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| Alex. Agassiz.
Kıbrary of the Museum
OF
| COMPARATIVE ZOÖLOGY,
AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS,
Pounded bp private subscription, In 1861.
Deposited by ALEX. AGASSIZ.
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Ueber
die Worphologie
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Ueber
die Morphologie
und
die Verwandtschaftsverhältnisse
der
wirbellosen 'Thiere.
Ein Beitrag
zur
Charakterıstik und Classıfıcation
der thierischen Formen.
Von
Dr. Rudolf Leuckart.
Braunschweig,
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn.
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Die nachfolgenden Blätter enthalten den Versuch,
auf das Gebiet der Zoologie eine Auffassung und Dar-
stellungsweise zu übertragen, die seit den klassischen
Arbeiten von H. Rathke und J. Müller einen bedeu-
tungsvollen Einfluss auf die Gestaltung unseres anato-
mischen Wissens geübt hat. Je mehr das empirische
Material an Masse gewinnt, desto fühlbarer wird ein
Mangel an Einheit, desto dringender ein Bedürfniss der
Unterordnung unter allgemeinere Gesichtspunkte, die
das Detail beherrschen. Die descriptive Zoologie, die
Lehre von der Gestalt der einzelnen Thiere, muss die-
selbe vergleichende, dieselbe morphologische Behand-
lung zulassen, wie die Anatomie, die Lehre von den
Formverhältnissen der einzelnen Systeme.
Dieses ist es gewesen, was mir seit Jahren in mei-
nen zoologischen Studien vorschwebte, was bei der
Abfassung des vorliegenden Schriftchens mich geleitet
hat: Wohl kenne ich die manchfachen Schwierigkeiten
und Gefahren einer solchen Auffassung. Wohl weiss
ich, wie weit ich von dem Ziel meines Strebens
entfernt geblieben bin. Trotzdem aber wage ich es,
meine Arbeit dem Richterspruch der öffentlichen Mei-
nung zu übergeben. Mich ermuthigt die feste Ueberzeu-
gung, dass der von mir betretene Weg noch einst den
freiesten Blick eröffnen werde in den Zusammenhang
der thierischen Bildungen. —
Und jetzt wende ich mich an Sie, mein verehrter
Lehrer. Ich bitte Sie um Verzeihung, dass ich Ihren
Namen den nachfolgenden Skizzen vorangestellt habe.
Doch nichts ist mir angenehmer, als ein öffentliches Be-
kenntniss abzulegen von dem, was ich Ihnen verdanke.
Sie sind es gewesen, der mich eingeführt hat in den hei-
ligen Tempel einer Wissenschaft, vor dessen Pforten
bereits der Knabe mit Sehnsucht des Eintritts geharrt
hatte, der mich begeistert hat durch das lebendige Wort,
das seinen Lippen entströmt ist. Ihr Rath, Ihr Beistand
ist es gewesen, der bestimmend und fördernd überall
mir zur Seite gestanden. Dem Schüler haben Sie Freun-
desrechte verstattet. Sie haben ihn aufgenommen unter
Ihr gastliches Dach, in den Kreis Ihrer liebenswür-
digen Familie.
Dankbarkeit, Liebe und Verehrung, sie vereinigen
sich bei mir in dem einen, dem heissesten Wunsche für
Ihr Wohl. Mögen Sie erstarken, mögen Sie uns wie-
dergeschenkt werden in derselben jugendlichen Kräftig-
keit und Frische, mit der Sie so lange und so segens-
reich eingewirkt haben auf die Bewegungen in der
Wissenschaft und im Leben.
Rud. Leuckart.
„Der thierischen Natur sind Schranken gesetzt, in
welchen sich die bildende Kraft auf die wunderbarste
und beinahe auf die willkürlichste Weise zu bewegen
scheint, ohne dass sie im Mindesten fähig wäre, den
Kreis zu durchbrechen oder ihn zu überspringen.“
v. Göthe, zur Morphologie Th. I. S. 156.
Di. wissenschaftliche Aufgabe der allgemeinen Zoologie
besteht darin, theils durch den Wechsel der thierischen Ge-
stalten hindurch den gesetzmässigen Zusammenhang derselben
nachzuweisen, theils auch die Fülle der verschiedenartigen
hervorragenden und untergeordneten Bildungen nach ihrem
innern Gehalte zusammenzufassen. Sie entspricht einem ge-
wissen ästhetischen Bedürfniss des menschlichen Geistes, wel-
ches weniger in dem Aufsuchen etwaiger Unterschiede, als
vielmehr in der Reduction scheinbarer Differenzen seine Be-
friedigung findet. Nicht von Ungefähr ist die reiche Manch-
faltigkeit der organischen Formen, nicht zufällig und regellos,
nicht ohne Grenzen. Ueberall ist Plan und Gesetz, überall
ein innerer Zusammenhang.
Was schon eine oberflächliche Naturbetrachtung erken-
nen lässt, dass die einzelnen thierischen Formen nicht alle
von einander gleich verschieden sind, dass sie vielmehr
manchfach übereinstimmen, zeigt eine sorgfältige Vergleichung
in noch höherm Grade. Ueberall finden wir eine bestimmte,
gesetzmässige Relation der Gestalten, überall eine grössere
oder geringere Verwandtschaft der Formen. Eine Reihe von
Uebergängen verknüpft oft die differentesten Bildungen. Unter
den manchfaltigsten Variationen offenbart sich ein bestimm-
ter durchgreifender Typus.
Das zoologische System in seiner vollendeten Form giebt
uns den vollständigen Ausdruck dieses innern verwandtschaft-
lichen Zusammenhangs der thierischen Bildungen.
1
2
Zahlreich und manchfaltig sind die Versuche einer sol-
chen Darstellung gewesen. Abhängig von der jedesmaligen
Anschauungsweise, von der Menge des vorliegenden Materials
und der Kenntniss desselben, ist der Werth dieser einzelnen
Versuche natürlich sehr verschieden. Ueberdiess ist in den
ältern zoologischen Systemen jene eigentlich wissenschaftliche
Aufgabe, wenn auch nicht geradezu verkannt, doch meistens
einem gewissen praktischen Interesse untergeordnet. Wie
eine Art Wörterbuch, liefern dieselben wenig mehr, als ein
Mittel zur Erkennung der verschiedenen Thiere.
Der Name Cuvier bezeichnet eine neue glänzende Epoche
in der Geschichte unserer Wissenschaft. Mit dem sichern
Blick des Genies erkannte dieser berühmte Forscher die hohe
Bedeutung einer allgemeinern, ich möchte fast sagen, einer
künstlerischen Auffassung der organischen Bildungen. Was
er durch das System erstrebte, war nicht eine möglichst
grosse praktische Brauchbarkeit, war vielmehr eine Einsicht
in den Zusammenhang der verschiedenen thierischen Formen,
war das gegenseitige Verständniss der vereinzelten Manch-
faltigkeit. Eine gleichmässige Beachtung der gesammten äussern
und innern Organisation eröffnete ihm einen Blick in die
Verwandtschaftsverbältnisse der Geschöpfe, der bei der ältern
Untersuchungsweise und der davon abhängigen Gruppirung
der verschiedenen Gestalten nach dem einem oder andern,
oft oberflächlichen und gleichgültigen Eintheilungsprineipe stets
würde verschlossen geblieben sein.
Ein unmittelbarer Gewinn der von Cuvier angewandten
Methode der Untersuchung ist der Nachweis, dass nicht in
einer einzigen aufsteigenden Richtung, nicht in den Grenzen
eines einzigen gemeinsamen Kreises die Entfaltung der thie-
rischen Gestalten sich bewegt. Wie in den architektonischen
Kunstwerken, so giebt es auch in den organischen Bildungen
verschiedene typische Bauweisen, gewisse wechselnde Normen,
die in einzelnen ee Verhältnissen die verschie-
denartigsten und manchfaltigsten Modificationen zulassen, ohne
dadurch ein bestimmtes charakteristisches Gepräge zu ver-
3
lieren. Natürlich sind aber auch diese verschiedenen Typen
selbst nicht ohne allen Zusammenhang, alle Uebereinstimmung.
Schon der Begriff der thierischen Organisation, dem sie sich
unterordnen, setzt bei ihnen eine gemeinsame Summe be-
stimmter Eigenthümlichkeiten voraus. Ueberdiess sind auch
nach ihrem allgemeinsten Gehalte die Gesetze der thierischen
Gestaltbildung ın allen Fällen dieselben. Nur die Zahl und
das Verhältniss der Angriffspunkte, nur die Combination der
einzelnen morphogenetischen Processe, die das endliche Pro-
duct bedingen, ist das Wechselnde. In dem einen Typus ist
diese, in dem andern eine andere Verwendung der gestalten-
den Kräfte vorherrschend. Von dem Wesen dieser Combi-
nation wiederum nun abhängig ist die Modificationsfähigkeit
der resultirenden Form. Schon die Zahl der einzelnen in
Anwendung gezogenen Factoren bedingt hier die grössesten
Verschiedenheiten.
Auf der andern Seite finden wir aber auch innerhalb
der verschiedenen Typen manchfache Analogie in der Ge-
staltung der einzelnen Theile, manchfache Uebereinstimmung
in der Verwendung der einzelnen Kräfte. Und gerade in der
Menge solcher Coincidenzen und Kreuzungspunkte droht der
natürlichen Systematik eine gefährliche Klippe. Nur bei einer
allseiligen Auffassung der organischen Form an der Hand der
Entwicklungsgeschichte kann sie vermieden werden. Nahe
ist die Zeit, wo diese Wissenschaft auf die Zoologie einen
gleichen höchst wichtigen Einfluss gewinnen wird, wie seit
Cuvier die vergleichende Anatomie ihn ausübte. Niemals
aber wird die letztere als ein unnützer Ballast über Bord
geworfen werden dürfen — wie man jüngst ihr prophezeit
hat. Sie wird beständig die sicherste Stütze der Zoologie
bleiben; sie wird, unterstützt und durchdrungen von der
Entwicklungsgeschichte, einer wissenschaftlichen Auffassung
der thierischen Form, einer Morphologie, den Weg bahnen.
Gerade bei der Betrachtung der äussern Form, die immer-
fort zunächst das Object der zoologischen Untersuchung bil-
det, zeigt sich die hohe Bedeutung einer derarligen morpho-
1 *
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logischen Auffassung. Sie allein belehrt uns von dem rela-
tiven Werth und der Beziehung der Gestalt zu dem allgemei-
nen Plane der Organisation. Und eben nur hierdurch be-
kommen wir eine Einsicht in die verwandtschaftlichen Ver-
hältnisse eines Geschöpfes. An sich berechtigt uns die
Aehnlichkeit in der äussern Erscheinung noch keineswegs zu
der Annahme einer wirklichen Uebereinstimmung. Eine gleiche
Form kann eine sehr verschiedene Bedeutung haben und auf
dem differentesten Wege entstanden sein. Nur die Kenntniss
der Entwicklung darf hier uns leiten. Sie allein vermag
mit Sicherheit den Werth der in Anwendung gezogenen mor-
phogenetischen Processe und ihr Verhältniss zu dem idealen
Grundtypus zu .entziflern.
Die Modificationen der Gestaltung, die wir innerhalb der
einzelnen typischen Grundformen der animalischen Welt an-
treffen, beschränken sich überall nur auf die relalive Ent-
wicklung der construirenden, nach einem bestimmten Plane
vereinten Bestandtheile. Lage, Form und Grösse, Richtung,
Werth und Numerus sind die wechselnden Factoren. Ohne
Grenze aber ist auch hier nicht der Spielraum der Varia-
tionen. Es giebt bestimmte Gesetze, denen die Beweglichkeit
der thierischen Gestalten unterworfen ist.
Wir wissen, dass ein jedes Organ des Körpers zu seiner
völligen Entwicklung eine Reihe von Zuständen durchlaufen
muss, die unter sich nicht unbeträchtlich differiren. Wird nun
die Entwicklung auf irgend eine Weise gehemmt, so persistirt
an dem betreffenden Gebilde die frühere embryonale Anord-
nung und Form. So ist es in pathologischen Fällen bei der
Entwicklung des Individuums. Desselben Gesetzes der Bil-
dungshemmung nun bedient sich auch die schöpferische Na-
tur gar unendlich oft zur Production der verschiedenartigen
Gestallungen eines bestimmten, dem einen oder andern Typus
angehörenden Gebildes. In dem einen Geschöpfe bleibt eine
Form, die in dem andern nur einen Durchgangspunkt bildet,
nothwendig zur Erreichung einer höhern Entwicklungsstufe.
Nicht selten werden aber auch in etwas anderer Weise bei
den einzelnen Geschöpfen die Relationen eines bestimmten
Theiles modifieirt. Es erhebt dieser sich ebenfalls nur bis
zu einer gewissen Stufe der Entwicklung; dann aber bleibt
er nicht einfach stehen, sondern wird der Schauplatz eines
neuen Vorganges. Oft erleidet er eine Rückbildung !) — in
andern Fällen wird er nach einem bestimmten mehr oder
minder abweichenden Plane weiter entwickelt,
Einer spätern Zeit ist die vollständige Entzifferung jener
manchfaltigen Räthsel in der organischen Gestaltbildung auf-
bewahrt. Für jetzt genügt es, die Aufgabe solcher Un-
tersuchung zu kennen und im Auge zu behalten. Dass end-
lich unsere Bemühungen werden von dem Erfolge gekrönt
werden, dafür bürgt uns die morphologische Wahrheit des
Inhaltes, die mit ewiger Gesetzmässigkeit in dem Zusammen-
hang der einzelnen formellen Erscheinungen sich ausspricht.
Möglich, dass es einst uns gelingt, die Gesetze der organi-
schen Gestaltbildung nicht bloss vollständig zu erkennen,
sondern auch deren Anwendung in den einzelnen Fällen auf
gewisse mehr oder minder einfache mathematische Verhält-
nisse zu reduciren. Bis jetzt ist hierzu allerdings kaum eine
Aussicht. Unsere Kenntniss von der Entwicklung und der
Bedeutung der thierischen Formen ist noch viel zu wenig
umfassend und sicher. Noch viel zu wenig verstehen wir
das Zufällige von dem Wesentlichen, das Bedingte von dem
Bedingenden zu unterscheiden.
Von höchster Wichtigkeit für die morphologische Be-
handlung der Zoologie ist es, die einzelnen Haupttypen, die
architektonischen Stile in der Welt der thierischen Formen
nachzuweisen.
Schon sehr früh hat in der systematischen Zoologie sich
das Bedürfniss grösserer, die einzelnen Klassen überragender
Abtheilungen geltend gemacht. Die Systeme von Ari stoteles,
Ray, Linne u. s. w. zeigen solches. Indessen ist Cuvier
1) Vergl. Rathke, über die rückschreitende Metamorphose in den Beiträgen zur
vergl. Anat. und Physiolog. Danzig, 1842. S. 120.
6
doch der Erste gewesen, der mit Entschiedenheit dahin sich
aussprach, dass solche grössere Abtheilungen je als die Re-
präsentanten einer bestimmten typischen Grundform in der
animalischen Welt dastehen müssten, während die Unterab-
theilungen derselben blosse Modificationen, nicht wesentliche
Aenderungen des jedesmaligen Grundplanes bieten dürften.
Legen wir aber mit unsern jetzigen Kenntnissen von dem
Bau und der Entwicklung der Thiere einen derartigen Mass-
stab an das System dieses Meisters, so können wir nicht in
jeder Beziehung mehr dasselbe billigen. Die vier von Cuvier
aufgestellten grossen Abtheilungen !) des Thierreichs, so sehr
sie auch als ein für die damalige Zeit bewunderungswürdiges
Denkmal ihres Schöpfers dastehen, entsprechen heute nicht
mehr den Anforderungen einer natürlichen Systematik. Alle
jene Abtheilungen, mit Ausnahme der ersten, der Abtheilung
der Wirbelthiere, bedürfen einer geringern oder grössern
Umformung. ’
Sind wir gleich noch weit entfernt von dem völligen
Verständniss der einzelnen Relationen unter den verschiede-
nen Thierformen, so möchte doch schon im Augenblick Man-
ches als ein wohlbegründetes Resultat unserer neuern Unter-
suchungen über den morphologischen Zusammenhang dersel-
ben sich ergeben.
Was zuvor noch die Methodik der Ulassification betriflt,
so haben wir vor Allem an die einzelnen nach einem be-
stimniten Princip geschaffenen gleichstehenden Gruppen die
Anforderung zu stellen, dass sie auch wirklich gleichwerthig
seien. Von diesem Gesichtspunkt aus müssen wir zuerst die
gewöhnliche Eintheilung der Thiere in Wirbelthiere und wir-
bellose Thiere, die ursprünglich von Guvier?) herrührt,
und späterhin vielfach, namentlich von Lamarck, in An-
wendung gezogen ist, als unnatürlich zurückweisen. Ganz
ı) Man vergleiche über diese die geistreichen Bemerkungen von v. Baer in den Nov
Act, Ac. Leopold. Vol. XII. S. 476.
2) Tabl, elem. d’hist, nat. des anim. Paris. 1798.
7
offenbar haben diese beiden Abtheilungen einen sehr unglei-
chen Werth. Während in der erstern nur ein einziger be-
stiimmter Bauplan sich ausspricht, finden in der letztern sich
deren mehrere und verschiedene, von denen ein jeder es
verdient, als gleichwerthig mit dem Typus der Wirbelthiere
zusammengestellt zu werden. Mit demselben Recht, mit wel-
chem man die Wirbelthiere den wirbellosen als parallel ge-
genüber stellt, könnte man die gesammten thierischen Formen
auch in radiäre und nicht radiäre zerfällen — wie Blainville N)
es in seinen Gruppen?) der Actinimorphes und Artiomorphes
versuchte — in gegliederte und nicht gegliederte (Milne Ed-
wards) oder in kopftragende und kopflose — wie Latreille 3)
mit den wirbellosen Thieren es gethan hat, alser sie in Gepha-
lidia (Möllusca und Articulata Cuv.) und in Acephala (Zoophyta
Cuv.) trennte. In allen diesen Fällen beruft man sich auf
die Existenz eines bestimmten, dem einen oder andern Typus
zukommenden Merkmals (das sogar nicht einmal überall die-
selbe Bedeutung hat) und schliesst die übrigen dieses Merk-
mals entbehrenden Formen davon aus — ein Verfahren,
welches bei der Feststellung natürlicher Gruppen, nicht BlNser
zusammenhangsloser, irrationaler Haufen, wohl kaum jemals
darf in Anwendung gezogen werden. Will man trotzdem
eine Abtheilung der wirbellosen Thiere hinstellen, so darf
man damit, wie ein sehr trefllicher Zoologe ganz richtig be-
merkt, nichts weiter bezeichnen wollen, als »andere Thiere
als Wirbelthiere«, ohne im Geringsten aiekaneh als innerlich
zusammenhängende Formen zu betrachten. Sie bildet dann
nur einen unbestimmten Anhang zu einer bestimmten Gruppe
und enthält keinen allgemeinen Begriff, der einem andern
allgemeinen Begriffe entgegenstände®).
1) Bullet. de la soc. phil. 1816 und Oken’s Isis 1818. $. 1365,
2) Eine dritte Gruppe bilden bei Blainville die Heteromorphes, wohin die Schwämme
und Infusorien gerechnet werden.
3) Natürliche Familien des Thierreichs. Uebers. von Berthol d. Weimar 1827.
4) Van der Hoeven, Handbuch der Zoologie, Zweite Aufl. Uebersetzt v.
Moleschott. S. 14.
8
Bei der natürlichen Systematik hat man sich überhaupt
vor der Aufstellung aller durch blosse negative Charaktere
zusammengehaltenen Abtheilungen wohl zu hüten. Gewöhn-
lich sind dieselben (wie z. B. die Guviersche Abtheilung
der Zoophyta !) oder die Burmeistersche Hauptgruppe der
Gastrozoa — Cormozoa Streubel—,in welcher die Zoophylten,
doch ohne die Entozoa, mit den Mollusken verbunden sind,
u.s. w.), minder natürlich und ihrem Werthe nach ganz ver-
schieden von den übrigen Gruppen, mit denen sie zusam-
mengehalten werden. Aber auch sonst bei einer wirklich
natürlichen Gruppe ist die Entscheidung über den relativen
Werth derselben nicht in allen Fällen ganz leicht 2), beson-
ders da wegen der grössern oder geringern Bildungsfähigkeit
des innewohnenden Typus eine sehr verschiedene Möglichkeit
der Gliederung vorhanden ist. Die morphologische Dignität
der charakteristischen Merkmale allein kann nach meiner.
Ansicht hier entscheiden — ohne Rücksicht auf die Zahl und
die Manchfaltigkeit der in den betreffenden Gruppen verei-
nigten Formen.
Gleich unzureichend und ebenfalls zu verwerfen bei der
Aufstellung der kleinern oder grössern Abtheilungen des
Thierreichs scheint mir ferner eine jede aprioristische Con-
struction, so wie die blosse einseitige Berücksichligung des
einen oder andern anatomischen Systemes. Die erstere führt
uns häufig zu einem andern Resultat, als die empirische Er-
forschung der formellen Erscheinungen — nicht etwa, weil
die Welt der letztern vielleicht keinen vernünftigen, der Ge-
setzmässigkeitl des logischen Denkens entsprechenden Zusam-
menhang darböte, sondern weil bei einer derartigen Opera-
tion unseres Geistes so leicht die verschiedenarligsten Vor-
urtheile sıch geltend machen. Die anatomische Anordnung
1) Vergl. über diese Abtheilung die Schrift meines Onkels Fr, S. Leuckart,
Versuch einer naturgemässen Eintheilung der Helminthen. Heidelberg, 1827. S.36.
2) In den einzelnen zoologischen Systemen findet man darum denn auch so sehr
häufig dieselbe Gruppe bald als Klasse, bald als Ordnung, bald sogar als eine
blosse Familie aufgezählt
9
eines einzelnen organischen Theils oder Systemes aber muss
deshalb bei der Feststellung der verschiedenen Gruppen, be-
sonders der grössern typischen Hauptabtheilungen des Thier-
reichs, von sehr trügerischem Werth sein, weil, wie schon
angeführt, nach der Combination der einzelnen morphogene-
tischen Vorgänge in ihnen manchfache Durchkreuzungen und
Coineidenzpunkte sich vorfinden, die an sich noch keineswegs
auf eine wirkliche architektonische Verwandtschaft oder Ueber-
einstimmung zurückschliessen lassen. Von solchen Gesichts-
punkten aus müssen wir eben sowohl die Systeme der soge-
nannten naturphilosophischen Schule als ungenügend be-
zeichnen (wonach z.B. die Thiere zerfallen in Protozoa, Gaste-
rozoa, Thoracozoa und CGephalozoa), als auch diejenigen, in
denen ganz einseitig die Beschaffenheit entweder der äussern
Form (Dumeril, de Blainville) oder eines bestimmten ana-
tomischen Systemes, der Nerven, (Rudolphi, Granit), des
Blutes (Wilbrand), des Respirationssystems (Sch weigger),
der Haut und Muskeln (Oken) u. s. w., zu Grunde gelegt
ist. Noch unpassender ist es, als Eintheilungsmoment bei
der systematischen Zoologie, die allein die formelle Erschei-
nung zu berücksichtigen hat, bestimmte physiologische Cha-
raktere in Anwendung zu ziehen, wie Lamarck es that,
als er in seiner Naturgeschichte der wirbellosen Thiere die
Typen der Animaux apatiques, sensibles und intelligents 'auf-
stellte.
Der Weg, welchen Cuvier uns gezeigt hat, dieser Weg
allein verspricht zum Ziele zu führen. Nur eine gleichmässige
Berücksichtigung sowohl des äussern Habitus, als auch des
Baues und des gegenseiligen Verhältnisses aller einzelnen
anatomischen Systeme im ausgebildeten Zustand und während
der frühern Stufen der Entwicklung, kurz eine gleichmässige
Berücksichtigung des ganzen morphologischen Charakters kann
uns zur Einsicht in den Plan der Organisation und damit
zur Kenntniss der einzelnen natürlichen Abtheilungen führen.
Verschiedentlich hat die Natur bei der Darstellung der
einzelnen Grundformen bald diesen, bald jenen Theil zum
10
Hauptträger des typischen Planes gemacht. In ihnen sind
dann, wie in. dem Brennpunkte die Strahlen des Lichts, die
einzelnen charakteristischen Züge der Organisation zusammen-
gefasst. Solche Theile nun sind es vorzugsweise, die der
Zoologe bei der Aufstellung seiner Gruppen wird im Auge
behalten müssen. Von ihnen aus kann er in zweifelhaften
Fällen bei der einheitlichen Wahrheit des Inhalts in den thie-
rischen Formen (nach dem sogenannten Gesetz der Coexistenz)
gemäss den vorhandenen Analogieen den allgemeinern Umriss
der gesammten Organisation erschliessen. Da aber, wie ge-
sagt, in den einzelnen Typen diese Concentrationspunkte
wechseln, so ist es auch ganz in Uebereinstimmung mit der
formellen Erscheinung, dass bald dieser, bald jener Theil in
der Feststellung und der Charakteristik der einzelnen Ab-
theilungen vorzugsweise berücksichtigt wird. Welches nun
aber diese hervorragenden Merkmale seien, dieses zu be-
stimmen bleibt das Object der empirischen Forschung.
So weit: wir bis jetzt die Fülle und Manchfaltigkeit der
thierischen Formen nach ihrem innern Gehalt und in ihrem
Zusammenhang erkannt haben, möchten vielleicht die Abthei-
lungen der Goelenteraten, der Echinodermen, Wür-
mer, Arthropoden, Mollusken und Wirbelthiere
als die Repräsentanten der verschiedenen von der Natur ge-
schaffenen Haupttypen des Thierreichs sich ergeben.
Die Infusorien lassen wir hier ausser Betrachtung. Trotz
der classischen Arbeiten von Ehrenberg wissen wir von
ihnen immer noch zu wenig, als dass wir zu einem nur
einigermassen begründeten Urtheil über sie uns für berechtigt
halten sollten. Sehr wahrscheinlich aber scheint es mir, dass
die ganze Abtheilung dieser räthselhaften Geschöpfe, wenig-
stens als eine besondere zusammengehörende Gruppe }), später
aus dem zoologischen System wird ausgeschieden werden.
1) Will man aber, wie es einstweilen immer noch nölhig scheint, die Infusorien
(nach Ausscheidung der dazu gerechneten Pilanzen u, s. w.) als eine eigene
Gruppe betrachten, so muss diese gänzlich für sich bleiben, und darf besonders
nicht mit den Polypen u, s. w. zusammengestellt werden.
il
Manche dahin gerechnete Formen sind gewiss bloss unaus-
gebildete oder verkümmerte Individuen, andere selbst nie-
drige pflanzliche Organismen !) oder deren Sporen ?). Auch
ist schon verschiedentlich, besonders früher, auf die Aehn-
lichkeit bestimmter Infusorien (abgesehen von den Rotiferen,
die unstreitig einen völlig abweichenden Organisationsplan
haben) mit andern höher entwickelten Thieren, besonders
mit Polypen und Würmern hingewiesen worden. Bory de
St. Vincent, v. Baer, F.S. Leuckart u. A. haben solche
vorzugsweise hervorgehoben, um dadurch ihren Vorschlag, die
Gruppe der Infusorien gänzlich aufzulösen, zu unterstützen.
Die vorhin erwähnten Hauptabtheilungen (sog. Provinzen
oder Kreise) der Thierweltnach dem Zustande unserer jetzigen
Kenntnisse als natürlich und begründet nachzuweisen, zu zeigen,
wie dieselben gegen einander sich abgrenzen und nach ihren
wesentllichern Verschiedenheiten in Klassen und Ordnungen sich
gliedern, ist der Zweck der nachfolgenden Untersuchung. Die
Wirbelthiere sind dabei übergangen. Sie sind nach ihren
morphologischen Verhältnissen am genauesten bekannt und
möchten wohl kaum noch einen Zweifel an der vollen Be-
rechligung ihrer typischen Abtheilung zulassen.
Zuvor noch einige Worte über die gegenseitige Stellung
dieser einzelnen Abtheilungen. An sich besitzen sie, als die
jedesmaligen Repräsentanten eines bestimmten Bauplanes,
einen gleichen Werth. Sie bilden eben so viele parallele
Reihen. Indessen lässt es sich nicht verkennen, dass in ihnen
die am vollkommensten entwickelten Geschöpfe einen schr
1) Besonders entscheidend für diese Natur ist, meiner Ansicht nach, die bei den
Closterien und neulich auch (von Thwaites in den Ann. of nat, hist. 1847.
Vol. XX) bei den Bacillarien beobachtete Copulalion und Sporenbildung, die
ganz in derselben Art auch in der Gruppe der Algen (bei den sog. Conjugalae)
vorkommt, sowie das Resullat der von Wöhler und Schmidt (Beiträge zur
vergl. Physiologie der wirbellosen Thiere. 1845. $. 65) über den Stoffwechsel
von Frustulia angestellten Untersuchungen.
2) Vergl. ausser den bekannten Beobachtungen von Mayer, Unger, Kützing,
Thyretu. s. w. auch Fresenius, zur Gontroverse über die Verwandlung
von Infusorien in Algen. Frankfurt. 1847. S. 16,
12
ungleichen Rang haben. Dass z.B. der Mensch eine unend-
lich grössere Vollendung darbiete, als ein Insect oder eine
Annelide, bedarf kaum der besondern Erwähnung. Ein An-
deres aber ist es, wenn wir in den einzelnen Typen hinab-
steigen zu den niedrigsten Formen, wo nur noch die ein-
fachsten, ich möchte sagen, rohesten Züge des gemeinsamen
morphologischen Planes dargeboten werden). Wenn wir
auch gerade nicht in Abrede stellen wollen, dass Amphioxus
z. B,, in dem die Umrisse eines Wirbeltbiertypus am ein-
fachsten skizzirt sind, relativ immer noch höher stehe, als
z. B. ein Polyp, so möchte dasselbe doch wohl kaum bei
einem Vergleich mit Sepia oder Octopus sich behaupten lassen.
Mit einer jeden Abtheilung beginnt in der Natur gewis-
sermassen eine neue Bildungsepoche, in welcher aber auch
zugleich von Neuem die einzelnen Phasen der Entwicklung
bis zur höchsten Blüthe der Vervollkommnung, deren die
jedesmalige Epoche fähig ist, müssen durchlaufen werden.
In der Gesammtheit jener einzelnen Epochen ist aber eben-
falls ein bestimmter immer mehr sich vervollkommnender,
künstlerisch sich vollendender Entwicklungsgang nicht zu
leugnen. Immer neue, für ein bestimmtes ideales Ziel zweck-
mässigere, edlere Combinationen der gestaltbildenden Pro-
cesse sind in ihnen von der Natur versucht worden. — Die
Reihenfolge, in der ich oben die einzelnen Typen neben ein-
ander gestellt habe, scheint mir am meisten dieser allmähli-
gen Vervollkommnung der organischen Baustile zu entsprechen.
Dass die meisten deutschen Zoologen den Typus der Arthro-
poden für entwickelter halten, als den der Mollusken und
denn auch darum die letztern unter jene stellen, kann ick
nicht billigen, wenn ich auch immerhin gern zugebe, dass
ein Insect eine relativ grössere Vollkommenheit darbiete, als
eine Tunicate. Nicht die Eleganz, die Präcision und die
gleichmässige Vollendung des äussern Baues darf aber hier
1) Ueber das Verhältniss der verschiedenen Entwicklungsstufen innerhalb der ein-
zelnen Typen zu den verschiedenen Typen selbst vergleiche man die schon oben
angeführten Bemerkungen von v. Baer.
13
entscheiden, sondern vielmehr die Bildungsfähigkeit des Typus.
In letzterer Beziehung trage ich kein Bedenken, die Cepha-
lopoden, die der Abtheilung der Mollusken angehören, für
die entwickeltsten Formen aller wirbellosen Thiere zu erklären.
Toelenterata.
Mit diesem Namen bezeichne ich eine von mir vor eini-
ger Zeit neu aufgestellte!) grosse Abtheilung des Thierreichs,
die einen Theil der Cuvierschen Polypen (Anthozoa Ehren-
berg) mit den Akalephen umfasst; eine Abtheilung, die
wegen der scharfen Begrenzung eines gemeinsamen Typus
nach aussen, so wie der Gliederung desselben nach innen
gewiss mit Recht es verdient, den übrigen Hauptgruppen
der thierischen Formen an die Seite gesetzt zu werden. Be-
kanntlich hat Cuvier, der Schöpfer unserer modernen Syste-
matik, die Polypen und Akalephen, als zwei gleichwerthige
Klassen 2), mit den Infusorien, Eingeweidewürmern und Echi-
nodermen in dem grossen Kreise der Zoophyta oder Ani-
malia radiata zusammengefasst, in deren Organisationsver-
hältnissen er einen bestimmten gemeinsamen Typus zu er-
kennen glaubte. Trotz des Widerspruchs, dem diese Verei-
nigung von einigen Seiten her ausgesetzt war, hat sie doch
bis auf die neueste Zeit eine grosse Anerkennung und manch-
fache Nachahmung (die Animaux apathiques Lam., Acephala
Latr., Asphycta Ehrbg. entsprechen ganz den Cuvier-
schen Zoophyten) gefunden. Nach dem aber, was wir jetzt
1) Man vergl. meine hierauf bezüglichen Abhandlungen in den Beiträgen zur Kennt-
niss wirbelloser Thiere von Frey und Leuckart. Braunschweig. 1847. 4to.
S.ı und $. 32.
2) Linne vertheilte dieselben unter verschiedene Ordnungen seiner Klasse der
Vermes, in der (mit Ausnahme der Arthropoden) überhaupt alle wirbellosen
Thiere zusammengestellt waren. Die Akalephen und nackten Polypen (Actinia,
Hydra) gehören nach ihm zu der Ordnung der Mollusca, während die Gehäuse-
polypen zwei besondere Ordnungen (die Lithophyta und Zoophyta, welche O.
Fr. Müller als Cellulana vereinigte) bilden.
14
über diese Thiere wissen, kann die Abtheilung der Zoophyta
nicht länger bestehen, selbst wenn man davon, wie von
mehreren Seiten vorgeschlagen ist, die Entozoa trennt. Immer
noch bleiben in ihr mehrere von einander sehr verschiedene
typische Hauptgruppen vereinigt, von denen wir, wie gesagt,
die eine in der Abtheilung unserer Coelenterata gefunden zu
haben glauben. Was sie besonders charakterisirt, ist theils
die völlig radiäre Form des Körpers, theils auch die eigen-
thümliche Anordnung der Leibeshöhle, die von der Central-
achse nach der Peripherie zu hinstrahlt und durch eine weite
Oeffnung im Grunde des einfachen Magenrohres, wenn ein
solches überhaupt vorhanden ist, mit dem Verdauungsapparat
zusammenhängt. Nervensystem, Sinnesorgane und Genitalien
zeigen dieselbe radiäre) Gruppirung, die in der Form des
Körpers äusserlich sich ausspricht. Charakteristisch, wie es
mir scheint, ist für die Coelenteraten auch die Lage des Nerven-
systems in dem hintern Körperende, am Grunde der Leibes-
höhle. Hier — in der Sohle des Fusses — liegt es bei den
Actinien (vergl. Lec. d’anat. comp. par Cuvier. N. Ed. T. Ill.
p-. 376.), wo schon Spix es fand, hier bei den Ctenophoren.
Auch die Lage bei den Discophoren (in der Peripherie des
glockenförmigen Körpers) ist im Wesentlichen dieselbe. Ein
Schlundring oder Nackenganglior. fehlt beständig 2).
Wie wenig die innere Uebereinstimmung der Anthozoen
und Akalephen bisher berücksichtigt worden ist, zeigt der
1) Die Centralachse des Körpers bei den Thieren mit radiärem Typus bietet offenbar
ganz dieselben morphologischen Verhältnisse, wie die mittlere Längsachse bei den
Thieren mit lateralem Typus. Alle Theile, die in ihr entstehen, sind einfach, wäh-
rend die Bildung eines Organs an jedem andern, peripherischen Punkte eine
dem Typus entsprechende Wiederholung verlangt. Künnen dergleichen Organe
in ihrer Entfernung von der mittlern Achse wechseln, so ist damit auch die
Möglichkeit gegeben, dass sie einfach werden — sobald sie nämlich in die
Centralachse selbst hineinfallen. Mit der radiären Anordnung des Nervensy-
stemes steht daher der einfache centrale Nervenknoten der Rippenquallen eben
so wenig im Widerspruch, als die mediane Verwachsung der vordern Extremi-
täten bei den Cirripedien mit dem lateralen Typus.
2) Die Angaben von Grant in den Transact, of the Zoolog. Soc. T. I. p. 9. beru-
hen auf einem Irrthum.
15
‚grosse Beifall, mit dem von den neuern (deutschen) Zoologen
die von Lamarck herrührende Vereinigung der Akalephen
mit den Echinodermen (als Radiaires molasses und Radiaires
echinodermes) aufgenommen ist. Latreille und neuerdings
auch Sarsi) sind meines Wissens die Einzigen, die über die
nahe Verwandtschaft?) der Polypen und Akalephen (aus wel-
chen beiden der erstere seine Klasse der Phytodaceen schuf)
sich ausgesprochen haben ®), doch ohne die Grenzen des
gemeinsamen Bildungstypus, der ihnen beiden zum Grunde
liegt, näher zu bezeichnen. Keineswegs ist es nämlich die
ganze Gruppe der Polypen, in der gewöhnlichen Ausdehnung,
welche eine Vereinigung mit den Akalephen zulässt. Schon
die Untersuchungen von Ehrenberg#), so wie von Milne
Edwards und Audouin5) haben uns gezeigt, wie man frü-
her unter den Polypen zweierlei ganz verschiedene Thier-
formen zusammengefasst hat, die besonders durch die Orga-
nisation des Darmkanals, der Leibeshöhle und Genitalappa-
rate völlig von einander sich unterscheiden. Ehrenberg
trennte beide als Bryozoen und Anthozoen und vertheilte 6)
sie unter zwei verschiedene Gruppen seiner Asphycta, indem
er die ersten zu den Schlauchthieren (mit unverästeltem Darm),
die zweiten neben die Akalephen zu den Traubenthieren
(mit verästeltem Darm) stelle. Auch Milne Edwards’)
schied die Bryozoen aus von den eigentlichen Polypen und ver-
band sie als Ascidioidea (oder Bryozoaires) mit den Tunicaten.
1) Fauna littoralis Norvegiae. Fasc. I. 1846. p. 16.
2) Schon Linne übrigens :hat diese Verwandtschaft sehr wohl gekannt. Die ein-
zelnen Individuen an den Kolonieen mancher Polypen (Madrepora, Alcyonium)
nennt er geradezu Medusae. Vergl. Syst. nat.
3) Auch Gold fuss (Grundriss der Zoologie $. 75.) trennte die Polypen und Akalephen
von den Echinodermen, verband mit den erstern aber (zu einem Kreise der Pro-
tozoa) sowohl die Infusorien, als auch die Rotatorien und Eingeweidewürmer.
Ebenso Meckel (System der vergl, Anat. Th. I. S.82), der von den Helminthen
aber nur die Bandwürmer den Protozoen zurechnete.
4) Symbolae physicae, Dee. i. Berol, 1828. p. 2.
5) Annal, des scienc. nat. 1828. T. XV. p. 12.
6) Akalephen des Rothen Meeres. Abhandlung der Berl. Akad. vom Jahre 1835. S. 233.
7) Elemens de Zoologie. Paris,
16
Ueber die natürliche Stellung der Bryozoen haben wir
später noch ein Mehreres zu erwähnen. Für den Augenblick
genügt es, ihre typische Verschiedenheit von den Polypen
hervorgehoben zu haben, von denen sie mit demselben Recht
getrennt werden müssen, mit dem man die Tubulibranchiaten
und Dentalien von den Serpulaceen abscheidet.
Ein Gleiches gilt von den sogenannten Foraminiferen
oder Polythalamien, die man nach der Angabe von Ehren-
berg), dass sie in ihrer Organisation mit den Bryozoen
sehr übereinstimmten, ebenfalls bisweilen mit den Polypen
verbindet. Auch sie müssen ohne allen Zweifel davon ge-
trennt werden. Ihre nächsten Verwandten finden sie, wie
besonders Dujardin?) so treffend nachgewiesen hat, nicht
etwa unter den Cephalopoden, wie d’Orbigny3) meinte, oder
unter den Capitibranchiaten, wohin sie Johnston?) stellte,
sondern unter den Infusorien in den Gruppen der Amoebaeen
und Arcellinen.
Somit bleiben uns denn von den Polypen nur noch die
sogenannten Anthozoen, doch auch diese nicht in der ganzen,
von Ehrenberg5) ursprünglich ihnen gegebenen Ausdeh-
nung. Es hat hier nämlich durch die interressanten Ent-
deckungen über die Entwicklung der Medusen sich ergeben,
dass eine ganze Gruppe dieser Thiere, die Familie der soge-
nannten Hydroiden (Exoarii Rapp, Sertulariens M. Ed w.,
Anthozoa oligactinia Ehrbg.), dieselbe, die — mit Ausschluss
von Hydra — wegen mancher eigenthümlichen Organisations-
verhältnisse in einer spätern Schrift von Ehrenberg®) als
die Familie der Dimorphaea von den eigentlichen Anthozoen
1) Ueber noch sehr zahlreich lebende Thierarten der Kreidebildung. In den Ab-
handlungen der Berl, Akad. von dem Jahre 1839. $. 106.
2) Annal. des scienc. nat. 1835. T. IV. p. 343. und Hist. nat. des Zoophytes. Infus.
Paris. 1841.
3) Annal. des scienc. nat. 1326. T. VII. p. 245.
4) Annals and Magaz. of nat. hist. Vol. XVI. p. 450.
5) Die Korallenthiere des Rothen Meeres. In den Abhandlungen der Berl. Akad,
von dem Jahre 1832. S. 225.
6) Akalephen u, s. w.
17
getrennt und den Bryozoen näher gestellt war, überhaupt
keine ausgebildete Thiere umfasse, sondern blosse vorberei-
tende Generationen von Medusen, sogenannte Ammenthiere }).
Die von den Polypen allein noch übrig bleibenden echten
Anthozoen bilden mit den Akalephen, von denen übrigens,
wie wir weiter unten sehen werden, ebenfalls einige be-
stimmte Formen, die blosse Ammenthiere sind, aus der z00-
logischen Systematik schwinden müssen, meine Abtheilung
der Goelenteraten.
Was die weitere Eintheilung derselben betrifft, so er-
scheinen in ihr die Polypen und Akalephen als zwei
sehr natürliche Klassen. Der charakteristische Unterschied
von beiden beruht in einer differenten Entwicklung der Lei-
beshöhle 2). Bei den erstern ist dieselbe sehr geräumig und
nur von einigen lamellösen Längsscheidewänden der äussern
Bedeckungen durchsetzt, die von der Peripherie nach dem
Centrum hinstrahlen, während sie bei den andern viel we-
niger weit ist und in der Form radialer Gefässe (als das
sogenannte wasserführende Gefässsystem) die parenchymatöse
Leibesmasse durchsetzt. In den Thieren der ersten Klasse,
so könnte man etwa sich ausdrücken, wächst die umhüllende
Körperwand centripetal hinein in die Leibeshöhle, in den
Thieren der zweiten die Leibeshöhle centrifugal hinein in die
Körperwand. In beiden Fällen ist die radiäre Anordnung
unverkennbar, wenngleich die Zahlenverhältnisse, in denen
dieselbe sich ausprägt, ansehnlich wechseln. Sehr allgemein
aber scheint die Vierzahl mit ihren Multiplis in den von der
Gentralachse ausstrahlenden oder doch strahlenförmig darum
gruppirten Gebilden vorherrschend zu sein.
1) Ausser der bekannten Schrift von Steenstrup über den Generationswechsel
vergl. man hier besonders die Abhandlungen von Dujardin in den Annal. des
scienc. nat. 1845. T. IV. p. 257., von Sars|].c.p. 13. und von mir in den
oben erwähnten Beiträgen $. 19.
2) Vergl. hierüber, so wie überhaupt über die Organisationsverhältnisse der Polypen
und Akalephen meine beiden oben schon erwähnten Abhandlungen in den Bei-
trägen von Frey und Leuckart,
2
Eine sichere Bürgschaft für den innern typischen Zusam-
menhang dieser beiden Klassen, und somit denn auch für
die Berechtigung unserer Abtheilung der Coelenteraten, bie-
tet neben der erwähnten morphologischen Uebereinstimmung
auch die Entwicklung der dahin gehörenden Thiere, die zum
Theil noch später genauer berücksichtigt werden soll. Hier
genüge die einfache Bemerkung, dass die Akalephen, so weit
wir die Entwicklungsgeschichte derselben kennen, überall
in ihren Jugend- oder Ammenzuständen eine vollkommne
Polypenform darbieten. Es zeigt sich in diesem Verhältniss
dasselbe wichtige Gesetz, von dem wir seit längerer Zeit
bereits in andern natürlichen Abtheilungen — besonders bei
den Wirbelthieren — eine Kenntniss gehabt haben, nach
dem nämlich von den höher stehenden Thieren einer Gruppe
bei der Entwicklung bestimmte Formen durchlaufen werden,
die in den niedern Thieren derselben Gruppe zeitlebens per-
sistiren !). Erkennen wir nun in dem erstern die höchste
Entfaltung eines bestimmten idealen Typus, so können wir
unter solchen Verhältnissen die niedern Formen — in Bezug
auf jene — als in ihrer Entwicklung gehemmte ansehen und
den ganzen morphogenetischen Process, dessen in solchen
Fällen die Natur sich bedient, als den Process der Bildungs-
hemmung bezeichnen, wie es oben auch geschehen ist.
Werfen wir vor der speciellen Betrachtung der beiden
Klassen der Coelenteraten noch einen Blick auf die äussern
Formverhältnisse der verschiedenen ihnen zugehörenden Thiere,
so können wir auch in diesen trotz der manchfachen Mo-
dificationen eine bestimmte Uebereinstimmung nicht verken-
nen. Die Grundform der Coelenteraten ist die. Form einer
Kugel oder eines Eies, wie wir sie bei den meisten Rippen-
quallen, auch noch bei den Actinien wahrnehmen. Streckt
1) Nicht überall spricht mit gleicher Deutlichkeit in dem Zusammenhange der nie-
dern und höhern Formen bei einer typischen Abtheilung der Thiere dieses Bil-
dungsgesetz sich aus. Bei näherer Untersuchung finden wir aber trotzdem die
unverkennbaren Spuren desselben — nur weniger gleichmässig in dem ganzen
äussern Habitus und mehr auf einzelne Theile des Körpers beschränkt.
19
diese sich in die Länge, so wird daraus ein Cylinder, wie
bei den meisten Polypen (eine Form, die allerdings durch
die unvollkommne Knospenbildung dieser Thiere sehr häufig
mehr oder minder verwischt ist), während durch den ent-
gegengesetzten Vorgang, durch eine Abplattung von den Polen
her, sehr leicht die Scheibenform der Discophoren I) sich ab-
leiten lässt. Die Mundöffnung liegt beständig an dem vordern
(je nach der Lage des Thiers dem obern oder untern) Ende
des Körpers in der centralen Achse, die sich hier übrigens
nicht selten, besonders bei dem abgeplatteten Körper der
Scheibenquallen, in einen mehr oder minder entwickelten
Stiel verlängert hat. Im Umkreis der Mundöffnung (auf dem
Rande der Kopfscheibe, bei den Scheibenquallen in der
Peripherie des eigentlichen Körpers) stehen gewöhnlich an-
sehnlichere oder kleinere ceylindrische Fortsätze in sehr ver-
schiedener Zahl, die sogenannten Tentakel, deren innere
Höhlung in der Regel mit der gemeinschaftlichen Körperhöhle
communicirt.
Ganz eigenthümliche, morphologisch von diesen Tenta-
keln sehr abweichende Gebilde sind die paarigen Fangfäden
der Ctenophoren.
So viel über die Coelenteraten im Allgemeinen. Was
die erstere Klasse derselben, die Polypen, betrifft, so liegt
deren Systematik trotz der manchfachen Versuche unserer
1) Auf solche Weise, glaube ich, lässt die Form der Scheibenquallen viel eher aus
der Kugelgestalt der Ctenophoren sich ableiten, als umgekehrt die letztere aus
der erstern, wie man es wohl durch die Annahme versucht hat, dass die Peri-
pherie der Glocke bei einer Scheibenqualle nach vorn mit dem Mundstiel ver-
wachsen müsse, um eine Rippenqualle zu bilden. Wie viel näher die erstere
Annahme liege, geht sehr deutlich zum Beispiel aus der Form einer Conis her-
vor, wie sie Brandt (Ausführliche Beschreibung der von Mertens beobachteten
Schirmquallen. Petersburg. 1838. Tab. II.) so schön hat abbilden lassen. Dass
überdiess der Mundstiel der Discophoren nur von untergeordneter morphologi-
scher Bedeutung sei, beweist auch der Mangel desselben bei den jungen unaus-
gebildeten Individuen, z. B. von Aurelia, die übrigens — wie wir hier anfüh-
ren müssen — aus der Polypenform der Ammen in Wirklichkeit nicht etwa
durch eine verticale Zusammendrückung, sondern vielmehr durch eine Quer-
theilung entstehen.
2*
20
neueren Zoologen, besonders Ehrenberg’s, Johnston’s!)
und Dana’s?), noch immer sehr im Argen. Ihre Organisa-
tion und die merkwürdigen Phänomene ihrer Vermehrung
durch unvollkommne Theilung und Knospenbildung, dieselben
Phänomene, auf denen die Structur und der Zusammenhang
der Polypenstöcke3) beruht, sind im Augenblick noch zu
wenig vollständig erkannt, als dass eine darauf basirte Clas-
sification bereits allen unsern Anforderungen Genüge leisten
könnte. So viel aber scheint mir gewiss: die Polypen zer-
fallen nach ihrem Bau®) in zwei gleichwerthige Ordnungen 5),
von denen der einen, die bei Weiten die grösste Mehrzahl
dieser Thiere enthält, der Name Anthozoa bleiben mag,
während ich die andere, die allein bisjetzt das Gen. Lucer-
naria umfasst, als Becherpolvpen, Gylicozoa6), bezeichnen
möchte, Wie unnatürlich es sei, diese letztern den Anthozoen
und besonders, wie es gewöhnlich geschieht, der Familie der
Actinien einzureihen, ist schon mehrfach gefühlt worden.
Lamarck’) und auch Cuvier®) stellten sie (letzterer aller-
dings zusammen mit den Actinien) unter die Akalephen, und
wirklich haben sie, wie schon Sars bemerkt, mit diesen, be-
sonders mit den Schirmquallen, in mehrfacher Beziehung eine
1) History of British Zoophytes. 2. Edit. London. 1846.
2) Structure and Classification of Zoophytes. Philadelphia. 1846.
3) Sehr werthvolle Aufschlüsse hierüber verdanken wir neben den Arbeiten von
Ehrenberg, Corallenthiere u.s.w. und Milne Edwards, Annal. des science.
nat. 1845. T. IV. u. 1946. T. VI, vorzugsweise den neuern Untersuchungen von
Dana in Sillimans Journal 1847. Jan. (im Auszug in Froriep’s Notizen 1847.N.48.).
4) Ueber den Bau der Polypen, besonders der Actinien und Lucernarien muss ich
auf meine hierauf bezügliche Abhandlung in den bereits mehrfach erwähnten
Beiträgen $. 1. verweisen, Völlig übereinstimmend hiermit sind die Angaben von
Sars über die Organisation der Lucernarien in der Fauna littoralis Norveg.S. 20.
5) Sehr wenig natürlich ist es, wenn Blainville (Art. Zoophyt. in den Dict. des
sc. nat. T. LX.) die Polypen nach der Abwesenheit oder Anwesenheit eines
Polypenstocks in zwei den Echinodermen und Arachnodermen (Akalephen) gleich-
stehende Klassen zerfällt, die er als Zoantharia und Polyparia bezeichnet,
6) Von #UALE, Becher und {00v, Thier.
7) Hist. nat. des anim. sans vertebr, 2. Ed. T. II. p. 57.
8) Regne anim, 1. Ed. T. IV. p. 50. (In der folgenden Auflage stehen dieselben
aber wieder bei den Polypen).
21
grössere Aehnlichkeit. Indessen müssen sie doch meines Erach-
tens bei denPolypen verbleiben. Dass Verhältniss der Körper-
wandungen zu der sehr geräumigen Leibeshöhle ist dasselbe,
wie bei den übrigen Polypen, und gerade auf einer verschie-
denen Relation dieser Theile beruht ja der Unterschied der
dieser Klasse zugehörenden Coelenteraten von den Akalephen.
Die Actinien sind ebenfalls Polypen, und zwar Anthozoen,
obgleich auch sie wohl mehrfach andern Gruppen beige-
sellt worden sind. So brachte Cuvier dieselben (wie die
Zoanthinen und Lucernarien) Anfangs zu den Akalephen ı)
(als A. fixes), Lamarck?) dagegen, wie auch Oken?) und
Schweigger*), zu den Echinodermen, wo ersterer aus ihnen
und den Sipunculiden sogar eine gemeinsame Gruppe, die
der Fistuliden, bildete.
Die beiden Ordnungen der Polypen, die wir eben auf-
gestellt haben, unterscheiden sich vorzugsweise durch ein
verschiedenes Verhalten ihres Verdauungsapparates. Bei den
ersteren, den Anthozoen, findet sich ein besonderer Magen-
schlauch, ein kurzer Cylinder, der von der Mundöffnung in
den cylindrischen Körper hineinragt und am Grunde durch
eine weite Oeffnung mit der geräumigen Leibeshöhle commu-
nicirt, die, wie bereits oben erwähnt ist, durch eine grössere
oder geringere Anzahl radialer, an dem Magensack befestigter
Scheidewände in eine entsprechende Menge peripherischer
Taschen oder Blindsäcke getheilt ist. Der freie Rand jener -
Scheidewände trägt die von mir als Mesenterialfilamente be-
schriebenen Gebilde, hinter denen, ebenfalls an den Scheide-
wänden, die Genitalapparate gelegen sind. Den Cylicozoen
1) Die nahe Verwandtschaft der Actınien mit Medusen kannten übrigens schon die
ältern Zoologen. Rondelet, Gesner, Aldrovand, Janston u. A. be-
zeichneten dieselben vereinigt als Urticae, die sie höchstens als Urticae fixae
und solutae unterschieden. Auch Linne bildete Anfangs aus beiden ein ge-
meinschaftliches Genus Medusa, von dem er erst nachher die Actinien (zuerst
unter dem Genusnamen Priapus) trennte.
2) Hist. nat. des anim. sans vertebr. IIeme Ed. T. V. p. 395.
3) Lehrbuch der Naturgesch. 1. Ausgabe, Zoologie. Th. I. S. 347.
4) Handbuch der Naturgesch, der skeletlosen ungegliederten Thiere. S. 505.
22
dagegen fehlt ein solcher Magenschlauch. Die ganze Leibes-
höhle, besonders vielleicht der vordere, aus der Kopfscheibe
des becherförmigen, nach hinten mit einem stielartigen Fusse
versehenen Körpers hervorragende sogenannte Mundtheil bil-
det den Verdauungsapparat. Radiale Scheidewände der Lei-
beshöhle finden sich aber auch hier, wenngleich in etwas
verschiedener Anordnung. Die Geschlechtsorgane liegen zu
den Seiten dieser Scheidewände in die Kopfscheibe einge-
bettet. Die Mesenterialfilamente der Anthozoen sind zu
freien tentakelförmigen Fäden geworden, die mit ihrer Basis
sich den Scheidewänden an der Uebergangsstelle der vordern
Körperscheibe in den stielförmigen Hinterleib inseriren.
Die Bildung eines Skelets !) beschränkt sich in der Klasse
der Polypen und überhaupt in der ganzen Abtheilung der
Coelenteraten auf die Anthozoen, findet sich hier aber in
grösster Ausdehnung. Es beruhet die Möglichkeit dieser Bil-
dung allein auf der Menge der in dem Körper dieser Thiere
vorhandenen Kalksalze. Meistens ist das Skelet ein äusseres,
entstanden aus der Erhärtung oder Verkalkung der Körper-
bedeckungen, an der aber auch bisweilen (bei den Madre-
poren) die innern muskulösen Scheidewände der Leibeshöhle
Antheil nehmen. Viel weniger verbreitet ist das Vorkommen
eines innern sogenannten Kerngerüstes, das, wie es scheint,
vorzugsweise nur bei den kleinern colonieenbildenden For-
men sich vorfindet und hier zur Stütze des gemeinschaftlichen
Thierstockes dient. Es verläuft dieses innere Skelet bestän-
dig in der Achse dieser Stöcke und ist ohne eigentlichen Zu-
sammenhang mit den einzelnen Thieren, obgleich es doch
unstreitig ebenfalls bloss als das Product derselben angese-
hen werden darf.
Die zweite Klasse unserer Coelenteraten umfasst, wie
erwähnt, die Akalephen. Doch auch diese können nicht
1) Ueber das Skelet der Anthozoen vergl. man ausser den klassischen Untersuchun-
gen Ehrenberg's (Korallenthiere u. s. w.) auch die Bemerkungen von Frey
(über die äussern Bedeckungen der wirbellosen Thiere. Erste Abtheilung. Göt-
lingen, 1845, Besonders abgedruckt aus den Göttinger Studien).
23
in ihrem ganzen Umfang hier aufgenommen werden. Wie
nämlich in neuester Zeit die höchst wichtigen Untersuchun-
gen von Sars!) uns gezeigt haben, enthält die eine Gruppe
derselben, die der Siphonophoren, welche man bis dahin als
ausgebildete Thiere ansah, ganz wie die Gruppe der Hydroiden,
nur sogenannte vorbereitende oder aufammende Generationen
anderer Akalephen. Für die Familie der Velelliden, welche
Eschscholtz ebenfalls den Siphonophoren zurechnet, ist
allerdings ein solches Verhältniss noch zu erweisen, doch
scheint es auch für sie nach der Analogie mit den übrigen
Formen sehr wahrscheinlich.
Schliessen wir nun die Siphonophoren, als unausgebil-
dete Formen, von den Akalephen aus, so bleiben uns unter
diesen Thieren nur noch die beiden von dem trefflichen
Eschscholtz?) neben jenen aufgestellten Gruppen der
Gtenophoren und Discophoren, die meines Erachtens
zwei sehr natürliche Ordnungen bilden. Beide unterscheiden
sich in ihrer Organisation auf eine ganz gleiche Weise, wie
die beiden oben von mir aufgestellten Ordnungen der Poly-
pen. Nur die Gtenophoren haben einen eigentlichen Magen-
schlauch (wenn man das bei einigen Scheibenquallen vor-
kommende Rudiment desselben ausser Acht lässt), ganz von
demselben Bau, wie bei den Anthozoen. Selbst in ihrer
Gestalt möchten die Rippenquallen noch am ersten mit den
Anthozoen sich vergleichen lassen, während die Discophoren
auch dadurch eher den Lucernarien sich anreihen, mit denen
sie ebenfalls in dem Mangel eines besondern Magens über-
einkommen. Die ganze Leibeshöhle ist hier Sitz der Chymi-
fication, wenngleich vorzugsweise vielleicht der ‘vordere, zwi-
schen den Mundlappen gelegene Abschnitt. — Sogar die
Lage der Generationswerkzeuge zeigt in den entsprechenden
Ordnungen der Akalephen und Polypen eine grosse Analogie.
Bei den Gtenophoren, die übrigens Zwitter sind und nicht,
1) A. a. 0. 8. 44.
2) System der Akalephen,
24
wie die andern Coelenteraten, getrennten Geschlechts, liegen
dieselben — gewissermassen den lamellösen Längsscheide-
wänden der Anthozoen entsprechend — in den Seitentheilen
des Leibes, bei den Discophoren, wie bei Lucernaria, in der
vordern Fläche der Körperscheibe.
Durch ihre Locomotionsfähigkeit sind übrigens die Aka-
lephen von den Polypen sehr verschieden. Während diese
nämlich entweder mit dem Hintertheil des Leibes festsitzen
oder doch höchstens nur durch Hülfe der hintern Körper-
scheibe (des sogenannten Fusses der Actinien) oder der Ten-
takel (Arachnitis Sars) langsam sich fortschieben können,
zeigen die Akalepben im ausgebildeten Zustand, wo sie be-
ständig als isolirte Individuen erscheinen und niemals zusam-
menhängende Thierstöcke bilden, eine sehr freie Beweglich-
keit. Bei den Discophoren wird solche durch die rhytmischen
Contractionen der schirm- oder glockenförmigen Körperscheibe
vermittelt. In der Ordnung der Ctenophoren dagegen musste
dieselbe wegen der abweichenden Kugelgestalt des Leibes
(die nur selten durch eine seitliche Compression — bei Cestum —
etwas abgeändert ist) auf eine andere Weise möglich gemacht
werden. Hier findet sich denn ein besonderer, eigens zu
diesem Zweck bestimmter Apparat von Cilien, die in mehre-
ren (4 oder 8) Längsreihen an der Peripherie des Leibes an-
gebracht sind und durch ihre Schwingungen den Körper
fortbewegen.
Ueber die Entwicklung der Rippenquallen wissen wir
bisjetzt leider noch gar Nichts — was um so mehr zu be-
dauern, als die auf diesen Vorgang bezüglichen merkwürdi-
gen Erscheinungen bei den Scheibenquallen vielleicht auf
analoge Verhältnisse bei jenen schliessen lassen. Die Schei-
benquallen entstehen aus einem polypenförmigen Ammenthier
bald durch die Theilung des ursprünglichen Körpers in mehrere
über. einander gelegene scheibenförmige Abschnitte, bald auch
durch Knospen, die an den Ammen hervorkeimen. In dem
letztern Falle, wo die Körper der Ammen nicht unmittelbar,
wie im ersteren, durch den Process der Vermehrung zu
Grunde gehen, überdauern die einzelnen (meistens zu sehr
entwickelten Thierstöcken mit einander verbundenen) vorbe-
reitenden Individuen in der Regel mehrere Generationen und
sind auffallender Weise sogar zu einer selbstständigen ge-
schlechtlichen Fortpflanzung !) befähigt.
In solchen Fällen nun sind die Ammen der Medusen
von den Zoologen bis auf die neueste Zeit als bestimmte
eigene Thierformen in dem Systeme aufgeführt. Doch gewiss
mit Unrecht. Bieten sie auch in ihren morphologischen Ver-
hältnissen manchfache interessante und auffallende Erschei-
nungen, so können sie doch in einem natürlichen Systeme
des Thierreichs eben so wenig eine besondere Stelle finden,
als die Larven der Insecten, selbst wenn diese noch so sehr
von den Formen der betreffenden entwickelten Thieren sich
unterscheiden.
Am besten gekannt unter diesen Ammenformen sind die
sogenannten Hydroiden. In der Beschaffenheit und der
Form des Körpers gleichen sie, wie schon angeführt, den
Polypen. Darin aber unterscheiden sie sich von diesen, dass
sie weder einen gesonderten Magenschlauch besitzen, noch
dass in die Leibeshöhle, die den ganzen innern Raum des
Körpers einnimmt, jene lamellösen Längsscheidewände vor-
springen, die allen ausgebildeten Coelenteraten zukommen.
Auch Mesenterialfilamente und innere Geschlechtsorgane fehlen.
Die Leibeshöhle bildet einen länglichen Cylinder, der den
Körper durchsetzt, nach oben, wie bei den Discophoren,
durch eine Mundöffnung ausmündet und bei Hydra (doch,
wie es scheint, nur hier) sich auch in die Arme hinein
erstreckt.
Dieser Typus, den man bei Hydra 2) schon lange erkannt
1) Vergleiche hierüber meinen Aufsatz über die Naturgeschichte der Hydroiden in
den Beiträgen von Frey und Leuckart $. 19., so wie meine Bemerkungen
in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen. 1847 Nr. 190. (bei Gelegenheit der
Anzeige von Sars, Fauna littoralis Norvegiae).
2) Wie man die Stellung der Hydra zu den Medusen produeirenden Hydroiden
rechtfertigen könne, habe ich (a, a, 0. Beiträge $. 19.) auseinander gesetzt.
26
hat, findet sich auch bei allen übrigen Hydroiden. Die Lei-
beshöble !) bildet den Verdauungs- und zugleich den Circula-
tionsapparat, ohne Hülfe eines besondern anatomisch verschie-
denen Organes. Dass ausser derselben (bei Hydra) noch ein
förmlicher Magenschlauch vorkomme, wie v. Siebold2) an-
giebt, oder vielmehr, dass der vordere Abschnitt der Leibes-
höhle, so weit er in dem sogenannten Kopfe gelegen ist,
auch anatomisch als Magen aufzufassen sei, davon habe ich
mich nicht überzeugen können. Allerdings zeigt die Leibes-
höhle eine besondere, von den äussern Bedeckungen ver-
schiedene Bekleidung (aus welchem Grunde ich die Zweifel
v. Siebold’s an der Genauigkeit der bekannten Rösel-
schen Versuche, wonach ein, wie ein Handschuhfinger umge-
stülpter Polyp auch in diesem Zustand noch vollständig ver-
dauen könne, theilen muss), aber solches berechtigt uns noch
nicht zu der Annahme, dass diese Auskleidung einem eignen
Magensack angehöre. Im Gegentheil spricht der Umstand,
dass dieselbe unmittelbar, ohne einen Zwischenraum, der
innern Fläche der Leibeswandungen aufliegt, und dass auch
(bei Hydra) die Höhlung der Arme mit dem umschlossenen
Raume in directem Zusammenhang steht, für die ältere An-
sicht. Das letztere Verhältniss wäre, wenn jener Raum wirk-
lich einen besondern Magen vorstellte, in der ganzen Abthei-
lung der Coelenteraten ohne Analogie. Ueberall communieirt
die Höhlung der Tentakel nur mit der Leibeshöhle. Die
Oeffnung, durch welche nach Siebold der Magen vonHydra
in seinem Grunde mit der dahinter gelegenen, engen und
röhrenförmigen Höhle des cylindrischen Fusses in Verbindung
stehen soll, kann ich nur für eine sphincterartige Ver-
engerung der Leibeshöhle halten, die in andern Hydroiden
(z. B. bei den Sertularien) noch stärker markirt ist und die
1) Früher war ich über die morphologische Bedeutung dieser Höhle (auch bei Lu-
cernaria und bei den Scheibenquallen) zweifelhaft (vergl. a. a. 0, S. 4. Anm, 1.
u. $.20.), doch glaube ich jetzt entschieden mich für obige Ansicht aussprechen
zu können,
Vergleichende Anatomie der wirbellosen Thiere S. 37.
[0
=
den ganzen Raum in zwei Abschnitte theilt, einen vordern,
der vielleicht ausschliesslich verdauet, und einen hintern, der
vielleicht vorzugsweise Circulationsapparat ist. Sehr deutlich
aber kann man besonders bei den Hydroidencolonieen wahr-
nehmen, dass beide in keiner Weise von einander verschie-
den sind. — Allein an dem hintern dieser Abschnitte ent-
wickeln sich die Knospen, durch welche die Hydroiden sich
ungeschlechtlich fortpflanzen und zu einer Colonie entwickeln,
wenn die aus den Knospen hervorgebildeten Jungen, wie es
meistens der Fall ist, nicht vollständig von dem Mutterthier
sich trennen.
Dieselbe typische Anordnung zeigen die Siphonoph.o-
ren, wenigstens die Physophoriden !) und Diphyiden, die im
Wesentlichen vollkommen mit einander übereinstimmen und
desshalb denn auch nur sehr mit Unrecht von den Zoologen
als zwei verschiedene, den Velelliden gleichwerthige Fami-
lien?) angesehen werden. Auch bei ihnen findet sich eine
einfache Leibeshöhle, die den Körper durchzieht, nicht, wie
man es wohl angenommen hat, ein besonderer Magen und
ein davon getrenntes Wassergefässsystem. Der Unterschied
von den Hydroiden beruht darin, dass theils die Tentakel
des cylindrischen Leibes im Umkreis der Mundöffnung ge-
schwunden sind, theils aber auch ein besonderes System von
Fangfäden (entsprechend den Fangfäden der Rippenquallen) und
— in Uebereinstimmung mit der Lebensart — ein eigenthüm-
1) Die Annahme von Blainville (Man. d’Actinolog, p. 111.) dass die Physophoriden,
aus denen er seine Gruppe der Physogrades bildet (wie auch die Rippenquallen)
den Mollusken zuzurechnen seien, bedarf jetzt wohl keiner besonderen Wider-
legung mehr.
2) Sehr verkehrt ist es, wenn Streubel (Guvier’s Thierreich I. $. 823.) zu
den Siphonophoren — deren Organisation überdiess sehr abenteuerlich gedeu-
tet wird — auch die Berenieiden hinzufügen will, denen Eschscholtz ganz
richtig eine Stelle unter den Scheibenquallen angewiesen hat. Was dieselben
von den übrigen Thieren dieser Ordnung unterscheidet, ist bloss die Bildung der
Mundöffnung. Diese ist nicht eine einfache Oeffnung, wie sonst, sondern in
eine grössere Anzahl neben einander auf der Spitze des Mundstiels gelegener
Löcher umgebildet. Von den sogenannten Saugröhren der Siphonophoren indes-
sen sind diese völlig verschieden,
28
licher, mächtig entwickeller Bewegungsapparat hinzugekom-
men ist. Der letztere besteht aus einer differirenden Anzahl
glockenförmiger Schwimmblasen mit knorpelartiger Hülle und
einem innern contractilen Sack, dessen Zusammenziehungen
auf analoge Weise den Körper fortbewegen, wie der schei-
ben- oder schirmartige Leib die Discophoren. Dieser Apparat
ist an dem hintern oder — wenn wir die Stellung des Thie-
res berücksichtigen — dem obern Ende des Körpers ange-
bracht, der morphologisch dem festsitzenden Fusse der Hy-
droiden und Anthozoen entspricht.
Bei den Diphyiden finden sich solcher Schwimmglocken
nur zwei, bei den übrigen Physophoriden (mit Ausnahme
von Physalia) eine grössere Anzahl. In den erstern liegen
dieselben meistens etwas hinter einander und nehmen den
eigentlichen Thierleib zwischen sich, doch so, dass dessen
letztes, blindes Ende (die Safthöhle nach Eschscholtz)
sich eine Strecke weit in die knorpliche Hülle der vordern
Schwimmglocke (des sogenannten Saugröhrenstückes) hinein-
erstreckt. In denjenigen Diphyiden, die wirklich nur ein-
fache Thiere sind, in Ersaea z.B., bilden die Schwimmstücke
bei Weitem den grössten Theil des Körpers. Der eigentliche
Leib ist nur sehr kurz und ragt kaum über den Rand jener
Gebilde hervor. Er besteht theils aus dem hintern eingebet-
teten Theile, theils aus dem vordern freien, in den jener sich
fortsetzt, einem Theile, der an seinem Ende mit der Mund-
öffnung versehen ist und bei den Zoologen den Namen der
Saugröhre trägt. An der Uebergangsstelle beider Abschnitte,
die auch hier, wie bei den Hydroiden, etwas verengt ist,
sitzen die Fangfäden.
Bei vielen andern hieher gehörenden Thierformen, wie
bei Diphyes, setzt sich der hintere Theil des Leibes über
die Insertionsstelle der ersten Saugröhre hinaus noch fort in
einen längern Kanal (den sogenannten Reproductionskanal), auf
dem nach vorn eine grössere Anzahl von Saugröhren, mit Fang-
fäden an der Basis und meist auch noch je mit einem besondern
knorplichen Deckschilde (das bei Abyla und Cymba fehlt, also
unwesentlich ist) aufsitzt. Diese einzelnen Saugröhren entste-
hen erst allmählich durch eine fortgesetzte Knospenbildung.
Sobald man durch eine unbefangene Untersuchung zu
dem Resultate gelangt ist, dass jener Schwimmapparat der
Diphyiden für die morphologische Auffassung dieser Thiere
ohne wesentliche Bedeutung sei, muss man unter den vor-
liegenden Verhältnissen ein Geschöpf, wie Diphyes, für
einen Thierstock erkennen, für eine Golonie von Individuen
— obgleich diese Anschauungsweise der gewöhnlichen An-
nahme widerspricht. Es hält ein solches Geschöpf in jeder
Beziehung dem Vergleich mit einem Polypenstocke Stich. Ein
jedes der einzelnen Tbhiere .(Saugröhren) hat seinen Körper
und seine Leibeshöhle, ein jedes seine Fangfäden und Deck-
schilde. Gemeinschaftlich ist ihnen allen ein Stamm (der
Reproductionskanal) — dessen innere Höhle, wie bei den
Hydroiden, die Leibeshöhlen der einzelnen Thiere mit einan-
der verbindet — und am Ende desselben jener eigenthüm-
liche Locomotionsapparat, den man vielleicht nicht ganz un-
passend dem Stiel der Halopteriden vergleichen könnte.
Sehr leicht nun lässt aus der Form von Diphyes sich
die der übrigen Physophoriden ableiten. Auch bei Agalma,
Agalmopsis’u. A. ist der obere Theil des gemeinschaftlichen
Leibes (die Schwimmsäule) mit seiner Höhle, in der die soge-
nannte Schwimmblase gewiss nur eine sehr untergeordnete
Bedeutung !) hat, von den knorplichen Locomotionsorganen
1) Ich kann hier überhaupt die Vermuthung nicht unterdrücken, dass die Anwesen-
heit von Luft in dem obern Ende der gemeinschaftlichen Leibeshöhle, in der
sogenannten Luftblase, immer nur zufällig und ohne alle grössere Bedeutung sei.
Auch der sogenannte Saftbehälter der Diphyiden, sowie die Leibeshöhle der
Scheibenquallen soll ja häufig Luft enthalten. Ueberdiess giebt z. B. Philippi
(Müller’s Archiv. 1843.) an, dass er bei Physophora in der Luftblase keine
Luft gefunden habe. Die grösste Schwierigkeit macht hierbei das Gen. Physalia,
wo bekanntlich der ganze gemeinschaftliche Leib als Lufiblase gedeutet wird,
Indessen auch diese Deutung möchte ich als richtig in Abrede stellen. Ich sehe
wenigstens ganz deutlich bei einem sehr wohl erhaltenen Spiritusexemplare von
Ph. Aurelia in der Sammlung des hiesigen physiologischen Institutes, dass in
eben diese Höhle (wie sonst in den Reproductionskanal) die Saugröhren und
auch die Tentakelkanäle einmünden.
30
besetzt, während der untere freie Theil, wie dort ebenfalls,
eine sehr beträchtliche Anzahl von Saugröhren mit Fangfä-
den u. s. w. trägt. Bei Physophora verkürzt sich dieser
untere freie Theil des Leibes. Aus einem langen und engen
Cylinder wird er ein kurzer und weiter Sack !), von dessen
unterer Fläche dann neben einander die zahlreichen Saug-
röhen, Fangfäden u. s. w. herabhängen — immer noch ein
Zeichen, dass die betreffende Form einen zusammengesetzten
Thierstock ?2) darstelle. In dem Gen. Physalia ist endlich
der vordere Theil des gemeinschaftlichen Leibes, die Schwimm-
säule mit ihren knorplichen Locomotionswerkzeugen vollkom-
men verloren 3) gegangen. Der ganze Körper ist (wie der un-
tere Theil bei Physophora) eine einfache grosse Blase, an
welcher unten die einzelnen Thiere mit ihren Anhängen be-
festigt sind.
Was die Velelliden betrifft, so wissen wir über diese
Thiere, in Bezug sowohl auf ihre Organisation, als auch auf
ihre Entwicklung, noch viel zu wenig, als dass wir mit Sicherheit
schon jetzt über ihre Stellung und ihre Verwandtschaften
Etwas bestimmen könnten. Wenn die Angaben vonHollard?)
über den Bau derselben sich bestätigen sollten, so scheint es
mir sogar zweifelhaft, dass sie — wenn sie wirklich ausge-
bildete Thiere sind — dem Typus der Coelenteraten ange-
hören, obgleich auf der andern Seite wiederum sehr vieles
1) Vergl. Philippi a. a. O. Tab. V. Fig. 10.
2) Schon Lamarck (I. c. T. II. p. 24) nennt die Stephanomia, die am nächsten
dem Gen. Physophora verwandt ist, einen Thierstock, dessen einzelne Indivi-
duen von den Saugröhren mit ihren Anhängen gebildet würden. Aehnliche An-
sichten sind auch bereits von Delle Chiaje, Milne Edwards u. A. über
einzelne Physophoriden ausgesprochen.
3) Das Gen. Rhizophysa P&r., wo ebenfalls die Schwimmglocken fehlen sollen,
scheint mir sehr dubiös. Man braucht nur die von Eschscholtz gegebene
Abbildung der Rh. Peronii (a. a, 0. Tab. XII. Fig. 3.) zu vergleichen mit
einem einfachen, von dem gemeinschaftlichen Stamm einer Stephanomia ge-
trennten Thier (Milne Edwards in den Annal, des science. nat. 1841. Vol.
XVL. Pl. IX. Fig, 2.), um die fast ganz vollkommne Uebereinstimmung zwischen
beiden augenblicklich zu erkennen.
4) Annal. des scienc. nat. 1842. T. III. p. 248.
31
für eine solche Annahme und besonders für eine Verwandt-
schaft mit den Physophoriden zu sprechen scheint. Spätere
sorgfältige Untersuchungen müssen darüber entscheiden.
Echinodermata.
Die Stachelhäuter oder Echinodermen, die zuerst!) von
Cuvier in ihrem gegenseitigen Zusammenhang erkannt wur-
den und nach der Meinung dieses grossen Zoologen iin der
Abtheilung der Strahlthiere eine den Polypen, Akalephen und
Helminthen gleichstehende Klasse bilden, sind ebenfalls, wie
es mir scheint, die Repräsentanten eines eigenen bestimmten
Typus in der formenreichen Welt der wirbellosen Thiere 2).
Wie die Coelenteraten, die Würmer, Arthropoden, Mollusken
und Wirbelthiere müssen auch sie nach meiner Ansicht als
eine zusammenhängende, mehrfach gegliederte Hauptabthei-
lung unter den animalischen Formen betrachtet werden.
Mit den Coelenteraten, denen auf der einen Seite sie
angrenzen, theilen sie den eigenthümlichen strahligen Bau
des Körpers, der aber in ihnen theils durch das Vorherrschen
der Fünfzahl (statt der bei den Coelenteraten gewöhnlichen
Vierzahl) sich auszeichnet, theils auch schon manchfache
grössere Schwankungen zeigt, als jemals dort es der Fall ist.
In Uebereinstimmung mit dem Bau des Körpers liegt auch
bei den Echinodermen der Mund am vordern Pole der cen-
tralen Längsachse. Was aber die hieher gehörenden Thiere
I) Linne rechnete alle Echinodermen zu den Mollusken, während 0. Fr. Müller
die zu denselben gehörenden hartschaligen Thiere (die Echiniden) davon trennte
und mit den Conchylien in der Ordnung der Testacea vereinigte. Bruguieres
(in der Encyclop. method.) bildete zuerst in der Linneschen Klasse der Wür-
mer eine eigene Ordnung der Echinodermes,, doch ist dieselbe keineswegs von
gleichem Umfang mit der gleichnamigen Guvierschen Gruppe. Sie umfasst
nur die Echiniden und Asteriden,
2) Als selbstständige Hauptabtheilung sind die Echinodermen u, A. auch bereits
von Goldfuss und Meckel betrachtet worden,
BR.
streng von den Coelenteraten abscheidet, ist besonders die
Anordnung des Verdauungsapparates. Ueberall findet sich
ein ansehnlicher, von der Leibeshöhle isolirter Darmkanal,
der bald hinten blind geschlossen ist, bald aber auch durch
einen besondern After nach aussen führt. In der Regel
liegt dieser, gegenüber der Mundöffnung, am hintern Ende
der Centrälachse des Leibes. Nicht selten aber zeigt er
auch eine geringere oder grössere Excentricität in seiner
Lagerung. Schwerlich übrigens ist diese Abweichung von
der eigentlichen Norm, die den manchfachen Asymmetrieen
der Thiere mit lateralem Typus ganz analog ist, in einer
ursprünglichen Verschiedenheit der den radiären Typus be-
dingenden Bildungsgesetze begründet, sondern vielmehr bloss
in einer spätern Modification derselben durch anderweitige
morphologische Vorgänge !); die Lagenumänderung ist ohne
Zweifel eine secundäre. Neben dem Darmkanal, der seiner
Länge nach durch ein Mesenterium in der geräumigen, unge-
theilten Leibeshöhle befestigt ist, findet sich überall noch ein
besonderes Blutgefässsystem, das ebenfalls den Coelenteraten
fehlt und hier von der Leibeshöhle vertreten wird. Seine An-
ordnung, wie auch die des Nervensystems und des Genital-
apparates 2), ist, dem Typus gemäss, eine radiäre. Nur in
den langgestreckten Formen der Holothurien, die besonders
durch die Sipunculiden den: Würmern sich annähern, wird
dieselbe, zum Theil wenigstens, verwischt und mit bestimm-
ten, sonst nur den Thieren mit seitlich symmetrischem Typus
1) Bei den Crinoideen rührt z. B. diese Excentricität des Afters wahrscheinlich
daher, dass diese Thiere entweder beständig, oder doch sehr lange auf einem
Stiel, der von der Centralachse des Körpers, der Mundöffnung gegenüber aus-
geht, angeheftet sind. Wenn bei den Echininen, wo ebenfalls im Jugendzustand
eine analoge Anheftung vorkommt, trotzdem der After central ist, so kann sol-
ches nur dadurch möglich werden, dass jene Anheftung noch vor der Bildung
eines Afters wieder schwindet,
2) Ueber die morphologische Bedeutung der in der Asymmetrie der Geschlechts-
drüse von Holothuria sich aussprechenden Verhältnisse vergl. man meine oben
schon eitirte Abhandlung über die Anatomie und Morphologie der Geschlechts-
organe. S. 34,
>
zukommenden Verhältnissen combinirt ). Dieselbe laterale
Anordnung zeigt sich bei ‚den Holothurien auch in dem Bau
der innern Kiemen.
Wie wir oben für den Bau des Nervensystems bei den
Coelenteraten eine bestimmte typische Uebereinstimmung an-
gegeben haben, ebenso finden wir es auch bei den Echino-
dermen. In ihnen bilden die Centraltheile dieses Apparates
einen pentagonalen Ring, der den obern Theil des Darmka-
nales umfasst und von seinen einzelnen Ecken die Haupt-
nervenstämme entsendet.
Wenngleich hierin nun eine neue Grundverschiedenheit
der Echinodermen von den Coelenteraten sich ausspricht,
so zeigen sich doch auf der andern Seite auch wiederum
mancherlei Analogieen und Uebereinstimmungen. Dahin ge-
hört besonders der den Echinodermen mit den Anthozoen
gemeinschaftliche Reichthum von Kalksalzen in den äussern
Bedeckungen. Nicht selten sind diese Salze in den sonderbarsten
Formen ?) abgelagert. Auch erhärten sie die Hülle des Kör-
pers gewöhnlich zu einem sehr festen Skelet mit manchfachen
haken- oder stachelförmigen Fortsätzen. Selbst die innern
1) Schon bei den Coelenteraten finden sich einzelne Spuren einer solchen bila-
teralen Entwicklungsweise, doch hier ohne alle Störung des radiären Typus.
Agassiz, der (Compt. vend. 1847. Nr. 19.) zuerst hierauf aufmerksam ge-
macht hat, verweist auf die beiden ansehnlichen einander gegenüberliegenden
Cardiacalwülste im Magenschlauch der Actinien (die ich in den von Frey und
mir herausgegebenen Beiträgen $S. 3 genau beschrieben habe). Auch die An-
ordnung der Fangfäden bei den Ctenophoren gehört hieher, — Indessen schei-
nen mir diese Verhältnisse bei den Coelenteraten ohne Widerspruch mit der typi-
schen Form des Leibes. Schon oben ist angeführt, dass in dem radialen Bau
des Körpers bei diesen Thieren die Vierzahl sehr allgemein sich ausspricht.
Es würde völlig hiermit im Einklang sein, wenn zwischen jenen paarigen gegen-
überliegeffden Gebilden je in der Mitte noch ein entsprechender Theil sich ent-
wickelt hätte. Dass dem aber nicht so ist, scheint mir eher auf einer Modifi-
cation des strahligen Baues zu beruhen, als auf einem Hineingreifen der bilate-
ralen Entwicklungsweise. Indessen ist auch die Berechtigung einer Annahme,
wie die letztere, nicht zu verkennen, Jedenfalls sehen wir aber aus derartigen
Anordnungen, wie leicht die morphologischen Verhältnisse des strahligen Typus
in die der seitlichen Symmetrie übergehen können.
2) Vergl. darüber besonders Frey a. a. 0.
31
Theile verkalken bisweilen. Um aber trotzdem den Echinoder-
men die Locomotion möglich zu machen, finden sich daneben
zahlreiche contractile, in Längsreihen an der Peripherie des Lei-
bes gruppirte Füsschen (ambulacra), die zum Anhefien dienen
und bei einer Contraction den Körper hinter sich herziehen.
Die manchfachen Verschiedenheiten, in denen die äussere
Form der Echinodermen auftritt, lassen auf dieselbe Weise,
wie bei den Coelenteraten, aus einer centralen Verlänge-
rung oder Depression!) der ursprünglichen (bei den Cysli-
deen und Echinen persistirenden) Kugelgestalt sich erklä-
ren. Was aber dabei die Echinodermen vor den Coelente-
raten auszeichnet, ist die Tendenz zur Bildung manchfaltiger
strahliger Fortsätze des peripherischen Körperrandes, der so-
genannten Arme, die von den Tentakeln der Coelenteraten
morphologisch streng unterschieden werden müssen. Ihre
Ausbildung bei den einzelnen Echinodermen ist übrigens
sehr verschieden. Von den längsverlaufenden Firsten am
Körper mancher Holothurien (der pentagonalen Formen des
Gen. Pentacta) zu den stumpfen Ecken mancher Asteriden
(der zu Schweigger’s Abtheilung Corpore angulato gehö-
renden Arten) und den hohlen Armen der Asteracanthien u. S. w.,
von diesen zu den soliden, gegliederten, hie und da sogar
verzweigten Armen der Ophiuren und Crinoideen ist ein
allmähliger Uebergang. Es sind diese radienförmigen Arme
unmittelbare Ausstrahlungen und Fortsetzungen des Körpers
(wie unter den Scheibenquallen die lappenförmigen Fortsetzun-
gen des Leibes bei dem Gen. Ephyra), die aus jenem im
Lauf der Entwicklung erst allmählig?) hervorwachsen, nicht
1) Auch hier hat man wohl -— ganz wie bei den Coelenteraten — umgekehrt die
Kugelgestalt von Echinus aus der platten Form der Asteriden durch die An-
“ nahme ableiten wollen, dass die Arme der letztern nach hinten umgebogen und
zusammengewachsen wären. Was aber sollte hierbei aus dem umschlossenen
hohlen Raum geworden sein? WUeberdiess zeigt uns die Entwicklungsgeschichte
der Asteriden, in vielen Fällen wenigstens, wirklich eine allmählige Zusammen-
drückung in der Gentralachse des ursprünglich kugligen Körpers.
2) Bei den Ophiuren (auch den Crinoideen?) scheint nach den Beobachtungen von
Müller die Bildung dieser Arme viel früher vor sich zu gehen, als bei den
aber besondere selbstständige Anhänge, wie die Tentakel der
Coelenteraten, die in analoger Weise auch bei den Echino-
dermen vorkommen und hier in den sogenannten äussern
Kiemen der Echinen und Holothurien im Umkreis der Mund-
öffnung sich wiederfinden,
Die Mehrzahl der zu der Gruppe der sogenannten Cri-
noideen gehörenden Echinodermen ist mittelst eines kalki-
gen Stieles angeheftet, der vom hintern Pole des Körpers,
der Mundöffeung gegenüber, ausgeht. Die übrigen Echino-
dermen sind frei, doch gewöhnlich nicht in allen Stadien
ihres Lebens. In ihren Jugendzuständen sind sie vielmehr
meistens auf eine ganz analoge Weise befestigt. So die Coma-
tulen (nach Thompson!), der anfänglich die unentwickelten
Formen der C. mediterranea als Pentacrinus europaeus be-
schrieb), so auch die Echinen (nach Dufoss&?)). Das Ru-
diment des zur Anheftung dienenden Stiels ist bei den Co-
matulen der sogenannte Knopf, bei den Echinen die Madre-
porenplatte. Da die letztere übrigens ebenfalls den Asterien
(so wie unter den Ophiuren 3) dem Gen. Euryale) zukommt, so
wird hierdurch schon von vorn herein wahrscheinlich, dass
auch diese in ihrer Jugend angeheftet seien. Wirklich ist dem
so, wie uns die Beobachtungen von Sars*) gezeigt haben, die
zusammen mit den interressanten Entdeckungen von J. Mül-
ler5) über die Entwicklung der Ophiuren manche auffal-
lenden Resultate für die Morphologie dieser Thiere und ihre
Relation zu den vorhin betrachteten Formen ergeben.
eigentlichen Asteriden. In diesem Umstand liegt vielleicht der Grund, dass in
sie nicht, wie es sonst der Fall ist, die Leibeshöhle sich hineinerstreckt, und
dass in Folge hiervon auch eine abweichende Entwicklung derselben, besonders
so weit solche die Bildung des kalkigen Skelets betrifft, stattfinden kann.
1) New Edinb. Philos. Journ. 1836. p. 296.
2) Aunal. des science. nat. 1847. T. VII. p. 44.
3) Dass übrigens, wie Müller und Troschel (System der Asteriden. $. 4.) ver-
muthen , der sogenannte Umbo der übrigen Ophiuren als Analogon der Madre-
porenplatte zu deuten sei, scheint nach der Entwicklung der betreffenden Thiere
sehr zweifelhaft.
4) Wiegmann’s Arch. 1844. I. S. 169, und Fauna littoral, p. 47.
5) Müller's Archiv. 1847. S. 157.
ze
36
Die Untersuchungen, welche der Erstere an Asteracanthion
Mülleri und Echinaster Sarsii (sanguinolentus S.) angestellt
hat, zeigen nämlich, dass die Embryonen dieser Asterien,
nachdem sie als infusorienartige Geschöpfe von ovaler Ge-
stalt (ganz wie die Embryonen der Coelenteraten, Echinen,
aber auch der Anneliden und anderer wirbellöser Thiere)
eine Zeitlang durch die Hülfe eines äussern Flimmerüberzugs
frei sich bewegt haben, an dem einen Ende ihres Körpers
allmählig vier von einer gemeinschaftlichen Stelle ausgehende
warzenartige Fortsätze bekommen, mittelst deren sie sich
festsetzen, wie die Echiniden und die meisten Coelenteraten
(schwerlich wohl alle, da die sogenannten Röhrenquallen
währscheinlich stets frei bleiben). Unstreitig ist die dem
Ansatzpunkte entsprechende Stelle dieselbe, wie bei jenen
Formen, der hintere Körperpol also und die davon ausge-
hende senkrechte Achse die Längsachse des Tbieres, die mit
der Centralachse der Echinen, Crinoideen u.s. w. zusammen-
fällt. Nun aber beginnt die Abplattung des Körpers bei den
Embryonen jener Asterien auffallender Weise nicht in dieser
Längsachse, sondern von den Seiten, so dass die Gentralachse
des ausgebildeten Thiers nicht, wie sonst es der Fall ist,
mit der eigentlichen Längsachse congruirt, sondern dieselbe
unter einem rechten Winkel schneidet. Die Längsachse des
Körpers geht bei den ausgebildeten Asterien also in gerader
Richtung durch die Madreporenplatte, die, wie gesagt, dem
ursprünglichen Anheftungspunkt entspricht, und den Mittel-
punkt der Scheibe. Auf eine überraschende Weise findet
somit die scharfsinnige Vermuthung von Agassiz über die
laterale Symmetrie der Asteriden, über das wirkliche Vor-
handensein eines vordern und hintern (von der Centralachse
abweichenden) Endes in der Entwicklungsgeschichte ihre Be-
stätigung. Von Neuem aber ist aus solchen Verhältnissen zu
ersehen, wie ein bestimmter Plan in der Organisation, selbst
unter veränderten Bedingungen, kann realisirt werden. Trotz
der abweichenden Richtung entwickelt sich der Körper der
Asterien vollkommen nach den Gesetzen des radiären Typus.
37
Wenngleich nun die Beobachtungen von Sars eine solche
merkwürdige Differenz zwischen der Längs- und Centralachse
des Körpers in der eben angegebenen Art bei den Asterien
mit Evidenz nachweisen, so bedarf dennoch dieses Verhalten
der nähern Beachtung und des Verständnisses, um so mehr,
als sich in der Entwicklung der Echinodermen, wie es scheint,
auch sonst noch manchfache sehr abweichende Verhältnisse
vorfinden. So entdeckte Müller, dass die Ophiuren und einige
armlose stachelhäutige Echinodermen, die er Anfangs für
Echinen hielt, die aber wahrscheinlich — da bei diesen eine
andere Entwicklungsart beobachtet ist — als Spatangiden
sich erweisen möchten, nicht einfach durch eine allmählige
Metamorphose aus der Dottermasse des Eies sich hervorbil-
den, sondern einem höchst auffallenden Generationswechsel
unterworfen sind. Die Embryonen derselben werden nämlich
wie eine Stickerei in einem Rahmen, eben so im Innern eines
sonderbaren gestellarligen Ammenthieres (Pluteus paradoxus)
gebildet, das aus vier unter sich verbundenen skeletartigen
und mit einem hautartigen Ueberzug versehenen Längsstäb-
chen besteht, einen Magen mit (excentrischer) Mundöffnung
hat und äusserlich von einem Flimmerüberzug bedeckt ist,
mit dessen Hülfe es frei umherschwimmt. Die relative Lage
des Embryo zu diesem Ammenthiere ist ähnlich, wie die
jener jungen Asteriden zu den oben erwähnten Anheftungs-
gebilden. Ueberhaupt scheint mir die Analogie dieser Theile
mit jenem Ammenthiere so gross, dass ich die Vermuthung
nicht unterdrücken kann, es möchten beide nach ihrer mor-
phologischen Bedeutung übereinstimmen. Der Unterschied
zwischen ihnen würde dann allein in der relaliv sehr ver-
schiedenen Entwicklung bestehen und sich darauf reduciren,
dass bei den. Asteriden jener Apparat zugleich mit dem
Embryo, gewissermassen als ein blosser Anhang desselben,
aus der Dottermasse gebildet wird, während er im andern
Fall allein aus der Metamorphose des Dotters hervorgeht und
sich denn auch darum zu einem selbstständigen, frei beweg-
lichen Thier entwickeln kann. Dass übrigens auch sonst
38
bisweilen jener Apparat nicht zum Anheften dient und auf
abweichende Weise eine beträchtliche Grösse erreichen kann,
zeigt die neuerlich durch Koren und Danielssen be-
stätigte!) Entdeckung?) von Sars, dass das früher von
ihm als Bipinnaria asterigera beschriebene Geschöpf nur ein
sich entwickelnder und mit einem grossen Schwimmapparat
versehener Seestern sei.
Sehr ist es zu bedauern, dass unsere dermalige Kenntniss
von der Entwicklung der Echinodermen nicht umfassender
ist, dass wir besonders über die Holothurien noch Nichts
weiter wissen, als dass dieselben jung von der Grösse eines
Gerstenkorns und einer weisslichen Made ähnlich seien ?). Ge-
wiss wird eine spätere Untersuchung hier noch mancherlei
höchst wichtige Aufschlüsse über die Morphologie und den
Zusammenhang der verschiedenen Gruppen uns liefern.
Was die Systematik der Echinodermen betrifft, so theilte
Cuvier dieselben bekanntlich nach dem Vorhandensein
oder dem Mangel der Ambulacra in Echinodermata pedi-
cellata (mit den Familien der Asteriden, Echiniden und Holo-
thurien) und in Echinodermata apoda (mit den Sipunculiden).
Indessen haben die Gebilde, auf deren Beschaffenheit diese
Eintheilung sich stützt, offenbar eine viel zu geringe typische
Bedeutung, als dass sie den übrigen durchgreifendern und
wichtigern Organisationsverhältnissen, die in der anatomischen
Anordnung der Eingeweide und des Skelets sich aussprechen,
könnten vorgesetzt werden. Viel beachtenswerther ist in die-
ser Hinsicht die Anordnung von Latreille, der von den eigent-
lichen Echinodermen (den Asterien, Echiniden und Crinoiden)
als besondere Gruppe die Holothurien (Scutoderma Schulz,
Sceytodermata Brmstr.) abtrennte und aus beiden in Verbin-
dung mit den Tunicaten seine den Phytodaceen gleichstehende
Klasse der Actinozoa schuf. Wie unnatürlich aber die Vereini-
1) Annal. des scienc. nat. 1847. T. VII. p. 348.
2) A. a.'0. 87176!
3) Vergl. Dalyell in Froriep’s N. N. Nr. 331. 8. 2.
39
gung der Tunicaten mit den Guvierschen Echinodermen sei,
leuchtet leicht ein. Auch hat wohl niemals diese Vereinigung
einigen Beifall gefunden, während die erstern beiden von La-
treille aufgestellten Ordnungen sonst manchfach, wie beson-
ders von Burmeister!),in dem gleichen Umfang angenommen
sind. Leider aber werden von dem letztern mit diesen beiden
Ordnungen noch die Akalephen (nach dem Vorgang von
Lamarck) verbunden, die unstreitig, wie ich glaube nach-
gewiesen zu haben, mit dem Polypen zusammengehören.
Nach einem andern Eintheilungsprincip, nach der Ver-
schiedenheit der äussern Form, bildete Lamarck aus der
Abtheilung der Echinodermen die Ordnungen der Stelleriden
(Asteriden), Echiniden und Fistuliden, von denen die letz-
tere, wie schon oben erwähnt wurde, neben den Holothurien
und Sipunculiden auch die Actinien enthielt. Die Crinoideen,
die von Cuvier unter die Asteriden gestellt waren, trennte
Lamarck völlig von den Echinodermen, um sie — mit Aus-
nahme von Comatula‘s. Alecto, die bei den Asteriden ver-
blieb 2) — den Polypen, und zwar den Halopteriden, anzu-
reihen; ein Verfahren, welches übrigens jetzt, wo wir durch
Miller3) und besonders durch J. Müller*), die Organi-
sation dieser Thiere näher kennen gelernt haben, kaum noch
eine besondere Widerlegung verdient. Eben dieselben Unter-
suchungen aber haben uns gezeigt, dass die Crinoideen kei-
neswegs mit den Asteriden vereinigt werden dürfen, dass
sie vielmehr eine besondere, u. a. durch fundamentale Unter-
schiede in der Skeletbildung ausgezeichnete Gruppe bilden.
Somit wären denn die Cuvierschen Echinodermen in
vier, oder, wenn man, wie es besonders in neuerer Zeit
mehrfach geschehen ist, noch die Ech. apoda (Sipunculacea
1) Handbuch der Naturgesch. $. 465.
%) Linn hatte ganz auf dieselbe Weise die ungestielten Crinoideen (als Asterias
multiradiata und pectinata) zu den Asterien, die gestielten (als Isis Asteria —
Pentacrinus Caput Medusae und Encrinites liliiformis) zu den Polypen gestellt.
3) Natural Hist. of the Crinoidea Bristol. 1821.
4) Ueber den Bau des Pentacrinus caput Medusae. Berlin. 1845.
40
Brdt., Gephyrea de Quatref.) als eine besondere Gruppe
betrachtet, in fünf Ordnungen zerfällt, die von vielen Zoolo-
gen auch wirklich als natürlich und gleichwerthig neben ein-
ander gestellt werden. Mögen diese Gruppen nun übrigens
auch, was ich gern zugebe, natürlich sein, gleichwerthig
sind sie nach meiner Meinung schwerlich. “
Zuerst müssen, wie bereits Streubel es vorgeschla-
gen!) hat, die Asteriden und Echiniden mit einander zu einer
gemeinschaftlichen grössern Abtheilung vereinigt werden. Die
sehr nahe Verwandtschaft derselben beweist schon die Ent-
wieklungsgeschichte. In ihren frühesten Stadien zeigen Asterien
und Echinen, so wie besonders Ophiuren und Spatangiden
eine sehr auffallende Analogie. Die erstern sind, wie erwähnt,
mit Hülfe eines besondern stielförmigen Apparates angeheftet,
während bei den letztern die merkwürdigen Ammen und die
ersten Embryonalformen der bleibenden Thiere vollkommen
übereinstimmen. Die spätern in der Entwicklung auftreten-
den Differenzen gehören je in den speciellen Plan der einen
oder andern Gruppe dieser Abtheilung. Selbst der Umstand,
dass, wie wir oben angeführt haben, bei den Asterien eine
Aenderung in der Richtung der Centralachse vorkommt, die
dem radiären Typus gewissermassen als Angriffspunkt dient,
kann uns von einer nähern Vereinigung der betreffenden
Thiere nicht abhalten. Müssten wir doch sonst auch wahr-
scheinlich die Spatangen aus derOrdnung der Echiniden ent-
fernen. Ueberdiess rechtfertigt auch die wesentliche Ueber-
einstimmung in dem anatomischen Verhalten der einzelnen
Organe die Vereinigung der beiden Gruppen in eine gemein-
schaftliche grössere Abtheilung. Wir brauchen den Körper
eines Echinus in der Richtung seiner Gentralachse nur stark
abgeplattet uns zu denken, um einen stumpfeckigen Seestern
zu bekommen, mit entgegenstehender centraler Mund- und
Afteröffnung, mit einem nach den fünf Ecken ausstrahlenden
Nerven- und Gelässring, mit eben so radial gruppirtem Ge-
1) Encyclop. von Ersch und Gruber, Art. Pentacta,
al
schlechtssystem und Locomotionsapparate. Dass bei den
Asteriden diese tentakelartigen Ambulacra nur auf der obern
Mundfläche sich befinden, wiederholt in analoger Weise sich
auch bei den Spatangen, wo dieselben auf die Rücken-
seite sich beschränken. Ganz gleichmässig finden sich über-
diess bei Echiniden und Spatangiden, und zwar nur bei
ihnen, jene merkwürdigen Greifwerkzeuge, die Pedicellarien.
Ebenso beschränkt auf beide Gruppen sich ebenfalls das Vor-
kommen einer Madreporenplatte. Die in dem Skeletbau sich
aussprechenden Differenzen sind nicht grösser, als in den
einzelnen Ordnungen und Gruppen anderer Klassen, wie z.B.
der Polypen, wo ebenfalls bald ein bloss äusseres, bald auch
zugleich ein inneres Skeletsystem auftritt.
Unnatürlich scheint mir bei der oben angeführten Ein-
theilung der Echinodermen in fünf gleichstehende Ordnungen
auch noch die völlige Trennung der Sipunculiden von den
Holothurien. Allerdings lässt es sich nicht verkennen, dass
in den erstern dieser Thiere die radiäre Anordnung, die
sonst so auffallend hervortritt, noch weiter schwindet, als in
den letztern — wie sich besonders in dem Bau des Nerven-
systems ausspricht, welches fast ganz wie bei den Anneliden
und Arthropoden gebauet ist —, doch dieses, glaube ich,
allein berechtigt uns noch nicht, die Sipunculiden vollkommen
von den Holothurien zu trennen und sie wohl gar, wie es
in neuerer Zeit mehrfach vorgeschlagen wurde, den Würmern
einzureihen. Immer noch bleiben manchfache sehr wichlige
Annäherungen an die Holothurien. Das Vorkommen innerer
Kiemensäcke (bei Echiurus und Thalassema) und eines Mesen-
teriums, die Lage der Genitalien im Vordertheil des Leibes
sind Verhältnisse, welche die Sipunculiden mit den echten
Holothurien theilen und welche zum Theil dem Typus der
Würmer völlig fremd sind. Dass bei den Sipunculiden die
Ambulacra fehlen, darf man nicht allzu hoch anschlagen;
auch bei Synapta werden sie vermisst, obgleich diese doch
ohne Zweifel den Holothurien zugehört. Ueberhaupt wird ja
das Vorkommen solcher Locomotionsorgane allein durch die
42
starre Beschaffenheit der äussern Bedeckungen noth wendig.
Wo dieses aufgehört hat, als ein förmliches Skelet zu er-
scheinen, wo die Körperhüllen weich und biegsam sind (wie
eben bei Synapta und den Sipunculiden), da haben sie ihre
Bedeutung verloren und können fehlen.
Die nach einer derartigen Vereinigung der Echiniden und
Asteriden einerseits, sowie der Holothurien und Sipunculiden
andererseits entstehenden drei grössern Gruppen der Echino-
dermen, die in gleicher Weise bereits von Streubel auf-
gestellt worden sind, können wir, wie ich glaube, nach ihrer
systematischen Bedeutung als eben so viele Klassen betrach-
ten, die den Polypen und Akalephen in der Abtheilung der
Coelenteraten gleichstehen und je wiederum in einzelne Ord-
nungen zerfallen.
Die erste dieser drei Klassen, für welche ich die Bezeich-
nung Pelmatozoa!) vorschlagen möchte, begreift eine grosse
Reihe vorweltlicher Formen, deren wenige noch lebende Re-
präsentanten, wie einer unserer grössesten Geologen bemerkt,
nur einen sehr traurigen Ueberrest von der Pracht und der
Ausbreitung dieser herrlichen Geschöpfe in den Meeren der
Vorwelt bilden. Charakteristisch für die hieher gehörenden
Echinodermen ist es, dass sie zeitlebens oder doch längere
Zeit hindurch in der Jugend gestielt sind und festsitzen. Wo,
wie bei Comatula, im Lauf der Entwicklung der Stiel verlo-
ren geht, bleibt, als Rudiment, auf der Rückseite des Kelches
das sogenannte Knöpfchen 2). In der einen Ordnung dieser
Klasse, in den Gystideen3), die alle in den ältesten For-
mationen unserer Erdoberfläche, in den silurischen Schichten,
begraben liegen, ist der gestielte Körper von einfacher rund-
1) Von nehuc, Stiel, und 00», Thier,
2) Sehr eigenthümlich aber ist es, dass Holopus, wie Müller angiebt, nicht mit-
telst eines besondern Stieles, sondern nur mit Hülfe dieses Knöpfchens festsitzt,
Wahrscheinlich ist solches Verhältniss dahin zu deuten, dass bei diesem Thier
der Stiel beständig nur sehr kurz bleibt und an Länge das Knöpfchen von Co-
matula nicht übertrifft.
3) Vergl. L. v. Buch: Ueber Cystideen, in den Abhandlungen der Berl. Akad, vom
Jahre 1844.
43
licher oder ovaler Form, während in der andern Ordnung,
welche die eigentlichen Crinoideen umfasst, an dem obern
peripherischen Rande des Kelches noch besondere zahlreich
gegliederte Arme sich vorfinden, deren Skeletstücke immer
dem Perisom angehören und stets von dem dorsalen Pole
ihren Ursprung nehmen.
Die zweite Klasse der Echinodermen, die ich mit dem
Latreilleschen Namen der Actinozoa bezeichen möchte,
wird von zwei ganz entsprechenden Ordnungen, von den
Echiniden und Asteriden, zusammengesetzt. Die erste-
ren, die durch ihre rundliche Gestalt die schalige Form der
Cystideenköpfe wiederholen, von ihnen aber durch die Ma-
dreporenplatte und das Vorkommen beweglicher Stacheln
sich unterscheiden, haben ein einfaches, durch Näthe unbe-
weglich zusammengefügtes Hautskelet. Die Asteriden dage-
gen, die mit Armen versehen sind, wie die Crinoideen, und
mit einem plätten, scheibenförmigen Körper, haben ausser
einem minder entwickelten Hautskelet auch noch ein beson-
deres inneres Skelet, welches, den Armen entsprechend, aus
mehrern gelenkig verbundenen Reihen von Gliedern besteht,
die aber nie dem ‚Perisom angehören und stets von der
Bauchseite der Scheibe, und zwar vom Munde, ausgehen.
Die dritte Klasse, die der Scytodermata Brmstr.,,
deren Glieder vorzugsweise durch die Lage und Anordnung
der Geschlechtsorgane und innern Kiemen, so wie durch die
gestreckte cylindrische Form des lederartigen Körpers und
die ansehnliche Entwicklung der tentakelartigen Kopfanhänge })
sich auszeichnen, umfasst als Ordnungen die Holothuriae
und Sipunculida. Die leiztern zeigen theils eine längere,
wurmförmige Gestalt, theils auch eine abweichende Anord-
nung des Nervensystems, an dem man einen Schlundring
und einen mittlern Bauchstrang ?2) unterscheidet. Ein deut-
1) Auch bei Priapulus stehen die merkwürdigen traubenförmigen Anhänge am Kopf-
ende. Vergl. Frey und Leuckart, Beiträge S 40.
2) Um die Relation zu erkennen, in welcher diese Anordnung des Nervensystemes
mit dem bei den Holothurien vorkommenden Bau stehet, müssen wir daran uns
44
licheres Hervortreten der seitlichen Symmetrie, die in den
folgenden Abtheilungen ihre mächtigste Ausbildung erlangt,
lässt nicht mehr sich verkennen.
Vermes.
Bekanntlich hat schon Linne& (wie früher bereits Aristo-
teles) in der Reihe der Thiere eine besondere Klasse der
Würmer aufgestellt. Indessen entspricht diese nach ihrem
Umfang keineswegs der Gruppe der Vermes, wie wir diese
hier als eine typische Hauptabtheilung der animalischen For-
men hinstellen. Die Linne&schen Würmer umfassen mit
Ausnahme der Arthropoden (Insecta Lin.) alle wirbellosen
Geschöpfe.
Eine grössere Uebereinstimmung mit unserer Abtheilung
erinnern, dass bei den letzterwähnten Formen, ganz wie bei den übrigen Echi-
nodermen, ein Schlundring mit fünf davon ausstrahlenden Nervensträngen vor-
kommt, die alle, wie die gleichmässige Entwicklung der peripherischen Theile
es verlangt, dieselbe Anordnung darbieten. Von diesen Nervenstämmen nun ist
bei den Sipunculiden nur ein einziger, der in der Medianlinie des Bauches ver-
läuft, geblieben. Möglich, dass auch die übrigen noch sich vorfinden, wenn-
gleich sehr rudimentär, oder dass sie doch, wenn sie im ausgebildeten Zustand
wirklich fehlen, bei der ersten Bildung gleichmässig angelegt werden und dann
erst später dem Process der Rückbildung unterliegen. Zu ergründen ist noch,
ob ‘der mittlere Bauchstrang der Sipunculiden nur einem einzigen dieser radiä-
ren Stämme entspricht, oder vielleicht zweien anliegenden, wie es bei den Ar-
thropoden der Fall ist, Dass nur eine einzige Commissur in demselben vor-
kommt, kann allein hierüber nichts entscheiden. Treffen wir dasselbe doch auch
bei manchen Insekten, wie den Diptern u. A. Es können entweder im Lauf der
Entwicklung zwei seitliche Stämme vollständig verschmolzen sein, oder auch —
was dem Typus der lateralen Entwicklung ebenfalls nicht fremd ist — beide
morphologische Elemente gleich Anfangs durch ein einfaches mittleres Element er-
setzt sein, Am ersten möchte die Frage vielleicht noch durch die anatomische
Untersuchung derjenigen Holothurienarten erledigt werden können, bei denen
schon ein Unterschied zwischen Bauch und Rückenfläche vorkommt (z.B. Psolus,
Cuvieria). Verläuft hier in die Mittellinie des Bauches nur ein einziger mittlerer
Stamm, wie es mir nach der Anordnung der Längsmuskeln (s. u.) sehr wahr-
scheinlich ist, dann möchte dieser allein dem Bauchstrang der Sipuneuliden ent-
sprechen. Verlaufen daselbst aber von den fünf radiären Stämmen vielleicht
zwei, die seitlich einander anliegen, dann möchte wohl jener einfache Bauch-
strang morphologisch diese beiden Stämme ersetzen,
45
zeigt die von Linne& in seiner Klasse der Vermes aufgestellte
Ordnung der Intestina, doch enthält auch diese einzelne dem
Typus der Würmer fremde Formen (wie Myxine und Teredo),
während andere, die wir mit Recht demselben glauben vin-
dieiren zu müssen, getrennt davon theils der Ordnung der
Testacea (Serpula), theils der der Mollusca (Nereis und Aphro-
dite) einverleibt sind. Wie isolirt übrigens hier diese letztern
stehen, fühlte schon Pallas!), der zuerst bei einer genauen
Untersuchung des ganzen Baues den innern Zusammenhang
dieser Formen erkannte und den Vorschlag machle, ihnen
eine andere Stelle anzuweisen. Mit den Eingeweidewürmern
vereinigt sind sie von ©. Fr. Müller in der Ordnung der
Helminthica, wo sie (immer aber noch ohne die Serpulaceen,
die bei den Testacea verblieben) mit den Lumbricinen, die
schon Linne den Intestina zugezählt hatte, eine eigene Un-
terordnung, die Setosa, bilden, welche den übrigen Würmern
(von denen aber Fasciola und Planaria, als den Mollusken
angehörig, ausgeschlossen wurden) gegenüber stehen. Die letz-
tern sind wegen des Mangels der Borsten als Mutica bezeichnet.
In demselben Umfang treffen wir die Gruppe der Wür-
mer (Intestins) noch bei Brugieres?). CGuvier war der
Erste3), der in den hier vereinigten Geschöpfen einen zwei-
fachen typischen Bau zu erkennen glaubte. Die einen der-
selben, die Ringelwürmer, die theils durch eine rothe Fär-
bung des Blutes, theils durch eine Segmentirung des Leibes
und die Anwesenheit einer einfachen Bauchganglienkette sich
auszeichneten, brachte er als die Repräsentanten einer eignen
Klasse zu den Gliederthieren, während er die andern, die
Entozoa (mit den Formen der Nemertinen, Turbellarien und
auch der Lernäaden), dem Kreise der Zoophyten zurechnete.
An Beifall hat es dieser Anordnung nicht gefehlt. La-
marck, Latreille, Goldfuss u. A. haben sie adoptirt.
1) Miscellanea Zoolog. La Haye. 1766.
2) Diction, des vers in der Encyclop. method. Paris. 1792.
3) Annal. du Mus. d’hist, nat. T. XIX.
46
Auf der andern Seite hat dieselbe aber auch manchen Wider-
spruch erfahren. In Deutschland waren es besonders v.
Baer!) und gleichzeitig mein Onkel Fr. S. Leuckart?),
die den Nachweis versuchten, dass eine eigene Klasse der
Entozoa sehr unnatürlich sei, dass die Zusammenstellung der
Helminthen nur als eine Fauna des innern Thierkörpers an-
gesehen werden könne, deren Glieder ihre Verwandten und
Repräsentanten in verschiedenen andern Ordnungen und Klas-
sen des Thierreichs hätten. Man hob die grosse Ueberein-
stimmung der Nematoideen und Borstenwürmer, der Trema-
toden und Hirudineen hervor und suchte auch die übrigen
Formen der Helminthen anderweitig zu vertheilen. So glaubte
z. B. mein Onkel eine nahe Verwandtschaft der Akanthoce-
phalen mit den Sipunculiden zu erkennen, der Cestoden mit
den Polypen und Akalephen — worin auch Meckel3) mit
ihm übereinstimmte — und schlug desshalb eine Vereinigung
der betreffenden Thierformen vor.
Im Augenblick möchte die Anordnung von Guvier
vielleicht wenige Vertreter mehr finden ?). Wohl allgemein
sind Helminthen und Anneliden wieder in einer gemeinschaft-
lichen Abtheilung der Würmer vereinigt. Nur über die Re-
lation dieser Abtheilung zu den übrigen Gruppen der wir-
bellosen Thiere herrscht noch eine grosse Verschiedenheit der
Ansichten. Die Einen betrachten die Würmer als eine be-
sondere typische Hauptabtheilung des Thierreichs (Graven-
horst5), Berthold®), v. Siebold’”)), während die An-
dern in denselben eine dem Typus der Gliederthiere unter-
+)’ Ara!0.
2) A.2.0.
3) Syst. der vergl. Anat. Th. I. S. 94.
4) Leider, wie ich sche, noch van der Hoeven in der neuen Auflage seiner
Zoologie, übers. v. Moleschott.
5) Das Thierreich nach seinen Verwandtschaften und Uebergängen. Breslau. 1845.
S. 43. — Von den eigentlichen Würmern sind aber hier die Trematoden als
die Glieder einer besondern Klasse abgetrennt, was wohl kaum zu billigen,
6) Lehrbuch der Zoolog. Götlingen. 1845. $. 440.
7) Vergl. Anat. der wirbellosen Thiere,
47
geordnete Gruppe sehen und diese sogar meistens bloss den
übrigen einzelnen Klassen derselber gleichsetzen. Das letztere
Verfahren ist sicherlich am wenigsten natürlich. Selbst wenn
man die Würmer für Gliederthiere halten will (obgleich hier-
durch nach meiner Meinung das Charakteristische dieser
Thiergruppe gänzlich wegfällt), müssen die Unterschiede zwi-
schen ihnen und den übrigen dahin gehörigen Formen streng
im Auge behalten werden. Wir müssen dann, wie es be-
sonders Milne Edwards gethan hat, in dieser grossen Ab-
theilung zwei Hauptgruppen annehmen, Würmer und Glie-
derfüssler, die beide wiederum mehrfach in Klassen zerfallen.
Indessen muss ich gestehen, dass die Unterschiede zwi-
schen Würmern und Gliederfüsslern mir so beträchtlich zu
sein scheinen, dass ich mich nicht entschliessen kann, beide
zu vereinigen !). Beide scheinen mir vielmehr je nach einem
besondern, dem Wesen nach verschiedenen Plane gebauet.
Die Gliederung des Leibes, so wie die Anwesenheit einer
Bauchganglienkette — die einzigen Verhältnisse, welche die
höhern Würmer den eigentlichen Gliederthieren nähern —
sind nach meiner Ansicht nicht mit Nothwendigkeit begrün-
det in dem Typus der Würmer, wohl aber in dem der Ar-
thropoden. Sie sind dort bloss durch eine Weiterentwicklung
des Typus hervorgerufen und stets ohne jene bestimmte Be-
deutung, wie bei den echten Gliederthieren.
Die meisten Würmer entbehren sowohl der Gliederung,
als auch der Bauchganglienkette. Durchgreifend dagegen und
bedingt durch den Typus der Würmer ist die Anwesenheit
eines Nackenganglions, von dem nach den verschiedenen Sei-
ten hin die Nerven ausstrahlen. In Uebereinstimmung mit der
gestreckten Leibesform und der seitlichen Symmetrie des Kör-.
pers ist es, dass gewöhnlich unter diesen Nerven sich zwei nach
hinten bis in das sogenannte Schwanzende hinabsteigende
Längsstämme auszeichnen. Eben diese beiden Seitennerven nun
1) In diesem Fall würde man auch consequenter Weise die Coelenteraten mit den
Echinodermen in einer gemeinschaftlichen Abtheilung (etwa der Radiata) zu-
sammenfassen müssen, was mir aber eben so wenig natürlich scheint,
48
sind es auch, die bei den höher entwickelten Formen der
Würmer nach dem Gesetz der mittlern Verschmelzung ent-
sprechender lateraler Theile (einem Gesetz, welches so ausser-
ordentlich häufig bei den Thieren mit seitlich symmetrischem
Typus sich geltend macht) in der Medianlinie des Bauches
unterhalb des Darmkanales zu einem einzigen unpaaren Stamm
sich verbinden. Dass im Verlauf dieses Bauchstranges, den
einzelnen Segmenten entsprechend, sich noch besondere
ganglionäre Anschwellungen zeigen, kann uns um so weniger
überraschen, als schon in den getrennten Seitennerven ande-
rer Würmer, bei Malacobdella !) und bei einigen grössern
Planarienarten ?2), ganz analoge Bildungen vorkommen.
Was nun die Segmentirung betrifft, so kann auch diese,
wie ich glaube, für sich uns noch nicht zu einer Vereini-
nigung der Würmer mit den Gliederthieren berechtigen. Auch
in andern Thierkreisen finden wir sie in Anwendung gezo-
gen. Die Arme der Ophiuren, die Wirbelsäulen der Knochen-
thiere zeigen ganz dieselbe Wiederholung gleicher morpholo-
gischer Abschnitte in einfacher Reihe hinter einander. Ueber-
all scheint dieselbe da sehr leicht entstehen zu können, wo
die Längendimension vorherrscht, besonders, wenn dabei
die seitliche Symmetrie nicht auf irgend eine Weise gestört ist.
Und dann, wie so sehr verschieden ist die Segmentbil-
dung bei den Würmern von der bei den Gliederfüsslern.
Während bei den letztern die einzelnen Körperringe wiederum
nach einer ganz bestimmten Norm sich zusammengruppiren,
während dabei die Anhänge derselben auf eine entsprechende
Weise umgeformt werden, treffen wir bei den Gliederwür-
mern wesentlich eine ganz gleichmässige Entwicklung von
Segmenten und deren Anhängen. Dort herrscht in der An-
ordnung der Ringe eine Heteronomität, hier eine Homonomität.
Ein Kopf besonders, mit Fresswerkzeugen versehen, die aus
der Metamorphose von Segmentanhängen hervorgegangen sind,
1) Blanchard, in den Annal. des scienc. natur, 1845. T. V. p. 364.
2) Blanchard, Ibid. 1847. T. VII. p. 107.
49
fehlt allen Würmern. Was man bei diesen Thieren einen
Kopf nennt, ist eben so wenig ein morphologisches Aequiva-
lent vom Kopf der Arthropoden, als die sogenannten Man-
dibeln !) ein-Aequivalent der eben erwähnten Fresswerkzeuge.
Haben wir somit nun die gemeinsamen Eigenthümlich-
keiten der Würmer und Arthropoden mehr als äussere Aehn-
lichkeiten erkannt, die an sich auf die innere Uebereinstim-
mung des Baustils noch keineswegs zurückschliessen lassen,
so müssen auch auf der andern Seite die sonstigen Verschie-
denheiten zwischen diesen beiden Gruppen von Thieren an
Gewicht noch gewinnen. Während die Arthropoden überall
ein mehr oder minder weit geschlossenes Gefässsystem be-
sitzen, überall Querstreifen an den Muskelbündeln (selbst da,
wo z. B. bei den Wirbelthieren glatte Fasern vorkommen,
an den Eingeweiden, den Drüsenschläuchen u. s. w.) und
einen gänzlichen Mangel aller Flimmercilien, treffen wir da-
gegen bei den Würmern einen völlig geschlossenen Circula-
tionsapparat (wenigstens bei den Ringelwürmern), glatte Mus-
kelfibrillen und ein Flimmerepithelium in grosser Ausdeh-
nung ?). Ueberdiess fehlt beiden Würmern jener eigenthümliche
Stoff, das Chitin, welches durchgängig in den Integumenten
der Arthropoden sich vorfindet. In den Bedeckungen wenig-
stens ist derselbe nicht aufzufinden 3),
Unter‘ solchen Umständen, glaube ich, sind wir vollkom-
men zu der Annahme berechtigt, dass die Würmer nach
einem eigenen, von dem Typus der Gliederfüssler abweichen-
den Plane gebauet sind und darum denn auch mit Recht als
1) Ganz offenbar sind diese Gebilde blosse locale Entwicklungen der innern Pha-
ryngealauskleidung, wie die Borsten analoge Entwicklungen der äussern Haut
sind. Am meisten möchten sich die sog. Mandibeln der Würmer der Bewaffnung in
dem Innern des sogenannten Vormagens bei den Insekten u. s. w. vergleichen lassen.
2) Interessant ist es übrigens, dass einzelnen Gruppen unter den Würmern solche
Cilien, wie es scheint, ganz vollkommen, fehlen. So den Nematoideen, den
Akanthocephalen und Cestoden.
3) Nach der Reaction gegen Kali könnten indessen doch wohl die Borsten der
Chätopoden daraus bestehen.
50
eine selbstständige grosse Hauptabtheilung des Thierreichs
betrachtet werden.
Zu dieser Abtheilung aber müssen wir, wie es mir scheint,
ausser den Cuvierschen Eingeweidewürmern und den An-
neliden noch einige andere vereinzelte Gruppen hinzufügen,
die an jeder andern Stelle ohne allen Zusammenhang, alle
Verbindung sein möchten. Ich meine die Rotiferen und
Bryozoen.
Die erstern wurden bekanntlich von Ehrenberg (nach
dem Beispiel von O. Fr. Müller) den Infusorien !) beigezählt,
sind aber von andern Zoologen auf Grund ihrer ganzen Or-
ganisation, gewiss mit dem grössten Recht, davon getrennt.
Burmeister glaubte in denselben niedere Crustaceen zu
erblicken und rechnete sie zu seinen Entomostraken mit
rückschreitender Metamorphose (?). Einer solchen Ansicht
indessen kann ich nicht beitreten. Der Mangel eines Bauch-
marks und quergestreifter Muskelfasern — Euchlanis triquetra
macht allerdings in letzterer Beziehung eine Ausnahme, indem
hier wirkliche Querstreifen an den Muskelprimitivbündeln vor-
kommen, wie aber auch bei Pentastomum im Hautmuskel-
schlauch und bei Aphrodite im Pharynx —, die Abwesen-
heit des Chitins in den Bedeckungen, das Fehlen von eigent-
lichen Fresswerkzeugen und gegliederten Beinen, so wie das
weit verbreitete Vorkommen eines Flimmerepitheliums verbieten
eine derartige Gruppirung. Alle diese Verhältnisse sind dagegen
in der Abtheilung der Würmer ganz gewöhnlich. Dazu kommt
die Gliederung des Leibes, die bei vielen Rotatorien, ebenso
wie bei den Anneliden, sich vorfindet. Ohne weitere Beden-
1) Oersted (Entwurf einer systematischen Eintheilung und speciellen Beschreibung
der Plattwürmer. S. 36.) rechnet (ausser den Sipunculiden) auch die polygastri-
schen Infusorien -- von denen übrigens die Bacillarien, als Pflanzen, ausgeschieden
werden — zu den Würmern. Nach dem aber, was wir über die Organisation
dieser Geschöpfe kennen, entbehrt solche Vereinigung dermalen noch aller
Begründung, wenn sich auch nicht verkennen lässt, dass manche Würmer, be-
sonders Trematoden (wie Convoluta), .auf den ersten Anblick ganz den Ein-
druck eines colossalen Infusuionsthierchens machen,
al
ken theile ich denn auch desshalb die Annahme von Wieg-
mann, R. Wagner, Milne Edwards, Rymer Jones,
Berthold, v. Siebold u. A., welche die Rotatorien zu den
Würmern rechnen.
Was die Bryozoen betrifft, so wird, glaube ich, aus dem,
was oben über die Organisation der Coelenteraten angegeben
ist, zur Genüge hervorgegangen sein, dass dieselben den Po-
Iypen nicht länger beigesellt werden können. Indessen scheint
mir auch, wie ich schon an einem andern Orte!) angegeben
habe, die Ansicht von Milne Edwards, dass die Bryozoen
den Tunikaten anzureihen seien, nicht annehmbar, weil die
Abwesenheit eines Kiemensacks bei den erstern einen fun-
damentalen Unterschied zwischen beiden begründet. Dagegen
zeigen die Bryozoen eine auffallende Verwandtschaft mit den
Rotiferen, wie namentlich Arth. Farre2) hervorhebt und
selbst Ehrenberg nicht unbekannt war. Der Gilienkranz
an der Kopfscheibe der Rotiferen (der sogenannte Räderappa-
rat) entspricht, was schon v. Baer 3) bemerkt, den bewim-
perten Armen der Bryozoen. Besonders beweisend für diese
Uebereinstimmung ist das Gen. Stephanoceros, wo der Rand
der Kopfscheibe, ganz wie bei den Bryozoen®), in armför-
mige, mit Gilien bedeckte Fortsätze ausgezogen ist. Ich
möchte hier an ein analoges Verhältniss bei den Cephalopo-
den erinnern, an die Formation der Kopfanhänge bei Nautilus,
wo, wie wir (durch die Untersuchungen 5) von Valenciennes)
wissen, die eigentlichen Arme geschwunden sind, und nur
die Anhänge derselben als cylindrische Tentakel (entsprechend
den Saugnäpfen der Acetabuliferen, wie namentlich das Gen.
Cirrotheutis sehr deutlich erkennen lässt) persistiren. Ganz
1) Beiträge u. s. w. S. 147.
2) In den Philosoph. transact. 1837. p. 400.
3) A. a. 0. S. 758.
4) Sehr eigenthümlich ist die Umformung dieser Arme bei den Alcyonellen; eine
Umformung, mit welcher übrigens manche eigenthümliche Anordnungen in der
Bildung des Räderapparates bei den Rotiferen — auf die wir hier nicht näher
eingehen können — vollkommen parallel laufen.
5) Archiv. du Mus. d’hist. nat. T. II. 1842. p. 25°.
4*
BEE. u
ebenso bei den Rotiferen, bei denen (mit Ausnahme jenes
oben genannten Genus) die den Armen der Bryozoen analo-
gen Verlängerungen fehlen und nur deren lange Cilien ge-
blieben sind. Dass manche Rotiferen, wie die Bryozoen, in
Gehäusen leben, will ich hier nicht hervorheben, weil bei
den erstern dieses Gehäuse überall nur ein Secret der äussern
Bedeckungen zu sein scheint, nicht aber, wie bei den Bryozoen
es der Fall!) ist, aus den erhärteten und verkalkten Integu-
menten selbst besteht. Interessant aber ist es, dass bei den
Gehäusebewohnenden Rotiferen der Darmkanel ebenso, wie
bei den Bryozoen, eine ganz ansehnliche schlingenförmige
Biegung macht, um weit nach oben, in der Nähe des Kopf-
endes, zu münden, statt in der Spitze des Hinterleibes.
Die Bryozoen sind übrigens die einzigen Würmer, welche
ein Skelet besitzen. Ganz allgemein sonst bleiben die äussern
Bedeckungen weich und biegsam. Die kalkigen und leder-
arligen, oft auch aus fremden Körpern, aus Sand u. dgl.
zusammengemauerten Röhren, in denen manche Würmer,
besonders aus der Gruppe der sogenannten Capitibranchialten,
leben, sind niemals integrirende Theile des Körpers. Wie
bei den vorhin erwähnten Rotiferen entstehen dieselben auch
hier durch das Erstarren eines eigenthümlichen, von den
Bewohnern selbst gelieferten Sekretes.
Mit den Echinodermen ist in der Reihe der animalischen
Formen die Entwickelung des radiären Typus erloschen.
In der Abtheilung der Würmer beginnt eine andere Bau-
weise, charakterisirt durch die seitliche Symmetrie in der
Form des Leibes und der Anordnung der Eingeweide. Die
centrale Längsachse, die dort ganz gleichmässig zu allen
Theilen der Peripherie sich verhielt und bestimmend auf die
Beschaffenheit und die Gruppirung der umliegenden Theile
einwirkte, hat hier ihre morphologische Bedeutung einer idealen
Längsebene übertragen, die durch die Mitte des Körpers sich
heraberstreckt. Sie trennt den Körper in zwei seitliche Hälften,
1) Vergl. Frey, a. a. 0.
deren eine das vollkommene Spiegelbild der andern ist. Wo
sie die Peripherie des Körpers schneidet, in zwei einander
gegenübergelegenen Längslinien (die natürlich gerade die
Mitte halten müssen zwischen den äussersten Grenzen der
beiden Seitenhälften), hat eine bestimmte gegensätzliche Ver-
schiedenheit sich hervorgebildet. Die durch die eine dieser
Längslinien senkrecht hindurchgehende Fläche ist zur Bauch-
fläche, die entgegengesetzte zur Rückenfläche geworden.
Bauch und Rücken zeigen in Anordnung, Form und Be-
schaffenheit ihrer Theile manchfache geringere oder grüssere
Differenzen. So sind z.B. an dem erstern die Bewegungs-
werkzeuge befestigt. Abhängig hiervon ist es, dass der Bauch
als die untere, der Rücken als die obere Körperfläche erscheint,
während, wie wir vorhin gesehen haben, bei den Thieren
mit radiärem Typus die obere und untere Fläche durch die
Pole der Centralachse bestimmt werden, und somit dann den-
jenigen Regionen entsprechen, die wir bei den Würmern u. s. w.
als vorderes und hinteres Körperende bezeichnen }).
Ein anatomischer Unterschied zwischen Rücken und Bauch
fehlt allen Thieren mit strahlenförmigem Körper, wenigstens
allen, denen eine solche Form in ihrer ganzen charakteristi-
schen Eigenthümlichkeit zukommt. Indessen lässt sich doch
nach den mitunter in Anwendung gezogenen CGombina-
lionen des radiären Typus mit dem seitlich symmetrischen
nicht verkennen, dass auch bei den Radiaten schon ein ana-
loger Gegensatz in der Entwicklung der peripherischen Theile
möglich ist. Es lässt sich bestimmen, welche Regionen bei
den Coelenteraten und Echinodermen dem Bauch und Rücken
der übrigen Thiere entsprechen.
1) Die Bezeichnungen von Oben und Unten, von Vorn und Hinten sind nach der
gewöhnlichen Weise des Gebrauches nicht von bestimmten morphologischen Ver-
hältnissen abhängig, sondern allein von der Gruppirung und der Wirkungsart
der Bewegungswerkzeuge. Das sogenannte vordere oder obere Ende des einen
Thieres entspricht daher denn auch oft dem hintern oder untern eines andern,
Wie sehr ungenügend und verwirrend eine solche Bezeichnung sei, leuchtet ein,
Indessen ist unsere Terminologie gegenwärtig noch nicht so weit vorgeschritten,
die betreffenden Bezeichnungen überall entbehren zu können,
54
Am deutlichsten ist solches unter den Echinodermen bei
jenen merkwürdigen Formen jder Holothurien,!bei denen be-
reits eine eigene, dem Fuss der Gasteropoden vergleichbare
Bauchscheibe sich entwickelt hat, bei den Psolinen. Hier
verläuft, wie ich bei einer Cuvieria des hiesigen physiologi-
schen Institutes sehe, in der Medianlinie der Bauchfläche
einer jener fünf von dem knöchernen Schlundring ausstrah-
lenden Längsmuskeln, welche, wie z. B. Pentacta deutlich
zeigt, unter den stumpfen Längskanten des Leibes sich hin-
erstrecken. — Diese letztern entsprechen in morphologischer
Hinsicht den fünf Armen der Seesterne. Die Medianlinie der
Bauchfläche würde danach denn auch hier mit dem einen
dieser fünf Arme coincidiren. Die vier andern Arme würden
als paarige Elemente auf die beiden seitlichen Hälften des
Körpers sich vertheilen, dergestalt, dass die beiden äussersten
derselben, die dem unpaaren Arme am entferntesten liegen,
der Rückenfläche des Leibes angehören.
Die Bestimmung übrigens, welcher der fünf peripheri-
schen Strahlen der Echinodermen der Bauchstrahl sei, ist
nicht überall ganz leicht. Bei den Holothurien wird man
sich hierbei am besten nach der Lage der innern Kiemen
zu richten haben. Sie sind wirkliche seitlich symmetrische
Gebilde, wie ich bei Cuvieria sehe. Derjenige Strahl also,
der in der Mitte zwischen ihnen verläuft, ist der unpaarige
Bauchstrahl.
Schwieriger ist diese Bestimmung bei den Actinozoen
und den Pelmatozoen. Vielleicht, dass hier die nicht selten
mehr oder minder excentrische Lage des Afters Auskunft
giebt, obgleich der durch denselben hindurchgehende Radius
häufig nicht unmittelbar einen Strahl berührt, sondern dem
Zwischenraum zweier Strahlen entspricht. Die hierin sich
aussprechenden Verschiedenheiten deuten offenbar auf eine
Störung der lateralen Symmetrie, wie sie gerade in der Lage
des Afters auch sonst so häufig sich ausspricht — ein Ver-
hältniss, welches hier aber die Entscheidung der vorliegenden
Frage bedeutend erschwert.
55
So viel aber scheint gewiss, dass bei den fünfstrahligen
Echinodermen beständig der eine Strahl als Bauchstrahl an-
zusehen sei. Ob ein analoges Verhältniss auch bei den
Coelenteraten sich vorfinde, ist von vorn herein nicht zu be-
stimmen. Unmöglich ist es nicht, obgleich die Verschieden-
heit in der vorherrschenden Zahl der peripherischen Gliede-
rung uns zu einer vorsichtigen Prüfung auffordern muss.
Fänden wir übrigens auch hier, dass die Bauchfläche eben-
falls durch den Verlauf eines einzigen Strahles bestimmt ist,
so würden wir den entgegenliegenden Strahl als Rückenstrahl,
die beiden zwischenliegenden als symmetrische Seitenstrahlen
zu betrachten haben.
Zur Entscheidung dieses Verhältnisses halten wir uns auch
hier an diejenigenFälle, in denen der strahlige Typus mit einer
seitlich symmetrischen Anordnung combinirt ist. Wir betrachten
die Rippenquallen. Bei diesen sehen wir, dass die Fangfäden,
die, wie schon oben angeführt wurde, als paarige Elemente
erscheinen, in den Zwischenräumen zwischen je zwei gegen-
überliegenden Paaren von Rippen angebracht sind. Schliessen
wir nun nach der Analogie, dass die Fangfäden, ihrer sym-
metrischen Entwicklung wegen, den Seitenflächen angehören,
so finden wir ein Verhältniss, abweichend von dem Verhält-
niss bei den Echinodermen Y. Die vier Rippen der Coelen-
teraten sind alle vier paarige Elemente, von denen zwei die
Bauchfläche, die zwei andern die Rückenfläche begrenzen.
So viel über die Relation des radiären Typus mit dem
seitlich symmetrischen. Wenden wir uns jetzt wiederum zu
den Würmern. Zunächst von der typischen Anordnung dieser
Thiere. i ;
Dass für den Augenblick eine genügende, hinreichend weite
und dabei doch scharfe Begrenzung des Typus der Würmer
noch nicht möglich ist, geht schon daraus hervor, dass die
Sipunculiden so häufig denselben zugesellt werden. Vielleicht
deutet solches darauf hin, dass die Abtheilung der Würmer
1) Offenbar ein neuer Grund für die gänzliche Trennung der Coelenteraten von den
Echinodermen,
56
in gegenwärligem Umfang noch keineswegs eine ganz natür-
liche sei. Die morphologische Auffassung findet in der Gleich-
förmigkeit des Körperbaues, die trotz aller Manchfaltigkeit
der Formen bei den Würmern vorherrscht, bis jetzt wenig-
stens noch nicht überall einen sichern Angriffspunkt.
Was vielleicht als am meisten charakteristisch für die Wür-
mer sich anführen lässt, ist das gewöhnlich sehr augenfällige
Vorherrschen der Längendimension bei einer fast überall ganz
vollkommenen lateralen Symmetrie. In der Richtung vom
Rücken nach dem Bauch zu ist der Körper der Würmer
fast beständig deprimirt, doch in verschiedenem Grade und
gewöhnlich ohne dass die Bauchfläche vor der Rückenfläche
äusserlich auf eine auffallende Weise verschieden sei. Ge-
gliederte Locomotionswerkzeuge fehlen beständig.
Was die Anordnung der innern Organe betrifft, so
zeigt auch diese mit sehr wenigen Ausnahmen eine strenge
seitliche Symmetrie, wie sie unter den wirbellosen Thieren
nur noch bei den Arthropoden gefunden wird, von denen
die Würmer durch die bereits oben erwähnten Charaktere
sich genugsam unterscheiden. Der Darmkanal, der nur in
einigen wenigen Gruppen, wie wir noch weiter unten anführen
wollen, fehlt und dann von der Leibeshöhle vertreten wird
(wie bei vielen Coelenteraten), verläuft in der Regel ganz
gerade und stets ohne ein besonderes Mesenterium vom vor-
dern Ende hinab bis zum hintern, wo er mündet. Nur selten
ist die Afteröffnung weiter nach vorn zu gerückt (wie auch
unter den Echinodermen bei Sipunculus, unter den Crusta-
ceen bei Lepas u. e. a.). Mitunter fehlt auch ein After. In
letzterm Fall zeigt übrigens der Darm gewöhnlich eine mehr
oder minder ansehnliche seitliche Verästelung, wie besonders
bei den Trematoden. Eine parenchymatöse Leber findet
sich bei keinem Wurm. Das Gefässsystem besteht entweder
aus verschiedenen unter sich communicirenden und geschlos-
senen Längsstämmen oder wird auch wohl von der Leibes-
höhle vertreten. Als Respirationsorgane functioniren theils
die äussere Haut, theils aber auch deren verschiedenarlige
RN
Anhänge }). Der Genilalapparat zeigt eine grosse Manchfaltig-
keit, ist aber, wo er vorkommt (in manchen Fällen nämlich
fehlt er, und dann bilden sich Spermatozoen, wie Eier frei)
in der Leibeshöhle), beständig in gleicher Entwicklung auf
beide Seitenhälften des Leibes vertheilt Ueber die Anwen-
dung des Nervensystems ist bereits oben das Nöthige beige-
bracht worden. .
Eine Folge des meistens so sehr augenfälligen Vorherr-
schens der Längendimension in der Form des Körpers bei
den Würmern ist, wie schon angeführt, die Tendenz zur
Bildung von mehr oder minder zahlreichen morphologisch
einander entsprechenden Abschnitten, die, als sogenannte
Segmente, in einfacher Reihe hinter einander liegen und
gewissermaassen den ganzen Körper vielfach wiederholen,
Besonders deutlich ausgesprochen ist eine solche Tendenz
bei den höher entwickelten Würmern, bei den Anneliden,
doch nicht allein auf diese beschränkt. Es zeigt sich übrigens
dieses Verhalten nicht bloss in der äussern Form. Sehr all-
gemein, oft sogar noch augenfälliger, spricht es sich auch in
den einzelnen Systemen und Organtheilen aus, während es
hier bei den Arthropoden, die äusserlich eine analoge Gliede-
rung zeigen, fast vollkommen erloschen ist. Im innigsien
Zusammenhang steht diese Erscheinung mit dem ganzen gegen-
“ seitigen Verhältniss der Körpersegmente, welches bei den
Würmern und Arthropoden so sehr verschieden ist. In den
letztern zeigt sich unter den einzelnen Segmenten ein ganz
constanles, unabänderliches Zahlen- und Abhängigkeits-Ver-
hältniss, beherrscht von dem einheitlichen Prineip des Körpers;
in den erstern dagegen findet sich bloss eine in schwanken-
dem Numerus sich wiederholende Menge von Abschnitten, die
im Wesentlichen auch anatomisch eine gleiche Entwicklung
darbieten und desshalb denn auch eine viel grössere Selbst-
1) Die sogenannten innern Respirationsorgane sind, selbst bei den Lumbrieinen,
wahrscheinlich blosse Absonderungswerkzeuge.
2) Vergl. hierüber meinen Aufsatz: Ueber die Geschlechtsveehältnisse der Kiemen-
würmer in den mehrfach schon cilirten Beiträgen, $. 86,
58
ständigkeit und Unabhängigkeit besitzen. In einigen Fällen,
bei den Cestoden, wächst diese letztere bis zu einem solchen
Grade, dass man sehr wohl berechtigt ist, die einzelnen Seg-
mente als eben so viele selbstständige, zu einer gemein-
schaftlichen Colonie unter einander verbundene Thiere auf-
zufassen.
Wo nun unter solchen Verhältnissen bei den Würmern
sich äusserlich am Körper bestimmte Anhänge vorfinden, wie
es nicht selten der Fall ist, sind auch diese über alle Seg-
mente gleichförmig und völlig symmetrisch verbreitet. Derlei
Anhänge übrigens sind von verschiedener Art, Theils sind
dieselben blosse Epidermoidalgebilde, locale Entwicklungen
der Integumente von haken- oder borstenförmiger Gestalt,
deren Vorkommen allein durch die eigenthümliche Beschaffen-
heit der letztern möglich wird, und die in ähnlicher Entwick-
lung auf den Chilinmembranen der Arthropoden (denen auch
in der Structur die äussern Bedeckungen der Würmer ähneln)
sich wiederfinden. Theils auch sind jene Anhänge förmliche,
verschieden gestaltete Ausstülpungen der Leibeshülle, in deren
Bildung ausser den äussern Bedeckungen noch der Muskel-
schlauch des Körpers mit seinen exeitatorischen und nutri-
tiven Elementen, den Nerven und Gefässen, eingeht. Schon
bei den Coelenteraten und ebenfalls, wenngleich weniger
allgemein, bei den Echinodermen sind Anhänge, wie diese
letztern, vielfach (als sogenannte Tentakel) verbreitet, beson-
ders im Umkreis der Mundöffnung. Auch bei den Würmern
finden sie sich vorzugsweise, bei einigen, wie den Bryozoen
und manchen Capitibranchiaten, sogar ausschliesslich.an dieser
Stelle, während sie sonst noch gewöhnlich an den einzelnen
Leibesringen, und zwar vollkommen symmetrisch, sich wieder-
holen.
Nach Form und Anordnung zeigen diese Gebilde manch-
fache Verschiedenheiten. Im Umkreis des Mundes sind sie
gewöhnlich einfache, lange Fäden von cylindrischer Gestalt
(eirri tentaculares), während sie an den Segmenten als einzelne
seitliche Anhänge (pinnae, Ruder) erscheinen, und hier in der
Regel aus je zweien Theilen, aus einem fadenförmigen Cirrus
und einer daneben gelegenen stumpfen Hervorragung (einem
sogenannten Fusshöcker) "bestehen, welche letztere auf ihrer
Spitze dann ein Bündel von Epidermoidalborsten trägt. In
manchen Fällen fehlen übrigens solche Fusshöcker, während
in andern sich daneben noch besondere lanzett- oder blatt-
- förmige Ausstülpungen entwickelt haben. Diese letzteren
functioniren gewöhnlich als Kiemen. Wo sie vermisst werden,
ist das Athemgeschäft auf andere Anhangsgebilde übertragen,
bald auf die Cirren oder Tentakel, bald auch noch auf be-
sondere morphologisch ganz selbstständige Theile, die in
paariger Anordnung auf der Rückenfläche, meistens in der
Nähe des vordern Körperrandes, stehen.
Sehr interessant ist es aber, dass jene äussern Anhänge
am Körper der Würmer (mit Ausnahme der letzterwähnten
Kiemen) nicht, wie bei den Arthropoden, bloss in einfacher
Anzahl jederseits vorkommen, sondern entweder, wie z. B.
die Haken am vordern Körperende der Cestoden oder die
Tentakel der Bryozoen, gleichmässig und in Form eines Kranzes
die ganze Peripherie besetzen, oder doch in übereinstimmender
Weise an Rücken und Bauch sich wiederholen. So die Bor-
stenbündel und Ruderplatten. ;
Ganz offenbar erinnert dieser Umstand an die bei den
Thieren mit radiärem Typus vorkommenden Verhältnisse.
Bauch und Rückenfläche sind augenscheinlich noch nicht in
jenen schroffen Gegensatz getreten, wie wir bei den Arthro-
poden und auch bei den Mollusken ihn vorfinden. Neben
der durch die Mittellinie des Rückens und des Bauches ver-
laufenden Längsebene, die bestimmend und maassgebend auf
die Bildung und Entwicklung der einzelnen Körpertheile ein-
wirkt, haben wir in letzterm Fall morphologisch noch eine
zweite Längsebene zu beachten, die unter rechtem Winkel
mit jener sich kreuzt und durch die äussersten Grenzen der
beiden Seitenhälften des Körpers hindurchgelegt ist!). Beide
1) Eben solche zwei Ebenen in gleicher relativer Lage sind es, die wir bei den
Coelenteraten zu unterscheiden haben. Vergl, die frühern Bemerkungen auf $. 55.
60
Ebenen haben eine gleiche morphologische Beziehung zu den
constituirenden Bestandtheilen des Körpers. Die in ihnen selbst
entstehenden Gebilde sind einfach, die seitlich anliegenden
aber doppelt, doch können auch solche doppelten Gebilde
späterhin einander entgegenwachsen und verschmelzen !). Von
der wirklichen Existenz eines solchen Verhaltens in den Seiten-
theilen des Körpers liefern die zahlreichen Verschiedenheiten
in der Anordnung der Ruderplatten den deutlichsten Beweis.
Indessen lässt es sich nicht verkennen, dass für den ganzen
typischen Bau der Würmer die zweite, durch die Seiten-
hälften senkrecht gelegte Längsebene lange nicht eine so
durchgreifende Bedeutung habe, als die erstere.
Eine grosse Anzalıl von Würmern entbehrt der manch-
fachen bisher erwähnten Anhänge. Dafür aber findet sich
bisweilen, in der Klasse der Trematoden, ein anderes, mor-
phologisch ‘ganz eigenthümliches Anhangsgebilde, eine Saug-
scheibe, die als Locomotionsorgan dient und in der Mittel-
linie des Bauches gewöhnlich am hintern Ende des Körpers
gelegen ist, von da aber auch mitunter eine geringere oder
grössere Strecke weit nach vorn rückt. Auf ihrer untern
freien Fläche trägt dieselbe zur leichtern Anheftung eine ver-
schiedene Zahl von rundlichen Vertiefungen, sogenannten Saug-
gruben, bald, wie bei den Blutegeln, nur eine einzige, bald
auch eine grössere Menge, sechs (Polystomum), acht (Octobo-
thrium) u. s. w. In letzterm Fall stehen die Sauggruben ge
wöhnlich im Umkreis der Scheibe, die dann auch meistens
ihre rundliche Gestalt verloren hat und zwischen den Gruben
an der Peripherie mehr oder minder tief gekerbt ist.
Ein ähnlicher, der Saugscheibe vielleicht entsprechender
Anhang an der Rückenfläche des .vordern Leibesendes ober-
halb der Mundöffnung ist der sogenannte Kopf bei den
1) Ueber diese bei den Thieren mit lateralem Typus ganz allgemein herrschenden
Bildungsgesetze vergl. man v. Baer, Entwicklungsgeschichte der Thiere, 1. S.
170 u. 244, sowie meine Untersuchungen zur Anatomie und Morphologie der
Geschlechtsorgane $, 24.
6:
. Borstenwürmern. Mit dem Kopf der Arthropoden ist derselbe
keineswegs identisch. Der letztere ist beständig aus der Ver-
schmelzung und der Metamorphose einer grössern Anzahl
von Segmenten hervorgegangen. Schwerlich wird man sol-
ches aber für den sogenannten Kopf jener Würmer nach-
weisen können, selbst da nicht!), wo derselbe, wie in einigen
hieher gehörenden Thieren es der Fall ist, geringelt erscheint
oder mit eigenen fadenförmigen Anhängen versehen ist. Bei
den Lumbricinen ist dieses Gebilde als sogenannter Rüssel
oder Oberlippe bekannt. Auch bei manchen Hirudineen findet
sich eine Andeutung des Kopfes ?2) und gerade hier ist es auch,
wo die Analogie desselben mit einer Saugscheibe sehr augen-
fällig hervortritt.
Von einer abweichenden morphologischen Bedeutung ist
wiederum der sogenannte Kopf der Cestoden und Akantho-
cephalen, der, wie es mir scheint, ganz einfach aus einer
Umwandlung des vordern Körperendes hervorgegangen ist,
wie wir solche auch schon unter den Scytodermen bei Sipun-
culus und besonders bei Phascolosoma antreffen.
Von Interesse ist es übrigens, dass auch schon bei einigen
Gliederwürmern, bei denen, wie oben angeführt worden, im
Allgemeinen die Entwicklung der einzelnen Segmente (gegen-
über den bei den Arthropoden vorkommenden Verhältnissen)
gleichmässig ist, eine bestimmte, wenn auch für den
ganzen Typus nur wenig charakteristische und bedeutungs-
volle Heteronomität sich hervorbildet. Auf zweierlei verschie-
dene Weise scheint dieses geschehen zu können. Ein Mal sind
bisweilen die vordern Leibessegmente mehr oder minder
verkümmert und oft sogar bis auf ihre Anhänge völlig ge-
1) Auch der Umstand bezeichnet keine grössere Analogie, dass dieser Kopf, ebenso
wie der Kopf der Arthropoden, ein sogenanntes Hirnganglion enthält. Es ist
dies bei den Würmern das Nackenganglion, welches nur weiter nach vorn empor-
gerückt ist,
2) Unrecht ist es, wenn man den sogenannten Capitibranchiaten ganz allgemein
einen Kopf abspricht. Manche derselben besitzen offenbar ein solches Anhangs-
gebilde, einige selbst in ganz ansehnlicher Entwicklung.
RRR ...
schwunden !), während in andern Fällen, mitunter selbst
gleichzeitig, die hintern Segmente es sind, die eine Umwand-
lung erleiden und in Form eines besondern Körperanhanges
(den ich bei Hermella u. a., wo er vorkommt, als Postab-
domen bezeichnet ?2) habe) auftreten. Sehr augenfällig ist die
letztere Art der Umformung besonders bei manchen Rotiferen,
bei denen Burmeister?) zum Theil hierin einen Grund für
seine Behauptung über die Stellung dieser Thiere zu finden
glaubte. Indessen steht dieser Fall, wie gesagt, nicht allein
in der grossen Abtheilung der Würmer. Dass der betreffende
schwanzförmige Anhang aber wirklich aus einer Metamor-
phose von Segmenten hervorgegangen sei, wird durch den
Umstand bewiesen, dass derselbe in vielen Fällen theils noch
deutlich geringelt ist, theils auch — da jenes allein nicht
entscheidend genug sein würde, indem bisweilen, wie bei
den Lumbricen, auch der Kopfanhang geringelt erscheint —
vom Darmkanal durchsetzt wird.
Die Entwicklung der Würmer ist noch eben so wenig
vollständig gekannt, wie die der Echinodermen. Wissen wir
davon auch vielleicht eine grössere Menge von Specialitäten,
so fehlt uns doch immer noch das Verständniss von dem
Zusammenhang dieser einzelnen Erscheinungen. Für Syste-
matik, wie für Morphologie, erwächst bisjetzt daraus nur in
wenigen Fällen ein sicherer Anhaltspunkt.
Die ersten Veränderungen, denen der Dotter nach der
Befruchtung unterliegt, sind dieselben, welche überhaupt in
der ganzen animalischen Welt sich vorfinden, Der Dotter
zerklüftet sich und wird durch Hülfe dieses Processes all-
mählig in eine Menge zelliger Elemente verwandelt, die zum
Aufbau des Embryo dienen. Aber schon hierbei zeigt sich
einige Verschiedenheit. In dem einen Falle nämlich, wie es
1) Den speciellen Nachweis eines solchen Verhältnisses wird man in den späterhin
von mir (in der Zeitschrift für Zoologie u, s. w. von Burmeister u. d’Alton)
zu publicirenden Beschreibungen einiger neuer (besonders isländischer) Würmer
finden,
2) S. Beiträge u. s. w. S$. 152.
3) A. & ©. 8. 548.
63
scheint, bei der Mehrzahl der Würmer, besonders der minder
hoch entwickelten, betheiligt sich von Anfang an hierbei die
ganze Masse dieser Zellen auf eine gleichmässige Weise. Der
Embryo entsteht unter solchen Umständen mit seiner ganzen
Leibesoberfläche auf einem Male, wie es auch bei den Coe-
lenteraten und Echinodermen sich findet. In dem andern
Fall dagegen !) bildet sich anfangs nur ein sogenannter Primi-
tivtheil, der erst im Lauf der Entwicklung, während er an
Grösse und Ausdehnung zunimmt, den ganzen Dotter um-
wächst und somit denn auch erst allmählig dem Embryo
Entstehen und Form giebt. Es entspricht jene Uranlage der-
jenigen Körperfläche, welche morphologisch die grösste Di-
gnität hat, dem Bauche, ganz wie bei den Insekten, wo eine
völlig übereinstimmende Bildung statthat. Dass übrigens dieser
Umstand (wie Kölliker meint) hinreichen sollte, diejenigen
Würmer, in denen ein solcher Process vorkommt (die Kiemen-
würmer und Hirudineen, so viel wir bis jetzt wissen), von
den übrigen zu {rennen und wiederum mit den Arthropoden
zu vereinigen, möchte ich um so mehr bezweifeln, als wir
noch kaum ein Mal vermuthen können, in welcher Ausdeh-
nung solch ein Vorgang bei den Würmern sich findet. Ueber-
diess sehen wir auch in andern typischen Hauptabtheilungen
des Thierreiches (bei den Mollusken) ganz dieselbe Verschie-
denheit; bald eine gleichmässige Umwandlung des ganzen
Dotters in den Leib des: Embryo, bald die Bildung eines
Primitivtheils.
In vielen Fällen gleicht der Embryo schon in seiner ersten
Gestalt dem ausgebildeten Thier fast ganz vollkommen (Asca-
riden, Planarien u. s. w... Wo aber eine Gliederung vor-
kommt, fehlt diese im Anfang beständig. Ebenso die manch-
fachen Anhänge der einzelnen Segmente. Der Körper ist
ursprünglich nur kurz und plump gebauet und ohne Gegen-
satz der Rücken- und Bauchfläche. Erst allmählig streckt
er sich, je nach der Länge des vollendeten Wurmes allerdings
1) Vergl. Koch, Einige Worte über die Entwicklungsgeschichte von Eunice, mit
einem Nachwort von Kölliker. Neuenburg 1846. S. 19.
64
in verschiedenem Maasse, und plattet sich ab. Die Gliederung
tritt entweder gleichmässig in ihrem ganzen Umfang ein, oder
bildet erst nach und nach sich hervor. Das erstere findet
sich (ausser den Rotatorien) vorzugsweise bei den Hirudineen }).
So ziemlich zu gleicher Zeit, doch erst dann, nachdem das
Thier bereits seine Eihüllen verlassen hat, bilden sich hier
über die ganze Länge des Leibes die einzelnen Segmente, je
mit einem Nervenknoten und einem Blindsack des Darmes,
da ja auch, wie wir schon oben angeführt haben, gewöhnlich
die anatomischen Systeme des Körpers, wie die äussere Haut,
auf gleiche Weise zur Bildung besonderer morphologischer
Abschnitte sich hinneigen. Wenn übrigens, wie es häufig
(besonders bei den Hirudineen) geschieht, späterhin diese
Theile nochmals durch Querfurchung in eine grössere Anzahl
von Ringeln zerfallen, so ist solches morphologisch von keiner
grossen Bedeutung. Die dadurch entstandenen Ringel sind
den Segmenten nicht gleichzustellen.
Auf eine andere Weise entsteht die Gliederung bei den
Chätopoden (wenigstens bei den Kiemenwürmern, da die Ent-
wicklung der Lumbricinen noch unbekannt ist) und Cestoden.
Bei beiden erlangt der Leib erst durch eine successiv erfol-
gende Anbildung von Gliedern seine endliche Vollendung.
Anfangs ist deren Zahl nur gering, späterhin oft sehr beträcht-
lich. In beiden Gruppen zeigt übrigens der Ort, an dem
die Bildung der Glieder geschieht, eine Verschiedenheit. Wäh-
rend bei den erstern das Hinterleibsende der Sitz dieser
Neubildung ist, erscheint als solcher bei den andern das
Vorderende des Körpers. Bei den Chätopoden sind die hin-
tern Segmente (mit Ausnahme des Aftersegmentes) die jüngsten,
bei den Bandwürmern die vordern. Entsprechend diesem
Verhältniss entwickeln sich auch die Anhänge des Leibes
bei den Kiemenwürmern von vorn nach hinten, zuerst der
Kopf mit den anliegenden Cirren und Augen (welche letztere
1) Grube, Untersuchungen über die Entwicklung der Clepsinen. Königsberg 1814.
2) Man vergl. besonders die schönen Untersuchungen von Milne Edwards in
den Annal. des science natur. 1848. T. III. p. 145.
65
auch den Capitibranchiaten, die im ausgebildeten Zustande
meist blind sind, in den ersten Phasen der Entwicklung ganz
allgemein zukommen), später die Ruderplatten, die erst all-
mählig in Fusshöcker und Gliedfäden sich sondern, zuletzt
die Kiemen.
' Neben einer derartigen Metamorphose findet sich in der
Abtheilung der Würmer aber auch wieder der merkwürdige
Vorgang des Generationswechsels, besonders bei den Trema-
toden, wo er zuerst von Steenstrup erkannt wurde, doch
auch, nach Miescher und van Beneden!), bei einigen
Cestoden. Die Ammen, die in erster Generation eine infu-
sorienarlige, in den spätern schon eine wurmförmige Gestalt
besitzen, erzeugen durch eine Knospenbildung in ihrem Innern
(bei Distomum) eine zahlreiche Brut sogenannter Cerca-
rien, die sich förmlich einpuppen und erst nach Verlust des
hintern, schwanzartigen Anhanges den Mutterthieren gleich
werden. Auch der Gruppe der Bryozoen scheint eine solche
Fortpflanzung durch wechselnde Generationen nicht fremd .zu
sein. Hierauf deuten wenigstens die Angaben vonMeyen?) und
v Siebold3), dass bei Alcyonella und Cristatella im Innern
der infusorienartigen Embryonen, noch bevor diese die Ei-
schale verlassen haben, je zwei den elterlichen Individuen
gleiche Thiere sich bilden, die aber auffallender Weise be-
ständig von der Haut ihres Ammenthieres umhüllt bleiben,
indem diese in die Bildung der äussern Schale mit eingeht.
Uebrigens ist es mir sehr zweifelhaft, dass dieser Generations-
wechsel über alle Bryozoen sich erstreckt. Bei den Embryo-
nen einer Tubulipora wenigstens, welche ich auf Helgoland
beobachtet habe, fand ich davon keine Spur. Es hatten
diese eine kurze, cylindrische Gestalt. In der Mitte der ab-
geflachten Kopfscheibe zeigten sie eine rundliche Oeffnung,
in deren Umkreis einzelne höckerförmige Hervorragungen (die
1) Bullet. de l’acad. roy. de Belg. T. XIV, Un mot sur le mode de reproduct. des
anim, infer. p. 18.
2) Oken’s Isis. 1828, S. 1228,
3): 270,08154,
66
ersten Spuren der Arme?) sich vorfanden. Aeusserlich wurden
sie, wie die Embryonen der meisten Würmer, von einem
Flimmerepithelium bekleidet }),
Nach diesen Bemerkungen über die dem Typus der
Würmer im Allgemeinen zukommenden morphologischen Ver-
hältnisse wenden wir uns zu der Betrachtung der haupt-
sächlichsten Modificationen, deren diese fähig sind, vor-
zugsweise um dadurch die einzelnen grössern und kleinern
natürlichen Gruppen der vorliegenden Abtheilung festzustellen
und nach ihrem gegenseitigen Werthe abzuschätzen.
Die beiden mit den Bryozoen und Rotiferen in dem Kreise
der Würmer von mir vereinigten Cuvierschen Klassen der En-
tozoa und Annelides sind, wie schon oben erwähnt ist, nichts we-
niger als natürlich. Sie sind keineswegs gegen einander streng
und völlig abgegrenzt. Ich kann denn auch desshalb der
Ansicht derjenigen Zoologen nicht beistimmen, welche die
Würmer ganz einfach in diese beiden Gruppen abtheilen
und denselben höchstens als eine dritte gleichwerthige Gruppe
die Klasse der Rotiferen hinzufügen (Grant, Milne Ed-
wards?) u. A.).
Wenn auch letztere immerhin, wie ich glaube, zusammen
mit den Bryozoen eine besondere Klasse darstellen, so kön-
nen doch auf der andern Seite Anneliden und Entozoen nicht
vollkommen aus einander gehalten werden. Beide zeigen in
manchen Formen eine so innige Verwandtschaft, dass die
nalürliche Systematik dieselbe nicht vernachlässigen darf.
Die von Guvier stammende Eintheilung der Entozoa
in Nematoidea und Parenchymotosa ist gewiss eine sehr un-
glückliche und wohl gänzlich aufzugeben. Viel beachtungs-
1) Ganz von ähnlicher Form und Beschaffenheit sind die Embryonen von Alcyoni-
dium gelatinosum (Halodactylus diaphanus A. F.) nach den Beobachtungen von
A. Farre (l, c.)
2) Neuerlich (Annal, des science. nat, 1846. T. IV. p. 295) hat Milne Edwards
abweichend hiervon die Rotiferen mit den Guvierschen Rothwürmern in einer
Klasse der Annelides vereinigt, dabei aber das merkwürdige Gen. Peripatus von
den Chätopoden getrennt und mit den Entozoen in einer Klasse der Pleuroneres
zusammengestellt,
67
werther !) ist die Classification von (Zeder und) Rudolphi,
nach welcher die Helminthen in die Ordnungen der Nema-
todes, Acanthocephali, Trematodes, Gestodes und Cystici zer-
fallen. Sämmtliche Gruppen, mit Ausnahme der Cystici, die
von den Cestoden nicht verschieden sind und sicherlich blosse
degenerirte und verkümmerte Formen letzterer Würmer 2)
enthalten, sind alle sehr natürlich, obgleich dieselben zum
Theil unter sich wiederum zu einer gemeinsamen grössern
Abtheilung zusammengehören, zum Theil aber auch mit ver-
schiedenen von Cuvier zu den Rothwürmern gestellten For-
men vereinigt werden müssen. Was die letztern betrifft, so
hat zuerst Savigny darauf aufmerksam gemacht, wie un-
passend von Guvier die Hirudineen mit den Lumbricinen
(aus welchen beiden Cuvier die gemeinschaftliche Ordnung
der Abranchia gemacht hatte) und den übrigen Anneliden
zusammengestellt seien. Später hat Blainville3) dieselben
davon gänzlich getrennt und mit verschiedenen Helminthen
in einer Klasse der Apodes vereinigt, die er den übrigen
Rothwürmern (den Chetopodes) entgegenstellte, während er
aus dem Rest der Entozoen eine dritte gleichwerthige Klasse
der Subannelidaires bildete. Wenn nun auch die in einem
solchen Verfahren ausgesprochene Tendenz vollkommen ge-
billigt werden muss, so können doch die Klassen der Apodes
und Subannelidaires nicht länger als natürliche Gruppen be-
stehen. in der erstern treffen wir neben den Hirudineen
und einigen Trematoden auch die Nemaloden und Akantho-
cephalen (mit den Sipunculiden), in der andern die Turbella-
rien, Gestoden und Trematoden — Formen, deren Verschie-
1) Für sehr verfehlt halte ich ebenfalls die neuerlich von Blanchard (Annal. des sciene.
nat. 1847. T. VII. p. 105) vorgeschlagene Classification der Guvierschen En-
tozoen. Die Vereinigung der Nematoden und Akantlıocephalen einer Seits, die
Trennung der Nemertinen von den Turbellarien und Trematoden, sowie der
Akanthothecen von den Nematoden anderer Seits kann ich nicht billigen.
2) Vergl. meine Beobachtungen und Reflexionen über die Naturgesch. der Blasen-
würmer in Wiegmann’s Arch. 1848. Th. I. S. 7.
3) De Vorganisat. des anim, etc, . IL —L. ce.
Ba...
denheit gewiss bei einer jeden nähern Betrachtung leicht
auffallen wird.
Von allen den verschiedenen Versuchen, Entozoen und
Anneliden in ihre natürlichen Abtheilungen zu zerlegen, halte
ich den Versuch von Burmeister!) bei Weitem für den
glücklichsten. Die von diesem sehr trefllichen Zoologen bei
den Würmern unterschiedenen Gruppen der Helminthes, Tre-
matodes und Annulati, die nach ihrer systematischen Bedeu-
tung als eben so viele Klassen erscheinen möchten, sind nach
meiner Ansicht im Wesentlichen ganz richtig und durch be-
stimmte, sehr beachtenswerthe Charaktere in Form und Bau
zusammengehalten. Nur in einzelnen untergeordneten. Ver-
hältnissen schien es hie und da mir nöthig, von den Ansich-
ten Burmeister’s abzuweichen. Die Bryozoen und Roti-
feren sind übrigens in dem Systeme des Letztern von den
Würmern ausgeschlossen. In @Zem Vorherbemerkten indessen
wird man es gerechtfertigt finden, wenn ich nicht bloss die-
selben dem Typus dieser Thiere zurechne, sondern sie auch
in einer gemeinschaftlichen Klasse, als Ciliati (von der sehr
entwickelten Flimmerbekleidung des Tentakelapparates und
dem entsprechenden Räderorgan), zusammenfasse.
Die erste dieser Klassen, für die ich hier den Namen
der Anenterati?) vorschlage, da die von Burmeister
gewählte Bezeichnung der Helminthes gewöhnlich für die ganze
Gruppe der Entozoen gebraucht wird, umfasst die beiden
Ordnungen derGestodes und Acanthocephali, Indem Bau
des Nervensystems) und des Nutrilionsapparates zeigen beide
im Allgemeinen eine völlige Uebereinstimmung. Selbst der
Körperbau ist in beiden Gruppen ganz ähnlich. Ueberall ist
der vordere Theil des Leibes auf eine gleichmässige Weise
zu einem eigenthümlichen Abschnitte, zu dem sogenannten
Kopfe, umgestaltet und mit Haftwerkzeugen versehen, bald
mit Sauggruben, bald mit Haken, bald auch mit beiderlei
AAN 0.8.0929»
2) Von «rc, ohne, u, &rT&gor, Darm,
3) Vergl. Blanchard, e.,
9
Gebilden zugleich. Allerdings fehlt den Akanthocephalen die
platte Form des Leibes und eine Gliederung, wie sie den
Bandwürmern zukommt, doch kann solches um so weniger
einen fundamentalen Unterschied bedingen, als eine eylindrische
Form des Leibes bei gleichzeitiger Abwesenheit einer Gliede-
rung mitunter schon unter den Cestoden (bei Tetrarhynchus)
sich findet. Auch zeigt sich die Verwandtschaft dieser beiden
Ordnungen in der sehr übereinstimmenden Form der Em-
bryonen z. B. von Echinorhynchus!!) und Taenia ?). Ein Darm-
kanal fehlt in der ganzen Klasse der Anenteraten. Statt
dessen findet man bei den Bandwürmern ein doppeltes System
von Gefässen, die im Körper sich verbreiten, eines tief im
Parenchym des Leibes eingebettet, mit weiten Längskanälen
jederseits, die unter einander anastomosiren, das andere unter
der Haut gelegen, ein zartes Maschennetz 3). Die Stelle des Darmes
bei den Akanthocephalen dagegen, so vermuthet man, vertritt
nur ein einziges subcutanes Gefässnetz (ohne besondere Wan-
dungen). In diesem nun möchte ich ein Analogon des eben
erwähnten zweiten Gefässnetzes der Gestoden erblicken.
Eine Differenz zwischen beiden Ordnungen aber beruht
nach der gegenwärtig ganz allgemein üblichen Anschauungs-
weise in dem Umstande, dass die Hakenwürmer eine sehr
geräumige Leibeshöhle besitzen, die den Bandwürmern fehlt.
Indessen sind wir zu der letztern Annahme so ganz unbe-
dingt berechtigt? Wäre es unmöglich, dass das centrale
Gefässsystem der Cestoden die morphologische Bedeutung
der Leibeshöhle besässe? Könnte diese nicht durch eine
übermässige Entwicklung des Körperparenchyms auf analoge
I) So nach v. Siebold, a. a. 0. S, 156.
2) Nach einer brieflichen Mittheilung von Dr, Stein in Berlin werden die bei den
Embryonen der Tänien sich vorfindenden Haken nicht unmittelbar in den be-
kannten Hakenkranz der erwachsenen Thiere umgewandelt. Der letztere ent-
steht vielmehr durch eine Neubildung, durch welche die entsprechende, der Form
nach indessen abweichende embryonale Bewaffnung des vordern Körperendes er-
setzt wird.
3) So nach den Untersuchungen von Eschricht bei Bothriocephalus und von mir
(Wagner’s Zootomie. Th. II. $S. 625) bei Caryophyllaeus.
70
Weise, wie bei den ausgebildeten Akalephen, bis auf einen
innern gefässartigen Apparat zurückgedrängt sein? Ich muss
offen gestehen, eine derartige Deutung scheint mir sehr na-
türlich. Es steht derselben wenigstens nach meinem Erach-
ten kein wesentliches Hinderniss entgegen. Die Auskleidung
der Leibeshöhle könnte dann immerhin bei den Cestoden
eine grössereEntwicklung und Selbstständigkeit erreicht haben,
so dass sie sogar zu eigenen Contractionen befähigt würde,
um die Bewegung der in ihr enthaltenen Ernährungsflüssig-
keit zu vermilteln. Zugleich würde dadurch der Genital-
apparat, wie es ja auch schon bei den Akalephen der Fall
ist, seine Lage im Innern der Leibeshöhle verloren haben
und von dem Körperparenchym umschlossen werden können.
Unter solchen Umständen bliebe dann zwichen den Akantho-
cephalen und den Cestoden, wenn wir von der ungleich-
mässigen Entwicklung der Leibeshöhle absehen, nur noch eine
Verschiedenheit in der Anordnung der Generationswerkzeuge.
An einer Vereinigung der entsprechenden Geschöpfe in einer
gemeinschaftlichen Klasse kann aber dieses uns nicht hindern.
Sehen wir derartige Unterschiede doch auch sonst nicht selten
unter ganz nahe verwandten Gruppen in der Thierreihe.
Eine zweite Klasse der Würmer umfasst die Ordnungen
der Nemertini, Turbellariit), Trematodes und Hi-
rudinei. Ich will dieselbe als die Klasse der Apodes
bezeichnen, mit einem Namen also, der von Blainville be-
reits einer grössern, der vorliegenden Klasse allerdings nicht
ganz conformen Abtheilung unter den Würmern gegeben ist
und nach dem Vorgang von Milne Edwards?) mehrfach
auf die von den eigentlichen Anneliden abgeschiedene Gruppe
1) Nach dem Beispiel v. Siebold’s sind unter dieser Bezeichnung nur die eigent-
lichen Planarien verstanden. In dem Sinne, in welchem ursprünglich Ehren-
berg (Symbol. phys. Dec. 1. Berol.) diese Ordnung aufstellte, kann dieselbe
nicht gehalten werden. Auf keine Weise möchte es gerechtfertigt werden kön-
nen, noch heute’ in einer solchen Gruppe mit den Planarien und Nemertinen die
Gordiaceen und Naidinen (von denen die erstern den Nematoden, die andern
den Lumbrieinen zugehören) vereinigen zu wollen.
2) In Lamarck’s Hist. nat. des anim, sans vertebr, II, Ed. T. V. p. 514.
71
der Hirudineen übertragen wird. Wie nahe die Verwandt-
schaft der in dieser Klasse vereinigten Formen sei, hat man
schon seit lange gefühlt und häufig auch mehr oder minder
bestimmt ausgesprochen. So stellte bereits Linne das Gen.
Fasciola (in welchem er — wie ebenfalls O. Fr. Müller
— ausser eigentlichen Trematoden auch einzelne Plattwürmer,
wie Planaria lactea, die er mit Distomum hepaticum für
identisch hielt, vereinigte) dicht neben Hirudo. Nachdem aber
später durch die Cuviersche Classification diese Thiere so
weit von einander geschieden ‘waren, machten zuerst wie-
derum mein Onkel Leuckart!!), v. Baer2), Dujes?) u. A.
auf die nahe Verwandtschaft der Egel und Trematoden
(zu denen Cuvier auch die Plattwürmer und Nemertinen
gestellt hatte) aufmerksam. Ebenso Burmeister, der in
seiner Klasse der Trematodes die Planarien, die Rudolphi-
schen Trematoden und die Hirudineen zusammenfasste. Ge-
wiss mit dem grössesten Recht, wie die typische Ueberein-
stimmung in Form und Bau beweist. Die Nemertinen sind
übrigens von Burmeister von der vorliegenden Klasse
ausgeschlossen. Sie stehen, mit den Nematoden zu einer
gemeinschaftlichen Gruppe (Gymnodermi) vereinigt, in der
Klasse der Annulati. Indessen kann ich hierin nicht mit Bur-
meister übereinstimmen. Die Nemertinen sind mit den
Planarien trotz mancher Differenzen immer noch viel näher
verwandt, als mit den Nematoden. Die Anordnung der äussern
Bedeckungen und des Nervensystems, die Verästelung des
Darmes und selbst die eigenthümliche, sehr abweichende
Entwicklung des Rüssels®) sichern ihnen eine Stelle in der
Nähe dieser Würmer. Für sehr verkehrt jedoch muss ich es
halten, wenn Oersted5) mit den Trematoden und Hirudi-
neen noch die Gordiaceen und Sipunculiden vereinigen will,
DIALA&O. SS. 22.
2) Ara. 0. 8.725.
3) Annal. des scienc. nat. Ser. II. Vol. XV. p. 180.
4) Ueber den vielfach verkannten Bau der Nemertinen vergl, man meine Abhand-
lung in den Beiträgen von Frey und mir, $. 71.
H)PAEANO.NS., 33:
12
dafür aber nicht bloss die Nemertinen (Cestoidei Oerst.),
sondern auch die Planarien von denselben abtremnt }).
Die vier oben angeführten Ordnungen der Apodes schei-
nen mir sehr natürlich?) zu sein und eben so bestimmt gegen
einander abgegrenzt, als durch gemeinsame allgemeinere Cha-
raktere unter sich verbunden. Meistens sind die zu ihnen gehö-
renden Thiere‘längliche, von oben nach unten stark deprimirte
Würmer, denen, wie den Anenteraten, eigentliche fussartige
Bewegungsorgane vollkommen fehlen, wenn man wenigstens
von den bei den Trematoden und Hirudineen ziemlich all-
gemein verbreiteten Saugscheiben absieht. Die Turbellarien
zeichnen sich gewöhnlich durch eine sehr platte, oft völlig
blattförmige, die Nemertinen durch eine sehr lange, fast band-
wurmartige Körpergestalt aus. Bei beiden sind die äussern
Bedeckungen zeitlebens von einem Flimmerepithelium besetzt,
welches sonst nur während der frühern Embryonalperioden
vorhanden ist. Eine Gliederung fehlt entweder, oder ist doch,
wenn sie sich, wie bei den Hirudineen und einigen Nemer-
tinen, findet, überall nur wenig deutlich und auch unregel-
mässiger, als bei den sogenannten Ringelwürmern. Fast noch
1) Von Einfluss auf eine derartige Gruppirung scheint die Classification von de
Blainville gewesen zu sein, der (l. c.) in seiner Gruppe der Entomozoaires
apodes die Hirudineen ebenfalls mit den Akanthocephalen, Sipunculiden und Ne-
matoideen zusammengestellt hatte.
2) Zu den Trematoden rechnete mein Onkel auch das merkwürdige von ihm ent-
deckte Gen. Myzostomum (Vergl. Zoolog. Bruchstücke, Heft 3. Freibg. 1843.
S.7.). Wie übrigens J. Müller wohl mit Recht bemerkt (Wiegmann’s Arch.
1841. I. S. 147.) findet dasselbe seine nächsten Verwandten unter den soge-
nannten Tardigraden. Wohin aber diese zu rechnen, ist sehr zweifelhaft, Du-
jardin (Hist, nat. des Zoophyt. Infus.) stellt dieselben unter die Räderthiere,
während van der Hoeven vorgeschlagen hat, sie den Arachniden anzu-
schliessen. Ob sie hier aber wirklich stehen können, müssen fernere Untersu-
chungen lehren. Die Anwesenheit eines Flimmerepitheliums bei Myzostomum,
der Mangel quergestreifter Muskelbündel u. s. w. lässt solche Stellung allerdings
kaum zulässig erscheinen. — Sehr problematisch ist auch die Einreihung des
paradoxen Genus Peltogaster (s. Rathke, Beiträge zur Fauna Norwegens in
d. Nov. Act. Ac. Caes. Leopold. Vol, XX. S. 244.) unter die Trematoden, Auf-
fallend hat mich dasselbe stets an die parasilischen Weibchen gewisser niederer
Grustaceen erinnert
73
grösser, als in der äussern Form des Körpers, ist die Ueber-
einsimmung zwischen den verschiedenen Ordnungen der Apo-
den in dem innern Bau. So besteht das Nervensystem bei den-
selben ganz durchgehends aus einem grossen, oberhalb der
Mundöffnung gelegenen (paarigen) Nackenganglion und zweien
starken Seitennerven, die nur bei den Hirudineen in der Me-
dianlinie des Bauches mit einander verschmelzen und, den
einzelnen Segmenten entsprechend, eine ketienförmige Reihe
ganglionärer Anschwellungen bilden, wie bei den meisten
Anneliden und den Arthropoden. Derartige Ganglien aber
finden sich auch schon (wie oben erwähnt) bei einigen an-
dern Apoden mit getrennten Seitennerven. Was ausserdem
die Klasse der Apoden noch auszeichnet, ist die auffallende
Tendenz zur Bildung von zahlreichen seitlichen Ausstülpun-
gen des Darmkanales, die meistens wiederum sich verästeln
und bei manchen Turbellarien und Trematoden baumartig
durch den ganzen Körper sich verzweigen. Bemerkenswerth
ist es dabei, dass in den letztern Gruppen der eigentliche Stamm
des Darmkanales nicht, wie gewöhnlich, in der Medianlinie der
Leibeshöhle hinabsteigt, sondern meistens durch eine mittlere
Längsspalte in zwei seitliche Schenkel zerfallen ist, die nur
in ihrem vordern Theile mit einander communiciren. Offen-
bar zeigt sich hierin schon dieselbe Tendenz zur Bildung
seitlicher Verästelungen am Darme; ein Verhalten, welches
auch mit dem Mangel einer besondern Afteröffnung!) bei
den Turbellarien und Trematoden in einem gewissen Zusam-
menhange zu stehen scheint. Bei den Hirudineen sind übri-
gens diese Verästelungen ganz augenscheinlich unter dem
Einflusse der Segmentbildung. Doch sind dieselben gerade
hier verhältnissmässig am meisten ansehnlich, obgleich sie in
manchen Fällen (z. B. bei Clepsine), besonders nach dem
1) Die Abwesenheit des Afters bei den Anenteraten beruht, wie wir gesehen haben,
auf einem völlig abweichenden Verhältnisse. Sehr unnatürlich scheint es mir
aus diesem Grunde, die afterlosen Apoden, wie es Streubel (A. a. ©, Th, I.
S. 821) vorschlägt, mit diesen Würmern in einer gemeinschaftlichen Gruppe
(Aprocti) zusammenzufassen.
74
Hinterleibsende zu, noch immer eine sehr mächtige Entwick-
lung erreichen. Im Innern der Mundhöhle findet sich häufig
bei den Apoden noch ein muskulöses vorstreckbares Rohr,
ein Rüssel, welcher bei den meisten Turbellarien eine an-
sehnliche Entwicklung zeigt und bei den Nemertinen sogar
als ein völlig selbstständiges, sehr mächtiges Gebilde oberhalb
des Darmkanals gelegen ist, das vor der Mundöffnung an der
Spitze des Kopfendes mündet, Das Gefässsystem besteht,
wenn es vorkommt, durchgängig aus weiten, nur wenig ver-
ästelten Längsstämmen, von denen (abweichend von der An-
ordnung des Circulationsapparates bei den Gliederwürmern)
besonders die seitlichen Stämme eine starke Entwicklung
darbieten. In dem Bau des Generalionsapparates unterschei-
den sich die Nemertinen von den übrigen Apoden. Männ-
liche und weibliche Organe sind bei ihnen auf verschiedene
Individuen vertheilt und bestehen in einer einfachen, jeder-
seits neben dem Darmkanal gelegenen Reihe ovaler Säckchen.
Die übrigen Apoden sind Hermaphroditen, deren Genitalsy-
stem durch die Anwesenheit und die Entwicklung der keim-
abführenden Canäle sich auszeichnet und in allen drei Ord-
nungen sehr deutlich einen gleichen typischen Bau erken-
nen lässt }),
Nach den Apoden nun möchte ich die vorhin aufgestellte
Klasse der Ciliati, welche die Ordnungen der Bryozoa
und Rotiferi umfasst, einschalten. Die Analogieen und Diffe-
renzen, welche zwischen beiden in der Form und dem Bau
des äussern Körpers sich finden, sind schon angeführt. Ausser-
dem aber möge noch erwähnt sein, dass ebenfalls das Ner-
vensystem, so wie der Genitalapparat und der Darmkanal im
Wesentlichen bei beiden eine gleiche Anordnung und Grup-
pirung darbietet, obgleich auch hierin einzelne Verschieden-
heiten vorkommen, die indess wohl kaum beträchtlich genug
sein möchten, um eine Vereinigung derselben in einer ge-
1) Vergl. meine Untersuchungen über die Morphologie und Anatomie der Geschlechts-
organe, S. 123.
75
meinsamen Klasse zu verhindern. So besteht das Nerven-
system in beiden Gruppen vorzugsweise nur aus einem Nacken-
ganglion mit verschiedenen davon ausstrahlenden grössern
und kleinern Stämmen. Ebenso entbehrt auch bei beiden
(ob durchgängig in der Ordnung der Rotiferen ?) der Genital-
apparat besonderer ausführender Kanäle. Hoden und Eier-
stöcke sind auf ein Häufchen kleiner Zellen im Innern der
Leibeshöhle reducirt, so dass man vielleicht nicht ein Mal
von der Existenz besonderer keimbereitender Organe sprechen
kann, ganz wie es bei den Kiemenwürmern der Fall ist.
Ueberhaupt nähern sich auch sonst die Giliaten besonders
durch die Bryozoen diesen letztern auf eine Weise, dass eine
Vereinigung derselben, wie ich früherhin !) sie vorgeschlagen
habe, sehr natürlich erscheinen würde, wenn auf der andern
Seite nicht auch die Nematoden und Lumbricinen zu jenen
Würmern einen sehr passenden Uebergang bildeten. Es
scheint fasst, als habe die typische Form der Branchiaten
auf diesen beiden verschiedenen Wegen sich hervorgebildet.
Wie die Lumbricinen vorzugsweise an die sogenannten Dorsi-
branchiaten sich anschliessen, so die Ciliaten besonders an
die sogenannten Capitibranchiaten. Manche dieser letztern
gleichen sogar in den frühern Stadien ihrer Entwicklung 2),
wenn man von den Borsten absieht, völlig einem Bryozoon.
Möglich daher, dass in der Folge auch wirklich die Ciliaten
mit den Kiemenwürmern zusammengestellt werden können,
obgleich dann, wie es mir scheinen möchte, wohl schwerlich
die Lumbricinen und Nematoden mit denselben vereinigt blei-
ben dürften.
Für jetzt aber, glaube ich, kann die Klasse der Bur-
meisterschen Annulati oder der Annelides, wie ich die-
selbe benennen möchte (natürlich mit Ausschluss der Nemer-
tini) noch aufrecht erhalten werden. Habiltus und Bau der
dahin gerechneten Würmer rechtfertigen solches meinem Er-
1) Beiträge u, s. w. $. 147.
2) Man vergl. z. B. die von Milne Edwards (l. c.) gegebenen Abbildungen der
Embryonen von Terebella,
achten nach vollkommen. Allerdings dürfen wir hierbei we-
der die Anwesenheit von Segmenten und äusseren Körperan-
hängen (von Borsten, Fusshöckern, Cirren u. s. w.), noch die
einer mittlern Bauchganglienkette als den Charakter unserer
Klasse ansehen. Zeigt doch auch das Vorkommen dieser
Gebilde selbst innerhalb der einzelnen Ordnungen derselben
manchfache Verschiedenheiten. So fehlen unter den Kiemen-
würmern z. B. die Tentakel und Kopfeirren den Arenicolen,
die Fusshöcker und Cirren der Segmente vielen sogenannten
Capitibranchiaten, die Borsten dem merkwürdigen Gen. Peri-
patus. Ebenso wird die Segmentirung des Körpers bei Sa-
gitta vermisst, einem Thiere, das nach seinem Bau!) in die
Ordnung der Lumbrieinen gestellt werden muss und nicht
unter die Mollusken, wie, nach dem Vorgang von Milne
Edwards, v. Siebold und ich selbst ?2) früher an-
nahm. Auf der andern Seite dagegen finden sich förmliche
in die Haut eingepflanzte Borsten unter den Nematoden bei
Hemipsilus 3), wenngleich nur am Vorderende des Leibes und
auch hier nicht einmal in einer so regelmässigen Anordnung,
wie bei den sogenannten Chätopoden — ein Verhältniss,
welches übrigens in der Abwesenheit einer Segmentirung
leicht seine Erklärung findet. Aber auch die letztere fehlt
den Nematoden nicht gänzlich. Sehr charakteristisch ist die-
selbe bei Pentastoma, einem Genus, welches wohl kaum aus
dieser Ordnung völlig entfernt werden darf.
Was die Klasse der Annelides zusammenhält, ist die
morphologische Uebereinstimmung in der äussern Form des
Körpers, in der Anordnung des Darmkanals und des Blutge-
fässsystems (das übrigens bei den Nematoden vielleicht gröss-
tentheils#) fehlt), wie überhaupt in dem gegenseitigen Ver-
1) Vergl. bes. Wilms, de Sagitta mare Germ, incol. Dissert. Berol. 1847.
2) Wagner’s Zootomie. Th. II. S. 403.
3) Vergl. die Beschreibung von H. trichodes n. sp. in meiner oben erwähnten, noch
nicht publicirten Abhandlung.
1) Wo es vorhanden z.B. bei Filaria attenuala (vergl. Ecker in Müller’s Arch,
1845. S. 506.), erscheint es auch hier vorzugsweise in der Gestalt von mittlern
(nicht seitlichen) Längsstämmen.
hältniss der einzelnen anatomischen Systeme. Nach den Ver-
schiedenheiten, die vorzugsweise (heils in dem Bau des Ner-
vensystems und des Genitalapparates, theils auch in dem
Vorkommen der äussern Körperanhänge sich kundgeben, zer-
fallen dieselben in die Ordnungen der Nematodes, Lum-
brieini (s. Terricolae) und Branchiati. Eine Trennung
der letztern in zwei den Lumbricinen u. s. w. gleichwerthige
Gruppen, die Capitibranchiati und Dorsibranchiati, wie sie
nach Cuvier bis auf den heutigen Tag fast überall angenom-
men wird — nur Milne Edwards!) vereinigt dieselben
(als Annelides) gegenüber den Lumbricinen (Scoleidis M. Ed w.)
in eine gemeinsame Ordnung —, ist wohl schwerlich zu-
lässig. Nicht einmal als Unterordnungen möchten diese bei-
den Gruppen sich empfehlen, weil der Uebergänge zwischen
ihnen so viele und so manchfaltige. — Die Zusammenstel-
lung der Nematoden mit den Chetopodes Blainv. bedarf
nach dem oben Gesagten wohl nicht mehr einer speciellen
Begründung. So wenig die Abwesenheit der fleischigen Kör-
perfortsätze uns hindert, die Lumbricinen (Abranches setigeres
Cuv.) mit den Branchiaten zu vereinigen ?), eben so wenig
. berechtigt uns die Abwesenheit der borstenförmigen Epider-
moidalanhänge zu einer Abtrennung der Nematoden.
Arthropoda.
Die grosse Abtheilung der Arthropoden oder Glieder-
füssler (Condylop(od)Ja Latr. Loricata Nitzsch) entspricht
nach ihrem wesentlichen Inhalt ganz vollkommen der von
Linne aufgestellten Klasse der Insecta. Mit Schkarfsinn hat
bereits dieser grosse Naturforscher die zahlreichen und so
1) Annal, des science, nat. T. VI p. 295.
2) Nicht zu billigen übrigens ist es, wenn Blainville (l.c.) die Lumbricinen mit
verschiedenen Arten der Kiemenwürmer in denselben Familien zusammenwirft,
Die Lumbrieinen bilden sicherlich eine eigene scharf abgegrenzte Ordnung unter
den Anneliden. Vergl. Hoffmeister, die bis jetzt bekannten Arten aus der
Familie der Regenwürmer. Brschwg, 1945.
18
sehr manchfaltigen Formen dieses Kreises in ihrem innern
Zusammenhang erkannt. Getrennt von den übrigen wirbellosen
Thieren (die in einer einzigen, zuerst von Guvier aufge-
lösten Klasse der Vermes zusammengefasst wurden), bilden
sie in dem Systema naturae, gewiss mit bestem Recht, eine
ganz selbstständige Abtheilung. Dass einzelne wenige Grup-
pen, wie die Lernäaden und Cirripedien, fälschlich von den
Insekten ausgeschlossen blieben und in verschiedenen Ord-
nungen der Vermes (die erstern bei den Mollusca, die letztern
neben Chiton bei den Testacea) eine Stelle fanden, wird man
um so leichter entschuldigen können, als die paradoxe Form
dieser Geschöpfe ohne Kenntniss der Entwicklungsgeschichte
völlig unverständlich bleiben musste und darum denn auch,
wie die Erfahrung gezeigt hat, bis auf unsere Zeit zu den
irrthümlichsten !) Meinungen Veranlassung gegeben hat.
Was gegen die Zusammenstellung der Arthropoden mit
den Würmern in einem gemeinschaftlichen grossen Kreise der
Animalia arliculata oder Arthrozoa (Polymeria) sich einwenden
lässt, ist schon oben einer Prüfung unterworfen. In dem
Folgenden wird immer mehr sich herausstellen, wie sehr die
Arthropoden es verdienen, als eine selbstständige Abtheilung
betrachtet und den Würmern, so wie den übrigen Haupt-
gruppen der animalischen Bildungen, an die Seite gestellt zu
werden. Die Aehnlichkeit der Arthropoden und Würmer ist,
nach meiner Ansicht, obne allen tiefern Zusammenhang. Sie
beruht auf einer blossen Durchkreuzung der formbestimmen-
den Gesetze und zeigt allein, dass hier und da schon vor
dem Entstehen eines bestimmten typischen Planes auch ander-
weitig wohl ein einzelner diesem Plan entsprechender Bil-
dungsprocess — fast möchte ich sagen, versuchsweise —
1) Die Lernäaden rechnete Cuvier zu den Entozoa, die Cirripedien, als eine be-
sondere Ordnung, zu den Mollusken., Andere Zoologen verbanden die letztern
mit den Anneliden. So besonders Latreille, der aus beiden Gruppen seine
Klasse der Helminthoida schuf. Erst die Entdeckungen von v. Nordmann (Mi-
krograph, Beiträge. II.) für die Lernäaden, so wie die von Burmeister (Bei-
träge zur Naturgesch. der Rankenfüsser) für die Cirripedien, haben uns die wirk-
liche Natur dieser merkwürdigen Geschöpfe enthüllt,
von der Natur in Anwendung gezogen wird, doch ohne dann
eine gleiche durchgreifende Bedeutung und Herrschaft zu
besitzen.
Immerhin aber beruht die Vereinigung der Würmer und
Gliederfüssler auf einer bestimmten Aehnlichkeit in der äussern
Form, auf einer Aehnlichkeit, welche durch die — nach der
typischen Bedeutung allerdings etwas differirende — Ver-
wendung eines gleichen morphogenetischen Vorganges bedingt
ist. Aus diesem Grunde mag. denn auch jenes Verfahren
bis zu einem gewissen Punkte immer noch vertheidigt wer-
den können. Wenn aber Lamarck, Latreille und Carus
den Arthropoden und Anneliden noch die Mollusken hinzu-
fügen und aus diesen drei Gruppen eine einzige gemein-
schaftliche Abtheilung (Animaux sensibles Lam., CGephalidia
Latr., Corpozoa Gar,) bilden, so wird daraus ein blosser
irrationaler Haufen von Formen, dessen innere Gehaltlosigkeit
zu offen am Tage liegt, als dass noch ein Wort darüber zu
verlieren wäre. —
Die Aehnlichkeit der Arthropoden mit den Anneliden,
besonders mit den Kiemenwürmern, beruht vorzugsweise in
der gleichen langgestreckten und symmetrischen Form, so
wie in der Segmentirung des Leibess. Was aber schon in
letzterer Beziehung die Gliederfüssler auszeichnet, ist eine
auffallende, höchst charakteristische Heteronomität der Seg-
mente, mit einer eigenthümlichen (dem Typus der Würmer völlig
fremden) Entwicklung der paarigen Anhänge an den Segmen-
ten. Diese Anhänge sind nicht bloss überall beweglich neben
der Medianlinie des Bauches — nicht, wie bei den Kiemen-
würmern, an den Seitenflächen des Körpers oder gleichzeitig
an Bauch und Rücken — befestigt und gegliedert, wenn sie
als Bewegungswerkzeuge auftreten, sondern participiren auch
eben so vollständig, wie die einzelnen Segmente, an der
Heteronomität des Körpers.
Schon aus der Anordnung dieser Anhänge lässt sich er-
schliessen, wie bei den Arthropoden der Gegensatz zwischen
Bauch und Rücken so sehr viel stärker ausgeprägt ist, als
80
bei den Würmern, wie der erstere hier vor dem letztern
eine sehr ausgezeichnete morphologische Dignität besitzt. In
Uebereinstimmung hiermit ist denn auch der Bau des Ner-
vensystemes bei den Gliederfüsslern in morphologischer Be-
ziehung ein anderer, als bei den Würmern. Ein Nacken-
ganglion, wie die letztern Thiere es besitzen, fehlt den Arthro-
poden. Die Centraltheile des Nervensystems, die, den Seg-
menten entsprechend, als eine Reihe kettenarlig verbundener,
oft auch mehr oder minder unter sich verschmolzener Ganglien
erscheinen, gehören allein der Bauchfläche des Leibes an.
Selbst das sogenannte Gehirn der Arthropoden, welches nur
durch seine Lage vor der Mundöffnung von den übrigen
Ganglien sich unterscheidet. Mit dem Nackenganglion der
Würmer kann es nicht zusammengehalten werden, da dieses
stets der Rückenfläche zukommt. Dass übrigens auch bei
den Arthropoden sehr häufig das sogenannte Gehirn eine
ähnliche Lage hat, kann bei der geringen Räumlichkeit des
Kopfes uns nicht wundern. Leicht kann dasselbe von vorn
und unten nach hinten und oben bis auf den Anfangstheil
des Oesophagus emporgeschoben sein. Der Schlundring der Ar-
thropoden ist unter solchen Umständen ohne alle morphologische
Bedeutung. Er wird allein durch die Anordnung des Darms
und die Lage der Mundöffnung im hintern Theile des Kopfes
nothwendig. Wie der Oesophagus, ganz eben so werden
mitunter auch andere in der Medianlinie des Bauches zwi-
schen zweien Ganglien gelegene Gebilde von den seitlichen
Commissuren umfasst. So z. B. bei manchen Heuschrecken
in der Brusthöhle eigene starke nach innen gerichtete Fort-
sätze des äussern Skelets, bei manchen Raupen die Inser-
tionspunkte von Muskeln u. s. w. In diesem Verhältniss
findet es seine Erklärung, warum in manchen Fällen die
Commissuren des Schlundhalsbandes so ganz ausseror-
dentlich stark sich verkürzen können. Auch die wirklich
mitunter (bei Acanthocerceus !), Dichelestium ?2)) beobachtete
1) Nach Schödler in Wiegmann’s Arch, 1846. T. I. S. 357.
2) Nach Rathke. A, a. 0. Vol. XIX, S. 150.
Abwesenheit eines eigentlichen Hirnes möchte bei einer der-
artigen Anordnung viel leichter begreiflich sein, als wenn
das betreffende Ganglion, ein Gebilde selbstständiger Art,
zu den übrigen Theilen des centralen Nervensystems in einem
gewissen Gegensatze stände, wie man es dort annehmen
muss, wo man dasselbe dem Nackenganglion der Würmer
vergleicht.
Ausser diesen, wie es mir scheint, ganz fundamentalen
Differenzen der Arthropoden und Würmer finden sich zwischen
beiden Abtheilungen auch noch manche andere anatomische
Verschiedenheiten. So ist das Circulationssystem der erstern
überall in grösserer oder geringerer Ausdehnung unvollstän-
dig, nie vollkommen geschlossen, wie bei den Anneliden.
Den Motor der Blutbewegung bildet ein gefässartiger Schlauch,
der, stets unpaar, in der Medianlinie des Rückens oberhalb
des Darmes gelegen ist und nur in wenigen Fällen zu einem
herzförmigen Sacke sich verkürzt. Die Generationsorgane
beschränken sich in ihrer Lage überall auf einen ganz be-
stimmten Abschnitt des Leibes, auf den sogenannten Bauch.
Niemals erstrecken sie sich gleichmässig, wie bei den Wür-
mern, durch die ganze Länge des Körpers. — Statt der glatten
Muskelfasern finden sich in der ganzen Abtheilung der Ar-
thropoden durchgehends quergestreifte Fasern, selbst an
den Eingeweiden. Charakteristisch für die Gliederfüssler
ist auch noch der Umstand, dass Flimmercilien, selbst in
den Embryonalperioden, beständig fehlen. Unstreitig stehet
solche Erscheinung in einem ganz bestimmten Verhältniss zu
der Beschaffenheit der äussern Bedeckungen und der Epi-
thelialauskleidung der innern Organe. Es bestehen diese
in der Abtheilung der Arthropoden aus einem sehr eigen-
thümlichen Stoffe, aus Chitin, welches ausserordentlich leicht
sich verdickt und an der Oberfläche des Leibes einen
schützenden Panzer, ein äusseres Skelet, darstellt, dessen
Festigkeit durch eine Menge eingelagerter Kalksalze noch ver-
stärkt wird.
Um nun aber trotz dieser Anordnung dem Körper der
6
82
Arthropoden einen gewissen Grad von Beweglichkeit zu
sichern, der um so nötlhiger war, als die betreffenden Thiere,
wenigstens die am höchsten entwickelten Formen, zu einem
Leben auf dem Lande bestimmt sind, musste eine ganz be-
sondere Vorrichtung getroffen werden. Die äussern Bedeckun-
gen durften nicht in einer continuirlichen Schicht, wie ein
starrer Panzer oder ein Gehäuse, den ganzen Körper bedecken.
Sie mussten in eine Anzahl hinter einander gelegener fester
Hornringe zerfallen, die durch eine zartere Haut mit einan-
der verbunden sind uud dadurch befähigt werden, ihre ge-
genseitige Lage zu verändern.
Allein in diesem Umstand scheint mir die teleologische
Bedeutung der Segmentirung begründet zu sein. Bei den
Anneliden ist sie denn auch desshalb mehr von untergeord-
neter Dignität sowohl für die gesammte Oekonomie, als auch
in morphologischer Hinsicht. Sie bietet hier den Anfang
einer Bildung, die erst späterhin, unter andern Verhältnissen,
eine durchgreifende typische Bedeutsamkeit erlangt und dem
Spiel der bildenden Kräfte zur Hervorbringung der manch-
faltigsten Formen überlassen wird.
Das Mittel, dessen hierbei die Schöpferkraft der Natur
vorzugsweise sich bedient, ist eine bestimmte, sehr eigen-
thümliche heteronome Entwicklung der einzelnen Ringe. Bei
den Anneliden zeigten diese im Wesentlichen an allen Thei-
len des Körpers eine gleiche Bildung. Anders bei den Ar-
thropoden. Hier bieten dieselben in Form und Verbindung
manchfache Verschiedenheiten und gruppiren sich überall bei
den ausgebildeten Individuen !) in eine Anzahl grösserer Ab-
schnitte zusammen, die man nach Lage und Anordnung als
Kopf, Brust, Bauch (abdomen) und Hinterleib (post-
abdomen) zu bezeichnen pflegt. Zu diesen vier morpholo-
gischen Abschnitten indessen muss man, wie ich glaube, noch
1) Bei den Larven mancher Insekten (besonders bei Dipteren) sind übrigens diese
Abschnitte anatomisch noch nicht von einander geschieden. Kopf, Brust und
Bauch zeigen dann in jeder Hinsicht eine fast vollkommne Gonformität ihrer
Segmente,
83
einen fünften, den ich fernerhin als Vorderkopf erwähnen
werde, hinzufügen. — Nur in seltenen Fällen sind aber alle diese
Abschnitte vollständig neben einander entwickelt. Bald ver-
schmelzen sie in grösserer oder geringerer Ausdehnung, bald
auch fehlt davon der eine oder andere, wie besonders der Hin-
terleib, der überhaupt von allen jenen Theilen die beschränk-
teste Verbreitung hat und ausserhalb der Gruppe der Cru-
staceen nur noch bei den Scorpioniden }) vorgefunden wird.
Alle einzelnen Segmente dieser Abschnitte sind, wenn
auch bei den verschiedenen Gruppen nicht in gleichem Maasse,
zur Entwicklung von seitlichen Anhängen befähigt, wie bei
den Kiemenwürmern. indessen unterscheiden sich diese Ex-
tremitäten von den entsprechenden Gebilden der letztern
Geschöpfe theils durch ihre anatomische Anordnung, theils
auch dadurch, dass sie Theil nehmen an der Heteronomität
des Leibes. So erscheinen dieselben, obgleich morphologisch
völlig unter sich übereinstimmend 2), bald als Antennen (am
Vorderkopf), bald als Fresswerkzeuge (am Kopf), bald als
Locomotionsapparate oder Haftorgane (an Brust und Bauch),
bald als sogenannte Afterbeine — die oftmals wiederum zu
Kiemen, accessorischen Geschlechtstheilen u. s. w. umgebildet
sind — (am Postabdomen). Constant sind solche Anhänge
aber nur am Vorderkörper der Arthropoden vorhanden, am
Vorderkopf, Kopf und Brust. Nur bei den Crustaceen und
Myriapoden finden sie sich gleichmässig auch an den dahin-
ter liegenden Abschnitten.
Bei den sehr verwickelten morphologischen Verhältnissen
der Arthropoden ist es erklärlich, wenn man über die Deu-
1) Die Coexistenz von Bauch und Postabdomen bei diesen Arthropoden, so wie die
unverkennbare Verschiedenheit von beiden Abschnitten ist ein unumstösslicher
Beweis gegen die ältere Ansicht, dass der Bauch der Insekten dem Hinterleib
der Krebse entspräche,
2) Oken (Naturphilosophie $. 3085, so wie Isis 1818. $. 477.) ist der Erste ge-
wesen, der die morphologische Identität dieser Theile, wenigstens der Fress-
werkzeuge und Füsse erkannte, Spätere Untersuchungen von Savigny in-
dessen waren es erst, die von diesem Verhältniss den unmittelbaren Nachweis
lieferten.
6*
81
tung und den Zusammenhang des Skelets bei diesen Thieren
noch heute der abweichendsten Ansicht ist. Hat es doch
lange gedauert, bevor man überhaupt die morphologische
Uebereinstimmung der einzelnen Körpersegmente und deren
Anhänge erkannte. Von unvergänglichem Werth in dieser Be-
ziehung sind die sorgsamen Untersuchungen von Savigny!)
über die Fresswerkzeuge der Gliederfüssler und deren Ver-
hältniss zu den Beinen in den Hexapoden, Arachniden, Cru-
staceen und Myriapoden; Untersuchungen, welche späterhin
von Duge&s2) für die Arachniden, so wie von Brandt) für
die Krebse in mehrfacher Hinsicht weiter ausgeführt sind,
und welche ihrem wesentlichsten Inhalt nach vollkommen
sich bestätigt haben. Gleich bedeutungsvoll für die morpho-
logische Auffassung des Baues bei den Arthropoden ist der
umfassende geistreiche Versuch von Erichson®). Leider ist
hier ebenfalls bloss, wie bei Savigny, ganz einfach der
vergleichend anatomische Standpunkt hervorgehoben, und die
Entwicklungsgeschichte, trotz der zahlreichen glänzenden Ent-
deckungen Rathke’s5) auf diesem Felde, völlig unbeachtet
geblieben. Gewiss aber ist es eine sichere Bürgschaft für
die Richtigkeit der Annahmen Erichson’s, dass dieselben,
wie es mir scheint, in allen wesentlichen Punkten eben in
der Entwicklungsgeschichte ihre Bestätigung finden. Aller-
dings ist Zaddach6), der zuerst die Resultate der letztern in
den Bereich dieser Untersuchungen gezogen hat, mehrfach
zu abweichenden Resultaten gelangt, doch kann ich dem-
selben, wie sogleich näher angegeben und motivirt werden
soll, nicht überall beistimmen, so überraschend und annehm-
1) In den Mem. sur les anim, sens vertebres T. I.
2) Annal. des scienc. nat. 1834. T. I, p. 1.
3) Medicin. Zoolog. Th. I. S. 56.
4) Ueber zoologische Charaktere der Insekten, Arachniden und Krebse. In den
Entomographieen. Hft, I. S. 1. Berlin. 1840,
5) Man vergl. besonders: Ueber die Bildung und Entwicklung des Flusskrebses 1829.
Zur Morphologie, Reisebemerkungen aus Taurien. 1837. S. 58. und Beiträge zur
vergl. Anat. und Physiolog. Reisebemerkungen aus Skandinavien. 1842. S. 46.
6) Ueber die Eintheilung des Thierreichs in Kreise und Klassen. 1847. $. 10.
85
bar auch auf den ersten Blick manche seiner Angaben er-
scheinen.
Die Entwicklung der Arthropoden geht, wie die der
Branchiaten und Hirudineen, von einem Primitivtheil aus,
welcher der spätern Bauchfläche entspricht. Dadurch aber
unterscheiden sich die Gliederfüssler bereits in diesem er-
sten Stadium der Entwicklung von jenen Würmern, dass
die Spuren der Gliederung viel früher auftreten, meistens
schon zu einer Zeit, in welcher der Dotter noch keineswegs
von der Keimhaut (entsprechend dem serösen Blatt bei den
Wirbelthieren): umwachsen ist. Nur wenige Gruppen (die
Arthrostraken !) und Entomostraken) sind es, bei denen die
Gliederung erst später, nachdem die erwähnte Umwachsung
bereits vollständig erfolgt ist, sich kund giebt. Aber auch
hier entsteht diese nicht, wie bei den Anneliden, gleich von
vorn herein durch die Bildung vollständiger Segmente, an
denen erst nachher die Anhänge hervorkeimen, sondern da-
durch, dass unmittelbar neben der Medianlinie des Primitiv-
streifes eine Reihe von paarigen warzenförmigen Erhaben-
heiten sich bildet, welche allmählig zu den Extremitäten aus-
wachsen, während die Ringelung vom Bauch aus nach dem
Rücken fortschreitet und erst hierdurch die Entstehung be-
sonderer Segmente bedingt. In dieser frühzeitigen Bildungs-
weise der Extremitäten ist denn auch unstreitig der Grund
1) Noch vor der Anlage des Primitivstreifs schlägt die Keimhaut bei den Arthro-
straken eine quere Falte, welche tief in den Dotter eindringt und denselben in
zwei an der entgegengesetzten Fläche zusammenhängende Abschnitte theilt, so
dass dadurch die im Anfang ganz kugelförmige Masse zu einem bogenförmig zu-
sammengekrümmten Schlauche wird, dessen beide Schenkel dicht einander an-
liegen. Bei den Amphipoden bildet sich diese Falte an der spätern Bauchfläche.
Ebenso auch bei einigen Isopoden (Bopyrus), während andere Isopoden ent-
weder dieser Falte gänzlich entbehren (Oniscus, Armadillo) oder dieselbe auf
der spätern Rückenfläche tragen (Asellus, Ligia, Janira, Idotea). Es stehet die-
ses Verhältniss übrigens keineswegs allein in der Abiheilung der Arthropoden.
Nach den Beobachtungen von Kölliker (de prima insect, genesi Dissert,) findet
sich eine solche Rückenfalle auch bei einigen Insekten (Chironomus und Simulia),
während nach den Untersuchungen von Newport (Todd&'s Cyclop. of anat.
and physiol, Art, Myriapoda. T. II, p. 553.) bei Julus sich am Bauche eine
Dotterfalte entwickelt,
86
zu suchen, warum dieselben bei den Arthropoden nicht an
den Seitenflächen der Körpersegmente gelegen sind, sondern
am Bauche, dicht neben der Medianlinie.
Sehr deutlich lässt aus diesem Verhältniss sich abneh-
men, dass bei den Arthropoden die Extremitäten eine
viel grössere morphologische Dignität besitzen, als bei den
Branchiaten. Während sie bei den letztern als blosse An-
hänge der Segmente entstehen, gehen sie bei den. erstern
der Gonformation dieser Abschnitte voraus. Sie haben, den
Segmenten gegenüber, an Selbstständigkeit gewonnen.
Nicht überall aber ist dieses Verhältniss mit gleicher
Schärfe ausgeprägt. In einigen Fällen entstehen selbst die
Segmente zuerst, wie bei den Branchiaten, während die Ex-
tremitäten, wenn auch vielleicht nicht alle, erst später daran
hervorkeimen. So namentlich bei vielen Hexapoden (z. B.
den Dipteren, wo die Beine des Thorax erst im Lauf der
Metamorphose sich bilden, nachdem die Ringelung bereits
vollständig vorhanden ist), bei den Milben, die anfänglich
des letzten Beinpaares entbehren u. s. w. Die auffallendste
Ausnahme macht in dieser Hinsicht das Postabdomen, wel-
ches nur bei den Arthrostraken !) nach dem gewöhnlichen
Schema sich entwickelt. In allen übrigen Fällen entsteht
dasselbe als ein selbstständiger Anhang am Ende des Primi-
livstreifs, anfangs als eine warzenarlige Hervorragung, die
erst allmählich zu einem schlauchartigen, cylindrischen Gebilde
sich auszieht?), Erst nach der Ausbildung der Segmente
1) Vielleicht, dass dieses Verhältniss in Zusammenhang steht mit der oben erwähn-
ten Bildung einer Querfalte an der Dottermasse. Offenbar bezweckt solches nur
eine Vergrösserung der Längendimension des Körpers, die dadurch bei der Be-
schränktheit des Raumes am besten erzielt werden konnte, und passender, als
wenn der Körper nach beiden, oder auch nur nach einer Seite hin spindelförmig
sich ausgezogen hätte — ein Vorgang, aul den die gewöhnliche Entwicklungs-
weise des Postabdomen sich reducirt.
2) Am auffallendsten ist diese Bildung des Postabdomen bei den Decapoden und
Scorpionen, wo dieselbe schon vor sich geht, noch bevor die Keimhaut den gan-
zen Dotter wnnwachsen hat. Weniger auffallend bei den Entomostraken, bei
denen vorher bereits die ganze Dottermasse vom der Keimhaut umschlossen ist,
Bei den letztern erscheint denn auch desshalb die Entwicklung des betreffenden
87
versieht sich das Postabdomen mit seinen Extremitäten. Ob
übrigens auch hier die Gliederung von der Bauchfläche all-
mählich zum Rücken emporsteigt, ist noch ungewiss, jedoch
nach der Analogie nicht unwahrscheinlich. Sonst wenigstens
treffen wir überall diese Bildungsweise, selbst da, wo die
Segmente der Extremitäten ermangeln, wie an dem Abdomen
der Spinnen !) und Hexapoden.
Nicht immer aber erhebt sich die Gliederung bis zur
Production vollständiger Segmente. In manchen Fällen, wie
an dem Thorax und Abdomen vieler Crustaceen (z. B. der
Decapoden), wie besonders überall am Kopfe, sind die ein-
zelnen Segmente nicht als isolirte Bildungen nachzuweisen,
wenngleich die entsprechenden Extremitäten vollkommen ent-
wickelt sind. An Rücken und Seiten sind dieselben dann zu
einer ungegliederten Masse mit einander verbunden. Ein
solches Verhältniss aber berechtigt uns nicht etwa, wie
Erichson für den Kopf es will, zu der Annahme, dass nun
auch diese Masse nur ein einziges Segment darstelle. Schon
Rathke?2) hat sehr treffend den Nachweis geliefert, dass
die Zahl der vorhandenen Extremitätenpaare überall auf die
Existenz einer gleichen Anzahl von Segmenten zurückschliessen
lasse, selbst da, wo diese anatomisch nicht nachgewiesen werden
können. In die Bildung des Kopfes sind also hiernach auch
eben so viele Ringe eingegangen, als paarige Anhänge sich
vorfinden.
Die erste Anlage aller an der Ventralfläche der einzelnen
Segmente vorhandenen paarigen Anhänge, sie mögen anato-
misch und functionell noch so sehr von einander differiren,
ist dieselbe. Erst allmählig bilden sich durch manchfache
Verschiedenheiten in der Entwicklung dieser Theile alle jene
zahlreichen Formen hervor, die wir bei den ausgebildeten
Körpertheils viel weniger abnorm. Sie ist viel einfacher und kaum etwas an-
deres, als eine spindelförmige Verlängerung des hintern Körperendes.
1) Vergl. die Beobachtungen von Rathke am Scorpion. Zur Morphologie u. s. w.
Ss. 24.
2) A. a 0.8. 117.
BER: .
Arthropoden wahrnehmen. Die einen, wie die Fresswerk-
zeuge und Afterfüsse, bleiben einfach in ihrer Entwicklung
zurück, während andere, wie die Thoracalfüsse der meisten
Decapoden und Entomostraken, durch den Process der Rück-
bildung ihre endliche Gestalt erlangen. In manchfaltiger
Verwendung erscheinen hier alle die oben erwähnten mor-
phogenetischen Vorgänge der Bildungshemmung und Fort-
bildung im embryonalen Sinne, der vorschreitenden und re-
trograden Metamorphose. Den speciellern Nachweis über-
lassen wir der Entwicklungsgeschichte. Hier würde er von
unserm Zwecke uns zu weit entfernen. Als Eigenthümlich-
keit des Crustaceentypus möge nur noch die den einzelnen
Extremitäten innewohnende Tendenz erwähnt sein, sich der
Länge nach zu spalten — eine Tendenz, die wir in ana-
loger Weise bei den Branchiaten angetroffen haben. Auch
bei den Crustaceen weichen die beiden dadurch entstandenen
Theile in ihrer spätern Entwicklung gewöhnlich sehr auffal-
lend aus einander. Beide befolgen, unabhängig von einander,
die erwähnten Gesetze der Gestaltbildung je auf verschiedene
Weise.
Wie schon angeführt, sind aber nicht alle Ringe des
Körpers gleichmässig zur Production von Extremitäten ge-
schickt. Bei den Hexapoden und Spinnen beschränkt sich
dieselbe allein auf die Gürtel des vordern Leibes, auf Kopf
und Brust. Wo in diesen Arthropoden noch ausserdem be-
wegliche Anhangsgebilde vorkommen, wie besonders bei den
sechsfüssigen Insekten an der Spitze des Bauches, sind solche
überall aus einer Metamorphose der einzelnen Segmente selbst
hervorgegangen und den eigentlichen Extremitäten niemals
zu vergleichen !). Anders aber ist das Verhältniss bei den
1) Hierher gehören namentlich die sogenannten äussern Begatiungsorgane der In-
sekten, deren Reduction bei den weiblichen Käfern Stein (vergl. Anatom. u.
Physiolog. der Insekten. Erste Monographie. Ueber die Geschlechtsorgane u.
den Bau des Hinterleibsskelets bei den weiblichen Käfern. Berlin 1847. S. 12.)
auf höchst glückliche und scharfsinnige Weise durchgeführt hat. Dass auch die
männlichen Begaltungswerkzeuge der Hexapoden den Segmenten angehören,
habe ich nachgewiesen (Morphologie der Geschlechtsorgane, $. 59).
89
Myriapoden und Crustaceen, bei denen, in der Norm wenig-
stens, alle Segmente des Leibes, auch die des Bauches und
Hinterleibes, an derBildung von Extremitäten sich betheiligent).
Ausser den bisher erwähnten Gebilden finden sich übri-
gens bei den Arthropoden noch mancherlei andere Anhänge
an den einzelnen Segmenten, wenngleich lange nicht so all-
gemein verbreitet, wie die Extremitäten der Bauchfläche.
Bekannt vor allen sind die Flügel der Hexapoden, die dem
zweiten und dritten Thoracalringe angehören und in Form
und Entwicklung nicht selten sehr beträchliche Differenzen
darbieten. Sie sind an der Rückenfläche eingelenkt, wie die
Beine an der Ventralfläche. Mit den letztern zeigen sie über-
haupt so manchfache Analogieen 2), selbst in ihrer Entwick-
lung (die mit der Entwicklung der Afterfüsse im Wesent-
lichen völlig übereinstimmt), dass der Ausspruch ‚mir nicht
zu gewagt scheint, es seien die Flügel die morphologischen
Aequivalente der Beine und blosse Wiederholungen dieser Ge-
bilde auf der Rückenfläche. Dass die Flügel überall sehr
viel später sich hervorbilden, als die Extremitäten der Bauch-
fläche, dass sie sich nie, wie diese, an der Bildung der’ Seg-
mente betheiligen, kann keinen wesentlichen Unterschied be-
dingen. Finden wir dasselbe Verhältniss doch auch bei den
Gliedmassen des Postabdomen und in einigen Fällen (s. oben)
selbst bei denen des Thorax, die dennoch mit den Fress-
werkzeugen u. s. w. einer gleichen Organengruppe angehören.
Jene Differenz in der Zeit der Entwicklung der Flügel und
Beine ist nun allerdings um so auffallender, als sie zwei ent-
sprechende Theile eines gemeinschaftlichen Segmentes betrifft.
1) Ein analoges Verhältniss scheint übrigens auch schon bei den Larven vieler
sechsfüssigen Insekten vorzukommen. Die warzenförmigen Auswüchse der Ab-
dominalsegmente, die sogenannten Nachschieber oder Afterbeine, erinnern we-
nigstens zu auffallend (auch in ihrer Entwicklung) an die Extremitäten des
Postabdomen bei den Crustaceen, als dass man die Vermuthung einer morpho-
logischen Uebereinstimmung zwischen ihnen unterdrücken könnte,
2) Schon Rathke (Entwicklungsgesch, der Menschen u. der Thiere, Th, II. $. 92.)
hat die Formähnlichkeit hervorgehoben, welche die Bauchgliedmassen mancher
Entomostraken mit den Flügeln einiger Insekten darbieten,
90
Indessen verliert auch dieser Umstand an Gewicht, wenn wir
bedenken, wie die Entwicklung der einzelnen Segmente
von der Bauchfläche ausgeht, und daher denn auch die Bil-
dung der Bauchanhänge viel eher möglich wird. Wo die
Segmente ohne solche Extremitäten entstehen, wo die letztern,
wie z. B. bei den Diptern, erst nachgebildet werden, fällt
dieser Vorgang der Zeit nach mit dem Hervorsprossen der
Flügel’ zusammen.
Das gleichzeitige Auftreten von Rücken- und Bauchglied-
massen bei den Hexapoden ist eine Wiederholung jener Anord-
nung, die wir oben als charakteristisch für dieBranchiaten nach-
gewiesen haben. Offenbar aber hat dieselbe für den Typus
der Arthropoden lange nicht eine so durchgreifende, so wich-
tige Bedeutung. Die gegensätzliche Verschiedenheit von Bauch
und Rücken ist hier viel zu gross, als dass eine bestimmte
Richtung in der bildenden Thätigkeit auf der einen Fläche
einen entsprechenden Vorgang auf der andern mit Nothwen-
digkeit hervorrufen müsste. Die Entwicklung der Bauchfläche
ist bei Weitem die vorherrschende. An ihr fehlen die Extre-
mitäten niemals vollkommen, während die Bildung solcher An-
hänge auf dem Rücken als Ausnahme zu betrachten ist. Daher
das beschränkte und schwankende Vorkommen dieser Gebilde.
Interessant ist es übrigens, dass in manchen Fällen schon
bei den Branchiaten (bei den Phyllodoceen und Aphroditeen)
die Cirren der Rückenfläche in ihrer Entwicklung sich von
den entsprechenden Gebilden des Bauches unterscheiden und
dann der Gestalt nach an die Flügel der Hexapoden erinnern.
Bereits vor längerer Zeit hat Oken!), dem die Morpho-
logie überhaupt so manche sehr schätzbare und scharfsinnige
Aufschlüsse verdankt, die Flügel der Hexapoden mit den
Kiemen der Krebse parallelisirt. Natürlich können bei einem
solchen Vergleich von den einzelnen morphologisch ver-
schiedenen Anhängen des Crustaceenkörpers, die als Respira-
tionsorgane functioniren, nur diejenigen Gebilde angezogen
9
werden, die nicht in den Typus der gewöhnlichen Extremı-
tätenbildung hineingehören, namentlich also die Kiemen der
Decapoden. Bei der Anordnung dieser Theile, die, gleich
den Flügeln der Insekten, paarweise an den (Abdominal-) Seg-
menten und zwar meistens oberhalb der einzelnen Bauch-
gliedmassen angebracht sind, gewinnt solche Vermuthung die
grösseste Wahrscheinlichkeit. Auch darin bekommt dieselbe
eine neue Stütze, dass wir sehen, wie bei denKrebsen die Umbil-
dung der Extremitäten in Kiemen so ausserordentlich häufig
ist. Selbst der Umstand scheint keinen überzeugenden Ge-
genbeweis zu liefern, dass diese Kiemen bei vielen Decapoden
ihre anatomische Selbstständigkeit aufgeben, dass sie an den
Seitentheilen des Körpers hinabrücken, bis sie auf den Basal-
gliedern der anliegenden Beine ihren Insertionspunkt finden.
Würde doch dieses eine blosse Modification jenes Vorganges
sein, den wir ebenfalls bei den Branchiaten vorgefunden
haben. Auch hier verschmelzen ja nicht selten die obern
und untern (dem Rücken und Bauch angehörenden) Extremi-
täten an den Seitenflächen der einzelnen Segmente. Noch
unwesentlicher ist es, dass die Kiemen der Decapoden von
den lateralen Verlängerungen des Rückenschildes überdeckt
sind und in den dadurch gebildeten Höhlen verborgen liegen.
Nach ihrer Entwicklung sind die Kiemen äussere Anhänge des
Körpers.
Mit gleichem Recht, wie die Kiemen der Decapoden,
lassen sich auch die von Rathke!) bei den Embryonen von
Asellus aqualicus an der Rückenfläche eines mittlern Leibes-
ringes aufgefundenen blattartigen Anhänge als die morpho-
logischen Aequivalente der Flügel bei den Hexapoden bean-
spruchen.
Die oben erörterte Okensche Ansicht, dass die Kiemen
der Decapoden den Flügeln der sechsfüssigen Insekten ent-
sprächen, also, gleich diesen letztern, auf den Typus der
Extremitätenbildung zurückzuführen seien, hat übrigens keinen
DPArrar Or IS, 72
92
allgemeinen Beifall gefunden. Es haben vielmehr andere
sehr gewichtige Autoritäten dahin sich ausgesprochen, dass
die morphologischen Aequivalente der Flügel in dem soge-
nannten Rückenschilde der Krebse zu suchen seien. So
glaubte namentlich Rathke !) in den zusammengewachsenen
Flügeln mancher Coleoptern schon eine Andeutung zu der
Bildung des Rückenschildes zu sehen. Auch Zaddach ?)
spricht für die Analogie der betreffenden Theile sich aus.
Indessen lässt sich nach meiner Ansicht eine solche Annahme
wohl schwerlich halten. Um die Bildung des Rückenschildes
zu verstehen, muss man daran sich erinnern, dass die ein-
zelnen Segmente an dem Körper der Arthropoden nicht etwa
blosse solide Ringe sind, sondern selbst wiederum (in den
meisten Fällen wenigstens) aus mehreren Elementen zusam-
mengesetzt werden, die theils dem Rücken und Bauche, theils
aber auch den Seitenflächen angehören. Die letztern sind
unter den Bezeichnungen der Epimera und Episterna bekannt.
Von ihnen liegen die erstern zu den Seiten der Rücken-
schiene, die andern zu den Seiten der Bauchschiene. Solche
seitlichen Elemente lassen sowohl bei den Crustaceen, als
auch bei den Hexapoden (wo Stein dieselben neuerlich 3)
als Parapleurae und Pleurae bezeichnet hat) sich nach-
weisen. Während übrigens bei den Hexapoden von diesen
Stücken besonders die letztern durch ihre Entwicklung sich aus-
zeichnen, sind es bei den Crustaceen gerade die erstern.
Sie bilden hier gewöhnlich, z. B. bei den Arthrostraken, sehr
ansehnliche, mehr oder minder weit an den Seiten vorsprin-
gende Platten, die nicht selten sogar nach der Bauchfläche
sich zukrümmen. In analoger Anordnung treten diese Stücke
1) Zur Morpholog. S. 128.
2) 2A 2.20.5276.
3) A. a. 0. S. 4. Auf sehr überzeugende Weise ist hier zugleich dargethan, wie
dieselben Stücke es sind, die auch in die Bildung der flügeltragenden Thora-
calsegmente — wenn auch mehrfach modificirt — eingehen. Die ältern Unter-
suchungen von Audouin, Burmeister u.A,. haben diese wesentliche Ueber-
einstimmung zwischen der Formation der Thoracalsegmente und der übrigen
Körperringe zu wenig hervorgehoben.
93
bisweilen auch da auf, wo sie mit den zwischenliegenden
Rückenschienen continuirlich zusammenhängen, wo sie nicht
als isolirte, selbstständige Skelettheile erscheinen, Sind dann
nun zugleich die Segmente an irgend einer Region des Kör-
pers nicht vollständig getrennt, sind die Rückenschienen da-
selbst unter einander verschmolzen, so muss eine schild-
förmige Bedeckung entstehen, deren seitliche Ränder iin grösserer
oder geringerer Ausdehnung vorspringen und die anliegenden
Theile bedecken, sobald sie nach unten sich umbiegen. Ein
solches Schild nun ist das Rückenschiid der Decapoden.
Dass dasselbe auf die eben angeführte Weise aus der Ent-
wicklung der obern Seitenstücke und der damit verbunde-
nen Rückenschienen der Segmente entstanden, ist bei Hip-
polyte, Peneus, Palaemon u. a. sehr deutlich. Hier zeigen
auch die Segmente des Postabdomen eine gleiche CGonfor-
mation. Nur dadurch unterscheiden sie sich, dass die ein-
zelnen Dorsalstücke derselben nicht continuirlich unter sich
zusammenhängen.
In einigen Fällen erlangt das Rückenschild der Crusta-
ceen noch eine beträchtlichere Selbstständigkeit. Es hebt in
grösserer Ausdehnung von dem unterliegenden Segmente sich
ab und wächst selbst bis zu einem Grade, dass es den ganzen
Körper einschliesst. In der Medianlinie des Rückens gliedert
es sich durch eine Längsfalte. So bildet es die zweiklappige
Schale der Daphnien, Cypriner, Cirripedien. Bei Pandarus,
wo eine ähnliche Umformung der Dorsalstücke eintritt, blei-
ben die betreffenden Gebilde an den einzelnen Segmenten
beständig von einander getrennt. Sie sind nicht zu einem
zusammenhängenden Schilde verwachsen, wie sonst so häufig
es der Fall ist. Besonders hier ist es, wo der äussere An-
schein leicht zu der Vermuthung veranlassen kann, dass die
betreffenden Anhänge den Flügeln der Hexapoden entsprächen.
Die Gliederung des Körpers bei den Arthropoden, sowie
die Hervorbildung der Extremitäten geschieht, wie bei den
Anneliden, im Allgemeinen allmählig fortschreitend von vorn
nach hinten. Indessen gilt diese Norm doch weniger für
94
den ganzen Leib, als vielmehr eigentlich nur für die einzel-
nen Abschnitte desselben, die bis zu einem gewissen Grade,
wie wir schon oben für das Postabdomen es angeführt haben,
selbstständig und unabhängig von einander sich bilden. Nur
da, wo die Entwicklung dieser Abschnitte rasch nach ein-
ander geschieht, ohne wahrnehmbaren Absatz, ohne Pause
und gleich von vorn herein mit der gesetzmässigen Zahl der
Segmente, nur da hat es den Anschein, dass die Ringe des
ganzen Körpers in continuirlichem Zusammenhang und gleich-
mässig von vorn nach hinten sich hervorbilden. In diesem
Fall bietet denn auch der Embryo gleich Anfangs in seiner
Conformation eine grosse Aehnlichkeit mit dem ausgebildeten
Thier, wenn auch die Anhänge desselben vielleicht noch
nicht ihre Entwicklung erreicht haben. Solches findet sich,
wie es scheint, vorzüglich bei den sechsfüssigen Insekten I)
und Arachniden, aber auch bei manchen Crustaceen (wie
namentlich bei den Amphipoden).
In andern Fällen aber hat der Embryo, wenn er die
Eihüllen verlässt — auch abgesehen von der Beschaffenheit
der Extremitäten — noch lange nicht die Gestalt, wie sie
bei den entwickelten Individuen sich vorfindet. Die Zahl
seiner Leibessegmente ist häufig geringer, als im ausgebilde-
ten Zustand. In der Regel fehlen unter solchen Umständen
die letzten Segmente des Abdomen (wie z. B. bei den Iso-
poden), oder sogar der ganze betreffende Leibesabschnitt (wie
bei manchen Decapoden, bei den Entomostraken und Myria-
poden), so dass ausser Vorderkopf und Hinterleib dann bloss
Kopf und Brust den Körper zusammensetzen,
Das letztere Verhältniss ist um so auffallender, als es
uns zeigt, dass nicht ein Mal die einzelnen Abschnitte des
Leibes in continuirlicher, der Lagerung entsprechender Rei-
henfolge zu entstehen brauchen. Der Endtheil des Körpers,
das Postabdomen, wird hier früher gebildet, als der davor
gelegene Bauch. Indessen ist solches doch nur als Ausnahme
1) Vergl. Kölliker, de prima insectorum genesi dissert,
95
anzusehen. Sie findet darin ihre Erklärung, dass das Post-
abdomen eben durch seine eigenthümliche Entwicklungsweise
befähigt wird, ganz selbstständig schon zu einer Zeit zu er-
scheinen, in der kaum die Rudimente des übrigen Körpers
angelegt sind. Die vorhergehenden Abschnitte (wenn wir
wenigstens einstweilen vom Vorderkopf absehen) werden
stets in der Reihe nach einander angelegt, zuerst der Kopf,
zuletzt der Bauch, und, unabhängig von einander, einzeln von
vorn nach hinten zu allmählig ausgebildet. Die hintern Seg-
mente eines jeden Abschnittes erscheinen stels vor den vor-
dern desselben Abschnittes.. Ebenso die Extremitäten. Die
Mandibeln gehen in ihrer Bildung den Maxillen voraus, die
vordern Füsse der Brust den hintern, wenn auch die letztern
wiederum in manchen Fällen (bei vielen Insekten z. B.) frü-
her sich bilden, als die hintern Extremitäten des Kopfes.
Eine andere doch nur scheinbare Ausnahme in dieser Bezie-
hung machen die Antennen, die sehr häufig nicht vor, son-
dern nach den Mandibeln angelegt werden, nicht bloss bei
den Krebsen (sehr augenfällig z. B. bei den Lernäaden), son-
dern auch bei den Insekten, bei denen sie nicht selten sogar
noch während des ganzen Larvenzustandes (bei den Diptern)
fehlen. Es möchte dieses indessen wohl dahin zu deuten
sein, dass die Antennen nicht etwa, wie man es bisher nach
der anatomischen Anordnung ganz allgemein angenommen
hat, mit den Fresswerkzeugen zu demselben Körperabschnitt
gehören, sondern ein eignes davon verschiedenes System von
Segmenten bilden, dessen schon oben unter der Bezeichnung
des Vorderkopfes Erwähnung geschehen ist. Eine Bestäti-
gung dieser Vermuthung finde ich darin, dass bei den Stoma-
topoden auch wirklich ein solcher Abschnitt als ein selbst-
ständiger, aus mehreren Segmenten bestehender Theil sich
vorfindet. In allen übrigen Fällen dagegen ist derselbe ohne
nachweisbare Gliederung und auch stets mit dem eigentlichen
Kopf, der die Mundöffnung trägt, verschmolzen; ein Verhält-
niss, welches wir in analoger Weise so sehr häufig auch
bei den übrigen Abschnitten antreffen.
In seiner höchsten Entwicklung, bei den sogenannten
Podophthalmen, besteht der Vorderkopf aus dreien Gür-
teln, die dann stets, auch da, wo dieselbe nicht als gesonderte
Segmente vorhanden sind, durch drei entsprechende Paare
von Anhängen nachgewiesen werden können. Das erste
Paar derselben trägt unter solchen Umständen an seiner
Spitze die Gesichtswerkzeuge, während die beiden hintern,
die (gemäss dem Typus der Extremitätenbildung bei den
Crustaceen) gespalten und in ihren einzelnen dadurch ent-
standenen Theilen auf eine verschiedene Weise entwickelt
sind, als Antennen erscheinen. Die Verbindung der Augen
mit dem vordersten Paare dieser drei Extremitäten kann ich
nur für eine zufällige halten, nicht aber für wesentlich. Der
sogenannte Augenstiel ist nach meiner Meinung ein ganz
gleiches Gebilde, wie die dahinter liegenden Antennen, nur
rudimentärer als diese — ein Umstand, der vielleicht eben
gerade von der eigenthümlichen Verwendung desselben und
der Verbindung mit jenen Sinnesorganen abhängt. Dass die-
selben niemals in anderer Gestalt auftreten, als in der von
Augenstielen, möchte wohl kaum gegen diese Ansicht spre-
chen und noch viel weniger beweisen (wie Zaddach!) ver-
muthet), dass die Entstehung der Gesichtswerkzeuge auf eine
Gliedmassenbildung zurückzuführen sei. Wie z. B. wäre es
möglich, den Augen der Arachniden ein besonderes Segment
zu vindiciren? Mit der oben ausgesprochenen Ansicht da-
gegen, dass jene Verbindung mit dem ersten Paare der am
Vorderkopf befestigten Gliedmassen nur eine zufällige sei,
lässt jede andere Lage dieser Sinneswerkzeuge sich leicht
vereinigen. Ueberall wo jene Extremitäten nicht gebildet sind,
unter den Crustaceen bei den sogenannten Edriophthalmen,
sowie bei den Insekten, behalten dieselben ihre ursprüngliche
Lage am Vorderkopf oder auch, wenn dieser vollkommen
fehlt, und der Kopf mit dem Thorax verschmolzen ist, auf
dem sogenannten Cephalothorax. Ein solches Verhältniss findet
1)RA7a. 20: 18.214.
97
eine sehr passende Analogie in der verschiedenen Lagerung
des muthmasslichen, von v. Siebold!) entdeckten Gehör-
organes bei den Orthoptern. Auch solches wird, wie wir
durch diesen ausgezeichneten Anatomen erfahren haben, mit-
unter (bei den Locustinen) von den Extremitäten des Thorax
an sich gerissen, während es bei den Acridiern eine ab-
weichende Lage am Vordertheil des Abdomen darbietet.
Ueberdies spricht endlich die Entwicklung der Augenstiele,
wie sie Rathke z. B. beim Flusskrebs gefunden hat, voll-
kommen zu Gunsten unserer Meinung. Im Anfang der Ent-
wicklung, vor dem Erscheinen der Augen, gleichen die stiel-
förmigen Träger dieser Organe ganz den ersten Rudimenten
der Antennen.
Nach der Entwicklung der gesammten drei Fühlerpaare
bei dem eben genannten Gliederfüssler zu urtheilen, bilden
sich übrigens die Segmente des Vorderkopfes mit ihren resp.
Gliedmaassen in continuirlicher Reihenfolge nicht von vorn
nach hinten, wie die Gürtel der eigentlichen Leibesabschnilte,
sondern von hinten nach vorn. Der gesammte Vorderkopf
erscheint somit, ganz wie das Postabdomen, weit eher als
ein Anhang des Körpers oder vielmehr des Primitivtheils,
denn als ein integrirender Abschnitt desselben. Nur für diese
gilt das oben angeführte Gesetz der Entwicklung von vorn
nach hinten. In Uebereinstimmung mit diesem Verhalten
ist es, dass der Vorderkopf, wenn er anfängt rudimentär zu
werden, nicht seine hintern, sondern seine vordern Glieder
verliert. Bei den Arthrostraken besteht derselbe jederseits nur
noch aus zwei Segmenten, die durch die anhängenden Anten-
nen (die offenbar den beiden Fühlerpaaren der Podophthal-
men entsprechen) repräsentirt sind, bei den sechsfüssigen
Insekten und den Myriapoden sogar nur aus einem einzigen
Ringe, dessen Anhänge man gewiss mit Recht dem letzten
Antennenpaar jener erstgenannten Krebse parallelisiren darf.
Bei den meisten Entomostraken endlich (mit Ausnahme der
I) Wiegmann's Arch, 1844. I, S, 53.
98
Siphonostomen und Lernäaden })), sowie bei den Spinnen ist
eine jede Spur des Vorderkopfes verschwunden. Die An-
tennen fehlen diesen Arthropoden, denn das, was man bei
den Entomostraken als solche wohl ansieht, hat in der Mehr-
zahl der Fälle (bei Daphnia z. B.), wie wir sogleich sehen
werden, eine ganz andere Bedeutung.
Mit Ausnahme der Stomatopoden hat übrigens, wie schon
erwähnt ist, der Vorderkopf überall seine anatomische Selbst-
ständigkeit aufgegeben. In allen andern Arthropoden ist
derselbe mit dem folgenden Abschnitt, mit dem eigentlichen
Kopf verschmolzen. Dieser nun besteht, wo er vollständig
entwickelt ist, aus vier Gliedmaassenpaaren mit deren resp.
Gürteln, welche letztere freilich stets mehr oder minder voll-
kommen zu einem gemeinschaftllichen kapselartigen Gebilde
unter einander zusammenhängen. Die Gliedmaassen des-Kop-
fes sind die Oberlippe, die beiden Mandibeln und zwei Paare
sogenannter Maxillen, von denen die hintern bei den sechs-
füssigen Insekten in der Medianlinie mehr oder minder zu
einem unpaaren Theil, der Unterlippe, mit einander ver-
schmolzen sind.
Die Oberlippe muss man nach ihrer ganzen Entstehung
zu der von den Ventralanhängen der Körpersegmente ge-
bildeten Organengruppe hinzurechnen. Dass sie beständig
unpaar 2) ist, kann wohl kaum die Inconsequenz rechtferti-
gen, deren man im Gegentheil sich schuldig macht. Finden
wir doch so häufig, dass bestimmte seitlich symmetrische
Gebilde bei den Thieren mit lateralem Typus durch ein un-
paares mittleres Element ersetzt werden. So auch hier. Statt
zweier seitlichen Anhänge entwickelt sich nur ein einziger
in der Medianlinie. Dass solches aber hier der Fall ist, scheint
auf der andern Seite wiederum für die Unabhängigkeit des
1) Bei einigen Lernäaden, wie bei Penella und Lernaeocera gehen übrigens diese
Fühler im Lauf der Entwicklung wiederum verloren. Vrgl. v. Nordmann’s Mi-
krographische Beiträge. Th. I.
2) Bei manchen Käfern scheint dieselbe wirklich noch die Andeutungen zweier
seitlichen Stücke zu enthalten. Vergl. Brulle in den Annal, des scienc. natur.
1844. T. I. p. 271.
99
Kopfes von dem Vorderkopf zu sprechen. Bei Weitem in
der grössern Mehrzahl der Fälle finden wir ein derartiges
Verhältniss nicht inmitten einer fortlaufenden Reihe homo-
loger paariger Gebilde, sondern an dem einen oder andern
Ende derselben. — Von allen den verschiedenen Anhängen der
Segmente scheint (auch bei den Insekten?) die Oberlippe
zuerst zu entstehen. Sie erscheint als eine warzenförmige
Hervorragung am vordern Ende des Primitivstreifs, die mei-
stens zu einer queren Platte sich ausbildet, in andern Fällen
(bei den Entomostraken und auch den Pycenogoniden) aber zu
einem kurzen Rohre, welches dann auf der Spitze die Mund-
öffnung trägt und als Saugröhre functionirt. In dieser Form
persistirt sie nicht selten (bei den Siphonostomen und Pyeno-
goniden })), während sie sonst (z. B. bei Cyclops?), bei den
Lernäaden u. s. w.) späterhin ebenfalls, indem die hintere
Wand allmählig schwindet, zu einem plattenförmigen Gebilde
wird. Dahinter nun entstehen die übrigen Anhänge des Kop-
fes, zuerst die Mandibeln, später die Maxillen, die vordern
und hintern, bald (bei den höhern Krebsen, sowie den mei-
sten Insekten) in rascher Reihenfolge nach einander, bald
aber auch erst nach einem geraumen Zeitabschnitt, nachdem
bereits die Beine des Thorax, wenigstens die vordern, ange-
legt sind. Letzteres ist besonders bei den mit einem Saug-
rüssel versehenen Entomostraken der Fall (wo durch diese
späte Entstehung der Kiefer überdiess noch manche andere
inseressanle Metamorphosen möglich werden), aber auch, nach
der Entdeckung von Kröger3), bei den Pyenogoniden und
selbst bei manchen Insekten (besonders Diptern), wo dann die
Maxillen, und zwar meist bloss die untern, während des
ganzen Larvenzustandes fehlen.
1) Erichson (a, a. O0. S. 10.) hält die Oberlippe bei den Pycnogoniden für die
Zunge, doch nach der von Kröger beobachteten Entwicklung dieses Theiles
gewiss mit Unrecht. Vergl. Naturhist. Tidssk. N. R. I. p. 30, oder Oken’s
Isis. 1841. S. 717.
2) Vergl. Rathke, Entwicklungsgesch. des Menschen u, der Thiere. II. S. 93.
S)mIzRC.
7 *
100
Das eben angeführte Verhältniss in der Entwicklung der
Fresswerkzeuge scheint mir bei der Beurtheilung der Frage
nach der Relation dieser Gebilde wohl zu berücksichtigen.
Manchfach ist nämlich die Behauptung aufgestellt worden,
wie namentlich von Burmeister und auch neuerlich wieder
von Zaddach!), dass die Fresswerkzeuge, wenigstens die
beiden Unterkieferpaare, nicht dem Kopf, sondern eigentlich
der Brust angehörten. Ihre Verbindung mit dem erstern
würde hiernach nicht wesentlich sein und keineswegs in der
typischen Anordnung des Kopfes seine Begründung haben.
A priore lässt sich diese Behauptung um so weniger zu-
rückweisen, als wir sehen, dass bei einer Verschmelzung des
Kopfes mit dem dahinter liegenden Thorax bald (bei den
Spinnen) wirklich diese Anhänge — vollkommen aber nur
das hintere Maxillenpaar — den eigentlichen Beinen ganz
conform werden und als Gehwerkzeuge functioniren, bald
auch (bei den höhern Krebsen) die eigentlichen Thoracalan-
hänge alle (Stomatopoden und Decapoden, mit Ausnahme der
sogenannten Schizopoden, von Hippolyte u. a. m.) oder nur
mit ihrem vordern Paare (Arthrostraken) zu Hülfskiefer sich
umbilden und den Fresswerkzeugen sich anschliessen.
Indessen scheint es mir, als sei eine derartige Annahme
bloss durch eine zu einseitige Betrachtung solcher bei den Spin-
nen und höhern Krebsen vorkommenden Entwicklungsweise
entstanden. Gerade bei diesen Arthropoden aber sind wegen
des eigenthümlichen Zusammenhangs von Kopf und Brust die
Verhältnisse minder klar. Leicht kann hier eine Auffassung,
wie die von Burmeister, eine grosse Wahrscheinlichkeit
gewinnen, wenn man sieht, wie die hintern Kiefer und die
Beine der Brust nicht nur in continuirlicher Folge hinter ein-
1) Zaddach, der den Vorderkopf nicht als einen besondern Abschnitt des Kör-
pers unterscheidet, zählt am Kopf — da, wo er am vollständigsten entwickelt
ist — drei oder vier Anhänge, die (?) Augenstiele, Antennen und Mandibeln,
Die Maxillen gehören mit den folgenden drei Segmenten (die ich mit Erichson
allein als Theile des Thorax ansehen kann) zu der folgenden Abtheilung des
Leibes, zu der Brust,
101
ander entstehen, sondern auch eine gleichmässige Form dar-
bieten (letzteres jedoch, wie wir noch sehen werden, mit °
einigen Ausnahmen, die sehr augenfällig für die Ansicht von
Erichson sprechen). Bei den Entomostraken jedoch und
den Insekten sind die Verhältnisse anders. Wenn wir nun
auch die erstern hier nicht als beweisend anführen wollen,
weil bei ihnen die morphologische Anordnung vielleicht manch-
fache Zweifel und verschiedenartige Deutungen zulassen möchle,
so scheinen doch die Insekten die Richtigkeit der gewöhnlichen
Annahme zu erweisen. Bei ihnen bilden sich Maxillen und
Beine unabhängig von einander und so wenig allgemein in
continuirlicher Reihenfolge, dass die letztern nicht selten in
der Zeit ihrer Entstehung den erstern vorausgehen. Es wäre
aber eine sehr auffallende Verletzung des schon oben erör-
terlen Gesetzes, wenn in diesen Fällen die hintern Anhänge
der Brust eher hervorkeimen sollten, als die vordern. Wo
sonst ein derartiges Verhältniss stattfindet, am Vorderkopf,
so wie vielleicht am Postabdomen, lassen stets bestimmte,
mit der ganzen Entwicklungsart der betreffenden Abschnitte
in Uebereinstimmung stehende Gründe dafür sich angeben
— was aber hier kaum möglich sein möchte.
Ausserdem sehen wir, wo der Kopf vom Thorax abgeson-
dert ist, überall an jenem erstern die angeführten drei Kie-
ferpaare. Selbst bei Galeodes, wo nur noch eine Spur
‚dieser Sonderung auftritt, und die Taster der Maxillen !) be-
sonders der hintern, schon fast ganz den Gehfüssen gleichen,
selbst hier finden dieselben noch ihre Insertion am Kopfe,
nicht am Thorax.
Was ebenfalls noch zu Gunsten der gewöhnlichen An-
nahme zu sprechen scheint, ist die bei den Insekten ganz
constante Verwachsung des hintern Maxillenpaares zu der
sogenannten Unterlippe. Wie schon oben erwähnt, ist solche
1) Die vergleichende Anatomie liefert den Nachweis, dass die Körper oder Grund-
theile der Kiefer den Coxen der Beine, die Taster derselben den dahinter lie-
genden Gliedern entsprechen. Vergl. Erichson a. a. O., sowie Duges in den
Annal, des science, natur. II. Ser. T, I. p. 7.
102
Verwachsung vorzugsweise nur an dem vordern und hintern
Ende einer fortlaufenden Reihe homologer paariger Gebilde
anzutreffen. Ein anderes Verhalten ist immer als Ausnahme
anzusehen und sehr selten. Im Fall nun wirklich die Ma-
xillen dem Thorax zuzurechnen wären, hätten wir hier eine
solche Ausnahme, da dann nicht das erste Paar der Thora-
calanhänge, sondern das zweite eine Verschmelzung in der
Mittellinie darböte.
Unter solchen Umständen nun glaube ich für die Ma-
xillen ohne grosses Bedenken der Meinung von Erichson
beipflichten zu können, wonach die betreffenden Gebilde als
Extremitäten des Kopfes betrachtet werden und nur — wenn
ich so sagen soll — ausnahmsweise, bei den Spinnen, zu
Gehwerkzeugen, übereinstimmend mit den Beinen des Thorax,
umgewandelt sind.
Die Variationen in der Entwicklung der Anhänge am
Kopfe sind manchfach. Bei manchen Entomostraken, z. B.
bei Acanthocerus !) und bei verschiedenen Parasiten 2) scheint
das hintere Paar der Maxillen zu fehlen, ebenso bei den
Spinnen die Oberlippe. Was das erstere dieser Verhältnisse
betrifft, so reducirt sich dasselbe wohl ganz einfach darauf,
dass hier das hintere Maxillenpaar, welches auch sonst am
spätesten sich entwickelt, überhaupt gar nicht gebildet 3) ist,
1) Nach Schödler a.a. O.
2) Ich kann Rathke (Zur Morphologie u. s. w. S. 122.) nicht beistimmen, wenn
er die Fresswerkzeuge dieser Entomostraken nicht zu den Gliedmaassen des
Leibes rechnet, und als accessorische Entwicklungen auf der Chitinhaut des
Darmkanales ansieht.
3) Nicht in allen Fällen ist übrigens ein derartiges Fehlen von Fresswerkzeugen
auf eine ursprüngliche Hemmung der Entwicklung zurückzuführen. So wissen
wir z. B. durch Kröger’s Entdeckung, dass Pycnogonum Anfangs mit einem
Mandibularpaar verschen ist, welches späterhin wieder verloren geht. Leider
ist über die Entwicklung der Maxillen Nichts bekannt geworden. Um so mehr
ist dieses zu bedauern, als bekanntlich die Stellung dieser Geschöpfe unter den
Abtheilungen der Arthropoden noch immer sehr schwankend ist, und die Mei-
ming von Latreille, Erichson u. A., dass sie den Arachniden zugehörten
(die auf die Deutung des ersten Beinpaares als zweiten Maxillenpaares sich
stützt), in den Angaben von Kröger eben keine Bestätigung findet, Es ent-
wickelt sich das betreffende Gebilde wenigstens auf ganz dieselbe Weise, wie
103
während im zweiten Fall das Fehlen der Oberlippe mit der
gleichzeitigen Abwesenheit des ganzen Vorderkopfes in eini-
gem Zusammenhang zu stehen scheint. Die Anlage der Ober-
lippe nämlich geschieht, nach den Rathkeschen Beohachtun-
gen zu urtheilen, mit den hintern Antennen so ziemlich in
gleicher Höhe — eine Anordnung, die übrigens auch sonst
wohl in der Gruppirung der Anhänge zweier anliegenden,
unvollständig abgegrenzten und verschmolzenen Segmente be-
obachtet wird. Erst später, so scheint es, rücken Oberlippe
und Antennen weiter aus einander, so dass letztere ganz
deutlich vor den erstern zu liegen kommen. Unter solchen
Verhältnissen nun kann die Abwesenheit der Antennen, wie
wir bei den Spinnen sie antreffen, gewiss auch leicht den
Mangel der Oberlippe herbeiführen.
Was nun übrigens die bei den Spinnen !) vorkommende
Umwandlung der hintern Kiefer in Gehwerkzeuge betrifft, so
kann uns diese bei der morphologischen Identität?) der ein-
zelnen Leibesringe und deren Anhänge nicht auffallen, um
so weniger, als wir gleichzeitig wahrnehmen, wie dabei der
Kopf aufhört, als ein besonderer, anatomisch abgegrenzter
Körpertheil zu erscheinen, und mit dem dahinter liegenden
Thorax in eine gemeinschaftliche Masse verschmilzt. Auf
derselben morphologischen Identität beruht auch die Möglich-
keit der bei den höhern Krebsen, bei den Malacostraken, vor-
kommenden Umwandlung der Thoracalanhänge in sogenannte
Beikiefer, in Gebilde, die nach ihrer anatomischen Structur
viel eher den Maxillen, als den Beinen gleichen, obgleich sie,
nicht die dahinter gelegenen Gehwerkzeuge (welche als An-
die übrigen Beine. Ausserdem, glaube ich, muss man auch das eiertragende
Fusspaar der Weibchen bei der Deutung der verschiedenen Leibesanhänge wohl
berücksichtigen und eben diesem, wie es mir scheint, die Bedeutung des dritten
Kieferpaares vindiciren,
1) Ein ähnliches Verhältniss findet sich auch, wie noch unten specieller nachge-
wiesen werden soll, bei den Myriapoden, obgleich für diese Thiere die gewöhn-
liche Angabe ganz anders lautet, f
=) Am auffallendsten ist diese Identität schon anatomisch in der Gestalt und Anord-
nung der Fresswerkzeuge und Thoracalbeine bei Limulus ausgesprochen.
104
hänge des Abdomen gedeutet werden müssen) den eigentli-
chen Beinen der Insekten entsprechen, wie schon Savigny
auf das Ueberzeugendste dargethan hat. In Uebereinstimmung
hiermit steht es denn auch, dass bei diesen Krebsen die
Segmente der Brust (alle, oder nur zum Theil) mit dem Kopfe
verschmolzen sind, nicht, wie bei den Spinnen, der Kopf mit
dem Thorax.
Der Thorax selbst besteht, wie es scheint, überall aus
drei Segmenten und aus einer entsprechenden Anzahl von
paarigen Anhängen. Bei den sechsfüssigen Insekten bilden
diese letztern die drei Paare von Gehwerkzeugen bei den
Arachniden nur die drei hintern Paare, indem, wie angeführt,
das bei denselben vorkommende vordere Paar aus einer Me-
tamorphose der hintern Kiefer hervorgegangen ist. Bei den
Malacostraken dagegen treten diese Thoracalfüsse, als Bei-
kiefer an den Kopf, bald (bei den Podophthalmen) alle,
bald auch nur (bei den Arthrostraken, mit Ausnahme der
Praniziden, wo dieselben Verhältnisse wiederkehren, wie bei
den Podophthalmen, so wie der Lämodipoden, wo zwei Tbo-
racalfüsse verwandelt werden, wenn auch beide nicht gleich
vollkommen) mit ihrem vordern Paare. Im letztern Fall blei-
ben also nur zwei Thoracalbeine, die, wie bei den Myriapo-
den, nach hinten an die Anhänge des Abdomen sich an-
schliessen und mit diesen auch in ihrer Form übereinstimmen.
Uebrigens findet ein solches Verhältniss schon bei einigen
Decapoden eine Andeutung. Auch hier erstreckt sich manch-
mal (bei den Schizopoden, Hippolyte u. s. w.) jene Meta-
morphose nur auf die beiden vordern Anhänge, so dass dann
das hintere Paar in seiner eigentlichen Form persistirt und
als Gehwerkzeug verwendet ist.
Die Entwicklung der Anhänge des Thorax geschieht,
ganz wie es oben auch von denen des Kopfes angeführt ist,
von vorn nach hinten, und ebenfalls so, dass die letzten der-
selben mitunter, wie besonders bei den Milben, aber auch
bei einigen Entomostraken, erst viel später angelegt werden,
als die vordern, erst zu einer Zeit, wo die Jungen schon
105
längst die Eihüllen verlassen haben. Von der Bildung der
Fresswerkzeuge ist übrigens die der Thoracalanhänge ganz
unabhängig, ‘wie die Entomostraken, aber auch manche In-
sekten ganz deutlich beweisen, wo dieselben, wenn auch nur
in ihren vordern Paaren, bereits zu einer Zeit entstehen, in
der die Kiefer noch keineswegs in gesetzmässiger Anzahl
vorhanden sind. Dass aber in andern Fällen die Anhänge
des Kopfes und Thorax, wie die eines gemeinschaftlichen
Abschnittes, in continuirlicher Reihe schnell hinter einander
bervorkommen, ist ganz natürlich, wenn wir nur bedenken,
dass solches eben nur da der Fall ist, wo Kopf und Thorax
mit einander verschmolzen sind und die betreffenden Anhänge
beider Theile auf eine gleiche Weise gestaltet werden.
Von dem höchsten Interesse übrigens ist es, dass auch
unter solchen Verhältnissen bei einigen Decapoden die Meta-
morphose der Thoracalbeine in Beikiefer wirklich eine actuelle
ist. Bei den unausgebildeten Individuen von Hyas, Galathea,
Pagurus !), von Caridina 2), Palaemon und sicherlich noch bei
einer grössern Anzahl3) verwandter Krebse zeichnen sich,
wenn das Abdomen mit seinen Anhängen noch wenig ent-
wickelt ist, die drei Paar Thoracalfüsse vor den Kiefern des
Kopfes durch eine gänzlich abweichende Gestalt aus. Sie
sind von einer’sehr ansehnlichen Länge, von ähnlicher Form,
wie anfänglich die Abdominalbeine von Astacus marinus, und
dienen, gleich diesen, als Locomotionswerkzeuge, als Schwimm-
füsse. Hier also treten die betreffenden Anhänge unter Ver-
hältnissen auf, welche zu auffallend an die bei den Insek-
ten und Spinnen vorkommende Anordnung erinnern, als
dass man die völlige Analogie mit den Thoracalbeinen die-
ser Arthropoden verkennen könnte. Wie aber nun hier-
durch auf der einen Seite die Meinung von Burmeister,
1) So nach den Beobachtungen von Rathke (in den Beiträgen zur vergleichenden
Anatomie und Physiologie).
2) Vergl. Joly in den Annal. des scienc. nat, 1843. T. XI. p. 57.
3) So z. B., nach den Beobachtungen von De Gane (Ann. of nat, hist. 1840. und
Froriep’s N. Not. 1840, N. 265.), wahrscheinlich auch bei Careinus Maenas.
106
Milne Edwards u. A. widerlegt wird, dass die Abdomi-
nalfüsse der Decapoden u. a. Krebse den Thoracalfüssen der
Insekten zu parallelisiren seien, und die grössere Anzahl der
Kiefer bei den Krebsen einfach aus einer Vermehrung der
schon bei den Insekten vorkommenden Anhänge des Kopfes
hervorginge, so liefert das vorliegende Verhältniss auch auf
der andern Seite, meiner Ansicht nach, einen neuen Beweis,
dass die drei hintern Beikiefer der Podophthalmen einem
eigenen, von den vordern entsprechenden Gebilden verschie-
denen Abschnitte angehören, dass also nicht, wie Burmei-
ster und Zaddach will, ebenfalls die den letztern entspre-
chenden zwei Unterkieferpaare der Insekten dem Thorax zu
vindieiren seien.
Bei. Astacus marinus ist während der Fötalperiode die
Gestalt und Function der Thoracalfüsse, wenigstens der bei-
den hintern Paare ganz ähnlich. Das vordere Paar dagegen
ist vollkommen den davorliegenden Unterkiefern gleich. Sei-
nen Grund möchte übrigens dieser letztere Umstand vielleicht
in der verhältnissmässig schon früh auftretenden Bildung der
Abdominalglieder finden, die eine derartige Vertretung durch
die eigentlichen Thoracalbeine, wenigstens in der ganzen Aus-
dehnung, unnöthig macht. Wo das Abdomen noch frühzei-
tiger mit seinen Extremitäten sich entwickelt, bei A. fluviatilis,
treten gleich von Anfang an alle drei Thoracalbeine in einer
den Maxillen ganz analogen Gestalt auf.
Bei den Entomostraken erscheinen die paarigen Anhänge
des Thorax im Anfang ebenfalls als mächtige Schwimmfüsse.
Nur die Daphniiden machen eine Ausnahme, die aber wahr-
scheinlich dahin sich reduciren möchte, dass dieselben viel
später ausschlüpfen, als die übrigen verwandten Crustaceen,
und die frühern Stadien der Entwicklung, gerade diejenigen,
in welchen sonst die Thoracalanhänge jene Form darbieten,
noch im Innern der Eihüllen durchlaufen. Nach den Beob-
achtungen von Jurine!) scheinen wenigstens im Allgemeinen
1) Hist, nat, des Monocles Gen. 1820,
die Vorgänge der Entwicklung nur unbeträchtlich zu defferi-
ren. Die Thoracalbeine entstehen übrigens bei den Entomo-
straken viel früher, als sonst gewöhnlich. Zur Zeit ihrer
Bildung ist von den Anhängen des Kopfes allein erst die
röhrenförmige Oberlippe angelegt. Hierin hat es denn auch
wohl seinen Grund, dass die Thoracalfüsse meistens entweder
dicht hinter jener Oberlippe hervorkeimen (z. B. bei Ler-
naeopoda, Balanus), oder selbst (bei Cyclops !)) zu den Seiten 2)
derselben. Nur in seltenen Fällen sind Oberlippe und vor-
dere Brustanhänge durch einen grössern Zwischenraum von
einander getrennt. So schien es mir z. B. bei den Embryo-
nen von Caligus.
Wenn nun aber später dicht hinter der Oberlippe die
Fresswerkzeuge entstehen, so rücken die beiden vordern
Paare der Thoracalbeine bis vor die Mundöffnung oder doch
bis zu deren Höhe empor, wenn sie nicht schon gleich An-
fangs diese Lage innehatten, während das letzte Paar immer
mehr nach hinten davon sich entfernt. So wird es möglich,
dass die Kiefer — ein Verhältniss, welches beim ersten Blick
so sehr paradox scheint — hinter den vordern Anhängen
des Thorax ihre Lagerung haben. Manche Entomostraken
besitzen übrigens im Anfang nur die beiden ersten Thoracal-
beinpaare, wie viele Milben. So z.B. Achtheres, Tracheliastes,
Anchorella. Indessen ist es noch zweifelhaft, ob in solchen
Fällen das letzte Paar auch wirklich nachgebildet wird, und
nicht vielmehr beständig fehlt.
Sehr abweichend von der eben gegebenen Deutung der
Schwimmfüsse bei den Embryonen der Entomostraken, die
mit allen ihren Consequenzen zuerst von Erichson aufge-
stellt worden ist, hat neuerdings Zaddach die betreffenden
Gebilde für die Anhänge des Kopfes erklärt. Er parallelisirt
sie — gemäss seiner Ansicht von dem Bau dieses Abschnit-
1) Vergl. Rathke, Entwicklungsgesch. Th. I. S. 93.
2) Ganz analog ist die primäre Lagerung der Antennen zu der Oberlippe bei Astacus
(nach Rathke a. a. O.); nur sind es hier natürlich nicht die vordern Paare
dieser Anhänge, die zu den Seiten der letztern liegen, sondern- die hintern,
108
tes — den zwei Antennenpaaren und den Mandibeln der
Malacostraken. So wenig ich indessen der Anschauungsweise
dieses Zoologen von der Zusammensetzung des Kopfes bei-
stimmen kann, eben so wenig scheint mir auch diese Deu-
tung der Schwimmfüsse in Uebereinstimmung mit der mor-
phologischen Anordnung zu sein. Gerade die Entwicklungs-
geschichte, auf welche Zaddach verweist, verhindert nach
meiner Ansicht eine derartige Auffassung und rechtfertigt
die ältere Annahme. Niemals werden, so viel wir bis jetzt
wissen, die hintern Paare der Ruderfüsse zu den Mandibeln.
Im Gegentheil bilden sich diese, wie Rathke für Cyclops
nachgewiesen, ganz selbstständig mit den dahinter liegenden
Maxillen in der Lücke zwischen der Mundöffnung und dem
letzten Thoracalbeinpaar, welches durch seine Lage, wie es
scheint, beständig, auch im ausgebildeten Zustand, als ein
Gliedmassenpaar der Brust sich kund giebt. Das aber die
vordern Ruderfüsse der Entomostraken mit diesem letztern zu
demselben Abschnitt gehören, möchte wohl kaum in Zweifel
gezogen werden können. Auch unterscheiden sie sich, selbst
nach der spätern Metamorphose, von den Antennen der Ma-
lacostraken in mehrfacher Beziehung so auffallend, dass schon
Straus-Dürckheim und Rathke sie davon trennen zu
müssen glaubten und sie als umgeänderte Fusspaare betrach-
teten — eine Deutung, die vollkommen mit der Entwicklung
im Einklang steht. Dass die betreffenden Anhänge bei ihrer
Entstehung mit den Kopfgliedmaassen mancher Malacostraken
in Gestalt übereinstimmen, was Zaddach hervorhebt, kann
nur zeigen, dass beiderlei Gebilde morphologisch einem glei-
chen Plan und Typus angehören, nicht aber, dass sie auch
in ihrer Relation zu den Abschnitten des Körpers zu paralle-
lisiren seien. Als nothwendig für die Annahme von Erich-
sor bezeichnet Zaddach den Nachweis, dass die sogenann-
ten Antennen zu irgend einer Lebenszeit hinter den Mandi-
beln liegen. Allerdings würde hierdurch der Streit leicht
geschlichtet werden können. Leider aber ist ein solcher
Nachweis nicht zu liefern — doch nur aus dem Grunde,
109
weil, so viel wir bis jetzt wissen, die Mandibeln immer erst
zu einer Zeit erscheinen, in der bereits die vordern Thoracal-
anhänge ihre Lage vor der Mundöffnung oder zu deren Sei-
ten eingenommen haben.
Wie übrigens die Brustgliedmaassen der Decapoden,
welche Anfangs als Schwimmfüsse functioniren, später eine
Aenderung ihrer ursprünglichen Form erleiden, so auch die
der Entomostraken. Die Metamorphosen derselben sind bei
den letztern Crustaceen sogar noch viel auffallender und
manchfacher. Sie wechseln nicht bloss in den einzelnen
Gruppen und Arten, sondern hier und da, bei den Lernäa-
den !), selbst in den einzelnen Geschlechtern. Niemals, wie
es scheint, bleiben alle drei Paare, was sie Anfangs waren,
Schwimmfüsse. Bald behält nur (wie bei Daphnia, Lynceus
u. s. w.) das mittlere, bald nur (bei Apus) das hintere Paar
diese Bedeutung. Es zeigt dann, im entwickelten Zustand,
eine Verästelung und ansehnliche Grösse. Das vordere Paar,
mitunter auch (bei den Cyclopiden) zugleich das mittlere, ver-
wandelt sich bei der Mehrzahl der Entomostraken in ein ein-
faches antennenförmiges Gebilde, während das letzte in seiner
Gestalt zwischen den Kiefern und den Abdominalanhängen
gewöhnlich die Mitte hält, oder auch wohl vollkommen den
Bauchfüssen gleicht, wie bei den Cirripedien, Lophyropoden
und manchen Copepoden (z. B. Pontia)2). In der Gruppe der
Siphonostomen und Lernäaden wird das erste Beinpaar des
Thorax zu,Klammerfüssen, ebenso meistens die übrigen Paare,
wenngleich dieselben häufig eine etwas verschiedene Gestalt
darbieten. Bei den weiblichen Lernäaden verwächst später
das dritte Krallenfusspaar in der Medianlinie entweder bloss
an der Spitze oder auch bis zur Basis zu einem ganz eigen-
thümlichen Haftapparate.. Ebenso die vordern Thoracalbeine
1) Ueber die Entwicklung dieser interessanten Formen vergleiche man die schon
oben erwähnten sehr schönen Untersuchungen von v. Nordmann,
3) Will man in diesen Fällen nicht das vordere Paar der Blattfüsse für das dritte
Paar der Thoracalbeine halten, so muss man annehmen, dass dasselbe völlig ge-
schwunden sei.
110
bei den Cirripedien zu dem sogenannten Stiel (Lepas) oder
dem Gehäuse (Balanus). In manchen Fällen schwinden auch
wohl die Thoracalfüsse im Lauf der Entwicklung. So bei
Apus'!) das mittlere Paar, bei den Männchen mancher Ler-
näaden das vordere, bei Ergasilus das hintere. Bei Chon-
dracanthus, Epachthes, Penella, Lernaeocera gehen selbst alle
drei Paar durch eine rückschreitende Metamorphose wie-
derum verloren ?).
Derselbe anatomische Zusammenhang, welcher in der
Abtheilung der Arthropoden so häufig zwischen Vorderkopf
und Kopf, zwischen Kopf und Thorax angetroffen wird, findet
sich mitunter selbst zwischen dem Thorax und dem nach-
folgenden Abdomen. Auch diese beiden Abschnitte sind
nicht immer von einander getrennt und nach der Entwick-
lung ihrer Segmente und Extremitäten unterschieden. Häufig
verschmelzen sie mit einander, entweder in ganzer Ausdeh-
nung), oder nur zum Theil, wenn nämlich der Thorax, wie
z. B. bei den Arthrostraken, in seiner vordern und hintern
Hälfte eine verschiedene Entwicklung darbietet. In solchen
Fällen zeigen denn auch die Anhänge der betreffenden Ab-
theilungen eine gleiche Gestalt und Entwicklung, wenn anders
die Ringe des Abdomen überhaupt damit versehen sind. Wie
schon erwähnt, fehlen dieselben bei den sechsfüssigen Insek-
ten und Spinnen.
Die Zahl der Segmente am Abdomen ist nicht in allen
1) Vergl. Zaddach, de apodis cancriformis anatome et historia evolutionis. —
Mit Unrecht hält Erichson (a. a. 0. S. 22.) die oben erwähnten Schwimm-
füsse für die mittlern Thoracalbeine, so wie die ersten Abdominalfüsse für die
letzten Anhänge der Brust,
2) Die verschieden geformten ungegliederten und unbeweglichen Anhänge am Vor-
derkörper dieser Entomostraken sind nicht etwa aus einer Metamorphose von
Beinen entstanden, sondern selbstständige Bildungen.
3) Wo in soichen Fällen schon der Kopf mit dem Thorax zu einem sogenannten
Cephalothorax zusammenhängt, bilden dann alle drei Abschnitte anatomisch nur
eine einzige grosse Abtheilung. So bei den Podophthalmen, bei denen sogar
mitunter (Squilla) das vordere Gliedmaassenpaar des Abdomen noch zu einem
Hülfskieferpaar wird, indem es dieselbe Metamorphose eingeht, wie die Anhänge
des Thorax.
111
Gruppen der Arthropoden dieselbe. Sie ist vielmehr man-
chen Schwankungen unterworfen, und grössern, als die Zahl
der Segmente an den vorhergehenden Abschnitten des Lei-
bes. Bei den Malacostraken ist dieselbe im Allgemeinen fünf,
bei den sechsfüssigen Insekten zwei mal fünf. Schon hier
aber treten manchfache Abweichungen ein. Während bei
den Malacostraken nur selten (z. B. bei Bopyrus) der letzte
Gürtel unentwickelt bleibt, finden sich bei den Insekten in
der Mehrzahl (doch nicht!) überall) nur neun Abdominalseg-
mente, hie und da selbst (z. B. bei den Hydrocanthariden)
nur acht, von denen dann noch dazu die letzten im ausge-
bildeten Zustand auf eine merkwürdige Weise zu den Begat-
tungsorganen metamorphosirt worden sind. Zwischen fünf
und zehn scheint auch die Zahl der betreffenden Ringe bei
den Arachniden zu schwanken. Vier Abdominalsegmente,
wie bei Bopyrus, finden sich ebenfalls bei einer grossen Menge
von Entomostraken, doch fehlt es auch hier nicht an Aus-
nahmen. Am auffallendsten sind diejenigen Fälle, in denen
die Zahl um ein sehr Bedeutendes sich vermehrt hat. So
besonders bei Apus, so auch bei den Myriapoden.
Wo Gliedmaasen an dem Abdomen vorkommen, sind
dieselben vorzugsweise Bewegungsorgane, bald (bei den Po-
dophthalmen, mit Ausnahme der Schizopoden u. e. a.) allein,
bald auch in Gemeinschaft mit einigen (Arthrostraken, manche
Entomostraken) oder allen (Myriapoden) Anhängen des Tho-
rax?2). So wenigstens ist das Verhältniss bei den völlig aus-
1) Vergl. meine Untersuchungen über die Anatomie und Morphologie der Geschlechts-
organe $. 58. Aus diesem Grund kann ich auch Stein (a. a. ©. S. 23.) nicht
beistimmen, weil dieser das 10. Abdominalsegment mancher Insektenlarven nicht
für ein Segment, sondern für die nach aussen vorgestülpte innere Auskleidung
des Rectum erklärt. Ueberdiess wäre es hierbei auffallend, dass, wie doch nicht
selten der Fall, das betreffende Gebilde eben so wie die vorliegenden Segmente
im Stande ist, förmliche accessorische Bewegungsorgane, sogenannte Nachschie-
ber, zu produciren
2) Hierin ist der Grund zu suchen, wesshalb man so lange, hier und da selbst noch
jetzt, das Abdomen mit dem Thorax der sechsfüssigen Insekten und Spinnen
zusammengeworfen hat, ohne die morphologische Differenz zwischen diesen Ge-
bilden anzuerkennen,
112
gebildeten Thjeren, während, wie wir gesehen haben, in den
frühern Stadien der Entwicklung nicht selten auch die Beine
des Thorax auf analoge Weise verwendet sind. Die Zahl
der Abdominalfüsse stimmt überall mit der der entsprechen-
den Segmente überein, obgleich diese letztern nicht immer
ganz vollständig von einander getrennt sind und hie und da
auch wohl Abdominalsegmente vorkommen, die der Glied-
maassen entbehren, selbst bei den Krebsen, bei denen döch
sonst eigentlich ganz constant solche Bauchgliedmaassen an-
getroffen werden. Das interessanteste Beispiel von dem erstern
Verhalten geben uns die Juliden, bei denen bekanntlich an
einem jeden ausgebildeten Abdominalring zwei Paare von
Gangbeinen sich finden — ein Verhältniss, welches auf eine
sehr früh erfolgte Verschmelzung je zweier Segmente hin-
deutet, von der man Anfangs denn auch wirklich noch einige
Spuren antrifft 1). Bei manchen Lämodipoden fehlen die bei-
den ersten Fusspaare des Abdomen, obgleich die betreffen-
den Gürtel ganz vollkommen entwickelt sind. Wahrschein-
lich aber waren auch hier Anfangs die Beine entwickelt,
nur erreichten sie nicht ihre völlige Ausbildung und gingen
wieder verloren?2). Hierfür spricht wenigstens der Umstand,
dass mitunter noch ein deutliches Rudiment davon vorkommt
und auch die an denselben Segmenten vorhandenen Kiemen
wohl nur aus der Metamorphose des einen Blattes der Extre-
mitäten hervorgegangen sind. Ueberdiess wissen wir durch
v. Nordmann’s schöne Untersuchungen, dass auch die
Lernäaden, welche im ausgebildeten Zustand der Bauchglied-
maassen meist vollkommen (nur bei Penella, Peniculus u. e. a.
finden sich davon noch einige Ueberbleibsel) ermangeln, an-
fänglich solche Anhänge in Wirklichkeit besitzen.
Der Bauch entwickelt sich von allen Abschnitten am
1) Vergl. Newportl. c.
2) Dasselbe gilt auch für Phryxus, wo bei den ausgebildeten Weibchen, die eine
merkwürdige asymmetrische Gestalt besitzen, an der einen convexen Seite die
Abdominalbeine (mit dem hintern Thoracalbein) vollkommen fehlen, Vergl.
Rathke, Beiträge zur Fauna Norvegens a. a. 0. S. 40.
113
Körper der Arthropoden am spätesten, selbst später, als das
Postabdomen. Nur die Arthrostraken sind in letzterer Bezie-
hung ausgenommen. Bei ihnen geht die Entwicklung der
Leibestheile gleichmässig von vorn nach hinten. In manchen
Fällen ist der Bauch selbst dann noch vollkommen unent-
wickelt, wenn die Embryonen bereits die Eihüllen verlassen
haben. So bei den Decapoden (mit Ausnahme der Astacinen)
Entomostraken (mit Ausnahme der Daphniiden) und Myriopo-
den, bei denen die Glieder des Abdomen erst später, in ge-
setzmässiger Reihenfolge nach einander !), hervorgebildet wer-
den. In andern Fällen, bei den Isopoden, fehlt bei dem
Ausschlüpfea der Embryonen bloss das hintere Glied des
Bauches (wie bei vielen Entomostraken beständig). Die den
Isopoden zugehörende kleine Gruppe der Bopyriden besitzt
anfänglich sogar nur drei Abdominalgliedmaasen. Späterhin
wird bloss noch ein viertes angebildet.
Ueber das Vorkommen und die Entwicklung des Post-
abdomen, des letzten Abschnittes am Körper der Arthro-
poden, ist schon oben das Nöthige angeführt worden. Ueberall
entsteht dasselbe schon sehr früh, mit Ausnahme der Arthro-
straken schon zu einer Zeit, wo der Bauchtheil noch nicht
einmal angelegt ist. Seine völlige Ausbildung erhält das-
selbe erst später. Mitunter bleibt es sogar zeitlebens ganz
rudimentär, wie besonders bei den Lämodipoden (und Pyeno-
goniden?). Ohne Gliederung ist auch das Postabdomen bei
den Xiphosuren, wo es in Gestalt eines langen, geraden
Stachels erscheint. Sonst aber findet man fast immer eine
Abtheilung in Segmente, deren Menge allerdings bedeutend
wechselt und von sehr wenigen (bei manchen Entomostraken)
1) Da, wo das Abdomen den letzten Abschnitt des Körpers bildet, wie bei den
Myriapoden, entstehen übrigens die neu gebildeten Ringe stets nur vor dem
Aftersegmente, so dass dieses von der erwähnten Reihenfolge dann eine Aus-
nahme macht. Den Grund dieses Verhältnisses (welches auch schon bei den
Branchiaten vorkommt) bietet offenbar bloss die Lage des Afters in dem letzten
Segmente, das nicht beständig, bei der Anbildung eines jeden neuen Körper-
ringes, wechseln konnte.
8
114
bis auf sehr viele (z. B. bei den Cirripedien) steigen kann.
Nach der Entwicklungsweise des Postabdomen sollte man fast -
vermuthen, dass hier die Anbildung der Segmente, nicht, wie
gewöhnlich, am hintern, sondern am vordern Ende geschähe,
dass also die dem Abdomen zunächst angrenzenden Seg-
mente die jüngsten seien. Directe Beobachtungen liegen bis
jetzt aber noch nicht hierfür vor. Nur so viel möchte wohl
gewiss sein, dass das letzte Segment des Postabdomen sehr
früh sich bildet und in der Zeit seiner Entstehung den übri-
gen Ringen vorausgeht — unstreitig aus demselben Grunde,
der bei der Abwesenheit des Hinterleibes am Bauche ein
Gleiches für das letzte Abdominalsegment nothwendig macht.
In der Entwicklung der Gliedmaassen bleibt das Postabdo-
men übrigens beständig hinter den vorhergehenden Abschnitten
des Leibes zurück. Sehr häufig werden dieselben gar nicht
angelegt, wie bei den Scorpionen und einer grossen Anzahl
von Entomostraken. In andern Entomostraken bleiben sie
beständig nur sehr rudimentär. Bei den langschwänzigen
Decapoden ist ihre Entwicklung verhältnissmässig noch am
grössesten, obgleich auch hier viel einfacher, als am Abdomen
oder Thorax. Nirgends dienen im ausgebildeten Zustand die
Gliedmaassen des Postabdomen zur Locomotion, wenigstens
nirgends ausschliesslich. Nur bei den Larven von Bopyrus
und Phryxus erscheinen sie anfänglich (nach der interessanten
Entdeckung von Rathke) als Schrwimmorgane, und zwar sie
allein Y), indem die Gliedmaassen des Thorax und Abdomen
schon früh ihre bleibende Gestalt erhalten, Später werden
sie zu Kiemen, deren Bau und Function sie auch sonst so
sehr häufig besitzen.
So viel von den morphologischen Verhältnissen der Ar-
thropoden, von der Anordnung der Abschnitte und Anhänge
des Leibes im Allgemeinen. Schon aus der Menge der den
BORDaR zusammensetzenden Elemente, dieser Träger der ver-
m Es bietet solches Verhältniss, wie es mir scheint, von Neuem einen wichtigen
Grund für die Selbstständigkeit des Postabdomen und dessen morphologische
Verschiedenheit von dem vorhergehenden Bauchtheil.
115
schiedenartigsten formbildenden Processe, lässt der Reich-
thum der Gestalten sich erschliessen, welche den manchfal-
tigen Combinationen dieser einzelnen Factoren ihren Ursprung
verdanken. Keine andere Abtheilung des Thierreichs bietet
eine so unendliche Fülle der differentesten Formen.
Vielfach hat die Systematik versucht, Ordnung und Zu-
sammenhang zu bringen in diese Masse. Linne zerfällte
nach der Anwesenheit und Beschaffenheit der Flügel seine
Klasse der Insekten in eine Reihe von Ordnungen, die zum
Theil noch heute in ihrem ursprünglichen Umfang existiren
und auch wirklich, wie besonders die spätern Untersuchungen
über die Anordnung der Fresswerkzeuge u. s. w. erwiesen
haben, mit wenigen Ausnahmen als sehr natürliche Gruppen
erscheinen. Am wenigsten aber gilt dieser Ausspruch von
der letzten Ordnung Linne’s, von den Aptera, die durch
die Abwesenheit der Flügel vor den übrigen sich auszeichnen
und die differentesten Formen enthalten. Flügellose sechs-
füssige Insekten stehen hier mit Crustaceen, Arachniden und
Myriapoden in einem irrationalen Haufen vereinigt. CGuvier
erkannte sehr wohl das Unzureichende einer solchen Classi-
fication. Er trennte die Crustaceen und Arachniden (nach
dem Vorgang von Latreille) von den Insekten und bildete
daraus zwei besondere, den Insekten gleichstehende Klassen.
Die Myriapoden blieben bei den letztern, anfänglich auch die
Arachniden (mit einem Theil der Crustaceen, den Isopoden,
die in ihrer Leibesform den Myriapoden scheinbar so nahe
verwandt sind). Das Eintheilungsprincip nahm er theils von
dem anatomischen Bau des Athmungs- und Gefässsystemes,
theils auch von der Anordnung des Kopfes und der Anhänge
des Leibes. Noch eine andere Eintheilung der Arthropoden
ist von Savigny, welcher dieselben nach der Zahl der Lo-
comotionswerkzeuge in Hexapoda und Apiropoda zerfällte
und als einen gemeinschaftlichen unterscheidenden Charakter
der letztern Gruppe die (stets die Zahl sechs überschreitende)
Menge der Extremitäten hervorhob. Hiernach gehören dazu
sowohl die Crustaceen, als auch die Arachniden und Myria-
s*
116
poden. Indessen hat die Vereinigung solcher differenten For-
men gewiss mit Recht niemals einen allgemeinen Beifall ge-
funden, obgleich Oken, Goldfuss, Nitzsch und neuer-
dings wiederum Streubel sie als natürlich empfohlen und
angenommen haben. Fast überall dagegen ist man der
Cuvierschen Classification gefolgt, jedoch meistens mit eini-
gen Modificationen, welche vorzugsweise die Gruppe der My-
riapoden betreffen. Während Lamarck (Anfangs), Wieg-
mann u. A. dieselbe mit Cuvier als eine besondere Ord-
nung der Klasse der Insekten zurechnen, Schweigger,
Burmeister, Stein u. A. den Arachniden, Erichson
den Crustaceen, bilden endlich Leach, Latreille, Grant,
Rymer Jones u. s. w. daraus eine eigene den Crustaceen,
Arachniden und Hexapoden gleichstehende Klasse.
Erichson hat das grosse Verdienst, die den Arthropo-
den zugehörenden Guvierschen Klassen zuerst in ihrem
innern Zusammenhang erkannt und nach bestimmten mor-
phologischen Charakteren auf sehr geistreiche Weise von ein-
ander unterschieden zu haben. Bei den sechsfüssigen Insek-
ten, so hat derselbe nachgewiesen, sind Kopf, Brust und
Bauch stets deutlich von einander geschieden, und die beiden
erstern Abschnitte je mit drei Paaren von Extremitäten ver-
sehen, der Kopf mit den Fresswerkzeugen, der Thorax mit
den Beinen. Wie hier, so ist auch bei den Arachniden das
Abdomen ohne Anhänge. Kopf und Brust aber sind mit ein-
ander verschmolzen, wobei zugleich das hintere Paar der
Fresswerkzeuge in das vordere Beinpaar umgewandelt wor-
den. Daher statt drei Paaren von Locomotionsorganen deren
vier. Bei den Crustaceen dagegen ist das Vorkommen der
Gliedmaassen nicht bloss auf den Vorderleib beschränkt. Auch
das Abdomen trägt gegliederte Anhänge und diese besonders
sind es, die hier als Bewegungswerkzeuge ausgebildet sind.
Die Thoracalbeine dagegen sind als accessorische Mundtheile
an den Kopf getreten, entweder alle — und in diesem Fall
sind Kopf und Thorax vollständig verschmolzen — oder nur
zum Theil. So wenigstens bei den höhern Krebsen, den
117
Malacostraken, während bei den Entomostraken eine derar-
tige Umwandlung nicht eingetreten ist. Ueberhaupt, so meint
Erichson!, könnte man diese Arthropoden fast mit dem-
selben Recht von den Crustaceen trennen, wie die Arachniden
von den Insekten. Die Charaktere der Entomostraken sind
eigentlich die der übrigen drei Klassen zusammengenommen:
es enthält nämlich der Mund gerade drei Kieferpaare, wie
bei den Insekten (wenigstens kann man diese Zahl als die
Normalzahl betrachten), es ist der Kopf mit dem Thorax ver-
schmolzen, wie bei den Arachniden, es hat der Hinterleib
den Beinen entsprechende Organe, wie bei den Crustaceen.
Dazu kommt noch ein besonderer, den Entomostraken ge-
meinsamer Charakter dadurch, dass das erste Fusspaar des
Thorax (meistens auch das zweite) vor der Mundöffnung sich
befindet.
Solches ist nach der Ansicht Erichson’s das morpho-
logische Verhältniss der drei Cuvierschen Klassen der Ar-
thropoden. Im Wesentlichen muss ich Erichson vollkom-
men beistimmen, kann aber trotzdem nicht billigen, dass er
theils die anatomischen Charaktere als Eintheilungsprincip
verwirft, theils auch einzelne, meiner Meinung nach, nicht so
sehr gewichtige Momente über Gebühr hervorhebt, Dahin
rechne ich vor Allem den Umstand, dass er als ein ausschliess-
liches Merkmal der Crustaceen die Anwesenheit der Beine
an dem Abdomen hinstellt und denn danach die Myriapoden
den Crustaceen zugesellt, obgleich sie in ihrem ganzen ana-
tomischen Bau viel mehr mit den Insekten und Spinnen über-
einsiimmen und auch, ‚wie wir gleich sehen werden, in der
Anordnung der Fresswerkzeuge von den Krebsen sich ent-
fernen. Allerdings ist die Anwesenheit von Abdominalbeinen
eine Eigenthümlichkeit des Crustaceentypus, doch braucht
dieselbe ja trotzdem eben so wenig auf die Gruppe dieser
Thiere beschränkt zu sein, als z. B. das Vorkommen eines
Postabdomen, welches wir ebenfalls ganz allgemein in den
1) A a 0, S. 20,
118
Crustaceen finden. Wollten wir dieses letztere Verhältniss
als maassgebend für die Klasse der Crustaceen annehmen —
und wir können es gewiss mit demselben Recht, mit welchem
Erichson die Anwesenheit der Abdominalbeine dafür hält —
so müssten wir auch die Scorpionen den Krebsen zurechnen.
Wir dürfen aber nie vergessen, wie schon oben er-
wähnt ist, dass gewisse morphologische Verhältnisse, die
etwa für die eine oder andere Gruppe eine typische Bedeu-
tung haben, mitunter auch in andern Gruppen, wenngleich
vielleicht ohne so unmittelbar von dem ÖOrganisationsplan
verlangt zu werden, sich wiederfinden. Unter solchen Um-
ständen nun sehen wir keinen einzigen zwingenden Grund,
die Myriapoden unter die Krebse einzureihen, wenngleich wir
gern zugeben, dass dieselben eben so wenig den Arachniden,
oder den Hexapoden sich verbinden lassen und von beiden,
wie noch weiter erörtert werden soll, durch bestimmte mor-
phologische Charaktere sich unterscheiden. Wir betrachten
dieselben als eine gesonderte, den übrigen Klassen gleich-
stehende Gruppe.
Somit hätten wir dann in der Abtheilung der Arthropo-
pen vier, oder, wenn man, wie es ganz consequent mir
scheint, noch die Entomostraken von den übrigen Crustaceen
abscheidet, fünf einzelne, von einander scharf gesonderte
grosse Gruppen, die man nach der gewöhnlichen Anschauungs-
weise als eben so viele Klassen ansehen könnte. Fassen wir
aber das Verhältniss, in welchem dieselben zu einander
stehen, näher in’s Auge, so werden wir alsbald bemerken,
dass dieselben keineswegs ganz gleichwerthig sind, dass viel-
mehr die einen näher unter sich verwandt sind, als mit den
andern. Die sechsfüssigen Insekten (unter welche sich, wie
Nitzsch!) so scharfsinnig gezeigt hat, die Aptera hexapoda,
die noch heute bisweilen, wie z. B. von Walkenaer?) als
eine besondere — mit den Spinnen und Myriapoden in der
1) Darstellung der Familien und Gattungen der Thierinsekten. Aus dem dritten
Bande von Germar’s und Zincken’s Magazin für die Entomologie. Halle. 1818.
2) Hist. nat. des Insects apteres. Paris. 1840—48.
Klasse der Aptera zusammenstehende — Gruppe betrachtet
werden, sehr gut vertheilen lassen), die Arachniden und My-
riapoden bieten unter sich eine grössere Uebereinstimmung,
als die höhern Crustaceen (Malacostraken) und Entomostraken,
die wiederum ihrerseits viel inniger zusammenhängen. Bei
den ersteren behalten stets die Thoracalbeine ihre Bedeutung
als Gehwerkzeuge (auch bei den Myriapoden) und ihre Lage
hinter dem Kopfe. Die Athmungswerkzeuge sind hier überall
Tracheen, die (mit Ausnahme von Pteranarcys !), einer Neu-
roptere) im ausgebildeten Zustand beständig nach aussen
münden und in manchfacher Form bald bloss blättrige Säcke ?),
bald auch röhrenförmige, verästelte oder unverästelte Canäle
bilden, in denen die atmosphärische Luft enthalten ist. Dass
derartige Organe, wie man behauptet hat, bei einigen klei-
nern hieher gehörenden Arten, besonders bei Milben und
flügellosen Insekten fehlen, bedarf noch sehr der Bestätigung
und möchte bis dahin wohl mit Recht bezweifelt werden
dürfen.
Anders dagegen ist das Verhältniss bei den Entomostraken
und Malacostraken. Niemals finden sich bei ihnen Tracheen ?).
Sie athmen durch Hülfe besonderer Kiemen, oder, wo diese
fehlen, durch Hülfe der eigens dazu umgebildeten Anhänge
des Postabdomen. Mitunter vertreten auch wohl ganz ein-
fach die äussern Bedeckungen die Stelle der Athmungsorgane.
Dabei ist zugleich das Verhältniss der Thoracalbeine ein sehr
abweichendes. Niemals persistiren dieselben in ihrer geselz-
1) Vergl. Newport, in den Annal. of nat. hist Vol. XII. p. 21.
2) Dass wirklich die Lungensäcke der Spinnen bloss modificirte Tracheen seien,
geht theils daraus hervor, dass letztere in manchen Fällen die erstern vertreten
(vergl. Duges in den Annal, des science. nat, 1836. T. VI., Grube in Mül-
ler’s Archiv 1842. und Menge in den neuesten Schriften der naturf. Ges. in
Danzig 1843), theils auch daraus, dass sie aus demselben eigenthümlichen Stoff
bestehen, dem Chitin, und sehr wohl auf den Bau des Tracheensystemes sich
reduciren lassen, wie ich an einem andern Orte weiter auseinandersetzen werde.
3) Dass die sogenannten Lungen mancher Onisciden (s. Milne Edwards in dem
Instit. 1839, p. 152. und Duvernoy et Lereboullet in den Annal. des scienc.
nat. T. XV. p. 177.) morphologisch von diesen Tracheen verschieden seien, kann
wohl kaum bezweifelt werden.
120
mässigen Zahl als Locomotionswerkzeuge. Sie sind vielmehr,
wenn sie ihre ursprüngliche Lage behalten, entweder alle
oder zum Theil in accessorische Fresswerkzeuge verwandelt.
Als Bewegungsorgane functioniren vorzugsweise die Anhänge
des Abdomen, die beständig vorhanden sind, wenngleich sie
hie und da zum Theil im Laufe der Metamorphose wiederum
verloren gehen. Daneben findet sich auch ganz constant in
den betreffenden beiden Gruppen ein Postabdomen }), in der
Regel ebenfalls mit fussartigen Anhängen versehen.
Unter solchen Verhältnissen nun, glaube ich, zerfällt man
am besten und natürlichsten die Abtheilung der Arthropoden
in die beiden Klassen der Crustacea und Insecta, die-
selben, die auch Dume&ril, sowie Anfangs Cuvier aufge-
stellt hat. Zu der erstern gehören als Hauptordnungen die
Entomostraca2) Latr. (Neusticopoda Car.) und Mala-
costraca Leach, zu der letztern die Myriapoda Latr.,
Arachnida Leach (Acera Latr.) und Hexapoda Sav.
Ueber die morphologische Charakteristik dieser Gruppen habe
ich nur Weniges hinzuzufügen. Sie ergiebt sich ganz einfach
aus einer Zusammenstellung der oben erwähnten allgemeinern
Verhältnisse. Kaum scheint es mir nöthig, nochmals hier zu
erwähnen, wie das Verhältniss der Entomostraken zu den
Malacostraken, der Arachniden 3) zu den Hexapoden sei, dass
1) In dem Fehlen dieses Abschnittes bei den Myriapoden sehe ich einen neuen
Grund zur Trennung dieser Arthropoden von den Crustaceen.
2) Der sehr innige Zusammenhang zwischen den verschiedenen Formen der Ento-
mostraken geht sehr überzeugend auch aus der fast ganz vollkommnen Ueber-
einstimmung hervor, welche die erstern Larvenzustände dieser Crustaceen dar-
bieten.
3) Von vielen Zoologen werden zu den Arachniden auch die Pycnogoniden gestellt.
Doch, wie mir scheint, mit Unrecht. Der Rüssel dieser merkwürdigen Arthro-
poden erinnert zu sehr an die Oberlippe der Crustaceen, der hintere conische
Fortsatz des Leibes zu sehr an das Postabdomen der Lämodipoden, als dass
man umhin könnte, sie anders zu deuten. Beides aber sind Gebilde, die den
Arachniden vollkommen fremd sind, wohl aber den Crustaceen ganz allgemein
zukommen. Ueberdiess fehlen Tracheen und Stigmata vollkommen. Die vier
beintragenden Segmente möchte ich für die Glieder des Abdomen halten, deren
Zahl auch bei den Bopyriden nicht grösser ist. Dann allerdings würden alle
etwa einem Thorax angehörenden Theile fehlen, doch kann uns, meine ich, die-
die Malacostraken durch die verhältnissmässig mächtige Ent-
wicklung des Vorderkopfes !) sich auszeichnen, die Arachni-
den durch die völlige Abwesenheit dieses Abschnittes u. s. w.
Nur über die Gruppe der Myriapoden muss ich noch Einiges
hinzufügen, um so mehr, als Savigny?) und nach ihm
Erichson?) hier das Verhältniss des Kopfes zum Thorax,
nach meiner Meinung, nicht ganz richtig aufgefasst haben
und denn dadurch auch zu falschen Ansichten über die Stel-
lung dieser Thiere verleitet sind. Nach der Deutung dieser
beiden Zoologen besteht nämlich die auf die Mandibeln zu-
nächst nach hinten folgende sogenannte Unterlippe aus den
beiden Paaren Maxillen, die in einer Reihe neben einander
stehen und unter sich verschmolzen sein sollen. Einer sol-
chen Deutung indessen kann ich nicht beistimmen. Ich sehe
vielmehr darin nur ein einziges Maxillenpaar*), und zwar
ses in unserer Deutung um so weniger irre machen, als wir überhaupt ja sehen,
wie rudimentär und wenig entwickelt der ganze Vorderkörper dieser Thiere ist.
Vielleicht liesse selbst der erste gliedmaassentragende Ring des Leibes als letz-
tes Thoracalsegment sich in Anspruch nehmen, wobei dann allerdings die Zahl der
Abdominalsegmente noch um eins verringert würde. Sehen wir doch auch schon
bei den Lämodipoden die beiden vordern Brustringe sehr verkümmert. Leider
hat die Entwicklungsgeschichte trotz den schätzbaren Angaben von Kröyer noch
wenig zur Deutung des Körperbaues bei diesen Thieren beigetragen. Dass die
ersten Larvenzustände der Pycenogoniden einige Aehnlichkeit mit Milben dar-
bieten, hat man nach meiner Meinung zu hoch angeschlagen, wenn man dadurch
in der Gruppirung dieser Thiere (die, wie Milne Edwards sagen würde, wirk-
liche animaux degrades sind) sich allein wollte leiten lassen. Auf der andern
Seite findet sich auch einige Analogie mit den Larven der Entomostraken, wenn
wir die Schwimmbeine derselben in Geh- und Klammerbeine verwandelt uns
denken. Ob desshalb die Pycnogoniden etwa den Entomostraken zuzurechnen
seien, und nicht den Malacostraken, obgleich sie im ausgewachsenen Zustand
den letztern durch die interessante Gruppe der Lämodipoden sich anzuschliessen
scheinen ?
1) Bei allen Malacostraken finden sich zwei Paare Antennen, bei den Podophthal-
men sogar deren drei, von denen das vordere die Augen trägt. Nur die Myria-
poden würden hiervon eine Ausnahme machen, wenn man sie den Crustaceen
verbinden wollte.
2) leat. p.43.
SWATaN0NS: 13:
4) Eben so Burmeister (Gesch. der Schöpfung. S. 371.) und Rymer Jones
(Todd's Cyelop. 1. c.)
das vordere, welches ganz, wie bei den Hexapoden das zweite
Maxillenpaar, in der Medianlinie zu einer gemeinschaftlichen
Masse zusammenhängt. Die innern Lappen sind nach meiner
Meinung !) die Coxen, die äussern die Taster. Das folgende
Fusspaar gehört dann nicht zum Thorax, sondern ist unteres
Maxillenpaar, welches hier also — ganz eben so, wie bei
den Arachniden, nur nicht überall so vollkommen, indem oft
noch die Klaue fehlt — in ein Paar mit den übrigen Beinen
wesentlich übereinstimmender Locomotionsorgane verwandelt
ist. Dass diese meine Deutung richtig sei, ergiebt sich be-
sonders überzeugend bei den Chilognathen, theils aus der
anatomischen Anordnung, theils auch aus der Entwicklung.
Wenn letztere die Eihüllen verlassen, sind sie (Julus) , wie
schon Degeer wusste, wie neuerlich aber durch die sehr
genauen Untersuchungen von Newport2) bestätigt worden
ist, mit drei Fusspaaren versehen, welche über die vier vor-
dern Segmente dergestalt verbreitet sind, dass das dritte
aller Anhänge entbehrt. An diesem Segmente aber befinden
sich die Ausführungsöffnungen der Genitalien, die nach der
Entdeckung von v. Siebold3) mit einer kleinen Schuppe
überdeckt werden, in der sich die Analoga der Extremitäten
nicht verkennen lassen. Rechnen wir diese zu jenen drei
Beinpaaren, so bekommen wir eine Anzahl von Locomotions-
werkzeugen ganz übereinstimmend mit der der Arachniden
und auch unstreitig von derselben morphologischen Bedeu-
tung, wie sowohl aus der gesammten Entwicklung hervor-
geht, als auch daraus, dass die nachwachsenden Segmente
des Leibes (weil sie sehr früh schon je zu zwei mit einander
1) Dasselbe Versehen wiederholt sich bei den Lämodipoden, wo ebenfalls von
Savigny und Erichson als zweites und drittes in einer Querreihe dicht neben
einander stehendes Kieferpaar ein Gebilde gedeutet wird, welches offenbar nur
allein das dritte Kieferpaar ist, während das vorhergehende zweite verkannt
und als Zunge angesprochen wird, auch von Erichson, obgleich schon vor
längerer Zeit Roussel de Vauzeme (in den Annal. des scienc. nat, 1834.
T. I p. 239.) die letztere ganz richtig gedeutet hat.
2) Vergl. Rymer Jones in der Cyclop. of anat. Tom. Ill. Art. Myriapoda p. 557.
3) Müller's Archiv, 1843. $S. X
123
verwuchsen) durch die Anwesenheit von je zwei Fusspaaren
sich auszeichnen und somit ihren innern Zusammenhang be-
weisen. Sie sind die Segmente des Abdomen. Von den
Anhängen der vorhergehenden Körperringe aber liegt das
vordere unter der oben erwähnten Unterlippe, es ist also,
da die Zahl der Thoracalsegmente bei den Insekten nie mehr
beträgt als drei, das metamorphosirte dritte Kieferpaar, wo-
für ich es auch vorhin ausgegeben habe. Bei den Chilopoden
sind die Verhältnisse der Anhänge an Kopf und Thorax ganz
ähnlich !). Auch hier verwandelt sich das dritte Kieferpaar
in das vordere Fusspaar, doch functionirt es wohl schwerlich
jemals als solches, da es nach unten von dem eigenthümlich
metamorphosirten vordern (nicht mitlern, wie Erichson
will) Beinpaar des Thorax, wie von einer starken Lippe be-
deckt wird. Die Metamorphose dieser Anhänge in einen
kräftigen Greifapparat ist übrigens nur von geringer morpho-
logischer Dignität. Ich möchte sie nicht der Umwandlung
der Thoracalanhänge in accessorische Fresswerkzeuge, wie
solche bei den Crustaceen vorkommt, vergleichen. Sie wird
vielmehr, wie es mir scheint, ganz einfach durch die in die-
sen Füssen gelegene Ausmündungsstelle der bei den Chilopo-
den vorkommenden Giftdrüse bedingt und lässt sehr passend
sich der Umwandlung des letzten Postabdominalgliedes bei
den Scorpionen vergleichen, nur dass hier nicht die paarigen
Anhänge, sondern unmittelbar das entsprechende Segment der
Sitz der betreffenden Umwandlung ist.
Molluseca.
CGuvier war der Erste, welcher die zu dieser grossen
Abtheilung des Thierreiches gehörenden Formen in ihrem
Zusammenhang erkannte und unter dem vorstehenden Namen
1) Weniger wesentlich ist es, dass bei den Chilopoden das Segment des dritten
Kieferpaares fehlt und auch der erste Ring des Thorax nur sehr gering ent-
wickelt ist,
u
zusammenfasste. Linne, und mit ihm seine Zeitgenossen
und Nachfolger hatlen dieselben unter die verschiedenen Ord-
nungen der Würmer vertheill. Die beschalten Mollusken
bildeten (mit den übrigen schalentragenden Thieren) die Ord-
nung der Testacea, während die nackten hieher gehörenden
Geschöpfe, vereinigt mit einem grossen Theil der Würmer,
mit den Echinodermen und gehäuselosen Polypen die Linne&-
sche Ordnung der Mollusca zusammensetzten. Einzelne,
scheinbar sehr abweichende Formen hatten noch eine andere
Stellung. Teredo wurde von Linne den Würmern zuge-
rechnet, die zusammengesetzten Ascidien dem vielumfassenden
Gen. Alcyonium. Das erstere Thier stand in der Ordnung
der Intestina, die letztere unter den Zoophyten. — Indessen hat
auch die Cuviersche Abtheilung der Mollusken einige Aen-
derung erfahren, indem die Cirripedien, welche bei Cuvier
neben den Cephalopoden, Pteropoden, Gasteropoden, Acepha-
len und Brachiopoden eine eigene sechste Klasse der Mollus-
ken bilden, davon ausgeschieden und als Crustaceen erkannt
sind. Auch die Gruppe der Tunikaten, deren nähere Kennt-
niss wir besonders den schönen Untersuchungen von Sa-
vigny!) verdanken, hat man mehrfach aus der Abtheilung
der Mollusken entfernen wollen. Lamark erhob dieselben
zu einer besondern Klasse, welche er zwischen die Radiaten
und Weisswürmer (Entozoa Cuv.) stellte. Ebenso verband
Latreille dieselben mit den Holothurida 2) und Echinoderma
zu der Abtheilung seiner Actinozoa. Allerdings, glaube ich,
bietet die gesammte Organisation der Tunikaten uns Grund
genug, sie als eine besondere Gruppe zu betrachten, wie es
auch schon von Goldfuss, Grant, Burmeister u. A.
geschehen ist, und sie von den Acephalen zu trennen, denen
sie bei Cuvier {als Acephales sans coquilles im Gegensatz
zu den Acephales testac&s, den Conchiferes Lam.) zugehören.
1) Mem. sur les anim. sans vertebres. T. II.
2) Zu dem Gen. Holothuria rechnete schon Guvier einige dieser Tunikaten, näm-
lich die Salpen (H. Thalia),
125
Dass sie indessen gänzlich von den Mollusken abzusondern
seien, scheint mir zweifelhaft, obwohl man nicht verkennen
kann, dass sie vor den übrigen Gruppen dieser Thiere in
mehrfacher Beziehung sehr auffallend sich auszeichnen. Will
man sie übrigens wirklich von den Mollusken entfernen, so
müssen sie, nach meiner Meinung, eine eigene Abtheilung in
der Thierreihe bilden, der dann auch vielleicht die Bryozoa
einzuverleiben sind. Am natürlichsten möchte dann solche
zwischen den Echinodermen und Würmern ihren Platz fin-
den. Als Klasse oder Ordnung lassen sich die Tunikaten
nirgends anders einreihen, als bei den Mollusken.
Wenn wir nun aber die Tunikaten (Perigymna Burmstr.)
einstweilen bei Seite setzen, so bleibt uns in der Abtheilung
der Mollusken (Palliata Nitzsch) noch eine Reihe von Thier-
formen, die durch einen gemeinsamen, sehr bestimmten archi-
tektonischen Plan vor allen übrigen sich auszeichnen. Von
der typischen Anordnung der Arthropoden oder Würmer, wie
von der der Echinodermen oder Coelenteraten ist dieselbe
sehr auffallend verschieden. Verfehlt scheint es mir dess-
halb, die Mollusken mit dem einen oder andern dieser Kreise
zu verbinden, wie es mehrfach versucht worden. Die Carus-
sche Abtheilung der Gorpozoa (Oken’s Hautthiere), welche
neben den Mollusken auch die Gliederfüssler und Würmer
umfasst, wie die Burmeistersche Abtheilung der Gastrozoa
(Cormozoa Streub.), welche (identisch den Ganglioneura
Rud.) die Mollusken mit den Radiaten vereinigt, sind keine
natürliche Gruppen, sind nicht zusammengehalten durch eine
innere Verwandtschaft, durch einen gemeinschaftlichen und
übereinstimmenden Baustil.
Statt der radiären Bildungsweise treffen wir ganz un-
verkennbar (trotz manchfacher Störungen) einen seitlich sym-
metrischen Typus, statt der gestreckten Form des Leibes
einen kurzen gedrungenen Körper, ohne Wiederholung von
Segmenten und paarigen Seitenanhängen. Andere mor-
phologische Elemente sind es, die, dem Typus der Mol-
lusken ganz eigenthümlich, die Gestaltung bedingen und
den bildenden Kräften zum hauptsächlichsten Angriffspunkte
dienen.
Nirgends umhüllt die weiche äussere Bedeckung den
Körper in Form eines einfachen Sackes oder Schlauches. Auf
dem Rücken bildet sie überall einen sogenannten Mantel,
eine schildförmige Verdickung oder Duplicatur, deren Form
und Anordnung mannichfach wechselt. Eben so ist die
Bauchfläche mit einem eigenen Anhang von muskulöser Tex-
tur versehen, mit dem sogenannten Fuss, während endlich
bei den höher entwickelten Formen sich zugleich das vor-
dere Ende des Leibes als besonderer Abschnitt, als Kopf,
zu erkennen giebt, der vor dem dahinter gelegenen Rumpf
in mehrfacher Beziehung sich auszeichnet. Die Bildung die-
ses Theils ist sehr merkwürdig und abweichend von der
Entwicklungsweise des Kopfes bei den Würmern, Arthropo-
den und Wirbelthieren, wie wir weiter unten sehen werden.
Wo ein Kopf vorhanden ist, trägt er den Eingang in
den Verdauungskanal, der sonst ganz einfach am vordern
Ende des Körpers gelegen ist. In ihm concentriren sich auch
die Centraltheile des Nervensystemes. Bei den kopflosen
Mollusken sind diese im Körper an verschiedenen Stellen
zerstreuet, zu den Seiten der Speiseröhre, in der Basis des
Fusses und zwischen den Kiemen. Sie erscheinen als paa-
rige Ganglien, durch Commissuren zu einem gemeinschaft-
lichen Systeme unter sich verbunden. Am constantesten in
Lage und Vorkommen sind die Schlundganglien. Sie liegen
am vordern Abschniit des Verdauungskanales, am Oesophagus
und zwar symmetrisch zu dessen Seiten. Oberhalb der
Speiseröhre sind sie durch eine Quercommissur verbunden.
Nicht selten verschmelzen sie auch in der Medianlinie des
Rückens. Ein eigentlicher Schlundring, wie er bei den höher
entwickelten Formen dieser Abtheilung vorkommt, ist nicht
ursprünglich in dem typischen Organisationsplan der Mollusken
begründet !), sondern vielmehr durch eine blosse Modifica-
1) Die Anordnung des Nervensystems scheint mir für die verschiedenen natürlichen
Abtheilungen des Thierreichs sehr charakteristisch zu sein. So finden sich bei
127
tion in der Entwicklung dieses Systemes hervorgerufen.
Die untere Oesophagealcommissur findet sich nämlich (wie
man sehr deutlich in der Anordnung des Nervensystems bei
den Heteropoden!) sehen kann) nur dann, wenn die Fuss-
ganglien — die, wie gesagt, unter sich und mit den seitli-
lichen Schlundganglien in Verbindung stehen — nach vorn
emporrücken bis unter den Oesophagus. Wo dieselben, wie
bei den Conchiferen, eine andere Lage haben oder ganz
fehlen (bei den Tunicaten), kommt niemals ein vollständiger
Schlundring zu Stande. Mitunter sind aber auch Fuss- und
Schlundganglien einander so sehr genähert, dass sie unter
sich zusammenhängen. Wenn nun in solchen Fällen die Fuss-
ganglien unterhalb des Oesophagus nach dem Gesetz der
medianen Symphyse verschmolzen sind, dann bilden (bei den
Gymnobranchiaten) alle diese Ganglien zusammen eine ein-
zige Masse, die nur mit einer obern, jeder Anschwellung
entbehrenden Commissur den Speisekanal umfasst 2).
Die Verdauungswerkzeuge der Mollusken zeigen eine
sehr mächtige Entwicklung. Ebenso die Geschlechtsorgane,
welche übrigens, gleich jenen, sehr häufig (besonders bei den
Gasteropoden) in ihrer symmetrischen Entwicklung gar auf-
fallend gestört sind. Nur selten, ganz allgemein nur bei
den Conchiferen, ist der After3) am hintern Leibesende in
der Mittellinie gelegen, niemals vielleicht die Geschlechtsöff-
den Coelenteraten (S 14) die Centraltheile desselben am Grunde der Leibeshöhle
im hintern Theile der äusseren Bedeckungen. Bei den Echinodernen (S. 33.)
bilden sie einen strahligen Schlundring; bei den Würmern (S. 47.) ein unpaares
Nackenganglion; bei den Arthropoden (S. 80.) eine Bauchganglienkette; bei den
Molusken endlich wiederum ein abweichendes System von Nervenknoten.
1) Vergl. Milne Edwards in den Annal, des scienc. nat. II. Ser. T.XVIII. p. 326.
2) Gerade dieses Wechseln in der Lage der sogenannten Hirnganglien, bald ober-
halb, bald auch unterhalb der Speiseröhre, bestimmt mich zu der Annahme,
dass die Existenz symmetrischer lateraler Oesophagealganglien für die Abtheilung
der Mollusken die typische sei. Auch steht eine derartige Anwendung voll-
kommen im Einklang mit der gedrungenen, verhältnissmässig breiten Form des
Körpers, eben so wie das unpaare Nackenganglion bei den Würmern mit der
vorherrschenden Längendimension,
3) Niemals fehlt eine Afteröffnung bei den Mollusken, auch nicht in der Gruppe
der Phlebenteraten,
nung, die vielmehr immer (auch bei Dentalium ?) seitlich am
Körper ausmündet, gewöhnlich (mit Ausnahme der Conchi-
feren) asymmetrisch nur an einer Seite. Die speciellere An-
ordnung dieser Theile, oft für eine einzelne Gruppe sehr
charakteristisch, bietet eine grosse Manchfaltigkeit }) und kann
hier nicht näher betrachtet werden. Nur so viel sei noch
erwähnt, dass der Darm beständig den Körper an Länge,
wenn auch oft nur wenig, übertrifft, dass er, in Ueberein-
stimmung mit der kurzen, gedrungenen Form des Körpers,
einen sackförmigen, einfachen oder auch zusammengesetzten
Magen bildet und überall mit einem besondern gallenberei-
tenden Apparat von ansehnlicher Grösse, mit einer Leber,
versehen ist.
Die Circulation der Mollusken geht nach der wichtigen
Entdeckung von Milne Edwards nirgends in einem voll-
ständig geschlossenen Gefässsystem vor sich, wie bei den
Echinodermen und Ringelwürmern. Eine geringere oder
grössere Strecke desselben ist beständig lacunös. So bildet
namentlich die Leibeshöhle einen weiten venösen Blutbe-
hälter. Ueberhaupt ist es vorzugsweise das Venensystem,
welches mangelhaft erscheint. In manchen Fällen schwinden
aber selbst alle Gefässe, mit Ausnahme des Herzens, wie es
bekanntlich ebenfalls bei den Hexapoden der Fall ist, doch
bildet dieses niemals, wie hier und auch sonst bei fast allen
Arthropoden, einen schlaucharligen, in eine Reihe hinter ein-
ander liegender Kammern getheilten Kanal, sondern stets
(mit Ausnahme der Tunicaten) einen kurzen muskulösen Sack ?),
einen Ventrickel3) mit einfachem und doppeltem Vorhof.
1) Ueber die morphologischen Verhältnisse des Genitalapparates bei den Mollusken
vergl. man meine mehrmals schon eitirte Abhandlung über die Anatomie und
Morphologie der Geschlechtsorgane S. 125.
2) Dass diese Form des Herzens zum Theil ebenfalls, wie die Bildung eines sack-
föürmigen Magens, abhänge von der Körpergestalt der Mollusken, ist daraus zu
ersehen, dass bei den Salpen, die durch eine verhältnissmässig sehr gestreckte
Leibesgestalt sich auszeichnen, das Herz eine Schlauchform darbietet.
3) Bei den Cephalopoden ist selbst dieser Ventrikel, wenngleich unvollkommen,
durch ein Septum in eine rechte und linke Kammer zerfallen,
..
Die Respirationsorgane der Mollusken sind fast überall
besondere, zu diesem Zwecke eigens entwickelte Anhänge
der äusseren Bedeckungen, die bald frei liegen, bald aber
auch in höhlenförmigen Räumen eingebeltet und verborgen
sind. Nicht alle Mollusken aber athmen mittelst solcher Kie-
men. Eine Anzahl derselben ist durch den Aufenthalt auf
dem Lande zur directen Luftathmung angewiesen. Zu sol-
cher Bestimmung dienen die sogenannten Lungensäcke (bei
den Pulmonaten), welche übrigens, wie es sich nachweisen
lässt, durch den Plan ihrer Bildung nicht völlig isolirt ste-
hen, sondern morphogenetisch sich unmittelbar an die zur
Vermittlung der indirecten Luftalhmung (der sogenannten
Wasserrespiration) bestimmten Organe anschliessen. Noch
andere Mollusken entbehren ebenfalls besonderer respiratori-
schen Gebilde. Sie athmen dann entweder mit der gesamm-
ten Hautoberfläche des Leibes (wie unter den Gymnobran-
chiaten die Phlebenterata Quatref. — Apneusta Köllik.—)
oder durch Vermittlung der Lamellen des Mantels (wie die
Brachiopoden).
Für die zoologische Betrachtung der Mollusken ist die
Anordnung der Kiemen von dem grössten Interesse, beson-
ders seitdem dieselbe von Cuvier als vorzüglichster Cha-
rakter der grössern und kleinern von ihm geschaffenen Grup-
pen hingestellt worden. Hierbei aber müssen wir vor Allem
die Frage uns vorlegen, ob denn die sogenannten Kiemen
auch wirklich in einem jeden Fall dieselbe morphologische
Bedeutunghaben, ob nicht darunter vielleicht trotz der über-
einstimmenden Function manchfache verschiedenartige Ge-
bilde zusammengefasst worden? Sehen wir doch auch in
andern Abtheilungen, bei den Kiemenwürmern und Crusta-
ceen, ein gleiches Verhalten. Auch bei ihnen sind es An-
hänge sehr differenter Art, welche als Kiemen functioniren.
Was die Gruppirung der unter dem gemeinschaftlichen
Namen der Kiemen mit einander parallelisirten Anhangsgebilde
am Körper der Mollusken betrifft, so befolgt solche im All-
gemeinen ganz gleichmässig die Gesetze der seitlichen Sym-
9
130
metrie. Wie wir indessen sonst schon in der vorliegenden
Abtheilung mehrfache Störungen einer solchen Anordnung
gesehen haben, so besonders hier. In vielen Gasteropoden
finden sich die Kiemen nur auf der einen Körperseite, der
rechten oder der linken. Die entsprechenden Gebilde der
andern Seite fehlen dann entweder vollkommen (Aplysia,
Pleurobranchus, Doridium u. s. w.), oder sind ebenfalls auf
die entgegengesetzte Seite hinübergerückt (z. B. bei Halyo-
tis, Cassis, Buccinum, Murex), so dass hier dann die An-
zahl der Kiemen verdoppelt!) ist.
Alle diese Verschiedenheiten indessen können uns noch
nicht zu einem Urtheil über die Natur und das morpholo-
gische Verhältniss der Kiemen berechtigen. Weit wichtiger
ist es in dieser Beziehung, dass wir in der Relation der be-
treffenden Gebilde zu den einzelnen Abschnitten des Körpers
auf eine andere ganz bestimmte Differenz stossen. Die so-
genannten Gymnobranchiaten — dieselben, zu denen die
obenerwähnten kiemenlosen Phlebenteraten gehören — sind
es, welche hier vor allen übrigen Mollusken sich auszeichnen.
Die Gebilde, die man bei ihnen als Kiemen bezeichnet, sind
ganz augenscheinlich blosse Fortsätze und Anhänge des Man-
tels, von dessen äusserer Oberfläche sie sich erheben. In
allen übrigen Fällen dagegen erscheinen die Kiemen nicht
als Anhangsgebilde des Mantels, sondern als selbstständige
Productionen der äusseren Körperhülle, die in der furchen-
förmigen Vertiefung im Umkreis des Mantels angeheftet sind,
und von dem freien Rande desselben mehr oder minder
weit bedeckt und überragt werden. Sehr deutlich ist diese
Anordnung da, wo die Kiemen noch frei zu Tage liegen, bei
den Cyclobranchiaten, Hypobranchiaten und Heteropoden, so
wie auch bei denLamellibranchiaten. In anderen Fällen ver-
lieft sich jene Furche an der Insertionsstelle der Kiemen zu
einer förmlichen, von dem Mantel vollkommen überdeckten
1) Ganz analoge morphogenetische Vorgänge bedingen auch zum Theil die eigen-
thümliche Anordnung der zwitterhaften Genitalien bei den Gasteropoden.
Höhle, die dann in ihrem Innern die Kiemen enthält, und
unterhalb des Mantelrandes durch eine schlitzförmige Oefl-
nung nach aussen führt. So bei den Ctenobranchiaten und
vielen Pteropoden, so auch bei den Cephalopoden'!, Nach
Lage und Ausdehnung zeigt übrigens sowohl die Kiemen-
höhle, als auch die Athemöffnung manchfache Differenzen.
Von grösster Geräumigkeit, fast den ganzen Eingeweidesack
umgebend ist dieselbe bei den Cephalopoden und einigen
beschalten Pteropoden (z. B. Hyalaea), sehr eng dagegen
z. B. bei Halyotis. In der Ordnung der Ctenobranchiaten
verlängert sich die obere, von dem Mantelrand gebildete
Lippe der Athemöffnung sehr häufig in einen canalförmigen,
mehr oder minder langen Fortsatz, in das sogenannte Athem-
rohr. Die Pomatobranchialen zeigen im Wesentlichen eine
ganz analoge Anordnung der Kiemenhöhle, nur coincidirt
bei ihnen die Athemöffnung nicht mit der Mantelfurche. Sie
entsteht vielmehr dadurch, dass die Kiemenhöhle, die sich
unterhalb desMantels hinerstreckt, ihrer Länge nach in grös-
serer oder geringerer Ausdehnung geschlitzt wird. Bei Bul-
laea, wo dieser Schlitz nur kurz ist, fliesst das äussere Ende
desselben noch mit der Mantelfurche zusammen. Aplysia
entbehrt schon dieses Zusammenhanges zwischen Athemöff-
nung und Mantelfurche. Beide sind völlig von einander ge-
trennt. Ganz augenscheinlich hat hier die Athemöffnung
sich mehr nach innen zu, in den Mantel hinein, verlängert.
Die ganze Kiemenhöhle ist offen und wird allein durch die
seillichen, dem Mantel angehörenden Lippen der Athemöfl-
nung, welche über einander greifen, bedeckt und geschlossen.
Was wir aus der eben erwähnten Uebereinstimmung in
1) Sehr schön lehrt die Entwicklungsgeschichte der Cephalopoden , wie eine solche
Lage der Kiemen wirklich bloss aus einer Weiterentwicklung der bei den Hy-
pobranchiaten u. s. w. persistirenden Anordnung hervorgeht. Im Anfang liegen
auch bei Sepia etc. die Kiemen an der Oberfläche des Leibes im Umkreis des
Mantels, ganz wie z. B. bei Pleurobranchus. Erst später, wenn die Ränder
des Mantels sich ausdehnen und wachsen, werden die Kiemen überwölbt und
in die dadurch gebildete Höhle eingeschlossen. Vergl. Kölliker, Entwick-
lungsgeschichte der Cephalopoden. Zürich 1845.
g9*
Ba
Lage und Anordnung der Kiemen bei der grössten Mehrzahl
der Mollusken im Gegensatz zu dem Verhalten der gleich-
namigen Theile bei den Gymnobranchiaten bereits abnehmen
können, dass nämlich die Kiemen der letztern andere, mor-
phologisch differirende Gebilde seien, wird zur Gewissheit,
wenn wir sehen, wie bei den erstern die manchfachen Va-
riationen in der Gestaltung der Respirationsorgane aus einer
gemeinschaftlichen Urform, aus der Form einer Feder mit
mittlerem Schaft und zweizeiliger Fahne, sich ableiten las-
sen. Vergebens aber ist der Versuch, die Kiemen der Gym-
nobranchiaten in den Bereich dieses Schema hineinzuziehen.
Sie sind von einer regellosen Manchfaltigkeit, wie alle die
zahlreichen accessorischen Bildungen am thierischen Körper,
welche einer planmässigen, typischen Begründung ermangeln.
In der Form von einfachen Blättern oder Cylindern, von
verzweigten Bäumen u. s. w. stehen sie gewöhnlich in an-
sehnlicher Menge und in verschiedener Gruppirung über die
Oberfläche des Mantels verbreitet.
Anders aber ist es mit den Kiemen der übrigen Mollus-
ken. Unbeschadet der schon oben erwähnten Störungen ei-
ner lateralen Symmetrie findet sich hier in der Norm jeder-
seits am Körper nur eine einzige Kieme. Nautilus allein
besitzt deren zwei. Jene Form übrigens, welche ich als die
Grundform ansehen möchte, ist in völliger Integrität nur sel-
ten erhalten. So z. B. bei Pleurobrarfchus, Valvata u. A.
Am häufigsten ist sie dadurch modificirt, dass der Schaft
der Feder in seiner ganzen Länge mit den äusseren Bede-
ckungen verschmolzen ist. Dann erscheinen die Kiemen
jederseits in doppelt kammförmiger Gestalt, als zwei neben
einander gelegene Längsreihen von Blättchen (z. B. Diphylli-
dia, Turbo u. s. w.), noch öfter als einfach kammförmige
Bildungen, wenn nämlich die eine Reihe dieser Blättchen ge-
schwunden ist). Wo die Kiemen in solchen Fällen die
1) Nicht selten ist es bei einer unsymmetrischen Lage beider Kiemen auf derselben
Seite, dass beide auf eine verschiedene Weise entwickelt sind, (z. B. bei den
133
Symmetrie ihrer Anordnung auf beiden Seiten bewahrt ha-
ben, fliessen sie mitunter (wie bei Hyalea, bei Patella u. s. w.)
an ihrem Ende bogenförmig zusammen. In andern Fällen
wird die ursprüngliche federförmige Gestalt der Kiemen
auch wohl dadurch complicirter, dass die Blättchen der
Fahne wiederum mit Nebenblättchen zweiter u. s. w. Ord-
nung sich versehen. So besonders bei den Cephalopoden,
aber auch schon bei Aplysia u. s. w. Interessant ist es
übrigens, dass die beiden eben angeführten Modifications-
momente auch combinirt vorkommen können. So bei Chi-
ton, wo die bei Patella noch ganz einfachen Kiemenblätter
durch die Entwicklung seitlicher Nebenblättchen in die Form
von einzelnen kleinen Federn oder gefiederten Pyramiden sich
umgewandelt haben. Dass ebenfalls aus einer blossen Va-
riation jener Grundform der Kiemen die scheinbar so sehr
abweichende Gestalt dieser Organe bei den Conchiferen her-
rühre, beweist besonders deutlich das Gen. Solemya ?), in
welchem die primäre Federform mit Schaft und zweizeiliger
Fahne noch völlig erhalten ist. Sehr einfach lässt hieraus
die gewöhnliche Anordnung der Kiemen bei den Conchiferen
sich ableiten. Die einzelnen cylindrischen Blättchen oder
Strahlen der Fahne nämlich wachsen sehr bedeutend und
erscheinen dann jederseits entweder als zwei nebeneinander
stehende Längsreihen dünner und freier Fäden (z. B. Pectun-
culus, Arca) oder noch häufiger, wenn nämlich die Fäden
einer jeden Reihe unter einander sich verbinden, als zwei
ganz ansehnlich entwickelte häutige Blätter, die, entspre-
chend den beiden Seitenreihen der Fahne, jederseits in der
Mantelfalte gelegen sind, und den Körper zwischen sich neh-
men. Je nachdem nun der Schaft, von welchem die Blät-
ter ausgehen, mehr oder minder weit mit dem Körper sei-
ner Länge nach zusammenhängt, ist auch der innere Rand
der Kiemen in verschiedener Ausdehnung frei. In einigen
Ctenobranchiaten), der Art, dass die eine doppelt, die andere nur einfach
gekämmt ist,
1) Vergl, Philippi in Wiegmann’'s Arch. 1835. I, $. 271.
131
Fällen, z.B. bei Ostrea, sind dieselben in ganzer Länge (wie
die Kiemenblätter vieler Gasteropoden) auf dem Körper be-
festigt. Nicht selten sind auch wohl die Kiemenlamellen bei-
der Seiten an ihrem hintern Ende, wo sie über den Körper
hervorragen, in der Medianlinie (Unio, Mactra u. s. w.) ver-
schmolzen. Bei Teredo erstreckt diese Vereinigung sich so-
gar über die ganze Länge der Kiemen; ein Verhältniss, wel- °
ches übrigens nur dadurch möglich wird, dass dieselben
erst hinter dem Eingeweidesack ihren Anfang nehmen.
Durch eine eigenthümliche Metamorphose des Mantels,
die weiter unten noch einer näheren Erörterung bedarf, wer-
den die Kiemen bei den Conchiferen bisweilen in eine Athem-
höhle eingeschlossen, welche trotz der differenten Entstehungs-
weise mit der Kiemenhöhle der Gasteropoden und Cephalo-
poden manche Analogien darbiete. Der Mantel nämlich,
welcher durch die mächtige lamellenförmige Entwicklung
seiner seitlichen Randlappen sich auszeichnet, verschmilzt
nicht selten in der Medianlinie des Bauches und bildet dann,
wenn diese Verwachsung möglichst vollständig erfolgt ist,
eine äussere sackförmige Hülle um den Körper, die aber
meistens nicht unmittelbar dem letztern aufliegt (nur bei
Teredo tl), wo die Kiemenhöhle erst hinter dem eigentlichen
Körper beginnt, ist dieses der Fall), sondern davon absteht
und somit denn eine eigene, den Körper bis auf den Rücken
vollständig umgebende Höhle bildet. Diese letztere Höhle
nun ist die Kiemenhöhle, in welcher die Athmungsorgane
gelegen sind. Nach hinten bleibt dieselbe übrigens bestän-
dig eine Strecke weit in der Medianlinie geöffnet.
Die beiden seitlichen Kiemenlamellen, die auf erwähnte
Weise aus einer Umwandlung der Fahne am Schaft einer
federförmigen Kieme hervorgehen, können auch ihrerseits
wiederum manchfache Formveränderungen eingehen. Von
diesen will ich hier nur hervorheben, dass mitunter (bei
einigen Tallinaarten) jederseits die äussere Lamelle fehlt, und
1) Vergl. über die morphologischen und anatomischen Verhältnisse von Teredo
meinen Aufsatz in den Beiträgen von Frey und Leuckart S. 46.
Bun
dann die Zahl der Kiemenblätter einfach !!) ist, wie bei den
einfach gekämmten Kiemen vieler Gtenobranchiaten.
Eben so einfach ist die Zahl der seitlichen Kiemenlamel-
len bei den Tunicaten. Indessen erscheinen dieselben hier
in einer gänzlich verschiedenen Anordnung, so dass auf den
ersten Blick eine Reduction der betreffenden Theile auf die
Kiemen der Acephalen kaum möglich ist.
Bei den Ascidien stellen sie einen einfachen Sack dar,
welcher im Vorderiheil des Leibes gelegen ist. Wie die
Mantellappen der Conchiferen zu Bildung der Kiemenhöhle,
ganz eben so scheinen hier auch die Kiemenlamellen in der
Medianlinie des Leibes unter einander verschmolzen zu sein,
Dass sie eine abweichende Lage darbieten, ist wenig we-
sentlich. Wie die Kiemen bei Teredo von den Seitentheilen
“des Leibes bis an das hintere Ende desselben zurück wei-
chen konnten, ganz eben so möglich ist die entgegengesetzte
Lagerumänderung bei den Ascidien. Abhängig von dieser
Lage und dieser Anordnung der Kiemen bei den letzter-
wähnten Thieren ist es übrigens, dass der Darmkanal mit sei-
nem vordern Abschnitt nicht unmittelbar nach aussen mün-
det, sondern in den hintern Theile des Kiemensackes sich
inserirt. Der Respirationsapparat hat zwischen Mundöffnung
und Oesophagus sich eingeschoben ?).
Ganz dieselbe Lage besitzt der Kiemenapparat bei den
Salpen. Dadurch aber wird bei diesen das Verhältniss an-
ders, dass die Kiemen nicht, wie bei den Ascidien, einen
1) In andern Fällen (Clavagella) finden sich aber auch jederseits drei Kiemenla-
mellen statt der gewöhnlichen zwei. Eben so kommt auch unter den Gastero-
poden bei Paludina eine dreifach gekämmte Kieme vor.
2) Milne Edwards (Observat. sur les ascid. compos. des cötes de la Manche.
Par. 1845.) deutet das Verhältniss auf eine andere Weise. Ausgehend von
der Verwandtschaft der Ascidien mit den Bryozoen, betrachtet er den Kie-
mensack der ersteren als hervorgegangen aus einer weitern Entwicklung des
bei den letztern vorkommenden Pharynx. Ebenso A. Farre (Il, c.), während
dagegen Van Beneden (Nouv. Mem. de l’acad. roy. deBrux. T.XVIII. Rech. sur
les Bryoz. p.22, — Ibid. T.XX. Rech. sur les Ascid. p. 56.) darin ein morpho-
logisches Aequivalent für den Tentakelkranz zu erkennen glaubt, dessen Strahlen
nach innen, in die Leibeshöhle, eingezogen und unter sich verwachsen seien,
136
geschlossenen Sack bilden. Nur in der Medianlinie des Rü-
ckens sind die beiden Kiemenblätter ihrer ganzen Länge
nach verschmolzen, nie aber zugleich in der Medianlinie des
Bauches. Sie sind in der Breite nur wenig entwickelt und
bilden beide!) zusammen nur einen einzigen schmalen Kör-
per von bandartiger Gestalt, dessen seitliche Ränder höch-
stens etwas röhrenartig umgerollt sind. Erklärlich wird es
unter solchen Verhältnissen, dass der Oesophagus seine ei-
gene Oeflnung und zwar vor dem Kiemenapparat besitzt.
Indessen fällt solche auch hier nicht unmittelbar mit der
äussern Mund- (oder Einführungs-) Oeffnung zusammen, weil
‚die sogenannte Athemhöhle, in der die Kieme ausgespannt
ist, eine sehr excessive Entwicklung darbietet und den gan-
zen ansehnlichen Raum zwischen den beiden äussern Oefl-
nungen des Körpers einnimmt. Ganz ähnlich, nur minder
ansehnlich, ist die Athemhöhle auch schon bei den Ascidien.
Die geringere Räumlichkeit bei den letzteren wird durch die
verschiedene Lage der Mund- und Kloaköffnung hervor-
gebracht. Beide liegen nämlich ziemlich dicht neben einan-
der, während sie bei den Salpen diametral einander gegen-
über stehen, doch nicht so, dass dieselben etwa oben und
unten am Körper sich vorfänden, sondern vorn und hinten
(am Bauch und Rücken). Ganz offenbar entspricht der Län-
gendurchmesser der Salpen der bei den Ascidien durch die
beiden Körperöffnungen gezogenen Linie, welche mit dem
senkrechten Durchmesser durch Gehirn und Eingeweidesack
sich kreuzt. Die Kernfläche 2) der Salpen ist morphologisch
dem untern festgewachsenen Ende der Ascidien gleichzu-
setzen, die Gehirnfläche dem obern. Mit einer derartigen
Ansicht völlig übereinstimmend ist die Lage des Kiemenap-
parates, die paradox und unerklärlich wird, sobald man
1) Nach seiner morphologischen Bedeutung darf also der Respirationsapparat der Sal-
pen eben so wenig, wie der der Ascidien, als eine einzige unpaare Kieme ange-
sehen werden. Er entspricht vielmehr offenbar zweien seitlichen Kiemenlamellen,
2) Eschricht, Sars u, A. halten gewiss mit Unrecht die Kernfläche der Salpen
für die Rückenfläche, die hintere Oeffnung des Leibesendes für die vordere.
137
den Asceidien erstreckt sich der Kiemensack von oben nach
unten, von der Hirnlläche zur Kernfläche. Dieselbe Lage
findet sich auch bei den Salpen. Auch hier ist der eine In-
sertionspunkt des bandförmigen Kiemenapparates an der
Hirnfläche, der andere an der Kernfläche. Die Kieme ist
schräg von oben nach unten in der Athemhöhle ausgespannt.
Nachdem wir nun den einzelnen Modificationen, welche
die Kiemen der Mollusken in Anordnung, Form und Lage
bei den verschiedenen Gruppen darbieten, gefolgt sind, bleibt
noch die Betrachtung der sogenannten Lungensäcke uns üb-
rig, die bei den Pulmonaten sich vorfinden und mit ihrem
respiratorischen Gefässnetz als Athmungswerkzeuge funclio-
niren. Fragen wir nach der morphologischen Bedeutung die-
ser Theile, vergleichen wir sie mit dem Respirationsapparat
der verwandten Mollusken, so muss, nach meinem Erach-
ten, die Antwort dahin ausfallen, dass sie den Kiemenhöh-
len der übrigen Gasteropoden zu parallelisiren seien. Von
diesen unterscheiden sie sich nur dadurch, dass im Innern
keine besondern Respirationsorgane eingeschlossen sind !).
Sonst stimmen sie damit in jeder Hinsicht überein?2). Was
auf den ersten Blick vielleicht gegen die Annahme einer sol-
chen morphologischen Identität streiten möchte, ist nur der
Umstand, dass in einigen, wenngleich seltenen Fällen, ein
Lungensack zugleich neben einem Kiemenapparat vorkommt.
Bei Onchidium, wo Ehrenberg zuerst ein solches Verhal-
ten entdeckte, lässt dasselbe noch am leichtesten sich er-
klären. Die Kiemen dieses Tbieres sind, wie bei den Gymno-
branchiaten, blosse Wucherungen oder Verlängerungen des
1) Nach den Untersuchungen von Van Beneden (Mem. de l’Acad. de Brux.,
T. XI.) würden auch bei Limacina in der Kiemenhöhle keine besondern Respi-
rationsorgane angelrollen.
2) Die wechselnde Lage der Athemöflnung bei den verschiedenen Arten der Pul-
monaten beweist sehr augenfällig, dass der darin ausgesprochene Unterschied
bei den Pomatobranchiaten und Ctenobranchiaten u. s. w. nur schr untergeord-
neter Art sei. Auch bei den Pulmonaten fällt jene Oeffnung bald mit der
Mantelfurche zusammen, bald auch (Limax) nicht, Im letztern Fall ist sie un-
mittelbar am Mantel, nahe dem Rande gelegen
138
Mantels, neben denen immerhin noch eine besondere Lun-
genhöble sich bilden kann. Anders aber ist es bei den Am-
pullarien, die!) ausser der letztern noch eine vollständige
Kiemenhöhle mit Kiemen besitzen. Bei diesen aber erscheint
nach dem anatomischen Verhältniss der Lungensack als ein
Anhang der Kiemenhöhle, als eine Nebenhöhle, durch eine
Ausstülpung aus letzterer entstanden. Weit entfernt also, in
dieser Vereinigung von Lungensack und Kiemenhöhle bei
demselben Thier einen Grund für den morphologischen Un-
terschied zwischen beiden zu sehen, möchte ich daraus un-
ter den vorliegenden Verhältnissen weit eher einen Beweis
für die Richtigkeit der entgegengesetzten Ansicht entnehmen.
Aus allen diesen manchfach wechselnden Verhältnissen
mag man die Wichtigkeit des Kiemenapparates für die Ar-
chitektonik des Molluskenkörpers erkennen. Dennoch aber
zeigt eine nähere Betrachtung sehr bald, dass jene Bedeu-
tung mehr eine untergeordnete sei, dass andere Factoren als
die Hauptträger des charakteristischen Baues erscheinen und
durch ihre Modificationsfähigkeit die Grenzen bestimmen, in
denen die Verschiedenheit der Gestaltbildung sich bewegt.
Für die morphologische Auffassung des Körperbaues bei
den Mollusken ist bisher nur wenig geschehen. Ein Ver-
such zur Reduction aller jener manchfaltigen Gestalten fehlt
noch heute, obgleich unsere Kenntniss von der äussern Form
und der Entwicklung der Mollusken wohl immerhin eine der-
artige Darstellung schon möglich machen möchte.
Die einfachsten und regelmässigsten Verhältnisse in der
typischen Abtheilung der Mollusken bieten uns die nackten
Gasteropoden. Sie bilden den Ausgangspunkt unserer Un-
tersuchungen. Die Gestalt des Leibes erinnert hier an die
Trematoden unter den Würmern oder an jene eigenthüm-
lichen, kriechenden Holothurien, wie Psolus, Cuvieria u.S. w.
Die untere Fläche des Körpers ist abgeplattet und bildet den
Fuss. Sie erscheint als eine stark muskulöse, scharfkantige
1) Vergl. Troschel in Wiegmann’s Archiv 1845. Bd. I. S. 197.
139
Scheibe, die vom vordern Leibesende bis an die hintere
Körperspitze reicht und den eiförmigen oder ceylindrischen
Rumpf mit der Eingeweidemasse trägt. Der vordere Ab-
schnitt dieses Rumpfes, der Kopf, ist ein kleines kugliches
Gebilde, welches nach hinten durch eine seichte ringförmige
Einschnürung sich abgrenzt und am untern Ende, dicht vor
dem Fusse, mit der spaltförmigen, längsgestellten Mundöff-
nung versehen ist. Die seitlichen Begrenzungen des Mundes
bilden zwei wulstförmige Hervorragungen, die Lippen, die
sehr häufig (bei den Gymnobranchiaten) in einen kleinen zi-
pfelförmigen Fortsatz, in den Lippenfühler, sich ausziehen.
Oberhalb des Mundes, auf dem Scheitel, stehen die Anten-
nen, zwei!) symmetrische Fortsätze von cylindrischer Ge-
stalt. Die Rückenfläche des Körpers ist von dem Mantel be-
deckt, von einer schildförmigen Duplicatur der äussern Be-
deckungen, welche von dem Nacken sich verschieden weit
nach hinten erstreckt, bei Limax etwa nur bis an das mitt-
lere Drittheil desRumpfes, bei den Gymnobranchiaten bis an
das hintere Ende desselben. Von den Hautbedeckungen des
Rumpfes ist der Mantel durch eine ringförmige Furche, durch
die sogenannte Mantelfurche, geschieden. Da, wo Mantel
und Fuss durch Grösse und Entwicklung sich auszeichnen,
liegt diese Falte in der Circumferenz des Leibes. Die Rän-
der von Fuss und Mantel stossen in diesem Fall unmittelbar
auf einander, so dass die eigentlichen einfachen Hautbede-
ckungen nur im Grunde jener Falte sichtbar werden. Der
ganze Rumpf ist dann, gewissermassen wie bei den Schild-
kröten von dem Rücken- und Bauchschilde, so hier von dem
1) Bei den Landschnecken ist die Zahl der‘ Antennen verdoppelt. Die hintern
tragen die Augen, wie bei den Podophthalmen. Indessen hat man, wie es mir
scheint, nicht diese grössere Zahl der Antennen als die Normalzabl bei den
Mollusken anzusehen. Sie erscheint vielmehr als eine individuelle Abweichung,
bedingt durch die selbstständige Entwicklung des Ommotophorum, eines Gebil-
des, welches sonst mit den Fühlern mehr oder minder innig verschmolzen ist,
und nur in seltenen Fällen vollkommen fehlt, wie bei Doris, Aplysia u. s. w.
Man vergl, hierüber die interessanten Angaben von Loven in Oken’s Isis. 1842
S. 363,
140
Mantel und dem Fuss umschlossen, zwischen denen in der
Mittellinie des Vorderleibes nur der Kopf‘nach aussen vorragt.
Ueber das morphologische Verhältniss und die Bedeu-
tung der erwähnten Theile giebt die Entwicklungsgeschichte
uns Aufschluss. Wo die Bildungsvorgänge des Embryo in
der Gruppe der Gasteropoden, wie es scheint, am einfach-
sten sind und auch am genauesten beobachtet werden konn-
ten, bei den Pulmonaten z.B. bei Limax!), entstehen auf der
Dotterkugel, nachdem dieselbe durch den Prozess der Zer-
klüftung zur Ausscheidung der ersten embryonalen Gebilde
befähigt ist, im Anfang zwei neben oder vielmehr über ein-
ander gelegene Wülste, von denen der untere, der Bauch-
wulst, sich allmählig zu einem ganz ansehnlichen zungen-
förmigen Anhang der Dotterblase auszieht und in den Fuss
metamorphosirt?2), Noch ehe die weitere Entwicklung dieses
Bauchwulstes eingetreten ist, erheben sich an der vordern
Grenze desselben, wo er der untern Fläche der Dotterkugel
anliegt, die beiden Lippenwülste, zwei seitliche Hervorra-
gungen, welche bei den Limacinen an Grösse sehr weit hin-
ter dem Fuss zurückbleiben. Vor ihnen, mehr der Scheitel-
lläche zugewandt, sprossen später die beiden Antennenpaare
hervor), während die Lippenwülste selbst allmählig immer
mehr in der Medianlinie des Bauches einander entgegen-
wachsen. Der oberhalb des Fusses gelegene Rückenwulst
1) Van Beneden et Windischmann in Müller’s Arch. 1841. $. 176.
2) Das hintere Ende dieses Anhanges wird bei den Limacinen zu einem eigen-
thümlichen contractilen Gebilde, zu der sogenannten Schwanzblase, die übri-
gens im Laufe der Entwicklung allmählig wiederum schwindet, und auch, wie
es scheint, nirgends anders bei den Mollusken weiter vorkommt. Ihre morpho-
logische Bedeutung ist daher gewiss nur sehr untergeordneter Art — ein Ver-
hältniss, welches mich auch bestimmt hat, das betreffende Gebilde. in obiger
Darstellung der Entwicklung ausser Acht zu lassen,
3) Nach der Darstellung von Van Beneden würden diese mit den spätern Lippen
aus einer Theilung der primitiven Lippenwülste ihren Ursprung nehmen, Dass
dem aber wirklich so sei, möchte ich desshalb bezweifeln, weil bei den übri-
gen Mollusken die Bildung der Antennen offenbar eine selbstständige ist. Bei
den Limacinen möchte wegen der geringen Grösse der Lippenwülste eine der-
arlige Täuschung in der Beobachtung leicht möglich sein,
überwölbt allmählig nach dem Kopfe zu die Dotterkugel und
wird zum Mantel. Noch eine Zeit lang ragt der Rest der
Dotterkugel, von den Hautbedeckungen des Embryo um-
schlossen, wie ein Bruchsack zwischen Kopf und Rücken-
schild hervor. Erst allmählig wird derselbe durch die wei-
tere Entwicklung jener Decken nach innen in die Leibeshöhle
zurückgedrängt ), wo er dann zur Bildung der Eingeweide,
besonders der Leber, verbraucht wird.
Die Gymnobranchiaten, so wie die Pomatobranchiaten
u. s. w. zeigen in ihrer Entwicklung einzelne Abweichungen
von den eben geschilderten Vorgängen. Indessen beruhen
solche nicht etwa auf einer wirklichen Verschiedenheit der
in Anwendung gezogenen morphogenetischen Prozesse, son-
dern vielmehr bloss auf einem differenten Verhältniss in der
Entwicklung und Ausbildung der gestaltbedingenden Elemente.
Lippenwülste, Fuss und Mantel sind auch bei ihnen, ganz
wie bei den Limacinen, die wichtigsten morphologischen
Factoren, die hauptsächlichsten Träger der Entwicklung und
der Form. Dass aber dieselben in ihrer ersten Gestaltung
so auffallend von den entsprechenden Theilen jener Pulmo-
nalen sich unterscheiden, möchte wohl kaum aus der spä-
tern Uebereinstimmung derselben zu erschliessen sein. Nur
die manchfachen grösseren Schwankungen in der formellen
Erscheinung dieser Theile bei den Gymnobranchiaten u. s. w.
könnten vielleicht schon a priore uns einen derartigen Unter-
schied vermuthen lassen, wenn anders wir von vorn herein
zu der Annahme berechtigt wären, dass diese Verschieden-
heiten unmittelbar nach den Gesetzen der Bildungshem-
mung u. Ss. w. aus einer cyclischen Reihe embryonaler Ent-
wicklungsvorgänge resultirten. Die Beobachtung hat nun
allerdings die Statthaftigkeit einer solchen Vermuthung nach-
gewiesen. Wir wissen, dass die vollendete Form der be-
1) Bei den beschalten Pulmonaten wird dieser Bruchsack nicht zurückgedrängt,
Er wächst sogar noch weiter, wird von dem Mantel überwölbt, und bildet
dann grösstentheils den ansehnlichen, im Innern der Schale gelegenen Theil des
Rumpfles mit der Eingeweidemasse.
142
treffenden Gasteropoden nicht unmittelbar und auf geradem
Wege sich entwickelt, sondern das Product einer Metamor-
phose ist.
An der Bauchfläche der zur Ausscheidung des Embryo
nach der Durchfruchung befähigten Dotterkugel bilden sich
auch bei den Gymnobranchiaten !) die Lippenwülste und der
Fuss, ganz eben so zu einander gelagert, wie es bei Limax
der Fall ist. Dadurch aber unterscheiden sie sich von den
entsprechenden Theilen dieser letztern Gasteropode, dass
nicht der Fuss durch Wachsthum und Entwicklung sich aus-
zeichnet, während die Lippenwülste nur rudimentär ?) blei-
ben, sondern umgekehrt die letztern zu einer sehr mächti-
gen Grösse gelangen, und der Fuss beträchtlich hinter ihnen
zurücksteht3). Die Lippenwülste nämlich entwickeln sich. zu
zweien grossen flügelförmigen Lappen (zu dem sogenannten
Segel), an deren freiem, abgerundetem Rande eine Reihe
langer und kräftiger Cilien hervorwächst. So lange diese
Lippen- oder Kopfwülste ihre anfängliche Grösse und Ent-
wicklung behalten, bleibt der Fuss ein kurzer, zungenförmi-
ger Anhang an der Bauchfläche des Dotters, der inzwischen
1) Vergl. besonders v. Nordmann, Versuch einer Monographie des Tergipes Ed-
wardsii. St. Petersburg 1843. S. 82 ff, und Vogt in den Annal. des sciens.
nat. 1846. T. VI. Sur l’embryologie des Mollus. gasterop.
2) Dass die Lippenwülste der Pulmonaten morphologisch den Segellappen der übri-
gen Gasteropoden entsprechen, scheintmir besonders durch das übereinstimmende
Verhältniss, in welchem dieselben zum Fusse stehen, erwiesen. Auch braucht
man z. B. nur die Abbildungen dieser Gebilde von Limax bei Van Beneden
(1. ce Tab. VII. Fig. 23. 31.) zusammenzuhalten mit den entsprechenden Zeich-
nungen von Tergipes bei Nordmann (|. c. Tab. IV. Fig. 26. 27.), um so-
gleich allen etwaigen Zweifel darüber zu verlieren. [
3) Auch findet sich vielleicht in der Zeit der Entstehung ein Unterschied, indem,
wie es scheint, — abweichend von Limax — öfter die Lippenwülste früher, als
der Fuss sich bilden, und auch früher als der Mantel. Wie es mir scheint,
reichen übrigens im Augenblick die vorliegenden Beobachtungen noch nicht voll-
kommen zur Entscheidung dieses Verhältnisses hin, Indessen ist jener Unterschied,
wenn er auch wirklich sich bestätigen sollte, schwerlich von grosser Bedeu-
tung. Sehen wir doch auch z. B. bei den Arthropoden in der Bildungszeit ver-
schiedener morphologischer Elemente manche nicht unbeträchtliche Differenzen
bei den verschiedenen Arten.
143
mit einem schalentragenden }) Mantel sich versehen hat und
dadurch zum Rumpfe geworden ist. Dieser letztere bildet
den beträchtlichern Theil des Leibes, die ganze obere und
hintere Masse des Körpers. Er bedeckt nicht bloss, wie bei
den Limacinen und den übrigen Pulmonaten, welche nach
demselben Schema sich entwickeln, die Rückseite des Fus-
ses, sondern ragt auch nach hinten darüber hervor und hilft
somit denn zugleich die Bauchfläche des Körpers bilden.
Im Lauf der Entwicklung aber ändert sich dieses Ver-
hältniss. Die zarte Gonchylie geht bei den Nacktschnecken
verloren. Die Lappen der Lippenwülste schwinden allmäh-
lig, und der Fuss nimmt an Grösse zu. Er wächst nach
hinten und nach den Seiten, und wird zu einer ansehnlichen
muskulösen Scheibe. In gleichem Verhältniss wird der Rumpf
allmählig von der Bauchfläche nach dem Rücken zu empor-
gehoben. Er hört auf, an der Bildung jenes Abschnittes
ferner Theil zu nehmen und bekommt eine Lage, wie bei
Limax u. s. w. Die ganze Bauchfläche des Körpers ist jetzt
vom Fusse gebildet, während der vom Mantel überdeckte
Rumpf die Rückenfläche des Körpers darstellt.
Auf ganz analoge Weise geht die Entwicklung und all-
mählige Ausbildung des Körpers bei den Ctenobranchiaten
und überhaupt, wie es scheint, bei den meisten übrigen
Gasteropoden (auch bei den Cyelobranchiaten?) vor sich.
Auch diese zeichnen sich während der frühern Embryonal-
zustände durch die Existenz zweier ansehnlicher Kopflappen
(des Segels) aus. Darin aber unterscheiden sie sich von den
Nacktschnecken, dass bei ihnen theils der Fuss zu dem
Rumpfe beständig eine Relation hat, wie bei den Gymno-
branchiaten nur in den frühern Stadien der Entwicklung,
theils auch die Conchylie nicht verloren geht, sondern bleibt
und an Festigkeit und Grösse zunimmt.
1) Auch bei Limax trägt bekanntlich der Mantel eine Schale, nur ist dieselbe hier
nicht äusserlich gelegen, sondern eingebettet in die Substanz desMantels. Helix,
Limnaeus u. s. w. besitzen dagegen eine äussere Schale, die, wie bei den
Gymnobranchiaten, schon frühe sich entwickelt,
144
Der Mutterboden der Conchylie ist der Mantel. Wie
dieselbe Anfangs dadurch entsteht, dass die äussere Schicht
der Embryonalzellen auf dem Rumpfe eine eigenthümliche,
selbstständige Entwicklung durchläuft, so wächst dieselbe
späterhin durch Apposition eines von dem Mantel gelieferten
kalkreichen Secretes. Wo diese Apposition, wie in den mei-
sten Fällen, nicht an allen Stellen gleichförmig geschieht,
sondern vorzugsweise an der einen Seite, da muss allmäh-
lig jene eigenthümliche, spiralig gewundene Form entstehen,
die das Gehäuse der Gasteropoden bekanntlich darbietet.
Natürlich hat solcher Wachsthum den grössten Einfluss auf
die Bildung des im Innern der Schale von dem Mantel um-
schlossenen Rumpfes. Indessen haben diese Verhältnisse für
unsere Betrachtungsweise eine geringere Bedeutung. Selbst
in der zoologischen Systematik verdienen dieselben gewiss
lange nicht jene ausschliessliche oder vorzugsweise Beach-
tung, die man ihnen so vielfach beigelegt hat.
Als ein Gesetz von ziemlich allgemeiner Geltung scheint
sich herauszustellen, dass der Mantel am Körper der Gaste-
ropoden um so beträchtlicher entwickelt ist und einen um
so grössern Theil des Rumpfes bedeckt, als Fuss und Lip-
penwülste an Bedeutung und Ausbildung zurücktreten. Schon
hierin ist ein bestimmter Gegensatz zwischen den betreffen-
den Gebilden unverkennbar ausgesprochen. Auf der einen
Seite steht der Rumpf mit seiner Bedeckung, auf der andern
Fuss und Lippenwülste. Diese letztern Theile bilden ein zu-
sammengehörendes, bis zu einem gewissen Punkte selbst-
ständiges System, welches zu dem Rumpfe, auf dessen Ko-
sten es an Ausbildung zunimmt, nach seiner allgemeinsten
Bedeutung in demselben Verhältniss steht, wie ein Anhangs-
gebilde zu seinem Hauptorgane. Fuss und Lippenwülste bil-
den in ihrem Zusammenhange den Vorderkörper der
Mollusken, der Rumpf mit dem Mantel den Hinterkörper.
Dass Fuss und Segel wirklich zusammengehören, ergiebt
sich theils aus dem anatomischen Verhältniss, in welchem
sie zu einander stehen (wie wir weiter unten sehen werden,
145
verwachsen sie sogar mitunter), theils auch aus der Art ihrer
Entwicklung. Sie gehen von einem gemeinschaftlichen Cen-
tralpunkte aus, der an dem vordern Ende der Bauchfläche
des Rumpfes gelegen ist. Von hier wachsen die Segel nach
aussen und oben, während der Fuss nach hinten sich ver-
längert. })
Mit dieser Entwicklungsweise steht es im Einklang, dass
der Fuss überall, wo er eine nur geringere Länge erreicht,
in seinem hintern Theile, niemals in seinem vordern, rudi-
mentär wird und fehlt. In demselben Maass aber, wıe der
Fuss nach vorn zurückweicht, wird die Bauchfläche des Hin-
terleibes frei und von dem Mantel umwölbt, wie es während
der Embryonalperiode auch bei den Nacktkiemern sich vor-
findet. Sehr deutlich ist dieses Verhältniss z. B. bei Bullaea.
Der Mantel überzieht hier, wie eine glockenförmige Hülle,
die ganze hintere Körperhälfte, indem er von der Spitze des
Hinterleibes an allen Seiten sich nach vorn erstreckt, wenn-
gleich auf der Rückenfläche weiter, als am Bauche. Ueber-
haupt liegt auch sonst fast überall der Mantel weit mehr
am hintern Leibesende, als am vordern. Bei Limax ist das
Verhältniss allerdings ein anderes, doch vielleicht nur dess-
halb, weil nirgends sonst die Bildung der hintern Leibes-
hälfte so sehr durch die übermässige Entwicklung des Fus-
ses hervorgerufen wird, als hier. Auch dadurch zeichnet
sich Limax aus, dass bei ihr nicht, wie gewöhnlich, der
ganze Rumpf vom Mantel bedeckt wird, sondern nur ein ver-
hältnissmäsig kleiner Abschnitt desselben (was auch bei Fi-
rola u. s. w. der Fall ist).
An Bullaea schliessen sich durch die Anordnung des
Mantels Clio, Pneumodermon u. a. nackte Pteropoden. Bei
diesen aber überzieht der Mantel einen noch weit grös-
1) Nach dieser eigenthümlichen Entwicklungsweise des Fusses bei den Mollusken
muss ich die Ansicht von v. Baer (Nov. Act. Acad, Leopold. Vol. XII. p. 546.)
als unrichtig bezeichnen, dass der Fuss der Schnecken der Saugscheibe der
Trematoden entspräche, obgleich in einzelnen Fällen die anatomische Anord-
nung eine grosse Aehnlichkeit zwischen beiden darbietet.
10
146
sern!) Theil des Leibes. Die einfachen Hautbedeckungen des
Rumpfes sind nirgends mehr sichtbar. Mantel, Fuss und Se-
gel umhüllen den ganzen Körper. In der Regel bleibt übri-
gens zwischen Mantel und Fuss noch ein Theil jener ein-
fachen Hautdecke übrig. So besonders am Grunde der ring-
föormigen Furche im Umkreis des Mantelrandes, in der so-
genannten Mantelfurche.
Schon oben ist gezeigt worden, wie die Bildung der
Kiemenhöhle bei den Gasteropoden auf einer blossen Weiter-
entwicklung dieser Furche zu einer Höhle beruhe, die zwi-
schen dem Mantel und dem Eingeweidesack sich hinerstreckt.
Sie entsteht, indem der Rand des Mantels?) durch seinen
excessiven Wachsthum die ursprünglichen Hüllen des Leibes
überwölbt, ohne damit zu einer gemeinschaftlichen Masse
zu verschmelzen. Im Zusammenhang mit der gewöhnlichen
Lage des Mantels am hintern Körperende und dem allmäh-
ligen Wachsthum desselben nach der Peripherie, besonders
aber nach vorn, scheint es zu stehen, dass die Kiemenhöhle
meistens unter dem vordern Rande desselben, auf dem Na-
cken, sich vorfindet.
Trotz aller Verschiedenheiten in der Entwicklung des
Mantels aber müssen wir überall die Rückenfläche des Rum-
pfes als die Mutterstälte dieses Gebildes ansehen. Niemals
liegt derselbe allein auf der Bauchseite, wohl aber häufig
allein auf dem Rücken, wenngleich vorzugsweise, wie ge-
sagt, dem hintern Leibesende zugewandt.
Anders dagegen ist es mit dem Fusse. Nicht bloss, dass
derselbe beständig an der Bauchfläche 3) gelegen; er erstrekt
1) Mit Unrecht behauptet Cuvier bei Glio die Abwesenheit eines Mantels. Die
Analogie mit den verwandten Thieren zeigt ganz deutlich, dass wir die ganze
Umhüllung des Hinterleibes als solchen deuten müssen.
2) Wo der Mantel von einer CGonchylie überdeckt ist, erscheint er unter dieser
überall nur sehr zarthäutig und durchscheinend; ein Verhältniss, das auch da
an den äussern Leibeshüllen sich wiederholt, wo diese, wie in der Kiemenhöhle,
von einer Verlängerung des Mantelrandes überlagert sind,
3) Aus diesem Grunde, glaube ich, ist für die vorliegende Abtheilung der Mollusken
der Guviersche Name Gasteropoda immer noch bezeichnend genug, selbst
sich auch niemals über die Seitentheile des Leibes empor
bis auf den Rücken, mag seine Grösse noch so bedeutend,
seine Anordnung noch so verschieden sein. Es kann übri-
gens hier nicht in unserm Zwecke liegen, alle die zahlrei-
chen Modificalionen in der Form dieses Gebildes namhaft zu
machen. Es genüge die Bemerkung, dass es bald breit und
scheibenförmig, bald schmal und cylindrisch, bald lang, bald
kurz sein könne, dass es bald seiner ganzen Länge nach
der Bauchfläche des Hinterleibes verschmolzen, bald nur mit
seiner vordern Basis dicht hinter dem Kopfe angeheftet sei
(wie z.B. bei den Ctenobranchiaten). — Einer besondern Be-
trachtung bedarf übrigens der Fuss noch in denjenigen Fäl-
len, wo er durch eine sehr ungewöhnliche Entwicklung sich
auszeichnet und zum Kriechen untauglich geworden ist. So
bei den Heteropoden. Hier ist er durch seitliche Compres-
sion in eine kielförmige Flosse verwandelt, die in der Me-
dianlinie des Bauches hinter dem Kopfende sich befestigt.
So wenigstens in seinem vordern grössern Theile. An dem
hintern Rande dagegen hat ein kleiner Theil des Fusses durch
eine Querfurche sich abgeschieden und selbstständig sich in
einen förmlichen Saugnapf metamorphosirt. Einigermaassen
eine ähnliche Anordnung besitzt der Fuss schon bei Denta-
lium, wo er einen kurzen, unterhalb des Kopfes nach vorn her-
vorragenden, cylindrischen oder rüsselförmigen Fortsatz bildet.
Völlig verschieden von dieser Form ist die Anord-
nung des Fusses bei den Pteropoden. Gerade die Entwick-
lung nach den Seiten hin ist es hier, die ihn auszeichnet
und in zwei lappenartige Flossen verwandelt, deren morpho-
logische Bedeutung zuerst von Blainville richtig erkannt })
ist. Die Umbildung des Fusses in vorstehender Weise be-
wenn man, wie es geschehen muss, die Heteropoda und Pteropoda damit ver-
einigt, Mit der Bezeichnung 7OVGS wird hier, ganz abgesehen von der etwai-
gen Form, überall ein gleicher und ganz bestimmter morphologischer Abschnitt
hervorgehoben und benannt,
1) Guvier hielt die Flossen der Pteropoden (wenigstens bei Clio u. s. w.) für
Respirationsorgane,
10 *
148
ginnt übrigens schon bei den Pomatobranchiaten, die über-
haupt in ihrem ganzen Bau den Pteropoden so nahe stehen,
dass es schwer ist, in manchen Fällen die Grenze zwischen
beiden festzustellen. Schon bei Bullaea sehen wir, wie die
hintere Hälfte des Fusses seitlich sich ausbreitet und nach
aussen über den Mantel in einer schmalen flossenförmigen
Falte hervorragt. Bei Gasteropteron geht diese Anordnung
noch weiter. Der Fuss metamorphosirt sich in eine rund-
liche, patte Scheibe, die nur äm vordern Ende in der Me-
dianlinie, wo sie die Mundöffnung trägt, mit dem Körper
zusammenhängt, sonst aber völlig frei ist und besonders seit-
lich den Rumpf weit überragt. Ganz ähnlich erscheint die
Anordnung des Fusses bei Tiedemannia, so wie auch bei
Cymbulia, nur dass bei letzterer der Eingeweidesack in sei-
ner ganzen Länge auf der Fussscheibe befestigt ist, und die-
ser denn somit unter der Gestalt zweier breiter Längsflos-
sen auftritt, die in der Mittellinie des Bauches unter sich und
mit dem eigentlichen Körper zusammenhängen. In andern
Pteropoden verkümmert allmählig von hinten an der mittlere
Theil des Fusses, so dass vorzugsweise nur noch die beiden
seitlichen Flossen übrig bleiben, zwischen denen dann der
Leib hervorragt. Schon bei Bullaea ist ein derartiges Ver-
hältniss angedeutet. Noch auffallender wird es bei Hyalaea,
wo der hintere Rand des Fusses in der Mittellinie weit aus-
geschnitten ist, während die seitlichen Theile, wie ein Paar
Flügel, neben der Mundöffnung liegen. Immer aber lässt
auch hier noch hinter der Mundöffnung sich eine freilich nur
schmale Platte unterscheiden, die eine mitllere Commissur
zwischen den beiden Seitenlappen bildet und an ihrem hin-
tern freien Rande nach vorn umgebogen ist. Ganz’ ähnlich
bei Limacina, nur haben hier die seitlichen Flügel sowohl,
als auch der Bauchtheil des Fusses eine abweichende Form.
Dieselben drei Theile !) bilden den Fuss bei Clio. Den mitt-
1) Mit Unrecht glaubte ich früher (Wagner's Zootomie II. S. 406.) nur den Hals-
kragen von Clio als Analogon des Fusses ansehen zu dürfen.
19
leren unpaaren Theil, der hier allerdings eine mehr selbst-
ständige Entwicklung besitzt, hat Eschricht!) bei diesem
Thier als ein isolirtes Gebilde, als Halskragen, beschrieben.
Durch seine Lage aber, so wie durch seine Verbindung mit
den Flossen erweist er sich ganz offenbar als mittlern Fuss-
lappen.
Die eigenthümliche Form und Entwicklung der seitlichen
Flossen liesse übrigens in allen diesen Fällen vielleicht noch
eine andere Deutung zu. Vielleicht — so könnte man ver-
muthen — sind sie nicht wirkliche Theile des Fusses, durch
eine seitliche Ausbreitung dieses Gebildes entstanden, son-
dern die persistirenden Kopfsegel der Embryonen, zumal sie
solchen hie und da, wie besonders bei Limacina und Hya-
laea, ganz auffallend gleichen. Dann würde der Fuss bei
den Pteropoden nur sehr rudimentär sein und allein in dem
mittleren Anhang zwischen jenen beiden Flossen bestehen.
Dass dieser bei Hyalaea u.s. w. mit den Flossen zusammen-
hängt, möchte solcher Ansicht nicht widersprechen. Immer-
hin könnte ja eine derartige Verbindung, welche durch Lage
und Relation der betreffenden Theile schon an sich sehr
leicht möglich wird, durch die Persistenz der Segel bedingt
und hervorgerufen sein.
Eine völlige Entscheidung dieser Frage wird allein auf
directem Wege, durch eine Beobachtung der Entwicklung,
beigebracht werden können. So lange aber solche fehlt,
glaube ich unbedingt gegen die Deutung der Flossen als
Kopflappen mich erklären zu müssen. Theils scheinen mir
die manchfachen Uebergänge von der gewöhnlichen Form
des Fusses bis zu dieser extremen Bildung dagegen zu spre-
chen, theils auch die Lagerungsverhältnisse der betreffenden
Theile bei Clio. Hier möchte die Deutung der Flossen als
Kopflappen kaum möglich sein, da dieselben nicht, wie sonst,
die Mundöffnung zwischen sich nehmen, sondern nach hin-
ten ziemlich weit davon entfernt gelegen sind. Ueberdiess
1) Anatomische Untersuchung über Clione borealis. Kopenhagen 1838. $. 3.
150°
glaube ich endlich noch ein anderes von den Flossen ver-
schiedenes Gebilde der Pteropoden und einiger verwandten
Pomatobranchiaten als Rudiment des Segels in Anspruch neh-
men zu müssen.
Bei Gasteropteron erscheint dasselbe als ein freier
zipfelförmiger Fortsatz (velum capitis) von dreieckiger Gestalt,
der oberhalb der Mundöffnung vor dem Eingeweidesack (Hin-
terleib) gelegen ist und mit den Seitentheilen seiner Basis
die Lippen bildet. Ich wüsste nicht, wie man anders die-
sen Anhang deuten wollte. Höchstens könnte derselbe noch
aus der Verwachsung der Tentakel hervorgegangen sein, die
sonst unserm Thiere!) fehlen, allein die Anordnung und
besonders das Verhalten derselben in andern Arten, na-
mentlich bei Cymbulia, wo ausserdem ganz deutlich noch
zwei Fühler vorkommen, möchte eine solche Annahme als
unhaltbar erscheinen lassen. — Dass das betreffende Gebilde
unpaar ist, macht in keinerlei Beziehung grosse Schwierig-
keiten. Entweder kann es erst im Lauf der Entwicklung
aus der Verschmelzung zweier seitlichen Theile zu einem
unpaaren geworden sein, oder auch von Anfang an unter
dieser Gestalt existirt haben, Sehen wir doch bei den Thie-
ren mit symmetrischem Typus gar häufig statt zwei entspre-
chender lateraler Elemente nur ein unpaares mittleres. 2)
Offenbar dasselbe Gebilde ist es, welches bei Bullaea
und den übrigen Akeraten durch seine Verwachsung mit den
äussern Hautdecken die sogenannte Nackenplatte (bouclier)
bildet. Cuvier hat bekanntlich die Entstehung dieses Ge-
1) Eben so den meisten übrigen hier in Betracht gezogenen Thieren,
2) Für unsern Fall aber möchte ich eher das erstere Verhältniss supponiren. Wir
sehen, dass sonst überall die Segel an der Bauchfläche ihren Ursprung neh-
men. Von da können sie erst später im Lauf der Entwicklung nach dem Rü-
cken emporrücken. Wahrscheinlich würde also ein unpaares mittleres Element,
wo es die beiden lateralen Theile ersetzt, eine gleiche Lage an der Bauchfläche
haben. Indessen istes noch die Frage, ob dieLage desSegels oberhalb des Mun-
des unszu der Annahme berechtigt, dass dasselbe nun auch wirklich der Rücken-
fläche angehöre? — Sahen wir doch auch schon oben bei den Arthropoden an
dem vordersten Ganglion des Bauchmarkes eine analoge Collision der morpho-
logischen Dentung mit der anatomischen Anordnung.
bildes aus einer Verwachsung von vier Tentakeln hergeleitet.
Indessen scheinen mir die vier bei Bulla ampulla vorkom-
menden Randlappen dieser Platte um so weniger zur gehö-
rigen Begründung dieser Deutung passend und hinreichend,
als die Vierzahl der Tentakel bei den betreffenden Thieren
gegen alle Analogie wäre. Viel wahrscheinlicher dagegen
ist mir die eben ausgesprochene Vermuthung. Eine ganz
analoge Nackenplatte, nur kleiner und weniger markirt, sehe
ich auch bei Hyalaea. BeiLimacina dagegen möchte ich die
beiden lippenförmigen Falten, die von dem Scheitel an den
Seitentheilen der Mundöffnung bis zu der vordern Basis des
mittlern zungenförmigen Fusslappens hinablaufen, für ent-
sprechende Bildungen halten. Wiederum abweichend ist die
Anordnung dieses Theiles bei Cymbulia. Am meisten gleicht
derselbe hier-noch dem entsprechenden Kopflappen von Ga-
steropteron, doch ist er theils eine grössere Strecke auf dem
Nacken mit dem Mantel verwachsen, theils hängt er auch
seitlich mit den vordern Rändern der Flossen zusammen und
hilft so die Scheibe des Fusses vervollständigen. Hierdurch
wird es möglich, dass diese sich nach vorn bis über die
Mundöffnung hinaus erstreckt und die letztere einschliesst.
Die Grenze zwischen Kopflappen und Fuss ist aber immer
noch sehr deutlich durch eine Falte bezeichnet, die von den
Mundwinkeln in einem Bogen nach oben und aussen sich
hinzieht. Dicht oberhalb der Mundöffnung auf der Fläche
des Kopflappens stehen zwei kleine pfriemenförmige Hervor-
ragungen, die Fühler, Bei Clio kann ich die beiden kappen-
förmigen Falten des Kopfes, welche seitlich zwischen den
Flossen und der Mundöffnung liegen und die Kopfkegel
umschliessen, ebenfalls nur für die metamorphosirten Lap-
pen des Segels halten. In Form und Anordnung gewähren
sie einer solchen Deutung hinreichende Anhaltspunkte.
Die Metamorphosen der Kopflappen bei den übrigen Ga-
steropoden hat Loven!) zum Gegenstand einer sehr sorgfäl-
1) In Oken’s Isis. A. a. O.
152
tigen Untersuchung gemacht. In den meisten Fällen, bei den
Ctenobranchiaten !), scheinen sie im Lauf der Entwicklung
vollständig verloren zu gehen. Am häufigsten finden sich
deren Rudimente noch bei den Gymnobranchiaten, wo diesel-
ben unter der Bezeichnung des Segels bekannt sind (dessen
Theile z. B. bei Eolidia die vordern sogenannten Tentakel
bilden. Am auffallendsten erscheinen sie bei Thetys, in der
Gestalt eines mächtigen halbkreisförmigen Schleiers, welcher
den Mund bedeckt und umgiebt und in colossaler Form den
unpaaren Kopflappen von Gasteropteron wiederholt.
Seine vollendetste Ausbildung erreicht der typische Bau der
Gasteropoden bei den Gephalopoden. Alle die einzelnen
morphologischen Elemente, die bei jenen in die Bildung des
Leibes eingehen und die verschiedenen Gestaltungen dessel-
ben bedingen, finden wir, wenngleich in mehrfach abwei-
chender Anordnung und Entwicklung, auch hier. Die Re-
duction der betreffenden Theile ist übrigens wegen dieser
Abweichungen manchen Schwierigkeiten unterworfen, ob-
gleich durch Kölliker’s meisterhafte Darstellung der Ent-
wicklungsgeschichte dieser Thiere ein reichliches Material für
ein derartiges Unternehmen uns vorliegt. Wie wenig aber
erst die morphologische Auffassung dieser so sehr interes-
santen Geschöpfe zu einem Abschluss gekommen sei, ergiebt
sich daraus, dass selbst Kölliker?) noch im Ungewissen
bleiben konnte, welcher Theil bei den Gephalopoden als
Rücken, welcher als Bauch zu deuten sei.
Bei einer äusserlichen Betrachtung unterscheidet man am
Körper der Cephalopoden vornämlich zwei sehr scharf von
einander abgesetzte Theile, einen vordern, verhältnissmäs-
sig sehr ansehnlichen Kopf und einen dahinter gelegenen
Rumpf. Der letztere wird von einem glockenförmigen, stark
gewölbten Mantel bekleidet, der in jeder Hinsicht, selbst
durch sein Verhältniss zur Kiemenhöhle, wie oben schon er-
1) Die seitlichen Lippentaster bei Murex, Harpa, so wie auch bei Eolidia hält
Loven für Verlängerungen des Fusses,
2) A. a, 0, S. 170.
153
wähnt ist, dem gleichnamigen Gebilde der Gasteropoden ent-
spricht. Nicht in demselben Maasse ist solches mit dem Kopfe
der Fall. Der sogenannte Kopf der Gasteropoden ıst eigent-
lich kaum mehr, als der vordere Theil des Rumpfes, ausge-
zeichnet durch die an ihm befindlichen Anhänge des Vorder-
leibes. Höchstens möchte Clio in dieser Beziehung unter den
Gasteropoden durch die Entwicklung eines förmlichen Ko-
pfes — welcher vorzugsweise durch die Persistenz und die
eigenthümliche Bildung der Kopflappen bedingt zu sein scheint
— eine Ausnahme machen. Ueberhaupt schliesst sich dieses
Geschöpf durch seine äussere Gestaltung mehr, als irgend
eine andere Schnecke, an die Cephalopoden. Selbst die
Arme derselben finden in den Kopfkegeln ganz offenbar ihre
morphologischen Aequivalente. Eben so zeigt der Mantel eine
gleiche mächtige Entwicklung. Nur die seitlichen Ausbrei-
tungen des Fusses scheinen bei den Cephalopoden zu fehlen.
Die sogenannten Flossen der letztern, die einen ähnlichen
Bau haben, erweisen sich bei näherer Untersuchung als völ-
lig verschieden. Sie sind blosse Ausstrahlungen oder Dupli-
caturen des Mantels, die jeder typischen Bedeutung erman-
geln und denn darum auch sehr häufig, wie bei den Octopo-
den, fehlen können. Dagegen erinnert der sogenannte Hals-
kragen von Ulio, den ich oben als den mittleren Lappen des
Fusses gedeutet habe, in seinen allgemeinern Verhältnissen
durch Lage und selbst durch Gestalt so auffallend an den
Trichter der Gephalopoden, dass wir schon von vorn herein
die Möglichkeit einer morphologischen Uebereinstimmung zwi-
schen beiden gern einräumen.
Weit grössere und sicherere Anhaltspunkte und Auf-
schlüsse für die morphologische Deutung des Cephalopoden-
körpers !) giebt uns die Entwicklungsgeschichte.
1) Völlig haltlos und ungewiss bleibt aber immer noch die Deutung des Körpers
bei den merkwürdigen Hectacotylusformen, welche durch die Untersuchungen von
Kölliker und v. Siebold als die Männchen einiger Octopoden erkannt sind.
Der Dimorphismus ist höchst auffallend und noch abweichender als bei den
pavasitischen Krebsen. Auch der Umstand ist aussergewöhnlich, dass bei die-
Was bereits in den frühesten Stadien der Entwicklung
die Cephalopoden von den Gasteropoden, wenigstens von
den bisher beobachteten Arten (ob wirklich von allen — z.B.
von Clio — möchte ich fast bezweifeln) unterscheidet, ist das
Verhältniss, in welchem die Embryonen zu dem Dotter ste-
hen. Niemals umschliessen diese nämlich die ganze Dotter-
kugel, sie schnüren sich vielmehr im Laufe der Entwicklung
davon ab, so dass der Rest einen förmlichen äussern An-
hang bildet (wie eine Nabelblase), der erst späterhin verlo-
ren geht. Morphologisch ist übrigens dieser Unterschied von
geringem Interesse. Eben so der Umstand, dass die Zer-
klüftung sich nur über einen kleinen Theil des Dotters aus-
dehnt, über denjenigen nämlich, welcher zunächst der Bil-
dung des Embryo bestimmt ist.
Darin aber stimmen diese beiden Gruppen der Mollu-
sken mit einander überein, dass keineswegs die ganze Ober-
fläche des Leibes zu gleicher Zeit entsteht. Zuerst bildet
sich bei den Cephalopoden der Mantel, anfangs ein flaches
schildförmiges Gebilde, wie bei Limax. Es bezeichnet durch
die Stelle seines Ursprungs den Rücken oder Hinterleib. Im
Umfang des Schildes entstehen die übrigen morphologischen
Elemente des Körpers, alle gepaart, dem Mantel zunächst
(wenn wir die Kiemen ausser Acht lassen) die seitlichen
Schenkel des Trichters, nach aussen davon die Kopflappen,
jederseits ein vorderer und ein hinterer. Alle diese Gebilde
sind Anfangs flächenartig ausgebreitet, so dass die vordern
Kopflappen die tiefste, der Rückenschild die höchste Stelle
einnehmen. Vergleichen wir in diesem Zustande den Em-
bryo eines Cephalopoden, z. B. von Sepia, wie ihn Kölli-
ker Tab. 1. Fig. XIX. oder XX. (von oben) Fig. XXV, (von der
Seite) abgebildet hat, mit Cymbulia oder Hyalaea, so kann
sen Cephalopoden der Unterschied des Körperbaues in beiden Geschlechtern
schon während des Fötallebens sich hervorbildet (nach Marayigno in den
Annal. des science. nat, 1837. T. VI. p. 173.); ein Umstand, der meines Wissens
ausserdem nur noch beiNicothoe (Vergl. Rathke, Fauna Norwegens a. a, O.
S. 111.) beobachtet ist.
155
eine sehr auffallende Analogie in der Form des Körpers uns
unmöglich entgehen. Die dem Dotter aufliegende Fläche, die
aus den beiden Paar Kopflappen !) besteht, gleicht fast ganz
vollkommen dem eigenthümlich metamorphosirten Fusse dieser
Gasteropoden. Die vordern Kopflappen, welche äusserlich
die Augen tragen und in der Medianlinie ihres Vorderrandes
mit dem Eingang in den Verdauungskanal, mit der Mund-
öffnung, versehen sind, entsprechen in jeder Hinsicht den
Mundwülsten oder Segelhälften, die dahinterliegenden Kopf-
lappen den Seitenflossen des Fusses. Wie bei Cymbulia sind
hier beide zu einer gemeinschaftlichen Scheibe verschmolzen,
doch so, dass ihre Grenze noch eine geraume Zeit deutlich
bleibt. Diese Scheibe bildet den Vorderleib. In der Furche
zwischen Mantel und ihm sind die seitlichen Trichterschenkel
gelegen, welche in der Mittellinie des Körpers oberhalb der
Mundöffnung unter sich und mit dem Schilde des Vorderlei-
bes verwachsen sind, die Basis des Hinterleibes oder Rü-
ckens (des Mantels) ringförmig umfassen und nach hinten,
wo sie die Afteröffnung zwischen sich nehmen, bis über die
hintern Kopflappen hervorragen. Entsprechen nun, wie die
Anordnung ganz deutlich beweist, diese letztern den seitli-
chen Flossen des Fusses bei Hyalaea, so können die Trichter-
schenkel nur noch dem mittleren Fusslappen analog sein, der
bei Clio den Halskragen bildet. Lage und Anordnung, so
wie der Zusammenhang mit dem Vorderleibe sind dieser
Deutung vollkommen gemäss. Dass sie paarig sind, spricht
nicht dagegen; wir haben in diesem Verhalten nur einen
neuen Beleg jenes morphogenetischen Gesetzes, wonach ein
unpaares mittleres Element durch zwei entsprechende seit-
liche ersetzt werden kann.
In diesem Stadium ist der Embryo der Cephalopoden
also vollkommen nach dem Typus der Gasteropoden gebauet.
Die Abweichungen davon sind kaum grösser, als sie auch
sonst in den verschiedenen einzelnen Arten dieser Gruppe
1) Gemäss dieser Anordnung ist auch späterhin der Dottersack am Kopfende des
ausgebildeten Thieres befestigt.
156
vorkommen. Mantel, Fuss und Segel sind ganz deutlich vor-
handen und ohne alle wesentlichen Differenzen von dem ge-
wöhnlichen Verhalten. Die Kopflappen (Segel und Seiten-
theile des Fusses) bilden den Vorderleib, welcher die Bauch-
fläche des Körpers einnimmt. Der Hinterleib, vom Mantel
bedekt, ist oberhalb desselben auf der Rückenfläche gelegen.
Die Anwesenheit des Mundes bezeichnet das vordere Ende,
die des Afters das hintere Ende des Körpers. Ueber die
morphologische Deutung kann kaum ein Zweifel sein.
Allmählig aber ändert sich das Verhältniss. Vorderleib
und Hinterleib wachsen sehr beträchtlich, doch nicht der
Länge nach, sondern in dem Höhendurchmesser. Die seitli-
chen Lappen des Segels und Fusses, anfänglich flächenartig
ausgebreitet, verwandeln sich in den kugligen Kopf, in des-
sen unterm Pole dann der Mund gelegen ist; der Mantel, an-
fänglich nur ein flacher Schild, wird zu einer hohen Glocke,
deren untere Ränder durch ihren übermässigen Wachsthum
allmählig die seitlichen Trichterschenkel überdecken. Diese
letztern endlich verwachsen mit ihren hintern Enden ober-
halb des Afters zu einem unpaaren cylindrischen Gebilde,
welches späterhin allein aus dem Mantelschlitz (der Athem-
öffnung) hervorragt.
Bei der morphologischen Auffassung des Cephalopoden-
körpers können übrigens derartige Umwandlungen die Deu-
tung der einzelnen Elemente nicht beeinträchtigen. Was wir
im ausgebildeten Zustande bei den Cephalopoden den Kopf
nennen, dieses eigenthümliche Gebilde, entsteht also aus
einer Verwachsung und Metamorphose des Segels und der
Seitentheile des Fusses. Der Trichter entspricht dem Mittel-
lappen des Fusses bei den Pteropoden und der glockenför-
mige Mantel den Bedeckungen des Hinterleibes. Das eigent-
liche Leibesende fällt mit der Afteröffnung zusammen, nicht
mit dem Ende des Hinterleibes, der morphologisch als die
höchste Spitze des Rückens zu deuten ist. Die sogenannte
Rückenfläche des Hinterleibes ergiebt sich hiernach als die
vordere aufsteigende Fläche des Rückens, die sogenannte
157
Bauchfläche als die hintere absteigende Fläche. Der Kopf
bezeichnet das untere Leibesende.
Der sogenannte Längsdurchmesser der Gephalopoden von
der Spitze des Kopfes bis zum Ende des Hinterleibes ist da-
her nicht, wie man gewöhnlich annimmt, congruent mit dem
Längendurchmesser der übrigen Thiere mit lateralem Typus.
Er schneidet vielmehr denselben unter einem rechten Win-
kel; er ist der Höhendurchmesser. Der eigentliche Längen-
durchmesser dagegen verläuft in der Medianlinie des Körpers
vom sogenannten Rücken nach dem sogenannten Bauch, die
übrigens, wie gesagt, nur fälschlich diese Bezeichnung haben.
Unter solchen Umständen können wir denn auch in der
Lage des Herzens, so wie des Genitalapparates bei den Ce-
phalopoden keine Abweichung von der gewöhnlichen Anord-
nung bei den Gasteropoden sehen. Sie liegen nicht, wie
man bisher annahm, an der Bauchfläche des Körpers, son-
dern, wie überall, am Rücken, nur an der hintern abstei-
genden Fläche desselben. Selbst der After bietet keine dif-
ferente Gruppirung. Er findet sich, wie überhaupt bei den
meisten Geschöpfen, am Ende des Längendurchmessers. Die
Mundöffnung befand sich anfänglich demselben gerade gegen-
über. Dass sie diese Stellung verlassen und in der Median-
linie des Vorderleibes weiter nach hinten zu gerückt ist,
bis in die Mitte (in dem Mittelpunkt des sogenannten Kop-
fes) findet in der eigenthümlichen Umformung der vordern
Kopflappen (der Segelhälften) seine Erklärung. Schon bei
Cymbulia sehen wir durch eine ähnliche Verschmelzung der
beiden Segellappen eine analoge Lagenumänderung. Schon
hier ist der Eingang in den Darmkanal nach hinten gerückt,
wenngleich viel weniger weit, als bei den Cephalopoden.
Die morphologischen Verhältnisse der Cephalopoden sind
ihrerseits sehr geeignet, unsere Einsicht in den Bau der Ga-
steropoden zu fördern. Vor Allem bieten sie unserer An-
nahme von der Relation des Segels und Fusses einen ge-
wichtigen Anhaltspunkt. Sie zeigen auf das deutlichste, wie
diese einem gemeinschaftlichen System angehören, wie sie
BBR.. ui
zusammen den Vorderkörper der Gasteropoden bilden, des-
sen mittlere Längslinie mit dem Längendurchmesser des Lei-
bes zusammenfällt. Das hintere Ende des Fusses ist es also,
welches zugleich das hintere Ende des Körpers bestimmt. —
Fast überall zeichnet sich übrigens, wie bei den Cephalopo-
den, so auch bei den Gasteropoden der Höhendurchmesser
des Leibes vor dem Längendurchmesser aus. Der höchste
Punkt des Rückens ist die Spitze des Hinterleibes !), die bei
den gehäusetragenden Arten in den innersten Windungen
der Schale versteckt liegt. In den meisten Fällen ist solches
leicht ersichtlich. Da aber, wo der Längendurchmesser des
Vorderkörpes durch seine Kürze sich auszeichnet, ist es min-
der klar. Hier (z.B. bei Bullaea, Clio u. s. w.), scheint näm-
lich die Spitze des Hinterleibes mit dem Ende des Längen-
durchmessers zu kongruiren. In demselben Verhältniss näm-
lich, in welchem der Fuss nach vorn zurückweicht, senkt
sich der Hinterkörper, bis endlich die hintere absteigende
Fläche desselben mit dem Vorderkörper in einer gemein-
schaftlichen Ebene zu liegen kommt, und so denn der eigent-
liche Höhendurchmesser desselben als eine unmittelbare Fort-
setzung des Längendurchmessers am Vorderkörper erscheint.
Die Lage des Afters, wie der Genitalöffnung, ist übri-
gens bei den Gasteropoden keineswegs so regelmässig, wie
bei den Cephalopoden, am Ende des Längendurchmessers.
Sie findet sich fast immer weiter nach vorn und bietet da-
durch eine Abweichung von der gewöhnlichen Anordnung,
wie sie auch bei andern Geschöpfen nicht selten wahrge-
1) Die spiralige Anordnung des Hinterleibes bei vielen Gasteropoden ist sicherlich
nicht unmittelbar in den morphologischen Verhältnissen dieser Thiere begründet,
sondern ein Phänomen von untergeordneter Bedeutung, abhängig von dem eigen-
thümlichen ungleichen Wachsthum der Schale. Schwerlich wird man daher mit
v. Baer (Entwicklungsgesch.I. $.219.) in diesem Umstand den Typus einereigen-
thümlichen Art der Entwicklung (evolutio contorta) sehen können, Uebrigens
scheint mir auch die von Kölliker (a. a. ©. $. 174.) für die Entwicklung der
Mollusken vorgeschlagene Bezeichnung einer Evol. radiata nicht ganz passend.
Sie ist aus einer einseitigen Betrachtung der bei den Gephalopoden vorkommen-
den Bildungsvorgänge entnommen, Richtiger vielleicht könnte man die Ent-
wicklung dieser Geschöpfe als eine Evol, peripherica bezeichnen.
159
nommen wird. Dass dieselbe übrigens unter solchen Ver-
hältnissen nicht in der Medianlinie der Bauchfläche verharren
konnte, ist bei der Anordnung des Fusses ganz erklärlich.
Die Entwicklung des letztern musste sie von da nach den
Seitenflächen des Körpers hindrängen.
In unserer Darstellung von der Entwicklung und den
morphologischen Verhältnissen der CGephalopoden ist bisher
der Arme nicht gedacht worden. Es sind diese Gebilde den
betreffenden Mollusken ganz eigenthümlich. Bei den Gaste-
ropoden fehlen sie mit Ausnahme von Clio vollkommen. Und
auch bei der letztern sind sie nur sehr rudimentär. Die Zeit
ihrer Bildung bei den Cephalopoden fällt in jene Periode, in
welcher der Vorderkörper noch flächenartig ausgebreitet ist.
Sie entstehen ganz selbstständig in derPeripherie des Vorder-
leibes auf der Oberfläche des Dotters. Anfangs erscheinen
sie als ovale Wülste, die erst späterhin sich strecken und
dann mit den vordern Kopflappen, mit den Theilen des Se-
gels!) also, in Verbindung treten.
Die manchfachen Verschiedenheiten in der Entwicklung
der an diesen Armen befestigten Saugnäpfe2) übergehe ich.
Nur so viel sei noch erwähnt, dass mir aus morphologischen
Gründen die von Valenciennes3) gegen Owen verthei-
digte Deutung der zahlreichen am Kopf von Nautilus befind-
lichen Tentakel, wonach diese nicht als Arme, sondern als
Gebilde, analog jenen Saugnäpfen, angesehen werden, sehr
annehmbar erscheint. Die eigentlichen Arme sind hier ge-
schwunden oder doch sehr rudimentär; nicht mehr freie
eylindrische Anhänge, sondern blosse faltenförmige Lappen
zwischen dem Grunde der Tentakel. Das ganze Verhältniss
erinnert in mehrfacher Beziehung an jene Umwandlungen der
1) Die von Loven (a. a. O.) ausgesprochene Vermuthung, dass dieselben unmit-
telbar aus der Metamorphose des Segels hervorgegangen seien, bedarf unter
solchen Umständen einiger Berichtigung. Sie sind nicht etwa die morphologi-
schen Aequivalente dieser Theile, sondern blosse Anhänge derselben,
2) Ueber die morphologische Relation dieser Verschiedenheiten, vergleiche man
meine Bemerkungen in Wagner’s Zootomie. Th. II. $. 362.
3) Archiv. du Mus. d’hist, nat. 1842. T. I. p. 257.
160
Kienienfeder, bei denen der Schaft geschwunden ist, wäh-
rend die Blätter der Fahne persistiren.
Eine neue sehr eigenthümliche Modification in der Ent-
wicklung des Molluskentypus treffen wir bei den Acepha-
len (mit Ausschluss der Tunicaten). Hier hat der Körper
im Allgemeinen eine cylindrische, mehr oder minder ge-
streckte !) Gestalt mit der Mundöffnung an dem einen, mit
dem After an dem andern Ende. So wenigstens bei den
Lamellibranchiaten. In der Regel ist dabei der Körper von
den Seiten zusammengedrückt, wenngleich in verschiedenem
Grade. Ein eigentlicher Kopf fehlt überall, unstreilig dess-
halb, weil bei den Acephalen niemals die Elemente des Vor-
derleibes eine so selbstständige Entwicklung darbieten, wie
bei den Cephalopoden und selbst nur bei den Gasteropoden.
Der Fuss ist überall mit seiner ganzen Länge in der Median-
linie des Bauches am Rumpfe befestigt. Er beginnt am vor-
dern Körperende, wie bei den Gasteropoden, bildet aber
nie, wie hier gewöhnlich, eine Sohle oder Scheibe, die zum
Kriechen geschickt ist. Seine Anordnung erinnert noch am
meisten an die Form des entsprechenden Gebildes bei den
Heteropoden und Dentalien, Bald ist er beilförmig von den
Seiten zusammengedrückt, bald zungenförmig, bald keulen-
förmig. In manchen Arten erscheint er sehr rudimentär, wie
bei Teredo, wo er einem Saugnapf gleicht, in andern (bei
den sogenannten Apoden) fehlt er sogar gänzlich.
Am vordern Körperende, seitlich von der Mundöffnung
liegen die Labialpalpen, zwei Paar blatt- oder tentakelförmi-
ger Gebilde2), die ich als die morphologischen Aequivalente
der Lippenwülste oder Segelhälften betrachten möchte; eine
Deutung, die auch, wie wir sehen werden, durch die Ent-
1) Nirgends übertrifft bei den Acephalen der Höhendurchmesser des Körpers den
Längendurchmesser in einem solchen Grade, wie es bei den Gasteropoden so
häufig der Fall ist. Die Rückenfläche ist vielmehr in der Regel abgeplattet und
besonders niemals in eine thurmartige Spitze ausgezogen.
2) Ueber die Formverschiedenheiten dieser Anhänge vergleiche man die Bemerkun-
gen von Troschel in Wiegmann’s Archiv 1847. I. S. 257.
Ei 161
wicklung derselben gerechtfertigt) zu werden scheint. Der
Rumpf der Acephalen ist von dem Mantel bedeckt; jedoch
ist dieser hier nicht, wie bei den Gasteropoden, in seiner
ganzen Ausdehnung damit verwachsen, sondern grösstentheils
frei. Nur in der Medianlinie des Rückens ist er angeheftet.
Von da hängt er an den Seiten unter der Gestalt von zweien
ansehnlichen Hautlappen herab, die den Körper zwischen
sich nehmen, wie der Umschlag ein Buch. An der Verbin-
dungsstelle dieser Lappen mit dem Körper, zwischen beiden,
in der Mantelfurche, liegen?) die Kiemen, deren eigenthüm-
liche Form schon oben erläutert wurde. Auch ist eben dort
schon auf die den Mantel nicht selten betreffende eigenthüm-
liche Umwandlung hingedeutet worden. Nicht überall näm-
lich bleiben die zwei seitlichen Blätter desselben freie lappen-
formige Anhänge. Sehr häufig vielmehr beginnt eine Ver-
schmelzung an dem hintern Ende ihrer Ränder, welche bei
den einzelnen Arten verschieden weit in der Medianlinie
des Bauches nach vorn vorschreitet. Wo diese Verschmel-
zung in grosser Ausdehnung stattfindet, bildet der Mantel
eine förmliche sackarlige Umhüllung des Körpers, die aber
nur in sehr seltenen Fällen (Teredo) mit der äussern Bede-
1) Dass die Zahl der Labialpalpen bei den Acephalen grösser ist, als die der Kopf-
lappen bei den Gasteropoden, kann uns bei dieser Deutung nicht im Wege
stehen. Es ist solches nicht eine primäre Anordnung, sondern es ist das Pro-
duct einer spätern Metamorphose, Anfänglich bilden die Labialpalpen, wie es
scheint, eine gemeinschaftliche schirmförmige Ueberdachung der Mundöffnung.
Erst später tritt eine Weiterbildung ein, indem theils die untern seitlichen En-
den derselben, theils auch die obern zipfelförmig sich ausziehen, während die
dazwischen liegenden Falten allmählig verkümmern.
2) Offenbar ist gerade diese tiefe Lage und die laterale Duplieität der Kiemen
Schuld an der eigenthümlichen Anordnung des Mantels. Der Raum nämlich zwi-
schen demselben und dem Körper ist offenbar eine Athemhöhle, wie bei den
Gasteropoden. Die Mantellappen entsprechen dem obern Deckel dieser Höhle,
der auch dort von dem Mantel gebildet ist. Die einzige Verschiedenheit beruht
darin, dass bei den Lamellibranchiaten, bei denen überhaupt in jeder Beziehung
die Symmetrie des Körpers viel weniger gestört ist, als bei den Gasteropoden,
die Kiemenhöhle nicht einfach erscheint, sondern als ein paariges Gebilde rechts,
wie links an den Seitentheilen des Körpers liegt. Dass hierdurch der Zusam-
menhang von Mantel und Körper allein auf die Medianlinie des Rückens be-
schränkt werden musste, liegt am Tage,
11
162
ckung des Leibes verschmilzt. Sonst bleibt überall ein wei-
ter höhlenförmiger Raum, die Kiemenhöhle, zwischen bei-
den. Nirgends übrigens ist diese Verschmelzung ganz voll-
ständig. Stets persistiren in der Mantelhöhle, als die Ueber-
reste der ursprünglichen Anordnung, einzelne Oefinungen,
eine vordere, zum Durchtritt des Fusses, und zwei hintere,
von denen die zunächst dem Rücken anliegende Oeffnung in
die Kloake führt, die andere in die Kiemenhöhle.
Sehr gewöhnlich ziehen sich übrigens die Ränder der
beiden hintern Oeffnungen in zwei mehr oder minder lange
röhrenförmige Kanäle aus, die als Anhänge oder Verlänge-
rungen des Mantels zu betrachten sind. Bald bleiben diese
Röhren (siphones) getrennt, bald aber auch verwachsen sie
äusserlich mit den anliegenden Flächen zu einem gemein-
schaftlichen Gebilde. Bei Teredo, wo sie dem Rumpf an
Umfang fast gleichkommen, sind sie es vorzugsweise, welche
die eigenthümliche langgestreckte und wurmförmige Leibes-
gestalt bedingen.
Aeusserlich ist der Körper der Acephalen von zweien
meist ganz gleichmässig entwickelten Schalen bedeckt, die,
den beiden Mantellappen entsprechend, eine seitliche Lage
haben. Nackte hierher gehörende Thiere, wie es z. B. nackte
Cephalophoren giebt, kennt man nicht ll. Dagegen ist in
einigen Fällen, bei Teredo und Aspergillum ?2) die Grösse der
1) Cuvier betrachtete die Tunicaten als nackte Acephalen, doch unterscheiden
sich solche, wie schon oben erwähnt ist, davon so wesentlich, dass man sie
als eine eigene Gruppe der Mollusken betrachten muss.
2) Die Schalen von Aspergillum sind bekanntlich verschieden von dem äussern
cylindrischen Gehäuse, in welchem dieses Thier lebt, obgleich beide mit einan-
der verwachsen sind. Das Gehäuse ist hier, wie bei den Würmern (wie auch
die Schale von Argonauta), nur ein sehr kalkreiches, erhärtetes Secret der
äussern Bedeckungen, während sonst die kalkigen Gehäuse der Mollusken ur-
sprünglich wirkliche Theile der Hautbedeckung sind und desshalb denn auch
schon bei den Embryonen sich vorfinden. Späterhin übrigens vergrössern sich
auch bei den Mollusken die Gonchylien durch Apposition eines kalkreichen Haut-
secreles — also auf dieselbe Weise, wie die Schalen jener obengenannten
Thiere. Die eigenthümliche Anordnung bei Aspergillum beruht nur darauf, dass
dieses Absonderungsproduct hier nicht nach dem durch die Schalen bedingten
Plane sich ansetzt, sondern selbstständig den Körper incrustirt.
Schalen im Vergleich zum Körper nur äusserst gering, so
dass bloss ein sehr kleiner Theil des Leibes davon bedeckt wird.
So beschaffen ist der Bau des Körpers aber nur bei den
Lamellibranchiaten. Die Brachiopoden zeigen in mehrfacher
Beziehung eine Abweichung. Diese beruht vornämlich dar-
auf, dass der Leib nicht von den Seiten zusammengedrückt
ist, sondern in der Richtung des Höhendurchmessers, von
der Rückenfläche zum Bauch }). Damit übereinstimmend findet
sich eine dorsale und ventrale Schale, ein dorsaler und ven-
traler Mantellappen. Kiemen fehlen. Die Mundöffnung liegt
am vordern Rande des kurzen, zungenförmigen Körpers in
der Medianlinie, der After an der einen Seite. Neben dem
Munde finden sich zwei paarige eingerollte Arme von eigen-
thümlichem Bau, die gewöhnlich als Analoga der Labialpal-
pen bei den Lamellibranchiaten angesehen werden, die aber
vielleicht auch dem Fusse entsprechen dürften. Dass dieser
hier in der Gestalt zweier seitlicher Elemente auftritt, kann
uns nicht wundern, um so weniger, als wir ja schon bei
den Cephalophoren die Andeutung einer solchen Bildung an-
treffen, obgleich hier ausser den beiden paarigen Theilen im-
mer noch zugleich das Rudiment eines mittleren unpaaren
Stückes vorhanden ist.
Die Entwicklung der Acephalen ist nur sehr ungenügend
bekannt und bietet denn auch darum einer morphologischen
Auffassung dieser Thiere bis jetzt nur wenig sichere Anhalts-
punkte. Indessen möchte dieselbe um so mehr hier eine kurze
Berücksichtigung finden dürfen, als besonders die Untersu-
1) In neuerer Zeit haben Agassiz und Vogt den Nachweis versucht, dass die
Brachiopoden den Lamellibranchiaten ganz analog gebauet seien, dass ihre Scha-
len, Mantellappen u. s. w. nicht als dorsale und ventrale Gebilde betrachtet
werden müssten, sondern als seitliche. Die (mit Ausnahme des excentrisch
gelegenen Afters) vollkommene Symmetrie beider Körperhälften, der rechten
und linken, indessen lässt mich der ältern Ansicht von Cuvier u. s. w. den
Vorzug geben, obgleich noch ausserdem die Möglichkeit vorliegt, dass nicht,
wie Guvier annimmt, die Abplattung des Körpers in der Richtung des Höhen-
durchmessers, sondern in der der Längenachse erfolgt sei. Im letzteren Fall
würden wir nicht eine dorsale und ventrale Schale efc. unterscheiden müssen,
sondern eine vordere und hintere,
11*
164
chungen von Quatrefages!) über die Bildungsgeschichte
der Najaden, der einzigen Acephalen, welche bisher zum
Gegenstand einer derartigen Untersuchung gemacht sind,
mancherlei irrthümliche Ansichten verbreitet haben. Nach
der Zerklüftung des Dotters bildet der Embryo Anfangs, wie
bei den Gasteropoden, eine unregelmässige, kuglige Masse ?).
Bald aber bemerkt man an der einen Stelle, da, wo später-
hin die Mundöffnung gelegen ist, am vordern Ende also, eine
kurze und stumpfe Hervorragung, die durch eine Bekleidung
von sehr langen, zarten Flimmerhaaren sich auszeichnet und
späterhin wahrscheinlich durch eine Theilung in die beiden
Lippentasterpaare sich metamorphosirt. Das gegenüberlie-
gende hintere Ende zeigt bereits jetzt in der Mittellinie des
Bauches eine kleine Einkerbung, während an der Rücken-
fläche die spätern äussern Bedeckungen durch eine beträcht-
lichere Dicke sich auszuzeichnen scheinen. Auf der Ober-
fläche des Leibes, welche ebenfalls, wie jene vordere Her-
vorragung, von Cilien, doch nur von sehr kurzen, bekleidet
ist, stehen, besonders an der vordern Hälfte, zu den Seiten
des Lippenwulstes, einige glashelle, lange, borstenartige Spi-
tzen. Späterhin beginnt die Bildung der Schalen) auf der
Rückenfläche. Nicht immer aber entstehen beide seitliche
Schalen zu gleicher Zeit. Oft sieht man, dass die eine der-
selben schon eine sehr ansehnliche Grösse besitzt, während
die andere noch sehr klein ist oder auch wohl noch gänz-
lich fehlt. Allmählig übrigens wird dieser Unterschied aus-
geglichen, wenngleich nicht selten schon bei weit vorgeschrit-
tener Entwicklung noch immer die eine Schale etwas kleiner
erscheint, als die andere. Beide Schalen umwölben nun
durch ihren allmähligen Wachsthum di& Seitenflächen des
1) In den Annal, des scienc. nat. 1836. T. V. p. 321. — Daneben vergl. die An-
gaben von Carus in den Nov. Act. Acad. Leopold. 1832. Vol. XVII. S. 1.
2) Das Folgende nach Untersuchungen an Anodonta intermedia.,
3) Dass übrigens diese, wie v. Siebold (Vergl. Anat. der wirbellosen Thiere
S. 293.) angiebt, nur von zweien an der Oberfläche liegenden Dotterzellen aus-
gehe, die schon frühe von der weiter fortschreitenden Furchung sich ausge-
schlossen hätten, kann ich nicht bestätigen.
Embryo. Sie bestehen schon frühe aus zweien Theilen, aus
einem dem Rücken anliegenden grössern Basalstücke von
dreieckiger Gestalt, und aus einem Endstücke, welches die
Form einer Lanzenspitze hat, an der äussernFläche mit zahn-
artigen Dornen besetzt ist und unter einem Winkel auf der
ventralen Endspitze des Basalstückes sich einlenkt. Bloss die
erstern Stücke bilden die Schalen des ausgewachsenen Thie-
res, die Endstücke gehen im Lauf der spätern Entwicklung
verloren !). Wenn nun allmählig die Spitzen dieser Endstücke
auf einander stossen, dann beginnt in der Medianlinie des
Bauches eine förmliche Spaltung des embryonalen Leibes, als
deren erste Andeutung vielleicht die oben erwähnte Einker-
bung an dem hintern Ende des Embryo anzusehen ist. Je
mehr dieselbe nach innen fortschreitet, desto weiter weichen
allmählig die beiden seitlichen Schalen mit den von ihrer
Wölbung umschlossenen embryonalen Leibesmassen aus ein-
ander. Am Ende sind beide flach neben einander in der-
selben Ebene gelegen. Die steifen, borstenförmigen Stacheln,
welche Anfangs auf der Oberfläche des Körpers sich vorfan-
den, sind inzwischen durch den Wachsthum der Schalen
verdrängt worden und verloren gegangen. Dagegen bilden
späterhin sich neue und zwar an den innern Spaltllächen
des Leibes. Je tiefer die Spaltung greift, desto tiefer rückt
auch die Bildungsstätte dieser Borsten 2).
Ganz vollständig übrigens wird die Theilung des Em-
bryo in zwei seitliche Hälften niemals. Immer noch bleiben
in der Mitte zwischen beiden, als die Ueberreste des ur-
sprünglichen Zusammenhanges, einzelne Massen, welche die
Verbindung derselben vermitteln. In der hintern Hälfte des
Körpers haben sich diese während des allmähligen Fort-
schrittes der Spaltung in einen starken Muskel verwandelt,
1) Mit Unrecht vermuthet Garus (Nov. Act. Acad. Leopold. Vol. XVII. P.I. S. 50.)
von diesen Gebilden, dass sie späterhin in den hintern, mit Fimbrien besetzten
Mantelrand des Thieres sich verwandelten.
2) In diesen Borsten glaubt Carus (a. a. O0. S, 55.) die ersten Anlagen der Kie-
menblätter und Mundtentakel erkannt zu haben — ebenfalls irrthümlicher Weise.
166
dessen quer verlaufende Fasern an die Innenfläche der klaf-
fenden Schalen sich ansetzen und solche, wenn sie sich con-
trahiren, wie es von Zeit zu Zeit geschieht, vollständig schlies-
sen. Vor diesem Muskel, der nach vorn bis in die Mitte
des Körpers reicht, liegt eine andere wulstige Dottermasse,
welche ich für die erste Anlage des eigentlichen Rumpfes
mit dem Fusse ansehen möchte. Sie bildet einen queren
Körper von walzenförmiger oder vielmehr von kurzer und
breiter, herzförmiger Gestalt. Ihre vordern seitlichen Enden
bieten ein eigenthümliches Ansehen. Sie scheinen im Innern
eine ziemlich grosse ovale Höhlung zu enthalten. Quatre-
fages, welcher die mittlere Körpermasse übersehen !) hat,
in deren vordern Enden diese Excavationen gelegen sind,
hielt die letztern für zwei seitliche Mägen und beschrieb so-
gar an einem jeden derselben einen eigenen, bogenförmig
nach hinten verlaufenden Darm. Eine jede Hälfte sollte hier-
nach, wie ein selbstständiges Thier, mit einem gesonderten
Verdauungsapparate (und Herzen) versehen sein, und die
spätere völlig abweichende Anordnung aus einer secundären
Verwachsung der beiden Leibeshälften hervorgehen. Einer
solchen Annahme indessen muss ich, als einer gänzlich ver-
kehrten und irrthümlichen, geradezu widersprechen. Aller-
dings ist es auch mir nicht gelungen, den merkwürdigen
embryonalen Bau mit vollständiger Sicherheit zu erkennen.
So viel aber glaube ich bestimmt behaupten zu können, dass
eine Organisation, wie sie Quatrefages den seitlichen
Embryonalhälften zuschreibt, in Wirklichkeit nicht existirt.
Was er für einen Magen gehalten, hat sicherlich diese Be-
deutung eben so wenig, als der von ihm als Darm beschrie-
bene bogenförmige Längswulst. Was übrigens diese Theile
in Wirklichkeit bedeuten, weiss ich nicht zu sagen, da die
spätern Phasen der Entwicklung mir eben so unbekannt ge-
blieben sind, wie den frühern Untersuchern. Nicht völlig
1) Einen Theil derselben bilden übrigens wohl die von Quatrefages für die
Herzen der beiden Embryonalhälften gehaltenen Massen.
unwahrscheinlich aber ist mir die Vermuthung, dass die so-
genannten Magenhöhlen in den hervorragenden seitlichen Ecken
des Rumpfes die Gehörbläschen seien, in denen der Otolith
sich noch nicht entwickelt habe. In der Regel (bei den
Gasteropoden l), auch, nach v. Siebold2), bei Cyclas) fin-
det freilich die Bildung dieser Concremente schon in früher
Zeit Statt, bald nachdem die Anlage des Gehörbläschens selbst
erfolgt ist, doch ist solches allein wohl noch nicht hinrei-
chend, eine Vermuthung zu widerlegen, die mit der spätern
Anordnung dieser Theile völlig übereinzustimmen scheint.
An dem hintern Ende des Fusswulstes in der Median-
linie hat sich inzwischen ein äusserst langer Byssusfaden ent-
wickelt, der unverästelt ist und ausserhalb des Leibes sich
meistens eine sehr ansehnliche Strecke weit verfolgen lässt.
Seine grösste Dicke hat dieser Faden in dem untern Theile,
mit dem er einer kurzen cylindrischen Erhabenheit, dem
sogenannten Byssusorgane 3), aufsitz. Ob solches übrigens
wirklich eine Drüse enthält, wie das Byssusorgan von My-
tilus, Pinna u. s. w., ob es überhaupt diesem Gebilde gleich-
zusetzen sei, scheint mir noch keineswegs entschieden. Ich
glaube wenigstens, allerdings nur ein einziges Mal, doch hier.
sehr deutlich, wahrgenommen zu haben, dass der Byssus-
faden nur aus der immensen Verlängerung einer jener oben
erwähnten glashellen Stacheln seinen Ursprung nimmt. Auch
spricht Aussehen und Beschaffenheit der betreffenden Gebilde
vollkommen zu Gunsten dieser Beobachtung. Der Rumpf ist
übrigens derjenige Theil des Leibes, der mit solchen Sta-
cheln am längsten versehen ist. Zwei derselben stehen zu
den Seiten des Byssusfadens, zwei andere weiter nach vorn.
Die von den seitlichen Schalen der jungen Muscheln
1) Vergl. Frey in Wiegmann’s Arch. 1845. T. I. S. 217.
2) A. a. 0. S. 261.
3) Quatrefages giebt — wie schon v. Siebold (a.a. 0. $. 294.) bemerkt, mit
Unrecht — einem jeden Embryo zwei in der Mittellinie hinter einander gelegene
Byssusorgane, aus denen immer ein doppelter Faden (in denen Quatrefages
— mit Rapail — Nabelgefässe sieht) hervorragen soll.
selbst umhüllten Dottertheile, die durch die Spaltung des ur-
sprünglichen Leibes von einander getrennt sind, vereinigen
sich wohl schwerlich jemals wieder, wie es Quatrefages
vermuthet. Die mittlere unpaare Körpermasse entsteht viel-
mehr, wie ich vermuthen möchte, nur durch den allmähli-
gen Wachsthum des Rumpfes, in dessen Innerm sich erst
späterhin der Verdauungs- und Generationsapparat entwickelt.
Möglich ist es allerdings, dass hierzu auch noch ein Theil
der seitlichen Dottermassen, in denen deutlich eine Menge
sehr charakteristischer embryonaler Zellen sich vorfindet, ver-
braucht wird. Einen Anhaltspunkt für diese Vermuthung
gewährt wenigstens der Umstand, dass in einigen Lamelli-
branchiaten die Eingeweide des Leibes (die Eierstöcke) sich
seitlich bis in die Blätter des Mantels hineinerstrecken (so bei
Mytilus u. s. w.). Vielleicht entsteht dieses Verhältniss nur
aus der Persistenz und weitern Entwicklung einer im Anfang
allen Lamellibranchiaten gemeinschaftlichen Anordnung. Bei
den übrigen Arten würde dieselbe dann nur einen transito-
rischen .Zustand bilden. Der Hauptsache nach aber gehen
wahrscheinlich aus diesen seitlichen Embryonalhälften nur die
Mantellappen und Kiemenblätter hervor. Wie ich vermuthe,
ist der wulstige Rand der erstern von Quatrefages für
die seitlichen Aorten gehalten worden, die äussere Begrenzung
der, wie es scheint, jederseits noch ungetheilten Kiemenmas-
sen aber für die Darmröhren. Was derselbe als venöse Ge-
fässe, so wie als Arteriae meseraicae gedeutet hat, kann ich
nur für Zwischenräume zwischen den Embryonalzellen der
seitlichen Dottermassen halten.
Unmittelbar am Vorderende des Körpers vor dem Fusse
sieht man unter günstigen Verhältnissen dieselben langen und
zarten Wimpern, deren frühes Entstehen ich oben erwähnt
habe. Unstreitig bedecken sie die Labialpalpen, deren Me-
tamorphose aus jener höckerförmigen, unpaaren Hervorra-
gung jetzt bereits mag begonnen haben.
So weit von den morphologischen Verhältnissen und der
Entwicklung der Acephalen, welche trotz manchfacher Ab-
169
weichung dennoch im Wesentlichen eine gleiche typische An-
ordnung mit den Gasteropoden zeigen. Nicht in demselben
Maasse lässt sich solches aber von den Tunicaten sagen.
Der hauptsächlichste Unterschied dieser letztern beruht
darin, dass eine jede Spur des Vorderleibes fehlt, dass die
morphologischen Elemente desselben, Lippenwülste und
Fuss, vollkommen vermisst werden. Der Körper dieser Thiere
ist allem dem Hinterleib der übrigen Mollusken zu verglei-
chen. Die äussern Bedeckungen sind ansehnlich entwickelt,
knorplich oder lederartig und bieten chemisch wie histolo-
gisch ganz eigenthümliche, nirgends anders in der Thierwelt
sonst vorkommende Verhältnisse. Nach der Entdeckung von
C. Schmidt), die späterhin von Kölliker und Löwig?)
erweitert und bestätigt ist, bestehen dieselben aus Cellulose.
Eine äussere Schale fehlt den Tunicaten. Dafür aber zeigen
mitunter die Bedeckungen selbst einen ansehnlichen Reich-
thum an Kalksalzen. In einzelnen Fällen, wie ich es beson-
ders bei einer neuen Ascidie des hiesigen physiologischen In-
stitutes aus Chili sehe, erstarren diese dadurch sogar zu
einem förmlichen äussern Skelet, wie bei den Echinodermen.
Eine interessante Eigenthümlichkeit der Tunicaten ist es
auch, dass sie sehr häufig, wie Polypen und Bryozoen, in
Colonien mit einander vereinigt sind.
Trotz dieser Verhältnisse entbehren aber die Tunicaten
nicht aller verwandtschaftlichen Beziehungen zu den übrigen
Mollusken. Die Acephalen sind es besonders, denen sie sich
anschliessen, mit denen sie anatomisch und auch morpho-
logisch am meisten übereinstimmen. Eine Gemeinschaft des
architektonischen Planes ist nicht zu verkennen, wenngleich
derselbe bei beiden auf eine mehrfach abweichende Weise
realisirt ist.
Der Mantel der Tunicaten erscheint nirgends mehr unter
der Form eines freien, glockenförmigen oder lappigen An-
hanges am Körper. Wie bei manchen Lamellibranchiaten,
1) Zur vergl. Physiolog. der wirbellosen Thiere. Braunschw. 1845.
2) Annal, des scienc. nat, 1846. T. V. p. 193.
bildet er freilich eine sackartige Hülle, doch ist diese nir-
gends mehr durch einenZwischenraum von dem eigentlichen
Rumpfe getrennt, sondern in ganzer Ausdehnung demselben
unmittelbar verwachsen, wie bei Teredo. Hierin findet es
seine Erklärung, dass die Körperhöhle mit den Eingeweiden
dicht unter den Manteldecken gelegen ist.
Am deutlichsten ist die Analogie dieser Anordnung mit
der bei den Lamellibranchiaten gewöhnlichen Bildung der
äussern Mantelhülle in der Ordnung der Ascidien, die durch
die Form ihres Körpers überhaupt noch am nächsten den
Acephalen sich anschliessen. Die actuelle Entwicklung des
Mantels istindessen verschieden. Die sackförmige Hülle des-
selben bildet ‘sich bei den Ascidien nicht, wie bei den Ace-
phalen, durch die Verschmelzung zweier seitlichen Lappen,
sondern dadurch, dass die äussere Zellenschicht am Körper
der Embryonen im ganzen Umfang sich von den unterliegen-
den Massen abhebt. Wir finden hier einen Vorgang, der,
wie es scheint, auch sonst wohl bei der Morphogenese in
Anwendung gezogen wird. Nachdem bei einer typischen
Gruppe von Thieren einmal auf einem bestimmten Wege eine
Gestaltung erzielt ist, werden plötzlich zu demselben Zwecke
ganz andere Mittel und Kräfte in Bewegung gesetzt. Ge-
wöhnlich übrigens ist hiermit auch zugleich eine Aenderung
in dem relativen Werth des Erfolges verbunden. Während
dieser früherhin mehr beiläufig erzielt wurde, wird er jetzt
Hauptzweck. Während früher die betreffende Gestaltung den
übrigen morphogenetischen Erscheinungen untergeordnet war,
tritt sie jetzt in den Mittelpunkt der gesammten Organisation.
Sie wirkt bestimmend und modificirend auf den ganzen Kör-
per und erscheint sogar selbst als Sitz und Schauplatz einer
neuen Reihe gestaltender Processe.
Gerade so nun verhält sich der Mantel der Tunicaten.
In vielen Fällen bietet er eine Anordnung ganz eigenthüm-
licher Art und völlig abweichend von dem Verhalten des
Mantels bei den Acephalen. In andern Fällen dagegen, und
so namentlich bei den Ascidien, ist die Analogie ganz un-
11
verkennbar. Der Mantel bildet hier, wie gesagt, eine ein-
fache sackartige Hülle, gleich dem Mantel von Mya, Pholas
und andern Lamellibranchiaten mit geschlossener Kiemen-
höhle. An dem einen Ende ist dieser Sack befestigt auf
Steinen, Pflanzen u.s. w. An dem andern Ende sind neben
einander zwei Oeffnungen befindlich, nicht selten auf den
Spitzen einer kurzen kegelförmigen Hervorragung. Eine durch
beide Oeffnungen gelegte Längsebene theilt den Körper in
eine gleiche rechte und linke Hälfte.
Die Kiemen der Ascidien bilden, wie schon oben ange-
führt wurde, einen sackartigen Behälter, der in dem äusser-
sten freien Ende des Körpers gelegen ist und durch die eine
der daselbst befindlichen Oeffnungen nach aussen führt. Die
andere Oeffnung ist die Kloaköffnung. Im Grunde des Kie-
mensacks nimmt der Darmkanal seinen Ursprung, dessen
Windungen den hintern Theil des Körpers erfüllen.
Vergleicht man die Organisation der Ascidien mit der
der Acephalen, so muss vor Allem die Frage nach der Be-
deutung jener beiden Körperöffnungen entstehen. Die eine
derselben, so viel lässt sogleich sich sagen, ist die Kloak-
öffnung. Doch die andere? Entspricht sie der Athemöff-
nung der Lamellibranchiaten, wie die benachbarte Lage der
Kloaköffnung vermuthen lässt, oder etwa der Mundöffnung?
Ist — darum dreht sich die Entscheidung — das freie Kör-
perende der Aseidien das hintere oder das vordere? Bei
dem ersten Anblick scheint die Beantwortung dieser Fragen
nicht schwer. Schon CGuvier erklärte die fragliche .Oeff-
nung für die Athemöffnung, das freie Körperende für das
hintere. Die Analogie mit den Lamellibranchiaten war es,
die solches rechtfertigen sollte. In beiden Ordnungen würde
dann die Lage der Kloak- und Athemöffnungen, so wie auch
die der Kiemen ganz gleichmässig sein. Die letztern wären
dann nicht nach vorn bis vor den Eingeweidesack gerückt,
sondern, wie bei Teredo, hinter demselben gelegen. Nur
der Mund hätte dann eine abweichende Anordnung, für die
sich der Grund vielleicht in der eigenthümlichen Art der
Anheftung auffinden liesse. Das zwischen Kloak- und Athem-
öffnung gelegene Ganglion muss hierbei natürlich als Kiemen-
ganglion gedeutet werden, nicht aber als Oesophagealgang-
lion, wie wir oben es angenommen haben.
Indessen fragt es sich sehr, ob solche Deutung richtig
sei, ob sie besonders mit der Entwicklungsgeschichte im
Einklang stehe. Davon weiter unten. Es genügt hier die
Bemerkung, dass die oben erwähnte Auffassung des Baues
bei den Ascidien nicht die einzig mögliche ist. Es lässt das
freie Ende des Körpers auch als das vordere sich deuten,
die Athemöffnung als Mund. Die Kiemen sind dann, so muss
man annehmen, vor dem Eingeweidesack gelegen. Eben so
ist die Kloaköffnung — vielleicht wegen der Befestigung des
Körpers am hintern Theile — auf der Rückseite des Körpers
nach vorn bis in die Nähe des Mundes emporgerückt. Eine
eigene Athemöffnung würde hiernach fehlen und auch, bei
der abweichenden Gruppirung der Kiemen, eben so unnö-
thig sein, wie die Oeffnung zum Durchtritt des Fusses bei
der Abwesenheit des letztern.
Bevor wir jetzt indessen diese Verhältnisse näher prü-
fen, wollen wir noch einige Worte über den Bau der Sal-
pen hinzufügen, deren Organisation in mehrfacher Beziehung
eine abweichende ist. Der Hintertheil des Leibes ist bei
diesen frei und bildet eine kleine kuglige Hervorragung (nu-
cleus) an der untern Fläche einer weiten, der Länge nach
darüber hingelegten cylindrischen Röhre mit vorderer Athem-
und hinterer Kloaköffnung. Diese beiden Oeffnungen ent-
sprechen, wie schon oben erwähnt wurde, ganz offenbar
den beiden neben einander gelegenen Körperöffnungen der
Ascidien, die hier nur diametral einander gegenüberstehen,
die vordere an der Ventralfläche, die hintere an der Dorsal-
fläche des Leibes. Die Kernfläche des Cylinders ist die un-
tere und entspricht dem festsitzenden Ende der Ascidien. "Die
entgegengesetzte Hirnfläche ist die obere.
Was wir von der Entwicklung der Tunicaten wissen,
zeigt mancherlei sehr eigenthümliche Verhältnisse. Die Ent-
173
wicklung der Salpen, wenigstens der solitären Formen, die
allein auf geschlechtlichem Wege, aus einem befruchteten Ei,
entstehen (aber nie selbst Geschlechtsorgane bekommen und
darum denn auch nur als die Ammen der in ihrem Innern
durch Knospenbildung producirten zusammengeketteten For-
men angesehen werden müssen), ist fast noch völlig unbe-
kannt. Um so mehr ist solches zu bedauern, als wir durch
die Untersuchungen von Krohn!) und Sars?) zu der An-
nahme berechtigt sind, dass dieselbe von der Bildung der
Ascidien beträchtlich sich entfernt. Wie bei den Cephalo-
poden, wird nämlich bei ihnen nicht der ganze Dotter in
den Embryo verwandelt, der übrigens schon von Anfang an
den elterlichen Thieren zu ähneln scheint. Der Rest des Dot-
ters bleibt beständig ausserhalb des Leibes (an der Hirnfläche
der Athemröhre) gelegen und soll sogar, wie eine förmliche
Placenta, den Fötus mit seinem Mutterthier verbinden.
Bei den Ascidien dagegen entsteht der Embryo unmittel-
bar aus einer Umwandlung der gesammten Dotterkugel und
in einer Gestalt, die von der seiner Eltern sehr verschieden
ist. Er gleicht einer Cercarie mit kugligem Körper und einem
langgestreckten cylindrischen Schwanze, durch dessen kräftige
Bewegungen er frei umherschwimmt. Die äussere Haut ist
schon jetzt eine pellucide Hülle von mächtiger Dicke, obgleich
im Innern noch keinerlei Structur sich unterscheiden lässt.
Nach einiger Zeit setzt die Larve mit dem freien Ende ihres
Körpers sich fest und verliert den Schwanz. Der übrig blei-
bende kuglige Körper verwandelt sich dann in die Form
einer entwickelten Ascidie. Die Mundöffnung bildet sich an
demselben Orte, wo früherhin der Schwanz angeheftet war.
Nun aber ist es die Frage, ob dieser Ort das vordere
oder hintere Ende des Körpers bestimme. Dass der kuglige
Körpertheil bei der Bewegung nach vorn getragen wird, kann
noch nicht beweisen, dass er in Wirklichkeit der vordere
sei. Eben so wenig der spätere Anheftungspunkt. Wir fin-
1) In den Annal, des science, nat, 1846. T. VI. p. 115.
2) Fauna littor. Norveg. S. 74.
den im Gegentheil wohl immer, dass eine Larve mit dem
Hintertheil des Körpers sich festsetzt (Polypen, Acalephen,
Echinodermen), nicht mit dem Vordertheil. Die Möglichkeit der
letztern Anheftungsweise lässt sich allerdings nicht leugnen.
Indessen fehlt ihr noch ein jeder empirischer Nachweis.
Die Cirripedien, die einzigen Thiere, welche dahin zu gehö-
ren scheinen, setzen nicht eigentlich mit dem Kopfende des
Körpers sich fest, sondern bloss mit Hülfe der zu einem ge-
meinschaftlichen Stiel verschmolzenen vordern Thoracalbeine.
Ueberdiess steht der Annahme, dass der sogenannte
Schwanz der Ascidienlarven dem vordern Körperende ange-
höre, um so weniger entgegen, als auch sonst bei den Mol-
lusken die Anhänge des Körpers (Fuss und Segel) ausschliess-
lich an dem Vorderleibe befestigt sind.
Unter solchen Umständen möchte man dann vielleicht
dahin sich entscheiden müssen, dass das freie Körperende
der Ascidien nicht als das hintere, sondern als das vordere
Kopfende aufzufassen sei, dass die Athemöffnung also dem
Mund der Lamellibranchiaten entspreche. Was aber die Ver-
hältnisse noch verwickelter macht, ist die Beobachtung von
Milne Edwards!), dass nach dem Anheften der Embryo-
nen und dem Verlust des Schwanzes sich die ganze innere
Dottermasse der Larve allmählig um ihren Mittelpunkt dreht,
bis der früherhin dem Anheftungspunkt anliegende Theil die
entgegengesetzte Lage unter dem anfänglichen Insertionspunkte
des Schwanzes eingenommen hat. Dann erst beginnt die
Bildung der einzelnen Organe, des Kiemensacks, des Darmes
und auch der äussern Oefinungen. Möglich nun, dass unter
solchen Verhältnissen die richtige Auffassung des Baues bei
den Ascidien zwischen jenen beiden oben erwähnten Ansich-
ten in der Mitte liegt. Das freie Körperende ist allerdings
wahrscheinlich das vordere, wie schon angeführt. Doch der
Kiemensack, so muss man vielleicht vermuthen, verdankt seine
Lage in dem vordern Abschnitt der Leibeshöhle erst einer
1) Observat. sur les accid,. comp. Paris 1841. p. 32.
175
secundären Lagenumänderung. Ursprünglich ist er in dem
hintern Abschnitt des Körpers gelegen.
So weit von der morphologischen Deutung der Ascidien.
Was die zusammengesetzten Formen dieser Thiere betrifft,
so verdient hier noch der Umstand einer besondern Erwäh-
nung, dass dieselben da, wo sie sich durch eine sehr regel-
mässige Gruppirung auszeichnen (z. B. bei Botryllus), nicht
etwa bloss, wie Milne Edwards behauptete, durch all-
mählige Knospenbildung bilden, sondern vielmehr aus einer
einzigen Larve durch die Theilung der innern Dottermasse })
(also durch Vermittlung eines Generationswechsels). Noch
bevor nämlich die Larve sich festsetzt, beginnt am vordern
Ende der innern Dottermasse eine Spaltung, die nach hinten
allmählig fortschreitet und dieselbe (bei Botryllus) in acht
Theile zerfällt, welche kranzförmig um eine mittlere cylin-
drische Hervorragung gruppirt sind und je zu einem selbst-
ständigen Thiere sich entwickeln, während die centrale Her-
vorragung zu der gemeinschaftlichen Cloake wird. Die äus-
sere glashelle Hülle, die von vorn herein wie ein gemein-
schaftlicher Sack die Thiere einer solchen Colonie umschliesst,
wächst späterhin auch nach innen in die Zwischenräume,
zwischen die einzelnen Individuen, hinein. Interessant ist es
übrigens, dass bei manchen Bryozoen, wie bereits oben er-
wähnt wurde, ein ganz analoges Verhältniss sich vorfindet.
Um so mehr muss solcher Umstand hier beachtet werden,
als derselbe vielleicht einen neuen Grund für die Verwandt-
schaft dieser Thiere mit den Tunicaten darbietet.
In der Klassification der Mollusken herrscht eine grosse
Verwirrung und Unsicherheit, besonders bei der Aufstellung
und Gruppirung der obersten Abtheilungen. Je mehr die
äussere und innere Organisation dieser Geschöpfe ein Gegen-
stand der Untersuchung wird, desto deutlicher stellt sich sol-
ches heraus, desto dringender wird das Bedürfniss einer
1): Dass in Wirklichkeit diese Theilung vorkomme, wie schon früher Sars (Bes-
krivelser over nogle maerkelige Dyr. p. 69.) vermuthete, haben die Beobachtun-
gen von Löwig und Kölliker (l. c. p. 220.) neuerlich ausser Zweifel gesetzt.
176
neuen und rationellen Eintheilung. Was die von Guvier
aufgestellten Klassen der Mollusken (von denen natürlich die
Cirripedien ausgeschlossen sind) betrifft, so bedürfen diese
insofern einer Veränderung, als die Tunicaten zu einer eige-
nen Klasse erhoben und von den Acephalen abgetrennt wer-
den müssen, während die Brachiopoden mit den Lamellibran-
chiaten, so wie die Heteropoden und Pteropoden mit den
Gasteropoden zu vereinigen sind. Die auf solche Weise ent-
standenen vier Klassen sind morphologisch und anatomisch
streng von einander geschieden. Nach untergeordneten Cha-
rakteren gliedern sie sich in eine verschiedene Anzahl von
Ordnungen.
Die Tunicata, die als eine eigene Klasse bereits von
Lamarck, de Savigny, Latreille, Goldfuss, Carus,
Grant u. s. w. anerkannt wurden, während viele andere
Zoologen dieselben nach dem Vorgang von Cuvier mit den
Acephalen vereinigen, zerfallen nach der verschiedenen Art
der Entwicklung und den Differenzen der Körpergestalt!) in
die beiden Ordnungen der Ascidiae (Tethydes Sav.) und
Salpae (Thalides Sa v.).
In der Klasse der Acephala unterscheiden wir eben-
falls zwei Ordnungen, die Lamellibranchiata (Cormo-
poda Nitzsch, Pelecypoda Car.) und die Brachiopoda,
welche durch ihre morphologischen Verhältnisse als zwei sehr
natürliche gleichstehende Gruppen erscheinen. Die Anordnung
des Mantels und der Schalen, so wie der innere Bau zeigt
inihnen so viel Uebereinstimmendes, dass sie sicherlich nicht
völlig von einander getrennt werden dürfen (wie ausser
Cuvier u. A. Blainville und Burmeister thaten), ob-
gleich man auch Lamarck nicht wird Recht geben können,
wenn dieser die Brachiopoden ohne Weiteres den Conchife-
ren einreiht.
Weit grössere Schwierigkeiten macht die fernere Ein-
theilung der Klasse der Gasteropoden, die dem Umfang
1) Vergl. bes. Savigny I. c. p. 163.
177
nach, in welchem wir dieselbe. hier betrachten, fast voll-
kommen (nur die Gattung Chiton!) ist ausgeschlossen)
den Paracephalophora von de Blainville?2) (Gephalophora
Meckl.) übereinstimmt. Lamarck vereinigte die durch
Cuvier von einander getrennten Gasteropoden, Pteropoden
und Heteropoden, fügt ihnen aber auch zugleich noch die
Cephalopoden hinzu 3). Noch immer aber behalten hier jene
Gruppen ihren Werth als selbstständige Ordnungen. Die
Cuvierschen Gasteropoden sind zugleich in die Trachelipoda
und die eigentlichen Gasteropoda zerfällt. In der erstern
Gruppe werden — ohne besondere Rücksicht auf denBau —
die Gehäuseschnecken mit spiraliger Schale zusammengestellt,
in der letztern die übrigen.
Aehnlich treffen wir neuerdings auch bei v. Siebold
die Gasteropoden oder Cephalophoren, wie dieselben mit
Meckel genannt werden, abgetheilt. Die Pteropoda, Hete-
ropoda und Gasteropoda bilden die drei Ordnungen*) der-
selben, obgleich bereits Blainville die sehr nahe Verwandt-
schaft der erstern mit den Pomatobranchiata hervorgehoben
hat, und auch die Cuvierschen Gasteropoden mehrere ge-
wiss eben so hoch stehende Gruppen umfassen, als die He-
teropoden deren eine bilden. Damit soll aber nicht gesagt
werden, dass ich die Cuvierschen Ordnungen der Gaste-
ropoden in ihrem ursprünglichen Umfang als Ordnungen will
beibehalten wissen. Im Gegentheil lässt es sich nicht ver-
kennen, dass hier die Beschaffenheit der Kiemen als einziges
Eintheilungsprineip nicht hinreicht, und dass manche der von
1) Das Genus Chiton bildet bei Lamarck den Repräsentant einer eigenen Klasse
(der Polyplaxiphora), die mit den Cirripedien in einer besondern, allen übri-
gen Mollusken entgegen stehenden Unterabtheilung vereinigt ist.
2) Dict. des science, nat. T. XXXII.
3) Die dadurch gebildete Klasse bezeichnet Lamarck als die der Mollusca. Die
Acephalen bilden als Conchifera eine eigene davon getrennte Klasse.
4) Eben so bei Goldfuss, welcher als vierte Ordnung die Cephalopoda hinzu-
setzt. Bei Burmeister sind die Heteropoden unter den Gasteropoden einge-
reiht, während die Pteropoda neben den Gasteropoda und Cephalopoda als eine
besondere Ordnung dastehen,
12
178
Cuvier aufgestellten Ordnungen kaum einen grösseren Werth,
als den von Familien, haben.
So müssen nach meiner Ansicht die Hypobranchiaten,
Pomatobranchiaten und Pteropoden in eine einzige gemein-
schaftliche Ordnung, die ich vorläufig als die Ordnung der
Heterobranchiata bezeichnen möchte, vereinigt werden.
Sehr auffallend zeichnen sich dieselben durch eine eigen-
thümliche Anordnung der Geschlechtsorgane vor allen übri-
gen Gasteropoden aus. Auch in der Structur des Nerven-
systems und der Verdauungsorgane zeigen sie manchfache
Uebereinstimmungen. Durch die Hypobranchiaten nähert sich
diese Gruppe den Gymnobranchiaten, die mit den Phlebente-
ren (Aphneusta Köllik.) eine zweite Ordnung bilden. Aeus-
serlich sind die hierher gehörenden Gasteropoden durch die
Abwesenheit von eigentlichen Kiemen charakterisirt. Sehr
passend möchte daher vielleicht für sie die Dume£rilsche
Bezeichnung der Dermatobranchiata sein. In der An-
ordnung der Geschlechtstheile, so wie des Nervensystems
besitzen dieselben ebenfalls mancherlei Abweichungen von
den übrigen Gruppen. Die Guvierschen Pulmonatal),
Heteropoda und Ctenobranchiata scheinen mir sehr
natürliche Ordnungen, durch manchfache anatomische Ver-
hältnisse ausgezeichnet. Eben so die Cyclobranchiata,
die besonders durch die eigenthümliche Structur ihrer Ge-
schlechtsorgane als eine selbstständige Ordnung?) sich zu er-
kennen geben,
Dagegen, glaube ich, müssen die Aspidobranchiata auf-
gelöst werden. Halyotis gehört offenbar zu den Ctenobran-
chiaten, Fissurella und Emarginula vielleicht zu den Pomato-
branchiaten. Die Cuvierschen Cirribranchiata zeigen manch-
1) Die zweigeschlechtlichen Lungenschnecken stehen vielleicht am besten bei den
Ctenobranchiaten, wohin sie auch von Blainville u. A. gerechnet sind.
2) Das Gen. Chiton ist nach seiner ganzen Structur mit Patella so nahe verwandt,
dass eine Trennung beider und eine besondere Ordnung der Polyplaxiphora
Latr. oder Crepidopoda Car., in welcher Chiton etwa eine Stelle fände, mir
sehr unnatürlich scheint.
9
fache Analogie mit den Heteropoden, wie Des Hayes!) be-
sonders hervorgehoben hat, während endlich die Tubulibran-
chiaten entweder den Pectinibranchiaten oder vielleicht auch
den Heterobranchiaten möchten beizuzählen sein.
Die Gruppen also, die ich einstweilen als Ordnungen
den Gasteropoden zurechnen möchte, sind die Cyclobran-
chiata, Heterobranchiata, Dermatobranchiata, Pulmonata, He-
teropoda und Ctenobranchiata.
Als vierte und letzte Klasse der Mollusken erscheinen die
Cephalopoda, die gewiss mit Recht eine eigene Klasse
bilden und nicht etwa, wie Lamarck, Nitzsch, Gold-
fuss, Burmeister u. A. es gethan haben, mit den Gaste-
ropoden (als Cephalica Nitzsch) vereinigt werden dürfen 2).
Als Ordnungen derselben möchten vielleicht die Dibranchiata
und Tetrabranchiata®) anzusehen sein, obgleich es nicht zu
verkennen ist, dass die unterscheidenden Charaktere dieser
beiden Gruppen kaum beträchtlicher sind, als diejenigen,
welche sonst als Merkmale zweier verwandter Familien hin-
gestellt werden. Möglich ist es daher, dass beide Gruppen
auch hier nur als eben so viele Familien angesehen werden
müssen. Vielleicht würde man dann unter den zahlreichen
ausgestorbenen Arten dieser Klasse (etwa in den Belemniten)
die Repräsentanten einer andern Ordnung zu suchen haben.
1) Mem. de l’Acad. de la science, d’hist. nat, de Paris. T. II. p. 321
2) Nachdem oben die morphologische Uebereinstimmung in dem Bau der Cephalo-
poden und Gasteropoden nachgewiesen worden, bedarf wohl die Annahme von
Meckel (a. a. 0, S. 148.), dass die Cephalopoden von den übrigen Mollusken
gänzlich zu trennen seien und eine selbstständige hoch organisirte Abtheilung
unter den wirbellosen Thieren bildeten, nicht mehr einer besondern Widerlegung.
Eine Ordnung (oder Familie) der Siphonifera s. Polythalamia, in welcher nach
der Beschaffenheit der äussern Schale die differentesten Arten (Nautilus und
Spirula) zusammengestellt werden, scheint mir sehr unnatürlich,
nn
—
180
Zusatz zu S. 35.
Während des Druckes der vorstehenden Schrift ist mir
das Augustheft der Annal. des scienc. nat. 1847. mit einer
Abhandlung von Derb&s über die Entwicklung der Seeigel
in die Hände gekommen. Die frühern Untersuchungen von
Dufosse& ergebensich hiernach als falsch. Der Embryo der
Echinen verwandelt sich, ohne vorher sich festgesetzt zu
haben, aus einem Anfangs sphärischen Körper in einen
Pluteus. Die spätern Entwicklungsphasen kennen wir durch
J. Müller, dessen Untersuchungen „über die Larven und
die Metamorphose der Ophiuren und Seeigel“ so eben aus-
führlicher erschienen sind. Die von mir ausgesprochene Ver-
muthung, dass die von Müller beobachteten Larven jener
echinusartigen Echinodermen Spatangiden gewesen seien, fällt
hiernach zusammen. Eben so die Angabe von Sars, dass
die Madreporenplatte der Rest des frühern Stiels sei. Die-
selbe ist vielmehr, wie Müller (a. a. OÖ. S. 30.) nachweist,
als Nabel zu betrachten und bezeichnet die Stelle, an wel-
cher der Schlund des Pluteus mit dem späterhin in den
Darm des ausgebildeten Echinoderm verwandelten Magen
zusammenhing. — Auf der andern Seite giebt übrigens die
hierdurch über allen Zweifel erhobene Uebereinstimmung in
der Entwicklungsweise ‚der Echiniden und Asteriden — die
ältern Beobachtungen von Sars bedürfen unstreitig einer
Revision — einen neuen Grund für die Vereinigung dieser
Formen in einer gemeinschaftlichen Klasse, wie ich es oben
(S. 43.) vorgeschlagen habe.
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