen sein, dem 
Seuchenarzte in der Heimat und im Felde 
eine kritische Darstellung des Gesamt¬ 
materials zur eigenen Belehrung und 
zum Nutzen der Kranken zu geben. Das 
ist Galambos ohne Zweifel mit seinem 
Buche gelungen. Man findet, wie mir 
Stichproben zeigten, in der Tat die Ge¬ 
samtliteratur (wenn auch nicht mit Auf¬ 
führung der einzelnen Autoren) ver¬ 
wertet. Dabei werden die eigenen Erfah¬ 
rungen, die außergewöhnlich groß sein 
müssen, in den Vordergrund gestellt. 
Das gilt unter anderem vornehmlich von 
der Methylenblautherapie der paratyphö¬ 
sen und typhösen Erkrankungen, über 
deren Wert bei nichtgeimpftem Patienten¬ 
material bisher noch keine Mitteilungen 
gemacht sind; man darf schließlich nicht 
vergessen, daß diese Krankheitsprozesse 
bei Soldaten schon an und für sich mannig¬ 
fache atypische Verlaufsformen zeigen, 
sodaß ein Urteil über die Therapie beson¬ 
ders vorsichtig sein muß. — Man kann 
dem Werke eine große Verbreitung und 
dadurch notwendige Neuauflage wün¬ 
schen, bei der sich dann auch Gelegen¬ 
heit zu Ergänzungen bietet. Dünner. 

Gmtno Schlesinger. Die Röntgendia- 
gnostik der Magen- u ndDarm krank- 
heiten. Mit 420 Textabbildungen und 
8 Tafeln. Urban & Schwarzenberg, 
Berlin-Wien 1917. Preis 15M. geheftet. 
Die Bücher, welche sich speziell mit 
der Radiologie des Magens und Darmes 
befassen, häufen sich. Ein erfreuliches 
Zeichen: denn es spiegelt sich in dieser Er¬ 
scheinung dieTatsache wider, daß einerseits 
für diese Abhandlungen ein Bedürfnis be¬ 


steht und daß die Zahl der Interessenten 
zunimmt. Wenn, wie hier, ein erfahrener 
Facharzt der Magen-Darmkrankheiten seine 
vieljährigen röntgenologischenJErfahrungen 
auf diesem Spezialgebiet der Öffentlichkeit 
unterbreitet, so müssen ihm die Nur- 
Röntgenologen wie die Magen-Darmärzte 
besonders dankbar sein. Mit hervorragen¬ 
der Klarheit und Übersichtlichkeit hat 
der Verfasser, gegliedert nach allgemeinen 
und speziellen Gesichtspunkten, den Gang 
der . Untersuchung, die Physiologie und 
Pathologie der Magen-Darmradiologie be¬ 
handelt und dabei stets im Auge behalten, 
daß die Röntgenuntersuchung nur ein 
Glied in der Kette der sonstigen klinischen 
Untersuchungsmethoden sein kann und 
darf. Die besondere Berücksichtigung aut- 
optischer Befunde belebt die Schilderung. 
Alle Schönfärberei ist vermieden: die Gren¬ 
zen des Verfahrens sind mit kritischem 
Blick eher zu pessimistisch als zu opti¬ 
mistisch gezogen. So wird das Buch, das 
mit Zeichnungen und Röntgentafeln reich 
illustriert ist, zahlreiche Freunde unter 
Lernenden und Lehrenden finden und 
hoffentlich auch manchen Zweifler bekeh¬ 
ren, damit, wie Schlesinger in der Ein¬ 
leitung sagt, die Äußerung „das Röntgen¬ 
genbild hat irregeführt“ der Erkenntnis 
weiche: „das Röntgenbild hat immer 
recht“. Nur auf die richtige Deutung 
durch den Fachmann kommt es an, der 
klinischen und röntgenologischen Befund 
in richtige Beziehung zu bringen versteht. 

Max Cohn. 

H. Walter. Indikationsstellung und 
Prognose bei den geburtshilf¬ 
lichen Operationen. 151 Seiten mit 
34 Abbildungen. Verlag von Urban 
& Schwarzenberg, Berlin-Wien. Preis 
kartoniert 4 M. 

Der Gefahren bewußt, welchen der 
Geburtshelfer, auf sich allein angewiesen, 
gegenübersteht, gibt der Verfasser, ge¬ 
stützt auf eine reiche Erfahrung aus der 
Praxis wie Gutachtertätigkeit, dem lern¬ 
begierigen Arzte einen zuverlässigen Be¬ 
rater. Das Buch, mit sehr instruktiven 
Abbildungen versehen, ist durchaus kein 
Kompendium der Geburtshilfe, da es die. 
sogenannten Examenskenntnisse voraus¬ 
setzt, vielmehr eine äußerst klar geschrie¬ 
bene Exegese der Indikationen und zu 
erwartenden Komplikationen. Im ersten 
Teil — Seite 11 bis 70 — werden nach 
diesen Gesichtspunkten die typischen 
Operationen des Arztes — Zange, Extrak- 



Oktober 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


365 


tion und. Wendung — besprochen. Auf 
einige Sätze, durch die.kurze und trofz- 
denv klare Fassung dem Gedächtnisse 
schnell arivertraut, möge hingewiesen 
werden: das Verbot der hohen Zange (der 
Köpf will erst in das .Becken eintreten); 
entweder hat, wie Referent oft genug sah, 
der meist junge Geburtshelfer eine falsche 
Diagnose gestellt, oder das Instrument 
mußte wieder abgenommen werden. Wie 
beherzigenswert ist die Mahnung, • bei 
Beckengeb.urten Geduld zu behalten. Daß 
durch die Nichtbeachtung der drohenden 
Ruptur bei Querlage eine für die Gebärende 
wie den Arzt unheilvolle Situation ent¬ 
stehen kann, darüber .gibt ja.leider die 
forensische Literatur-genügend Aufschluß. 

Der zweite Hauptteil handelt von den 
typischen Operationen — Verkleinerungs¬ 
operationen und Operationen in der Nach¬ 
geburtszeit. Wie trefflich ist die Abwehr 
gegen die viel zu häufig gestellte Diagnose: 
angewachsene Nachgeburt; der Prozent¬ 
satz 1:200 bis 250 könnte noch höher an¬ 
gesetzt werden. — Im Anhänge werden 
die. Verletzungen des Kindes (des Schä¬ 
dels, der Knochen usw ) besprochen. Aus 
einem Literaturnachweise kann der tiefer 
eindringende Leser Hinweise über die 
Einzelfälle erhalten. Den Schluß bildet 
ein Register. Alles in allem, ein vortreff¬ 
liches Büchlein, das zum Rüstzeug eines 
jeden Geburtshelfers, der sich nicht un¬ 
nötigerweise gefährden will, gehören muß. 
Daß Druck wie Ausstattung dem be¬ 
währten Rufe der Verlagsfirma entspricht, 
möchte Referent in diesen Zeiten nicht 
als einen konventionellen Schluß auf¬ 
gefaßt wissen.. 

Pul vermach er (Charlottenburg). 

Wilhelm Stekel. Onanie und Homo¬ 
sexualität. (Die homosexuelle 
Neurose.) Berlin u.Wien 1917, Urban <fc 
Schwarzenberg. Lex. 8°, XI 1,387 S. 15M. 

Obgleich der Verfasser im Vorwort 
sich öffentlich von der Freud sehen Psy¬ 
choanalyse als von der ,, Herrschaft eines 
wissenschaftlichen Papismus“ lossagt, so 
baut sich doch auch sein vorliegendes 
Buch wesentlich auf psychoanalytischen 
Gedankengängen auf. Referent kann 
deren Beweiskraft in vielen Fällen nicht 
anerkennen, sich auch die allgemeinen 
Schlußfolgerungen, z. B. den Ausspruch, 
daß alle Schädigungen, die man der Ona¬ 
nie zuschreibt, nur in der Phantasie der 
Ärzte existieren, daß die Homosexualität 
.eine. Neurose, niemals angeboren sei, 
sondern eine durch die sadistische Ein¬ 
stellung zum entgegengesetzten Ge- 


schlechte motivierte Flucht in das eigene 
Geschlecht darstelle, nicht zu eigen ma¬ 
chen. Trotzdem ist Stekels von Anfang 
bis zu Ende spannend und anregend in 
glänzendem Stile geschriebenes Buch eine 
bedeutende Bereicherung dersexu- 
alwissenschaf fliehen Literatur. 
Enthält es doch eine Fülle von kleinen 
psychischen Einzelbeobachtungen, die der 
Kritik durchaus standhalten und uns den 
klinischen Scharfblick und die' psycholo¬ 
gische Beobachtungskunst des Verfassers 
in höchstem Maße bewundern lassen, 
auch für die seelische und körperliche Be¬ 
handlung neue Handhaben bieten. Was 
er über die noch so dunklen Zusammen¬ 
hänge zwischen Rhythmus und Sexualität, 
über die verschiedenen Formen der larvier- 
ten Onanie (namentlich bei Kindern) und 
des unbewußten Autoerotismus, über den 
Kopfdruck des Neurasthenikers, über die 
soziale Funktion der Onanie, über den 
Zusammenhang des Schamgefühls mit 
den stärksten erogenen Zonen, über Be¬ 
ziehung des Selbstmordes zur Onanie, 
über D.onduanismus, über die Rolle der 
Bisexualität in der Natur und Kultur, über 
die Beziehungen der Epilepsie und des 
Alkoholismus zur Homosexualität u. a. 
sagt, ist aller Beachtung wert. Therapeu¬ 
tisch kommt für Stekel sowohl für die 
Onanie als auch für die Homosexualität 
eigentlich nur die Psychoanalyse in Be¬ 
tracht. Trotz der sehr ausführlichen 
Inhaltsangabe wird ein Namen- und Sach¬ 
register schmerzlich vermißt. Den weite¬ 
ren in der Vorrede angekündigten drei 
Fortsetzungen über die Impotenz des 
Mannes und die Geschlechtskälte der 
Frau, über psychosexuellen Infantilismus 
und Fetischismus, über Masochismus und 
Sadismus sehen wir mif berechtigter 
Spannung entgegen. Iwan Bloch (Berlin). 
Schloessmann. Der Nervenschuß- 
s chm er z. Berlin 1917, Jul. Springer, 96S. 

Schloessmann hat seit Beginn des 
Krieges an der Tübinger Chirurgischen 
Universitätsklinik sein Augenmerk auf 
das eigenartige Symptom des Nerven- 
schußschmerzes gerichtet, das heißt jener 
dem Trägeroft fast unerträglichen Neur¬ 
algien nach Schußverletzungen der Nerven. 
Von diesem Gesichtspunkt aus werden die 
Nervenverletzungen analysiert und der 
Nervenschußschmerz nach Häufigkeit des 
Auftretens in den einzelnen Nervengebieten 
nach der Verletzung und anatomischem 
Befund beschrieben.. Die Therapie vermag 
nicht in allen Fällen Hilfe zu bringen. 

Hayward. 


366 


Die Therapie der Gegenwart 1917, 


Oktober 


Referate 


Arsenwasserstoff in die Therapie der 
Anämien einzuführen, war der Zweck einer 
Versuchsreihe, die Prof. Fühner aus 
dem pharmakologischen Institut der Uni¬ 
versität in Königsberg i. Pr. mitteilt. 

Die toxischen Eigenschaften des Arsen¬ 
wasserstoffs (AsH 3 ) auf den Organismus 
sind bekannt: Zerstörung der roten Blut¬ 
körperchen, Hämoglobinurie und Ikterus, 
dabei Magen-Darmstörungen leichterer Art. 
Der Zerfall von Erythrocyten kann sehr 
hochgradig sein, bis zu weniger als einer 
Million, ohne daß der Patient daran zu¬ 
grunde geht. 

Die Beobachtung, die. der Verfasser 
bei toxikologischen Versuchen mit Arsen¬ 
wasserstoff machte, daß die anämisch ge¬ 
machten Tiere sich rasch wieder erholten, 
ja ihre Erythrocytenzahl nach vorüber¬ 
gehendem Absinken über den ursprüng¬ 
lichen Wert hinaufstieg, verwertete er als 
Grundlage für therapeutische Anwendung 
des Arsen Wasserstoffs: Eine Anzahl weißer 
Ratten wurde durch Phenylhydrazin an¬ 
ämisch gemacht, darauf die Hälfte sich selbst 
überlassen, die andere Hälfte mit Arsen¬ 
wasserstoff behandelt mit dem Resultat, 
daß alle behandelten Tiere nach 14 Tagen 
mehr rote Blutkörperchen regeneriert hatten 
als die unbehandelten. 

Fühner nimmt eine indirekt blutbil¬ 
dende Wirkung des Arsenwasserstoffs an: 
Er zerstört Erythrocyten, schafft also Sauer¬ 
stoffmangel, und regt dadurch das Knochen¬ 
mark zu Mehrproduktion von Blutzellen 
an. Die Einatmung durch die Lungen 
läßt das Medikament dem zu beeinflussen¬ 
den Organ, d. h. dem Blut, nahe kom¬ 
men unter Umgehung des durch Arsen¬ 
wasserstoff leicht gereizten Magen-Darm- 
kanals. Sie ermöglicht auch ein Auskom¬ 
men mit viel geringeren absoluten Arsen¬ 
mengen als 'bei der Darreichung von 
Arsenpräparaten per os. Ferner hat Arsen¬ 
wasserstoff vor anderen Arsenpräparaten 
den Vorteil voraus, daß „er niemals in 
Produkteübergehen kann mit stärkerer Blut¬ 
wirkung als er selbst“. 

Versuche über genaue Dosierung und 
zur Sammlung klinischer Erfahrungen 
sind im Gange. j. v. Roznowski. 

(D. m. W. 1917, Nr. 29.) 

Küttner bewirkte die Blutstillung 
durch lebende Tamponade mit Muskel¬ 
stückchen bei Aneurysmaoperationen. In 
einem Falle eines Aneurysmas, das seinen 
Sitz am centralen Ursprung der Arteria 
vertebralis hatte, trat eine sehr heftige 


Blutung während der Operation auf, ob¬ 
wohl die sichtbaren zuführenden Gefäße 
tempo-rär abgeklemmt waren. Die Blu¬ 
tung brachte den Kranken in die höchste 
Gefahr, konnte jedoch sofort durch Tam¬ 
ponade mit kleinsten Muskelstückchen 
aus der Umgebung, über welche die Haut 
vollkommen vernäht wurde, gestillt wer¬ 
den. Bei der Einfachheit des Verfahrens 
kommt dem schon wiederholt gemachten 
Vorschlag ganz besondere Bedeutung zu. 

Hayward.' 

. (Zbl.f. Chir. 1917, Nr. 25.) 

Boas weist erneut auf die Bedeutung 
der okkulten Blutungen, für die Diagnose 
der Carcinome des Verdauungsapparats 
hin, die er mit ersten Röntgenologen 
wesentlich höher stellt als die des Rönt¬ 
genbildes, das zugegebenermaßen in etwa 
einem Vierteil der Fälle versagt. In 
90 Fällen von Magenkrebs hatten 96% 
im Stuhl, 62% auch im Mageninhalte ok¬ 
kultes Blut; von 56 durch Boas selbst 
untersuchten Fällen hatten sogar alle 
im Stuhle und 78% im Magen solches, 
ln zwölf Fällen von Krebs der Speiseröhre 
war ebenso wie in sieben Fällen von Kolon- 
'carcinom stets positiver Blutbefund im 
Stuhle. Sehr bedeutungsvoll ist auch die 
außerordentliche Persistenz der Blu¬ 
tungen bei den malignen Erkrankungen, 
sodaß die Frage aufgeworfen worden ist, 
ob nicht aus dem konstanten Fehlen von 
okkultem Blute umgekehrt auf Abwesen¬ 
heit einer bösartigen Neubildung ge¬ 
schlossen werden könnte, eine Frage, die 
Boas auf Grund seiner Erfahrungen auch 
für die scirrhösen Tumoren unbedingt be¬ 
jaht. Differentialdiagnostisch ist das be¬ 
sonders wichtig für die Achylia gastrica 
totalis bei schweren, besonders perni¬ 
ziösen Anämien. Die Differentialdiagnose 
gegenüber gutartigen geschwürigen Pro¬ 
zessen wird, solange eine Differenzierung 
von ,,malignem“ und ,,nicht malignem“ 
Blute nicht möglich ist, wesentlich darauf 
zu beruhen haben, daß in diesen Fällen, 
von vereinzelten torpiden Magengeschwü¬ 
ren und vom Ulcus penetrans mit Nischen¬ 
bildung abgesehen, unter geeigneter Be¬ 
handlung und Pflege innerhalb von kurzer 
Zeit die Blutung völlig zu verschwinden 
pflegt. Die Blutprobe im Mageninhalt, 
deren Anstellung aus Furcht vor. arte- 
ficiellen Blutungen leider sehr oft unter¬ 
lassen wird, bezeichnet Boas bei posi¬ 
tivem Ausfälle als beweisend, während 
einem auch dauernd negativen Befunde. 



Oktober 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


367 


nicht entfernt die Bedeutung zukommt 
wie im Stuhle. Die Gefahr artefi- 
cieller Blutungen hält Boas bei einiger 
Übung von Patient und Arzt für ver¬ 
schwindend; sollten sie wirklich einmal 
Vorkommen, so gibt der Magen'inhalt nach 
Entfernung der makroskopisch sichtbaren 
Blutstreifen ein einwandfreies Resultat, 
schlimmstenfalls ist die Ausheberung zu 
wiederholen. Während beim Speise¬ 
röhrenkrebs die Diagnose in den meisten 
Fällen ohne Stuhluntersuchung zu stellen 
ist, kann ihre Bedeutung für die Erken¬ 
nung des Kardiacarcinoms, das bekannt¬ 
lich meist keine Passagestörungen macht, 
nicht hoch genug angeschlagen werden, 
zumal gerade hier die Röntgenunter¬ 
suchung nicht selten im Stiche läßt. Es 
läßt sich wohl nach allem kaum etwas 
dagegen sagen, wenn Boas die Bedeutung 
des palpablen Tumors und namentlich der 
Achylia gastrica sehr viel geringer be¬ 
wertet, als dies wohl hier und da üblich 
ist. Selbst für die Diagnose des Kolon- 
carcinoms gegenüber gutartigen Stenosen 
und Tumoren hat sich die Blutprobe dem 
Verfasser in einigen Fällen bewährt. Die 
Probe selbst besteht bei Boas für den 
Stuhl in der Vorprobe mit Benzidin und 
in einer Hauptprobe (Thymolphthalin- 
probe oder Guajakprobe im Chloral- 
Alkohol-Eisessig-Extrakt der Faeces). Für 
den Magensaft genügt die Guajakprobe 
im Alkohol-Eisessig-Extrakt nach vor¬ 
heriger Neutralisierung mit Sodalösung. 

Waetzoldt. 

<M. m. W. 1917, Nr. 23.) 

S c h r ö d e r gibt eine Zusammenstellung 
über die Bedeutung kleiner epileptischer 
Anf älle(Absencen, Petit mal) bei Kindern 
und Jugendlichen. Als die differentialdia¬ 
gnostisch wichtigste der Erkrankungen, 
bei denen sie Vorkommen, kann die 
Pyknolepsie gelten, die sogenannteFried- 
mannsche Krankheit, von diesem als ^ge¬ 
häufte Anfälle“ bezeichnet. Es handelt 
sich um sehr oft — bis mehrere hundert¬ 
mal täglich — auftretende kurze, etwa 
zehn Sekunden dauernde Unterbrechun¬ 
gen der Fähigkeit zu denken, zu sprechen, 
sich willkürlich zu bewegen, jedoch nicht 
des Bewußtseins überhaupt und der auto¬ 
matischen Bewegungen. Der Anfall be¬ 
ginnt mit Aufwärtsdrehen der Augen, 
Erschlaffen der Extremitäten, Zittern der 
Lider, und schwindet schnell, wie er 
gekommen. Im Gegensatz zur Epilepsie 
führt die Pyknolepsie weder zu einer Be¬ 
einträchtigung der geistigen oder körper¬ 
lichen Entwickelung, noch zu einer solchen 


des Befindens; sie verschwindet gegen das 
14.bis lö.Lebensjahr, ohnezuepileptischen 
Anfällen und dergleichen geführt zu haben, 
und tritt nicht, wie die Epilepsie, um das 
20. Jahr herum wieder auf. Eine Ver¬ 
blödung, wie namentlich bei denjenigen 
Epilepsien, die sehr gehäufte Absencen 
aufweisen, kommt, wie erwähnt, nie vor. 
Das Leiden beginnt im fünften bis achten 
Jahre und ist auffallend periodisch, so- 
daß fast oder ganz anfallfreie Monate mit 
anfallreichen wechseln, in mitunter sehr 
regelmäßiger Weise. Ursächlich soll 
psychopathische Belastung bei Auslösung 
durch ein psychisches oder somatisches 
Trauma in Frage kommen. Von dem 
gewöhnlichen Typ der Anfälle, der ja 
sehr gleichförmig ist, kommen im späteren 
Verlaufe mitunter Abweichungen im Sinne 
eines stärkeren Hervortretens der moto¬ 
rischen Reiz- und Lähmungserscheinum 
gen vor. Gegen Ende der Krankheit ver¬ 
schwinden diese Erscheinungen wieder. 
Vereinzelt wurden schließlich, immer nur 
eingestreut unter Hunderte von typischen 
Anfällen, Bewußtseinsverlust, Zusammen¬ 
sinken, unwillkürlicher Urinabgang und 
Pupillenstarre sowie ein epileptischer An¬ 
fall gesehen. Stets erwachen übrigens die 
Kinder bei Anfällen im Schlaf. Die im 
Anfang recht schwere Differentialdiagnose 
hat zu berücksichtigen, daß Seltenheit und 
Vielgestaltigkeit der Anfälle, vorwiegend 
nächtliches Auftreten, Enuresis, Wesens¬ 
veränderung im Zweifel gegen Pyknolep¬ 
sie sprechen. 

Streng von der Pyknolepsie zu trenne« 
ist die Narkolepsie; das sind Anfälle von 
im eigentlichen Sinne unwiderstehlicher 
Müdigkeit, in denen die Kranken eben 
ziemlich plötzlich in einen Zustand ver¬ 
fallen, der sich vom natürlichen Schlaf 
nicht unterscheidet, oft aber so leicht ist, 
daß die Kranken ihre Arbeit halb¬ 
schlafend fortsetzen. Typisch ist die 
plötzliche Muskelerschlaffung beim La¬ 
chen und Weinen. Die Zustände treten 
nur bei Männern im dritten und vierten 
Lebensjahrzehnt auf und dauern wenige 
Minuten bis zu einer halben Stunde, bei 
dem nicht seltenen Übergang in natür¬ 
lichen Schlaf auch wohl mehrere Stunden. 
Ihre Differentialdiagnose wird im all¬ 
gemeinen nicht schwer sein. Bei der kind¬ 
lichen Hysterie spielen Absencen eine so 
geringe Rolle, daß ihr Auftreten gegen 
diese Diagnose spricht. Ob es einen 
hysterischen Typ der Pyknolepsie gibt, 
ist fraglich; Übergangsformen sind beob¬ 
achtet. Die spasmophilen Zustände, wie 




368 Die Therapie der 


äas. Wegbleiben, unterscheiden sich deut¬ 
lich von Epilepsie wie von Pyknolepsie, 
wenn auch, einige die letztere der Spasmo- 
phflie auf Grund der bei ihr; mehrfach 
beobachteten tetanoiden Symptome an¬ 
zugliedern geneigt sind. Kleine Anfälle 
von Rindenepilepsie, die nur ein kleines 
einseitiges Muskelgebiet betreffen, können 
ein „Petit mal“ vortäuschen, .doch wird 
die Anamnese' und die genaue neurolo¬ 
gische Untersuchung die richtige Diagnose 
stellen lassen, wie. sie auch die Unter¬ 
scheidung der „echten“ von der Rinden¬ 
epilepsie ermöglicht.. Als funktionelle 
Rindenkrämpfe endlich bezeichnet man 
oft familiär, bei jugendlichen Psycho¬ 
pathen auftretendes Ziehen in einem 
Gliede, das sich nach Jacksonschem Typ 
ausbreitet und zu einer Hemmung mit 
krampfhaften Bewegungen der Extre¬ 
mitäten und des Gesichtes führen kann. 
Dauer kaum zehn Sekunden; Heilung 
durch Suggestion. Waetzoldt. 

(D. m. W. 1917, Nr. 17.) 

Über die operative Behandlung der 
Extremitätenfrakturen schreibt Ringel: 

Als Methoden, die für die blutige Ver¬ 
einigung von Knochenbrüchen Geltung 
haben, kommen in Betracht: 1. die ein¬ 
fache blutige Reposition und Verzahnung 
der Fragmente; 2. die Knochennaht; 
3. die Verschraubung der Bruchenden 
mit Metallplatten nach La ne und Lam- 
botte; 4. die Verschraubung und Fixa¬ 
tion mit Hilfe des Fixateurs; 5. die 
Bolzung mit Metall-, Elfenbein- oder 
Hornbolzen, und 6. die Bolzung mit auto¬ 
plastischem.. Knochenmateriale nach 
Lexer. Von den 44 Fällen des Verfassers 
gelangte diese letzte Methode 26 mal zur 
Anwendung. Als Bolzen wird ein Stück 
aus der Fibula genommen. Eine Gefahr 
für die Statik des Beines durch diese Ent¬ 
nahme entsteht nicht, da, wie an beige¬ 
gebenen Abbildungen gezeigt wird, die 
vollkommene Regeneration, der Fibula in 
wenigen Wochen eintritt. Bei den Kriegs¬ 
verletzungen besteht ein gewisses Risiko 
durch die Gefahr der ruhenden Infektion 
und wir haben auch in der vorherigen 
Excision der Narbe kein Mittel, diese 
Komplikation auszuschalten. Auch Ver¬ 
fasser hatte hier einen Mißerfolg zu ver¬ 
zeichnen. Hay ward. 

(D. Zschr. f. Chir. 1917, Bd. 139, H. 5, 6.) 

Das Eintreten von Erblindung nach 
Alkoholinjektion in das Ganglion Gas- 
seri beschreibt Koennecke. Bei einem 
Falle von seit 18 Jahren bestehender Trige¬ 
minus-Neuralgie wurde zunächst die typi- 


Gegenwart 1917. Oktober 


sehe Resektion des Nervus mandibularis 
vorgenommen, hierauf zwei Jahre Be¬ 
schwerdefreiheit. Dann setzten aber’ die 
Schmerzen mit solcher Heftigkeit ein, 
daß eine Alkoholinjektion in das Ganglion 
Gasseri nach Härtel vorgenömmen 
wurde. Der Verlauf war glatt, der Erfolg 
gut, aber etwa fünfviertel Jahre später 
mußte wegen neuer Schmerzanfälle die 
Operation . wiederholt werden. Trotz 
genauester Befolgung der Härte Ischen 
Angaben verlor der Patient unter stür¬ 
misch auftretenden Augenstörungen das 
Sehvermögen auf der betroffenen ! Seite. 
Die Schmerzen waren von dieser zweiten 
Injektion kaum beeinflußt. Einige Mo¬ 
nate später wurde der regenerierte Nerv 
abermals reseziert und der Patient be¬ 
schwerdefrei entlassen. n 

Verfasser glaubt, den Grund der 
Amaurose in einer Verletzung des Sinus 
cavernosus gefunden zu haben: die Rei¬ 
zung der Sinuswand, das Koagulieren des 
Bluts durch die Einwirkung des hoch¬ 
prozentigen Alkohols hätten eine Throm¬ 
bose zur Folge gehabt, die zur raschen 
Verstopfung der Vena ophthalmica sup. 
und der Vena centralis retinae ge¬ 
führt und die Erblindung verursacht 
hätten. Daß die Verletzung trotz Inne¬ 
haltung der Härtelschen Vorschriften 
dem sorglich vorgehenden Operateur un¬ 
terlaufen konnte, sei wohl in der Ver¬ 
narbung des Gebietes nach der ersten 
Injektion begründet. Durch narbige 
Schrumpfungen sei wahrscheinlich der 
Sinus cavernosus mit der hinteren Wand 
des Cavum Meckeli näher an das Ganglion 
herangerückt. Große Gefahr sei dem¬ 
nach erst bei einer zweiten Injektion. 
Verfasser empfiehlt große Vorsicht mit 
dem Verschieben der Nadel bei der 
Alkoholinjektion; vor der Injektion sollte 
man sich durch Abnahme der Spritze über¬ 
zeugen, daß kein Blut kommt. 

Hage mann (Marburg). 

(D Zschr. f. Chir. Bd. 140, H. 3/4, S. 225.) 

In der ausgezeichneten Monographie: 
Verlauf und Behandlung von Gelenk¬ 
eiterungen, Technik der Eröffnung und 
Drainage, gibt Payr eine auf zahlreiche 
eigene Erfahrungen sich stützende Schil¬ 
derung, deren Grundzüge er im vergan¬ 
genen Jahre in der M. m. W. nieder¬ 
gelegt hatte. Die Arbeit wird unterstützt 
durch eine Reihe vorzüglicher Abbildun¬ 
gen, welche die Technik der Eröffnung 
der Gelenke und die Drainage in typi¬ 
scher Weise veranschaulichen. Wenn 
man zielbewußt und erfolgreich eine Ge- 



Oktober Die Therapie der 


lenkeiterung behandeln will, so muß man 
wissen, daß diese in zwei Formen auf- 
treten kann, welche nach Symptomen 
und Schwere des Krankheitsbildes durch¬ 
aus verschieden sind: Es sind das Em¬ 
pyem, das heißt die Oberflächeneite¬ 
rung der Synovialmembran, und die Kap¬ 
selphlegmone, von denen die erste 
Form zu der leichteren Erkrankungsart 
zu rechnen ist. Damit ein Empyem ent¬ 
steht, muß die Möglichkeit eines spon¬ 
tanen Verschlusses der penetrierenden 
Verletzungen gegeben sein, z. B-. durch 
Bildung eines Blut- oder Fibrinpfropfes 
im Schußkanal. Die Kapselphlegmone 
schließt sich erst sekundär an das Empyem 
an. Ein Empyem kann nur da entstehen, 
wo wir Gelenke mit größerem Kapsel¬ 
hohlraume haben, ist dagegen ein solches 
' Gelenk breit eröffnet, so kann ein Empyem 
sich nicht entwickeln. Bei diesem steht 
das Gelenk in Entlastungsstellung, bei 
der Phlegmone ist jede Bewegung außer¬ 
ordentlich schmerzhaft. Weiterhin pflegt 
das Allgemeinbefinden beim Empyem 
nicht so sehr zu leiden. Therapeutisch 
kommt für das Empyem die Injektion 
von Lugolscher Lösung, Jodtinktur oder 
Phenolcampher in Frage. Bei der Kapsel¬ 
phlegmone ist ohne breite Eröffnung be¬ 
ziehungsweise Gelenkresektion nicht aus¬ 
zukommen. Trotzdem muß hier oft die 
Amputation aus vitaler Indikation an¬ 
geschlossen werden. Hayward. 

(D. Zschr. f. Chir. 1916, Bd. 139, 1.—4. Heft.) 

Über sogenannte idiopathische Herz¬ 
hypertrophie sprach Kraus in der Ber¬ 
liner medizinischen Gesellschaft 

Eine primär vom Herzen ausgehende 
Hypertrophie und Dilatation desselben an¬ 
zunehmen, ohne daß Vermehrung der ihm 
zugemuteten Arbeit vorläge, ist überwun¬ 
dener Standpunkt, Hypertrophie des Herz¬ 
muskels ist als Folge dauernd gesteigerter 
Funktion des Herzens aufzufassen als ein 
progressiver Vorgang, eine Anpassungser¬ 
scheinung bei erhöhter Arbeit solange ein 
Optimum nicht überschritten wird. Der 
prinzipielle Unterschied zwischen Erstar¬ 
kung und Hypertrophie, den die Klinik 
noch immer macht, ist ein falscher. Bei¬ 
des ist ein und derselbe Vorgang, nur die 
Entstehungsbedingungen und äußeren Um¬ 
stände bewirken die Verschiedenheit des 
weiteren Verlaufs. Erst die objektive Fest¬ 
stellung von Krankheitsäußerungen recht¬ 
fertigt die Annahme einer Erkrankung, 
nicht schon der Befund eines vergrößerten 
Herzens. Zahllose Arbeitsherzen verklei- 


Gegenwart 1917. 369 


I nern sich ohne bleibenden Schaden wie¬ 
der, wenn die Bedingungen für die Ver¬ 
größerung aufhören, wie auch die Skelett¬ 
muskulatur je nach den an sie gestellten 
Anforderungen schwanken kann. 

Liegt der festgestellten Vergrößerung 
keine äußere Anstrengung zugrunde, so 
findet sich stets eine andere Ursache, in 
Circulationshindernissen, an den Klappen 
usw. Eine „reine“ Hypertrophie des Her¬ 
zens mit progredientem Verlauf und un¬ 
günstigem Ausgang erkennt der Verfasser 
nicht an. Es gibt kein Krankheitsbild, 
das mit Arbeitshypertrophie beginnend 
über wiederholte Anfälle von Herzinsuffi¬ 
zienz schließlich ad exitum führte, ohne 
daß eine anderweitige im Circulations- 
system sich äußernde Ursache vorhanden 
wäre. 

Wohl aber kann Muskelanstrengung bei 
gewissen Körperverfassungen bleibende 
Schädigungen des Herzens auslösen. Kon¬ 
stitutionell kleines Herz und enge Aorta' 
spielen jetzt im Kriege eine große Rolle. 
Richtig dosierte Muskelarbeit kann aus 
einem konstitutionell kleinen Herzen viel 
herausholen, ohne ihm zu schaden, kann 
es zu einem leistungsfähigen machen, der 
erwünschten Arbeitshypertrophie zuführen. 
Einer Überlastung ist es sehr schlecht 
gewachsen; es neigt sofort zur bleibenden 
Erweiterung. Die Fähigkeit zum Friedens¬ 
beruf kehrt wohl wieder, Kriegsverwend¬ 
barkeit sehr oft nur teilweise. 

Eine zweite Gruppe der früher als 
idiopathisch betrachteten Herzhypertro¬ 
phien sind Präsklerosen. Sklerose sämt¬ 
licher kleineren Gefäße des Organismus 
erschwert die Circulation und bildet also 
eine occulte Ursache für die damit nicht 
mehr „reine“ Herzhypertrophie. Ebenso 
können nicht sklerotische, sondern lue¬ 
tische Veränderungen der kleinsten Ge¬ 
fäße einen herzvergrößernden Faktor 
bilden, der leicht der Beobachtung ent¬ 
geht. 

Die sogenannten congenitalen Herz¬ 
hypertrophien sind in ihrer Ätiologie 
noch am wenigsten geklärt. Adrenalin¬ 
gehalt des Blutes erscheint in Zusammen¬ 
hang damit .zu bringen analog dem 
thyreotoxisch veränderten Herzen. 

Endlich spielt der Lymphatismus eine 
Rolle bei Herzvergrößerungen im Kindes¬ 
alter. 

Kurzum: alle Herzhypertrophien, auch 
die im militärischen Dienst entstehenden, 
hängen ab von Reizen im Zusammen¬ 
hang mit anderweitigen Störungen. Aus 

47 



370 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Oktober 


sich selbst heraus' hypertrophiert kein 
Myokard. j. v . Roznowski. 

(B. kl. W. 1917, Nr. 32.) 

Über Fettplastik der Lunge be¬ 
richtet Groß. Bei der Operation einer 
nach Lungenschuß entstandenen Lungen- 
liöhle, die durch Naht geschlossen werden 
sollte, erfolgte eine zunächst unstillbare 
arterielle Blutung. Verfasser bildete einen 
etwa 25 cm langen, aus der Xchselgegend 
entnommenen, 2 bis 3 cm dicken Fett¬ 
lappen, mit diesem wurde der Hohlraum 
fest ausgepolstert. Die Blutung stand 
sofort. Die Heilung vollzog sich, von 
kleineren Störungen abgesehen, gut, und 
der Patient konnte, sieben Monate nach 
•der Einpflanzung in bestem Gesundheits¬ 
zustand entlassen werden. Der Ent¬ 
lassungsbefund ergab, daß durch den ge¬ 
stielten Fettlappen Bronchusfisteln ge¬ 
schlossen und die große Lungenhöhle zu¬ 
verlässig beseitigt worden waren. Der 
Fettlappen war nicht mehr vorhanden, 
das an seiner Stelle n.unmehr entstandene 
Gewebe war beim Auscultieren und Per- 
kutieren kaum vom normalen Lungen¬ 
gewebe zu unterscheiden. Verfassernimmt 
Bindegewebe an, das in seiner narbigen 
Schrumpfung die Wände des Kanals an¬ 
einandergezogen hat. Dieses Verhalten: 
Atrophie des Fettlappens, narbiges 
Schrumpfen des daraus entstehenden Ge¬ 
webes, läßt Verfasser — trotz des guten 
Einzelerfolges— im allgemeinen die Regel 
aufstellen, den Brustraum bei derartigem 
Vorgehen (eventuell in einer zweiten 
Sitzung) so zu verkleinern, daß durch die 
spätere Schrumpfung kein Hohlraum ent¬ 
stehen kann. Hagemann (Marburg). 

(D.Zschr.f. Chir. 141. Bd., 3. u. 4. Heft.) 

Zur Behandlung großer Nerven- 
defekte bemerkt Kirschner, daß die 
bisher gebräuchlichen Methoden zum Teil 
sehr wenig zuverlässige Resultate geben. 
Er erinnert hierbei an die bekannten 
Verlagerungsverfahren, Implantationen, 
Interpositionen, Tubulisationen und 
Agarröhrchen. Einige neue Vorschläge 
gehen darauf hin, zunächst eine exakte 
Nervennaht unter Leitung des Auges aus¬ 
zuführen, selbst wenn dabei die Conti- 
nuität des Gliedabschnittes leiden muß. 
Von diesem Gesichtspunkte aus ist die 
Continuitätsresektion des Knochenge¬ 
rüstes empfohlen worden. Kirschner 
selbst hat ein ähnliches Verfahren aus¬ 
gearbeitet, das sich folgendermaßen ge¬ 
staltet: Er durchtrennt den Knochen der 
Extremität subperiostal schräg, wobei 
darauf Rücksicht genommen wird, daß 


die Bruchenden später durch den Muskel¬ 
zug wieder gegeneinander gebracht wer¬ 
den. Nun werden die Knochenenden so¬ 
weit gegeneinander verschoben, daß die 
direkte Nervennaht ausgeführt werden 
kann. Die Nahtstelle des Nerven wird 
durch ein Stück aus der Fascia lata ge¬ 
sichert. Dann wird die ganze Wunde ge¬ 
schlossen. Nach zehn Tagen wird allmäh¬ 
lich mit der Extension begönnert und die 
normale Länge des Gliedabschnittes in 
etwa zehn Tagen erreicht. Das gleiche 
Resultat kann man dadurch erzielen, daß 
man die Durchtrenriung der Knochen 
nicht in schräger Richtung, sondern senk¬ 
recht zur Achse vornimmt und dann eine 
Dislocatio ad axin bewerkstelligt, sodaß 
der Winkel nach der Neryennahtstelle zu 
sieht. Praktische Erfahrungen liegen den 
Vorschlägen noch nicht zugrunde. 

Hayward. 

(D. m. W. 1917, Nr. 24.) 

Interessante Versuchsergebnisse einer 
direkten Pharmakotherapie des Nerven¬ 
systems veröffentlicht M.Lewandowsky. 
Verf. nimmt die Frage experimentell in 
Angriff, ob die direkte Zuführung von 
Medikamenten eine stärkere Einwirkung 
auf das Centralnervensystem zeigt als der 
intravenöse Weg. Es wurde eine größere 
Anzahl von Medikamenten bei Hunden 
intralumbal injiziert und deren pharmako- 
dynamische Wirkung und Verweildauer 
im Liquor studiert. Die Versuche Lewan- 
dowskys führten zu folgenden Ergeb¬ 
nissen. Die interlumbale Injektion einiger 
Kubikzentimeter Alkohol bewirkt eine 
lokale, schnell vorübergehende Narkose 
des Rückenmarks. Im gleichen Sinne 
wirkt der Methylalkohol sowie eine An¬ 
zahl von Schlafmitteln. Weiter konnte 
Lewandowsky feststellen, daß die 
pharmakodynamische Wirkung einiger 
Nervengifte sich mit der Art ihrer Ein¬ 
verleibung ändert. So löst das in den 
Lumbalsack gebrachte Strychnin stür¬ 
mische sensible Reizerscheinungen aus. 
Ähnlich verhält sich das Morphium. Durch 
Kombination von Atropin mit Morphium, 
Cocain mit Strychnin wird die sensible 
Reizwirkung abgestumpft beziehungs¬ 
weise aufgehoben. Hieraus ergibt sich die 
.Möglichkeit, die Synergie und den Anta¬ 
gonismus von Arzneigemischen durch 
einen intralumbalen Injektionsversuch zu 
erkennen. Auf die Zuführung dünner 
Adrenalinlösungen reagiert das Rücken¬ 
mark mit Tonussteigerung und Tremor. 
Interessant ist das verschiedenartige Ver¬ 
halten des Rückenmarks gegenüber Na- 



Oktober 


371 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


trium und Kalium. Während Natrium¬ 
verbindungen von Brom und Jod gut ver¬ 
tragen werden, führen die entsprechenden 
Kalisalze zu Lähmungen, bei stärkeren 
Dosen zum Tode. Ähnlich wie Kalium 
wirkt Calcium. Der von anderer Seite 
{Mulzer, Auer) behauptete Antagonis¬ 
mus zwischen Calcium und Magnesium 
konnte in der gegebenen Versuchsanord¬ 
nung nicht bestätigt werden. Auf Grund 
seiner Versuche konnte Lewandowsky 
feststellen, daß bei direkter Applikation 
alle Substanzen auf das Nervensystem 
schneller wirken als vom Blutwege aus. 
Die meisten Substanzen wirken direkt 
intensiver, sodaß man mit kleineren Dosen 
auskommt, einige Substanzen wirken bei 
direkter Zuführung anders als bei in¬ 
direkter, manche sogar ausschließlich bei 
intralumbaler Anwendung, während in 
keinem Falle Substanzen, die vom Blut¬ 
wege aus wirken, bei direkter Applika¬ 
tion versagen. Hiermit eröffnet sich eine 
neue Perspektive für die Zuwendung von 
Heilmitteln in der Neurologie, dort müssen 
die verschiedenen Arzneien noch ein¬ 
gehend auf ihre anästhesierende, narkoti¬ 
sierende und excitierende Wirkung ge¬ 
prüft werden. In die Praxis eingeführt ist 
die intralumbale Injektionstherapie be¬ 
reits bei der Salvarsanbehandlung der 
Tabes und Paralyse. Dabei ist jedoch zu 
bemerken, daß Großhirnprozesse vom 
Rückenmark aus nur durch Injektion 
größerer Flüssigkeitsmengen beeinflußt 
werden können, was wiederum im Hin¬ 
blick auf die Empfindlichkeit lebenswich¬ 
tiger Oblongatacentren nicht unbedenk¬ 
lich ist. Leo Jacobsohn (Charlottenburg). 

(Ztschr. f. Neur. u. Psych. 1916, Heft 1. u. 2.) 

Schütz will, entgegen dem leider 
noch vielfach üblichen Brauche, die Neur¬ 
astheniker monatelang—und erfolglos — 
in Heimatlazaretten zu behandeln, 
dieselben in Genesungsheimen hinter der 
Front unter ärztlicher Aufsicht beschäf¬ 
tigt wissen (z. B. mit Garnisondienst), wo 
sie nach seiner Erfahrung viel eher ge¬ 
sunden als in der Heimat. Die Psycho¬ 
pathen möchte er, da sie im Dienste sich 
und dem Heere mehr schaden als nützen, 
überhaupt vom Heeresdienste ausge¬ 
schlossen sehen. Was nun die psycho¬ 
genen und hysterischen Krankheitsbilder 
angeht, so hält er sie für viel häufiger, als 
sie bis jetzt diagnostiziert werden, na¬ 
mentlich auch die Kombination mit orga¬ 
nischen Leiden (z. B. Haltungscontrac- 
turen und -lähmungen, auch chronischer 
Rheumatismus und Ischias, ferner die 


meist ihrer Natur nach verkannten Blasen¬ 
störungen, besonders Incontinenz). 
Welche Therapie man anwendet,' hält er 
ebenso wie die Frage, ob Heilung in 
einer oder mehreren, Sitzungen, für eine 
Frage des persönlichen Geschmacks und 
der Übung des einzelnen, doch weist er 
ausdrücklich darauf hin, das Mutismus 
und Aphonie, soll nicht ihre Prognose er¬ 
heblich verschlechtert werden, in einer 
Sitzung geheilt werden müssen (das 
psychogene Stottern ist eine Vorstufe 
zum Mutismus). Schütz bevorzugt für 
diese Fälle den faradischen Strom täglich 
od§r jeden zweiten Tag bei nüchternem 
Magen, da sonst reflektorisches Erbrechen 
ausgelöst werden kann. Typisch erschien 
der Stimmungsumschlag bei gelungener 
Heilung oder Besserung. Für die Behand¬ 
lung ungeeignet sind neben allen organi¬ 
schen Erkrankungen die Organneurasthe¬ 
niker, ferner die mit hysterischen An¬ 
fällen, sofern es sich dabei nicht lediglich 
um eine Reaktion auf die Behandlung 
handelt. Bei Kombinationen ist die Aus¬ 
sicht der Behandlung so lange zweifel¬ 
haft, wie nicht die organische Kompo¬ 
nente beseitigt ist. Als weiteres Hilfs¬ 
mittel kommt bei motorischen Sachen die 
Massage in Frage. Für alle Kranken der 
in Rede stehenden Art ist ferner wichtig 
guter Schlaf während der Behandlung, 
der eventuell dur.ch Schlafmittel erzwun¬ 
gen werden muß. Bezüglich der Umge¬ 
bung: Frische Fälle unter gleichartige 
geheilte legen; erfolglos Behandelte von 
der Station entfernen, den Einfluß un¬ 
vernünftiger Verwandter ausschalten; 
nicht ins Heimatlazarett! Die Prognose 
ist je besser, um so schneller und energi¬ 
scher die Erkrankung angegriffen wird, 
in den weitaus meisten Fällen eben gut. 
Die Neurose muß daher bei ihrer großen 
Bedeutung für die Zukunft des Kranken 
und ihrer erheblichen wirtschaftlichen 
Tragweite für die Allgemeinheit geheilt 
werden, wozu niedrige Anfangsrenten 
(etwa 30—40 %), die später noch weiter 
bis etwa auf 10 % oder selbst auf Null 
herabgesetzt werden (Schonungsrenten!), 
erheblich mithelfen können. Eine Kapi¬ 
talisierung kommt überhaupt erst bei 
einem Rentenbetrage von unter 25 % in 
Betracht. Als dienstunbrauchbar sind 
zu bezeichnen die Fälle, die Rezidive be¬ 
kommen haben, manche Schüttler und 
diejenigen, die schon vor der Militärzeit 
funktionelle Störungen gehabt haben (nur 
solche Fälle kommen natürlich für Renten 
in Frage). Alle übrigen wurden als g. v. 

47* 




372 ‘ 


Die Therapie der Gegenwart 1917. Oktober 


entlassen. In letzter Zeit versuchte 
Schütz mit gutem Erfolg, ungeheilte 
Rentenempfänger zu erneuter Behand- 
lung'einziehen zu lassen. Waetzoldt. • 

(D. m. W, 1917, Nr. 20.) 

Eine neue Behandlung der Ozaena 
gibt Gassul an. Bisher haben die thera¬ 
peutischen Versuche der Ozaena nicht zu 
einem allseitigen befriedigenden Resultat 
geführt. Bekanntlich wurde Vaccine mit 
dem Kokkobacillus, den Perez als Er¬ 
reger der Ozaena ansieht, gemacht. Bei 
dieser Behandlung gab es Fälle, bei denen 
der Fötor und die Borkenbildung nicht 
beeinflußt wurde. Die übliche Therapie 
der Ozaena richtet sich vornehmlich auf 
eine Desinfektion der Nasenhöhle. Gas- 
sul hat nun das von Morgenroth her¬ 
gestellte Eucupin benutzt, nachdem es 
sich bei übelriechenden Hautulcerationen 
von Krebskranken als brauchbar erwiesen 
hatte. Dazu kommt, daß über die gün¬ 
stige Wirkung des Eucupins bei lokaler 
Behandlung von Diphtheriebacillenträ¬ 
gern berichtet wurde. Bei mehreren aus¬ 
gesprochenen Fällen appliziert Gassul 
das Eucupin als 2%ige Salbe, indem er 
in jedes Nasenloch Tampons, die dick mit 
Eucupinsalbe belegt waren, täglich ein¬ 
führte. Der Tampon blieb nur 15 bis 
20 Minuten liegen und wurde dann wieder 
herausgenommen, dabei haftete das Eucu¬ 
pin in -der Nasenschleimhaut fest. Die 
Resultate, die bei dieser Behandlung er¬ 
zielt wurden, sind zufriedenstellende. Ob 
es sich freilich um definitive Heilung han¬ 
delt, muß vorläufig dahingestellt bleiben. 
Jedenfalls ist der unmittelbare Erfolg so 
eklatant, daß man das Verfahren bei allen 
schweren Fällen von Ozaena anwenden 
sollte. Dünner. 

(D. m. W. 1917, Nr. 17.) 

Die Behandlung schwerer Fälle von 
Peritonitis beim Manne durch Drainage 
des Douglas nach dem Mastdarme zu be¬ 
schreibt Wilms. Als Analogon der 
Douglasdrainage durch die Vagina bei der 
Frau hat Wilms die Drainage nach dem 
Rectum zu beim Manne in Fällen diffuser 
Peritonitis mit Erfolg zur Anwendung 
gebracht. Die Technik ist die, daß mit 
einer Kornzange von der Bauchwunde . 
aus an der vorderen Bauchwand einge¬ 
gangen wird bis zur Blase, dann wird das 
Instrument um die Blase• herumgeführt,, 
wobei man stets im Kontakt mit der 
Wand des Bauchraumes bleibt und an 
den tiefsten Punkt des Douglas kommt, 
ohne befürchten zu müssen, daß eine 


Darmschlinge auf der Spitze der Korn¬ 
zange haften bleibt. Steht die Spitze der 
Zange auf der vorderen Wand des Mast¬ 
darmes auf, so wird sie unter Kontrolle 
des in das Rectum eingeführten Fingers 
durchgestoßen und ein Drain eingeführt. 
Zur Kontrolle der richtigen Lage des 
Drains wird sofort eine Spülung ange¬ 
schlossen. Irgendeine Schädigung wurde 
nicht beobachtet. Hayward. 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 139, H. 5/6.) 

Eine periphere Pfropfung des Mus- 
culo-cutaneus in den Medianus bei Plexus¬ 
schußverletzung mit Heilung hat Hay¬ 
ward ausgeführt. In einem Falle von 
Plexusschuß stellte sich die Funktion des 
Biceps und Supinator nicht wieder her. Es 
wurde darum der Nervus lfiusculo-cutaneus 
in der Achselhöhle freigelegt und nach 
querer Durchtrennung das periphere Ende 
in die Pronatorbahn des Medianus einge¬ 
setzt. Nach sieben Monaten erfolgten die 
ersten Beugebewegungen .im Arme, die 
innerhalb von drei Wochen zu einer voll¬ 
kommenen Beugung des Armes führten. 
Anfänglich wurde' um diese Bewegungen 
auszuführen, zunächst der Pronator inner- 
viert, erst später trat das Umlernen ein. 
Es wird empfohlen, bei nur teilweisem 
Ausfälle der Plexusfunktion nicht den 
Plexus selbst anzugreifen, sondern peri¬ 
pher zu pfropfen; überhaupt soll man 
nach Möglichkeit in normal-anatomischem 
Gebiete die Pfropfung ausführen. 

Hayward. 

(Zbl.f. Chir. 1917, Nr. 13.) 

Bruegel berichtet über weitere Er¬ 
fahrungen zur Beeinflussung des Magen¬ 
chemismus durch Röntgenstrahlen (Re¬ 
ferat über seine vorläufigen Mitteilungen 
und die Arbeit von Wilms an dieser 
Stelle Februarheft 1917). Die Bestrah¬ 
lung geschieht mit harten Strahlen in je 
zwei Feldern dorsoventral und ventro- 
dorsal. Die Dosis ist 8 X auf jedes 
Feld. Die Bestrahlung soll bei nüchternem 
Magen erfolgen und auch nachher der 
Patient noch möglichst zwei Stunden 
nüchtern bleiben, da die Empfindlichkeit 
des Magens vorübergehend auf ein bis 
zwei Tage gesteigert werden kann. Vor 
und nach jeder Bestrahlungsserie wurde 
der Säuregehalt des Magens bestimmt. 
Die Einwirkung der Röntgenstrahlen er¬ 
folgt im Sinne einer Einschränkung der 
Menge des Magensekrets (die Qualität 
des Sekrets bleibt bekanntlich stets kon¬ 
stant). Bei Fällen von chronischen Ge¬ 
schwüren des Magens und Duodenums 



Oktober , 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


373 


tritt die Wirkung zwar erst nach längerer 
Zeit ein, ist aber, wenn einmal da, von 
erheblicher Dauer. Fälle mit Entleerungs¬ 
schwierigkeiten eignen sich nicht für die 
Behandlung. Ist die Superacidität funk¬ 
tioneller Art, so wird sie rasch behoben, 
doch sind anfangs dabei Rezidive häufig. 
Spasmen bessern sich schnell, rezidivieren 
jedoch sehr oft. Die spastische Obstipa¬ 
tion bei Hyperchlorhydrie schwindet 
meist mit dieser. Subjektive Beschwerden 
bessern sich gleichfalls in den meisten 
Fällen. Bei Sub- und Anacidität ist, sei 
der Magenbefund sonst wie er wolle, eine 
günstige Einwirkung der Röntgenbestrah¬ 
lung auch mit Reizdosen nach den Er¬ 
fahrungen des Verfassers nicht zu er¬ 
zielen, es sei denn, daß sie auf Meteoris¬ 
mus des Colon transversum — der ja im 
Zeitalter der Kohlrübe nicht selten ist — 
zurückzuführen seien. In solchen Fällen 
bewährte sich eher Diathermie oder Hoch¬ 
frequenz. Interessant und auch von an¬ 
derer Seite bestätigt ist das stark ver¬ 
minderte Vorkommen der superaciden 
Zustände in der letzten Zeit; das wohl 
auf die Spärlichkeit der Fleisch- und 
Fettversorgung zurückzuführen ist. 

Waetzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 12.) 

Einen neuen Vorschlag zur Sepsis- 
therapie macht R o o s e n. Er weist darauf 
hin, daß bisher alle Versuche, Desinfek¬ 
tionsmittel, wie Sublimat, Carbolsäure 
usw., für eine innere Desinfektion, das 
heißt für Abtötung von Bakterien inner¬ 
halb des lebenden Organismus zu ver¬ 
wenden, zu keinem Resultat geführt 
haben. Es muß, wie er ausführt, das Be¬ 
streben dahin gehen, die Desinfektions¬ 
mittel, wenn möglich, nur auf die Bak¬ 
terienzelle einwirken zu lassen und die 
Desinfektionsmittel erst im Innern des 
Bakterienleibes aus anderen giftigen Sub¬ 
stanzen entstehen zu lassen. Dies gelingt 
durch getrennte Einführung von zwei an 
sich ungiftigen Substanzen, die sich auf 
Grund ihrer chemischen Affinität zu dem 
wirksamen Desinfiziens umwandeln kön¬ 
nen und von denen die eine eine besonders 
große Affinität zu den Bakterien hat. Er 
kombiniert Methylenblau und Kalomel. 
Die beiden Mittel sind in richtiger Do¬ 
sierung harmlos. Es wird bei ihrem Zu¬ 
sammentreffen unter günstigen Bedin¬ 
gungen Sublimat gebildet. Diese Be¬ 
dingungen sind im lebenden Organismus 
vorhanden, wo das intramuskulär inji¬ 
zierte Kalomel als Merkurisalz kreist und 


ihm zur Umwandlung in Sublimat die 
Chlorionen des Methylenblaus, des salz¬ 
sauren Salzes des Tetramethylthionins, 
zur Verfügung stehen. Durch die wesent¬ 
lich größere Affinität des Methylenblaus 
zu den Bakterien als zu den Körperzellen 
gelingt es, wie es seit langem bekannt, die 
Bakterien vital zu färben. Führt man in 
diesem Stadium, in dem nur die Bak¬ 
terien Methylenblau enthalten, Kalomel 
dem Körper zu, so findet es nur an den 
Bakterien Methylenblau vor und auch 
nur an diesen Gelegenheit, sich in Subli¬ 
mat umzuwandeln. Während also die 
Bakterien der Sublimatwirkung unter¬ 
liegen, kann auf die Körperzellen nur die 
wesentlich ungiftigere Kalomelwifkurig 
zur Geltung kommen. Er gibt sechsmal 
0,2 Methylenblau in Kapseln innerlich 
und 24 Stunden nach der letzten Methylen¬ 
blaugabe 0,2 g Kalomel intramuskulär. 
In den Fällen von Sepsis, die er nach die¬ 
ser Methode behandelte, will er einen auf¬ 
fallenden Erfolg erzielt haben, ohne daß 
sich schädigende Nebenwirkungen zeig¬ 
ten. So berichtet er von einem Falle von 
septischem Typhus, der mit der Kalomel- 
therapie — als der Kranke bereits in sehr 
desolatem Zustande war — geheilt worden 
sei. Ferner sollen zwei Fälle von Sepsis, 
die sich im Anschlüsse an Oberschenkel¬ 
schußbrüche entwickelt hatten., geheilt 
worden sein. Leider ist der Krankheits¬ 
verlauf der einzelnen Fälle von Roosen 
nicht mitgeteilt. Unter anderem wäre 
es für die Beurteilung seines thera¬ 
peutischen Vorschlages notwendig, zu 
wissen, ob Bakterien nachgewiesen wur¬ 
den, ob endokarditische Prozesse be¬ 
standen usw. usw. Es ist bekannt, daß 
viele Fälle von Sepsis spontan selbst nach 
wochenlangem Fieber zur Ausheilung 
kommen. Das muß man bedenken, wenn 
man bei einem neuen Behandlungsmodus, 
mag er theoretisch noch so berechtigt sein, 
von einer heilenden Wirkung auf die 
Sepsis Spricht. Dünner. 

(D. m. W. 1917, Nr. 18.) 

Nach unbefriedigenden Erfolgen mit 
der intramuskulären Vaccineurintherapie 
schwerer Neuritiden und Neuralgien auch 
in höheren als den schematischen Dosen 
machte Wi c h u r a Versuche mit der intra¬ 
venösen Anwendung des Mittels, zu¬ 
nächst zur Ergänzung der mangelhaften 
Erfolge der intramuskulären Anwendung. 
Von 16 derartigen Fällen wurden 10 von 
den Schmerzen befreit, während zwei die¬ 
selben behielten. Vier Fälle mit rein 


374 


Die Therapie der Gegenwart 1917. Oktober 


motorischen Störungen blieben ferner 
ganz unbeeinflußt. Zur intravenösen 
Anwendung kam eine 0,4 ^ige Vacci¬ 
neurinlösung in physiologischer Koch¬ 
salzlösung, von der nicht, mehr als 1 ccm 
gegeben wurde — was in seiner Wirkung 
der Gabe von 1 / 6 ccm Vaccineurin intra¬ 
muskulär entspricht —, da sonst allge¬ 
meine Beschwerden auftraten. Allgemein 
begannen die Dosen mit einem Teilstrich 
der 1-ccm-Spritze und erreichten nach 
sechs Dosen fünf Teilstriche, nach zwölf 
Dosen zehn Teilstriche (entsprechend der 
Dosierung bei der intramuskulären An¬ 
wendung). Im ganzen wurden bis zu 
30 Spritzen gegeben. Von 18 Fällen von 
Ischias wurden zwei schon nach acht bis 
zehn Spritzen dienstfähig, andere wurden 
wesentlich gebessert, einige noch nicht ab¬ 
geschlossene Fälle zeigten bis auf einen 
deutliche Besserung. Von sieben Gelenk¬ 
neuralgien wurden vier geheilt, drei noch 
nicht abgeschlossene gebessert, ebenso 
ein Fall von Trigeminusneuralgie. Rein 
motorische Störungen wurden nicht 
beeinflußt. Von Nebenerscheinungen sind 
außer einer sehr geringen Lokalreaktion 
am Orte der intravenösen Einverleibung 
“ (Schwellung, Druck) die positiven Herd¬ 
reaktionen in Gestalt verstärkter Schmer¬ 
zen im Nerven und allgemeine ner¬ 
vöse Reizerscheinungen — in einzelnen 
Fällen auch solche motorischer Art — 
wichtig. DieTemperatur muß während der 
Kur dauernd, eventuell auch nachts kon¬ 
trolliert werden, da während der Dauer 
erhöhter Temperatur die Kur nicht fort¬ 
gesetzt werden kann (Gefahr der Ver¬ 
schlimmerung). Nach einer erheblichen 
Reaktion wurde mit der halben Dosis 
fortgefahren. Contraindikationen er¬ 
gaben sich für die Kur nicht. Die 
gewöhnlichen Mittel der Behandlung 
physikalischer und chemischer Art 
wurden während der Kur nicht vernach¬ 
lässigt. Für die Kritik der Erfolge ist 
wichtig die Regelmäßigkeit der Besserung 
der Schmerzen nach der dritten bis vierten 


Einspritzung, wie mehrere angeführte 
Fälle besonders schön zeigten. Eine völ¬ 
lige Heilung war in schweren, besonders 
rezidivierenden Erkrankungen an Ischias 
nicht zu erreichen, es blieben vielmehr 
leichte Beschwerden neben den objek¬ 
tiven Symptomen bestehen. Heilung einer 
kompletten Entartungsreaktion ist natür¬ 
lich nicht zu erwarten, wie überhaupt in 
Fällen mit motorischen Störungen die 
Behebung der sensiblen Störungen wohl 
nur mittelbar dem Vaccineurin zuzu¬ 
schreiben ist. Verschlechterungen wurden 
in keinem Falle beobachtet. Über die 
Beeinflussung tabischer Schmerzen liegen 
Erfahrungen nicht vor. Es scheint im 
ganzen die intravenöse Anwendung bet 
gleichen oder überlegenen Wirkungen 
auch wesentlich sparsamer. 

Waetzoldt. 

(M. m. W. 1917, Nr. 3.) 

Über einen Dauererfolg eines Arterien¬ 
satzes durch Venenautoplastik nach fünf 
Jahren berichtet Lex er. Der Beweis, 
daß die Gefäßtransplantation beim Men¬ 
schen auch einen Dauererfolg hat, konnte 
bisher noch nicht erbracht werden. Lexer 
berichtet nun ausführlich über den Fall 
von Transplantation der Vena saphena 
in die Iliaca und Femoralis, welchen er 
1913 auf dem Chirurgenkongreß vorge¬ 
stellt hatte. Es mußte damals ein Defekt 
von 16 cm in der Arterie, welcher nach 
der Exstirpation eines Aneurysmas ge¬ 
blieben war, gedeckt werden. Das heutige 
Nachuntersuchungsresultat ist als in jeder 
Beziehung zufriedenstellend zu bezeich¬ 
nen. Das Gefäß ist vollkommen durch¬ 
gängig und eine Erweiterung des Trans¬ 
plantats ist nicht eingetreten. Lexer 
hebt hervor, daß zur Prüfung des Resul¬ 
tats einer Gefäßnaht oder Transplanta¬ 
tion es nicht genügt, wenn man den Puls 
in den peripheren Abschnitten fühlt,, 
sondern beim Druck auf die Transplan¬ 
tationsstelle muß er auch verschwinden. 

H a y w a r d. 

(Zbl.f. Chir. 1917, Nr. 26.) 


Therapeutischer Meinungsaustausch. 

Bemerkung zur Optochindarreichung. 


Von Professor Dr. Rosin-Berlin. 


Herr Mendel, der eine der zurzeit 
brauchbarsten Methoden der internen 
Optochindarreichung empfohlen hat, näm¬ 
lich das basische Salz bei gleichzeitiger 
säurebindender Milchdiät, und dem ich 
mich bei eigenen Versuchen und in meiner 
Empfehlung voll angeschlossen habe, be¬ 


findet sich offenbar in einer glückliche¬ 
ren Lage der Milchbeschaffung in Essen 
als wir hier in Groß-Berlin. Denn wenn 
wir hier in einem Falle von Lungen¬ 
entzündung die Optochinbehandlung so¬ 
fort in Angriff nehmen wollten, so steht 
uns momentan die tägliche Menge von 




Oktober 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


375* 


1 Liter nicht zur Verfügung. Wir müssen 
vielmehr oftmals tagelang auf den Be¬ 
zugschein warten und sind überdies dem 
Wohlwollen der Lieferanten ausgeliefert, 
das zuweilen versagt. Lediglich deshalb, 
wie auch von Herrn Mendel schon ver¬ 
mutet, habe ich die Neutralisierung mit 
doppelkohlensaurem Natron empfohlen. 
-Selbstverständlich ist diese Neutralisie¬ 
rung nur vorübergehend, und bekanntlich 
folgt eine vermehrte Abscheidung von 
Salzsäure durch den Reiz des gebildeten 
Kochsalzes. Aber — die Erfahrung hat 
es gelehrt — die Neutralisierung mit 
Natrium bicarbonicum reicht offenbar für 


den gewollten Zweck aus; das basische 
Optochin wird entweder rasch genug in 
den Darm geschafft oder so langsam in 
das salzsaure Salz umgewandelt, daß diese 
den Kriegsverhältnissen gehorchende Me¬ 
thodik niemals auch die geringste In¬ 
toxikationserscheinungen bringt. Auch 
von der gebildeten Kohlensäure tiabe ich 
störende Auftreibungen niemals beobach¬ 
tet. Wo Milch rasch zu beschaffen ist, 
verdient, sie gewiß wegen Reizlosigkeit 
und erheblicherer Salzsäurebindung den 
Vorzug; für die Friedenstherapie des¬ 
unentbehrlich gewordenen Optochin mag; 
sie dauernd eingeführt bleiben. 


Über Hernien, En^eroptosen und Prolapse in ihrer Beziehung 
zum Kriege und Reichsversicherungsordnung. 

Von Dr. D. Pulvermacher, leit. Arzt des Wöchnerinnenheims Norden. Berlin. 


Von den Veränderungen in der weib¬ 
lichen Genitalsphäre, welche mit dem 
Kriege in einen ursächlichen Zusammen¬ 
hang gebracht werden, ist am bekannte¬ 
sten das lange Ausbleiben der Periode ' 
als die von Dietrich (Göttingen) be- 
zeichnete Kriegsamenorrhöe, über welche 
in der letzten Zeit eine Reihe von Ver¬ 
öffentlichungen erschienen sind und als 
deren Ursache von vielen die veränderte 
Lebensweise angesehen wird. Handelt es 
sieh nur hierbei um einen normalen 
Genitalbefund, so hat der Praktiker, 
welcher viel mit der arbeitenden weib¬ 
lichen Bevölkerung zu tun hat, auch das 
Auftreten pathologischer Zustände zu be¬ 
obachten, welche durch mancherlei Ein¬ 
flüsse drohen, dauernd zu bleiben. Fol¬ 
gende Zeilen sollen sich mit den Hernien, 
Prolapsen und Enteroptosen an und für 
sich wie in ihrer Beziehung zur Reichs¬ 
versicherungsordnung beschäftigen. 

Gehen wir zuerst auf das Krankheits¬ 
bild dieser Frauen ein, welche mit den 
gleichen Klagen zum Arzt kommen: 
starke Kreuzschmerzen, Drängen nach 
unten, Magen- und Darmbeschwerden. 
Vorausgesetzt muß natürlich werden, daß 
es für eine nähere Bewertung des Befun¬ 
des von größtem Vorteil ist, die Patien¬ 
tinnen schon längere Zeit zu kennen. 
Man fühlt nun durch die oft sehr dünnen 
Bauchdecken leicht den Tiefstand der 
Nieren, der Leber und des Magens usw. 
(Glenardsche Enteroptose) 1 ); der Fin¬ 
ger dringt schnell in den Leistenkanal, aus 
dem sich bei leichtem Pressen Netz und 
Darm hervorwölbt. Vordere und hintere 

x ) Klemperer, Lehrbuch d. inn. Med. Bd. I, 
S. 267. 


Scheidenwand drängen sich heraus, Ute¬ 
rus steht tief oder liegt nach hinten. 
Können nun diese Veränderungen mit 
den durch den Krieg gegebenen Verhält-, 
nissen in Zusammenhang gebracht wer¬ 
den? Die Frage ist meiner Überzeugung 
nach mit einem Ja zu beantworten. Ich 
gebe v. Jaworski 1 ) vollkommen recht, 
wenn er die Unterernährung als Haupt¬ 
ursache ansieht. Durch das Schwinden 
des Körperfettes und die hierdurch ver¬ 
ursachte Schwächung der Muskulatur und 
des Bindegewebes lockern sich die Organe 
aus ihren sonst festen Verbindungen. 
Wird der weibliche Körper nur etwas ge¬ 
steigerten Ansprüchen — und auch das- 
braucht nicht einmal nötig zu sein — aus- 
gesetzt, so können Verlagerungen, Her¬ 
nien usw. auftreten, welche die. Frauen 
in ihrer Arbeitsfähigkeit beschränken.. 
Es müssen aber auch auf Grund der 
Reichsversicherungsordnung Unfallunter¬ 
stützungen gewährt werden, wie ja auch 
Martin ganz richtig die Ansicht des Ge¬ 
richtes als die im gerechten Interesse für 
die arbeitende Bevölkerung gefaßte wie¬ 
dergibt, daß nämlich eine scheinbar ge¬ 
ringfügige Arbeitsleistung bei mangelhaft 
entwickeltem, zerstörtem oder geschrumpf¬ 
tem Gewebe schädlicheren Einfluß haben 
kann als ein offenbar ernsterer Unfall,, 
welcher gesundes und kräftiges Binde¬ 
gewebe trifft 2 ). Es darf auch nicht außer 
acht gelassen werden, daß innerhalb zwei 
Jahren nach dem Unfall Spätfolgen be¬ 
rücksichtigt werden müssen; selbstver¬ 
ständlich ist den Klagen gegenüber große 
Vorsicht geboten. Um nur ein Beispiet 


x ) Zbl. f. Gyn. 1917, Nr. 28. 
*) M. f. Gyn. Bd. 46, H. 1. 



376 Die Therapie der Gegenwart 1917. Oktober 


anzuführen, kann bei den fettarmen 
Frauen ein Leistenbruch entstehen oder 
ein bestehender sich verschlimmern, 
worauf Thiem als erster aufmerksam 
gemacht hat. 

Therapeutisch könnte besonders in den 
Fällen von Enteroptose am meisten ge¬ 
nützt werden, wenn eine Mastkur vorge¬ 
nommen würde, was ja leider jetzt schwer 
möglich ist. So ist man gezwungen, zu 
Bandagen Zuflucht zu nehmen; eine 
leicht abzuändernde männliche Badehose 
hat mir in einigen Fällen mehr genützt 
als die gewöhnlich schlecht sitzenden Bin¬ 
den. Gegen die Retroflexionen und PrOr 
lapse helfen die gewöhnlichen Pessare 
wenig, da die veränderte Muskulatur wie 
Bindegewebe des Beckenbodens keinen 
Halt bietet; als sehr praktisch hat sich 
mir das Schalenpessar bewährt, da es 


durch das Ansaugen an die Portio die 
Seitenwände nicht zu sehr spannt. Eine 
Kontrolle ist notwendig, damit nicht, be¬ 
sonders bei Tiefstand des Uterus, ein 
Decubitalgeschwitr entsteht. Ein ope¬ 
ratives Vorgehen wird sich nur bei schwe¬ 
ren Prolapsen empfehlen und dann auch 
nur das Einnähen des Gebärmutter¬ 
körpers in die Bauchdecken nach Kocher, 
da bei sonstigem Vorgehen mit schnell 
eintretenden Rezidiven zu rechnen ist. 

Fasse ich noch einmal kurz das Er¬ 
gebnis meiner Beobachtungen wie Be¬ 
handlungsweise zusammen: Hernien, Pro¬ 
lapse, Enteroptosen müssen, wie die 
Amenorrhoe als Folgen des Krieges an¬ 
gesehen werden. Ansprüche an die Unfall¬ 
versicherung sind berechtigt; der Therapie 
bleibt nur ein eng umgrenztes Feld der 
Betätigung. 


Aus dem Städtischen Krankenhaus Potsdam. 

Erfahrungen mit Dermotherma. 

Von Dr. Lilli Culp, Assistentin. 


Wir haben Dermotherma 1 ) auf der 
inneren Abteilung unseres Krankenhauses 
in zirka 40 Fällen von Hautkälte ange¬ 
wandt und dabei folgende Erfahrungen 
gemacht: Dermotherma wirkt in der 
großen Mehrzahl der Fälle prompt nach 
•der ersten Einreibung. — Eine viertel 
bis eine halbe Stunde nach Gebrauch 
tritt bessere Durchblutung des be¬ 
troffenen Körperteiles ein und damit 
ein angenehmes Wärmegefühl. — Auch 
objektiv ist die Erwärmung durch 
Berühren deutlich festzustellen. — Nur in 
wenigen Fällen bedurfte es mehrtägigen 
Gebrauches — es wurden meist zwei Ein¬ 
reibungen täglich vorgenommen —, um 
den gewünschten Erfolg zu erzielen. 

Sehr bemerkenswert war, daß bei 
Kranken, deren Einschlafen oder Schlaf 
durch kalte Füße gestört waren, durch 
die Anwendung von Dermotherma eine 

x ) Darmotherma, welches empfohlen wird 
„gegen Hautkälte, speziell gegen kalte Füße, zur 
Verhütung des Erfrierens exponierter Körper¬ 
stellen, zur Behandlung posttraumatischer Sen¬ 
sibilitätsstörungen“ enthält in glücklicher Kom¬ 
bination eine Anzahl bewährter Hautreizmittel. 

Zusammensetzung : Dermotherma besteht aus- 
den Kondensationsprodukten des Acid. formic. 
und des Acid. lact. mit den Oxyden des Thy¬ 
mols, Menthols und Camphers in Vereinigung 
mit Formaldehyd und enthält die wirksamen 
Bestandteile von Arnica und Capsicum; Zusatz 
von dialysierter Seife. 


ungestörte . Nachtruhe erreicht werden 
konnte. 

Nach dem Verbrauch von ein oder 
zwei Probetuben bei einem Patienten 
pflegten wir mit dem Mittel^ auszusetzen. 
Das weitere Verhalten war 4 danach ver¬ 
schieden: In wenigen Fällen war der Er¬ 
folg dauernd bis zur Entlassung der 
Kranken. Meist traten nach 8 bis 14 
Tagen die alten Beschwerden wieder auf, 
und eine zweite Einreibekur mußte erneut 
Abhilfe schaffen. 

Bei unseren Versuchen machten wir 
die Beobachtung, daß es wenig darauf 
ankommt, weiche Ätiologie der Hautkälte 
(es handelte sich meist um kalte Füße 
oder Hände) zugrunde liegt. — Der Er¬ 
folg war derselbe, gleich ob jene angio- 
neurotischer Natur wär, ob Circulations- 
störungen, Chlorose oder Kachexie die 
auslösenden Momente waren. Nur bei 
den Parästhesien, die infolge organischer 
Cerebrospinalveränderungen auftraten 
(drei Fälle von Schlaganfall, eine multiple 
Sklerose), konnten wir eine erhebliche 
Besserung nicht erzielen. 

Wie aus vorstehendem erhellt, ist 
Dermotherma auch nach unseren Er¬ 
fahrungen ein wertvolles Mittel zur Be¬ 
kämpfung von Hautkälte aller Art und 
macht sich durch die Einfachheit seiner 
Anwendung besonders beliebt. 


Für die Redaktion verantwortlich Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer in Berlin. Verlag von Urb an & Schwarzenberg 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., in Berlin W8. 





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Die Therapie der Gegenwart 


58. Jahrgang 

Neueste Folge, XlX.Jahrg. 


herausgegeben von 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 

BERLIN 
W 62, Kleiststraße 2 


11. Heft 

November 1917 


Verlag von URBAN & SCHWARZENBERG- in Berlin N 24 und WienI 


Die Therapie der Gegenwart erscheint zu Anfang jedes Monats. Abonnementspreis für den 
Jahrgang 10 Mark, in Österreich-Ungarn 12 Kronen, Ausland 14 Mark. Einzelne Hefte je 1,50 Mark 
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Die Therapie der Gegenwart 


1917 


herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 
in Berlin. 


November 


Aus dem Eppendorf er Krankenhaus. 


Nachdruck verboten. 


Zur Behandlung der Meningitis im allgemeinen und der 
Meningitis contagiosa (epidemischen Genickstarre) im besonderen. 

Von Professor Dr. H. Schottmüller-Hamburg. 


Die Genickstarre hat insofern zur¬ 
zeit ein erhöhtes Interesse erlangt, als 
eine Zunahme der Erkrankungsziffer in 
letzter Zeit zweifellos wieder zu beob¬ 
achten ist. Es möge daher hier eine kurze 
Besprechung der Behandlung Platz finden. 

Bekanntlich bestand die Therapie der 
infektiösen Meningitis bis zum Jahre 1905 
in einer rein symptomatischen. Es ent¬ 
spricht wohl dem Werte der früheren Be¬ 
handlungsmethoden, wenn sie hier nur 
kurz aufgezählt werden. Warme Bäder, 
kalte oder heiße Einwicklungen bei hoch¬ 
fiebernden Fällen, Eisblase bei starken 
Kopfschmerzen, Antipyretica, insbeson¬ 
dere Salicylpräparate bei hohen Tempe¬ 
raturen und Unruhe, Einreibungen mit 
Unguentum cinereum, Narcptica gegen 
Schmerzen, Schlaflosigkeit und Deli¬ 
rien, das war das magere Rüstzeug bei 
der Krankheit, die so dringend die Hilfe 
des Arztes verlangte. Die Ansicht, daß 
durch innerlich verabreichte desinfizie¬ 
rende Mittel, z. B. Kalomel, oder durch 
die intravenöse Einspritzung von Kol- 
largol ein Einfluß auf die Krankheit 
der Meningen ausgeübt werden könne, 
ist durch keine Tatsache zu begründen. 
Ebensowenig Erfolge hat die Pilokarpin¬ 
therapie aufzuweisen. 

Einen wesentlichen Einfluß auf den 
Verlauf der Krankheit kann man sich von 
all den genannten Mitteln nicht ver¬ 
sprechen. 

Es bedeutete einen erheblichen Fort¬ 
schritt, als auch Lenhartz auf Grund 
seiner Erfahrungen Quincke’s Lumbal¬ 
punktion für die Behandlung der 
Genickstarre empfahl. Zwar kann man 
auch bei diesem Mittel wohl nur von einer 
symptomatischen Wirkung sprechen, je¬ 
doch ist es ein Mittel, welches das gefähr¬ 
lichste Symptom der Erkrankung, den 
Gehirndruck, beseitigt; allerdings oft nur 
vorübergehend, sodaß der Eingriff öfter 
wiederholt werden muß, vielfach wirkt 
es aber fraglos lebensrettend. Es soll 


daher hier näher auf die Indikations- 
Stellung und die Art des Eingriffs ein¬ 
gegangen werden. 

Die gewöhnlichen Anzeichen gestei¬ 
gerten Hirndrucks sind Kopfschmerzen 
und eine mehr oder weniger heftige 
Nackensteifigkeit, Lähmungen, vor allen 
Dingen aber Benommenheit und Koma. 
Diese Symptome sind ja die charakteri¬ 
stischen Erscheinungen der Krankheit, 
sie entwickeln sich meist allmählich, zu¬ 
weilen aber auch von einem Tage zum 
anderen. Weniger bekannt dürfte sein, 
daß bedrohliche Herz Störungen, 
Tachykardie, Irregularität, überhaupt 
Verschlechterung des Pulses, Cyanose, 
Dyspnoe und Kollaps, Symptome sind, 
welche weniger allmählich als plötzlich 
und oft anfallsweise als Drucksymptome 
aufzutreten pflegen und dann sehr schnell 
wirksame Hilfe erfordern, wenn nicht ein 
solcher Anfall den Tod herbeiführen soll. 
Diesen Zlistand schwerster Gefahr haben 
wir häufiger durch eine sofort ausgeführte 
Lumbalpunktion beseitigen können, und 
gerade das Verschwinden der aufgezählten 
Symptome ' nach dem Ablassen einer 
größeren Menge von Liquor spinalis er¬ 
brachte den Beweis, daß hier die Erschei¬ 
nungen von Herzschwäche nicht durch 
eine Einwirkung der Infektion auf den 
Herzmuskel verursacht waren, sondern 
daß es sich nur um sekundäre Störungen, 
die von seiten des Gehirns ausgelöst 
waren, bandelte. 

Aber auch, wenn so ernste Störungen 
noch nicht vorliegen, so ist es doch für 
den Patienten außerordentlich wertvoll 
und wohltuend, wenn durch Ablassen des 
Liquors der hartnäckige Kopfschmerz und 
die quälende Nackensteifigkeit, Benom¬ 
menheit und Koma bekämpft werden 
können. 

Es bedeutet auch sicher für den Pa¬ 
tienten einen Vorteil, wenn man auf 
der Höhe der Erkrankung durch Ablassen 
einer größeren Menge von Liquor (20, 30, 


48 





378 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


■ November 


40 ccm und mehr) aus dem Körper eine 
beträchtliche Menge des Infektions¬ 
stoffs entfernt. 

Es sei hier aber darauf hingewiesen, 
daß gerade bei der epidemischen oder kon- 
tagiösen Genickstarre, abgesehen von der 
Meningitis siderans — den schweren fou- 
droyant verlaufenden Fällen—, die Gefahr, 
welche durch die Giftstoffe der Infektions¬ 
erreger als solche droht, an Bedeutung 
weit zurücktritt hinter der, welche der 
gesteigerte Hirndruck für den Patienten 
bedingt. Sind einmal die ersten Tage der 
Erkrankung überwunden, so ist von der 
Schwere der Infektion weniger zu be¬ 
fürchten; in der Hauptsache der durch 
plastisches Exsudat oder Liquoran¬ 
sammlung erzeugte Druck, insbesondere 
der Hydrocephalus, bedroht das Leben. 
So kann nur geraten werden, im akuten 
Stadium, solange vermehrter Druck in 
der Schädelhöhle besteht, täglich die 
Punktion auszuführen und namentlich 
in den oben geschilderten Momenten höch¬ 
ster Lebensgefahr, die sich, wie gesagt, 
oft durch starke Cyanose, Atemnot und 
schlechten Puls kennzeichnet. 

Sobald also in einem Krankheitsfalle 
die diagnostischen Erwägungen auf die 
Diagnose Meningitis hinführen, wird man 
zunächst zur Sicherung der Diagnose 
d i eLu m b a 1 p u n kt i o n ausführen. 

Über die Technik, welche bei der In¬ 
fektion der Meningen gewisse Vorsichts¬ 
maßregeln erheischt, habe ich in dem 
Leitfaden zur Untersuchung der Cere- 
bröspinalflüssigkeit von Plaut, Rehm, 
Schottmüller (Gustav Fischer, Jena 
1913, S. 71) die erforderlichen Angaben 
gemacht. Das Verfahren selbst ist für 
jeden, der es nur einmal gesehen hat, so 
einfach, namentlich bei Kindern, daß es 
immer und überall ausgeführt werden kann. 

Nötig ist, auf folgende Punkte zu 
achten: 

Ist die Nadel in den Wirbelkanal ein¬ 
geführt, was am besten in der Median¬ 
linie zwischen dem dritten und vierten 
oder vierten und fünften Lendenwirbel 
und unbedingt mit schräg nach oben, nicht 
etwa sagittal (außer bei Kindern) gerich¬ 
teter Nadelspitze zu geschehen hat,'wird 
der Mandrin entfernt. Die Nadel um so 
schräger eingeführt werden, je weniger 
stark die Wirbelsäule des Patienten nach 
hinten durchgebogen ist. Die ersten 
Tropfen oder Kubikzentimeter des aus¬ 
strömenden Liquors werden in ein 
sterilisiertes Röhrchen aufgefangen, nach¬ 
dem der äußere Rand desselben noch über 


der Gas- oder Spiritusflamme keimfrei 
gemacht ist. 

Jetzt erst soll der Druck gemessen 
werden. Wir haben den Schlauch des 
Steigrohrs mit einem Konus aus Metall 
armiert, der leicht in die Ausflußöffnung 
der Kanüle einzusetzen ist. 

In dem Steigrohr ist der Druck fest¬ 
zustellen, unter welchem die Flüssigkeit 
im Spinalkanale steht, die Menge des aus¬ 
strömenden Liquors ist zu messen, die 
Schnelligkeit, mit der die Tropfen aus 
der Hohlnadel hervordringen, die Farbe, 
des Liquors, die etwaige Ausscheidung 
eines Fibrinnetzes ist zu beachten. Die 
genaue Untersuchung auf Eiweißgehalt, 
Zählung und Artbestimmung der Zellen, 
die kulturelle beziehungsweise mikrosko¬ 
pische Prüfung des Exsudats auf Bak¬ 
terien muß im Laboratorium erfolgen. 

Die bakteriologische Untersuchung er¬ 
fordert unbedingt die Fernhaltung' frem¬ 
der Keime von dem Untersuchungsobjekt. 
Es muß also die kleine Operation, die 
Lumbalpunktion, nicht nur mit Rück¬ 
sicht auf den Patienten aseptisch aus¬ 
geführt werden, sondern es muß auch in 
jeder Beziehung absolut steril gearbeitet 
werden, damit die Spinalflüssigkeit nicht 
mit Keimen der Außenwelt verunreinigt 
wird. Über weitere Einzelheiten, nament¬ 
lich über die Verwendung einer von mir 
angegebenen besonderen Nadel und die 
Schwierigkeit des Nachweises des Krank¬ 
heitserregers verweise ich auf meine oben 
erwähnte Arbeit. Außer den objektiven 
Drucksymptomen, die oben schon ange¬ 
führt sind, sind auch heftige Kopfschmer¬ 
zen eine Indikation zur Ausführung des 
kleinen Eingriffs, der auch in dieser Be¬ 
ziehung vielfach lindernd wirkt. 

Einige Worte noch über den Liquor¬ 
befund. Der Liquor kann bei der epidemi¬ 
schen Genickstarre in bezug auf sein Aus¬ 
sehen sehr verschieden sein. Meist ist er 
mehr oder weniger stark eitrig getrübt, 
zuweilen ist er fast ganz klar. Der Druck 
ist meist entsprechend der Schwere der 
klinischen Erscheinungen mehr oder weni¬ 
ger stark erhöht. Die Druckmessung ist 
erwünscht, weil man, je höher der Druck 
gefunden wird, um so mehr Liquor ablassen 
soll. Es kann auch Vorkommen, daß der. 
Druck überhaupt nicht die Normalhöhe . 
übersteigt. In der Regel wird man bis zur 
Erreichung des Normaldrucks den Li¬ 
quor abfließen lassen, nach 25—40 ccm 
ist er im allgemeinen erreicht. 

Wird die Lumbalpunktion, wozu wir 
dringend raten, regelmäßig, und zwar auf 



November 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


379 


der Höhe der Erkrankung täglich aus¬ 
geführt, so wird man nicht selten finden, 
daß sowohl die Höhe des Druckes, wie 
dasAussehen des Liquors sehr verschieden¬ 
artig beschaffen sein kann. Heute noch 
Eiter, morgen fast klar, und umgekehrt. 
Es besteht kein Verhältnis zwischen Eiter¬ 
gehalt und Schwere des Falles. Nicht 
immer gelingt es, im mikroskopischen 
Präparat die Krankheitskeime und zwar 
gramnegative, den Gonokokken ähn¬ 
liche intracellulär gelegene Gebilde, zu 
finden. Findet man sie trotz eifrigen 
Suchens nicht, so ist der Nachweis noch 
durch die Kultur möglich. Zu dieser ist 
möglichst viel Liquor zu verwenden 
(vergleiche 1. c. S. 99). 

Als Erreger hat übrigens bei der epi¬ 
demischen Genickstarre, wie hier aus¬ 
drücklich noch einmal betont sei, nur 
der Weichselbaum sch e' Diplococcus 
meningitidis zu gelten. Alle anderen 
Angaben, die sich auch noch in der Lite¬ 
ratur über die große schlesische Epidemie 
vor einigen Jahren erhalten hat, sind als 
irrige zu bezeichnen. 

Aber nicht nur während des ersten 
akuten Verlaufs ist die Lumbalpunktion 
von günstigem Einfluß auf das Krank¬ 
heitsbild. Auch die Entwicklung des mit 
Recht so gefürchteten akuten oder sub¬ 
akuten Hydrocephalus sowohl als dieser 
voll ausgebildete Zustand selbst wird mit 
Erfolg durch die Lumbalpunktion be¬ 
kämpft. Wir haben mit dem Bestehen 
dieses Zustandes gerechnet, wenn mit 
dem späteren Verlaufe der Krankheit 
trotz sorgfältigsten Ernährungsversuchs 
eine hochgradige allgemeine Körper¬ 
atrophie auftritt und von neuem gewisse 
cerebrale Symptome, wechselnde Be¬ 
nommenheit, starke Kopfschmerzen, häu¬ 
figes Erbrechen, Nackenstarre, Spasmen, 
Neuritis optica (Stauungspapille), ferner 
Erbrechen und auffällige Pulsschwankun¬ 
gen das Krankheitsbild dauernd beherr¬ 
schen beziehungsweise sich wiederein¬ 
stellen. 

Irgendwelche nachteiligen Folgen von 
der häufig, vielfach täglich, ausgeführten 
Lumbalpunktion sahen wir nicht, wie hier 
ausdrücklich hervorgehoben sei. In sel¬ 
tenen Fällen ist die Lumbalpunktion er¬ 
gebnislos. Es hat sich dann im Wirbel¬ 
kanal ein derart plastisches Exsudat ge¬ 
bildet, daß Flüssigkeit aus der Nadel 
nicht ausströmen kann. Alsdann kommt 
die wiederholte Ventrikelpunktion ent¬ 
weder durch die Fontanelle oder nach 
Anbohrung des Schädels in Betracht. 


Endlich hat man auch die Trepanation 
des Schädels gerade bei Hydrocephalus 
verschiedentlich ausgeführt. Ich möchte 
allerdings zweifeln, daß dieses Verfahren 
bei dem genannten schweren Krankheits¬ 
zustand Erfolg bringt. Vorläufig sind 
unsere Erfahrungen in dieser Beziehung 
nicht sehr ermutigend. 

Nur dann wird man sich zur Öffnung 
des Schädels entschließen, wenn der so 
hoffnungslose Zustand des Hydrocephalus 
durch wiederholte Lumbalpunktion in 
seinen Erscheinungen nicht beeinflußt 
werden kann. 

Wir haben dann aus naheliegenden 
Gründen schon vor langen Jahren auf der 
Lenhartzsehen Krankenabteilung der 
Lumbalpunktion eine Spülung des Wirbel¬ 
kanals mit antiseptischen Flüssigkeiten, 
insbesondere Chinosol, folgen lassen, ohne 
indessen von diesem Verfahren einen be¬ 
sonderen Nutzen gesehen zu haben. Es 
muß aber hervorgehoben werden, daß 
Franca (Lissabon) zur Behandlung der 
epidemischen Meningitis nach der Lumbal¬ 
punktion Injektion von 1 %iger Lysol¬ 
lösung in einer Menge von 13 bis 18 ccm 
je nach dem Alter der Patienten aus¬ 
führte (D. m. W. 1905, Nr. 20). Die Mor¬ 
talität der behandelten Fälle betrug 
29%. Unseres Wissens ist von anderer 
Seite dieses Verfahren einer Nachprüfung 
nicht unterzogen worden. 

Nächst der Lumbalpunktion stellt die 
wichtigste Behandlung nun zurzeit zwei¬ 
fellos die Serumbehandlung dar. Es 
ist Jochmanns Verdienst, zuerst ein 
brauchbares Serum hergestellt zu haben. 

Es war schwierig, ein hochwertiges 
Serum zu erlangen, weil die Virulenz der. 
Meningokokken Tieren gegenüber eine 
sehr geringe ist. 

Immerhin kann man wohl sagen, daß 
die Behandlung mit Serum erfolgver¬ 
sprechend ist, wenn auch die Beurteilung 
dieses Heilmittels schwierig ist, denn die 
Mortalität der Meningitis contagiosa ist 
eine sehr wechselnde. 

Obwohl schon mehr als zehn Jahre 
verflossen sind, seitdem die Behandlung 
der epidemischen Genickstarre mit Serum, 
eingeführt wurde, kann auch heute noch 
nicht ein abschließendes Urteil über diese 
Art der Behandlung abgegeben werden. 
Erst wenn eine große Zahlenreihe in 
richtiger Form mit Serum behandelter 
Fälle vorliegt, denen zum Vergleiche eben- 
soviele gleichzeitig unbehandelte Fälle 
gegenübergestellt werden können, wird 
sich ein abschließendes Urteil über den 


48* 


3$0 


November 


Die Therapie der 


Wert der Serumtherapie fällen lassen, i 
Erinnern wir uns, daß auch noch heute J 
der Streit um den Nutzen des Diphthe- i 
rieserums nicht erloschen ist, wenn wohl 
auch nur noch Fanatiker den Wert in 
Frage stellen. Wieviel schwerer muß es da 
sein, die Wahrheit zu ermitteln bei einer 
Erkrankung, die, wie die Genickstarre, 
weit mehr eine individualisierende Behand¬ 
lung, worauf gleich zurückzukommen sein 
wird, erforderte, eine Erkrankung, welche 
zudem glücklicherweise viel seltener vor¬ 
kommt, sodaß der einzelne nur ausnahms¬ 
weise in der Lage ist, sich ein Urteil aus 
der Erfahrung an einem Massenmaterial 
zu bilden. Zudem ist es vielleicht noch 
schwieriger als bei der Diphtherie, im ein¬ 
zelnen Falle ein Urteil über die Prognose 
abzugeben, so unberechenbar und wechsel¬ 
voll ist der Verlauf im einzelnen. Selbst 
die Ergebnisse, die an einem größeren 
Materiale gewonnen sind, können nicht 
absolut beweisend in Gegenüberstellung 
zu ungünstigeren Resultaten angesehen 
werden, da die Mortalität auch im Ver¬ 
lauf einzelner Epidemien schwankt. 

Es kann nicht einmal der Tatsache 
eine für den Nutzen des Serums im gün¬ 
stigen Sinn ausschlaggebende Behand¬ 
lung zugemessen werden, wenn nach 
Joch man ns Bericht bei der oberschle¬ 
sischen Epidemie im allgemeinen eine 
Mortalität von 70 bis 80%, die mit Serum 
behandelten Fälle aber im Durchschnitt 
eine solche von 20 bis 30% oder weniger 
ergaben. Auch Flexners Bericht aus 
Amerika, der durch die Serumbehandlung 
die Mortalität von 70 auf 25% herab¬ 
drückte, hat noch keine Entscheidung 
gebracht, denn die Mortalität pflegt mit 
der Dauer der Epidemie zurückzugehen. 
Alle diese Ausführungen sollen uns aber 
nicht im geringsten abhalten, die unten 
zu schildernde Behandlungsmethode aus¬ 
zuführen, sie sollen nur einerseits zur 
kritischen Beurteilung und andererseits, 
was mir das wichtigste scheint, zur 
systematischen und vorschriftsmäßigen 
Durchführung der Serumbehandlung auf¬ 
fordern. 

Die specifische Serumtherapie 
m i t e i n e m hochwertigen Serum muß 
heute nächst der jLu mbalpunktion 
als die Behandlung der Wahl an¬ 
gesprochen werden. 

Schon in einer Arbeit, die ich im 
Jahre 1905 über unsere Erfahrungen an 
einem größeren einschlägigen Materiale 
schrieb, redete ich der Serumbehand- 
1 u n g das Wort und machte vor 


Gegenwart 1917. 


allen Dingen als erster den Vor¬ 
schlag, das Serum nach voraufgegange¬ 
ner Lumbalpunktion in den Wirbelkanal, 
also direkt an den Sitz der Krankheit ein¬ 
zuspritzen 1 ). Diese Anregung wurde von 
Joch mann aufgenommen, der dann in 
systematischer Weise die Behandlung in 
dieser Form durchführte. Etwa gleich¬ 
zeitig mit Joch mann haben Ko Ile und 
Wassermann ein Meningokokkenserum 
zu therapeutischen Zwecken hergestellt, in 
der Folgezeit haben dann vor allen Dingen 
Ruppel in den Höchster Farbwerken, 
Flexner in Amerika und Paltauf in 
Österreich ein Serum hergestellt. Nament¬ 
lich das Höchster Serum ist durch Im¬ 
munisierung mit einem Meningokokken¬ 
stamme von höchster^Virulenz gewonnen 
worden. 

Jochmann hält übrigens jedes poly¬ 
valente Serum, das vom Pferde stammt, 
die mit zahlreichen frisch gezüchteten 
Stämmen hoch immunisiert sind, für ge¬ 
eignet. 

Es ist hier nicht der Platz, näher auf 
die Theorie der Serumwirkung einzugehen. 
Der Heileffekt beruht in bakteriotropen, 
antitoxischen, baktericiden Fähigkeiten 
des Serums. Ich will auch nicht weiter 
auf die Entwicklungsstadien der Serum¬ 
therapie eingehen, sondern nur die Me¬ 
thode schildern, die nach unserer und 
anderer Erfahrung heute als die beste 
anzusehen ist. Nach übereinstimmendem 
Urteil muß die Serumbehandlung mög¬ 
lichst frühzeitig Anwendung finden. Das 
Serum soll in großen Dosen intralumbal 
nach voraufgegangener Lumbalpunktion 
gegeben werden. Nach dem Urteile nam¬ 
hafter Autoren wird durch diese Behand¬ 
lung die Mortalität wesentlich herab¬ 
gedrückt, etwa von 70 auf 20%, die 
Dauer der Krankheit wird abgekürzt, im 
Durchschnitt etwa von fünf Wochen auf 
eine bis zwei Wochen, und endlich wird 
nach Joch mann die Ausbildung des 
Hydrocephalus internus in der Mehrzahl 
der Fälle verhindert. Auch diejenigen, 
die der Serumbehandlung skeptisch gegen¬ 
überstehen, werden sich gleichwohl zur 
Aaiwendung des Verfahrens bei einer 
so gefährlichen Krankheit entschließen 
’ können, wenn aus vollster Überzeugung 
versichert werden kann, daß niemals, 
weder durch die Lumbalpunktion, 
noch durch die Einspritzung des 
Serums in den Wirbelkanal, Scha¬ 
den angerichtet werden kann. — 


0 M. m. W. 1905, Nr. 36, S. 1733. 



381 


«jsjovetnbe Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Gewiß wird derjenige, welcher die Me¬ 
thode beherrscht, sich leichter und häufiger 
zu dem Eingriff entschließen und bessere 
Resultate erzielen als der ungeübte. In¬ 
dessen sind die Handgriffe leicht zu er¬ 
lernen. 

Um Zeit zu gewinnen, wird man schon 
der ersten Lumbalpunktion eine Serum¬ 
injektion folgen lassen. Sollte sich die 
Vermutungsdiagnose auf Weichsel- 
baumsche Mengingitis nicht bestä¬ 
tigen, so wird durch die einmalige Serum¬ 
injektion dem Patienten Schaden nicht 
zugefügt. Solange nun die Meningitis¬ 
symptome sich auf der Höhe halten oder 
nicht ganz wesentlich zurückgehen, wird 
man täglich die Lumbalpunktion 
ausführen und so lange Liquor ab- 
la§sen, als das schnelle und reich¬ 
liche JHervorqueilen der Tropfen 
einen Überschuß anzeigt. Sofort im 
Anschlüsse daran injiziert man das Serum. 
Die zur Lumbalpunktion benutzte Ka¬ 
nüle wird natürlich auch zur Injektion 
des Serums benutzt. Das Serum wird 
mit einer sterilen Spritze, am besten der 
Luehrschen Glasspritze oder einer „Re¬ 
kords-Spritze in voller Dosis, das heißt 
etwa 20—25 ccm, injiziert. Zu dem 
Zwecke muß die Ausflußöffnung der 
Spritze mit einem kurzen Stücke sterilen 
Gummischlauchs armiert sein, der be¬ 
quem über die Büchse der Lumbalnadel 
gezogen werden kann, oder ein passendes 
Ansatzstück enthält. — Luft einzuspritzen 
muß natürlich vermieden werden. Die 
Injektion darf nicht unter zu starkem 
Druck erfolgen, weil die Patienten sonst 
zu heftige Schmerzen im Verlaufe des 
Ischiadicus haben. Die Einspritzung des 
Serums ruft sonst keinerlei unangenehme 
Störungen hervor. Ein Überdruck wird 
dadurch vermieden, daß man ja vorher 
mindestens 20 ccm, wenn nicht die dop¬ 
pelte Menge — wir haben oft bis 100 ccm 
in einer Sitzung abgelassen — entfernt 
hat. Nach der Einspritzung wird die 
Nadel entfernt und der Kranke am besten 
mit dem Kopf etwas tiefer gelegt. Sehr 


häufig kann man schon am ersten Tage 
nach dem Eingriff einen Rückgang der 
Symptome beobachten, oft hält die Besse¬ 
rung nicht an. Solange daher Kopf¬ 
schmerzen, Nackensteifigkeit, Fieber und 
andere schwere Symptome bestehen, wird 
die Lumbalpunktion täglich wiederholt 
und täglich eine Serumdosis injiziert. 

Ein besonders typischer Fall den ich 
schon im Jahre 1908 in der geschilderten 
Weise behandelt habe, möge als Paradigma 
derMethode dienen und hier angeführt sein. 

Ge. Meningitis contagiosa. Aufgenommen am 
11. Juni 1908. 

Anamnese: Früher nie krank. Venerische In¬ 
fektion, Potus. Jetzige Erkrankung begann Anfang 
Mai. 14 Tage lang mußte er nach jeder Mahlzeit 
sofort brechen; zugleich Verstopfung. Auch Nacht¬ 
schweiß. Vor 14 Tagen Beginn der Kopf¬ 
schmerzen und Rücken- und Nacken¬ 
schmerzen. 

Status: Gut genährter Mann mit rotem Ge¬ 
sicht, Schweißtropfen auf der Stirn. Schädel 
sehr empfindlich. 

Pupillenreaktion prompt. 

Augenhintergrund: Pupillenränder beiderseits 
unscharf, Gefäße stark injiziert. 

Lungen: ohne Befund. — Torax.: ohne Befund. 

Puls: 85, voll, gut gespannt, regelmäßig. 

Leber: nicht vergrößert. Milz: nicht palpabel. 

Haut-, Fußsohlen- und Patellarreflexe lebhaft, 
Kernig; Hypästhesie der Bauchhaut. 

Verlauf: 14. Juni: Starke Kopf- und Nacken¬ 
schmerzen; Kernig +, Reflexe sehr lebhaft. Stau¬ 
ungspapillen deutlich. Lumbalpunktion: hoher 
Druck, trüb. 

16. Juni: Schlechteres Hörvermögen, Flüstern 
links 2t 2 . m, rechts 1*4 ni. 

17. Juni: Zeitweise benommen. 

2*1. Juni: Völlig benommen. 

28. Juni: Wieder klarer, Kopfschmerzen und 
Nackensteifigkeit. Puls sehr klein und weich. 
Blasses Aussehen. 

.2. Juli: Bedeutend besser, der ganze Körper 
noch stark druckempfindlich, schwer besinnlich, 
nur noch wenig benommen. 

3. Juli: Schmiert mit Kot, schreit viel. 

4. Juli: Kernig fast verschwunden, Nacken¬ 
steifigkeit fast ebenso. Gibt derb-humoristische 
Antworten. 

12. Juli: Geistig frisch, sehr witzig, reinlich. 
Stauungspapillen noch deutlich. 

14. Juli: Pyelitis. 

20. August: Entlassen. 


Aufnahmetag 11. Juni 1908. 
Lurnbal-Punktion: c 2 c ° ni 


25 

ccm 


5 25 25 25 25 25 

Tropf, ccm ccm ccm ccm ccm 


25 100 120 
ccm ccm ccm 


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382 


Die Therapie der Gegenwart 1917, 


November 


Meningitis contagiosa 


Datum 

Lumbalpunkt 

Seruminjektion 

, Sensorium usw. 

13. Juni . . 

25 ccm 


Schmerzen im Nacken, Kernig + keine 
Ausfallserscheinungen. Reflexe gestei- 




gert. Babinski. +. 

14. Juni . . 



Heftigere Kopf- und Nackenschmerzen. 
Keine Ausfallserscheinungen. Stau¬ 
ungspapillen. 

16. Juni . . 

17. Juni . . 


- 

Jetzt verschlechtertes Hörvermögen.. 
Verworren, geringe Delirien, noch kon¬ 
zentrierbar. Gehör schlecht, Sensibilität 
intakt. 

18. Juni . . 

-f 25 ccni 
trübe Flüssigkeit 


Phantasiert, geht aus dem Bett. 

19. Juni . . 

-f- 25 ccm trüb 


Status idem. . 

20. Juni . . 

25 ccm 

Antimeningitisserum 




25 ccm 

{ 

21. Juni . . 

25 ccm 


Stark benommen, schwer konzentrierbar, 
wenig Kopf-, stärke Nackenschmerzen. 
Urin ins Bett. 

22. Juni . . 

25 ccm 

2200 Leuk. 

Blutserum: 25 ccm 

Leib gespannt, druckempfindlich. 

23. Juni . . 

25 ccm 

1800. Leuk. 

Antimeningitisserum 
25 ccm 

Kopf und Nacken frei beweglich. 

24. Juni . . 

25 ccm 

Antimeningitisserum 

Bedeutend klarer, prompte Antworten. 

25. Juni . . 

26. Juni . . 

1900 Leuk. 

25 ccm 

Vernünftig. Befolgt Aufforderung 

prompt. 

25 ccm bedeutend 
klarer 1200 Leuk. 

. Antimeningitisserum 
25 ccm 

Keine Nackensteifigkeit. Kernig und 
fast—, wenig Kopfschmerzen. Viel klarer, 
rechnet prompt. Versteht und befolgt 

27. Juni . . 



Aufforderungen. Keine Ausfallserschei¬ 
nungen. Erinnert sich an alles. 

Mehr Kopfschmerzen, sonst Stat. idem. 
Abends sehr heftige Nacken- und Kopf¬ 

28. Juni . . 

| 

25 ccm, 2400 Leuk. 

Antimeningitisserum 

3 /2°/oo Alb.' 
kulturell — 

25 ccm 

schmerzen, Puls kaum zu fühlen, Stuhl 
ins Bett. 

29. Juni . . 

\ 

100 ccm 

Antimenginitisserum 

Starke Steifigkeit, Kernig stärker. Sto߬ 

1300 Leuk. 
l%o Alb. 

25 ccm 

weises Aufschreien. Schon fixierbar. 
Stuhl ins Bett. 

30. Juni . . 

120 ccm trüb 


Reagiert auf heftige Nadelstiche nur lang¬ 

1 

1. Juli . . 

1800 Leuk. 

• 

| 


sam," auf Zuruf gar nicht. Befolgt laute 
Aufforderung richtig und prompt. Rohe 
Kraft wesentlich herabgesetzt. Urin ins 
Bett. 

Weniger benommen. Urin, Stuhl ins Bett. 

2. Juli . . 

3. Juli . . 

4. Juli . . 

6. Juli . . | 

! 



Kernig besser. Schwer besinnlich, doch 
fixierbar, fast gut. Stuhl ins Bett. 

Phantasiert zuweilen. Schmiert mit Kot. 

Schwer konzentrierbar. Körperlicher Be¬ 
fund bedeutend besser. 

Körperliche Symptome stark zurückge¬ 
gangen. Lücken im Gedächtnis. Schwer 
besinnlich. 

8. Juli . . 
12. Juli . . 

i 

\ 

| 


Schmiert mit Kot. 

Geistig frisch und rege, witzig. Stauungs¬ 
papillen noch deutlich. 


Der Fall beweist, daß häufig wiederholte 
Lumbalpunktion einerseits und Serumin¬ 
jektion andererseits gut vertragen werden 
und zweifellos dem Patienten , nützen. 
Auch das Fieber verdient für die Indika¬ 
tionsstellung der Seruminjektion Beach¬ 
tung. Mindestens solange die Temperatur 
nicht zur Norm abgefallen ist, besteht die 
Infektion fort und fordert zur Fort¬ 
setzung der Serumeinspritzung auf. Zwar 


kann wohl mal die häufig wiederholte 
Seruminjektion zu anaphylaktischen Er¬ 
scheinungen führen. Wir haben aber uns 
dadurch nicht abhalten lassen, die Serum¬ 
einspritzungen unbeschränkt oft, wie es 
die Schwere des Falles erforderte, zu 
wiederholen, und.haben es nicht zu be¬ 
reuen gehabt. Sind die Erscheinungen 
merklich im Rückgänge, so kann man 
statt täglicher Punktion einen Tag .über- 












November ' Die Therapie der 


schlagen. Der mitgeteilte Fall lehrt aber 
meines Erachtens, daß man auch noch 
nach Eintritt eines Hydrocephalus durch 
Punktion mit nachfolgender Serumein¬ 
spritzung Erfolge erzielen kann, denn der 
Umstand, daß am 19. Krankheitstage 
100 ccm Liquor abgelassen werden konnte, 
beweist meines Erachtens einwandfrei 
den Eintritt eines Hydrocephalus. Gleich¬ 
wohl trat noch Heilung ein, und zwar ver¬ 
hältnismäßig schnell. Ohne dem Einzel¬ 
fall eine übertriebene und allgemeine Be¬ 
deutung beimessen zu wollen, möchte ich 
doch auf diese Beobachtung Wert legen. 
Vielleicht ist der günstige Ausgang nur 
auf die gerade im Beginne des Hydro¬ 
cephalus wiederholten ausgiebigen Lum¬ 
balpunktionen zurückzuführen. 

Hat sich erst einmal ein chronischer 
Hydrocephalus ausgebildet, so wird 
man allerdings auf völlige Wiederher¬ 
stellung kaum noch hoffen können. 

In neuester Zeit haben sich auch an¬ 
dere Autoren (Munk, Mühsam und An¬ 
dere) für die häufig unter Umständen täg¬ 
lich zu wiederholende Lumbalpunktion 
und für das Ablassen größerer Mengen 
von Liquor ausgesprochen. Diesem Vor¬ 
schläge sind in der Besprechung Bedenken 
entgegengebracht worden. Man hat auf 
die Gefahr der Blutung in das Gehirn 
nach solchen Maßnahmen hingewiesen. 
Es ist nun nicht ohne* weiteres zu be¬ 
haupten, daß eine bei der Sektion ge¬ 
fundene Blutung mit Sicherheit auf die 
vorhergegangene Lumbalpunktion zurück¬ 
zuführen ist. Zweifellos kann auch spon-' 
tan eine Blutung auftreten. Aber zuge¬ 
geben, daß durch eine übermäßige Ent¬ 
ziehung von Liquor ein Vakuum im Ge¬ 
hirn erzeugt und ein Blutgefäß dadurch 
zum Bersten gebracht werden kann, so 
wird man dieser Gefahr Vorbeugen kön¬ 
nen, wenn man nur soviel und solange 
Liquor abläßt, als die Tropfen unter 
offenbarem Druck schnell und reichlich 
abfließen. Die entleerte Menge wird 
immer reichlich sein. Wi r sahen niemals 
eine Schädigung. 

Auf die sonstige Behandlung der Ge¬ 
nickstarrekranken, soweit sie nicht ein¬ 
gangs schon kurz gestreift ist, näher ein¬ 
zugehen, erübrigt sich, namentlich was 
die eigentliche Krankenpflege anlangt. 
Nur zwei Punkte seien hier noch berührt. 

Es ist von verschiedenen Forschern 
angegeben worden, daß Urotropin — es 
wird in größeren Dosen zu 4—6 g ge¬ 
geben — zur Abspaltung des Hexame¬ 


Gegenwart 1917. " 383 


thylentetramins in die Spinalflüssigkeit 
führt und auf diese Weise eine gewisse 
desinfizierende Wirkung ausüben kann. 
Aus diesem Grunde wende 1 man in der 
angegebenen Dosis das Mittel neben der 
Serumbehandlung an, in der Erwägung, 
nichts unterlassen zu dürfen, was die 
furchtbare Krankheit günstig beeinflussen 
kann. 

Die größte Aufmerksamkeit endlich 
ist der Ernährung des Patienten zuzu¬ 
wenden. Es ist schon eben darauf hinge¬ 
wiesen worden, wie sehr nicht nur durch 
die verminderte Eßlust und gehemmte 
Nahrungsaufnahme die Kräfte des Pa¬ 
tienten konsumiert werden. Zweifellos 
tritt auch durch den Infektionsprozeß an 
den Meningen selbst eine, ich muß sagen 
für die Meningitis in manchen Fällen 
charakteristische Kachexie ein. Nach 
dem heutigen Stand unserer Kenntnisse 
darf man wohl annehmen, daß diese durch 
eine Einwirkung auf die Hypophyse 
(Simmonds, D. m. W. 1916, Nr. 7) be¬ 
dingt ist. 

Diese Ernährungsstörungen geben uns 
also alle Veranlassung, mit größtem Nach¬ 
drucke für eine ausreichende Nahrungs¬ 
zufuhr zu sorgen. 

Die Behandlung läßt sich also in den 
Schlu ßsatz zusammenfassen: frühzei¬ 
tige, täglich ausgeführte Lumbal¬ 
punktion mit folgender Serumein¬ 
spritzung, große Dosen von Urotro¬ 
pin, ausgiebige Ernährung. 

Wir haben uns bislang mit der Be¬ 
handlung der contagiösen oder epidemi- 
•schen Meningitis (Weichselbaum), der 
sogenannten Genickstarre, beschäftigt. 

Es liegt auf der Hand, daß auch die 
Formen • von Meningitis anderer Ätio¬ 
logie, z. B. die Pneumokokkenmeningitis, 
zweckmäßigerweise mit Lumbalpunktion 
behandelt werden muß. Man wird ferner 
die Pneumokokkenmeningitis in der oben 
geschilderten Weise durch intralumbale 
Injektion von „Pneumokokken“- 
serum Zu beeinflussen suchen. Man wird 
endlich sich des Optochins, dessen heil¬ 
same Wirkung bei Pneumonie als sicher¬ 
gestellt gelten kann, bedienen. Mit Rück¬ 
sicht auf die geringeren Intoxikations¬ 
erscheinungen auf das Gesicht und Gehör 
wird man den Salicylester des Optochins 
in Dosen bis zu 2 g täglich verordnen. 

Da Morgenrot neuerdings das Opto- 
chin auch gegen die Meningokokken¬ 
meningitis $ empfiehlt, so mag damit 
immerhin ein Versuch gemacht werden. 



384 -• Die Therapie der Gegenwart 1917. November 


Über Neohormonal. 

Von Professor Dr. G. Zuelzer-Berlin. 


Im Jahre 1908 wurde das Peristaltik¬ 
hormon als ein neues Mittel zurspecifischen 
Anregung der Darmtätigkeit von mir in 
Gemeinschaft mitDohrn und Marxerbe¬ 
schrieben 1 ) und unter dem Namen Hor¬ 
monal zur Behandlung der chronischen 
Verstopfung und akuten. Darmlähmung 
in die Therapie eingeführt. Seither hat 
die Anwendungsweise desselben natur¬ 
gemäß einige Änderungen und Erweite¬ 
rungen erfahren. Es hat sich, wie weiter 
unten auszuführen sein wird, gezeigt, daß 
mit Erhöhung der Dosis die Resultate 
zuverlässiger werden, sodäß beispiels¬ 
weise bei der chronischen Verstopfung 
die Heilungserfolge, die früher allgemein 
mit etwa 70% angegeben wurden, heute 
ganz bedeutend höher gewertet werden 
können. Das Indikationsgebiet hat eben¬ 
falls an Ausdehnung gewonnen. Wenn 
trotzdem das Hormonal heute noch nicht 
Allgemeingut der Ärzte geworden ist, 
so liegt das daran, daß, nachdem dasselbe 
auf Grund zahlreicher übereinstimmend 
günstiger Resultate bereits im Begriffe 
war, es zu werden, nachdem bereits 
12 000 Injektionen ohne jede nennens¬ 
werte schädliche Nebenwirkung ausge¬ 
führt worden waren, eine Nummer des 
Präparats infolge eines fabrikatorischen 
Versehens, das durch die damalige Dar¬ 
stellungstechnik ermöglicht war, durch 
Albumosen verunreinigt wurde. Die 
Folge war, daß bei der intravenösen In¬ 
jektion dieses albumosenhaltigen Prä¬ 
parats Kollapse auftraten, welche natur¬ 
gemäß die Ärzte außerordentlich be¬ 
unruhigten. 

Dieses sehr bedauerliche Ereignis 
wurde, nachdem die Ursache der Kollapse 
festgestellt war, der Anlaß einer ver¬ 
besserten Darstellung des Hormonais. 
Das verbesserte Präparat wird mit dem 
Namen Neohormonal bezeichnet. 

Bei dieser Darstellungsweise ist jedes 
Eindringen von Albumosen unmöglich 
gemacht. Außerdem habe ich seit der 
Zeit die Präparate dauernd kontrolliert 
und jedesmal vor der Abgabe klinisch ge¬ 
prüft, sodaß alle Garantien dafür ge¬ 
geben sind, daß nur noch ein Hormonal 
in den Handel kommt, das ohne Gefahr 
injiziert werden kann. Die intravenöse 
Injektion stellt somit heute eine Therapie 
dar, welche ohne jede schädfiche Nach- 

0 B. kl. W. 1908, Nr. 46. 


Wirkung in der Sprechstunde angewendet 
werden kann, r— Wenn ich in einer meiner 
ersten Arbeiten über das Hormonal eine 
nach der Einspritzung auftretende, 
schnell vorübergehende Temperatur¬ 
erhöhung als ein notwendiges specifisches 
Hormonfieber annahm, so war dies zwei¬ 
fellos ein Irrtum. Es waren eben in den 
ersten Präparaten noch Spuren von Bei¬ 
mengungen, welche diese, wenn auch ganz 
belanglose Temperaturerhöhung hervor¬ 
riefen. In den letzten Jahren, in denen 
ich viele Hunderte von intravenösen Hor¬ 
monalinjektionen (und zwar zumeist in 
Mengen von 40 ccip) ausgeführt habe, 
habe ich auch nicht ein einzigesmal mehr 
auch nur die geringste Temperaturerhö¬ 
hung danach gesehen. Nur nach intra¬ 
muskulärer Injektion beobachtet man 
hier und da einen Temperaturanstieg um 
wenige Zehntel Grade. Es ist wohl an¬ 
zunehmen, daß derselbe so zustande 
kommt, daß durch eine größere Flüssig¬ 
keitsinjektion in den Muskel etwas Mus¬ 
kelsubstanz gequetscht wird, zur Resorp¬ 
tion kommt und so die Temperatur¬ 
erhöhung bewirkt. 

Wenn schon oben betont wurde, daß 
die zu Kollapsen führende Blutdruck¬ 
senkung (in der einen Präparatnummer) 
nur durch die beigemengten Albumosen 
verursacht war, so bedarf es doch des 
ausdrücklichen Hinweises, daß das Hor¬ 
monal an sich keine überhaupt nennens¬ 
werte Blutdrucksenkung verursacht, und 
daß vor allem die während der Injektion 
auftretende geringfügige Senkung die In¬ 
jektion nicht überdauert. Im Gegenteil, 
gar nicht so selten wirkt das Hormonal 
geradezu blutdrucksteigernd, da am 
Schlüsse der Injektion der Puls kräftiger, 
der Blutdruck höher ist, als zu Beginn. 
Ich habe eine Zeitlang bei allen intra¬ 
venösen Hormonalinjektionen gleich¬ 
zeitig am anderen Arme den Blutdruck 
während der Injektion dauernd kontrol¬ 
lieren lassen und gefunden, daß bei lang¬ 
samen Injektionen der Blutdruck wäh¬ 
rend der ersten 10—20 ccm durchschnitt¬ 
lich um 10—15 mm Hg absinkt; es ist 
dies der Zeitpunkt, während dessen Kopf 
und Gesicht lebhaft gerötet sind (und 
vermutlich die Darmdurchblutung ihre 
Höhe erreicht). Während der Injektion 
der restlichen 15—20 ccm — meist ist 
jetzt das Hitzegefühl im Kopfe schon ge¬ 
schwunden -— bleibt entweder der Blut- 





November Die Therapie* der Gegenwart 1917. 385 


druck stehen oder erhöht sich bereits oder 
übersteigt den Anfangsblutdruck um 
5—10 mm. Die Injektion'von 40 ccm 
nimmt etwa fünf bis zehn Minuten in An¬ 
spruch, die Schnelligkeit richtet sich nach 
dem Puls und wird so reguliert, daß keine 
nennenswerte Pulsbeschleunigung ein- 
tritt. Auch Dencks 1 ) hat ähnliche Blut- 
druckkontrollen angestellt und beobachtet, 
daß die intravenöse Injektion regelmäßig 
von einer geringen Blutdrucksteigerung 
gefolgt ist. 

Schon diese Untersuchungsresultate 
widerlegen die seinerzeit von Dittler 
und Mohr hauptsächlich auf Grund an¬ 
fechtbarer Tierversuche aufgestellte Be¬ 
hauptung, daß die peristaltikanregende 
Wirkung des Hormonals nicht eine spe- 
cifische primäre Hormonwirkung sei, 
sondern eine sekundäre, durch die Blut¬ 
drucksenkung hervorgerufene Wirkung. 
Nun könnte man sich wohl allenfalls vor¬ 
stellen, daß eine während des Tierver¬ 
suchs auftretende Peristaltik mit einer 
etwaigen kurz vorher oder gleichzeitig 
beobachteten Blutdrucksenkung ursäch¬ 
lich in Zusammenhang steht; ganz un¬ 
möglich aber erscheint die Vorstellung, 
daß eine wochen-, monate- oder gar jahre¬ 
anhaltende Dauerwirkung — und solche 
sind Hunderte von Malen bei chronischer 
Verstopfung einwandfrei beobachtet wor¬ 
den — auf eine einmalige Blutdrucksen¬ 
kung zurückgeführt werden könne. Selbst 
für die akute, peristaltikanregende Wir¬ 
kung bei postoperativen Darmlähmungen, 
die doch immerhin sechs bis acht Stunden 
nach der Einspritzung sichtbar in die Er¬ 
scheinung zu treten pflegt, ist obige 
Vorstellung ganz unhaltbar. Denn ganz 
allgemein ist das Befinden der Kranken 
schon in der Zwischenzeit durch das be¬ 
ginnende Weicherwerden des Leibes oft 
nennenswert gebessert, was mit einer 
anhaltenden Blutdrucksenkung nicht gut 
vereinbar wäre. Auf die phantastischen 
Annahmen Popielskis, welcher in allen 
möglichen Gewebsextrakten, also auch 
in der Milz, aus der das Hormonal dar¬ 
gestellt wird, einen blutdrucksenkenden 
Körper, Vasodilatin, gefunden haben will, 
und der diesem die Hormonalwirkung 
zuschreibt, braucht wohl heute nicht 
mehr näher eingegangen zu werden, um 
so weniger, als Weiland durch pharma¬ 
kologische Versuche am isolierten* Darm 
und am lebenden Tiere weitgehende Un¬ 
terschiede zwischen dem Hormonal und 


i) D. Zschr. f. Chir. B. 132, S. 65. 


dem Vasodilatin festgestellt hat. (Arch. 
f. d. ges. Physol. Bd. 147.) 

Ich habe bereits in meiner ersten Mit¬ 
teilung darauf hingewiesen, daß das Peri- 
stalt'ikhormon der specifische, normaler¬ 
weise die Peristaltik anregende Reizstoff 
ist. Er wird, wie aus meinen Unter¬ 
suchungen mit Dohrn und Marxer 1 ) 
hervorgeht, in der Magenschleimhaut zu¬ 
gleich mit den Verdauungsfermenten des 
Magens produziert, wie es denn aus einem 
nüchternen Magen nicht erhalten werden 
kann. In der Milz scheint sein Haupt¬ 
aufstapelungsort zu sein, von dem aus 
als Abgabeort und Regulator die Darm¬ 
peristaltik angeregt,, wird. Mächtle 2 ) 
stützte die Hypothese dieser neuen 
Milzfunktion durch Beobachtungen, daß 
nach gelegentlichen Milzexstirpationen 
Störungen der Darmfunktion aufgetreten 
seien. Arthur Meyer 3 ) hat auf der Bar- 
denheuerschen Klinik die Hypothese 
geradezu klinisch-experimentell bewiesen. 
Er stellte zunächst aus der Literatur eine 
erhebliche Reihe von Fällen zusammen, 
aus denen hervorging, daß nach Splen- 
ektomien von an sich gesunden Milzen 
(z. B. nach traumatischen Zerreißungen 
der Milz) auffallend häufig Darmatonien 
beobachtet werden, ohne daß für diese 
Erscheinungen eine Spur von Peritonitis 
hätte verantwortlich gemacht werden 
können. In den meisten Fällen schwand 
die Darmatomie allmählich spontan und 
zwar höchstwahrscheinlich dadurch, daß 
ein anderes Organ für die Aufstapelung 
des peristaltischen Hormons vicariiernd 
eintrat. In drei eigenen Fällen von trau¬ 
matischer Milzruptur, die nach der Splen- 
ektomie bei sonst glattem Verlauf einen 
auffallenden Meteorismus zeigten, hatte 
die intravenöse Injektion von je 20 ccm 
Hormonal einen eklatanten Erfolg. Unter 
reichlichem Windabgange schwand die 
Auftreibung des Leibes in wenigen Stun¬ 
den und blieb beseitigt. Planmäßig aus¬ 
geführte Reihenuntersuchungen an splen- 
ektomierten Tieren bestätigten die Beob¬ 
achtungen am Menschen. Interessant 
war das Verhalten der freigelegten Milz 
bei vier milztragenden Kaninchen unter 
dem Einfluß der Hormonalinjektion. 
Es war deutlich zu konstatieren, wie sich 
das vorher schlaffe Organ sehr bald mit 
größeren Blutmengen füllte und im Mo¬ 
ment danach die Peristaltik in Gang kam. 

1 ) B. kl. W. 1908, Nr. 46. 

2 ) Ther. Mh. Nov. 1911. 

:J ) Zbl. f. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1914 
Januar. 


49 




386 Die Therapie der 


Die vorliegenden tierexperimentellen 
Erfahrungen erklären ohne Schwierigkeit 
die, wie hier gleich bemerkt werden möge, 
kaum je versagenden Hormonalwirkung 
bei postoperativer Darmlähmung 1 ). Nicht 
ohne weiteres erklären sie die Dauer¬ 
wirkung bei chronischer Obstipation, die 
in einem hohen Prozentsätze der Fälle 
und nicht selten sich über Jahre er¬ 
streckend zu beobachten ist. Saar 2 ) hat 
die Dauerwirkung sehr hübsch folgender¬ 
maßen charakterisiert: Es sei, als wenn¬ 
ein zum Stillstände gekommenes Pendel 
durch einen einmaligen Anstoß wieder seine 
geregelte Tätigkeit aufgenommen hätte. 
In die physiologische Pathologie übersetzt 
würde sich das von Saar gebrauchte Bild 
etwa folgendermaßen erklären lassen. Die 
weitaus häufigste Ursache der chronischen 
Verstopfung wird allgemein darin ge¬ 
sehen, daß so viele Menschen, in erster 
Linie die Frauen, aus mannigfachen Ur¬ 
sachen, z. B. aus Schamgefühl oder Zeit¬ 
mangel, dem normalen Stuhldrange sehr 
häufig nicht sofort nachgeben, den Stuhl¬ 
reiz also gewaltsam unterdrücken und so 
allmählich die Reizschwelle erhöhen. Mit 
anderen Worten: die normalerweise pro¬ 
duzierte und von der Milz abgegebene 
Menge des Peristaltikhormons muß nach 
mehr oder minder langer Zeit sich als 
ungenügend erweisen, einen bis zu der 
durch die künstliche Hemmung erhöhten 
Reizschwelle wirksamen Reiz auf die 
Erfolgsorgane (Darmmuskulatur) auszu¬ 
lösen. Die Folge ist eine andauernde Ver¬ 
stopfung, die um so stärker werden muß, 
je länger der Kranke inadäquate, also die 
Peristaltikhormonbildung nicht specifisch 
anregende Abführmittel zur Beseitigung 
seines ihm lästigen Zustandes einnimmt. 
Injiziert man nunmehr eine sehr große 
Menge des specifischen Hormonais, so 
werden mit einemmal die Erfolgsorgane 
mit dem specifischen Reizstoff über¬ 
schwemmt, die Reizschwelle wird durch 
den physiologischen Reiz erreicht und 
die Darmperistaltik in physiologischer 
Weise wieder ausgelöst. Es ist durchaus 
erklärlich, daß dadurch, um mit Saar 
zu reden, das Pendel der Darmbewegung 
wieder angestoßen ist, daß die Reiz¬ 
schwelle bis auf weiteres für den physio¬ 
logischen Reiz erreichbar, 'herabgesetzt 
bleibt. 

Die oben erwähnten Versuche von 
Arthur Meyer lassen neben dieser Wir¬ 
kungsweise des Hormonais auch noch die 


Gegenwart 1917. November 


Möglichkeit einer specifischen Beeinflus¬ 
sung der hormonalpröduzierenden Drü¬ 
sen, das heißt die Möglichkeit einer ge¬ 
steigerten Hormonalproduktion nach der 
Einspritzung zu. Analog nämlich, wie 
sich das vorher schlaffe Milzorgan sehr 
bald nach der Hormonalinjektion mit 
größeren Blutmengen füllt/ darf man woht 
auch vermuten, daß die die hormonal¬ 
produzierenden Drüsen tragende Magen¬ 
schleimhaut ebenfalls stärker durchblutet 
und damit die Drüsensekretion specifisch 
angeregt wird. Diese Annahme würde 
die Tatsache erklären, daß bei chronischer 
Obstipation- nicht selten mehrere Tage 
nach der Injektion vergehen bis der Stuhl¬ 
gang ein spontaner, regelmäßiger gewor¬ 
den ist: die das Peristaltikhormon pro¬ 
duzierenden Zellen der Magendrüsen haben 
eben einige Tage gebraucht, um ihre volle 
Aktivität wieder zu erlangen. Herab¬ 
setzung also der Reizschwelle, die durch. 
unvernünftige Lebensweise heraufgesetzt 
war, und Steigerung oder Aktivierung 
der Hormonproduktion, die durch die 
künstlichen Abführmittel auf ein rela¬ 
tives Mindestmaß gekommen war, das 
sind höchstwahrscheinlich die Ursachen 
der Dauerwirkungen der Hormonalin¬ 
jektion. 

Wie man sich auch zu meiner Auf¬ 
fassung von der specifischen Hormon¬ 
wirkung des Hormonais stellen mag, tat¬ 
sächlich übt, um einen anderen Autor 1 ),, 
zu zitieren, das Mittel, sowohl im Tier¬ 
experiment als auch beim Menschen, eine 
mächtig peristaltikanregende Wirkung 
aus und zwar sowohl bei intravenöser wie 
intramuskulärer Applikation. Daher bil¬ 
den eine Indikation für das Neohor¬ 
monal in erster Linie alle Fälle von akute r 
Darmparese, die man am häufigsten als 
postoperative, seltener als reflektorische 
bei Nierensteinen usw. beobachtet. 

Aber nicht nur der paralytische post¬ 
operative Ileus, der, wie weiter unten aus¬ 
geführt wird, fast mit absoluter Sicher¬ 
heit durch eine rechtzeitige Hormonal¬ 
injektion zu vermeiden ist, auch der all¬ 
mählich oder plötzlich auftretende Darm¬ 
verschluß, der drohende oder der ausge¬ 
brochene Okklusionsileus bilden eine In-, 
dikation für die Hormonalinjektion. Es 
ist auch für den erfahrensten Kliniker 
nicht immer einfach, oft vollkommen un¬ 
möglich, im Augenblicke zu entscheiden, 
ob im gegebenen Falle, wenn , der Stuhl 
seit Tagen sistiert, der Leib möglicher- 


x ) S. Dencks, 1. c. S. 74 des Sonderabdrucks. 
2 ) M. Kl. 1910, Nr. 11. 


x ) Dencks, 1. c. 



November 


387 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


weise schon aufgetrieben ist, ob eine ein¬ 
fache Koprostase oder eine chronische 
Darmverengung zum völligen Verschlüsse 
geführt hat, oder ob ein Volvulus vor¬ 
liegt. Aus naheliegenden Gründen kann 
häufig die Röntgenuntersuchung nicht 
mehr zur diagnostischen Entscheidung 
herangezogen werden. In allen solchen 
Fällen, in denen der Allgemeinzustand 
kein sofortiges operatives Eingreifen ver¬ 
langt, in denen auch der Chirurg erst 
durch Anwendung innerer Mittel eine 
Klärung der Sachlage herbeizuführen ver¬ 
sucht, ist eine sofortige Anwendung des 
Hormonais geboten. Nicht ganz selten 
erlebt man es, daß in solchen Fällen die 
für den nächsten Tag bereits angesetzte 
Operation überflüssig wurde, weil ent¬ 
weder eine schwere Koprostase oder auch 
selbst ein leichter Volvulus (unter Zu¬ 
hilfenahme einer zweckentsprechenden 
Lagerung des Kranken während des Ein¬ 
setzen der stärkeren Peristaltik) behoben 
wurden. Eine Kontraindikation, die viel¬ 
leicht daringesehen werden könnte, daßdie 
starke Hormonalperistaltik, die an der 
Darmstenose eine Hemmung erfährt, da¬ 
selbst etwa zu einer Ruptur des Darmes 
führen könnte, besteht nicht, denn so- 
sowohl die klinische Erfahrung, wie be¬ 
sondere, von mir ausgeführte Tierversuche 
mit experimentellem Ileus haben mit 
Sicherheit dargetan, daß auch die stärkste 
Hormonalperistaltik an dem Orte der 
Infarcierung des Darmes haltmacht und 
trotz der Brüchigkeit der Darmwand nie 
zur Perforation führt. Also selbst bei 
einem unerkannten Strangulationsileus 
kann die Hormonalinjektion nie Schaden 
stiften. Wohl aber kann sie auch hier 
erheblichen Nutzen bringen. Einmal kann 
die durch die Hormonalwirkung akzen¬ 
tuierte Darmsteifung zur schnelleren Er¬ 
kennung des Sitzes des Hindernisses bei¬ 
tragen; wichtiger ist aber noch das andere 
Moment, daß die beim Ileus oft mehr 
oder minder schnell erlahmende Peri¬ 
staltik durch das Hormonal im Gang 
erhalten bleibt; hat doch Bircher über¬ 
haupt für alle Darmoperationen eine 
prophylaktische, vor der Operation vor¬ 
zunehmende Hormonalinjektion emp¬ 
fohlen.' 

Trotz der Selbstverständlichkeit der 
Forderung sei nochmals betont, daß die 
Hormonalinjektion niemals die opera¬ 
tive Indikation zeitlich beeinflussen 
soll; nur dann, aber dann auch mit abso¬ 
luter Sicherheit, kann ihre völlige Un¬ 
schädlichkeit garantiert werden mit der 


Aussicht auf eine oft kaum mehr er¬ 
wartete Hilfe. 

Durch über hundert Publikationen 
sichergestellt ist die Dauerwirkung des 
Hormonais bei chronischer Obsti¬ 
pation, die sich auf Jahre hinaus er¬ 
streckenkann. Mir selbst sind eine Reihe 
von Fällen bekannt, in denen nach einer 
Hormonalinjektion drei, vier undfünf Jahre 
hindurch die Patienten regelmäßig spon¬ 
tanen Stuhl gehabt haben, die vorher 
ebenso regelmäßig ihre Abführmittel ge¬ 
nommen hatten. Bei der Häufigkeit der 
chronischen Verstopfung bildet also diese 
quantitativ das Hauptindikationsgebiet 
für das Hormonal. Es braucht kaum her¬ 
vorgehoben zu werden, daß die spontane 
Regelung des Stuhles — auch wenn die¬ 
selbe nur ein halbes oder ein Jahr anhält— 
für den Gesamtorganismus des Kranken 
außerordentlich viel bedeutet. Ganz ab¬ 
gesehen von dem psychischen Einfluß, 
den bei Stuhlhypochondern das normale 
Funktionieren des Darmes ausübt, ist es 
sicherlich für das somatische Verhalten 
des Organismus nicht gleichgültig, daß 
die Schleimhaut des Darmes mit ihrem 
gewaltigen Drüsenkomplex nicht täglich 
durch die Abführmittel mehr oder min¬ 
der gereizt und mißhandelt wird. Wir 
wissen durch die Pawlowschen und an¬ 
deren Untersuchungen, wie die normale 
Drüsenfunktion der einzelnen Darm¬ 
abschnitte und die Funktion der ge¬ 
samten Verdauungsorgane sich wechsel¬ 
seitig beeinflussen. Wir können es dem¬ 
gemäß objektiv verstehen, daß die durch 
Hormonal geheilten Personen häufig die 
Angabe machen, daß sie sich viel gesund- 
hafter und leistungsfähiger fühlen als 
früher. 

Was die Art derV er Stopfung anbe¬ 
langt, für deren Behandlung das Hor¬ 
monal geeignet ist, so scheint es mir, wie 
ich schon gelegentlich einmal hervorge¬ 
hoben habe, zweckmäßig, gerade auf der 
Grundläge der specifischen Hormonal¬ 
therapie eine neue Einteilung dieses 
mannigfaltigen Krankheitsbildes vorzu¬ 
nehmen. Bei den verschiedenartigen Er¬ 
krankungen anderer Organe mehren sich 
seit längerer Zeit die Bestrebungen, sie 
nach den funktionellen Störungen einzu¬ 
teilen. Die nach den obigen Ausführungen 
wohl nicht mehr zweifelhafte specifische 
Wirkung des Hormonais gewährt ohne 
weiteres die Möglichkeit einer solchen 
funktionellen Haupteinteilung in Ver¬ 
stopfungen, die auf das Hormonal rea¬ 
gieren und in solche, die nicht reagieren. 

49* 



388 


November 


Die Therapie der 


In die erstere ^ Gruppe gehören alle die¬ 
jenigen Fälle, bei denen die hormonprodu- 
zierenden Zellen noch vorhanden sind 
und wieder zur Funktion gebracht wer¬ 
den können; die zweite Gruppe umfaßt 
diejenigen Fälle, in denen die specifischen 
Zellen nicht mehr zur Funktion gebracht 
werden können. Bevor diese Einteilung 
durchgeführt werden kann, bedarf es 
systematischer Untersuchungen in großem 
Umfange. Hier soll nur auf das häufige 
Zusammenvorkommen von Achylia ga- 
strica und Versagen derHormonalwirkung 
hingewiesen werden. Wie sorgfältig die 
Beobachtungen in solchen Fällen durch¬ 
geführt werden müssen, erhellt daraus, 
daß in manchen Fällen von scheinbarer 
Achylie, in denen das Hormonal wirksam 
war, sich bei späterer Untersuchung Salz¬ 
säure im Magensafte fand, also nur eine 
Heterochylie vorlag. 

Aus der Hauptgruppe der hormon¬ 
produzierenden Verstopften bedürfen die 
spastischen Formen einer besonderen Be¬ 
sprechung. Die Ruhr, welche von 
L. Borchardt 1 ) und mir 2 ) als eine mit 
Verstopfung einhergehende Colitis spa- 
stica acutissima bezeichnet wurde, zeigt in 
eklatanterWeise, wie durch das Hormonal 
(neben anderer Wirkungsweise) die un¬ 
koordinierten spastischen Darmcontrac- 
tionen in eine regelmäßige, stuhlfördernde 
Peristaltik umgewandelt werden. Die 
gleiche Beobachtung kann man bei der 
nach überstandener akuter Ruhr fort¬ 
bestehenden spastischen Verstopfung 
machen. Je nach der Schwere des Falles 
gelingt es, für mehr *oder minder lange 
Zeit, unter Zuhilfenahme von Atropin 
oder Belladonna die quälenden Zustände 
zu beseitigen. Die ausgezeichneten Erfolge 
der Hormonaltherapie bei der akuten 
Ruhr, die schnelle Besserung des Allge¬ 
meinzustandes, der Temperaturabfall, die 
Pulsverlangsamung usw. sind nicht nur 
durch die cft gewaltigen Stuhlentleerungen 
zu erklären; die durch das Hormonal 
bewirkte bessere Durchblutung der Darm¬ 
wand, die so ermöglichte schnellere Her¬ 
ausschaffung der Ruhrtoxine sind sicher 
von mitbestimmendem Einfluß. 

Eine unter den Kriegsverhältnissen 
sehr häufige Form der Verstopfung, die 
durch das Hormonal günstig beeinflußt 
wird, ist die von Crämer unter dem 
Namen Dyspepsia intestinalis flatu- 
1 en ta beschriebene Darmatonie. Die daran 
leidenden Kranken fühlen sich meist gar 


Gegenwart 1917. 


nicht verstopft, da sie am Tage mehr¬ 
fache, aber stets ungenügende Entlee¬ 
rungen zäher, lettiger, stinkender Stuhl¬ 
massen haben.; das Colon descendens, 
besonders das S Romanum, ist stets mit 
Stuhlmassen erfüllt. Auch hier können 
Hilfsmittel wie Einläufe und Belladonna 
in Anbetracht der Kompliziertheit des 
Krankheitsbildes nicht entbehrt werden. 
Diese Form der Retention von Kotmassen 
leitet über zu der paradoxen Ver¬ 
stopfung, die ebenfalls infolge der Kriegs¬ 
ernährung außerordentlich häufig ist. Sie 
äußert sich in häufigen diarrhöischen Ent¬ 
leerungen (die in den letzten Monaten 
sicherlich nicht selten den Verdacht einer 
akuten ruhrartigen Enteritis erweckt ha¬ 
ben), zwischen welchen, wie sich bei genau¬ 
erem Fragen meist herausstellt, harte, feste 
Stuhlmassen entleert werden; die Unter¬ 
suchung ergibt eine erhebliche Füllung 
des Dickdarmes. In solchen Fällen hat 
das Hormonal jahrelang bestehende 
scheinbare Diarrhöen beseitigen können: 

Das Hormonal bewirkt eine Regulie¬ 
rung zu normaler Darmperistaltik. Daher 
ist es klar, daß in allen den Fällen von 
Gallensteinen und Gallenblasener¬ 
krankung, in denen man gewöhnlich eine 
Karlsbader Kur verordnet, das Hor¬ 
monal indiziert ist. Der regelmäßige Ab¬ 
lauf der Duodenalperistalitik muß nach 
allem, was wir heute über die cholagoge 
Wirkung wissen als das beste Cholagogum 
angesehen werden. Überall also dort, wo 
keine chirurgische Indikation .vorliegt, 
ist bei Erkrankung der Gallenblase das 
Hormonal indiziert. Ich habe durch 
meinen Assistenten Rosenbaum (1914) 1 ) 
einige Fälle von außerordentlichem Heil¬ 
erfolg bei Gallensteinen mit lang an¬ 
dauerndem Ikterus veröffentlichen lassen, 
in denen sechs bis acht Tage nach der 
Hormonalinjektion der Ikterus verschwun¬ 
den war und die Koliken aufhörten. Seit¬ 
her, habe ich noch drei derartige Fälle 
beobachtet. In dem einen war die 64jäh- 
rige Patientin seit über drei Monaten 
ikterisch. Acht Tage nach der Injektion 
wurde der Urin hell, bald darauf war der 
Hautikterus verschwunden. 

Eine ernsthafte Kontraindikation gegen 
die Anwendung des Hormonais bei Gallen¬ 
steinen dürfte kaum bestehen. Daß bei 
schweren, mit Entzündung einhergehenden 
Verwachsungen der Gallenblase während 
der Injektion daselbst stärkere Schmerzen 
auftreten können, ist infolge der Zerrung 


1 ) D. in. W. 1916, Nr. 46. 

2 ) D. m. W. 1917, Nr. 1. 


x ) Dissertation Berlin 1914. 



November 


389 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


V 


durch die Duodenalperistaltik erklärlich 
und habe ich mehrfach beobachtet. Nach 
der Injektion hörten die Schmerzen stets 
auf. 

Was die Dosierung des Hormonais 
anbelangt, so wurde in den ersten Jahren 
so mancher Erfolg dadurch unmöglich, 
daß die injizierte Menge*zu gering war. 
Die anfängliche Dosis betrug 15, später 
20 ccm sowohl für die Behandlung der 
chronischen Obstipation, wie für die Be¬ 
seitigung der akuten Darmlähmung. Die 
theoretischen Betrachtungen lassen schon 
annehmen, daß eine Differenzierung in 
bezug auf die Menge geboten ist. Nach 
meinen Erfahrungen, die mit denen von 
Dencks und anderen Autoren weit¬ 
gehend übereinstimmen, dürfte folgende 
Dosierung und Anwendungsweise geboten 
sein: „In leichten und mittelschweren 
Fällen von Darmparese kann das Neo¬ 
hormonal intramuskulär injiziert werden 1 ). 
Die Menge soll zunächst 20 ccm betragen. 
Ist nach etwa sechs bis zwölf Stunden 
keine ausreichende Wirkung zu ver¬ 
merken, so wird die Dosis wiederholt und 
diesmal eventuell intravenös appliziert. 

In allen Fällen, in denen es sich be¬ 
reits um vorgeschrittene Parese des 
Darmes handelt, und in denen eine mög¬ 
lichst schnelle Wirkung des Mittels wün¬ 
schenswert ist, soll intravenös injiziert 
werden. Das Präparat ist dann vorher 
leicht zu erwärmen. Das Quantum soll 
beim Erwachsenen zunächst 20 ccm be¬ 
tragen. Tritt nach etwa vier bis sechs 
Stunden keine genügende Wirkung ein, 
so ist die Dosis zu wiederholen. In be¬ 
sonders schweren Fällen, in denen un¬ 
bedingt eine schleunige Wirkung erzielt 
werden soll, ist sogleich ein Quantum 
von 30—40 ccm intravenös zu injizieren. 
Bei ungenügender Wirkung ist diese 
Dosis nach sechs bis zwölf Stunden um 
weitere 20—40 ccm zu erhöhen. Die 
Neohormonalwirkung ist durch andere 
Maßnahmen, wie Klistiere, Hitzebehand¬ 
lung usw., zu unterstützen. 

In verzweifelt schweren Fällen von 
Darmparalyse ist Neohormonal mit Physo¬ 
stigmin oder Atropin in hohen Dosen zu 
kombinieren.“ 

Bei der chronischen Obstipation bin 
ich von den kleineren Dosen, die eventuell 
nur intramuskulär injiziert werden kön¬ 
nen, ganz zurückgekommen. Zweifellos 
kann man damit zwar — und dafür spre¬ 
chen ja zahlreiche literarische Berichte — 

x ) Zitiert nach Denck, I. c. S. 73. 


in vielen Fällen gute Resultate erzielen, 
aber es läßt sich meines Erachtens nicht 
vorausbestimme'n, in welchen Fällen das 
der Fall sein wird. Dencks söhlägt nun 
vor, wenn sich nach einigen Tagen her-, 
ausstellt, daß die Wirkung ungenügend 
war, eine neuerliche größere intravenöse 
Injektion anzuschließen. Für die Privat¬ 
praxis scheint es mir jedoch richtiger, 
gleich von vornherein den sicheren Weg 
zu üben und die Behandlung mit einer 
intravenösen Injektion von zirka 35 bis 
40 ccm zu beginnen und den Rest des 
Inhalts der beiden Flaschen, etwa 5 ccm 
intramuskulär zu injizieren. Diese kleine 
intramuskuläre Injektion (in die Nates 
oder die Außenseite des Oberschenkels) 
ist nicht weiter schmerzhaft und bietet 
den Vorteil einer langsameren Nach¬ 
wirkung von Hormonal, nachdem die 
Hauptmasse durch direktes Eindringen 
in die Blutbahn seine akute Wirkung 
ausgeübt hat., 

Da das Hormonal, wie oben ausein¬ 
andergesetzt, nur in physiologischer Breite 
auf die Darmperistaltik wirkt und keine 
abführende Wirkung im gewöhnlichen 
Sinn ausübt, dürfen die Widerstände, die 
die neuentfachte Peristaltik zu über¬ 
winden hat, keine abnorm großen sein. 
Um dies zu erreichen, wurde laut der dem 
Hormonal beigefügten Vorschrift bisher 
nach der Injektion ein Abführmittel (Ri¬ 
cinus, Senna, Sagrada) gereicht. Auf 
Grund vieler Erfahrungen, in denen bei 
sehr schweren Verstopfungsformen diese 
Abführmittel nach der Injektion ver¬ 
sagten, erschien es mir zweckmäßiger, 
das Schiebemittel bereits vorher anzu¬ 
wenden, das Hormonal auf den bereits 
von übermäßigen Kotmassen befreiten 
Darm wirken zu lassen. Die erhebliche 
prozentuale Steigerung der Erfolge bis 
auf zirka 90% empfiehlt diese methodi¬ 
sche Änderung. Läßt nach einem an¬ 
fänglichen Erfolge spontaner Stuhlerzeu¬ 
gung im Laufe der nächsten Wochen die 
Hormonalwirkung nach, so ist durch eine 
zweite gleiche Injektion fast stets noch 
ein dauernder Erfolg zu erzielen. 

Es braucht kaum besonders erwähnt 
zu werden, daß bei der akuten postope¬ 
rativen Darmparese, bei der ja nebenbei 
meist schon aus äußeren Gründen der 
Darm ziemlich leer ist, ein Schiebemittel 
nicht indiziert, meist überhaupt auch gar 
nicht anwendbar ist. 

Was die Technik derintravenösen 
Injektion anbelangt, so glaube ich nur 
deshalb darauf eingehen zu dürfen, weil 



39Ö , Die Therapie der Gegenwart 1917. November 


noch vielfach das Vorurteil besteht, die in¬ 
travenöse Injektion so großer Flüssigkeits¬ 
mengen stelle eine nur in der Klinik 
ausführbare Operation dar. Dies ist 
tatsächlich nicht der Fall, die Hormonal¬ 
injektion ist ohne jede Assistenz in der 
Sprechstunde ausführbar. Zur Stauung 
der Cubitalvene am Arme benutze ich die 
Reklinghausensche Manschette; ein 
Glas-T-Stück, das an einem Schenkel 
den Manschettenschlauch trägt, ist am 
zweiten mit einem Gebläse und am dritten 
mit einem langen Schlauch armiert. Wäh¬ 
rend der Arzt die Manschette aufbläst, 
klemmt Patient mit der freien Hand den 
fangen Gummischlauch ab. Im Augen¬ 
blicke, wo die Kanüle sicher in die Vene 
gekommen ist, läßt der Patient den 
Gummischlauch los und die Vene ist frei. 


Ich benutze eine 50-ccm-Rekordspritze, 
die mit einem bajonettartigen Ansätze, 
der für die Nadel paßt, versehen ist. 
(Siehe Abbildung.) Dieser Ansatz ermög¬ 
licht es, die Nadel während der Injektion 
geradlinig in der Vene zu halten, und man 
vermeidet das bei der schrägen Haltung 


der Nadel oft unvermeidliche Durch¬ 
stoßen der Venen. Außerdem erlaubt sie, 
die Spritze während der durchschnittlich 
fünf bis höchstens zehn Minuten währen¬ 
den Injektion aufzustützen. 

Die Injektion erfolgt in einem Tempo, 
das ganz individuell von dem Verhalten 
des Pulses des Patienten geboten ist. Mit 
der linken Hand kann sich der Arzt — 
wenn keine sichtbare Pulsation der Bra- 
chialis besteht — davon überzeugen, daß 
keine nennenswerte Pulsbeschleunigung 
auftritt, gegebenenfalls braucht die In¬ 
jektion nur eine viertel bis halbe Minute 
sistiert zu werden. Um eine psychische 
Pulsbeschleunigung zu vermeiden, emp¬ 
fiehlt es sich, den Patienten durch ein 
indifferentes Gespräch abzulenken.' Zu 
Beginn der Injektion tritt eine starke 
Rötung des Gesichtes (die reflektorisch 
mit der Darmhyperämie parallel geht) 
auf. Es ist deshalb zweckmäßig, den Pa¬ 
tienten vor Beginn der Injektion eine 
große kalte Kompresse auf Kopf und Ge¬ 
sicht zu legen. 

Patient kann unmittelbar nach der 
Injektion nach Hause gehen. Temperatur¬ 
steigerungen oder irgendwelche anderen 
Störungen im Allgemeinbefinden habe 
ich, abgesehen von einer seltenen stär¬ 
keren lokalen Belästigung durch die kleine 
intramuskuläre Injektion bei dem Neo¬ 
hormonal nicht mehr beobachtet. 



Aus dem Sanatorium Dr. Kohnstamm, Königstein i. T. 

Quinckesches Ödem mit epileptischen Anfällen. 

Von Dr. Susanne Rosenfeld. 


Da Fälle dieser Art nur ganz vereinzelt 
beschrieben sind, dürfte die Mitteilung des 
nachstehenden Falles angebracht sein. — 
Der Patient wurde unserem Sanatorium 
von Herrn Sanitätsrat Dr. Mannheimer 
(Frankfurt a. M.) überwiesen, dem wir 
auch die sorgfältig beobachtete und auf¬ 
genommene Vorgeschichte verdanken. 

Patient ist Kaufmann, 45 Jahre alt, kinderlos 
verheiratet, geschäftlich besonders in der letzten 
Zeit sehr angestrengt tätig, Eltern blutsverwandt, 
schwere erbliche Belastung mit Krankheiten des 
Nervensystems und mit Gicht. In der Jugend 
keine wesentliche Erkrankung, auch keine Syphilis. 
Vor 25 Jahren Gelenkrheumatismus, auch in 
der letzten Zeit noch zuweilen Schmerzen in der 
linken Großzehe, vielleicht gichtischer Natur, und 
Muskelschmerzen. Er litt viele Jahre lang an 
Quinckeschem Ödem auch des Larynx. Im 
Jahre 1907 nahm er dagegen 9 Monate lang täglich 
3 bis 4 g Natrium salicylicum. Dabei blieben 
die Ödeme bis Oktober 1916 weg. Sie zeigten 


sich erst wieder, nachdem am 15. Oktober 1916 
der erste epileptische Anfall aufgetreten war. 
Schon 10 Monate vorher waren Absencen vor¬ 
gekommen, die mehrere Minuten lang dauerten 
und wie echt epileptische ohne Zuckungen aus¬ 
gesehen haben müssen. Der Anfall vom 15. Okto¬ 
ber 1916 wurde ärztlich beobachtet: Beginn mit 
gurgelndem Schrei, Bewußtlosigkeit, Zungenbiß, 
Krämpfe, halbstündliche Dauer, danach Amnesie, 
Erschöpfung, Zerschlagenheit, Temperaturstei¬ 
gerung und sehr heftige Rückenschmerzen. 
Seit 18. Oktober 1916, wie gesagt, Quinckesches 
Oedem, zuerst der Hohlhände. Er nahm 2 Monate 
lang Salicyl, trotzdem kamen die Ödeme 
immer wieder. Am 27. Dezember 1916 während 
4 Stunden drei Anfälle mit Zungenbiß, heftigsten 
'Schmerzen im Rücken und in mehreren Gelenken, 
geringere Temperatursteigerung als das erstemal, 
nur diesmal geringe Spuren von Eiweiß im Urin. 
Am 13. Januar 1917 mehrere Absencen. Am 
16. Januar 1917 Aufnahme ins Sanatorium Dr. 
Kohnstamm. 

Patient klagt über Schlaflosigkeit, Schwäche, 
heftige Rückenschmerzen, so daß er geht, wie wenn 




November ■ Die Therapie der 


er einen Hexenschuß hätte. Die körperliche 
Untersuchung ergibt nichts Besonderes: Narben 
von den letzten Zungenbissen; dorsale Kyphose, 
lumbalfe Lordose; die Wülste der Musculi rhom- 
boidei springen vor, sind aber nicht druckempfind¬ 
lich; ein Hinweis auf die Rückenschmerzen, die 
von der Wirbelsäule nach vorn hin ausstrahlen, 
wird nicht gefunden. Spärlich bronchitische Ge¬ 
räusche. Blutdruck Riva Rocci: 140. Urin frei 
von krankhaften Bestandteilen. In 100 ccm Blut 
werden 2,2 mgr. Harnsäure nachgewiesen, also ein 
normaler, für Gicht nicht in Betracht kommender 
Befund. Die Lumbalpunktion ergab normale 
Verhältnisse, also keinerlei Hinweis auf eine 
Meningitis serosa, die von v. Rad und Ull- 
mann als Ursache epileptiformer Anfälle bei 
Quincke schein Ödem in Betracht • gezogen 
wurde (vergl. unten). 

Die Behandlung ging einmal von der 
Absicht aus, dem überanstrengten und 
erregten Patienten Ruhe zu schaffen,, 
welcher Anzeige durch ausgiebige Frei¬ 
luftliegekur in der damals klaren, kalten 
Winterluft Rechnung getragen wurde. 
Diätetisch war der vorher fast ausschlie߬ 
lichen Fleischdiät entgegenzuwirken. Pa¬ 
tient wurde zu einer fleischarmen, haupt¬ 
sächlich aus Vegetabilien bestehenden Er¬ 
nährung genötigt und erzogen. Angesichts 
der Möglichkeit, daß man der Ödem¬ 
neigung durch Änderung der osmotischen 
Verhältnisse der Körpersäfte entgegen¬ 
treten könne, wurde jeder Salzzusatz zu 
den Speisen , vermieden, so daß Patient, 
der vorher nur stark gesalzene Nahrung 
zu sich genommen hatte, salzarm ernährt 
wurde. Gleichzeitig wurde damit der 
antiepileptischen Heilanzeige Rechnung, 
getragen. Aus demselben Grunde erhielt 
Patient täglich erst 3 später 2 Gramm 
BrNa; das ganze Quantum wurde vor dem 
Schlafengehen verabreicht, da die epilepti- 
formen'Anfälle meist nachts auftraten, 
und um gleichzeitig auf den Schlaf zu 
wirken. Vormittags nahm er Luftbäder. 

Der Erfolg der gesamten Änderung 
der Leberisverhältnisse war, daß sich so¬ 
fort Schlaf, Allgemeinbefinden, Aussehen, 
Kräftezustand und Stimmung besserten. 
Ödeme, große und kleine epileptische An¬ 
fälle kamen seit'Beginn der drei Monate 
in Anspruch nehmenden Behandlung bis 
zum Tag dieser Niederschrift (30. August 
1917) nicht mehr vor. Die Rücken- 
schmerzen verminderten sich schnell, sind 
aber bis auf den heutigen Tag nicht völlig 
beseitigt. 

Der Erfolg dürfte außer auf die all¬ 
gemeine Änderung der Lebensverhält¬ 
nisse auf die fleisch- und salzarme Er¬ 
nährung und die Brombehandlung zu¬ 
rückzuführen sein. 


Gegenwart 1917. ' 391 


Der erste Fall unserer Art ist der bei 
v. Rad zitierte von Ullmann (Archiv für 
Schiffs- und • Tropenhygiene 1889, III). 
Cassirer erwähnt in seinen ,»Vasomoto¬ 
risch-tropischen Neurosen“ (Berlin 1901) 
nur diesen Fall. Binswanger macht — 
nach v. Rad — auf das Vorkommen.kurz 
dauernder Anfälle von ödematösen Schwel¬ 
lungen bei Epilepsie aufmerksam („Die 
Epilepsie“, Wien 1899). 

Bei dem Patienten v. Rads („Ein Bei¬ 
trag zur Kasuistik des akuten umschrie¬ 
benen Ödems“, Münch, med. Wschr. 1902, 
Nr. 8) traten die Ödeme auf, nachdem 
3 1 J 2 Monate vorher sich zum erstenmal 
epileptische Insulte eingestellt hatten. 
Hervorzuheben ist bei seinem Fall die im 
Anfang bestehende Pulsverlangsa¬ 
mung mit Irregularität. Auch dieser 
Kranke hatte früher öfter an Rheumatis¬ 
mus gelitten, seine Schwindelanfälle wur¬ 
den durch Brom günstig beeinflußt, die 
Ödeme waren noch nach Jahren unver¬ 
ändert. Später wurde bei ihm ein Medi¬ 
astinaltumor festgestellt. — Der Kranke 
Stehrs (Münch, med. Wschr. 1917, Nr. 29) 
ist ein Psychopath, bei dem die Quincke- 
schen Ödeme sich einstellten, nachdem 
als Kriegsfolge die bis dahin bevorzugte 
reichliche Milch- und Butterkost weg¬ 
gefallen war. Mit dem Ödem einher ging 
ein urticariaartiges Exanthem; ein epi¬ 
leptischer Anfall mit Temperatursteige¬ 
rung' wurde beobachtet; auch Pulsver¬ 
langsamung war hier vorhanden. Auf 
die Ödeme der Kehlkopfschleimhaut war 
Morphium subcutan von günstiger Wir¬ 
kung. Die Morgentemperatur war mei¬ 
stens höher als die Abendtemperatur 
parallel mit der Exacerbation der Ödeme, 
die in der Nacht beziehungsweise in den 
Morgenstunden statthatte. Chinin scheint 
hier entschieden günstig gewirkt zu haben; 
auch wird der Nutzen der Freiluftliegekur 
und der vegetarischen Ernährung hervor¬ 
gehoben. Eine auslösende Rolle des 
Fleischeiweißes und des Kochsalzes wird 
angenommen. — Stehr weist auf die 
Ähnlichkeit des Quincke sehen Ödems 
mit anaphylaktischen Zuständen hin. Der 
günstigen Wirkung des Morphiums in 
seinem" Fall stellt er die Beobachtung von 
Roux zur Seite, dem es gelang, die 
Serumanaphylaxie zu umgehen, als er in 
Äthernarkose reinjicierte. 

Was bei Stehr das Morphium, das 
leistete bei v. Rad und bei uns als 
Sedativum offenbar das Brom. 

Die nächstliegende Erklärung der epi¬ 
leptischen Anfälle wäre die Annahme. 





392 


November 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


eines akuten, circumscripten Hirnödems, 
wie wir sie beim Quincke sehen Ödem 
in der Peripherie sehen. Die Muskel¬ 
schmerzen-unseres Patienten bleiben un¬ 
aufgeklärt. # 

Es wird Sache künftiger Beobachter 
sein,' zu entscheiden, wie weit Fleisch- 
und Salzzufuhr und deren Entziehung in 
Verbindung mit Brombehandlung in der 


Über das Peptolysin, 

Von Dr. F. W. Hopmann, Spezialarzt für 

Das Peptolysin ist eine Verbindung 
von Calciumphosphat mit Erepsin. Es 
wird durch wiederholte Ausfällung und 
Anreicherung aus dem wäßrigen Extrakt 
der Dünndarmschleimhaut von tierärzt¬ 
lich untersuchten, gesunden Schlacht¬ 
tieren mit Calciumphosphat gewonnen. 

Das Erepsin ist bekanntlich ein Fer¬ 
ment, welches im Jahre 1901 von 0. Cohn¬ 
heim in der Dünndarmschleimhaut von 
Tieren gefunden wurde und später von 
Hamburger und IJeckma im mensch¬ 
lichen Darme sicher nachgewiesen wurde. 

Nach Cohnheim spaltet das Erepsin 
die Albumosen und Peptone, von den 
. ungespaltenen Eiweißkörpern nur das Ca¬ 
sein und die Protamine bis zu krystalli- 
nischen Endprodukten. Es wirkt nur 
langsam auf die Albumosen und die vorhin 
genannten Eiweißkörper, dagegen spaltet ' 
es die Peptone außerordentlich schnell 
wie siedende Säuren auf. Die für das 
Erepsin günstigste Reaktion ist die unge¬ 
fähr neutrale, die im Dünndarme herrscht. 

Um nun das Peptolysin auf Erepsin¬ 
wirkung zu prüfen, habe ich die Biuret- 
probe nach Cohnheim angewandt. 

Die Probe beruht auf der Eigenschaft 
des Erepsins, in kurzer Zeit Magenpeptone 
in krystallinische Endprodukte aufzu¬ 
spalten, so daß die Biuretreaktion ver¬ 
schwindet, das heißt also, daß nach Zu¬ 
satz von Lauge und Kupfersulphat keine 
Rosafärbung, sondern eine Weißfärbung 
auftritt. 

Cohn heim geht so vor, daß er aus 
Fleischpulver durch achttägige Verdau¬ 
ung mit Pepsinsalzsäure eine Lösung her¬ 
stellt, welche die Produkte der Magen¬ 
verdauung, also Albumosen und Pep¬ 
tone, enthält. Die Lösung wird neu¬ 
tralisiert und soweit verdünnt, daß 1 ccm 
0,0015 g N enthält. Zu dieser Lösung 
wird Erepsin zugesetzt, die Mischung 
24 Stunden in den Brutschrank ge¬ 
setzt. Nach 24 Stunden werden die 


Pathologie des Quincke sehen Ödems 
eine Rolle spielt. Jedenfalls wird es des 
Versuches wert sein, schwerere Fälle von 
Quinekeschem Ödem, gegen das wir 
keinerlei wirksames Mittel bisher besaßen, 
mit Brom und salzarmer Diät, auch wenn 
keine Epilepsie dabei ist, zu behandeln. 
Unser Fall ist bis zum heutigen Tage 
beschwerdefrei geblieben. 


ein Erepsinpräparat. 

Magen- und Darmkrankheiten in Köln. 

Albumosen mit etwas Essigsäure und 
Kochsalz unter Erwärmen ausgefällt, im 
Filtrat nach Zusatz von Lauge und ein 
bis zwei Tropfen Kupfersulfatlösung 
geprüft, bei welcher Menge von Erepsin¬ 
zusatz die Biuretreaktion verschwindet. 
Da bei der N-Bestimmung der Lösung 
auch der Albumosen N mitbestimmt 
wird, so habe ich es vorgezogen, vor der 
Erepsinverdauung die Albumosen auszu¬ 
fällen und zwar durch absoluten Alkohol. 

Zur Darstellung der Peptonlösung bin 
ich in folgender Weise vorgegangen: Zirka 
2 g Pepton Witte, welches in der Haupt¬ 
sache aus Albumosen und nur wenig 
Pepton besteht, werden in drei Liter 1 % 
Salzsäurelösung aufgelöst, dazu werden 
10 g frisches Pepsinpulver zugesetzt und 
gut durchgerührt. Das Ganze bleibt drei 
Tage im Brutschränke bei 37°. Nach drei¬ 
tägiger Verdauung wird mit gesättigter 
Sodalösung neutralisiert und in großer 
Abdampfschale auf dem Wasserbade ein¬ 
gedampft. Nach 24 Stunden wird von 
dem entstandenen Niederschlage ab¬ 
filtriert, das Filtrat dann weiter bis zur 
Syrupkonsistenz eingedampft. Nach Ab¬ 
kühlung wird der Syrup mit 200 ccm ab¬ 
solutem Alkohol ausgezogen, abfiltriert. 
Dem Filtrat werden 200 ccm Aqua 
destillata zugesetzt; dann wird einge¬ 
dampft bis der Alkohol verjagt ist, auf 
500 ccm mit Aqua destillata aufgefüllt. 
5 ccm dieser Lösung werden einer N- 
Bestimmung nach Kjeldal unterworfen 
und das Ganze soweit verdünnt, daß 1 ccm 
der Lösung 0,001 g N enthält. 

Ich habe nun folgende Versuche an¬ 
gestellt: 

1. Prüfung des trockenen Pulvers. 

Zu je 2 ccm Peptonlösung werden 
0,1—0,3—0,5—0,7—1,0 g des Pulvers zu¬ 
gesetzt, 24 Stunden in den Brutschrank 
gesetzt, von Zeit zu Zeit umgeschüttelt. 
Nach 24 Stunden wird filtriert und die 
Biuretreaktion in der Weise angestellt, 




393 


November v Die Therapie der Gegenwart1917. 


daß zu jedem Reagenzglase fünf Tropfen 
starker Natronlauge und zwei Tropfen 
1 %iger Kupfersulphatlösung zugesetzt 
werden. Dann wird umgeschüttelt. 


0,1 

0,3 

0,5 

0,7 

1,0 

rosa 

rosa 

rosa 

rosa 

rosa 


Bei allen fünf Filtraten tritt Rosa¬ 
färbung auf, eine verdauende Wirkung ist 
also nicht aufgetreten. 

2. Leichte Alkalisierung 
der Mischung. 

Zu denselben Mischungsverhältnissen 
wie unter 1. wird je ein Tropfen gesättigter 
Sodalösung zugesetzt und 24 Stunden in 
den Brutschrank gesetzt. 

In allen fünf Fällen tritt Rosafärbung 
auf, eine Wirkung ist also nicht einge¬ 
treten. 

3. Auflösung in Salzsäure. 

0,5 g Peptolysin werden in 100 ccm 
1 %iger Salzsäure aufgelöst. Von der Lö¬ 
sung werden 1 ccnr, 2 ccm, 3 ccm, 4 ccm 
zu je 2 ccm der Peptonlösung zugesetzt, 
dann mit halbgesättigter Sodalösung sorg¬ 
fältig neutralisiert, 24 Stunden in den 
Brutschrank gestellt, dann filtriert und 
die Biuretreaktion angestellt. 

1,2 2,0 3,0 4,0 

_j_ _l_ _l_ _j_ 

weiß weiß weiß weiß 

Es tritt also schon bei 1,0 ccm eine 
vollständige Vernichtung der Biuret¬ 
reaktion ein, d'as heißt 0,005 g Peptolysin 
haben 2 ccm der Peptonlösung verdaut. 

Ein zweiter Versuch, bei dem die Pro¬ 
ben nur drei Stunden im Brutschränke 
belassen wurden, gab dasselbe Resultat. 

4. Vergleich des Peptolysin mit 
dem einfach ausgefällten Calcium¬ 
erepsinpräparat. 

Das Peptolysin ist ein durch ein be¬ 
sonderes Verfahren angereichertes Cal¬ 
ciumerepsinpräparat; ein Vergleich des 
Peptolysin mit dem einfach ausgefällten 
Präparat ergab folgendes Resultat: 

0,5 g einfach ausgefälltes Calcium- 
erepsinpulver werden in 100 ccm 1 %iger 
Salzsäure gelöst und nun wird in der¬ 
selben Weise verfahren wie vorhin. 

1,0 2,0 3,0 4,0 

— — _j_ _|_ 

rosa rosa weiß weiß 

Erst bei 3 ccm Zusatz der Erepsin¬ 
lösung tritt Weißfärbung auf,, also 0,015 g 
dieses Präparats ' verdauen 2 ccm der 
Peptonlösung. Das Peptolysin ist also ] 


dreimal so stark wie das einfach ausge¬ 
fällte Calciumerepsinpräparat. 

5. Wirkung der Salzsäure auf 
Erepsin. 

Wir haben vorhin gesehen, daß das 
Peptolysin erst nach Zusatz von Salz¬ 
säure wirksam wird. Es waf nun wichtig, 
festzustellen, welche Wirkung die Salz¬ 
säure auf das freie, nicht an Calciumsalze 
gebundene Erepsin hat. Ich habe mir 
aus wäßrigem menschlichen Faecesextrakt 
in folgender Weise ein Erepsinpräparat 
hergestellt: 

60 ccm Stuhlfiltrat werden mit 100ccm 
absoluten Alkohol vermischt, nach einer 
Stunde wird der Niederschlag abfiltriert, 
das Filter bei Zimmertemperatur ge¬ 
trocknet, das Filter samt Rückstand in 
60 ccm Wasser verrieben und nach einiger 
Zeit abfiltriert. ’ Von diesem Filtrat 
werden 5,0, 7,0, 9,0, 12,0, 15,0, 20,0 mit 
je 2 ccm Peptonlösung in Reagenzröhr¬ 
chen gebracht. Nach dreistündigem Auf¬ 
enthalt im Brutschränke wird abgekühlt, 
mit Wasser auf gleiche Menge gebracht 
und die Biuretreaktion angestellt. 

5,0 7,0 9,0 12,0 15,0 20,0 

Die ersten fünf Proben sind deutlich 
rosa gefärbt, erst bei der sechsten Probe 
tritt Weißfärbung auf. 

Von demselben Stuhlfiltrat werden 
abermals 60,0 ccm mit 100,0 ccm Alkohol 
absolutum vermischt, filtriert, das Filter 
mit Rückstand nun jedoch mit 40,0 ccm 
1 %iger Salzsäure verrieben und der Wir¬ 
kung der Salzsäure drei Stunden ausge¬ 
setzt, dann wird abfiltriert, mit etwas 
Wasser nachgewaschen, mit Sodalösung 
genau neutralisiert, auf 60,0 ccm gebracht. 

Von dieser Lösung werden abermals 
5,0, 7,0, 9,0, 12,0, 15,0, 20,0 mit je 2 ccm 
Peptonlösung versetzt, drei Stunden in 
den Brutschrank gebracht, abgekühlt, 
auf gleiche Menge gebracht und die 
Biuretreaktion angestellt. 

5,0 7,0 9,0 12,0 15,0 20,0 

— — — — _l_ _l_ 

Es tritt in diesem Falle schon bei der 
fünften Probe eine Weißfärbung auf. 

Wir sehen also, daß durch den drei¬ 
stündigen Aufenthalt des Erepsins in 
1 %iger Salzsäure eine Aktivierung des 
Erepsins eingetreten ist. Es ist das eine 
physiologisch wichtige Tatsache. Unter 
I normalen Verhältnissen kann die Magen- 

50 



' .November 


394 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Salzsäure ihre aktivierende Wirkung so¬ 
wohl auf das im Pylorusmagen entstehende 
als auch teilweise auf das Dünndarm¬ 
erepsin ausüben. 

6. Wirkung des Chlorcalciums auf 
Erepsin. 

Bei der Wirkung der Salzsäure auf 
Peptolysin entsteht Chlorcalcium. Es 
war nun wichtig, festzustellen, welche 
Wirkung das Chlorcalcium auf Erepsin hat. 

Ich habe in derselben Weise wie vorhin 
mir eine Erepsinlösung hergestellt, von 
derselben 1,0, 2,0, 3,0, 5,0, 10,0, 15,0, 20,0 
mit je 2 ccm Peptonlösung versetzt. Nach 
der Verdauung sind bei der Biuretprobe 
die vier ersten Proben deutlich rosa ge¬ 
färbt, erst bei ■ der fünften Probe tritt 
Weißfärbung auf. 

Bei einer zweiten Reihe dieser Erepsin¬ 
lösung werden wieder je 2 ccm Pepton¬ 
lösung und noch jedesmal vier Tropfen 
einer 50%igen Calciumlösung zugesetzt. 
Nach der Verdauung wird abfiltriert 
und nun die Biuretreaktion angestellt. 
Auch bei diesem Versuche tritt in der 
fünften Probe Weißfärbung auf. 

Bei einer dritten Versuchsreihe werden 
zu der Erepsinmischung jedesmal acht 
Tropfen Calciumlösung zugesetzt. ^ In 
diesem Versuche tritt bei der fünften 
Probe eine Rosafärbung auf. 

Also bei schwachem Zusatze von Cal¬ 
cium (etwa 1 %) tritt keine Beeinflussung 
der Erepsinwirkung auf, aber schon bei 
2% Calcium ist eine deutliche Verschlech¬ 
terung der Wirkung nachweisbar. 

Aus dieser Tatsache folgert sich die 
Notwendigkeit, bei der Herstellung eines 
Calciumerepsinpräparats an geringe Cal¬ 
ciummengen große Erepsinmengen zu 
binden. Bei dem Peptolysin ist diese For¬ 
derung durch ein -besonderes Anreiche¬ 
rungsverfahren erfüllt. 

Um ein Erepsindefizit, wie es etwa 
durch eine Verschiebung der positiven 
Reaktion vom ersten auf das dritte bis 
fünfte Röhrchen angezeigt wird (siehe 
meine Arbeit: Zur Prüfung der Faeces 
auf Erepsin in der M. m. W. 1917, Nr. 24), 
auszugleichen, genügen nach meiner 
Schätzung etwa 1 bis 3 g Peptolysin 
dreimal täglich. Es entsteht dabei eine 
Chlorcalciummenge, welche 1 % im all¬ 
gemeinen nicht überschreitet. 

Wenn man dieselbe Wirkung mit dem 
einfach ausgefällten Calciumerepsin er¬ 
zielen will, braucht man die dreifache 
Menge und es entsteht die dreifache 


Menge Chlorcalcium, sodaß bei einer ge¬ 
wöhnlichen Mahlzeit, besonders bei ver¬ 
stärkter Motilität des Magens^ wie sie 
gerade bei Dünndarmkatarrhen häufig 
vorkommt, die Schädlichkeitsgrenze von 
2% leicht erreicht oder überschritten 
wird. 

Es geht daraus hervor, daß das Pepto¬ 
lysin dem einfach, ausgefällten Calcium¬ 
erepsin gegenüber nicht zu . unter¬ 
schätzende Vorzüge hat. 

7. Das Peptolysin als Medikament. 

Eine arzneiliche Anwendung wird das 
Peptolysin finden bei allen mit Erepsin¬ 
defizit einhergehenden Erkrankungen des. 
Dünndarms. Ich nehme Bezug auf meine 
in der M. m. W. 1917, Nr. 24 (Zur Prü¬ 
fung der Faeces ^auf Erepsin) nieder¬ 
gelegten Ergebnisse. Es kommen zu¬ 
nächst die mit Erepsindefizit einher¬ 
gehenden chronischen Dünndarmkatarrhe 
in Betracht. * Gerade die Zusammen¬ 
setzung des Präparats aus Erepsin und 
Calciumsalzen scheint zur Behandlung 
dieser Erkrankung besonders günstig zu 
sein. Ich zitiere hier Boas. In seinem 
Buche über Darmkrankheiten sagt er, 
nachdem er über die Erfolge mit neuen 
und neuesten Mitteln beim chronischen 
Dünndarmkatarrh ein sehr skeptisches 
Urteil gefällt hat:. ,,Dagegen müssen wir 
■hier eines Mittels gedenken, welches mit 
der absoluten Unschädlichkeit einen ge¬ 
wissen Nutzen verbindet, das ist der 
Kalk.“ 

Wie aus der vorhin erwähnten Arbeit 
hervorgeht, kommt auch bei einer Reihe 
von Erkrankungen, bei denen durch un¬ 
sere bisherigen Untersuchungsmethoden 
keine erhebliche Erkrankung des Dünn¬ 
darms nachzuweisen ist, ein Erepsin¬ 
defizit vor. Das sind vor allem einige an¬ 
scheinend nervöse Erkrankungen: Gastri¬ 
sche Krisen nach Lues, Bleikolik, Base¬ 
dow, ferner, und das scheint mir der 
wichtigste Punkt zu sein, das Ulcus 
ventriculi chronicum. Bei allen diesen 
Erkrankungen ist von einer Reihe von 
Forschern eine vom Darm ausgehende 
Autointoxikation als ursächliches Mo¬ 
ment in Anspruch genommen worden. 

Als Dosierung würde sich empfehlen: 
dreimal 1 bis 3 g Peptolysin nach dem 
Essen. Wenn man sich nicht überzeugt 
hat, daß der Magen genügend Salzsäure 
produziert, ist das Pulver in 200 ccm 
y 2 % iger Salzsäure (40 Tropfen Acidum 
hydrochloricum dil. auf 1 Glas Wasser) 
aufzulösen. 





395 


November 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Zur Frühdiagnose 

Von Oberarzt Dr. 

Die wirksamste Bekämpfung jeder 
Epidemie ist die möglichst frühzeitige 
Erkennung der ersten Erkrankungen. 
Dies gilt ganz besonders für die jüngste 
Kriegsseuche, das Fleckfieber. 

In den folgenden Ausführungen soll 
versucht werden, eine kurze Zusammen¬ 
stellung der für die Frühdiagnose des 
Fleckfiebers wesentlichen Krankheitser¬ 
scheinungen zu geben. Nach unseren 
Beobachtungen treten, besonders im Be¬ 
ginn einer Epidemie, eine ganze Reihe 
ohne jedes Exanthem verlaufender Fälle 
auf, die zum Teil sq leicht sind, daß man 
gar nicht an eine so schwere Infektion 
denkt. Diese zuweilen sogar ambulanten 
Fälle bilden natürlich eine enorme Ge¬ 
fahr; bei genauen Nachforschungen wird 
man nicht selten noch später feststellen 
können, wie diesen vereinzelten, anschei¬ 
nend ziemlich harmlosen Erkrankungen 
das explosionsartige Auftreten zahlreicher 
Infektionen gefolgt ist. Ich sah Fälle, 
die überhaupt nicht, oder nur gering 
fieberten, und wochenlang unter der 
Diagnose Rheumatismus usw. geführt 
wurden. 

Auf der Höhe der Epidemie scheinen 
diese Fälle äußerst selten zu sein. 

Worauf gründet sich nun die Früh¬ 
diagnose des Fleckfiebers? Die verschie¬ 
denen Symptome sind oft nicht so aus¬ 
gesprochen, um als einzelne eine sichere 
Diagnose zu ermöglichen, ihr Zusammen¬ 
treffen ist aber äußerst verdächtig. j 

Die Leute erkranken meist ziemlich 
plötzlich unter hohem Fieber und starken 
Kopfschmerzen. Die Anamnese zeigt 
meist, daß sie sich schon einige Tage matt 
und abgeschlagen gefühlt haben. Die 
offenbar sehr heftigen Kopfschmerzen 
stehen häufig im Mittelpunkt der Be¬ 
schwerden. Daneben ergibt die Unter¬ 
suchung neben einer Milzschwellung eine 
wechselstarke, aber nie ganz fehlende ent¬ 
zündliche Veränderung der meisten 
Schleimhäute. Die Augenbindehaut ist 
entzündlich gerötet, die trockene Zunge 
zeigt einen weißen Belag, der Spitze und 
Ränder frei läßt. Meist besteht eine 
Laryngitis mit oft äußerst quälenden 
Reizhustenanfällen, die zuweilen den Be¬ 
ginn der klinischen Erscheinungen bilden 
Können. Regelmäßig findet sich eine 
Bronchitis mit zähem, schwer zu ex- 
pektorierendem Sputum, häufig eine 
Bronchopneumonie, die in Fleckfieber- 


des Fleckfiebers. 

W. Perls-München. 

gegenden als äußerst verdächtig ange¬ 
sehen werden muß. Auch die Darm¬ 
schleimhaut # ist alteriert, zuweilen be¬ 
stehen fast unstillbare Durchfälle, oft auch 
nur Unregelmäßigkeiten im Stuhlgang, 
abwechselnd Durchfälle und Verstopfung. 
Die Erscheinungen seitens der Meningen 
treten in der Regel erst später auf, .doch 
zeigen auch manche Fälle gleich zu Be¬ 
ginn Nackensteife, Kernig usw. Bei 
diesen prognostisch meist ungünstigen 
Erkrankungen besteht auch gleich zu Be¬ 
ginn die schwere Benommenheit, die das 
Bild der Fleckfieberpatienten auf der 
Höhe der Erkrankung so charakteristisch 
gestaltet. 

Von psychischen Störungen waren, 
hier bereits am dritten Tage ein schwerer 
-Verwirrungszustand. Der Patient ent¬ 
floh nachts, nur mit einem Hemde be¬ 
kleidet, fand in einem benachbarten 
Hause Aufnahme und schlief dort fest 
ein. Am Nachmittage kehrte mit dem 
Erwachen Bewußtsein und Erinnerung 
zurück. Das Ereignis hatte bei dem 
45 jährigen Manne keine üblen Folgen auf 
den Krankheitsprozeß. 

Am dritten Tage des Fiebers beob¬ 
achteten wir oft eine Art Frühexanthem, 
das, besonders bei Ungezieferstichen und 
Kratzeffekten sehr leicht übersehen wer¬ 
den kann. Es besteht in ungefähr hirse¬ 
korngroßen, blaßrot gefärbten, gering, 
aber deutlich infiltrierten Flecken; auf 
Druck verschwindet die Rötung, um beim 
Nachlassen desselben sofort wieder auf¬ 
zutreten. Diese Flecken^treten verein¬ 
zelt an den seitlichen Partien des Bauches, 
seltener auch an den Armen auf. Sie ver¬ 
schwinden .nach ein bis zwei Tagen, wo¬ 
rauf das bleibende Exanthem auftritt. 
Es zeigt mehr rosarote, dichtere, teilweis 
confluierende bis linsengroße Flecken, die 
den ganzen Rumpf und die Extremitäten 
bedecken/ .Das Frühexanthem ist sehr 
charakteristisch und hat uns qft zur Er¬ 
härtung der klinischen Diagnose schon 
vor der serologischen Untersuchung ge¬ 
dient. 

Sehr typisch ist meist auch die Fieber¬ 
kurve; bei einiger Übung im Lesen der¬ 
selben kann man häufig auch nach dem 
Abklingen aller klinischen Erscheinungen 
einen überstandenen Flecktyphus dia¬ 
gnostizieren. Die Kurve hat etwas eigen¬ 
tümlich Abgerissenes, fast Zusammen¬ 
hangloses/st grob schematisch gesprochen 

50* 



396 


November 


Die Therapie der 


eine Art Mittelding zwischen Recurrens 
und Typhus abdominalis. Diese schein¬ 
bare Ähnlichkeit kann sehr verhängnis¬ 
voll werden, wenn man bedenkt, daß das 
Fleckfieber ganz unter dem Bilde eines 
atypischen Unterleibstyphus verlaufen 
kann und im Felde gibt es bei den 
zahlreihen Impfungen kaum einen typi¬ 
schen Typhus. Ferner findet sich nicht 
selten in der Inkubationszeit des Fleck¬ 
fiebers oder in der Rekonvaleszenz ein 
Rückfallfieber, so daß es auch für den 
Geübten zuweilen- im Anfänge ganz un¬ 
möglich wird, zu entscheiden, ob der 
Fieberanstieg einen neuen Anfall oder den 
Beginn eines Fleckfiebers bedeutet. — 
Bei dem Recurrens in der Rekonvaleszenz 
muß man wohl annehmen, daß die lange 
zurückliegende Infektion erst durch die 
allgemeine Widerstandsunfähigkeit mani¬ 
fest geworden ist. — 

Ganz allgemein müssen wir vor der 
Diagnose atypischer Recurrens oder aty¬ 
pischer Typhus abdominalis bei negativem, 
bakteriologischem Befunde warnen. Bei 
uns waren fast alle diese Fälle echtes 
Fleckfieber. 

Wie die Kurven zeigen, beginnt die 
eigentliche Erkrankung häufig mit einer 
leichten abendlichen Temperatursteige¬ 
rung, die nächste Temperatur morgens ist 
normal, um am Abend kritisch bis zu 39 
oder 40° anzusteigen, oder es finden sich 
auch einige Tage zuvor leichte Tempera¬ 
tursteigerungen. (Kurve 1.) Nach dem 
Anstieg schwankt die Kurve zwischen 39 
und 40 bis 41 °, meist beträgt die morgend¬ 
liche Remission mindestens 1 °, doch ge¬ 
hören auch pseudokritische Abfälle durch¬ 
aus zur Regel; nicht selten kann eine 
derartige Kurve wie zwei aneinander¬ 
gesetzte Recurrensanfälle imponieren. 
(Kurve 3.) Gegen Ende des Fiebers, 
meist am zehnten bis elften Tage findet 
sich häufig eine kurze Continua, das 
Fieber fällt dann in den günstigsten 
Fällen am Ende der zweiten Woche kri¬ 
tisch oder in schneller Staffelung ab. 
Damit tritt auch in der Regel eine be¬ 
deutende, subjektive Besserung ein. Sel¬ 
tener dauert das Fieber drei Wochen. 

Dieser Fiebertypus findet sich auch 
bei sonst ungewöhnlich und ohne jedes 
Exanthem verlaufenden Fällen; anderer¬ 
seits gibt es auch, wie bereits erwähnt, 
fast afebrile Formen. 

Einen entscheidenden Fortschritt be¬ 
deutete es bei dieser Sachlage, daß es 
Weil und Felix gelang, eine serologische 
Reaktion für ein bestehendes oder über¬ 


Gegenwart 1917. 


standenes Fleckfieber zu finden. Mag die 
theoretische Grundlage der Agglutination 
des Proteus durch das Serum von Fleck¬ 
fieberkranken auch noch nicht völlig 
geklärt sein, so bedeutet es doch für den 
Praktiker eine Erlösung, seine so folgen¬ 
schwere Diagnose, durch eine nach zahl¬ 
losen Erfahrungen außerordentlich zu¬ 
verlässige öbjektive Untersuchung be¬ 
stätigen zu können. Dagegen verschwin¬ 
det die (Tatsache, daß der Weil-Felix 
auch sonst einmal, wie bei der Urämie, 
positiv sein kann oder daß er bei den 
schwersten Fällen, bei uns einmal, negativ 
ist. Ein ,,klinisch einwandfreier Typhus 
abdominalis“ bei positivem Weil-Felix 
existiert nach unseren Erfahrungen nicht. 
Meist wird angenommen, daß der Weil- 
Felix erst am fünften Tage positiv wird, 
wir sahen ihn heute schon am vierten, 
einmal jedenfalls sogar am dritten Tage 
des Fiebers. 

Über die stets ernst zu stellende Prog¬ 
nose sei hier nur gesagt, daß sie außer¬ 
ordentlich schwankt nach dem Alter des 
Patienten und der Schwere der Epidemie. 
Besondere Vorsicht fordert auch die Zeit 
der meist sehr schweren und langwierigen 
Rekonvaleszenz. Todesfälle an akuter 
Herzschwäche, ähnlich wie bei der Di¬ 
phtherie, scheinen nicht so selten zu sein. 

Die Übertragung findet nach allge¬ 
meiner Anschauung nur durch die Kleider¬ 
laus statt. Ihre Bekämpfung im Felde 
ist nicht immer leicht. Bei dem großen 
Zudrang zu den Feldlazaretten kann die 
Förderung auf gründliche Entlausung vor 
der Aufnahme zuweilen eine Unmöglich¬ 
keit bedeuten. Eine einmal verlauste und 
dazu überbelegte Station läusefrei zu be¬ 
kommen, ist eine lange und schwierige 
Arbeit mit einer Fülle von Fehlerquellen, 
besonders bei Verwundeten mit großen 
Schienenverbänden. Hier dürfte es ratio¬ 
neller sein, durch Schaffung einer völlig 
getrennten sauberen Abteilung die Mög¬ 
lichkeit zu geben, den einzelnen unter 
allen notwendigen Kautelen zu verlegen. 

Zusammenfassend wäre also folgendes 
zu sagen: 

1. Es gibt Fleckfieberfälle ohne jedes 
Exanthem mit völlig atypischen, sehr 
leichten Krankheitserscheinungen. 

2. Diese Fälle scheinen besonders" 
häufig im Beginn einer Epidemie aufzu¬ 
treten. 

3. Die Weil-Felixsche Reaktion ist 
in diesen Fällen regelmäßig positiv und 
daher von ausschlaggebender Bedeutung. 



November 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


397 


4. Klinische Früherscheinungen sind: 
Conjunctivitis; trockene dick weißlich be¬ 
legte Zunge, Spitze und Ränder frei; 
Laryngitis (Reizhustenanfälle!); Bron¬ 
chitis (Bronchopneumonie!); wechselnde, 
schwer zu beeinflussende Störungen der 
Darmfunktion; Frühexanthem! 

5. Vom dritten Fiebertage an ist. mit 
serologischen Untersuchungen zu begin¬ 
nen. 

6. Die Diagnose atypischer Typhus 
abdominalis (Paratyphus) und atypischer 
Recurrens ist nur nach sicherem Aus¬ 
schluß von Fleckfieber (auch serologisch!) 
zu stellen. Fälle von vorausgegangenem, 
bakteriologisch-positivem Recurrens mar 
chen von dieser Regel durchaus keine 
Ausnahme (häufige Doppelinfektion!). 

7. Klinisch abgeheilte Fälle von 
Fleckfieber sind häufig noch nachträglich 
an der typischen Kurve, der schweren 
Rekonvaleszenz, und dem positiven Weil- 
Felix zu erkennen. Diese Tatsache ist, 
abgesehen von der Möglichkeit, die In¬ 
fektionsquelle zu finden, deshalb äußerst 
wichtig, weil der Fleckfieberkranke noch 
in drei bis vier Wochen nach der Ent¬ 
fieberung als infektiös gilt. 

Fall 1. Sehr typische Kurve mit Vorzacke, 
Continua am 10 und 11. Tag. Kritische Ent¬ 
fieberung am 13 Tag. Zuerst typischer Recurrens. 
1. Anfall 9. bis 12 Januar, 2 Anfall 23. bis 
25 Januar. Starke Kopfschmerzen und Glieder¬ 
schmerzen. Zeitweis benommen. Am 23 Februar 
erneuter Fieberanstieg. Starke Kopf- und Glieder¬ 
schmerzen. Schwer benommen. Läßt rnter sich 
gehen. Bronchitis. Kein Exanthem. W.-F.: +- 



Fall 2. Typische Kurve mit dem prognostisch 
ungünstigem Totenkreuz (!) am 9. Tag. (Tem¬ 
peraturabfall bei Pulsbeschleunigung) — Seit 
längerer Zeit rheumatische Beschwerden. 


9. März. Heftige Kopfschmerzen und Glieder¬ 
schmerzen. Kein pathologischer Befund. 

11. März. Heftige Kopfschmerzen und Glieder¬ 
schmerzen. Milz : perkutorisch vergrößert. Lunge: 
1. h. u. leichte Bronchopneumonie! 

13. März. Äußerst heftige Kopfschmerzen. 
Stechen 1. h. u. Zunge: trocken, dich weiß be¬ 
legt, Spitze und Ränder frei. Mesogastrium leicht 
druckempfindlich. 

15. März. Conjunctivitis! Leichte Durchfälle! 
Sehr heftige Kopfschmerzen. Sensorium frei. 
W. F.: -t . 

16. März. Zahlreiche rosarote, hirsekorn bis 
über linsengroße, leicht infiltrierte Flecken, teil¬ 
weis confluierend diffus über Abdomen und Ex¬ 
tremitäten verteilt, besonders zahlreich an den 
Streckseiten beider Vorderarme: Exanthem. 

18. März. Völlig benommen. Phantasiert stark. 
Schlechter Allgemeinzustand. 

21.-März. Exitus letalis. 


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Fall 3. Beschwerden: Starke Kopfschmerzen. 
Mattigkeit, Appetitlosigkeit. Typischer Zungen 
belag. Kein Exanthem. Die Kurve ähnelt zwei 
aneinandergesetzten Recurrensanfällen. W. F.: -+. 


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Fall 4. Atypische Kurve, Kein Exanthem. 
Bronchitis. Rheumatische Beschwerden. Schwere 
und langwierige Rekonvaleszenz mit häufigen 
Temperatursteigerungen. W. F.: -f Ty. abd : — 


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Bücherbesprechungen. 


Prof. Norbert R. v. Ortrier. Klinische 
Symptomatologie innerer Krank¬ 
heiten. Erster Band, erster Teil: 
Bauchschmerzen (schmerzhafte Bauch¬ 
affektionen). Berlin-Wien 1917. Urban 
& Schwarzenberg. 432 S. Preis geh. 
15 M. 

Das vorliegende Werk bespricht in 
erschöpfender Weise Diagnostik und Pa¬ 
thogenese aller mit Schmerz einhergehen¬ 


den Bauchaffektionen, das heißt so ziem¬ 
lich alle wichtigen Erkrankungen des 
Magen-Darmkanals, der Leber, der -Milz, 
des Bauchfells und des Pankreas, sowie 
der Nieren und der Blase. Es setzt alle 
Einzelsymptome zu dem Schmerz in 
Beziehung, an den es das ganze Tatsachen¬ 
material der Ätiologie und der Differential¬ 
diagnostik anschließt. Indem Verf. also die 
gesamte klinische Symptomatologie zur 






















398 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


November 


Darstellung bringt, erweitert er sein Werk 
zur gewissermaßen kritisch-kasuistischen 
Übersicht über die Klinik der Unterleibs¬ 
organe. Zur klinischen Vollständigkeit 
fehlt nur die Heranziehung therapeuti¬ 
scher Gesichtspunkte, die ganz vereinzelt 
leicht angedeutet werden. Der Verfasser 
hat offenbar die diagnostische Analyse 
nicht durch die Einbeziehung therapeu¬ 
tischer Wirkungen abkürzen wollen. Es 
läge ja nichts näher, als z. B. bei den hef¬ 
tigen diffusen Bauchschmerzen mit Shock, 
sei es mit, sei es ohne Ileus; darauf hinzu¬ 
weisen, daß auch die vollkommenste 
Diagnostik im Einzelfall oft nicht über 
Vermutungen hinwegkommt und daß die 
Laparotomie, wie sie das in höchster Ge¬ 
fahr schwebende Leben rettet, oft auch 
erst mit Sicherheit die Ursachen des Ileus 
aufdecken kann. So wird'ja heutzutage 
in der Praxis bei Bauchschmerzen mit 
drohendem Kollaps meist schnell laparo- 
tomiert, gewöhnlich nicht zum Schaden 
der Kranken. Es muß freilich zugegeben 
werden, und Verf. bringt selbst mehr¬ 
fache Beispiele hierfür, daß nicht in jedem 
Falle die Operation die Bestätigung des 
erwarteten Befundes gebracht hat und 
daß mancher Eingriff sich als überflüssig 
herausstellt. Verf. vertieft sich mit liebe¬ 
vollster Vollständigkeit und in eingehender 
Analyse in alle Ursachen, welche zu 
Schmerzen führen könnten, und führt alle 
Möglichkeiten an, durch die es gelingt, 
die verschiedenen Ursachen voneinander 
zu scheiden. Die allgemeinen Bauch¬ 
schmerzen, die Magen-, Gallen-, Nieren¬ 
schmerzen, die in der Gegend des Appen¬ 
dix und des Romanum, wie die in den 
Hypochondrien, im Meso- und Hypo¬ 
gastrium, werden in jeder nur möglichen 
Beziehung erörtert. Die Vollständigkeit 
ist eine so überraschend große, daß sie 
dem Leser einen vollkommenen Über¬ 
blick über die Pathologie der besproche¬ 
nen Organe verschafft, gerade wie sie von 
der ganz außerordentlichen klinischen 
Erfahrung des Verfassers reiches Zeugnis 
ablegt. Darin scheint mir der Hauptwert 
des originellen Werkes zu liegen, daß es 
den Leser zur selbständigen Durchden- 
kung der pathogenetischen Probleme an¬ 
regt und daß es gewissermaßen im Geiste 
der hippokratischen Medizin sich auf die 
Verwertung eingehendster Krankenbeob¬ 
achtung aufbaut. Die Lektüre des Buches 
ist sehr anziehend, wenn sie auch an die 
Aufmerksamkeit nicht geringe Ansprüche 
stellt. Dem Leser wird die Ausbeute zahl¬ 
reicher Krankengeschichten dargeboten 


und es wird ihm gezeigt,, wie sich in der 
Analyse des Wissenden die anscheinend 
verworrenenFäden zum kunstvollen Netze 
der richtigen Diagnose zusammenfinden. 
Wer viel gesehen hat, wird mit Freuden 
viel Selbsterlebtes wiederfinden; dem An¬ 
fänger wird Ortners Buch die fehlende 
Erfahrung gleichsam ersetzen und ihn 
zur selbständigen Diagnostik schwerer 
Krankheitszustände befähigen. Wer die 
Hilfsmittel der ärztlichen Beobachtung 
in Ortners Sinn ausschöpft, wird jeden¬ 
falls vor therapeutischer Übereilung be¬ 
wahrt bleiben. Deswegen darf das Buch 
nicht nur inneren Ärzten, sondern ganz 
besonders den chirurgisch interessierten 
Kollegen bestens empfohlen werden. Es 
wird zweifellos zur ^Vertiefung ärztlichen 
Wissens und Könnens erheblich beitragen. 

G. Klemperer. 

Dr. Georg Schlomer, Leitfaden der kli¬ 
nischen Psychiatrie. München 1917, 
Müller & Steinicke. 228 S. Preis geb. 
M 3,80. 

Wer von der Studienzeit eine gewisse 
Kenntnis psychiatrischer Dinge bewahrt 
und sie durch gelegentliche Berührung 
mit Geistesgestörten aufgefrischt hat, fühlt 
oft das lebhafte Bedürfnis, sich über die 
Fortschritte der Psychiatrie auf dem lau¬ 
fenden zu erhalten. Nicht selten hatte 
der Fernerstehende den Eindruck, daß es 
sich mehr um eine Neuordnung des alten 
Wissensstoffes, um Neuetikettierung der 
Krankheitsbilder, als um neue Auffassungen 
und Erkenntnisse handelte. Wem blieb 
auch die Zeit, die bändereichen Werke 
von Kräpelin zu studieren, dessen Arbeit 
die psychiatrische Neuordnung wesent¬ 
lich zu danken ist! Da wird vielen ein 
kleiner Grundriß gerade recht kommen, 
der es unternimmt, den Anfänger in die 
Eigenart psychiatrischer Diagnostik und 
in die grundlegenden Tatsachen der psy¬ 
chiatrischen Klinik einzuführen. Hier 
haben wir in leichtfaßlicher, sehr präziser 
Form die Hauptformen des Irreseins nach 
der Kräpelinschen Lehre, vielleicht in 
etwas schematischer Abgrenzung, aber doch 
klar und praktisch sehr brauchbar dar¬ 
gestellt. Nachdem ein allgemeiner Teil 
die Art der Untersuchung Geisteskranker 
nach der körperlichen und der psychischen 
Seite geschildert hat, bringt der spezielle 
Teil in 14 Abschnitten die diagnostisch- 
kasuistische Beschreibung der folgenden 
Zustände: manisch - depressives Irresein, 
Dementia paralytica, Dementia praecox, In¬ 
toxikationspsychosen, Infektionspsychosen, 
Erkrankungen des Rückbildungsalters, 



November 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


399 


Epilepsie, psychopathische Konstitution, Pa¬ 
ranoia, angeborenen Schwachsinn, thyreo¬ 
genes Irresein,. Geistesstörungen bei Hirn¬ 
verletzung, syphilitische Geistesstörung, 
psychische Störungen bei organischen 
Nervenkrankheiten. Jedes Kapitel bringt 
ein anschaulich beschriebenes Zustands¬ 
bild, dann die Analyse, der die klinischen 
Daten über Anamnese, Verlauf, Diagnose 
und eventuelle Therapie folgen. Am 
Schluß des Ganzen werden die wichtigsten 
Gesetzesbestimmungen wiedergegeben und 
kurz kommentiert. Das kleine Büchlein 
enthält in sehr anregender Form eine 
anregende Fülle wissenswerter und nütz¬ 
licher Kenntnisse. Wie ich es selbst mit 
wirklichem Nutzen durchstudiert habe, 
möchte ich es auch den Kollegen aufs 
beste empfehlen. G. Klemperer. 

A. Most (Breslau). Chirurgie der 
Lymphgefäße und der Lymph- 
drüsen. Neue deutsche Chirurgie, 
Bd. 24. Stuttgart, F. Enke. Mit 36 Ab¬ 
bildungen. XVII und 402 Seiten. 

Das groß angelegte Werk zerfällt in 
zwei Hauptabschnitte. Im ersten, theo¬ 
retischen Teil, werden die Anatomie, 
Physiologie und Pathologie besprochen. 
Naturgemäß füllt der zweite Teil, der die 
Klinik der Lymphgefäßerkrankungen 
umfaßt, den Hauptteil des Buches aus. 
Eingehende Bearbeitung haben die mo¬ 
dernen Behandlungsmethoden der Lymph¬ 
gefäßtuberkulose erfahren. Ein ausführ¬ 
liches Literaturverzeichnis bildet den 
Schluß des wertvollen Buches, dessen 
Ausstattung vom Verlage in mustergül¬ 
tiger Weise erfolgt ist. Hayward. 

Erich Sonntag. Die Wassermannsche 
Reaktion in ihrer serologischen 
Technik und klinischen Bedeu¬ 
tung. Berlin 1917, Julius Springer, 
VI und 191 Seiten. ' - 


Verfasser, Assistent an der Chirurgi¬ 
schen Universitätsklinik in Leipzig, hat 
sich seit einer Reihe von Jahren mit der 
Technik der Wassermannschen Reaktion 
befaßt und gibt in der vorliegenden Mono¬ 
graphie seine reichen Erfahrungen wieder. 

- Aber nicht nur die Bedeutung der Wasser¬ 
mannschen Reaktion für die Chirurgie 
wird gewürdigt, sondern es werden an 
Hand eines umfassenden Literaturstu¬ 
diums die Einzelheiten der Technik ge¬ 
schildert und theoretische Fragen aus¬ 
führlich besprochen. Ihren Hauptwert 
erhält die Arbeit durch die geschickt ge¬ 
wählten Beispiele der chirurgischen Klinik, 
und damit wird auch dem Praktiker, dem 
die Zeit fehlt, Einsicht in die gewaltig 
angewachsene Literatur zu nehmen, ein 
vorzüglicher Ratgeber in die Hand ge¬ 
geben. 

Hayward. 

Pick, Gottlieb, Die Zukunft des 
Ärztestandes und der Ausbau 
des Gesundheitswesens. Wien- 
Berlin 1917. Urban & Schwarzenberg. 
2 M. 

Der in Aussig als Gemeindearzt wir¬ 
kende Verfasser weist in den zehn Kapiteln 
die Wege der Erneuerung der Volkskraft 
nach dem Kriege; wenn es auch öster¬ 
reichisch gefärbte Verhältnisse und Nöte 
sind, von denen Pick ausgeht, so sind, 
doch manche Erörterungen auch für uns 
Reichsdeutsche von hohem Wert und 
Interesse. So wird z. B. der Widerspruch 
des Verfassers gegen eine stärkere Bureau- 
kratisierung unseres Standes, wie sie 
der österreichischen Verwaltung vor¬ 
schwebt, auch bei uns lebhaft unter¬ 
stützt werden. Wir empfehlen das 
anregend und frisch geschriebene Werk 
aufs angelegentlichste. 

B. Laquer (Wiesbaden). 


Referate. 


Über einen seltenen Fall von Aneurys¬ 
ma der Carotis interna berichtet Pribram. 
Ein Granatsplitter, durch das rechte Ohr 
eingedrungen, verletzte die Carotis ober¬ 
halb der Teilungsstelle. Der Splitter 
steckte in der Höhe des Angulus mandi- 
bulae dicht am Pharynx. Es bestand rechts¬ 
seitige Parese des Facialis in allen Ästen, 
des Glossopharyngeus und Hypoglossus. 
Unterhalb des Ohrläppchens pulsierende 
Geschwulst tastbar. Acht Tage später 
entstand rechts von der Uvula walnu߬ 


großer, bläulich-roter Tumor, der in den 
nächsten Tagen zunahm und heftige 
Beschwerden machte; Aussehen wie beim 
retropharyngealen Absceß. Pulsation und 
Schwirren. Die Carotis communis wurde 
nach Möglichkeit bis oberhalb der Tei¬ 
lungsstelle freigelegt und durch isolierte 
Abklemmungen die ausschließliche Ver¬ 
letzung der Carotis interna festgestellt. 
Diese wurde ligiert. Vorübergehend er¬ 
weiterte sich die Pupille der anderen 
(linken) Seite, aber diese Erscheinung und 



400 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


November 


die Lähmungen verschwanden fast voll¬ 
ständig; der Tumor ganz; der Patient.ist 
als geheilt anzusehen. 

Zwei andere Fälle, bei denen die 
Carotis oberhalb der Teilungsstelle ver¬ 
letzt worden war, ein Aneurysma bestand, 
und (da sowohl externa wie interna ge--, 
troffen waren) die Carotis communis ligiert 
wurde, verliefen tödlich. Es stellten 
sich nach der Operation Lähmungserschei¬ 
nungen auf der entgegengesetzten Körper¬ 
seite ein, und die Obduktion ergab in 
beiden Fällen auf der verletzten Seite einen 
Erweichungsherd im Großhirn. 

Hage.mann (Marburg). 

(Arch. f. klin. Chir. Bd, 103, H. 4, S. 630.) 

Bedrohliche Herzschwäche in¬ 
folge okkulter Blutungen sah Schmidt. 
Bei der Diagnose des Ulcus duodeni spielt 
der Nachweis einer okkulten Blutung eine 
wesentliche Rolle. Wenn solche kleinen 
Blutungen häufig auftreten, so kann es zu 
Anämien und Schwächezuständen kom¬ 
men, die ätiologisch nicht ohne weiteres 
vom Arzt erkannt werden, wenn sonstige 
Symptome fehlen; denn bekanntlich gibt 
es Ulcera des Magens und Duodenums, 
die den Trägern geringe oder sogar gar 
keine Beschwerden machen. Schmidt be¬ 
richtet von einem 60jährigen Patienten, 
bei dem er bei der ersten Untersuchung 
nur allgemeine Nervensymptome fest¬ 
stellen konnte. Insbesondere wurden 
Organbeschwerden, wie Erbrechen, Leib¬ 
schmerzen usw., in Abrede gestellt. Bei 
diesem Kranken stellten sich bald darauf 
schwere Schwindel- und Ohnmachts¬ 
anfälle ein, sodaß er andauernd zu Bett 
liegen mußte. Sowie er sich erheben wollte, 
traten die Symptome immer wieder auf. 
Der Kranke sah sehr anämisch aus und 
es ließ sich nur eine Bradykardie nach- 
weisen. Nach den Berichten der Ange¬ 
hörigen soll er mehreremal rötlichen 
Mageninhalt erbrochen haben. Es ge¬ 
lang nun im Stuhl der Blutnachweis, und 
Schmidt nahm deshalb die bedrohliche 
Herzschwächeerscheinung als Folge einer 
inneren Blutung an. Nach der Unter¬ 
suchung war ein Ulcus duodeni das wahr¬ 
scheinlichste. Es wurde eine Gastro¬ 
enterostomie gemacht, nach der sich der 
Patient völlig wieder erholte. 

Dünner. 

(M. m. W. 1917 Nr. 19.) 

Klinische und experimentelle Studien 
über die Chiningewöhnung des mensch¬ 
lichen Körpers und die scheinbare Chinin¬ 
festigkeit der Malariaplasmodien hat 


Teich mann gemacht, die wohl imstande 
sind, uns den Modus der Chininfestigkeit 
verständlich zu machen. Teich mann 
sieht die Ursache für die Chininfestigkeit 
in der langen Ausdehnung der prophy¬ 
laktischen und besonders der dann unter 
den besonderen Verhältnissen erforder¬ 
lichen', über Wochen und Monate aus¬ 
gedehnten therapeutischen Anwendung 
des Chinins, welche zu einer Chinin¬ 
gewöhnung des Körpers und damit zu 
einer Herabsetzung, wenn nicht in ein¬ 
zelnen Fällen sogar zu einer Aufhebung 
der specifischen Chininwirkung führen 
muß. Das Chinin ist ein Pflanzenalkaloid. 
Es ist eine bekannte Tatsache, daß länger 
dauernder Gebrauch dieser Stoffe eine 
Veränderung in der,) Reaktion des mensch¬ 
lichen Körpers gegen das aufgenommene 
Alkaloid herbeiführt. Während im An¬ 
fang zur Erzielung einer gewissen Wirkung 
kleinste Mengen ausreichen, müssen diese 
bei länger dauerndem Gebrauch mehr und 
mehr gesteigert werden, um einen ge¬ 
wünschten Effekt hervorzurufen, sodaß 
durch die fortschreitende Gewöhnung 
schließlich einmalige Mengen einverleibt 
werden müssen, welche auf den. nicht 
giftgewöhnten Körper tödlich wirken 
würden. Diese Tatsache ist besonders be¬ 
kannt, bei Morphium, Opium, Cocain 
und anderen. Diese veränderte Reaktion 
des Körpers beruht nur zum Teil auf 
einer Gewöhnung der Körperzellen an 
das betreffende Gift. Die Hauptsache ist 
die, daß bestimmte Zellgruppen und 
Organe • unter dem dauernden toxischen 
Reiz befähigt werden, allmählich immer 
größere Mengen des betreffenden Stoffes 
zu verankern und abzubauen, sodaß 
auch von der steigenden Giftmenge immer 
nur kleine, das Leben nicht gefährdende 
Mengen in den Kreislauf und damit zu 
ungehindertem Zutritt zu- empfindlichen 
.Organen kommen. Teich mann hat nun, 
um ein Bild zu erhalten, inwieweit man 
mit der Wirksamkeit der verabfolgten 
therapeutischen Dosen rechnen kann, bei 
einer großen Zahl der Patienten Blut und 
Harn, zum Teil fortlaufend, auf Chinin 
untersucht. Die chiningewöhntenKranken 
zeigten zunächst sowohl bei der intravenö¬ 
sen wie bei innerlicher Darreichung meist 
nur geringe und kurzdauernde Intoxika¬ 
tionserscheinungen (Chininrausch), wäh¬ 
rend diese bei Chininnichtgewöhnten oft 
einen hohen Grad erreichten. Die Ergeb¬ 
nisse seiner Untersuchungen lassen sich 
folgendermaßen zusammenfassen: 1. Im 
Blute chiningewöhnter Leute ist nach 



401 


November Die Therapie der 


einem bestimmten Zeitraum Chinin nicht 
mehr oder nur in kleinsten Mengen nach¬ 
weisbar, während im Blute der zweiten 
Gruppe noch deutliche, bestimmt größere 
Mengen vorhanden sind. 2. Die Kontrolle 
der Ausscheidung des Chinins durch den 
Urin ergibt, daß bei Chiningewöhnten' 
eine auffällig geringere Menge durch den 
Urin abgesondert wird, die Ausscheidung 
später einsetzt und viel früher beendet 
ist als bei Chininnichtgewöhnten. 3. Fort¬ 
laufende Kontrolle der Chininausschei¬ 
dung im Verlaufe einer internen Chinin¬ 
kur bei demselben Kranken zeigt, daß von 
Tag zu Tag die Menge des durch den 
Harn ausgeschiedenen Chinins geringer 
wird und daß schließlich bei einzelnen 
tageweise Chinin überhaupt nicht mehr 
zur Ausscheidung kommt. 4. Durch all¬ 
mähliche Steigerung der Dosen im Ver¬ 
laufe einer Kur gelingt es, die Ausschei¬ 
dung durch den Harn annähernd auf der 
gleichen Höhe zu halten. Diese Befunde 
lassen nach Teich mann nur eine IJeu- 
tung zu: Führt man einem nicht an Chinin 
gewöhnten Körper solches zu, so circuliert 
die Hauptmenge im Blut oder wird nur 
so lose an Zellgruppen gebunden, daß ein 
großer Teil unzersetzt den Blut- und 
Lymphstrom passiert und so die speci- 
fische Chininwirkung entfalten kann. Da¬ 
her der reichliche Befund im Blute gegen¬ 
über Chiningewöhnten, das frühere Ein- • 
setzen, die größere Menge und die längere 
Dauer der Ausscheidung. Demgegenüber 
ist der chiningewöhnte Organismus fähig 
geworden, eine, gewisse Menge des auf¬ 
genommenen Chinins aufzufangen und 
abzubauen, sodaß nur ein Teil des ein¬ 
geführten Chinins als solches zirkuliert 
und wirksam ist ; während der andere Teil 
zerstört und in veränderter Form aus¬ 
geschieden wird. Diese Fähigkeit steigt 
unter fortgesetzter Chininzufuhr dauernd 
an. Für die Erzielung einer keimtötenden 
Wirkung muß im Blute eine gewisse Kon¬ 
zentration des Chinins vorhanden sein. 
Die Chininfestigkeit der Malariaplasmo¬ 
dien ist nur eine scheinbare. Die Para¬ 
siten selbst sind wohl chininempfindlich, 
aber die zu freier Wirkung kommenden 
Chininmengen sind so unzureichend, daß 
die Abtötung der Krankheitskeime nicht 
erfolgen kann. Man muß deshalb die 
Chinindosen im Verlaufe einer Kur all¬ 
mählich etwas steigern. Das Behandlungs¬ 
schema würde dann unter Zugrundelegen 
des jetzt üblichen Tablettengewichtes von 
0,3 g lauten: Hauptkur: drei Tage vier 
Tabletten = 1,2 g, drei Tage fünf Tablet¬ 


Gegenwart 1917. 


ten — 1,5 g, vier Tage sechs Tabletten 
= 1,8. Die Nachkur beginnt dann mit 
der zuletzt gegebenen Höchstdosi?, welche 
entweder beizubehalten ist öder parallel 
den längeren Intervallen absinken kann. 
Einen anderen Weg müssen wir bei 
chiningewöhnten Kranken einschlagen r 
um den unsere Heilbestrebungen stören¬ 
den Einfluß der veränderten Reaktion 
des Organismus zu beseitigen. Die an 
dem veränderten Ausscheidungsmodus 
kenntliche Chiningewöhnung klingt im 
Laufe mehrerer Wochen wieder ab. Es 
treten dann wieder annähernd normale 
Ausscheidungsverhältnisse ein, welche sich 
allerdings schneller als bei Chininnicht¬ 
gewöhnten von neuem verschlechtern. 
Man geht daher dazu über, diese Patienten 
nach einer Chininpause von zwei bis vier 
Wochen, welche sich empirisch als aus¬ 
reichend erwiesen hat, mit intermittie¬ 
renden Kuren zu behandeln. Das Schema 
lautet: Zwei bis vier Wochen Chininpause, 
entsprechend dem größeren oder gerin¬ 
geren Grade der Chiningewöhnung. Zehn 
Tage Chininkur, und zwar drei Tage 1,2 g, 
drei Tage 1,5 g und vier Tage 1,8 g. Pause 
von acht Tagen. Zehn Tage Chininkur 
wie oben. (Pause von zehn bis zwölf 
Tagen. Zehn Tage Chininkur wie oben.) 
Nachkur nach Nocht und dann noch 
sechs Wochen an zwei aufeinanderfolgen¬ 
den Tagen jeder Woche 1,2 g. 

Dünner. 

(D. m. W. 1917, Nr. 35.) 

Die Ergebnisse ihrer Fleckfieberstudien 
teilen V. Kollert und A. Finger mit: Am 
Tage vor dem Fieberanstieg ist gelegent¬ 
lich eine auffällige Blässe der Kranken 
bemerkenswert. — Wie,bei allen anderen 
epidemischen Krankheiten beobachtet 
man auch beim Fleckfieber viele atypische 
Fälle. Die Wahrscheinlichkeitsdiagnose 
ist gelegentlich nur aus der Eruierung 
der Infektionsquelle zu stellen. — Der 
Nachweis der vermehrten Lädierbarkeit 
der Hautgefäße ist, wenn das Exanthem 
durch andere Hautveränderungen über¬ 
deckt oder aber bereits geschwunden ist, 
von großer praktischer Bedeutung. — Der 
Agglutinationstiter des Serums gegen 
Typhus bleibt bei der Mehrzahl der 
Kranken unverändert. Bei einer Minder¬ 
zahl treten geringgradige Schwankungen 
auf, die auf verschiedene Ursachen zu¬ 
rückzuführen sein dürften. — Am Auge 
wurden häufig etwas träge Lichtreaktion 
der Pupillen, gelegentlich anfallsweise auf¬ 
tretende reflektorische Pupillenstarre, ve¬ 
nöse Stase am Augenhintergrund und 

51 



402 Die Therapie der Gegenwart 1917. - Növember 


wechselnde Anisokorien beobachtet. —■ 
Die Lumbalflüssigkeit steht oft unter er¬ 
höhtem Drucke. Die Lumbalpunktion 
wirkt vorübergehend für die Kranken 
sehr wohltätig. Die Meningen werden im 
Verlaufe des Fleckfiebers für Jod nicht 
durchlässig. — Der Pulsdruck ist während 
der Fieberperiode sehr herabgesetzt und 
bessert sich in günstig verlaufenden Fällen 
mit dem Temperaturabfalle. Die Beob¬ 
achtung des Pulsdrucks gibt dem Arzt 
die wichtigsten Hinweise für die Wertung 
der Schwere des Falles. — Die Funktions¬ 
prüfung der Nieten mittels Jodkalium 
ergibt rasch vorübergehende, aber gele¬ 
gentlich sehr schwere Störungen. — Das 
Studium der Löwischen und Csepai- 
schen Reaktion weist in einer Reihe von 
Fällen auf eine Stoffwechselstörung hin, 
die vermutlich mit dem Adrenajsystem 
in Zusammenhang stehen dürfte. — Die 
Gerinnungsfähigkeit des Bluts ist herab¬ 
gesetzt. — Die wichtigsten Störungen im 
Bereiche des Nervensystems sind: Fibril¬ 
läre Zuckungen einzelner Muskelgruppen, 
tonische Krämpfe, meningeale Reiz¬ 
erscheinungen. In der psychischen Sphäre 
werden Katalepsie und amentiaähnliche 
Zustände beobachtet. 

Hetsch (Berlin). 

(Beitr. z. KHn. d. Infektionskr. u. z. Iinmunit.-. 

Forsch. Bd. 6, H. 1—2.) 

Wieting liefert eine sehr ausführ¬ 
liche Arbeit über die Pathogenese und 
Klinik der Gasbacilleninfektion. Thera¬ 
peutisch unterscheidet er die Vorbeugung, 
die Behandlung der ausgebrochenen In¬ 
fektion und die Nachbehandlung. Die 
erste Vorbeugung besteht in der ener¬ 
gischen Bekämpfung von Shock- und 
Kollapszuständen; die Wunde ist dann 
aktiv vorbeugend zu versorgen, indem 
sie gesäubert und ausgeräumt wird, dann 
mit guter Zugangsmöglichkeit absolut 
ruhigzustellen, aber nicht in Gips, da 
hier die Wundüberwachung nicht gründ¬ 
lich genug sein könne. Der Verband 
besteht aus locker eingelegtem Mull, 
darüber Okklusivverband; aus diesem 
soll ein Gummirohr (im Wundbereich ge¬ 
locht, im Verbandbereich ungelocht) in 
Schornsteinst^llung herausragen. Der 
Mullstoff wird mit antiseptischer Flüssig¬ 
keit dreistündlich durch dieses Rohr ge¬ 
tränkt. Verfasser gebraucht die Dakin- 
Carrellsche Lösung, aber auch andere 
Antiseptica erfüllen den Zweck. Die Aus¬ 
einanderhaltung der Wundränder ist 
wichtig. 


Bei bestehender Gasbacilienin- 
fektion beseitige man alles abgestorbene 
und absterbende Gewebe, schaffe gut 
offene Wundverhältnisse und gute Durch¬ 
blutung, vermeide jeden Blutverlust, ent¬ 
leere das Gewebe von Gas und Toxinen. 
Bei Durchschüssen wird die große Musku¬ 
latur mit starker Schere von Ein- und 
Ausschußöffnung her gespalten, möglichst 
werden die beiden Öffnungen mitein¬ 
ander verbunden. Haut- und Muskel¬ 
ränder werden bis ins Gesunde hinein 
ausgeschnitten, blutende Gefäße gut un¬ 
terbunden. Bei Steckschüssen wird der 
Wundkanal erweitert-— die Fascien quer 
gespalten — und das Geschoß entfernt. 
Manchmal sind Gegenöffnungen nötig. 
Bei Fällen mit progredienter Nekrose ist 
energisches Eingreifen geboten: Es wer¬ 
den lange Incisionen gesetzt, Muskeln 
werden in den Interstitien bis dorthin 
isoliert, wo Gasknistern und Ödem nach¬ 
weisbar sind; Unterminierung, Excisionen 
nach Bedarf, Offenhaltung der Wunde. 
Schwere toxische Erscheinungen sind In¬ 
dikation zur sofortigen hohen Absetzung. 
Ebenso schwere Trümmerfrakturen (be¬ 
sonders des Knies und Oberschenkels) mit 
Gasinfektion. • Bei Amputationen ist auf 
Blutsparung großes. Gewicht zu legen, 
Chloroformnarkose ist zu vermeiden. Hohe 
Amputationen zieht Verfasser der Ex¬ 
artikulation vor. Wegen der in diesen 
Fällen meist dringenden vitalen Indi¬ 
kation empfiehlt Verfasser die lineäre 
Amputation. 

In der Nachbehandlung müssen 
die Wunden gut zugänglich sein, muß 
jeder Druck vermieden werden. Ständige 
Überwachung ist nötig; bei Neuerschei¬ 
nungen des Prozesses: Einscjineiden, Aus¬ 
schneiden, Abflußschaffen. Absolute Ruhe 
des Gliedes, auch bei Verbandwechsel, ist 
geboten, ,,offene Wundbehandlung“ bei 
noch bestehender Entzündung nicht an¬ 
gebracht. 

Neben der chirurgischen Behandlung 
hat Verfasser mit guter Wirkung Lein- 
samenkataplasmen bei Gasphlegmonen 
angewandt. Einige wenige therapeutische 
Erfolge glaubt er der Anwendung des 
Rauschbrandserums zuschreiben zu kön¬ 
nen. 

Verfasser verlangt Absonderung der 
Gasphlegmonekranken und strengste lang¬ 
andauernde Desinfektion der für sie ge¬ 
brauchten Instrumente, besonders der 
Injektions- und Infusionsnadeln. 

Hagemann (Marburg). 

(D. Ztschr. f. Chir. Bd. 141, Heft 1/2.) 



November 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


403 


Zur operativen Behandlung der Knie¬ 
gelenksteife nach langdauernder Ruhig¬ 
stellung schreibt Payr; unter Hinweis 
auf eine frühere Arbeit über die Patho¬ 
genese und pathologische Anatomie der 
Kniegelenkversteifung wird in der vor¬ 
liegenden-Arbeit vor allem die operative 
Behandlung besprochen. Man findet eine 
Trias von Veränderungen: Erstens die 
Contractur zusammen mit fibröser De¬ 
generation und Atrophie des Quadriceps. 
Zweitens eine Einengung und fixierende 
Umhüllung des Recessus suprapatellaris. 
Drittens eine Schrumpfung und Ver¬ 
dickung des Tractus iliotibialis. Da¬ 
neben besteht naturgemäß ein mehr oder 
minder erheblicher Elastizitätsverlust 
an den übrigen Weichteilen. Neben 
dieser Einteilung nach pathologisch-ana¬ 
tomischen Gesichtspunkten kann man 
die Fälle noch vom klinischen Standpunkt 
aus klassifizieren. Demnach unterscheidet 
man: erstens leichte Fälle, bei denen die 
Muskelbäuche der Vasti verhältnismäßig 
gut erhalten sind. Über den Recessus 
gibt ein Röntgenbild mit Sauerstoff¬ 
füllung des Kniegelenks Aufschluß. Zwei¬ 
tens schwerere Fälle, in denen der Re¬ 
cessus vollkommen verödet ist, und end¬ 
lich drittens ganz schwere Fälle, bei 
denen tiefe Narben in die Streckmusku¬ 
latur hineinreichen, neben den unter 1 
und 2 beschriebenen Veränderungen. Für 
die erste Gruppe genügt eine Excision 
der Schwielen in der Umgebung des 
Recessus. Bei Gruppe 2 und 3 muß zu¬ 
nächst der ganze Streckapparat von 
einem langen äußeren Bogenschnitt aus 
freigelegt, Patella und Recessus besichtigt 
und die Kniescheibe aus ihren Verwach¬ 
sungen gelöst werden. Dann wird der 
muskuläre Streckapparat freigelegt und 
die Intermedins-Insertion durchtrennt, so 
daß der Recessus dem Auge zugänglich 
wird. Nunmehr wird der Tractus ilio¬ 
tibialis gelöst. Falls erforderlich, wird 
jetzt die Quadricepssehne plastisch ver¬ 
längert und der Sartorius überpflanzt. 
Ist die Kniescheibe mit der Unterlage 
fest verwachsen, so muß noch zur blutigen 
Gelenkmobilisierung mit Interposition von 
Fascie geschritten werden. Die inter¬ 
essante, durch instruktive Abbildungen 
belegte Arbeit beweist, in welcher Weise 
jeder einzelne Fall besonders studiert 
werden muß. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 36.) Hay ward. 

Über den Einfluß der Strahlen¬ 
therapie auf die Krebsheilung ver¬ 


breitet sich Krömer (Greifswald). Wenn 
nun auch in der letzten Zeit über dieses 
Thema recht viel veröffentlicht wurde, 
so ist es doch auch für den Praktiker 
von Bedeutung, die Ansichten mehrerer 
Kliniker zu lesen, die sich oft diametral 
gegenüberstehen, um für die Beratung 
seiner Klientel einige Richtlinien zu ge¬ 
winnen. Krömer nimmt im Gegensatz 
zur Freiburger und Münchener Klinik, 
welche nur für eine Bestrahlung sind, 
einen vermittelnden Standpunkt ein, d. h. 
erst operieren, dann bestrahlen. Wie sind 
die Erfolge? Der Begriff der Dauerheilung 
muß festgehalten werden; nach einem 
fünfjährigen Intervall kein Rezidiv. So¬ 
weit es noch möglich ist, muß jeder Fa 
so radikal als möglich operiert werden; 
hierdurch kann natürlich die primäre 
Mortalitätsziffer sehr hoch sein. Um die 
Rezidive nach Kräften zu verhindern, 
muß mit der Strahlentherapie baldigst 
begonnen werden. Es darf ja nicht ver¬ 
gessen werden, daß klinisches Wohl¬ 
befinden sich nicht immer mit Rezidiv¬ 
freiheit deckt. Besonders bei Narben¬ 
rezidiven und sekundären Scheidenknoten 
kann mit dieser Behandlungsweise recht 
viel Gutes geleistet werden. Ein Mi߬ 
erfolg tritt meist bei den Fällen ein, in 
denen es zu einer Vermehrung der Krebs¬ 
zellen auf dem Peri- und Endoneuriüm 
kommt. Hier muß der Praktiker gegen 
die so schwer quälenden bohrenden und 
ziehenden Schmerzen mit internen Mitteln 
ankämpfen. Krömer erklärt, daß ihm 
Morphium- und Epiduralinjektionen auf 
die Dauer wenig geholfen haben; am 
besten bewährte sich Aspirin mit Opiaten 
von steigender Konzentration; in der 
letzten Zeit wurden auch Versuche mit 
Vaccineuin gemacht; ein abschließendes 
Urteil kann noch nicht gegeben werden. 
Der Kampf gegen das Carcinom ist 
äußerst schwer, der symptomatischen 
Behandlung bleibt leider noch ein weites 
Feld. 'Pulvermacher (Charlottenburg). 

(Mschr. f. Gebh. 1917, Okt.) 

Zur Diagnose und Therapie eini¬ 
ger wichtiger Kriegsseuchen bringt 
G. Holler einen Beitrag, in dem er speziell 
auf die Reaktion der Leukocyten im Blut 
und die Wirkung der Deuteroalbumose 
(Merck) eingeht. Das Ausklingen in 
Lymphocytosen ist allen Infektionskrank¬ 
heiten eigen, während z. B. die Splenopenie 
für Abdominaltyphus, Eosinophilie zur 
Zeit der Fieberperiode für Scharlach und 
Blättern, das Einsetzen einer Eosinophilie 

51* 



404 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


November 


erst in der Rekonvaleszenz für Fleckfieber 
charakteristisch ist. Von dem Erfahrenen 
können die Unterschiede in der Reaktion 
der Leukocyten bei den verschiedenen 
Infektionsprozessen mit Vorteil diagno¬ 
stisch verwertet werden, besonders <bei 
Infektionen, deren- Erreger noch nicht 
bekannt ist (z. B. Fleckfieber). 

Die Deuteroalbumose gehört (ebenso 
wie Blutkohle und Urotropin) zu den¬ 
jenigen Mitteln, die der Autor bei der Be¬ 
handlung der Kriegsseuchen nicht mehr 
entbehren möchte. Ihre therapeutischen 
Leistungen stehen außer Frage, aber die 
Art, wie die letzteren bedingt werden, 
ist noch dunkel. Wahrscheinlich wird der 
Körper durch die Einverleibung von 
Deuteroalbumosen (wie überhaupt körper¬ 
fremder Substanzen) zur Absonderung' 
besonderer Schutzstoffe angeregt. Der 
Erfolg beruht sicherlich nicht auf einer 
Scheinwirkung (Kollaps, Lähmung des 
Temperaturcentrums usw.), sondern auf 
einer Zerstörung der Infektionserreger 
selbst. Intravenöse Injektionen von 
Merckscher Deuteroalbumose wirken bei 
verschiedenen Kriegsseuchen heilend. Der 
Erfolg ist aber wesentlich von der rich¬ 
tigen Herstellung der Lösungen, der rich¬ 
tigen intravenösen Injektion und dem 
Eifer des Arztes und des Pflegepersonals 
abhängig. 

H et sch (Berlin). 

(Beitr. z. Kün. d. Infektionskr. u. z. Immunit.- 

forsch. Bd.6, H. 1—2.) 

Ferdinand Winkler erzielte bei der 
Behandlung des Lupus erythematodes über¬ 
raschende Erfolge mit einer Kombination 
von Chinin (dreimal täglich 0,3 bis 
dreimal täglich 1,0) mit Aufpinselungen 
von Dichloräthylen auf die einzelnen 
Lupusscheiben. Iwan Bloch (Berlin). 

(Denn. W. 1917, Nr. 5, S. 120.) 

Über einen recht eigenartigen Fall 
von durch Diphtheriebacillen hervorge¬ 
rufener eitriger Meningitis berichtet 
Sterling (Warschau). Ein acht Jahre 
altes Kind wurde in der Scharlachrekon¬ 
valeszenz (50. Krankheitstag) mit Mastoi¬ 
ditis und Otitis purulenta der linken Seite 
eingeliefert. Aus dem Ohreiter wird der 
Diphtheriebacillus in Reinkultur erhalten 
und Serum (2000 I.-E.) gegeben. In den 
nächsten Tagen rechts gleichfalls Otitis 
und Mastoiditis mit gleichem bakteriologi¬ 
schen Befunde; noch einmal 3000 I.-E. ge¬ 
geben. Links wird etwa am 60. Krankheits¬ 
tage die Trepanation des Warzenfortsatzes 
n£>tig. Fünf Tage später tritt typische 


Meningitis auf, die in weiteren fünf Tagen 
zum Exitus führt. Die Sektion ergab 
eitrige, vorwiegend basale Meningitis und 
einen großen Absceß im linken Temporal¬ 
lappen, die beide deutlich vom Ohre aus¬ 
gingen, wie durch die Anwesenheit einer 
etwa linsengroßen Öffnung im oberen 
Teile des linken Felsenbeines zur Genüge 
dargetan wurde. Eiter ergab bakteriolo¬ 
gisch Reinkultur von Diphtheriebacillen, 
die- im Tierversuche als wenig virulent 
sich erwiesen. Aus den Nieren wurden 
diphtherieähnliche gramnegative Bacillen 
erhalten. Des weiteren weist Sterling 
auf die große Häufigkeit des Diphtherie¬ 
bacillenbefundes bei Scharlach »hin, der 
besonders oft (auch ohne klinische Er¬ 
scheinungen) in der Nase auftritt, sowie 
auf das verhältnismäßig häufige Vor¬ 
kommen diphtherischer Otitiden. Die 
verbreitete Meinung, daß das Auftreten 
des Diphtheriebacillus im Beginne des 
Scharlachs eine besonders schwere Kom¬ 
plikation darstelle, konnte Verfasser nicht 
bestätigen, verlangt aber, wie selbstver¬ 
ständlich, *die Anwendung des Serums in 
jedem Falle, in dem die Bacillen vor¬ 
handen sind; er glaubt auch, daß der 
Scharlach, der nach einer mit Serum be¬ 
handelten Diphtherie auftritt, viel leichter 
verläuft, als nach nicht mit Serum ge¬ 
spritzten Fällen. (Wenn man systema¬ 
tisch bei allen wegen Masern, Scharlach- 
Diphtherie usw. eingelieferten Kindern 
Nasen und Ohren .auf Diphtheriebacillen 
untersucht, so findet man, wie Referent 
in einer in dieser Zeitschrift erschienenen 
Spezialuntersuchung nachweisen konnte, 
in einem sehr großen Teile der Nasen und 
bei nicht wenigen Otitiden einen positiven 
Befund, wegen dessen Bewertung und 
Bedeutung auf diese Arbeit verwiesen 
werden kann.) 

Waetzoldt. 

(B. kl. W. 1917, Nr. 21.) 

Für die Ätiologie der Nachtblindheit 
(Hemeralopie) gibt Jess (Gießen) auf 
Grund von Kriegserfahrungen eine neue 
Theorie. Er fand bei allen untersuchten 
Nachtblinden eine deutliche Einschrän¬ 
kung des Gesichtsfeldes für Gelb, während 
die mehrfach beschriebene Einschränkung 
für Blau weniger konstant war. /Erfah¬ 
rungsgemäß ist die Einschränkung der 
Blaugelbgrenzen, dLe bis zu vollständiger 
Blaugelbblindheit führen kann, ein Zei¬ 
chen eines ödematösen Prozesses der Re¬ 
tina selbst, wie er bei zahlreichen Erkran¬ 
kungen der Retina vorkommt. 



November 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


405 


Die Ansicht, 'daß nun die Erklärung der 
Hemeralopie durch Retinalödem auch, was 
man von vornherein nicht annehmen möch¬ 
te, für die sogenannte essentielle oftepide- 
. misch auftretende Form der Erkrankung 
gilt, wird besonders auch durch die Beob¬ 
achtung gestützt, daß bei einer Epidemie 
von Ödemzuständen während einer Hun¬ 
gersnot der galizischen Bevölkerung im 
Jahre 1915 häufig neben Xerosis und 
Ulcus corneae Hemeralopie auftrat. Da 
nun kein Grund vorliegen kann, in diesen 
Fällen ein Retinalödem auszuschließen, j 
so wird auch hier als lokale Ursache der 
Hemeralopie ein solches anzunehmen sein, 
welches, auf ernährungstoxischer Basis 
entstanden, die Funktion der Stäbchen, 
Zapfen und des Pigmentepithels geschä¬ 
digt hat. In einigen sehr schweren Fällen 
von essentieller Hemeralopie konnte Jess 
das Retinalödem sogar beobachten und , 
sein Verschwinden beim Schwinden der 
Beschwerden feststellen, wenn er auch | 
darauf aufmerksam macht, daß es wegen 
seiner außerordentlichen Zartheit in den 
meisten Fällen der ophthalmoskopischen 
Erkennung entgehen wird. In anderen 
Fällen, besonders bei Blendungsring¬ 
skotom, das wohl auf ein kollateralesödem 
um den Verbrennungsherd zurückzu¬ 
führen ist, gelang übrigens nebenher der 
Nachweis einer typischen Hemeralopie. 
Die Prognose der erworbenen Hemeralopie 
wird demnach davon abhängen, ob die 
Schädigung der Retina reparabel ist oder 
nicht. Ein epidemisches Auftreten der 
Erkrankung unter Soldaten wurde nie 
beobachtet, doch empfiehlt Jess, in dieser 
Hinsicht nicht zu sorglos zu sein und - 
schon im Interesse der Vermeidung spä¬ 
terer Rentenansprüche jeden auf Hemera¬ 
lopie verdächtigen Soldaten einer speziali- 
stischen Untersuchung zuzuführen. (Es 
wäre recht interessant, bei eventuell wieder 
'auftretenden Ernährungsödemen auf das 
Vorhandensein von Retinalödem bezie¬ 
hungsweise Hemeralopie zu untersuchen. 
Ref.) Waetzoldt. 

(D. m. W. 1917, Nr. 22.) 

Die Lehre von der Paralyse im Lichte 
neuer Forschungsergebnisse behandelt ein 
Aufsatz Raeckes. Die Befunde No- 
guchis, dem als erster der Spirochäten¬ 
nachweis im Paralytikergehirn glückte, 
nötigen zu einer Revision unserer An¬ 
schauungen vom Wesen der Paralyse. 
Durch die Entdeckung von Spirochäten¬ 
nestern in der Großhirnrinde, die Jahnel 
später regelmäßig darstellen konnte, ist 


der Begriff der Metalues hinfällig ge¬ 
worden. Meningen, Ganglienzellen sowie 
Markscheiden können Sitz der Spiro¬ 
chätenerkrankung sein. Von Anfang an 
werden die verschiedenen Teile des Cen- 
tradnervensystems wahllos ergriffen. Exsu¬ 
dative Entzündungen der Meningen, 
Gummiknötchen der Hirnrinde und Mark¬ 
scheidendegenerationen nach vorangegan¬ 
gener Gliawucherung sind das anato¬ 
mische Substrat der Paralyse. Nichts 
weist auf eine Toxinschädigung hin, 
überall sind es die direkten Wirkungen 
der Spirochäte, die die paralytische Er¬ 
krankung bedingen. 

Die klinischen Erscheinungen der Pa¬ 
ralyse entsprechen — es ist dies ein 
weiterer Fortschritt der Paralysefor¬ 
schung — der jeweiligen Ausbreitung 
des anatomischen Prozesses. Besonders 
überzeugend sind in diesem Sinne die 
Befunde bei atypischen Verlaufs¬ 
formen. Entwickelt sich der ‘ Prozeß 
primär an den Rückenmarksleisten und 
werden die hinteren Wurzeln in Mitleiden¬ 
schaft gezogen, so entsteht das Bild der 
Tabes mit Spätbeteiligung des Cerebrums 
(Tabo-Paralyse). Ist die motorische Re¬ 
gion Sitz der Spirochäteninvasion, so be¬ 
ginnt die Paralyse mit Krampfanfällen 
und Lähmungen. Wird der Hinterhaupt¬ 
lappen primär befallen, so eröffnen Seh¬ 
störungen, in anderen Fällen wiederum 
Aphasien, Apraxien, Agnosien oder Cere¬ 
bellarerscheinungen das klinische Bild. 
Die Beteiligung der Psyche an den ge¬ 
schilderten Herderscheinungen ist im ein¬ 
zelnen wechselnd. Die für das Leiden 
charakteristische psychische Beeinträchti¬ 
gung kann sich von vornherein mit den 
körperlichen Erscheinungen kombinieren, 
diesen vorangehen oder folgen. 

Da psychische Defekte einen gewissen 
Umfang der Spirochätenausbreitung vor¬ 
aussetzen, so kommen bei gesicherter 
Diagnose thera peutische Maßnahmen 
wohl immer zu spät. Verf. ist der 
Ansicht, daß die in einer Anzahl der 
Beobachtungen der Paralyse voraus¬ 
gehenden allgemeinen neurasthenischen 
Zeichen unter gleichzeitiger Kontrolle 
der Lumbalflüssigkeit möglicherweise eine 
Frühdiagnose zu lassen. 

L. Jacobsohn (Charlottenburg). 

(Arch. f. Psych. 1916, Heft 3.) 

Salomon schreibt über die operative 
Behandlung von Schußverletzungen 
peripherer Nerven. Als Indikation zur 
Operation gilt vollständige motorische 



406 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


November 


Lähmung mit kompletter Entartungs¬ 
reaktion ohne Besserung nach sechs bis 
acht Wochen. Oft mußte wegen bestehen¬ 
der Knochenfisteln zu einem späteren 
Termin operiert werden, aber Spätopera¬ 
tionen gefährden den Erfolg. Bei Ab¬ 
schüssen ist die Prognose schlechter als 
bei Verletzungen mit erhaltener Conti- 
nuität des Nerven. 

Verfasser hat unter 32 Operationen 
sechs Plastiken ausgeführt, bevorzugt aber 
wegen der unsicheren plastischen Metho¬ 
den die direkte Naht, die mit allen Mitteln 
(Dehnung des Nerven, Beugestellung der 
Gelenke) anzustreben ist. Operiert wurde 
stets in Allgemeinnarkose ohne Blutleere 
— gegen die Blutungen heiße Kochsalz¬ 
oder Kocher-Fonio - Lösungen, vorüber¬ 
gehende Tamponade. Bei spindelförmigen 
Narben wurde stets reseziert. War es 
zweifelhaft, ob die Neurolyse oder die 
Resektion angebracht sei, so wurde die 
Narbe längs gespalten, nach normalen 
Fasern gesucht und die elektrische Prü¬ 
fung mit der Reizelektrode angewendet. 
Nimmt man an, daß der Nerv selbst 
narbig verändert ist, so soll' er nicht in 
seine einzelnen Bahnen, die sich schwer 
zusammennähen lassen, aufgespalten, son¬ 
dern partiell reseziert werden. Zur exak¬ 
ten topographischen Vereinigung bei der 
Naht wurden vor der Resektion in der 
normalen Lage des Nerven an korre¬ 
spondierenden Stellen Nähte angelegt. 
Bei Neurolysen wurden Muskelnarben 
möglichst mit entfernt. Innere Neuro¬ 
lysen nach Stoffel sind nur bei intra¬ 
neuralen Narben notwendig. 

Bei den Nähten ist es wichtig, daß die 
Nahtstelle vor groben Verwachsungen und 
mechanischem Druck geschützt wird, aber 
Einbettung ist nicht unbedingt nötig, da 
auch ohne sie guter Erfolg erzielt wurde 
und die freien Fett- und Fascienlappen zu 
starken Schrumpfungen und Verwach¬ 
sungen führen können. Fascien- und 
Hautnaht muß sehr weit sein, genaue 
Blutstillung ist nötig, aber Tamponade 
und Drainage möglichst zu vermeiden. 

Als Nachbehandlung Hyperämie, Mas¬ 
sage, Elektrisieren; besonders soll durch 
Bewegungen, Schienen, Bandagen den 
Contracturen entgegengearbeitet werden. 
Die Nachbehandlung soll fortgesetzt wer¬ 
den, bis die einsetzenden Bewegungen 
eine gewisse Kraft gewonnen haben. 

Die. Nähte gaben befriedigende Resul¬ 
tate: Unter 20 Nähten 13 Erfolge, d. h. 
mindestens Teilwiederherstellung der Mo¬ 
tilität. Bei sechs Nähten war der Erfolg 


nach einem Jahre unsicher, bei einer 
bestand sicherer Mißerfolg. Die ersten 
Bewegungen stellten sich meist nach vier 
bis fünf Monaten ein. Bei vier Patienten 
kehrten alle motorischen Funktionen wie¬ 
der, und zwar nach einer Radialisplastik 
(E ding er),'einer Plexus-, einer Radialis- 
und einer Peroneusnaht. , 

Bei zehn Neurolysen waren zwei Mi߬ 
erfolge, in den anderen Fällen Erfolge 
verschiedenen Grades. In den Fällen mit 
Mißerfolg wäre wohl eine Resektion ge¬ 
eignet gewesen. 

Die Sensibilität kehrte später wieder 
als die Motilität. 

Hagemann (Marburg). 

(Arch. f. klin. Chir. Bd. 109, H. 1, S. 150.) • 

Unter welchen- 1 Bedingungen Psy¬ 
chosen und Neurosen eine Indika¬ 
tion zur künstlichen Unterbrechung 
der Schwangerschaft abgeben, erörtert 
Siemerling an Hand einer reichen Kasu¬ 
istik. Während der Schwangerschaft kom¬ 
men hauptsächlich die melancholischen 
Depressionszustände zur ärztlichen Beob¬ 
achtung, wobei die echten Melancholien 
von den Situationsmelancholien streng zu 
trennen sind. Von den Neurosen geben 
Epilepsie und Hysterie das hauptsächliche 
Material ab; für den Praktiker ist es sehr 
wichtig, zu wissen, daß in der ersten Hälfte 
der Schwangerschaft sehr schwere Anfälle 
mit Aufhebung des Bewußtseins Vor¬ 
kommen, deren Klassifizierung, ob Epi¬ 
lepsie oder Eklampsie vorliegt, mit den 
größten Schwierigkeiten verknüpft ist. 
Wenn nun auch zugegeben werden muß, 
daß durch die Hyperemesis gravidarum 
und der ihr folgenden Neuritis ein so 
schwerer Zustand hervorgerufen werden 
kann, der zum Eingriffe zwingt, da das 
Bild einer äußerst bedrohlichen Toxikose 
nicht zu verkennen ist, so veranlassen 
reine Psychosen und Neurosen sehr selten 
einen künstlichen Abort. Gegenüber an¬ 
deren Krankheiten gibt es keinen scharf¬ 
umschriebenen Symptomenkomplex. Nur 
eine im Verein mit anderen Ärzten durch¬ 
geführte Beobachtung — meist in einer 
Anstalt — wird eine einwandfreie Indika¬ 
tion abgeben. Erst wenn die schwerste 
Gefahr für das Leben der Schwangeren 
'vorliegt, darf eingeschritten werden. 

Pulvermacher (Charlottenburg). 

(Mschr. f. Geburtsh. 1917, Okt.) 

Über sterilisierende Operationen 
an den Tuben berichtet Nürnberger 
im Anschluß an zwei Fälle aus der Mün- 



November 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 407 


chener Klinik, wo die erste Operation 
einen Mißerfolg ergab, die zweite auf 
Grund genauer mikroskopischer Unter¬ 
suchungen 'der exstirpierten Tuben eine 
ausreichende Erklärung für den Fehl¬ 
schlag lieferte. Da es hier durch die 
Atrophie der Muskulatur nach einer dop¬ 
pelten. Unterbindung zu einer Lockerung 
der Fäden und so zu einer Restitution 
des Tubenlumens gekommen war, so 
können als sichere Methoden nur folgende 
bezeichnet werden: 1. keilförmige Exci- 
sion der Tuben, 2. doppelte -Unterbin¬ 
dung und Durchschneidung mit nach¬ 
folgender Versenkung der Stümpfe in 
das Peritoneum, und 3. die Einnähung 
der Tuben in den Leistenkanal; natürlich 
ist auch die Sterilisierung durch Bestrah¬ 
lung zu erwägen. Neben den Fällen, in 


denen eine dauernde Sterilität am Platze 
ist, kann man auch nur eine zeitliche er¬ 
reichen wollen, wenn* wie z. B. bei 
Tuben erst eine Aufbesserung des Zu¬ 
standes abgewartet werden soll. Leider 
ist es- bis jetzt noch nicht gelungen, eine 
solche Sterilisationsmethode zu finden. 
Es muß deshalb die strengste Indikation 
für diesen Eingriff gestellt werden, da ja 
die Wichtigkeit einer Steigerung der Ge¬ 
burtenzahl vollends erst nach dem Kriege 
nicht nur in nationaler, sondern auch in 
sozialer und volkswirtschaftlicher Hin¬ 
sicht im allgemeinen anerkannt wird. 
Nach Nürnberger hat ja der Krieg eine 
geburtshilfliche Disziplin, die soziale Ge¬ 
burtshilfe, ins Leben gerufen. 

Pulver mach er (Charlottenburg). 

(Sml. kl. Vortr. N. F. 1917, Nr. 731, 734.) 


Therapeutischer Meinungsaustausch. 

Die Wertschätzung der Malzextrakte. 

Von G. Klemperer. 


In einem vor kurzem im Aufträge des 
Kaiserlichen Gesundheitsamts veröffent¬ 
lichten Gutachten über „Kriegsmehl, Mehl¬ 
nährpräparate und Krankendiät“ habe ich 
gesagt, daß die viel verordneten und be¬ 
liebten Malzextrakte in Wirklichkeit über¬ 
flüssig sind. 

Gegen diesen Ausspruch haben sich 
Prof. Johannes Müller [Düsseldorf 1 )] und 
Geheimrat v. Noorden 2 ) in kritischen 
Besprechungen gewendet, auf die ich kurz 
ein gehen möchte. Beide Autoren betonen 
den appetitanregenden Einfluß des Malz¬ 
extrakts, durch den es weit über seinen 
eigentlichen Nährwert in der Krankendiät 
nutzbringend wirke, v. Noorden stellt 
„als sein persönliches, auf 25jähriger, 
breiter Erfahrung in der praktischen Er¬ 
nährungstherapie fußendes Urteil den Satz 
hh\, daß unser gutes altes Malzextrakt 
durchaus das Vertrauen rechtfertigt, das 
ihm Generationen deutscher Ärzte und 
Kranker entgegenbrachte“. Daß das Malz¬ 
extrakt bei den Ärzten beliebt sei, habe 
ich selbst hervorgehoben; es kam mir 
aber darauf an, den Ärzten klarzumachen, 
daß sie ihren Kranken in keiner Weise 
schadeten, wenn sie für Kriegsdauer da¬ 
rauf verzichteten. Ich schrieb selbst, daß 
das Malzextrakt nützliche Eigenschaften 
habe, „die durch den würzigen Geschmack 

J ) M. m. W. Nr. 36. 

2 ) Th. M. Heft 9. 


des Malzes noch wertvoller werden“, 
aber diese Eigenschaften erschienen mir 
keinesfalfs ausreichend, um für die Malz¬ 
fabrikation die Bereitstellung von Gerste 
zu rechtfertigen, welche der Ernährung 
gesunder Menschen entzogen werden sollte. 
Müller wie v. Noorden sind selbst der 
Meinung, daß das Malz als eigentliches 
Nahrungsmittel neben den vorhandenen 
Kohlehydraten nicht notwendig sei; sie 
verlangen es nur als „Zukost“, beziehungs¬ 
weise alsAnregungsmittel fürSchwache und 
Kranke. Die Erfahrung lehrt aber, daß es 
sehr gut in der Krankenernährung auch 
ohne dies Hilfsmittel geht. Ich kann mich 
wohl auf ebenso lange und ebenso breite 
Erfahrung in der praktischen Ernährungs¬ 
therapie berufen wie mein verehrter Kollege 
v. No orden, und gerade auf Grund 
meiner Erfahrung bin ich zu dem Resul¬ 
tat gekommen, daß das Malzextrakt voll¬ 
kommen entbehrlich ist. In meinem 
Krankenhaus wird es niemals verordnet, 
und wir haben sowohl bei den Rekon¬ 
valeszenten wie bei den Tuberkulösen 
auch noch in letzter Zeit ausgezeichnete 
Gewichtszunahmen. Auch in der Privat¬ 
praxis habe ich kaum jemals Malzextrakt 
gegeben. Die Anregung des Appetits für 
Gebäck, Mehlspeisen und Suppen ist auf 
vielerlei Weise möglich, auch wenn man 
auf -Malzextrakt verzichtet. Ich glaube 
also, daß Noorden im Unrecht ist, wenn 



408 


Die Therapie der' Gegenwart 1917. November 


er mein Urteil über den Wert des Malz¬ 
extrakts als sachlich unrichtig bezeichnet 
Im übrigen muß liervorgehoben werden, 
daß es der ausgesprochene Zweck meines 
Aufsatzes war, die durch den Krieg ver¬ 
änderte Situation des Nährmittelmarktes 
und die Möglichkeit der Krankenversor¬ 
gung auch unter den Kriegsverhältnissen 
ins rechte Licht zu setzen. Der Aufsatz 
bezog sich nur auf die Kriegsverhältnisse. 
v Im Frieden wird sicherlich wieder Malz¬ 
extrakt zur Genüge vorhanden sein und 
jeder mag es nach Belieben verordnen. 
Nur soH es auch dann niemand für 
notwendig oder gar für unentbehrlich 
erklären. Ich persönlich kann in meiner 
kritischen Würdigung des Malzextrakts 
auch qiclit . durch die Rücksicht auf 
„unsere ganze hochentwickelte Malzextrakt¬ 
industrie“ wankend gemacht werden, 
welche Noorden durch meine Kritik 


ernstlich gefährdet erachtet. Die Er¬ 
fahrung beweist, daß der zur Einschrän¬ 
kung mahnende Kritiker gegenüber der 
Luxusindustrie stets ein Prediger in der 
Wüste bleibt. Mein Urteil über künst¬ 
liche Nährpräparate habe ich vor mehr 
als 20 Jahren literarisch festgelegt, ich glaube 
also keineswegs der Mahnung zu bedürfen, 
„vorsichtiger und bedachter“ zu sein. 
Meinerseits glaube ich, daß wir bei der Be¬ 
ratung von Behörden in Krieg und Frieden 
uns auf den Standpunkt der ärztlichen 
Sachverständigen beschränken sollen; 
die Abwägung der volkswirtschaftlichen 
Gesichtspunkte gegenüber den medizini¬ 
schen'steht der Behörde'zu. In Wirklich¬ 
keit decken * sich zürn Glück für unsern 
Fall beide Standpunkte; auch Noorden 
gibt zu, daß es für die Kriegszeit nicht rat¬ 
sam scheinen mag, Rohstoff zum Her¬ 
stellen von Malzextrakt freizugeben. 


Zur mechanischen Behandlung der chronischen Obstipation. 

Von San.-Rat Dr. Karl Gerson-Schlachtensee. 


Bekanntlich sterben hin und wieder Men¬ 
schen während der Defäkation eines plötz¬ 
lichen Todes. Es handelt sich dabei meist 
um ältere Leute mit Arteriosklerose und 
chronischer Obstipation. Sie suchen die 
harten Faeces kraft ihrer Bauchpresse 
herauszuzwängen und steigern hierdurch 
den Blutdruck im Gehirn oft so stark, daß 
ein größeres Gefäß birst. Blutung und Tod 
sind die Folge. Trotz aller Warnungen der 
Ärzte, durch Abführmittel für leichten 
Stuhl zu sorgen und beim Stuhlgang nicht 
zu pressen, bleiben die Patienten bei ihrer 
alten Gewohnheit, weil die Abführmittel 
oft nur eine Zeitlang helfen. Dies ist 
besonders bei Arteriosklerotikern der Fall, 
deren Darmdrüsen und Peristaltik in¬ 
folge mangelnder Zirkulation unregel¬ 
mäßig funktionieren. Die Arteriosklerose 
der Darmgefäße macht oft Verstopfung, 
letztere nötigt zur Bauchpresse. Da so 
-die Wirkung der Bauchpresse in manchen 
Fällen chronischer Obstipation nicht 
immer zu vermeiden ist, erscheint es 
wünschenswert, sie wenigstens möglichst 
abzuschwächen und dadurch ungefähr¬ 
licher zu gestalten. Zu diesem Zwecke 
hat sich folgendes Verfahren bewährt: 
Im Begriffe zu defäzieren, 
schnaubt der Kranke mit dem 
Schnupftuche die Nase, so zwar, 
daß er einige kräftige Exspira¬ 


tionsstöße abwechselnd links und 
rechts durch die Nase'treibt. Bleibt 
die Wirkung nach den ersten drei Ex¬ 
spirationsstößen aus, so wartet man kurze 
Zeit und wird dann bei erneuten Ver¬ 
suchen gewöhnlich Erfolg haben. Man 
fühlt dann bei jedem Schnauben einen 
Druck auf den Mastdarm, der den Sphinc- 
ter ani erschlaffen läßt und die Kotsäule 
in Bewegung setzt. Man.setzt das Schnau¬ 
ben aus, sobald die Defäkation in Gang 
gekommen ist. Diese Art der Bauch¬ 
presse ist deshalb ungefährlicher, weil 
durch die Nasenexspiration gewissermaßen 
ein Luftventil geschaffen wird, das den 
Blutdruck im Gehirne abschwächt. Die 
Exspirationsstöße sollen nicht stärker 
sein, als bei gewöhnlichem Schnauben 
der Nase. Diese Bauchpresse ist aber 
auch wirksamer, weil sie in einzelnen 
Stößen wirkt, die den Mastdarm di¬ 
rekt erschüttern. Die Wirkung der 
Exspirationsstöße auf den Mastdarm 
erfolgt nur im Sitzen bei der Absicht zu 
defäzieren. Auch der Inhaber eines 
normalen Stuhlganges kann die Wirk¬ 
samkeit des Verfahrens erproben. Ob 
das Schnaubverfahren in allen 
Fällen von chronischer Obstipation 
zum Ziele führt, muß weitere Erfahrung 
lehren; in vielen wird es gewiß nicht 
versagen. 


Für die Redaktion verantwortlich Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer in Berlin. Verlag von Urban & Schwarzenberg 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., in Berlin W8. 




Die Therapie der Gegenwart 

herausgegeben von 

58. Jahrgang Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer 12. Heft 

Neueste Folge. XIX. Jahrg. BERLIN Dezember 1917 

W 62, Kleiststraße 2 

Verlag von URBAF & SCHWARZENBERG in Berlin N 24 und Wien I 


Die Therapie der Gegenwart erscheint zu Anfang jedes Monats. Abonnementspreis für den 
Jahrgang 10 Mark, in Österreich-Ungarn 12 Kronen, Ausland 14 Mark. Einzelne Hefte je 1,50 Mark 
resp. 1,80 Kronen. Man abonniert bei .allen größeren Buchhandlungen, sowie direkt bei den 
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Generalvertretungf.Österreich-Ungarn: Th.Lindner,WienVIII, Hamerlingplatz7, f.d.Schweiz: HausmannA.-G.,St.Gallen 


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betr.: .Strauß, Nephritiden. Zweite Auflage. 




















Die Therapie der Gegenwart 

q- _ herausgegeben von öeh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer D02emb6r 

' In Berlin. 

* Nachdruck verboten. 

Zur Behandlung von Folgezuständen der Ruhr. 

Von Prof. Dr. H. Strauß-Berlin. 


Die Zunahme der Dysenterie und 
von dysenterieähnlichen Erkrankungen 
während der Kriegszeit hat dazu geführt, 
daß wir Folgen der Dysenterie häufiger 
als frtjher zu sehen bekommen. Glück¬ 
licherweise ist allerdings die weitaus über¬ 
wiegende Mehrzahl der Fälle von Dysen¬ 
terie gutartig verlaufen und es ist auch 
nach meinen Beobachtungen eine erheb¬ 
liche Mortalität fast nur bei Personen über 
•60 Jahren oder bei von vornherein ganz 
foudroyantem Auftreten der Krankheit zu 
verzeichnen gewesen. Infolgedessen ist 
ein erfreulicherweise nur kleiner Pro¬ 
zentsatz der Fälle von Überbleibseln be¬ 
ziehungsweise von Folgezuständen der 
Ruhr betroffen worden. Nimmt man 
jedoch die Summe der Erkrankten als 
Ganzes, so dürfte die Zahl der an „Rest¬ 
zuständen“ Leidenden nicht eine absolut 
geringe sein. Es sind dies vor allem 
die Fälle von „verzögerter Rekonvales¬ 
zenz“ bei welchen ein chronisch- 
diarrhöischer Zustand noch lange zu¬ 
rückblieb, ferner Fälle von ganz auf¬ 
fälligem, und zwar nicht bloß durch eine 
chronische Colitis zu erklärendem „Ruhr- 
Siechtum“ und schließlich Fälle von- 
postdyseriterischer, spastisch -hyperalge- 
tischer, „erethischer“ Obstipation, die 
zuweilen einen sehr quälenden Charakter 
darbietet. Ihnen fügt sich eine Gruppe 
testierender Gastrodyspepsien an, die 
nicht ganz selten, aber doch nur in der 
Minderzahl der Fälle (siehe später) eine 
Sub- oder Anacidität des Magens erkennen 
lassen und schließlich noch eine Gruppe, bei 
welcher sich mit auffälliger Hartnäckig¬ 
keit eine quälende „Rest-Proctitis“ er¬ 
halten hat. Von organischen Stenosen 
habe ich jedoch bis jetzt nur einen ein¬ 
zigen Fall zu sehen bekommen, und zwar 
saß die Stenose am der Flexura lienalis 
coli. Neben diesen „Restzuständen“, 
welche jedoch keineswegs alle Möglich¬ 
keiten erschöpfen, sind noch die Stö¬ 
rungen zu berücksichtigen, welche als 
Fernwirkungen der Ruhr, so beson¬ 
ders auf das Herz, das Nervensystem 


und die Gelenke — Ödeme habe ich nur 
zweimal ausgeprägt, dagegen zweimal links¬ 
seitige Venenthrombosen gesehen — zu 
betrachten sind. Gerade wegen. der. 
Hartnäckigkeit, welche clie „Rest¬ 
zustände“ der Dysenterie den thera¬ 
peutischen Maßnahmen vielfach ent¬ 
gegensetzen, verdienen die vorliegenden 
Zustände ein besonderes Interesse und es 
sind infolgedessen in der letzten Zeit — 
zum Teil im Zusammenhänge mit einem 
'in dieser Zeitschrift erschienenen Artikel, 
in welchem ich ätiologische Fragen er¬ 
örtert habe — mehrere Anfragen an mich 
gelangt, die sich auf die Therapie dieser 
quälenden Zustände beziehen. Von diesen 
möchte ich jedoch hier nur zwei — wie 
mir scheint, besonders wichtige — Fragen 
zum Gegenstand einer Betrachtung 
machen, nämlich die Frage eines chirur¬ 
gischen Eingriffes und die Frage der 
Lokalbehandlung und diesen einige 
Bemerkungen über Störungen der 
Magen- und Dünndarmverdauung 
vom Standpunkte der Therapie anfügen. 
Bei der Erörterung der beiden Haupt¬ 
fragen möchte ich mich jedoch nicht bloß 
von den Erfahrungen leiten lassen, die ich 
bei „chronisch gewordenen“ Felddysente¬ 
rien zu machen Gelegenheit hatte, sondern 
auch von denjenigen, die ich in Friedens¬ 
zeiten bei der Behandlung schwerer, der 
Therapie hartnäckigen Widerstand lei¬ 
stender, Formen von chronischer blutig¬ 
eitriger Colitis gewonnen habe. Ist doch 
die „Friedensform“ dieser Erkrankung 
unabhärfgig von der Frage ihrer Ätio¬ 
logie der „Kriegsform“ in vielen Punkten 
klinisch so ähnlich, daß die therapeuti¬ 
schen Gesichtspunkte an vielen Stellen 
engste Berührung zeigen. 

A. Chirurgische Behandlung. 

Ein chirurgisches Vorgehen kommt 
überhaupt nur bei solchen Fällen in Be¬ 
tracht, bei welchen eine lange Zeit regel¬ 
recht durchgeführte interne Behandlung 
— siehe über diese unter anderem die 
Ausführungen von G. Klemperer und 

52 



410 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Dezember 


Dünner in der Dezembernummer 1915 
dieser Zeitschrift — zu keinem Erfolge 
geführt hat. Für ein chirurgisches Vor¬ 
gehen kommen bekanntlich drei Opera¬ 
tionen in Frage: 

1. Die Appendicostomie (1902 von 
Weir eingeführt). 

2. Die Anlegung einer Cöcalfistel (von 
Fol et 1885 eingeführt). 

3. Die Anlegung eines Anus praeter¬ 
naturalis. 

Von diesen Operationen ist die sub 1 
genannte die leichteste. Sie unterscheidet 
sich aber von den sub 2 und 3 genannten 
dadurch, daß bei ihr keine Fernhaltung 
des Kotes von den erkrankten Darm¬ 
partien stattfindet. Die Fernhaltung 
selbst wird bei der sub 3 genannten Ope¬ 
ration vollkommen, bei der sub 2 ge¬ 
nannten nur teilweise erreicht. Alle drei 
Operationen geben jedoch in gleicher 
Weise Gelegenheit zu einer Bespülung 
der erkrankten Darmpartien von oben 
her. Ich selbst verfüge über vier mit 
Appendicostomie behandelte Fälle. Unter 
diesen ist bei zwei Fällen ein guter Erfolg 
eingetreten, in zwei, weiteren blieb der¬ 
selbe aber aus und in einem dieser Fälle 
mußte später ein Anus praeternaturalis 
angelegt werden. In einem Falle, in wel¬ 
chem die Ausführung einer Appendi¬ 
costomie versucht wurde, gelang dieselbe 
wegen Obliteration des Wurmfortsatzes 
nicht. Grundsätzlich habe ich mich früher 1 ) 
einer der sub 2 und 3 genannten radi¬ 
kalen Operationen — insbesondere der 
Anlegung eines Anus praeternaturalis — 
mehr zugeneigt, weil ich in der Fern¬ 
haltung des Kotes von der erkrankten 
Schleimhaut die erstrebenswerteste Wir¬ 
kung der Operation suchte. Ich verfüge 
über neun hierher gehörige, Beobach¬ 
tungen und würde über eine erheblich 
größere Anzahl verfügen, wenn ich nicht 
in den letzten Jahren mit der Empfehlung 
dieser Operationen etwas zurückhaltender 
geworden wäre. Ich mußte nämlich in 
vier Fällen die traurige Erfahrung 
machen, daß die betreffenden Pa¬ 
tienten dem operativen Eingriffe 
gegenüber eine verminderte Wi¬ 
derstandskraft darboten, so daß 
im Anschluß an die Operation' in 
den nächsten Tagen ein Exitus 
eintrat. Von den genannten vier Pa¬ 
tienten waren drei zur Zeit der Operation 
noch in gutem Ernährungszustände und 
es mußte als Todesursache ein plötzliches 


Versagen der Herztätigkeit ange¬ 
nommen werden, da keine Zeichen von 
Peritonitis gefunden wurden. Dreimal er¬ 
folgte der Tod schon einige Tage — einmal 
allerdings erst 14 Tage *— nach der Ope¬ 
ration. Drei von diesen Fällen stammten 
aus der Friedenszeit. Einer der Fälle 
betraf eine chronisch gewordene Feld¬ 
dysenterie 1 ). Es scheint also die Colitis 
ulcerosa dysenterischen und nichtdysente¬ 
rischen Ursprungs eine besondere Wi¬ 
derstandslosigkeit gegenüber dem 
Acte der breiten Eröffnung zu besitzen. 
Mit Rücksicht auf diese wenig ermun¬ 
ternden Erfahrungen möchte ich mich 
deshalb bezüglich der Wahl der Operation 
im Gegensätze zu früher jetzt doch zu¬ 
nächst mehr für die Appendicosto¬ 
mie als die weniger gefährliche Ope¬ 
ration entscheiden, trotzdem diese hin¬ 
sichtlich ihrer Wirkung a priori gegen¬ 
über der breiten Eröffnung des Coecums 
zurücksteht und möchte die breite Er¬ 
öffnung erst später in Betracht ziehen.- 
Ich halte es aber von Wert, daß gerade 
die vorliegende Frage auch von an¬ 
deren Seiten diskutiert wird, da es 
sich möglicherweise in meinen Erfahrun¬ 
gen um einen Zufall gehandelt hat. Von 
anderer Seite finde ich nur bei de Quer¬ 
vain 2 ) einen ähnliche Gedankengang an 
der Hand der Feststellungen von Mum- 
mery (siehe später) entwickelt. Soweit 
Erfahrungen aus dem deutschen Sprach¬ 
gebiete mitgeteilt sind, fand ich, daß 
unter 34 operativ behandelten Fällen 
aus der Zusammenstellung von Nehr- 
korn 3 ) fünf im Anschlüsse an die Ope¬ 
ration gestorben sind, und zwar teils 
an Erschöpfung, teils an Perforationsperi¬ 
tonitis, Blutung, Pneumonie oder innerer 
Incarceration. Allerdings ist nicht zu er¬ 
sehen, ob dieser Exitus direkt im An¬ 
schluß an die Operation eintrat. Ferner 
bemerkt Zweig 4 ) bei der Besprechung 
von sieben durch Colostomie operierten 
Fällen, daß drei Fälle gestorben sind, und 
zwar je einer an Pneumonie, Ileus und an 
unstillbaren erst nach der Operation auf¬ 
getretenen Diarrhöen. Er betrachtet in¬ 
folgedessen die Colostomie als einen 
,,durchaus nicht unbedenklichen Eingriff, 

*) Anmerkung: Ein weiterer gleichartiger Fall, 
welcher den Schwiegersohn eines Kollegen betraf, 
ist mir durch mündliche Mitteilung bekannt ge¬ 
worden. 

2 ) de Quervain Erg. d. Chir. u. Orthop. 1912, 
Bd. 4. 

3 ) Nehrkorn, Mitt. Grenzgeb. 1913, Bd. 12. 

4 ) Zweig, Wiener k. k. Gesellschaft der Ärzte 
(Referat in W. kl. W. 1912, Nr. 19). 


*) H. Strauß, B. kl. W. 1910, Nr. 28. 




Dezember 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


411 


der nur für diejenigen Fälle reserviert 
werden soll, welche durch innere Behand¬ 
lung nicht gebessert werden können“. 
Auch H. Schlesinger 1 ), der von zwei 
colostomierten Fällen einen an postope¬ 
rativer Peritonitis verlor, nennt die Co- 
lostomie ,,durchaus keine gefahrlose“ 
Operation. 

Bezüglich der Schluß-Ergebnisse 
der breiten Eröffnung des Coecum lehrt 
eine Statistik von A. Schmidt 2 ), daß von 
18 Operierten sechs Fälle geheilt, sechs 
Fälle gebessert, zwei ungebessert und drei 
gestorben sind, während von einem Falle 
der Ausgang unbekannt blieb (achtmal 
war ein Cöcalafter angelegt worden, und 
zwar viermal mit günstigem Erfolge.) 
Dies ergibt ein Verhältnis von zwölf gün¬ 
stigen und zu fünf ungünstigen Resul¬ 
taten. Vereinige ich mit dieser Statistik, 
die mit wenigen Ausnahmen Fälle mit 
breiter Eröffnung des Coecum umfaßt, 
meine eigenen Erfahrungen soweit sie sich 
auf Colostomie beziehungsweise Anus 
praeternaturalis beziehen und Mitteilun¬ 
gen von Zweig (unter Ausschluß eines 
Falles von Ileocöcaltuberkulose) Jolasse 3 ) 
und von Moszkowicz 4 ), so entfallen auf 
40 Fälle 11) Heilungen und 11 
Besserungen. Infast der Hälfte der 
Fälle war also ein mangelhafter Er¬ 
folg oder ein Mißerfolg zu konsta¬ 
tieren. Diesem Ergebnis entspricht un¬ 
gefähr auch die Statistik von Nehrkorn. 
Dieser sah unter 34 ,,operativ behandel¬ 
ten“ Fällen — die überwiegende Mehr¬ 
zahl dieser Fälle bezieht sich auf 
Colostomien — 20mal Heilung, sechsmal 
Besserung und dreimal blieb ein Erfolg 
aus. Allerdings betont A. Schmidt, daß 
bei dieser Statistik sechs Fälle, über deren 
späteren Verlauf nichts zu ermitteln war, 
in der Rubrik ,,Heilung“ eingereiht sind. 
Auch in einer den Cöcalafter betreffenden 
Statistik von Mummery — dieselbe ist 
mir im Originale nicht zugänglich ge¬ 
wesen — finden sich nach de Quer¬ 
vain (l.c.) 22% Todesfälle nach Cöcal¬ 
after angegeben. 

Was die Erfolge der Appendicosto- 
mie betrifft, so fand Mummery 5 ) bei 

x ) H. Schlesinger, Die Indikationen zu 
chirurgischen Eingriffen bei inneren Erkrankungen. 
2. Aufl. Jena 1910. Fischer. 

2 ) A. Schmidt, 1. Homburger Tagung für 
Verdauungs-und Stoffwechselkrankheiten 1914. 

3 ) Jolasse, Veröffentlichungen der Hambur- 
gische Staatskrankenhäuser 1912. Von den Fällen 
von Jolasse ist FallV als im Endergebnis unüber¬ 
sichtlich nicht mitverwertet. 

4 ) Moskowicz, Diskussion zu Zweig 1. c. 

5 ) Mummery. Br. med. J. 1910, 1. Okt. 


einer Zusammenstellung von 20 Fällen 
13mal eine Heilung, dreimal eine Besse¬ 
rung, viermal keine Besserung. Von meinen 
vier Fällen von Appendicostomie zeigten 
nur zwei einen Dauererfolg. Von zwei 
Fällen von Fuld 1 ) wurde einer geheilt, 
einer gebessert. Auf 26 Fälle würden also 
20 Heilungen oder Besserungen entfallen. 
Allerdings blieb nach de Quervain nur 
achtmal unter 18 Fällen von Mummery 
ein Rezidiv aus. Dagegen trat unter 
125’Fällen einer Statistik von Tuttle 2 ), 
bei welchen wegen Amöbencolitis die Ap¬ 
pendicostomie ausgeführt worden war, 
nur einmal im Anschluß an die Opera¬ 
tion ein Exitus auf, und zwar an Miliar¬ 
tuberkulose. Bei der Beurteilung dieser 
Ergebnisse ist allerdings zu berücksich¬ 
tigen, daß die mit Appendicostomie be¬ 
handelten vielfach von vornherein leichter 
waren als die Colostomierten. Das Ope¬ 
rationsrisiko an sich ist aber bei der 
Appendicostomie sicher geringer. Trotz¬ 
dem wird man bei der Indikationsstel¬ 
lung der Operation nicht nach diesen Ge¬ 
sichtspunkten allein verfahren, so sehr 
man auch in leichteren Fällen die Appen- 
dipostomie bevorzugen wird. • Den Zeit¬ 
punkt für die Operation anzugeben, ist 
leider im konkreten Falle sehr schwer 
und hängt von der individuellen Beurtei¬ 
lung des einzelnen Falles ab. Sieht man 
doch gar nicht allzu selten auch bei ganz 
schweren Fällen auch noch nach Monaten 
weitgehende Besserungen zum mindesten 
eine Intermittenz der Erscheinungen 
ohne Garantie auftreten. 

B. Lokalbehandlung. 

Was die Anwendung der Lokal¬ 
therapie betrifft, so habe ich mich mit 
zunehmender Erfahrung immer mehr da¬ 
von überzeugt, daß sie in der Mehrzahl 
der Fälle auch von chronisch gewordener 
Dysenterie der inneren Behandlung nicht 
überlegen ist. Langdauernde Bettruhe 
mit zartejr Diät und Anwendung von 
adstringierenden Medikamenten per os 
scheinen mir nicht bloß für die akuten 
Fälle — vergleiche hierüber meine Aus¬ 
führungen in dieser Zeitschrift im Jahre 
1914 (Novemberheft) — , sondern auch 
für die chronisch gewordenen Fälle von 
grundsätzlicher Bedeutung. Meines Er¬ 
achtens wird die Bedeutung der Lokal¬ 
therapie an vielen Stellen auch zurzeit 
noch zu hoch eingeschätzt. Jedenfalls 
haben sich zahlreiche Fälle der chronisch- 

x ) Fuld, B. kl. W. 1914, Nr. 46. 

2 ) Tuttle, New York med. J. 1907, Mai. 

52 * 



412 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


, Dezember 


diarrhöischen Form meiner Beobachtung 
gegenüber der Lokaltherapie nicht nur 
refraktär verhalten, sondern es mußte 
in einer nicht geringen'Zahl dieser Fälle 
die Lolcaltherapie sogar wegen der Emp¬ 
findlichkeit der Patienten eingeschränkt 
oder gänzlich aufgegefeen werden. Das 
war sogar bei Tanninkonzentrationen von 
1 °/ 00 und bei Argentumkonzentrationen 
von 1 / 5 °/ 00 wiederholt nötig. Speziell habe 
ich wie verschiedene andere Autoren, 
so z.B. Boas 1 ), Kauffmann 2 ) gesehen, 
daß stark konzentrierte Mittel zuweilen 
die Schleimabscheidung steigern, so daß 
ich für die Lokalbehandlung immer mehr 
zu einer geringeren Konzentration der be¬ 
nutzten Mittel übergegangen bin. Ganz 
allgemein gewann ich den Eindruck, daß 
die Lokaltherapie vorwiegend für 
die auf das Rectum und allenfalls 
auch den Anfangsteil der Flexur 
begrenzten Erkrankungen Aussich¬ 
ten bietet. Dies nimmt nicht wunder, 
wenn man bedenkt, daß bei Prozessen, die 
weiter hinauf reichen, stets ein Wieder¬ 
aufflackern des Prozesses durch das von 
oben herabfließende, bakterielle und che¬ 
mische Noxen enthaltende, Sekret erzeugt 
wird. Aus diesem Grunde habe ich seit 
einiger Zeit die Lokalbehandlung auf die 
nach dem Ergebnisse der procto-sigmo- 
skopischen Untersuchung vorwiegend im 
Rectum und im Anfangsteil der Flexur 
lokalisierten Formen beschränkt. Damit 
will ich jedoch keineswegs sagen, daß ich 
ein grundsätzlicher Gegner einer Klystier¬ 
behandlung bei allen Formen wäre, bei 
welchen die Veränderungen über das 
Rectum und die Flexur hinaufreichen 3 ). 
In vielen Fällen dieser Art wirkt die Ent¬ 
fernung stagnierender Sekrete durch milde 
Reinigungsklystiere (wie z. B. mit einem 
Weinglas Kalkwasser auf 1 1 Wasser von 
40° Celsius oder mit warmem Kamillen¬ 
tee) recht günstig. Da, wo solche Klystiere 
aber Schmerzen erzeugten, habe ich auch 
auf sie verzichtet. Ferner habe ich bei 
adstringierenden Klystieren nach vor¬ 
herigem Reinigungsklystier bei Anwen- 

1 ) Boas, Diagnostik und Therapie der Darm¬ 
krankheiten. Leipzig, Thieme. Seite 248. 

2 ) Kauffmann, Verhandlungen des , War¬ 
schauer Kongresses 1916, Aussprache. 

3 ) Anmerkung: Jüngst sah ich in einem Falle 
von chronischer ulceröser Kolitis (Frau von 

35 Jahren), welcher schon in sehr entkräftetem 
Zustande auf meine Krankenabteilung kam, bei 
der Sektion massenhafte kleine Ulcera im Colon 
ascendens, transversum und descendens, während 
der Prozeß in der Flexura sigmoidea und im Rec¬ 
tum durch die Behandlung gebessert war. 


.düng von Tannin die Konzentration von 
*4%, und bei Anwendung von Argentum 
nitricum die Konzentration von 1 l2°loo nie“ 
überschritten und meist noch- geringere 
Konzentrationen gewählt. Auch von der. 
Jodoformbehandlung sei es in der von. 
van der Scheer 1 ) geübten oder in der 
neuerdings von Moszkowski 2 ) empfoh¬ 
lenen Form habe ich keine deutlichen 
Erfolge beobachten können; trotzdem 
ich die Jodoformbehandlung in der einen 
oder anderen Form in mehr als einem 
Dutzend von Fällen durchgeführt habe. 
Dagegen habe ich bei den im Rectum 
lokalisierten Prozessen — und die Zahl 
dieser „Residual-Proctitiden“ ist nach 
meinen Erfahrungen keine ganz geringe — 
von kleinen Bleibeklystieren (von 
50 bis 100 ccm) gern Gebrauch gemacht 
und habe hierzu je nach der vorhandenen 
Indikation Bolus alba, Tierkohle, Bolusal- 
Tierkohle, Collargol (%%), Ichthyol 
(%%), Gelatine (5%) mit oder ohne Zu¬ 
satz von Liquor ferri sesquichlorati (1 bis 
2%) gewählt. Ferner habe ich nicht selten 
auch die von A. Schmidt 3 ) und Anderen 
empfohlenen Dermatol-Gummi arabicum- 
Aufschwemmimg in der Form benutzt, 
daß ich einen halben Teelöffel Dermatol 
mit einem Eßlöffel Mucilago-Gummi- 
arabici und vier Eßlöffel Wasser ver¬ 
mengen ließ. Bei starker Diarrhöeneigung 
mit Tenesmus schienen mir Stärkemehl- 
Opium-Klystiere (15 Tropfen Tct. Opii in 
100 ccm Stärkemehlabkochung) den 
Opiumsuppositorien überlegen zu sein. 
Bei der Lokalisation des Testierenden 
Krankheitsprozesses in den distalen Am¬ 
pullenteilen, dem „Collum“ ampullae, habe 
ich zuweilen auch von der lokalen Appli¬ 
kation kleiner, das heißt etwa 2 ccm be¬ 
tragender, Mengen von stärker wirkenden 
Medikamente, wie z. B. von Ichthyol 1:5 
bis 1:2 mit oder ohne Zusatz von Anästhesin 
(0,2) oder Extractum Belladonnae 0,03 
oder von Protargol 2 bis 5% mit Zusatz 
von Alypin (0,5%) mittels der Oidtmann- 
schen Glycerinspritze Vorteile gesehen. 
Auch in Form von „Riesensuppositorien“, 
wie ich sie seinerzeit durch Unna 4 ) in 
dieser Zeitschrift habe beschreiben lassen, 
habe ich in Fällen der vorliegenden Art 
oft adstringierende Medikamente verab¬ 
folgt. Ließ sich als Quelle der lästigen 

x ) van der Scheer, zitiert nach Wegele, 
Therapie der Magen-Darmkrankheiten. 4. Auf!. 
Jena, Fischer. 

2 ) Moszkowski (B. kl. W. 1916, Nr. 5). 

3 ) A. Schmidt, Klinik der Darmkrankheiten. 
Wiesbaden, J. F. Bergmann. S. 336. 

4 ) Unna Ther. d. Gegenw. 1910. H. 6. 



Dezember . Die Therapie der Gegenwart 1917. 413 


Dauerbeschwerden eine hartnäckige Proc- 
titis „sphincterica“ nachweisen, so war 
oft eine Applikation der zuletzt genannten 
Medikamente mittels der seinerzeit von 
mir angegebenen „Sphincterenspritze“ 1 ) 
mit nur seitlich gelegenen Öffnungen 
wirksam. In Fällen von Proctitis ampul- 
laris beziehungsweise ,,Colli“ erwies sich 
nicht selten eine Trockenbehandlung 
der feuchten Behandlung überlegen. Gegen 
die Trockenbehandlung kann man aller¬ 
dings mit Recht einwenden, daß dieselbe 
eine besondere Einführung des Rectoskops 
erforderlich macht, welche das Verfahren 
für den Arzt und Patienten unbequem 
macht. Infolgedessen habe ich neuerdings 
für die im Rectum lokalisierten Prozesse 
die Pulverbehandlung auf direktem Wege 
unter Benutzung eines von mir kon¬ 
struierten „Rectalinsufflators“ 2 ) ange¬ 
wandt, welcher nicht nur den Patienten 
weniger belästigt, als dies für das größere 
Rectoskop zutriff, sondern auch von einem 
halbwegs gebildeten und gut eingearbei¬ 
teten Pflegepersonal benutzt werden kann. 



Dasselbe besteht aus einem kleinen Metall- 
tubus mit Mandrin, einem Pulverbehälter und 
einem Gebläse. Man führt den erwärmten gut 
eingefetteten Tubus mit Mandrin ein, zieht den 
letzteren zurück und fügt den Pulverbehälter ein. 
Alsdann bläst man das Pulyer in der Weise ein, 
daß man den Tubus allmählich von der Ampulle 
gegen den Anus herauszieht. Zwei Stunden vor 
der Applikation verabfolgt man ein Rcinigungs- 
klvstier und direkt vor der Pulvereinblasung gibt 
man 15 Tropfen Opiumtinktur. 

Als Pulvermischungen haben sich mir 
Dermatol oder Tannin mit Bolus oder 
Talcum venetianum im Verhältnis 1:5 
oder Tierkohle beziehungsweise Bolusal- 
Tierkohle bewährt. Bei Blutungstendenz 
habe ich Renoform (1:5) und da, wo eine 
Anregung der Überhäutung notwendig 
erschien, Pellidol mit Bolus alba (1:20) 
benutzt. Bei Schmerzen wirkte ein ent¬ 
sprechender Zusatz von Anästhesin oder 
von Orthoform oft günstig. 

0 H. Strauß, Die Procto-Sigmoskopie. Leip¬ 
zig, Thieme. S. 41. 

2 ) Derselbe wird von dem Medizin. Warenhaus 
Berlin, Karlstraße 31, hergestellt. 


C. Magen - und Dünndarmstörungen 
als Objekte der Therapie. - 
Ebenso wie die -Frage der Lökalbe- 
handlung von einer genauen Lokalunter¬ 
suchung gefördert werden kann, ver¬ 
mag die letztere auch für die Art der 'Er¬ 
nährungsbehandlung von Bedeutung 
zu werden. W. Schlesinger 1 ) und Por- 
ges 2 ) haben seinerzeit darauf hingewiesen, 
daß Rekonvaleszenten von Dysenterie in 
ihrem Stuhle häufig Reste von unver¬ 
dauten Nahrungsmitteln erkennen lassen 
und daß eine Anacidität des Magen¬ 
saftes bei chronisch gewordenen Dysen¬ 
terien nicht selten sei. Roubitschek 
und Läufer 3 ) haben Achylia gasti'ica oder 
ausgeprägte Subacidität in etwa der 
Hälfte der Fälle gefunden und Schrö¬ 
der 4 ) hat neuerdings unter 27 Fällen 
von chronisch gewordener Ruhr 18 mal 
Achylie feststellen können. Wie ich seiner¬ 
zeit an anderer Stelle mitgeteilt habe, 
habe ich selbst 5 ) im ersten Kriegsjahre 
unter zwölf chronisch gewordenen Fällen 
achtmal Achylie beobachten können und 
habe damals die Auffassung geäußert, 
daß eine primäre sekretorische Insuffizienz 
des Magens ein Chronischwerden der 
Dysenterie sowie von dysenterieähnlichen 
Darmerkrankungen begünstigt. In der 
Zwischenzeit bin ich’ in die. Lage ge¬ 
kommen, über ein weit größeres Beob- 
achtungsmateriaL von chronisch gewor¬ 
denen Dysenterien zu verfügen und von 
einem großen Teil der betreffenden Fälle 
Befunde über die Sekretionsverhältnisse 
des Magens und über die Dünndarm- 
Verdauung (mittels Probe-Darmdiät) zu 
gewinnen. Bei den betreffenden Unter¬ 
suchungen, die an 82 Fällen von chroni¬ 
scher Dysenterie ausgeführt sind, hat sich 
jedoch nicht das gleiche Resultat wie bei den 
früheren Untersuchungen ergeben. Denn 
es konnte unter diesen 82 Fällen nur 
neunmal Achylie festgestellt werden 
nnd 15mal lagen die Werte'für die Gesamt¬ 
acidität sogar über 65. Die Achylie ist 
also bei' den chronischen Fällen an¬ 
scheinend doch nicht so häufig als 
es bis nach den bisherigen Unter¬ 
suchungen den Eindruck machte. 
Dasselbe gilt auch für ausgeprägte Herab¬ 
setzungen der peptischen Funktion des 
Dünndarmes. So war eine saure in- 

4 ) Schlesinger (W. m. W. 1915, Nr. 10). 

2 ) Porges (W. m. W. 1915, Nr. 17). 

’ 3 ) Roubitschek und Läufer (Ther. Mh. 1915, 
Nr. 6). 

4 ) Schröder (D. m. W. 1917, Nr. 37). 

5 ) H. Strauß (Zschr. f. ärztl. Fortbildg. 1916, 
Nr. 1). 




414 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Dezember 


testinale Gärungsdyspepsie (über 2 cm 
Gas im Röhrchen) nur viermal, das heißt 
in etwa 5 % der Fälle zu beobachten. Häu¬ 
figer war dagegen der Befund von jodo- 
philen Sproßpilzen, die 32mal, das heißt 
in über einem Drittel der Fälle zu finden 
waren. Dem entsprach auch die Beob¬ 
achtung, daß die Reaktion der Stühle 
sehr häufig sauer war. Trifft man doch die 
jodophilen Sproßpilze weit seltener bei 
neutraler als bei saurer Reaktion der 
Faeces. Eine geringe Vermehrung der 
Stärkereste und der Fetttröpfchen im 
Stuhle war gleichfalls in einer großen 
Zahl von Fällen zu konstatieren. Viel 
seltener war dagegen eine geringgradige 
Vermehrung der Muskelfasern im Stuhle 
zu beobachten. Da aber die Übergänge 
zwischen „geringer Vermehrung“ und 
„normalem Befunde“ fließende sind, so 
möchte ich auf genaue Zahlenangaben ver¬ 
zichten und mich auf die Bemerkung be¬ 


schränken, daß gröbere Störungen auf 
diesen Gebieten selten waren. Aus diesen 
Befunden darf man jedenfalls schließen-, 
daß in der überwiegenden Mehrzahl 
der Fälle von chronischer. Dysen¬ 
terie die Funktion des Dünndar¬ 
mes nicht oder nur in geringem 
Grade gestört ist. Nach dem Berichte 
von Kauffmann (1. c.) scheinen Dünn¬ 
darmstörungen in der Hallenser Klinik 
allerdings häufiger beobachtet worden 
zu ' sein. Eine spezielle Rücksicht¬ 
nahme auf eine Magen- oder Dünn¬ 
darmstörung ist also nur in denjenigen 
Fällen notwendig, in welchen das Vor¬ 
handensein einer Störung durch ad hoc 
angestellte Untersuchung nach gewiesen 
ist. Für den Rest der Fälle genügt die 
Durchführung einer zarten ganz allge¬ 
mein auf Darmschonung berechneten 
Diät, auf die allerdings stets besonderer 
Wert zu legen ist. 


Aus der I. med. Abteilung des städtischen Krankenhauses Moabit in Berlin 
(Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer). 

Plethysmographische Untersuchungen bei Tropfenherzen. 

Von Lasar Dünner. 


Die Klagen vieler jugendlicher, in 
der Entwicklung stehender Individuen 
über schnelle Ermüdbarkeit, Herzstiche, 
Atemnot usw. nach körperlichen An¬ 
strengungen finden durch das von F. 
Kraus zuerst beschriebene Tropfenherz 1 ) 
ihre Erklärung. Man versteht darunter 
eine abnorme Kleinheit des Herzens, die 
besonders bei der Röntgenuntersuchung 
auffällt. Das Herz ist schmal und hängt 
wie ein Tropfen zu beiden Seiten der 
Wirbelsäule im Thorax; die linke Herz¬ 
silhouette überragt entgegen der Norm 
die Wirbelsäule nur wenig. Die Aorta ist 
in diesen Fällen häufig sehr schmal. 
Man faßt das Tropfenherz als Teilerschei¬ 
nung einer konstitutionellen Schwäche 
beziehungsweise Minderwertigkeit auf. 
Die Träger haben einen paralytischen 
Habitus. Dementsprechend handelt es 
sich nicht etwa um Atrophie, sondern 
um Hypoplasie des Cor, wie bereits 
vor Kraus Pathologen betont haben. 
Die Erfahrung hat nun gelehrt, daß 
der Träger eines Tropfenherzens ent¬ 
weder spontan oder durch syste¬ 
matische Trainierung leistungsfähig wer¬ 
den kann. Es wächst sich also bei ihm 
das Herz aus beziehungsweise es hyper- 
trophiert. Fehlt aber jede irgendwie grö- 

a ) Literatur siehe bei Kraus, D. m.W. 1917, 
Nr. 37. 


ßere körperliche Betätigung, so kann das 
Herz klein bleiben. Freilich haben der¬ 
artige Menschen keinerlei Beschwerden, 
so lange sie ruhig leben. Besonders 
trifft das für Leute mit sitzender Be¬ 
schäftigung zu, die beruflich keine Stra¬ 
pazen zu leisten haben. Bei ihnen be¬ 
steht für das Herz gar nicht die 
Notwendigkeit, größer und kräftiger 
zu werden. So kommt es denn, daß bei 
diesen Individuen mit paralytischem Habi¬ 
tus sich das Tropfenherz aus der Puber¬ 
tätszeit in das spätere Alter erhält. Es 
ist nun ohne weiteres verständlich, daß 
derartige Menschen mit Tropfenherz 
schnell versagen, wenn sie entgegen ihrer 
bisherigen Lebensgewohnheit sich körper¬ 
lich betätigen sollen. Die Einberufungen 
aller Stände in den verschiedenen Alters¬ 
klassen, die jetzt erfolgen, geben öfter 
Gelegenheit zu Beobachtungen an Sol¬ 
daten mit Tropfenherzen. In den Publi¬ 
kationen über herzkranke Soldaten hat 
man verschiedentlich das Tropfenherz 
abgehandelt. Man ist zu der Überzeugung 
gekommen, daß die Träger keineswegs als 
Neurastheniker oder Simulanten anzu¬ 
sehen sind, sondern daß sie tatsächlich 
körperlich minderwertig und schweren 
Strapazen nicht ohne weiteres gewachsen 
sind. Zu dieser Anschauung wird man 
wohl vornehmlich durch die anatomischen 



Dezember 


Die Therapie der Gegenwart 1917, 


415 


Verhältnisse veranlaßt, indem man sich 
vorstellt, daß ein kleines Herz nicht 
dasselbe zu leisten vermag wie ein 
normal großes. Sicherlich spielen aber 
hier quantitative Unterschiede eine Rolle. 
Das geht .ja schon daraus hervor, daß 
viele Tropfenherzen, die systematisch ge¬ 
übt werden, vollwertig werden können. 
Es kommt für uns vor allem darauf an, 
über das Anatomische hinaus die Funk¬ 
tion des Tropfenherzens objektiv zu 
messen. Hierzu dürfte die Plethysmo¬ 
graphie nach Weber besonders berufen 
sein. Weber selbst hat in Nr. 1 dieser 
Zeitschrift im vergangenen Jahre die 
Prinzipien seiner Methode klargelegt. 
Nachdem ich mich von der Brauchbar¬ 
keit der Plethysmographie zur Funktions¬ 
prüfung des Herzens überzeugt hatte, 1 ) 
wandte ich die Methode auch bei Tropfen¬ 
herzen an. Ich fand dazu Gelegenheit 
an Patienten des Krankenhauses Moabit, 
besonders aber an vielen Rekruten, die 
Herrn Geheimrat Klemperer zur fach¬ 
ärztlichen Begutachtung zugesandt wur¬ 
den. Die untersuchten Rekruten waren 
vorwiegend jüngere Männer, daneben 
aber auch ältere Personen, die man zum 
Teil früher wegen allgemeiner Körper¬ 
schwäche als nichttauglich befunden 
hatte. Unter ihnen findet man nicht 
selten Leute mit Tropfenherzen, die jetzt 
als Soldaten zum erstenmal in ihrem 
Leben größere körperliche Anstrengungen 
zu bewältigen haben, die für sie bisher 
nicht in Betracht kamen und an die sie j 
sich freiwillig durch Turnen und Sport 
nicht gewöhnt haben. 

T. Als Ausdruck der Unzulänglichkeit 
der Herzfunktion findet sich bei Tropfen¬ 
herzen eine umgekehrte Kurve, das 
heißt also die peripheren Gefäße erwei¬ 
tern sich nicht wie normalerweise bei 
Ausführung einer körperlichen Arbeit, 
sondern sie kontrahieren sich. Die Kurve j 
geht unter die Horizontale. Solche um¬ 
gekehrte Kurven finden sich, wie ich 
an anderer Stelle ausgeführt habe, bei 
stark geschwächten Herzen. Ich persön¬ 
lich sah die umgekehrte Kurve beim 
Tropfenherz nur einmal, bei einem 
20jährigen Manne, dessen Kurve die 
Fig. 1 darstellt (siehe Figur). Weber hat 
diese umgekehrte Kurve bei der Mehrzahl 
seiner Fälle gefunden. Wenn bei meinem 
Material die träge Kurve (siehe später) 
vorherrschend ist, so sehe ich darin keinen 
prinzipiellen Widerspruch zu den Ergeb- 

x ) Dünner, B. kl. W. 1917 Nr. 24 und Zschr. 
f. klin. M. Band 85, Heft 1 u. 2. 


nissen Webers, sondern vielmehr eine 
Ergänzung, die die schon bekannte Tat¬ 
sache bestätigt, daß nicht alle Tropfen- 


-- 



Fig. 1. *) Armkurve. **) Atmungskurve. 

herzen in ihrer Funktion gleichmäßig 
geschädigt sind, sondern daß es hier 
Übergänge von schlechter Funktion bis 
zur (erworbenen) Funktionstüchtigkeit gibt. 

2. Bei einer zweiten Gruppe ergibt die 
Plethysmographie eine Kurve mit trä¬ 
gem Abfall. Dieser Kurventyp ist nach 
unseren bisherigen Erfahrungen charakte¬ 
ristisch entweder für eine Schwäche des 
rechten Ventrikels oder für Hypertrophie 
des linken Ventrikels infolge von Klappen¬ 
fehlern, bei denen ja eine Rückstauung 



Fig. 2. *) Armkurve. **) Atmungskurve. 

33 jäluiget* Soldat, der aus dem Felde wegen 
Herzbeschwerden zurückgeschickt wird. Nach 
Abschluß der Fußbewegungen (von X bis I) sinkt 
die Kurve langsam zur Horizontalen zurück. 

zum rechten Ventrikel besteht. Letzten 
Endes wird also die träge Kurve bei dieser 
Art von Hypertrophie erklärt durch eine 
Insuffizienz der rechten Kammer, die 
nach Abschluß der Arbeit die große Menge 
Blut, die ihr aus der Peripherie zufließt, 
nicht so schnell weiter zu transportieren 
vermag, deshalb sinkt die Kurve nur lang¬ 
sam. (Fig. 2.) Für die träge Kurve beim 
Tropfenherz trifft nach meiner Mei- 










416 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Dezember 


nung als Erklärung die Minderwertig¬ 
keit des rechten Ventrikels zu. Zu dieser 
Anschauung veranlaßt mich zunächst die 
schon physiologischerweise bestehende 
Ünterlegenheit ' der Muskulatur der 
rechten Kammer gegenüber der des 
linken Ventrikels,, die beim Tropfenherz 
sicherlich noch stärker ausgesprochen ist. 
Dazu kommt, daß der Rauminhalt der 
rechten Kammer beim Tropfenherz 
kleiner ist. Es muß andererseits beim 
Tropfenherz, das eine träge Kurve hat, 
eine relativ gute Beschaffenheit des 
linken Ventrikels bestehen, denn sonst 
könnte nicht der Anstieg der Kurve beim 
Ausführen der Arbeit möglich sein. Wäre 
der linke Herzabschnitf auch insuffizient, 
so würde die umgekehrte Kurve resul¬ 
tieren; und wenn eine reine Hypertrophie 
der linken Kammer*— ohne Klappen¬ 
fehler vorläge, so erwarten wir eine nach¬ 
träglich ansteigende Kurve, auf die wir 
als Kurventyp bei Tropfenherz noch 
zurückkommen werden. 

Alles in allem fasse ich die träge Kurve 
bei Tropfenherz, sofern es nicht durch 
Klappenfehler kompliziert ist, als Aus¬ 
druck einer rechtsseitigen Schwäche auf. 
Die Beschwerden der Leute finden durch 
diese Analyse der Plethysmographiekurve 
wohl auch ihre Erklärung; denn es ist 
klar, daß das Überangebot von Blut, das 
der rechten Kammer zugemutet wird, 
eine erhöhte Spannung und Druck ausübt, 
die sich in Herzstichen und Atemnot doku¬ 
mentieren. Diese Symptome werden 
selbstverständlich noch intensiver werden, 
wenn das Herz infolge langdauernder 
Anstrengung ermüdet wird. In diesem 
Sinne sprechen einige Fälle, bei denen ich 
bei der ersten Untersuchung eine nur 
wenig träge Kurve fand; nachdem der 
betreffende Kranke durch Armstoßen er¬ 
müdet war, fiel die Kurve vollkommen 
träge aus. 

In diesem Zusammenhänge möchte ich 
einen Fall von Tropfenherz erwähnen, 
den ich bei einem 19jährigen jungen 
Manne (Zivilist) mit leichten Basedow¬ 
symptomen fand, um derentwillen er das 
Krankenhaus aufsuchte. Klinisch sowohl 
wie röntgenologisch konnte das Tropfen¬ 
herz festgestellt werden. Auch hier war 
der Abfall der plethysmographischen 
Kurve träge. Die Kurve fiel nach einem 
anderthalbstündigen Spaziergange, nach 
dem der Patient über Herzstiche klagte, 
noch wesentlich langsamer zur Horizon¬ 
talen zurück. Ich muß es vorläufig unent¬ 
schieden lassen, ob bei diesem Falle der 


Basedow an der Gestaltung der Kurve 
beigetragen hat; denn wir wissen vorläufig 
noch nichts Genaueres über die Plethys¬ 
mographie bei Basedow. 

3. Es kommen bei Tropfenherz Kurven 
mit nachträglichem Anstieg vor, das 
heißt die Kurve geht nicht sofort nach 
Sistieren der körperlichen Arbeit zur Aus¬ 
gangslinie zurück, sondern steigt noch 
eine Weile an, um dann erst umzukehren. 
Sie findet sich bei ausgesprochener 
Hypertrophie des linken Ventrikels. Tat¬ 
sächlich konnte durch ein Röntgenbild in 
solchen Fällen—Web er verfügt über der¬ 
artige Beobachtungen, während mir bis¬ 
her die nachträglich ansteigende Kurve 
bei Tropfenherzen noch nicht begegnet 
ist —ein hypertrophischer linker Ventrikel 
festgestellt werden. Er weist daraufhin, 
daß diese Hypertrophie einen günstigen 
Vorgang darstellt, durch den das Herz be¬ 
sonders leistungsfähig wird. Allem An¬ 
scheine nach ist in dem von W e b e r beschrie¬ 
benen Falle die Hypertrophie und Er¬ 
starkung auf den linken Herzabschnitt 
allein beschränkt geblieben oder die rechte 
Kammer hat zum mindesten mit der 
linken nicht gleichen Schritt gehalten, 
da die beigegebene Kurve einen trägen 
Abfall zeigt, der nach meinen obigen Aus¬ 
führungen für eine Insuffizienz der rechten 
Kammer spricht. Vermutlich entwickelt 
sich diese Hypertrophie besonders bei 
Leuten, die ihr Herz durch Sport zu trai¬ 
nieren sich bemühen. So günstig an und 
für sich eine Kräftigung des linken Ven¬ 
trikels für das Herz ist, so darf man an¬ 
derseits nicht außer acht lassen, wie sich 
der rechte Ventrikel dabei verhält. Ist 
auch er imstande, zu hypertrophieren, so 
ist das für den Körper und die Blutver¬ 
teilung vorteilhaft. Bleibt er aber zurück, 
so werden die Stauungserscheinungen in 
ihm noch stärker werden, weil durch den 
hypertrophischen linken Ventrikel ja noch 
weit mehr Blut während der Arbeit in die 
Peripherie geworfen wird als durch den 
nicht hypertrophierten. In dieser Be¬ 
ziehung müssen wir noch weitere Erfah¬ 
rungen sammeln. 

4. Schließlich konstatierte ich bei 
Tropfenherz eine normale Kurve, die 
sowohl im ausgeruhten Zustande der be¬ 
treffenden Person wie auch nach Ermü¬ 
dung eintrat. Solche Fälle sind freilich 
selten. Um das Zustandekommen der 
normalen Kurve zu verstehen, muß man 
annehmen, daß trotz der Kleinheit des 
Herzens die Muskulatur kräftig genug ist, 
um eine physiologische Blutverteilung zu 



Dezember 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


417 


bewerkstelligen. Diese Herzen sind also 
nicht minderwertig. So hatte eine junge 
Arbeiterin, bei der ich eine normale Kurve 
aufnahm, keine Beschwerden. Das 
Tropfenherz wurde bei ihr als Neben¬ 
befund bei einer Röntgenaufnahme wegen 



Fig. 3. *) Armkurve. **) Atmungskurve. 


Rippenquetschung festgestellt. (Fig. 3.) 
Ein zweiter Fall, den ich plethysmogra¬ 
phisch prüfte, betraf einen jungen, schwer 
neurasthenischen Leutnant. 

Man muß aber mit dem definitiven 
Urteil ,,normale Kurve“ bei Tropfenherz 
vorsichtig sein; es ist erforderlich, daß 
man den Patienten im ausgeruhten Zu¬ 
stand und nach dosierter Arbeit (Arm¬ 
stoßen bis zur Ermüdung) untersucht, 
denn es kann Vorkommen, daß man zu¬ 
erst eine normale und dann eine träge 
Kurve erhält. Im ausgeruhten Zustand 
findet man dann eine Kurve, die der 
Fig. 3 ähnelt und nach Armstoßen eine 
solche, die der Fig. 2 entspricht. Nach 
den früher gemachten Ausführungen ist 
ein solches Verhalten durchaus verständ¬ 
lich, denn ich habe einleitend darauf 
hingewiesen, daß viele Träger von Trop¬ 
fenherz bei gewöhnlicher, nicht sonder¬ 
lich anstrengender Tätigkeit sich wohl¬ 
fühlen und erst Beschwerden bekommen, 
wenn ihnen größere körperliche Aufgaben 
gestellt werden. 

Zusammenfassung: Man hat bisher 
vielfach den Standpunkt vertreten, daß 
das Tropfenherz — als Symptom von 
konstitutioneller Schwäche — eine kör¬ 
perliche Minderwertigkeit für den Träger 
bedeutet. Meine Untersuchungen haben 
nun gelehrt, daß das für einen großen Teil 


der Fälle tatsächlich zutrifft. Die ple¬ 
thysmographischen Untersuchungen haben 
aber auch gezeigt, daß die Insuffizienz 
des Herzens nicht bei allen den gleichen 
Grad besitzt; neben Menschen mit um¬ 
gekehrter Kurve treffen wir auch solche 
mit träger Kurve, aus der man nur eine 
verminderte Kraft des Herzens schließen 
kann. Außerdem gibt es Tropfenherzen, 
die als funktionstüchtig zu betrachten 
sind. Und schließlich ist ein Tropfenherz 
imstande, zu hypertrophieren, so daß es 
für den Betreffenden ebenso leistungs¬ 
fähig ist wie ein normal großes Cor. Diese 
letzte Erscheinung ist schon bekannt; 
Kraus hat immer betont, daß einTrop- 
fenherz sich auswachsen kann. 

Unter meinen Fällen waren auch ein¬ 
zelne Personen, die die bekannten Klagen 
vorbrachten und die zwar kein aus¬ 
gesprochenes Tropfenherz, aber auch kein 
normal großes Herz hatten. Bei ihnen 
ergab die plethysmographische Funktions¬ 
prüfung eine träge Kurve. Dieser Befund 
ist an sich nicht nicht verwunderlich. 
Jedenfalls zeigen diese Beobachtungen, 
daß zwischen den extremen Tropfen :> und 
normal figurierten Herzen fließende Über¬ 
gänge bestehen und daß für die Beurtei¬ 
lung der Leistungsfähigkeit eines kleinen 
Herzens eine Funktionsbestimmung er¬ 
forderlich ist. 

Es wäre nun für unsere Anschau¬ 
ung von Bedeutung, wenn man jugend¬ 
liche Individuen mit Tropfenherz im Ver¬ 
laufe längerer Zeit plethysmographisch 
kontrollieren und den Einfluß des Trai- 
nierens auf die plethysmographische Kurve 
verfolgen könnte. Auf die Weise wird 
man dann feststellen: 1. welche Anstren¬ 
gungen man diesen Individuen, ohne 
ihnen zu schaden, zumuten darf, und 
2. ob wirklich die langsame Gewöhnung 
an körperliche Arbeit eine Kräftigung 
des Herzens bewirkt, wie wir bisher an¬ 
genommen haben. Daß diese zweite 
Möglichkeit besteht, zeigen Leute mit 
Tropfenherz, die nach einer gewissen Zeit 
des Trainierens keine wesentlichen Kla¬ 
gen mehr Vorbringen. Man wußte bisher 
nicht, ob es sich dabei um eine Gewöhnung 
an die Strapazen handelt, bei der dieHerz- 
muskulatur unverändert bleibt, oder ob 
das Myokard durch die Übung erst voll¬ 
wertig wird. Die gewiß nicht kleine Zahl 
von jungen Leuten mit Tropfenherz, die 
jetzt zum Militär eingezogen werden, 
bietet Gelegenheit genug, diese Aufgabe, 
die militärisch und für die Friedenspraxis 
wichtig ist, zu lösen. 


53 


















418 


Die Therapie der - Gegenwart“ 1917. 


Dezember 


Was die militärische Verwendbar¬ 
keit der Soldaten mitTropfenherz betrifft, 
so richten wir unser Urteil nach dem Aus¬ 
fall der plethysmographischen Prüfung. 
Leute mit normaler oder nachträglich an¬ 
steigender Kurve sind als k. v. anzusehen. 
Bei träger Kurve und noch viel mehr bei 


umgekehrter. Kurve empfiehlt sich nach 
anfänglicher Schonung und Rücksicht¬ 
nahme beim Exerzieren und bei Mär^, 
sehen eine allmählich immer mehr sich 
steigernde Gewöhnung an den Dienst, 
durch die man eine Erstarkung des Her¬ 
zens erhoffen kann. 


Aus dem Städtischen Krankenhaus Moabit (Abteilung des Herrn Heheimrat Klemperer). 

Hömorrhagische Diathese (essentielle Thrombopenie) 
durch Milzexstirpation geheilt. 

Von Dr. Elisabeth Benecke, Assistenzärztin. 


Als bekannt voraussetzen möchte ich 
die 1915 in der Berliner klinischen 
Wochenschrift erschienenen. Publikatio¬ 
nen von Frank über „essentielle Throm¬ 
bopenie“ und „Aleukie“, mit welchen 
Namen er verschiedene Grade des Morbus 
Werlhofii bezeichnet, ebenso möchte ich 
erinnern an meine Publikation in der dies¬ 
jährigen Januarnummer der Therapie der 
Gegenwart über schwere Anämien mit 
hämorrhagischen Diathesen, in welcher 
an der Hand von drei Fällen die von 
Frank in seinen oben zitierten Arbeiten 
bewiesenen Theorien über die Bedeutung 
der Blutplättchen eine weitere Stütze 
finden. — Frank trennt die essentielle 
von der sekundären Purpura, er findet 
in einer Reihe von Fällen der essentiellen 
Purpura als Ursache der Krankheits¬ 
erscheinungen die herabgesetzte Plätt¬ 
chenzahl. Er unterscheidet leichtere und 
schwerverlaufende Purpura, akut und 
chronisch, letztere mit Remissionen ver¬ 
laufende Fälle. Bei den leichteren ist die 
Zahl der Plättchen nur erheblich ver¬ 
mindert, bei den chronischen intermittie¬ 
renden Formen steigt nach Ablauf der 
Attacke die Menge der Blutplättchen 
wieder an, bleibt aber meist weit unter 
der Norm (300 000 bis 350 000). In den 
anfallfreien Zeiten enthüllt die weiter¬ 
bestehende Minderzahl der Plättchen nur 
zu deutlich die Scheingenesung. Viele 
der akut verlaufenden Fälle sind höchst¬ 
wahrscheinlich eine nur einmal beob¬ 
achtete Attacke im Verlaufe der chroni¬ 
schen Krankheit, in der Anamnese solcher 
Fälle wird viel zu wenig auf frühere Nei¬ 
gung zu Kontusionsblutungen, Nasen¬ 
bluten, übermäßigen Menstruations¬ 
blutungen und dergleichen gefahndet. 
Neben gleich zu Anfang schwer auftreten¬ 
den Attacken können andererseits die 
Anfälle auch milder verlaufen, so daß der 
Patient Jahr für Jahr einen neuen Anfall 
erlebt, ohne wesentlich geschwächt zu sein. 


Doch läßt sich nie Vorhersagen, ob es nicht 
doch einmal bei einem dieser Anfälle zu 
heftigsten schwer anämisierenden Blutun¬ 
genkommt. Nach Frankscheinen die Fälle 
von kontinuierlicher Purpura von besonders 
heftigenBlutverlusten verschont zu bleiben. 

Daß die Thrombocyten für die Ge¬ 
rinnung des Blutes, für die Thromben¬ 
bildung von ausschlaggebender Bedeu¬ 
tung sind, steht fest. Eine wichtige Frage 
erhebt sich in bezug auf die Ursache des 
Schwindens der Plättchen. Frank glaubt, 
daß es sich dabei um eine Schädigung des 
Knochenmarks handle, durch welche 
Knochenmarkszellelemente weniger ge¬ 
bildet werden. Da nun die Plättchen den 
Megakaryocyten des Knochenmarks ent¬ 
stammen, so ist ihre Spärlichkeit zu er¬ 
klären dadurch, daß die Knochenmarks¬ 
riesenzellen am Schwunde der Zellelemente 
teilnehmen oder daß sie durch die Wu¬ 
cherung unreifer Zellen' (Myelo- und 
Lymphoblasten) verdrängt werden be¬ 
ziehungsweise sich aus den Stammzellen 
nicht mehr differenzieren. Für die von 
Frank als Aleukie bezeichnete schwerste 
Form der Purpura haben wir durch die 
Sektion unserer Fälle Franks Erklärung 
bestätigt gefunden. Frank selbst aber 
scheint zu zweifeln, daß dies die einzige 
Möglichkeit des Thrombocytenschwundes 
sei und sagt: „Viel schwieriger läßt sich 
eine Vorstellung davon gewinnen, in wel¬ 
cher Weise die Megakaryocyten bei der 
kontinuierlichen Purpura beteiligt 
sind. Das morphologische Blutbild ist 
normal, und es weist sonst nichts auf eine 
gröbere Erkrankung der blutbereitenden 
Organe hin. Entweder findet also eine 
mangelhafte Bildung nur dieser Zellen im 
Knochenmarke statt, oder die Abschnü¬ 
rung der Blutplättchen unterbleibt. Auch 
der Gedanke, daß es sich um rapide 
Zerstörung der Plättchen im Orga¬ 
nismus handelt, ist nicht ganz von der 
Hand zu weisen.“ 



Dezember 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


419 


Eppinger hatte durch histologische 
Untersuchungen das Pulpagewebe der 
Milz als Untergangs- und Zerstörungs¬ 
stelle der Erythrocyten bei perniziöser 
Anämie erkannt und schlug daher 1913 
dieJVlilzexstirpationbei dieser Erkrankung 
vor. Dann konnten Klemperer und 
Hirschfeld in demselben Jahre (Ther. 
d. Gegenw.) zeigen, daß nach Milz¬ 
exstirpation eine Überschwemmung des 
Blutes mit kernhaltigen roten Blutkörper¬ 
chen und solchen mit granulaartigen Kern¬ 
resten, sogenannten Jollykörpern, ja, so¬ 
gar eine Polycytämie auftritt. Auf eine 
Vermehrung der Plättchen ist dabei nicht 
hingewiesen, standen sie doch damals 
noch nicht im Vordergründe des hämato- 
logischen Interesses. 1916 folgte Kaz- 
nelson mit seiner Publikation in der 
W. kl. W. über das ,,Verschwinden der 
hämorrhagischen Diathese bei einem Falle 
von essentieller Thrombopenie nach Milz¬ 
exstirpation“. Am 29. Juni 1916 wurde eine 
Frau mit schwerster Epistaxis in die Klinik 
gebracht. Zahlreiche Suffusionen und 
petechiale Blutungen bedeckten die Haut. 
Die Frau hatte jahrelang an starkem 
Nasenbluten, seit ihjem 15. Jahre auch 
an starken Menstruationsblutungen ge¬ 
litten. Im 15. Lebensjahre hatte sie einen 
Anfall stärkster Genital-, Nasen-, Zahn¬ 
fleisch- und Hautblutungen. Seit 1910 
nach einer Entbindung stets heftigste 
Menstruationsblutungen, später wieder 
eine Attacke heftigster Hämorrhagien wie 
auch jetzt bei der Aufnahme in die Klinik. 
Neben allen Erscheinungen schwerer Anä¬ 
mie, die im Laufe der nächsten Tage 
noch Zunahmen, fanden sich im ccm 
Blut nur 200 Plättchen, fast aus¬ 
schließlich Riesenformen. Die Blut¬ 
gerinnungszeit war normal, jedoch fehlt 
die Retraction des* Blutkuchens als Zei¬ 
chen der fehlenden Plättchen. Eine 
einzige pathologische Organveränderung 
ergibt die genauere Untersuchung der 
Patientin, den Milztumor. Da die hämo¬ 
lytische Funktion der Milz anatomisch 
bewiesen ist, so glaubte Kaznelson die 
Thrombopenie auf eine abnorm starke 
Thrombolyse in der Milz zurückführen zu 
dürfen, um so mehr, als das Vorhanden¬ 
sein der Riesenplättchen für eine Über¬ 
produktion der Plättchen sprach. Der 
Milztumor der essentiellen Thrombopenie 
ist nach Kaznelsonin Analogie zu stellen 
mit dem Milztumor der hämolytischen 
Anämie, und es ist anzunehmen, daß es 
sich in diesem Fall um splenogene throm- 
bolytische Purpura handelte. Die Milz¬ 


exstirpation wurde ausgeführt. Am zwei¬ 
ten Tage nach der Operation fiel beim 
Einstich in die Fingerbeere auf, daß nur 
schwer ein einziger Blutstropfen zu er¬ 
halten war, während früher weit mehr als 
genug Blut kam. Die Zahl der Thrombo- 
cyten war von 300 vor der Operation auf 
weit mehr als 1 / 2 Million pro Kubikmilli¬ 
meter gestiegen. Die Neigung zu Blu¬ 
tungen war vollkommen verschwunden, 
14 Tage nach der Operation hatte die 
Frau keine Blutflecken mehr auf der Haut 
und nach vier Wochen bot sie immer noch 
das Bild völliger Genesung. — Im Milz¬ 
ausstriche fanden sich reichlich Blutplätt¬ 
chen neben Erythrocytentrümmern. — 

Im folgenden berichte ich über einen 
neuen Fall von schwerer Anämie durch 
hämorrhagische Diathese, welche ebenfalls 
durch Milzexstirpation geheilt worden ist. 
Schon in meiner Publikation im Januar 
habe ich erwähnt, daß wir bei dem einen 
unserer Patienten jdiie Milzexstirpation in 
. Erwägung gezogen hatten, und daß wir 
nur deshalb davon Abstand genommen 
haben, weil unter Solarsonbehandlung 
eine wesentliche Besserung zu beobachten 
war. 

Der neue Fall betrifft eine Patientin,. die be¬ 
reits schon einmal im Sommer 1914 in unserem 
Krankenhause behandelt worden war. Sie wollte 
damals wegen starker, lange anhaltender Men¬ 
struationsblutungen den Arzt aufsuchen, brach 
auf der Straße ohnmächtig zusammen und wurde 
auf die chirurgische Abteilung unseres Kranken¬ 
hauses gebracht. Da sie vaginal blutete, kolla¬ 
biert war und in ihrer Aufregung dem sie aus¬ 
fragenden Arzt irrtümlich angab, die Regel sei 
vorher eine Zeitlang ausgeblieben, da ferner die 
Punktion des Douglas Blut ergab, wurde wegen 
Verdachts auf Extrauteringravidität laparoto- 
miert. Es fand sich aber weder Bauchschwanger¬ 
schaft noch innere Blutung. Die Heilung verlief 
ungestört, und nach drei Wochen wurde Patientin 
zur Behandlung ihrer Anämie auf die innere 
Station verlegt. Sie erschien damals — als ein 
Fall von sekundärer Anämie und wurde mit 
Eisenelarson behandelt; ihr Hämoglobingehalt 
besserte sich von 35% auf 50% innerhalb vier 
Wochen. Die Patientin nahm an Gewicht 4 kg 
zu und wurde auf ihren eigenen Wunsch ge¬ 
bessert entlassen. 

Am 28. März 1917 wurde dieselbe Luise K-, 
nunmehr 20 Jahre alt, wieder auf die chirurgische 
Abteilung unseres Krankenhauses aufgenommen 
wegen starker Menstruationsblutungen. Sie gab 
an, aus demselben Grund in der Zwischenzeit 
bereits noch dreimal mehrere Wochen lang in 
anderen Krankenhäusern gelegen zu haben. Sie 
war extrem blaß. Außer einer Schwellung beider 
Adnexe und einem kleinen Uterus fand sich nichts 
fesonderes an den Genitalien. Aus diesem Be- 
Bunde waren die starken Blutungen nicht zu er¬ 
klären. Die Patientin wurde diesmal ohne wei¬ 
teres auf die innere Abteilung verlegt. Bei der 
Untersuchung fanden wir neben allen Zeichen 
schwerer Anämie sehr ausgedehnte blauviolette 
Flecke an beiden Beinen; am Herzen das übliche 

53* 



420 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Dezember 


anämische, systolische Geräusch. Die Knochen 
waren nicht druckschmerzhaft. Leber und Milz 
waren nicht palpabel.. Patientin gab an, wieder¬ 
holt sehr starke Menstruatinnsblutungen gehabt 
zu haben, die sie völlig erschöpften, häufig auch 
noch an Nasenbluten gelitten zu haben. Ihre 
jetzige Menstruation bestand seit dem 15. März, 
also bereits volle 13 Tage, und hielt noch drei 
Tage an. Der Blutstatus ergab 30% Hämo¬ 
globin nach Sahli, 2 104:100 Erythrocyten, 
3200 Leukocyten, 47 891 Plättchen im Kubik¬ 
millimeter. Patientin wurde zunächst mit Solar- 
soninjektionen behandelt, da wir mit dieser Medi¬ 
kation in unserem letzten Fall ein so gutes 
Resultat erzielt hatten. Außerdem bekam sie 
dreimal täglich einen Teelöffel Liquor ferr. alb. 
Am 12. April traten die Menses wieder auf. Von 
Anfang an gab ich der Patientin dreimal 15Tropfen 
Extract. Hydrast. täglich, doch ohne Erfolg, so 
daß wir uns wegen der profusen Blutung schon 
am nächsten Tage genötigt sahen, 15 ccm 3%iges 
Coagulen intravenös zu geben. Die Blutung ließ 
nach und hörte am 15. April ganz auf. Unter 
erneuter Solarson- und Eisenbehandlung erholte 
sich die Patientin weiter, so daß sie neben guter 
Gewichtszunahme am 26. April 30% Hämoglobin, 
3 408 000 Erythrocyten, 4400 Leukocyten, aber 
wieder nur 38 370 Plättchen hatte; es konnte 
also auch in diesem Falle nur von einer Schein¬ 
besserung gesprochen werden. Am 27. Mai setzten 
dann die Menses wieder ein und dauerten un¬ 
unterbrochen 19 Tage lang. Kein Extractum 
Hydrastis, kein Ergotin, nicht einmal zweimalige 
intravenöse Coaguleninfusionen halfen. Es kam 
noch Nasenbluten hinzu, und schließlich war die 
Patientin so ausgeblutet und erschöpft, daß sie 
wiederholt kollabierte. Dazu stiegen die Tem¬ 
peraturen bis über 38°, während sie sonst höch¬ 
stens bis 37,4° gekommen war. Schließlich 
sistierten bei der ausgebluteten Patientin die 
Menses von selbst. Sie war aber nicht nur körper¬ 
lich, sondern auch psychisch äußerst elend, weinte 
viel, war ängstlich und des Lebens überdrüssig. 
Zwei Tage nach Sistieren der Menses hatte sie 
25% Hämoglobin, 1 252 000 Erythrocyten, 3000 
Leukocyten, 38 420 Plättchen. Wir hätten ihr 
längst gern durch die Milzexstirpation zu helfen 
versucht, doch war sie noch nicht 21 Jahre alt, 
und der Vater wollte seine Einwilligung zur Ope¬ 
ration nicht geben. Wir fristeten ihr das Leben 
durch gute Pflege, Ernährung und fortgesetzte 
Solarsoninjektionen, bis sie das 21. Lebensjahr 
vollendet hatte und nun als mündiges Mädchen 
selbst die Zustimmung zur Operation geben konnte. 
Am 4. Juli hatte sie 2 156 000 Erythrocyten neben 
66 053 Plättchen. Am 13. Juli wurde die Milz¬ 
exstirpation von Herrn Stabsarzt Dr. Mühsam 
ausgeführt. Die Operation verlief ohne den ge¬ 
ringsten Blutverlust. Die Milz war sehr blutreich, 
mäßig vergrößert, wog 260 g und maß 11:10:6 cm. 
Auf dem frischen nach Mai Grünwald- 
Giemsa gefärbten Abstriche fand ich zahlreichste 
Plättchen und Mengen von Leukocyten und 
großen mononucleären Zeilen. Die pathologisch¬ 
anatomische Untersuchung (Geheimrat Ben da) 
ergab: Starke Blutinfiltration der Wände der 
Pulparäume, dagegen Enge und Kompression der 
Pulparäume. Hyperplasie der Malpighischen Kör¬ 
perchen. Im Gewebe reichlich Leukocyten, Lym- 
phocyten, Plättchen. Am dritten Tage nach der 
Operation fand ich bei der Patientin 3 250 000 
Erythrocyten, 11 030 Leukocyten (82,7 % neutro¬ 
phile Leukocyten, 6,1% große mononucleäre und 
Übergangsformen, 8,3% Lymphocyten, 1,8% 
eosinophile Leukocyten) und 344 076 Plättchen. 


Die Heilung verlief glatt. Am 20. Juli, also eine 
Woche nach der Operation, war der Blutabstrich 
überschwemmt von Plättchen. Nur ganz wenig 
Blut trat aus dem Einstich in die Fingerbeere, 
während sie früher leicht und lange aus der Ein¬ 
stichwunde blutete. Es fanden sich heute auch 
zupi ersten und einzigen Male Normoblasten unter 
den Erythrocyten, während sonst die Erythro¬ 
cyten stets sowohl morphologisch wie tinktoriell 
nichts Pathologisches aufgewiesen hatten. Am 
28. Juli hatte die Patientin 42% Hämoglobin, 
3 580 000 Erythrocyten, 7400 Leukocyten, 
1 783 514 Plättchen. Am 11. August hatte sie 
rund eine Million Plättchen. Am 4. September 
hatte sie 48% Hämoglobin, 3 920 000 Erythro¬ 
cyten, 7400 Leukocyten, 664 000 Plättchen. Am 
8. September traten die Menses auf. Ich gab mit 
Absicht kein Hämostypticum. Sie verliefen in 
normaler Stärke und dauerten nur zwei Tage. 
Am 14. September entließen wir die Patientin 
auf ihren eigenen Wunsch. Sie hatte 52% Hämo¬ 
globin, 4 176 000 Erythrocyten, 4900 Leukocyten, 
577 800 Plättchen. Sie nahm noch am selben Tage 
eine Stelle als Dienstmädchen an und stellte sich 
am 7. Oktober nochmals bei uns vor, frisch und 
wohl aussehend, mit einer von uns konstatierten 
Gewichtszunahme von 4 kg. 

Nach dem Befund in der Milz, ferner 
aber auch nach dem infolge der Milz¬ 
exstirpation eingetretenen Umschwung 
handelt es sich bei unserer Patientin wie 
in dem von Kaznelson beschriebenen 
Fall um eine splenogene essentielle 
Thrombopenie. 

In meiner letzten Publikation habe 
ich die Ursache der Thrombopenie im 
Knochenmarke vermutet und anatomisch 
bewiesen. Von der Milz ging die Schädi¬ 
gung aus, welche das Knochenmark in 
der Bildung der Blutplättchen hemmte.' 
In jenen Fällen waren wir also berechtigt, 
von Amyelie (Aleukie) zu sprechen. Im 
Gegensatz hierzu möchte ich in dem 
neuen Falle darauf hinweisen, daß hier 
die Milz nicht durch Fernwirkung aufs 
Knochenmark die Thrombocytenbildung 
hemmte, sondern im Sinne von Eppinger 
und Kaznelson selbst thrombolytisch 
wirkte, dafür sprachen die Massen von 
Plättchen im Milzabstrich; außerdem 
fanden sich reichlich Leukocyten und 
jene großen blassen mononucleären Zellen, 
die als Makrophagen als Vernichter der 
Plättchen angesehen werden. Daß die 
Knochenmarksfunktion nicht gehemmt 
war, dafür scheint mir auch die nur 
einmal beobachtete geringe Normo- 
blastose zu sprechen. Es brauchte also 
gar keine Überfunktion des Knochen¬ 
marks einzusetzen. Übrigens hat • die 
Entscheidung, ob die Ursache der Hämor- 
rhagien auf einer thrombolytischen Funk¬ 
tion der Milz oder auf einer von der Milz 
ausgehenden Schädigung des Knochen¬ 
marks beruht, auf die Therapie keinen 


r 






Dezember Die Therapie der Gegenwart 1917. 42 i 

Einfluß. In jedem Falle ist die Milz- Fälleftirden Gynäkologen, der sie viel- 
exstirpätion indiziert. Der weitere Ver- leicht häufiger zu sehen bekommt, therä- 
lauf unseres Falles wird zeigen, ob wir es peutische und diagnostische Rätsel be- 
mit einer wirklichen Heilung oder nur deuten und deshalb empfehlen, bei allen 
mit einer Remission zu tun haben. - nicht zu erklärenden Genitalblutungen 

Der Fall gibt aber noch zu einer der Frau das diagnostische Augenmerk 
weiteren Bemerkung Veranlassung. Die auch auf die Blutuntersuchung zu 
Patientin kam zuerst wegen ihrer Vaginal- richten und eventuell einen hämato-; 
blutungen in gynäkologische Beobach- logisch geschulten inneren Arzt zu Rate 
tung. Ich möchte annehmen, daß solche zu ziehen. 

Aus dem chemischen Laboratorium des Krankenhauses Moabit 
(Vorstand: Prof. Dr. Jacoby). 

Versuche zurOtosklerosenbehandlung auf ätiologischer Grundlage. 

(Vorläufige Mitteilung.) 

Von Dr. Franz Kobrak, fachärztlicher Berater des Krankenhauses. 

Die örtliche Therapie der Otosklerose ein. Nicht daß man daraus auf eine speci- 
(Lufteinblasung, Trommelfellmassage fische Erkrankung des endokrinen Sy- 
usw.) ist scheinbar zuweilen von Erfolg stems schließen dürfte; die Annahme einer 
begleitet, obwohl diese Therapie mehr Gleichgewichtsstörung des Systems in 
symptomatischen als ätiologischen Ge- solchen Zeiten der Labilität würde zur 
sichtspunkten gerecht wird. Durch zahl- Erklärung genügen, daß Drüsen, die für 
reiche pathologisch-anatomische For- Knochenaufbau und Knochenernährung 
schungen ist die Otosklerose als Spongio- (Kalkstoffwechsel, Phosphörstoffwechsel) 
sierung der Labyrinthkapsel erkannt mit zu sorgen haben, vorübergehend oder bei 
der charakteristischen Neigung zu früh- besonders Disponierten dauernd und zu¬ 
zeitiger Stapesankylose und ferner mit nehmend versagen. Hierbei sei jedoch 
einer gewissen Disposition zu intercur- der mit dem Kalkstoffwechsel in . Zu¬ 
renten Tubenerkrankungen. Man kann sammenhang. gebrachten Epithelkörper¬ 
sich vorstellen, daß die Trommelfell- chen gedacht. Gegen die Spongiosierung 
massage vorübergehend auf die Stapes- (Osteoporose) wäre daher nicht nur eine 
fixation, die Lufteinblasung auf Tuben- protrahierte reichliche Kalkzufuhr 
Verstopfungen einwirkt, man darf sich indiziert, besonders in Zeiten, wie der 
aber nicht der Täuschung hingeben, da- Gravidität, in denen eine physiologische 
mit ätiologische Therapie zu treiben. Ver- Abwanderung des mütterlichen Kalkes 
suche ätiologischer Therapie sind in lang- zum Ei stattfindet, sondern gleichzeitig 
dauernder Phosphordarreichung zu er- eine Unterstützung des erkrankten Orga- 
blicken, wie sie Siebenmann empfohlen nismus dahin, den zugeführten Kalk auch 
hat, der die otosklerotische Knochen- zweckmäßig zu retinieren durch Dar¬ 
erkrankung der Labyrinthkapsel für eine reichung jener Blutdrüsen, am besten 
normalerweise im Felsenbein aus- Blutdrüsenhormone, die in dem Einzel¬ 
bleibende Wachstumsphase hält, falle besonders in Betracht kommen. Es 
Diese Hypothese würde auf einen Zu- ist nicht ausgeschlossen daß eine ein- 
sammenhang der Otosklerose mit den das gehende individuelle und familiäre Ana- 
Knochenwachstum beeinflussenden Tei- mnese,eine individuelle oder familiäre 
len des endokrinen Systems (Thymus) hin- Disposition zur Erkrankung einer be¬ 
führen, ohne daß man, bei dem Ab- stimmten oder einiger Drüsen in den Vor- 
hängigkeitsverhältnis der einzelnen Blut- dergrund treten lassen wird, 
drüsen voneinander, eine einzelne Blut- Vier bisher über dreiviertel Jahre mit 
drüse ohne weiteres in den Vordergrund Kalk und Phosphor fast dauernd behan- 
stellen darf. Den Geschlechtsdrüsen müs- delte Otosklerosen (drei weiblich, eine 
sen wir gleichfalls unsere Beachtung männlich) — ohne örtliche Therapie! — 
schenken, bei der Häufigkeit des Otoskle- , zeigten eher eine Besserung, keinesfalls 
rosebeginnes zur Zeit der Pubertät, der eine Verschlechterung des Gehörs, zudem 
Gravidität, des Puerperiums, der Lacta- scheinbar eine günstige Beeinflussung der 
tion, des Klimakteriums. . In den Ent- subjektiven Geräusche. Solche Ergeb¬ 
wicklungskrisen (innersekretorischen Kri- nisse sind beachtenswert, aber selbstver- 
sen?) setzt die Otosklerose mit Vorliebe ständlich nicht beweisend, schon im Hin- 



Dezember 


422 Die Therapie der 


blick auf die Möglichkeit eines spontanen 
Stillstandes des Krankheitsprozesses. 
Allein mit Phosphor sahen Siebenmann 
und Andere auch ermutigende Resultate. 

Zur Illustrierung der Annahme einer 
Wirksamkeit der Kalktherapie bei Oto¬ 
sklerose möchte ich Stoffwechselversuche 
mitteilen, die Herr Prof. Jacoby liebens¬ 
würdigerweise ausgearbeitet und ausge¬ 
führt hat. 

Fräulein W. Otosklerosis incipiens dextra, 
progressa sinistra* 

I. Untersuchungsreihe: Vorperiode, Haupt¬ 
periode, Nachperiode, je dreitägig, Kost kalkarm, 
in der Hauptperiode dreimal täglich 1 g Calcium 
lacticum. 



Urin¬ 
ausscheidung 
in drei Tagen 

Faeces¬ 
ausscheidung 
in drei Tagen 

5. bis 7. Januar 
Vorperiode 

0,2989 g CaO 

8,424 g CaO 

8. bis 10. Januar 
Hauptperiode 
mit 9 g Calc. lact. 

0,7252 g CaO 

11,528 g CaO 

11. bis 13. Januar 
Nachperiode 

0,4166 g CaO 

6,612 g CaO 


In drei Tagen Vorperiode sind 8,424, in sechs 
Tagen also etwa 16,848 g CaO durch die Faeces 
ausgeschieden, in sechs Tagen Haupt- und Nach¬ 
periode 18,140 g, in Haupt- und Nachperiode zu¬ 
sammen mehr als in der doppelten Vorperiode 
18,140—16,848 - 1,292 g. 

In der Haupt- und Nachperiode wurde im 
Urin mehr CaO ausgeschieden als in der doppelten 
Vorperiode: 0,5440 g. 

Demnach wurde in der Haupt- und Nach¬ 
periode in Faeces und Urin mehr als in der kalk¬ 
armen Vorperiode ausgeschieden 1,292 + 0,5440 
= 1,836 g CaO. 

Zugeführt in Haupt- 
u. Nachperiode 
mehr als in der 
kalkarmen Kost 

der Vorperiode . 9 g Calc. lact. = 2,25 g CaO 
Ausgeschieden in 
Haupt-und Nach¬ 
periode mehr als 
in der kalkarmen 
Vorperiode(Faeces 

u. Urin)._ 1,836 g CaO 

angesetzt 0,414 g CaO 


Nach der I. Versuchsreihe wurde in zwei 
Wochen 20 g Oophorin eingenommen. Danach 
II. Versuchsreihe. 



Urin¬ 
ausscheidung 
in drei Tagen 

Faeces¬ 
ausscheidung 
in drei Tagen 

12. bis 14. Februar 
Vorperiode 1 

0,4765 g CaO 

9,620 g CaO 

15. bis 17. Februar 
Hauptperiode 
mit 9 g Calc. lact. 

0,6602 g CaO 

7,872 g Cap 

18. bis 20. Februar 
Nachperiode 

0,3885 g CaO 

5,730 g CaO 


Gegenwart 1917. 


Faeces: doppelte (auf sechs Tage berechnete) 
Vorperiode 19,24 g CaO, Haupt- und Nachperiode 
13,602 ausgeschieden, d. h. weniger als in der 
Vorperiode 19,240— 13,602 = 5,638 g. 

Urin in Haupt- und Nachperiode mehr als 
in der doppelten Vorperiode ausgeschieden: 
1,0487 — 0,9530 = 0,0957 g CaO. 

Demnach wurde in Haupt- und Nachperiode 
weniger CaO als in der doppelten Vorperiode aus¬ 
geschieden 5,638 — 0,0957 = 5,5423 g CaO. 
Zugeführt in Haupt- 
und Nachperiode 
mehr als in der 
kalkarmen Kost 

der Vorperiode . 9 g Calc. lact. = 2,25 g CaO 
Weniger ausgeschie¬ 
den in Haupt- und 
Nachperiode, ge¬ 
genüber der Vor¬ 
periode, d. h. an¬ 
gesetzt . . 5,54 g CaO 

d. h. 3,29 g CaO 
mehr angesetzt als durch besondere Kalkgaben 
zugeführt. 

In der zweiten Versuchsreihe — 
nach Oophorin! — wurde das acht¬ 
fache retiniert von der in der ersten 
Versuchsreihe berechneten retinierten 
CaO-Menge (3,29:0,414 g CaO)! 

Dieser Fall W., wie ein zweiter Fall L. 
scheiden im Urin normale, geringe CaO- 
Werte aus, so daß man nicht an patho¬ 
logische Calcarurie denken kann. Viel¬ 
leicht liegen höhere Urinkalkwerte weiter 
zurück, müssen vielleicht in einer präoto- 
sklerotischen Phase erfaßt werden, in der 
der Knochenabbau der Labyrinthkapsel 
noch im Werden ist, ähnlich den bei Rha- 
chitis erhobenen Stoffwechselbefunden in 
einer vor Manifestwerden der Krankheits¬ 
erscheinungen liegenden Krankheits¬ 
periode (Orgler und Birk). Serien¬ 
weise Urinuntersuchung der Nach¬ 
kommen von stark mit Otosklerose be¬ 
lasteten Familien zurzeit noch nicht 
manifester Otosklerose wäre ins Auge 
zu fassen! Ferner weitere systematische 
Kalkstoffwechselversuche mit Un¬ 
terstützung verschiedener endokriner 
Drüsen, analog unseren Versuchen in 
zwei Reihen, ohne und mit Blutdrüsen¬ 
darreichung. Unser Fall sagt ja zunächst 
nur soviel, daß man mit Oophorin die 
Kalkretention wesentlich verbessern 
konnte, ohne hierin schon ein Stigma der 
Otosklerose feststellen zu können. Thera¬ 
peutische Versuche kombinierter Kalk- 
und Blutdrüsengaben über lange Zeit hin 
müßten die Stoffwechselresultate ergän¬ 
zen. Als Experimentum crucis endlich 
kämen Tierversuche, eventuell bei 
der Katze, in Betracht, die zu erforschen 
hätten, ob Kalkentziehung (kalkarme 
Kost), vielleicht besonders bei tragenden 







Dezember 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


423 


Tieren und solchen, deren endokrines Sy¬ 
stem geschädigt ist (zB. Epithelkörperchen¬ 
exstirpation) am Labyrinthknochen oder 
anderen (ruhenden) Knochen Spongiosie- 


rung hervorruft. Interessant wäre auch die 
regelmäßige autoptische Untersuchung an¬ 
derer Knochen von Otöskleroseleichen 
(z.B. Sternum) auf Spongiosierungsherde. 


Über Pellidol und Azodolen und ihre Anwendung als 
Keratoplastika zur schnellen Epithelisierung von Wundflächen. 

Von Dr. A. Blumenthal, Frauenarzt in Stuttgart. 


Wie vielleicht mancher Kollege, so 
habe auch ich mich gewundert über die 
verhältnismäßig seltene Anwendung der 
von der A.-G. Kalle 6c Co., Biebrich, her¬ 
gestellten ausgezeichneten Epithelisie¬ 
rungsmittel Pellidol und Azodolen in der 
Behandlung von Wunddefekten usw. bei 
unseren Verwundeten in den Kriegs- und 
Reservelazaretten. Es mag dies haupt¬ 
sächlich daran liegen, daß die Präparate 
wohl in einzelnen Armeekorps zur Wund¬ 
behandlung zugelassen, aber nicht etats¬ 
mäßig, so daß sie von vielen Sanitäts- 
äm'tern nicht vorrätig gehalten und ge¬ 
liefert werden. Deshalb möchte ich in 
kurzen Worten nach langjährigen Erfah¬ 
rungen mit diesen Mitteln die Herren 
Kollegen zu Hause und im Felde beson¬ 
ders dringlich darauf aufmerksam machen. 

Die näheren Angaben über die che¬ 
misch-physikalischen Eigenschaften, so¬ 
wie die pharmakologischen und physio¬ 
logischen klinischen Untersuchungen der 
beiden Präparate unterlasse ich im Hin¬ 
blick auf die von der Firma Kalle 6c Co. 
herausgegebene und kostenlos versandte 
Spezialliteratur ,,Pharmazeutische Pro¬ 
dukte“ (Sommer 1912) und Nachtrag dazu 
,,Pellidol und Azodolen“, welche außer¬ 
dem alle beachtenswerte klinische Spezial¬ 
literatur enthält. 

Meine Beobachtungen erstrecken sich, 
wie es eben meine Spezialpraxis als 
Frauenarzt mit sich bringt, besonders auf 
Fälle von Pruritus, Intertrigo, Ekzeme, 
Ulcerationen und Erosionen der Portio 
usw., sind aber derartig gut und er¬ 
mutigend, daß sie mich veranlaßten, an 
dieser Stelle darauf hinzuweisen,, diese 
Präparate in möglichst weitgehendem 
Maße bei unseren Verwundeten anzu¬ 
wenden, um auch diesen die Segnungen 
einer um so rascheren Heilung zuteil wer¬ 
den zu lassen. Im folgenden kommt be¬ 
sonders Pellidol in Betracht, in den Fällen 
aber, wo auch eine trocknende und anti¬ 
septische Wirkung erzielt werden sollte, 
wurde das Azodolen genommen. 

Pellidol ist das Diacetylderivat des 
Amidoazotoluols (dieses wieder ist eine 


chemische Komponente des Biebricher 
Scharlachs R med.). Im Handel als bla߬ 
gelbrotes Pulver, das löslich ist in Ölen, 
Fetten, Vaselinen, Alkohol, Äther, Chloro¬ 
form und anderem, nicht löslich aber in 
Wasser. Im Gegensatz zu dem früheren 
Scharlachrot und Amidoazotoluol be¬ 
ziehungsweise deren Salben ist die Pel¬ 
lidolsalbe, wie sie jetzt verwendet wird 
(2 %ig) vollständig in der Grundlage ge¬ 
löst, braucht also nur einen kleineren Pro¬ 
zentgehalt. 

Azodolen ist eine Verbindung mit 
Jodeiweiß (Jodoien) und enthält zirka 
30% Jod. 

Die Anwendung geschieht in Form 
von Salbe, Öl oder Pulver, letzteres 5% 
mit Bolus oder Talcum venetum. Als 
bekannt darf ich wohl voraussetzen die 
epithelisierende Wirkung, die vermutlich 
auf Chemotaxis zurückzuführen ist. Die 
Nachteile der früheren Präparate, wie 
Reizerscheinungen und Färben sind jetzt 
vollständig vermieden. Eine Verein¬ 
fachung gegenüber der früheren Methode 
ist, daß es nicht mehr notwendig wird, 
außerdem mit indifferenten Salben die 
Wundflächen zu behandeln. 

Indikationen sind in erster Linie gra¬ 
nulierende Wundflächen, Epitheldefekte, 
auch von größerer Ausdehnung, Pruritus, 
Intertrigo, Verbrennungen und derglei¬ 
chen, Decubitus, Ulcera nach Röntgen¬ 
bestrahlung, speziell für Gynäkologen die 
Verwendung von Tampons mit Pellidol 
bei Erosionen, Ulcera, Cervixkatarrhen 
usw. Auch bei Vulvitis und Reizzuständen 
des Introitus vaginae. 

Die häufigste Anwendung war in 
meiner Praxis bei Erosionen, Ulcera und 
Pruritus. Gerade solche Fälle, wo oft 
monatelange Ätzungen mit Ichthyol, 
Chlorzink usw. lange nicht zum Ziele 
führten, zeigten bei Pellidolbehandlung 
meist schon nach kurzer Zeit deutliche 
Tendenz zur Heilung. Neue Epithel¬ 
inseln entstanden, die Reizerscheinungen 
ließen rasch nach und damit die Empfind¬ 
lichkeit und die Schmerzen, so daß die 
Patientinnen sich williger der Behandlung 



424 


.Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Dezember 


unterwarfen. Oft recht große > Ulcera- wechselte ich auch hier mit Puder oder 
tiqnen bei Prölapsen, Senkungen usw. Salbenbehandlung, 
überhäuteten sich rasch unter der Be- Zahlreiche * Fälle von Ulcus varicosum 
handlung und heilten sicher aus. Zur cruris ünd beginnende Ulcera konnten in 
Technik bemerke ich folgendes: kurzer Zeit zum Ausheilen gebracht wer- 

Ich nahm immer das Entenschnabel- den, trotzdem die Patientinnen nicht 
speculum; um die Portio recht Übersicht- 1 immer die Behandlung durch kurgemäßes 
lieh 'freizulegen, wischte mit irgendeiner Liegen unterstützen gönnten oder wollten, 
antiseptischen Lösung ab und legte dann Auch hier rasche Überhäutung, Zurück¬ 
einen mit 2 %igem Pellidol oder Azodolen- gehen der entzündlichen Erscheinungen 
salbe bestrichenen Vaginaltampon vor usw. Je nach dem wurden auch diese 
die Pörtio, der dann bis zum anderen Fälle mit Puder oder Salbe behandelt. Ich 
Abend liegen blieb. Tags darauf wurde ließ den ersten Verband oft zwei bis drei 
dann gleich ein neuer Tampon eingelegt. Tage liegen und wechselte dann erst. 

Unter den recht zahlreichen Fällen Reizungen beobachtete ich mit den neuen 
von Pruritus, die teilweise schon monate- Präparaten nicht mehr, im Gegensätze 
lang vorher mit allem möglichen behan- zu den früheren Scharlachpräparaten, bei 
delt wurden und oft mit Ekzemen usw. denen Reizerscheinungen häufiger waren, 
kompliziert waren, ist ein besonders be- so daß man gezwungen war, abwechselnd 
merkenswerter Fall. Es handelt sich um Scharlachsalbe und Borsalbe zu verwen- 
eine Gravida am Ende der Schwanger- den. • Soll der Verband mal länger liegen 
Schaft. Der Fall war besonders quälend und gut decken, so ist zweckmäßig das 
durch Jückreiz intensivster Art, außer- im Nachtrag über ,,Pellidöl und Azo^ 
dem bestand Intertrigo und. ein großes dolen“ von Kalle & Co. angeführte Rezept 
Ekzem, das bis an den Nabel herauf- zu verwenden: 
reichte und die Innenfläche des Ober- Rp. Pellidol s. Azodolen 2 fl 

Schenkels bis zu zweiDrittel ergriffen hatte. Pasta Zinci ad 100fl 

Patientin konnte kaum sitzen und war m. f. ungt. 

wirklich ganz am Ende ihrer Geduld und Bei allen diesen Fällen also ist das 
Kräfte. Auch hier war wie immer ein Gemeinsame zu beobachten: Rasches 

schöner Erfolg nach energischer Pellidol- Zurückgehen der Reizerscheinungen, so- 

behandlung zu verzeichnen. Nach zirka wie Trocknen der nässenden Stellen, Lö- 
dreiwöchentiger Behandlung war die sung von eventuellen Krusten, Milderung 
Patientin vollständig hergestellt und auch des Juckreizes, rasche Bildung von neuem 
später nach der Entbindung hat sich vollwertigen Gewebe. Dieses neue Epithel 
nichts mehr gezeigt. Ich ließ hier nach ist, wie Dr. Schmieden (Zbl. f. Chir. 

jedesmaligem Einreiben eine dünne 1908, Nr. 6) mikroskopisch nachweisen 

Schicht Gaze oder Watte auflegen, manch- konnte, kräftig und wie die normale Ober¬ 
mal auch pudern mit Pellidolpulver. haut. Alle Schichten sind darin nach- 

Nebenbei möchte ich noch FällevonHy- weisbar. 
perhydrosis besonders der Achsel erwäh- So bezeichnet auch P. Sick (Chirur- 
nen, bei denensowohl mit Pulver und Salbe gische Abteilung des Diakonissenhauses 

gute und rasche Erfolge zu sehen waren. Leipzig) in seiner Arbeit in der D. m. W. 

Bei korpulenten Patientinnen hatte 1912, Nr. 45, schon das nicht färbende 
ich Gelegenheit, die häufig auftretende Pellidol als die zurzeit wohl beste Aus- 
Intertrigo an verschiedenen Körperteilen gäbe der Scharlachsalbe mit ihren be- 
mit Pellidol zu behandeln. Auch hier kannten Anzeigen. 

wieder rasche volle Heilungen. Bei stark Diese kurze Zusammenfassung möge 
ausgeprägten Fällen konnte ich bemerken, genügen, um den Anstoß zu geben, mög- 
wie die Risse sehr rasch sich schlossen und liehst viele geeignete Fälle unserer Ver- 

die Haut wieder fest und Widerstands- wundeten mit Pellidol und Azodolen zu 

fähiger wurde. Je nach der Art der Fälle, behandeln. 

Zusammenfassende Übersicht. 

Ärztliche Anteilnahme an der sozialen Hygiene. 

Neuere Arbeiten besprochen von Dr. J. Waldschmidt (Berlin). 

Prof. Dr. Krautwig, welcher die tische Medizin bestehende Krankenpflege- 
Wohlfahrtsschule in Köln im Anschlüsse schule ins Leben gerufen hat, sucht in 
an die bei der dortigen Akademie für prak- seinem neuerlich erschienenen Aufsatze: 



Dezember 


Die Therapie der Gegenwart, 1917. 


425 


„Die soziale Hygiene im Dienste 
der Wohlfahrt“ sein Vorgehen zu be¬ 
gründen,. Zweck und Ziel derartiger Ein¬ 
richtungen zu kennzeichnen. Einleitend 
hebt Verfasser die Wichtigkeit der Wohl¬ 
fahrtspflege sowohl hinsichtlich der. Be¬ 
kämpfung von gesundheitlichen, sozialen 
und sittlichen Schäden als auch zur För¬ 
derung körperlicher und geistiger Ge¬ 
sundheit hervor; er will sie nicht nur auf 
Nächstenliebe zurückgeführt wissen, son¬ 
dern erblickt darin den Ausdruck gemein¬ 
bürgerlichen Verantwor.tlichkeitsgefühls, 
das „sich bewußt ist, nicht nur eine gute, 
sondern auch eine nützliche und unerlä߬ 
liche Arbeit für das Volkswohl“ zu leisten. 
Gesetzlich geregelte Fürsorge und frei¬ 
willige Wohlfahrtspflege, welche nicht 
auf gesetzlichen Verpflichtungen beruht, 
sondern eine freiwillige Mehrleistung be¬ 
hördlicher und privater Organisationen 
darstellt, müssen freundnachbarlich Zu¬ 
sammenwirken. Die zu treffenden Ma߬ 
nahmen sollen, wie eine Denkschrift des 
Königlich sächsischen Ministeriums des 
Innern betont, einheitlich alle in Betracht 
kommenden Gebiete . sozialer Fürsorge 
umfassen, ob es sich dabei um die Für¬ 
sorge für Schwangere, Tuberkulöse oder 
Krüppel oder um den Schutz der Mütter, 
Säuglinge, Kleinkinder oder gar um Woh¬ 
nungspflege handelt. Um eine solche 
soziale Tätigkeit aber ausüben zu können, 
bedarf es der nötigen Ausbildung. Diese 
muß sorgfältig auf praktische Berufs¬ 
arbeit gerichtet sein. Es besteht nun 
zwar eine Reihe von Frauenschulen, in 
welchen ihrem Programme gemäß soziale 
Berufsarbeiterinnen und soziale Hilfs¬ 
kräfte für das Gesamtgebiet sozialer Ar¬ 
beit ausgebildet werden; auch sind be¬ 
kanntlich Frauenhochschulen gegründet, 
welche praktische Ausbildung in einem 
Spezialgebiete der Wohlfahrtspflege vor¬ 
aussetzen; endlich gibt es an verschie¬ 
denen Orten Ausbildungsstätten für einen 
bestimmten Zweig sozialer Medizin, wie 
z. B. in der Säuglingspflege. Die Kölner 
Wohlfahrtsschule aber hat sich ihre Ziele 
weitergesteckt, sie nimmt Schülerinnen 
auf, welche bereits ein Jahr in der staat¬ 
lichen Krankenpflegeschule ausgebildet 
sind, um sie in die soziale Berufstätigkeit 
theoretisch und praktisch einzuführen. 
Ein vorgesehener Jahreskursus gilt der 
allgemeinen Krankheitslehre, der Sani- 
täts- und Medizinalgesetzgebung, der all¬ 
gemeinen Hygiene (Ernährung, Wohnung, 
Körperpflege, ansteckende Krankheiten) 
sowie der sozialen Hygiene (Fürsorge für 


Wöchnerinnen* Säuglinge, Kleinkinder-, 
Schulkinder, Tuberkulöse, Krüppel, Trin T 
ker, Geschlechtskranke). Dabei wird das 
soziale Recht* Armen- und Waisenpflege', 
sowie Wohlfahrtspflege in Stadt und Land 
berücksichtigt. In Sonderkursen sind 
sodann Jugendpflege und Jugendfürsorge, 
auch Hauswirtschaftslehre vorgesehen. 
Bei alledem bleibt aber das Hauptaugen¬ 
merk auf die praktische Ausbildung ge¬ 
richtet. Die also ausgebildeten Berufs¬ 
arbeiterinnen werden, sofern es sich um 
große Städte handelt, in einem Fürsorge¬ 
amte zusammengefaßt; von hier aus wird 
ihresehr spezialisierte Fürsorgetätigkeit ge¬ 
regelt und einer Zersplitterung der Kräfte 
somit vorgebeugt. Von Zeitzu Zeit, etwa 
halbjährlich, werden, wie dies in Hamburg 
üblich ist, die Säuglingspflegerinnen, Tu¬ 
berkulosefürsorgeschwestern, Trinkerfür- 
sörgerinnen, Gemeindeschwestern und As¬ 
sistenten der Gewerbeinspektion zu einer 
gemeinschaftlichen Konferenz berufen, 
um so persönliche Fühlung miteinander 
zu nehmen und Einzelfälle und Vor¬ 
kommnisse einander bekannt zu geben. 
In ländlichen Bezirken liegen die Dinge 
einfacher, hier wird man 'zweckmäßiger¬ 
weise nach Düsseldorfer Muster Kreisfür¬ 
sorgerinnen für größere Bezirke mit ört¬ 
lich eingesetzten Helferinnen anstellen. 
Um den diesbezüglichen Einrichtungen 
einen kräftigen Rückhalt zu bieten, ist der 
Vorschlag gemacht worden: ein Kreisfür¬ 
sorgegesetz anzustreben und staatliche 
Fürsorgeämter unter Leitung des Kreis¬ 
arztes einzurichten, um so zum mindesten 
eine obligatorische Säuglings- und Mütter¬ 
fürsorge neben solcher Tuberkulosenfür¬ 
sorge zu erhalten. 

Zur Frage der Kreisfürsorgeämter 
äußerte sich der jüngst verstorbene Geh. 
Reg.- und Med.-Rat Prof. Dr. Roth 
(Potsdam) dahin, daß solche Kreisfür¬ 
sorge- oder Kreiswohlfahrtsämter von 
größter Wichtigkeit für die Volkswohl¬ 
fahrt seien. Landrat oder Bürgermeister 
seien als Vorsitzende zu bestellen, ihnen 
habe der Kreisarzt als technischer Beirat 
zur Seite zu stehen, welch letzterem die 
eigentliche Leitung der Fürsorgeämter 
anheimfallen müsse. Das Fürsorgeamt 
soll Auskunft und Rat auf allen sozial¬ 
hygienischen Gebieten erteilen, Belehrung 
für Mütter wie für die heranwachsende 
Jugend bieten. Neben dem Kreisarzt 
sollen Kreis- oder Kommunalfürsorge¬ 
ärzte tätig sein, während die eigentliche 
Fürsorgearbeit angestellten Fürsorgerin¬ 
nen überlassen bleibt. Es erübrige sich, 

54 



'426 Die Therapie der Gegenwart 1917. 


ein Fürsorgegesetz zu erlassen, da nach 
dem bisher durch private Organisationen 
Erreichten die freie Liebestätigkeit auf 
keinen Fall unterbunden werden dürfe. 
Der Kreisarzt aber als berufener Vertreter 
der öffentlichen Gesundheitspflege habe 
das Recht und die Pflicht, die in Frage 
stehende Tätigkeit zu überwachen und 
für ihre weitere Ausbildung Sorge zu 
tragen; dafür sei er entsprechend zu hono¬ 
rieren. Als Träger dieser Maßnahmen 
haben Kreis und Gemeinde zu gelten, da 
sie das erste und allerwesentlichste Inter¬ 
esse daran haben, daß ihnen die Wohl¬ 
taten solcher Institutionen zuteil werden. 
Es handele sich aber darum, geeignete, 
das ist hinreichend vorgebildete Ärzte 
und Schwestern zu haben. 

Wie für die Ausbildung der Schwe¬ 
stern oder Fürsorgerinnen nach obigen 
Ausführungen Krautwig eintritt, so be¬ 
spricht in eingehenden Erörterungen 
Stadtrat Dr. Gottstein in Charlotten¬ 
burg in einem jüngst erschienenen Auf¬ 
sätze den Unterricht der Ärzte in der 
sozialen Medizin und sozialen Hy¬ 
giene. Es dürfte keinem Zweifel unter¬ 
liegen, daß der sozialen Hygiene eine er¬ 
höhte Bedeutung beizumessen ist und 
ihre Daseinsberechtigung anerkannt wer¬ 
den muß, wiewohl ihre Selbständigkeit 
mancherseits noch bestritten wird. Die 
soziale Medizin wird der individuellen 
Medizin, wie der Sozialarzt dem Heilarzt 
gegenübergestellt. ,,Der Arzt am Kran¬ 
kenbette stellt Diagnosen und Augen¬ 
blicksprognosen; der Sozialarzt langfri¬ 
stige Prognosen, er hat die Gesundheit 
des Einzelfalls in seinen Beziehungen als 
Abkömmling früherer und Erzeuger spä¬ 
terer Geschlechter zu würdigen, als einen 
Durchgangspunkt der Generationen, des¬ 
sen Gesundheit von der Vergangenheit be¬ 
einflußt wird und die Zukunft beein¬ 
flußt“. — Hinsichtlich des Unterrichts 
verlangt Verfasser eine strikte Trennung 
der Ärzte von den Studierenden. Für 
diese wird es möglich sein, das Wesent¬ 
lichste der einschlägigen Fragen in den 
Vorlesungen über Hygiene, den Mutter- 
und Säuglingsschutz in der Kinderklinik, 
Beurteilung und Begutachtung von Be¬ 
rufserkrankungen, Unfällen usw. in den 
einzelnen Kliniken zu erfahren. An den 
Universitäten, an welchen die soziale 
Hygiene als besonderes Fach gelehrt wird, 
finden Ärzte wie Studierende im höheren 
Semester das Nötige zur weiteren Ausbil¬ 
dung. — Bisher bestehen fünferlei der¬ 
artige bemerkenswerte Schöpfungen: in 


Dezember 


Köln uftd Düsseldorf bestehen Kurse für 
Schulgesundheitspflege, Säuglingsfür-. 

sorge, Gewerbehygiene, Sozialversiche¬ 
rungswesen neben klinischen und patho¬ 
logisch-anatomischen Vorlesungen und 
Demonstrationen an den dortigen Akade¬ 
mien. — Ferner: vom 1. bis 13. Dezember 
1913 ist vom Ministerium des Innern^ver¬ 
anlaßt durch einige hierzü berufene Ärzte 
in Berlin, ein Fortbildungskursus für 
Ärzte abgehalten, der sich über die Arbei¬ 
terversicherung, Gewerbehygiene, Arbei¬ 
terschutz, allgemeine Gesundheitspflege 
und Fürsorge verbreitete, die Besichti¬ 
gung von Fabriken und Wohlfahrtsein¬ 
richtungen vorsah; eine Wiederholung hat 
wegen des Krieges nicht statthaben kön¬ 
nen. — In Wien ist bereits im Jahre 1911 
ein Seminar für soziale Medizin ins Leben 
gerufen, welches als Vortragsgegenstände 
Medizinalstatistik, Gewerbehygiene, Ge- 
werbekrankheiten, soziale Versicherung, 
Volksseuchen gewählt hat.—Ähnliches ist 
1913 in München entstanden, während in 
Berlin außer obigemFortbildungskursus be¬ 
reits seit 1906 „Zyklen“ von Verwaltungs¬ 
beamten und Ärzten abgehalten wurden, 
worin vornehmlich die Gutachtertätigkeit 
zu ihrem Rechte kam und Besichtigungen 
mannigfacher Art vorgenommen wurden. 
Die Vorträge galten in erster Linie dem 
Arbeiterschutz mit seinen gesetzlichen und 
privaten Maßnahmen, der Armenpflege 
und dem Rettungswesen, sie sahen aber 
auch ebenso das Heilverfahren in der 
Invalidenversicherung wie die Fürsorge 
für die Säuglinge und die Jugend vor. 
Diese Ausbildungs- oder Fortbildungs¬ 
methoden können indes, so wertvoll sie 
im einzelnen sein mögen, dem effektiven 
Bedürfnisse auf dem weiten Gebiete der 
sozialen Hygiene nicht gerecht werden. 
Es gilt hier eine Lücke auszufüllen, welche 
die Ausbildung eines Spezialarztes vor¬ 
sieht, und die also gedacht ist: nach Be¬ 
endigung des Studiums, gegebenenfalls 
innerhalb des praktischen Jahres soll der 
junge Mediziner eine vier- bis. sechsmona¬ 
tige Ausbildung in einer größeren Univer¬ 
sitätsstadt erfahren, die gute kommunale 
Einrichtungen aufzuweisen hat, die sie 
auch willens ist, zu Lehrzwecken zur Ver¬ 
fügung zu stellen. Vorerst dürften zwei 
bis drei Schulen genügen. Der Lehrgang 
hat vorzusehen: Vorlesungen über medi¬ 
zinische Statistik, Biometrie, soziale Pa¬ 
thologie, Seuchenlehre; Gesundheitsfür¬ 
sorge (Tuberkulose, Säuglings- und Klein¬ 
kinderschutz, Schulgesundheitspflege, 
Wohnungswesen, Gewerbehygiene, Ras- 




Dezember Die Therapie der Gegenwart 1917. 427 


senhygiene); Krankenfürsorge, (Armen¬ 
kranke, Krankenhauswesen, Kranken- 
beförderung und Rettungswesen, Für¬ 
sorge für Kriegsbeschädigte, Krüppel, 
Blinde, Taubstumme, Älkoholkranke, Ge¬ 
schlechtskranke). Auch soll das Versiche¬ 
rungswesen jeder Art. geeignete Berück¬ 
sichtigung finden, und endlich staatliche 
und Standesorganisationen ausführlich 
behandelt, wie auch allgemeine Verwal¬ 
tungslehre getrieben werden. 

Es wird sich Gelegenheit bieten, auf 
diese Ausführungen des näheren zurück¬ 
zukommen und zu prüfen, ob und inwie¬ 
fern die Vorschläge zu verwirklichen sind. 
Es will uns scheinen, als ob der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege, also der sozialen 
Medizin, naturgemäß eine immer größere 
Beachtung, ein weiterer Ausbau zuteil 
werden muß’; das hierzu geeignet vor¬ 
gebildete Kräfte nötig sind, bedarf ebenso 
wenig der Erörterung; es fragt sich nur, 
auf welche Weise die Vorbildung statt¬ 
zuhaben hat, und da dürfte prima vista 
die soziale Hygiene als Teil der allge¬ 


Refe 

Akute Appendicitis nach Mumps hat 

Findel zweimal gesehen; Orchitis nach 
Mumps kommt bekanntlich oft vor. 
Dahingegen gehören die hier beschrie¬ 
benen Fälle der Blinddarmentzün¬ 
dung zu den Seltenheiten. Bei dem 
ersten Kranken bestand ein Parotitis 
epidemica, die einen normalen Ver¬ 
lauf nahm. Am Tage der Abfieberung 
entwickelte sich das typische Bild der 
Appendicitis. Bei der Operation war ein 
durch, eine Striktur verengter und mit 
Eiter erfüllter Wurmfortsatz, in dem 
Staphylokokken nachweisbar waren, vor¬ 
handen. In der Rekonvaleszenz ist eine 
zehn Tage nach der Operation auftretende 
Angina bemerkenswert. — Bei dem zwei¬ 
ten Falle handelte es sich um einen Ar¬ 
mierungssoldaten, bei welchem etwa drei 
Wochen nach der Parotitis die Appendi¬ 
citis einsetzte. Hier wurde die Laparo¬ 
tomie erst im Stadium der Absceßbildung 
vorgenommen. Der Eiter enthielt eben¬ 
falls Staphylokokken. In der Rekon¬ 
valeszenz trat ein Mumpsrezidiv und ein 
peritonsillärer Absceß auf. Hayward. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 30.) 

Aus dem Städtischen Krankenhause 
Stettin berichtet Kalb über die supra¬ 
symphysäre Cystostomie. Die Zahl der 


meinen Hygiene anzusprechen sein, und 
als solcher seine Stellung behaupten 
können. Man wird sodann dem Kreisarzt 
als dem Wächter der öffentlichen Ge¬ 
sundheitspflege die erforderlichen Kennt¬ 
nisse auf dem einschlägigen Gebiet ab¬ 
fordern und ihn so bestellen müssen, daß 
er auch in der Lage ist, den an an ihn ge¬ 
stellten, vielverzweigten Ansprüchen ge¬ 
recht zu werden, und mit den ihm beige¬ 
gebenen Hilfsorganen: Kreishilfsärzten, 
Berufsfürsorgerinnen, in seinem Bezirke 
wirkliche Gesundheitspflege zu üben, und 
zwar theoretisch wie praktisch. Die Aus¬ 
bildung von Spezialärzten auf sozial¬ 
hygienischem Gebiete kommt erst in 
zweiter Linie in Betracht. Das wichtige 
Kapitel der Berufsarbeiterinnen ist mit 
dem Ausbau der Fürsorgestellen bereits 
in ein Stadium gerückt, daß man in An¬ 
betracht der Kürze der Zeit sehr wohl zu¬ 
frieden sein darf; ein Vorgehen, wie es 
von Köln mitgeteilt wird, ist unbedingt 
der Nachahmung wert. 

(D. Vrtljschr. f. Gesdhtspfl. 1917 H. 2, 3, 9.) 


rate, 

Todesfälle, welche nach der Prostatekto¬ 
mie beobachtet werden, ist im allgemeinen 
größer als angenommen wird. So be¬ 
richten einzelne Autoren über 26, 30 .ja 
sogar 35%. Die Sterblichkeit ist nicht so 
sehr der Operation selbst zur Last zu 
legen, als vielmehr den postoperativen 
Komplikationen von seiten des Herzens, 
Gefäßsystems und der Lungen. Wenn es 
darum schon notwendig ist, die operative 
Indikation möglichst einzuschränken, so 
weisen doch diese Zahlen darauf hin, daß 
die Gesamtresultate noch viel zu wünschen 
übrig lassen. Eine Palliativoperation, wie 
die' suprasymphysäre Cystostomie, er¬ 
scheint unter diesen Umständen durch¬ 
aus berechtigt zu sein; entweder, daß man 
sie nur. als Voroperation betrachtet, um 
durch Behandlung der Blase die Gefahren 
der eigentlichen Operation herabzu¬ 
drücken, oder, daß sie überhaupt einen 
Dauerzustand darstellt. Die von Kalb 
angewendete Methode der kleinen Fistel 
mit Einlegung eines Pezzerkatheters läßt 
dies durchaus zu. Er berichtet über 
36 Fälle ohne Todesfall, in denen das ge¬ 
wünschte Resultat erzielt wurde. Neben 
der Prostatahyperthrophie kommt die 
Cystostomie in Frage bei schweren Stö¬ 
rungen der Blasenentleerung infolge von 
organischen Nervenerkrankungen, bei der 

54* 



Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Dezember 


428 


Retention infolge maligner Tumoren und 
als Voroperation bei der plastischen Be¬ 
seitigung ausgedehnter Harnröhren- 
defekte. ✓ Ha y ward. 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 140 H.3/4.) 

. Zur Behandlung der Hydrocele haben 
sich Wederhake folgende Verfahren be¬ 
währt: 1. Fenstermethode. Aus einem 
kleinen Schnitt über dem äußeren Leisten¬ 
ringe wird die Hydrocele luxiert und dann 
aus der Cooperschen Fascie ein rundes 
Stück von etwa Markstück Größe exci- 
diert. Dann wird der Testis an seine Stelle 
zurückgebrächt und die kleine Haut¬ 
wunde vernäht. Bei der zweiten Methode, 
der Kochsalzmethode, wird die Hydro¬ 
cele punktiert und, nachdem die gesamte 
Flüssigkeitausgelaufen ist, x / 2 bis 3 ccm 
einer 10%igen Kochsalzlösung einge¬ 
spritzt. Die Stichmethode besteht darin, 
daß nach Anästhesierung des oberen 
und unteren Pols der Hydrocele durch 
einen Einstich mit einem scharfen Skal¬ 
pell oben und unten die Flüssigkeit ent¬ 
leert wird. Dieses letztere Verfahren wird 
hauptsächlich bei älteren Leuten ange¬ 
wendet. Hayward. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 37.) 

Hyperextensionsbehinderung, ein Früh¬ 
symptom der tuberkulösen Coxitis, be¬ 
schreibt Loeffler. Die Bedeutung einer 
rechtzeitigen Diagnose der tuberkulösen 
Hüftgelenkentzündung namentlich beim 
Kind ist e^pe ganz außerordentliche. 
Dies trifft um so mehr zu, als die ersten 
Zeichen oft sehr unbestimmte sind. Mehr 
wie die Angabe, daß das Kind leicht er¬ 
müdet und. zeitweise hinkt, pflegt von 
den Eltern nicht gemacht zu werden. In 
diesem Stadium, welches der Behandlung 
so außerordentlich günstig ist, wird eine 
Beschränkung der Beweglichkeit aktiv 
und passiv kaum je angetroffen; für solche 
Fälle hat sich dem Verfasser folgendes 
Verfahren bewährt: Das Kind wird in 
Bauchlage gebracht und mit der einen 
Hand das gesunde Bein im Sinne der 
Hyperextension nach oben gehoben und 
mit der anderen Hand das Becken flach 
auf den Tisch niedergedrückt. Unter die¬ 
sen Umständen ist eine Überstreckung 
von 25 bis 30 Grad leicht möglich. Ist die 
Hüfte jedoch erkrankt, dann ist die ge¬ 
ringste Hyperextension vollkommen aus¬ 
geschlossen. Hayward. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 38.) 

Über die Anwendung der Hypophysen¬ 
extrakte in der Geburtshilfe berichtet 
v. Fekete; es gibt streng einzuhaltende 


Indikationen, wie auch Kontraindika¬ 
tionen. Das Hauptanwendungsgebiet ist 
bei der zurzeit eingetretenen Geburt, 
wobei die Wirkung in der Austreibungs¬ 
periode besser ist als in der der Eröffnung, 
besonders bei Mehrgebärenden. Zur 
Überwindung von Hindernissen sind diese 
Wehen ungeeignet. Bei einer Fehlgeburt 
kann nur im Verein mit anderen Mitteln 
das Extrakt eingespritzt werden, wobei 
es schließlich zu einer künstlichen Be¬ 
endigung kommen muß. Verboten ist das 
Präparat zu gebrauchen, wenn ein Mi߬ 
verhältnis zwischen vorliegendem Teil 
und Beckeneingang und eine unzweck¬ 
mäßige Einstellung des Kopfes vorliegt 
(Gefahr der Uterusruptur!). Größte Vor¬ 
sicht ist geboten wegen der auf die Frucht 
ausgeübten (Asphyxie) und der in der 
Placentarperiode (Contractioh des inneren 
Muttermundes) vorkommenden Nach¬ 
wirkung. Nach verabreichter Injektion 
soll die Geburt bis zu Ende beobachtet 
und die Kreißende unter ständiger ärzt¬ 
licher Aufsicht gehalten werden. 

Pulvermacher (Charlottenburg). 

(Mschr. f. Geburtsh. 1917, November.) 

Kriegschirurgische Erfahrungen, ins¬ 
besondere über die Anwendung der 
Dakin-Lösung und über die Häufigkeit 
des Auftretens von Gasphlegmone be¬ 
richtet Busch. Er lobt die Dakin- 
Lösung, die bei den großen Granat¬ 
verletzungen prinzipiell als Antisepti¬ 
kum verwandt wurde. Nach deren An¬ 
wendung sahen die Wunden bald frischer 
aus, der üble- Geruch verschwand, die 
Granulationen bekamen ein gesünderes 
Aussehen. Verfasser hat keinen Tetanus¬ 
fall beobachtet, dagegen entwickelten sich 
bei 1,2 % der gesamten Granatverletzun¬ 
gen bösartige Gasphlegmonen. Zur 
Verhütung mache man ausgiebige Exci- 
sionen und Incisionen bei jeder Granat¬ 
splitterverletzung und nachfolgende Ver¬ 
bände mit der Natriumhypochlorid- 
(Dakin-)Lösung. Wo dies frühzeitig 
systematisch durchgeführt werden kann, 
treten Gasphlegmonen nicht auf. Wenn 
dies nicht möglich ist, mache man breite 
Incisionen, drainiere und fülle die Wunde 
mit der Dakin-Lösung. , Tritt dann die 
Infektion doch auf, so kann sie wirksam 
bekämpft werden. In zwölf Fällen von 
schon manifesten Gasphlegmonen, die 
mit radikalen Excisionen und der Dakin- 
Lösung frühzeitig behandelt werden konn¬ 
ten, wurden die Patienten geheilt. 
Schlechte Resultate zeitigten dagegen im 
allgemeinen Fälle ausgedehnter Gasphleg- 





Dezember 


Die Therapie der Gegenwart 1917., 


4?9 


.monen, bei denen die Excision nicht mehr 
vollkommen angängig war und als Ersatz 
Incisionen weit ins Gesunde gemacht 
wurden. Mit Kataplasmen hatte Ver¬ 
fasser keinen, guten Erfolg. Bei Schädel¬ 
verletzten soll die Wundversorgung 
zweckmäßig erst im Feldlazarett (nicht 
schon auf dem Hauptverbandplätze) ge¬ 
schehen, da drei Wochen Ruhe nach der 
.Operation meist unerläßlich sind. Alle 
Schädelschüsse sollen grundsätzlich chi¬ 
rurgisch behandelt werden. Zur Entfer¬ 
nung von Splittern eignet sich gut das 
Ausspritzen der Gehirnwunde mit Wasser¬ 
stoffsuperoxyd. Gehirnwunden sollen 
nicht in der Tiefe tamponiert, Schädel¬ 
wunden nicht primär verschlossen werden. 
Bei Hämatothorax, wenn keine größeren 
Lungenzerreißungen vorhanden sind, soll 
die Punktion möglichst vier bis sechs Tage 
nach dem Brustschuß ausgeführt wer¬ 
den. Nachblutungen wurden bei dem 
Verfahren nicht beobachtet. Bei den 
grundsätzlich frühzeitig erfolgenden Ope¬ 
rationen nach Bauchschüssen hat Ver¬ 
fasser durch intravenöse tröpfchenweise 
eingeführte Kochsalzinfusionen (eventuell 
zwei bis drei Tage lang und mit Zusatz 
von anderen Medikamenten, wie z. B. 
Coffein) in der Shockbekämpfung die 
besten Erfolge erzielt: kein Patient kolla¬ 
bierte. Gelenkwunden sollen nach der 
Versorgung gleich durch Naht geschlossen 
werden, um sekundäre Infektionen zu ver¬ 
hüten. Campherphenolinjektionen haben 
sich bei Gelenkeiterungen gut bewährt. 

Hagemann (Marburg). 

(Arch.f. klin. Chir. Bd. 109, H. 1, S.65.) 

Die Frage der Kriegsparalyse und 
Dienstbeschädigung erörtert Weber. 
Es ist zu entscheiden, ob eine Paralyse 
durch Kriegsereignisse — körperliche oder 
seelische Strapazen, Verwundungen und 
andere Traumata — hervorgerufen oder 
verschlimmert werden kann. Weygandt 
hat seinerzeit sein Material von Paralysen 
der Feldzugsteilnehmer statistisch darauf 
geprüft, ob es in bezug auf Beginn, 
Symptome oder Verlauf sich durchschnitt¬ 
lich von den Friedensparalysen unter¬ 
scheidet. Und er kommt zu dem Resultat, 
daß die Paralyse der Feldzugsteilnehmer 
im Durchschnitt schneller und schwerer 
verläuft und rascher zum Tode führt als 
die Paralyse der Friedensverhältnisse. 
Auf Grund seiner Feststellung ist dann 
Weygandt zu dem Schluß gekommen, 
daß es eine Kriegsparalyse gibt, nicht 
etwa in dem Sinne, daß jede bei einem 
Kriegsteilnehmer auftretende Paralyse 


jetzt ohne weiteres als Folge des Kriegs¬ 
dienstes und als entschädigungspflichtig 
angesehen werde, sondern man soll sich 
durch die Tatsache, daß jede Paralyse 
die. Folge einer syphilitischen Infektion 
ist, nicht bestimmen lassen, nun ohne 
weitere Prüfung die Frage der Dienst¬ 
beschädigung zu verneinen, sondern soll 
jeden Fall noch einmal besonders prüfen. 
Nach der Friedenspraxis kann man sagen, 
daß ein ursächlicher Zusammenhang zwi¬ 
schen Unfall und Paralyse wahrschein¬ 
lich ist bei schwerer Gewalteinwirkung 
oder starkem psychischen Shock, bei 
nicht zu langer Zwischenzeit zwischen 
Unfall und Ausbruch der Paralyse, ab¬ 
gekürztem Verlauf der Paralyse, Beson¬ 
derheiten im anatomisch-mikroskopischen 
Befunde. Nicht alle diese Bedingungen 
müssen gleichzeitig erfüllt sein, sondern 
ihre Kombination muß so sein, daß sie 
eine deutliche Besonderheit des Krank¬ 
heitsbildes darstellt, die auf eine weitere 
Ursache neben der luetischen Infektion 
hinweist. Wenn dann vor dem Unfall 
keine Paralysesymptome bestanden, dann 
muß die Paralyse als Unfallfolge an¬ 
gesehen werden; bestanden schon solche 
Symptome, so ist Verschlimmerung der 
Paralyse durch den Unfall anzunehmen. 
Weber tritt dafür ein, daß man bei der 
Beurteilung der Dienstbeschädigung der 
Kriegsparalysen die eben angeführten 
Grundsätze der Unfallversicherungspraxis 
des Friedens anwenden soll. Es kommt 
also bei der Dienstbeschädigungsfrage der 
Paralysen bei Soldaten hauptsächlich auf 
zwei Punkte an: die Art der als Dienstbe¬ 
schädigung angesprochenen Erlebnisse auf 
der einen, Symptome, Verlauf und patho¬ 
logisch anatomischeVeränderungen auf der 
anderen Seite. Auf Grund dieser Anschau^ 
ungen hat Weber besondere Leitsätze 
aufgestellt: 1. Die progressive Paralyse 
ist in allen Fällen eine Folgeerscheinung 
der Syphilis, auch wenn in einzelnen 
Fällen eine syphilitische Infektion nicht 
bekannt wird. Aber sie ist nicht eine 
Teilerscheinung oder „Verschlimmerung“ 
der gewöhnlichen Syphilis, sondern eine 
besondere Neuerkrankung. Unter Um¬ 
ständen kann angenommen werden, daß 
ein als Dienstbeschädigung aufzufassen¬ 
des äußeres Ereignis das paralytische 
Leiden hervorgerufen hat und daß es ohne 
diese Dienstbeschädigung überhaupt nicht 
oder erst viel später entstanden wäre. 
2. Folgende Umstände sprechen für eine 
solche Annahme: a) Vor Einwirkung der 
Dienstbeschädigung waren keinerlei auf 




430 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


Dezember 


Paralyse verdächtige Symptome bekannt 
(Verhalten der Pupillen, Unsicherheit 
beim Gehen, Schwindel-, Öhnmachts- 
oder Krampfanfälle, Veränderungen der 
Sprache, der Schrift, des geistigen Ver¬ 
haltens in beruflicher und ethischer Hin¬ 
sicht). b) Die als Dienstbeschädigung zu 
bezeichnende. Ursache kann bestehen in 
einer schweren. Verletzung des Schädels 
oder Gehirns, Gehirnerschütterung, schwe¬ 
rer Allgemeinerkrankung (konsumierende 
-Darmkränkheiten, starke Blutverluste), 
in länger oder wiederholt einwirkenden 
Strapazen körperlicher (Märsche, Erkäl¬ 
tungen, Durchnässungen, strahlende 
Hitze) oder seelicher Art (geistige An¬ 
spannung, Todesangst, Schreck bei Ver¬ 
schüttung usw.). Diese letzteren Momente 
(körperliche und seelische Strapazen) kom¬ 
men beim gewöhnlichen Friedensdienst 
nicht in Betracht; auch im Kriegsdienst 
muß man längere Dauer oder besondere 
Ereignisse nachweisen können, c) Soll 
die Entstehung einer Paralyse durch ein 
als Dienstbeschädigung aufzufässendes 
einmaliges Ereignis (Verwundung usw.) 
angenommen werden, so muß zwischen 
Dienstbeschädigung und erster Feststel¬ 
lung paralytischer Symptone ein an¬ 
gemessener Zwischenraum liegen (ein Mo¬ 
nat bis zwei Jahre); wenn unmittelbar 
nach der Verletzung * schon deutliche 
paralytische Symptome festgestellt wer¬ 
den, bestand die Paralyse gewöhnlich 
schon vorher, d) Durch Dienstbeschädi¬ 
gung hervorgerufene Paralysen zeigen 
häufig Abweichungen vom Durchschnitt: 
Sehr jugendliches Alter des Erkrankten 
(unter 35 Jahre), kurze Inkubationszeit 
zwischen syphilitischer Infektion und Aus¬ 
bruch der Paralyse (unter 6 Jahren), sehr 
heftige oder atypische Symptome, rapider 
Verlauf mit raschem, körperlichem und 
geistigem Verfall und Tod (Krankheits¬ 
dauer unter einem Jahr), Fehlen der 
Pateliarreflexe schon bei Beginn der Er¬ 
krankung, atypischer Sektionsbefund. 
4. Bestand eine Paralyse sicher schon vor 
den als Dienstbeschädigung anzusprechen¬ 
den Ereignissen, so ist Verschlimmerung 
der Erkrankung durch Dienstbeschädi¬ 
gung anzunehmen, wenn die unter 3b 
oder 3d angedeuteten Voraussetzungen 
zutreffen. 5. Oft sind im Beginn einer 
Paralyse die klassischen körperlichen und 
psychischen Symptome noch nicht oder 
nur undeutlich vorhanden und der Blut- 
Wassermann noch negativ, während die 
Wassermann-Reaktion der Rückenmarks¬ 
flüssigkeit schon positiv ist. Bei Verdacht 


auf progressive Paralyse und sonst nega¬ 
tiven Befunden muß also: immer Lumbal¬ 
punktion gemacht werden. Dünner. 

• (D: m. W. 1917, Nr. 34.) 

Zur makroskopischen * Diagnose 
der Leukocytose und der Leukämie im. 
Blute gibt Hans Hirschfeld ein ein¬ 
faches Verfahren an. Bringt man einige 
Tropfen Blut in ein mit gewöhnlichem 
Wasser gefülltes Reagenzglas, so tritt 
sehr schnell eine völlige Lösung der Blut¬ 
körperchen ein und man erhält eine voll¬ 
kommen durchsichtige, rote Flüssigkeit. 
Ist aber das Blut sehr leukocytenreich, 
so bleibt es trübe und undurchsichtig, 
weil sich die Leukocyten nicht auflösen, 
sondern nur quellen. Nach längerem 
'Stehen ballen sich die Leukocyten zu 
großen, wolkigen Bildungen zusammen, 
die sich allmählich zu Boden senken. 
Diese Reaktion ist bei höheren Leuko- 
cytenwerten deutlicher als die nach Zu¬ 
satz von Kalilauge. Zweitens gibt Hirsch¬ 
feld eine neue Reaktion zur Unterschei¬ 
dung von lymphatischer und myeloider 
Leukämie an. Bekanntlich dient die 
Oxydasereaktion zur Unterscheidung von 
Zellen myeloider und lymphatischer Her¬ 
kunft. Mischt man gleiche Teile einer 
1 %igen a-Naphthollösung, die mit 1 % 
Kalilauge versetzt ist, mit einer l%igen 
wäßrigen Lösung von Dimethylparaphe- 
nylendiamin, so entsteht nach längerer 
Zeit eine Blaufärbung (Indophenolblau¬ 
synthese). Die Abkömmlinge des mye¬ 
loischen Apparates, die neutrophilen 
Leukocyten, die eosinophilen Elemente 
und die Mastzellen, sowie auch die Mono- 
cyten beschleunigen nun diese Reaktion. 
Legt man vorher in Formol oder Alkohol 
fixierte Blutabstriche in das genannte 
Farbgemisch, so färben sich in den ge¬ 
nannten Zellen zahlreiche Granula blau. 
In Lymphocyten/kann man dagegen nie¬ 
mals. blaue Körnchen auf diese Weise dar¬ 
stellen. Es gelingt nun, wie Hirschfeld an 
einer größeren Anzahl von Fällen feststellen 
konnte, diese Reaktion auch makro¬ 
skopisch anzustellen. Wenn man einige 
Tropfen Blut einer myeloischen Leukämie 
in Wasser auflöst und nun vorsichtig das 
obengenannte, zur mikroskopischen Oxy¬ 
dasereaktion dienende Gemisch über¬ 
schichtet, so tritt an der Berührungsstelie 
momentan ein blauer Ring auf, der sehr 
schnell tief dunkel wird. Allmählich färbt 
sich die ganze überschichtete Flüssigkeit 
tief blau. Bei der lymphatischen Leuk¬ 
ämie dagegen versagt die Reaktion, es 
tritt keine Blaufärbung auf. Natürlich 



Dezember 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


431 


erhält man auch bei stärkeren Leuko- 
cytosen eine Blaufärbung, wenn auch von 
geringerer Intensität. Eine sichere Unter¬ 
scheidung von Leukocytose und myeloi¬ 
scher Leukämie ist also auf diese Weise 
nicht möglich. Fällt aber diese Reaktion 
bei einem Blute, das mit Wasser verdünnt, 
trübe bleibt, negativ aus, so.liegt mit Be¬ 
stimmtheit eine lymphatische Leukämie 
vor. Dünner. 

(D. m. W. 1917, Nr. 26.) 

Einen Beitrag zur Lues congenita gibt 
Hübner. Verfasser fand bei Erbsyphilis 
eine Beteiligung des Nervensystems und 
der inneren Organe bis zu 74%. Imbe- 
cillität und Idiotie findet sich in 10 % 
der syphilitischen, über die ersten Lebens¬ 
jahre hinauskommenden Kinder. Der 
syphilitische Schwachsinn hat in Über¬ 
einstimmung mit dem erhobenen autop- 
tischen Befund meist eine progressive 
Tendenz. Die Dementia praecox hat keine 
Beziehung zur Erbsyphilis, ebenso ist 
nicht erwiesen, daß die Syphilis im Kindes¬ 
alter zur Neurasthenie, Hysterie oder 
Neuropathie disponiert. Es werden ferner 
zwei Fälle angeführt, bei denen die here¬ 
ditäre Tabes spät (mit 27 bzw. 28 Jahren) 
in die Erscheinung trat. Das Kapitel der 
ererbten Nervensyphilis ist noch wenig 
geklärt, da bis vor kurzem der Nachweis 
der Syphilis fast nur auf dem Wege der 
Anamnese möglich war. 

Leo jacobsohn (Charlottenburg). 
(Arch. f. Psych. 1917, H. 1.) 

Frank (Breslau), dem wir bekanntlich 
die Aufstellung der krankheitsbegriffe der 
Aleukla splenica verdanken (vergl. diese 
Zeitschrift Aprilheft) berichtet neuerdings 
über seine Erfahrungen in bezug auf Milz¬ 
bestrahlung und Milzexstirpation bei Sple- 
nopathien, oder wie er sie nennt, sple- 
nogenen Leuko-Mye.lotoxikosen be¬ 
richtet.. Es kommt dem Verfasser be¬ 
sonders darauf an, zu beweisen, daß der 
Milztumor eine Hemmungswirkung auf 
das Knochenmark auszuüben vermag und 
auf diese Weise die Reduktion der farb¬ 
losen Elemente des Blutes hervorbringt. 
Angeregt war diese Vorstellung durch den 
Erfolg isolierter Milzbestrahlung bei mye¬ 
loischer Leukämie, durch welche in einem 
mit farblosen Knochenmarkselementen 
überschwemmten Blute Senkungen bis zu 
leukopenischen Werten erzeugt werden. 
Danach läßt sich annehmen, daß eine in 
bestimmter Weise erkrankte Milz die 
gleiche Fernwirkung auf den leukoplasti- 
schen Knochenmarksapparat ausüben 


kann, wie das durch die Strahlen beein¬ 
flußte leukämische Organ. Es gelingt 
"Frank, dafür Beweise zu erbringen. Es 
ist auch praktisch wichtig, diesen Dingen 
nachzugehen, wird doch bei der Be¬ 
sprechung der Therapie Banti-artiger 
Krankheitsbilder häufig zur Röntgen¬ 
bestrahlung der Milz geraten, in der An¬ 
sicht, daß es sich, wenn auch der Erfolg 
kein großer ist, doch um einen harmlosen 
therapeutischen Eingriff handelt. Es 
handelt sich bei den von Frank be¬ 
strahlten fünf Fällen stets um Patienten 
mit Milztumor, mäßiger Anämie, Leuko¬ 
penie, wobei gerade die Zahl der neutro¬ 
philen wesentlich herabgesetzt ist, x und 
Thrombopenie. Bei zwei Patienten wird 
später, als die Bestrahlung sich als zum 
mindesten nutzlos erwies, die Milz exstir- 
piert. Bei allen Patienten tritt nach der 
Bestrahlung ein Leukocytensturz ein, und 
auch die Zahl der Plättchen fällt oder 
wird doch wenigstens nicht merklich 
größer. Die Bestrahlung hatte sogar den 
Erfolg, daß das Fallen der Leukocyten- 
werte noch drei bis vier Wochen nach der 
Bestrahlung anhielt. In einem Falle ge¬ 
nügte eine Applikation von 60x in zwei 
Tagen, um zu bewirken, daß die Leuko- 
cyten von 3700 in 14 Tagen auf 1200 
fielen, in einem anderen Falle sanken sie 
von 1200 auf 590. Beteiligt sind an diesen 
Senkungen vor allen die neutrophilen 
Zellen. Die Röntgenstrahlen schei¬ 
nen also eine anormale Milzfunk¬ 
tion zu stärkster Entfaltung zu 
bringen. Der Leukocytensturz erfolgt 
nicht, explosionsartig, daß also nicht an 
eine durch die Röntgenbestrahlung aus¬ 
gelöste intrasplenische Leukolyse zu den¬ 
ken ist, sondern er vollzieht sich langsam 
in Wochen. Das starre Nebeneinander 
von Neutropenie und Milzschwellung läßt 
sich mit Hilfe der strahlenden Energie-in 
ein kausales Nacheinander auflösen. Wenn 
die bestrahlte Milz im Laufe weniger 
Wochen auf das weiße Blutbild so deletär 
einwirkt; so bereitet es keine Schwierig¬ 
keiten, anzunehmen, daß die Leukopenie, 
die schon vorher bestand, als Ausdruck 
einer von der Milz aufs Knochenmark aus¬ 
gehende Fernwirkung anzusehen ist. In 
I dieser Annahme bestärkt der Effekt der 
I Exstirpation. Derselbe Patient, der 
wochenlang vor der Operation nur 200 
neutrophile Zellen im Kubikmillimeter 
j aufwies, hat sechs Stunden nach der Ope- 
| ration 3100 mit 85 % neutrophilen. Die 
Plättchen steigen krisenhaft nach der 
Exstirpation bis auf den weit über de* 


432 . Die Therapie der 


Norm liegenden Wert 450 000 von 68 000. 
Es zeigt sich darin nach Frank, daß nur 
eine schwere Hemmung der Ausfuhr und 
der Bildung farbloser Knochenmarks¬ 
elemente vorlag. Bei dem anderen Falle 
beträgt die Gesamtleukocytenzahl sechs 
Stunden nach der Operation 13 000 mit 
95 % polymorphkernigen gegenüber 1500 
mit 66 % vor der Operation. Solche Bei¬ 
spiele sind aus der Literatur bekannt, 
Klemperer-Mühsam sahen nach Milz¬ 
exstirpation wegen Banti 35 000, Ble¬ 
cher 50 000, Umber 43 OOCf Blutleuko- 
cyten. — Als diejenigen Elemente, an 
welche die Fernwirkung der Milz auf den 
leukoblastischen Apparat des Knochen¬ 
marks gebunden ist, sei es, daß sie leuko- 
myelotoxische Stoffe secernieren oder bei 
ihrem Zerfalle freiwerden lassen, bezeich¬ 
net Frank die Reticulo- und Venensinus- 
endothelien, jene großen Zellen mit blas¬ 
sem bläschenförmigen Kern, die auch als 
Makrophagen tätig sind. Diese Zellen 
lassen bei der Kala-Azar und beim Typhus 
abdominales in der Milz eine starke 
Wucherung erkennen. Im Tierexperiment 
zerfallen unter Milzbestrahlung die kleinen 
Lymphocyten in der Milz, ihre Trümmer 
werden von den Makrophagen aufgenom¬ 
men, die sich in konzentrischer Schicht 
in Haufen an Stelle der ursprünglichen 
Follikel finden. Beim Typhus geht das¬ 
selbe wahrscheinlich unter Einwirkung 
des Typhusbacillengiftes, bei der Kala- 
Azar unter Einwirkung des protozoären 
Parasiten, bei der Lymphogranulomatose 
unter Einwirkung ihres unbekannten Er¬ 
regers vor sich. Milzbestrahlung ist als 
gefährlich anzusehen, da sie durch die 
Leukopenie die Widerstandskraft gegen 
septische Infektionen schwächt, durch 
Thrombopenie die Neigung zu Blutungen 
verstärkt. Die Milzexstirpation der Milz¬ 
tumoren mit Leukopenie und Thrombo¬ 
penie ist die Therapie der Wahl. (Siehe 
meinen Aufsatz über hämorrhagische 
Diathese in dieser Zeitschrift.) 

E. Benecke. 

(B. kl. W. 1917, Nr. 24.) 

Für die Errichtung von Nervenheil- 
stätten in großem Maßstabe tritt Sonnen¬ 
berger ein. Verfasser weist mit Recht 
darauf hin, daß die ärztliche Versorgung 
von gewissen Nervenkranken in Irren¬ 
anstalten, Krankenhäusern, Sanatorien 
und Erholungsheimen bisher unzulänglich 
war. Die von Forel und Möbius be¬ 
gründeten Nervenheilstätten, welche allein 
eine rationelle Unterbringung und Be¬ 
handlung bestimmter Nervenpatienten er¬ 


Gegenwart 1917. Dezember 


möglichen und auf dem Prinzip der Ar¬ 
beitstherapie aufgebaut sind, stellen so¬ 
wohl vom klinischen und sozialen, als 
auch vom Standpunkte der Zweckmäßig¬ 
keit und Humanität eine dringende For¬ 
derung der Gegenwart dar. Da die Ner¬ 
venheilstätten für das Volks wohl von 
nicht geringerer Bedeutung sind als die 
Lungenheilstätten, sind sie auch im Hin¬ 
blick auf die steigende Zahl der Kriegs¬ 
nervenkranken alsbald in großem Um¬ 
fang zu errichten. Die für den Bau und 
den Unterhalt der Nervenheilstätten er¬ 
forderlichen Mittel sind von den Kranken¬ 
kassen, Berufsgenossenschaften, Landes¬ 
versicherungen sowie durch private Wohl¬ 
tätigkeit aufzubringen. L. Jacobsohn. 

(M. Kl. 1916, Nr. 16 u. 18.) . 

Die spastische Pylorusstenose, über 
die Boas Mitteilung macht,,besteht nach 
der Auffassung der maßgebenden Autoren 
darin, daß sich bald langsamer, bald 
schneller die Symptome einer hoch¬ 
gradigen, mit mehr oder weniger großer 
Stagnation, Schmerzen, Erbrechen, Auf¬ 
stoßen einhergehenden Motilitätsstörung 
geltend machen, um unter dem Ein¬ 
flüsse einer zweckentsprechenden Diät 
schneller oder langsamer nicht etwa bloß 
zurückzugehen, sondern unter Nachlaß 
aller subjektiven Erscheinungen völlig zu 
verschwinden. Ursache dieser spastischen 
Stenose sind Erosionen, Fissuren oder ein 
Pylorusulcus. Nach einiger Zeit können 
die Beschwerden wieder auftreten und 
ebenso auch wieder verschwinden. Unter 
Umständen kann sich aus der spastischen 
Pylorusstenose eine echte narbige Pylorus¬ 
stenose entwickeln. Kuß maul nahm als 
Wesen der spastischen Pylorusstenose 
einen reflektorischen Pylorusverschluß an. 
Inzwischen hat man aber durch Biopsien 
gelernt, daß keine Spur von Stenose vor¬ 
liegt. Mit dem sogenannten Pylorus- 
spasmus hat die spastische Pylorusstenose 
nichts zu tun. Der Pylorusspasmus be¬ 
steht in einem pälpablen, ebenso schnell 
fühlbaren wie verschwindenden Krampf¬ 
tumor des Pylorus. Der Pylorus fühlt 
sich als brettharter, sogar knorplig-harter 
Tumor an, um bei längerer Palpation 
plötzlich in wenigen Minuten der normalen 
Konsistenz des Pylorus Platz zu machen. 
Außerdem ist das Auftreten und Schwin¬ 
den dieses Krampftumors schmerzlos. 
Man muß nach Boas folgern, daß zwi¬ 
schen spastischer Pylorusstenose und 
Pylorusspasmus streng geschieden wird. 
Bei der spastischen Pylorusstenose macht 
das Geschwür am Pylorus als solches 



Dezember Die Therapie der 


keine Stenose. Es muß da irgendein Mo¬ 
ment hinzukommen, das die Stenose¬ 
erseheinungen verursacht. Die entzünd¬ 
liche Schwellung des Pylorusabschnittes 
in Verbindung mit dem Geschwür erklärt 
das Auftreten einer sich ebenso schnell 
entwickelnden wie mit der Heilung des 
Ulcus abklingenden Mageninhaltsstauung 
völlig. Der Name ,spastische Pylorus¬ 
stenose“ ist aus diesem Grunde auch nicht 
sehr zweckmäßig. Deshalb empfiehlt 
Boas: Pyloritis ulcerosa. Die Diagnose 
der Pyloritis ulcerosa wird hauptsächlich 
gestellt durch den Nachweis von okkulten 
Blutungen, der wiederholt gelingen muß. 
Das Blut verschwindet allmählich, wenn 
das Ulcus ausheilt, völlig aus dem Stuhl; 
auch findet bei dieser nie eine so schnelle 
Retablierung der Motilitätsstörung statt 
wie bei der sogenannten spastischen 
Form. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß 
bei der narbigen Pylorusstenose Besse¬ 
rungen der Motilität unter dem Einflüsse 
rationeller Behandlung zu konstatieren 
sind, aber man überzeugt sich leicht, daß 
im Gegensatz zu der Pyloritis ulcerosa 
der Magen sich gegen- wachsende Be¬ 
lastungen sofort insuffizient erweist. Was 
die ulceröse Form der Pylorusstenose 
*(das heißt Pylorusstenose-j-floridem Ul¬ 
cus) betrifft, so unterscheidet sich diese 
von den anderen dadurch, daß die ok¬ 
kulten Blutungen bei zweckentsprechen¬ 
der Behandlung zwar allmählich schwin¬ 
den, die Stenoseerscheinungen in unge¬ 
fähr gleichem Umfange bestehen bleiben. 
Schwieriger ist die Unterscheidung der 
Pyloritis ulcerosa gegenüber der carcino- 
niatösen Pylorusstenose. Erstens gelingt 
die Unterscheidung, wenn das okkulte 
Blut persistiert, bei Carcinomen unab¬ 
hängig von der Diät, zweitens kommt bei 
Pyloruscarcinomen eine Verbesserung der 
Magenmotilität nie oder doch nur in den 
ganz seltenen Fällen von nekrotischem 
Zerfall des Tumors vor. Dazu kommt 
noch für die Differentialdiagnose die Rönt¬ 
genuntersuchung in Frage, der allerdings 
Boas nicht sehr das Wort redet. 

(D. m. W. 1917, Nr. 26.) Dünner. 

Koch hat in einer Arbeit ,,Zur Über¬ 
tragung des Erregers des europäischen 
Rückfallfiebers (Febris .recurrens) durch 
die Kleiderlaus“ über Untersuchungen 
berichtet, die er an einer großen Zahl von 
rumänischen Kriegsgefangenen bei ge¬ 
häuftem Auftreten der Febris recurrens 
angestellt hat. Es kam ihm vornehmlich 
darauf an," festzustellen, wer der wirk- j 


Gegenwart T917. ‘ 433 


liehe Überträger des Erregers des euro¬ 
päischen Rückfallfiebers sei und .wie die 
Infektion unter natürlichen Verhältnissen 
zustande komme. Dabei war von vorn¬ 
herein auszuschließen, daß Rattenläuse 
bei der natürlichen Infektion des Men¬ 
schen mit der Spirochaeta Obermeieri in 
Frage kommen*. n Br ließ Kranken, die mit 
der Diagnose Fe®ris recurrens eingeliefert 
wurden, bei der Säuberung Läuse ent¬ 
nehmen. Die Technik der mikroskopi¬ 
schen Untersuchung war ziemlich einfach. 
Eine oder mehrere Läuse des betreffenden 
Kranken wurden zwischen zwei Objekt¬ 
trägern zerquetscht, der ausgepreßte 
Leibesinhalt mit einem Tröpfchen Burri- 
tusche in üblicher Weise mit der Kante 
des Objektträgers zu einer dünnen Schicht 
ausgestrichen. Der Nachweis der Spiro¬ 
chäten in der Laus glückte ihm bet 26% 
der Fälle. Bei einem Manne konnte sogar . 
die Diagnose Rückfallfieber eher aus 
seinen Läusen als aus seinem Blute ge¬ 
stellt werden. Geringer war die Ausbeute 
bei den als gesund befundenen Gefan¬ 
genen, die einer Entlausungsanstalt über¬ 
wiesen und längere Zeit beobachtet wur¬ 
den. Von 13 Leuten wurden nur in einem 
Falle in einer Laus vereinzelte Spiro¬ 
chäten entdeckt. Nicht nur die Läuse der 
fiebernden, sondern auch die der niclit- 
fiebernden Patienten waren spirochäten¬ 
haltig. Es war von Wichtigkeit, fastzu- 
stellen, ob das Vorhandensein von Spiro¬ 
chäten in der Laus lediglich eine Folge 
des Saugens am Recurrenskranken ist 
oder ob die Spirochäten sich in der Laus 
vermehren oder sogar eine Entwickelung 
durchmachen müssen. Nach der Zahl 
und Anordnung, die man im Tusche¬ 
präparat antrifft, unterscheidet Koch 
drei Gruppen: 1. die Einzelspirochäte in 
der bekannten spiraligen Form, 2. Zöpfe 
und Nester, 3. Knäuel und Konvolute. 
Daraus schließt Koch, daß in der Kleider¬ 
laus eine Vermehrung des Erregers des 
europäischen Rückfallfiebers stattfindet. 
Die Laus ist demnach nicht nur Überträger, 
sondern ein echtes Wirtstier der Recurrens 
Obermeieri. Er hält es für nicht ausge¬ 
schlossen, daß auch noch andere blut¬ 
saugende Parasiten des Menschen, z. B. 
Wanzen, zur Verbreitung der Spiro¬ 
chäten beitragen. Koch ließ je zwei aus- 
. gehungerte Wanzen an zwei Leuten, die 
beide fieberten und in deren Blut wenige 
Stunden vorher Spirochäten nachge¬ 
wiesen waren, saugen. Alle vier Wanzen 
enthielten in ihrem Leibesinhalte Re- 
I currensspirochäten, so wie man sie in 

55 , 



Dezember 


434 Die Therapie der 


einem Blutpräparat sielit. Durch die 
Ermittelung des Wirtstieres und eigent- 
• liehen Überträgers des europäischen Rück- 
fallfiebers ist die Bekämpfung dieser In¬ 
fektionskrankheit auf eine feste Basis ge¬ 
stellt und der Weg, den die Prophylaxe 
einschlagen muß, klar vorgezeichnet. Es 
müssen die Mannschaften läusefrei ge¬ 
halten werden, denn ein verlauster, fie¬ 
bernder Recurrenspatient stellt für die 
übrigen Kranken des Lazaretts eine 
große Gefahr dar. Tatsächlich sind ja 
auch Lazarettinfektionen gar nicht selten. 
Gefangene, die z. B. wegen einer Ver¬ 
wundung oder eines anderen Leidens in 
ein Feldlazarett aufgenommen wurden, 
würden dadurch angesteckt, daß sie von 
den infizierten Läusen eines in demselben 
Zimmer liegenden Recurrenskranken ge¬ 
bissen wurden. Dünner. 

(D. m. W. 1917, Nr. 34.) 

Ausgehend von der Behandlung er¬ 
nährungsgestörter Säuglinge mit Eiwei߬ 
milch, die ja eine mit Casein angereicherte 
Milch darstellt und auch bei langwierigen 
fieberhaften Dickdarmkatarrhen älterer 
Kinder sich sehr bewährt hat, kam 
Rosenhaupt, geführt durch die große 
Ähnlichkeit des Krankheitsbildes, dazu, 
eine Behandlung der Ruhr mit Casein zu 
versuchen. Es wurde das durch Lab¬ 
zusatz aus 1 1 Milch gewonnene Casein 
unter Zusatz von 10 bis 20 g Zucker täglich 
gegeben und gern genommen. Der Erfolg 
begann sofort mit Aufhören der peristal¬ 
tischen Unruhe, dem nach ein bis zwei 
Tagen das Schwinden von Blut und 
Schleim aus den Stühlen, Absinken des 
Fiebers und Festwerden der Stühle folg¬ 
ten, unabhängig von der Art des Er¬ 
regers. Medikamente wurden sonst nicht 
gegeben, auch war die Diät die übliche, 
jedoch wurde Milch auch zur Zubereitung 
der Speisen streng vermieden, da dann 
sofort Rückfälle auftraten, ebenso wie 
auch nach zu frühem Weglassen des Ca¬ 
seins. Die Erklärung der Erscheinung ist 
nicht ganz einfach, wenn man nicht eine 
Umstimmung der Darmflora annehmen 
will, worüber der Verfasser Untersuchun¬ 
gen noch nicht anstellen konnte. 

Waetzoldt. 

(D. m. W. 1917, Nr. 22.) 

Finsterer beschreibt seine opera¬ 
tive Behandlung der habituellen 
Schulterluxation. Aus Leichenversuchen 
glaubt der Verfasser als feststehend er¬ 
achten zu können, daß das Einreißen der 
vorderen Kapsel wand zur Entstehung 
der Schulterluxation unbedingt erforder- 


Gegenwart 1917. 


I lieh ist. Bei der traumatischen Luxation 
gibt es einen queren Kapselriß, dessen 
Ränder sich nach der Reposition anein-- 
anderlegen, oft aber so, daß sich Binde¬ 
gewebe dazwischen legt, das, Widerstands-. 
unfähig, bei der habituellen Luxation all¬ 
mählich gedehnt wird. In den sieben 
Fällen des Verfassers spielen Knochen¬ 
verletzungen keine Rolle, allerdings fand 
. keine breite Gelenkeröffnung statt, so 
daß möglicherweise kleine Knochen¬ 
schädigungen übersehen wurden. Nur 
in einem von den sieben Fällen kann die 
habituelle Luxation auf fehlende Fixa¬ 
tion des Armes nach dem Trauma zurück¬ 
geführt werden. Die Operations¬ 
methode des Verfassers will durch ein 
um den vorderen Anteil der Gelenkpfanne 
schleifenförmig gelegtes Band den Kopf 
am Austritte, verhindern und hierdurch 
den Erfolg ohne Gelenkeröffnung sichern. 
Operation in Plexusanästhesie. Bei aus¬ 
wärts rotiertem Oberarme wird zunächst 
die Sehne des M. pectoralis maior nahe 
ihrem Ansätze am Oberarme durchtrennt. 
Durch geeigneten Zug an diesem Muskel 
und am M. coracobrachialis kann man dann 
aus dem gemeinsamen Kopfe des 
kurzen Biceps und des coracobra¬ 
chialis (besonders mit dessen sehnigem 
Anteil) einen Lappen schneiden, der. 
der ganzen Breite und der halben Dicke 
des Pectoralis entspricht., Der Lappen, 
mit dem Proc. coracoideus in Zusammen¬ 
hang bleibend, wird nach oben geschlagen, 
an seiner Spitze starke Seidennaht mit 
lang bleibenden Fäden. Bei relativ enger 
Achsellücke wird die Sehne des Lahis- 
simus dorsi eingekerbt, dann die vordere 
Wunde provisorisch bedeckt. Bei stark 
adduziertem erhobenen Oberarm Frei¬ 
legung des hinteren Randes des Deltoideus, 
der nach Spaltung der Fascie zwischen 
ihm und dem Tricepsstumpf vom Triceps 
getrennt und stark nach vorn gezogen 
wird. Der laterale Tricepskopf wird 
eventuell entsprechend dem Humerus- 
ansatze leicht eingekerbt. An den Faden¬ 
enden wird der Lappen durch die hintere 
Achsellücke gezogen und mit der wunden 
Fläche der Gelenkkapsel breit angelegt. 
Die Fadenenden werden durch den langen 
Tricepskopf unmittelbar an der Gelenk¬ 
pfanne gestochen, der Arm fast bis zum 
rechten Winkel abduziert, das Ende des 
Lappens mit der Umgebung vernäht, der 
Deltoideus an den Triceps fixiert, die 
durchtrennte Pectoralissehne, der aus¬ 
einandergedrängte Deltoideus vernäht. In 
zwei von den sieben Fällen wurde die 



Dezember 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


435 


Methode noch in Kombination mit einem 
hinteren Lappen aus dem Deltoideus an¬ 
gewandt. 

Alle sieben 1 Fälle sind während vier 
bis zwölf Monate geheilt geblieben. Da 
sie alle zu den wirklich habituellen Luxa¬ 
tionen gehörten, bei denen die Verren¬ 
kungen sehr häufig und meist bei ganz 
gewöhnlichen Bewegungen, aufgetreten 
waren, so hofft der Verfasser auf Dauer¬ 
erfolg. Hagemann (Marburg a. L.) 

(D. Zschr. f. Chir. Bd. 141, H. 5/6, S. 354.) 

Bei ihren Untersuchungen über Skor¬ 
but und seine Beziehungen zu den 
hämorrhagischen Diathesen kom¬ 
men Saxl und Melka zu der Auffassung, 
daß Skorbut mit den hämorrhagischen 
Diathesen, zu welchen er wegen angeb¬ 
licher Gefäßschädigungen und der damit 
verbundenen Blutaustritte auf geringe 
Reize von Morawitz und anderen Auto¬ 
ren gerechnet wird, nichts zu tun hat.’ 
Die beobachteten 85 Kranken stammten 
aus einer Massenepidemie unter russi¬ 
schen Gefangenen, welche in den ersten 
Tagen nach ihrer Gefangennahme skorbut¬ 
krank gefunden wurden. Die Ernährung 
der Leute war sehr reichhaltig gewesen, 
dazu war es Frühjahr, wo frische Lebens¬ 
mittel die konservierten ersetzen. Das 
Krankheitsbild begann mit Tibialgien, 
Schmerzen im Munde, dann Blutungen 
aus dem Munde und auf die Haut, dazu 
Kopfschmerz und Schwindel. Objektiv 
-fiel zunächst die außerordentliche Blässe, 
auch der Schleimhäute, auf. Das Zahn¬ 
fleisch zeigte Schwellungen, rot bis 
schließlich blaurot, die den Eindruck pro¬ 
liferativer derber, später fungusartiger 
Geschwülste machten, anfänglich am 
äußeren Kieferrande saßen und später 
auf den inneren Rand Übergriffen, und 
die Zähne mauerartig, zuweilen sie ganz 
verhüllend, umgaben. Später traten se¬ 
kundäre Geschwüre im Mund auf. Nur 
die erkrankten Gewebspartien bluten 
leicht, die übrige Mundschleimhaut nicht. 
Zuweilen trat geschwüriger Zerfall der 
Geschwulst ein, öfter ging sie nach zwei 
bis drei Wochen zurück. In den Ge¬ 
schwüren fand sich Bacillus fusiformis 
und Vincentsche Spirilen in Reinkultur. 
Einige Fälle blieben frei von Zahnfleisch¬ 
veränderungen. Als zweites Symptom 
fanden sich Hämorrhagien in die Haut 
und das Unterhautzellgewebe, fast aus¬ 
nahmslos nur an den Beinen, auch bei 
den bettlägerigen Patienten, nur zweimal 
am Arme, sonst blieb die übrige Haut frei. 
Diese Hautblutungen standen um die 


Haarfollikel und confluierten häufig zu 
flächenhaften Blutungen. Auch imMuskei 
und Periost kamen hämorrhagische In¬ 
filtrate vor. Eine Lungenblütung, zwei¬ 
mal Hämatothorax und vier Darm¬ 
blutungen wurden beobachtet, bei der 
Sektion des Hämatothorax fänden sich 
zahlreiche Ecchymosen der serösen Häute, 
bei der der Darmbluter ausgedehnte pig¬ 
mentierte Narben im Darme. - Es bestand 
hohes Fieber von septischem Verlaufe, 
relative Lymphocytose bei leichter Leuko- 
cytose und anfangs normale, später er¬ 
höhte BlutplättchenzahL(Gegensatz 
den von mir beschriebenen echten Fällen zu 
hämorrhagischer Diathese). Die Therapie 
besteht neben Calciumsalzen, Zufuhr von 
Säuren, Diät hauptsächlich in Mund¬ 
pflege. 1. Die Zahnfleischblutungen ließen 
deutlich erkennen, daß sie nicht das Pri¬ 
märe sind und sicher nicht der Ausdruck 
allgemeiner Gefäßschädigung. 2. Blu¬ 
tungen aus Kontusionen, Stichen, Punk¬ 
tionseinstichen, Venenpunktionen wurden 
nicht beobachtet,, nicht einmal nach 
Exstirpationdes kranken Zahnfleisches. 
3. Die Hautblutungen zeigten bestimmte 
Lokalisation und wurden ohne Nach¬ 
blutungen resorbiert. 4. Bei allgemeiner 
Gefäßschädigung ist exsudative Diathese 
' zu erwarten, die nicht beobachtet wurde. 
5. Die Zahl der Blutplättchen ist normal. 
— Es fehlen also alle Charakteristica der 
hämorrhagischen Diathese, die allge¬ 
meine Gefäßschädigung voraussetzt. Es 
handelt sich nur um lokale Gewebs- und 
Gefäßschädigungen (nach neueren For¬ 
schungen steht im Mittelpunkte der 
hämorrhagischen Diathese der Plättchen¬ 
mangel, nicht die allgemeine Gefäßschädi¬ 
gung. Ref.). Jedenfalls hat der Skorbut 
nicht mehr als Paradigma einer echten 
hämorrhagischen Diathese zu gelten. Dies 
ist wichtig für die Therapie. 

(M. Kl. 1917, Nr. 37.) E. Benecke. 

Über einen Fall von doppelseitiger 
Speicheldrüsenschwellung, der die Ab¬ 
hängigkeit dieser Erkrankung von endo¬ 
krinen Störungen zeigen soll, schreibt 
Baumstark. Es handelt sich um eine 
Frau, die viel an Kopfschmerzen und 
Circulationsstörungen früher litt, bei der 
sich außerdem Symptome von Myxödem 
entwickelten. Die Menses waren unregel¬ 
mäßig, die Achsel- und Schamhaare fehl¬ 
ten, das Kopfhaargingaus; die Nägel waren- 
sehr weich, die Haut trocken, besonders an 
den Wangen und an der Stirn verdickt. 
An den Hüften bestand keine auffallende 
Fettablagerung. Bei dieser Frau wurde 

55* 




436 ' . Die Therapie der Gegenwart 1917. Dezember 


nun wegen des Ödems die Implantation 
einer von einer Strumaexstirpation' stam¬ 
menden Schilddrüse in das rechte. Schien¬ 
bein vorgenommen. Der Eingriff hatte 
auf den gesamten Zustand eine günstige 
Einwirkung. Patientin wurde heiterer 
gestimmt, die Allgemeinbeschwerden 
ließen nach, die Menses wurden regel¬ 
mäßiger, die Symptome von Haut und 
Haar ließen nach, und die Achsel- und 
Schamhaare wuchsen sehr bald nach der 
Operation. Die Patientin soll nach der 
Operation einige Zentimeter gewachsen 
sein. Am Tage nach der Operation soll 
ohne jede Fieberbewegung eine Anschwel¬ 
lung der Gegend der Ohr- und Submaxil- 
larspeiclieldrüsen eingesetzt haben. 
Baumstark sieht in diesem Falle den 
Beweis für den kausalen Zusammenhang 
zwischen der Funktion eines endokrinen 
Organes und der Kopfspeicheldrüsen¬ 
schwellung. Die Auffassung der Kopf¬ 
speicheldrüsenschwellung als Folge einer 
Hyper- respektive Dysfunktion der 
eingepflanzten Schilddrüse war für ihn 
Veranlassung, nach anderen Zeichen eines 
Hyper- beziehungsweise Dysthyreoidis- 
mus zu suchen; freilich ohne Erfolg. 
Wenige Röntgenbestrahlungen der ver¬ 
größerten Drüsen verringerten die Hyper¬ 
plasie und die gleichzeitig bestehende 
Salivation wesentlich. Dünner. 

(M. m. W. 1917, Nr. 26.) 

Behandlung der Thymushyperplasie 
mit Röntgenstrahlen war der Gegenstand 
von Demonstrationen, welche Birk (Kiel) 
auf der Kriegstagung für Kinderheilkunde 
in Leipzig machte. Status thymicolym- 
phaticus und einfache Thymushyperplasie 
sind etwas* grundsätzlich Verschiedenes. 
Bei dem ersten handelt es sich um eine 
Systemerkrankung, bei der auch Milz, 
Zungengrund- und Darmfollikel hyper¬ 
plastisch sind, die außerdem in engen 
Beziehungen zur Ernährung steht, nicht 
angeboren vorkommt und bei der ein 
etwaiger Tod ein Herztod ist. Bei der 
einfachen Thymushyperplasie hat man es 
mit einer isolierten, stets schon im fötalen 
Leben entstandenen, daher also ange¬ 
borenen Vergrößerung der Thymusdrüse 
zu tun. Das konstitutionelle Moment spielt 
ebensowenig eine Rolle wie die Ernährung, 
und der Tod ist hier ein typischer Er¬ 
stickungstod, dadurch begünstigt, daß 
die Luftröhre schon in ihrer fötalen An¬ 
lage durch den Druck der hyperplastischen 
Thymus geschädigt wurde. Demgemäß ist 
auch die Behandlung eine verschiedene. 
Beim Status thym. lymph. kommt nur 


eine Ernährungsbehandlung in Frage, 
während bei der. Thymushyperplasie ent¬ 
weder chirurgisch oder mit Röntgen¬ 
strahlen eingegriffen werden muß. Die 
besten Ergebnisse liefert die Bestrahlung. 
Sie wurde von Birk in fünf Fällen an¬ 
gewendet. Stets erfolgte eine schnelle 
klinische Heilung, mit der Hand in Hand 
eine Verkleinerung der Drüse im Röntgen¬ 
bild ging. Einzelne Fälle wurden bis ins 
fünfte Lebensjahr weiterbeobachtet, und 
bis auf einen, bei dem eine Regeneration 
erfolgte, war die Heilung auch von Dauer. 
Schädigungen durch die Röntgenstrahlen 
wurden nicht beobachtet. — Die Diagnose 
der Thymushyperplasie stützt sich auf 
die drei Hauptsymptome des Stridors, der 
Thymusdämpfung und des Thymusschat¬ 
tens auf der Röntgenplatte.- Es finden 
sich weiter im klinischen Bild Erstickungs¬ 
anfälle, Dysphagie und vor allem eine 
Lymphocytose. Einmal wurde auch ein 
familiäres Vorkommen der Thymushyper¬ 
plasie beobachtet. (Off. Bericht.) 

Die Frage des Zusammenhangs von 
Myelitis und Tollwutschutzimpfung er¬ 
örtert A. Pfeiffer (Warschau) bei der 
Mitteilung eines' schwer, aber glücklich 
verlaufenen Krankheitsfalls, der mit 
völliger Lähmung der unteren Extremi¬ 
täten sowie von Blase und Mastdarm ein¬ 
herging. Es handelte sich, offenbar um 
einen Fall jener atypischen Lyssaerkran¬ 
kungen, wie sie in seltenen Fällen als eine 
direkte Folge der Wutschutzimpfung auch 
anderweit beobachtet worden sind (Ka¬ 
ninchenlyssa). Die Annahme, daß es sich 
um eine durch die Schutzimpfung ab¬ 
geschwächte echte Lyssaerkrankung ge¬ 
handelt habe, wäre durch nichts gerecht¬ 
fertigt. Der Fall lehrt, daß die Tollwut¬ 
impfung nicht immer ein gleichgültiger 
Eingriff ist. Die Indikation zu dieser 
Behandlung muß also immer mit Bedacht 
gestellt werden. Wenn aber ein erheb¬ 
licher Verdacht der Lyssainfektion be¬ 
steht oder gar die Tollwut des verletzen¬ 
den Tieres durch die Untersuchung des 
Gehirns sichergestellt ist, darf uns die 
Möglichkeit solcher sehr seltener und fast 
stets gutartig verlaufender Erkrankungen 
nicht, hindern, die Gebissenen sogleich in 
specifische Behandlung zu geben. 

Hetsch (Berlin). 

(Beitr. z. Klin. d. Infektionskr. u. z. Immunit.- 

forsch. Bd. 6, H. 1—2.) 

In einem Sammelreferat über Tuber¬ 
kulose faßt H. Much (Hamburg) seine aus 
seinen früheren Schriften bekannten An¬ 
sichten über Tuberkuloseentstehung und 




437 


Dezember _ Die Therapie 


heilung zusammen unter besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Kriegsverhältnisse. Das 
häufig beobachtete Aufflammen der Tu¬ 
berkulose bei Soldaten im Felde und auch 
in der Garnison ist auf eine Abnahme der 
Immunität zurückzuführen, die auf die 
schwächenden äußeren Lebensbedingun¬ 
gen (Überanstrengung, zeitweilig schlechte 
Ernährung, Durchnässung, Abkühlung, 
mangelhafter Schlaf und dergleichen) 
zurückzuführen ist, namentlich wenn letz¬ 
tere längere Zeit einwirken. Es kommt 
dann zu Summationen, denen die Abwehr¬ 
kräfte nicht standhalten können. Bei 
zielsicherer Immunitätsprüfung mit Hilfe 
der Partialantigene läßt sich bei einem 
auffallenden Prozentsatz der Kranken ein 
völliges Fehlen aller Immunkräfte fest¬ 
stellen. Eine wiederholte Partialanti¬ 
körperprüfung gibt sehr wertvolle pro¬ 
gnostische Anzeichen. Der Autor emp¬ 
fiehlt eine möglichst weitgehende Heran¬ 
ziehung dieser Untersuchungsart und in 
Rücksicht auf die Bedeutung der Kriegs¬ 
tuberkulose die Einführung besonderer 
militärärztlicher Kurse. 

Hetsch (Berlin). 

(Erg. d. Hyg., Bakt., Immunitätsforsch. u. exp. 

Ther., herausgeg. v. W. Weichardt, Bd. 2, 

1917.) 

Den Zusammenhang von Typhus und 
Nervensystem behandelt G. Stertz. Auf 
Grund seiner Erfahrungen in einem Ty¬ 
phusgenesungsheim ist Verfasset der Über¬ 
zeugung, daß die Mehrzahl der funktionell 
nervösen Symptome nach Typhus eine 
organische Grundlage haben. Wenn auch 
Sektionsbefunde nicht allzu reichlich sind, 
so sprechen die klinischen Erscheinungen 
für multiple kleine Encephalitisherde mit 
wenig Neigung zur Einsghmelzung des be¬ 
fallenen Gewebes. Wo umfangreiche Ner- 
venausfallserscheinungen beobachtet wer¬ 
den, handelt es sich um apoplektische oder 
embolische Herde. Wie andere, Nerven¬ 
gifte zeigt auch das Typhustoxin eine 
ausgesprochene Prädilektion. Befallen 
wird am häufigsten der Ulnaris, Peroneus, 
Cutaneus femor. later, und N. acusticus, 
fast nie der Medianus, Radialis und Facia¬ 
lis. Von anderer Komplikation ist Tetanie 
sowie Basedow zu erwähnen. Echte Ty¬ 
phusepilepsie ist äußerst selten, dagegen 
kann der Typhus bei bestehender epilep¬ 
tischer Anlage als auslösendes Moment 
wirken, oder die Häufigkeit der Epilepsie¬ 
anfälle vermehren. 

Nervenkomplikationen entwickeln sich 
vorwiegend im akuten Stadium des Ty¬ 
phus. Selten treten sie wie die periphere 


Gegenwart 1917. 


Neuritis während der Rekonvaleszenz auf. 
Die Prognose ist im allgemeinen günstig. 
Die Schwere der Nervenbegleiterscheinun- 
gen steht im direkten Verhältnis zur 
Schwere der Infektion. Da die Typhus¬ 
schutzimpfung außer dem verhütenden 
auch einen infektionsmildernden Einfluß 
hat, ist zu erwarten, daß mit der allge¬ 
meinen Anwendung der Schutzimpfung 
die Zahl und Schwere der Nervenkompli¬ 
kationen abnehmen wird. Typhusbacillen¬ 
träger zeigen keine besondere Disposition 
zu nachträglichen Nervenstörungen. 

Leo Jacobsohn (Charlottenburg). 

(Mschr. f. Psych. 1917, Beiheft 1.) 

Über die Typhusschutzimpfung und 
ihre Erfolge gibt G. Seiffert ein ein¬ 
gehendes Übersichtsbild. Er bespricht 
zunächst die der Typhusimpfung zu¬ 
grundeliegenden Immunitätsgesetze, dann 
die Herstellung und Bewertung der ver¬ 
schiedenen Impfstoffe, die Methodik der 
Impfung, die Impfreakti.onen und Kom¬ 
plikationen und das Anwendungsgebiet 
der Impfung, die Veränderung des Se¬ 
rums nach der Impfung, die bisherigen 
statistischen Erfahrungen über ihre Wir¬ 
kung, die Veränderungen, die das Krank¬ 
heitsbild des Typhus infolge der Schutz- 
t impfungen erfährt, und die Schwierig¬ 
keiten, die der Diagno§£ durch die voran¬ 
gegangene Impfung bereitet werden. 

Die lokalen\ und allgemeinen Reak¬ 
tionen, die nach den heute in der deut¬ 
schen Armee durchgeführten mehrfachen 
Typhusschutzimpfungen auftreten, ver¬ 
laufen im allgemeinen viel milder, als dies 
früher z. B. bei den Impfungen während 
des südwestafrikanischen Feldzuges und 
auch bei den Impfungen in der englischen 
Armee der Fall war. Dieser mildere Ver¬ 
lauf ist in erster Linie wohl der zweck¬ 
mäßigeren Herstellung des Impfstoffes, 
vor allem der schonenderen Abtötung der 
Bacillen (bei niedrigerer Temperatur) zu 
danken. Anaphylaktische Erscheinungen 
sind, nicht zu befürchten. Die Impfung 
kann unbedenklich auch bei akut Ge¬ 
fährdeten, ja sogar bei schon Infizierten 
vorgenommen werden. In letzterem Falle 
wird die Erkrankung durch die Impfung 
vielleicht früher manifest, das Reaktions¬ 
fieber kann dann in das Typhusfieber 
direkt übergehen. Daß eine Typhus¬ 
erkrankung lediglich durch die Impfung 
hervorgerufen werden kann, ist ausge¬ 
schlossen. Bleibende Schädigungen der 
Gesundheit sind bei den nach Millionen 
zählenden Typhusimpfungen bisher ein¬ 
wandfrei nicht erwiesen worden, auch 



438 


Die Therapie 


der Gegenwart 1917.. 


Dezember 


kein einziger Todesfall, der allein auf die 
Impfung zurückzuführen wäre. Bei Per¬ 
sonen, die an sich schon krank sind oder 
,in der Rekonvaleszenz nach einer schwe¬ 
ren Krankheit stehen, soll nicht geimpft 
werden. Die Impfung ist namentlich 
bedenklich bei schwereren Herzfehlern, 
stärkerer Arteriosklerose, bei Nierenkrank¬ 
heiten,bei manifesterTuberkulose. Frauen 
sollen während der Menses und in den 
letzten Wochen der Schwangerschaft nicht 
geimpft werden. Kinder müssen ent¬ 
sprechend geringere Impfstoffdosen er¬ 
halten. Das Blutbild zeigt nach der 
Impfung ähnliche Veränderungen (Leuko¬ 
penie) wie beim Typhus. Die Dauer des 
durch die Impfungen erzielten Impf¬ 
schutzes ist.auf etwa y 2 Jahr anzunehmen; 
nach Ablauf dieser Zeit ist, wenn weitere 
Infektionsgefahr besteht, die Impfung zu 
wiederholen. 

Wenn auch ein absoluter Impfschutz 
im Einzelfalle nicht immer erzielt wird, 
zeigt die Statistik doch durchweg, daß 
durch die Schutzimpfung auf die Typhus¬ 
morbidität und -mortalität ein günstiger 
Einfluß ausgeübt wird. Die Zahl der Er¬ 
krankungen wird gemindert, die Schwere 
der Erkrankung nimmt offenkundig ab 
und die Sterblichkeit sinkt erheblich. Die 
Befürchtung, daß. die Geimpften, wenn 
sie infiziert werden, ohne zu erkranken, 
häufiger zu unerkannten . Dauerausschei¬ 
dern werden könnten, ist nicht begründet. 
-Wenn Geimpfte an Typhus erkranken, 
so finden sich bei ihnen alle für Typhus 
charakteristischen Symptome wieder, die 
in der toxischen Wirkung der Typhus¬ 
bacillen ihre Ursache haben, aber in ab¬ 
geschwächter, oft verwischter Form. Die 
Herabsetzung der toxischen Wirksamkeit 
der Bacillen ist in erster Linie der Grund 


für die Milderung des Krankheitsver¬ 
laufes. Die Impfung hat zweifellos die 
Typhusdiagnose erschwert, besonders auch‘ 
den Nachweis der Typhusbacillen im Blute. 
Bei richtiger Benutzung der verschiedenen 
diagnostischen Hilfsmittel wird aber trotz¬ 
dem die Erkennung der Krankheit in den 
meisten Fällen nicht allzu schwer sein. 

Hetsch (Berlin). 

(Beitr. z. Klin. d. Inf.-Krkh. u. z. Immun.-F. 
Bd. V, H. 2.) 

In einer Arbeit: der Bruchsack im 
Dienste derTransplantation,erinnert der be¬ 
kannte holländische Chirurg Lanz daran, 
daß die neuerdings von verschiedenen 
Seiten empfohlene Verwendung des 
Bruchsackes zur Transplantation schon 
im Jahre 1892 von ihm angegeben worden 
ist und auch experimentell studiert wurde. 
Aus . den Tierversuchen ergab sich, daß 
der homöoplastisch transplantierte Bruch¬ 
sack nur als Leitmembran für das Epithel 
dient; als solcher bleibt er nicht sitzen. 
Auch autoplastische Transplantationen 
hat Lanz schon vorgenommen, ohne daß 
ihm hierbei ein Unterschied gegenüber 
den homöoplastischen Verpflanzungen 
aufgefallen wäre. Hayward. 

(Zbl. f. Chir. 1917, Nr. 34.) 

Catgut sparende Unterbindungen be¬ 
schreibt Perthes. Die Hälfte der Catgut¬ 
mengen, welche bei einer Unterbindung 
zur Verwendung kommen, kann gespart 
werden, wenn man von einem langen 
Faden, dessen eines Ende man um den' 
eigenen Finger oder um eine besondere 
Rolle geführt hat, stets nur an dem 
anderen Ende knüpft. Einzelheiten des 
praktischen Verfahrens sind nur durch die 
dem Original beigegebenen Abbildungen 
zu ersehen. * Hayward. 

(Zentralbl. f. Chir. 1917, Nr. 29.) 


Therapeutischer Meinungsaustausch. 

Salvarsan und Tabes. 

Von Leo Jacobsohn-Charlottenburg. 


Auch überzeugte Salvarsananhänger 
müssen heute nach achtjähriger erschöp¬ 
fender Anwendung des Ehrlichschen 
Mittels zugeben, daß die Wirkung des 
Salvarsansauf die Metalues nicht einwand¬ 
frei erwiesen ist. Einige als geheilt geltende 
Paralytiker haben bereits das Zeitliche 
gesegnet, und von Besserungen und 
Heilungen der Tabes mit Salvarsan ist es 
in den letzten Jahren recht still geworden. 

In einem Zeitpunkt, in dem das Inter¬ 
esse des ärztlichen Praktikers an der 
Salvarsantherapie der Tabes und Para¬ 


lyse sichtlich nachzulassen beginnt, tritt 
W. Treupel 1 ) mit einem Artikel vor 
die Öffentlichkeit, in dem er einer unein¬ 
geschränkten Salvarsananwendung das 
Wort redet und bezüglich der Tabes zu 
dem Schlüsse gelangt: Nach unseren Er¬ 
fahrungen ist somit eine unseren heutigen 
Anforderungen an eine specifische Be¬ 
handlung gerecht werdende Kur bei Tabes 
nicht nur empfehlenswert, sondern ge¬ 
radezu geboten, da hierdurch, soweit es 

j ) Der Einfluß des Salvarsans auf den Verlauf 
der Tabes und Paralyse (B. kl. W. 1917, Nr. 39). 




Dezember 


Die Therapie der Gegenwart 1917. 


439 


sich bis jetzt beurteilen läßt, dauernde 
Besserung erzielt werden kann. Unter < 
specif ischer Behandlung versteht Treupel 
eine hochdosierte Salvarsantherapie. 

Wer es unternimmt, in einer noch 
nicht geklärten Frage von großer prak¬ 
tischer Bedeutung bindende therapeu¬ 
tische Grundsätze aufzustellen, und dazu 
in so autoritativer Weise, wie es Treupel 
getan hat, von dem wird man ein quanti- 
• tativ genügendes Krankenmaterial, ge¬ 
naueste Krankenbeobaohtung und Mit¬ 
teilung ausführlicher Befunde verlangen 
können. 

Diesen elementaren Forderungen trägt 
die Arbeit Treupels in keiner Weise 
Rechnung. Die dürftige Zahl von sieben 
Beobachtungen, aus denen Treupel die 
Berechtigung einer uneingeschränkten An¬ 
wendung des Salvarsans bei Tabes her¬ 
leitet, schrumpft von vornherein auf drei 
Fälle zusammen, denn von den ersten 
vier Patienten wird neben Liquorbefunden 
'nur die Tatsache mitgeteilt, daß sie sich 
der weiteren Behandlung entzogen haben 
und „unseres Wissens wenigstens nicht 
gestorben sind“. Also ein recht anspruchs¬ 
loses Resultat der angewandten Behand¬ 
lung. 

Wie steht es nun mit den drei anderen 
Fällen? 

Bei Fall 1 werden anamnestisch lanzinierende 
Schmerzen, „allgemeine Mattigkeit, Schweißaus- 
bruch und Unlust zu jeder Betätigung“ angeführt. 
Die Untersuchung ergibt gut reagierende Pupillen, 
Verlust der Patillar- ubd Achillesreflexe, stark posi¬ 
tiven Romberg. Angaben über Sensibilität, Ataxie, 
Gang, Augenhintergrund usw. werden nicht ge¬ 
macht. Nach wiederholten Salvarsangaben wird 
zehn Monate später eine Besserung des Liquors in 
bezug auf Zellzahl und Nonnesche Reaktion kon¬ 
statiert, ebenso Aufhören derlanzinierenden Schmer¬ 
zen sowie der subjektiven Erscheinungen. Diese 
Besserung hielt noch anderthalb Jahre an. Seitdem 
ist Patient aus der Behandlung fortgeblieben. Auch 
von ihm wird berichtet, „wie uns bekannt/ fühlt 
er sich noch heute wohl und geht seinem Berufe 
vollarbeitsfähig nach“. 

Fall 2. Subjektiv: Schwächegefühl in den 
Beinen, keine lanzinierenden Schmerzen, nach der 
letzten Schmierkur sind die Gelenke freier ge¬ 
worden (?). Objektiv: Pupillenstarre, starker Würg¬ 
reflex, Patellarreflexe fehlen, „Babinsky“ ange¬ 
deutet, Sensibilität ungestört. Der Erfolg der Be¬ 
handlung bestand darin, „daß der Kranke noch 
nach einem Jahre das Empfinden hatte, die Ge¬ 
lenke seien freier geworden, während die Schwäche 
noch anhielt. Der Liquor zeigte Besserung, wie 
Fall 1. Auch dieser Patient entzog sich nach einem 
Jahre der weiteren Behandlung, doch erfahren'wir, 
daß er bis heute berufsfähig geblieben ist, woraus 
Verfasser den Schluß zieht, daß eine Verschlimme¬ 
rung des Zustandes zum mindesten nicht erfolgt ist, 
ja allem Anschein nach die Erkrankung zu einem 


gewissen Stillstände gekommen ist; notabene, 
ohne den Fall seit drei Jahren untersucht zu haben. 

Fall 3. Subjektiv: Kopfschmerz, Kribbelgefühl, 
Mattigkeit und Unlust zur Arbeit. Objektiv: Pu- 
pillenst'arre, Opththalmoplegia interna (?), Facialis- 
parese rechts, Abweichen der Zunge nach links. 
Patellarreflexe schwach, Achillesreflexe —, Fu߬ 
sohlenreflexe (welche?) +, keine Ataxie, Romberg 
angedeutet. Nach Salvarsanbehandlung war ein 
Jahr später eine subjektive Besserung vorhanden, 
während das Kribbelgefühl noch anhielt. Ein 
Schlußbefund wird ebensowenig wie bei den anderen 
beiden Fällen gegeben. 

Das sind die Unterlagen, auf denen 
Treupel die Salvarsanbehandlung der 
Tabes aufbaut. Abgesehen davon, daß 
bei Fall 1 Lues spinalis nicht aus¬ 
geschlossen werden kann, bleibt als Be¬ 
handlungserfolg, abgesehen von der auf 
direkte Arsenwirkung zu beziehenden 
Hebung des Allgemeinbefindens, die Er¬ 
haltung der Arbeitsfähigkeit für einige 
Jahre. Dabei handelt es sich um Initial¬ 
fälle, drei an der Zahl. 

Ja weiß denn der Verfasser des betref¬ 
fenden Artikels nichts von Remissionen 
und jahrelangen Stillständen im Verlauf 
der Tabes? Ist ihm unbekannt, daß auch 
die unbehandelte Tabes eine beträchtliche 
Rückbildungstendenz zeigt, daß Brechr 
krisen sistieren, Schmerzen nachlassen, 
Blasenstörungen aufhören, Gelenksschwel¬ 
lungen zurückgehen, tabische Fußge¬ 
schwüre heilen können? Das sollte in 
erster Linie berücksichtigen, wer es unter¬ 
nimmt, über-Erfolg und Nichterfolg der 
Tabesbehandlung zu schreiben. 

Was die Wirksamkeit des Salvarsans 
anbetrifft, so haben wir bei der nicht 
kleinen Zahl von Tabeskranken, die in 
den drei ersten Jahren nach Einführung 
des Ehrlichschen Mittels auf der Inneren 
Abteilung des Städtischen Krankenhauses 
Moabit (Geh. Rat Klemperer) regel¬ 
mäßig mit Salvarsan behandelt wurden, 
uns von einer über die natürlichen Krank¬ 
heitsschwankungen hinausgehenden Sal- 
varsanwirkung- nicht überzeugen können. 

Und wenn Treupel in seinen Beob¬ 
achtungen die Erhaltung der Berufsfähig¬ 
keit zum Maßstab des Behandlungs¬ 
erfolges machen will, so wird ihm jeder 
Praktiker eine Anzahl von Tabeskranken 
zeigen können, die selbst im ataktischen 
Stadium als Schwerarbeiter Jahre hin¬ 
durch voll erwerbsfähig geblieben sind. 

Wie die Dinge heute liegen, macht sich 
der Arzt keiner Unterlassung schuldig, 
der bei der Tabesbehandlung prinzipiell 
von der Anwendung des Salvarsans ab¬ 
sieht. 




Die Therapie der Gegenwart 1917. 



Dezember 


Über Leukogen. 


Von Dr. med. A. Gehring-Sayda, Erzgeb. 


Unter der Bezeichnung,Leukogen stel¬ 
len die Höchster Farbwerke eine Vaccine 
her, welche aus einer Emulsion abge¬ 
töteter Staphylokokken besteht. Das üb¬ 
liche vörrätiggehaltene Leukogenist einGe- 
menge gleicher Teile von Staphylococcus 
albus, Staphylococcus citreus und Staphy- 
lococcus aureus; doch fertigt die Firma 
auf Verlangen auch sogenannte Autovac¬ 
cine aus eingesandten, einem einzelnen Ei¬ 
terherd entnommenen Kulturen an, wenn 
es gilt, einen speziellen Fall von hartnäcki¬ 
ger Eiterung nach der Methode der Vac¬ 
cinebehandlung specifisch zu beeinflussen. 

Die fertige Vaccine ist genau dosiert, 
das heißt, sie enthält im Kubikzentimeter 
eine genau bestimmte Anzahl abgetöteter 
Keime und zwar gibt es Packungen zu . 
25, 50, 75, 100 und 500 Millionen pro 
Kubikzentimeter. 

Indiziertist das Leukogen bei allen chro¬ 
nischen und akuten Staphylokokkener¬ 
krankungen,namentlich Furunkulose,Oste¬ 
omyelitis, Sycosis und ähnlichen; appli¬ 
ziert wird es am besten intramuskulär und | 
in steigender Dosis, beginnend mit 25—50 
Millionen Keimen bei Erwachsenen. 

Ich selbst litt nun seit fünf Jahren an einer 
außerordentlich hartnäckigen, schmerzhaften und 
quälenden eitrigen Entzündung der Lymphdriisen 
der rechten Achselhöhle, die ich mir seinerzeit 
durch eine berufliche Infektion zugezogen hatte. 
Es kam zur Bildung einer großen Anzahl von 
Drüsenabscessen, die indes nicht neben-, sondern 
in längeren oder kürzeren Pausen nacheinander 
auftraten und die immer wieder incidiert werden 
mußten, um nur einigermaßen Erleichterung zu 
bekommen. Waren wirklich einmal ein paar 
Wochen vergangen, ohne daß neue Abscesse sich 
bildeten, begann sich allmählich die malträtierte 
Höhle etwas zu erholen und ich selbst wieder 
etwas aufzuatmen, so tauchte eines Abends plötz¬ 
lich eine kleine wunde Stelle in der Achsel auf 
und längstens acht Tage später hatte ich wieder 
mein altes Leiden. Durch die zahllosen, zum Teil 
sehr tiefen Incisionen und die ihnen folgende 
Narbenbildung war nach und nach das ganze 
Weichteilpolster der Achselhöhle ein wüstes, zer- 
pfliigtes und zerrissenes Gelände geworden, aus 
dem unter den scheußlichsten Schmerzen immer 
wieder neue Beulen mit tiefsitzendem Eiterkern 
geboren wurden. Ob diese Beulen ihren Ursprung, 
wie im Anfang, immer wieder aus neuen oder 
halbausgeeiterten Lymphdriisen nahmen oder ob 
es tiefsitzende Schweißdriisenabscesse waren, 
vermochte niemand mehr zu entscheiden; jeden¬ 
falls hätte man denken sollen, daß einmal auch 
das dichteste Lymphdriisennetz durch ,,Aus¬ 
eiterung“ auf diese Art zur Ruhe hätte kommen 
müssen. Leider war dem aber nicht so; fünf Jahre 
quälte ich mich mit der Sache ab und ließ natür¬ 
lich nichts unversucht. Neben der chirurgischen 
Behandlung wurden heiße und kalte Umschläge, 
feuchte, Alkohol- und Salben-Verbände, Bäder 


lind Heißluftkasten, Ruhe und Bewegung,, kurz, 
alles Denkbare versucht. —- Ohne Erfolg. 

Es versteht sich von selbst, daß mich 
das Leiden in meiner ärztlichen Tätig¬ 
keit außerordentlich behinderte und daß 
ich sie oft nur unter den scheußlichsten 
Schmerzen, wochenlang aber, auch gar 
nicht ausüben konnte. Nach einer deut¬ 
lichen Verschlimmerung in der Zeit von 
.Weihnachten 1916 bis Juni 1917, sechs 
Monate, während deren es zirka 20 neue 
Incisionen in die geschändete Achsel¬ 
höhle setzte, begann ich, durch eine An¬ 
zeige in einer ärztlichen Zeitschrift auf¬ 
merksam gemacht, mit einer Injektions¬ 
kur von Leukogen, das mir die Höchster 
Farbwerke zu diesem Zwecke bereit¬ 
willigst in, der Form der üblichen poly¬ 
valenten Misch vaccine zur Verfügung 
stellten. Ich fing an mit einer Injektion 
von 25 Millionen in die (rlutaealgegend, 
spritzte die weiteren Dosen aber, da die 
Injektionsstelle zur Selbstbehandlung hier 
bequemer lag, abwechselnd rechts und 
links in den Musculus quadriceps femoris 
ein und stieg von 25 auf 50, 75, 100, 200, 
300, 500, 700, 800 und 1000 Millionen 
Keime in drei bis viertägigen Inter¬ 
vallen. Abgesehen von leichter Abge- 
schlagenheit und Müdigkeit, verspürte 
ich keinerlei unangenehme Reaktion wäh¬ 
rend der ganzen sechswöchigen Kur nach 
den Einspritzungen, wohl aber hatte ich 
das Ergebnis, daß der Eiterungsprozeß 
offener Drüsen deutlich abgekürzt wurde 
und daß vereinzelte neue Abscesse, die 
sich noch bildeten, gar nicht zu stärkerer 
Entwickelung kamen, kurz, daß die 
Achselhöhle ausheilte und bis heute, vier 
Monate nach beendeter Kur, auch gesund 
geblieben ist. Es müßte ein merkwürdiger 
Zufall sein, wenn nach so langer Zeit 
plötzlich von selbst der ganze Prozeß nur 
durch die nebenher weitergehende chir¬ 
urgische Behandlung, die sich in nichts 
von 0er früheren unterschied, zur Aus¬ 
heilung gekommen wäre; ich bin in diesem 
Falle davon überzeugt, daß ich die so 
lange ersehnte Wirkung der Leukogenkur 
zu verdanken habe und empfehle in ähn¬ 
lichen hartnäckigen Fällen, die Arzt wie 
Patienten gleichermaßen zur Verzweif¬ 
lung bringen können, einen therapeuti¬ 
schen Versuch mit Leukogen zu machen, 
zumal ich seitdem auch von Furunkeln, 
die früher immer wieder da und dort auf¬ 
traten, verschont geblieben bin. 


Für die Redaktion verantwortlich Geh.Med.-Rat Prof. Dr. G. Klemperer in Berlin. Verlag von Urb an & Schwarzenberg 
in Berlin und Wien. Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., in Berlin W8. 








Inhaltsverzeichnis. 


A. Originalarbeiten. Seite 

Prof. Dr. H. Strauß (Berlin): Zur Behandlung von Folgezuständen der 

Ruhr. Mit i Abbildung.409 

Aus dev I. medizinischen Abteilung des Städtischen Kvcmhenhauses Moabit in Berlin. 

Dr. Lasar Dünner: Plethysmographische Untersuchungen bei Tropfen¬ 
herzen. Mit 3 Abbildungen .414 

Aus dem Städtischen Krankenhaus Moabit in Berlin. 

Dr. Elisabet Benecke: Hämorrhagische Diathese (essentielle Thrombo- 

‘ penie) durch Milzexstirpation geheilt ..4*8 

Aus dem chemischen Laboratorium des Krankenhauses Moabit-Berlin. 

Dr. Franz Kobrak: Versuche zur Otosklerosenbehandlung auf ätiolo¬ 
gischer Grundlage.4 21 

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Seite 


Dr. A. Blumenthal (Stuttgart): Über Pellidol und Azodolen und ihre 
Anwendung als Keratoplastica zur schnellen Epithelisierung von 
Wundflächen . ...• 423 

B. Zusammenfassende Übersicht. 

Ärztliche Anteilnahme an der sozialen Hygiene. Neuere Arbeiten, be¬ 
sprochen von Dr. J. Waldschmidt (Berlin).. 424 

C. Referate. (Referat- und Sachregister siehe umstehend) * . . 427 
* 

D. Therapeutischer Meinungsaustausch. 

Dr. Leo Jacobsohn (Charlottenburg): Salvarsan und Tabes.438 

Dr. A. Gehring (Sayda): Über Leukogen.440 

Titelblatt und\Jahresinhaltsverzeichnis. 


Fortsetzung umstehend 
















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Inhaltsverzeichnis III 


Appendicitis nach Mumps, S. 427. 

Azodolen (A. Blumenthal),. S. 423. 

Cystostomie (Kalb), S. 427. 

"Dakin-Lösung (Busch), S. 428. 

Folgezustände der Ruhr (H. Strauß), S. 409. 
Hämorrhagische Diathese (E. Benecke), S, 418. 
Hydrocele (Wederhakei, S. 428. 
Hyperextensionsbehandlung (Loeffler), S. 428. 
Hypophysenextrakte (v. Fekete), S. 428. 
Kriegschirurgische Erfahrungen (Busch), S. 428. 
Kriegsparalyse (Weber), S. 429, 

Leukocvtose (H. Hirschfeld), S. 430. 

Leukämie (H. Hirschfeld), S. 430. 

Leukogen (A. Gehring), S. 440. 

Lues congenita (Hübner), S. 431. 

Milzbestrahlung und Milzexstirpation (Frank); S. 431. 
Milzexstirpation (E. Benecke), S.418 
Nervenheilstätten (Sonnenberger), S. 432. 
Otosklerosenbehandlung (F. Kobrak), S. 421. 

Pellidol (A. Blumenthal), S. 423. 


Plethysmographische Untersuchungen (L. Dünner), 
S. 414. 

Pylorusstenose (Boas), S. 432. 

Rückfallfieber (Koch), S. 433. 

Ruhr (Rosenhaupt), S. 434. 

: Salvarsan und Tabes (L. Jacobsohn), S. 438. 

Schulterluxation (Finsterer), S. 434. 

I Soziale Hygiene (J. Waldschmidt), S. 424. 
j Skorbut (Saxl und Melka), S. 435. 
j Speicheldrüsenschwellung (Baumstark), S. 435. 

Thrombopenie, essentielle (E. Benecke), S. 418. 
i Thymushyperplasie (Birk), S. 436. 

| Tollwutschutzimpfung (A. Pfeiffer), S. 436. 

I Tropfenherzen (L. Dünner), S. 414. 
j Tuberkulose (H. Much), S. 436. 
j Typhus und Nervensystem (G. Stcrtz), S. 437. 
j Typhusschutzimpfung (G. Seiffert), S. 437. 
j Transplantation (Lanz), S. 438. 
i Unterbindungen, Catgut sparende (Perthes), 




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intestinalen Affektionen, gynäkologischen Leiden etc. 

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Literatur: Dr. Gg. Berg (Frankfurt a. M.): „Über die Beziehungen der inneren Sekretior 
zur Urogenitalsphäre“, Würzburger Abhandlg. Nr. 3/1915. Dr. Max Markuse (Berlin). 
„Zur Kenntnis des Climacterium virile“, Neurologisches Zcntralblatt Nr. 14/1916. Prof. 
Dr. Posn er, (Berlin): „Geschlechtliche Potenz und innere Sekretion“, Th er. d. G. Nr. 8/1916 
Dr. M. Marcuse: „Zur Organtherapic urosexueller und dermosexucller Störungen“. 
Ther. d. G. Nr. 571917. 

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Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 


Verhand der Ärzte D eatsehlamis znr Wahrnnü ihrer wiftsehattlichen Interessen. 

Zur Beachtung: Meist sind nicht die ganzen Orte, sondern nur einzelne Stellen darin gesperrt. 
Näheres siehe „große“ Cavetetafel in „Ärztl. Mitt.“ oder „Ärztl. Vereinsbl.“ 


Fernsprecher 1870 u. 19728. 
Aachen. 

Angermünde, Kreis. 

Berlin-Lankwitz. 

Bremen. 

Bublitz, Pom. 


Diedenbergen. 

Diedenhofen, Lothr. 

Diez a. d. Lahn. 
Dietzenbach, Hessen. 
Düsseldorf. 

Elbing. 

Eschede i. Hannover. 

Freiwaldau, Schics. 
Frendenberg. 

Geilenkirchen, Kr. Aachen. 
Gießmannsdorf, Schlesien. 
Gröba-Riesa. 

Groditz b. Riesa. 
Großbeeren, Bez. 


Cavete collegae 


Guben. 

Guxhagen, Bez. Cassel. 

j Halle a. S. 

! Hanau, San.-Ver. 

! Heckeiberg, Kr. Oberbarnim. 
Heldburg A.-G., Hildes- 
hetrh 7 .’ 

| Holzappel i. T. u. Umg. 

j Illingen, Rhld. 

I Kaiserslautern, 
j Kattowitz, Schlesien. 

I Kaufmännische Kr. -K. für 
' Rheinl. u. Westf. 

^ Klingenthal, Sa. 
j Köln a. Rh. 

Köln-Kalk. 

Kraupischken i. O.-Pr. 
Kreuznach, Bad. 

j Uchtenrade b. Berlin. 

^ Mohrungen, Bez. 


Naurod. 

Niederneukirch. 


Oberbarnim, Kreis. 
Obernenkirch. 
Oderberg i. d. Mark. 
Ostritz, Sa. 

Ottweiler, Rhld. 


I Preuß.-Holland, Bez. 

: Quint b. Trier. 

! Rambach. 

| Reichenbach, Schles. 
j Riesa-Groba a. d. Elbe. 

| Ringenhain. 

| Rothenfelde b. Fallersleben. 
Ruhla, Thür. 

Scheibe b. Glatz. 
Schirgiswalde, Reg.-Bez. 
Bautzen. 

Schönebeck a. d. Elbe. 


Drahtadresse: 

Ärzteverband Leipzig. 

1 Schorndorf i. Wttbg. 
Schreiberhau, Riesengeb. 
Schweidnitz i. Schl., Bahn- 
; arztstelle. 

Selb, Bayern. 

Stahnsdorf, s. Teltow. 

I Steinigtwolmsdorf. 

Straßburg i. Eis. 

Teltow, Brdbg. 

I Templin, Kreis. 

1 Vöhrenbach i. Baden. 

Walldorf, Hessen. 
Warmbrunn-Hermsdorf, 
Riesengeb. 

Weißenfels a. d. S. 
Weißensee b. Berlin. 
Witkowo, Posen 

Zeitz, Prov.'Sachsen. 
Zillertal-Erdmannsdorf, 
Riesengeb. 

Zobten a. B., Schl. 


Über vorstehende Orte und alle Verbandsangelegenheiten erteilt jederzeit Auskunft das General¬ 
sekretariat Leipzig, Dufourstraße 18,11. Sprechzeit nachmittags 3—5 Uhr (außer Sonntags). Kosten¬ 
loser Nachweis von Praxis-, Auslands-, Schiffsarzt-und Assistenten stellen sowie Vertretungen. 



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Dosis: Mehrmals täglich 1—3 Kapseln nach der Mahlzeit. 


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Therapie der Gegenwart Anzeigen. 


12. Heft 



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12. Heft 


Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 


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1. dironisclten Darmstörungen nichtinfektiösen Ursprungs (Colitiden, 
mit Obstipation abwechselnden Diarrhöen u. dgl.) 

2. Chron. Darmstörungen nach üherstandener Infektion (Ruhr usw.) 

3. Chronischen Infektionen einschl. Streptokokkeninfektionen. 

Ordination: Mutaflor, Normalpackung, enthält 1 schwache und 19 starke Kapseln; 

Mutaflor, schwachdos. Pckg., enth. 4 schwache u. 6 starke Kapseln. 

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Man verlange Literatur und ausführlichen Prospekt!' _ 

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^ ragenden Bekömmlichkeit - auch in Fällen höchster Jodempfindlichkeit — ^ 

^ besonders indiziert zu längerer Darreichung bei ^ 

| Lues und hypertonischen Prozessen, | 

^ ferner bei Gelenkrheumatismus, Asthma bronchiale. Skrofulöse, Rachitis, 1$ 

^ Angina pectoris usw. 

^ Jede Tablette enthält 0,1 g Jod. & 

% Dosierung: pro die 3—6 Tabletten vor den Mahlzeiten. fj| 

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Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 


12. Heft 


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Eigenschaften die Entwicklung entzündlicher Vorgänge. Seine rasche Heil¬ 
wirkung ist besonders markant in den Fällen, wo andere Harnantiseptikä 
versagten, was durch seine epithelregenerierenden Eigenschaften bedingt ist. 

S p e z i e 11 e I n d i k a t i o n e n : 

Chronische und subakute Zystitis, Pyelitis, nicht tuberkulöse Pyelonephritis, 
Nephritis, Bakteriurie und schwächere Formen von harnsaurer Diathese. 

Ferner aus prophylaktischen Gründen vor operativen Eingriffen am Harn¬ 
apparat, sowie auch bei Typhus und Bazillenträgern. 

Amphotropin zeitigt keinerlei Beschwerden von seiten des Magens und der 
Harnorgane. Amphotropin ist ein wertvolles internes Unterstützungsmittel 
bei der externen Albarginbehandlung der Gonorrhoe, 

Dosis: 3 mal täglich 1 Tablette. 

Originalpackungen: 20 bzw. 40 Tabletten zu 0,5 g == 1.20 bzw. 2,— M. 

Klinikpackungen: 500 bzw. 1000 Tabletten zu 0.5 g. 

Literatur und Proben unserer Präparate stehen den Herren Ärzten zur Verfügung . 



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12. Heft i Therapie der Gegenwart. Anzeigen. ’ 1917 



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neuer blutstillenderMörper 

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blutfreier Operationsfelder bei günstiger Heilungstendenz. 


Indikationen: 

Parenchym= u. kleinere Venenblutungen der großen u. kleinen Chirurgie 
(schwer zu beherrschende Tumoren=, Drüsen= und Knochenblutungen!), 
operative Oto= u. Rhinologie. Hämophile,Blutungen. Zahnblutungen. 

Literatur: Archiv für Kinderheilkunde, Bd.65, Heft III/IV. — Med.Klinik 1916, Nr. 11; 1917, Nr.31. 

Anwendung: ln 2 V' 2 % wäßriger Lösung durch Wattetupfer oder Besprühen der Wundfläche'oder 

durch Aufschütten in Substanz. 

Packung: Zugeschmolzene Glasröhrchen mit 0,5 g Pulverinhalt. 

Handelsform: Schachteln mit 1, 3 und 10 Glasröhrchen. 

Literatur auf Wunsch zu Diensten. 

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Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 


12. Heft 



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Literatur: Prof. Dr. Seifert und Dr. Como (Wiirzburg), -Klin.-therap. 
Wochenschrift 1915 Nr. 51. 


Den Herren Ärzten stehen Muster zu Dienst; man bittet, sich zu 
beziehen auf Anzeige Nr. 15. 


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In Form von Tabletten, subkutanen Injektionen und Supposi- , 

torien. Glänzende tonische und innersekretorische Wirkung. 

Enthalten die Sexualhormone sowie Yohimbin und Nucleinsäure. 

Literatur mit zahlreichen ärztlichen Gutachten zur Verfügung. 



Indikationen für TESTOGAN. 

Sexueller Infantilismus und Eunuchoidismus des 
Mannes. Männliche Impotenz und Sexual¬ 
schwäche im engeren Sinne des Wortes. 
Climacterium virile. Neurasthenie, Hypochon¬ 
drie, Prostatitis. Asthma sexuale, periodische 
Migräne. Wirkt gefäßerweiternd bei Arterio¬ 
sklerose. 


Indikationen für THELYGAN. 

Fehlen der sekundären Geschlechtsmerkmale. 
Kleinheit der Mammae usw. Sexuelle Frigidität 
der Frau. Sexuelle Störungen bei Fettsucht und 
anderen Stoffwechselkrankheiten. Klimakterische 
Beschwerden. Amenorrhoe. Asthenie. Dys¬ 
menorrhoe, Neurasthenie, Hypochondrie. Wirkt 
gefäßerweiternd bei Arteriosklerose. 


-—- Ordinationen: - 

Dreimal täglich eine Tablette nach dem Essen oder täglich bzw. jeden 
zweiten Tag eine subkutane Injektion oder täglich ein Suppositorium. 


Berlin W 35, Dr. Georg Henning. 

Proben zu Ärztepreisen durch nachstehende Berliner Apotheken: Kurfiirsten-Apotheke, Schweizer Apotheke, 
Kronen-Apotheke, Einhorn-Apotheke, Germania-Apotheke und die Ludwigs-Apotheke in München. 


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20 












12. Heft 


Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 



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21 































Theräpie der Gegenwart. Anzeigen. 



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12. Heft 


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1917 


12 . .Heft 


Therapie, der Gegenwart. ' Anzeigen. 


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®ie groifdjenfrfjeine für öie 5 %' 0rf)itfbi)et*ftfjreilnutt*e« 

her VI. Slnec^cntlcHje fönnen Born 

26. Hopcmbcr b. 3s. ab 

in bie enbgültigen ©tüde mit 3tn§fd)etnen umgetanfcht Serben. 

©er Umtaufd) finbet Bei ber ,,JJmtauf<hfteXIe fiir Sie Kriegsanleihen", 
Berlin W 8, 33eljrenfiraf}e 22, ftatt. SIuBerbem übernehmen fämtlidje OieidjSBanf* 
anftalten mit Kaffeneinrid)tung Bis gum 15* £$**Xi 1918 bie foftenfreie Vermittlung beS 
UmtaufdjeS. Vad) biefem 3 e ^ UTI ft fönnen bie • Q'tütfffyzn^einz nur nod) unmittelBar 
Bei ber „Umtaufd)[teile für bie .Kriegsanleihen" in Berlin umgetaufcf)t loerben. 

®ie 3mif(f)enfif)eine finb mit 33er§ei(£)niffen, in. bie fie nach ben Beträgen unb 
innerhalb biefer nad) ber Vttmmernfolge georbnet eingutrageu finb, loährenb ber Vormittags* 
bienftftunben Bei ben genannten ©teilen eingureid)en; Formulare gu bett Vergeidjniffen 
finb Bei aßen VeidjSBanfanftalteu erhältlich. 

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10. ©egember Begonnen toerben; einebefonbere Vefanntmadjunghierüber folgt Anfang ©egember. 


Berlin, im VoBember 1917. 


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$paBenftein. B. ©rintm. 


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zum abgelaufenen. Jahrgang der „Therapie der Gegenwart“ 
stehen für M. 2 = K. 2,40 zur Verfügung. 

Bezug durch jede Buchhandlung oder vom 
Verlag Urban & Schwarzenberg, Berlin u. Wien. 


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Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 


12. Heft 




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Der Bezug geschieht nur durch die Apotheken. 

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19. II. 1910 unt. Nr. 1600.) Allein. Erzeugung durch uns. Unterschiebungen werden gerichtlich verfolgt. 

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12. Heft 


Therapie,der Gegenwart. Anzeigen. 


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bei Böblingen (Württemberg) * 

510 Meter über dem Meeresspiegel 

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Ärztliche Leitung: Dr. TH. BRÜHL 5 " 


Rostock 


i^SJHeilanstalt für innerlich Kranke 


Diätkuranstalt für Magen-, Darm- u. Stoffwechselkranke 

Streng wissenschaftlich klinische Beobachtung und Behandlung mit Zuhilfenahme aller modernen Unfer- 
suchungsmethoden und therapeutischer Unterstützungsmittel. Kleine Patientenzahl. Prof. Dr. KÜHN. 


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12. Heft 


Heilanstalten, Bäder und Kurorte. 


LewaMsche Heilanstalt 

BAD OBERNIGK 

Gegründet 1870 

Fernsprecher 1 _ 

1. Sanatorium für Nerven* und 
Gemütskranke. 2. Kurpension 
für Genesende und Erholungs» 
bedürftige. Entziehungskuren. ^ I 

Dr. Loew enstein -I 

Nervenarzt 


Privat-Anstalt für weibliebe Gemütskranke 

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von 

San.-Rat Dr. Bruno Schaefer 

Charlottenburg-Westend 

Nußbaumallee 40 

'Fernsprecher: Wiföebn 28 7 und2 752 

Pensionspreis von 120 M. monatlich an 


Königl. Bad Oeynhausen 


Sommer-und Winterkurort 

Täglich Konzerte 

Unübertroffene Heilkraft der Thermal¬ 
quellen bei Nervenleiden, Herzleiden, 
Rheumatismus, .Gelenkversteifungen, 
Schlaganfällen usw. sowie bei allen Ver¬ 
wundungen und inneren Erkrankungen 
infolge des Krieges. 

Btsuch 1913 : 18113 Kurgasts, 261220 Bädsr 
Prospekte und Jede Auskunft durch die 
König! Badeverwaltung. ui 


Wald - Pädagogium 

Bad Berka i.Thür. 


Realschule, Gymnasium, Realgymnas. 

Lehrer, Arzt und Hausmütter arbeiten Hand in 
Hand. Gesundes Waldleben in staubfreier Höhen¬ 
luft. Liegekur, Luftbad, Heilgymnastik, Sport und 
Spiel. Zarte Kinder gedeihen vortrefflich. Eigene 
Landwirtsch. u. Viehzncht sichern gute Verpflegung. 


Sanatorium 
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Prießnltz-Sanatorium 

üräfenberg Österr.-Schl. 

620 m ü. d. M. 

ganzjährig geöffnet 

Für Nerven-, innere und 


Stoffwechselkrankheiten 


Chefarzt Sanitätsrat Dr. Rudolf Hatschek 
Tagespension inkl. Kur von 18 Kr. aufwärts 



Qalilsanatiriuin 
Birkenoerderbei Benin 

Nervenheilanstalt 


Leitender Arzt: SanitätsratDr.Dankwardt 
Fernsprecher Nr. 46 

Nervenkranke, Erholungsbedürftige 
Dauerpension für Gemütskranke 
Unfallnervenkranke 


für chronisch Kranke und Erholungs- 
j bedürftige. Physikalisch-diätetische ( 

L Behandlung. Ganzjährig < 

Dr. MAX 5CHEIMPFLUG_^ 


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Privathellanstalt rat Leichlliingen- 
kranke und Erholungsbedürftige 

Sülzhayn i. Südharz b. Nordhausen J 

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Sonnenseite. Heizbare Liegehalle — Park- J 
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Kur und voller Verpflegung Mi 7,— bis 9,— 

- Prospekte durch die Verwaltung - 


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Lanhwitzer Kuranstalten 


Besitzer und leitende Ärzte 

Sanitätsrat Dr. J. Fraenkel. Sanitätsrat Dr. A. Oliven 

A. Kurhaus Lankwitz 

(Offen. Sanatorium) für Nerven-, inn. Kranke, 
Erholungsbedürftige und Rekonvaleszenten 

B. Heilstätte Lankwitz 

(Offenes Sanatorium) für Nerven-, Herz-, 
Stoffwechselkranke und Erholungsbedürftige 

C. Sanatorium Berolinum 

für Nerven- und Gemütskranke, Entziehungskuren usw. 

Berlin-Lankwitz, Ecke Siemens- u.Viktoriastr. 

:: Fernsprecher: Lichterfelde 800, 795, 959 :: 


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Nordseebad WyK a. Föltr 

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Dr. Edel’s 
Kindersanatorium 


Winterkuren 


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Heilanstalten, Bäder und Kurorte. 


Dr. Packlam’s Sanatorium 

Bad Suderode am Harz. 

Offene Kuranstalt für Nervenkranke und Erholungsbedürftige. 
Das ganze Jahr geöffnet, besonders für Winterkuren geeignet. 
Elektrisches Licht. Centralheizung. 

San.-Rat Dr. FACKLAM , Nervenarzt. 


12. Heft 



OberlosehwitZ'Weißer Hirsch Dresden 

für Nerven-, Herz-, Stoffwechsel-, Magen-, 
Darm kranke und Erholungsbedürftige. 

Wasserbehandlung, Massage, kohlens., aromatische, 
elektrische Bäder und Behandlung, Diathermie, 
d’Arsonvalisat., Bergonie, künstliche Höhensonne. 

= Streng individuelle Pflege. Klinische Untersuchung und Behandlung. = 

Kleine Patientenzahl. Bes. San.-Rat Dr. H. Teuscher 


SANATORIUM ELSTERBERG 


Für Nerven- und 
innere Kranke 

Pmpikt fr$i •• 

Dr. R. RÖMER 

. Saniiltsrat Dr. RÖMER . 


Sanatorium Dr. Schoenawald 
BAD NAUHEIM 


Dauernd geöffnet 
unter persönlicher 
Leitung 


Sanatorium Schierke 

im Harz 

Physikalisch - diätetische Heilanstalt 

mit Tochterhaus 

Kurhotel „Barenberger Hof“ 

in der Villenkolonie Barenberg, Post Schierke, 

für Nerven-, Herz-, Magen-, Darm- und Stoff¬ 
wechselkranke. Erholungsbedürftige. Moderner 
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Moderne Kureinrichtungen. Anerkannte, schöne 
geschützte Lage. Das ganze Jahr_geöffnet._ 
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Blankenhain 

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Dr« med. Leo Silberstein 

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Innere-, Stoffwechsel-, Nervenkranke 
und Erholungsbedürftige aller Art. 
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Spezial-Kuranstalt für Magen- und Darmleiden 
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Dr. Robert Flatow 

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Berlin - Dahlem, Kronprinzen-Allee 18—22. 


28 























12. Heft 


Therapie der Gegenwart. Anzeigen. 


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