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Full text of "Tomáš Garrigue Masaryk. Der Agramer Hochverratsprozess Und Die Annexion Von Bosnien Und Herzegowina, Wien 1909 Cal"

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Der Agramer Hochverratsprozess 

und 

/» 

die Annexion von Bosnien nnd Herzegowina 


Professor Dr. TH. GJ IASARYK 

Reichsrataabgeorftfleter 


Zweite, ergänzte Auflage 


WIEN 1909 

Verlagsbuchhandlung Carl Konegen (Ernst Stttlpnagel) 


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Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, 
Vorbehalten. 


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Gestfliehftfw*Baclidraekerei Brüder Holllnek, Wien III« Erdbergstrefie I. 


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Vorwort. 


Refined policy ever has been the 
parent of confusion; and ever will be 
so, as long as the world endures. Plain 
good intention, which is as easily dis- 
covered at the first view, as fraud is 
surely detected at last, is, let me say, 
of no mean force in the government of 
mankind. Genuine simplicity of heart 
is a healing and cementing principle. 

Burke. 

Der Minister eines großen Staates, 
der die Politik zur Intrige herabwürdigt, 
gleicht einem Fürsten, der vom Thron 
herabsteigt, um in den Vorzimmern zu 
sollizitieren. Wir haben in unseren Tagen 
beides erlebt und werden es noch er¬ 
leben, weil es leichter ist, die Rolle des 
Kammerdieners zu spielen als jene des 
Herrn. Erzherzog Karl. 

Diese Broschüre enthält die Reden, mit denen 
ich im Abgeordnetenhause am 14. und 18. Mai 


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IV 


den Dringlichkeitsantrag über den sogenannten 
Hochverratsprozeß in Agram begründet habe; 
stilistische Änderungen und ergänzende Aus¬ 
führungen mögen das gesprochene Wort in dieser 
Form verstärken. 

Unsere Geschäftsordnung verlangt für die 
Annahme der Dringlichkeit eines Antrages zwei 
Dritteile der Stimmen; die Abstimmung hat (am 
18. Mai) für den Antrag 167, gegen denselben 
132 Stimmen ergeben, somit hat sich für den 
Antrag eine beträchtliche Mehrheit ausgesprochen. 
Zu den Stimmen für kann man auch eine große 
Zahl der Abgeordneten hinzu zählen, die sich 
der Abstimmung enthalten haben. 

Man hat im Abgeordnetenhause und in der 
Presse die Frage erörtert, inwiefern mein Antrag 
in die Angelegenheiten eines fremden Staates 
sich einmenge und ob derselbe zulässig sei: der 
Präsident des Hauses selbst hat sich für die 
Zulässigkeit ausgesprochen. 

Die erste Anregung zu meinem Auftreten 
gegen den Agramer Prozeß ist von seiten der 
kroatischen Abgeordneten geschehen. Und zwar 
wurde ich ersucht, die Tatsachen über den Prozeß 


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festzustellen; was weiter zu geschehen hätte, hing 
von diesen Tatsachen und den parlamentarischen 
Verhältnissen ab. 

Ich habe mich für die Einbringung eines 
Dringlichkeitsantrages entschieden, obwohl es 
nicht leicht war, den Antrag der Geschäfts¬ 
ordnung gemäß ganz einwandfrei zu formulieren; 
selbstverständlich habe ich mir selbst die Be¬ 
denken vergegenwärtigt, die formell erhoben 
werden könnten. Aber ein Umstand war aus¬ 
schlaggebend: in Ungarn und Kroatien werden 
die Verhandlungen des österreichischen Reichs¬ 
rates als immun behandelt und ich hoffte darum, 
daß auch die Berichte über meine Rede und be¬ 
sonders der Wortlaut des stenographischen Pro- 
tokolles in Ungarn und Kroatien nicht konfisziert 
werden wird. Das wollte ich erreichen und das 
habe ich erreicht. Das erklärt, warum ich den Rat 
derjenigen nicht befolgen konnte, die die Ver¬ 
öffentlichung einer Broschüre für genügend und 
'zweckentsprechend gehalten haben; ich war nicht 
sicher, daß die Broschüre in Ungarn und Kroatien 
freigelassen würde, ja ich war nicht sicher, ob 
meine Broschüre, auf den Wunsch Ungarns, nicht 


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VI 


sogar in Österreich verhindert worden wäre. In 
Kroatien wenigstens waltet während des Prozesses 
eine Zensur, die der russischen in nichts nachsteht. 

Mir war von vornherein klar, daß der Agramer 
Prozeß unwahr begründet, daß er ein politischer 
Prozeß ist. Das war mir klar, weil ich erstens 
die führenden Angeklagten und ihre Verhältnisse 
kenne. 

Das war mir aber zweitens aus der Kenntnis 
und Beurteilung der politischen Situation in 
Kroatien und im Süden überhaupt klar. Ich be¬ 
obachte die Entwicklung Österreichs und der 
Nachbarländer, zumal der slawischen mit mög¬ 
lichster Genauigkeit schon einige Dezennien, ich 
kenne und beobachte Land und Leute, ich studiere 
über Land und Leute, was politisch von Wichtig¬ 
keit ist und suche mir durch zeitweiliges Be¬ 
obachten an Ort und Stelle die gewonnenen An¬ 
schauungen zu rektifizieren und zu verifizieren — 
mit einem Worte, ich kenne speziell Kroatien und 
seine politische Entwicklung in solchem Umfang, 
daß ich aus dieser Kenntnis heraus den Prozeß 
von Agram ohne weiteres als falsch erklären 
konnte. 


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VII 


Es handelte sich aber darum, dieses Urteil 
für die weite politische Öffentlichkeit zu be¬ 
gründen. Das geschieht in dieser Publikation, 
und zwar nicht bloß durch einen Indizienbeweis, 
sondern durch eine Reihe von sichergestellten 
Tatsachen. 

Der Agramer Prozeß ist ein politischer Prozeß, 
und zwar charakterisiert er die Politik, die im 
Süden des Reiches, aber auch noch in Wien 
gemacht wird, er charakterisiert ein gewisses 
— ein niederes — Stadium der Politik, das 
Stadium der Geheimpolitik oder wie man es 
nennen soll. 

Es ist dasjenige Stadium der politischen Ent¬ 
wicklung, auf welchem die Menschen die gesell¬ 
schaftliche Entwicklung, den historischen Ent¬ 
wicklungsprozeß noch nicht kritisch zu beob¬ 
achten und noch nicht sachlich zu beurteilen 
vermögen; es ist das Stadium, auf welchem die 
Menschen den historischen Massenprozeß noch 
nicht begreifen, ja kaum sehen, sondern die 
ganze Gesellschaft und ihre Geschichte auf einige 
wenige Menschen und ihr Getriebe reduzieren. 
Es ist, politisch gesprochen, noch die Epoche 


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VIII 


des Aristokratismus und des aristokratischen 
Absolutismus. Die Politik ist auf diesem Stadium 
Okkultismus, so wie alle Praxis — die Medizin, 
Technik, der religiöse Kult, die ganze Praxis 
ist auf diesem Stadium der Entwicklung okkul¬ 
tistisch. Die Politik ist da noch „Diplomatie“. 

Dem gegenüber erleben wir es, daß sich die 
ganze Praxis, auch die Politik, auf exakte Beob¬ 
achtung zu stützen beginnt; die Politiker und 
Historiker fangen an, das Leben und die Ent¬ 
wicklung der gesellschaftlichen Masse zu beob¬ 
achten und zu begreifen, diese Beobachtung wird 
Massenbeobachtung, die kritische Öffentlichkeit 
tritt an Stelle der phantastischen Geheimtuerei, 
das politische Augurium wird durch das politische 
Wissen ersetzt. Die höfische aristokratische 
Diplomatie und ihre Einbildung, die Ansichten 
und Handlungen der wenigen Machthaber und 
ihrer Helfer habe die entscheidende Führung 
der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, beginnt 
zu schwinden, die Politik, die innere und die 
äußere, unterliegt der Kritik und Öffentlichkeit, 
die Politik wird zur Wissenschaft, die Politik de¬ 
mokratisiert sich. Der aristokratische Absolutismus 


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IX 


und dessen diplomatischer Okkultismus macht dem 
Demokratismus und dessen kritischer, wissen¬ 
schaftlicher Öffentlichkeit Platz, die politische 
Lüge und Intrige wird durch die politische 
Wahrheit und Offenheit ersetzt. Aber in Öster¬ 
reich-Ungarn haben wir noch viele Reste und 
Überlebsei des aristokratischen Absolutismus, 
zumal in der sogenannten äußeren Politik. Ver¬ 
fassungsmäßig drückt sich die Tatsache in der 
unverantwortlichen Stellung der gemeinsamen 
Ministerien und an der unbestimmten Ein¬ 
gliederung der Delegationen in die staatlichen 
Institutionen ein. 

Der Agramer sogenannte Hochverratsprozeß 
ist geradezu ein Schulexempel der alten Politik 
und ihrer Auffassung der geschichtlichen Er¬ 
eignisse und Entwicklungen; für diese Politik 
ist ein solches Intrigenspiel notwendig, diese 
Politik sucht in dem Agramer Prozesse einen 
Hauptgrund für die Annexion von Bosnien und 
Herzegowina, weil sie die wahren faktischen 
Gründe und Motive des geschichtlichen Ereig¬ 
nisses nicht zu begreifen vermag. Nur auf dieser 
niederen Stufe des politischen Denkens konnte 


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unter anderem die Phantastik eines gescheiten, 
aber politisch unreifen Studenten zum Grund¬ 
stein einer ganzen Staatsaktion werden. 

The experience of all ages and coun- 
tries teaches ns that calumny and nais- 
representation are frequently the most 
unequivocal testimonies of the zeal, and 
possibly the effect, with which he 
against -whom they are directed has 
served the public. Fox. 

Wien, Anfangs Juni 1909. 

T. G. M. 


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Inhalt 


Vorwort 


Seite 

in 


i. 

1. Der Dringlichkeitsantrag betreffend den Agramer 
Hochverratsprozeß. 1 


H. 

2. Der Agramer Prozeß: formell . .. 6 

S. „ „ » materiell.18 

IH. 


4. Der Kronzeuge Nastid, sein „Finale“ mit dem 

revolutionären Statut.36 

5. Auf österreichisch-ungarischem Gebiete gibt es 
keine großserbische irredentistische Organisa¬ 
tionen. Der sachliche Untergrund des Prozesses . 62 


IV. 

6. Der Agramer Prozeß ist das politische Ergebnis 
der kroatischen politischen Zustände: Banus 
Rauch.71 


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Seite 

7. Das Nastidsche Statut war vor seiner Veröffent¬ 
lichung im .Finale“ bekannt und der Agramer 
Prozeß ist als Aktion gegen die Serben nach 


ihm künstlich inszeniert.82 

8. Die Stellung der ungarischen Regierung zum 
Agramer Prozesse.90 


VL 

9. Die wissenschaftliche Autorität Dr. Friedjungs 
und die diplomatische Autorität Baron Aehren- 
thals.92 


VII. 

10. Österreich und die Balkanfrage: die Annexion 


und das südslawische Problem.111 

Schlußwort.124 


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I. 

1. Drioglichkeitsaotrag des Abgeordneten Professor 
IWasaryk and Genossen, betreffend die Anklage, dass 
Im Süden des Reiches eine hochverräterische, aaf 
den Abfall vom Reiche hinzielende revolutionäre Be* 
ategang and Organisation existiere*). 

Der sogenannte Hochverratsprozeß in Agram 
ist weltbekannt geworden; über die Art und 
Weise, wie derselbe geführt wird, haben sich 
unlängst die Verteidiger aus Dalmatien, und 
zwar ohne Unterschied der Parteien und Natio¬ 
nalitäten, in einer öffentlichen Erklärung aus¬ 
gesprochen. Die ganze europäische Presse be- 
schäftigt sich mit diesem Prozesse und die öffent- 
liehe Meinung der zivilisierten Welt ist in der 
Verurteilung desselben einig. 

Es würde darum nicht gegen den parlamen- 

*) Dieser Antrag wurde am 7. Mai eingebracht. 

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torischen Gebrauch verstoßen, wenn auch unser 
Volkshaus schon vom Standpunkte der Huma¬ 
nität seine warnende und verurteilende Stimme 
erheben würde; allein wir haben auch sehr 
wichtige und aktuelle politische Gründe, 
die es uns geradezu zur Pflicht machen, die 
politische Bedeutung des Prozesses zur Sprache 
zu bringen. 

Die Anklage im Prozesse lautet auf Hoch¬ 
verrat, und zwar behauptet die Anklageschrift, 
daß Südungarn, Slawonien und Kroatien, be¬ 
sonders in den von Serben bewohnten Gebieten, 
vom Reiche abfallen wollte und daß die gewalt¬ 
tätige hochverräterische Revolutionsbewegung 
nur durch den Prozeß und durch die Annexion 
von Bosnien und Herzegowina „überrascht 4 und 
vereitelt wurde. Die Anklageschrift sucht zu be¬ 
weisen, daß diese Revolution im Süden des 
Reiches von Serbien aus, und zwar direkt von 
der serbischen Krone und Regierung geschürt 
und geleitet werde; die Anklageschrift beruft 
als Hauptbeweis ein revolutionäres, von dem 
bekannten Nastic publiziertes Statut, welches 
die hochverräterische Abfallsbewegung auch auf 


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die österreichischen von Südslawen bewohnten 
Länder ausdehnt. 

Diese Ansicht über die antirevolutionäre Be¬ 
deutung der Annexion von Bosnien und Her* 
zegowina wird schon auch in weitverbreiteten 
österreichischen Publikationen und publizistischen 
Erörterungen vorgetragen und es wird schon die 
Anklage erhoben, daß auch das slowenische Ge¬ 
biet dieser Reichshälfte mit Belgrad in anti¬ 
österreichischer Verbindung stehe und es werden 
geradezu Mitglieder unseres Hauses denunziert. 

In diesem Lichte und in diesem Zusammen¬ 
hänge gewinnt der Agramer sogenannte Hoch¬ 
verratsprozeß für unser Parlament seine ganz 
besondere politische Bedeutung und es ist darum 
die Pflicht unseres Volkshauses, diese Bedeutung 
im Zusammenhänge mit der Prüfung der An¬ 
nexionsvorlage und der ganzen Annexionsfrage 
genauer zu untersuchen. Diese Untersuchung ist 
um so nötiger, als die Regierung über die an¬ 
geführten Gründe der Annexion von Bosnien 
und Herzegowina sich gar nicht geäußert hat; 
sobald in öffentlichen Kreisen öffentlich behauptet 

wird, daß in großen Volksgebieten in der anderen, 

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aber auch in dieser Reichshälfte ein Abfall vor¬ 
bereitet wird, macht es dem Parlamente geradezu 
zur Pflicht, diese angebliche Abfallsbewegung 
eingehend zu untersuchen. 

Die Gefertigten stellen darum den Antrag: 

Das hohe Haus wolle beschließen: 

„Der Annexionsausschuß möge die Beweise, 
die für die Existenz einer weitverzweigten 
hochverräterischen Abfallsbewegung im Süden 
des Reiches angeführt werden, genau prüfen 
und das Resultat seiner Prüfung dem Hause 
ehestens bekanntgeben. 0 


Dulibid. 

Masaryk. 

Yäcl. Kotlär. 

£itnik. 

J. Celakovsky. 

Dr. Hajn. 

Kulp. 

Kramär. 

Hubka. 

Säblfk. 

Folis. 

Hräsky. 

Vukovid. 

Mastälka. 

J. Släma. 

Dr. Baxa. 

Okunewskij. 

Kurylowicz. 

Mychajlo Petryckyj. 

Drtina. 


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Mandic. 

Antonin Zäzvorka. 
Spincid. 

Dr. Laginja. 

F. IvaniSevic. 
Dr. Stränsky. 
Ing. Neumann. 
Dr. Bulin. 

F. Stanek. 

C. Jos. Lisy. 
Jos. Svejk. 

F. Roblek. 

Dr. Kolessa. 

Staruch. 
Dnistrianskyj. 
Dr. Trylowskyj. 
Dr. Lahodynskyj. 
Sustersic. 
Mazanec. 

Dr. Baijak. 

Dr. Hruban. 
Sramek. 
Dilricb. 
Bjeladinovic. 


Dr. Slama. 
Cipera. 
Choc. 
Bölsberg. 

Dr. Krek. 
Povse. 
Silinger. 

Dr. Hlibowizki. 
H. Srdinko. 
Udr2aL 
Jezovnik. 
Näprstek. 
Kalina. 

Fr. Demsar. 
Oklestök. 
Peric. 
Bukvaj. 

Dr. Ploj. 

Dr. Tresic. 
Dr. Ivcevic. 

Bufival. 

Al. Strekelj. 
Dr. Yelich. 
Biankini. 


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n.*) 

2. Hohes Haus! Vorerst muß ich dem Herrn 
Präsidenten für die Freundlichkeit danken (Heiter¬ 
keit), daß er einen Teil meiner Aufgabe selbst 
in glänzender Weise durchgeführt hat, indem 
er vom konstitutionellen und parlamentarischen 
Standpunkt aus richtig dargetan hat, daß mein 
Antrag weder formell noch sachlich gegen die 
Kompetenz dieses Hauses verstoße. 

Erlauben Sie mir die Erinnerung, daß wir 
— das ganze Haus — vor nicht langer Zeit uns 
für die in Ungarn geknechteten und bedrückten 
Slowaken ausgesprochen haben und niemand von 
uns hat das als eine Kompetenzüberschreitung 
empfunden. (Ruf: Die Polen gegen Preußen!) 
Bezüglich der Polen war es ebenso. Ich selbst 
habe gegen Professoren der Berliner Universität, 
die sich so unsachlich gegen die polnische und 
böhmische Jugend ausgesprochen haben, hier 
Protest erhoben und auch das wurde hier nicht 
als eine Einmischung in fremdländische Ange- 

*) Yon hier ab das stenographische Protokoll der 
20. Sitzung vom 14. Mai 1909. 


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legenheiten empfunden. Es gibt eben Tatsachen, 
die vom Standpunkt der Menschlichkeit ganz 
einfach jedem anständigen Menschen, also auch 
den Politikern, es geradezu zur Pflicht machen, 
sich mit denselben zu beschäftigen: der Agramer 
Prozeß ist eine solche Angelegenheit. Und ich 
kann versprechen, daß ich die Dinge, die vor¬ 
gebracht werden müssen, mit der nötigen Dis¬ 
kretion Vorbringen werde. 

Meine Herren! 53 Galgen sollen errichtet 
werden (Hört! Hört!), das sind schon über¬ 
russische Justizzustände; wie wäre es möglich, 
über einen solchen Fall hier nicht zu sprechen ? 
53 Angeklagte (Lehrer, Geistliche, Kaufleute u. a.) 
— das macht, wenn Sie die Familien (es sind 
meist ältere Menschen) hinzurechnen, 200 bis 
300 Menschen, mit denen wiederum weitere’ 
Hunderte von Menschen inniger verbunden sind, 
so daß gewiß 1000 Menschen durch den Prozeß 
in Mitleidenschaft gezogen werden. 

Ich bitte, stellen Sie sich nur die wirtschaft¬ 
lichen Folgen dieses Prozesses vor! Die meisten 
Angeklagten sind schon wirtschaftlich ruiniert, 
denn sie sind schon über neun Monate in Unter- 


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suchungshaft. (Hört! Hört!) Und wann wird der 
Prozeß zu Ende sein, wenn einige hundert 
Zeugen vorgeladen werden müssen? Heuer nicht 
mehr. Und da auch sehr viele, formell ganz be¬ 
rechtigte Nichtigkeitsbeschwerden eingebracbt 
worden sind, muß die Septemviraltafel (der 
Oberste Gerichtshof) aus formellen Gründen einen 
neuen Prozeß anordnen, der Prozeß müßte also 
ein zweites Jahr dauern! 

Wenn wir uns nur die Tatsachen vergegen¬ 
wärtigen, dann müssen wir uns fragen: Ja, was 
geht denn in Kroatien vor? Wir, die wir hier 
auch Kroaten und Serben haben, die wir mitten 
im Nationalitätenkampfe stehen und Ruhe haben 
wollen, wir werden durch einen solchen Prozeß 
national beunruhigt, die Leidenschaften werden 
dadurch aufs neue entfesselt. 

Sie haben wohl auch von dem Hungerstreik 
dieser armen Menschen gelesen, die sich aber 
nur durch ein solches Mittel das Verhör und 
eine menschenwürdigere Behandlung erzwingen 
konnten. Schon von diesem rein menschlichen 
Standpunkt aus, wie gesagt, müßten wir eine De¬ 
batte über den Gegenstand durchführen. Ich werde 


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mich nicht in die ungarischen und kroatischen Ver¬ 
hältnisse einmischen. Dagegen hat der bekannte 
Dr. Frank, der Führer der kroatischen Rechtspartei, 
der jetzt mit dem Ban verbunden ist, an unseren 
Präsidenten ein Telegramm gegen meinen Antrag 
gerichtet, das heißt also, er hat sich direkt in 
unser Parlament eingemengt, bevor ich meinen 
Antrag überhaupt noch eingebracht habe. Er 
hat auch, wie zu lesen war, nach der Belehrung, 
die ihm unser Präsident zukommen ließ, den 
Versuch gemacht, einen Abgeordneten für sein 
unberechtigtes Veto und für seine unsachliche 
Verteidigung des Prozesses hier zu gewinnen. 
Ich muß konstatieren, und zwar mit Freude 
konstatieren, daß sich kein österreichischer Ab¬ 
geordneter gefunden hat und, wie ich hoffe, 
auch nicht finden wird, der das, was Dr. Frank 
sagt, in irgendeiner parlamentarischen Form hier 
Vorbringen würde. Auch war das, was er vor¬ 
gebracht hat, eine Unwahrheit. Dr. Frank hat 
telegraphiert, daß eine große Volksversammlung 
sich gegen meinen Antrag ausgesprochen hat; nein, 
es war keine große Volksversammlung, es war 
irgendein Abschiedsfest eines Journalisten, dabei 


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waren etwa sechs oder sieben Wähler, ohne Un¬ 
wahrheiten kann es aber Dr. Frank nicht machen. 

Meine Herren! Ich will über den Prozeß 
selbst gar nicht so viel sprechen, ich meine, 
über die juristisch-technische Seite. Ich würde 
das ganz gerne tun, wenn ich Jurist und in der 
Prozeßpraxis bewandert wäre; das bin ich leider 
nicht. Ich will darum vornehmlich die politische 
Seite des Agramer Prozesses beleuchten, über den 
Prozeß werde ich nur so weit sprechen, um ihn 
zu charakterisieren und ich bin überzeugt, Sie 
werden schon in dieser Charakteristik den Beweis 
erbracht finden, daß derselbe ganz unberechtigt, 
daß er ein politischer Prozeß ist. 

Der Prozeß, beziehungsweise die Anklage¬ 
schrift, basiert auf dem oft erwähnten, auch hier 
näher zu besprechenden revolutionären Statut. 
Es wird in der Anklageschrift behauptet, daß 
im Süden der Monarchie eine hochverräterische 
Abfallsbewegung schon statutenmäßig organisiert 
war, und zwar nicht nur auf ungarischem und 
kroatischem, sondern — ich bitte — auch auf 
österreichischem Gebiete, denn dieses Statut be¬ 
zieht sich auch auf slowenisches Gebiet. Wir 


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hätten also aus diesem Grunde direkt die Pflicht, 
diese Anklage hier zu prüfen. Diese Anklage, 
soweit sie die Slowenen angeht, ist in einer 
Broschüre kondensiert, die schon in ihrem Titel 
sagt, um was es sich handelt: „Von Laibach bis 
Belgrad, serbische Umtriebe in Südösterreich.“ 
Auf Grund der zu besprechenden Behauptungen 
des Historikers Dr. Friedjung, des bekannten 
Nastic usw. werden hier schon Mitglieder unseres 
Hauses denunziert, und zwar nicht nur Kollege 
Hribar, der wenigstens in Petersburg war — 
bei der Unkenntnis der russischen Verhältnisse 
könnte jemand dabei an irgendeinen Hochverrat 
denken — aber auch Kollege Krek ist diesen 
Herren nicht mehr genehm. (Heiterkeit.) Sie sehen, 
meine Herren, wir sind schon so weit, daß auf 
Grund der in Kroatien zum Gegenstände der 
Verhandlung genommenen Behauptungen jeder 
von uns in die Gefahr kommen kann, als Hoch- 
Verräter hingestellt zu werden; man wird über 
eine solche Broschüre (sie ist in Cilli von einem 
„Austriacus“ erschienen) wohl lächeln, aber in 
14Tagen oder drei Wochen wird die Denunziation 
schon ein „Dokument“ sein. 


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Wie gesagt, ich will mich über den Prozeß 
selbst kurz fassen; mir ist das Politische an 
demselben — ich betone das noch einmal — und 
das, was uns in Österreich angeht, das Wichtige. 

Die Anklage, die in Agram erhoben wurde, 
ist folgende *): Im Süden des Reiches, besonders 
in Kroatien, aber auch auf slowenischem Qebiete, 
bestehen politische Organisationen, welche hoch¬ 
verräterische Ziele verfolgen und welche dahin 
arbeiten, von Österreich abzufallen. Und zwar 
behauptet die Anklageschrift weiter, daß diese 
im Süden des Reiches — ich betone, auch schon 
in Österreich — existierende Bewegung direkt 
oder indirekt, wie es in der Anklageschrift heißt, 
von Belgrad aus geleitet wird, und zwar bestehe 
in Belgrad ein Revolutionskomitee und ein re¬ 
volutionärer Verein, der „Slovenski Jug“ (der 
slawische Süden). Dieser „Slovenski Jug*, der 
angeblich auf die Errichtung eines großserbischen, 
eo ipso antiösterreichischen Staates hinarbeite, 
sei der geistige und politische Leiter der groß- 

*) Ich halte mich an die Anklageschrift, die als 
Großoktav auf 107 Seiten als Beilage der offiziellen 
„Narodne Novine“ erschienen ist. 


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13 


serbischen Propaganda, und zwar behauptet die 
Anklageschrift, daß es die Dynastie Karageorgeviö, 
speziell König Peter und der Kronprinz Georg * 
seien, welche diese Abfallbewegung direkt und 
indirekt moralisch, aber hauptsächlich auch 
finanziell mittels dieses Vereines leiten. Die 
Beweise für diese Behauptung sind, wie die 
Anklageschrift öfter sagt, die verschiedenen »Er¬ 
scheinungen* (Heiterkeit) — das ist ein Wort, 
das in der Anklageschrift und in den Proze߬ 
verhandlungen sich beständig wiederholt — Er¬ 
scheinungen, die in Kroation und im Süden 
wahrzunehmen seien, dann ganz besonders die 
Zeugenaussagen und speziell die Aussage des 
Kronzeugen Nastid. 

Erlauben Sie mir nun, meine Herren, den 
Prozeß zuerst von der formellen Seite kurz zu 
charakterisieren. Ich selbst habe mehrere Tage 
in Agram zugebracht und habe mir speziell auch 
den Prozeß öfter angehört. Es fällt mir schwer, 
zu entscheiden: Ist das eine Operette, ist das 
eine Komödie, ist das eine Inquisition, ist das 
eine Tragikomödie, was im Gerichtssaale von 
Agram aufgeführt wird; es sind die unglaub- 


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liebsten Dinge, die ein juristischer Laie dort zu 
sehen und zu hören bekommt. Wundern Sie sich 
darum nicht, meine Herren, daß nicht nur die 
bedeutendsten Wiener Zeitungen, sondern auch 
schon die Zeitungen in Deutschland, in Frank¬ 
reich, in England, in Italien das Prozeßverfahren 
verurteilen — kurz, es gibt, ich möchte sagen, 
fast kein anständiges Blatt Europas, das diesen 
Prozeß nicht schon besprochen und auch ver¬ 
urteilt hätte. Die „Ligue fran^aise pour la döfense 
de droit de l’homme et du citoyen“ hat un¬ 
längst ihr Veto ausgesprochen und die Verteidiger 
aus Dalmatien haben in einer bekannten und 
wohl begründeten Enunziation sich gegen den 
Prozeß gewendet. 

Sehen Sie sich vorerst die Zusammenstellung 
des Tribunals an: Der Präsident ist wegen eines 
Trunkenheitsexzesses in Disziplinaruntersuchung 
gekommen. (Lebhafte Heiterkeit und Rufe: Hört! 
Hört!) Wenn Sie nach Agram kommen und 
fragen, was es Neues gibt, so werden Sie gewiß 
über die Exzesse berichten hören, die dieser 
Herr, der jetzt eine so wichtige öffentliche Rolle 
spielt, allnächtlich in verschiedenen Gasthäusern 


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usw. verübt. (Abgeordneter Redlich: Es soll noch 
so einen betrunkenen Herrn in Agram geben, 
der noch viel höher steht!) Ich komme auf den 
Alcoholicus communis vulgaris (Heiterkeit) schon 
noch zu sprechen! Einem der Votanten wurde 
öffentlich vorgehalten, daß er sich die schlimmsten 
Dinge zu schulden kommen ließ; der Unter¬ 
suchungsrichter wurde bezichtigt — und er hat 
nichts dagegen sagen können — daß er in 
Warasdin, wo er Richter war, Protokolle ge¬ 
fälscht hat. (Hört! Hört!) Einige Zeugen be¬ 
haupten, daß er, um mit den Leuten dort, wo 
das Material gesammelt werden sollte, Gespräche 
anzuknüpfen, als Bauer oder anders sich ver¬ 
kleidet habe, worauf er sich die Leute zitieren 
ließ — also agent provocateur und Untersuchungs¬ 
richter in einer und derselben Person. Von diesem 
Untersuchungsrichter Kosutic haben viele Zeugen 
gesagt, daß er ihnen, um sie redselig zu machen, 
gesagt habe: Es handelt sich ja nicht um euch, 
sondern um Kossuth, wir wollen Material gegen 
Kossuth sammeln, euch wird gar nichts geschehen. 
(Heiterkeit.) 

Man hat das — der Staatsanwalt war es — 


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öffentlich abgeleugnet, aber es gibt so viele 
Zeugen dafür, daß es sehr schwer ist zu glauben, 
daß es nicht wahr sei. 

Nun aber weiter: Für den Prozeß wurde die 
Anklageschrift als Beilage des Amtsblattes in 
Tausenden und Tausenden von Exemplaren ver¬ 
öffentlicht (Hört!), damit die Zeugenaussagen der¬ 
art präpariert werden. Selbstverständlich können 
dann die Zeugenaussageu konform sein und 
daraus wird dann der Schluß von einer einheitlich 
organisierten Abfallsbewegung gezogen. 

Weiters, das Hauptdokument im Prozesse, 
das Revolutionsstatut des Nastic, und Briefe, die 
entscheidend sein sollen, sind nicht im Original, 
sondern nur in einer Abschrift vorhanden und 
man kann darum, aber man muß nicht glauben, 
daß die Originale überhaupt existieren. Ander¬ 
seits gibt es Beweisstücke in den Akten, die 
nicht evidenziert sind; aber sie sind eben vor¬ 
handen und fragt der Verteidiger: Woher ist 
dieses Material? so lautet die Antwort, das 
Material sei zufällig da hineingekommen. 

Oder, und das werden die Herren Advokaten 
richtig verstehen: Gegen zwei Angeklagte wurden 


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schon im Jahre 1907 von denselben Zeugen, die 
jetzt wieder gegen sie auftreten, die Tatsachen 
vorgebracht, wegen welcher man ihnen den 
Hochverratsprozeß gemacht hat. Der Prozeß im 
Jahre 1907 mußte eingestellt werden, weil die 
Beweise als ungenügend befunden wurden. 
Ohne das Verfahren wieder aufgenommen zu 
haben, hat man jetzt ganz einfach die zwei An¬ 
geklagten wegen derselben Tatsachen von neuem 
verfolgt. 

Oder es wird ein amerikanisch-serbisches Blatt, 
in dem in der Aufregung vor dem erwarteten 
Krieg selbstverständlich schärfer gesprochen 
wurde, als Beweis vorgebracht, trotzdem die 
Nummer erst nach erfolgter Verhaftung der An- 
geklagten erschienen ist. Ähnlich werden aus 
serbischen Zeitungen nachträgliche Beweise er¬ 
bracht — Zitate von scharfen, in der Kriegsauf- 
regung gegen Österreich geschriebenen Artikeln. 
Offenbar soll das — Stimmung machen! 

Die Protokolle sind gefälscht: fast alle Zeugen 
haben bisher konstatiert, daß sie nicht so ge¬ 
sprochen haben. Viele Zeugen sind Analphabeten, 

einfache Leute, denen die hochtrabendsten poli- 

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tischen Erwägungen in den Mund gelegt werden. 
Der betreffende Zeuge versteht das einfach gar 
nicht und muß immer wieder sagen, nein, das 
habe nicht gesagt. 

Einige Advokaten, die sich als Verteidiger 
meldeten, wurden abgelehnt einfach deshalb, 
weil man den Verdacht habe, daß sie auch das¬ 
selbe Verbrechen wie die Angeklagten begangen 
haben. 

Sie lesen in den Berichten aus Agram be¬ 
ständig, daß die Advokaten diszipliniert werden. 
Ich habe nicht so viel Prozesse mitgemacht, 
aber aus den Prozessen, die ich angehört habe, 
weiß ich, daß unsere Advokaten zu keiner Geld¬ 
strafe verurteilt werden; in Agram werden fort¬ 
während Geldstrafen auferlegt oder dem Advo¬ 
katen wird aus reiner Willkür des Präsidenten 
das Wort entzogen. 

Der Präsident ist, wie ich Ihnen gesagt habe, 
ein Alkoholiker. Ein Angeklagter will gegen den 
Alkoholismus sprechen, das läßt der Präsident 
nicht zu. (Heiterkeit.) 

3. Das, meine Herren, sind die formalen Be¬ 
denken. Erlauben Sie mir nun kurz auf die Be- 


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weise, die sachlich vorgebracht wurden, einzu¬ 
gehen. 

Wenn Sie im Prozeßsaale zugegen sind, kommt 
es Ihnen vor, daß Sie eigentlich in einem ethno¬ 
graphischen und historischen Museum sitzen; denn 
der Richter halt fort und fort ethnographische und 
historische Vorlesungen und alle Zeugen müssen 
ihrerseits ethnographische und historische Re¬ 
miniszenzen gegen die Richter Vorbringen. Es 
wird jedem vorgehalten, daß er das Serbentum 
propagiere und man will — das ist jedenfalls 
die Ansicht dieser Herren — beweisen, daß es 
in Kroatien keine Serben gibt, da können ja — 
es heißt doch „Kroatien“ — nur Kroaten sein. 
Da müssen Sie nun sehr lange Erörterungen 
hören über den Begriff der Nation vom politischen 
und vom ethnographischen Standpunkte. (Ab¬ 
geordneter Dr. Redlich: Das ist der ungarische 
Schwindel!) Ja!*) Der Richter nimmt das Wort 

*) Herr Dr. Frank hat in seinem Blatte (9. März 1908) 
ans seiner Unterredung mit Minister Wekerle folgenden 
Satz (Wekerles) angeführt: „In Kroatien lebt nur eine 
Nation und das ist die kroatische Nation. Die Magyaren, 
Deutschen und anderen in Kroatien sind keine Nation, 

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vom politischen Standpunkt und der Angeklagte 
nimmt es selbstverständlich vom ethnographischen 
Standpunkt. In Kroatien gibt es eben Kroaten 
und Serben, zwei Namen ftlr zwei Teile derselben 
Nation; das wird aber abgewiesen und die Pro¬ 
pagierung des Serbentums als crimen laesae 
maiestatis hingestellt. Es wird behauptet, es gebe 
keine serbische Kirche! Den Leuten wird gesagt: 
Ihr seid griechisch-orientalisch. Allein die Be¬ 
zeichnung: griechisch-orientalisch ist ein ter- 
minus technicus hier bei uns im Westen, aber 
dort besteht die serbische Kirche neben der 
rumänischen, der Patriarch hat den offiziellen 
Titel „Serbischer Patriarch“. Oder es wind den 
Leuten vorgeworfen, daß die Cyrillica, die ser¬ 
bische Schrift, propagiert wird. Nach dem Gesetze 


sondern nur Nationalitäten.“ Selbstverständlich sind 
nach dieser Theorie in Ungarn (die Magyaren haben 
den Unterschied von „Magyaren“ und „Ungarn“ nicht) im 
Magyarorszäg nur die Magyaren die staatliche Nation, 
die übrigen sind nur Nationalitäten, nämlich auch die — 
Kroaten! Mit dieser politischen Philologie und Geo¬ 
graphie kommen die Budapester Machthaber bei ihrer 
Magyarisation zu ihrer Rechnung. 


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▼om Jahre 1887 soll in jeder Gemeinde, wo die 
Majorität der Bevölkerung serbisch ist, in der 
Cyrillica amtiert werden und in der Schule ist 
das Erlernen der Cyrillica obligat. Aber in Agram 
müssen Sie eine lange Rede hören, daß die 
serbische Schrift eine allslawische Schrift sei! 
(Heiterkeit.) Ja, meine Herren, es ist komisch. 
Leute, die gegen den Panslawismus sind, wollen 
lieber, um das Serbische abzutun, das All¬ 
slawische! Die Cyrillica der Serben ist jedoch 
tatsächlich eine serbische Schrift, weil sie doch 
gewisse serbische Buchstaben hat, die die anderen 
slawischen Sprachen, die sich der Cyrillica be¬ 
dienen, nicht haben. Oder! In dem oder jenem 
Bezirke (in Okucani) — wird angeführt — 
propagiert die Intelligenz den Dialekt der Ekav- 
stina. Das ist wieder etwas Unerlaubtes! Aber 
die Herren vergessen, daß Ante Starcevid auch 
in der Ekavstina geschrieben hat, ich bitte, 
Ante Starcevid, deijenige, der keine Serben an¬ 
erkannt hat! Oder es wird den Angeklagten 
zum Vorwurfe gemacht, daß serbische Lieder 
ostentativ gesungen, serbische Bücher verbreitet, 
serbische Schulen gegründet werden. Ein großes 


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Verbrechen ist auch, daß serbische Fahnen und 
Wappen zu sehen waren! Erstens sind das keine 
serbischen Wappen, sondern das Patriarchen¬ 
wappen, ein Kreuz und vier S. Das finden Sie — 
Sie mögen Kroatien und den serbischen Balkan 
noch so flüchtig bereisen — überall. (Zu¬ 
stimmung.) Wenn Sie zum Beispiel einer armen 
Frau etwas helfen, wird sie Ihnen, um ihre 
Dankbarkeit zu beweisen, eine Handstickerei mit 
dem serbischen Wappen geben, öine Frau, die 
nicht lesen kann, die keine Ahnung hat, wie sie 
politisch denken soll. Das serbische Wappen 
tragen die Kinder, Weiber, Männer, alle und 
jetzt wird, meine Herren, in einem Lande, das 
eine so große serbische Minorität besitzt, gegen 
dieses serbische Wappen derart angekämpft. Die 
älteren Herren erinnern sich gewiß an den Ab¬ 
geordneten Gyurkovic, der oft in den Delegationen 
war, gewiß ein höchst konservativer und recht 
reichsfreundlicher Mann. Der hat schon im Jahre 
1894 im Agramer Landtag beweisen müssen, was 
die serbischen Wappen und was die serbischen 
Fahnen bedeuten, daß dieselben absolut nichts 
Politisches sind. Aber auch die Feuerwehrvereine 


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sind verdächtig, sie seien Agitationsherde. In 
einem Vereine, den einer der Angeklagten 
gegründet hat, sind komischerweise die Mehr¬ 
zahl der Mitglieder dieses Vereines Deutsche. 
Raiffeisenkassen sind auch politisch anrüchig. 
Nun kommt der Boykott der Kroaten: Die 
Serben, heißt es, boykottieren die Kroaten wirt¬ 
schaftlich. Es ist begreiflich, daß, sobald zwei 
kirchliche Gegensätze vorhanden sind, die 
Gläubigen sich auch wirtschaftlich organisieren 
und wir erleben es da, wo Katholiken und 
Protestanten neben einander leben, daß die 
Gegensätze nicht ohne gewisse Reibungen be¬ 
stehen. Sie können aber auch folgendes Argument 
hören, das ich selbst gehört habe. Da sitzt ein 
Angeklagter, der sich schon Monate in Haft be¬ 
findet ; abgehärmt kommt er aus dem Gefängnis. 
Er hat keine Krawatte. Nun frägt einer der 
Votanten tiefsinnig: Erklären Sie mir, warum 
Sie als gebildeter Mensch keine Krawatte tragen ? 
Man sieht die Verbissenheit; nicht einmal eine 
Krawatte will er tragen, weil sie an Kroate 
erinnert! (Große Heiterkeit.) Darauf allgemeines 
Gelächter im Prozeßsaale; denn dazu kann man 


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tatsächlich nur lachen. Aber der Staatsanwalt 
Accurti steht auf und verteidigt diesen Unsinn 
und findet in ihm ein richtiges Argument. (Er¬ 
neuerte Heiterkeit.) 

Oder! In der Anklageschrift finden Sie auch 
folgendes: In einem Dorfe hat einer behauptet, 
daß auch die Mutter Gottes eine Serbin war. 
Das war jedenfalls eine hochverräterische Meinung 
und wird darum gerügt. Oder folgendes, das 
geradezu unglaublich ist: In das Jodbad Lipik 
kommen sehr viele Syphilitiker, darunter auch 
Serben. Da war nun auch ein Offizier, der öfter 
in dieses Bad gekommen ist. In intimem Kreise 
hat man ihm, wie es hier wörtlich heißt, Herr 
Präsident gesagt, weil er eben so oft dort war. 
(Heiterkeit.) Die Worte: Herr Präsident! in 
intimem Kreise, das riecht nach — Hochverrat. 
(Erneuerte Heiterkeit.) 

So könnte ich Ihnen massenhaft unglaubliche 
Dinge Vorbringen. 

Ich will nun aber auch auf die schwer¬ 
wiegenden Beweise eingehen. Da ist vorerst das 
Bild des Königs Peter. Ich habe keine Gelegen¬ 
heit gehabt zu untersuchen, wie weit in den 


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Grenzgebieten solche Bilder tatsächlich in öffent¬ 
lichen und privaten Lokalen verbreitet sind. Ich 
weiß, an der Grenze Böhmens gegen Bayern und 
im Norden an der sächsischen Grenze haben wir 
viele Bilder der benachbarten Monarchen und 
es fallt niemanden als Hochverrat auf. Viele 
Leute kaufen sie auf Jahrmärkten und sind sieh 
einer politischen Bedeutung dieser Bilder gewiß 
nicht bewußt. 

Aber nun fragt man die Zeugen: Sie haben 
doch das Bild des Königs gesehen? Ja! Wo? 
In einer illustrierten Zeitung! (Heiterkeit.) Oder 
ein anderer wird gefragt: Haben Sie das Bild 
des Königs Peter gesehen? Ja! Welche Unter¬ 
schrift hat es gehabt? Peter Jurist! Das soll 
der serbische König sein. 

Weiter: Man hat darüber gesprochen und 
darüber wird deliberiert, ob die Serben im öster¬ 
reichischen Heere, wenn es zum Kampfe kommt, 
gegen ihre Brüder, die Serben, schießen würden. 
Da sollen nun irgendwelche serbische Soldaten 
gesagt haben, daß sie nicht schießen würden. 
Sie werden sich nun fragen, welche Soldaten 
waren es? Aber diese Soldaten sind nicht an- 


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geklagt. Nun frage ich: Ist jemand von den 
53 Angeklagten deshalb angeklagt, daß er das 
den Soldaten gesagt bat? Nein! Die Anklage 
macht eben nur Stimmung! 

Eine revolutionäre Bewegung muß heutzutage 
selbstverständlich auch mit Dynamitpatronen 
arbeiten, gut — es wird also einer angeklagt, 
Dynamitpatronen gehabt zu haben. Und er hat 
tatsächlich Dynamitpatronen gehabt: sein Be¬ 
diensteter aber hat mit dem Zeugen, der gegen 
ihn ausgesagt hat, diese Patronen versteckt, dann 
sind sie hinausgegangen und haben die Patronen 
verkracht. Denn es stellt sich heraus, daß in 
diesem Bezirke zu Sprengzwecken bis zu 15 
Kilogramm Dynamit verabfolgt werden kann; es 
könnte also jemand 120 solche Dynamitpatronen 
haben. 

Das sind so die wichtigsten Tatsachen, die 
in der Anklageschrift Vorkommen — auf Nastic 
werde ich gleich zu sprechen kommen. Fort¬ 
während hört man, daß eigentlich nur ein Ver¬ 
dacht ausgesprochen wird; häufig heißt es, daß 
aus diesen oder jenen Tatsachen muß „ge¬ 
schlossen“ werden können, oder es sei die 


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„Tendenz* sichtbar, in welcher zum Beispiel 
die serbische Fahne aufgehißt werde. Also die 
Tendenz, die Ansichten und Anschauungen werden 
angeklagt, aber es gibt keine Beweise für Hand¬ 
lungen, denn es soll doch, ich bitte nicht zu 
vergessen, bewiesen werden, daß in Kroatien 
revolutionäre, hochverräterische Organisationen, 
handelnde Organisationen, vorhanden sind. 

Und nun die Zeugen! Da ist einer, der als 
Mörder abgestraft wurde, hier aber als Zeuge 
erscheint, ein anderer hat 18 Monate bekommen, 
Individuen, von denen jeder, der sie nur ansieht, 
gleich wissen muß, wieviel es geschlagen hat. 
Und auch die Zeugen berichten nicht über 
Selbstgesehenes, Selbstgehörtes; immer wieder 
können Sie hören, daß er (der Zeuge) das, worum 
ihn der Richter fragt, nicht gesehen, nur gehört 
habe; „man“ hat darüber „im Volke“ gesprochen 
und dergleichen unklare, unkonkrete Anschuldi¬ 
gungen vernimmt man beständig. 

Und dann die Bildung der Zeugen, die zum 
Beispiel darüber entscheiden sollen, wieweit 
Kroaten und Serben verschiedene Nationen sind! 
Da gibt es zum Beispiel einen Zeugen, man 


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fragt ihn: „Also wie nennt man die andere 
Partei?“ Er antwortet: „Serben.“ „Und was sind 
Sie?“ „leb bin ein — Krainer und Kroate.“ 
Meine Herren — dieses Niveau der politischen 
Bildung und der Mann wird als Zeuge dafür 
geführt, daß es feindliche Beibungen zwischen 
Kroaten und Serben gibt. 

Oder ein berüchtigter Fall in Kostajnica. Da 
hat ein Individuum, das falsch aussagte, gegen 
sich selbst Denunziationen schreiben lassen. Es 
wurde konstatiert: der Diener dieses Zeugen 
hat sich selbst eine leichte Verwundung zuge¬ 
fügt, um gegen die Gegenpartei zeugen zu 
können! Unlängst, meine Herren, konnten sie 
in den Zeitungen lesen, daß ein Zeuge — das 
wurde genau konstatiert — vom Staatsanwalt 
und von der Regierung direkt als Spion und 
Agent provocateur angestellt wurde. Als Redak¬ 
teur Schlögel vom „Pokret“ mir dies telegra¬ 
phieren wollte, wurde sein Telegramm — ich 
bitte, die Freiheit von Ungarn und Kroatien zu 
beachten — inhibiert. Dieses Telegramm habe 
ich nicht bekommen, aber der Mann sitzt bis 
heute in Untersuchungshaft, weil er telegraphiert 


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hat, was in allen Zeitungen zu lesen war und 
notorisch richtig ist*). 

Ich will hier nicht darauf eingehen, daß die 
Richter alle, ebenso die Zeugen, zur Frank- 
Partei gehören. Die Angeklagten und Zeugen 
sind in der Regel Rivalen, kleine Leute, Kauf¬ 
leute, Gastleute usw., der kleinlichste Dorfklatsch 
ist da zusammengehäuft, um irgendwie Beweise 
zu bringen. Yon einer Organisation, von einer 
revolutionären, einer hochverräterischen Organi¬ 
sation ist nirgends eine Spur. 

Schon im Jahre 1906 im Monat Mai hat der 
Vizeban an alle Obergespäne ein Zirkular er¬ 
lassen, worin auf eine geheime revolutionäre 
Organisation in Kroatien und Slawonien auf¬ 
merksam gemacht wird, eine Organisation, die 
angeblich Waffen nach Bosnien lieferte. Man 
hat das ganz gewiß untersucht, aber im offenen 
Landtage mußte der Ban Graf Pejäcsevich den 
Inhalt des Zirkulars dementieren, daß es nichts 
Wahres enthalte. Ja, die Anklageschrift ist bei 
aller Schlechtigkeit unglaublich naiv. Da steht 


*) Inzwischen frei gelassen. 


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auf Seite 14 folgendes: Schon vom Jahre 1880 
sind alle diese „Erscheinungen“ sichtbar ge¬ 
wesen, man habe auch gewußt, daß ihre Quelle 
in Belgrad sei, aber die Regierung hat dem 
keine Aufmerksamkeit geschenkt. (Hört!) Erst 
seit dem Jahre 1906 — warum dieses Jahr an¬ 
gegeben wird, das werden wir auch hören — 
findet die Regierung ihre Bedenken. Also, meine 
Herren, seit dem Jahre 1880 hat diese unschul¬ 
dige ungarische Regierung, haben die Leute des 
Khuen-Hederväry das alles gesehen, aber dem 
keine Aufmerksamkeit geschenkt; sie wußten 
sogar, daß das alles aus Belgrad geleitet werde, 
aber es war nicht staatsgefährlich — auf ein¬ 
mal, im Jahre 1906, werden die Dinge staats¬ 
gefährlich und hochverräterisch! 

Diese kurze Charakteristik wird Ihnen, meine 
Herren, die Nichtigkeit des Agramer Prozesses 
dargelegt haben. Hochverrat, meine Herren, und 
53 Galgen! Ich habe mir die staats wissenschaft¬ 
liche Literatur eigens wieder durchgesehen. 
Über Hochverrat wird fast nicht mehr gehandelt. 
Meine Herren! Heutzutage über Hochverrat zu 
zu sprechen, ist eigentlich, möchte ich schon 


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sagen, ein Anachronismus. Zu Zeiten des Absolu¬ 
tismus finden Sie in den Gesetzen hochnotpein¬ 
liche Hochverratsparagraphen, aber nicht in einer 
Zeit und in Ländern, wo ein bißchen Freiheit 
existiert. Es ist zum Beispiel charakteristisch, 
in Mischler-Ulbrichs österreichischem Staats¬ 
wörterbuch finden Sie das Wort „Hochverrat“ 
nicht, ebenso nicht in dem Lehrbuche von Ul¬ 
brich usw. Aber in Ungarn, in Agram ist der 
Hochverrat in Ehren! Freilich, die Anklage¬ 
schrift gibt nicht genauer an, was für ein Hoch¬ 
verrat, welcher Grad, welche Qualität verfolgt 
wird: Wie weit handelt es sich um Landes¬ 
verrat, wie weit um Majestätsverbrechen, wie 
weit um faktischen Hochverrat, das alles müßte 
doch genau juristisch präzisiert werden. Nein, 
Hochverrat im allgemeinen, der Galgen... Wenn 
man diese armen Leute einen nach dem anderen 
fragt: Weist du, warum du angeklagt bist? — 
bekommt man von allen die Antwort: Nein, ich 
weiß es nicht. Sie verstehen nicht, was der 
Staatsanwalt, was der Präsident von ihnen will, 
verstehen nur eines, daß sie auf den Galgen 
kommen sollen. 


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Meine Herren! Ich glaube, Sie werden mir 
zugeben, daß die Führung dieses Prozesses, 
die Art und Weise, wie er formell und ma¬ 
teriell geführt wird, hier zur Sprache kommen 
durfte und mußte; ich habe das nur kurz 
getan, um seine Nichtigkeit zu zeigen, um 
zu beweisen, daß die politische Tendenz eines 
solchen Prozesses, weil er eben so schlecht 
fundiert ist, ebenso schlecht, ebenso verwerf¬ 
lich ist. 

(Präsident [unterbrechend]: Ich bitte, Herr 
Abgeordneter, gedenken Sie noch längere Zeit 
zu sprechen? 

Abgeordneter Dr. Masaryk: Ja, ich müßte 
noch länger sprechen. 

Präsident: Da es scheint, daß Sie gerade an 
einem Abschnitte Ihrer Rede angelangt sind, 
würde ich es Ihnen vielleicht nahelegen, wenn 
es Ihnen genehm wäre, die Rede jetzt zu unter¬ 
brechen und sie in der nächsten Sitzung fort¬ 
zusetzen. 

Abgeordneter Dr. Masaryk: Ich habe nichts 
dagegen, ich stimme zu.) 

Ich habe Ihnen in der letzten Sitzung 


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I 


— 33 — 

ein Bild des Prozesses in Agram gegeben*). 
Ich habe mich streng an die Anklageschrift und 
an unwiderlegt publizierte Tatsachen gehalten, 
und zwar habe ich nur einige typische, die 
Sache allgemein charakterisierende Fälle vorge¬ 
führt und vieles Detail weggelassen. Wenn zum 
Beispiel gerufen worden sein soll: „Es lebe 
König Peter!“ oder wenn behauptet wird, es 
sei da und dort in einem Zimmer eines Gast¬ 
hauses eine geheime Sitzung arrangiert worden 
oder es habe da und dort eine Rauferei zwischen 
Serben und Kroaten stattgefunden, so ist das 
alles nur Detail. Mir handelt es sich um das 
Typische, um das den Prozeß Charakterisierende 
und die Position, die ich einnehme, ist, daß ein 
so schlecht und so unwahr geführter Prozeß 
nicht einer guten und wahren Sache dienen 
kann. 

Ich bitte zu bedenken: Durch den Agramer 
Prozeß soll bewiesen werden, daß es auf kroa¬ 
tischem Gebiet eine hochverräterische Abfalls- 


*) Von hier ab das stenographische Protokoll der 
21. Sitzung vom 17. Mai 1909. 


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bewegung gibt, die durch revolutionäre Mittel 
Gebiete von Kroatien abtrennen und an Serbien 
oder einen zukünftigen serbischen Großstaat 
angliedem will. Halten Sie sich, meine Herren, 
gegenwärtig, daß nach dieser Anschuldigung 
Kroatien ein großes Netz von revolutionären 
Organisationen haben soll und daß, wie in der 
Anklageschrift behauptet wird, nur die Annexion 
imstande war, diese große Bewegung dadurch 
zu unterdrücken, daß sie dieselbe überrascht 
hat. Wenn Sie nun die »Erscheinungen“ der An¬ 
klageschrift, die ich vorgeführt habe, dagegen 
halten, so werden Sie zugeben, daß meine Stel¬ 
lung in der Sache die richtige ist. 

Ich habe erwartet, daß von verschiedenen 
offiziellen und nichtoffiziellen Seiten gegen mich 
Dementis geschrieben werden. Gestern haben 
Sie in der „Neuen Freien Presse“ eines dieser 
Dementis von Herrn Frank gelesen, welches tat¬ 
sächlich das, was ich gesagt habe, vollinhaltlich 
bestätigt. Ich habe gesagt: Es war das keine 
politische Versammlung, deren Beschluß er dem 
Präsidenten Pattai telegraphiert hatte, sondern 
man hat einem Journalisten einen Abschieds- 


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35 


abend gegeben. Das bestätigt Herr Frank, in¬ 
dem er sagt, es sei „auch“ ein Abschiedsfest 
gewesen, aber es habe keinem Journalisten, 
sondern einem Abgeordneten gegolten. Ich kon¬ 
statiere, daß das Abschiedsfest dem Hauptredak¬ 
teur des Journals des Herrn Frank, Herrn Za- 
tluka gegeben wurde. Wer Herr Frank ist, 
werde ich noch bei Gelegenheit sagen. (Bravo!) 

Vorläufig nur eine Tatsache; er hat gestern 
nach meiner Bede in seinem Journal geschrieben 
oder schreiben lassen, daß die tschechischen Ge¬ 
lehrten und Journalisten von Belgrad aus gut 
geschmiert werden, also alle tschechischen Ge¬ 
lehrten und Journalisten sind — gezahlte Hoch¬ 
verräter ! 

Heute haben Sie auch eine Art Dementi, ich 
weiß nicht, ob es ein Dementi oder eine Dro¬ 
hung ist, des Herrn Tarabocchia, des Präsi¬ 
denten des Agramer Senats, gelesen. Ich wieder¬ 
hole, daß das, was ich gesagt habe, richtig ist. 
Er behauptet, er sei nicht in Diszipinarunter- 
suchung gewesen und sei es auch jetzt nicht: 
wenn jemand in seiner Stellung, während der 

Führung des Prozesses, in dem „Caf6 Korso“ 

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36 


ganz betrunken vor dem Publikum gegen die 
Serben spricht und sagt: Die Kerle müssen ver¬ 
urteilt werden! wenn, sage ich, ein solcher Be¬ 
amter nicht in Disziplinaruntersuchung kommt, 
so glaube ich, zur Ehre selbst der Agramer 
Justiz zu sprechen, wenn wahr ist, was ich be¬ 
hauptet habe. Und es ist wahr*). 

4. Ich habe Ihnen die von der Anklage ge¬ 
nannten „Erscheinungen" angeführt, aus denen 
gefolgert wird, daß eine große revolutionäre 
Organisation auf kroatischem Gebiet bestehe. 

*) Ich konstatiere nochmals, daß bis jetzt (ich 
schreibe das am 9. Juni, also fast einen Monat nach 
meiner ersten Rede) keine einzige von den vorge¬ 
brachten Tatsachen widerlegt wurde. Herr Tara- 
bocchia war Staatsanwalt in Beiovar; wegen seiner 
Alkoholexzesse wurde er nach Gospid versetzt und Gospid 
ist eine bekannnte Strafstation für Beamte; aber für 
den Prozeß in Agram hat man den Herrn gebraucht 
und so wurde er denn zum Vizepräsidenten der Agramer 
Gerichtstafel ernannt, wobei er 34 Richter über¬ 
sprungen hat. Der Staatsanwalt Accurti hat 39 Kollegen 
übersprungen — ja man brauchte in Agram solche 
„Richter“! 

Nach meiner Rede hat der Präsident der Gerichts- 


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Die Anklage sagt: Alle diese Erscheinungen 
seien identisch und darum die Folge einer or¬ 
ganisierten Arbeit, die nach einem einheitlichen 
Programm ausgeführt wird. Der Agramer Staats¬ 
anwalt vergißt: halbwegs gebildete Menschen 
wissen doch, was ein Turnverein oder eine Raiff¬ 
eisenkasse ist und wie dieselben eingerichtet sein 
müssen; gebildeteMenschen lesen doch auchZeitun- 
gen, erfahren, was da oder dort unternommen wird 
und machen es nach — selbstverständlich werden 
darum solche „Erscheinungen“ überall konform 

tafel in Agram an die Mitglieder des Senates, die den Hoch¬ 
verratsprozeß führen, ein Verbot erlassen, durch welches 
denselben jeder nächtliche Besuch öffentlicher Lokale 
für die Dauer des Prozesses strengstens untersagt wird!! 

Der Untersuchungsrichter Kosutiö hat mir in einem 
Briefe, der von den rohesten Verbalinjurien strotzte, 
vorgeworfen, er habe nie ein Protokoll gefälscht; ich 
habe den Brief in den Agramer Blättern veröffentlicht 
und es wurde in denselben sogleich der stringente Be¬ 
weis erbracht, daß meine Behauptung wahr ist. Herr 
Dr. Kosutiö hat tatsächlich Protokolle gefälscht und er 
wurde dafür nach erfolgter Disziplinaruntersuchung von 
der Banaltafel gemaßregelt. Dieser Dr. Kosutiö ist NB. 
— Dozent an der Agramer Universität!! 


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sein, dazu ist doch kein Plan des hochverräterischen 
Belgrader Komitees nötig. Aber es heißt weiter: 
Vom Jahre 1903 sei die großserbische Propa¬ 
ganda besonders energisch gewesen; im Jahre 
1903 sei König Peter auf den Thron gestiegen, 
in diesem Jahre sei der Verein „Slovenski Jug“ 
begründet worden und nun habe die hochverräteri¬ 
sche Propaganda auf österreichischem Gebiete be¬ 
gonnen. Dieser Verein „Slovenski Jug“, sagt 
die Anklageschrift weiter, habe im Jahre 1903 
den slawischen Süden revolutioniert, die revo¬ 
lutionäre Arbeit organisiert, und zwar auf zweier¬ 
lei Art, indem einmal der großserbische Ge¬ 
danke propagiert, dann aber eine allgemeine 
südslawische Revolution, welcher die militäri¬ 
sche Hilfe des Königreichs Serbien versprochen 
war, inauguriert wurde. Die Beweise für diese 
Anklage seien: die Broschüre des Nastid: Das 
„Finale“ und besonders das „revolutionäre 
Statut“ ; die Aussage des Nastid vor Gericht, die 
unter Eid abgelegt wurde; die Tendenz des 
Wochenblattes „Slovenski Jug“ und das Material, 
welches in der Anklageschrift vorgebracht werde. 

Aus alle dem wird schließlich gefolgert: Da- 


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mit ist die großserbische Propaganda offen auf 
das hochverräterische Gebiet getreten. 

Ich habe schon aufmerksam gemacht, daß 
das Jahr 1906 im Prozeß eine große Bedeutung 
hat; von da aus soll in Kroatien die revolutionäre 
Organisation besonders energisch aufgetreten sein. 
Jetzt haben wir noch das Jahr 1903, die Thron¬ 
besteigung des Königs Peter. Merken wir uns 
diese zwei Daten, sie sind wichtig, wie Sie sich 
überzeugen werden. 

Wir kommen nun zum Kronzeugen Nastic, 
seinem „Finale“ und dem „Statut“. Für die 
Herren, die sich mit der Sache nicht so ein¬ 
gehend beschäft haben, einige Daten: „Finale“ 
ist die Broschüre, über deren »Inhalt ich ein 
paar Worte sagen muß, das „Statut“ (genauer: 
„Statut der südslawischen revolutionären Organi¬ 
sation“*) ist, wie Sie sehen, eine Beigabe des 
„Finale“. Nastic behauptet, dieses Statut sei das 
organisatorische Statut der großserbischen, von 

*) So gibt Nastiö den Titel auf der Beilage; im 
Original heißt der Titel: „Provisorisches Statut der 
Organisation zum Zwecke der Befreiung der Südslawen 
(Slowenen, Kroaten und Serben).“ 


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Belgrad aus geleiteten Organisation. Es sind 
alle Paragraphen des Statuts abgedruckt; auf 
der anderen Seite der Beilage sind noch einige 
Briefe abgedruckt, aus welchen Nastid seine 
weiteren Folgerungen zieht. Beigegeben wurde 
das Facsimile, um besonders die Identität der 
Handschrift des Milan Pribißevid, der das Statut 
geschrieben hat, zu beweisen. 

Nastid gibt sieb selbst, wenigstens vor dem 
Gerichte in Cetinje, als Philosophen aus; er ist 
im Dezember 1906 nach Belgrad gekommen, 
wie er selbst gesteht, mit revolutionären Inten¬ 
tionen, voll revolutionärer Begeisterung; er hat 
in Belgrad mit Hilfe einiger Herren eine 
Broschüre „Die Jesuiten in Bosnien“ heraus¬ 
geben können und durch diese Broschüre, die 
vielleicht, ich weiß es noch nicht ganz genau, 
gegen den Erzbischof Stadler gerichtet war, 
hat er sich in der Gesellschaft Belgrads einen 
gewissen Namen gemacht. Er ist in den „Slawi¬ 
schen Süden“ eingetreten und er behauptet, er 
habe dort seine revolutionären Ideen propagieren 
können, weil er dort sehr viele revolutionär 
gesinnte, gleichgesinnte Männer gefunden hat. 


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Den „Slovenski Jug“ nennt er eine Expositur 
des Hofes, speziell des Königs Peter, des Kron¬ 
prinzen Georg, eines nahen Verwandten des 
Königs, des Hauptmannes Jasa Nenadovic, und 
vieler anderer. Er behauptet, es seien mehrere 
Konferenzen abgehalten worden und er bringt 
auch die Daten dieser Konferenzen vor. Er habe 
in Kragujevac in das königliche Arsenal Zutritt 
erhalten, um Bomben für den revolutionären 
Verein zu bekommen und er habe auch tatsäch¬ 
lich Bomben bekommen, die er in den Verein 
in Belgrad gebracht habe. Den Zutritt ins Arsenal 
habe der Hauptmann Nenadoviö auf die Empfeh¬ 
lung des Kronprinzen Georg vermittelt. 

Nachdem auf direktes Anstiften des Königs 
Peter der Plan gefaßt wurde, den Fürsten Nikola 
von Montenegro zu töten, weil dieser dem Kara- 
georgeviö zur Realisierung des südslawischen 
Planes im Wege stand und weil darum die Bomben 
gegen Montenegro benutzt werden sollten, habe 
Nastiö, der mit diesem Plane nicht übereinstimmen 
konnte, Belgrad verlassen, den Fürsten Nikola 
gewarnt und deshalb auch das „Finale“ ge¬ 
schrieben und überhaupt die ganze Sache klar- 


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gelegt, um die Serben politisch auf bessere Wege 
zu bringen. 

Nastid ist also schon im September wieder 
nach Sarajevo, seiner Vaterstadt, gegangen. Dann 
war (Frühjahr 1908) der Prozeß in Cetinje. Nastic 
hat eine Broschüre geschrieben „Meine Affairen“, 
um diesen Prozeß und seine Aussagen vor dem 
Gerichtshof in Cetinje zu verteidigen; das „Finale* 
erschien Ende Juli (1908); dann hat er noch 
(September 1908) eine Broschüre, deutsch, „Wo 
ist die Wahrheit“, geschrieben, wo der Inhalt 
des „Finale“ kurz wiederholt wird und einige 
Angriffe abgewiesen werden. 

Was das Statut und die Belgrader revolu¬ 
tionäre Organisation anbelangt, so ist die Haupt¬ 
sache die, daß — ich bitte das festzuhalten — 
seit dem Jahre 1903 König Peter, die Dynastie 
und ihre Leute, die großserhische Bewegung 
mittels des Slovenski Jug leiten. Dieses Statut — 
ich muß Sie mit einigen Namen belästigen — 
ist, behauptet Nastid, von einer großen Konferenz 
der Mitglieder des Slovenski Jug anfangs Dezem¬ 
ber (1907) angenommen worden; geschrieben, 
respektive abgeschrieben ist es von dem Ober- 


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leutnant Milan Pribicevid. Das ist der Bruder 
dreier in Agram, also in Kroatien lebender Pri- 
biöevide und daraus wird dann die Folgerung 
gezogen, daß die Pribicevide in Kroatien durch, 
ihren Bruder yon dem Statute gewußt haben, 
daß speziell die selbständige serbische Partei, 
deren Anhänger diese drei Pribicevice sind, die 
revolutionäre Organisation in Kroatien geleitet 
haben. Gravierend ist dabei der Umstand, daß 
Milan Pribidevid als Oberleutenant aus dem öster¬ 
reichischen in das serbische Heer übertreten ist, 
Svetozar Pribicevid ist der Bedakteur des „Srbo- 
bran“, des Organs der selbständigen serbischen 
Partei. 

Die Anklageschrift legt dem Finale und dem 
Statut die größte Wichtigkeit bei. Zweimal wird 
der Inhalt des Finales vorgebracht und Nastid 
wurde beeidigt, daß das Finale als Ganzes und 
in den einzelnen Teilen wahr ist. 

Man hat über Nastid schon viel geschrieben. 
Sie haben eine deutsche Schrift der Agramer 
Verteidiger, in der er als Agent provocateur 
hingestellt wird, usw. Ein Angeklagter bat gesagt, 
er handle, wie er gehört habe, mit Häuten, dabei 


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hat er an Menschenhäute gedacht; der Mann 
hat dafür zwei Tage Einzelhaft und zwei Fast¬ 
tage bekommen. Ich selbst habe eine ganze 
Studie über ihn von einem bekannten Belgrader 
Arzt, der ihn beobachtet und alles notiert hat, 
denn er wurde sehr bald in Belgrad verdächtig; 
ich könnte auch von dieser Seite über den Mann 
so manches sagen, aber das ist nicht meine Sache. 
Ich halte mich an die im Prozesse von ihm 
gelieferten Tatsachen und ich werde Ihnen 
zeigen, daß man dem Mann nicht trauen darf. 
Er sagt nicht die Wahrheit, er entstellt die Tat¬ 
sachen, ja ich darf sagen und habe Beweise 
dafür, daß er lügt. Er ist der Typus eines ober¬ 
flächlichen Menschen; seine Urteile, die Kon¬ 
statierungen der Tatsachen sind — das sieht 
jeder gleich und ich werde Ihnen einige Beweise 
vorführen — sehr ungenau, Widersprüche sind 
fort und fort aufzudecken. Man merkt auch eine 
Tendenz, die ganz besonders charakteristisch ist, 
wie er aus Nichtigkeiten, zum Beispiel aus Privat¬ 
briefen, die er veröffentlicht, etwas Wichtiges 
machen will, was sachlich absolut nicht gerecht* 
fertigt ist. Er ist überaus unpräzis, und wenn 


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er vor eine Frage gestellt wird, dann spricht er 
immer anders. Er sagt zum Beispiel — und sucht 
dies in seinem „Finale“ ganz besonders zu be¬ 
weisen — daß die ganze Bewegung, speziell 
auch das terroristische Attentat gegen den Fürsten 
von Montenegro, vom König und von der Dynastie 
in Serbien inauguriert wurde. Das hat er auch 
als Zeuge in Getinje ausgesagt. Als ihn einer 
seiner Freunde deshalb zur Rede stellte, schrieb 
er am 15. Juni 1908 einen Brief, worin er seine 
ganz unzweideutige Aussage abzuschwächen sucht, 
er habe den König nicht derart angeklagt. Kurz, 
ein absolut nicht verläßlicher Mensch, ein Lügner I 
Mehr will ich nicht sagen. 

Wenn Sie das „Finale“ und das Statut halb¬ 
wegs aufmerksam lesen, so sehen Sie, daß das 
Ganze ein ganz gewöhnlicher politischer Klatsch 
ist, nichts mehr. Wer ist der Autor des Statuts? 
Im „Finale“ heißt es, Milan Pribiöeviö sei be¬ 
ordert worden, es auszuarbeiten; es wird aber 
auch schon von Verfassern, also nicht von einem 
Verfasser, gesprochen. In der beeideten Aussage 
in Agram hat Nastid ausgesagt, daß das Statut 
aus den Beratungen der Mitglieder des „Slovenski 


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Jug“ hervorgegangen ist. In der Broschüre „Wo 
ist die Wahrheit ?“ heißt es aber ausdrücklich, 
es sei im serbischen Ministerium des Äußern 
ausgearbeitet worden, es sei nicht die Tat des 
Milan Pribiöevi6, im Statut seien einige Ideen 
des Milan Pribiöeviö und auch von Nastid. 

Sie sehen schon daraus, daß der Mann nicht 
weiß, was für eine Bewandtnis es eigentlich mit 
dem Statut hat. Nun, meine Herren, dieses 
Statut ist kein Statut, es war nie und ist nicht ein 
Statut des Südslawischen Jug, es ist niemals von 
irgendeiner Konferenz, sei es einer größeren oder 
kleineren, angenommen worden; es ist ein ganz 
persönliches Elaborat, es ist ein ganz persönlicher 
Antrag, d. h. der Entwurf eines südslavischen Pro¬ 
grammes eines Einzelnen. Es wird im Titel selbst 
ausdrücklich als provisorisch hingestellf und am 
Schlüsse lesen Sie (p. 79, „Finale“), daß es der 
Plan einer erst ins Werk zu setzenden Agitation 
und Propagation sein soll. Ich kenne die Pro¬ 
venienz des Statuts ganz genau, ich weiß, wer der 
Autor ist, wer es geschrieben hat, wann und wie. 
Ich werde das selbstverständlich nicht sagen, weil 
das Sache der Ankläger ist, die ihr Beweis- 


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material auf das Statut basieren. Sie brauchen 
übrigens, wie gesagt, nur Nastids „Finale“ auf¬ 
merksam zu lesen, um sich von dem Gesagten zu 
überzeugen. Er behauptet, dieses Statut sei an¬ 
fangs Dezember auf einer großen Konferenz der 
Mitglieder angenommen worden und er nennt 
(p. 54) unter den Mitgliedern dieser Konferenz 
auch den Präsidenten des Vereines. Aber er ist 
so naiv, daß er an einer anderen Stelle erzählt, 
daß der Präsident anfangs Dezember — Nastid 
veröffentlicht doch dessen Brief, der anfangs 
Dezember in Brüssel aufgegeben wurde! — 
schon von Belgrad abwesend war, ebenso ist 
er selbst nicht mehr dagewesen, auch der 
Hauptmann Nenadovi * (nach Nastid der Haupt¬ 
macher !) und andere waren schon nicht mehr in 
Belgrad. Tatsächlich hat die große konstituierende 
Konferenz anfangs Dezember (1907) nicht statt¬ 
gefunden ; die von Nastid genannten Teilnehmer 
dieser Konferenz können alle ihr Alibi er¬ 
weisen! Man sieht aus dem „Finale“ allein, daß 
eben dieses Statut — darum handelt es sich ja 
hauptsächlich — nicht das Statut eines revo¬ 
lutionären Vereines war und von ihm auch nie 


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angenommen wurde, sondern — ich konstatiere 
es nochmals — es ist nichts anderes als, sage 
ich, die Fleißaufgabe eines ziemlich unklaren 
Kopfes, der eine südslawische Organisation erst 
schaffen wollte. 

Nastic behauptet, dieses Statut sei das Statut 
eines revolutionären Vereines, der die Dynastie 
Karageorgevich emporbringen will und im Inter¬ 
esse der Dynastie Karageorgevich arbeiten soll. 
Davon ist im Statut keine Spur, sondern im 
Gegenteil, das Statut ist revolutionär, es ist 
antidynastisch, es ist direkt für eine republikani¬ 
sche Zusammenfassung des Südens geschrieben. 
Natürlich gibt sich Nastic die Mühe, das als 
Phrasen im Statut hinzustellen, um angeblich 
die Mitglieder außerhalb Serbiens zu kapitivieren. 
Lesen Sie das „Finale“ — Sie haben ja eine 
deutsche Übersetzung — und Sie werden sehen, 
es ist de facto alles andere, nur nicht ein Plan, 
der für den König Peter arbeiten soll. 

Was die Revolution anbelangt, so wird im 
Statut ausdrücklich gesagt — Seite 62 des „Fi¬ 
nales a — daß Attentate nahezu unmöglich und 
ergebnislos wären; es wird ausdrücklich gesagt, 


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daß man an einen revolutionärem Kampf in 
Ungarn nicht denken soll. Es steht weiter darin: 
In Kroatien und Dalmatien soll man nur demo¬ 
kratische Politik treiben, bezüglich der sloweni¬ 
schen Länder wird gesagt, man soll die frei¬ 
denkenden Elemente unterstützen und nur gegen 
Montenegro, gegen die Türkei und gegen Bosnien 
kann, wenn es nötig ist, der Terror benützt 
werden. Das Statut zeigt Ihnen also klar, daß 
auf österreichischem Gebiete von einer Revolu¬ 
tion, von einem Terrorismus und davon, was in 
der Anklageschrift steht, keine Rede ist. Tatsäch¬ 
lich hat das Organ der Starcevicpartei, „Qrvatska 
Sloboda“ (10. Aug. 1908), gesagt, daß in dem 
Statut eigentlich Ideen sind, welche als gro߬ 
kroatische Ideen nicht weit von dem Ideale von 
Ante Staröevid seien. In der Tat ist es im Wesen 
gleich, ob man diese Ideale großkroatische oder 
großserbische nennt. Das Statut ist eben 
der Ausdruck der politischen Einsicht, daß 
die Südslawen, speziell die Serben und Kroaten 
ihre Zerbröckelung aufgeben wollen. Dafür ist 
nun das Statut eine Art Anleitung, eine rein 

theoretische Anleitung, kein Statut einer schon 

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bestehenden Organisation. (Abgeordneter Neu¬ 
mann: „Wo ist das Original des Statute?*) Ich 
komme noch darauf. 

Über die Bombenaffare bin ich auch genau 
unterrichtet, ich werde gleichfalls aus dem an¬ 
geführten Grunde nicht sagen, was ich weiß. 
Das ist Sache derjenigen, die behaupten, daß in 
dem „Slovenski Jug“ terroristische Attentate 
speziell auch auf österreichisch-ungarischem Ge¬ 
biete vorbereitet wurden. Alles das, wie es Nasti<5 
darstellt, ist unrichtig. Ich habe hier ein Mani¬ 
fest des Nastic, ein ganz interessantes Dokument, 
eigenhändig von ihm geschrieben: An Seine Maje¬ 
stät den Kaiser und König Franz Joseph. Es ist 
ohne Datum (Datum des Poststempels, heißt es). 
Aber aus dem Texte sieht man, daß es im Jahre 
1906 vor seiner Ankunft in Belgrad geschrieben 
ist und, meine Herren, in diesem angeblich 
an den Kaiser gerichteten Manifest wird schon 
gedroht, daß mit Bomben und Attentaten vorge¬ 
gangen werden wird, also in einer Zeit, wo Nastic 
noch nicht über die Bomben in Kragujevac hat 
unterrichtet sein können. Und dieses angeblich an 
den Kaiser geschickte Manifest ist unterschrieben: 


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„Exekutivkomitee der bosnisch-herzegowinischen 
revolutionären Partei in Wien.“ Psychologisch 
ist es interessant, daß der Mann, bevor er nach 
Belgrad kommt, schon seine Phantasien mit den 
Bomben, Attentaten usw. erfüllt hat. Es ließe 
sich ja konstatieren, ob dieses angebliche Mani¬ 
fest des Nastid an den Kaiser geschickt worden ist. 

Ich werde weitere Schlüsse aus diesem psycho¬ 
logisch wichtigen Dokumente nicht ziehen und 
will nur jetzt zur Bekräftigung dessen, was ich 
schon über das revolutionäre Statut gesagt habe, 
kurz meine Erfahrungen Vorbringen, die ich an 
Ort und Stelle in Belgrad selbst gemacht habe. 

Ich wurde natürlich auch denunziert, daß 
und warum ich nach Belgrad gegangen bin. Ich 
habe in Agram über sehr wichtige Dinge nichts 
erfahren können. Es herrscht jetzt eine solche 
Angst in Agram, daß sich, als ich gebeten habe, 
es soll einer der Herren Verteidiger hingehen 
und einiges, was ich brauche, untersuchen, nie¬ 
mand dies zu tun getraut hat, um nicht Material 
für den politischen Klatsch und die Anklage zu 
liefern: deshalb bin ich selbst nach Belgrad ge¬ 
gangen und selbstverständlich bin ich dort ganz 

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öffentlich aufgetreten. Zwei Dinge sind es, die 
mich interessiert haben. Vorerst die Frage: 
Was ist’s denn mit diesem „Slovenski Jug“, mit 
dieser angeblichen revolutionären Geheimorgani¬ 
sation P Die Geschichte des „Slovenski Jug* ist 
kurz folgende. Nastid behauptet, wie Sie sich 
erinnern, daß dieser „Slovenski Jug“ im Jahre 1903 
gegründet wurde, als König Peter zur Herrschaft 
kam. Die Tendenz ist, das Jahr 1903 als das 
ausschlaggebende hinzustellen. Das ist falsch. 
Der „Slovenski Jug“ wurde im Jahre 1902 ge¬ 
gründet, und zwar war es ein einfacher, kaum 
lebensfähiger Studentenverein und sonst gar 
nichts, ein Studentenverein, der nicht nur keine 
dynastische Propaganda im Auge hatte, sondern 
im Gegenteil eher antidynastisch, revolutionär, 
wenigstens demokratisch gesinnt war. 

Im März des Jahres 1902 sind gegen die 
Regierung — damals herrschte noch König Ale¬ 
xander — von diesem Klub Demonstrationen 

/ 

arrangiert worden, bei denen 73 Leute ver- 
wundet, und einige, glaube ich, getötet wurden. 
König Alexander hat diesen Klub aufgelöst, den 
nächsten Tag aber wiederum erlaubt, aber die 


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Polizei hat nach den Ferien, im Jahre 1902, 
nicht erlaubt, daß der Klub fortbestehe. Er hat 
nämlich den verfänglichen Namen „Demokrati¬ 
scher Verein“ gehabt, in der Not hat man ihm 
darum den unverfänglichen Titel „Slovenski 
Jug“, „Slawischer Süden“, gegeben und so wurde 
er gestattet. 

Und nun bitte ich, die Tätigkeit des Ver¬ 
eines, die ich auf Grund der Protokolle kon¬ 
statiert habe, zu beachten. Also ich konstatiere: 
Die Mitglieder waren lauter Studenten. Diese 
Studenten haben sich an die griechischen und 
rumänischen Studenten gewendet; man hat mit 
bulgarischen Studenten Vereinbarungen getroffen, 
aber vorläufig nicht mit österreichischen. Und 
was wichtig ist, man hat die Autonomie der 
einzelnen südslawischen Länder proklamiert, 
also etwas, was entschieden gegen die gro߬ 
serbische Idee, in dem Sinne, wie sie Nastic 
und die Anklage behaupten, gerichtet ist. Man 
hat die Autonomie nicht nur Mazedoniens, 
sondern — ich bitte das zu beachten — sogar 
Bosniens und der Herzegowina proklamiert — 
dafür sind die jungen Leute in Belgrad von der 


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offiziellen Gesellschaft als Landesverräter hin¬ 
gestellt worden. 

Im Jahre 1904 fand eine Verbrüderung der 
bulgarischen und serbischen Studenten statt, 
diese sind nach Sofia, jene nach Belgrad ge¬ 
gangen — also eine Verbrüderung mit den Bul¬ 
garen, während das revolutionäre Statut die 
Bulgaren geradezu aus dieser angeblich revolu¬ 
tionären Organisation ausscheidet. Kurz der 
„Slovenski Jug* war ein radikaler — serbisch¬ 
radikal müssen Sie sich natürlich vorstellen — 
Studentenverein, republikanisch gesinnt. Und 
das ist für serbische Verhältnisse gar nichts 
Merkwürdiges. Es hat sich zum Beispiel heuer 
ein republikanischer Studentenverein konstituiert, 
der ein Organ herausgibt, das „Republik“ heißt. 
Sie müssen eben mit den serbischen Verhält¬ 
nissen rechnen, wenn da über Demokratie, Re¬ 
publikanismus und Radikalismus gesprochen 
wird. Jedenfalls waren die Mitglieder des Ver¬ 
eines keine Royalisten, die für die Karageorge- 
vich, sei es für König Peter oder für den Kron¬ 
prinzen Georg, gearbeitet hätten. 

Im Jahre 1904 hat die Majorität der Stu- 


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denten, die den Verein begründet hatten, ab¬ 
solviert; der Verein ist immer mehr ein bürger- 
hoher Klub geworden. Die Studenten haben 
kein Geld gehabt, man hat auch das Wochen¬ 
blatt nicht gut herausgeben können, man hat 
also versucht, daß Bürger, speziell Professoren 
und Künstler, dem Verein beitreten. Man hat 
das getan, damit der Verein Geld habe; man 
hat Kunstausstellungen veranstaltet, dann ist 
(1906) ein Lesezimmer eröffnet worden — das 
war der „Slovenski Jug“. 

Und wie antiösterreichisch der Verein war, 
dafür habe ich folgendes aus den Protokollen 
konstatiert. Im Jahre 1906, bei einer großen 
Feierlichkeit, welche der „Slovenski Jug u als 
größtes studentisches Organ leiten sollte, hat 
der Präsident des Vereines einen Redner des maze¬ 
donischen Komitees nicht zugelassen, weil der 
Verein nicht politisch sei. Und am 9. März 1906 
hat ein Mitglied den Antrag gestellt, daß der 
Verein für das Bündnis mit Österreich und nicht 
mit Bulgarien arbeiten solle. Ein solcher anti¬ 
österreichischer Verein, meine Herren, war dieser 
„Slovenski Jug“. (Hört!) 


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Er ist übrigens im Herbst vorigen Jabres 
an der studentischen Krankheit, an dem Mangel 
an Mitteln, gestorben; das Lesezimmer und das 
Blatt haben aufgehört zu existieren. NB. der 
Verein hört auf in dem Augenblicke zu exi¬ 
stieren, in welchem nach der Proklamierung 
der Annexion seitens Österreich-Ungarns seine 
eigentliche Tätigkeit erst hätte beginnen sollen! 

Aus dem Präsidenten dieses Vereines — er 
heißt Ljuba Jovanovic — haben Nastiö und die 
Anklage und auch einige Blätter eine fürchter¬ 
liche, große, politische Persönlichkeit gemacht. 
Das ist aber ein einfacher Student, der glücklich 
war, daß ihm die Regierung ein Stipendium ge¬ 
geben hat und er nach Brüssel zu seiner Aus¬ 
bildung gehen konnte. 

Nastid bringt zwei Briefe dieses Jova¬ 
novic im Faksimile als Beweis dafür, wie revolu¬ 
tionär der Mann war und welche Rolle er ge¬ 
spielt habe. Jovanoviö schreibt ihm, er habe seine 
Bibliothek da und da gelassen, er fragt Nastiö 
in einem Brief, ob er noch über Schillers 
„Glocke“ nachdenke — Nastiö ist nämlich ein 
Germanist und hat tatsächlich über Schillers 


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„Glocke“ Studien gemacht — und warnt ihn 
vor Nikola. 

Der Brief ist — sagt Nastic — allegorisch 
zu nehmen. „Meine Bibliothek“, das bedeute den 
Rest der Bomben und „Schillers Glocke“ bedeute 
die revolutionäre Arbeit. Nein, meine Herren, 
das bedeutet wörtlich, was im Briefe steht und 
dieser Nikola, vor dem er ihn warnt, ist nicht, wie 
Nastid behauptet, der Fürst Nikola, sondern Nikola 
Jovicevid, der Polizeichef in Centinje, mit dem 
Nastid in Semlin zusammengekommen ist und mit 
dem er seine weiteren Pläne gemacht hat. Ich muß 
noch erwähnen, daß dieser Ljuba Jovanovic na¬ 
türlich nicht identisch ist mit dem Professor 
und Präsidenten der Skupschtina Ljuba Jova- 
novic, wie auch schon behauptet wurde. Ich 
habe auch Ljuba Jovanovic, den Präsidenten der 
Skupschtina, gefragt, welche Rolle er im „Slo- 
venski Jug“ gespielt hat. Er ist ihm als einem 
Studenten verein beigetreten, aber er war nie, 
so behauptet er, in den Lokalitäten desselben. 
Übrigens ist das ganz nebensächlich. Ich will 
nur zeigen, wie aus Unkenntnis und Absicht 
wegen eines einfachen Studenten der Präsident 


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der Skupschtina in Mitleidenschaft gezogen 
wurde. 

Gestern habe ich im „Vaterland“ ein Tele¬ 
gramm aus der „Vossischen Zeitung“ gelesen, 
daß im südslawischen Klub — das ist der „Slo- 
venski Jug“ — ein Femgericht abgehalten 
wurde. Meine Herren! Ich konstatiere, daß der 
Klub seit vorigem Jahre nicht existiert. Sie 
sehen, wie systematisch fort und fort gelogen 
wird *). 

Über die Person des Milan Pribicevic habe 
ich mich auch genau informiert, er ist absolut 
nicht der Mann, den Nastic aus ihm gemacht hat. 

Herr Milan Pribicevic ist als österreichischer 
Oberleutnant in die serbische Armee überge¬ 
treten; diesen Übertritt hat er mit Wahrung aller 


*) Zu beachten] ist, wie Nastiß im „ Wo ist die 
Wahrheit?* seine Aussprüche im „Finale* korrigiert: 
Hinter dem Klub, sagt er (p. 18), verbergen sich 
die Vertrauensmänner der serbischen Regierung, er 
habe (im „Finale“) immer nur von einer Gruppe der 
Klubmitglieder gesprochen. jHinter“ dem Klub: derart 
kann man jedes Kaffeehaus in Belgrad zu einem Ge¬ 
heimbund machen! 


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Formalitäten durchgeführt. Nach sein er Anmeldung 
in Serbien — im Jahre 1903 — mußte er anderthalb 
Jahre warten, bis er angenommen wurde; er ist 
jetzt Oberleutnant, obwohl er schon ein Jahr bis 
Hauptmann sein sollte. Sein Gesuch an die 
Skupschtina, daß ihm die in Österreich gedienten 
Jahre eingerechnet werden, ist bis jetzt (seit 
1905) unerledigt geblieben — kurz und gut, 
Herr Milan Pribiceviö wird in Serbien ganz und 
gar nicht gefördert! Im Gegenteil — ich selbst 
habe den Eindruck, daß man ihn vielleicht als 
österreichischen Spion ansieht. Herr Milan Pri- 
biceviö hat den Minister Pasic in einer Artikel¬ 
serie im „Srbobran“ kritisiert, deswegen wurde 
er in serbischen Regierungsblättern hart an¬ 
gegriffen; Herr Milan Pribiceviö war nie bei 
Hofe und stand und steht zum Hofe in gar 
keiner Beziehung. Oberleutnant Pribiceviö ist, 
wie man sich auszudrücken pflegt, ein Idealist: 
Tolstoj — Bernsteins Revisionismus — tschechi¬ 
scher Realismus — serbischer Radikalismus, das 
sind die Etappen seiner Entwicklung; er wollte 
Serbien, speziell das Land kennen lernen und 
hat darum um die Aufnahme in die Garnison 


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Krusevac angesucht, wo er bis jetzt weilt: wäre 
er der große Mitverschworene des „Slovenski Jug*, 
so hätte man ihn jedenfalls in Belgrad unter¬ 
bracht, nicht in Krusevac belassen. 

Ich habe mich auch über die finanziellen 
Verhältnisse Herrn Pribidevics informiert; er ist 
verschuldet und ich habe einen genauen Aus¬ 
weis seiner Schulden — das hat ihm die von 
Nastic zuerteilte führende Rolle in dem vom 
König und Kronprinz reichlich unterstützten 
Geheimverein eingetragen! 

Mit Nastid hat ihn der Obmann des „Slo¬ 
venski Jug“ bekannt gemacht; in den „Sloven¬ 
ski Jug“ kam Herr Milan Pribicevid, um das 
Lesezimmer zu benutzen. 

Noch eine Tatsache will ich anführen, die 
nicht nur Nastid, sondern auch den Agramer 
Untersuchungsrichter charakterisiert: Ein Brief 
von Milan Pribicevic an seinen Bruder Valerian, 
der mit anderen Briefen saisiert wurde, ist aus 
den Akten verschwunden; Herr Valerian Pribi¬ 
cevid hat diesen Brief vom Richter Kosutic ver¬ 
langt, er war nicht zu finden; warum? Weil er 
eine Kritik — des Königs Peter enthält! 


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Kurz und gut: das „Finale“ von Nastid, 
seine Denunziation des „Slovenski Jug“ und der 
Brüder Pribidevid ist eine offenkundige bös¬ 
artige Verzerrung der Tatsachen; daß diese zum 
Teil bewußte, zum Teil unbewußte Verzerrung 
nicht nur in Agram, Budapest und Cetinje, 
sondern auch in Wien so unkritisch aufgenom¬ 
men und ausgenützt wurde, gehört eben in das 
reiche Kapitel der politischen Pathologie. 

Es kann, wenn man die Angaben Nastids 
prüft, nicht zweifelhaft sein, daß dieselben un¬ 
richtig und zu einem großen Teil direkt un¬ 
wahr sind. Nicht nur unwahr, sondern erlogen. 
Man kann mit dem jungen, nicht unbegabten 
Mann Mitleid haben, man kann bedauern, daß 
er vorzeitig, ohne die nötige Erfahrung und 
Selbstbeherrschung in das Räderwerk der asiati¬ 
schen Balkanpolitik hineingeraten ist — ich selbst 
würde ihm vieles nachseh en, aber es ist empö¬ 
rend zu sehen, wie er die Tatsachen mit Be¬ 
wußtsein vergewaltigt, wie er über Menschen 
lügt, die ihm nur Qutes getan haben. Zu solchen 
geradezu gemeinen Lügen gehört zum Beispiel 
die Behauptung, das Statut sei in einer Klub- 


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konferenz angenommen worden, hierher gehört 
die „allegorische“ Auslegung der nichtssagenden 
Briefe seiner Freunde u. m. a. Man kann die 
Oberflächlichkeit und Herzlosigkeit des Menschen, 
der Hunderte von unschuldigen Menschen ins 
Unglück gestürzt hat, nicht scharf genug ver¬ 
dammen. 

5. Es hat in Belgrad keinen großserbischen, 
dem König dienenden geheimen Klub gegeben, 
das von Nastic publizierte Statut war nicht das 
Statut dieses angegebenen Klubs, die von Nastid 
denunzierten Personen haben nicht die Rolle ge¬ 
spielt, die er denselben zuschreibt. Aber gesetzt, 
der Inhalt des „Finale“ wäre, so weit Belgrad 
in Betracht kommt, so wahr, wie er nicht wahr 
ist: was würde daraus ftlr das österreichisch¬ 
ungarische Gebiet folgen? Gar nichts! Der Be¬ 
weis müßte erst erbracht werden, daß auf öster¬ 
reichisch-ungarischem Gebiete die von Nastid 
behauptete Abfallsbewegung tatsächlich auch 
existiert. 

Wie ist es möglich, daß man in Agram 
nicht untersucht hat, ob alles das, was Nastid 
im „Finale“ speziell über das revolutionäre Sta- 


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tut vorbringt, auch richtig ist? Man hätte nicht 
nur Nastic, man hätte die wichtigsten Personen 
auch in Belgrad untersuchen lassen müssen, ob 
alles bezüglich des Milan Pribiöevic, des „Slo- 
venski Jug“ usw. wahr ist. Und ich wiederhole, 
posito, es sei alles, was im „Finale“ über Belgrad, 
den König usw. steht, wahr: wo ist der Beweis, 
daß in Kroatien revolutionäre Organisationen und 
ihre Agitationen bestehen? Das müßte ja erst 
bewiesen werden; man darf nicht, weil Nastic 
ein Statut vorbringt, dies einfach als glaub¬ 
würdig hinnehmen. Es ist unglaublich, wie der 
Prozeß derart falsch instruiert werden konnte. 

Nehmen Sie, meine Herren, den Hauptange¬ 
klagten im Prozeß — die Anklageschrift ist 
gegen Adam Pribiceviö und 52 Genossen ge¬ 
richtet: was also hat Adam Pribicevic verbrochen? 
Ich habe die Anklageschrift genau gelesen: 
nichts finden Sie darin! Aber im „Finale“ wird 
als Beweis behauptet, daß Adam Pribiceviö mit 
seinem Bruder in Verbindung war und daß er 
vom revolutionären Statut gewußt hat. Er hat 
aber vom revolutionären Statut gar nichts ge¬ 
wußt und konnte nichts wissen, weil, wie ich 


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Nasti6 hat diesen Worlaut des Statuts zu ver¬ 
drehen gesucht. Also was war denn, meine 
Herren? Die Aufregung nach der Ermordung 
des Königs im Jahre 1903 — da haben Sie das 
Jahr 1903 — war selbstverständlich und ist bis 
jetzt in Belgrad und Serbien eine sehr große; 
der Wechsel der Dynastie hat das kleine Land 
politisch revolutioniert. Unklare, träumerische, 
phantastische Ideen, das ist wahr, sind in Bel¬ 
grad und Serbien stark verbreitet, die dynasti¬ 
sche Krise hält die politisch Denkenden in steter 
Aufregung und dieser Teil des serbischen Volkes 
müht sich ab, um überhaupt für Serbien eine 
klarere Stellung auf dem Balkan zu finden. Das 
ist begreiflich. Und aus dieser Erregung, aus 
diesen unklaren Plänen heraus hat Nastic das 
Revolutionsstatut des „ Slovenski Jug“ und die 
revolutionäre großserbische Propaganda kon¬ 
struiert. 

Es gibt zwischen Belgrad und Südungam 
und auch Kroatien, den serbischen Gegenden, 
eine ziemlich lebhafte Verbindung. Einmal kirch¬ 
lich. Ich bitte nicht zu vergessen, daß Serbien 
kirchlich mit Südungarn verbunden war und noch 


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ist. Einer der Angeklagten, Valerian PribiÖevic, 
war zum Beispiel in Konstantinopel am serbi¬ 
schen Gymnasium Professor und Katechet. Ferner 
die Universitätsjugend des Balkan, die in Wien, 
Pest, Graz und bei uns in Prag studiert: die 
Studenten werden mit einander bekannt und so 
entstehen Anknüpfungen der Intelligenz hüben und 
drüben. Auch die Handelsbeziehungen zwischen 
Serbien und dem Süden des Reiches sind per¬ 
sönlich deshalb viel wichtiger als die Handels¬ 
beziehungen im Westen; da muß alles persön¬ 
lich abgemacht werden. Sie können in Serbien 
einen Handel nicht etwa so schriftlich abmachen, 
wie Sie ihn in einem fortgeschrittenen west¬ 
lichen Lande machen. Infolgedessen sind Handels¬ 
beziehungen rein persönlicher Art massenhaft 
vorhanden. So also ist es begreiflich, sage ich, 
daß zwischen dem Süden des Reiches und Bel¬ 
grad viele persönliche Beziehungen bestehen. 
Wenn jemand also hinter diesen Beziehungen 
Hochverrat suchen will, so ist das natürlich sehr 
leicht möglich. 

Ich gehe weiter, meine Herren! Mir handelt 

es sich nur um die Tatsachen: ich leugne nicht, 

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daß in Belgrad eine serbische Propaganda be¬ 
steht ; ich leugne das nicht und ich glaube auch 
nicht, daß jemand in Serbien das leugnen würde. 
Aber ich bitte, gegen wen und wo ist diese 
serbische Propaganda? Nur gegen den Sultan, 
nur gegen die Länder, welche dem Sultan an¬ 
gehören, und zu diesen Ländern gehörte bis 
anfangs Oktober vorigen Jahres auch Bosnien. 
In Belgrad ist das makedonische Komitee, dar¬ 
über lesen Sie ja fast jeden Tag. Die Propa¬ 
ganda ist zum Teil kulturell, indem zum Bei¬ 
spiel in Altserbien, Mazedonien Schulen ge¬ 
gründet werden, zum Teil politisch. Aber meine 
Herren, es gibt auch eine bulgarische Propa¬ 
ganda im Süden und es gibt selbstverständlich 
auch eine österreichische Propaganda, darüber 
wollen wir uns doch nicht täuschen. 

Nun wird immerfort auf das serbische Geld 
hingewiesen. Ich habe Gelegenheit gehabt, einen 
Einblick zu nehmen in die Ausgaben der serbi¬ 
schen Propaganda. Ich behalte das, was ich darüber 
erfahren habe, für mich. Aber es ist geradezu 
kindisch, wenn man diesem armen Lande impu- 
tiert, daß es, ich weiß nicht wie viele Hundert- 


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tausende, ja Millionen für die Propaganda aus¬ 
gibt. Man weist zum Beispiel auf den Disposi¬ 
tionsfonds von 1,200.000 Frc. hin; an und für 
sich ist das doch gar nicht so viel und man 
weiß nicht, daß dieser Dispositionsfonds zum 
größten Teil zu ordentlichen und außerordent¬ 
lichen Budgetausgaben herhalten muß. 

Nun muß ich auch, meine Herren, ein Wort 
über die Dynastie sprechen, welche als die mo¬ 
ralische, politische und finanzielle Leiterin dieser 
Propaganda hingestellt wird. Vorerst will ich 
die Tatsache konstatieren, daß die serbische 
Regierung, nachdem das „Finale“ erschienen ist, 
den Vertretern im Auslande durch eine Note 
zu wissen gegeben hat, daß das ganze „Finale u 
und das Gerede über das Statut, wie in dieser 
Note gesagt wird, Kaffeehaustratsch ist, daß die 
Dynastie damit absolut nichts zu tun hat. Und 
es wird auch bestritten, daß der Hauptmann 
Nenadovic, von dem Nastid immerfort betont, 
er sei der Intimus des Königs und ein naher 
Verwandter desselben, wirklich ein Verwandter 
des Königs sei. Die Dynastie selbst hat also 
diese Angaben widerlegt. 


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Ich selbst will folgendes sagen: Ich habe 
den Eindruck — und ich spreche ganz offen —, 
daß der Kronprinz Georg ein unüberlegter junger 
Mann war und wohl bis heute ist. Ich habe mir 
Aussprüche, die er gemacht hat, von verlä߬ 
lichen Leuten sammeln lassen, und zwar Aus¬ 
sprüche nicht nur gegen Österreich, sondern 
auch gegen Rußland und andere Staaten; auf 
Grund dieser Aussprüche könnte man, ich weiß 
nicht welche großserbische Pläne konstruieren 
wollen. Ich kann diesen jungen Mann nicht 
ernst nehmen und ich glaube, Serbien hat es 
ebenso getan, wenn er nicht mehr Kronprinz 
sein soll. Was aber den König anbelangt, so 
glaube ich, daß der ganz andere Sorgen hat, 
als sich mit solchen Kindereien zu befassen, 
welche ihm Herr Nastic und die Anklage im- 
putiert. 

Mit einem Wort: eine Irredenta, eine serbi¬ 
sche oder eine kroatische Irredenta in Kroatien, 
in Ungarn oder gar auf slowenischem Gebiete, 
wie dieselbe von Nastiö und von der Anklage¬ 
schrift konstruiert wird, hat es nicht gegeben 
und gibt es nicht. 


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IV. 

6. Nun also, meine Herren, warum wird ein 
so unbegründeter Prozeß geführt? Wenn ich 
Sie kurz auf die kroatischen Verhältnisse auf¬ 
merksam mache, werden Sie augenblicklich be¬ 
greifen, um was es sich eigentlich in Agram 
handelt. 

Ich habe Ihnen die Jahre 1903 und 1906 
unterstrichen. Die Anklage behauptet nämlich, 
das Jahr 1906 habe die Bedeutung, daß die 
großserbische Propaganda von da ab ganz be¬ 
sonders stark sich geltend machte. Meine Herren! 
Das Jahr 1906 ist für Kroatien ein sehr wich¬ 
tiges Jahr, ebenso das Jahr 1903. Im Jahre 1903 
hat das Regiment Khuen-H^dervarv aufgehört! 
die Kroaten und Serben haben ein wenig poli¬ 
tisch aufschnaufen können und daher ist das 
Jahr 1903 so wichtig; aber nicht deshalb, daß 
König Peter auf den Thron gekommen ist. Und 
das Jahr 1906 ist wichtig, weil das alte Regi¬ 
ment bei den Wahlen total zugrunde gegangen 
ist und die serbisch-kroatische Koalition im 
Jahre 1906 das Heft in die Hände bekommen 


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hat. Selbstverständlich war und ist das nicht 
dasjenige, was die Herren in Budapest und in 
Agram haben wollen. Der Agramer Prozeß ist 
der Kampf gegen die serbisch-kroatische Koali¬ 
tion und speziell gegen die Serben, welche, wie 
Sie wissen, unter Khuen-H6dervary das Stimm¬ 
vieh — muß ich leider sagen — fllr eine un- 
nationale Politik abgegeben haben und das ge¬ 
fügige Mittel in den Händen der magyarischen 
und magyaronischen Politiker waren. Jetzt 
wollen die Serben, weil sie zum Bewußtsein 
ihrer Würde gekommen sind, das nicht mehr 
weiter tun und infolgedessen hat der neue Ban 
gegen sie diesen Prozeß inszeniert: alle Ange¬ 
klagten sind Serben, gegen die an der Koalition 
mitschuldigen Kroaten hat man sich nicht auf¬ 
zutreten getraut. 

Ich muß einiges über diesen neuen Ban 
sagen. Er ist der Sohn seines Vaters — damit 
ist alles gesagt. (Heiterkeit.) Meine Herren! 
stellen Sie sich vor: Ungarn-Kroatien wird 
als das konsitutionellste Land hingestellt! Baron 
Rauch hat keinen einzigen Abgeordneten hinter 
sich; er hat in den vorjährigen Wahlen, trotz 


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dem veralteten Wahlmodus*), alles verloren, 
nicht einmal Milan Öanak, der bald nach den 
Wahlen hoppgenommen wurde, wurde gewählt, 
obwohl er sein Kandidat war, den er unter¬ 
stützt hat Nur über solche Leute verfügt 
der Ban, aber trotzdem ist er gegen den 
Willen Wekerles durch den Einfluß einiger 
hoher Offiziere Ban geworden — ich weiß 
das ganz bestimmt. Ich werde die Herren 
vorläufig nicht nennen, aber das eine möchte 
ich sagen, daß einem Generalmajor, der an 
der Spitze eines guten und hochangesehenen 
militärischen Instituts steht, es besser ansteht, 
sich um sein Institut als um die kroatische 
Politik zu kümmern. (Bravo!) Rauch ist ein 
politisch ganz unfähiger Mensch; Sie sehen 
ja, wie unfähig der Mann ist, wenn er einen 
solchen Prozeß inszeniert. Baron Rauch ist 
ohne politisches Ziel, ohne politischen Cha- 


*) Man bedenke, daß Kroatien nicht ganze 50.000 
Wähler hat, daß die Wähler zum großen Teil aus den 
Kreisen der abhängigen Intelligenz (Lehrer, Beamte usw.) 
sich rekrutieren und doch hat Baron Rauch keinen ein¬ 
zigen Kandidaten durchgesetzt! 


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rakter. Rauch hat die Fiumaner Resolution, 
gegen die er jetzt kämpft, hochgepriesen und 
sich gefreut, daß die Kroaten endlich von 
Wien sich losmachen wollen, weil es die 
Kroaten immer nur getäuscht habe *). Baron 
Rauch hat die kroatisch - serbische Koalition 
hochgehalten, er ist durch sie hinaufgekommen, 
er hat Hymnen auf sie gesprochen — jetzt 
befehdet er diese großserbische Koalition. Baron 
Rauch hat die serbisch-kroatische Jugend ge¬ 
lobt, er hat in ihr mit Freuden die Grund¬ 
lagen einer wahrhaft nationalen Partei gesehen 
— — heute bekämpft er diese Jugend mit 
allen Mitteln seiner brutalen Kurzsichtigkeit. 
Bin Mann, der heute dem Khuen - H^dervary 
im offenen Parlamente sagt, daß er ein Beutel- 


*) „Mir scheint es, den erhabenen Namen einer Volks¬ 
partei verdienen weit mehr die Männer, die jene Richt¬ 
schnur zu finden verstanden haben, die jedes kroatische 
Herz zur Freude ermuntert, als sie die „Fiumaner Re¬ 
solution“ gewagt und sich von Wien losgesagt haben, 
von wo immer sie nur bittere Enttäuschungen erlebt 
haben.“ Baron Rauch im Agramer Landtag, 28. No¬ 
vember 1905. 


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Schneider wie in der verkrachten Banca Romana 
sei, diesen aber morgen abbittet, ein Mann — 
— dessen ganze Politik und dessen Prozeß 
nicht anders als das delirium tremens eines 
Alkoholikers ist. 

Kaum daß Rauch durch, wie ich gesagt habe, 
ganz unkonstitutionelle Mittel Ban geworden ist, 
wurden ihm, wie Sie sich erinnern, Demonstra¬ 
tionen in Agram veranstaltet, als er (15. Jänner 
vorigen Jahres) dort angekommen war. Er hat 
gleich den verschiedenen Interviewern gesagt 
und in seinen Zeitungen schreiben lassen, daß 
das antidynastische Demonstrationen waren. Ich 
bitte, vom konstitutionellen Standpunkt erlaubt 
er sich die Demonstrationen als antidynastisch 
hinzustellen, während dieselben nur seiner Per¬ 
son gegolten haben. 

Zwei, drei Tage darauf war in der Nacht 
eine Keilerei zwischen Studenten und Offizieren. 
Auch das wurde als antidynastisch hingestellt, 
als Demonstration gegen einen kaiserlichen Offi¬ 
zier. Rauch hat den Mann, der verwundet war, 
ostentativ besucht, um sein dynastisches Gefühl 
dadurch an den Tag zu legen. 


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Als Rauch bei den Februarwahlen so schmäh¬ 
lich durchgefallen ist, wurde wiederum in allen 
seinen Zeitungen ausposaunt, daß das selbst¬ 
verständlich wieder eine antidynastische Demon¬ 
stration sei. Man wähle seine Leute nicht, die 
Leute des Mannes, der doch vom Kaiser er¬ 
nannt wurde! 

Sie sehen, meine Herren, um was es sich 
dem Baron Rauch handelt. Wie gesagt, er hat 
niemanden ftir sich, nur den Herrn — Dr. Frank, 
der aber als Oppositioneller gegen ihn hat wählen 
müssen, wenn er nicht durchfallen wollte, diesen 
Frank, der auch das hohe Haus schon mit 
seinen unrichtigen und unwahren Telegrammen 
molestiert hat und gestern in der „Neuen Freien 
Presse* wiederum Unwahrheiten vorbringt. Was 
hat über diesen Frank sein jetziger Intimus 
Rauch im Jahre 1905 öffentlich, auf dem Land¬ 
tage gesagt? Daß er ein Agent provocateur ist, 
das hat Rauch über Frank selbst gesagt. Und 
hier zeige ich Ihnen ein nicht konfisziertes 
kroatisches Buch, in welchem über Frank akten¬ 
mäßig nachgewiesen wird, daß er (es handelt sich 
um das Jahr 1872) Geld in einer höchst un- 


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lauteren Affäre bekommen habe; er wird hier 
direkt als Spitzel hingestellt*). 

Und doch wurde selbst Seiner Majestät dem 
Kaiser eine Regierung des Dr. Frank emp¬ 
fohlen ! 

Ich hätte übrigens den Mann beiseite ge¬ 
lassen, wenn er nicht die Kühnheit gehabt hätte, 
hier in diesem Hause für den Agramer Prozeß 
und für Rauch Stimmung zu machen. Mile Star- 
cevi6, gewiß ein Mann, der zu beurteilen weiß, 
was die Tradition seines Vaters und was die 
Rechtspartei ist, ist von ihm abgefallen, als er 
ihn politisch kennen gelernt hat. 

Also, meine Herren, das ganze Rauchregi¬ 
ment und sein Prozeß ist nur ein Kampfmittel 
gegen die serbo-kroatische Koalition und gegen 
die Serben; darum sind auch lauter Serben an¬ 
geklagt, weil diese nicht mehr die alte Regie¬ 
rungspartei sein wollen. 

Was die serbische selbständige Partei, was 
die Fortschrittspartei und auch die übrigen Par¬ 
teien der Koalition anbelangt, hätte ich eigent- 


*) Iz crnoga lista nedavne proälosti, 1904. 


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lieh Grund, rein persönlich zu sprechen*). Unter 
den Angeklagten und unter den Politikern der 

*) Der kroatische Landtag hat 88 Abgeordnete; 
er sollte ihrer 90 haben, aber 2 für Fiume wurden nie 
gewählt. Die serbo-kroatische Koalition hatte 56 Mandate, 
aber nur 58 Abgeordnete (die Zahl der Angeklagten!), 
weil einer in 2, einer in 3 Bezirken gewählt wurde; 
von den 56 Abgeordneten der Koalition waren: 


Kroatische Reichspartei.23 

Selbständige Serbenpartei.19 

Autonome Klub. 9 

Fortschrittspartei. 4 

Selbstehender Kroate. 1 

Aus der Koalition sind 3 ausgetreten, da¬ 
gegen kooperierten mit der Koalition die 

Bauernpartei. 3 

Sozialist. 1 

Außerdem: ^ 

Frankpartei.13 

Starcevidpartei. 9 

Radikale Serben. 2 

Selbststehender Serbe. 1 

Deutscher. 1 

Unorganisierte. 5 

88 

Regierungspartei. 00 

88 


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Koalition gibt es viele von meinen Schülern; 
ich habe dort viele Freunde und Bekannte, ich 
habe bei manchen wichtigen politischen Ent¬ 
scheidungen, ich möchte sagen, als Quasivirilist 
auch eine beratende Stimme gehabt und ich 
kenne die Menschen zu genau, als daß ich nur 
einen Schatten von Illoyalität an ihnen haften 
lassen könnte. Besonders die jüngere politische 
Generation will politisch fortschreiten, sie will 
den demokratischen Prinzipien zur Geltung ver¬ 
helfen : die fortschrittlich gesinnten Demokraten 
wollen ihr Yolk sozial und kulturell heben, sie 
geben die alte großkroatische und großserbische 
Phantastik auf und suchen eine reale Politik 
einzuschlagen; aber gerade das ist den Buda- 
pester und Agramer feudalen Machthabern höchst 
unangenehm und darum beschuldigt man sie ge¬ 
rade dessen, wessen sie sich entledigen wollen! 
Ganz besonders sind es zwei Dinge, gegen 
welche im Prozeß und auch durch das ganze 
Regiment des Baron Rauch Stellung genommen 
wird. 

Diese jüngeren Politiker und die serbisch¬ 
kroatische Koalition will endlich den lang* 


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dauernden Zwist zwischen Kroaten und Serben 
aufgeben, sie wollen dem Lande Buhe verschaffen, 
sie haben eingesehen, daß Serben und Kroaten 
zwei Namen für eine und dieselbe Sache sind. 
Nein! Rauch und Budapest und leider auch Wien 
wollen, daß zwischen Kroaten und Serben der 
alte Kampf bestehe und die Anklageschrift ist 
so niederträchtig verlogen, meine Herren (Zu¬ 
stimmung), so niederträchtig verlogen und ge¬ 
traut sich zu sagen, die Kroaten und Serben 
hätten früher in „reinster Liebe“ zusammen¬ 
gelebt. Ich bitte sich nur an das Jahr 1902 zu 
erinnern! Die Angeklagten und Verfolgten wollen 
diese Liebe, aber nicht ihre Ankläger! 

Der zweite Punkt ist die Fiumaner Resolution. 
Die Fiumaner Resolution wird den kroatischen 
Politikern, und besonders dem Abgeordneten 
Supilo, sehr verübelt; aber die Fiumaner Reso¬ 
lution ist absolut nicht aus Belgrad diktiert 
worden, wie behauptet wird, sondern stellt den 
Versuch dar, mit den Magyaren irgendwie Frie¬ 
den zu machen und Wien zu zeigen, daß man 
endlich das beständige Versprechen satt hat. 
Das bedeutet, meine Herren, die Fiumaner Re- 


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solution. In Wien werden seit dem Jahre 1848 
und von früher her Kroatien und die Kroaten 
immer als das reichstreueste Kanonenfutter ange¬ 
sehen (Zustimmung), aber endlich ist es den 
Kroaten und Serben schon zu bunt geworden. 
Da man sie den Magyaren überläßt, von Wien 
aus nichts für sie tut, sind die kroatischen Po¬ 
litiker endlich auf den Gedanken der Fiumaner 
Resolution gekommen, mit den Magyaren, denen 
sie von Wien trotz allem Gerede und Ver¬ 
sprechen geopfert werden, einen Frieden zu 
machen. 

Das, meine Herren, und nichts anderes 
bezweckt die Politik der Parteien, gegen 
welche die Anklage spricht, die Politik der 
serbischen selbständigen und kroatischen Par¬ 
teien. Der Agramer sogenannte Hochverrats¬ 
prozeß ist optima forma ein politischer Pro¬ 
zeß, und zwar will man die Serben und 
Kroaten einschüchtern, man will zwischen 
Kroaten und Serben eine Teilung herbei¬ 
führen, kurz, es ist ein Prozeß, in dem die 
Justiz der politischen Vergewaltigung dienen 
soll. 

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Y. 

7. Daß der Agramer Prozeß tatsächlich künst¬ 
lich gemacht ist, kann ich Ihnen jetzt doku¬ 
mentarisch beweisen, und zwar stelle ich sogleich 
die Behauptung auf, die ich sogleich beweisen 
werde, daß das revolutionäre Statut den entschei¬ 
denden Kreisen viel früher bekannt war, bevor es 
im „Finale“ erschienen ist und daß der ganze 
Prozeß nach diesem Statut inszeniert worden ist. 

Feldmarschalleutnant v. Steeb — das können 
Sie in der Broschüre lesen, die Herr Mirko 
v. Pisaöiö unter dem Titel „Ein politischer Skan¬ 
dal“ oder „Die Nastiöiade“ in Agram im August 
1908 herausgegeben hat — Feldmarschalleutnant 
v. Steeb also, notabene ein Schwager des Baron 
Rauch, ist mit dem Schreiber der Broschüre im 
Eisenbahncoupö zusammengekommen und hat 
ihm unter anderem gesagt, daß Seine Majestät 
der Kaiser die Nasticiade schon im Jahre 1907 
gekannt hat, das heißt also: der Inhalt des „Finale“ 
war Seiner Majestät dem Kaiser schon 1907 bekannt 
und selbstverständlich auch all denjenigen, die ein 
Interesse daran hatten. Feldmarschalleutnant v. 


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Steeb hat, nachdem v. Mirko Pisacic das veröffent¬ 
licht hat, seine Angabe nicht dementiert, trotzdem 
er, wie ich weiß, von der A gramer Regierung 
wegen seiner Indiskretion interpelliert wurde*). 


*) Die entscheidenden Worte des Feldmarschall- 
leutnants v. Steeb lauten: „Ich erkläre Ihnen auf mein 
Wort, daß schon im verflossenen Jahre (das Gespräch 
fand im August 1908 statt), als ich bei Sr. Majestät in 
Audienz erschienen bin, Se. Majestät um die Nasticsche 
Affaire wußte!“ 

Eine gewisse Bedeutung hätte dip Frage, ob der 
Kaiser schon auch vom Statut gewußt hat. Um diese 
Frage entscheiden zu können, müßte man wissen, wann 
Herr v. Steeb bei der Audienz war und wann das Statut 
entstanden und verbreitet wurde. Letzteres weiß ich 
ganz genau, aber ich kann es vor der Aussage Nastid’ 
als Zeugen in Agram nicht bekanntgeben. 

Nastid behauptet im „Finale“ p. 66, das Statut von 
Milan Pribidevid Anfang Dezember (1907) erhalten zu 
haben; aber p. 83 heißt es, er habe es Ende Dezember 
erhalten. 

Nastid behauptet, noch ein zweites von Milan Pribi¬ 
devid abgeschriebenes Statut durch Hauptmann Vasid 
erhalten zu haben; dieses zweite Statut hätte er (p. 84) 
Anfang Jänner 1908 bekommen. 

Nastid erklärt die Tatsache, daß Milan Pribidevid 

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84 


Ich habe aber andere Beweise, daß speziell 
das Statut schon früher bekannt war, bevor es 
publiziert wurde. Ich habe darüber Nachrichten, 
die uns schon im Frühjahr des vorigen Jahres 
zugekommen sind. Ich wußte und weiß es, daß 
das Statut von dem Fürsten Nikola von Monte¬ 
negro frühzeitig an Österreich ausgeliefert worden 
ist. Es ist Sache des Herrn Nastiö, zu erklären, 
wann, wie und unter welchen Bedingungen Fürst 
Nikola das Statut bekommen hat. Man sieht: 
Auch ein Thrönchen schützt vor Torheit nicht. 
(Heiterkeit.) Denn Seine königliche Hoheit und 

das Statut zweimal abgeschrieben hat, durch eine seiner 
Lügen: weil die Handschrift Milan Pribicevid’ allen Mit¬ 
gliedern bekannt gewesen sei, so habe er das Statut 
abschreiben müssen, weil die Mitglieder sonst an die 
Authentizität des Statuts nicht geglaubt hätten, wenn 
dasselbe von fremder Hand geschrieben gewesen wäre. 
Wie dumm und plump! Tatsächlich hat Milan Pribidevid 
das zweite Exemplar an Nastid schicken lassen, weil er 
nicht sicher war, daß er das erste bekommen hat; auch 
ist nicht wahr, daß dieses zweite Exemplar von Milan 
Pricidevid abgeschrieben sei. 

Im „Finale* behauptet Nastid (p. 84), daß er Ende 
Juli 1908 beide Originale in Händen gehabt habe. 


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85 


seine Vertrauten haben Gelegenheit gehabt, mit 
Nastiö zu verkehren und sie hätten sich Über¬ 
zeugen können, um was und wen es sich handelt 
und hätten die Denunziation nicht an Österreich 
weitergeben sollen. Der Fürst von Montenegro 
hat freilich das Statut selbst benützt, um die 
Tragikomödie seines Prozesses inszenieren zu 
können *). 

*) Diese Nachricht über Fürst Nikola ist zum Gegen* 
stand einer erbitterten Zeitungsfehde geworden. Zuerst 
wurde die Nachricht im Organ des Wiener Ministerium 
des Äußeren, der „Wr. Allg. Zeitung“ vom 10. Mai 
gebracht; das offizielle Organ der montenegrinischen 
Regierung, der Glas Crnogorca erklärte (15. Mai), es 
sei unter der Würde des Blattes, eine solche infame 
Insinuation zu dementieren. Ich habe die Sache in 
meiner Rede am 18. Mai vorgebracht; erst am 29. Mai 
ist der Glas Crnogorca gegen meine Behauptung auf* 
getreten. Die „Wr. Allg. Zeitung* vom 1. Juni wieder¬ 
holte ihre Behauptung und erbrachte neue Details. 
Am 12. Juni ist in den Prager När. Listy ein Interview 
des montenegrinischen Premier Dr. Tomanovid erschienen, 
in welchem sich dasselbe Dementi befindet, aber es wird 
schon zugegeben, daß Nastid gleich von Semlin aus 
(das war also nach seinem Abgang von Belgrad im 
Monat September 1907) durch einen Bekannten das auf 


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Ich habe weitere Beweise, daß die Aktion 
gegen die Serben künstlich gemacht worden 

den Fürsten Nikola geplante Attentat gemeldet habe; 
weiters sei Nastiö schon im November (1907) in Cettinje 
gewesen und er sei von der montenegrinischen Polizei 
zu übrigens ergebnislosen Geheimdiensten benutzt und 
gezahlt worden. Damit soll die Nachricht der „Wr. Allg. 
Zeitung“ widerlegt werden, nach welcher Nastid aus 
der Staatskasse Geld zum Drucke des »Finale“ erhalten 
habe. Ich habe (N. W. Tagblatt 16. Juni) meine Be¬ 
hauptung gegen den „Glas Cmogorca“ wiederholt; 
daraufhin hat das Hauptorgan Baron Aehrenthals 
(.Fremdenblatt“ vom 16. Juni) nicht nur mich, sondern 
das zweite Organ desselben Baron Aehrenthal dementiert. 

Endlich ist Nastid aufgetreten („N. W. Tagblatt“, 
17. Juni). Dieses Auftreten charakterisiert den Mann; 
er leitet seine Zuschrift mit der Bemerkung ein, er 
müsse mich widerlegen, aber tatsächlich sagt er gegen 
die von mir vorgebrachten Tatsachen kein einziges 
Wort, sondern er polemisiert gegen die »Wr. Allg. 
Zeitung“ und gegen den montenegrinischen Minister¬ 
präsidenten. Er behauptet nämlich, er habe sich dem 
Fürsten Nikola selbst zur Verfügung gestellt (also nicht 
der montenegrinischen Polizei), er habe vom Fürsten 
aus dessen Privatschatulle (also nicht von der Polizei 
und auch nicht aus der Staatskasse) das Geld zur Heraus¬ 
gabe des Finale (mit dem Statut!) erhalten. 


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Original fro-m 

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ist. Ich habe die genaue Kenntnis — ich 
unterstreiche: die genaue Kenntnis — von 
einer Unterredung und Beratung, die Baron 
Rauch mit Wekerle gehabt hat. Ich kann das 
Datum nennen, es war am 25. April 1908. Rauch 
hat — stellen Sie sich vor — den Ausnahms¬ 
zustand im Lande proklamieren wollen. Wekerle 
war so klug und hat wenigstens das nicht zu¬ 
gelassen, sondern es wurde abgemacht, daß die 
Aktion gegen die Serben nach der Patriarchen¬ 
wahl stattfinden soll. Und tatsächlich, meine 
Herren, die Patriarchenwahl hat (1. August) 
stattgefunden, das Nastid’sche „Finale“ mit dem 
Hauptargument des revolutionären Statuts ist 
(Ende Juli) erschienen und die Gefangennahme des 
Adam Pribidevid ist am 7. August vorgenommen 
worden. Sie sehen, die am Ende April besprochene 
Aktion gegen die Serben hat nach Inszenierung 
des „Finale“ kalendermäßig genau begonnen*). 

*) Dr. Friedjung behauptet in dem zu besprechen¬ 
den Artikel, Nastid habe das Original des Statuts der 
kroatischen Regierung ausgeliefert. Wann, sagt Dr. Fried- 
jung nicht. (Vgl. die p. 84 angemerkte Behauptung über 
die beiden Originalien.) 


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Ich will noch hinzufügen, daß am 21. Juli 
1908 den Konferenzen zwischen Bauch, Wekerle 
und Jossippovich der Staatsanwalt Accurti zuge¬ 
zogen wurde. (Hört! Hört!) Selbstverständlich 
wurde dann der ganze Prozeß in der Weise 
weiter geführt, wie Sie es sehen. 

Aber ich habe noch weitere Beweise, daß 
die Regierung in den Prozeß direkt eingegriffen 
und ihn inszeniert hat. Kaum daß Nastid sein 
„Finale“ geschrieben hatte, hat ihn der Polizei¬ 
direktor von Agram, Sporcic, in Budapest — 
dort wurde das „Finale“ herausgegeben — auf¬ 
gesucht, ist mit Nastid nach Wien und dann 
nach Agram zur Zeugenaussage gefahren und 
unter diese Kuratel des Polizeipräsidenten Spor- 
cic von Agram hat Nastic seine Aussagen im 
Prozesse (vom 11—14. August) vorgebracht. 

Ich weiß ganz genau, daß Sporcid, der Po¬ 
lizeipräsident, eine Aussage des Nastid bean¬ 
standet und eine Korrektur derselben vom Unter¬ 
suchungsrichter verlangt hat*). 

*) Die Aussage des Nastid unter Polizeiassistenz ist 
überhaupt interessant: es wird das „Finale“ von ihm 
als Ganzes und im einzelnen beschworen und in den 


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Wenn ich endlich noch darauf aufmerksam 
mache, daß Baron Hauch selbst sich Dokumente 

Antworten auf 34 Fragen wiederholt. Nastid beschwert 
das „Finale“, daß es als Ganzes und in seinen Teilen 
wahr sei. Interessant ist zu sehen, wie der Untersuchungs¬ 
richter die Nastid’sche Aussage, die mit dem Statut im 
Widerspruch ist, durch eine zweite Aussage, zwei Tage 
später korrigieren läßt (siehe Frage XVil und XXX). 
Auffallend ist auch, wie der Untersuchungsrichter nach 
dem Verhältnisse des genannten Hauptmannes Nena- 
dovid zum Hofe in Belgrad frägt: ich habe schon auf¬ 
merksam gemacht, daß die serbische Regierung das von 
Nastid betonte Verwandtschafts Verhältnis Nenadovid’ zum 
König dementiert hat. NB. Das Dementi war am 
14. August in Agram zu lesen, denselben Tag läßt der 
Untersuchungsrichter Nastid unter Eid die unrichtige 
Behauptung eigens wiederholen! (siehe die XXXI. Frage 
der Nastidschen Aussage). 

Schließlich erwähne ich noch, daß Nastid (die XV. 
Frage) unter Eid falsch ausgesagt hat, daß er den Kauf¬ 
mann Bekid und den Studenten Zivkovid nicht kenne; 
aber tags darauf erklärt er die beiden zu kennen. Er 
motiviert seine Korrektur wiederum falsch, er sei zu 
seiner Aussage durch eine Erklärung des Valerian Pri- 
biöevid (im Sobobran) geführt worden: diese Erklärung ist 
aber schon am 7. August erschienen. In der Tat hat hier 
der Polizeipräsident Spordid die Korrektur machen lassen! 


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Regierung und die mitentscheidenden magyari¬ 
schen Kreise sehen die Schwächung der Serben 
und Kroaten gerne und darum verbreiten sie 
auch die Denunziationen auf Grund der falschen 
Dokumente, über die ich gleich etwas sagen 
werde. 

VI. 

9. Ich muß mich jedoch noch einer sehr 
unangenehmen und schweren Aufgabe kurz 
unterziehen, ich muß nämlich auf die angeblich 
dokumentarisch sichergestellten Behauptungen 
eingehen, die ein Historiker von europäischem 
Ruf in einem stark verbreiteten Blatte aufge¬ 
stellt hat. Ich meine Herrn Dr. Friedjung. Ich 
muß auf seinen Artikel um so mehr eingehen, 
als er für seine Behauptungen auch die Autori¬ 
tät des Ministeriums des Äußern ins Feld führt. 

Der Artikel des Dr. Friedjung bildet ein 
Glied einer journalistischen Artikelserie und 
journalistischer Anklagen in verschiedenen zu 
beachtenden Organen. In der „Österreichischen 
Rundschau“ war kurz vor der Proklamierung 
der Annexion unter dem Pseudonym Tvrtko- 
vic ein Artikel, in welchem auf Grund offenbar 


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auch Nastiöscher Angaben Behauptungen stehen, 
die später im „Finale“ und in der Agramer An¬ 
klageschrift zu finden sind. Ende Oktober (29.) 
war in der Danzerschen „Armeezeitung“ ein 
sehr geschickt zusammengestellter Artikel, der 
gegen Kossuth und seine Verbrüderung mit den 
Serben gerichtet war; hier wurde schon ein 
Dokument vorgebracht, welches auf Abgeordnete 
der serbo-kroatischen Koalition und ihre gro߬ 
serbischen Pläne ein schlechtes Licht werfen 
sollte. An demselben Tage hat die „Reichs* 
post“ ebenfalls einen Artikel gebracht, in welchem 
ebenfalls gegen Kossuth zu Felde gezogen 
wurde; auch hier wurde das Dokument namhaft 
gemacht, durch welches vier Abgeordnete der 
serbo-kroatischen Koalition als von der serbi¬ 
schen Regierung bestochen hingestellt wurden. 
Herr Dr. Friedjung hat in seinem Artikel vom 
24. März d. J. — der Artikel ist betitelt „Öster¬ 
reich-Ungarn und Serbien“ — dieses Dokument 
und noch mehrere nicht näher gekennzeichnete 
Dokumente angeführt, aus denen die Anklage 
der „Reichspost“ sich ergeben soll. Wenn 
Dr. Friedjung sich direkt und indirekt auf unser 


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Ministerium beruft, welches ja in den Dingen ge¬ 
wiß autoritativ ist, und wenn Dr. Friedjung eben 
behauptet, daß alles, was von der großserbischen 
Propaganda gesagt wird, wahr ist, so habe ich 
leider die Pflicht, auf eine so wichtige Autori¬ 
tät zu reagieren, um so mehr, als diese An¬ 
gaben schon ein locus communis in der wissen¬ 
schaftlichen Literatur zu werden beginnen. 

Vor einigen Tagen ist eine Broschüre eines 
österreichischen Beamten, des Herrn v. Sachs, 
erschienen, betitelt: „Die Wahrheit über die 
serbische Frage und das Serbentum in Bosnien.“ 
Da finden Sie alles das, was der Agramer Staats¬ 
anwalt und Nastic’ „Finale“ Vorbringen. Zuerst 
habe eine großserbische „Privatpartei“ bestanden, 
seit dem Jahre 1903 habe aber König Peter 
und die serbische Regierung die Agitation ge¬ 
leitet und nun biete der Agramer Hochverrats¬ 
prozeß ein „interessantes Zeugnis“. Herr v. Sachs 
war ein Beamter in der bosnischen Verwaltung, 
ein Mann, der auch auf Grund anderer Arbeiten 
als wissenschaftliche Autorität gilt — er bringt 
die Behauptungen Nastic’ schon als historische, 
wissenschaftliche Wahrheit vor. Aus diesem 


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Grunde muß ich nolens volens auf Dr. Friedjung 
eingehen, weil er behauptet, daß sein Aufsatz 
auf Grund unanfechtbaren Aktenmaterials ge¬ 
arbeitet ist, daß er dabei ebenso sorgfältig und 
kritisch vorgegangen sei, wie bei der Benutzung 
irgendwelcher Dokumente in seinen historischen 
Werken, und daß darum sein Aufsatz die vollste 
historische Glaubwürdigkeit in Anspruch nehme. 

Meine Herren! Ich kenne Herrn Dr. Fried¬ 
jung aus seinen Arbeiten und habe — ich kann 
das mit Vergnügen konstatieren — von ihm 
manches gelernt. Ich kenne Herrn Dr. Fried¬ 
jung auch persönlich und hege vor ihm die 
vollste Hochachtung. Ich stimme ihm zu, wenn 
er im Vorwort zu seinem neuesten Buche über 
Österreich sagt, daß der Historiker, der die Zeit¬ 
geschichte schreibt, parteilos und wahr sein 
muß auch in dem Falle, wenn er dem politi¬ 
schen und nationalen Gegner Stoff und Rüst¬ 
zeug liefert. Mir, seinem Gegner — ich sage 
nolens volens — hat Herr Dr. Friedjung Stoff 
und Rüstzeug geliefert. 

Herr Dr. Friedjung stellt als historische Tat¬ 
sache fest, daß die Annexion nicht nur durch 


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die Vorgänge in der Türkei, speziell durch das 
Vorgehen der Jungtürken, sondern auch durch 
die Belgrader Geheimbundspolitik wenn nicht 
ganz bewerkstelligt, so doch beschleunigt wurde. 
Auf diese großserbische Geheimbundspolik über¬ 
gehend sagt Dr. Friedjung über Nastid, daß er 
ein Mann sei, den man nicht einmal mit Hand¬ 
schuhen, eher mit der Feuerzange anfassen sollte. 
Er behauptet von ihm, daß er seine Freunde 
nicht nur an Montenegro verraten hat, sondern 
daß er auch von Bauch gezahlt wird. Das ist 
übrigens Sache des Dr. Friedjung. Er verurteilt 
den Mann, nimmt aber alle seine hier als un¬ 
richtig erwiesenen Darstellungen hin. Auch 
Dr. Friedjung glaubt, daß seit der Thronbestei¬ 
gung des Königs Peter im Jahre 1903 Ver¬ 
schwörungen gegen Österreich-Ungarn beginnen; 
er übernimmt die ganze Legende vom „Sloven- 
ski Jug“, er übernimmt das, was Nastid über 
die Bombenaffäre sagt, und sieht als Historiker 
in dem revolutionären Statut, über dessen Pro¬ 
venienz und Natur ich gesprochen habe, „eine 
aktenmäßige Aufdeckung“ — heißt es wörtlich 
— der ganzen großserbischen Propaganda. 


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* 


Dann bringt Herr Dr. Friedjung noch weiter 
vor, daß die serbo-kroatische Koalition von Bel¬ 
grad betrieben wurde, er behauptet, daß die 
selbständige serbische Partei in beständiger Ver¬ 
bindung mit Belgrad sei, daß reiche Geldspenden 
an einflußreiche Persönlichkeiten der Serben in 
Südungarn und Kroatien geflossen seien; er er¬ 
wähnt, daß es vier Abgeordnete des ungarischen 
Reichstages sind, die durch sein Dokument, 
nämlich den authentischen Bericht des Belgrader 
Sektionschefs Spalajkovich, graviert werden, er 
sagt ferner, daß der „Srbobran“ und einige andere 
Blätter der großserbischen, von Belgrad besto¬ 
chenen Bewegung zur Verfügung gestellt wurden. 
Endlich finden wir in dem Artikel auch An¬ 
deutungen über die serbenfreundliche Politik des 
Kossuth, worin er sich mit der „Reichspost“ 
und der „Armeezeitung“ im Einklang befindet. 

Herr Dr. Friedjung hat die vier Abgeordne¬ 
ten nicht genannt, die durch den Sektionschef 
im Ministerium des Äußern, Spalajkovich, be¬ 
stochen worden seien, aber die „Reichspost“ hat 
nach dem Artikel des Dr. Friedjung einen neuen 

Artikel gebracht und darin die vier Männer ge- 

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nannt: Supilo, Lukinic, Pribicevid, der Redakteur 
des „Srbobran“, und Potocnjak. 

Gegen Dr. Friedjung ist schon eine Doppel¬ 
klage im Zuge; ich werde also vieles, was 
Gegenstand der Klage ist, hier nicht Vorbringen, 
aber ich muß dasjenige doch zurückweisen, was 
meine Behauptungen zu widerlegen schiene. Vor 
allem: alles das, was Herr Dr. Friedjung aus 
Nastid anführt, ist nichtig, nämlich das, was er 
über den „Slovenski Jug“, über die Agitation 
der Dynastie in Österreich-Ungarn und über das 
Statut vorbringt. Das alles entfällt. 

Zweitens: Jeder, der die Verhältnisse nur 
ein wenig kennt, sieht, daß Herr Dr. Friedjung 
im Detail ganz unrichtige Tatsachen vorbringt. 
So hat zum Beispiel nicht Adam Pribicevid, wie 
er (übrigens in dem Artikel der Grazer Tages¬ 
post vom 9. März d. J.) behauptet, das Statut 
versendet. Über Supilo finden wir die Angabe, 
daß er ein Serbe ist; das ist nicht richtig, denn 
er ist ein Kroate und schon daraus sieht man, 
daß Dr. Friedjung keinen Einblick in die Ver¬ 
hältnisse hat. Dr. Friedjung glaubt weiters, daß 
das Organ des Supilo, der „Novi list*, von Serbien 


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aus bezahlt werde. Der „Novi List“ wird von 
80 der reichsten Kroaten in Fiume unterstützt; 
dieses Konsortium von etwa 80 Männern ist, 
wie mir gesagt wird, minimal 80, vielleicht 
100 Millionen stark — solche Männer werden 
sich nicht von Serbien bezahlen lassen. Der 
„Novi list“ hat gar keine Abonnenten in Belgrad, 
nur fünf, sechs Abonnenten unter den Serben 
in Kroatien; er soll also für etwas, was er gar 
nicht leistet, gezahlt werden! 

Ebenso weiß ich, daß die „Sloboda“, die 
Dr. Friedjung anführt, von Dr. Popovid und von 
einigen Abgeordneten, wenn es nötig ist, er¬ 
halten wird, aber von Serbien absolut kein Geld 
bekommt. 

Besonders wird Svetozar Pribiöevid, auch als 
Redakteur des „Srbobran“ angegriffen; dieses 
Blatt wird als das schlechteste und bezahlteste 
Organ hingestellt. Der „Srbobran“ hat natürlich 
eine Geschichte, wie jedes ältere Blatt. Bis zum 
Jahre 1897 war Jovanovid (aus Syrmien) Redak¬ 
teur. Er war ein Kamerad des Pasid; sie haben 
beide zusammen studiert und vor dem Jahre 1897 

können Sie Über Pasid im „Srbobran“ freund- 

7 * 


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lichere Notizen finden; aber der „Srbobran“ 
Pribicevic’ schreibt gegen die Politik Pasid’. Vom 
Jahre 1897 bis September 1902 haben Kauf¬ 
leute den „Srbobran“ herausgegeben; als im 
Jahre 1902 die serbischen Demonstrationen in 
Agram stattgefunden haben, wurde das Blatt 
dann bis zum 1. Jänner 1903 von der Regie¬ 
rung eingestellt. Im Jahre 1903 wurde von den 
Kaufleuten — das ist ja alles mit Dokumenten 
zu beweisen — Pribicevic als Redakteur ange¬ 
stellt, weil er zu der serbo-kroatischen Jugend 
gehörte und darum den Kroaten angenehmer 
wäre. Auch der »Srbobran“ würde, wenn es 
nötig sein sollte, von reichen Leuten, wie dem 
Abgeordneten Medakovic, einem Millionär usw., 
subventioniert. Ich habe in alle diese Dinge ge¬ 
naue Einsicht; man hat mir die finanzielle Ge¬ 
schichte der denunzierten Blätter dokumentarisch 
an vertraut, ich weiß von jedem Kreuzer aus der 
Geschichte aller dieser Blätter und ich kann 
eben nur soviel sagen, daß alles, was vor¬ 
gebracht wurde, unrichtig ist. 

Aber Herr Dr. Friedjung sieht auch nicht, 
daß die Verkettung dieser vier Abgeordneten 


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Pribiöevid, Supilo, Lukinic und Potocnjak rein 
politisch unrichtig und unmöglich ist. Pribicevid, 
Supilo, Lukinid verkehren seit dem Jahre 1906 
mit Potocnjak nicht mehr. Potocnjak ist von 
der Regierung Khuen-Hedervary her bekannt. 
Er ging 1906 mit der serbo-kroatischen Koalition 
und wollte, daß diese die Stellen in der Landes¬ 
regierung okkupiere; seine politischen Freunde 
wollten das nicht, infolgedessen ist er mit seinen 
Kollegen aus der Koalition in Feindschaft geraten. 
Supilo war sein Gegenkandidat und hat ihn zum 
Falle gebracht, und Potocnjak geht jetzt mit Rauch 
und Frank. Die Leute verkehren gar nicht mit¬ 
einander und nun wird behauptet, daß sie zu¬ 
sammen unter der Ägide des serbischen Sektions¬ 
chefs einen Hochverratsakt abgefaßt haben. Es 
hätte auch keinen inneren Sinn: die Koalition ist ja 
zur Budapester Regierung und zu Kossuth wegen 
der Eisenbahnpragmatik in Opposition getreten; 
wie kann man gleichzeitig beweisen wollen, daß 
Kossuth und die kroatische Koalition an einer 
Leine ziehen? 

Ich erkläre hier: Was Supilo, PribiÖevic und 
Lukinid anbelangt, lege ich meine beiden Hände 


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ins Feuer für diese Männer. (Bravo! *) Ich kenne 
ganz genau ihre Geschichte, und es ist gerade¬ 
zu lächerlich, wenn zum Beispiel Lukinic, in 
das Dokument gebracht wird. Das ist wahr¬ 
scheinlich ein Druckfehler: der Schreiber meinte 
wohl Lorkovic, den Führer der Fortschritts¬ 
partei. 

Nun zu den Dokumenten, welche Dr. Fried¬ 
jung angeführt hat. Der Sektionschef Spalajko- 
vi6 habe also mit diesen vier Abgeordneten einen 
Pakt geschlossen, habe ihnen nicht so viel geben 
können — 50.000 Franken oder so etwas — 
als sie verlangt haben; darum seien sie auf 
12.000 Franken herabgegangen, für jeden also 
3000 Franken. Als ich dies, der ich die Ver¬ 
hältnisse kenne, gelesen habe, wußte ich augen¬ 
blicklich : Die ganze Geschichte ist ein Schwindel. 
Ich bin in Belgrad auch zum Minister des 
Äußern, Milo van ovid, gegangen und habe ihn 
gefragt, ob er tatsächlich einen so ungeschick¬ 
ten und dummen Sektionschef habe, der nach 

*) Herr Potoßnjak kenne ich nicht, aber es ist klar, 
daß er mit den drei genannten zusammen nicht kon¬ 
spiriert hat. 


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Ungarn hinübergeht und selbst Verhandlungen 
leitet? Mir hat der Minister Milovanovid kate¬ 
gorisch erklärt, daß dieses Dokument, von dem 
Dr. Friedjung und einige Blätter sprechen, nicht 
existiert und nicht existiert hat; er selbst hat 
Spalajkoviö interpelliert, ob er vielleicht in 
irgendeinem Privatbrief etwas geschrieben hätte, 
was man falsch deuten könnte. Dr. Spalajkovic 
behauptet, auch das habe er nicht getan, wie 
denn Dr. Spalajkovic auch schon in der „Neuen 
Freien Presse“ die Existenz des Dokuments be¬ 
stritten hat. 

Übrigens handelt es sich mir nicht um Spa- 
lajkovid, ich bin nicht sein Advokat. Die Sache 
mit Dr. Friedjung und dem Ministerium des 
Äußern steht so: Dr. Friedjung behauptet, der 
Bericht des Sektionschefs Spalajkoviö an sein 
Ministerium, das er in Händen habe, sei echt. 
Gut. Ich frage: Ist dieses Dokument auch wahr? 
Ist der Inhalt dieses Dokuments wahr? Wenn 
das Dokument echt ist, ist der Bericht des 
Spalajkoviö selbst im Original vorhanden, dann 
ist dieses Dokument von unseren österreichi¬ 
schen Agenten im Ministerium in Belgrad ein- 


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fach gestohlen worden. (Abgeordneter Dr. Per- 
nerstorfer: Oder es kann auch gekauft sein!) 
Ich meine ja gekauft. 

Ich weiß, daß Dr. Friedjung nicht serbisch 
liest, ich weiß also nicht, wie er sich für die 
Echtheit des Schriftstückes einsetzen will. Viel¬ 
leicht ist da nur eine Unterschrift des Spalaj- 
koviö, vielleicht ist das Dokument nur eine 
Photographie. Ich habe mich bei Photographen 
erkundigt, ob man Schriftstücke so zusammen¬ 
stellen kann, daß man auf der Photographie die 
Zusammenlegung nicht erkennt, und man hat 
mir gesagt, man kann das so geschickt machen, 
daß eine solche zusammengelegte Photographie 
wie ein ursprünglich ganzes Dokument aussehen 
würde. 

Das alles geht mich aber gar nichts an. Ich 
sage folgendes: Ganz gewiß ist der Inhalt des 
Dokuments falsch. Ich weiß, daß die angeführten 
Personen Dr. Spalajkovid gar nicht kennen, von 
ihm nicht bestochen worden sind usw. Wenn 
Herr Spalajkoviö trotzdem einen solchen Bericht 
an seinen Minister geschrieben hat, der dann 
entwendet wurde, so bedeutet das, daß Spalaj- 


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kovic einen falschen Bericht an seine Regierung 
gegeben hat, respektive, daß er sich diese 
12.000 Franken angeeignet hat. (Heiterkeit.) Ich 
sage: Wenn! Das ist Sache des Herrn Spalaj- 
kovic, das soll sich das serbische Ministerium 
mit unserem Ministerium ausmachen, aber die 
serbo-kroatischen Abgeordneten geht das absolut 
nichts an. 

Natürlich werden noch andere Dinge geltend 
gemacht, und zwar gegen den Abgeordneten 
Supilo, der besonders mit Pasic in Verbindung 
gebracht werden soll. Abgeordneter Supilo ist 
als Führer der Fiumaner Resolution und der 
neueren Politik vielen Herren höchst unange¬ 
nehm; infolgedessen ist gegen ihn manches — 
wie behauptet wird — Dokumentarisches im 
Ministerium des Äußern zu finden. 

Auch da ist Herr Frank beteiligt, der ist 
überall zu haben, wo etwas Unlauteres im Spiele 
ist. Im Organ des Herrn Frank war schon im 
Jahre 1905 unter dem Namen „Argus* der 
ganze Tratsch, der dokumentarisch im Ministerium 
des Äußern vorliegen soll, zu finden. (Ruf: Da¬ 
hinter steckt ein Schwindler, Simeon Pierotid!) 


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Ja, Supilo hat das alles entlarvt. Supilo hat das 
Franksche Organ geklagt, Frank hat beigeben 
und konstatieren müssen, daß ihm die Doku¬ 
mente, über die er spricht, nicht zur Verfügung 
stehen. Es gibt da einfach kein wahres Doku¬ 
ment. Aber kaum, daß Frank das erklärt hat, 
hat er später (1907) in einer Rede im Landtag 
erklärt — nach dem Prozeß mit Supilo — daß 
ein gewesener kroatischer Minister und ein ak¬ 
tiver österreichischer Minister ihm bewiesen 
haben, daß es mit Supilo doch nicht ganz im 
Reinen sei. Mit dem gewesenen kroatischen 
Minister hat Dr. Frank Tomasiö gemeint und 
mit dem österreichischen Goluchowski. 

Ich kenne den Inhalt des Dokuments, das 
über Supilo und seinen Belgrader Aufenthalt 
April 1905 in diffamierender Absicht verbreitet 
wurde und das auch der angeführte Minister 
Tomasic gehabt hat. Ich werde dem Prozeß Su- 
pilos und Genossen mit Dr. Friedjung nicht vor¬ 
greifen, aber ich mache Sie schon jetzt darauf 
aufmerksam, Sie werden die komischesten Sachen 
erfahren, wie Dokumente fabriziert werden, wie 
sogar ein Beamter des Ministeriums des Äußern 


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ein verlogenes Dokument fabrizieren kann und 
eine journalistische Prophezeiung macht, welche 
in Erfüllung gegangen ist und welche die Herren 
wahrscheinlich als Beweis für die Richtigkeit 
ihres Gewährsmannes ansehen. 

Dr. Friedjung hat die Politik Baron Aehren- 
thals verteidigt und es ist ersichtlich, daß Dr. 
Friedjung vom Ministerium des Äußern infor¬ 
miert und instruiert worden ist. In einem Inter¬ 
view hat Dr. Friedjung geäußert: „Baron Aehren- 
thal weiß so gut wie ich, daß die Dokumente 
echt sind.“ Vielleicht hat Dr. Friedjung den Aus¬ 
spruch anders getan, wie mir auch berichtet 
wurde — das geht mich nichts an. Tatsache 
ist, daß Dr. Friedjung vom Ministerium des 
Äußern instruiert wurde. 

Nun, meine Herren, ich bin loyal genug, 
gegenüber dem Minister Aehrenthal hier zu 
konstatieren, daß einige dieser Dokumente von 
Goluchowski herrühren. Aber er ist bisher nicht 
kritisch vorgegangen und hat sich dieser falschen 
Dokumente nicht entledigt. Mit welchen Leuten 
unser Ministerium des Äußern da unten arbeitet, 
darüber könnte ich eine sehr lange Rede halten. 


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Ich könnte Ihnen viele Individuen charakteri¬ 
sieren, mit denen das Ministerium des Äußern 
da operiert. 

Ich will Ihnen vorläufig nur einen Fall er¬ 
zählen, der einen gewissen Milan Radivojeviö 
angeht. Dieser Milan Radivojeviö (er war Offizial 
der Finanzdirektion inVukovar) ist zu drei Jahren 
schweren Kerkers verurteilt worden. Er hat neue 
Fälschungen begangen, das Offizierskleid ohne 
Recht angelegt und überhaupt viele Schwinde¬ 
leien begangen. Er wurde festgenommen, aber 
über Intervention des Ministeriums des Äußern 
ist dieser Mann im November 1908 auf freien 
Fuß gesetzt worden. Das Ministerium des Äußern 
hat versprochen, seine Schulden zu zahlen. (Ab¬ 
geordneter Dr. Redlich: Wo ist dieser Mann?) 
Jetzt, glaube ich, in Semlin. 

Ich führe das nur deshalb an, weil ich sagen 
möchte, daß ich mir an Stelle Dr. Friedjungs 
ein Dokument, das mir das Ministerium des 
Äußern geben würde, wenigstens zweimal genau 
ansehen würde, bevor ich daran glaube. Würde 
man an Baron Aehrenthal das Ansinnen stellen, 
gegen den Agramer Prozeß im Interesse Öster- 


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reichs sein Veto einzulegen, so würde er gewiß 
auf die Schranken seiner Kompetenz sich be¬ 
rufen — darum führe ich den Fall Radivojeviö 
an, um derartige Kompetenzbedenken zu charak¬ 
terisieren. 

Dr. Wekerle hat sich schon aus der Sache 
zu ziehen gesucht. Er hat sich wenigstens über 
diese Dokumente und ihre Beweiskraft, wie aus 
einer Nachricht — ich glaube im „Pester Lloyd“ 
— hervorgeht, skeptisch ausgesprochen. 

Man muß sich gegen solche Dokumente in 
Kroatien und Ungarn skeptisch verhalten. Er¬ 
innern Sie sich, meine Herren, vor einigen Jahren 
hat ein Journalist die gefälschten Briefe Stroß- 
mayers an die »Kölnische Zeitung“ verkauft. 
Es kam dann zu einem öffentlichen Prozeß, 
natürlich hat das dem Manne nichts geschadet, 
er hat den Eisernen Kronen-Orden bekommen. 
(Heiterkeit.) Erinnern Sie sich auch an Professor 
Jagie im Jahre 1870. Professor Jagid ist auch 
ein Verräter, weil er die Politik, die damals 
nach dem Ausgleich mit Ungarn inauguriert wurde, 
nicht goutiert und das Land verlassen hat, wahr¬ 
scheinlich zum Nutzen der Wissenschaft und 


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auch seines Vaterlandes. Aber das komischeste 
Präzedens finden Sie aus dem Jahre 1872. Da¬ 
mals war die Deäkpartei mit Lonyay am Ruder. 
Hier haben Sie den schon erwähnten Aus¬ 
zug aus einer größeren Publikation: „Aus dem 
schwarzen Blatte einer nicht langen Vergangen¬ 
heit.* Unter Baron Rauch, dem Vater unseres 
Rauch, wurde eine panslawistische — damals 
noch nicht großserbische — geheime Verbindung 
konstruiert. Man hat einige „Promemoria“ um 
Geld fabriziert, wo auch wir Tschechen, Rieger 
und andere denunziert worden sind und man 
hätte ebenso wie jetzt einen Prozeß geführt, 
wenn eben die Sache nicht anrüchig geworden 
wäre; der Hauptfaiseur wurde durch die realen 
Gegenargumente des Bischofs Stroßmayer, er¬ 
zählt man, gerührt und er hat die ganze Ge¬ 
schichte an das Tageslicht gebracht. (Heiterkeit.) 
Jedenfalls muß man höchst yorsichtig sein, wenn 
man auf Grund offizieller „Dokumente* solche 
Anklagen lanciert und sogar als wissenschaftliche 
Anklagen lanciert, wie dies in diesem Falle ge¬ 
schehen ist. Dr. Friedjung zeigt in seiner Vor¬ 
rede zum „Kampf um die Vorherrschaft Deutsch- 


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lands“ sehr gut, wie die österreichische Diplo¬ 
matie an Aristokratismus leidet — der ganze 
Agramer Prozeß und die Bekämpfung unliebiger 
Politiker mittels gefälschter Dokumente ist — 
aristokratisch! 

Ich bin mit meiner — ich möchte sagen — 
dokumentarischen Arbeit zu Ende. Ich glaube, 
meine Herren, den strikten, wo nötig, auch do¬ 
kumentarischen Beweis erbracht zu haben, daß 
es keine großserbische Irredenta auf österreichi¬ 
schem, ungarischem und kroatischem Gebiete 
gegeben hat und gibt und daß dieser ganze Pro¬ 
zeß in Agram kein Hochverratsprozeß, sondern 
eine Schande der Justiz Ungarns und Kroatiens 
ist (lebhafte Zustimmung); und ich glaube, meine 
Herren, er fangt schon an, auch eine Schande 
Österreichs zu sein. (Rufe: Ja wohl!) 

VII. 

10. Es erübrigt mir noch, in kurzen Zügen 
die Bedeutung des Agramer Prozesses geschicht¬ 
lich und politisch zu beurteilen. 

Durch die Annexion ist Österreich der größte 
südslawische Staat geworden. Ich bitte, sich die 


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statistischen Daten vor Augen zu halten und sich 
zu erinnern, daß es gering gerechnet neun Mil¬ 
lionen Serbokroaten gibt, daß das ein Volk ist, 
welches geschlossen beisammen wohnt, aber 
leider unter neun verschiedenen staatlichen Ad¬ 
ministrationen und Verwaltungen zerstückelt ist. 
Es ist darum begreiflich, daß die Serben und 
Kroaten nach ihrer Einheit streben müssen und 
streben werden. 

Von diesen 9 oder 10 Millionen sind sechs 
Millionen orthodox, 3 Millionen katholisch und 
3 / 4 Millionen sind Mohammedaner; also auch 
hier eine Zerstückelung, die es dem Volke nötig 
macht, die kirchlichen Gegensätze zu überbrücken. 
Von den österreichischen Serbokroaten ist bei¬ 
läufig die Hälfte orthodox, die Hälfte katholisch; 
außerhalb Österreichs gibt es jetzt nur orthodoxe, 
die katholische Minorität ist unbeträchtlich. 

Die Serben und Kroaten sind ein Volk; auch 
Fürst Liechtenstein hat unlängst betont — und 
ich bin froh, daß er es getan hat — daß die 
Serben und Kroaten ein Volk sind und sein 
sollen. Nun will man aber durch den Prozeß 
erreichen, daß diese Einheit gestört werde. Die 


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jüngere Generation, die gebildeten Schichten 
unter den Serben und Kroaten, werden selbst¬ 
verständlich überall hier in Österreich und TJn- 

• • 

garn und ebenso auch außerhalb Österreichs auf 
die nationale Einigung hinarbeiten. National, 
meine Herren, besagt nicht staatlich. Wenn die 
Deutschen in Österreich neben den Deutschen 
im Reiche hier im Staate Österreich sein können, 
warum könnten und sollten nicht in Österreich 
die Serben und Kroaten mit den Serben und 
Kroaten in einem anderen Staate sich national 
eins fühlen dürfen? Warum dürften sie nicht zu 
dieser kulturellen Nationaleinheit gemeinsam 
hinarbeiten? Die politisch so schädlichen katho- 
lisierenden Tendenzen des Erzbischofs Stadler 
und die verfehlte Politik in Kroatien wird diese 
Entwicklung nicht lange mehr aufhalten können. 

Wir stehen durch die Annexion vor dieser 

großen Aufgabe des serbokroatischen Volkes: 

Wie will sich Österreich dazu stellen? Wie will 
• • 

sich Österreich zu dieser notwendigen und un¬ 
abänderlichen nationalen Einigung des serbo¬ 
kroatischen Volkes stellen? 

Mit der bisherigen Politik geht es nicht. 

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Wir sehen das an Bosnien und der Herzegowina. 
Warum sind die Bosnier und Herzegowiner un¬ 
zufrieden, trotzdem man Millionen, ja Milliarden 
in das Land hineingesteckt hat? Mit technischen 
Mitteln der Kultur, mit Straßenbauten, Meliora¬ 
tionen und Tabakpflanzungen usw. kann man 
das Herz eines Volkes nicht gewinnen. Bosnien 
und Herzegowina wurde zu einem politischen 
China am Balkan gemacht, es herrschte eine 
Unfreiheit, daß sich das Volk politisch gar nicht 
bewegen und entwickeln konnte, und darum ist 
man dort der Annexion nicht sehr froh geworden. 
Sie haben es gesehen und man muß das vom 
österreichischen Standpunkt beklagen, als die 
Annexion proklamiert wurde, hat man trotz allen 
Versuchen keine große feierliche Stimmung in 
Bosnien und Herzegowina wahrgenommen. Meine 
Herren, das spricht deutlich genug für diejeni¬ 
gen, die sehen wollen. 

Im Süden darf eben nicht ungarisch — magya¬ 
risch — geherrscht werden, man darf nicht 
die Politik treiben, die man bisher auch in Kroa¬ 
tien getrieben hat. Sie haben unlängst lesen 
können, wie der rumänische König nach dem 


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Besuch des deutschen Kronprinzen sich ^über 
Ungarn ausgesprochen hat: Eine intimere An¬ 
gliederung Rumäniens an Österreich sei solange 
unmöglich, als die Magyaren ihre antirumäni¬ 
sche Politik treiben werden. Meine Herren, das 
hat der König von Rumänien gesagt, ohne — 
wie er betonte — sich in die ungarischen Ver¬ 
hältnisse einzumischen. Und ganz so gilt das Ge¬ 
sagte von den Serben und Kroaten, es gilt von den 
Slowaken, die Magyaren begehen gegen die Natio¬ 
nalitäten politische Verbrechen. Ja, mit einer 
solchen Politik ist es unmöglich, die Slawen zu 
gewinnen (So ist es!), und wenn Österreich hier 
Wandel schaffen will, wenn man mit der An¬ 
nexion, wie fort behauptet wird, etwas Neues, 
Großes schaffen will, so ist es vor allem nötig, 
daß die ungarische Krise — und ich spreche 
ja, wenn Sie es genau betrachten, eigent¬ 
lich nur über die ungarische Krise — endlich 
einmal fundamental, und zwar in dem Sinne ge¬ 
löst wird, wie es uns Österreichern, natürlich 
• • 

allen Österreichern, von Vorteil ist. 

Die offiziöse Presse und die offiziellen Poli¬ 
tiker haben die Annexion von Bosnien und der 

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Herzegowina als eine große weltgeschichtliche 
Tat hingestellt und für die Entwicklung Öster¬ 
reichs als neue Phase gedeutet. Ich kann mich 
in diese Auffassungsart nicht recht hineinfinden: 
mir ist jeder Tag, jeder Augenblick der Gegen¬ 
wart das gros de i'avenir; Österreich-Ungarn 
steht jeden Tag vor seinem Probleme, wie es 
als Gesamtstaat neben und in der sich vollziehen¬ 
den Organisation seiner Völker und Völkerteile 
organisch bestehen kann und soll. Das richtige 
Verhältnis zwischen Staat und Nation zu finden 
— so lautet das Problem Österreich-Ungams, 
seitdem der Absolutismus prinzipiell und faktisch 
aufgegeben wird. 

Österreich muß ein Reich werden — nicht 
eine Politik der Deutschen, nicht eine Politik 
* der Magyaren, nicht eine Politik der Tschechen 
usf. darf getrieben werden, sondern wenn 
das Reich als Ganzes etwas Organisches sein 
will, so müssen wir Reichspolitik machen, aber 
nicht magyarische Vergewaltigungspolitik! (Bei¬ 
fall.) Und deshalb kann ich nur mit dem Be¬ 
dauern schließen, daß die unlängst als „ritter¬ 
liche Nation“ der Magyaren .... (Zwischenrufe.) 


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(Abgeordneter Dr. Mtihlwerth: Ich möchte wissen, 
wer im deutschen Volke den deutschen Kaiser 
ermächtigt, die Magyaren eine ritterliche Nation 
zu nennen!) Ich weiß das auch nicht, aber es 
gibt auch Raubritter! Vielleicht deshalb, weil 
Sie zwei Millionen Deutsche in Ungarn haben, 
die Sie den Magyaren opfern sollen! 

In Kroatien ist die magyarische Vergewalti¬ 
gung mit einer eigentümlichen Falschheit ge¬ 
paart: Wekerle hat (Ende Jänner) auf eine 
Interpellation des Abgeordneten Polit die austro- 
phile und die über die Grenze gravitierende 
politische Richtung der Südslawen gerügt. Die 
Südslawen wohnen eben auch außerhalb Öster¬ 
reichs, ihre nationale Einigung kann durch 
keine einseitig magyarische Politik auf die 
Länge der Zeit verhindert werden; daß die v 
Südslawen auch reichstreu sein wollen, das wäre 
ganz in der Ordnung, nur müßte allerdings auch 
ein starkes und zielbewußtes — Reich vor¬ 
handen sein! 

Soll es ein solches Reich geben, so muß ich 
den Wunsch aussprechen, daß wir Tschechen und 
Deutschen uns endlich verständigen. Meine Herren! 


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Aus alledem, was in Agram vorgeht, müßten 
wir Deutsche und Tschechen schon vor den Kopf 
gestoßen werden, wie notwendig es ist, daß die 
Tschechen und Deutschen sich endlich verstän¬ 
digen, wenn wir eine halbwegs großzügige Politik 
machen wollen; darum schließe ich mich den Aus¬ 
führungen meines Freundes Dr. Pacak an, der für 
den Frieden zwischen uns gesprochen hat. Wenn 
man hüben und drüben sagt: es sei nicht zeit¬ 
gemäß, so sage ich: es ist die höchste Zeit, 
daß wir endlich Räson, Staatsräson, annehmen, 
denn nur dann werden wir tatsächlich eine Po¬ 
litik am Balkan führen können, die nicht nur 
für die Slawen und einzelnen Nationen, sondern 
auch für Österreich von Vorteil sein wird — 
ich spreche vom Reichsstandpunkte. 

Man spricht jetzt nach der Annexion, be¬ 
sonders in Wien, von einem großen politischen 
Erfolg. Ich will die Verdienste Baron Aehren- 
thals nicht verkleinern, obwohl man gerade an 
den Prinzipien seiner Annexionspolitik ein Schul¬ 
beispiel für den Satz aufstellen könnte, daß die 
Erfolge der Politik eigentlich nur das Korrigie¬ 
ren der gemachten Fehler ist. Doch lassen wir 


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die politische Philosophie beiseite, stellen wir 
uns lieber vor das südslawische Problem. 

Der Balkan wird sich entweder unter der 
entscheidenden Führung der Türkei, Rußlands 
oder Österreichs weiter entwickeln, oder die 
Balkanstaaten werden selbst so stark sein und 
den Balkan dem Balkan revindizieren. Wann 
werden die Balkanstaaten so stark sein, wann 
wird der direkte Einfluß Österreichs und Ru߬ 
lands auf dem Balkan auf das Maß gebracht 
werden, das diese Staaten den übrigen Staaten 
gegenüber ausüben? 

Für die nächste Zukunft ist an eine solche Er¬ 
starkung der Balkanstaaten, ist auch an eine 
Erstarkung der Türkei nicht zu denken; prak¬ 
tisch ist die Frage, welcher Staat am Balkan 
der kräftigste sein wird; in Rücksicht auf die 
Slawen lautet die Frage: Bulgarien oder Serbien ? 

Nur einige Worte über Serbien. 

Serbien (und Montenegro) haben eine eigen¬ 
tümliche historische Bedeutung für die Süd¬ 
slawen, vorerst am Balkan. Serbien und Monte¬ 
negro haben die türkische Herrschaft nie 
anerkannt, sie haben speziell die türkische 


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Herrschaft über das serbische Volk nie an¬ 
erkannt ; wenn sich nun Österreich mit der 
Türkei allein über die Annexion der serbokroa¬ 
tischen Länder Bosniens und der Herzegowina 

• • 

verständigt, wenn Österreich die Herrschaft der 
Türkei einfach übernimmt, so können Serbien 
und Montenegro diese Zedierung nicht ohne 
weiteres anerkennen. Das europäische Mandat, 
nicht nur der Okkupation, sondern auch der 
Annexion wäre für Serbien und Montenegro 
rechtskräftiger. 

Serbien hat überdies das natürliche Recht, 
sein wirtschaftliches Gedeihen durch einen Aus¬ 
weg zum Meere zu versichern. 

Österreich und die übrigen Staaten haben 
diese Rechte Serbiens und Montenegros an¬ 
erkannt und darum zeitweile eine Vergrößerung 
des Territoriums zugelassen. Österreich hat 
1870 durch Andrässy Serbien die Annexion von 
Bosnien und Herzegowina und von Altserbien 
angeboten; im Reichstädter Vertrag von 1876, 
so weit man über denselben urteilen kann, wurde 
Serbien ein Gebiet an der Drina Vorbehalten, 
Österreich sollte nicht das ganze Bosnien und 


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die Herzegowina erhalten. Der Friede zu St. Stefano 
sicherte Serbien und Bosnien serbische Gebiete. 

Damit ist der Beweis erhracht, daß Öster¬ 
reich selbst, ebenso wie die übrigen Staaten, 
das historische und natürliche Recht Serbiens 
auf Gebietsvergrößerung anerkannt haben; es ist 
darum nicht richtig, wenn jetzt der Annexion 
von Bosnien und der Herzegowina durch Öster¬ 
reich von einem Teil der österreichischen Pu¬ 
blizistik eine so absolute politische Bedeutung 
zugesprochen wird. Nicht nur Rußland, sondern 
auch Frankreich und England haben die An¬ 
sprüche Serbiens bis in die letzte Zeit unterstützt. 

Man muß alle diese Tatsachen sich vor Augen 
halten, wenn man Serbien gegenüber gerecht 
werden will und wenn man die sog. großserbi¬ 
sche Idee und die serbische Propaganda dieser 
Idee ira Zusammenhang mit der ganzen Balkan¬ 
entwicklung begreifen will. Ich fürchte keinen 
patriotischen Index und suche die Verhältnisse 
so darzustellen, wie dieselben faktisch sind — 
übrigens sind die Annexionspatrioten schon etwas 
abgekühlt, seit ihnen die Finanzminister die 
Rechnung präsentieren. 


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Österreich und seine Diplomatie hat sich in 
Serbien nicht immer klug genug und genug 
taktvoll benommen. Ich kann zum Beispiel nicht 
begreifen, warum Graf Forgäch (1907) die serbi¬ 
sche Schulgeographie beanstandet, weil in ihr 
Bosnien und Herzegowina serbische Länder ge¬ 
nannt werden und weil von fremden Regierun¬ 
gen über das serbische Volk gesprochen wird. 
Wenn die Agramer Anklage so kleinlich ist, so 
ist das eher begreiflich*). 

Diese politische magyarische Philologie geht 
so weit, daß zum Beispiel wissenschaftliche Ar¬ 
beiten (die Geschichtswerke von Prof. Stano- 
jevic) für Österreich-Ungarn konfisziert werden, 
weil sie historische Tatsachen enthalten, die in 
deutschen Arbeiten schon lange und oft gedruckt 
sind. Und ähnliche Kleinlichkeiten kann man 
Serbien gegenüber auch auf wirtschaftlichem Ge¬ 
biete konstatieren. Das ist magyarische, nicht 
österreichische Reichspolitik! 

Ich lasse mich nicht darauf ein, die zu- 

*) In diesen serbischen Schulbüchern wird doch auch 
das slawische Bulgarien als fremder Staat genannt, 
weil es über einen Teil der Serben herrscht. 


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künftige Entwicklung des Balkans zeichnen zu 
wollen; nur so viel wollte ich sagen, daß Öster¬ 
reich als der größte südslawische Staat seiner 
Balkanpolitik eine andere Richtung geben muß, 
daß es die Südslawen für sich zu gewinnen, 
trachten muß. Das bedeutet allerdings die un¬ 
garische Krise lösen wollen. 

Wenn auf die günstigen Erfolge der Bundes¬ 
treue seitens Deutschland hingewiesen wird, so 
habe ich nichts dagegen; aber den Wunsch 
dürfen und müssen wir, die wir ein starkes 
Österreich haben wollen, aussprechen, daß sich 
Österreich eben auf seine wahre Kraft besinne 
— auf die Kraft der Völker! Österreich darf 
keine Politik der Rassen- und Völkeraristokratie 
führen, Österreich muß sich endlich im Innern 
und nach außen demokratisieren, Österreichs 
politische Schwäche ist der veraltete, kurzsichtige 
Aristokratismus und seine Diplomatie. Deutsch¬ 
land, das hat unlängst der Börsen-Kurier mit 
anständiger Offenheit gesagt, wird in Serbien 
seine eigenen wirtschaftlichen Interessen sehr 
energisch verfolgen. Das ist ganz in der Ord¬ 
nung; auch wir wünschen, daß Österreich in 


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Serbieu und am Balkan die österreichischen Inter¬ 
essen energisch verfolge, nicht aber die Inter¬ 
essen einer sozialen und nationalen Clique 

Meine Herren! Auf einem wichtigen Teil¬ 
gebiete des ungarischen Staates, in einem Lande, 
wo die herrschende Rasse sich seit 1848 als die 
größte Freiheitsnation hinstellt, kommt ein solcher 
Hochverratsprozeß vor. Ich bitte: ein Hochver¬ 
ratsprozeß! Der Begriff existiert ja unter modern 
denkenden, konstitutionell und parlamentarisch 
denkenden Politikern eigentlich gar nicht mehr. 
In einem modernen Staat, mit seiner Freizügig¬ 
keit, der den Bürgern erlaubt, auszuwandem, 
in einem Staat, in dem es nicht in erster Reihe 
auf das regner, sondern auf das gouverner an¬ 
kommt, in einem Staat, der wirtschaftliche, kul¬ 
turelle Aufgaben zu leisten hat, in einer Zeit, 
wo der Evolutionsgedanke die Politik ergreift, 
kommt man auf ungarischem und kroatischem 
Gebiete mit einem solchen Hochverratsprozeß! 

Ich schließe ab. Ich glaube das, was ich be¬ 
weisen wollte, bewiesen zu haben, vielleicht habe 
ich auch indirekt einen Beitrag zur Kulturge¬ 
schichte unseres größeren Vaterlandes gegeben. 


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Ich habe mich, meine Herren, an Tatsachen ge¬ 
halten; ich habe nicht alles vorgebracht, was 
ich weiß, daß es mir aber möglich war, einige 
wichtige Tatsachen vorzubringen, verdanke ich 
einigen Männern in hoher politischer Stellung. 
Es gibt hüben und drüben Männer genug, die 
sehen, daß der Karren verfahren ist und die 
einen Ausweg zu finden trachten. Ich danke 
allen denjenigen, die mir ermöglicht haben, 
dieses Material Ihnen hier vorzubringen. 

Stellen Sie sich vor, meine Herren, es sollen 
53 Galgen errichtet werden! 53 Galgen! Das 
ist eine traurige Reihe, die aus Agram über 
Budapest nach Wien reichen kann. Noch hier 
können wir ein solches Wahrzeichen asiatischer 
Kultur aufstellen; ich weiß nicht, wo man den 
letzten Galgen aufrichten wollte, ob auf dem 
Ballplatz oder vielleicht vor derbosnisch-herzego- 
winischen Wache, aber ich bitte Sie, meine 
Herren, lassen Sie ihn nicht aufrichten vor 
diesem unserem Parlament. Ohne Bild gesprochen: 
ich hoffe, es wird keinen Abgeordneten, keine 
Partei in diesem Hause geben, die auch nur in¬ 
direkt für dieses Schandmal der Kultur und 


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Politik, für diesen sogenannten Hochverratspro¬ 
zeß stimmen werden. (Beifall und Händeklatschen. 
— Redner wird beglückwünscht.) 

Meine Herren! *) Ich glaube, als Resultat der 
heutigen Verhandlung unseres Dringlichkeitsan¬ 
trages sagen zu dürfen, daß in merito keine einzige 
Stimme sich für den sogenannten Hochverratsprozeß 
vernehmen ließ. Im Gegenteil, es haben auch die¬ 
jenigen, welche formelle Bedenken vorgebracht 
haben, eigentlich gegen den Prozeß gesprochen. 

Ich war sehr neugierig, was die Regierung 
sagen wird. Nun, der Herr Minister Bienerth 
hat sich eigentlich auf geschickte Weise aus 
der Schlinge gezogen; seine Kompetenzbedenken 
sind schon durch unseren Präsidenten Dr. Pattai 
vorweggenommen worden. Dasselbe gilt auch 
für Dr. Sylvester, Marckhl und andere. Dr. Sj - 
vester hat sich nicht einmal die Mühe genommen, 
das Petitum meines Antrages genau zu lesen. 
Er hat geglaubt, ich hätte irgendwelche neue 
Beweise verlangt. Ich habe aber nichts anderes 
verlangt, als daß im bosnischen Ausschuß die 

*) Von hier ab das Schlußwort nach den Beden 
der übrigen Abgeordneten. 


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127 


vorgebrachten Beweise über die Abfallsbewe- 
gnng geprüft werden und jedenfalls hat ein Aus¬ 
schuß das Recht, eine Belehrung, sei es von 
welchem Ministerium immer, zu verlangen. 

Der Herr Kollege Mayr hat mir eine kleine 
Vorlesung über den Hochverrat gehalten. Ich 
habe den Eindruck, seine Partei ist durch den 
unrichtigen Artikel der „Reichspost“, allerdings 
auf höheren Wunsch, festgerannt und weiß nicht, 
wie sie sich nun in der Sache stellen soll. An 
demselben Tage machen die Anhänger Dr. Lue¬ 
gers einen Ausflug zu den Südslawen und gleich¬ 
zeitig stimmen sie hier gegdn dieselben. Das 
„Vaterland“ hat gestern oder vorgestern einen 
von seinem Standpunkte sehr richtigen Artikel 
über die Legitimität gebracht und den Herren 
eigentlich eine Vorlesung gehalten, wie sie sich 
nicht sogleich mit den Hochverrätern, den Jung¬ 
türken, und mit der Absetzung des legitimen 
Padischah zufriedengeben sollten. Ich konsta¬ 
tiere nur — und Kollege Nemec hat das zum 
Teil vorweggenommen — daß Baron Aehren- 
thal selbst als erster mit dem jungtürkischen 
Komitee verhandelt und derart selbst die Legi- 


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128 


timität nicht beachtet hat. Und doch so viel Lärm 
gegen den vermeintlichen Hochverrat in Agram! 

Ich bedaure, daß die freisinnigen Deutschen 
sich hinter formellen Bedenken verschanzen. Es 
ist mir um so lieber, daß ich wenigstens einen 
Deutschen nennen kann, meinen Kollegen Red¬ 
lich, mit dem ich manchmal nicht übereinstim¬ 
men kann, der sich diesmal der sachlichen Ar¬ 
gumentation nicht entziehen konnte. 

Es ist nicht nur die Humanität, die ich für 
unseren Antrag geltend gemacht habe, ich glaube, 
Ihnen bewiesen zu haben, daß wir in einem 
Momente, wo wir über die Annexionsfrage, über 
die bosnische Agrarbank sprechen, hier ein emi¬ 
nent österreichisches Problem, ja ich kann sagen, 
das österreichische Problem überhaupt besprechen 
und ich begreife darum nicht, wie man sich in 
einem Augenblick, wo wir uns für Österreich, 
für den Reichsgedanken, eine größere Zukunft 
auf dem Balkan wünschen, hinter so unwichtigen 
formellen Bedenken verstecken kann. 

Ich bitte, für unseren Dringlichkeitsantrag 
zu stimmen. (Lebhafter Beifall.) 


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im 


Der 


Agramer Hochverratsprozess 




und die 


Annexion von Bosnien und Herzegowina 






von 


Professor Dr. TH. 6. MASARYK 

Reicbsratsabgeordneter 




Zweite, ergänzte Auflage 




Verlagsbuchhandlung Carl Konegen 
(Ernst Stülpnagel) 


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Verlaisbudiliandlung Carl Konegen (Emst Stülpnagel). 


Soeben erschien: 



Kroatien und dessen Beziehungen 
zu Bosnien. 

Von einem kroatischen Abgeordneten. 

Die Schrift ist von einem genauen Kenner des 
kroatischen Landes und im Sinne der K 9 alitionspolitik 
geschrieben. 

8 x / 2 Bogen. Broschiert M. 1.25 = K 1.50. 

Von Th. G. Masaryk erschien früher: 

Freie 

Mltts id idf 

Leta 







Die kirchenpolitische Bedeutung 
:: der Wahrmund-Affäre. :: 


6V, Bogen. 


Broschiert M. 1.— = K 1.20. 





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