MA S TER
NEGA TIVE
NO. 93-81601
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AUTHOR:
HEINRICH, ALFRED
TITLE:
TROJA BEI HOMER UND IN
DER WIRKLICHKEIT
PLACE:
GRAZ
DA TE:
1895
COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES
PRESERVATION DEPARTMENT
Master Negative #
BIBUOGRAPHIC MICROFORM TARGET
Original Material as Filmed - Existing Bibliographie Record
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|ZP Heinrich, Alfred,
^•^ ••«Troja bei Homer und in lier Wirklichkeit, von-
Professor Alfred HoinriGh..* Graz, im vorläge des
K. K. Ersten ntaats-^ynnaf^iums, 1805 #
47 p« illujj. ?.5}; cm*
At head of title: JahreGbericht des K. K» Irrsten
Staats- f;yinnasiums in Graz.., 189 5«
142470
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Jahresbericht
des
k. k. ersten Staats-Gymnasiums
in Graz.
Veröffentlicht
am Schlüsse des Studien -Jahres
1895
vom
Director Dr. Arthur Steinwenter.
Inhalt :
1. Troja bei Homer und in der Wirklichkeit. Von Professor Alfred Heinrich.
2. Schulnachrichten vom Director.
1
aRAZ.
Im Verlage des k. k. ersten Staats-Oymnasiams.
Troja bei Homer und in der Wirklichkeit/
~^tA\
Es hat eine Zeit gegeben, wo man sagte, es habe keinen Sinn, nach dem
Troja Homers zu suchen. Man fürchtete dadurch den Wert der Dichtung herab-
zusetzen, oder man hielt die Stadt des Priaraos ebenso für ein Phantasiegebilde
als die Insel des Phäakenkönigs in der Odyssee. Die einen mochten sich sagen,
unsere Theilnahme hat der Held, der für seine Stadt kämpft, und fällt und sein
furchtbarer, unversöhnhcher Gegner, aber was ist uns Troja? Seine Mauern und
Zinnen, seine Thürme und Thore kümmern uns nicht; und ob der Fluss, an
dessen Ufern der Kampf tobt, Skamandros heißt oder sonstwie, ist für den Leser
ziemlich gleichgiltig. Die andern konnten sich vorhalten, dass die Phantasie ihre
eigenen Gesetze hat, denen, wie Goethe sagt, der Verstand nicht beikommen kann.
Wenn es in den Gedichten physische Unmöglichkeiten gibt, wenn märchenhafte
Züge darin enthalten sind, so kann auch der Schauplatz der Handlung vom
Dichter frei erfunden sein. Man hatte aber in beiden Fällen unrecht. Es ist
ja richtig, dass die Äußerlichkeiten nicht den dichterischen Wert ausmachen,
dass uns nicht der Thurm am Skäischen Thore rührt, sondern die Mutter, die
von ihm aus ihren Sohn und seinen tragischen Untergang sieht. Aber die Scenerie
ist doch etwas Nothwendiges, die Natur bildet zu Thaten, Kämpfen und Leiden
die Umgebung, und da die ebensowenig fehlen darf, als man ein Gebäude in
die Luft bauen kann, so dürfen wir auch erwarten, dass der Dichter ihr ein
gewisses Interesse entgegenbringt. Dieses muss so weit gehen, dass er eine be-
stimmte Vorstellung von dem Baume hat, auf dem er seine Personen handeln
lässt. Ist diese Vorstellung so unklar, dass sie der Leser in seinem Geiste nicht
nachschaffen kann, so wirkt diese Erkenntnis nicht gerade erhebend, sondern
wird je öfter sie sich aufdrängt desto störender und lässt den Dichter in unserer
Schätzung sinken. Dabei bleibt es freilich für die dichterische Wirkung gleich-
giltig, ob der Dichter den Ort der Handlung erfunden und frei aus seiner Phantasie
erschaffen oder aber einen wirklichen Ort mit seinen Gestalten bevölkert hat. Wenn
man aber bedenkt, dass neben manchem mythischen Motiv in allen Volksepen
historischer Gehalt steckt, der an einer bestimmten Gegend, au einer bestimmten
SL k. Uniyenitäts-Bachdraokerei ,StyTia* in Gras.
* Der Gegenstand ist seit Schliemanns Ausgrabungen öfter behandelt worden.
AbschlieBende Fund-Ergebnisse haben aber erst die Grabungen des Jahres 1894 gebracht,
denen ich ein paar Tage beizuwohnen das Glück hatte.
Stätte haftet, dann wird man wenig geneigt sein, in Troja nur das Phantasiegebilde
eines Dichters zu erblicken. Auch die natürliche Entwicklung der Poesie spricht
dagegen. Der volle und ganze Beiz liegt nicht im Erdichteten. Der Wirklichkeit
poetische Gestalt zu geben, sie künstlerisch anschaulich auszusprechen, war von je
das Ziel der großen Dichter; dies gilt vom Ort nicht minder als von der Handlung.
Wer das Gegentheil macht und das Erfundene, „das Imaginative", wie Merk bei
Goethe sagt, also eine bloße Allgemeinheit zu verwirklichen sucht, der wird selten
den Erdgeruch und die Localfarbe der lebenswahren Wirklichkeit in seine Schöpfung
bringen. Homer ist kein phantasti5;cher Dichter. Selten genug verlässt er in der
Ilias den Boden der Wirklichkeit, um aus dem Reich der Phantasie seine Ge-
bilde zu holen. Es ist überhaupt nicht hellenische Art, phantastisch zu sein, und
erst eine spätere, weniger naive Poesie konnte daran denken, Unmöglichkeiten
dichterisch zu verwerten. Und jede nähere Prüfung der homerischen Dichtungen
zeigt uns, wie Homer vor allem individuelle Erscheinungen des Lebens liebt; in
ihnen spiegelt sich ihm das Leben der Welt. Seine ganze köstliche Phantasie ist
mit sinnlicher Weltauffassung getränkt und durchsättigt. Mit welcher Lust zählt
er Einzelheiten auf, welche Freude macht ihm die Schilderung von wirkliehen
Dingen! Die durch Schliemanns Ausgrabungen veranlasste neue Betrachtung und
Behandlung der Alterthümer hat durch die Vertiefung in die reale Welt Homers
das Verständnis des Dichters überraschend gefördert. Dies beweist das bekannte
Buch von Heibig (Das homerische Epos aus den Denkmälern erläutert, zweite
Auflage, Leipzig 1877). Aber die Funde und Studien der jüngsten Jahre haben
die Angaben Helbigs in vielen Punkten richtiggestellt und ergänzt Wir werden
später Gelegenheit haben, Beispiele solcher Art anzuführen. Es sei hier nur auf
eine nicht großartige, aber doch interessante Entdeckung der letzten Zeit hin-
gewiesen. Am Ende des vierten Gesanges der Odyssee reist Telemachos von
Pylos zu Wagen den ersten Tag bis Pherä in Messenien und den nächsten Tag
nach Sparta. Man hat eine Wagenfahrt über den Tajgetos, über den auch heute
nur Saumpfade führen, für unmöglich erklärt,^ aber im vorigen Jahre ist das
Vorhandensein einer antiken Fahrstraße über den Tajgetos nachgewiesen worden.
Im Süden der Langada-Schlucht hat man an drei Stellen unverkennbare, künstlich
eingeschnittene, antike Wagenspuren entdeckt. a Die Angabe der Dichtung ist so-
mit hinlänglich begründet.
In Zusammenhang mit der Frage, ob Troja nach der Natur geschildert ist,
steht auch die Frage, ob die Schilderung Ithakas in der Odyssee auf der Wirk-
lichkeit beruht. R. Hercher hat dem schönen Eiland einen eintägigen Besuch
abgestattet, ohne den wichtigen nördlichen Theil der Insel kennen zu lernen.»
« Bursian, Geographie von Griechenland, II, S. 104 f.; vgl. auch Ameis zu
der Stelle.
»E.Pernice, Aus Messenien, Mittheüungen des archäologischen Institutes in
Athen, 1894, S. 36ö ff.
» Homer und das Ithaka der WirHichkeit, Hermes, II, 263 (Homer. Aufsätze.
Berlin 1881, S. 1 ff.). ^ '
Er hat auf Grund dieser wenig gründlichen Anschauung in einem Aufsatz, der
viel Beifall gefunden hat, die Annahme von der Autopsie Homers zurückgewiesen.*
Nach eingehender Untersuchung und längerem Aufenthalt auf der Insel hat
J. Partsch in einem schönen Aufsatz dargethan, dass die Vorstellungen, die wir
in der Odyssee von der Insel gewinnen, mit der Wirklichkeit sich trefflich ver-
einen lassen.^ Es ist kein Zufall mehr, wenn die Einzeldinge, die der Dichter
nennt, sich ungezwungen auf Ithaka wiederfinden. ^ Freilich darf man die Burg
des Odjsseus nicht, wie Hercher und Schlieraann, auf dem 380 m hohen Berge
Actos (auf der schmälsten Stelle des Eilandes), sondern im Norden der Insel
bei der Bucht von Polis suchen.
Demnach haben wir wohl das Recht, auch nach dem Troja Homers zu
suchen, und der unbefangene Sinn der Alten hat kein Bedenken gehabt, das
Gleiche zu thun, und der Perserkönig Xerxes, Alexander der Große, der lake-
dämonische Admiral Mindaros und andere haben die zu ihrer Zeit Ilion genannte
Stadt der troischen Landschaft in dem frommen Glauben besucht, auf der von
Homer besungeneu Stätte zu stehen.* Es war die allgemeine Ansicht des Alter-
thums, dass die spätere, historische Stadt Ilion auf dem heute Hissarlik genannten
Hügel an derselben Stelle erbaut ist, wie das von Homer besungene Troja.«*
» Auch O. Seeck, Die Quellen der Odyssee, S. 281, behauptet, nichts weise darauf
hin, dass der Dichter jemals den Boden der Insel betreten habe.
^ Kephallenia und Ithaka, Ergänzungsheft Nr. 98 zu Petermanns Mitthei-
lungen, 1890.
»Auch E. Seilliere, üne excursion 4 Ithaque, Paris 1892, hat, weniger ein-
gehend, aber auch ansprechend, in gleichem Sinne geschrieben. Sieh besonders über
die Lage der Stadt des Odysseus, S. 43, und über das Gehöfte des Eumaeos auf der
Höhe mit herrlicher Aussicht ;r£f;i5X£;rTw evi ytopw ^ 6, S. 56 ff.
* Die Stellen gesammelt in Schliemanns Ilios, S. 193 ff.
^ Erst um 330 v. Chr. sagt der Redner Lykurgos (in Leocratem, §62), dass
Troja nach der Zerstörung unbewohnt geblieben ist, und um 190 v. Chr. wollte der
gelehrte Demetrius von Skepsis den damaligen Bewohnern von Ilion ihren Anspruch,
auf der durch Homer geadelten Stätte zu wohnen, nicht gönnen. Er behauptete, das alte
Troja habe weiter landeinwärts beim sogenannten Dorfe der liier gelegen. (Sieh darüber
Schliemann, Ilios, S. 200ff.; Mahaffy, The site and antiquity of the hellenic lüon,
Journal of HeUenic studies, S. 69 ff.; Schuchhardt, Schliemanns Ausgrabungen, zweite
Auflage, S. 33 ff.). Jebb schließt aus den auf Demetrius zurückgehenden Nachrichten bei
Strabo, dass das gesammte verständige Alterthum die Ansprüche der Bewohner von
Ilion verwarf (Journal of Hellenic studies, S. 203, und An introduction to the Iliad, dritte
Auflage, S. 100), aber mit Unrecht. Die beiden Gründe des Demetrius sind als unrichtig
nachgewiesen, und gegen Demetrius hat man mit voUem Recht die Autorität des viel
älteren Logographen Hellanikos von Mitylene (Mahaffy, S. 74) angeführt, der das spätere
nion an derselben Stelle ansetzt wie das homerische (daher folgert Sittl, Parerga, 1893,
S. 19 f., aus dem Fragment des Hellanikos im Genfer Scholion zu «1» 444 mit Unrecht,
dass Hellanikos Troja nicht auf Hissarlik angesetzt habe). Und wenn man dem Hellanikos
Unzuverlässigkeit zuschreibt, so dürfen wir die Verlässlichkeit des Demetrius auch
nicht zu hoch anschlagen, der z. B. die Stadt Arne (Schiffskatalog B., 507) vom Kopaissee
verschlungen sein lässt, während sie im vorigen Jahre in den Ruinen von Gla entdeckt
worden ist.
6
Erster Abschnitt.
Dto Troas und die Ansiedlungen auf Hissarlik.
Das Thal des Mendere, in dem die meisten den antiken Si^amander erkennen,
öffnet sich gegen den Hellespont (Straße der Dardanellen) gerade gegenüber der
Spitze des thrakischen Ohersones (Halbinsel von Oallipoli). Sieh das Kärtchen im
Text. Vom Meeresstrande behält das Thal etwa vier Stunden weit aufwärts eine
Breite von mehr als einer Stunde. Weiter im Süden windet sich der vom höchsten
Gipfel des Ida, vom Gargaros (1670 m) kommende Fluss nach einem Laufe von
etwa 30 km für ein paar Stunden durch eine enge Felsschlucht und tritt in der
Nähe des türkischen Dorfes Bunarbaschi hinaus in die troische Ebene. Manches
Floß führt hier, wo Felsen den Fluss in engeren Schranken halten, das Holz aus
dem Gebirge zu Thal, wie schon zu Homers Zeiten das Holz von den Abhängen
des Ida (auf Maulthieren) geholt werden musste (11, XXHI 117). Der Hnke ßand
des untersten Skaraanderthales, welches hier allein in Betracht kommt, wird
durch eine schmale, recht niedere Hügelkette gebildet, die mit ihrer anderen Seite
steil gegen das ägäische Meer abfällt. Sie endigt im Cap Sigeion, von dem sieh
nach Norden eine Sandzunge vorschiebt, auf deren Spitze die türkische Festung
Kum Kaie (Sandschloss) erbaut ist. Der rechte Thalrand wird dagegen von einem
breiten, öfter durchschnittenen, im allgemeinen 40—50 m hohen Hügelgelände
gebildet, welches am Hellespont in das Oap Rhoiteion ausläuft. Kurz vorher wird
es durch ein von Osten kommendes Seitenthal des Mendere, das Thal des Dum-
brek Su, den man mit dem antiken Simoeis identificiert, unterbrochen. In der
guten Jahreszeit erreicht das Flüsschen den Mendere nicht, sondern bleibt in
Sümpfen stecken. Die südliche Ecke zwischen den beiden Thälern bildet der
Hügel von Hissarlik, der durch einen niederen, im Laufe vieler Jahrhunderte
durch Bauschutt erhöhten Sattel mit dem dahinteriiegenden Gelände verbunden
ist. Hier stand in historischer Zeit die Stadt Ilion, die auf den Karten mitunter
fälschlich Novum Ilium genannt wird Die westliche Hügelkette des Skamander-
thales ist so niedrig, dass man vom Bord des Dampfschiffes aus, gleich nachdem
es zwischen der Insel Tenedos und dem Festland von Kleinasien durchgefahren
ist, die Schutthalden der Schliemann'schen Ausgrabungen auf dem Hügel von
Hissarlik erblickt. Könnte man hier landen, so erreichte man in etwas mehr als
einer Stunde die Trüramerstätte von Ilion. Statt dessen müssen wir unsere Un-
geduld zähmen und Tpwtov ':r6>.tv etcopowvTE; in den Hellespont einfahren, denn erst
in der Nähe des alten Abydos, in der Dardanellen-Station Tschanak Kalessi hält
der Dampfer an. Um Hissarlik zu erreichen, muss man von den Dardanellen
sechs Stunden nach Südwesten zurückreiten, anfangs den Hellespont entlang,
später über das niedere, mit zahlreichen Knopperneichen bestandene Hügelland,
über welches man zuletzt in das Thal des Simoeis und durch dieses in schöner
Flusslandschaft nach dem Hügel von Hissarlik gelangt. Der natürliche Fels, der
diese Höhe bildet, erhebt sich nur I8V2 '"^ über die Ebenen des Simoeis und des
Skam ander, aber durch den tiefen Bauschutt, den hier Jahrtausende aufgehäuft
haben, ist seine Höhe bis über 30 m gestiegen. Nach Norden, gegen die saftigen
Simoeiswiesen, fallt er ziemlich steil, nach Westen in das Thal des Skaraander
mit sanfterem Hange ab. Hissarlik, zu deutsch Kleine Festung, ist kein Ort,
sondern der Name des Hügels, den ihm die Türken wegen seiner Lage und
wegen der alten Mauerreste, die er trug, gegeben haben. Wenige Schritte südlich
von Hissarlik, aber doch noch auf der Höhe des Hügelzuges, stehen jetzt sechs
oder sieben von Schliemann vor Jahren erbaute Holzhütten, die man in Erinnerung
an den großen Entdecker Schlieraannopolis zu nenn»»n pflegt. Steht man auf His-
sarhk, so sieht man im Norden die Landzunge des thrakischen Ohersones und
den Eingang in den „stark strömenden'' Hellespont, wie ihn Homer bezeichnend
nennt, so deutlich, dass man die aus- und einlaufenden Dampfer unterscheiden
kann. Im Nordwesten nimmt den Blick das mächtige Gebirge der Insel Imbros
gefangen, hinter dem der 1600 m hohe Saoke von Samothrake emporragt. Diese
beiden Eilande sind es, die das weitere Landschaftsbild von Troja beherrschen,
/
o
und bei Sonnenuntergaog heben sich die umrisse dieser übereinandergethürmten
dunkelblauen Berge auf das schärfste von dem glühenden Both des Nordwest-
himmels ab. Gegen dieses BiJd verschwindet die Erscheinung des im Südosten
blauenden Ida, der trotz seiner 1670 m bei dem allmählichen Ansteigen des Ge-
ländes und der immerhin weiten Entfernung nur einen mäßigen Eindruck macht.
Wenn Poseidon auf der Höhe des samothrakischen Gebirges sich befand, konnte
er fast noch besser als Zeus vom Gipfel des Ida das Schlachtfeld von Troja über-
schauen. Die wiederholte Beziehung auf Imbros und Samothrake* (bei Homer
„die thrakische Samos«) und auf die weiter südlich liegende Insel Tenedos, die
ebenfalls sichtbar ist, zeigt uns, dass der Dichter das Landschaftsbild der Troas
aus eigener Anschauung kannte. Noch weiter westlich zeigt sich Lemnos und
bei reinem Wetter morgens und besonders gegen Abend der spitze Kegel des
Athos, den auch schon Homer (II., XIV 229) erwähnt.
Beschäftigen wir uns jetzt mit den hydrographischen Verhältnissen,« die ja
für die Frage, ob der Dichter nach der Natur schildert, besonders wichtig sein
müssen, so fallt zuerst die Thatsache auf, dass der Skamander, wohl über eine
halbe Stunde von Hissarhk entfernt, mehr am westlichen Thalrand hinfließt ; bald
bemerken wir aber, nur wenige Minuten von Hissarlik entfernt, ein altes Flussbett
des Skamander. Es zieht sich 22 km lang an der östlichen Thalwand hin und
mündet nach einer Unterbrechung beim Dorfe Kum Köi hart an der östlichen
Hügelkette neben dem rechts davon stehenden sogenannten Grabhügel des Aias,
der etwas südlieh vom Gap ßhoiteion sich erhebt und von den Türken In Tepe
genannt wird. Davon heißt dieser todte Arm, der vom Meer her mit Wasser
gefüllt ist. In Tepe Asmak, während der südliche längere Theil den Namen
Kalifatli Asmak, nach dem Dorfe Kalifatli, führt. Dieser südliche alte Flusslauf,
dessen Bett dem Skaraanderbett an Breite durchaus nicht nachsteht, ist im Sommer
mit einer Reihe unzusammenhängender Pfützen erfüllt, aber in der Zeit der Regen-
güsse wird auch er vom Skamander bewässert. Bei dem Dorfe Kum Köi (Sand-
dorf) biegt freilich der Kalifatli Asmak nach Westen ab und verzweigt sich dann
mehrfach, aber man darf annehmen, dass der alte Skamanderlauf sich in dem
In Tepe Asmak fortgesetzt hat. Denn nach den in Betracht kommenden Stellen
der Ilias liegt das Schiffslager der Griechen am linken Ufer des Skamander.
Pnamos z. B. fahrt im vierundzwanzigsten Gesang der lüas, um die Leiche Rektors
2u holen, von Troja aus, überschreitet den Skamander an der mehrmals erwähnten
Furt und kommt dann zum Lager der Griechen.« Wenn die Vermuthung Schlie-
manns,* dass der Kalifatli Asmak und weiter der In Tepe Asmak das Bett des alten
' A 38; A 652; ^ 12, S3, 171, 197; S 281; 0» 43; Q 78.
« Darüber bes. Virchow, Beiträge zur Landeskunde der Troas (Abhandlungen der
Berhner Akademie, 1879). *
" Beloch, Griechisclie Geschichte, I, Straßburg 1893, S. 143, Anm. 3, behauptet
mit Unrecht, dass schon die Ilias den heutigen Flusslauf voraussetzt. Er erklärt Q 692
gezwungen, A 498 ff. und 4» 1-11, unrichtig (izt^m^ meint die Sim. Ebene) und über-'
aeht S 483 f. und n 395 ff. ^
* IHos, S. 97.
Skamander darstellen, richtig ist — und es scheint nichts dagegen zu sprechen — ,
so ist die Thatsache, dass dieses alte Flussbett bis zur Mündung ins Meer sich
verfolgen lässt, von hervorragender Wichtigkeit. Wir lernen daraus, dass die
Küstenlinie des Hellespont sich im Laufe der Zeit nicht vorgeschoben hat* und
dass somit die Entfernung Hissarliks vom Meere heute die gleiche ist, wie zur
Zeit des trojanischen Krieges ; sie beträgt in gerader Linie beiläufig 4V2 km, und
das gleiche Ausmaß gibt im zweiten Jahrhundert v. Chr. der Geograph Skylax
mit 25 Stadien = 4^l^km an.*
Der Skamander führt, II., V 36, das Epitheton yiwsi?, welches verschieden
erklärt wird. Wer seine steilen, durch ünterwaschungen abgebrochenen Ufer
gesehen hat, wird nicht daran zweifeln, dass damit eben diese für den Ska-
mander charakteristische üferbildung bezeichnet werden soll. Wir wissen ja auch
aus 11., XXI 171, 175, 200, dass die Ufer des Flusses steil und hoch waren. Neben
dem Skamander, der selbst kein bedeutender Pluss ist (im Juni etwa 6 m breit
und Vs bis Vs ^ tief), verschwindet fast der im Sommer versumpfende Simoeis.
flerchers behauptet, dass in der Ilias nirgends ausgesprochen sei, dass der Simoeis
kleiner als der Skamander gewesen. Da anderseits in der Ilias an vielen Stellen
vom Flusse schlechthin die Rede sei, so müsse man schließen, dass der Simoeis
überhaupt keine Berechtigung habe und erst von einem Nachdichter in die troische
Ebene eingeführt sei, der von den wirklichen Gewässern derselben nichts gewusst
habe. Dieser Bemerkung ist kein großes Gewicht beizulegen. Die Einführung des
Simoeis beruht vielmehr auf lebendiger Anschauung der hydrographischen Ver-
hältnisse des Landes, wie W. ßoßmann* in schöner Weise gezeigt hat. Im Beginn
des einundzwanzigsten Gesanges drängt Achilles eine Schar Troer in den Ska-
mander, springt ihnen nach und beginnt im Flusse entsetzlich zu morden. Da
schwillt der wüthende Skamander an und bedrängt den Helden mit seinen Fluten.
Achilles glaubt vergehen zu müssen, doch Poseidon und Athene leihen ihm Trost
und Kraft. Aber der Skamander lässt nicht nach und ruft, V 308, laut zum Simoeis:
„Bruder, wohlan! die Gewalt des Mannes da müssen wir beid' itzt
Bändigen, oder sofort des herrschenden Priamos Feste
Wirft er in Staub; denn die Troer bestehen ihn nicht im Getümmel!
Auf denn, und hilf in Eil', und erfülle den Strom mit Gewässern
Rings aus den Quellen der Berg', und ermuntere jeglichen Gießbach!
Hoch nun erhebe die Flut, und rolle mit donnernder Woge
Block' und Steine daher, dass den schrecklichen Mann wir bezähmen,
Welcher die Schlacht durchherrscht und gleich den Unsterblichen schaltet!
Nicht soll, mein' ich, die Kraft ihn vertheidigen oder die Bildung,
Noch die prangenden Waffen: die sollen mir tief in dem Sumpfe
* Virchow, Landeskunde, S, 124 ff., beweist auch aus anderen Gründen, dass ein
Anwachsen der Ebene gegen den Hellespont zu nicht stattgefunden hat. Die starke
Strömung trägt aUe Ablagerungen fort.
' § 9ö ("IXtov) ajce'xet bk aicb t^5 «•aXarnis (jraSta xe'.
» Über die hom. Ebene von Troja, Abhandlungen der preußischen Akademie, 1876,
S. 101 (Hom. Aufsätze, S. 26 ff.).
* Über Schliemanns Troja, Deutsche Rundschau, 1876, S. 256 ff.
1
10
Liegen von häufigem Schlamme bedeckt, und ihn selber umwälz' ich
Kings mit Sand, in den Schwall von Muscheln und Kies ihn verschüttend,
Hoch, dass selbst sein Gebein nicht aufzusammeln vermögen
Argos* Söhn' im unendlichen Wust, den ich über ihn ausgoss !"
„Dieses Bild", sagt Roßmann, „wäre unmöglich, wenn der Simoeis ein ganz
selbständiger Fluss wäre. Außerordentlich treffend aber ist es für das Verhältnis,
dass der Simoeis für gewöhnlich in seinem Laufe träge ermüdet, in Sümpfen
stecken bleibt und nur zuweilen im Affecte des Hochwassers den Skamander er-
reicht." Der großartigen Scene liegt also ein ebenso großartiger Vorgang in der
Natur zugrunde, und wenn später der Skamander durch Feuer gebändigt wird,
so dürfte auch hier ein wirklicher Brand zugrunde liegen. Wenigstens pflegen
die Landleute in der Troas, um Ackergrund zu gewinnen, die Binsen, das Schilf-
rohr und das Tamariskengestrupp, das die Ufer des Flusses begleitet, mitunter
anzuzünden, indem sie dadurch zugleich roden und düngen. ^ Die Sage hat hier
wie in so vielen Fällen unmittelbar an wirkliche Vorgänge angeknüpft. Ein anderes
Beispiel bietet IL, XX 57, wo Poseidon das Land weithin erschüttert, die Gebirge
und den quellen reichen Ida und der Troer Stadt und das Schiffslager der Achaier.
Auch das ist der Natur entnommen, denn die Troas ist ein hervorragend vul-
canisches Land.* Aber auch die Flora und Fauna der troischen Ebene stimmt
im wesentlichen mit den Angaben Homers überein.' Kurz, die Ilias enthält eine
Menge charakteristischer Züge der Landschaft, Züge, die nur jemand geben kann,
der sie mit eigenen Augen gesehen. Dem gegenüber will es wenig bedeuten,
wenn wir einzelne Dinge wie den Hügel Eallikolone (XX 53), nicht mit Sicherheit
bestimmen können. Solche Dinge wie Hügel, Grotten, Quellen hat der Dichter
nach Bedürfnis angenommen, und man wird die warme und die kalte Quelle vor
Troja ebensowenig suchen dürfen als die Nymphengrotte auf Ithaka. Übrigens
fehlt es nicht an Quellen, die aus dem Hügel von Hissarlik entspringen, und auch
die Schwellung der Ebene (X 160) kann man, wenn man will, bei Eum Eöi
finden.* Es sei noch erwähnt, dass in der Troas mehrere Grabhügel sich be-
finden, von denen der sogenannte Tumulus des Achilles nach Schliemanns Unter-
suchung'' etwa aus dem neunten Jahrhundert v. Chr. stammt. Ihn kennt schon
die Odyssee, XXIV 80—84.
Bisher haben wir stillschweigend angenommen, dass das homerische Troja
auf dem Hügel von Hissarhk gestanden. Wir müssen uns nun etwas mit der
Meinung derjenigen beschäftigen, die zwar annehmen, dass der Schilderung
Homers die Wirklichkeit zugrunde liege, die aber die Stadt nicht auf Hissarhk
suchen, sondern weiter südlich auf dem 144 m hohen Bali Dagh bei Bunarbaschi.
> Boßmann a. a. 0., S. 271.
« Virchow a. a. O., S. 10 f.
» Schliemann, Bios, S. 129 ff. Statt der Rinderherden durchziehen jetzt Büffel
das Land. In ungeheuren Mengen sind die Störche vorhanden, opvia-wv ;:eTer,v(ov ed^ea «oXXa.
Homer hat sie wohl unter den y^pavot mit verstanden (Ilios, S. 132).
* Schuchhardt, Schliemanns Ausgrabungen, zweite Auflage, S. 41 f.
* Troja, S. 271 C
I
II
Diese Ansicht ist zuerst von Lechevalier aufgestellt worden, der in den Jahren
1785 und 1786 die troische Ebene bereiste.^ Obwohl nahezu alles dagegen spricht,
namentlich die Höhe des Hügels, zu dessen Ersteigung man fast eine halbe
Stunde braucht, und die Entfernung vom Hellespont, die mehr als vier Stunden
beträgt, so ist diese sonderbare Behauptung seither doch nie völlig verstummt,
sondern, wie es mit so curiosen Dingen schon geht, stets aufs neue mit den
schlechtesten und lächerlichsten Gründen vertheidigt worden. Nach den Aus-
grabungen Schliemanns und Dörpfelds soUte man eigentlich die Sache für ab-
gethan halten. Schon das hohe Alter der durch Schliemann auf Hissarlik auf-
gedeckten Ansiedlungen lässt sich mit den unbedeutenden Resten des verhältnis-
mäßig jungen Mauerwerkes auf dem Bali Dagh gar nicht vergleichen. Trotzdem
hat die Bunarbaschi -Theorie auch in der allerjUngsten Zeit ihre Vertreter ge-
funden.^
Wir brauchen uns mit dieser jetzt nicht mehr ernst zu nehmenden Ansicht
hier nicht weiter zu beschäftigen. In früheren Jahren war sie begreiflich, und
so hat auch Moltke, vom strategischen Standpunkt der Gegenwart urtheilend,
sich Troja auf dem Bali Dagh gedacht, aber mit dem, was wir heute wissen,
ist diese Ansieht nicht mehr vereinbar. Wir müssen Troja, wie später gezeigt
werden wird, auf einer sehr mäßigen Anhöhe, nicht allzuweit vom Meer entfernt
suchen. Auf dem Bau Dagh kann es ebensowenig gestanden haben, als die Burg
des Odysseus auf dem Actos.*
» Schliemann, Ilios, S. 210 ff.
» Sitti, Parerga, 1893, S. 19 ff. — G. Nikolai des, wpi to5 xaO-* "Ontiipov 'IXK 'E^v
(XEp\5 apyatoX. 1894, S. 69 —100. Auch Nikolaides' Gründe sind völlig unzureichend. Er
stützt sich wieder auf die Quellen bei Bunarbaschi und auf den Feigenbaum. Er meint
(S. 74), dass Homer, \ 148, sagen wolle, dass die als warm bezeichnete Quelle nur im
Winter warm sei und dampfe, eine ganz verkehrte Auffassung, denn jede gute Quelle
hat ganz natürlich bei großer Winterkälte diese Eigenschaft ; beide (Gruppen von) Quellen
aber haben so ziemlich gleiche Temperatur. Ebensowenig Wert hat die Berufung auf
den Feigenbaum, denn an vielen wasserhaltigen Punkten der Ebene wächst der schon
durch seinen Duft sich verrathende wilde Feigenbaum. Ein sicherer Beweis für die Lage
Trojas auf dem Bali Dagh soll die bekannte Darstellung der belagerten Stadt auf dem
Bruchstück des silbernen Gefäßes aus dem vierten Schachtgrab auf der Akropolis von
Mykenä sein. (Das vierte Grab stammt als ältestes jedenfalls aus einer vor dem troja-
nischen Krieg liegenden Zeit.) Die Stadt ist nach Nikolaides Troja. Auf dem Thurm
stehen die weiblichen Verwandten Hektors, Hekabe, die mit der Rechten sich das Haar
ausreißt und den Schleier wegwirft (nach X 405 f ), Andromache und andere, welche
schauen, wie Hektor von Achilles verfolgt und getödtet wird — diese Darstellimg ist
eben weggebrochen. In den Bogenschützen, die unter der Mauer knien, sieht Nikolaides
nicht Vertheidiger der Stadt, sondern Griechen, denen Achilles zuwinkt (X 205 f ), nicht
auf Hektor zu schießen. In den runden und länglichen Zeichen unter den Füßen der
Kämpfer erkennt er die zwei Quellen (!), und da die Stadtmauer sich auf ansteigendem
Terrain erhebt, so glaubt er den Beweis erbracht zu haben, dass schon dieser uralte
Künstler Troja auf einer bedeutenden Anhöhe gelegen sein lässt.
» Die Lage auf dem Bali Dagh mag etwa für Dardania passen (V 216). W. C.La wton,
Notes on Bunarbaschi and other sites in the Troad (Papers of the Archaeol. Inst, of
America, 1879, S. 161 f.).
12
Glücklicher als auf Ithaka hat Schlieraann im Jahre 1871 auf Hissarlik
den ersten Spateustich gethan. Die Arbeiten, die in zwanzig Jahren sechsmal
unterbrochen und immer wieder aufgenommen worden sind, haben, wie es bei
Ausgrabungen so häufig geht, Unerwartetes zutage gefördert. Schliemann hat
im Laufe der Jahre sieben Schichten menschlicher Ansiedlungen an dieser Stätte
übereinander entdeckt. Freilich, bei den letzten Grabungen, die er 1890 im Ver-
eine mit W. Dörpfeld vornahm, zeigte es sich, dass man mit sieben Schichten
nicht ausreiche und dass man neun Ansiedlungen zählen müsse. Die älteste An-
siedlung ist unbedeutend ; sie stammt aus einer Zeit, deren Oultur sich mit der
Kupferzeit in Europa yergleichen lässt; aber in der darüberliegenden Schicht,
der zweiten von unten gezählt, glaubte Schliemann die Burg des Prlamos er-
kennen zu müssen. Sie hatte die bedeutendste Mauer — abgesehen von den
späteren griechischen und römischen Bauten. Sie allein konnte das homerische
Troja sein. Alle Gebäude dieser Stadt waren durch eine furchtbare Feuersbrunst,
die das Holz verkohlt und den Lehm zu Schlacken gebrannt hatte, zugrunde
gegangen. Im Jahre 1890 wurde festgestellt, dass sich drei Bauperioden dieser
Ansiedlung unterscheiden lassen,^ die durch Neubauten und Erweiterungen zu
erklären sind. So fand sich ein dreifacher Mauerring: die jüngere Mauer liegt
im allgemeinen jedesmal weiter nach außen als die ältere und umsehließt somit
den Burghügel in immer weiterem Umfang. An der Südwest-Seite stehen die
Mauern, besonders die jüngste, die aus kleinen Steinen mit starker Böschung
angelegt ist, noch mehrere Meter hoch aufrecht, den Abhang des Hügels um-
fangend. Auf dieser Steinmauer erhob sich eine Mauer aus Lehmziegeln, von
der noch Beste erhalten sind. Im Innern deckte Schliemann die Spuren einiger
Gebäude auf, deren Fundamente aus Stein bestehen, während die Wände aus
Lehmziegeln aufgemauert waren.* In einem Gebäude in der Nähe des Westthores
fand Schliemann schon 1873 einen Schatz vom Gold- und Silbergeräth, den er
anfangs für den Schatz des Priamos ansah und der heute im Museum für Völker-
kunde in Berlin zur Schau gestellt ist. Später sind in derselben Schicht noch
neun kleinere Schätze aus Edelmetall entdeckt worden.
Über der zweiten Besiedlungsschicht liegen die Reste ärmlicher Nieder-
lassungen, die sich als dritte, vierte und fünfte Schicht unterscheiden lassen, und
über der fünften Schicht endlich die Ruinen des historisch-griechischen und des
römischen Ilion. Als Schliemann 1890 durch die Angriffe des Hauptmannes a. D.
£. Boetticher' sieh veranlasst sah, mit Unterstützung Dörpfelds die Arbeiten in
1 Schliemann, Bericht über die Ausgrabungen in Troja im Jahre 1890, S. 41.
* Diese Anlagen stimmen ziemlich mit den später gefundenen Gebäuden auf den
Burgen von Tiryns und Mykenä, doch hatten sie quadratische Vorhallen, während die
der Königshäuser in Tiryns und Mykenä rechteckige Gestalt haben. Zwei mächtige
Thore finden sich in dem Südost über Süd nach West laufenden Mauerstück. Thürme
haben die beiden älteren Mauerlinien, die jüngste hat nur an der Südost-Seite, wo das
Steinfundament nur 1 m hoch ist, Thürme.
* Der Schliemann einer Fälschung von Ausgrabungs-Ergebnissen beschuldigt hatte
imd behauptete, Hissarlik sei nichts weiter als eine Feuemekropole.
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IS
Troja fortzusetzen, wurden über der fünften Schicht von unten die Spuren einer
bisher übersehenen Schicht gefunden, die sich zunächst durch die eigenthüm-
lichen, höchst charakteristischen Thongefäße ankündigte, welche ein sicheres
Kennzeichen der sogenannten mykenischen Cultur sind. Außerdem fanden sich
Reste stattlicher Gebäude, die zu dieser Ansiedlung gehörten. Dass Schliemann
nicht schon bei früheren Grabungen auf Spuren dieser Schicht gestoßen war,
kommt daher, dass die Römer bei ihrer Besiedlung des Ortes die Kuppe des
Burghügels sammt den Bauten früherer Zeiten wegschnitten, um ebenen Boden
zu gewinnen.! Dieser Planierung fielen die damals vorhandenen obersten drei
Schichten (die sechste, siebente und achte) zum Opfer, und nur gegen die Ränder
des Hügels erhielten sich die Bauwerke der sechsten, siebenten und achten
Schicht. Diese Ausgrabungen haben auch gelehrt, dass das von Griechen histo-
rischer Zeit bewohnte Ilion zwei Ansiedlungen unterscheiden lasse, eine ältere
aus dem siebenten Jahrhundert v. Chr. (siebente Schicht) und eine jüngere aus
dem dritten Jahrhundert (achte Schicht).
Es galt nun, diese Spuren der sechsten Stadt zu verfolgen. Allein zu Weih-
nachten 1890 starb Schliemann. Da hielt es seine Witwe, Frau Sophie Schlie-
mann, für ihre Pflicht, die Grabungen fortzusetzen und stellte Dr. Dörpfeld, dem
langjährigen Mitarbeiter ihres Mannes, die Mittel für eine dreimonatliche Arbeits-
zeit zur Verfügung. So konnten endlich im Jahre 1893 — der Ausbruch der Cholera
erlaubte es nicht früher — die Arbeiten fortgesetzt werden. Zum Abschlüsse ge-
bracht wurden sie aber erst Mitte Juli 1894, nach einer zwölfwöchentlichen
Arbeit, deren Kosten diesmal von dem deutschen Kaiser aus den Dispositions-
fonds bestritten wurden. Es gelang im Jahre 1894, die Festungsmauer der sechsten
Burgbesiedlung, soweit sie noch erhalten war, mit ihren Thürmen und Thoren
völlig frei zu legen und im Innern der Burg die Reste mehrerer Gebäude auf-
zudecken, die alle in einem beiläufig 40 m breiten Streifen neben der Mauer
gefunden worden sind. Die Burgmauer mit den Gebäuden wird später beschrieben
werden. Diese überraschenden Entdeckungen waren von außerordentlicher Trag-
weite ; sie brachten etwas Licht in das Dunkel, das über den zahlreichen mensch-
liehen Anbauten dieser merkwürdigen Stelle schwebt, denn die Zeit der sogenannten
mykenischen Cultur, der die sechste Burg angehören muss, lässt sich mit einiger
Sicherheit bestimmen.
Zweiter Abschnitt.
Die mykenische Cultur und das homerische Epos.
Mit dem Ausdruck „mykenische Cultur" wird eine bestimmte Stufe cultur-
geschichtlicher Entwicklung bezeichnet, die bisher fast in der ganzen Osthälfte
Griechenlands und auf den Inseln im östlichen Becken des Mittelmeeres nach-
» Auch hat Schliemann in seinem Eifer, die zweite Burg freizulegen, die etwa
noch vorhandenen Reste zerstört; denn was über der zweiten Burg lag, hat er bis auf
einige Erdklötze, die noch heute im Innern bis zur ursprünglichen Höhe aufragen, weg-
genommen.
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gewiesen worden ist. Die deutlichen Spuren ihres Einflusses lassen sieh aber
noch weiter verfolgen in Äg}pten, im westlichen Griechenland (Kephallenia),
in ünteritalien, Sicilien und Sardinien. Schliemanns Funde in Mykenä haben sie
zuerst bekannt gemacht und ihren Namen geprägt. Es war eine glückliche Fügung,
dass Schliemann mit Unterbrechung seiner Arbeiten in Troja durch seine Nach-
grabungen in Mykenä und Tyrins die mykenische Cultur entdeckt hatte, bevor
noch die Reste dieser Cultur auf Hissarlik zutage kamen. Die mykenische Cultur
ist im allgemeinen eine Bronzecultur und insofern eine den Bronzeculturen des
nördlichen Europas ähnliche Erscheinung. Aber durch die Zeit ihres Auftretens
und durch die hohe Stufe ihrer Entwicklung nimmt sie eine ganz andere Stellung
ein. Sie hat etwas Räthselhaftes an sich; sie bildet ein Problem, dessen Lösung
noch nicht völlig gelungen ist. Jedes Jahr bringt zahlreiche und bedeutungsvolle
Entdeckungen, und überraschende Zusammenhänge enthüllen sich. Für eine auch
nur oberflächliche Darstellung dieser Cultur ist hier nicht der ßaum,^ nur ihre
Kennzeichen sollen hervorgehoben werden. Das Wichtigste wird bei ihrer Ver-
glcichung mit der homerischen Cultur zur Sprache kommen.
Auf dem Gebiete der Baukunst gehören die gewaltigen Mauern, die man
kyklopische zu nennen pflegt, hieher mit ihren starken kunstvollen Thorbauten,
obschon sich auch in dieser Zeit Mauerwerk aus regelmäßiger gefügten Steinen
findet.' Ferner Palastbauten mit Säulenhallen (die Basen aus Stein, die Säulen
aus Holz). Endlich kunstvoll gebaute Kuppelgräber nebst einfacheren Schacht-
gräbern und horizontal in einen Berghang geschnittenen Kammergräbern. Spuren
in und vor den Gräbern zeigen, dass hier ein großartiger Todtencultus getrieben
wurde. Auf dem Gebiete der Kunst finden wir die Anfänge der Steinsculptur,
wie das Löwenthor von Mykenä zeigt, geschnittene Steine (besonders Carneol,
Achat, Bergkrystall, Jaspis, Amethyst) und eine MetfiUtechnik, die in eingelegter
und getriebener Arbeit Staunenswertes leistet. Hier bilden den Höhepunkt des
Könnens die berühmten fünf Dolchklingen (eingelegte Arbeit) aus den Schaeht-
gräbern von Mykenä uud die beiden Goldbecher (getriebene Arbeit) aus dem
Kuppelgrab von Waphie (Ba<psi6, 5 km südöstlich von Sparta). Diese Arbeiten sind
indes irgendwie durch den Orient beeinflusst. Völlig vollständig dagegen und mit
echtem Erfindungsgeist begabt zeigen sich die Mykenäer in der Herstellung und
Bemalung von Thongefäßen. Die eigenthüm liehe, gefirniste Topfware aus feinem
Thon mit aufgemaltem Ornament, zu dem Pflanzen und Seethiere verwendet
* Die Literatur bei G. Busolt, Griechische Geschichte, I, zweite Auflage, 1893,
S. 3— 5, der selbst S. 5— 126 eine gute Darstellung gibt. Seither kommen noch hinzu:
E. Beisch, Die mykenische Frage, Verhandlungen der XLII. Versammlung deutscher
Philologen in Wien, Leipzig 1894, S. 97— 122. — X. Ttouvt«;, Müxf,vat xa\ Äluxr^voio; jcoXt-
twjJwS«» 'AiHviiotv 1893. — G. Perrot et Ch. Chipioz, Histoire de l'art dans l'antiquitö,
tome VI, das umfassendste Werk mit zahlreichen Abbildungen, 1033 Seiten.
* Die Burgmauer auf dem Bruchstücke des Silbergefäßes aus dem vierten Schacht-
grab darf nicht, wie z. B. Ed. Meyer, Geschichte des Alterthums, II, S. 160, Anm., thut,
als Beweis angeführt werden. Sie ist ein Lehmziegelbau mit Holzverband (Reichel,
Über hom. Waflfen, S. 142).
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15
sind, besonders Polypen, Schnecken, Muscheln, Quallen, Seesterne, Fische, Algen,
Lilienblüten, Epheublätter und Palmbäume, sind daher auch nebst den Kuppel-
und Kammergräbern das sichere und entscheidende Kennzeichen dieser Cultur. Die
vollendetsten Vasen dieser Art, die des sogenannten dritten Stiles^ haben eine glan-
zende, glatte Oberfläche und einen gelblichen, warmen Farbenton. Die Firnisfarbe
der Ornamente .durchläuft alle Nuancen von Gelb bis Schwarzbraun . Diese
Vasen mit Firnismalerei zeigen eine so übereinstimmende Techmk, ^orm und
Ornamentik, dass sie alle an einem Ort gefertigt sein müssen, und alle Spuren
weisen nach Mykenä.^ Von hier wurden sie durch den Handel nach den fernsten
Küsten des östlichen Mittelmeeres verbreitet. Auch in der Form sind einige Ge-
raße charakteristisch: es finden sich Bügelkannen mit schmalem Ausguss und
kleinen Henkeln an den Schultern des Gefäßes. Diese Kunst der Thoutechnik
hat natürlich eine lange Zeit der Entwicklung durchgemacht Man setzt die
Blütezeit der mykenischen Cultur gewöhnlich in das fünfzehnte bis zehnte Jahr-
hundert V. Chr., ein Ansatz, der sich daraus ergibt, dass ia Mykenä und
anderwärts zusammen mit mykenischen Dingen ägyptische Gegenstände gefunden
worden sind, deren Zeit sich durch eingeschriebene Königsnamen bat bestimmen
lassen » Auch haben sich Vasen mykenischen Stiles in Ägypten gefunden mit
Gegenständen aus der Zeit der achtzehnten bis zwanzigsten Dynastie, also aus
der Mitte des vierzehnten bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts.* Die An-
fänge dieser Cultur müssen jedoch mindestens bis zum Beginn des zweiten Jahr-
tausends V. Chr. hinaufreichen, denn an mehreren Orten lässt sich eine Vorstufe
der mykenischen Cultur aus den Vasenscherben nachweisen. Auf einigen Inseln,
auf Kreta, Kypros, Thera, Amorgos, an der Ostküste Griechenlands« muss schon
um 2O0O V. Chr. eine Kunst -Industrie betrieben worden sein. Hier wurden die
Gefäße bereits durchgehends auf der Töpferscheibe hergestellt« und auf eine
bisher ganz unbekannte Weise in mattglänzender Firnisfarbe mit Pflanzen- und
Thier-Ornamenten bemalt. Es sind die ersten schüchternen Versuche, die spater
in Mykenä zu hoher Kunstentwicklung geführt haben.
« A.Furtwaengler und G.Loeschke, Mykenische Vasen, Berlin 1886, S. Vni.
« Furtwaengler-Loeschke a. a. 0, S. IX. ^ « o. r a a
» Reisch a a. O., S. 101. - Beloch, Griechische Geschichte, I, S. 84 f., Anm. d,
sagt allerdings, die Namen berühmter Könige sind noch Jahrhunderte nach dem Tode
ihrer Träger in Skarabäen geschnitten worden. Allein wenigstens gegen die Cartouche
Amenophis HL, 'Lcpr.{x. ao/. 1888, S 156, lässt sich dieser Einwand nicht erheben; ebenso-
wenig gegen die Scherbe ägyptischen Porzellans, '^w- 1891, S. 18 ff., wo ebenfalls der
Name des Amenophis III., also zum drittenmal erscheint.
* Flinders Petrie, Kahun, Gurob and Hawara, S. 42, Tafel 28. Beloch schließt
mit Unrecht daraus auf Beeinflussung mykenischer Keramik durch orientalische Muster.
» In Tiryns unter den Fundamenten des Königspalastes, in Eleusis bei Athen, m
Orchomenos in Böotien. x m_ • • a
• Die Töpferscheibe kennt man in Babylon seit den ältesten Zeiten. In Troja sind
die Gefäße der ersten Stadt noch nicht auf der Töpferscheibe hergestellt; m der zweiten
Stadt finden sich bereits infolge des östlichen Einflusses auf der Scheibe gedrehte
Gefäße.
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Auf Grund der charakteristischen mykenischen Topfware, die in der sechsten
Ansiedlung auf Hissarlik neben den natürlich weit zahlreicheren einfarbigen Ge-
fößen troischer Arbeit gefunden worden ist, rausste jene Ansiedlung in das Zeit-
alter der mykenischen Oultur verlegt werden. Bei dem Mangel an Inschriften tritt
gewissermaßen die Beschaffenheit der Gefäße und ihrer Verzierungen an die Stelle
schriftlicher Überlieferung. Freilich sollte man sich billig wundern, wenn auf der
hohen Entwicklungsstufe der mykenischen Cultur und bei ihrer nahen Beziehung
mit den großen Reichen des Ostens die Träger dieser Cultur in einem so wich-
tigen Punkt, wie die Kenntnis der Schrift, wirklich hinter ihren Nachbarn im
Süden und Osten des Mittelmeeres zurückgeblieben wären. Zwar sind auf den
Henkeln eines Steingefäßes und eines Thongefäßes ans Mykenä, auf zwei Am-
phoren aus dem Kuppelgrab von Minidi in Attika,* auf einem dreihenkligen
mykenischen Gefäß aus Nauplia» und auf einem steinernen Stößel aus Mykenä»
Zeichen erhalten, die offenbar Schriftzeichen sind, aber man hat darauf kein
Gewicht gelegt;* die ganze Oultur galt als analphabet Diese Behauptung ist
heute nicht mehr richtig. Der Director des Ashmolean - Museums in Oxford,
A. Evans, hat im Frühjahre 1894 reiche Funde auf Kreta gemacht,« denen zu-
folge man nicht mehr zweifeln kann, dass in der mykenischen Welt ein aus-
gebildetes Schriftsystem bestanden hat. Evans unterscheidet zwei Arten von
Schrift, eine ältere Bilderschrift, die an die ägyptischen Hieroglyphen und eine
jüngere lineare, die an die Alphabete von Kypros und Vorderasien erinnert.«
Die linearen Zeichen (hauptsächlich auf Siegelsteinen aus Steatit, Gefäßen und
geschnittenen Gemmen) zeigen eine überraschende Übereinstimmung mit den von
Flindors Petrie auf den Scherben von Kahun und Gurob in Ägypten gefundenen.
Von zweiunddreißig sind zwanzig geradezu gleich; etwa fünfzehn stimmen mit
Zeichen des kyprischen Silbenalphabetes überein. Evans will die hieroglyphenartige
Schrift, die übrigens keine Nachbildung der ägyptischen ist, der Eteokretern zu-
weisen und lässt sie bis in das dritte Jahrtausend hinaufreichen;' dagegen soll
die lineare den Mykenäern zugehören. Beide Systeme greifen ineinander über.
Übrigens fand noch Schliemann in der sechsten Stadt einen Wirtel von
brauner Terracotta mit Schriftzeichen, die der Assyriologe Sayce „ein herrliches
Beispiel kypriseher Epigraphie" nennt,« und sogar schon die zweite Stadt ent-
hält Siegel und Wirtel mit Zeichen,» die eine gewisse Ähnlichkeit mit den von
Evans in Kreta gefundenen haben.
> Tsandas, Mux^vat xa\ M. n., S. 218 f.
» 'ApxoioX. &XT10V, 1892, S. 73.
■ npoxTixa tffi ip-/^. ixaup, 1889, S. 9.
• So noch Perrot-Chipiez a. a. O., S. 985.
» Primitive Pictographs and a Praephoenician Script from Crete and the Pelopon-
Jonmal of Hellenic studies, vol. XIV, 1894.
• Beziehungen mit Syrien lassen sich ja in kretischen Funden nachweisen (S. 333).
» S. 862-371.
• Schliemann, Bericht über die Ausgrabungen in Troja, S. 25.
» Sayce in Schliemanns lUos, S. 766 ff. — Schliemann, Troja, S. 181.
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17
Zwei Fragen knüpfen sieh an die mykenische Oultur : Woher stammt sie
und was für ein Volk hat sie besessen? Die Beantwortung der ersten Frage ist
schwierig und jetzt noch kaum zu geben. Man hat für den orientalischen und
für den europäischen Ursprung der Cultur Grunde beigebracht. Indessen berührt
uns diese Frage hier nicht; umso wichtiger ist für uns die andere, was für ein
Volk Träger dieser Cultur gewesen ist.
Das Nächstliegende, dass es Griechen waren, glaubte man noch vor kurzem
nicht annehmen zu dürfen, weil angeblich die Funde von Mykenä eine starke
Abhängigkeit vom Orient verriethen.^ Man hat aber das Ungriechische, Barbarische
in der mykenischen Cultur überschätzt. Wir werden später sehen, wie lebendig
in den homerischen Gedichten die Erinnerung an die mykenische Cultur ist, wie
sie überall bei Homer noch durchleuchtet. Wer in den Trägern der mykemschen
Cultur keine Griechen sehen will, der kommt in die größten chronologischen
Verlegenheiten.« Es fiele dann die Einwanderung der Hellenen in Griechenland
in eine so späte Zeit, dass für eine Menge Ereignisse kein Raum bliebe. Mit
Beginn des ersten Jahrtausendes saßen schon in allen Hauptsitzen mykenischer
Cultur Griechen.» Die Ilias, schon im neunten Jahrhundert abgeschlossen, zeigt
eine so hohe Entwicklung von Sprache und Versbau, dass ihrer Abfassung ein
Jahrhunderte langes Leben vorausgegangen sein muss. Es ist ferner eine durch
Funde erwiesene Thatsache, das Kypros noch vor Beginn des ersten Jahrtausendes
von Griechen aus dem Peloponnes besiedelt worden ist,* was unmöglich wäre,
hätte der Peloponnes sich nicht schon einige Zeit im Besitze der Griechen be-
funden.« Überhaupt muss uns bei solcher Annahme die griechische Heldensage
unverständlich werden. Wenn Homer von dem goldreichen Mykenä und Tiryns
spricht, von Amyklai, vom böotischen Orchomenos, wenn er die Argonauten sage
kennt, wenn er Kreta in enge Beziehung zum Königshause von Mykenä bringt,
wenn er den Sänger Demodokos von den Ereignissen, die sich vor Troja ab-
gespielt haben, singen lässt, so bezieht er sich damit auf die mykenische Zeit.
Wären nun in diesen Mittelpunkten mykenischer Cultur Nicht-Griechen gesessen,
80 hätten die Sänger der homerischen Zeit ihren Hörern nicht die ruhmreichen
Thaten ihrer Vorfahren, sondern die Heldenthaten von Barbaren geschildert, was
bei dem Rassenstolz, der aus dem homerischen Epos überall spricht, geradezu
undenkbar ist. Wenn die Zuhörer nicht müde wurden, diesen Erzählungen immer
wieder zu lauschen, mussten sie nicht das Bewusstsein haben, dass diese Helden-
geschlechter ein inniges Band mit den Achaiern Homers verknüpfe?« Die ho-
merischen Gedichte preisen die Heroenzeit von Hellas, und diese fällt im wesent-
lichen mit der mykenischen zusammen, und die hervorragendsten Helden waren
* Dagegen R ei seh, Die mykenische Frage, S. 117.
* Ed. Meyer, Geschichte des Alterthums, ü, S. 131 f.
* Bei seh a. a. O., S. 107.
* Eeisch, S. 107; Busolt, Griechische Geschichte, I, S. 320.
e Beisch, S. 109.
Perrot-Chipiez a.a.O., S. 988.
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II 11
1 ii
Fürsten von mykenischen Culturvölkern. Also dürfen wir annehmen, dass die
Träger der mykenischen Caltur, wenigstens auf dem Festland, hauptsächlich
Griechen waren.
Tsundas hat den Beweis geliefert, dass in der Argolis zwei mykenische
Bevölkerungsschichten zu unterscheiden sind, in denen er die Achaier und die
Danaer Homers erkennt.* Die Danaer verknüpft die Überlieferung mit Argos und
der Meeresküste. Ihr Ahnhen Danaos ist mit der Hydrographie von Argolis
(Danaiden!) auf das innigste verbunden. Sie wohnten wohl ursprünglich vielfach
in Pfahldörfern und gründeten Tiryns, welches einmal rings von Sümpfen um-
geben war. Die Achaier dagegen saßen in und um Mykenä, im nördlichen und
gebirgigen Theil des Landes. Die Achaier sind die spätere Bevölkerung; als die
Danaer sich aasdehnten, stießen sie in Mykenä mit den von Norden über den
Pass von Derwenaki gekommenen Achaiern zusammen. Diese, erfahrener und
kriegerischer, behielten die Oberhand, ohne indessen die Danaer zu vertreiben.
Es scheint ein friedlicher Ausgleich stattgefunden zu haben ;> sie ehrten die
Gräber ihrer Feinde. Den beiden Bevölkerungsschichten entsprechen die zwei
Arten von Grabstätten, die Sehachtgräber und die Kuppelgräber.*
Sehr nahe verwandt mit den Danaern und ebenfalls Träger mykenischer
Giiltur, müssen die Minyer die Gründer von Orchomenos am Kopaissee gewesen
sein, die nicht nur in Böotien, sondern auch in Lakonien, am pagasäischen Meer-
busen, auf der Insel Thera, im Süden von Attika bei Sunion und Thorikos nach-
gewiesen worden sind; und alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, das Minos
und Minyas dieselben Namen sind und dass auch die Insel Kreta in den Kreis
der von den Minyern bewohnten Länder zu ziehen ist. Die Spuren ifaykenischer
Gultur haben sich ja in Kreta in reichstem Maße gefunden.^ Jüngst ist nach-
gewiesen worden, dass die im Schiffskatalog, IL, H 507, erwähnte Stadt Arne
in der heutzutage Gulas oder Gla genannten Burg auf einer Insel im östlichen
Theile des Kopaissees zu erkennen ist.'^ Auch dies ist eine echte mykenische
Burg, ganz ähnlich angelegt, wie das ursprünglich von Sümpfen umgebene Tiryns.
Arne steht in engster Verbindung mit der Trockenlegung des Kopaissees durch
* Tsundas a. a. 0., S. 239—245.
* Nach der Sage wird Mykenai von Perseus, einem Nachkommen des Danaos
ans Tiryns, gegründet und seine Nachkommen herrschen in Mykenai bis Eurystheus;
dann geht die Herrschaft auf Atreos und Thyestes, das heü3t auf die Achaier über.
Tsundas vermuthet ansprechend (S. 242), dass, da die Burg Mykenä zwei Bauperioden
zeigt, eine ältere, in der die Mauer einen ähnlichen Zugang wie in Tiryns hatte, und
eine jüngere, in der die Burg erweitert und das Löwentiior angelegt wurde, die ältere
der Gründung des Perseus entspreche (dazu würden die Schachtgräber im sogenannten
Oräberrund gehören), die jüngere dagegen mit den außerhalb der Burg befindlichen
Kuppelgräbem der Herrschaft der Atriden.
* Ähnlich schon Per rot, Journal des Savants, 1892, S. 449.
* Vgl. jetzt besonders Evans a. a. 0., S. 270 ff.
^ F. Noack, Arne, Mittheiluugen des archäologischen Institutes in Athen, 1894,
S. 405-485.
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die Minyer,! eines Riesenwerkes uralter Zeiten, welches den ganzen See in frucht-
bares Ackerland verwandelt hatte. Diese großartige Culturleistung ist eine That,
die allen späteren Zeiten, trotz wiederholter Versuche im Alterthum und in der
neueren Zeit, nicht wieder gelungen ist.^ Erst in der neuesten Zeit hat eine
französische, jetzt eine englische Actiengesellschaft die Austrocknung des Sees
erfolgreich in die Hand genommen. Mit genialer Einfachheit sind die Minyer
zuwerke gegangen. Sie fiengen die drei Hauptzuflüsse des Sees in drei gewaltigen,
zum Theil noch gut erhaltenen Steincanälen auf und leiteten sie zu den natür-
lichen im Nordosten des Sees befindlichen Abzugshöhlen oder Katawothren, die
in dem verkarsteten Hellas allenthalben vorkommen. Eine solche Arbeit konnte
nur von einem Volke ausgeführt werden, dem tausende von Sclavenhänden zur
Verfügung standen. Orchomenos' Blüte beruht auf dieser Trockenlegung der
Kopaisebene. Eine ganze Reihe von mykenischen Befestigungen diente zur
Sicherung des Höhenzuges im Nordosten des Sees, der die Katawothren enthielt.
Eine Verstopfung derselben hätte eine Katastrophe herbeigeführt.
Nachdem wir so die mykenische Cultur als die Cultur einer hellenischen
Bevölkerung kennen gelernt haben, wollen wir unsere Blicke wieder nach der
Troas richten. Auch hier ist in der sechsten Schicht eine mykenische An-
siedlung erkannt worden, und wir haben nun in den wichtigsten Gegenden, die
die Ilias in ihren Bereich zieht, Sitze mykenischer Cultur. Troja mit seiner
günstigen, die beiden Hauptthäler des Landes und den Hellespont beherrschenden
Lage war gewiss ein besonders bedeutender Ort der mykenischen Welt, ein stark
besuchter Handelsplatz, der Hauptort eines Stammes, der durch Ackerbau, Handel
und wohl auch Seeraub seinen Reichthum begründet hatte. Nichts ist natürlicher,
als dass Troja infolge dessen in einen Kampf mit dem Vorort mykenischer Cultur
in der Argolis gerieth. Die bisherige Meinung, dass die Sage vom trojanischen
Krieg ein Reflex der Kämpfe sei, welche die Äoler bei ihrer Pestsetzung in der
Troas mit der einheimischen Bevölkerung zu bestehen gehabt hätten, ist unhaltbar.
Schon vor einiger Zeit hat Ed. Meyer nachgewiesen, dass es vor dem Jahre 700
schwerlieh griechische Colonien in der Troas gegeben hat,» weder jonische noch
äolische. Folgerichtig betrachtet daher Ed. Meyer als historischen Kern der Sage
vom trojanischen Krieg die Zerstörung Trojas durch einen Heereszug pelopon-
nesischer Fürsten oder vielmehr des Königs von Mykenä und seiner Mannen.*
Es hat wohl schon mancher die Ansicht ungereimt gefunden, dass die Kämpfe
um Troja nur ein Abglanz der späteren Kämpfe der griechischen Ansiedler in
Kleinasien sein sollen, allein man schwieg und den kühnen Schritt Ed. Meyers
wagte man nicht ; es schien die Bestätigung zu fehlen. Die haben wir nun durch
« P. Noack, S. 409.
» Curtius, Die Deichbauten der Minyer, Sitzungsbericht der preußischen Aka-
demie, 1892, Gesammelte Abhandlungen, I, S. 268 ff.
in Griechenland und seine Umgebung, Berlin 1894.
« Geschichte von Troas, Leipzig 1877, S. 79 f.
* Geschichte des Alterthums, II. B., S. 207.
A. Philipp son, Der Kopaissee
2*
20
die Entdeckung Dörpfelds in Händen. Ein seekundiges Volk, dem ein solcher
Kriegszug über das Meer wohl zuzutrauen ist, waren die Mykenäer gewiss.
Dies zeigt schon ihre dem Thier- und PÜanzenlebon des Meeres entnommene
Ornamentik. Die Entdeckungen auf den Inseln und Küsten des östlichen Mittel-
meeres lassen uns das Bild der mykenischen Cultur immer großartiger erscheinen.
Namentlich Kreta mnss neben Mykenä, Orchomenos und Troja einflussreich ge-
wesen sein. Von Kreta aus lassen sich in ältester mykenischer Zeit Beziehungen
mit Ägypten und Vorderasien, mit dem Peloponnes und Thessalien nachweisen.»
Endlich ist es wenigstens sehr wahrscheinlich, dass die auf ägyptischen Bild-
werken Yom vierzehnten Jahrhundert an yorkommenden fremden Söldner, die
Sardana heißen und auch noch in den folgenden Jahrhunderten erscheinen, sowie
andere, als Nord- und Seevölker bezeichnete in den Kreis der mykenischen Völker
gehören.*
Diese große und reiche Cultur scheint nun auf dem griechischen Fest-
lande plötzlich abzubrechen, sie verschwindet fast mit einemmale. Besonders in
der Kunst bemerkt man diesen Riss. Es gibt keine Fortentwicklung der Kunst-
formen und der Technik, die wir in den Goldbechern von Waphiö, in den my-
kenischen Dolchklingen und in den charakteristischen Thongefäßen bewundern.
Was die Kunst demnächst in Hellas hervorbringt, das sind Erzeugnisse eines
tiefer stehenden Stiles, des sogenannten geometrischen, der sich zunächst in geo-
metrischen Ornamenten zu erkennen gibt, die eine Ähnlichkeit mit Ornamenten
auf Geräthen der Hallstadtcultur haben. Die reiche Fülle der mykenischen Muster
wird durch einfcirmigen, Hnearen Schmuck verdrängt; Zickzacklinien, Hakenkreuze,
Rauten, concentrische, mit einem Mittelpunkt versehene Kreise, die unter sich
durch Tangenten zu fortlaufenden Reihen verbunden sind (nicht Spiralen), be-
herrschen die Decoration; und wenn Darstellungen aus dem Leben auftreten, so
sind die Figuren steif und eckig, ein auffallender Rückschritt gegen die myke-
nische Zeit. Für diesen plötzlichen Riss gibt es nur eine Erklärung: den Ein-
bruch nördlicher Stämme in Griechenland, eine Völkerbewegung, deren südlichster
Ausläufer als Einwanderung der Dorier in den Peloponnes bekannt ist. Nur auf
Kreta scheint diese Unterbrechung nicht eingetreten zu sein,» denn Kreta ist von
dieser Völkerwanderung nur in unbedeutendem Grade getroffen worden. Der
Zusammenhang mit dem Orient ließ es hier nur zu einer Kreuzung und Weiter-
bildung, nicht zu einer Unterbrechung kommen. Übrigens darf man nicht glauben,
» Evans a. a. O. mehrfach. — Die großartigsten Reste mykenischer Cultur finden
sich nicht an der Stelle des alten Knossos, sondern im östlichen Theil der Insel an der
heute Gul4s (auch hier wieder dieser albanesische, „Thurm" bedeutende Name) genannten
Stätte in der Nähe des Hafens von St. Nicolas (an der Bai von Mirabella). Hier sind
nicht nur erstaunliche Baureste, sondern auch (selbst ohne Grabungen) Bronzewaflfen,
Intaglien, Steingefäße u. dgl. zu finden. (Evans, S. 277.) Die Ansiedlung wird von Evans
in das fünfzehnte Jahrhundert gesetzt.
■ Die Sardana sind doch wahrscheinlich Sarden. Sieh W. Max Müll er, Asien und
Europa nach altagyptischen Denkmälern, Leipzig 1893, S. 371 ff.
• Evans a. a. O., S. 369.
4 ^
21
dass die mykenische Oultur verschwindet, ohne ihre Wirkung auf die roheren
Eindringlinge zu äußern; mancheriei wird von ihnen übernommen und m die
historische Zeit herübergerettet worden sein. So ist z. B. zwar die Ornamentik
der mykenischen Vasen untergegangen, „aber ihre Technik hat sich fortgepflanzt
und bildet die Grundlage für die Herstellung aller hellenischen Vasengattungen«.
Im ganzen Kreise der den Alten bekannten Länder haben nur Griechen - und
wer es wie nachweislich die Etrusker, von ihnen gelernt hat - die Kunst ge-
kannt, mit glänzender Firnisfarbe zu malen.» Auch der Grundriss des myke-
nischen Fürstenhauses hat sich durch die Zeiten hindurch erhalten; der Thor-
bau mit Säulen, wie ihn die Propyläen auf Tiryns zeigen, kehrt immer wieder
in der griechischen Kunst, und der Prachtbau des Mnesikles auf der Akropolis
von Athen geht in letzter Linie auf jene tirynthischen Thorbauten zurück.
Betrachten wir nun die Oultur, welche uns in den homerischen Gedichten
entgegentritt, so kommen wir zum Schlüsse, dass die Gedichte Voraussetzungen
haben, die in eine weit frühere Zeit als die des Dichters ist, in die mykenische,
zurückgreifen. Bekannt genug ist ja, dass Homer in seinen Zeitgenossen Schwäch-
linge sieht gegenüber den Helden des Epos.» Das großartige Unternehmen eines
Kriegszuges nach Kleinasien, an dem sich eine stattliche Zahl von Fürsten aus
Hellas betheihgte, ist in der Zeit, in der die homerischen Gedichte entstanden
sind (neuntes bis siebentes Jahrhundert v. Chr.), ganz undenkbar. Eine so weit-
gehende Zusammenfassung der Volkskraft setzt einen Herrscher voraus, der in
den patriarchalischen Staats Verhältnissen Griechenlands gerade zu dieser Zeit sich
nirgends findet. Eine solche Machtentfaltung war nur in der mykenischen Zeit
möglich, in der übermächtige Herrschergeschlechter lebten, die einen unerhörten
Eeichthum» auf ihren gewaltigen, uneinnehmbaren Burgen hüteten und verthei-
digten, Fürsten, die über zahllose Knechte gebieten mussten, um Bauten auszu-
führen, die noch heute unsere Bewunderung erregen. Hier hausten keine Can-
tönüfürsten wie später, sondern Großherren mit weitreichender Macht zu Wasser
und zu Land. Eine unerkläriiche, räthselhafte Macht hält die Fürsten vor Troja
zusammen. Agamemnon scheint nicht mit den Machtmitteln ausgerüstet, um diese
Leistung zu Stande zu bringen. Man begreift nicht, warum nicht der eine oder
andere es ebenso macht wie Achilles, dem Streite entsagt oder sich nach Hause
begibt. Was hätte Agamemnon dagegen thun können? Der Dichter macht uns
diese Fügsamkeit nicht recht inneriich wahrscheinlich. Es ist eben die mit der
Sage herübergerettete Vorstellung von dem übermächtigen König einer mächti-
geren Vorzeit, die wie ein Zauberbann wirkt und dieses Wunder zu Stande bringt.
Eine Andeutung gibt wohl auch Homer, wenn Nestor sagt, dass Agamemnon
über mehr Mannen herrscht (7r>.e6vs(j<7iv ava<7<7et), aber weiter wird das nicht aus-
geführt.
* Purtwaengler-Loeschke a. a. 0., S. Vil.
* Daher öfter oToi vUv ßpotof ebtv.
» Der bloße Metallwert des in den sechs Schachtgräbern von Mykenä gefundenen
Goldes beträgt rund 100.000 Francs.
22'
Aber diese reichsfürstliche Stellung Agamemnons ist nicht das einzige, was
uns auf alte Zeiten weist. Auch viele greifbare Dinge, die die beiden Epen
schildern, sind erst durch die Funde aus der mykenischen Zeit recht klar ge-
worden. Es ist noch nicht lange her, dass man sich über den lustig machte, der
die mykenischen Funde Schlieraanns in Beziehung zu Homer brachte und die
homerischen Eealien durch sie erklären wollte. Heute denkt man anders. Heibig
(Das homerische Epos aus den Denkmälern erläutert, zweite Auflage, Leipzig 1887)
hat den gelungenen Versuch gemacht, Mykenisches in weiterem Umfang zur Er-
klärung heranzuziehen ; aber auch Heibig schlägt die Berührung der mykenischen
und der homerischen Cultur zu gering und phönikischon und überhaupt orien-
talischen Einfluss viel zu hoch an. Die Entdeckungen liefern immer mehr den
Beweis, dass Mykenisches und Homerisches in engerer Beziehung stehen, als man
dachte. Der ganze Bestand der mykenischen Cultur kann und muss zur Erläuterung
Homers noch tüchtig ausgeschöpft werden. Die Fürstenhäuser, in die die Odyssee
uns führt, sind in allem Wesentlichen so eingerichtet wie der Palast in Tiryns.^
Der ist wie eine Illustration zu Homer. Wir finden hier die Thore, Vorhallen,
die säulenumgebenen Höfe, den Männersaal und den Frauensaal, auch den Bade-
raum der homerischen Anaktenhäuser wieder. Selbst der Kyanosfries, jener Fries
aus dunklem Schmelz, mit dem das Megaron des Alkinoos geschmückt ist, lässt
sich aus den Funden in Tiryns nachweisen.
Ein für das Verhältnis der mykenischen zur homerischen Cultur besonders
wichtiges Capitel bilden die Waffen. Funde von Schwertern und Lanzenspitzen
und die auf mykenischen Kunstgegenständen erhaltnen Abbildunegen von Kriegs-
und Jagdscenen setzen uns in den Stand, eine Vorstellung von den Waffen der
mykenischen Zeit zu gewinnen. Da sind nun die auffallendsten Stücke der große
mykenische Schild und der Streitwagen.» Dieser Schild reichte dem Träger vom
Hals bis unter das Knie und wurde an einem Tragriemen um die linke Schulter
getragen und theils mittels dieses Riemens, theils mittels eines Spreizstabes ge-
lenkt. Da der Schild aus mehreren Schichten dürrer Stierhäute bestand, die in
der Nässe ihre Form verlieren mussten, so brauchte er schon zur Festigung seiner
Form wenigstens zwei Spreizen. Die Längsspreize, die verhindern musste, dass
der auf die Kante gestellte Schild einklappe, konnte allenfalls auch als Rippe im
Innern verlaufen, besonders wichtig aber war die Querspreize, die vom Rande
an beiderseits wohl auch eine Strecke weit als Rippe ins Schild-Innere führte,
dann aber als starrer Stab frei wurde. Demgemäß hat der mykenische Schild
etwas oberhalb der Mitte beiderseits eine Einschnürung, so dass er in zwei durch
sie getrennte Bäuche zerfällt. Der Schwerpunkt lag in der unteren größeren Hälfte
des Schildes, was seine Handhabung wesentlich erleichterte. Kämpft der Mann
nicht und geht er zu Fuße, so schiebt er den Schild mittels des Tragriemens
» D. Joseph, Die Paläste des homerischen Epos, Berlin 1893. — P. Dörwald,
Der Palast des Odysseus, Neue Jahrb. f. Ph. n. P., 150. Bd., S. 1 ff.
« Vergleiche über den Schild die meisterhafte Untersuchung W. Reicheis, Über
homerische Waffen, Wien 1894, S. 5—18, und Über den Streitwagen, S. 63 ff.
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23
auf den Rücken. Diese schwere Schutzwaffe, deren Handhabung eine besondere
Schulung voraussetzt, war eine Herrenwaffe, und ihr Träger bediente sich wohl
häufig eines Streitwagens, wodurch es ihm möglich wurde, seine Kräfte für den
Kampf zu sparen und nicht vorzeitig zu schwächen. Wir finden nun diesen ge-
waltigen Schild auch im homerischen Epos wieder. Es ist die ^^k ^^'m'^J^^
der den ganzen Mann deckende Schild (II., II 389; XI 32; XII 402; XX 281),
der einmal auch TroSwxvi? {XV 646), bis zu den Füßen reichend, genannt wird.
Ihn trägt z B. Hektor (VI 117), vom Schlachtfelde heimkehrend, auf dem Rucken,
wobei ihm der Schildrand an den Nacken und an die Knöchel sehlägt. Ihn tragen
Nestor (VHI 193) und Idomeneus (XIH 407), an deren Schilden von Homer
auch die beiden Spreizstäbe, hier xxvovs; genannt, hervorgehoben werden. Ebenso
trägt ihn Aineias (XX 278 u. 281). Einen mykenischen Schild von gewaltigstem
Ausmaße, einem Thurm vergleichbar, trägt der Telamonier Aias cp^pcov <iixo; yiuts
TTipvov (VII 219 ; XI 485 ; XVII 128). Und so tragen manche hervorragende
Helden der Ilias solche Schilde. Den Tragriemen nennt Homer tsXx.xc^v (II 388 ;
V 796, 798 ; XI 38 und an anderen Stellen). Sogar das Exercieren mit dem
schweren Schilde, den Kunstgriff, ihn mit dem Telamon andauernd nach hnks und
nach rechts werfen zu können, kennt Homer, der den Hektor vor Beginn des Zwei-
kampfes mit Aias sich dessen rühmen lässt. Freilich darf man nicht glauben,
dass Homer nur diesen großen mykenischen Schild kennt. Manche Stellen der Ilias
sind nur verständlich, wenn man an den kleineren Rundschild denkt, der mit der
linken Hand an einem Bügel gehalten wurde. ^
Um das Anschlagen des großen Schildes an die Schienbeine zu mildern,
trug man in mykenischer Zeit Gamaschen aus Zeug oder Leder, die wohl bis-
» Reichel, der fiir die Ilias nur den großen Schüd gelten lässt (nur K 152; A 32-40
und 373 sei der jüngere Schild eingedrungen), schießt offenbar über das Ziel liinaus.
Es ist nicht einmal völlig sicher, dass der Rundschüd der mykenischen Cultur noch un-
bekannt war. Die Denkmäler sind nicht ohne Spur des Rundschildes. Maxim. Mayer
führt, Berliner Phil. Wochenschrift, 1895, S. 516 f., die Scherbe ägyptischen PorzeUanes
an, auf der der Bügelschüd zu ergänzen ist, sowie die allgemein für eine Schüdnach-
bildung gehaltene Holzplatte aus dem fünften mykenischen Schachtgrabe, die sich in
der That wegen ihrer Kleinheit (kaum V. "* Durchmesser) und wegen ihrer Form nicht
zu einem gewölbten mykenischen Schild ergänzen lässt. Endlich fahren die fremden
Söldner auf ägyptischen Büdwerken des vierzehnten Jahrhunderts, die vielbesprochenen
Sardana, nicht den Rundschüd. Reichel zieht sie als Nichtgriechen nicht in Betracht.
Aber sie scheinen doch ein Volk gewesen zu sein, das in den Kreis der mykenischen
Cultur gehört, wie der hömergeschmückte Helm und das mykenische Schwert beweisen,
und de Rouge s Vermuthung, dass darunter Sarden zu verstehen sind, ist durch W. Max
Müller (a. a. O., S. 371 ff.) aufs neue gestützt worden. Aber auch abgesehen von diesen
Dingen, verlangen, wie Scheindler (Zeitschrift für österreichische Gymnasien, 1895,
S. 398 ff.) zeigt, mehrere Stellen der Ilias die Annahme des kleineren Rundschildes. Zwar,
dass Achilles und Hektor bei dem Lauf um die Stadt aus dem Grunde den mykenischen
Schild nicht gehabt haben können, weil man damit nicht schnell laufen könne, wie
Scheindler annimmt, ist doch kein Argument. Dass Homer seine Helden nicht Unmög-
liches vollbrmgen lasse, ist unrichtig. Ein dreimaliger Waffenlauf um die Stadt mit der
SchneUigkeit des Falkenfluges, X 139, ist auch in der einfachsten Bewaffnung unmögüch;
u
weüen auch Metallbeschlag hatten, z. B. von Zinn bei Achilles ; solche Gamaschen
sind auch bei Homer unter den xvnixTSe? zu verstehen.*
Als Kopfschutz trug der mykenische wie der homerische Krieger nicht
einen Visierhelm, sondern eine Kappe oder Helmhaube aus Leder (ausnahms-
weise auch aus Metall), die um den unteren Rand über den Schläfen durch
einen ehernen Beif ((its9<4vyi) abgeschlossen wurde.« Zur Befestigung diente ein
Sturmband (l;ii<).
Zum Schmuck und zur Erhöhung des Eindruckes war der Helm nicht nur
mit einem Busch aus Rosshaaren 06<po;) versehen, sondern auch mit dem 9^X0;,
der kein Helmbügel, sondern höchst wahrscheinlich ein metallener, hornartiger
Vorsprung war, welcher, entweder einzeln oder mehrfach am Helm angebracht.
einen Stein, den zwei kräftige Männer nicht tragen können, kann unmöglich einer
(E304) mit Leichtigkeit schwingen und schleudern. Mit solchen Beweisgiünden soUte man
nicht kommen. Schon Aristoteles (Poetik, 35) hat üher jenen WafFenlauf richtiger geurtheüt.
Aber an vielen anderen Stellen wird man Scheindler zustimmen müssen. Ich fuge noch
folgenden Grund hinzu: Wenn, 11 214 f., die Myrmidonen vor Achilleus stehen, Schüd
an Schild, so eng aneinander geschlossen, wie die Steine einer kunstvoll gebauten Mauer,
so ist erstens so enge Fügung bei der Form des mykenischen Schildes nicht möglich,
zweitens ist der mykenische Schild eine Herrenwaffe, die nicht der Masse zukommt.
Das Gleiche gut gegen ^1 105, ^ 127; er ist durchaus far den Einzelkampf berechnet,
und die Myrmidonen konnten ihn nicht geführt haben. Man beachte aber, dass n zu
den ältesten Schichten der Dias gehört und dass diese Stelle, soviel ich sehe, noch von
keinem Kritiker angefochten worden ist. — Schwierig ist die durch Reichel aufge-
worfene Panzerfrage. Neben der mächtigen Schutzwaffe des mykenischen Schildes war
nach Reichel ein Panzer unnöthig und unmöglich. Die Odyssee kennt den Panzer nicht
und auch in der Ilias sind viele Helden panzerlos und an manchen Stellen, wo er vor-
kommt, zeigt, sagt Reichel, die Schilderung der Kämpfe und Verwundungen, dass sie
eigentlich ohne Panzer gedacht und mit dem Panzer unverständlich sind. Hieher gehört
besonders V 857 ff. (= U 251 ff.), wo des Menelaos Speer Schild und Panzer des Paris
durchbohrt hat und dieser doch noch im Stande ist, durch eine rasche Körperbewegung
auszuweichen: o &*lxXiv»ij xoi iXsua^o xf.pa {xAaivav; jeder Unbefangene wird die hinter xoi
stehenden Worte als Folge des exXiv^, auffassen, was nothwendig den Panzer ausschließt.
Scheindler sucht für diese und weitere Stellen durch zwar scharfsinnige, aber etwas
gezwungene Erklärungen den Panzer zu retten. Dennoch scheint mir soviel sicher zu
sein, dass sich schwache Spuren der panzerlosen mykenischen Zeit bei Homer erhalten
haben. Eine Einschränkung wird die Annahme Reicheis auch insofeme erfahren müssen,
als Reichel nur den Plattenpanzer im Auge hat. Man darf aber mit einigem Rechte auch
an einen mit Metall besetzten Rock denken, den man als Panzer nahm (M.Mayer,
Berliner Phil. Wochenschrift, 1895, S. 484 f ), und das Beiwort der Achaier yaXxoyixwve?
scheint diese Annahme geradezu zu verlangen. Reichel will, S. 110 f., darin einen bild-
lichen, auf den Schild bezüglichen Ausdruck finden ; der mykenische Schild ist ihm das
verhüllende Gewand, eine Ansicht, die wohl keinen Beifall finden wird.
» Reichel a. a. 0., S. 72—79. Dass aber die Existenz solcher xvt,{xi86? nicht durch
den mykenischen Schild hervorgerufen sein kann, zeigt M. Mayer, Berliner Phil. Wochen-
schrift, 1894, S. 514. Sie kommen ja auch bei Leuten vor — auf mykenischen Denk-
mälern — die keinen Schild tragen, überhaupt nicht bewafihet sind.
* Über die Helme Reichel a. a. 0., S. 112—128.
25
auch als Hiebfänger diente.* Manchesmal war die Lederkappe reihenweise mit
Eberzähnen besetzt; einen solchen Helm trägt Meriones IL, X 263.«
Die Angriffs Waffen der mykenischen Zeit sind natürlich aus Bronze; ebenso
kennt die Ilias bis auf zwei Verse (IV 123 und XVIH 34) nur bronzene Schwerter,
Lanzen und Pfeile, und doch kamen in der Zeit, in der die Ilias ihren Abschluss
erhielt, schon eiserne Waffen in Gebrauch. Aber die merkwürdige Treue, mit der die
Ilias mitunter Zustände des älteren Kriegswesens bewahrt hat, geht noch weiter.
Jüngst ist von H. Kluge« der Versuch gemacht worden, einige erhaltene bild-
liche Kampfscenen aus mykenischer Zeit in homerischen Kampfdarstellungen
wiederzuerkennen. Diese Darstellungen finden sich auf dem Kasten eines Gold-
ringes, auf einem geschnittenen Sardonyx, auf drei goldenen Schiebern eines
Schmuckes, auf einer Dolchklinge und auf einer Grabstelle. Hier soll nur die
Darstellung hervorgehoben werden, die die größte Ähnlichkeit mit einer homerischen
hat ; sie findet sich auf dem Goldringe* und stimmt allerdings erstaunlich mit der
Scene der Ilias IV 517—538 überein, wo erzählt wird, wie der Epeierkönig
Diores von dem Thraker Peiroos mit einem Stein am rechten Fuß verwundet
und dann durch einen Lanzenstoß in den Bauch vollends getödtet wird, worauf
der Aetolerfürst Thoas den Peiroos mit der Lanze in die Brust trifft und ihm
dann sein Schwert in den Leib stößt. Die Waffen aber kann er ihm nicht rauben,
denn schon kommen die anderen Thraker gegen ihn heran. Den Getödteten
(Diores), den Rächenden (Thoas), der sein Schwert gegen den Leib des infolge
der ersten Wunde Zusammenknickenden (Peiroos) zückt, und den von rechts Herbei-
eilenden (einen, statt mehrerer) sieht man wirklich ganz deutlich auf dem Siegel-
ring; sogar den Stein will Kluge auf dem Bilde neben dem Fuße des Todten
erkennen. Auch ein Zweifler muss das eine zugestehen, dass eine große Über-
einstimmung der Auffassung in den mykenischen Bildern und in gewissen Schil-
» Diese Vorsprünge hätten nach Reichel dem Hehn die Bezeichnung aOXoijct?
(— röhrenaugig), K 182, A 352, verschafft. Waren sie nämUch zu zweien vom auf dem
Hehn angebracht, so mochte die Phantasie in diesen wie Fühlhörner vorragenden ?iXot
Augen sehen. Diese unwahrscheinUche Annahme beruht nur auf den Helmen der „my-
kenischen Kriegervase" (Furtwaengler-Loeschke, Mykenische Vasen, Tafel XLH,
XLHI; Schuchhardt, Abbüd. 300, 301), diese gehört aber dem sogenannten vierten
Stil an, soUte daher nicht mehr in Betracht kommen und wird auch von Reichel, S.60,
für die Schüdfrage ausgeschaltet. — Mitunter und ursprünglich mögen wohl wirkUche
Hörner als ^iXoi gedient haben, wie ja die Sitte, den Helm mit Hörnern zu besetzen,
sich lange erhalten hat; wenigstens trug Pyrrhus von Epirus nach Plutarch auf semem
Hehn Bockshörner. Man mag damit auch die asiatische (?) Sitte vergleichen, das Kopf-
geschirr der Pferde mit Büffelhömem zu besetzen, woher wohl der Name Bukephalas.
« Vgl. auch Tsundas, IVMvat, S. 80, über ein Häufchen bearbeiteter Eberzähne
aus dem dritten Schachtgrab von Mykenä; diese Zähne stammten zweifeUos von emem
solchen Helm, dessen Leder vergangen ist.
« Vorhomerische Abbildungen homerischer Kampfscenen, Fleckeisens Jahrbuch,
1892, S. 369-385.
* Abgebüdet bei Schliemann, Mykenä, Nr. 334; Schuchhardt, Schüemanns
Ausgrabungen«, Nr. 231; Reichel, Fig. 11 (Abdruck, also verkehrt).
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deruDgen der Ilias besteht. Darin freilich geht Kluge zu weit, wenn er die fast
übermäßig oft in der Ilias erscheinende Benutzung des Löwen in Gleichnissen
aus der großen Beliebtheit des Löwen als Motivs bildhcher Darstellung in der
mykenischen Cultur erklärt. Beide Erscheinungen wurzeln vielmehr in demselben
Boden. Der Löwe war in der mykenischen Zeit in Griechenland, Thrakien und
Kleinasien gewiss nicht selten ; er wurde gejagt, und die Jagd war damals noch
kein Sport. Er ist. damals das Thier xät e^oyviv gewesen. Darum hat ihn nicht
nur die mykenische Kunst so oft verwendet, sondern auch die älteste, vorhomerische
Poesie hat sich seiner bemächtigt, und darum erscheint er noch bei Homer so
häufig und mit ganz anderer Berechtigung als im Nibelungenlied, wo Siegfried
(879, 1) durch einen Pfeilschuss einen Löwen tödtet.
Bekannt genug ist, dass die homerischen Helden im Kampfe und auch sonst
nie reiten. Hievon macht nur die jüngere Dolonie eine Ausnahme. Und doch war
das Reiten im neunten und achten Jahrhundert gewiss schon bekannt. In der
dreiunddreißigsten Olympiade, also um die Mitte des siebenten Jahrhunderts,
wurde das Wettrennen mit Bossen in die olympischen Spiele aufgenommen, was
eine lange Bekanntschaft mit dem Reiten voraussetzt. Das Epos hat hier wieder
einen Zug der Vorzeit mit großer Zähigkeit festgehalten und keinen Anachronismus
hineingebracht.
Die lebhaftesten Beziehungen zur mykenischen Cultur treten dort zutage,
wo Homer von Kunstgegenständen spricht. Vor den Ausgrabungen Schliemanns
musste man den Schild des Achilles, den Becher des Nestor, die goldene Spange
des Odysseus und dergleichen Kleinodien für reine Phantasiegebilde halten, die
bei der geringen Culturhöhe der ältesten historisch-griechischen Zeit einfach un-
verständUch waren — denn auch die Phantasie arbeitet nur auf Grund lebendiger
Anschauung weiter. Heute weiß man, dass solche Prachtstücke wirklich existiert
haben, dass ihre Erwähnung auf Anschauung beruht — natürlich hat sie nicht
Homer selbst gesehen — oder dass sie mindestens treflflich im Geist und Cha-
rakter der mykenischen Zeit erdacht sind. Der bekannte goldene Becher aus dem
vierten mykenischen Schachtgrab ist ja ganz wie ein Vorbild des Nestorbechers
(II., XI 632), nur die Zahl der Henkel und Tauben ist ungleich. Dass der Schild
des Achilles vom Dichter als mykenischer und nicht als Rundschild gedacht ist,
bat Reiehel gezeigt. Der Bilderschmuck passte technisch, räumlich und inhaltlich
vortrefflich für einen mykenischen Schild. Die Technik, die Hephaistos anwendet,
der mit Bronze, Gold, Silber, Zinn und dunklem Schmelz (xuotvo?, XVIII 564)
arbeitet, zeigt eine schlagende Übereinstimmung mit der Arbeit auf den Dolch-
klingen von Mykenä. Auf die Anordnung der Bilder kann hier nicht eingegangen
werden.* Reiehel ist der Ansicht, dass es sich bei dem Schilde des Achilles um
eine wirkliche Prunkwaffe handelt, „die, so wie sie beschrieben ist, dem Dichter
Yor Augen war". Unter dem Dichter ist natürlich der Dichter des betreffenden
epischen Stückes zu verstehen, welches von Homer herübergenommen worden ist.
* Belchel a. a. O., S. 43 ff.
27
Was die Tracht anlangt, so tragen allerdings die Männer auf mykenischen
Denkmälern oft nur einen badehosenartigen Schurz, z. B. in der Löwenjagd auf
der Dolchklinge; dennoch kennt schon die älteste mykenische Zeit auch den
Chiton.i Wir werden annehmen dürfen, dass er gegen das Ende der Periode, in
die ja der trojanische Krieg zu setzen ist, immer häufiger wurde. Gamaschen
trug nicht nur der mit dem schweren Schild bewehrte Krieger, sondern man
hatte, wie viele Denkmäler zeigen, auch im Frieden Anlass, seine Beine damit
zu schützen; so trägt auehLaertes bei seinen Arbeiten im Garten (Od., XXIV 228)
wegen der scharfen Dornen Gamaschen, eine Sitte, die sich bei älteren Leuten
in Hellas bis auf den heutigen Tag erhalten hat.
Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass neben so vielem Über-
einstimmenden auch Verschiedenheiten zwischen der mykenischen und homeri-
schen Cultur vorkommen, die eine Erklärung verlangen. Es handelt sich da um
zwei Dinge, um die weibliche Bekleidung und um die Todtenbestattung. Bei
Homer tragen die Frauen als Hauptgewandstück den ttet^Xo;, auch exvo; genannt,
der nicht durch Nähte zusammengehalten wird, sondern durch Heftnadeln oder
Fibeln (xspovat) wie der dorische Chiton. Dem gegenüber begegnen wir auf my-
kenischen Denkmälern einer ganz anderen, orientalisierenden Frauentracht. Da
tragen die Frauen einen Rock, der sich an den Oberleib eng anschließt und die
Formen scharf hervortreten lässt,» während er von den Hüften abwärts weit,
mit Falbeln (Volants) besetzt und abgestuft ist. Der Rumpftheil war vermutlich
zum Knöpfen.» Abgesehen von dieser Verschiedenheit fand Schliemann in den
Schachtgräbern von Mykenä auch keine Spur von Fibeln. Dagegen hat die grie-
chische archäologische Gesellschaft in den Gräbern der mykenischen Unterstadt
dreierlei Arten von Bronzefibeln entdeckt. Wir müssen auch bedenken, dass
unsere Kenntnis der mykenischen Frauentracht auf ganz wenigen Darstellungen
beruht, die uns keinen sicheren Schluss gestatten.* Es ist recht wohl möglich,
dass die Frauen in der jüngeren mykenischen Zeit die asiatische Art aufgegeben
und die Fibeltraeht angenommen haben.
In der Bestattung scheint der Unterschied zwischen mykenischer und ho-
merischer Art sehr groß zu sein. Die Mykenäer begraben ihre Todten, eine Sitte,
rihn trägt z. B. auf dem Bruchstück des Silbergefaßes der unterste Krieger und
der Mann auf einer Schale des dritten Stiles bei Furtwaengler-Loeschke, My-
kenische Vasen, Tafel XLI, 427. .
» Dass der Oberkörper nicht nackt zu denken ist, lässt sich wegen seiner Farben-
gleichheit mit der Farbe des übrigen Gewandes auf emer bUdUchen Darstellung mit
Sicherheit behaupten. .
« Tsundas vermuthet, dass sehr viele sogenannte Wirtel wegen ihrer Klein-
heit und wegen ihres zahlreichen Vorkommens eher als Knöpfe zu betrachten sind,
A. a. 0., S. 63. m_ 1. a OQ •
*Studniczka, Beiträge zur Geschichte der altgriechischen Tracht, b. ö«, „wir
begnügen uns zu constatieren, dass wir bisher außer Stande sind, sowohl einen tief-
gehenden Gegensatz als auch sichere Übereinstimmung der mykenischen mit der grie-
chischen Tracht zu erkennen". (Damals waren die Fibelfunde von Mykenä noch mcht
bekannt.)
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die Homer unbekannt ist. Die mykenische Art beruht auf dem bei den Natur-
völkern der ganzen Erde vorkommenden Glauben von der Macht der Todten,
die man sich gnädig stimmen wollte. Daher der großartige Oultus, mit dem die
Verstorbenen geehrt wurden. Die mächtigen, kunstvollen, aus immer kleiner
werdenden Steinkreisen errichteten Kuppelbauten mit ihrem Eingangsthor von
gewaltigstem Ausmaße möchte man ja wahrhaftig als Tempel einer mächtigen
Gottheit auffassen. Im Epos ist dagegen das Verbrennen der Leichen auf dem
Scheiterhaufen ausnahmsloser Brauch; die Knochenreste werden gesammelt, in
ein Geföß gegeben und darüber ein Grabhügel aufgeworfen, tö y^P Y^P*? ^^'^'^
^»/ovTtov. Wie gering ist diese Auszeichnung, dieses ysp«?, gegenüber der gött-
lichen Ehre, die ein verstorbener Fürst in Mykenä oder anderwärts genoss. Die
Überlebenden wollen offenbar bei Homer die gänzliche Trennung der Seele vom
Lande der Lebenden (Uias, XXHI 75, Odyssee, XI 218); sie wollen Ruhe haben
vor dem Todten. Suchte man früher die Leiche zu erhalten, weil man das Fort-
leben der Seele davon abhängig dachte, so that man jetzt das Gegentheil,» man
war praktischer geworden. Und doch liegt der großartigen Todtenfeier, die Achilles
dem Patroklos veranstaltet, ein ebenso lebhafter Seelencultus zugrunde, wie den
feierlichen Vorgängen, die die Bestattung in den Schacht- und besonders in den
Kuppelgräbern begleitet haben müssen. Überall ist es die Macht der Psyche des
Todten, an die man glaubt und die man sich geneigt machen will. Nicht aus Pietät
werden von Achilles zwölf edle TroerjüngUnge geschlachtet und strömt, mit
Bechern zu schöpfen, das Blut von Stieren, Schafen, Ziegen und Schweinen
um den Leichnam. „Es ist ein Rudiment des lebhafteren Seelencultus einer ver-
gangenen Zeit, eines Cultus, der einst der völlig entsprechende Ausdruck für den
Glauben an Größe und dauernde Macht der abgeschiedenen Seelen gewesen sein
muss, nun aber in einer Zeit sich unversehrt erhalten hat, die aus anders ge-
wordenem Glauben heraus den Sinn solcher Culthandlungen nur halb oder auch
gar nicht mehr versteht. "« Die Sitte, solch reiche Todtenopfer darzubriogen, lässt
sieh aus den Kuppelgräbern nachweisen. Hier fand man im Zugang (Dromos) zum
Kuppelraum Skelette von gleichzeitig begrabenen Menschen, vermuthlich Kriegs-
gefangenen, die getödtet, aber nicht in demselben Räume begraben worden sind.*
Im Eingang des Kuppelgrabes von Waphi6 fand sich eine tiefe Grube, die wahr-
scbeinlich dazu diente, das Blut der zu Ehren des Todten geschlachteten Thiere
hineinrinnen zu lassen. Ohne Zweifel goss man auch Weihgüsse aus Milch und
Honig hinein. Auch über dem vierten Schachtgrabe von Mykenä befand sich eine
kreisrunde Aufmauerung, die wohl als Opfergrube benutzt wurde. Noch etwas
anderes erinnert bei der Bestattung des Patroklos an die ältere Zeit. Die in den
Schachtgräbern von Mykenä beigesetzten Leichen waren vermuthlich in einer
gewissen mangelhaften Art, wahrscheinlich mit Honig einbalsamiert,* sonst hätten
« Bohde, Psyche, S. 28 £
> Bohde a.a.O., S. 2L
* Tsundas a. a. O., S. 151.
* Holbig a.a.O., S.o2ff.
29
sich unmöglich an einem Gerippe die Fleischtheile (besonders des Gesichtes) durch
die vierthalb Jahrtausende so gut erhalten können. Auf ehemaliges Einbalsamieren
deutet auch der dreimal in der Ilias» für „bestatten" gebrauchte Ausdruck rap-
pstv, der wohl ursprünglich wie Tapt^sustv die Conservierung des Leichnams be-
zeichnet. Und nun kommt auch bei der Leichenfeier des Patroklos, II., XXHI 170,
wie bei der Bestattung des Achilles, Odyssee, XXIV 68, eine eigenthümliche Sitte
vor, die wie ein unverstandenes Überbleibsel älterer Zeit aussieht : der Todte wird
auf' dem Scheiterhaufen mit Töpfen voll Honig (und Fett) umstellt. So viel scheint
mir sicher, dass diese großartige Leichenfeier des Patroklos nicht als ein Ana-
chronismus, nicht als ein Zug bezeichnet werden kann, der die Zustände einer
späteren Zeit, der des Dichters wiedergibt. Die Sitte der Verbrennung kannte
gewiss schon die älteste Überlieferung, und dieser Zustand einer älteren Zeit ist
von ihr ausnahmslos festgehalten worden. Offenbar ist diese Sitte der mykenischen
Zeit nicht fremd gewesen, wenn sie auch erst gegen das Ende aufgekommen sein
mag. Wenn sich der Übergang von der Bestattung zur Verbrennung noch während
der mykenischen Periode vollzogen hat, so können wir die parallele Erscheinung
in der nordischen Bronzezeit beobachten.^ Später mag dann, wie die ältesten
Gräber in den Friedhöfen von Athen und Eleusis beweisen, die Beisetzung der
Leichen wieder aufgekommen sein. Es hat also die eine Sitte die andere nicht
völlig verdrängt, vielleicht haben sogar an irgend welchen Orten beide nebenein-
ander bestanden,» jedenfalls werden wir, da die Todten zur Zeit des Dipylonstiles,
also ungefähr zu Homers Zeit, in Attika begraben wurden, in dem homerischen
Verbrennen kaum einen Anachronismus erblicken dürfen.
Nicht homerisch muthet uns endlich der kostbare, protzige Schmuck an,
den die fürstlichen Frauen und Männer nach den Funden in den Schachtgräbern
von Mykenä und im Kuppelgrab von Waphio getragen haben müssen. Selbst die
Männer trugen Armbänder aus Metall oder aus geschnittenen Steinen. Im Grab
von Waphio fanden sich über zwanzig solcher Steine in zwei Häufchen zu Händen
des Todten, der nach anderen Beigaben zu schließen ein Mann war. Zu Häupten
standen zwei Alabastergefäße, das eine mit einem kleinen silbernen Löffel. Das
Gefäß enthielt vermuthlich eine Salbe. Auch ein Metallspiegel lag daneben. Eine
Anspielung auf solchen Männerschmuck enthält die Ilias, H 872, wenn es von
dem Führer der Karer heißt, dass er in den Krieg zog mit Gold geschmückt
wie ein Mädchen. Die mykenischen Edelfrauen trugen reichen Schmuck im Haar;
nach den Gräberfunden auf der Akropolis von Mykenä hatten sie wohl bei fest-
lichen Gelegenheiten auch ornamentierte Goldplättchen auf das Gewand genäht.
Solche asiatische Barbarei ist Homer fremd, aber eine Spur davon verräth uns
die „goldene« Aphrodite. Homer nennt sie wohl wegen ihrer Schönheit so, aber
es spricht viel dafür, dass sich das Beiwort ursprünglich auf ihre Kleidung und
» H 85, n 456, 674.
* Sophus Müller, Die nordische Bronzezeit, Jena 1878, S. 72 ff.
• Wie in Hallstadt, Marzabotto und der Certosa bei Bologna, wo man Gräber
mit Skeletten und mit verbrannten Gebeinen nebeneinander findet.
II
90
ihren Schmuck bezogen hat.* Der übermäßige Goldschmuck kam wohl aus Syrien,
der Heimat dieser Göttin, nach Mykeni.
Was die rehgiösen Vorstellungen der Mykenäer anlangt, so lässt sich hier
noch wenig Sicheres mittheilen, so nahe auch die Annahme liegt, dass viele
Götter der späteren Zeit schon damals verehrt worden sind. Auf einige phantastische
Behauptungen aus neuerer Zeit kann hier nicht eingegangen werden. Dass ein
Cult der abgeschiedenen Seelen bestanden hat, zu denen man wie zu einer
Gottheit betete, wovon sieh noch in späterer Zeit Spuren finden,« ist bereits an-
gedeutet worden. Wahrscheinlich war auch eine Art Thierdienst auf den Inseln
und Küsten des Mittelmeeres verbreitet.» Der Cult eiuiger griechischer Haupt-
gottheiten, namentlich der Athena,* des Poseidon, der Demeter Eleusinia,«^ wurzelt
sicher in vordorischen Zeiten. Poseidon scheint namentlich als Erderschütterer,
yan^oxo? (oder y*»^Fox^, wie das Wort in den ältesten Inschriften geschrieben
ist«), der unter die Erde fährt und sie erschüttert, auf den erdbebenreichen
Inseln und Kästen des ägäischen Meeres allenthalben verehrt worden zu sein.
Ein sehr beachtenswerter und charakteristischer Zug des Epos ist die Nicht-
erwähnung der Dorier und der griechischen Wanderung. In diesem Punkte hält
die Dichtung wieder merkwürdig streng an den Zuständen der älteren Zeit fest.''
Diese angeführten Thatsachen, die sich noch vermehren ließen, werden,
denke ich, die Oberzeugung erweckt haben, dass in dem homerischen Epos die
Culturzustände einer älteren Zeit, der mykenischen, an zahlreichen Stellen durch-
schlagen. Decken können sich homerische und mykenische Cultur nicht, man
müsste denn annehmen, dass Homer in voller Absicht die Cultur der Vorzeit
habe darstellen wollen, was doch erst bei Dichtern unseres Zeitalters vorzukommen
pflegt. Homer wollte gewiss seinen Hörern möglichst modern erscheinen, und ein
bewusstes Antikisieren konnte ihm gar nicht in den Sinn kommen. Was also
bei Homer mykenisch ist, das muss aus der Oberlieferung stammen, deren Treue
wahrhaft erstaunlich ist. Zähe, wie jene hessische Bäuerin, die den Brüdern
Grimm die Märchen ihrer Heimat erzählte, haben die Lieder der Sage einzelne
« Tsundas a.a.O., S. 76.
* Elektra betet in den Choephoren des Aischylos, 130, 139, 140, 147, zu ihrem
Vater wie zu einem Gotte.
* Cooke, Animal worship in the Mycenian age, Journal of Hellenic stndies, 1894,
8. 82 ff.; doch geht Cooke viel zn weit und wittert überall theriomorphistische Götter-
ferehnmg.
« Wide, Lakonische Cnlte, S.48ff.
* Wide a. a. O., S. 176 ff.; Toepffer, Attische Genealogie, S. 31.
* Wide a.a.O., S.88ff.
' Allerdings nennt die Odyssee, x 177, Dorier in dem Völkergemisch auf Kreta.
Die Alten berichten nun (Andren, Frg. 3 und 4, bei Müller, lY, 349, und bei Stephan
Byz. s. y. Atoptov), dass schon vor der dorischen Wanderung eine Besiedlung Kretas durch
die Dorier und andere Stämme von Thessalien aus erfolgt sei. Man hat indessen diese
Nachricht in neuerer Zeit für eine Erfindung ad hoc gehalten. Evans hat ihr aber
a. a. O., S. 359 f.) durch den Nachweis gewisser Beziehungen zwischen Thessalien und
Kreta in vordorischer Zeit eine Stutze gegeben.
31
Züge festgehalten, und mitunter hat eine selbst durch viele Jahrhunderte gehende
Überlieferung sie nicht verwischen können. Hiefür bietet das Bild der Landungs-
schlacht in den Reliefs des Heroon von Gjölbaschi ein interessantes Beispiel.*
Hier wird die Leiche des von allen Kriegern vor Troja zuerst getödteten Prote-
silaos nicht, wie sonst auf griechischen Bildwerken üblich, von den Seinen mit
Händen, sondern auf einen Schild gebahrt getragen. Dieser Schild zeichnet sich
noch dazu durch besondere Grösse von den sonst auf diesen Bildern dargestellten
aus; daher schloss Benndorf mit Eecht, „dass es sich hier nicht etwa um einen
künstlerisch hinzuerfundenen Zug handle, sondern um einen im Stoflfe der Er-
zählung selbst liegenden, welcher dem Kriegswesen der Zeit, in der diese Kriegs-
bilder entstanden, ungeläufig war". Die Kyprien, denen dieses BUd entstammen
muss, lassen eben den Protesilaos mit einem mykenischen Schilde ausgerüstet sein.
Jede Dichtung, die ihren Stoff aus der Vergangenheit nimmt, hat Ana-
chronismen. Der enge Anschluss Homers an die Überlieferung hat es mit sich
gebracht, dass diese Eindringlinge in seinen Gedichten seltener« sind als z. B.
in den griechischen Tragikern.
Dritter Abschnitt.
Die sechste Ansledlung auf Hlssarlik und die Angaben der llias.
Bei der unverkennbaren Beziehung der homerischen Gedichte auf die my-
kenische Zeit muss der Schluss erlaubt sein, dass von allen Ansiedlungen auf
Hissarlik nur diejenige, welche aus der Zeit der mykenischen Cultur stammt,
darauf Anspruch machen kann, für das homerische Troja zu gelten. Dann muss
man aber die zweite Stadt von unten, die bisher vielen für die homerische ge-
gölten hat, in eine weit frühere Zeit hinaufrücken ; lassen sich doch zwischen
ihr und der sechsten Stadt noch drei Ansiedlungen von allerdings geringer Be-
deutung unterscheiden. Dörpfeld setzt die zweite Stadt ungefähr in das Jahr 2000
vor Christi.» Wer bisher die zweite Stadt für die homerische ansah, der kam
über die Thatsache nicht hinaus, dass Homer den Trojern und Achaiern im all-
gemeinen gleichen Culturzustand gibt, während die Funde in der zweiten Stadt
beweisen, dass die dort herrschende Cultur von der in Mykenä und Tiryns
wesentlich verschieden war.
Wir wollen nun feststellen, was die Ausgrabungen von dieser mykenischen
Burg auf Hissarlik ans Licht gebracht haben.* Wer jetzt die Ruinen von Troja
besucht, dem starren, er ma^ von Osten oder Süden sich nähern - auf den
rReichel a. a. O., S. 63; Benndorf, Das Heroon von Gjölbaschi-Trysa, S. 201
bis 212
«Ein entschiedener Anachronismus ist z. B. die Erwähnung der Phönikier, die
in der mykenischen Zeit noch keine Rolle spielten.
• Dörpfeld, Troja, 1893, Leipzig 1894, S. 61.
♦ Dörpfeld a. a. 0. und Mittheilungen des archäologischen Institutes. Athen
1894, S. 380-394.
32
anderen Seiten ist der Hügel nicht leicht zugänglich — die mächtigen Burg-
mauern der sechsten Ansiedlung vor allem entgegen. Dahinter steckt ein Wirrsal
von Mauern und Gräben, in dem man ohne die kundige Führung Dörpfelds sich
auch mit den Plänen nur mühsam zurechtfinden kann. Die mittleren Theile des
Hügels sind hauptsächlich von den Mauern der zweiten Schicht eingenommen,
die stellenweise von denen der dritten bis fünften überragt werden. Von den
Bauten der siebenten und achten (historisch-griechischen) Schicht ist (zwischen
der Mauer der sechsten und zweiten) nicht viel erhalten, dagegen ziehen wieder
im Osten und Nordosten die starken und tiefen Quaderfundamente des großen
Athenaheiligthums aus römischer Zeit (neunte Schicht) die Aufmerksamkeit auf
sich. Diese römischen Bauten durchsetzen an einigen Stellen die Mauer der
sechsten Schicht und tragen auf ihren Quadern viele Steinmetzzeichen. Von der
ersten Ansiedlung finden sich nur geringe Überreste von Hausmauern zwischen
den Hauserfundamenten der zweiten Ansiedlung. Der noch erhaltene Theil der
Mauern der sechsten Burg (vergleiche beistehenden, von Dörpfeld und Wilberg
aufgenommenen, hier verkleinerten Plan, der nur die Bauten dieser und einige
der neunten Schicht enthält) zieht sich von einem überaus mächtigen Thurm im
Nordosten des Hügels bogenförmig und über 300 m lang über Süden nach Westen.
Das nordwestliche und nördliche Mauerstück fehlt und ist offenbar bei der Zer-
störung oder nach derselben noch in alter Zeit weggebrochen worden. Aus dem
33
. ^
Mauerstück der sechsten Burg (mit Vorsprung).
Links in der Ecke ist die Mauer mit einer schlechteren der siebenten Schicht verkleidet. Rechts Quader-
fundament der römischen Osthalle des Athenaheiligthums Dazwischen die später (in der Zeit der
siebenten Schichtj vermauerte Pforte zam Nordostthurm Im Hintergrund das Simoeisthal und, schwach
sichtbar, der thrakische Chersones.
3
32
anderen Seiten ist der Hügel nicht leicht zugänglicli — die machtigen Burg-
mauern der sechsten Ansiedlung vor allem entgegen. Dahinter steckt ein Wirrsal
von Mauern und Gräben, in dem man ohne die kundige Führung Dörpfelds sich
auch mit den Plänen nur mühsam zurechtfinden kann. Die mittleren Theile des
Hügels sind hauptsächlich von den Mauern der zweiten Schicht eingenommen,
die stellenweise von denen der dritten bis fünften überragt werden. Von den
Bauten der siebenten und achten (historisch-griechischen) Schicht ist (zwischen
der Mauer der sechsten und zweiten) nicht viel erhalten, dagegen ziehen wieder
im Osten und Nordosten die starken und tiefen Quaderfundamente des großen
Athenaheiligthums aus römischer Zeit (neunte Schicht) die Aufmerksamkeit auf
sich. Diese römischen Bauten durchsetzen an einigen Stellen die Mauer der
sechsten Schicht und tragen auf ihren Quadern viele Steinmetzzeichen. Von der
ersten Ansiedlung finden sich nur geringe Überreste von Hausmauern zwischen
den Häuserfundamenten der zweiten Ansiedlung. Der noch erhaltene Theil der
Mauern der sechsten Burg (vergleiche beistehenden, von Dörpfeld und Wilberg
aufgenommenen, hier verkleinerten Plan, der nur die Bauten dieser und einige
der neunten Schicht enthält) zieht sich von einem überaus mächtigen Thurm im
Nordosten des Hügels bogenförmig und über 300 m lang über Süden nach Westen.
Das nordwestliche und nördliche Mauerstück fehlt und ist offenbar bei der Zer-
störung oder nach derselben noch in alter Zeit weggebrochen worden. Aus dem
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Mauerstück der sechsten Burg (mit Vorsprung).
Links in der Ecke ist die Mauer mit einer schlechteren der siebenten Schicht verkleidet. Rechts Quader-
fundament der römischen Osthalle des Athenaheiligthums Dazwischen die später (in der Zeit der
siebenten Schicht) vermauerte Pforte zum Nordostthurm Im Hintergrund das Simoeisthal und, schwach
sichtbar, der thrakische Chersones.
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35
Mauerzug springen drei Thürme vor. In den starken Nordostthurm führt eine
kleine Pforte {R auf dem Plane) ; ein Thor unterbricht östlich (Ä), eines südlich
(VIT) die Mauerflucht; im Südwesten endlich findet sich ein drittes, schon in
der mykenisehen Zeit vermauertes Thor (VI ü). Die Mauer ist vorzüglich er-
halten, in ihrem unteren Theile, wo sie zugleich Stützmauer ist, 4-6—5 m stark,
aus großen, flachen, an der Außenseite meist glatt bearbeiteten Steinen mit
starker Böschung erbaut. Auf diesem mächtigen, geböschten Unterbau erhebt
sich erst die Obermauer, die aber nur mehr auf der Ostseite erhalten ist, eine
Dicke von 1-8— 2*0 m hat und nahezu senkrecht aufsteigt. Hier im Osten hat
die Stütz- und Obermauer heute noch stellenweise eine Höhe von 6 m und darüber.
Die ganze Mauer ist auf ihrer Außenseite nirgends bogenförmig gerundet, sondern
bricht sich in zahlreichen Winkeln von etwas unter 180», bildet also ein Vieleck,
dessen Seiten meist 8—9 m lang sind. Was der Mauer außer ihrer vortreff'lichen
Erhaltung ein so stattliches Aussehen verleiht, das sind die Vorsprünge, die an
jeder Ecke sorgfältig ausgearbeitet sind und eine gefällige Gliederung der Mauer-
flucht bilden; denn diese nur 10 — 15cm herausragenden Vorsprünge können wegen
ihres geringen Maßes nicht zur Vertheidigung, sondern nur zur Verzierung ge-
dient haben. Vergleiche die umstehende, nach einer Photographie Dörpfelds ge-
machte Abbildung, welche das Mauerstück bei dem Buchstaben R im Quadrate
K3 des Planes wiedergibt. Ähnliche Vorsprünge finden sich auch an mykenisehen
Burgen Griechenlands, namentlich an der oben erwähnten Burg Gla am Kopaissee;^
wir erblicken darin eine Bestätigung für den regen Verkehr Trojas mit dem östhchen
Hellas, den wir schon wegen der mykenisehen Vasenfunde annehmen mussten.
Der große Nordostthurm ragt heute noch bis zu einer Höhe von 9 m, bei
einer Breite von 18 m, empor und ist aus vorzüglich gefügten Quadern erbaut
(?gl. die Abbildung im Text nach einer Photographie Dörpfelds). Er enthält einen
viereckigen Brunnenschacht, der tief in den Burgfelsen hineingetrieben ist. Ein
zweiter, kleinerer Thurm springt weiter südlich aus der Mauer, 25 m vom Ost-
thor entfernt, zu dessen Schutz er jedenfalls dienen sollte. Endlich flankiert ein
dritter, nur wenig kleinerer Thurm links den Eingang des Südthores. Beide
Thürme enthalten je ein Thurmzimmer ; das des Südthurms ist durch eine Thüre
mit dem Burginnern verbunden, während das Zimmer des Ostthurms nur von
oben zugänglich war. Dörpfeld unterscheidet* an der Burgmauer drei verschiedene
Bauweisen. Am schlechtesten ist die Mauer im Westen, am besten sind die Thürme
und die Südstrecke der Mauer gebaut. Zu erklären ist dies nach Dörpfeld dadurch,
dass die Kunst der Steinbearbeitung während des langen Baues sich immer mehr
vervollkommnete.
< Noack a. a. 0., S. 425 ff. Koack erklärt S. 430 diese Eigenthümlichkeit als Stili-
sierong eines früher wirklich praktischen Zwecken (zur Flankierung) dienenden Motives.
Vielleicht sind es Stilisierungen der t^Xm npoßX^-ce;, M 259, die man bei flüchtigem Mauer-
werk nöthig hatte. Die Baukunst ist ja so conservativ, einmal verwendete Formen bei-
zubehalten, selbst wenn die Anwendung anderen Materials sie entbehrlich macht.
' Dörpfeld, Mittheilungen des archäologischen Institutes, 1894, S. 385.
36'
Das Innere der Burg war, wie die Grabungen gezeigt haben, in Terrassen
aufgebaut, welche nach der Mitte anstiegen. Die Burgen der mykenischen Epoche
seheinen fast alle terrassenförmig gewesen zu sein.* Auf der ersten Terrasse
lagen die meisten der aufgefundenen großen Wohnhäuser, denn als solche dürfen
wir die einzelnen Gebäude wohl ohne Bedenken bezeichnen. Zwischen der unteren
oder ersten Terrasse und der Burgmauer befand sich im Süden und Osten ur-
sprünglich ein breiter, freier Raum, der in einer späteren Zeit, aber noch vor
Zerstörung der Burg, als der Fußboden schon etwas gestiegen war, von einer
großen Anzahl kleiner Gemächer eingenommen wurde, in denen sich viele jener
fassartigen großen Thongefäße (-tdoi) fanden, die zur Aufbewahrung von Getreide,
Ol, Wein und Wasser benutzt wurden. Verkohlte Gerste hat sich noch in vielen
dieser Pithoi gefunden. Zwölf standen in dem mit s bezeichneten Räume (im
Quadrat J 5 des Planes) dicht gedrängt nebeneinander. Sonach darf man in diesen
Räumen Vorrathskanimern erblicken, und wir werden uns an die Stelle der Odyssee,
II 338 ff., erinnern, wo Telemachos in die Vorrathskammer seines Vaters hinab-
steigt, um sich für seine Reise vorzusehen.
„Dort auch standen Gefäße (-i'ifot) des alten balsamischen Weines,
Welche süß und lauter das Göttergetränk ihm bewahrten,
Ringsumher (i^etV^?) an die Mauer gestellt."
Im ganzen sind die Überreste von sechzehn solcher Kammern aufgedeckt
worden.
Die Bauart der Häuser, von denen natürlich meist nur die Fundamente,
seltener Stücke von den aufsteigenden Mauern gefunden worden sind, weist noch
stärkere Verschiedenheiten als die der Mauer auf. Manche Hausmauern sind ge-
radezu kyklopisch, also aus kaum bearbeiteten Steinen mit Lehmmörtelverband.
Bei anderen aber sind die Steine gut bearbeitet und ohne Bindemittel dicht an-
einandergefügt. Wichtig ist die Thatsache, dass die Wände der Häuser durchaus
aus Stein, nicht wie in der zweiten Burg aus Lehmziegeln erbaut sind.'-^ Die
meisten Häuser haben einen sehr einfachen Grundplan. Hinter einer rechteckigen
Vorhalle liegt ein großer Saal von gleicher Breite, aber bedeutender Tiefe. Die
Vorhalle wird merkwürdigerweise nicht wie in den Königshäusern von Tiryns
und Mykenä von Säulen getragen, wenigstens haben sich keinerlei Standspuren
von Säulen der Vorhallen erhalten. Gerade so war es auch in der zweiten Stadt
gewesen. Unbekannt war indessen die Verwendung der Säule auch den Be-
wohnern dieser Burg nicht. Im Osten wurden die Reste eines Gebäudes {VI C)
aufgedeckt, indem sich genau in der Längenachse des Saales eine Säulenbasis
gefunden hat. Ihre Stellung zwingt zur Annahme zweier weiterer Säulen, so dass
' Dörpfeld, Troja, 1893, S. 33. So auch nach Evans die erwähnte Burg Gulas
auf Kreta.
3 Denn es wurden keine Ziegelbrockeu wie m der zweiten Burg gefunden. Ferner
ward über dem Gebäude VIA später, zur Zeit der siebenten Schicht, ein Haus gebaut,
dessen gut bearbeitete, charakteristische Steine oÖ'enbar dem älteren Gebäude ent-
nommen waien. Dörpfeld, Troja, 1893, S. 18.
37
wir einen Saal vor uns sehen, der durch drei Innensäulen in zwei Längsschiffe
getheilt war. Jüngst ist die gleiche Erscheinung an einem aus dem siebenten
Jahrhundert stammenden Tempel in Neandria, sieben Stunden südüch von Hissar-
hk, auf dem Tschigri Dagh nachgewiesen worden. ^ Dort wird der Innenraum
(8*04 w X 19-82 ?w) durch eine mittlere Reihe von sieben Säulen in zwei gleich-
wertige Längsschiffe getheilt. Und so hält Dörpfeld auch dieses Gebäude VI C
für einen Tempel. Im ganzen sind im Innern der sechsten Burg außer den
Nordecke des grossen Thurnns.
Lluks römisches Quaderfundament mit Steinmetzzeichen.
Vorrathskammern die zum Theil recht schwachen Spuren von sechzehn Gebäuden
aufgedeckt worden. Es ist also verhältnismäßig gar nicht so wenig von der sechsten
Burg erhalten geblieben, und bevor die Römer den Hügel ebneten, muss noch
viel mehr aufrecht gestanden haben. Man darf dagegen nicht die Zerstörung
Trojas ins Feld führen. Die Zerstörung der Städte im Alterthum pflegen wir
uns viel zu gründhch vorzustellen. Von dem durch Mummius 146 v. Chr. zer-
störten Korinth stehen heute noch sieben Säulen eines uralten dorischen Tempels
mit ihrem Gebälk aufrecht, und vor wenigen Jahren standen gar ihrer neun.
* Von Robert Koldewey, Neandria , 51. Programm zum Winkelmannsfest,
Berlin 1891.
w
Das Innere der Borg war, wie die Grabungen gezeigt haben, in Terrassen
aufgebaut, welche nach der Mitte anstiegen. Die Burgen der mykenisehen Epoche
seheinen fast alle terrassenförmig gewesen zu sein.* Auf der ersten Terrasse
lagen die meisten der aufgefundenen großen Wohnhäuser, denn als solche dürfen
wir die einzelnen Gebäude wohl ohne Bedenken bezeichnen. Zwischen der unteren
oder ersten Terrasse und der Burgmauer befand sich im Süden und Osten ur-
sprünglich ein breiter, freier Baum, der in einer späteren Zeit, aber noch vor
Zerstörung der Burg, als der Fußboden schon etwas gestiegen war, von einer
großen Anzahl kleiner Gemächer eingenommen wurde, in denen sich viele jener
fassartigen großen ThongeHiße (zi^^i) fanden, die zur Aufbewahrung von Getreide,
Öl, Wein und Wasser benutzt wurden. Verkohlte Gerste hat sich noch in vielen
dieser Pithoi gefunden. Zwölf standen in dem mit s bezeichneten Räume (im
Quadrat Jö des Planes) dicht gedrängt nebeneinander. Sonach darf man in diesen
Räumen Vorrathskammern erblicken, und wir werden uns an die Stelle der Odyssee,
II 338 flf., erinnern, wo Telemachos in die Vorrathskammer seines Vaters hinab-
steigt, um sich für seine Reise vorzusehen.
„Dort auch standen Gefäße (j^'^ot) des alten balsamischen Weines,
Welche süß und lauter das Göttergetränk ihm bewahrten,
Ringsumher {i'^itfi) an die Mauer gestellt."
Im ganzen sind die Überreste von sechzehn solcher Kammern aufgedeckt
worden.
Die Bauart der Häuser, von denen natürlich meist nur die Fundamente,
seltener Stücke von den aufsteigenden Mauern gefunden worden sind, weist noch
stärkere Verschiedenheiten als die der Mauer auf. Manche Hausmauern sind ge-
radezu kyklopisch, also aus kaum bearbeiteten Steinen mit Lehmmörtelverband.
Bei anderen aber sind die Steine gut bearbeitet und ohne Bindemittel dicht an-
einandergefügt. Wichtig ist die Thatsache, dass die Wände der Häuser durchaus
aus Stein, nicht wie in der zweiten Burg aus Lehmziegeln erbaut sind.^ Die
meisten Häuser haben einen sehr einfachen Grundplan. Hinter einer rechteckigen
Vorhalle liegt ein großer Saal von gleicher Breite, aber bedeutender Tiefe. Die
Vorhalle wird merkwürdigerweise nicht wie in den Königshäusern von Tiryns
und Mykenä von Säulen getragen, wenigstens haben sich keinerlei Standspuren
von Säulen der Vorhallen erhiüten. Gerade so war es auch in der zweiten Stadt
gewesen. Unbekannt war indessen die Verwendung der Säule auch den Be-
wohnern dieser Burg nicht. Im Osten wurden die Reste eines Gebäudes (VI C)
aufgedeckt, indem sich genau in der Längenachse des Saales eine Säulenbasis
gefunden hat. Ihre Stellung zwingt zur Annahme zweier weiterer Säulen, so dass
» Dörpfeld, Troja, 1893, S. 33. So auch nach Evans die erwähnte Burg Gulas
auf Kreta.
« Denn es wurden keine Ziegelbrocken wie in der zweiten Burg gefunden. Ferner
ward über dem Gebäude VIA später, zur Zeit der siebenten Schicht, ein Haus gebaut,
dessen gut bearbeitete, charakteristische Steine offenbar dem älteren Gebäude ent-
nommen waren. Dörpfeld, Troja, 1893, S. 18.
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wir einen Saal vor uns sehen, der durch drei Innensäulen in zwei Längsschiffe
getheilt war. Jüngst ist die gleiche Erscheinung an einem aus dem siebenten
Jahrhundert stammenden Tempel in Neandria, sieben Stunden südlich von Hissar-
lik, auf dem Tschigri Dagh nachgewiesen worden.* Dort wird der Innenraum
(8*04 m X 19-82 m) durch eine mittlere Reihe von sieben Säulen in zwei gleich-
wertige Längsschiffe getheilt. Und so hält Dörpfeld auch dieses Gebäude VI C
für einen Tempel. Im ganzen sind im Innern der sechsten Burg außer den
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Nordecke des grossen Thurms.
Links römisches Quaderfiindamcut mit Steinmetzzeicheu.
Vorrathskammern die zum Theil recht seh wachen Spuren von sechzehn Gebäuden
aufgedeckt worden. Es ist also verhältnismäßig gar nicht so wenig von der sechsten
Burg erhalten geblieben, und bevor die Eömer den Hügel ebneten, muss noch
viel mehr aufrecht gestanden haben. Man darf dagegen nicht die Zerstörung
Trojas ins Feld führen. Die Zerstörung der Städte im Alterthum pflegen wir
uns viel zu gründlich vorzustellen. Von dem durch Mummius 146 v. Chr. zer-
störten Korinth stehen heute noch sieben Säulen eines uralten dorischen Tempels
mit ihrem Gebälk aufrecht, und vor wenigen Jahren standen gar ihrer neun.
* Von Robert Koldewey, Neandria , 51. Programm zum Winkelmannsfest,
Berlin 1891.
38
Strabo bemerkt VIII 372, wo er auf die Argolis zu sprechen kommt, dass Mj-
kenü später (468 v. Chr.) von den Argi?ern spurlos zerstört worden ist (wnt
vOv [tTfiX' l^^vo; eOp((nce<r&ai Tfi? MuxTivatwv TCoXew;), und doch sah noch Pausanias im
zweiten nachchristlichen Jahrhundert die gewaltigen Beste von Mykenä, und
im neunzehnten Jahrhundert haben eben diese Reste Schliemann zu seinen Aus-
grabungen yeranlasst. Schlagend ist endlich das Beispiel, das Dörpfeld anführt,
dass die alten pelargischen Mauern der Akropolis noch heute an mehreren Stellen
einige Meter hoch aufrecht stehen, trotzdem Mardonios (Herodot, IX 13) alles,
was er von den Mauern noch aufrecht fand, dem Erdboden hatte gleichmachen
lassen (el XOU TI Opd^V -Jv TÖV Tei^^^WV ^ TÖV OUCYlfJWCTWV Yl TÖV tpöv, TCaVTÄ )CaTKßa>.ü>V
xod (TiYXbMTx;). Endlich kommt noch etwas in Betracht. Die BesehaffeDheit der
Erdschichten bei den Ausgrabungen hat gezeigt, dass schon während des Be-
stehens der sechsten Burg die Bingmauer 1 — 2 m hoch verschattet worden war.
Als neue Ansiedler, die Bewohner der siebenten Schicht, sich auf den Buinen
niederlieBen, waren die Mauern im Osten und Süden schon meterhoch mit Erd-
schutt bedeckt. Was noch aus der Erde hervorsah, wurde durch Vorbauten oder
Umbauten verkleidet.
Im Norden und Westen der Burg fehlt die Mauer gänzlich. Die Erklärung
hief^r scheint uns Strabo zu geben, > der XIII 599 sagt: „Von der alten Stadt
ist keine Spur mehr übrig; ganz natürlich, die Städte in der Umgegend waren
verwüstet, ohne völlig vernichtet zu sein, Troja aber war von Grund aus vertilgt,
daher wurden seine Steine zum Bau der anderen Städte verwendet. So soll zum
Beispiel Archaianaz von Mitylene aus den Steinen von Troja die Mauer von
Sigeion erbaut haben.** Sigeion, das heutige Jeni Schehr, liegt genau nordwestlich
von Hissarlik, und so wäre es begreiflich, dass gerade die westliche und nörd-
liche Strecke der Burgmauer fehlt. Es scheint mir aber doch einiges gegen diese ver-
blüffende Obereinstimmung zu sprechen; vor allem die lange Zeit, die zwischen der
Zerstörung Trojas und der Befestigung von Sigeion liegen muss. Denn die äolischen
Colonien der Troas reichen nach den bereits erwähnten Untersuchungen Ed. Meyers"
kaum über das Jahr 700 v. Chr. hinauf. Ferner ist es unwahrscheinlich, dass
man mit den Steinen einer zweihundert Meter langen Mauerstrecke die Festungs-
mauer einer Stadt herstellen kann (t6 SCyetov Tnjlfjxi sagt Strabo). Oder aber
meinte Strabo etwa die Stadt Troja, die Unterstadt, die sich an die Burg an-
schloss? Und reichten die Steine nicht aus, so dass man auch das nächste Stück
der Burgmauer dazu verwendete? Hiemit berühren wir die wichtige Frage nach
der Unterstadt und kommen so auf das Verhältnis der Funde zu den Angaben
der Ilias zu sprechen. Dass das Plateau, welches im Süden und Osten des Burg-
hügels (nur durch eine geringe Niederung von ihm geschieden) sich ausdehnt,
« Dörpfeld, Troja, 1893, S. 45, Mittheilungen des archäologischen Institutes,
1894, S. 382.
• Geschichte von Troas, Leipzig 1877, S. 79 ff. — Übrigens stammt nach Ed. M ey e r,
Geschichte des Alterthums, U, § 402, Anmerkung, S. 646, die Nachricht des Strabo aus
Demetrios von Skepsis gegen Tunaios, der Periander auf Pittakos Seite kämpfen ließ.
30
auch schon zur Zeit der sechsten Burg bewohnt war, das ist an und für sich
wahrscheinlich und ist durch Versuchsgraben, die an mehreren Stellen gezogen
worden sind, außer Zweifel gestellt. * Aber von einer Stadtmauer aus dieser Zeit
wurde keine Spur gefunden ; ebensowenig zeigten sich an der Burgmauer irgend-
welche Ansatzspuren einer solchen. In der Ilias wird zwar die Burg fünfmal
ir£pYau.oc genannt,* aber nie wird die Burg in einen Gegensatz zur Stadt gebracht.
Anderwärts wird von der Hochstadt gesprochen, wo Athene einen Tempel hatte
(VI 88 vDÖv 'A^TivaCyic y^airtKomSo; iv TiroXet dbtpY) und 297). Auch Paris wohnte
nahe dem Hause des Priamos und des Hektor ev 7r6>.ei axpvi VI 317 ; ebendort
auf der Höhe halten die Trojer Rath VII 345, und XX 52 schreit Ares jtaT
oxpoTaTTi? TToXeo)? Tpwea« )t8>.e'j(dv. Nach dem Falle Hektors fordert Achilles die
argivischen Fürsten zu einem Angriff gegen die Stadt auf, um zu erkennen, ob
die Trojer die Hochstadt nun doch verlassen oder auch ohne Hektor noch aus-
harren, XXn 383. An allen übrigen Stellen wird die Burg oder Akropolis nicht
hervorgehoben, sondern es wird nur von der Stadt gesprochen, wobei der Dichter
woXi; und a<rcu ohne Unterschied verwendet; am gewöhnlichsten aber heißt die
Stadt "Vkio;, meist mit dem Epitheton Ipv^, seltener TpoiY), welcher Name mitunter
auch die Landschaft bezeichnet, z. B. XVIII 330; XIX 380; XXIV 346. Wo der
Dichter die Ausfahrt des Priamos schildert (XXIV 323 ff.), lässt er diesen nach
dem Verlassen des Thorbaues xapxaMjMd; xaTot «ttu das Gespann lenken, von
seinen Kindern und Schwiegersöhnen begleitet. Gleich heißt es dann (329) : „Wie
sie nun aus der Stadt herabgekommen waren und an die Ebene gelangten** u. s. w.
An dieser Stelle wäre doch Gelegenheit gewesen, die Burg hervorzuheben, aber
es geschieht nichts dergleichen, und Priamos fährt herab, als hätte es keine Mauer
und kein Thor zwischen Burg und Stadt gegeben. Ebenso stürmt Hektor VI 237
beim Skäischen Thor herein und ist gleich 4arauf auf der höchsten Stelle von Bios
und kehrt denselben Weg (391) zum Skäischen Thor zurück iuxTtjxeva? xät' ÄY^t«;
und 8tep)^6{jLevo; [liya aoru. Von einem Burgthor keine Spur. Daraus ergibt sich,
dass für den Dichter die Hochstadt gegen eine allenfalls vorhandene Unterstadt
nicht durch eine eigene Mauer abgeschlossen ist. Es ist nun eine Mauer vor-
handen, und die umschließt die Häuser aller Trojer und der Mitglieder des Fürsten-
hauses, deren Wohnungen sich in der Nähe der Tempel auf der Hochstadt befinden.
Was sagt uns nun der Dichter vom Aussehen der Stadt? Die Stadt ist
breitstraßig, gut gebaut, lieblich, groß, steil (aiTretvii, IX 419; XIII 625, 773;
XV 215 [257], 558; XVH 327) und wohl ummauert (euTsCxsoc, 1113; V 716;
IX 20), ihre Mauer mit Thürmen und mächtigen Thorbauten versehen (eyTwpYo;,
VII 71 ; u^/CxuXo;, XVI 698; XXI 544). Sie hat mehrere Thore, wie aus VII, 58
und XVin 275 hervorgeht. Das oftgenannte Skäische Thor führte unmittelbar in
die Ebene. Dreimal wird das Dardanische Thor erwähnt: V 789 schreit Here mit
Stentorstimme, dass früher die Trojer nie vor das Dardanische Thor zu gehen
wagten; XXU 194 möchte Hektor, von Achilles verfolgt, das Dardanische Thor
»Dörpfeld, Mittheilungen, 1894, S. 394.
' A 508, E 446 und 460, Z 512, H 21 » A 508, U 700.
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gewinnen, and XXII 413 will Priamos durch eben dieses Thor zu den Schiffen
der Archäer eilen,* während nach den sonstigen Angaben des Epos der nächste
Weg an den Hellespont durch das Skäische Thor führt. Man hat daher geglaubt,
dass das Hauptthor der Stadt eine Doppelnamen hatte. Dies wäre wohl möglich,'
denn die Namen altgriechischer Stadtthore bezeichnen meistens entweder die
Bauart oder sie beziehen sich auf die Zielpunkte der Landschaft, zu denen
der Weg durch das Thor fährt.» Durch das Skäische Thor gelangte man auf das
Schlachtfeld, das im Norden (und Nordosten) von Hissarlik zu suchen ist, vielleicht
führte auch vom Thor nordöstlich oder rein östlich der Weg in die Landschaft
Dardanien. Skäisch aber kann das Thor nur wegen seiner Bauart genannt worden
sein. Die Thore der alten Städte Griechenlands, Kleinasiens und Italiens sind so
gebaut, dass der anrückende Feind möglichst lange seine schildlose rechte Seite
den Geschossen der Belagerer darbieten musste. Der Zugang zum Thor ist so an-
gelegt, dass der Angreifer bei der Annäherung seine rechte, nicht seine linke Seite
zur Mauer kehren musste, von der er beschossen ward. Dies konnte auf zweierlei
Weise erreicht werden. Entweder macht man es dem Belagerer dadurch un-
möglich, in gerader Bichtung auf das Thor loszugehen, dass man ihn durch eine
Bampe nöthigt, von rechts (im Sinne des Vertheidigers von links) heranzukommen,
wodurch er die Festungsmauer zur Bechten hat, oder es wird, wenn die Terrain-
verhältnisse doch eine Annäherung von der anderen Seite gestatten, das Thor
80 gebaut, dass der Feind sich in ihm nach links drehen muss, das heißt so wie
das Ostthor der sechsten Burg auf Hissarlik, welches ein treffliches Beispiel für
ein solches^Linksthor« abgibt. Vitruv, 15,2, sagt darüber: .Excogitandum uti
portanim itinera non sint directa sed scaeva. Namque cum ita factum fuerit, tum
dextrum latus accedentibus, quod scuto non erit tectum, proximum erit rauro.
Beichel freilich, der in seiner Abhandlung über homerische Waffen die Behauptung
aufstellt, dass in der mykenischen Zeit nur der große, den ganzen Leib deckende
Schild, nicht der kleinere, runde Bügelschild im Gebrauch gewesen ist, will solchen
Thorbau für die mykenische Zeit nicht gelten lassen; denn bei dem großen my-
kenischen Schild hat es keine Schildseite gegeben, wie bei den am linken Arm
getragenen Bundschilden. Der mykenische Schild ward am Telamon getragen
deckte die Brust und gewährte beiden Seiten allerdings nur geringen, aber gleich-
mäßigen Schutz. „Deshalb wird beim Festungsbau der mykenischen Periode das
Pnncip der Folgezeit, den Angreifer zu zwingen, dass er mit der rechten, un-
beschüdeten Seite die Mauer entlang komme, noch gar nicht beachtet, sondern nur
darauf gesehen, ihn von irgend einer Seite zu bekommen, rechts oder links
gleichviel. Deshalb werden den Burgthoren geschlossene Gänge vorgelegt die dem
Feind emen Frontalangriff auf die Mauer verwehren und dem Vertheidiger ge-
statten, ihn längere Zeit von beiden Seiten und im Bücken zu beschießen.-» Als
» X (— XXII) gehört zu den ältesten Bestandtheüen der Dias
•Beichel a.a.O., S. 18.
Beispiel führt Beichel Mykenä an.^ Allein das Hauptthor von Tiryns ist ent-
schieden skäisch angelegt und widerspricht geradezu der Annahme Beichels,
ebenso das Ostthor der sechsten Burg auf Hissarlik, und was das Hauptthor
(Löwenthor) von Mykenä anlangt, so ist die ursprüngHch allerdings nicht skäische
Anlage gerade durch den spornartig vorspringenden Mauerthurra, der später an-
gebaut zu sein scheint, ^ eben doch, so gut es sich machen ließ, zu einer skäischen
geworden. Dass nunmehr eine Beschießung von beiden Seiten möglieh war, konnte
doch nicht als Nachtheil empfunden werden. Auch das Hauptthor (Südthor) von
Arne ist entschieden skäisch angelegt.' Es ist ja auch natüriieh, dass, wenn
damals wirklich der große mykenische Schild allein im Gebrauch war, bei den
Thoranlagen doch auch auf die große Masse der Krieger, die nur mit einem
schildartigen Fell (Xat«77itov bei Homer) bewehrt war, Bücksicht genommen werden
musste. Das Skäische Thor der Ilias ist also ohne Zweifel ein solches „Linksthor''
gewesen.
Was erfahren wir nun über die Mauer vor Troja aus dem Epos? Nicht
gerade viel. Die Mauer war mit mächtigen, hohen, wohlgebauten, (III 384, IV 34,
XXII 195) Thürmen, die vorsprangen (XXII 97), versehen, steil, d. h. in starker
Böschung den Fels umfangend erbaut (atm> teCj^o;, VI 327, XI 181), an einer
Stelle, wo der Feigenbaum stand, gefährdet, d. h. ersteigbar (VI 433). Mauer
und Thürme waren von Götterhand erbaut (VIII 519), Poseidon hat sie allein
(XXI 446) oder mit ApoUon (VII 452) errichtet, der Stadt ein unzerbrechlicher
Schutz. Sie hatte daher auch geradezu einen Buf, xXut« tzI^zol (XXI 295). Ein
mächtiger Thurm stand hart am Skäischen Thor, bildete die eine Seite des Thores
(III 149) und bot eine Aussicht über das Schlachtfeld. Oft stand Priamos hier mit
den Frauen der Troer. Wenn wir das Wenige noch hinzufügen, was wir über
die Gebäude in Troja erfahren, dass sowohl Apollon (V 446) als Athena (VI 297)
einen Tempel auf der Burg besaßen, dass das Haus des Priamos Vorhallen und
andere Bäume aus geglätteten Steinen hatte (VI 243 ff.), dass des Paris hoch-
ragendes Haus von dem besten Baumeister Trojas aufgeführt war (VI 503) und
aus ^Xa(j(.o;, ^öpia und «uXifi bestand (VI 316 f.), dass auch beim Hause des
Priamos ein Thorvorbau, ein Propylaion in den Hofraum führte (XXII 66, 71)
wie bei den Fürstenhäusern der Odyssee, ja sogar beim Palast des Zeus auf
dem Olympos (XV 124), so haben wir alles Wesentliche genannt. Es ist klar,
dass diese Angaben so gering sind, dass ein Vergleich mit den ausgegrabenen
Besten der sechsten Burg wenig Licht verbreiten kann, um überhaupt zu einem
Ergebnis zu gelangen, müssen wir über das Verhältnis der Burg zur Unterstadt
ins klare kommen. Der Flächeninhalt der sechsten Burg lässt sich annähernd
berechnen. Nehmen wir an, dass die Bingmauer, der Gestalt des Hügels cnt-
* Welches allerdings schon Hauptmann Steffens 1884 im Text zu seiner vor-
trefflichen Karte von Mykenä — ohne Kenntnis der mykenischen Kampfw^eise — für
strategisch falsch gebaut erklärt hatte.
• Curtius a. a. O., S. 92.;
■ Noack a. a. 0., Tafel X und S, 429, Fig. 3.
42
43
sprecheod, ungefähr einen Kreis bildete, dessen Umfang, nach der erhaltenen
Strecke von 300 m zu schließen, sich auf etwa 500 m belaufen haben wird, so
ergibt sich eine Fläche von 19.000 bis 20.000 m* oder von 2 ha. Ebenso groß
ist der Flächeninhalt der Burg von Tiryns, um 1 ha größer die Burg von My-
kenä, während die Burg der zweiten Schicht auf Hissarlik nur einen Raum von
8000 m» einnimmt. Auf einem so kleinen Raum kann keine Stadt mit (11., II 126 ff.)
fast 10.000 Bewohnern — ohne die Bundesgenossen — erbaut gewesen sein.
Wohl treibt die dichterische Phantasie mit solchen Zahlen gern freies Spiel, und
in der Nibelungenburg wohnen (Nib., 474, 1) „wol drizec tüsent recken**,» und
in den Burgen Rüdigers und Etzels finden alle burgundischen Helden Aufnahme.
Allein für Troja ist es nach dem oben Erwähnten sicher, dass die große Masse
des Volkes um die Burg herum gesessen ist, ohne dass eine besonders starke
Mauer diese eigentliche Stadt schützte. Wozu hätte man auch Burgmauern von
so erstaunlichen Ausmaßen gebaut, wie in Tiryns, Mykenä, Troja, wenn schon die
Stadt selbst widerstandsfähige Mauern gehabt hätte? Wir kenneu eine befestigte
Stadt sammt Burg aus mykenischer Zeit, das mehrfach erwähnte Gla am Kopais-
see, das alte Arne. Die Ansiedler benützten den aus dem See aufragenden Felsen
uud befestigten ihn auf allen Seiten und gewannen so einen Raum, der etwa
zwölfmal größer ist als der Flächenraum der sechsten Burg auf Hissarlik. Die
Umfassungsmauern der Stadt, die die erwähnten Vorsprünge haben, sind durch-
gängig 6*70 «i stark ; die Umfassungsmauern des Palastes und anderer Baulich-
keiten -— vielleicht einer Agora, die auch auf der Burg von Troja (VII 345)
gewesen sein durfte — hatten nur eine Stärke von 1*20?». Sie setzten im Norden
mit zwei Schenkeln an die Ringmauer der Stadt an. Ein so günstiges Gelände
stand selten zur Verfügung, und in der Ebene baut man nicht so mächtige Mauern.
Zwar ist in Mykenä auch in der Unterstadt ein Mauerzug in schwachen Spuren
nachgewiesen worden. Diese Mauer war aus viel kleineren Steinen erbaut und
ist deshalb auch fast völlig zerstört. Nur in der Nähe der Südwest-Ecke der Burg
findet man ein kleines, nach Westen laufendes Stück, später taucht noch einmal
eines in südlicher und noch eines in westlicher Erstreckung auf. Diese Mauer
ist jünger als die Burgmauer. Ursprünglich hauste das Volk höchst wahrscheinlich
um die mykenischen Burgen in oflfenen Ansiedlungen dorfartig, wie wir es von
den Spartanern der historischen Zeit wissen. Die Überbleibsel von Häusern und
Gräbern um Mykenä wenigstens zeigen uns, dass die Leute auf dem umliegenden
welligen Terrain nicht in zusammenhängenden Ansiedlungen, sondern in kleinen
Dörfern oder Häusergruppen gewohnt haben. Im Falle eines Krieges mag man
wohl eine flüchtige Befestigung auch um die Unterstadt gebaut haben, sowie in
der Ilias, VII 437 ff., die Griechen ihr Lager — freilich mit märchenhafter Ge-
schwindigkeit — durch Mauer und Graben schützten, aber sehr stark wird ein
solcher Bau nicht gewesen sein. Unter Umständen wird das Volk auch wohl oder
übel in der Burg Aufnahme gefunden und dort auf das engste sich zusammen-
gedrängt haben. Man möchte doch fast eine Äußerung Hektors zu Polydamas
> B und C schreiben freilich drixec himdert.
darauf beziehen. Der räth zur Vertheidigung hinter den Mauern, da ruft Hektor,
XVni287: „Habt ihr denn noch nicht satt dass Gedränge zwischen den Mauern!**
Bei dieser geringen Bedeutung der Unterstadt als Bollwerk konnte es ge-
schehen, dass sie allmählich ganz aus der Erinnerung der Menschen schwand,
d. h. dass die Oberlieferung, die Sage, die Unterstadt gar nicht mehr kennt,
hingegen die Burg, die Akropolis, zum Bild einer Stadt erweitert. Homer nennt
sogar diese Stadt breitstraßig (sOpudcpta, z. B. D., II 141) wie Mykenä (IL, IV 52),
ein Beiwort, das nur auf die Unterstadt passen kann, wo die einzelnen Häuser-
gruppen natürlich durch breite Straßen geschieden waren, während es auf den
Burgen selbst weder regelmäßige noch breite Straßen gegeben hat.* So verschieben
sich die Verhältnisse durch Übertragung nicht dazu gehörender Vorstellungen. Die
Befestigung der Burg wird unter dem vergrößernden Einfluss der Sage zur Be-
festigung der ganzen Stadt, und der Dichter, der den Sagenstoff bearbeitet, hat
keinen Anlass, daran zu ändern. Umso leichter konnte die Unterstadt sich ver-
flüchtigen, als nach der Verwüstung gerade die mächtige Ringmauer der Burg
das einzige sichtbare Zeichen gewesen sein wird, das den Späteren von der ver-
gangenen Herrlichkeit Kunde gab; daran konnte die Überlieferung anknüpfen,
der Biesenmauern bemächtigte sich begierig die Phantasie, wie es an vielen
anderen Orten, zu allen Zeiten geschehen ist. Dann ist aber auch klar, dass man
zwischen den Angaben der Ilias und den Ruinen von Hissarlik eine genaue Über-
einstimmung nicht suchen darf. Schon Schliemann hat darauf hingewiesen, dass
die Beschreibung Homers mit der Wirklichkeit (der zweiten Stadt, wie er meinte)
nicht übereinstimme, was nicht wundernehmen dürfe, da ja Homer Troja nicht
selbst gesehen haben könne.
In dem gegenwärtigen Jahre feiert die homerische Frage ihr hundertjähriges
Jubiläum. Man kann dabei insofern von einem Ergebnis reden, als man sich jetzt
mehr und mehr der Ansicht zuzuneigen beginnt, dass es doch einen „Dichter**
Homer der Ilias und der Odyssee gegeben hat. Freilich ist weder die Ilias noch
die Odyssee lediglich sein Werk, sondern er hat frühere Dichtungen, überliefertes
Sagen- und Spraehgut in ausgedehntem Maße benützt. Es ist aber bisher noch
keinem gelungen, allgemein überzeugend nachzuweisen, welche Stücke der Über-
lieferung angehören, welche vom Dichter umgebildet oder welche von ihm
selbständig geschaffen worden sind. Das Verhältnis Homers zur Überlieferung
lässt sich eben nicht mehr feststellen, denn er hat den Stoff mit künstlerischer
Gestaltungskraft zu einem lebendigen Ganzen umgeformt. Die Zeit, in der die
Gedichte von Homer im wesentlichen die Form bekommen haben, in der sie
uns vorliegen, ist durch mindestens zwei Jahrhunderte von der Zeit der Zer-
störung von Troja getrennt. Jedenfalls hat Homer die Ruinen von Troja nicht
* Auf der Akropolis von Mykenä wurden bei den Aasgrabnngen Wege gefunden,
die mitunter kaum l'/j m breit waren. An der Westseite der Burgmauer ist sogar ein
schmaler Treppenweg mit zweiunddreiBig Steinstufen entdeckt worden. Tsundas
a. a. O., S. 22.
••"^
44
selbst gesehen. Was er also über Troja berichtet, verdankt er entweder den alten
Liedern, deren Fluss wohl schon zu Zeiten der mykenischen Cultur unmittelbar
nach dem trojanischen Krieg begonnen hatte, oder er hat es nach Bedarf aus
eigenem hinzugegeben. Wie die ununterbrochene Tradition so viele scharf aus-
geprägte Züge der Vorzeit herübergerettet hat, so verdankt der Dichter ihr auch
im wesentlichen seine Kenntnis der belagerten Stadt und wohl auch des Landes,
und wenn wir oben S. 8 von dem Dichter sprachen, der nach eigener Anschauung
schildert, so ist damit natürlich nicht Homer gemeint. Homer hat dies alles aus
zweiter Hand. Da aber auch schon der erste Dichter die äußere Welt als Dichter
wiedergegeben haben und ein anderes Bild aus der Wirklichkeit herausgesehen
haben wird, als ein beschreibender Landesvermesser, so kann die Übereinstimmung
zwischen Dichtung und Wirklichkeit sich nur auf allgemeine oder besonders
namhafte Dinge erstrecken. Und solche Obereinstimmung haben wir gefunden:
Die gepriesene Mauer der Stadt, die an trelflicher Ausführung alle anderen
Mauerbauten mykenischer Zeit zurücklässt, das Skäische Thor und den großen
Thurm, wenn auch beide nicht an dem erwarteten Orte, die Schwäche der Mauer
an einer Stelle, die Wohnhäuser der Burg zum Theil aus geglätteten Steinen er-
baut, und endlich gar, wenn Dörpfeld mit seiner Vermuthung recht hat, einen
Tempel.* Diese Vermuthung scheint mir so interessant, dass sie ein Eingehen
auf den Gegenstand verlohnt.
Homer erwähnt auf der Burg von Ilios zwei Tempel, einen des Apollon
(V 446, 460) und einen der Athena (VI 297). Diese beiden Heiligthümer kann
der Dichter nicht aus seiner Phantasie der Stadt des Priamos zuschreiben. Sie
müssen zum Bestand der ältesten Überlieferung gehören, denn die Dias kennt
Tempel nur an zwei oder drei Stellen : I 39, H 549, IX 404. Von diesen kommt
eigentlich nur die erste in Betracht, wo der Priester Chrjses zu Apollon betet :
El TTOTs Tot x^^h^rz* ItzX vt.ov sps'];a.a Die zweite Stelle stammt aus einer sehr jungen
Zeit, aus der Zeit des Peisistratos, wie Wilamowitz* nachgewiesen hat.* An der
» Dörpfeld, Troja, 1893, S. 57, meint auch eine Andeutung der terrassenförmigen
Anlage der Burg in den Worten ht icpoTatTj kCKv. X 172 sehen zu müssen. Indessen muss
man bedenken, dass axpo? wegen seiner Bedeutung eigentlich keinen Superlativ braucht,
und wenn er dennoch (wie begreiflich im daktylischen Rhythmus) vorkommt, so ist das
eine Steigerung des Ausdruckes, nicht des Begriffes; tx^-xzt^ xo^u^^ OüXu;jitow, A 499,
ist ganz so gemeint wie sva rapyacfo oxpro 0 152.
» Der sonderbare Ausdruck eosia veranlasste Ameis-Hentze (Anhang) unter
Verweisung auf Pausanias X 5, 9, an die Zeit zu denken, wo die Tempel aus Laubwerk
geflochten wurden. (?) Vielleicht hat der älteste von Pausanias an der genannten Stelle
angedeutete Tempel des Apollon in Delphi ebenso aus Holz bestanden wie das Heraion
in Olympia. Pausanias könnte die Nachricht missverstanden und sich ein Heiligthum
SOS Lorbeerzweigen vorgestellt und daher an die Gestalt einer Hütte gedacht haben.
Der Lorbeer ist nicht nur ein Strauch, sondern namentlich in Thessalien ein stattlicher
Baum. Hehn, Cultnrpflanzen und Hausthiere, fünfte Auflage, S. 186.
* Homerische Untersuchungen, S. 247 t
* Über den alten Athenatempel, Dörpfeld, Mittheilungen des archäologischen
Institutes, 1887, S. 26.
45
dritten Stelle endUch wird die steinerne Schwelle des Phoibos Apollon im steinichten
Pytho genannt, die viele Schätze berge; ob darunter ein Tempel zu verstehen,
ist unklar. Selbst in der Odyssee erscheinen Tempel nur an ganz wenigen Stellen.*
Es kommt also in der ganzen Ilias, außer den auf Troja bezüglichen Stellen, nur
eine Stelle (I 39) in Betracht, Das gewöhnliche Heiligthum der Culturstufe, die
das Epos so vielfach voraussetzt, ist eben der Altar im Palast des Fürsten, der
zugleich Priester ist und die heilige Handlung des Opfers und des Gebetes voll-
zieht. Außerdem gibt es Altäre und heilige Bezirke, die nicht mit dem Anakten-
hause verbunden sind, z. B. II., Vllf 48 Altar und Temenos des Zeus auf dem Ida,
II 506 heiliger Hain des Poseidon zu Onchestos in Böotien. Auf mehreren Altären
des Zeus hat Agamemnon während des Zuges nach Troja geopfert VIII 240. Auf
Altären opfern auch die Griechen in Troja und in Aulis, VIll 249, XI 808. In der
Odyssee hat Aphrodite zu Paphos einen heiligen Bezirk und Altar VIII 363, auf
Dolos Apollon einen Altar VI 162 f. Ein heiliger Hain des Apollon in Ismaros wird
IX 200 erwähnt ; XX 278 versammeln sich die Achaier im schattigen Hain des
Apollon; VI 291 wird ein heiliger Hain der Athena erwähnt und XVII 210 ein
Altar der Nymphen im Nymphenhain auf Ithaka. Kurz, an Heiligthümern der
Götter fehlt es nicht, aber sie haben — bis auf wenige Ausnahmen — keine
Tempel und somit auch keine Götterbilder. ^ Der Palast ist eben die gewöhnliche
Stätte der heiligen Handlung.» Daraus ergibt sich, dass, wenn Homer auf Troja
einen Apollon- und einen Athenatempel kennt, dies ein Zug alter Überlieferung
sein muss. Es ist freilich wahr, dass bisher weder in Tiryns und Mykenä, noch an
anderen Stätten mykenischer Cultur Reste von Gebäuden gefunden worden sind,
die man mit einigem Rechte Tempel nennen könnte. Heilige Bezirke aus my-
kenischer Zeit hat man nachgewiesen, aber keine Tempelbauten. Allein die bis-
herigen Ausgrabungen berechtigen uns in dieser Frage noch nicht, ein ent-
scheidendes Wort zu sprechen. Noch vor kurzem durfte man behaupten, die
mykenische Cultur ist analphabet. Heute ist diese Behauptung unhaltbar. Ebenso
kann es mit der Frage nach dem Vorhandensein von Tempeln stehen. Man be-
achte, dass die Ilias nach dem oben Gesagten nur in Kleinasien Tempel za
kennen scheint, in Troja und in Chryse. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die
nahe Berührung mit dem Orient gerade dem östHchsten Gebiete mykenischer
Cultur in Steinbau und Schrift einen Vorsprung vor dem Westen gegeben hat.
Wir müssen uns überhaupt davor hüten zu glauben, dass diese Cultur eine ganz
einheitliche und gleichmäßige gewesen sei. Die Funde zwingen, den Kreis immer
weiter zu ziehen und anzunehmen, dass Stämme verschiedener Nationen diese
Cultur besessen haben. Gewiss haben sich Cultur und Nationalität damals noch
nicht gedeckt, und das mag manche Verschiedenheit erklären. Ich nehme also an,
dass es wirklich Tempel in Troja gegeben hat, und finde eine Unterstützung
* {X 345, J^ 10. — 7) 81 ist kein Tempel gemeint.
* Nnr Z SOI wird yielieicht ein Athenabild angedeutet.
« Die Gottheit scheint sogar nach t^ 81 im Hause des Fürsten zu wohnen. (Noack,
Arne, S. 477).
46
dieser Annahme in folgenden Thatsaehen und Erwägungen. Ein in fünf gleichen
Exemplaren aus zwei Schachtgräbem in Mykenä stammendes Goldplättchen zeigt
den Aufriss eines von Tauben umflatterten, tempelartigen Gebäudes. » Vergleicht
man damit eine sehr ähnliche Darstellung auf Münzen der Kaiserzeit aus Paphos,
so muss man die Darstellung für einen (Aphrodite-)Tempel halten. Man denkt
dabei freilich zunächst, dass jenes Stück eingeführte Arbeit ist. Doch zeigt sich
über dem Mittelbau das wohlbekannte Motiy des Alabasterfrieses von Tiryns.
„Hätten wir die Gewissheit,« sagt Perrot-Chipiez,« „dass es in Mykenä verfertigt ist,
so würden wir daraus schließen, dass es bereits in mykeuischer Zeit in Griechen-
land Tempel gegeben habe."
Es gibt aber noch eine andere Spur. Auf dem Kasten eines 1892 in My-
kenä gefundenen Goldringes» sind drei Frauen dargestellt, die Zweige in den
Händen tragen. Die letzte hält in der Rechten einen spitzen Gegenstand, ver-
muthlich ein Messer. Alle heben die eine Hand wie verehrend vor einem Ge-
bäude in die Höhe, das anscheinend einen Tempel oder den Theil eines Tempels
darstellt, denn es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem auf dem Goldplättchen
abgebildeten Aphrodite-Heiligthum, nur dass auf dem Ringe statt der drei thür-
artigen Öffnungen des Plättchens nur eine vorhanden ist. Aber von der rechten
Ecke oben steigt eine senkrechte Linie an, die vielleicht andeutet, dass das Ge-
bäude sich in einem höheren Mittelbau fortsetzen soll. Dass hier eine Cultus-
handlung abgebildet ist, das ist durch die aufgehobenen Hände, die Zweige und
das Messer gesichert. Ähnlich ist eine andere, ebenfalls auf einem Goldringe un-
bekannter, aber sicher mykenischer Herkunft eingegrabene Darstellung.* Auch hier
ist in der Ecke wieder ein solches Gebäude«^ wie auf dem eben beschriebenen
Ring; davor sitzt eine Frau (Göttin? Aphrodite?), die einen Spiegel in der Hand
hält. Eine zweite Frau kommt mit erhobener Rechten wie eine Flehende heran.
Alle die genannten auf Gold erhaltenen Darstellungen haben eine auffallende
Eigenthümlichkeit. Immer ist die ThQröffnung, oder was das sonst sein soll,
durch eine in der Mitte stehende Säule getheilt. Dies scheint allen Analogien
der Baukunst zu widersprechen.« Eine Säule als Stutze ist doch nur bei un-
gewöhnlicher Spannweite der Überdachung denkbar, die bei einer Tempelthür
nicht anzunehmen sein wird. Auf den drei Darstellungen entspricht die Thür-
weite eigentlich der Breite des Tempels, und somit liegt die Annahme viel näher,
« Abgebüdet bei Schuchhardt a. a. O., S. 232, Fig. 191. - Perrot-Chipie«.
Hist. de l'art, VI, Fig. 111, S. 337. *^
« A. a. O., S. 664.
" Abgebüdet bei Perrot-Chipiez a. a. O., S. 845, Fig. 23. - Tsundas a. a. 0..
Tafel 5, Fig. 3.
* Bei Furtwaengler-Loeschke, Mykenische Vasen, als Vignette über dem
Vorwort (Zeichnung nach Abdruck, also in verkehrter Richtung).
» Purtwaengler hält es (S. 78) freiHch för einen Altar.
• Krause, Verhandlungen der BerUner Gesellschaft för Anthropologie, Ethnologie
und Urgeschichte, 1891, S. 602. (Die Erklärung Krauses, dass die Säule ein Cultbild
darstelle, ist völlig unhaltbar.) Zwar sucht Luschan, Verhaadlungen, 1892, S. 207, es
47
dass der Künstler uns das Innere eines Tempels andeuten wollte, welches durch
eine Säulenreihe getheilt wird, von der eben nur die vordere Säule sichtbar ist.
So hätten wir hier eine aus dem Orient stammende Eigenthümlichkeit, die bei
Tempelbauten auch noch in späterer Zeit selbst in Europa sich wiederfindet.
Außer dem oben besprochenen Tempel von Neandria gehören hieher die bekannte
sogenannte Basilica von Paestum in ünteritalien, die Oella des alten Tempels
von Locri* und das von Pausanias, X 5, 1, beschriebene Haus der Abgeordneten
der Städte von Phokis, das ^oixwtov, svto; ^s auroO x-tovs; xara ^y\/.Qz eiotv edTYi-
xÖTs?; dieses Haus diente auch als Tempel. Man wird daher mit Dörpfeld in dem
Gebäude VIC mit den Innensäulen in der That einen Tempel erblicken müssen.*
Wir sind zu Ende. Ist auch das Fundergebnis recht klein,« so bleibt doch
die von Dörpfeld entdeckte sechste Stadt, durch Homers Dichtung geadelt, inter-
essant genug. Zudem ist die Örtlichkeit, nach dem bekannten Ausspruch Moltkes,
das einzige Stück Wirküchkeit, das von einer längst vergangenen Begebenheit
übrig geblieben. Diese Wirklichkeit zu finden, war dem Manne, der zuerst auf
der Stätte von Hissarlik den Spaten angesetzt und dadurch den Anstoß zu allen
folgenden Entdeckungen gegeben hat, nicht vergönnt; er sollte die Auffindung
des wahren Troja nicht erleben. Wohl meinte er in der zweiten Stadt Homers
Ilios gefunden zu haben, in Wahrheit aber starb er hart vor Erreichung des
Zieles, dem er sein ganzes Leben lang nachgestrebt hatte. Doch sein Verdienst
wird darum nicht geringer. Schliemann hat viel mehr gethan als Troja gefunden;
er hat die mykenische Cultur entdeckt und uns damit in eine Reihe von Jahr-
hunderten hineingeleuchtet, die vordem fast undurchdringliches Dunkel verhüllte.
an einem Beispiel syrischer Bauart wahrscheinlich zu machen, dass man unter Um-
ständen eine Säule in die Mitte des Tempeleinganges stellte, doch kann man aus dem
Beispiele vom Liwan, der saalartigen Nische arabischer Höfe, diese Überzeugung nicht
gewinnen. Die Analogien aus der zweiten Stadt von Hissarlik, aus Tiryns und Mykenä
gehören nicht hieher.
* Mittheilungen des archäologischen Institutes in Rom, 1890, S. 261 ff.
»Dörpfeld führt (Troja, 1898,8.37) folgende zwei Punkte zur Unterstützung
seiner Ansicht an: Erstens hat das Gebäude VI C eine so schmale Vorhalle, dass sie
zu praktischen Zwecken kaum zu gebrauchen war; zweitens scheint der Platz vor der
YorhaUe mit einer Mauer umgeben und so als besonderer Bezirk abgeschlossen gewesen
zu sein, und dieser Hof lag nicht weit von der Mitte und damit auch von der höchsten
Stelle der Burg.
» Ein eingehender Bericht Dörpfelds über die Funde der sechsten bis neunten
Schicht mit vielen Abbildungen wird im Laufe des nächsten Winters unter dem Titel
„Troja und Ilion" erscheinen.
Graz, im Juni 1895.
A. Heinrich.
COLUMBIA UNIVERSITY
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