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Der Agramer Hochverratsprozess
und
/»
die Annexion von Bosnien nnd Herzegowina
Professor Dr. TH. GJ IASARYK
Reichsrataabgeorftfleter
Zweite, ergänzte Auflage
WIEN 1909
Verlagsbuchhandlung Carl Konegen (Ernst Stttlpnagel)
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Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung,
Vorbehalten.
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Gestfliehftfw*Baclidraekerei Brüder Holllnek, Wien III« Erdbergstrefie I.
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D US
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J
(
Vorwort.
Refined policy ever has been the
parent of confusion; and ever will be
so, as long as the world endures. Plain
good intention, which is as easily dis-
covered at the first view, as fraud is
surely detected at last, is, let me say,
of no mean force in the government of
mankind. Genuine simplicity of heart
is a healing and cementing principle.
Burke.
Der Minister eines großen Staates,
der die Politik zur Intrige herabwürdigt,
gleicht einem Fürsten, der vom Thron
herabsteigt, um in den Vorzimmern zu
sollizitieren. Wir haben in unseren Tagen
beides erlebt und werden es noch er¬
leben, weil es leichter ist, die Rolle des
Kammerdieners zu spielen als jene des
Herrn. Erzherzog Karl.
Diese Broschüre enthält die Reden, mit denen
ich im Abgeordnetenhause am 14. und 18. Mai
fviG.tL'3'72
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IV
den Dringlichkeitsantrag über den sogenannten
Hochverratsprozeß in Agram begründet habe;
stilistische Änderungen und ergänzende Aus¬
führungen mögen das gesprochene Wort in dieser
Form verstärken.
Unsere Geschäftsordnung verlangt für die
Annahme der Dringlichkeit eines Antrages zwei
Dritteile der Stimmen; die Abstimmung hat (am
18. Mai) für den Antrag 167, gegen denselben
132 Stimmen ergeben, somit hat sich für den
Antrag eine beträchtliche Mehrheit ausgesprochen.
Zu den Stimmen für kann man auch eine große
Zahl der Abgeordneten hinzu zählen, die sich
der Abstimmung enthalten haben.
Man hat im Abgeordnetenhause und in der
Presse die Frage erörtert, inwiefern mein Antrag
in die Angelegenheiten eines fremden Staates
sich einmenge und ob derselbe zulässig sei: der
Präsident des Hauses selbst hat sich für die
Zulässigkeit ausgesprochen.
Die erste Anregung zu meinem Auftreten
gegen den Agramer Prozeß ist von seiten der
kroatischen Abgeordneten geschehen. Und zwar
wurde ich ersucht, die Tatsachen über den Prozeß
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festzustellen; was weiter zu geschehen hätte, hing
von diesen Tatsachen und den parlamentarischen
Verhältnissen ab.
Ich habe mich für die Einbringung eines
Dringlichkeitsantrages entschieden, obwohl es
nicht leicht war, den Antrag der Geschäfts¬
ordnung gemäß ganz einwandfrei zu formulieren;
selbstverständlich habe ich mir selbst die Be¬
denken vergegenwärtigt, die formell erhoben
werden könnten. Aber ein Umstand war aus¬
schlaggebend: in Ungarn und Kroatien werden
die Verhandlungen des österreichischen Reichs¬
rates als immun behandelt und ich hoffte darum,
daß auch die Berichte über meine Rede und be¬
sonders der Wortlaut des stenographischen Pro-
tokolles in Ungarn und Kroatien nicht konfisziert
werden wird. Das wollte ich erreichen und das
habe ich erreicht. Das erklärt, warum ich den Rat
derjenigen nicht befolgen konnte, die die Ver¬
öffentlichung einer Broschüre für genügend und
'zweckentsprechend gehalten haben; ich war nicht
sicher, daß die Broschüre in Ungarn und Kroatien
freigelassen würde, ja ich war nicht sicher, ob
meine Broschüre, auf den Wunsch Ungarns, nicht
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VI
sogar in Österreich verhindert worden wäre. In
Kroatien wenigstens waltet während des Prozesses
eine Zensur, die der russischen in nichts nachsteht.
Mir war von vornherein klar, daß der Agramer
Prozeß unwahr begründet, daß er ein politischer
Prozeß ist. Das war mir klar, weil ich erstens
die führenden Angeklagten und ihre Verhältnisse
kenne.
Das war mir aber zweitens aus der Kenntnis
und Beurteilung der politischen Situation in
Kroatien und im Süden überhaupt klar. Ich be¬
obachte die Entwicklung Österreichs und der
Nachbarländer, zumal der slawischen mit mög¬
lichster Genauigkeit schon einige Dezennien, ich
kenne und beobachte Land und Leute, ich studiere
über Land und Leute, was politisch von Wichtig¬
keit ist und suche mir durch zeitweiliges Be¬
obachten an Ort und Stelle die gewonnenen An¬
schauungen zu rektifizieren und zu verifizieren —
mit einem Worte, ich kenne speziell Kroatien und
seine politische Entwicklung in solchem Umfang,
daß ich aus dieser Kenntnis heraus den Prozeß
von Agram ohne weiteres als falsch erklären
konnte.
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VII
Es handelte sich aber darum, dieses Urteil
für die weite politische Öffentlichkeit zu be¬
gründen. Das geschieht in dieser Publikation,
und zwar nicht bloß durch einen Indizienbeweis,
sondern durch eine Reihe von sichergestellten
Tatsachen.
Der Agramer Prozeß ist ein politischer Prozeß,
und zwar charakterisiert er die Politik, die im
Süden des Reiches, aber auch noch in Wien
gemacht wird, er charakterisiert ein gewisses
— ein niederes — Stadium der Politik, das
Stadium der Geheimpolitik oder wie man es
nennen soll.
Es ist dasjenige Stadium der politischen Ent¬
wicklung, auf welchem die Menschen die gesell¬
schaftliche Entwicklung, den historischen Ent¬
wicklungsprozeß noch nicht kritisch zu beob¬
achten und noch nicht sachlich zu beurteilen
vermögen; es ist das Stadium, auf welchem die
Menschen den historischen Massenprozeß noch
nicht begreifen, ja kaum sehen, sondern die
ganze Gesellschaft und ihre Geschichte auf einige
wenige Menschen und ihr Getriebe reduzieren.
Es ist, politisch gesprochen, noch die Epoche
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VIII
des Aristokratismus und des aristokratischen
Absolutismus. Die Politik ist auf diesem Stadium
Okkultismus, so wie alle Praxis — die Medizin,
Technik, der religiöse Kult, die ganze Praxis
ist auf diesem Stadium der Entwicklung okkul¬
tistisch. Die Politik ist da noch „Diplomatie“.
Dem gegenüber erleben wir es, daß sich die
ganze Praxis, auch die Politik, auf exakte Beob¬
achtung zu stützen beginnt; die Politiker und
Historiker fangen an, das Leben und die Ent¬
wicklung der gesellschaftlichen Masse zu beob¬
achten und zu begreifen, diese Beobachtung wird
Massenbeobachtung, die kritische Öffentlichkeit
tritt an Stelle der phantastischen Geheimtuerei,
das politische Augurium wird durch das politische
Wissen ersetzt. Die höfische aristokratische
Diplomatie und ihre Einbildung, die Ansichten
und Handlungen der wenigen Machthaber und
ihrer Helfer habe die entscheidende Führung
der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, beginnt
zu schwinden, die Politik, die innere und die
äußere, unterliegt der Kritik und Öffentlichkeit,
die Politik wird zur Wissenschaft, die Politik de¬
mokratisiert sich. Der aristokratische Absolutismus
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IX
und dessen diplomatischer Okkultismus macht dem
Demokratismus und dessen kritischer, wissen¬
schaftlicher Öffentlichkeit Platz, die politische
Lüge und Intrige wird durch die politische
Wahrheit und Offenheit ersetzt. Aber in Öster¬
reich-Ungarn haben wir noch viele Reste und
Überlebsei des aristokratischen Absolutismus,
zumal in der sogenannten äußeren Politik. Ver¬
fassungsmäßig drückt sich die Tatsache in der
unverantwortlichen Stellung der gemeinsamen
Ministerien und an der unbestimmten Ein¬
gliederung der Delegationen in die staatlichen
Institutionen ein.
Der Agramer sogenannte Hochverratsprozeß
ist geradezu ein Schulexempel der alten Politik
und ihrer Auffassung der geschichtlichen Er¬
eignisse und Entwicklungen; für diese Politik
ist ein solches Intrigenspiel notwendig, diese
Politik sucht in dem Agramer Prozesse einen
Hauptgrund für die Annexion von Bosnien und
Herzegowina, weil sie die wahren faktischen
Gründe und Motive des geschichtlichen Ereig¬
nisses nicht zu begreifen vermag. Nur auf dieser
niederen Stufe des politischen Denkens konnte
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X
unter anderem die Phantastik eines gescheiten,
aber politisch unreifen Studenten zum Grund¬
stein einer ganzen Staatsaktion werden.
The experience of all ages and coun-
tries teaches ns that calumny and nais-
representation are frequently the most
unequivocal testimonies of the zeal, and
possibly the effect, with which he
against -whom they are directed has
served the public. Fox.
Wien, Anfangs Juni 1909.
T. G. M.
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Inhalt
Vorwort
Seite
in
i.
1. Der Dringlichkeitsantrag betreffend den Agramer
Hochverratsprozeß. 1
H.
2. Der Agramer Prozeß: formell . .. 6
S. „ „ » materiell.18
IH.
4. Der Kronzeuge Nastid, sein „Finale“ mit dem
revolutionären Statut.36
5. Auf österreichisch-ungarischem Gebiete gibt es
keine großserbische irredentistische Organisa¬
tionen. Der sachliche Untergrund des Prozesses . 62
IV.
6. Der Agramer Prozeß ist das politische Ergebnis
der kroatischen politischen Zustände: Banus
Rauch.71
bv Google
Original frum
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Seite
7. Das Nastidsche Statut war vor seiner Veröffent¬
lichung im .Finale“ bekannt und der Agramer
Prozeß ist als Aktion gegen die Serben nach
ihm künstlich inszeniert.82
8. Die Stellung der ungarischen Regierung zum
Agramer Prozesse.90
VL
9. Die wissenschaftliche Autorität Dr. Friedjungs
und die diplomatische Autorität Baron Aehren-
thals.92
VII.
10. Österreich und die Balkanfrage: die Annexion
und das südslawische Problem.111
Schlußwort.124
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I.
1. Drioglichkeitsaotrag des Abgeordneten Professor
IWasaryk and Genossen, betreffend die Anklage, dass
Im Süden des Reiches eine hochverräterische, aaf
den Abfall vom Reiche hinzielende revolutionäre Be*
ategang and Organisation existiere*).
Der sogenannte Hochverratsprozeß in Agram
ist weltbekannt geworden; über die Art und
Weise, wie derselbe geführt wird, haben sich
unlängst die Verteidiger aus Dalmatien, und
zwar ohne Unterschied der Parteien und Natio¬
nalitäten, in einer öffentlichen Erklärung aus¬
gesprochen. Die ganze europäische Presse be-
schäftigt sich mit diesem Prozesse und die öffent-
liehe Meinung der zivilisierten Welt ist in der
Verurteilung desselben einig.
Es würde darum nicht gegen den parlamen-
*) Dieser Antrag wurde am 7. Mai eingebracht.
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2
torischen Gebrauch verstoßen, wenn auch unser
Volkshaus schon vom Standpunkte der Huma¬
nität seine warnende und verurteilende Stimme
erheben würde; allein wir haben auch sehr
wichtige und aktuelle politische Gründe,
die es uns geradezu zur Pflicht machen, die
politische Bedeutung des Prozesses zur Sprache
zu bringen.
Die Anklage im Prozesse lautet auf Hoch¬
verrat, und zwar behauptet die Anklageschrift,
daß Südungarn, Slawonien und Kroatien, be¬
sonders in den von Serben bewohnten Gebieten,
vom Reiche abfallen wollte und daß die gewalt¬
tätige hochverräterische Revolutionsbewegung
nur durch den Prozeß und durch die Annexion
von Bosnien und Herzegowina „überrascht 4 und
vereitelt wurde. Die Anklageschrift sucht zu be¬
weisen, daß diese Revolution im Süden des
Reiches von Serbien aus, und zwar direkt von
der serbischen Krone und Regierung geschürt
und geleitet werde; die Anklageschrift beruft
als Hauptbeweis ein revolutionäres, von dem
bekannten Nastic publiziertes Statut, welches
die hochverräterische Abfallsbewegung auch auf
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die österreichischen von Südslawen bewohnten
Länder ausdehnt.
Diese Ansicht über die antirevolutionäre Be¬
deutung der Annexion von Bosnien und Her*
zegowina wird schon auch in weitverbreiteten
österreichischen Publikationen und publizistischen
Erörterungen vorgetragen und es wird schon die
Anklage erhoben, daß auch das slowenische Ge¬
biet dieser Reichshälfte mit Belgrad in anti¬
österreichischer Verbindung stehe und es werden
geradezu Mitglieder unseres Hauses denunziert.
In diesem Lichte und in diesem Zusammen¬
hänge gewinnt der Agramer sogenannte Hoch¬
verratsprozeß für unser Parlament seine ganz
besondere politische Bedeutung und es ist darum
die Pflicht unseres Volkshauses, diese Bedeutung
im Zusammenhänge mit der Prüfung der An¬
nexionsvorlage und der ganzen Annexionsfrage
genauer zu untersuchen. Diese Untersuchung ist
um so nötiger, als die Regierung über die an¬
geführten Gründe der Annexion von Bosnien
und Herzegowina sich gar nicht geäußert hat;
sobald in öffentlichen Kreisen öffentlich behauptet
wird, daß in großen Volksgebieten in der anderen,
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aber auch in dieser Reichshälfte ein Abfall vor¬
bereitet wird, macht es dem Parlamente geradezu
zur Pflicht, diese angebliche Abfallsbewegung
eingehend zu untersuchen.
Die Gefertigten stellen darum den Antrag:
Das hohe Haus wolle beschließen:
„Der Annexionsausschuß möge die Beweise,
die für die Existenz einer weitverzweigten
hochverräterischen Abfallsbewegung im Süden
des Reiches angeführt werden, genau prüfen
und das Resultat seiner Prüfung dem Hause
ehestens bekanntgeben. 0
Dulibid.
Masaryk.
Yäcl. Kotlär.
£itnik.
J. Celakovsky.
Dr. Hajn.
Kulp.
Kramär.
Hubka.
Säblfk.
Folis.
Hräsky.
Vukovid.
Mastälka.
J. Släma.
Dr. Baxa.
Okunewskij.
Kurylowicz.
Mychajlo Petryckyj.
Drtina.
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5
Mandic.
Antonin Zäzvorka.
Spincid.
Dr. Laginja.
F. IvaniSevic.
Dr. Stränsky.
Ing. Neumann.
Dr. Bulin.
F. Stanek.
C. Jos. Lisy.
Jos. Svejk.
F. Roblek.
Dr. Kolessa.
Staruch.
Dnistrianskyj.
Dr. Trylowskyj.
Dr. Lahodynskyj.
Sustersic.
Mazanec.
Dr. Baijak.
Dr. Hruban.
Sramek.
Dilricb.
Bjeladinovic.
Dr. Slama.
Cipera.
Choc.
Bölsberg.
Dr. Krek.
Povse.
Silinger.
Dr. Hlibowizki.
H. Srdinko.
Udr2aL
Jezovnik.
Näprstek.
Kalina.
Fr. Demsar.
Oklestök.
Peric.
Bukvaj.
Dr. Ploj.
Dr. Tresic.
Dr. Ivcevic.
Bufival.
Al. Strekelj.
Dr. Yelich.
Biankini.
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n.*)
2. Hohes Haus! Vorerst muß ich dem Herrn
Präsidenten für die Freundlichkeit danken (Heiter¬
keit), daß er einen Teil meiner Aufgabe selbst
in glänzender Weise durchgeführt hat, indem
er vom konstitutionellen und parlamentarischen
Standpunkt aus richtig dargetan hat, daß mein
Antrag weder formell noch sachlich gegen die
Kompetenz dieses Hauses verstoße.
Erlauben Sie mir die Erinnerung, daß wir
— das ganze Haus — vor nicht langer Zeit uns
für die in Ungarn geknechteten und bedrückten
Slowaken ausgesprochen haben und niemand von
uns hat das als eine Kompetenzüberschreitung
empfunden. (Ruf: Die Polen gegen Preußen!)
Bezüglich der Polen war es ebenso. Ich selbst
habe gegen Professoren der Berliner Universität,
die sich so unsachlich gegen die polnische und
böhmische Jugend ausgesprochen haben, hier
Protest erhoben und auch das wurde hier nicht
als eine Einmischung in fremdländische Ange-
*) Yon hier ab das stenographische Protokoll der
20. Sitzung vom 14. Mai 1909.
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legenheiten empfunden. Es gibt eben Tatsachen,
die vom Standpunkt der Menschlichkeit ganz
einfach jedem anständigen Menschen, also auch
den Politikern, es geradezu zur Pflicht machen,
sich mit denselben zu beschäftigen: der Agramer
Prozeß ist eine solche Angelegenheit. Und ich
kann versprechen, daß ich die Dinge, die vor¬
gebracht werden müssen, mit der nötigen Dis¬
kretion Vorbringen werde.
Meine Herren! 53 Galgen sollen errichtet
werden (Hört! Hört!), das sind schon über¬
russische Justizzustände; wie wäre es möglich,
über einen solchen Fall hier nicht zu sprechen ?
53 Angeklagte (Lehrer, Geistliche, Kaufleute u. a.)
— das macht, wenn Sie die Familien (es sind
meist ältere Menschen) hinzurechnen, 200 bis
300 Menschen, mit denen wiederum weitere’
Hunderte von Menschen inniger verbunden sind,
so daß gewiß 1000 Menschen durch den Prozeß
in Mitleidenschaft gezogen werden.
Ich bitte, stellen Sie sich nur die wirtschaft¬
lichen Folgen dieses Prozesses vor! Die meisten
Angeklagten sind schon wirtschaftlich ruiniert,
denn sie sind schon über neun Monate in Unter-
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suchungshaft. (Hört! Hört!) Und wann wird der
Prozeß zu Ende sein, wenn einige hundert
Zeugen vorgeladen werden müssen? Heuer nicht
mehr. Und da auch sehr viele, formell ganz be¬
rechtigte Nichtigkeitsbeschwerden eingebracbt
worden sind, muß die Septemviraltafel (der
Oberste Gerichtshof) aus formellen Gründen einen
neuen Prozeß anordnen, der Prozeß müßte also
ein zweites Jahr dauern!
Wenn wir uns nur die Tatsachen vergegen¬
wärtigen, dann müssen wir uns fragen: Ja, was
geht denn in Kroatien vor? Wir, die wir hier
auch Kroaten und Serben haben, die wir mitten
im Nationalitätenkampfe stehen und Ruhe haben
wollen, wir werden durch einen solchen Prozeß
national beunruhigt, die Leidenschaften werden
dadurch aufs neue entfesselt.
Sie haben wohl auch von dem Hungerstreik
dieser armen Menschen gelesen, die sich aber
nur durch ein solches Mittel das Verhör und
eine menschenwürdigere Behandlung erzwingen
konnten. Schon von diesem rein menschlichen
Standpunkt aus, wie gesagt, müßten wir eine De¬
batte über den Gegenstand durchführen. Ich werde
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mich nicht in die ungarischen und kroatischen Ver¬
hältnisse einmischen. Dagegen hat der bekannte
Dr. Frank, der Führer der kroatischen Rechtspartei,
der jetzt mit dem Ban verbunden ist, an unseren
Präsidenten ein Telegramm gegen meinen Antrag
gerichtet, das heißt also, er hat sich direkt in
unser Parlament eingemengt, bevor ich meinen
Antrag überhaupt noch eingebracht habe. Er
hat auch, wie zu lesen war, nach der Belehrung,
die ihm unser Präsident zukommen ließ, den
Versuch gemacht, einen Abgeordneten für sein
unberechtigtes Veto und für seine unsachliche
Verteidigung des Prozesses hier zu gewinnen.
Ich muß konstatieren, und zwar mit Freude
konstatieren, daß sich kein österreichischer Ab¬
geordneter gefunden hat und, wie ich hoffe,
auch nicht finden wird, der das, was Dr. Frank
sagt, in irgendeiner parlamentarischen Form hier
Vorbringen würde. Auch war das, was er vor¬
gebracht hat, eine Unwahrheit. Dr. Frank hat
telegraphiert, daß eine große Volksversammlung
sich gegen meinen Antrag ausgesprochen hat; nein,
es war keine große Volksversammlung, es war
irgendein Abschiedsfest eines Journalisten, dabei
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waren etwa sechs oder sieben Wähler, ohne Un¬
wahrheiten kann es aber Dr. Frank nicht machen.
Meine Herren! Ich will über den Prozeß
selbst gar nicht so viel sprechen, ich meine,
über die juristisch-technische Seite. Ich würde
das ganz gerne tun, wenn ich Jurist und in der
Prozeßpraxis bewandert wäre; das bin ich leider
nicht. Ich will darum vornehmlich die politische
Seite des Agramer Prozesses beleuchten, über den
Prozeß werde ich nur so weit sprechen, um ihn
zu charakterisieren und ich bin überzeugt, Sie
werden schon in dieser Charakteristik den Beweis
erbracht finden, daß derselbe ganz unberechtigt,
daß er ein politischer Prozeß ist.
Der Prozeß, beziehungsweise die Anklage¬
schrift, basiert auf dem oft erwähnten, auch hier
näher zu besprechenden revolutionären Statut.
Es wird in der Anklageschrift behauptet, daß
im Süden der Monarchie eine hochverräterische
Abfallsbewegung schon statutenmäßig organisiert
war, und zwar nicht nur auf ungarischem und
kroatischem, sondern — ich bitte — auch auf
österreichischem Gebiete, denn dieses Statut be¬
zieht sich auch auf slowenisches Gebiet. Wir
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hätten also aus diesem Grunde direkt die Pflicht,
diese Anklage hier zu prüfen. Diese Anklage,
soweit sie die Slowenen angeht, ist in einer
Broschüre kondensiert, die schon in ihrem Titel
sagt, um was es sich handelt: „Von Laibach bis
Belgrad, serbische Umtriebe in Südösterreich.“
Auf Grund der zu besprechenden Behauptungen
des Historikers Dr. Friedjung, des bekannten
Nastic usw. werden hier schon Mitglieder unseres
Hauses denunziert, und zwar nicht nur Kollege
Hribar, der wenigstens in Petersburg war —
bei der Unkenntnis der russischen Verhältnisse
könnte jemand dabei an irgendeinen Hochverrat
denken — aber auch Kollege Krek ist diesen
Herren nicht mehr genehm. (Heiterkeit.) Sie sehen,
meine Herren, wir sind schon so weit, daß auf
Grund der in Kroatien zum Gegenstände der
Verhandlung genommenen Behauptungen jeder
von uns in die Gefahr kommen kann, als Hoch-
Verräter hingestellt zu werden; man wird über
eine solche Broschüre (sie ist in Cilli von einem
„Austriacus“ erschienen) wohl lächeln, aber in
14Tagen oder drei Wochen wird die Denunziation
schon ein „Dokument“ sein.
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Wie gesagt, ich will mich über den Prozeß
selbst kurz fassen; mir ist das Politische an
demselben — ich betone das noch einmal — und
das, was uns in Österreich angeht, das Wichtige.
Die Anklage, die in Agram erhoben wurde,
ist folgende *): Im Süden des Reiches, besonders
in Kroatien, aber auch auf slowenischem Qebiete,
bestehen politische Organisationen, welche hoch¬
verräterische Ziele verfolgen und welche dahin
arbeiten, von Österreich abzufallen. Und zwar
behauptet die Anklageschrift weiter, daß diese
im Süden des Reiches — ich betone, auch schon
in Österreich — existierende Bewegung direkt
oder indirekt, wie es in der Anklageschrift heißt,
von Belgrad aus geleitet wird, und zwar bestehe
in Belgrad ein Revolutionskomitee und ein re¬
volutionärer Verein, der „Slovenski Jug“ (der
slawische Süden). Dieser „Slovenski Jug*, der
angeblich auf die Errichtung eines großserbischen,
eo ipso antiösterreichischen Staates hinarbeite,
sei der geistige und politische Leiter der groß-
*) Ich halte mich an die Anklageschrift, die als
Großoktav auf 107 Seiten als Beilage der offiziellen
„Narodne Novine“ erschienen ist.
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serbischen Propaganda, und zwar behauptet die
Anklageschrift, daß es die Dynastie Karageorgeviö,
speziell König Peter und der Kronprinz Georg *
seien, welche diese Abfallbewegung direkt und
indirekt moralisch, aber hauptsächlich auch
finanziell mittels dieses Vereines leiten. Die
Beweise für diese Behauptung sind, wie die
Anklageschrift öfter sagt, die verschiedenen »Er¬
scheinungen* (Heiterkeit) — das ist ein Wort,
das in der Anklageschrift und in den Proze߬
verhandlungen sich beständig wiederholt — Er¬
scheinungen, die in Kroation und im Süden
wahrzunehmen seien, dann ganz besonders die
Zeugenaussagen und speziell die Aussage des
Kronzeugen Nastid.
Erlauben Sie mir nun, meine Herren, den
Prozeß zuerst von der formellen Seite kurz zu
charakterisieren. Ich selbst habe mehrere Tage
in Agram zugebracht und habe mir speziell auch
den Prozeß öfter angehört. Es fällt mir schwer,
zu entscheiden: Ist das eine Operette, ist das
eine Komödie, ist das eine Inquisition, ist das
eine Tragikomödie, was im Gerichtssaale von
Agram aufgeführt wird; es sind die unglaub-
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liebsten Dinge, die ein juristischer Laie dort zu
sehen und zu hören bekommt. Wundern Sie sich
darum nicht, meine Herren, daß nicht nur die
bedeutendsten Wiener Zeitungen, sondern auch
schon die Zeitungen in Deutschland, in Frank¬
reich, in England, in Italien das Prozeßverfahren
verurteilen — kurz, es gibt, ich möchte sagen,
fast kein anständiges Blatt Europas, das diesen
Prozeß nicht schon besprochen und auch ver¬
urteilt hätte. Die „Ligue fran^aise pour la döfense
de droit de l’homme et du citoyen“ hat un¬
längst ihr Veto ausgesprochen und die Verteidiger
aus Dalmatien haben in einer bekannten und
wohl begründeten Enunziation sich gegen den
Prozeß gewendet.
Sehen Sie sich vorerst die Zusammenstellung
des Tribunals an: Der Präsident ist wegen eines
Trunkenheitsexzesses in Disziplinaruntersuchung
gekommen. (Lebhafte Heiterkeit und Rufe: Hört!
Hört!) Wenn Sie nach Agram kommen und
fragen, was es Neues gibt, so werden Sie gewiß
über die Exzesse berichten hören, die dieser
Herr, der jetzt eine so wichtige öffentliche Rolle
spielt, allnächtlich in verschiedenen Gasthäusern
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usw. verübt. (Abgeordneter Redlich: Es soll noch
so einen betrunkenen Herrn in Agram geben,
der noch viel höher steht!) Ich komme auf den
Alcoholicus communis vulgaris (Heiterkeit) schon
noch zu sprechen! Einem der Votanten wurde
öffentlich vorgehalten, daß er sich die schlimmsten
Dinge zu schulden kommen ließ; der Unter¬
suchungsrichter wurde bezichtigt — und er hat
nichts dagegen sagen können — daß er in
Warasdin, wo er Richter war, Protokolle ge¬
fälscht hat. (Hört! Hört!) Einige Zeugen be¬
haupten, daß er, um mit den Leuten dort, wo
das Material gesammelt werden sollte, Gespräche
anzuknüpfen, als Bauer oder anders sich ver¬
kleidet habe, worauf er sich die Leute zitieren
ließ — also agent provocateur und Untersuchungs¬
richter in einer und derselben Person. Von diesem
Untersuchungsrichter Kosutic haben viele Zeugen
gesagt, daß er ihnen, um sie redselig zu machen,
gesagt habe: Es handelt sich ja nicht um euch,
sondern um Kossuth, wir wollen Material gegen
Kossuth sammeln, euch wird gar nichts geschehen.
(Heiterkeit.)
Man hat das — der Staatsanwalt war es —
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16
öffentlich abgeleugnet, aber es gibt so viele
Zeugen dafür, daß es sehr schwer ist zu glauben,
daß es nicht wahr sei.
Nun aber weiter: Für den Prozeß wurde die
Anklageschrift als Beilage des Amtsblattes in
Tausenden und Tausenden von Exemplaren ver¬
öffentlicht (Hört!), damit die Zeugenaussagen der¬
art präpariert werden. Selbstverständlich können
dann die Zeugenaussageu konform sein und
daraus wird dann der Schluß von einer einheitlich
organisierten Abfallsbewegung gezogen.
Weiters, das Hauptdokument im Prozesse,
das Revolutionsstatut des Nastic, und Briefe, die
entscheidend sein sollen, sind nicht im Original,
sondern nur in einer Abschrift vorhanden und
man kann darum, aber man muß nicht glauben,
daß die Originale überhaupt existieren. Ander¬
seits gibt es Beweisstücke in den Akten, die
nicht evidenziert sind; aber sie sind eben vor¬
handen und fragt der Verteidiger: Woher ist
dieses Material? so lautet die Antwort, das
Material sei zufällig da hineingekommen.
Oder, und das werden die Herren Advokaten
richtig verstehen: Gegen zwei Angeklagte wurden
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schon im Jahre 1907 von denselben Zeugen, die
jetzt wieder gegen sie auftreten, die Tatsachen
vorgebracht, wegen welcher man ihnen den
Hochverratsprozeß gemacht hat. Der Prozeß im
Jahre 1907 mußte eingestellt werden, weil die
Beweise als ungenügend befunden wurden.
Ohne das Verfahren wieder aufgenommen zu
haben, hat man jetzt ganz einfach die zwei An¬
geklagten wegen derselben Tatsachen von neuem
verfolgt.
Oder es wird ein amerikanisch-serbisches Blatt,
in dem in der Aufregung vor dem erwarteten
Krieg selbstverständlich schärfer gesprochen
wurde, als Beweis vorgebracht, trotzdem die
Nummer erst nach erfolgter Verhaftung der An-
geklagten erschienen ist. Ähnlich werden aus
serbischen Zeitungen nachträgliche Beweise er¬
bracht — Zitate von scharfen, in der Kriegsauf-
regung gegen Österreich geschriebenen Artikeln.
Offenbar soll das — Stimmung machen!
Die Protokolle sind gefälscht: fast alle Zeugen
haben bisher konstatiert, daß sie nicht so ge¬
sprochen haben. Viele Zeugen sind Analphabeten,
einfache Leute, denen die hochtrabendsten poli-
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tischen Erwägungen in den Mund gelegt werden.
Der betreffende Zeuge versteht das einfach gar
nicht und muß immer wieder sagen, nein, das
habe nicht gesagt.
Einige Advokaten, die sich als Verteidiger
meldeten, wurden abgelehnt einfach deshalb,
weil man den Verdacht habe, daß sie auch das¬
selbe Verbrechen wie die Angeklagten begangen
haben.
Sie lesen in den Berichten aus Agram be¬
ständig, daß die Advokaten diszipliniert werden.
Ich habe nicht so viel Prozesse mitgemacht,
aber aus den Prozessen, die ich angehört habe,
weiß ich, daß unsere Advokaten zu keiner Geld¬
strafe verurteilt werden; in Agram werden fort¬
während Geldstrafen auferlegt oder dem Advo¬
katen wird aus reiner Willkür des Präsidenten
das Wort entzogen.
Der Präsident ist, wie ich Ihnen gesagt habe,
ein Alkoholiker. Ein Angeklagter will gegen den
Alkoholismus sprechen, das läßt der Präsident
nicht zu. (Heiterkeit.)
3. Das, meine Herren, sind die formalen Be¬
denken. Erlauben Sie mir nun kurz auf die Be-
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weise, die sachlich vorgebracht wurden, einzu¬
gehen.
Wenn Sie im Prozeßsaale zugegen sind, kommt
es Ihnen vor, daß Sie eigentlich in einem ethno¬
graphischen und historischen Museum sitzen; denn
der Richter halt fort und fort ethnographische und
historische Vorlesungen und alle Zeugen müssen
ihrerseits ethnographische und historische Re¬
miniszenzen gegen die Richter Vorbringen. Es
wird jedem vorgehalten, daß er das Serbentum
propagiere und man will — das ist jedenfalls
die Ansicht dieser Herren — beweisen, daß es
in Kroatien keine Serben gibt, da können ja —
es heißt doch „Kroatien“ — nur Kroaten sein.
Da müssen Sie nun sehr lange Erörterungen
hören über den Begriff der Nation vom politischen
und vom ethnographischen Standpunkte. (Ab¬
geordneter Dr. Redlich: Das ist der ungarische
Schwindel!) Ja!*) Der Richter nimmt das Wort
*) Herr Dr. Frank hat in seinem Blatte (9. März 1908)
ans seiner Unterredung mit Minister Wekerle folgenden
Satz (Wekerles) angeführt: „In Kroatien lebt nur eine
Nation und das ist die kroatische Nation. Die Magyaren,
Deutschen und anderen in Kroatien sind keine Nation,
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vom politischen Standpunkt und der Angeklagte
nimmt es selbstverständlich vom ethnographischen
Standpunkt. In Kroatien gibt es eben Kroaten
und Serben, zwei Namen ftlr zwei Teile derselben
Nation; das wird aber abgewiesen und die Pro¬
pagierung des Serbentums als crimen laesae
maiestatis hingestellt. Es wird behauptet, es gebe
keine serbische Kirche! Den Leuten wird gesagt:
Ihr seid griechisch-orientalisch. Allein die Be¬
zeichnung: griechisch-orientalisch ist ein ter-
minus technicus hier bei uns im Westen, aber
dort besteht die serbische Kirche neben der
rumänischen, der Patriarch hat den offiziellen
Titel „Serbischer Patriarch“. Oder es wind den
Leuten vorgeworfen, daß die Cyrillica, die ser¬
bische Schrift, propagiert wird. Nach dem Gesetze
sondern nur Nationalitäten.“ Selbstverständlich sind
nach dieser Theorie in Ungarn (die Magyaren haben
den Unterschied von „Magyaren“ und „Ungarn“ nicht) im
Magyarorszäg nur die Magyaren die staatliche Nation,
die übrigen sind nur Nationalitäten, nämlich auch die —
Kroaten! Mit dieser politischen Philologie und Geo¬
graphie kommen die Budapester Machthaber bei ihrer
Magyarisation zu ihrer Rechnung.
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▼om Jahre 1887 soll in jeder Gemeinde, wo die
Majorität der Bevölkerung serbisch ist, in der
Cyrillica amtiert werden und in der Schule ist
das Erlernen der Cyrillica obligat. Aber in Agram
müssen Sie eine lange Rede hören, daß die
serbische Schrift eine allslawische Schrift sei!
(Heiterkeit.) Ja, meine Herren, es ist komisch.
Leute, die gegen den Panslawismus sind, wollen
lieber, um das Serbische abzutun, das All¬
slawische! Die Cyrillica der Serben ist jedoch
tatsächlich eine serbische Schrift, weil sie doch
gewisse serbische Buchstaben hat, die die anderen
slawischen Sprachen, die sich der Cyrillica be¬
dienen, nicht haben. Oder! In dem oder jenem
Bezirke (in Okucani) — wird angeführt —
propagiert die Intelligenz den Dialekt der Ekav-
stina. Das ist wieder etwas Unerlaubtes! Aber
die Herren vergessen, daß Ante Starcevid auch
in der Ekavstina geschrieben hat, ich bitte,
Ante Starcevid, deijenige, der keine Serben an¬
erkannt hat! Oder es wird den Angeklagten
zum Vorwurfe gemacht, daß serbische Lieder
ostentativ gesungen, serbische Bücher verbreitet,
serbische Schulen gegründet werden. Ein großes
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Verbrechen ist auch, daß serbische Fahnen und
Wappen zu sehen waren! Erstens sind das keine
serbischen Wappen, sondern das Patriarchen¬
wappen, ein Kreuz und vier S. Das finden Sie —
Sie mögen Kroatien und den serbischen Balkan
noch so flüchtig bereisen — überall. (Zu¬
stimmung.) Wenn Sie zum Beispiel einer armen
Frau etwas helfen, wird sie Ihnen, um ihre
Dankbarkeit zu beweisen, eine Handstickerei mit
dem serbischen Wappen geben, öine Frau, die
nicht lesen kann, die keine Ahnung hat, wie sie
politisch denken soll. Das serbische Wappen
tragen die Kinder, Weiber, Männer, alle und
jetzt wird, meine Herren, in einem Lande, das
eine so große serbische Minorität besitzt, gegen
dieses serbische Wappen derart angekämpft. Die
älteren Herren erinnern sich gewiß an den Ab¬
geordneten Gyurkovic, der oft in den Delegationen
war, gewiß ein höchst konservativer und recht
reichsfreundlicher Mann. Der hat schon im Jahre
1894 im Agramer Landtag beweisen müssen, was
die serbischen Wappen und was die serbischen
Fahnen bedeuten, daß dieselben absolut nichts
Politisches sind. Aber auch die Feuerwehrvereine
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sind verdächtig, sie seien Agitationsherde. In
einem Vereine, den einer der Angeklagten
gegründet hat, sind komischerweise die Mehr¬
zahl der Mitglieder dieses Vereines Deutsche.
Raiffeisenkassen sind auch politisch anrüchig.
Nun kommt der Boykott der Kroaten: Die
Serben, heißt es, boykottieren die Kroaten wirt¬
schaftlich. Es ist begreiflich, daß, sobald zwei
kirchliche Gegensätze vorhanden sind, die
Gläubigen sich auch wirtschaftlich organisieren
und wir erleben es da, wo Katholiken und
Protestanten neben einander leben, daß die
Gegensätze nicht ohne gewisse Reibungen be¬
stehen. Sie können aber auch folgendes Argument
hören, das ich selbst gehört habe. Da sitzt ein
Angeklagter, der sich schon Monate in Haft be¬
findet ; abgehärmt kommt er aus dem Gefängnis.
Er hat keine Krawatte. Nun frägt einer der
Votanten tiefsinnig: Erklären Sie mir, warum
Sie als gebildeter Mensch keine Krawatte tragen ?
Man sieht die Verbissenheit; nicht einmal eine
Krawatte will er tragen, weil sie an Kroate
erinnert! (Große Heiterkeit.) Darauf allgemeines
Gelächter im Prozeßsaale; denn dazu kann man
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tatsächlich nur lachen. Aber der Staatsanwalt
Accurti steht auf und verteidigt diesen Unsinn
und findet in ihm ein richtiges Argument. (Er¬
neuerte Heiterkeit.)
Oder! In der Anklageschrift finden Sie auch
folgendes: In einem Dorfe hat einer behauptet,
daß auch die Mutter Gottes eine Serbin war.
Das war jedenfalls eine hochverräterische Meinung
und wird darum gerügt. Oder folgendes, das
geradezu unglaublich ist: In das Jodbad Lipik
kommen sehr viele Syphilitiker, darunter auch
Serben. Da war nun auch ein Offizier, der öfter
in dieses Bad gekommen ist. In intimem Kreise
hat man ihm, wie es hier wörtlich heißt, Herr
Präsident gesagt, weil er eben so oft dort war.
(Heiterkeit.) Die Worte: Herr Präsident! in
intimem Kreise, das riecht nach — Hochverrat.
(Erneuerte Heiterkeit.)
So könnte ich Ihnen massenhaft unglaubliche
Dinge Vorbringen.
Ich will nun aber auch auf die schwer¬
wiegenden Beweise eingehen. Da ist vorerst das
Bild des Königs Peter. Ich habe keine Gelegen¬
heit gehabt zu untersuchen, wie weit in den
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Grenzgebieten solche Bilder tatsächlich in öffent¬
lichen und privaten Lokalen verbreitet sind. Ich
weiß, an der Grenze Böhmens gegen Bayern und
im Norden an der sächsischen Grenze haben wir
viele Bilder der benachbarten Monarchen und
es fallt niemanden als Hochverrat auf. Viele
Leute kaufen sie auf Jahrmärkten und sind sieh
einer politischen Bedeutung dieser Bilder gewiß
nicht bewußt.
Aber nun fragt man die Zeugen: Sie haben
doch das Bild des Königs gesehen? Ja! Wo?
In einer illustrierten Zeitung! (Heiterkeit.) Oder
ein anderer wird gefragt: Haben Sie das Bild
des Königs Peter gesehen? Ja! Welche Unter¬
schrift hat es gehabt? Peter Jurist! Das soll
der serbische König sein.
Weiter: Man hat darüber gesprochen und
darüber wird deliberiert, ob die Serben im öster¬
reichischen Heere, wenn es zum Kampfe kommt,
gegen ihre Brüder, die Serben, schießen würden.
Da sollen nun irgendwelche serbische Soldaten
gesagt haben, daß sie nicht schießen würden.
Sie werden sich nun fragen, welche Soldaten
waren es? Aber diese Soldaten sind nicht an-
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geklagt. Nun frage ich: Ist jemand von den
53 Angeklagten deshalb angeklagt, daß er das
den Soldaten gesagt bat? Nein! Die Anklage
macht eben nur Stimmung!
Eine revolutionäre Bewegung muß heutzutage
selbstverständlich auch mit Dynamitpatronen
arbeiten, gut — es wird also einer angeklagt,
Dynamitpatronen gehabt zu haben. Und er hat
tatsächlich Dynamitpatronen gehabt: sein Be¬
diensteter aber hat mit dem Zeugen, der gegen
ihn ausgesagt hat, diese Patronen versteckt, dann
sind sie hinausgegangen und haben die Patronen
verkracht. Denn es stellt sich heraus, daß in
diesem Bezirke zu Sprengzwecken bis zu 15
Kilogramm Dynamit verabfolgt werden kann; es
könnte also jemand 120 solche Dynamitpatronen
haben.
Das sind so die wichtigsten Tatsachen, die
in der Anklageschrift Vorkommen — auf Nastic
werde ich gleich zu sprechen kommen. Fort¬
während hört man, daß eigentlich nur ein Ver¬
dacht ausgesprochen wird; häufig heißt es, daß
aus diesen oder jenen Tatsachen muß „ge¬
schlossen“ werden können, oder es sei die
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„Tendenz* sichtbar, in welcher zum Beispiel
die serbische Fahne aufgehißt werde. Also die
Tendenz, die Ansichten und Anschauungen werden
angeklagt, aber es gibt keine Beweise für Hand¬
lungen, denn es soll doch, ich bitte nicht zu
vergessen, bewiesen werden, daß in Kroatien
revolutionäre, hochverräterische Organisationen,
handelnde Organisationen, vorhanden sind.
Und nun die Zeugen! Da ist einer, der als
Mörder abgestraft wurde, hier aber als Zeuge
erscheint, ein anderer hat 18 Monate bekommen,
Individuen, von denen jeder, der sie nur ansieht,
gleich wissen muß, wieviel es geschlagen hat.
Und auch die Zeugen berichten nicht über
Selbstgesehenes, Selbstgehörtes; immer wieder
können Sie hören, daß er (der Zeuge) das, worum
ihn der Richter fragt, nicht gesehen, nur gehört
habe; „man“ hat darüber „im Volke“ gesprochen
und dergleichen unklare, unkonkrete Anschuldi¬
gungen vernimmt man beständig.
Und dann die Bildung der Zeugen, die zum
Beispiel darüber entscheiden sollen, wieweit
Kroaten und Serben verschiedene Nationen sind!
Da gibt es zum Beispiel einen Zeugen, man
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fragt ihn: „Also wie nennt man die andere
Partei?“ Er antwortet: „Serben.“ „Und was sind
Sie?“ „leb bin ein — Krainer und Kroate.“
Meine Herren — dieses Niveau der politischen
Bildung und der Mann wird als Zeuge dafür
geführt, daß es feindliche Beibungen zwischen
Kroaten und Serben gibt.
Oder ein berüchtigter Fall in Kostajnica. Da
hat ein Individuum, das falsch aussagte, gegen
sich selbst Denunziationen schreiben lassen. Es
wurde konstatiert: der Diener dieses Zeugen
hat sich selbst eine leichte Verwundung zuge¬
fügt, um gegen die Gegenpartei zeugen zu
können! Unlängst, meine Herren, konnten sie
in den Zeitungen lesen, daß ein Zeuge — das
wurde genau konstatiert — vom Staatsanwalt
und von der Regierung direkt als Spion und
Agent provocateur angestellt wurde. Als Redak¬
teur Schlögel vom „Pokret“ mir dies telegra¬
phieren wollte, wurde sein Telegramm — ich
bitte, die Freiheit von Ungarn und Kroatien zu
beachten — inhibiert. Dieses Telegramm habe
ich nicht bekommen, aber der Mann sitzt bis
heute in Untersuchungshaft, weil er telegraphiert
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hat, was in allen Zeitungen zu lesen war und
notorisch richtig ist*).
Ich will hier nicht darauf eingehen, daß die
Richter alle, ebenso die Zeugen, zur Frank-
Partei gehören. Die Angeklagten und Zeugen
sind in der Regel Rivalen, kleine Leute, Kauf¬
leute, Gastleute usw., der kleinlichste Dorfklatsch
ist da zusammengehäuft, um irgendwie Beweise
zu bringen. Yon einer Organisation, von einer
revolutionären, einer hochverräterischen Organi¬
sation ist nirgends eine Spur.
Schon im Jahre 1906 im Monat Mai hat der
Vizeban an alle Obergespäne ein Zirkular er¬
lassen, worin auf eine geheime revolutionäre
Organisation in Kroatien und Slawonien auf¬
merksam gemacht wird, eine Organisation, die
angeblich Waffen nach Bosnien lieferte. Man
hat das ganz gewiß untersucht, aber im offenen
Landtage mußte der Ban Graf Pejäcsevich den
Inhalt des Zirkulars dementieren, daß es nichts
Wahres enthalte. Ja, die Anklageschrift ist bei
aller Schlechtigkeit unglaublich naiv. Da steht
*) Inzwischen frei gelassen.
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auf Seite 14 folgendes: Schon vom Jahre 1880
sind alle diese „Erscheinungen“ sichtbar ge¬
wesen, man habe auch gewußt, daß ihre Quelle
in Belgrad sei, aber die Regierung hat dem
keine Aufmerksamkeit geschenkt. (Hört!) Erst
seit dem Jahre 1906 — warum dieses Jahr an¬
gegeben wird, das werden wir auch hören —
findet die Regierung ihre Bedenken. Also, meine
Herren, seit dem Jahre 1880 hat diese unschul¬
dige ungarische Regierung, haben die Leute des
Khuen-Hederväry das alles gesehen, aber dem
keine Aufmerksamkeit geschenkt; sie wußten
sogar, daß das alles aus Belgrad geleitet werde,
aber es war nicht staatsgefährlich — auf ein¬
mal, im Jahre 1906, werden die Dinge staats¬
gefährlich und hochverräterisch!
Diese kurze Charakteristik wird Ihnen, meine
Herren, die Nichtigkeit des Agramer Prozesses
dargelegt haben. Hochverrat, meine Herren, und
53 Galgen! Ich habe mir die staats wissenschaft¬
liche Literatur eigens wieder durchgesehen.
Über Hochverrat wird fast nicht mehr gehandelt.
Meine Herren! Heutzutage über Hochverrat zu
zu sprechen, ist eigentlich, möchte ich schon
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sagen, ein Anachronismus. Zu Zeiten des Absolu¬
tismus finden Sie in den Gesetzen hochnotpein¬
liche Hochverratsparagraphen, aber nicht in einer
Zeit und in Ländern, wo ein bißchen Freiheit
existiert. Es ist zum Beispiel charakteristisch,
in Mischler-Ulbrichs österreichischem Staats¬
wörterbuch finden Sie das Wort „Hochverrat“
nicht, ebenso nicht in dem Lehrbuche von Ul¬
brich usw. Aber in Ungarn, in Agram ist der
Hochverrat in Ehren! Freilich, die Anklage¬
schrift gibt nicht genauer an, was für ein Hoch¬
verrat, welcher Grad, welche Qualität verfolgt
wird: Wie weit handelt es sich um Landes¬
verrat, wie weit um Majestätsverbrechen, wie
weit um faktischen Hochverrat, das alles müßte
doch genau juristisch präzisiert werden. Nein,
Hochverrat im allgemeinen, der Galgen... Wenn
man diese armen Leute einen nach dem anderen
fragt: Weist du, warum du angeklagt bist? —
bekommt man von allen die Antwort: Nein, ich
weiß es nicht. Sie verstehen nicht, was der
Staatsanwalt, was der Präsident von ihnen will,
verstehen nur eines, daß sie auf den Galgen
kommen sollen.
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Meine Herren! Ich glaube, Sie werden mir
zugeben, daß die Führung dieses Prozesses,
die Art und Weise, wie er formell und ma¬
teriell geführt wird, hier zur Sprache kommen
durfte und mußte; ich habe das nur kurz
getan, um seine Nichtigkeit zu zeigen, um
zu beweisen, daß die politische Tendenz eines
solchen Prozesses, weil er eben so schlecht
fundiert ist, ebenso schlecht, ebenso verwerf¬
lich ist.
(Präsident [unterbrechend]: Ich bitte, Herr
Abgeordneter, gedenken Sie noch längere Zeit
zu sprechen?
Abgeordneter Dr. Masaryk: Ja, ich müßte
noch länger sprechen.
Präsident: Da es scheint, daß Sie gerade an
einem Abschnitte Ihrer Rede angelangt sind,
würde ich es Ihnen vielleicht nahelegen, wenn
es Ihnen genehm wäre, die Rede jetzt zu unter¬
brechen und sie in der nächsten Sitzung fort¬
zusetzen.
Abgeordneter Dr. Masaryk: Ich habe nichts
dagegen, ich stimme zu.)
Ich habe Ihnen in der letzten Sitzung
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I
— 33 —
ein Bild des Prozesses in Agram gegeben*).
Ich habe mich streng an die Anklageschrift und
an unwiderlegt publizierte Tatsachen gehalten,
und zwar habe ich nur einige typische, die
Sache allgemein charakterisierende Fälle vorge¬
führt und vieles Detail weggelassen. Wenn zum
Beispiel gerufen worden sein soll: „Es lebe
König Peter!“ oder wenn behauptet wird, es
sei da und dort in einem Zimmer eines Gast¬
hauses eine geheime Sitzung arrangiert worden
oder es habe da und dort eine Rauferei zwischen
Serben und Kroaten stattgefunden, so ist das
alles nur Detail. Mir handelt es sich um das
Typische, um das den Prozeß Charakterisierende
und die Position, die ich einnehme, ist, daß ein
so schlecht und so unwahr geführter Prozeß
nicht einer guten und wahren Sache dienen
kann.
Ich bitte zu bedenken: Durch den Agramer
Prozeß soll bewiesen werden, daß es auf kroa¬
tischem Gebiet eine hochverräterische Abfalls-
*) Von hier ab das stenographische Protokoll der
21. Sitzung vom 17. Mai 1909.
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bewegung gibt, die durch revolutionäre Mittel
Gebiete von Kroatien abtrennen und an Serbien
oder einen zukünftigen serbischen Großstaat
angliedem will. Halten Sie sich, meine Herren,
gegenwärtig, daß nach dieser Anschuldigung
Kroatien ein großes Netz von revolutionären
Organisationen haben soll und daß, wie in der
Anklageschrift behauptet wird, nur die Annexion
imstande war, diese große Bewegung dadurch
zu unterdrücken, daß sie dieselbe überrascht
hat. Wenn Sie nun die »Erscheinungen“ der An¬
klageschrift, die ich vorgeführt habe, dagegen
halten, so werden Sie zugeben, daß meine Stel¬
lung in der Sache die richtige ist.
Ich habe erwartet, daß von verschiedenen
offiziellen und nichtoffiziellen Seiten gegen mich
Dementis geschrieben werden. Gestern haben
Sie in der „Neuen Freien Presse“ eines dieser
Dementis von Herrn Frank gelesen, welches tat¬
sächlich das, was ich gesagt habe, vollinhaltlich
bestätigt. Ich habe gesagt: Es war das keine
politische Versammlung, deren Beschluß er dem
Präsidenten Pattai telegraphiert hatte, sondern
man hat einem Journalisten einen Abschieds-
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abend gegeben. Das bestätigt Herr Frank, in¬
dem er sagt, es sei „auch“ ein Abschiedsfest
gewesen, aber es habe keinem Journalisten,
sondern einem Abgeordneten gegolten. Ich kon¬
statiere, daß das Abschiedsfest dem Hauptredak¬
teur des Journals des Herrn Frank, Herrn Za-
tluka gegeben wurde. Wer Herr Frank ist,
werde ich noch bei Gelegenheit sagen. (Bravo!)
Vorläufig nur eine Tatsache; er hat gestern
nach meiner Bede in seinem Journal geschrieben
oder schreiben lassen, daß die tschechischen Ge¬
lehrten und Journalisten von Belgrad aus gut
geschmiert werden, also alle tschechischen Ge¬
lehrten und Journalisten sind — gezahlte Hoch¬
verräter !
Heute haben Sie auch eine Art Dementi, ich
weiß nicht, ob es ein Dementi oder eine Dro¬
hung ist, des Herrn Tarabocchia, des Präsi¬
denten des Agramer Senats, gelesen. Ich wieder¬
hole, daß das, was ich gesagt habe, richtig ist.
Er behauptet, er sei nicht in Diszipinarunter-
suchung gewesen und sei es auch jetzt nicht:
wenn jemand in seiner Stellung, während der
Führung des Prozesses, in dem „Caf6 Korso“
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ganz betrunken vor dem Publikum gegen die
Serben spricht und sagt: Die Kerle müssen ver¬
urteilt werden! wenn, sage ich, ein solcher Be¬
amter nicht in Disziplinaruntersuchung kommt,
so glaube ich, zur Ehre selbst der Agramer
Justiz zu sprechen, wenn wahr ist, was ich be¬
hauptet habe. Und es ist wahr*).
4. Ich habe Ihnen die von der Anklage ge¬
nannten „Erscheinungen" angeführt, aus denen
gefolgert wird, daß eine große revolutionäre
Organisation auf kroatischem Gebiet bestehe.
*) Ich konstatiere nochmals, daß bis jetzt (ich
schreibe das am 9. Juni, also fast einen Monat nach
meiner ersten Rede) keine einzige von den vorge¬
brachten Tatsachen widerlegt wurde. Herr Tara-
bocchia war Staatsanwalt in Beiovar; wegen seiner
Alkoholexzesse wurde er nach Gospid versetzt und Gospid
ist eine bekannnte Strafstation für Beamte; aber für
den Prozeß in Agram hat man den Herrn gebraucht
und so wurde er denn zum Vizepräsidenten der Agramer
Gerichtstafel ernannt, wobei er 34 Richter über¬
sprungen hat. Der Staatsanwalt Accurti hat 39 Kollegen
übersprungen — ja man brauchte in Agram solche
„Richter“!
Nach meiner Rede hat der Präsident der Gerichts-
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Die Anklage sagt: Alle diese Erscheinungen
seien identisch und darum die Folge einer or¬
ganisierten Arbeit, die nach einem einheitlichen
Programm ausgeführt wird. Der Agramer Staats¬
anwalt vergißt: halbwegs gebildete Menschen
wissen doch, was ein Turnverein oder eine Raiff¬
eisenkasse ist und wie dieselben eingerichtet sein
müssen; gebildeteMenschen lesen doch auchZeitun-
gen, erfahren, was da oder dort unternommen wird
und machen es nach — selbstverständlich werden
darum solche „Erscheinungen“ überall konform
tafel in Agram an die Mitglieder des Senates, die den Hoch¬
verratsprozeß führen, ein Verbot erlassen, durch welches
denselben jeder nächtliche Besuch öffentlicher Lokale
für die Dauer des Prozesses strengstens untersagt wird!!
Der Untersuchungsrichter Kosutiö hat mir in einem
Briefe, der von den rohesten Verbalinjurien strotzte,
vorgeworfen, er habe nie ein Protokoll gefälscht; ich
habe den Brief in den Agramer Blättern veröffentlicht
und es wurde in denselben sogleich der stringente Be¬
weis erbracht, daß meine Behauptung wahr ist. Herr
Dr. Kosutiö hat tatsächlich Protokolle gefälscht und er
wurde dafür nach erfolgter Disziplinaruntersuchung von
der Banaltafel gemaßregelt. Dieser Dr. Kosutiö ist NB.
— Dozent an der Agramer Universität!!
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sein, dazu ist doch kein Plan des hochverräterischen
Belgrader Komitees nötig. Aber es heißt weiter:
Vom Jahre 1903 sei die großserbische Propa¬
ganda besonders energisch gewesen; im Jahre
1903 sei König Peter auf den Thron gestiegen,
in diesem Jahre sei der Verein „Slovenski Jug“
begründet worden und nun habe die hochverräteri¬
sche Propaganda auf österreichischem Gebiete be¬
gonnen. Dieser Verein „Slovenski Jug“, sagt
die Anklageschrift weiter, habe im Jahre 1903
den slawischen Süden revolutioniert, die revo¬
lutionäre Arbeit organisiert, und zwar auf zweier¬
lei Art, indem einmal der großserbische Ge¬
danke propagiert, dann aber eine allgemeine
südslawische Revolution, welcher die militäri¬
sche Hilfe des Königreichs Serbien versprochen
war, inauguriert wurde. Die Beweise für diese
Anklage seien: die Broschüre des Nastid: Das
„Finale“ und besonders das „revolutionäre
Statut“ ; die Aussage des Nastid vor Gericht, die
unter Eid abgelegt wurde; die Tendenz des
Wochenblattes „Slovenski Jug“ und das Material,
welches in der Anklageschrift vorgebracht werde.
Aus alle dem wird schließlich gefolgert: Da-
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mit ist die großserbische Propaganda offen auf
das hochverräterische Gebiet getreten.
Ich habe schon aufmerksam gemacht, daß
das Jahr 1906 im Prozeß eine große Bedeutung
hat; von da aus soll in Kroatien die revolutionäre
Organisation besonders energisch aufgetreten sein.
Jetzt haben wir noch das Jahr 1903, die Thron¬
besteigung des Königs Peter. Merken wir uns
diese zwei Daten, sie sind wichtig, wie Sie sich
überzeugen werden.
Wir kommen nun zum Kronzeugen Nastic,
seinem „Finale“ und dem „Statut“. Für die
Herren, die sich mit der Sache nicht so ein¬
gehend beschäft haben, einige Daten: „Finale“
ist die Broschüre, über deren »Inhalt ich ein
paar Worte sagen muß, das „Statut“ (genauer:
„Statut der südslawischen revolutionären Organi¬
sation“*) ist, wie Sie sehen, eine Beigabe des
„Finale“. Nastic behauptet, dieses Statut sei das
organisatorische Statut der großserbischen, von
*) So gibt Nastiö den Titel auf der Beilage; im
Original heißt der Titel: „Provisorisches Statut der
Organisation zum Zwecke der Befreiung der Südslawen
(Slowenen, Kroaten und Serben).“
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Belgrad aus geleiteten Organisation. Es sind
alle Paragraphen des Statuts abgedruckt; auf
der anderen Seite der Beilage sind noch einige
Briefe abgedruckt, aus welchen Nastid seine
weiteren Folgerungen zieht. Beigegeben wurde
das Facsimile, um besonders die Identität der
Handschrift des Milan Pribißevid, der das Statut
geschrieben hat, zu beweisen.
Nastid gibt sieb selbst, wenigstens vor dem
Gerichte in Cetinje, als Philosophen aus; er ist
im Dezember 1906 nach Belgrad gekommen,
wie er selbst gesteht, mit revolutionären Inten¬
tionen, voll revolutionärer Begeisterung; er hat
in Belgrad mit Hilfe einiger Herren eine
Broschüre „Die Jesuiten in Bosnien“ heraus¬
geben können und durch diese Broschüre, die
vielleicht, ich weiß es noch nicht ganz genau,
gegen den Erzbischof Stadler gerichtet war,
hat er sich in der Gesellschaft Belgrads einen
gewissen Namen gemacht. Er ist in den „Slawi¬
schen Süden“ eingetreten und er behauptet, er
habe dort seine revolutionären Ideen propagieren
können, weil er dort sehr viele revolutionär
gesinnte, gleichgesinnte Männer gefunden hat.
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Den „Slovenski Jug“ nennt er eine Expositur
des Hofes, speziell des Königs Peter, des Kron¬
prinzen Georg, eines nahen Verwandten des
Königs, des Hauptmannes Jasa Nenadovic, und
vieler anderer. Er behauptet, es seien mehrere
Konferenzen abgehalten worden und er bringt
auch die Daten dieser Konferenzen vor. Er habe
in Kragujevac in das königliche Arsenal Zutritt
erhalten, um Bomben für den revolutionären
Verein zu bekommen und er habe auch tatsäch¬
lich Bomben bekommen, die er in den Verein
in Belgrad gebracht habe. Den Zutritt ins Arsenal
habe der Hauptmann Nenadoviö auf die Empfeh¬
lung des Kronprinzen Georg vermittelt.
Nachdem auf direktes Anstiften des Königs
Peter der Plan gefaßt wurde, den Fürsten Nikola
von Montenegro zu töten, weil dieser dem Kara-
georgeviö zur Realisierung des südslawischen
Planes im Wege stand und weil darum die Bomben
gegen Montenegro benutzt werden sollten, habe
Nastiö, der mit diesem Plane nicht übereinstimmen
konnte, Belgrad verlassen, den Fürsten Nikola
gewarnt und deshalb auch das „Finale“ ge¬
schrieben und überhaupt die ganze Sache klar-
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gelegt, um die Serben politisch auf bessere Wege
zu bringen.
Nastid ist also schon im September wieder
nach Sarajevo, seiner Vaterstadt, gegangen. Dann
war (Frühjahr 1908) der Prozeß in Cetinje. Nastic
hat eine Broschüre geschrieben „Meine Affairen“,
um diesen Prozeß und seine Aussagen vor dem
Gerichtshof in Cetinje zu verteidigen; das „Finale*
erschien Ende Juli (1908); dann hat er noch
(September 1908) eine Broschüre, deutsch, „Wo
ist die Wahrheit“, geschrieben, wo der Inhalt
des „Finale“ kurz wiederholt wird und einige
Angriffe abgewiesen werden.
Was das Statut und die Belgrader revolu¬
tionäre Organisation anbelangt, so ist die Haupt¬
sache die, daß — ich bitte das festzuhalten —
seit dem Jahre 1903 König Peter, die Dynastie
und ihre Leute, die großserhische Bewegung
mittels des Slovenski Jug leiten. Dieses Statut —
ich muß Sie mit einigen Namen belästigen —
ist, behauptet Nastid, von einer großen Konferenz
der Mitglieder des Slovenski Jug anfangs Dezem¬
ber (1907) angenommen worden; geschrieben,
respektive abgeschrieben ist es von dem Ober-
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leutnant Milan Pribicevid. Das ist der Bruder
dreier in Agram, also in Kroatien lebender Pri-
biöevide und daraus wird dann die Folgerung
gezogen, daß die Pribicevide in Kroatien durch,
ihren Bruder yon dem Statute gewußt haben,
daß speziell die selbständige serbische Partei,
deren Anhänger diese drei Pribicevice sind, die
revolutionäre Organisation in Kroatien geleitet
haben. Gravierend ist dabei der Umstand, daß
Milan Pribidevid als Oberleutenant aus dem öster¬
reichischen in das serbische Heer übertreten ist,
Svetozar Pribicevid ist der Bedakteur des „Srbo-
bran“, des Organs der selbständigen serbischen
Partei.
Die Anklageschrift legt dem Finale und dem
Statut die größte Wichtigkeit bei. Zweimal wird
der Inhalt des Finales vorgebracht und Nastid
wurde beeidigt, daß das Finale als Ganzes und
in den einzelnen Teilen wahr ist.
Man hat über Nastid schon viel geschrieben.
Sie haben eine deutsche Schrift der Agramer
Verteidiger, in der er als Agent provocateur
hingestellt wird, usw. Ein Angeklagter bat gesagt,
er handle, wie er gehört habe, mit Häuten, dabei
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hat er an Menschenhäute gedacht; der Mann
hat dafür zwei Tage Einzelhaft und zwei Fast¬
tage bekommen. Ich selbst habe eine ganze
Studie über ihn von einem bekannten Belgrader
Arzt, der ihn beobachtet und alles notiert hat,
denn er wurde sehr bald in Belgrad verdächtig;
ich könnte auch von dieser Seite über den Mann
so manches sagen, aber das ist nicht meine Sache.
Ich halte mich an die im Prozesse von ihm
gelieferten Tatsachen und ich werde Ihnen
zeigen, daß man dem Mann nicht trauen darf.
Er sagt nicht die Wahrheit, er entstellt die Tat¬
sachen, ja ich darf sagen und habe Beweise
dafür, daß er lügt. Er ist der Typus eines ober¬
flächlichen Menschen; seine Urteile, die Kon¬
statierungen der Tatsachen sind — das sieht
jeder gleich und ich werde Ihnen einige Beweise
vorführen — sehr ungenau, Widersprüche sind
fort und fort aufzudecken. Man merkt auch eine
Tendenz, die ganz besonders charakteristisch ist,
wie er aus Nichtigkeiten, zum Beispiel aus Privat¬
briefen, die er veröffentlicht, etwas Wichtiges
machen will, was sachlich absolut nicht gerecht*
fertigt ist. Er ist überaus unpräzis, und wenn
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er vor eine Frage gestellt wird, dann spricht er
immer anders. Er sagt zum Beispiel — und sucht
dies in seinem „Finale“ ganz besonders zu be¬
weisen — daß die ganze Bewegung, speziell
auch das terroristische Attentat gegen den Fürsten
von Montenegro, vom König und von der Dynastie
in Serbien inauguriert wurde. Das hat er auch
als Zeuge in Getinje ausgesagt. Als ihn einer
seiner Freunde deshalb zur Rede stellte, schrieb
er am 15. Juni 1908 einen Brief, worin er seine
ganz unzweideutige Aussage abzuschwächen sucht,
er habe den König nicht derart angeklagt. Kurz,
ein absolut nicht verläßlicher Mensch, ein Lügner I
Mehr will ich nicht sagen.
Wenn Sie das „Finale“ und das Statut halb¬
wegs aufmerksam lesen, so sehen Sie, daß das
Ganze ein ganz gewöhnlicher politischer Klatsch
ist, nichts mehr. Wer ist der Autor des Statuts?
Im „Finale“ heißt es, Milan Pribiöeviö sei be¬
ordert worden, es auszuarbeiten; es wird aber
auch schon von Verfassern, also nicht von einem
Verfasser, gesprochen. In der beeideten Aussage
in Agram hat Nastid ausgesagt, daß das Statut
aus den Beratungen der Mitglieder des „Slovenski
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Jug“ hervorgegangen ist. In der Broschüre „Wo
ist die Wahrheit ?“ heißt es aber ausdrücklich,
es sei im serbischen Ministerium des Äußern
ausgearbeitet worden, es sei nicht die Tat des
Milan Pribiöevi6, im Statut seien einige Ideen
des Milan Pribiöeviö und auch von Nastid.
Sie sehen schon daraus, daß der Mann nicht
weiß, was für eine Bewandtnis es eigentlich mit
dem Statut hat. Nun, meine Herren, dieses
Statut ist kein Statut, es war nie und ist nicht ein
Statut des Südslawischen Jug, es ist niemals von
irgendeiner Konferenz, sei es einer größeren oder
kleineren, angenommen worden; es ist ein ganz
persönliches Elaborat, es ist ein ganz persönlicher
Antrag, d. h. der Entwurf eines südslavischen Pro¬
grammes eines Einzelnen. Es wird im Titel selbst
ausdrücklich als provisorisch hingestellf und am
Schlüsse lesen Sie (p. 79, „Finale“), daß es der
Plan einer erst ins Werk zu setzenden Agitation
und Propagation sein soll. Ich kenne die Pro¬
venienz des Statuts ganz genau, ich weiß, wer der
Autor ist, wer es geschrieben hat, wann und wie.
Ich werde das selbstverständlich nicht sagen, weil
das Sache der Ankläger ist, die ihr Beweis-
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material auf das Statut basieren. Sie brauchen
übrigens, wie gesagt, nur Nastids „Finale“ auf¬
merksam zu lesen, um sich von dem Gesagten zu
überzeugen. Er behauptet, dieses Statut sei an¬
fangs Dezember auf einer großen Konferenz der
Mitglieder angenommen worden und er nennt
(p. 54) unter den Mitgliedern dieser Konferenz
auch den Präsidenten des Vereines. Aber er ist
so naiv, daß er an einer anderen Stelle erzählt,
daß der Präsident anfangs Dezember — Nastid
veröffentlicht doch dessen Brief, der anfangs
Dezember in Brüssel aufgegeben wurde! —
schon von Belgrad abwesend war, ebenso ist
er selbst nicht mehr dagewesen, auch der
Hauptmann Nenadovi * (nach Nastid der Haupt¬
macher !) und andere waren schon nicht mehr in
Belgrad. Tatsächlich hat die große konstituierende
Konferenz anfangs Dezember (1907) nicht statt¬
gefunden ; die von Nastid genannten Teilnehmer
dieser Konferenz können alle ihr Alibi er¬
weisen! Man sieht aus dem „Finale“ allein, daß
eben dieses Statut — darum handelt es sich ja
hauptsächlich — nicht das Statut eines revo¬
lutionären Vereines war und von ihm auch nie
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angenommen wurde, sondern — ich konstatiere
es nochmals — es ist nichts anderes als, sage
ich, die Fleißaufgabe eines ziemlich unklaren
Kopfes, der eine südslawische Organisation erst
schaffen wollte.
Nastic behauptet, dieses Statut sei das Statut
eines revolutionären Vereines, der die Dynastie
Karageorgevich emporbringen will und im Inter¬
esse der Dynastie Karageorgevich arbeiten soll.
Davon ist im Statut keine Spur, sondern im
Gegenteil, das Statut ist revolutionär, es ist
antidynastisch, es ist direkt für eine republikani¬
sche Zusammenfassung des Südens geschrieben.
Natürlich gibt sich Nastic die Mühe, das als
Phrasen im Statut hinzustellen, um angeblich
die Mitglieder außerhalb Serbiens zu kapitivieren.
Lesen Sie das „Finale“ — Sie haben ja eine
deutsche Übersetzung — und Sie werden sehen,
es ist de facto alles andere, nur nicht ein Plan,
der für den König Peter arbeiten soll.
Was die Revolution anbelangt, so wird im
Statut ausdrücklich gesagt — Seite 62 des „Fi¬
nales a — daß Attentate nahezu unmöglich und
ergebnislos wären; es wird ausdrücklich gesagt,
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daß man an einen revolutionärem Kampf in
Ungarn nicht denken soll. Es steht weiter darin:
In Kroatien und Dalmatien soll man nur demo¬
kratische Politik treiben, bezüglich der sloweni¬
schen Länder wird gesagt, man soll die frei¬
denkenden Elemente unterstützen und nur gegen
Montenegro, gegen die Türkei und gegen Bosnien
kann, wenn es nötig ist, der Terror benützt
werden. Das Statut zeigt Ihnen also klar, daß
auf österreichischem Gebiete von einer Revolu¬
tion, von einem Terrorismus und davon, was in
der Anklageschrift steht, keine Rede ist. Tatsäch¬
lich hat das Organ der Starcevicpartei, „Qrvatska
Sloboda“ (10. Aug. 1908), gesagt, daß in dem
Statut eigentlich Ideen sind, welche als gro߬
kroatische Ideen nicht weit von dem Ideale von
Ante Staröevid seien. In der Tat ist es im Wesen
gleich, ob man diese Ideale großkroatische oder
großserbische nennt. Das Statut ist eben
der Ausdruck der politischen Einsicht, daß
die Südslawen, speziell die Serben und Kroaten
ihre Zerbröckelung aufgeben wollen. Dafür ist
nun das Statut eine Art Anleitung, eine rein
theoretische Anleitung, kein Statut einer schon
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bestehenden Organisation. (Abgeordneter Neu¬
mann: „Wo ist das Original des Statute?*) Ich
komme noch darauf.
Über die Bombenaffare bin ich auch genau
unterrichtet, ich werde gleichfalls aus dem an¬
geführten Grunde nicht sagen, was ich weiß.
Das ist Sache derjenigen, die behaupten, daß in
dem „Slovenski Jug“ terroristische Attentate
speziell auch auf österreichisch-ungarischem Ge¬
biete vorbereitet wurden. Alles das, wie es Nasti<5
darstellt, ist unrichtig. Ich habe hier ein Mani¬
fest des Nastic, ein ganz interessantes Dokument,
eigenhändig von ihm geschrieben: An Seine Maje¬
stät den Kaiser und König Franz Joseph. Es ist
ohne Datum (Datum des Poststempels, heißt es).
Aber aus dem Texte sieht man, daß es im Jahre
1906 vor seiner Ankunft in Belgrad geschrieben
ist und, meine Herren, in diesem angeblich
an den Kaiser gerichteten Manifest wird schon
gedroht, daß mit Bomben und Attentaten vorge¬
gangen werden wird, also in einer Zeit, wo Nastic
noch nicht über die Bomben in Kragujevac hat
unterrichtet sein können. Und dieses angeblich an
den Kaiser geschickte Manifest ist unterschrieben:
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„Exekutivkomitee der bosnisch-herzegowinischen
revolutionären Partei in Wien.“ Psychologisch
ist es interessant, daß der Mann, bevor er nach
Belgrad kommt, schon seine Phantasien mit den
Bomben, Attentaten usw. erfüllt hat. Es ließe
sich ja konstatieren, ob dieses angebliche Mani¬
fest des Nastid an den Kaiser geschickt worden ist.
Ich werde weitere Schlüsse aus diesem psycho¬
logisch wichtigen Dokumente nicht ziehen und
will nur jetzt zur Bekräftigung dessen, was ich
schon über das revolutionäre Statut gesagt habe,
kurz meine Erfahrungen Vorbringen, die ich an
Ort und Stelle in Belgrad selbst gemacht habe.
Ich wurde natürlich auch denunziert, daß
und warum ich nach Belgrad gegangen bin. Ich
habe in Agram über sehr wichtige Dinge nichts
erfahren können. Es herrscht jetzt eine solche
Angst in Agram, daß sich, als ich gebeten habe,
es soll einer der Herren Verteidiger hingehen
und einiges, was ich brauche, untersuchen, nie¬
mand dies zu tun getraut hat, um nicht Material
für den politischen Klatsch und die Anklage zu
liefern: deshalb bin ich selbst nach Belgrad ge¬
gangen und selbstverständlich bin ich dort ganz
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öffentlich aufgetreten. Zwei Dinge sind es, die
mich interessiert haben. Vorerst die Frage:
Was ist’s denn mit diesem „Slovenski Jug“, mit
dieser angeblichen revolutionären Geheimorgani¬
sation P Die Geschichte des „Slovenski Jug* ist
kurz folgende. Nastid behauptet, wie Sie sich
erinnern, daß dieser „Slovenski Jug“ im Jahre 1903
gegründet wurde, als König Peter zur Herrschaft
kam. Die Tendenz ist, das Jahr 1903 als das
ausschlaggebende hinzustellen. Das ist falsch.
Der „Slovenski Jug“ wurde im Jahre 1902 ge¬
gründet, und zwar war es ein einfacher, kaum
lebensfähiger Studentenverein und sonst gar
nichts, ein Studentenverein, der nicht nur keine
dynastische Propaganda im Auge hatte, sondern
im Gegenteil eher antidynastisch, revolutionär,
wenigstens demokratisch gesinnt war.
Im März des Jahres 1902 sind gegen die
Regierung — damals herrschte noch König Ale¬
xander — von diesem Klub Demonstrationen
/
arrangiert worden, bei denen 73 Leute ver-
wundet, und einige, glaube ich, getötet wurden.
König Alexander hat diesen Klub aufgelöst, den
nächsten Tag aber wiederum erlaubt, aber die
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Polizei hat nach den Ferien, im Jahre 1902,
nicht erlaubt, daß der Klub fortbestehe. Er hat
nämlich den verfänglichen Namen „Demokrati¬
scher Verein“ gehabt, in der Not hat man ihm
darum den unverfänglichen Titel „Slovenski
Jug“, „Slawischer Süden“, gegeben und so wurde
er gestattet.
Und nun bitte ich, die Tätigkeit des Ver¬
eines, die ich auf Grund der Protokolle kon¬
statiert habe, zu beachten. Also ich konstatiere:
Die Mitglieder waren lauter Studenten. Diese
Studenten haben sich an die griechischen und
rumänischen Studenten gewendet; man hat mit
bulgarischen Studenten Vereinbarungen getroffen,
aber vorläufig nicht mit österreichischen. Und
was wichtig ist, man hat die Autonomie der
einzelnen südslawischen Länder proklamiert,
also etwas, was entschieden gegen die gro߬
serbische Idee, in dem Sinne, wie sie Nastic
und die Anklage behaupten, gerichtet ist. Man
hat die Autonomie nicht nur Mazedoniens,
sondern — ich bitte das zu beachten — sogar
Bosniens und der Herzegowina proklamiert —
dafür sind die jungen Leute in Belgrad von der
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offiziellen Gesellschaft als Landesverräter hin¬
gestellt worden.
Im Jahre 1904 fand eine Verbrüderung der
bulgarischen und serbischen Studenten statt,
diese sind nach Sofia, jene nach Belgrad ge¬
gangen — also eine Verbrüderung mit den Bul¬
garen, während das revolutionäre Statut die
Bulgaren geradezu aus dieser angeblich revolu¬
tionären Organisation ausscheidet. Kurz der
„Slovenski Jug* war ein radikaler — serbisch¬
radikal müssen Sie sich natürlich vorstellen —
Studentenverein, republikanisch gesinnt. Und
das ist für serbische Verhältnisse gar nichts
Merkwürdiges. Es hat sich zum Beispiel heuer
ein republikanischer Studentenverein konstituiert,
der ein Organ herausgibt, das „Republik“ heißt.
Sie müssen eben mit den serbischen Verhält¬
nissen rechnen, wenn da über Demokratie, Re¬
publikanismus und Radikalismus gesprochen
wird. Jedenfalls waren die Mitglieder des Ver¬
eines keine Royalisten, die für die Karageorge-
vich, sei es für König Peter oder für den Kron¬
prinzen Georg, gearbeitet hätten.
Im Jahre 1904 hat die Majorität der Stu-
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denten, die den Verein begründet hatten, ab¬
solviert; der Verein ist immer mehr ein bürger-
hoher Klub geworden. Die Studenten haben
kein Geld gehabt, man hat auch das Wochen¬
blatt nicht gut herausgeben können, man hat
also versucht, daß Bürger, speziell Professoren
und Künstler, dem Verein beitreten. Man hat
das getan, damit der Verein Geld habe; man
hat Kunstausstellungen veranstaltet, dann ist
(1906) ein Lesezimmer eröffnet worden — das
war der „Slovenski Jug“.
Und wie antiösterreichisch der Verein war,
dafür habe ich folgendes aus den Protokollen
konstatiert. Im Jahre 1906, bei einer großen
Feierlichkeit, welche der „Slovenski Jug u als
größtes studentisches Organ leiten sollte, hat
der Präsident des Vereines einen Redner des maze¬
donischen Komitees nicht zugelassen, weil der
Verein nicht politisch sei. Und am 9. März 1906
hat ein Mitglied den Antrag gestellt, daß der
Verein für das Bündnis mit Österreich und nicht
mit Bulgarien arbeiten solle. Ein solcher anti¬
österreichischer Verein, meine Herren, war dieser
„Slovenski Jug“. (Hört!)
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Er ist übrigens im Herbst vorigen Jabres
an der studentischen Krankheit, an dem Mangel
an Mitteln, gestorben; das Lesezimmer und das
Blatt haben aufgehört zu existieren. NB. der
Verein hört auf in dem Augenblicke zu exi¬
stieren, in welchem nach der Proklamierung
der Annexion seitens Österreich-Ungarns seine
eigentliche Tätigkeit erst hätte beginnen sollen!
Aus dem Präsidenten dieses Vereines — er
heißt Ljuba Jovanovic — haben Nastiö und die
Anklage und auch einige Blätter eine fürchter¬
liche, große, politische Persönlichkeit gemacht.
Das ist aber ein einfacher Student, der glücklich
war, daß ihm die Regierung ein Stipendium ge¬
geben hat und er nach Brüssel zu seiner Aus¬
bildung gehen konnte.
Nastid bringt zwei Briefe dieses Jova¬
novic im Faksimile als Beweis dafür, wie revolu¬
tionär der Mann war und welche Rolle er ge¬
spielt habe. Jovanoviö schreibt ihm, er habe seine
Bibliothek da und da gelassen, er fragt Nastiö
in einem Brief, ob er noch über Schillers
„Glocke“ nachdenke — Nastiö ist nämlich ein
Germanist und hat tatsächlich über Schillers
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„Glocke“ Studien gemacht — und warnt ihn
vor Nikola.
Der Brief ist — sagt Nastic — allegorisch
zu nehmen. „Meine Bibliothek“, das bedeute den
Rest der Bomben und „Schillers Glocke“ bedeute
die revolutionäre Arbeit. Nein, meine Herren,
das bedeutet wörtlich, was im Briefe steht und
dieser Nikola, vor dem er ihn warnt, ist nicht, wie
Nastid behauptet, der Fürst Nikola, sondern Nikola
Jovicevid, der Polizeichef in Centinje, mit dem
Nastid in Semlin zusammengekommen ist und mit
dem er seine weiteren Pläne gemacht hat. Ich muß
noch erwähnen, daß dieser Ljuba Jovanovic na¬
türlich nicht identisch ist mit dem Professor
und Präsidenten der Skupschtina Ljuba Jova-
novic, wie auch schon behauptet wurde. Ich
habe auch Ljuba Jovanovic, den Präsidenten der
Skupschtina, gefragt, welche Rolle er im „Slo-
venski Jug“ gespielt hat. Er ist ihm als einem
Studenten verein beigetreten, aber er war nie,
so behauptet er, in den Lokalitäten desselben.
Übrigens ist das ganz nebensächlich. Ich will
nur zeigen, wie aus Unkenntnis und Absicht
wegen eines einfachen Studenten der Präsident
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der Skupschtina in Mitleidenschaft gezogen
wurde.
Gestern habe ich im „Vaterland“ ein Tele¬
gramm aus der „Vossischen Zeitung“ gelesen,
daß im südslawischen Klub — das ist der „Slo-
venski Jug“ — ein Femgericht abgehalten
wurde. Meine Herren! Ich konstatiere, daß der
Klub seit vorigem Jahre nicht existiert. Sie
sehen, wie systematisch fort und fort gelogen
wird *).
Über die Person des Milan Pribicevic habe
ich mich auch genau informiert, er ist absolut
nicht der Mann, den Nastic aus ihm gemacht hat.
Herr Milan Pribicevic ist als österreichischer
Oberleutnant in die serbische Armee überge¬
treten; diesen Übertritt hat er mit Wahrung aller
*) Zu beachten] ist, wie Nastiß im „ Wo ist die
Wahrheit?* seine Aussprüche im „Finale* korrigiert:
Hinter dem Klub, sagt er (p. 18), verbergen sich
die Vertrauensmänner der serbischen Regierung, er
habe (im „Finale“) immer nur von einer Gruppe der
Klubmitglieder gesprochen. jHinter“ dem Klub: derart
kann man jedes Kaffeehaus in Belgrad zu einem Ge¬
heimbund machen!
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Formalitäten durchgeführt. Nach sein er Anmeldung
in Serbien — im Jahre 1903 — mußte er anderthalb
Jahre warten, bis er angenommen wurde; er ist
jetzt Oberleutnant, obwohl er schon ein Jahr bis
Hauptmann sein sollte. Sein Gesuch an die
Skupschtina, daß ihm die in Österreich gedienten
Jahre eingerechnet werden, ist bis jetzt (seit
1905) unerledigt geblieben — kurz und gut,
Herr Milan Pribiceviö wird in Serbien ganz und
gar nicht gefördert! Im Gegenteil — ich selbst
habe den Eindruck, daß man ihn vielleicht als
österreichischen Spion ansieht. Herr Milan Pri-
biceviö hat den Minister Pasic in einer Artikel¬
serie im „Srbobran“ kritisiert, deswegen wurde
er in serbischen Regierungsblättern hart an¬
gegriffen; Herr Milan Pribiceviö war nie bei
Hofe und stand und steht zum Hofe in gar
keiner Beziehung. Oberleutnant Pribiceviö ist,
wie man sich auszudrücken pflegt, ein Idealist:
Tolstoj — Bernsteins Revisionismus — tschechi¬
scher Realismus — serbischer Radikalismus, das
sind die Etappen seiner Entwicklung; er wollte
Serbien, speziell das Land kennen lernen und
hat darum um die Aufnahme in die Garnison
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Krusevac angesucht, wo er bis jetzt weilt: wäre
er der große Mitverschworene des „Slovenski Jug*,
so hätte man ihn jedenfalls in Belgrad unter¬
bracht, nicht in Krusevac belassen.
Ich habe mich auch über die finanziellen
Verhältnisse Herrn Pribidevics informiert; er ist
verschuldet und ich habe einen genauen Aus¬
weis seiner Schulden — das hat ihm die von
Nastic zuerteilte führende Rolle in dem vom
König und Kronprinz reichlich unterstützten
Geheimverein eingetragen!
Mit Nastid hat ihn der Obmann des „Slo¬
venski Jug“ bekannt gemacht; in den „Sloven¬
ski Jug“ kam Herr Milan Pribicevid, um das
Lesezimmer zu benutzen.
Noch eine Tatsache will ich anführen, die
nicht nur Nastid, sondern auch den Agramer
Untersuchungsrichter charakterisiert: Ein Brief
von Milan Pribicevic an seinen Bruder Valerian,
der mit anderen Briefen saisiert wurde, ist aus
den Akten verschwunden; Herr Valerian Pribi¬
cevid hat diesen Brief vom Richter Kosutic ver¬
langt, er war nicht zu finden; warum? Weil er
eine Kritik — des Königs Peter enthält!
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Kurz und gut: das „Finale“ von Nastid,
seine Denunziation des „Slovenski Jug“ und der
Brüder Pribidevid ist eine offenkundige bös¬
artige Verzerrung der Tatsachen; daß diese zum
Teil bewußte, zum Teil unbewußte Verzerrung
nicht nur in Agram, Budapest und Cetinje,
sondern auch in Wien so unkritisch aufgenom¬
men und ausgenützt wurde, gehört eben in das
reiche Kapitel der politischen Pathologie.
Es kann, wenn man die Angaben Nastids
prüft, nicht zweifelhaft sein, daß dieselben un¬
richtig und zu einem großen Teil direkt un¬
wahr sind. Nicht nur unwahr, sondern erlogen.
Man kann mit dem jungen, nicht unbegabten
Mann Mitleid haben, man kann bedauern, daß
er vorzeitig, ohne die nötige Erfahrung und
Selbstbeherrschung in das Räderwerk der asiati¬
schen Balkanpolitik hineingeraten ist — ich selbst
würde ihm vieles nachseh en, aber es ist empö¬
rend zu sehen, wie er die Tatsachen mit Be¬
wußtsein vergewaltigt, wie er über Menschen
lügt, die ihm nur Qutes getan haben. Zu solchen
geradezu gemeinen Lügen gehört zum Beispiel
die Behauptung, das Statut sei in einer Klub-
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konferenz angenommen worden, hierher gehört
die „allegorische“ Auslegung der nichtssagenden
Briefe seiner Freunde u. m. a. Man kann die
Oberflächlichkeit und Herzlosigkeit des Menschen,
der Hunderte von unschuldigen Menschen ins
Unglück gestürzt hat, nicht scharf genug ver¬
dammen.
5. Es hat in Belgrad keinen großserbischen,
dem König dienenden geheimen Klub gegeben,
das von Nastic publizierte Statut war nicht das
Statut dieses angegebenen Klubs, die von Nastid
denunzierten Personen haben nicht die Rolle ge¬
spielt, die er denselben zuschreibt. Aber gesetzt,
der Inhalt des „Finale“ wäre, so weit Belgrad
in Betracht kommt, so wahr, wie er nicht wahr
ist: was würde daraus ftlr das österreichisch¬
ungarische Gebiet folgen? Gar nichts! Der Be¬
weis müßte erst erbracht werden, daß auf öster¬
reichisch-ungarischem Gebiete die von Nastid
behauptete Abfallsbewegung tatsächlich auch
existiert.
Wie ist es möglich, daß man in Agram
nicht untersucht hat, ob alles das, was Nastid
im „Finale“ speziell über das revolutionäre Sta-
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tut vorbringt, auch richtig ist? Man hätte nicht
nur Nastic, man hätte die wichtigsten Personen
auch in Belgrad untersuchen lassen müssen, ob
alles bezüglich des Milan Pribiöevic, des „Slo-
venski Jug“ usw. wahr ist. Und ich wiederhole,
posito, es sei alles, was im „Finale“ über Belgrad,
den König usw. steht, wahr: wo ist der Beweis,
daß in Kroatien revolutionäre Organisationen und
ihre Agitationen bestehen? Das müßte ja erst
bewiesen werden; man darf nicht, weil Nastic
ein Statut vorbringt, dies einfach als glaub¬
würdig hinnehmen. Es ist unglaublich, wie der
Prozeß derart falsch instruiert werden konnte.
Nehmen Sie, meine Herren, den Hauptange¬
klagten im Prozeß — die Anklageschrift ist
gegen Adam Pribiceviö und 52 Genossen ge¬
richtet: was also hat Adam Pribicevic verbrochen?
Ich habe die Anklageschrift genau gelesen:
nichts finden Sie darin! Aber im „Finale“ wird
als Beweis behauptet, daß Adam Pribiceviö mit
seinem Bruder in Verbindung war und daß er
vom revolutionären Statut gewußt hat. Er hat
aber vom revolutionären Statut gar nichts ge¬
wußt und konnte nichts wissen, weil, wie ich
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Nasti6 hat diesen Worlaut des Statuts zu ver¬
drehen gesucht. Also was war denn, meine
Herren? Die Aufregung nach der Ermordung
des Königs im Jahre 1903 — da haben Sie das
Jahr 1903 — war selbstverständlich und ist bis
jetzt in Belgrad und Serbien eine sehr große;
der Wechsel der Dynastie hat das kleine Land
politisch revolutioniert. Unklare, träumerische,
phantastische Ideen, das ist wahr, sind in Bel¬
grad und Serbien stark verbreitet, die dynasti¬
sche Krise hält die politisch Denkenden in steter
Aufregung und dieser Teil des serbischen Volkes
müht sich ab, um überhaupt für Serbien eine
klarere Stellung auf dem Balkan zu finden. Das
ist begreiflich. Und aus dieser Erregung, aus
diesen unklaren Plänen heraus hat Nastic das
Revolutionsstatut des „ Slovenski Jug“ und die
revolutionäre großserbische Propaganda kon¬
struiert.
Es gibt zwischen Belgrad und Südungam
und auch Kroatien, den serbischen Gegenden,
eine ziemlich lebhafte Verbindung. Einmal kirch¬
lich. Ich bitte nicht zu vergessen, daß Serbien
kirchlich mit Südungarn verbunden war und noch
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ist. Einer der Angeklagten, Valerian PribiÖevic,
war zum Beispiel in Konstantinopel am serbi¬
schen Gymnasium Professor und Katechet. Ferner
die Universitätsjugend des Balkan, die in Wien,
Pest, Graz und bei uns in Prag studiert: die
Studenten werden mit einander bekannt und so
entstehen Anknüpfungen der Intelligenz hüben und
drüben. Auch die Handelsbeziehungen zwischen
Serbien und dem Süden des Reiches sind per¬
sönlich deshalb viel wichtiger als die Handels¬
beziehungen im Westen; da muß alles persön¬
lich abgemacht werden. Sie können in Serbien
einen Handel nicht etwa so schriftlich abmachen,
wie Sie ihn in einem fortgeschrittenen west¬
lichen Lande machen. Infolgedessen sind Handels¬
beziehungen rein persönlicher Art massenhaft
vorhanden. So also ist es begreiflich, sage ich,
daß zwischen dem Süden des Reiches und Bel¬
grad viele persönliche Beziehungen bestehen.
Wenn jemand also hinter diesen Beziehungen
Hochverrat suchen will, so ist das natürlich sehr
leicht möglich.
Ich gehe weiter, meine Herren! Mir handelt
es sich nur um die Tatsachen: ich leugne nicht,
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daß in Belgrad eine serbische Propaganda be¬
steht ; ich leugne das nicht und ich glaube auch
nicht, daß jemand in Serbien das leugnen würde.
Aber ich bitte, gegen wen und wo ist diese
serbische Propaganda? Nur gegen den Sultan,
nur gegen die Länder, welche dem Sultan an¬
gehören, und zu diesen Ländern gehörte bis
anfangs Oktober vorigen Jahres auch Bosnien.
In Belgrad ist das makedonische Komitee, dar¬
über lesen Sie ja fast jeden Tag. Die Propa¬
ganda ist zum Teil kulturell, indem zum Bei¬
spiel in Altserbien, Mazedonien Schulen ge¬
gründet werden, zum Teil politisch. Aber meine
Herren, es gibt auch eine bulgarische Propa¬
ganda im Süden und es gibt selbstverständlich
auch eine österreichische Propaganda, darüber
wollen wir uns doch nicht täuschen.
Nun wird immerfort auf das serbische Geld
hingewiesen. Ich habe Gelegenheit gehabt, einen
Einblick zu nehmen in die Ausgaben der serbi¬
schen Propaganda. Ich behalte das, was ich darüber
erfahren habe, für mich. Aber es ist geradezu
kindisch, wenn man diesem armen Lande impu-
tiert, daß es, ich weiß nicht wie viele Hundert-
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tausende, ja Millionen für die Propaganda aus¬
gibt. Man weist zum Beispiel auf den Disposi¬
tionsfonds von 1,200.000 Frc. hin; an und für
sich ist das doch gar nicht so viel und man
weiß nicht, daß dieser Dispositionsfonds zum
größten Teil zu ordentlichen und außerordent¬
lichen Budgetausgaben herhalten muß.
Nun muß ich auch, meine Herren, ein Wort
über die Dynastie sprechen, welche als die mo¬
ralische, politische und finanzielle Leiterin dieser
Propaganda hingestellt wird. Vorerst will ich
die Tatsache konstatieren, daß die serbische
Regierung, nachdem das „Finale“ erschienen ist,
den Vertretern im Auslande durch eine Note
zu wissen gegeben hat, daß das ganze „Finale u
und das Gerede über das Statut, wie in dieser
Note gesagt wird, Kaffeehaustratsch ist, daß die
Dynastie damit absolut nichts zu tun hat. Und
es wird auch bestritten, daß der Hauptmann
Nenadovic, von dem Nastid immerfort betont,
er sei der Intimus des Königs und ein naher
Verwandter desselben, wirklich ein Verwandter
des Königs sei. Die Dynastie selbst hat also
diese Angaben widerlegt.
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Ich selbst will folgendes sagen: Ich habe
den Eindruck — und ich spreche ganz offen —,
daß der Kronprinz Georg ein unüberlegter junger
Mann war und wohl bis heute ist. Ich habe mir
Aussprüche, die er gemacht hat, von verlä߬
lichen Leuten sammeln lassen, und zwar Aus¬
sprüche nicht nur gegen Österreich, sondern
auch gegen Rußland und andere Staaten; auf
Grund dieser Aussprüche könnte man, ich weiß
nicht welche großserbische Pläne konstruieren
wollen. Ich kann diesen jungen Mann nicht
ernst nehmen und ich glaube, Serbien hat es
ebenso getan, wenn er nicht mehr Kronprinz
sein soll. Was aber den König anbelangt, so
glaube ich, daß der ganz andere Sorgen hat,
als sich mit solchen Kindereien zu befassen,
welche ihm Herr Nastic und die Anklage im-
putiert.
Mit einem Wort: eine Irredenta, eine serbi¬
sche oder eine kroatische Irredenta in Kroatien,
in Ungarn oder gar auf slowenischem Gebiete,
wie dieselbe von Nastiö und von der Anklage¬
schrift konstruiert wird, hat es nicht gegeben
und gibt es nicht.
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71
IV.
6. Nun also, meine Herren, warum wird ein
so unbegründeter Prozeß geführt? Wenn ich
Sie kurz auf die kroatischen Verhältnisse auf¬
merksam mache, werden Sie augenblicklich be¬
greifen, um was es sich eigentlich in Agram
handelt.
Ich habe Ihnen die Jahre 1903 und 1906
unterstrichen. Die Anklage behauptet nämlich,
das Jahr 1906 habe die Bedeutung, daß die
großserbische Propaganda von da ab ganz be¬
sonders stark sich geltend machte. Meine Herren!
Das Jahr 1906 ist für Kroatien ein sehr wich¬
tiges Jahr, ebenso das Jahr 1903. Im Jahre 1903
hat das Regiment Khuen-H^dervarv aufgehört!
die Kroaten und Serben haben ein wenig poli¬
tisch aufschnaufen können und daher ist das
Jahr 1903 so wichtig; aber nicht deshalb, daß
König Peter auf den Thron gekommen ist. Und
das Jahr 1906 ist wichtig, weil das alte Regi¬
ment bei den Wahlen total zugrunde gegangen
ist und die serbisch-kroatische Koalition im
Jahre 1906 das Heft in die Hände bekommen
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hat. Selbstverständlich war und ist das nicht
dasjenige, was die Herren in Budapest und in
Agram haben wollen. Der Agramer Prozeß ist
der Kampf gegen die serbisch-kroatische Koali¬
tion und speziell gegen die Serben, welche, wie
Sie wissen, unter Khuen-H6dervary das Stimm¬
vieh — muß ich leider sagen — fllr eine un-
nationale Politik abgegeben haben und das ge¬
fügige Mittel in den Händen der magyarischen
und magyaronischen Politiker waren. Jetzt
wollen die Serben, weil sie zum Bewußtsein
ihrer Würde gekommen sind, das nicht mehr
weiter tun und infolgedessen hat der neue Ban
gegen sie diesen Prozeß inszeniert: alle Ange¬
klagten sind Serben, gegen die an der Koalition
mitschuldigen Kroaten hat man sich nicht auf¬
zutreten getraut.
Ich muß einiges über diesen neuen Ban
sagen. Er ist der Sohn seines Vaters — damit
ist alles gesagt. (Heiterkeit.) Meine Herren!
stellen Sie sich vor: Ungarn-Kroatien wird
als das konsitutionellste Land hingestellt! Baron
Rauch hat keinen einzigen Abgeordneten hinter
sich; er hat in den vorjährigen Wahlen, trotz
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73
dem veralteten Wahlmodus*), alles verloren,
nicht einmal Milan Öanak, der bald nach den
Wahlen hoppgenommen wurde, wurde gewählt,
obwohl er sein Kandidat war, den er unter¬
stützt hat Nur über solche Leute verfügt
der Ban, aber trotzdem ist er gegen den
Willen Wekerles durch den Einfluß einiger
hoher Offiziere Ban geworden — ich weiß
das ganz bestimmt. Ich werde die Herren
vorläufig nicht nennen, aber das eine möchte
ich sagen, daß einem Generalmajor, der an
der Spitze eines guten und hochangesehenen
militärischen Instituts steht, es besser ansteht,
sich um sein Institut als um die kroatische
Politik zu kümmern. (Bravo!) Rauch ist ein
politisch ganz unfähiger Mensch; Sie sehen
ja, wie unfähig der Mann ist, wenn er einen
solchen Prozeß inszeniert. Baron Rauch ist
ohne politisches Ziel, ohne politischen Cha-
*) Man bedenke, daß Kroatien nicht ganze 50.000
Wähler hat, daß die Wähler zum großen Teil aus den
Kreisen der abhängigen Intelligenz (Lehrer, Beamte usw.)
sich rekrutieren und doch hat Baron Rauch keinen ein¬
zigen Kandidaten durchgesetzt!
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rakter. Rauch hat die Fiumaner Resolution,
gegen die er jetzt kämpft, hochgepriesen und
sich gefreut, daß die Kroaten endlich von
Wien sich losmachen wollen, weil es die
Kroaten immer nur getäuscht habe *). Baron
Rauch hat die kroatisch - serbische Koalition
hochgehalten, er ist durch sie hinaufgekommen,
er hat Hymnen auf sie gesprochen — jetzt
befehdet er diese großserbische Koalition. Baron
Rauch hat die serbisch-kroatische Jugend ge¬
lobt, er hat in ihr mit Freuden die Grund¬
lagen einer wahrhaft nationalen Partei gesehen
— — heute bekämpft er diese Jugend mit
allen Mitteln seiner brutalen Kurzsichtigkeit.
Bin Mann, der heute dem Khuen - H^dervary
im offenen Parlamente sagt, daß er ein Beutel-
*) „Mir scheint es, den erhabenen Namen einer Volks¬
partei verdienen weit mehr die Männer, die jene Richt¬
schnur zu finden verstanden haben, die jedes kroatische
Herz zur Freude ermuntert, als sie die „Fiumaner Re¬
solution“ gewagt und sich von Wien losgesagt haben,
von wo immer sie nur bittere Enttäuschungen erlebt
haben.“ Baron Rauch im Agramer Landtag, 28. No¬
vember 1905.
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Schneider wie in der verkrachten Banca Romana
sei, diesen aber morgen abbittet, ein Mann —
— dessen ganze Politik und dessen Prozeß
nicht anders als das delirium tremens eines
Alkoholikers ist.
Kaum daß Rauch durch, wie ich gesagt habe,
ganz unkonstitutionelle Mittel Ban geworden ist,
wurden ihm, wie Sie sich erinnern, Demonstra¬
tionen in Agram veranstaltet, als er (15. Jänner
vorigen Jahres) dort angekommen war. Er hat
gleich den verschiedenen Interviewern gesagt
und in seinen Zeitungen schreiben lassen, daß
das antidynastische Demonstrationen waren. Ich
bitte, vom konstitutionellen Standpunkt erlaubt
er sich die Demonstrationen als antidynastisch
hinzustellen, während dieselben nur seiner Per¬
son gegolten haben.
Zwei, drei Tage darauf war in der Nacht
eine Keilerei zwischen Studenten und Offizieren.
Auch das wurde als antidynastisch hingestellt,
als Demonstration gegen einen kaiserlichen Offi¬
zier. Rauch hat den Mann, der verwundet war,
ostentativ besucht, um sein dynastisches Gefühl
dadurch an den Tag zu legen.
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76
Als Rauch bei den Februarwahlen so schmäh¬
lich durchgefallen ist, wurde wiederum in allen
seinen Zeitungen ausposaunt, daß das selbst¬
verständlich wieder eine antidynastische Demon¬
stration sei. Man wähle seine Leute nicht, die
Leute des Mannes, der doch vom Kaiser er¬
nannt wurde!
Sie sehen, meine Herren, um was es sich
dem Baron Rauch handelt. Wie gesagt, er hat
niemanden ftir sich, nur den Herrn — Dr. Frank,
der aber als Oppositioneller gegen ihn hat wählen
müssen, wenn er nicht durchfallen wollte, diesen
Frank, der auch das hohe Haus schon mit
seinen unrichtigen und unwahren Telegrammen
molestiert hat und gestern in der „Neuen Freien
Presse* wiederum Unwahrheiten vorbringt. Was
hat über diesen Frank sein jetziger Intimus
Rauch im Jahre 1905 öffentlich, auf dem Land¬
tage gesagt? Daß er ein Agent provocateur ist,
das hat Rauch über Frank selbst gesagt. Und
hier zeige ich Ihnen ein nicht konfisziertes
kroatisches Buch, in welchem über Frank akten¬
mäßig nachgewiesen wird, daß er (es handelt sich
um das Jahr 1872) Geld in einer höchst un-
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lauteren Affäre bekommen habe; er wird hier
direkt als Spitzel hingestellt*).
Und doch wurde selbst Seiner Majestät dem
Kaiser eine Regierung des Dr. Frank emp¬
fohlen !
Ich hätte übrigens den Mann beiseite ge¬
lassen, wenn er nicht die Kühnheit gehabt hätte,
hier in diesem Hause für den Agramer Prozeß
und für Rauch Stimmung zu machen. Mile Star-
cevi6, gewiß ein Mann, der zu beurteilen weiß,
was die Tradition seines Vaters und was die
Rechtspartei ist, ist von ihm abgefallen, als er
ihn politisch kennen gelernt hat.
Also, meine Herren, das ganze Rauchregi¬
ment und sein Prozeß ist nur ein Kampfmittel
gegen die serbo-kroatische Koalition und gegen
die Serben; darum sind auch lauter Serben an¬
geklagt, weil diese nicht mehr die alte Regie¬
rungspartei sein wollen.
Was die serbische selbständige Partei, was
die Fortschrittspartei und auch die übrigen Par¬
teien der Koalition anbelangt, hätte ich eigent-
*) Iz crnoga lista nedavne proälosti, 1904.
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lieh Grund, rein persönlich zu sprechen*). Unter
den Angeklagten und unter den Politikern der
*) Der kroatische Landtag hat 88 Abgeordnete;
er sollte ihrer 90 haben, aber 2 für Fiume wurden nie
gewählt. Die serbo-kroatische Koalition hatte 56 Mandate,
aber nur 58 Abgeordnete (die Zahl der Angeklagten!),
weil einer in 2, einer in 3 Bezirken gewählt wurde;
von den 56 Abgeordneten der Koalition waren:
Kroatische Reichspartei.23
Selbständige Serbenpartei.19
Autonome Klub. 9
Fortschrittspartei. 4
Selbstehender Kroate. 1
Aus der Koalition sind 3 ausgetreten, da¬
gegen kooperierten mit der Koalition die
Bauernpartei. 3
Sozialist. 1
Außerdem: ^
Frankpartei.13
Starcevidpartei. 9
Radikale Serben. 2
Selbststehender Serbe. 1
Deutscher. 1
Unorganisierte. 5
88
Regierungspartei. 00
88
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Koalition gibt es viele von meinen Schülern;
ich habe dort viele Freunde und Bekannte, ich
habe bei manchen wichtigen politischen Ent¬
scheidungen, ich möchte sagen, als Quasivirilist
auch eine beratende Stimme gehabt und ich
kenne die Menschen zu genau, als daß ich nur
einen Schatten von Illoyalität an ihnen haften
lassen könnte. Besonders die jüngere politische
Generation will politisch fortschreiten, sie will
den demokratischen Prinzipien zur Geltung ver¬
helfen : die fortschrittlich gesinnten Demokraten
wollen ihr Yolk sozial und kulturell heben, sie
geben die alte großkroatische und großserbische
Phantastik auf und suchen eine reale Politik
einzuschlagen; aber gerade das ist den Buda-
pester und Agramer feudalen Machthabern höchst
unangenehm und darum beschuldigt man sie ge¬
rade dessen, wessen sie sich entledigen wollen!
Ganz besonders sind es zwei Dinge, gegen
welche im Prozeß und auch durch das ganze
Regiment des Baron Rauch Stellung genommen
wird.
Diese jüngeren Politiker und die serbisch¬
kroatische Koalition will endlich den lang*
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dauernden Zwist zwischen Kroaten und Serben
aufgeben, sie wollen dem Lande Buhe verschaffen,
sie haben eingesehen, daß Serben und Kroaten
zwei Namen für eine und dieselbe Sache sind.
Nein! Rauch und Budapest und leider auch Wien
wollen, daß zwischen Kroaten und Serben der
alte Kampf bestehe und die Anklageschrift ist
so niederträchtig verlogen, meine Herren (Zu¬
stimmung), so niederträchtig verlogen und ge¬
traut sich zu sagen, die Kroaten und Serben
hätten früher in „reinster Liebe“ zusammen¬
gelebt. Ich bitte sich nur an das Jahr 1902 zu
erinnern! Die Angeklagten und Verfolgten wollen
diese Liebe, aber nicht ihre Ankläger!
Der zweite Punkt ist die Fiumaner Resolution.
Die Fiumaner Resolution wird den kroatischen
Politikern, und besonders dem Abgeordneten
Supilo, sehr verübelt; aber die Fiumaner Reso¬
lution ist absolut nicht aus Belgrad diktiert
worden, wie behauptet wird, sondern stellt den
Versuch dar, mit den Magyaren irgendwie Frie¬
den zu machen und Wien zu zeigen, daß man
endlich das beständige Versprechen satt hat.
Das bedeutet, meine Herren, die Fiumaner Re-
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solution. In Wien werden seit dem Jahre 1848
und von früher her Kroatien und die Kroaten
immer als das reichstreueste Kanonenfutter ange¬
sehen (Zustimmung), aber endlich ist es den
Kroaten und Serben schon zu bunt geworden.
Da man sie den Magyaren überläßt, von Wien
aus nichts für sie tut, sind die kroatischen Po¬
litiker endlich auf den Gedanken der Fiumaner
Resolution gekommen, mit den Magyaren, denen
sie von Wien trotz allem Gerede und Ver¬
sprechen geopfert werden, einen Frieden zu
machen.
Das, meine Herren, und nichts anderes
bezweckt die Politik der Parteien, gegen
welche die Anklage spricht, die Politik der
serbischen selbständigen und kroatischen Par¬
teien. Der Agramer sogenannte Hochverrats¬
prozeß ist optima forma ein politischer Pro¬
zeß, und zwar will man die Serben und
Kroaten einschüchtern, man will zwischen
Kroaten und Serben eine Teilung herbei¬
führen, kurz, es ist ein Prozeß, in dem die
Justiz der politischen Vergewaltigung dienen
soll.
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Y.
7. Daß der Agramer Prozeß tatsächlich künst¬
lich gemacht ist, kann ich Ihnen jetzt doku¬
mentarisch beweisen, und zwar stelle ich sogleich
die Behauptung auf, die ich sogleich beweisen
werde, daß das revolutionäre Statut den entschei¬
denden Kreisen viel früher bekannt war, bevor es
im „Finale“ erschienen ist und daß der ganze
Prozeß nach diesem Statut inszeniert worden ist.
Feldmarschalleutnant v. Steeb — das können
Sie in der Broschüre lesen, die Herr Mirko
v. Pisaöiö unter dem Titel „Ein politischer Skan¬
dal“ oder „Die Nastiöiade“ in Agram im August
1908 herausgegeben hat — Feldmarschalleutnant
v. Steeb also, notabene ein Schwager des Baron
Rauch, ist mit dem Schreiber der Broschüre im
Eisenbahncoupö zusammengekommen und hat
ihm unter anderem gesagt, daß Seine Majestät
der Kaiser die Nasticiade schon im Jahre 1907
gekannt hat, das heißt also: der Inhalt des „Finale“
war Seiner Majestät dem Kaiser schon 1907 bekannt
und selbstverständlich auch all denjenigen, die ein
Interesse daran hatten. Feldmarschalleutnant v.
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Steeb hat, nachdem v. Mirko Pisacic das veröffent¬
licht hat, seine Angabe nicht dementiert, trotzdem
er, wie ich weiß, von der A gramer Regierung
wegen seiner Indiskretion interpelliert wurde*).
*) Die entscheidenden Worte des Feldmarschall-
leutnants v. Steeb lauten: „Ich erkläre Ihnen auf mein
Wort, daß schon im verflossenen Jahre (das Gespräch
fand im August 1908 statt), als ich bei Sr. Majestät in
Audienz erschienen bin, Se. Majestät um die Nasticsche
Affaire wußte!“
Eine gewisse Bedeutung hätte dip Frage, ob der
Kaiser schon auch vom Statut gewußt hat. Um diese
Frage entscheiden zu können, müßte man wissen, wann
Herr v. Steeb bei der Audienz war und wann das Statut
entstanden und verbreitet wurde. Letzteres weiß ich
ganz genau, aber ich kann es vor der Aussage Nastid’
als Zeugen in Agram nicht bekanntgeben.
Nastid behauptet im „Finale“ p. 66, das Statut von
Milan Pribidevid Anfang Dezember (1907) erhalten zu
haben; aber p. 83 heißt es, er habe es Ende Dezember
erhalten.
Nastid behauptet, noch ein zweites von Milan Pribi¬
devid abgeschriebenes Statut durch Hauptmann Vasid
erhalten zu haben; dieses zweite Statut hätte er (p. 84)
Anfang Jänner 1908 bekommen.
Nastid erklärt die Tatsache, daß Milan Pribidevid
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84
Ich habe aber andere Beweise, daß speziell
das Statut schon früher bekannt war, bevor es
publiziert wurde. Ich habe darüber Nachrichten,
die uns schon im Frühjahr des vorigen Jahres
zugekommen sind. Ich wußte und weiß es, daß
das Statut von dem Fürsten Nikola von Monte¬
negro frühzeitig an Österreich ausgeliefert worden
ist. Es ist Sache des Herrn Nastiö, zu erklären,
wann, wie und unter welchen Bedingungen Fürst
Nikola das Statut bekommen hat. Man sieht:
Auch ein Thrönchen schützt vor Torheit nicht.
(Heiterkeit.) Denn Seine königliche Hoheit und
das Statut zweimal abgeschrieben hat, durch eine seiner
Lügen: weil die Handschrift Milan Pribicevid’ allen Mit¬
gliedern bekannt gewesen sei, so habe er das Statut
abschreiben müssen, weil die Mitglieder sonst an die
Authentizität des Statuts nicht geglaubt hätten, wenn
dasselbe von fremder Hand geschrieben gewesen wäre.
Wie dumm und plump! Tatsächlich hat Milan Pribidevid
das zweite Exemplar an Nastid schicken lassen, weil er
nicht sicher war, daß er das erste bekommen hat; auch
ist nicht wahr, daß dieses zweite Exemplar von Milan
Pricidevid abgeschrieben sei.
Im „Finale* behauptet Nastid (p. 84), daß er Ende
Juli 1908 beide Originale in Händen gehabt habe.
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seine Vertrauten haben Gelegenheit gehabt, mit
Nastiö zu verkehren und sie hätten sich Über¬
zeugen können, um was und wen es sich handelt
und hätten die Denunziation nicht an Österreich
weitergeben sollen. Der Fürst von Montenegro
hat freilich das Statut selbst benützt, um die
Tragikomödie seines Prozesses inszenieren zu
können *).
*) Diese Nachricht über Fürst Nikola ist zum Gegen*
stand einer erbitterten Zeitungsfehde geworden. Zuerst
wurde die Nachricht im Organ des Wiener Ministerium
des Äußeren, der „Wr. Allg. Zeitung“ vom 10. Mai
gebracht; das offizielle Organ der montenegrinischen
Regierung, der Glas Crnogorca erklärte (15. Mai), es
sei unter der Würde des Blattes, eine solche infame
Insinuation zu dementieren. Ich habe die Sache in
meiner Rede am 18. Mai vorgebracht; erst am 29. Mai
ist der Glas Crnogorca gegen meine Behauptung auf*
getreten. Die „Wr. Allg. Zeitung* vom 1. Juni wieder¬
holte ihre Behauptung und erbrachte neue Details.
Am 12. Juni ist in den Prager När. Listy ein Interview
des montenegrinischen Premier Dr. Tomanovid erschienen,
in welchem sich dasselbe Dementi befindet, aber es wird
schon zugegeben, daß Nastid gleich von Semlin aus
(das war also nach seinem Abgang von Belgrad im
Monat September 1907) durch einen Bekannten das auf
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Ich habe weitere Beweise, daß die Aktion
gegen die Serben künstlich gemacht worden
den Fürsten Nikola geplante Attentat gemeldet habe;
weiters sei Nastiö schon im November (1907) in Cettinje
gewesen und er sei von der montenegrinischen Polizei
zu übrigens ergebnislosen Geheimdiensten benutzt und
gezahlt worden. Damit soll die Nachricht der „Wr. Allg.
Zeitung“ widerlegt werden, nach welcher Nastid aus
der Staatskasse Geld zum Drucke des »Finale“ erhalten
habe. Ich habe (N. W. Tagblatt 16. Juni) meine Be¬
hauptung gegen den „Glas Cmogorca“ wiederholt;
daraufhin hat das Hauptorgan Baron Aehrenthals
(.Fremdenblatt“ vom 16. Juni) nicht nur mich, sondern
das zweite Organ desselben Baron Aehrenthal dementiert.
Endlich ist Nastid aufgetreten („N. W. Tagblatt“,
17. Juni). Dieses Auftreten charakterisiert den Mann;
er leitet seine Zuschrift mit der Bemerkung ein, er
müsse mich widerlegen, aber tatsächlich sagt er gegen
die von mir vorgebrachten Tatsachen kein einziges
Wort, sondern er polemisiert gegen die »Wr. Allg.
Zeitung“ und gegen den montenegrinischen Minister¬
präsidenten. Er behauptet nämlich, er habe sich dem
Fürsten Nikola selbst zur Verfügung gestellt (also nicht
der montenegrinischen Polizei), er habe vom Fürsten
aus dessen Privatschatulle (also nicht von der Polizei
und auch nicht aus der Staatskasse) das Geld zur Heraus¬
gabe des Finale (mit dem Statut!) erhalten.
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Original fro-m
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ist. Ich habe die genaue Kenntnis — ich
unterstreiche: die genaue Kenntnis — von
einer Unterredung und Beratung, die Baron
Rauch mit Wekerle gehabt hat. Ich kann das
Datum nennen, es war am 25. April 1908. Rauch
hat — stellen Sie sich vor — den Ausnahms¬
zustand im Lande proklamieren wollen. Wekerle
war so klug und hat wenigstens das nicht zu¬
gelassen, sondern es wurde abgemacht, daß die
Aktion gegen die Serben nach der Patriarchen¬
wahl stattfinden soll. Und tatsächlich, meine
Herren, die Patriarchenwahl hat (1. August)
stattgefunden, das Nastid’sche „Finale“ mit dem
Hauptargument des revolutionären Statuts ist
(Ende Juli) erschienen und die Gefangennahme des
Adam Pribidevid ist am 7. August vorgenommen
worden. Sie sehen, die am Ende April besprochene
Aktion gegen die Serben hat nach Inszenierung
des „Finale“ kalendermäßig genau begonnen*).
*) Dr. Friedjung behauptet in dem zu besprechen¬
den Artikel, Nastid habe das Original des Statuts der
kroatischen Regierung ausgeliefert. Wann, sagt Dr. Fried-
jung nicht. (Vgl. die p. 84 angemerkte Behauptung über
die beiden Originalien.)
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Ich will noch hinzufügen, daß am 21. Juli
1908 den Konferenzen zwischen Bauch, Wekerle
und Jossippovich der Staatsanwalt Accurti zuge¬
zogen wurde. (Hört! Hört!) Selbstverständlich
wurde dann der ganze Prozeß in der Weise
weiter geführt, wie Sie es sehen.
Aber ich habe noch weitere Beweise, daß
die Regierung in den Prozeß direkt eingegriffen
und ihn inszeniert hat. Kaum daß Nastid sein
„Finale“ geschrieben hatte, hat ihn der Polizei¬
direktor von Agram, Sporcic, in Budapest —
dort wurde das „Finale“ herausgegeben — auf¬
gesucht, ist mit Nastid nach Wien und dann
nach Agram zur Zeugenaussage gefahren und
unter diese Kuratel des Polizeipräsidenten Spor-
cic von Agram hat Nastic seine Aussagen im
Prozesse (vom 11—14. August) vorgebracht.
Ich weiß ganz genau, daß Sporcid, der Po¬
lizeipräsident, eine Aussage des Nastid bean¬
standet und eine Korrektur derselben vom Unter¬
suchungsrichter verlangt hat*).
*) Die Aussage des Nastid unter Polizeiassistenz ist
überhaupt interessant: es wird das „Finale“ von ihm
als Ganzes und im einzelnen beschworen und in den
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89
Wenn ich endlich noch darauf aufmerksam
mache, daß Baron Hauch selbst sich Dokumente
Antworten auf 34 Fragen wiederholt. Nastid beschwert
das „Finale“, daß es als Ganzes und in seinen Teilen
wahr sei. Interessant ist zu sehen, wie der Untersuchungs¬
richter die Nastid’sche Aussage, die mit dem Statut im
Widerspruch ist, durch eine zweite Aussage, zwei Tage
später korrigieren läßt (siehe Frage XVil und XXX).
Auffallend ist auch, wie der Untersuchungsrichter nach
dem Verhältnisse des genannten Hauptmannes Nena-
dovid zum Hofe in Belgrad frägt: ich habe schon auf¬
merksam gemacht, daß die serbische Regierung das von
Nastid betonte Verwandtschafts Verhältnis Nenadovid’ zum
König dementiert hat. NB. Das Dementi war am
14. August in Agram zu lesen, denselben Tag läßt der
Untersuchungsrichter Nastid unter Eid die unrichtige
Behauptung eigens wiederholen! (siehe die XXXI. Frage
der Nastidschen Aussage).
Schließlich erwähne ich noch, daß Nastid (die XV.
Frage) unter Eid falsch ausgesagt hat, daß er den Kauf¬
mann Bekid und den Studenten Zivkovid nicht kenne;
aber tags darauf erklärt er die beiden zu kennen. Er
motiviert seine Korrektur wiederum falsch, er sei zu
seiner Aussage durch eine Erklärung des Valerian Pri-
biöevid (im Sobobran) geführt worden: diese Erklärung ist
aber schon am 7. August erschienen. In der Tat hat hier
der Polizeipräsident Spordid die Korrektur machen lassen!
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Regierung und die mitentscheidenden magyari¬
schen Kreise sehen die Schwächung der Serben
und Kroaten gerne und darum verbreiten sie
auch die Denunziationen auf Grund der falschen
Dokumente, über die ich gleich etwas sagen
werde.
VI.
9. Ich muß mich jedoch noch einer sehr
unangenehmen und schweren Aufgabe kurz
unterziehen, ich muß nämlich auf die angeblich
dokumentarisch sichergestellten Behauptungen
eingehen, die ein Historiker von europäischem
Ruf in einem stark verbreiteten Blatte aufge¬
stellt hat. Ich meine Herrn Dr. Friedjung. Ich
muß auf seinen Artikel um so mehr eingehen,
als er für seine Behauptungen auch die Autori¬
tät des Ministeriums des Äußern ins Feld führt.
Der Artikel des Dr. Friedjung bildet ein
Glied einer journalistischen Artikelserie und
journalistischer Anklagen in verschiedenen zu
beachtenden Organen. In der „Österreichischen
Rundschau“ war kurz vor der Proklamierung
der Annexion unter dem Pseudonym Tvrtko-
vic ein Artikel, in welchem auf Grund offenbar
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auch Nastiöscher Angaben Behauptungen stehen,
die später im „Finale“ und in der Agramer An¬
klageschrift zu finden sind. Ende Oktober (29.)
war in der Danzerschen „Armeezeitung“ ein
sehr geschickt zusammengestellter Artikel, der
gegen Kossuth und seine Verbrüderung mit den
Serben gerichtet war; hier wurde schon ein
Dokument vorgebracht, welches auf Abgeordnete
der serbo-kroatischen Koalition und ihre gro߬
serbischen Pläne ein schlechtes Licht werfen
sollte. An demselben Tage hat die „Reichs*
post“ ebenfalls einen Artikel gebracht, in welchem
ebenfalls gegen Kossuth zu Felde gezogen
wurde; auch hier wurde das Dokument namhaft
gemacht, durch welches vier Abgeordnete der
serbo-kroatischen Koalition als von der serbi¬
schen Regierung bestochen hingestellt wurden.
Herr Dr. Friedjung hat in seinem Artikel vom
24. März d. J. — der Artikel ist betitelt „Öster¬
reich-Ungarn und Serbien“ — dieses Dokument
und noch mehrere nicht näher gekennzeichnete
Dokumente angeführt, aus denen die Anklage
der „Reichspost“ sich ergeben soll. Wenn
Dr. Friedjung sich direkt und indirekt auf unser
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Ministerium beruft, welches ja in den Dingen ge¬
wiß autoritativ ist, und wenn Dr. Friedjung eben
behauptet, daß alles, was von der großserbischen
Propaganda gesagt wird, wahr ist, so habe ich
leider die Pflicht, auf eine so wichtige Autori¬
tät zu reagieren, um so mehr, als diese An¬
gaben schon ein locus communis in der wissen¬
schaftlichen Literatur zu werden beginnen.
Vor einigen Tagen ist eine Broschüre eines
österreichischen Beamten, des Herrn v. Sachs,
erschienen, betitelt: „Die Wahrheit über die
serbische Frage und das Serbentum in Bosnien.“
Da finden Sie alles das, was der Agramer Staats¬
anwalt und Nastic’ „Finale“ Vorbringen. Zuerst
habe eine großserbische „Privatpartei“ bestanden,
seit dem Jahre 1903 habe aber König Peter
und die serbische Regierung die Agitation ge¬
leitet und nun biete der Agramer Hochverrats¬
prozeß ein „interessantes Zeugnis“. Herr v. Sachs
war ein Beamter in der bosnischen Verwaltung,
ein Mann, der auch auf Grund anderer Arbeiten
als wissenschaftliche Autorität gilt — er bringt
die Behauptungen Nastic’ schon als historische,
wissenschaftliche Wahrheit vor. Aus diesem
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Grunde muß ich nolens volens auf Dr. Friedjung
eingehen, weil er behauptet, daß sein Aufsatz
auf Grund unanfechtbaren Aktenmaterials ge¬
arbeitet ist, daß er dabei ebenso sorgfältig und
kritisch vorgegangen sei, wie bei der Benutzung
irgendwelcher Dokumente in seinen historischen
Werken, und daß darum sein Aufsatz die vollste
historische Glaubwürdigkeit in Anspruch nehme.
Meine Herren! Ich kenne Herrn Dr. Fried¬
jung aus seinen Arbeiten und habe — ich kann
das mit Vergnügen konstatieren — von ihm
manches gelernt. Ich kenne Herrn Dr. Fried¬
jung auch persönlich und hege vor ihm die
vollste Hochachtung. Ich stimme ihm zu, wenn
er im Vorwort zu seinem neuesten Buche über
Österreich sagt, daß der Historiker, der die Zeit¬
geschichte schreibt, parteilos und wahr sein
muß auch in dem Falle, wenn er dem politi¬
schen und nationalen Gegner Stoff und Rüst¬
zeug liefert. Mir, seinem Gegner — ich sage
nolens volens — hat Herr Dr. Friedjung Stoff
und Rüstzeug geliefert.
Herr Dr. Friedjung stellt als historische Tat¬
sache fest, daß die Annexion nicht nur durch
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die Vorgänge in der Türkei, speziell durch das
Vorgehen der Jungtürken, sondern auch durch
die Belgrader Geheimbundspolitik wenn nicht
ganz bewerkstelligt, so doch beschleunigt wurde.
Auf diese großserbische Geheimbundspolik über¬
gehend sagt Dr. Friedjung über Nastid, daß er
ein Mann sei, den man nicht einmal mit Hand¬
schuhen, eher mit der Feuerzange anfassen sollte.
Er behauptet von ihm, daß er seine Freunde
nicht nur an Montenegro verraten hat, sondern
daß er auch von Bauch gezahlt wird. Das ist
übrigens Sache des Dr. Friedjung. Er verurteilt
den Mann, nimmt aber alle seine hier als un¬
richtig erwiesenen Darstellungen hin. Auch
Dr. Friedjung glaubt, daß seit der Thronbestei¬
gung des Königs Peter im Jahre 1903 Ver¬
schwörungen gegen Österreich-Ungarn beginnen;
er übernimmt die ganze Legende vom „Sloven-
ski Jug“, er übernimmt das, was Nastid über
die Bombenaffäre sagt, und sieht als Historiker
in dem revolutionären Statut, über dessen Pro¬
venienz und Natur ich gesprochen habe, „eine
aktenmäßige Aufdeckung“ — heißt es wörtlich
— der ganzen großserbischen Propaganda.
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*
Dann bringt Herr Dr. Friedjung noch weiter
vor, daß die serbo-kroatische Koalition von Bel¬
grad betrieben wurde, er behauptet, daß die
selbständige serbische Partei in beständiger Ver¬
bindung mit Belgrad sei, daß reiche Geldspenden
an einflußreiche Persönlichkeiten der Serben in
Südungarn und Kroatien geflossen seien; er er¬
wähnt, daß es vier Abgeordnete des ungarischen
Reichstages sind, die durch sein Dokument,
nämlich den authentischen Bericht des Belgrader
Sektionschefs Spalajkovich, graviert werden, er
sagt ferner, daß der „Srbobran“ und einige andere
Blätter der großserbischen, von Belgrad besto¬
chenen Bewegung zur Verfügung gestellt wurden.
Endlich finden wir in dem Artikel auch An¬
deutungen über die serbenfreundliche Politik des
Kossuth, worin er sich mit der „Reichspost“
und der „Armeezeitung“ im Einklang befindet.
Herr Dr. Friedjung hat die vier Abgeordne¬
ten nicht genannt, die durch den Sektionschef
im Ministerium des Äußern, Spalajkovich, be¬
stochen worden seien, aber die „Reichspost“ hat
nach dem Artikel des Dr. Friedjung einen neuen
Artikel gebracht und darin die vier Männer ge-
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nannt: Supilo, Lukinic, Pribicevid, der Redakteur
des „Srbobran“, und Potocnjak.
Gegen Dr. Friedjung ist schon eine Doppel¬
klage im Zuge; ich werde also vieles, was
Gegenstand der Klage ist, hier nicht Vorbringen,
aber ich muß dasjenige doch zurückweisen, was
meine Behauptungen zu widerlegen schiene. Vor
allem: alles das, was Herr Dr. Friedjung aus
Nastid anführt, ist nichtig, nämlich das, was er
über den „Slovenski Jug“, über die Agitation
der Dynastie in Österreich-Ungarn und über das
Statut vorbringt. Das alles entfällt.
Zweitens: Jeder, der die Verhältnisse nur
ein wenig kennt, sieht, daß Herr Dr. Friedjung
im Detail ganz unrichtige Tatsachen vorbringt.
So hat zum Beispiel nicht Adam Pribicevid, wie
er (übrigens in dem Artikel der Grazer Tages¬
post vom 9. März d. J.) behauptet, das Statut
versendet. Über Supilo finden wir die Angabe,
daß er ein Serbe ist; das ist nicht richtig, denn
er ist ein Kroate und schon daraus sieht man,
daß Dr. Friedjung keinen Einblick in die Ver¬
hältnisse hat. Dr. Friedjung glaubt weiters, daß
das Organ des Supilo, der „Novi list*, von Serbien
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aus bezahlt werde. Der „Novi List“ wird von
80 der reichsten Kroaten in Fiume unterstützt;
dieses Konsortium von etwa 80 Männern ist,
wie mir gesagt wird, minimal 80, vielleicht
100 Millionen stark — solche Männer werden
sich nicht von Serbien bezahlen lassen. Der
„Novi list“ hat gar keine Abonnenten in Belgrad,
nur fünf, sechs Abonnenten unter den Serben
in Kroatien; er soll also für etwas, was er gar
nicht leistet, gezahlt werden!
Ebenso weiß ich, daß die „Sloboda“, die
Dr. Friedjung anführt, von Dr. Popovid und von
einigen Abgeordneten, wenn es nötig ist, er¬
halten wird, aber von Serbien absolut kein Geld
bekommt.
Besonders wird Svetozar Pribiöevid, auch als
Redakteur des „Srbobran“ angegriffen; dieses
Blatt wird als das schlechteste und bezahlteste
Organ hingestellt. Der „Srbobran“ hat natürlich
eine Geschichte, wie jedes ältere Blatt. Bis zum
Jahre 1897 war Jovanovid (aus Syrmien) Redak¬
teur. Er war ein Kamerad des Pasid; sie haben
beide zusammen studiert und vor dem Jahre 1897
können Sie Über Pasid im „Srbobran“ freund-
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lichere Notizen finden; aber der „Srbobran“
Pribicevic’ schreibt gegen die Politik Pasid’. Vom
Jahre 1897 bis September 1902 haben Kauf¬
leute den „Srbobran“ herausgegeben; als im
Jahre 1902 die serbischen Demonstrationen in
Agram stattgefunden haben, wurde das Blatt
dann bis zum 1. Jänner 1903 von der Regie¬
rung eingestellt. Im Jahre 1903 wurde von den
Kaufleuten — das ist ja alles mit Dokumenten
zu beweisen — Pribicevic als Redakteur ange¬
stellt, weil er zu der serbo-kroatischen Jugend
gehörte und darum den Kroaten angenehmer
wäre. Auch der »Srbobran“ würde, wenn es
nötig sein sollte, von reichen Leuten, wie dem
Abgeordneten Medakovic, einem Millionär usw.,
subventioniert. Ich habe in alle diese Dinge ge¬
naue Einsicht; man hat mir die finanzielle Ge¬
schichte der denunzierten Blätter dokumentarisch
an vertraut, ich weiß von jedem Kreuzer aus der
Geschichte aller dieser Blätter und ich kann
eben nur soviel sagen, daß alles, was vor¬
gebracht wurde, unrichtig ist.
Aber Herr Dr. Friedjung sieht auch nicht,
daß die Verkettung dieser vier Abgeordneten
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Pribiöevid, Supilo, Lukinic und Potocnjak rein
politisch unrichtig und unmöglich ist. Pribicevid,
Supilo, Lukinid verkehren seit dem Jahre 1906
mit Potocnjak nicht mehr. Potocnjak ist von
der Regierung Khuen-Hedervary her bekannt.
Er ging 1906 mit der serbo-kroatischen Koalition
und wollte, daß diese die Stellen in der Landes¬
regierung okkupiere; seine politischen Freunde
wollten das nicht, infolgedessen ist er mit seinen
Kollegen aus der Koalition in Feindschaft geraten.
Supilo war sein Gegenkandidat und hat ihn zum
Falle gebracht, und Potocnjak geht jetzt mit Rauch
und Frank. Die Leute verkehren gar nicht mit¬
einander und nun wird behauptet, daß sie zu¬
sammen unter der Ägide des serbischen Sektions¬
chefs einen Hochverratsakt abgefaßt haben. Es
hätte auch keinen inneren Sinn: die Koalition ist ja
zur Budapester Regierung und zu Kossuth wegen
der Eisenbahnpragmatik in Opposition getreten;
wie kann man gleichzeitig beweisen wollen, daß
Kossuth und die kroatische Koalition an einer
Leine ziehen?
Ich erkläre hier: Was Supilo, PribiÖevic und
Lukinid anbelangt, lege ich meine beiden Hände
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102
ins Feuer für diese Männer. (Bravo! *) Ich kenne
ganz genau ihre Geschichte, und es ist gerade¬
zu lächerlich, wenn zum Beispiel Lukinic, in
das Dokument gebracht wird. Das ist wahr¬
scheinlich ein Druckfehler: der Schreiber meinte
wohl Lorkovic, den Führer der Fortschritts¬
partei.
Nun zu den Dokumenten, welche Dr. Fried¬
jung angeführt hat. Der Sektionschef Spalajko-
vi6 habe also mit diesen vier Abgeordneten einen
Pakt geschlossen, habe ihnen nicht so viel geben
können — 50.000 Franken oder so etwas —
als sie verlangt haben; darum seien sie auf
12.000 Franken herabgegangen, für jeden also
3000 Franken. Als ich dies, der ich die Ver¬
hältnisse kenne, gelesen habe, wußte ich augen¬
blicklich : Die ganze Geschichte ist ein Schwindel.
Ich bin in Belgrad auch zum Minister des
Äußern, Milo van ovid, gegangen und habe ihn
gefragt, ob er tatsächlich einen so ungeschick¬
ten und dummen Sektionschef habe, der nach
*) Herr Potoßnjak kenne ich nicht, aber es ist klar,
daß er mit den drei genannten zusammen nicht kon¬
spiriert hat.
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Ungarn hinübergeht und selbst Verhandlungen
leitet? Mir hat der Minister Milovanovid kate¬
gorisch erklärt, daß dieses Dokument, von dem
Dr. Friedjung und einige Blätter sprechen, nicht
existiert und nicht existiert hat; er selbst hat
Spalajkoviö interpelliert, ob er vielleicht in
irgendeinem Privatbrief etwas geschrieben hätte,
was man falsch deuten könnte. Dr. Spalajkovic
behauptet, auch das habe er nicht getan, wie
denn Dr. Spalajkovic auch schon in der „Neuen
Freien Presse“ die Existenz des Dokuments be¬
stritten hat.
Übrigens handelt es sich mir nicht um Spa-
lajkovid, ich bin nicht sein Advokat. Die Sache
mit Dr. Friedjung und dem Ministerium des
Äußern steht so: Dr. Friedjung behauptet, der
Bericht des Sektionschefs Spalajkoviö an sein
Ministerium, das er in Händen habe, sei echt.
Gut. Ich frage: Ist dieses Dokument auch wahr?
Ist der Inhalt dieses Dokuments wahr? Wenn
das Dokument echt ist, ist der Bericht des
Spalajkoviö selbst im Original vorhanden, dann
ist dieses Dokument von unseren österreichi¬
schen Agenten im Ministerium in Belgrad ein-
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104
fach gestohlen worden. (Abgeordneter Dr. Per-
nerstorfer: Oder es kann auch gekauft sein!)
Ich meine ja gekauft.
Ich weiß, daß Dr. Friedjung nicht serbisch
liest, ich weiß also nicht, wie er sich für die
Echtheit des Schriftstückes einsetzen will. Viel¬
leicht ist da nur eine Unterschrift des Spalaj-
koviö, vielleicht ist das Dokument nur eine
Photographie. Ich habe mich bei Photographen
erkundigt, ob man Schriftstücke so zusammen¬
stellen kann, daß man auf der Photographie die
Zusammenlegung nicht erkennt, und man hat
mir gesagt, man kann das so geschickt machen,
daß eine solche zusammengelegte Photographie
wie ein ursprünglich ganzes Dokument aussehen
würde.
Das alles geht mich aber gar nichts an. Ich
sage folgendes: Ganz gewiß ist der Inhalt des
Dokuments falsch. Ich weiß, daß die angeführten
Personen Dr. Spalajkovid gar nicht kennen, von
ihm nicht bestochen worden sind usw. Wenn
Herr Spalajkoviö trotzdem einen solchen Bericht
an seinen Minister geschrieben hat, der dann
entwendet wurde, so bedeutet das, daß Spalaj-
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105
kovic einen falschen Bericht an seine Regierung
gegeben hat, respektive, daß er sich diese
12.000 Franken angeeignet hat. (Heiterkeit.) Ich
sage: Wenn! Das ist Sache des Herrn Spalaj-
kovic, das soll sich das serbische Ministerium
mit unserem Ministerium ausmachen, aber die
serbo-kroatischen Abgeordneten geht das absolut
nichts an.
Natürlich werden noch andere Dinge geltend
gemacht, und zwar gegen den Abgeordneten
Supilo, der besonders mit Pasic in Verbindung
gebracht werden soll. Abgeordneter Supilo ist
als Führer der Fiumaner Resolution und der
neueren Politik vielen Herren höchst unange¬
nehm; infolgedessen ist gegen ihn manches —
wie behauptet wird — Dokumentarisches im
Ministerium des Äußern zu finden.
Auch da ist Herr Frank beteiligt, der ist
überall zu haben, wo etwas Unlauteres im Spiele
ist. Im Organ des Herrn Frank war schon im
Jahre 1905 unter dem Namen „Argus* der
ganze Tratsch, der dokumentarisch im Ministerium
des Äußern vorliegen soll, zu finden. (Ruf: Da¬
hinter steckt ein Schwindler, Simeon Pierotid!)
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Ja, Supilo hat das alles entlarvt. Supilo hat das
Franksche Organ geklagt, Frank hat beigeben
und konstatieren müssen, daß ihm die Doku¬
mente, über die er spricht, nicht zur Verfügung
stehen. Es gibt da einfach kein wahres Doku¬
ment. Aber kaum, daß Frank das erklärt hat,
hat er später (1907) in einer Rede im Landtag
erklärt — nach dem Prozeß mit Supilo — daß
ein gewesener kroatischer Minister und ein ak¬
tiver österreichischer Minister ihm bewiesen
haben, daß es mit Supilo doch nicht ganz im
Reinen sei. Mit dem gewesenen kroatischen
Minister hat Dr. Frank Tomasiö gemeint und
mit dem österreichischen Goluchowski.
Ich kenne den Inhalt des Dokuments, das
über Supilo und seinen Belgrader Aufenthalt
April 1905 in diffamierender Absicht verbreitet
wurde und das auch der angeführte Minister
Tomasic gehabt hat. Ich werde dem Prozeß Su-
pilos und Genossen mit Dr. Friedjung nicht vor¬
greifen, aber ich mache Sie schon jetzt darauf
aufmerksam, Sie werden die komischesten Sachen
erfahren, wie Dokumente fabriziert werden, wie
sogar ein Beamter des Ministeriums des Äußern
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ein verlogenes Dokument fabrizieren kann und
eine journalistische Prophezeiung macht, welche
in Erfüllung gegangen ist und welche die Herren
wahrscheinlich als Beweis für die Richtigkeit
ihres Gewährsmannes ansehen.
Dr. Friedjung hat die Politik Baron Aehren-
thals verteidigt und es ist ersichtlich, daß Dr.
Friedjung vom Ministerium des Äußern infor¬
miert und instruiert worden ist. In einem Inter¬
view hat Dr. Friedjung geäußert: „Baron Aehren-
thal weiß so gut wie ich, daß die Dokumente
echt sind.“ Vielleicht hat Dr. Friedjung den Aus¬
spruch anders getan, wie mir auch berichtet
wurde — das geht mich nichts an. Tatsache
ist, daß Dr. Friedjung vom Ministerium des
Äußern instruiert wurde.
Nun, meine Herren, ich bin loyal genug,
gegenüber dem Minister Aehrenthal hier zu
konstatieren, daß einige dieser Dokumente von
Goluchowski herrühren. Aber er ist bisher nicht
kritisch vorgegangen und hat sich dieser falschen
Dokumente nicht entledigt. Mit welchen Leuten
unser Ministerium des Äußern da unten arbeitet,
darüber könnte ich eine sehr lange Rede halten.
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Ich könnte Ihnen viele Individuen charakteri¬
sieren, mit denen das Ministerium des Äußern
da operiert.
Ich will Ihnen vorläufig nur einen Fall er¬
zählen, der einen gewissen Milan Radivojeviö
angeht. Dieser Milan Radivojeviö (er war Offizial
der Finanzdirektion inVukovar) ist zu drei Jahren
schweren Kerkers verurteilt worden. Er hat neue
Fälschungen begangen, das Offizierskleid ohne
Recht angelegt und überhaupt viele Schwinde¬
leien begangen. Er wurde festgenommen, aber
über Intervention des Ministeriums des Äußern
ist dieser Mann im November 1908 auf freien
Fuß gesetzt worden. Das Ministerium des Äußern
hat versprochen, seine Schulden zu zahlen. (Ab¬
geordneter Dr. Redlich: Wo ist dieser Mann?)
Jetzt, glaube ich, in Semlin.
Ich führe das nur deshalb an, weil ich sagen
möchte, daß ich mir an Stelle Dr. Friedjungs
ein Dokument, das mir das Ministerium des
Äußern geben würde, wenigstens zweimal genau
ansehen würde, bevor ich daran glaube. Würde
man an Baron Aehrenthal das Ansinnen stellen,
gegen den Agramer Prozeß im Interesse Öster-
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reichs sein Veto einzulegen, so würde er gewiß
auf die Schranken seiner Kompetenz sich be¬
rufen — darum führe ich den Fall Radivojeviö
an, um derartige Kompetenzbedenken zu charak¬
terisieren.
Dr. Wekerle hat sich schon aus der Sache
zu ziehen gesucht. Er hat sich wenigstens über
diese Dokumente und ihre Beweiskraft, wie aus
einer Nachricht — ich glaube im „Pester Lloyd“
— hervorgeht, skeptisch ausgesprochen.
Man muß sich gegen solche Dokumente in
Kroatien und Ungarn skeptisch verhalten. Er¬
innern Sie sich, meine Herren, vor einigen Jahren
hat ein Journalist die gefälschten Briefe Stroß-
mayers an die »Kölnische Zeitung“ verkauft.
Es kam dann zu einem öffentlichen Prozeß,
natürlich hat das dem Manne nichts geschadet,
er hat den Eisernen Kronen-Orden bekommen.
(Heiterkeit.) Erinnern Sie sich auch an Professor
Jagie im Jahre 1870. Professor Jagid ist auch
ein Verräter, weil er die Politik, die damals
nach dem Ausgleich mit Ungarn inauguriert wurde,
nicht goutiert und das Land verlassen hat, wahr¬
scheinlich zum Nutzen der Wissenschaft und
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110
auch seines Vaterlandes. Aber das komischeste
Präzedens finden Sie aus dem Jahre 1872. Da¬
mals war die Deäkpartei mit Lonyay am Ruder.
Hier haben Sie den schon erwähnten Aus¬
zug aus einer größeren Publikation: „Aus dem
schwarzen Blatte einer nicht langen Vergangen¬
heit.* Unter Baron Rauch, dem Vater unseres
Rauch, wurde eine panslawistische — damals
noch nicht großserbische — geheime Verbindung
konstruiert. Man hat einige „Promemoria“ um
Geld fabriziert, wo auch wir Tschechen, Rieger
und andere denunziert worden sind und man
hätte ebenso wie jetzt einen Prozeß geführt,
wenn eben die Sache nicht anrüchig geworden
wäre; der Hauptfaiseur wurde durch die realen
Gegenargumente des Bischofs Stroßmayer, er¬
zählt man, gerührt und er hat die ganze Ge¬
schichte an das Tageslicht gebracht. (Heiterkeit.)
Jedenfalls muß man höchst yorsichtig sein, wenn
man auf Grund offizieller „Dokumente* solche
Anklagen lanciert und sogar als wissenschaftliche
Anklagen lanciert, wie dies in diesem Falle ge¬
schehen ist. Dr. Friedjung zeigt in seiner Vor¬
rede zum „Kampf um die Vorherrschaft Deutsch-
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lands“ sehr gut, wie die österreichische Diplo¬
matie an Aristokratismus leidet — der ganze
Agramer Prozeß und die Bekämpfung unliebiger
Politiker mittels gefälschter Dokumente ist —
aristokratisch!
Ich bin mit meiner — ich möchte sagen —
dokumentarischen Arbeit zu Ende. Ich glaube,
meine Herren, den strikten, wo nötig, auch do¬
kumentarischen Beweis erbracht zu haben, daß
es keine großserbische Irredenta auf österreichi¬
schem, ungarischem und kroatischem Gebiete
gegeben hat und gibt und daß dieser ganze Pro¬
zeß in Agram kein Hochverratsprozeß, sondern
eine Schande der Justiz Ungarns und Kroatiens
ist (lebhafte Zustimmung); und ich glaube, meine
Herren, er fangt schon an, auch eine Schande
Österreichs zu sein. (Rufe: Ja wohl!)
VII.
10. Es erübrigt mir noch, in kurzen Zügen
die Bedeutung des Agramer Prozesses geschicht¬
lich und politisch zu beurteilen.
Durch die Annexion ist Österreich der größte
südslawische Staat geworden. Ich bitte, sich die
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statistischen Daten vor Augen zu halten und sich
zu erinnern, daß es gering gerechnet neun Mil¬
lionen Serbokroaten gibt, daß das ein Volk ist,
welches geschlossen beisammen wohnt, aber
leider unter neun verschiedenen staatlichen Ad¬
ministrationen und Verwaltungen zerstückelt ist.
Es ist darum begreiflich, daß die Serben und
Kroaten nach ihrer Einheit streben müssen und
streben werden.
Von diesen 9 oder 10 Millionen sind sechs
Millionen orthodox, 3 Millionen katholisch und
3 / 4 Millionen sind Mohammedaner; also auch
hier eine Zerstückelung, die es dem Volke nötig
macht, die kirchlichen Gegensätze zu überbrücken.
Von den österreichischen Serbokroaten ist bei¬
läufig die Hälfte orthodox, die Hälfte katholisch;
außerhalb Österreichs gibt es jetzt nur orthodoxe,
die katholische Minorität ist unbeträchtlich.
Die Serben und Kroaten sind ein Volk; auch
Fürst Liechtenstein hat unlängst betont — und
ich bin froh, daß er es getan hat — daß die
Serben und Kroaten ein Volk sind und sein
sollen. Nun will man aber durch den Prozeß
erreichen, daß diese Einheit gestört werde. Die
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jüngere Generation, die gebildeten Schichten
unter den Serben und Kroaten, werden selbst¬
verständlich überall hier in Österreich und TJn-
• •
garn und ebenso auch außerhalb Österreichs auf
die nationale Einigung hinarbeiten. National,
meine Herren, besagt nicht staatlich. Wenn die
Deutschen in Österreich neben den Deutschen
im Reiche hier im Staate Österreich sein können,
warum könnten und sollten nicht in Österreich
die Serben und Kroaten mit den Serben und
Kroaten in einem anderen Staate sich national
eins fühlen dürfen? Warum dürften sie nicht zu
dieser kulturellen Nationaleinheit gemeinsam
hinarbeiten? Die politisch so schädlichen katho-
lisierenden Tendenzen des Erzbischofs Stadler
und die verfehlte Politik in Kroatien wird diese
Entwicklung nicht lange mehr aufhalten können.
Wir stehen durch die Annexion vor dieser
großen Aufgabe des serbokroatischen Volkes:
Wie will sich Österreich dazu stellen? Wie will
• •
sich Österreich zu dieser notwendigen und un¬
abänderlichen nationalen Einigung des serbo¬
kroatischen Volkes stellen?
Mit der bisherigen Politik geht es nicht.
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Wir sehen das an Bosnien und der Herzegowina.
Warum sind die Bosnier und Herzegowiner un¬
zufrieden, trotzdem man Millionen, ja Milliarden
in das Land hineingesteckt hat? Mit technischen
Mitteln der Kultur, mit Straßenbauten, Meliora¬
tionen und Tabakpflanzungen usw. kann man
das Herz eines Volkes nicht gewinnen. Bosnien
und Herzegowina wurde zu einem politischen
China am Balkan gemacht, es herrschte eine
Unfreiheit, daß sich das Volk politisch gar nicht
bewegen und entwickeln konnte, und darum ist
man dort der Annexion nicht sehr froh geworden.
Sie haben es gesehen und man muß das vom
österreichischen Standpunkt beklagen, als die
Annexion proklamiert wurde, hat man trotz allen
Versuchen keine große feierliche Stimmung in
Bosnien und Herzegowina wahrgenommen. Meine
Herren, das spricht deutlich genug für diejeni¬
gen, die sehen wollen.
Im Süden darf eben nicht ungarisch — magya¬
risch — geherrscht werden, man darf nicht
die Politik treiben, die man bisher auch in Kroa¬
tien getrieben hat. Sie haben unlängst lesen
können, wie der rumänische König nach dem
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Besuch des deutschen Kronprinzen sich ^über
Ungarn ausgesprochen hat: Eine intimere An¬
gliederung Rumäniens an Österreich sei solange
unmöglich, als die Magyaren ihre antirumäni¬
sche Politik treiben werden. Meine Herren, das
hat der König von Rumänien gesagt, ohne —
wie er betonte — sich in die ungarischen Ver¬
hältnisse einzumischen. Und ganz so gilt das Ge¬
sagte von den Serben und Kroaten, es gilt von den
Slowaken, die Magyaren begehen gegen die Natio¬
nalitäten politische Verbrechen. Ja, mit einer
solchen Politik ist es unmöglich, die Slawen zu
gewinnen (So ist es!), und wenn Österreich hier
Wandel schaffen will, wenn man mit der An¬
nexion, wie fort behauptet wird, etwas Neues,
Großes schaffen will, so ist es vor allem nötig,
daß die ungarische Krise — und ich spreche
ja, wenn Sie es genau betrachten, eigent¬
lich nur über die ungarische Krise — endlich
einmal fundamental, und zwar in dem Sinne ge¬
löst wird, wie es uns Österreichern, natürlich
• •
allen Österreichern, von Vorteil ist.
Die offiziöse Presse und die offiziellen Poli¬
tiker haben die Annexion von Bosnien und der
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Herzegowina als eine große weltgeschichtliche
Tat hingestellt und für die Entwicklung Öster¬
reichs als neue Phase gedeutet. Ich kann mich
in diese Auffassungsart nicht recht hineinfinden:
mir ist jeder Tag, jeder Augenblick der Gegen¬
wart das gros de i'avenir; Österreich-Ungarn
steht jeden Tag vor seinem Probleme, wie es
als Gesamtstaat neben und in der sich vollziehen¬
den Organisation seiner Völker und Völkerteile
organisch bestehen kann und soll. Das richtige
Verhältnis zwischen Staat und Nation zu finden
— so lautet das Problem Österreich-Ungams,
seitdem der Absolutismus prinzipiell und faktisch
aufgegeben wird.
Österreich muß ein Reich werden — nicht
eine Politik der Deutschen, nicht eine Politik
* der Magyaren, nicht eine Politik der Tschechen
usf. darf getrieben werden, sondern wenn
das Reich als Ganzes etwas Organisches sein
will, so müssen wir Reichspolitik machen, aber
nicht magyarische Vergewaltigungspolitik! (Bei¬
fall.) Und deshalb kann ich nur mit dem Be¬
dauern schließen, daß die unlängst als „ritter¬
liche Nation“ der Magyaren .... (Zwischenrufe.)
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(Abgeordneter Dr. Mtihlwerth: Ich möchte wissen,
wer im deutschen Volke den deutschen Kaiser
ermächtigt, die Magyaren eine ritterliche Nation
zu nennen!) Ich weiß das auch nicht, aber es
gibt auch Raubritter! Vielleicht deshalb, weil
Sie zwei Millionen Deutsche in Ungarn haben,
die Sie den Magyaren opfern sollen!
In Kroatien ist die magyarische Vergewalti¬
gung mit einer eigentümlichen Falschheit ge¬
paart: Wekerle hat (Ende Jänner) auf eine
Interpellation des Abgeordneten Polit die austro-
phile und die über die Grenze gravitierende
politische Richtung der Südslawen gerügt. Die
Südslawen wohnen eben auch außerhalb Öster¬
reichs, ihre nationale Einigung kann durch
keine einseitig magyarische Politik auf die
Länge der Zeit verhindert werden; daß die v
Südslawen auch reichstreu sein wollen, das wäre
ganz in der Ordnung, nur müßte allerdings auch
ein starkes und zielbewußtes — Reich vor¬
handen sein!
Soll es ein solches Reich geben, so muß ich
den Wunsch aussprechen, daß wir Tschechen und
Deutschen uns endlich verständigen. Meine Herren!
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Aus alledem, was in Agram vorgeht, müßten
wir Deutsche und Tschechen schon vor den Kopf
gestoßen werden, wie notwendig es ist, daß die
Tschechen und Deutschen sich endlich verstän¬
digen, wenn wir eine halbwegs großzügige Politik
machen wollen; darum schließe ich mich den Aus¬
führungen meines Freundes Dr. Pacak an, der für
den Frieden zwischen uns gesprochen hat. Wenn
man hüben und drüben sagt: es sei nicht zeit¬
gemäß, so sage ich: es ist die höchste Zeit,
daß wir endlich Räson, Staatsräson, annehmen,
denn nur dann werden wir tatsächlich eine Po¬
litik am Balkan führen können, die nicht nur
für die Slawen und einzelnen Nationen, sondern
auch für Österreich von Vorteil sein wird —
ich spreche vom Reichsstandpunkte.
Man spricht jetzt nach der Annexion, be¬
sonders in Wien, von einem großen politischen
Erfolg. Ich will die Verdienste Baron Aehren-
thals nicht verkleinern, obwohl man gerade an
den Prinzipien seiner Annexionspolitik ein Schul¬
beispiel für den Satz aufstellen könnte, daß die
Erfolge der Politik eigentlich nur das Korrigie¬
ren der gemachten Fehler ist. Doch lassen wir
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die politische Philosophie beiseite, stellen wir
uns lieber vor das südslawische Problem.
Der Balkan wird sich entweder unter der
entscheidenden Führung der Türkei, Rußlands
oder Österreichs weiter entwickeln, oder die
Balkanstaaten werden selbst so stark sein und
den Balkan dem Balkan revindizieren. Wann
werden die Balkanstaaten so stark sein, wann
wird der direkte Einfluß Österreichs und Ru߬
lands auf dem Balkan auf das Maß gebracht
werden, das diese Staaten den übrigen Staaten
gegenüber ausüben?
Für die nächste Zukunft ist an eine solche Er¬
starkung der Balkanstaaten, ist auch an eine
Erstarkung der Türkei nicht zu denken; prak¬
tisch ist die Frage, welcher Staat am Balkan
der kräftigste sein wird; in Rücksicht auf die
Slawen lautet die Frage: Bulgarien oder Serbien ?
Nur einige Worte über Serbien.
Serbien (und Montenegro) haben eine eigen¬
tümliche historische Bedeutung für die Süd¬
slawen, vorerst am Balkan. Serbien und Monte¬
negro haben die türkische Herrschaft nie
anerkannt, sie haben speziell die türkische
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Herrschaft über das serbische Volk nie an¬
erkannt ; wenn sich nun Österreich mit der
Türkei allein über die Annexion der serbokroa¬
tischen Länder Bosniens und der Herzegowina
• •
verständigt, wenn Österreich die Herrschaft der
Türkei einfach übernimmt, so können Serbien
und Montenegro diese Zedierung nicht ohne
weiteres anerkennen. Das europäische Mandat,
nicht nur der Okkupation, sondern auch der
Annexion wäre für Serbien und Montenegro
rechtskräftiger.
Serbien hat überdies das natürliche Recht,
sein wirtschaftliches Gedeihen durch einen Aus¬
weg zum Meere zu versichern.
Österreich und die übrigen Staaten haben
diese Rechte Serbiens und Montenegros an¬
erkannt und darum zeitweile eine Vergrößerung
des Territoriums zugelassen. Österreich hat
1870 durch Andrässy Serbien die Annexion von
Bosnien und Herzegowina und von Altserbien
angeboten; im Reichstädter Vertrag von 1876,
so weit man über denselben urteilen kann, wurde
Serbien ein Gebiet an der Drina Vorbehalten,
Österreich sollte nicht das ganze Bosnien und
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die Herzegowina erhalten. Der Friede zu St. Stefano
sicherte Serbien und Bosnien serbische Gebiete.
Damit ist der Beweis erhracht, daß Öster¬
reich selbst, ebenso wie die übrigen Staaten,
das historische und natürliche Recht Serbiens
auf Gebietsvergrößerung anerkannt haben; es ist
darum nicht richtig, wenn jetzt der Annexion
von Bosnien und der Herzegowina durch Öster¬
reich von einem Teil der österreichischen Pu¬
blizistik eine so absolute politische Bedeutung
zugesprochen wird. Nicht nur Rußland, sondern
auch Frankreich und England haben die An¬
sprüche Serbiens bis in die letzte Zeit unterstützt.
Man muß alle diese Tatsachen sich vor Augen
halten, wenn man Serbien gegenüber gerecht
werden will und wenn man die sog. großserbi¬
sche Idee und die serbische Propaganda dieser
Idee ira Zusammenhang mit der ganzen Balkan¬
entwicklung begreifen will. Ich fürchte keinen
patriotischen Index und suche die Verhältnisse
so darzustellen, wie dieselben faktisch sind —
übrigens sind die Annexionspatrioten schon etwas
abgekühlt, seit ihnen die Finanzminister die
Rechnung präsentieren.
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Österreich und seine Diplomatie hat sich in
Serbien nicht immer klug genug und genug
taktvoll benommen. Ich kann zum Beispiel nicht
begreifen, warum Graf Forgäch (1907) die serbi¬
sche Schulgeographie beanstandet, weil in ihr
Bosnien und Herzegowina serbische Länder ge¬
nannt werden und weil von fremden Regierun¬
gen über das serbische Volk gesprochen wird.
Wenn die Agramer Anklage so kleinlich ist, so
ist das eher begreiflich*).
Diese politische magyarische Philologie geht
so weit, daß zum Beispiel wissenschaftliche Ar¬
beiten (die Geschichtswerke von Prof. Stano-
jevic) für Österreich-Ungarn konfisziert werden,
weil sie historische Tatsachen enthalten, die in
deutschen Arbeiten schon lange und oft gedruckt
sind. Und ähnliche Kleinlichkeiten kann man
Serbien gegenüber auch auf wirtschaftlichem Ge¬
biete konstatieren. Das ist magyarische, nicht
österreichische Reichspolitik!
Ich lasse mich nicht darauf ein, die zu-
*) In diesen serbischen Schulbüchern wird doch auch
das slawische Bulgarien als fremder Staat genannt,
weil es über einen Teil der Serben herrscht.
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künftige Entwicklung des Balkans zeichnen zu
wollen; nur so viel wollte ich sagen, daß Öster¬
reich als der größte südslawische Staat seiner
Balkanpolitik eine andere Richtung geben muß,
daß es die Südslawen für sich zu gewinnen,
trachten muß. Das bedeutet allerdings die un¬
garische Krise lösen wollen.
Wenn auf die günstigen Erfolge der Bundes¬
treue seitens Deutschland hingewiesen wird, so
habe ich nichts dagegen; aber den Wunsch
dürfen und müssen wir, die wir ein starkes
Österreich haben wollen, aussprechen, daß sich
Österreich eben auf seine wahre Kraft besinne
— auf die Kraft der Völker! Österreich darf
keine Politik der Rassen- und Völkeraristokratie
führen, Österreich muß sich endlich im Innern
und nach außen demokratisieren, Österreichs
politische Schwäche ist der veraltete, kurzsichtige
Aristokratismus und seine Diplomatie. Deutsch¬
land, das hat unlängst der Börsen-Kurier mit
anständiger Offenheit gesagt, wird in Serbien
seine eigenen wirtschaftlichen Interessen sehr
energisch verfolgen. Das ist ganz in der Ord¬
nung; auch wir wünschen, daß Österreich in
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Serbieu und am Balkan die österreichischen Inter¬
essen energisch verfolge, nicht aber die Inter¬
essen einer sozialen und nationalen Clique
Meine Herren! Auf einem wichtigen Teil¬
gebiete des ungarischen Staates, in einem Lande,
wo die herrschende Rasse sich seit 1848 als die
größte Freiheitsnation hinstellt, kommt ein solcher
Hochverratsprozeß vor. Ich bitte: ein Hochver¬
ratsprozeß! Der Begriff existiert ja unter modern
denkenden, konstitutionell und parlamentarisch
denkenden Politikern eigentlich gar nicht mehr.
In einem modernen Staat, mit seiner Freizügig¬
keit, der den Bürgern erlaubt, auszuwandem,
in einem Staat, in dem es nicht in erster Reihe
auf das regner, sondern auf das gouverner an¬
kommt, in einem Staat, der wirtschaftliche, kul¬
turelle Aufgaben zu leisten hat, in einer Zeit,
wo der Evolutionsgedanke die Politik ergreift,
kommt man auf ungarischem und kroatischem
Gebiete mit einem solchen Hochverratsprozeß!
Ich schließe ab. Ich glaube das, was ich be¬
weisen wollte, bewiesen zu haben, vielleicht habe
ich auch indirekt einen Beitrag zur Kulturge¬
schichte unseres größeren Vaterlandes gegeben.
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Ich habe mich, meine Herren, an Tatsachen ge¬
halten; ich habe nicht alles vorgebracht, was
ich weiß, daß es mir aber möglich war, einige
wichtige Tatsachen vorzubringen, verdanke ich
einigen Männern in hoher politischer Stellung.
Es gibt hüben und drüben Männer genug, die
sehen, daß der Karren verfahren ist und die
einen Ausweg zu finden trachten. Ich danke
allen denjenigen, die mir ermöglicht haben,
dieses Material Ihnen hier vorzubringen.
Stellen Sie sich vor, meine Herren, es sollen
53 Galgen errichtet werden! 53 Galgen! Das
ist eine traurige Reihe, die aus Agram über
Budapest nach Wien reichen kann. Noch hier
können wir ein solches Wahrzeichen asiatischer
Kultur aufstellen; ich weiß nicht, wo man den
letzten Galgen aufrichten wollte, ob auf dem
Ballplatz oder vielleicht vor derbosnisch-herzego-
winischen Wache, aber ich bitte Sie, meine
Herren, lassen Sie ihn nicht aufrichten vor
diesem unserem Parlament. Ohne Bild gesprochen:
ich hoffe, es wird keinen Abgeordneten, keine
Partei in diesem Hause geben, die auch nur in¬
direkt für dieses Schandmal der Kultur und
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Politik, für diesen sogenannten Hochverratspro¬
zeß stimmen werden. (Beifall und Händeklatschen.
— Redner wird beglückwünscht.)
Meine Herren! *) Ich glaube, als Resultat der
heutigen Verhandlung unseres Dringlichkeitsan¬
trages sagen zu dürfen, daß in merito keine einzige
Stimme sich für den sogenannten Hochverratsprozeß
vernehmen ließ. Im Gegenteil, es haben auch die¬
jenigen, welche formelle Bedenken vorgebracht
haben, eigentlich gegen den Prozeß gesprochen.
Ich war sehr neugierig, was die Regierung
sagen wird. Nun, der Herr Minister Bienerth
hat sich eigentlich auf geschickte Weise aus
der Schlinge gezogen; seine Kompetenzbedenken
sind schon durch unseren Präsidenten Dr. Pattai
vorweggenommen worden. Dasselbe gilt auch
für Dr. Sylvester, Marckhl und andere. Dr. Sj -
vester hat sich nicht einmal die Mühe genommen,
das Petitum meines Antrages genau zu lesen.
Er hat geglaubt, ich hätte irgendwelche neue
Beweise verlangt. Ich habe aber nichts anderes
verlangt, als daß im bosnischen Ausschuß die
*) Von hier ab das Schlußwort nach den Beden
der übrigen Abgeordneten.
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vorgebrachten Beweise über die Abfallsbewe-
gnng geprüft werden und jedenfalls hat ein Aus¬
schuß das Recht, eine Belehrung, sei es von
welchem Ministerium immer, zu verlangen.
Der Herr Kollege Mayr hat mir eine kleine
Vorlesung über den Hochverrat gehalten. Ich
habe den Eindruck, seine Partei ist durch den
unrichtigen Artikel der „Reichspost“, allerdings
auf höheren Wunsch, festgerannt und weiß nicht,
wie sie sich nun in der Sache stellen soll. An
demselben Tage machen die Anhänger Dr. Lue¬
gers einen Ausflug zu den Südslawen und gleich¬
zeitig stimmen sie hier gegdn dieselben. Das
„Vaterland“ hat gestern oder vorgestern einen
von seinem Standpunkte sehr richtigen Artikel
über die Legitimität gebracht und den Herren
eigentlich eine Vorlesung gehalten, wie sie sich
nicht sogleich mit den Hochverrätern, den Jung¬
türken, und mit der Absetzung des legitimen
Padischah zufriedengeben sollten. Ich konsta¬
tiere nur — und Kollege Nemec hat das zum
Teil vorweggenommen — daß Baron Aehren-
thal selbst als erster mit dem jungtürkischen
Komitee verhandelt und derart selbst die Legi-
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timität nicht beachtet hat. Und doch so viel Lärm
gegen den vermeintlichen Hochverrat in Agram!
Ich bedaure, daß die freisinnigen Deutschen
sich hinter formellen Bedenken verschanzen. Es
ist mir um so lieber, daß ich wenigstens einen
Deutschen nennen kann, meinen Kollegen Red¬
lich, mit dem ich manchmal nicht übereinstim¬
men kann, der sich diesmal der sachlichen Ar¬
gumentation nicht entziehen konnte.
Es ist nicht nur die Humanität, die ich für
unseren Antrag geltend gemacht habe, ich glaube,
Ihnen bewiesen zu haben, daß wir in einem
Momente, wo wir über die Annexionsfrage, über
die bosnische Agrarbank sprechen, hier ein emi¬
nent österreichisches Problem, ja ich kann sagen,
das österreichische Problem überhaupt besprechen
und ich begreife darum nicht, wie man sich in
einem Augenblick, wo wir uns für Österreich,
für den Reichsgedanken, eine größere Zukunft
auf dem Balkan wünschen, hinter so unwichtigen
formellen Bedenken verstecken kann.
Ich bitte, für unseren Dringlichkeitsantrag
zu stimmen. (Lebhafter Beifall.)
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im
Der
Agramer Hochverratsprozess
und die
Annexion von Bosnien und Herzegowina
von
Professor Dr. TH. 6. MASARYK
Reicbsratsabgeordneter
Zweite, ergänzte Auflage
Verlagsbuchhandlung Carl Konegen
(Ernst Stülpnagel)
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Verlaisbudiliandlung Carl Konegen (Emst Stülpnagel).
Soeben erschien:
Kroatien und dessen Beziehungen
zu Bosnien.
Von einem kroatischen Abgeordneten.
Die Schrift ist von einem genauen Kenner des
kroatischen Landes und im Sinne der K 9 alitionspolitik
geschrieben.
8 x / 2 Bogen. Broschiert M. 1.25 = K 1.50.
Von Th. G. Masaryk erschien früher:
Freie
Mltts id idf
Leta
Die kirchenpolitische Bedeutung
:: der Wahrmund-Affäre. ::
6V, Bogen.
Broschiert M. 1.— = K 1.20.
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