Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commcrcial parties, including placing technical restrictions on automatcd qucrying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send aulomated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogX'S "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct andhclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at |http : //books . google . com/|
Google
IJber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch fiir Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter |http: //books . google .corül durchsuchen.
MPMlSm.
laiAti
ITtlfT
TT.
T'- ; .
«MlH i^*», ttAHV N *t ' : . '**>
^■'j- ,'
v»
ÜBER DIE
URSACHEN UND DIE ENTSTEHUNG
DER
KÜRZ SICHTIGKEIT
VON
PROFESSOR D^ FERDINAND ARLT.
MIT ZWEI TAFELN.
WIEN, 1876.
WILHELM BRAUMÜLLER
K. K. HOF- UNO UNIVSBSITITSBUCHHANOLBB.
. » ^
• • • *
• • •
• • • •
• • ••«
.• • * m !
• •
• ••
• • •
• •• ••
• • • • •
• ••:
VORWORT.
Uas Studium der Myopie hat mich schon bald nach Beginn
meiner wissenschaftlichen Laufbahn ganz besonders interessirt.
Die Richtung, welche mein Streben 1840 durch Skoda und Ro-
kitansky erhalten hatte, bestimmte mich, zunächst die anato-
mischen Veränderungen aufzusuchen, welche diesem üebel zu
Grunde liegen möchten.
Zuvörderst führte mich die Beobachtung und Vergleichung
des Spiegelbildes der Hornhaut und der verschiedenen Tieflage
der Regenbogenhaut zu der Ueberzeugung, dass die damals herr-
schende Ansicht, die Kurzsichtigkeit sei durch stärkere Wölbung
der Hornhaut bedingt, auf einer irrigen Deutung beruhe (Krank-
heiten des Auges, 2. Band, Prag 1853, p. 34). Bald führte mich
eine Hypothese über den Accommodationsmechanismus (Locomo-
tion der hinteren Augenwand), welche sich jedoch später als un-
haltbar erwies, zu der Frage, ob bei Myopie der Bulbus, wie
nach jener Hypothese zu erwarten stand, in der Richtung der
sagittalen Achse verlängert sei, und im Verlaufe einiger Zeit ge-
lang es, anatomisch den Nachweis zu liefern, dass die Kurzsich-
tigkeit im Allgemeinen durch Verlängerung der sagittalen Achse,
durch bleibende Rückdrängung der hinteren Wand bedingt sei.
Ich konnte durch Sectionen nachweisen, dass diese Verlängerung
dem bei Lebzeiten vorgefundenen Grade der Kurzsichtigkeit ent-
sprach. Hiemit war eine wichtige Thatsache constatirt, die Basis
für die weiteren Forschungen.
1*
IV Vorwort.
Seit der Einführung des Augenspiegels in die augenärztliche
Praxis (1853) und seit der Feststellung der Thatsache durch
Gramer und Helmholz, dass die Accommodation durch Form-
veränderung der Linse (nicht des Bulbus) vermittelt werde, sind
über die Ursachen und das Entstehen der Kurzsichtigkeit, respec-
tive der genannten Formabweichung des Bulbus, sehr verschiedene
Ansichten ausgesprochen und vertheidigt worden. Gegenwärtig,
nach der classischen Bearbeitung der Refractionsanomalien durch
Donders, handelt es sich hauptsächlich um die Frage, ob die
Kurzsichtigkeit durchaus nur auf Erblichkeit beruhe, oder ob sie
sich auch bei Individuen entwickeln könne, bei denen sich keine
besondere erbliche Disposition nachweisen lässt. Der letztere Satz
ist es, den ich zu beweisen bemüht war. Ob es mir gelungen,
wird das Urtheil der Leser, wird die Nachwelt entscheiden.
Wenigstens wünsche ich, zur Lösung dieses social wichtigen Pro-
blemes anzuregen.
Wien, Ende Mai 1876.
Dr. Arlt.
§. 1. Die Myopie als bleibender Refractionszustand des Auges,
bei welchem parallel auf die Cornea auffallende Strahlen ohne
Intervention des Accommodationsapparates vor der Netzhaut zur
Vereinigung gelangen, beruht im Allgemeinen auf Verlängerung
des Bulbus von vorn nach hinten, auf Verlängerung der sagittalen
Achse des Glaskörpers. Den Nachweis habe ich bereits 1854 *)
publicirt und 18562) durch Sectionsbefunde weiter begründet.
Durch die von Ed. Jäger und Stellwag citirte Bemerkung von
Beer 3), dass man bei Kurzsichtigen entweder die Hornhaut an und
für sich sehr gewölbt finde, oder dass der ganze Augapfel unverhält-
nissmässig gross und lang sei (was man Glotzauge nenne), sowie durch
den Schluss, welchen schon 1637 Descartes**) aus seinen dioptrischen
Studien auf Formveränderung des Bulbus bei Myopie gezogen hatte,
ist die Lehre von der anatomischen Grundlage der Myopie eben so
wenig gefördert worden, als durch die Sectionsbefunde von Scarpa^)
und Ritterich ^), denen die Function der zergliederten Augen unbe-
kannt geblieben war.
In abnormer Wölbung der Cornea oder der Linse darf die
Ursache der Kurzsichtigkeit nur ausnahmsweise angenommen wer-
den; jedenfalls muss dann die Verkürzung des Krümmungsradius
dieser Medien ophthalmometrisch nachgewiesen sein.
^) Bericht über die Sitzung des Prager DoctorencoUegiums in Dr. Altschurs
Monatschrift, Juniheft.
2) Krankheiten des Auges, Prag, III. B., p. 238.
3) Lehre von den Augenkrankheiten, Wien 1817, IL B. p. 652.
*) Oeuvres de Descartes, publikes par V. Cousin, Paris 1824, T. V,,
p. 75: „En quelques autres, au contraire, la nature les yeux a fait tels, quHls ne
leur servent qu'ä regarder les choses proches, ce qui est plus ordinaire aux
jeunes gens, en sorte qu'il semble que les yeux se forment au commencement
un peu plus longs et plus Streits, quHls ne doivent etre'^.
») Tralt^ prat des mal. des yeux, trad. par Leveill6, Paris 1807, II. p. 190.
«) Schmidt's Jahrb. 1842, 36. B, p. 138.
In den seltenen Fällen, wo die Brechkraft der Linse durch
Dichterwerden ihres Kernes gesteigert erscheint, bildet dieser Zu-
stand wol nur das Vorstadium von Cataracta senilis. Ueber ander-
weitige Aenderungen des Brechungsindex ist nichts Verlässliches
bekannt.
Wenn die Cornea in Folge pathologischer Vorgänge zu stark
gewölbt befunden wird (Keratoconus, Keratoglobus), oder wenn
die Linse wegen mangelhafter Verbindung mit den Ciliarfortsätzen
abnorm gewölbt erscheint (Luxatio lentis), so rechnet man solche
Zustände nicht zur Myopie, obgleich man weiss, dass dann
parallel einfallende Strahlen auch vor der Netzhaut vereinigt
werden, sondern man benennt sie gleich beim rechten Namen.
Wenn wir also von Myopie im gebräuchlichen Sinne des
Wortes sprechen, so denken wir jetzt selbstverständlich an Ver-
längerung des Bulbus in sagittaler Richtung, an einen grösseren
Abstand der Macula lutea von dem hinteren Knotenpunkte des diop-
trischen Apparates. Da diese Verlängerung auf Veränderung der
Lage der hinteren Wand des Bulbus (in der Gegend des hinteren
Poles) beruht, mit anatomisch nachgewiesener, mehr weniger deut-
lieber Verdünnung der Sclerotica und Chorioidea, so hat es keinen
rechten Sinn, von Staphyloma posticum als etwas Besonderem
zu sprechen; bei jeder Myopie in dem eben angedeuteten Sinne
besteht eine bald mehr bald weniger deutlich ausgesprochene
Ektasie in der Gegend des hinteren Poles; es gibt nur Grad-
unterschiede. Nach Mauthner (Vorlesungen über die optischen
Fehler, Wien 1876, p. 423) ist allerdings innerhalb gewisser Grenzen
die Achsenlänge allein nicht maassgebend. Bei Emmetropie kann
der Hornhautradius zwischen 8*04 Mm. bis 6*95 Mm. und die
Achsenlänge (vom Hornhautscheitel bis zur Fovea) zwischen
24*94 Mm. bis 20*95 Mm. variiren, demnach das Plus des einen
Factors durch ein Minus des andern ausgeglichen sein. Bei den
nachfolgenden Betrachtungen werden wir im Allgemeinen von
dieser Möglichkeit absehen und als mittleres Auge jenes ansehen,
welches bei einem Hornhautradius von 7*6 Mm. eine Achsenlänge
von 24 Mm. darbietet. Jedenfalls müssen Bulbi mit 26 Mm.
Achsenlänge (vom vorderen bis zum hinteren Pole) schon als
myopische angesehen werden.
§. 2. Bevor wir an die Lösung der Frage gehen, wie und
wodurch diese Formveränderung des Auges entstehe, müssen wir
uns die anatomischen Veränderungen gegenwärtig halten^
welche in myopischen Augen gegenüber den emmetropischen und
hypermetropischen constatirt worden sind.
1. Die Hornhaut zeigt im Allgemeinen keine stärkere
Wölbung; ^) Donders^) hat dieselbe bei hochgradig Myopischen
sogar merklich geringer gefunden.
Die vordere Kammer ist tiefer 3)^ indem sowol die Linse
als die Iris weiter hinter der Cornealbasis liegen. Demgemäss
fallen auch Pupillar- und Ciliarrand der Iris ganz oder nahezu
in eine und dieselbe Ebene; wahrscheinlich ist auch die hintere
Kammer etwas grösser.
Bleibende Form Veränderung der Linse (Steigerung der
Wölbung, Ed. Jäger's Plesiopie^) ist bisher nicht nachgewiesen
worden, weder im Cadaver, noch während des Lebens mit dem
Ophthalmometer.
Dagegen sind Iwanoff's^) Angaben über eine eigenthüm-
liche Gestaltung des Corpus ciliare, speciell des Ciliarmuskels
in hochgradig kurzsichtigen Augen als constantes Vorkommen
vollkommen richtig. Ein Geübter kann aus verschiedenen meri-
dionalen Durchschnitten des Ciliarkörpers bestimmen, welche
davon einem hochgradig myopischen, welche einem emmetropi-
schen, welche einem entschieden hypermetropischen Auge ent-
nommen sind. Iwan off bestätigte zunächst meine Angabe^), dass
der Ciliarmuskel bei Myopischen relativ mächtiger gefunden wird.
Aber er fand an meridionalen Durchschnitten weiters die Form
des Ciliarmuskels verändert. Betrachtet man die dem Kammer-
wasser zugekehrte Seite des dreieckigen meridionalen Durch-
schnittes als geradlinig, so bildet sie mit der an die Sclera an-
gelehnten Seite im emmetropischen Auge einen rechten, im myo-
pischen einen spitzen, im hypermetropischen einen etwas stumpfen
Winkel. Dies hängt zusammen mit der Mächtigkeit der von
H. Müller''), mir 8) und Rouget^) nachgewiesenen circulären
») Arlt, Krankh. des Auges, Prag 1851, B. I. p. 175 und II. B. p. 104.
2) Anomalien der Refraction, deutsch von O. Becker, Wien 1866 p. 309.
3) Arlt, 1. c. II. p. 34 und m. p. 212—215.
^) Einstellung des dioptr. Apparates, Wien 1861, p. 195.
6) A. f. O. XV. c. 284.
6) Krankh. in. 215 und 238.
^ A. f. O. in. a. 1.
8) A. f. O. m. b. 103.
9) Compte-rendu du 30. Mai 1856.
Fasern des Ciliarmuskels. Diese nehmen bekanntlich vorzugsweise
den Winkel ein, welchen die gegen das Kammer wasser gerichtete
mit der von den Ciliar fortsätzen überkleideten Fläche bilden. Je
stärker nun diese circulären Fasern entwickelt sind, desto mehr
springt der letztgenannte Winkel vor, und das ist vorzugsweise
im hyperme tropischen Auge der Fall; in hochgradig myopischen
Augen dagegen findet man wenig oder gar nichts von circulären
Fasern^ und deshalb bildet die dem Kammerwasser zugewendete
Fläche mit der von den Ciliarfortsätzen bedeckten einen stumpfen
Winkel und kommen sowol diese Fortsätze als die Ursprungsstelle
der Iris etwas weiter hinten zu liegen. Gegenüber dieser Ver-
kümmerung der circulären Fasern sind die meridionalen bei
Myopie stärker entwickelt. Bei Hypermetropie finden wir das
Gegentheil , die circulären Fasern stärker , die meridionalen
schwächer entwickelt.
An der Sclera finden wir eine auffallende Veränderung
nur bei mittleren und höheren Graden von Myopie. Diese besteht
in Verdünnung, bedingt durch Ausdehnung, partiell oder total.
Die dünnste Partie fällt in der Regel in die Gegend der Macula
lutea. Ist die Ektasie vorzugsweise eine partielle, so liegt der
Scheitelpunkt der kuppeiförmigen (halbkugelähnlichen) Ektasie
nur selten einmal nicht genau im hinteren Pole, und die Basis,
welche dann durch mehr weniger steiles Ansteigen und Durch-
scheinen der verdünnten Partie deutlich angedeutet ist, reicht im
Allgemeinen bis zu einem Parallelkreise, den man sich, relativ
zum hinteren Pole, durch die Mittelpunkte der Insertionslinien der
beiden M. obliqui gezogen denken kann. Ist die Ektasie, wie bei
sehr hohen Graden von Myopie, schon mehr eine allgemeine, so
zeigt der Bulbus in toto mehr die Form eines Vogeleies; doch
kommt diese Form wol auch bei mittleren Graden von Myopie
vor. Dann findet man bei auffallend grossem Durchmesser der
Cornea (wol auch nachweisbar geringerer Wölbung) auch die Aequa-
torialdurchmesser des Bulbus grösser und die Sclera bis zur Cornea
etwas mehr durchscheinend (bläulich); die Verdünnung ist aber
auch in diesen Fällen dort, wo sonst die kuppeiförmige Ektasie
vorkommt, am stärksten, nur nicht so deutlich markirt. ^) Bei
niederen Graden der Myopie kann eine Ausdehnung der Sclerotica
(im Cadaver) nur aus der Verlängerung der sagittalen Achse
1) Vergl. §. 16 zu Ende.
erschlossen werden, weil sich eine circum Scripte Ektasie nicht
auffinden lässt. In den Augen des Kreisarztes Seh. ^) mit 26 Mm.
Achsenlänge (er hatte concav 14 getragen) konnte ich weder
partielle Ausbuchtung, noch deutlich bläuliches Durchscheinen der
hinteren Scleralpartie wahrnehmen.
An den zwei Augen, welche Scarpa im 2. Bande seiner Ab-
handlung 2) abgebildet hat, waren auch die Aequatorialdurchmesser etwas
grösser, aber nebstdem ragte hinten eine kuppeiförmige Ektasie hervor,
welche Scarpa vermöge der Formähnlichkeit mit einem kugelförmigen
Hornhautstaphylom als Staphyloma posticum bezeichnete. Diese Bezeich-
nung passt also nur für die Fälle von Kurzsichtigkeit mit partieller
Ektasie oder, falls allgemeine Vergrösserung des Bulbus eingetreten ist,
für solche mit partiell stärkerer Ektasie.
Wenn sich die Ektasie vorzugsweise auf die hinter der Insertion
der M. obliqui gelegene Eegion erstreckt, so kann es vorkommen, dass
man rücksichtlich der weiter vorn gelegenen Partien des Augengrundes
mit dem Ophthalmoskop das gleiche Verhalten vorfindet, wie bei Em-
oder bei Hypermetropie ; nur die verdrängte (die ektatische) Partie des
Augengrundes liegt jenseits der hinteren Brennweite des Auges.
Die Chorioidea wird gleich der Sclerotica zuvörderst in
der Gegend des hinteren Poles zurückgedrängt und somit ausge-
dehnt gefunden. Bei geringen Graden von Myopie kann es vor-
kommen, dass sich diese Ausdehnung durch keine Art von oph-
thalmoskopisch wahrnehmbarer Veränderung kundgibt; auch bei
höheren Graden (selbst bis zu M. ^) findet man mitunter, dass
sich an der Chorioidea keine weitere Veränderung wahrnehmen
lässt, als eine mehr weniger hochgradige Rareficirung; indem das
Pigmentepithel und die Choriocapillaris auf eine grössere Fläche
ausgedehnt sind, als sie vermöge des natürlichen Wachsthums
(Bildungstriebes) einnehmen können, wird der Augengrund lichter
und werden die Gefässmaschen der Chorioidea bis an die Papilla
ringsum mehr weniger deutlich sichtbar (leidet das feingetüpfelte
Aussehen des Augengrundes). Aber in der grössten Zahl der
Fälle, man kann beinahe sagen in der Regel, zeigt uns das
Ophthalmoskop eine eigenthümliche Veränderung der Chorioidea,
zunächst an der Schläfenseite der Papilla, selten darunter oder
darüber, bei hohen Graden wol auch ringsherum. Diese eigen-
thümliche Veränderung zeigt sich anfangs, d. h. so lange die
Myopie keinen hohen Grad erreicht hat, mitunter jedoch auch noch
bei hohen Graden, in einer regelmässig begrenzten Figur, in der
>) Arlt, Krankh. III. 238.
2) L. c. Taf. II. Fig. 9 und 10.
6
Form eines Meniscus, dessen Concavität sich unmittelbar an
die Papilla anschliesst, während der convexe Rand bald weniger
bald mehr gekrümmt verläuft, so dass die Figur in letzterem
Falle die Form eines Kegeldurchschnittes zeigt und deshalb von
Ed. Jäger*) Conus genannt wurde. An der veränderten Partie
ist das Pigmentepithel verschwunden oder nur stellenweise vor-
handen (oft am convexen Rande angehäuft), fehlt die Chorio-
capillaris, sind wol auch die Gefassmaschen mehr weniger zu
Grunde gegangen und restirt dann vom Stroma chorioideae nur
eine dünne, durchsichtige Faserlage (Membran). Sehr getreue und
instructive Abbildungen haben Ed. Jäger 2)^ Donders ^), Liebreich
u. A. publicirt. Aus diesen ist auch ersichtlich, dass diese Ver-
änderung später (bei höheren Graden von Myopie) nicht selten
einerseits die ganze Pupille umkreist, andererseits durch stumpfe
oder zackige Ausbuchtungen am convexen Rande, namentlich
gegen die Macula lutea hin, sich ausbreitet, und dass schliesslich
mitunter auch isolirte ähnliche Flecke in der Umgebung der
Mac. lutea auftreten. Diese Veränderung muss vom anatomischen
Standpunkte als Atrophie der Chorioidea bezeichnet werden; als
ihre entferntere Ursache ist Dehnung der Chorioidea zu bezeich-
nen; entzündliche Veränderungen an der Chorioidea sind, mit
seltenen Ausnahmen, die Folge, nicht die Ursache der Ektasirung
(Arlt, Krankh. III. p. 216 und 239).
Ein analoges Resultat sehen wir in der Iris nach Dehnung auf-
treten; auch in der Iris schwindet, wenn sie dadurch dünner und
atrophisch geworden ist, zunächst die Pigmentlage an ihrer hinteren
Fläche. Atrophie einer Irispartie sehen wir besonders, wenn nach Ein-
heilung des Pupillarrandes in eine Hornhautnarbe (meistens nach Blenn,
neonat.) die Iris gegen diese gezogen wird; sie wird dann blässer,
durchscheinend und es kann eine Lücke durch Dehiscenz im Irisgewebe
selbst entstehen, durch welche man rothes Licht aus dem Augengrunde
bekommt; viel öfter jedoch hat solche Dehnung Iridodialysis zur
Folge (Arlt).-*)
Welche Veränderungen die Netzhaut bei der successiven
Ausdehnung erleide, ist noch nicht anatomisch klargestellt wor-
den. Zur Anfertigung hinreichend verlässlicher Netzhautpräparate
*) Einstellung des dioptr. Appar. Wien 1861.
2) Beiträge zur Pathologie des Auges, Wien 1865, Einstellung des dioptr.
Apparates, Handatlas.
3) Anomalien der Refraction p. 299, 300.
*) Krankh. II. 106.
sind eben frische Bulbi erforderlich. Bis jetzt ist die von mir*)
aufgestellte, von Donders ^), Ed. Jäger ^) u. A. acceptirte Annahme,
dass die Netzhaut ausgedehnt, dass daher ihre radiären Elemente
auseinandergerückt seien, noch nicht widerlegt worden. Jedenfalls
muss auch die Lage dieser Elemente, wenn auch nicht am Scheitel,
so doch am Mantel der Ektasie eine Veränderung erleiden, und
in der That haben Hör ner und Iwanoff ^) eine schiefe Richtung
der Stäbchen und Zapfen anatomisch beobachtet. Schnabel^)
meint, dass die Vergrösserung des blinden Fleckes im myopischen
Auge durch eine mit der Verschiebung der Epithelschichte gleich-
sinnige Verschiebung der musivischen Netzhautschichten, respec-
tive der Stäbchen- und Zapfen schichte, allein zu Stande komme,
und dass sich durch diese Annahme auch die Unversehrtheit der
Netzhaut an der Macula lutea oder der Normalität der centralen
Sehschärfe trotz der Ausdehnung in vielen selbst hochgradig
myopischen Augen erklären lasse, da durch die Abrückung der
Stäbchen- und Zapfenschichte von der Sehnervengrenze während
der staphylomatösen Dehnung der Noth wendigkeit vorgebeugt
werde, dass eine unveränderte Zapfenzahl sich über eine stets
gi'össer werdende Fläche vertheile. Diese Hypothese, welche auch
Mauthner^) annehmbar zu finden scheint, könnte jedenfalls nur
für die Nasenseite, nicht auch auswärts von der Macula lutea
gelten, und sie ist, abgesehen von anderen Bedenken, mindestens
nicht brauchbar für jene Fälle, wo bei hochgradiger Myopie weder
ein sogenannter Conus, noch eine Vergrösserung des blinden
Fleckes, sondern nur gleichmässige Rareficirung der Chorioidea,
also wol auch Vertheilung der Netzhautelemente auf einen grösseren
Raum und dennoch normale Sehschärfe vorgefunden wird, wie ich
es neulich noch bei M. inr beobachtet habe. SchnabeTs An-
nähme bezieht sich nur auf die meniscoide atrophische Stelle, die
sich an die Papilla anschliesst, gibt aber keinen Aufschluss über
das Sehvermögen an jenen pigmentlosen atrophischen Stellen,
welche bei hochgradiger Myopie in der Umgebung der Mac. lutea
vorgefunden werden. So viel ich bis jetzt erfahren konnte, treten
>) Krankh. III. 214.
2) Anomalien p. 321, 328.
3) Einstellungen p. 69. 70.
<) A. f. O. XV. c. 296.
5) A. f. O. XX. a. 55.
6) Vorlesungen über die opt. Fehler, 2. Abthlg. p. 740. (Wien 1876.)
fixe Scotome bei Myopie erst dann auf, wenn es zu partieller
Chorioretinitis, Apoplexie oder Netzhautabhebung gekommen ist.
Der Glaskörper lässt bei geringen Graden von Myopie
(bis circa M. ^) keine Abnormität wahrnehmen, oft auch nicht
bei viel höheren Graden; er erscheint, da er einen grösseren
Raum auszufüllen hat, der Masse nach vermehrt. Da er aber
bei höheren Graden (über M. -^-) im hinteren Abschnitte sehr oft
verflüssigt gefunden wurde *), so müssen wir annehmen, dass sein
Stroma durch vermehrte Serumaufnahme gedehnt und zerklüftet
werde. Man muss auch annehmen, dass diese Flüssigkeitsaufnahme
in der Gegend des hinteren Poles (vielleicht von der Papilla her?)
beginnt und nicht vom Corpus ciliare aus erfolgt, denn die Ver-
flüssigung wird zunächst hinten vorgefunden und wenn sie sich
weiter nach vorn erstreckt, so findet man in der Zone des Ciliar-
körpers (also auch nächst der Linse) noch normal consistenten
Glaskörper. Totale Verflüssigung habe ich bei meinen Sectionen
bisher nicht vorgefunden. Sowol in künstlich gehärteten, als in
frisch durchschnittenen hochgradig myopischen Augen sah ich die
restirende Glaskörperpartie hinten in Flocken oder Fransen aus-
laufen, welche in seröser Flüssigkeit flottirten. Diese Veränderung
ist wesentlich verschieden von der, welche Iwan off ''^) als Ab-
lösung des Glaskörpers von der Netzhaut beschrieben hat. Dass
die bei Myopie so häufige Myodesopsie mit dieser Glaskörperver-
änderung in ursächlichem Zusammenhange stehe, ist nicht unwahr-
scheinlich; dass aber das Wahrnehmen beweglicher Scotome in
vielen Fällen hochgradiger Myopie von Flocken und Fäden im
hinteren Theile des Glaskörpers herrührt, wobei das Stroma cor-
poris vitrei mit betheiligt ist, darauf deuten nicht nur die Sections-
befunde, sondern auch die Beobachtung mit dem Augenspiegel.
Ich habe mehrere Male bei Sectionen und noch öfter mit dem
Augenspiegel an der Eintrittstelle der Centralgefässe eine Art
Flocke oder Büschel gesehen, welche wie ein Fliegenwedel in
der Flüssigkeit flottirte. Auch Donders^) hat solche Flocken
ophthalmoskopisch gesehen.
2. In dem Maasse, als der Bulbus in sagittaler Richtung
grösser wird, ändert sich auch seine Lage relativ zur Orbita.
») Arlt, Krankh. lU. 216, 240, 244.
>) A. f. O. XV. b. 1.
3) Anomalien p. 302.
Der Bulbus und sein Drehpunkt rückt etwas weiter nach vorne ^)
(Donders). Die Muse, recti müssen also länger werden und sich
mehr an die Sclera anschmiegen, weil ihre Insertionslinien weiter
nach vorn rücken. In den zwei Fällen hochgradiger Myopie, wo
mir die Section der ganzen Leiche und der Vergleich mit der
übrigen Musculatur zu Gebote stand, ist mir die Mächtigkeit der
äusserlichen Augenmuskeln sowol als des Ciliarmuskels aufge-
fallen (Krankh. III. 238). Durch die Vergrösserung und durch
die oblonge Form des Bulbus, sowie durch die Abrückung des
Drehpunktes von der Spitze der Orbita leidet die Beweglichkeit
des Bulbus (Donders 1. c. 338). Je weiter die Mac. lutea von der
Hornhautbasis abgerückt ist, desto kleiner wird der Winkel a,
d. i. der Winkel, welchen die Hornhautachse mit der Sehlinie
bildet (Donders 339). Der Sehnerv muss in dem Maasse einen
mehr geschlängelten Verlauf annehmen, als die Scleralpartie, in
welche er sich inserirt, weiter nach hinten gedrängt wird; die
Stellung seines vorderen Stückes relativ zum Bulbus muss ge-
ändert, in eine mehr schräge verwandelt werden. Dies kann bei
erheblichem Grade von Rückwärtsdrängung der hinteren Bulbus-
wand kaum geschehen, ohne dass seine äussere Scheide ge-
zerrt und ausgedehnt und dass somit auch die äussere Faser-
lage der Sclerotica als unmittelbare Fortsetzung jener Scheide
mehr weniger von der tieferen abgehoben wird. (Diese Auffassung
der theilweisen oder totalen Erweiterung der äusseren Sehnerven-
scheide und der mehr weniger deutlichen Trennung der angrenzen-
den Scleralportion in eine oberflächliche und tiefe Schichte, welche
Ed. Jäger 2) zuerst beschrieben und Donders (316) constatirt
hat, muss so lange als die richtige angenommen werden, als es
nicht gelungen ist, diese Veränderungen, wenigstens angedeutet,
bei niederen Graden von Myopie anatomisch nachzuweisen.)
§. 3. Kommt Myopie angeboren vor? Wurde sie, wenn
auch nur in niederem Grade, bei Neugeborenen nachgewiesen?
Unter den Beobachtern aus neuerer Zeit ist keiner so ent-
schieden für das Vorkommen angeborner Kurzsichtigkeit einge-
treten, als Ed. Jäger 3), indem er dem erworbenen kurzsichtigen
1) Anom. 339.
2) EinBteUiingen p. 60—63 und Taf. H. III. und T. HI. Fig. 11, 21, 23,
26, 27, 29 u. 37.
') Einstellungen etc. p. 26 und 72.
10
Baue den angebornen gegenüberstellte. Aber in seiner Beweis-
führung vermissen wir die Hauptsache, Sectionsbefunde von myo-
pisch gebauten Augen aus den ersten Tagen oder Wochen, selbst
aus den ersten Jahren des Lebens. Wenn Ed. Jäger seinen „Lang-
bau" wirklich bei Neugebornen gefunden hätte, so würde er wol
wenigstens die Maasse der Durchmesser solcher Augen angegeben
haben. Seine Annahme stützt sich theils auf die Bestimmung des
Refractionszustandes mittelst des Augenspiegels, theils auf das
hiebei constatirte Vorkommen des sogenannten Conus bei Neuge-
bornen (p. 32), und schliesslich (p. 69) weist er auf die anatomisch
erwiesene Formabweichung hin, welche Ammon unter dem Kamen
Scleralprotuberanz als angeborne Anomalie beschrieben hat.
Bevor ich in die Kritik der Jäger' sehen Ansichten eingehe,
muss ich hervorheben, dass ich trotz zahlreicher Untersuchung
von Kindesleichen und trotz emsiger Nachfrage bei CoUegen,
welche vielfach Grelegenheit hatten, Bulbi von Neugebornen zu
zergliedern, bisher nicht in den Besitz von Kinderaugen gelangen
könnte, welche den sogenannten Langbau zeigten, mit Ausnahme
eines einzigen Falles. — Prof. O. Becker zeigte mir, als er noch
Privatassistent bei mir war, die Bulbi von einem 1 72 jährigen
Kinde, welche ihm Prof. Rokitansky in der Leichenkammer über-
geben hatte. Diese Bulbi waren eiförmig, am hinteren Pole nach
einem kürzeren, am vorderen nach einem längeren Radius ge-
krümmt und boten, so viel ich am horizontal geführten Durch-
schnitte sehen konnte, keine jener Anomalien dar, welche uns
sonst als angeboren bekannt sind. Auch entzündliche Veränderun-
gen an der Sclerotica oder Chorioidea waren (makroskopisch)
daran nicht sichtbar. Der Opticus inserirte sich genau im Scheitel-
punkte der von allen Seiten her gleichmässig ansteigenden Ektasie.
Gewiss wird Becker diesen Fall seinerzeit beschreiben und ver-
öffentlichen, da auch er weiter keinen ähnlichen Bulbus zur ana-
tomischen Untersuchung bekommen hat.
Ed. Jäger gibt p. 12 die Maasse der Cadaveraugen von
zwanzig Kindern im Alter von 4 bis 40 Tagen. Die längste Achse
fand er mit 19*1 Mm. bei zwei Kindern von 10 Tagen; da aber
der horizontale Durchmesser in dem einen Falle 18-9 Mm., in
dem andern 18*8 Mm. maass, der verticale in dem einen 18*8 Mm.,
in dem andern 17*9 Mm., so war auch in diesen ungewöhnlich
grossen Augen die Proportion der Durchmesser nicht gestört,
sicherlich kein Langbau vorhanden. Nach der Tabelle 3 auf
11
p. 20 fand Jäger unter hundert Neug«bornen im Alter von 9 bis
16 Tagen mittelst des Augenspiegels bei 17 Hypermetropie, bei
5 Emmetropie, bei 78 Myopie. Er schreibt diesen Befund nicht
auf Rechnung einer Achsenverlängerung, sondern auf die notorisch
erwiesene stärkere Wölbung der Linse im Säuglingsalter. Wenn
ich Jäger recht verstehe, so gipfelt seine Anschauung über die
Entstehung der Kurzsichtigkeit in folgenden, auf p. 17 nieder-
geschriebenen Sätzen: „Sowol übersichtige als kurzsichtige Augen
gestalten sich während der Entwicklungsperiode zum normal ge-
bauten, und solche, die ursprünglich für parallele Strahlen ein-
gestellt waren, sind nach dieser Periode wol selten für conver-
girend, dagegen häufig für divergirend einfallende Strahlen adaptirt.
Es tritt in dieser Beziehung oft ein vollkommener Umschwung ein,
und nur bei einem kleinen Theile der Kinderaugen lässt sich aus
gewissen Bildungsanomalien im Augengrunde am Seh-
nervenumfange (dem Conus) mit einiger Wahrscheinlichkeit auf
eine späterhin hervortretende Kurzsichtigkeit durch Achsen-
verlängerung hinweisen".
Jäger erklärt somit nicht die Achsenverlängerung, sondern
nur den Conus für angeboren, freilich mit dem Nebengedanken,
dass der Conus die Disposition zur Achsenverlängerung biete.
Wir lesen nun aber weiter p. 22: „Rücksichtlich des Verhältnisses
der Einstellung beider Augen zueinander in demselben Indi-
viduum ergab sich, dass bei Neugeborenen, bei Kindern in den
ersten Lebensjahren, so wie überhaupt bei solchen Individuen,
welche ihre Augen nicht vorwaltend für geringe Object-
abstände benützen, überwiegend eine ähnliche Einstellung
beider Augen bestehe, dass dagegen vom 5. bis 6. Lebensjahre
an, vorzüglich aber bei solchen Individuen, welche sich viel
mit kleinen Gegenständen und bei geringer Object-
entfernung beschäftigen, nicht nur häufiger Verschiedenheiten
in der Einstellung beider Augen, sondern auch bei weitem grössere
Unterschiede auftreten". P. 23: ^Nur zu häufig wird dieses
Organ durch die Fesseln socialer Verhältnisse und herrschender
Moden gezwungen, sich einem beschränkten Gesichtskreise zu
adaptiren". „Meinen bisherigen Untersuchungen zufolge kommt
im Allgemeinen die Kurzsichtigkeit durch angeborene Achsen-
verlängerung (Staphyloma posticum) häufiger bei Städtebewohnern
imd in wohlhabenden Kreisen vor, als unter der Landbevölkerung".
Diese Sätze sprechen gerade für das Gegentheil von dem, was
12
der Name „angebome Kurzsichtigkeit durch Achsenverlangerung''
anzeigen soll; und wenn p. 28 besagt wird, ^auch eine oberfläch-
liche Beobachtung zeige, dass die Kurzsichtigkeit durch Achsen-
Verlängerung nach rückwärts nicht ein Prärogativ des Meisses
sei", und dass „in jenen Schichten der Bevölkerung, welche im
Durchschnitte nicht gewöhnt ist, ihre Augen durch Accommoda-
tionsanstrengung zu ermüden, mindestens eben so viele, ja noch
mehr Individuen vorkommen, welche in Folge von Achsenver-
längerung der Bulbi (Staph. post.) kurzsichtig sind, als in den
übrigen Schichten der Bevölkerung", so widersprechen diese Sätze
geradezu dem, was kurz vorher gleichfalls als Ergebniss der Beob-
achtung hingestellt wurde.
Angenommen (nicht zugegeben), der angeborne Conus sei
maassgebend für die Entwicklung des Staphyloma posticum, so
dass dieses schon eintrete, bevor noch Arbeit vom Auge gefordert
wird, und dass diese rücksichtlich der Herbeiführung der Ektasie
ganz ohne Einfluss sei : wie kommt es, dass nach p. 41 ein deut-
lich ausgeprägter Conus nicht immer mit einer Ektasie der Form-
häute am hinteren Pole verbunden ist? „Ich sah ihn wiederholt
bei übrigens normalem Bau des Auges, daher bei normaler
Achsenlänge desselben, sowie bei stark übersichtigen Augen,
selbst bei schon während des Lebens nachweisbarer kürzerer
Augenachse in derselben Form und gleicher Grösse ausgebildet,
wie in den stärksten Graden von angebomem Staphyloma posti-
cum." Und p. 42 heisst es: „Es gibt dagegen auch nicht selten
Fälle von Kurzsichtigkeit, in welchen trotz einer grösseren Achsen-
länge des Bulbus durch angeborne Ektasie der Formhäute am
hinteren Augapfelabschnitte kein Conus, oder nicht in entspre-
chendem Grade entwickelt, wahrgenommen wird". ^)
Ist nun der sogenannte Conus die einzige bei Neugebornen
constatirte Veränderung, welche mit der in späterer Zeit vorge-
fundenen hinteren Ektasie des Bulbus in Zusammenhang gebracht
werden kann, kommt derselbe im weiter entwickelten Auge nicht
blos bei Myopie, sondern auch, wenngleich seltener, bei Emme-
*) Nach Sc hnabel (A. f. O. XX. b. 39) waren von 210 Augen 136 mit Conus
behaftet, Ton welchen 99 (73-33 %) mit Myopie, 18 (13*33 %) mit Emmetropie
und ebensoviele mit Hypermetropie verbunden waren. In demselben Zeitabschnitte,
wo Schnabel 36 Coni in nicht myopischen Augen traf, fand er „nur 21 kurzsich-
tige ohne Coni, von denen 17 jungen Leuten angehörten, denen ihr Beruf an-
haltende Beschäftigung mit feinen Objecten auferlegte".
13
tropie und Hypermetropie vor, und kann endlich Myopie (hintere
Scleralektasie) in verschieden hohen Graden auch ohne Conus
vorkommen, so kann der Zusammenhang" zwischen Conus und
Myopie nur so aufgefasst werden, dass der Conus etwas Acces-
sorisches ist, nicht aber etwas die Myopie Bedingendes, Einleiten-
des oder nothwendiger Weise Begleitendes. Das Vorkommen eines
Conus bei einem Neugebornen oder in späterer Zeit berechtigt
also an und für sich noch nicht, auf schon bestehende Achsen-
verlängerung zu schliessen.
Was endlich die Beziehung der vermeintlichen angebornen
Myopie zur Entwicklungsgeschichte des Auges betrifft, auf welche
Jäger p. 69 hindeutet, so muss dieselbe ganz entschieden zurück-
gewiesen werden. Was Am mon *) als hi n t er e Sei er alpro tuberanz
beschrieben, mit der fötalen Entwicklung des Auges in Verbindung
gebracht und demgemäss als angeboren bezeichnet hat, ist himmel-
weit verschieden von dem, was Jäger u. A. als Staphylo ma posti-
cum geschildert haben. Die hintere Scleralprotuberanz, welche
bisher immer nur im Vereine mit Coloboma chorioidese beobachtet
worden ist, liegt stets unterhalb des Sehnerveneintrittes und ist
an ihrem hinteren Ende am höchsten; ihre Basis ist nie kreis-
förmig, immer oblong; nach vorn wird diese Ektasie durchaus
schmäler und niedriger, während sie gegen den Opticus hin und
zu beiden Seiten (namentlich in der hinteren Partie) steil abfällt.
Ammon hat einen Bulbus mit solchör Protuberanz auf T. III.
Fig. 15 abgebildet. Viel instructiver finde ich die Abbildung,
welche Hannover 2) zu der genauen Beschreibung eines anato-
mischen Befundes geliefert hat, an welche sich dann die Beob-
achtungen von mir^) anschliessen. Später hat Liebreich^) nicht
nur den anatomischen, sondern auch den ophthalmoskopischen
Befund bei Coloboma und der damit vereint vorkommenden Scle-
ralprotuberanz beschrieben , dann in seinem Atlas abgebildet.
Sehr getreu hat auch Nagel ^) das ophthalmoskopische Bild eines
solchen Auges dargestellt und ebenso H offmann ^). Wer auch
nur einen einzigen Fall von angeborner Scleralprotuberanz mit
>) Entwicklungsgeschichte des menschlichen Auges, A. f. O. IV. a. 1.
2) J. MüUer's Archiv für Anatomie, Physiologie etc. 1845.
3) Arlt Krankh. II. p. 127.
*) A. f. O. V. b. 241.
6) A. f. O. VI. a. 170.
®) lieber ein Colobom der inneren Augenhäute, Frankfurt a. M. 1871.
Arlt. Ursachen der Karssichtigkeit. ^
14
dem Augenspiegel oder eine der ophthalmoskopischen Abbildungen
aufmerksam betrachtet hat, dem wird die scharf markirte Begrenzung
derselben und die eigenthümliche Anordnung der Netzhautgefässe (oft
schon im Bereiche der Papilla) aufgefallen sein, im Gegensatze zur
Ektasie bei Myopie. Die fötale Augenspalte und ihre Spur
im reifen Auge (Colobom und Scleralektasie) verläuft stets meri-
dional (von hinten nach vorne) und liegt an der unteren Seite;
der Meniscus oder Conus, den man damit in Zusammenhang
bringen will, schliesst sich concentrisch und unmittelbar an die
Papilla an und liegt an der Schläfen seite. Da genügt auch die
supponirte (keineswegs erwiesene) Drehung des Bulbus in der
Fötalperiode nicht, einen solchen Ursprung des Conus wahrschein-
lich zu machen. Wenn die in Becker's Falle beobachtete bilaterale
Anomalie wirklich von Geburt an bestand, so kann sie gleich
dem Buphthalmus congenitus mit einer Hemmung in der Entwick-
lung des Auges nicht in Zusammenhang gebracht werden.
§. 4. Ist Myopie erblich? Erblich nennen wir eine Ano-
malie oder Krankheit, wenn sie bei mehreren Mitgliedern einer
Familie neben oder nach einander (unmittelbar oder mit Ueber-
springung eines, einiger Mitglieder) beobachtet wird, ohne dass
man einen Grund dafür irgendwo anders als in der Abstammung
selbst finden kann. Die mit der Zeugung selbst übernommene
Anomalie kann gleich nach der Geburt vorhanden sein, z. B. ein
Iris-Colobom, sechs Finger an einer Extremität u. s. w. und wird
dann zunächst als angeborne bezeichnet, oder sie tritt erst im
Verlaufe der weiteren Entwicklung des Individuums, und dann
gewöhnlich in einem bestimmten Lebensalter auf. So kenne ich
eine Familie aus Brandeis bei Prag, in welcher von fünf Kindern
einer im 45. Jahre an Cataracta operirten Mutter drei um das
20. Jahr herum, eines aber erst im 40. Jahre Cataracta bekam,
und eine Familie in Carlsbad, von welcher, nachdem ich vier
Geschwister zwischen dem 50. und 60. Jahre an Cataracta operirt
hatte, die Tochter der einen Operirten im 45. Jahre und die
Enkelin eines nicht Operirten bereits im 8. Jahre derselben Ope-
ration unterworfen werden mussten. Von Glaukom ist die Erb-
lichkeit in gewissen Familien bekannt. In solchen Fällen spricht
man eben von ererbter Anlage, welche sich indess vor erfolgter
Entwicklung der Krankheit nicht durch bestimmte Merkmale kund-
zugeben pflegt. Ganz in derselben Lage sind wir bei der Kurz-
15
sichtigkeit. Vor ihrer Entwicklung, welche am häufigsten zwischen
das 10. und 16. Jahr fällt und selten schon mit dem 6. oder 5.
Lebensjahre bemerkbar wird, können wir wol aus einer gewissen
Aehnlichkeit des Individuums im ganzen Habitus mit kurzsichtigen
Geschwistern, Eltern, Grosseltern oder deren Geschwistern Ver-
dacht auf das Vorhandensein der Anlage schöpfen, aber mit Be-
stimmtheit können wir die Entwicklung nicht voraussagen, so
lange speciell darauf hindeutende Anzeichen fehlen.
Wie bei vielen anderen erblichen Zuständen und Krank-
heiten, müssen wir auch bei Myopie die Disposition in dem Sinne
auffassen, dass sie sich unter gewissen äusseren Einflüssen leichter
und stärker, aber auch trotz des Abganges solcher Einflüsse früher
oder später zu wirklicher Myopie entwickeln könne, und gerade
jene Fälle, in welchen wir solche Entwicklung ohne nachweisbare
äussere Veranlassung beobachten, sind es, welche zur Annahme
einer erblichen Disposition einladen. Ich sage einladen, nicht
berechtigen, weil es immer noch vorkommen kann, dass sich ein
solcher fehlerhafter oder krankhafter Zustand auch aus einem
anderen, unserer Wahrnehmung entzogenen Grunde entwickelte.
Wenn uns z. B. ein Bauernbursche mit hochgradiger Kurzsichtig-
keit eines oder beider Augen vorgeführt wird, welcher vielleicht
die Schule kaum dem Namen nach kennt, so dürfen wir wol an
Erblichkeit seiner Myopie denken, falls sich unter den Verwandten
Kurzsichtige ausfindig machen lassen, aber wir müssen auch die
Möglichkeit im Auge behalten, dass sich vermöge allgemeiner
körperlicher Beschaffenheit verminderte Scleral- und Chorioideal-
Resistenz und somit Ektasie entwickelt habe, in analoger Weise,
wie wir Keratoconus auf einem, auf beiden Augen entstehen sehen,
ohne dass wir Erblichkeit anzunehmen berechtigt sind und ohne
dass wir die disponirende (zu Grunde liegende) Körperbeschaffen-
heit näher definiren können. Ich nehme keinen Anstand, es
geradezu auszusprechen, dass ich die Entstehung hochgradiger
Myopie in manchen Fällen auf eine analoge Veränderung der
Sclera beziehe, wie wir sie bei Keratoconus in der Cornea voraus-
setzen müssen. Auch dieses Uebel ist weder angeboren, noch als
erblich erwiesen. Auch der Keratoconus entwickelt sich, nach den
Fällen (10 — 12), welche ich mit eigenen Augen gesehen, um die Zeit
der Pubertät, und heute bin ich von der Ansicht, welche ich 1851 *)
1) Krankh. I. 282.
16
ausgesprochen, dass dieses Leiden mit Zeichen allgemeiner Gesund-
heitsstörung coincidirt, noch mehr überzeugt. Auch den Kerato-
conus sah ich in einem Falle durch circa 15 Jahre auf das linke
Auge, wo ich ihn sozusagen im Beginnen beobachtet hatte, be-
schränkt bleiben, nachdem der junge Mann (Studiosus juris, später
Advocat) durch ein Jahr auf Reisen gegangen war und sich kör-
perlich gekräftigt hatte. Den Schichtstaar finden wir nicht selten
bei mehreren Geschwistern, aber wir erklären ihn weder für an-
geboren noch für erblich; wir wissen, dass er mit Rhachitismus
in Verbindung zu bringen ist.
Wir sind durch die Thatsachen der Erfahrung gezwungen , für
eine gewisse Zahl von Fällen eine erbliche Disposition als Ursache
von Myopie anzunehmen, und wir thun dies mit derselben Berechtigung,
wie das bei anderen erblichen Zuständen und Krankheiten geschieht.
Es hiesse aber der strengen Beobachtung Zwang anthun, wenn wir
jeden Fall von Myopie auf Erblichkeit zurückführen wollten, gerade
so, wie wenn Jemand behaupten möchte, alle Geisteskrankheiten
gehen aus ererbten abnormen Verhältnissen hervor. Die Myopie kann
sich vererben, aber sie muss es nicht. Die Kinder und die Enkel
myopischer Eltern können wahrscheinlich auch von Myopie frei
bleiben. Genauere Angaben hierüber sind für jetzt noch ein Desiderat.
Wenn wir sagen: Myopie komme erblich, Hypermetropie
angeboren vor, so bedienen wir uns ganz correcter Ausdrücke
für den wirklichen Sachverhalt. In ersterem Falle wird der Bulbus
während seines allmäligen Wachs thums in sagittaler Richtung
unverhältnissmässig grösser, weil die hintere Wandung relativ zu
wenig resistent ist, in letzterem Falle bleibt das Auge im Wachs-
thum nach der sagittalen Achse hinter der Norm zurück. Die
Form des hypermetropischen Auges besteht also schon von der
frühesten Jugend an. Man kann dieses Verhalten in manchen
Familien, wo von den Eltern der eine Theil myopische, der andere
hypermetropische Augen hat, manchmal sehr deutlich an den
Kindern beobachten. Die einen, welche mehr den Habitus, nament-
lich die Schädelbildung des myopischen Theiles der Erzeuger zur
Schau tragen, werden myopisch, in der Regel schon frühzeitig
(beim Beginne des Schulunterrichtes), die anderen zeigen hyper-
metropischen Bau und behalten ihn durchschnittlich für immer.
Das Geschlecht scheint keinen Einfluss zu haben, wenigstens war
dies so in einigen Familien, welche ich durch viele Jahre zu
beobachten Gelegenheit hatte. Die von Kindheit an hypermetro-
17
pischen Augen zeigen ungleich häufiger als myopische unregel-
mässige Wölbung der brechenden Medien (Astigmatismus). ^)
Wenn hypermetropische Augen ihre Mangelhaftigkeit nicht schon
um das 5. oder 6. Jahr verrathen, so ist das nur dem geringeren
Grade der Hypermetropie und dem noch relativ hohen Grade
von Accommodationskraft zuzuschreiben. Der so häufig mit hyper-
metropischem Baue in ursächlichem Zusammenhange stehende
Strabismus convergens zeigt sich häufig schon lange vor dem 5.,
mitunter schon zu Ende des 1. Lebensjahres; Strabismus
divergens bei myopischen Augen vor dem 10. Lebensjahre ist
eine grosse Seltenheit. Geringe und selbst massige Grade von
Myopie (etwa bis zu -^) lassen beim Betrachten des Bulbus kaum
eine Abweichung vom Baue des emmetropischen Auges erkennen,
während mittlere, selbst geringe Grade von Hypermetropie, wie
man sie bei Asthenopia accommodativa zu sehen bekommt, sofort
durch die geringen Dimensionen (der Cornea, der Kammer, des
ganzen Bulbus) auffallen. Die hypermetropischen Augen jugend-
licher Individuen zeigen also relativ oft zugleich Anomalien, welche
auf angeborne Bildung (oder doch auf geringe Entwicklung) be-
zogen werden müssen, während das bei Myopen mit Ausnahme
des Jäger'schen Conus nicht vorkommt. Ich habe bei Kindern
unter 5 Jahren noch keine Gelegenheit gehabt, äusserlich wahr-
nehmbare, auf myopischen Bau deutende Form ab weichung zu sehen.
Mannhardt's^) Angabe, dass bei Kindern, deren beide Eltern
myopisch waren, in der Regel nicht Myopie, sondern myopischer
Astigmatismus vorkomme, bedarf wol noch weiterer Bestätigung
durch zahlreichere Fälle, als M. beibringen konnte.
Der BegriflF „erbliche Myopie" darf nicht in dem Sinne
genommen werden, als ob das Auge vermöge eines mit der Zeugung
überkommenen Bildungstriebes in die eigen thüm liehe Form, in
den „Langbau" hineinwachse, hineinwachsen müsse, sondern es
kann die Erblichkeit nur auf geringere Widerstandsfähigkeit der
Sclerotica oder der Chorioidea (oder beider zugleich) in der Gegend
des hinteren Poles bezogen werden. Denn wenn ein Individuum
schon bei seinem Entstehen die Anlage erhielt, eine ungewöhnliche
1) „Es zeigte sich, dass fast alle Hjpermetropen, deren Sehschfirfe sich
als unvollkommen erwiesen hatte, mit Astigmatismus behaftet waren. ^ (Erismann
A. f. O. XVII. a. 8.) „Bei hochgradiger Hypermetropie ist das Auge immer ein
lUiTollkommen entwickeltes.^ (Mauthner, Vorlesungen etc. p. 438.)
2) A. f. O. XVII. b. 72.
18
Körpergrösse zu erlangen, so erreicht es diese ohne krankhafte
Veränderung einzelner Organe und auch ohne besondere Dispo-
sition hiezu. Die Knochen werden länger, aber nicht unproportionirt
dünner. Sind in einer Familie stark gebogene Nasen erblich, so
tritt diese Form allmälig in die Erscheinung, ohne deshalb eine
krankhafte Disposition zu erlangen. Wenn aber ein myopisches
Auge, bei welchem wir Erblichkeit zu supponiren Grund haben,
einen gewissen Grrad von Achsenlänge erreicht hat, so finden wir
nicht nur die Proportion zu den Querdurchmessern gestört, sondern
auch die Sclerotica und die Chorioidea im hinteren Abschnitte
verdünnt, den Ciliarkörper in der oben erörterten Weise verändert
und den Glaskörper hinten mit mehr Flüssigkeit erfüllt oder
selbst im Stroma zerfallen. Wenn man auch Augen mit geringerem
oder mittlerem Grade von nicht progressiver Myopie noch zu den
gesunden zählen kann, sofern ihre Function stüchtigkeit, wenigstens
ihre Arbeitskraft noch eine normale ist, so muss man doch die
höheren Grade von Myopie und das Fortschreiten zu höherem
Grade sicherlich als etwas Krankhaftes bezeichnen. Gerade jene
Fälle, welche man für Angeboren- oder Erblichsein ins Feld zu
führen pflegt, nämlich hoch- und höchstgradige Myopie bei jungen
Leuten, die ihre Augen niemals sehr angestrengt haben sollen, sind
entschieden als Producte eines krankhaften Vorganges in der Gegend
des hinteren Poles, welcher eben noch nicht Sclerotico-Chorioideitis
(in Gräfe's Sinne) zu sein braucht, nicht als Folge eines ange-
bornen oder ererbten abnormen Bildungstriebes zu betrachten.
Wenn wir also von erblicher Myopie sprechen, so können
wir dabei nur an erbliche Disposition denken und diese nur als
abnorm geringe Widerstandsfähigkeit der Sclerotica in der Gegend
des hinteren Poles bezeichnen, vermöge welcher die Ausbuchtung
dieser Gegend schon bei relativ geringer Verwendung der Augen
zum Arbeiten, mitunter vielleicht auch ohne solche (wenigstens
ohne nachgewiesene Arbeit) zu Stande kommt. Im §. 15 werde
ich noch ein Moment zur Sprache bringen, welches bei der Frage
der Erblichkeit nicht übergangen werden darf, nämlich die ver-
schiedene Schädelbildung und die damit zusammenhängende Ver-
schiedenheit in der Einwirkung der äusserlichen Augenmuskeln
auf den im Wachsen begriffenen Bulbus.
§. 5. Gibt es Fälle erworbener Kurzsichtigkeit?
Sind Fälle bekannt, wo Augen, welche sicherlich bis zum 10.,
19
12., 16. Jahre sich emmetropisch verhielten, nachher myopisch
befunden wurden, und wo man Gelegenheit hatte, zu constatiren,
dass weder bei den Eltern noch bei den Grosseltern oder deren
Geschwistern Zeichen von Myopie vorhanden waren?
Ich könnte den Beweis für das Vorkommen erworbener Myopie
ohne Erkrankung am Auge oder im Gesammtorganismus, welche
sich mit der Myopie in Zusammenhang bringen Hesse, damit
antreten, dass ich mich auf das häufigere Vorkommen der Myopie
bei Culturvölkern beriefe und sofort fragte, wie man sich diese
Thatsache zu erklären gedenke. Haben etwa diese Völker mit
dem Keime der Culturfähigkeit auch den Keim der Kurzsichtig-
keit bei ihrer Abstammung übernommen? Und wenn nicht, ist
der Keim zur Myopie in diese Völker durch zufällige Erkrankung
Einzelner oder durch Uebelstände, welche der Cultur anhaften,
und durch welche, gelegt worden? Nach Andreae i) ist Aristoteles
der erste, welcher der Myopie gedenkt (in seinen Problemen), und
Mauthner^) citirt: „Aia t{ ol [xOwTusi; (Jiwcpa '^pdiLiLOLiiot, ^pdi(fo\j(jv^.^
Ganz verlässliche statistische Angaben über die relative Häufig-
keit der Myopie liegen indess nicht vor. Nachdem Donders
(Anomalien p. 287) angegeben, die Zahl der Myopen sei ihm
in Deutschland am meisten aufgefallen, behauptete Mann-
hardt 3), „eine nationale Anlage zur Myopie lasse sich in Italien
nicht verkennen". „Obgleich in diesem Lande circa 80 Procent
der Bevölkerung nicht lesen und schreiben können, ist doch die
Zahl derer, die an den hochgradigsten Formen progressiver Myopie
leiden, ganz auffallend gross, aber freilich nur in der Classe der-
jenigen, welche lesen können". „Sicher ist, dass in Deutschland
durchschnittlich Hypermetropie und Strabismus convergens häu-
figer, progressive Myopie und Strabismus divergens dagegen seltener
sind, als in Italien." — Fournari^) dagegen fand bei den Kabylen
fast durchaus grosse, hervorragende Augen, doch keine Kurz-
sichtigen. Er fand die Pupille bei diesen Völkerschaften relativ
enge und die Iris vorwärts gewölbt, daher die vordere Kammer
kleiner, Iris und Cornea haben einen kleineren Umfang als bei
den Europäern (Arlt, Krankh. III. 240). Burnett ^) erinnert sich
1) Grundriss der Augenheilkunde, 3. Auflage, 1846, II. Bd. p. 431.
2) Vorlesungen über die optischen Fehler. 2 Abth. p. 344 (Wien, 1876).
3) A. f. O. XVII. b. 74.
*) Ann. d'ocul. T. X, p. 145.
5) Ophth. Hosp. Eep. VUI. P. 2, p. 391.
20
nicht, jemals bei Negern (in Amerika) Myopie gesehen zu haben,
obwol bei einigen von ihnen nach der Schädelbildung entschieden
prominente Augen vorkommen. Sattler *) fand an einem Neger-
auge den sagittalen Durchmesser von der vorderen Fläche der
Cornea bis zur Chorioidea bloss 22, 25 Mm. lang. Nach Woinovr^^
ist der Procentsatz der Myopen (in Russland) bei den Georgiern
und Armeniern (im Kaukasus) am kleinsten.
In den mühevollen statistischen Arbeiten von H. Cohn,
Erismann, Reuss u. A. sind allerdings viele wichtige Daten
niedergelegt, welche für das Erworbenwerden der Myopie durch
fehlerhafte Verwendung der Augen in den Schuljahren sprechen;
der Skeptiker kann indess noch immer einwenden, es könne
trotzdem noch immer Erblichkeit mit im Spiele gewesen sein,
und die beschuldigten Fehler in der Verwendung haben nur den
früheren Ausbruch und die stärkere Entwicklung der (erblichen)
Myopie bewirkt. Durch H. von Hofmann's^) Untersuchungen
wurden die Resultate von Cohn und Erismann im Ganzen ge-
nommen bestätigt.
Wenn uns die Vertheidiger der Erblichkeitstheorie die Frage
entgegen halten, wie es komme, dass von einer Anzahl von
Individuen, welche den gleichen Schädlichkeiten unterworfen
sind (z. B. während der Studienzeit), nur einige, nicht alle kurz-
sichtig werden, so will ich zunächst bemerken, dass sie etwas
Unerwiesenes und auch schwer Nachweisbares voraussetzen: die
gleichen Schädlichkeiten. Abgesehen davon, dass der eine
schwerer, der andere leichter den Anforderungen entspricht, wird
wol auch die Verwendung der Augen ausser der Zeit der Arbeit
zu berücksichtigen sein. Und dann könnte man wol auch die
Gegenfrage stellen : wie kommt es , dass von mehreren Ge-
schwistern, in deren Familie keine Kurzsichtigen sich auffinden
lassen, nur diejenigen kurzsichtig wurden, welche ihre Augen in
der Jugend mehr anstrengen mussten.
Ich gedenke den Beweis für das Vorkommen erworbener
Myopie durch einige Beobachtungen aus meiner Erfahrung
liefern zu können.
Ich selbst bin Myops (-^) seit meinem 16. oder 17. Jahre.
Ich stamme von Eltern, welche keine Spur von Myopie zeigten
1) A. f. O. XXII. b. p. 20.
2; Nagels Jahresbericht. 1873. p. 419.
3} Klan. Monatsbl. 1878. p. 269.
21
und um's 50. Jahr schon Convexgläser zu Hilfe nehmen mussten.
Gleich ihnen waren auch die Grosseltern (väterlicher und mütter-
licherseits) nicht kurzsichtig gewesen. Auch von den alt ge-
wordenen Geschwistern meines Vaters (3) und meiner Mutter (6),
zeigte keines irgendwelche Zeichen von Kurzsichtigkeit; dasselbe
gilt von deren zahlreichen Kindern, die ich kenne, so wie ich
jene kannte. Alle wohnen am südlichen Abhänge des Erzgebirges
und waren, bis auf einen Schullehrer und einen Geistlichen, die
gleichfalls von Myopie frei blieben, nicht auf besondere An-
strengung der Augen angewiesen. Von meinen sechs Geschwistern
ist nur ein Bruder kurzsichtig geworden ; in welcher Weise, werde
ich später angeben. — Bis in mein 13. Jahr, wo ich von einer
Dorfschule aufs Gymnasium kam, erfreute ich mich vortrefflicher
Augen für die Nähe wie für die Ferne. Nachdem ich durch vier
Jahre tüchtig gearbeitet hatte — ich musste viel nachholen und
mir durch Unterrichtgeben forthelfen — bemerkte ich in der
Ferienzeit, dass ich Gegenstände in meiner Heimat, die ich früher
auf eine Stunde weit (Luftlinie) gut gesehen hatte, nicht mehr
oder nicht so deutlich erkannte. Damals meinte ich, meine
Augen seien geschwächt, ich müsse vorsichtig sein; erst nach
mehreren Jahren erfuhr ich durch zufällig vorgehaltene schwache
Concavgläser , dass ich so gut wie vorher dieselben Gegenstände
in der früheren Entfernung deutlich sehen konnte. Das Ophthal-
moskop erweist beiderseits einen schmalen Meniscus, R. von
circa y, L. von ^ Papillen-Durchmesser. Ich sehe binoculär,
mit dem r. A. etwas schärfer.
Mein Bruder hat in Folge von Blattern (im 2. Lebensjahre)
eine kleine Narbe (macula) oberhalb des Centrums der rechten
Hornhaut. Das linke Auge ist rein. Auf dem rechten Auge be-
steht leichte Hypermetropie (er ist 66 Jahre alt) mit S. -~, auf
dem linken Myopie -^ mit normaler Sehschärfe. Die Unter-
suchung mit dem Spiegel zeigt hier nächst der Papilla den be-
kannten Meniscus, jedoch mehr oberhalb der Papilla fast noch
einmal so breit, als an der Schläfenseite, und unregelmässig be-
grenzt, auch nicht von starker Pigmentanhäufung umsäumt. —
Im Umgänge mit ihm bemerkt man nichts von einem Augen-
fehler, ausser wenn er ferne Aufschriften (Firmatafeln) lesen soll,
oder beim Lesen und Schreiben. Er meint, er habe während des
Besuches der Normalschule keinen Unterschied zwischen seinen
und anderen Augen bemerkt, nur als er im 13. Jahre Violin
22
spielen lernte, musste er die Noten etwas näher stellen, als seine
Mitschüler. Am Gymnasium (vom 15. Jahre an), wo er gleichfalls
auf Lectionen angewiesen war, merkte er nichts von der Mangel-
haftigkeit seiner Augen, aber an der Universität (im 21. Jahre)
fiel ihm auf, dass er die geometrischen Figuren an der Tafel
(mit Kreide gezeichnet) nicht gleich seinen Nachbarn ausnehmen
konnte. Er hat sich später eines Concavglases (Monocle -^) be-
dient, wenn er entfernte Objecto sehen wollte.
Dies sind nun zwei Fälle von Myopie, bei welchen ich
nicht wüsste, mit welchem Rechte man auf Erblichkeit recurriren
könnte, welche wir dagegen völlig verstehen, sobald man zugibt,
dass auch Augen myopisch werden können, welche ohne über-
mässige Anstrengung im jugendlichen Alter emmetropisch ge-
blieben sein würden. Bei mir ist die Myopie stationär geblieben,
wahrscheinlich weil ich, um meine Sehkraft besorgt, bei Zeiten
auf Vermeidung schädlicher Momente bedacht und übrigens gesund
war; bei meinem Bruder lag höchst wahrscheinlich in der Macula
corneae die Veranlassung, dass er unter Beibehaltung des binocu-
lären Sehactes (wenigstens ohne Einleitung von Strabismus) die
Gegenstände über die Gebühr nahe hielt, also stärker accommo-
dirte und convergirte, als er bei reiner Hornhaut nöthig gehabt
haben würde; es zeigte sich demnach Kurzsichtigkeit massigen
Grades schon ungefähr im 13. Jahre; es stieg dieselbe während
des Besuches des Gymnasiums und noch mehr während des
Universitätsstudiums und während der darauffolgenden Beamten-
carriere; seit seinem 46. Jahre, wo ich ihn täglich sehe, ist das
Uebel stationär geblieben. Ich werde die Beziehung dioptrischer
Hindernisse zur Myopie im §. 6 besprechen und führe hier noch
eine Beobachtung an, welche mir von Männern mitgetheilt wurde,
deren Scharfsinn und Gedächtnisstreue mir hinreichende Bürg-
schaft für ihre Angaben bietet.
Sie betrifft zwei hier lebende Brüder, Aerzte bekannten Namens,
Der ältere ist 76, der jüngere 70 Jahre alt. In einer Landstadt
Böhmens geboren und bis zum Beziehen der- Universität auf-
gewachsen, stammen sie väterlicher- und mütterlicherseits aus
Familien, welche durchschnittlich ein hohes Alter erreichten und
von deren Mitgliedern keines kurzsichtig war, wie mir versichert
wurde. Bei den drei Brüdern derselben, welche Handwerker
wurden, zeigte sich nie eine Spur von Kurzsichtigkeit; sie selbst
bemerkten ihr Uebel erst an der Universität (in Wien). Nachdem
23
sich der eine wie der andere am Gymnasium durch Unterrichtgeben
(bis zu fünf Stunden täglich) mühsam durchgebracht und im Winter
die Schulaufgaben bei der elendesten Beleuchtung (oft beim Scheine
eines Ofenfeuers) zu lernen genöthigt gewesen waren, bemerkten sie
allmälig Abnahme der Sehkraft für die Ferne. Als der jüngere, der
den älteren durch fünf Jahre nicht gesehen, nach Wien kam, um
gleichfalls Medicin zu studieren, war er ganz erstaunt, den Bruder
mit Brillen zu sehen, und meinte, dieser trage sie nur aus Eitelkeit;
er ahnte nicht, dass er bald selbst in dieselbe Lage kommen
werde. Der ältere widmete sich bald nach seiner Promotion der
praktischen Laufbahn, war dann nebenbei mit Hilfe seiner Brille
ein guter Schütze, aber auch ein eifriger Sanitätsbeamter, der
noch vor wenigen Jahren oft halbe Nächte hindurch (ohne Brille)
arbeitete. Er liest den feinsten Druck in 8 Zoll Abstand und
benützt für die Ferne concav 10. Der jüngere, welcher ohngefähr
im 20. Jahre zu Brillen greifen musste, wenn er hinreichend in
die Ferne sehen wollte, widmete sich als Doctor ganz der Wissen-
schaft, in welcher er Weltruf errang. Leider steigerte sich dabei
seine Kurzsichtigkeit beträchtlich, und bald nach seinem 60. Jahre
machte ihm anhaltendes Lesen solche Beschwerden, dass er des-
halb seine Stelle als Professor niederlegte. Die ungewöhnliche
Engheit seiner Pupillen und die grosse Empfindlichkeit gegen das
Lampenlicht gestatteten mir nicht, mit dem Augenspiegel die ge-
wünschten Aufschlüsse über den Grad der Kurzsichtigkeit (rechts
circa ^, links circa -^) und über die anatomischen Veränderungen
des Augengrundes zu erlangen.
§. 6. Als allgemeine Bedingung zur Entwicklung der Kurz-
ßichtigkeit müssen jugendliches Alter und ein gewisser Grad
von Functionstüchtigkeit des Auges bezeichnet werden. Es
ist bekannt, dass sich Kurzsichtigkeit nach dem 16. Jahre (beiläufig)
nicht mehr entwickelt; wenn das 20. oder noch ein späteres Jahr
als Zeit des Beginnens bezeichnet wird, so dürfen wir wol
meistens annehmen, dass der eigentliche Anfang nicht bemerkt
wurde. Wenn Cataracta bilateralis von Geburt an oder aus den
ersten Jahren bestanden hatte, in solchem Grade, dass der Schul-
besuch oder doch das Lesen- und Schreibenlernen unmöglich oder
sehr erschwert war, so konnte ich in keinem der Fälle nach
gelungener Staaroperation den Schluss ziehen, das Auge müsse
früher myopisch gewesen sein. Liter essant ist das Verhältniss
24
der Refraction bei Schichtstaar, welcher sehr häufig noch ein relativ
gutes Sehen für die Nähe gestattet und ebenso wie Hornhautflecke
die Kranken zwingt, feine Objecte ungebührlich nahe zu halten.
Unter 117 seit dem Jahre 1864 auf meiner Klinik operirten
bilateralen Staaren, welche von Geburt oder von den ersten Lebens-
jahren an bestanden, sind 60 als Schicht-, Ö7 als weiche, flüssige oder
geschrumpfte Totalstaare bezeichnet. Von letzteren wurden vier im 1.,
zehn zwischen dem 1. und ö., fünfzehn vom G. bis 12., zwölf vom
13. bis 20. und sechzehn zwischen dem 20. und 30. Jahre operirt.
Unter den 21 Individuen davon, bei welchen Sehproben notirt wurden,
fand sich nur eine 17jährige Gutsbesitzerstochter aus Ungarn, welche
nach Beseitigung der Cataracta durch Disscission mit convex 10 am
besten in die Ferne sah (R. j^^, L. -^); sie hatte von früher Jugend
an, auffallend aber erst seit einem Jahre, schlecht gesehen und war
mit der Diagnosis Catar. mollis oc. utr. aufgenommen worden. Nebst-
dem konnte nur noch ein 21 jähriger Bauerssohn, der im 17. Jahre
rechts, im 19. links Cataracta bekommen hatte, mit Convex 5 am besten
in die Ferne sehen (S. jr^) ; alle übrigen brauchten für die Ferne
mindestens convex 4, die meisten S^/^»
Die Aufzeichnungen über den Refraotionszustand der Augen mit
Schichtstaar sind leider nicht vollständig, indem wir unser Augenmerk
mehr auf das ätiologische Moment (Convulsionen, Ehachitis, Zahnbildung)
und auf die "Wahl der Operationsmethode (Iridektomie, Iridesis, Disscission,
Extraction ?) richteten ; dennoch geht aus denselben mit Bestimmtheit
hervor, dass Myopie, abgesehen von geringen Graden (unter ~) bei
solchen Individuen, welche wenigstens lesen gelernt hatten, relativ
häufig vorkommt.
Unter fünfzehn Kindern bis zum 11. Jahre kamen bloss zwei vor,
welche nach Beseitigung der Cataracta (Disscission) mit + ö am besten in
die Ferne sahen.
Unter vierundzwanzig zwischen dem 11. und 21. Jahre Operirten
befanden sich neun, bei denen Myopie constatirt wurde.
1. G. W., 19 Jahr, Abnahme der Sehkraft angeblich seit dem
10. Jahre. S. -^, deutlicher Meniscus, nach bilateraler Iridektomie R. mit
— 24 S. i^, L. mit— 24 S. ^.
2. U. Cl., 14 Jahr, Sehstörung beim Schulbesuche bemerkt,
M. y , mit — 1 Sn. XX in 7 Fuss ; nach Iridektomie R. u. L.
Sn. LXX in 10 Fuss.
3. K. Fr., 18 Jahr, während des Schulbesuches Schlechtsehen
auf die Tafel. M. ^ (L. Sn. CC, mit — 5 Sn. C, Jaeg. N. 3 in 4 Zoll;
R. Sn. CC, mit 5 — Sn. C, Jag. 3 in 4 Zoll ; nach Atropin : L. A : Sn.
CC weder mit noch ohne Glas und Jag. 13 in 3 Zoll mühsam; R. A:
mit — 5 Sn. CC, ohne Glas nicht, und Jag. 7 in 3 Zoll); nach
Iridektomie L. u. R. mit — 5 S. ^, ohne Glas nicht, in der Nähe
mit jedem Auge allein Jag. 3^in 4 Zoll und Worte von Jag. 2,
25
4. P. L., 14 Jahr, gibt an, von Jugend auf nicht besser gesehen
zu haben als jetzt. R. Finger in 14 Fuss, Gläser bessern nicht, Jäger 7
in 5 Zoll; L. Finger in 14 Fuss, Jäger 3 in 4 Zoll. Mit — 10 S. -^.
Nach Atropin R, M ~, S. ^-, Jäger 3 in 472 Zoll. Nach beiderseitiger
Iridektomie: R. M jq-j S. ^ und Jäger 3, L. ebenso.
5. P. J., 18 Jahr, die Trübung war schon im 5. Jahre bemerkt
worden. R. S. -ß-, Jäger 14 in 4 bis 10 Zoll, L. S. -^ Jäger 15 in 4 bis
10 Zoll. Nach Atropin S. 4r ^°^ °^^^ "f" ^^ Jäger 8. Nach beiderseitiger
Iridektomie R. -^ mit — 12 S. j^^ und Jäger 3 von 6 bis 9^/2 Zoll;
L. mit — 16 S Ljj und Jäger 3 von 5 bis 8 Zoll.
6. G. K., 20 Jahr, sah während des Schulbesuches nicht so gut
wie Andere. R. Finger in 15 Fuss, S. ^- Jäger 17 in 8 Zoll. L.Finger
in 13 Fuss, S. ^, Jäger 7 in 6 Zoll. Nach wiederholter Disscission
schliesslich: R. mit + 8 S. ^xx ^^^ ™^^ "f" ^ Jäger 1 in 8 Zoll,
L. mit + 8 S. -1^.
7. T. AI., 17 Jahr alt, hat lesen gelernt, obwol man den Staar
schon vom 6. Jahre an bemerkt hatte. L. mit — 3^2 S- -^3^"» ^^^'^^^^
-jj-, R. mit — S^/2 S. -^ . Nach Disscission und dann linearer Ex-
traction L. mit + 1^/2 S. j;^, mit + 6V2 Jäger 8 in 7 Zoll. R. (un-
voUständ. Operationserfolg) Bewegungen der Hand in 1 Fuss.
8. W. C, 12 Jahr. Anamnesis und Voruntersuchung sind nicht
notirt. L. nach Disscission mit + 5^2 S. j;^^, später -^ und mit ^- 2^^
Jäger 3 in 6 Zoll; R. erst Iridektomie, dann Disscission, schliess-
lich S. Yh-
9. H. M., 18 Jahr, wurde im 4. Jahre rechts, im 6. Jahre links
an Cataracta operirt, welche schon im 5. Monate ihres Lebens bemerkt
worden war. Obwol in diesem Falle kein Schichtstaar vorlag, so waren
doch die Verhältnisse rücksichtlich der Functionsfähigkeit wegen der
Catar. secundaria denen bei Schichtstaar analog. Nach Beseitigung des
Nachstaares sah sie R. mit + 7, links mit 4- 5 relativ am besten in
die Ferne.
Dieses relativ häufige Vorkommen von Myopie bei Schicht-
staar gewinnt an Bedeutung durch das Coincidiren von Myopie
mit leichten Hornhauttrübungen, welche seit den Kinderjahren
im Pupillarbereiche bestehen. Die Analogie mit leichten, stationären
oder sehr langsam zunehmenden Linsentrübungen liegt auf der
Hand. In beiden Fällen ist das Sehen in die Ferne erschwert
und müssen kleine Objecto dem Auge näher gebracht werden,
als bei normaler Durchsichtigkeit der Medien nöthig sein würde.
Ich habe auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen Kurzsich-
tigkeit und Hornhautflecken bei jugendlichen Individuen bereits
1851 ^) aufmerksam gemacht und bin auf denselben im 3. Bande
1) Krankh. I. B. 260.
26
p. 217, 240 und 242 näher eingegangen. Spätere Autoren scheinen
diesem Gegenstand wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben •).
Da mich schon damals das relativ häufige Vorkommen von wirk-
licher (nicht scheinbarer) Kurzsichtigkeit von dem ursächlichen
Zusammenhange beider überzeugt hatte, so habe ich später keine
weiteren Aufzeichnungen solcher Fälle vorgenommen, kann daher
auch keine ziflfermässigen Belege dafür anführen; hervorheben
muss ich indess, dass mir in jüngster Zeit aufgefallen ist, dass
in Fällen von Hornhauttrübungen aus früher Jugend mit Kurz-
sichtigkeit der Meniscus, wenn ein solcher vorhanden ist, sehr oft
nicht an der Schläfenseite des Sehnerven gefunden wird, sondern
mehr nach aussen-oben, nach aussen-unten , gerade nach oben,
gerade nach unten, ja (in einem Falle jüngster Zeit) an der Nasen-
seite. Das Vorkommen von Hypermetropie bei Individuen, welche
von früher Jugend her diffuse Hornhauttrübungen (uni- oder
bilateral) haben, kann uns so wenig befremden, als das Coinci-
diren von Hypermetropie und Schichtstaar. Die partiellen Trübun-
gen der Hornhaut oder der Linse bieten eben nur eines der
Momente dar, welche zur Myopie Anstoss geben.
Einige sehr genaue Untersuchungen von Leuten, welche auf
dem einen Auge, eine centrale Hornhauttrübung, auf dem anderen
Myopie darboten, finden sich in der unter Völker*s Aegide er-
schienenen Inauguraldissertation von R. Werth, Kiel 1874 auf
p. 14 bis 17. Wir finden daselbst nicht nur die Sehschärfe und
den Refractionszustand jedes Auges genau bestimmt, sondern auch
verlässliche Angaben über das Accommodationsvermögen des nicht
myopisch gewordenen Auges.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch gewisse Grade von
Astigmatismus in ähnlicher Weise wie leichte Trübung der
Linse oder der Hornhaut Veranlassung zu Myopie geben, indem
sie zu stärkerer Annäherung feiner Sehobjecte einladen oder
zwingen.
Da bei Individuen mit Nystagmus beinahe ausnahmslos
seit den Kinderjahren beträchtliche Herabsetzung der Sehschärfe
und somit Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit der Augen be-
^) A. V. Gräfe (A. f. O. I. a. 298) bezieht das Auftreten von Myopie bei
diffusen Hornhauttrübungen — ohne Abnormität der Wölbung — gleichfalls auf
die erhöhte Wirksamkeit der accommodativen ThStigkeit, weil die Objecte der
Beleuchtung wegen näher ans Auge gebracht werden müssen.
27
steht, so finden wir bei ihnen auch nur ausnahmsweise Augen,
denen Concavgläser einigen Dienst zum Fernsehen leisten. Wer
die Monographie von Böhm ') aufmerksam gelesen hat, dem ist
gewiss nicht entgangen, dass Böhm das causale Verhältniss gerade
umgekehrt hat, dass er die unstäte Muskelaction als das Primäre
aufgefasst hat. So lässt er, wenn nach Blennorrhoea neonatorum
Nystagmus beobachtet wird, die Entzündung der Bindehaut auf
einen oder den andern der Augenmuskeln übergreifen (p. 25).
Indem er sich auf das Vorkommen von Nystagmus in myopischen
Familien beruft, stützt er sich, um den ursächlichen Zusammen-
hang zwischen Myopie und Nystagmus zu erweisen, auf eben so
unhaltbare Deductionen (p. 44). Ganz gewiss gehört Myopie bei
Nystagmus zu den Seltenheiten. Nach KugeP) kommt Nystagmus
in seltenen Fällen als Folge hochgradiger Myopie (schon im Kindes-
alter) vor; auch Erismann^) gedenkt eines solchen Falles. Die
Myopie mit mehr weniger hochgradiger Herabsetzung der Seh-
schärfe , eigentlich die Herabsetzung der Sehschärfe vermöge
hochgradiger Myopie im Kindesalter, ist die Ursache des Nystagmus.
§. 7. Für die Fälle erworbener Myopie entsteht nun die
Frage, wodurch und in welcher Weise ein von Haus aus ge-
sundes und nicht durch Erblichkeit besonders disponirtes Auge
in den myopischen Zustand (Bau) übergeführt werden könne.
Sehen wir vorerst ab von den Fällen, in welchen ein patho-
logischer Process im hinteren Umfange des Bulbus (pathologisch
verminderte Widerstandsfähigkeit der Sclera, Entzündung der
Chorioidea) den Anstoss zur Ektasirung gegeben haben können,
und betrachten wir nur jene Fälle, wo uns nichts zur Annahme
einer erblichen Disposition am Auge oder einer pathologischen
Veränderung im Augengrunde zur Zeit der Entstehung der Myopie
berechtigt, so finden wir, dass bei jugendlichem Alter und bei
einem gewissen Grade von Arbeitsfähigkeit des Auges (nach §. 6)
nur solche Augen myopisch werden, welche emmetropisch,
mindestens nicht stark hypermetropisch gebaut sind. Es
lässt sich die Möglichkeit nicht bestreiten, dass jugendliche Augen,
welche in geringem Grade hypermetropisch sind (etwa bis
*) Der Nystagmus, Berlin 1857.
2) A. f. O. Xm. b. 415.
3) A. f. O. XVII. a. 21.
28
H. t. Y^), während des natürlichen Wachsthums in emmetropische
und somit weiterhin noch in myopische verwandelt werden können.
Ed. Jäger hat auf solche Wandhmgen hingedeutet und Eris-
mann ') schliesst nach seinen Beobachtungen an 4358 Schul-
besuch ern und dem relativ häufigen Vorkommen von Hjpermetropie
bei jüngeren Schülern, dass Hypermetropie um die Zeit, wo der
Schulbesuch beginnt, der gewöhnliche (weil am häufigsten beob-
achtete) Refractionszustand des noch stark im Wachsen begriflFenen
Auges sei, dass nur ein kleiner Theil hypermetropisch bleibe,
während der grössere zunächst emmetropisch werde, und dass
hievon wieder ein gewisser Percentsatz der Myopie verfallen
könne und beim Schulbesuche wirklich verfalle. „Viele, die als
Hypermetropen in die Schule eingetreten waren, verlassen dieselbe
als Myopen stärkeren oder schwächeren Grades." Die Angabe
specieller Fälle, in denen ein solcher Uebergang constatirt wurde,
finden wir bei Erismann nicht. Er führt indessen an, p. 65,
schon Junge habe Schwankungen in der Refraction von H. -^^
bis M. -^ gefunden, und fügt hinzu, jetzt habe er selbst Hunderte
von hypermetropischen Augen im Laufe weniger Schuljahre nach
und nach emmetropisch und schliesslich myopisch werden gesehen.
NageP) versichert gleichfalls den Uebergang von Hypermetropie
in schliessliche Myopie zu wiederholten Malen beobachtet zu haben.
Nach SchnabeP) hat Ed. Jäger „bei einem jetzt 18jährigen,
hochaufgeschossenen Jünglinge vor beiläufig 5 Jahren H. -- mit
aller Bestimmtheit constatirt, und jetzt ist der junge Mann em-
metropisch; von einem Conus besteht keine Spur. Der Umschlag
der Refraction ist in diesem Falle offenbar nicht durch Ent-
wicklung eines Staphyloma posticum, sondern durch ein ver-
mehrtes Wachsthum des Bulbus in der Richtung der Augenachse
erfolgt, und es ist sehr wohl möglich, dass eine Fortdauer dieser
Wachsthumstendenz sogar noch zum Entstehen einer Myopie
massigen Grades führen wertle". Dass man die Myopie auch bei
erblicher Disposition nicht einfach als das Ergebniss „vermehrten
Wachsthums in der Richtung der Augenachse" auffassen könne,
darüber habe ich mich schon im §. 4 ausgesprochen. Wie es sich
erklären lasse, dass Myopie nicht auftritt, wo früher ein hoher
Grad von Hypermetropie bestand, soll im §. 16 erörtert werden.
1) A. f. O. XVII. a. 14, 15.
2) Jahresbericht, 1873, p. 419.
3) A. f. O. XX. b. 69.
29
§. 8. Das Wachsen des Auges ist mit der Entwicklung der
Pubertät ganz oder nahezu beendet (mindestens bis zum 20. Jahre).
Die Form des um diese Zeit emmetropischen oder hypermetro-
pischen Auges bleibt von da bis zum Greisenalter ganz oder
nahebei unverändert. Nur die myopischen Augen machen hievon
gewöhnlich eine Ausnahme, wenigstens bei den höheren Graden
der Myopie; mittlere und geringe Grade bleiben stationär, wenn
nicht besondere Umstände einwirken.
Einen auffallenden Unterschied in den verschiedenen Lebens-
epochen zeigt die Sclerotica; ihre relativ dünne Beschaffenheit
bis zum Mannesalter ist bekannt durch die bläuliche Färbung
(Durchscheinen). Bei allgemeiner oder partieller Ektasirung
derselben können wir aus dieser Farbe auf den Grad der Ver-
dünnung schliessen. An den Austrittsstellen der vorderen Ciliar-
venen sieht man nicht selten dunkelblaue oder dunkelbraune
Punkte, bisweilen auch mohn- bis hirsekorngrosse Erhöhungen
(kleine Scleralektasien) als Folgen von Ueberfüllung dieser vor-
deren Emissarien des Bulbus.
Wir können an der Sclerotica zwei Schichten oder Lagen
unterscheiden, eine äussere und eine innere. Im Fötalleben ist
anfangs nur die innere vorhanden; die äussere entwickelt sich
erst später. „Die Sclera, bis Ende des 3. Monates sehr dünn,
wird durch Auflagerung von Bildungsstoffen fester und undurch-
sichtiger. Man sieht deutlich, dass sich auf die äussere Fläche
der Sclera eine neue Membranschicht auflagert; dieselbe bildet
eine feste fibröse Schicht der Sclera, umgibt die Gefässe und
Nerven auf der äusseren Seite und bildet so die schräg ver-
laufenden Foramina perforantia sclerae." ^) Nach der Geburt (und
später) lassen sich in der Umgebung der Cornea, besonders aber
in der Umgebung des Sehnerven diese zwei Schichten noch unter-
scheiden, hinten durch grössere Lücken, vorne durch verschie-
denes (entgegengesetztes) Streichen der tieferen und oberfläch-
lichen Faserlagen.
Im hinteren Bulbusumfange hängt nicht nur die innere
Scleralschichte continuirlich mit der inneren Sehnervenscheide
zusammen, sondern es biegen auch die Faserzüge der äusseren
Sehnervenscheide ununterbrochen in die äussere Scleralschichte
um, obgleich hier, namentlich an der Umbeugungsstelle, zwischen
*) Ammon, Entwicklungsgeschichte. A. f. O. IV. a. 16 und 17.
▲ rlt. UrsAchen der KnrzBichtigkeit. 3
30
den Fasern grössere Lücken oder Zwischenräume bestehen. Auf
letzteren Zusammenhang hat Ed. Jäger') zuerst aufmerksam ge-
macht; nach ihm haben auch Donders,^) Giraud Teulon^) u. A.
darin einen causalen Nexus zur Ektasirung des Bulbus angenommen.
Ich habe mich bereits in §. 2 dahin ausgesprochen, dass man
die Zerklüftung in der Sehnervenscheide und in der Sclerotica,
welche Jäger's Zeichnungen sowol als die Präparate, die ich
gesehen, darbieten, vielmehr als die Folge der Vergrösserung des
Bulbus und der Verdrängung des Sehnerven nach der Seite und
nach hinten anzusehen habe. Die grösste Erweiterung des Intra-
Vaginalraumes in hochgradig myopischen Augen findet man, wie
mir scheint, öfter an der Nasen- als an der Schläfenseite des
Opticus, und die Auflockerung der Sclera in ihren Schichten,
namentlich zwischen den oberflächlichen und tieferen Lagen, lässt
sich oft noch eine grosse Strecke weit sowol nasen- als schläfen-
wärts vom Opticuseintritte verfolgen.
Sehen wir uns nach anatomischen Eigenthümlichkeiten jener
Scleralpartie um, welche bei Myopie zunächst ektatisch angetroffen
wird, so finden wir (im normalen Auge) daselbst im Gefüge der
Sclerotica nichts Besonderes, weder im Faserverlaufe, noch in
der Anordnung der Gewebsspalten (Michel). Nach der Mächtig-
keit der Sclera in dieser Gegend möchte man sogar grössere
Widerstandsfähigkeit erwarten. Die Sclera wird jedoch gerade in
der Gegend des hinteren Poles von den zahlreichen Ciliarnerven
und hinteren Ciliararterien durchbohrt; dies könnte unter Um-
ständen (bei Hyperämie) ihre Widerstandsfähigkeit vermindern.
Auch Hasner **) hat auf die Ein- und Austrittsstellen der Ciliar-
gefässe an der Sclera als disponirendes Moment zur Ektasie hin-
gedeutet.
Heben wir noch hervor, dass die Sclera in dieser Gegend
eben durch die Gefässe und Nerven fester als weiter vorne an
die Chorioidea angeheftet erscheint und dass sie anderseits an der
Aussenfläche daselbst nur durch ein ganz besonders lockeres Binde-
und Fettgewebe gedeckt (gestützt) wird, so haben wir wol auf
alles dieser Partie Eigenthümliche aufmerksam gemacht.
•
*) EinstellnngeD des dioptr. Apparates, Wien 1861.
2) Anomalien der Refraction, Wien 1866.
3) Du m^canisme et du d^veloppement du staph. post. Ann. d'ocul. 1866,
20. Nov.
*) KUniflche Vorträge, Prag 1861, p. 15.
31
§. 9. Die Verlängerung des Bulbus bei Myopie ist nicht die
Folge physiologischen Wachsthumes vermöge eines ihm ab ovo
innewohnenden eigen thümlichen Bildungstriebes; sie muss als Folge
von Dehnung, von Verdrängung der hinteren Wand aufge-
fasst werden^ und sie ist unter allen Umständen das Product von
zwei Factoren, welche bald früher, bald später und in verschie-
denem Grade zur Geltung kommen. Der eine dieser Factoren ist
die relativ ungenügende Widerstandsfähigkeit der hinteren
Wand, namentlich der Sclerotica. In einem gewissen Grade darf
sie in jedem jugendlichen Auge als vorhanden vorausgesetzt wer-
den; ein höherer Grad wird bei erblicher Myopie als besondere
Disposition supponirt; hohe Grade können wol auch durch Er-
krankungen der hinteren Wand (Erweichung, Entzündung, nach
§. 4) gesetzt werden.
Der andere Factor ist fehlerhafte Muskelaction. Dieser
Fehler kann darin liegen, dass die Augen in ungebührlicher Weise
zum Betrachten naher Gegenstände verwendet werden, aber auch
darin, dass bei nicht übermässiger Augenarbeit das Sehen in die
Feme vernachlässigt wird. Vergl. §. 20. Wir sprechen hier natür-
lich nur von jener Muskelaction, welche im Dienste des Deutlich-
sehens erfolgt, also von der accommodativen Thätigkeit und von
der Convergenz der Sehlinien. Wo die Functionstüchtigkeit des
Auges unter einem gewissen Niveau steht, fehlt demnach der
zweite der eben genannten Factoren.
Ich pflege Kurzsichtigen, welche um die Zukunft ihrer Augen
ängstlich besorgt sind, den Vergleich kurzsichtiger Augen mit buckligen
Menschen vorzuführen. Ich sage ihnen, das Buckligsein involvire nicht
vorzeitigen Tod, aber der Bucklige müsse auf Manches verzichten, was
Andere mitmachen dürfen. Diese Parallele lässt sich wol auch rück-
sichtlich der Entstehung beider Uebel durchführen. Gewiss gibt es
Leute, welche im jugendlichen Alter blos durch schlechte Körperhaltung
(einseitige Muskelverwendung) vermöge der natürlichen Biegsamkeit des
Skelettes skoliotisch geworden sind, bei welchen man keine specielle
angeborne oder erbliche Disposition im Knochensystem, keine ander-
weitige Erkrankung nachweisen kann. Gewiss gibt es aber auch Viele,
welche unter denselben Einflüssen, soweit man diese erfahren kann,
nicht bucklig wurden. Wenn man eine grosse Zahl von Männern aus
dem Gelehrtenstande oder auch von gewissen Handwerken durchmustert,
welche schon vor der Pubertät zu einseitiger Körperhaltung veranlasst
waren, so wird man im Vergleiche mit einer gleichen Zahl von Männern,
die nicht zu solcher fehlerhafter Körperhaltung gezwungen waren, oder
welche allgemeine Muskelübung daneben nicht ausser Acht Hessen,
sicherlich den Unterschied im Verlaufe der Wirbelsäule und somit die
8*
32
Abhängigkeit der Verkrümmung von der einseitigen Muskelaotion bald
herausfinden. Diese Betrachtung legt es uns nahe, zu untersuchen, ob
nicht einseitige Muskelaotion am Auge auch zu Formveränderung seines
Skelettes führen könne. ^) Sind die Maassregeln, die man bei der Schul-
jugend gegen das Buckligwerden anwendet, theoretisch und praktisch
gerechtfertigt, und lässt sich ein nachtheiliger Einfluss der Augenmuskeln
in dem genannten Sinne nachweisen, so muss man wol auch auf ent-
sprechende Gymnastik der Augen, namentlich auch auf üebung im
Fernsehen schon in den Kinderjahren bedacht sein. Wenn die zunehmende
Cultur uns Mittel bietet, der Ueberhandnahme von Verkrümmungen der
Wirbelsäule entgegen zu wirken, so wird es wol auch möglich sein,
dem Umsichgreifen der Kurzsichtigkeit zu steuern. Sehen wir aber
überall, wo Kurzsichtigkeit auftritt, nur den Ausdruck der Erblichkeit,
so lassen wir die Sache gehen, wie sie geht. Der ab ovo zur Kurz-
sichtigkeit Bestimmte wird schliesslich doch kurzsichtig.
§. 10. Fragen wir uns nun, in welcher Weise kann über-
mässige und einseitige Verwendung der Augen zum Nahesehen
eine Verdrängung der hinteren Wand bei relativ geringer Wider-
standskraft derselben und weiterhin die übrigen dem myopischen
Auge eigenthümlichen Veränderungen bewirken, und untersuchen
wir zunächst, welchen Einfluss die Binnenmuskeln, respec-
tive der Accommodationsact, auf die Ueberführung des
emmetropischen Baues in den myopischen nehmen können
und wirklich nehmen.
Da die Iris in den Accommodationsact nur insofern mit ein-
tritt, als sie die Quantität des zur Netzhaut gelangenden Lichtes
regulirt und Zerstreuungskreise bei ungenauer Einstellung bis auf
einen gewissen Grad verkleinert, so sind wir auf die Veränderungen
angewiesen, welche der Ciliarmuskel beim Accommodationsacte
bewirkt. Wir wissen seit Helm holz 2), dass die Accommodation
durch die Formveränderung der Linse vermittelt wird, und Knappt)
hat gezeigt, dass diese Formveränderung den optischen Anforderun-
gen genügt. Aber wir sind noch im Unklaren über den Vorgang,
durch welchen die Formveränderung der Linse zu Stande kommt.
Die Hypothese von Helmholz, dass die Linse vermöge ihrer
Elasticität convexer werde, sobald der Druck nachlässt, welchen
die Kapsel vermöge einer gewissen Spannung der Zonula auf die
Linse übt, beruht, was die Elasticität der Linse betrifft, auf
^) Einseitig als Gegensatz zn allseitig oder ebenmässig.
2) A. f. O. I. b. 1.
3) A. f. O. VI. b. 1.
33
sicheren Stützen. Wir finden die Linse im Auge convexer, wenn
die Zonula an Widerstandsfähigkeit verloren hat, bei Luxatio,
bei Ektopia lentis.
Einem Gärtner, welcher von Jugend auf angeblich an Kurzsichtig-
keit, eigentlich aber an Luxatio lentis utriusque gelitten hatte, glitt
eines Morgens beim Graben die in der Kapsel eingeschlossene, voll-
kommen klare Linse in die Vorderkammer. Am 4. Tage fand ich, dass
es am besten sein werde, dieselbe durch einen Hornhautschnitt zu ent-
fernen. Der seichte Bogenschnitt liess sich ohne Verletzung der Kapsel
ausführen, weil die Linse im Aequatorialdurchmesser bedeutend kleiner
war. Die Messung ausserhalb des Auges ergab im Aequatorialdurch-
messer 6*5 Mm., im Achsen durchmesser circa 5 Mm.
Sehr instructiv finde ich auch eine Beobachtung von Aub*), wo
eine partielle Trennung der Zonula (traumatischen Ursprunges) eine
partielle Vorwölbung der Linse und Metamorphopsie — transitorisch —
zur Folge hatte.
Wir finden die Aecommodationsbreite eingeschränkt bei
Schichtstaar jugendlicher Individuen 2)^ und wir finden sie, wie
Donders^) gezeigt hat, in dem Maasse abnehmen, als die Linse
mit zunehmenden Jahren mehr und mehr an Consistenz zunimmt,
also an Wassergehalt der Fasern und somit auch an Elasticität
verliert.
Der zweite Factor der Helmholz' sehen Hypothese, die
Entspannung der Zonula durch die Action des Ciliarmuskels , ist
dagegen bei weitem noch nicht befriedigend erklärt. Man kann den
bisher bekannt gewordenen Erklärungsversuchen durchschnittlich
vorwerfen, dass dabei immer eines oder das andere Moment hervor-
gehoben, andere dagegen ignorirt wurden. Dies gilt theils von
den Erscheinungen im Leben, theils von den anatomischen Ver-
hältnissen im Cadaver. — Durch Beobachtung an Lebenden ist
Folgendes sicher gestellt :
1. Bei der Accommo da tion weicht die Iris an der Peripherie
etwas nach hinten, während der Rand der sich verengernden
Pupille vorwärts rückt (Helmholz).
2. Die Linse wird convexer, mehr an der Vorder-, als an
der Hinterfläche (Gramer, ^) Helmholz, Adamükund Woinow^),
*) Archiv für Augen- und Ohrenheilkunde. II. a. 259.
2) O. Becker in GrSfe u. Sämisch Handbach der Augenheilkunde, V. a. 241.
3) A. f. O. VI. b. 210.
*) Ueber das Accommodationsvermögen. Deutsch von Doden, Leer 1856,
*) A. f. O. XVI. a. 144.
34
Reich,) ^) ohue ihren Standort in toto merklich zu ändern; ihr
Aequatorialdurchmesser wird kleiner (Coccius)^).
3. Die Ciliarfortsätze rücken etwas ein- und vorwärts und
werden zugleich breiter (Coccius). Sattler sah unter Ein-
haltung der nöthigen Vorsichtsmassregeln bei einem Albino, den
ich ihm zur Prüfung dieses Phänomens zugewiesen, dass die
Zwischenräume der beim Fixiren eines nahen Objectes deutlicher
sichtbar werdenden Ciliarfortsätze schmäler wurden. Sie erreichen
jedoch den Rand der Linse nicht, ihr Abstand von diesen^ wird
vielmehr grösser (O. Becker), 3) indem sich der Aequatorial-
durchmesser der Linse verkürzt (Coccius).
4. Die meridional streichenden Fasern des Ciliarmuskels
(Brücke's tensor chorioideae) bewirken eine Verschiebung der
Chorioidea an der Sclerotica, welche bis in die Aequatorialgegend
des Bulbus nachgewiesen werden konnte, in der Gegend des
hinteren Poles jedoch gewiss nicht mehr zum Ausdruck gelangt
(Hensen und Völkers).*)
5. Von der Venenpulszunahme in der Retina bei steigender
Accommodation , welche Gräfe ^) beobachtet zu haben angibt,
konnte sich Donders^) wegen Enge der Pupille nicht überzeugen;
dieses Phänomen würde direct für Drucksteigerung im hinteren
Augenraume sprechen; dass eine solche stattfindet, wird sich
aus den späteren Betrachtungen ergeben.
6. Gleichzeitig mit dem Steigen der Accommodation erfolgt
Steigen der Convergenzstellung, wenigstens unter den gewöhnlichen
Verhältnissen (D o n d e r s).
7. Sehr merklich tritt bei der Accommodation für die Nähe
der Bulbus jedesmal nach vorn, wobei sich das obere Lid hebt
(Donders)'). Coccius s) hatte die Ortsveränderung des Bulbus
beim Nahe- und Fernsehen schon früher beobachtet.
8. Wer einen nahen Gegenstand deutlich sehen will, senkt
die Blickebene (hält den Gegenstand unter der Horizontalen) ;
1) A. f. O. XX. a. 207.
2) Mechanismus der Accommodation^ Leipzig 1868.
3) Wiener medicin. Jahrb. 1863.
*) Experimentaluntersuchung über den Mechanismus der Accommodation,
Kiel 1868 und A. f. O. XIX. a. 166.
6) A. f. O. I. a. 36.
•) Anomalien p. 104.
7) A. f. O. XVII. a. 100.
^) (Mechanismus pag. 63).
35
um besser in die Ferne zu sehen^ blicken wir gradaus oder mit
etwas vornüber geneigtem Kopfe (bei gehobener Blickebene, Arlt).^)
9. Nach stundenlanger forcirter Accommodation können ent-
fernte Objecto eine Zeitlang nicht wie vorher erkannt werden
(Arlt, ibidem, Coccius Mechanismus p. 59).
Der anatomische Befund des Ciliarmuskels bei den
drei verschiedenen ßefractionszuständen zwingt uns, den Ring-
fasern eine andere Rolle zuzuweisen, als den Längsfasern.
In jenen Augen ^ welche seit einer mehr weniger langen Reihe
von Jahren die Accommodation wenig oder gar nicht in Anspruch
genommen haben, weil sie schon vermöge des anatomischen Baues
nicht dazu genöthigt waren, finden wir die Ringfasern gar nicht
oder nur spärlich vorhanden; das Gegentheil zeigt sich in den
schon beim Fernsehen auf Accommodation angewiesenen (hyper-
metropischen) Augen. Dagegen sind die Längsfasern in myopischen
Augen relativ stärker entwickelt, in hypermetropischen schwächer.
Dieses Verhältniss gewinnt an Bedeutung noch dadurch, dass wir
es bei verschiedenen Graden von Myopie und Hypermetropie
ziemlich proportionirt ausgesprochen finden. Die hier beigefügten
Abbildungen meridionaler Durchschnitte des Ciliarmuskels, welche
mir Dr. Sattler angefertigt hat, zeigen dieses Verhältniss sehr
deutlich. Fig. 4. zeigt den meridionalen Ciliarmuskeldurchschnitt
eines myopischen Auges von 25 Mm. Achsenlänge (von der vor-
deren Fläche der Hornhaut bis zur hinteren der Netzhaut ge-
messen). Fig. 5. Ciliarmuskel eines myopischen Auges von 31 Mm.
Achsenlänge. Fig. 6. Ciliarmuskel eines hypermetropischen Auges
von 20 Mm. Achsenlänge. Fig. 7. Ciliarmuskel eines hypermetro-
pischen Auges (eines Negers) von 22*25 Mm. Achsenlänge. Aus
solchen Befunden darf man wol folgern, dass die Accommodation
für die Nähe vorzugsweise durch die Activität der Ringfasern zu
Stande komme.
§. IL Wahrscheinlich findet also beim Einstellen
des dioptrischen Apparates für die Nähe folgender Vor-
gang statt. Die mit der Innenfläche der Sclerotica mehr weniger
parallel (concentrisch) streichende Längs faserschicht, vorn mit
der Corneoscleralgrenze, hinten (in der Gegend der Ora serrata)
mit der Chorioidea und (mittelbar) mit der Retina fest verbunden,
bewirkt eine Vor- und Einwärtsbewegung des vorderen Theiles
Krankh. des Auges, III. 196.
36
(Gürtels) der Netz- und Aderhaut. Dieser Zug dürfte sieh nicht
weit hinter den Aequator bulbi rückwärts erstrecken, weil an den
Austrittsstellen der Wirbelvenen die Verbindung zwischen Chorioidea
und Sclera eine so feste ist, dass eine erhebliche Verschiebung
beider an einander unwahrscheinlich wird. Mit der Chorioidea
muss nicht nur der vordere Theil der Netzhaut, sondern auch die
damit fest verbundene periphere Lage des Glaskörpers etwas ver-
schoben werden. Daraus würde sich Czermak's Accommodations-
phosphen ^) bei schneller Entspannung der Netzhaut erklären lassen.
Nach Berlin's 2) Angaben über den Ort und die Form des
Accommodationsphosphens würde sich jedoch die Zugwirkung des
Ciliarmuskels bis ungefähr in die Mitte zwischen Bulbusäquator
einer-, und Opticusinsertion und Macula lutea andrerseits er-
strecken. — Wäre der Glaskörper eine einfache wässerige Flüssig-
keit, so könnte er wol verdrängt, nicht aber verschoben werden.
Die Verschiebung der Nadeln beim Versuche von Hensen und
Völkers würde schwerlich erfolgen, wenn blos die knapp an
der (in der Aequatorialgegend fast papierdünnen) Sclera liegende
Chorioidea eine Locomotion erlitte. Die Richtung, in welcher die
von Coccius^) betonte Verschiebung der mit der Netzhaut und
mit dem Ciliarkörper bis zum Petit'schen Canale fest verbundenen
peripheren Schichten des Glaskörpers erfolgt, geht mehr ein- als
vorwärts, also gegen den Linsenrand. Diese Verschiebung könnte
möglicherweise einen Druck gegen die Peripherie der Linse aus-
üben (Coccius). Wahrscheinlich jedoch wird ein solcher Druck
nicht ausgeübt, wie aus den späteren Betrachtungen erhellt.
Die mit der Innenfläche der Sclera concentrisch verlaufen-
den Längsfasern beschreiben, worauf auch Henke ^) Gewicht
gelegt hat, in ihrem Verlaufe vom Schlemm'schen Canale bis zur
Ora serrata einen seichten Bogen, und stehen mittelst ihrer tieferen
Schichten vorn mit dem Ligamentum pectinatum iridis und mit
dem Irisursprunge selbst in Verbindung. Während die oberfläch-
liche (längste) Faserlage fest mit der Corneoscleralgrenze ver-
bunden ist, steht die tiefere mittelst kleiner Köpfchen mit dem
Ligamentum pectinatum in Verbindung. Indem sich diese Schichten
zusammenziehen und an ihrer gegen den Glaskörper gerichteten
1) A. f. O. VII. a. 147.
2) A. f. O. XX. a. 89.
3) Mechanismus der Accomm. p. 41.
*) A. f. O. VI. b. 53.
37
concaven Seite auf Widerstand stossen, vermögen sie, da ihr
hinteres Ende eine grosse Last zu bewegen hat, auch die mit
ibux-em vorderen Ende verbundenen Gebilde, speciell das von der
Cornea zur Iris streichende elastische Fasernetz und die Peripherie
d^x Iris etwas rück-, respective auswärts zu ziehen, also die
EI stmmer an der Peripherie zu erweitern. ^) Bei dieser Action
nix:i88 oflfenbar ihre mittlere etwas anschwellende Partie unverrückt
blähen, d. h. ungefähr jene Partie, welche man treffen würde,
w^^nn man einen Schnitt durch den Bulbus in der Ebene des
L«i Ksenäquators fuhren möchte. Diese Partie wird demnach weder
eixi- noch auswärts verschoben (ein- und auswärts ist richtiger
gesagt, als vor- und rückwärts, wie ein Blick auf eine gute
E> i:irchschnittszeichnung zeigt). Für diese Annahme spricht, dass
H ensen und Völkers an den Nadeln, welche in den Ciliarmuskel
Sollst (also wol in der Mitte) eingestochen wurden, keine Ver-
sen luebung bemerkten. Dem Abweichen der sich contrahirenden
LS.ngsfaserschicht von der Sclerotica dürfte theils ihr Dicker-
w^^rden, theils der Gegendruck des Glaskörpers steuern.
An die bisher betrachtete eigentliche Längsfaserschicht schliesst
si^cili nach hinten — innen (gegen den Glaskörper hin) eine mehr
w'^niger mächtige Lage von Fasern an, welche sich von jenen
zo^nächst durch andern Verlauf und durch zahlreiche Lücken
z'vvischen ihren Bündeln unterscheiden. Sie fahren, an meridionalen
l^virchschnitten betrachtet, von der Gegend des Ligamentum
P^ctinatum strahlenförmig gegen die Ciliarfortsätze bis zu deren
"ixiteren Anfängen aus und verflechten sich im weitern Verlaufe in
i^^nnigfacher Richtung. Die mehr oberflächlichen davon schliessen
^*^oh unmittelbar an die Längsfaserschicht an und weichen von deren
Dichtung nur wenig ab; die tieferen, immer kürzer und kürzer
^^rdend, nehmen mehr einen nach hinten (nicht hinten — aussen)
Sehenden Verlauf an, und die nächst der Iris streichenden zeigen
^*ti einzelne Bündel, welche in ihrem Verlaufe gegen die innere
'^a.nte (des ganzen Muskels) sogar ein wenig einwärts abbiegen.
^«ich Durchschnitten in verschiedenen Richtungen ist es wahr-
^heinlich, dass viele dieser Fasern aus der radiären Richtung in
^irculären Verlauf umbiegen. Wenn es überhaupt selbständige
Circulärfasern gibt, d. h. solche, welche nicht direct mit radiären
1) Heiberg^ Kjalmar in Zehender's klin. Monatsbl. 1870 p. 80 be-
tnchtet die glänze vordere Insertion des Ciliarmuskels als beweglich.
38
in Verbindung stehen, und das ist ziemlich sicher nachgewiesen,
so vermitteln diese circulären Ausläufer der radiären jedenfalls
eine innige Verbindung mit den selbständigen circulären Muskel-
fasern. Die Analogie mit den radiären und circulären Fasern in
der Iris macht diese Anschauung plausibel. „In hypermetropischen
Augen kann man bei äquatorial geführten Schnitten oft sehr lange
Schichten oder Züge von Ringfasern zu sehen bekommen; auch
bekommt man in hochgradig hypermetropischen Augen in der
Gegend der inneren Kante bei solchen Durchschnitten nichts von
(quer oder schräg durchschnittenen) meridionalen Fasern zu sehen."
(Nach Präparaten von Sattler.)
Wenn nun diese radiären Fasern gleichzeitig mit den longi-
tudinalen in Action treten, und das ist mindestens höchst wahr-
scheinlich, so müssen sie die mit den Ciliarfortsätzen fest ver-
bundene Zonula (zwischen Ora serrata und Canalis Petiti) oflFen-
bar gegen die sich spannende Längsfaserschicht hinziehen und
dem an der concaven Fläche des Ciliarkörpers haftenden Glas-
körper etwas Raum schaffen, somit das Zurückweichen des Glas-
körpers in der Mitte der tellerförmigen Grube erleichtern. Im
Vereine mit den oberflächlichen, rein longitudinalen Faserlagen
bilden sie gewissermassen einen festen Ring oder Reifen, welcher
Stand hält, wenn die Ringfaserschicht durch erhöhte Contraction
gegen die sagittale Augenachse hin wirkt und die Wölbung der
Cornea zu steigern droht.
Nach diesen Erwägungen können wir die Entspannung der
Zonula (des freien Theiles derselben) wol nur der gleichzeitig
erfolgenden Action der Ring fasern zuschreiben, welche am
mächtigsten in der gegen den Linsenäquator vorspringenden
(inneren) Kante des Ciliarmuskels auftreten. Da eine Ebene, durch
diese Kante gelegt (also senkrecht auf die Linsenachse), vor dem
Linsenäquator durch den Bulbus streicht (Arlt), ^) so lässt sich
nicht annehmen, dass beim Engerwerden des von dieser Kante
beschriebenen Kreises die Ciliarfortsätze gegen den Linsenrand
drücken, weder unmittelbar, wogegen die Beobachtung (Breiter-
werden des Abstandes zwischen Ciliarfortsätzen und Linsenäquator)
spricht, noch mittelbar durch Druck auf die im Petit'schen Canale
enthaltene Flüssigkeit (H. Müller); wol aber kann die Contraction
der Ringfasern bei gleichzeitig eintretender Schwellung der Ciliar-
1) A. f. O. III. b. 113.
39
ibrtsätze bewirken, dass der periphere Fixpunkt der Zonula (vor
<iein Petit' sehen Canale) dem am Kapselrande gelegenen Fixpunkte
derselben genähert werde. Die Entspannung des freien Theiles
4er Zonula wird also durch Einwärtsschiebung ihrer peripheren
IBefestigung gegen den Linsenrand, nicht durch Vorwärtsziehung
<[erselben gegen den Schlemm'schen Canal hin (Brücke) bewirkt.
Zm Glaskörper findet jedenfalls eine Verschiebung statt, in der
Weise, dass die hinter der Mitte der tellerförmigen Grube liegen-
<ien Schichten leicht zurückweichen können (beim Andringen der
«ich wölbenden Linse), während gegen die Peripherie theils durch
^e Contraction der radiären Ciliarmuskelfasern, theils durch das
JKleinerwerden der Linse im Aequatorialdurchmesser Platz ge-
3nacht wird.
Bei dieser Vorstellung von dem Accommodationsmechanismus
^rd es begreiflich, wie die Linse vor Compression und vor er-
leblichem Widerstände an ihrer Hinterfläche geschützt, somit das
-freie Spiel ihrer Elasticität gewahrt wird, und wie Linsenäquator
Tind Zonula (Aufhängeband der Linse) ihre relative Lage zum
vorderen und hinteren Pole des Auges unter normalen Verhält-
xiissen beibehalten können.
Bei der Einstellung für die Ferne lässt die Contraction
Glicht nur der Ring-, sondern auch der Längs- und Radiärfasern
:iiach und treten die früher verschobenen Theile in jene Lage
zurück, welche ihnen vermöge des anatomischen Baues zukommt.
alsdann ist die Zonula auch in ihrem freien Theile gespannt und
^irkt mittelst der gespannten Kapsel abplattend auf die Linse.
A\x{ das Nachlassen der erhöhten Spannung der Längsfasern beim
Blick in mittlere und grössere Entfernung deutet die Wiederkehr
der gewöhnlichen Lage des peripheren Theiles der Iris.
Gänzlicher Ruhezustand des Accommodationsapparates
darf wol nur während des Schlafes angenommen werden. Nach der
Analogie mit dem Sphinkter iridis und mit anderen Sphinkteren darf
man annehmen, dass während des Schlafes die Längs- und Radiärfaser-
schicht gänzlich entspannt, dagegen die Eingfaserschicht ad summum
contrahirt sei. Die Linse kann dann in ihren Ruhezustand zurückkehren.
Nach der bisher gangbaren Anschauung über den sogenannten Ruhe-
znstand des Accommodationsapparates, wobei die Linse nicht nur beim
Wachen, sondern auch während des Schlafes abgeplattet erhalten wer-
den müsste und nur beim Nahesehen, also durchschnittlich relativ sehr
wenig ihrer Tendenz zum Convexerwerden folgen könnte, ist nicht ein-
zusehen, wie dieses so zu sagen beständig unter Druck stehende Organ
seine Expansionstendenz bewahren könnte.
40
Gleichwie beim Fernblick die Pupille einen gewissen Grad von
Erweiterung zeigt, wobei gewiss nicht blos ein Nachlassen der Ringfaser-
action, sondern auch eine gewisse Thätigkeit der radiären Irisfasern
obwaltet, dürfen wir wol auch im Accommodationsmuskel rücksichtlich
der circulären und radiären (Längs-) Fasern sowol eine antagonistische,
als eine sich zu gleichem Zwecke untertützende Action annehmen, und
so wie dort bei Lähmung des Sphinkters (bei Oculimotoriuslähmung)
die Erweiterung der Pupille, durch Nichtaction des Sphinkters gesetzt,
durch Atropin (Reizung sympathischer Fasern) noch bedeutend ge-
steigert werden kann, dürfen wir an ein analoges Verhalten zwischen
Ring- und Radiärfaserschicht des Ciliarkörpers denken und die Möglich-
keit einer negativen Einstellung (übergewöhnliche Abplattung der
Linse) vorläufig nicht absolut negiren. So lange indess der Nachweis
einer verschiedenen Innervation der Ring- und der Radiärfasern nicht
geliefert ist, kann eine solche negative Accommodation auch nicht
positiv behauptet werden. Trautvetter*) schliesst aus der Analogie
mit dem Vogelauge, dass auch beim Menschen der N. oculomotorius
der Accommodationsnerv sei ; er nimmt aber auch an, dass bei der
Helmholz 'sehen Auffassung des Mechanismus der Accommodation nur
eine einzige active Thätigkeit stattfinde, daher auch nur für diese ein
einziger Nei^" vorauszusetzen sei. Hätte er das verschiedene Verhalten
des Ciliarmuskels in myopischen und hypermetropischen Augen gekannt,
so würde er sich wahrscheinlich nicht für eine gemeinschaftliche Inner-
vation der Ring- und Radiärfasern ausgesprochen haben. Mir scheint
im Ciliarkörper eine doppelte Innervation so gut angenommen werden
zu müssen, wie in der Iris. Rücksichtlich dieser verweise ich auf die
in jeder Beziehung ausgezeichnete Arbeit von Stellwag (intraocularer
Druck, p. 74—100).
Es ist auffallend, dass eine Beobachtung von Forst er, 2) welche
auch Coccius^) bestätigte, späterhin so wenig Beachtung gefunden hat.
Sie hat meines Erachtens den Werth eines wohlangelegten Experimentes
über die Wirkung des Atropins auf den Ciliarmuskel. Die Individuen
waren alle jung, also wol auch noch mit guter Accommodationskraft
versehen. „Die Vertiefung des mittleren Theiles der Cornea verschwand,
wenn die Kranke in die Ferne sah und trat wieder auf, sobald sie
(mit dem anderen Auge) den nahestehenden Finger fixirte." „Nach der
Function einer conischen Cornea (Keratoconus) , welche indess keine
vollständige Entleerung des Kammerwassors bewirkt hatte, coUabirte
dieselbe za einer Grube beim Blick in die Nähe und wurde oonvex
beim Blick in die Ferne." „Bei einer 35 Jahre alten Frau mit einem
stecknadelkopfgrossen, perforirenden Hornhautgeschwür erschien nach
Abkappung des kleinen Irisvorfalles das Hornhautreflexbild mit Deut-
lichkeit grösser beim Blick in die Nähe und kleiner beim Fixiren eines
fernen Gegenstandes. Dies wurde beobachtet, bevor das Auge einer
1) A. f. O. Xn. a. 95.
2) Heidelb. Sitzung 1864 in klin. Monatsblättern 1864, p. 368.
3) Mechanismus der Accommodation, p. 50.
41
Atropin Wirkung ausgesetzt war. Eine halbe Stunde nach zweimaliger
Atropineinträufelung trat bei accommodativen Anstrengungen dieselbe
Veränderung an der Hornhaut ein." „Nach abermaliger Abkappung des
wiederentstandenen Prolapsus und vollständiger Entleerung des Kammer-
wassers sank der Flüssigkeitsspiegel in der Hornhautöffnung bei Accom-
modation für die Nähe in die Tiefe und das Geschwür war nicht mehr
mit Kammerwasser gefüllt, sondern erschien mit stark kesselig vertiefter
Oberfläche.'* „Es wurden nun bei nach hinten geneigtem Kopfe
drei Tropfen Atropinlösung auf das geöffn ete Auge gebracht
und mehrmals mit Energie für die Nähe accommodirt. Binnen
einer Viertelminute war die Pupille 2 Linien weit, ohne dass
sich jedoch eine merkbare Quantität Flüssigkeit in der vor-
deren Kammer angesammelt hatte. Es war also wol Atropin durch
die Oeffnung in die vordere Kammer eingedrungen." „Diese Erscheinun-
gen können nur dadurch zu Stande kommen, dass der nach Abfluss
des Kammerwassers sehr bedeutend verkleinerte Kammerraum sich beim
Accommodationsact etwas vergrössert. Da der so entstandene Eaum auf
andere Weise nicht ausgefüllt wird, so sinkt die Cornea durch den
Luftdruck ein."
„Wenn die Kammer sich bei unseren Accommodationsversuchen
etwas vergrössert" — Förster setzt voraus, dass der Accommo-
dationsimpuls immer auf beiden Augen zugleich erfolge — „so kann
dies füglich nur in der Weise geschehen, dass die peripheren Linsen-
kapselpartien mit Zonula und Processus ciliares etwas zurückweichen.
Dass ein solches Zurückweichen der Peripherie der vorderen Kammer
stattfindet, bei Accommodation für die Nähe, wissen wir seit Helmholz
bestimmt." „Betrachten wir die Anheftung des Ciliarmuskels in der
Gegend des Schlemm'schen Canales nur als ein Schutzband oder als
eine antagonistisch wirkende Vorrichtung, die eine zu starke Contrac-
tionswirkung des Muskels hindert, und setzen wir das Punctum fixum
des Ciliarmuskels vielmehr an seine Endigung in der Chorioidea, so
heben wir die Schwierigkeiten der Erklärung von selbst." Substituiren
wir dieser Förster'schen Ansicht über die Wirkung des Ciliarmuskels
die von mir aufgestellte, wonach die Peripherie der Iris durch die
meridionalen Fasern rück- und auswärts gezogen, gleichzeitig aber auch
die Ora serrata nach vorn bewegt wird, so steht meine Ansicht voll-
kommen im Einklänge mit dem Förster'schen Postulate. Was aber die
Hauptsache ist, das ist der durch diese Beobachtungen gelieferte Nach-
weis, dass trotz voller Atropinwirkung dennotjh die meridio-
nalen Fasern thätig bleiben. Wenn so energisch atropinisirt wurde
und in dem einen Falle sogar Pupillenerweiterung auf 2 Linien eintrat,
was bei so enger (aufgehobener) Kammer viel sagen will, so war gewiss
auch die Accommodation, so weit sie durch die Kingfasern bewirkt
wird, gelähmt, konnte also auch die Linse nicht convexer werden, und
musste deshalb auf den Zug der Meridionalfasern beim Impulse zur
Accommodation Erweiterung des Kammerraumes an der Peripherie, mit-
hin Einsinken der Cornea (des Geschwürsgrundes) in der Mitte erfolgen.
42
Ueb erblicken wir nun die Veränderungen, welche im Auge
bei der Einstellung für die Nähe auftreten, so finden wir mit
Ausnahme des Umstandes, dass dabei der Glaskörper in toto unter
etwas erhöhten Druck gesetzt wird, welcher allenfalls bei unge-
bührlich stark und lange in Anspruch genommener Accommodations-
thätigkeit nicht genügend ausgeglichen werden könnte, kein Moment,
von welchem sich eine Formveränderung des Bulbus direct ab-
leiten Hesse. Nur die Form- und Lageveränderung in den Binnen-
muskeln darf und muss als Ergebniss der accommodativen Thätig-
keit betrachtet werden.
§. 12. Mit der Einstellung für grössere Nähe erfolgt unter
den gewöhnlichen Verhältnissen steigende Convergenz der
Sehlinien; die Hornhautcentra werden stärker und stärker nasen-
wärts gewendet. Auf diese Function hat besonders Donders *)
rücksichtlich der Entstehung und Steigerung der Myopie grosses
Gewicht gelegt. Diese Anschauung hat jedoch nur für jene Fälle
Berechtigung, wo binoculäres Sehen (zur Zeit der Entwicklung der
Myopie) stattfindet; für die übrigen Fälle kann nur die später, in
§. 18 nach E. Hering gegebene Darstellung der Muskelaction gelten.
(Ich muss diese Bemerkung hier einschalten, weil sonst Jemand
gegen die nächstfolgenden Erörterungen einwenden könnte, dass
sich Myopie [eines Auges] auch entwickeln könne, wenn das andere,
nicht zum Fixiren verwendete [verwendbare] zur Zeit der Ent-
wicklung der Myopie bereits nach aussen abgelenkt war. Vgl. die
Inauguraldiss. von R. Werth, ein Beitrag zur Lehre von der
Myopie, Kiel 1874).
Der Abstand des Drehpunktes der Augen (die Grund-
linie) beträgt beim Erwachsenen im Mittel 6 Cm. Der Bogen,
welchen die Hornhautmittelpunkte beim Steigen der Convergenz
beschreiben, fällt demnach grösser aus, wenn die Grundlinie länger
ist. Da ferner die Sehlinie in der Regel nicht mit der Hornhaut-
achse zusammenfällt, sondern mit dieser den sogenannten Winkel a
bildet, welcher bei Emmetropen durchschnittlich 5, bei Hyperme-
tropen 7*5 Grad misst, so muss der Bogen, den das Hornhaut-
centrum bei gleicher Annäherung des Objectes, z. B. auf 16 Cm.,
beschreibt, an emmetropischen Auge länger sein, als an hyper-
1) Congress der Augenärzte zu Brüssel 1857, A. f. O. IV. a. 314 und
Anomalien 1866.
43
metropischen (Donders)^). Wenn demnach, gleiche Grundlinie
vorausgesetzt, das Sehobject in der Medianebene aus der Ferne
näher und näher heranrückt, so wird auch der hintere Pol des
Auges und mit ihm der Sehnervenkopf mehr und mehr auswärts
gerollt, und zwar, gleiche Annäherung des Objectes vorausgesetzt,
bei emmetropischen Augen mehr als hei hypermetropischen. Ueber-
dies würde, da nach Donders in hypermetropischen Augen das
Bewegungscentrum dem hinteren Pole relativ näher liegt, als im
emmetropischen, die Excursion des hinteren Poles bei steigender
Convergenz relativ geringer ausfallen, wenn am vorderen Pole die
gleiche Verschiebung stattfände. Hieraus ergibt sich, dass, wenn
ein emmeti'opisches und ein hypermetropisches Auge, gleiche
Grundlinie und gleiche Objectdistanz vorausgesetzt, je ein nahes
Object fixiren, auch die relative Lage der äusserlichen Augen-
muskeln zum Bulbus bei beiden eine verschiedene sein muss. Es
ergibt sich hieraus aber auch eine relativ andere Stellung des Seh-
nerven. Bei starker AuswärtsroUung des hinteren Poles wird das
vordere Stück des ein wenig geschlängelt verlaufenden Sehnerven
aus der senkrechten Stellung (relativ zur Eintrittsstelle) in eine
schräge verwandelt, so dass an der Nasenseite zwischen ihm und
der Sclera ein spitziger, an der Schläfenseite ein stumpfer Winkel
entsteht. Nach einer beiläufigen Schätzung an Durchschnitten ge-
frorner Köpfe wird der hintere Pol des emmetropischen Auges
beim Uebergange von der Parallelstellung der Sehlinien zu einer
Convergenz für 10 Cm. Objectdistanz um beinahe 2 Mm. schlafen-
wärts gerückt. Die bei starker Convergenz an der Schläfenseite
erfolgende Dehnung der äussern, mit der Sclera continuirlich zu-
sammenhängenden Sehnervenscheide dürfte bei starker Ablenkung
des hinteren Poles nicht unbedeutend sein. Bei extremer Ein-
oder AuswärtsroUung der Augen im Pinstern bemerkt man ein
halbmondförmiges Phosphen, welches füglich nur auf Zerrung am
Sehnervenkopfe zurückgeführt werden kann. 2) Trotzdem kann ich
Hasner 3) nicht beistimmen, wenn er die Entstehung der Mond-
sichel und der Verlängerung des Bulbus von Zerrung am Seh-
nei'venkopfe ableiten will. Die Sichel ist eben nicht blos lateral.
^) Anomalien p. 154.
2) Nach Mauthner (Vorlesungen p. 646) liegt auch im myopischen Auge
der Drehpunkt immer hinter der Mitte der Augenachse und bei stärkerer Myopie
relativ weiter hinten.
^) Prager Vierteljahresschr. 1874, I, B. p. 60.
44
sie ist auch unter- oder oberhalb der Papilla beobachtet worden.
Der Bogen, den der Sehnervenkopf beim Uebergang vom Fern-
blick bis zu einer Convergenz selbst bis zu 16 Cm. beschreibt,
ist nach meiner Schätzung viel zu klein und zu flach, als dass
bei solcher Convergenzstellung schon eine erhebliche Zerrung am
Bulbus eintreten könnte. Zudem würden wir dann bei hoch-
gradigem inveterirtem Strabismus convergens auch eine solche
Sichel erwarten dürfen.
Die äusserlichen Augenmuskeln gerathen in eine
erhöhte Spannung. ^Bei den accommodativen Bewegungen
treten alle Augenmuskeln mehr in Wirksamkeit, und wenn der
eine oder der andere für die Stellung der Hornhaut den Aus-
schlag gibt, so ist dieses die Folge der überwundenen, aber den-
noch fortexistirenden Resistenz seitens der anderen Muskeln.
Hiefür geben namentlich Fälle von Muskellähmungen schöne Be-
lege. Während in solchen Fällen die Einrichtung des Auges bei
der associirten Bewegung nach einer gewissen Richtung vollkommen
normal sein kann, weicht nicht selten das Auge ab, wenn wir
ganz dieselbe Richtung behufs der Accommodation für einen nahe
liegenden Gegenstand in Anspruch nehmen, weil sich bei höherer
Spannung sämmtlicher Augenmuskeln der ausbleibende Zug des
gelähmten Muskels störend für die Stellung des Auges herausstellt,
während derselbe Muskel bei den seitlichen Bewegungen im Zu-
stande physiologischer Erschlaffung ist und deshalb die aufgehobene
Innervation desselben keine Störung macht" (Gräfe).*) „Handelt
es sich einfach um die Richtung der Sehachse, so ist hiezu keine
besondere Energie seitens der Augenmuskeln nöthig; handelt es
sich dagegen um die Accommodation für die Nähe, so gerathen
alle Muskeln, wenn auch in verschiedenem Grade, in Spannung
und üben einen seitlichen Druck auf den Bulbus aus. Hiebei zeigt
sich nicht selten die Insufficienz des paretischen Muskels; so
kommt es zuweilen bei pathologischer Schwäche des Abducens
vor, dass bei gleichzeitigem Gebrauche beider Augen ein geradeaus
vor dem Kranken liegender entfernter Gegenstand richtig fixirt
wird, während bei Annäherung desselben auf dem erkrankten
Auge pathologische Convergenz sich einstellt. Noch beweisender
sind Experimente mit Brillengläsern, weil hiebei auch die Sehachse
des gesunden Auges nicht verrückt, demnach auch jede synergische
1) A. f. O. I. a. 36.
Muskelcontraction an dem erkrankten Auge vermieden wird; setzt
man z. B. dem erwähnten Kranken eine Concavbrille auf und
zwingt hiedurch die Augen, bei gleichbleibender Stellung des
Objectes einen höheren Brechzustand anzunehmen, so sieht man
die pathologische Ablenkung eintreten oder eine vorhandene sich
vermehren. Dasselbe sah ich einige Male bei Lähmung des
JEL superior oder inferior, wo für ein entferntes, geradeaus liegen-
des Object ebenfalls die Sehachse eingerichtet werden konnte,
^während sie bei Annäherung desselben an das kranke Auge dem
jaralysirten Muskel entgegengesetzt abwich" (Gräfe, ibid. p. 53).
Die Convergenzstellung der Augen beim Arbeiten (Lesen,
Schreiben, Nähen u. dgl.) wird vorzugsweise durch verstärkte
^Action der M. recti interni, nebenbei aber auch, wegen der
Senkung der Blickebene, durch die M. recti inferiores bewirkt
^«md unterhalten. Dabei müssen offenbar nicht nur die M. recti
^xterni, sondern auch die beiden M. obliqui, besonders
^ie unteren, in einen entsprechenden Grad erhöhter Spannung
"versetzt werden, um nicht nur das Gleichgewicht, sondern auch
die richtige Meridianstellung aufrecht zu erhalten.
Denken wir uns nun die Insertionslinien der vier M. recti
«m Bulbus verlängert, so erhalten wir eine Kreislinie, welche
ungefähr mitten zwischen Cornealbasis und Bulbus-aequator ver-
läuft, von jener indess wie von diesem an der Schläfenseite weiter
absteht, als an der Nasenseite. Der Durchmesser dieser Kreislinie
ist in allen Fällen mindestens um 4 Mm. kürzer, als der Durch-
messer des Aequators, welcher im ausgewachsenen, ganz oder
nahezu emmetropischen Auge zwischen 23 und 25 Mm. variirt.
Die fixen Punkte der M. recti vor dem Foramen opticum stehen,
auf je zwei Antagonisten bezogen, 8 — 10 Mm. von einander ab
und liegen beim Erwachsenen höchstens 3*5 Cm., im Knaben-
alter circa 3 Cm. oder noch weniger hinter der Aequatorialebene
des Bulbus. (Vergl. Fig. 1.)
Die vier M. recti verlaufen also nach vorn bis zum
Aequator divergirend, dann aber (in ihrem vordersten, platten,
zuletzt sehnigen Theile) convergirend zu einander. Am Aequator
sind die vier platten Muskelbäuche noch so breit, dass sie min-
destens zwei Fünftel dieser Linie bedecken. Obwol nun in der
Aequatorialgegend schon etwas lockeres Bindegewebe und Fett
zwischen Sclera und Muskeln liegt, so lässt sich doch die Mög-
lichkeit nicht abstreiten, dass diese Muskeln bei erhöhter Action
▲xlt. ürsaclien der Eurssiclitiglceit. 4
46
einen gewissen Druck auf den Bulbus ausüben können. BeiiO
Blicke mit parallelen Sehachsen ist der Bogen, den die M. reeti-
interni vor dem Aequator beschreiben, sehr kurz und flach, den
diese Muskeln entfernen sich in ihrem Verlaufe nach vorn relati
wenig von der verticalen Medianebene des Kopfes. Dieser Böge
wird beim Convergiren der Sehlinien noch flacher und kürzer
Das Gegentheil zeigt sich bei den äussern geraden Augenmuskeln
welche von ihrem Fixpunkte an stark divergiren und desshal
nur nach Beschreibung eines langen und stark convexen Bogen
zu ihrer Insertionslinie gelangen können. Dieser Bogen beginn
selbst bei gradaus gerichtetem Blicke schon 4— -5 Mm. hinter de
Aequator und endet erst circa 8 Mm. vor diesem.
Die beiden M. obliqui haben ihre Fixpunkte an der Basi
der Orbita. Die fächerartig ausstrahlende Sehne des M. obl.
superior tritt in der Aequatorialgegend zwischen den R. superior
und die Sclerotica und inserirt sich in diese bogenförmig mit
rück- und schläfenwärts gerichteter Convexität, deren Mitte circa
8 Mm. vom hinteren Pole entfernt liegt. Der Obl. inferior tritt,
nachdem er den R. inferior schräge gekreuzt hat, sehr bald
direct an die Sclera und bedeckt diese mit seiner breiten fleischigen
Masse bis zu seiner kurzen aber breiten Sehne, welche sich nächst
dem obern Rande des R. externus in die Sclera inserirt; seine
mindesten 10 Mm. lange Insertionslinie ist bogenförmig, mit rück-
und aufwärts gerichteter Convexität; ihre Mitte bleibt circa 7 Mm.
vom hintern Pole entfernt.
Auch bei den schiefen Augenmuskeln darf man vermöge
ihres Verlaufes an die Möglichkeit denken, dass sie bei erhöhter
Action einen Grad von Druck gegen den Bulbus ausüben, zumal
wenn man bedenkt, dass sie wol zugleich dem rückwärts ge-
richteten Zuge der gesammten Recti einigermassen entgegen
wirken könnten. Der Obliquus inferior beschreibt am Bulbus den
längsten Bogen und liegt in der längsten Strecke unmittelbar an
der Sclera an. Coccius^) schreibt das Vortreten der Bulbi beim
Nahesehen der vereinten Wirkung der Obliqui als Antagonisten
der Recti zu. Er hat diese Vorrückung auch mit dem Mikroskop
gemessen. Nach Hippel und Grünhagen 2) wird der intraocu-
läre Druck durch die Thätigkeit der äusserlichen Augenmuskeln
^) Mechanismus der Accommod. p. 85.
2) A. f. O. XIV. c. 232.
47
^ erheblich gesteigert, und nach Dobrowolsky^) hängt das unregel-
^ massig periodische Erblassen der Netzhautvene weder mit der
^ Herzaction, noch mit der Athmung, noch mit der Accommodation
^ zusammen, sondern ist von der Contraction der Augenmuskeln
^ und des Lidmuskels abhängig.
i
- §. 13. Sowol der Ort als die Form der Ektasie, welche der
t Myopie zu Grunde liegt (§. 2), bestimmen uns, den Einfluss der
Muskeln auf das Zustandekommen derselben nicht als einen
directen anzunehmen. An eine Zerrung oder Dehnung der hinteren
Scleralportion durch die Sehnen der beiden M. obliqui (Giraud-
Teulon)2) ist nicht zu denken, weil nicht einzusehen ist, wie ein
solcher Zug gerade eine sphärische Ausbuchtung zu Stande
bringen könnte.
Eben so wenig sind wir berechtigt, der erhöhten Action
einiger oder sämmtlicher Augenmuskeln eine solche Kraft bei-
zulegen, dass sie den normal gefüllten und mit normaler Um-
hüllung versehenen Bulbus im Aequatorialdurchmesser com-
primiren, somit in sagittaler Richtung direct verlängern könnten.
Selbst bei Aphakie konnte eine solche Verlängerung nicht nach-
gewiesen werden.
Betrachten wir Augen, in denen Kurzsichtigkeit im Entstehen
oder im Steigen begriffen ist, so finden wir die Venen, welche
den vordem Ciliararterien entsprechen, mehr weniger auffallend
überfüllt und meistens auch die Pupille etwas grösser, als
wir sie sonst unter gleichen Verhältnissen (Alter, Beleuchtung,
Convergenzstellung) zu sehen gewöhnt sind; nicht selten fühlen
sich solche Bulbi auch etwas mehr gespannt an. „Solche
Bulbi fühlen sich härter an, zeigen besonders zur Zeit, wo das
Uebel noch im Entstehen oder Zunehmen begriffen ist, stärkere
Injection der Ciliargefasse und relativ (zum Lichteinflusse und
zur Distanz der fixirten Objecto) grössere Pupillen; ihre Ver-
längerung in der Sehachse, welche sich oft schon aus dem Hervor-
ragen aus der Orbita vermuthen lässt, kann bei den höheren und
höchsten Graden auf die eben angegebene Weise bestimmt nach-
^) Zur Lehre von der Blutcirculation im Centralbl. für die med. Wissen-
schaft 1870, VIII. (Nagels Jahresber. 1872, p. 68).
^) Du m^canisme et du d^veloppement du staphyl. post. Ann. d*04
T. LVI, Nvbr. 1866.
4*
48
gewiesen werden" (Arlt.) ^) Auch Makenzie, Donders, Hasner
und Junge 2) haben bei Kurzsichtigen erhöhte Spannung des
Bulbus ohne anderweitige Erkrankung beobachtet. Hippel und
Grünhagen^) fanden nur dann, wenn die Myopie stärker als y war,
die Spannung etwas höher, als im normalen Zustande.
Dass diese Erscheinungen im Allgemeinen weder auf erhöhte
Action des Ciliarmuskels , die auch in hypermetropischen Augen
stattfinden kann, noch auf einen entzündlichen Vorgang im Auge
(in der Chorioidea) bezogen werden können, braucht hier wol
nicht weiter erörtert zu werden. Sie können aber auch nicht auf
active, sie müssen vielmehr auf passive Hyperämie, und zwar
im Uvealtractus bezogen werden. Diese passive Hyperämie
im Uvealtractus wird eingeleitet und unterhalten durch die oft
wiederkehrende anhaltende Convergenzstellung beim
Fixiren naher Objecte. Warum derselbe Eflfect nicht auch bei
hypermetropischem Baue vorkommt, soll später erörtert werden.
Diese Hyperämie wird zunächst bewirkt durch
Druck auf die Wirbelvenen im Bereiche des M. rectus
externus und M. obliquus inferior.
Bei gradaus und bei wenig convergent gerichtetem Blicke
kann das aus der Sclerotica durch die Wirbelvenen ausgetretene
Blut ungehindert weiter fliessen ; bei starker Convergenz muss
der M. rectus externus einen stärkeren Bogen beschreiben, nicht
nur vor, sondern auch hinter dem Aequator. Bei gesenkter Blick-
ebene tritt auch der M. obliquus inferior in verstärkte Action
und wird mehr an die Sclerotica angedrängt.
Die Möglichkeit der Compression der einen oder der andern
von den 5 — 6 Wirbelvenen, welche nahe hinter dem Aequator
die Sclera verlassen, nachdem sie wol 2 Mm. lang in dieser ver-
liefen, kann vom anatomischen Standpunkte aus dem M. rectus
externus nicht abgesprochen werden, wenigstens nicht bei emme*
tropisch gebauten Augen. Dazu kommt nun, dass der mächtige
und breite M. obliquus inferior in der Aequatorialgegend zwischen
den R. externus und die Sclerotica tritt und bei etwas abwärts
gerichteter Convergenzstellung der Bulbi in erhöhte Action versetzt
werden muss. Nur dann, wenn die Wölbung der Sclerotica vom
\
1) Krankh. III. p. 236.
2) Nach Dobrowolskj in Z. klin. Monatsbl. Beilageheft 1868.
8) A. f. O. XVI. p. 78.
49
Aequator aus nach hinten stark abfällt, wie man bei deutlich
ausgesprochenem hypermetropischem Baue des Bulbus leicht sehen
kann, dürfte der R. externus jenseits des Aequators sich weder
so nahe noch in so grosser Ausdehnung an die Sclerotica anlegen
(bei der Convergenzstellung) , als dass er eine Beeinträchtigung
des Blutabflusses bewirken könnte.
Dass bei anhaltender Vorwärtsneigung des Kopfes,
welche zum Betrachten naher Objecto eingenommen zu werden
pflegt, der Rückfluss des Venenblutes vom Kopfe überhaupt, also
auch von den Augen mehr weniger erschwert wird, darauf hat
Benders schon beim Ophthalmologencongress zu Brüssel (1857)
und dann in seinen späteren Publicationen rücksichtlich der Myopie
grosses Gewicht gelegt. Wir müssen aber neben diesem bilateralen
noch ein unilaterales Circulationshemmniss annehmen, weil Myopie
nicht selten nur an einem Auge vorkommt, und weil sie bei bila-
teralem Vorkommen sehr oft auf dem einen Auge, und zwar auf
dem wenigstens anfangs mit besserer Sehschärfe versehenen (allein
oder vorzugsweise zur Arbeit verwendeten) Auge in höherem
Grade bemerkt wird. Doch kann das einseitige Auftreten oder
üeberwiegen der Myopie auch in Abnormitäten am Bulbus selbst,
vielleicht auch in Erblichkeit begründet sein. (Vgl. §. 4.)
§. 14. Wird nun Venenblutstauung im Uvealtractus , aus
dieser Ursache hervorgehend, zugestanden, so haben wir bei der
Erklärung des Zustandekommens der Ausbuchtung des hintern
Poles offenbar Drucksteigerung im Bulbus mit in Anschlag
zu bringen. Wir haben dann nur zu erörtern, warum diese Druck-
steigerung zur Verdrängung der hinteren Wand, nicht aber, wie
bei Glaukom, zur Excavation der Papilla führe.
Das Circulationshinderniss kann, wie aus der Zahl und Lage
der Wirbelvenen erhellt, immer nur ein oder zwei dieser Emmis-
sarien treffen; die Drucksteigerung kann also nie einen hohen
Qrad erreichen. *)
Dieses Hinderniss wirkt ferner nicht continuirlich, sondern,
"Wenn es hoch kommt, immer nur durch einige Stunden; es ent-
ftlllt während der Pausen in der Arbeit, es entfallt während des
1) Stellwag, der intraocul. Druck, Wien 1868, p. 31: „Beschränkt sich
die Stauung auf einzelne Theile des Yenengebietes , während in anderen die
Circulation ganz ungehindert von statten geht, so kann der Binnendruck nur in
einem geringeren Verhältnisse wachsen.
50
Schlafes. In dieser uogleich läogeren Zwischenzeit können Störun-
gen, die beim Arbeiten durch die Stauung eingeleitet wurden
(Serumerguss), leicht ausgeglichen werden ; das Organ ist jugend-
lich und gesund; zwei wichtige Factoren zur Herstellung des
Gleichgewichtes sind vorhanden: ein gewisser Grad von Elasti-
cität der Sclera und normale Beschaffenheit der Gefasse.
Dass momentane Blutstauung in den HoMvenen Stauung in
den Binnengefassen und somit Drucksteigerung bewirken könne,
folgern wir aus Beobachtungen an Augen nach perforirenden
Hornhautgeschwüren und nach Staaroperationen (besonders mit
Lappenbildung). Die momentane Ausdehnung oder Sprengung
von unzureichend festen Narben kann oft nur auf erhöhten Druck
vom Innern des Auges aus, also auf UeberfüUung des Auges mit
Blut bezogen werden. Coccius ^) hat nachgewiesen, dass bei
protrahirter Exspiration Pulsation der Netzhautvenen auftritt, und
Adamük,2) Leber 3) u. A. haben sich durch Unterbindung der
Wirbelvenen bei Thieren überzeugt, dass Hemmung des Blut-
abflusses zu anhaltender (eine Zeit lang) Drucksteigerung im
Bulbus führt. Wir dürfen also annehmen, dass Druck auf die
eine oder die andere Wirbelvene zu Drucksteigerung durch Blut-
überfüllung im Auge fuhren könne. Bei dieser Annahme wird
auch die oben erwähnte UeberfüUung der Ciliarvenen im vordem
Umfange des Bulbus, und die Vermehrung der Spannung beim
Entstehen und Steigen der Myopie leicht erklärlich.
Coccius (1. c. p. 74) Hess junge Kurzsichtige für einen nahen
Gegenstand accommodiren, durch 5 — 15 Minuten, während er mit
dem entsprechenden Hohlglase untersuchte, welches für den Nahe-
zustand vorher ausgesucht worden war. Alsdann wurde das Caliber
der stärkeren Venenzweige in's Auge gefasst und die Accommodation
plötzlich losgelassen, indem der Kranke in die grösste Ferne sah.
Hiebei zeigte sich sehr deutlich, dass die Venenzweige, nachdem
das Auge bereits die Ferneinstellung erreicht hatte, anschwollen,
ihr Querdurchmesser dicker wurde. „Da hiebei dasselbe Hohl-
glas beibehalten wurde, mithin das Venencaliber eher hätte kleiner
erscheinen können, so geht hieraus sicher hervor, dass die Venen
vorher unter einem grösseren Drucke standen, als beim Femsehen."
') Anwendung des Augenspiegels, Leipzig 1853.
2) Ann. d'ocul. T. LVIII. p. 8.
3) A. f. O. XIX. b. p. 140.
Dass nun der Druck, welcher die Wandungen des hinteren
Augenraumes triiBft, ein Ausweichen nicht der Lamina eribrosa
sondern der Sclerotica am hinteren Pole und dessen Umgebung
bewirkt, das hat wol seinen Grund darin, dass die juvenile Sclera
noch weich und dehnbar ist, demnach sammt der sie am Opticus-
eintritte ersetzenden Lamina eribrosa gleichmässig in grösserer
Fläche nachgibt, und dass dieselbe gerade am hinteren Pole und
in dessen Umgebung blos durch äusserst lockeres Binde- und
weiches Fettgewebe, nirgends durch Anliegen von Sehnen oder
Muskeln gedeckt und gestützt wird. Wenn sich bestätigt, was
Leber*) aus dem eigenthümlichen Verlaufe der Arterien und
Venen im hinteren Chorioidealabschnitte folgert, dass bei Stauung
in den Wirbelvenen dem Einströmen arteriellen Blutes ein gewisser
^Widerstand entgegengesetzt werde, so könnte man wol auch an«
nehmen, dass die Widerstandsfähigkeit der in Rede stehenden
Scleralpartie auch durch Erweiterung der zahlreichen schrägen
Arterienein tri ttscanäle vermindert werde, und dass überdies s durch
Hyperämie in den daselbst für das Scleralgewebe ab-
gehenden Ernährungsgefässchen das letztere serös durch-
tränkt und weicher gemacht werde. O. Becker (mündL Mit-
theilung) hat bei Bewegungen hochgradig myopischer Augen mit
clem Ophthalmoskop intermittirendes Bluteinströmen in den hinteren
Ciliararterien beobachtet. Gegen die Wahrscheinlichkeit eines
solchen congestiven Vorganges in der äusseren, von Natur aus
mehr lockeren Lage oder Schichte der Sclera lässt sich kaum
etwas einwenden.
Der wichtigste Einwurf, den man gegen obige Deduction
erheben kann, liegt in der Thatsache, dass, wenn in Folge von
ektatischen Hornhautnarben, von Linsenquellung u. dgl. Steigerung
des intraocularen Druckes entsteht, auch bei jugendlichen Indi-
"viduen zunächst nicht Ektasie der Sclerotica, sondern Excavation
der Papilla beobachtet wird (Schnabel). 2) Aber in all den Fällen
die man unter dem Namen Secundärglaukom zusammenfassen
tann, wird die Drucksteigerung nicht durch ein Circulationshin-
derniss, sondern durch Nervenreizung, durch Zerrung oder Com-
pression von Ciliarnerven eingeleitet; in allen diesen Fällen wirkt
die Ursache continuirlich, nicht in so grossen Intervallen, wie
1) A. f. O. XI. a. 24.
») A. f. O. XX. b. 63.
52
beim Zustandekommen der Myopie; bei dem Secundärglaukom
sehen wir den deletären Einfluss der Drucksteigerung oft binnen
wenig Tagen oder Wochen, also in relativ sehr kurzer Zeit zu
Stande kommen; es wird der Sclerotica so zu sagen gar nicht
Zeit gelasseo, nachzugeben, denn dazu ist offenbar eine allmälig
entwickelte seröse Durchtränkung ihres Gewebes nothwendig.
Gutta cavat lapidem non vi, sed saepe cadendo. Bei Entstehung
des Secundärglaukoms fehlt auch die Mitwirkung des Ciliarmuskels,
die Accommodation, welche das Ausweichen des Glaskörpers nach
vorn verhindert, und es fehlt der mit der anhaltenden Convergenz-
stellung gepaarte seitliche Druck durch die M. recti und obliqui.
Glaukom, Secundärglaukom und Myopie stehen rücksichtlich ihrer
Entstehung mit Drucksteigerung im Auge in Verbindung. Beim Glaukom
liegt der Drucksteigerung eine gewisse (senile) Kigidität der Sclera,
wol auch der Gefässwandungen, zu Grunde, und deshalb tritt es stets
(früher oder später) bilateral auf. Bei den Secundärglaukomen geht der
Anstoss zur Drucksteigerung von Eeizung der Ciliamerven aus, daher
bleibt die Krankheit auf das betroffene Auge beschränkt. Die in Rede
stehende Myopie wird durch einseitige Muskelaction (Accommodation
und Convergenz) bei jugendlichen Individuen eingeleitet, tritt daher
in der Eegel bilateral auf, selten unilateral, häufig bilateral in un-
gleichem Grade.
§. 15. Betrachten wir nun, welche Folgen zu erwarten sind,
wenn durch anhaltendes Arbeiten (Accommodiren und Convergiren)
Stauung, Drucksteigerung und Dehnung der hinteren Wand be-
wirkt wurde. Sobald mit dem Aufgeben der Arbeit das Circulations-
hinderniss entfallen ist, kann die Sclera sich wieder zusammen-
ziehen. Wenn jedoch anhaltende Ausdehnung wiederkehrt, bevor
die ausgedehnten Membranen zum früheren Stande zurückgekehrt
sind, oder wenn die Ausdehnung eine gewisse Grenze überschritten
hat, so wird die Sclera sammt der Chorioidea und Retina nicht
vollständig an ihren früheren Ort zurückkehren, wird mithin auch
der auf den Binnengefässen lastende Druck momentan vermindert
und die Gefässe werden eine Zeit lang überfüllt sein. Wenn nun
dieser Zustand sich täglich stundenlang wiederholt, so kann es
auch zur serösen Ausscheidung aus den Binnengefässen, zur üeber-
füllung im Glaskörper kommen. Es entsteht hier seröser Erguss
ex vacuo, ungefähr wie bei Hydrocephalus senilis, successiv, all-
mälig progressiv.
Für diesen Vorgang spricht ganz besonders das Verhalten
des Glaskörpers in myopischen Augen. Dieses ist bisher zu wenig
"^ «rücksichtigt worden. Während man für die Netz- und Aderhaut,
"^^^r eiche später offenbar einen grösseren Flächengehalt haben, als
^^orher, auf Dehnung oder Rareficirung der Gewebe recurrirte,
l^iess man die Frage ausser Acht, was denn mit dem Glaskörper
^mit der Hyaloidea, dem Stroma, der Vitrina) geschehe, welcher
3a dann einen grösseren Raum als früher auszufüllen hat.
„Wenn die Sclera noch weich und nachgiebig ist, wie vor der
l "völligen Entwicklung der Bulbi (zur Zeit der Pubertät), so kann die
Hiäufige Wiederkehr und stundenlange Andauer höherer Spannung leicht
<ine Ausdehnung der hinteren Wand zur Folge haben, welche nach
dem Aufhören des erhöhten Druckes nicht mehr zurückgeht. Da aber
«lie Gefasse im Inneren des Auges unter einem permanenten Drucke
fitehen, entsprechend der Spannung der Wandungen des Bulbus, so ist
Tüit dem obigen Momente der Anstoss zum Ausscheiden von Serum aus
den Gefässen gegeben, und es wird einerseits in den Glaskörper, ander-
Beits in die Augenkammer so viel Flüssigkeit mehr ausgeschieden, als
die Raumerweiterung eben gestattet. So entsteht Vermehrung der Glas-
feuchtigkeit und bei höheren Graden von Ektasie der hinteren Bulbus-
wand auch Verflüssigung des Glaskörpers, zunächst in der Gegend des
hinteren Poles, allmälig weiter und weiter nach vorn vorschreitend,
endlich wol auch den ganzen Glaskörper bis auf eine wenig mächtige
Lage an der vorderen Peripherie nächst dem Corpus ciliare betreffend"
(Arlt). ^) Ich hatte, als ich dies schrieb, nicht etwa blos vier, sondern
sehr viele myopische Augen, darunter auch solche mit centralen Horn-
hauttrübungen (1. 0. p. 217) untersucht; zur Publication wählte ich
nur jene Fälle, von denen ich über den Grad der Myopie nach den
benützten Concavgläsem wenigstens annähernd verlässlichen Aufschluss
erhalten hatte.
Iwanoff 2) hat das Verhalten des Glaskörpers bei Myopie als
Ablösung, nicht als Verflüssigung in der von mir 1. c. p. 17 ange-
deuteten Weise aufgefasst. Er war der Meinung, dass der Glaskörper keine
besondere Hülle besitze. Diese Ansicht ist wol irrig (vgl. Schwalbe).^)
Denken wir uns nun in Folge des eben geschilderten Vor-
ganges die Membranen an der hinteren Wand etwas ausgedehnt
und die Füllung des Bulbus durch Vermehrung des Glaskörper-
volumens wieder hergestellt, so wird bei Wiederholung desselben
Vorganges eine weitere Ausdehnung, ein Steigen der Ektasie ein-
treten können, so lange, bis derselben Schranken entgegengesetzt
werden. Die wichtigste Schranke bildet wol, Herabsetzung des
einen Factors, nämlich der Muskelaction vorausgesetzt, die beim
Eintreten des Mannesalters zunehmende Dichtigkeit der Sclerotica
1) Krankh. IH. p. 17 mid 215.
2) A. f. O. XV. b. 66.
^ Gräfe und Sfimisch Handbuch LB. 1. Th. p. 457.
54
selbst. Wahrscheinlich ist aber hier auch der Widerstand in An-
schlag zu bringen, welcher der hinteren Wand entgegengesetzt
wird, wenn der Bulbus nicht leicht nach vorn treten kann, bei
tieferer Lage der Bulbi, bei enggeschlitzter Lidspalte, bei ener-
gischem Gegendruck von Seite des Schliessmuskels der Lider.
In analoger Weise kommen Ektasien an der Cornea zu Stande.
Beim Keratoconus ist es zunächst das Centrum, welches an Widerstands-
fähigkeit einbüsst. Bei der Keratektasia ex panno und bei Eeratektasia
ex ulcere ist das Primäre gleichfalls die verminderte Widerstandsfähig-
keit der Cornea. Der Ektasirungsprocess wird hier wie bei den Hom-
hautstaphylomen nicht durch vermehrte Ausscheidung von Kammer-
wasser eingeleitet; die Wandung weicht nicht, weil mehr Humor aqueus
ausgeschieden und hiemit der Druck auf die Wandung erhöht wird,
sondern es wird mehr Kammerwasser ausgeschieden, weil die Wandung,
nachdem sie momentan erhöhtem Drucke ausgesetzt war (von aussen
oder durch Blutstauung im Inneren), sich nicht auf das frühere Volumen
zusammenzieht, demnach die Gefässe, welche der Ausscheidung des
Kammerwassers vorstehen, so lange unter geringerem Drucke stehen,
bis durch Ausscheidung von Kammerwasser der frühere Grad von
Spannung hergestellt ist. *) Daher können Augen mit weinbeergrossen
Hornhautstaphylomen, mit hochgradiger kegel- oder kugelförmiger Ektasie
nach jahrelangem Bestände dieser Deformität noch den normalen Grad
von Spannung des Bulbus und ebenso Intactheit der Lichtperception
im ganzen Umfange der Netzhaut darbieten; erst dann, wenn es in
Folge von Zerrung an den Ciliamerven (an Cornea, Iris, Ciliarkörper)
zu entzündlicher Ausscheidung seröser Flüssigkeit gekommen ist, ent-
steht Drucksteigerung (Secundärglaukom) mit den bekannten Folgen.
§. 16. Fragen wir uns nun, ob die theils während des
Lebens, theils im Cadaver constatirten eigenthümlichen Ver-
änderungen myopischer Augen (§. 2) mit dieser Theorie
in Einklang gebracht werden können, so erhalten wir fast
durchaus eine zustimmende und genügende Antwort und nur
wenige Punkte bedürfen noch einer weiteren Aufklärung.
Betrachten wir zunächst die Veränderungen an der Cho-
rioidea. Wenn der Meniscus (Conus) an der Schläfenseite der
Papilla wirklich angeboren sein kann, und nach Ed. Jäger's An-
gaben dürfen wir das gar nicht bezweifeln, so steht anderseits
fest^ dass er auch in Augen auftritt, welche früher keine Spur
davon zeigten. Ich habe ihn im zweiten Auge gefunden, nachdem
1) Als Secretionsorgan des Kammerwassers können nur die Ciliarfortsätze,
so weit sie die hintere Augenkammer begrenzen, betrachtet werden. Bei trauma-
tischer Irideremie besteht diese Secretion unverändert fort.
55
ich ein oder zwei Jahre vorher beide Augen wegen beginnender
Kurzsichtigkeit genau untersucht und im Protokolle notirt hatte:
„Auf dem linken Auge schmaler Meniscus, auf dem rechten keine
Andeutung". H. Cohn:*) „Unter den 14 E., die in den letzten
iy2 Jahren M. geworden, habe ich nicht einen Fall von Sta-
phylom (soll heissen: Meniscus) gesehen. Unter den 26 stationären
M. hatten vor I72 Jahren 7 ein Staphylom gezeigt; dagegen war
bei 7 anderen von jenen 26 inzwischen ein neues Staphylom ein-
getreten in Form von Sicheln von -^ bis -^ Papillenbreite; diese
Augen hatten bei der ersten Untersuchung nicht eine Spur einer
Aderhautsichel gezeigt. Bei 12 stationären M, war der Augen-
hintergrund normal geblieben." Seine Entstehung wie seine Ver-
grösserung wird begreiflich, wenn man sich denkt, dass die Gegend
des hinteren Poles zurückgedrängt wurde. Indem die Chorioidea
in der Gegend der Macula lutea unverschiebbar mit der Sclerotica
verbunden ist, muss sie ringsherum gedehnt werden, also schläfen-
wärts so gut wie nasenwärts. Aber nasenwärts kann ihre Dehn-
barkeit bald erschöpft sein, weil die Strecke bis zur Papilla, an
deren Rande sie mehr weniger fest haftet, eine sehr kurze ist.
Gleichwie die Verfettung in der Cornea, welche die Trübung
beim Arcus senilis bewirkt, immer in einer bestimmten Form
auftritt, weil sie von einem mechanischen Momente, von der Com-
pression der Cornealperipherie durch den senil schrumpfenden
Scleralfalz eingeleitet wird, muss sich auch die unter dem Namen
Meniscus oder Conus bekannte Chorioidealveränderung, welche
sich bald nur auf das Pigmentepithel und die Choriocapillaris,
bald auf alle Schichten der Chorioidea erstreckt, so lange im
Rahmen einer bestimmten Form erhalten, als nicht anderweitig
bedingte Veränderungen dazugetreten sind. Das causale Moment
des Meniscus, die Dehnung, liegt in der Rückwärtsdrängung des
binteren Poles, nicht in der Zugwirkung des Ciliarmuskels welche,
wenn sie überhaupt so weit rückwärts reichte, sich zunächst an
der Nasenseite der Papilla geltend machen müsste. Der Meniscus
ist auch in hyper- und in emmetropischen Augen beobachtet wor-
den (Ed. Jäger, Erismann, Schnabel u. A.), doch fehlt die
Angabe, ob von Geburt aus oder später entstanden. Nachdem der
Uebergang von Hypermetropie in Emmetropie (§. 7) constatirt
1) Die Augen der Schüler des königl. Friedrichsgymnasiiims und ihre
Veränderungen im Laufe von l/<2 Jahren. Breslau 1872.
56
ist, und zwar durch Länger werden der Glaskörperachse, wird das
Auftreten eines Meniscus in einem solchen transmutirten Auge so
gut wie in einem myopisch gewordenen erklärt werden können^).
Sitzt der Scheitelpunkt der Scleralektasie einmal nicht in der
Gegend der Macula lutea, sondern höher oder tiefer, dann ist der
Meniscus auch nicht in horizontaler, sondern in diagonaler (schräg
auf- oder abwärts gehender) Richtung am breitesten, und wenn
der Meniscus gerade nach oben oder gerade nach unten von der
Papilla sitzt, dann hat man auch die tiefste Stelle der Ausbuchtung
nach oben oder nach unten zu suchen, dann erscheint auch die
Papilla, wenn überhaupt, in dieser Richtung schief gestellt (in, der
Projection von oben nach unten verjüngt). Zerklüftungen (sinuöse
oder zackige Ausbuchtungen) am convexen Rande des Meniscus,
sowie inselförmige lichte Stellen in der Umgebung der Macula
lutea, beide nur bei hoch- und höchstgradiger Myopie vorkommend,
können in gleicher Weise auf Dehnung und Dehiscenz zurück-
zuführen sein.
Diese Veränderungen können weiterhin durch das Hinzu-
treten von kleinen Extravasaten, besonders häufig in der Gegend
der Macula lutea^ und durch reactive Entzündung ein mannig-
faltig modificirtes Aussehen erhalten. Entzündliche Verän-
derungen in der Gegend des hinteren Poles kommen in
hochgradig myopischen Augen so häufig vor, dass A. von Gräfe 2)
sich dadurch verleiten Hess, dieselben als das Ursächliche der
Achsenverlängerung anzusehen. Ich habe mich gegen diese Auf-
fassung sofort entschieden ausgesprochen. „Es kann mit Bestimmt-
heit behauptet werden, dass die entzündlichen Erscheinungen im
1) Schnabel (A. f. O. XX. b. 47) unterscheidet zwischen angebornem
und erworbenem Conus. „Der angeborne liegt gewöhnlich der äusseren, zuweilen
der unteren Papillenperipherie an; niemals habe ich ihn die ganze Papille um-
fassen gesehen. Seine Fläche ist zuweilen mattgelblich, meistens aber hellglän-
zend, grünlich; sie entbehrt der Chorioidealgefässe, wie der mannigfaltigen grau-
schwärzlichen Flecken meist vollständig. Ein einziges Mal sah ich denselben
papillengross, gewöhnlich stellt er nur eine schmale Sichel von der Breite einer
starken Vene, von J bis } Papillenbreite dar. Er kommt in Augen jeder Refrac-
tion vor, und zwar, wie mir scheint, so ziemlich in gleicher Häufigkeit.** Hiezu
will ich nur bemerken, dass ich einen Conus genau mit diesen Merkmalen an
dem rechten Auge eines 13jährigen Knaben gesehen habe, wo ein Jahr vorher
keine Spur davon zu sehen gewesen war. Bei der ersten, auf beide Augen ge-
richteten Untersuchung hatte nur das linke einen solchen Meniscus gezeigt und
dieser hatte seitdem ein wenig an Breite zugenommen.
2) A. f. O. I. a. 390 und b. 307.
57
Grunde des Auges, welche in manchem solcher Fälle mit dem
Augenspiegel oder am Leichentische nachgewiesen werden können,
etwas Accessorisches oder Consecutives sind." „Ich habe an zahl-
reichen Individuen mit Kurzsichtigkeit höheren Grrades die Ver-
läDgerung des Bulbus in der Richtung der Sehachse auf die oben
aDgegebene Weise constatirt, darunter aber viele gefunden, bei
denen die optische Sensibilität vollkommen intact war, und
das bei Individuen, die seit Jahren ungefähr in gleichem Grrade
kurz- und dabei scharfsichtig geblieben waren." „Die Disposition
zur Entzündung liegt" . . . „auch in der Verödung zahlreicher
Stämmchen von den hinteren Ciliargefässen, welche bei hoch-
gradiger Rareficirung der Retina, Chorioidea und Sclera (Aus-
dehnung auf einen grösseren Raum) namentlich unter Mithilfe der
Senescenz des Individuums dazu treten."^) Trotzdem muss zuge-
geben werden, dass in einem und dem anderen Falle Entzündung
der Chorioidea in der Gegend des hinteren Poles durch consecu-
tive Erweichung der anliegenden Scleralpartie den Anstoss zur
Ektasirung geben mag, wofür namentlich eine Beobachtung von
Gräfe 2) sprechen würde, wo sich Myopie in einem früher wahr-
scheinlich presbyopischen Auge erst in ungewöhnlich spätem Alter
auf dem rechten Auge entwickelte (vgl. §. 19). Gräfe knüpft
an diesen Fall die gewiss sehr beachtenswerthe Bemerkung: „So
viel steht bereits fest, dass der Augenmuskeldruck einen wesent-
lichen Factor bei der Entwicklung der Myopie bildet, und dass
die hiedurch bedingte Ausbuchtung mit den chronisch entzünd-
lichen Veränderungen dermaassen Hand in Hand geht, dass eine
Trennung beider Zustände überhaupt sehr schwierig sein wird".
Die Veränderung des Ciliarmuskels (§. 2, §. 11) bezieht
sich zunächst auf seine Lage und Form. Während die mittlere
Region der Längsfaserschicht unter den gewöhnlichen Verhältnissen
unven'ückt bleibt, einerseits das Ligamentum pectinatum sammt Iris-
peripherie, andererseits die Ora serrata gegen dieselbe hingezogen
werden, dürfte die durch die Bulbusausbuchtung gegebene stärkere
Belastung der hinteren Angriflfslinie allmälig eine Verschiebung dieser
mittleren Region nach hinten (hinten — aussen) herbeiführen,
zugleich aber auch eine Ausdehnung der mit der Corneoscleral-
grenze unzertrennlich verbundenen (vorderen — äusseren) Kante
1) Arlt, Krankh. III. p. 216.
2) A. f. O. I. b. 310.
58
des Muskels. Auf diese Weise müssen auch die Firsten der Ciliar-
fortsätze allmälig weiter nach hinten zu stehen kommen. Als
Resultat ergibt sich: bleibend tiefere Lage der Linse, bleibende
Vergrösserung der Augenkammer. Der Ciliarmuskel wird
allmälig breiter, in der Richtung vom Schlemm'schen Canale bis
zur Ora serrata, und die innere Kante muss schon aus diesem
Grunde etwas stumpfer werden. ^)
Ueber das Verhältniss der meridionalen zu den cir-
culären Fasern äusserte sich Iwanoff: '^) „Während bei Myopen
der Ciliarmuskel unthätig bleibt, so lange Gesichtsobjecte von
unendlichem Abstände bis zum Abstände des Fernpunktes be-
trachtet werden, wird er bei Hypermetropie jedesmal angestrengt,
wenn von einem Gegenstande ein scharfes Bild entstehen soll,
mag dieser nun nahe oder in grösserer Ferne liegen. Wir müssen
a priori erwarten, dass eine so ungleiche Verwendung der Kraft
des Ciliarmuskels bei Hypermetropen und Myopen eine ent-
sprechende Ungleichmässigkeit in seiner Entwicklung hervorruft:
die beständige Uebung des Muskels bei Hypermetropen müsste
Hypertrophie desselben hervorrufen, und umgekehrt: die gering-
fügige Action bei Myopen müsste Atrophie zur Folge haben".
Obwol nun Iwan off durch seine anatomische Entdeckung, die
eben so werthvoll als richtig ist, zu der Annahme gedrängt wurde,
dass die Ringfasern in erster Linie bei der Accommodation be-
theiligt sein müssen, und obwol ihm durch das gleichfalls ent-
gegengesetzte Verhalten der Meridionalfaserschicht in myopischen
und hypermetropischen Augen der Gedanke an eine negative
Accommodation (wenigstens im myopischen Auge) nahe gelegt
war (p. 293), so setzte er den Werth seiner Entdeckung schliess-
lich gleichsam selbst herab, indem er es als selbstverständlich
erklärt (p. 296), dass sich die drei Typen des Ciliarmuskels (bei
Emmetropie, Myopie und Hypermetropie) nur unter dem Einflüsse
1) Zur Vergrösserung der Kammer (der vorderen und hinteren, oder
mit Förster [Zur Kenntniss des Accommodationsmechanismus, Klin. Monatsbl.
1864. p. 368] zu sprechen: der Kammer des Humor aqueus) könnte auch bei-
tragen, dass bei anhaltender Contraction des Ciliarmuskels der Binnendruck in
der Kammer etwas abnimmt (Helmholz), demnach von den Ciliarfortsätzen da,
wo sie die Kammer begrenzen, beim Nachlassen der langfortgesetzten Accom-
modation etwas Kammerwasser zur Herstellung der normalen Spannung ausge-
schieden wird. (Vgl. Hippel und Grünhagen, A. f. O. XIV. c. 232.)
2) A. f. O. XV. c. 286.
59
der Erblichkeit, im Verlaufe des Lebens mehrerer Geschlechter
entwickeln können". Gleich wie es in der Iris nur spät ge-
lungen ist, die Existenz radiärer Fasern neben den circulären
und weiterhin auch einer doppelten Innervation (N. oculomotorius
und sympathicus) nachzuweisen (vgl. St eil wag vonCarion: der
intraoculäre Druck und die Innervationsverhältnisse der Iris,
Wien 1866, und Seh öl er Experimentalbeiträge zur Kenntniss der
Irisbewegung, Dorpat 18692), fehlt uns zur Zeit noch der strenge
Nachweis einer verschiedenen Innervation der circulären und der
meridionalen (longitudinalen und radiären) Fasern. Anticipiren wir
(nach den Erörterungen auf p. 40 und 41) eine solche, und zwar
für die ersteren den N. oculomotorius, für den letzteren den
N. sympathicus, so sind wir im Stande, die verschiedene Ent-
wicklung und Gestaltung des Ciliarmuskels bei den drei ver-
schiedenen Refractionszuständen zu begreifen, i) — Je weiter die
Myopie vorgeschritten ist, desto geringer werden die Anfor-
derungen an die Thätigkeit der Ringfasem, des vorzugsweise
zur Entspannung der Zonula thätigen Muskels, desto stärker
tritt dagegen das Bedürfniss auf, die Zonula zu spannen und
hiedurch die Linse abzuplatten. Letztere Function kann von den
meridionalen Fasern um so eher geleistet werden, je weiter ihre
Anheftung an die Chorioidea imd Retina nach hinten gerückt und
je grösser die Last ist, welche den Tensor chorioidea zu bewältigen
hat. Während also die Ringfasern durch Unthätigkeit mehr und
mehr der Atrophie verfallen, können sich die meridionalen wegen
der häufigeren und grösseren Anforderung an ihre Thätigkeit
mehr und mehr entwickeln.
Auf diese Weise erklärt sich nicht nur die auffallende
Mächtigkeit des Ciliarmuskels (eigentlich der meridional ver-
*) Warlomont (le muscle ciliaire, Ann. d'ocul. Mai 1875) spricht sich
entschieden für eine antagonistische Wirkung und somit auch für eine verschiedene
Innervation der radiären und der circulären Ciliarmuskelfasern aus.
2) Schöler schliesst seine Arbeit mit folgenden Worten: „In Hinblick
auf meine Versuche an exstirpirten Augen und bei der Wahrscheinlichkeit, dass
zwei durchaus verschiedene Nervengruppen auch in entgegengesetzter Weise von
den Mjdriaticis und Mjoticis beeiuflusst werden, kann ich die Annahme nicht
abweisen, dass mittelst gangliöser Knoten im Auge selbst die durch die
Fasern des Trigeminus geleitete Erregung auf Fasern übertragen wird, welche
die Irisbewegungen reguliren. Für diese Anschauung dürfte der Umstand sprechen,
dass gangliöse Anschwellungen der Ciliarnerven , die plexusähnliche Verschlin-
gungen bilden, in allen Organen des Bulbus nachgewiesen worden sind*.
60
laufenden Fasern) in hochgradig myopischen Augen, sondern auch
ein bisher mehrfach beobachtetes, aber rücksichtlich seiner Ent-
stehung und Deutung nicht beachtetes Ergebniss ophthalmo-
metrischer Untersuchungen, ein gewisser Grad von Abflachung
der Linse in myopischen Augen. Nachdem schon Helm-
holz i) den Radius bei der „etwas kurzsichtigen O. H." mit
11*9 Mm., bei den andern beiden, nicht kurzsichtigen, mit 8*8 Mm.
und mit 10*4 Mm. notirt hatte, fand Knappt) unter vier Indi-
viduen folgende Maasse: J. Sommer, 14 Jahr, emmetropisch,
R. der Vorderkapsel beim Fernblick 8*297 Mm., bei Einstellung
für den Nahepunkt 5'921 Mm., H. Sommer, 15 Jahr, E. beim
Fernblick 7-945 Mm., bei N. 4-886 Mm., Schmidt 24 Jahr, E.
bei F. 7-860 Mm., bei N. 4-806 Mm., dagegen Schiller, 22 Jahr,
kurzsichtig, bei F. 9-064 Mm. und N. 5-029. Reichs) fand bei
M. ~ den Radius der Vorderkapsel bei F. 10-488 Mm., bei N.
5-935, bei M.^ für F. 10-565 Mm. und N. 7-382 Mm., bei
M. ^ für F. 11-197 Mm. für N. 8-204 Mm. Coccius (Mechanismus
p. 143) fand bei seinen Messungen, dass die Kurzsichtigen fast
immer die grössten vorderen Linsenbilder im Zustande der Ruhe
haben. Diese Messungen sprechen deutlich für stärkere Abplattung
der Ijinse während der Einstellung für den Fernpunkt. Man darf
diese wol als ein Correctiv gegen die durch die Achsenverlängerung
gesetzte Functionsstörung auffassen.
Mit diesen Messungsresultaten stimmt sehr wol die Angabe
von mir, dass bei Myopie die Iris nicht nur an der Peripherie,
sondern auch mit dem Pupillarrande , also in toto tiefer liege.
Ist die Linse im myopischen Auge bei Nichtaccommodation über-
haupt etwas flacher, so können auch Ciliar- und Pupillarrand ganz
oder nahezu in einer und derselben Ebene liegen.
Jakobson^) folgerte aus Beobachtungen von Accommo-
dationslähmung nach Diphtheritis , dass die Verschiebung des
Fernpunktes wol kaum auf etwas anderes, als auf Abflachung der
Linse bezogen werden könne. Er fand, um nur den einen Fall
hervorzuheben, während der Lähmung rechts und links H. -^, nach
starker Atropinisirung rechts H. ^, links H. ^, nach Heilung der
1) A. f O. I. b. 49.
2) A. f. O. VI. b. 33.
8) A. f. O. XX. a. 216.
*) A. f. O. X. b. 60.
61
Accommodationslähmung jedoch nach gleichfalls starker Atropini-
sirung sowol links als rechts nur H. -^,
Wenn man Myopen aufmerksam betrachtet, während sie sich an-
strengen, entfernte Gegenstände zu erkennen, so bemerkt man, dass sie
nicht einfach die Lidspalte verengern , wie es zur Verkleinerung der
Zerstreuungskreise hinreichen würde, sondern dass sie, den Kopf etwas
vornüber neigend, das untere Lid emporschieben und fest an den
Bulbus andrücken. Man sieht dabei eine Furche zwischen dem Tarsus
und dem Marge orbitalis entstehen, offenbar weil nicht nur die Tarsal-
sondern auch die Lidbandportion des M. orbicularis fest an den Bulbus
angedrückt wird. — Bei Andern geht die instinctmässige Abhilfe noch
etwas weiter; es werden die Lider bei nur massig geöffneter Lidspalte
mittelst eines vor der äussern Lidcommissur angelegten Fingers etwas
schläfenwärts angespannt, demnach offenbar die Formhäute des Bulbus
von vorn nach hinten etwas abgeplattet. (Vgl. auch Laqueur, ann.
d'oc. 1869, Mai — Juni; „L'amelioration de la vue de bon nombre de
myopes est moins grande lorsqu'ils se servent d'un appareil stenopeique
que quand ils rapprochent les paupieres«. „Un de mes amis est arrive
ä corriger entierement, soit a Taide de la compression digitale, seit a
l'aide de la pression palpebrale, une myopie de son oeil droit de ^. Lors-
qu'il se sert des paupieres, sa fente palpebrale conserve encore une
lateur de 2 ^/2 Mm.)
Bei Myopen tritt also, wenn sich's um besseres Femsehen handelt,
wahrscheinlich auch im Ciliarmuskel , in der Meridionalschicht eine
Action auf, welche sonst weder im emmetropischen noch im hyper-
metropischen Auge vorkommt , eine Action , welche Spannung der
Zonula, also Abplattung der Linse bewirkt, und durch häufige Wieder-
kehr zu stärkerer Entwicklung dieser Muskelfasern führt. Für gewöhn-
lich können wir die Hornhaut nur unter das obere Lid schieben , und
doch sind Fälle (von mir, von A. v. Gräfe) bekannt, wo das Indi-
viduum instinctiv dahin gelangte, die Cornea hinter dem untern Lide
zu bergen und zu schützen.
Wenn bei Myopie auch die Aequatorialdurchmesser
des Bulbus grösser geworden sind, so ist auch die Richtung
(das Streichen) der Längsfaserschicht des Ciliarmuskels relativ
zur Linse eine andere geworden. Da bei so hohen Graden von
Myopie von den Ringfasern kaum noch einige existiren, so fehlt
deren Gegenwirkung gegen den Drang des Bulbusinhaltes , die
zwischen Cornea und Sclera bestehende Einschnürung auszu-
gleicheu; die Cornea büsst an Wölbung ein, wird flacher. Bei
inveterirten hohen Graden von Myopie kann endlich auch die
Kammer wieder kleiner geworden sein, indem der Zug der Längs-
faserschicht dann vielmehr aus- als rückwärts wirkt. Schliesslich
sei noch bemerkt, dass bei hochgradiger Myopie nicht selten eine
▲ rlt. Ursachen der Eurzsichtigkeit. °
62
habituelle Verengerung der Pupille bemerkt wird, welche, wie
mir scheint, stärker ist, als sie sonst mit dem Greisenalter ein-
zutreten pflegt.
§. 17. Wir kommen nun zur Erörterung der Frage, warum
jugendliche Individuen mit hypermetropisch gebauten
Augen trotz derselben Anstrengung, welche bei emme-
tropischem Baue zu Myopie führen kann, nicht myopisch
werden. Vor Allem müssen wir von unserer Betrachtung jene
Fälle ausschliessen , wo ein krankhafter Erweichungsprocess der
Sclera, sei es mit, sei es ohne Entzündungszufölle in der Gegend
des hintern Poles, die Ursache der Myopie wird in solchem Grade,
dasB die Ektasie selbst ohne sonderliche Verwendung des Auges
zum Nahesehen eintritt. Weiters dürfen wir nicht ausser Acht
lassen, dass sonst gesunde Augen nicht unmittelbar aus dem Zu-
stande der Hypermetropie in den der Myopie übergeführt werden
können, sondern dass sie jedenfalls erst emmetropisch geworden
sein müssen. Dass viele zur Zeit des ersten Unterrichtes hyper-
metr epische Augen mit der Zeit emmetropisch werden, ist nach
den statistischen Angaben von H. Cohn^), Erismann u. A.
sehr wahrscheinlich; durch eine Beobachtung von Ed. Jäger ist
ein solcher Uebergang direct nachgewiesen (vgl. §. 7). Mauthner
(Vorlesungen pag. 475) sah in einem Falle, „wie bei scheinbarer
Myopie und geringer wirklicher Hypermetropie nach Jahresfrist
das eine Auge mit dem Spiegel nicht mehr Hypermetropie, sondern
geringe Myopie zeigte, während das andere Auge noch immer
etwas hypermetropisch war". Wenn hypermetropische Augen erst
zur Zeit der Pubertät die zur Emmetropie erforderliche Grösse
(vermöge des natürlichen Wachsthumes) erlangen, so ist wahr-
scheinlich auch die Widerstandsföhigkeit der Sclerotica bereits so
gross geworden, dass sich Myopie nicht mehr entwickeln kann
(trotz Anstrengung der Augen).
Wenn man Bulbi von Kindern ungefähr gleichen Alters,
z. B. von 2 — 3 Jahren oder von 6 — 7 Jahren secirt, so findet
man oft eine Differenz von einigen Millimetern Achsenlänge bei
Individuen desselben Alters. Was aber hier betont werden muss,
ist, dass dann an den Augen mit kürzerer sagittaler Achse die
Sclerotica im hinteren Umfange entschieden dicker ist, als an
1) Untersuchungen der Augen von 10.000 Schulkindern, Leipzig 1867.
63
denen mit längerer Achse, und dass bei ersteren die Wölbung der
Sclera vom Aequator gegen die hintere (entschieden flachere)
Polargegend steiler abfällt. Da nun aus den Angaben von
Ed. Jäger, Cohn, Erismann, Hofmann etc. hervorgeht, dass
eine grosse Zahl von Augen, welche später emmetropisch be-
funden werden, früher hypermetropisch (gebaut) waren, dass
sogar die Minderzahl derselben hypermetropisch bleibt, so ergibt
sich, dass die Augen, welche zur Zeit der höheren Anforderung
an ihre Leistung (Accommodation und Convergenz) noch nicht
eine gewisse Grösse, resp. Achsenlänge erlangt haben, theils
durch die grössere Dicke der Sclerotica, theils durch die ge-
nannte Abplattung nach hinten gegen die nachtheilige Neben-
wirkung der Accommodation, vorzüglich aber der Convergenz
geschützt sind. — Wahrscheinlich kommt aber hiebe! noch die
Lage der Bulbi zu einander und der Einfluss, der dem M. rectus
externus vermöge derselben zukommt, mit in Betracht.
Mannhardt *), indem er sich auf die Arbeiten A. v. Gräfe's^)
bezieht, legt rücksichtlich der Entstehung und Steigerung der
Myopie grosses Gewicht auf das dynamische Uebergewicht der
M. recti externi; er hat gefunden, dass letzteres durchschnittlich
bei Individuen mit hypermetropischem Baue, entsprechend dem
geringeren Abstände der Drehpunkte und der stärkeren Ab-
weichung der Sehlinien von der Homhautachse, relativ kleiner
ist (vgl. §. 12). „Es ist bekannt, dass die meisten Menschen im
Stande sind, schwache mit der Basis nach innen stehende Prismen
beim Blick auf entfernte Gegenstände zu überwinden, d. h. ihren
Augen eine gewisse Divergenzstellung zu geben. Die facultative
Divergenz beträgt im Mittel einen Winkel von 2 72 Grad." „Es
ist wahrscheinlich, dass die facultative Divergenzstellung dem
Zustande des dynamischen Gleichgewichtes zwischen M. rectus
externus und internus entspricht. Es würde demnach im Zustande
des Wachens beständig eine geringe Contraction der M. recti
intemi im Interesse des Einfachsehens ausgeführt (während des
Schlafes besteht in der That ein geringer Grad von Divergenz
bei den meisten Menschen)" (p. 70). Ich kann hinzufügen, dass
ich bei allen horizontalen Durchschnitten gefromer Köpfe, so wie
in dem von Sattler naturgetreu in Fig. 1 abgezeichneten, nicht
A. f. O. XVII. b. 69.
2) A. f. O. VUI. b. 314 und klin. Monatsblätter 1869 p. 226.
6*
64
nur die Hornhautachsen, sondern in einem leichten Grade auch
die Sehlinien divergent gefunden habe. Die betreffenden Bulbi
zeigten, nach beiläufiger Schätzung, erametropischen , sicherlich
nicht entschieden myopischen Bau. „A. v. Gräfe gebührt das
Verdienst, zuerst nachgewiesen zu haben, dass das Fortschreiten
einer progressiven Myopie durch Beseitigung der vorhandenen
dynamischen Divergenz gehemmt wird. Nachdem diess festgestellt
ist, liegt es nahe, das Bestehen der Myopie als eine Folge der
durch mechanische Divergenz erforderten grösseren Convergenz-
anstrengung anzusehen. Es bleibt eben zu beweisen, dass bei
Myopie stets ein mechanisches Missverhältniss zu Gunsten der
Divergenz ursprünglich vorhanden ist" (p. 72). „Bei dem Zu-
sammenhange zwischen Convergenz und Accommodation ist es
einleuchtend, dass, wenn die Augen im Zustande der Ruhe diver-
giren und es, um das Einfachsehen auch in Distanz zu ermöglichen,
schon einer Convergenzan strengung bedarf, die Accommodation
gleichzeitig zur Contraction angeregt wird.^) Ist die geforderte
beständige Convergenzanstrengung eine einigermaassen beträcht-
liche oder wird gar eine noch grössere Anstrengung derselben
zum Sehen in der Nähe auf die Dauer verlangt, welche wiederum
eine stärkere Accommodationsanstrengung bedingt, so wird factisch
auch die Accommodation in einen Zustand beständiger Anspannung
gerathen und wird sich nie mehr völlig entspannen, es wird eine
Art von Accommodationskrampf eintreten, welche eine scheinbare
Myopie darstellt. Ich habe in der That oft bei jungen Leuten,
welche angaben, seit Kurzem kurzsichtig geworden zu sein, und
bei denen ich dann eine Myopie von circa -~ vorfand, diese
Myopie bei strenger Augendiät etc. völlig wieder verschwinden
gesehen. Man findet aber in diesen Fällen immer gleichzeitig
einen gewissen Grad von Blutüberfiillung des Augenhintergrundes,
besonders um die Papilla. Offenbar veranlasst die beständige An-
spannung der Convergenz einen congestiven Zustand, welcher bei
anhaltender Beschäftigung mit accommodativen Arbeiten oft rasch
unter den bekannten Erscheinungen der Sclerotico-chorioiditis
posterior, zu Dehnung der inneren Membranen, atrophischen Vor-
gängen und Sclerektasien führt. Die anfangs scheinbare Myopie
wird auf diese Weise bald eine wirkliche." „Dass es wirklich
1) Während Donders beim Fernblick Accommodationsruhe annimmt, findet
nach Mannhardt eine solche nur während des Schlafes statt.
65
die Anspannung der Convergenz, nicht die der Aecommodation ist,
welche diesen Congestivzustand bedingt, beweist das Fehlen der-
selben bei Hypermetropie, wo in der Regel eine beständige und
starke Accommodationsanspannung besteht, während die Conver-
genzanstrengung, wie wir sehen werden, eine geringe ist." (p. 77.)
Ich möchte hinzufugen : die methodische Anwendung des Atropins,
welche ich schon im 3. Bande vorgeschlagen, wirkt nicht durch
Aufhebung der Aecommodation wohlthätig gegen progressive
Myopie jugendlicher Individuen, sondern dadurch, dass sie den
Nahepunkt hinausrückt und hiedurch dem gewohnten Annähern
der Objecto, also auch der gewohnten starkem Convergenz ent-
gegen wirkt. Zudem wird durch anhaltenden Gebrauch von Atropin
auch der intraoculäre Druck etwas vermindert (Coccius, Mecha-
nismus p. 109; vgl. auch Stellwag intraoc. Druck p. 57 mit
Angabe der Literatur über Mydriatica und Myotica). ^Der Zeit-
punkt, in welchem die Erscheinungen der musculären Asthenopie
und in der Folge Myopie sich manifestiren , ist durchschnittlich
ein späterer. Es liegt diess daran, dass die Verhältnisse bei
Kindern der Convergenz günstiger sind, als später, dass ein ge*
wisser Grad körperlicher Ausbildung dazu gehört, um die Prävalenz
der Divergenzstellung zu entwickeln. Das grösste Contingent für
musculäre Asthenopie und progressive Myopie stellt die Zeit vom
14. bis 20. Lebensjahre, die Zeit, wo der Schädel mehr weniger
ausgebildet ist und die Augen für die Convergenzstellung durch-
schnittlich am meisten in Anspruch genommen werden." (p. 80.)
„Die Entfernung der Drehpunkte von einander variirt bei ver-
schiedenen erwachsenen Personen zwischen 56 und 72 Mm. Ein
Individuum mit einer Entfernung der Drehpunkte von 72 Mm.
würde vor jedem Auge ein Prisma von 10^ mit der Basis nach
innen bedürfen, um mit eben so geringer Anstrengung als ein
anderes, dessen Drehpunkte nur 56 Mm. Entfernung haben, bis
auf 8 Cm. Distanz zu convergiren." (p. 81.) „Die individuelle
(und folglich auch nationale) Schädelformation, welche einer
stärkeren Wirkung der R. externi günstig ist, fällt stets mit einer
grösseren Entfernung der Drehpunkte beider Augen zusammen,
ja es coincidirt sogar die Schädelform, welche hypermetropischen
Bau des Auges bedingt, mit der geringsten Entfernung der Dreh-
punkte beidör Augen imd mit einer der vorwiegenden Wirkung
der Recti interni günstigen Richtung der Orbita." „Bei der
entgegengesetzten Kopfformation (ovalem Schädel, gewölbter Stirn,
66
vorspringender Nase) liegen die Orbitae mehr seitlich, ihre Achsen
bilden einen grösseren Winkel, die Entfernung zwischen beiden
Augen ist eine beträchtlichere, die Augenhöhlen sind tiefer und
die Augen mehr zum Langbau disponirt (der Winkel a relativ
kleiner)." „Im kindlichen Alter nähert sich der Schädelbau mehr
der ersten Form, und da zugleich bei Kindern die Augen ein-
ander absolut näher gerückt sind, die Convergenz also entschieden
erleichtert ist, so findet sich in diesem Alter stets ein relatives
Ueberwiegen der Convergenz, und erst wenn der Schädel eine
gewisse Ausbildung gewonnen hat, kann sich ein Missverhältniss
zu Ungunsten derselben manifestiren" (p. 83). „So allgemein, dass
ich es als Regel aufstellen kann, habe ich gefunden, dass mit der
Zunahme der Entfernung der Drehpunkte die facultative Diver-
genz und die Distanz des Convergenznahepunktes wächst, mit
Abnahme der Entfernung der Drehpunkte aber die facultative
Divergenz und die Distanz des Convergenznahepunktes abnimmt,
ferner, dass bei Hypermetropie die Entfernung der Drehpunkte
gewöhnlich unter dem Durchschnitte bleibt, bei Myopie aber
darüber hinausgeht, endlich dass bei Strab. convergens die kleinsten,
bei Strab. divergens die grössten Entfernungen der Drehpunkte
angetroffen werden" (p. 92). „Die richtige Erkenntniss dieses
Umstandes und eine vermehrte Aufmerksamkeit auf die be-
treffenden Verhältnisse während der Jahre, in welchen sie Be-
deutung zu gewinnen anfangen, werden uns in Stand setzen, einem
der verbreitetsten und folgenschweren Uebel schon vor seiner
Entstehung entgegen zu treten und dasselbe unmöglich zu machen
oder doch sein Fortschreiten zu hemmen" (p. 98). Mannhardt
weist schliesslich auf den Nutzen prismatischer Brillen bei muscu-
lärer Asthenopie, besonders aber auf die glänzenden Erfolge hin,
welche A. v. Gräfe bei progressiver Myopie durch die Rück-
lagerung eines oder beider Recti externi erlangt hat.
A. V. Gräfe 1) hebt als Resultat seiner Aufzeichnungen über
die Erfolge der Durchschneidung des M. rectus externus bei re-
lativer Insufficienz der Recti interni hervor, ,,dass sich der
günstige Einfluss der Operati on gegen Myopiaprogredi ens
aufs Glänzendste bewährt hat". Von 80 Fällen progressiver
Myopie blieben nach dieser Operation nur 6 in stärkerem, 4 in
schwächerem Grade progressiv, während in allen übrigen der
1) Klin. Monatsbl. 1869.
67
stationäre Charakter, respective scheinbare Verringerung der
Myopie sich herausstellte. Gräfe betont, dass alle Fälle in den
letzten zwei Jahren vor der Operation sich auffallend verschlech-
tert hatten, z. B. von M. -i- auf M. ^, von M. ~- auf M. -jj,
von M. Yg- auf M. -|-, und dass in allen Fällen prismatische, respec-
tive concav-prismatische Gläser vor der Operation mit unzureichen-
dem Erfolge gebraucht waren; er betrachtet die Störung des
lateralen Gleichgewichtes als ein überaus wichtiges
Moment für das Fortschreiten der Myopie. „Ob es der die
Adductionsanstrengung begleitende Muskeldruck an sich ist, der
die Ektasia posterior fördert, oder ob es mehr die Congestiv-
zustände sind, welche sich an die unzweckmässige und unbehag-
liche Functionirung knüpfen, lasse ich dahingestellt sein" (p. 234).
Mannhardt's Angaben haben Pflüger ^) veranlasst, bei
1846 Schulkindern in Luzern die Pupillendistanz mit Rücksicht
auf den Refractionszustand zu messen. Obwol er auch fand, dass
Hypermetropie durchschnittlich mit schmalem, Myopie mit breiterem
Schädel zusammen vorkommt, so musste er doch zugestehen, nach
den Tabellen über Maxima und Minima der Pupillendistanzen,
„dass bei jedem einzelnen Refractionszustande die extremsten
Pupillendistanzen beobachtet Werdern". Ich kann dieses auch für
Erwachsene bestätigen. Von zweien meiner Assistenten mit hoch-
gradiger Myopie und normaler Sehschärfe hatte der Eine eine
Grundlinie von 55 Mm., der Andere von mindestens 70 Mm.
Länge. Es würde also in den Fällen, wo keine pathologische Ver-
änderung an der Sclera oder Chorioidea als vorhergehendes Moment
angenommen werden kann, nicht blos auf die relative Länge
der Grundlinie, sondern auch auf die relative Tiefe der Orbita,
d. h. die Entfernung der Fixpunkte von den Insertionslinien der
Augenmuskeln und überdies die relative Grösse der Bulbi in
Computation gezogen werden müssen, wenn wir die Disposition
zur Myopie seitens der Augenmuskeln vom anatomischen Stand-
punkte aus beurtheilen wollten. Da aber alle diese Grössen bis
zum Mannesalter sich verändern und das möglicher, ja wahrschein-
licher Weise nicht immer in gleicher Proportion, so halte ich es
zur Zeit für unmöglich, aus dem einen oder dem anderen dieser
Momente allein einen Schluss auf die Disposition zur Kurzsich-
tigkeit zu ziehen.
^) Heidelb. Vers. 1875, klin. Monatsblätter, Schlussheft.
68
Nur auf dem von A. v. Gräfe ^) eiogeschlagenen Wege^
zur Zeit des Entstehens und Zunehmens der Myopie das dyna-
mische Gleichgewicht der M. interni und externi zu prüfen, lassen
sich verwerthbare Resultate für die Nosogenie sowol als für die
Therapie der Myopie erwarten. So lange ein im Wachsen be-
griffenes Auge hypermetropischen Bau besitzt, findet eben ein
dynamisches Uebergewicht der M. externi nicht leicht statt und
ist auch ein Druck auf die Wirbelvenen durch den R. externus
und Obl. inferior nicht leicht möglich. Dass nach Entwicklung
der Myopie unter Umständen ein dynamisches Uebergewicht der
R. interni eintreten kann, und dass bei der Untersuchung hyper-
metropischer Familien auch an Mitgliedern, welche nicht schielten,
dennoch ein Uebergewicht der R. interni nachgewiesen werden
konnte, hat Gräfe aus zahlreichen Prüfungen erschlossen.
Anders gestalten sich die Verhältnisse, wenn im jugendlichen
Alter bei emme tropischem (oder leicht hypermetropischem) Baue
beider Augen, oder wenn bei emmetropischem Baue des einen
und hypermetropischem des anderen Auges während der Arbeit
nur das eine Auge verwendet, oder wenn das Object beim Arbeiten
seitlich, also dem einen Auge näher gehalten wird. Die Frage,
warum Myopie nicht selten unilateral und, wenn bilateral, sehr oft
in ungleichem Grade beobachtet wird, ist bisher wenig in Angriff
genommen worden. Das Bequemste ist, ihr aus dem Wege zu
gehen, indem man die Myopie als ein angebornes oder als ein
ererbtes Uebel betrachtet. Ich bilde mir nicht ein, sie für alle
Fälle der erworbenen Myopie befriedigend beantworten zu können;
ich beabsichtige vielmehr, eine weitere Discussion dieses schwierigen
Problemes anzuregen.
§. 18. Bei binoculärem Fixiren wird im Allgemeinen
das Object gerade mitten vor beide Augen gehalten. Dabei be-
finden sich nicht nur die correspondirenden äusserlichen, sondern
auch der Accommodationsmuskel auf beiden Augen in correspon-
dirender Spannung.
Nach E. Hering 2) muss sich bei Fixation eines nahen
seitlich gelegenen Objectes das Auge der entsprechenden
Seite im Zustande erhöhter Spannung (gesteigerten intraoculären
1) A. f. O. VIII. b. 314, X. a. 161 und klin. Monatsbl. 1869.
2) Lehre vom binoculären Sehen, Leipzig 1868.
69
Druckes) befinden, weil es dann unter dem Einflüsse einer anta-
gonistischen Innervation steht; es wird dann nämlich erstens der
Adductor dieses Auges innervirt, entsprechend der Nähe des
Blickpunktes, und zweitens der Abductor, entsprechend der seit-
lichen Abweichung des Blickpunktes von der Medianebene. „Daher
ist auch das Excursionsvermögen des linken Auges nach links^
des rechten nach rechts beim Nahesehen kleiner, als beim Fern-
sehen" (pag. 10 und 11). Wenn nun überhaupt erwiesen ist, dass
bei stärkerer Spannung der äusserlichen und des Ciliarmuskels
die hintere Wand des Bulbus endlich bleibend verdrängt werden
kann, so begreifen wir wol, wie anhaltende und oft wiederkehrende
Betrachtung seitlich gehaltener feiner Objecto (fehlerhafte Kopf-
haltung beim Arbeiten) zu einer Differenz im Refractionszustande,
zu Myopie des näher gehaltenen Auges (allein oder doch in
töherem Grade) führen kann.
Bei ungleicher Sehschärfe beider Augen, z.B. wegen
Astigmatismus, wegen Hornhauttrübungen, findet sehr oft, wenn
überhaupt, binoculäres Sehen nur beim Blick auf grössere und
nicht sehr nahe gehaltene Objecto statt; beim Fixiren feiner und
deshalb näher gehaltener Objecto wird nur das bessere mit der
Macula lutea dem Objecto gegenübergestellt, selbst in Fällen, wo
die Nichteinsteilung des schlechteren nicht sogleich vom Beob-
achter bemerkt werden kann. Wenn ich richtig beobachtet habe,
so scheint in solchen Fällen dasselbe stattzufinden, wie bei den
im vorhergehenden Absätze besprochenen, nämlich dass solche
Individuen mit ungleicher Sehschärfe die Gewohnheit annehmen,
feine Objecto mehr auf Seite des besseren Auges vorzuhalten und
aus diesem Giomde auf dem besseren Auge leicht in Myopie zu
verfallen; ich kann mich indess der Vermuthung nicht entschlagen,
dass dann auf dem schwächeren, zum Nahesehen nicht verwen-
deten Auge auch die Accommodationskraft allmälig sinke. Sehr
oft wenn ich Leute mit Strabismus convergens continuus unter-
suchte, wo jedoch die Sehschärfe des abgelenkten Auges noch
das Erkennen kleiner Objecto gestattete, habe ich gefunden, dass
das betreffende Auge nur eine oder einige Zeilen lesen konnte,
dass ihm dann die Buchstaben sich verwischten, dass mit Hilfe
eines entsprechenden Convexglases viel länger gelesen werden
konnte und dass methodische Uebung mit nach und nach schwä-
cheren Convexgläsern solche Augen allmälig in Stand setzte,
längere Zeit zu lesen. Dies scheint mir dafür zu sprechen, dass
70
bei längerer Nicht Verwendung eines Auges zum Nahesehen all-
mälig die Energie des Accommodationsmuskels (der Ringfaser-
schicht) sinke. Ich fahnde deshalb seit längerer Zeit nach der
Section strabotischer Augen; die anatomische Untersuchung und
Vergleichung des Ciliarmuskels beider Augen dürfte uns wol Auf-
schluss geben. R. Werth^) spricht sich ganz entschieden für das
Sinken der Accommodationskraft auf dem Auge aus^ welches
längere Zeit beim Fixiren naher Objecte nicht mitthätig ist; die
Beobachtung, welche er an Dr. Bremer, Assistenten von Völkers
machte, spricht ganz entschieden zu Gunsten seiner Anschauung.
Gegenüber der Ansicht von Hering schliesst Schneller^) aus
seinen Experimenten, „dass die Fähigkeit, mit beiden Augen verschieden
zu accommodiren, Gemeingut aller mit Accommodation begabter Menschen
sei". „Aus den obigen Experimenten wird man den Schluss ziehen dürfen,
dass Anisometropen,^) deren Eefractionsdifferenz circa ^ nicht übersteigt,
sicher (wenn nicht andere Hindernisse dafür existiren) mit beiden Augen
gemeinsam scharf sehen können, wenn sonst die Refraction dem günstig
ist. Man wird vielleicht sogar behaupten dürfen, dass grössere Unter-
schiede bei dauernder Uebung ausgeglichen werden können und man
wird ausserdem einsehen, dass, wenn man unter diesen Umständen
durch Brillen die RefractionsdiJÖFerenz ausgleichen will, die Schwierig-
keit nicht nur in der dann entstehenden verschiedenen Bildgrösse des
Objectes liegt, sondern wesentlich auch darin, dass, sobald die Brille
abgelegt wird, für jede beliebige Entfernung, für die jedes einzelne
Auge accommodirt werden kann, für die angegebene Differenz auch
beide eingerichtet werden, und also beim Aufsetzen und Abnehmen
der Brille immer eine neue Veränderung, ein neuer Zwang in den
Augen entsteht, die ja E. Kaiser als Unbehaglichkeit auch wirklich
empfunden hat". „Wenn es richtig ist, dass bei der gebräuchlichen
Art, mit kleinen Gegenständen zu arbeiten, mit dem rechten Auge
mehr und häufiger für die Nähe accommodirt wird , als mit dem
linken, so wird man erwarten dürfen, dass Myopie auf dem rechten
Auge häufiger und stärker sich zeigt". Schneller fand nun bei
33*8 Procent der untersuchten Individuen die Myopie gleich , bei
39*6 Procent rechts, bei 26 '6 Procent links stärker.
Keuss zählte unter 420 Myopen (in Mittelschulen) 363 mit bi-
lateraler Myopie. Die Myopie war auf beiden Augen gleich bei 151,
verschieden bei 212. Das rechte Auge war stärker myopisch bei 103,
schwächer bei 109. 57 Individuen waren nur auf einem Auge myopisch,
davon bei 32 das rechte, bei 25 das linke allein. Das nicht myopische
Auge war in 48 Fällen emmetropisch, in 9 hypermetropisch. Unter
den 48 mit einem emmetropischen Auge war das myopische in 26 Fällen
1) Inauguraldissertation, Kiel 1874.
«) A. f. O. XVI. p. 176.
3) Kaiser in A. f. O. XHI. b. 363.
71
das rechte, in 22 das linke. Unter den 9 mit einem hypermetropischen
Auge war in 6 Fällen das rechte, in 3 das linke myopisch. (Schrift-
liche Mittheilung.)
Arlt jun. hat in den letzten drei Jahren 282 Fälle (der Privat-
ordination) genauer untersucht und notirt. Darunter waren 267 mit
bilateraler Myopie, 111 in gleichem Grade, 86 mit rechts-, 70 mit
linksseitig stärkerer Myopie. Bei 6 war das eine Auge emmetropisch,
das andere myopisch (bei 3 das linke, bei 3 das rechte); bei 9 war
das eine Auge hypermetropisch, das andere myopisch (bei 4 das linke,
bei 5 das rechte).
Obwol diese Zahlen von Eeuss und Arlt jun. im Sinne Schnelleres
gedeutet werden könnten, möchte ich sie doch nicht zu weiteren Schlüssen
benützen; man müsste gleichzeitig nicht nur die Sehschärfe und deren
Abhängigkeit von Astigmatismus, Hornhautflecken, Chorioidealverän-
derungen, sondern auch das Alter zur Zeit der Entstehung, Erblich-
keitsmomente und Beschäftigungsweise in Combination bringen.
Das Gesagte dürfte genügen, den Weg anzuzeigen, auf
welchem einseitige oder einseitig prävalirende Myopie hervor-
gerufen und gesteigert werden kann in Augen, in welchen ausser
geringerer Widerstandsfähigkeit der Sclera (zufällig oder erblich)
keine pathologische Veränderung oder nur ein dioptrisches Hin-
derniss zur Zeit der Entstehung vorhanden war. Ueber das erb-
liche Vorkommen unilateraler oder unilateral prävalirender Myopie
fehlen mir genauere Beobachtungen. A priori lässt sich das Vor-
kommen unilateraler erblicher Disposition eben so wenig negiren,
wie das Vorkommen bilateraler erblicher Anlage überhaupt.
§. 19. Wenn wir uns nun nach §. 3 sagen müssen, für das
Vorkommen angeborner Myopie liegen bis jetzt keine unzweifel-
haften Beobachtungen vor, und wenn aus den späteren Paragraphen
erhellt, dass die der Myopie zu Grunde liegende Formabweichung
des Bulbus auf Ausdehnung der hinteren Wand desselben durch
Druck von innen bewirkt werde, diese aber das Product theils
ungenügender Widerstandsfähigkeit der Sclerotica, theils einseitiger
(fehlerhafter) Muskelaction sei, so werden wir rücksichtlich des
ersteren Factors nicht blos auf die allgemeine, im jugendlichen
Alter selbst gegebene, sondern auch auf eine besondere, durch
Erblichkeit gesetzte Disposition hingewiesen, und wir müssen
überdies nach §. 4 auch zugeben, dass diese abnorme Nach-
giebigkeit der hinteren Wandung auch durch krankhafte
Vorgänge herbeigeführt werden könne.
Ich will auf den oben angedeuteten analogen Vorgang
in der Sclera, wie wir ihn bei Keratoconus in der Cornea
72
beobachten, als Ursache von Myopie hier nicht weiter eingehen,
da mir zur Nachweisung noch nicht hinlängliches Materiale zu
Gebote steht, sondern hier nur noch einmal auf die entzünd-
lichen Vorgänge im hintern Abschnitte des Bulbus zurück-
kommen. Obwol das, was A. v. Gräfe als Sclerotico-chorioiditis
beschrieben hat, im Allgemeinen als das Consecutive der Ektasie
betrachtet werden muss, lässt sich doch a priori nicht negiren,
dass ein entzündlicher Process, der zunächst in der Chorioidea
auftritt, auch zu entzündlicher Erweichung der Sclerotica und
mittelst dieser zur Ektasirung den Anstoss geben könne. Eine
Beobachtung von Gräfe, welche in diesem Sinne aufzufassen
sein dürfte, ist leider nicht ausfuhrlich genug mitgetheilt. „Gegen-
wärtig besucht eine Frau meine Poliklinik, deren beide Augen
äusserlich denselben presbyopischen Bau zeigen, auch will sie
noch vor wenigen Jahren zwischen beiden keinen Unterschied
der Sehkraft bemerkt haben. Seit einiger Zeit fing sie an, einen
störenden Einfluss des rechten Auges zu bemerken. Die Unter-
suchung zeigt das letztere, ausser einer etwas geringeren Seh-
schärfe, stark myopisch, so dass sie kleinere Druckschrift nur bis
auf 5", durch concav 10 auf 10", durch concav 8 auf 13" lesen
kann, während das linke, massig presbyopisch, eines Convexglases
20 bis 16 bedarf, um in der Nähe scharf zu sehen. Als Grund
der noch in so spätem Alter acquirirten rechtseitigen
Myopie erweist das Ophthalmoskop die für die hintere Aus-
buchtung charakteristische Sclerotical-Sichel um die innere Peri-
pherie des Opticus-Eintrittes." — Auch die Beobachtungen von
KugeP) (über acute Entwicklung der Myopie) lassen manches
zu wünschen übrig. „Ich habe in den letzten Jahren Fälle zu
beobachten Gelegenheit gehabt, wo sich in Folge von Entzündungen
im Augenhintergrunde Verlängerungen der Augenachse in acuter
Weise herausbildeten, ohne dass wir den mindesten Anhaltspunkt
haben, in diesen Fällen irgend eine Prädisposition anzunehmen."
„Meine Aufmerksamkeit wurde durch einen Kranken angeregt,
bei welchem sich während der Behandlung einer Chorioiditis
syphilitica M. -^ entwickelte. Seitdem habe ich mich gewohnt,
bei allen derartigen Kranken die Refraction mittelst Ophthalmoskop
genau zu bestimmen, und ich konnte die Entwicklung der Myopie
») A. f. O. I. b. 810.
2) A. f. O. XVT. p. 323.
73
ohne das Vorhandensein irgend eines andern prädisponirenden
Momentes ziemlich oft constatiren." (p. 326.) „Es kam mir
ziemlich häufig vor, dass bei Kindern, welche wegen Schwach-
sichtigkeit in Folge vorangegangener acuter und chronischer
Meningitis mir vorgestellt wurden, neben vorhandener Atrophie
der Choriocapillaris und atrophischen Veränderungen der Seh-
nerven sich Myopie mehr weniger hohen Grades vorfand." (p. 327.)
Erismann^) führt zwei Fälle als angeboren« Myopie vor, ein
9jähriges Mädchen mit M. y und S. ^, dabei Nystagmus, und
einen 10jährigen Knaben mit M. y und S. ^; ihn bestimmte je-
doch zur Annahme des Angeborenseins bloss der Umstand, dass
er erfuhr, der Zustand der Augen bestehe von frühester Jugend
an ; diese Annahme ist wenigstens in so ferne nicht gerechtfertigt,
als nicht eruirt wurde (werden konnte), ob diese Kinder von
frühester Jugend auf auch sonst gesund waren. Mauthner^) sah
^ganz unzweifelhaft Myopie durch Achsenverlängerung bisweilen
sich bei älteren Leuten entwickeln, welche jedoch nie einen hohen
Grad erreichte". Als eine besondere Art der durch schwere
Chorioiditis eingeleiteten Myopie bezeichnet er jene, welche nach
heftiger Einwirkung stumpfer Gewalten auf das Auge mit nach-
folgender heftiger Entzündung entsteht. Endlich beruft sich auch
Laqueur^) auf Fälle von Myopie, welche er nach schweren
Krankheiten (Brustfellentzündung, Typhus, Masern) in kurzer
Zeit entstehen sah. „Nous avons vu une myopie de degr6 moyen
86 manifester tout d'un coup k la suite d'une forte öpistaxis et
une fois apr^s une n^vralgie sus-orbitaire intermittente. Ce dernier
cas avait encore ceci de particulier que la myopie n*existait que
du c6t6 de la növralgie, tandis que Fautre ceil ^tait rest6 emme-
tropique. Dans les autres cas la myopie etait toujours bilaterale
et avait k peu prfes le m^me degri aux deux yeux. Jamals eile
n.'6tait supörieure k -^, La myopie de ces personnes 6tait reelle
öt non apparente."
§. 20. Zum Schlüsse scheint es mir nicht überflüssig zu
sein, dass ich einen im §. 9 angedeuteten Punkt noch besonders
hervorhebe. Wenn wir dem Entstehen und dem Fort-
1) A. f. O. XVII. a. 21.
2) Optische Fehler des Auges. Wien 1876 p. 262.
3) Ann. d^ocul. 1869, Mai-Jnni.
74
schreiten der Kurzsichtigkeit vorbeugen und entgegen
wirken wollen, so dürfen wir nicht blos darauf bedacht sein,
dass das jugendliche Auge nicht mit Arbeit überbürdet werde,
wir müssen auch darauf sehen, dass es in der arbeitsfreien Zeit
Gelegenheit finde, sich im Fernblick zu erholen und zu
üben. Die zahlreichen Rathschläge zur Verhütung der Kurz-
sichtigkeit, welche wir in älteren und neueren Schriften finden,
sind fast durchgehends nur gegen die Ueberbürdung , gegen
schlechte Beleuchtung, zu feine Schrift- und Druckzeichen, fehler-
hafte (gezwungene oder freiwillige) Körperhaltung u. s. w. ge-
richtet und meistens für die Zeit des Schidbesuches berechnet;
hie und da wurde indess auch auf die häusliche Beschäftigung,
selbst auf die ersten Kinderjahre (vor dem Schulbesuche) hin-
gewiesen. Wenn man sieht, wie häufig Kinder von fünf, selbst
von nicht vollen vier Jahren veranlasst werden, besonders in der
Reconvalescenz nach Masern, Scharlach u. dgl. sich die Zeit
stundenlang mit Gegenständen zu vertreiben, welche schon ver-
möge ihrer Kleinheit sehr nahe gehalten werden müssen, z. B. mit
Zusammensetzen zerschnittener, auf Holz oder Pappendeckel auf-
geklebter Bilder oder Landkarten, Bleistiftzeichnen (wobei man
sich über ihr Talent dazu freut) u. s. w., und das in Stuben,
welche durchschnittlich zu den am wenigsten lichten der ganzen
Wohnung gehören, so kann man sich des Verdachtes kaum er-
wehren, dass schon um diese Zeit der Keim zur Kurzsichtigkeit
gelegt werden möge. Dazu kommt nun noch, dass man genug
gethan zu haben meint, wenn man die Kleinen täglich auf eine
halbe oder ganze Stunde auf die Strasse führt. Auf entferntere
Gegenstände werden sie auch da relativ selten aufmerksam, noch
seltener absichtlich aufmerksam gemacht. In grösseren Städten
kommt es selbst in der günstigen Jahreszeit kaum zu Unter-
haltungen im Freien, zu Spielen, welche das Fixiren entfernter
Objecto, das Abschätzen der Distanzen mit dem Augenmaasse
erheischen. So sind denn die Augen der Kleinen beständig auf
einen engen Gesichtskreis beschränkt, im Fernsehen werden sie
nicht geübt. Kaum sind die Händchen so weit gewachsen, dass
die Tasten des Pianos zur Noth überspannt werden können, so
kommt noch dazu das Notenlesen. Dass dieses die Augen weit mehr
in Anspruch nimmt, als Lesen und Schreiben, wissen die wenigsten,
und wenn sie es wüssten: das Kind muss doch Musik lernen.
Ich will indess das schon von J. G. Beer in seiner Pflege der
75
Augen angestimmte Klagelied über die Fehler in der Kinderstube
und in der Schule (niederen und höheren) nicht weiter fortfuhren
und nur, entsprechend meiner Anschauung über die entfernteren
Ursachen der Kurzsichtigkeit, wiederholen, dass ich die Uebung
im Fernsehen, die Veranlassung dazu schon in den Kinder-
jahren, für nicht minder wichtig halte, als ein vernünftiges Maass
in der Beschäftigung mit Lesen, Schreiben u. dgL, öfteres Unter-
brechen der Arbeit oder doch wenigstens planmässiges Ab-
wechseln in der Art der Beschäftigung. Gleich wie man in der
Stadt den Mangel an Gelegenheit zu freier und allseitiger Muskel-
tibung durch's Turnen ersetzen soll, muss auch den Augen nicht
nur freie Zeit gegönnt werden, sondern auch Veranlassung, sich
im Nahe- wie im Fernsehen zu üben und ebenmässig zu entwickeln.
Uebersicht des Inhaltes.
1. Die gewöhnUche nächste Ursache der Eurzsichtigkeit ist Verlängerung
cler sagittalen Achse des Bulbus; stärkere Wölbung der Cornea so wie abnorme
Wölbung, Lage oder Dichtigkeit der Linse kommen nur ausnahmsweise vor
<pag. 1, 2).
2. Bei dieser Formabweichung des Bulbus finden wir die Sclerotica
sunächst in der Gegend des hintern Poles zurückgedrängt und verdünnt, mit
5hr auch die Chorioidea und Retina auf eine grössere Fläche ausgedehnt, den
<j^laskörper durch Serumaufnahme vergrössert, im hintern Abschnitte selbst ver-
iflüssigt, am Ciliarmuskel die meridionalen Fasern stärker, die circulären schwächer
entwickelt, die Ciliarfortsätze, die Iris und die Linse relativ zur Cornealbasis
iiefer liegeod (pag. 3 — 8 und Ö4— 61).
Aus dieser Formänderung ergeben sich Abweichungen in Bezug auf die
Lage des Bulbus und des Drehpunktes, auf das Streichen der Sehlinie relativ
zur Hornhautachse, auf die Beweglichkeit des Bulbus, endlich auf die relative
Lage des Sehnerven zur Sclerotica mit Veränderungen der Sehnervenscheide
und der Scleralschichten (pag. 9, 29, 30).
3. Angeborensein des sogenannten Langbaues ist bisher nicht er-
wiesen. Die bei Neugeborenen vorgefundene Myopie ist Folge der relativ zu
starken Wölbung der Linse. Das Vorkommen des sogenannten Conus bei Neu-
geborenen kann an und für sich nicht auf Verlängerung des Bulbus in sagittaler
Richtung bezogen werden. Der Ausdruck Staphjloma posticum hat keinen Sinn,
sobald er blos auf das Sichtbarsein des Meniscus (Conus) bezogen wird. Der
Meniscus kann mit dem fötalen Augenspalt nicht in Zusammenhang gebracht
werden (pag. 9—13). Myopie kann schon in den Einderjahren entstehen (pag. 73, 74).
4. Als erblich kann nur die Disposition zur Myopie, nicht diese selbst
angesehen werden. Es ist nicht erwiesen, dass das Auge vermöge eines ihm ab
ovo innewohnenden abnormen Bildungstriebes in den sogenannten Langbau hinein
76
wachse, die anatomischen Veränderungen, welche in myopischen Augen mit noch
normaler Sehschärfe gefunden werden, sprechen gegen eine solche Annahme
(pag. U-18).
5. Für das Vorkommen erworbener Myopie (ohne erbliche Anlage)
sprechen bestimmte Thatsachen (pag. 19—23).
6. Unter den disponirenden Momenten steht in erster Linie eine gewisse
Weichheit und Nachgiebigkeit der Sclerotica (pftg. 29, 30).
Diese ist durchschnittlich im j ug endlichen Alter selbst gegeben, wenn
das Auge nicht von Haus aus oder vermöge ungenügenden Wachsthumes unter
der Norm (Emmetropie) zurücksteht (pag. 16, 17, 23 und 28).
Entwicklung des Auges bis zur emmetropischen Form und abnorme Nach-
giebigkeit der Sclerotica sind als wesentliche Factoren der erblichen Dispo-
sition anzusehen (pag. 16, 17, 18, 28).
An die Stelle der physiologischen (allgemeinen oder erblichen) Disposition
seitens der Sclerotica kann pathologische Erweichung der Sclerotica
treten als Folge entzündlicher Vorgänge in der Gegend des hintern Poles
(Sclerotico-chorioiditis), wahrscheinlich auch als Folge eines primär in der Scle-
rotica auftretenden Vorganges, welcher dem bei Keratoconus analog ist. Dann
ist weder Emmetropie noch jugendliches Alter als disponirendes Moment noth-
wendig (pag. 15, 31, 66, 62, 71—73).
In zweiter Linie kommt in Betracht die Disposition seitens der
Muskelthätigkeit, theils behufs der Accommodation, theils behufs der
Convergenz der Sehlinien. (Accommodation p. 37 — 42, Convergenz 42— 47).
Mangelhafte Muskelaction wegen ungenügender Functionstüch-
tigkeit der Augen seitens der Netzhaut oder des dioptrischen Apparates ist
der Entwicklung der Miopie nicht günstig (pag. 23, 26, 27).
Grössere Länge der Grundlinie (vermöge erblicher oder pathologischer
Schädelbildung), besonders aber dynamisches Uebergewicht der M. recti
externi scheint dagegen die Entwicklung der Myopie zu begünstigen (pag. 42,
63—68).
Abnormitäten im dioptrischen Apparate sind nur in so ferne zu
den disponirenden Momenten zu zählen, als sie erhöhter Action der Accommodation
und der Convergenz einleiten. Man könnte sie deshalb auch zu den entfernten
Ursachen der Myopie zählen (pag. 23 — 27).
7. Zu den entfernten Ursachen der erworbenen Eurzsichtigkeit (zu den ver-
anlassenden oder erregenden Momenten) gehört Alles, was zu einseitigerVer-
wendung der Muskelthätigkeit des Auges führt, sei es zu ungebührlicher
Verwendung zum Nahesehen (Accommodation und Convergenz), sei es zu Ver-
nachlässigung des Fernsehens (pag. 47, 73, 74).
Bei erblicher so wie bei krankhafter Disposition reicht wahrscheinlich
schon die gewöhnliche Verwendung der Augen zum Sehen hin, um Ektasirung
der Sclerotica einzuleiten. Ist blos die allgemeine Disposition vorhanden (ge-
hörige Entwicklung des Auges und jugendliches Alter), so kommt Myopie nur
unter übermässiger Augenarbeit und unter Mangel der nöthigen
Erholung zu Stande.
8. Die Formveränderung des Auges wird bewirkt durch allmälige Ver-
drängung der hintern Wand (Gegend des hintern Poles). Sie wird weder durch
77
Muskelzug (Ciliarmuskel, Muse, obliqui) noch durch Auseinanderzerrung der
Scleralschichten und der Sehnervenscheiden eingeleitet oder bewerkstelligt; sie
kann nur von wiederholter temporärer Steigerung des Druckes im
hintern Augenraume abgeleitet werden (pag. 47, 48, 49).
Diese wiederholte temporäre Drucksteigerung im hintern Augenraume ist
zunächst durch Blutüberfüllung im Uvealtractus, weiterhin durch Aus-
scheidung von Serum im hintern Glaskörperabschnitte bedingt
(pag. 48--54).
9. Die Blutüberfüllung geht aus Behinderung des Blutabflusses
durch dieWirbelvenen hervor. Dass der Accommodationsact an und für sich
dazu beitrage, ist nicht sehr wahrscheinlich; dagegen ist es beinahe unzweifel-
haft, dass bei steigender Convergenz der Sehlinien der M. rectus
externus und der M. obliquus inferior auf eine und die andere der
Wirbelvenen einen nachtheiligen, den Blutabfluss behindernden
Druck ausüben (pag. 47 — 53).
10. Wahrscheinlich wird dann auch dem Einströmen des Blutes durch die
hinteren Ciliararterien in die Choroidea etwas mehr Widerstand entgegengesetzt
und dürfte die dadurch in der Episclera gesetzte Hyperämie zur Vermin-
derung der Widerstandsfähigkeit der Sclera in jener Gegend beitragen (pag. 51).
Erklärung der Tafeln.
Fig. I. Horizontaler Durchschnitt der Augen und der Augenhöhlen von einem
hart gefrornen Kopfe. Präparat von Prof. Arlt. Abbildung der un-
teren Schnittfläche mit möglichst genauer Wiedergabe der Maasse,
gez. von Dr. Sattler. Die Gesichtslinie ist mit G, die Homhautachse mit
H bezeichnet.
„ II. Ciliarmuskel von einem 272jährigen Eande. (Hartnack Obj. 3, Oc. 4.)
„ III. Ciliarmuskel eines emmetropischen Auges, in derselben Vergrösserung.
„ IV. Ciliarmuskel eines myopischen Auges von 25 Mm. Achsenlänge (von
der vorderen Fläche der Hornhaut bis zur hintern der Netzhaut ge-
messen).
„ V. Ciliarmuskel eines myopischen Auges von 31 Mm. Achsenlänge.
„ VI. Ciliarmuskel eines hypermetropischen Auges von 20 Mm. Achsenlänge.
„ VII. Ciliarmuskel eines hypermetropischen Auges (eines Negers) von
22*25 Mm. Achsenlänge.
Sämmtliche Zeichnungen (H — VII) hat Sattler nach eigenen Präparaten
angefertigt.
Druck von Adolf Holzhansen in Wien
k. k. UniTenitilta-Buehdrucker«!»
I
■
r
/
1
^^* 'lAlfE MEDICAL LIBRARY 1
To avoid fine, tbis book shouM bc returned on
(ir belore tlic date last ftamped l>eiuw-
1
ü
1
.o